Das Eigentum Soziologische Studien und Kritiken. Zweite Sammlung (1926) [1. ed.] 9783110158496, 9783110768671

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Das Eigentum Soziologische Studien und Kritiken. Zweite Sammlung (1926) [1. ed.]
 9783110158496, 9783110768671

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Ferdinand Tönnies Gesamtausgabe Band 17

Ferdinand Tönnies Gesamtausgabe TG Im Auftrag der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft e.V.

herausgegeben von Lars Clausen † · Dieter Haselbach Alexander Deichsel · Cornelius Bickel Wilhelm Knelangen · Maike Manske Carsten Schlüter-Knauer · Robert Seyfert

Walter de Gruyter · Berlin · Boston 2023

Ferdinand Tönnies Gesamtausgabe Band 17

1926 Das Eigentum Soziologische Studien und Kritiken. Zweite Sammlung

herausgegeben von Dieter Haselbach

Walter de Gruyter · Berlin · Boston 2023

Die Edition des Bandes 17 der Tönnies-Gesamtausgabe wurde von der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur gefördert.

ISBN 978-3-11-015849-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-076867-1

Library of Congress Control Number: 2022951927

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Satz: Michael Peschke, Berlin Schutzumschlag: Rainer Engel, Berlin Druck und Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH

Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Verzeichnisse Abkürzung und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort Dieter Haselbach .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Das Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Soziologische Studien und Kritiken. Zweite Sammlung . . . . . . . . . . . . . . . 44 Apparat Editorischer Bericht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibliographie (auch Drucknachweise der edierten Texte) . . . . . . . . . Register der Publikationsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Plan der Tönnies Gesamtausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

603 669 726 728 745 791

Abkürzungen und Siglen Aufgenommen werden sämtliche in Text und Anmerkungen vorkommenden Abkürzungen und Siglen, bis auf häufig abgekürzte Vornamen. Nicht aufgenommen sind Abkürzungen aus der Transkription von Handschriftlichem, etwa in Notizbüchern. Diese Abkürzungen Tönnies’ werden an Ort und Stelle aufgelöst.

Siglen A BGB BGBl C.civ GStA PK IISG LATh – HStA Weimar NCC

PG PrALR PrGS

jeweils die Erstdrucke von Texten in SSK II Bürgerliches Gesetzbuch (RGBl. 1896: 195 ff.) Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Code civil Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Internationaal Instituut vor Sociale Geschiedenis (Amsterdam) Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar Novum Corpus Constitutionum PrussicoBrandenburgensium Praecipue Marchicarum Preußische Gesetzsammlung Preußisches Allgemeines Landrecht [1.6.1794] Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. Berlin.

RGBl Reichsgesetzblatt. Berlin. SHLB Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek (Kiel) SSK Soziologische Studien und Kritiken SSI I Tönnies 1925a SSK II Tönnies 1926a SSK III Tönnies 1929 TG Tönnies Gesamtausgabe TG 2 Tönnies 2019 TG 7 Tönnies 2009 TG 10 Tönnies 2008 TG 14 Tönnies 2002 TG 15 Tönnies 2020 TG 21 Tönnies 2021 TG 22 Tönnies 1998 TG 22.2 Tönnies 2016 TG 23.2 Tönnies 2005 THB Tönnies / Höffding Briefwechsel (Tönnies / Höffding 1989) TN Tönnies Nachlass in der SHLB

Abkürzungen a. a. O. a. M. a. o. Prof. a. S.

am angegebenen Ort am Main außerordentlicher Professor an der Saale

A.-G. Aktiengesellschaft Abdr. Abdruck Abg. Abgeordnete[r] Abs. Absatz Abt. Abteilung

VIII

Abkürzungen und Siglen

Allgemeiner freier Angestelltenbund Akad. Akademie Anm. Anmerkung Art. Artikel Aufl. Auflage Ausg. Ausgabe Bürgerliches Gesetzbuch B. G. B. Bd. Band Bde. Bände Bdn. Bänden belg. belgisch bes. besonders betr. betreffend BGB. Bürgerliches Gesetzbuch Bl. Blatt bll. blühte, wirkte Bll. Blätter böhm. böhmisch brit. britisch BVP Bayerische Volkspartei bzw. beziehungsweise ca. circa cf. vergleiche [von lat. confer] cfr. vergleiche [von lat. confer] chap. chapter [Kapitel] d. der, die das D. G. f. S. Deutsche Gesellschaft für Soziologie d. h. das heißt d. i. das ist d. J. diesen Jahres Deutsches Reich D. R. d. s. das sind dän. dänisch das. daselbst DDP Deutsche Demokratische Partei dergl. dergleichen ders. derselbe Dez. Dezember dgl. dergleichen DGS Deutsche Gesellschaft für Soziologie dies. dieselbe Discours préliminaire disc prél. DNVP Deutschnationale Volkspartei AfA

Dr. Doktor dt. deutsch dtsch. deutsch Deutsche Volkspartei DVP eingetragener Verein e. V. ebd. ebenda ed. editorisch Editorischer Bericht Ed. Ber. einz. einzige/r engl. englisch ev. evangelisch event. eventuell evt. eventuell Ew. [Exzellenz, Euer [Exzellenz, Gnaden] Gnaden] f. für f. folgende [Seite] Febr. Februar ff. folgende [Seiten] finn. finnisch Fn. Fußnote Frhr. Feiherr Frl. Fräulein frz. französisch G. m. b. H. Gesellschaft mit beschränkter Haftung GdA Gewerkschaftbund der Angestellten Geh. Rat Geheimrat Gen. Genossen ges. gesamte gesch. geschieden gest. gestorben griech. griechisch H. Heft handschr. handschriftlich höfl. höflich Hs. Handschrift hs. handschriftlich HWB Handwörterbuch i. d. in der i. e. id est i. E. im Elsass i. H. in Holstein i. Pr. in Preußen [Preussen] i. W. in Westfalen ib. s. ibid. ibid. ebenda [lat. ibedem] introd. introduction ital. italienisch

IVR

Abkürzungen und Siglen

Internationale Vereinigung für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie Jahrb. Jahrbuch, Jahrbücher Jahrg. Jahrgang Jahrh. Jahrhundert Jg. Jahrgang Jh. Jahrhundert Jhs. Jahrhunderts jüd. jüdisch jurist. juristisch Kap. Kapitel kath. katholisch kathol. katholisch Kl. Klasse königl. königlich Kommunistische Partei KPD Deutschlands lat. lateinisch led. ledig M. Mark M. Massachusetts mit anderen Worten m. a. W. meines Erachtens m. E. männl. männlich masch.schr. maschinenschriftlich maschschr. maschinenschriftlich mglw. möglicherweise Mio. Millionen Mk. Mark Neue Folge N. F. nationalsoz. nationalsozialistisch neuseel. neuseeländisch niederl. niederländisch norw. norwegisch Nr. Nummer NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei o. oder o. ordentlicher ohne Jahr o. J. o. Professor ordentlicher Professor ohne Verfasser o. V. österr. österreichisch Okt. Oktober opere citato [im angeop. cit. führten Werk] ord. ordentliche/r ordentlicher Professor ord. Prof. Orig. Original

IX

p. page [Seite] p. m. pro mille (Promille) PA. Pennsylvania pag. pagina [Seite] passim. lat. svw. überall, hier und dort Ph. d. Gesch. Philosophie der Geschichte Philos.-hist. Philosophischhistorische(n) poln. polnisch port. portugiesisch preuß. preußisch Prof. Professor Proz. Prozent Reg.-Bez. Regierungsbezirk rel. relativ resp. respektive röm. römisch rum. rumänisch russ. russisch RV. Reichsverfassung s. siehe S. Satz S. Seite[n] siehe oben s. o. S. P. D. Sozialdemokratische Partei Deutschlands sieh unten s. u. s. z. s. sozusagen S.-A. Sonderabdruck S.-H. Schleswig-Holsteinisch schott. schottisch schwed. schwedisch schweiz. schweizerisch seine Majestät se. Majestät seqq. soviel wie ff. SH Schleswig-Holstein Sitzungsber. Sitzungsberichte sog. sogenannt sogen. sogenannt soz. sozial soz. soziologisch Sozialwissensch. Sozialwissenschaft soziolog. soziologisch Sp. Spalte span. spanisch SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands Staatsw. Staatswissenschaft

X

Abkürzungen und Siglen

Stat. Statistik StGB Strafgesetzbuch StrGB Strafgesetzbuch Stud. Student soviel wie svw. Tab. Tabelle techn. technisch Tönnies Gesamtausgabe TG TN Tönnies Nachlass in der SHLB tschech. tschechisch u. und u. a. unter anderem u. d. T. unter dem Titel u. dergl. und dergleichen u. Gen. und Genossen u. s. w. und so weiter u. sp. und später u. U. unter Umständen Übers. Übersetzung ungar. ungarisch Univ. Universität Univ.-Prof. Universitätsprofessor USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

und so weiter usw. v. von vor allem v. a. vor Christus v. Chr. v. H. von Hundert v. T. von Tausend Verf. Verfasser vergl. vergleiche verw. verwitwet vgl. vergleiche Vol. Volume [Band] VZ Volkszählung wahrsch. wahrscheinlich weibl. weiblich Wiss. Wissenschaftlichen z. zu, zum, zur z. B. zum Beispiel z. D. zur Disposition z. E. zum Exempel Zeitschr. Zeitschrift zit. n. zitiert nach zwisch. zwischen

Vorwort Der vorliegende 17. Band der Tönnies-Gesamtausgabe enthält eine Monographie und einen Sammelband aus dem Jahr 1926. Der Folgeband, TG 18, enthält weitere Monographien, die Aufsätze und die Rezensionen aus demselben Jahr und 1927. Die Aufteilung auf die Bände erfolgt pragmatisch: Die »Zweite Sammlung« der »Soziologische Studien und Kritiken« (SSK II) ist umfangreich und lässt nur noch Raum für eine weitere kleinere Monographie. Zur Schrift »Das Eigentum« gibt es aber auch eine inhaltliche Passung: Diese Arbeit erweitert den Kreis der Studien Tönnies’, in denen er seine soziologischen Begriffe auf konkrete soziale Probleme anwendet. Weitere solche Studien sind in SSK II gesammelt. Gleichzeitig ist die Arbeit eine energische rechts- und sozialpolitische Stellungnahme Tönnies’ zu politischen Tagesproblemen in der Weimarer Republik. SSK II führt zuvor an anderer Stelle publizierte Texte Tönnies’ zusammen. Auf den Themenkreis hat Tönnies sicherlich Einfluss genommen, die Zusammenstellung allerdings überlässt er seiner Tochter, die mit einem Team von Schülern auch die Korrekturen und die Herstellung des Bandes betreut (vgl. S. 49). Neben Aufsätzen zur angewandten Soziologie stehen Arbeiten zur Vorgeschichte und Fachentwicklung der Soziologie und ihrer Institutionalisierung als akademischem Fach in den Jahren vor und nach dem ersten Weltkrieg. Es entspricht den Editionsprinzipien der TG, bei mehrfach publizierten Texten von der Veröffentlichung letzter Hand auszugehen und mit früheren Versionen zu vergleichen. Bei allen hier veröffentlichten Texten in SSK II handelt es sich um die Ausgabe letzter Hand. Die Edition dieses Bandes folgt den Prinzipien einer »kritischen Ausgabe«, wie sie für die Tönnies Gesamtausgabe (TG) insgesamt gelten. Die Texte werden so präsentiert, dass noch im Neusatz die ursprüngliche Gestalt erkennbar bleibt. »Unter dem Strich« stehen editorische Kommentare, die mit dem Gegenstand nicht unvertraute Leserinnen und Leser voraussetzen. Wo notwendig, stellt der Editorische Bericht Hintergründe dar oder verweist auf Werkzusammenhänge. Für die Arbeit an der Edition konnte ich mich auf vielerlei Hilfe stützen. An erster Stelle steht die Kooperation mit Sebastian Klauke und Tatjana Trautmann, beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft. Die Stellen beider Wissenschaftler sind von der Hamburger Stiftung für Wissenschaft und Kultur gefördert. Wo ich nicht weiter wusste, kannten Tatjana und Sebastian oft doch noch einen Weg oder Um-

XII

Vorwort

weg zur Lösung von Editionsfragen. Eine Stütze waren auch die Mitglieder des Herausgeberteams der TG, namentlich Cornelius Bickel mit seinen tiefen Kenntnissen des Gesamtwerks Tönnies’, Maike Manske, Wilhelm Knelangen, Carsten Schlüter-Knauer und Robert Seyfert als genaue und kritische Leser. Auch Alexander Wierzock, dessen große Studie zu Tönnies in allernächster Zukunft veröffentlicht werden wird, steuerte viele wertvoll Hinweise bei. Alle Texte hat Elisabeth Köpke mit mir erst im Vergleich mit den Originalen, dann in der Fahne Korrektur gelesen. Nadja Kobler steuerte das Sachregister bei. Editionsarbeit ist leichter geworden. Das Internet mit seinem exponentiell wachsenden Zugang zu Informationen, Hintergründen und Textpartikeln macht den Nachweis von Bezügen in dem Maße leichter, in dem historische Texte durchsuchbar digital zur Verfügung stehen. Auch Wikipedia ist als schneller Zugang ein großer und immer wieder gerne herangezogener Ersthelfer. Die Recherche in der elektronischen Welt verlangt stets nach einem doppelten Sicherungsnetz: die Nacharbeit mit zweiten, manchmal verlässlicheren Informationsquellen. Es fällt auf, dass die bei der Nationalbibliothek geführt Gemeinsame Normdatei (GND), Standardreferenz bei der Personenrecherche, bei vielen Namenseinträgen mit Verweisen auf Wikipedia arbeitet, dies ein deutlicher Hinweis auf die wachsende Wertschätzung dieser Quelle. Aber trotz Internet und digitaler Arbeitsweisen gilt immer noch der Satz, der von Lars Clausen, dem Begründer der TG überliefert ist: »Je verrückter und belangloser [ein Problem], desto mühsamer [die Recherche].« In Editionen geht es darum, historische Texte für zukünftige Leserinnen und Leser zu sichern. Klassische Archive und Bibliotheken bleiben hierfür unverzichtbar. Mein bevorzugter Arbeitsort bleibt die »Staatsbibliothek zu Berlin. Preußischer Kulturbesitz«. Der Dokumentenbestand dort lässt fast keine Wünsche offen, wenn man historische Literatur recherchiert. Unverzichtbar für jede Forschungsarbeit zur Geschichte der Soziologie als Disziplin bis 1933 und noch mehr zu Tönnies selbst bleibt die SchleswigHolsteinische Landesbibliothek in Kiel: auch für diesen Band der TG war der Nachlass Ferdinand Tönnies’ eine wichtige Informationsquelle, nicht nur zu Tönnies, sondern eben auch zur Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Maike Manske hat hier alle Anfragen beantwortet und Wünsche umgehend erfüllt. Ihr und dem Team der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek wie dem Team der »StaBi« herzlichen Dank! Auch für diesen Band bewährte sich die Zusammenarbeit mit dem Verlag. Stellvertretend für die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Walter de Gruyter-Verlags sei Albrecht Döhnert für eine reibungslose Zusammenarbeit gedankt.



Vorwort

XIII

Besonderer Dank gebührt schließlich der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, ohne deren großzügige Unterstützung die Arbeit an der TG nicht möglich wäre. Berlin, im Januar 2023

Dieter Haselbach

Das Eigentum von

Ferdinand Tönnies

Wien und Leipzig 1926 1

Das Eigentum – Der Text erscheint als fünftes Heft (von sieben bis 1928) in der 1926 begründeten Schriftenreihe »Soziologie und Sozialphilosophie« der Gesellschaft für Soziologie in Wien (Tönnies 1926b; vgl. zur Schriftenreihe Müller 2018: 775 f.). Zur Geschichte dieser Gesellschaft vgl. den im Editorischen Bericht (S. 616 ff.) dokumentierten Begleittext des Präsidiums der Gesellschaft. – Karl Dunkmann kritisiert Tönnies in einem Besprechungsaufsatz zu diesem Text, Tönnies reagiert mit einer Replik. Auch dies ist im Editorischen Bericht dokumentiert.

Inhalt

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I.

Die Eigentumsfrage und der Rechtsbegriff (1. 2.)

II.

Die Kritik und die Begründung des Eigentums (3.–11.)

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III.

Die Enteignung und die deutsche Reichsverfassung (12. 13.)

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IV.

Adolph Wagner’s Enteignungslehre und Rudolph Goldscheid’s Finanzsoziologie (14. 15.)

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V.

Bodenreform, Siedlungsgesetz, Entschädigungen (16. 17. 18. 19. 20.) 33



(3. 4. 5.) Theorien (6. 7.) Gemeinschaft (8. 9.) Wesenwille und Kürwille (10. 11.) Die moderne Entwicklung

Exkurs

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I.

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1. Durch den ersten Volksentscheid im Deutschen Reiche (vom 20. Juni 1926) ist mit einem Schlage die Eigentumsfrage, insonderheit die des Eigentums an Grund und Boden, schärfer als bisher in das Gesichtsfeld der öffentlichen Meinung gerückt worden. Eine uralte, höchst bedeutsame, höchst merkwürdige Frage! Weit über unsere eigenen Gedanken hinaus ragt ein Berg von Gedachtem, von Geglaubtem, von Beklagtem, von Verlangtem, von Getanem, das diese Frage und ihre Gegenstände betrifft. Vor 50 Jahren wurde noch vielfach als charakteristisches Motto der sozialistischen Denkungsart ein Ausspruch Proudhons angerufen, der das Eigentum »Diebstahl« nannte, nachdem schon Ferdinand Lassalle diesen Ausspruch geistreich dahin abgewandelt hatte, daß er erklärte »Das Eigentum ist Fremdtum geworden«. Viele Verhandlungen und Streitigkeiten haben sich durch Bücher, Flugschriften, Zeitungen, durch Parlamentsverhandlungen und öffentliche Reden daran angeknüpft: in deutschen wie in den anderen Sprachgebieten. Der Weltkrieg und seine Folgen haben dann fast in allen beteiligten Ländern die Eigentumsverhältnisse umgewälzt in dem Sinne, der das Ansehen des Eigentums keineswegs heben konnte. 2. Die Eigentumsfrage ist zunächst eine Frage des Privatrechts: das Eigentum, der wichtigste Teil des Sachenrechts, mit dem alle übrigen nahe zusammenhängen, wie mit dem Sachenrecht das Obligationenrecht, das Familienrecht, [6] das Erbrecht. Der »Geist der Gesetze«, hat ein Kritiker

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Volksentscheid im Deutschen Reiche (vom 20. Juni 1926) – Zur Entscheidung stand: »Das gesamte Vermögen der Fürsten, die bis zur Staatsumwälzung im Jahre 1918 in einem der deutschen Länder regiert haben, sowie das gesamte Vermögen der Fürstenhäuser, ihrer Familien und Familienangehörigen werden zum Wohle der Allgemeinheit ohne Entschädigung enteignet.« Ein Volksbegehren vom 4.–17.3.1926 war erfolgreich, der Volksentscheid scheiterte daran, dass ein Quorum von 50 Prozent der Wahlberechtigen nicht erreicht wurde. Ausspruch Proudhons – »La propriété, c’est le vol!« (Proudhon 1840: 2) – Die deutschen Ausgaben (1844: 2 und 1896: 1) übersetzen mit »Das Eigenthum ist der Raub!« (1844: 2) und »Das Eigentum ist Raub!« (1896: 1, dort im »Vorwort des Übersetzers« auch: »Eigentum ist Diebstahl« (ebd., VI). »Das Eigentum ist Fremdtum geworden« – Lassalle 1878: 186, ebenso 1893: 217, hier ohne Lassalles Hervorhebungen. »Geist der Gesetze« – »De l’esprit des loix« ist ein Werk Montesquieus (anonym erschienen; o. V. 1748, vgl. auch die dt. Ausgabe Montesquieu 1843).

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Das Eigentum

Montesquieus gesagt, »ist das Eigentum« – er meinte »der Geist des bürgerlichen Rechts« – er hätte auch meinen können: »der Geist des Gesetzgebers«, d. i. des Staates als Urhebers solcher Privatrechts-Gesetzgebung. Im ersten »Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich« (nach der Vorlage des Redaktors der Kommission, Berlin 1880) wurde der »Begriff des Eigentums« nicht bestimmt aber erläutert (§ 85): »Der Eigentümer hat das Recht, die Sache zu besitzen und über dieselbe mit Ausschließung anderer zu verfügen, soweit nicht Beschränkungen dieses Rechts durch Gesetz oder durch Rechte Dritter begründet sind.« Die Begründung der Kommission erörtert eine Reihe von Definitionen der berühmtesten Rechtsgelehrten und die Sätze, in denen die neueren Gesetzbücher versucht hatten, den Begriff des Eigentums auszudrücken. In Bezug auf die Definitionen kommt diese Begründung zu dem Schlusse (S.  498), sie seien hauptsächlich dem Einwande ausgesetzt, daß die Herrschaft des Eigentumes über die Sache dann eine vollständige und ausschließende nicht genannt werden könne, wenn sie durch das Gesetz oder durch Rechte dritter Personen beschränkt sei; und nachdem die Versuche, dieser Schwierigkeit auszuweichen, abgelehnt worden, wird es für sehr schwierig, ja vielleicht unmöglich erklärt, eine befriedigende Definition des Eigentums zu geben; dennoch aber sei der Begriff desselben mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein eng verknüpft. Im ersten amtlichen Entwurf (Bundesratsvorlage 1898) lautet dann §  888: »Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.« Inzwischen hatte schon ein unamtlicher erster Entwurf der Öffentlichkeit vorgelegen [7] (1888), worin anstatt des Ausdruckes »nach Belieben« vielmehr »nach Willkür« gesetzt war – das »Belieben« sollte etwas moralischer klingen als die »Willkür«. Diese, an das berüchtigte »Recht des Gebrauches und des Mißbrauches«  1  9 14 25 27

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»Der Geist der Gesetze … ist das Eigentum« – »Leur [loix] esprit est de consacrer la propriété.« (Linguet 1767: 236). »Der Eigentümer hat … Dritte begründet sind.« – Entwurf 1880: 14. kommt diese Begründung zu dem Schlusse – Vgl. ebd., 498. »Der Eigentümer … von jeder Einwirkung ausschließen.« – Entwurf 1898: 158. »nach Willkür« – »Der Eigenthümer einer Sache hat das Recht, mit Ausschließung Anderer nach Willkür mit der Sache zu verfahren und über dieselbe zu verfügen, soweit nicht Beschränkungen dieses Rechtes durch Gesetz oder durch Rechte Dritter begründet sind.« (§ 848; Entwurf 1888: 194). Auch dies eine »amtliche Ausgabe«. »Recht des Gebrauches und des Mißbrauches« – Römisch-rechtliche Formel zur Definition des Eigentums (ius utendi et abutendi). – Vgl. zum Beispiel eine rechtliche Erörterung in Preußen von 1844 zum Missbrauch bei der Nutzung eines gepachteten Grundstücks (Ergänzungen 1844: 353 f.).

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I. Die Eigentumsfrage und der Rechtsbegriff

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erinnernd, hatte in der Tat einen Schauder ausgelöst, der auch heute noch bestünde, wenn nicht die Menschen über Worte mehr als über Dinge sich erregten; denn ihrem Wesen nach ist jene Bestimmung des Eigentums in voller Geltung. Das Wort »kann« (es ist auch in der endlichen Fassung: BGB § 903 stehen geblieben) bedeutet (natürlich) nicht ein physisches Können, es will ein moralisches Können bedeuten, das die Sprache sonst als »Dürfen« bezeichnet. So gedeutet sagt der Satz nichts als: »die Rechtsordnung verwehrt dem Eigentümer nicht, mit der Sache, die sein Eigentum oder in seinem Eigentum ist, nach Belieben zu verfahren, soweit sie (»das Gesetz«) es ihm nicht verwehrt« – eine Tautologie, die sich auch so ausdrücken läßt: »er darf mit der Sache tun was er mag, so weit es nicht gesetzlich verboten ist« – »er darf z. B. sein Haus verfallen lassen, er darf Wohnungen darin, die schlechter sind als Schweineställe, gegen Mietzins vermieten, aber er darf sein Haus nicht in Brand stecken, denn das ist gesetzlich verboten« (StrGB. § 306–8). Zugleich ist darin eingeschlossen, daß künftige Gesetze, nach Belieben des Gesetzgebers, fernere Hemmungen aufrichten »können«, d. h. wiederum »dürfen«; denn alles rechtliche Dürfen ist vom Gesetzgeber abhängig. Dennoch hat jener Satz vielen und großen Unwillen erregt. »Der Eigentumsbegriff ist von dem BGB. so übernommen, wie er auf der Grundlage des römischen Rechts in Deutschland geschichtlich geworden ist«

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endlichen Fassung: BGB § 903 – »Der Eigenthümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und Andere von jeder Einwirkung ausschließen.« (Bürgerliches Gesetzbuch vom 18.8.1896, § 903; RGBl 1896: 195). StrGB. §  306–8 – Die Paragraphen beziehen sich auf Brandstiftung und bestimmen das Strafmaß. »Wegen Brandstiftung wird mit Zuchthaus bestraft, wer vorsätzlich in Brand setzt … 2. ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche zur Wohnung von Menschen dienen, oder 3. eine Räumlichkeit, welche zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dient, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in derselben sich aufzuhalten pflegen.« (§  306) Nach §  308 ist eine Brandstiftung nur dann strafbar, wenn die in Brand gesetzten Gegenstände »entweder fremdes Eigenthum sind, oder zwar dem Brandstifter eigenthümlich gehören, jedoch ihrer Beschaffenheit und Lage nach geeignet sind, das Feuer einer der im §. 306 Nr. 1 bis 3 bezeichneten Räumlichkeiten oder einem der vorstehend bezeichneten fremden Gegenstände mitzutheilen.« (Bekanntmachung, betreffend die Redaktion des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 26.2.1876; RGBl 1876; 39). »Der Eigentumsbegriff … geschichtlich geworden ist« – Achilles 1896: 257 f., die von Tönnies verwandte Auflage nicht ermittelt. – Die siebente vermehrte und verbesserte Auflage hat den Satz verkürzt: »Der Eigentumsbegriff ist von dem BGB. so übernommen, wie er sich auf der Grundlage des römischen Rechtes entwickelt hat.« (Achilles 1912: 479).

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Das Eigentum

(BGB. herausgegeben von Dr. A. Achilles, S. 314). Eben dies wurde, und zwar zunächst von den Vertretern des deutschen Rechts, angeklagt und angefochten. An ihrer Spitze stand Gierke. [8] »Romanistisch-unvolkstümlich, individualistisch, unschöpferisch« nannte er das Wesen des Entwurfs und berief sich darauf, daß andere Germanisten von hohem Ansehen, wie Beseler, Brunner, Sohm, Dahn ebenso urteilten.1 Auch von Gelehrten, wie v. Liszt, Jastrow, Fuchs, die als Neutrale dem Gegensatz der Privatrechtsschulen gegenüber zu schätzen seien, werde diese Charakteristik bestätigt. Daß sie insbesondere die Rechtssätze über das Eigentum brandmarken soll, tritt an vielen Stellen der Kritik hervor. Mehrfach wird darauf hingewiesen, daß der »Inhalt« des Eigentums in einer ausschließlichen und absoluten, nur kraft positiver Ausnahmen durch äußere Schranken eingeengter Willkürherrschaft über die Sache gefunden wurde (323); und im Einklange mit der romanistischen Doktrin, jedoch im Widerspruche mit dem Sprachgebrauche des deutschen, preußischen und französischen Rechtes und mit den Anschauungen und Bedürfnissen des Lebens, werde der Name Eigentum auf das Eigentum an körperlichen Sachen eingeschränkt (47). Demnach meint das BGB.: ein rechtmäßiges Eigentum ist grundsätzlich ein schlechthin  freies, unbeschränktes (»absolutes«) – das Gesetz mag es beschränken, das ist Sache des öffentlichen Rechts und geht das Privatrecht nicht an, jedenfalls kann nur das Gesetz es beschränken (denn die Begrenzungen durch die Rechte »Dritter« folgen ja aus dem Begriff solcher Rechte), nicht etwa anderes vermutliches oder angebliches »Recht«, das sich etwa auf Rechtsgefühl, auf Gewohnheit oder gar auf Moral: natürliches Recht, Gewohnheitsrecht, sittliches Recht, 1

Der Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches und das Deutsche Recht (Buch-Ausgabe) Leipzig 1889, S. 2, 20 usw.

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»Romanistisch-unvolkstümlich, individualistisch, unschöpferisch« – Im Inhaltsverzeichnis (Gierke 1889: [VII]) steht: »Das romanistische, unvolkstümliche, individualistische, unschöpferische Wesen des Entwurfes (2)«. Auf S. 2 nicht diese Formulierung, sondern: »Nur ist er [Entwurf des BGB] nicht deutsch, nur ist er nicht volkstümlich, nur ist er nicht schöpferisch.« – Vgl. auch: »Denn es ist vielleicht der innerste Gegensatz zwischen dem römischen und dem germanischen Privatrecht, daß der Gedanke der Gemeinschaft aus jenem verbannt ist, dieses durchdringt.« (ebd., 11) – Zu Gierkes Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Rechtsliteratur zum BGB-Entwurf vgl. ebd., 17 ff. der »Inhalt« des Eigentums – Das Folgende fast wörtlich ebd., 323. – Danach paraphrasiert Tönnies ebd., 47.

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II. Die Kritik und die Begründung des Eigentums

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berufen möchte. Diesen etwanigen »Rechtsquellen« soll das Eigentum unbedingt überlegen sein. [9] Die Idee eines »natürlichen« Rechts liegt allerdings zugrunde. Aber nicht etwa in dem Sinne, daß der Mensch als solcher oder doch der Staatsbürger ein Recht auf eine gewisse Menge von Eigentum an gewissen Sachen, z.  B. am Boden oder an gewissen Arten des Bodens habe; sondern so gedacht, daß es a priori »natürlich« sei, daß der Mensch die Sachen, worüber er tatsächlich Macht hat, nach seinen Zwecken gebrauche, als Mittel für seine Zwecke anwende. So liegt dem Begriffe des Eigentums der Begriff des Besitzes zugrunde, als der weitere Begriff, der kein Gesetz, weil keinen Staat voraussetzt, daher auch im Völkerrecht seine natürliche Bedeutung hat. Eigentum gibt es nur innerhalb des Staates, denn es ist der vom Gesetze als Eigentum anerkannte Besitz. Besitz ist die reine Tatsache des Habens, die aber durch den Schutz, der ihr zu Teil wird, auch eine rechtliche Tatsache wird, der also auch im Völkerrecht des, wenn auch schwachen Schutzes genießt, den dieses zu bieten vermag. Mit unbestreitbarem Grunde wird dieser »abstrakte Besitzesschutz« in den Kommentaren des BGB. gerechtfertigt durch das Bedürfnis der Wahrung des Rechtsfriedens. Ob die Sache, die jemand tatsächlich besitzt, ihm von Rechtswegen »gehört« (sein Eigentum ist), kann man ihr nicht ansehen, und wenn dies erst untersucht und festgestellt werden müßte, so wäre sie dem Zugriff preisgegeben. Diese Seite der Rechtsordnung kommt auch der großen Menge, auch den Armen zugute, denn  fast jeder besitzt irgend etwas an Kleidung, an Hausrat, zumeist als sein Eigentum, wenigstens als seinen Besitz.

II.

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3. Hat aber das freie Eigentum dadurch seine Bedeutung, daß auch der Arbeiter und die Arbeiterin etwas »hat«, [10] sei es am Leibe oder in der Hausung, sei es als die Groschen in der Tasche oder als das Guthaben bei der Sparkasse? Das strenge Privatrecht des BGB. läßt diese »Forderung« nicht einmal als Eigentum gelten, sie gehört ins Obligationenrecht, das  freilich das Zusammenleben heute beherrscht, und daher auch an die Spitze des Privatrechts gestellt wird; wobei dieses sich nicht darum kümmert, daß die Forderung zum großen Teil »versachlicht« worden ist, d. h. durch

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Das Eigentum

Wertpapiere dargestellt wird, die gleich anderen wertvollen Sachen besessen, also auch als Waren ge- und verkauft werden und als »Sachen« ein unzweifelhaftes Eigentum begründen. Allerdings hat auch alles Nutz-Eigentum, selbst wenn es so unbedeutend ist wie tatsächlich das der großen Menge des Volkes, eine nicht geringe soziale Bedeutung. Aber oberhalb ihrer steht die besondere soziale Bedeutung des Eigentums am Boden, an Fabrikgebäuden, an Maschinen, am baren Gelde, das sich unermeßlich durch den Kredit ausdehnt, kurz an all dem, was die Wissenschaft als »Produktionsmittel« zusammen begreift. Diesem »realen Kapital« gleichartig ist auch das »Guthaben« des Leihkapitals, wenn es mittelbar oder sogar unmittelbar als Anteil am »werbenden« Kapital sich darstellt und tatsächlich der Grund eines »Eigentums« wird, das durch seinen Umfang so hervorragt, daß es nie oder nur in seltenen Ausnahmen durch Arbeitsleistungen erzielt werden kann. Wenn auch der strenge Privatrechtsbegriff in noch so großen Forderungen kein Eigentum anerkennt, so ist doch in wirklich herrschender Geltung, deren Irrtum nur Geldentwertung und Bankrotte aller Art, zumal die Staatsbankrotte, enthüllen, der Besitzer von Obligationen und »Staatspapieren«, wenn sie in großer Menge vorhanden sind, ebenso ein reicher Eigentümer, wie der Besitzer einiger Rittergüter; dem einen wie dem andern  fließen von [11] Rechtswegen seine »Revenuen« zu und, wenn es ihm beliebt, kann jener jederzeit etwa ein Rittergut käuflich erwerben. Nicht anders, wenn das »Vermögen« in Anteilen an mehr oder minder gewagten »Geschäften« des Handels oder der Industrie besteht, wodurch, ebenso wie durch Guthaben bei der Sparkasse (oder anderweitig) auch der Arbeiter als »Kapitalist« erscheinen kann, freilich nur »erscheinen«. – In Wirklichkeit ist die Zahl der Eigentümer in diesem Sinne, d. h. derer, die über ein Vermögen verfügen, dessen Einkünfte ihnen eine Lebenshaltung gestatten, die über jede Art von Lebenshaltung auf Grund von körperlicher oder geistiger Arbeit (mit verschwindenden Ausnahmen) weit hinausgeht, eine sehr geringe in jedem Volke. Diese nur in geringer Zahl vorhandenen wirklichen oder bedeutenden Eigentümer, zu denen im soziologischen Sinne auch solche gehören, die etwa gar keine »Realitäten« besitzen, sind die Herren der modernen Gesellschaft, ihr Interesse und ihr Wille bestimmt das Schicksal der Millionen, zumal der mittellosen Hand- und Hirnarbeiter, die von ihnen Lohn oder Gehalt beziehen, wenn sie in ihrem Dienste tätig zu sein Erlaubnis und Gelegenheit haben. Dies ist das Eigentum, auf welches die Kritik des Eigentums, die von altersher eine große Rolle im sozialen Leben gespielt hat, sich richtet; dies das Eigentum, das eine berühmte Theorie als zum Tode verurteilt betrachtet, gleich dem unmittelbaren Eigentum an

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menschlichen Leibern und Arbeitskräften, das noch vor 100 Jahren in der »zivilisierten Welt« eine große und von ihren Anwälten für unentbehrlich gehaltene Bedeutung gehabt hat; wie auch das Handelsgeschäft, das solches Sklaven-Eigentum vermittelte, eine reichlich fließende Quelle der Bereicherung gewesen ist. Das Eigentum an menschlichen Leibern wird nicht mehr verteidigt, der Handel damit ist zum Verbrechen geworden. [12] Das Eigentum an anderen Produktionsmitteln gilt noch als heilig und unersetzlich. Dagegen ist bekannt genug, daß die hohe und edle Kultur der Antike auch das Sklaveneigentum für unentbehrlich hielt, und daß auch die christlichen Lehren es unangefochten ließen. Auch die jüngere Leibeigenschaft der vom Gutshofe abhängigen Bauern, die bis ins 19. Jahrhundert dauerte, ist von der Sklaverei nicht sehr verschieden gewesen. Die Sklavenbesitzer in der »Neuen Welt« waren (und sind zu einem kleinen Teile noch) ohne Zweifel »gute Christen«, gleich jenen Gutsbesitzern. Neuerdings aber ist mehrfach vorausgesagt worden, daß das Eigentum an Boden und an realem »Kapital« dereinst – etwa binnen eines halben Jahrtausends – ebenso der »Geschichte« angehören werde, wie heute tatsächlich das Sklaveneigentum in diese Grube versunken ist, obschon es noch 1861/66 mit großen Heeren durch einen Bürgerkrieg verfochten wurde, der die Sympathien der englischen und der französischen Bourgeoisie zum größten Teile auf Seite der Sklavenhalter sah. Warum stößt sich doch heute so scharf der Geschmack und das Gewissen, auch wenn sie für Ideale, für Utopien, für Humanität ein überlegenes Lächeln haben, an der so lange rechtmäßig gewesenen Institution der Sklaverei? Warum halten sie hingegen das Privateigentum am Grund und Boden, an Aktien und Obligationen, an Fabriken und Handlungshäusern  für schlechthin natürlich und notwendig,  für heilig und unantastbar, außer wofern die Enteignung dem Verkehr, d.  h. ihnen selber, den Kapitalisten und Interessenten, dient und so entschädigt wird, daß der Eigentümer nachher ebensoviel oder sogar mehr hat? Und zwar das Privateigentum als das Recht über die Sache nach Belieben oder nach Willkür zu verfügen? – 4. Die Begründung des Eigentums ist ein Gegen[13]stand, der naturgemäß die Gedanken derer, die überhaupt den Einrichtungen des menschlichen Zusammenlebens sich denkend zuwenden, oft und lebhaft in Bewegung gesetzt hat. Was die Antike angeht, so möge hier die Hinweisung darauf genügen, daß Plato den oberen Ständen seiner Republik

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Bürgerkrieg – Tönnies bezieht sich auf den Sezessionskrieg in den USA 1861 bis 1865.

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ein Privateigentum nicht gestatten wollte, während er die Anerkennung des Eigentums in den »Gesetzen« auf den Satz zurückführt: Achtest du mein Gut, so achte ich das deine; einen Satz, aus dem sich allerdings schwerwiegende Folgerungen ableiten lassen. Aristoteles kritisierte die Gründe, mit denen Plato und vor ihm Phaleas  für die Gleichheit der Vermögensverhältnisse eingetreten waren, indem sie geltend machten, daß die Ungleichheit regelmäßige Ursache der bürgerlichen Unruhen sei. Noch entschiedener verwirft er die vom Plato für seine Wächter vorgeschlagene Gemeinschaft der Güter und der Frauen. – In ganz anderem Sinne, nämlich ausschließlich in dem der Ethik, die auf das Seelenheil der einzelnen Menschen hinzielte, machte die alte Kirche das Eigentum wie die Arbeit, und das soziale Leben überhaupt, zum Problem. Sie ist immer geneigt, das Privateigentum, und jedenfalls den Reichtum, mit der Sünde in Verbindung zu bringen und, ohne gerade prinzipiell die irdischen Güter zu verneinen, doch einen Ausgleich der Unterschiede durch Liebestätigkeit und Askese zu verlangen. Mehr und mehr wendet sie sich zu einer zwiefachen Moral, indem der Verzicht auf den Besitz wie auf Weib und Kind nur von den Erlesenen gefordert wird, die sich heiligen wollen und sollen. Die zweideutige und zweifelnde Haltung zur Welt geht durch die ganze Kirchengeschichte hindurch: bezeichnend dafür das Verhalten zum Zinsnehmen, das einen langen Kampf gegen die dem Wucherverbot zum Trotze sich durchsetzende Geldwirtschaft und also gegen das kapitalistische System bedeutet. Die mo[14]derne Denkungsart und also die Philosophie, in der sie ihre Ausdrücke findet, ist ihrem Wesen nach dieser modernen Entwicklung überwiegend günstig, sie ist für Freiheit, für die freie Gesellschaft freier Individuen. Das Fragwürdige für sie bleibt der Staat und das Verhältnis der Individuen, also der Gesellschaft zu ihm. So sind denn drei Typen von Theoremen in Bezug auf das Eigentum entstanden: I. Derjenige, worin es wesentlich auf den einzelnen Menschen, den Eigentümer selbst, zurückgeführt wird. Das Eigentum gehöre zum Wesen des Menschen, insbesondere des wirtschaftenden Menschen, es sei eine notwendige Konsequenz der menschlichen Natur oder doch der ökonomischen Seite seiner Natur. Und was sich leicht daran anknüpft: es sei aus der Tätigkeit des Eigentümers abgeleitet: am einfachsten aus der bloßen Inbesitznahme des herrenlosen Gutes, wie noch im Völkerrechte gilt, daß ein Staat durch Aufpflanzen seiner Fahne auf einer Insel, die bis dahin niemandem gehörte, deren »Eigentümer« werde (sofern denn hier

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Aristoteles kritisierte die Gründe – Vgl. Aristoteles Politik II. Buch, Kap. 7 (Aristoteles 1991: 26 ff.).

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der Besitz als Eigentum gedeutet wird). Bedeutsamer noch ist die Herleitung des Eigentums aus der Arbeit, die es am meisten für das moralische Bewußtsein zu rechtfertigen scheint. II. Der zweite Typus erklärt das Eigentum, d. h. seine wirkliche Gestaltung und Verteilung aus dem Willen der Gesellschaft, das ist gleichsam aus einem stillschweigenden Vertrage aller beteiligten Glieder der Gesellschaft (wie schon die erwähnte Meinung Platos in den »Gesetzen« war); man könnte auch sagen, einer Verabredung: das Eigentum wird dadurch zu einer konventionellen Einrichtung gemacht. Man sagt dann etwa: jedermann sei damit zufrieden und einverstanden, daß einem jeden das gehöre, was er auf eine nicht gesetzwidrige Weise erwor[15]ben hat, sei es also durch Erbschaft, durch Kauf, als Ertrag eines Geschäftes, als vereinbarte Pacht oder Miete, als Gehalt oder Arbeitslohn. Es sei eben allen daran gelegen, daß ein geordneter Verkehr, ein geregeltes Zusammenleben stattfinde, und dies sei eben nur durch die Einrichtung des Privateigentums möglich. Der etwanige Mißbrauch müsse, wie der von anderen Einrichtungen, in den Kauf genommen werden. III. Der dritte Typus macht den Staat und seine Gesetzgebung verantwortlich für eine bestehende Eigentumsordnung. Dies Theorem erklärt also: nur durch den schützenden Willen und die Macht des Staates hat jeder Eigentümer die ihm gehörigen Güter, nur kraft des Gesetzes besteht das Eigentum. Der Gesetzgeber ist als solcher befugt, die Eigentums-Ordnung zu verändern, also gilt die bestehende durch seinen Willen. Dies sagt auch das BGB.: »sobald das Gesetz entgegensteht, kann der Eigentümer nicht mehr mit der Sache nach Belieben verfahren«, eine notwendige Folgerung: es kann ihm jederzeit alle Rechte, also auch das Eigentumsrecht aberkennen. 5. Es ist leicht zu gewahren, daß alle diese Theoreme miteinander vereinbar sind. Wenn man vom Individuum ausgeht, so kann man auch aus dem individuellen Wesen und seiner Tätigkeit die natürliche Zugehörigkeit von Sachen zur Person und die Aneignung der Sache durch die Person herleiten. Man wird aber erkennen, daß Übereinstimmung darüber unwahrscheinlich und schwer zu erzielen ist; denn was einer für sein natürliches Eigentum hält, nehmen etwa andere auch als das ihrige in Anspruch. Eine ausdrückliche Übereinkunft, an deren Stelle, was die Regeln des Erwerbes betrifft, eine stillschweigende genügen kann, wäre schon erforderlich, um dem Eigentum ein gewisses Maß von Sicherheit zu verleihen. Aber die Quellen des Streites wären [16] dadurch nicht

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»sobald das Gesetz entgegensteht … Belieben verfahren« – Tönnies variiert den Gesetzestext von § 903 BGB, vgl. ed. Fn. zu Z. 5 auf S. 9.

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vertilgt. Erst ein entscheidender Wille, der auch mit Gewalt sich durchzusetzen vermag, kann das Mein und Dein dahin ordnen, daß alle Ansprüche, die er für unberechtigt erklärt, ohnmächtig werden. Die Theoreme sind auf den gegenwärtigen sozialen Zustand zugeschnitten und wollen ihn, wenn auch mit sehr verschiedenen Akzenten, naturrechtlichgesellschaftlich begründen. 6. Ich wage es, ihnen eine im Begriffe der Gemeinschaft verankerte Begründung entgegenzusetzen. Man darf sagen (jene Theorien sind dessen nicht eingedenk), daß alles Privateigentum in einem, wenn nicht historisch, so doch begrifflich früheren Gemeineigentum seine Wurzeln hat. Wenn und sofern gemeinsame Okkupation – deren historisch bedeutsamste Erscheinung offenbar die Eroberung ist – und gemeinsame Arbeit ein natürliches Eigentum zunächst am Grund und Boden bewirken, so kann daraus Privateigentum nur durch eine Regel der Verteilung entstehen; und auch, wenn es als notwendig (sich von selbst verstehend) galt, Haus und Hof den einzelnen Gliedern der Genossenschaft oder Gemeinde zu freier Verfügung zu überlassen, so waren doch diese selber wieder Familien oder Sippschaften, und nur als deren Haupt erscheint der Herr, der dann etwa auch über die Menge seiner Mitgenossen sich erhebt und in dem Streben erfolgreich ist, wenigstens außerhalb der Bindungen durch Gemeinderechte ein freieres Eigentum zu erwerben und, wo es möglich ist, eine Herrschaft über Land und Leute zugleich daraus zu gestalten.2 Der Prozeß dieser Befreiung des Herreneigentums [17] aus den Schranken der Markgenossenschaft und der Dorfgemeinde erfüllt die letzten Jahrhunderte des Mittelalters und die ersten der Neuzeit in dem Sinne, daß in verschiedenen Ländern, durch Gesetzgebung mehr oder weniger erleichtert oder gehemmt, der große, vorzugsweise adlige Großgrundbesitz sich herausgebildet hat: aus der Grundherrschaft, die einen Rest von öffentlichem Recht behielt, wurde die rein privatrechtliche Gutsherrschaft; am vollkommensten hat sich dies in England erfüllt, wo das römische Recht dazu nicht mitgewirkt hat, sondern die Ausdehnung der Herrenhöfe hauptsächlich durch eine sogenannte private Gesetzgebung geschah, die von den Herren (Lords und Gentry) in ihrem eigenen Interesse bewirkt wurde. In anderen Ländern, auch in Deutschland, beharrten die mannigfachen gutsherrlich-bäuerlichen Ver2

Daß der Hausvater und Herr über das Familieneigentum verfügt, ist auch heute noch eine allgemein übliche Sitte, auch wenn es zugleich im Namen der Frau geschieht; die Kinder haben das Eigentum nur als ein abgeleitetes, wie im römischen Rechte das peculium.

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peculium – [Lat.], hier svw. Treuhandvermögen von Ehefrau und Kindern.

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hältnisse, die man in der Jurisprudenz durch Begriffe wie Ober- und Untereigentum zu rationalisieren versuchte, bis es dann – und dazu halfen die römisch-rechtlichen wie die naturrechtlichen Begriffe – zur Auseinandersetzung kam, die den Gutsherren ihr großes, den Bauern ihr kleines, jenen wie diesen ihr freies Eigentum bestimmte, der großen Menge aber von Nachkommen ehemaliger, wenn auch armer Bauern nichts ließ als etwa eine Parzelle, die in Wirklichkeit nichts mehr ist, als ein Teil des Naturallohns des Landarbeiters; zumal nachdem auch die gemeine Weide zu Ungunsten der kleinen Leute aufgeteilt war. 7. Auch das Privateigentum in den Städten, vorzüglich das des Handwerkers an seiner Werkstatt, seinen Geräten und dem Ertrag seiner Arbeit blieb durch Gemeinde- und Herrenrechte, mehr noch durch genossenschaftliche Einschränkungen  freier Befugnis, lange gehemmt. Erst durch die tatsächlich freiere Verfügung an der im deutschen Recht sogenannten Fahrnis entwickelt sich das Privat[18]eigentum des Kaufmannes an seiner Ware und an seinem Gelde, das mehr und mehr das typische Eigentum am Kapital geworden ist. In ihm und durch es lebt die moderne Gesellschaft. Aber sie hat sich entwickelt unter beständiger Mitwirkung der Staatsgewalt, die ihrerseits wieder unter dem fortwährenden Einfluß der gesellschaftlichen Mächte sich ausgebildet hat. Das Übergewicht der gesellschaftlichen Mächte, d. i. der Eigentümer des Bodens und zumal der mehr und mehr diese überragenden des Kapitals, bestimmt den modernen Staat in dem Sinne, daß ihm als seine hauptsächliche Aufgabe gestellt wird, dies freie und unbeschränkte Eigentum zu beschützen und seine Veränderungen zu ordnen. Dies der Gedanke, der zuerst durch die  freie Staatsräson eines unumschränkten Fürstentums, dann in beschleunigtem Tempo durch Revolutionen und ihre Gesetzgebungen sich durchsetzt. Je mehr aber die Staatsgewalt, wenn auch noch in unbestrittener Abhängigkeit von den gesellschaftlich maßgebenden Schichten, die große Masse ihrer Untertanen sich gegenübersieht, die am Eigentum des Bodens und des Kapitals keinen oder geringen Anteil haben; je mehr diese durch ihre tatsächliche unentbehrliche Mitwirkung an kriegerischer und  friedlicher Tätigkeit zum Schutze des Eigentums und zur Schaffung seiner Erträge aufgeregt, gegen die ausschließliche politische Herrschaft der Eigentümer ebenso sich empört, wie diese teils gegen den Feudalismus, teils gegen das absolute monarchische Regiment sich empört hatten – umsomehr wird notgedrungen das Verhältnis der Staatsgewalt zum Eigentum ein anderes. Dem freien Eigentum stellt sich die freie Staatsgewalt überlegen gegenüber, die alle bisherigen gemein15

Fahrnis – Svw. bewegliches Vermögen.

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schaftlichen Mächte in sich versammelt und ersetzen will, indem sie den rationalisierten Begriff des Gemeinwillens darstellt. Auch abgesehen vom zunehmenden Einfluß der arbeitenden und eigentumlosen Klasse entwickelt [19] sich durch  finanzielle Bedürfnisse und sachliches Denken über die Bedingungen der Erhaltung und Förderung des Staates als eines Interesses der Volksgesamtheit, die Idee des »Staatssozialismus«, die sich darin ausprägt, daß sie einerseits den Staat selber in weitem Umfange zum Eigentümer des Bodens und seiner Schätze wie der großen Produktions- und Verkehrsmittel machen will, andererseits die Bedingtheit alles Privateigentums durch die Institution des Staates und den gesetzgeberischen Willen in dem Sinne hervorhebt, wie es etwa der gelehrte deutsche Vorkämpfer des Staatssozialismus, Adolph Wagner, in seiner großen Kritik der modernen Eigentumsordnung unternommen hat. 8. Eine Unterscheidung von anderer Art, die aber mit der gegebenen in mehr als einem Punkte sich nahe berührt, treffe ich, indem ich einerseits das Eigentum als Gegenstand des Wesenwillens, andererseits als Gegenstand des Kürwillens betrachte. In jedem Falle beruht es in einem Verhältnisse der Person, also des Willens, zur Sache. In jedem Falle wird die Sache als Mittel für die Zwecke der Person empfunden und gedacht. Ich habe in diesem Sinne die Begriffe des Wesenwillens und des Kürwillens eingehender beleuchtet in der Abhandlung über »Zweck und Mittel im sozialen Leben«.3 Hier wird dargelegt, wie das Verhältnis zwischen Mittel und Zweck sich verschieden gestaltet, je nachdem das Mittel in wesentlicher Einheit mit dem Zwecke oder in völliger Isolierung von und in möglicher Opposition zu dem Zwecke verstanden wird. In einem Falle wird die Sache als Mittel ebenso bejaht wie der Zweck. Im anderen Falle wird sie ausschließlich bejaht als Ursache des Zweckes und sogar an sich verneint. Die Anwendung auf das Eigentum ist einfach. Das Eigentum des Wesenwillens ist mit dem Wesen der Person, mit [20] ihrer Seele so innig verbunden, daß die Trennung davon notwendigerweise Unlustgefühle bewirkt. Das Eigentum des Kürwillens hingegen ist immer in dem Maße lusthaft, als die Sache die erwünschte Wirkung als die unbedingt gewollte Folge hat: das will sagen, daß die an sich auch hier sich regende Unlust durch diese Lust zum mindesten aufgehoben, oft aber auch überkompensiert wird. Das Eigentum des Wesenwillens 3

Erinnerungsgabe für Max Weber I, 235–267.

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großen Kritik der modernen Eigentumsordnung – Vgl. Wagner 1894: 181 ff. »Zweck und Mittel im sozialen Leben« – Tönnies 1923. Der Text ist in SSK III nachgedruckt.

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ist dadurch bezeichnet, daß die Person mit der Sache verwächst oder verschmilzt, daß sie sich die Sache assimiliert hat oder daß sie sie wertschätzt und liebt als ihr Geschöpf. So verhält sich der Mensch regelmäßig zu großen Teilen seines Nutzeigentums, die nicht zum unmittelbaren Genuß bestimmt sind: so nähert sich insbesondere das Eigentum an lebendigen Sachen, also an Tieren, zuweilen sogar an Pflanzen, dem Verhältnis von Person zu Personen, die Gegenstand der unmittelbaren Bejahung – der Liebe, der Treue und des Pflichtgefühls – sind. Aber auch bedeutende Stücke des Produktiveigentums nehmen oft diesen psychologischen Charakter an: insbesondere Haus und Hof, der Garten und schlechthin die »Scholle« für den, der sie bearbeitet, sie vielleicht durch eine Reihe von Generationen von den Vätern ererbt hat. In vielen Formen und Graden bildet sich die Anhänglichkeit an das eigentümlich besessene Gut fast jeder Art. In gleicher Zeit aber macht sich geltend, daß Wesenwille die schroffe Opposition von Lust und Unlust nicht kennt, sondern als Einheit von Gefühlen zu verstehen ist, die Lust und Unlust, Genuß und Mühe, Freude und Sorge, Recht und Pflicht, Ehre und Last in sich verbindet. – Anders ist das Verhältnis des Menschen zum Gelde, obgleich sich gerade darin bei zunehmender Geldwirtschaft, also höher entwickelter Kultur, das Bewußtsein des Eigentums kristallisiert, und dadurch die Macht des Kapitalismus zur entscheidenden [21] gesellschaftlichen Macht wird. Typisch ist, wie sich der Kaufmann zu seinem Warenkapital verhält, also auch der kapitalistische Produzent zu seinen Produkten. Sie haben keinen anderen Wunsch, als die Ware abzusetzen, nur bedingt durch die Grenze des Preises, worin sie sich »realisiert«, realisieren soll. Das hier gemeinte Merkmal des Kürwilleneigentums kann auch dahin ausgedrückt werden, daß in ihm der Gegenstand des Eigentums, der schlechthin als Kapital verstanden werden kann, gedacht wird als ein »Kostendes«, etwas, was aufs Spiel gesetzt wird; und dem entspricht es, daß der früheste wissenschaftliche Begriff des Kapitals in der Produktion der des Vorschusses ist – der physiokratische Begriff. Er charakterisiert die Unternehmung. Er wird zum bloßen Gedankending, zumal als Aktienkapital, wo er das große Passivum in der Bilanz darstellt, dessen aktive Gegenwerte unablässig zu wirken bestimmt sind, um Gewinn zu erzielen. Die Aktie ist ein ideeller Anteil an diesem Gedankending, in der Regel wiederum eine verkäufliche Ware darstellend, die einen Marktpreis hat, der in ungefährem Verhältnis zum tatsächlichen oder erwarteten Ertrage des Unternehmens steht, so daß sie ein Lieblingsgegenstand des gewagten Geschäftes, der Börsenspekulation, wird. Hier ist dann jede Beziehung zur Sache, die etwa durch die Aktie repräsentiert wird, ausgelöscht. Der Aktionär braucht, obgleich Mitei-

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gentümer etwa eines Bergwerkes, einer Eisenhütte, einer chemischen Fabrik, nicht einmal zu wissen, wo ein solches Werk, das doch, solange er Eigentümer des Anteils, auch seine Unternehmung ist, gelegen sei, und weiß es tatsächlich sehr oft nicht; wenn er sie nur als Ware hat, die er mit Profit oder etwa auch mit möglichst geringem Schaden wieder los werden will, so braucht er auch gar nicht einmal für das Gedeihen der Unternehmung sich zu interessie[22]ren; auch die irrtümliche Meinung, die etwa den Kurs in die Höhe treibt, muß ihm willkommen sein, wenn er infolge davon sein Geschäft macht. So ist das Eigentum des Kürwillens seinem Wesen nach ideell, es beruht in der Vorstellung, daß es Kraft sei oder in sich habe, Lusthaftes – Genüsse und Freuden oder jeweilig erwünschte, erwünschtere Sachen oder (der ideell-typische Fall) einen reinen Gewinn von erwünschten Sachen zu bewirken. Die abstrakt erwünschte Sache wiederum ist »Geld« – selber etwas Ideelles als Geld – »Kaufkraft«. Es ergibt sich – was freilich paradox ist gegenüber der Juristenlehre, es gebe kein Eigentum außer an materiellen Sachen –, daß das moderne Eigentum durch diese Eigenschaften bezeichnet wird, die ihm den Charakter des Ideellen geben, der abstrakten Macht, die sich in der »Forderung« als der Fähigkeit, durch die Staatsgewalt eine Geldzahlung zu erzwingen, am reinsten darstellt. Dies ideelle »Vermögen« ist für das logische Denken, das den Kürwillen bestimmt, ebenso durchaus lusthaft, wie das Gegenteil, die »Schulden« durchaus unlusthaft: entgegengesetzt wie Plus und Minus. – Auch »Realitäten«, insbesondere Grund und Boden, nähern sich dem Begriff des ideellen Vermögens oder des Kürwillen-Eigentums in dem Maße als sie zur »Ware« werden, d. h. als solche gedacht und behandelt werden – wie die fortschreitende kommerzielle Zivilisation es mit sich bringt. Vollends erhebt diese das Geld als Kapital zur reinsten Gestalt des ideellen Vermögens und kürwillentlichen Eigentums. Bedeutsam und wirkungsvoll ist diese Entwicklung auch dadurch geworden, daß der Wohnboden und das Wohngebäude in dreifachem Sinne als Ware sich darstellen: 1. käuflich und verkäuflich, je nach der Marktlage die Hände der Besitzer wechselnd; 2. eben dadurch Gegenstand des [23] Handels, der Spekulation werdend; 3. der Besitz und dessen Verwertung Gegenstand eines Geschäftes, indem die mehreren Wohnungen in einem Hause je ihren Mieter, d. i. den Käufer ihres Gebrauches suchen und  finden. Darin entwickelt und vollendet sich die Verwandlung der Wohngelegenheit in Kapital, das wie anderes Kapital in den Händen einzelner Kapitalisten oder selbst ideeller Kapitalgesellschaften sich anhäuft.

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9. Das von Gemeinschaft oder doch gemeinschaftlichem Geiste bedingte und umhegte, darum gleichsam zugeteilte Eigentum ist zugleich vorzugsweise – seiner inneren Tendenz nach – wesenwillentliches, das durch Gesellschaft mit ihr, in ihr sich entwickelnde ist oder wird mehr und mehr kürwillentliches Eigentum. Folglich findet hier auch das verschiedene Grundverhältnis zwischen Individuellem und Sozialem, also auch dem Privateigentum und dem es bedingenden Gemeinwillen und Gemein-Obereigentum, seine Anwendung. In dem einen Falle ist das Allgemeine das Prius, das Besondere und Private das Posterius, in dem anderen umgekehrt. Daher im subjektiven Bewußtsein des Eigentümers sein Eigentum immer bedingt, beschränkt, verliehen, ererbt – das gemeinschaftliche Bewußtsein hat sich bisher fast nur in religiösen Formen auszudrücken gewußt: »Gott hat es gegeben, er hat es mir anvertraut, er gibt jedem das Seine, von ihm rührt alle Ordnung und alles Recht her.« Das gesellschaftliche Bewußtsein nimmt mehr und mehr rationale, also wissenschaftliche Formen an. Ihm erscheint das freie und gleiche Individuum als die natürliche Tatsache der Erfahrung, und zu diesem gehört sein Eigentum – der »Ausfluß und Zubehör seines Wesens« oder »auf Grund dessen daß er der sonst herrenlosen Sache sich bemächtigt hat« oder »auf Grund dessen daß er seine eigene Arbeit in den Stoff hineingesenkt, diesen dadurch gestaltet [24] und so etwas geschaffen hat, was so gewiß sein eigen ist, wie das von ihr geborene Kind der Frau gehört«. In den Theorien reflektiert sich das Bewußtsein, also der Wille des Einzelnen. Problematisch bleibt kaum, wie der Kapitalist das Produkt seiner 1000 Arbeiter als sein natürliches Eigentum denken kann. Er ist ja der Fabrikant, der Unternehmer, der Urheber, die Arbeiter, Angestellten usw. sind ihm nur Hilfskräfte, die für ihre Leistungen bezahlt werden, wie der Lieferant des Rohstoffes für die seine bezahlt wurde. Aber der Staat? Der Staat ist von ihm und seinen Geschäftsfreunden eingerichtet, um Leben und Eigentum zu beschützen, um die kontraktlich bedungenen Leistungen zu erzwingen, auch er wird dafür bezahlt und tut, wozu er verpflichtet ist – die »Nachtwächter-Theorie«. – Indessen kann nicht verhindert werden, daß ein so gewaltiges Kollektivgebilde, wie der Staat notwendig sein muß – von vielen denkenden Menschen getragen – seinen eigenen Willen und sein eigenes Denken entwickelt, auch gegen die Eigentümer entwickelt, – um so eher wird dies geschehen, je mehr in ihm die Nicht-Eigentümer Macht gewinnen. Dann erst erfüllt sich, was einzelne Denker wie Hobbes schon grundsätzlich verkündet hatten, daß

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»Ausfluß und Zubehör seines Wesens … geborene Kind der Frau gehört« – Als Zitat nicht nachgewiesen.

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die Staatsgewalt, als die von allen autorisierte, nur durch Gesetze das Eigentum erhält, und daß folglich der Gesetzgeber nach seinen Zwecken es zu verändern und zu verteilen das Recht, weil die natürliche Macht, hat, wenn die große Mehrheit der Staatsbürger ihm den Auftrag gibt, ihn ermächtigt.4 10. Daß aber das moderne  freie Eigentum eine enorme Bedeutung  für die Entwicklung der Volks- und Weltwirtschaft gehabt hat und noch hat, brauchen uns die Apologeten und Propheten des Kapitalismus nicht zu lehren. Seine Wirkungen sind die des Kapitals, insbesondere des großen, des [25] assoziierten Kapitals, wodurch das gegenwärtige Zeitalter mit seinem ungeheuren technischen Expansionsvermögen und seinem noch fortschreitenden Wachstum herbeigeführt worden ist. Wenn schon das kommunistische Manifest im Jahre 1848 sagte, das Kapital habe zuerst bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann, sie habe in diesem Zeitalter ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, so schauen wir jetzt auf acht Jahrzehnte zurück, die seitdem vergangen sind und Wunderwerke geschaffen haben, denen gegenüber die damals zu Gebote stehende Erfahrung fast wie die eines Kindes erscheint. Ob und wiefern nun diese Entwicklung die Gesittung, ob und wiefern sie etwa das Glück der Menschen vermehrt und befördert habe, ist eine ziemlich müßige Untersuchung. Die Tatsache steht vor uns, daß eine mächtige Anzahl von Gewinnern in diesem Spiele diese Entwicklung bejaht und bejubelt; daß sie auch einen sehr erheblichen Teil der Denkweise derer bestimmt und beherrscht, die an den Vorteilen und Genüssen, die dadurch entstanden sind, nur einen schwachen oder  fragwürdigen Anteil haben; daß sogar die meisten derer, die ihr Glück in dem Sinne, in dem es das Vermögen bedeutet, zertrümmert werden sahen, dadurch nicht zur Verneinung, nicht einmal zur Anzweiflung der Gesellschaftsund Rechtsordnung sich bewegen läßt, in der diese Zustände und ihre Entwicklung beruhen. Tatsache ist aber auch, daß hingegen eine zunehmende Menge des Volkes, vielfach geleitet durch hervorragende Denker und Gelehrte, seit etwa 100 Jahren in allen Ländern, die unter dem Einflusse des Kapitalismus stehen, in eine Bewegung eingetreten ist, die, 4

Vergl. Exkurs.

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kommunistische Manifest – Die von Tönnies zitierte Passage auf S. 5 des Kommunistischen Manifests (Anonym 1848). vergl. Exkurs – S. 43.

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wenn auch in sehr ungleichen Graden und Formen, darüber einig ist, das kapitalistische Eigentum und den Gebrauch, den seine Herren davon machen, insoweit zu verneinen, [26] daß sie in Gedanken eine Gesellschafts- und Rechtsordnung von anderer Art ersinnen und daß sie, gemäß der Lehre, die in dieser Hinsicht am meisten mit Erfolg den Boden der wissenschaftlichen Erkenntnis anzubauen beflissen ist, erwarten und schon zu sehen glauben, daß aus der gegenwärtigen Ordnung und ihrem Verfall die neue Gesellschaftsordnung sich entwickle und entwickeln werde. 11. Uns geht die Frage hier nur an, insofern als sie die Entwicklung des Eigentums betrifft. Es ist bekannt, daß die jüngste Entwicklungsphase des Kapitalismus die imperialistische ist und daß diese Phase durch das Sinken der Profitrate bedingt ist, dessen Ursache das beständige Anwachsen des konstanten Kapitals zu sein scheint. Daher erfüllt sich, was jene jugendlichen Autoren vorausahnten, daß die periodischen Krisen, die von Zeit zu Zeit die bürgerliche Gesellschaft in Unordnung bringen und die Existenz des bürgerlichen Eigentums gefährden, vielfach vernichten, nur überwunden werden, außer durch solche Vernichtung, durch das Streben nach Eroberung neuer Märkte und gründlichere Ausbeutung der alten, also dadurch, daß die Mittel der Überwindung allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereiten. Das Augenmerk war noch nicht auf die erst in den letzten Jahrzehnten mächtig hervorgetretene Erscheinung gerichtet, daß das über seine Ränder tretende Kapital in allen Ländern, wo es Absatz für seine Produkte sucht, sich selbst Konkurrenten schafft, und daß es zu diesem Behufe auch die Staatsgewalt der fernen und fremden Länder von sich abhängig zu machen strebt, sei es, um für seine Unternehmungen und Bauten freie Hand zu gewinnen, sei es, um sich der Rohstoffe und Bodenschätze solcher Gegenden zu bemächtigen. Eine unabsehbare Folge von Kriegen, Revolten und Revolutionen wird dadurch hervorgerufen. [27] Die Erfahrungen des Weltkrieges und seine Wirkungen haben  für eine weit größere Menge von Einwohnern der europäischen und anderer Länder die Illusionen des Glückes zerstört, als sich bisher schon in Zweifeln oder Leugnungen dieser modernen Zivilisation hervorgewagt hatten.

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jene jugendlichen Autoren – Karl Marx und Friedrich Engels als Verfasser des anonym erschienenen »Kommunistischen Manifests«.

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III. 12. Der Gedanke des Vaterlandes und das Nationalbewußtsein liegt tief in den Seelen auch vieler, die von den gepriesenen Früchten des Nationalreichtums nur die bitteren Schalen zu kosten bekommen. Aber die Nötigung und Entschlossenheit, das Land zu verteidigen, erhöht auch das Selbstbewußtsein der eigentumlosen, arbeitenden Klasse. Sie hat es vermocht, wenn auch nur für eine kurze Frist, in Staaten, deren wirtschaftliche Vernichtung das Objekt des Weltkrieges war, sich der Staatsgewalt zu bemächtigen, und hat einen, soweit jetzt sich absehen läßt, dauernden Anteil an der politischen Macht gewonnen. Das Bewußtsein, durch den Staat auch das Eigentum, also die gesamte Wirtschaftsordnung zu beherrschen und verändern zu können, ist nicht ein neues politisches Bewußtsein, wenngleich es in neuen Trägern neue Gestalten annehmen muß. Die Enteignung ist eine Institution des geltenden, vom Einfluß der Arbeiterklasse noch unberührten Rechtes. Seine Grenzen und die Modalitäten seiner Anwendung zu bestimmen, steht bei der Staatsgewalt selber. Es ist unvermeidlich, daß die neuen Teilhaber der Staatsgewalt anders darüber denken als die alten, die Enterbten anders als die Erben. Die Staatsklugheit wird nicht nach Klasseninteressen, nicht nach Leidenschaften und Stimmungen, sondern ausschließlich nach dem wohlverstandenen Sinne eines solchen Rechtes, also nach der bestmöglichen Erkenntnis des Gemeinwohles und [28] der davon unablösbaren Zukunft und Dauer eines Volkes und des Staates selber entscheiden. Sie kann dies nicht anders, als indem sie beflissen ist, die bestehende Form des Staates zu schützen. In der Tat sind die Monarchien niemals spröde und rücksichtsvoll gegen ihre Feinde und die sie dafür hielten gewesen. So ist die innere Geschichte Deutschlands, das noch Österreich einschloß, vom Wiener Kongreß an bis 1848 und wiederum seit 1850 bis 1866, endlich auch im neuen Reiche seit dessen Begründung, angefüllt gewesen von den heftigsten Kämpfen der Dynastien, die noch zu Dutzenden vorhanden waren, gegen die Demokratie – wobei es keinen Unterschied begründete, ob die demokratische Gedankenrichtung wie in der jüngsten Zeit sozialistische Tendenzen in sich schloß, oder nicht: wie in dem längsten dieser Zeiträume, da die demokratischen Forderungen überwiegend dahin gingen, die geschriebene Verfassung und Volksvertretung, Schwurgerichte, Preßfreiheit usw. in Anspruch zu nehmen – wo das erst sogar die Erfüllung eines von den Fürsten selber geleisteten Verspre 8

Staaten, deren wirtschaftliche Vernichtung das Objekt des Weltkrieges war – In Tönnies’ Wahrnehmung trifft dies auf Deutschland wie auf Österreich-Ungarn zu.

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chens war. Weil damit innerlich zusammenhängend, war es bekanntlich die schwarz-rot-goldene Fahne, die als Symbol der erstrebten deutschen Reichseinheit für Hochverrat gegen die Throne und Thrönchen gehalten und erklärt wurde. Zu enteignen gab es freilich bei den Burschenschaftern und anderen Vorkämpfern der als demokratisch verfehmten Ideen wenig. Aber viele Leben enthusiastischer Jünglinge sind durch die monarchistischen Gewaltmaßregeln zerstört, viele begabte junge Männer sind über den Ozean und sonst ins Exil getrieben worden, nicht selten nachdem Todesurteile gegen sie gefällt worden waren. Es konnte nicht ausbleiben, daß mittelbar und unmittelbar Eigentumsrechte in diesen antirevolutionären Kämpfen vernichtet wurden. Vollends geschah dies nach dem Erlaß des Ge[29]setzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie im Jahre 1878. »Die Vorkämpfer des heiligen Eigentums gaben ein erbauliches Vorbild, Eigentum zu vernichten. An den 16 Genossenschaftsbuchdruckereien waren 400 Personen als Drucker, Setzer, Expedienten und Redakteure angestellt, über 2500 Arbeiter und Kleinmeister mit ihren Ersparnissen und – mittelbar durch die Solidarhaft – mit ihrer ganzen Habe beteiligt« (Mehring, Geschichte der deutschen Sozialdemokratie II, S. 411). Dann folgten die massenhaften Ausweisungen unter Verhängung des sogenannten kleinen Belagerungszustandes, der von den Nationalliberalen nur für den äußersten Notfall, wenn sonst ein gewaltsamer Ausbruch zu erwarten sei, bewilligt worden war. Er wurde zuerst über Berlin, Charlottenburg und Potsdam und die drei umgebenden Kreise, dann nach und nach über alle größeren Städte verhängt. Man braucht sich die Folgen nicht auszumalen, die es haben müßte, wenn heute etwa die deutsche Republik mit einem analogen Ausnahme- und Ausweisungsgesetze gegen ihre erklärten Gegner und offenen Feinde sich wenden wollte. Diese hätten ihre verwundbarsten Stellen nicht, wie jene vermeintlichen oder wirklichen Republikaner, in ihren Personen, ihrer Berufs- und Lebensstellung, ihrem täglichen Brot, sondern in ihrem Eigentum. 13

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Erlaß des Gesetzes … Sozialdemokratie – Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21.10.1878; RGBl 1878: 351. – Tönnies wird 1929 eine Monographie zum Gesetz und seiner Wirkung veröffentlichen (Tönnies 1929a). »Die Vorkämpfer des heiligen Eigentums… ganzen Habe beteiligt« – Mehring 1898: 409. kleinen Belagerungszustandes – Die Verhängung des Ausnahmezustandes »für Bezirke oder Ortschaften, welche durch … [sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete] Bestrebungen mit Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedroht sind …« (§  28 [§  1], Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21.10.1878; RGBl 1878: 351). – Vgl. hierzu Mehring 1898: 411 ff.

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Ganz besonders ist es das große Grundeigentum, dessen Herren die unbezweifelten Häupter der gegenrevolutionären monarchistischen Bewegungen und Agitationen sind. Wenn die Souveränität, also in letzter Instanz die gesetzgebende sowohl als die vollziehende Gewalt, dem Volke gehört, so hätte dies, da seine große Mehrheit am produktiven Eigentum, zumal am Grundeigentum, sehr geringen oder gar [30] keinen Anteil hat, viel weniger Grund, diese Eigentümer als Revolutionäre (denn das sind auch Antirevolutionäre) zu schonen, als jene Grund gehabt hätten, die Existenzen und das etwa ihnen gehörige Nutzeigentum ihrer Gegner zu schonen. Wohl aber ist ein erhabener Grund für die Vertreter einer demokratischen Republik, um den Ruf der Humanität und Gerechtigkeit besorgt zu sein und um dieses Rufes willen eine Gesetzgebung, die sich wesentlich gegen bestimmte Personen richtet, solange zu vermeiden, bis sie etwa durch deren Verhalten unmittelbar aufgenötigt wird. 13. Die deutsche Reichsverfassung will das Eigentum garantieren. Der Artikel 153 enthält freilich den Schlußsatz: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das allgemeine Beste.« Der Artikel enthält im übrigen nur, was früher die liberalen Verfassungen vorgeschrieben hatten, insbesondere, daß eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden dürfe: freilich wird im Unterschiede von anderen Verfassungen der Satz, daß sie gegen angemessene Entschädigung erfolgen soll, durch den Nebensatz limitiert: »soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt.« Durchaus treffend hat der im Sinne des Liberalismus und Kapitalismus durchaus konservative Professor I. V. Bredt, Führer der sog. Deutschen Wirtschaftspartei, diesen Vorbehalt dahin gedeutet, es sei ihm gemäß theoretisch möglich, das gesamte Privateigentum zu

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Artikel 153 – »(1) Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. (2) Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenommen werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädigung erfolgen. (3) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.« (Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919; RGBl 1919: 1383). I. V. Bredt … diesen Vorbehalt dahin gedeutet – »Theoretisch ist es durchaus möglich, das gesamte Privateigentum zu enteignen, ohne jegliche Entschädigung; nicht einmal eine qualifizierte Reichstagsmehrheit ist notwendig zu einer derartigen Maßnahme!« (Bredt 1924: 345) – Recte: J. V. Bredt.

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enteignen, ohne jegliche Entschädigung; nicht einmal eine qualifizierte Reichstagsmehrheit sei notwendig zu einer solchen Maßnahme. Freilich würde ohne Zweifel der Gesetzgeber nur, wenn er wahnsinnig wäre (was vielleicht bei einem kollektiven Souverän doch etwas weniger wahrscheinlich ist, als bei einem [31] individuellen), von dieser theoretischen Befugnis einen Gebrauch machen, der dem ersten Satze dieses Artikels roh ins Gesicht schlüge. Theoretisch war es gemäß den monarchischen Verfassungen dem deutschen Kaiser als König von Preußen (wie jedem seiner Kollegen) gestattet, eine beliebige Anzahl seiner Untertanen zu ermorden. Wäre von diesem »Rechte« ein ausgiebiger Gebrauch gemacht worden, so hätte man vielleicht die Täter als Wahnsinnige unschädlich gemacht; strafbar waren sie nicht. Mit dem ihm auch sonst eigenen Scharfsinn, der in diesem Falle durch die Bitterkeit des bedrängten Kapitalismus-Verteidigers erhöht wurde, hat I. V. Bredt allerdings herausgefunden, was der eigentliche Sinn des neuen und wichtigen Artikels der Weimarer Verfassung enthält. Er sagt nämlich: »Das Eigentum soll seines absoluten Charakters entkleidet werden und soziale Institution werden. Man mag es bezeichnen als letzte Auswirkung kommunistischer Ideen, man mag es zurückführen auf ein Wiederaufleben allgemeinster Anschauungen über Gemeinwirtschaft mit Ober- und Untereigentum: Tatsache ist es, daß nicht mehr das Eigentum radiziert wird auf das Individuum, so daß der Eingriff der staatlichen Gemeinschaft als Ausnahme erscheint, sondern daß nunmehr das Eigentum radiziert wird auf die Volksgemeinschaft, welche nur bestimmte Rechte des Individuums anerkennt.« In Wahrheit liegt hier der Niederschlag der gelehrten Kritik des Kapitalismus und des ihm konformen römischen Rechts vor, in der sich 50 Jahre lang, nachdem in Deutschland die politische Entwicklung auf einen Höhepunkt gelangt war, Nationalökonomen und andere Sozialpolitiker, Rechtsphilosophen, katholische, protestantische und philosophische Ethiker zusammengefunden hatten. Alle solchen Elemente waren aufgestanden als Anwälte einer Gesetzgebung zugunsten der Arbeiterklasse, zur Beschränkung der Macht des Kapitals, zum »Katheder-Sozialismus«. [32] 25 34

»Das Eigentum soll … des Individuums anerkennt.« – Bei Bredt heißt es: »… ein Wiederaufleben altgermanischer Anschauungen über Gemeinwirtschaft …« (ebd., 344). »Katheder-Sozialismus« – Vgl. zum Kathedersozialismus einen Eintrag im »Historischen Schlagwörterbuch«: »Kathedersozialisten, ein Spottname, womit Heinrich Bernhard Oppenheim in einem Artikel der Nationalzeitung vom 17. Dez. 1871 diejenigen deutschen Professoren der Nationalökonomie zu treffen gedachte, welche im Gegensatz zur freihändlerischen Richtung eine staatliche Sozialgesetzgebung lebhaft befürworteten. Das Schlagwort gab das Signal zu einer rührigen Preßpolemik.« (Ladendorf 1906: 164).

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IV. 14. Die Menge dieser Gelehrten überragte durch das Ethos seines Denkens und Wollens, durch seine aufrechte und energische Persönlichkeit Adolph Wagner, der, wie mancher vor ihm und nach ihm, aber keiner mit so starkem Rüstzeug es unternommen hatte, eine neue Grundlegung der politischen Ökonomie zu schaffen, deren zweiter Teil betitelt ist: »Volkswirtschaft und Recht, besonders Vermögensrecht, oder Freiheit und Eigentum in volkswirtschaftlicher Betrachtung.« Hier behandelt das zweite Buch die Eigentumsordnung, darin Begründung und Begriff des Privateigentums; das dritte Buch die Ausdehnung des Privateigentums. Hier wieder das dritte Kapitel die Zwangsenteignung. In der sehr gründlichen Erörterung, auch der juristischen Literatur, beruft er sich auf die merkwürdig radikale Ansicht des römisch-rechtlichen Gelehrten Rudolf von Ihering, der in seinem rechtsphilosophischen Werke »Der Zweck im Recht«, in der schärfsten Weise betont, daß das Eigentum nicht lediglich des Eigentümers, sondern zugleich der Gesellschaft wegen da sei, und das Recht müsse die Interessen zu vereinigen suchen; das aber geschehe mittels der Expropriation. »Die wahre Bedeutung der Expropriation wird meines Erachtens völlig verkannt, wenn man in ihr einen Eingriff in das Eigentum, eine Abnormität erblickt, die mit der Idee desselben in Widerspruch stehe.« Vom richtigen (sozialen) Standpunkte gesehen, erscheine die Enteignung sowenig als eine Abnormität oder als ein Verstoß gegen die Eigentumsidee, daß sie umgekehrt durch diese in unabweisbarer Weise gefordert werde. Sie mache das Eigentum erst zu einem praktisch lebensfähigen Institut; ohne sie würde sich das Eigentum zu einem Fluch der Gesellschaft gestalten können. Wagner erklärt, absolutes Privateigentum und Zwangs[33]enteignung seien unvereinbare, einander ausschließende Gegensätze. Auch die im Vordergrunde stehende öffentlich-rechtliche Auffassung der Enteignung sei insofern schwach, als sie dieses Recht allein mit dem Hinweis auf das öffentliche Interesse oder, was nicht besser sei, auf den »Staatszweck« begründe:

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»Volkswirtschaft und Recht, besonders Vermögensrecht, oder Freiheit und Eigentum in volkswirtschaftlicher Betrachtung.« – So der Untertitel von Wagner 1894. »Die wahre Bedeutung … in Widerspruch stehe.« – Kleine Ungenauigkeiten: »Die wahre Bedeutung der Expropriation wird meines Erachtens völlig verkannt, wenn man in ihr einen Eingriff in das Eigentum, eine Abnormität erblickt, die mit der ›Idee‹ desselben in Widerspruch stehe.« (Jhering 1877: 514). Privateigentum und Zwangsenteignung … Gegensätze – Vgl. Wagner 1894: 536.

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das sei allzu vage und dehnbar. Das Enteignungswesen müsse in Abhängigkeit von den sozialökonomischen Entwicklungsstufen betrachtet werden, jedes Zeitalter bedürfe eines anderen Enteignungsrechtes. Wagner betrachtet hier auch die Säkularisation von Kirchengut und die ganze Gesetzgebung, die dem Zwecke diente, das privatwirtschaftliche System vollständiger und  freier sich ausbilden zu lassen, also der vollen Entwicklung des Privateigentums zu dienen, unter dem Gesichtspunkte, daß auch zwangsweise Eingriffe in das Privateigentum (wobei er wie sonst auch ein Eigentum an Rechten voraussetzt) stattfinden mußten – also die Aufhebung der Leibeigenschaft und Erbuntertänigkeit, die Grundentlastungen, Zusammenlegungen und Ablösungen jeder Art. Heute sei hingegen die Ausdehnung des gemein-, speziell des zwangsgemeinwirtschaftlichen Systems und eine neue technisch-ökonomische Gestaltung des einzelwirtschaftlichen Produktionsbetriebes, wesentlich auch nach richtig erkannten naturwissenschaftlichen Anforderungen, das, worauf es ankomme. In diesem Sinne entwickelte er – 1894 – (ein volles und schwer verhängnisvolles Menschenalter ist seitdem vergangen), was er die »Hauptgebiete« des schon in der Bildung begriffenen Enteignungsrechtes unserer nächsten ökonomischen und sozialen Entwicklungsperiode nennt, nämlich: a) Die zweckmäßigere Verteilung des Nationalkapitals und besonders des nationalen Grund und Bodens werde voraussichtlich das öffentliche Eigentum an beiden vermehren, [34] besonders werde die gegenwärtige Ausdehnung des privaten Grundeigentums »wohl einer Beschränkung entgegengehen«. b) Bereitstellung der Benutzung des Bodens für den speziellen Zweck (Wohnungs-, Wege-, Bergwerks-, Wald-, agrarischer Boden) und in der Intensivität, die das öffentliche Interesse »unserer dichtbevölkerten, bedürfnisreichen Kulturländer erfordert«. In der näheren Begründung begegnet uns der Satz: »Das Privateigentumsrecht, das sich lediglich auf den historischen Besitzstand stützen kann, dem öffentlichen Interesse aber nicht dient oder gar zuwiderläuft, wird in solchen Fällen immer allgemeiner und unbedingter der Enteignung anheimfallen«.

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»wohl einer Beschränkung entgegengehen« – Ebd., 548. »unserer dichtbevölkerten, bedürfnisreichen Kulturländer erfordert« – »… welches durch das öffentliche Interesse unserer dicht bevölkerten bedürfnissreichen Culturländer gefordert …« (ebd., 549). »Das Privateigentumsrecht… der Enteignung anheimfallen« – Ebd., leicht abweichend: »… nicht dient, oder selbst zuwiderläuft …«.

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c) Hier wird das Enteignungsrecht im Dienste des öffentlichen Gesundheitswesens erwogen. d) Zunächst nicht ohne Zweifel schließt Wagner hier die Frage an, ob in absehbarer Zukunft schon ein viertes Hauptgebiet des Enteignungsrechtes hinzukommen werde, das allgemeinere Enteignungen zur Herstellung der Bedingungen für die gleichmäßigere Verteilung des Produktionsertrages mittels Hinüberleitung von jetzigem privaten Renteneinkommen des Kapitalisten und Grundeigentümers in das Einkommen von Staat und Gemeinde, damit indirekt zur Erleichterung der Steuerlast, zur Ausführung von Zwecken und Tätigkeiten, welche den unteren Klassen allein oder vornehmlich zugute kommen, oder auch direkt mittels Steigerung des Einkommens der des eigenen Privateigentums an Produktionsmitteln entbehrenden arbeitenden Klassen. Schon nach der jetzigen Auffassung des Enteignungswesens und dem geltenden Rechte sei ein prinzipieller Ausschluß solcher Enteignungsgebiete nicht geboten, zum Teil würden sie schon unter die erste Kategorie fallen, wie in der Tat ohne weiteres erkennbar ist. [35] Wagner erwartete, wie –  freilich in ganz anderer Begrenzung und Form – auch Schmoller, und etwa als energischer Praktiker Freiherr von Berlepsch, die große grundlegende soziale Reform vom monarchistischen Beamtenstaat, in letzter Linie also von der Einsicht der Monarchen und ihrer Staatsmänner, etwa auch eines Staatsmannes, der in diesem Sinne gegen einen einsichtslosen Monarchen sich werde behaupten können. Er hat es nicht erlebt, daß das deutsche Staatswesen auf einer völlig neuen, rein demokratischen Basis errichtet worden ist, wodurch die Wahrscheinlichkeit einer Sozialpolitik, wie er sie erwartete und als kritischer Denker begünstigte, offenbar in außerordentlicher Weise erhöht worden ist. 15. Als Vertreter der Finanzwissenschaft ist Adolph Wagner immer dafür eingetreten, auch das Steuerrecht sozialpolitischen Zwecken dienstbar zu machen. Es ist durchaus in seinem Geiste, wenn neuerdings mit großer Sachkenntnis und  folgerichtiger Gedankenkraft Rudolf Goldscheid5  für 5

Staat, öffentlicher Haushalt und Gesellschaft. Abriß der Finanzsoziologie (Handbuch der Finanzwissenschaft, herausgeg. v. Wilhelm Gerloff und Franz Meisel).

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Enteignungsrecht im Dienste des öffentlichen Gesundheitswesens – Vgl. ebd., 550. ein viertes Hauptgebiet des Enteignungsrechtes – Vgl. ebd., 550 f.: »Frage der Enteignungen aus sozialpolitischen Gründen«. Staat, öffentlicher Haushalt und Gesellschaft – Goldscheid 1926, dort mit dem Untertitel: »Wesen und Aufgabe der Finanzwissenschaft vom Standpunkte der Soziologie«.

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die von ihm sogenannte Finanzsoziologie eintritt und insbesondere auf den engen Kausalnexus von Kriegs- und Finanznot wie auf die Verwurzelung der Revolutionen in Finanzfragen hinweist. Mit gutem Grunde behauptet er, daß in neuerer Zeit – gemeint ist die Epoche von etwa 400 Jahren, in der wir leben – eine schrittweise Expropriation des Staates stattgefunden habe. Erst der vorgeschrittene Kapitalismus sei zum Schöpfer des (»beinahe könnte man sagen«) grundsätzlich armen Staates geworden. »Den armen Staat kann das Volk ruhig erobern, es erbeutet damit nur eine leere Kasse«, das mache den innersten Sinn [36] der Synthese von politischer Allmacht und wirtschaftlicher Ohnmacht des Staates aus, daß mit der Macht der Besitzlosen über den armen Staat nur zwei Expropriierte sich zusammenfanden. Es versteht sich, daß Goldscheid besonders nachdrücklich auf das Staatsschuldenwesen hinweist, das ja auch Goethe mit Grauen erfüllte, und auf die Staatsbankerotte, die so oft in seinem Gefolge auftreten – wo die neuesten Erlebnisse allerdings nicht tief genug in das öffentliche Bewußtsein eingeprägt werden können. Nicht ohne Grund meint der Finanzsoziologe, es sei in erster Linie die Tatsache, daß die Besitzenden die Kosten des Krieges wie auch aller seiner zerstörenden Nachwirkungen auf die Besitzlosen überwälzen wollen, die sich der Lösung des Haushalts- wie des Reparationsproblemes als unüberwindliches Hindernis entgegenstelle (S. 156). Wolle man den Staat nicht als Träger öffentlichen Eigentums, so werde er automatisch zum Träger öffentlicher Schulden (S.  165). Es schließt sich hieran eine Erörterung des Steuerwesens, dem, wie es ist, Goldscheid zum Vorwurf macht, daß es dem Kapital für seine wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Machtposition in den öffentlichen Finanzen das öffentlich-rechtliche Fundament gebe, indem die Finanzmagnatenschicht etwas wie einen Staat im Staate darstelle. Der eigentliche Gegenstand der Finanzwissenschaft verlange, daß vor allem die Entstehung der öffentlichen Ausgaben, namentlich der unbedeckbaren, erkannt werde, sodann sei der Grad der sozialen Ergiebigkeit der verschiedenen Einnahmequellen je nach ihrem Ursprung und ihrer Verwen-

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von ihm sogenannte Finanzsoziologie – Vgl. Goldscheid »Staatssozialismus oder Staatskapitalismus« (1917) sowie »Sozialisierung der Wirtschaft oder Staatsbankerott« (1919); von Arno Bammé in einem Band zusammengestellt und neu herausgegeben (Goldscheid 2020). Expropriation des Staates – Vgl. Goldscheid 1926: 151 ff. »beinahe könnte man sagen« – Ebd., 151. »Den armen Staat … nur eine leere Kasse« – Ebd., 153. Wolle man den Staat … Träger öffentlicher Schulden – Vgl. ebd., 165, dort erscheint der Satz im Indikativ und gesperrt.

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dung zu untersuchen. Seinen Gipfel müsse das theoretische Gebäude in der Erforschung der Beziehungen zwischen Nationalvermögen und Nationalschuld, zwischen Privateigentum und öffentlichem Eigentum, in der Gegenüberstellung der notwendigen sozialen Struktur und Funktion [37] des verschuldeten Steuerstaates und des wirtschaftstüchtigen Besitzstaates, des expropriierten und des repropriierten Staates haben. Es schließt sich die Forderung an, daß die Staatswirtschaft von der Privatwirtschaft lernen solle, wo diese wirklich Großes zuwege gebracht habe (S. 178), während die heutige Finanzwissenschaft der Staatswirtschaft ausdrücklich verwehre, mit den Methoden der Privatwirtschaft zu arbeiten. Sein praktisches Postulat richtet Goldscheid auf die Vermögensabgabe in natura. Tatsächlich habe sich die Vergesellschaftung der Wirtschaft in größtem Maßstabe vollzogen, wodurch naturale Vermögensabgaben, d. h. Anteile an den Werken und Betrieben, außerordentlich erleichtert würden, und dies sei nicht mit den gleichen Gefahren für die Wirtschaft verbunden, wie die Vermögensabgabe in Geld und gesteigerte Einkommensteuern. So denkt sich unser Autor die Repropriation des Staates verhältnismäßig einfach – wohl erheblich einfacher, als sie in Wirklichkeit wird geschehen können. (Die Aktiengesellschaften haben doch in der Regel keinen Vorrat an eigenen Aktien, und würden ihn angesichts einer solchen Abgabepflicht rasch zu verstecken wissen.) Aber das Problem ist richtig gestellt. Die Anhäufung des Staatsvermögens schließt Anhäufung des Gemeindevermögens in sich. Wenn Staat und Gemeinde aus der Abhängigkeit vom Kapitalismus sich zu befreien vermögen, so wird in dieser Befreiung die demokratische Verfassung des Staates wie der Gemeinden sich betätigen und sich bewähren müssen. Es ist nicht der einzige, aber einer der wenigen gangbaren Wege, auf denen eine die große Menge des Volkes begünstigende andere Verteilung des Jahresproduktes der Arbeit und des Geistes erreicht werden kann, und ein gemeinsamer Genuß der nicht verteilbaren oder nicht zur Verteilung bestimmten Güter ermöglicht wird. [38]

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Vermögensabgabe in natura – Vgl. ebd., 179 ff. Repropriation des Staates – Vgl. ebd., 181 f. Anhäufung des Gemeindevermögens – Goldscheid verweist am Endes seines Artikels auf das Beispiel der »Gemeinde Wien, seitdem sie unter sozialistischer Leitung steht.« (ebd., 182).

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16. Am ehesten wird der Staat – in Deutschland das Reich – reich werden, wenn er wachsende Mengen von Boden sich aneignet. Ein schwacher Anfang dazu ist dadurch gemacht worden, daß die Bodenreform in die Weimarer Verfassung aufgenommen wurde. Art. 155 enthält ein großes Programm. Es wird das Ziel darin ausgesprochen, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. Der Verpflichtung, auf Grund dieses Artikels ein Bodenreformgesetz zu erlassen, kann das Reich um so weniger sich entziehen, da die Überzeugung von seiner sozialen Notwendigkeit in allen Parteien stark vertreten ist: wurzelnd in der Erkenntnis, daß der Abstand des Gebrauches des Bodens einerseits als einer Ware, die ohne alles Verdienst des Eigentümers durch Vermehrung der Bevölkerung und zunehmende Produktivität ihrer Arbeit an Wert gewinnt; andererseits als einer Quelle des dadurch steigenden Renteneinkommens, der ältesten Gestalt eines nicht erarbeiteten Einkommens, dem aber nicht mehr, wie in  früheren sozialen Zuständen, öffentliche Pflichten und Leistungen gegenüberstehen –, daß der Abstand solcher Anwendungen eines freien Privateigentums von dem natürlichen, wesensnotwendigen Gebrauche des Bodens, seiner Schätze, seiner Fruchtbarkeit, in manchen Hinsichten zu einer tiefen Kluft geworden ist. Die Einsicht, daß diese Zweckwidrigkeit ganz besonders in den Wohnungszuständen der Städte niederschlägt, hat während der letzten fünf Jahrzehnte immer mehr sich ausgebreitet und viele  5

Art. 155 – »(1) Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen in einer Weise überwacht, die Mißbrauch verhütet und dem Ziele zustrebt, jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohn- und Wirtschaftsheimstätte zu sichern. Kriegsteilnehmer sind bei dem zu schaffenden Heimstättenrecht besonders zu berücksichtigen. (2) Grundbesitz, dessen Erwerb zur Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses, zur Förderung der Siedlung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft nötig ist, kann enteignet werden. Die Fideikommisse sind aufzulösen. [Fideikommiss: unverkäufliches, unbelastbares und nur im Ganzen vererbliches Landgut.] (3) Die Bearbeitung und Ausnutzung des Bodens ist eine Pflicht des Grundbesitzers gegenüber der Gemeinschaft. Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeits- oder Kapitalaufwendung auf das Grundstück entsteht, ist für die Gesamtheit nutzbar zu machen. (4) Alle Bodenschätze und alle wirtschaftlich nutzbaren Naturkräfte stehen unter Aufsicht des Staates. Private Regale sind im Wege der Gesetzgebung auf den Staat zu überführen.« (Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919; RGBl 1919: 1383).

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Versuche praktischer Verbesserungen, wie auch viele Reformvorschläge hervorgerufen. Berühmt geworden ist der schon aus dem [39] Jahre 1893 stammende Plan des damaligen Oberbürgermeisters in Frankfurt a.  M., F. Adickes, der auf Umlegung und Zonenenteignung als Mittel rationeller Stadterweiterung ausging. In der Schlußbemerkung seines Aufsatzes, der diese befürwortet (Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, Band VI), heißt es, es sei in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses mehrfach darauf hingewiesen worden, daß der Entwurf große Eingriffe in das Privateigentum an Grund und Boden enthalte. Der Oberbürgermeister macht dagegen geltend, der in neuester Zeit so stark angefochtene dauernde Bestand dieses Eigentums, auch in Stadterweiterungsgebieten, werde am besten dadurch gesichert, daß die der Befriedigung des Bedürfnisses der wachsenden städtischen Bevölkerung nach guter, weiträumiger Bebauung aus den jetzigen Einrichtungen erwachsenden Hindernisse tunlichst beseitigt würden. Daß dies seither in erheblichem Maße geschehen ist, wird kein Verteidiger dieses Eigentums behaupten dürfen. So ist denn der neue Entwurf eines Bodenreformgesetzes6 in erster Linie darauf gerichtet, den Städten, demnächst auch den Landgemeinden von mehr als 5000 Einwohnern, und  für kleinere den Gemeindeverbänden, die Pflicht aufzuerlegen, insoweit »Bodenvorratswirtschaft« zu treiben, als die Landbeschaffung  für Wohnheimstätten, Nutzgärten, sonstige Siedlungszwecke und öffentliche Anlagen es erfordere. Bei der Ausübung des Ankaufsrechtes und bei der etwa notwendig werdenden Enteignung soll der Preis gezahlt werden, der sich aus der letzten Einschätzung nach dem Reichsbewertungsgesetz ergibt. 17. Der Kerngedanke der Bodenbesitzreform hatte inzwischen schon eine Anwendung erfahren, die ihrer Anlage [40] nach weiter reicht, als 6

Jahrbuch der Bodenreform, XXII., 2 (1. VI. 1926), S. 73–86 mit Begründung.

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Schlußbemerkung seines Aufsatzes – Vgl. Adickes 1893: 457. Reichsbewertungsgesetz – Reichsbewertungsgesetz vom 10.8.1925; RGBl 1925: 214. Kerngedanke der Bodenbesitzreform – Die Bodenreformbewegung hatte das Anliegen, den Zuwachs des Bodenwerts vor allem in den Städten durch Steuern abzuschöpfen und dadurch gewonnene öffentliche Gelder in den Wohnungs- und Siedlungsbau zu investieren. Tönnies dokumentiert seine Sympathie mit der Bodenreform z. B. mit einem Artikel, den er im »Jahrbuch der Bodenreform« veröffentlicht (Tönnies 1919). – Später wird Tönnies dem »Entwurf eines Wohnheimstättengesetzes« in der Zeitschrift »Bodenreform« zustimmen (vgl. Tönnies 1929b). mit Begründung – Vgl. den vom »Bund Deutscher Bodenreformer« erarbeiteten »Entwurf eines Bodenreformgesetzes« (Damaschke 1926: 73–77), die Begründung auf S. 77–86, eine Vorgeschichte zur Erarbeitung des Gesetzes S. [65]–73.

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die städtische Wohnpolitik. Fast unmittelbar nach dem Zusammenbruch der  früheren Reichsverfassung wurde die Reichssiedelungsverordnung vom 29. Januar 1919 erlassen, die noch im selbigen Jahre als Gesetz vom 11. August durch die Nationalversammlung bestätigt wurde. Es lag hier eine Wiederaufnahme und Fortsetzung der schon bisher von den Gliedstaaten gepflegten »inneren Kolonisation« vor, die in Preußen ausgesprochener Weise einen innerpolitischen Zweck gegen die polnischen Bewegungen gehabt hatte und auch kein Bedenken trug, das Mittel der Enteignung wenigstens im Prinzip anzuwenden. Daß dieser Zweck verfehlt wurde, geht uns hier nicht an. Das Reichssiedlungsgesetz bestimmt (§  12), daß in den Bezirken, wo die großen Güter überwiegen, deren Eigentümer zu »Landlieferungsverbänden« verbunden werden sollen, die auf Verlangen des gemeinnützigen Siedlungsunternehmens geeignetes Land aus dem Bestande der großen Güter zu einem angemessenen Preise (dem gemeinen Wert) beschaffen sollen. Sie haben Vorkaufsrecht und unter bestimmten Voraussetzungen das Recht der Enteignung. In erster Linie werden als besiedelungsfähige große Güter ins Auge gefaßt: 1. die von Kriegsgewinnlern erworbenen, 2. walzende Güter (die oft den Besitz gewechselt haben), 3. besonders schlecht bewirtschaftete, 4. die des Absentismus, 5. die des Latifundienbesitzes. In der Tat ein weitreichendes Programm der Reform des Grundeigentums! Von vornherein muß dabei auffallen: A. Daß ein Verband von Eigentümern der großen Güter hier darüber entscheiden soll, wie der Bestand an landwirtschaftlicher Nutzungsfläche der großen Güter vermindert werden solle. Man wird mit einiger Sicherheit vermuten dürfen,  2  4  6

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Reichssiedelungsverordnung – Verordnung zur Beschaffung von landwirtschaftlichem Siedlungslande vom 29.1.1919; RGBl 1919: 115. als Gesetz vom 11. August – Reichssiedlungsgesetz vom 11.8.1919; RGBl 1919: 1429. »inneren Kolonisation« – Seit den 1890er Jahren gab es vor allem in Preußen Bestrebungen, selbständige Bauern in den Gutsbezirken des Ostens anzusiedeln. Diese Politik verfolgte mehrere Ziele gleichzeitig: sie sollte ein Gegengewicht gegen die Landflucht aus den Gutsbezirken schaffen, sie sollte dem Mangel an Arbeitskräften auf den Gütern entgegenwirken und sie sollte schließlich dem Nachziehen vor allem polnischer Siedler entgegenwirken. Klassische Texte hierzu sind vom jungen Max Weber: »Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland« (1892) sowie Max Sering: »Die innere Kolonisation im östlichen Deutschland« (1893). Nach der territorialen Neuordnung durch den Versailler Friedensvertrag fanden sich die deutschen Siedler im ehemaligen Ostpreußen nun im polnischen Staat. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung nach dem Weltkrieg schreibt Tönnies 1923 ein Gutachten »Innere Kolonisation in Preußen.« (Tönnies 1923a) – Vgl. näheres auch im Editorischen Bericht zu diesem Text (TG 15: 629 ff.). Vorkaufsrecht und unter bestimmten Voraussetzungen das Recht der Enteignung – Vgl. die §§ 15 und 16 des Reichssiedlungsgesetzes.

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Das Eigentum

daß sie nicht großen Eifer zeigen werden, die Absichten des Gesetzes zu fördern, es sei denn, daß ihnen [41] aus unsachlichen Gründen, etwa aus politischer Feindschaft, darum zu tun wäre, ein Glied an ihrem Körper zu verletzen. Sonst aber werden sie am ehesten beflissen sein, Stücke ihres eigenen Bodens, die ihnen unnütz oder sogar lästig scheinen, zu Preisen, die ihr Vermögen eher verbessern, abzustoßen. B. Der ganze Plan ist nur auf die Vermehrung bäuerlicher selbständiger Ackernahrungen gerichtet. Daß solche, wenn sie nicht etwa in die Hände moralisch und intellektuell tüchtiger, ihrem materiellen und ideellen (fachkundigen) Vermögen nach fähiger Landwirte gelangen, immer eine volkswirtschaftlich günstige Gestaltung bedeuten, wird mit Grund bestritten. Die Überlegenheit des Großbetriebes ist zwar keineswegs unbedingt gegeben, aber, bei richtiger Leitung, für die Produktion relativ höherer Überschüsse an Brotgetreide höchst wahrscheinlich. Die Erwerbung und, wo notwendig, Enteignung jener fünf Kategorien von Gütern, zu denen noch solche Teile der großen Güter hinzukommen sollen, »die  früher selbständige Bauern- oder Landgüter waren und in den letzten dreißig Jahren7 vor dem [42] Inkrafttreten dieses Gesetzes von Eigentümern der 7

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Warum nicht in den letzten 150 Jahren? Wäre es nicht angezeigt, die Genesis des großen Grundbesitzes einmal daraufhin zu untersuchen, ob und wie dieses Unrecht noch während dieses Zeitraumes sich verjährt hat? Nicht, als ob es gelte, solche Verjährung ungültig zu machen, aber eine etwa aus anderen Gründen geboten erscheinende Enteignung würde allerdings eine ungemeine moralische Verstärkung dadurch erfahren, daß man solches Unrecht nachzuweisen vermöchte. Die Deklaration von 1816, wodurch die Herren des Bodens und (damals) des preußischen Staates die große Idee der Reform von 1807 und 1811 zuschanden zu machen ernstlich und mit Erfolg sich bemüht haben, war freilich formales Unrecht nicht. Das Kapitel 9 Knapp’s »Die nicht regulierten Bauernstellen« (Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter, S. 274–285) ist aber besonderer Erwägung wert. Es heißt u. a. über die bis 1850 von der Regulierung ausgeschlossenen [41] bäuerlichen Stellen (S.  283): »Ein Teil, aber gewiß nur der weitaus kleinere Teil derselben, ist in den alten Verhältnissen verblieben und konnte von den günstigeren Bestimmungen der Gesetzgebung von 1850 Gebrauch machen. … Dagegen der größere Teil, worunter insbesondere die unerblichen, hat in der Zeit bis zum Jahre 1850 Veränderungen erfahren, wodurch die neuere Gesetzgebung unanwendbar wurde. Dies konnte geschehen: durch Einziehung besetzter Stellen

Deklaration von 1816 – Deklaration des Ediktes vom 14ten September 1811, wegen Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse vom 28.5.1816; PrGS 1816: 154. Reform von 1807 und 1811 – Edikt, den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grund-Eigenthums, so wie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner, betreffend vom 9.10.1807; NCC 12 [1806–1810]: 251 und Edikt die Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse betreffend vom 14.9.1811; PrGS 1811: 281.

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großen Güter aufgekauft worden sind«, sollte in großem Stile erfolgen, und die dafür am meisten geeigneten Großbetriebe erhalten werden und besonderer Pflege teilhaftig werden. Ob sie dann gleich den preußischen Domänen geprüften Pächtern überlassen, oder in unmittelbare Verwaltung (Regie) genommen werden, ist eine wichtige, aber doch eine Frage zweiter Ordnung. 18. Zu erwägen bliebe, ob nicht die Begrenzung oder völlige Verweigerung der Entschädigungen bei einigen jener Kategorien im hohen Grade moralisch und politisch gerechtfertigt wäre. Denn wenn nach Artikel 153 RV. Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich Dienst sein soll für das gemeine Beste, so hat dieser Rechtssatz, den die der Verfassung feindlichen Kommentatoren gern für eine [43] leere Phrase erklären, so ernste Bedeutung, daß bei Gelegenheit solcher Entschädigungen die Frage aufgeworfen werden muß, ob der Eigentümer die Verpflichtungen, die das Eigentum ihm auferlegt, erfüllt hat und erfüllt – ob er einen Gebrauch davon gemacht habe, der als Dienst  für das gemeine Beste gelten könne. Dies nachzuweisen wird den zwanzig Eigentümern, die allein in Preußen (wobei der König nicht eingerechnet war) insgesamt 186 Güter mit fast 600.000 Hektar ihr Eigentum nannten, nicht eben ganz leicht werden. Man wird dabei auch ein wenig der Lehren zum herrschaftlichen Gute, gleichgültig ob durch Vertrag oder, was gewiß weit seltener war, *durch rechtlich unzulässige Mittel*« (konnte ferner geschehen durch Übergang in reines Pachtverhältnis, endlich durch Abwarten der Erledigung besetzter Stellen). Die rechtlich zulässigen Mittel, insbesondere also das Auskaufen, dürften, moralisch betrachtet, von den rechtlich unzulässigen oft nicht sehr verschieden gewesen sein. Das Gesetz vom 2. III. 1850, wonach auch kleine Besitzer regulierbar wurden, gewährte diesen eine Entschädigung für die bisher genossenen Forst- und Weideberechtigungen nicht. Der Wert der gegenseitigen Verpflichtungen wurde kompensiert und auch der Mehrwert der Verpflichtungen der Gutsherrschaft dem Stellenbesitzer nicht vergütet! (Knapp, II, 459, I, 284).

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»die früher selbständige … aufgekauft worden sind« – § 16, Verordnung zur Beschaffung von landwirtschaftlichem Siedlungslande vom 29.1.1919; RGBl 1919: 115 – Dort leicht abweichend: »… selbständige Bauerngüter oder Landstellen waren …«. 10 153 RV. – Vgl. edit. Fn. zu Z. 17 auf S. 26. 22 »Ein Teil, aber gewiß nur … rechtlich unzulässige Mittel*« – Knapp 1887 I: 283 f. – Ein Übertragungsfehler: »… wodurch die neuere Gesetzgebung anwendbar wurde.« ist korrigiert. Im Orig. fehlende Abführungszeichen sind ergänzt. 26 Gesetz vom 2. III. 1850 – Gesetz, betreffend die Ablösung der Reallasten und die Regulirung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse vom 2.3.1850; PrGS 1850: 77. 28 Entschädigung für die bisher genossenen Forst- und Weideberechtigungen nicht. – Das Wort »nicht« bei Tönnies durch Sperrung und Fettung doppelt hervorgehoben. – Vgl. Knapp, ebd., II: 459, I: 284.  1

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recht berühmter Philosophen sich erinnern dürfen, von denen z. B. John Locke, der anerkannte Vertreter des bürgerlichen Bewußtseins, das Eigentum wesentlich auf Arbeit begründet, und sagt: »die Arbeit, wenn sie die meine ist, macht die Sachen, indem sie sie aus dem Zustande der Gemeinsamkeit heraussetzt, zu den meinen. Aber der Erwerb muß begrenzt sein durch Vernunft und Fähigkeit. Wenn man die Grenzen der Mäßigung überschreitet und mehr Sachen an sich nimmt, als man braucht, so nimmt man ohne Zweifel, was anderen gehört.« Es ist nicht wahrscheinlich, daß etwa der Fürst von Pleß den Beweis führen könne, daß die 83 Güter mit mehr als 70.000 Hektar Fläche durch seine oder seiner Vorfahren Arbeit sein Eigentum geworden sind. Auch wäre die »Arbeit«, die das üppige Eigentum von Kriegs- und Revolutionsgewinnlern, von Kapital-, Waren- und Devisenschiebern begründet hat, wohl einer Untersuchung wert, die nicht mit der Brille des Formaljuristen, sondern mit dem Mikroskop des Ethikers und Soziologen geschehen müßte. »Ein zum Geldmacher, Bauernleger, Börsenspekulant und zum agrarischen Heißsporn und Scharfmacher gewordener Junker ist etwas gänzlich anderes als ein vornehmer, bauern- und arbeiterfreundlicher, patriotischer Gutsbesitzer, [44] der in den Ideen des »noblesse oblige« lebt«, meint Schmoller (Volkswirtschaftslehre II 530). Ich möchte dem hinzufügen: »Auch der bloße Rentenschlucker, sei er von hoher oder von niedriger Herkunft, der von Landwirtschaft ebensowenig versteht wie sonst von einer ernsthaften Sache, der, beruflos und reich, bald in irgendwelchen Hauptstädten Europas die Spielklubs und die Rennställe

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»die Arbeit, wenn … was anderen gehört.« – Der erste Satz im »Second Treatise of Government« im Kapitel »Of Property«, § 28: »The labour that was mine, removing them [Beispiele für Sachen] out of that common state they were, in hath fixed my Property in them.« Die folgenden Ausführungen sind kein wörtliches Zitat, sondern eine Zusammenziehung aus § 31: »As much as any one can make use of to any advantage of life before it spoils; so much he may by his labour fix a property in. Whatever is beyond this, is more than his share, and belongs to others. Nothing was made by God for Man to spoil or destroy. And thus considering the plenty of natural Provisions there was a long time in the World, and the few spenders, and to how small a part of that provision the industry of one Man could extend it self, and ingross it to the prejudice of others; especially keeping within the bounds, set by reason of what might serve for his use; there could be then little room for Quarrels or Contentions about Property so establish’d.« (Locke 1988: 289 f.). Fürst von Pleß – Wahrscheinlich meint Tönnies Hans Heinrich XV. Fürst von Pleß mit einem reichen Grundbesitz in Schlesien. »Ein zum Geldmacher, Bauernleger … des »noblesse oblige« lebt« – Schmoller 1904: 530, dort »… Ideen der noblesse oblige lebt.«.

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durch sein Dasein auszeichnet, bald in Badeorten oder an der Riviera törichte Frauenzimmer mit Perlen und Diamanten behängt, ist etwas gänzlich anderes als der Besitzer eines Rittergutes, das er als gelernter, wohl auch wissenschaftlich gebildeter Landwirt bewirtschaftet und etwa von Sorgen bedrückt wird, ob es ihm gelinge, die Zinsen der Kapitalien zu decken, die auf seinem Erbe ruhen und den namenlosen Hypothekenbanken gehören, deren Aktionäre wie die Inhaber der Pfandbriefe solche Zinsen mühelos genießen.« 19. Das Leben ist unendlich mannigfach und die Menschen sind in höchst verschiedener Weise bedingt. Soll man glauben, das Eigentum jedes Menschen sei im moralischen Sinne ebenso achtungswert wie das des anderen, unangesehen, wie er dazu gelangt ist, unangesehen, ob er das Eigentum redlich erworben hat oder unredlich? Ob er mit dem Eigentum arbeitet oder durch das Eigentum jeder Arbeit überhoben ist? Selbstredend muß so sehr als möglich nach formal-rechtlichen Grundsätzen, und unbedingt nach den geltenden Gesetzen regiert werden, aber geltendes Recht kann abgeändert, kann durch neues ersetzt werden, und »Salus populi suprema lex esto.« Dieser ehernen Maxime wird das Privateigentum sich anpassen und sich unterwerfen müssen, wie ehemals die Inhaber ehrwürdiger wohlverbriefter feudaler Rechte, die durchaus dem Eigentum ähnliche Werte waren. Im Deutschen Reiche, in Österreich und anderen Staaten [45] haben unzählige Besitzer kleiner und mittlerer, ja auch großer Vermögen, soweit diese nicht die Kunst, sich zu decken »Kapital ins Ausland zu verschieben«, verstanden haben, dem Gemeinwohl, das sich als gemeine Not ihnen vorstellte, ihr Eigentum zum Opfer bringen müssen, weil der Staat seine Hoheitsrechte zur Fabrikation von Scheingeld gebraucht hatte und seine ungeheuren Schulden nur in Scheingeld verzinsen und amortisieren konnte und wollte. Die Entschädigungen, die schließlich angeboten wurden, sind nicht nennenswert. Ein großes wahl- und rücksichtsloses System der Enteignung liegt hier vor. Und doch das ungeheure Entsetzen unter den Eigentümern bei dem bloßen Gedanken, daß ehemalige Fürsten, die natürlichen Feinde der mühsam eingerichteten, um ihr Dasein noch ringenden Staatsform, von Rechtswegen genötigt werden sollten, ihren Reichtum dem Vaterlande zurückgegeben, dem sie ihn verdankten? Doch die Anklage 18 27

Salus populi suprema lex esto – [Lat.] svw. Das Wohl des Volkes soll das oberste Gesetz sein. Fabrikation von Scheingeld – Tönnies spielt auf die Geldpolitik nach dem ersten Weltkrieg an, sie mündet in den Jahren bis zur Währungsreform 1923 in eine Hyperinflation.

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auf »Raub«, wie noch jüngst ein nationalliberaler Parteiführer sie erhoben hat, der – höchst charakteristisch – zugleich »Unzählige« für »so dumm« erklärt, zu glauben, daß durch diesen Raub der wirtschaftlichen Not gesteuert werde?8 20. Man kann mit Grund die SPD. anklagen, daß sie unbesonnen gehandelt hat, als sie mit dem Bolschewismus, ihrem [46] grimmigsten Nachbarfeinde sich verband, den ebenso wie sie, alle übrigen Parteien ablehnen, der den neuen republikanischen Staat ebenso stark ablehnt, wie die Fürsten es tun. Es war nicht dem Mißverständnis vorgebeugt, als ob es sich um einen bloßen Racheakt handle oder wenigstens um einen Ausdruck von allerhand Gefühlen, unter denen die Empörung vorwaltete über die in der Tat maßlosen, zum Teil sinnlosen Ansprüche, die mit scheinbar formalen Rechtsgründen von den ehemaligen Monarchen und ihren Anwälten erhoben werden. Es war nicht hinlänglich deutlich geworden, daß es ausschließlich ein hochpolitischer Akt im strengsten Sinne sein konnte, auf den der Volksentscheid gerichtet sein wollte und daß das »entschädigungslos« keineswegs unbedingt und  für alle Zeit gemeint 8

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»Der Zusammenschluß« (Monatsschrift) 1. Jahrg., H. 3/4, S. 22. D. Dr. v. Campe. Im gleichen Sinne, aber mit dem Versuche besserer Begründung, Professor Dr. Graf zu Dohna »Wille und Weg« (eine liberale Halbmonatsschrift), 2. Jahrg., Nr. 9, S.  203: »War das Gesetz einmal beschlossen und fand sich ein Reichspräsident, der es verkündete, so hätte man jedem Prinzen eines bis zum November 1918 regierenden Hauses das letzte Hemd vom Leibe ziehen können, und zwar ›von Rechts wegen‹.« Ich verweise zurück auf meine Ausführung im Texte, nach der jeder der 24 regierenden Fürsten vor dem November 1918 sowohl mir als dem Grafen zu Dohna das letzte Hemd vom Leibe hätte ziehen können und zwar »von Rechts wegen«.

Anklage auf »Raub« – »Ist ein Volk nicht sittlich krank bis in Mark und Bein, bis in den letzten Blutstropfen, wenn 14 Millionen den Raub des Eigentums durch Volksentscheid gesetzlich sanktionieren wollen, wenn Unzählige so dumm sind, zu glauben, daß durch diesen Raub der wirtschaftlichen Not gesteuert [!] werden könne, wenn schon vor der Abstimmung Naive ihre Quote aus der Abfindung anmelden – wenn eine Regierungspartei weder ein klares Ja, noch ein klares Nein ihren Anhängern in dieser Frage zuzurufen wagt!« (Campe 1926: 22). – Die Schriftleitung der Zeitschrift merkt zu dieser Passage an: »Die Herausgeber des ›Zusammenschluß‹ können hier … den Ausführungen des Herrn Verfassers nicht folgen, obwohl sie in der Verwerfung der entschädigungslosen Enteignung der Fürsten mit ihm einig sind.« (ebd.). mit dem Bolschewismus … sich verband – Für die Volksabstimmung zur Fürstenenteignung 1926 ging die Sozialdemokratie ein Bündnis mit der KPD ein. »War das Gesetz einmal beschlossen … und zwar ›von Rechts wegen‹.« – Dohna 1926: 203 – Fehlende Abführung im Original ergänzt. Ich verweise zurück – Vgl. S. 28 ff.

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sein könnte, sondern in der Unschädlichmachung seine Begrenzung finden mußte.9 – In der Tat wäre es noch jetzt [47] geboten, die Frage des 9 5

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Mit gutem Grunde haben die Verteidiger des Volksentscheides auf das Beispiel des Grafen Bismarck sich berufen, der – als Monarchist und Vertreter einer hochmonarchischen Regierung – das Privateigentum der von ihm depossedierten Monarchen keineswegs schonte. Im Norddeutschen Reichstage wurde am 11. März 1867 der preußischen Regierung vorgeworfen, die Bestimmung der Kapitulation von Langensalza, wonach das Privatvermögen König Georgs V. demselben gesichert sein sollte, gebrochen zu haben, das habe sittliche Entrüstung im Lande Hannover erregt. Darauf antwortete Bismarck, dies sei eine unwürdige Verleumdung der königlichen Regierung: es habe sich da um nichts gehandelt als um eine militärische Konvention, um weiteres Blutvergießen »zwischen Truppen, die lange befreundet gewesen waren und manche glorreiche Erinnerung miteinander teilten«, zu verhindern. »In diesem Sinne ist Seiner Majestät dem König Georg die Sicherheit seines Privateigentums zugesichert worden, *natürlich desjenigen Privateigentums, das sich im Lager und bei ihm befand*. Über das übrige Privateigentum, welches bereits in unseren Händen oder sonst im Königreich Hannover war, und über andere dahin bezügliche Verhältnisse haben Staatsverträge zu bestimmen; bei Langensalza hat niemand an einen Staatsvertrag gedacht.« – Als Staatsverträge sollten dann die mit König Georg und Herzog Adolph v. Nassau am 18. u. 29. Sept. 1867 geschlossenen Verträge gelten, kraft deren der erste 16, der andere 8,89 Millionen Thaler bewilligt erhielt. Diese Verträge wurden am 1. Februar 1868 dem Landtage vorgelegt und begegneten lebhaften Protesten von Seiten der Abgeordneten Ziegler, Schulze-Delitzsch, Lasker, v. Sybel, Waldeck, von Saucken u. a. Ziegler berief sich darauf, daß nicht die Karolinger den Merovingern, nicht den Karolingern die Kapetinger eine Abfindung gegeben hätten; auch dem Hause Hannover selbst sei es nie eingefallen, den Stuarts eine Dotation zu geben. Ebensowenig hätten die Bernadotten den Wasas etwas gegeben; auch habe weder Don Karlos noch Don Miguel eine Abfindung erhalten, und niemand werde dem König von Italien raten, Franz II. eine solche Dotation zu geben, damit er mit seinen Briganti hinüberziehe, um seine früheren Untertanen zu beglücken. (Diese Argumente wiederholte und verstärkte Bismarck selbst im Herrenhause am 13. II. 1869.) Der freisinnige Redner berief sich auf die wirtschaftliche Lage des Landes – es war das Jahr der ostpreußischen Hungersnot. Der Abg. Schulze meinte, es sei das allerverfehlteste Mittel, die Anhänger der vertriebenen Dynastien von ihren Bestrebungen für deren Wiedereinsetzung abzuziehen, wenn man diese Dynastien mit den Mitteln eines königlichen Hofhaltes ausstatte und sie damit in den Stand setze, ihren Getreuen desto besser erkenntlich zu sein. »Nicht anders betrachten sie sich, das seien Sie versi-

11. März 1867 der preußischen Regierung vorgeworfen – Stenographische Berichte [Reichstag] 1867: 143 f. 22 Diese Verträge wurden am 1. Februar 1868 dem Landtage vorgelegt – Vgl. die beiden Drucksachen des Hauses der Abgeordneten 45 (Anlagen 1867–68: 116–120) und 127 (ebd., 258–261). – Die Debatte am 1.2.1868 vgl. in Stenographische Berichte [Haus der Abgeordneten] 1868: 1287 ff. 30 Bismarck selbst im Herrenhause – Stenographische Berichte [Herrenhaus] 1869: 305 ff. Bismarcks Rede ebd., 310 f. – Am Anfang betont Bismarck, der »Vertrag vom September 1867« sei »seiner ganzen Form und Entstehung nach ein Staatsvertrag«, er liege »in keiner Weise in der Form eines Privatvertrages« vor.  7

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Privateigentums durch Sequestration ins Unbestimmte zu verschieben, um sie in Bezug auf Lati[48]fundien-Besitz generell durch Gesetze zu regeln, die auch anderen Latifundienbesitz treffen müßten. [49]

chert, denn als widerrechtlich Entsetzte, die nehmen, was sie bekommen können, die aber, indem sie sich der Macht beugen, in keiner Weise der späteren Geltendmachung ihres guten Rechts, ihrer vollen Wiedereinsetzung entsagen. Daran denken sie nicht.« Ebenso Lasker: »Wir statten einen unversöhnlichen Gegner aus mit Mitteln, welche er zu den allerschlimmsten Absichten gegen uns verwenden kann.« Der Gesetzentwurf wurde mit 254 gegen 113 Stimmen angenommen. Er betraf eine vollendete Tatsache. Über das Kapital, das dem König von Hannover zugebilligt war, sollte nicht anders disponiert werden können, als mit Zustimmung der Agnaten und mit Zustimmung der preußischen Regierung. Es dauerte nicht lange, da mußte Bismarck den Bedenken seiner liberalen Gegner nachgeben. Es erfolgte die Beschlagnahme zuerst des Vermögens Georgs V., dann auch die der vormaligen Kurfürsten von Hessen. Bismarck erklärte diese für Akte der politischen Notwehr, die nicht wie die juristische erst da anfange, wo unmittelbar die Vernichtung drohe. In der Kommission des Herrenhauses sagte er am 10. Februar 1869: ein Verpflichtung, dem König Georg irgend etwas zu gewähren, habe überhaupt nicht bestanden, nicht einmal in Bezug auf die Herausgabe seines Privatvermögens .. man habe sich nicht gefragt, wie viel Vermögen der König Georg genau gehabt habe. Im Herrenhauses selbst dann: »Schuldig waren wir dem König Georg nichts; wir haben ein Beispiel der Großmut im Interesse des Friedens gegeben, wie es in der europäischen Geschichte meines Wissens nicht vorgekommen ist.« Bismarck berief sich darauf, auch das Privatvermögen eines kriegführenden Gegners sei der Sieger keineswegs verpflichtet herauszugeben. – Ob eine siegreiche Revolution und dadurch begründete Republik den besiegten Monarchen mehr schuldig ist, als ein monarchischer Sieger dem anderen Monarchen, den er im Kriege besiegt hat?? – Diese Betrachtung allein wirft alle Redensarten von Raub und Diebstahl, von das letzte Hemd ausziehen u. dgl. m. rettungslos zu Boden, auch wenn sie von großen Juristen geführt wurden. In der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 30. Januar 1869 sagte Bismarck u. a.: »Über juristische Zwirnsfäden wird die Königliche Regierung nicht stolpern in der Ausübung ihrer Pflicht für den Frieden des Staates zu sorgen«.

Sequestration – Svw. Zwangsverwaltung. »Nicht anders betrachten … Daran denken sie nicht.« – Stenographischer Bericht [Haus der Abgeordneten] 1868: 1297. – Im Original abweichend »… widerrechtlich Entsetzte – das sind sie in ihren Augen – die nehmen …«.  8 »Wir statten einen unversöhnlichen Gegner … gegen uns verwenden kann.« – Ebd., 1307. 11 Agnaten – Svw. männliche Nachkommen. 22 »Schuldig waren wir dem König Georg … vorgekommen ist.« – Bismarck am 13.2.1869, ebd., 305. 31 »Über juristische Zwirnsfäden … Staates zu sorgen«. – Stenographischer Bericht [Haus der Abgeordneten] 1869: 1344.  1

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J. W. Hedemann, der wenigen Juristen einer, die ein kritisches Denken gegenüber der (überwiegend romanistischen) Dogmatik des BGB. aufrecht halten und pflegen, erwähnt (Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs § 6, sub V, p. 61) die jüngste Wandlung, »in deren Mitte wir zu treiben scheinen« – sie werde durch den Gegensatz von Haben und Ausnutzendürfen gekennzeichnet; es seien nämlich zweierlei Betrachtungen möglich. »Bisher war die juristische Denkweise auf das Eigentum in seiner Ruhelage eingestellt, auf das Eigentum als ein Haben, Besitzen (fast im buchstäblichen Sinn). Nun schiebt sich mehr und mehr eine Betrachtungsweise vor, die das Eigentum als eine lebendige, ewig in Fluß befindliche Macht, als eine Funktion oder besser vielleicht als eine unbestimmte Summe, ein Bündel von Funktionen aufgefaßt wissen will, die an die Stelle der Ruhelage und des Besitzens die Bewegungsfreiheit (oder Bewegungsbindung), an die Stelle des Habens das Ausnutzendürfen setzt«. Auf welcher von beiden der Hauptton liege, das könne  für die gesamten kulturellen und politischen Verhältnisse eines Zeitalters bestimmend werden. Dem wäre nur hinzuzufügen, daß darin deutlich zu Tage tritt, wie die ökonomische Entwicklung die juristischen Begriffe sprengt. Wie im Texte angedeutet, läßt der Verkehr nicht zu, das Eigentum an einer Sache und die auf eine Geld[50]summe bezügliche Forderung so streng voneinander zu scheiden, wie die juridische Logik von sich aus ohne Zweifel mit Recht will. Das Eigentum als Macht, insbesondere als Macht des Reichtums verstanden, ist tatsächlich zum größten Teile kürwillentlich, d. h. ideell: es besteht nicht nur zumeist aus Forderungen, sondern sogar überdies aus der Fähigkeit, Forderungen zu erleiden, d. h. Kredit zu genießen, Schulden zu machen. Man kann sie etwa auch als die Dialektik des Eigentums bezeichnen. Dadurch wird, wie bekannt, der Hypothekengläubiger oft der »wirkliche« Eigentümer, während der so genannte zum bloß »nominellen« Eigentümer herabsinkt.

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Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs – Die Zitate Hedemann 1924: 61. Tönnies übernimmt nicht alle Hervorhebungen.

Soziologische Studien und Kritiken Von

Ferdinand Tönnies Zweite Sammlung

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Jena Verlag von Gustav Fischer 1926  2

Soziologische Studien und Kritiken – Im Sammelband (Tönnies 1926a) fasst Tönnies Arbeiten zusammen, die sich mit der Fachentwicklung der Soziologie und ihrer akademischen Stellung beschäftigen. Dazu kommen soziologische Analysen in einer ganzen Reihe von Anwendungsgebieten. Ganz am Ende steht ein Text, in dem Tönnies sich Rechenschaft über die Entwicklung seiner Kategorien »reiner Soziologie« gibt. Alle Arbeiten wurden zuvor andernorts gedruckt. Nach den Editionsrichtlinien der TG gilt die Ausgabe letzter Hand, die mit diesem Band für diese Texte vorliegt, als maßgeblich. Allerdings: Die Einrichtung des Bandes und die Korrekturen im Satz überließ Tönnies seiner Tochter Franziska und einigen seiner Schüler, vgl. hierzu Tönnies’ Vorwort. Eine Reihe von Ungenauigkeiten, Satzfehlern, unglücklichen Editionsentscheidungen, die die erneute Edition für die TG recht aufwendig machten, ist wahrscheinlich auf diese Personengruppe zurückzuführen. Deswegen wird hier in einigen wenigen Editionsaspekten von der ausschließlichen Orientierung an der Ausgabe letzter Hand abgewichen. Näheres dazu im Editorischen Bericht (S. 621 f.).

Der Hohen Rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der Hamburgischen Universität in dankbarer Verehrung gewidmet von ihrem Dr. jur. h. c.

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Dr. jur. h. c. – Die Ehrendoktorwürde wurde im Herbst 1921 verliehen; vgl. Holzhauser und Wierzock 2019: 218.

Vorwort

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Durch das  freundliche Entgegenkommen des Herrn Verlegers bin ich in der Lage, nunmehr die zweite Sammlung meiner kleinen Schriften zur Soziologie dem heute im Deutschland gesteigerten Interesse für die Sache anzuvertrauen. Wenn ich die Zusammenstellung gänzlich auf eigene Hand gemacht hätte, so wäre ich bei der Auswahl etwas strenger verfahren: einige kleine Sachen hätten fehlen können. Ich hatte aber die Auswahl meiner Tochter Franziska Heberle überlassen, der ich also gern die Verantwortung dafür zuschiebe. Sie hat sich dadurch, wie schon früher, um meine literarische Tätigkeit sehr verdient gemacht; bei einigen Arbeiten, die dafür nötig waren, hat ihr mein lieber Schüler Stud. (jetzt Dr. phil.) Robert Heiss tätig zur Seite gestanden. – Ich stehe in dem Lebensalter, das schon wegen der Anhäufung von Aufgaben, Ansprüchen, Wünschen, die dem in weiteren Kreisen Bekanntgewordenen nahen, nicht mehr ohne äußere Hilfe das zu leisten vermag, was die Forderung des Tages ist; geschweige denn, was man sich selber noch, während es Tag ist, zumuten möchte. Wenn das Leben uns ohnehin immer sein »Entsagen sollst du, sollst entsagen« zuruft, so wird diese Rede und Predigt im Greisenalter stärker und dringender. – Um so dankbarer wird man für geleisteten Beistand – so bin ich es auch in diesem Falle ganz besonders Herrn Referendar Jacoby, der für mich den größten Teil der Korrekturarbeit an diesem Bande geleistet und auch die beiden Verzeichnisse mit Fleiß und Sorgfalt angefertigt hat, die seinen Gebrauch erleich-

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Entgegenkommen des Herrn Verlegers – Vgl. zum Verlagsvertrag und zum Absatz der »Soziologischen Studien und Kritiken« im Editorischen Bericht S. 620 f. die Verantwortung dafür zuschiebe – Franziska Heberle, Tochter Tönnies’, 1900 geboren, trägt so die Verantwortung für einige Redundanzen in der Textauswahl. Allerdings eröffnet das Ausgewählte die Chance, einige Entwicklungslinien in der Soziologie Tönnies’ im Detail nachzuvollziehen. »Entsagen sollst du, sollst entsagen« – In Goethes »Faust« heißt es: »Entbehren sollst du! sollst entbehren | Das ist der ewige Gesang …« (Goethe 1986: 577 [Z. 1549 f.]). den größten Teil der Korrekturarbeit – Es ist unklar, ob Eduard Jacoby (geboren 1904), Franziska Heberle, Robert Heiss (geb. 1903), der Setzer beim Verlag oder Tönnies selbst Texteingriffe, Nachlässigkeiten bei den Korrekturen und vor allem die massiven Eingriffe bei Hervorhebungen verantwortet haben. Vgl. Näheres im Editorischen Bericht, S. 621 f.

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tern werden. Auch habe ich dankbar und mit Nutzen die einzige größere Besprechung der Ersten Sammlung gelesen, die mir bekannt geworden ist, die von Professor Herman Schmalenbach im »Weltwirtschaftlichen Archiv«, Januar 1926, veröffentlichte. Daß es mir vergönnt sein möge, meinem Lebenswerk einen angemessenen Abschluß zu geben, ist der Wunsch, den ich lebhaft hege, obgleich ich an seiner Erfüllung stark zweifle. Denn – χαλεπὰ τὰ καλά – und vita brevis ars longa.

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Kiel, den 15. April 1926. Ferdinand Tönnies

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Schmalenbach – Schmalenbach 1926. χαλεπὰ τὰ καλά – [Gr.] svw. Das Gute ist schwer (zu erreichen). vita brevis ars longa – [Lat.] svw. Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang.

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Inhalts-Verzeichnis XVIII. 5

XIX.

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Seite Soziologische Skizzen: 53 a) b) c) d) e)

Das Wandern Das Reisen Verkehr und Transport Das Vagieren Die Entwicklung der Technik

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Entwicklung der Soziologie in Deutschland im 19. Jahrhundert 124 XX. Sinn und Wert einer Wirtschaftsphilosophie 182 XXI. Die Zukunft der Soziologie 189 XXII. Comtes Begriff der Soziologie 195 XXIII. Die Aufgabe der Soziologie 206 XXIV. Wege und Ziele der Soziologie. Rede zur Eröffnung des Ersten Deutschen Soziologentages (1910) 208 XXV. Soziologie als Wissenschaft und die Deutsche Soziologische Gesellschaft 229 XXVI. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie 236 XXVII. Über Anlagen und Anpassung 243 XXVIII. Soziologie und Rechtsphilosophie 259 XXIX. Soziologie und Universitätsstudien 262 XXX. Soziologische Bedeutung ökonomischer Theorien 276 XXXI. Soziologie und Geschichte 284 XXXII. Gemeinschaft und Individuum 295 XXXIII. Die Soziologie und ihre Aussichten in Europa 305 XXXIV. Die historisch-geographischen Richtungen der Neuzeit 323 XXXV. Soziologie im System der Wissenschaften 337 XXXVI. Das Versicherungswesen in soziologischer Betrachtung 345 XXXVII. Der Begriff der Gemeinschaft 372 XXXVIII. Die große Menge und das Volk 385 XXXIX. Zur Soziologie des demokratischen Staates 415 XL. Kulturbedeutung der Religionen 475 XLI. Tröltsch und die Philosophie der Geschichte 509 XLII. Einteilung der Soziologie 567 Anmerkungen (1926) 583

XVIII. Soziologische Skizzen a) Das Wandern 5

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Die für das heutige wie ehemalige soziale Leben bedeutsamste Form freiwilliger räumlicher Bewegung der Menschen ist die Umsiedelung, die Veränderung des Wohnsitzes, das im amtlichen und wissenschaftlichen Sinne besonders sogenannte Wandern. Es ist merkwürdig, daß sich dies mit poetischem Schimmer umkleidete Wort gerade auf diese Form, bei der wohl am wenigsten Romantik übriggeblieben ist, fixiert hat. »Das Wandern ist des Müllers Lust, das Wandern …« und »O Wandern, O Wandern, du freie Burschenlust«, so singen wir als deutsche Jünglinge und denken dabei an die Reize des erweiterten Spazierganges und der »Fußtour«, die wir nur noch des Vergnügens halber unternehmen: »Wer recht in Freude wandern will, der geh’ der Sonn’ entgegen«, so heißt es in dem Liede eines unserer vornehmsten Lyriker. Aber wir kennen

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Soziologische Skizzen – Unter diesem Titel versammelt Tönnies fünf Texte. Der zuerst erschienene von 1905 ist hier als letzter (e) gedruckt, vor ihn setzt Tönnies eine Vorbemerkung zur Einordnung der Skizzen in den Zusammenhang seines soziologischen Ansatzes. Vgl. näheres im Editorischen Bericht, S. 623. a) Das Wandern – Der Text erscheint zuerst in der Zeitschrift »Illustrierter Anzeiger für Kontor und Büro. Eine Monatsschrift für den deutschen Kaufmann« (2.1906: 6–9, Tönnies 1906, im Folgenden A) – A: Das Wandern. Soziologische Skizze – Am Ende des Textes gezeichnet »Ferdinand Tönnies«. – Der Text ist in der Antiqua gesetzt. Die für das heutige wie ehemalige … Bewegung der Menschen – A: Die zweite Hauptform freiwilliger Verkehrsbewegung der Menschen. Das Wandern ist des Müllers Lust – Das Gedicht von Wilhelm Müller (1821: 7  f.) wurde zuerst 1823 von Franz Schubert vertont. »O Wandern, O Wandern, du freie Burschenlust« – So in der letzten Strophe in Emanuel Geibels zum Volkslied gewordenen Gedicht »Der Mai ist gekommen« (Geibel 1918 I: 49). »Wer recht in Freude wandern will, der geh’ der Sonn’ entgegen« – »Morgenwanderung«, ebd., 126 f. heißt es in dem Liede eines unserer vornehmsten Lyriker. – A: heißt es in einem anderen Liede..

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auch das Gedicht: »Die Auswanderer«: »Ich kann den Blick nicht von euch wenden, ich muß euch anschau’n immerdar …« Da ist kein Jubel, kein Sonnenschein dabei, wenn die Heimat dauernd verlassen, und die Reise übers Weltmeer angetreten wird. »Auswanderung« –  fast klingt es wie ein scherzhafter Ausdruck, wenn man des gewöhnlichen Sinnes der Wanderschaft über Land sich dabei erinnert. Aber auch abgesehen von der »überseeischen« Auswanderung finden die großen Wanderzüge längst nicht mehr »mit dem Stabe in der Hand« statt. »Ab- und Zuwanderungen« werden von »Aus- und Einwanderungen« unterschieden; jene sind die inneren oder »Binnenwanderungen«. Sie sind mannigfach und von enormer Ausdehnung. Da ist 1. in allen Ländern der große, an Lebhaftigkeit wechselnde, aber unablässig starke Zustrom der Arbeitskräfte vom Lande in die Stadt, der »Exodus« (Auszug), wie er vom Lande aus gesehen heißt, viel besprochen, viel beschrieben und beschrien, wenig im einzelnen erforscht und verstanden. Hier möge nur folgendes angedeutet werden. Die große Masse dieser Binnenwanderungen sind »Nahwanderungen«; sie gehen von den Dörfern oder einzelnen Gehöften in die nächste Stadt oder doch in die Stadt, mit der jene in ununterbrochenem Verkehr stehen. Da ist deren immer erneuter Bedarf an Dienstboten, vorzugsweise weiblichen, zu decken, [2] überhaupt an Hilfskräften, die vorzugsweise Muskelstärke und die auf dem Lande von Jugend auf erworbenen Geschicklichkeiten erfordern, z. B. bei jungen Männern das mit Pferden Umgehenkönnen, bei Mädchen das Waschen, Putzen und auch das Kochen. Ferner aber kommen immer noch viele junge Burschen in die Lehre, einige auch zum Besuch der höheren Unterrichtsanstalten, in die Stadt; dazu dann ungelernte Arbeiter jedes Alters, zumeist aber, weil sie am leichtesten beweglich sind, junge und ledige, die »ihr Glück versuchen«, d. h. ihre Arbeitskräfte anbieten wollen und fortwährend, wenn auch nach wechselnder Konjunktur stärker oder schwächer, gebraucht werden, sei es in Fabriken oder sonst in allerhand Hantierung, die der geldhabende Städter bezahlt. 2. Eine zweite Art des Zuzuges findet in allen Ländern von kleineren Städten in größere, und diese meistens auch auf größere Entfernungen statt. Für die größeren Städte kommt diese Zuwanderung zu derjenigen hinzu, die ihnen vom Lande zuströmt, und auch hierfür erstreckt sich ihre Anziehungskraft weiter, auch abgesehen von der eigentlichen Fernwanderung, von der sogleich

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Gedicht: »Die Auswanderer« – Das Gedicht Freiligraths von 1832 (1838: 14). 1. – A: 1) – so auch in folgenden Aufzählungen. Umgehenkönnen, bei Mädchen das Waschen, Putzen und auch das Kochen. – A: Umgehenkönnen..

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zu sprechen sein wird. Im allgemeinen ist die städtische Zuwanderung mehr durch etwas ältere, höher qualifizierte männliche Arbeitskräfte bezeichnet, besonders auch durch solche, die der Handel und die Verkehrsmittel in Anspruch nehmen und heranziehen, wenngleich gerade die letzteren auch »rohere« ländliche Arbeitskräfte besonders gut verwenden können. Im allgemeinen  fällt doch  für alle Arten großstädtischer Betriebe der Wert der besseren städtischen Schulbildung stark ins Gewicht. Aber auch die Fachbildung, die technische Geschicklichkeit, die schon in kleineren Städten erworben wurde, kann sich in Großstädten teils besser zur Geltung bringen, teils besser ausbilden. Schon das öfter besprochene zünftige Wandern hatte zumeist einige bedeutende Städte zum Ziele, die »gewissermaßen zu Hochschulen des Handwerkerstandes wurden« (Stieda); und gerade von den Tüchtigsten wurden auch die Hauptstädte des Auslandes gern besucht. Die Wanderschaft der Handwerker im alten Sinne gehört aber streng genommen nicht hierher, sie ist kein Wandern der Art, wie hier gemeint wird. 3. Zum dritten findet nun ein lebhafter Austausch zwischen den Großstädten statt. Der geborene Großstädter bleibt entweder in »seiner« Großstadt oder siedelt in eine andere Großstadt über; die Ausnahmen, daß er aufs Land oder in eine kleine Stadt wandert, sind nicht erheblich. Allerdings werden Großstädter, beweglich wie sie sind, auch in jedem Winkel und in jedem Betriebe angetroffen; nicht ganz selten übernehmen sie kleinstädtische Geschäfte; aber oft bedeutet das »in die Provinz gehen« auch, daß sie sich vom Geschäfte zurückziehen. Der Austausch zwischen Großstädten kommt, wie sich [3] versteht, hauptsächlich den größten zugute; zumal in Ländern von starker sozialer und politischer Zentralisierung, wie England und Frankreich, ist es die Hauptstadt, die aus den anderen Großstädten die intelligentesten, betriebsamsten, tüchtigsten Arbeitskräfte,  freilich aber auch die unsolidesten, leichtsinnigsten, dreistesten bis herab zu den bloßen Glücksjägern und Schwindlern – an sich zieht. Die eigentliche Fernwanderung ist von anderer Art. Sie geht vorzugsweise von Gebieten tieferer in Gebiete höherer ökonomischer Kultur, daher aus Gegenden extensiver Landwirtschaft und dünner Bevölkerung in solche intensiver Landwirtschaft und dichter Bevölkerung und aus vorzugsweise agrikolen in vorzugsweise industrielle Landesteile. Für Deutschland heißt beides: von Osten nach Westen, von jenseits der Elbe nach Nordalbingien, an die Weser und ganz besonders an den Rhein; in viel geringerem Maße

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das öfter besprochene – A: das früher besprochene. »gewissermaßen zu Hochschulen des Handwerkerstandes wurden« – Stieda 1894: 886. Nordalbingien – Gebiet nördlich der Elbe.

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auch: von Süden nach Norden. Der Natur der Sache nach handelt es sich hier um die Massen ungelernter Arbeitskräfte. Wie alle Wanderungen, so erfassen besonders diese auch ganze Familien; aber vorzugsweise sind es doch wiederum ledige junge Leute, und unter ihnen überwiegen bei weitem solche des männlichen Geschlechts. Auch die Auswanderung ist, von geringen Grenzaustauschen abgesehen, Wanderung in die Ferne; und sie ist auch sonst den Binnenfernwanderungen in manchen Stücken ähnlich. Aber die Familienwanderung ist in ihr noch viel stärker vertreten, namentlich in der überseeischen. Sie ist auch nicht nur Wanderung ungelernter oder industriell qualifizierter Arbeitskräfte, zu denen wie bei den Binnenwanderungen noch die der Geschäftsleute aller Art kommen, sondern sie begreift auch die bäuerliche und Handwerker-Familie. Die überseeische Auswanderung ist eine so bedeutsame Erscheinung, daß sie oft als Auswanderung schlechthin verstanden wird. Bekanntlich hat diese Auswanderung jenseits des Ozeans ein großes blühendes und mächtiges Reich gestiftet, und zwar vorzugsweise Familien-Auswanderung aus Großbritannien und Irland, aus Deutschland und aus Skandinavien. Die bäuerliche und handwerkerliche Familienauswanderung aus diesen Ländern hat sich während der letzten Jahrzehnte fortwährend vermindert und fast aufgehört. Dagegen ist es aus anderen Ländern Europas eine vorzugsweise ländlich-proletarische Familien- und Einzelauswanderung, die in enormer Zunahme begriffen ist. Eben diese ist in ihrer Natur den Binnen-Fernwanderungen am meisten verwandt; wie denn diese selber ununterscheidbar in Auswanderungen, wenn auch kontinentale übergehen, wenn sich z. B., wie neuerdings massenhaft nach dem westlichen Deutschland hin geschieht, den inländischen Polen ausländische aus Rußland und Galizien gesellen, oder wie in den Gutsbezirken des preußischen Ostens, [4] deren Stellen einnehmen, soweit und solange als ihre Ansiedelung von den Behörden gestattet wird. Über den Anteil von Familien an der polnisch-südeuropäischen Auswanderung nach Amerika liegen keine brauchbaren Daten vor; man darf ihn auf ungefähr die Hälfte schätzen. Aus Deutschland hat noch zwischen 1887 und 1904 die Familienauswanderung vorzugsweise abgenommen, und ist die Einzelauswanderung verhältnismäßig stärker geworden; im ersten Jahre noch kaum die Hälfte, beträgt sie jetzt etwa 60 % der gesamten Auswanderung. Parallel damit geht das Wachsen der Beteiligung des männlichen Geschlechtes. Wenn auch die gesamte Auswanderung  für ein so volkreiches Land wie das Deutsche Reich nicht mehr schwer ins Gewicht fällt, so trägt sie doch an ihrem Teile dazu bei, die Heiratschancen der im Inlande bleibenden Mädchen zu verschlechtern. Dagegen sind in jedem Koloniallande, je mehr noch

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der koloniale Charakter ausgeprägt ist, diese Chancen um so besser. Dies erweist sich schon aus dem Verhältnisse der Geschlechter überhaupt, auch wenn Kinder und Greise mitgezählt werden: denn während im Deutschen Reiche 1900/05 etwa 1030 Individuen weiblichen auf 1000 männlichen Geschlechtes kamen, so ist dies Verhältnis z.  B. in den westlichen Staaten der nordamerikanischen Union ungefähr 780 : 1000; der Unterschied würde noch greller zu Tage treten, wenn er auf die heiratsfähigen Personen allein bezogen würde,  für welche Vergleichung aber die amerikanischen Zählungen zu mangelhaft sind. Noch bestand in diesen Altersklassen auch bei uns ein leidliches Gleichgewicht der Geschlechter; es hatte sich sogar zwischen 1890 und 1905 verbessert, wozu wohl die starke Mehreinwanderung von Männern aus dem österreichischen und russischen Polen hauptsächlich beigetragen hat. Aber wenn man weiß, wie viele Männer freiwillig und gern ledig bleiben, während Mädchen  fast immer, Witwen und besonders geschiedene Frauen wenigstens sehr oft, unfreiwillig und ungern ledig bleiben, so versteht man, daß die schlechten Aussichten der Töchter, verheiratet zu werden, die zumal in den höheren bürgerlichen Schichten bestehen, auch in den Zahlen-Verhältnissen mitbegründet sind. In den breiteren Schichten des Volkes hängt, wie leicht zu verstehen, auch die soziale Erscheinung der Prostitution mit diesen Chancen nahe zusammen. Innerhalb des Deutschen Reiches sind die Unterschiede in der Verteilung der Geschlechter wie in der Verteilung der Altersklassen sehr bedeutend und werden fortwährend durch Ab- und Zuwanderungen, etwas auch durch Aus- und Einwanderungen beeinflußt. Die allgemeine Wirkung ist die, daß die Abwanderungsgebiete, im allgemeinen also das flache Land und im besonderen der Osten, mit einem bedeutenden Frauenüberschusse, zumal in den wanderungslustigsten produktiven Altersklassen, erscheinen, [5] während die Zuwanderungsgebiete, also die Städte und besonders der Westen, die umgekehrte Erscheinung aufweisen. Diese Unterschiede wären noch stärker, wenn nicht die Garnisonen eine große Zahl von männlichen Personen an bestimmte Orte  fesselten. Wenn aber die Städte im ganzen ein Übergewicht von Männern haben, so machen gerade die Großstädte davon eine Ausnahme; dies ist teilweise verursacht durch den schon erwähnten Zuzug weiblicher Dienstboten und anderer weiblicher Arbeitskräfte, die dem Luxus dienen, zu einem anderen Teile

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1900/05 – Fehlt in A. Geschlechtes kamen, – A: Geschlechtes kommen, – Auch der nachfolgende Satz in A im Präsens. die soziale Erscheinung – A: die traurige soziale Erscheinung.

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durch den Zuzug von Witwen, die durch Zimmervermieten und dergl. ein Einkommen zu erwerben suchen, teils endlich durch das in Großstädten besonders ausgeprägte Übergewicht der männlichen Sterblichkeit in den höheren Lebensaltern, etwa vom 50. Lebensjahre ab. Auch diese Verhältnisse würden sich noch stärker zeigen, wenn nicht gerade die Anhäufung des Militärs vorzugsweise in den Großstädten zu Tage träte. Denn ein anderer und spezifisch moderner Umstand wird gleichwohl mehr und mehr entscheidend für das Übergewicht des weiblichen Geschlechtes in den Großstädten. Wenn nämlich bei allen Wanderungen immer zu beachten ist, daß das weibliche Geschlecht im allgemeinen weniger wandert, d. h. aber besonders: sich mehr auf Nahwanderungen beschränkt, so ist doch wiederum die Aufmerksamkeit auch darauf einzustellen, daß in dieser wie in so mancher anderen Beziehung, der Unterschied der Geschlechter heute eine starke Tendenz hat, sich zu vermindern. Die Konkurrenz der weiblichen Arbeitskräfte erstreckt sich auf eine immer größere Zahl von Tätigkeiten; sie macht das Fräulein wie die Frau zugleich zu einem mehr selbständigen und zu einem mehr beweglichen Wesen. Der Gegensatz, den unser Dichter im Auge hatte, wenn er betonte: »Der Mann muß hinaus –«, besteht nicht mehr oder doch in viel geringerem Grade. Heute muß auch das Mädchen hinaus ins feindliche Leben und wenn es auch glücklicherweise am »Wetten und Wagen« noch wenig beteiligt ist, so muß es doch ringen und arbeiten, um seinen Platz an der Tafel des Lebens sich zu erobern. Auch die weibliche Arbeitskraft, die immerhin noch vorzugsweise der innerhäuslichen Herstellung von Eigenwerten und immateriellen Werten gewidmet wird, ist mehr und mehr in den Dienst des Handels und der Warenproduktion, also der kapitalistischen Produktion getreten und damit zugleich hat sie selber zu einer QuasiWare werden müssen, die im Kontor und in der Fabrik ihre Verwertung findet. Die sozialen und sittlichen Folgen dieser Veränderung lassen sich heute erst in den Anfängen erkennen. Sie machen einen wichtigen Bestandteil der sozialen und sittlichen Wirkungen aus, die von den Wanderungen überhaupt ausgehen. Diese sind sehr mannig[6]fach und weitreichend. Sie sind andere für die Ab- und Auswanderungsgebiete, andere für die Zu- und Einwanderungsgebiete. Sie lassen sich auch insofern nicht allgemein bestimmen, als sie von den sozialen und sittlichen Qualitäten, von dem Grade der Kultur der Wanderer abhängen. Volkswirt20

»Der Mann muß hinaus –« – Friedrich Schiller, Das Lied von der Glocke: »Der Mann muß hinaus | Ins feindliche Leben, | Muß wirken und streben | Und pflanzen und schaffen, | Erlisten, erraffen, | Muß wetten und wagen, | Das Glück zu erjagen.« (Schiller 2005 I: 480).

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schaftlich, und zwar innerhalb des Systems der gegebenen sozialen Verfassung betrachtet, sind die Wirkungen insoweit überwiegend günstig, als die Wanderungen Bewegungen der Arbeitskraft sind, die zur Ausgleichung von Angebot und Nachfrage dienen. Schlimm ist es freilich, wenn sie einen wirklichen Mangel an Arbeitern, eine »Leutenot« herbeiführen, zumal wenn diese auf Wirtschaftszweige fallen, die für das Leben des gesamten Volkes so notwendig sind, wie der Ackerbau; auch kann es sehr von Übel sein, wenn der Ausfall nur durch Zufuhr von Ausländern sich decken läßt, die aus anderen als wirtschaftlichen Gesichtspunkten für unerwünscht gehalten werden muß. Im übrigen wird die Ab- und Auswanderung wenigstens da erleichternd wirken, wo die Bevölkerung dicht ist und wohl gar eine relative Übervölkerung besteht, die den Arbeitslohn auf ein Minimum herabdrückt und nur durch Entbehrungen gehemmt wird. Diese relative Übervölkerung ist aber wiederum hauptsächlich durch die Verteilung des Grundbesitzes bedingt, und in dieser Hinsicht ist bekannt, daß die Vereinigung großer Güterkomplexe, der Latifundienbesitz, verhängnisvoll wirkt, indem er, zumal wenn die Art der Bewirtschaftung extensiv bleibt, keine dichte Bevölkerung verträgt, so daß die relative »Übervölkerung« trotz absoluter Schwäche der Bevölkerung sich chronisch reproduziert. Auf der anderen Seite kann aber auch eine zu weitgehende Parzellierung, die  frühe Ehen begünstigt, durch den bloßen Kinderreichtum eine Übervölkerung herbeiführen, die sogar absolut ist, so lange als nicht neue Beschäftigungszweige (industrielle) oder wachsende Intensität der Bewirtschaftung des Bodens frische Nahrungsquellen eröffnen. Die Leutenot muß entweder ungenügende Ausführung der landwirtschaftlichen Arbeiten zur Folge haben, oder sie drängt, wo ihr die nötige Kapitalkraft gegenübersteht, zur Anwendung von Maschinerie, die in ihrem Fortschritt wieder mehr Arbeitskräfte entbehrlich macht. Der Mehrabzug von Männern muß ferner nicht nur die absolute, sondern auch die relative Zahl der Eheschließungen vermindern, resp. ihre Vermehrung hemmen, indirekt also auch die Geburten in negativem Sinne beeinflussen. Dies ist insofern vom Übel, als es vorwiegend ländliche Bezirke entvölkert, die ohne Zweifel, was die physischen Qualitäten der von ihnen erzeugten Menschen betrifft, im allgemeinen überlegen sind, wenn auch andererseits die Gegenden und ihre »Rassen« in dieser Hinsicht so verschieden sind, daß die städtische Bevölkerung einiger vor der ländlichen anderer weit [7] hervorragt. – Was die Zu- und Einwanderungsgebiete betrifft, so ist zu unterscheiden: ob sie weite Flächen mit dünner Bevölkerung sind, die der Ansiedlung günstige Chancen bieten, wie der Westen der Vereinigten Staaten und Canadas, oder dichtbewohnte industrielle Bezirke und Großstädte, die

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durch ihr Wachstum selber, bei zunehmendem Reichtum und wachsender Arbeitsteilung, immer mehr Menschen anziehen und unterbringen, was zur notwendigen Folge hat, daß sie einander dann hart bedrängen und im heißen Wettlauf gar manchen zu Falle bringen. Die überseeische Auswanderung ging ehemals vorzugsweise in Gebiete der ersten Art; diese Ansiedelungen ließen und gaben Freiheit, sie erforderten aber auch Körperkraft, Mut, eine gewisse Rauheit der Sitten, Genügsamkeit, ja die Fähigkeit des Entbehrens und oft auch die Bereitschaft, die neuerrungene Heimstätte im Kampfe zu behaupten. Die neuere Auswanderung nach Amerika bleibt überwiegend in den Großstädten des Ostens und der mittleren Länder hängen; sie ist insofern den gewöhnlichen Wirkungen der Binnenwanderungen ähnlich, nur daß die Völkermischungen dort so viel bunter sind, die Schwierigkeiten der Assimilierung größer, die Verführungen zur rücksicht- und schamlosen Verfolgung egoistischer Ziele stärker. Überall sind in dieser Hinsicht die Wanderungen gefährlich, zumal wo sie die Berührungen mit der Üppigkeit und dem wüsten Jahrmarktstreiben der Großstädte intensiv machen, daher besonders  für Berufsarten, wie die des Kellners, vollends der Kellnerin, und in der großen Welt der Geschäfte, die in vielen Stücken einer Welt des Glücksspiels so ähnlich sieht. Dem »Tüchtigen« gehört diese Welt, Reichtum und Genuß winken ihm als Preis der Anstrengung, des Strebens; dem Tüchtigen, aber auch dem Dreisten, ja dem Frechen und Bösen, der nicht ganz selten den Tüchtigen aus dem Felde schlägt. Und auch der Tüchtige wird mehr für intellektuelle als für moralische Qualitäten – für die Güte seines Kopfes mehr als für die seines Herzens – und mehr für Tugenden, die ihm selber, als für solche die anderen nützen und helfen, belohnt. Der Zugewanderte, Fremde, ist hier oft als solcher überlegen; er ist durch Gefühle und Gewissensbedenken weniger belastet, durch die Sitte weniger gebunden, seine Religion resp. Konfession ist oft eine andere, wie seine Sprache oder wenigstens seine Mundart, er fragt nicht viel nach dem Wohl der anderen, so wenig als diese nach dem seinen, schon weil sie einander weniger kennen, weniger verstehen, der natürlichen Sympathie ermangeln, und so setzt er sich auch über die Meinungen seiner Umgebung, über die »öffentliche« Meinung und die moralische Kritik leichter hinweg, als der Einheimische es vermag oder wagt. Die Eigenheiten des Fremden, wechselseitige Geringschätzung, ja Verachtung, Prahlerei und Kritik, Meinungsverschiedenheiten und Mißverständnisse, [8] führen oft zu Beleidigungen, zu Zank, Körperverletzungen, Raufereien; die Konkurrenz kommt als Ursache dazu, auch zwischen Arbeitern, wenn z. B. Streikbrecher sich einfinden und den ansässigen Arbeitern, die um eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingun-

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gen oder gegen die Verschlechterung kämpfen, »in den Rücken fallen«. Gerade die Koalition, die unter den industriellen Arbeitern einen so großen und lebendigen Fortgang genommen hat, bietet das notwendige Gegengewicht gegen die Isolierung und den »Kampf aller gegen alle«. Sie hebt die Vereinsamung, in die der Fremde so leicht gerät, in einigem Maße auf, sie verleiht sittlichen Halt und verbindet die Söhne der entlegensten Gegenden, ja die Angehörigen verschiedener Nationalitäten, zu einem gemeinsamen Bewußtsein, wie sie den Einzelnen, gerade dadurch, daß sie ihm Opfer für gemeinsame Zwecke auferlegt, in seinen materiellen und ökonomischen Interessen fördert. Sehr wichtig sind aber ferner im Sinne des Ausgleichs der Sitten und Anschauungen die ehelichen Verbindungen zwischen Männern der einen und Frauen der anderen Gegend, sei es, daß sie zwischen Fremden und Einheimischen oder zwischen Fremden und Fremden von verschiedener Herkunft stattfinden. Es sind in der Regel »Mischehen«, sehr oft auch in bezug auf die »Religion« oder »Konfession«, häufiger noch in bezug auf die Mundart, die Neigungen und Gewohnheiten; in dieser Hinsicht also auch schwere Hemmungen und Gefahren  für die eheliche Eintracht in sich bergend; die auch in gesteigerten Tendenzen zur Ehescheidung zum Ausdrucke kommen. Von gewaltigen Wanderungen, Völkerwanderungen berichtet die Geschichte; sie liegen in der Morgendämmerung der großen Kulturen. Auf dem Landwege konnte nur das Pferd in größere Weiten tragen; daher ergossen sich langsam wogend diese Ströme der Menschen mit ihren Herden und Geräten auf den großen Heeresstraßen oder durch Wald und Steppen einher, Weide suchend und Ackerland; von Osten nach Westen vorzugsweise und von Süden nach Norden, aus alten Kulturländern in junge, aus Gebirgsländern in fruchtbare Ebenen hinab; dann aber sind es gerade die mächtigen Rückstöße, die mit dem Namen der Völkerwanderung ausgezeichnet werden; Raubzüge rüstig-roher Barbaren auf  3  4

und lebendigen Fortgang – A: und erfreulichen Fortgang. »Kampf aller gegen alle« – Tönnies spielt auf Hobbes’ bekannte Formel vom Naturzustand als dem Krieg aller gegen alle an. Vgl. z. B. im Leviathan: »Hereby it is manifest, that during the time men live without a common power to keep them all in awe, they are in that condition which is called war; and such a war, as is of every man, against every man. For WAR consisteth not in battle only, or the act of fighting; but in a tract of time, wherein the will to contend by battle is sufficiently known: and therefore the notion of time, is to be considered in the nature of war; as it is in the nature of weather. For as the nature of foule weather, lyeth not in a shower or two of rain; but in an inclination thereto of many days together: so the nature of war, consisteth not in actual fighting; but in the known disposition thereto, during all the time there is no assurance to the contrary. All other time is PEACE.« (Hobbes 1839, ch. XIII: 112 f.)

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die Trümmer der alten Zivilisation, Züge von Norden nach Süden und (teilweise) von Westen nach Osten. Was die heutigen Fernwanderungen von allen  früheren unterscheidet, ist in erster Linie ihre Geschwindigkeit: Schnelldampfer führen die Massen übers Weltmeer; aber auch dies, daß sie bisher ganz überwiegend einen friedlichen Charakter haben, und daß sie noch immer aus der alten Welt vorzugsweise in die neue gehen, die alte Kultur also, unsere auf Rom, [9] Hellas und Palästina beruhende Kultur, über den ganzen Erdball hin ausbreiten. Aber schon ergeben sich die merkwürdigsten Kontraste, wenn in Amerika, nicht mehr wie einst, die Zivilisation aus Europa unter die Wilden tritt, sondern polnisch-russisches, jüdisches, südeuropäisches Proletariat in die Städte des kolonialen, üppig wuchernden Reichtums eindringt, nicht mehr wie jene zum Herrschen, sondern zum Dienen bestimmt. Oder auch zum Emporkommen, wie andere dienende Schichten, wie das Proletariat der alten Länder allem Anschein nach darin Fortschritte macht? Oder werden sie nur dazu helfen, die industrielle und kommerzielle Eroberung der alten durch die neue Welt in Szene zu setzen, die vielleicht auch eine kriegerische Eroberung einmal nach sich ziehen wird? Wird es deren etwa nicht mehr bedürfen, wenn die Rockefeller und Carnegie eines Tages fragen: was kostet Europa? – Auf jeden Fall sind ungeheuere, noch unabsehbare Folgen von den Verschiebungen und Mischungen der Nationen zu erwarten, die das heutige massenhafte, rasche, ferne Wandern im Gefolge hat.

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b) Das Reisen Als die zweite Art des freien Menschenverkehrs betrachten wir das Reisen. Das bezeichnende Merkmal des Reisens ist die wirkliche, oder wenigstens ideelle Festhaltung des heimischen Wohnsitzes, so daß in bezug darauf die Hin- und Herbewegungen nur einen temporären Charakter  2 19

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Fernwanderungen – A: Einwanderungen. Rockefeller und Carnegie – Hier im Sinne von »die Superreichen«. John D. Rockefeller (1839–1937) wie Andrew Carnegie (1835 bis 1919) galten als die reichste US-Amerikaner. b) Das Reisen – Der Text erschien zuerst in der Zeitschrift »Illustrierter Anzeiger für Kontor und Büro. Eine Monatsschrift für den deutschen Kaufmann« (2.1906: 31–35, Tönnies 1906a, im Folgenden A) – A: Das Reisen. Soziologische Skizze – Am Ende des Textes gezeichnet »Ferdinand Tönnies«. – Der Text ist in der Antiqua gesetzt. Als die zweite Art – A: Als die dritte Art. – Vgl. Ed. Fn. zu Z. 2, S. 53.

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haben und entweder gradlinig oder in einer Kurve oder in einer Linie, die aus geraden und krummen Linien zusammengesetzt ist, zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren. Von manchen Autoren werden die Wanderungen unterschieden, je nachdem sie mit »temporärer« oder mit »dauernder« Umsiedelung verbunden seien; zu jenen werden dann gerechnet: »das Wandern der Handwerksgesellen, der Dienstboten, der Gewerbetreibenden, welche die günstigste Stelle zu temporären Unternehmungen aufsuchen; der Beamten, welchen eine bestimmte Stellung auf Zeit übertragen wird; der Schüler, die fremde Lehranstalten beziehen u.  ä.1.« Ich halte die meisten der hier gemeinten »Wanderungen«  für Reisen; namentlich ist der wandernde Handwerker ein Reisender, sofern er nicht ein Vagierender ist, und wenn auch oft die Reise tatsächlich in eine eigentliche »Wanderung« übergeht: ehemals in der Regel nur durch die »Niederlassung« als Meister, jetzt durch Verheiratung oder [10] überhaupt durch tatsächlich dauerndes Verweilen an einem gewählten Aufenthaltsorte. Auch halte ich die »periodischen« Wanderungen, die nach Bücher (das.) eine »Zwischenstufe« zwischen Wanderungen mit steter Ortsveränderung und solchen mit temporärer Umsiedelung bilden, durchweg für »Reisen«; Bücher rechnet dahin »die Wanderungen der ländlichen Arbeiter zur Zeit der Ernte, der Zuckerarbeiter zur Zeit der Campagne, der oberitalienischen und tizinesischen Maurer, Erdarbeiter, Kastanienbrater usw., welche sich in bestimmten Jahreszeiten wiederholen«; es sind periodische Reisen zum Behufe des Broterwerbes. Eine eigentliche Ansiedelung, also Umsiedelung, findet hier, wie bei allen Reisen, gar nicht statt, sondern nur das Nehmen eines kürzeren oder längeren Aufenthaltes, bei dem man sich immer die Rückkehr (Heimkehr) vorbehält. Die vorherige Bestimmung einer nur zeitweiligen Übersiedelung ist darum kein gutes Unterscheidungsmerkmal, weil sie in der 1

So K. Bücher, »Die inneren Wanderungen und das Städtewesen«, welcher Aufsatz mit mehreren anderen in dem Buche »Die Entstehung der Volkswirtschaft 1« verbunden ist: S. 410.

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»das Wandern der Handwerksgesellen … Lehranstalten beziehen u. ä.« – Bücher 1904: 410. – Eine »Zweite Sammlung« Büchers unter diesem Titel erscheint erst 1918, entsprechend in A kein Hinweis auf Bd. 1 in der Fußnote. – Büchers Text hat den Titel: »Die inneren Wanderungen und das Städtewesen in ihrer entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung« (ebd., 401 ff.). »Zwischenstufe« – Bücher, ebd., 411. »die Wanderungen der ländlichen … Jahreszeiten wiederholen« – Ebd. mit einer Auslassung: »… Erdarbeiter, Kaminfeger, Kastanienbrater usw., welche sich in bestimmten Jahreszeiten wiederholen«.

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Regel ganz subjektiv ist und fast immer bedingt: ich ziehe da- und dahin, ich nehme meinen Wohnsitz im Auslande, auf wie lange, das weiß ich nicht vorher, ob ich überhaupt einmal zurückkomme? wer kann’s sagen? hoffentlich, wenn ich mein Glück gemacht habe – so denken wohl auch die meisten, wenigstens die jugendlichen Auswanderer, die nach Amerika, nach Australien oder gar nach Afrika gehen. Wir unterscheiden also in Kürze: der Vagierende hat keinen Wohnsitz, der Wandernde verändert seinen Wohnsitz, der Reisende behält seinen Wohnsitz. Das Reisen geschieht aus vielen Ursachen und Beweggründen, und es geschieht zu mancherlei Zwecken. Ich unterscheide unter diesem zwiefachen Gesichtspunkte folgende Arten der Reisen, die »gemacht« zu werden pflegen: 1. Berufsreisen. Reisende von Beruf sind manche Forschungsreisende, in der Regel wissenschaftliche Männer, die auf eigene oder fremde Kosten, sei es, daß sie ihren Lebensunterhalt dadurch erwerben, oder lediglich aus Neigung und Interesse, Reisen in weite Fernen, zumal in  fremde Weltteile, an den Nordpol oder dergl., unternehmen; besondere Bedeutung hatten und haben (wenn auch heute nur noch in geringem Maße) unter solchen Reisen die Entdeckungsreisen. Reisender von Beruf ist ferner der Handlungsreisende, sofern das Reisen  für die ihm gestellten Aufgaben wesentliches und notwendiges Mittel ist. Es gibt Reisen, die in diesem Sinne nur innerhalb der Bannmeile einer Stadt geschehen, und auf der anderen Seite solche, die eine periodische Abwesenheit von vielen Monaten in  fernem Lande bedingen. Berufsreisender ist auch der Verfasser von Reisehandbüchern, oder wer dauernd im Auftrage eines solchen reist. Berufsreisende sind ferner sekundärer[11]weise – weil das Reisen mit ihrer Berufstätigkeit notwendig verbunden ist – alle Fuhrleute zu Wasser und zu Lande, also das Personal der Schiffe, der Eisenbahnen, der Postwagen und Mietskutschen, neuerdings oft auch diejenigen »Chauffeurs«, die zur Lenkung von Automobilen auf weiten Reisen angestellt sind. Ebenso gewerbsmäßige Reisekuriere usw. 2. Mit den Berufsreisen am nächsten verwandt sind die Dienstreisen der Beamten. Sie sind teils bloß gelegentlich, teils regelmäßig, z. B. Inspektionsreisen aller Art. Prinzipiell werden in Form von Tagegeldern, Entschädigungen von Seiten des Staates, der Kommune, der Firmen usw., die ihre Beamten im Interesse ihres Dienstes reisen lassen, gewährt. Auch die Reisen der Abgeordneten nach dem Orte der Tagung, zu der sie abgeordnet wurden, sind Dienstreisen. 3. Hier schließen sich auf natürliche Weise die höchst mannigfachen Arbeitsreisen an, von denen schon einige Arten genannt worden sind. Es gehören auch die allwöchentlichen Reisen zwischen Wohnung und

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Arbeitsstätte, zwischen Elternhaus und Schule dazu, zu denen Arbeiter, Beamte, resp. Kinder so oft genötigt sind; als kleine Reisen müssen alle diese Ortsbewegungen verstanden werden, sobald sie regelmäßig mit künstlichen Vehikeln den Raum überwinden; sei es, wie vom Lande in die Stadt noch häufig zu Pferde oder im Wagen, der von Pferden gezogen wird, oder wie neuerdings so allgemein geworden, per »Rad«; sei es, wie immer öfter zum Behuf des Besuches höherer Lehranstalten und besserer Schulen, auf der Eisenbahn, sei es endlich, wie in größeren Städten die Regel, mit der Straßenbahn, d. h. heute fast überall, mit der »Elektrischen«, die hier aber nur insoweit in Betracht kommt, als sie Orte miteinander verbindet, da wir die Bewegungen innerhalb eines Ortes nicht als Reisen bezeichnen. – Zu denen, die am meisten um ihres Berufes willen, und also zum Behufe der Arbeit reisen, gehören Schauspieler, Musiker und alle Arten von Artisten, die in niederen Regionen sogar noch heute den  fahrenden Leuten, also den Vaganten, beizuzählen sind; wie auch Marktreisende, Händler und Gewerbetreibende »im Umherziehen«, die jetzt zwar ein gesetzliches Domizil zu haben pflegen, aber tatsächlich zumeist ein vagierendes Leben, oft noch in ihren als Wohnung eingerichteten Reisewagen führen. 4. Die Arbeitsreisen gehen wieder in die Geschäftsreisen, sofern solche nicht als Berufsreisen gemacht werden, über. Solche hat jeder Kaufmann oft zu machen, aber auch Handwerker, Fabrikanten, Gelehrte, ja Rentiers haben gelegentlich eine »notwendige« Geschäftsreise vor. Auch die vielen Reisen, die in politischen Geschäften, teils von Fürsten und Staatsmännern, teils von Rednern und Agitatoren, besonders in Zeiten der öffentlichen Wahlen unternommen werden, sind [12] als Geschäftsreisen zu charakterisieren; ebenso solche, die zu propagandistischen Zwecken, im Sinne irgendeiner »Bewegung«, von Wanderlehrern, Rednern, Predigern usw. geschehen. Es gibt also Geschäftsreisen, die ganz und gar persönliche Aufopferung bedeuten, neben solchen, die dem Erwerb oder Gewinn von Millionen bestimmt sind und dienen. – Auch die schon erwähnten Kunstreisen können als Geschäftsreisen aufgefaßt werden, wie denn Arbeit, Kunst, Geschäft immer ineinander übergehen. Aber auch Diebe, Hochstapler, Berufsspieler, Prostituierte sind sehr oft auf solchen Reisen anzutreffen, die man je nachdem Arbeitsreisen, Geschäftsreisen oder Kunstreisen nennen mag, wenn auch jeder dieser Namen dadurch geschändet wird. Am besten wäre es vielleicht, eine eigene Gattung zu unterscheiden, der auch die jetzt in die Geschichte übergegangenen Reisen der Seeräuber angehören würden. 5. Eine besondere Art von Geschäften bilden die Studien und eine besondere Art von Geschäftsreisen die Studienreisen. Sie berühren sich

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aber auch mehr mit allen übrigen bisher genannten Arten, mit Arbeits-, Dienst- und Berufsreisen, und müssen als eine eigene Art aufgefaßt werden. Sie dienen aber mannigfachen Interessen, und Reisen, die zu wissenschaftlichen Zwecken gemacht werden, haben mit manchen derer, die politischen oder gemeinnützigen Absichten dienen, dies Merkmal gemein, daß sie das bereiste Land, oder etwas Besonderes und Bestimmtes darin, »studieren« wollen. Oft sind sie daher ihrem Wesen nach, auch wenn zu anderen Zwecken unternommen, wissenschaftliche Reisen; »Anleitungen zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen« sind auch für Reisende bestimmt, die zu anderen als wissenschaftlichen Zwecken, z. B. als Missionare, als Militärs oder Diplomaten, reisen. Für den, der zu lernen immer beflissen und fähig ist, sollte jede vernünftige Reise zugleich eine Studienreise bedeuten. 6. Wissenschaftlich, wenigstens dem vorgegebenen Zweck nach, sind auch die meisten Kongreßreisen, die heute eine immer größere Ausdehnung gewinnen. Es wird oft ausgesprochen, daß ihr hauptsächlicher Nutzen und ihr Erfreuliches in der Vermittlung persönlicher Bekanntschaften zwischen Gleichstrebenden, Fachgenossen usw., namentlich auch zwischen Leuten verschiedener Nationen, bestehe. Indessen haben sie auch das Gute, daß sie das Interesse eines größeren (Zeitungen lesenden) Publikums auf theoretische oder praktische Angelegenheiten lenken, die sonst nur vom »Fach« erörtert werden. Wenn dies ein erwünschter Nebenerfolg ist, so haben sie doch ihren eigentlichen Sinn als Mittel der Verständigung zwischen denen vom Fach oder zwischen Parteigenossen, Bundesbrüdern und Kameraden aller Art. So sind sie nahe verwandt mit den [13] 7. Besuchsreisen, in denen Verwandte, Freunde, Bekannte und Genossen irgendwelcher Art zueinander reisen, sei es nur, um einander zu sehen und zu »sprechen«, sei es zu besonderen Gelegenheiten, freudigen Festen, Leichenbegängnissen, Gesellschaften, Bällen, Empfängen und zur Erledigung bestimmter Angelegenheiten, z. B. Erbschaften, Verlobungen, Hochzeiten, wo die Beteiligten anders reisen als bloße Gäste. Sehr regelmäßig sind es Reisen in die Heimat, jüngerer Leute zu ihren Eltern usw., nicht minder aber umgekehrt die Besuchsreisen alter Eltern zu ihren verheirateten Kindern, die wie andere Besuchsreisen, zuweilen in Wanderungen, besonders oft in Auswanderungen übergehen. Auch kann der Besuch bestimmter Orte zu manchen anderen Zwecken (z. B. zu religiösen, wie Wallfahrten und Pilgerkarawanen, oder zu den öffentlichen Veranstaltungen von Sängern, Turnern, Schützen, zu Denkmalsenthüllungen u. dgl.) geschehen, unter diesen Zwecken ragen aber, besonders

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im modernen Leben, die gesundheitlichen hervor, und somit nehmen einen besonderen Rang ein 8. die Badereisen und Reisen in die Sommerfrische, Sanatorien, Winterstationen u. dgl. Sie sind Gegenstände eines wesentlichen und starken Bedürfnisses, besonders der Einwohner großer Städte, wenn auch nur ein kleiner Teil dieses Bedürfnis zu befriedigen vermag, teils aber auch Gegenstände des Luxus und der Üppigkeit. Einem starken Bedürfnis zugleich und einem großen ökonomischen Interesse entsprechen die Reisen in »Heilstätten«, die von den Versicherungsanstalten, um der Invalidität vorzubeugen, für Arbeiter angeordnet werden. Bedürfnis und Luxus berühren sich auch nahe in den 9. Erholungs- und Ferienreisen, die sich dadurch unterscheiden, daß sie in bestimmtem Gegensatz gegen die Arbeit und gegen die alltägliche Beschäftigung gedacht werden und sehr oft auch dadurch, daß sie es nicht auf einen bestimmten Ort abgesehen haben, sondern mehr »Reisen« in dem Sinne sind, daß sie dem Genuß mehrerer Orte und ganzer Landschaften gewidmet werden. In diesem Sinne wird »das« Reisen als solches wohl auch von Ärzten oder anderen Ratgebern verordnet, nämlich ein zielloses oder ein solches, bei dem das Ziel gleichgültig, wesentlich aber der Genuß frischer Luft oder reizender und abwechslungsreicher Szenerie, oder das Sehen fremder Länder und Städte, jedenfalls die Wirkung eines veränderten Milieus auf das Nervensystem und dadurch auf das Gemüt, wie eine große Seereise, zumal auf einem Segelschiff, sie vielleicht am sichersten gewährt; nur die Gebirgsreise kann mit ihr konkurrieren; beide Arten sind auch dadurch heilsam, daß sie an Mut, Energie und Ausdauer Anforderungen stellen und diese Eigenschaften zu stärken geeignet sind. [14] Die schöne Wohltat, die armen Kindern großer Städte durch »Ferien-Kolonien« gewährt wird, ist ebenfalls hier zu erwähnen, obwohl sie auch als Badereisen oder Besuchsreisen verstanden werden können. Ihr Hauptzweck ist doch die Erholung in den Ferien, und der Kontrast gegen das sonst gewöhnliche Leben tritt dabei besonders scharf ins Bewußtsein. Wesentlich Sache des Luxus, aber innerhalb mäßiger Grenzen eines vernünftigen Luxus sind endlich die reinen 10. Vergnügungsreisen. Sie unterscheiden sich von allen anderen dadurch, daß sie »weiter keinen Zweck haben«, wenn auch allerhand Zwecke, unter denen die Erholung (die aber oft Erholung von Erholungen und Vergnügungen ist) am nächsten liegt, damit verbunden sein

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Sie sind Gegenstände – A: Sie sind teils Gegenstände. Erholung in den Ferien – A: Erholung in Ferien.

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können. Sie sind eben die freiesten Reisen, denn alle anderen geschehen unter irgendwelchem Drucke, zumeist der Pflicht, der selbstgestellten Aufgabe, des Interesses, des ärztlichen Gebotes, Geheißes oder Rates; die bloße Vergnügungsreise sucht eben nichts als das Reisen und das Vergnügen, die dem Reiselustigen zusammenfallen. Im allgemeinen haben sie einen gefüllten Geldbeutel zur Voraussetzung und sind einer der vielen Genüsse, die den Reichen oder doch den Wohlhabenden, wenigstens denen, die ein beträchtliches Jahreseinkommen haben, vorbehalten bleiben. Indessen werden wenigstens kleinere Vergnügungsreisen, »Ausflüge«, mehr und mehr durch Billigkeit der Fahrgelegenheiten weiten Kreisen, zumal der Großstädter, zugänglich gemacht. Und auch die bescheidenen Fußwanderungen der Touristen, sobald sie durch nächtliche Abwesenheit vom Wohnorte den Charakter einer kleinen Reise annehmen, sind ganz eigentliche, ja bekanntlich oft die allerbesten, vergnügtesten Vergnügungsreisen, indem sie das Angenehme des Spazierganges auf ganze Tage und etwa auch Nächte ausdehnen. Das andere Extrem, das wie alle großen und weiten Reisen oft mit »Strapazen« verbunden ist, die das Vergnügen stark beschneiden, wenn nicht gar aufheben, bilden etwa die »Reisen um die Welt«, wenn sie als Vergnügungsreisen unternommen werden. Den Vergnügungsreisen sind auch die Hochzeitsreisen beizuzählen, die regelmäßig in der Vorstellung die schönsten Vergnügungsreisen, in Wirklichkeit, wie man sagt, sehr oft es viel weniger sind, ja sie sollen nicht selten ins Gegenteil umschlagen; in Mißvergnügungsreisen; kein Wunder, da das fortwährende Zusammensein der noch wenig aneinander Gewöhnten gerade auf Reisen leicht Gegensätze und Meinungsverschiedenheiten entwickelt, und da die Frau wenig oder gar keine Gelegenheit hat, auf einer Reise das, was sie besser versteht als der Mann (wenn sie es versteht), zu betätigen: nämlich eine behagliche Häuslichkeit zu schaffen. So müssen Konvenienz- und Geldheiraten, bei denen die Hochzeitsreise am meisten »selbstredend« ist, [15] sich gerade auf einer solchen leicht in ihrer inneren Hohlheit offenbaren und Enttäuschungen bringen, wenn Täuschungen überhaupt noch möglich waren. Dem Reisen im allgemeinen wird mit gutem Grunde ein bildender Einfluß nachgerühmt. »Der vieler Menschen Städte sah und ihre Sinnesart kennen lernte«, sagt das unsterbliche Epos von dem großen (wenngleich gutenteils unfreiwilligen) Reisenden Odysseus. Das Reisen erwei29 36

Häuslichkeit zu schaffen – A: Häuslichkeit schaffen. »Der vieler Menschen Städte sah und ihre Sinnesart kennen lernte« – Den ersten Sätzen des ersten Gesangs entnommen. Johann Heinrich Voß übersetzt etwas anders (vgl. Homer 1847: 1).

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tert den Horizont, zerstreut Vorurteile, verscheucht Grillen,  fördert geistige Interessen, verbessert das Urteil sowohl über Fremdes und Fernes als über Heimisches und Eigenes (durch Vergleichung, die Basis alles Urteilens); es macht auch kühner und zuversichtlicher, verleiht Sicherheit des Auftretens. Der englischen Miß ist es bald anzumerken, daß sie in der Regel mehr gereist ist als die Mademoiselle und das Fräulein. – Aber das Reisen hat auch seine tiefen Schattenseiten. Wenn es die Gescheiten klüger macht, so macht es die Törichten oft noch törichter. Und sogar der mittlere Mensch hätte oft genug Ursache, zu erwägen: »Wozu in die Ferne schweifen, sieh das Gute liegt so nah.« – Wie viele, die in der Heimat nie das unvergleichliche in Holz geschnitzte Altarblatt ihrer Domkirche eines Blickes gewürdigt haben, begaffen, mit dem Reisehandbuch in der Hand, Kunstwerke minderen Wertes in weiter Ferne, »weil man das doch gesehen haben muß«. Man spricht mit Recht von einem Reisepöbel, der das Bedürfnis zu haben scheint, seine mangelhafte Erziehung überall in der Welt zur Schau zu stellen und besonders – durch lautes Schreien und Lachen an der Wirtstafel, durch Hinauswerfen der Stiefel aus dem Hotelzimmer – zu Gehör zu bringen. Aber auch die feineren Reisenden kehren oft nur ihre eigene Fadheit nach außen, wenn sie über »Sehenswürdigkeiten« sich hermachen. »Fürwahr«, läßt Goethe in Wilhelm Meister den Oheim der »schönen Seele« sagen, »ohne Ernst ist in der Welt nichts möglich, und unter denen, die wir gebildete Menschen nennen, ist eigentlich wenig Ernst zu finden; sie gehen, ich möchte sagen, gegen Arbeiten und Geschäfte, gegen Künste, ja gegen Vergnügungen, nur mit einer Art von Selbstverteidigung zu Werke; man lebt, wie man ein Pack Zeitungen liest, nur damit man sie los werde; und es  fällt mir dabei jener junge Engländer in Rom ein, der abends in einer Gesellschaft sehr zufrieden erzählte, daß er doch heute sechs Kirchen und zwei Galerien beiseite gebracht habe. Man will mancherlei wissen und kennen, und gerade das, was einen am wenigsten angeht, und man bemerkt nicht, daß kein Hunger dadurch gestillt wird, wenn man nach der Luft schnappt.« Es ist aber weniger das Luftschnappen mit Hunger, als das ästhetische und intellektuelle Genießen ohne Hunger, was einen wirklichen Schaden  für die Seele [16] bedeutet; es macht »übersättigt«, d. h. dünkelhaft, müde, des Genießens unfähig (blasé). Und daß das viele Reisen oft solche Wirkungen hat, wem könn10

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»Wozu in die Ferne schweifen, sieh das Gute liegt so nah.« – In Anlehnung an Goethes Gedicht »Erinnerung«: »Willst du immer weiter schweifen! | Sieh das Gute liegt so nah. | Lerne nur das Glück ergreifen | Denn das Glück ist immer da.« (Goethe 1987: 41). »ohne Ernst ist in der Welt … nach der Luft schnappt.« – Wilhelm Meisters Lehrjahre, 6. Buch (Goethe 1988: 409).

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te es entgehen? – Schopenhauer sagt einmal, daß ein gescheidter Mensch auf einer Reise rund um seinen Wohnort mehr sehe und erlebe, als ein Narr, wenn er Europa zweimal durchquere (oder so ähnlich); und Kant, der für seine Person so unbereist wie möglich war, hielt das »Lesen von Reisebeschreibungen« für einen Ersatz des Reisens »zur Erweiterung der Anthropologie (Menschenkunde) im Umfange«, das Reisen selbst freilich für besser. »Man muß aber doch vorher, zu Hause, durch Umgang mit seinen Stadt- oder Landesgenossen, sich Menschenkenntnis erworben haben, wenn man wissen will, wonach man auswärts suchen solle, um sie in größerem Umfange zu erweitern« (Vorrede der »Anthropologie in pragmatischer Hinsicht«), und als Anmerkung zu diesem Satze ist eine Charakteristik seiner lieben Vaterstadt zu lesen, die mit den Worten schließt: »eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon  für einen schicklichen Platz zur Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werden, wo diese, auch ohne zu reisen, erworben werden kann.« – In mancher Hinsicht sind die sozialen Wirkungen des Reisens denen des Wanderns und der Mischung von Stämmen und Völkern ähnlich. Alles trägt zur Nivellierung bei: das Gemeinsame, Allgemeine tritt in den Vordergrund, dagegen tritt das Besondere, Eigentümliche, »Originelle«, worin sich sonst die besten Volks-Geisteskräfte konzentriert haben, zurück. Wenn der Fremde, Zugewanderte dafür kein Verständnis hat und es selten gewinnt, so wird leicht der Einheimische durch vieles Reisen dem Volkstum, das ihn genährt und getragen hat, entfremdet; er wird oft zur Nachahmung dessen, was er in anderen Gegenden und Ländern kennengelernt hat, geneigt sein, und solche Nachahmung kann große Fortschritte befördern, sie kann aber auch verflachend wirken; Schönes und Gutes, aber auch Schlechtes und Häßliches wird nachgeahmt; und das Fremde gefällt leicht, ohne daß sein Wert geprüft wurde. Mit nationalen Eigentümlichkeiten hat es noch eine gute Weile, bis sie sich mehr ausgleichen werden – der vielreisende Engländer hält die seinen am zähesten  fest, – aber innerhalb der Nationen ist der Verschleißungsprozeß während des letzten Menschenalters reißend gewesen. Namentlich verbreitet sich das hauptstädtische Wesen über das ganze Land wie die Keime einer Epidemie: in die Hauptstadt reist jeder, das Hauptstädtische bewundern die meisten; und es kann in dieser Hinsicht nicht eben als eine glückliche Fügung für den deutschen Geist betrachtet werden, daß

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Schopenhauer – Als Zitat nicht nachgewiesen. Kant – Nachfolgende Zitate stehen in der Vorrede zu Kant 1800: VII  f. – Die letzte Hervorhebung »auch ohne zu reisen« von Tönnies.

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Berlin die Hauptstadt und daß der berlinische [17] Geschmack in so weitem Umfange maßgebend geworden ist. – Aber eine schlimmere Folge der Reisesitten liegt in dem ganz äußeren Umstande, daß die besitzenden »und (mehr oder weniger) gebildeten« Schichten zum guten Teile zu oft und zu lange von ihrem Wohnorte abwesend sind und daß ihnen die lokalen Angelegenheiten gleichgültig werden. Es ist nicht ohne Interesse, einen Amerikaner, der die Reformbedürftigkeit der Stadtverwaltungen in seinem großen Vaterlande mit gehöriger Sachkenntnis und scharfem Urteil darstellt, über diesen Punkt zu hören. »Die Entwicklung von Eisenbahnen, Dampfschiffen, Telegraphen und Telephonen«, sagt Delos F. Wilcox (»The American City: a Problem of Democracy«, p. 6) »und andere Mittel des Reisens und des Verkehrs, haben den Menschen eine gewisse scheinbare, obschon teilweise nur oberflächliche Unabhängigkeit von der Örtlichkeit verliehen.« … »Die zunehmende Gewohnheit des Reisens und insbesondere das Wechseln des Wohnsitzes während der Sommerhitze oder Winterkälte droht ferner die Menschen von lokalen Interessen loszureißen und sie unfähig zu machen, politische Leistungen zu vollbringen. Diese Flüssigkeit der Bewegung ist am meisten unter den Wohlhabenden und Intelligenten ausgeprägt, so daß der normale Einfluß dieser Klassen auf die Politik ihrer Wohnstätte noch weiter (als schon durch andere Ursachen) beschnitten wird. Sie sind in der Lage, ungesunden, örtlichen Verhältnissen sich zu entziehen, die ein politisches Zusammenwirken beseitigen oder verbessern sollte.« – Das Reisen ist auch, wie das Wandern und vollends das Vagieren, mit sittlichen Übeln und Gefahren unmittelbar verknüpft. Der Reisende fühlt sich von vielen Fesseln der Rücksicht frei, er ist in der Regel unbekannt, wo er verweilt, mit seinem Namen, wenn er vernommen wird, verbinden sich keine Assoziationen, er ist so gut wie »ohne Namen« (anonym). Dies macht gemeine Naturen – und wer hat nicht irgendwie an dem seinen

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»Die Entwicklung von Eisenbahnen… von der Örtlichkeit verliehen.« – »But the development of railways, steamships, telegraphs, telephones, and other means of travel and communication has given men a certain apparent, though partly superficial, independence of locality.« (Wilcox 1904: 6). »Die zunehmende Gewohnheit … beseitigen oder verbessern sollte.« – »Furthermore, the growing habit of travel, and especially of a change of residence during the heat of summer or the cold of winter, tends to detach men from local interests and render them unable to perform political functions. This fluidity of movement is marked among the well-to-do and the intelligent, so that the normal influence of these classes upon local political action is still further curtailed. They are enabled to escape from unwholesome local conditions which it is the business of political coöperation to remove or ameliorate.« (ebd., 6 f.).

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Anteil, »was uns alle bändigt?« – dreist, ja frech – das Schamgefühl ist weniger wirksam, der Mensch wagt seinen Neigungen und Lüsten rückhaltloser zu fröhnen, zuweilen auch – wozu aber der Reisende weniger Gelegenheit als der ansässige Fremde hat – seine Interessen nachdrücklicher und egoistischer zu verfolgen. Jede große Stadt bietet auch ihrem Einwohner, der in ihr  fremd zu bleiben pflegt, etwas von den Reizen, aber auch von den Gefahren und Übeln dieser Unbekanntheit. Freilich hat dies starke Gegengewichte für den, der in ihr irgend etwas zu vertreten hat, der Mitglied einer Firma, einer Genossenschaft oder eines Personenvereins ist,  für dessen Ehre er verantwortlich gemacht werden kann. So wird auch der Reisende dadurch gesittigt, daß er an eine Gemeinschaft Einheimischer empfohlen [18] ist oder sonst Gründe und Recht hat, sich ihr vorzustellen. Auch in dieser Hinsicht sind die Gewerkschaften und Fachvereine der Arbeiter von großer sozialer Bedeutung geworden und können es noch weit mehr werden, wie es ehemals die Zünfte für den Handwerksgesellen gewesen sind. Wir können in einem Zeitalter unablässigen, massenhaften Verkehrs nicht erwarten, daß Sitten und Institutionen, Ideen und Gesetze stabil bleiben, aber wir können und sollten Sorge tragen, daß neue, den nicht veränderbaren Tatsachen angemessene Sitten und Institutionen, Ideen und Gesetze sich ausbilden oder geschaffen werden.

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c) Verkehr und Transport Erleichterung und Vermehrung des Verkehrs, wodurch wohl in der am meisten augenfälligen Weise unser Zeitalter als ein ganz und gar neues von allen früheren Zeitaltern sich abhebt, ist wie allen bekannt, wesentlich bedingt durch Fortschritte der Technik. So hat ja ganz besonders auf diesem Gebiete die Anwendung der Dampfkraft und – bis jetzt noch größtenteils durch sie bedingt – die der Elektrizität Epoche gemacht. Aber schon lange vorher ist Bau und Verbesserung von Landstraßen und  1 22

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»was uns alle bändigt?« – Aus Goethes »Epilog zu Schillers Glocke« (Goethe 1993: 891). c) Verkehr und Transport – Der Text erscheint zuerst in der Zeitschrift »Illustrierter Anzeiger für Kontor und Büro. Eine Monatsschrift für den deutschen Kaufmann« (2.1906: 50–53, Tönnies 1906b, im Folgenden A) – A: Verkehr und Transport. Eine soziologische Skizze – Am Ende des Textes gezeichnet »Prof. Ferdinand Tönnies«. – Der Text ist in der Antiqua gesetzt. größtenteils – Fehlt in A.

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von Vehikeln durch dieselben Mächte hauptsächlich gefördert worden, die ich wohl als Vater und Mutter der großen Industrie zu bezeichnen pflege: durch den Staat und durch die Gesellschaft – der Staat als Kriegsherr, auf die Ausbildung der militärischen Technik durch sein Lebensinteresse gedrängt; die Gesellschaft, repräsentiert durch Handelsherren, – beide sind auf Transport von Personen und Sachen hingewiesen. Das Verhältnis und die Unterscheidung von Zweck und Mittel, wodurch überhaupt alles neuernde (rationalistische) Denken und Wollen bezeichnet wird, gewinnt hier der Natur der Sache gemäß eine besonders klare und greifbare Gestalt. Der Zweck ist das Ziel: die möglichst unversehrte Ankunft an einem bestimmten Orte, und, sofern es möglich ist, möglich wird, auch zu einer bestimmten Zeit. Nach diesen Zwecken muß alles eingerichtet werden: die Straße, das Vehikel, die Bewegung. Die Straße ist teils ihrer ganzen Beschaffenheit nach (die Meeresstraße), teils wenigstens ihrer ungeregelten Natur nach (die natürliche Binnenwasserstraße), teils nur dem Materiale nach (Wasser oder Erde) gegeben, und muß, je nachdem, nur gekannt, reguliert oder ganz und gar gebaut werden. Kenntnis der Meere und Ströme, Regulierung der Wasserläufe, Bau von Kanälen und Landstraßen sind die großen Aufgaben, woran sich endlich der Bau der Eisenbahnen als spezieller mit Schienen bekleideter Landstraßen anschließt. Was 2. die Vehikel betrifft, so sind [19] es teils Menschen selber, sodann Tiere, die von Menschen geführt und den Zwecken des Transportes angepaßt werden, teils besondere Behälter, die von Menschen oder Tieren getragen oder – ein großer technischer Fortschritt – mechanisch auf Rädern bewegt werden und dann nur des Motors anstatt des Trägers bedürfen – alle diese Vehikel dienen der Beförderung von Personen und Sachen auf Landstraßen; zu Wasser aber ist es die Entwicklung des Schiffes und die Verbesserung seiner Motoren, was immer den Verkehr auf die weitesten Entfernungen hin am meisten bedingt hat. – 3. Die Bewegung endlich, ihre Sicherheit und Geschwindigkeit, sind nicht allein – obgleich in hohem Maße – von den Motoren und der darin enthaltenen menschlichen Technik –, sondern auch von besonderer menschlicher Kunst abhängig, die teils wesentlich Ordnung eines Betriebes ist – die Post –, teils zugleich Bau von Apparaten, die zur Beförderung von Signalen dienen und also in die Ferne zu schreiben und in die Ferne zu sprechen erlauben; vor allem aber eine erworbene Geschicklichkeit, die, wie ein Handwerk gelehrt, durch Übung ausgebildet, in ihren höheren Formen aber wesentlich von theoretischen Kenntnissen abhängig wird. 21

Was 2. die Vehikel betrifft – 1. fehlt – in A: 2), so auch bei der nächsten Nr.

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Alle Neuerungen des Verkehrswesens sind in ihrer großen, tief ins tägliche Leben eingreifenden Bedeutung von jungem Datum, die Zivilisation hat sich in allen diesen Beziehungen spät entwickelt. Die schlechte Beschaffenheit der Landstraßen, wie sie noch vor 100 Jahren waren, ist oft geschildert worden, der Massentransport war in der voreisenbahnlichen Zeit fast ganz, wie noch heute in sehr großem Umfange, auf Wasserstraßen angewiesen. Durch einen gewissen Grad von Lebhaftigkeit des Austausches und Verkehrs ist auch alle ältere Kultur wesentlich mitbedingt gewesen, aber dieser Grad war, was den Landverkehr betrifft, noch bis ins 19. Jahrhundert, und verglichen mit dem jetzt erreichten Grade überhaupt, sehr niedrig. Dies deutet schon darauf, daß die Bedürfnisse, denen der heutige Zustand entspricht, in der Stärke und Macht, wodurch sie diesen herzustellen vermocht haben, verhältnismäßig jung sein müssen. Die Bedeutung des Wortes »Tradition«, die an und für sich ebensowohl eine Überlieferung zwischen Zeitgenossen, gleichsam in der Ebene, anzeigen könnte, erinnert daran, wie überwiegend die Bewahrung und Weitergabe geistiger Dinge von einer Generation an die andere bisher gewesen ist, die man eine Überlieferung in der dritten Dimension, von oben nach unten oder (je nach der Auffassung) von unten nach oben, nennen könnte. Wir gewahren nun in der Geschichte eine Konkurrenz, ein Neben- und ein Widereinander dieser beiden Richtungen, die man auch als Ausbreitung im Raume und Vertiefung in der Zeit unterscheiden [20] kann – Ausbreitung und Vertiefung nämlich der Beziehungen zwischen Mensch und Mensch. Der Vertiefung entspricht ein überwiegend familienhafter und gemeinschaftlicher Charakter der Kultur, ausgeprägt in Volk, Stamm, Geschlecht und Einzelfamilie, sodann aber in familien-ähnlichen Korporationen und Institutionen. Hier leben und verkehren miteinander, die sich von Geburt an »nahe stehen«; hier lehren und übergeben die Väter den Söhnen, die Mütter den Töchtern, überhaupt die Alten den Jungen, was sie selber von Eltern und Vorfahren gelernt und überkommen haben. Der Ausbreitung aber entspricht der gesellschaftliche Charakter der Kultur, der seiner Tendenz nach universalistisch ist und jeden mit jedem verbindet, insofern als einer von dem andern Nutzen erwartet und es seinem Interesse gemäß findet, sich ihm zu nähern, mit ihm »anzuknüpfen«. Die Geburt ist hier gleichgültig, und es kommen nur Menschen in Betracht, die soweit herangewachsen sind, daß sie einander als vernünftig und insoweit als ihresgleichen anerkennen; diese Anerkennung ist hier Voraussetzung des  friedlichen Verkehres, da aus ihr folgt, daß man einander nicht zwingen, sondern auf gütlichem Wege, durch Geben veranlassen will zu geben – Do ut

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des, das Prinzip des Tausches –, und hierin ist die Vernunft und das bewußte Wollen enthalten, in der Setzung auf den Fuß der Gleichheit, in dem Bestreben, sich dem Fremden zu akkommodieren und zu assimilieren. Es ist daher im Begriffe zunächst ein Gegensatz enthalten gegen die Feindseligkeiten, die zwischen Gruppe und Gruppe den Charakter des Krieges annehmen; zugleich aber ist der Krieg doch ein Zusammenstoß, der Gruppe und Gruppe einander annähert, und gerade, sofern die Feindseligkeiten nicht individuelle sind,  friedliche, zumal vernünftiginteressierte Beziehungen zwischen den Einzelnen regelmäßig befördert. Allerdings hinterläßt der Krieg überwiegend Haß, Abneigung, Furcht, auch zwischen den Einzelnen um so mehr, je  fester geschlossen die Gruppe der Gruppe gegenübersteht, und aus einem Kriege folgen andere. Indessen, eben dadurch werden doch immer mehr »Wege gebahnt«: »Fast alle großen Verbindungswege der Menschheit sind ursprünglich »Kriegspfade«; dem Kriege  folgte erst der Handel. Und dieser selbst, was war denn er zuerst!? Nichts anderes als Krieg. »Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie, nicht zu trennen.« Keineswegs ein »Händler«, sondern ein »Handelnder« ist der älteste Vorfahr des Kaufmanns; nicht tauschen will er zunächst, sondern rauben … Der Tausch stellt sich dann allerdings ein, aber ganz unbeabsichtigt, insofern nämlich, als von beiden Seiten geraubt und dadurch unwillkürlich ein Ausgleich herbeigeführt wird. Indem man jedoch auf diesem Wege die Güter kennen lernt, die der andere erzeugt und besitzt, kommt es allmählich auch zu friedlichem Austausch; man wechselt so[21]zusagen nun Güter aus wie sonst Gefangene, indem dabei die stillschweigende Voraussetzung gilt: man sei sich gleich an Macht, und verzichte daher besser auf den eigentlich vorher durchzufechtenden Kampf2.« Mehr aber, als ein Krieg mit geringem oder zweifelhaftem Erfolge, wirkt der entschiedene Sieg und die Eroberung in dieser Hinsicht. Mögen die Sieger noch so sehr verhaßt sein, so überwinden sich doch 2

Jähns, Krieg, Frieden und Kultur, Berlin 1893. S.  71, wo  freilich ein wenig übertrieben wird. Vgl. über »Raubhandel« neuerdings Sombart, Der moderne Kapitalismus I, S. 163 und 190.

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Do ut des – [Lat.] svw. Ich gebe, damit du gibst. Jähns, Krieg, Frieden und Kultur, Berlin 1893. S.  71 – Die gesamte Passage im Text ein Zitat aus Jähns 1893: 70 f. – Die An- und Abführungen irritierend so von Tönnies gesetzt. Nur »Händler« und »Handelnder« sind von Jähns selbst durch Zitatzeichen hervorgehoben. – Die Hervorhebung »… man sei sich gleich an Macht, …« nicht bei Jähns. Sombart – Sombart 1902 – auf eine neuere Auflage verweist Tönnies in einer Anmerkung S. 583, Z. 15.

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die Besiegten, ihnen Nahrungsmittel gegen gute Münze zu geben. Und der  fremde Händler überschreitet im Gefolge des siegreichen Heeres leicht und sicher die Grenze, an die er sich sonst vielleicht nicht von ferne heranwagen durfte. Vollends wirkt im gleichen Sinne die Eroberung überseeischer Länder und die gewonnene Herrschaft über Meeresstraßen: Kriegsschiff und Kauffahrer laufen miteinander; die Piraterie, wenn sie auch Handel einleitet und selbst beginnt, ist nachher sein schlimmster Feind, die Unterdrückung kann nur durch etablierte See-Macht geschehen. – Soweit gehen Krieg und Handel auch in diesen Beziehungen zusammen. Wenn nicht etwa – was doch sehr selten ist – das ganze besiegte Volk zu Sklaven gemacht und seines Eigentums beraubt wird, so ist Austausch von Gütern und Vorteilen, dadurch Schaffung einer gemeinsamen Interessensphäre, der notwendige, zugleich der nächste und leichteste modus vivendi, gerade zwischen Feinden. Das gemeinsame Interesse aber schlägt die Brücke von Jedem zu Jedem. Es bedarf einer solchen Brücke um so mehr, je mehr die Menschen durch Feindseligkeit, d. i. durch Haß, Mißtrauen, Furcht, Rachsucht und ähnliche Motive getrennt sind. Dieser Strom fließt ruhig weiter, wenn nur die Brückenpfeiler fest genug eingerammt wurden und das Tragwerk solid ist. – Krieg und Handel wirken also beide im Sinne der Ausbreitung. Beide bedürfen der »Heerstraße« wie der Flotte; beide machen ein geordnetes Nachrichtenwesen notwendig. Die schriftliche Mitteilung (und als Zwischenglied die Bestellung mündlicher Botschaften) neben und anstatt der mündlichen (die ja erst in aller jüngster Zeit sich künstliche Stimmmittel von einiger Wirksamkeit geschaffen hat), macht sich überall notwendig, wo Geschäfte zu erledigen sind, die sich über den Raum hin ausbreiten, und das sind vorzugsweise Staatsgeschäfte, – die sich immer in erster Linie auf Kriegswesen beziehen – und Handelsgeschäfte. Beide Arten haben Zentrum und Peripherie, diese aber müssen in Korrespondenz miteinander stehen, um zu kooperieren. Befehle und Aufträge vom Zentrum nach der Peripherie, Berichte und Antworten auf Erkundigungen in umgekehrter Richtung, bezeichnen diesen schriftlichen Ver[22]kehr. Der Fortschritt ist hier vom gelegentlichen Botendienst eines Beauftragten zum gewerbsmäßigen Botendienst für jedermann, vom zersplitterten Kleinbetrieb solcher Botendienste zum zentralisierten Großbetrieb, von der Funktion auf individuelle Bestellung zur generellen, der Nachfrage zuvorkommenden, sie anregenden Funktion, von extensivem zu in-

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modus vivendi – [Lat.] svw. Art zu leben.

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tensivem Angebot3. Zugleich ist dies Gebiet, wie das Kriegswesen selber, frühzeitig durch den Staat, d. h. durch den Inhaber der souveränen Zentralgewalt, mit Beschlag belegt worden – offenbar seinem Ursprunge gemäß, da das Staatsbedürfnis zuerst eine regelmäßige Verbindung zwischen den Hauptstädten, zumal innerhalb eines weiten Reiches erforderte – und das Muster eines, zunächst  fiskalischen, mehr und mehr aber sozialen Zwecken dienenden öffentlichen Betriebes geworden. »Der Volkswohlfahrt zu dienen bestimmt, kann die Post in der Wahl ihrer Betriebsstufen nicht willkürlich verfahren, sie ist vielmehr von dem allgemeinen Kulturzustande im wesentlichen abhängig, und muß ihre Betriebsformen dem aus diesem Zustande sich ergebenden Verkehrsbedürfnis anpassen.« Im Vergleiche mit der Briefpost ist die Beförderung von Personen und Stückgütern immer ein Nebenzweig der postalischen Aufgaben gewesen, der auch dem privaten Mitbewerbe nicht entzogen werden konnte – am allerwenigsten auf den Wasserstraßen! – und im 19. Jahrhundert dem übermächtigen Mitbewerbe der Eisenbahnen, (die zunächst überwiegend als Privatunternehmungen auftreten), so gut wie erlegen ist. Auch ist es hier wieder das Privatinteresse – vorzüglich das des Handels und der sich ihm anfügenden Großindustrie – das die entscheidenden Anstöße gibt. Während für die Beförderung von Briefen der sichere, Geheimnis wahrende, regelmäßige Dienst als eminente Staatsangelegenheit sich geltend machte, so richtet sich das gesellschaftliche Streben wieder vorzugsweise auf die Beschleunigung des Verkehrs von Menschen und Gütern. Auf den ersten Blick möchte man den Unterschied im Verkehr von Menschen und Gütern dahin bestimmen: die Menschen befördern sich selbst, die Güter werden (von Menschen) befördert. Zwar gibt es auch sehr wichtige Güter, die mit der Fähigkeit begabt sind, sich selbst von Ort zu Ort zu bewegen; aber die Rinder und Schweine gehen eben nicht freiwillig dahin wohin wir wollen, daß sie gehen, sie besteigen auch nicht aus eigenem Antrieb das Dampfschiff oder die Eisenbahnwagen. Wir müssen sie »treiben«, wenn sie gehen, sie »verladen«, wenn sie fahren sollen. Dennoch ist jener Unterschied nicht durchaus stichhaltig. Auch die Menschen befördern nicht immer sich selbst; auch wenn sie nicht [23] zum Betreten eines Wagens oder eines Schiffes gezwungen werden, 3

Nach Huber, Die geschichtliche Entwicklung des modernen Verkehrs, Tübingen 1893, passim.

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»Der Volkswohlfahrt … Verkehrsbedürfnis anpassen.« – Fischer 1893: 183. (die zunächst überwiegend als Privatunternehmungen auftreten) – In A ohne Klammer.

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so sind sie doch nicht selten unter der Nötigung eines fremden Willens, der sie von Ort zu Ort bringt. Am auffallendsten ist in dieser Hinsicht der Transport von Gefangenen; oft ist hier auch äußerlich der Mensch gebunden: sei es, daß der Transporteur ihn an der Handschelle festhält, sei es, daß je zwei und zwei aneinander gefesselt einher gehen; oft aber bezeichnet nur das geladene Gewehr des Begleiters die Drohung unmittelbarer Gewalt, vor der das eigene Wollen sich ohnmächtig fühlt. Im großen geschieht der zwangsweise Transport von Verbrechern in Gestalt von Strafkolonisation und Deportation. – Ein harmloser Transport von Menschen ist das »Mitnehmen«, wenn bei Wanderungen, auf Reisen und Umzügen, Kinder und Dienstboten als Gefolge mitgehen; es geschieht nicht kraft ihres eigenen Willens, aber doch mehr mit demselben als gegen ihn. Aber von allgemeiner Bedeutung als Beförderung von Menschen die unter fremdem Willen stehen, ist auch in dieser Beziehung das Heerwesen. Die Truppentransporte spielen in ihm keine geringe Rolle, zumal im Kriege; der sie bewegende Motor ist das Kommando. Auch wo es nicht unmittelbar auf ganze Massen wirkt, untersteht ihm doch der Einzelne. Der Offizier wird »abkommandiert«, ein ganzes Regiment wird von einer Garnison in die andere »verlegt«. Und wie die gesamte Verwaltung nach dem Vorbilde des Heerwesens sich richtet, so wird auch der Beamte »versetzt«; er befördert sich dann mit seinem eigenen Willen nach einem anderen Wohnort, aber keineswegs immer gemäß seinem eigenen Willen, ja oft gegen seine lebhaftesten Wünsche, zumal wenn es eine »Strafversetzung« ist. – Im diplomatischen Dienste kann die Versetzung von einem Ende der bewohnten Erde ans andere gehen. Aber auch ohne Zwang oder auch nur Druck auszuüben, kann der Staat durch kolonisatorische Tätigkeit (abgesehen von dem erwähnten Falle der Strafkolonien) Menschen transportieren; sei es, daß er seine eigenen Bürger in fremden Gebieten, über die ihm die Obergewalt zusteht, oder, daß er Fremde bei sich ansiedelt oder doch ihre Einwanderung begünstigt. Wenn wir nun mit allen diesen Fällen den gesellschaftlichen Verkehr, wie er in »Handel und Wandel« stattfindet, vergleichen, so sind wir geneigt zu denken, daß hier sich die Menschen durchaus frei, »auf eigene Faust« bewegen. Indessen ist dies doch keineswegs allgemein der Fall. Bekanntlich spielt auch der Verkehr mit Menschen als Waren in älteren Kulturtypen eine nicht geringe Rolle: Sklaven werden als Handelsartikel transportiert. Noch heute ist diese Art des Verkehrs keineswegs ausgestorben, und es kommen neue Formen auf, die sich ihr wenigstens 32

»Handel und Wandel« – Dies ein Buchtitel von Friedrich Wilhelm Hackländer (1850).

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nähern. Von dieser Art ist alle Beförderung von Arbeitskräften durch Agenten und Vermittler, die ein Geschäft damit machen, daß sie [24] Leute »liefern«, welche Lieferung dem Sklavenhandel um so mehr ähnlich wird, wenn es sich um Gesindekontrakte handelt und wenn der Kontraktbruch kriminell bestraft wird; vollends wenn bestimmte, jahrelange Aufenthaltsbeschränkungen daran geknüpft werden, wie es neulich bei den in Transvaal eingeführten Kulis der Fall war. – Andre Arten des Menschenhandels sind zwar strafbar, werden aber dennoch unter allerhand Vermummungen »schwunghaft« betrieben; so die »Traite«, der scheußliche Mädchenhandel, zu dessen Unterdrückung schon viele vergebliche Anstrengungen gemacht worden sind. Von der »kasernierten« Prostitution, die so lebhaft von Ärzten, Hygienikern, Juristen befürwortet wird, ist sie untrennbar: ganz aus freien Stücken unterstellen sich ihr die Mädchen nicht in der nötigen Menge; dies könnte nur durch drakonische Strenge gegen die »freie« Prostitution erreicht werden, die wiederum nur möglich ist, indem der Polizei Machtbefugnisse gegeben werden, die nur unsittliche Folgen haben können; der Widerspruch, der zwischen der Macht und dem sittlichen Wert der polizeilichen Beamtenschaft besteht, ist ohnehin schon groß genug. Bei alledem wird man sagen dürfen: das Natürliche setzt sich in der Kulturentwicklung auch als das Regelmäßige durch – daß nämlich Personen sich selbst transportieren, während Sachen transportiert werden. Und dieser passive Transport von Sachen geschieht wiederum – abgesehen von den Sachen, die der Einzelne auf Reisen, bei Umzügen usw. mit sich führt – teils von den großen sozialen Mächten, vorzugsweise also vom Staate aus, und ganz besonders zu militärischen Zwecken, worin er die Hauptsphäre seiner Tätigkeit hat, teils von der Gesellschaft aus, von Kaufleuten, Fabrikanten, Landwirten zum Zwecke des Austausches. An Bedeutung ist auch der erstere groß, aber der Masse nach überwiegt bei weitem der Waren- und davon untrennbare Geldtransport. Wie die Gesellschaft innerhalb des Staates steht, als seinen gesetzlichen Ver- und Geboten unterworfen, so steht der Staat innerhalb der Gesellschaft, als Käufer und Verkäufer, als den Gesetzen der Wertschaffung und Preisbildung unterworfen. Und welche unermeßliche Ausdehnung die Transporte von Sachen in neueren Zeiten angenommen haben, braucht hier nur  7  7

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wie es neulich bei – A: Wie es jetzt bei. in Transvaal eingeführten Kulis – 1900 annektierte Großbritannien nach dem 2. Burenkrieg die vorher von Buren beherrschte Republik Transvaal. Vor allem zur Arbeit in den Goldminen wurden chinesische Tagelöhner (Kulis oder englisch coolies) in das Land verbracht. »Traite« – [Frz.] eigentlich svw. Handel, hier Menschenhandel.

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angedeutet zu werden, da eine statistische Darstellung über das Bereich dieser Skizze hinausgehen würde.

d) Das Vagieren Das Vagieren oder die unstäte, umherschweifende Lebensweise wird von altersher als die ursprüngliche Art des menschlichen Zustandes betrachtet, und wenn man, nach dem Schema, das seinem wesentlichen [25] Inhalte nach schon von dem alten Römer Varro überliefert, im 18. Jahrhundert von neuem ausgebildet wurde, Jäger (nebst Fischern), Nomaden und Ackerbauer als die 3 Typen darstellt, die zugleich eine Stufenleiter menschlicher Kulturentwicklung bezeichnen, so gehören doch die beiden ersten zusammen als die nicht seßhaften Arten des Nahrungserwerbes, von denen der Ackerbau als die seßhafte Art sich abhebt. Die Nomadenvölker bezeichnen den Übergang, sie besitzen gezähmte Tiere, während der Jäger als der eigentliche »Wilde« Tiere nur als Beute kennt; jene, die Viehzüchter, schlagen wenigstens zeitweilig ihre Zelte auf, während der Jäger nur in Höhlen sein Obdach sucht und sonst als Sohn der Natur im Walde haust. So ist die noch heute überwiegende Vorstellung; aber die beobachteten Tatsachen weichen so weit davon ab, daß unter den Neueren manche sich dahin aussprechen, das ganze Schema fallen zu lassen. Man findet, daß es sehr rohe und doch seßhafte Völker gibt; daß ein Jägerleben mit  festen Wohnsitzen sich ganz gut verträgt; daß auch eine gewisse einfache Art, die Erde zu bearbeiten und Nahrung gebende Pflanzen darin zu pflegen oder wenigstens zu schonen, zu den ältesten Künsten der Menschen zu gehören scheint; der treffliche Ethnologe Eduard Hahn hat darauf hingewiesen, daß noch heute der »Hackbau«, d. i. ein Ackerbau ohne Tiere und Pflug, eine ebenso große Fläche auf der Erde einnimmt, wie der eigentliche Ackerbau; er hat in geistvoller Weise die Ansicht begründet, daß die Nomadenkultur niemals ganz selbständig vorkomme, sondern nur an den Rändern der Ackerkultur, daß sie mithin keine Zwischenstufe darstellen könne, sondern gleichsam  3

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d) Das Vagieren – Der Text erscheint zuerst in der Zeitschrift »Illustrierter Anzeiger für Kontor und Büro. Eine Monatsschrift für den deutschen Kaufmann« (2.1906: 99–103, Tönnies 1906c, im Folgenden A) – A: Das Vagieren. Soziologische Skizze – Am Ende des Textes gezeichnet »Prof. Ferdinand Tönnies«. – Der Text ist in der Antiqua gesetzt. Eduard Hahn – Tönnies referiert nach Schmoller 1900: 195. – Dieser bezieht sich auf Hahn 1896, vgl. auch ders. o. J. [1897].

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ein Nebenprodukt, wenn auch ein solches von höchst bedeutenden Wirkungen. Diese Ansicht hat ihren einflußreichsten Anhänger gewonnen in dem berühmten Schulhaupte, dem Wirtschaftshistoriker G. Schmoller, der in seinem »Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre« (1901) sich dahin ausspricht, sie gebe eine sehr wahrscheinliche Erklärung, die der alten Annahme, daß die Viehzucht der Jagd, der Ackerbau der Viehzucht geschichtlich und ursächlich gefolgt sei, ganz  fehle. »Jäger sind nirgends Viehzüchter geworden, wohl aber haben afrikanische und amerikanische Hackbauern die Haltung des Rindviehs und anderer Tiere in historischer Zeit erlernt. Der Übergang der indogermanischen Völker, die halb Hirten, halb Ackerbauer waren, nach ihrer Wanderzeit zum seßhaften Ackerbau, beweist nicht, daß der wirkliche Nomade den Ackerbau mit Rindvieh und Pflug begründete. Die uns heute bekannten eigentlichen Nomaden, welche in ganz anderer Weise Wandervölker sind als die Indogermanen, die mongolischen Zentralasiaten, haben nur ausnahmsweise Rindvieh, mit dem gar nicht so zu wandern ist wie mit Ziegen und Schafen, den ältesten Nomadentieren, und mit Pferden, Eseln, Maul[26]tieren und Kamelen, welche für die späteren Nomaden die wichtigsten Last- und Herdentiere wurden.« (S. 196/7.) Wenn diese Vorstellung richtig ist, so wird doch der Kern der alten Anschauung nicht davon berührt, daß nämlich Kultur mit dem Wohnen und Sitzen innig zusammenhängt, wie die Wildheit mit dem Schweifen, und daß also ein allmählicher, wenn auch unterbrochener Fortschritt von dieser zu jener höheren Art des menschlichen Zusammenlebens stattgefunden hat. Es scheint aber, daß wir eine Art Wechsel und Rhythmus zwischen beiden Arten annehmen müssen, so daß aus einer erreichten Kulturstufe neue Arten der Unstätheit hervorgehen. Dabei sind dann die Begriffe von Wohnen und Ackerbau, von Vagieren und Hirtenleben, die wir regelmäßig verbunden denken, je voneinander getrennt zu halten. Innerhalb einer Ackerbaukultur bezeichnet das städtische Wohnen einerseits eine Befestigung der Seßhaftigkeit und Zunahme des häuslichen Lebens, anderseits aber die Lösung vom Gewinnen des täglichen Brotes aus der mütterlichen Erde. Aus dem Markte statt aus dem Acker wird es genommen. Und eben dadurch beginnt hier sogleich eine neue Art der Unstätheit, die im wesentlichen bedingt ist durch das Suchen des Absatzes für die eigene Ware, durch die Jagd auf den Taler. Mit dem Lose des ursprünglich Besitzlosen oder Armen berührt sich hier das des Städters, auch wenn er Haus und Herd, Geld und Gut besitzt. Jener ist zumeist

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»Grundriß der allgemeinen Volkswirtschaftslehre« – Recte: Schmoller 1900. anderseits – A: andererseits.

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als Landfremder darauf angewiesen und dazu genötigt, umherzuziehen, dieser tut es um mehr zu erwerben, um Schätze zu häufen, Kapital zu bilden. Jene tauchen vielfach auf als Splitter des Nomadentums und seiner Künste – der wandernde Spielmann und Tausendkünstler, Typus: Zigeuner, – diese beruhen zumeist in altem Städtewesen und tragen Reste des darin aufgesammelten Geldreichtums in den Bodenreichtum einer jungen Ackerkultur hinüber; ergießen sich als Händler, Vermittler, Wechsler übers Land, auch als Begleiter von Kolonisatoren, Typus: der ewige Jude. Auf den Jahrmärkten und Messen treffen der Händler und der Gaukler, der Karawanenführer und der Spielmann zusammen – fahrende Leute, die der Einheimische, Seßhafte mit Neugier, Bewunderung und Mißtrauen betrachtet. Aber auch ohne Marktfreiheit und Marktsatzung bieten dem »Artisten« die Straßen und Plätze der Dörfer und Städte Gelegenheiten, Schau- und Hörlustige an sich zu ziehen, während der Händler in die Häuser gehen, »hausieren« muß, um seine Waren zu empfehlen und die Käufer zu überreden. Nun geht durch die ganze Kulturgeschichte eine Wechselwirkung und Gegensätzlichkeit der festeren und der beweglichen, der seßhafteren und der unstäteren Elemente hindurch. Die Städter sind beweglicher als die Landleute, wenn auch vielfach dem Landmann, besonders dem Vieh[27] züchter, noch ein Stück Nomadentum anhaftet, dem gegenüber dann umgekehrt der Städter der Seßhaftere ist, wie oben bemerkt; die Bewohner der Küsten und Stromufer, aber auch die Anwohner der Landstraßen sind beweglicher als die des Binnenlandes und entlegener Gebirge; die Männer sind beweglicher als die Frauen, die Erwachsenen als die Kinder; aber die Jugend, zumal junge Männer, mehr als die Alten. Die Besitzlosen mehr als die Besitzenden, insbesondere ist der Grundbesitz, auch schon der bloße Hausbesitz Fessel des Fußes; aber in anderer Hinsicht ist wieder der Reiche, weil er über die Mittel der Umsiedelung verfügt, beweglicher als der Arme, der »nicht fort kann«, der beruflose »unabhängige« Mann als der durch Berufstätigkeit an den Ort, wo sie ihm bezahlt wird, Gebundene. Alle Unstätheit und Beweglichkeit enthält aber die Anfänge, Annäherungen, Tendenzen des Vagierens in sich, die in einzelnen Erscheinungen zutage treten, in Massenerscheinungen fast nur, wenn Not und Mangel dahin wirken. Als Lebensweise ganzer Familien ist das Umherschweifen teilweise ein Rest alter Zustände in dörflicher und städtischer Kultur,

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Typus: der ewige Jude – Aus alten Volkserzählungen stammende Figur des heimatlosen Wanderers. Stück Nomadentum anhaftet – A: Stück Nomadentums anhaftet.

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es hat vermutlich noch in den letztvergangenen Jahrhunderten einen erheblich größeren Spielraum, an der Gesamtbevölkerung gemessen, behauptet, als es heute der Fall ist. Es war der Orient in Europa, der Jahrhunderte lang, teils geduldet und beschützt, teils verfolgt und verabscheut, ein Sonderdasein führte, das sich zum Teil auch in dieser unstäten Lebensweise ausdrückte. Mehr und mehr aber ist er, mit der Zunahme des allgemeinen Verkehres und der allgemeinen Beweglichkeit, mit der Verminderung also des Unterschiedes von seßhaft-heimischem und vagierend-fremdem Wesen, in das allgemeine Leben aufgenommen worden. Zwar gibt es noch immer die aus Indien stammenden Volksbrocken der Zigeuner, die heimatlos durch alle Länder ziehen, aber sie dürften noch im Laufe des letzten Jahrhunderts sich stark vermindert haben: teils indem sie angesiedelt wurden und mit einheimischen Volksteilen verschmolzen sind, teils durch Aussterben. Aus Mischungen mit Zigeunern sind vielfach andere Familien – Halbzigeuner könnte man sie nennen – hervorgegangen, die zwar einen wenigstens nominellen und gesetzlichen Wohnsitz haben, aber doch fast ausschließlich ein schweifendes Leben  führen. Noch heute, wie vor 1000 Jahren, spielt das im Umherziehen betriebene Gewerbe, vorzüglich alle Arten kunsthafter Tätigkeiten, seine große soziale Rolle. Dazu gehören alle Betriebe, die nur zeitweilig an einzelnen Orten ein Publikum gewinnen können, weil ein zahlungsfähiges Bedürfnis nur in geringem Maße vorhanden ist. Je volkreicher aber ein Platz, desto stärker wird dies Bedürfnis, teils durch den natürlichen Wechsel, teils durch gleichzeitige Vermehrung des Wohlstandes [28] zumal des flüssigen Geldreichtums, teils durch die Frequenz von Fremden, daher in der Großstadt der stehende Zirkus und das stehende Theater; indessen bleibt für die Personen, die Künstler, trotz der vermehrten Seßhaftigkeit – die auch durch einzelne machtvolle Menschen, wie Fürsten, die ihre Hoftheater unterhalten, herbeigeführt werden kann – an dem Berufe selber etwas Unstätes haften; geordnete, dauerhafte Familienverhältnisse bleiben selten – wieweit die Ursache davon in der Abstammung und angeborenen Art dieser Personen, wieweit in den Eigenheiten, den Versuchungen, dem leichten luftigen Wesen ihrer Berufstätigkeit gelegen sei, ist eine Frage, über deren Lösung nur ganz unsichere Vermutungen möglich sind; daß beide Faktoren zusammenwirken, muß für sehr wahrscheinlich gehalten werden. Es kommt hinzu, daß gerade die Großstadt in dieser wie in jeder Hinsicht auflösend, individualisierend wirkt, und dem Familienleben nicht günstig ist. Die Unruhe und Flüchtigkeit des ganzen Getriebes macht auch die Wohnung leicht zu einem ungemütlichen Orte des Aufenthaltes, oft genug zu einer bloßen Schlafstelle; Beschränkung auf kargen Raum ist für die

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große Menge, beinahe für alle, ökonomisch geboten, sie ist nicht mehr ein Besitz, mit dem die Seele verwächst, an den die Gewohnheit das Herz bindet, sondern eine fremde, geliehene Ware, deren häufiger Wechsel schon vor 30 Jahren den Statistiker Schwabe von dem »Nomadentum« in der Berliner Bevölkerung sprechen ließ; mit einiger Übertreibung schildert er »das Umziehen, jene schreckliche Quartalswanderung, bei der sich das Hab und Gut von durchschnittlich 20 000 (heute weit mehr als der doppelten Zahl) Berliner Familien auf dem Möbelwagen herumtreibt, mit allen jenen Schrecknissen von verschabten und beschädigten Wandflächen, die man verläßt und die man vorfindet, von abgestoßenen Möbelfüßen, schadhaften Haushaltungsgegenständen, von tagelanger chaotischer Wirtschaft, gegen welche ein wandernder Zigeunerhaushalt ein Muster von Ordnung und Behaglichkeit genannt werden kann.« (Berliner Statistisches Jahrbuch, 1. Jahrgang, Berlin 1874.) – Die Zigeuner haben keinen Ausdruck für Wohnen in ihrer Sprache, wie sie die Verbalform der Zukunft nicht kennen. Etwas von dieser Heimatlosigkeit haben das Leben auf der Landstraße und das Leben in den Großstädten miteinander gemein. Natürlicher und angenehmer als für Familien ist beides für einzelnlebende, ledige Personen. In unserer Volkssprache heißt »Wohnen« noch oft soviel als »sich verheiratet haben«. Der Handwerker »setzt sich« als Meister. Der Geselle zieht von Ort zu Ort. Sein Wandern gehörte ehemals zur Sitte des Zunftwesens, den Lehrjahren folgten die Wanderjahre, der »Losgesprochene« sollte sich in der Fremde umtun, die Weise [29] seiner Kunst, wie sie in fernen Städten, in anderen fernen Ländern geübt wurde, kennen lernen und üben, in die Geheimnisse eindringen; er sollte auch Gelegenheit haben, wenn etwa daheim das »Amt übersetzt« war, draußen sich niederzulassen, wie es so oft mit Freien einer Meistertochter oder -Witwe geschah. Durch die Verbindung, die das gleiche Handwerk über ein ganzes Land hin – besonders im alten römischen Reiche deutscher Nation – zusammenhielt, hatte dies Wandern einen soliden Charakter. »In der Fremde befand der Geselle sich niemals. Denn wo er auch weilte, immer gehörte er einem Verbande an, der sich das weitere bessere Fortkommen seiner Glieder angelegen sein ließ.« (Mascher, Das deutsche Gewerbewesen. Potsdam 1866, S. 276.) So ist denn auch 13

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»das Umziehen… Behaglichkeit genannt werden kann.« – Schwabe 1874: 32, unbedeutende Abweichungen. – Die Anmerkung in der Klammer von Tönnies. – Die Zeitschrift heißt: Berliner Städtisches Jahrbuch für Volkswirthschaft und Statistik. – Falsch zitiert ist hier und in A: »auf dem Möbelwagen umhertreibt«: korrigiert nach dem Original in »… herumtreibt«. einzelnlebende – A: einzellebende. »In der Fremde … angelegen sein ließ.« – Mascher 1866: 276 – »In der Fremde befand er sich …«.

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das soziale Übel des Vagantenwesens als eine Massenerscheinung nicht eigentlich von den Handwerksgesellen ausgegangen, sondern von einer weit höheren Schicht, die über die Christenheit hin eine internationale Gilde darstellte, nämlich vom Priesterstand. Das »gelehrte Proletariat« ist eine alte soziale Schicht. Vom 12. Jahrhundert ab fand, besonders in Paris und an den oberitalienischen Universitäten, eine Überproduktion von Scholaren statt, die nicht alle in Pfründen, Hauslehrerstellen usw. unterkommen konnten, so daß die ärmeren unbeschäftigten als »fahrende Schüler« sich übers Land ergossen und namentlich seit der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts, »in Frankreich, England und Deutschland singend und dichtend, um sich dadurch zu ernähren, an den Höfen der Bischöfe und Äbte herumzogen«. (Nic. Spiegel, Vaganten und Bacchanten. Augsburg 1888, S.  14.) Vom Singen und Dichten aber war nur ein Schritt zum Wahrsagen, Teufelbeschwören und Zaubern als Künsten, die bei der Ausbreitung des Aberglaubens immer in Ansehen stehen mußten. Das moderne Vagabundentum hat sich aber vom Ausgange des »Mittelalters« her vorzugsweise aus entlassenen oder desertierten Soldaten, den Landsknechten und ihren Nachfolgern rekrutiert, die verwildert, zu ordentlicher Hantierung unwillig oder untüchtig, den Hauptbestandteil der »Landplage« ausmachten, die durch unzählige Edikte und Verordnungen bekämpft, unter harte, ja grausame Strafen gestellt, doch niemals auszurotten war, solange die Ursachen sich immer erneuerten. Mit dem Verfalle des Handwerks und seiner Sitten im 17. und 18. Jahrhundert, ist dann immer öfter auch aus dem wandernden Gesellen ein »Stromer« und aus dem sich ehrlich durch »Ansprechen des Handwerks« durchfechtenden Burschen ein von der Polizei verfolgter allgemeiner Landstreicher und Bettler geworden. Indem aber dann im 19. Jahrhundert, zumal in dessen zweiter Hälfte, der Handwerksgeselle mehr und mehr zum Fabrikarbeiter geworden und die relative Bedeutung des selbständigen Handwerks immer geringer geworden ist, hat auch die alte Wanderschaft teils [30] ihren Charakter verloren, indem sie als Spezialität wohlhabender Meistersöhne in den wenigen, noch blühenden, aber mehr der kapitalistischen Unternehmung sich nähernden Gewerbszweigen in der Form eines gebildeten »Reisens« fortlebt, teils ist sie, von der Sitte gelöst, mehr zufällig, unfreiwillig von den Stößen der wirtschaftlichen Konjunktur abhängig geworden und ins Vagabundentum übergegangen. Die heutigen »Ritter der Landstraße« gruppieren sich um einen festen Bestand von Bummlern; das sind durch Not, Krankheit, Alkohol und Laster völlig herabgekommene, oft auch an angeborenem Schwachsinn oder anderen Gebrechen leidende, zur Arbeit teils unbrauchbare, teils

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unwillige, durch vielfache (zumeist kleine) Freiheitsstrafen hindurchgegangene, zum Teil schon gealterte Individuen, in der Regel fern von ihren Angehörigen und ohne alle Verbindungen mit ihnen, meistens ledig, und nie verheiratet gewesen, zum Teil aber auch Witwer, geschiedene Männer und solche, die ihre Familien verlassen haben … aber zu diesen kommen stoßweise und sinken zu einem Teil in diese tiefere Schicht hinab, mit jeder wirtschaftlichen Krisis, sodann durch Streiks, Aussperrungen, Konkurse und andere Katastrophen des wirtschaftlichen Lebens, ein Heer von Ab- und Ausgestoßenen, auf die Straße »Geworfenen«, Arbeit suchenden, teilweise, zumal bei Besserung des allgemeinen oder speziellen Zustandes  findenden, sonst aber auf Bettelei angewiesenen, und »im Betretungsfalle« dafür bestraften, unglücklichen Opfern des kolossalen wirtschaftlichen Prozesses unserer Zeit – die Arbeitslosen. Neben gelernten Handwerkern stellt der allgemeine »Arbeiter«, der zum guten Teil aus dem ländlichen Proletariat hervorgeht, das größte Kontingent zu diesem Heere der »Kunden«. Aber auch die stellenlosen Kommis, Schreiber, Musiker, Schauspieler, dazu verbummelte Studenten, Künstler aller Art sind Genossen dieses wilden Heeres. Uralt sind die Beziehungen und Zusammenhänge zwischen Vagantentum und Verbrechertum. Unser Strafgesetzbuch macht es zu einer strafbaren Handlung, daß man »als Landstreicher umherzieht«, es ist eine »Übertretung«, die »mit Haft bestraft« wird; eine andere strafbare Handlung ist fast notwendigerweise damit verbunden: das Betteln, und eine dritte wird wenigstens sehr leicht im Zusammenhang mit dieser Lebensweise »begangen«, von der es etwas schwer ist vorzustellen, wie sie zu einer »Handlung« gestempelt werden konnte: die »qualifizierte Obdachlosigkeit«, als Unterlassung der Pflicht aufgefaßt, »nach Verlust seines bisherigen Unterkommens, binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich ein anderweitiges Unterkommen zu verschaffen«, wenn der Schuldige auch nicht »nachweisen kann, daß er solches der von ihm angewandten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht

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(zumeist kleine) – Fehlt in A. in der Regel fern – A: zumeist fern. Männer und solche – A: Männer oder solche. zu einem Teil in diese – A: zu einem Teile in diese. Kommis – kaufmännischer Angestellter. Studenten, Künstler – A: Studenten, Literaten, Künstler. »als Landstreicher umherzieht« – § 361, Gesetz, betreffend die Redaktion des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15.5.1871; RGBl 1871: 127.

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[31] habe« – es sollte lieber heißen: daß er seiner völligen Mittellosigkeit ungeachtet nicht in der Lage war, in einem Hotel abzusteigen. Viele Tausende werden alljährlich bestraft, weil sie diese schwere Schuld auf sich geladen haben; aber es ist eine tröstliche Betrachtung, daß diese Zahlen, die mit jeder wirtschaftlichen Krise anschwellen, im ganzen doch während der letzten Jahrzehnte im Deutschen Reiche bedeutend abgenommen haben, nicht nur auf die Bevölkerung berechnet (relativ), sondern sogar absolut; Anklagesachen wegen Übertretungen überhaupt (worunter die oben genannten weitaus die größte Masse ausmachen), wurden in erster Instanz anhängig bei den Schöffengerichten im Deutschen Reiche im Durchschnitt der Jahre 1881/85 noch 267  163, diese Zahl war im Durchschnitt 1896/1900 gesunken auf 221  693, hat sich dann 1902 wieder erhoben auf 243  686, um im letzten Beobachtungsjahre 1903 wieder auf 235 876 zu fallen. Zu einem Teile – aber doch zum kleineren Teile – erklärt sich dies daraus, daß der Vagabund jetzt öfter als ehemals wegen schwererer und eigentlicher Vergehen und Verbrechen in Strafe genommen wird. Freilich sind auch seine Diebstähle meistens von harmloserer und gelegentlicherer Art als die des eigentlichen Diebes; es sind Pfuschereien, die dieser verachtet: so die Mitnahme des bekannten Paares Stiefel oder des Regenschirmes; aber wenn einer mehrfach dieser Übeltat überführt wurde, so ist er für das Gericht doch ein »wiederholt rückfälliger Dieb« und wird als solcher schwer bestraft. Die öffentliche Sicherheit wird aber viel schwerer belastet durch die Beteiligung der Landstreicher an den Verbrechen und Vergehen, die speziell als solche »gegen die Sittlichkeit« bezeichnet werden – Schändlichkeiten, die oft so beschaffen sind, daß man die Schuldigen ohne weiteres als Irrsinnige behandeln und bis auf nachgewiesene Besserung in Verwahrung nehmen sollte; bekanntlich werden sie ebensowohl von Männern der höchsten wie dieser tiefsten sozialen Klasse begangen. – Der eigentliche Gauner, d.  i. der gewerbsmäßige Dieb, Räuber, Betrüger stand ehemals in viel näheren Beziehungen zum Vagabundentum – wenn er gleich immer sich stolz über den Bettler erhob –, als es in jüngerer Zeit der Fall ist; er hat sein Gewerbe, wie es manchem früheren Wandergewerbe geschehen ist, mehr in den Großstädten »fixiert«. Dennoch gibt es auch heute noch

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»nach Verlust seines bisherigen Unterkommens … nicht vermocht habe« – Ebd.: »Mit Haft wird bestraft … 8. wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich kein anderweitiges Unterkommen verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, daß er solches der von ihm angewandten Bemühungen ungeachtet nicht vermocht habe.«. weitaus die größte Masse – A: bei weitem die grösste Masse.

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sehr viele unstäte Elemente unter ihnen, auch solche, für die der häufige Wechsel ihres Aufenthaltsortes und das fortwährende Wohnen in Gasthöfen Bedingung ihres unehrlichen Erwerbes ist: so die nicht ganz kleine Schar der Hochstapler, die gewerbsmäßigen Spieler und Buchmacher, die Hoteldiebe usw. Diese  feinen Herren sehen  freilich nicht aus wie Vagabunden: sie fahren nicht selten erster Klasse in D-Zügen und tragen Cylinderhüte. Sehr beliebt ist auch unter den modern[32]sten Dieben die Lokomotion mit den Fahrrade und neuerdings mit dem Automobil geworden; übrigens dürften manche der Tagediebe, die in den zuletzt genannten Vehikeln ihr gemeingefährliches Wesen haben, kaum wertvollere Persönlichkeiten sein als die eigentlichen Spitzbuben. Bis hierher haben wir vom Vagieren gesprochen und dabei zuerst an Familien, hauptsächlich aber dann an einzelne Männer gedacht; in der Tat ist die vagierende Frau eine viel seltenere und zugleich eine viel bedenklichere Erscheinung. Die Frau ist weit mehr auf ein seßhaftes Leben, auf das stätige Wohnen, angewiesen als der Mann. Besonders das junge Weib bedarf eines gewissen Stützpunktes, selbst wenn es frei seiner eigenen Wege geht, und wenn es noch so tief gesunken ist, durch Vagieren sinkt es noch tiefer. Venus vulgivaga nannten die Römer den Dämon der Prostitution; »fahrende Frauen« war im Mittelalter einer der Namen, mit denen die sich preisgebenden Mädchen benannt wurden. In unseren Tagen wechselt zwar die Hure auch oft ihren Wohnsitz, aber nur die allerniedrigste ist ein Gast der Landstraße und der gemeinen Herbergen, wird wegen der oben genannten Übertretungen bestraft und der Landespolizeibehörde zur »Nachhaft« überwiesen, als Korrigendin in Gewahrsam genommen. So fanden in Berlin 1902 wegen Obdachlosigkeit 3426 Verurteilungen statt gegen männliche, aber nur 180 gegen weibliche Personen, und wegen des gleichen »Deliktes« wurden 524 männliche, 32 weibliche Personen in das städtische Arbeitshaus zu Rummelsburg eingeliefert. Hingegen wegen Sittenpolizei-Kontraventionen geschahen 10 466 Verurteilungen gegen weibliche Personen (da in einem Jahre sehr viele mehr als 1 mal wegen solcher Übertretungen verurteilt werden, so ist die Zahl der verurteilten Personen viel geringer; da diese Strafen nur gegen Prostituierte, die unter sittenpolizeilicher Kontrolle stehen, ausgesprochen werden, von diesen aber auch nur sehr wenige im Laufe des Jahres einer solchen entgehen, so dürfte die Zahl danach zu bemessen

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neuerdings mit – A: neuerdings wahrscheinlich schon mit. Venus vulgivaga – [Lat.] svw. Venus vulgär. in Berlin 1902 wegen Obdachlosigkeit – Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch (1903: 542 und 550) der Stadt Berlin.

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sein; es standen aber am Jahresanfange unter dieser Kontrolle 3976, im Laufe des Jahres kamen 538 hinzu, es gingen ab einschließlich der verstorbenen 689. Es wurden 149 Prostituierte in Korrektionshaft genommen). Die ganze eigentliche Prostitution hat aber ein dem Vagabundentum nahe verwandtes Wesen. Wenn auch nicht auf der Landstraße, so ist doch die »Unglückliche«, – wie sie in England bündig genannt wird – auf der Straße »zu Hause« und zieht auch oft von Ort zu Ort, verstoßen, friedlos, heimatlos, gleich dem echten Vagabunden. Außer Polizei und Justiz ist es besonders die Armenpflege, die mit dem Vagabundenwesen zu tun hat. Die Unstätheit, die das ganze Volks[33] leben erfaßt hat, besonders nachdem die Freizügigkeit geltendes Recht geworden, reflektiert sich auch in der Tatsache, daß das Armenrecht, in Familienverbänden und in den Ortsgemeinden wurzelnd, den Begriff der Heimat nicht mehr kennt. Nach preußischem Vorgange und aus triftigen Gründen hat unsere Reichsgesetzgebung den Begriff des Unterstützungswohnsitzes an die Stelle treten lassen. Es besteht aber unter Kennern der Verhältnisse einigermaßen Übereinstimmung, daß dies Institut und namentlich das dazu gehörige des Landarmenwesens sittlich ungünstige Folgen hat. »Bei der Kürze der Frist, die zum Erwerb aber auch zum Verlust des Unterstützungswohnsitzes genügt, kann weder in dem Einzelnen ein Gefühl der Angehörigkeit an die Gemeinde entstehen, noch kann die Gemeinde auf den Einzelnen eine Einwirkung ausüben … Der Einzelne hat keine Heimat mehr, und die Gemeinde fühlt nicht mehr die Verpflichtung, ihre Bewohner in ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit zu festigen.« Loening, der diese Bedenken anführt, sucht sie freilich zu entkräften, urteilt aber desto abfälliger über das Landarmentum, das doch eine unvermeidliche Ergänzung des Systems ist; seine eigenen Reformvorschläge sind dürftig. Ein wirkliches Heilmittel gegen die Massenverarmung und damit auch gegen das Vagabundenwesen bedeuten die neuen Versicherungsgesetze, wenn auch nur ein beschränkt wirksames und ein Mittel, das kostspielig und seinerseits mit manchen üblen Nebenwirkungen behaftet ist. Wenn eine Versicherung gegen Arbeitslosigkeit durchführbar wäre, so würde diese speziell dem Landstreichen stark vorbeugen können. Schon leisten bekanntlich einige der großen Arbeiterverbindungen (Gewerkschaften usw.) in dieser Hinsicht etwas. Eine soziale Reform großen Stiles, die es vermöchte, der ganzen Volkswirtschaft größere Stabilität zu verleihen, würde auch die Volksmassen 16 25

Unterstützungswohnsitzes – Vgl. hierzu das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6.6.1870; BGBl 1870: 360. »Bei der Kürze der Frist … Selbständigkeit zu festigen.« – Loening [Löning] 1885: 886; auch 1891: 994.

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wieder seßhafter machen, ihnen eine Heimat wiedergeben, und damit das Vagieren, diese viel bejammerte Landplage, auf ein Minimum herabdrücken.

e) Die Entwicklung der Technik Vorbemerkung. Die hier mitgeteilten Ausführungen sind ein Stück aus einem größeren Entwurfe, worin ich den Gegensatz meiner Begriffe von Gemeinschaft und Gesellschaft, dem die allgemein-psychologische Antithese von Wesenwillen und Kürwillen entspricht und parallel läuft, auf die historische Entwicklung der letzten vier Jahrhunderte anzuwenden versucht habe. Wenn es mir vergönnt wäre, diesen Skizzen eine größere und vollere Gestalt zu geben, so würde ich wagen, sie auf die methodologischen [34] Normen zu beziehen und danach zu richten, die in  folgenden Sätzen enthalten sind: »Auf dem Gebiete der Wirtschafts- oder Kulturgeschichte treten einem jeden die »typischen Züge« so deutlich entgegen, daß man mindestens bei ihr unsere zweite Aufgabe [die Herausschälung des Generellen, Typischen aus den konkreten individuellen Erscheinungen, die Ableitung von Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten der Gestaltung, Wiederkehr, des Verlaufs, der Entwicklung des Typischen und Individuellen in den Erscheinungen] nicht wird abweisen können und wollen. Die individuellen Erscheinungen sind hier doch vollends nicht so qualitativ verschieden, wie eine die Differenzierung des Minderwichtigen übertreibende, das Gemeinsame in den entscheidenden Faktoren übersehende Auffassung annimmt. Das tritt aber  freilich erst deutlich hervor, wenn in umfassender und systematischer Weise Vergleichungen stattfinden. Wie die statistische Methode erst durch solche Vergleichungen wahrhaft fruchtbar wird, so auch die historische, die sich dadurch aber freilich in ihrem Wesen selbst modifiziert, indem sie planmäßig zur

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e) Die Entwicklung der Technik – Der Text erscheint zuerst in der Festschrift zum 70. Geburtstag Adolph Wagners (Festgaben für Adolph Wagner zur siebenzigsten Wiederkehr seines Geburtstages. Leipzig 1905, S. 126–148; Tönnies 1905, im Folgenden A) – A: Die Entwicklung der Technik. Soziologische Skizze – Der Text ist unter der Überschrift gezeichnet »Von Ferdinand Tönnies«. In der Antiqua gesetzt. Kürwillen – A: Willkür.

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vergleichend-historischen wird« (Grundlegung der politischen Ökonomie. Von Adolph Wagner. 3. Auflage. Erster Teil. Grundlagen der Volkswirtschaft. Erster Halbband. S. 220).

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Auf dem Gebiete der Technik tritt das Verhältnis und der Gegensatz von Herkommen und Neuerung, von Gewohnheit und Erfindung, von Gebrauch alter, bewährter Mittel und Methoden, und Aufsuchung neuer  für neue, insbesondere  für äußere Zwecke und Bestimmungen, in großen und ausgeprägten Zügen hervor. Auf der einen Seite steht das Prinzip der Kunst und des Handwerks, auf der andern das des Geschäfts und der Fabrik. Dort weit überwiegend die treue Wiederholung eines gegebenen, überlieferten Verfahrens; der Meister ist der Könnende, und  freilich auch der Wissende und Kennende, aber sein Wissen und Kennen ist im Können, das ihn eigentlich bezeichnet, enthalten, wie die Frucht in der Blüte; es scheidet sich nicht davon, erhebt sich nicht darüber als Theorie, sondern wird von der Praxis erzeugt, die es ungern aus ihrer Vormundschaft entläßt: der Künstler und Handwerker behält sein Geheimnis, die mysteries of craft, für sich, es ist sein Eigentum, das er überkommen und durch eigene Arbeit ausgebildet hat; er vererbt es weiter, indem er es mitteilt und lehrt, am liebsten an den leiblichen Sohn, aber auch an den Lehrling und Schüler, der dessen Stelle vertritt; hier ist es dann in der gesamten Lehre, deren wesentliches Hauptstück doch das Beispiel – das Vormachen – ist, enthalten, [35] und das Gesellentum, das dem Meister an die Seite tritt, kann nur erreicht werden 1. durch Aufmerksamkeit auf Beispiel und Lehre, 2. durch unablässige Übung, die eigentliche Erzeugerin des Könnens. Die Kunst und das Handwerk – das in seinen feineren Arten ununterscheidbar in die Kunst übergeht – gehen in den Pfaden der organischen Natur; an Erhaltung »geprägter Form, die lebend sich entwickelt«, ist ihnen unendlich viel mehr gelegen, als an Veränderung, im Verändern aber mehr an leiser Modifikation überlieferter Formen als an umwälzender Erfindung. Sie sind, wie  1

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»Auf dem Gebiete der … zur vergleichend-historischen wird« – Wagner 1892: 220, dort auch wörtlich der Verweis in eckigen Klammern. – Wagner setzt etwas anders an: »Auf dem Gebiete der Wirtschafts-, der Culturgeschichte …«. »geprägter Form, die lebend sich entwickelt« – Angelehnt an Goethes Gedicht »Urworte, Orphisch: Dämon«: »Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt | Geprägte Form die lebend sich entwickelt.« (Goethe 1992: 156).

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im großen und ganzen die organischen Gebilde, und wenn auch gleich diesen auf mehr oder minder vollkommene Weise, ihren Lebensbedingungen angepaßt: Können heißt dort wie hier soviel als der Art nach konstant geworden sein. Dadurch ist Neuerung im kleinen und einzelnen, Verfeinerung, Verzierung, Veredelung keineswegs ausgeschlossen, vielmehr unter günstigen Bedingungen wahrscheinlich; aber sie sind teils individuelle Variationen, denen gegenüber die Art, das Allgemeine immer wieder sich durchsetzt; teils bedeuten sie (im menschlichen Können) schon Übergänge zum andern Prinzip, wodurch der Mensch »bewußt« sich von der Natur abzuheben scheint, indem er ihrer in einem gewissen Maße »Herr wird«. Denn, je komplizierter der Arbeitsprozeß geworden, desto mehr fordert er seinen Meister auf, ihn in seine Bestandteile zu zerlegen, zu analysieren, um ihn desto besser zu beherrschen, desto rascher zum Ziele zu führen. Der Groß-Handwerksmeister führt die Unterteilung der Arbeit in seine Werkstatt ein. Sie bedeutet die Auftrennung eines verwickelten Arbeitsverfahrens in viele einfache Stücke, die je in anderen Händen nunmehr gleichzeitig, anstatt in ihrer genetischen Ordnung, angefertigt werden, so daß die Zusammensetzung der fertigen Stücke selber ein getrennter Teil des ganzen Arbeitsprozesses wird, die der Meister am ehesten sich selber vorbehält. Er bleibt der eigentliche Künstler und der verantwortliche Urheber, der »Verfasser« des Werkes; aber er braucht nicht mehr alle Stücke zu können, geschweige denn alle gleich gut zu können; bald wird er dazu nicht mehr in der Lage sein, sondern wird in der Regel in bezug auf jedes einzelne – außer dem, was er sich reserviert hat – von seinen »hundert Untermeistern«, d. h. den »in einzelnen Stücken vorzüglich geschickten« Gesellen1 übertroffen werden und gerade aus deren, vermöge unausgesetzter einseitiger Übung erworbener, spezieller Meisterschaft seinen Nutzen ziehen. Um diesen Nutzen ist es ihm nun hauptsächlich zu tun, denn er ist ein Unternehmer und Geschäftsmann geworden, [36] was der Künstler seinem Wesen nach nicht, und auch der Handwerker nicht ist, insofern als er Künstler ist, wenn auch beide es in jedem Augenblicke werden können. Wie der 1

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Nach Justus Mösers »Kurzer Geschichte von dem Ursprung der sogenannten Simplifikation« in dem Aufsatz »Von dem Verfall des Handwerks in kleinen Städten«. Patriotische Phantasien XXXII. WW. I. 264. Veredelung – A: Veredlung. »hundert Untermeistern« – »Die großen Meister genießen außer der Hülfe ihrer Gesellen den Vorteil, einige hundert solcher in einzelnen Stücken vorzüglich geschickter und ums Taglohn arbeitender Meister in ihrer Abhängigkeit zu haben …« (Möser o. J. [1774]: 156.

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Künstler seinem Wesen nach ein Könnender, darum auch Denkender, so ist der Geschäftsmann in erster Linie ein Wollender – daher das Wagen ihn ebenso bezeichnet, wie das »Wägen«; die vorsichtige, planmäßige Berechnung. Wollen in diesem Sinne ist so viel als Versuchen (conari), es ist der Anfang des Tuns, dessen Ende und Gelingen außer ihm, in seiner Wirkung, gelegen ist; Berechnen ist das dem Menschen eigentümliche, ungewisse Voraussehen zukünftiger Ereignisse, vermöge des Kausalgesetzes, m. a. W. vermöge dessen, was der Mensch weiß oder kennt in bezug auf das Verhältnis von Ursachen und Wirkungen. Nur gemäß solcher Voraussicht ist der Mensch fähig, nach zukünftigen Ereignissen sein gegenwärtiges Verhalten zu richten. Der Zweck, den er sich vorsetzt, ist je nach seinen Wünschen Verhinderung oder Bewirkung solcher Ereignisse; Voraussetzung dafür ist, daß er über die negativen oder die positiven Ursachen verfüge. Als Geschäftsmann verstehen wir hier einen Mann, der ein Werk, oder allgemein gesprochen, eine Wirkung hervorrufen »will«, die er nicht (unmittelbar) bewirken »kann«: weder allein, noch als Meister mit Gehilfen, die ganz oder zum Teil ausführen, wovon er der ideelle Urheber ist; dann würden wir immer noch sagen, daß er in bezug darauf ein Könnender sei. Er ist es nicht, entweder weil er es nicht gelernt hat, nicht die natürliche Begabung dafür und keine Übung darin hat; oder – und dies ist der wichtigere Fall –, weil die gewollte Wirkung ihrer Natur nach jenseits der Kunst und des Handwerks liegt, sei es überhaupt, oder der gewollten Art, insbesondere der Größe und der Menge nach, also in ihrer quantitativen Bestimmtheit. Er verfügt über die Mittel, d. h. hier zunächst über die unmittelbaren Ursachen der gewollten Wirkungen. Die Mittel können lauter lebendige Menschen und Tiere oder auch andere lebendige Kräfte sein: er muß sie zusammenbringen, sie hinsetzen, sie veranlassen oder wenigstens ihnen Gelegenheit geben, die von ihm gewollten Wirkungen hervorzubringen. Die Mittel können aber auch unlebendige, mechanische, sein, sei es solche Geräte, die Arbeit leisten, deren nach Art oder Menge der Mensch und das Tier überhaupt nicht fähig ist, weder vereinzelt, noch verbunden, oder aber Mechanismen, die lebendige Kräfte, das Tier oder den Menschen ersetzen, und den beiden letzteren insofern gleichkommen, als sie lebendige Kraft aus sich hervorbringen, d. h. ihnen mitgeteilte potentielle Energie in kinetische Energie verwandeln, wodurch wiederum die intelligenten Tiere – einschließlich des Menschen – den Trägern von Naturkräften,  1  4

Könnender, darum auch Denkender, so – A: Könnender so. conari – [Lat.] svw. anstrengen, bemühen, streben – Für Tönnies ist conatus ein theoretischer Zentralbegriff, den er von Spinoza übernimmt, vgl. TG 2: 231 und die editorische Fußnote dort. Vgl. auch im Editorischen Bericht ebd., 575 f.

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als beweg[37]ter Luft,  fallendem Wasser, dem chemischen Prozeß der Verbrennung, gleichartig wirken; endlich aber Mechanismen, die das Werkzeug und dessen Handhabung zugleich ersetzen, indem sie nur des Empfanges motorischer Kraft bedürfen, um solche zweckmäßig auf das in ihnen enthaltene Werkzeug zu übertragen und mit diesem zu »arbeiten«, d. h. die gewollten Wirkungen hervorzubringen. Womit dann die Möglichkeit der Vervielfältigung zugleich gegeben ist: von demselben Apparat können ebensowohl mehrere arbeitende Werkzeuge abhängen, wie eines; von derselben Triebkraft sowohl mehrere Apparate wie ein einziger. Das Prinzip der systematischen Ordnung zweckmäßig wirkender Arbeitsmittel wird ein Problem der Mechanik. Es läßt sich mit beliebig verteilbarer und zusammensetzbarer Materie in ganz anderem Umfange, wenn auch in engeren Grenzen des Bereiches, lösen, als durch Verteilung und Kombinierung »der Arbeit«, d.  h. der mit Intelligenz und eigenem Willen tätigen, eben darum so viel schwerer berechenbaren Arbeiter selber. Geschäfte im hier gedachten Sinne sind teils öffentliche, teils private. Die beiden Typen des Geschäftsmannes sind der Staatsmann und der Kaufmann. Staatsmann ist auch der Feldherr, der die »Politik mit anderen Mitteln weiterführt«. Das Mittel des (leitenden) Staatsmannes, die Destruktion des Feindes und seiner Werke, wird unmittelbarer Zweck des Feldherrn, auf den er seine Mittel beziehen, wonach er ihre Anwendung einrichten muß. Kaufmann ist auch der Fabrikant, der Arbeitskräfte und Arbeitsmittel einkauft und Arbeitsprodukte verkauft. Das Mittel des (bestellenden oder verlegenden) Kaufmanns, die Produktion von Waren, wird unmittelbarer Zweck des Fabrikanten, auf den er seine Mittel – die Arbeitskräfte und Arbeitsmittel, worüber er verfügt – ebenso anwenden muß. Näher betrachtet, führt aber die Technik der Destruktion – welche die Defensive als Verneinung der gegnerischen Destruktion in sich schließt – insofern auf die produktive Technik zurück, als jene nur die besondere Anwendung produzierter Geräte, der Waffen, ist; wie nicht minder die Technik der Produktion selber auf die Produktion der ihr dienenden Geräte, als ihrer Werkzeuge, logisch zurückführt. Für die Produktion der Geräte ist die übrige Produktion, für die gesamte Produktion die Destruktion das, was in anderem Sinne den Endzweck aller Produktion ausmacht: Konsumtion.

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»Politik mit anderen Mitteln weiterführt« – Anspielung auf den bekannten Satz Clausewitz’: »Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.« (Clausewitz 1832: 28).

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Indessen ist gerade die Kriegstechnik immer als eine vorzugsweise ihren Bedürfnissen, ihrem äußeren Zwecke rasch beweglich sich anpassende Technik mächtig vorangeschritten. Sie hat vergleichungsweise wenig mit überlieferten Formen und Methoden zu [38] kämpfen gehabt, wenigstens haben diese sich selten mit Erfolg auf das Herkommen als Grund für ihre Richtigkeit berufen dürfen, vielmehr ist der Streit immer auf dem ebenen Boden des Räsonnements, der Erörterung für und wider die Zweckmäßigkeit, geführt worden. Die Ursachen dieser Erscheinung sind leicht erkennbar. Der Kampf spannt alle Sinne und mit ihnen die Gedanken an; das Verhältnis von Zweck und Mittel ist hier einfach und durchsichtig; was seiner Natur nach Mittel ist, gewinnt daher nicht so leicht, wie in anderen Gebieten, die Natur des Selbstzwecks, dem sich ein gemüthaftes oder ästhetisches Interesse anhängt. Gefehlt hat es auch hier daran niemals; und gefehlt hat es daher auch nicht an Kollisionen zwischen solchen »Liebhabereien« und dem einfachen Gebote des Nutzens oder zu vermeidenden Schadens. Man weiß, daß (und warum) noch heute die glänzenden Montierungsstücke, die leuchtenden Pickelhauben sich erhalten, obgleich die Technik des modernen Fernkampfes überwiegende Gründe gegen sie geltend macht. Wenn aber die Theorie allein nicht hinlänglichen Einfluß hat, oder nicht hinlänglich einig ist, so redet oft ein einziges Ereignis der Praxis, ein Mißerfolg veralteter Technik und Methode, eine so gewaltige Sprache, daß die Verteidiger der Tradition rasch verstummen. So entschied Jena gegen die Lineartaktik des  friderizianischen Heeres und  führte zu einer völligen Umwälzung und Erneuerung des bis dahin höchst bewunderten preußischen Heerwesens. Scharnhorst stellte die noble ritterliche Kavallerie in den Hintergrund – den »Mörder der Kavallerie« nannte ihn ein typischer Junker, Herr von der Marwitz – und machte die prosaische wissenschaftliche Artillerie, soweit es finanziell möglich war, zur Hauptwaffe. Eine neue Art der Festungslaffette, die in Preußen erfunden, in anderen Ländern eingeführt war, gelangte erst durch ihn zur Anwendung im eigenen For-

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So entschied Jena – Schlacht am 14.10.1806 zwischen der preußischen und der von Napoleon geführten französischen Armee. »Mörder der Kavallerie« – »Es ist also unrichtig, wenn man dem General Scharnhorst die günstige Veränderung, die mit unserer Artillerie vorgegangen ist, ganz und allein zuschreiben will. | Dagegen war er, und seine Lehren fielen leider auf einen nur zu empfänglichen Boden beim König, der Mörder der Preußischen Cavallerie.« (Marwitz 1852: 302) Der erwähnte preußische König ist Friedrich Wilhelm III.

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tifikationswesen2. Königgrätz entschied einen lange schwebenden theoretischen Streit zugunsten des Hinterladers; zugleich vernichtete es die Idee der Unwiderstehlichkeit des Bajonettkampfes, den Stolz der österreichischen Armee3, ein Beispiel, wie auch in diesem Gebiete moralische Motive sich mit den ästhetischen verbinden. Allgemein kann man sagen, daß der Krieg Altes und Neues auf eine rasche und eindringliche belehrende Probe stellt. Zugleich steht dabei ein unmittelbar empfundenes Lebens-Interesse in Frage. Daher setzt sich hier gegen die Nachahmung der eigenen [39] geliebten und verehrten Vorbilder, der Vorfahren, der Nationalhelden, viel leichter als sonst die Nachahmung des Fremden, ja ganz besonders die Nachahmung des Gegners durch: daß man vom Feinde lernen könne, lernen müsse, ist eine Maxime, deren Wahrheit keinem Heerführer und keinem Waffentechniker verborgen bleiben kann. Die Niederlage  führt auch nicht leicht zu so vollkommener Erniedrigung, oder gar Vernichtung, daß nicht das geschlagene Heer versuchte, wieder emporzukommen und das Ziel der Vergeltung ins Auge  faßte. Ferner ist zu erwägen, wie der Technik die  frühe Zentralisierung des Heerwesens, also seine einheitliche Leitung zustatten kommen muß. »Das souveräne Recht des Landesherrn über das aufgestellte Kriegsheer ist nie in Frage gewesen4.« Landes- und Stadtherren (die »Tyrannen« der altgriechischen und neuitalienischen Städte) haben immer einer Leibwache bedurft; sie bildete den Kern des stehenden Heeres, auf den alsdann der  fürstliche Absolutismus sich stützte, vermöge dessen Cäsaren die höchste Gewalt ergriffen. So mußten Monarchen immer ihren eigentlichen Beruf darin erkennen, das Mittel der Streitmacht ihren politischen Zwecken dienstbar zu machen, die Anforderungen zu erkennen und zu erfüllen, die durch Stärke und Anstrengungen des Gegners oder Konkurrenten, zu Lande und zu Wasser, an den obersten Kriegsherrn gestellt werden. Kein Wunder, daß von jeher Monarchen, die Verstand und Willen besaßen, nicht allein taktischen und strategischen Fragen – die auch zur Kriegs-Technik im weiteren Sinne gehören – sondern auch speziellen Problemen der Waffentechnik, daher den damit zusammenhängenden wissenschaftlichen Problemen ihre Aufmerksamkeit zugewandt haben. 2

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Lehmann, Scharnhorst, II, S. 226 f. »Es ist hier ein starker Kampf mit dem Herkommen und dem Vorurteil unvermeidlich gewesen.« Immediatbericht Scharnhorsts vom 16. Juli 1810 das. Vgl. Friedjung, Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, I, 360 ff. Lorenz v. Stein, Die Lehre vom Heerwesen als Teil der Staatswissenschaft, S. 116.

»Es ist hier ein starker Kampf … unvermeidlich gewesen.« – Zit. bei Lehmann 1887: 227 Fn.

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Öfter und leichter noch als sie selber, führten die Sachwalter der Fürsten deren Gedanken in diese Richtung. So mußten denn Mathematik, Mechanik, Physik und Chemie an einsichtigen Fürsten und ihren Beratern immer ihre Förderer finden, wenn auch andere Interessen dabei mitspielten, so für die Chemie das Goldmachen, für die übrigen Fächer in jüngerer Zeit das Exportgewerbe und die politische Ökonomie überhaupt. Gerade die theoretische Mechanik ist ganz wesentlich durch militärische Technik entwickelt worden, und gerade sie ist als unmittelbare Anwendung der Mathematik das Musterfeld der Naturwissenschaften geworden. Man lese bei Libri5 (dem polyhistorischen Gauner), wie, zumal in Italien, schon das Mittelalter, dann aber in gewaltigem Wachstum das 16. und 17. Jahrhundert durch die fortwährend erneuerten, immer drängenden, Ehrgeiz, pekuniäres Interesse und Wißbegierde reizenden Aufgaben der [40] Fortifikationstechnik, des Brückenbaus, der Ballistik angeregt wurden. Lionardo da Vinci, das Universalgenie,  fand zuerst eine ihm angemessene Sphäre der Tätigkeit im Dienste des Herzogs Sforza von Mailand. Sehr charakteristisch ist die »Offerte«, mit der er bei diesem Fürsten sich einführte (etwa 1485). Er erklärte sich  fähig,  folgende Dinge herzustellen: 1. sehr leicht zu transportierende, schnell zu schlagende und abzuräumende Brücken; 2. Instrumente zum Ableiten des Wassers aus Festungsgräben und zur Herstellung von Fallbrücken; 3. Minenanlagen; 4. Bombarden zum Schießen von Feuerkugeln und Rauch (also Mörser); 5. Untergrabungen; 6. offensive und defensive Streitwagen, mit Artillerie ausgerüstet, hinter denen Fußvolk ohne Schaden und Hindernis avancieren kann; 7. jede Art von Geschützmaterial; 8. jede Art des alten Wurfzeugs; 9. Waffen und Instrumente für den Seekrieg, Pulver, Feuerwerk und Schiffe, welche der schwersten Artillerie widerstehen; 10. Hochbauten und Wasserbauten jeder Art6. Im Codice atlantico der Ambrosiana finden sich 1700 Entwürfe, die sich auf alle diese Probleme beziehen. In einer Pariser Handschrift legt Lionardo dar, daß die Kraft und Stärke der Artillerie um drei Viertel zugenommen 5 6

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Historie des máthématiques passim. Jähns, Geschichte der Kriegswissenschaft, I. 287 f. München u. Leipzig 1889.

Öfter und leichter noch … in diese Richtung. – Satz fehlt in A. und ihren Beratern – Fehlt in A. Libri (dem polyhistorischen Gauner) – Libri 1838–1841 – Die Anspielung bezieht sich auf Libris umfangreichen Bücherdiebstahl aus vorrevolutionären französischen Sammlungen: Libri war als deren Betreuer von der Regierung beauftragt. Geschichte der Kriegswissenschaft, I – Jähns 1889, weitere Teilbände 1890 und 1891, die Paginierung läuft durch alle drei Bände durch.

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habe, darum müsse man auch die Widerstandsfähigkeit der Mauern um drei Viertel verstärken7. Diesen Kriegskünstler wußte zuletzt – aber zu spät  für den eigenen Ruhm – König Franz I. von Frankreich  für sich zu gewinnen; Lionardo starb schon nach zwei Jahren (1519). Niccolò Tartaglia, der zuerst die überlieferte Lehre, daß ein Geschoß, aus zylindrischem Rohre geschleudert, in gerader Linie fliege (und, wenn die mitgeteilte Bewegung erschöpft sei, ebenfalls in gerader Linie zur Erde falle), bog, wenn nicht brach, stand im Dienste des Herzogs von Urbino, dem er seine La nova scientia (1537) gewidmet hat. Aber »auch bei den Deutschen machte im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts die Anwendung der Mathematik auf die Artillerie Fortschritte8.« Dem Kaiser Maximilian, dem »letzten Ritter«, werden mehrere artilleristische Erfindungen und Neuerungen zugeschrieben; sicher ist seine »emsige Beschäftigung mit dem Waffen- und Zeughauswesen«, worin ihm Karl V. nacheiferte. Die Wiener Universität, schon seit ihrer Gründung (1365) für die mathematischen Wissenschaften tätig, wurde um die Mitte des [41] 15. Jahrhunderts die »Hauptkulturstätte«  für diese Studien9; hier lehrte Peuerbach und bald sein überragender Schüler Regiomontanus. Aber der Charakter jener Zeit wird dadurch ausgedrückt, daß noch die Residenz und Hochschulstadt  fast verdunkelt wird durch eine  freie Reichsstadt: in Nürnberg fand Regiomontanus erst die ihm zusagende Muße für seine weit ausschauenden Forschungen, auf deren Wichtigkeit für die Astronomie wir noch zurückkommen. Der Nürnberger Albrecht Dürer (1471–1528) 7

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Miuntoli, Lionardo da Vinci als Kriegskünstler. Zeitschrift für Kunst usw. des Krieges. Bd. 68, 1846, nach Venturi, Essai sur les ouvrages physico-mathém. de Lionardo, p. 44. Zitat bei Jähns a. a. O., S. 436. Jähns l. c., S. 605. Gerhardt, Geschichte der Math. in Deutschland, München 1877, S. 3. 12. Vgl. Janssen, Gesch. des deutschen Volkes, I 17–18, S. 162 ff. nach Aschbach, Gesch. der Univ. Wien. Niccolò Tartaglia – Tönnies referiert § 42 aus Jähns 1889: 596 ff. Herzogs von Urbino – Francesco Maria I. della Rovere »letzten Ritter« – Vgl. Jähns’ Beschreibungen Maximilians I. als Turnierkämpfer, ebd., 373 ff. »emsige Beschäftigung mit dem Waffen- und Zeughauswesen« – Jähns, ebd., 418. Peuerbach – Satzfehler »Feuerbach« korrigiert nach A. Im Personenregister von SSK II fehlt »Feuerbach« mit Verweis auf diese Seite wie auch Peuerbach. Venturi, Essai sur les ouvrages physico-mathém. de Lionardo – Jähns zitiert Venturi nach Minutoli, Tönnies zitiert nach Jähns 1889: 436 Fn. Gerhardt, Geschichte der Math. in Deutschland – Gerhardt 1877. Janssen, Gesch. des deutschen Volkes – Janssen 1897. Gesch. der Univ. Wien – Aschbach 1865–1888.

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war auch der militärischen Kunst und Wissenschaft zugetan; sonderlich beschäftigte ihn die Defensive gegen artilleristische Wirkungen, wohl in erster Linie wegen der Türkengefahr, aber vermutlich nicht minder der zu wahrenden Freiheit seiner Stadt eingedenk. Seine Schrift, »das erste systematische Werk über Befestigungskunst unter Berücksichtigung der Feuerartillerie«10, war dem König Ferdinand von Ungarn und Böhmen (nachmaligem Kaiser Ferdinand I.) zugeeignet. Während sich hier also noch die Interessen der Reichsstädte mit denen des Kaisers begegnen11, so geht bald, mit der Entwicklung des Staates auch die Kriegstechnik auf die Territorialfürsten über; seit dem Religionskriege konnten nur diese noch – d. h. einige unter ihnen – mit den Fürsten der Nachbarländer konkurrieren. Unter den militärischen Autoren der Folgezeit treten manche jener Landesfürsten persönlich auf: so Graf Johann von Nassau, der zu den  frühesten Befürwortern allgemeiner Wehrpflicht gehörte12, so Landgraf Moritz von Hessen, der in dieser Hinsicht sogar praktische Versuche machte »auf Einführung einer volkstümlichen Miliz in die Lande des Gesamthauses Hessen« (Jähns II., S.  900); später (die Denkschrift Moritzens ist von 1600) Herzog Sylvius zu WürttembergÖls, »ein leidenschaftlicher Freund artilleristischer und pyrotechnischer Experimente, auf die er einen bedeutenden Teil seines großen Einkommens verwendete« (Jähns l. c., S.  1205), Verfasser der Praxis Artolleriae Pyrotechnicae (1660). Große Männer der Wissenschaft verdankten ihrer Tätigkeit für militärische Technik die sichere Stellung im [42] Fürstendienste, so Stevin, der Lehrer Moritzens von Oranien, nach dessen Anordnung und zu dessen Gebrauche er seine Castrametatio ver10 11

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Jähns l. c., S. 783, 790. Aus einer Reichsstadt (Straßburg) stammte auch der kühne Reformator des Befestigungswesens, Daniel Speckle, geb. 1536, zuletzt Stadtbaumeister seiner Vaterstadt, zuvor aber lange Zeit Kriegsbaumeister des Kaisers Maximilian II. – Jähns, S. 822–831. 1561–1623, nahm am Feldzuge in den Niederlanden unter seinem Vetter Moritz von Orianien teil, half die protestantische Union 1608 begründen. Sein Diskurs »das itzige Teutsche Kriegswesen belangendt«, woraus Jähns Auszüge mitteilt (S. 912–916), verdient ohne Zweifel gedruckt zu werden. »das erste systematische Werk … Feuerartillerie« – Tönnies zieht zwei Sätze zusammen: »… denn zunächst bleibt er [Dürer] tatsächlich der erste moderne Autor, der ein systematisches Werk über Befestigungskunst, der erste Autor überhaupt, der ein solches unter Berücksichtigung der Feuerartillerie geschrieben hat …« (Jähns 1889: 790; das Kapitel über Dürer 783 ff.). »auf Einführung einer … Gesamthauses Hessen« – Bei Jähns (1890: 900): »… die Einführung …«. Castrametatio – Stevin 1617 (Vollständiger Titel: »Castrametatio, dat is legermeting«; vgl. auch in der Werkausgabe 1964, IV: [361] ff.). Vgl. zu Stevin Jähns 1889: 839 f.

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faßte (1617); teilweise wohl auch Leibniz, diese »Encyklopädie alles Wissens«. Mehr und mehr gehen aber die großen Ingenieure, Befestigungs- und Belagerungstechniker selber in die Armeen über; so stand Rimpler (1635–1683) in kaiserlichen, Vauban (1633–1707) in Diensten des französischen Königs, zuletzt als Marschall von Frankreich. Das »Genie-Corps« wurde die hohe Schule der Kriegs-Wissenschaften. Daß aber die gesamte Kriegführung wissenschaftlich vorgestellt und studiert werden müsse, verbreitete sich um so mehr im allgemeinen Bewußtsein, als Brandenburg-Preußen dem französischen Prestige Abtrag zu tun anfing, und als der Geist Friedrichs nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie die Zeitgenossen überstrahlte, wenngleich ein anderer deutscher Fürstensohn, der aber in  französischen Diensten gestanden hatte, der Marschall von Sachsen, seinen Rang behauptete. Im 18. und 19. Jahrhundert wird aber auch  für die Waffenkraft der Heere immer mehr die Technik der Herstellung solcher Instrumente, besonders der Kanonen, von bestimmendem Werte. Bis dahin hatte gerade in diesem Gebiete noch das Handwerk – und gerade das deutsche – sich in hoher Leistungsfähigkeit erhalten. Zu Anfang des 18. Jahrhunderts  fing der Kasseler Stückgießer Keller an, Kanonen voll zu gießen, und um das sehr umständliche Verfahren abzukürzen, erfand der Genfer Maritz gegen 1740 die horizontale Bohrmaschine. »Preußen und Holland gossen seit 1750 die Geschosse voll13.« In Frankreich richtete der Marquis von Montalembert 1750 die erste vertikale Bohrmaschine ein, und versuchte mit Glück, Geschütz aus hartem Eisen zu gießen. Die Anwendung weichen Eisens anstatt der Bronze nahm stetig zu. Und noch im 18. Jahrhundert wurden in Frankreich Versuche gemacht, die Dampfkraft zur Bewegung von Fahrzeugen und Geschützen anzuwenden. Zu gleicher Zeit wird die empiristische Feuerwerkerei durch die artilleristischrationelle Chemie verdrängt. Und im 19. Jahrhundert ist bekanntlich die gesamte Waffentechnik immer mehr durch die großindustrielle Produktion, und diese immer mehr durch den wissenschaftlichen Fortschritt bedingt worden. Bis dahin aber hat ohne Zweifel die ganze Metallur13

Jähns l. c. III, S. 2381 ff.

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»Encyklopädie alles Wissens« – Anspielung auf Leibniz’ Plan, eine Allgemeinwissenschaft (scientia generalis) zu schaffen. Marschall von Sachsen – gemeint ist Moritz von Sachsen (1696–1750). Maritz – Bei Tönnies falsch Moritz. »Preußen und Holland gossen seit 1750 die Geschosse voll.« – Bei Jähns (1891: 2381): »… seit 1755 …«.

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gie, seit dem 16. Jahrhundert, wo die Anwendung der Feuergeschütze erst allgemein wurde, ihre Fortschritte hauptsächlich dem militärischen Bedürfnis verdankt; Neuerungen, Verbesserungen, Erfindungen wurden unablässig gemacht, angeregt, eingeführt, und hatten mächtige Fürsprecher. Die großen Zwecke der Landesverteidigung, und zumal der Eroberung, erlaubten eben nicht, [43] sich an das Überlieferte zu hängen, sie drängten vorwärts, zur Anpassung der Mittel an den gegebenen Zweck und zur Messung (d.  i. Vergleichung) der Kräfte mit den Kräften des Feindes: auf dem Schlachtfelde praktisch, in der Rüstung theoretisch.

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Scheinbar  fern, aber ziemlich parallel, dieser Entwicklung, läuft ebenfalls in den ersten drei Jahrhunderten der »Neuzeit« die Technik des friedlichen Handels. Wenn man eine Buchhaltung aus dem Ende des 15. Jahrhunderts mit einer solchen aus der französischen Revolutionszeit vergleicht, so erkennt man einen Fortschritt wie aus der Kindheit ins Mannesalter. In der Tat gehört die 1494 publizierte Erfindung des Fra Luca14, die doppelte Buchführung, zu den notwendigen Requisiten für die Führung der großen Geschäfte, die von dieser Zeit an sich etablierten. »Das Buchhalten wurde eine Kunst, die der Kaufmann lernen mußte.« Die in Venedig um 1500 aufkommende »Technik der Buchhaltung« verbreitete sich während des 16. Jahrhunderts über die ganze westeuropäische Handelswelt. Zunächst nahmen die Süddeutschen, Augsburger und Nürnberger, die Doppelbuchhaltung an, dann die Vlamen, Franzosen, Engländer, und 100 Jahre nach Erscheinen des Werkes von Paciolo bürgerte sich die italienische Buchhaltung auch im nordischen Handelsgebiete ein15. Noch  fehlte aber durchweg das Schlußinventar, es  fehlte eine genügende Schlußbilanz und eine durchgehende Zinsenberechnung. »Erst seit um die Wende des 18. Jahrhunderts der Kapitalismus zur Herrschaft gelangte, namentlich seit der Ausbreitung der Aktiengesellschaften, machte die Buchführung wesentliche Fortschritte, indem sie 14 15

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Summa de Arithmetica, Geometrica cet. von Luca Paciolo. Sieveking in Schmollers Jahrb. 1901. S. 1511 q. c. Adler, HW. Stw.2 II, S. 1109 Anm. »Das Buchhalten wurde eine Kunst, die der Kaufmann lernen mußte.« – Sieveking 1901: 1510. Summa de Arithmetica – Paciolo 1523. Adler – HW Stw. – Adler 1899 mit weiteren Quellen- und Literaturangaben zu Paciolo.

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sich den neuen Bedürfnissen der wirtschaftlichen Entwicklung anpaßte, und die Theorie eine klarere Erkenntnis ihrer Grundgedanken ermöglichte.« Im »Mittelalter« hat es, wie neuere Forschung immer klarer ermittelt hat, einen stehenden und abgesonderten Großhandel nicht gegeben16. In der Neuzeit bekundet er mit wachsender Macht sein Dasein durch zwei große, ihm unentbehrlich werdende Apparate: die Banken und die Börsen. In diesen versammelt sich die großhändlerische Vertragsschließung, in jenen der großhändlerische Kredit. Das Bankgeschäft, bisher als Geldwechsel und Geldleihe guten Teils ein wanderndes, kaum geduldetes Gewerbe, wird ein regulärer Zweig des stehenden Großhandels, ja, durch die kostbaren und einträglichen Dienste, die den Regierun[44]gen geleistet werden, bald die hohe Straße zum Eintritt in die Aristokratie (freilich verdankten schon die Medici und andere Florentiner dem Geldhandel ihre Größe). Aber neben den Privatbankiers, und zu dem Zwecke, ihre Macht einzuschränken, kommen im 16. und besonders im 17. Jahrhundert städtische Depositen- und Girobanken auf. Der »Wechsel« ist, zumal in seiner älteren Form, als Eigenwechsel, wo er unmittelbar aus der Praxis des Münztausches hervorgeht, schon früh durch Ordreklauseln ein elastisches Werkzeug des Handelsgeschäftes gewesen; aber erst die kompliziertere »Tratte« erlangt als »Wechselbrief« durch die freie Übertragungsform des Indossaments die gewaltige Bedeutung eines leichtesten und beweglichsten Zahlungsmittels, dessen Funktion durch die Girobanken mit ihrem Privileg des Zahlungsempfanges (auf erhebliche Wechsel) reguliert wird. Bald aber entwickeln sich im  freien Verkehr neben der Geldbank die modernen Kreditbanken (oft, und von den Privatbankiers aus überwiegend, geht die eine glatt in die andere über). Wenn jene die Bedeutung einer gemeinsamen – eventuell öffentlichen – Kasse hat, also nicht als selbständiges Geschäft den übrigen Geschäften gegenübertritt (sie »lebt« sozusagen von »Gebühren«), so ist die Kreditbank ein Kaufmann, der anstatt Waren, Geld (den abstrakten Begriff aller Waren) ein- und verkauft. Der enorme Vorteil, der einer »Zettelbank« daraus erwächst, daß ihre eigenen Schuldscheine, mit denen sie Geld einkauft, – die Banknoten – als Geldsurrogate umlaufen, und sogar in einer Quantität, die über ihren 16

Below in Conrads Jahrb. III F., Bd. XX, S. 1–51.

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»Erst seit um die Wende … Erkenntnis ihrer Grundgedanken ermöglichte.« – Sieveking 1901: 1521. »Tratte« – Svw. noch nicht akzeptierter Wechsel, Indossament bezeichnet das Akzeptieren des Wechselbriefs. Below in Conrads Jahrb. – Below 1900.

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Vorrat an Münze, die sie dafür bei Präsentation zu zahlen sich verpflichtet, hinausgeht (»ungedeckte Noten«), liegt auf der Hand. Ihre Funktion wird aber eben dadurch wieder eine öffentliche, daß diese Macht (eventuell als Recht garantiert) sie in den Stand setzt, Umlaufsmittel zu schaffen, die durch Geltung dem eigentlichen (gemünzten) Gelde sehr nahestehen, so daß der Kaufmann »Notenbank« und der Staat als Inhaber des Münzregals in unmittelbare Konkurrenz geraten17. Den Charakter einer Anweisung auf metallenes Geld (das nicht allein Geld, sondern auch wertvolle Ware ist), teilt die Banknote mit den Schuldscheinen des Staates, die dieser als papiernes Geld ausgibt, d. h. als Papier, das zugleich gesetzlich gültiges Zahlungsmittel ist (»Zwangskurs«); durch das nicht immer ihm anhaftende Merkmal der Einlösbarkeit wird dieses wiederum der Banknote noch ähnlicher. Da die metallene Münze allein wertvolles und eigentliches Geld ist, so stellen Papiergeld sowohl als Banknoten Mechanismen [45] der Handelstechnik dar, vermöge deren in einem gewissen Umfange – nicht Geld, aber – die Geldfunktion, gemacht wird, mit anderen Worten Kredit so sehr als möglich dem Gelde angeähnlicht wird. Der moderne Handel und der moderne Staat bedürfen in gleicher Weise eines möglichst vollkommenen, d.  h. möglichst geldähnlichen Kredits, neben dem Gelde: beide zusammen bilden durch ihre Funktionen die motorische Kraft im Getriebe der Regierung wie im Getriebe des Verkehres. Der Landesherr bedarf dieser vorzugsweise für seine militärischen Unternehmungen, der Kaufherr für seine kapitalistischen Unternehmungen. Sie begegnen sich und helfen einander gegenseitig. Der Handel hilft dem Staate, teils indirekt, indem er die Hervorbringung von Gütern anregt und durch die Volkswirtschaft auch die Staatswirtschaft bereichert; teils direkt, oder durch Gewährung und Schaffung von Geld in Form des Kredites. Der Staat hilft dem Handel, teils indem er die materiellen Interessen des Landes, insbesondere also die Handelsinteressen, nach außen hin vertritt und verficht, teils indem er sie im Innern fördert und Anstalten für den Handel ins Leben ruft, die diesen schützen, befestigen, begünstigen, eben dadurch auch moderie17

Daher und aus anderen Quellen entspringt dann die Frage: »gemeinwirtschaftliche oder privatwirtschaftliche … Organisation des Bankwesens«? A. Wagner, Der Kredit und das Bankwesen, in Schönbergs Handbuch der politischen Ökonomie 3. Aufl., S. 457.

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»gemeinwirtschaftliche oder privatwirtschaftliche … Organisation des Bankwesens«? – §  86 des Artikels hat die Überschrift: »1. Gemeinwirtschaftliche oder privatwirtschaftliche, insbesondere in Form von Aktiengesellschaften erfolgende Organisation des Bankwesens?« (Wagner 1890: 457 ff.).

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ren: solche Anstalten sind die staatlichen (wozu auch die alten städtischen gehören) Banken und ihresgleichen, als staatlich privilegierte und zentralisierte Zettelbanken, zumal wenn der Staat einen erheblichen Anteil des Eigentums daran sich vorbehält; solche Anstalten sind aber auch die Börsen da, wo sie quasi öffentliche, unter Staatsaufsicht stehende Institute sind. Daß freilich der Staatsanstalts-Charakter für die Funktionen dieses, wie anderer Institute, nicht notwendig ist, zeigt das Beispiel Englands und das der Vereinigten Staaten, wo sich autonome Korporationen dem Staate gegenüber erhalten haben. Überall begegnen sich aber Staatsinteressen und Handelsinteressen: namentlich auch in der Richtung auf die Schiffahrt, besonders wo diese den überseeischen Handel vermittelt und wo dieser zur Gründung von Faktoreien, vollends wo er zur Ansiedelung von Kolonien  führt. Die Kolonialpolitik schließt sich der Handelspolitik an. Diese verzweigt sich in Zollpolitik, Verkehrspolitik, Münzpolitik, Bankpolitik und andere und geht in die mannigfachen Gebiete der Gewerbe- und Sozialpolitik über. Auch Kriegswesen und auswärtige Politik hängen mit allen diesen Gebieten näher und ferner zusammen. Am unmittelbarsten aber verknüpft sich die militärische mit der dem Handel dienenden Technik im Seekriegswesen, indem sich der Körper der Kriegsmarine neben den Körper der Handelsmarine stellt, zu dessen Schutze geschaffen. Der Staat wie der Handel lenkt die Marine auf Pflege der Schiffsbautechnik und der ihr und der Schiffahrt dienenden Wissenschaften, unter denen die Astro[46]nomie hervorragt, deren Umwälzung eines der großen Fundamentalereignisse der Neuzeit ist. Unter ihren Vorläufern sind die schon genannten Nürnberger Gelehrten des 15. und 16. Jahrhunderts, denen noch Martin Behaim, selber ein kühner Segler, sich zugesellt, vorzugsweise ruhmeswürdig. »Als Verbesserer des Astrolabiums (der Winkelmeßscheibe, die man zur Ortsbestimmung auf See gebrauchte), als Erfinder des Gradstockes oder Jakobsstabes (des Instrumentes, nach dem man Zeit und Breite bestimmte) und als wissenschaftlicher Begründer astronomischer Jahrbücher, der Ephemeriden, verband Regiomontanus die deutsche Astronomie mit der iberischen Nautik … Ohne den Jakobsstab und das vervollkommnete Astrolabium, vermittels dessen man die Entfernungen nach der Sonnenhöhe berechnen konnte, wäre es den großen Seefahrern der Zeit: Columbus, Vasco de Gama, Cabot, Magelhaens, nicht möglich gewesen, sich weiter in den Ozean hinauszuwagen und ihre Entdeckungen zu machen. Regiomontans auf 32 Jahre voraus berechnete Ephemeriden begleiteten

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Magelhaens – Tönnies mischt die portugiesische (Fernão de Magalhães) und spanische (Fernão de Magalhães) Schreibweise des Namens (dt.: Friedrich Magellan).

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Columbus und Vespucci in die Neue Welt.« Behaim »zeigte den sicheren Weg nach Ostindien um Afrika bereits im Jahre 1492 … auf seinem Erdglobus deutlich an«. Regiomontans Schüler Johann Werner gewann für den mathematisch-physikalischen Zweig der Erdkunde einen geradezu bahnbrechenden Einfluß18. In Nürnberg wurden auch die besten Kompasse angefertigt, die (lange bekannt, doch erst) für die Weltmeerfahrten unentbehrlich wurden. So trug Technik und Wissenschaft der deutschen Reichsstadt zum Gelingen der spanisch-portugiesischen Unternehmungen bei, wie denn auch die großen Häuser Augsburgs und Nürnbergs mit Kapital und persönlichem Interesse sich stark daran beteiligt haben. Diese Unternehmungen hatten aber auch einen kriegerischen Charakter, sie waren auf Eroberung und Unterwerfung (man nannte sie Bekehrung der Heiden) gerichtet. Daher denn, namentlich in Portugal, auch der Adel, durch Jahrhunderte von Kriegen gegen Mauren und gegen das benachbarte Castilien gestählt und nationalisiert, leidenschaftlich sich dazu drängte und auch die Teilnahme am gewinnreichen Handel nicht verschmähte. An seiner Spitze standen aber auch Könige und Prinzen, die zielbewußt ihr Interesse und ihren Ruhm mit Interesse und Ruhm des Landes identifizierten, wie denn einer seine Ehre in dem Beinamen »der Schiffer« fand. Erst in den Spuren Portugals folgt eifersüchtig das weit weniger für das Weltmeer begabte Spanien, dem erst ein Genueser den erfolgreichsten Weg bahnen muß. Dann teilen sich, unter päpstlichem Segen, [47] Spanien und Portugal die neue Welt (1494); aber hundert Jahre später ist Portugal spanisch. Und in Spanien überwiegt der militärische Geist den Handelsgeist, statt sich mit ihm im Gleichgewicht zu erhalten; unterstützt jener durch das kirchliche Machtstreben, das um so schärfer hervortritt, je mehr es darauf angewiesen ist, 18

Janssen l. c., S. 150 f. nach Ritter, Peschel, S. Günther (Studien zur Gesch. der mathemat. und pysikal. Geographie. Halle 1879, S. 273–331).

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»Als Verbesserer des Astrolabiums … in die Neue Welt.« – Janssen 1897: 150. – Die eingeklammerten Erläuterungen von Tönnies. »zeigte den sicheren Weg … Erdglobus deutlich an« – Ebd. Beinamen »der Schiffer« – Wahrscheinlich meint Tönnies den portugiesischen Königssohn Infante Dom Henrique de Avis (genannt O Navegador), 1394–1460, im deutschen Sprachraum bekannt als Heinrich der Seefahrer. ein Genueser – gemeint ist Christoph Columbus. Janssen – Janssen 1897: 150 verweist in zwei Fußnoten neben anderen Quellen auf Ritter (1861: 254 f.) und auf Peschel (1865: 360). Studien zur Gesch. der mathemat. und physikal. Geographie – Der Verweis auf Günther von Tönnies.

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sich  für die großen Verluste zu entschädigen, die der Abfall germanischer Länder und Städte gebracht hat. Im 16. Jahrhundert aber nimmt die spanische Kriegstechnik unbestrittenerweise den ersten Rang ein in Europa. Sie hatte von den Mauren gelernt, die im Gebrauche der Belagerungsmaschinen lange überlegen blieben, und namentlich durch den Besitz der arabischen Pyrotechnik gewaltige Wirkungen erzielten, wie ihnen denn mit vieler Wahrscheinlichkeit die erste Anwendung des Schießpulvers zugeschrieben wird, in Abwehr der spanischen Belagerung von Algaziras (1342); und schon D. Pedro IV. von Aragonien hatte 1359 auf einem seiner größten Schiffe eine Bombarde, die »durch Feuer mit künstlichem Pulver abgeschossen ward, und mit zwei Schüssen die beiden Kastelle eines castilischen Schiffes nebst dem Mastbaum zerschmetterte, und viele Leute verwundete«19. Wenn die Sage schon ein halbes Jahrhundert früher das Pulver durch einen oberdeutschen Mönch »erfunden« werden läßt, so steht damit wohl nicht in Widerspruch, daß erst seit 1342 die Kunde von den Pulvergeschützen sich rasch durch Europa verbreitete, und daß erst dann die mächtigsten deutschen Städte sich dieser Waffen bemächtigten. Deutschland und die iberische Halbinsel traten aber früh in fruchtbare Wechselwirkung, während Frankreich und England von Spanien und Portugal weit mehr empfingen als sie zu geben vermochten; was ebenso das Verhältnis zu den oberitalischen Städten bezeichnet. Die dynastische Verbindung Spaniens mit dem deutschen (»römischen«) Reiche bringt jenes auf den Gipfel seiner Macht. Und diese Verbindung reflektiert sich in der spanischen Armee, als eine kriegsgeübte, technisch gebildete Führerschaft an der Spitze von (zum großen Teile) deutschen Landsknechten. Noch im Anfange des 16. Jahrhunderts spielten die Schützen eine Nebenrolle in der Taktik; und eine große Neuerung war es, als man diesem Teil der spanischen Infanterie anstatt der schweren Handröhren, der Haken und der sogar noch immer gebrauchten Armbrüste (die einen immer gewaltigeren Umfang angenommen hatten) die leichtere Muskete in die Hand gab, was nicht wenig zum Ausgange der Schlacht von Pavia (1525) beigetragen hat20. Doch 19

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Zurita Annales de la Corona de Aragon, T. 2, Lib. IX, c. 23: »y parece ser ya muy resada en estos tiempos aquella invencíon infernal«. Bei Hoyer, Gesch. der Kriegskunst I, S. 49 (Göttingen 1797). Frundsbergs Kriegstaten, S. 49, bei Hoyer l. c. S. 159. Vgl. Jähns l. c. I, 723. »durch Feuer mit künstlichem Pulver … viele Leute verwundete« – Hoyer 1797 I: 49, dort in der Fn. auch das Zitat aus Jerónime Zuritas Anales de la Corona de Aragon: »… und diese höllische Erfindung scheint heutzutage sehr altmodisch zu sein.«. Frundsbergs Kriegstaten – Der Text von Frundsberg (Ritter Georg von Frundsberg: Kriegsthaten, zit. von Hoyer 1797 I: 159 Fn.) ist nicht verifiziert.

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blieben die [48] Musketiere lange eine Elitetruppe, und erst im 17. Jahrhundert verdrängte die Muskete die Arquebuse ganz. Zunächst bestand der Fortschritt in Vermehrung der Schützen überhaupt, zu Fuß und zu Pferde. Noch Lienhard Frönssperger (in seinem Kriegsbuch von 1573) rechnet das Verhältnis von »Spießen« und Feuergewehren als 5 zu 3; unter Alba stellte es sich wie 1 zu 121. – Auch in der Technik des Seekrieges waren damals die Spanier noch auf der Höhe; nur die Türken konnten es mit ihnen aufnehmen. Die meisten Kriegsschiffe hatten im Jahre 1500 neben den Segeln noch Ruder; die Galeere der Türken war namentlich gefürchtet. Dagegen taten die Spanier sich bald durch reine Segelschiffe hervor, ihre Galionen mit sehr hohem Bord und noch höherem Vor- und Hinterkastell, mit 4–5 Fuß dicker Beplattung, mit musketenschußfreien oberen Brustwehren, wurden schwimmenden Schlössern verglichen; die größten  führten 40–50 Metallkanonen. Auch wurden größere Galeeren zur besseren Aufnahme von Geschütz, unter dem Namen Galeassen gebaut22. Die große Armada von 1588 enthielt 64 Galionen und 4 Galeassen, im ganzen 130 Segel, und war mit 25 bis 30 000 Matrosen und (zum größeren Teil) Soldaten bemannt23. Der Schwerfälligkeit der spanischen Galionen wird es zugeschrieben, daß ihnen die kapernden Wassergeusen so gefährlich wurden, und daß die rund gebauten kleineren Kriegsschiffe der Engländer, die von der tiefen Stellung zur See abgingen, sich oft überlegen erwiesen. Aber die Flotte der Engländer blieb im 17. Jahrhundert unbedeutend, sie waren noch darauf angewiesen, im Kriegsfalle Kauffahrer zu armieren. Die von Richelieu begründete  französische Flotte war der englischen bald ebenbürtig. Bemerkenswert ist, daß noch bis Ende des 18. Jahrhunderts die größten Handelsschiffe die portugiesischen Carraquen mit 4 mannshohen Verdecken, ca. 1500 Tonnen führend, für die Ostindienfahrt waren24. – Der enge Zusammenhang des Handels und des Kriegswesens, und der Technik in ihren Anwendungen auf beide, tritt im Seewesen am greifbarsten hervor. Die Seekriege entspringen offenbarer Weise, die Landkriege zu21 22 23

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Jähns l. c., ibid. Erwiesen sich aber bei Lepanto (1571) als zu schwer beweglich. Hoyer l. c., S. 536. Nach Meteeren Niederländ. Historie, Buch 16 pass. bei Hoyer l. c., S. 237, 400, 402. Hoyer l. c., S. 535. Noch Lienhard Frönssperger … wie 1 zu 1 – Tönnies entnimmt die Informationen Jähns 1889: 723. Erwiesen sich aber bei Lepanto (1571) als zu schwer beweglich – Gemeint ist die Seeschlacht bei Lepanto. Meteeren Niederländ. Historie – Meteren 1611, bei Hoyer durchgängig als Meteeren. Hoyer – Hoyer 1798 I: 535.

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meist in versteckterer Weise den Interessen und Eifersüchten des Großhandels, denen die Staatsregierungen teils sich nicht entziehen können, teils – und zwar in der Epoche von 1500 bis 1800 zumeist – in bewußtester Weise ihre militärischen und  finanziellen Kräfte dienen lassen wollen, weil sie die ökonomische Entwicklung [49] ihres Landes, und, wie es später heißt, die nationale Existenz, als davon abhängig erkennen. Besonders ist es der Kampf um die Kolonien, der in dieser ganzen Zeitspanne bald unter der Asche glimmt, bald zu Wasser und zu Lande hell emporlodert; der im 19. Jahrhundert scheinbar erlöschend, in Wahrheit hinter den meisten großen Streitfragen der Mächte fortglüht und gegen Ende des Jahrhunderts wieder in züngelnde Flammen ausbricht. – Die Beziehungen zwischen dem Geiste des Handels und dem Geiste des Krieges sind aber auch im Innern mannigfach und bedeutend. Die Kriegführung und die Haltung stehender Heere und Flotten wird immer mehr die große Belastung der staatlichen Finanzen; ein großes System der direkten und indirekten Besteuerung wird notwendig; die Regierungen sind dafür, und noch mehr, wenn sie zur Deckung außerordentlicher Bedürfnisse auf Anleihen zurückgreifen müssen, auf den guten Willen und das Vertrauen der an Geld vermögenden Schichten in ihrem Lande, daher vorzugsweise der Handelsklasse und ihrer Spitzen, der »hohen Finanz« angewiesen. In jenen früheren Jahrhunderten, besonders im 17., machte sich aber noch unmittelbarer der Handelsgeist im Kriegswesen geltend. Das Söldnertum ist ein hervortretender Ausdruck der steigenden Bedeutung des Geldes in der Volkswirtschaft (welche Bedeutung das mißverständliche Wort »Geldwirtschaft« bezeichnet). Das Werben und die Befehlshaberschaft der Truppen war eine private Unternehmung, die eine bedeutende Auslage von Kapital erforderte. »Auf den Kredit hin, den sein Name hatte, und zwar in der doppelten Beziehung der militärischen Tüchtigkeit und der Zahlungsfähigkeit und unterstützt von Hauptleuten, welche als Zwischenunternehmer die einzelnen Kompagnien aufstellen, ließ der Obrist werben ... und (namentlich in der Wallensteinschen Periode des Dreißigjährigen Krieges) wurde das Land den militärischen Entrepreneurs in der rücksichtslosesten Weise preisgegeben … Wohl meldeten sich noch immer nicht wenige wirkliche Freiwillige, mehr aber noch wurden durch die mannigfaltigsten und schamlosesten, von vielen Regierungen begünstigten Werbekünste gepreßt. Solche Kniffe reichten allerdings für die sehr gesuchten Spezialwaffen, schwere Reiterei und Artillerie, nicht aus; bei ihnen

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Krieges sind aber auch – A: Krieges, von denen jener die moderne Gesellschaft, dieser den modernen Staat, ganz eigentlich ausbildet, sind aber auch.

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galt es für die Parteien, den Vorkauf zu erlangen, und daher hatten Kürassiere und Stückknechte einen vollständigen Tageskurs, der auf den militärischen Börsen, d. h. den Werbeplätzen, genau notiert ward«25. [50]

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Kriegstechnik und Handelstechnik, durch ihre große Entwicklung, die sie in den drei ersten Jahrhunderten der Neuzeit nahmen, haben beide die industrielle Technik vorbereitet, sich darin übersetzt und in ihr vereinigt26. Die moderne Großindustrie ist ein Kind, das der Staat mit der Gesellschaft erzeugt hat. Freilich ist die soziale Vaterschaft hier nur von accidenteller Bedeutung. Abgelöst von den tatsächlichen historischen Bedingungen ihres Daseins hätte die Gesellschaft auch »parthenogenetisch« die Großindustrie hervorbringen können. Diese gesellschaftliche Entstehung aber, die durch die Aktivität des Staates nur modifiziert wird, läßt sich vielleicht an einem chemischen Gleichnis verdeutlichen, 25

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Jähns l. c., S. 678. Wörtlich wiederholt mit Zusätzen in desselben Verfassers »Heeresverfassungen und Völkerleben«. Berlin 1885. S. 249. An beiden Stellen kommt der gelehrte Verfasser auch auf den berüchtigten »Soldatenhandel« der Fürsten zu sprechen. Die folgenden Ausführungen sind (wie die vorhergehenden) unabhängig von dem großen Schema einer Entwicklungsgeschichte des modernen Kapitalismus entstanden, das neuerdings Sombart vorgelegt hat (sie waren der Idee nach  fertig, ehe mir dies Werk bekannt geworden ist). Bei neuer Bearbeitung würde ich fortwährend darauf Rücksicht nehmen, insbesondere auch auf seine schönen Erörterungen über den Begriff der Maschine (und Auseinandersetzung mit Reuleaux in der Abhandlung: »Die gewerbliche Arbeit und ihre Organisation«, Brauns Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik, 14. Bd., 1899). – Dasselbe gilt in bezug auf Schmoller, Grundriß, Erstes Buch, 4. Abschnitt.

»Auf den Kredit hin… genau notiert ward« – Recte: Jähns 1889: 687. – Leicht abweichend: »… ließ er werben ...« – Der Einschub in der Klammer von Tönnies, nach Jähns 1885: 249. »parthenogenetisch« – Svw. aus der unbefruchteten Keimzelle heraus; hier im Sinne von: aus sich selbst heraus. Wörtlich wiederholt mit Zusätzen – Jähns 1885. Entwicklungsgeschichte des modernen Kapitalismus – Sombart 1902 und 1902a – Tönnies bespricht dieses Werk an anderer Stelle eingehend (Tönnies 1902). »Die gewerbliche Arbeit und ihre Organisation« – Sombart 1899, die Auseinandersetzung mit Reuleaux ebd., 32 ff. Schmoller, Grundriß, Erstes Buch, 4. Abschnitt – »Die Entwickelung der Technik in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung« (Schmoller 1900: 187 ff.).

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und man dürfte dann sagen: die Basis Handel verbindet sich mit der Säure Wissenschaft zum Salze Großindustrie. Besonders ist es gerade die Technik, dies konstituierende Element der Großindustrie, das von der Wissenschaft erfüllt ist und in immer innigere Verbindung mit, dadurch zugleich in immer größere Abhängigkeit von ihr tritt. Mit der Wissenschaft zusammen spielt die industrielle Technik in der neueren Kulturgeschichte eine revolutionäre Rolle. Während nun die Kriegstechnik verhältnismäßig früh fortgeschritten ist, und verhältnismäßig wenige innere Widerstände zu überwinden gehabt hat – ihre hauptsächlichen Hemmungen sind äußere, nämlich finanzielle –, während die Handelstechnik nur insofern ihre Entwicklung verzögern mußte, als der Handel selbst mit starken Vorurteilen der öffentlichen Meinung zu kämpfen gehabt hat, und namentlich der ihm als integrierender Bestandteil angehörige Geldhandel lange Zeiten hindurch von Sitten und Anschauungen, infolgedessen auch von Recht und Gesetzgebung verneint worden ist; so stellt sich die weit fundamentalere Bedeutung der industriellen Technik eben darin vor, daß sie ein scharfes Sichabheben der Neuerungen gegen die Tradition zeigt und daß sie in ihrem eigenen Gebiete, und daher unmittelbar aus wirtschaftlichen Motiven, zurückgehalten, unterdrückt und bekämpft worden ist. Die Neuerungen innerhalb der industriellen Technik sind neue Erfindungen. Wir kennen solche ebenfalls auf dem Gebiete der Kriegs- [51] und der Handelstechnik. Überall stellen sie sich die Aufgabe, die Erreichung bestimmter Zwecke zu erleichtern und zu beschleunigen, zu verstärken und zu vermehren. Auf dem Gebiete der Kriegstechnik handelt es sich daher wesentlich um die Verbesserung der Waffen, daneben auch anderer Mittel des Angriffs und der Verteidigung. Erfindungen in der Handelstechnik beziehen sich hauptsächlich auf Verbesserung der Mittel des Tausches und der Umlaufsmittel. In der industriellen Technik dagegen ist es abgesehen auf Verbesserung der Mittel der Produktion, auch der Produktion von Waffen, auch der Produktion papierner Umlaufsmittel, also auf Verbesserung der Arbeitsmittel schlechthin. – Über den Unterschied zwischen Werkzeug und Maschine ist nicht wenig gedacht und geschrieben worden. »Mathematiker und Mechaniker«, bemerkt Karl Marx (Das Kapital I4, S. 335), »erklären das Werkzeug für eine einfache Maschine und die Maschine  für ein zusammengesetztes Werkzeug. Sie sehen hier keinen wesentlichen Unterschied und nennen sogar die einfachen mechanischen Potenzen … Maschinen.« »Andererseits sucht man den Unterschied zwischen Werkzeug und Maschine dar38

»erklären das Werkzeug … Maschinen.« – Marx 1890: 335.

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in, daß beim Werkzeug der Mensch die Bewegungskraft, bei der Maschine eine von der menschlichen verschiedene Naturkraft, wie Tier, Wasser, Wind usw.«27 Danach wäre ein mit Ochsen bespannter Pflug, der den verschiedensten Produktionsepochen angehört, eine Maschine; Claussens Circular loom, der, von der Hand eines einzigen Arbeiters bewegt, 96  000 Maschen in einer Minute anfertigt, ein bloßes Werkzeug. Ja, derselbe loom ein Werkzeug, wenn mit der Hand, und Maschine, wenn mit Dampf bewegt. Da die Anwendung von Tierkraft eine der ältesten Erfindungen der Menschheit, ginge in der Tat die Maschinenproduktion der Handwerksproduktion voraus.« (Daselbst.) Marx knüpft sodann seine eigene Theorie ausschließlich an den Begriff der Werkzeugmaschine an, die er bezeichnet als einen »Mechanismus, der nach Mitteilung der entsprechenden Bewegung mit seinen Werkzeugen dieselben Operationen verrichtet, welche früher der Arbeiter mit ähnlichen Werkzeugen verrichtete« (daselbst S. 337). Ich halte es für richtig, wenn man vom Werkzeug ausgeht, ihm den Begriff der Werkzeugmaschine entgegenzusetzen. Wenn man aber als Maschinen außerdem auch »Kraft- oder Bewegungsmaschinen (Motoren)« bezeichnet28, so müßte, um den Gegensatz vollständig zu machen, auch der Begriff des Werkzeuges in entsprechender Weise erweitert werden. Dem [52] ist nun der Sprachgebrauch, von dem die Begriffsbildung, solange sie nicht eine besondere Zeichensprache anwendet, so schwer sich  freimacht, ebenso entgegen, wie er die Erweiterung des Begriffes der »Maschine« begünstigt. Menschen und Tiere, die man zum Ziehen von Wagen anwendet, werden ebensowenig, wie der Wind oder das Wasser, welche Kräfte Schiffer und Müller in ihre Dienste nehmen, »Werkzeuge« benannt, wenngleich mit Aristoteles manche den Sklaven ein beseeltes Werkzeug genannt haben; in der Tat gehört dies ebenso der Bildersprache an, wie wenn man sonst 27

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So auch Roscher, Nationalökonomik des Handels und Gewerbfleißes § 119, S. 758 f. der 7. Aufl. ed. Stieda. Vgl. z. B. Lexis, HW. der Staatswissensch., Bd. 4, Art. Maschinenwesen.

»Andererseits sucht man … Tier, Wasser, Wind usw.« – Ebd. – Im Orig. fehlende Abführung ergänzt. Claussens Circular loom – Der Circular Loom ist eine Rundweb- oder Rundstrickmaschine, geeignet für den Maschinenbetrieb. Chevalier Pieter Claussen präsentiert eine Strickmaschine auf der »Great Exhibition«, der ersten Weltausstellung 1851 in London (vgl. den Katalog »The Illustrated Exhibitor 1851: 431, dort auch die von Tönnies zitierten Angaben). Marx erwähnt den circular loom bei seiner Auseinandersetzung mit den Begriffen Werkzeug und Maschine (1867: 356; 1872: 385). »Kraft- oder Bewegungsmaschinen (Motoren)« – So Lexis einleitend in seinem Artikel (1892: 1133).

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von einem Spion oder anderen Agenten als von einem »Werkzeug« in der »Hand« eines Mächtigen spricht. Die Kraftmaschine aber ist ein künstliches Gebilde, dazu bestimmt, im Prinzip die gleichen Leistungen zu vollbringen, die sonst von jenen Faktoren, die wir als »Kunstgehilfen« zusammenbegreifen können, geleistet wurden. Die Geschichte der Kraftmaschine beginnt erst mit der Dampfmaschine, die nicht nur »eine zeitlang als die  fast allein herrschende Kraftmaschine« dastand29, sondern ihre wirklichen Vorläufer nur in allen Arten von »Uhrwerken« hat, weil nur diese ebenso wie die Dampfmaschine das Prinzip der Bewegung in sich selber haben und lediglich eines äußeren Anstoßes durch intelligente Menschenhand, des »Aufziehens«, bedürfen, wie die Dampfmaschine der Heizung; hier wird die erzeugte Wärme, dort die potentielle Energie der Lage in kinetische Energie umgesetzt. Während aber die Energie der Lage innerhalb eines Uhrwerkes immer von neuem durch menschliche Muskelkraft hergestellt werden muß, so läßt dagegen Wärme, und durch sie die Spannung der Wasserdämpfe, sich in unbeschränkter Weise im chemischen Prozeß erzeugen, solange man zur Verbindung mit dem Oxygen der Atmosphäre hinlängliches Material hat; und dies ist bekanntlich durch die Kohle gegeben, in der »die Sonnenwärme durch lange, oft ungemessene Zeiten mechanische Arbeit aufgespeichert hat«. (Reuleaux a.  a.  O., S.  302.) Während daher Uhrwerke nur eine geringe Menge von Bewegung erzwingen und folglich nur in engen Grenzen anwendbar sind, so ist die Dampfmaschine unendlicher Leistungen fähig. Sie ist die erste eigentliche Kraftmaschine, weil sie aus der Verspeisung von Kohlen und Wasser »ihre Bewegungskraft selbst erzeugt« (Marx a. a. O., S.  341), daher als Maschine an die Stelle zwar nicht der Naturkräfte, wohl aber der natürlichen Motoren (als Mensch, Tier, Wasser, Wind) tritt. Ich würde nicht mit Reuleaux, Marx u. a. das Wasserrad eine Bewegungsmaschine nennen, so wenig wie das Windmühlenrad mit [53] seinen Flügeln; denn

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Reuleaux, Die mechanische Verwertung der Naturkräfte und deren Verwertung, in »Aus Kunst und Welt«, Berlin 1901, S. 292.

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»eine zeitlang als die fast allein herrschende Kraftmaschine« – Reuleaux 1901: 292, kleine Abweichungen. »ihre Bewegungskraft selbst erzeugt« – »Erst mit Watt’s zweiter, sog. doppelt wirkender Dampfmaschine war ein erster Motor gefunden, der seine Bewegungskraft selbst erzeugt aus der Verspeisung von Kohlen und Wasser …« (Marx 1890: 341). als Maschine – In A doppelt hervorgehoben.

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ein Rad ist immer nur Mobile, aber nicht Motor30; ob durch seine Bewegung eine Werkzeugmaschine oder ein einfacher Wagen bewegt wird, es gehört immer zum Transmissionsmechanismus, während der Motor etwas Lebendiges oder doch Natürliches außer ihm ist, das vermöge einer Naturkraft, nämlich vermöge seiner kinetischen Energie wirksam ist. Die Naturkräfte selber können niemals durch irgend welchen künstlichen Apparat ersetzt werden (weil sie auch in diesem das allein Wirksame sind), wohl aber die natürlichen Motoren als Träger von Naturkräften, und zwar wird die Dampfmaschine, wie in einigem Maße schon das Uhrwerk, den organisch-lebendigen Motoren so sehr als möglich ähnlich. Sie ist oft mit einem animalischen Organismus, dieser ist oft wegen des Verbrennungsprozesses mit einer Dampfmaschine verglichen worden, wie im 17. und 18. Jahrhundert der Vergleich des Menschen mit einem Uhrwerk (denn dies war der Sinn des l’homme machine) gar viele Aufmerksamkeit und reichliche Entrüstung auf sich zog. Wir gewinnen daher den zwiefachen Gegensatz: natürlicher Motor – Kraftmaschine Werkzeug – Werkzeugmaschine. Dem natürlichen Motor und dem Werkzeug gemeinsam ist das Merkmal, daß in ihnen die nicht künstlich herstellbare Naturkraft das wesentliche Moment ist. Daß dies vom natürlichen Motor gilt, liegt auf der Hand; es gilt aber auch vom Werkzeug: es ist und bleibt immer eine Gruppe von Partikeln natürlicher Materie, die auf andere Materie wirkt, wenn von menschlicher verständiger Hand geleitet. Jener wirkenden Materie wird allerdings eine zweckmäßige Form gegeben, aber diese Formen sind Nachbildungen von Naturformen, namentlich der organischen Formen des Menschen selbst, die der Mensch gleichsam verlängert, »projiziert« in seine Werkzeuge. Sie verändern und vervollkommnen sich auch gleich jenen wesentlich durch den Gebrauch, in leisen Modifikationen, und sodann, indem ein bildsamerer Stoff den minder bildsamen verdrängt (die Bronze den Stein, das Eisen die Bronze). Dazu 30

Dagegen z. B. Lexis a. a. O.: »Als erster Elementarkraftmotor tritt schon im Altertum das Wasserrad auf.« Allerdings ist jedes Mobile der Möglichkeit nach auch Motor, wie jeder Motor auch Mobile sein muß; aber einen Strom, den Wind, wie auch jeden Organismus betrachten wir als durch seine Zusammensetzung, sein inneres Wesen nicht nur beweglich, sondern tatsächlich bewegt und in seiner Bewegung verharrend, bis diese, gleich einem Feuer, aus Mangel an »Nahrung« erlischt, weil eine gleiche und entgegengerichtete Bewegung sie aufhebt.

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»Als erster Elementarkraftmotor … Wasserrad auf.« – Lexis 1892: 1134; Tönnies’ Hervorhebung.

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kommt, daß das Werkzeug nichts ist außer in seiner Abhängigkeit vom könnenden, kundigen Menschen: die Geschicklichkeit in der Handhabung des Werkzeuges belebt und beseelt gleichsam das Werkzeug selber. Diese Geschicklichkeit [54] aber ist ganz und gar organisch; sie liegt teils in der ererbten Anlage der Menschen, teils wächst und entwickelt sie sich aus dieser, wie die Gewebe und Organe des tierischen Leibes selber. Die Maschine ist in ganz anderem, ist in absolutem Sinne Gebilde des menschlichen Hirns und der menschlichen Hand; eben weil sie Nachbildung der organischen Naturgebilde ist. Die Konstruktion, die Form, ist daher die Hauptsache, als die zweckmäßige Anordnung, der »Geist«, der in sie hineingedacht und hineingelegt wird. Darum wird aus zweckmäßig zu einer bestimmten Gesamtwirkung (Kooperation) geordneten Menschen selber, etwas der Maschine Ähnliches – verschieden von natürlichen Motoren, weil aus solchen zusammengesetzt und mit einer Gesamtintelligenz durch den von außen ihnen auferlegten Willen versehen; verschieden von einem Werkzeug, eben weil ein intelligentes und wollendes Werkzeug. So ist die Kraftmaschine dem intelligenten Organismus ähnlich, insofern dieser lebt; die Werkzeugmaschine, insofern er arbeitet; daher in einem gewissen Maße, insofern er denkt; zumal, wenn sie mit der Kraftmaschine verbunden wurde. Es handelt sich also letzten Endes und der Idee nach um den Ersatz des von der Natur zweckmäßig angelegten und ausgebildeten, durch Entwicklung gewordenen intelligenten Organismus, durch einen von Menschenhirn ersonnenen, von Menschenhand konstruierten, mit Bewußtsein und planmäßig als Mittel für einen bestimmten außer ihm liegenden Zweck gemachten Mechanismus. Hierin spricht sich der prinzipielle Gegensatz aus, der nie vollständig in die Wirklichkeit tritt, weil ihm der andere Gegensatz immer parallel läuft, der darin besteht, daß der Mensch selber, in beiden Fällen Subjekt von Zwecken und Tätigkeiten, auf der einen Seite der Kraftgehülfen und Werkzeuge sich bedient, auf der anderen die Kraft- und Werkzeugmaschinen anwendet. Er kann sich freilich auch seines arbeitenden, kunstverständigen Mitmenschen, wie eines Kraftgehilfen und Werkzeuges zugleich, oder als des Mittels für seine Zwecke, bedienen; er bedarf auf der anderen Seite, auch für die vollkommensten Maschinen, und je mehr die Maschinenkörper ins Ungeheure wachsen, um so mehr eines Heeres von Arbeitern zur Überwachung und Bedienung der Maschinen, so daß sich der Gegensatz auch so bezeichnen läßt: auf der einen Seite Menschen mit Werkzeugen, sodann mit Kraftgehilfen arbeitend, auf der andern Seite  5

Anlage der Menschen – A: Anlage des Menschen.

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Menschen mit Maschinen arbeitend – im einen wie im andern Falle als von andern Menschen abhängig, von diesen als Mittel für ihre Zwecke vorgestellt und gedacht. [55] Wir haben also den dreifachen Gegensatz: 1. gegenüber dem kunstvoll arbeitenden Menschen die kunstvoll arbeitende Maschine, 2. gegenüber dem Kunstgehilfen und Werkzeug die Kraft- und Werkzeugmaschine, 3. gegenüber den mit Kraftgehilfen und Werkzeugen arbeitenden Menschen, als Mitteln, die mit Kraft- und Werkzeugmaschinen arbeitenden Menschen als Mittel, für Zwecke anderer Menschen. Die erste Betrachtung ist die naturwissenschaftliche, in dem weiteren Sinne des Begriffes Natur als eines alle Wirklichkeit – gewordene und gemachte – umfassenden31. Die dritte Betrachtung ist die sozialwissenschaftliche – nicht die allein mögliche, aber diejenige, die der Erfahrung am nächsten liegt. Die technologische Betrachtung steht zwischen beiden in der Mitte. Sie geht in die sozialwissenschaftliche insofern über, als sie dem natürlichen Verhältnis zwischen Menschen und Natur gerecht wird, und nur von den spezifisch sozialen Verhältnissen zwischen Menschen und Menschen Umgang nimmt. Sie beruht aber in der naturwissenschaftlichen Betrachtung, denn auch sie betrachtet – aber unter Voraussetzung des Zwecke habenden Menschen – Naturkräfte und gestaltete Materie als teils ewig, teils geworden, immer als Gegenstände der Wirklichkeit, die der Mensch seinem Willen unterworfen hat oder unterwirft: so daß sie neben ihrem natürlichen Dasein ein soziales Dasein haben, weil und insofern als der Mensch sie gebraucht, sich ihrer bedient, sie wirksam macht. Für den Gebrauch von Kunstgehilfen und Werkzeugen ist das Können die Hauptsache: nicht nur die Kenntnis, sondern ein organisches Vermögen, das ganz wie eine angeborene Fähigkeit den Menschen spezifisch bestimmt, und regelmäßig auch als Anlage vererbt und angeboren ist: wenn diese Anlage auch nur in der normalen Beschaffenheit von Hirn und Gliedmaßen besteht. Für den Gebrauch von Maschinen  fällt dieses spezialisierte Können weg, oder tritt doch stark zurück. Es kommt nur auf ein allgemeines Können an: bald sehr geringe, z. B. kindliche, bald sehr bedeutende körperliche Kräfte, und eine allgemeine Intelligenz, von der ebenfalls sehr verschiedene Grade 31

Man kann sie darum auch die metaphysische nennen – denn dies ist der echte und alte Sinn der Metaphysik, der nur dadurch getrübt wurde, daß man auch gedachte Wesen – z. B. reine Geister – als der Wirklichkeit angehörend rechnete.

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Kraftgehilfen und Werkzeugen – A: Kraftgehilfen und -Werkzeugen.

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erfordert werden. Die eigentliche Beherrschung der Maschine, die ihre Natur durchdringt, daher auch sie zu korrigieren und zu modifizieren imstande [56] ist, wird vielmehr durch ein Wissen als durch ein Können bedingt, nämlich durch klare wissenschaftliche Erkenntnis ihrer Konstruktion und Zusammensetzung. Nun sind zwar auch für Wissenschaft vererbte Anlagen von hoher Bedeutung; ein guter Kopf, mit »Mutterwitz« begabt, wird sich immer bewähren. Aber in ganz anderem Umfange, als für ein spezialisiertes Können, kommt doch hier das Wollen in Frage. Jeder mittlere Kopf, wenn er nur mit den viel allgemeineren menschlichen Qualitäten, namentlich mit Gedächtnis begabt ist, kann ein großes Wissen erwerben, und zwar gehört zu diesem Erwerbe nicht sowohl die Übung einer besonderen Fähigkeit, vielmehr die Aufnahme und Aneignung des von außen dargebotenen Stoffes. Daß es dabei um den Erwerb von Mitteln und um Beteiligung des auf Gewinn gerichteten Willens sich handelt, oder wenigstens leicht sich handeln kann, begreifen wir, wenn wir die unermeßliche Bedeutung, die Nützlichkeit und Notwendigkeit des Wissens für alle komplizierteren, daher insbesondere für neue menschliche Zwecke ermessen. Denn, wie früher bedeutet, nur durch Wissen ist Voraussicht, und nur durch Voraussicht ist Beherrschung zukünftiger Ereignisse möglich. Ein zukünftiges Ereignis ist aber der Zweck, den man bewirken, wie (für das Denken) die Wirkung, der man zuvorkommen will. So wird das verfügbare und von außen aufnehmbare Wissen, wird die Wissenschaft selber zu einem angesammelten und angewandten Mittel, das der Mensch für seine Zwecke gebraucht und vermöge dessen er sich die Wege bahnt zu seinen Zielen. Es bedarf aber nur einer bündigen Hinweisung darauf, in welchem Umfange die Wissenschaften durch Rechnung und Experiment zur gestaltenden Macht der Technologie geworden sind. Da ist es zunächst die Ausbildung der Mathematik, die nach allen Richtungen hin die unerläßliche Theorie für die Praxis des Ingenieurs geworden ist. Schon in der Kriegstechnik ist sie uns begegnet und bedeutet in der Tat die Quelle der artilleristischen Fortschritte durch allmähliche Erkenntnis der Ballistik32. So war auch »eine prakti32

»So wenig sich die Musicj one die Scala, der Musikalischen Mensur, des Gesangs und derselben terminibus gebrauchen megen, also vnd noch vill unmüglicher megen sich die, so der Mathematischen Konsten unbekannt, deß großen geschützes … wissenschaft

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»So wenig sich die Musicj … « – Tönnies zitiert mit einigen orthographischen Ungenauigkeiten: »So wenig sich die Müsicj one die Scala, der Musikalischen Mensur, des Gesangs vnd derselben terminibus gebrauchen megen, allso vnd noch vill vnmüglicher megen sich die, so der Mathematischen Konsten vnbekannt, deß großen geschützes … wissenschaft rüemen …« Jähns 1889: 627 zitiert eine Stuttgarter Handschrift, die er auf die Zeit zwischen 1564 bis 1576 datiert.

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sche Anwendung der Mathematik, welche der Artillerie ganz ausschließlich zugewendet, von großer Wichtigkeit geworden ist, die Erfindung des Kaliberstabes (Visierstabes, Artilleriemaßstabes), welche um 1540 von Georg Hart[57]mann zu Nürnberg mitgeteilt wurde«. (Jähns I 605.) Die Probleme der Ballistik lösten Galileo und Torricelli, und um dieselbe Zeit wurden die Napier-Briggsschen Logarithmen erfunden, die der Artillerie unentbehrlich geworden sind. Auch auf den Wert der verfeinerten Rechenkunst  für die Handelstechnik wurde schon aufmerksam gemacht, und die elementare ist, mit der Verallgemeinerung des Kaufens, ein Gemeingut aller geworden. Für die industrielle Technik aber gilt, nach den Worten von Karmarsch: »Die Mathematik leiht ihre vervollkommneten Hilfsmittel zur Berechnung der bei Maschinen vorkommenden Widerstände und Effekte, und so ist eine wissenschaftliche mathematische Maschinenlehre geschaffen … selbst der Maschinenbau, die Lehre vom Konstruieren oder Entwerfen der Maschinen für vorgeschriebene Aufgaben, ist zur Wissenschaft erhoben und bemißt Größe und Stärke aller einzelnen Teile nach mathematischen Grundsätzen und aus der Erfahrung abgezogenen Regeln …33« Die reine Mathematik geht unmittelbar in die Mechanik über, und diese ist von Statik und Dynamik fester Körper mehr und mehr zu der von Flüssigkeiten und von Gasen, die für die Technik des Dampfes besondere Bedeutung gewinnen mußten,  fortgeschritten. Die Physik sodann hat gelernt, alle Naturkräfte als Formen der sich erhaltenden Energie, daher als ineinander umsetzbar, zu begreifen, und in früherer Zeit Wärmelehre und Optik, in jüngerer namentlich die Elektrizitätslehre fruchtbar zu machen gewußt. Die Chemie vollends ist, was die Goldmacher einst geahnt zu haben scheinen, die Mutter einer großen Industrie geworden, und wird auch für die Landwirtschaft voraussichtlich immer größeren Wert gewinnen. Hier geht die Chemie (der Kohlenstoffverbindungen) in die Biologie über, deren praktische Verwertung noch unabsehbar ist, wie deren theoreti-

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ruemen«. Stuttgarter Hs.: »Summarische und grvndtliche Beschreibunge der Geometrischen newen Arteglieria Sampt derselben inkorporirten Mathematischen und Mechanischen gehaimen vnd mehrenteils vor unbekandten herrlichen secreten Registraturen, Handtgriffen, Instrumenten etc. …« bei Jähns l. c. I, S. 627. Geschichte der Technologie (München 1872) S. 18.

Jähns I 605 – Unbedeutende Ungenauigkeiten im Zitat. »Summarische und grvndtliche … Instrumenten etc. …« – Auch hier einige Übertragungsfehler: »Summarische vnnd grondtliche Beschreibunge der Geometrischen newen Arteglieria Sampt derselben Incorporirtten Mathematischen und Mechanischen gehaimen vnd mehrentheils vor vnbekhanndten herrlichen secreten Registraturen, Handtgriffen, Instrumenten etc. …« (zit. ebd., 626 f.).

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sche Basierung erst in neuester Zeit, als Produkt optischer Instrumente, ihre Sicherheit gewonnen hat. Wie die Technologie als besonderer Wissenschaftszweig erst im 19. Jahrhundert aus dem Stadium des bloßen Erzählens und Beschreibens in das des Vergleichens, Begründens und Bestimmens getreten ist, so ist auch die technische Erfindung bisher noch wenig durch sie, also auch wenig durch die Naturwissenschaften, auf denen sie beruht, aber – und dies wurde schon hervorgehoben – sie ist immer wesentlich durch wissenschaftliches, insbesondere mathematisch-mechanisches (aber auch durch chemisches) Denken beeinflußt und bedingt gewesen. Immer ist aus der Praxis selber, wenn sie von sinnigen Köpfen gepflegt wurde, die Spekulation erwachsen, und aus der Spekulation der Versuch, die Neuerung, die Erfindung. Die Werkstätte des Schmiedes, der eiserne [58] Werkzeuge verfertigt, wird durch die Herstellung schmiedbaren Gußeisens die erste eigentliche Fabrica; sie bedurfte der durch Wasserkraft bewegten Blasebälge, die gleichzeitig  für den Hochofen und  für den Schmelzprozeß des Roheisens die nötigen Temperaturen liefern; freilich mußten erst Kohlen billig genug sein und sogar erst in Koks verwandelt werden, um ein zureichendes Material  für Heizung der Hochöfen zu liefern. Aber die Eisengießerei löst sich vom Hochofenbetriebe ab und bedient sich ihrer besonderen Schmelzöfen; die leichte und relativ billige Herstellung von Gußwaren, dann auch von schmiedbarem Guß, bahnt dem Maschinenbau die Wege. In allen jenen Tätigkeiten ist aber ein langsamer Fortschritt durch die Jahrhunderte hindurch zu beobachten, der allmählich sich kumuliert und beschleunigt hat – in sicherer, wenn auch schwerlich erkennbarer Gesetzmäßigkeit. Immer sind unter den Praktikern denkende Praktiker gewesen, die auf neue Wege sannen, die dem zunehmenden Bedarfe ihre Betriebe anzupassen, ihre durch Bestellungen und regelmäßige Kundschaft gestellten Aufgaben rascher, als bisher üblich, größer und vollkommener als bisher möglich, vor allem wohlfeiler, als bisher durch die Konkurrenz geschehen, zu lösen versuchten. Viele solche Versuche sind gescheitert, oder sind nur zeitweilig oder nur in kleinem Maßstabe gelungen – und bald vergessen worden, obgleich sie keineswegs ohne Wirkungen waren, ja notwendig als Vorbereitungen der wenigen, die die Probe eines dauernden Erfolges bestanden. Während es nun in allen jenen Schmelzereien und Gießereien vorzugsweise um Herstellung geeigneten Materials sich handelt, die an die Urproduktion des Bergbaus sich unmittelbar anschließt und aus ihr herauswächst – daher sich früh die Richtung auf das Massenhafte, früh die 16

Hochofen – In A hier und in folgenden Wortableitungen die alte Form »Hohofen«.

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Scheidung dirigierender und ausführender Tätigkeiten ausbildet; – so mußte ihr begegnen, sich neben sie stellen, um von ihr zu empfangen, aber auch mächtig auf sie zurückzuwirken, die kleine und verfeinerte Formgebung, die künstlerische Metall- (und nebenher auch Holz-) Arbeit, die von altersher für höchst mannigfache Gebrauchszwecke bestehend, für manche der von ihr verfertigten Geräte auf Beobachtung und Verbesserung zu erzielender mechanischer Effekte hingewiesen war. Und hier ist wiederum an die – auch auf die Materialgewinnung in bedeutendster Weise einwirkende – Kriegstechnik zu erinnern. Die Büchsenmeister und die Gewehrschlosser sind – oft in Verbindung mit mathematisch gebildeten Offizieren – die Jahrhunderte hindurch sinnreiche Mechaniker gewesen, die den Anforderungen großer Herren und Heerführer – viel fordernder, aber nicht selten auch reich belohnender – gerecht zu werden fortwährend sich angestachelt fühlten. Aber auch Türschlosser, Kunsttischler, und ganz [59] besonders Uhrmacher, diese die relativ jüngsten unter den Handwerkern, wurden auf mechanische Probleme sozusagen gestoßen, und die begabteren unter ihnen waren immer emsig im Erfinden, wenn auch nur geistreicher Spielereien, im Grübeln über Probleme, die zu gleicher Zeit und  früher theoretischen Denkern viel Kopfzerbrechens gemacht hatten, und praktisch ebenso unausführbar waren, wie theoretisch: so war noch Arkwright, der Erfinder der Wassermaschine zum Baumwollspinnen, jahrelang darauf versessen, das Perpetuum mobile zu konstruieren: Arkwright, der nur zufällig Barbier, seinem inneren Berufe nach ganz und gar praktischer Mechanikus war, so gut wie der Geistliche Cartwright, der den mechanischen Webstuhl erfand. Man muß sich erinnern, daß die Tätigkeiten des Hausvaters im 18. Jahrhundert noch weit mehr Anreiz und – Muße darboten als heute, zum Selbstmachen und Selbstreparieren, überhaupt zur Vielseitigkeit; wie weit dabei Wissenschaft direkt und indirekt mitgewirkt hat, ist im einzelnen schwer zu konstatieren, im ganzen aber ist es zweifellos, daß die parallel laufenden Fortschritte der theoretischen und der praktischen Mechanik – ebenso wie der theoretischen und praktischen Chemie – einander gegenseitig belebt und befruchtet haben. Erst allmählich und spät gewinnt die Theorie unbedingte und fast unbeschränkte Oberhand. Der ausgezeichnete technologische Denker Reuleaux spricht sich einmal folgendermaßen aus: »Die Maschine ist in dem Punkte der Selbsttätigkeit soweit gebracht worden, daß sie stellenweise für vernunftbegabt gehalten werden könnte, sie tritt fast vollständig an die Stelle des Menschen; der Witz ihres Erfinders belebt ihre kleinsten Teile und läßt sie gleichsam lange und verwickelte Gedankenfolgen mit ihrer unerbittlichen Logik verwirklichen: der Mensch aber, ihr Diener – grausige Ironie

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– sinkt auf die Stufe der Maschine hinab«34. Reuleaux vermischt hier, wie es so oft geschieht, die drei Betrachtungen, die wir unterschieden haben. Wir können – um es zu wiederholen – den gewordenen leistungsfähigen Menschen und die konstruierte leistungsfähige Maschine nebeneinander und einander gegenüberstellen; es wird dem Verständnisse beider, des intelligenten Organismus und des quasi intelligenten Mechanismus – des höchsten Produktes der Natur und des höchsten Produktes des Verstandes, sofern dieser auf die Unterwerfung der Natur unter menschliche Zwecke ausgeht – förderlich sein. Wir können ferner (2.) die natürlichen und wesentlich materiellen, Naturkräfte verkörpernden, Hilfsmittel des menschlichen Willens mit den ganz und gar künstlichen, wesentlich  formellen, menschlichen Willen und [60] menschliches Denken objektivierenden Maschinen vergleichen: den Gegensatz von Wesenwillen und Kürwillen, zugleich aber die Folge und Entwicklung von Kürwillen aus Wesenwillen, ihren inneren Zusammenhang, finden wir hier im Auseinander und Gegensatze, gegenseitiger Bedingtheit und sich explizierendem Widerspruch von Können und Wissen, von Praxis und Theorie, also in einer wesentlich psychologischen Zwiefachheit des einzelnen Menschen. Wir können endlich (3.) den Menschen, der mit seinen Werkzeugen arbeitet, und ihm gegenüber den Menschen, der an und mit der Maschine arbeitet, als abhängig von den Zwecken eines anderen Menschen denken: jenen als zum Werkzeug gehörig, einem Werkzeug vergleichbar; diesen als Teil der Maschine und selber einer Maschine vergleichbar. So erscheint uns auf der einen Seite der Gehilfe, Geselle – nicht Werkzeug in dem oft angewandten bildlichen Sinne, als totes, willenloses Gebilde, sondern – das beseelte vernünftige Wesen, das sich nach den Intentionen seines Meisters fügt und richtet, das seinem Winke gehorcht und seine Gedanken ausführt: ein Organ. Auf der anderen Seite erblicken wir den bloßen unqualifizierten Arbeiter, die »Hand«, der gegenüber das Gerät so unermeßlich an Bedeutung gestiegen ist, daß in der Tat sich das Verhältnis umgekehrt hat: das Werkzeug diente dem Gesellen und war für ihn da, aber der Fabrik34

Die Maschine in der Arbeiterfrage (Minden 1885), S. 16.

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(2.) – ein (1.) fehlt den Gegensatz von Wesenwillen und Kürwillen – A: der Gegensatz von Wesenwillen und Willkür. – Auch im Folgenden in A die alte Form »Willkür« an der Stelle von »Kürwillen« (vgl. zum Wechsel der Terminologie Tönnies’ ab der dritten Auflage (1919) von »Gemeinschaft und Gesellschaft« TG 2: 67).

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arbeiter dient der Maschine und ist für die Maschine da. Dies aber ist eine rein soziologische, durch bestimmte historische Bedingungen der Arbeitsverfassung gegebene Betrachtung. Durch die Natur der Maschine ist sie nicht geboten; der Mensch als Mensch bleibt, wie er ihr Urheber ist, so auch ihr Herr. Ja, der Unternehmer, Fabrikherr, Kapitalist, steht ihr, und somit der Fabrik, mit viel größerer Freiheit und persönlicher Unabhängigkeit gegenüber, als der Meister seinem Werkzeug und seiner Werkstatt. Jener – und vollends der seine Stelle einnehmende Aktionär – braucht »keine Fachkenntnisse zu besitzen«35, also nicht jenes intime gegenseitige Verhältnis darzustellen, das ein Organismus als Ganzes oder sein empfindendes Zentralorgan zu seinen bewußt gelenkten Gliedern hat, so daß er von seinem Gliede abhängig ist, wie dieses von ihm (wenn auch in anderer und weniger dezidierter Weise); vielmehr ist die Sache ganz Sache zu ihm: so sehr er sich tatsächlich des Betriebes annehmen, seiner kundig sein und ihn leiten mag: – der Aktienbesitzer freilich weiß oft nicht einmal, in welchem Lande und in welcher Stadt die Fabrik belegen ist – wesentlich und notwendig ist nur noch die formale Autorität des absoluten Eigentümers, dessen Wille von ihm selber oder von Mandataren vollzogen, darauf gerichtet ist, daß in seinem Namen gearbeitet werde. [61] Daher ist denn hier das Arbeiten völlig von der Persönlichkeit des Herrn gelöst, ist ein allgemeines. Die hergestellten Gegenstände tragen wohl den Fabrikstempel, aber sie tragen nicht den Stempel eines individuellen Geistes36. So ist auch das Verhältnis des Fabrikherrn zu seinen (was sie der Form nach immer sind) Gehilfen, den Arbeitern, nicht wesentlich ein individuelles, vielmehr durch die allgemeine Beschaffenheit des Arbeitsprozesses bedingt. Der Gehilfe des Handwerksmeisters ist ziemlich oft dessen Sohn und Erbe; oder er hat doch eine dem Sohne ähnliche Stellung in dessen Hause, er ist ganz und gar bedingt durch die soziale Vererbung, durch die Tradition dieser Arbeit, dieses Standes, vielleicht sogar dieses einzelnen Meisters. Der Fabrikarbeiter muß einem gegen Tradition völlig gleichgültigen, durch die Sachen und ihren Zweck bedingten Betriebe sich einfügen, oder wird durch den Funktionär des Unternehmers, den Werkmeister, ihm einge35

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Wie so oft annonciert wird von denen, die eine Fabrik zum Verkauf stellen. »Nur dort, wo freie geistige Schöpfung in das Arbeitsstück hineingelegt werden muß«, meint K. von Scherzer (Das wirtschaftliche Leben der Völker, Leipzig 1885, S. 629), habe die Maschinenarbeit ihre Grenze. Vgl. die Erörterung über »Bewegungsmannigfaltigkeiten« (Nützlichkeitsform versus Kunstform) bei Reuleaux, Die Maschine, S. 9. die Fabrik belegen ist – Lies: die Fabrik gelegen ist. ist ziemlich oft dessen Sohn – A: ist ganz regelmäßig dessen Sohn.

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fügt. Seine Person verschwindet, je mehr die Maschinerie ihren Körper ausdehnt, um so mehr in einem Heere von Beamten und Arbeitern, das als Ganzes, der Fabrikordnung unterworfen, dem Kommando des – persönlichen oder unpersönlichen – Fabrikherrn in einförmig-mannigfachen Bewegungen gehorchend, selber (so gut wie sonst ein wohlgegliedertes, pünktlich manövrierendes Heer) einer Maschine füglich verglichen werden kann. – Wie aber diese Ansicht durchaus auf das soziale Verhältnis zwischen Mensch und Mensch sich bezieht, geht schon daraus hervor, daß dieser »maschinelle« Charakter der arbeitenden Gruppe keineswegs durch das Arbeiten an und mit der Maschine bedingt ist. Er ist ebensogut vorhanden in der »Manufaktur«, die gar nicht oder nur nebenher Maschinen anwendet, wenn an deren Statt eine starke Unterteilung der Arbeit (subdivision of labour)37 das System herstellt, das den einzelnen Arbeiter an eine minutiöse, unablässig zu wiederholende Verrichtung fesselt. Ein solches System, und im Hinblick darauf die »Teilung der Arbeit« – die aber etwas ganz anderes bedeutet, so lange als es sich dabei um Scheidung der Berufe und Kunstfertigkeiten handelt – ist daher oft angeklagt worden als zur Mechanisierung und Geisttötung des Arbeiters führend, am heftigsten schon von dem geistvollen Schotten Adam Ferguson in seiner »History of civil society« (1750). Die systematische Strammheit aber, die so das Individuum zum »Heloten« oder zur »Marionette« macht, ist von der [62] Technik des Zusammenarbeitens (der Kooperation) nur insofern abhängig, als diese selber Ergebnis der bewußten Unterordnung unter die Gebote eines äußeren Zweckes ist, als insbesondere die Beschleunigung des Arbeitsprozesses durch Marktverhältnisse und Konkurrenz gefordert wird. Die Idee des Systems verkörpert sich aber dann in der Maschinerie, die, ebenso wie jene, Unterordnung der Arbeitskräfte verlangt, zugleich aber, ihrer Tendenz nach, indem sie mit dem »scholastischen Dogma der Arbeitsteilung«38 aufräumt, der Arbeitergruppe mit zunehmender Gleichheit39 ihrer Funktionen eine ideelle Freiheit wiedergibt, indem die Zweck37 38 39

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Von K. Bücher »Arbeitszerlegung« genannt: Entstehung der Volkswirtschaft 4, S. 336. Der Ausdruck Ures: Philosophy of manufacures (London 1835), p. 23. »Je automatischer die Werkzeugmaschine wird, desto gleichartiger wird die Arbeit ihrer Beaufsichtigung« v. Schulze-Gaevernitz, Der Großbetrieb, S. 166. Vgl. die scharfen »History of civil society« – Ferguson 1767. »scholastischen Dogma der Arbeitsteilung« – »This tendency to employ merely children with watchful eyes and nimble fingers, instead of journeymen of long experience, shows how the scholastic dogma of the division of labour into degrees of skill has been exploded by our enlightened manufacturers.« (Ure 1835: 23). »Je automatischer … Beaufsichtigung« – »Je automatischer sie [»die Werkzeugsmaschine«] wird …« (Schulze-Gävernitz 1892: 166).

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bestimmung nicht mehr allein und nicht mehr wesentlich durch den Fabrikanten gegeben wird, sondern durch die Maschine selber, die zu regelmäßiger Aufmerksamkeit, zu gleichmäßigen Bewegungen zwingt, denn Freiheit ist immer etwas Relatives (es gibt keine absolute Freiheit) und die von den Menschen »gemeinte« Freiheit ist hauptsächlich Freiheit von der äußeren Nötigung durch andere Menschen, die ihrem Gefühl und Bewußtsein nach kein »Recht«, d. h. keinen von ihnen selber beglaubigten Auftrag zu solcher Nötigung haben. Die Menschen werden um so freier sich vorkommen, je mehr sie einerseits nur den Sachen gehorchen, d. h. den technischen Anforderungen eines Arbeitsprozesses gerecht werden, anderseits je mehr sie sich selbst beherrschen und nur von sich selbst beherrscht werden, individuell und sozial. Die Befreiung der Arbeit setzt daher allerdings die Elimination des Kapitalisten voraus, wie z. B. auch Herbert Spencer, der entschiedene Gegner des (autoritären) Sozialismus, klar und offen anerkannt hat. [63]

Bemerkungen bei J. A. Hobson, The evolution of capitalism, p. 258  f. in Anlehnung an den Satz: »Alle Menschen sind gleich vor der Maschine«. Schon Ure (l. c. p. 21 f.) nennt das mechanische System equalisation of labour im Gegensatz zum graduation system der Manufaktur. Ich selber habe in einem Aufsatze »Historismus und Rationalismus«, Archiv  f. systemat. Philos. I. 1 (jetzt Erste Sammlung dieser Studien und Kritiken, S. 105 ff.), die Arten der Arbeitsteilung und insbesondere die Tendenzen behandelt, die zur Verminderung und Aufhebung der »subjektiven« (wie ich sie nenne) Arbeitsteilung führen.

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setzt daher allerdings die Elimination des Kapitalisten voraus – Vgl. in § 845 in Spencers »Principles of Sociology III« seine Überlegungen zum »mode of regulating labour« (Spencer 1898 III: 587 f.). scharfen Bemerkungen bei J. A. Hobson – Vgl. Hobson 1906: 349 f. Ure – Die Begriffe: Ure 1835: 21. »Historismus und Rationalismus« – Tönnies 1895 – Der Verweis auf SSK I fehlt in A. Arbeitsteilung führen. – In A folgt der Satz: Daß dieser Aufsatz sehr selten irgend welcher Beachtung – wenigstens ausgesprochener – gewürdigt wird, brauche ich kaum hinzuzufügen.

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XIX. Entwicklung der Soziologie in Deutschland im 19. Jahrhundert Drei große Hauptströme haben miteinander und nacheinander über das deutsche Geistesleben im 19. Jahrhundert sich ergossen. Diese sind: 1. die philosophische, 2. die historische, 3. die naturwissenschaftliche Denkungsart, daraus hervorgehende Studien und Interessen, darin beruhende Auffassungen und Urteile. Alle drei Richtungen sind auch im vorhergehenden 18. Jahrhundert schon zu mächtiger Breite und Fülle angewachsen, aber die erste am

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Entwicklung der Soziologie in Deutschland im 19. Jahrhundert – Zuerst 1908 veröffentlicht als Nr. XIV, S. 1–42 in: Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre im neunzehnten Jahrhundert. Gustav Schmoller zur siebenzigsten Wiederkehr seines Geburtstages, 24. Juni 1908, Erster Teil. Leipzig (Tönnies 1908, im Folgenden: A). – Tönnies präsentiert für die Festschrift einen dichten Rückblick auf die Entwicklung zur Soziologie in der Fachliteratur in Deutschland, man könnte sagen: eine Protosoziologie. Seine Perspektive ist breiter als die spätere Fachgeschichtsschreibung, denn es geht nicht um die Geschichte eines etablierten Faches, sondern um Denkströmungen, die zu diesem Fach führen. – Die Beschäftigung mit Schmoller zieht sich durch das gesamte Werk Tönnies’; die Begegnung mit Schmoller hat für Tönnies einen ersten schmerzhaften Höhepunkt mit dessen Besprechung von »Gemeinschaft und Gesellschaft« (Schmoller 1888a, vgl. hierzu TG 2: 618 f.). – In A folgt dem Titel ein »Inhaltsverzeichnis« [Seitenzahlen angepasst]: »Das soziologische Denken und Einflüsse darauf S. 124–126. – I. Philosophie in der Staats- und Rechtslehre. – Kant. – Die Romantik. – Die historische Schule. – Hegel. S. 126–135. – II. Das historische Bewußtsein. – ›Politik‹. – Die französischen Sozialisten. – Feuerbach. – Marx. – Hegels Philosophie der Geschichte. – Materialistische Ansicht. – Kulturgeschichte. – Statistik. – Ur- und Agrargeschichte. – Mutterrecht. – Lorenz Stein. – Der Begriff der Gesellschaft. – Mohl. – Völkerpsychologie. – Riehl u. a. S. 135–157. – III. Einflüsse der Naturwissenschaften. – Comte. – Spencer. – Gesellschaft als Organismus. – Lilienfeld. – Schäffle. – Jhering. – Bastian. – Gumplovicz. – Sozialismus und Entwicklungslehre. – Maine u. a. – Rechts- und Wirtschaftsgeschichte. – ›Gemeinschaft und Gesellschaft‹. – Kulturgeschichtliche und ethnologische Schriften 1887–1900. – Entwicklung der Familie. – Sozialer Darwinismus. – Theorie der Geschichte. – Simmel. – Schluß S. 157–181.« – Unter der Überschrift die Autorenzeichnung »Von Ferdinand Tönnies, Eutin«. Der Text ist in Fraktur gesetzt. sind auch – A: waren auch. vorhergehenden 18. Jahrhundert – A: vorhergehenden (18.) Jahrhundert.

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meisten, die dritte am wenigsten. Sie hängen untereinander zusammen, sie befördern einander, aber sie sind einander auch zuwider und liegen oft in Streit und Fehde. Sie haben in ihren Wirkungen auf die Jurisprudenz und auf die Nationalökonomie, teils einzeln, teils zusammen, teils nach-, teils gegeneinander das soziologische Denken erzeugt und soweit entwickelt, wie es bis zum Schlusse des Jahrhunderts gediehen ist. Als soziologisches Denken verstehe ich zunächst das Denken über: I. soziale Verhältnisse, z. B. die Ehe und andere Familienverhältnisse, das Verhältnis von Meister und Gesell, Unternehmer und Arbeiter, König und Minister, Volksvertreter und Wähler, II. die Gesamtheiten sozialer und politischer Verhältnisse, die durch Begriffe wie Gesellschaft, Volk, Nation, Stand, Klasse u.  a. bezeichnet werden. Ich schlage dafür den Terminus Samtschaften vor, III. soziale Verbindungen, als Korporationen, Vereine, Genossenschaften, Dorf- und Stadtgemeinden, Staat und Kirche, Bundesstaat, Reich und andere Arten von Gemeinwesen. Den nächsten wichtigen Gegenstand bilden die sozialen Normen, wie sie in den Gegenständen des kollektiven Wollens als Ordnung, Recht und Moral in vielen Gestalten gegeben sind. Jene Strömungen lassen sich annähernderweise auf je ein Drittel des Jahrhunderts, also etwa ein Menschenalter so beziehen, daß die Philosophie noch das erste, die Historie das zweite, die Naturwissenschaft das dritte vorzugsweise beherrscht und bestimmt hat. Das soziologische Denken mündet überall in eine Ansicht der Geschichte, als der Entwicklung des sozialen Lebens – der Menschheit im ganzen, der Kulturvölker besonders. Der Philosophie der Ge[64]schichte gegenüber erhebt sich die reine Geschichte und endlich die naturwissenschaftliche Auffassung der Völkerentwicklungen, die auch als eine neue Philosophie der Geschichte begriffen wird: als angewandte Soziologie. Aber die reichste Quelle soziologischen Denkens lag tatsächlich immer im Staat, in politischen Theorien, und auch diese machen sichtlich  3  8 13

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in ihren Wirkungen – A: mit ihren Wirkungen. verstehe ich zunächst … Verhältnisse, z. B. – A: verstehe ich das Denken über 1. soziale Verhältnisse – z. B. – Ab hier in A arabische Ziffern. Wähler, II. die Gesamtheiten… Verbindungen – A: Wähler und die Gesamtheiten sozialer und politischer Verhältnisse, die durch Begriffe wie Gesellschaft, Volk, Nation, Stand, Klasse u.  a. bezeichnet werden – 2. sozialen Willen – insbesondere Sitte und Recht, Gesetz, Religion und öffentliche Meinung nebst den dadurch geschaffenen sozialen Werten –, 3. soziale Verbindungen. Den nächsten wichtigen … gegeben sind. – Satz fehlt in A. begriffen wird: als angewandte Soziologie. – A: begriffen wird.. Quelle soziologischen Denkens lag tatsächlich immer im Staat – A: Quelle des soziologischen Denkens lag tatsächlich immer im Denken über den Staat.

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die drei Phasen durch: Philosophie, Geschichte, Naturwissenschaft haben je als die wirksamsten Elemente sie bedingt und bereichert. Mit der Betrachtung des Staates verwoben erscheint überall die des »Rechtes«. Aber seinem Wesen nach ist das Recht unabhängig vom Staate, es bedingt und trägt den Staat mindestens ebenso sehr, als es in der uns näheren Erfahrung von ihm bedingt und getragen wird. Recht ist der Inhalt eines die Verhältnisse von Willenssphären zueinander regelnden gemeinsamen Willens. Es ist daher soziale Tatsache im Unterschiede von politischen und vor diesen Tatsachen. Als politische Tatsachen werden hier alle solche verstanden, deren Merkmal die im Namen eines Gemeinwesens, also einer bestimmt konstituierten sozialen Verbindung ausgeübte Gewalt (öffentliche Gewalt) ist. Auch die Lehren vom wirtschaftlichen Leben wurden zuerst regelmäßig an die Staatslehre angeknüpft; sie sind »politische Ökonomie«, und betreffen zunächst den öffentlichen Haushalt, der auf ein bevölkertes Land, auf arbeitende Hände und eine günstige Balance des Handels angewiesen ist. Dann aber wird die Arbeit des Volkes als soziale Tatsache begriffen, und indem Freiheit dafür als zweckmäßig postuliert wird, schiebt sich als Zwecksubjekt »die Gesellschaft« anstelle des Staates, Gesellschaft, die sich selbst reguliert, deren objektives Recht durch die Verträge ihrer von Haus aus selbstherrlichen Individuen gesetzt ist. Mit dem »natürlichen Recht« bleibt die »Volkswirtschaft« in nahen Beziehungen. Es entspricht dem allgemein angenommenen nominalistischen Fundament des gesamten wissenschaftlichen Denkens, wenn von den Individuen als den allein wirklichen Wesen ausgegangen wird, von ihren Bedürfnissen hier, von ihren »Rechten«, d.  h. durch die Vernunft anzuerkennenden Machtbefugnissen dort. Insbesondere ergibt sich aus diesem Gesichtspunkt selbstverständlich, daß der Staat als ein Vernunft­ erzeugnis gedacht wird, das die sich verbindenden Individuen  für ihre gemeinsamen Interessen ins Leben rufen und erhalten.

I. Die Gedanken über Staat und Recht finden wir im Anfange des Jahrhunderts beherrscht durch den Einfluß Kants. Die Lehren des »Naturrechts«,

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Vernunfterzeugnis – A: Vernunftgebilde. des Jahrhunderts beherrscht – A: des Jahrhunderts in Deutschland beherrscht.

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die im 18. Jahrhundert feste akademische Geltung gewonnen hatten, erhielten durch ihn und seine Nachfolger noch einmal ihre ge[65]haltvolle und wirksame Ausprägung. Und zwar geschah dies in einem Sinne, der nicht mehr der unumschränkten Fürstengewalt und der merkantilistischen Bevormundung günstig war, sondern die Freiheit der Individuen in den Vordergrund stellte und ihren gemeinsamen Interessen den Staat dienstbar machte – den Staat, der das Recht bestimmen und ausgestalten, die Staatsbürger in ihren Rechten schützen soll. Diese Staatsidee entsprach den Idealen des neuen ökonomischen Liberalismus, der von Frankreich her als Physiokratie, von Großbritannien her als Lehre Adam Smiths schon in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland die Meinungen der aufgeklärten Denker und Politiker für sich gewonnen hatte – das Programm der Handels- und Gewerbefreiheit. In allen diesen Gedanken regt und rührt sich die in ihrem Selbstbewußtsein und Streben erstarkende Bürgerklasse, der »dritte Stand«, der in Anspruch nimmt, der allgemeine Stand zu sein; der zugleich die korporativen und feudalen alten Fesseln, soweit der absolutistische Staat sie schont und erhalten hat, und die neuen Fesseln des Absolutismus selber sprengen will; der sich im Bunde mit den freieren und befreiten Bauern als nationale Klasse, als die Nation selber behauptet. Das waren die Tendenzen der großen Staatsumwälzung in Frankreich, Prinzipien, die in Deutschland freilich noch im Rahmen einer absolutistischen Gesetzgebung nach einigen Richtungen hin Anwendung gefunden hatten und unter dem Einfluß der Revolution des Nachbarlandes um so mehr zur Geltung gelangten. Aber mit der Revolution war auch ihre Kritik und Verneinung da, die auf die gesamte Aufklärung und den Rationalismus, die in ihr lebendig waren, zurückschlug, an Kraft zunehmend, mit den Schrecken, Enttäuschungen und schweren Zeiten im Gefolge. Das Vorbild der politischen Entwicklung Englands – wo denn freilich die analogen Ereignisse vergessen wurden, – gewann durch den Kontrast; die Reden Burkes  fanden unter den Deutschen lebhaften Widerhall. Das Vorbild bewahrte in den Anfängen der Revolution selber durch den nachwirkenden Einfluß Montesquieus starke Bedeutung; aber durch den Geist Rousseaus, der die Radikalen erfüllte, wurde Montesquieu bald in den Hintergrund geschoben. Der »Bürger von Genf« hatte sein Ideal der antiken Stadt in die ganz anders gemeinten Begriffe des Hobbes hineingegossen; die Staatsomnipotenz entnahm er diesen, aber die Souveränität ließ er unveräußerlich dem Volke gehören, d.  h. der Mehrheit der

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von Großbritannien her als – A: von Großbritannien als. im Gefolge – A: in ihrem Gefolge.

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Staatsbürger – nach beiden Theorien hat sich die im Laufe des 19. Jahrhunderts vorherrschend gewordene Ansicht gestreckt, und nicht in Frankreich allein; wenn sie auch weit seltener prinzipiell ausgesprochen wird: von denen, die für gutgesinnt gelten wollen, fast nie. Die Theoreme sind scheinbar das letzte Wort [66] des Rationalismus in logischer Konsequenz; aber gerade in Rousseau war auch eine starke Neigung, die den Rationalismus umbog, und in diesem Sinne vielleicht am stärksten unter seinen zahlreichen deutschen Anhängern wirkte. Er verneinte ja die Kultur, deren Früchte und Fäulnis der Hof von Versailles und die vielen kleinen Höfe, die ihn nachahmten, zum Ekel darboten; sein poetischer Sinn hielt gerade die Wissenschaft für Quelle des Verderbens, des Verfalls der Sitten, des Verlustes glückseliger Einfalt und unschuldiger Güte. Ganz in seinem Sinne stellte Fichte die »Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters« dar,  freilich in jenem tieferen Sinne, wie auch Kant Rousseau deutete, wenn er meinte, dieser wolle im Grunde nicht, daß der Mensch wieder in den Naturzustand zurückgehen, sondern von der Stufe, auf der er jetzt stehe, zurücksehen solle – d. h. sich bestreben, durch Vernunft »aus dem Irrsal der Übel, womit sich unsere Gattung durch ihre eigene Schuld umgeben hat«, herauszufinden, Vernunft also durch Vernunft zu überwinden. So lehrte ja auch Schiller den Weg zur Natur durch Kultur und in Kultur zu suchen. Schiller und Fichte konnten, als redliche und klare Naturen, kein anderes Programm haben, als über die Aufklärung hinauszugehen, anstatt hinter sie zurückzugehen. Auch in Kant, in Rousseau selber lebte diese Idee, die von Goethe mehr in seinem Wesen und Wirken als in eigenen Worten bejaht wurde. Aber die Romantik, die zunächst vom Geiste Fichtes am stärksten inspiriert war und in revolutionärer Schwärmerei sich erging, schlug bald andere Wege ein. Sie hing sich an den Gedanken des idealen Urvolkes, worin Fichte die Rousseausche Ansicht symbolisiert hatte; sie verklärte in poetischem Glanze die ritterliche Zeit, die Zeit des Glaubens und der Treue, also das »Mittelalter«. Die geistige Heimkehr in diese Gefilde schuf die Stimmungen für die Politik der Restauration, der versuchten Wiederher-

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»Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters« – Fichte 1806. jetzt stehe, zurücksehen solle – A: jetzt steht, zurücksehen sollte. »aus dem Irrsal … Schuld umgeben hat« – »Diese drei Schriften, sage ich, welche den Naturzustand gleich als einen Stand der Unschuld vorstellig machten (dahin wieder zurückzukehren der Thorwächter eines Paradieses mit feurigem Schwert verhindert), sollten nur seinem Socialcontract, seinem Emile und seinem Savoyardischen Vicar zum Leitfaden dienen, aus dem Irrsal der Übel sich heraus zu finden, womit sich unsere Gattung durch ihre eigene Schuld umgeben hat.« (Kant 1800: 323).

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stellung angeblicher und wirklicher Institutionen der Vergangenheit, die Erhaltung des noch lebendigen  feudalen Geistes und seiner Interessen. Politik und Poesie wirkten dabei auf die Theoreme von Staat und Recht zurück. Die Aufklärung und die rationalistischen Ansichten über diese Dinge wurden teils wegen ihrer Nüchternheit verachtet, teils wegen ihrer Gefährlichkeit angeklagt. Zweifel an dem Werte der Aufklärung waren seit den Entrüstungen über die Greuel der Revolution immer lauter geworden; die Staats- und Rechtslehre bildete gerade von diesem Ausgangspunkte die nächste Angriffsfläche. Noch im alten Jahrhundert hatte der Göttinger Professor Hugo begonnen, ihr eine gelehrte und geistreiche, nagende Skepsis unter dem alten Namen »Naturrecht«, den er als Philosophie des positiven Rechts deutete, entgegenzusetzen. Er meinte, auch Kan[67]tianer zu sein, aber seine Voraussetzungen waren unklar, seine Folgerungen gingen in den Spuren des Hobbes, denen freilich Kants eigene Staatslehre nahe kam. Ganz anders gerichtet sind die Ansichten des Schweizers K. L. von Haller, der bald nach Hugo seine Staatskunde herausgab (1808), aber erst mit seiner großen »Restauration der Staatswissenschaften« 1816 ff. so bedeutende Erfolge hatte, daß der geborene Republikaner der Staatsphilosoph der kleinen deutschen »Souveräne« wurde. Haller ist der bewußteste und konsequenteste Reaktionär, seine Lehren sind auch nicht ohne wissenschaftliche Bedeutung. Wenn er endlich, wie so manche der Romantiker, in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche zurückkehrte, so ist doch seine Theorie wesentlich untheologisch wie die des geistesverwandten Franzosen de Maistre. Sie ist naturalistisch und in einem Sinne gehalten, den schon Hobbes und Spinoza mit ihren naturrechtlichen Doktrinen vom Staate konkurrieren ließen: nämlich, daß in der Wirklichkeit überall der Starke herrsche über die Schwachen und daß dies auch »natürliches« Recht genannt werden dürfe, sofern es dem Schwachen selber zu gute komme und er sogar es ausdrücklich gut heiße und durch Vertrag sich unterwerfe; oder einfach, sofern es Regel und »Gesetz« der Natur sei. Haller

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versuchten Wiederherstellung angeblicher – A: versuchten Wiederherstellung und Erneuerung angeblicher. unter dem alten Namen »Naturrecht« – Vgl. Hugos Schrift »Lehrbuch des Naturrechts, als einer Philosophie des positiven Rechts, besonders des PrivatRechts«, 1819; die erste Auflage erscheint 1798. Spuren des Hobbes – A: Spuren Hobbes’. Staatskunde – Recte: Staatenkunde (Haller 1808). »Restauration der Staatswissenschaften« – Haller 1816–1834, 6 Bde. alleinseligmachenden – A: allein seligmachenden. zu gute komme – A: zugute komme.

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stellt diese Ansicht jenen Lehren auf das schärfste gegenüber, deren Gegenstand er die Chimäre des künstlich-bürgerlichen Zustandes nennt, wogegen er seine Theorie als die des natürlich-geselligen Zustandes empfehlen will. Weniger heftig in der Polemik und weniger heftig gegen moderne Ansichten als gegen moderne Lebensgestaltung wendet sich Adam Müller, der von ökonomischen Erörterungen ausgeht und die Lehren Adam Smiths angreift, um mit ihm die ganze auf dem Geldumlauf beruhende Wirtschaft ideell aus den Angeln zu heben. In ihm versucht schon die Romantik, deren ästhetischem Geiste Haller als praktischer Staatsmann  fern stand, Einfluß auf die Staatskunde und auf die praktische Politik zu gewinnen, nachdem sie inzwischen in Schelling den Philosophen gefunden hatte, der ihre Ahnungen und poetischen Gefühle ins System zu bringen wußte; ein System, das seinem Wesen nach pantheistisch und als solches allen Tatsachen des Lebens, des unbewußten Schaffens und Werdens in Natur und Kunst, gerechter zu werden angetan war, als der in seinen eigenen Sphären so unwiderstehliche, klare und scharfe, mathematisch-mechanische Rationalismus es je vermochte, der in dem von außen stoßenden Gotte sein metaphysisches Komplement geschaffen hatte. Auch in dieser Richtung hatte der große Kant einen Umschwung eingeleitet durch die Kritik der Urteilskraft, von der bezeichnenderweise auch Goethe sich angesprochen und gefördert fand; aber schon im kritischen Hauptwerke war diese Wandlung ange[68] bahnt. Ein künstlerischer Sinn wächst hier aus dem wissenschaftlichen heraus und über ihn hinaus; aber er trifft auf die Begeisterung für das Studium des Lebens, das der wissenschaftlichen Analyse so starke Widerstandsflächen bietet. Die Anschauung nimmt hier anstatt des Kalküls ihre Rechte, und Schelling will seine Naturphilosophie in einer intellektuellen Anschauung begründen. Das religiöse Gefühl und die Phantasie werden zur Erkenntnis verborgener Wahrheiten herangezogen, und die Mystik ist nicht fern. Zugleich aber bahnt in einem idealistisch-dunklen Gewände die biologische Entwicklungslehre sich an. Mit dieser Geistesströmung, die also, auch wo sie Wissenschaft zu fördern angetan war, es vorzog, in poetischen Dämmerungen zu verweilen, begegnete sich nun der große Rückschlag gegen die Hoffnungen und Illusionen, mit denen alle Freidenkenden die  französische Staatsumwälzung begrüßt hatten. Eine antirevolutionäre Politik, eine legitimistisch-konservative Rechtsphilosophie bereitet sich in den Gedanken vor. Was in der Metaphysik  4 20 20 22

weniger heftig gegen – A: weniger gegen. Kritik der Urteilskraft – Kant 1790. von der – A: ein Werk von dem. kritischen Hauptwerke – »Critik der reinen Vernunft« (Kant 1781).

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mehr oder minder Ahnung und Schwärmerei, wird hier bewußt oder unbewußt Tendenz. Die Rettung des dunklen Mittelalters, das  für die Romantik im Glanze einer andächtigen und idyllischen Sinnesart sich abhob gegen ein nüchtern räsonnierendes, egoistisch  fabrizierendes Zeitalter, dem man wenigstens in der Vorstellung entfliehen wollte, bedeuteten für die Praxis eine ideelle Wiedereinsetzung des Adels in den vorigen Stand, der Kirche in ihre heilige Allgewalt, der Monarchie in ihren auf göttliches Recht gegründeten Beruf, beide in ihren überlieferten Vorrechten zu schützen. Es gab ja auch in mehreren Gestalten eine demokratisch-bürgerlich wenigstens tendierende, die Aufklärung begünstigende Monarchie; der jüngere Absolutismus und der Cäsarismus, den das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts in seinem Zenit erblickte, standen einander nicht sehr ferne. Beide wollten reformieren, uniformieren, nivellieren im Sinne der emporkommenden bürgerlichen Gesellschaft, ihres Verkehrs und öffentlichen Lebens, im Sinne des reinen Staatsgedankens. Beide waren rationalistisch wie die Revolution, wie das ganze ungläubige, sogar nach dem revolutionsfreundlichen Fichte auf dem Tiefpunkte der Verderbnis angelangte Zeitalter. Der akademisch befestigte Rationalismus hatte ehrlich das Bedürfnis eines Bürgerlichen Gesetzbuches vertreten, ein praktisches Bedürfnis, das sich bei zunehmendem Verkehr in großen Wirtschafts- und Staatsgebieten fühlbarer machte. Es schien ihm aber auch theoretisch einfach, daß der Gesetzgeber – wenn auch etwa mit Schonung überlieferter Verhältnisse – in Formeln bringe, was ein natürliches und richtiges Denken als das, was das wahre Recht sei, lehre; wie denn schon die Römer bei der allmählichen Umwandlung ihres quiritarischen Stadt[69]rechts in das viel bewunderte Weltrecht nach solchen Normen sich  fortwährend gerichtet hatten, die sie nach griechischem Vorbilde als das Recht der Natur verkündeten. Es war für diesen Gesichtspunkt gleichgültig, ob ehemals das Recht durch mythische oder historische Gesetzgeber geschaffen, ob es aus bloßer tatsächlicher Übung, also aus Gewohnheiten und Gerichtspraxis entstanden sei; aber Gesetzgeber als typische Urheber vorzustellen, mochte immerhin als die logisch klarere Idee sich empfehlen. Nun aber hängte der Antirationalismus sich gerade an diesen Punkt. Gerade das Unklare war ihm ehrwürdig; die in Gefühlen ruhende Weisheit grauer Vorzeit; das unbewußte und doch innerlich zweckerfüllte Werden, der

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lehre; wie denn – A: lehre, wie denn. quiritarischen Stadtrechts – Rechtsbegriff, wonach nur römische Bürger (Quirites) Eigentum an Grund und Boden haben können. sich fortwährend gerichtet hatten – A: fortwährend sich gerichtet hatten.

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Staat als eine Manifestation des Weltgeistes, ein Naturgebilde als Geistgebilde, »der äußere Organismus einer in der Freiheit selbst errichteten Harmonie der Notwendigkeit und Freiheit«, »objektiver Organismus der Freiheit« – so hatte Schelling in seinen Jenaischen Vorlesungen vornehm sich ausgedrückt. Ein aristokratischer junger Rechtsgelehrter unternahm die Anwendung solcher Gedanken auf die Kritik des »Berufs unserer Zeit  für Gesetzgebung«. – »Wo wir zuerst urkundliche Geschichte finden, hat das bürgerliche Recht schon einen bestimmten Charakter, dem Volk eigentümlich, wie seine Sprache, Sitte, Verfassung. Ja diese Erscheinungen haben kein abgesondertes Dasein, es sind nur einzelne Kräfte und Tätigkeiten des einen Volkes, in der Natur untrennbar verbunden – –«. »Die Summe dieser Ansicht also ist, daß alles Recht auf die Weise entsteht, welche der herrschende Sprachgebrauch als Gewohnheitsrecht bezeichnet, d.  h. daß es erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch Jurisprudenz erzeugt wird, überall also durch innere stillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers.« Diese Ansicht war einseitig und unzulänglich; aber sie erwarb das Verdienst, die rechtsgeschichtliche Forschung zu befruchten, insbesondere das Studium der Entwicklung des römischen Rechts, das in Deutschland freilich keineswegs bloß durch stillwirkende Kräfte rezipiert war, zu vertiefen. Es ist aber irrtümlich, zu meinen, daß die historische Rechtsschule durch Savignys Wirken, dem sich für die deutsche Rechtsgeschichte K. F. Eichhorn ebenbürtig zur Seite stellte – alsbald zur Herrschaft gelangt sei, daß das Naturrecht am Boden gelegen habe usw. Vielmehr stand die nach Kant gerichtete Rechtsphilosophie, besonders in West- und Süddeutschland, noch in hohem Ansehen und wurde mit Eifer gepflegt; das  3

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»der äußere Organismus … und Freiheit« – »Die vollendete Welt der Geschichte wäre demnach selbst eine ideale Natur, der Staat, als der äußere Organismus einer in der Freyheit selbst erreichten Harmonie der Nothwendigkeit und der Freyheit.« (Schelling 1803: 214). »objektiver Organismus der Freiheit« – »Als den Gegenstand der Historie im engern Sinne bestimmten wir die Bildung eines objectiven Organismus der Freyheit oder des Staats.« (ebd., 226). »Berufs unserer Zeit für Gesetzgebung« – »Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft« (Savigny 1814). »Wo wir zuerst urkundliche … Natur untrennbar verbunden – –«. – Leicht abweichend: »… dem Volk eigenthümlich, so wie seine Sprache …« (ebd., 8). – A: … untrennbar verbunden ..«. »Die Summe dieser Ansicht … Willkür eines Gesetzgebers.« – Leicht abweichend: »… der herrschende, nicht ganz passende, Sprachgebrauch als Gewohnheitsrecht bezeichnet …« (ebd., 13 f.). K. F. Eichhorn – Eichhorn 1818 und 1819, zuerst 1808 und 1812. gepflegt; das – A: gepflegt, das.

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Lehrbuch von Gros brachte es bis 1841 auf 6 Auflagen. Es werden über 100 zwischen 1788 und 1831 erschienene Schriften über Naturrecht angeführt, die beinahe alle der Kantischen Schule angehören, wie denn deren Geist auch in den Staatsmännern der Epoche am meisten lebendig war. – Unter denen, die in ihrem [70] eigenen spekulativen Geiste die gesamten sozialen und politischen Probleme aufnahmen, ist Franz Baader zu nennen, der sinnreiche, technisch-ökonomisch gebildete Vertreter eines mystisch veredelten Katholizismus; seine Gedanken zur »Sozietätsphilosophie« knüpfte er früh an Fichte, besonders dessen geschlossenen Handelsstaat, an, und nahm »einige Gedanken dieser damals sehr verschrienen Schrift mit der ihm eigenen Energie in Schutz« (F. Hoffmann). In ganz neuem Geist und Stil trat aber durch sein gesamtes System (Enzyklopädie 1817), dann mit besonderer Fassung seines »Naturrechts« (1820) Hegel dazwischen. Auch Hegel ist ein Ast vom Stamm des Fichte-Schellingschen Pantheismus. Mehr im Sinne Fichtes, der auf Spinoza zurückging, als Schellings, rationalisiert er dessen Gedanken. Das Wirkliche begreifen, heißt, es aus der Idee ableiten. Der Philosoph soll begreifen, nicht verbessern. Die Wahrheit über Recht, Sittlichkeit, Staat ist in den Gesetzen, der öffentlichen Moral und Religion offen dargelegt und bekannt. Hegel denkt mit der Romantik: die Erzeugnisse des Geistes anschauen und ehren; aber sehr gegen die Romantik: nicht bloß und nicht sowohl die einer idealisierten Vergangenheit, als vielmehr die der greifbaren Gegenwart. »Hier ist die Rose, hier tanze«. Während Haller, A. Müller, Savigny das moderne Wesen des Staates, der großen Vernunftmacht der Neuzeit hassen, so verherrlicht Hegel den Staat, dessen gegenwärtige Entwicklung er anschaut, als die Realität der sittlichen Idee. Er verneint die historische Rechtsschule nicht weniger heftig als das alte Naturrecht, seine Vernunft will sich hoch über diese Gegensätze setzen, sie ist die Sache selbst in ihrer logischen Entwicklung, in ihrem Fortschritt zur Synthese. Ohne es auszusprechen will Hegel die Synthese der Gegensätze von verstandesmäßigem Rationalismus und

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Lehrbuch von Gros – Gros 61841. »Sozietätsphilosophie« – Baader 1837. geschlossenen Handelsstaat – Fichte 1800. »einige Gedanken dieser… Schrift mit der ihm eigenen Energie in Schutz« – Hoffmann 1850: XVIII. Enzyklopädie 1817 – Hegel 1817. »Naturrechts« (1820) – Recte: Hegel 1821. »Hier ist die Rose, hier tanze« – Ebd., XXI. Gegensätze setzen, – A: Gegensätze erheben,. Synthese. Ohne – A: Synthese. Das Vernünftige ist Synthese. Ohne.

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gefühlsmäßigem Rationalismus darstellen, aus letzterem hervorgehend, zur Potenzierung jenes zurückkehrend. Die Idee einer solchen Synthese wird um dieselbe Zeit in Frankreich lebendig. Sie bleibt aber dort nicht bei der Bejahung irgend eines Gegenwärtigen stehen, sondern postuliert die Zukunft, als Einheit der widerstreitenden katholischen und revolutionären Meinungen und sozialen Systeme. Aus der Schule Saint-Simons hervorgehend, begann schon der junge Comte diese Gedanken in ein »System der positiven Politik« zu formen, dessen Entwurf 1822 durch Hegels Hände gegangen ist. So stark auch Hegel die Vernunft des wirklichen Staates betont, so nahe liegt doch seinen Gedanken die Ausdeutung in eine sozialistische Konsequenz; denn eben der Staat ist, weil eine wirkliche, so im Flusse der Realisierung begriffene Idee. Er überwindet die »Stufe« der bürgerlichen Gesellschaft. »Diese Stufe hat man häufig für den Staat angesehen. Aber der Staat ist erst das [71] Dritte, die Sittlichkeit, und der Geist, in welchem die ungeheure Vereinigung der Selbständigkeit der Individualität und der allgemeinen Substantialität stattfindet.« Rechtspflege und Polizei rechnet Hegel mit dem »System der Bedürfnisse«, d.  h. der ökonomischen Basis, zum Begriff der bürgerlichen Gesellschaft des »Not- und Verstandesstaates«, aber die gesetzgebende Gewalt gehört zum Wesen des wahren Staates; »indem er objektiver Geist ist, so hat das Individuum selbst nur (insoweit) Objektivität, Wahrheit und Sittlichkeit, als es ein Glied desselben ist.« Die Opposition von Staat und Gesellschaft, ob sie gleich empirischer verstanden wurde, als dem Sinne der Dialektik gemäß ist, blieb ein dauerndes Ergebnis für das wissenschaftlich-philosophische Denken, das wir heute soziologisches nennen; aber es gelangte erst in der folgenden Epoche zu  1  3  8  9

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gefühlsmäßigem Rationalismus – Wahrscheinlich Textverderbnis. In A plausibler: gefühlsmäßigem Romantismus. Zeit in Frankreich – A: Zeit auch in Frankreich. »System der positiven Politik« – »Système de politique positive« (Comte 1851–54). dessen Entwurf 1822 durch Hegels Hände gegangen ist – Tönnies bezieht sich auf den »Prospectus des travaux scientifiques nécessaires pour réorganiser la société« (Comte 1822). »Diese Stufe hat man häufig … allgemeinen Substantialität stattfindet.« – Zusatz zu § 33 der Rechtsphilosophie. Bei Hegel andere Hervorhebungen: »Diese Stufe der bürgerlichen Gesellschaft hat man … Aber der Staat ist erst das Dritte … und der Geist, in welchem …« (Hegel 1840: 69). »System der Bedürfnisse« – Vgl. in der Rechtsphilosophie (Hegel 1821) die §§ 182 ff. »Not- und Verstandesstaates« – »Man kann dieß System [bürgerliche Gesellschaft] zunächst als den äußeren Staat, – Noth- und Verstandes-Staat ansehen.« (ebd., 187 f. (§ 183)). »indem er objektiver Geist ist … ein Glied desselben ist.« – Hegel 1821: 242 (§ 258), das Wort in der Klammer von Tönnies.

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seiner Entfaltung. Hegels getreuer Anhänger und Herausgeber, Eduard Gans, der von der geschichtlichen Juristenschule spöttisch sagte (1833), durch den späteren Schelling scheine ihr die Ehre zu widerfahren, daß sie, nicht wissend wie, zu einer Philosophie käme, wagte selber den soziologischen Wurf, das »Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung« darzustellen (1824–35).

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Die deutsche spekulative Philosophie vollendete sich in Hegel und löst in seiner Schule sich auf. Mit Hegels Tode, der dem Tode Goethes und der Julirevolution nahe liegt, erhebt sich der deutsche Geist zu einem neuen Fluge. Die Generation, die unter den Eindrücken der Revolution und ihrer Folgen aufgewachsen ist, gelangt auf die Höhe. In ihr trennen sich schärfer die auseinanderlaufenden Richtungen. Hinter ihr drängt eine stürmische Jugend, die bald als das »junge Deutschland« ihre Fahnen flattern läßt. Aber als das reifste Produkt der vorangegangenen klassischen und romantischen Geistesbewegungen tritt das historische Bewußtsein in den Vordergrund, teils sich lösend von der Philosophie, teils von vornherein unabhängig ihr gegenüber. Sein reinster und unabhängigster Vertreter war  freilich um dieselbe Zeit (1831) schon aus dem Leben geschieden: B. G. Niebuhr, wenngleich Savigny nahe befreundet, war kein Romantiker; ihm war es um die historische Erkenntnis rein als solche zu tun. Politisches Interesse freilich war ihnen gemein; während aber die historische Jurisprudenz ebenso konservativ oder reaktionär wie das Naturrecht und die Kant-Fichtesche Schule liberal bis radikal war, so kann Niebuhrs Richtung, der das Vorbild des englischen Staates mit seiner ständischen Selbstverwaltung immer imponierte, am ehesten als Anbahnung des späteren Nationalliberalismus verstanden werden. Dieser Charakter tritt aber stärker bei dem [72] geistesverwandten, wenn auch minder geistesstarken Dahlmann hervor, der den Glauben an den konstitutionellen Staat historisch begründen wollte. Beide sind als

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Eduard Gans, der von der geschichtlichen Juristenschule spöttisch sagte – Vgl. die Vorrede des Herausgebers [Gans] in Hegel 1833: XIII. »Erbrecht in Weltgeschichtlicher Entwicklung« – Gans 1824, 1825, 1829 und 1835. Julirevolution – Die Revolution vom 27.–29.7.1830 in Frankreich (Les Trois Glorieuses) führte vielerorts in Europa zu einem Aufschwung des politischen Liberalismus.

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Historiker für unsere Betrachtung wichtig durch das Augenmerk, das sie auf die Entwicklung der Institutionen lenken. Niebuhr, auch durch die strenge Scheidung von Sage und Geschichte epochemachend, gab ein leuchtendes Beispiel vergleichender Erklärung sozialer Urzustände, wenn er für das Verständnis der römischen Gentes auf die »Schlachten und Kluften« seiner Heimat Dithmarschen hinwies; und nicht weniger, wenn er überall aus intimer Kenntnis die ökonomische, besonders die finanzielle Seite politischer Begebenheiten hervorhebt. Dahlmann gab eine klassische Schilderung nordischer Rechtssitten und ursprünglicher Lebensformen, wie sie in Island teils erhalten, teils urkundlich bezeugt sind. Dahlmann begab sich auch auf das von Niebuhr nur gelegentlich berührte Gebiet der politischen Theorie. Überhaupt bemächtigen sich nunmehr die Historiker dieses Feldes. Nun erst wird das Bollwerk des Naturrechts, seine Staatstheorie, niedergerissen. Bezeichnend ist es, daß die Historiker den Namen der Politik, im allgemeinen, und theoretischen Sinne, wiederaufleben lassen. Schon der überkluge Erzreaktionär H. Leo rühmte die Politik des Aristoteles als eine »Naturlehre des Staates«, die er der abstrakten Ansicht entgegenstellte und entwarf selber »Studien und Skizzen« zu einer solchen Naturlehre (1833). Er betrachtete alle Lebensregungen des Volkes als Ausflüsse und Darstellungen des einen und eingeborenen Volksgeistes, »und auch die öffentlichen Verhältnisse, d.  h. die gesellschaftlichen Beziehungen, der Staat … haben bei jedem Volke Regel, Zusammenhang, Verständnis und innere Notwendigkeit – und ihr Bau ist um so ungetrübter, ihre Regel um so ungestörter, der Staat ist um so reiner ein Kunstwerk göttlichen Ursprungs, je weniger noch sich frei ihm gegenüberstellende Reflektion sich seiner be 6

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»Schlachten und Kluften« – Niebuhr erörtert die Ordnung der römischen Gesellschaft in Bruderschaften oder Geschlechter (Gentes) und zieht eine Parallele zur Sozialorganisation in Dithmarschen durch die »Schlachten« »für das hochdeutsche Geschlecht« (Niebuhr 1833: 336), mit der Untergliederung in »Kluften«. Aus der Zughörigkeit sei die Verpflichtung erwachsen »bey Deich- und Hausbau und allerley Unglück der Geschlechtsvettern nach Vermögen beyzuspringen.« Niebuhr ist überzeugt, dass dies eine allgemeinere, vorstaatliche soziale Organisationsform ist: »Es ist dies zuverläßig kein einzelnes Landrecht, sondern allgemeines unsrer ganzen Nation; nur manches Jahrhundert früher ausgegangen da wo die Stämme als Eroberer wohnten; einzig bey uns in der entlegenen Landschaft, wo kein Herr gebot und kein Knecht gehorchte, erhalten …« (ebd., 334.). klassische Schilderung nordischer Rechtssitten und ursprünglicher Lebensformen – Vgl. Dahlmann 1841. Gebiet der politischen Theorie – Vgl. Dahlmann 1835. »Studien und Skizzen« – »Studien und Skizzen zu einer Naturlehre des Staates« (Leo 1833). des einen – A: des Einen.

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mächtigt hat, je naturwüchsiger noch seine Entwicklung gewesen ist«. Er versucht danach den Unterschied des organischen und mechanischen Staates zu bestimmen, und tiefer noch den der organischen und mechanischen Elemente im »Elementarstaate«. Das Büchlein enthält neben recht sonderbaren ziemlich bedeutende Gedanken. Als Hilfskenntnisse seiner Physiologie betrachtet er a) die Staatswissenschaft und »insbesondere die Kenntnis von der Wirkung der verschiedenen Besitzgegenstände auf gesellschaftliche Verhältnisse«: die Staatswirtschaftslehre, b) die Kenntnis eben dieser gesellschaftlichen Verhältnisse in ihren bestimmten, vorhanden gewesenen und noch vorhandenen Gestalten: die »Rechtswissenschaften«. Mit Dahlmanns »Politik« haben diese Skizzen gemein, daß mehr als ein erster Band niemals erschienen ist. Aber Dahlmann, der nur 2 Jahre später als Leo seine Lehre zuerst bekannt machte, [73] traf in die »gegebenen Zustände«, auf deren »Grund und Maß« er die Politik zurückführen will, mitten hinein. Fast mit den Worten wie vor ihm W. v. Humboldt stellt er fest, fast überall im Weltteile bilde ein weitverbreiteter, stets an Gleichartigkeit wachsender Mittelstand den Kern der Bevölkerung; er habe das Wissen der alten Geistlichkeit, das Vermögen des alten Adels zugleich in sich aufgenommen. Wozu sogar Treitschke die Glosse nicht unterdrücken mag, es sei »über die drohenden sozialen Gegensätze des Zeitalters noch ganz im Sinne des selbstgefälligen liberalen Bürgertums geurteilt«. Für die Erkenntnis der Zusammenhänge sozialer und politischer Tatsachen und Bestrebungen ist aus dem (damals) zeitgemäßen Werke in der Tat nichts zu lernen. Die große Anregung und Förderung dieser Erkenntnisse kam um dieselbe Zeit von den französischen Sozialisten. Man kann die drei Parteien auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beziehen. Hier zuerst erhoben sich die Ideen einer Partei der Zukunft. Bisher war die Kritik der Gegenwart fast

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»und auch die öffentlichen Verhältnisse … Entwicklung gewesen ist« – Bei Leo (ebd., [1]) leicht abweichend: »…Beziehungen, der Staat (um hier einmal das Wort in ausgedehnterem Sinne zu gebrauchen), haben bei jedem Volke Regel … um so ungestörter, der Staat ist um so reiner ein Kunstwerk göttlichen Ursprungs, je weniger noch ...«. »insbesondere die Kenntnis … gesellschaftliche Verhältnisse« – Tönnies zitiert aus dem Inhaltsverzeichnis (ebd., IX). »Politik« – Dahlmann 1835. »gegebenen Zustände«, auf deren »Grund und Maß« – Tönnies zitiert Elemente des Titels der Schrift (Dahlmann 1835). »über die drohenden … liberalen Bürgertums geurteilt« – »… über die drohenden socialen Gegensätze des Zeitalters urtheilte er [Dahlmann] noch ganz im Sinne des selbstgefälligen liberalen Bürgerthums also: ›Fast überall im Welttheil bildet ein weit verbreiteter, stets an Gleichartigkeit wachsender Mittelstand den Kern der Bevölkerung.‹« (Treitschke 1897: 470).

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ausschließlich den Konservativen, den Romantikern zugefallen; und die Assoziation wiederholt sich immer neu und bringt noch viel später interessante Blendlinge hervor. Schon Ad. Müller hatte die Sklaverei angeklagt, welche die große Masse des Volkes von den Aufkäufern des Geldes erleide, und das absolute Privateigentum an Grund und Boden als einen theoretischen und gesetzgeberischen »Raub« zu bezeichnen gewagt. Die Entwicklung der englischen Zustände galt hier und z. B. auch in Fichtes Sozialismus schon ebenso als typisch, wie später im Marxschen Systeme. Nun aber meldete sich, nach Leos Ausdruck (a. a. O.) eine »neue Ideokratie«, die als Grundlage ihrer Verhältnisse die ungehemmte Entwicklung ausspreche, eine »Religion du progrès« an die Spitze stelle »und, wenn es ihr gelingen sollte, je irgendwo zu unabhängiger Existenz zu gedeihen, wahrscheinlich auch ihren Staat durch alle politischen Formen, der momentan angenommenen Entwicklungsstufe jedesmal gemäß, würde avancieren lassen«. Dies sei der »Nouveau Christianisme« des Herrn von St. Simon, summt der Hallische Löwe mit dem ihm eigenen Sinn für das Starke und Große. – Aber als 1842 auf Grund von Studien, die in Paris gemacht waren, Lorenz Stein über den Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreich schrieb, klang es dem deutschen Publikum großenteils noch »wie ein Märchen aus weiter Ferne« (Roscher). Dem großen (wohl größten) Teil des gelehrten Publikums gegenüber standen  freilich etliche nationalökonomische Denker, unter ihnen Rodbertus, und die in Halle, Leipzig, Berlin und sonst in Norddeutschland schriftstellernde und redende Sekte der Junghegelianer. Hier wurde Feuerbach, der den Hegelschen Idealismus umstülpte, geistiger Führer; unter den kecken, [74] jungen Literaten, die sich emsig und eifrig ihm anschlossen, waren Karl Marx und Friedrich Engels. Der historische Geist war auch in die Hegelei gefahren, die ihn zugleich negieren und in sich aufsaugen wollte. Auch Strauß, dessen Leben Jesu mit der heiligen Überlieferung verfuhr, wie Niebuhr früher mit der profanen verfahren war, ging aus der Hegelschen Schule hervor. Feuerbach will das Wesen und die gesamte Geschichte der Religionen, besonders aber

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»neue Ideokratie«, die … würde avancieren lassen« – Leo 1833: 15. der Hallische Löwe – Leo war seit 1830 ordentlicher Prof. für Geschichte in Halle/ Saale. »wie ein Märchen aus weiter Ferne« – »Als Lorenz von Stein 1842 seine berühmte Schrift über den Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs veröffentlichte, klang deren Inhalt dem deutschen Publicum großentheils wie ein Märchen aus weiter Ferne.« (Roscher 1894: 1020 mit Bezug auf Stein 1842). eifrig ihm anschlossen – A: eifrig an ihm anschlossen. Leben Jesu – A: Leben Jesu (1835) – Strauss 1835–1836.

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der christlichen, anthropologisch verständlich machen. Marx bildet den auch sonst vielfach angeregten, unter den Saint-Simonisten vorbereiteten Gedanken aus, daß man die Geschichte überhaupt aus dem wirtschaftlichen Leben, als den »materiellen« Bedingungen erklären müsse. Er gestaltet dies Theorem in bewußtem Gegensatze zu Hegel, den er doch fortfährt als den Meister der klassischen deutschen Philosophie zu ehren, – Hegels Rechtsphilosophie mündete in die Philosophie der Geschichte; die »Vorlesungen« über diesen tiefsinnigen Gegenstand erschienen 1837. Sie entwickeln den Gedanken, daß die Weltgeschichte nichts ist, als die Entwicklung des Begriffs der Freiheit. Die vernünftige, sich objektiv wissende und  für sich seiende Freiheit ist ihm der Staat. Das Verhältnis zwischen Entwicklung des Begriffes und zeitlicher Entwicklung bleibt bei Hegel immer in Dunst und Nebel. Daß die höheren Gebilde die zeitlich späteren seien, ist an und  für sich der Dialektik  fremd, aber es ist Folgerung aus der liberalen, anti-romantischen Richtung des Hegelschen Denkens. Die Idee als Natur lebt sich aus im Raume, die Idee als Geist in der Zeit, so formuliert sich ihm der Gegensatz, bei dem klar ist, daß die eigentliche, in der Philosophie nachgebildete Entfaltung der Idee von beiden Auslegungen verschieden sein muß; dennoch erscheint die Weltgeschichte als Fortsetzung jener Entfaltung, also selbst als eine solche. Die Entwicklung der Idee, in der Logik »die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte hervortreibt«, jedenfalls ein außerzeitliches Geschehen, erscheint hier dennoch als historischer Vorgang. Eben darum ist aber der eigentliche Inhalt der Geschichte die Entwicklung des Geistes, und zwar des »objektiven«, wir könnten dafür einsetzen des sozialen Geistes, wie denn Hegel ihn sogleich als Volksgeist näher bestimmen will. Ursachen jeder solchen Entwicklung, denn es ist eine Folge von Volksgeistern, die zugleich die Folge der vier »Reiche« ist (Wiederaufnahme der christlich-scholastischen Einteilung) – kann es nur immanente geben; denn das ist eben das Wesen der Dialektik, daß sie ein »bewegendes Prinzip« ist, das die »Besonde-

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in bewußtem Gegensatze zu – A: in bewußtestem Gegensatz zu. »Vorlesungen« – Hegel 1848. anti-romantischen – A: antiromantischen. Zeit, so formuliert – A: Zeit – so formuliert. »die eigene Seele des Inhalts, die organisch ihre Zweige und Früchte hervortreibt« – Hegel 1821: 37 (§ 31 Anm.) – dort »eigene Seele« hervorgehoben. Volksgeist – A: »Volksgeist«. vier »Reiche« – Tönnies spielt auf Sleidanus’ Werk »De Quatuor summis Imperiis libri tres« – [Drei Bücher von den vier Weltreichen, 1556] an.

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rungen des Allgemeinen« nicht nur auflöst, sondern auch hervorbringt, oder die im Begriff enthaltene Bestimmung nicht nur als Schranke und Gegenteil auffaßt, sondern aus ihr den positiven Inhalt und das Resultat entwickelt. Dies [75] geschieht also auch in der Geschichte: der Weltgeist denkt in ihr. Wenn wir Marx und Engels, wenn wir die »materialistische Geschichtsauffassung« verstehen wollen, so müssen wir fortwährend uns gegenwärtig halten, daß sie in dieser Ansicht, die sie selber nachher ideologisch nannten, mit jugendlichem Enthusiasmus gelebt haben, daß erst Feuerbach sie darin erschüttert hatte, daß sie dann, davon sich losreißend, ihr »ehemaliges philosophisches Gewissen« hinter sich ließen, mit dem abzurechnen sie für notwendig hielten. Marx, der 14 Jahre später (1859) so darauf zurückblickt, gibt zugleich den ursprünglichen und eigentlichen Gegenstand seiner (und offenbar auch der Engelsschen) neugewonnenen Ansichten richtig wieder, wenn er sie direkt auf das Hegelsche Begriffspaar »Staat und Gesellschaft« und auf das Verhältnis zwischen diesen soziologischen Kategorien bezieht. Eine kritische Revision der Hegelschen Rechtsphilosophie war seine – des gelernten Juristen – erste Arbeit »zur Lösung der Zweifel«, die ihn »bestürmten«. Hegel habe die Gesamtheit der materiellen Lebensverhältnisse »nach dem Vorgange der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts« (in Wahrheit war es auch der deutschen Publizistik vor Hegel geläufig) unter dem Namen »bürgerliche Gesellschaft« zusammengefaßt; in den materiellen Lebensverhältnissen aber – so verkündete nun Marx als neue Erkenntnis – »wurzeln« »Rechtsverhältnisse wie Staatsformen«. Dies Hauptergebnis wird ausdrücklich in Gegensatz zur Hegelschen Doktrin gestellt, undeutlich bleibt aber, ob diese dahin ver 1  8 10

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»bewegendes Prinzip« ist, das die »Besonderungen des Allgemeinen« – Vgl. Hegel 1821: 36 (§ 31). ideologisch – A: »ideologisch«. »ehemaliges philosophisches Gewissen« – »… als er [Friedrich Engels] sich im Frühling 1845 ebenfalls in Brüssel niederließ, beschlossen wir den Gegensatz unsrer Ansicht gegen die ideologische der deutschen Philosophie gemeinschaftlich auszuarbeiten, in der That mit unserm ehemaligen philosophischen Gewissen abzurechnen.« (Marx 1859: VI). – Gewissen in A hervorgehoben. abzurechnen – A: »abzurechnen«. Ansichten – A: »Ansichten«. »Staat und Gesellschaft« – A: »Staat« und »Gesellschaft«. erste Arbeit »zur Lösung der Zweifel«, die ihn »bestürmten« – Vgl. ebd. IV. – Marx bezieht sich hier auf seine Arbeit »Zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie«, die Einleitung (Marx 1844) erscheint in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern. »nach dem Vorgange der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts« – Marx 1859: IV, dort auch die folgenden Zitatsplitter. – A: »nach dem Vorgang der …«. gestellt, undeutlich – A: gestellt; undeutlich.

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standen wird, daß sie Rechtsverhältnisse und Staatsformen »aus sich selbst«, oder dahin, daß sie sie »aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes« ableiten wolle. Ohne Zweifel gibt das zweite den wahren Sinn Hegels wieder; aber für Hegel bedeutet diese Entwicklung nicht schlechthin dasselbe wie etwa Fortschritt der Erkenntnis, des Wissens und Denkens, oder Entwicklung der Meinungen und in diesem Sinne der »Ideen«. Schroff genug hatte sich der Meister darüber ausgesprochen. Als der Gedanke der Welt erscheint sie, – die Philosophie – erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit, ihren Bildungsprozeß vollendet und sich fertiggemacht hat (Rechts-Philosophie, Vorrede von 1820). In den Ausführungen zur Philosophie der Geschichte (wie früher in der Phänomenologie) tritt es deutlicher hervor, daß ihm die Reflexion und Selbsterkenntnis wesentlich ein Moment des Sterbens für den »Volksgeist« bedeutet, eben darum freilich eine Bedingung der ferneren Entwicklung des Ganzen (der Menschheit). »Der allgemeine Geist stirbt überhaupt nicht blos natürlichen Todes, er geht nicht nur in die Gewohnheit seines Lebens ein, sondern insofern er ein Volksgeist ist, welcher der Weltgeschichte angehört, so kommt er auch dazu, zu wissen, was sein Werk ist, und dazu sich zu denken.« In seinem [76] Grundzweck muß ein allgemeines Prinzip liegen; »Jupiter ist der politische Gott, der ein sittliches Werk, den Staat, hervorgebracht hat«. Ohne den Gedanken hat aber ein Werk keine Objektivität. Er ist die Basis. »Der höchste Punkt der Bildung eines Volkes ist nun dieser, auch den Gedanken seines Lebens und Zustandes, die Wissenschaft seiner Gesetze, seines Rechts und (seiner) Sittlichkeit zu fassen; denn in dieser Einheit liegt die innerste Einheit, in der der Geist mit sich sein kann« … »Auf diesem Punkt weiß also der Geist seine Grundsätze, das Allgemei-

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»aus sich selbst« … »aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes« – »Meine Untersuchung mündete in dem Ergebniß, daß Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind, noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln …« (ebd.). hatte sich der Meister – A: hatte der Meister sich. Rechts-Philosophie, Vorrede von 1820 – »Um noch über das Belehren, wie die Welt seyn soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu ohnehin die Philosophie immer zu spät. Als der Gedanke der Welt erscheint sie erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsproceß vollendet und sich fertig gemacht hat.« (Hegel 1821: XXIII f.). »Der allgemeine Geist … sich zu denken.« – »Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte« (Hegel 1848: 93). »Jupiter ist der politische Gott … hervorgebracht hat« – Ebd., 94 – »Er ist der politische Gott …«. Objektivität. Er – A: Objektivität, er.

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ne seiner Handlungen. Dieses Werk des Denkens aber ist als das Allgemeine verschieden zugleich der Form nach von dem wirklichen Werk *und von dem wirksamen Leben, wodurch dieses Werk zustande gekommen*. Es gibt jetzt ein reales Dasein und ein ideales« (W.  W.  9, S. 93 f.). »In solcher Zeit« findet ein Volk eine Befriedigung in der Vorstellung von der Tugend. Der einfache allgemeine Gedanke weiß aber, weil er das Allgemeine ist, das Besondere und Unreflektierte – den Glauben, das Zutrauen, die Sitte, – zur Reflektion über sich und über seine Unmittelbarkeit zu bringen … »damit tritt zugleich die Isolierung der Individuen voneinander und vom Ganzen ein, die einbrechende Eigensucht derselben und Eitelkeit, das Suchen des eigenen Vorteils und Befriedigung desselben auf Kosten des Ganzen: nämlich jenes sich absondernde Innere ist auch in Form der Subjektivität – die Eigensucht und das Verderben in den losgebundenen Leidenschaften und eigenen Interessen der Menschen« (das. S. 95). Man erkennt hieraus, und durch das Schlußkapitel der Vorlesungen, wie durch viele andere Stellen, wird es bestätigt, wie tief in Hegels Seele die Revolution und der auflösende, zersetzende Charakter des Zeitalters sich eingeprägt hatte, daß er hier »den Knoten, das Problem« fand, »an dem die Geschichte steht, und den sie in künftigen Zeiten zu lösen hat« (das. S. 541). Von der wahren, der vernünftigen Einsicht erwartete er freilich keine Umgestaltung der Wirklichkeit, sondern eine Versöhnung mit ihr, den »wärmeren Frieden« im Begreifen des Staates als der sittlichen Idee. Aber die Einräumung, daß »die Revolution von der Philosophie ihre erste Anregung erhalten habe«, hebt doch den allgemeinen Satz, daß die Philosophie zum Belehren, »wie die Welt sein soll« immer zu spät komme, wieder auf. Es wäre aber  4  6

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»Der höchste Punkt … und ein ideales« – Beide Zitate ebd., 94. »In solcher Zeit« … Vorstellung von der Tugend. – »Wir sehen darum notwendig in solcher Zeit ein Volk eine Befriedigung in der Vorstellung von der Tugend finden …« (ebd., 95). »den Knoten … künftigen Zeiten zu lösen hat« – »Diese Collision, dieser Knoten, dieses Problem ist es, an dem die Geschichte steht, und den sie in künftigen Zeiten zu lösen hat.« (ebd., 541). »wärmeren Frieden« – »So wie die Vernunft sich nicht mit der Annäherung, als welche weder kalt noch warm ist und darum ausgespien wird, eben so wenig begnügt sie sich mit der kalten Verzweiflung, die zugibt, daß es in dieser Zeitlichkeit wohl schlecht oder höchstens mittelmäßig zugehe, aber eben in ihr nichts Besseres zu haben und nur darum Frieden mit der Wirklichkeit zu halten sey; es ist ein wärmerer Friede mit ihr, den die Erkenntniß verschafft.« (Hegel 1821: XXIII). »die Revolution von der Philosophie ihre erste Anregung erhalten habe« – »Man muß sich also nicht dagegen erklären, wenn gesagt wird, daß die Revolution von der Philosophie ihre erste Anregung erhalten habe.« (Hegel 1848: 534). »wie die Welt sein soll« – Vgl. ed. Fn. zu Z. 11, S. 141.

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auch sonst nicht zu verwundern, wenn Hegel gemeiniglich so gedeutet wurde, als halte er die Wandlungen der Vorstellungen (als der »Ideen«) für die Ursache der historischen Veränderung überhaupt. Marx gewann nun aus dem Studium der Sozialisten die Ansicht eines Gegensatzes der Ideen über Ökonomie und Politik, der im Gegensatze sozialer Klassen seinen Grund habe; d. h. in entgegengesetztem Streben, entgegengesetzten Interessen. Woher aber diese? Aus den Verhältnissen [77] zum Eigentum: bürgerliche Eigentümer gegen Feudalherren, Nichteigentümer gegen Eigentümer. Die Produktivkraft der Arbeit nimmt zu jeder Zeit eine gewisse Entwicklungsstufe ein und dieser gemäß  fallen Teile des Arbeitsproduktes einer oder mehreren Klassen zu, die nicht arbeiten, sondern andere soziale Funktionen vollziehen und zwar die der Herrschaft: das Mittel dafür ist regelmäßig das Eigentum dieser Klasse oder Klassen an den Produktionsmitteln. Durch Entwicklung der Produktivkräfte, die bis zu gewissen Grenzen Wirkung dieses Privateigentums ist, indem die Eigentümer durch ihr Interesse angestachelt werden, sie zu entwickeln, verschieben sich aber die Verhältnisse zwischen den Klassen: die Eigentumsverhältnisse hören auf, die Entwicklungsstufe der Produktivkräfte auf adäquate Weise auszudrücken, und dies Verhältnis gibt sich kund in der Unzufriedenheit und Empörung derjenigen Gesellschaftsklasse, die durch eine Änderung der Eigentumsverhältnisse gewinnen kann und will, und von weiterer Förderung der Produktivkräfte diese ihr günstige Umwälzung, die »Sprengung der Fesseln« erwartet. Der elementare natürliche Vorgang, der also der Bewegung des sozialen Prozesses zugrunde liegt, ist demnach das Wachstum der Produktivkraft der Arbeit, die Steigerung des menschlichen Könnens, der Fortschritt der Technik. Natürlich und »naturwissenschaftlich treu zu konstatieren« ist dieser Vorgang, weil und sofern die Menschen sich bemühen und intelligent genug sind, ihre Arbeiten sich zu erleichtern, mit weniger Arbeit mehr Erfolg und Nutzen zu erzielen, kurz, ökonomisch zu verfahren. »Daß die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen

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dies Verhältnis – A: dies Mißverhältnis. »Sprengung der Fesseln« – Bei Marx (1859: V) heißt es: »Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse [Produktionsverhältnisse] in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche socialer Revolution ein.«. »naturwissenschaftlich treu zu konstatieren« – »In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen naturwissenschaftlich treu zu konstatirenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten.« (ebd.).

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Ökonomie zu suchen sei« (Marx, a. a. O. 1859). Genau betrachtet, ergibt sich der Charakter der Marxschen Urkonzeptionen als ein dreifacher: 1. als Abkehr vom Hegelianismus, Rückkehr zur realistisch-empirischen Ansicht des Lebens und der Geschichte. In diesem Punkte stellt sich Marx einfach auf den Boden, auf dem die gesamte heutige Wissenschaft, also auch die Soziologie sich befindet. Niemand will mehr die Rechtsverhältnisse oder Staatsformen aus sich selber oder aus der allgemeinen Entwicklung des Geistes begreifen. Auch hat es immer eine starke nationalökonomische und kulturhistorische Richtung in Deutschland gegeben, die von allen Anwandlungen spekulativer Philosophie sich frei erhielt. Wenn Roscher nachgerühmt wird, daß er die Traditionen der Göttinger kulturhistorischen Schule gerettet habe und daß er »die Fragen des staatlichen Lebens zu vertiefen suche durch Aufdeckung der wirtschaftlichen Prozesse« (Schmoller, Z. Literaturgeschichte, S.  153), so sieht man deutlich die Berührungen zwischen der »historischen« Denkungsart in Anwendung auf Nationalökonomie, als deren Haupturheber Roscher gilt, und der prinzipielleren »materialistischen« Ansicht. Als Denker freilich [78] ist Marx durch Radikalismus und Konsequenz Roscher stark überlegen; er ist nicht umsonst durch die Hegelsche Schule gegangen. Es bleibt ein starker Rest von dem Gegensatze, in den von Anfang an Hegel und seine Anhänger gegen allen Mystizismus und die reaktionären Tendenzen der historischen Rechtsschule sich gestellt haben. Wir  finden aber 2., daß Marx generell erklärt, die gesellschaftlichen Verhältnisse seien die unabhängige Variable, die politisch-rechtlichen die abhängige. Damit ist noch nichts entschieden über den Anteil des Denkens und Wollens, also des »Bewußtseins« an der einen oder anderen. In Wahrheit haben beide ein höchst mannigfaches Denken und Wollen zur Voraussetzung und innerhalb weiter Grenzen gilt, daß das gesellschaftliche, hier aber das auf ökonomische, also auf Eigentumsund Einkommensinteressen bezogene Denken und Wollen dem politischen, namentlich sofern es auf bestehende oder zu verändernde Rechte

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»Daß die Anatomie … zu suchen sei« – »… daß aber die Anatomie …« (ebd., IV). Marxschen – A: Marxischen. des Lebens – A: des sozialen Lebens. hat es – A: hatte es. »die Fragen des … wirtschaftlichen Prozesse« – »Er sucht die Fragen des staatlichen Lebens zu vertiefen durch Aufdeckung der wirtschaftlichen Prozesse« (Schmoller 1888: 153). »historischen« – A: historischen. historischen Rechtsschule – A: historischen Rechtsphilosophie. beide ein – A: beide Arten ein.

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und Gesetze sich bezieht, zugrunde liegt, die Gegensätze zwischen gesellschaftlichen Klassen den politischen Parteikämpfen, und daß diese aus jenen methodisch sich erklären. Näher besehen, handelt es sich aber hier zugleich um das Verhältnis zwischen Wollen und Denken, oder richtiger ausgedrückt, zwischen dem Begehren und den Bedürfnissen einerseits, dem Denken und (denkenden) Wollen anderseits. Das wirtschaftliche Leben ist die Welt des Begehrens, der Bedürfnisse, der Leidenschaften. Das politische Leben, Staat und Recht, stehen ihm ihrer Idee nach als die Vernunft gegenüber. Aber das Vernünftige hat kein Dasein  für sich; die Motive entspringen immer den dunklen Regionen der Gefühle; die politischen Überzeugungen, ob konservativ oder revolutionär, sind (im normalen Falle) an die sozialen Interessen gekettet. So verstanden liegt das Theorem auf der gleichen Linie mit der modernen Psychologie, die sich (in Anlehnung an Schopenhauer) voluntaristisch nennt, die schon von Hobbes und Spinoza angebahnt war; und diese geht zurück auf die Erkenntnis des Menschen als eines schlechthin natürlichen, sinnlichen, d.  h. wesentlich animalischen Wesens; eine Erkenntnis wiederum, die in der Abstammungslehre sich vollendet. Auch dieser ganze Gedankengang ist mithin der Anlage nach, mit dem – durch Feuerbach eingeleiteten – Abfall vom Hegelschen Intellektualismus gegeben, ist eine Wiederaufnahme des Naturalismus, der im Denken des Aufklärungszeitalters vorherrschte und, auf die Naturwissenschaften hinweisend, im letzten Drittel des Jahrhunderts wieder maßgebend geworden ist. Nun gehört aber zum Charakter der Marxschen Lehre 3. die Behauptung der Produktionsverhältnisse als der »realen« Basis jeder Gesellschaft und der Produktivkräfte als des motorischen Faktors, dessen Entwicklung die wirksame Ursache der gesamten Kulturentwicklung sei. Dies ist eine sehr spezielle Ausführung des in 2. ent[79]haltenen Grundgedankens. Wie aus dem »Kommunistischen Manifest« zu ersehen, ist sie lediglich eine Verallgemeinerung der Entwicklung der Industrie und der bürgerlichen Klasse, die dort einerseits als Produkt einer Reihe von Umwälzungen in der Produktions- und Verkehrsweise, anderseits als die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftliche Verhältnisse  fortwährend revolutionie-

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ist. Nun – A: ist. – Nun. Marxschen – A: Marxischen. »Kommunistischen Manifest« – Anonym [Marx und Engels] 1848.

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rend dargestellt wird; als Objekt und als Subjekt zugleich. Daß die Theorie »unfertig und unausgedacht«, mit andern Worten nur skizziert vorliegt, ist richtig bemerkt worden; ob aber diese Bemerkung ein Buch von fast 700 Seiten erforderte? Jedenfalls tut man jenem Entwurfe Unrecht, wenn man den in einer Vorrede mitgeteilten Formeln, deren gehaltvolle Knappheit  freilich bewunderungswürdig ist, die übermäßige Ehre erweist, sie zu pressen und gewaltsam mit dem abstrakt naturwissenschaftlichen Materialismus zusammenzuzwingen, dessen Mängel derselbe Marx im »Kapital« (I4, S. 336, Anm.) stark hervorgehoben hat. Jene Vorrede will nur angeben, welches allgemeine Resultat nationalökonomischer Forschungen einmal gewonnen, den ferneren Studien eines entschlossenen Denkers zum Leitfaden gedient habe. Eine »Theorie der materialistischen Geschichtsauffassung« liegt nicht vor, man kann nur von dem entwicklungsfähigen Keim einer wissenschaftlichen Ansicht der Geschichte sprechen. Dieser Keim aber ist mit irgendwelchem Phänomenalismus oder Spiritualismus ebenso verträglich wie mit dem Gegenteil, mit teleologischen Idealen so gut wie mit deren Ablehnung. Es ist das Prinzip, die Geschichte anthropologisch zu betrachten, und die Anthropologie frei von supranaturalistischen und theologischen Vorurteilen anzufassen. Es ergibt sich dann von selbst die unermeßliche Bedeutung der Arbeitswerkzeuge (aber auch der Waffen!) und des ihre Vervollkommnung  fördernden wissenschaftlich-technischen Denkens und Erkennens  für alle sozialen Verhältnisse, deren von Rechtszuständen

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Theorie »unfertig und unausgedacht« – Tönnies zitiert Rudolf Stammlers Studie »Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung« aus dem Gedächtnis: dort heißt es, die materialistische Geschichtsauffassung sei »unfertig und nicht ausgeführt« (1896: 24), »unfertig und nicht ausgedacht« (ebd., 440). Tönnies widmet dem Werk Stammlers eine eingehende und sehr kritische Besprechung (Tönnies 1898: 109– 116) und rezensiert noch einmal die dritte Auflage (Stammler 1914, Tönnies 1915). Auch sonst geht Tönnies wiederholt auf Stammler ein und beklagt in der Besprechung von 1915 (ebd., 493, Fn.), dass Stammler, »der sonst viele Kritiken in den neuen Auflagen zu widerlegen versucht«, Tönnies’ »Kritiken … absichtlich ignoriert. Die Gründe dieses Ignorierens untersuche ich nicht.«. mit andern Worten – A: m. a. W.. in einer Vorrede – Gemeint ist die zitierte Vorrede in Marx 1859. dessen Mängel derselbe Marx … hervorgehoben hat – A: dessen »Mängel« … – »Es ist in der That viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Die letztre ist die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode. Die Mängel des abstrakt naturwissenschaftlichen Materialismus, der den geschichtlichen Process ausschliesst, ersieht man schon aus den abstrakten und ideologischen Vorstellungen seiner Wortführer, sobald sie sich über ihre Specialität hinauswagen.« (Marx 1890: 336, Fn.).

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und politischen Formen relativ unabhängige Entwicklung, wogegen diese in hohem Grade nach jenen sich richten oder von ihnen geschoben, bedrängt, zuweilen auch gesprengt werden. So verstanden erscheint jene berufene Theorie im Einklange mit den Tendenzen der gesamten prähistorischen und historischen Forschungen, die das Jahrhundert erfüllen, mit den Studien über die Entwicklung vom Stein- zum Bronce- und zum Eisenalter, vom Jägerleben zum Ackerbau und zum Handwerk; mit dem immer zunehmenden Gewicht, das man für das Verständnis aller politischen, militärischen, aber auch geistigen Veränderungen auf die Einsicht in die ökonomische Lage der Bevölkerungen, ihre Ursachen und Wirkungen zu legen gelernt hat; in den davon größtenteils abhängigen Stand der Staatsfinanzen, in die Handelspolitik, die durch gesellschaftliche Interessen diktiert wird. [80] Die Komplikation der Aufgabe kann hier nicht einmal angedeutet werden. Auf die Versuche, von verschiedenen Seiten darin einzudringen, wird aber noch zurückzukommen sein. Im allgemeinen genüge es, darauf hinzuweisen, wie in offenbarem Zusammenhange mit der »sozialen Frage«, aber auch aus anderen Ursachen, das Interesse den Besitzverhältnissen, Erwerbsverhältnissen, überhaupt dem »Zuständlichen« in der Geschichte sich zugewandt hat; die ganze Richtung auf Kulturgeschichte und ihre Opposition gegen die hergebrachte Epik der Berichte über Kriege und andere »Haupt- und Staatsaktionen«, darf als ein wenn auch oft einseitig gestalteter Ausdruck davon gelten. Die »Statistik« in ihrem alten wissenschaftlichen Sinne, als »stillstehende Geschichte« oder Kunde von den Staatskräften und Staatsmerkwürdigkeiten, stellte sich ebenso mit prosaischer Sachlichkeit und dem Dringen auf klare Kausalitäten jenen heroisch-dynastischen Geschichtsschreibungen entgegen; auch noch nachdem diese sich in po13 19

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der Aufgabe – A: dieser Aufgabe. das Interesse den … Geschichte sich zugewandt hat – A: das Interesse sich den Besitzverhältnissen, Erwerbsverhältnissen, überhaupt dem »Zuständlichen« in der Geschichte zugewandt hat. »stillstehende Geschichte« – Tönnies spielt auf Schlözer (1804: 86 f.) an: »Gewönlich denkt man sich bei diesem Worte [Statistik] nur die Gegenwart, nur den jetzigen Zustand eines Stats; warum nicht auch Statistiken der Vergangenheit? Geschichte ist eine fortlaufende Statistik; und Statistik ist eine stillstehende Geschichte …: nun so lasse man sie stille stehen, wo man will, und so lange man will; d. i. man hebe ZeitRäume vergangner Jare oder JarHunderte aus, die sich von vorhergegangen und nachfolgenden auszeichnen …«. Staatsmerkwürdigkeiten – Dies ein Ausdruck Gottfried Achenwalls: »Wenn ich einen einzelnen Stat ansehe: so erblicke ich eine unendliche Menge von Sachen, so darinnen als wirklich angetroffen werden. Unter diesen sind einige, welche seine Wolfart in einem merklichen Grade angehen, entweder daß sie solche hintern oder befördern: man kann selbige Statsmerkwürdigkeiten nennen.« (1760: 4).

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litisch-diplomatische gewandelt haben. Ein Meister wie Niebuhr weiß, daß »im gesellschaftlichen Zustande von Europa die größere Beweglichkeit des Eigentums, eine große Veränderung bewirkte«, daß aber »auch in den beweglichen Ländern Europas fast nirgends die Regierungen (vor der Revolutionsepoche) verstanden hatten, mit den Entwicklungen fortzugehen« (Gesch. d. Zeitalters der Revolution I). Hingegen bei Ranke, der durch Fichte und Hegel, mehr aber noch durch eine etwas vage Gläubigkeit, in idealistischem Sinne bestimmt wurde, weist sogar Treitschke darauf hin, daß der »breite Unterbau der Gesellschaft, die Masse des Volks in ihrer Not und Sorge, mit ihrer Tapferkeit und ihren dunklen Instinkten nicht genügend beachtet« wurde; wenn er auch nur als »Gefahr« dies ausdeuten mag (D. G. III, S. 698). Daß für ein kausales Verständnis historischer Vorgänge unsere statistische Unkenntnis der Vergangenheit, besonders der Bevölkerungsbewegung und der Wohlstandsverschiebungen, schwere Hemmungen bedeutet, können nur diejenigen leugnen, die Geschichte als eine »Wissenschaft« des Einmaligen und Individuellen  festnageln wollen (obgleich das Ringen des Volkes um die Nahrung, Kleidung, Wohnung, Tag  für Tag, jahraus, jahrein, sich wiederholt). Um so mehr ist die Erkenntnis der ursprünglichen Besitz- und Arbeitsverhältnisse, insbesondere seit Einführung des Ackerbaus, dafür bedeutungsvoll geworden. Die Entdeckung oder doch wissenschaftliche Erschließung des Agrarkommunismus bei den Russen durch Haxthausen, bei den germanischen Völkerschaften durch dänische Gelehrte, denen sich Hanssen anschloß, durch Maurer und andere ausgezeichnete Forscher, die spätere vergleichende Heranziehung der indischen Dorfgemeinde, und die reichen ethnologischen Studien, die im Zusammenhange damit in die Urgeschichte der Institutionen, [81] namentlich der Familie, hineingedrungen sind, bedeuten hierfür, wie auch Marx und Engels scharf und früh erkannt haben, epochemachende Fort 3

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»im gesellschaftlichen Zustande … Veränderung bewirkte« – »Im gesellschaftlichen Zustande von Europa bewirkte die größere Beweglichkeit des Eigenthums eine große Veränderung.« (Niebuhr 1845: 51). aber »auch in den beweglichen … Entwicklungen fortzugehen« – »Aber auch in den beweglichen Ländern Europa’s hatten fast nirgends die Regierungen verstanden mit den Entwickelungen fortzugehen.« (ebd.). »breite Unterbau … nicht genügend beachtet« – Treitschke 1885: 698, kleine Ungenauigkeiten: »… Masse des Volks mit ihrer Noth … nicht genugsam beachtet«. »Gefahr« – Wohl liege bei Ranke »die Gefahr nahe …« (ebd.). Haxthausen – Vgl. Haxthausen 1847–1852. dänische Gelehrte, denen sich Hanssen anschloß – Vgl. Hanssen 1865, 1867, 1880 und 1884, der sich auf den Dänen Olufsen (1823) bezieht. Maurer – Vgl. Maurer 1854 und 1856.

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schritte. Manches gehört der Zeit nach erst in unseren dritten Abschnitt, aber mit den wichtigsten jener Werke erschien noch vor 1866 das merkwürdige, von Phantasmen nicht  freie, aber genial-tiefsinnige Buch des Schweizers J. J. Bachofen »Das Mutterrecht« (1861), von dem man sagen darf, daß es eine noch unerschöpfte Bedeutung in sich trägt. Auch Bastians, des großen Reisenden, »Mensch in der Geschichte« und Waitz’ »Anthropologie der Naturvölker« (Bd. I), auf denen nach seiner eigenen Aussage E. B. Tylors »Primitive Culture« ebenso beruht, wie Sir J. Lubbock Gedanken Bachofens popularisiert hat, fallen noch in diese frühere Periode (1860 und 1859). Die Ansicht, daß menschliche Urzustände und Uranschauungen wenigstens in Analogie unter den heutigen Wilden sich müßten beobachten lassen, ist längst, ehe eine Entwicklungstheorie durchgedrungen war, in anerkannter Geltung gewesen, und zwar freilich gemäß der Meinung, von der Savigny 1814 sagt, sie sei in neueren Zeiten herrschend geworden, »daß alles zuerst in einem tierähnlichen Zustand gelebt habe und von da durch allmähliche Entwicklung zu einem leidlichen Dasein bis endlich zu der Höhe gekommen sei, auf welcher wir jetzt stehen«. Dieser Ansicht, die auch Hegel in seiner besonderen Gestaltung reproduziert, hatte sich die romantische, die in den theologischen, und zwar am besten in katholisch-theologischen ihren Stützpunkt  fand, entgegengewälzt. Eine dritte Ansicht, auf der Basis jener rationalistischen, ist mit den sozialistischen Gedankensystemen eng verknüpft; sie wird zuerst von den Schülern Saint-Simons ausgebildet. Sie läßt nicht in jeder Hinsicht, und gerade in fundamentaler Hinsicht nicht, die »Neuzeit« dem »Mittelalter überlegen sein«; sie erkennt und anerkennt vielmehr den desorganisierenden, kritisch-zersetzenden, revolutionären Charakter des Zeitalters, in das wir hineingesetzt sind; will also die Möglichkeit eines Untergangs der Kultur trotz des (insbesondere intellektuellen und technischen) Fortschrittes innerhalb ihrer, durch solchen Fortschritt und Anerkenntnis der Perfektibilität der Menschheit vereinen, in diese Gesamtanschauung aufnehmen. Obgleich sie also prinzipiell übereinstimmt mit der aufgeklärten, so berührt sie sich doch

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Manches gehört – A: Manches davon gehört. »Das Mutterrecht« – Bachofen 1861. »Mensch in der Geschichte« – Drei Bände (1860). »Anthropologie der Naturvölker« – Waitz 1859. »Primitive Culture« – Tylor 1871, deutsch 1873. Sir J. Lubbock – Tönnes verfasst 1913 einen kurzen Nachruf auf John Lubbock (1913c). »daß alles zuerst in einem tierähnlichen … wir jetzt stehen« – Savigny 1814: 8 f. Fortschritt und Anerkenntnis – A: Fortschritt, mit Anerkenntnis.

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empirisch stärker mit der reaktionären und romantischen Philosophie der Geschichte. Im »Kommunistischen Manifest« verraten dies die starken Entlehnungen von Carlyle, offenbar von Engels herrührend, der 1844 die Schrift »Past and Present« mit warmer Sympathie besprach, wenn auch unter Hervorhebung Feuerbachscher Kritik und unter Protesten gegen die »Reste torystischer Romantik«. Aber Marx und Engels waren zu sehr mit der Arbeiterbewegung praktisch liiert, um ihre theo[82]retische Kritik durchzuführen; sie glaubten mit jener das Kraut in Händen zu haben, das gegen den Tod (dieser Zivilisation) in Wahrheit nicht gewachsen ist, wenngleich heilsame Wirkung mit Recht davon erwartet werden mag. Gemeinsame Ausgangspunkte mit den beiden revolutionären Geistern hatte unter den Deutschen Lorenz Stein. Auch er war durch die Hegelsche Philosophie hindurchgegangen, auch er hatte die französischen »Reformatoren« studiert und mit einer Darstellung ihrer Lehren bedeutende Wirkung erzielt. Aber er blieb Hegel näher, dem proletarischen Radikalismus ferner; er wurde in Wien Professor. Den Hegelschen Gegensatz der Begriffe Staat und Gesellschaft, der auch Marx angeregt hatte, machte er zum Zentrum seines Systems, das den Staat und insbesondere die Monarchie, gleichsam als notwendigen und beständigen Retter vor ihrer durch die Kämpfe zwischen besitzenden und besitzlosen Klassen drohenden Zerstörung darstellt. Es ist das Programm des Staatssozialismus, und speziell des sozialen Königtumes, das hier entfaltet wird. In seinem »System der Staatswissenschaft« und zwar hauptsächlich in dessen zweitem Bande, der »Gesellschaftslehre« (Erste Abteilung: »Der Begriff der Gesellschaft und die Lehre von den Gesellschaftsklassen«, 1856) hat er ihm eine breite Grundlage gegeben; in knapperer Fassung war sie schon 1850 als Einleitung seiner »Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage« (3 Bände) dargestellt worden. Diese Geschichte des Zeitalters soll die Lehre illustrieren. Sie ist ein Werk von packender Gewalt, von hinreißendem Stile; ein Versuch begrifflicher soziologischer Geschichtsschreibung, der kaum seinesgleichen hat. Die jüngste Zeit freilich stand noch zu nahe, die Prognose blieb

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»Kommunistischen Manifest« – Anonym 1848. warmer Sympathie – A: starker Sympathie. »Reste torystischer Romantik« – Die Besprechung Carlyles (1843) in den DeutschFranzösischen Jahrbüchern (Engels 1844), das Zitat ebd., 173. drohenden Zerstörung – A: drohenden Zerrüttung. »System der Staatswissenschaft« – Stein 1852 und 1856. breite Grundlage – A: breite theoretische Grundlage. »Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich von 1789 bis auf unsere Tage« – Stein 1850.

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unzulänglich. Gerade an dieser hat auch Marx seine Kunst versucht, am glänzendsten im »18. Brumaire des Louis Napoleon«; im Werke über das »Kapital« behauptet die historische Schilderung der englischen Industrie und Fabrikgesetzgebung einen Wert, der unabhängig von der Geltung seiner ökonomischen Theorien ist. Schade, daß er bei zeitgenössischer Geschichte stehengeblieben ist. »Uns  fällt es nicht ein, die ›Offenbarung der Geschichte‹ zu bezweifeln oder zu verachten, die Geschichte ist unser Eins und Alles, und wird von uns höher gehalten als irgend von einer früheren Richtung, höher selbst als von Hegel, dem sie am Ende auch nur als Probe auf sein logisches Rechenexempel dienen konnte«, so schrieb 1844 Engels in jener Carlyle-Kritik. Hier also trafen sich wieder Hegel und die Romantiker, die sozialistische und die historische Schule der Nationalökonomie. Das Interesse des Nationalökonomen und Politikers an der Geschichte ist notwendig philosophischsoziologischer Natur. So wäre hier der Versuche zu ge[83]denken, mit denen List, Roscher, Hildebrand, Knies, aber mit sozialistischer Kritik tiefer bohrend Rodbertus, sich und anderen den Blick für Vergangenheit und Zukunft der Kultur geklärt haben. – Was aber die Systematik angeht, so bürgerte sich in der Rechts- und Staatsphilosophie, wie auch in der Ethik, die das soziale Leben in ihr Bereich zu ziehen lernte, der Begriff der Gesellschaft mehr und mehr ein, nachdem von Hegel, wie Mohl sagt, der große Anstoß gegeben; von da an sei der Gedanke nicht wieder untergegangen. In der Tat wäre es lohnend, diesen Fortschritt durch die Literatur zu verfolgen, und Mohl hat dazu die Wege bereitet. Unter den Philosophen nahmen der jüngere Fichte in seiner »Ethik«, Herbart in der »Allgemeinen praktischen Philosophie«, Ahrens, der Schüler Krauses, in der »Organischen Staatslehre« (1850), Stahl, der Schellings Lehre

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»18. Brumaire des Louis Napoleon« – Marx 1869. Recte: »Der Achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«. »Kapital« – Vgl. den vierten Abschnitt im ersten Bd. des »Kapital« (Marx 1867, 4 1890). »Uns fällt es nicht ein … Rechenexempel dienen konnte« – Tönnies zitiert Engels (1844: 176) nicht ganz präzise: »… höher gehalten als von irgend einer anderen, früheren, philosophischen Richtung, höher selbst als von Hegel, dem sie am Ende auch nur als Probe auf sein logisches Rechenexempel dienen sollte.«. trafen sich wieder Hegel – A: trafen sich wiederum Hegel. von Hegel … der große Anstoß gegeben – Vgl. »Gesellschafts-Wissenschaften und Staats-Wissenschaften« (Mohl 1851: 17 f.). »Ethik« – Vgl. Immanuel Hermann Fichte 1850. »Allgemeinen praktischen Philosophie« – Herbart 1808. »Organischen Staatslehre« – Ahrens 1850.

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gegen die Hegelianer wiederherzustellen und mit protestantischer Theologie zu verschmelzen sich berufen  fühlte – diese und manche andere nahmen den Begriff der »Gesellschaft« als eines vom Staate verschiedenen Gebildes, den sie so oder so zu bestimmen versuchen, auf. Am sorgfältigsten und gründlichsten ist dabei Mohl selber verfahren, der alle aus einem bestimmten Interesse sich entwickelnden natürlichen Genossenschaften, ob  förmlich geordnet oder nicht, gesellschaftliche Lebenskreise nennt, gesellschaftliche Zustände davon unterscheidet, und »die Gesellschaft« als den Inbegriff aller in einem bestimmten Umkreise, z.  B. Staaten, Weltteile, tatsächlich bestehenden gesellschaftlichen Gestaltungen aufzufassen lehrte (zuerst 1851 in der Tübinger Zeitschrift). Der Unterschied soziologischer von biologischer und psychologischer Erkenntnis des menschlichen Zusammenlebens ist Mohls Denken  fern geblieben, während Hegels Jünger, von der Idee des objektiven Geistes geleitet, dessen nicht ganz verfehlen konnten. Steins Lehre ist einflußreicher geworden, namentlich dadurch, daß Gneist sie adoptierte und auf seine weitreichenden Studien über englische Verfassung und Verwaltung anwandte. Noch in seinem »Rechtsstaat« (2. Aufl., 1879) legt er diese Begriffe zugrunde und verkündet nachdrücklich, daß die heutige Welt in ihren tiefen Gegensätzen auf dem Boden der Gesellschaft begriffen werden müsse. Ein früherer Nachfolger Steins, A. Widmann (der auch in der schönen Literatur als einer unserer  feinsten Novellisten seinen Namen hinterlassen hat), setzte sich zum Ziel, den Zusammenhang der ökonomischen und politischen Erscheinungen zu erforschen, und läßt die Menschengeschichte in einem fortwährenden Kampfe zwischen dem Wesen der Gesellschaft und des Staates einerseits, ihrer  faktischen Erscheinung anderseits, aufgehen; eine Betrachtung, die in sich stark ist und in schlichteren Formen tiefer auf den Grund geht als die Steinsche (»Die Gesetze der sozialen Bewegung«, 1851). [84]  1 11 17

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Schellings Lehre gegen die Hegelianer wiederherzustellen – Vgl. eine ausführliche Fußnote, betreffend sein Verhältnis zu Schelling in Stahl 1854: XV ff. zuerst 1851 in der Tübinger Zeitschrift – Mohl 1851. Überarbeitet, nun unter dem Titel »Die Staatswissenschaften und die Gesellschaftswissenschaften« in ders. 1855: [67] ff. Studien über englische Verfassung und Verwaltung – »Das heutige englische Verfassungs- und Verwaltungsrecht« (1857 und 1860), »Die Geschichte des Selfgovernment in England« (1863, erneut 1871), schließlich »Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deutschen Verhältnissen« (1869). – A: Studien über englische Verwaltung und Verfassung. »Rechtsstaat« (2. Aufl., 1879) – Erste Auflage 1872. auf dem Boden der Gesellschaft begriffen werden müsse – So fast wörtlich Gneist 1879: [1]. – In A als Zitat ausgewiesen und das Wort »Gesellschaft« hervorgehoben. den Grund geht – A: den Grund der Dinge geht. »Die Gesetze der sozialen Bewegung« – Widmann 1851.

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Die Anregungen Herbarts trugen gute Früchte in den Arbeiten von Lazarus und Steinthal, die 1860 den ersten Band der »Zeitschrift  für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft« herausgaben. Sie wollen neben die individuelle Psychologie die Psychologie des gesellschaftlichen Menschen oder der menschlichen Gesellschaft stellen – die Form des Zusammenlebens der Menschen sei aber ihre Trennung in Völker, an deren Verschiedenheit die Entwicklung des Menschengeschlechtes gebunden sei. Sie berufen sich auch auf Carl Ritter, auf W. Humboldt u. a. als Vorgänger der psychischen Ethnologie oder Völkerpsychologie. »Wie die Biographie der einzelnen Persönlichkeit auf den Gesetzen der einzelnen Persönlichkeit beruht, so hat die Geschichte, d. h. die Biographie der Menschheit, in der Völkerpsychologie ihre rationale Begründung erhalten.« Sie bemühen sich um Definitionen des Volkes und des Volksgeistes, unter dessen Elementen ihnen die Sprache obenan steht, danach die Mythologie und als praktisches Leben des Volksgeistes die Sitte. Wenn man die ersten Bände dieser merkwürdigen Zeitschrift liest, so wird man auf viele Gedankengänge stoßen, die in jüngster Zeit als nagelneu und modern sich vorstellen. Die Soziologie hat aus diesen sozialpsychologischen Untersuchungen noch manches zu lernen. Die beiden Begründer der Völkerpsychologie, von denen Steinthal der gelehrtere und tiefere, Lazarus der elegantere und geistreichere, sind (als Israeliten) nicht zur gehörigen öffentlichen Entfaltung ihrer Gedankenwelt zugelassen worden. Die Hemmungen, denen (im Deutschen Reiche mehr als in andern Ländern) die Soziologie noch heute begegnet, sind zum Teil eine Folge davon oder hängen mit noch  flacheren Vorurteilen zusammen. Das schon erwähnte, gleichfalls aus Herbarts Schule hervorgegangene Werk von Waitz, namentlich der erste einleitende Band, weist ebenfalls ein Menschenalter über sich hinaus. Auch dieser scharfsinnige Forscher hat sich die Aufhellung des psychologischen Kausalzusammenhanges der Kulturgeschichte zum Ziel gesetzt, und es hat sich ihm ergeben, daß die verschiedenen Kulturzustände der Völker in weit höherem Maße von

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»Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft« – Vgl. die »Einleitende[n] Gedanken« von Lazarus und Steinthal zur ersten Ausgabe der Zeitschrift (1860). stellen – die Form – A: stellen … die Form. »Wie die Biographie … rationale Begründung erhalten.« – Das Zitat ist an zwei Stellen verdorben: »Wie die Biographie der einzelnen Persönlichkeit auf den Gesetzen der individuellen Psychologie beruht, so hat die Geschichte, d. h. die Biographie der Menschheit, in der Völkerpsychologie ihre rationale Begründung zu erhalten.« (ebd., 19). – Die Bezüge auf Carl Ritter und Wilhelm Humboldt ebd., 14  f. – In A andere Fehler im Zitat. Werk von Waitz – Waitz 1859.

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dem Wechsel ihrer gesamten Lebenslage und ihrer Schicksale, überhaupt von anderen Momenten abhängen als von ihrer ursprünglichen. Eine Wissenschaft vom Volke, die als solche auch Gesellschaftswissenschaft sein sollte, wollte W. H. Riehl begründen; eine konservative »Sozialpolitik« – der Ausdruck wurde durch ihn und andere, namentlich in der Deutschen Vierteljahrsschrift, nach 1850 gebräuchlich – sollte daraus genährt werden. Riehl war ein Poet, von Liebe zu Land und Leuten, zu deutscher Sitte erfüllt, für alles Warme, Heimatliche, Familienhafte begeistert, ein feiner Beobachter, ein Kenner des [85] echten Bauernsinnes und Bürgergeistes, der letzte Barde einer rasch versinkenden Idylle des sozialen Lebens, die sonst durch alles Ungemach der Zeiten sich leidlich konserviert hatte. Seine Schriften sind mehr kulturhistorisch merkwürdig und auch lehrreich, als wissenschaftlich bedeutend. Gegen seine und zugleich gegen Mohls »Gesellschaftswissenschaft« erhob sich kritisch der noch jugendliche Treitschke. Auch er ein Dichter und Seher, Herold des neuen preußisch-deutschen Staates, dessen Herrlichkeit seinem Geiste nur durch sozialistischen Wahn und Irrlehre und durch unwillkommenes Judentum getrübt wird – wenn er auch zuweilen hinter diese Oberflächen zu schauen vermag. In jener Jugendschrift glaubt er, aus unseren unnormalen politischen Zuständen sei die Theorie zu erklären, welche Staat und Gesellschaft trennen wolle; aber die Staatswissenschaft bedürfe eines gänzlichen Umbaues nicht. Wie in England heute schon Staat und Gesellschaft eins seien, so müsse auch der Staat werden, was seine Bestimmung sei: die einheitlich geordnete deutsche Gesellschaft. Voll von lebendiger Anschauung und hoher Gesinnung zeigt sich schon hier der spätere geistvolle Historiker, Klarheit und Schärfe des Denkens war nicht seine starke Seite. – Als vielseitig gewandter Vertreter der »Staatswissenschaften« versuchte sich auch an allen diesen Problemen im Sinne eines nicht durchaus beschränkten Liberalismus der Schweizer Jurist J. C. Bluntschli, ein fruchtbarer und einflußreicher Ge 2  5 14 19 23 23 26 30

von ihrer ursprünglichen. – A: von ihrer ursprünglichen geistigen Begabung.. konservative »Sozialpolitik« – Vgl. besonders Riehl 1851 (2. Aufl. 1854) sowie ders. 1855. »Gesellschaftswissenschaft« – Vgl. ed. Fn. zu Z. 11, S. 152. jener Jugendschrift – »Die Gesellschaftswissenschaft. Ein kritischer Versuch« (Treitschke 1859). heute schon – A: schon heute. der Staat – A: der deutsche Staat. geistvolle Historiker, Klarheit – A: geistvolle Historiker. Klarheit. Bluntschli – Vgl. den Aufsatz »Ueber die neuen Begründungen der Gesellschaft und des Gesellschaftsrechts« (Bluntschli 1856). – Die dritte Auflage seiner »Geschichte des allgemeinen Statsrechts« (1864) trägt den Titel »Geschichte der Neueren Statswissenschaft« (1881).

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lehrter. Merkwürdig sind seine Freunde, die Gebrüder Rohmer, die das soziologisch wichtige Thema einer kritischen Analyse des Parteiwesens mit Geist, wenn auch unzulänglich, in Angriff nahmen (1843); unbefangener jedenfalls als Stahl, aus dessen Nachlaß sehr parteiische Vorlesungen über den Gegenstand herauskamen (1863). Gleichfalls vom konservativen Standpunkt, aber mit weit höherer Erkenntnis schrieb Clemens Theodor Perthes über »Das deutsche Staatsleben vor der Revolution« (1844) und über »Politische Zustände und Personen in Deutschland zur Zeit der französischen Herrschaft« (1862 und 1869) – leider unvollendete Studien zur Geschichte der politischen Parteien, »welche jetzt in Deutschland und Österreich einander gegenüber stehen«. Auch ein konservativer und zugleich katholischer, aber (wie Perthes) ein redlich treuer Forscher war Josef Held, der in drei mächtigen Bänden über »Staat und Gesellschaft vom Standpunkte der Geschichte der Menschheit und des Staates mit besonderer Rücksicht auf die politisch-sozialen Fragen unserer Zeit« aus großem Wissen und ernstem Denken sich verbreitete (1861 ff.); auch durch reichhaltige Bibliographie zeichnet sich das Werk aus. Held wurde auch der Neuherausgeber von Vollgraffs »Polignosie und Polilogie«, sowie der zwei vorausgehenden Teile des »Ersten Versuchs einer Begründung .. der Eth[86]nologie durch die Anthropologie .. der Staats- und Rechtsphilosophie durch die Ethnologie« (1851–55), eines, bei allen Wunderlichkeiten in Form und Inhalt, keineswegs unbedeutenden Werkes, in das manches Zukünftige hineingeheimnißt ist; denn der Verfasser, freier disponiert als Held und viele andere, zeigt das  1  2  5  8  9 11

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Merkwürdig sind – A: Merkwürdiger sind. Analyse des Parteiwesens – Rohmer 1844. Vorlesungen über den Gegenstand – Stahl 1863. »Das deutsche Staatsleben vor der Revolution« (1844) – Recte: Perthes 1845. »Politische Zustände … französischen Herrschaft« (1862 und 1869) – Perthes 1862 und 1869. »welche jetzt in Deutschland und Österreich einander gegenüber stehen« – Der erste Satz der Vorrede Perthes’ zum ersten Bd. lautet: »Seit zwanzig Jahren beschäftigt mich die Geschichte der politischen Parteien, welche jetzt einander in Deutschland gegenüber stehen.« (Perthes 1862: [III]). Der zweite Band (1869: 179 ff.) beschäftigt sich mit den Parteien in Österreich und Preußen bzw. dem Deutschen Reich. – In A steht »(und Österreich)«, es ist ein Zusatz Tönnies’. und zugleich katholischer – A: (und zugleich katholischer). redlich treuer Forscher – A: redlich-treuer Forscher. »Staat und Gesellschaft … Fragen unserer Zeit« – Held 1861, 1863, 1865. »Polignosie und Polilogie« – Held gibt Vollgraffs Werk unter einem neuem Titel heraus, vgl. sein »Vorwort zur zweiten Ausgabe« in Vollgraff 1864: [VII] ff. »Ersten Versuchs einer Begründung … Ethnologie« – Vollgraff 1851, 1853, 1854, 1855.

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heiße Bemühen, »in der sozialen Chemie und Physik zu einer wissenschaftlichen Theorie zu gelangen«, und unter seinen Ansätzen zu einer »genetischen und komparativen Staats- und Rechtsphilosophie« ist dieser und jener Baustein noch heute brauchbar. – Die »Allgemeine Kulturwissenschaft« von Gustav Klemm (1854  ff.) will ausdrücklich »die materiellen Grundlagen menschlicher Kultur« darstellen und behandelt im ersten Bande das Feuer, die Nahrung usw., im zweiten die »Werkzeuge und Waffen« mit gründlichen Museumskenntnissen. Die »soziale Anthropologie« ließ auch W. Kiesselbach, ein fleißiger Mitarbeiter der »Deutschen Vierteljahrsschrift«, sich angelegen sein, und die darauf zu gründende, mit der Nationalökonomie zu verschmelzende »junge Wissenschaft vom sozialen Leben« Sozialistik nennen (womit er, soweit ich sehe, nur bei Dühring Nachfolge gefunden hat). Die wahre Verfassung sei nicht ein juridisches, sondern ein sozial-politisches Produkt: aus diesem Grundgedanken will er vorzugsweise Ursachen und Wirkungen der Handelsentwicklung in Europa, überhaupt »die großen ökonomischen Hebel« darstellen, die erkennen lassen, wie (seit 1840 etwa) die

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»in der sozialen Chemie und Physik … zu gelangen« – Als Zitat nicht nachgewiesen. Vgl. aber folgende Sätze Vollgraffs: »Also nahm sich der Verf. schon vor 20 Jahren vor, die Erscheinungen der Cultur und Civilisation ebenso auf ihre einfachen Ursachen und Gesetze zurückzuführen, wie es die Chemiker und Physiker mit der unorganischen und organischen Natur gethan, sonach ebenwohl an die Stelle der bisher blos experimentirenden Staats- und Rechtslehre eine wirkliche Staats- und Rechts-Philosophie zu setzen, oder, wie er es auf dem Titel des dritten Theiles bezeichnet hat: eine genetische und comparative Staats- und Rechts-Philosophie zu geben …« (1856 [1864]: 6 f.). »die materiellen Grundlagen menschlicher Kultur« – Klemm 1854 (hier, im zweiten Bd., das Zitat S. [VII]). Der erste Bd. erscheint 1855; der zweite also vor dem ersten. Die von Klemm angekündigten Bde. 3–5 sind nicht erschienen. »soziale Anthropologie« – Vgl. »Zur socialen Anthropologie« in Kiesselbach 1862: [1]–16. »Deutschen Vierteljahrsschrift« – Vgl. die Sammlung seiner Aufsätze: Kiesselbach 1862. und die – A: und möchte die. Sozialistik – »Wie die Alchymie und Astrologie der Chemie und Astronomie, so ist auch der Socialismus der eigentlich wissenschaftlichen Erfassung des gesellschaftlichen Lebens, der Socialistik, vorausgegangen.« (ebd., [1]). »Socialistik« bezeichne »die junge ›Wissenschaft vom gesellschaftlichen Leben‹« (ebd., 2). – In A korrekt zitiert. nur bei Dühring Nachfolge – Dühring strebt ein »von einer strengeren Methode getragenes System« an, das »namentlich das in den bisherigen Theorien des Socialismus oder, wie man auch kürzer sagen könnte, in der Socialistik noch sehr zerfahrene Bewusstsein ordnen« soll (1876: 508). »die großen ökonomischen Hebel« – Kiesselbach 1860: [IX]. – Textverderbnis »die großen ökonomischen Übel« korrigiert nach A. darstellen, die – A: darstellen, und gibt hier Einsichten kund, die.

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volkswirtschaftliche Ergründung der historischen Prozesse »in der Luft gelegen« hat (»Der Gang des Welthandels und die Entwicklung des europäischen Völkerlebens im Mittelalter«, 1860, »Sozialpolitische Studien«, 1862). Als in ähnlichem Sinne geographisch gedacht, möge des trefflichen Reisenden J. G. Kohl »Der Verkehr und die Ansiedlungen der Menschen in ihrer Abhängigkeit von der Gestaltung der Erdoberfläche« (zuerst 1841) erwähnt werden; ein Buch, an das manche ähnliche Arbeiten des Autors und von dem Holsteiner K. Jansen »Die Bedingtheiten des Verkehrs und der Ansiedlungen der Menschen durch die Gestaltung der Erdoberfläche« (1861) sich angeschlossen haben.

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Auguste Comte hat das Wort Soziologie erfunden und zuerst im vierten Bande des »Cours de Philosophie positive« (1838) bekanntgegeben. Er wandte aber auf den Begriff auch zwei andere Ausdrücke an; 1. positive Politik, 2. soziale Physik. Der letzte dieser Namen zeigt, daß es ihm um Naturwissenschaft zu tun ist; positive Wissenschaft bedeutet ihm Naturwissenschaft, im Gegensatz zur Wissenschaft, die durch theologische und metaphysische Vorurteile gefärbt ist. Er selber meint, die Lehre vom sozialen »Organismus«, die an jene vom indivi[87]duellen Organismus sich anschließen soll, positiv zu begründen. Der Kern dieser Lehre ist mit dem Gesetz der drei Stadien des Denkens gegeben. Daß die »Gesellschaft« gleich der (übrigen) Natur, in ihrer Ordnung und ihrer Entwicklung, Gesetzen unterworfen ist, ist ihm notwendige Voraussetzung ihrer wissenschaftlichen Erkenntnis. Als die spezifische Tatsache des sozialen Lebens stellt er die Folge der Generationen und den Einfluß der vergangenen auf die gegenwärtigen dar. Die hauptsächliche Methode, über die vergleichende hinaus, ist für die Soziologie die Geschichte. Von den

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»in der Luft gelegen« – Als Zitat nicht nachgewiesen. »Sozialpolitische Studien« – Kiesselbach 1862. »Der Verkehr und die Ansiedlungen … der Erdoberfläche« – Kohl 1841. an das manche – A: dem manche. »Die Bedingtheiten des Verkehrs … Erdoberfläche« – Jansen 1861. Auguste Comte hat das Wort – A: Auguste Comte hatte das Wort. vierten Bande des »Cours de Philosophie positive« (1838) – Comte 1839: 252, Fn. Vgl. ed. Fn. zu Z. 21, S. 197. theologische und metaphysische – A: theologische oder metaphysische.

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beiden Hauptstücken, von denen das erste die Ordnung, das andere den Fortschritt behandeln soll – er nennt sie soziale Statik und soziale Dynamik –, hat Comte (im »Cours«) fast nur das zweite zum Gegenstand seines Studiums gemacht, so daß seine Soziologie einem Abriß philosophischer Universalgeschichte gleichkommt. Auf die Statik konzentriert sich später die positive, d. h. Zukunftspolitik, die nicht ausgesprochen sozialistisch, aber durchaus antiliberal ist und die Wiederholung eines Systems der geistlichen Herrschaft auf dem Grunde der positiven Wissenschaften und des Positivismus als einer philosophischen Religion sich zum Ziele setzt: das ist das Übergewicht der Moral über die Politik, welches er leidenschaftlich postuliert, als Wiederherstellung des gesunden sozialen Zustandes, der das Mittelalter, und in ihm das soziale System der katholischen Kirche, vorbildlich ausgezeichnet habe. – Die Einflüsse Comtescher Lehren sind in Deutschland unbedeutend gewesen, wenn auch allmählich etwas gewachsen (um die Kenntnis seines Systems haben sich Krohn und Eucken, später Brütt, Waentig, Barth Verdienste erworben). Am meisten haben die Ethnologen, namentlich Bastian, seine Ideen ausgebaut; unter bekannteren Philosophen ist Dühring wohl am stärksten von ihm angeregt worden. Bedeutender sind die Wirkungen Comtes in England gewesen, und haben sich auf indirekten Wegen auch Herbert Spencer mitgeteilt, der, indessen viel stärker durch Lamarck bestimmt, in einem anderen, noch ausgesprochener naturwissenschaftlichen Geiste, sein System der synthetischen Philosophie entwarf, dessen Vollendung er aber mit dem Comteschen Kunstausdruck als Soziologie bestimmt (und ganz wie bei Comte soll noch darüber hinaus die Moral sich erheben). Auch Spencer will die Entwicklung der Menschheit in ihren Gesellschaften darstellen und legt großes Gewicht auf den Satz, daß die »Gesellschaft« ein Organismus sei; er sucht die vollkommene Analogie am Gesetze der Differenzierung und Arbeitsteilung nachzuweisen. In einem Widerspruch, wenn auch nicht unlösbarem, steht diese Betrachtung bei Spencer zur individualistisch-liberalen Tendenz seines praktischen Denkens. Den ganzen Fortschritt der Menschheit teilt er,

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Wiederholung – In A plausibler: Wiederherstellung. um die Kenntnis seines Systems … Verdienste erworben – Vgl. Krohn 1880, Eucken 1887, Brütt 1889, Waentig 1894, Barth 1897. Moral – A: »Moral«. Gesellschaften – A: »Gesellschaften«. »Gesellschaft« ein Organismus – Spencer überschreibt das zweite Kapitel des zweiten Teiles seiner »Principles of Sociology« mit »A Society is an Organism« (Spencer 1885: 437; Spencer 1898 I: 449 (§ 214)). – Vgl. auch Spencers Essay »The Social Organism« von 1860 (1891: [265]–307).

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wenn auch nicht mit diesen [88] Worten, ein in 1. einen unmoralischen: die Bildung großer Zwangsvereine, durch Krieg, 2. einen moralischen: die Auflösung dieser Zwangsvereine, die Substitution  freiwilligen Zusammenwirkens – des Kontrakts – für das unfreiwillige – der »Status« –, die Reduktion des Staates auf die Funktion des Schutzes. Spencer scheint am Schlusse seines Lebens erkannt zu haben, daß wenigstens eine moderne, also höhere »Gesellschaft«, seiner eigenen Idee gemäß, nicht als Organismus begriffen werden könne; und damit ist ihm wohl die ganze Analogie hinfällig geworden. In der deutschen Literatur war die Anwendung »organischer« Vorstellungen auf das soziale Leben nicht neu, wenn sie auch regelmäßig nur für den Staat gebraucht wurde. Die Vergleichung eines Gemeinwesens und einer Ständeordnung mit dem menschlichen Leibe war dem indischen, wie dem griechischen Denken geläufig, durch Platons Republik zu höchster Celebrität gelangt, in der mittelalterlichen Scholastik um so lieber aufgenommen, da es geboten schien, die Kirche als die Seele über den Staat als dazugehörigen Leib zu erheben. Als Gegenwirkung gegen das Naturrecht taucht die Theorie der organischen Natur des Staates und zugleich des Rechtes alsbald wieder auf. Der Schellingschen Naturphilosophie lag sie ebenso wie den allgemeinen Entwicklungsgedanken nahe, so daß sich hier die feindlichen Ideenwelten, die theologische und die naturwissenschaftliche, in einer Wurzel begegnen. Schelling selber hatte schon in seiner jugendlichen Periode seine Auffassung des Staates (als des objektiven Organismus der Freiheit) der mechanischen entgegengesetzt, und dies blieb der Grundgedanke, bis die Formel »der Staat ist das organisierte Volk« in der historischen Schule gewissermaßen orthodoxe Geltung erhielt. Nun aber gewann der pantheistische Gedanke, den Menschen und seine Werke – oder die Menschheit und ihre Werke – als Teile der Natur anzuschauen, eine viel realere Bedeutung als die Neubegründung der Abstammungstheorie, die in Darwins Lehre der gemeinen Meinung als etwas schlechthin Neues sich darbot. Einen frühen Versuch, nach dieser Richtung hin die naturwissenschaftliche Weltanschauung zu verwerten, machte der Deutsch-Russe Paul von Lilienfeld in seinen Gedanken über

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nicht als Organismus begriffen werden könne – Vgl. den abschließenden § 853 in den »Principles of Sociology«, wo Spencer lediglich noch von einer Analogie in der Evolution von Organismen und Gesellschaften spricht: »What thus holds with organic types must hold also with types of societies.« (Spencer 1898 III: 599). »der Staat ist das organisierte Volk« – Vgl. z. B. bei Gierke (1868: 830). als die Neubegründung – A: durch die Neubegründung.

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die Sozialwissenschaft der Zukunft (1873 ff.), später in der »Pathologie sociale« (1895). Er behauptet aufs neue, die menschliche Gesellschaft sei ein realer Organismus, er behandelt deren Struktur und Wachstum, die Elemente des sozialen Nervensystems, die soziale Interzellularsubstanz, dann die soziale Pathologie und Therapie, in unfruchtbaren Vergleichungen. – Von ähnlichem Charakter, aber umsichtiger durchgeführt, war das große Werk »Bau und Leben des sozialen Körpers« von Albert Schäffle. Auf Comte, Littré (den Schüler Comtes), Spencer, [89] aber auch mit Nachdruck auf Lilienfeld sich beziehend, will Schäffle die »realen Analogien« der Biologie systematisch weiter verfolgen. Es müsse solche geben, weil der soziale Körper mit den Energien organischer Körper und mit den Kräften der Natur denselben äußeren Lebensbedingungen gegenübertrete, welchen auch die Organismen ihr Leben abringen. Indessen die Ausdrücke »Organ«  für zusammengesetzte soziale Institutionen, »Gewebe« für die aus Personal und Gütern zusammengesetzten einfachen Anstalten, sowie die Vergleichung der Familie mit der organischen Zelle, der Exekutive als sozialer Bewegungserregung mit der motorischen Nerventätigkeit und dergleichen – alle diese Ausdrucksweisen werde der einsichtige Leser leicht und vollständig ausmerzen können, ohne an den vorgelegten Analysen etwas anderes als eben nur die Analogie und ihre Anschaulichkeit einzubüßen. Aber schon die gleich darauf in der Vorrede folgenden Worte zeigen, daß es Schäffle um mehr als Anschaulichkeit zu tun war. Im sozialen Körper scheine nach Comtes Wort die ganze Gattung ein unermeßliches und ewiges Individuum geworden; die Vergleichung zeige auch, daß »wie die organischen Körper in der Sukzession von Zellgenerationen erwachsen und fort bestehen, so der soziale Körper in der Sukzession und Tradition der Familiengenerationen sich physisch  forterhält und geistig vervoll-

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Gedanken über die Sozialwissenschaft der Zukunft – Fünf Bände (1873–1881). »Pathologie sociale« – Recte: Lilienfeld 1896. Interzellularsubstanz – »Inzellularsubstanz« nach A korrigiert. »Bau und Leben des sozialen Körpers« – Schäffle 1875–1878. 4 Bde. »realen Analogien« – »Die durch Comte, Littré, Spencer, neuestens und besonders anregend durch Paul v. Lilienfeld herangezogenen ›realen Analogien‹ der Biologie habe ich systematisch weiter verfolgt. ›Reale‹ Analogieen dieser Art kann und muß es überhaupt geben, weil der sociale Körper mit den Energieen organischer Körper und mit den Kräften der anorganischen Natur denselben äußeren Lebensbedingungen gegenübertritt, welchen auch die Organismen ihr Leben abringen.« (Schäffle 1875–1878 I: VII). der Natur – A: der organischen Natur. ganze Gattung ein unermeßliches – A: ganze Gattung Ein unermeßliches.

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kommnet«. In der Tat verliert Schäffles bedeutender Versuch (in Band I), für die Gesellschaftslehre diejenige analytische Vorarbeit zu leisten, welche  für die Biologie durch Histologie, Anatomie und Physiologie großenteils getan sei, die von ihm selbst sogenannten »großen Reize«, durch die er bei erster Bekanntschaft in die Augen sticht. Es bleibt aber eine Menge Wissen und Weisheit übrig, und das ganze Unternehmen ist bewunderungswürdig. Der stärkste Einwand, der dagegen erhoben werden muß, ist, daß der »soziale Körper« ein ganz unbestimmbares, unfaßbares Ding ist, das bald der Menschheit, bald der Nation, öfter noch der in einem Staate verbundenen Gesellschaft ähnlicher sieht, von Schäffle aber nachdrücklich (I,2 der 2. Aufl.) mit der zivilen Gesellschaft schlechthin, ja der Zivilisation (!) gleichgesetzt wird; diese, sagt er, stelle wirklich einen belebten Körper, jedoch einen solchen von völlig eigener Art dar, er habe ein »unvergleichlich eigenartiges Leben«; er sei »geistige, potenziert bewußte, symbolisch und technisch vollzogene Lebensgemeinschaft«. Der soziale Körper folge aber auch (S. 4) einer völlig eigenartigen, wenngleich gesetzmäßigen Entwicklung. »Von der primitiven Stufe der menschlichen Urvölkerschaft erhebt sich die Zivilisation der verschiedenen Völker und Völkerkreise in einem regelmäßigen Stufengang, welcher ebenso in der idealsten Region der Religion, der Wissenschaft und Kunst, wie in der Staatsorganisation und der Technik, in den Unterhalts-, Sicherheits- und Nieder[90]lassungseinrichtungen  für jede Entwicklungsepoche Eigentümliches zur Erscheinung bringt.« Der zweite Band des großen Werkes, der unter diesen Gesichtspunkten eine Philosophie der Geschichte entwirft, ist wohl der merkwürdigste und dürfte mehr dauernde Bedeutung haben als der erste; der dritte, eine neue Ausgabe von Schäffles »Kapitalismus und Sozialismus«, der vierte, der eine Enzyklopädie der Staatslehre enthält, sind ihrem Wesen nach nicht

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»wie die organischen Körper … geistig vervollkommnet« – Ebd., I: VIII. »großen Reize« – »Uebrigens bietet die umfassende Bezugnahme auf die biologischen Analogien große Reize.« (ebd.). unbestimmbares – A: unbestimmtes. bald der Nation – A: bald einer Nation. »unvergleichlich eigenartiges Leben« … Lebensgemeinschaft« – Schäffle 1881b: 3. Entwicklung – Der Satz eine enge Paraphrase von ebd., 4. »Von der primitiven Stufe … Eigentümliches zur Erscheinung bringt.« – Ebd. – Tönnies’ Hervorhebung. neue Ausgabe von Schäffles »Kapitalismus und Sozialismus« – Schäffle bezeichnet den dritten Band von »Bau und Leben des socialen Körpers« in der zweiten Auflage als »neue Ueberarbeitung von ›Kapitalismus und Sozialismus‹« (1881: VIII; die erste Aufl. Schäffle 1870). der vierte – Schäffle 1881a.

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abhängig von der soziologischen Theorie. Jener zweite Band beruht auf dem formulierten Gesetz der sozialen Entwicklung, das Schäffle gefunden haben will. Er läßt die soziale Auslese als eine besondere, höchste Form der Äußerung des Weltgesetzes der Herrschaft des Stärkeren erscheinen und soll der einfachen Unterstellung unter die zoologische Formel der natürlichen Auslese unter den Bestien entzogen werden. Immer mehr gehe der Streit in die Richtung vertragsmäßigen Ringens und des Wettstreites über. Besonderes Gewicht wird auf die entwicklungsgeschichtliche Bedeutung von Recht und Sitte gelegt; sie seien Kräfte und Postulate der sozialen Selbsterhaltung; die sozialrechtliche Richtung der Gesellschaftslehre werde damit gerechtfertigt. Von dem Inhalt des Entwicklungsgesetzes wird der allgemeine Formcharakter der Entwicklungserscheinungen unterschieden, der in Gradation, Mehrung und Verstärkung, dann in Sonderung, endlich in einheitlicher Zusammenfassung und Verkehr besonderer Organe, Formen und Vorrichtungen bestehe, während die rückschreitende Entwicklung sich als Schwächung, Nivellierung, Auseinanderfallen der besonderen Glieder einer lebendigen Gemeinschaft äußere. Das Originellste und Feinste des Buches dürfte in der fünften und sechsten Abteilung enthalten sein, wo über den gesellschaftlichen Daseins- und Interessenkampf im allgemeinen, und über die einzelnen Arten der Streitentscheidung und des Streiterfolges mit Geist und tiefer Kenntnis gehandelt wird. Hieraus ist noch viel zu lernen, und die Anerkennung dessen, was Schäffles starker Verstand geleistet hat, wird um so mehr steigen, je mehr man den Versuch, mit seinen Entwicklungsformeln die verwickelten Erscheinungen der menschlichen Kultur zu decken, als gescheitert anzusehen, außer Zweifel sein muß. – In ganz anderem Stile als Schäffle, in der Tat ohne erhebliche Fühlung mit den naturwissenschaftlichen Tendenzen des Zeitalters, unternahm um dieselbe Zeit (1877 ff.) Rudolf von Ihering, die »Gesellschaftswissenschaft« analytisch zu begründen. Er unter-

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ihrem Wesen nach nicht abhängig von der soziologischen Theorie – Textverderbnis »ihrem Wesen nach abhängig von der sozialistischen Theorie« nach A korrigiert. Auslese unter den Bestien – A: Auslese zwischen den Bestien. des Buches – A: des Bandes. »Gesellschaftswissenschaft« – »… dem Lehrer der Gesellschaftswissenschaft bleibt meines Erachtens keine Wahl [etwa »den Begriff des öffentlichen Rechts auf Staat und Kirche zu beschränken«], der Begriff der Gesellschaft, auf den er sein ganzes System bauen muss, macht jede principielle Scheidung zwischen den Formen, in denen die Gesellschaft ihre Daseinszwecke verwirklicht, unmöglich.« (Jhering 1877: 305).

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sucht den »Zweck im Recht«, indem er dem Zweckgesetz und Zweckbegriff psychologisch nachgeht und so auf das »Leben durch und  für andere oder die Gesellschaft« kommt, um als die »Hebel der sozialen Bewegung« in zwei großen Kapiteln, den »Lohn« und den »Zwang« darzustellen; er nennt sie die egoistischen Hebel, und will im Verfolge die »anderen Motive« nach[91]weisen, nämlich die sittlichen, weil die Gesellschaft bei Lohn und Zwang allein nicht bestehen könne. Ihering erfüllt daher seinen zweiten Band mit Ausführungen über das Sittliche und seine Teleologie, die ihn endlich eine Theorie der Sitte entwickeln, diese aber in eine Lehre von den Umgangsformen und folglich der Höflichkeit ausmünden lassen. Indessen konnte es dem Scharfsinn Iherings nicht entgehen, daß seine begrifflichen, an die Etymologie angelehnten Analysen einer genetischen, also historischen Betrachtung zum mindesten als ihres Komplementes bedurften, und so vollendete er noch als eine Art von Zwischenspiel die »Vorgeschichte der Indo-Europäer«, die aus seinem Nachlaß 1894 herausgegeben wurde. Der im großen Stile angelegte »Zweck im Recht« ist also unvollendet geblieben. Er war seinem Autor freilich über den Kopf gewachsen. »Es ging mir wie dem Fischer, der ein Netz ausgeworfen, um einen kleinen Fang zu machen, und das, wie er es heraufziehen will, es so voll findet, daß die Maschen zu zerreißen drohen« (II, S. 2). Wenn nicht zerrissen, so sind die Maschen doch über Gebühr ausgedehnt worden. Aber nichtsdestoweniger ist der Torso

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»Zweck im Recht« – Jhering 1877, ein zweiter Band erscheint 1883, das Werk bleibt unvollendet. – Mit Jhering setzte sich Tönnies immer wieder auseinander. »Meine eigene Theorie«, so betont er später in der Selbstbeschreibung seines intellektuellen Werdegangs, »wuchs in einem gewissen negativen Verhältnis zu Ihering.« (Tönnies 1924: 13/215; vgl. hierzu im Editorischen Bericht von TG 2: 470 ff.). »Leben durch und für andere oder die Gesellschaft« – Überschrift von Kapitel VI (Jhering 1877: [83] ff.). »Hebel der sozialen Bewegung« – »Die sociale Mechanik oder die Hebel der socialen Bewegung« ist gleichlautend die Überschrift des VII. und VIII. Kapitels (ebd., [100] ff. und [238] ff.), in denen Lohn und Zwang als »egoistische [Hebel]« thematisiert werden. die »anderen Motive« – Dass es neben dem Zwang »andere Motive« geben könne, erwähnt Jhering en passant ebd., 360. Der erste Band des »Zweck im Recht« endet mit dem Satz: »Der Zwang ist ebenso unentbehrlich wie der Lohn. Aber diese beiden egoistischen Hebel sind gottlob nicht die einzigen welche die Gesellschaft für ihre Zwecke beim Individuum in Bewegung zu setzen vermag; es gibt noch zwei andere, die nicht wie sie an den niedern Egoismus, sondern an etwas Höheres im Menschen appelliren: das Pflichtgefühl und die Liebe.« (557); mit diesem Thema hebt das Kapitel IX im zweiten Band (»Das Sittliche«; Jhering 1883) an. »Vorgeschichte der Indo-Europäer« – Jhering 1894. »Es ging mir wie dem Fischer … zu zerreißen drohen« – Jhering 1883: 2.

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ein Werk hohen Ranges, das Werk eines Selbstdenkers von Energie und Einsicht. Inzwischen drängten von vielen Seiten die mächtigen Anstöße der Forschung zu theoretischen Verallgemeinerungen. Die Ethnographie und Ethnologie stehen hier im Vordergrunde. Der unermüdliche Reisende und Sammler von Tatsachen, Bastian, fährt fort, massive Bausteine zur »Ethnologie der Naturwissenschaften« zu fügen. Von Soziologie war um 1880 unter diesem Namen in Deutschland kaum noch die Rede; aber das Interesse der Ethnologen wie anderer Forscher richtete sich stärker auf die sozialen Institutionen, ihre Ursprünge und Entwicklungsgeschichte. Peschels »Völkerkunde« (zuerst 1874) hatte den technischen »bürgerlichen« und religiösen Entwicklungsstufen sehr eingehende Betrachtung gewidmet; Friedrich Müllers »Allgemeine Ethnographie« (2. Aufl. 1879), die sich an Häckels Einteilung der Menschenrassen anschloß, erörterte diese als Momente der allgemeinen Kulturentwicklung. An Häckel lehnt ebenfalls F. v. Hellwald mit seiner »Kulturgeschichte in ihrer natürlichen Entwicklung bis zur Gegenwart« (2. Aufl. 1876) sich an. Die meisten dieser Autoren ermangelten tieferen Verständnisses für das eigentliche historische Kulturleben, das auch Spencers schwache Seite war. Förderlicher waren in dieser Hinsicht die Schriften von J. Lippert, besonders die »Allgemeine Geschichte des Priestertums« (1883), der eine »Geschichte der Familie« (1884) sich anschloß. Vorzugsweise auf Bastian und Lippert berufen sich die Theorien des österreichischen Polen Gumplovicz (»Der Rassenkampf«, 1879, »Grundriß der Soziologie«, 1885). Von Gumplovicz stammt wohl das erste, wenigstens das erste noch heute [92] nennenswerte Buch in deutscher Sprache, das die Soziologie auf dem Titelblatte führt. Die Lehre wird auf die Annahme des »Polygenismus« begründet, d. h. es soll in Urzeiten eine Unzahl von heterogenen Stämmen, Horden und Schwärmen gegeben haben, die all 7

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»Ethnologie der Naturwissenschaften« – Keine Schrift Bastians unter diesem Titel. Wahrscheinlich meint Tönnies »Allgemeine Grundzüge der Ethnologie. Prolegomena zur Begründung einer naturwissenschaftlichen Psychologie auf dem Material des Völkergedankens« (Bastian 1884). war um 1880 unter diesem Namen – A: war unter diesem Namen um 1880. »Völkerkunde« – Peschel 1874. »Allgemeine Ethnographie« – Müller 1879. Häckels Einteilung der Menschenrassen – Vgl. Haeckel 1870. »Kulturgeschichte … bis zur Gegenwart« – Hellwald 1876/77 (2 Bde.). Das Werk ist Ernst Haeckel gewidmet. »Allgemeine Geschichte des Priestertums« (1833) – Recte: Lippert 1883/84. »Geschichte der Familie« (1884) – Lippert 1884. Gumplovicz – Recte Gumplowicz 1883 und 1885.

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mählich abnahmen, und die kleinere Anzahl auf Amalgamen beruhender Stämme sei nun seit Beginn historischer Zeiten in  fortwährendem Wachsen und stetiger Vermehrung begriffen. Also habe auch eine ursprüngliche Vielheit der Sprachen und Kulte sich entwickelt. Die sozialen Vorgänge seien ewig wesensgleich; der Naturprozeß der Geschichte sei durch das allgemeine Gesetz gegeben, daß jedes mächtigere ethnische und soziale Element danach strebe, das in seinem Machtbereich befindliche schwächere Element seinen Zwecken dienstbar zu machen. Im naturwissenschaftlichen Sinne gebe es in historischen Zeiten keine Rassen; aber die kämpfenden Gruppen können Rassen genannt werden, sind aber Einheiten, die in geistigen Momenten ihren Ausgangspunkt finden. Diese Theorie wird dann auf Stämme und Staaten angewandt; Staaten seien niemals anders entstanden, als durch Unterwerfung fremder Stämme seitens eines oder mehrerer verbündeter und geeinigter Stämme. In der Regel entstehen Stände und Klassen originär aus heterogenen ethnischen Elementen oder solchen, die gerade auf verschiedener Stufe der Entwicklung sich befinden; es gebe aber auch Beispiele von Stände- oder Klassenbildung auf sekundäre evolutionistische Art. Im Ganzen der Entwicklung gebe es keinen Fortschritt, es könne auch auf dem Gebiete geistiger Erkenntnis nichts wesentlich Neues geben. Immer werden Minoritäten herrschen usw. Gumplovicz, der auch stark von Gobineau beeinflußt ist, bleibt von Widersprüchen und Verworrenheiten nicht frei; wenn man aber seine sehr unwahrscheinlichen Voraussetzungen gelten läßt, so muß man anerkennen, daß er mit Kraft und Schärfe seine Gedanken ausführt; und eine große Masse historischer Tatsachen wird durch seine Begriffe gedeckt. Zu einer allgemeinen Theorie reichen sie zwar in keiner Weise aus, aber schätzenswert ist die Bemühung um strenge Begriffe und die Richtung auf unbefangenes, kausales Verständnis der sozialen Vorgänge; über die Bedeutung der »Gruppen« im überragenden Verhältnis zur Bedeutung der Individuen finden sich gute Bemerkungen. In diesen Jahren (1880–1890) wurden allmählich die Systeme A. Comtes und Herbert Spencers, in denen die Soziologie ein so bedeutendes Element bildet, in deutschen Landen bekannter; Spencers Prinzipien der Soziologie blieben  freilich noch unvollendet, aber der erste Band war doch schon 1876 (ein Teil davon in deutscher Übersetzung 1877) heraus29 34 35 35

der »Gruppen« – A: der Gruppen. noch unvollendet – Textverderbnis »noch unverändert« korrigiert nach A. erste Band war doch schon 1876 – Spencer 1876. (ein Teil davon in deutscher Übersetzung 1877) – Spencer 1877. – Tönnies bespricht 1889 die Übersetzung, ein zweiter und dritter Band waren 1887 und 1889 erschienen; diese Besprechung nimmt er in SSK I auf (TG 15: 129 ff.).

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gekommen. Darin fanden sich die trefflichen Kapitel über die primitiven Ideen und über den Ahnenkult, zugleich aber schon der ganze [93] Abschnitt, der »die Gesellschaft« als Organismus darstellt, dessen Wachstum, Struktur, Funktionen, Organsysteme und Metamorphosen ins einzelne verfolgend. Auch die Familienbeziehungen waren schon in dem englischen Bande erörtert. Zugleich begann Spencer die deskriptive Soziologie herauszugeben, an der ein deutscher Ethnologe, R. Scheppig, tätig mitgewirkt hat. McLennans Theorien über Exogamie und Frauenraub, gegen die Spencer teilweise polemisiert, hatten zu gleicher Zeit das Studium dieser Dinge gefördert. Aus Frankreich kam durch Giraud Teulon wiederum Bachofens Mutterrecht zurück. Unter den Deutschen machte sich Post durch  fleißige Arbeiten um die von ihm sogenannte ethnologische Jurisprudenz verdient. Sir Henry Maines Bücher, die in lichtvollem Vortrage römische Urinstitutionen mit germanischen und mit indischen verglichen, dann auch die irische Klanorganisation herangezogen hatten, und nach vielen Richtungen die Gegensätze zwischen primitivem Kommunismus und modernen sozialen wie politischen Einrichtungen und Anschauungen erörterten, wurden dem Berichterstatter damals innig bekannt. Des Australiers Hearne durchdachte Schrift über  3  7

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Abschnitt, der »die Gesellschaft« als Organismus darstellt – Vgl. ed. Fn. zu Z. 28, S. 158. Spencer die deskriptive Soziologie – Die Reihe »Descriptive Sociology; or, Groups of Sociological Facts« wurde 1873 von Herbert Spencer initiiert und bis in die dreißiger Jahre des 20. Jhs. fortgesetzt (vgl. Spencer 1873 für den ersten erschienenen Band). – In einem Verlagsprospekt, dem zitierten Bd. in der Staatsbibliothek Berlin (Signatur Pn 698) beigebunden, beschreibt Spencer sein Vorhaben wie folgt: »In preparation for The Principles of Sociology, requiring as bases of induction large accumulations of data, fitly arranged for comparison, I, some five years ago, commenced by proxy, the collection and oranization of facts presented by societies of different types, past and present: being fortunate enough to secure the services of gentlemen competent to carry on the process in the way I wished.«. R. Scheppig – Z. B. am zitierten ersten Band der Reihe und an den Bänden Division II, No. 2, Part I–B (1874) sowie Division II, No, 7, Part 2 (1880). Theorien über Exogamie und Frauenraub – McLennan 1886 (zuerst: 1865) sowie 1896; Spencer 1898 I: [611] ff. (§ 284 ff.). kam durch Giraud Teulon – Vgl. [recte] Giraud-Teulon 1867 und 1884. fleißige Arbeiten um die von ihm sogenannte ethnologische Jurisprudenz – Vgl. die zahlreichen Werke Posts zum Themenkreis in der Bibliographie. Sir Henry Maines Bücher – Tönnies zog immer wieder Maine 1870, 1871, 1875, 1883 heran. wurden dem Berichterstatter damals innig bekannt – In der Vorrede zur 2. Auflage von »Gemeinschaft und Gesellschaft« führt Tönnies seinen Ansatz direkt auf Maine zurück (TG 2: 52); vgl. in der Schrift selbst § 7 des Dritten Buches (ebd., 342 ff.) zu »Status und Kontrakt«.

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den »Aryan Household« wurde ihm gleichfalls schätzbar. Ebenso erwarb er Morgans Werk »Ancient Society«, bedeutsam als Darstellung der Klanverfassung der Irokesen, aber von da aus, wie der Titel angibt, durch Untersuchungen über die Richtlinien menschlichen Fortschritts von der Wildheit durch die Barbarei zur Zivilisation; vorzugsweise in Anlehnung an die Betrachtung technischer Fortschritte. Eine genial entworfene Entwicklungsgeschichte der Formen der Familie, methodisch entwickelt aus den Verwandtschaftssystemen, war darin enthalten. K. Marx hatte dieses Werk noch kennengelernt und den Plan gefaßt, die Resultate der Morganschen Forschungen im Zusammenhänge mit den Ergebnissen seiner »materialistischen« Methode, die der Amerikaner auf seine Art neu entdeckt habe, darzustellen und dadurch erst ihre ganze Bedeutung klarzustellen. Nachdem Marx gestorben war, unternahm es F. Engels, unter dem Titel »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« »im Anschluß an Lewis H. Morgans Forschungen« einen Ersatz für das, was Marx gewollt hatte, zu verfassen. Dank seiner Anregung ist später das ganze Werk ins Deutsche übersetzt worden (1891). Die sozialistischen Lehren mit der in ihnen enthaltenen Kritik der auf den Höhepunkten heutiger Kultur gegebenen Zustände der Gesellschaft und des Staates sind auch im letzten Drittel des Jahrhunderts wie schon früher der schärfste Stachel gewesen, der zur erneuten Prüfung überkommener Ansichten von der Zivilisation und ihren Fortschritten antrieb. Es handelte sich dabei immer um eine gewisse Vermittlung und Synthese konservativer und liberaler »Weltanschauung«, die am unmittelbarsten in den [92] Meinungen über Mittelalter und Neuzeit, Religion und Aufklärung, Ackerbau und Industrie, Zunftverfassung und Kapitalismus aufeinanderplatzen. Mit dem allmählichen Durchdringen der Abstammungslehre in der Gestalt des Darwinismus, überhaupt mit dem Sieg der Naturwissenschaft, die in Herbert Spencers allgemeiner Entwicklungslehre einen großen philosophischen Ausdruck  fand, wurden die alten romantischen Träume, die zur Rettung religiöser Vorstellungen ersonnen waren, haltlos. Nahe schien es zu liegen, die sozialistischen Ideen mit dem Gedanken der Menschheit-Vervollkommnung zu verflechten, also die Verwirklichung als Endstück eines stetigen Fortschrittes der Zivilisation vorzustellen: dies ist auch die vorwiegende Auffassung von Marx und Engels gewesen, angeknüpft an  1  2 15 17

»Aryan Household« – Recte: Hearn 1879. »Ancient Society« – Morgan 1877. »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« – Engels 1884, der Verweis auf Marx im ersten Abs. des Vorworts. ins Deutsche übersetzt – Maine 1891. – An der Übersetzung wirkte Karl Kautsky mit.

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die Betrachtung immer wirkungsreicherer Technik und Produktionsweise. Mit der »bürgerlichen« Gesellschaftsformation schließt nach jener Marxschen Vorrede die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab. »Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte, tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle der Menschen, die nun zum ersten Male bewußte, wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eigenen Vergesellschaftung werden … Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen … Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit«, so Engels in der Streitschrift gegen Dühring, – Dühring, der, wenn auch auf intellektualistischer und humanitär-moralischer Basis, der Grundanschauung des stetigen Fortschritts, der zum Sozialismus hinüberführe, auch seinerseits huldigt. Dagegen erblickte man die Vertreter der Abstammungslehre, auch Herbert Spencer, im andern Lager. Mit der Naturwissenschaft ist der Liberalismus alten Sinnes liiert. Häckel verkündete, daß die  freie Konkurrenz (die damals noch als Merkmal der bestehenden Gesellschaft galt) notwendige Bedingung auch des Kulturfortschritts sei, weil sie unter den Lebewesen die stärksten erhalte. Spencer wehrte allen staatlichen Sozialismus ab als einen Rückfall in den militärischen Gesellschaftszustand, der zwar ehemals naturgesetzlich sich entwickelt habe, nun aber seit 400 Jahren dem industriellen Zustand weiche – der Status dem Kontrakt nach den Begriffen Sir H. Maines – und weichen solle. Jene Formel entlehnte Spencer von Comte und Saint-Simon, sie beruhte auf einer Verallgemeinerung der aufgeklärten Opposition gegen den Feudalismus; aber der Wechsel organischer und kritischer Perioden, der die Gedanken Saint-Simons beschäftigte, war schon bei Comte verschüttet, er ist auch Spencer unbekannt. Dagegen kommen bei diesem, wenn auch in anderem Stile als beim Philosophen des Positivismus, mehr und mehr Wiederherstellungsgedanken zum Durchbruch. [95] Mehr und mehr verwies er mit Vorliebe auf die friedliche Gesinnung, die sittlichen und freien Zustände gewisser Urvölker, die noch nicht durch die Entwicklung des Militarismus und die erzwungene Kooperation verdorben waren. Hierin begegnet er sich nun wieder  3 11

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Marxschen Vorrede – Recte: Vorwort (vgl. Marx 1859: VI). »Der Umkreis … Reich der Freiheit« – Engels 1878, leichte Abweichungen: »… Lebensbedingungen, der bis jetzt die Menschen beherrschte, … nun zum ersten Mal bewußte, …« (235) und »… aus dem Reich der Nothwendigkeit …« (236). Häckel – In A durchgängig »Haeckel«. der Status dem Kontrakt nach den Begriffen Sir H. Maines – Vgl. Maine 1870: 168 ff. – Vgl. auch ed. Fn. zu Z. 8, S. 173.

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mit den Sozialisten, die dafür schwärmen, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der alten Gentes auf der Basis der Kulturerrungenschaften zu erneuern; wie denn auch Morgan, obgleich für seine Person dem Sozialismus fern, dies Problem aufgestellt hatte. Und längst war ja durch Marx der ganze Kapitalismus (wenn auch damit nicht die ganze Kulturgeschichte) als Negation (des auf eigener Arbeit beruhenden Privateigentums) und der kommende Sozialismus als Negation der Negation ausgesprochen worden. – Die Aufhellung der alten Gentilverfassungen erinnerte aber zugleich an den primitiven Kommunismus, der allerdings, auf den Grund und Boden bezogen, mit der Entwicklung des Privateigentums völlig vereinbar ist, und zwar keineswegs bloß des auf eigener Arbeit beruhenden. Aber je heftiger die Kritik gegen die spezifischen Eigenheiten und Wirkungen des Geldreichtums und der Konzentration des Kapitals sich richtet, desto mehr muß notwendigerweise die dieser Entwicklung vorausgehende und zugrunde liegende Kultur durch den Kontrast im Werte steigen. In diesem Sinne konnte die tiefere Erkenntnis der Rechtsgeschichte und der Wirtschaftsgeschichte an soziologischer und geschichtsphilosophischer Bedeutung stark gewinnen. Ein Werk wie das »Genossenschaftsrecht« von O. Gierke (wovon der 3. Band, die »Staatsund Korporationslehre des Altertums und des Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland« darstellend, 1881 erschien) gewährte dem aufmerksamen Leser Einsichten in einen Reichtum des gemein­schaftlichorganischen Lebens und Denkens jener früheren Jahrhunderte, dem gegenüber die gesamte neuere Gesellschafts- und Staatskultur als bloße mechanische Neubildung, bei »entschiedener Abnahme der schöpferischen Volkskraft«, erscheinen muß, wenn auch Gierke selber diese nur  für das Jahrhundert, das in Deutschland der Reformation  folgte, behaupten will. – Mit Sir H. Maine begegnet sich des Belgiers Laveleye »De la propriété et de ses formes primitives«, das 1879 von K. Bücher deutsch herausgegeben und vermehrt wurde. Laveleye hatte, wie Bücher sich ausdrückt, mit größerer Lebhaftigkeit, als wir gewohnt sind, die Vorzüge der kollektiven Eigentumsformen hervorgehoben; er war auch beflissen, ihre Betrachtung für die rechtsphilosophische Theorie des Ei-

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»Genossenschaftsrecht« – Die vier Bde. erscheinen 1868, 1873, 1881, 1913. »entschiedener Abnahme der schöpferischen Volkskraft« – »Das Jahrhundert, welches der Reformation folgt, zeigt eine entschiedene Abnahme der schöpferischen Volkskraft.« (Gierke 1868: 640). »De la propriété et de ses formes primitives« – Vgl. Laveleye 1874 und deutsch 1879. der kollektiven Eigentumsformen – A: der »kollektiven« Eigentumsformen. – Vgl. Büchers Vorwort in Laveleye 1879: VIII.

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gentums zu verwerten. Hanssens »Agrarhistorische Abhandlungen« (Bd. I), eine Sammlung seiner früheren leitenden Arbeiten, weisen in dieselbe Richtung. Dagegen konzentrierten sich die Forschungen Leists auf die rechtliche Urgeschichte der Arier und warfen neues Licht in die Ideen- und Gefühlskomplexe, die den [96] Institutionen der großen Völker, in deren Schoß die europäische Kultur erwachsen ist, zugrundeliegen (Graeko-italische Rechtsgeschichte 1884). Auch von anderen Seiten wurde die vergleichende Rechtswissenschaft gepflegt; eine Zeitschrift, die ihr gewidmet ist, wurde 1878 von Bernhöft und Cohn begründet; später hat Kohlers Mitredaktion sie gefördert. Von Posts Arbeiten ist schon Erwähnung geschehen. Besondere Vertiefung  fand die Kenntnis der altindischen Gewohnheitsrechte und Institutionen durch die vermehrte Sanskritgelehrsamkeit deutscher und englischer Provenienz. – Zu gleicher Zeit kamen – in Deutschland zumeist – die wirtschaftsgeschichtlichen Studien in Schwung; dies war vor anderen das Verdienst Gustav Schmollers. Wie aber Schmoller selber bekennt, hatten sie auch in K. W. Nitzschs Geschichte des deutschen Volkes, in W. Arnolds Arbeiten, in Inama-Sterneggs Deutscher Wirtschaftsgeschichte (wovon Bd. I 1879), in Lamprechts Deutschem Wirtschaftsleben im Mittelalter (1886) »eine Fundamentierung erhalten, wie sie kaum ein anderes Volk besitzt«. Noch näher im Zusammenhänge mit den Tagesfragen standen Brentanos Arbeitergilden, Helds neuere soziale Geschichte Englands, und mit agrarischen Problemen Meitzens, Conrads, Miaskowskis Arbei-

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»Agrarhistorische Abhandlungen« – Hanssen 1880 und 1884. Graeko-italische Rechtsgeschichte – Leist 1884. Zeitschrift, die ihr gewidmet – Die »Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft« erscheint seit 1878. Wie aber Schmoller selber bekennt – Nachstehendes eng paraphrasiert aus Schmoller 1900: 118. – Das Zitat etwas abweichend: »Die deutsche Wirtschaftsgeschichte erhielt … einer Fundamentierung, wie sie kaum ein anderes Volk besitzt.«. Nitzschs Geschichte des deutschen Volkes – 3 Bde, 1883 und 1885. W. Arnolds Arbeiten – Wirtschaftshistorisch einschlägig z. B. »Verfassungsgeschichte der deutschen Freistädte« (1854), »Zur Geschichte des Eigentums in den deutschen Städten« (1861). Deutscher Wirtschaftsgeschichte – Inama-Sternegg 1879, 1891 und 1899/1901. Deutschem Wirtschaftsleben im Mittelalter (1886) – 3 Bde., Lamprecht 1885/86. Brentanos Arbeitergilden – Brentano 1871 und 1872. Helds neuere soziale Geschichte Englands – Posthum veröffentlicht: Adolf Held 1881. Meitzens – Vgl. v. a. August Meitzen: »Der Boden und die landwirthschaftlichen Verhältnisse des Preussischen Staates« (1868–1908). Conrads – Einschlägig ist »Die Statistik der landwirthschaftlichen Production. Kritik ihrer bisherigen Leistungen, sowie Vorschläge zu ihrer Förderung« (Conrad 1868). Miaskowskis – Vgl. Miaskowski 1882, 1884 und 1889.

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ten. Rodbertus’ »Kreditnot« hatte, ebenso wie seine tiefen Studien über Wesen und Auflösung des antiken Hauses und Fronhofes – des Oikos – mächtige Anregungen im Sinne des Sozialismus enthalten, die gerade damals scharf mit den Wirkungen von Marx konkurrierten. In A. Wagners »Grundlegung« trugen sie reiche Früchte  für tieferen volkswirtschaftlichen und rechtsphilosophischen, darum auch psychologischen und soziologischen Neubau der Theorie. Schmollers eigene Arbeiten eröffneten neue Wege zum Verständnis des Handwerks in älteren und neueren Zeiten; sie lehrten  ferner die merkantilistische Verwaltung in ihren Motiven würdigen und unterschieden lichtvoll zwischen städtischer, territorialer und staatlicher Wirtschaftspolitik; auch  für die begriffliche Fassung des modernen, d.  h. des wirklichen Staates mußten daraus Folgerungen gewonnen werden. – Alle Begriffe sozialer Erscheinungen müssen die religiösen Ideen und Gemeinschaften in sich aufnehmen. Die Schriften Maines und noch gründlicher Leists wiesen tief in die Zusammenhänge von Recht und Religion; auch das ältere geniale Werkchen des  französischen Historikers Fustel de Coulanges »La cité antique« enthält eine Fülle von Belehrung dieses Sinnes. Hierzu kamen Sir Alfred Lyalls »Asiatic Studies«, gesammelte Abhandlungen, die über die Bildung von Religionen und Sekten bei Indern und Chinesen, über die Wurzeln dieses Lebens und Denkens im Klangeiste, frische und höchst merkwürdige Beobachtungen darbieten. Der Berichterstatter hat hier auf diejenige Literatur hingewiesen, die für ihn selber in dem Sinne bedeutend geworden war, daß er unter [97] ihren Eindrücken den in seiner Schrift »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1887) entworfenen Grundriß eines Systems verfaßt hat, das für die Entwicklung der Soziologie einen Platz in Anspruch nehmen darf und will. Hinzufügen muß er aber, daß er von philosophischen Studien ausgegangen war und die philosophische Staatslehre durch Hobbes und Spinoza in sich aufgenommen, auch den späteren naturrechtlichen Autoren viele Aufmerksamkeit gewidmet hat. Daher war ihm auch die Kontroverse zwischen Naturrecht und historischer Rechtsschule von großer

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Rodbertus’ »Kreditnot« – Rodbertus 1869. tiefen Studien über Wesen und Auflösung des antiken Hauses und Fronhofes – Rodbertus 1864–1867. Wagners »Grundlegung« – Wagner 1892. begriffliche Fassung – A: begriffliche Erfassung. »La cité antique« – Fustel de Coulanges 1866. »Asiatic Studies« – Lyall 1882. »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1887) – Tönnies 1887 [TG 2]. gewidmet hat. – A: gewidmet hatte..

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Bedeutung geworden. Daß diese – die historische Schule – in bezug auf das größte Gebiet der Erfahrung Recht habe, aber, wie die Hegelianer ihr vorwarfen, jeder Philosophie ermangele, war ihm zur Gewißheit geworden. Er gewann die Erkenntnis, daß der Seinsgrund jedes menschlichen Verhältnisses, daher auch jedes subjektiven Verhältnisses, also das, was diese von den bloß tatsächlichen Verhältnissen und Verbindungen von Tieren in einer Herde unterscheide, im eigenen Wollen und also im Denken der Menschen gefunden werden müsse, daß jene naturrechtlichen Lehren nur darin gefehlt hatten, dies Wollen und Denken auf ausschließlich rationale Ausdrücke zu bringen. Es sei zwar denkbar und für einen weiten Umkreis der Erfahrung zutreffend, in diesem Sinne von den Individuen aus ihre gesamten Verhältnisse und Verbindungen zu konstruieren. Aber alle jene kommunistischen und gewohnheitsrechtlichen Institutionen, die in den späten »Individualismus« als die Substanz, von der er sich ablöst, hinüberragen, müssen ein menschliches Wollen und Denken auf ganz andere Art in sich enthalten: vor allem in einer Art, in der das ideelle Dasein dieser Verhältnisse und Verbände von ihrer Realität, nämlich der Wirklichkeit menschlicher Zusammenhänge, durch die Abstammung (das »Blut«) und andere Ursachen, noch weniger sich geschieden habe, wohl aber in zunehmender Scheidung sich beobachten lasse. Als gemeinsames und wesentliches Merkmal ergab sich, daß das Dasein des Verhältnisses und der Verbindung von den Menschen, die darin stehen, bejaht werde, und zwar im typischen Falle aus freiem Wollen, in dem richtigeren und tieferen Sinne, den diese Freiheit allein haben kann. So entsprang die Idee eines Gegensatzes, indem einerseits ein Verhältnis, eine Verbindung unmittelbar – um ihrer selbst willen – bejaht wird, wenn auch etwa zugleich mit dem Bewußtsein ihres Wertes, ihres Nutzens, also ihrer Zweckmäßigkeit; andrerseits rein als Mittel, in klarer Scheidung und Unterscheidung von den ihrer ersten Natur nach individuellen Zwecken, ja möglicherweise in Opposition gegen diese. Eben hier schien das Kriterium, der Scheitelpunkt, an dem die Begriffe auseinander zu gehen hätten, zu liegen. Denn eben an diesem Punkte gewinnen auch Verhältnis und Verbindung ein rein ideelles, d.  h. von jedem Real[98]gründe völlig losgelöstes Dasein; sie erwerben also die Natur eines rein geistigen Mechanismus, während sie in dem früheren Begriff als rein Geistig-Organisches gedacht werden, d. h. die Teile (In-

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menschlichen Verhältnisses – A: menschlichen Verbandes. noch weniger – A: noch wenig richtigeren und tieferen – A: richtigen und tieferen. eines rein geistigen – A: eines geistigen.

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dividuen oder selber Verbände) denken (in einer Verbindung) sich als Glieder eines wirklichen Ganzen (der Gemeinschaft), während die rein ideelle oder fingierte Gesamtperson (Gesellschaft) nur in einem System von Personen gedacht wird, innerhalb dessen sie, mit bestimmten Kräften oder Rechten ausgestattet, auf die außer und neben ihr stehenden zu wirken vermag. Jener Gegensatz, der Spencers soziologisches Denken beherrscht und von ihm auch auf die Mainesche Verallgemeinerung »von Status zu Kontrakt« bezogen wird, hat hier seine wahre Wurzel. Er ist freilich entstellt, wenn auf der einen Seite nichts als Zwang und Gewalt, auf der anderen nichts als Freiheit gesehen wird. Zwang und Gewalt, und zwar sowohl autorisiert, d. h. aus den sozialen Verhältnissen folgend, als nicht autorisiert, sind mit beiden Gattungen vereinbar; aber Freiheit ist das Wesen beider, sofern sie eben bejaht werden, und insofern sind sie auch (unter gewissen hinzukommenden Bedingungen) rechtliche Verhältnisse und Verbindungen. Es war nun die Aufgabe gestellt, den menschlichen Willen tiefer zu untersuchen und in ihm einen durchaus korrespondierenden Gegensatz zu finden, der in seinen Verhältnissen zum Denken beruhe: objektiver und subjektiver Wille; Wesenwille und Kürwille; Wille als etwas mit dem Denken natürlich Gewordenes, Wille als etwas im Denken durch Denken Gemachtes. Dieser Gegensatz involviert, gleich dem von Gemeinschaft und Gesellschaft, die Idee einer Entwicklung vom einen zum andern Terminus, und diese Entwicklung ist die Entwicklung der individuellen und der sozialen Vernunft, daher des Rationalismus als sozialer Erscheinung; und hierin erkannte der Verfasser den Charakter des Handels und der kapitalistischen Produktionsweise, der wesentlich städtischen ökonomischen Gesellschaft und des modernen eigentlichen Staates, wie auch der Wissenschaft, in ihrem Gegensatz gegen alle phantastischen, herkömmlichen und religiösen Vorstellungen, daher auch im Gegensatz gegen das Wesen der Kunst. Auch hier ist es die Lösung der Vernunft und des Kürwillens, die, vielleicht nie absolut wirklich, doch in ihrer unablässigen Tendenz als vollendet begriffen werden muß. Es ergeben sich viele Kombinationen und Komplikationen, die in dem Buche nur angedeutet, später in kleinen Schriften nach einigen Seiten hin erläutert worden sind. Die Hauptbegriffe waren auch in fortwährender kritischer Beziehung auf die Theoreme Lorenz Steins, Iherings und Schäffles gedacht, deren in dieser Skizze Erwähnung geschehen ist. Sie beruhten durchaus auf Annahme der Deszendenztheorie, wollten aber einer unkri 8 19 27 30

»von Status zu Kontrakt« – Vgl. ed. Fn. zu Z. 24, S. 168. Kürwille – A: Willkür. Staates, wie auch der Wissenschaft – A: Staates, der Wissenschaft. der Vernunft und des Kürwillens – A: der Vernunft und Willkür.

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tischen Anwendung auf die Soziologie und den »realen Analogien« des vermeint[99]lichen »sozialen Körpers« mit irgendwelchen Organismen, auch wenn es nicht ausgesprochen wurde, in entschiedener Weise wehren. Von der soziologischen Literatur, die in Deutschland bis zum Ende des Jahrhunderts ferner ans Licht getreten ist, kann hier nur eine bündige Charakteristik angefügt werden. Die allgemeine Staatslehre, die mit allen diesen Problemen nahe Beziehungen hat, ist von neuem aufgenommen worden von Rehm, Bruno Schmidt, Bornhak, Richard Schmidt und am meisten in soziologischer Fassung von Jellinek; um die Rechtsphilosophie überhaupt und speziell um ihre ethnologischen Voraussetzungen haben Kohler und andere sich bemüht. Rümelin, der schon 1867 »über den Begriff eines sozialen Gesetzes« geredet hatte, wandte 1888 seine Aufmerksamkeit auch dem »Begriff der Gesellschaft und einer Gesellschaftslehre« mit Beziehung auf den neuen Namen »Soziologie« zu. Von Post (gest. 1895) erschienen ferner Werke in der Richtung auf »ethnologische Jurisprudenz«. Bastian legte seine emsigen Forschungen weiter in krausen Büchern nieder; von Leist kamen noch »Altarisches Jus civile«

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von Rehm – A: durch Rehm – vgl. »Geschichte der Staatsrechtswissenschaft« (Rehm 1896). Bruno Schmidt – »Der Staat. Eine öffentlich-rechtliche Studie«, 1896. Bornhak – »Preußisches Staatsrecht«, 3 Bde. und ein Ergänzungsbd., 1888–1893. Richard Schmidt – Einschlägig, wenn auch außerhalb der Berichtsperiode ist Schmidt 1901–03. Jellinek – Allgemeine Staatslehre (Jellinek 1900). Kohler – Gemeint ist Josef Kohler. »über den Begriff eines sozialen Gesetzes« – Vgl. die »akademische Antrittsrede« in Tübingen unter diesem Titel (Rümelin 1875: [1]–31). »Begriff der Gesellschaft und einer Gesellschaftslehre« – Rümelin eröffnet seinen Vortrag »Ueber den Begriff der Gesellschaft und einer Gesellschaftslehre« (in Rümelin 1894: [248]–277) wie folgt: »Es waren französische und englische Denker, welche in den letzten Jahrzehnten unter dem Namen ›Sociologie‹ eine neue Wissenschaft – man weiß nicht, soll man sagen – entdeckt oder erfunden haben. Der Ausdruck gehört zu den sonst verpönten sogenannten Bastardwörtern, da seine vordere Hälfte der lateinischen, die hintere der griechischen Sprache entnommen ist. Derselbe ist schwer ins Deutsche zu übersetzen …, und noch schwerer ist zu sagen, wovon denn diese Sociologie eigentlich handelt, da man zuvor müßte abgrenzen können, wovon sie nicht handelt …« (ebd., [248]). Werke in der Richtung auf »ethnologische Jurisprudenz« – Hier einschlägig Posts »Einleitung in das Studium der ethnologischen Jurisprudenz« (1886). krausen Büchern – Mglw. spielt Tönnies darauf an, dass Bastian mit ethnologischem Hintergrund auf zeitgenössische Erscheinungen eingeht, die nicht oft im Fokus einer am Wissenschaftsideal der Naturwissenschaften orientierten Sozialwissenschaft stehen. Vgl. »In Sachen des Spiritismus und einer naturwissenschaftlichen Psychologie« (Bastian 1886).

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und »Altarisches Jus Gentium« heraus; Goldschmidt gab eine »Universalgeschichte des Handelsrechts«, leider nicht über die erste Lieferung, die aber ein Buch darstellt,  fortgeschritten. Jul. Lippert verfaßte noch eine »Kulturgeschichte der Menschheit in ihrem organischen Aufbau« (1887), F. v. Hellwald eine Monographie über »Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwicklung« (1889). Th. Achelis, der auch sonst mit starkem Fleiß in diesen Gebieten arbeitet, schrieb einen umfassenden Bericht »Moderne Völkerkunde, deren Entwicklung und Aufgaben«, worin er die Völkerkunde »als soziologische Wissenschaft« in einem großen Kapitel behandelt. Im gleichen Jahre (1896) erschien von Vierkandt das inhaltreiche Werk »Naturvölker und Kulturvölker«, ein »Beitrag zur Sozialpsychologie«, das u.  a. die Unterschiede zwischen Natur- und Kulturvölkern, das Wesen, die Eigenschaften und die »Gebrochenheit« der »Vollkultur« eingehenden Be­trach­­tungen unterwirft; und (ebenfalls 1896) der erste Teil eines Werkes von R. Hildebrand »Recht und Sitte auf den verschiedenen wirtschaftlichen Kulturstufen«, das hauptsächlich mit der Geschichte des Grundeigentums sich beschäftigt. Im selben Jahr erschien  ferner Ernst Großes Schrift »Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft«: auch darin ist die Wirtschaft als soziologisches Entwicklungsprinzip zugrunde gelegt. Aber die Stufenfolge von Jägern, Viehzüchtern und Ackerbauern, die hier noch angenommen war, wurde durch Eduard Hahn, dessen Werk auch noch in das gleiche  fruchtbare Jahr  fiel, (nicht zum ersten Male) stark erschüttert; seinen geistreichen Vermutungen gab der Beifall Schmollers, der auch auf den Vorgang [100] von Nowacki (»Jagd und Ackerbau«) hinwies, eine bedeutende Stütze. Auch sonst weist das  1  2  2  4  6  9 12 17 19 23 25 26

»Altarisches Jus civile« und »Altarisches Jus Gentium« – Leist 1892/96 und 1889. »Universalgeschichte des Handelsrechts« – Goldschmidt 1891. die erste Lieferung – A: die »erste Lieferung«. »Kulturgeschichte der Menschheit in ihrem organischen Aufbau« – Recte: »Die Kulturgeschichte in einzelnen Hauptstücken« (Lippert 1885, 1886 und 1886a). »Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwicklung« – Hellwald 1889. »Moderne Völkerkunde, deren Entwicklung und Aufgaben« – Achelis 1896, das Kapitel »Die Völkerkunde als sociologische Wissenschaft« S. 122 ff. »Naturvölker und Kulturvölker« – Vierkandt 1896. »Recht und Sitte auf den verschiedenen wirtschaftlichen Kulturstufen« – Hildebrand 1896. Ein zweiter Band ist nicht erschienen. »Die Formen der Familie und die Formen der Wirtschaft« – Grosse 1896. Eduard Hahn, dessen Werk – »Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen« (1896). Beifall Schmollers – Vgl. Schmoller 1900: 195. »Jagd und Ackerbau« – Recte: »Jagd oder Ackerbau?« (Nowacki 1885).

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»Jahrbuch für Gesetzgebung« vom 13. Jahrgange ab (1889 »Die Tatsachen der Arbeitsteilung«) bedeutende Merkmale soziologischer Studien seines Herausgebers und anderer Nationalökonomen auf, von denen einige ein neues Organ in dem von H. Braun begründeten »Archiv  für soziale Gesetzgebung und Statistik« (seit 1888) fanden, worin vorzugsweise der Geist des Marxismus, aber auch dessen Kritik, gepflegt ward. In der alten Tübinger »Zeitschrift  für die gesamte Staatswissenschaft« hatte sich Schäffle ein Magazin für die Früchte seiner rastlosen Arbeit angelegt, die dann als »Gesammelte Aufsätze«, »Kern- und Streitfragen« wiedererschienen. Im Jahre 1896 gab er von seinem »Bau und Leben« eine zweite, abgekürzte Auflage in zwei Bänden als »Allgemeine Soziologie« und »Spezielle Soziologie« heraus. – Die frühen Zustände und Entwicklungen der Familien waren von Ausländern neu untersucht; so in dem mit Gelehrsamkeit schwer geladenen Buch des Finnen Westermarck, das 1893 deutsch erschien; der Angriff, den es auf die Theorien Morgans, Bachofens, Lubbocks macht, hatte großen Erfolg. Verteidigt wurden aber diese, besonders Morgans Verwandtschaftstafeln, durch Kohler (»Zur Urgeschichte der Ehe. Totemismus, Gruppenehe, Mutterrecht«). Auch die Sozialisten blieben den Morganschen Lehren treu; manche Beiträge dazu wurden in der »Neuen Zeit« publiziert. Ein gründlicher Forscher aus ihrer Mitte, H. Cunow, lehrte zwar auch, daß der Amerikaner erst die Grundlage für die Entwicklungsgeschichte der Familie geliefert habe, kritisiert aber doch bedeutende Stücke des Systems (Die Verwandtschaftsorganisationen der Australneger 1894; Soz. Verfassung des Inkareichs 1895); derselbe gab auch Maurers »Einleitung« mit einer neuen Einleitung neu heraus (1896). Anknüpfungen an die Biologie wurden auch hier gesucht, und die Frage, ob und wie sich Darwinismus und Sozialismus miteinander vertragen, wurde zur Streit-

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»Jahrbuch für Gesetzgebung … (1889 »Die Tatsachen der Arbeitsteilung«) – Vgl. unter diesem Titel Schmoller 1889. – 1890 veröffentlicht Schmoller im Jahrbuch seinen Artikel »Das Wesen der Arbeitsteilung und der sozialen Klassenbildung«. »Gesammelte Aufsätze«, »Kern- und Streitfragen« – Schäffle 1885/86 und [recte] »Deutsche Kern- und Zeitfragen« (Schäffle 1894 und 1895). eine zweite, abgekürzte Auflage – Schäffle 1896. waren von Ausländern – A: wurden von Ausländern. Buch des Finnen Westermarck, das 1893 deutsch erschien – Westermarck 1893. »Zur Urgeschichte der Ehe. Totemismus, Gruppenehe, Mutterrecht« – Kohler 1897. »Neuen Zeit« – »Die Neue Zeit. Wochenschrift der Deutschen Sozialdemokratie« erscheint seit 1883. Die Verwandtschaftsorganisationen der Australneger – Cunow 1894. Soz. Verfassung des Inkareichs – Cunow 1896. Maurers »Einleitung« mit einer neuen Einleitung – Maurer 1896.

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frage entfaltet. Eine Schrift des Italieners Ferri (deutsch 1897) und manche ähnliche feierten Darwin und Marx als ebenbürtige, einander ergänzende Helden. Anthropologische Untersuchungen und darauf basierte Lehren von Ammon hoben die aristokratischen Tendenzen der Natur hervor. In unklare Verbindung setzen sich diese auch mit dem erfolgreichen Buche G. Hansens »Die drei Bevölkerungsstufen«, das die Ursachen für das Blühen und Altern der Völker nachzuweisen versucht. Ins Deutsche übersetzt wurde (mit einer Vorrede des Zoologen Weismann) Kidds »Soziale Evolution«. Bald wurden auch Nietzsches poetisch-philosophische Hymnen in dem Sinne verwertet, Folgerungen zugunsten der höheren und besitzenden Klassen daraus zu ziehen. Manche Erörterungen von dieser Art zogen die Theorie der Geschichte [101] in ihr Bereich; eine neue Geschichtschreibung, am deutlichsten bezeichnet durch Arbeiten Lamprechts und Breysigs, gab teils der Wirtschaftsentwicklung, teils anderen universalhistorisch-soziologischen Gesichtspunkten erweiterten Spielraum, ohne doch die großen politischen Nationalentwicklungen aus den Augen zu verlieren. Mehr und mehr wurde, wie im Auslande, so auch auf deutschem Literaturgebiet die »materialistische Geschichtsauffassung« in die Diskussion gezogen. Bedeutende Wirkung hat in dieser Hinsicht das sehr umfangreiche Buch des Hallenser Juristen Stammler »Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung« (auch dies aus 1896). Er will, vom Neukantianismus aus, die Sozialphilosophie nur teleologisch begründen, den »sozialen Materialismus« durch »sozialen Idealismus« überwinden, das Verhältnis zwischen Sozialwirtschaft und Rechtsordnung als ein solches von Materie und Form den kausalen Betrachtungen entziehen. In ganz anderem Sinne, auf empirischer Grundlage, wurde die berufene Theorie durch P. Barth (Die Philosophie der Geschichte als Soziologie. Erster Teil: Einleitung und kritische Übersicht, 1897) kritisiert, der daneben einseitige »Geschichtsauffassungen« und »soziologische Syste 1  4  6  9 14 14 20 22 28

Schrift des Italieners Ferri (deutsch 1897) – Recte: Ferri 1895. Anthropologische Untersuchungen und darauf basierte Lehren von Ammon – Vgl. Ammon 1891, 1893, 1895/96/1900 sowie 1900. »Die drei Bevölkerungsstufen« – Hansen 1889. »Soziale Evolution« – Kidd 1895. Lamprechts – Vgl. Lamprecht 1886. Breysigs – Vgl. Der Stufen-Bau und die Gesetze der Welt-Geschichte (Breysig 1905). hat in dieser Hinsicht – A: hatte in dieser Hinsicht. »Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung« – Stammler 1896. Die Philosophie der Geschichte als Soziologie – Barth 1897. Tönnies bespricht dieses Werk 1900 (Tönnies 1900–1902; SSK III: 292–297).

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me« – vorzugsweise ausländische – Revue passieren läßt und sich auch mit der logischen Kritik bisheriger Soziologie und Philosophie der Geschichte auseinandersetzt, wie sie in der wichtigen »Einleitung in die Geisteswissenschaften« (Erster Band 1883) von Dilthey enthalten war. Aus der stark angeschwollenen Literatur über materialistische Geschichtsauffassung ist  ferner nennenswert: Masaryk »Die philosophischen und soziologischen Grundlagen des Marxismus« (1899), und Woltmann »Der historische Materialismus« (1900). Auch von anderen Seiten wurde die Theorie der Geschichte in Angriff genommen. Ratzel, dessen Anthropogeographie in der ersten Ausgabe schon 1882 erschien, gab einen ersten Band »Politischer Geographie« heraus (1897). O. Lorenz publizierte seine genealogischen Studien nebst Atlas und ein »Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie« (1898). Von G. v. Mayr erschienen die zwei ersten Bände »Statistik und Gesellschaftslehre« (1895 und 1897); er betrachtet Statistik und Soziologie als die beiden genügend verselbständigten allgemeinen Gesellschaftswissenschaften. Der Kalamität, daß Statistik im Sprachgebrauch auf die Bedeutung einer Methode reduziert ist, wird durch Statuierung einer »Wissenschaft von den sozialen Massen« (das soll die Statistik sein) nicht abgeholfen. Als Versuch einer neuen Grundlegung der Gesellschaftswissenschaft bezeichnet Oppenheimer sein Buch »Großgrundeigentum und soziale Frage« (1898). »Die soziale Frage im Lichte der Philosophie« unternahm Ludwig Stein in einem starken Bande darzustellen (»Vorlesungen über Sozialphilosophie und ihre Geschichte«, [102] 1897). Bedeutsam ist das »Lehrbuch der historischen Methode  1

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einseitige »Geschichtsauffassungen« und »soziologische Systeme« – Barth überschreibt den ersten Abschnitt seiner »Kritischen Übersicht« mit »Die sociologischen Systeme«, der zweite beschäftigt sich mit den »einseitigen Geschichtsauffassungen«, der dritte und letzte thematisiert die »vermeintliche Unmöglichkeit der Philosophie der Geschichte als Wissenschaft (W. Dilthey)« (a. a. O.). »Einleitung in die Geisteswissenschaften« – Dilthey 1883. – Nur an sehr wenigen Stellen gibt es in Tönnies’ Werk Hinweise auf Dilthey. »Die philosophischen und soziologischen Grundlagen des Marxismus« – Masaryk 1899. »Der historische Materialismus« – Woltmann 1900. Anthropogeographie – Ratzel 1882, 21899, zweiter Bd. 1891. »Politischer Geographie« – Ratzel 1897. genealogischen Studien nebst Atlas und ein »Lehrbuch der gesamten wissenschaftlichen Genealogie« – Lorenz 1892, 1895 und 1898. »Statistik und Gesellschaftslehre« – Mayr 1895 und 1897. »Wissenschaft von den sozialen Massen« – So Mayr 1895: 22 [§ 13]. »Großgrundeigentum und soziale Frage« – Oppenheimer o. J. (1897). »Vorlesungen über Sozialphilosophie und ihre Geschichte« – Stein 1897.

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und Geschichtsphilosophie« von E. Bernheim (zuerst 1889). Einen merkwürdigen, aber sehr wenig beachteten geschichtphilosophischen Versuch bezeichnet das Werk von A. Fischer »Die Entstehung des sozialen Problems«. Die Lehren Gumploviczs wurden fortgeführt von ihm selber (u. a. Soziologie und Politik 1892), aufgenommen und erweitert von Ratzenhofer, der sonst auch von Comte beeinflußt ist und die gesamte soziale Entwicklung einer Analyse zu unterwerfen versuchte (Wesen und Zweck der Politik als Teil der Soziologie usw., 3 Bände 1893. Die soziologische Erkenntnis 1898). Der Berichterstatter hat darüber und über die gesamte soziologische Literatur dieser Jahre (auch des Auslandes) zuerst in den »Philosophischen Monatsheften«, dann im »Archiv für Philosophie« fortlaufende Mitteilungen gemacht (»Jahresberichte«). Mit anderen Soziologen deutscher Zunge hat er auch an den Arbeiten des 1894 begründeten »Institut International de Sociologie« teilgenommen. Hervorgegangen ist aus dessen Verhandlungen eine Diskussion über die »organische Methode« zwischen L. Stein und P. v. Lilienfeld (zwei Broschüren 1898). Eine kurze, aber sinnreiche Übersicht über die »Soziologie im 19. Jahrhundert« (in deutscher Sprache) gab der polnische Baron Dr. von Kelles-Kraus, wesentlich vom Standpunkte des Marxismus (1902). – Die reine Theorie sozialer Tatsachen ist im deutschen Sprachgebiet vorzugsweise von G. Simmel gepflegt worden, zuerst in der Schrift »Über soziale Differenzierung«, »soziologische und psychologische Untersuchungen«, die sich über den Begriff der Gesellschaft, über Kollektivverantwortlichkeit, Ausbildung der Individualität, das soziale Niveau, die Kreuzung sozialer Kreise und die psychische Kraftersparnis in der Differenzierung beziehen,  ferner dann durch eine Reihe von Aufsätzen, die zumeist in Schmollers Jahrbuch ge-

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»Lehrbuch der historischen Methode und Geschichtsphilosophie« – Bernheim 1889. »Die Entstehung des sozialen Problems« – Fischer 1897. Soziologie und Politik – Gumplowicz 1892 – vgl. auch vom selben Autor »Die sociologische Staatsidee« (1892a) und »Soziologische Essays« (1899). Wesen und Zweck der Politik als Teil der Soziologie – Ratzenhofer 1893. Die soziologische Erkenntnis – Ratzenhofer 1898. »Jahresberichte« – Vgl. Tönnies 1892–93, 1896 und 1898. Diskussion über die »organische Methode« … (zwei Broschüren 1898) – Stein 1898 und Lilienfeld 1898. »Soziologie im 19. Jahrhundert« – Kelles-Krauz 1902. »Über soziale Differenzierung« – Simmel 1890. über – A korrekt: auf. Reihe von Aufsätzen – In Schmollers Jahrbuch erscheinen bis 1900 »Zur Psychologie des Geldes« (1889), »Das Problem der Sociologie« (1894), »Zur Methodik der Socialwissenschaft« [Besprechung von Stammler 1896] (1896), »Die Selbsterhaltung der socialen Gruppe« (1898), »Fragment aus einer ›Philosophie des Geldes‹« (1899).

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druckt sind, durch zwei Bände über »Moralwissenschaft« und durch seine »Philosophie des Geldes«. Es ist Simmel daran gelegen, eine »Soziologie in engerer Bedeutung« auszuscheiden. Ich nenne eben diese die soziologische Theorie, und lege Wert darauf, die reine Theorie von der angewandten und den Anwendungen abzuheben. Um zur Einigkeit darüber wie über alle terminologischen Fragen zu gelangen, muß man eigenen Liebhabereien und Abneigungen entsagen. Simmel sucht das Spezifische der Vergesellschaftung als Gegenstand eigentlicher Soziologie  festzustellen, d.  h. er will durch Abstraktionen die Formen von den mannigfachen Inhalten trennen. In diesem Sinne behandelt er z. B. die Selbsterhaltung der sozialen Gruppe, die Soziologie des Raumes, der Armut u. a. Die eigentliche Bedeutung seiner Studien liegt in der scharfsinnigen psychologischen Analyse. Wenn man es richtig verstehen will, so darf gesagt werden: wir kehren mit diesem Autor zur spekulativen [103] Philosophie (in einem etwas erweiterten Sinne) zurück. Daß diese, als kritische und dialektische Bearbeitung der Begriffe, gerade für so spezielle und komplizierte Objekte, wie das soziale Leben sie darbietet, notwendig ist, prägt sich mehr und mehr wieder in die allgemeine Erkenntnis ein. Die Spekulation Simmels hält sich indessen behutsam in Fühlung mit den Erwerbungen der Naturwissenschaften und der historischen Forschung. Durch Simmel und durch den Berichterstatter angeregt, verfaßte Eulenburg seine Antrittsvorlesung »Über die Aufgabe der Sozialpsychologie«, die in Schmollers Jahrbuch gedruckt wurde (1899). Mit der »Philosophie des Geldes«  findet das Jahrhundert für die Soziologie einen interessanten Abschluß. Aber nicht mit diesem Werk allein. In das gleiche Grenzjahr (1900)  fallen zwei andere Werke, die eine Masse soziologischen Materials geistvoll in sich verarbeitet haben: des (leider einige Jahre nachher verstorbenen) Ethnologen Schurtz »Urgeschichte der Kultur« und Schmollers »Allgemeine Volkswirtschaftslehre« (Erster Teil). Bücher wie diese haben einen Januskopf:  2  3

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»Moralwissenschaft« … »Philosophie des Geldes« – Simmel 1892 und 1893 sowie 1900. »Soziologie in engerer Bedeutung« – »Soll es nun statt einer bloßen Forschungstendenz, die fälschlich zu einer Wissenschaft der Sociologie hypostasiert worden ist, wirklich eine solche geben, so muß das Gesamtgebiet der allumfassenden socialen Wissenschaft in sich arbeitsteilig gegliedert, es muß eine Sociologie in engerer Bedeutung ausgeschieden werden.« (Simmel 1894: 1302). »Über die Aufgabe der Sozialpsychologie« – Eulenburg 1900. – Eulenburg hält seine Antrittsrede am 16.5.1899. »Philosophie des Geldes« – Simmel 1900. »Urgeschichte der Kultur« – Schurz 1900. »Allgemeine Volkswirtschaftslehre« – Schmoller 1900.

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das eine Antlitz blickt rückwärts auf eine unermeßliche Arbeit; das andere schaut vorwärts und verheißt den langen Genuß einer reichen Ernte1. [104]

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Von Max Webers bedeutendem Wirken waren im alten Jahrhundert nur die Anfänge literarisch sichtbar geworden, so die »Römische Agrargeschichte« (Stuttgart 1891), »Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik« (Freiburg 1895) u. a. Das gleiche gilt für Werner Sombart, dessen Hauptwerk zuerst 1902 erschien.

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nur die Anfänge – Weber 1891 und 1895. – Die Fußnote fehlt in A. Haupt­­werk zuerst 1902 – Sombart 1902.

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XX. Sinn und Wert einer Wirtschaftsphilosophie Die Klassifikation der Wissenschaften ist bekanntlich eine schwierige und umstrittene Aufgabe; die Versuche, sie zu lösen, haben bisher keine allgemeine Geltung erlangt. Noch schwerer aber ist es, die Stellung der Philosophie innerhalb oder außerhalb der Wissenschaften zu bestimmen: das Verhältnis der philosophischen Disziplinen – oder philosophischen Wissenschaften? – zu anderen (oder schlechthin zu den?) Wissenschaften und die verschiedenen Aufgaben der einen und der anderen in bezug auf denselben Gegenstand darzustellen. Philosophie – das ist eine Tatsache – wirkt, gleich anderen Schönen und Majestäten, immer wieder bald anziehend bald abstoßend, zuletzt aber doch anziehend auf die Freier und Freien, die in ihre Nähe kommen; und dazu gehören fast alle, die irgendeinem einzelnen »Fach« ihre Kräfte widmen. Viele  freilich, wohl die meisten, scheuen und meiden sie, ja  fliehen vor ihr; sie reden übel von ihr, wenn sie sie kennen, oft auch ohne sie zu kennen; wenigstens scheint eine geringe Kenntnis zu genügen, um ihrer zu spotten und sie mit Verachtung zu behandeln. Sogar ein Philosoph von Beruf klagte noch vor einigen Jahren, es sei, als ob schon ihr Name die Philosophen dränge, sich überall einzumischen, wie wenn es ohne sie nicht ginge, und – was noch wunderbarer sei – sich sogar dem Wahne hinzugeben, als seien sie mit ihren ungerufenen

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Sinn und Wert einer Wirtschaftsphilosophie – Der Artikel erscheint im ersten Heft des 1907 neu gegründeten »Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie« (1.1907/08, H. 1, Tönnies 1907a, im Folgenden A). Eine italienische Übersetzung in der »Rivista italiana di sociologia« (Bd. 11, S. 743–748, Tönnies 1907b, im Folgenden B) hat den Titel »La Scienza economica e la Filosofia«. Ein Übersetzer ist nicht genannt. Der Text enthält keine Hervorhebungen. – In A sind Namen durchgängig nicht hervorgehoben; dem wird hier gefolgt. – Autorenzeichnung nach der Überschrift: »von Dr. Ferdinand Tönnies, Eutin«. Der deutsche wie der italienische Text ist in der Antiqua gesetzt. die Versuche, sie zu lösen, haben bisher keine allgemeine Geltung erlangt – Fehlt in B.

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Ratschlägen und Weisungen überall willkommen. Dagegen aber erleben wir immer aufs neue, daß ausgezeichnete Forscher der verschiedensten Gebiete, nachdem sie lange in ihren Spezialgebieten gearbeitet haben, sich der Philosophie mit Leidenschaft hingeben, daß sie, unbefriedigt von dem gewohnheitsmäßigen Betriebe ihrer Wissenschaft, in der Philosophie eine Grundlegung, also die Anfänge und Prinzipien, die Voraussetzungen suchen, von denen aus sie diesen ganzen Betrieb reformieren und vertiefen wollen. Des öfteren ist uns in diesen letzten Jahrzehnten begegnet, daß solche Gelehrte mit starkem Bedauern sich darüber ausgesprochen haben, wie in ihrer Jugend das Studium der Philosophie vernachlässigt worden und ihnen  fremd geblieben sei – ich nenne unter den hervorragenden Juristen Jhering, unter ebensolchen Nationalökonomen Adolph Wagner – oder daß sie [105] zur Philosophie, der sie in ihrer Jugend mit Fleiß sich hingegeben hatten, nach weiten und tiefen Forschungen historischen Charakters, mit dem Bekenntnis sich zurückwenden, das allgemeine ihrer Wissenschaft müsse »einen soziologischen, ethischen, philosophischen Hintergrund« haben; so wiederum ein Führer gegenwärtiger Nationalökonomie, G. Schmoller, den man sonst in einen gewissen Gegensatz zu Wagner zu stellen pflegt. Aber dies kann man fast schon als die angenommene geltende Ansicht betrachten, so wenig auch tatsächlich die meisten Nationalökonomen mit philosophisch-soziologischen Gedanken und Studien sich befassen mögen. Als Lehre von der praktischen Einrichtung eines städtischen, oder  fürstlichen, dann überhaupt eines öffentlichen Haushalts ist die »politische Ökonomie« entstanden und hat lange die Spuren dieser Entstehung an ihrem Leibe getragen. Fast unmerklich wurde daraus das Problem, wie eine »Nation« am besten reich werden könne. Auch dies Problem wurde zunächst als ein praktisches verstanden. Ganz offenbar und unzweifelhaft schien es ja, daß die Angehörigen einer Nation reich zu sein und zu werden wünschen, daß es also sehr wichtig für sie sei zu lernen, auf welchem Wege man es wird; d. h. nicht ein einzelner Arbeiter oder Geschäftsmann, sondern alle zusammen, die Gesamtheit der

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Weisungen überall willkommen – In B hier eine Fußnote: »Cfr. E. Adickes, in Zeitschrift für Philosophie, Vol. III., pag. 59.« – Dort »Es ist, als ob schon ihr Name [Philosophie] sie drängte, sich überall einzumischen … und … sich sogar dem Wahn hinzugeben, als seien sie [Philosophen] mit ihren unberufenen Ratschlägen und Weisungen überall willkommen.« (Adickes 1901: 59). in ihren Spezialgebieten – A: in diesen Spezialgebieten. »einen soziologischen, ethischen, philosophischen Hintergrund« – Schmoller 1900: 124. Auch dies Problem – Absatz in B vor diesem Satz.

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in mannigfacher, geteilter Arbeit Zusammenwirkenden – und das kam dann notwendigerweise auf die Frage zurück, durch welche gemeinsamen Handlungen, welche Gesetze, also durch welche Politik eine Nation es werde. Nun ist dies sicherlich, auch rein theoretisch betrachtet, eine interessante Untersuchung. Man sieht, daß in einigen Ländern großer, sich rasch und stark vermehrender Reichtum vorhanden ist, in andern von allem das Gegenteil oder doch alles weniger. Nahe genug liegt es zu erforschen, durch welche Ursachen die eine und die andere Erscheinung bewirkt werde. Dabei kann es, ja muß es zunächst außerhalb der Erwägung bleiben, ob das Volk des einen Landes auch glücklicher sei als das des andern? allgemein gedacht, ob überhaupt Reichtum unbedingt, oder innerhalb welcher Grenzen, die Menschen glücklich mache? und wenn glücklich, ob auch tüchtig, tugendhaft und stark? ob er etwa nur unmittelbar zu ihrem Genusse und Vergnügen, auf die Dauer aber zu ihrem Verderben gereiche? also in Wirklichkeit andere Folgen habe, als im Scheine? ob etwa in bezug auf solche Wirkungen ein Unterschied zwischen natürlichem Reichtum an Bodenprodukten und dem künstlichen Reichtum an beliebigen Gütern und Waren, der durch Geldreichtum repräsentiert wird, sich behaupten lasse? – Alle diese Fragen wird der Nationalökonom, um seine Aufgabe [106] gleichsam sauber zu präparieren, besser beiseite schieben, er kann sich daran halten, daß tatsächlich in gegenwärtiger Zeit, und seit lange, ein Kämpfen und Ringen sich beobachten läßt zwischen Nationen und ihren Teilen, zwischen Städten und Städten, zwischen Stadt und Land, aber noch mehr zwischen verschiedenen Ständen und Schichten eines Volkes, zwischen den Klassen einer Gesellschaft: Kämpfen und Ringen um Reichtum schlechthin, um wirtschaftlichen Vorteil und Handelsgewinn, aber auch, und zwar für die große Menge, um die Mittel der baren Existenz, ums tägliche Brot. Der Nationalökonom kann in der Tat nicht an dem Probleme vorbeigehen, wie innerhalb einer Nation oder anderen Gesamtheit die Masse der Güter oder (nach Adam Smiths Ausdruck) das »Jahresprodukt« verteilt werde; und als Volkswirtschafts-Politiker muß er erwägen, ob und wiefern es nützlich oder sogar geboten sei, daß der Gesetzgeber auf diese Verteilung verändernd, bestimmend einwirke – nützlich in ökonomischer Hinsicht, d. h. es knüpft sich daran die theoretische Untersuchung, wie solche Versuche, in den Prozeß der Verteilung einzugreifen, auf Produktion und Handel zurückwirken, ob

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Scheine? ob etwa – A: Scheine? Ob etwa. ,,Jahresprodukt« – Adam Smith spricht in »Wealth of Nations« (Smith 1843) von »annual production« oder »yearly production«.

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sie dem allgemeinen Wohlstande günstig oder ungünstig sind, und wenn ungünstig, ob sie dadurch etwa auch indirekt zu ungunsten der Volksteile ausschlagen, auf deren Nutzen sie berechnet sind? – Auch hier kann der Nationalökonom der Frage nach der Gerechtigkeit solcher Maßnahmen, z.  B. einer bestimmten Steuerpolitik, sich  füglich entziehen, und es wird vielleicht seinen Zwecken dienen, daß er sich solchen Fragen entziehe. Der Philosoph, der das wirtschaftliche Leben zum Gegenstände seiner Betrachtungen macht, kann allen solchen Fragen nicht ausweichen. Ihm liegt gerade daran, das wirtschaftliche Leben in allen seinen Zusammenhängen zu erkennen und es einzugliedern in das Ganze des Kosmos, daher zunächst es als eine Art des menschlichen Lebens, und zwar vorzugsweise des menschlichen Zusammenlebens, zu begreifen, wie es gefördert und gehemmt wird, einerseits durch Bedingungen der Natur, andererseits durch solche der Kultur, d. h. durch Institutionen, Sitten, Gesetze, Religionen, Wissenschaften, Künste, durch technische Neuerungen und Entlehnungen, durch Kriege und Eroberungen, durch Klassen- und Parteikämpfe, durch den Streit der Meinungen und Ideen. So ist auch das Streben nach Bereicherung, das der Nationalökonom als Voraussetzung nimmt, dem Philosophen selber ein Problem. Er findet, daß es sehr verschiedene Stärke hat bei verschiedenen Völkern und Volksteilen, zu verschiedenen Zeiten, unter verschiedenen Lebensbedingungen. Immer wird es teils gefördert, teils gehemmt, durch andere Gefühle und Leidenschaften des Individuums, [107] mehr aber noch durch den herrschenden Geist und Willen der sozialen Verbände, und durch den »Zeitgeist«, wie er in Sitten und Religionsanschauungen, in Gesetzen und öffentlichen Meinungen niederschlägt. Ist denn aber dies nicht eine sozial-wissenschaftliche Forschung? Soll sie der Philosophie eigentümlich angehören? – Philosophie und Wissenschaft unterscheiden sich, wie ich ihr Verhältnis auffasse, nicht sowohl durch ihre Gegenstände als vielmehr durch ihre Richtung und Tendenz. Wissenschaft hat die Tendenz zur Spezialisierung, daher auch zur isolierenden Abstraktion, und sie hat in beiden, durch beide, ihre größten Erfolge: möge sie einen Tatbestand in seinen geheimsten Details beleuchten und die Ursprünge und Ausgänge dieser (die man unter Umständen  4  8 19 30

Auch hier kann der Nationalökonom – Absatz in B vor diesem Satz statt des Gedankenstrichs. Der Philosoph – Kein Absatz in B. So ist auch das Streben – Absatz in B vor diesem Satz. Philosophie und Wissenschaft unterscheiden sich – Absatz in B vor diesem Satz statt des Gedankenstrichs.

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Ursachen und Wirkungen nennt) beschreiben, oder aber aus gewissen Voraussetzungen die Folgen logisch ableiten, um aus einer irrealen Konstruktion den Maßstab für die Wirklichkeit zu gewinnen. – Philosophie hat im Gegenteil die Tendenz zur Generalisierung – ihr Motto ist der (Comtesche) Satz: »Il  fault  faire une spécialité des generalités« – sie strebt immer zum System, zur Gesamtheit und Einheit der Erkenntnis, der Brückenbau zwischen den Wissenschaften, über die tiefen und breiten Ströme der letzten Fragen hinweg, ist daher ihre große Aufgabe – der Philosoph ist der Pontifex Maximus des Wissens. Die Volkswirtschaft hat viele Nachbargebiete – aber in ihrem ganzen Umfange grenzt sie an das Recht und an das Staatsleben; so lassen sich auch die Lehren der Volkswirtschaft von der Rechts- und Staatslehre nicht völlig trennen. Der Nationalökonom wird, zumal als Volkswirtschaftspolitiker und speziell als Sozialpolitiker, von Fall zu Fall auf die Veränderungen gestoßen, die aus dem einen Gebiete in das andere übergehen – die Wechselwirkungen zwischen dem wirtschaftlichen und dem politischen Leben, die Kämpfe zwischen den gesellschaftlichen Bestrebungen und dem geltenden Rechte. Aber die Wirtschafts-Philosophie hat sich mit dem prinzipiellen Verhältnis von Wirtschaft und Recht, Wirtschaft und Politik zu befassen. Nicht anders als im Geiste einer Philosophie – es sei denn im Geiste einer Religion, die aber dann selber als Philosophie sich darstellt – können die Fragen dieser Art in gründliche Behandlung genommen werden. Der Philosoph, der das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft, der Familie, des Staates und anderer Gemeinwesen in Begriffen darzustellen unternimmt, ist Soziologe – die Wirtschaftsphilosophie stellt sich als eine Abteilung der Soziologie dar, gleich der Rechtsphilosophie, mit der sie innig zusammenhängt; in der Soziologie muß die Einheit der beiden gesucht werden. [108] Philosophie und Wissenschaft sind zwei Hände an einem Leibe. Eine Hand wäscht die andere. Um sich gegenseitig zu reinigen, müssen sie sich berühren und aneinander reiben. Jeder theoretische Mensch – um so das, was der Wissenschafter gleich dem Philosophen ist, zu bezeichnen – ist zugleich Wisser und Denker. Aber der Wissenschafter ist seinem Namen gemäß in erster Linie »Wis 5

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»Il fault faire une spécialité des generalités« – Tönnies bezieht sich möglicherweise auf einen Satz aus dem »Cours de philosophie positive«: »Il suffit, en effet, de faire de l’étude des généralités scientifiques une grande spécialité de plus.« (Comte 1839: 30). Pontifex Maximus – [Lat.] svw. oberster Brückenbauer. Aber die Wirtschafts-Philosophie – In B kein Absatz. Jeder theoretische Mensch – In B kein Absatz.

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ser«, der Philosoph wird oft genug schlechthin als »Denker« bezeichnet. Beide sind auch Forscher, aber es gibt ein Forschen, das mehr vom Wissen, und ein Forschen, das mehr vom Denken ausgeht. Wir wissen (einiges von dem) was ist und was gewesen ist; wir wissen ferner – wenn auch nur in beschränktem Maße, aber es ist das, was die Seele der Wissenschaft bildet –, was allgemein und notwendig ist. Unser Denken bezieht sich darauf, einige solche Sätze und Gesetze kann es sogar a priori erkennen, also vor aller Erfahrung wissen. Übrigens aber ist alles Wissen und Denken an Erfahrung gebunden. Der Philosoph aber als Denker beschäftigt sich auch mit dem »Denkbaren«, dem Möglichen, also mit dem, was in einem gewissen, zuweilen bestimmbaren Maße wahrscheinlich ist. Mehr als dem Wissenschafter liegt ihm ob, an die Zukunft, die ihrem Wesen nach ungewisse, zu denken. So liegt es dem Wirtschaftsphilosophen, dem Soziologen näher als dem Nationalökonomen von Fach, mit der Zukunft der Volkswirtschaft und des sie bestimmenden Rechtes sich zu beschäftigen, eine Prognose zu stellen – und dies mit lauterem Wahrheitssinn zu tun, auch wenn das, was er als wahrscheinlich kommend zu erkennen glaubt, von seinen eigenen Hoffnungen, seinen Lieblingsvorstellungen weit entfernt liegt, ja ihnen entgegengesetzt sein mag: das ist eine der schwersten Proben für die Reinheit und Strenge des theoretischen Bewußtseins. Aber der praktische Philosoph hat sein Feld für sich, so gut wie der praktische Volkswirt und Politiker. Die Vollkommenheit des menschlichen Lebens, und besonders des menschlichen Zusammenlebens, in Gedanken darzustellen, hat von jeher der Freund der Weisheit, weil er die Wege weisen wollte, das Leben nach dem Gedanken zu bilden, für seine eigentümliche Aufgabe gehalten. Der Denker wird hier leicht zum Dichter, der das Wunderland Utopia, oder die Stadt, in der die Weisesten herrschen, zu schildern unternimmt. Gerade die trockene Volkswirtschaftslehre kommt mit solchen Ideen und Idealen bekanntlich in nahe Berührung; sie glaubt oft, sich dagegen wehren, die Phantasiegebilde »widerlegen« zu sollen: und das mag mitunter nötig sein, wenn solche störend in nüchterne Erwägungen sich hineindrängen. Dann aber hat sie auch zugegeben, daß sie mit ihren eigenen praktischen Normen der Ethik, die so wesentlich mit den Vorstellungen einer allseitigen [109] und harmonischen Vollkommenheit zu tun hat, sich unterordnen müsse. 20 29

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mag: das – A: mag, das. Der Denker wird hier leicht zum Dichter, der das Wunderland Utopia … zu schildern unternimmt. – Anspielung auf Platons Vorstellung einer Philosophenherrschaft. Vgl. seine Politeia 473d (Platon 2000: 453). – Hiernach ein Absatz in B. sollen: und – A: sollen; und.

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Der Philosoph aber, der ungeduldig darauf dringt, seine Ideale, zumal wenn er ihre allgemeine und notwendige Gültigkeit glaubt beweisen zu können, in die Wirklichkeit zu übertragen, wird zum politischen Revolutionär. Er kann als solcher zeitweilig eine große und heilsame Kraft entfalten durch die Lauterkeit seiner Motive, durch den Idealismus, der ihn beseelt. Aber Ungeduld und Ungestüm sind nicht notwendige Begleiter dieses Idealismus. Wenn der Soziologe dem Ethiker das Gegengewicht hält, so wird dieser sich hüten, seinen Postulaten zu große Heilkraft zuzutrauen, gegen die moralischen und sozialen Schäden, an denen die Menschheit so sichtlich leidet. Der Soziologe wird gerade als Wirtschaftsphilosoph eher in einen gewissen Fatalismus verfallen; indem er nämlich sieht, wie die Menschen, von ihren elementaren Antrieben und Vorstellungen bewegt, miteinander und gegeneinander wirkend, einem großen Naturprozeß angehören, der einen notwendigen und gesetzmäßigen Verlauf nimmt – so wird er viel lieber sich rein beschaulich und bewundernd dazu verhalten, und verzweifeln, etwas Wesentliches daran ändern zu können; er wird sich bescheiden in der Erkenntnis, daß ethische Ideen und Ideale nur äußerst wenig vermögen, soweit sie nicht bloße Ausdrücke tiefer liegender, d. h. roher Bedürfnisse und Wünsche sind; er wird die großen Wahrheiten der »materialistischen« Ansicht der Geschichte und des sozialen Lebens anzuerkennen genötigt sein. So geraten der theoretische und der praktische Philosoph leicht in einen Konflikt miteinander, und dieser Konflikt kann sich in der Seele eines und desselben Menschen abspielen. Es fragt sich, ob aus diesem Konflikt etwas Lebendiges entspringen kann, ob auch hier die Dialektik die Stelle des heraklitischen Vaters vertritt. Kann die tiefste Erkenntnis mit dem höchsten Wollen sich fruchtbar vermählen? Daß dies möglich sei, wird man wohl nicht leugnen können. Wird nämlich einmal ein Stück Teleologie in den ganzen Weltprozeß hineingelegt, wird insonderheit auf das menschliche Zusammenleben die Idee einer veredelnden Entwicklung angewandt, so ist auch die Darstellung eines Zieles gerechtfertigt und es muß alsdann nicht unnützlich erscheinen, das dunkel Vorschwebende ein wenig heller und deutlicher zu machen, d. h. den Menschen die Augen dafür zu öffnen, wenn auch die Versuche, dies zu tun, nur bei sehr wenigen Menschen gelingen mögen. – [110]

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So geraten der theoretische – Absatz in B vor diesem Satz. Stelle des heraklitischen Vaters – Für Heraklit ist der Streit (polemos) Vater aller Dinge.

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XXI. Die Zukunft der Soziologie

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XXI. Die Zukunft der Soziologie Eine Enquête über ihre Aussichten 5

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I.  Eröffnet der bisherige Entwicklungsgang soziologischer Forschung Ausblicke auf die einstige Aufdeckung der Entwicklungsgesetze und Kausalbeziehungen des sozialen Lebens? II. Durch welche Methode vermag die Soziologie zu diesem Resultate zu gelangen? I. Die Frage kann füglich in die leichtere Frage übersetzt werden: ist eine solche Entdeckung selber in der Entwicklung begriffen? Können wir die Erkenntnis dieser Dinge in ihrem Wachstum beobachten? Wir werden so dem für den bestimmten gegenwärtigen Zeitpunkt schwerlich feststellbaren »Stande soziologischer Forschungen« am ehesten gerecht werden. Ich bejahe aber diese Fragen, behaupte also, daß wir wirklich diese Erkenntnisse in ihrem Wachstum beobachten können. Die allgemeine Ansicht, daß Kultur im Laufe einer Zeit, die – verglichen etwa mit der Dauer des Weltkörpers, den wir bewohnen – nur eine kurze Spanne bedeutet, geworden sei, war schon dem 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Aufklärung, geläufig. Sie ist  für wissenschaftliches Denken, das keine Wunder und Fabeln gelten läßt, schlechthin notwendig. Auch ist schon damals bemerkt und betont worden, daß das Werden der Kultur wesentlich bedingt ist 1. durch Arbeit, und zwar Kooperation, 2. durch Austausch der Arbeitsprodukte. Ungefähr zu gleicher

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Die Zukunft der Soziologie – Tönnies’ Text ist die Antwort auf eine Umfrage »Die Zukunft der Soziologie. Eine Enquête über ihre Aussichten«, die Félix Vályi für die Zeitschrift »Dokumente des Fortschritts. Internationale Revue« durchführte. Sie erscheint im Februarheft 1908 (1.1908: [219]–234). Die Antwort Tönnies’ steht auf den Seiten 226–230 (Tönnies 1908a, im Folgenden A). Die Überschrift ist die der Enquête (A: 219), der Text in A ist überschrieben mit »Ferdinand Tönnies, Professor an der Universität Kiel:«, die Fragen der Enquête, die hier wiederholt werden, stehen beim einleitenden Text Vályis (ebd.). – In der Antiqua gesetzt. – Vgl. im Editorischen Bericht S. 625. daß wir wirklich – In A möglicherweise Textverderbnis: »daß Sie wirklich«. dem Zeitalter – A: im Zeitalter.

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Zeit definierte Benjamin Franklin den Menschen als das Werkzeuge machende Tier und erklärte Adam Smith einen »der menschlichen Natur eigenen« Hang zum Tauschen und Auswechseln (to truck, to barter, and exchange one thing for another) für die Ursache der Teilung der Arbeit und diese für die Quelle alles Fortschrittes (advancement). In rohem Zusammenhange mit Betrachtungen dieser Art stehen andere Erkenntnisse, vor allem wird die Bedeutung gewürdigt, die den Nahrungsmitteln, ihrer Menge und Qualität, und die der Dichtigkeit der Bevölkerung zugeschrieben werden muß. Sie befördern einander gegenseitig: Wachstum der Volksmenge drängt zum Aufsuchen und Schaffen neuer, vermehrter, verbesserter Nahrungswege [111] – der üppigere Boden und jede Erleichterung der Nahrung ermutigt zur Fortpflanzung, vermindert die Sterblichkeit, zieht Fremde nach den begünstigten Plätzen. In diesen Beziehungen verhält sich der Ackerbau zu den früheren mehr okkupatorischen Lebensweisen – die von ihm zurückgedrängt, aber teilweise auch ihm angegliedert werden – ebenso wie zum Ackerbau das Handwerk, die Vermehrung des Handels, der Schiffahrt und des Landverkehrs. Das Zusammenwohnen in Dörfern wird durch den unmittelbaren Erwerb der Nahrungsmittel, daher besonders durch den Ackerbau ebenso begünstigt, wie das Zusammenwohnen in Städten durch Künste, Handel, Verkehr. An diese schließt die eigentliche Bildung, die vom Bürger (civis) Zivilisation heißt, sich an; d. h. es gesellt sich zur Tradition Pietät und Treue, die das Leben in den einmal  festgelegten Formen  fortsetzt, ein Prinzip der Neuerung, des zweckmäßigen Denkens, der Umwälzung. – Bis hierher und in manche Folgerungen, die daraus gewonnen wurden, hatte, wie gesagt, schon vor etwa hundert Jahren die Philosophie der Geschichte geführt. In Schillers Distichen »Der Spaziergang« hat sie eine poetische Gestaltung erfahren. – Im 19. Jahrhundert erfolgte eine Restauration religiöser und theologischer Lehrmeinungen durch die romantische Schule und zum Teil durch die mit ihr vielfach sich berührende spekulative Philosophie. Aber eine dauernde Verdunkelung der wissenschaftlichen Erkenntnis ist nicht erreicht worden, vielmehr hat diese auch unter den ihr entgegengerichteten Einflüssen sich entwickelt. Der Ansicht, daß die Menschen aus rohen, tierischen Zuständen sich erho 2

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Menschen als das Werkzeuge machende Tier – Tönnies’ Quelle ist wahrscheinlich Marx, der diesen Ausspruch Franklins im »Kapital« zitiert (vgl. Marx 1867: 144). Nachgewiesen ist ein Sekundärzitat einer solchen Aussage Franklins in Boswell 1791 II: 199. erklärte Adam Smith – A: erblickte Adam Smith – Smith 1802 I: 20 [Book I, chap. 2]. Schillers Distichen »Der Spaziergang« – »Der Spaziergang unter den Linden« von 1782 (Schiller 2005 VIII: 76–81).

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ben haben, kam die biologische Abstammungslehre mächtig zur Hilfe. Jene Erkenntnis aber ist in sich selber erweitert und vertieft worden. Sie hat gewonnen a) durch die prähistorischen (in Frankreich archäologisch genannten) Forschungen, die uns den Menschen vor der Zeit der Metalle und den Fortschritt von Steinwerkzeugen zu kupfernen und bronzenen, endlich zu eisernen Geräten und Waffen kennen gelehrt haben; b) durch das Studium der älteren Formen des Eigentums, insonderheit des Eigentums am Grund und Boden. Es ist zu  fast allgemeiner Anerkennung gelangt, daß bis in späte Kulturzeitalter kommunistische Arten des Besitzes und der Wirtschaft normal gewesen sind und mit der Entwicklung des Privateigentums bis zu gewissen Grenzen sich wohl vertragen haben; c) durch die tiefere Einsicht in die grundlegenden und verändernden Wirkungen der Technik und ihrer Verbesserungen auf alle Gebiete des sozialen Lebens: auf Kriegführung und Handel, auf Industrie und Ackerbau. Das 19. Jahrhundert hat gerade in dieser Hinsicht so gewaltige Umwälzungen gesehen, daß dadurch auch für frühere unscheinbare Wirkungen die Augen geöffnet werden mußten; [112] d) durch Erforschung der  frühen Gestalten der Ehe und der Familie, der darauf sich beziehenden Rechtssitten und moralischen Anschauungen: hier ist freilich vieles, namentlich die Fragen des Mutterrechts und der Gynäkokratie, überhaupt die soziale Position der Frauen in verschiedenen Phasen der Entwicklung noch zweifelhaft und angefochten geblieben, wie auch der Streit, ob uranfänglich dauerndes Zusammenleben der Menschen in Einzelpaaren anzunehmen sei, noch nicht endgültig entschieden ist; e) durch die Entdeckung – so darf man hier wohl sagen – der Gens oder der Klans, der Geschlechtsgenossenschaft, als der aller höheren Kultur vorausgehenden, aber tief in sie hineinreichenden, stark organisierten Gruppe, auf wirklicher oder (bald auch) auf  fingierter Blutnähe beruhend, ihre Mitglieder durch Verehrung eines gemeinsamen Ahnherrn verbunden, zu gegenseitiger Hilfe und Rache verpflichtet, in der Regel nicht zur Verheiratung miteinander zugelassen (das Gebot der Exogamie). Man kannte längst die große politische und kultliche Bedeutung des Genos oder der Gens und der gleichartigen weiteren Verbände bei Griechen und Römern; aber man hielt sie  für wesentlich »künstliche« Vereine von Familien. Erst neuerdings erschlossen wurde ihre Allgemeinheit und ihre naturwüchsige Ursprünglichkeit, wodurch sie der Einzelfamilie an Alter überlegen, also vorausgehend, erscheinen. Ferner ist mit ziemlich großer Sicherheit die frühere Ordnung der Mutterfolge in den Gentes, festgestellt worden, und der Übergang zum Patriarchalis17 39

unscheinbare Wirkungen – A: unscheinbarere Wirkungen. in den Gentes – A: in den Gens.

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mus läßt sich noch bei unzivilisierten Völkerschaften beobachten; f) es ist  ferner als die erste große Epoche in der sozialen Entwicklungsgeschichte die Ersetzung der konsanguinischen durch die territoriale und lokale Basis der Organisation erkannt worden, die sich als definitive Konsequenz der  festen Siedelung und also des Ackerbaus darstellt; g) verstärkt und vertieft hat sich auch die Erkenntnis der Einflüsse, die Kampf und Krieg auf die gesamte Entwicklung gehabt haben. Die universale biologische Formel des Kampfes ums Dasein (struggle for existence) hat dazu mächtig beigetragen. Nicht nur blutige Schlachten, Feldzüge, Eroberungen, sondern auch Wettstreit und Konkurrenz, Meinungskämpfe und Debatten wirken fortwährend in dem Sinne, daß das jedesmal stärkere Element – freilich keineswegs immer das bessere oder für die gesamte Evolution günstigere – siegreich wird und wächst auf Kosten des unterliegenden. Im Zusammenhänge mit diesen Erwägungen steht aber h) die Kritik der empirischen Kultur, ihres Charakters und Wertes, ihrer Vernunft und Zweckmäßigkeit; schon in Rousseau hatte diese Kritik einen wissenschaftlich denkenden Vertreter gefunden, durch die Autoren der Romantik war sie mit Leidenschaft zugunsten der alten Kirche und der älteren [113] Lebensformen einer schon hoch entwickelten Kultur ausgebaut wurden. Aber die Soziologen, an ihrer Spitze A. Comte und H. Spencer, haben versucht, die Gedanken jener Kritik aus der Rhetorik und Schwärmerei in das helle Licht einer objektiven Erkenntnis zu erheben. Diese beiden Häupter, sonst in der Richtung ihres Denkens weit auseinandergehend, stimmen darin überein, daß sie erwarten, eine wesentlich friedliche Kultur werde der bisherigen wesentlich kriegerischen Kultur folgen, wie sie schon begonnen habe, sich zu entwickeln. Aber teils zur Ergänzung, teils zur Widerlegung dieser Ansicht dient ein sehr wichtiges Element des heutigen soziologischen Denkens: i) die Analyse der kapitalistischen Produktions- und Austauschweise, von der aus die gesamte Geschichte, besonders aber die der großen Umwälzungen, von denen die letzten vier Jahrhunderte, vor allem das 19. Jahrhundert erfüllt sind, in einem neuen Lichte erscheinen. Und so verbindet sich damit k) die Theorie der Geschichte, die sich selber die materialistische nennt, obgleich sie mit dem naturwissenschaftlich-metaphysischen Materialismus nichts zu tun hat. Sie würde besser die voluntaristische heißen, in dem Sinn, wie sich die moderne Psychologie so nennt. Denn sie beruht in der Wahrheit, daß in der menschlichen Seele die elementaren Lebenstriebe zur Ernährung und zur Fortpflanzung die Bedeutung der Wurzeln oder (wenn man lieber will) des Stam 3

konsanguinischen – [Lat.] svw. auf Blutsverwandtschaft beruhenden.

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mes haben, woraus die bunte Fülle des geistigen Lebens wie eine Laubkrone hervorgeht. So verstanden ist die Lehre weniger schlechthin neu als richtig und wichtig. Alles, was ihr zufällig anhaftet, die von Marx angewandten Formeln und dergleichen, ist unwesentlich, der Streit darüber müßig. Daß das geistige Leben selber ein gewaltiger Faktor der Entwicklung ist, versteht sich von selbst. In ihm drückt ja eben das sich aus, was wir die »Blüte« der Kultur nennen; Blüte ist Organ der Fortpflanzung, also der generischen Erhaltung. In die Zusammenhänge der verschiedenen Seiten des Kulturlebens führt uns die Sozialstatistik, und ihre, wenn auch stark gehemmten Fortschritte im 19. Jahrhundert haben bedeutend dahin gewirkt, die Determination des menschlichen Wollens gleichsam handgreiflich zu machen und zu erweiterter Anerkennung zu bringen. Durch statistische Studien vorzugsweise angeregt, hat ein ausgezeichneter französischer Soziologe, G. Tarde, die große Bedeutung der Nachahmung für das geistige und sittliche Leben in ein helles, ja blendendes Licht gestellt. – Zum Schlüsse möge noch des Einflusses gedacht werden, den ohne Zweifel in einigem Maße die angeborenen und ererbten Eigenschaften der Rasse, und den folglich die Rassenmischungen auf die Entwicklung einer Kultur ausüben. Dies ist ein bedeutendes, [114] aber in der Tat noch sehr wenig aufgeklärtes Moment, noch vielfach mißbraucht durch phantastische und tendenziöse Romantik. – Um zu resümieren, so dürfen wir mit einiger Sicherheit sagen, daß der Embryo konzipiert und im Prozesse der Reifung ist, der bestimmt ist, als Wissenschaft der Kausalbeziehungen und Entwicklungsgesetze des sozialen Lebens das Licht der Welt zu erblicken. Die Soziologie dieses Sinnes ist »en marche«, wenn auch noch im Mutterschoße. Helfen wir sie entbinden, so wird sie bald das Gehen erlernen! II. Durch welche Methode? nicht durch eine Methode, sondern durch die Gesamtheit der Methoden, die überhaupt wissenschaftliches Denken und Erkennen fördern. Die Soziologie bedarf zunächst der logischen Fundierung, d. h. der kritischen Bearbeitung ihrer Begriffe; und diese ist bis jetzt noch sehr mangelhaft; was dafür getan worden ist, z. B. durch den Berichterstatter, ist nicht verstanden oder totgeschwiegen worden1. Sie bedarf der deduktiven Methode, um im Anschlusse an die begriffliche Substruktion die möglichen und wahrscheinlichen Wirkungen 1

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Romantik. – Um zu resümieren – A: Romantik. Um zu resümieren. Soziologie dieses Sinnes ist »en marche« – A: Soziologie ist »en marche« – [frz.] svw. auf dem Weg. totgeschwiegen worden. – In A fehlt die Fußnote.

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supponierter Ursachen in reinen Schematen darzustellen (zu konstruieren). In diesem Sinne hat der »historische Materialismus« sich selber als eine Methode, d.  h. als einen Leitfaden der Forschung vorgestellt, und mit gutem Grunde, denn die Wirkungen bestimmter ökonomischer Zustände und Veränderungen sind so mannigfach wie tiefgehend, und viele davon lassen sich mit einem starken Grade von Gewißheit voraus (a priori) bestimmen. Die Soziologie bedarf aber  ferner, und  für ihre eigentlichen Zwecke, wie jede Naturwissenschaft, der Sammlung und Klassifikation aller für sie wichtigen Tatsachen, also der systematischen Beobachtung, und, soweit in diesen Gebieten anwendbar, des planmäßigen Versuches (Experimentes), kurz der induktiven Methode. Eben darum muß das größte Gewicht gelegt werden auf die Erkenntnisse, die durch die Statistik gewonnen werden. Statistik im modernen Sinne ist nichts als die auf exakte Maßstäbe gebrachte Induktion, wenn auch fortwährend der Begriff einer besonderen Wissenschaft, die besser Demographie oder Ethologie genannt wird, damit konkurriert. Als solche ist sie ein sehr wichtiger Zweig der Soziologie, in ihrer Anwendung auf Beschreibung und Erklärung präsenter oder periodisch wiederkehrender Erscheinungen des sozialen Lebens. Freilich ist dies ein eigentümliches und besonderes Gebiet. Es unterliegt auch dem, was ich einerseits als biologische, anderseits als psychologische Ansicht des menschlichen Zusammenlebens bezeichne, als die eigentlich soziologische. Aber diese Ansichten sind so eng miteinander verwoben, daß die Soziologie jene beiden früheren in sich aufnehmen und digerieren [115] muß, wie sich schon in der Bevölkerungslehre an dem Punkte zeigt, wo ein so rein biologisches, aber psychologisch bedingtes Phänomen wie die Geburten in Verbindung gebracht wird mit der Sozialinstitution der Ehe und mit den Eheschließungen, das ist mit Akten, die nur durch soziologische Begriffe verstanden werden können. Nur die immer tiefer dringende, immer genauer werdende Beobachtung und Auslegung des gegenwärtigen sozialen Lebens wird uns das vergangene verstehen lehren und eine Prognose des zukünftigen wagen lassen. Dies Studium muß sich mit gleichem Eifer der Sitten und Lebensgewohnheiten der »wilden« wie der Kulturvölker bemächtigen. [116]

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Der Erfinder des Namens »Soziologie«, der oft auch als Begründer dieser Wissenschaft, nicht selten als ihr »Vater« hingestellt wird, meinte selber nicht, etwas schlechthin Neues ins Leben zu rufen. Ja, man kann sagen: Die Vorstellung, daß diese »fundamentale« Disziplin ihr Dasein erst beginne, steht in Widerspruch mit dem Grundgedanken der Comteschen »Hierarchie der positiven Wissenschaften«. Welcher Grundgedanke nämlich sagt, daß diese Wissenschaften mit der menschlichen Natur selber gegeben sind, weil zu jeder Zeit das Bedürfnis irgendwelcher »Theorie« zur Verbindung der Tatsachen bestehe. Nur der Stand ihrer Entwicklung sei verschieden und durch den allgemeinen Zustand des menschlichen Geistes bedingt, der von den theologischen Begriffen seiner Kindheit zu den metaphysischen des Jünglingsalters und von diesen zu den positiven und natürlichen des Mannesalters fortschreite. Also gab es auch von jeher eine »soziale Physik« – diesen Ausdruck wendet Comte im Discours préliminaire seines Cours noch ausschließlich auf jene letzte Fundamentalwissenschaft an, – aber dem Entwicklungsgesetze gemäß, das er entdeckt haben will, sei diese Lehre, deren Gegenstände die besondersten, kompliziertesten, konkretesten und am direktesten  für den Menschen interessanten seien, am längsten im (sagen wir kurz) vorpositiven Zustande geblieben und stecke noch darin, zumal  2

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Comtes Begriff der Soziologie – Die Arbeit liegt zweimal im Druck vor: Der Text geht auf einen Vortrag zurück, den Tönnies 1908 auf dem III. Internationalen Kongress für Philosophie in Heidelberg hält. In der Kongresspublikation (Tönnies 1909b, im Folgenden A, unter dem Titel gezeichnet »Von Ferdinand Tönnies«) ist der Vortrag enthalten. – Tönnies veröffentlicht die Arbeit noch einmal im ersten Heft des ersten und einzigen Jahrgangs der »Monatsschrift für Soziologie« (Tönnies 1909, im Folgenden B, unter dem Titel gezeichnet »Von Ferdinand Tönnies«). – Der Name Comte wird in B immer in Kapitälchen geschrieben, in A ist der Name durchgängig nicht hervorgehoben. Hier wird der Hervorhebungspraxis in A gefolgt. – Beide Veröffentlichungen sind in der Antiqua gesetzt. – Vgl. den Editorischen Bericht (S. 625). »Hierarchie der positiven Wissenschaften« – »la hiérarchie des sciences positives« ist das Thema der »deuxième leçon« des »Cours de philosophie positive« (Comte 1830: 57 ff.). Welcher Grundgedanke nämlich sagt – A: Dieser Grundgedanke sagt nämlich. Discours préliminaire seines Cours – Comte 1830.

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da sie noch speziellere Hemmungen zu überwinden gehabt habe und fortwährend habe. »Hier also ist die große, aber offenbar die einzige Lücke, die man noch auszufüllen hat, um die Konstitution der positiven Philosophie zu vollenden« (Cours de philos. positive I, 21). Nun meinte freilich Comte, daß er selber berufen sei, diese Lehre als Wissenschaft – in dem besonderen und höheren Sinne, den das Wort bei ihm gewinnt – zu begründen, zu schaffen oder zu konstituieren. Denn er fährt fort (a. a. O.): »Jetzt, da der menschliche Geist die Physik des Himmels, die Physik der Erde, mechanische sowohl als chemische, die organische Physik, sowohl die der Pflanzen als der Tiere, begründet hat, bleibt ihm noch vorbehalten, das System der Wissenschaften abzuschließen durch Begründung der sozialen Physik.« Begründung bedeutet hier eben nichts anderes als Überführung in ihren positiven, also definitiven Zu[117]stand. Comte rechnet sich zum Verdienste, den Terminus »Physique sociale« erfunden zu haben (Cours IV, 15), und verweist auf seine früheren kleinen Schriften, in denen er zuerst vorkomme. In der Tat taucht der Ausdruck auf im dritten dieser Opuscula, das im Mai 1822 als Stück des Catéchisme des industriels, den Saint-Simon herausgab, erschien. Der Titel dieser Abhandlung war damals »Plan des travaux nécessaires pour réorganiser la société«. »Da die Überlegenheit des Menschen über die anderen Tiere keine andere Ursache haben kann und wirklich nicht hat, als die relative Vollkommenheit seiner Organisation, so muß alles, was die menschliche Gattung gemacht hat und alles was sie machen kann, offenbar im letzten Grunde angesehen werden als eine notwendige Folge seiner Organisation, die in ihren Wirkungen durch den Zustand der Außenwelt modifiziert ist. In diesem Sinne ist die soziale Physik, d. h. das Studium der Kollektiventwicklung der menschlichen Gattung, in Wirklichkeit ein Zweig der Physiologie, d. h. des Studiums des Menschen,  4

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»Hier also ist die große … Philosophie zu vollenden« – »Voilà donc la grande, mais évidemment la seule lacune qu’il s’agit de combler pour achever de constituer la philosophie positive.« (ebd., 22). Lehre als Wissenschaft – A und B: Lehre als Wissenschaft. »Jetzt, da der menschliche Geist … sozialen Physik.« – »Maintenant que l’esprit humain a fondé la physique céleste, la physique terrestre, soit mécanique, soit chimique; la physique organique, soit végétale, soit animale, il lui reste à terminer le système des sciences d’observation en fondant la physique sociale.« (ebd.). – Falsche Übersetzung, auch in B, nach A korrigiert: »… die anorganische Physik, sei es der Pflanzen oder der Tiere, begründet …«. – Die Hervorhebung im Zitat durch Tönnies. Terminus »Physique sociale« erfunden zu haben – Vgl. Comte 1839: 7, Fn. früheren kleinen Schriften – A: frühen kleinen Schriften. Opuscula – Comte 1883 – A: Opuscules. Catéchisme des industriels – Saint-Simon 1822. »Plan des travaux nécessaires pour réorganiser la société« – Comte 1822 und 1883: 60–180.

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wenn es in seiner ganzen Ausdehnung begriffen wird. Anders ausgedrückt: die Geschichte der Zivilisation ist nichts anderes als die unerläßliche Fortsetzung und Ergänzung der Naturgeschichte des Menschen.« Damit ist der Grundsatz ausgesprochen, der die ganze zweite Hälfte (die drei letzten Bände) des Cours, d. i. die Darstellung der Soziologie darin, beherrscht. Der erste dieser drei Bände (in der ganzen Reihe der vierte) ist noch ausdrücklich als »soziale Physik« (oder »dogmatische Partie der sozialen Philosophie«) bezeichnet, und erst in seinem Zusammenhange begegnet zuerst der Terminus »Soziologie«, den Comte durch  folgende Anmerkung rechtfertigt (IV, 185 n.): »Ich glaube von jetzt an diesen neuen Terminus wagen zu sollen, der völlig gleichwertig ist mit meinem schon eingeführten Ausdruck ›soziale Physik‹, um mit einem einzigen Worte diese ergänzende Partie der natürlichen Philosophie bezeichnen zu können, welche auf das positive Studium der Gesamtheit der fundamentalen Gesetze, die den sozialen Phänomenen eigentümlich sind, sich bezieht. Die Notwendigkeit einer solchen Benennung, um der besonderen Bestimmung dieses Bandes zu entsprechen, wird, so hoffe ich, hier die letzte Ausübung eines legitimen Rechtes entschuldigen, das ich immer mit aller schicklichen Umsicht gebraucht zu haben glaube, und ohne aufzuhören, einen tiefen Widerwillen gegen jede Gewohnheit eines systematischen Neologismus zu empfinden.«

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»Da die Überlegenheit … Naturgeschichte des Menschen.« – »La supériorité de l’homme sur les autres animaux, ne pouvant avoir et n’ayant, en effet, d’autre cause que la perfection relative de son organisation, tout ce qu’a fait l’espèce humaine et tout ce qu’elle peut faire doit, évidemment, être regardé, en dernière analyse, comme une conséquence nécessaire de son organisation, modifiée, dans ses effets, par l’état de l’extérieur. En ce sens, la physique sociale, c’est-à-dire l’étude du développement collectif de l’espèce humaine, est réellement une branche de la physiologie, c’est-à-dire, de l’étude de l’homme, conçue dans toute son extension. En d’autres termes, l’histoire de la civilisation n’est autre chose que la suite et le complément indispensable de l’histoire naturelle de l’homme.« (Comte 1822: 175 f.). – Hiernach kein Absatz in A. zweite Hälfte (die drei letzten Bände) des Cours – Comte 1839, 1841, 1842. »oder dogmatische Partie der sozialen Philosophie« – »la partie dogmatique de la philosophie sociale« steht im Untertitel des 4. Bandes (1839). »Ich glaube … Neologismus zu empfinden.« – »Je crois devoir hasarder, dès à présent, ce terme nouveau, exactement équivalent à mon expression, déjà introduite, de physique sociale, afin de pouvoir désigner par un nom unique cette partie complémentaire de la philosophie naturelle qui se rapporte à l’étude positive de l’ensemble des lois fondamentales propres aux phénomènes sociaux. La nécessité d’une telle dénomination, pour correspondre à la destination spéciale de ce volume, fera, j’espère, excuser ici ce dernier exercice d’un droit légitime, dont je crois avoir toujours usé avec toute la circonspection convenable, et sans cesser d’éprouver une profonde répugnance pour toute habitude de néologisme systématique.« (hier zit. nach Comte 1839: 252, Fn.).

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Ganz im gleichen allgemeinen Sinne wendet aber Comte auch die Ausdrücke »Science sociale« und »Philosophie sociale« an. Wäre die französische Sprache in der Lage, wie die unsere, diese in einem Worte zu befassen (»Sozialwissenschaft – Sozialphilosophie«), so hätte er an[118] scheinend gar nicht das Bedürfnis empfunden, ja vielleicht es verschmäht, jenen trotz vielen Widerstrebens doch siegreich gewordenen Terminus in die Welt zu setzen. Das Wort »Sozialphysik«, das  freilich auch uns etwas sonderbar vorkommt, möchte seinen Wünschen noch besser entsprochen haben. Aber neben allen diesen Bezeichnungen erhält sich auch sehr lebendig bei ihm die früheste, in der er immer wieder das eigentliche Ziel seiner Bestrebungen festlegt, die Bezeichnung »positive Politik«. Als »System der positiven Politik« gab er schon 1824 das erwähnte dritte Opusculum neu heraus. Dreißig Jahre später nannte er diesen Titel »verfrüht«; er wollte ihn nun seinem zweiten großen Hauptwerk vorbehalten, das er eben in 4 Bänden vollendet hatte: »System der positiven Politik oder Traktat der Soziologie, der die Religion der Menschheit einrichtet« – wo aber der Titel zugleich die neue Phase seines Denkens bezeichnen soll, mit der er sich über den rein intellektualistischen Standpunkt des Cours erheben will, wenngleich er die wesentliche Einheit seiner »Laufbahn« immer wieder hervorhebt. Von dem Gedanken, die Politik zur positiven Wissenschaft zu machen, war schon der 20jährige Schüler Saint-Simons erfüllt. Hier lag der Ausgangspunkt seines Philosophierens überhaupt. Er kehrt immer wieder darauf zurück und unterscheidet zunächst nicht zwischen diesem Vorhaben und dem anderen, das soziale Leben oder die Zivilisation und ihren Fortschritt naturwissenschaftlich darzustellen. Freilich überwiegt im Cours bei weitem der Terminus Physique sociale. Aber in dem ersten großen Kapitel (der 46. Vorlesung), dem er den Titel gibt »Vorläufige politische Erwägungen über die Notwendigkeit und Zeitgemäßheit (opportunité) der sozialen Physik, gemäß der  fundamentalen Analyse des gegenwärtigen sozialen Zustandes« stellt er uns seine Doktrin bald als »die neue politische Philosophie«, bald als die »positive Politik« vor.

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einem – Die Hervorhebung nicht in B. Widerstrebens doch siegreich – A: Widerstrebens siegreich. »System der positiven Politik« – Comte 1824. »System der positiven Politik … Menschheit einrichtet« – »Système de politique positive, ou traité de sociologie, Instituant la Religion de l’Humanité« (Comte 1851–54). »Vorläufige politische Erwägungen … sozialen Zustandes« – »Considérations politiques préliminaires sur la nécessité et l’opportunité de la physique sociale, d’après l’analyse fondamentale de l’état social actuel.« (Comte 1839: 1).

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Die Leitgedanken sind hier  folgende: die heutigen Gesellschaften sind in einem beklagenswerten Zustande, in einer erschreckenden revolutionären Verfassung. Eine tiefe und mehr und mehr ausgedehnte Anarchie des gesamten intellektuellen Systems charakterisiert sie; herrührend von dem unvermeidlichen Zwischenzustand – einem »Interregnum« – durch den  fortwährend wachsenden Verfall der theologisch-metaphysischen Philosophie auf der einen Seite, die beständige, aber noch unvollendete Entwicklung der positiven Philosophie auf der anderen, die bisher zu eng, zu speziell und zu furchtsam war, um sich endlich der geistigen Regierung der Menschheit zu bemächtigen. Bis dahin muß man zurückgreifen, um den wirklichen Ursprung des schwankenden und widerspruchsvollen Zustandes gehörig zu erfassen, worin wir heute alle großen sozialen [119] Begriffe erblicken, eines Zustandes, der durch eine unbesiegbare Notwendigkeit das moralische Leben und das politische Leben so kläglich trübt; aber auch nur da kann man das allgemeine System der sukzessiven Operationen reinlich wahrnehmen, die, teils philosophisch, teils politisch, allmählich die Gesellschaft von dieser verhängnisvollen Neigung zu einer nahen Auflösung befreien und sie unmittelbar zu einer neuen Organisation hinführen müssen, die zu gleicher Zeit fortschrittlicher und dauerhafter sein wird als jene, die auf der theologischen Philosophie beruhte. In dieser Absicht soll die »gleich radikale Unfähigkeit der entgegengesetztesten politischen Schulen« charakterisiert werden, von denen die eine das Prinzip der Ordnung, die andere das des Fortschritts vertritt. Dagegen soll die »positive Politik« zeigen, daß diese beiden Ideale voneinander untrennbar und nur die beiden Seiten eines und desselben Prinzips darstellen, wie in der Biologie die Begriffe Organisation und Leben, von denen jene sogar im wissenschaftlichen Sinne »offenbar« herzuleiten sind. Die ganze Soziologie Comtes, wie sie in den drei Bänden des Cours sich darstellt, hat keinen anderen Inhalt. Sie beruht auf der Ansicht, daß unwissenschaftliche, also  falsche politische Lehren bisher die soziale Welt beherrscht und bestimmt haben. Die eine »Schule« von Urzeiten her, speziell aber im Mittelalter; die andere »Schule« während der letzten drei Jahrhunderte, also in der »Neuzeit«. Sie widersprechen einander aufs schärfste, jede ist auch widersprechend in sich. Jede hat ihr Verdienst, Comte will es unparteiisch würdigen. Die eine vertritt das wesentliche und notwendige Prinzip: Ordnung, die andere das wesentliche und notwendige Prinzip: Fortschritt. Jene ist ehemals wohltätig

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»gleich radikale Unfähigkeit der entgegengesetztesten politischen Schulen« – »… l’impuissance également radicale des écoles politiques les plus opposées …« (ebd., 9).

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und fördersam gewesen »für die Bildung und erste Entwicklung der modernen Gesellschaften«, während der letzten drei Jahrhunderte aber bei den  fortgeschrittensten Völkern rückschrittlich geworden, »durch den natürlichen Fortschritt der Intelligenz und der Gesellschaft«. Die andere ist »kritisch« und folglich pur revolutionär, sie verdient aber doch das Epitheton »fortschrittlich«, denn sie hat den hauptsächlichen politischen Fortschritten, die im Laufe der letzten drei Jahrhunderte erfüllt worden sind, »vorgestanden« (= präsidiert), diese mußten nämlich ihrem Wesen nach negativ sein. Das Übel ist, daß auch heute noch die Ideen des Fortschritts der kritischen oder revolutionären »Philosophie«, ebenso wie es vom Übel ist, daß auch heute noch die der Ordnung dem »theologischen und militärischen« System entlehnt werden. Man will vorwärts gehen und bringt nur Zerstörung zuwege, wie man unter dem Vorwande, zu organisieren, rückwärts schreitet. In Wahrheit sind beide Prinzipienreihen unfähig, »organisch« zu werden. Das sei aber ebenso [120] eine dritte »Meinung« oder »Doktrin« oder »Schule«: die »stationäre« Politik, die sich allmählich zwischen die rückschrittliche und die revolutionäre Lehre geschoben habe und gewissermaßen, ohne jeden unmittelbaren eigenen Begriff, aus den gemeinsamen Trümmern beider gebildet worden sei. Natürlich muß dann Comte beflissen sein, die unermeßlichen Vorzüge seiner »positiven Politik« vor der theologischen und metaphysischen, vollends vor der bloß vermittelnden Richtung herauszustreichen. Er spricht nun von ihr, bald und am häufigsten, als von der neuen politischen Philosophie, bald als von der sozialen Philosophie oder der sozialen Wissenschaft oder unter seinem alten Terminus der sozialen Physik und kommt dann endlich in der 47. Vorlesung, wo er die bisherigen »Versuche, eine Sozialwissenschaft zu

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»für die Bildung … der modernen Gesellschaften« – »… la formation et le premier développement des sociétés modernes …« (ebd., 17). rückschrittlich – Nur in A hervorgehoben. »durch den natürlichen Fortschritt der Intelligenz und der Gesellschaft« – »… le progrès naturel de l’intelligence et de la société.« (ebd., 18). »kritisch« und folglich pur revolutionär – »… sa doctrine, quoique exclusivement critique, et par suite purement révolutionnaire, n’en a pas moins mérité long-temps la qualification de progressive …« (ebd., 35). – Nach A Textverderbnis »nur revolutionär« korrigiert. »vorgestanden« (= präsidiert) – »présidé« (ebd.). – A: (»präsidiert«). System – Hervorgehoben in A. bringt nur Zerstörung – A: bringt eine Zerstörung. die »stationäre« Politik – »Organe propre et spontané de ces déplorables oscillations, une troisième opinion, essentiellement stationnaire, a dû graduellement s’interposer entre la doctrine rétrograde et la doctrine révolutionnaire, formée en quelque sorte, sans aucune conception directe, de leurs débris communs.« (ebd., 102).

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konstituieren«, erörtert und nach Montesquieu Condorcet erwähnt (von Saint-Simon geflissentlich schweigend), auf den Ausdruck »Soziologie«, der von da ab vorherrscht, ohne daß einer der übrigen Ausdrücke verschwindet und auch ohne daß irgend ein Unterschied ihrer Bedeutung angedeutet wird. So folgt denn die nicht weniger als 128 Seiten lange 48. Vorlesung, in der »die fundamentalen Merkmale der positiven Methode im rationellen Studium der sozialen Phänomene« entwickelt werden. Ich kann aber nicht dabei verweilen, setze auch als bekannt voraus, daß er die soziale »Statik«, die der »Dynamik« vorausgehen soll, nur summarisch behandelt hat, daß ihre Bedeutung durchaus zurücktritt, so daß die »soziale Dynamik« sich beinahe völlig deckt mit dem, was Comte – wenigstens im Cours – als Soziologie vorträgt. Diese »Dynamik« aber bedeutet eine Erörterung der »Gesetze« der Entwicklung, die sich für Comte in dem einzigen fast resümieren, das er entdeckt haben will: dem Gesetze der drei Stadien, dessen Bedeutung auf der Voraussetzung beruht, daß der intellektuelle Fortschritt die gesamte übrige Entwicklung beherrsche und bedinge. So wird Comtes Soziologie fast unmittelbar »Philosophie der Geschichte«, und er wendet auch diesen Ausdruck darauf an, an dessen Stelle er hin und wieder auch »historische Wissenschaft« setzt. Die Vielheit der Bezeichnungen, deren Wortsinn doch so mannigfach ist, verrät, daß ein klarer wissenschaftlicher Begriff nicht vorhanden ist. Im Eingange des 5. Bandes rechtfertigt er die Beschränkungen, die er sich in deren Abhandlung auferlegen müsse; namentlich, daß er seine ganze Erörterung nur auf eine einzige soziale Reihe, nämlich auf die Entwicklung der fortgeschrittensten Völker, auf die Elite oder

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»Versuche, eine Sozialwissenschaft zu konstituieren« – »47e Leçon. Appréciation sommaire des principales tentatives philosophiques entreprises jusqu’ici pour constituer la science sociale« (ebd., 225 ff.). Montesquieu Condorcet erwähnt (von Saint-Simon geflissentlich schweigend) – In A statt der Klammer Gedankenstriche. 48. Vorlesung – »48e Leçon. Caractères fondamentaux de la méthode positive dans l’étude rationnelle des phénomènes sociaux« (Comte 1839: 387–470). die soziale »Statik« – A: die »soziale Statik«. dem Gesetze der drei Stadien – Comte formuliert dies »Gesetz« schon 1822: »Par la nature même de l’esprit humain, chaque branche de nos connaissances est nécessairement assujettie dans sa marche à passer successivement par trois états théoriques différens; l’état théologique ou fictif; l’état métaphysique ou abstrait; enfin, l’état scientifique ou positif.« (Comte 1822: 71). »Philosophie der Geschichte« – »philosophie historique« (ebd., 711 und 736). diesen Ausdruck – A: diesen Ausdruck. »historische Wissenschaft« – »science historique« (ebd., 283 und 689). nicht vorhanden ist. Im Eingange – A: nicht vorhanden ist. – Im Eingange. namentlich, daß – A: vornehmlich, daß.

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Avantgarde der Menschheit, beziehe. Und dazu macht er eine methodologische Anmerkung, die, wie mir scheint, in den neueren Darstellungen nicht gehörig beachtet wird, nämlich daß eine solche Beschränkung schließlich darauf hinaus[121]komme, auch auf das Studium der sozialen Phänomene die kapitale Unterscheidung zwischen abstrakter Wissenschaft und konkreter Wissenschaft auszudehnen, die von ihm als für jeden denkbaren Gegenstand gültig aufgestellt worden sei. Er bezieht sich hier zurück auf die zweite Vorlesung seines Cours; klar durchgeführt hat er freilich weder dort noch hier diese Unterscheidung. Bald läßt er jede Wissenschaft, z. B. auch die Mathematik, einen abstrakten und einen konkreten Teil haben, und versteht unter dem konkreten einfach den mit weniger allgemeinen Begriffen operierenden, denn »abstrakt« und »allgemein« ist ihm gleichbedeutend. Bald meint er ganz verschiedene Wissenschaften, wie die Chemie und die Mineralogie, von denen diese die Begriffe und Gesetze, die in jener  festgestellt sind, anwende. Nun aber heißt es, der Gebrauch in der Geschichte der Soziologie müsse wesentlich abstrakt bleiben, es könnte »gewissermaßen nichts weiter sein als Geschichte ohne Namen von Personen, ja ohne Namen von Völkern«, wenn diese nicht doch stark dazu beitrügen, die Darlegung der Sache aufzuklären. Und diesen Gebrauch der Geschichte nennt er nun bald die abstrakte Ausarbeitung der fundamentalen Gesetze der sozialen Entwicklung, bald die abstrakte Aufstellung der fundamentalen Gesetze der Sozialität, die man doch eher von der Statik hätte erwarten mögen. Auf diese kommt Comte allerdings zurück im Système de politique positive, und er anerkennt hier selber die Notwendigkeit einer eingehenderen Darstellung, als sie im Cours erfahren habe. Er widmet ihr den ganzen zweiten Band des vierbändigen Werkes. Man streitet über die Bedeutung, die dem Système  1  2  6 17

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auf die Elite oder Avantgarde der Menschheit – Vgl. Comte 1841: 4. methodologische Anmerkung – Vgl. ebd., 20 f. zwischen abstrakter Wissenschaft und konkreter Wissenschaft – A: zwischen »abstrakter« Wissenschaft und »konkreter« Wissenschaft. »gewissermaßen nichts weiter sein … Namen von Völkern« – »Ainsi, quelque indispensable fonction que doive remplir l’histoire en sociologie, comme je l’ai suffisamment expliqué au quarante-huitième chapitre, pour alimenter et pour diriger ses principales spéculations, on voit que son emploi y doit rester essentiellement abstrait: ce n’y saurait être, en quelque sorte, que de l’histoire sans noms d’hommes, ou même sans noms de peuples, si l’on ne devait éviter avec soin toute puérile affectation philosophique à se priver systématiquement de l’usage de dénominations qui peuvent beaucoup contribuer à éclairer l’exposition ou même à faciliter et consolider la pensée, surtout dans cette première élaboration de la science sociologique.« (ebd., 14) – An- und Abführung nach Comtes Text korrigiert. Système de politique positive – Comte 1851–54. zweiten Band des vierbändigen Werkes – »La Statique sociale ou le Traité abstrait de l’être humain« (1852).

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im Verhältnis zum Cours zuzuschreiben sei. Ich bin der Meinung, daß man, um dem Soziologen Comte gerecht zu werden, das Système nicht als eine bloße Verirrung abtun darf, wie nach Stuart Mill auch Barth zu meinen scheint, wenn er auch als Grund für seine Beschränkung auf den Cours angibt, daß nur dieser und nicht die spätere subjektive Phase »fruchtbar nachgewirkt« habe. Auch Alengry, dessen tüchtige Monographie sich  freilich auf das Système miterstreckt, urteilt, die neue Methode lenke ihn von jeder wirklichen soziologischen Untersuchung ab, und obgleich er hier den statischen Gesichtspunkt vorwalten lassen wolle, so seien es nicht statische Gesetze, die er aufstelle, sondern »abstrakte und allgemeine Betrachtungen über das Eigentum, die Familie, die Sprache und die Gesellschaft«. Wenn Comte sich über die statischen Gesetze getäuscht hat, so hat er sicherlich auch über »dynamische« sich Illusionen hingegeben. Daß aber seine Betrachtungen »abstrakt und allgemein« seien, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden; es ist ja, was er ausdrücklich gewollt hat. Der besondere Titel des Bandes ist Statique sociale ou traité abstrait de l’ordre humain, und er hebt gleich am Eingange [122] hervor, der Geist der »statischen Soziologie« sei einfacher, allgemeiner und abstrakter als derjenige der dynamischen, und sie bilde das direkte Band zwischen der Finalwissenschaft und der Gesamtheit aller vorausgehenden Wissenschaften. In der Tat sind jene Betrachtungen nicht wahllos aneinander gereiht, sondern sollen den notwendigen Elementen der sozialen Ordnung gewidmet sein, die nach Comte den wesentlichen Teilen unseres zerebralen Daseins: Tätigkeit (es könnte dafür auch heißen

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nach Stuart Mill – In »his second career« Comte »came forth transfigured as the High Priest of the Religion of Humanity.« Das schließt für Mill »all his writings … except the Cours de Philosophie Positive« ein (Mill 1866: 125). nur dieser – A: nur diese. »fruchtbar nachgewirkt« – Barth 1897: 24 Fn. Alengry, dessen tüchtige Monographie – »Essai historique et critique sur la sociologie chez Auguste Comte« (1900). »abstrakte und allgemeine Betrachtungen … Sprache und die Gesellschaft« – »Mais la méthode nouvelle qu’il emploie dans cet ouvrage [Système II] le détourne de toute recherche réellement sociologique, et ce ne son pas des lois statiques qu’il expose, mais des considérations abstraites et générales sur la propriété, la famille, le langage et la société.« (ebd., 487). Statique sociale ou traité abstrait de l’ordre humain – So der Titel des zweiten Bandes des »Système de politique positive« (Comte 1851–54 II). gleich am Eingange – A: gleich im Eingange. allgemeiner und abstrakter – A: allgemeiner und abstrakter. Finalwissenschaft – A: »Finalwissenschaft«.

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Wille), Gefühl und Intelligenz entsprechen. Diesen drei Kapiteln läßt er aber vorangehen eine »positive Theorie der menschlichen Einheit«, die nunmehr für ihn gleichbedeutend ist mit einer allgemeinen Theorie der Religion, und hierin liegt allerdings eine entschiedene Neuerung gegenüber dem Cours, während im übrigen der Geist dieser Ausführungen nicht so sehr abweicht von denen, die dort skizziert wurden. Schon dort ist der streng theoretische Gesichtspunkt überwuchert von den Zielen des Reformators, des Propheten, der sich zuletzt entwickelt hat zum Religionsstifter. Aber seine Religion ist doch eine Vernunftreligion und liegt durchaus in der Richtung, die auch früher als Mission der positiven Philosophie bedeutet war; nur daß jetzt nicht mehr allein und nicht einmal mehr hauptsächlich an den »Kopf«, sondern hauptsächlich an das »Herz« appelliert wird; die Erfüllung des »Kopfes« mit wissenschaftlicher Denkungsart bleibt aber immer Voraussetzung. Mit Recht konnte sicherlich in dem Briefe an Vieillard vom dritten Aristote 64 (28. Februar 1852) Comte sich auf dessen Zeugnis dafür berufen, daß er seit 30 Jahren als bestimmtes Ziel im Auge gehabt habe, die geistliche Macht, die im Mittelalter auf so bewundernswerte Art entwickelt gewesen sei, in würdiger Weise zu »rekonstruieren«, und daß es eine notwendige Konsequenz seines Gedankens gewesen sei, die moralische Überlegenheit des »Positivismus« auf die Höhe der vorher etablierten intellektuellen zu erheben. Schon in dem fünften der Opuscula (März 1826), wo er die Tendenz der modernen Völker auf eine »spirituelle Organisation« als notwendig begründen will, erklärt er das Wort »spirituell« durch den Zusatz: »d. h. intellektuell und moralisch«. – Als »Soziologie« in einem strengen und wissenschaftlichen Sinne kann aber weder das spätere noch das frühere  1  2

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Tätigkeit (es könnte dafür auch heißen Wille), Gefühl und Intelligenz – In A keine Hervorhebungen. »positive Theorie der menschlichen Einheit« – Das erste Kapitel des zweiten Bandes ist überschrieben: »Théorie générale de la religion, ou théorie positive de l’unité humaine« (ebd., 7 ff.). Briefe an Vieillard – Dokumentiert in Comte 1984: 240–250. – »Vous, Monsieur, qui, depuis trente ans, observez avec soin ma marche philosophique, vous savez que dès lors j’eus directement pour but avoué de reconstruire dignement le pouvoir spirituel, admirablement ébauché au moyen âge.« (ebd., 246) – »Néanmoins, ce double résultat organique ne pouvait être activement réalisé si la supériorité morale du positivisme n’était pas enfin mise au niveau de sa [pouvoir spirituel au moyen âge] supériorité mentale.« (ebd., 247). fünften der Opuscula (März 1826) – »Considérations sur le pouvoir spirituel« (Comte 1883: 235–289). »d. h. intellektuell und moralisch« – »… l’état social vers lequel tendent les peuples modernes nécessite, tout aussi bien que celui du moyen âge, soit sous le rapport actif, soit même sous le rapport passif, et par des motifs, les uns généraux, les autres spéciaux, une organisation spirituelle (c›est-à-dire intellectuelle et morale), tant européenne que nationale.« (ebd., 289). – In A danach kein Gedankenstrich.

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Werk gelten. Diese muß in erster Linie die Wirklichkeit und nicht ein Ideal des sozialen Lebens ins Auge fassen. Sie muß Denkmittel schmieden, um diese Wirklichkeit zu verstehen – dafür ist vor Comte manches, durch ihn wenig geschehen. Die bleibende Bedeutung seiner Soziologie liegt in einer andern Sphäre. Sie stellt nicht eine Begründung, sondern eine Krönung dar, nicht ein Piedestal, sondern ein Kapitäl. [123]

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XXIII. Die Aufgabe der Soziologie Es hängt von unserm Willen ab, wie wir Wesen und Aufgabe der Soziologie bestimmen. Wir müssen zu einer Einigung darüber gelangen; und diese wird um so wahrscheinlicher sein, je mehr unser Wille vernünftig begründet ist. Es scheint nun unabweisbar, Soziologie als eine Lehre vom Zusammenleben zu erklären; und dies ist in der Tat nicht mehr als eine Worterklärung. Die Erscheinungen des Zusammenlebens begegnen bei Pflanzen und bei Tieren: diese Erscheinungen  fallen daher auch in das Bereich der Biologie: die Soziologie ist in dieser ihrer Wurzel noch ein Teil der Biologie. Sie löst sich davon ab: unter den Tieren ist das Zusammenleben mit sicher erkennbaren psychischen Tatsachen verbunden, vorzugsweise mit Gefühlen, die sich darauf beziehen, aber auch mit Empfindungen und Vorstellungen, die daraus hervorgehen. In diesem Gebiete ist die Soziologie noch in der Psychologie enthalten. Erst als Lehre vom menschlichen Zusammenleben gewinnt sie ihr eigentümliches Objekt: die im Bewußtsein des Menschen vorhandenen Tatsachen des Zusammenlebens. Diese teile ich ein in: 1. soziale Verhältnisse, insofern als sie von den Individuen, die in ihnen leben, als solche anerkannt und bejaht werden, 2. soziale Willensformen, insofern als in jedem sozialen Verhältnisse gemeinsames Wollen (eben des Verhältnisses)  2

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Die Aufgabe der Soziologie – Die im ersten und einzigen Jahrgang 1909 erschienene »Monatsschrift für Soziologie« organisiert die Umfrage »Was ist das Objekt bzw. die Aufgabe der Soziologie«. Tönnies’ Text wird als die vierte, nach René Worms, Achille Loria und Lester F. Ward erste Antwort eines deutschsprachigen Soziologen veröffentlicht. (Monatsschrift für Soziologie 1.1909: 89–91; Tönnies 1909a; im Folgenden A). – Die Zeitschrift ist in der Antiqua gesetzt. – Vgl. zur Umfrage im Editorischen Bericht S. 627. vernünftig begründet ist. – In A am Ende des Absatzes eine Fußnote: »Meine Ansicht über Objekt und Aufgabe der Soziologie habe ich teils in meinen ehemaligen Jahresberichten im Archiv für systematische Philosophie (Band II–VIII), teils in dem Gehestiftungs-Vortrage ›Das Wesen der Soziologie‹ (Dresden 1907) ausgesprochen. In Kürze wiederhole ich sie auch in der Abhandlung ›Die Entwickelung der Soziologie in Deutschland im neunzehnten Jahrhundert‹, welche einen Teil der ›Festgabe für G. Schmoller‹: Die Entwickelung der Volkswirtschaftslehre in Deutschland im neunzehnten Jahrhundert ausmacht.« – Vgl. die Jahresberichte (Tönnies 1896, 1898, 1900–1902), den Vortrag (Tönnies 1907, später noch einmal in SSK I), den Beitrag zur Festschrift hier S. 124 ff.

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enthalten ist und als durch dies Wollen Gewolltes, also ein Produkt gemeinsamen Wollens gesetzt wird, 3. soziale Verbindungen, die zu diesem Produkte gehörend, im Bewußtsein des Menschen eine quasi-objektive Realität gewinnen und dadurch (scheinbar) unabhängige Träger sozialen Wollens werden. – Eine Theorie der sozialen Verhältnisse, der sozialen Willensformen und der sozialen Verbindungen nenne ich die reine Soziologie1. Sie bezieht sich ausschließlich auf Begriffe, d. i. auf Gebilde unseres Denkens, die, wenngleich auf Erfahrung beruhend, doch ihrem Wesen nach von ihr unabhängig sind. Sie müssen geeignet sein, als Maßstäbe zu dienen, um die Beziehungen zwischen Inhalten, die in der Erfahrung gegeben sind und verglichen werden sollen, auszudrücken. Der systematische Gebrauch solcher [124] Begriffe zu diesem Zwecke ergibt die angewandte Soziologie. Ich verstehe also als angewandte Soziologie keineswegs eine technische Lehre von irgendwelcher Praxis – in deutschem Sprachgebrauch sind wir gewöhnt, dies alles in Politik hineinzulegen –, sondern eine streng theoretische Darlegung und Erklärung wirklicher Erscheinungen und Vorgänge. Ich unterscheide aber von dieser gesamten philosophisch begründeten Soziologie den Namen Soziologie, sofern er als ein bloßer Sammelname  für alle Forschungen und Studien gebraucht werden mag, die sich auf das soziale Leben des Menschen und dessen »Geschichte« beziehen. Diese berühren sich allerdings mit der angewandten Soziologie, aber sie sind rein empirisch und nicht wesentlich durch eine soziologische Theorie bedingt. Freilich werden sie, indem sie als soziologische charakterisiert werden, auf diese Theorie – als die eigentliche Soziologie – hingewiesen; wie auch wiederum viele von ihnen dazu angetan sind, diese Theorie zu bereichern und zu vertiefen. Ganz ähnlich ist Biologie im eigentlichen Sinne die Lehre vom Leben, hat also mit den verschiedenen Gattungen der Organismen nur insofern sich zu befassen, als sie das Merkmal des Lebens gemeinsam haben; aber dies hindert nicht, als Biologie auch die Gesamtheit der Untersuchungen zu verstehen, die sich auf irgendwelche Pflanzenfamilien oder Tiergattungen beziehen, die Summe und Gesamtheit aller botanischen und zoologischen Studien. Die eigentliche (reine) Biologie wird sich aus diesen heraussaugen, was sie zu ihrer Nahrung braucht, wie sie auch befruchtend darauf zurückwirkt. [125] 1

Neuerdings anders gefaßt. Vgl. Erste Sammlung S. 368 Anm.

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Neuerdings anders gefaßt – Die Fußnote fehlt in A. – Die Anmerkung, auf die Tönnies sich bezieht, steht am Ende des neuen Abdrucks der Abhandlung »Das Wesen der Soziologie« (Tönnies 1907) in SSK I: 350–368 [TG 15: 477–498]. Tönnies beschreibt in dem Text die Entwicklung der Begrifflichkeit seiner »reinen Soziologie« seit der Erstveröffentlichung der Schrift. – Die letztgültige Fassung seiner Begriffe wird Tönnies 1931 in seiner »Einführung in die Soziologie« (TG 21) präsentieren.

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XXIV. Wege und Ziele der Soziologie Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages (Eröffnungsrede) Hochansehnliche Versammlung! Ich habe die Ehre, im Namen des Präsidiums den Ersten Deutschen Soziologentag hiermit zu eröffnen. Wenn es erlaubt wäre, in einem für heutige Gewohnheiten sehr gemäßigten Reklame-Stil zu reden, so möchte ich meine Rede beginnen mit den Worten: »Der Soziologie gehört die Zukunft.« Ich begnüge mich aber, die Erwartung und Hoffnung auszusprechen: »Die Soziologie hat eine Zukunft.« Ich habe aber mir weder vorgesetzt, – weil es ein viel zu großes Thema wäre – ihren gegenwärtigen Stand, noch ihre etwaige Zukunft zu behandeln, sondern will, mit Ihrer Erlaubnis, versuchen, die Wege und Ziele der Soziologie andeutend zu verfolgen, gemäß der Vorstellung, die der Begründung unserer Gesellschaft zugrunde gelegt wurde. Die Soziologie ist in erster Linie eine philosophische Disziplin. Sie ist als solche viel älter als ihr Name; der Name hat sie nicht geschaf-

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Wege und Ziele der Soziologie – Tönnies’ Eröffnungsrede markiert den Umfang und akademischen Anspruch des Faches Soziologie ebenso wie sie sich in Nuancen kritisch, insgesamt aber dem Gebot der »Werturteilsfreiheit« zustimmend, mit der Frage von Wissenschaft und Werturteil auseinandersetzt. – Der Titel der Eröffnungsrede des Soziologentages von 1910 (Tönnies 1911, im Folgenden A) steht im Inhaltsverzeichnis des Tagungsbandes und im Kolumnentitel rechts (Verhandlungen 1911), nicht aber über dem Text selbst. Dort vielmehr »Donnerstag den 20. Oktober Vormittag. | Vorsitzender Professor Dr. F. Tönnies (Kiel-Eutin).« – Am Vorabend (dem »Begrüßungsabend«) hatte Georg Simmel zur »Soziologie der Geselligkeit« vorgetragen (Verhandlungen 1911: 1–16). – Die Verhandlungen sind in der Antiqua gesetzt. – Zu Tönnies’ Rolle bei der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und auf dem ersten deutschen Soziologentag vgl. im Editorischen Bericht S. 631. hiermit – A: hiemit.

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fen, auch der Erfinder des Namens hat sie nicht ins Leben gerufen. Die Spekulationen über das Wesen der menschlichen Gesellschaft, insbesondere der politischen Verbindungen, hingen immer mit den Ideen einer gesitteten und guten Lebensführung und Lebensgestaltung nahe zusammen. Die Philosophen sollten ja Wegweiser des Lebens sein, sie wollten die richtigen Wege finden und führen. So ist denn die Entwicklung der reinen theoretischen Soziologie, die man auch Sozialphilosophie nennen mag, unablösbar von der Geschichte der Rechtsphilosophie, mithin auch von der allgemeinen Staatslehre, von denen in neueren Zeiten die Theoreme vom richtigen wirtschaftlichen Leben, vom Wohlstande und, im Anschluß daran, von den natürlichen und gesetzmäßigen Zusammenhängen der Produktion, des Austausches und der Konsumtion, sich abgezweigt haben. Wir bemerken nun sogleich, daß in diesen Gebieten alles Erkenntnisstreben sich langsam und schwierig ablöst von Zweckvorstellungen, mit anderem Worte, vom Wünschen und Wollen, also von praktischen Ideen und Tendenzen. Auch kann diese Scheidung vielleicht nie vollständig und absolut vollzogen werden. Im organischen Leben begegnen uns über[126]all die Gegensätze des Normalen und der Anomalien, der physiologischen und der pathologischen Erscheinungen, des Gesunden und des Kranken, des Lebensgewissen und des dem Untergange Verfallenen. Kein Wunder daher, daß auch das soziologische Denken um das natürliche, normale oder richtige Recht, um den rationalen und den besten Staat, um ideale Gesetzgebungen als die von der Natur oder von der Vernunft gebotenen immer sich innig bemüht hat; daß also seine Lehren als ein Bestandteil der allgemeinen philosophischen Ethik erschienen, die noch neuerdings von berufener Seite als das eigenste Problem, als das Zentrum der Philosophie, worin sie ihre Selbständigkeit und Eigenart und alsbald auch ihre Einheit gewinne, bezeichnet wurde. Es liegt mehr als zufällige Notwendigkeit in diesem Zusammenhange, es ist in der Tat ein wesentlicher Zusammenhang; denn im letzten Grunde steht all unser Denken und Erkennen im Dienste des Wollens; und so roh die Berufung auf den Nutzen erscheinen mag, so wenig dem einzelnen Forscher an der Anwendbarkeit und Verwertung seiner Ergebnisse gelegen sein mag – als soziale Erscheinung ist auch das Gedeihen und der Fortschritt aller Wissenschaft irgendwie bedingt, so dünn auch oft die verbindenden Fäden sind, durch soziale Bedürfnisse, die es tragen und  fördern, und die sozialen Bedürfnisse richten sich immer auf die Bekämpfung, so sehr als möglich die Überwindung sozialer Übel, sie rin-

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auch der Erfinder des Namens hat sie nicht ins Leben gerufen – Vgl. hier zu Comte einen kurzen Eintrag Tönnies in einem Notizbuch (hier: S. 626).

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gen um die Gestaltung und Erreichung sozialer Güter, der menschlichen Ideale. Es möge dahingestellt bleiben, ob es absolute Übel, absolute Güter für die Menschen gebe. Die philosophische Ethik und Rechtsphilosophie, in ihrer traditionellen Gestalt, ruhen auf der Annahme, daß diese Frage zu bejahen sei. Im 18. Jahrhundert glaubte man daran, im 19. ist man überwiegend kritisch, ja skeptisch dagegen geworden. Aber auch die Ethik, und vollends die Rechtsphilosophie, insbesondere das rationale »Naturrecht« haben einen objektiven begrifflichen Erkenntnisgehalt, der von Bejahung oder Verneinung jener Frage unabhängig ist: das ist eben ihr soziologischer oder sozialphilosophischer Gehalt, eine Lehre von den möglichen und wirklichen, (daher auch von den notwendigen) sittlichen und rechtlichen Beziehungen, Verhältnissen und Verbindungen der Menschen. Diese Lehre läßt sich namentlich aus dem »Naturrecht« herausschälen, um ein Stück höchst wichtiger theoretischer Soziologie aus ihr zu gewinnen. Denn Differenzierung, Scheidung, Arbeitsteilung ist ja das große Gesetz der Entwicklung. Darum wachsen und entfalten die Wissenschaften sich um so kräftiger, je mehr sie von allen unmittelbaren und mittelbaren Einflüssen der Willenstendenzen der praktischen Interessen sich ablösen und befreien. Je mehr sie ihre eignen Wege gehen und die Erkenntnis der Begriffe, ihrer Zu[127]sammenhänge und Konsequenzen, sowie Erkenntnis der Tatsachen, ihrer Ursachen und ihrer Wirkungen zum Selbstzweck erheben und den Praktikern überlassen, ob sie und welchen Gebrauch sie von den Erträgen des reinen Denkens und Forschens machen wollen. In bezug auf die Begriffe und Tatsachen des sozialen Lebens hat dies Leitmotiv noch nicht genügende Anerkennung und Würdigung gefunden. Die Idee der reinen theoretischen Einsicht, der Betrachtung und Beobachtung sozialer Vorgänge unserer Umgebung, als ob sie Vorgänge auf dem Monde wären, die uns gar nichts angehen, die Ansicht der menschlichen Leidenschaften und Bestrebungen, als ob sie Winkel im Dreiecke oder berechenbare Kurven wären, sieht in den heutigen, zumal den öffentlichen Betrieb dieser Disziplinen noch ziemlich  fremd hinein. Freilich ist an den deutschen Universitäten die theoretische von der praktischen Nationalökonomie getrennt worden. Dies bedeutete für die Theorie allerdings einen großen Fortschritt, auch hält sich die praktische oder Volkswirtschaftspolitik vorzugsweise an die Beschreibung der tatsächlichen Verhältnisse, in die sich der Staat im wirtschaftlichen Leben gesetzgeberisch gestellt hat und noch stellt. Sie hat vorzugsweise einen historischen und statistischen Charakter, aber sie pflegt sich doch nicht des Versuches zu enthalten, wissenschaftlich zu begründen, was sein solle, was das Heilsame und Richtige sei, und wenige Gelehrte wird es geben, die nicht den Gedanken, daß sie dabei

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durch irgendwelche andere Beweggründe und Interessen bestimmt würden, als durch ihre Sorge für das Gemeinwohl, durch ihre freie und redliche Überzeugung, daß eine solche und solche Politik allein richtig sei – die nicht jeden Verdacht einer außerwissenschaftlichen Motivierung mit Entrüstung von sich wiesen. Sie meinen, wie der Arzt am Krankenbette, auf Grund einer wohlüberlegten, zutreffenden Diagnose, das Rezept zu verschreiben, dessen Inhalt die Heilung des Kranken bewirke oder wenigstens befördere, oder wie der Hygieniker die Diät und das Regime zu gebieten, das zur Erhaltung und Stärkung der Gesundheit dienlich oder sogar notwendig sei. In der Tat weiß auch das Publikum den Unterschied wohl zu würdigen, ob etwa ein berühmter Gelehrter das Argument des Freihandels geltend macht, oder ob der Inhaber einer Welthandelsfirma im gleichen Sinne sich ausspricht – von diesem verlangt es nicht, daß seine Meinung durch etwas anderes als durch sein Interesse bestimmt werde, von jenem erwartet es ein unparteiisches Urteil – der Denker soll über den Parteien und Interessen stehen. Dies ist wirklich in einem nicht geringen Maße der Fall, wenngleich dadurch nicht ausgeschlossen wird, daß sein Urteilen, sein Wertschätzen, sein Streben, wie seine ganze Persönlichkeit mit [128] ihrem Temperament, ihrem Charakter, ihrer Weltanschauung, wesentlich bedingt wird durch seine Abstammung und Erziehung, darin wurzelnde Gefühle und Neigungen wie Abneigungen, durch persönliche und sachliche Zusammenhänge mit seiner Umgebung wie mit seiner eigenen Vergangenheit, daß es also von dem Einfluße, oder sagen wir von den Banden des Wollens und Wünschens niemals sich völlig befreien kann, und daß dies Wollen und Wünschen, so rein es subjektiv auf ein Allgemeines gerichtet sein möge, objektiv-tatsächlich doch eine Seite, einen Teil vorzieht, an den eben, zumeist aus mehr als einer Ursache, das eigene Wohl oder doch die eigene Stimmung unlösbar geknüpft zu sein pflegt. Nur hieraus ist zu erklären, daß jede Seite, jede Partei, ihre Denker hat, ihre geistigen und wissenschaftlichen Förderer, ihre vielleicht subjektiv unparteiischen Parteigenossen, die sie nicht, wie Sachwalter, Sekretäre und Redner, mit Geld, sondern höchstens mit Achtung und Ehre bezahlen kann und will – denn »das sind sie alle, alle ehrenwert«, wie wir zu ihrer Ehre annehmen mögen. Auch am Krankenbette gibt es verschiedene Meinungen konsultierender Ärzte, nicht nur über das Wesen der Krankheit, ihren voraussichtlichen Verlauf usw., sondern, zum Teil infolge davon, auch über die richtige

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»das sind sie alle, alle ehrenwert« – Zitat aus »Julius Caesar« von Shakespeare (1797: 228).

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Behandlung, die zweckmäßigen Heilmittel. Hier ist wenigstens der Zweck deutlich und leicht begreifbar: die Gesundung und das möglichst lange Leben des Patienten. Gewiß: so wollen wir alle auch die Gesundung und das möglichst lange Leben unseres Volkes, oder, was freilich schon ganz andere Standpunkte bezeichnet, der Menschheit, der westeuropäischen Kultur oder wie wir sonst unsere Ideale bezeichnen mögen – auch wenn wir an unsere Nation uns halten, so ist sie bei weitem nicht ein so einfaches, sinnlich wahrnehmbares Wesen, an dem sich die Zeichen der Gesundheit oder Krankheit so leicht erkennen lassen, wie am einzelnen Menschen; und die Analogie versagt an vielen Stellen gleich der zugrunde liegenden vom sozialen Körper oder Organismus. Eine konjekturale und dem Irrtum stark ausgesetzte Kunst ist auch die Medizin; aber wir vertrauen uns selber, wir vertrauen den uns teuersten Leib dem Gutachten eines Arztes, in schweren Fällen dem Beschlusse eines Kollegiums an; freilich behalten wir uns selber oder dem Kranken die Entscheidung vor, ob etwa eine lebengefährdende Operation geschehen solle. In der sozialen Pathologie sind Patient und Ärzte nicht einmal scharf und offenbar getrennte Personen. Die Nation kann nur durch – berufene oder auserwählte? – Vertreter sprechen, und diese wollen zugleich ihre Ärzte sein. Ob sie, ob Teile von ihr überhaupt für krank zu erachten seien, darüber herrscht keineswegs Übereinstimmung, geschweige über die Natur der Krankheit, über [129] den Sitz des Übels. Und wenn in manchen gegebenen Fällen die Übereinstimmung der gesetzgebenden Faktoren, von denen jeder mit Stimmenmehrheit beschließt, dem Ergebnisse einer ärztlichen Beratung verglichen werden kann, so ist es fast immer höchst fragwürdig, ob und wieweit von diesen Faktoren auch nur der Anspruch auf ein wissenschaftlich begründetes Urteil mit Recht erhoben werden möge; tatsächlich gibt das wissenschaftlich unbegründbare Wünschen und Wollen regelmäßig und anerkanntermaßen den Ausschlag. Vollends ist dies der Fall, wenn die Laune und die mehr oder minder geringe Einsicht eines einzigen Menschen, der gleich einem unter wilden Völkerschaften waltenden Zauberpriester auf Eingebung und Gnade der Götter seine vermeintliche Weisheit zurückführt, wenn ein Wille von dieser Art die bestimmende Macht im Staate wie in der Kirche darstellt. Es bleibe dahingestellt, ob nicht der Aberglaube selber ein wesentliches Element der Kraft und Stärke des Willens, der Energie, die von des Gedankens Blässe nicht angekränkelt ist, bedeute. Ich meine allerdings, 11 36

konjekturale – Svw. deutende. von des Gedankens Blässe nicht angekränkelt – »Von des Gedankens Blässe angekränkelt« ist ein zur Redewendung gewordenes Zitat aus Shakespeares Hamlet (3. Akt, 1. Szene): »And thus the healthful face of resolution | Shews sick and pale with thought.« (Shakepeare 1703: 36).

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daß dies in hohem Maße der Fall ist, und das gleiche gilt von allen Leidenschaften und Begeisterungen, von allen parteiischen Vorurteilen und vorgefaßten Meinungen, es gilt von der Blindheit und Einfalt des Gemütes, die oft in Unschuld »ahnt, was kein Verstand der Verständigen sieht«, also auch zuversichtlich ist, wo die Reflektion skeptisch und zaghaft macht. Und doch wird uns diese Anerkenntnis niemals bewegen, einem kindlichen Gemüte in irgendeinem Sinne unser Schicksal anzuvertrauen: so wenig die Gesetzgebung zur Bekämpfung sozialer Übel, als die Heilung unseres Körpers, als den Bau unserer Häuser oder Schiffe machen wir von Eingebungen natürlicher oder gar übernatürlicher Art abhängig, wenn wir vernünftige, besonnene, gereifte Menschen sind – ob wir dies sind, und wieviele solche namentlich in Angelegenheiten des Gemeinwohles es schon gebe, das ist eine andere Frage. Die Menschheit ist in ihrem dunklen Drange doch wohl des rechten Weges sich hinlänglich bewußt geworden, daß Vernunft und Wissenschaft ihre allerhöchste Kraft darstellen, daß sie diesen Wegweisern allein auf die Dauer, und je mächtiger, je mehr sie innerlich gefestigt und zusammenhängend werden, um so mehr vertrauen soll und will. Wir dürfen auch nicht uns daran irre machen lassen, daß eben für die politische Praxis endlich die wissenschaftliche Erkenntnis zu richtiger und entscheidender Geltung kommen muß, daß durch sie das parteiische Wollen zu einem Totalitäts-Wollen erhoben werden kann, daß der Staatsmann wenigstens annähernd mit derselben Sicherheit und Gewißheit wie der Arzt erkenne, was notwendig, was richtig und [130] heilsam ist, und daß nach dieser Erkenntnis zu handeln die gesetzgebenden Körperschaften als von selbst verständliche Pflicht verstehen werden. In das Licht dieses großen Zukunftsgedankens möge die Soziologie sich stellen, die der Erfinder ihres Namens vor- wie nachher unter dem gleichen Gesichtspunkte auch positive Politik nannte; positiv aber bedeutete für ihn streng wissenschaftlich, im Gegensatze zu theologischen und metaphysischen Vorbegriffen und Voraussetzungen. Niemand von uns aber glaubt, daß die Sache so einfach ist, wie Auguste Comte sie sich dachte; der durch seine Philosophie der Geschichte und das Gesetz der 3 Stadien des Erkennens das Programm  für unser Zeitalter hinlänglich zu begründen meinte, nach einem Schema, das  5

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,,ahnt, was kein Verstand der Verständigen sieht« – Tönnies variiert Schillers Gedicht »Die Worte des Glaubens«: »Und was kein Verstand der Verständigen sieht, | Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt.« (Schiller 2005 I: 437). bewußt geworden, daß – A: bewußt, daß. der Erfinder ihres Namens – Vgl. zur Bezugsstelle bei Auguste Comte ed. Fn. zu Z. 21, S. 197.

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ganz der Hegelschen Dialektik von These-Antithese-Synthese analog ist, und sich darin resümiert, daß die Aufgabe der wissenschaftlichen Politik sei, die soziale Ordnung, die im Mittelalter als Gebilde theologischer Politik in der Kirche bestanden habe, verbunden mit der Freiheit und dem Fortschritt, den ihre Negation, die metaphysische Politik und die Revolution, ins Leben gerufen habe, also auf neuer Basis wiederherzustellen. Wir lassen alle Zukunfts-Programme, alle sozialen und politischen Aufgaben aus dem Spiele; nicht weil wir sie verachten, sondern in Konsequenz des wissenschaftlichen Gedankens, weil wir die Schwierigkeiten, solche Ideen wissenschaftlich zu begründen, einstweilen für unüberwindbar halten; weil wir auch von denen, die darüber anderer Ansicht sind, die z. B. »wissenschaftlichen Sozialismus« vertreten, erwarten, daß sie damit einverstanden sein werden, das Gebiet der Soziologie außerhalb solcher Streitfragen zu setzen und abzugrenzen, es auf die so viel leichter lösbaren Aufgaben objektiver Erkenntnis der Tatsachen einzuschränken. Wenngleich eingeräumt werden muß, daß die vollkommene Objektivität ein unerreichbares Ideal bedeutet, so kann man sie doch mit aller Energie des Willens zur Erkenntnis erstreben und durch solches Streben sich ihr bis zu unbestimmbarem Grade nähern: und dies sei unser Programm. Wir wollen also als Soziologen uns nur beschäftigen mit dem, was ist, und nicht mit dem, was nach irgendwelcher Ansicht, aus irgendwelchen Gründen, sein soll. Unser nächstes Objekt ist die gegenwärtige Wirklichkeit des sozialen Lebens in ihrer unausmeßbaren Mannigfaltigkeit; von ihr aus führt der Blick notwendig zurück in die Vergangenheit, bis zu den Anfängen und Keimen der noch bestehenden, wie der untergegangenen Institutionen und Ideenwelten; tastet der Blick auch voraus in die Zukunft, aber nicht um sie zu gestalten, um ihr etwas vorzuschreiben, sondern lediglich als Prognose, um die wahr[131]scheinliche  fernere Entwicklung bestehender Zustände, Ordnungen, Anschauungen, nach Möglichkeit vorauszubestimmen, wobei dann die etwa vorauszusehende Rückwirkung solcher Erkenntnis auf die Handlungen der Menschen, auch auf unsere eigenen Handlungen, einer der mitwirkenden Faktoren ist, der in die Rechnung einzusetzen ist und die Prognose selber modifizieren kann. Ich bin von dem Satze ausgegangen, daß die Soziologie in erster Linie eine philosophische Lehre ist. Als solche hat sie es wesentlich mit Begriffen zu tun, mit dem Begriffe des sozialen Lebens, mit den Begriffen sozialer Verhältnisse, sozialer Willensformen und sozialer Werte, sozialer Verbindungen, also unter anderen den Begriffen der Sitte und des 39

den Begriffen – A: die Begriffe.

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Rechtes, der Religion und der öffentlichen Meinung, der Kirche und des Staates; sie muß diese Begriffe bilden, d. h. sie für den Gebrauch zurecht machen, sie schmieden und behauen, um die Tatsachen der Erfahrung wie an Nägel daran zu hängen oder wie mit Klammern zu ergreifen; sie hat in diesem Bereiche nicht sowohl direkt die Erkenntnis der Tatsachen, sondern die zweckmäßigsten, tauglichsten Geräte für solche Erkenntnis herzustellen: eine überaus wichtige, von den bloßen Empiristen oft sehr zu ihrem Schaden gering geschätzte Aufgabe. Solcher kurzsichtigen Geringschätzung entsprang es, wenn im Jahre 1841 der Herausgeber der damals angesehensten physikalischen Zeitschrift die eingesandte Arbeit Julius Robert Mayers »Über die quantitative und qualitative Bestimmung der Kräfte«, worin der Zellkern der ganzen heutigen Energetik enthalten war, nicht einmal einer Antwort würdigte und sogar die geforderte Rücksendung des Manuskriptes verabsäumte. Von ähnlicher Kurzsichtigkeit sind wohl auch in den Annalen der Sozialwissenschaften Beispiele erlebt worden. Die philosophische Soziologie hat aber jenseits dieser Skulptur der Begriffe noch eine weitere Aufgabe. Sie will die Zusammenhänge mit den anderen Wissenschaften, die man auch im Comte-Spencerschen Sinne die  früheren nennen kann, darstellen. Denn Philosophie will Einheit der Erkenntnis, will so sehr als möglich aus einfachen Prinzipien ableiten, will die notwendigen Richtlinien des Seins und des Denkens deduzieren. Den allgemeinen Gesetzen der Erscheinungen, die von den Denkgesetzen aus die Materie wie den Geist, die Materie als Geist, den Geist als Materie bedingen und bestimmen, unterliegen notwendig auch die Tatsachen des Lebens, daher des menschlich-sozialen Lebens; die Erhaltung der Energie muß in den Erscheinungen der Wirtschaft, wie des Rechtes und der Politik, in der gesamten Gedankenwelt, die diese Kulturphänomene durchdringt, wiedererkennbar sein, wie grenzenlos verwickelt auch diese Abhängigkeiten sein mögen. Diese Verwick[132] lungen reizen das spekulative Denken, dessen Wandeln auf Schwindel erregenden Gebirgspfaden wir bewundern, auch wenn es auf Irrwege führt, und wenn auch Abstürze nicht selten erfolgen. Ein großes Beispiel dieses monistischen Gedanken-Alpinismus hat auch in Anwendung auf Soziologie Herbert Spencer gegeben, indem er in genialischer Weise die Formeln der Entwicklung aus den allgemeinen Prinzipien der Bewegung zu entwickeln versuchte; mangelhaft war sein Gelingen, aber der 12

»Über die quantitative und qualitative Bestimmung der Kräfte« – Eugen Dühring berichtet hierüber in seiner Monographie über Julius Robert Mayer (Dühring 1880: 36). Bei der erwähnten Zeitschrift handelt es sich um die seit 1799 erschienenen »Annalen der Physik«.

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Größe seines Wollens wird nur gerecht werden, wer ein ähnliches Werk mit geringeren Mängeln zu leisten vermag. Denn, was immer man mit Recht an Spencer aussetzen möge: er war ein kraftvoller und ernster, ein großer Denker, wir werden so bald nicht seinesgleichen sehen. Das deduktive Verfahren des Soziologen muß insonderheit die Wahrheiten der Biologie und diejenigen der Psychologie zugrunde oder vielmehr in die Höhen legen, denn das soziale Leben ist eine Erscheinung des Lebens, dessen Wesen nicht notwendig das Individuum voraussetzt – hier liegen die Ursprünge, hier auch der begrenzte Sinn der »biologischen Analogien« und der organizistischen Ansicht des sozialen Lebens; sie  fordert aber die Psychologie zu ihrer notwendigen Ergänzung, sei es nun, daß Instinkte, Gewohnheiten, Aberglauben, oder daß erkannte Bedürfnisse, bewußte Interessen als verbindende Elemente zwischen den Menschen gedacht werden, deren einfachste soziale Verhältnisse auch unter Tieren beobachtet werden, so daß man mit einem vagen Begriffe sogar »Tierstaaten« von altersher behauptet hat. Ganz allgemein also auch  für die Tatsachen des menschlichen Zusammenlebens gelten die Gesetze des Lebens, nämlich der immer erneute Stoffwechsel und die immer erneute Reproduktion, also die Gesetze der Erhaltung und Vermehrung, von denen die Bevölkerung, die wir als Träger eines sozialen Systems betrachten, abhängt. Ebenso lassen sich aber aus den allgemeinen Ursachen animalischer Bedürfnisse und ihrer Gefühle die wahrscheinlichen, ja mehr oder minder gewissen Wirkungen in jeder menschlichen Gemeinschaft und Gesellschaft ableiten. In der wachsenden Kultur sind sie unendlich vermannigfacht; aber ihre Grundzüge lassen sich in aller ökonomischen, aller politischen und aller geistigen Kultur unschwer wiedererkennen. Diese Arten der Kultur bedingen und durchdringen einander; in allen macht die natürliche Trennung der Geschlechter, wie der Altersschichten, die Scheidung herrschender und beherrschter Stände und Klassen, die Gegensätze von Stadt und Land, Kriege und Wettkämpfe zwischen Nachbarn, die Gemeinsamkeit und die Teilung der Arbeit, die Ausbreitung des Tausches und also des Handels; in allen die Macht der Überlieferung, des Her[133]kommens, der Sitte und im Anschlusse daran des Rechtes, also der Gerichte und der Gesetze; in allen und wiederum in engstem Zusammenhange mit den zuletzt genannten Kräften der Einfluß abergläubischer Vorstellungen, der Religion, also der erdichteten Wesen sich geltend, die in Priestern ihre irdischen Stellvertreter haben. In allen Entwicklungen aber die fördernde, aber auch zerstörende und umgestaltende Gewalt der zunehmenden Erfahrung und besonders des gesteigerten, verallgemeinernden Denkens, das in Kapitalismus, in Staat und Wissenschaft die »Revolution« organisiert,

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die, auch früheren Zivilisationen nicht fremd, doch mit ganz unerhörten Wirkungen auf Technik, Rechts- und Geistesleben die letzten 4 Jahrhunderte, und vor allem das 19. und seine Fortsetzung, in deren Anfängen wir erst stehen, erfüllt hat. Und hier finden wir uns in das dichte Netz der schweren Probleme, der aufregenden Fragen verschlungen, die in den Parteikämpfen des modernen Lebens hin- und hergewälzt werden. Der Soziologe, wie wir ihn verstehen, macht sich nicht anheischig, irgendeines dieser Probleme zu lösen, er legt sich als solcher vollkommene Abstinenz auf – was natürlich nicht hindern kann oder soll, daß dieselbe Person als Politiker sich in ausgesprochenstem Sinne geltend mache – aber der Soziologe muß allerdings nach dem Verdienste streben, diese Probleme zu entwirren, sie begrifflich und genetisch verstehen zu lehren, dadurch vielleicht zu einer sinnvolleren, eben dadurch wohl auch zu einer leidenschaftsloseren Auffassung weltbewegender Fragen beizutragen. Was für die soziale Frage im allgemeinen, das gilt ebenso für die ihr nahe verwandten Angelegenheiten und Reformen: als Soziologen sind wir weder  für noch wider Sozialismus, weder für noch wider Erweiterung der Frauenrechte, weder  für noch wider Vermischung der Rassen; wir  finden aber in allen diesen Fragen, in der Sozialpolitik wie in der Sozialpädagogik und Sozialhygiene Probleme auch  für die auf das Tatsächliche gerichtete Erkenntnis; an dieser findet die Soziologie als solche ihre Grenzen, ohne sich anzumaßen, irgendwelche Ideen und Bestrebungen, die etwas anderes wollen,  fördern oder hemmen zu wollen. Ob Förderung oder Hemmung aus der richtigeren Erkenntnis entspringe, das ist eine andere Frage. Im allgemeinen kann es allerdings erwartet werden. Aber dies ganze Gebiet ist nicht das eigentliche Gebiet einer soziologischen Gesellschaft. Die Philosophie der Geschichte und des sozialen Lebens wird immer das Gepräge der einheitlichen Konzeption eines individuellen Geistes tragen, dem sich lernend, mitarbeitend, weiterführend und ergänzend fähige Jünger anschließen werden; aber eine Schule ist etwas anderes als ein Verein. Eine wissenschaftliche Sozietät beruht auf der Gleichheit ihrer aktiven und ordentlichen Mitglieder, [134] auch ihr weiterer Kreis verhält sich wesentlich unterstützend, nicht wesentlich empfangend zu ihr. Im engeren besteht sie aus Bürgern, die zu dem gemeinsamen Zwecke beitragen, in unserem Falle aus Fachgenossen vieler verschiedener Disziplinen, die teils ihrem Wesen nach sozialwissenschaftliche Disziplinen sind, teils eine mehr oder minder ausgesprochene sozialwissenschaftliche Seite haben. Es handelt sich hier nicht um ein System, um mehr oder minder abgerundete Theoreme, nicht um Begriffe und Deduktionen, sondern um

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Forschungen und Untersuchungen. Ihre Methode ist die Beobachtung und die Induktion. Die Aufgabe ist, wissenschaftliche Erfahrungen mannigfacher Art in einem soziologischen Brennpunkte zu sammeln. Allerdings können auch begriffliche Erörterungen, mithin Probleme der reinen Soziologie in einem Verein erörtert werden und wir wünschen sehr, daß es geschehen möge. Aber das Zusammenwirken, die planmäßige Kooperation ist etwas anderes als die Disputation. Jene ist es vorzugsweise, die eine Organisation der Kräfte notwendig macht. Alle solche Forschungen können durch Orientierung an der begrifflichen und systematischen Soziologie, sofern deren Begriffe zweckmäßig, ihre Deduktionen exakt sind, an Kraft gewinnen, in die Tiefe wachsen. Noch mehr aber bedarf diese, die reine Soziologie, der empirischen Bestätigungen und Berichtigungen, sie muß ihre Begriffe immer neu revidieren, ihre Deduktionen prüfen und verifizieren, sie wird immer der Wahrheit eingedenk sein, daß die kritisch gereinigte Erfahrung einzige Quelle aller tatsächlichen Erkenntnis ist, und daß die Wirklichkeit viel zu kompliziert ist, zu mannigfachen Einflüssen unterliegt, als daß die Herleitung von einzelnen isolierten oder auch von mehreren verbundenen Ursachen auch nur der Regel nach genügen und die adäquate Erklärung begründen könnte. Gewisse höchst bedeutende Probleme, z. B. das des Verhältnisses zwischen den ökonomischen, den politischen und den rein geistigen Ausdrücken des menschlichen Zusammenlebens, müssen sowohl deduktiv als induktiv erörtert, sowohl rational als empirisch begriffen und der Lösung entgegengeführt werden. Nur dadurch kann z. B. die Diskussion der sog. materialistischen Geschichtsauffassung  fruchtbar gemacht werden. Eine empirisch beglaubigte Soziologie wird aber nur aus unzähligen, methodisch-induktiven Forschungsergebnissen zusammengesetzt werden können. Sie wird zu den Einzelwissenschaften, die ihr Beiträge widmen, empfangend und lernend sich verhalten, wenngleich sie auch jede einzelne, schon vermöge der Wechselwirkung zwischen verwandten Erkenntniszweigen, befruchten und bereichern kann. [135] Ich betrachte zunächst diejenigen Wissenschaften, die eine auf das soziale Leben sich beziehende Seite haben. Unter ihnen steht ihrer Natur nach voran die Anthropologie: deren logischer Begriff müßte die Gesamtheit des sozialen Lebens des Menschen als Gegenstand umfassen, ihr wirklicher Begriff beschränkt sich aber auf die Erforschung der einzelnen Menschen unter bestimmten Gesichtspunkten. Sie wird in verschiedenen Ländern verschieden verstanden und begrenzt. Auch wie ihre Lehre im deutschen Sprachgebiet aufgefaßt wird, bietet darin der Mensch eine physische, eine psychische und

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eine soziale Seite dar. Unter jedem dieser Gesichtspunkte ist die Einteilung der Menschheit in Rassen und Unterrassen, in natürliche Völkerschaften und Stämme, die Beobachtung der verschiedenen hereditären Anlagen und Neigungen für eine wissenschaftliche Ansicht der Entwicklung der Menschheit und der Völkerschicksale grundlegend. Die Frage nach dem relativen Anteil dieser und der übrigen natürlichen Faktoren, die wohl als das »Milieu« zusammenbegriffen werden, an der Kausalität einer Kultur, nach ihrer gegenseitigen Bedingung, gehört zu den bedeutendsten Aufgaben der soziologischen Analyse, die sich hier auf anthropologische wie auf andere naturwissenschaftliche Forschungen, auf geologische und besonders auf geographische stützen muß; die »Anthropogeographie« ist in diesem Sinne als ein besonderes Arbeitsgebiet abgeschnürt worden. Geographie und Anthropologie sind in der Tat ja nicht voneinander zu trennen; eben darum muß auch die soziologische Ansicht des Menschen sich immer auf die geographischen Tatsachen zurückbeziehen. – Die Psychologie – wie sie allgemein verstanden wird als Lehre vom Seelenleben des einzelnen Menschen – würde in einer logischen Klassifikation der Wissenschaften ganz in den Bereich der Anthropologie fallen. Wird sie aber als Lehre vom Seelenleben überhaupt interpretiert, so hat sie keinen genügenden Grund, den einzelnen Menschen zuerst ins Auge zu fassen, sondern findet sich den Tatsachen gemeinsamen – kollektiven – Seelenlebens gegenübergestellt, aus denen zu einem sehr großen Teile das individuelle abgeleitet und erklärt werden muß. Unter zwiefachen Namen hat sich diese Betrachtung wissenschaftlich entwickelt: der Terminus »Völkerpsychologie« ist in Deutschland ausgeprägt und noch neuerdings durch das Werk eines Meisters propagiert worden. Wundt verglich ehemals die drei Gebiete gemeinsamen geistigen Lebens, die seine Völkerpsychologie anfangs darstellen wollte, mit der Trinität Vorstellung, Gefühl und Wille im individuellen Bewußtsein. Die soziologische und die psychologische Ansicht dieser Betätigungen des Volksgeistes liegen dicht beieinander. Sie unterscheiden sich dadurch, daß jene vorzugsweise die Zusammenhänge, die das eth[136]nische Seelenleben mit seinen eigenen Gebilden hat, ins Auge fassen muß, daher das Dasein eines Volkes oder Stammes, wie es sich in der Sprache reflektiert, das Dasein der Götter, der Tempel und Kirchen, der Kulte und Priesterschaften, sofern der Mythus sie heiligt; das Dasein von Pflichten und Rechten, die in sozialen Verhältnissen und Verbänden als lebendig empfunden und gedacht werden, sofern die Sitte sie vorschreibt und ihre Achtung gebie-

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seine Völkerpsychologie – Vgl. »Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte« (Wundt 1900).

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tet. Überdies sind die soziale Eintracht, die im gegenseitigen Verständnis und im Bewußtsein des Selbstverständlichen ihren einfachsten Ausdruck hat, die Sitte und die Religion, Formen sozialen Wollens und Denkens. Als solche sind sie zunächst Gegenstand der Sozialpsychologie, die aber gerade durch diese Betrachtungen in die reine Soziologie übergeht; denn auch sie muß vor allem Begriffe bilden und entwickelnd ausprägen. – Völkerpsychologie weist durch ihren Namen, so wie einerseits auf Psychologie, in der anderen Richtung auf Völkerkunde hin, als auf einen Stamm des Wissens, aus dem sie sich abgezweigt hat. Und die Ethnographie hat immer sich berufen gefühlt, auch die Sitten und Gebräuche, die Institutionen wirtschaftlicher, politischer, geistiger Art, die Religionen und Weltanschauungen der von ihr beobachteten Völkerschaften zu beschreiben. Als Ethnologie wird sie eine Lehre von den Völkern der Erde und schließt die Lehre von diesen sozialen Tatsachen in sich ein. Sie widmet sich vollends einer soziologischen Aufgabe, wenn sie auf Grund ihrer Kenntnisse von gegenwärtigen sozialen Zuständen unkultivierter Völkerschaften die Entwicklung der Kultur davon herzuleiten versucht, unter der Voraussetzung, daß die primitiven und embryonischen Gestalten von Institutionen und Ideen, die bei sog. Naturvölkern noch heute angetroffen werden, auch die Anfangsstadien der Kulturvölker repräsentieren, die also jenen, wenn nicht gleich, so doch sehr ähnlich gewesen und nach ihrer Analogie rekonstruierbar seien. Überreste und Spuren, die sich bei diesen erhalten haben, ebenso wie allgemeine Ähnlichkeiten zwischen den älteren und den jüngeren Entwicklungsphasen unterstützen diese Ansicht; wie denn Vergleichung überhaupt das große Prinzip der wissenschaftlichen Erkenntnis ist, das auch in den Naturwissenschaften erst im 19. Jahrhundert als solches zu gehöriger Geltung gelangt ist. Vergleichung der Völker und ihrer Geisteserzeugnisse hat manchen Studien, die bisher nur auf spekulativer Basis betrieben wurden, eine positive Basis gegeben; so vor allem der allgemeinen Sprachwissenschaft, der allgemeinen Rechtslehre und dem Studium der Religionen. Zur Vergleichung des sozialen Lebens, die für die empirische Soziologie unentbehrlich ist, sind wenigstens sehr bedeutende Anbahnungen gemacht worden; ich werde darauf zurückzukommen Veran[137]lassung haben. Ich verweile noch bei den Förderungen durch verwandte Gegenstände der Forschung und muß daher vor allem auch der historischen Disziplinen gedenken, die ja auf das ganze Gebiet des menschlichen Zusammenlebens sich beziehen. Zu ihnen hat die Soziologie ein besonders starkes und notwendiges Verhältnis. Eben darum auch ein schwieriges. Die beiden Denker, von denen der eine den Namen geschaffen, der andere am meisten dazu gewirkt hat, diesen Namen über

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den Erdkreis hin auszubreiten, verstanden und behandelten Soziologie  fast ausschließlich als philosophische Betrachtung der Geschichte, die für Spencer zugleich die konkrete Wissenschaft der Entwicklung der Menschheit bedeutet, für Comte die positiv-wissenschaftliche Lehre von Staat und Gesellschaft, wie sie sein sollen. Über den Wert dieser Entwürfe möchte ich hier nicht urteilen; wenn sie rasch veralten, so tut dies dem Sinne der Aufgaben keinen Abbruch: die Idee einer solchen philosophischen Betrachtung, die sich zunächst auf die Logik der Geschichte und Geschichtsschreibung konzentrieren möge, ist unabweisbar, auch die Universalgeschichte ist eine notwendige Aufgabe der Geschichtsschreibung, und der wissenschaftliche Geschichtsschreiber, seinem Wesen nach ein Künstler, muß seine Feder in eine Tinte tauchen, die aus biologischen, aus psychologischen und aus soziologischen Ingredienzien gemischt ist. Denn sein Problem ist die Entwicklung des sozialen Menschen – ein biologisches –, die Entwicklung der Kultur – ein sozialpsychologisches –, die Entwicklung der Völker, der Gesellschaften, der Kirchen, der Staaten – ein soziologisches Problem; wenn auch alle ineinander übergehen und aneinander Anteil haben. Wenn also der Universal-Historiker in einigem Grade Soziologe, so folgt daraus nicht, daß der Soziologe irgendwie Universal-Historiker sein muß. Er wird als solcher die Historie den Historikern, wie die Ethnologie den Ethnologen überlassen. Ihm ist die historische, wie die prähistorische, die ethnologische und anthropologische Forschung mit ihren Ergebnissen von eminenter Wichtigkeit, sofern sie eben alle eine soziologische Seite haben. Er kann aber als solcher nicht mit den Kennern und Darstellern, noch weniger mit den Forschern dieser Gebiete konkurrieren wollen, wenn auch Personal-Union im einzelnen immer möglich ist. Für die empirische Soziologie ist die historische Ansicht und Erkenntnis ihrer Gegenstände allerdings unentbehrlich, aber sie ist nicht das Objekt der eigentlichen soziologischen Betrachtung und Untersuchung. Die empirische Soziologie muß auf dem Grunde der wirklichen Sozialwissenschaften erwachsen, deren ideelle Einheit sie darstellt, die durch ihre Gesichtspunkte beleuchtet werden. Spät, und noch immer mangelhaft-unvollständig, haben sich aber innerhalb der Sozialwissenschaften 2 Scheidungen voll[138]zogen: 1. wovon schon geredet wurde, die Scheidung der Lehre von dem, was nach irgendwelcher Idee sein soll, von der Erforschung dessen, was ist, 2. die Scheidung der begrifflichen Exposition und Deduktion von der Erforschung der Tatsachen durch Beobachtung und sie ergänzende, ihr helfende Berechnung. Dabei ist leicht erkennbar, daß die Lehre von dem, was sein soll, wiederum nahe und eng mit der begrifflichen Exposition und Deduktion

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zusammenhängt, aber doch keineswegs sich damit deckt. Ebenso daß die Erforschung dessen, was ist, auf die Induktion als ihre Hauptquelle angewiesen ist, also mit Erforschung der Tatsachen sich berührt, ohne wiederum damit zusammenzufallen, so daß 2 neue Scheidungen und Abgrenzungen notwendig sind. Die Entwicklung dieser Unterscheidungen und Trennungen hat die politische Ökonomie als die am meisten ausgebildete und gepflegte Sozialwissenschaft mit Meinungskämpfen am schwersten belastet, ohne daß es zu einer vollkommenen Klärung bisher gekommen ist. Die theoretische Nationalökonomie ist von der theoretischen oder reinen Soziologie untrennbar, sie ist in der Tat ein Stück von ihr und zwar dasjenige Stück, das am ehesten  für eine gesellschaftliche Behandlung und Diskussion reif sein dürfte. Zur empirischen Soziologie gehört die Volkswirtschaftslehre, sie ist aber auch insofern ein integrierender Teil von ihr, als sie das wirkliche wirtschaftliche Leben beobachtet, analysiert, beschreibt und untersucht. Diese Forschung kann sich aber in keinem Punkte vollenden, ohne auf andere Seiten des sozialen Lebens sich zu erstrecken. Wie jede Teilforschung in diesem Gebiete wird sie auf die Gesamtheit der sozialen Zustände und ihrer Bewegungen sich hingewiesen, hingezogen fühlen. Und das ist ein bedeutendes Merkmal der soziologischen im Unterschiede von der historischen Betrachtung – die Geschichte geht vom Vergangenen, die Soziologie vom Gegenwärtigen aus. Vergangenes und Gegenwärtiges gehen ineinander über, hängen an 1000 Fäden zusammen, sind Glieder einer und derselben Entwicklung. Offenbar. Eben darum muß der Historiker immer in einem gewissen Maße Soziologe, der Soziologe immer zum Teil auch Historiker sein. Aber der Historiker will doch zunächst erzählen und berichten, wie das Vergangene gewesen, und zuhöchst, wie (daraus) das Gegenwärtige geworden ist. Der Soziologe will zunächst darstellen, wie das Gegenwärtige ist, wie seine mannigfachen Erscheinungen einander bedingen und tragen, aber auch miteinander ringen und kämpfen, wie sie in Wechselwirkungen der gegenseitigen Förderung und gegenseitigen Hemmung die Gebilde einer Kultur darstellen, die durch das menschliche Wollen und das menschliche Können ihr jeweiliges Gepräge erhält. Auch [139] der Historiker kann, über die traditionelle Epik seines Berufes sich erhebend, bemüht sein, der Gesetzmäßigkeit in den Veränderungen, die er beschreiben will, nachzugehen; er kann sich der vergleichenden Methode bedienen, um das Gleichartige und das Differente in den Entwicklungen derselben Institutionen und Sozialgebilde bei verschiedenen Völkern, innerhalb des gleichen Volkes an verschiedenen Orten, bei verschiedenen Stämmen, unterscheidend  festzustellen. Aber seine nächste wissenschaftliche Tä-

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tigkeit wird immer auf die Erschließung des Tatsächlichen gerichtet sein, das in einer vergangenen Zeit gewesen ist und der Beobachtung heute nicht mehr offen liegt; ja, um so weiter dies abliegt von gegenwärtigen Interessen und Leidenschaften, desto sicherer wird er in der historischen Objektivität sich fühlen, desto gewisser auch sich für berechtigt halten, objektive Werturteile zu fällen, weil aus der Ferne, durch die Feststellung weiter zeitlicher Wirkungen, das im Sinne der Entwicklung eines Volkes, oder sogar der ganzen Menschheit, Heilsame oder Verderbliche sich deutlich erkennen lasse. Der Soziologe setzt dagegen seine Objektivität 1. in die Enthaltung von Werturteilen, 2. in die Anwendung von Maß und Zahl zur Beschreibung und zur Vergleichung der Tatsachen. Es mag als ein Zufall gedeutet werden, ist aber wenigstens ein sinnreicher Zufall, daß aus der Statistik des 18. Jahrhunderts, welche hauptsächlich die Verfassungen der Staaten und viele dazu gehörige »Merkwürdigkeiten« bis herab auf Wappen und Orden beschrieb, das geworden ist, was man heute – wenigstens in erster Linie – unter Statistik versteht: nämlich eine Darstellung irgendwelcher Zustände und Vorgänge in Zahlen und Beziehung solcher Zahlen auf andere Zahlen – ein methodologisches Prinzip, das implicite in der Induktion als solcher enthalten ist. Freilich ist trotz und innerhalb dieser verwandelten Bedeutung der Begriff der Statistik als Wissenschaft  festgehalten und ausgebaut worden. In neuerer Zeit hat durch das Ansehen ihrer italienischen und deutschen Vertreter die Bestimmung am meisten Beifall gefunden, daß Statistik im engeren oder aber im materiellen Sinne als Anwendung jener Darstellungs- und Untersuchungsmethode – der Statistik im weiteren oder formalen Sinne – auf die in Staat und Gesellschaft lebenden Menschen verstanden werden solle. Näher noch und schärfer hat Herr Georg von Mayr sie definiert als die allgemeine Wissenschaft von den sozialen Massen und genauer noch als die auf erschöpfende, in Zahl und Maß festgelegte Massenbeobachtungen gegründete Klarlegung der Zustände und Erscheinungen des gesellschaftlichen menschlichen Lebens, soweit solche in den sozialen Massen zum Ausdrucke kommen.

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»Merkwürdigkeiten« – Tönnies bezieht sich auf den Göttinger Statistiker Gottfried Achenwall; vgl. ed. Fn. zu Z. 24, S. 147. definiert als die allgemeine Wissenschaft von den sozialen Massen – »Statistik im materiellen Sinne (Wissenschaft der Statistik) ist die auf erschöpfende, in Zahl und Maß festgelegte, Massenbeobachtungen gegründete Klarlegung der Zustände und Erscheinungen des gesellschaftlichen menschlichen Lebens, soweit solche in den sozialen Massen zum Ausdruck kommen.« – »Statistik im formellen Sinne (Statistische Methode) ist die erschöpfende Massenbeobachtung in Zahl und Maß in der Gesammtheit ihrer Anwendung auf soziale und andere Massen.« (Mayr 1895: 22 [§ 13]).

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– Offenbar sind diese Begriffbestimmungen aus [140] Anpassungen an den Sprachgebrauch, der an den weiteren Sinn des Wortes Statistik festgebunden ist, entsprungen. Ich halte nicht für zulässig, eine quantitative Bestimmung in den Begriff des Objektes einer Wissenschaft aufzunehmen. Ebensowenig wie das Wesen einer Wissenschaft durch das Moment der Anwendung einer Methode erschöpfend ausgedrückt werden kann. Wenn es nun schwerlich gelingen würde, den Begriff der Statistik als Wissenschaft von diesem Moment, dem Sprachgebrauch zum Trotze, völlig loszureißen, so scheint es geraten, wie auch Wundt in seiner Methodenlehre vorgeschlagen hat, den Begriff der Statistik als Wissenschaft oder mit andern Worten den Namen der Statistik für irgend eine Wissenschaft völlig aufzugeben und  fallen zu lassen. Bekanntlich sind es in erster Linie die Zustände und Veränderungen gegebener Bevölkerungen, die den empirischen Gegenstand dessen ausmachen, was man unter Statistik als Wissenschaft versteht. »La population est l’élément statistique par excellence.« Die statistische Darstellung und Untersuchung der wirtschaftlichen Tatsachen: der Produktion und Konsumtion, des Handels und Verkehrs, der Arbeiterzustände, kann die Nationalökonomie, sofern sie auch Wissenschaft von Tatsachen sein will, sich nicht nehmen lassen; sie gehören zu ihr und müssen ihr dienen, wenngleich sie solche der fachmäßig betriebenen, insbesondere der amtlichen Statistik überläßt. Alle Zustände und Bewegungen des sozialen Lebens werden am geeignetsten in wirtschaftliche, politische und geistige eingeteilt. Die Massenbeobachtungen, die als Merkmal der statistischen Wissenschaft gelten (in Wahrheit sind sie Merkmale der statistischen Methode) erstrecken sich auf alle 3 Gattungen. Die bare Volksmenge, die Einwohnerzahl eines Landes oder einer Gemeinde, eines Kreises usw. gehört, so wichtig sie auch für die ökonomische Betrachtung ist, wesentlich zu den politischen Tatsachen; es ist nach dem alten Sinne »politische Arithmetik«, die in Zahlen und Verhältnissen sie darstellt und untersucht, freilich stehen diese überall in engen Berührungen mit natürlichen Tatsachen, die sich als die biologische Seite des sozialen Lebens begreifen lassen und wiederum unmittelbarer auf das wirtschaftliche Leben hinweisen. Dasselbe gilt von vielen der mehr oder minder massenhaften Erscheinungen, die unter den Namen Medizinalstatistik, Kriminalstatistik und generell 10 16

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Wundt in seiner Methodenlehre – Vgl. Wundt 1895: 456 f. Fn. »La population est l’élément statistique par excellence.« – [Frz.] svw. »Die Bevölkerung ist das statistische Element par excellence.« – Der Satz findet sich in einer Schrift des belgischen Statistikers Adolphe Quetelet (1846: 270). »politische Arithmetik« – Der Begriff von William Petty (1699): »Several Essays in Political Arithmetick«.

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als Moralstatistik betrachtet zu werden pflegen. Überwiegend gehören aber diese mit den Gegenständen der Unterrichtsstatistik usw. zu den geistigen Tatsachen des sozialen Lebens, zu denen wir immer auch die moralischen rechnen werden. Wir brauchen einen allgemeinen Terminus  für dieses naturwissenschaftliche Studium der Menschen in ihren sozialen Zuständen und Ver[141]änderungen, insbesondere der Gesetzmäßigkeit in ihren willkürlichen Handlungen, bei der uns nur in wesenloser Form der Mensch an sich, der »mittlere«, der allgemeine Durchschnittsmensch bleibt, so richtig auch prinzipiell-wissenschaftlich dieser Begriff gedacht ist als aus seinen mannigfachen Erscheinungen abstrahierbar; denn wichtiger ist es, den Menschen, wie er durch seine, durch unsere wirtschaftlichen, politischen und geistigen Verhältnisse bedingt und bestimmt wird, nach allen Seiten gründlich kennen zu lernen und berechenbar zu machen. Es bieten sich die glücklich erfundenen Ausdrücke Demographie und Demologie dar, die  freilich nach Ursprung und Gebrauch eine engere Beziehung teils auf die statistische Methode teils auf die Tatsachen der Bevölkerung haben. Aber beide Beziehungen sind den Ausdrücken nicht wesentlich und haben mit ihrer Etymologie nichts zu tun. Dagegen sind sie trefflich geeignet, die Kulturvölker in ihrem Wesen, ihren ökonomisch-politischen Verfassungen, ihren geistigen Lebensäußerungen als Gegenstand der induktiven und vergleichenden wissenschaftlichen Erkenntnis, hervorzuheben, so daß ihre Inhalte sich mit denen der Ethnographie und Ethnologie zu einem ganzen vereinigen. In der Tat sind auch heute die wichtigsten Werke beschreibender BevölkerungsStatistik von der Art, daß sie sich nicht der statistischen Methode allein bedienen – denn, wie Hr. von Mayr sagt, es kann nicht daran gedacht werden, die sozialen Massen [ich würde sagen: vollends nicht die sozialen Tatsachen als solche] durchweg der erschöpfenden Massenbeobachtung zu unterwerfen, und es bleiben immer gewisse Seiten von Zuständen und Vorgängen übrig, die der objektiven und erschöpfenden Beobachtungsweise des Zählens und Messens unzugänglich sind – es

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glücklich erfundenen Ausdrücke Demographie und Demologie – Tönnies empfiehlt diese Begriffe für eine wissenschaftliche Statistik seit seiner ersten Beschäftigung mit sozialwissenschaftlichen Problemen, vgl. sein »Theorem der Cultur-Philosophie« von 1881 (zuerst veröffentlicht in SSK I: 1–33; vgl. TG 2: 488 f. und die editorische Fußnote dort zur Herkunft des Begriffs »Demologie«. Später gibt er diese Begrifflichkeit zugunsten des Terminus »Soziographie« auf (vgl. zu Tönnies’ Auseinandersetzung mit Statistik den Editorischen Bericht in TG 21: 624 ff., bes. 628 f.). – Vgl. auch Tönnies populäre Erläuterung der Begriffe im nachstehenden Text S. 232. wie Hr. von Mayr sagt – Vgl. zum Folgenden Mayr 1895: 5 f.

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gelangen auch bloß qualitative Feststellungen, die durch Enquêten und Einzelbeobachtungen gewonnen sind, zu ihrem Rechte –; und von der Bevölkerung, von Land und Leuten, ist der Übergang notwendig – ob mit oder ohne statistische Methode, die jedenfalls der Ergänzung durch andere Erkenntnismittel bedarf – zu den Tatsachen des Berufs und Erwerbes, der Besitzverhältnisse, der Verwaltung und Justiz, von da zu den regelmäßigen oder außerordentlichen Vorkommnissen des Lebens, unter denen die Bewegung der Bevölkerung die nächsten enthält, die sich durch Regelmäßigkeit und Berechenbarkeit auszeichnen. Der hohe Wert der statistischen Methode besteht nicht allein darin, daß sie qualitative Bestimmungen durch quantitative ergänzt und ersetzt – was die wahre Seele des wissenschaftlichen Denkens überhaupt ist –, sondern daß sie eben dadurch ermöglicht, die festen Relationen von den losen zu unterscheiden, genauer noch: die Relationen nach dem Grade ihrer Festigkeit abzustufen, daß sie also eine exakte Vergleichung von Erscheinungen, [142] die in Raum und Zeit verschieden sind, möglich macht. Dies hängt nicht an der »großen Zahl«, aber je größer die Zahl der Beobachtungen, desto deutlicher treten, da entgegengesetzte Tendenzen einander darin aufheben, die dauernden, wesentlichen, notwendigen, also auch die kausalen Relationen daraus hervor. Und wie die Setzung des Wirklichen, so müssen wir auch die des Notwendigen, überhaupt also die Setzung des Gewissen oft durch die des Wahrscheinlichen: durch möglichst genaue Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit ersetzen; und hier ist einer der bedeutsamen Punkte, an denen die Sozialwissenschaft, wenngleich hauptsächlich in ihren biologischen Elementen – wieder an die mathematisch-logische Deduktion anknüpfen muß. Ob wir aber Statistik treiben oder ob wir uns mit anderen Formen der Untersuchung, mit außerstatistischer Orientierung, wie v. Mayr sie nennt, begnügen müssen, respektive jene dadurch ergänzen wollen – immer wird unser Sinn auf die reine Tatsächlichkeit und ihre so sehr als möglich vollständige Beschreibung, welche die Erklärung in sich einschließt, gerichtet sein. Hiedurch gedenken wir mit allem Ernste beflissen zu sein, das Studium des sozialen Lebens über den Streit der Parteien hinauszuheben, es von der lähmenden Last der Werturteile zu befreien, ihm so viel als möglich von der Gewißheit der Mathematik, von der Treffsicherheit der Astronomie zu verleihen. – Soziologie ist, allen Feindseligkeiten zum Trotze, ein Weltwort geworden und der Träger eines Welt-Gedankens. Die Anfeindungen richten sich vorzugsweise immer gegen den Namen. Der Name ist wie andere Namen, eine Erfindung 29

außerstatistischer Orientierung, wie v. Mayr sie nennt – Vgl. Mayr 1895: 6.

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XXIV. Wege und Ziele der Soziologie

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der Bequemlichkeit. Er hat außer dieser Tauglichkeit den Vorzug, ein internationales Wort zu sein. Sprachlich ist er nicht schlechter, als andere wissenschaftliche Namen, z. B. Planimetrie. Auch das allgemein angenommene Wort Biologie ist sprachlich falsch gebildet; denn das Leben im biologischen Sinne heißt im griechischen ζωή. Auch ist Biologie, seit es erfunden wurde, langsam durchgedrungen. Durchgedrungen ist auch die Soziologie bereits, d. h. das Wort. Schaffen wir, daß auch die Sache durchdringe. Es ist freilich eine unendliche Aufgabe. – Meine geehrten Damen und Herren! Goethe hat den Ausspruch des englischen Poeten Pope sich zu eigen gemacht: »Das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch« (The proper study of mankind is man). In imperativische Form übertragen  fällt diese Aussage zusammen mit dem alten Gebote des delphischen Gottes, das den Geist des Sokrates so tief aufregte, dem Gebote Γνώϑι σεαυτόν (Erkenne dich selbst!). Das ist zunächst  freilich ein Gebot, an den einzelnen, den sittlichen Menschen gerichtet. Es soll dazu dienen, die Herrschaft der [143] Vernunft in ihm zu begründen. Selbsterkenntnis ist die Bedingung der Selbstbeherrschung. Das Gebot gilt aber auch für die Menschheit, für den wissenschaftlichen Menschen, der im Namen der Menschheit, der seienden und der werdenden, zu denken, zu reden berufen ist. Die Soziologie versucht diesem Gebote gerecht zu werden. Durch sie und in ihr will die Menschheit sich selbst erkennen, und der Hoffnung ist Raum gegeben, daß sie durch Selbsterkenntnis sich selbst zu beherrschen lernen werde. Diese Hoffnung ist mit der streng theoretischen Stellung, die wir einnehmen, vollkommen verträglich. Jedem steht es  frei, auf seine Weise sich solche Hoffnung zu gestalten. Als Mensch, als Staatsbürger, Weltbürger, Zeitbürger kann niemand gleichgültig dagegen sein. Als Denker und Forscher sind wir gegen alle Folgen, alle Folgerungen aus unseren Gedanken und Forschungen gleichgültig. Wie es für unser Planetensystem nur eine Sonne gibt, so viele auch sonst im Weltall wirken mögen, so gibt es für ein wissenschaftliches System nur die eine Sonne: die Wahrheit! Hochgeehrte Versammlung! Die Begründung dieser Gesellschaft ist mit wissenschaftlichen Plänen verbunden gewesen, mit mehr oder minder ausgestalteten Wünschen und Ideen großer Kooperationen auf dem Gebiete der Forschung – und

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ζωή – [Gr.] zoḗ – Leben im Sinne von Lebendigkeit oder Beseeltheit. »Das eigentliche Studium … of mankind is man) – Vgl. bei Goethe in den »Wahlverwandtschaften« (Zweiter Teil, 7. Kap.; Goethe 1987a: 457) – Alexander Pope in »An Essay on Man« (Epistle II, Z. 2; Pope 1755: 30).

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diese beziehen sich, in Übereinstimmung mit meinen Ausführungen, durchweg auf das gegenwärtige, auf das uns umgebende soziale Leben. Es wird sich zunächst und vor allem um eine große Aufgabe handeln, die wohl auf allgemeine Teilnahme, auf ein lebendiges Interesse des gelehrten sowohl als des größeren Publikums rechnen darf. Ich gebe Herrn Professor Dr. Max Weber das Wort, um darüber zu berichten. [144]

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Max Weber das Wort – Max Weber erstattet den »Geschäftsbericht« der »Deutschen Gesellschaft für Soziologie« (Verhandlungen 1911: 39–63).

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Die Soziologie ist in erster Reihe eine philosophische Disziplin; sie ist als solche viel älter als ihr Name. Die Lehren vom menschlichen Zusammenleben, von menschlichen Verbindungen, vom Staat und von der Kirche haben immer eine große Denkarbeit in Anspruch genommen und oft eine entscheidende Bedeutung in Meinungs- und Interessenkämpfen gewonnen. Ihr Zusammenhang mit Philosophie bestand aber vorzüglich darin, daß sie sich niemals beschränkten auf Darstellung der Wirklichkeit, sondern zugleich – und sogar meistens ohne daß man sich des Unterschiedes bewußt wurde – den Maßstab der Ideale an die Wirklichkeit anlegten. Auch in Anwendung auf Politik wollten und wollen noch heute die Philosophen Wegweiser des Lebens sein. – Die Deutsche Soziologische Gesellschaft wird zwar auch Soziologie als philosophische Disziplin pflegen, aber sie hat sich vorgenommen, diese Verbindung zu lösen. Sie will ausschließlich theoretisch und gar nicht praktisch sein. Sie will die Erscheinungen des sozialen Lebens nur erkennen und verstehen, nicht sie meistern und verbessern, auch nicht in Form einer Lehre, wie man sie meistern und verbessern könne. Eine solche Scheidung ist heute gerade durch die ungeheure Ausdehnung der Bestrebungen, die auf Reform und Erneuerung von Institutionen und Ordnungen ausgehen, notwendig geworden. Die Ansichten darüber sind verschieden, weil die Wollungen auseinander, ja durchweg gegeneinander gerichtet sind. Ob dem Wollen ein schlechthin gültiges Gesetz gegeben werden kann, möge dahingestellt bleiben, jedenfalls aber wäre das Sache der Ethik, nicht Sache der Soziologie. Inwiefern kann aber Soziologie dennoch einen philosophischen Charakter tragen? Erstens: durch Ausbildung von  3

Soziologie als Wissenschaft und die Deutsche Soziologische Gesellschaft – Zuerst veröffentlicht in der von Ferdinand Avenarius herausgegebenen Kulturzeitschrift »Der Kunstwart. Halbmonatsschau für Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten« (24.1911 [Zweites Augustheft, H. 22]: 242–246, Tönnies 1911a, im Folgenden A). – Am Ende des Textes gezeichnet »Ferdinand Tönnies«. Die Zeitschrift ist in Fraktur gesetzt. – Vgl. im Editorischen Bericht S. 633.

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Begriffen: sie schmiedet Begriffe als Werkzeuge, um die  fließenden Erscheinungen anzupacken, als Gefäße, um die flüssige Wirklichkeit darin zu fassen, und ganz besonders als Maßstäbe, um die Qualitäten der Dinge daran zu messen und dadurch untereinander vergleichbar zu machen. Zweitens ist aber die Soziologie philosophisch, [145] insofern sie die Grundtatsachen des sozialen Lebens in Beziehung setzt zu den Grundtatsachen des Lebens, insbesondere des psychischen Lebens, das sie in das System einer Gesamterkenntnis der »Welt« hineinbildet. Sie verfährt hier wesentlich deduktiv, nach dem Grundsatz, daß die allgemeinen und notwendigen Naturgesetze auch im Bereiche der menschlichen Tätigkeiten, der menschlichen Kultur gelten müssen. – Von der reinen oder philosophischen Soziologie unterscheiden wir aber streng die empirische Soziologie, die in ihren Ergebnissen schließlich als Anwendung jener (als angewandte Soziologie) sich darstellen muß. Sie ist aber zunächst auf andere Wissenschaften angewiesen, muß von diesen empfangen, muß deren Ergebnisse in einem Brennpunkte sammeln. Diese Wissenschaften haben teils einen soziologischen Bestandteil, tragen die soziologischen Elemente gebunden in sich, teils sind sie ihrem Wesen nach soziologisch, untersuchen aber die sozialen Tatsachen nur in einer bestimmten Richtung, unter einem Teilaspekt, – es wird sich also darum handeln, ihre Gesichtspunkte zu vereinigen. Zu allererst kommt als Wissenschaft mit gebundenen soziologischen Elementen die Anthropologie in Betracht, die in einer logischen Klassifikation der Wissenschaften die gesamte empirische Psychologie des Menschen in sich befassen müßte. Diese erweitert sich zur Völkerpsychologie, die wiederum auf die allgemeine Völkerkunde hinweist; und die Anthropologie als Naturwissenschaft trägt diese in ihrem Schoße. Sie, die Ethnologie, hat immer für nötig gehalten, sich auch mit den Tatsachen des sozialen Lebens, mit Institutionen, Sitten und Gebräuchen, mit Sitte, Wirtschaft und Recht der Völker zu beschäftigen, beschreibend und erklärend. Eine besondere Beachtung heischt dies insoferne, als nach der Hypothese verfahren wird, daß die der Beobachtung offenen Zustände von Naturvölkern Stufen einer Entwicklung darstellen, welche die Kulturvölker zurückgelegt haben. Damit macht sich dann die Fruchtbarkeit der Vergleichung geltend. Überall, wo es sich darum handelt, das Allgemeine als das regelmäßig Frühere, und das Besondere, als das regelmäßig Spätere, in Beziehung zueinander zu setzen, ist Vergleichung das notwendige Mittel der induktiven Methode; sie hat sich in der vergleichenden Sprachwissenschaft, der vergleichenden Rechtskunde, der vergleichenden Mythologie und Religionslehre ebenso bewährt, wie etwa in der Biologie als vergleichende Anatomie und

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Physiologie der Organismen. Alle jene Kulturphänomene vergleichende Disziplinen sind soziologische Disziplinen. Durch Vergleichungen werden auch die historischen Disziplinen der Soziologie näher gebracht, werden ihre soziologischen Elemente entfaltet, die als Philosophie der Geschichte, daher auch in Form der [146] Universalgeschichte, eine herkömmliche Ausprägung erhalten haben. Die Geschichtsschreibung ist an und  für sich eine wissenschaftliche Kunst, die der Soziologe, auch als Geschichtsphilosoph, den Historikern überlassen muß, wie er die Beschreibung der Rassen und Völker den Ethnographen überläßt. Aber die vergleichende Erforschung der Institutionen, der Formen und Inhalte des sozialen Lebens, bei verschiedenen Bezirken, Landschaften, Städten, ist eine Aufgabe, worin der Soziologe mit dem Historiker sich begegnet. Sie unterscheiden sich vorzugsweise durch ihren Ausgangspunkt. Der Historiker  findet sich immer auf das Vergangene hingewiesen, der Soziologe steht mit beiden Füßen zuerst im Gegenwärtigen. Je weiter die Dinge abliegen von den Interessen und Leidenschaften der Zeitgenossen, desto sicherer fühlt sich der Historiker in seiner Objektivität, desto gewisser hält er sich auch  für berechtigt, objektive Werturteile zu  fällen, durch deren Verkündung er gleich dem Philosophen ein moralischer Lehrer des Menschengeschlechts oder doch seiner Nation sein will. Der Soziologe (in unserem Sinne) setzt seine Objektivität gerade in die Enthaltung von Werturteilen, er bildet sich nicht ein, die Menschen bessern und bekehren zu können, er läßt sich daran genügen, sie zu begreifen und zu verstehen, und läßt es dahingestellt sein, ob und inwiefern das zur Veränderung der Menschen dienen möge. Er setzt aber seine Objektivität  ferner in die Anwendung von Maß und Zahl zur Beschreibung und zur Vergleichung der Tatsachen. – So muß die empirische Soziologie auf dem Grunde der wirklichen Sozialwissenschaften erwachsen, deren ideelle Einheit sie darstellen will. Aber gerade in der bisher am meisten ausgebildeten und gepflegten Sozialwissenschaft, der Nationalökonomie, ist die Scheidung der Lehren über das was ist, von dem, was nach irgendwelcher Idee »sein soll«, immer nur mangelhaft und unvollständig geschehen. Ebenso die Scheidung der begrifflichen Exposition und Deduktion von der Erforschung der Tatsachen durch exakte Beobachtung, Zählung und Messung und die sie ergänzenden, ihr helfenden Berechnungen. Die Darstellung irgendwelcher Zustände und Vorgänge in Zahlen und Beziehung solcher Zahlen auf andere Zahlen – ein methodisches

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Geschichtsschreibung – A: Geschichtschreibung. verschiedenen Bezirken – A: verschiedenen Nationen, in verschiedenen Bezirken.

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Verfahren, das in der Induktion als solcher enthalten ist – wird heute allgemein als »Statistik« verstanden. Trotz und innerhalb dieser Wortbedeutung ist aber der Begriff der Statistik als Wissenschaft festgehalten und ausgebaut worden. Man unterscheidet Statistik im engeren und materiellen von Statistik im formalen und weiteren Sinne. Jene sei die Anwendung der statistischen Methode auf soziale Massen, diese die Wissenschaft der sozialen Massen. Ich halte nicht  für zulässig, eine [147] quantitative Bestimmung in den Begriff des Objektes einer Wissenschaft aufzunehmen, auch kann das Gebiet einer Wissenschaft nicht durch das Moment der Anwendung einer Methode erschöpfend ausgedrückt werden. Entweder muß man zur Statistik des 18. Jahrhunderts, als der Lehre von den sozialen Zuständen überhaupt, und von den Veränderungen zurückkehren; oder man muß mit Wundt den Namen als Namen einer Wissenschaft aufgeben. Wir brauchen aber einen allgemeinen Terminus  für das naturwissenschaftliche Studium der Menschen in ihren sozialen Zuständen und Veränderungen, insbesondere der Regel- und Gesetzmäßigkeit in ihren willkürlichen Handlungen, bei der uns nur in wesenloser Ferne der Mensch an sich, der »mittlere« Mensch, der allgemeine Durchschnittsmensch, bleiben wird; so richtig auch prinzipiell dieser Begriff aus den mannigfachen Erscheinungen abstrahiert ist. Wichtiger ist es, den Menschen, wie er durch seine, durch unsre wirtschaftlichen, politischen und geistigen Verhältnisse, wie er durch die darin beruhenden sozialen Verhältnisse, die sozialen Willensformen und die sozialen Verbände bedingt ist und bestimmt wird, nach allen Seiten kennen zu lernen, und so sehr als möglich berechenbar zu machen. Es bieten sich die glücklich erfundenen Ausdrücke Demographie und Demologie dafür dar, die freilich nach Ursprung und Gebrauch, eine engere Beziehung teils auf die statistische Methode, teils auf die Tatsachen der Bevölkerung haben. Beide Beziehungen sind den Ausdrücken nicht wesentlich und haben mit ihrer Etymologie nichts zu tun. Das Wort Demos bedeutet im Griechischen sowohl Land wie Leute. Demologie wäre die Lehre von Land und Leuten, Demographie ihre Beschreibung. Diese Kunstausdrücke sind vortrefflich geeignet, die Kulturvölker in ihrem Wesen, ihren ökonomisch-politischen Verfassungen, ihren geistigsittlichen Lebensäußerungen, als Gegenstand der induktiven und vergleichenden wissenschaftlichen Erkenntnis, hervorzuheben, so daß ihre  1  7 11 13 27

das in der Induktion – A: das implizite in der Induktion. Massen, diese die Wissenschaft – A mit Textverderbnis: Massen, die Wissenschaft. Entweder muß man – A: Entweder man muß. mit Wundt – Vgl. ed. Fn. zu Z. 10 auf S. 224. Demographie und Demologie – Vgl. ed. Fn. zu Z. 16 auf S. 225..

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Inhalte mit denen der Ethnographie und Ethnologie, die auf Rassen und Völker als solche, daher vorzugsweise unter Absehung von der eigentlichen Kultur, als Naturvölker, sich beziehen, zu einem Ganzen vereinbar sind. – Der hohe Wert der statistischen Methode besteht nicht allein darin, daß sie qualitative Bestimmungen durch quantitative ergänzt und ersetzt – was die wahre Seele des wissenschaftlichen Denkens überhaupt ist, – sondern daß sie eben dadurch ermöglicht, die  festen Relationen von den losen zu unterscheiden, genauer noch: die Relationen nach dem Grade ihrer Festigkeit abzustufen, daß sie also eine exakte Vergleichung von Erscheinungen, die in Raum und Zeit verschieden sind, möglich macht. Dies hängt nicht an der »großen Zahl«, aber je [148] größer die Zahl der Beobachtungen, desto deutlicher treten, da entgegengesetzte Tendenzen einander darin aufheben, die dauernden, wesentlichen, notwendigen, also auch die kausalen Relationen daraus hervor. Und wie die Setzung des Wirklichen, so müssen wir auch die des Notwendigen, überhaupt also die Setzung des Gewissens, oft durch die des Möglichen, folglich des Wahrscheinlichen und durch möglichst genaue Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit ersetzen. Hier ist der wichtige Punkt, an dem die Sozialwissenschaft – wenngleich hauptsächlich in ihren biologischen Elementen – wieder auf mathematisch-logische Deduktion sich zurückbezieht. – Ob wir aber Statistik treiben oder ob wir uns mit anderen Formen der Untersuchung, mit »außerstatistischer Orientierung«, wie Mayr sie nennt, begnügen, beziehungsweise jene dadurch ergänzen mögen – immer wird unser Sinn auf die reine Tatsächlichkeit und ihre so sehr als möglich vollständige Beschreibung, welche die Erklärung in sich einschließt, gerichtet sein. Ein Streben muß sich darin betätigen, das Studium der sozialen Erscheinungen über den Streit der Parteien hinauszuheben, es von der Last der Werturteile und Reformideen zu befreien. Gerade diese können ja dadurch an Kraft und Wert nur gewinnen, daß man versucht, ihren Fundamenten etwas von der Gewißheit der Mathematik, von der Treffsicherheit der Astronomie zu verleihen. 22 23 31

»außerstatistischer Orientierung« – Mayr 1895: 6. wie Mayr – A: wie Herr von Mayr. Gerade diese … Astronomie zu verleihen. – Der ganze Satz in A hervorgehoben. – Danach die [offensichtlich redaktionelle] Fußnote: »Wir drucken diesen Satz gesperrt, weil er uns für die Kunstwartleser besonders wichtig scheint.« – In A schließt sich nach einem Absatz an: »Soziologie ist, allen Anfeindungen und Zweifeln zum Trotz, ein Weltwort geworden, Träger eines Weltgedankens. Freilich ist nur das Wort eigentlich durchgedrungen, die Sache stellt eine unendliche Aufgabe dar. Goethe hat den Ausspruch des englischen Poeten Pope sich zu eigen gemacht: Das eigentliche Studium der Menschheit sei der Mensch (The proper study of mankind is man). In imperativische Form übertragen, fällt diese Aussage zusammen mit dem alten Gebote des delphischen

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Zusatz (1926) Der Soziologie wird von ihren Verächtern zum Vorwurfe gemacht, daß »man« sie bisher als einen »Rattenkönig verschiedenster Fragestellungen, Methoden und Gegenstände« gekannt habe, und daß »man« auch neuerdings keine bestimmtere Gestalt in ihr gefunden habe. Ist es etwa der Soziologie, die sich noch nie, (außer etwa in der sozialen Frage), bei den Adepten von Arbeiterparteien, irgendwelcher Gunst und Förderung von mächtigen Schichten, geschweige vom Staate her, erfreut hat, eigentümlich, daß sie von verschiedensten Fragestellungen aus angegriffen, mit verschiedenen Methoden bearbeitet, daß innerhalb ihrer verschiedene Gegenstände untersucht werden? Ist nicht die Uneinigkeit, der Streit hierüber, ein Zeichen ihres Lebens? Ist nicht das Zusammenwesen, Zusammenwohnen, Zusammenwirken der Menschen so mannigfach und so voll von Problemen, daß schon das Studium der mannigfachen Formen dieser sozialen Tatsachen genügt, um eine besondere Wissenschaft, die auch keineswegs von gestern ist, zu rechtfertigen? Ist es nicht der neue und  fremdartige Name, der ihre Verächter umnebelt, so daß sie nicht [149] zu sehen vermögen, was hinter dem Namen ist? Da doch die Idee schlechterdings unabweisbar und notwendig ist, zu erforschen und festzustellen, was den mannigfachen Arten von Zusammenhängen, einerseits natürlicher (des Lebens und der Seele) anderseits bewußter und gewollter, gemeinsam ist, und was sie von einander unterscheidet,

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Gottes, das den Sokrates so tief aufregte: Erkenne dich selbst. Das ist freilich ein Gebot an den einzelnen, an den sittlichen Menschen gerichtet. Es soll dazu dienen, die Herrschaft der Vernunft in ihm zu begründen: Selbsterkenntnis die Bedingung der Selbstbeherrschung. Das Gebot gilt aber auch für die Menschheit: für die wissenschaftlichen Menschen, die im Namen der Menschheit zu denken und zu reden berufen sind. Die Soziologie versucht diesem Gebote gerecht zu werden. Durch sie und in ihr will die Menschheit sich selbst erkennen, will dem Gesetze ihrer Entwicklung, den Bedingungen ihres Lebens nachforschen, und der Hoffnung ist Raum gegeben, dass sie durch Selbsterkenntnis sich selbst zu beherrschen lernen werde. Diese Hoffnung ist mit der streng theoretischen Stellung, die wir einnehmen, vollkommen verträglich. Jedem steht frei, auf seine Weise sich solche Hoffnung zu gestalten. Als Mensch, als Staatsbürger, Weltbürger, Zeitbürger kann niemand gleichgültig dagegen sein. Als Denker und Forscher sind wir gegen alle Folgen, alle Folgerungen aus unsern Gedanken und Forschungen gleichgültig. Wie es für unser Planetensystem nur eine Sonne gibt, so viele auch sonst im Weltall wirken mögen, so gibt es für ein wissenschaftliches System nur eine Sonne: die Wahrheit.« – Ein ähnlicher Gedanke steht am Ende des Eröffnungsvortrags zum Ersten Deutschen Soziologentag, vgl. in diesem Band S. 227. Zusatz (1926) – Steht nicht in A. »Rattenkönig verschiedenster Fragestellungen, Methoden und Gegenstände« – Spranger 1925: 1380.

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mit andern Worten die Methoden der Vergleichung anzuwenden, sofern es sich letztlich immer um die Erforschung von Tatsachen handelt. Und die Begriffe  festzulegen, sie zweckmäßig zu bilden, insbesondere als Normalbegriffe, und ihre Gegenstände als »Idealtypen«, wofür ich lieber Normaltypen setze, diese dann terminologisch zu befestigen, wofür es immer allzuschwer ist, zur äußeren Einigung zu gelangen – diese Aufgaben sind doch sogar in den Naturwissenschaften, wie oft beklagt wurde, mangelhaft gelöst, nicht einmal gehörig erkannt und aufgestellt worden. Steht es damit etwa anders in der Biologie, der Psychologie? Daß die persönlichen Gleichungen und Fehlerquellen, die oft kleinlichen Dissense in unserm Gebiet sich noch mehr geltend machen, wo es anerkannte Autoritäten noch viel weniger gibt und die Leidenschaften des Parteigeistes oft sich störend einmischen, ist relativ zufällig, und kann nur begriffen werden, wenn man die Ursachen der Erscheinung richtig zu würdigen weiß, was eben von den Verächtern der Soziologie nicht erwartet werden darf. [150]

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»Idealtypen«, wofür ich lieber Normaltypen – Vgl. hierzu das Vorwort zur 6. und 7. Auflage von »Gemeinschaft und Gesellschaft« (Tönnies 1926: XII; TG 2: 102).

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XXVI. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie Die Deutsche Gesellschaft  für Soziologie wurde am 3. Januar 1909 in Berlin von einigen Professoren und Privatgelehrten (darunter Rudolf Goldscheid, Wien) gegründet. In der programmatischen Einladung sowie in den am 3. Januar vorläufig entworfenen Statuten wurde unter Verzicht auf jede praktische Tätigkeit als ihre Aufgabe bestimmt, »das eigenartige Gebilde, das wir Gesellschaft nennen, in seinem Wesen, seinen Formen, seinen Entwicklungen zu erkennen«. Diese Richtung auf die reine Theorie, die in allen Verhandlungen herrschen sollte, wurde in der endgültigen Fassung der Statuten, die im Herbste 1909 in einer Vorstandssitzung in Leipzig stattfand, besonders unter dem Einflusse Max Webers strenge festgehalten. Sie wurde in weiteren Kreisen durch die Formel »Ausschließung der Werturteile« bekannt. In der endlichen Fassung wurde als Zweck die Förderung der soziologischen Erkenntnis durch Veranstaltung rein wissenschaftlicher Untersuchungen und Erhebungen, durch Veröffentlichung und Unterstützung von wissenschaftlichen Arbeiten und durch Organisation von periodisch stattfindenden deutschen Soziologentagungen festgelegt. Zugleich wurde ausgesprochen, die Gesellschaft gebe allen wissenschaftlichen Richtungen und Methoden der Soziologie gleichmäßig Raum und lehne die Vertretung irgendwelcher praktischen (ethischen, religiösen, politischen, ästhetischen usw.) Ziele ab. Die Mitglieder wurden unterschieden als ordentliche, unterstützende und Stifter. Den ersten Vorstand bildeten: Prof. Ferdinand Tönnies, Kiel, Prof. Georg Simmel, Berlin, Prof.

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Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie – Der Text erscheint zuerst 1921 im ersten Heft der »Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaften. Reihe A: Soziologische Hefte« (Tönnies 1921, im Folgenden A). – Gezeichnet nach der Überschrift »Von Ferdinand Tönnies«. Die Zeitschrift ist in der Antiqua gesetzt. – Mehr im Editorischen Bericht S. 635. »das eigenartige Gebilde, das wir Gesellschaft … Entwicklungen zu erkennen« – Diese Formulierung wurde in das verabschiedete »Statut« (dokumentiert in Verhandlungen 1911: V–IX) des eingetragenen Vereins »Deutsche Gesellschaft für Soziologie« von 1910 nicht übernommen. In der endlichen Fassung wurde als Zweck … Ziele ab. – Vorstehendes fast wörtlich im § 1 des Statuts (ebd.).

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Heinrich Herkner, Charlottenburg, als Vorsitzende; Dr. Hermann Beck, Berlin, als Schriftführer; Dr. Alfred Ploetz, München, Prof. Philipp Stein, Frankfurt a. M., Privatdozent Dr. Alfred Vierkandt, Berlin, als Beisitzer; Prof. Max Weber als Rechner. An die Stelle von Herkner trat später Prof. Sombart. Außer dem Vorstande wurde ein »Hauptausschuß« gewählt, der eine nicht begrenzte Zahl von ordentlichen Mitgliedern umfassen sollte. Nachdem am 7. März 1909 eine »Eröffnungsversammlung« im Hotel Esplanade in Berlin stattgefunden hatte, wurde der erste Deutsche Soziologentag vom 19. bis 22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. gehalten. [151] Es wurden Vorträge gehalten; an mehrere davon knüpfte sich eine lebhafte Wechselrede. Nach einem Vorabend, an dem Prof. Simmel über »Soziologie der Geselligkeit« sprach, wurde die Tagung selber durch eine Rede über »Wege und Ziele der Soziologie« von Prof. Tönnies eröffnet. Daran schlossen sich zunächst der Geschäftsbericht von Prof. Max Weber und ferner sechs Vorträge, nämlich: 1. Technik und Kultur, von Prof. W. Sombart. 2. Die Begriffe Klasse und Gesellschaft, von Dr. A. Ploetz. 3. Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht, von Prof. E. Tröltsch, Heidelberg. 4. Soziologie der Panik, von Prof. Dr. E. Gothein, Heidelberg. 5. Wirtschaft und Recht, von Prof. Dr. A. Voigt, Frankfurt a. M. 6. Rechtswissenschaft und Soziologie, von Privatdozent Dr. H. Kantorowicz, Freiburg i. Br. Der zweite deutsche Soziologentag wurde in Berlin vom 20. bis 22. Oktober 1912 abgehalten. Das Thema war »Volk und Nation«. Wiederum wurde die Tagung durch einen Vorabend eingeleitet, an dem Prof. Alfred Weber über »den soziologischen Kulturbegriff« sprach. Die Tagung selbst wurde eröffnet durch den Vortrag: »Die Nationalität in ihrer soziologischen Bedeutung«, von Prof. Paul Barth, Leipzig. Daran schlossen sich noch vier Vorträge: 1. Das Recht der Nationalitäten, von Prof. Ferdinand Schmid, Leipzig. 2. Die Nation als politischer Faktor, von Dr. Ludo Moritz Hartmann, Wien. 3. Die rassentheoretische Geschichtsphilosophie, von Privatdozent Dr. Franz Oppenheimer, Berlin.  5  9 23

An die Stelle von Herkner trat später Prof. Sombart – Vgl. im Editorischen Bericht S. 636. erste Deutsche Soziologentag – Verhandlungen 1911, die Vorträge sind in der Bibliographie nachgewiesen. zweite deutsche Soziologentag – Verhandlungen 1913, die Vorträge sind in der Bibliographie nachgewiesen.

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4. Die historische Entwicklung des Vaterlandsgedankens, von Prof. Dr. Robert Michels, Turin. Nach der Tagung fanden Vorstandswahlen statt. Nachdem die Herren Stein und Vierkandt aus persönlichen Gründen zurückgetreten waren, wurden Prof. Dr. Karl Rathgen, Hamburg, und Prof. Dr. Paul Barth, Leipzig, in den Vorstand kooptiert. Vorher war im Herbst 1913 auch Prof. Simmel wegen anderer Richtung seiner Studien aus dem Vorstand ausgetreten. An seiner Stelle wurde Herr Goldscheid, Wien, in den Vorstand und das Präsidium zugewählt. Endlich wurde, nachdem Max Weber wegen Meinungsverschiedenheit zurückgetreten war, die Stelle des »Rechners« durch Prof. Michels, Turin, neu besetzt. [152] Ein dritter Soziologentag war  für den Herbst 1914 in Aussicht genommen. Das Thema sollte die Bevölkerungsfrage bilden. – Am 22. April 1914 wurde zwischen der D.  G.  f. S.  und der Wiener Soziologischen Gesellschaft einerseits, dem Institut de Sociologie Solvay in Brüssel andererseits ein Vertrag geschlossen, durch den das genannte Institut sich verpflichtete, eine deutsche Ausgabe seines seit einer Reihe von Jahren erscheinenden Bulletins unter vereinbarten Bedingungen herauszugeben. – Ein Heft dieser neuen »Sonderausgabe« ist unter dem Titel »Soziologisches Archiv« herausgegeben von Prof. E. Waxweiler, am 29. Juni 1914 als Bulletin Nr. 32 (5. Jahrgang) erschienen; es dürfte einmal als bibliographische Merkwürdigkeit erscheinen. Darin ist unter »Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie« die Eingabe abgedruckt worden, die von dieser am 15. Juni an 63 Fakultäten deutscher und schweizerischer Universitäten und Hochschulen im Interesse der Förderung der Soziologie als Lehrdisziplin gerichtet war.  7 11

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Prof. Simmel wegen anderer Richtung seiner Studien – Vgl. im Editorischen Bericht S. 636. durch Prof. Michels, Turin, neu besetzt – In Heft 1 des 2. Jahrgangs (1922) der »Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaften« (Reihe A: Soziologische Hefte) steht auf S. 114 eine »Zuschrift des Herrn Prof. Michels« mit Verweis auf diese Passage: »Prof. Michels (Basel und Turin) teilt uns mit, daß er das ihm 1913 übertragene Amt eines ›Rechners‹ der Deutschen Gesellschaft für Soziologie nie angetreten hat.«. – Vgl. zur Vorgeschichte dieser Zuschrift im editorischen Bericht S. 643. Vertrag – Vgl. im Editorischen Bericht S. 637. »Soziologisches Archiv« – Das »Bulletin« des Institut Solvay ist weit verbreitet. Von der Sonderausgabe, die Tönnies erwähnt, fand sich bei der Nachfolgeeinrichtung des Instituts Solvay, der Freien Universität Brüssel, je ein Exemplar der beiden Hefte vom 30.4.1914 und vom 29.6.1914. Die Titelblätter der beiden Ausgaben lauten: »Bulletin Nr. 32. 5. Jahrgang [Datum]. Sonderausgabe für die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und der Soziologischen Gesellschaft in Wien mit Unterstützung beider Gesellschaften herausgegeben. Soziologisches Archiv. Herausgegeben von Prof. E. Waxweiler.«.

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Dieser Eingabe, die infolge der Anregung, die der 31. deutsche Juristentag in seiner Wiener Tagung von 1912 gegeben hatte, beschlossen war, wurde auch noch in der Nummer des »Grenzboten« vom 22. Juli 1914 eine vollständige Wiedergabe zuteil. Gleichfalls gingen noch im Laufe des Juli von einer Reihe von Fakultäten und Hochschulen Antworten ein, die mit wenigen Ausnahmen lebhafter Zustimmung Ausdruck gaben. Wertvoll war namentlich eine Äußerung Karl Lamprechts, die den Satz enthielt: »Kulturgeschichte ist ohne gleichzeitige Funktion einer soziologischen Dozentur oder Professur in voller Tiefe nicht lehrbar.« Der Weltkrieg machte der Tätigkeit und den Bestrebungen der Gesellschaft ein jähes Ende1. Der Vorstand beschloß zunächst, die Kräfte und Mittel der Gesellschaft in den Dienst der Aufklärung des neutra1

Die Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages sind in Tübingen (Verlag von J. C. B. Mohr [Paul Siebeck] 1911), die des Zweiten ebenda 1913 erschienen. Es dürften noch Exemplare beider Bände durch den Buchhandel zu beziehen sein.

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31. deutsche Juristentag in seiner Wiener Tagung von 1912 – Vgl. das Plenarprotokoll des Juristentages (Verhandlungen 1913a: 973–979), zur Soziologie als Teil der Juristenausbildung hier folgender »Leitsatz«: »Die Abhaltung von Vorlesungen über Statistik sowie über Sozialpolitik ist wünschenswert. Vorlesungen über Wirtschaftsgeschichte, sowie über volks- und privatwirtschaftliche Spezialgebiete sind dankbar zu begrüßen. Ebenso Vorlesungen über einzelne Partien und Probleme der Soziologie. Jeder Dozent einer rechtswissenschaftlichen oder staatswissenschaftlichen Disziplin, sowie der Rechtsphilosophie ist befugt, Vorlesungen über Soziologie oder über einzelne Partien derselben zu halten.« (ebd., 976). – Der Eingabe der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ging 1913 eine ähnliche Initiative der Soziologischen Gesellschaft in Wien voraus, die sich an das Wiener Unterrichtsministerium wandte und die Einführung regelmäßiger Vorlesungen in Soziologie anregte (vgl. Müller 2018: 774). – In der Zeitschrift »Nord und Süd« veröffentlicht der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie eine Erklärung zu dieser Initiative und allgemeiner zu seiner Forderung, Soziologie als Lehrfach an deutschen Universitäten einzuführen (vgl. Deutsche Gesellschaft 1914). eine vollständige Wiedergabe – Vgl. Goldscheid, Sombart und Tönnies 1914. – In einem »Rundschreiben an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie« teilt Beck am 19.6.1914 mit, dass die Eingabe »an 63 Fakultäten und Hochschulen, sowie in Abschrift mit einem Begleitschreiben an 560 Professoren versandt worden« ist (Cb 54.61:1.1.5,74). Später wird sie noch an die Kultus-Ministerien geschickt. Antworten – Antworten von »Wasserrab, Lamprecht, Bonn, Esslen, Mombert, Julius Wolff [recte; Wolf], Rathgen, Gerland, Stephinger, F. Eulenburg, K. Oldenberg« verschickt Beck am 27.6.1914 an den Vorstand (Cb 54.61:1.1.5,75). Am 10.7.1914 gibt es weitere Antworten, s. Rundschreiben an den Vorstand (Cb  54.61:1.1.5,76) – Die Antworten sind in den Akten der DGS im TN nicht überliefert. »Kulturgeschichte ist ohne gleichzeitige … Professur in voller Tiefe nicht lehrbar.« – Als Zitat nicht nachgewiesen. – Möglicherweise steht dieser Satz in der nicht überlieferten Antwort Lamprechts. Verhandlungen – Verhandlungen 1911 und 1913.

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len Auslandes über Deutschland in wirtschaftlicher, sozialer, rechtlicher, ethischer und allgemein-kultureller Hinsicht zu stellen. Dies ist insbesondere durch Unterstützung der dreimal wöchentlich erscheinenden »Korrespondenz der Neutralen« geschehen. Nachdem dann durch alle die ernsten Jahre ein völliger Stillstand gedauert hatte, wurde erst im Jahre 1920 wieder eine Sitzung des Vorstandes und des Hauptausschusses einberufen; beide fanden am 30. Mai in Jena statt. Der Hauptausschuß ist nach der revidierten Satzung [153] von 1912 befugt, auch über Satzungsänderungen mit Zweidrittelmehrheit zu beschließen. Mehrere solche Änderungen fanden einstimmige Annahme, die den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen gerecht zu werden bestimmt sind. Vor allem aber wurde eben dieser Schwierigkeiten halber eine Entschließung dahin gefaßt, daß die Deutsche Gesellschaft  für Soziologie ihre Wirksamkeit auf unbestimmte Zeit vertagen wolle. Zugleich fand eine Neuwahl des Vorstandes statt, und wurde eine Rekonstruktion des Hauptausschusses ins Auge gefaßt. Es wurde ferner beschlossen, daß Vorstand und Hauptausschuß  für Errichtung von Lehrstühlen der Soziologie wirken sollen, soweit geeignete Personen zur Verfügung stehen. Der Vorstand besteht gegenwärtig (1920) aus den Herren Tönnies, Sombart, Barth, Stoltenberg, Goldscheid, Vierkandt, Elster. Neben den Soziologentagen waren schon bei Begründung der Gesellschaft »rein wissenschaftliche Untersuchungen und Erhebungen« sowie »Veröffentlichungen und Unterstützung rein wissenschaftlicher Arbeiten« als Mittel ins Auge gefaßt. Eine solche Untersuchung sollte in erster Linie die »Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens«  4  8

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»Korrespondenz der Neutralen« – Vgl. im Editorischen Bericht S. 641. revidierten Satzung – Im TN nicht nachgewiesen. – In der Gründungsphase der DGS gab es mehrere Satzungsänderungen; vgl. hierzu Dörk 2018. Eventuell erinnert Tönnies hier ein falsches Jahr. Wirksamkeit auf unbestimmte Zeit vertagen – Vgl. das gedruckte Protokoll »Versammlung des Hauptausschusses zu Jena am 30. Mai 1920« auf Papier der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (Cb 54.61:2.2.10,60, 2 S.). (1920) – Angabe fehlt in A. Tönnies, Sombart … Vierkandt, Elster. – In A folgt der Satz: »Eine Neubildung des Hauptausschusses wird voraussichtlich noch in der ersten Hälfte des Jahres 1921 geschehen.« – Das Protokoll des Hauptausschusses (a. a. O.) nennt folgende Rollen im Vorstand: »Zum Vorsitzenden wird gewählt Tönnies, zum stellvertretenden Vorsitzenden Sombart; zum Schriftführer Barth, zu dessen Stellvertreter Stoltenberg, zu Beisitzern Goldscheid, Vierkandt, Elster.«. »rein wissenschaftliche Untersuchungen … rein wissenschaftlicher Arbeiten« – So § 1 des »Statuts« von 1911 (Verhandlungen 1911: V). »Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens« – Vgl. im Editorischen Bericht S. 644.

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sein, die Prof. Max Weber zu organisieren unternahm. Sie sollte sowohl auf das Zeitungsgeschäft, z. B. Finanzierung, Nachrichtenbeschaffung, Inseratenwesen und seinen Einfluß auf die Haltung der Zeitung, Einzelverkauf und Abonnement, wie auf die Gesinnung und das innere Wesen der Zeitungen (zunächst der deutschen) sich beziehen. Schon bei Max Webers Lebzeiten und vor dem Weltkriege war das Unternehmen infolge äußerer Hemmungen, die sein Interesse dafür aufhoben, als gescheitert zu betrachten. Als zweites Problemgebiet war für wissenschaftliche Untersuchungen die Soziologie des Vereinswesens, im weitesten Sinne des Wortes, geplant, und als drittes endlich die Frage der Auslese der  führenden Berufe: Abstammung, Herkunft, Lebensschicksal, soziale und materielle Vorbedingungen der Individuen, die im wirtschaftlichen, im politischen, im wissenschaftlichen, literarischen, künstlerischen Leben eine maßgebende Rolle spielen. Diese beiden Themen sind über allgemeine Erwägungen nicht hinausgekommen. Die Gesellschaft für Soziologie stand immer der Bildung von Abteilungen oder Sektionen innerhalb ihres Gesamtkörpers  freundlich gegenüber. Als solche bildete sich nach einer Vorbesprechung, die am 11. Februar 1911 im Hause des Unterstaatssekretärs z. D. Prof. v. Mayr zu München stattgefunden, die »Deutsche Statistische Gesellschaft«. Die endgültige Gründung  fand am 17. Juni 1911 in Dresden statt. Ihren Vorstand bildeten die Herren von Mayr (als Vorsitzender), Präsident Evert als dessen Stellvertreter, Geheimrat Dr. Würzburger als Schriftführer, Direktoren [154] Dr. Mischler, Dr. Hesse, Dr. Lange als Beisitzer. Ferner wurde als Vertreter des Gesamtvorstandes Prof. Dr. Tönnies in den Vorstand zugewählt. Die Deutsche Statistische Gesellschaft hat ihre Tätigkeit auch während des Krieges fortzusetzen versucht und ist mehr und mehr eine Gesamtvertretung der deutschen und deutsch-österreichischen Verwaltungsstatistiker geworden, sofern diese auch mit anderen an statistischer Forschung interessierten Personen in wissenschaftlicher – soziologischer – Richtung sich zu verbinden gesonnen waren und sind.

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Soziologie des Vereinswesens – Hierfür wie für das Arbeitsgebiet »Auslese der führenden Berufe« keine Belege im TN. »Deutsche Statistische Gesellschaft« – In seiner Eröffnungsrede zum 1. Deutschen Soziologentag (hier S.  208  ff.) zeigt Tönnies, dass sein Verhältnis zur Statistischen Gesellschaft und namentlich zu von Mayr nicht ganz spannungsfrei ist. Vgl. auch im Editorischen Bericht zu TG 21: 626 ff. zur kritischen Auseinandersetzung Tönnies’ mit der fachwissenschaftlichen Statistik, die bis zum Soziologentag 1930 virulent bleibt. Dr. Hesse – Schreibfehler im Namen »Heese« korrigiert.

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– Als fernere Abteilung war eine »biologische« Sektion in der Bildung begriffen. Erörtert wurde auch der Gedanke, eine Sektion für theoretische Nationalökonomie als soziologische Disziplin zu bilden. Diese Gedanken sind ebenso wie die von mehreren Seiten gewünschte Bildung von Ortsgruppen nicht über das Stadium der Vorbesprechungen hinausgekommen.

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Zusatz (1926) Früher als erwartet werden konnte – innerhalb dieser schweren Jahre – gelang es, eine Rekonstruktion der Gesellschaft auf neuer Basis zu erwirken. Nachdem diese zunächst auf den guten Willen weniger ehemaliger Mitglieder angewiesen war, entstand bald Einmütigkeit darüber, daß an Stelle eines offenen Vereins eine Genossenschaft von Gelehrten gebildet werden solle, deren Leitung einem »Rat« und einem die Geschäfte führenden Ausschuß obliegen solle, nachdem dafür das Kölner »Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften« und als ständiger Sekretär Prof. L. v. Wiese gewonnen worden war. Die geschlossene Zahl von Mitgliedern ist allmählich erweitert worden und im Herbst 1924 auf 125 festgesetzt. In bezug auf die Voraussetzungen der Kooptation haben einige Schwankungen stattgefunden. Aber die Gesellschaft hat in ihrer neuen Gestalt durch den 3. Soziologentag, der im Herbst 1922 in Jena stattfand und den 4. zu Heidelberg 1924 Beweise ihres Willens zum Leben und ihrer Lebenskraft gegeben, während die Sache selber diese beiden Erfordernisse durch eine wachsende Literatur kundtut, deren Bedeutung eben in ihrem äußeren und inneren Wachstum sich bewährt. [155]

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»biologische« Sektion – Die Gründung dieser Sektion 1914 ist von Kontroversen um die Werturteilsfreiheit begleitet (vgl. hierzu im Editorischen Bericht zu TG 15: 643 f.). Zusatz (1926) – Der Text fehlt in A. Beweise ihres Willens zum Leben – Vgl. Verhandlungen 1923 und 1925.

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Es ist eine Forderung des wissenschaftlichen Denkens, die Tatsache des Lebens aus den allgemeinen Tatsachen der Materie, d. i. aus den Gesetzen der mechanischen Vorgänge und der dadurch bedingten chemischen Prozesse abzuleiten. Soweit auch bisher die biologische Erkenntnis von diesem Ziele entfernt bleibt, so wichtig es ist, daß sie deutlich erkenne und offen anerkenne, daß in absehbarer Zeit noch gar keine Aussicht sich eröffnet, das Leben im strengen Sinne zu »erklären«, so muß sie andererseits ebenso unablässig auf der Hut sein vor vitalistischen und teleologischen Scheinerklärungen, die in Wirklichkeit nichts sind als Umschreibungen der noch dunklen Tatsache, und als solche ihren Wert haben können, wenn sie nur nicht sich anmaßen, etwas anderes und etwas mehr zu sein. Wenn aber das mechanische Sein der Lebensvorgänge noch unbegriffen bleibt, so läßt sich doch jeder Lebensprozeß mit einer einfachen mechanischen Bewegung vergleichen und als solche vorstellen. Mit einem gewissen Momentum, dargestellt durch die ererbten Organe, als die Behälter gewisser Fähigkeiten, deren Anlage nach, beginnend, wird er durch die umgebenden Potenzen gefördert und gehemmt, er ist seinem Wesen nach fortschreitende Überwindung von Widerstand. Das Leben erhält sich, solange es nicht vernichtet wird; es erhält sich durch  fortwährenden Ersatz der Energie, die der Organismus, teils durch seine eigene Tätigkeit, teils durch die Tätigkeiten anderer an ihm, fortwährend einbüßt. Die assimilierbare Materie strömt ihm teils ohne seine Tätigkeit zu, teils muß sie durch die Lebenstätigkeit selber, mit Überwindung von Widerstand ergriffen, angenähert, aufgenommen werden; die Assimilation selber ist Lebenstätigkeit, Überwindung von Widerständen durch Veränderung der Aggregatzustände, in denen die  fremde Materie sich befindet. Solange und sofern als der gesamte Lebensprozeß gleichsam  2

Über Anlagen und Anpassung – Der Artikel erscheint 1910 im ersten Jahrgang der Zeitschrift »Frauen-Zukunft« (S. 483–491 und 567–576, Tönnies 1910, im Folgenden A). – Unter dem Titel gezeichnet »Von Professor Dr. Ferdinand Tönnies«. Die Zeitschrift ist in Fraktur gesetzt. – Vgl. zur Einordnung des Artikels in Tönnies Werk den Editorischen Bericht S. 645.

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bestritten wird aus den vererbten Kräften, oder doch deren normaler ontogenetischer Entwicklung entspricht, so kann er gedacht werden als in gerader Linie sich bewegend; er geschieht alsdann mit demjenigen Minimum von Aufwand, das die Lebensarbeit der Vorfahren dem Individuum übrig läßt, nachdem sie durch alle Generationen hindurch dem [156] Leben unter gleichen oder doch in irgendwelchem Maße ähnlichen Umständen sich angepaßt hat, so daß die vorhandene, erblich übertragene Organisation eine gewisse Fähigkeit, unter diesen gegebenen Umständen das Leben fortzusetzen, darstellt – weil und insofern als auf jeder Stufe dieser Entwicklung die der Anpassung an die jedesmalige Umgebung nicht fähigen, oder aus anderen Ursachen tatsächlich nicht angepaßten untergehen mußten, teils ohne Nachkommenschaft zu hinterlassen, teils mit Hinterlassung einer solchen, die selber nicht hinlänglich stark war, um unter diesen Bedingungen »sich durchzuschlagen«, oder den Kampf ums Dasein zu bestehen; was sich wiederum teils in ihrem direkten, teils in ihrem indirekten – durch gar keine oder minder lebensfähige Nachkommen erfolgenden – Untergange darstellen muß. – Wenn nun aber und sofern als ein Organismus auf andere Umgebungen stößt oder gebracht oder verpflanzt wird, als diejenigen waren, wofür er seiner Art nach, d.  i. durch seine ererbten Anlagen und Organe eingerichtet ist, so werden jene teils unmittelbar, teils, und zwar besonders, durch ihre Wirkung auf den Lebensprozeß, Anlagen und Organe, oder doch deren sonst gleichsam vorgeschriebene Entwicklung, modifizieren. Als unmittelbare Veränderungen lassen sich solche begreifen, bei denen keine zentrale Reaktion stattfindet, vielleicht muß aber diese, wenn auch oft nur in verschwindendem Grade, immer angenommen werden. Sie ist teils direkte Wirkung, teils funktionelle Anpassung, das will sagen: entweder ein Nachgeben vor vermehrten oder neuen Widerständen, also verminderte Anstrengung in einer bestimmten Richtung, oder ein Versuchen, die vermehrten oder neuen Widerstände zu überwinden, also vermehrte Anstrengung in einer bestimmten Richtung. Wenn aber die neuen Umstände vermehrte oder neue Förderungen sind, so wird auch deren Wirkung teils direkt sein: Beschleunigung und Erleichterung des gesamten Lebensprozesses oder eines Teiles davon; teils indirekt: Anpassung durch verminderte Anstrengung in bestimmter Richtung, also Herabsetzung des Lebensprozesses. Die indirekte Wirkung durch Förderungen kann also mit der direkten Wirkung durch Hemmungen zusammenfallen. Ebenso kann die indirekte Wirkung durch Hemmung mit der direkten Wirkung durch Förderung zusammenfallen. Da auch bei allen direkten Wirkungen eine gewisse, wenn auch passivische, zentrale Reaktion angenommen werden muß, so können direkte und indirekte Wirkungen als

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Anpassungen des Organismus an seine Umgebung zusammenbegriffen werden. Wenn das Leben gemäß der vererbten Anlagen als eine Bewegung in gerader Linie, die ihrem Wesen nach zu beharren tendiert, daher als Tangentialkraft, so kann das Leben gemäß den Anpassungen als ein Angezogenwerden durch die differierenden Ele[157]mente der Umgebung, wie durch eine Schwerkraft gedacht werden. Das wirkliche Leben wird immer eine Kurve beschreiben, denn die völlige Übereinstimmung der gegebenen Lebensbedingungen mit den normalen, die der Konstitution der Art entsprechen, ist ein idealer Fall, der in Wirklichkeit nicht vorkommt. In Wirklichkeit überwiegt mehr oder minder eines von beiden: Vererbung oder Anpassung; beide sind in jedem Falle mehr oder minder stark, mehr oder minder schwach. Unterschieden wurden schon passivische und aktive Anpassung. Die aktive Anpassung ist vorzugsweise sensuelle und intellektuelle Anpassung, d. i. die Umstände, auf die sie reagiert, werden als Reize empfunden oder als Zeichen verstanden. Mit der Ausbildung der Sinnesorgane und des Gehirnes muß daher auch die Fähigkeit der Anpassung an verwickelte und schwierige, daher insbesondere an neue Lebensbedingungen wachsen. Der Mensch, als das intelligenteste, ist auch das anpassungsfähigste der Tiere. Nur beim Menschen kann ein Überwiegen von Anpassung über Vererbung vorkommen, das wir daher vorzugsweise zum Gegenstande unserer Untersuchung machen werden. Denn auch beim Menschen findet bei weitem der größte Teil individueller Anpassung unter dem Übergewichte der Vererbung statt. Durch sie wird der Mensch nur das, was zu werden das natürliche Ergebnis seiner Entwicklung ist: seinen Erzeugern ähnlich; und zwar – wie wir als Regel setzen mögen – das männliche Kind vorzugsweise dem Vater, das weibliche der Mutter. Bei Betrachtung der Ähnlichkeiten unter Menschen werden wir freilich in schärfster Weise gewahr, wie unbestimmt und vieldeutig dieser Begriff der Ähnlichkeit ist. »Alle Gestalten sind ähnlich und keine gleichet der andern« sagt unser großer Dichter-Naturforscher, der von dieser Betrachtung aus, indem er innerhalb der Ähnlichkeiten die Homologien der Organisation erkannte, der Abstammungslehre auf die Spur kam. Daß es nun viele Grade von Ähnlichkeit gibt, liegt auf der Hand und wird auch allgemein anerkannt. Aber auch das kann keinem Denkenden sich verbergen, daß es ganz verschiedene Arten von Ähnlichkeit gibt. In einem ganz anderen Sinne ist der Säugling seinem Vater und ist er anderen Säuglingen ähnlich. Die zweite Art der Ähnlichkeit ist

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»Alle Gestalten sind ähnlich und keine gleichet der andern« – So Z. 5 in Goethes Gedicht »Die Metamorphose der Pflanzen« (Goethe 1986: 14).

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offenbar für eine Auffassung, die sich an das Sinnliche und Gegenwärtige hält, viel auffallender und größer. Nicht anders bei Erwachsenen. Der Mann gleicht dem Mann, mit dem er in Reih und Glied steht; aber er gleicht auch jenem Greise, seinem Oheim. Die Familienähnlichkeit ist eine besondere Art von Ähnlichkeit. Sie ist die Ähnlichkeit, die aus einer speziellen und nahen Vererbung herrührt, während die Ähnlichkeit z.  B. eines germanischen und eines mongolischen Säuglings einer sehr entfernten Verwandtschaft, also ihrer gemeinsamen Ver[158]erbung entspricht, die um so mehr hervortritt, je weniger die speziellen Merkmale bei dem unentwickelten Organismus ausgeprägt hervortreten. Die Familienähnlichkeit ist eine ganz spezielle Ähnlichkeit, die daher beim völlig gereiften Organismus am vollkommensten in die Erscheinung tritt, und sich dann auf den gesamten körperlichen und psychisch-moralischen Habitus erstreckt. Francis Galton hat den induktiven Beweis zu erbringen versucht, daß jeder Mensch, einer ziemlich  festen Regel gemäß, die Hälfte seiner ganzen »Erbmasse« den Eltern verdanke, also dem Vater und der Mutter je 1/4, daß sich ein ferneres Viertel auf die 4 Großeltern, 1/8 auf die Urgroßeltern usw. verteile1. Dies kann füglich als ein schematischer Ausdruck der Tatsache gelten, daß Züge entfernterer Vorfahren, und zwar am lebhaftesten solche der Großeltern – daher das Wort Atavismus – im Wesen des höheren Organismus deutlich wiedererscheinen. Es erklärt auch das starke Hervortreten der höheren GattungsMerkmale, also des Rassen-Typus, wenn die Eltern dem Stamme nach verwandt sind, und um so mehr, je näher sie es sind, also je mehr Ahnen sie gemeinsam haben. Die hohe Bedeutung der genealogischen Forschung für ein naturwissenschaftliches Verständnis der menschlichen Geschichte ist in neuerer Zeit mit Grund hervorgehoben worden. Ihr eigentliches Feld gewinnt sie durch die Nachweisung der Erfolge an Kreuzungen. Je mehr 2 Familien bisher auseinander geblieben sind, also sich, auch in Anpassung an klimatische und an soziale Verhältnisse, differenziert entwickelt haben, desto deutlicher läßt sich die Wirkung der ehelichen Verbindung auf die Nachkommen in dem Sinne, daß dadurch die bisherigen Eigenschaften der einen Familie verändert würden, unterschiedlich erkennen und  feststellen. Der deduktiv ableitbare Satz, daß eine irgendwie distinguierte Familie durch Kreuzung mit einer mittelmäßigen oder gar 1

»Galton’s law«: Proceedings of the Royal Society, vol. 61, p. 402.

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Familienähnlichkeit – A: Familien-Ähnlichkeit, so auch noch einmal weiter unten. induktiven Beweis – Vgl. Galton 1897.

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in der  fraglichen Beziehung (z.  B. intellektuelle Begabung) schlechten Familie verdorben wird, während diese – bei dem supponierten gleichen Anteil väterlicher oder mütterlicher Anlagen – in entsprechendem Maße verbessert würde, läßt sich an vielen historischen Beispielen erlauchter Familien induktiv belegen. Es gilt für die Menschen, wie für alle anderen animalischen und pflanzlichen Organismen, daß nur eine fortgesetzte Auslese ein bestimmtes Merkmal auf der Höhe erhalten, dann aber auch steigern und weiter veredeln kann; wenn auch unter Mithilfe einer Vererbungstendenz für die erworbenen Veredlungen. Indessen wird diese Regel doch nur für große Durchschnitte sich rein bewähren. Denn die Vermischung der Anlagen ist in jedem einzelnen Falle eine besondere [159] und komplizierte Erscheinung. Fortwährend kommt neben der eigentlichen Erzielung einer mittleren Anlage aus zwei verschieden großen – der blended inheritance, nach Pearson2 – eine Mischung von der Art vor, daß einzelne Anlagen ganz vom Vater, andere ganz von der Mutter übertragen werden – Pearsons exclusive inheritance. Und bei einer zahlreichen Nachkommenschaft ist es fast eine Regel, daß der eine Teil, wenigstens in gewissen gravierenden Merkmalen, ganz nach dem Vater, der andere ganz nach der Mutter »schlägt«. So daß also für den einzelnen Fall die getreue Vererbung eines Rassen- oder Varietäts-Merkmals trotz ungünstiger Kreuzung keineswegs unmöglich, wenn auch jedenfalls viel weniger wahrscheinlich ist, als im Falle einer günstigen Kreuzung. Karl Pearson berechnet aus einem großen, nach sehr genauer statistischer Methode analysierten Material als normale Erwerbung, daß von 1000 bedeutenden Männern (men of mark), im Falle daß sie durchschnittlich begabte Mütter hatten, 142, wenn sie aber höher begabte Mütter hatten, 244 ausgezeichneter Väter sich erfreuten, während in jenem Falle 858, in diesem 756 von durchschnittlichen Vätern abstammten. »Mit anderen Worten, hervorragende Väter erzeugen hervorragende Söhne in einem Verhältnis, das 3–6 mal so groß ist als bei nicht hervorragenden Vätern. Nur weil hervorragende Väter selber so selten sind, bleiben wir  für das Gros unserer ausgezeichneten Männer angewiesen 2

Proc. Roy. Soc., vol. 66, p. 140 seqq.

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blended inheritance, nach Pearson – Pearson 1900. von 1000 bedeutenden Männern … durchschnittlichen Vätern abstammten. – »In other words, out of 1000 men of mark we may expect 142 in the first case, 244 in the second, to be born of exceptional parents, while 858 in the first and 756 in the second are born of undistinguished fathers.« (Pearson 1900a: 37 f.). – Hier wie in A ein Satzfehler »(men of mock)«.

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auf die Schicht der nicht hervorragenden Väter.« Er hat ferner gefunden: »Hervorragende Paare erzielen hervorragende Söhne in einem mehr als 10 mal so starken Verhältnis als nicht hervorragende Paare. Und doch werden 18 mal so viele hervorragende Söhne dieser nicht hervorragenden, als jener hervorragenden Paare geboren; so selten sind diese letzteren, sie machen nur ½% aller Paare aus3.« Nun nimmt freilich Pearson ebenso wie Galton die bloße Tatsache der Berühmtheit für ein vollgültiges Zeugnis entsprechender Fähigkeiten, als ob sozusagen der Grad der Berühmtheit mit dem Grade der Begabung genau korrespondierte. Dies ist aber methodologisch nicht gegen Einwände gesichert. Es ist lebhaft angefochten worden von dem Bulgaren Odin, der dagegen die Bedeutung des Milieus, also der leichteren oder schwereren Anpassung, bei Gleichheit der vererbten Anlagen, an die Bedingungen ihrer Entwicklung mit guten Gründen ins Gefecht führt. Er sagt mit Recht4, daß Galton zwar gezeigt habe, daß es überaus schwer sei, in den Rang der obersten Richter in England emporzusteigen, aber nicht, wie groß das wirkliche Verdienst derer sei, [160] denen dies gelinge. Höchstens dürfe man Galton einräumen, daß es eine starke Präsumtion  für die Annahme gebe, daß keiner dieser Richter schlechthin mittelmäßig sei. Genüge dies aber, um (wie Galton tut) sie alle für hervorragend begabt zu halten? Als ob es nicht andere Mittel und Wege als das Verdienst gäbe, um in solche Stellungen zu gelangen! Aber auch abgesehen von unreinen Mitteln, so liegt es doch auf der Hand, daß von 2 Jünglingen bei gleicher Begabung, gleicher Geistesrichtung, gleichem Fleiße, derjenige eine außerordentlich hohe Gunst sowohl für die Entwicklung seiner Anlagen als für sein äußeres Vorwärtskommen genießt, der 1. überhaupt einen begabten, 2. besonders aber der einen in derselben Richtung ausgebildeten und tätigen Vater hat. Vor allem aber wäre 3 4

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Philosophical Transactions of the Royal Society, vol. 195, A. p. 37. Genese des grands hommes, T. I (Paris 1895), p. 197.

»Mit anderen Worten … hervorragenden Väter.« – »In other words, exceptional fathers produce exceptional sons at a rate 3 to 6 times as great as non-exceptional fathers. It is only because exceptional fathers are themselves so rare that we must trust for the bulk of our distinguished men to the non-exceptional class.« (ebd., 38). »Hervorragende … ½% aller Paare aus.« – »Pairs of exceptional parents produce exceptional sons at a rate more than ten times as great as pairs of non-exceptional parents. At the same time, eighteen times as many exceptional sons are born to nonexceptional as to exceptional parents, for the latter form only about ½ per cent, of the community.« (ebd., 47). Genese des grands hommes – Odin 1895: 197.

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das ökonomische Milieu, die unendliche Erleichterung durch gute, die unendliche Erschwerung durch schlechte Glücksumstände in Anschlag zu bringen. Ferner aber ist zu erwägen – was  freilich mit den Glücksumständen mehr zusammenhängt – wie verschieden bei gleicher Begabung die leibliche Gesundheit und die für das Berühmtwerden oft unmittelbar entscheidende Lebensdauer in Betracht kommt. Es ist bekanntlich eher eine Ausnahme als die Regel, daß »mens sana in corpore sano« wohnt5, wenigstens wenn nicht etwa unkritischerweise alle höhere Begabung für eine Spezies der Verrücktheit erklärt wird. Es gibt allerdings eine nahe und innige Verwandtschaft genialischer, also insbesondere künstlerischer Anlagen mit pathologischen Erscheinungen; woraus auch zu erklären, daß gerade diese eigentlichen Genies oft gar keine, oft eine mittelmäßige, oft sogar eine schwer belastete Nachkommenschaft haben. Aber auch die ausgezeichnete wissenschaftliche Begabung, die von krankhaften Erscheinungen viel weiter entfernt liegt, ruht sehr oft auf einer schwachen körperlichen Basis, ist z. B. keineswegs selten mit tuberkulöser Anlage, d.  h. mit vererbter Zartheit des Lungengewebes verbunden. Im allgemeinen darf man beinahe sagen, daß die Neigung zu den Studien im umgekehrten Verhältnis zur körperlichen Rüstigkeit steht, wenigstens zu den entsprechenden Neigungen. Der kraftstrotzende Knabe wird sich lieber balgen, wenn der zarter gebaute hinter den Büchern sitzt. Wer aber geistige Gaben mit körperlicher Kraft verbindet, hat einen gewaltigen Vorsprung im Wettrennen um Ansehen, Stellung usw. Er hat eine im ganzen glücklichere Anlage; daß aber diese durchweg auch die geistig besten und  feinsten Anlagen sind, ist keineswegs wahrscheinlich. Die Biographien der  führenden, Epoche machenden Geister [161] lehren uns zumeist leiblich schwach organisierte und viele kurzlebige Menschen kennen. Es ist darum auch sehr unwahrscheinlich, daß etwa die dauernde intellektuelle Veredlung eines Volkes, d.  h. die Verbesserung der intellektuellen Anlagen, mit der Hervorbringung geistig hervorragender Individuen etwas Erhebliches zu tun hat. In der Regel werden deren Nachkommen bald auf ein allgemeines Niveau zurücksinken; werden aber die Anlagen erhalten und gesteigert, so wird dadurch die physi5

Vgl. darüber die trefflichen Ausführungen von Moreau: La psychologie morbide (Paris 1851).

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»mens sana in corpore sano« – [Lat.] svw. Gesunder Geist in gesundem Körper. trefflichen Ausführungen von Moreau – Recte: Moreau 1859.

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sche Dauer und Fortpflanzung unwahrscheinlicher. Die durchschnittliche Begabung verändert sich langsam. Negative Selektion  findet allerdings fortwährend statt, positive sehr wenig. Wissenschaftliche Einsicht kann zugunsten selektorisch richtiger Verbindungen in Zukunft wirken. Soziale Einrichtungen vermögen in dieser Hinsicht mehr. Rücksicht auf vermögensrechtliche Vorteile durch die Ehe hat viel mehr als Unwissenheit und Gedankenlosigkeit zur physischen und geistigen Verschlechterung der Nachkommenschaft (der »Rasse«) gewirkt. Die Vererbung erworbener Eigenschaften hat vermutlich zur Ausbildung des Menschen im Verlaufe der Jahrtausende stark beigetragen. Die Anpassungen an das Klima, an das zivilisierte seßhafte Leben werden doch wohl erst im Laufe von vielen Generationen erworben; sie wären fortwährend gefährdet, wenn sie in jeder Generation durch eine neue Auslese der Passendsten bedingt wären. Tatsächlich scheinen sie allen Geborenen, die nicht wegen allgemeiner Defekte mangelhafte Lebensfähigkeit haben, in einer bestimmten Gegend angeboren zu sein. Ebenso ist die Domestikation der Tiere schwerlich erklärbar ohne jenes Prinzip, wenn es auch nur die Bedeutung hat, daß vorhandene Anlagen, wenn sie durch Übung ausgebildet werden, eine etwas bessere Chance besitzen als nicht ausgebildete unter sonst gleichen Umständen, in der nächsten Generation überhaupt, besonders aber, daß sie verstärkt wieder auftreten. Die Ausbildung von Anlagen ist  freilich von den Anlagen mit abhängig, aber nicht allein abhängig. Die gesamten Lebensumstände, das Milieu und die mehr oder weniger vollkommene Angepaßtheit daran, wirken stark dazu mit. Eben daher sind  für den Menschen die sozialen Verhältnisse, die ihn umgeben, von so eminenter Wichtigkeit, nicht nur  für seine individuelle Ausbildung, sondern wegen dieser auch  für die Anlagen seiner Nachkommenschaft. Darum wäre die Gewißheit, daß eine Tendenz zur Vererbung erworbener Eigenschaften vorhanden ist, auch von eminenter moralischer Wichtigkeit. Wir werden aber nicht glauben, daß von zwei gleichgearteten jungen Männern der eine, der durch einen Zufall einen schlimmen Freund fand, und, von diesem verführt, sich einer Lebensweise ergab, durch die er seinen Körper ruinierte, ebenso tüchtige Nachkommen[162]schaft erzielen wird wie der andere, der das Glück hatte, durch einen weisen Mentor vor Torheiten und Aus 5  8 13 17 19 22

vermögen in dieser Hinsicht – A: vermöchten in dieser Hinsicht. (der »Rasse«) gewirkt. – Dies das Ende des ersten Teils in A. jeder Generation – A: jeder neuen Generation. ohne jenes Prinzip – A: ohne jedes Prinzip [wahrscheinlich Textverderbnis]. ausgebildet – In A hervorgehoben. den Anlagen mit – A: den Anlagen selber mit.

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schweifungen bewahrt zu werden. Die Frage der Infektionen und der Infektion des Keimplasmas kann dabei ganz aus dem Spiele bleiben. Daß ein geschwächter und kranker Leib, wenn die Schwäche und Krankheit erworben ist, ebenso gute Chancen habe wie ein von Haus aus starker und durch Lebensweise gestärkter, gesunde Kinder zu erzeugen oder zu gebären, wird man so lange für unwahrscheinlich halten dürfen, bis es für bewiesen gelten muß. Und bewiesen ist bisher nur, daß bestimmte einzelne Schädigungen, als Verstümmelungen und dgl. keine direkten Wirkungen auf das Keimplasma haben; dies aber steht auf einer Linie mit der Tatsache, daß auch angeborene individuelle Defekte und Eigentümlichkeiten keineswegs notwendig in den Erzeugnissen wiederkehren, sondern sehr oft – am ehesten natürlich durch günstige Kreuzung – in den allgemeinen Charakteren verschwinden, die nun eine starke Tendenz zur Wiederkehr (zum »Rückschlägen«) zeigen. Sogar wenn beide Eltern blind oder taubstumm geboren sind, ist die angeborene Blindheit oder Taubstummheit der Kinder nicht notwendig, wenn auch in hohem Grade wahrscheinlich. Und die meisten individuellen Variationen sind viel geringer, werden daher leichter von den Gattungsmerkmalen überwogen; selbst wenn deren jüngere Elemente schon die gleiche Richtung mit den individuellen Abweichungen haben. Aber der Gegensatz: Vererbung – Anpassung, so bedeutend seinem Wesen nach, ist in der Ausdrucksweise nicht völlig genau und richtig. Denn während Anpassung eine Tätigkeit ist, als deren Subjekt der sich anpassende Organismus gedacht wird, so bedeutet dagegen Vererbung einen Naturprozeß, der entweder ohne Subjekt gedacht wird oder doch die Erzeuger desjenigen Organismus zum Subjekte hat, an dem er als wirksam beobachtet und vorgestellt wird. Außerdem berührt sich der Gegensatz nahe mit zwei anderen Gegensätzen, wird daher selbst von hervorragenden Naturforschern nicht streng genug gegen diese abgegrenzt und von ihnen getrennt. Wenn nämlich jenen Begriffen ein Unterschied in den Lebenstätigkeiten oder Funktionen zugrunde liegt, so gibt es einen nahe verwandten, aber doch nicht gleichen Unterschied in den Eigenschaften oder Modifikationen des Organismus (Geweben und Organen). Den angeborenen Eigenschaften stehen die erworbenen Eigenschaften gegenüber. Die angeborenen Eigenschaften sind überwiegend – aber nicht ausschließlich – ererbte. Die ererbten selber zerfallen in 1. allgemeine oder generische – das sind die Charaktere der Art, und aller speziellen Abteilungen der Art, mit Einschluß der (naturgemäß gegen[163]über den älteren massenhaften Erbstücken nur winzigen) Anlagen von besonderen Eigenschaften, die erst Vater oder Mutter des Organismus während ih-

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res Individuallebens erworben haben; insofern als auch solche Anlagen gemeinsames Erbteil mehrerer Individuen sind; 2. individuelle, die auch als variable von jenen als konstanten unterschieden werden können. Denn in ihnen prägt sich die Variation als Gegensatz der Vererbung aus, insofern als Vererbung Ursache der Gleichheit ist. Dieses Gegensatzes halber wird von Häckel die Variation mit der »Anpassung« identifiziert. Häckel stellt aber zugleich alle Wirkungen der »Anpassung (Adaptio) oder Abänderung (Variatio)« als »erworbene individuelle Eigenschaften« den »ererbten« gegenüber (Natürliche Schöpfungsgeschichte 10, S. 208) und ist andererseits genötigt, die »ursprüngliche Ungleichheit aller Einzelwesen jeder Art« als durch indirekte individuelle Anpassung bedingt von der erworbenen zu unterscheiden, wo erworben nur diejenige Ungleichheit heißt, die »durch direkte universelle Anpassung bewirkt wird« (das. S.  219), also nicht alle Eigenschaften, die den ererbten gegenüber stehen. Nehmen wir nun auch an, daß die ursprüngliche oder angeborene Ungleichheit teilweise durch indirekte individuelle Anpassung bedingt ist (d. h. wenn wir auch mit Häckel diese Variation auf Vorgänge der Anpassung zurückführen), so bleibt doch ein großer Teil solcher Ungleichheit übrig, der aus Vererbung allein zu erklären ist. Die Ungleichheit von Individuen, selbst solchen, die einem und demselben Elternpaare entsprossen sind,  folgt notwendig aus der verschiedenen Beschaffenheit der Keimzellen, die von den elterlichen Organismen abgesondert werden. Jede ist gleichsam ein Miniatur-Abdruck von einer Platte, die  fortwährender Umarbeitung unterworfen ist und fortwährend in die verkleinerte Form umgegossen wird. Die Züge sind verschieden ausgeprägt; solche, die im Originale nur schwach und blaß waren, treten zuweilen im Abdruck scharf und stark hervor, weil eine Lichtwirkung die Stelle berührt hat; manche sind nur einzelnen Abdrücken eigentümlich, weil sie erst später – nachdem schon andere abgezogen waren – in die Platte eingetragen wurden. So erklärt sich die Verschiedenheit von Geschwistern schon aus der (hier als möglich vorausgesetzten) Vererbung erworbener Eigenschaften selber. Denn wenn z.  B. arme Eltern ein Kind erzeugen, das, im Mutterschoße mangelhaft ernährt, schwächlich zur Welt kommt, so werden dieselben Eltern später – in bessere Nahrungszustände versetzt– ein kräftigeres Kind erzeugen; und dies scheinen vielfache Erfahrungen zu bestä 9 13

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Natürliche Schöpfungsgeschichte 10, S. 208 – Haeckel 1902, zehnter Vortrag. »durch direkte universelle Anpassung bewirkt wird« – »Freilich läßt sich niemals mit Bestimmtheit sagen, wie viel von dieser Ungleichheit aller Einzelwesen jeder Art ursprünglich (durch die indirecte individuelle Anpassung bedingt), wie viel davon erworben (durch die directe universelle Anpassung bewirkt) sein mag.« (ebd., 219). dies scheinen vielfache Erfahrungen – A: dies scheint vielfache Erfahrung.

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tigen. Ferner haben wir in dem Gleichnis die Tatsachen des Atavismus andeuten wollen, die Häckel aus der unterbrochenen oder latenten Vererbung ableitet (a. a. O. S. 185 f.). Es ist klar, daß [164] hier individuelle Varianten unabhängig von aller Anpassung auftreten. Um so mehr wird es der Fall sein müssen, wenn an die Stelle des einen der beiden Erzeuger ein anderes Individuum – als Vater oder Mutter – gesetzt wird, so daß nicht mehr Voll-, sondern Halbgeschwister verglichen werden. Diese Erklärung kann freilich, wie Darwin bemerkt, für die ursprüngliche Variabilität nicht in Betracht kommen, da sie die Frage nur zurückschiebt. Aber diese ursprüngliche Variabilität, wofür neben indirekter Anpassung auch Vererbung kausal mitwirkt, vermannigfacht sich auch durch  fernere Vererbung. Selbst von der indirekten Anpassung dürfte aber manches, und vielleicht das Merkwürdigste, auf eine sozusagen heimliche Vererbung zurückzuführen sein. Wenn nämlich »die Ursache der individuellen Unterschiede .. teilweise .. in gewissen Einwirkungen liegt, welche die Fortpflanzungsorgane des elterlichen Organismus erfahren haben« (Häckel a. a. O. S. 215), so würden dahin auch die Tatsachen der Telegonie zu rechnen sein, die von manchen der Neueren, wie es scheint ohne genügenden Grund, geleugnet werden6. Daß wir das »Wie« dieser Einwirkung einer Befruchtung auf das weibliche Ovarium, die zur Folge hat, daß spätere Befruchtungen davon gleichsam infiziert werden, nicht auf befriedigende Art darzustellen vermögen, würde diese Tatsache nicht von manchen anderen Tatsachen des organischen Lebens unterscheiden. Wenn also angeborene generische und angeborene individuelle Eigenschaften unterschieden werden, so berührt sich dieser Unterschied mit dem Gegensatz von Vererbung und Anpassung nur insofern, als bei

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Für die Bedeutung spricht sich u.  a. Nußbaum aus: »Über Vererbung«, Bonn 1888, S. 21.

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unterbrochenen oder latenten Vererbung – Vgl. ebd., 186. – Satzfehler »ununterbrochenen« nach A korrigiert. ,,die Ursache … Organismus erfahren haben« – »Alle organischen Individuen sind von Anfang an durch gewisse, wenn auch oft höchst feine Unterschiede ausgezeichnet, und die Ursache dieser individuellen Unterschiede, wenn auch im Einzelnen uns gewöhnlich ganz unbekannt, liegt theilweise oder ausschliesslich in gewissen Einwirkungen, welche die Fortpflanzungs-Organe des elterlichen Organismus erfahren haben.« (ebd., 215). Telegonie – Svw. Einfluss früherer Trächtigkeit auf die späteren Trächtigkeiten in Form einer Fernvererbung. darzustellen vermögen – A: darzulegen vermögen. »Über Vererbung« – Nussbaum 1888.

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den generischen Vererbung allein in Frage kommt, bei den individuellen Vererbung und Anpassung zugleich. Wenn angeborene und erworbene Eigenschaften des Individuums unterschieden werden, so ist dieser Unterschied ebenfalls mit jenem Gegensatz verwandt, da die erworbenen Eigenschaften ausschließlich aus (direkter) Anpassung erklärt werden müssen, während bei den angeborenen die Vererbung weit überwiegt. Die Erscheinungen der indirekten Anpassung bilden ein Zwischengebiet zwischen den Wirkungen der reinen Vererbung und denen der reinen Anpassung. Für den gegenwärtigen Zweck kann füglich davon abgesehen werden. Wir werden daher den Begriff der Anpassung mit direkter Anpassung gleichsetzen, um so ausschließlicher also dabei an die individuelle Tätigkeit des Individuums denken. Und wenn wir dann den Gegenbegriff ebenfalls auf die Lebenstätigkeit beziehen, so wird in dieser Hinsicht als der wesentliche Unterschied sich ergeben: [165] a) Leben in vererbten Formen, Entwicklung der Anlagen in diese Formen hinein (Ontogenesis), als Anpassung an eine vererbte, d. h. der elterlichen gleichartige Umgebung. b) Anpassung an eine neue,  fremde, der elterlichen ungleichartige Umgebung. Daß auch in der Entwicklung menschlicher Kultur Vererbung und Anpassung die beiden ausschlaggebenden, teils zusammen-, teils einander entgegenwirkenden Faktoren sind, ist von vornherein wahrscheinlich, wenn man erkannt hat, daß auch der menschliche »Geist« nur eine höher entwickelte Form des über die ganze Natur ausgebreiteten, besonders die organischen Individuen bezeichnenden und in der animalischen Welt allmählich sich differenzierenden, als Intelligenz immer mächtiger werdenden Geistes ist; des Geistes, der nur das heller werdende und zuletzt im Selbst sich erklärende Bewußtsein der Materie selber ist. Wir erkennen ihn in dem, was wir die Naturkräfte nennen, die ihren allgemeinsten Ausdruck als Widerstand und Bewegung haben, welche beide nichts anderes bedeuten als Verhältnisse der Materie zu anderer Materie; und deren allgemeinstes Gesetz die Tendenz jeder Partikel bezeichnet, in ihrem Zustand oder in Richtung und Geschwindigkeit ihrer Bewegung zu beharren; im elementaren Organismus potenziert zur – bewußt werdenden – Beharrung eines Verhältnisses, des Lebens oder der  2

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als bei den … Anpassung zugleich. – A grammatisch inkonsistent: als bei der generischen Vererbung allein in Frage kommt, bei der individuellen Vererbung und Anpassung zugleich.. Bewußtsein der Materie – A: Bewußt-Sein der Materie. Naturkräfte – A: Natur-Kräfte.

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Form, in fortwährender Erneuerung, im »Wechsel« des »Stoffes«. Und nur ein höheres Verhältnis dieser Art, eine höhere Selbsterhaltung, ist das Beharren der »Gattung« im Wechsel der Individuen. Und wie sich im Individuum die Selbsterhaltung übersetzt in die Tendenz zum Wachstum – der Widerstand geht in die Bewegung über, er ist und wird Bewegung – so stellt sich die Selbsterhaltung der Gattung in der Tendenz zur Vermehrung dar. Beim elementaren Organismus – dem Protozoon – sind Erhaltung des Individuums und Erhaltung der Gattung fast ungeschieden – die Fortpflanzung ist, nach Häckels Ausdruck, ein hyperindividuelles Wachstum. Die Lebens- und Vermehrungstendenz der organischen Materie wird gefördert und gehemmt durch Widerstände und Bewegungen, der unorganisierten Materie: die Lebens-, Wachstums- und Vermehrungstendenz jeder Gattung und jedes Individuums außerdem durch die Lebens-, Wachstums- und Vermehrungstendenzen anderer Gattungen und anderer Individuen. Eine Theorie über die Vermehrungstendenzen der menschlichen Gattung und deren Hemmungen war bekanntlich der fallende Apfel Newtons für die ebenso geniale Konzeption, die sich der Gravitationstheorie zur Seite gestellt hat: daß das regelmäßige »Verfahren« der Natur, [166] vermöge dessen sie zu neuen Gattungen sich entwickle, daher auch zu den höheren Arten der Organismen emporsteige, einer Zuchtwahl vergleichbar sei; so daß auf unsere Verwunderung und Frage, woher die große Mannigfaltigkeit und große Verschiedenheit der Arten, die Natur uns eine ähnliche Antwort zu erteilen scheint, wie ihr Nachahmer, der Züchter, sie geben würde, wenn wir ihn fragten, wie doch so viele verschiedene Varietäten von Tauben, Hühnern, Pferden, Rindern, Schafen, Hunden hätten entstehen können. Er würde uns nämlich antworten: die besonderen und auffallenden Merkmale dieser Varietäten – z. B. die kurzen Hörner seiner Rinder, die langen Schädel seiner Hunde – seien bei deren Vorfahren nur schwach und wenig auffallend gewesen; diese hätten sich kaum merklich von anderen Rindern und Hunden unterschieden, auch zwischen Geschwistern seien ja aus allerhand Ursachen kleine, beim Menschen sogar sehr erhebliche Abweichungen vorhanden. »Von diesen Merkmalen«, würde er sagen, »habe ich nun solche, an denen ich Gefallen fand – sei es aus Liebhaberei, sei es um des Nutzens willen – durch Paarung der damit begabten männlichen mit ähnlich be-

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geht in die Bewegung über – A: geht in Bewegung über. Materie: die Lebens-, – A: Materie; die Lebens-,. die große Mannigfaltigkeit – A: die Mannigfaltigkeit.

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gabten weiblichen Individuen, gesteigert, während ich die anderen nicht in mir zusagender Weise begabten Individuen entweder gar nicht sich paaren oder ihre Brut umkommen ließ; und dies sichtende Verfahren habe ich so oft wiederholt, bis ihr in diesen veredelten Exemplaren die bisherigen Endergebnisse meiner Bemühungen seht« (nicht anders würde der Rosen-, Tulpen- und Nelkenzüchter sich aussprechen). Ebenso würde also – nach Darwin – durch den Mund der Wissenschaft die Natur sprechen; diese verschiedenen Arten, von denen ihr wißt, daß sie zu einer »Familie« gehören – und die Familien sind ja wiederum Zweige einer Ordnung usw., bis ihr zu einer großen Abteilung, z. B. innerhalb der Fauna zu den Wirbeltieren gelangt; das Verhältnis wiederholt sich immer von neuem – diese Arten würden euch, wenn ihr sie, d. h. ihre Aszendenten, vor x mal 1000 Jahren gesehen hättet (wie ich, die Natur, sie gesehen habe) nur als verschwisterte Varietäten erschienen sein; ihre Merkmale, die sie auszeichnen, waren zwar schon vorhanden, aber viel weniger ausgeprägt und viel weniger  fixiert, ihre Kreuzungsprodukte waren noch fortpflanzungsfähig. Ich aber, die Natur, habe mich bemüht, sie auseinanderzuhalten und jede Varietät nur mit ihresgleichen sich begatten zu lassen, teils indem ich ihren Instinkt dahin disponierte, teils indem ich sie räumlich trennte, also ihren Lüsten die Gelegenheiten zu Ausschweifungen entzog; es gab aber damals noch viele andere Varietäten – diese ließ ich gar nicht oder doch viel weniger zur Paarung kommen, besonders die Männchen schloß ich von der Begattung mit den von mir begünstigten Weibchen aus, und dabei bediente ich mich noch [167] der besonderen List, daß ich diejenigen Männchen, die ich mit diesen begünstigten Weibchen verbinden wollte, mit allerhand besonderen Reizen ausstattete, z. B. mit einer hohen Stimme, mit einem bunten Gefieder, die auf die Weibchen als Zeichen von Kraft wirkten und also ihre Geschlechtslust oder ihre mütterlichen Triebe erregten, so daß sie eben diesen (die auch ich begünstigen wollte) vor ihren Mitbewerbern den Vorzug gaben, so daß diese Mitbewerber sich mit ihresgleichen, den geringeren Weibchen begnügen mußten; aus diesen geringeren Varietäten sind aber  4  5

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habe ich so oft wiederholt – A: habe ich oft wiederholt. »Von diesen Merkmalen«, würde er sagen, »habe … Bemühungen seht« – Als Zitat nicht nachgewiesen. Darwin (1878 I: 4  f.) beschreibt die Zuchtwahl ganz in diesem Sinne. die sie auszeichnen – A: die sie jetzt auszeichnen. fixiert, ihre – A: fixiert; ihre. ihren Instinkt – A: ihren Geschmack oder wie man sagt, ihren Instinkt. sie eben diesen … begünstigen wollte) – A: sie diesen (die eben auch ich begünstigen wollte). diesen geringeren Varietäten – A: diesen geringen Varietäten.

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keine Arten geworden: sie waren eben darum geringer, weil sie minder gute Kräfte hatten, sich im Dasein zu behaupten oder sich zu vermehren, am geringsten, wenn sie in beiden Hinsichten zu schwach waren – diese sind bald, die anderen (solche, die wenigstens in einer Hinsicht stark waren) später verschwunden; sie sind »ausgestorben«; die tüchtigsten, d. h. für die von ihnen vorgefundenen Lebensbedingungen geeignetsten Varietäten haben sich bis jetzt erhalten, vermehrt und als Arten fixiert. Da das Aussterben sich durch das Sterben der Individuen vollzieht, so ist das Aussterben einer Art wegen ihres größeren Reichtums an Individuen viel unwahrscheinlicher, schwerer und langsamer als das Aussterben einer Varietät. »Der Ausdruck: »natürliche Zuchtwahl« ist in mancher Beziehung nicht gut, da er eine bewußte Wahl einzuschließen scheint.« »Ich verstehe aber unter Natur nur die zusammengesetzte Wirkung und das Produkt vieler natürlicher Gesetze und unter Gesetz nur die ermittelte Aufeinanderfolge von Erscheinungen.« Mit diesen Sätzen weist Darwin (Das Variieren der Tiere und Pflanzen. Deutsche Übers., 3. Ausg., Stuttgart 1878, S. 6–7) die Wege zum Verständnis und zur richtigen Ergänzung seiner Lehre. Man hat nach ihm, und um ihn zu kritisieren, oft verkündet, daß die Auslese nichts schaffen könne, daß ihr das Material gegeben sei, also aus anderen Ursachen entspringen müsse. Darwin selbst anerkennt diesen Truismus, wie an manchen anderen, so auch an der angezogenen Stelle: »In dem einen wie in dem anderen Falle (dem der natürlichen wie der künstlichen Zuchtwahl) ist durch die Zuchtwahl nichts ohne die Variabilität zu erreichen, und diese hängt in irgendeiner Weise von der Einwirkung der umgebenden Verhältnisse auf den Organismus ab.« Es muß nur hinzugesetzt werden: »und von der Gegenwirkung (der Reaktion) des Organismus auf diese Einwirkungen«; denn hierin besteht das Wesen der Anpassung, wie anderseits die »Zucht« ganz und gar bedingt ist durch die Vererbung, die sogar, wie wir gesehen haben, ihren Einfluß auch auf die Variabilität erstreckt, wie andererseits (indirekte) Anpassung auch schon in Wirkungen gesehen wird, die auf die Generationsorgane und Geschlechtsprodukte der Erzeuger [168] geschehen und diesen aus der Frucht sich mitteilen. Wir behalten aber der Einfachheit halber jene kurzen Ausdrücke, indem wir sie in 15 20 26 27 33

»Der Ausdruck: … Aufeinanderfolge von Erscheinungen.« – Darwin 1878 I: 6 f. und 7. gegeben sei, – A: gegeben sein,. »In dem einen wie in dem anderen … auf den Organismus ab.« – Ebd., 7, die Ergänzung in der Klammer von Tönnies. »und von der Gegenwirkung (der Reaktion) des Organismus auf diese Einwirkungen« – Dies eine Ergänzung Tönnies’. und diesen aus der Frucht sich mitteilen – A: und von diesen aus sich der Frucht mitteilen.

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der geschehenen Weise interpretieren. Denn es ist klar, daß Einwirkung der umgebenden Verhältnisse und Gegenwirkung dagegen nur insofern Ursache von Variation sein kann, als diese Verhältnisse verschieden sind von denen, worunter Eltern und Vorfahren gelebt haben. Denn insofern sie die gleichen sind, ist ja die gesamte Organisation, mit deren Anlagen das junge Wesen zur Welt kommt, ihnen angepaßt; auch die Entwicklung dieser Anlagen ist Anpassung, und zwar Anpassung, die vielen Individuen nicht gelingt, was ihren frühen Untergang zur Folge hat; aber die gelingende Anpassung dieser Art (als die Ontogenie) ist nur eine abgekürzte, eine unendlich beschleunigte, also erleichterte Wiederholung des langen mühsamen Anpassungsprozesses an diese Lebensbedingungen, den die Vorfahren, den die Gattung durchgemacht hat, der Phylogenie. So hat auch in einem Volke jeder einzelne in Abkürzung den Prozeß der Anpassung an Kulturbedingungen, namentlich an das Leben unter Gesetzen, für sich zu wiederholen. Das ganze Volk aber, und der einzelne, der an seiner Entwicklung mitarbeitet, hat mehr oder minder in jeder Generation eine neue Gesamt-Anpassung zu vollziehen, die mehr oder minder mit Erfolg geschieht, nicht selten aber völlig mißlingt. [169]

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1. Die Soziologie ist nicht lediglich Kausalwissenschaft. Sie ist vielmehr, wie alle allgemeinen und dann philosophischen Wissenschaften, in erster Linie eine Wissenschaft von Begriffen. Dies ist das Wesen der reinen oder abstrakten Soziologie, die von der angewandten und empirischen streng unterschieden werden muß. 2. Der Begriff, den die Soziologie zugrunde legen muß, wie die Biologie den Begriff des Lebens oder des Organismus, die Psychologie den Begriff der Seele oder des psychischen Erlebnisses, ist der Begriff des sozialen Verhältnisses. Das soziale Verhältnis ist das Verhältnis gegenseitiger Bejahung zwischen Menschen. Besondere Erscheinungen des sozialen Verhältnisses sind das Sitten- und das Rechts-Verhältnis, d. i. soziale Verhältnisse, die durch einen Richtung gebenden, eventuell richtenden, allgemeinen Willen geschützt, darum auch bestimmt sind. Die Grenze zwischen bloß sozialen Verhältnissen einerseits, sittlichen und RechtsVerhältnissen anderseits, ebenso wie die Grenze zwischen sittlichen und Rechts-Verhältnissen, ist fließend. Es ist eine der Hauptaufgaben der reinen Soziologie, diese Grenzen zu ziehen und zugleich die Übergänge aus dem einen in das andere Gebiet zu beschreiben. – Soziale Verhältnisse wurzeln zum Teil in natürlichen Verhältnissen, zum Teil sind sie nichts als gedachte und gewollte Mittel für individuelle menschliche Zwecke. Aus sozialen Verhältnissen entspringen und darin beruhen die sozialen Verbindungen, deren Wesen zu erkennen das wichtigste Ziel der reinen Soziologie ist. Sie müssen streng unterschieden werden von bloß natürlichen »Gruppen«. 3. Die Rechtsphilosophie ist daher ihrem Wesen nach ein Teil der reinen oder theoretischen Soziologie, insofern als die Rechtsphilosophie  2

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Soziologie und Rechtsphilosophie – Der Text erscheint unter dem Titel »Soziologie und Rechtsphilosophie. Leitsätze« im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie (4.1910/11, S. 569–571, Tönnies 1911b, im Folgenden A). Unter dem Titel gezeichnet »von Dr. Ferd. Tönnies, o. Honorarprofessor an der Universität Kiel«. Gesetzt in der Antiqua. – Der Artikel ist ein Tagungsbeitrag, zu seinem Kontext vgl. im Editorischen Bericht S. 646. anderseits – A: andererseits.

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die Wirklichkeiten des Rechts begreifen will. Sie liegt aber außerhalb der Soziologie insofern, als sie Normen des richtigen oder guten oder zweckmäßigen oder gerechten Rechtes aufzustellen unternimmt. 4. Die bleibende Bedeutung der naturrechtlichen Rechtsphilosophie liegt in der Ablösung der Begriffe des Rechts von der Theologie, in der [170] behaupteten Autonomie des menschlichen Willens auch in bezug auf die moralisch und politisch gültigen sozialen Werte. 5. Der wahre Sinn des rationalistischen Naturrechts liegt in der allmählich durchgedrungenen Scheidung der Rechtslehre von der Sittenlehre: in der Erkenntnis, daß die rechtsetzende Vernunft wesentlich utilitarisch ist und sein muß, wie auch immer sonst die praktische (ethische) Vernunft sich begründen möge. Jene hat es in allen Fällen mit dem Ausgleich widerstreitender Interessen oder mit der Regelung der gegensätzlichen Elemente in den sozialen Verhältnissen und Verbindungen zu tun. 6. Die naturrechtliche Rechtsphilosophie will nicht ein für alle Zeiten und Orte gültiges Recht in Einzelheiten darstellen, sondern nur die Fundamente alles Rechtes legen, unter der Voraussetzung allgemeiner persönlicher Freiheit und unter Abstraktion von allen ethischen Ansprüchen und Verpflichtungen zwischen den Personen. Dies ist dem Naturrecht insofern gelungen, als alles moderne Privatrecht und alles öffentliche Recht (wenigstens insofern, als es die allgemeine gleiche Wahlberechtigung anerkennt) auf dieser Grundlage wirklich beruht (sie stillschweigend anerkennt). 7. Die Grenzen der naturrechtlichen Rechtsphilosophie bestehen darin, daß sie keinen Schlüssel zum Verständnisse der historisch gegebenen Rechtssysteme und ihrer Entwicklung darbietet. Ihre Begriffe sind ausschließlich individualistisch und gesellschaftlich. Diese Begriffe bedürfen der Ergänzung durch gemeinschaftliche Begriffe, für die das individuelle (subjektive) Recht sekundär ist. Für jene ist der Vertrag ausschließlich Ursprung der Willenseinigung, und mit dem Gesetze ausschließliche Form des kollektiven, Normen gebenden Willens. Die Ergänzung hat die historische Rechtsschule nicht gegeben. Die Lehre, daß das Recht tatsächlich in beständigem Flusse sei, ergänzt weder noch widerlegt sie das systematische Naturrecht. Die Lehren vom Volksgeiste und von der Normalität des Gewohnheitsrechtes sind nur mystisch-romantische Andeutungen, keine wissenschaftlichen Erklärungen. Die Hegelsche Rechtsphilosophie bedeutet einen energischen Versuch in der Richtung, eine begriffliche Synthese von Sittlichkeit und Recht wiederherzustellen, und die Unzulänglichkeit der naturrechtlichen Lehren begrifflich auf11

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zuheben. Indem Hegel den Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee darstellt, gibt er eine Formel, die auf die antike Polis besser als auf den modernen Staat paßt, aber zugleich die Richtlinie für eine mögliche Entwicklung dieses modernen Staates anzeigt. 8. Die angewandte oder empirische Soziologie begreift auch die Ent[171]wicklungsgeschichte des sozialen Lebens, also der sozialen Institutionen in sich; sie hat die Aufgabe, deren natürlichen, ökonomischen, rechtlichen, religiösen und sittlichen Charakter darzustellen. Die Entwicklungsgeschichte des Rechts kann wie jede besondere historische Disziplin völlig unabhängig von ihr bleiben. Sie geht aber in dem Maße in angewandte Soziologie über, als sie auch die natürlichen, ökonomischen, religiösen und moralischen Seiten und Wurzeln der Institutionen in ihre Betrachtungen hineinzieht. [172]

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Staat als die Wirklichkeit der sittlichen Idee – So in Hegels Rechtsphilosophie § 257 (Hegel 1821: 241).

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XXIX. Soziologie und Universitätsstudien (1913) Im Laufe der kommenden Jahrzehnte wird es sicherlich sich ereignen, daß die beiden Dinge – Soziologie und Universitäten – sich begegnen. Einstweilen existiert die Soziologie für die Universitätsverwaltungen in Deutschland und Oesterreich noch nicht. Lehrstühle werden errichtet oder wenigstens Lehraufträge erteilt für »soziale Medizin« – die meistens aus unkritischer, d.  h. weder durch soziologische Begriffe noch durch statistische Methode gereinigter sogenannter Statistik besteht; – für soziales Versicherungswesen – wovon eine in kaufmännischen Kontors zu erlernende Technik das wichtigste sein dürfte – aber nimmermehr  für die Soziologie als eine philosophisch-wissenschaftliche Lehre, die doch, wenn irgend etwas, an den Hochschulen ihren Platz suchen muß. Die Tatsache ist um so auffallender, da nicht allein die »Nachfrage« nach Soziologie, wie die amerikanische ihr gewidmete Monatsschrift schon vor 17 Jahren konstatierte, in beständigem Wachsen ist, sondern auch von verschiedenen Seiten die Unzulänglichkeit der bisherigen Art,  2

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Soziologie und Universitätsstudien (1913) – Der Text erscheint in Heft 1–2 der Zeitschrift »Das neue Leben. Blätter für Bildung und Kultur. Zeitschrift für alle akademischen Kreise« (1.1912/13, S. 14–27, im Folgenden A) am 15. Oktober 1912. Dort steht der Titel ohne die Klammer mit der Jahreszahl, die allerdings das Erscheinungsdatum nicht trifft. – Tönnies berührt mehrere Themenfelder: Das erste ist die Anerkennung der Soziologie in den Universitäten. Viel Raum wird möglichen Verbindungen zwischen Soziologie und politischen Reformbestrebungen gegeben, wobei Tönnies auf die Werturteilsfreiheit der Wissenschaft auf der einen, auf das ethische Gebot, praktisch zu handeln auf der anderen eingeht. Statistik als Beruf wird angesprochen. All dies steht im Kontext der Bildung studentischer wissenschaftlicher Vereinigungen an den Universitäten, die sich für Soziologie interessieren. – Unter dem Titel gezeichnet »Von Prof. Ferdinand Tönnies, Eutin (Holstein)«. In Fraktur gesetzt. – Unter B sind Passagen aus dem Erstdruck von Nr. XXXIII (in diesem Band S. 305) nachgewiesen: im Nachdruck dieses Textes in SSK II sind sie ausgelassen (vgl. ed. Fn. zu Z. 32 auf S. 315). die amerikanische ihr gewidmete Monatsschrift – »The American Journal of Sociology« erscheint seit Juli 1895. Der Herausgeber Albion W. Small entwickelt das Programm der Zeitschrift im Eröffnungsartikel »The Era of Sociology«: »Sociology has a foremost place in the thought of modern men. Approve or deplore the fact at pleasure, we cannot escape it. Examination of the fact in view of its relations will properly introduce a statement of the aims of this journal.« (1895: 1).

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die sozialwissenschaftlichen Disziplinen zu behandeln, erkannt, und in einer grundlegenden Theorie einerseits eine tiefere Ansicht von einzelnen Tatsachen, anderseits die Einheit der mannigfachen Betrachtungen gesucht wird. Dem ist so in Deutschland und Österreich nicht weniger als in den anderen Ländern, wo schon die Soziologie als solche anerkannt ist und akademische Geltung besitzt. Nicht nur die vor einigen Jahren erfolgte Bildung einer deutschen soziologischen Gesellschaft zeugt davon, zu der sich Nationalökonomen, Juristen, Philosophen, Historiker zusammengefunden haben. Die Vereinigung für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie (an deren Spitze Joseph Kohler steht) weist in die gleiche Richtung. Das »Archiv«, das dieser als Organ dient, richtete vor ungefähr zwei Jahren eine Rundfrage an eine große Zahl bekannter Gelehrter, ob ein »Institut« für Rechtsphilosophie und Soziologie notwendig sei? Die Frage wurde, mit einer einzigen Ausnahme (Hans Delbrücks), in bejahendem Sinne beantwortet, und  für die meisten Antworten stand die Soziologie durchaus im Vordergrunde. Ein »Institut«? und kein Lehrstuhl? nicht einmal ein Lehrauftrag? Die Aussicht auf ein Plätzchen im Universitätsstudium ist doch vielleicht [173] noch etwas näher als auf ein »Institut«. Einstweilen müssen wir an »Soziologentagen« uns genügen lassen, deren erster im Jahre 1910 in Frankfurt am Main gehalten wurde; der zweite hat am 20.–22. Oktober 1912 zu Berlin stattgefunden. Aber, so lebhaft auch neuerdings diese Bestrebungen sich geltend machen, gerade in Deutschland ist die Forderung einer allgemeinen »Gesellschaftslehre« von weit älterer Herkunft. Soziologie ist ja nur ein anderer Name dafür und kann nichts anderes bedeuten; ein nicht schöner, aber ein brauchbarer Name, der vor allem den Wert hat, zu einer internationalen Geltung gelangt zu sein. Daran noch zu mäkeln, wie es manche Überweise tun, hat kaum mehr einen Sinn. Ich habe bei anderer Gelegenheit darauf hingewiesen, daß auch der Name Biologie sprachlich falsch ist, denn Leben im »biologischen« Sinne heißt auf griechisch

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anderseits – A: andererseits. Rundfrage – »Ein deutsches Institut für Rechtsphilosophie und soziologische Forschung? Eine Enquête« (Kohler / Liszt / Berolzheimer 1911). Tönnies nimmt an der Umfrage teil (vgl. ebd., 220–223) und bespricht die Enquête anlässlich einer Buchrezension einige Jahre später ausführlicher (1918, TG 10: 542 f.). – Tönnies ist Mitglied der »Vereinigung für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie«. »Soziologentagen« – Vgl. Verhandlungen 1911 und 1913. zweite hat am … stattgefunden – A: zweite soll am 20.–22. Oktober 1912 zu Berlin stattfinden. bei anderer Gelegenheit – Vgl. in diesem Bd. z. B. S. 207 und 227.

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»ζωή«; der Name »Zoologie« war aber schon okkupiert, das Bedürfnis schuf, wie sonst, den neuen Ausdruck. An der lateinisch-griechischen Zusammensetzung in »Soziologie« haben nur diejenigen ein Recht, Anstoß zu nehmen, die auch Wörter wie »Planimetrie«, »Automobil« und manche andere verwerfen und nicht gebrauchen. Zu einer Zeit, als noch der Terminus Soziologie kaum erfunden war, hat der Verfasser der »Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften« Robert von Mohl, denen vorgearbeitet, die jetzt beflissen sind, den mannigfachen Studien dieser Art, die zuweilen dilettantisch ausschweifen, strengere Ordnung und tieferen Zusammenhang zu verleihen. Zwar wollte er die »Gesellschaftswissenschaft« trotz »mancher und vielfacher Berührung« von der »Staatswissenschaft« durchaus getrennt haben; aber es ist nur eine notwendige Ergänzung seines Gedankens, wenn wir sagen, daß die beiden als Zweige einer Gesamtwissenschaft verstanden werden müssen; und diese hat von der älteren Generation in Deutschland keiner so entschieden erstrebt wie A. Schäffle, der viele Jahre die von Mohl begründete Tübinger »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft« geleitet hat; auch war Schäffle Mitglied des im Jahre 1894 begründeten internationalen Instituts für Soziologie, das in Paris seinen Sitz und ein Generalsekretariat hat. Schon vor vielen Jahren konnte man auch aus anderen, einander selbst entgegengesetzten Lagern unserer Sache günstige und ermutigende Stimmen vernehmen. So sprach G. Schmoller schon in der ersten Auflage des Conradschen Handwörterbuchs (Art. Volkswirtschaft) von den »wissenschaftlichen Untersuchungen und Versuchen, die heute unter dem Begriffe der Soziologie zusammengefaßt werden«, daß sie »eine philosophisch grundlegende und zusammenfassende Bedeutung  für alle Spezialwissenschaften von Staat und Gesellschaft, also auch  für die Natio[174]nalökonomie mit Recht beanspruchen«; ja er  fügte, of 1 12

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»ζωή« – [Gr.] zoḗ. »Gesellschaftswissenschaft« – von der »Staatswissenschaft« durchaus getrennt – »Was aber das Verhältniss dieser Gesellschaftswissenschaft zu der Staatswissenschaft betrifft, so besteht zwar eine nahe und vielfache Berührung beider Kreise, oft eine Parallelisirung derselben und gegenseitige Aufklärung; aber auch eine völlige Trennung.« (Mohl 1855: 104). »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft« – Die Zeitschrift erscheint seit 1844. So sprach G. Schmoller schon in der ersten Auflage – B: So sagte Gustav Schmoller schon vor langen Jahren, in der ersten Auflage. von den »wissenschaftlichen … zusammengefaßt werden« – B: daß die »wissenschaftlichen Untersuchungen und Versuche, die heute unter dem Namen Soziologie …«. »eine philosophisch grundlegende … mit Recht beanspruchen« – Schmoller 1894: 563, auch Schmoller 1894a: 313. beanspruchen«; ja er – B: beanspruchen«. Ja er.

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fenbar mehr im Sinne einer Forderung als einer Tatsache, hinzu: »die allgemeine heutige Nationalökonomie ist philosophisch-soziologischen Charakters. Sie geht vom Wesen der Gesellschaft und den allgemeinen Ursachen des wirtschaftlichen Lebens und Handelns aus ... sie nähert sich einer ethischen und geschichtsphilosophischen Untersuchung, wenn sie die gesamten volkswirtschaftlichen Erscheinungen im Zusammenhang mit ihren letzten gesellschaftlichen Ursachen vorführen will.« Als Erfüllung dieses Postulats erschienen seitdem (1900 ff.) die zwei mächtigen Bände der »Allgemeinen Volkswirtschaftslehre«, ein Werk, dessen Einleitung zwischen dem Kapitel vom »Begriff der Volkswirtschaft« und dem (III.) von der geschichtlichen Entwicklung der Literatur und von der Methode der Volkswirtschaftslehre die »psychischen, sittlichen und rechtlichen Grundlagen der Volkswirtschaft und der Gesellschaft überhaupt« eingehend, wenn auch nicht erschöpfend, erörtert. Im zweiten Bande behandelt das vierte Buch »die Entwicklung des volkswirtschaftlichen Lebens im ganzen« – auch dies kann als angewandte Soziologie angesprochen werden, möge man mit den soziologischen Begriffen und ihrer Anwendung einverstanden sein oder nicht. Und in dem großen Artikel der dritten Auflage des Handwörterbuchs, worin erst vor einem Jahre der bejahrte, aber noch rüstig sich fortentwickelnde Forscher der wissenschaftlichen Welt eine Art von Vermächtnis seiner Grundanschauungen geben zu wollen schien, kommt er auf die früher an gleicher Stelle entwickelten Ideen zurück, und erklärt sich dahin, es habe ihm natürlich ferngelegen, einen Mischmasch aller Sozialwissenschaften unter Aufhebung der Spezialwissenschaften begründen zu wollen; er habe nichts anderes gemeint, als daß »alle Staats- und Sozialwissenschaften gewisse gemeinsame Grundlagen und einheitliche Ursachen soziologischer und psychisch-ethischer Art haben«. Diese Grundlagen will eben die reine theoretische Soziologie erforschen und darstellen.  1  7 14

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offenbar mehr – B: mehr offenbar. »die allgemeine heutige … Ursachen vorführen will.« – Schmoller 1894: 531 f. ein Werk, dessen Einleitung … erörtert. Im zweiten – B: ein Werk, das im 2ten Abschnitte der Einleitung die »psychischen, sittlichen und rechtlichen Grundlagen der Volkswirtschaft und der Gesellschaft überhaupt« erörtert; im 2. – Tönnies zitiert die Überschrift von Nr. II. in der »Einleitung« des Werks (Schmoller 1900: 6–75). »die Entwicklung des volkswirtschaftlichen Lebens im ganzen« – »Die Entwickelung …« (Schmoller 1904: 464 ff.). erst vor einem Jahre – Schmoller (1911: 501) datiert seinen Artikel auf »Ende Februar 1911«. – B: erst neuerdings. habe nichts anderes gemeint, als daß – B: habe nur gemeint, daß. »alle Staats- und Sozialwissenschaften … Art haben« – Ebd., 475, so auch schon Schmoller 1894: 551.

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Und nun hören wir den Vertreter der deutschen politischen Oekonomie, der sich selber wohl den »Antipoden« Schmollers genannt hat. Adolf Wagner verbindet mit dem glänzenden Vorzuge einer kühn voranschreitenden Logik, mit dem noch schöneren des lebendigsten Strebens nach Gerechtigkeit, eine vielleicht etwas zu weit gehende Rücksichtnahme auf kritische, hemmende Bedenken, daraus entspringende Ängstlichkeit, zu viel zu sagen, zu viel zu konzedieren. Ihn erfüllt Mißtrauen gegen die neue »Soziologie«, wie er sie kennt und auffaßt; er verhehlt nicht, daß er ihr skeptisch, ja ablehnend gegenüberstehe; er spricht wohl von einer unklaren und verschwommenen, einzigen großen Sozialwissenschaft oder »Soziologie« (Grundlegung I 3, S.  67). Und doch ist seine »Grundlegung« ganz und gar in solchem monistischen [175] Sinne gedacht, vielleicht verschwimmen sogar Ethik und Psychologie so sehr mit der ökonomischen Ansicht darin, daß gerade die »Soziologie« sich dagegen wehren muß. Und der berühmte Autor findet theoretisch ganz die Stellung, die wir verlangen, wenn er bestimmt (a. a. O. S. 281): »Die Politische Oekonomie als Ganzes und die einzelnen Teile ihres Systems gehören zu der großen Gruppe der Geisteswissenschaften und hier zu derjenigen Abteilung derselben, welche die unter sich wieder näher verwandten »Wissenschaften vom Volksleben«, wie man sie wohl zusammenfassend genannt hat, d.  h. die Gesellschafts-, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften umfaßt. In allen diesen Wissenschaften handelt es sich um Verhältnisse des menschlichen Zusammenlebens – des »gesellschaftlichen« Lebens in diesem Sinne – und in jeder der vier genannten Spezialgruppen um verschiedene Seiten dieses Zusammenlebens und der dasselbe bildenden sowie der aus ihm hervorgehenden Erscheinungen«. Ich würde meinen, Recht und Wirtschaft seien  2

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Und nun hören wir … politischen Oekonomie, der sich selber wohl – B: Und hören wir nun aus einem entgegengesetzten Lager der deutschen politischen Oekonomie jenen berühmten Vertreter, der sich selbst wohl. vielleicht etwas zu weit gehende – B: vielleicht zu weit gehende. Bedenken, daraus – B: Bedenken und eine daraus. sagen, zu viel – B: sagen und zu viel. Grundlegung I 3, S. 67 – »›Wachsende Ausdehnung und Vervollkommnung der Einzelwissenschaften‹, insbesondere der Politischen Oekonomie aus einer solchen nach Objecten, Aufgaben, Methoden eigenen Einzelwissenschaft, scheint auch uns das richtige Ziel, nicht eine unklare und verschwommene, einzige grosse Socialwissenschaft oder ›Sociologie‹.« (Wagner 1892: 67). die »Soziologie« – A und B: der »Soziologe«. der berühmte Autor – B: der bedeutende Autor. »Die Politische Oekonomie … hervorgehenden Erscheinungen« – Ebd., 281; Tönnies übernimmt nur einen Teil der Hervorhebungen. Ich würde meinen – B: Wir möchten meinen.

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den Begriffen von Staat und Gesellschaft mehr unter- als beizuordnen. Diese Seiten hängen aber in der Wirklichkeit auf das Engste zusammen und – (S. 282) »so erweist sich die genannte Gruppe von Wissenschaften als ein aus verschiedenen Gliedern bestehendes, aber ein einheitliches Ganzes bildendes Wissenschaftssystem«. Dies Wissenschaftssystem, das ist die Soziologie in ihren Anwendungen und Verzweigungen. Unklar und verschwommen ist sicherlich manches, was in ihrem Namen hervorgebracht wird; die Idee selber ist es nur wie die Idee jeder unendlichen Aufgabe, daher die Idee jeder Wissenschaft. Sehr leicht erkennt man, wie die ganze Gedankenwelt, um die es hier sich handelt, in engen Beziehungen zu den Tatsachen des wirklichen heutigen Lebens steht: diese Zusammenhänge hat gerade Adolf Wagner immer scharf beleuchtet. Die Kulturkrisis, die unter dem Namen der sozialen Frage am meisten Aufmerksamkeit findet, ernährt und befruchtet diese Gedankenwelt. Und so finden wir denn auch, fern von allen akademischen Kreisen, ja in bewußter Opposition gegen sie, eine intensive Beschäftigung mit der Soziologie in jener Gemeinde von Häretikern, deren Glaubensbekenntnis das Programm der sozialdemokratischen Partei ist. Ihre kanonische Literatur enthält Elemente, die am entschiedensten in neuester Zeit auf die Gestaltung dieses Wissenschaftssystems mitgewirkt haben und noch wirken; ihre periodische Presse, am meisten die Wochenschrift »Neue Zeit«, bringt fortwährend beachtenswerte, ja wichtige Beiträge zu dessen verschiedenen Zweigen. Niemand kann sich der Soziologie widmen, ohne jenen Theorien zu begegnen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, die sich als wissenschaftlicher Sozialismus zusammenfassen. [176]

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»so erweist sich … bildendes Wissenschaftssystem« – Bei Wagner: »Soweit das Object, welches jede dieser Wissenschaften von ihrem Standpuncte aus behandelt, nach anderen Seiten auch den anderen Wissenschaften angehört, und, um es nach der zu ihr gehörigen Seite richtig zu behandeln, auch auf diese Behandlungsweise der anderen Seiten durch diese anderen Wissenschaften in jeder einzelnen derselben Rücksicht genommen werden muss, erweist sich …«. Dies Wissenschaftssystem, das ist die – B: Dieses, Wagner vorschwebende Wissenschaftssystem ist aber nichts anderes als die. Verzweigungen. Unklar und verschwommen ist sicherlich manches, was – B: Verzweigungen – so unklar und verschwommen manches auch noch ist, was. wird; die Idee selber … Idee jeder Wissenschaft. – In A am Ende des Absatzes ein Gedankenstrich. – B: wird. – Fortsetzung von B auf S. 315, Z. 15. »Neue Zeit« – »Die neue Zeit. Wochenschrift der Deutschen Sozialdemokratie [Untertitel bis 1901: Revue des geistigen und öffentlichen Lebens]« erscheint seit 1883. Tönnies veröffentlicht in der Zeitschrift 1893 und 1897 je einmal, zwischen 1918 und 1922 häufiger (vgl. Fechner 1992).

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Dieses Wort kann man heute noch kaum aussprechen, wenigstens in Deutschland nicht, ohne einem Sturm von Gehässigkeiten, Verdächtigungen, Weherufen zu begegnen. Die Annäherung, die in der nationalökonomischen Wissenschaft seit lange an jenes System geschehen ist, bewirkte schon, daß die »Furien des Privatinteresses« laut danach geschrien haben, die Lehrstühle sollten der »wahren Wissenschaft« wiedergegeben werden – sie, die Furien, Richter über die wahre Wissenschaft! Es ist genau dasselbe Verhältnis, als wenn vor 300 Jahren das Kollegium der Kardinäle über die Wahrheit der Lehre des Kopernikus, auf Grund von Stellen der Bibel und des Aristoteles, zu urteilen sich herausnahm, um einen Galilei zu verurteilen. Die Stelle der Bibel und des Aristoteles mußte ehemals Adam Smith vertreten; seitdem dieser seine Geltung verloren hat, bemüht man sich, minder erleuchteten Geistern autoritative Geltung zu verschaffen. Ob dem wissenschaftlichen Sozialismus ein so hoher Rang gebühre und eine so siegreiche Zukunft gewiß sei, wie seine Anhänger verkünden, will ich hier nicht untersuchen. Daß es aber durch und durch absurd ist, das gelehrte Urteil zur Entscheidung darüber herauszufordern – die aber ist ohne  feige Abdankung der Wissenschaft unvermeidlich – und ihm zugleich vorzuschreiben, daß diese Entscheidung gegen die – sagen wir angeklagte Lehre ausfallen müsse, ist für alles ehrliche Denken so gewiß, daß wir keine Zeugnisse und Analogien dafür aufzurufen nötig haben. Nun wird man aber entgegnen, Sozialismus sei doch keine Lehre, die das Wirkliche beschreiben und erklären, sondern die es verändern, wohl gar umstürzen wolle; sei kein theoretisches, sondern ein praktisches System. Diese praktische Tendenz, die sich gegen die Lebensbedingungen bestehender Staats- und Gesellschaftsordnung richte, seien die Vertreter dieser Ordnungen berufen, abzuwehren und jedenfalls von den Hochschulen fernzuhalten. Auch besonnene Stimmen wissenschaftlich gesinnter Männer werden in diesem Sinne laut. Ich denke z. B. an Prof. Dr. Alfred Dippes Schriftchen »Sozialismus und Philosophie auf den deutschen Universitäten«, das vor bald 20 Jahren die »Umkehr« der offiziellen deutschen Sozialpolitik einläuten half. Alle Gutgesinnten wandten sich damals auf gegebenes Signal gegen den christlich-sozialen »Unsinn«, gegen politische Pastoren und Professoren, gegen die harmlosen sozialwissenschaftlichen Gesellschaften, die damals auf mehreren Universitäten sich gebildet hat-

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»Furien des Privatinteresses« – Dies ein Ausdruck Marx’ (1867: XI). »Sozialismus und Philosophie auf den deutschen Universitäten« – Dippe 1895.

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ten. Auf ihre Unterdrückung wurde mit Erfolg gedrungen. So heißt es in der genannten Schrift: »Kultusministerien und Ministerien des Innern sollten gemeinsam gegen die ersten Anzeichen sozialistischer [177] Preßund Lehragitation Stellung nehmen und energisch vorgehen.« Dieser auf vielen Seiten widerhallende Wunsch kann eine doppelte Bedeutung haben: 1. es soll auf die politische Denkungsart und etwaige Parteiangehörigkeit bei akademischen Lehrern, wie bei anderen Beamten, vigiliert werden. Dies hat keinen besonderen Bezug auf ihren Charakter als Lehrer; und der Unterricht in sehr vielen Fächern hat offenbar mit Politik so wenig Berührung, wie kaum eine andere öffentliche Tätigkeit; man denke an Physik oder Chirurgie oder die (ehemals der Religion so gefährliche) Astronomie. Aber das Lehramt gibt Autorität; je mehr etwa gar ein Dozent sich bemüht, in persönlichem Verkehre seinen Studenten intimeres Interesse für die Wissenschaft mitzuteilen, desto gefährlicher kann sein Einfluß werden. Man erinnert sich des politischen Mordes, ausgeführt nicht von einem Handwerksgesellen, nicht von einem Journalisten unarischer Abstammung, sondern – von einem schwärmerischen Studenten der Theologie, im Jahre 1819. Damals waren die Regierungen auf dem Posten. Trotz der souveränen Unabhängigkeit, die sie im Deutschen Bunde ängstlich behüteten (ja diese anzutasten, das eben war damals »Umsturz«), verpflichteten sich »die Bundesregierungen gegeneinander, Universitäts- und andere öffentliche Lehrer, die durch erweisliche Abweichung von ihrer Pflicht, oder Überschreitung der Grenzen ihres Berufes, durch Mißbrauch ihres rechtmäßigen Einflusses auf die Gemüter der Jugend, durch Verbreitung verderblicher, der öffentlichen Ordnung und Ruhe feindseliger oder die Grundlagen der bestehenden Staatseinrichtungen untergrabender Lehren ihre Unfähigkeit zur Verwaltung des ihnen anvertrauten wichtigen Amtes unverkennbar an den Tag gelegt haben, von den Universitäten und sonstigen Lehranstalten zu entfernen, ohne daß ihnen hierbei … irgendein Hindernis im Wege stehen könne«. (Karlsbader Beschlüsse § 2.)

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»Kultusministerien und Ministerien des Innern sollten … energisch vorgehen.« – Ebd.. 38. vigiliert – Vigilieren svw. aufpassen, wachsam sein. politischen Mordes – Mord Karl Ludwig Sands an August von Kotzebue am 23.3.1819. »die Bundesregierungen gegeneinander … im Wege stehen könne« – Provisorischer Beschluß über die in Ansehung der Universitäten zu ergreifenden Maaßregeln vom 20. September 1819, § 2 (Karlsbader Beschlüsse vom 20. September 1819) – Dort: »Die Bundesregierungen verpflichten sich gegeneinander …«.

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In der napoleonischen Zeit erschien eine Schrift des Titels »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung«. Wir haben uns seither gewöhnt, eine  fast ebenso tiefe Erniedrigung wie jene, die der siegreichen Erhebung vorausging, in der Zeit der Karlsbader Beschlüsse zu erblicken; jener Beschlüsse, die bestimmt waren, einen absurden Zustand, eine Verfassung so fehlerhaft, wie Stein sie 1815 genannt hatte, daß sich von ihr nur ein sehr schwacher Einfluß auf das öffentliche Glück Deutschlands erwarten lasse, durch äußere Gewalt zu erhalten, bestimmt, den Idealismus, der die deutsche Einheit erstrebte, zu unterdrücken. Man dürfte zu erwarten Grund haben, daß »Kultusministerien und Ministerien des Innern« an der historischen Schmach, die das An[178]denken der Kabinette jener Zeit – sie konnten, um wiederum einen Ausdruck des Freiherrn von Stein zu gebrauchen, von den »despotischen Grundsätzen« sich noch nicht losmachen – für immer bedeckt, sich ein warnendes Exempel nehmen sollten. Denn was gibt es Traurigeres, als eine kurze Dauer großer Machtbefugnisse, mit hohem Range und großem Einkommen, auf öffentliche Kosten, – und die Aussicht auf den negativen Ruhm, den alle Verfolger bei der Nachwelt immer davongetragen haben? – Wir betrachten die andere Seite der Frage: Jener Wunsch kann nämlich 2. die besondere Bedeutung haben, daß die Lehren selber, die ausgesprochenermaßen eine politische Beziehung haben, eben die sozialpolitischen und etwa philosophische und moralische Lehren in die besondere väterliche Obhut der Ministerien genommen werden sollen. Und in diesem Sinne ist die ganze Broschüre jenes Professors geschrieben. »Jedenfalls, meint er (S.  2), beeinflußt das Studium des Sozialismus bei der Mehrzahl (der Studierenden) das spezielle Fachstudium in übermäßiger Weise und zieht von fleißigen Fachstudien, je intensiver es getrieben wird, desto mehr ab in ein gefährliches Fahrwasser.« Und (das.) »es ist klar,  2

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»Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung« – Der Text (o. V. 1806) erscheint anonym und ohne Verlagsangabe. Als Verfasser gilt Philipp Christian Gottlieb Yelin. Der Verleger Johann Philipp Palm wurde wegen der Herausgabe durch ein napoleonisches Kriegsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet (vgl. Siegert 1983). wie Stein sie 1815 genannt hatte – Vgl. die nachstehende ed. Fn. »despotischen Grundsätzen« – »Von einer so fehlerhaften Verfassung läßt sich nur ein sehr schwacher Einfluß auf das öffentliche Glück Deutschlands erwarten, und man muß hoffen, daß die despotischen Grundsätze, von denen mehrere Cabinette sich noch nicht losmachen können, nach und nach durch die öffentliche Meinung, die Freiheit der Presse und das Beispiel zerstört werden welche mehrere Fürsten besonders Preußen geben zu wollen scheinen, indem sie ihren Unterthanen eine weise und wohlthätige Verfassung ertheilen.« (zitiert in: Pertz 1851: 445 f.). »Jedenfalls … in ein gefährliches Fahrwasser.« – Dippe 1895: 2 – die Klammer und der Einschub mit Seitenangabe von Tönnies.

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wie gefahrbringend ein solches Studium (der Nationalökonomie und Statistik) dem unerfahrenen, mit seinem Urteil schnell  fertigen jungen Manne in seinen politischen und sozialen Anschauungen werden kann, wenn ihm nicht andere Lehren, nämlich die der Geisteswissenschaften, eine andere Welt, als die praktisch-wirtschaftliche erschließen, wo das gerade ersetzt wird, wovon in der Wirtschaftswissenschaft absichtlich abstrahiert wird«. Ja, obgleich Dippe »sich nicht erkühnen will, als Laie den Vertretern der Nationalökonomie Vorschriften zu machen, wie sie ihre Wissenschaft aufzufassen und vorzutragen haben« (S. 8), so – tut er es doch. Auf der vorhergehenden Seite sagt er: »Vor allem wäre es demnach Sache der nationalökonomischen Dozenten, ihre Wissenschaft so zu behandeln und zu lehren, daß eine Ausbeutung derselben in sozialdemokratischem Interesse unmöglich gemacht würde.« Und weiter oben das kurze Dekret: »Denn die Marxistische Doktrin steht sowohl mit einer historisch als philosophisch berechtigten Weltanschauung in Widerspruch« – eine »Klarlegung dieser Tatsache« sei von anderer Seite »genugsam geschehen«. Wir wissen also, wie es sein soll: die Ministerien, mit Hilfe etwa der Kuratoren der Universitäten, erkennen darüber, welche Lehren mit einer berechtigten Weltanschauung verträglich seien, welche nicht. Die verträglichen werden geduldet, die unverträglichen in den Bann getan. »Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.« Die Ansichten über eine berechtigte Weltanschauung wechseln. [179] Am längsten und am häufigsten sind sie durch die jeweilig herrschenden Religionssysteme und Kirchen bestimmt gewesen. In beständigem Kampfe gegen überlieferten Glauben und religiöse Meinungen hat sich die Wissenschaft entwickelt. Heute gelten innerhalb desselben Staates Religionssysteme und Glaubensmeinungen, die sich leidenschaftlich bekämpfen und hassen, als gleichberechtigt. Nur eine Weltanschauung, die von beiden nichts wissen will und sogar aller Religion skeptisch gegenübersteht, gilt als unberechtigt. Aber eine korrekte Denkungsart wird heute viel eher in politischen und sozialen Fragen, als in religiösen und metaphysischen verlangt, und als unberechtigt gilt eine Ansicht, die  7

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»es ist klar … Wirtschaftswissenschaft absichtlich abstrahiert wird« – Ebd. – die Klammer von Tönnies. Auch setzt Tönnies ein zusätzliches Komma: »… eine andere Welt als die …«. Dippe – A: Herr Dippe. »sich nicht erkühnen will … vorzutragen haben« – Ebd., 8: »Doch ich will mich nicht erkühnen, als Laie …«. »Vor allem wäre es … unmöglich gemacht würde.« – Ebd., 7. »Denn die Marxistische Doktrin … genugsam geschehen« – Ebd. »Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.« – Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1848 (Frankfurter Reichsverfassung), § 152.

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den Wert der bestehenden Staatsverfassung und Gesellschaftsordnung anficht, in weit höherem Grade als eine Vertretung des Monismus und der Gottesleugnung. Und doch läßt sich nicht verkennen, daß ehemals und zum Teil noch heute, der Glaube an die sieben Sakramente und an die Dreieinigkeit, der großen Mehrheit des Volkes weit ehrwürdiger und heiliger waren, als es heute der Glaube an die kapitalistische Gesellschaftsordnung und das Privateigentum an Produktionsmitteln sein kann. Konflikte der Ansichten waren immer unvermeidlich, und sicherlich ist die Philosophie ihren Gegnern nicht immer gerecht gewesen. Viel weniger aber diese der Philosophie. »Denken – soll schon der Begründer der kyrenäischen Schule gesagt haben, – das heißt den unversöhnlichen Haß der Unwissenden, der Schwachen, der Abergläubigen und der Korrumpierten sich zuziehen, die alle in hochfahrender Weise sich gegen diejenigen erklären, die an den Dingen das ergreifen wollen, was es an ihnen Wahres und Wesentliches gibt« (nach Helvetius de l’esprit I. p. 242 not.). Dem echten Gelehrten wird Takt und Gewissen verwehren, irgend so etwas wie Partei-Politik in seinen Unterricht hineinzumischen. Ob sein Einfluß außerhalb der Schulräume den Studierenden zum Besten diene, wird wesentlich durch den sittlichen Gehalt seiner Persönlichkeit bedingt sein. Der politische Denker und Soziologe ist, der Idee und den Regeln seiner Kunst gemäß, zum Richter aller Parteien berufen; er muß sie kennen und verstehen lernen als soziale Erscheinungen, als Wirkungen ihrer Ursachen, ihre Träger und Führer als durch soziale und individuelle Umstände bedingt. Als Richter wird er immer über den Parteien stehen, und wenn er doch, sei es wegen besonderer Neigung für gewisse Ausdrücke des politischen Lebens, sei es aus dem Sinne der Gerechtigkeit, einer Partei sich selber zuneigt – am übelsten wird ihm eigene Interessen-Politik anstehen – so wird er, wenn nicht sein Temperament stärker ist als seine Philosophie, immer als ein moderierendes, ja kritisierendes Element innerhalb dieser Partei tätig sein. Eine [180] Staatsregierung unter heute gegebenen Verhältnissen, wenn sie nicht, ihre eigene intellektuelle Unfähigkeit empfindend, den Intellekt als solchen und das Wissen fürchtet, kann sich nichts Besseres wünschen, als möglichst viele politische Denker in den Reihen der Parteien. Gegen das Giftige des Parteigeistes gibt es kein besseres Heilmittel als wissenschaftliches Studium des sozialen und politischen Lebens, insbesondere als die streng kausale 15

»Denken – soll schon … Wesentliches gibt« – »Penser, dit Aristippe, c’est s’attirer la haine irréconciliable des ignorants, des foibles, des superstitieux & des hommes corrompus, qui tous se déclarent hautement contre tous ceux qui veulent saisir, dans les choses, ce qu’il y a de vrai & d’essentiel.« (Helvetius 1758: 213, Fn.).

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Betrachtung der uns umgebenden Wirklichkeit. Wenn diese »revolutionär« wirkt, d. h. die Einsicht befördert, daß gewissen Übeln rasch und energisch gewehrt werden müsse – wie unsäglicher Trübsal kann durch solche Einsichten vorgebeugt werden! Man weiß, wie es der Stadt erging, deren Behörden immer glaubten, das Wasser ihrer Wasserleitung tue keinen Schaden, der Gesundheitszustand sei befriedigend, die Hygieniker seien »Theoretiker«, also keine Mark Banko wert. Man kennt auch die Geschichte des »Volksfeindes« in Henrik Ibsens Drama. Gegen alles Scheinbare aber und Trügerische allgemeiner Theorien, die mit unreifem Geiste aufgenommen, nachgebetet und wie Schablonen angewandt werden, gibt es insonderheit keine stärkere Hemmung als das exakte Detailstudium des wirklichen sozialen Lebens; keine gesundere Kost gibt es zur Stärkung des besonnenen Urteils, zur Ernährung des wissenschaftlichen Gewissens. In diesem Sinne ist vorzüglich wichtig und gerade  für Studierende von praktischer Bedeutung dasjenige Gebiet im weiten Felde der Soziologie, das man als Statistik zu bezeichnen pflegt. Als ein solches Gebiet ist sie neuerdings dadurch anerkannt worden, daß sich als Abteilung der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie eine Deutsche Statistische Gesellschaft konstituiert hat. Wenn Statistik mit strenger Methode gehandhabt wird, so gewöhnt sie so gut, wie nur irgendwelche experimentelle Naturwissenschaft, an Methode überhaupt, sie wird dem Soziologen und Politiker in seiner Weise das ruhige Auge, die sichere Hand verleihen und den überlegenden Sinn, wodurch von je der Arzt sich ausgezeichnet hat. Die Statistik – sagen wir, um sie richtig zu begrenzen (denn auch Zählungen und Rechnungen der Naturforscher werden heute Statistik genannt), die Sozial- und Moralstatistik – ist historisch nichts als eine »Hilfswissenschaft« der Geschichte, tatsächlich nichts als ein Anhängsel der Nationalökonomie. Sie muß emanzipiert und auf eigene Füße gestellt werden – das ist vorläufig der größte Dienst, den wir für Soziologie von den Verwaltern des höheren Unterrichtswesens erwarten können, den wir aber auch verlangen müssen. Diese Forderung ist im unmittelbaren gesellschaftlichen und Staats-Interesse dringend. Die Bedeutung

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wie es der Stadt erging – Anspielung auf Cholera-Epidemie in Hamburg 1892: Die Stadt hatte lange versäumt, Anlagen zur Reinigung ihres Trinkwassers zu bauen. »Volksfeindes« in Henrik Ibsens Drama – 1882 geschrieben, Uraufführung 1883 in Oslo, erste deutsche Aufführung 1887 in Berlin durch die Freie Volksbühne im OstendTheater, dann 1890 eine Inszenierung des Lessing-Theaters (vgl. Stein 1901: 411); eine deutsche Textausgabe erscheint 1883 bei Reclam. Detailstudium – A: Detail-Studium. Deutsche Statistische Gesellschaft – Vgl. S. 241.

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des statistischen Wissens ist längst anerkannt und steht [181] unerschütterlich fest, wenn auch wenig danach gehandelt wird. Von Zeit zu Zeit ertönen gerechte und ungerechte Klagen über die Mängel der Statistik. Große Mängel liegen in der Art der Ansammlung, der Aufbereitung und Ordnung des Materiales, größere in der ungenügenden Analyse und Verwertung des massenhaft aufgehäuften. Beide Arten haben in einem Mangel ihre Hauptursache – in dem Mangel an Statistikern. Geschulte und oft nur allzu ungeschulte Schreiberkräfte werden zu Arbeiten herangezogen, die wissenschaftliche Sorgfalt, Genauigkeit, Wahrheitsliebe, oft, und zwar bei allen höheren Arten der Arbeit, auch wissenschaftliches Urteil, Gewandtheit der Methode erfordern. Es ist, als ob man zu Observatoren der Sternwarte junge Handwerker ernennen wollte, oder als ob man Füsiliere zur Anfertigung von Generalstabskarten heranzöge. Wir brauchen mehr Statistiker, die es ihrer Neigung und ihrem Berufe nach sind. Der Beruf des Statistikers ist in seiner Anlage ein idealer Beruf. Denn wenn jede andere Erkenntnis den Menschen erhebt, der sie pflegt und der an ihr teilnimmt, am meisten aber den, der sie erwirbt, so ganz vorzugsweise diese Erkenntnis der Zusammenhänge unseres eigenen Lebens und Geistes mit unsern Mitbürgern und Mitmenschen, der Bedingtheit unseres täglichen Lebens, der Bedeutung unseres geringsten Tuns. Ich wüßte nicht, was mehr geeignet wäre, jenen unerschütterlichen Ernst, der in den Tiefen der Seele verharrt unter allen Stürmen und Erregungen, den Ernst, der die eigentliche Errungenschaft und Mitgift des Mannes vom gelehrten Stande sein sollte, hervorzubringen, als dies Studium, das nach den Regeln der induktiven Methode und des Kalküls die erhabene Anschauung Spinozas bewahrheitet und ausdehnt, aus der er sagt: »Die menschlichen Leidenschaften … an sich betrachtet, erfolgen aus derselben Notwendigkeit und Kraft der Natur, wie alle übrigen einzelnen Tatsachen; und stehen folglich unter gewissen Ursachen, aus denen sie verstanden werden, und haben gewisse Eigenschaften, die unserer Erkenntnis ebenso würdig sind wie die Eigenschaften irgendeiner anderen Sache, an deren reiner Betrachtung wir uns erfreuen. Daher werde ich ... die menschlichen Handlungen und Neigungen ebenso betrachten, als wenn die Rede von Linien, Flächen oder von Körpern wäre« (Eth. III praef.). 13 35

Füsiliere – Svw. Infanteristen. »Die menschlichen Leidenschaften … Flächen oder von Körpern wäre« – »Affectus itaque odii, irae, invidiae etc. in se considerati ex eadem naturae necessitate et virtute consequuntur ac reliqua singularia; ac proinde certas causas agnoscunt, per quas intelliguntur, certasque proprietates habent, cognitione nostra aeque dignas ac proprietates cujuscunque alterius rei cujus sola contemplatione delectamur. De affectuum itaque

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Hier eröffnet sich nun ein schönes Feld  für die wissenschaftlichen Vereine der Universitäten. Jede studentische Verbindung sollte in erster Linie einen sittlichen Zweck sich vorsetzen, einen Zweck, dem ihre Genossenschaft, ihre Ordnung und Tätigkeit diene. Denn dessen bedarf der Jüngling am meisten, außer der von seinen Lehrern gegebenen Lehre. Bei Begründung neuer Vereine sollte der »neue soziale Geist«, die ethische [182] Denkungsart mittätig sein, die als Bestimmung des Gelehrten erkennt, zur Reinigung des privaten und öffentlichen Lebens, zur Gerechtigkeit und zur Veredlung der Sitten an sich selber und an seiner Umgebung zu arbeiten. Die modernen Studentenvereine wollen in der Regel (wenigstens auch) wissenschaftliche Vereine sein. Dieses Wollen können sie nicht streng genug verstehen. Zerstreuung und Ausscheidung der Phrase, gründliche und innige Belehrung, gegenseitige Förderung durch wissenschaftliches Streben müssen sie sich zur Aufgabe machen. »Die Kunst ist lang, das Leben kurz, das Urteil schwierig, die Gelegenheit  flüchtig. Handeln ist leicht, Denken schwer, nach dem Gedachten handeln unbequem.« Diese Sätze sollten, wenn es nach meinem Wunsche ginge, zum Wahlspruch solcher Vereine erhoben werden, insonderheit derer, die sich dem Studium der Statistik oder überhaupt der Soziologie widmen wollen, und so mögen sie auch den Schluß des Lehrbriefes Wilhelm Meisters beherzigen: »Der Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste. Die Handlung wird nur vom Geiste begriffen und wieder dargestellt. Niemand weiß, was er tut, wenn er recht handelt; aber des Unrechten sind wir uns immer bewußt. Wer bloß mit Zeichen wirkt, ist ein Pedant, ein Heuchler oder ein Pfuscher. Es sind ihrer viel, und es wird ihnen wohl zusammen. Ihr Geschwätz hält den Schüler zurück, und ihre beharrliche Mittelmäßigkeit ängstigt die Besten. Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf; denn wo die Worte fehlen, spricht die Tat. Der echte Schüler lernt aus dem Bekannten das Unbekannte entwickeln und nähert sich dem Meister.« [183]



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natura et viribus ac mentis in eosdem potentia eadem methodo agam qua in praecedentibus de Deo et mente egi, et humanas actiones atque appetitus considerabo perinde, ac si quaestio de lineis, planis aut de corporibus esset.« (de Spinoza 1999: 220/221). streng genug – A: strenge genug. »Die Kunst ist lang… handeln unbequem.« – Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, Siebentes Buch, 9. Kapitel, Lehrbrief (Goethe 1988: 497) – Tönnies’ Hervorhebungen. »Der Geist … nähert sich dem Meister.« – Ebd., 498 – Tönnies’ Hervorhebungen.

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XXX. Soziologische Bedeutung ökonomischer Theorien Der eigentliche und am meisten charakteristische Fortschritt des Denkens im 19. Jahrhundert liegt bekanntlich in der Biologie und wird durch die Abstammungslehre begründet, indem diese die Stellung, die der Mensch außerhalb der Natur gesucht hatte, und seinem Wahne einer übernatürlichen Herkunft den Untergang bereitet hat; auch in dieser Beziehung vollendet die Naturwissenschaft, was eine vorausgreifende Philosophie längst prinzipiell  festgestellt hatte und vertieft eine Furche in der überkommenen Denkungsart, die beinahe ebenso scharf gezogen ist wie jene, die der Erde ihren alten Rang als Mittelpunkt des Alls genommen hatte. Erkenntnis zerstört überall den Stolz der Ausnahme. Die Abstammungslehre hat den Kern ihrer Bedeutung – außerhalb alles dessen, was bisher kontrovers geblieben ist – darin, daß es ihr gelang, mit höchster Wahrscheinlichkeit die Entstehung der Arten, mit Einschluß des Homo sapiens, auf bekannte beobachtete Ursachen, auf alltägliche Vorgänge, anstatt auf unbekannte, aus dem Zusammenhange der gegebenen Erfahrung herausfallende Schöpfungsakte, zurückzuführen. Diese naive und phantastische Erklärung, die nach Analogie von angeblichen, aber dem Naturmenschen durchaus sicher erscheinenden Tatsachen der Zauberei gedacht ist, beruht zugleich auf der Enge der Erfahrung, wonach Gleiches immer Gleiches erzeugt, weil die kaum merklichen Differenzen für keine  3

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Soziologische Bedeutung ökonomischer Theorien – Der Text erscheint im 3. Jahrgang des Archivs für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie auf den Seiten 372–379 als erster Artikel in der Rubrik »III. Wirtschafts- und Sozialphilosophie« (im Folgenden A). – Tönnies stellt nicht die Entwicklung ökonomischer Theorien der jüngsten Vergangenheit und ihre Beziehung zur Soziologie dar, sondern fragt grundsätzlicher, wie sich ökonomisches Denken aus der Klammer theologischer Weltbilder lösen kann. Diese Betrachtung steht im Zusammenhang mit dem weiter unten dokumentierten Aufsatz »Kulturbedeutung der Religionen« (Nr. XL, S. 475). – Unter dem Titel gezeichnet »Von Dr. Ferdinand Tönnies, ord. Honorarprofessor an der Universität Kiel«. In der Antiqua gesetzt. den Kern – A: den Sinn. Diese naive – A: Jene naive.

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gerechnet wurden, und die Entstehung von Größen durch Kumulierung unendlich kleiner Einheiten zwar mathematisch bekannt war, aber in der Anwendung allzu paradox erschien. Durch Anwendung dieses einfachen Prinzips wurde also eine neue gewaltige Waffe gegen die Kirchenlehre geschmiedet, nachdem diese sich kaum von den Erschütterungen durch die heliozentrische Weltansicht erholt, und wenn auch nur mit scheinbarem und temporärem Erfolge, sich dieser anzupassen versucht hatte. Die Abstammungstheorie aber geht über in eine allgemeine Entwicklungslehre, die insofern wieder an Aristoteles, freilich gerade an dessen Heidentum wieder anknüpft, als sie seinen von der alten Kirche vielfach verdammten Satz von der Ewigkeit der Welt aufnimmt, und mit dem neuen, aber schon von den mechanistischen Philosophen des 17. Jahrhunderts, wenngleich [184] noch mangelhaft formulierten Theorem der Erhaltung der Energie in Verbindung bringt. Alle kosmischen und tellurischen Phänomene werden dadurch zu allgemeineren Fällen desselben Prozesses, den die Menschen von jeher an sich selber und an allen lebenden Wesen beobachtet haben, des Entstehens und Vergehens, des Zunehmens und Abnehmens, oder, nach Herbert Spencer, dem Denker, der zuerst unternommen hat, diese Betrachtung auf alle bekannten Tatsachen zu erstrecken, der Evolution und Dissolution. Daß nun die religiösen und kirchlichen Lehren als »Vererbung« im soziologischen Sinne sich begreifen lassen, ist fast von selber offenbar. Auf ihr Alter und ihre Ehrwürdigkeit pflegen sie sich zu berufen. Sie gehen im Volke als heilig gehaltenes Erbe von einer Generation auf die andere über. Sie sind ihrem Kerne nach als naive Denkungsart, die dem Zeugnis der Sinne vertraut »angeboren«, insofern die Sinne selber es sind und das Organ des Denkens. In seltsamem Widerspruch dazu, indem sie gerade höchst Unwahrscheinliches, ja Undenkbares zu glauben fordern, stehen freilich die spezifisch religiösen Dogmen. Aber die erbliche, besonders den Frauen eigene Neigung, das Geheimnisvolle und Wunderbare zu bewundern und eben darum leicht zu glauben, kommt ihnen entgegen, so daß in bezug darauf die naive Einbildungskraft dasselbe leistet, als sonst das naive Urteil. Einem gereiften Verstande, der aber durchaus im Kindlichen, zuletzt also im Ererbten und Angeborenen beruht und nicht wesentlich davon differenziert ist, sind alle Lehren die-

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Anwendung – A: Einführung. Kirchenlehre – A: Kirchenlehren. als sonst – A plausibler: was sonst. Einem gereiften – A: Auch einem gereiften.

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ser Art, auch wenn sie wissenschaftliche Formen annehmen, angepaßt und angemessen. Darum ist  für die wirkliche wissenschaftliche Denkweise eine Losreißung, eine Befreiung davon notwendig, die nicht möglich ist ohne Widerspruch und Kampf. Dies gilt im individuellen sowohl als im sozialen Leben. Um diesen Kampf aufzunehmen und durchzuführen, wird ein hinlänglich starker Beweggrund erfordert. Dieser kann im individuellen Falle ganz und gar durch ein lauteres Streben nach Wahrheit, einen glühenden Forschertrieb und leidenschaftlichen Drang zur Erkenntnis gegeben sein. Aber solchem Beweggründe wird es immer sehr schwer sein, auf eigene Faust zu leben. Er bedarf der Nahrung, der Förderung, der Unterstützung. Darum gesellt sich ihm auch rasch und leicht das Begehren nach solcher Nahrung, m. a. W. nach Geldmitteln und nach Ehren, die teils aus denselben Gründen für den Forscher und Denker wie  für jeden anderen Annehmlichkeit und Wert haben, teils aus besonderem Grunde, weil sie seine Tätigkeit erleichtern, die Stellung sichern, in der er sie ausüben kann. In größeren und deutlicheren Zügen aber zeigt uns die soziologische Betrachtung den Zusammenhang des Strebens nach Macht und Reichtum mit dem Streben nach Wissen[185] schaft: nach Naturerkenntnis in erster Linie, aber auch nach Erkenntnis der Kräfte des menschlichen Zusammenlebens. Die Bedeutung der Wissenschaft für die Technik, und die der Technik als eine Anpassung an die Zwecke der Macht und des Reichtums, wird oft genug erörtert. Dem großen Zwecke der Hygiene, die  für Erhaltung und Erweiterung der politischen Macht um so wichtiger wird bei einem militärischen Systeme der Volksbewaffnung, dient, wenn auch lange Zeit, ohne sich dessen bewußt zu werden, die Biologie und die von ihr unablösbare naturwissenschaftliche Psychologie, welcher beider Herkunft aus der Medizin auch in der Lebensgeschichte der hervorragendsten Forscher sich spiegelt. Vielleicht wird aber die in beiden steckende Physiologie in Verbindung mit der so unmittelbar technischen Chemie noch einen ungeahnten Nutzen  für das allerelementarste Bedürfnis des individuellen und des sozialen Lebens entfalten: für die Ernährung. Zunächst wird die Land-

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auch wenn sie – A: zumal wenn sie. Um diesen Kampf – A: Und diesen Kampf. m. a. W. – A: mit andern Worten. Wissenschaft: nach – A: Wissenschaft, nach. Technik als eine Anpassung – A: Technik als einer Anpassung. großen Zwecke der Hygiene – A: großen Zweck der Hygiene. militärischen Systeme – A: militärischen System. Psychologie, welcher – A: Psychologie; welcher. entfalten: für die Ernährung. – A: entfalten, für die Ernährung..

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wirtschaft immer dringender ein Problem anzuwendender Chemie und Physiologie. Aber jenseits aller eigentlich technischen Anwendungen wird ein streng wissenschaftliches, ein Denken, das nach Ursachen und Wirkungen fragt, das voraussieht und berechnet, daher frei von Vorurteilen und von unbegründetem Glauben sein muß, dringendes Gebot der Selbsterhaltung und des Vorwärtskommens im Wettringen und Wettrennen der Städte, Territorien, Nationen. Am ungestümsten zugleich und am meisten unverholen macht gerade in der ersten Epoche volkswirtschaftliche Konzentration der Kräfte in der Neuzeit sich geltend. Die Naturwissenschaften zu fördern, ist selber ein Gebot der Staatswirtschaft, weil die »mechanischen Kräfte«, die durch jene sichtlich gesteigert werden, Geld ins Land bringen, und Erhaltung und Vermehrung der kostbarsten Bodenschätze, der edlen Metalle, wie des Geldstoffes, stellt als evidentes und dringendes Gebot einer vernünftigen Politik sich dar. Man wird freilich nicht finden, daß die merkantilistische Politik da, wo sie am erfolgreichsten agierte, wie in Frankreich unter Colbert, erheblich durch wissenschaftliche Theorien bestimmt wurde. Die Staatsmänner selber dachten theoretisch, auch ohne das Bedürfnis zu haben, allgemeine Lehren aufzustellen und als Schriftsteller zu vertreten. So war Colbert, von Haus aus Kaufmann, durchaus Bürger, durchaus Praktiker, aber als Staatsmann bildet er sich seine Maximen, und gründet sie auf allgemeine Ansichten, die zu vertreten ihm Reden und Mémoires Gelegenheit geben. So kann einer der besten  französischen Historiker von ihm sagen: »Wenn es eine Wissenschaft der öffentlichen Interessen und ihrer Leitung gibt, so ist  für uns Colbert deren Begründer. Seine Handlungen und Unternehmungen, die [186] Maßregeln, die er ergriff und die Ratschläge, die er gab, geben Zeugnis von seinem Plane, alle (bis dahin unzusammenhängenden) Institutionen der Verwaltung in ein gegliedertes System zu bringen und sie an einen herrschenden Gedanken als an ihr gemeinsames Prinzip anzuknüpfen. Dieser Gedanke – es war das Verdienst Ludwig XIV., dessen Größe zu empfinden und zu schätzen – läßt sich so  formulieren: dem nationalen Geiste einen Aufschwung nach allen Richtungen der Zivilisation zu geben, gleichzeitig alle Tätigkeitstriebe, die intellektuelle Energie und die Produktionskräfte des  8 10 11 12 13 23 31

macht gerade – A: macht es so gerade. ist selber ein Gebot – In A ein Textverderbnis (ist selten ein Gebot). »mechanischen Kräfte« – A: »mechanischen Künste«. Geld ins Land bringen, – A: Geld ins Land bringen;. edlen Metalle, wie des Geldstoffes – A: edlen Metalle, des Geldstoffes – Am Ende des Satzes in A kein Absatz. Gelegenheit geben – A: Gelegenheit gaben. Ludwig XIV. – A: Ludwig des XIV..

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Landes zu entwickeln«1. Um aber die Bedeutung der politischen Ökonomie als theoretische Lehre richtig zu erfassen, muß man von dem Unterschiede zwischen Merkantilsystem und physiokratischer, zwischen Adam Smith und der neueren historisch-ethischen Richtung absehen, und den gemeinsamen Gegensatz gegen die mittelalterliche Ansicht der Volkswirtschaft ins Auge fassen. Diese ist, wie alles theoretische Denken jener Zeit, wesentlich theologisch. Sie ist bestimmt  für die Praxis des Beichtstuhles. Im Vordergrunde steht daher das moralische Urteil über die menschlichen Tätigkeiten. Dieses entspricht, indem es den Ackerbau preist, das Handwerk zuläßt, den Handel mißbilligt, den Geldhandel verdammt, der naturalen und kommunistischen Basis, es widerspricht der Entwicklung des Lebens. Denn der Handel ist dessen variables und zwar wachsendes Element. Je mehr er an Macht und Einfluß zunimmt, desto mehr muß seine Praxis und damit auch die in seinen Kreisen geltende Meinung in Konflikt geraten mit jener strengen Sittenlehre. Als sittlich unerlaubt wird dauernd immer nur gelten, was Wenige, und die Wenigen heimlich tun, zumal wenn diese Wenigen geringes soziales Ansehen haben. Hingegen was Alle, oder doch Viele, und darunter solche von hohem Ansehen, tun, wird immer bewundert oder wenigstens gutgeheißen werden, wenn auch nicht von der Menge, so doch von den maßgebenden Mächten. Die Sittenlehrer werden entweder ihre Strenge festhalten und sich dadurch ihres Einflusses begeben; oder sie werden nachgeben, um ihren Einfluß zu wahren und zu mehren. Die Bußpraxis der Beichtväter, wie die Gerichtspraxis der geistlichen Gerichtshöfe, fand sich seit der Wende des 15. bis 16. Jahrhunderts einer völlig entschiedenen Sachlage gegenüber. Die Kirche konnte so wenig 1

Thierry, Essai sur l’Histoire du tiers état. 2. ed. Paris 1853. I, p. 286.

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»Wenn es eine Wissenschaft … Landes zu entwickeln« – »S’il y a une science de la gestion des intérêts publics, Colbert en est chez nous le fondateur. Ses actes et ses tentatives, les mesures qu’il prit et les conseils qu’il donna prouvent de sa part le dessein de faire entrer dans un même ordre toutes les institutions administratives jusque-là incohérentes, et de les rattacher à une pensée supérieure comme à leur principe commun. Cette pensée, dont Louis XIV eut le mérite de sentir et d’aimer la grandeur, peut se formuler ainsi : donner l’essor au génie national dans toutes les voies de la civilisation, développer à la fois toutes les activités, l’énergie intellectuelle et les forces productives de la France.« (Thierry 1853: 195). das Handwerk zuläßt, den Handel mißbilligt – A: das Handwerk billigt, dem Handel misstraut. Die Sittenlehrer – A: Die Sittenlehren. Einflusses begeben; oder sie – A: Einflusses begeben, oder sie. 15. bis 16. Jahrhunderts – A: 15. / 16. Jahrhunderts.

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wie eine andere öffentliche Macht den Geldhandel entbehren. Die Bedeutung der jesuitischen Lehre, die so oft mißverstanden wird, besteht aber darin, daß sie mit ihrer »laxen Moral« der eingerissenen und nicht zu hemmenden Praxis eines veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens sich anzupassen versucht, daß sie durch eine in die größten Finessen ent[187]wickelte Kasuistik dem Weltmann, Staatsmann und Kaufmann alles erlaubt, was diese ohnehin tun, aber sie anhält, das kirchliche Decorum zu beobachten und sich in ihrem Gewissen mit den erweichten und akkommodierten Postulaten der Moraltheologie in Einklang zu setzen. Der große, dem neuen Zeitalter auf den Leib geschnittene Grundsatz des Loyola lautete: größere Klugheit vereint mit minderer Heiligkeit sei mehr wert als größere Heiligkeit mit minderer Klugheit2. Der Jesuitismus setzt in dieser gegen das Weltleben toleranten Richtung nur fort, was die Bettelorden, die seit dem 13. Jahrhundert mehr und mehr die Weltgeistlichen aus dem Beichtstuhl verdrängten, besonders die Franziskaner, eingeleitet hatten. Die volkstümliche Bewegung, woraus die Kirchenspaltung hervorging, ist, besonders in deutschen Städten, eine Empörung der Armen gegen die Reichen, daher mit Erneuerung der echten Wucherlehre verbunden. Zu ihrem Herold wurde in seiner ersten Zeit Luther, der aber bald die große Schwenkung vollzog, mittels der er sich mit Obrigkeit, mit herrschenden Ständen und ihren Begriffen ebenso auf guten Fuß stellte, wie die von ihm – auch darum so heftig bekämpfte – alte Kirche es verstanden hatte; sein theologischer Hauptgegner, der Ingolstädter Eck, hatte sich als Verteidiger des (für wucherisch geltenden) contractus trinus einen Namen gemacht3 und war eng mit dem Hause Fugger verbunden. Ein halbes Jahrhundert später konnte Calvin es wagen, die Ansicht, daß Geld unfruchtbar sei, ausdrücklich zu bestreiten, also das Zinsnehmen grundsätzlich zuzulassen; seine Lehre war, wie Ashley richtig sagt, im echtesten Sinne ein 2

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Döllinger u. Reusch, Moralstreitigkeiten in der römisch-kathol. Kirche. Vgl. z. B. Ashley, Introd. to engl. economic history and theory, I, 441 f. besteht aber darin – A: besteht eben darin. mittels der er – A: mittels deren er. contractus trinus – [Lat.] svw. dreifacher Vertrag, um gegen das kanonische Verbot den Effekt eines Kreditvertrags zu ermöglichen. Kombiniert wurden eine Investition, ein Verkauf und eine Versicherung. wie Ashley richtig sagt – »Calvin’s teaching was, therefore, in a very real sense, a turning-point in the history of European thought.« (Ashley 1893: 459). Döllinger und Reusch – 1889 – Der Satz Loyolas dort nicht nachgewiesen. – »Plus exquisita Prudentia cum mediocri sanctitate, quam cum minori prudentia major sanctitas« (Ribadeneyra 1587: 637). Ashley, Introd. to engl. economic history and theory – Ashley 1893 [zweiter Teil des Werks]: 441 f.

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Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Denkens. Gerade Calvinisten, in der Schweiz und Frankreich, von Frankreich aus, nach Aufhebung des Ediktes von Nantes (1695), nach den nördlicheren Ländern sich verbreitend, aber auch vorher schon in Holland, Schottland, England, waren die regsamsten Unternehmer junger und einträglicher Industrien, die ohne freien Kapitalverkehr sich nicht entwickeln konnten. In den protestantischen Ländern, wo ohnehin der Einfluß der Geistlichkeit nie die frühere Stärke allgemein erreichte, geriet das Wucher-Dogma mehr und mehr in Vergessenheit. Wenn es sich für die Theorie zunächst nur um vermindertes Widerstreben, bedingtes Geltenlassen, also um eine passive Anpassung an die Entwicklung des Verkehres gehandelt hatte, so wurde sie bald ein Mittel, die kapitalistische Praxis nicht nur zu rechtfertigen, sondern in bewußtester Weise zu  fördern, indem sie zunächst an die Bedürfnisse und Zwecke der öffentlichen Finanzen, also der [188] Fürsten und Staatsmänner, sich anpaßt. An Stelle der Theologen treten Juristen, und die von ihnen sich abzweigenden »Kameralisten« als Theoretiker der »politischen Ökonomie«; oder vielmehr die Juristen, die bisher im Banne der theologischen Gedankenwelt gestanden hatten, stellen sich, ebenso wie gleichzeitig die Naturforscher, auf ihre eigenen Füße, indem sie das Interesse der weltlichen Herrschaft vertreten. Im schärfsten Gegensatze zur Theologie proklamieren sie den Handel als die nützlichste Tätigkeit, freilich nicht einen unbedingt freien, sondern den weise nach Zwecken der Staatskasse, und um dieser willen, des gemeinen Wohles regulierten Handel. Aber den Handel wollen die Merkantilisten und im Zusammenhänge mit dem Handel die Manufaktur, sei es die zentralisierte (Hausindustrie) oder in Ateliers vereinigte (»Fabriken«), als die moderne, auf Warenproduktion und möglichst günstige Verwertung der Produkte abzielende Industrie. Darum müssen sie die Erweiterung des Marktes anstreben, also die Vergrößerung des Wirtschaftsgebietes, den Wegfall innerer Zollschranken, die Anlegung von Dependancen, zumal überseeischer Kolonien. Die physiokratische Lehre und die sich anschließende Adam Smiths ist, wenn auch als Befürwortung eines auch von der Staatsgewalt befreiten Handels in erheblichen Stücken jenem Programm entgegengerichtet, doch zugleich ihrem Kerne nach eine konsequente Fortbildung derselben Prinzipien einer progressiven, kapitalistisch organisierten Volkswirtschaft. Zunächst stellen sie aber die Interessen einer großen rationellen Landwirt 4 15

nördlicheren Ländern … auch vorher schon – A: nördlichen Ländern sich verbreitend, aber vorher schon. zunächst an die Bedürfnisse … sich anpaßt. – A: zunächst den Bedürfnissen und Zwecken der öffentlichen Finanzen, also der Fürsten und Staatsmänner, dienstbar wird..

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schaft in den Vordergrund. Einen wissenschaftlichen Fortschritt bezeichnen sie, bezeichnet namentlich Adam Smith, indem er der Überschätzung des Geldreichtums gegenüber, die als Reaktion gegen die theologisch-naturalwirtschaftliche Geringschätzung entstanden war, die einfache Wahrheit, daß man von Produkten, erarbeiteten oder eingetauschten, lebt, zu entschiedener Geltung brachte. Womit gesagt ist, daß  für eine Nation nicht, wie  für einen Kaufmann, der jährliche Gewinn in Geld ausgedrückt, sondern das Jahresprodukt ihrer Arbeit, das sie teils verzehrt, teils verkauft, ihren wahren Reichtum bedeute, auf dessen Vergrößerung sie bedacht sein müsse. Der Begriff der Nationalwirtschaft wird dadurch von dem der Staatswirtschaft abgelöst und sogar in einen Gegensatz dazu gestellt, wie zugleich und also dadurch die bürgerliche Gesellschaft in Gegensatz zu den im Staate herrschenden Gewalten sich stellte: dem feudalen Adel, der Geistlichkeit, und der an beide gebundenen, wenn auch sie schon im Sinne des »dritten Standes« einschränkenden Monarchie. Zugleich ist jene Volkswirtschaftslehre erste Entfaltung des Keimes, der während des 19. Jahrhunderts zu »sozialistischen« Gedankenbildungen auswächst, [189] indem die Frage des Anteils am Jahresprodukt der nationalen Arbeit, mithin die der Verteilung einerseits zwischen produktiven und unproduktiven Schichten (wie bei der Physiokratie und in anderer Gestalt bei Adam Smith und seinen Nachfolgern), sodann aber stärker zwischen den 3 Klassen, die an der Produktion unmittelbar oder mittelbar mitwirken, am schärfsten endlich sich erhebt zwischen dem »Kapital« schlechthin – dem mehr und mehr der Grundbesitz sich anschließt – und der »Arbeit« in allen ihren Verzweigungen. [190]

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und also dadurch – A: und eben dadurch. (wie bei der Physiokratie – A: (wie bei den Physiokraten. Grundbesitz sich anschließt – A: Grundbesitz sich anähnlicht.

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XXXI. Soziologie und Geschichte Die Soziologie hat es in Anwendung ihrer Begriffe (ganz wie z. B. die allgemeine oder philosophische Staatsrechtslehre, die nur einen Zweig der Soziologie darstellt) ebensowohl mit der Vergangenheit – der Geschichte im objektiven Sinne – wie mit dem uns umgebenden sozialen Leben der Völker zu tun. Ja, sie wird nicht vergessen, daß die Voraussicht der Zukunft das notwendige Ziel aller auf kausale Zusammenhänge, auf Notwendigkeiten und Wahrscheinlichkeiten gerichteten Erkenntnis ist. Sofern sie aber erstens sich in die Vergangenheit wendet, so ist es ihrem Wesen gemäß, daß sie nicht die Geschichte der Personen, sondern die der Institutionen und der Ideen ins Auge  faßt, wenngleich diese durch die Personen, die hindernd oder  fördernd mit ihrer Entwicklung sich verflochten haben, wesentlich illustriert wird. Unter dem Namen der Institutionen werden aber regelmäßig Erscheinungen, die ich als soziale Verhältnisse, als soziale Werte und als soziale Verbindungen unterscheide, vermischt; unter dem Namen der Ideen bloße Gedankengebilde einzelner Theoretiker, volkstümlich wirksame Gedanken und Leidenschaften, und wahrhaft leitende Idealvorstellungen, die der Theoretiker entdecken muß, zusammengeworfen. Es kann nicht das Geschäft der Soziologie sein, außer durch Dringen auf klare und echte Begriffe, in die einzelnen längst  festgelegten Gebiete der Rechtsgeschichte, der Entwicklungsgeschichte einzelner Institutionen (z. B. der Ehe und des Eigentums), der Religions- und Kirchengeschichte oder gar der Staatengeschichte – die gemäß dem empirischen Zusammenhange der Historiographie mit der Epik und mit dem quasi-religiösen Kultus führender Persönlichkeiten gewohnheitsmäßig als »eigentliche« Geschichte gilt – oder der Geschichte der Künste, der Literatur, der Wissenschaften, überhaupt der Ideen- oder  2

Soziologie und Geschichte – Der Artikel erscheint 1913 im dritten Heft des ersten und einzigen Jahrgangs der Wochenschrift »Die Geisteswissenschaften« (S. 57–62, Tönnies 1913a, im Folgenden A). – Tönnies reklamiert eine soziologische Kompetenz für Strukturbegriffe der Geschichte, also für eine eigentliche Geschichtswissenschaft. Wie viele Arbeiten aus der Zeit vor und unmittelbar nach dem Weltkrieg geht es auch um die Etablierung der Soziologie als Wissenschaft und universitäres Fach. – Unter dem Titel gezeichnet »Von Ferdinand Tönnies«. In der Antiqua gesetzt.

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Geistesgeschichte – ich sage, es steht der Soziologie nicht an, in diese Gebiete hineinzugreifen, was oft nur ein Hineinpfuschen sein wird, wenn nicht der Soziologe zufällig auch ein geschulter Forscher auf einem dieser Gebiete ist: dann freilich wird er seine Begriffe zugrunde legen und durch deren Zusammenhänge die Zusammenhänge der Wirklichkeit zu beleuchten unternehmen. Die Soziologie darf aber und soll eine Synthese dieser mannig[191]fachen Ergebnisse, eine Betrachtung unter dem Gesichtspunkte der Entwicklung des sozialen Lebens der Menschheit, eine Erörterung ihrer inneren Beziehungen und Wechselwirkungen sich vorbehalten und ausgestalten. Hier liegt also ihre Verwandtschaft mit einer allgemeinen Kulturgeschichte oder was der Idee nach das gleiche bedeutet, einer Philosophie der menschlichen Geschichte. Alle Entwicklungsgeschichte muß den Ursprüngen ihre nächste Aufmerksamkeit zuwenden, nicht nur, weil sie ein notwendiges und im zeitlichen Verlaufe das erste Stück jeder Entwicklung sind, sondern auch weil die elementaren Prozesse in ihnen sich unmittelbar der Beobachtung darbieten, die sich fernerhin ins Unendliche komplizieren. Für die Ansichten der Kulturentwicklung kommt noch ein anderes hinzu. Je weiter die Entfernung, aus der wir zurückschauend die Vergangenheit uns vorstellen, um so deutlicher treten die großen Linien eines gesetzmäßigen Ganges entgegen, zumal wenn sie durch Vergleichung erhellt werden, und die Methode des Vergleichens, der vergleichenden Entwicklungsgeschichte, ist unmittelbar geboten, wo es sich darum handelt, auf induktivem Wege ebenso das Allgemeine wie das Besondere, und, wenn möglich, das Allgemeine in seinen Besonderungen (Differenzierungen) darzustellen. Hier hat bekanntlich das Vorbild der vergleichenden Sprachwissenschaft nach vielen Seiten, und zwar auch auf die Biologie, befruchtend gewirkt; und wie die vergleichende Anatomie, Physiologie, Embryologie und Phylogenie als biologische, so dürfen wohl vergleichende Rechtsgeschichte, vergleichende Staatslehre, Wirtschaftsgeschichte, Mythologie und Volkskunde überhaupt als soziologische Disziplinen angesprochen werden, weil keiner dieser Gegenstände ohne Beziehung auf Tatsachen und Formen des sozialen Lebens, wie keiner der früheren ohne solche auf die Tatsachen und Formen des Lebens überhaupt, erkannt werden kann. In allen diesen Sphären sind aber die Anfänge oder doch primitiven Gestalten am leichtesten mit Hilfe der Beobachtungen zu konstruieren, die bei vorhandenen Naturvölkern angestellt werden, und darin liegt die hohe Bedeutung der ethnologischen Forschung  für

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Geistesgeschichte – ich sage – A: Geistesgeschichte … ich sage. Seiten, und zwar – A: Seiten; und zwar.

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die empirische Soziologie, die hin und wieder fast zu einer Verwechslung beider Anregung und Vorwand gegeben hat. Die Soziologie erschließt für diese Disziplinen, wie für die Universalgeschichte, das philosophische Prinzip eines streng wissenschaftlichen und – sofern es dasselbe bedeutet – rationalistischen Urteils; die Ausscheidung also aller mythologischen, theologischen Überlebsel, die unbedingte Anwendung des Denkgesetzes der natürlichen Kausalität, also den Anschluß an die Naturwissenschaften, die unter Füh[192]rung der Philosophie, unter mitwirkenden Einflüssen soziologischen Denkens, auf diesem Wege ihre – ungeachtet immer neuer, tiefgehender Modifikationen – dauernden Früchte gezeitigt haben; die Ausscheidung endlich aller Gefühle und Werturteile aus der theoretischen Erkenntnis, für die solche Gefühle und Werturteile selber ein Objekt, und freilich ein wichtiges, darstellen. Die Soziologie  findet die Historiker noch nicht allgemein einer solchen Erkenntnis und Methode geneigt. Auch neuere Philosophen sind mehr beflissen, was die »einmalige« Geschichte von den Gegenständen der Naturwissenschaften unterscheidet als was sie damit verbindet, hervorzuheben. In der Tat entspringt und entspricht die bloße Erzählung merkwürdiger Vorgänge, »wie sie eigentlich gewesen«, anderen Interessen und Motiven, als denen, die zur Erkenntnis der gesetzmäßigen Ordnung der Naturereignisse geführt haben. Jene sind zum guten Teil mehr von religiöser als von wissenschaftlicher Beschaffenheit. Dies hängt indes damit zusammen, daß die Geschichtschreibung mehr oder minder einen offiziellen Charakter hat, daß sie vorzugsweise im Dienste herrschender Klassen und politischer Gewalten, wenigstens aber im Dienste von Parteien, wenn auch zuweilen ohne sich dessen bewußt zu sein, zu stehen pflegt, daß sie vom Wünschen und Wollen, also von mannigfachen Gefühlen und Affekten sich schwerlich und, was ihren ästhetischkunsthaften Charakter betrifft, nur zu ihrem Schaden sich ablösen kann. Bekanntlich läuft noch heute die Kirchengeschichte als eine neben-, eigentlich aber übergeordnete Geschichte göttlichen Ursprunges außerhalb der allgemeinen, durch die Götter nicht so unmittelbar beeinflußten, für die Theologen also minder wichtigen »Weltgeschichte« einher. Unter dem Einflusse des Glaubens hatte man sich in bezug auf diese, nach Rankes Ausdruck (»Weltgeschichte« I, Vorrede), von alters her mit 20

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»wie es eigentlich gewesen« – »Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Ämter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen.« (Ranke 21874: VII [zuerst: 1824]. zu stehen pflegt, daß sie – A: zu stehen pflegt; daß sie.

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der aus prophetischen Sprüchen überkommenen Vorstellung von den vier Weltmonarchien begnügt. »Noch im 17. Jahrhundert herrschte diese vor« – und nicht die Naturerkenntnis oder philosophisches Denken der Geschichtsschreiber hat sie aufgehoben, sondern »im 18. (Jahrhundert) wurde sie durch den Fortgang des allgemeinen Lebens zersprengt« (ebenda). Diesem Fortgang des allgemeinen Lebens, der im 19. Jahrhundert ein so rapides Tempo angenommen hat, und im 20. sich keineswegs aufhalten läßt, war also bis dahin das Bewußtsein der Historiker nicht gefolgt (nur bei einzelnen Philosophen, die sich im 16. und 17. Jahrhundert mit der Geschichte befaßten, man denke an Bodin, Hobbes, Spinoza, Bayle, läßt sich dies beobachten); auch heute folgt es nur mit Widerwillen und unter immer erneuten Protesten. Wenn schließ[193] lich die »Zersprengung« uralter Ideen, wie der greise Ranke den Vorgang treffend nennt, unvermeidlich ist, so wird eine allmähliche Lösung der das historische Denken noch bindenden Ketten um so mehr möglich werden, je mehr die soziologische Erkenntnis aus jenem allgemeinen »Fortgange« die Kräfte  für eine Darstellung der Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens gewinnt; denn durch sie sind alle historischen Prozesse in letzter Linie bedingt. Für Rankes eigene Weltanschauung ist es charakteristisch, daß er seine »Weltgeschichte« mit den Ägyptern und Babyloniern nur anhebt, um zu entwickeln, wie die Religion des Jahve die Oberhand über die anderen Gottesverehrungen erlangt habe, und um eine »unermeßliche Abweichung« zu konstatieren, die in der mosaischen Schöpfungsgeschichte gegen die Vorstellungen jener älteren Völker hervortrete. Immer ist ihm das Göttliche »das Ideal, das den Menschen vorleuchtet«, das menschliche Tun und Lassen strebe (trotz einer auf die Bedingungen des realen Daseins gerichteten Tendenz) »unaufhörlich nach dem Göttlichen hin«. Diese Anschauung ist ein Residuum jener Vorstellungen, aus denen die Lehre von den vier Monarchien und die Scheidung der profanen von der heiligen Geschichte hervorgegangen ist. Die soziologische Ansicht wird ihnen gegenüber genötigt sein, die entscheidende Rolle zu betonen, die das rohe Bedürfnis, tierische Instinkte und Leidenschaf-

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»Noch im 17. Jahrhundert … allgemeinen Lebens zersprengt« – Ranke 1881: V.; Tönnies’ Hervorhebung. – »… im achtzehnten aber wurde sie …«. »unermeßliche Abweichung« – »Die Abweichung ist unermeßlich; der außerweltliche Gott tritt hervor …« (ebd., 31). Immer ist ihm das Göttliche »das Ideal … dem Göttlichen hin« – »Das Göttliche ist immer das Ideale, das den Menschen vorleuchtet; dem menschlichen Thun und Lassen wohnt zwar noch eine ganz andere, auf die Bedingungen des realen Daseins gerichtete Tendenz inne, aber es strebt doch unaufhörlich nach dem Göttlichen hin.« (ebd., [3]).

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ten, und in ihrem Dienste eine ausschweifende Phantasie, zu allen Zeiten, wenn auch in wechselnden Formen, gespielt haben; sie wird in der Religion zwar auch sittliche Ideen, die in ihnen, zum großen Teil aber auch trotz ihrer und außerhalb ihrer, sich entfaltet haben, wiederfinden, auch solche, die auf Eintracht, Gerechtigkeit, Humanität gerichtet sind; aber sie wird feststellen, daß alle Religionen weit mehr, wenigstens in ihren historisch erkennbaren Wirkungen, die Roheit, Herrschsucht, Habsucht und Rachsucht, ja Grausamkeit kräftig unterstützt, gefördert und begeistert haben. Die soziale Bedeutung der Religionen ist mit dieser zwiefachen Erkenntnis freilich nicht erschöpft. Sie hängt empirisch mit Sitte und Recht, mit Kunst und Wissenschaft in allen Stücken eng zusammen, weil sie eben die ausgeprägteste Form primitiven Denkens und zugleich gemeinschaftlicher Praxis ist, durch Gewohnheit wie durch Glauben gepflegt und erhalten, auf beide, daher auf Autorität wie auf Freiheit, auf Ständescheidung wie auf den Sinn der Gleichheit mächtig zurückwirkend. Wenn Soziologie als Erfahrungswissenschaft, in notwendigem Zusammenhange mit der Anthropologie und also mit der Biologie, nicht umhin kann, dem Wahne einer übernatürlichen Herkunft und übernatürlichen seelischen Beschaffenheit der Menschen energisch zu widersprechen, so findet sie auch ohne besondere Theorie, deren Formeln ihr keine große [194] Bedeutung haben können, auf das Animalische im Menschen sich hingewiesen: auf das, was der idealistische Schiller mit medizinischer Realistik »den Hunger und die Liebe« genannt hat, als die mächtigsten Motoren des »Getriebes«; und wer an gehässigen Namen Gefallen findet, möge mit Abscheu diese Ansicht »materialistisch« nennen! Und doch wäre es sinnlos, zu verkennen, daß Gedanken, Vorstellungen, daß ein Trachten nach Veredelung auch der Realität angehören, daß sogar in einem bestimmbaren Sinne »Meinungen die Welt regieren«; aber zumeist liegen doch unterhalb der Meinungen die Leidenschaften, und in ihnen Furcht und Hoffnung, kaum verborgen; diese nicht selten wohl auf ein vermeintliches Leben nach dem Tode oder auf ein herannahendes tausendjähriges Reich gerichtet – in der Regel aber doch auch auf nähere Gegenstände sich beziehend, Hoffnung etwa auf den idealistisch verklärten Triumph der eigenen Sekte oder Partei, oder Furcht vor dem in satanische Nacht getauchten Siege des Gegners. Und es ist nicht zufällig, sondern aus psychischen und sozialen Ursachen erklärbar, daß

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»den Hunger und die Liebe« – Vgl. Schillers Gedicht »Die Taten der Philosophen«: »Einstweilen, bis den Bau der Welt | Philosophie zusammenhält, | Erhält sie das Getriebe | Durch Hunger und durch Liebe.« (Schiller 2005 I: 279).

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die Enthusiasten immer die armen und kleinen Leute sind, ihre Gegner die Herren, die üppigen Schwelger, die ihren Lohn dahin haben und ins Himmelreich nicht eingehen können. Unbedingt muß die soziologische Auffassung der Geschichte auch psychologisch orientiert sein, und zwar hauptsächlich im Sinne jener sozialen, sei es Völker- oder Massenpsychologie, die zu den notwendigen Voraussetzungen auch der reinen Soziologie gehört. Sie beobachtet das soziale Denken und Wollen, in seinen Wirkungen nach innen und in seinen Wirkungen nach außen, wie es das Wollen auch der stärksten Individuen sowohl hemmt als fördert, wie es unter ähnlichen Lebensbedingungen und in ähnlichen Situationen immer ähnlich sich kundgibt, wie es das, was im Individuum mannigfach sich gestaltet, in elementarer Einfachheit und Gewalt darstellt, in Aufwallungen und Erschütterungen, in Zorn und Enthusiasmus, in den mehr oder minder festen oder schwankenden Entscheidungen, den Richtersprüchen der öffentlichen Meinung; durch Einflüsse von Autoritäten, oft gar zweifelhaften Wertes, leicht bestimmbar, aber auch rasch sie über den Haufen werfend, vergeßlich, leidenschaftlich, plötzlich umschlagend, bald dauerhaft und treu, bald wankelmütig und launisch, bald borniert und schwer bekehrbar, bald erleuchtet und erkenntnisdurstig; kurz wie ein durchschnittlicher Mensch, aber dem weiblichen Typus immer etwas näher als dem männlichen. Erbliche Anlagen der psychischen wie der physischen Eigenschaften der Menschen, daher auch ganzer Stämme, Völker, Rassen, treten dem Beobachter so auffallend entgegen, daß man niemals sie hat verkennen können. Der Soziologe wird ihrer als eines stabilen Elementes eingedenk [195] sein, das den nivellierenden Einflüssen des Verkehrs so lange trotzt, als nicht der Verkehr auch, geschlechtliche Vermischungen herbeiführt und dadurch neue »Rassen« – besser würde man sagen Varietäten – ins Leben ruft. Die Probleme der Abstammungslehre, ob es auch Vererbung erworbener Eigenschaften gebe, ob die natürliche Auslese kraft der Variabilität umbildend, also nicht bloß im Sinne der Erhaltung, wirken könne, sind hier nicht zu umgehen, und müssen in ihrer Bedeutung für das soziale Leben verstanden werden, auch wenn man das Ungewisse auf sich beruhen lassen muß. Die biologische Erforschung des sozialen Lebens kann aber auf die allgemeinen Erkenntnisse befruchtend zurückwirken. Ein gemeinsamer Begriff der Biologie und der Soziologie, dessen Wert für die Psychologie nicht minder groß, aber vielleicht am wenigsten erkannt wurde, ist der Begriff des Kampfes, sei es, daß man ihn fasse als das Ringen um die Existenz gegen irgendwelche Hemmungen und

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Widerstände (materieller, psychischer oder kultureller Art), sei es als Kampf gleichartiger Faktoren gegeneinander, wie uns im sozialen Leben der Kampf als die Verneinung eben dieses sozialen Lebens, d.  h. seines Wesens, begegnet: der Krieg der Völker, Völkerteile, Gemeinwesen gegeneinander; der Streit, die Opposition, bis zu inneren Kriegen und Rebellionen, zwischen Schichten eines Volkes, zwischen Ständen und zwischen Klassen, die in (politischen) Revolutionen und Restaurationen zu neuen Gestaltungen oder (mehr oder weniger gelingenden) Wiederherstellungen der alten Gestaltungen ihrer sozialen Verhältnisse führen. Da es nun bei den Kriegen und Klassenkämpfen der Menschen regelmäßig – wenn auch nicht immer direkt und auf leicht erkennbare Art – um materielle Güter, als Grund und Boden, Lebens- und Nahrungsmittel, Gold und Silber und andere Kostbarkeiten, sich handelt, so wird die Soziologie auch durch diese Betrachtung auf das Studium der ökonomischen sozialen Verhältnisse und ihrer Lebensbedingungen zurückgeführt. Wenn dies Studium zunächst der  friedlichen Arbeit, dem  friedlichen Austausch, dem  friedlichen Verzehr sich widmet, so kann es doch die Tatsachen des Kampfes um Produktionsmittel und Güter, um Absatzgebiete und Märkte, um Arbeitsbedingungen und Rechte nicht übersehen; und Geräte, die dem Kampfe als Werkzeuge dienen, ja lediglich zur Vernichtung von Menschen und Gütern bestimmt sind, spielen eine nicht viel geringere Rolle für die allgemeine Produktion als solche Geräte, die zu fernerer Produktion, also zur Erhaltung (und Vermehrung) von Menschen und Gütern bestimmt sind. Der Besitz der einen wie der anderen, ebenso wie die Herrschaft über Land als Unterlage der Herrschaft über Leute, und wie der Besitz von Geld, als dem allgemeinen Kaufmittel, [196] das auch die Leute zu Arbeits- und Kampfleistungen willig macht: jeder Besitz gibt eine unermeßliche Überlegenheit in allen Kämpfen zwischen Menschen; nur ihre Verbindung in großen Massen kann im Verein mit persönlichen Eigenschaften dieser Überlegenheit trotzen, ja siegreich begegnen; freilich indem sie auch aus vielen kleinen Besitzstücken eine ökonomische Macht zusammensetzt. – Aber das große Hauptmoment der Entwicklung höherer Kultur liegt in der Zunahme des Handels und des Verkehres und dadurch in der wachsenden Macht des Geldbesitzes oder Kapitales gegen den Grundbesitz, welche Wandlung wieder mit der Verdichtung der Bevölkerungen, also mit Vermehrung der städtischen gegen die ländlichen Einwohnerschaften, namentlich mit Zunahme und Wachstum von Großstädten in leicht erkennbarer Wechselwirkung steht. Daraus entspringt auch die unwiderstehliche Tendenz zur Rationalisierung aller Verhältnisse, aller sozialen Werte und aller Verbindungen, eine Tendenz, die der Entwicklung von

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»Gesellschaft« aus »Gemeinschaft« zugrunde liegt und von mir auf die beiden entgegengesetzten Typen des menschlichen Willens bezogen wird (»Wesenwille« und »Kürwille«). Dieser Prozeß ist längst bekannt (wenn auch oft unzulänglich aufgefaßt) als Verdrängung der Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft und (damit wesentlich parallel laufend) der Gebrauchswertproduktion durch die Warenproduktion, und (wozu sich dieser Gegensatz steigert) der bäuerlich-handwerksmäßigen durch die kapitalistische Produktionsweise. So in der breitesten Grundschicht des sozialen Lebens, der ökonomischen. Im rechtlichen und politischen Gebiete stellt der gleiche Gegensatz sich dar 1. als Verwandlung familienhafter in kontraktliche Verhältnisse, 2. als Vereinheitlichung aller politischen Gewalt, aller gewohnheitsrechtlichen Herrschaftsverhältnisse in die Macht und Gesetzgebung des zentralisierten Staates. Endlich im ideellen Gebiete reflektiert sich die gleiche Entwicklung durch den Gegensatz und Kampf des religiösen und des wissenschaftlichen Bewußtseins, der auf alle Felder des geistigen Lebens hinüberstrahlt. Bei allen diesen Prozessen handelt es sich keineswegs um einmalige Ereignisse, sondern um die Zusammenbegreifung unzähliger, gleichartiger, sich regelmäßig wiederholender Ereignisse, von denen schwerlich der Anfang, noch weniger aber das Ende sich feststellen läßt. So führen uns diese Betrachtungen mitten ins gegenwärtige Leben, in die Zivilisation Europas und seiner Kolonialländer, mitten in die Widersprüche und Kämpfe ihrer Entwicklung hinein. Und diese gegenwärtigen Zustände müssen in der Tat den bevorrechteten Gegenstand soziologischer Forschung darstellen, wodurch sie am schärfsten von aller Historie sich abhebt. Denn jene muß, ihrer naturwissenschaftlichen Tendenz ge[197]mäß, in erster Linie die Methode der Beobachtung anwenden; eben darum ist ihr auch die Ethnographie so wichtig, wichtiger aber noch das viel weitere Feld der Beobachtung, das  für alle sozialen Zustände und ihre Veränderungen in der »Statistik« sich eröffnet. Statistik in dem alten Sinne, durch den sie ein Lehrgegenstand deutscher Hochschulen geworden war, bedeutete eine zunächst beschreibende Wissenschaft von den sozialen und staatlichen Tatsachen schlechthin; dieser Sinn ist untergegangen in einer sprachlichen Verwässerung, die das Wort zu einem bequemen Ausdruck für alle numerischen Darstellungen und Untersuchungen irgendwelcher Tatsachen erweichte, wenngleich Tatsachen sozialer Bedeutung dabei im Vordergrunde geblieben sind; das Studium selber ist aber durch politische Reaktionen und Verblödungen stark gehemmt worden, die auch sonst die Soziologie ebenso hemmen, wie ehemals kirchliche Ängste Naturwissenschaft und ihre Philosophie gehemmt haben. Statistik »im materiellen Sinne« wird jetzt von dem

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Forscher, der sie als solche noch entschlossen vertritt (G. v. Mayr) als »Wissenschaft von den sozialen Massen« bestimmt. Der Mensch soll als Massenerscheinung darin so erfaßt werden, daß in erster Linie das Hauptgewicht auf die erschöpfende Beobachtung und Erforschung der Vielheit als solcher gelegt werde, wogegen denn die »Soziologie« direkt auf die Beobachtung der sozialen Gebilde und deren Lebensbetätigung abziele. Dieser Unterscheidung liegt derselbe Gedanke zugrunde, den ich durch Voranstellung der biologischen vor der psychologischen und soziologischen Ansicht des menschlichen Zusammenlebens auszudrücken pflege. Anderseits verbirgt sich darunter die so beständig vernachlässigte Unterscheidung der Wissenschaften von Begriffen (der eigentlichen und reinen Wissenschaften, die als solche auch philosophische heißen können) und der wissenschaftlichen Erforschung von Tatsachen. Die Tatsachen, die z.  B. bevölkerungsstatistisch  festgestellt und untersucht werden, sind zum Teil rein natürliche Tatsachen, die als solche der biologischen Ansicht des menschlichen Zusammenlebens anheimfallen; aber schon die Eheschließung betrifft ein soziales Verhältnis, das durch den Staatswillen sanktioniert ist, sie selber wird durch einen staatlichen Willensakt gültig, wenn auch Wille und Stempel religiöser Verbindungen noch damit konkurriert. Will man Statistik als Wissenschaft retten oder wiederherstellen, im Unterschiede von der allgemein gebrauchten und gemißbrauchten »Methode«, so wird man sie nicht auf Anwendung dieses numerischen Verfahrens beschränken können, wie es die eigentliche Absicht einer Wissenschaft von den Massen ist, auch wenn unter Massen die »sozialen« herausgehoben werden. Als eine soziologische Disziplin aufgefaßt muß sie ganz in ihrem alten Sinne wiederhergestellt werden, der durch einen generellen [198] Begriff der »Staatenkunde« nicht erschöpft wird; allerdings aber kann dieser aus ihr herausgesetzt werden, wie es schon Niemann (1805) im Auge hatte, da die alte Statistik durch Beschreibung von Verfassungen und Institutionen überbürdet war. Statistik ist, wie ich sie verstehe, die Darstellung der einer methodischen Beobachtung zugänglichen (daher wesentlich der gegenwärtigen) Zustände und Vorgänge des menschlichen Zusammenlebens in seinen ökonomischen (und also allgemein-sozialen), politischen (und militärischen), geistigen (und sittlichen) Erscheinungen; sodann, in notwendiger Folge der Darstellung, die Untersuchung ihrer Regelmäßigkeiten, ihrer Gesetze. Es ist nur ein tatsächlich vorherrschendes, nicht ein notwen 2 10 29

»Wissenschaft von den sozialen Massen« – Vgl. Mayr 1895: 22 [§ 13]. Anderseits – A: Andererseits. Niemann – Vgl. »Abris der Statistik und der Statenkunde nebst Fragmenten zur Geschichte derselben« (Niemann 1807).

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diges Merkmal der Statistik, alles was sie beobachtet, in Zahlen auszudrücken, alles was sie untersucht, nach der von ihr her benannten Ziffernmethode zu untersuchen. Nicht die wissenschaftliche, wohl aber die amtliche Statistik ist durch dies Merkmal bezeichnet, seitdem sie prinzipiell sich als eigentliche Aufgabe gesetzt hat, Tabellen aufzustellen, und bei der Bearbeitung dieser auf außeramtliche Kunde von denselben Tatsachen keine Rücksicht zu nehmen. Wissenschaftliche Statistik muß solche Kunde heranziehen, wenn sie die ihr gelieferten Materialien kritisch verstehen und benutzen will. Sie hat selten absolut gewisse Zahlen vor sich, sie ist oft genötigt, sich mit den wahrscheinlichsten Zahlen zu begnügen und solche zu interpolieren. v. Mayr selbst unterscheidet »Arten von Erforschung sozialer Massen, welche andere Wege als die Statistik einschlagen« und will sie als »außerstatistische Orientierung« zusammenfassen: 1. notizenartige Zahlenorientierung (Stichproben), 2. Schätzung, 3. Enquete, 4. typische Einzelbeobachtung. Er weist auch nachdrücklich darauf hin, daß nicht daran gedacht werden könne, die sozialen »Massen« durchweg der erschöpfenden Massenbeobachtung zu unterwerfen; auch daß »immer noch gewisse Seiten von Zuständen und Erscheinungen übrig blieben, welche dieser objektiven und erschöpfenden Beobachtungsweise unzugänglich sind«. Er nennt das Zurückgreifen auf eine qualitative Beschreibung und die Sammlung subjektiver Meinungen Sachkundiger einen »Ersatz der objektiven Methode des Zählens und Messens«. Ich würde sagen, sie sei auch zur Ergänzung und Berichtigung dieser notwendig. Und eben darum kann eine Statistik, die sich grundsätzlich auf Anwendung der »statistischen Methode« beschränkt, niemals eine Wissenschaft sein: »wie es keine eigene Naturwissenschaft gibt, Mikroskopie genannt, welche nur alle vermittelst des Mikroskops gewonnenen Beobachtungen zusammenfaßt, ebensowenig darf man überhaupt das Prinzip einer Wissenschaft aus der Natur ihres

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v. Mayr selbst – A: Mayr selbst. »Arten von Erforschung … außerstatistische Orientierung« – Die Zitatfragmente bei Mayr 1895: 6. Dort: »… welche andere Wege als jenen der Statistik …«. – Ebd. auch die Aufzählung, die Mayr in den §§ 6–9 (ebd., 6–13) entfaltet. »immer noch gewisse Seiten … Methode des Zählens und Messens« – Ebd., 5. – »In dem letzten Falle bietet sich als Ersatz der unanwendbaren objektiven Methode des Zählens und Messens das Zurückgreifen auf eine den subjektiven Standpunkt des Beobachters zum Ausdruck bringende qualitative Beschreibung …«.

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vornehmsten Werkzeuges ableiten« – so urteilt der allkundige Roscher. – Soziologie und Statistik sind einander nicht zu koordinieren, sondern [199] die (empirische) Soziologie sollte den Begriff des weiteren Gebietes darstellen, dem die Statistik als ein höchst wichtiger Teil angehört. Ein geistreicher Vertreter der alten Statistik hat sie eine »stillstehende Geschichte« (und die Geschichte eine »fortlaufende Statistik«) genannt. Diese Antithese berührt sich nahe mit der Unterscheidung von sozialer Statik und sozialer Dynamik, wenngleich Auguste Comte etwas abweichende Begriffe mit diesen Ausdrücken verbunden hat. Das Wort Statik erinnert doch nicht bloß durch seinen Klang an Statistik; und in der Geschichte des sozialen Lebens, mögen wir sie von der ökonomischen, der politischen oder der ideologischen Seite betrachten, handelt es sich nicht, wie Comte meinte, schlechthin um die »Theorie des Fortschritts«, sondern um die Wirkungen und Gegenwirkungen höchst mannigfacher Kräfte oder Mächte, so schwierig, ja unmöglich es auch scheinen mag, diese allein durch die Formeln der Mechanik zu begreifen. [200]

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»wie es keine eigene Naturwissenschaft … Werkzeuges ableiten« – Roscher 1894: 42 f. – Dort leicht abweichend: »… Beobachtungen zusammenfaßte, so darf man überhaupt nicht das Princip …«. – Anders Schmoller (1894: 541): »In den komplizierteren Wissensgebieten hat .. stets mit dem Siege strenger Wissenschaftlichkeit die Beschreibung, der deskriptive Teil sich einen eigentümlichen, selbständigen Platz erobert; einzelne Hilfsmittel und Arten der Beobachtung, der Thatsachensammlung und Beschreibung wie z. B. die Mikroskopie und Statistik wurden zu besonderen Wissenschaften.«. »stillstehende Geschichte« (und die Geschichte eine »fortlaufende Statistik«) – »Gewönlich denkt man sich bei diesem Worte [Statistik] nur die Gegenwart, nur den jetzigen Zustand eines Stats; warum nicht auch Statistiken der Vergangenheit? Geschichte ist eine fortlaufende Statistik; und Statistik ist eine stillstehende Geschichte …: nun so lasse man sie stille stehen, wo man will, und so lange man will; d. i. man hebe ZeitRäume vergangner Jare oder JarHunderte aus, die sich von vorhergegangen und nachfolgenden auszeichnen …« (Schlözer 1804: 86 f.).

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Im Wesen jedes sozialen Verhältnisses liegt es, daß wenigstens von einer Seite, in einem vollkommenen, d.  h. gegenseitigen Verhältnis aber von beiden – um von dem einfachen Falle eines Verhältnisses zweier Personen auszugehen, – der Anspruch auf ein gewisses Verhalten der anderen Person und die Erwartung eines solchen gehegt wird, und zwar eines Verhaltens, das aus dem freien Willen hervorgeht und dem Wunsche und Willen des Erwartenden gemäß ist: es wird also durch einen gemeinsamen, einen überindividuellen – sozialen – Willen gesetzt und geboten. Für das Wesen des sozialen Verhältnisses ist es gleichgültig, ob die »Erfüllung« gleichzeitig auch durch einen andern, übergeordneten, sei es individuellen, oder sozialen Willen geboten ist, oder auch nur gedacht wird als z. B. durch einen »Gott« befohlen und auferlegt. Zunächst und unmittelbar ist es das Verhältnis selber, d.  h. der darin enthaltene gemeinsame Wille, der eine solche »Pflicht« oder »Obliegenheit« erzeugt, die entsprechende »Forderung« erhebt. Also erwächst aus jedem Verhältnis ein Sollen, eine Schuldigkeit, und wird dem Sollenden bewußt, insofern als er des Verhältnisses selber bewußt ist. – Zu einem Teile sind soziale Verhältnisse als »sittliche«, zu einem anderen Teile als »rechtliche« Verhältnisse Gegenstände der Erkenntnis. Jedes soziale Verhältnis wird als rechtliches begriffen, insofern als gedacht wird, daß die aus ihm hervorgehenden Pflichten durch Entscheidung eines Richters (eines Gerichtes)  festgestellt werden können und (unter Umständen) sollen. Für die rationale Konstruktion ist der normale Ursprung eines solchen Verhältnisses der Vertrag; und zwar insofern, als er durch gegenseitiges Versprechen geschlossen wird und gegenseitige »Rechte«, d. h. berechtigte Ansprüche und »Pflichten«, begründet. Die Voraussetzung dieses Begriffes ist, daß der erklärte Wille einer »Person«

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Gemeinschaft und Individuum – Der Aufsatz erscheint im Juliheft 1914 von »Die Tat. Sozial-religiöse Monatsschrift für deutsche Kultur« (6: 401–409, Tönnies 1914a, im Folgenden A). Der Autor »Ferdinand Tönnies« steht über dem Titel. Die Zeitschrift ist in Fraktur gesetzt. – Vgl. zum Kontext des Artikels und zur Korrespondenz Tönnies’ mit dem Verleger den Editorischen Bericht S. 648.

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(als solche wird zunächst jeder individuelle Mensch vorgestellt, insofern, als er vernünftig, also der Willenserklärung fähig ist) gilt, daß mithin durch eine solche Willenserklärung Bestandteile der Willenssphäre einer Person in die Willenssphäre einer anderen Person übergehen »von Rechts wegen«, d. h. einem sozialen Willen gemäß, der ebenso für die Beteiligten insgesamt Geltung hat. Die Willenssphäre einer [201] Person ist aber das natürliche (angeborene) oder erworbene und dadurch dem natürlichen gleich gemachte – erkennbare und von anderen Personen tatsächlich anerkannte – Gebiet ihrer Macht oder ihres Vermögens, d. h. eines dauernden Könnens. Es kann in klarer und konsequenter Weise gedacht werden, daß, gemäß dieser Idee, alle Personen eines beliebig ausgedehnten Systems schlechthin frei und unabhängig voneinander in und mit ihren Willenssphären agieren, die sie nur durch ausdrückliche (förmliche) Willenserklärungen verändern, teils in der Form des unmittelbaren Austausches von Sachen oder Leistungen, teils durch Verträge, d. h. durch Versprechen von Leistungen. Dies ist der individualistischgesellschaftliche Begriff eines natürlichen, d. h. der Vernunft gemäß allgemeinen und notwendigen Rechtes, der von der stoischen Philosophie her im römischen Privatrechtssystem und in neuerer Zeit im Zusammenhange und Gefolge einer mathematisch-mechanistischen Welttheorie für Lehre und Gesetzgebung entscheidende Wirkungen geübt hat. Diesem Begriffe wurde im 19. Jahrhundert durch die älteren, wiederauflebenden Gedankenmächte teils die unbestimmte Anschauung eines historischtraditionellen und national differenzierten Gewohnheitsrechtes, teils die in Unklarheit verharrende Analogie eines organischen Charakters alles positiven Rechtes (die zumeist in eine neue theologische oder doch religiöse Begründung ausläuft, wie sie daraus entsprungen ist) entgegengewälzt, ohne daß sie doch vermochten, die in der wirklichen Rechtsauffassung und Rechtsbildung ausgeprägte Denkweise umzuschaffen, d.  h. deren individualistisch-gesellschaftliche Voraussetzungen zu vertilgen, die vielmehr unter ihren ahnungslosen Händen um so üppiger wucherten. Möglich ist allerdings eine Theorie der Rechtsverhältnisse, die den entgegengesetzten Ausgangspunkt nimmt, ohne in irgendwelche Mystik oder gar Theologie zu verfallen: nämlich alle Rechtsverhältnisse können nach Analogie der auf Blutsverwandtschaft und sonstiger »Gemeinschaft« beruhenden Herrschafts- und Dienst- oder gegenseitigen Hilfeverhältnisse und Verpflichtungen gedacht, also konstruiert werden, womit sie als ihrer Wurzel nach von Natur »gegeben« vorausgesetzt werden, d. h. als in der allgemeinen oder in einer besonderen Notwendigkeit menschlichen Zusammenlebens und Zusammenwirkens gegründet. Hier erschiene dann der Vertrag nur als die Befestigung oder Be-

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stätigung, besser vielleicht noch als die individuelle Erfüllung eines der Idee nach schon vorhandenen, weil in dem genannten Sinne notwendigen »Bandes«, das seinem Wesen nach ein Band der »Treue« wäre, d. i. der zeitlich unbegrenzten Erhaltung eines dadurch hergestellten Zustandes, nämlich eben des sozialen Verhältnisses, das auch in diesem Falle durch die Idee des Gerichtes, als eines die Pflichten und [202] Rechte bestimmenden und »entscheidenden« allgemeinen Willens, ein Rechtsverhältnis würde. Diese aus ihren Verhüllungen zu befreiende soziologische Rechtsphilosophie ist längst an einem charakteristischen Punkte mit der individualistisch-rationalistischen – die den tatsächlichen modernen Rechtsverhältnissen weit besser angepaßt ist – zusammengestoßen, nämlich in der Lehre von der Ehe. Die Streitfrage ist hier gegeben: ist die Ehe ihrem Wesen nach ein Vertrag? ein Vertrag auf lebenslängliche Bindung? zu welchen Leistungen verpflichtend? Kant, der letzte große Vertreter des rationalen – gesellschaftlichen – Naturrechts, antwortet mit entschlossener Kälte: »Zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften« (eine Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre § 24); welche Definition, und zwar wesentlich die Bestimmung der Ehe als Vertrag überhaupt, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Gegenstand vieler Erörterung und Kontroverse gewesen ist. Hegel nennt es »roh«, die Ehe bloß als einen bürgerlichen Vertrag zu begreifen und erklärt, daß sie durch Kants Bestimmung »zur Form eines gegenseitigen vertragsmäßigen Gebrauchs herabgewürdigt« werde (Naturrecht § 161), und Walter wirft auch Hegel vor, daß er von der Bedeutung der Ehe als »menschheitlichen Instituts« nichts sage und, bei allem Gerede von Objektivität, doch nur im Subjektiven stehen bleibe (Naturrecht und Politik §  128). – Ein tiefer Dissens über das Verhältnis zwischen Recht und Moral liegt hier verborgen. Der Gedanke jenes rationalen Naturrechts, den noch Kant und vor ihm Fichte in aller Schärfe herausgestellt haben, war die völlige Scheidung der beiden Gebiete, und dem entspricht die Beschaffenheit des Rechts, das Gesetz seiner Entwicklung, in jeder fortgeschrittenen, also in der modernen großstädtischen und Weltkultur. Dagegen empört sich aber das sittliche Bewußtsein. Wie genetisch das Recht immer gedacht worden ist, als in der Sittlichkeit beruhend und von ihr unablösbar, so wollten die romantischen und restauratorischen 17 24 28

»Zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften« – Metaphysik der Sitten (1.2. § 24: Kant 1968: 277). »zur Form eines gegenseitigen vertragsmäßigen Gebrauchs herabgewürdigt« – Hegel 1840: 218 (Zusatz zu § 161). (Naturrecht und Politik § 128) – Walter 1871: 123.

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Denker auch theoretisch es in diesem Sinne ausschließlich begreifen. Sie hatten recht, daß es auch so begriffen werden muß. Aber vergebens mühen sie sich, das Recht einer kapitalistischen Gesellschaft als von sittlichem Inhalt erfüllt darzustellen. Erfüllt ist es von der Herrschaft des Privateigentums, und in diesem hat (nach einem neueren Meister der Jurisprudenz, R. v. Ihering) »der nüchterne, platte Materialismus seine vollendete Ausprägung erhalten«. Natürlich können gleichwohl mit solchem Rechte sittliche Gefühle und Gedanken zusammen bestehen; aber sie gehören nicht zu ihm, sie liegen außerhalb seines Wesens. Und es ist charakteristisch für dieselbe gesellschaftliche Entwicklung, die dahin [203] tendiert, Institutionen des Rechtes immer mehr gleich und einheitlich zu machen, daß die moralischen Gefühle und Gedanken immer mehr sich differenzieren und auseinandergehen – bei Individuen sowohl als bei gesellschaftlichen Klassen: und das letztere ist das Bedeutsame. Um so stärker bewährt das gesetzliche Recht als genau definiertes, als scharfe Abgrenzung der Willenssphären gegeneinander, aber auch als Hemmung gemeinschädlichen Gebrauches individueller Rechte, seinen Sinn und seine Notwendigkeit. Da viele gemeinschaftliche Verhältnisse auch durch das Element der Herrschaft, das sie in sich enthalten, leicht in Feindseligkeiten übergehen, so wirkt gerade das Gericht, und zwar desto mehr, je stärker seine Autorität und Vollzugskraft geworden ist, dahin, solche gemeinschaftlichen Verhältnisse – wenigstens äußerlich – zu egalisieren und eben dadurch den gesellschaftlichen ähnlicher zu machen. Wenn hier sittliche Verhältnisse von rechtlichen unterschieden werden, so hat das Wort »sittlich« einen soziologischen, nicht einen ethischen Sinn. Er soll nur diejenigen sozialen Verhältnisse zusammenfassen, die ihrem Wesen nach einem richterlichen Erkenntnisse nicht unterliegen oder aber noch nicht zu einer solchen Anerkennung gelangt sind. So ist in den neuen deutschen Sprachgebrauch »das Verhältnis« übergegangen, in einer Bedeutung, die auf intime Beziehungen zwischen Personen verschiedenen Geschlechtes abzielt und ehemals bald durch das etwas niedriger weisende Fremdwort »Konkubinat«, bald durch das etwas hö-

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»der nüchterne, platte Materialismus … erhalten« – »Unser gemeines Recht weiss von diesem Idealismus [»der in der Rechtsverletzung nicht bloss einen Angriff auf das Object, sondern auf die Person selber erblickt«] nichts, der Gesichtspunkt, von dem es die Rechtsverletzung beurtheilt, und der Massstab, mit dem es dieselbe misst, ist lediglich der des materiellen Werthes – es ist der nüchterne, platte Materialismus, der in demselben zur vollendeten Ausprägung gelangt ist.« (Ihering 1872: 80). Um so stärker bewährt das gesetzliche Recht – A: Um so stärker beweist das gesetzliche Recht.

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here »Gewissensehe« bezeichnet wurde. Aber die Ehe selber ist doch nur in ihrer Oberhaut ein rechtliches, ihrem Fleisch und Blute nach ein sittliches Verhältnis, gleich der Freundschaft, der Kollegenschaft, der Landsmannschaft, der Klientel, dem Verhältnis von Lehrer und Schüler und vielen anderen. Und als sittliches Verhältnis in diesem Sinne, als sittliche Gemeinschaft ist sie in ihrem Wesen unabhängig von dem Spruche eines Priesters oder Beamten, wie von der Zustimmung irgendwelcher anderer Personen. Anderseits kann das »Zusammensprechen« weder verhindern, daß die Ehe im konkreten einzelnen Falle ein gesellschaftliches, noch daß sie ein feindseliges, also sogar ein unsoziales Verhältnis werde; und doch entspricht ohne Zweifel der Priester mehr ihrer Idee als einer Gemeinschaft, der Standesbeamte mehr derjenigen als eines gesellschaftlichen Zusammenlebens. Der geistlich-mystische Begriff eines Sakramentes steht dem des bürgerlichen Vertrages entgegen. Überhaupt aber berühren sich Gemeinschaft und sittliches Verhältnis ebenso wie Gesellschaft und rechtliches Verhältnis; denn wie Religion in Anschauung und Phantasie beharrt, so tendiert dagegen das Recht zu wissenschaftlicher Klarheit und Analyse. [204] Durchaus analog den sozialen Verhältnissen sind die sozialen Verbände zu denken, denn der Verband ist nichts anderes als das Verhältnis, insofern, als dessen Wille einem individuellen Wesen zugeschrieben wird. Der Verband wird also – im Unterschiede vom bloßen Verhältnis – als einheitliches personenähnliches Wesen in erster Linie von seinen Stiftern und Mitgliedern selber vorgestellt, in zweiter von der Umwelt, die diese Wesen erkennt und anerkennt, in dritter endlich vom Theoretiker und Denker: als personenähnliches Wesen, d.  i. als eines ausgesprochenen, begründeten Wollens, und folglich als der eigentlichen sozialen Handlung fähig und solches Wollen und Handeln regelmäßig ausübend. Der deutsche Sprachgebrauch wendet mannigfache Namen auf solche Verbände an, ohne für nötig zu halten, Verhältnisse und Verbindungen zu unterscheiden; dies geschieht aber ausdrücklich, wenn auf eine solche künstliche Person der Name Körperschaft (Korporation) angewendet wird, um die Einheit und Einigkeit zu bezeichnen. Von hoher Bedeutung ist es nun, daß auch auf Körperschaften der begriffliche Unterschied von »Gemeinschaft« und »Gesellschaft« anwendbar ist und angewandt werden muß. Und zwar ist die kardinale Frage diese: was ist die Körperschaft an sich, d. h. für ihre eigenen An-

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die Ehe im konkreten einzelnen Falle ein gesellschaftliches – A: die Ehe ein gesellschaftliches. Der Verband wird also – A: Der Verband selber wird also.

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gehörigen oder Mitglieder? Wird sie als etwas Reales oder als etwas Ideelles und bloß Fingiertes empfunden und gedacht? Als etwas Reales – dann wohl als ein wirklicher Körper oder Leib, sei es, daß diesem ein sinnlich-geistiges oder ein übersinnlich-übergeistiges Dasein zugeschrieben werde. Als etwas Fingiertes – dann am ehesten als »Person« in dem Sinne, wie  für irgendwelche Zwecke irgendwelche Summe von Beziehungen, besonders von subjektiven Rechten, personifiziert werden kann, ohne daß man an das wirkliche Dasein einer solchen Person zu glauben pflegt oder zu glauben geneigt ist. Von den Benennungen freilich ist es unabhängig, wie sich der Einzelne zum Ganzen stellt, wie er es empfindet und denkt, und dies ist das Wesentliche. Ob ihm diese Gesamtheit ohne Zweifel etwas Wirkliches, Unzerstörbares, darum leicht etwas Heiliges und Göttliches darstellt, oder aber eine bloße Einrichtung, ein Gerät, das gebraucht wird, aber entbehrlich gemacht werden kann; und hier ist offenbar für viele verschiedene Auffassungen und deren Vermischung Raum. Im allgemeinen ist es einleuchtend, daß  für Menschen, die ihrer Einbildungskraft folgen, daher für naive und gläubige Seelen, wie auch für dichterisch oder mystisch gestimmte, die Vorstellung eines wirklichen Verbandes oder einer göttlichen Stiftung weit näher liegt, als für nüchterne, reife Verstandesmenschen, also für »Individualisten«, Geschäftsleute, wissenschaftliche Denker. Wenn auch Schwärmereien aller Art immer wiederkehren, [205] so ist doch im Fortgange einer großen Zivilisation die Vermehrung und Verstärkung des letzteren Typus unverkennbar. Wenn schon der lebendige sichtbare Organismus dem wissenschaftlich-analytischen Begreifen sozusagen Widerstand leistet, so ist es vollends mit sinnlich unwahrnehmbaren »Dingen« der Fall. Der Organismus und, wenn möglich nach seinem Bilde, die ganze Welt macht sich der  freie entschlossene Denker – d.  h. der seinen stärksten Motiven  folgende – als ein Uhrwerk oder ein anderes mechanisches Kunstwerk klar, d.  h. wie von Menschenhand zu einem bestimmten Zwecke zusammengesetzt. Ebenso ist der Verband, die Korporation für ihn ein »Verein« oder eine »Anstalt«, d.  h. entweder durch Individuen für ihre Zwecke fingiert oder durch ein Individuum resp. durch einen schon bestehenden Verein, den es vertritt, gebildet und von dessen Willen abhängig, wie sonst vom Willen der Gesamtheit (oder einer diese repräsentierenden Mehrheit) aller Vereinsmitglieder. Und so wird in der Regel der normale denkende Mensch nicht anders zu denken vermögen, als daß nur die Individuen wirklich seien, und ein Ganzes, das aus solchen bestehe, nur die Summe der Individuen darstel36

diese repräsentierenden Mehrheit – A: diese repräsentierende Mehrheit.

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le. Es ist aber allerdings eine wichtige Frage, ob es möglich ist, daß der Mensch ohne Mythologie, Mystik oder Theologie, sein Verhältnis zu einer »Gemeinschaft« oder einem »Gemeinwesen« anders denke, nämlich das Verhältnis oder die Korporation als ihrem Wesen nach wirklich lebendig, also »organisch«, also ihn selber bedingend, wie ein Organismus als Ganzes seine Organe als Teile bedingt: »die Hand ist nicht Hand, außer dem Namen nach, wenn sie nicht in Verbindung mit dem lebenden Körper ist, dem sie angehört.« Es ist möglich, und zwar auch mit den Mitteln einer auf die alleinige natürliche Realität der Individuen gegründeten rationalistischen Wissenschaft. Die Denkenden können die Idealität ihres Verhältnisses oder ihrer Verbindung vollauf anerkennen, und doch sie so auffassen und begreifen, daß sie sie als seiend behaupten, als durch ihren Willen gesetzt, aber beharrend trotz ihres persönlichen Vergehens, weil ihre Person immer durch neue Personen von notwendig gleichgerichtetem Willen ersetzt werden; dies wenigstens würde von Verbindungen gelten, während bloße Verhältnisse immer gedacht werden müssen als von den Individuen abhängig bleibend und mit ihnen untergehend; so daß auch im Falle des Einrückens in ein bestehendes Verhältnis, der Sukzession, dieses selber immer neu geschaffen werden muß. Die sozialen Verhältnisse aber sind mit ihrem subjektiven Wesen regelmäßig in objektiven Verhältnissen begründet; und solche unterliegen auch den bedeutendsten sozialen Verbindungen, wenigstens denen von gemeinschaftlichem Charakter; und sie reflektieren sich psychologisch in der notwendigen inneren Einheit [206] und Harmonie von Mitteln und Zwecken, die nach meinem Begriffe den »Wesenwillen« bezeichnet1. Solche objektiven Verhältnisse aber gehen tatsächlich auch in die hier als Gesellschaften konstruierten Verhältnisse und Verbindungen über und können ihnen auch etwas von gemeinschaftlichem Wesen er1

Vgl. des Verfassers: »Gemeinschaft und Gesellschaft, Grundbegriffe der reinen Soziologie«. 2. Aufl. 1912, S. 103 ff. (6. u. 7. Aufl. 1926, S. 85 ff.)

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»die Hand ist nicht Hand … lebenden Körper ist, dem sie angehört.« – Möglicherweise bezieht sich Tönnies hier auf Nicolaus von Cusa, zitiert seine Auffassung des Organismus recht frei: »Die Hand ist nicht Hand, der Fuß nicht Fuß im Auge, sondern im Auge sind sie Auge, und so als Auge unmittelbar im Menschen. Ebenso sind alle Glieder im Fuße und als Fuß unmittelbar im Menschen, so daß jedes Glied durch jedes unmittelbar im Menschen und der Mensch oder das Ganze durch jedes Glied in jedem ist.« (Nicolaus von Cusa 1862: 46). des Verfassers »Gemeinschaft und Gesellschaft – Tönnies bezieht sich auf das 2. Buch (Wesenwille und Kürwille), darin den ersten Abschnitt (Die Formen des menschlichen Willens): TG 2: 224 ff. (vgl. Tönnies 1912a und 1926). – In A fehlt der Verweis auf die 6. Auflage.

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halten; so ist bedeutsam die Wirkung der Abstammungs-Gemeinschaft – als Nationalität – auf den Staat: der Staat verlangt – als gesellschaftliche, national gedachte Verbindung – nur Menschen als Mitglieder, als Staatsbürger – »Steuerzahler«; aber tatsächlich – »historisch« – pflegt irgendein Volkstum das numerische Übergewicht zu haben, oder doch ihm das geistige Gepräge zu geben; und an dies Volkstum hängen sich dann auch die sympathischen Gefühle, die Gewohnheiten, die Erinnerungen, und neigen dazu, Staat und Volkstum für einerlei zu halten; hinter dem Irrtum freilich ist oft auch das Interesse verborgen, das regierende Personen und Klassen anleitet, wesentliche Vorteile des Staates in ausschließender Weise für sich in Anspruch zu nehmen, oder umgekehrterweise gerade die Forderung einer Menge, Gleichheit walten zu lassen, die den Volksgenossen, den Kindern desselben Vaterlandes, am wenigsten scheint verweigert werden zu dürfen. Aber sogar noch, wenn die Volksgemeinschaft ins AllgemeinMenschliche verdünnt ist, kann vermöge der Teilnahme am Staat und an dem Volkstum, das in ihm überwiegt, dadurch an idealen Gütern, Ideen, Erinnerungen und Traditionen, eine Anschauung sich bilden, die ein Gemütsverhältnis zum Staate – und dem alsdann durch ihn repräsentierten »Vaterlande« – bedeutet, die ihn als Selbstzweck zu setzen scheint, als Gegenstand der Liebe, Verehrung und Treue, wie sie der antike Bürger für seine Stadt empfand, wenn er, wie Sokrates, lieber Freiheit und Leben einbüßen, als den Gesetzen ungehorsam sein wollte, denen er seine sittliche Existenz zu verdanken meinte. Daß nach dieser Richtung hin der heutige Staat bei den Völkern der höchsten Kultur seine Entwicklung nehmen werde, ist eine Erwartung, die von manchen gehegt und bald auf die historisch-sittlichen Fundamente, bald auf bedeutsame Merkmale der neueren innerpolitischen Entwicklungen gestützt wird. Ihre Erfüllung kann nicht als schlechthin unmöglich behauptet werden. Im allgemeinen hängt sie an der volkstümlichen, alle sittlichen Kräfte an sich ziehenden Gestaltung der staatlichen Einrichtungen; daran, daß sie allen Tüchtigen zugänglich werden; daß nicht nur die Rechtsprechung, sondern die Verwaltung und Regierung von Gerechtigkeit erfüllt und durchdrungen werde: so daß die Beamtenschaft, und dadurch der Staat selber überall als Freund [207] und Helfer des Guten erscheine; daß Staat und sittlich-geistige Bildung untrennbar miteinander verbunden seien, und so als Gegenstände gemeinschaftlichen Genusses freudig bejaht werden … Alles dies würde ein Schweigen oder doch ein bedeutendes Nachlassen der erbitterten Klassen- und Interessenkämpfe voraussetzen, von denen die heutige soziale Luft erfüllt ist; diese Dämp11

umgekehrterweise – A: umgekehrter Weise.

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fung aber wird nur bewirkt werden durch eine gleichmäßigere, gerechtere Verteilung der Produkte einer als gemeinsam empfundenen volkswirtschaftlichen Arbeit (»nationaler Arbeit«); daher eine Umwandlung der heute durch die Macht des privaten und absoluten Kapitals bedingten Formen dieser Volkswirtschaft: ein gemeinschaftliches, anstatt eines gesellschaftlichen Zusammenarbeitens. Hoffnungen, Ideen, Pläne, Systeme gehen seit mehr als einem Jahrhundert in diese Richtung; dabei wurde ehemals, mehr als in jüngerer Zeit, darauf Gewicht gelegt, daß schon in dem großen Umschwunge – der Revolution – der von fürstlichen Absolutismen zu modernen Verfassungen und (wenigstens prinzipiellen) Demokratien führte, Motive verwandter Art bedeutend mitgewirkt haben. Ist doch die ausgesprochene Idee des nationalen Liberalismus gewesen, den Staat zur Sache des Volkes, ja Staat und Volk identisch zu machen; zum wenigsten sollte der Staat, der bisher »als ein lebloser Begriff im leeren Raume geschwebt« habe, »dessen Existenz vom Volke nur in unverstandenem, daher  für  feindlich gehaltenem Drucke wahrgenommen wurde, dessen man sich durch jede Art von List oder Betrug zu entledigen suchte« (Stenzel bei Gierke GR. I 831: in dem »nur« eine parteiische Übertreibung!), als ein erhabener ethischer Wert erkannt werden, ja sogar, im Sinne einer Wiederbelebung antik-platonischer Ansicht, als »die Wirklichkeit der sittlichen Idee« schlechthin, der »sittliche Geist, als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das, was er weiß und insofern er es weiß, vollführt« (Hegel). Dieser Staat ist zugleich »die Verwirklichung der Freiheit«; sein Wesen ist, »daß das Allgemeine verbunden sei mit der vollen Freiheit der Besonderheit und dem Wohlergehen der Individuen, so daß also das Interesse der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft sich zum Staate zusammennehmen muß, daß aber die Allgemeinheit des Zweckes nicht ohne das eigene Wissen und Wollen der Besonderheit, die ihr Recht behalten muß, fortschreiten kann.« Wenn aber schon Gierke von seinem »Staatsgedanken« sagt, daß 17

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»als ein lebloser Begriff … Betrug zu entledigen suchte« – Gierke (1868: 831 Fn.) zitiert Tzschoppe / Stenzel 1832: 264. Tönnies passt das Zitat seinem Sprachfluss an. Bei Gierke heißt es: »der Staat schwebte als ein lebloser Begriff im leeren Raume und seine Existenz wurde vom Volke nur in unverstandenem, daher für feindlich gehaltenem Drucke wahrgenommen, dessen man sich durch jede Art von List oder Betrug zu entledigen suchte.« »die Wirklichkeit der sittlichen Idee… es weiß, vollführt« – Hegel 1821: 241 (§ 257) – ohne Hegels Hervorhebungen. »die Verwirklichung der Freiheit« – Hegel 1840: 311 (Zusatz zu § 258), noch einmal ebd., 315 (Zusatz zu § 260). »daß das Allgemeine … fortschreiten kann.« – Ebd., 315 (Zusatz zu § 260), fehlende Anführungszeichen ergänzt.

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er freilich »nicht einmal in der Wissenschaft allgemein anerkannt, noch weniger bereits im wirklichen politischen Leben realisiert, oder auch nur von dem Rechtsbewußtsein der Nation als das zu erstrebende Ziel voll und klar erfaßt« sei, so gilt dies vollends von der Hegelschen Erscheinung des objektiven [208] Geistes. Die gegenwärtige Ausführung aber sollte dazu dienen, die eminente soziologische Bedeutung der Staatstheorie und also der in ihr gipfelnden Rechtsphilosophie herauszustreichen. Die Idee des »Zukunftsstaates«, als eines freien, auf dem nationalen Eigentum des Grund und Bodens, der Bergwerke und aller Massen-Produktions- und Verkehrsmittel beruhenden Gemeinwesens, muß als eine notwendige Konsequenz der gesamten neueren, sowohl technischen als geistigen, und eben darum auch politischen Entwicklung begriffen und gewürdigt werden; obschon es keineswegs die allein denkbare, also notwendige, nicht einmal die überwiegend wahrscheinliche Entwicklung, die in diesem Gedanken enthalten ist. Sie ist vielmehr wesentlich, wie die Forderung einer dialektischen Konstruktion, so das Postulat des sittlichen Idealismus, der als Gestalter der Wirklichkeit einen zwar möglichen, und wenn wirklich werdend, höchst bedeutenden, aber auch einen sehr ungewissen und unter regulären Bedingungen unwahrscheinlichen Faktor darstellt. [209]

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»nicht einmal in der Wissenschaft … Ziel voll und klar erfaßt« – Gierke 1868: 830, dort leicht abweichend: »Das Wesen der modernen deutschen Staatsidee berut somit in der Identität von Staat und Volk. […] Dieser Staatsgedanke ist nun freilich, wenn er nicht einmal in der Wissenschaft allgemein anerkannt ist, noch weniger bereits …«. die Forderung – A plausibler: die Folgerung – möglicherweise Textverderbnis in SSK II.

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Es besteht ein offenbarer Widerspruch zwischen dem öffentlichen Interesse an der Soziologie, das sich auch im zunehmenden Gebrauche des Wortes kundgibt, und ihrer öffentlichen Geltung. Nur in Amerika, Japan und Frankreich (und etwa in einigen kleinen Ländern) gibt es Lehrstühle  für Soziologie1; außerdem wurden hier und da vereinzelte Lehraufträge erteilt, jedoch fast stets in Vereinigung mit einem anderen Fache, meist – so z. B. in Skandinavien – in Verbindung mit Nationalökonomie. Dennoch besteht auch da, wo, wie in Deutschland, Österreich und sonst, für die Universitätsverwaltungen die soziologische Wissenschaft als solche noch nicht existiert, ein starker Konnex zwischen dem allgemeinen Interesse und dem der Universitätsgelehrten an ihr; die Universitätslehrer stellen zu den  für Soziologie überhaupt Interessierten, insbesondere den sie aktiv Betreibenden und Schaffenden, das Hauptkontingent – wenn auch, wie es so oft der Fall gewesen ist, nur im Anschlusse an eine frühere »unzünftige« Bewegung. So tun denn Vertreter der verschiedensten Wissenschaften ihre Anteilnahme an der Soziologie kund: Philosophen, Historiker, Theologen, 1

Wobei noch die Einschränkung zu machen ist, daß in Amerika (wie in England) unter Soziologie nicht diese allein, sondern zugleich das verstanden wird, was in Deutschland »Praktische Nationalökonomie« oder doch was »Sozialpolitik« heißt.

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Die Soziologie und ihre Aussichten in Europa (1914) – Der Text fasst die institutionelle und personelle Lage der Soziologie in Europa am Vorabend des Weltkriegs zusammen. Dann wird die Affinität zu soziologischen Themen in Nachbardisziplinen behandelt. – Zuerst erscheint der Text im Mai 1914 in der Zeitschrift »Akademische Rundschau« (Tönnies 1914; im Folgenden A). Der Titel in A lautet: »Die Soziologie und ihre Aussichten in Europa«; darunter die Verfasserangebe: »Von Prof. Dr. Ferdinand Tönnies, in Verbindung mit Dr. Carl Maedge«. Die Zeitschrift ist in Fraktur gesetzt. – In der Hervorhebung von Namen gibt es erhebliche Unterschiede zwischen der Veröffentlichung in SSK II und in A. In A sind nur Familiennamen, nirgends aber Vornamen hervorgehoben. In SSK II werden fast alle Namen hervorgehoben, nicht so in A. In der Erstveröffentlichung verteilt Tönnies die Hervorhebungen mit Bedacht; dieser Vorlage wird hier gefolgt.

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Juristen, und am stärksten die Nationalökonomen, mit denen die Statistiker meistens liiert auftreten. Die große und allgemeine Aufmerksamkeit  für Soziologie  findet ihren lebendigsten Ausdruck in besonderen Gesellschaften, Vereinen und Zeitschriften. In Frankreich erscheint seit 1892 die »Revue Internationale de Sociologie« (Paris, E. Giard & Brière). 1894 wurde in Paris das internationale »Institut« für Soziologie ins Leben gerufen, mit einer geschlossenen Zahl von 100 Mitgliedern; außer ihnen gibt es »Associés«. Dieses Institut hat eine Reihe von Bänden (»Annalen«) herausgegeben; es wollte 1915 in Wien seinen 8. Kongreß abhalten. In Frankreich erscheint ferner als unabhängige periodische Publikation, die sehr eingehend alle mit Soziologie [210] zusammenhängenden Werke rezensiert, die »Année Sociologique” von Emile Durkheim; die ersten 10 Bände umfaßten je 2 Jahre und enthielten auch Abhandlungen, seitdem werden je 3 Jahre umgriffen und nur noch Besprechungen geboten, während Abhandlungen gesondert als »Collection des travaux de l’Année Sociologique« erscheinen. Da es sich bei der »Année Sociologique« um eine in ihrer Art bedeutsame Leistung handelt, möge die Einteilung der Materien besprochener Werke und Abhandlungen hier kurz folgen, die zugleich einen Überblick über das gesamte Wissensgebiet darbietet: I. Allgemeine Soziologie: 1. Begriffe und Methodologie, 2. allgemeine Werke und Sozialphilosophie, 3. verschiedene allgemeine Fragen, 4. Sozialpsychologie, 5. Erkenntnistheoretisches, 6. Ethnographie und Geschichte in soziologischer Bedeutung. II. Soziologie des Religionswesens. Mit vielen Unterabteilungen, deren letzte die religiösen Gesellschaften, ihr Recht und ihre Moral behandelt. III. Soziologie der Moral und des Rechtes. Ebenfalls mit vielen Unterabteilungen, z. B. politische Organisation, Eigentumsrecht, Strafrecht, Prozeß, internationale Moral. IV. Soziologie des Verbrechens und Moralstatistik. Mit 7 Unterabteilungen. V. Soziologie des wirtschaftlichen Lebens. Mit 11 Unterabteilungen.  8 10 22

geschlossenen Zahl von 100 Mitgliedern – Dazu gehört auch Tönnies. – Hiernach in A ein Komma. es wollte 1915 – A: es wird 1915. Begriffe und Methodologie – A: Begriff und Methodologie.

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Soziale Morphologie. Hier werden in Unterabteilungen behandelt: 1. geographische Grundlagen des sozialen Lebens; 2. Bevölkerung im allgemeinen; 3. Wanderbewegungen; 4. werden ländliche und städtische Gruppierungen betrachtet. VII. und letzter Abschnitt behandelt verschiedene Gegenstände, wie ästhetische Soziologie, Sprache, Technologie; früher auch SozialAnthropologie u. dergl. Diese  französischen Jahresberichte sind bewunderungswürdig; die mathematisch und überhaupt logisch begabten Franzosen wissen durch Anordnung und organisierte Übersicht der literarischen Masse Herr zu [211] werden. Ihre Jahresberichte über Soziologie stellen sich früheren »Années« (der Philosophie, Biologie, Psychologie u. a.) würdig an die Seite. In England wurde 1903 zu London die »Sociological Society« gegründet; wäre Herbert Spencer, der 3 Wochen nach ihrer Gründung die Augen schloß, auf sie aufmerksam geworden, so dürfte er die Teile seines Vermögens, die er für soziologische Zwecke bestimmt hat, ihr vermacht haben; immerhin ist die Gesellschaft durch Munifizenz eines ihrer Mitglieder in der Lage, eine Vierteljahresschrift herauszugeben (The Sociological Review). In den Vereinigten Staaten bestand die Zeitschrift früher als die 1906 begründete Gesellschaft, nämlich eine Zweimonatsschrift, »American Journal of Sociology«, von der seit 1895 schon 19 Bände im Verlage der Universität Chicago erschienen sind. Einem sogenannten »advisory council« für die Zeitschrift gehören von europäischen Gelehrten an G. de Greef (Brüssel), Emile Durkheim (Bordeaux), Giuseppe Fiamingo (Rom), Julius Mandello (Preßburg), Georg Simmel (jetzt Straßburg), Ferdinand Tönnies (Kiel-Eutin). Italien hatte seit dem Jahre 1897 die alle 2 Monate herauskommende »Rivista Italiana di Sociologia« aufzuweisen, die sich auch durch eine umfangreiche Bibliographie auszeichnet. Besonderer Pflege erfreuen sich soziologische Studien in Belgien; zu den berühmten »Instituts Solvay« gehört auch ein im Jahre 1902 gegründetes Institut de Sociologie, das ein umfangreiches Bulletin herausgibt, wovon im Februar 1914 die dreißigste Nummer erschienen ist. 19 25 29 35

Munifizienz – svw. Freigiebigkeit, von lat. munificentia. für die Zeitschrift – A: für diese Zeitschrift. Italien hatte seit – A: Italien hat schon seit. erschienen ist. – In A folgt der Satz: Es schweben Verhandlungen, dies Bulletin in einer deutschen Ausgabe auch den Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Soziologie zugänglich zu machen. – Vgl. hierzu S. 637 ff.

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Endlich ist für Deutschland auf ebendiese »Deutsche Gesellschaft für Soziologie« hinzuweisen, die im Jahre 1909 begründet worden ist und der auch Mitglieder aus Österreich und der Schweiz angehören, wiewohl eine besondere Wiener Soziologische Gesellschaft und seit 1902 eine solche zu Budapest existiert, deren »Zwanzigstes Jahrhundert« (Huszadik Szazad) die am stärksten gelesene wissenschaftliche Zeitschrift in Ungarn ist2. In Deutschland hat  ferner die »Vierteljahrsschrift  für wissenschaftliche Philosophie« seit etwa 15 Jahrgängen den Zusatz erhalten »und Soziologie«; und demgemäß werden auch philosophisch-soziologische Probleme erörtert. Der Leiter, Paul Barth, gehört dem Vorstande der Deutschen Gesellschaft für Soziologie an. Von den großen europäischen Ländern hat – wie gesagt – nur Frankreich die soziologische Wissenschaft als solche anerkannt; Emile [212] Durkheim hat einen Lehrstuhl für Soziologie an der Faculté des Lettres der Université de Paris inne. C. Bouglé (der jetzt an der Sorbonne lehrt) war bis vor kurzem »Professeur de philosophie sociale« an der Universität Toulouse. Was den Stand der Soziologie an deutschen, österreichischen und schweizerischen Universitäten anbelangt, so wird ihr Dasein von den Regierungen ignoriert, weshalb ihre Entwicklung nur schwach gewesen ist. Indessen hat eine Anzahl einzelner Universitätslehrer versucht, der Idee der Soziologie zur Geltung zu verhelfen. 2

Hier folgte eine Wiedergabe des Berichts über die Deutsche Gesellschaft für Soziologie (XXV).

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Hier folgte eine Wiedergabe des Berichts – In A steht hiernach ein Text, der mit kleinen textlichen Abweichungen der Darstellung im Text Nr. (recte) XXVI (hier: S.  237  f.) folgt. In A heißt es: Die »Deutsche Ges. f. S.« hielt bisher zwei Soziologentage ab; den ersten zu Frankfurt a. Main, wo Ferdinand Tönnies die Eröffnungsrede über das Thema »Wege und Ziele der Soziologie« hielt; am Begrüßungsabend zuvor hatte Georg Simmel einen Vortrag gehalten über »Soziologie der Geselligkeit«. Es folgten noch an den drei Verhandlungstagen Vorträge von Werner Sombart: Technik und Kultur; Alfred Plötz: Die Begriffe Rasse und Gesellschaft; Ernst Troeltsch: Das stoisch-christliche Naturrecht und das moderne profane Naturrecht; Eberhard Gothein: Soziologie der Panik; Andreas Voigt: Wirtschaft und Recht; Hermann Kantorowicz: Rechtswissenschaft und Soziologie. – Mithin waren die Vortragenden fast ausschließlich Dozenten an Universitäten oder Hochschulen, was vollständig zutraf auf dem zweiten Soziologentage in Berlin. Dort sprachen Alfred Weber über Den Soziologischen Kulturbegriff; Paul Barth über die Nationalität in ihrer soziologischen Bedeutung; Ferdinand Schmid über Das Recht der Nationalitäten; Ludo Moritz Hartmann über Die Nation als politischen Faktor; Franz Oppenheimer über Die rassentheoretische Geschichtsphilosophie; Robert Michels über Die historische Entwicklung des Vaterlandsgedankens. Der dritte Soziologentag soll im Oktober dieses Jahres zu Weimar abgehalten werden und die Bevölkerungsfrage behandeln..

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Wenden wir uns zunächst den Philosophen zu. Hier hätte die Entwicklung am nächsten gelegen, gehört doch die Lehre vom sozialen Leben, insbesondere auch die Politik, zum alten Bestande der Philosophie, und sie ist von keinem wirklich einflußreichen Philosophen völlig vernachlässigt worden. Trotzdem haben die Bemühungen in dieser Richtung in neuerer Zeit keine Anerkennung gefunden und das Gegenteil von Förderung. Charakteristisch dafür ist, daß Georg Simmel bis in sein 56. Lebensjahr unbesoldeter Extraordinarius geblieben ist – er wurde kürzlich ord. Professor der Philosophie in Straßburg; Ferdinand Tönnies ist 28 Jahre lang Privatdozent geblieben (seit 1891 Titular-, seit 1909 a. o. Prof.), um erst im Jahre 1913 eine ordentliche Professur – für Nationalökonomie – zu erhalten. Simmel und Tönnies haben mehrfach Vorlesungen über Soziologie und verwandte Disziplinen gehalten. – Von den  führenden Philosophen hat Wilhelm Wundt in Form seiner umfangreichen »Völkerpsychologie«, die sich mit den Entwicklungsgesetzen der Menschheit beschäftigt, es unternommen, die Grundlinien einer psychologischen Entwicklungsgeschichte der Menschheit zusammenzufassen. Friedrich Paulsen hat sich im Anschluß an seine Ethik bemüht, den Problemen der »Gesellschafts- und Staatslehre« gerecht zu werden. Ähnliches gilt von Rudolf Eucken, soweit die neueren Schriften in Betracht kommen. Ferner hat Paul Barth in einem geschätzten Buche die »Philosophie der Geschichte als Soziologie« dargestellt; indessen ist nur der erste Teil: Einleitung und kritische Übersicht bisher erschienen. Barth hat später die »Geschichte der Erziehung in soziologischer Beleuchtung« dargestellt. Simmel hat 1908 eine Zusammenfassung von »Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung« unter dem Titel »Soziologie« herausgegeben. Von seinen  früheren soziologischen Werken sind besonders die ältere kleine Schrift »Über soziale Differenzierung« (zuerst 1890) und die »Philosophie des Geldes« (4. Aufl. 1922) hervorzuheben; auch die »Probleme der Geschichtsphilosophie« (5. Aufl. 1923) stehen 11 15 19

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um erst im Jahre 1913 eine – A: um erst im vergangenen Jahre, 1913, eine. »Völkerpsychologie« – Wundt 1900. »Gesellschafts- und Staatslehre« – Der vollständige Titel der Ethik Paulsens lautet: »System der Ethik mit einem Umriß der Staats- und Gesellschaftslehre« (Paulsen 1889, 2 1891, 61903). »Philosophie der Geschichte als Soziologie« – Barth 1897. »Geschichte der Erziehung in soziologischer Beleuchtung« – Recte: »Die Geschichte der Erziehung in soziologischer und geistesgeschichtlicher Beleuchtung« (Barth 1911). »Soziologie« – Simmel 1908. »Philosophie des Geldes« (4. Aufl. 1922) – A verweist auf die 2. Aufl 1907 – Simmel 1900, 1907, 1922. »Probleme der Geschichtsphilosophie« (5. Aufl. 1923) – Simmel 31907a, 51923.

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dieser Kategorie nahe. Simmels Geist ist vorzugsweise auf soziale Psychologie gerichtet. – Endlich hat Tönnies eine Grundlage der »reinen« Soziologie herzustellen [213] unternommen, indem er auf psychologischer und historischer Basis ein System normativer Grundbegriffe aus der sozialen Wirklichkeit abzog. Derselbe legt gleichzeitig besonderen Wert auf die induktive, insbesondere statistische Einzelforschung. Hier sei nur auf das sozialtheoretische Hauptwerk von Tönnies hingewiesen. Unter den gegenwärtig lebenden deutschen akademischen Philosophen mögen noch Hermann Cohen, Paul Natorp (Verfasser der »Sozialpädagogik«), Benno Erdmann (der die materialistische Geschichtsauffassung eingehend kritisiert hat), von den jüngeren Emil Hammacher – Bonn (»Das philosophisch-ökonomische System des Marxismus«) und Wilhelm Metzger – Leipzig genannt werden. Andere bekannte Soziologen, wie Müller-Lyer, gehören keiner Hochschule an. In Österreich hat Friedrich Jodl die Beziehungen der Ethik zu den Lehren vom sozialen Leben gewürdigt. Früher ist durch Franz Brentano, der 1874–1880 in der Wiener Universität lehrte, die Sozialphilosophie gefördert worden. Der Professor an der tschechischen Universität zu Prag, Thomas Masaryk, hat nach verschiedenen Richtungen hin soziologischen Problemen seine bedeutende Kraft gewidmet, früher in einer Monographie über den Selbstmord und neuerdings in dem großen Werke »Rußland und Europa«. – Aus Vorlesungen an der Berner Universität ist das umfängliche Werk »Soziale Frage im Lichte der Philosophie« von Ludwig Stein hervorgegangen. – Aus Nachbarländern, deren literarische Werke auch der deutschen Literatur angehören, ist vor allem Harald Höffding zu nennen, der als Ethiker und Psychologe der Sozialtheorie eingehende Aufmerksamkeit gewidmet hat. Vorlesungen über Soziologie haben in Kopenhagen der Philosoph Claudius Wilken und der Statistiker Harald Westergaard gehalten. Hier sei auch der Gothenburger Professor Gustaf F. Steffen erwähnt, der in philosophischer Anlehnung an Wundt und Bergson wertvolle Bücher über Soziologie verfaßt hat. In England vertreten noch Comtes positivistisch-soziologische Philosophie F. Harrison und Beesly (ehemals Professor der Geschichte). – In Rußland war J. Novikow († 1911) Professor an der Universität Odessa; er lehrte seine Soziologie in viel gelesenen französischen Werken. Als philosophi 3

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Grundlage der »reinen« Soziologie herzustellen unternommen – Ab der zweiten Auflage (Tönnies 1912a) erscheint »Gemeinschaft und Gesellschaft« mit dem Untertitel »Grundbegriffe der reinen Soziologie«. hingewiesen. – A: hingewiesen: »Gemeinschaft und Gesellschaft«, 2. Auflage 1912. –. wertvolle Bücher – A: mehrere Bücher. J. Novikow († 1911) – Recte 1912.

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sche Soziologen traten auch die Rumänen Xénopol und Dmitri Gusti (der auch in deutscher Sprache Beachtenswertes geschrieben hat) hervor. Die eigentlich soziologischen Begriffe, nämlich die Begriffe der sozialen und politischen Verbindungen, liegen dem Denken der Juristen nahe und sind auch von ihnen nie gänzlich vernachlässigt worden. Die größten Verdienste hat sich in dieser Richtung Otto von Gierke [214] erworben, namentlich durch sein großes Werk über das Genossenschaftswesen, wovon der I. Band: Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaften 1868, der II. Band: Geschichte des deutschen Körperschaftsbegriffes 1873, der III. Band: Staats- und Korporationslehre des Altertums und Mittelalters und ihre Aufnahme in Deutschland, der IV. Band: Staatsund Korporationslehre der Neuzeit 1913 erschienen ist (der letzte vom betagten Autor selbst als Stückwerk bezeichnet); als Ergänzung dient das 1913 im zweiten anastatischen Neudruck (3. Ausgabe) aufgelegte Werk »Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien« mit Zusätzen vom Jahre 1902 und 1913; ferner ist Gierkes Vortrag über das Wesen der menschlichen Verbände (1902) bemerkenswert. Als Schüler von Gierke sind hauptsächlich Preuß und Pappenheim zu nennen. – Die allgemeine Staatslehre hat in Deutschland in neuerer Zeit wieder erhöhte Aufmerksamkeit und Pflege gefunden. Hier ist der Verdienste von Georg Jellinek zu gedenken, dessen gehaltvolles Buch (»Allgemeine Staatslehre«) posthum 1914 in 3. Auflage herausgekommen ist. Er gibt im 2. Buche des Werkes eine allgemeine Soziallehre des Staates und erörtert vorher das Verhältnis der Staatslehre zu den übrigen Geisteswissenschaften eingehend, insbesondere zu den Sozialwissenschaften. Vom allgemeinen Staatsrecht aus hat auch der Grazer Jurist und Nationalökonom Ludwig Gumplowicz allgemeine Themata, wie den Rassenkampf, mit Erfolg behandelt. Und neuerdings hat der ehemalige Österreichische Justizminister Dr. Franz Klein an der Wiener Universität Vorlesungen über das Organisationswesen gehalten, die als »Grundriß des Organisationswesens der Gegenwart« in Berlin 1913 gedruckt worden sind. Er setzt sich darin zum Ziel, den soziologischen  2  6  7 19 22 23 28 31

hervor. – A: hervor; jener Professor in Bukarest, dieser in Jassy.. Otto von Gierke – A: Otto (von) Gierke. großes Werk über das Genossenschaftswesen – »Das deutsche Genossenschaftsrecht [Genoßenschaftsrecht]«. 4 Bde. (Gierke 1868, 1873, 1881, 1913). Preuß und Pappenheim – A: Preuß (Berlin) und Pappenheim (Kiel). »Allgemeine Staatslehre« – Jellinek 1900, 31914. im 2. Buche des Werkes – A: im 2. Bande des Werkes. Rassenkampf – Gumplowicz 1883. »Grundriß des Organisationswesens der Gegenwart« – »Das Organisationswesen der Gegenwart. Ein Grundriß« (Klein 1913).

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Charakter des heutigen Organisationsphänomens zu beleuchten. Ebenso las Bernatzik in Wien Einführung in die Gesellschaftslehre, Kelsen daselbst »Allgemeine Staatslehre mit besonderer Rücksicht auf Soziologie«. Zu den Soziologen, die von der Jurisprudenz ausgegangen sind, gehört auch Maxime Kovalewsky, ehemals Professor in Moskau, dann exiliert, jetzt Mitglied des russischen Staatsrats  für die Universität St. Petersburg; er ist durch mehrere, zum Teil auch deutsch erschienene, bedeutende Werke bekannt. – Die Rechtsphilosophie hat vorzüglich in Italien ihre Geltung behauptet; von ihr aus haben dort ausgezeichnete (auch an Universitäten lehrende) Autoren die Brücke zur Soziologie geschlagen, wie Bonucci (Prof. in Perugia), Sergi (Prof. in Rom), Vaccaro, Bosco, del Vecchio (Prof. in Bologna) u. a. Mit der Rechtsphilosophie hängt auch das kritische Studium des Strafrechts, damit wiederum das des Verbrechertums und der Moralstatistik zusam[215]men, die dort gepflegt werden. Auch in Deutschland ist zuerst unter dem Einfluß der Neukantianer (Stammler) die Rechtsphilosophie zu neuem Leben erwacht; zum Teil in Verbindung mit der »Wirtschaftsphilosophie«, so in der von Josef Kohler, dem durch vielseitige Tätigkeit berühmten Berliner Professor, in Verbindung mit Berolzheimer begründeten »Internationalen Vereinigung für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie«, deren Organ das »Archiv für R.- und W.-Philos. mit besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebungsfragen« ist. Ein Streben nach Rechtsphilosophie – und durch dieses Studium nach Soziologie – ist bei den meisten jüngeren Staatsrechtslehrern, so Kaufmann, W. van Calker, Jerusalem, Redslob, und Kriminalisten, so Radbruch, Kriegsmann, Liepmann, Kollmann, in Österreich Makarewicz, Ehrlich u. a. wahrzunehmen. Auch aus anderen

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Einführung in die Gesellschaftslehre – Es handelt sich um eine Vorlesung, nicht um eine Veröffentlichung Edmund Bernatziks. »Allgemeine Staatslehre mit besonderer Rücksicht auf Soziologie« – Dies fand Niederschlag in Kelsens Werk »Hauptprobleme der Staatsrechtslehre« (1911), eine Kurzfassung trug Kelsen unter dem Titel »Über Grenzen zwischen juristischer und soziologischer Methode« in der Soziologischen Gesellschaft zu Wien vor (1911a). zum Teil auch deutsch erschienene, bedeutende Werke – Vgl. Kovalewsky 1877, 1901– 1914. Rechtsphilosophie – Vgl. Stammler 1896, 31914. »Archiv für R.- und W.-Philos. mit besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebungsfragen« – Der erste Jahrgang der Zs. erscheint 1907/08. – Auf dem zweiten Kongress der IVR, 6.–9. Juni 1911 in Darmstadt werden zwei Referate zum Themenkreis Soziologie und Rechtsphilosophie gehalten (Kohler 1911 und Somló 1911). Tönnies verliest das Referat von Felix Somló wegen »Verhinderung des Referenten« (o. V. 1911: 546) und ergänzt es durch Thesen, die er in den hier dokumentierten Band aufnimmt: vgl. S. 259.

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Ländern Europas ließen sich noch eine Reihe von Gelehrten nennen, die von der Rechtsphilosophie und der vergleichenden Rechtswissenschaft aus als Soziologen anzusprechen sind. So waren in Großbritannien Sir H. Maine und Maitland Juristen, so unter den Lebenden Bryce, Pollock, Dicey, die auch zeitweilig an Universitäten tätig waren. Die genannte internationale Gesellschaft (JVR) publizierte im Jahre 1911 das Ergebnis einer Umfrage in den Antworten von 24 bekannten Gelehrten verschiedener Länder und Fächer, die sämtlich – meist mit eingehender Begründung – die Errichtung eines Instituts »für Rechtsphilosophie und soziologische Forschung« als in hohem Grade erwünscht bezeichneten; Prof. Niemeyer – Kiel trat dafür ein, daß es ausschließlich auf Soziologie hingewiesen werde. Auch der »soziologischen Rechtsschule« möge hier gedacht werden. Die Historiker haben immer mit den wichtigsten soziologischen Problemen Fühlung nehmen müssen, insbesondere mit den Lehren vom Staate und den Staatsverfassungen. Lange Zeit war die Staatslehre unter dem Namen »Politik« ganz in ihre Hände übergegangen, was jene Bücher erweisen, die unter diesem Titel von Waitz, Dahlmann, Treitschke verfaßt wurden. Anderseits hat die Philosophie der Geschichte, obgleich sie von den Historikern verachtet zu werden pflegt, doch eine Seite, an der der denkende Historiker nicht vorbeigehen kann, und dies ist eben die soziologische. So finden wir denn Anklänge derartiger Themata in den vielfachen Arbeiten, die neuerdings der Theorie der Geschichte gewidmet wurden, insbesondere bei Lamprecht und Th. Lindner, der eine kleine Geschichtsphilosophie als Einleitung zu seiner Weltgeschichte seit der Völkerwanderung geschrieben hat. In diesem Zusammenhange ist auch

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internationale Gesellschaft (JVR) – Recte: IVR, Internationale Vereinigung für Rechtsund Wirtschaftsphilosophie. Tönnies ist Mitglied der IVR. Ergebnis einer Umfrage in den Antworten von 24 bekannten Gelehrten – Kohler / Berolzheimer 1911. – Vgl. auch die ed. Fn. zu Z. 12, S. 263. Prof. Niemeyer – Kiel trat dafür ein – Vgl. in Theodor Niemeyers Antwort (ebd., 205): »Nicht ein ›Institut für Rechtsphilosophie und soziologische Forschung‹, sondern ein ›Institut für soziologische Forschung‹ scheint mir wünschenswert oder vielmehr notwendig zu sein, um die Rechtswissenschaft und die praktische Rechtspflege auf diejenigen Grundlagen zu stellen und auf diejenige Höhe zu erheben, welche ihren Aufgaben entsprechen. | Soziologie im höchsten und eigentlichen Sinne des Wortes umfasst alle Rechtsphilosophie.« Waitz – Waitz 1862. Dahlmann – Dahlmann 1835. Treitschke – Vgl. Treitschke 1897/8. Geschichtsphilosophie als Einleitung zu seiner Weltgeschichte seit der Völkerwanderung – Lindner 1904.

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Jakob Burckhardts zu gedenken, dessen weltgeschichtliche Betrachtungen, schon 1869–1871 »gelesen«, nach seinem Tode von [216] Jakob Öri herausgegeben wurden. Soziologische Bedeutung hat auch die Neubelebung der Genealogie durch Ottokar Lorenz, im Zusammenhange mit den Forschungen über Vererbung, über dadurch bedingte Klassenschichtungen usw. In bewußter Weise hat man auf die Kirchengeschichte eine soziologische Betrachtung angewandt; unter den Lebenden ist hier vor allen Ernst Troeltsch seines großen Werkes halber zu nennen, das den Titel  führt: »Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen« (1912). – In anderen Ländern sind bei den Historikern die gleichen Tendenzen erkennbar. Ein altes und natürliches Verhältnis hat die Soziologie, sofern sie sich mit primitiven Institutionen und Sitten befassen muß, zur Ethnographie und Ethnologie. Davon zeugen wie in England die Werke Sir John Lubbocks und E. B. Tylors, der noch als Professor für »Anthropologie« in Oxford wirkt, so der Name des Finnen Edward Westermarck, der zugleich Professor der praktischen Philosophie an der Universität Helsingfors und Professor der Soziologie an der Universität London ist. – In Deutschland wirkt Alfred Vierkandt an der Universität Berlin im gleichen Sinne. Von Ungarn (Koloszvár) aus ist auch in deutscher Sprache als ethnologischer Soziologe Felix Somló (Prof. der Jurisprudenz) emsig tätig; in Holland ebenso Steinmetz an der Universität Amsterdam, dem sich als nichtakademischer Schriftsteller Nieboer gesellt. Durch die neuerdings so stark ventilierten Rassenfragen berührt sich wiederum die ethnologische Soziologie mit der sogenannten Sozialbiologie, die in Eugenik, Rassenhygiene, Sozialmedizin praktische Ziele erstrebt. Unter den Nationalökonomen, die in neuerer Zeit der Soziologie am meisten zuneigen, ragt Albert Schäffle, der nur kurze Zeit Universitätslehrer gewesen ist, als der soziologische Nationalökonom κατ’ εξοχήν hervor. Sein großes Werk: »Bau und Leben des sozialen Körpers, enzyklopädischer Entwurf einer realen Anatomie, Physiologie und Psychologie der menschlichen Gesellschaft, mit besonderer Rücksicht auf die Volkswirtschaft als sozialen Stoffwechsel« erschien 1875–1878 in 4 Bänden; in neuerer, verkürzter Ausgabe 1896 in 2 Bänden (1. Allge 2  4 10 30 31

weltgeschichtliche Betrachtungen – Burckhardt 1905. Ottokar Lorenz – Vgl. Lorenz 1892, 1895 und 1898. »Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen« – Troeltsch 1912. Nachdruck 1919. κατ’ εξοχήν – [Gr.] svw. in Perfektion (par excellence). Bau und Leben des sozialen Körpers – Schäffle 1875–1978 und 21896.

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meine Soziologie, 2. Spezielle Soziologie). Schäffle ist auch als Soziologe einer der geistvollsten Autoren, der auf die Nationalökonomen weitreichenden Einfluß geübt hat. Indessen hat er wider seinen Willen, und gewissermaßen ohne seine Schuld, dem Rufe der Soziologie geschadet, weil man den Eindruck empfing, als ob die biologischen und psychologischen Analogien, die sich so reichlich bei ihm finden, für die sozialen Theorien überhaupt ein wesentliches Moment wären, während er sich ihrer nur als einer Art heuristischen Hilfsmittels bedienen wollte. [217] Einen »Abriß der Soziologie«, worin Schäffle jede biologische Analogie vermieden hat, gab nach seinem Tode Karl Bücher mit einem interessanten Vorwort heraus. – Eine gewisse Anlage zur soziologischen Betrachtung ist teils in der philosophischen, teils in der historischen Betrachtung des sozialökonomischen Denkens vorhanden. Wir  finden sie daher sowohl bei Wagner als bei Schmoller3. In der jüngeren nationalökonomischen Schule ist die soziologische Betrachtung immer starker geworden, offenbar wesentlich unter dem außerhochschuligen Einflusse von Marx und den Marxisten. Namentlich hat die sogenannte materialistische Geschichtsauffassung dazu gedrängt. Die beiden Gelehrten, die teils als akademische Lehrer, teils als Schriftsteller am meisten Einfluß auf die jüngere Generation ausgeübt haben, sind Max Weber und Werner Sombart. Keiner von beiden lehrt aber gegenwärtig an einer Universität: Weber hat schon 1903 sein Heidelberger Lehramt niedergelegt und Sombart ist Professor an der Handelshochschule zu Berlin. Beide geben das  früher von dem Marxisten Heinrich Braun herausgegebene »Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik« seit 1904 unter dem neuen Titel »Archiv  für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« heraus. Im Literaturanzeiger dieses Archivs wird sub 2 die Sozial- und Rechtsphilosophie, sub 3 Soziologie, Sozialpsychologie, Rassenfrage (die letztere gehört eigentlich nicht in diese Kategorie) behandelt. Zu den Herausgebern des Archivs hat sich neuerdings Robert Michels gesellt, der in Deutschland nicht zur Habilitation 3

Hier folgte eine Wiedergabe der Ausführung über »Soziologie und Universitätsstudium« in Deutschland S. 172 ff.

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»Abriß der Soziologie« – Schäffle 1906. Hier folgte eine Wiedergabe – Vgl. in diesem Band S. 262 ff. – Varianten im Text sind dort unter der Sigle B nachgewiesen. – Als Übergangsabsatz steht in A: Als einflußreichste akademische Lehrer, die überall durch kulturgeschichtliche und statistische Gesichtspunkte auf Soziologie hinweisen, sind Wilhelm Lexis, der gerade jetzt sein Göttinger Lehramt niedergelegt hat und Karl Bücher in Leipzig mit Auszeichnung zu nennen; auch Lujo Brentanos Interessen können einen soziologischen Einschlag nicht verleugnen. [Absatz].

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gelangen konnte und eine freiere Stellung an der Universität in Turin bekleidet hat, bis er jetzt an die Universität Basel als ordentlicher Professor der Nationalökonomie berufen worden ist. Michels wird im Laufe der nächsten Jahre in deutscher und französischer Sprache ein Handwörterbuch (Enzyklopädie) der Soziologie herausgeben. Vor kurzem hat Professor Alfred Weber in Heidelberg begonnen, Schriften zur Soziologie der Kultur herauszugeben, von denen der erste Band: »Individuum und Gemeinschaft in der Kulturorganisation des Vereins« Hans Staudinger, den Sohn des ausgezeichneten Philosophen und genossenschaftlichen Sozialisten Franz Staudinger, zum Verfasser hat. – Sowohl als Philosoph wie als Statistiker ragt unter den soziologisch gerichteten Nationalökonomen Franz Eulenburg, hervor. Mehr oder minder sind die meisten neueren Nationalökonomen geneigt, soziologische Gesichtspunkte in ihre Disziplin aufzunehmen. Unter ihnen mögen noch genannt werden Berghoff-Ising, Darmstadt; [218] Bernhard, Berlin; Biermann, Leipzig; Bortkiewicz, Berlin; Diehl, Freiburg; Gerlach, Leipzig; Goldstein, Darmstadt; Gothein, Heidelberg; Harms, Kiel; Hasenkamp, Danzig; Hesse, Königsberg; Hoffmann, Kiel; Jastrow, Charlottenburg; Kammerer, Charlottenburg; Lederer, Heidel 5

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Handwörterbuch (Enzyklopädie) der Soziologie – Am 7.1.1914 schreibt Robert Michels Tönnies handschr. unter einem zweisprachig, deutsch und französisch gedruckten Briefkopf des Projekts »Handwörterbuch der Soziologie«. Dieses Handwörterbuch soll nach dem Briefkopf »Unter Mitwirkung der hervorragendsten Fachmänner des In- und Auslandes herausgegeben von Professor Dr. Robert Michels, Turin und Basel« entstehen und beim Verlag Veit & Comp. in Leipzig erscheinen. Von Tönnies erbittet Michels einen Artikel »Öffentl. Meinung« (Cb 54.56:521,16). Schon in einem handschr. Brief vom 28.9.1913 diskutiert Michels das Projekt und Tönnies’ Beitrag (Cb 54.56:521,13). – In der Korrespondenz mit Emile Waxweiler, Direktor des Institut de sociologie bei den Instituts Solvay in Brüssel, findet sich ein Brief an Tönnies vom 30.1.1908, der sich möglicherweise auf das Vorhaben bezieht. Ohne Namen zu nennen, teilt Waxweiler Tönnies mit: »Je tien expressément à vous faire connaître que l’Institut, son fondateur, et son Directeur ont toujours été et restent tout à fait étrangers à cette entreprise. Les initiateurs du Dictionnaire ont reçu, à titre personnel, l’autorisation de se documenter à l’institut: rien de plus. [Ich möchte Sie ausdrücklich darauf hinweisen, dass das Institut, sein Gründer und sein Direktor immer völlig unbeteiligt an diesem Unternehmen waren und sind. Die Initiatoren des Wörterbuchs haben als Privatpersonen die Erlaubnis erhalten, im Institut zu recherchieren.]« (Cb 54.56:873,2). »Individuum und Gemeinschaft in der Kulturorganisation des Vereins« – Staudinger 1913. Franz Eulenburg, hervor – A: Franz Eulenburg, Professor in Leipzig, hervor. Kammerer – Wahrscheinlich meint Tönnies den dt. Ingenieur Otto Kammerer, der auch zu Themen zwischen Maschinenbau und ökonomisch-sozialer Entwicklung arbeitete. Vgl. seinen Vortrag vor dem Verein für Socialpolitik »Über den Einfluß des technischen Fortschrittes auf die Produktivität« (Kammerer 1910).

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berg; Leser, Heidelberg; Levy, Heidelberg; Lotz, München; Marcart, Hannöv.-Münden; Georg v. Mayr4, München; Mombert, Freiburg; Oldenberg, jetzt Göttingen; Oppenheimer, Berlin; Pohle, Frankfurt a. M.; Rathgen, Hamburg (Mitgl. d. Vorstandes der Deutschen Gesellsch.  f. Soziologie); v. Schulze-Gävernitz, Freiburg; Schumacher, Bonn; Sering, Berlin; Sinzheimer, München; Voigt, Frankfurt; Waentig, Halle; Wilbrandt, Tübingen; Wygodzinski, Bonn; v. Zwiedineck, Karlsruhe u. a. Unter den österreichischen Nationalökonomen ist der Brünner Professor Othmar Spann als Sozialphilosoph und Statistiker bekannt geworden; von außerakademischen Vertretern ist vor allem Ratzenhofer († 1904) und unter den Lebenden Rudolf Goldscheid zu nennen (Vorsitzender der Wiener Soziologischen Gesellschaft und Verfasser u. a. des Werkes »Höherentwicklung und Menschenökonomie«). Unter den Nationalökonomen und Sozialphilosophen Rußlands sind, auch durch Werke in deutscher Sprache, hervorgetreten M. Tugan-Baranowsky und David Koigen. Von den übrigen Ökonomen und Wirtschaftshistorikern außerhalb des deutschen Sprachgebietes mögen hier A. Espinas, Emile und René Worms als Franzosen, [219] Buylla, Sales y Ferré als Spanier, Achille Loria u. a. in Italien, Marshall in England erwähnt werden. In ausgesprochener Weise treten soziologische Gesichtspunkte bei den freien Schriftstellern hervor, die im Sinne des Sozialismus wirken, z. B. Heinrich Cunow, Karl Kautsky, Eduard Bernstein in Deutschland, J.  A. 4

Die Nationalökonomie und die Statistik (letztere sowohl in ihrem alten bestimmten, wie in ihrem neuen schwankenden Sinn) haben niemals des großen Zusammenhanges der »Gesamten Staatswissenschaften« – auch »Staats- und Gesellschaftslehre« genannt – entraten können: besonders die soziale Frage, die Bevölkerungslehre und Moralstatistik haben diesen Zusammenhang dringend gefordert und in einigem Maße erhalten. (An soziologischen Ausblicken reich sind z. B. die Werke des sozialistischen Nationalökonomen Rodbertus, sowie die von Marx und Lassalle). – Der Altmeister unter den deutschen Statistikern, Georg von Mayr, hat in seinem Werke »Begriff und Gliederung der Staatswissenschaften«, 3. Aufl. 1910, die allgemeinen Gesellschaftswissenschaften eingeteilt in 1. die Statistik = Lehre von den sozialen Massen, 2. Soziallehre im engeren Sinne = Lehre von den sozialen Schichten, 3. Soziologie = allgemeine Lehre vom Wesen und der Entwicklung der organisierten sozialen Kreise. (Vgl. auch v. Mayrs neueste Rektoratsrede: »Die Staatswissenschaften und ihr Standort im Universitätsunterricht« [1913], worin er die soziologische Betrachtung der Wissenschaften, die das materielle Gestaltungs- und Entwicklungsleben des Staates erfassen und die juristische Betrachtung der Wissenschaften, die sich mit den formalisierten Rechtssekretionen des Staatslebens beschäftigen, bei den eigentlichen Staatswissenschaften unterschieden haben will.)

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»Höherentwicklung und Menschenökonomie« – Goldscheid 1911. Buylla – Satzfehler (auch im Register) »Bueylla« korrigiert.

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Hobson, Sidney und Beatrice Webb u. a. in England. Auch die Frauenfrage regte zu solchen Forschungen an, z. B. Lily Braun und Marianne Weber. Es fehlt also nicht an Elementen und Gesinnungen, um aus der Soziologie ein teils prinzipielles, teils zusammenfassendes Lehrfach zu gestalten, wie es Biologie und Psychologie schon früher geworden sind. Wichtig ist nun, daß gerade aus der juristischen Fakultät die erste starke Anregung hervorgegangen ist, die Soziologie in den Lehrplan ihres, des juristischen Studiums, aufzunehmen: nämlich durch den 31. Deutschen Juristentag, der im Jahre 1912 in Wien getagt hat. Die Wiener Soziologische Gesellschaft nahm daraus Veranlassung, Eingaben an die österreichischen Universitätsfakultäten zu richten, um  für die Einführung der Soziologie als Lehrfach zu wirken. Die philosophische Fakultät in Wien und die staatswissenschaftliche Fakultät in Graz haben daraufhin – jede einstimmig – beschlossen, entsprechende Gesuche an das Unterrichtsministerium zu richten. Ebensolche Eingaben werden von der Universität zu Czernowitz und zu Prag vorbereitet. Danach hat auch die Deutsche Gesellschaft für Soziologie den Zeitpunkt  für gekommen erachtet, die entsprechenden Fakultäten der reichsdeutschen Universitäten auf die stetig  fortschreitende Erkenntnis der Bedeutung sowohl der allgemeinen Gesellschaftslehre als auch der induktiven Erforschung der Tatsachen des sozialen Lebens nachdrücklich hinzuweisen. Wann solches Bemühen den erhofften Erfolg, die amtliche Einführung der Soziologie, schließlich haben wird, steht dahin, ist aber wohl nur eine Frage der Zeit. Einstweilen  finden wir uns der bemerkenswerten Tatsache gegenüber, daß bei Lehrenden und Lernenden – denn offensichtlich hat unter den Studierenden die Idee der Soziologie viele Anhänger – ein starkes Bedürfnis nach dem Ausbau des wissenschaftlichen Denkens in diesen Richtungen vorhanden ist, und daß dessen ungeachtet die Tore der Hochschulen solchem Streben fast verschlossen sind, wie sie auch sonst vielfach gegen neue Richtungen der Forschung und Erkenntnis, so lange es irgendwie möglich war, gesperrt blieben. Zusatz (1926). Als der vorstehende Bericht geschrieben wurde, gab es noch ein »Europa«, wenn auch mit den schwersten Fragwürdigkeiten und ungeheuren Gefahren belastet, wie es in seiner Hauptgestaltung aus dem Abschluß der napoleonischen Episode, 100 Jahre früher, hervor[220]gegangen war. Heute ist Europa ein weit loseres Gefüge von teilweise neuen,

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Frauenfrage regte zu solchen – A: Frauenfrage regt zu solchen. Juristentag – Vgl. ed. Fn. zu Z. 2, S. 239. gesperrt blieben. – A: gesperrt bleiben. – A endet hiermit.

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teilweise ihm den Rücken kehrenden Staaten geworden; und die führende Weltstellung des ehemaligen Europa ist verloren gegangen. Daß aus dieser Lage auch starke Wirkungen auf die Wissenschaften sich ergaben und ergeben werden, daß der überlieferte Geist der europäischen Wissenschaft, an deren Spitze England, Frankreich, Deutschland, in zweiter Linie Italien und die kleineren Staaten standen, schwer beeinträchtigt sein wird, ist leicht erkennbar; zumal nachdem die Tugendhaftigkeit der Unwissenden, die Deutschland zu erdrosseln als die Aufgabe ihrer Zivilisation verkündeten, dies Land der Denker und Dichter auch von ihren wissenschaftlichen Versammlungen auszuschließen für weise und für sittlich erlaubt gehalten hat. So einfältige Kränkungen tilgt der Fluch der Lächerlichkeit, der ihnen anhaftet. Es muß aber hier erwähnt werden, daß gerade von der Soziologie aus zuerst die Internationalität der Wissenschaft wiederhergestellt worden ist: dies bedeutete die Begründung des Istituto internationale di sociologia 1919 durch Prof. Francesco Cosentini in Turin, der auch vor dem Weltkriege schon mehrere Versuche in gleicher Richtung unternommen hatte, wie denn auch sonst die Soziologie in Italien sich besonders starker Pflege erfreut. (»Multi et multum« sagt Michels von ihr.) Dem ersten Kongreß des Istituto, der 1921 in Turin stattfand, wohnte der nachher leider verstorbene Prof. Karl Rathgen, damals Rektor der Hamburgischen Universität, bei. Die Verbindung des theoretischen Zweckes mit sozialethischen, also pazifistischen und sozialpolitischen Tendenzen entsprach unserer deutschen Auffassung von den Aufgaben der Soziologie nicht. Darum fand der 2. Kongreß, der 1922 in Wien gehalten wurde, unsererseits keine Teilnahme. Das Institut ist aber unserer Anschauung entgegengekommen, indem es seinen Namen erweitert hat; es heißt jetzt I. internationale di sociologia e di riforme politiche e sociale. Infolgedessen hat der Verfasser als Präsident der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie am 3. Kongreß, der im April 1924 in Rom abgehalten wurde, tätigen Anteil genommen und hat dort erwünschte Eindrücke empfangen. Der 4. Kongreß 18 29

»Multi et multum« – [Lat.] svw. viele und viel. tätigen Anteil – Das Grußwort im Namen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie vgl. Tönnies 1924e. – Die Kritik an der Vermischung soziologischer Wissenschaft mit sozialpolitischen Anliegen wiederholt Tönnies in seinem Kongressbericht in den »Kölner Vierteljahrsheften« (Tönnies 1924b). – Dort verweist er (ebd., 119, Fn.) auch auf die Veröffentlichung seines Referats in der Zeitschrift des Instituts »Vox populorum« (Tönnies 1923/24). Das Referat »Begriff und Gesetz des menschlichen Fortschrittes« erscheint auch im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik und im Sammelband »Fortschritt und soziale Entwicklung« (Tönnies 1925d und 1926c). – Im Kongressbericht ist weiter eine kurze Einlassung Tönnies’ zur VI. Sektion der Tagung (Problèmes économiques internationaux), dort zum Thema »Solidarité des intérêts. 2. L’idée d’une solidarité internationale des interêts« dokumentiert (Tönnies 1923b).

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soll vom 26.–30. Juni 1926 zu Panama, also in Zentral-Amerika, stattfinden. Wenn auch, nach wie vor, selbst eifrige Freunde der Sozialreform und damit zusammenhängender Bestrebungen die Soziologie als Wissenschaft nicht mit solchen belasten möchten, so muß doch anerkannt werden, daß dieser Belastung einstweilen noch die Gunst vermehrter Aufmerksamkeit gegenübersteht, die dadurch dem Dasein und Wesen der Soziologie in Europa und in den andern Weltteilen zuteil wird. Der außerordentliche Eifer, den Herr Cosentini und seine Gemahlin, Frau Lydia, ihrer Sache widmen, ist der Bewunderung [221] und Sympathie würdig, die auch ihre Zeitschrift »Vox populorum« auf sich zieht. Diese erscheint monatlich – mit dem Motto »Iustitia regnorum fundamentum« – in 5 Sprachen (deutsch, englisch, spanisch, französisch und italienisch). – Das neue Institut ist in scharfe Konkurrenz getreten mit dem älteren (Pariser) Institut international de sociologie und wurde von diesem heftig angefeindet, hat es auch an scharfer Abwehr und starken Gegenangriffen nicht fehlen lassen. Die Pariser Revue internationale de sociologie hat ihr Leben auch während des Weltkrieges fortzuführen vermocht, und es muß ihr zur Ehre nachgesagt werden, daß sie, mitten in den Orgien und Gluten des Hasses, unseren Toten, als Schmoller und Simmel, mit vollkommener Unbefangenheit gerecht geworden ist. Dies sei dem nun auch verstorbenen langjährigen Herausgeber und Generalsekretär des internationalen Institutes, Herrn René Worms, in Anerkennung bestätigt! – Für die englische »Sociological Review« und das »American Journal of Sociology« ist unsere deutsche Wissenschaft so gut wie nicht vorhanden. Die Rivista italiana hat aufgehört zu erscheinen. Gewissermaßen an ihre Stelle ist unter Leitung des Prof. Giorgio del Vecchio, eines vorzüglichen Kenners auch der deutschen Literatur, eine Zeitschrift für Rechtsphilosophie getreten. In Belgien sind die ehemaligen vortrefflichen Bulletins durch die Revue de l’institut de sociologie ersetzt worden. In Holland ist vor kurzem (1925) die Monatsschrift »Mensch en maatschappy« begründet wor-

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»Vox populorum« – Die Zeitschrift im Tageszeitungsformat erscheint monatlich von Juni 1922 bis Dezember 1925 in Turin. Sie enthält Beiträge in italienischer, französischer und deutscher Sprache. »Iustitia regnorum fundamentum« – [Lat.] svw. Gerechtigkeit ist die Basis der Königreiche. mit vollkommener Unbefangenheit gerecht geworden ist – Einen Nachruf auf Schmoller, Wagner und Simmel veröffentlicht die Revue internationale de sociologie 1920 (o. V. 1920: 220 f.). Alle drei waren Mitglieder des Instituts. Zeitschrift für Rechtsphilosophie – Die »Rivista internazionale di filosofia del diritto« erscheint ab 1912 in Genova. Mensch en maatschappy – Recte: Mensch en maatschappij.

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den, deren Leitung der ausgezeichnete Ethnologe Prof. S. R. Steinmetz nahe steht. Auch in Japan, in der Ukraine erscheinen Zeitschriften soziologischen Charakters. In Ungarn ist die Soziologie ein Zankapfel zwischen Revolution und Gegenrevolution durch die antiwissenschaftliche Haltung der letzteren geworden. In Oesterreich hat die Wiener Soziologische Gesellschaft unter der bewährten und anregenden Leitung Rudolf Goldscheids ihre Tätigkeit mit Eifer und Erfolg wieder aufgenommen. Sie hat während der letzten Jahre schwere Verluste durch den Tod des Philosophen Wilhelm Jerusalem und des Historikers Ludo Hartmann erlitten. Dem erstgenannten ist die Anregung zu einer Schriftenreihe »Soziologie und Sozialphilosophie« zu verdanken, an der neben H. Kelsen, M. Adler, K. Pribram, Rudolf Eisler auch deutsche Soziologen sich beteiligen werden. Von der Erneuerung und den Fortschritten der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie ist an anderer Stelle berichtet worden. Es möge noch des an der neuen Universität zu Köln begründeten »ForschungsInstituts für Sozialwissenschaften« gedacht werden, das sich neuerdings [222] in 2 Abteilungen entwickelt hat, von denen die eine der Sozialpolitik, und durch eine besondere Zeitschrift, sich widmet (unter Leitung von Chr. Eckert und H. Lindemann), die andere die Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie herausgibt, die unter Leitung L. v. Wieses auch das Organ der Gesellschaft für S. darstellen. Neben diese auch an Nachrichten reiche Zeitschrift haben sich neuerdings (1925) zwei andere gestellt: von dem Ethnologen R. Thurnwald herausgegeben die »Zeitschrift für Volkspsychologie und Soziologie« und »Ethos Vierteljahresschrift  für Soziologie, Geschichts- und Kulturphilosophie« herausgegeben von Prof. D. Koi­gen. Jene erinnert durch ihren Titel an die ehemals so verdienstvolle Unternehmung der bedeutenden Gelehrten M. Lazarus und H. Steinthal. Diese will »die Gesamtheit der menschlichen Einstellungen, Willens- und Bildungseinrichtungen, das Ethos schlechthin« als ihr Arbeitsfeld bestimmen. Übrigens sind den streng theoretischen Erörterungen soziologischer Probleme sämtliche deutsche sozialökonomische Zeitschriften durchaus zugänglich, als: das »Archiv  für Sozialwissen-

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Schriftenreihe »Soziologie und Sozialphilosophie« – In der Reihe erschienen 7 Hefte, darunter als fünftes Tönnies »Eigentum« (1926b, in diesem Band S. 3 ff.). – Die weiteren Hefte: 1. Jerusalem [1926], 2. Eckstein 1926, 3. Kelsen [1925], 4. Mayreder [1925], 6. Vierkandt 1927, 7. Mayreder 1928. Unternehmung der bedeutenden Gelehrten – Lazarus und Steinthal gründen die »Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft« (vgl. Lazarus / Steinthal 1860). »die Gesamtheit der menschlichen Einstellungen … schlechthin« – o. V. [David Koigen et al.] 1925: 4, dort die gesamte Passage gesperrt.

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schaft und Sozialpolitik«, »Schmollers Jahrbuch«, die »Zeitschrift  für die gesamte Staatswissenschaft«, die jetzt von Elster herausgegebenen »Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik«, das »Weltwirtschaftliche Archiv« und das »Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie«. Es fehlt auch nicht an privaten Unternehmungen, die der Soziologie sich angelegentlich widmen. Da ist in erster Linie zu nennen Professor Plenges Institut  für Organisationslehre und Soziologie (ich würde jene als einen wichtigen Teil der theoretischen Soziologie betrachten) in Münster i.  W., das mit seinen theoretischen interessante pädagogische Zwecke verbindet. Ferner werde als ein vorzugsweise praktisches das »Institut für angewandte Soziologie« (Berlin S. W. 48, Wilhelmstr. 20) hervorgehoben, das durch Prof. D. Karl Dunkmann begründet wurde. Der Einfluß soziologischen Denkens macht sich in Deutschland und wohl auch in andern Ländern auf vielen Gebieten der Forschung und des Lebens geltend. So in der Sozialökonomik, der Rechts- und Staatslehre, in der Geschichte, in der Pädagogik und der gesamten Philosophie; aber auch in der Medizin und in einigen Richtungen der Theologie. Dem entspricht es, daß die Unterrichts-Verwaltungen mehr und mehr die Notwendigkeit erkennen, diese ohne ihre Hilfe gewachsenen Bewegungen durch Errichtung von Lehrstühlen oder wenigstens – bei der gegenwärtigen Lage der Finanzen – durch Erteilung von Lehraufträgen zu unterstützen. So darf der Zukunft soziologischen Studiums mit einiger Zuversicht entgegengesehen werden. [223]

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Professor Plenges Institut für Organisationslehre – Plenge (1926: [299], Fn.) korrigiert Tönnies’ Angabe: »Mein Institut für Organisationslehre und Soziologie ist aber nicht, wie Tönnies irrtümlich annimmt, ›private Unternehmung‹, sondern eine erfreuliche Gründung des preußischen Kultusministeriums.«.

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Die Neuzeit verhält sich zum Mittelalter wie der Westen zum Osten, der Norden zum Süden von Europa. Eben darum wird durch die Richtungen der Sieg der neuen Momente und der neuen Mächte bezeichnet. Der Westen bestimmt die Richtung auf den Atlantischen Ozean, auf das Weltmeer, und dies ist eine der entscheidenden durchgehenden Tendenzen der Neuzeit, gegeben durch Entdeckung und Besiedlung des großen bis dahin so gut wie unbekannten Erdteiles, der »Neuen Welt«, und durch den  fortwährend wachsenden Austausch mit ihr, den überseeischen Verkehr. Der Norden unterscheidet sich vom Süden Europas durch kühleres Klima und damit zusammenhängende größere Energie und Beharrlichkeit seiner Einwohner; durch ein Vorwalten des Verstandes über die Phantasie, der Besonnenheit über die Leidenschaft; der praktisch-nützlichen über die künstlerisch-spielenden Tätigkeiten. Die südlichen Länder entsprechen mehr dem weiblichen und jugendlichen, die nördlichen mehr dem männlichen Wesen und dem gereiften Lebensalter. Ähnlich auch verhält sich in den allgemeinsten Zügen der Orient zum Okzident, Asien zu Europa. So unterschied sich wiederum Hellas von Italien, wenigstens Athen, das Zentrum der früheren und gleichsam mittelalterlichen, von Rom, dem der späteren »neuzeitlichen« antiken Kultur. Aber bedeutender ist der psychologische und soziologische Unterschied der Küste vom Binnenlande, und wie die Gestade des Mittelmeeres für die alte Welt, so ist das ganze Europa für Asien westliche Meeresküste, die durch  feinere mannigfachere Gliederung vor den östlichen Rändern, und dadurch, daß sie ganz dem gemäßigten Klima angehört, vor dem  3

Die historisch-geographischen Richtungen der Neuzeit – Der Text erscheint 1915 im Weltwirtschaftlichen Archiv 6: 307–319 (Tönnies 1915b, im Folgenden A). – Nach Tönnies Angaben (vgl. die Fußnoten S. 331 und 336) ist er 1910 geschrieben worden, nur die Schlussabsätze sind nach Ausbruch des Weltkriegs entstanden. – Autorenzeichnung unter dem Titel »Von Prof. Dr. Ferdinand Tönnies, Kiel« Die Zeitschrift ist in der Antiqua gesetzt. Vgl. auch den Editorischen Bericht auf S. 655.

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tropischen Süden und dem ins Eismeer weisenden Norden Asiens sich auszeichnet. Die beiden kulturhistorisch bedeutendsten Erdteile bilden zusammen den einen großen Kontinent, dessen Antlitz und Hände gleichsam Europa darstellt, während Asien dem vegetativen Hinterteile und Rücken eines Säugetierleibes vergleichbar wäre. Aus Inseln und Halbinseln bestehen die vorderen Glieder Europas, die im Süden und im Norden von ihrem [224] Rumpfe ausgestreckt werden. Mit diesen Nasen, Lippen, Fingern, die überall ins Wasser tasten, verglichen, hat Asiens Masse den Charakter des Binnenlandes, das sich noch über den Ural hin in der russischen Tiefebene fortsetzt. Die Ströme dieses Gebietes münden nach dem Norden, Süden und Osten; erst mit der Newa und der Düna beginnen die kleineren, besser  fahrbaren Flüsse, die in die Ostsee (von Asien und Rußland gesehen eine Westsee), dann in die Nordsee und in den Ozean auslaufen. – Binnenland und Küste, daher in einigem Maße Osten und Westen, verhalten sich wie Tendenz zur Ruhe, zur Seßhaftigkeit, und Tendenz zur Bewegung, zur Wanderung – wie das Feste zum Flüssigen, das Schwere zum Leichten, das Langsame zum Geschwinden, daher auch wie Gewohnheit und Verharrung zum raschen Beschluß, zur kühnen Neuerung, wie der Glaube zum Zweifel, treue Nachbildung zur Prüfung und Untersuchung: nicht in beliebigen, wohl aber in dazu vorbereiteten auserlesenen Seelen finden diese Wandlungen statt, die sich alle auch als Übergänge von Gebundenheit zu Freiheit beschreiben lassen und mit den Unterschieden des ländlichen vom städtischen Geiste nahe zusammenhängen und verwandt sind. Das Streben nach dem Wasser, zumal nach der offenen See, entspringt derselben geistigen Verfassung, die auch dadurch gestärkt und gefördert wird.

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________________ Die Bewegung der Kultur von Süden nach Norden geht von der Antike her durch das Mittelalter hindurch. Sie ist die Eroberung Europas durch Rom; zuerst durch die römischen Kohorten, dann durch die römische Kirche; mit beiden wandern Handel und Verkehr, befruchten den Norden durch das Wissen und Können des Südens, dringen vom Mittelländischen Meere an die Nordsee und die Ostsee vor. – Auch in dieser Hinsicht ist also die neuzeitliche Bewegung von Süden nach Norden nur eine Fortsetzung der mittelalterlichen: der Norden Europas gewinnt mehr und mehr das Übergewicht über den Süden Europas.

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zur Ruhe, zur Seßhaftigkeit – A: zur Ruhe, – zur Seßhaftigkeit.

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Aber neu, wenn auch wesensverwandt mit der Bewegung, die sich im Altertum vom Orient her und von Ägypten her vollzog, ist die Bewegung von Osten nach Westen. Das Interesse des Handels: der Hunger nach Gold und das Verlangen nach den Schätzen Indiens,  führt Schiffer und Eroberer über die Weltmeere. Wenn wir zunächst die ersten drei Jahrhunderte der Neuzeit (1500–1800) ins Auge  fassen, so treten nacheinander und in der Bewegung von Süden nach Norden als Kolonien gründende und ausbeutende Mächte Portugal, Spanien, Frankreich, die Niederlande, am erfolgreichsten zuletzt England, in den Vordergrund, das durch Angliederung von Schott[225]land, durch Eroberung von Irland, zum »Vereinigten Königreich« wird. Durch die Jahrhunderte konkurrieren diese Westmächte miteinander; am schärfsten zuletzt Frankreich und England. Norditalien und Deutschland, die stärksten Träger der mittelalterlichen Kultur, treten zunächst in den Hintergrund; das heilige römische Reich germanischer Nation wird eine Ruine und geht zugrunde,  fast gleichzeitig mit seiner östlichen Nachbarin, der »Republik« Polen, die in ihrer Blütezeit den Anteil des slawischen Ostens an der von Rom her ausgebreiteten Bildung am erfolgreichsten vertreten hatte. Freie Städte, die modernen, weil staatliche Mächte innerhalb des Reiches, erhalten sich in Kraft, wenngleich mit abnehmender Bedeutung. Im Norden Deutschlands wird der Bund der Städte (die »Hansa«) im Wettlauf geschlagen von seinen alten Rivalen, den als kriegerische Staaten sich konzentrierenden nordischen Reichen Dänemark und Schweden, die als Seemächte vom Baltischen Meere nach der Nordsee und dem Ozean hinstreben, eben dadurch alsbald in Wettstreit mit Holland, dann mit Großbritannien, das Holland überschattet, eintreten. Hinter den skandinavischen Reichen erhebt sich bald Rußlands asiatisch-byzantinische Gestalt als neuer Ostseestaat mit neuer Hauptstadt des Nordens; übrigens aber nach Süden und nach Osten, ganz in die »alte Welt« orientiert, in diesen Beziehungen daher an der Neuzeit nur insoweit beteiligt, als die Neuzeit auch jene in ihre Kreise mehr und mehr hineinzieht. – Innerhalb des alten römischen Reiches germanischer Nation erheben sich einzelne Bestandteile, als Territorien, von denen die stärksten teils dynastisch mit alten oder mit neuen Mächten (Kur-Sachsen mit Polen, Kur-Braunschweig-Hannover mit England) verbunden werden, teils andere Territorien sich angliedern oder erobern und als Kriegsmächte sich an die Spitze eines neuen Deutschland stellen. So Österreich, das aber mehr und mehr genötigt wird, seinen Schwerpunkt nach Osten zu verlegen; mit stärkerem Er25

eben dadurch – A: aber dadurch.

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folge dann das nordische Kur-Brandenburg, das als Herzogtum, später »Königreich Preußen« am Baltischen Meere Fuß faßt und nach Westen an den Rhein vordringt; als hegemonischer Staat des neuen Deutschen Reiches endlich auch dies Reich als eine Weltseemacht zu etablieren gewagt hat. Diese Tatsache führt uns mitten in die gegenwärtige Phase der Neuzeit hinein, deren Folgen und Wirkungen wir noch kaum im Dämmerlichte zu erkennen imstande sind. Der Süden und der Norden Europas unterscheiden sich aber zunächst dadurch, daß jener das ältere, dieser das jüngere Kulturgebiet darstellt. Dies prägt sich 1. darin aus, daß dort die antike, hier die moderne Zivilisation ihre Stätte hat, 2. aber auch darin, daß die ältere und abgelaufene Phase der modernen – das Mittelalter – seine Wurzeln noch ganz im Süden behält, während die neuere Phase, in der wir mitten inne stehen, [226] sich davon freier macht und, auf ihren eigenen Füßen stehend, eben dadurch erst der modernen Zivilisation ihre besondere Gestaltung gibt, daß sie mehr im Norden Europas sich heimisch macht.

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________________ Die nordeuropäische mittelalterliche Kultur, die in Rom ihre Metropole behält, gewinnt ihre glänzendste, höchste Entfaltung in Städten wie Venedig, Mailand, Genua, das geistige Leben vor allem in Florenz, – Städten, die im Norden Italiens gelegen, doch zur germanischen Welt als Süden sich verhalten. Und im Deutschen Reiche hat der Süden offenbar im Mittelalter das Übergewicht; er besitzt die ältere und reichere Bildung, Städte wie Augsburg und Nürnberg, Straßburg und Basel sind die leuchtenden Sterne an seinem Himmel, im Schwabenlande und am Oberrheine sammeln sich früh dichtere Volksmengen, alte römische Lager und Heerstraßen bezeichnen die Kontinuität der antiken Macht und Herrlichkeit, wie das fränkische Königtum und die bischöfliche Territorialgewalt, auf die es sich stützt, vollends die Glanzperiode des alten Reiches unter den schwäbischen Hohenstaufen. Der Norden wird besiedelt, befruchtet, bekehrt, wie ein Kolonialland, das allmählich erst zur Ebenbürtigkeit emporsteigt: dies gilt in erhöhtem Maße für den von Deutschen eroberten und besiedelten Osten des Nordens. Aber noch über das Mittelalter hinaus bleibt der Einfluß der südlichen älteren Gegenden gewaltig. Frankreich überwiegt über England in Reichtum, Macht und Geist, wenngleich innerhalb Frankreichs Paris, die nördliche Hauptstadt, immer mehr die Sonne wird. Ebenso überwiegt Österreich über Norddeutschland, die mittleren Gebiete ringen sich allmählich zur

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Geltung empor. Das Königreich Böhmen stand früh durch seine Bodenschätze im Mittelpunkte lebhaften Verkehrs; in seiner Hauptstadt gewann die erste deutsche Hochschule ihren Sitz, von dem die  früheste erfolgreiche Empörung gegen das kirchliche Rom ihren Ausgang nahm. – Aber der Zug geht nach Norden, er folgt in Deutschland dem Laufe der Flüsse, noch voll ins Mittelalter fällt die Blüte der Hansa. Der Abfall von der römischen Kirche, die Ausbildung einer freieren, zunächst noch theologischen, dann philosophischen und wissenschaftlichen Denkungsart ist in hohem Grade für den Norden charakteristisch, besonders für das nördliche Deutschland, darum auch für das (eigentlich dazu gehörige) Holland, ebenso für England und Schottland und für Skandinavien. Der Norden hebt sich aber auch durch sein vorherrschendes Tiefland vom Süden Europas ab. In diesem Sinne gehört auch der größte Teil von Frankreich zum Norden. Die Ebene begünstigt den Verkehr zu Wasser und zu Lande: die Flüsse werden breiter, ruhiger und  für größere Fahrzeuge schiffbar; Landstraßen lassen sich leichter bauen. [227] Ferner ist der niedrigere Boden im ganzen auch der fruchtbarere, begünstigt also die Verdichtung der Einwohner und die Teilung der Arbeit. Mehr aber als von der Fruchtbarkeit sind diese Entwicklungen abhängig vom natürlichen Reichtum des Bodens an mineralischen Schätzen. Namentlich wächst in dieser Hinsicht mit der Bedeutung des Dampfes als einer dem Menschen untertänigen Naturkraft der Wert der Steinkohlenflöze, durch die sich Großbritannien vor allen europäischen Ländern auszeichnet; aber auch der Norden von Deutschland, von Frankreich (mit Belgien) und Nordamerika sind, obgleich im allgemeinen geologisch jüngere Gebiete, mit diesen Formationen gesegnet, die in Südeuropa, abgesehen von Frankreich, nur in geringem Umfange vorkommen. Offenbar hängt es damit nahe zusammen, daß die industrielle Entwicklung der Neuzeit, die so wesentlich an die Verwendung von Koks in Hochöfen sich anknüpft, vorzugsweise in England, demnächst in Belgien und Norddeutschland ihre Sitze gewinnt. Und doch ist es mehr die Kontinuität der Zeitalter, die durch die fortdauernde Richtung (vom Süden) gegen Norden charakterisiert wird. Die gesamte ideelle Kultur bleibt von Rom und von Athen abhängig, wird immer neu aus ihrem Geiste befruchtet. Um dieselbe Zeit, als von der römischen Kirche die nordischen Länder sich losrissen, drangen die griechischen Gelehrten Konstantinopels, nachdem dies Rom des Ostens in die Hände der Osmanen gefallen war, nach Italien, nach Wien und Paris, nach den deutschen Reichs- und Universitätsstädten, und pflanzten die klassisch-humanistische

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seiner Hauptstadt – Prag. die früheste erfolgreiche – A: die erste erfolgreiche.

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Bildung tiefer, als der Klerus und seine Klöster es vermocht und gewollt hatten. Diese Bildung verschmolz wieder mit den kirchlichen Formen des Protestantismus, und die protestantischen Kirchen wurden schwächere Nachbilder der römischen Kirche: gleich dieser zuerst Stützen des »Feudalismus«, sodann des fürstlichen Absolutismus, der mit jenem rang und ihn in sich aufnahm, den Übergang in die neueren Gestalten der Staatsgewalt und Staatseinheit bezeichnend, aber vorwiegenderweise im Sinne der überlieferten, durch religiöse Vorstellungen geheiligten Majestät. Auch die materielle Kultur entwickelt nicht ihren sonderlich neuzeitigen Charakter in der Richtung der Magnetnadel. Das nördliche, besonders nordöstliche Deutschland und die skandinavischen Länder bleiben wesentlich agrikol; der Verkehr allein, die lange in kleinbetrieblichen Formen fortschreitende Schiffahrt, der Handel und die städtische Bildung gestalten diesen Typus nicht um. Die frühe Entwicklung des Waren- und Geldgeschäftes in OberItalien schafft die Sprache, das Recht und die Technik des Großhandels. Unter ihrem Einflusse, und zugleich unter dem Einflusse der gesamten antiken Tradition, mehr noch als durch die Stärke der gesell[228]schaftlichen und staatlichen Interessen, wirken die »kaiserlichen Rechte« zersetzend und ergänzend auf das bürgerliche Recht in den deutschen Territorien, nachdem sie in den romanischen Ländern als das »geschriebene« Recht teils sich erhalten, teils sich ausgebreitet hatten – vielfach gefördert durch die Kirche, die selber nach dem römischen Gesetze lebte; denn die Kirche, später ein Bollwerk des ländlichen und feudalen Geistes, wirkt in ihrem ersten Jahrtausend noch vorzugsweise im Sinne städtischer Kultur, des Verkehrs, der Wissenschaft und Technik, die sie als Trägerin der antiken Überlieferung weihend begünstigt.

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________________ Auf ihre eigene Art kennzeichnet sich die Neuzeit am stärksten durch die Bewegung von Osten nach Westen. Ebenso wie im ganzen nördlichen Teile des europäischen Kontinents die Richtung nach Norden, so  folgt auch diese spätere Richtung dem Laufe der Ströme; und ausgesprochener als jene dringt sie nach dem Meere vor. Der »Zug nach dem Westen« ist auch der Zug nach dem Ozean und über ihn hinaus. Die Entdeckung der »Neuen Welt« steht an der Grenze von Mittelalter und Neuzeit. Sie ist das am schärfsten Epoche machende Ereignis. Man suchte die alte und fand die neue Welt. So groß auch die Bedeutung, die dem Genuesen zukommt, und dem Umstande, daß er  für Spanien die

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dem Genuesen – Columbus.

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westindische Inselgruppe besetzte, im Vordergrunde Europas steht doch das kleine Land Portugal um jene Zeit. »Amerika wäre bald entdeckt worden, auch wenn Columbus in der Wiege gestorben wäre« (K. E. v. Bär). Vascos Fahrt um Afrika »bezeichnet den ersten großen Schritt auf die Erkenntnis des wirklichen Weltmeeres«, war »das erste Vordringen in das große, die einzelnen Ozeane verbindende Südmeer«; und obschon die Entdeckungsfahrten nach Amerika für die Meereskenntnis die Kunde des Atlantischen Ozeans brachten, so sei doch, meint Ratzel, erst die Weltumsegelung des Magelhaens ein der Fahrt Vasco da Gamas vergleichbarer Fortschritt gewesen. Beide waren Portugiesen, und Portugals Hauptstadt, vorspringend, wie das ganze Land nach Westen gewandt, lief rasch dem nach Byzanz und dem Morgenlande orientierten Venedig den Rang ab. »Der äußerste europäische Spähplatz zum Westen« wird Lissabon von Kohl genannt (Hauptstädte, S.  125). Die Heiligkeit des Papstes teilte die neue, für den christkatholischen Glauben zu erobernde Welt zwischen Portugal und Spanien. Um so wichtiger ist es zu bemerken, daß weder Spanier noch Portugiesen sich dauernd im Nordwesten der neuen Welt angesiedelt und behauptet haben; obschon die Fischbänke von Neufundland zuerst von den Portugiesen, die gerade als Fischervolk so kühne Seefahrer geworden sind, ausgebeutet wurden. »Vielmehr ist [229] ihr und der Spanier Hauptkolonienland eine südliche Partie Amerikas geworden.« »Man mag hierbei die allgemeine Bemerkung machen, daß fast alle Hauptpflanzungen der Europäer in der Neuen Welt in eben der geographischen Reihenfolge von Norden nach Süden sich angesetzt haben, in welcher die Mutterländer in Europa geschichtet sind; die Skandinavier im hohen Norden in Island und Grönland – nach ihnen etwas weiter südlich die Briten und Franzosen in Kanada und Virginien – und noch weiter südlich die Spanier und Portugiesen in Westindien und Brasilien (Peru, Chile usw.), was dann wieder als eine natürliche Konsequenz der geographischen Lage betrachtet werden kann« (Kohl).

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»Amerika wäre bald entdeckt worden, auch wenn Columbus in der Wiege gestorben wäre« – Baer 1864: 146. Vascos Fahrt um Afrika … vergleichender Fortschritt gewesen. – Für Paraphrase und Zitate vgl. Ratzel 1899: 331. »Der äußerste europäische Spähplatz zum Westen« – Kohl 1874: 125, dort hervorgehoben. »Vielmehr ist … Amerikas geworden.« – Ebd., ohne Kohls Hervorhebungen. »Man mag hierbei … Lage betrachtet werden kann« – Ebd., 125 f. – »Man mag hierbei nebenher die allgemeine Bemerkung …«. – Der Einschub in Klammern von Tönnies.

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Der vierte Weltteil empfängt in der Neuzeit die Samen und Schößlinge der mittelalterlichen europäischen Gesittung. Spät entdeckt, noch später besiedelt, kommt erst der fünfte hinzu. Zusammen stellen sie die große Kolonie Europas, ein Neu-Europa, dar. In Amerika ist es wie in Europa die Nordhälfte, die weit überwiegende Kraft und Macht durch Menschen und Güter gewinnt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstehen die »Vereinigten Staaten«, die während des 19. und 20. (soweit dieses schon erkennbar) an äußerem Umfange und innerer Entwicklung ein ungeheures Wachstum zeigen. Auch innerhalb ihrer setzen sich die Bewegungen von Süden nach Norden, von Osten nach Westen fort. Das entscheidende Ereignis im 19. Jahrhundert ist der Sieg der Nordstaaten über die Südstaaten. Um dieselbe Zeit erreichten die ersten Pazifik-Eisenbahnen den westlichen Ozean, nachdem schon um die Mitte des Jahrhunderts Kalifornien der Union angegliedert war. Und wenn auch die Oststaaten, durch ihre Welthäfen die Verbindung mit Europa (the old country) und die Aufsaugung seiner Kulturmittel bezeichnend, noch das Übergewicht behaupten, so ist doch nach Bryce, der wohl der klügste europäische Kenner der Vereinigten Staaten genannt werden kann, der Westen die Gegend der Zukunft, sicherlich einer gewaltigen Verdichtung der Bevölkerung fähig; und man darf wohl bezweifeln, ob das Zusammenbestehen der östlichen und westlichen Staaten in dem unermeßlichen Bunde lange Dauer ohne schwere Konflikte haben wird. Als unabhängige Staatsgebilde gegenüber den europäischen Mutterländern schließen andere amerikanische Ländergebiete sich an; und wo die koloniale Abhängigkeit erhalten bleibt, wird sie doch tatsächlich beinahe zur Unabhängigkeit. Ähnlich gestaltet es sich in Australien, wo die englischen Kolonien gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Bundesstaate – der australischen »Republik« – sich zusammengeschlossen haben.

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________________ [230] Inzwischen hat auch die Verbindung Europas mit dem Orient niemals aufgehört, vielmehr immer stärker sich entwickelt und erneuert. Wenn auf dem Landwege die großen Karawanenzüge von Indien durch den Kontinent bis ins Mittelmeer sich fortsetzten, so wurde doch zuletzt der lange gesuchte Seeweg, obschon das große Festland Amerika dazwischen lag, die neuzeitige Straße auch nach dem fernen Osten, durch den unermeßlich scheinenden Stillen Ozean. Die Kugelgestalt der Erde, die noch im 15. Jahrhundert theoretisch bezweifelt wurde, erweist sich dadurch praktisch als Wahrheit. Der jüngste neue Weltteil, in dem nur Ureinwohner auf der Stufe der Wildheit 16 37

Bryce – Vgl. z. B. das Kap. 104 in Bryce 1888 II (680 ff.). Der jüngste neue Weltteil – Australien.

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angetroffen werden, liegt relativ nahe den Stätten der uralten, mutmaßlich ältesten Zivilisationen, Chinas und Japans, mit denen wieder diejenige Indiens viele Berührungen hat. Indien – frühzeitig Tummelplatz des Konkurrenzkampfes von Portugiesen, Spaniern, Franzosen – wird mehr und mehr dem britischen Einfluß, im 18. und 19. Jahrhundert der britischen Herrschaft unterworfen; um Handel und Macht in den übrigen Gebieten streiten die europäischen Staaten, unter denen Rußland auf dem Landwege, also aus seiner osteuropäischen Sphäre, weiter gegen Osten vordringt. Das große Ergebnis der neuesten Zeit ist das »Erwachen« dieser  fernen Länder, die durch Jahrtausende ihren eigenen Entwicklungsgang genommen hatten und, von Europa aus gesehen, im Schlummer eines unbeweglichen Dorfgemeindelebens lagen; sie erwachen, d. h. sie ziehen europäische Gewänder an, rüsten und schlagen sich mit europäischen Waffen, importieren und bauen europäische Maschinen, bemächtigen sich europäischer Wissenschaft und Technik. Das Inselvolk der Japaner, am stärksten angeregt durch das mächtige europäische Inselvolk (Großbritannien), geht kühn voran und zieht durch Energie und Leistungen bald die Bewunderung der »Welt« auf sich; mit seinen Waffen wird Rußland von England geschlagen, das ungeheure Ereignis im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Und nun folgt auf dem Wege der Europäisierung das massige China, Mutterland der altjapanischen Kultur; die Anziehungskraft europäischen Geistes sprengt auch die chinesische Mauer. Und zu gleicher Zeit will auch Indien nicht zurückbleiben. Die »Unruhe« Indiens beunruhigt das britische Weltreich in seinem Zentrum. Kämpfe bereiten sich vor, die einen gewaltigen Rückschlag des Ostens gegen den Westen zur Folge haben werden1. Hier eröffnen sich unserer Ahnung die Jahrhunderte der kommenden Neuzeit, deren schwache Umrisse wir aus den tiefen Schatten emportauchen sehen. Denn man muß erwarten, daß diese gewaltige Tendenz durch Jahrhunderte sich fortsetzen und sich steigern wird, solange die Bedingungen [231] und Ursachen beharren, ja vermehrt werden, die heute, und in der Tat seit 400 Jahren, dieser Entwicklung zugrunde liegen. ________________

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Unter den Ursachen steht im Vordergrund das Trachten nach Gewinn durch Handel, also durch Vermittlung des Austausches der Produkte eines Landes mit den Produkten aller anderen Länder; die Chancen 1

Geschrieben 1910!

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Geschrieben 1910! – Fußnote fehlt in A.

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aber solches Gewinnes sind um so größer und anreizender, je entfernter die Länder räumlich und geistig voneinander sind; denn um so größere Wertunterschiede sind wahrscheinlich. Daher entfaltet als Welthandel der Handel am freiesten und reinsten sein Wesen. Diese Entfaltung aber wird mächtig gefördert dadurch, daß nicht mehr bloß Produkte zu Waren gemacht, sondern daß Waren als Waren produziert werden, und um so mehr, je geschwinder, je massenhafter dies geschehen kann. Und in dieser Hinsicht ist bekanntlich seit 100 bis 150 Jahren die europäische Zivilisation nebst ihren Ablegern in den anderen Weltteilen auf eine gewaltige Höhe gekommen als kapitalistisch betriebene Warenproduktion in Großbetrieben, deren höchstentwickelte Formen schon als Riesenbetriebe sich abheben. Die Hauptbedingungen dieser Entwicklung sind 1. die Menge und Güte der verfügbaren Arbeitskräfte, 2. die Fortschritte der produktiven Technik und der Wissenschaften, die ihrer Förderung dienen, 3. die Anhäufungen von Kapital, insbesondere von edlen Metallen als der Geldmaterie, die am sichersten in allen Ländern als Solvens wirkt, um Handelsmotive und Arbeitslust in Bewegung zu setzen, 4. die Ausgestaltung des Kredits zum Ersatze von Geld und zur Vermehrung von Betriebskapital, 5. die Fähigkeit und der Wille der Unternehmung und Spekulation, im Bunde mit dem technischen Verständnis, das zur Leitung und Verbesserung von Betrieben erforderlich ist, 6. der Besitz  fruchtbaren, ganz besonders aber des an mineralischen Schätzen – Metallen, Kohlen, Ölen – reichen Bodens, um dessen Behauptung, Eroberung, Vermehrung daher mit Gewalt und Listen gerungen wird, 7. die Verfügung über möglichst weite, möglichst freie, möglichst aufnahmefähige Märkte. In bezug auf diese Ursachen und Bedingungen stehen nicht alle Länder einander gleich. In ihrer Kombination und in bezug auf die entscheidenden Momente ist weit mehr der Westen dem Osten als der Norden dem Süden überlegen. Zunächst ist es überhaupt das Gebiet Westeuropas, des weströmischen Reichs, auf dem die mittelalterliche und die neuzeitliche Kulturgeschichte ihren Schauplatz  finden. Und innerhalb dieses Bereiches finden sich die Bedingungen, welche die moderne Entwicklung gegen ihre Vergangenheit abheben, um so dichter beisammen, [232] je mehr man westlich des Njemen, westlich der Weichsel, westlich der Oder, westlich der Elbe und westlich der oberen Donau, westlich der Weser, westlich des Rheins und westlich der Rhône  fortschreitet, bis sie westlich der Nordsee – denn entscheidend wirkt der Markt, den der Ozean eröffnet – in Großbritannien am vollkommensten sich verei17

Solvens – hier svw. Zahlungsmittel.

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nigen. Dagegen bleibt die »grüne Insel« (Irland), eine sonderbare Ausnahmeerscheinung, durch Englands Gewalt niedergedrückt und erstickt, als agrarisches Vorland wie ein Schild vor den britischen Leib gehalten zugleich eine Schatzkammer der Körperkräfte und Intelligenzen, deren die Schiffahrt, die Industrie und die Kriegführung des Stiefmutterlandes bedurfte; wie denn die Zuwanderung, außer der der Iren, Schotten und Walliser, von Vlamen und Deutschen, die Bedingungen 1, 2, 5 mächtig unterstützt hat zugunsten Englands. England – ja im Grunde nur England, nicht Schottland und Wales, noch weniger das Vereinigte Königreich als solches – genoß im 19. Jahrhundert, nachdem es mit Hilfe des übrigen Europa Frankreich zerschmettert hatte, die unbestrittene wirtschaftliche Oberherrlichkeit, so daß seine Hauptstadt einstweilen noch das Zentrum dieser »Welt« ist, an die man denkt, wenn von Welthandel und Weltverkehr, Weltmarkt und Weltwirtschaft geredet wird. Ganz entsprechend seiner ökonomischen Bedeutung steht unter dem Namen des »Vereinigten Königreichs« England auch als politische Weltmacht, als Weltreich in überwältigender Größe da. Wenngleich seine eigentlichen Kolonien, zu denen einst auch die von ihm abgefallenen Staaten Nordamerikas gehörten, noch wenig volkreich sind und nur in loser Abhängigkeit von ihm sich befinden, so sind sie doch für Englands Weltstellung bedeutend; bedeutender aber noch ist sein indisches Reich als die Herrschaft über ein dichtbevölkertes altes und mannigfaches Land, als Berührung und Wechselwirkung mit einer völlig anders als die neueuropäische gearteten Kultur, eine Wechselwirkung, deren Folgen noch unabsehbar sind. Mit Großbritannien wetteifern um die Gewinnung von Reichtum und Macht durch Handel und Kolonialbesitz seine großen europäischen Nachbarländer Frankreich und das durch die Hegemonie Preußens gebildete Deutsche Reich: Frankreich seit Jahrhunderten, aber im 19. Jahrhundert mit allmählich verminderter Kraft, die immerhin im näheren Orient und dem dazu gehörigen nördlichen Afrika sich neu entfaltet hat. Das Deutsche Reich ist seit einigen Jahrzehnten erst in die Arena eingetreten, hat aber mit rasch wachsender Volksmenge durch Großindustrie und Großhandel, nebenher auch durch Begründung überseeischer Schutzgebiete, Erfolge erzielt, die geeignet waren, in Großbritannien grimmige Eifersucht hervorzurufen. Die kleineren Länder Europas, unter denen aber nur Belgien [233] hervorragt, konkurrieren mit den drei genannten Hauptländern, nicht als Handelsmächte, wohl aber als Produktionsgebiete. ________________

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Diese Länder haben mit solcher Richtung nach außen und also nach Westen hin eine Wandlung in sich vollzogen, die als Übergang aus den Zuständen des Agrarstaats in die des Industriestaates charakterisiert zu werden pflegt. Typisch dafür ist wieder in erster Linie Großbritannien. Es führt weit überwiegend Lebensmittel, die es selbst nur noch für eine Minderheit (kaum 1/5) seiner Einwohner hervorbringt, und Rohprodukte aus nahen und fernen Ländern ein, um weit überwiegend Fabrikate auszuführen, zu deren Herstellung ihm vorzugsweise die materiellen, technischen und geistigen Bedingungen zur Verfügung stehen. Zu den materiellen Bedingungen gehört  freilich auch, und in erster Linie, ein Rohprodukt, das die motorische Kraft  für die meisten Großindustrien liefert, nämlich die Kohle, die aber auch einen  für den Handel höchst wichtigen Exportartikel darstellt. Die Erschöpfung dieses Rohprodukts ist eine der großen Gefahren. Als »Werkstätte der Welt« tritt Großbritannien und treten entsprechenderweise seine Rivalen in ein Verhältnis zu den übrigen Ländern, insbesondere zu ihren eigenen Kolonien, das durch die Analogie des Verhältnisses einer Stadt zu dem umgebenden Lande erklärt werden kann. Hierin vollendet sich die Tendenz, von der mehr oder minder die Entwicklung aller europäischen Länder, sofern sie geschlossene Handelsgebiete bildeten, während der gesamten Neuzeit bestimmt gewesen ist. Vorherrschend kommt in ihnen das industrielle Interesse zur Geltung, das aus ihren Städten heraus sich entwickelt und zum großen Teile das kommerzielle Interesse in sich einschließt; beide zusammen befördern den »Nationalreichtum«, indem sie dahin wirken, den Austausch mit den minder entwickelten Ländern für sich möglichst vorteilhaft zu gestalten. Der Vorteil stellt zunächst sich dar als der Besitz von Geld, das ist von gemünztem oder ungemünztem Metall und von geldwerten Forderungen; näher als der Saldo (Überschuß) dieser »Aktiva« über die Schulden – die »Passiva« – des Landes im Verhältnis zu anderen. Der Vorteil stellt sich aber ferner dar als Verfügung über alle Produkte und Genüsse, die durch den Umlauf des Geldes vermittelt werden; wie auch immer diese Vorteile unter den Einwohnern und den Klassen des gewinnenden Landes sich verteilen mögen. Die alten Länder sel ber nehmen immer mehr einen städtischen Charakter an, so daß man z. B. von Großbritannien sagen kann, es werde einer einzigen großen Stadt immer ähnlicher. Man bemerkt nun leicht, daß durch die Tendenzen dieser Umwand lung die ganze neuere Geschichte [234] ihrem Wesen nach bestimmt ist. Sie erfül lt 16

entsprechenderweise – A: entsprechender Weise.

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XXXIV. Die historisch-geographischen Richtungen der Neuzeit

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sich teils in dem siegreichen Kampf der fortschreitenden, d. h. städtisch: kommerziel l und industriel l sich höher entwickelnden Nationen gegen die in diesen Beziehungen zurückbleibenden, teils durch ebensolchen Sieg derjenigen Mächte, die durch größere Massen von Kräften, also durch den Umfang ihres Gebietes und die Zahl ihrer Einwohner überlegen werden; end lich aber durch das immer stärkere Vordringen des konzentrierten städtischen Wesens, also insbesondere des hauptstädtischen und al lgemein des großstädtischen, gegen die im platten Lande, in dessen Beschäftigungen und Anschauungen wurzelnden Widerstände, Kräfte der Beharrung und vererbten Überlieferungen. Der Schauplatz der neueren Geschichte ist auch ihr Kampfplatz. Der Streit der Interessen und der davon zumeist abhängige Streit der Meinungen, Kämpfe, ausgefochten zwischen Ländern, zwischen Religionsparteien, zwischen Ständen, zwischen Fürsten und Völ kern, Adel und Bürgertum, Bourgeoisie und Arbeiterklasse – al le diese gewaltigen Kämpfe erfül len die Neuzeit mit ihrem Getöse, füllen Schlachtfelder und Straßen mit Leichen und Wunden, hal len in unzähl baren Schriften und Reden wider. Kämpfe dieser Art sind nur schwach vertreten in der alten Welt, sofern als diese fortlebt, also im ganzen ungeheuren Asien; sie bahnen sich nur an im europäischen Mittelalter, kommen daher auch nicht auf die Höhe innerhal b derjenigen Länder, die da  fortfahren, das Mittelalter zu repräsentieren, oder doch, nachdem sie etwa ein Jahrhundert lang führend sich erhoben hatten, al lmählich wieder zurückgesunken sind, wie Portugal und Spanien. Ebenso werden sie nur teilweise und vermindert hinübergetragen in die neue Welt, die Länder der europäischen Kolonisation. Diese tragen sozusagen die reine Neuzeit in sich und zwar, obgleich sie zunächst, und zum guten Teil immer, eine Rückkehr zum Land leben als dünne Besiedelungen ausgedehnter Flächen bezeichnen. Hier entfaltet sich in umfassendster Weise eine durch kommerziel le Interessen geleitete, also kapitalistisch im großen Stile betriebene Urproduktion. Der Zusammenstoß von Mittelalter und Neuzeit erfolgt auf dem geographisch engen Gebiete, wo die Neuzeit ihren Geist entwickelt dadurch, daß sie ihn von einer ihr  fremden und  feind lichen Umgebung abhebt und dieser zum Trotze, in Auflehnung gegen sie, zur Geltung bringt. Diese Kämpfe erfül len die ersten drei Jahrhunderte (15–1800) der Neuzeit. Im 19. Jahrhundert gelangt sie zu einer gewissen Vol lendung und hat im 20. eine Höhe erreicht, die seit geraumer Zeit den Zusammenpral l der Weltreiche als nächste historische Notwendigkeit erscheinen ließ. Diese Katastrophe sahen wir (1914)

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in einer Gestaltung sich entladen, die Sein oder Nichtsein des Deutschen Reiches dem vorherrschenden Weltbewußtsein [235] als das große Problem dargestel lt hat. Wahrscheinlich ist indessen auch Dasein und Macht des britischen Reiches dasjenige, was auf dem Spiele steht, was die Lenker dieses Reiches sel bst, in Verkennung der europäischen Aufgaben, die es mit dem gefürchteten Rivalen gemein hatte, aufs Spiel gesetzt haben. Der vorläufige Ausgang wird schwerlich das Ende, wohl aber eine tiefe Erschütterung der  finanziel len, merkantilen und politisch-militärischen Weltherrschaft Englands herbeiführen, deren verwund barste Stel len im Osten liegen. Das Deutsche Reich wird an Macht zunehmen gegen Westen, wird sich aber zugleich nach dem Süden und dem Osten zurück orientieren; der Norden wird sich ihm anschließen. Rußland, durch die deutsche Machtentfaltung und die Befreiung Polens zurückgeschoben, wird noch viel mehr seinen Schwerpunkt nach dem Osten verlegen müssen. Im Westen aber wird die Nachblüte europäischer Kultur auf amerikanischem Boden um so kraftvoller gedeihen, je mehr England in Verfall gerät. Noch weiter westlich wird der  ferne Osten wieder erreicht, die Bewegung der Kultur um den Erdball vollendet sich. Das Eintreten der gelben Rasse, dem aber das der arischen Hindu folgen wird, in den Wettstreit der europäischen Nationen – nur von dem ersteren haben wir die Anfänge schon erlebt – dürfte das Schicksal der Menschheit für die kommenden 2000 Jahre entscheidend bestimmen2. [236]

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Die Schlußabsätze geschrieben 1915.

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sahen wir (1914) in einer Gestaltung – A: sahen wir in einer Gestaltung. indessen auch Dasein – A: indessen Dasein. im Osten liegen. – In A hier kein Absatz. Die Schlußabsätze geschrieben 1915. – Fußnote fehlt in A.

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Die Soziologie als philosophische Disziplin ist die allgemeine Lehre von sozialen Tatsachen, d. h. von Tatsachen des menschlichen Zusammenlebens. Ich sage: des menschlichen; denn es scheint zweckmäßig, den Begriff des Sozialen so zu begrenzen: nicht als ob Tatsachen des Zusammenlebens unter anderen Gattungen animalischer Wesen oder sogar der Pflanzen geleugnet werden sollten, aber von solchem Zusammenleben, wie bedeutend es auch sei, hebt, wie von allem Leben der unvernünftigen Kreatur, das menschliche durch das entwickelte Selbstbewußtsein sich ab – menschliches Zusammenleben ist dadurch bedingt, daß ein Mensch den anderen als ein Vernunftwesen, mithin als seinesgleichen, erkennt und anerkennt: dadurch ist es etwas Besonderes gegenüber dem sonst in der Natur vorkommenden Zusammenleben, und eben dies Besondere wollen und sollen wir bezeichnen, wenn wir es als soziales Leben beschreiben. Wert und Bedeutung der Lehre von tierischer und pflanzlicher »Symbiose«, welche Lehre allerdings die Soziologie allgemeinsten Sinnes in sich einschließen könnte, soll dadurch nicht herabgesetzt werden, daß sie ganz und gar der Biologie anheimgegeben wird. Vielmehr weist auch sonst und in allen ihren Stücken die Lehre vom menschlichen Zusammenleben auf die Biologie als auf ihre Basis zurück. Auf die Biologie und auf die Psychologie, deren Gegenstände voneinander untrennbar sind. Denn man muß unterscheiden: A. die biologische, B. die psychologische und C. die eigentlich soziologische Ansicht der Tatsachen des  2

Soziologie im System der Wissenschaften – Der Text erscheint zuerst 1916 im Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie (9: 180–187, im Folgenden A) als erster Artikel in der Abteilung »II. Sozial- und Wirtschaftsphilosophie« – Interesse kann der Text vor allem beanspruchen, weil Tönnies hier wie sonst selten deutlich macht, wo und wie in seinem System feindselige Beziehungen thematisiert werden können, wo er innerhalb der Soziologie nur friedliche, »soziale« Beziehungen thematisiert sehen möchte. Nicht selten hat diese Einteilung Kritik an Tönnies Ansatz ausgelöst und den Vorwurf, er betrachte systematisch nur einen Teil der Beziehungen zwischen Menschen und Menschengruppen. Die Verhältnisbestimmung zwischen Biologie, Sozialpsychologie und Soziologie macht seinen begrifflichen Ansatz deutlich. – Autorenzeichnung unter dem Titel »Von Dr. Ferdinand Tönnies, o. Professor an der Universität Kiel«. Gesetzt in der Antiqua.

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menschlichen Zusammenlebens. Wenn gleich die Soziologie auf A und B fortwährend Rücksicht nehmen muß, so wird es doch um der strengeren Unterscheidung willen ersprießlicher sein, ihren Namen auf C zu beschränken. Denn es pflegen diese Arten der Theorie nicht auseinandergehalten zu werden, und allerdings ist ihre Scheidung praktisch nicht in allen Beziehungen durchführbar. Sie pflegen aber auch nicht begrifflich unterschieden, also in ihrem Wesen nicht gehörig erkannt zu werden, und dies ist allerdings möglich; es ist auch geboten und notwendig. Wir erörtern hier in Kürze die biologische und die psychologische Ansicht, weil sie die wesentlichen Voraussetzungen der eigentlich sozio[237]logischen Ansicht sind, und nach der Erklärung des Wortes allerdings »zur Soziologie gehören«. 1. Das Menschengeschlecht bildet nicht nur morphologisch, sondern auch physiologisch eine »Art«, d. h. die Menschen aller Rassen können sich fruchtbar miteinander paaren; ihre Erzeugnisse sind, wie allgemein angenommen wird,  ferner  fortpflanzungsfähig. In Wirklichkeit  findet die Paarung, zumal die Erzeugung von Kindern, weit überwiegenderweise zwischen Männern und Frauen statt, die einander relativ nahe verwandt sind; schon weil sie durch die räumliche Nähe des Zusammenlebens so stark begünstigt werden, zum Teil auch weil (wenigstens eheliche) Vermischung mit Angehörigen anderer Rassen, anderes Standes usw. vermieden, oft sogar verabscheut wird. So sind es enge biologische Gruppen, z. B. Völker und »Stämme«, ja Familiengruppen, die insofern ein Leben für sich haben, als sie ihren durch Todesfälle erfolgenden Abgang durch Zeugungen und Geburten aus ihrem eigenen Stoffe ersetzen; sei es, daß ihre Zahl dabei sich vermehre, gleich bleibe oder sich vermindere; im letzten Falle freilich ist es ein Leben, das sich dem Sterben zuneigt (»Aussterben« einer Familie, eines Stammes, eines Volkes). Ob eine solche Gruppe sonst, durch Sitten, Institutionen, Sprache, Gesetze, verbunden ist, geht diese Ansicht unmittelbar nicht an; sie kann aber aus äußeren Gründen darauf Rücksicht nehmen, z. B. als »Volk« die in einem Staate oder Reiche vereinigte Menge begreifen, weil dessen Leben der Beobachtung aus dem Grunde dieser Vereinigung zugänglicher ist; aber es muß auch mit dem Bewußtsein geschehen, daß z. B. das deutsche Volk im biologischen Sinne keineswegs identisch ist mit der deutschen »Nation«, die im Deutschen Reiche verbunden ist (der Sprachgebrauch vermischt und vertauscht allzuoft diese Ausdrücke). Aus sich selber interessiert diese Ansicht sich nur für »Rassen« und deren Unterabteilungen, nach welchen Prinzipien sie auch diese begrenzen möge. Sie betrachtet in 21

anderes Standes – Textverderbnis »anderen Stande« nach A korrigiert.

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erster Linie deren Geburten und Sterbefälle und geht von diesen auf ihre natürlichen Ursachen zurück. Die unmittelbaren Ursachen der Geburten sind die weiblichen Konzeptionen, die selber rein physiologisch, beim Menschen aber in einigem Maße auch psychologisch bedingt sind. Als entferntere Ursachen der Geburtenfrequenz findet aber die biologische Ansicht, daß die Menschen zumeist in geschlechtlichen Paaren dauernd mit einander leben, und durch Begattungen, die sich zwischen denselben Individuen wiederholen, gemeinsame Eltern der erzeugten Kinder werden. Es ist der biologischen Ansicht gleichgültig, in welcher Ausdehnung diese dauernden Paarungen gegenüber bloß gelegentlichen stattfinden; ob jene Ehe heißen oder Konkubinat, Verlöbnis oder Verhältnis; ob die Ehe polygynisch, polyandrisch oder [238] monogamisch; ob zur rechten oder zur linken Hand; sie muß auch in Betracht ziehen, daß durch diese Gruppenbildungen die Möglichkeit, daß ein Kind aus der Paarung sonst unverbundener Personen (z. B. durch Ehebruch) entspringe, nicht ausgeschlossen ist. Dieser Ansicht gemäß gilt der Satz nicht allgemein und notwendig, »pater est quem nuptiae demonstrant«, sondern es gibt nur eine mehr oder minder hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß der eheliche Vater auch der wirkliche Vater ist. Diese Ansicht betrachtet die Konzeptionen, wie die Geburten, lediglich als natürliche Tatsachen. – Was aber die Ursachen der Sterbefälle betrifft, so beruhen diese zu einem guten Teile in Umständen des menschlichen Zusammenlebens; wenn nämlich dies im Sinne der biologischen Ansicht verstanden wird, so gehören dazu nicht nur die Tatsachen des dichten Zusammenwohnens, die gemeinsame Tätigkeit in luftvergifteten Räumen und dergl., also alle Arten von Infektionen, sondern auch  feindliche Berührungen und Begegnungen, als Kriege, Duelle, Schlägereien; das Gegeneinanderwirken in Wetteifer und Konkurrenz gehört dazu, wie das Zusammenwirken in einer Werkstatt, einem Geschäft, einem Regiment oder einem Kollegium. Aber die eigentliche Todesursache (im medizinischen Sinne) ist immer eine rein natürliche Tatsache, z. B. eine Infektion, eine Wunde und dergl. – Diese Ansicht betrachtet aber auch vom Entstehen und Vergehen einer gegebenen Masse von Menschen aus die Bedingungen ihres Lebens und der Reproduktion ihres Lebens, also notwendigerweise die Tatsachen ihrer Ernährung, mit denen die des Schutzes gegen lebengefährdende und vernichtende Wirkungen unmittelbar verbunden sind. Sie ist ja darauf 12 13 17

polygynisch, polyandrisch oder monogamisch – Svw. Familie mit mehreren Frauen eines Mannes, mehreren Männern einer Frau, von einer Frau mit einem Mann. [Ehe] zur rechten oder zur linken Hand – Svw. Ehefrau oder Geliebte oder Ehemann / Geliebter. »pater est quem nuptiae demonstrant« – [Lat.] svw. Vater ist der, wen Heirat als solcher erweist.

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gerichtet, das menschliche Zusammenleben, wie alles Leben, in seiner Abhängigkeit von der Natur, in seinem Kampfe gegen widrige, seiner Aneignung fördersamer Wirkungen zu erkennen. Sie sieht den Menschen als intelligentestes Säugetier für sich und seine Jungen Vorräte sammeln, Wohnstätten bauen, Nahrung zubereiten, Naturkräfte und Werkzeuge gebrauchen, arbeiten und verzehren. Hier wie überall schließt die Biologie ein gut Teil psychologischer Erwägung in sich ein. Die biologische Ansicht des menschlichen Zusammenlebens macht sich in verschiedenen Wissenschaften geltend. Sie ist ein notwendiges Element der Bevölkerungslehre, sei es, daß diese abstrakt dargestellt oder auf konkrete Menschenmengen bezogen werde, daher auch eines Hauptzweiges der »Statistik«, wenn diese noch als besondere Wissenschaft sich geltend macht. Ebenso ist sie in der Nationalökonomie enthalten, zumal wenn diese als allgemein menschliche oder Weltökonomie aufgefaßt wird und dann schlechthin die Tätigkeiten der Menschen zur Erhaltung, Pflege und Ausschmückung ihres Lebens durch [239] individuelles und gemeinsames Arbeiten, wie durch gegenseitige Dienstleistungen und durch Tauschakte als ihr nächster Gegenstand verstanden wird. Aber die eigentliche biologische Lehre vom Menschen ist die Anthropologie, sofern diese, wie es ja in der Regel geschieht, von der psychischen Seite des Menschen Umgang nimmt, oder, wo das nicht möglich, sie doch nur als Hilfsmittel der Erkenntnis heranzieht. Sie geht von dem Studium der natürlichen Merkmale – des Schädels, der Hautfarbe usw. – des Menschen auf die »Urgeschichte« oder »Prähistorie« über, die wiederum mit der Völkerkunde in unmittelbarem Zusammenhange steht. Sie betrachtet also auch »Kultur«, aber wesentlich deren äußere »materielle« Seite, wie sie in Waffen und Werkzeugen, Geräten und Schmuckgegenständen erscheint; sie ist sozusagen angewiesen auf die Übergangszeiten, wo der Mensch durch ungezählte Jahrtausende erst anfing, Mensch zu werden: die prähistorische Zeit, die eben als solche sich dadurch charakterisiert, daß über Gestaltungen und Fortschritte des äußeren Lebens manches, über die des eigentlichen Zusammenlebens fast nichts erschlossen werden kann. Anders ist es mit der ethnologischen Beobachtung; sie geht von den äußeren Menschen auf ihre Seelen und ferner auf ihre Institutionen über, ist daher auch für die Sozialpsychologie und für die (eigentliche) Soziologie von hoher Bedeutung. 2. Die psychologische Ansicht des menschlichen Zusammenlebens ist die notwendige Ergänzung der biologischen Ansicht. Sie läßt uns erkennen, wie die Menschen, teils durch Liebe und ihr verwandte Gefühle, durch instinktive Sympathien, aber auch durch Berechnung und Bewußtheit ihres Nutzens und Vorteils, durch Interessen, zusammengeführt, zusammengehalten, wie sie andererseits aber durch Haß, Rachsucht, Eifersucht

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und natürliche Antipathien entzweit, auseinandergerissen, verfeindet werden, wie auch durch den rationalen Egoismus, der sogar die natürlichen Bande sprengt oder ignoriert. In diesen Betrachtungen wird die Individual-Psychologie zugrunde gelegt. Aber die psychischen Erscheinungen können auch aufgefaßt werden, insofern als bei vielen die gleichen sich finden, als Individuen zusammen fühlen und zusammen denken. Die psychologische Ansicht des menschlichen Zusammenlebens hat hier ihren besonderen Gegenstand, dessen sie neuerdings mehr und mehr bewußt geworden ist. Bald als »Völkerpsychologie«, wo sie auf die konkreten Erscheinungen hingewiesen aus der Ethnologie unmittelbar hervorgeht, bald als abstrakte »Sozialpsychologie« tritt sie uns entgegen. Immer wird sie lehren müssen, wie der Mensch in seinem ganzen Fühlen und Denken durch Elemente eines »Gesamtgeistes«, der mannigfache Gestalten trägt, bedingt ist. Schon der Gebrauch der [240] Sprache, der den Menschen so hoch auszeichnet, weist darauf hin. Sie ist das große Mittel der Überlieferung, zumal wenn sie in der Schrift  festgelegt wird, und verbindet also die Generationen der nacheinander – wie die Scharen der gleichzeitig – Lebenden. Sie schnürt aber auch engere Gruppen gegen weitere ab, weil die Verständigung durch Gewohnheit erleichtert, durch Lehre erhöht wird. Als allgemeines Werkzeug der Mitteilung und sofern sie auch von Menschen erlernt wird, denen sie nicht »Muttersprache« ist, trägt sie alle höhere, nationale und »allgemein«-menschliche Kultur. Eine andere große Erscheinung des Volksgeistes ist der Glaube an Dasein und Macht von Geistern und Gespenstern, die als »Götter« gemeinsamer Verehrung teilhaftig werden; der Glaube und die Anbetung, die Versöhnung, der Opferdienst und das Lesen heiliger Schriften; unter dem Namen der Religion eine höchst bedeutende Erscheinung des sozialen und dadurch auch des individualen Seelenlebens. Mit Sprache und Religion hängt die Macht des sozialen Wollens über das zugehörige individuale innig zusammen, die als Sitte ihren allgemeinsten und zugleich bestimmt charakterisierten Ausdruck hat. Alle drei: Sprache, Sitte, Religion (denn so ist die richtige Reihenfolge, wenn wir von dem am wenigsten zu dem am meisten reflektierten Ausdrucke  fortschreiten) sind mehr oder minder weiten Kreisen der Menschen gemeinsam; sie haben einerseits die Tendenz, sich in engeren Gruppen zu differenzieren, andererseits die entgegengesetzte, sich zu verallgemeinern und auszubreiten. Sie lassen sich rein sozialpsychologisch betrachten, obgleich sie überall auf die Gegenstände der eigentlichen Soziologie, wie sich bald zeigen wird, hinweisen. Für die Sozialpsychologie ist aber alles gemeinsame Denken, Fühlen und Wollen nur die eine Seite der Erscheinung, die als Wider-einanderDenken, Fühlen und Wollen, sei es von Individuen oder Gruppen (die

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unter sich gemeinsam denken usw.) ihre andere Seite der Betrachtung darbietet. Der Streit gehört ebensowohl wie die Einmütigkeit zur psychologischen Seite des menschlichen Zusammenlebens, die Zwietracht, wie die Eintracht, der Krieg wie der Frieden, die Konkurrenz und der Lohnkampf wie der Vertrag und die Kooperation, gegenseitige Verneinung so gut wie gegenseitige Bejahung. Ja, insofern als gegenseitige Bejahung immer auf die Soziologie hinweist, wenngleich in dieser neue Elemente hinzukommen, so ist gegenseitige Verneinung, Zank und Zwietracht, Krieg und Hader, sogar das besondere und abgeschlossene Gebiet der Sozial-Psychologie, ein Gebiet, das die Soziologie als ihren dialektischen Mutterschoß betrachten darf, durch dessen Verneinung sie zu ihrem eigenen Leben gelangt. Doch ist sie eigentlich auch Fortsetzung der Sozialpsychologie, insofern als diese selber mit so[241]zialen Trieben und Gründen sich beschäftigt und mit den Einflüssen, die auch trotz Feindseligkeit von einer Seite auf viele, von vielen auf eine, gesetzmäßig wirken. Ganz besonders wichtig ist daher für die Sozialpsychologie die auch biologisch bedingte Differenzierung der Menschen, die als Teilung der Arbeit, des Berufes, des Standes weitreichende soziologische Bedeutung hat, sozialpsychologisch aber weist sie ebenso auf gegenseitige Ergänzung, gegenseitige Hilfe, gegenseitiges Verständnis hin, wie andererseits auf Scheidung und Feindseligkeit, auf Antipathie, Haß, Neid und Rachsucht. So steht das Verhältnis von Herren und Dienern oder Knechten (Sklaven, Leibeigenen), zwischen antisozialen und sozialen Verhältnissen; wie immer es in einer Rechtsordnung vorgestellt werden möge, seinem Wesen nach kann es ebensowohl in fortwährender Mißhandlung und Ausbeutung von der einen Seite, Streben nach Flucht und Mord auf der anderen, als in Kameradschaft, gegenseitiger Zuneigung und Achtung bestehen; kann auch rein sachlich, geschäftlich und wie hier verstanden werden soll, »gesellschaftlich« sich gestalten, bei Fremdheit und Gleichgültigkeit der Personen gegeneinander. Auf den Widerstreit sozialer und unsozialer Tendenzen muß die Sozialpsychologie ihr Augenmerk vorzüglich richten. Sie ist die abstrakte Lehre, der die Völkerpsychologie, an die Anthropologie und Ethnologie anknüpfend, das konkrete Material bearbeitet und durch neue Erfahrungen, neue Forschungen fortwährend bereichert; die Brücke schlagend von der biologischen Ansicht des menschlichen Zusammenlebens, weil ihr die Völker eben nur biologisch zusammenhängende Massen sind. 3. Die soziologische Ansicht des menschlichen Zusammenlebens beschäftigt sich ausschließlich mit den im strengeren und engeren Sinne sozialen Tatsachen, nämlich mit denen eines »sozialen«, d.  h. zum mindesten  friedlichen Verhaltens der Menschen zueinander. Sie macht

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aber ferner die gegenseitige Bejahung, die sich darin ausdrückt, zum Gegenstande ihrer Untersuchung, insofern als daraus eigentümliche Gebilde entstehen, die wie Objekte angeschaut werden können und als solche von den zusammenlebenden Menschen selber gesetzt und behauptet werden. Ich unterscheide drei Gattungen dieser Objekte, nämlich: I. soziale Verhältnisse, II. soziale Werte, III. soziale Verbindungen. Als soziale Verhältnisse verstehe ich alle Verhältnisse gegenseitiger Bejahung zwischen zwei oder mehreren Menschen, insofern als das Verhältnis in ihrer eignen Vorstellung vorhanden ist und durch ihren Willen gesetzt wird; folglich auf den individualen Willen bestimmend zurückwirkt. [242] Als soziale Werte verstehe ich alle mit den Menschen verbundenen Sachen und Gegenstände, insofern als sie ihnen gemeinsam zugehörig empfunden und gedacht werden; daher auch alle von Menschen erkannten und anerkannten Zeichen, insofern als sie ihnen etwas bedeuten: als dazu gehörend, damit gleichartig alle vorgestellten Wesen, insofern als sie ihnen wirklich sind und mit ihnen zu verkehren scheinen; alle Urteile, Sätze, Meinungen, Gebote und Verbote, insofern als sie anerkannt und für gültig gehalten werden; kurz: den gesamten Inhalt sozialen Wollens, insofern als dieser Inhalt für die Individuen verbindlich sein will, ihnen also maßgebend gegenübersteht. Als soziale Verbindungen verstehe ich alle von Menschen als wirklich oder als quasi-wirklich angeschauten und gedachten Einheiten mehrerer Menschen, insofern als ihnen ein (reelles oder ideelles) Dasein zugeschrieben wird, das von dem Dasein der einzelnen Individuen, die es zusammensetzen, unabhängig und es zu überdauern geeignet ist; das zugleich in seiner Willenssphäre die individuellen (oder, sofern es Verbindungen von Verbindungen gibt, auch diese sozialen) Willenssphären ganz oder teilweise in sich einschließt und von sich abhängig erhält. Durch diese drei Gattungen hindurch geht meine Unterscheidung der Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft, wie ich sie in einer 1887 zuerst erschienenen Schrift begründet und eingehend dargelegt habe1. Zum Verständnis dieser Unterscheidung möge aber hier folgendes ausgesprochen werden. Sie will nicht in erster Linie der Einteilung gegebener Ver1

6. u. 7. Aufl., Berlin, K. Curtius, 1926.

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6. u. 7. Aufl., Berlin, K. Curtius, 1926. – A: 2. Auflage, Berlin, K. Curtius, 1912. – Tönnies 1887, 1912a, 1926.

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hältnisse, Werte und Verbindungen dienen. Ob sie dafür brauchbar sei, ist von untergeordneter Bedeutung. Sie will vielmehr die Elemente innerhalb jener scheiden und gleichsam gesondert präparieren. Die Scheidung ist Analyse, die Darstellung der reinen Begriffe Synthese. Beide zusammen sind nur Mittel  für Erfassung und Erkenntnis der Tatsachen und ihrer Zusammenhänge, nämlich des sozialen Seins und Wesens in jenen dreifachen Ausdrücken und der Veränderungen, die darin beobachtet werden2. [243]

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Anmerkung (1926). Verf. hat die hier vorliegende Einteilung der Objekte neuerdings berichtigt. Vgl. Erste Sammlung, S. 368 Anm. und diese Sammlung, S. 123. Anmerkung (1926) – Anmerkung fehlt in A. Erste Sammlung, S. 368 Anm. – Tönnies verweist auf eine Fußnote am Ende des Textes »Das Wesen der Soziologie« von 1907 (SSK I: 368 Fn.): »Die Dreiteilung der Gegenstände der reinen Soziologie hat der Verf. neuerdings dahin abgeändert, daß an die Stelle des sozialen Willens die ›Samtschaften‹ treten als (wie Verhältnisse und Körperschaften) eine Art der Verbundenheit. Der soziale Wille wird dann – soweit er nicht schon in der Sozial-Psychologie abgehandelt worden – diesen Arten der Verbundenheit als durch sie bedingt nachgeordnet.« (TG 15: 498 Fn.). diese Sammlung, S. 123 – Hier S. 206.

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XXXVI. Das Versicherungswesen in soziologischer Betrachtung

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XXXVI. Das Versicherungswesen in soziologischer Betrachtung Einleitung 5

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§ 1. Die Vorstellungen der Menschen von Sicherheit sind Vorstellungen eines Ruhezustandes. Nicht sowohl weil ein ruhender Körper, und also der Mensch im Ruhezustande, für sicherer gehalten wird als ein bewegter Körper und als der sich bewegende Mensch, sondern es ist eine Übertragung des Subjektiven ins Objektive. Das Gefühl der Sicherheit ist ein Gefühl der Ruhe, ist Gemütsruhe, und wer es gewonnen hat, ist beruhigt. Soweit hier vertauschbare Ausdrücke vorliegen, so gilt natürlich der umgekehrte Satz auch: wer das Gefühl der Ruhe hat, fühlt sich sicher; aber in einigem Maße darf auch für wahr gehalten werden: wer in Ruhe ist, fühlt sich sicher, so in der Regel der Schlafende, und in der Regel der Mensch in seinen vier Pfählen, im Schoße seiner Familie, er fühlt sich geborgen und umhegt, wenn nicht die Sorge, der Gedanke an die Zukunft und ihre möglichen Übel seine Ruhe stören. Anders ist im allgemeinen dem Menschen zumute, der sich bewegt. Zwar ein Spaziergang und ein Gang über die Straße machen keinen Unterschied vom ruhigen Heimgefühl, auch nicht eine Ausfahrt auf Wagen oder Kahn. Aber vom Fahren leitet unsere Sprache die Vorstellung der Gefahr ab, und dies ist nicht zu verwundern, wenn wir an weite Fahrten, zumal an Fahrten übers Meer denken, die noch dem Dichter Sophokles als das Furchtbarste des Furchtbaren erscheinen, das der Mensch unternehme. Der Gegensatz tritt hier stark und deutlich ins Bewußtsein, heut wie ehedem:  3

Das Versicherungswesen in soziologischer Betrachtung – Der Text erscheint 1917 in der Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft. (17: 603–624, im Folgenden A, Tönnies 1917b). – Tönnies untersucht soziale Sicherungssysteme und bezieht sich dabei auf seine Begriffe der »reinen Soziologie«. Der Themenkreis umfasst das private Versicherungsgeschäft, die staatliche Sozialversicherung und die Vorformen der sozialen Sicherung in gemeinschaftlichen Zusammenhängen. – Autorenzeichnung unter dem Titel »Von Geheimem Regierungsrat Prof. Dr. phil. Ferdinand Tönnies (Eutin i. H.)«. Die Zeitschrift ist in Fraktur gesetzt. Vgl. näheres im Editorischen Bericht S. 657.

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der Kampf gegen Wellen und Sturm, der Gedanke an den möglichen Untergang und Schiffbruch – die Ruhe und Sicherheit im Hafen und auf der festen Erde. Vollends für den Krieger: die beständige Lebensgefahr im Feldzuge – der süße Friede daheim, unter schützendem Dach, von Liebe umgeben. – Das menschliche Leben ist erfüllt von verwandten Vorstellungen. Das Leben selber ist Bewegung, ist Kampf, wird auch mit einer Reise und Pilgerfahrt verglichen und ist umringt von Gefahren. §  2. Die Arbeit und rastlose Tätigkeit des Menschen ist zum großen Teile auf Sicherung gerichtet: Sicherung für [244] sich selber, Sicherung für seine Angehörigen, Sicherung für sein Land und für seine Habe. Sicherung heißt: Vorkehrung gegen Gefahren, Fürsorge für die Zukunft. Sicherung und Schutz ist nicht ein und dasselbe, aber sie berühren einander nahe. Schutz bezieht sich mehr auf das Gegenwärtige, auf unmittelbare und  fortwährende, gewisse und wirkliche Schäden. Sicherung enthält bestimmter den Gedanken an die Zukunft, an eigentliche Gefahren, d. i. an mögliche und mehr oder minder wahrscheinliche Schäden und Übel. Sich gegen Gefahren sichern heißt: ein Übel minder wahrscheinlich machen und, wenn es doch eintritt, es minder stark machen, und diesen Zwecken dienen unzählige Leistungen und Werke, die teils der einzelne für sich, teils mehrere gemeinsam schaffen, wofür sie ihre Geräte, Waffen und Werkzeuge gebrauchen, und folglich solche Geräte und Werkzeuge bauen oder schmieden, aufstellen und zurüsten. § 3. Zu einem guten Teile haben die Menschen immer versucht, sich zu sichern gegen wirkliche und als wirklich erkannte Gefahren. Im größten Umfange aber auch gegen bloß eingebildete Gefahren. Jene brauchen nicht aufgezählt zu werden; daß auch Einbildung Gefahren macht oder unbedeutende Gefahren vergrößert, so daß Vorkehrungen dagegen notwendig scheinen, ist ebenso bekannt. Alle Versuche der Sicherung – durch Arbeit und Denken oder durch Gebete und Zaubermittel – mag der Mensch für sich allein oder in Verbindung mit anderen Menschen anstellen. Durch Arbeit und Denken: dann mögen die Mittel der Sicherung in der äußeren Natur gesucht werden – z. B. durch Panzer für den Leib, durch Wälle und Mauern für die Stadt, durch Deiche und Dämme gegen die Fluten – oder in den Mitmenschen selber, in ihrem Wollen und Können, ihren Leistungen. Dies ist das Feld der (in einem engeren Sinne) soziologischen Betrachtung.

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Können, ihren Leistungen – A: Können, in ihren Leistungen.

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§  4. Die Beziehungen, Verhältnisse und Verbindungen der Menschen enthalten in sich Absichten und Tatsachen einseitiger oder gegenseitiger Bejahung oder Verneinung, Förderung oder Hemmung; aber sie werden gedacht – und sollen hier gedacht werden – als positive, und dieser positive Charakter bedeutet, daß Bejahung und Förderung überwiegen; er wird in Verhältnisse mehr als in Beziehungen, in Verbindungen mehr als in Verhältnisse hineingelegt. Die positiven sind auch die eigentlichen sozialen Beziehungen usw. Nicht alle (positiven) Beziehungen, Verhältnisse, Verbindungen haben es mit gegenseitigem Schutze, gegenseitiger Sicherung zu tun. Zum Teil ist Schutz und Sicherung einseitig, und von der anderen Seite werden andere Arten von Bejahung und Förderung geleistet. Aber die bedeut[245]samsten Verhältnisse und (zumal) Verbindungen sind teils ursprünglich auf Grund animalischer Triebe, solche die gegenseitige Hilfe unmittelbar oder aus einseitiger entstehen machen, teils werden sie dazu durch das Zusammenleben und -leiden, durch Erkenntnis gemeinsamer Bedürfnisse, die Erfahrung gemeinsamer Nöte, gemeinsamer Gefahren. Alle gegenseitige Hilfe stuft sich ab in jedem Querschnitt der Betrachtung – z.  B. in der Gegenwart und in einem bestimmten Lande – und entwickelt sich im Fortschritt des Zusammenlebens – z.  B. in der Geschichte der modernen Kultur – von Beziehungen, Verhältnissen, Verbindungen, die auf den Typus Gemeinschaft, zu solchen, die auf den Typus Gesellschaft bezogen werden können. § 5. Der Typus Gemeinschaft bedeutet, daß sie aus einer Einheit wie aus einer Wurzel hervorgehen und darin beruhen. Psychologisch spricht sich dies aus im Zusammengehörigkeitsgefühl der Individuen, als natürliches Einverständnis und Eintracht mehrerer (einer Gruppe), sodann auch in anderen Formen sozialen Willens, die als Sitte und als Religion ihre höchsten Gestaltungen  finden. Die große Hauptursache solchen Geistes ist die Blutsverwandtschaft, die enge Gruppen stark, weite schwächer verbindet, aber auch für weite in gemeinsamer Muttersprache und in verknüpfenden Ideen sich machtvoll äußern kann. Ähnlich wie die Blutsverwandtschaft, aber weniger unmittelbar, mehr unter dem Einfluß von Überlegungen, wirkt 2. die Nachbarschaft, wenn in diesem Begriff das gesamte räumliche Zusammenleben, daher stammendes Zusammenwirken und Zusammenbesitzen gedacht wird; – und 3. die Genossenschaft oder Freundschaft, die wesentlich auf ein ideelles Zusammensein, Zusammenwirken und Zusammenbesitzen hinweist, so daß der Begriff darauf bezogen werden kann. In allen Fällen wird Ge-

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meinschaft selber als ein Gut oder Zweck empfunden und gedacht, als ein Ganzes, mit dem der Teil notwendig verbunden ist, und die Verbindung selber am vollkommensten als ein Organismus, dessen Mitglieder die einzelnen Menschen sind, vorgestellt. § 6. Der Typus Gesellschaft bedeutet, daß die Individuen in bewußter Weise durch Verträge einig miteinander »werden«, daß sie also ihre Beziehungen knüpfen, ihre Verhältnisse eingehen, ihre Verbindungen stiften, oder doch so zu diesen Beziehungen, Verhältnissen, Verbindungen sich verhalten, als ob sie diese gemacht hätten, und zwar nicht gemacht wie etwa ein Kunstwerk geschaffen wird, nicht als Zwecke und Werte, die eben dadurch sogleich etwas der Gemeinschaft sich Näherndes werden, sondern lediglich als Mittel für die verschiedenen, aber sich begegnenden und zusammentreffenden Zwecke, an denen daher [246] immer ihr ideelles und zufälliges Wesen das ist, was ihre (wirklichen oder sich vorstellenden) Urheber setzen und wissen; sogar wenn sie etwa in der Sprache der Gemeinschaft sich »Mitglieder« einer Gesellschaft nennen, zu der sie kein innerliches Verhältnis haben, und die auch nichts ist als ein  fingiertes Subjekt  für gewisse Zwecke, die viele einzelne miteinander teilen, deren Verfolgung sie sich erleichtern durch Beziehung auf eine gedachte kollektive Person als ihren Träger. Diese Person wird aber notwendigerweise gedacht als schlechthin rational, d. i. als den gemeinsamen Nutzen, die gemeinsamen Angelegenheiten nach ihrer Einsicht durch zweckmäßiges Wollen vertretend; denn sie selber hat keinen anderen Zweck, keine andere Aufgabe. Dieser Gedanke vollendet sich im modernen Begriffe der Staatsperson und der Ratio Status, sei es, daß dieser ein begrenzter Auftrag – Schutz von Leben und Eigentum aller – oder, was  folgerichtiger, ein unbegrenzter zugunsten der gemeinsamen Wohlfahrt zugedacht wird. In planmäßiger Gesetzgebung prägt sich der Staatswille aus. Das rationale Denken selber empfängt seine Gestaltung als sozialer Wille in der Wissenschaft und ihrer autoritativen Geltung. Die Gesellschaft selber, als Inbegriff der Verträge und Konventionen, wodurch die Individuen sich gebunden halten, der Staat, der alle durch äußere Nötigungen bindet, und die Wissenschaft, die das Denken durch die geltenden Meinungen bindet, wirken zusammen in gleicher Richtung, begrifflich den gemeinschaftlichen Lebens- und Willensformen entgegengerichtet, historisch sie zugleich fortentwickelnd und ablösend. Die Widersprüche, Gegensätze und Streitfälle zwischen gemeinschaftlichen

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Mitglieder die einzelnen Menschen sind, vorgestellt. – A: Mitglieder die einzelnen Menschen sind.. Ratio Status – [Lat.] Svw. Staatsraison.

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und gesellschaftlichen Kräften und Gedanken erfüllen die Geschichte der Kultur als Kämpfe zwischen Völkern, Volksschichten, Ständen und Klassen, als Kämpfe zwischen ganzen Zeitaltern, die miteinander und widereinander lebendig wirken, wie denn die Neuzeit im sogenannten Mittelalter um ihre Befreiung ringt, aber gehemmt, unterdrückt und gebunden wird, wie das Mittelalter innerhalb der Neuzeit verharrt und immer neu sich behauptet, wenn auch verschmäht und gehaßt, dennoch stark und mächtig, zumal in dem Maße, als es lernt, in den Bewegungsformen und den Kampfmitteln den Methoden seiner Gegner sich anzupassen. § 7. Das Verbundensein in Gemeinschaft dient unmittelbar zur Heilung von Schäden, gemeinsamen oder solchen des einzelnen, zu gegenseitiger Förderung und Rettung, Hege und Pflege, Tröstung und Aufrichtung, Schutz und Sicherung. So helfen die Starken den Schwachen, daher die Männer den Frauen, Kindern und Greisen, aber auch Frauen den Männern, Kindern und Greisen, und auch die Schwachen nach ihrem Vermögen den Starken, die das Unglück getroffen hat. Die Gemein[247] schaft der Familie gibt einen hohen Grad von Gefühl der Sicherheit, im Alter, in Krankheit, in der Unfähigkeit sich selbst zu ernähren, für die Frau in Kindesnöten, schlechthin im Angesicht des regelmäßigen oder außerordentlichen Schicksals nicht verlassen und hilflos zu sein, soweit als die Kräfte der Familienglieder zur Unterstützung reichen. Auch ein weiterer verwandtschaftlicher Kreis springt wohl ein, um der äußersten Not abzuhelfen, wenngleich nur in geringem Maße darauf gerechnet werden kann. In älteren Zuständen und noch heute bei rohen Stämmen hat dieser weitere Kreis, das Geschlecht, die Sippe oder der Clan, unter mannigfachen Namen, weit größere Bedeutung in dieser Hinsicht, teils für sich allein, teils durch weitere Verbände: in ihm und in ihnen beruht die Sicherheit der Person und ihrer Habe vor Raub und Mord, die Sicherheit aller gegen feindliche Angriffe, soweit denn solche Sicherheiten vorhanden sind oder wenigstens das Gefühl der Sicherheit sich einstellt. Damit berührt sich die nachbarliche Gemeinschaft, die im Dorfe und in der kleinen Stadt bei Gelegenheiten sich betätigt, die den Bewohner der Großstadt einsam lassen; bei anderen Gelegenheiten gibt es auch für ihn genossenschaftliche Hilfe von Freunden, Kollegen, Verbindungsbrüdern u. a. Darüber erhebt sich – zugleich von den natürlicheren Beweggründen sich entfernend – die allgemein-menschliche Wohltätigkeit, die am liebsten in religiösem Gewande, oft auch von ehrlicher Frömmigkeit beseelt, auftritt, aber auch sonst dem Gefühl des Mitleids und der ethi21

hilflos zu sein, soweit – A: hilflos zu sein; soweit.

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schen Forderung des Gewissens gerecht werden will, in der einen wie der anderen Form leicht konventionell wird und auf gesellschaftliche Gründe – Eitelkeit, Wunsch als fromm oder als human bekannt zu sein, den Kredit zu stützen und andere zu übertreffen im Zeigen des Reichtums – sich angewiesen sieht; dazu kommt zuweilen der internationale Wetteifer mit politischen Motiven. Für den Elenden und den Bettler sind die Gründe gleichgültig, wenn er nur etwas bekommt. Alle Arten der Wohltätigkeit genügen aber nicht – und sind zum Teil auch nicht darauf gerichtet –, dem Hungertode und anderem Untergange der Einzelnen und Familien vorzubeugen. Wohltätigkeit geht über in kirchliche, gemeindliche, staatliche Armenpflege; die kirchliche bezeichnet die Brücke, auf der planlose Caritas in ein geregeltes Polizeisystem, das mehr auf Vorbeugung als auf Heilung gerichtet ist, übergeht. – Aussicht auf alle solche Unterstützungen gibt ein gewisses Maß wenn auch dürftiger Sicherheit vor der äußersten Not und dem gänzlichen Verderben. Die Geschichte und Morphologie der Armut kennt Beispiele, daß diese Sicherheit verführerisch wirkt, zur Gründung von Familien ermutigt, große Städte und die Nähe reicher Klöster und Stifter anziehender macht, als sie sonst wären; aber [248] auch daß sie den Arbeitslohn drückt, weil er aus Armenversorgung und Wohltätigkeit seine Ergänzungen erwarten kann. § 8. Eine andere Art der Sicherheit gibt Besitz und Vermögen. Scheinbar und im Bewußtsein vieler stellt der Reichtum den Menschen ganz auf sich selbst. Man vergißt, daß die Sicherung den Gerichten und der Polizei zu verdanken ist und auch sonst durch den guten Willen und die Ehrlichkeit anderer bedingt ist. Immer ist aber ein großer Unterschied hinsichtlich der ökonomischen Sicherheit, ob der Besitz unmittelbar das zum Leben Notwendige, durch eigene und der Angehörigen Arbeit, gewährt und leistet, wie etwa der bäuerlichen Familie die eigene Ackerwirtschaft, unterstützt und ergänzt durch gemeine Weide, Wald, Wasser usw., oder ob der Ertrag des Vermögens nur durch die arbeitsteilige Volkswirtschaft gewährleistet ist, so daß eine Sicherheit wesentlich auf der Erfahrung regelmäßiger Zusammenhänge von Ursachen und Wirkungen, wenn nicht auf dem Vertrauen in die Redlichkeit und das eigene Interesse der Volksgenossen und Mitmenschen beruht, wie es bei der Rechnung auf Schuldenzahlungen, auf Zinseingänge, Dividendenverteilungen, Entrichtung von Pacht oder Miete usw. der Fall ist. Hier bewegt sich die Vorstellung auf dem Zwischenboden von Gemeinschaft und Gesellschaft, sie gleitet allmählich von gemeinschaftlichen zu gesellschaftlichen Bedingungen hinüber, je mehr sich die individualistisch be12

Caritas – hier svw. Wohltätigkeit, Nächstenliebe.

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gründete Tauschgesellschaft, die kommerzielle Gesellschaft entwickelt. Oft sind Besitz und Vermögen in diesem ganzen Gebiete unterstützt und besser gesichert, ja ersetzt durch eigenes Können, besonders durch das Verstehen einer Kunst, die als notwendig und unentbehrlich oder um so mehr als ihrer Seltenheit wegen geschätzt feststeht und also, sofern das Angebot dem Bedürfnis, also der Nachfrage, entspricht, der regelmäßigen Vergeltung, des »goldenen Bodens« sicher ist. Auch der »Lohnarbeiter« hat diese Sicherheit, aber er kann in der Regel nur rechnen auf den Verkauf seiner Leistungen und Dienste an einen Vermittler, den Unternehmer, nimmt daher an dessen Gefahren teil; und wenn sein besonderes Können nicht begehrt wird, so muß er mit dem dürftigen Lohn des allgemeinen Arbeiters sich begnügen. Höher steht – zumal in den früheren Phasen dieser Entwicklung – das gesicherte Dasein des Handwerksmeisters, zumal wenn es durch Besitz von Haus und Garten, und wohl überdies noch eines Ackers verstärkt wird. Auch für ihn, wie für den Bauer gibt es Gefahren, aber sie liegen ihrem Bewußtsein ferner, wenigstens soweit als ihre regelmäßige Tätigkeit und ihr regelmäßiger Erwerb in Frage stehen. Sie wissen wohl, daß großes Mißgeschick ihnen begegnen, ihren Wohlstand vernichten kann; aber ebenso wie dessen außerordentliche und plötzliche Steigerung, liegt auch [249] solche Vernichtung ihrem alltäglichen Denken fern. Gottvertrauen hilft ihnen die Sorgen ertragen und überwinden. Sparsamkeit ist, was Lebenserfahrung, Nachdenken, Überlieferung empfiehlt, um für Alter, Krankheit und Unglücksfälle aller Art wirtschaftlich besser gesichert zu sein, um Witwen und Kindern wenigstens die Mittel des eigenen Begräbnisses und, wenn möglich, noch darüber hinaus, einen Notpfennig zu hinterlassen. § 9. Anders verhält sich der Kaufmann, durch dessen Tätigkeit und Denkweise die kommerzielle Gesellschaft ihr Gepräge empfängt: das gewagte Geschäft, die Spekulation ist seine regelmäßige Tätigkeit: je größer das Wagnis, desto größer in der Regel sein Gewinn, und umgekehrt: je höherer Gewinn ihm winkt, um so größer ist die Gefahr, das »Risiko« des Verlustes. Für ihn ist die Gefahr nicht mehr etwas bloß Furchtbares, das mögliche Mißgeschick, dem Zorne eines Gottes oder Dämons entspringend, welchen Zorn man etwa durch Opfer und Gebet zu besänftigen versucht, sondern wenigstens außerdem – auch wenn solcher Glaube beharrt – ein mehr oder minder wahrscheinliches Ereignis, mit dem man »rechnen« kann und muß. Er bemüht sich, die Größe der Gefahr möglichst genau zu erkennen und als einen negativen Wert in seinen

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»goldenen Bodens« – Anspielung auf das mittelalterliche Sprichwort »Handwerk hat goldenen Boden«, seinerzeit wohl sarkastisch gemeint.

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»Kalkül« aufzunehmen. Je größer sie ist, um so stärker sein Interesse, also sein Wunsch, der Gefahr sich zu entledigen. Im Geschäftsverkehr kommt diesem Bedürfnis eine Offerte entgegen, die Gefahr gegen angemessene Vergütung zu übernehmen. Wie ist dies, als Geschäft gedacht, möglich? Wenn die eventuelle Leistung eines Ersatzes,  für drohenden Schaden sich bezahlt machen, also zum Vorteil des Anbietenden verkaufbar sein soll, so muß sie gleich einer Ware wohlfeiler einkaufbar sein. Sie wird wohlfeiler eingekauft, wenn die Gefahr höher geschätzt wird als sie tatsächlich ist, also die eventuelle Leistung teurer bezahlt wird als der Wert der wirklichen Leistung. Dies kann sich erfahrungsmäßig herausstellen, kann aber auch rational – »spekulativ« – angenommen und gedacht werden. Die Erfahrung kann dann die Erwartung widerlegen oder bestätigen oder übertreffen. Hat der »Versicherer« es mit einem einzelnen Unternehmer zu tun, und nimmt er an – aus welchen Gründen auch immer –, daß er in zehn Fällen einmal einen Schaden von 100 zu ersetzen haben wird, so wird er  für Übernahme jener Gefahr etwa 15  fordern. Bewährt sich seine Erwartung, so nimmt er 150 ein und wird 100 schuldig; sein Gewinn ist 50 v. H. Das Ergebnis ist im Wesen dasselbe, der Betrieb wird aber durch Vergrößerung um so sicherer, wenn anstatt eines viele Versicherte die Versicherung einkaufen, der Versicherer ist dann ein Kaufmann, der sich von anderen nur dadurch unterscheidet, daß er die ideelle Ware »Ersatz für Schaden [250] von einer gewissen Wahrscheinlichkeit« vertreibt. Ihm wird die Versicherung als seine Tätigkeit und Leistung zugeschrieben: ein vertragsmäßiges Versprechen, im eintretenden Falle – dem Versicherungsfalle – eine bestimmte Geldsumme zu zahlen. Der Versicherte will und kann sich sicher fühlen, nicht gegen den Zufall selber – in bezug auf den er ungewiß bleibt, sich immer unsicher  fühlt –, wohl aber gegen eine bestimmt vorgestellte wichtige Folge des Zufalls: die Minderung seines Vermögens. Seinem berechnenden kaufmännischen Denken ist wesentlich daran gelegen; ist er in dieser Beziehung beruhigt, so kann ihm der Schaden selber gleichgültig werden, ja die Möglichkeit ist gegeben, daß er ihm erwünscht werde, wenn nämlich in seiner Schätzung der ausbedungene Ersatz den etwaigen Verlust an Wert übersteigt, wäre es auch nur, weil für seine Zwecke die gleichwertige Geldsumme geeigneter ist als das gleichwertige naturale Objekt; so daß er, wenn dieses versichert ist (vielmehr er in bezug darauf), weniger auf dessen Sicherung bedacht ist, ja sogar, um der Versicherung willen, sich mindere Sicherung bis zu absichtlicher Gefährdung und sogar bis Verursachung des Schadens angelegen sein läßt. Diese Differenzierung von Sicherung und Versicherung kann sich als wichtiges Merkmal des Versicherungswesens herausstellen.

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Im Prinzip ist so die rationale Versicherung auf jeden als zufällig gedachten Schaden anwendbar, der einen bestimmten Vermögenswert darstellt, wenn und sofern dieser Schaden einem negativen Interesse gleichkommt, das durch den versprochenen Ersatz ausgeglichen, aber nicht in ein positives verwandelt werden soll. In dem Gebiete, wo sie zuerst als Geschäft sich ausgebildet hat, hat sie auch ihre Bedeutung  für den Handel  fortwährend am stärksten behauptet: in der Versicherung des Transports zur See, also von Schiff und Ware. §  10. Immer bleibt die selbständige  freie Unternehmung der Versicherung die vollkommene gesellschaftliche Form eines Geschäftes, wodurch gegenseitige Förderung eines bestimmten Sinnes vertragsmäßig gewährt wird, und zwar zunächst zwischen Versicherer und Versicherten. Das Interesse, wovon der Versicherer geleitet wird, ist das jeden Kaufmann bestimmende: Verwertung seines Kapitals, Erzielung von Gewinn durch den Mehrwert seiner Ware auf anderem Markte; das Interesse des Versicherten hingegen ist – wie sehr auch sein allgemeines Interesse selbst auf Gewinn gerichtet sein mag – in dieser Bestimmung lediglich die Aussicht auf Ersatz eines möglichen und in irgendwelchem Grade wahrscheinlichen Schadens, welche Aussicht allerdings auch seinen anderweitig zu erzielenden Gewinn »sichert«, d. h. wahrscheinlicher macht, sofern dieser durch den drohenden Schaden völlig aufgehoben und in [251] sein Gegenteil verkehrt werden kann; aber dem Wesen des Versicherungsvertrages widerspricht es, wenn der Versicherte ihn in Absicht auf unmittelbaren Gewinn schließt: er würde dann den Fall herbeizuführen streben, während die Übereinstimmung der Interessen dadurch gegeben ist, daß beide Teile ihn als Zufall denken, sei es, daß sie (wenn auch aus verschiedenen Beweggründen) das Unglück zu vermeiden wünschen oder doch den Fall als wesentlich vom natürlichen Lauf der Dinge abhängig, also positiver oder negativer Einwirkung wenig zugänglich erkennen. Wenn die Transportversicherung, zumal zur See, frühzeitig entstand, weil sie auf dem eigenen Bedürfnis des Sichversichernden beruht, der als Geschäftsmann die Gefahren kennt und mit der Regelmäßigkeit von Unfällen rechnet, so kennzeichnet sich hingegen die Verallgemeinerung des Versicherungsgeschäftes mehr durch das Bedürfnis des Kapitals, neue Anwendungen seiner günstigen Verwertung durch Anbieten der Ware »Schadenersatz« zu  finden. Dabei ist es in um so günstigerer Lage, je weniger es mit rechnenden und wissenden Geschäftsleuten zu tun hat, vielmehr allein die Wahrscheinlichkeit des Zufalls kennt, während das Publikum nur eine unbestimmte Vorstellung von der Gefahr hat, aber einen Wunsch, deren Folgen gedeckt zu sehen, nach dessen Stärke es den für Schadenersatz zu zahlenden Preis

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innerhalb seiner allgemeinen Zahlungsfähigkeit bemißt. Dieser Überlegenheit des Versicherers wirkt wie bei anderen Waren, deren Wert der Verkäufer besser als der Käufer kennt, in einigem Maße der Wettbewerb der Verkäufer entgegen. Der praktische Wert eines genauen und richtigen Kalküls muß sich in diesen mehr noch als in anderen Fällen des Handels gegenüber den Mitbewerbern wie gegenüber den Abnehmern geltend machen. Das Versicherungsgeschäft ist auf mathematische Verwertung der Zahlenstatistik zufälliger Vorgänge angewiesen, nimmt also wissenschaftliches Denken unmittelbar in seinen Dienst. Seine Ausdehnung ist bedingt durch Erkenntnis analoger Fälle: des Bedürfnisses der Deckung zufälligen, schätzbaren Vermögensbedarfs, dessen Ursache allgemein als Schaden begriffen wird (wenn auch mit Erweiterung des Sprachgebrauchs), weil dadurch am schärfsten bezeichnet wird, daß der Versicherte nicht zu seinem Nutzen den Zufall bewirken soll und es, anders als auf strafbare Art, nur durch Tätigkeiten kann, die innerhalb der normalen menschlichen Verhaltungsweisen bleiben. Da aber das Geschäft einen regelmäßigen Gewinn nur durch Beteiligung vieler erzielen kann, weil die annähernde Gewißheit einer begrenzten und bekannten Zahl von Ersatzfällen als Quasi-Einkaufspreis zugrunde liegt, so handelt es sich immer darum, daß viele unter hinlänglich ähnlichen Bedingungen einer Gefahr – oder allgemeiner einer Wahrscheinlichkeit – schätzbaren Vermögensbedarfs [252] ausgesetzt sind. Notwendig und zugleich mit dem Wesen des wissenschaftlichen Denkens zusammentreffend ist dabei das Gleichmachen: grundsätzliches Absehen von Besonderheiten des Einzelfalles, von dem zunächst nur verlangt wird, daß er die allgemeinen Merkmale des Begriffes an sich trage; zugleich aber das Streben nach Klassifizierung der Wahrscheinlichkeiten, um die Abweichungen vom vorausgesetzten Durchschnitt zu verkleinern; um so mehr läßt sich die Berechnung des Mindestpreises der zu verkaufenden Ware verschärfen. Wie allen wissenschaftlichen Verfahren, so bleibt auch diesem der Schematismus wesentlich. Das vollkommene Wissen um die Wahrscheinlichkeit kommt der (subjektiven) Gewißheit gleich und macht Versicherung sinnlos; Annäherung an dies wissenschaftliche Ziel macht sie um so sinnreicher, weil die Wahrscheinlichkeit gleichartiger Fälle – solange deren Zahl groß genug bleibt, um sichere Erfahrung zu gestatten – um so genauer bestimmt werden kann. Die tatsächliche Unvollkommenheit solcher Annäherung setzt wiederum dem Wettbewerb der Versicherer Schranken: je genauer der Kalkül, um so sicherer läßt sich das Minimum der zu fordernden Prämie oder das Maximum der versprechbaren Entschädigung erreichen. Die Spannung zwischen beiden zu verengern, ist das Wesen des Geschäftes (möglichst billiger Ein-, möglichst teurer

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Verkauf); aber sie erweitern, heißt dem Interesse des Kunden entgegenkommen, zieht also Kunden an, vergrößert mithin den Umsatz, dessen Umfang geringeren Nutzen mehr als aufwiegen kann. § 11. Wenn nicht ein einzelner Versicherer, sondern eine Gesellschaft die Entschädigung übernimmt, wenn eine Menge von Versicherungsnehmern Verträge mit dieser Gesellschaft schließt, so ist auf beiden Seiten das Prinzip der gesellschaftlichen Verbindung wirksam, ohne aber das Wesentliche des Verhältnisses, das durch den Kaufvertrag über eine Quasi-Ware gegeben ist, irgendwie zu verändern. Auf beiden Seiten stehen dann Individuen (oder wiederum Gesellschaften an deren Stelle), die einander wirtschaftlich fördern, indem jedes nur seinen wirtschaftlichen Vorteil erstrebt; auf der einen eine Handelsgesellschaft – deren Form als Aktiengesellschaft die vollkommene »Versachlichung« des Interesses bezeichnet –, eine wirklich durch ihre Organe zusammenwirkende Verbindung; auf der anderen in der Regel eine ungeordnete, unorganisierte, keines gemeinsamen Willens fähige Menge, nicht verschieden von anderer Kundschaft von Konsumenten, die einem Geschäfte oder sogar einer Verbindung von Geschäften gegenüberstehen, zumeist ohne die Fähigkeit, den Wert der Waren zu beurteilen. Daß diese Kunden der Versicherung einander wirtschaftlich fördern, geschieht also – im Gegensätze zu einer gemeinschaftlichen [253] Verbindung, die solches leistet – ohne, wenn auch nicht gegen ihren Willen, es ist akzessorisch, d. h. relativ zufällig, und doch macht es die Sicherheit, also den eigentlichen Wert der Versicherung, als Gemeinsamkeit, Teilung und Ausgleichung der begegnenden Schäden! – So stellt die Versicherung als Geschäft ein bedeutendes und merkwürdiges Gebiet des ausgebildeten Kapitalismus dar, ja sie bedeutet das Wesen des Kapitalismus in einem großen Bilde, sofern eben hier die gerühmte Harmonie der Interessen auf charakteristische Weise hervortritt. Wirklich hat die kapitalistische Versicherung einerseits große und dauernde Erfolge gezeitigt, anderseits aber wie die gesamte kapitalistisch-freie Wirtschaft Begleiterscheinungen hervorgebracht, die das Einschreiten des Staates durch Gesetzgebung bewirkten, und zwar hier um so früheres und allgemeineres, weil nicht eine sozial geringere Klasse, sondern eine Gesamtheit von Konsumenten vorzugsweise höherer Schichten zum Bewußtsein gelangte, daß sie einer kleinen Minderheit von Geschäftsinteressenten preisgegeben sei. Daher ist auch in den Vereinigten Staaten, die im allgemeinen der klassische Boden des laisser faire geblieben sind, die Freiheit des Verkehrs und Geschäftes im Versicherungswesen, infolge von ungeheuerlichen Mißbräuchen, frühzeitig (und

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neuerdings wieder) – durch Gesetze in einzelnen Staaten – eingeschränkt worden. §  12. Als reines – arbeitsteiliges – Geschäft in einer gesellschaftlichen Volkswirtschaft, die in Entfaltung dieses Merkmals zur »Weltwirtschaft« sich erweitert, ist Versicherung kapitalistische Unternehmung einer Quasi-Produktion für die beliebigen zahlungsfähigen Kunden. Die internationale Transport-, Feuer-, Lebensversicherung und die kaufmännische Rückversicherung stellen diesen Charakter am vollkommensten dar. Sie teilen ihn mit allem Großhandel und aller Großindustrie, die den Weltmarkt im Streben nach stärkstem und günstigstem Absatz suchen. Der Betrieb ist um so mehr in der Lage, sich zu vergrößern, durch Vergrößerung zu sparen, durch Wohlfeilheit der Ware den Wettbewerb zu schlagen. Auch hier macht sich aber geltend, daß das Verbraucher-Publikum aus Unkenntnis der Gelegenheiten und der Preisverhältnisse, aber auch aus Scheu vor dem Unbekannten und Entfernten, aus Gewohnheit und Bequemlichkeit, verhältnismäßig wenig beflissen ist, den billigsten Einkaufsmarkt zu suchen; wohl aber ist es der Kaufmann, überhaupt also der Geschäftsmann größeren Stils, der Kapitalist und Weltmann, so daß auch in dieser Hinsicht das kommerzielle Versicherungsbedürfnis von dem gemeinen scharf sich abhebt. Analog verhält sich schon die nationale zur lokalen Versicherung, und als Abnehmer (Versicherter) der städtische, der immer mehr dem Kaufmann [254] sich nähert, zum ländlichen; worüber die Bemerkungen Rohrbecks (Versicherungswesen und Soziologie, S.-A. aus dem Ehrenzweigschen Assekuranz-Jahrbuch 1910, Band 31) verglichen werden mögen. Richtig wird hier Simmels Theorem von der quantitativen Bestimmtheit der Gruppe angewandt, das mit den Begriffen Gemeinschaft und Gesellschaft sich nahe berührt. Ich halte nicht die Quantität für das entscheidende Merkmal, sondern die hinter ihr liegende Fremdheit des gesellschaftlichen im Gegensätze zur Vertrautheit des gemeinschaftlichen Wesens. Merkwürdig ist wahrlich, daß Manes die Verbindung des deutschen Versicherungswesens … mit ausländischen Volkswirtschaften, »man kann wohl sagen mit der gesamten Weltwirtschaft« »viel zu wenig, wenn überhaupt, beachtet«  findet

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der immer mehr dem Kaufmann sich nähert – A: der immer dem Kaufmann mehr sich nähert. Versicherungswesen und Soziologie – Rohrbeck berichtet unter diesem Titel über Referate zum Thema auf dem »Internationalen Kongreß für Versicherungswirtschaft« 1910 in Wien. – Vgl. zu Simmel Rohrbeck 1910: 140 f. und 150 ff. Simmels Theorem von der quantitativen Bestimmtheit der Gruppe – Vgl. Simmel 1908: 47 ff. »man kann wohl sagen … beachtet« – Manes 1913: 40.

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(Versicherungswesen2, 1913, S. 40). Es ist Rohrbecks Verdienst, für das soziologische Studium des Versicherungswesens brauchbare Fingerzeige gegeben zu haben (vgl. auch Ass.-Jahrb. 1916, S. 24–42).

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§ 13. Der Staat – daher eine von ihm abhängige Körperschaft oder eine von ihm eingerichtete Anstalt – kann ebensowohl wie eine Einzelperson oder Gesellschaft die Tätigkeit des Versicherns unternehmen, und hat es frühzeitig für geboten erachtet, dem durch Brandschäden verursachten Elend dadurch vorzubeugen. Er kann damit die Absicht auf Gewinnerzielung verbinden – der Gewinn des Staates ist immerhin Gewinn für alle Steuerzahler – oder darauf verzichtend seine Dienste lediglich als gemeinnützige anbieten, ja er kann um des gemeinen Wohles willen die Beiträge der Versicherungsnehmer aus seiner eigenen Kasse vermehren. Dabei ist der Fall denkbar, daß er sich in Wettbewerb mit anderen (privaten) Versicherern stelle, aber auch der Fall, daß er durch Gesetz den Wettbewerb ausschließe und sich selber das Recht solcher Verträge vorbehalte und sogar durch Schaffung allgemeiner Rechtspflicht (Erzwingung) den  freien Vertrag aufhebe. Auch in diesen Beziehungen ist das Versicherungswesen gleichsam ein Mustergebiet der großgesellschaftlichen Entwicklung, da sich ebenso auf anderen Feldern hochgesteigerter kapitalistischer Organisation das Bestreben geltend macht, zumal nachdem der Wettbewerb der umfassendsten Unternehmungen durch ihre Einigungen, ja Verschmelzungen ersetzt worden ist, die gesellschaftlichen Monopole durch staatliche Monopole zu verdrängen. § 14. Wie im Handumdrehen hat bekanntlich das Deutsche Reich, unter dem Schwunge der Autorität seines Hauptbegründers, ein solches Monopol für die wichtigsten Zweige der Versicherung geschaffen, die bestimmt sind, der unsicheren Lage der arbeitenden Klasse, in erster Linie [255] der industriellen, sodann auch der landwirtschaftlichen, endlich auch der sozial höheren Schicht von Angestellten und Privatbeamten, abzuhelfen. Bekanntlich steht diese deutsche Arbeiterversicherung, die mehreren anderen Staaten, zuletzt dem britischen, als Vorbild gedient hat, im engsten Zusammenhange mit der ökonomischen und noch mehr der politischen Bewegung innerhalb jener Klasse, die ihre große Wucht und Werbekraft

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vgl. auch Ass.-Jahrb. 1916, S. 24–42 – Rohrbeck 1916.

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durch Aufstellung sozialistischer Ziele gewonnen hatte, sofern diese eine tiefgehende, durch Lehrer der Wissenschaft ermutigte Kritik der gesamten Gesellschaftsordnung in sich enthielten. Die Arbeiterversicherung war bestimmt und hat auch in Deutschland in einigem Maße dahin gewirkt, eine wohltätige und versöhnende Einrichtung zu sein. Wenn der Staat – zumal ein neuer Bundesstaat wie das Deutsche Reich – aus nüchterner, streng auf seinen eigenen Nutzen, seine Selbsterhaltung und Selbstförderung bedachter Politik Grund genug hatte, durch diese kraftvolle Gestaltung in den bis dahin gewordenen und weiter fließenden Gang der gesellschaftlichen Entwicklung einzugreifen, so geschah es in Wirklichkeit, indem das Reich zugleich sein nationalgemeinschaftliches Wesen entfaltete, indem es auch religiöse, menschlich-sittliche Pflichten als die seinen anerkannte, wofür die monarchisch-patriarchalische Urheberschaft eine willkommene Form darbot. »Wir halten es für eine Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe (der positiven Förderung des Wohls der Arbeiter) von neuem ans Herz zu legen«, heißt es in der grundlegenden Botschaft vom 17. November 1881, und wiederum in der Kaiserlichen Botschaft vom 14. April 1883: »Unsere Kaiserlichen Pflichten gebieten uns, kein in unserer Macht stehendes Mittel zu versäumen, um die Besserung der Lage der Arbeiter und den Frieden der Berufsklassen untereinander zu fördern.« Aber schon vor jener ersten Botschaft drückte sich die Begründung des (am 8. März 1881 dem Reichstage vorgelegten) Gesetzentwurfs über die Unfallversicherung sachlich dahin aus, es sei nicht bloß eine Pflicht der Humanität und des Christentums, daß der Staat sich in höherem Maße als bisher seiner hilfsbedürftigen Mitglieder annehme, sondern auch eine Aufgabe staatserhaltender Politik, »welche das Ziel zu verfolgen hat, auch in den besitzlosen Klassen der Bevölkerung die Anschauung zu pflegen, daß der Staat nicht bloß eine notwendige, sondern auch eine

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»Wir halten es für eine Kaiserliche … ans Herz zu legen« – »Schon im Februar dieses Jahres haben Wir Unsere Ueberzeugung aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohls der Arbeiter zu suchen sein werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von neuem ans Herz zu legen …« (Verhandlungen des Reichstags. V. Legislaturperiode. Erste Session. 1881. Eröffnungssitzung am 17.11.1881: 2). »Unsere Kaiserlichen Pflichten … untereinander zu fördern.« – »Unsere Kaiserlichen Pflichten gebieten Uns aber, kein in Unserer Macht stehendes Mittel zu versäumen, um die Besserung der Lage der Arbeiter und den Frieden der Berufsklassen unter einander zu fördern, so lange Gott Uns Frist gibt zu wirken.« (Verhandlungen des Reichstags. V. Legislaturperiode. II. Session. 1882/83. Dritter Band. 66. Sitzung am 14.4.1883: 1956). Gesetzentwurfs über die Unfallversicherung – Verhandlungen des Reichstags. 4. Legislaturperiode. IV. Session 1881. Dritter Band. Anlagen, Nr. 41. S. 222–251.

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wohltätige Einrichtung sei«. Und daran schließt sich der noch schärfer gefaßte Satz: »Zu dem Ende müssen sie durch erkennbare direkte Vorteile, welche ihnen durch gesetzgeberische Maßregeln zuteil werden, dahin geführt werden, den Staat nicht bloß1 als eine lediglich zum Schutze der besser situierten Klassen der Gesellschaft erfundene, sondern als eine auch ihren Bedürfnissen und Interessen [256] dienende Institution aufzufassen.« In der Tat kann die Monarchie, sofern sie nicht bloßes Werkzeug der sozial herrschenden Klasse wird, mehr als eine andere Regierung über diese Klasse sich erheben und darf, ja muß um ihrer selbst willen, das Gesamtwohl auf ihr Banner zu schreiben sich berufen fühlen. § 15. Die Sozialversicherung, wozu die Arbeiterversicherung sich erweitert, hat einen soweit von der rein geschäftlichen Versicherung entfernten Charakter, daß bekanntlich die Jurisprudenz abgeneigt ist, jene wegen des obligatorischen Momentes, das ihr wesentlich anhaftet, als Versicherung im Rechtssinne gelten zu lassen. Zunächst handelt es sich nicht um die Gefahren eines Geschäftes, sondern um die Gefahren des Lebens selber, auf welche auch die Lebensversicherung den ursprünglichen Gedanken erweitert; aber auch nicht sowohl um die allgemeine wirtschaftliche Gefahr, die sich leicht an das Ende eines individuellen Lebens heftet, vielmehr um die besonderen Gefahren, die namentlich aus der Besitz- und Vermögenslosigkeit sich ergeben, um die Gefahren des Arbeitslebens und bloßen Lohneinkommens, also um die Lebensbedingungen einer Klasse, der Klasse, die durch die gesellschaftliche Entwicklung die zahlreichste und zugleich die durch den Druck dieser differenzierenden Entwicklung am schwersten belastet worden ist. Um seiner selbst willen tritt der Staat für diese Klasse ein: er zwingt sie zu Ersparnissen, aber er nötigt auch die Klasse, die am unmittelbarsten die Vorteile aus ihrem Dasein, ihrer belohnten Tätigkeit zieht, zur Mitwirkung, er nimmt endlich seine eigenen Mittel, also die Gesamtheit der Steuerzahler, dafür in Anspruch. Hervorgebracht wird ein durch die Form der Versicherung und deren wissenschaftliche Grundlagen verbesserter, ein privatrechtlicher Anspruch anstatt der Bitte um eine gnädige 1

Das Wort müßte fehlen.

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»welche das Ziel zu verfolgen … wohltätige Einrichtung sei« – Tönnies lässt eine Passage aus: »… der Bevölkerung, welche zugleich die zahlreichsten und am wenigsten unterrichteten sind, die Anschauung …« (ebd., 228). »Zu dem Ende müssen sie … dienende Institution aufzufassen.« – Ebd. – Das Wort »bloß« steht nicht in den gedruckten Unterlagen. Die Hervorhebungen sind von Tönnies. nicht bloßes Werkzeug – A: nicht ein bloßes Werkzeug. am schwersten belastet worden ist – A: am schwersten belastete geworden ist.

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und demütigende Gabe, und also ein Ersatz der Armenpflege, nachdem diese längst ihren in gemeinschaftlichen Lebensverhältnissen beruhenden Rechtscharakter zum größten Teile eingebüßt hat und ihre kommunale also örtlich-heimatliche Beschränkung durch die tatsächliche Heimatlosigkeit eines großen Teiles der Lohnarbeiterschaft aufgelöst wurde. Auf die gesetzliche Regelung der Armenpflege wies die Begründung des ersten deutschen Entwurfes der Sozialversicherung (vom 8. März 1881, s. oben) als Ursprung und Keim »der Maßnahmen, welche zur Verbesserung der Lage der besitzlosen Klasse ergriffen werden können«, hin. In der Tat handelt es sich immer um ein Eintreten des Staates als Gesamtwillen in die Lücken und Disharmonien der Gesellschaft. Gegen die Merkmale: Vertrag, Freiheit, Selbstinteresse wirken die Merkmale: Gesetz, Zwang, Gemeininteresse; gegen Privatrecht und Geschäft: öffentliches Recht und Verwaltung. Und doch sind nicht nur die Formen der [257] Versicherung, gemeinsam ist auch der rationale, aufgeklärte, wissenschaftliche Geist: die Staatsvernunft ist so gebieterisch und folgerichtig wie die vorsorgende berechnende Vernunft des Kaufmannes. Ein Geschäftsmann ist auch der Staatsmann. Wie für den Kaufmann ist für ihn der vorausblickende Gedanke an die Zukunft, die Messung der Mittel an den Zwecken wesentlich. In bezug auf erkannte Übel der Grundsatz des Vorbeugens, der mit selbst-offenbarer Richtigkeit an die Stelle der Gewohnheiten und Versuche nachträglicher Heilkunst sich schiebt. Dieses Denken ist freilich, gleich dem sogenannten Instinkte, das ist dem animalisch-synthetischen Verstande, ja sofern dieser als Naturerzeugnis ein Ergebnis aufgehäufter Erfahrungen und Auslesewirkungen ist, in weit höherem Maße dem Irrtume ausgesetzt; auf die wissenschaftliche Methode, die von Analyse zur Synthese selbsterzeugter Stücke fortschreitet, ist es hingewiesen, um Irrtümer zu vermindern, Fehler auszugleichen, Gesetze zu  finden. Wie der begriffliche Denker, der Mathematiker, so hat der Geschäftsmann es mit der Beherrschung und Zubereitung, da10

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»der Maßnahmen … ergriffen werden können« – »In diesem Sinne [»… Weiterentwicklung der modernen Staatsidee, nach welcher dem Staat … auch die Aufgabe obliegt, durch zweckmäßige Einrichtungen und durch Verwendung der zu seiner Verfügung stehenden Mittel der Gesammtheit das Wohlergehen aller seiner Mitglieder und namentlich der schwachen und hülfsbedürftigen positiv zu fördern«] schließt namentlich die gesetzliche Regelung der Armenpflege, welche der moderne Staat im Gegensatze zu dem des Alterthums und des Mittelalters, als eine ihm obliegende Aufgabe anerkennt, ein sozialistisches Moment in sich, und in Wahrheit handelt es sich bei den Maßnahmen, welche zur Verbesserung der Lage der besitzlosen Klasse ergriffen werden können, nur um eine Weiterentwickelung der Idee, welche der staatlichen Armenpflege zu Grunde liegt.« (ebd.). Staates als Gesamtwillen in die Lücken – A: Staates als Gesamtwillens in die Lücken.

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her der Vermehrung und Verstärkung beweglicher, verfügbarer Mittel zu tun; in Wahl und Anwendung der Mittel muß der Staatsmann wie der Kaufmann viele innere und äußere Bedenken überwinden. Schwere Bedenken sind auch gegen die Zwangsversicherung laut geworden. Aber der Zweck: Verhüten von Verarmung und gerechter Unzufriedenheit hat alle Bedenken niederschlagen müssen. So schreitet die staatlichsoziale Vernunft, gemäß der ihr innewohnenden (immanenten) Logik, unweigerlich auf dieser Bahn weiter fort. Der gegenwärtige ungeheure Weltkrieg lehrt unter vielem anderen, daß die Staaten versäumt hatten, sich selbst wirtschaftlich zu versichern; an die Gefahren der Absperrung vom Weltmeer und Weltmarkt hat man nicht hinlänglich vorausgedacht. Das Deutsche Reich konnte freilich keine Versicherungsgesellschaft dafür in Anspruch nehmen; es konnte auch nicht seine Gefahr mit den Gefahren anderer Staaten zusammenwerfen und ausgleichen. Inwiefern gleichwohl das wesentliche Prinzip der Versicherung anwendbar gewesen wäre und etwa in Zukunft wäre, das möge hier nur als Problem angedeutet sein und das Denken der Deskundigen anregen. In den Gefahren, denen die einzelnen Großgemeinden ausgesetzt sind, gibt es starke zufällige Momente: der Zustrom von Arbeitskräften während des Krieges, weite Entfernung oder Magerheit der umgebenden Produktionsstätten, Hemmungen des Verkehrs, ausbrechende Volkskrankheiten u. a. Auf der anderen Seite gibt es, wie bekannt, erhebliche Zweifel, ob die Formen der Versicherung unbegrenzt geeignet sind, den Mißständen des sozialen Lebens, insbesondere den Leiden der Arbeiterschaft, abzuhelfen. Auch hat man geflissentlich die üblen psychologisch-moralischen [258] Nebenwirkungen hervorgehoben, die der Sozial- so gut wie der Individual-Versicherung anhaften, ohne zu bemerken, daß jene eher als diese sie zu unterdrücken Mittel und Kräfte hat. § 16. Wie aber im Versicherungswesen die bedeutendsten soziologischen Kräfte und Richtungen einander begegnen und miteinander ringen, so auch, nachdem durch die Sozialversicherung der sozialistische Gedanke einen entscheidenden Sieg über den liberalen Gedanken davongetragen hat. Wie überhaupt dieser den Machtbereich des Staates einzuschränken immer beflissen ist, daher gegenüber der zentralisierten Verwaltung die Selbstverwaltung der Gemeinden und auch der Korporationen begünstigt und fördert – dadurch oft seinen eigenen modernisierenden Bestrebungen entgegenarbeitet, z. B. in bezug auf das Verhältnis von Staat und Kirche –; so hat sich der Gegensatz zwischen einer mehr gesellschaftlichen und mehr staatlichen Ausgestaltung des Staates 39

Gegensatz zwischen einer mehr gesellschaftlichen und mehr staatlichen Ausgestaltung des Staates – Eine im Satz ausgefallene Zeile aus A ergänzt.

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selber auch auf die Organisationsformen der Sozialversicherung übertragen, wo »die wissenschaftlichen Meinungen … über »berufsgenossenschaftliche Korporationen der Unternehmer mit Selbstverwaltung« oder »staatliche Organisation und staatliche Verwaltung« bis heute noch sehr geteilt geblieben sind« (Zahn in »Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre« [1908] II, XXXV S.  26). »Besonderen Umfang hat die Kontroverse zwischen Zentralisation und Dezentralisation in der Krankenversicherung gewonnen« (das. 29). Offenbar ist hier wie auf anderen Gebieten die Zentralisation das Folgerichtigste und in der Vollendung das am meisten Ökonomische, aber andere Beweggründe, besonders solche sozialpädagogischer Art, werden immer wieder stark, nicht nur für Erhaltung, sondern auch für Wiederherstellung so sehr als möglich unabhängiger örtlicher Verbände sich geltend machen, auch im Versicherungswesen; und ihnen das Leben gönnen heißt Gliedern ein brauchbares Maß von Freiheit der Bewegung gewähren.

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III. § 17. Die bisherige Darstellung ist darauf aufgebaut, die Versicherung gegen Gefahren als wesentlich bedingt durch ein geschäftliches, rechnendes Denken, das insbesondere im Begreifen von Wahrscheinlichkeiten sich bewährt, anzuschauen, und daran darf auch  festgehalten werden, wenn die Privatversicherung auf den beiden, neben der Transportversicherung höchst wichtigen Gebieten der Versicherung gegen Feuersgefahr und gegen die Familiengefahr erörtert wird, die mit dem Lebensende des Familienoberhauptes – oder auch mit seinem Eintritt in ein höheres Lebensalter – verknüpft sind. In beiden Fällen handelt es sich um ein sehr einfaches Kausalverhältnis, dessen Erkenntnis wohl beim Versicherer, aber nicht beim Versicherungsnehmer oder dem Versicherten [259] (wenn dieser ein anderer) ein Studium der Wahrscheinlichkeiten voraussetzt. Dasselbe gilt von der Versicherung in einem Gebiete des Erwerbes, das von der kaufmännischen Durchdringung und Beherrschung verhält 5

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»die wissenschaftlichen Meinungen … geteilt geblieben sind« – »Die wissenschaftlichen Meinungen über die beiden entgegengesetzten Organisationsformen, hier berufsgenossenschaftliche Korporation der Unternehmer mit Selbstverwaltung, dort staatliche Organisation und staatliche Verwaltung, sind bis heute noch sehr geteilt geblieben.« (Zahn 1908: 26). »Besonderen Umfang … Krankenversicherung gewonnen« – Ebd., 29.

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nismäßig spät erfaßt wird, nämlich der Landwirtschaft: sie ist um so mehr dem unglücklichen Zufall ausgesetzt, nicht nur, sofern sie für den ungewissen Absatz tätig ist, den Zufällen des Marktes, sondern den viel schwereren, der Produktion selber, die ebensoviel wie von der eigenen und helfenden Arbeit, von Gunst und Ungunst des Himmels, von den Einflüssen, die auf die Gesundheit der Nutztiere wirken, abhängig ist. §  18. Nun ist bisher das Versicherungswesen als gesellschaftliche Erscheinung des wirtschaftlichen Lebens, und zwar in erster Linie des Handels, der allgemeinen Sicherung gegenübergestellt, die das gemeinschaftliche Leben  für Individuen und Familien in sich enthält oder enthielt. Diese Gegenüberstellung sollte die Begriffe gleichsam anatomisch präparieren, ohne die in der Erfahrung angetroffenen Übergänge oder Zwischenerscheinungen ins Auge zu  fassen. Man weiß aber, daß das Versicherungswesen auch aus anderen Ursachen (als dem Deckungsbedürfnis des Handels) sich entwickelt, und zwar aus den allgemeinen Zuständen des gemeinschaftlichen Lebens, insofern als auch innerhalb seiner die Zukunft-Fürsorge, die Erfahrung und Erwägung möglicher Zufälle, besonders der schlimmen, zugleich und überhaupt die »Rechenhaftigkeit« des Denkens, wie neuere Theoretiker sie bezeichnen, mit zunehmender Verwickeltheit der Lebensbedingungen notwendig wächst und durch Überlieferung gesteigert wird. Diese Entstehung des »Kürwillens« – auf welchen Begriff die Entwicklung, die sich insbesondere auf das Verhältnis von Zweck und Mittel bezieht, in der Schrift »Gemeinschaft und Gesellschaft« (zuerst 1887) bezogen worden ist – hängt deutlich mit dem allgemeinen Fortschritt des Geld- und Kreditwesens, also der arbeitsteiligen Volkswirtschaft, zusammen. §  19. Insbesondere erkennen bald die wirtschaftlich Schwächeren Verbindung als ein Mittel, stärker zu werden, also besser gewappnet gegen die einem jeden in gleicher Weise, wenn auch in verschiedener Nähe und in verschiedenem Grade, drohenden Übel. Der Gedanke an besondere Zwecke der Vereinigung bildet sich um so leichter aus, je mehr der allgemeine Wert und Nutzen eines familienhaften Zusammenhaltens im Bewußtsein festgelegt ist, und hier kommt es gerade den unteren Volksschichten zugute, daß sie wenigstens in den engsten Banden dieser Art haften bleiben und im allgemeinen weniger durch äußere oder innere Anstöße bewogen werden, sich als Individuen, ihren Wesenwillen

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»Rechenhaftigkeit« des Denkens – Vgl. bei Sombart 1902: 391 ff. zur »Ausbildung des ökonomischen Rationalismus«, der Begriff auf S. 395. Max Weber nimmt den Terminus in seiner »Protestantischen Ethik« auf (vgl. 1920: 37). des »Kürwillens« – A: der »Willkür«.

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zum Kürwillen zu entwickeln. Der gemeinschaftliche Schatz für gewisse mögliche Fälle, die jedem zustoßen können, ist zunächst nichts als [260] eine Summe  familienhafter Ersparnisse, bei dessen Bildung der Gedanke ganz fern bleibt, daß die Unfälle für den einen mehr, für den anderen minder wahrscheinlich sind; es genügt, daß man gewillt ist, die Leiden des einzelnen gemeinsam zu tragen, oder wenigstens ein Stück davon mitzutragen, wie es »unter Brüdern« üblich ist und als Pflicht vorgestellt wird. Die Bruderschaft und brüderliche Teilung bewahrt den Gedanken der Gemeinschaft, worin die Gemeinschaft ursprünglich und allgemein, nicht erst aus einer besonderen Absicht hergestellt, gedacht wird. Bekanntlich ist in vielen solchen Vereinen der Name, oft auch das Wesen eines brüderlichen Zusammenhaltens überlebend geblieben. In Deutschland und anderen germanischen Sprachgebieten ist aber vorherrschend der Name der Gilde uraltes Merkmal solcher Bünde, die Gierke (Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft S. 222) als die ersten geschaffenen Vereine neben den gewordenen Vereinen darstellt. Nach seiner eigenen, an Wilda angeschlossenen Schilderung müssen wir uns aber wohl hüten, »die erste bewußte Tat im Leben des Volkes«, wie er selber sie nennt, mit der Vorstellung zu verwechseln, die uns so geläufig geworden ist, wonach  für irgendwelchen einzelnen Zweck ein Verein, eine Gesellschaft, als Mittel »ins Leben gerufen« wird. »Die mittelalterliche Genossenschaft fordert den ganzen Menschen, ihre Mitglieder konnten daher ursprünglich keinem anderen Vereine mehr angehören, der nicht die Genossenschaft selbst wie das Ganze den Teil umfing« (227). »Jede germanische Gilde hatte daher zugleich religiöse, gesellige, sittliche, privatrechtliche und politische Ziele« (228) … »Bei allen Vorkommnissen des Lebens überhaupt sollten die Genossen sich gegenseitig unterstützen. Für den erkrankten, verarmten oder notleidenden Bruder hatte daher die Gesamtheit zu sorgen, oft hatte sie sogar ihm eine Beisteuer zu Reisen zu geben. Daraus entstanden bei vielen Gilden genauere Vorschriften über die Art und Weise der Unterstützung und über den Umfang, worin sie bei einzelnen besonderen, die Person oder

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zum Kürwillen zu entwickeln – A: zur Willkür zu entwickeln. wahrscheinlich sind; es genügt – A: wahrscheinlich sind, es genügt. worin die Gemeinschaft ursprünglich – A: worin die Gesamtheit ursprünglich. Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft – Gierke 1868: 222. an Wilda angeschlossenen – Gierke bezieht sich u.  a. auf Wilhelm Eduard Wildas Schrift »Das Gildenwesen im Mittelalter« (1831). »die erste bewußte Tat im Leben des Volkes« – »Neben den gewordenen Vereinen der erste geschaffene Verein bedeutet im Leben des Volkes nicht weniger, als im Leben des Einzelnen die erste bewußte That.« (ebd.).

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das Eigentum treffenden Unglücksfällen gewährt werden sollte. So wurde namentlich häufig vereinbart, daß die Gesamtheit einem durch Schiffbruch, Wassersnot, Diebstahl oder Raub geschädigten Genossen einen bestimmten Ersatz zu leisten habe. Hierfür mußten regelmäßige Beiträge der einzelnen in Anspruch genommen werden, und da eine genauere Regelung dieses Punktes notwendig schien, trat oft bei derartigen Vereinen die vermögensrechtliche Seite vornehmlich hervor. Rein privatrechtliche Versicherungsvereine … waren indessen diese Gilden nie« (229). Aber in der Entwicklung des privaten wie des öffentlichen Versicherungswesens haben sie eine längst erkannte, oft hervorgehobene Bedeutung gehabt. Die isländischen Brandgilden, die schon in einem Gesetzbuch des zwölften [261] Jahrhunderts als solche (so liest man) erwähnt werden, sind nur eine besondere Gestalt der gerade in Skandinavien frühzeitig verbreiteten allgemeinen Schutzgilden, nachdem schon, wie Gierke sich ausdrückt (237), eine gewisse Scheidung der geistlichen und weltlichen Brüderschaften eingetreten war. Solche Brandgilden, wie sie noch heute unter diesem Namen vorhanden sind, wurden allmählich zusammengezogen, von den Ortsoder Landesobrigkeiten beaufsichtigt, ergänzt und in öffentlich-rechtliche Feuersozietäten verwandelt. Nachdem die Feuerversicherung mehr und mehr ins Große ausgebildet worden ist, haben doch andere kleine Versicherungsvereine unter dem Namen von Gilden, auf dem Lande und in den kleinen Städten, noch in großer Zahl sich erhalten, die oft auch noch etwas von dem »gemütlichen« Charakter der alten Bruderschaft gerettet haben. So gab es 1900 im Fürstentum Lübeck (auf rund 37 000 Einwohner) 16 Totengilden (auch Totenladen genannt) mit 5394 Mitgliedern, 19 990 Mk. Vermögen, die 1899 15 380 Mk. Beiträge erhoben und für 324 Beerdigungen 13  459 Mk. Vergütungen gewährten. Ferner gab es 3 Windgilden (gegen Schäden durch Windbruch) mit 1177 Mitgliedern, 1994 Mk. Jahresbeiträgen, aus denen in 21 Fällen 586 Mk. Entschädigungen geleistet wurden. Dazu kommen, als Arten der Viehversicherung, Schweine-, Kuh-, Ziegen- und Pferdegilden; von den erst genannten allein 37, meist auf den Bezirk einer oder einiger benachbarter Dorfschaften beschränkt. Die Kleinheit der Verhältnisse schließt natürlich irgendwelche scharfe und wissenschaftliche Bestimmungen aus; und doch erfüllen diese Genossenschaften noch in befriedigender Weise ihren Zweck. § 20. In besonderer und zwar in zwiefacher Art ist aber das Gildewesen für die Entwicklung der Arbeiterversicherung bedeutsam geworden. Einmal weil die wirtschaftliche Vereinigung der Gesellen und Arbeiter überhaupt in vielfachem Zusammenhange mit den alten Gildeverbin 8

»Bei allen Vorkommnissen … waren indessen diese Gilden nie« – Ebd., 229 f.

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dungen steht. Brentano in seinem Werke über die Arbeitergilden der Gegenwart, wovon leider nicht mehr als die meisterhaften 2 Bände »Zur Geschichte und zur Kritik der englischen Gewerkvereine« herausgekommen sind, geht von den Gilden aus, als deren Urtypus er die Familie (ohne den Clans, die älter sind als die Einzelfamilie, gehörige Aufmerksamkeit zu widmen) darstellt, schildert ausführlich die Bürger-, Schutzgilden und die Handwerkergilden oder Zünfte. Dann untersucht er die Entstehung der englischen Gewerkvereine, die er als Nachfolger der alten Gilden auffaßt (I, 15). Die unmittelbaren Unterstützungen seien von zweierlei Art: »sie charakterisieren die Gesellschaft teils als Gewerkvereine, teils als Versicherungsgesellschaft« (216). Viel schärfer ist aber dieser zweite Charakter ausgeprägt in der großen Mannigfaltigkeit von Hilfskassen, die in England als Friendly [262] Societies von den Gewerkvereinen sich abgezweigt haben, oder in ihren Ursprüngen gar nicht von diesen unterscheidbar sind, an Kraft und Bedeutung immer untergeordnet blieben. Obgleich sie nur bescheidene Erfolge gehabt haben – wie Hasbach (D. engl. Arbeiterversicherungswesen, Leipzig 1883) trefflich begründet, lag die Ursache in dem geringen Einkommen der Arbeiter und in der mangelhaften Verwaltung der Kassen – blieben die »eingeschriebenen« Hilfskassen, deren also die Gesetzgebung äußerlich sich angenommen hatte, auch auf dem Kontinent bis tief ins 19. Jahrhundert hinein Ideal des sozialpolitischen Liberalismus, als rationale, wirtschaftsfriedliche Selbsthilfe, die dem Pauperismus heilsam entgegenwirke. Ihre mannigfache, mehr und mehr ausgedehnte, zum Teil in einigen großen »Orden« sich konsolidierende Tätigkeit ist immerhin bedeutsam, einmal weil sie mit dem Gedanken einer rechnungsmäßig (»aktuarisch«)  fundierten Versicherung große Teile der Arbeiterklasse vertraut machte, und sodann, weil ihr in der Hauptsache (bis zur Annahme des deutschen Planes der Zwangsversicherung) vergebliches Ringen mit der Gesetzgebung um eine geregelte Verfassung und Verwaltung, um Schutz gegen Irrtum und Betrug ihrer eigenen Angestellten, in schlagender Weise »das Schicksal sozialer Reformen in einem parlamentarisch regierten Lande« beurkundet, obgleich »hier nicht einmal die Interessen der besitzenden Stände  1 11 33

Werke über die Arbeitergilden – Brentano 1871 und 1872. »sie charakterisieren … als Versicherungsgesellschaft« – Ebd., 1871: 216. »das Schicksal sozialer Reformen … Stände …« – »Wer das Schicksal sozialer Reformen in einem parlamentarisch regierten Lande kennen lernen will, wer sich überzeugen will, dass ein Parlament unter den heutigen wirthschaftlichen und sozialen Verhältnissen nicht zu einer gründlichen Heilung schwerer Wunden im Stande ist, der möge die Debatten des Hilfskassengesetzes des Jahres 1875 lesen. Und hier kamen nicht einmal die Interessen der besitzenden Stände in’s Spiel.« (Hasbach 1883: 419, mit Bezug auf die britische Gesetzgebungsdebatte).

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ins Spiel kamen« (Hasbach a. a. O. 419) und es sich um ein Lieblingsgeschöpf des ökonomischen Liberalismus handelte, Lösung der sozialen Frage durch Sparsamkeit der Arbeiter und ihre vorsorgende Selbstverantwortung. In Wirklichkeit beruhten die gesünderen Eigenschaften, die das soziale Leben Englands aufweist, weniger darauf, als auf den Resten überlieferten Gemeinschaftsgeistes und den darauf sich stützenden kirchlichen und (besonders) religiös-sektarischen Einflüssen aus Mittel- und Oberschichten. Auch in den Friendly Societies beobachtet man »eine Menge verschiedener Kompromisse zwischen ungewisser gegenseitiger Hilfe und wissenschaftlich vorher berechneter gegenseitiger Versicherung« (Steffen, Zur Geschichte der englischen Lohnarbeiter III, S.  305), wobei naturgemäß Bedürfnis, Erfahrung und Zeitgeist immer mehr das zweite Element überwiegend macht, bis dann der Staat es an die Spitze stellt und zugleich umgestaltet. §  21. Denn die andere Art, wie das Gildewesen  für die Sozialversicherung bedeutsam geworden ist, liegt in der Anlehnung des staatlichen Systems an die Hilfskassen, namentlich – im Deutschen Reiche – an die Knappschaftskassen der Bergleute. Die besonderen und schweren Gefahren  für Leib und Leben hatten diesen Vereinen – die in Österreich noch den Namen Bruderladen führen – eine frühe Entwicklung und erhöhten Wert verliehen. Der Zwang, den die preußische Berggesetzgebung [263] hier tatkräftig durchgeführt hatte, die Förderung, die sie den mehrfach geförderten Kassen zuteil werden ließ, wurden in einer Zeitperiode durchgeführt, die sonst mit vermehrten und zunehmenden wirtschaftlichen Freiheiten auch die Bergbaufreiheit verkündete. Die Wirkung ist gewesen, daß, mit Schmoller (Allg. Volkswirtschaftslehre II, S. 361) zu reden, die Institution in den Augen der besten deutschen Unternehmer und der Regierungen ein ideales Vorbild für alle Arbeiterversicherung wurde. Zuvor hatte die Einrichtung anderer Hilfs-, besonders Krankenkassen mit Beitrittszwang sich angeschlossen. Das deutsche Krankenkassengesetz vom 15. Juni 1883 war so eine Vollendung bewährter Versuche auf diesem Gebiete, indem es die bestehenden Hilfs-

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»eine Menge verschiedener Kompromisse … gegenseitiger Versicherung« – »Der herkömmliche Brüderlichkeitsgeist aber lebt zum Teil noch in der Theorie, wie auch in der Praxis fort, und wir haben es zu tun mit einer Menge solch verschiedener Kompromisse zwischen ungewisser gegenseitiger ›Hilfe‹ und wissenschaftlich vorherberechneter gegenseitiger ›Versicherung‹, welche die eigenartigen wirtschaftlichen Verhältnisse der höheren Lohnarbeiterklassen nötig zu machen scheinen.« (Steffen 1905: 305). Schmoller (Allg. Volkswirtschaftslehre – Schmoller 1904: 361. Krankenkassengesetz vom 15. Juni 1883 – Gesetz, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter (RGBl 1883: 73).

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kassen in die Organisation hineinzog und von dieser abhängig machte. In ähnlicher Weise ist, ein Menschenalter später, die englische Health Insurance mit den Friendly Societies und anderen »Approved Societies« verfahren, nachdem diese sich als unzulänglich erwiesen hatten, in die tieferen Schichten des Proletariats hineinzudringen, und vielfach durch ihre Kostspieligkeit keine die Lasten aufwiegenden Entschädigungen zu leisten vermochten, so daß noch 1904 Schmoller vom vollständigen Bankerott des  freien Hilfskassenwesens sprach. Nunmehr ist, im Vereinigten Königreich wie im Deutschen Reiche, das genossenschaftliche Prinzip unmittelbar in den Staat aufgenommen. Es sind öffentlich-rechtliche Genossenschaften mit ehrenamtlichem, gewähltem Vorstande aus dieser Verschmelzung hervorgegangen. §  22. Das genossenschaftliche Prinzip ist aber auch nach anderer Richtung hin im Versicherungswesen längst zu einer hohen Entfaltung gelangt. In Rivalität und Wettbewerb mit den spekulativen Versicherungsgesellschaften stehen, namentlich in der Feuer- und noch mehr in der Lebensversicherung, die im engeren Sinne sogenannten Gegenseitigkeitsvereine. Sie sind dem Gedanken nach, den sie ausprägen, nicht verschieden von den Genossenschaften, die unter diesem Namen ihre besondere Bedeutung in Anwendung auf Güterverbrauch, besonders den von Lebensmitteln durch die Arbeiterhaushalte, gewonnen haben. Dort wie hier handelt es sich um eine – nach dem Ausdrucke Staudingers – antipodische Bewegung gegen die kapitalistische Volkswirtschaft und ihre Arbeitsteilung. Der Konsumverein will sein eigener Kleinhändler, verbundene Konsumvereine wollen ihr eigener Großhändler werden, und weil Selbstherstellung von Gebrauchsgegenständen der wohlfeilste Einkauf, so schreiten beide Arten wirtschaftlicher Genossenschaft zur Selbstherstellung von Artikeln des Massenbedarfes  fort. Ebenso verfährt – und dies ist viel früher geschehen, viel weniger angefochten worden – die genossenschaftliche Versicherung mit dem sonst als Quasi-Ware angebotenen Ersatz für mögliche Schadenfälle. Wenn der einzelne ihn [264] nach wie vor in der Form des Kaufes erwirbt, so steht ihm gegen 3

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englische Health Insurance – National Health Insurance Act, 1911. Vollständiger Titel des Gesetzes: »An Act to provide for Insurance against Loss of Health and for the Prevention and Cure of Sickness and for Insurance against Unemployment, and for purposes incidental thereto« (Parliament of the United Kingdom 1911: c. 55). Schmoller vom vollständigen Bankerott des freien Hilfskassenwesens sprach – »Wer nur die englischen Begräbniskassen kennt, wird sich kaum scheuen, vom vollständigen Bankerott des freien Hülfskassenwesens zu sprechen.« (Schmoller 1904: 357). Schmollers Darstellung anderer Hilfskassen, auch in England, ist weitaus differenzierter. antipodische Bewegung gegen die kapitalistische Volkswirtschaft – Vgl. Staudinger 1908: 135.

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über als Verkäufer die Gesamtheit, der er selber angehört, so daß deren Gewinn auch sein Gewinn ist. Nachdem nun die Lebensversicherung, die ihrem Charakter nach wesentlich Familien-Vermögensversicherung ist, lange nur den mittleren und oberen gesellschaftlichen Schichten zugänglich und verständlich gewesen ist, hat sich neuerdings eine »Abart« als Volksversicherung entwickeln können und ist, besonders in England und Amerika, ein erfolgreiches Geschäft geworden. In Deutschland hat sich auch auf diesem Gebiete der genossenschaftliche Gedanke neben das Geschäft und mit dem Streben, es zu ersetzen, aufgestellt, wenn er auch, aus äußeren Gründen, die Form der Aktien-Gesellschaft angenommen hat, wie der Name »Volksfürsorge, Gewerkschaftlich-genossenschaftliche Versicherungs-Aktiengesellschaft« ausdrückt, die ihren Sitz in Hamburg hat. Sie war anfänglich gedacht als eine bloße Unterstützungsvereinigung, die ihren Mitgliedern einen Rechtsanspruch auf Unterstützung nicht einräumen sollte, also nach § 1 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die privaten Versicherungsunternehmungen eine solche im Sinne dieses Gesetzes nicht gewesen wäre. Da es sich aber als notwendig erwies, wegen der doch unumgänglichen Versicherungstabellen mit dem Kaiserlichen Aufsichtsamt für Privatversicherung in Verbindung zu treten, hatten die Bedenken dieses Amtes gegen die Form der freien Vereinigung zur Folge, daß beschlossen wurde, die Form der Aktien-Gesellschaft zu wählen, die »leichter arbeite und auch trotz der kapitalistischen Form von sozialem Geist erfüllt werden könne«. Am 6. Mai 1913 erfolgte die Ge-

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§ 1 Abs. 2 des Reichsgesetzes … Versicherungsunternehmungen – »Als Versicherungsunternehmungen im Sinne dieses Gesetzes sind solche Personenvereinigungen nicht anzusehen, die ihren Mitgliedern Unterstützung gewähren, ohne ihnen einen Rechtsanspruch darauf einzuräumen.« (Gesetz über die privaten Versicherungsunternehmungen §  1, Abs. 2 (RGBl 1901: 139)). – Mit einem gegen die Sozialdemokratie gerichteten polemischen Unterton beschreibt Behrens die Gründung der »Volksfürsorge« (1914: 7–9). »leichter arbeite und … von sozialem Geist erfüllt werden könne« – Max Radestock, Vorsitzender des Vorstandes, berichtet im »Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine« über die »Verhandlungen des Zentralverbandes deutscher Konsumvereine mit der Generalkommission der Gewerkschaften«, die u. a. auch die »Durchführung einer allgemeinen gewerkschaftlichen Volksversicherung« (Radestock 1912: 42) betreffen. Auf einer Sitzung der »Kommission für genossenschaftlich-gewerkschaftliche Volksversicherung« am 17.11.1911 in Berlin wird über die Verhandlungen mit dem Kaiserlichen Aufsichtsamt für Versicherungen berichtet. Die Debatte über Formerfordernisse einer Versicherung kommt zum Ergebnis, dass genossenschaftsnahe Formen für die geplante Versicherung schwierig seien: »Die Errichtung einer Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit gebe in der Handhabung manche praktische Schwierigkeiten. Die Aktiengesellschaften arbeiten leichter und können trotz der kapitalistischen Form vom sozialen Geist erfüllt werden.« (ebd., 44).

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nehmigung der so gestalteten »Volksfürsorge« durch den zuständigen Senat des Kaiserlichen Aufsichtsamtes. Dies geschah, nachdem wegen des angeblich sozialdemokratischen Charakters eine lebhafte Bewegung und Wettbewerbung vom Verbande öffentlicher Lebensversicherungsanstalten durch deren Vorsitzenden, den damaligen Generallandschaftsdirektor Kapp, entfaltet war. Die Kämpfe, die auf diesem Gebiete geführt wurden, stellen  für den soziologischen Beobachter ein merkwürdiges Beispiel des Widerstandes dar, dem auch die streng auf dem Boden des geltenden Rechtes, also der bestehenden Gesellschaftsordnung, sich bewegenden Emporstrebungen der Arbeiterklasse überall da begegnen, wo sie bis dahin  für befestigt geltende oder auch von anderen Seiten angefochtene Stellungen des kapitalistischen Geschäftes zu gefährden scheinen. Um so schwerer wiegt für sie der Sieg, den die Volksfürsorge beim Kaiserlichen Aufsichtsamte und zum Teil auch vor Gerichten zu erringen vermocht hat. § 23. Die moderne wirtschaftliche Genossenschaft kann als eine Synthese der soziologischen Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft und zugleich als eine der vielen Gegenwirkungen (Reaktionen) gegen die [265] ungeheuren Tendenzen der gesellschaftlichen Entwicklung verstanden werden; wie auch der Staat die Anlagen zu dieser Synthese in sich trägt, sofern er teils selber das Bedürfnis empfindet, teils dazu gedrängt wird, zur allgemeinen Volksgenossenschaft sich allmählich umzugestalten, während er zunächst im Dienste der gesellschaftlichen Entwicklung steht und – in den meisten großen Nationen noch heute wesentlich – einen Kollektivausschuß der gesellschaftlich Mächtigen, insbesondere der kapitalistisch Mächtigen (der Plutokratie), darstellt.

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Generallandschaftsdirektor Kapp – Die »öffentlichen Lebensversicherungsanstalten« wurden vor allem gegründet, um Kreditlinien für ostelbische Landwirte abzusichern. Zuerst sahen sie sich als Konkurrenz zur neuen sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Bestrebungen, die »Volksfürsorge« als »gewerkschaftlich-genossenschaftliche Unterstützungsvereinigung« einzurichten (so der Beschluss auf dem 8. Gewerkschaftskongress 1911). Später gerieten diese Anstalten selbst seitens der privatwirtschaftlichen Lebensversicherer unter Druck. Eine Denkschrift des Ostpreußischen Generallandschaftsdirektors Wolfgang Kapp bietet einen guten Zugang zu den Auseinandersetzungen (Kapp 1914, vgl. besonders die Anlage I (57 ff.) mit einer Stellungnahme des von Kapp geführten »Verbandes öffentlicher Lebensversicherungsanstalten« zum Gründungsbeschluss für die »Volksfürsorge« 1911). – Wolfgang Kapp wurde 1920 Namensgeber für den »Kapp-Putsch«. zunächst im Dienste – A: zunächst durchaus im Dienste.

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XXXVI. Das Versicherungswesen in soziologischer Betrachtung

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Schluß

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§ 24. Das Versicherungswesen kann also in seinen verschiedenen Gestaltungen und in seinen Fortschritten als ein lebendiges Spiegelbild der gesamten sozialen Entwicklung und ihrer Hauptkräfte begriffen werden. Gegenseitige Hilfe und Verbindung zum Bestehen und Überwinden gemeinsamer Nöte und Gefahren ist der Kern und sozusagen die Substanz des sozialen Lebens überhaupt. Die Wurzeln dafür bestimmter Einrichtungen, dahin gehender Bestrebungen, darauf gerichteten Bewußtseins, ruhen überall im Schoße der gemeinschaftlichen Zusammenhänge der Menschen, aus denen und neben denen die individualistisch-rationalen, gesellschaftlichen Bildungen entstehen. Handel, Staatsräson, Wissenschaft wirken hier zunächst überall im gleichen Sinne. Das Versicherungswesen erhebt sich als  freies Geschäft wie als Staatseinrichtung über die ursprünglichen Formen regelmäßiger oder gelegentlicher Förderungen der einzelnen durch die mehreren. Der Staat als öffentlicher und Generalunternehmer kämpft auf diesem wie auf anderen Gebieten, besonders solchen des Verkehrs, gegen die Einzelunternehmer, zu seinem Vorteile, und mittelbar oder unmittelbar zum Vorteile der Volksgesamtheit, mithin vorzugsweise der besitz- und vermögenslosen Menge, vereinigend und vereinheitlichend. Wie der Staat »von oben«, so wirkt die Genossenschaft, worin sich der gemeinschaftliche Geist zu erneuern strebt, »von unten« verneinend und zersetzend auf den gleichzeitig doch ins Unermessene wachsenden rational-spekulativen Charakter der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Wie Wesen und Gründe, so sind auch die soziologischen Wirkungen verschieden. Diesen Unterschieden nachzugehen und zu untersuchen, wie sich die Pathologie des Versicherungswesens zu den verschiedenen Formen verhält, darf als bedeutende soziologische Aufgabe hingestellt werden. Ebenso aber die Erkenntnis ihrer gemeinsamen Funktionen, unter denen das ökonomische Interesse des Versicherers, wer immer es sei, Schäden vorzubeugen und sie zu verhüten, ebenso wertvoll wie verhältnismäßig noch wenig entwickelt ist. [266]

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XXXVII. Der Begriff der Gemeinschaft Es hat lange als ein Vorzug der deutschen Wissenschaft gegolten, daß sie den Begriff des Staates, der von altersher den Mittelpunkt der Rechtsphilosophie gebildet hatte, durch den Begriff der Gesellschaft ergänzt habe. Das entscheidende Verdienst darum wird Hegel zugeschrieben, der in seinen Vorlesungen über Rechtsphilosophie die »bürgerliche Gesellschaft« als das zweite Glied – die Antithese – zwischen die Familie und den Staat stellt, indem er in den drei Erscheinungen, die sich natürlich in der letzten vollenden, die Verwirklichung des Rechts als »die Sittlichkeit« dargestellt sein läßt. Wenn er das Beiwort »bürgerlich« der Gesellschaft gibt, so knüpft er damit an den Ausdruck an, der in der französi­ schen und englischen Publizistik im 18. Jahrhundert geläufig war – z. B. durch Fergusons Essay on the History of Civil Society 1767 – ohne daß aber je ein Versuch gemacht wäre, einen Begriff daraus zu gestalten. Hegel fand einen bedeutenden Nachfolger in Lorenz Stein, der (zuerst 1849) »den Begriff der Gesellschaft und die Gesetze ihrer Bewegung« als Einleitung zur Geschichte der sozialen Bewegung Frankreichs seit 1789 entwickelte. Er wollte zeigen, daß die Verfassungen wie die Verwaltungen der Staaten den Elementen und Bewegungen der gesellschaftlichen Ordnung unterworfen sind. Die Ordnung des Güterlebens werde durch diese Arbeitsteilung zu einer Ordnung der Menschen und ihrer Tätigkeit, diese wiederum durch die Familie zu einer dauernden Ordnung der Geschlechter; in jener aber sei die Gemeinschaft der Menschen die organische Einheit ihres Lebens; »und diese organische Einheit des

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Der Begriff der Gemeinschaft – Der Text erscheint 1919 im ersten Heft der kurzlebigen »Zeitschrift für soziale Pädagogik. Vierteljahrsschrift der Deutschen Gesellschaft für soziale Pädagogik« (S. 12–20, im Folgenden A). – Autorenzeichnung unter dem Titel »Von Ferdinand Tönnies«. Die Zeitschrift ist in Fraktur gesetzt. – Im Satz von A viele Fehler. Vorlesungen über Rechtsphilosophie – Hegel 1821. Essay on the History of Civil Society – Ferguson 1767. »den Begriff der Gesellschaft und die Gesetze ihrer Bewegung« – So der Titel der Einleitung zum Werk (Stein 1850 I: IX ff.). durch diese Arbeitsteilung – A: durch die Arbeitsteilung.

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menschlichen Lebens ist die menschliche Gesellschaft«. Stein führt des weiteren aus, der Inhalt des Lebens der menschlichen »Gemeinschaft« müsse ein beständiger Kampf des Staates mit der Gesellschaft, der Gesellschaft mit dem Staate sein; der Staat aber ist ihm die als Wille und Tat in ihrer Persönlichkeit auftretende »Gemeinschaft« der Menschen. Prinzip des Staates ist seine Aufgabe, sich zu entwickeln und um dieser seiner Entwicklung willen das Fortkommen, den Reichtum, die Kraft und Intelligenz aller Einzelnen durch seine eigene höchste Gewalt anzustreben. Prinzip der Gesellschaft ist das Interesse, daher die Unter[267] werfung der Einzelnen durch die andern Einzelnen, die Vollendung des Einzelnen durch die Abhängigkeit des Anderen. Diese Steinsche Lehre, geistvoll von ihm angewandt und durchgeführt, gewann ihren einflußreichsten Anhänger in Rudolf Gneist, der auf Staats- und Verwaltungsrecht Preußens und des neuen Deutschen Reiches mitbestimmend gewirkt hat. Gneist eröffnet seine Schrift über den »Rechtsstaat« mit der Anerkennung, daß die heutige Welt in ihren tiefen Gegensätzen auf dem Boden der Gesellschaft begriffen werden müsse. »Auch die Wissenschaft kann sich der Anerkennung nicht entziehen, daß jenes abstrakte ›Ich‹, aus welchem das ehemalige Naturrecht den Staat aufbaute, nicht der wirklichen Welt angehört, daß in der Wirklichkeit vielmehr jedes Volk sich innerlich scheidet und gliedert nach dem Besitz und Erwerb der äußeren und geistigen Güter, zu deren Aneignung und Genuß die Menschheit bestimmt ist – eine Gliederung, welche ich hier in den Begriff der ›Gesellschaft‹ zusammenfasse.« In der Anmerkung I bezieht er sich auf die »meisterhafte Darstellung Steins«, die für seine Bearbeitung der englischen Verfassungsgeschichte von maßgebender Bedeutung geworden sei. – Wenn die Begriffe »Gesellschaft« und »Staat« nebeneinander gestellt werden, so  fällt zunächst auf, daß der Name Gesellschaft nur eine mannigfach zusammenhängende Gesamt 1

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»und diese organische Einheit … ist die menschliche Gesellschaft« – Tönnies verschiebt einen Teil des Satzes in die Paraphrase: »… und diese organische Einheit des menschlichen Lebens, durch die Vertheilung der Güter bedingt, durch den Organismus der Arbeit geregelt, durch das System der Bedürfnisse in Bewegung gesetzt und durch die Familie und ihr Recht an bestimmte Geschlechter dauernd gebunden, ist die menschliche Gesellschaft.« (ebd., XXVIII). der Inhalt des Lebens der menschlichen »Gemeinschaft« – Dies der Inhalt der »Einleitung zur Geschichte der socialen Bewegung Frankreichs« (ebd., [IX[ ff.). »Auch die Wissenschaft … Begriff der ›Gesellschaft‹ zusammenfasse.« – Gneist 1872: [1], ohne Gneists Hervorhebungen. »meisterhafte Darstellung Steins« – »Diese meisterhafte Darlegung [Stein 1850 I] ist für meine Darstellung der englischen Verfassungsgeschichte von maßgebender Bedeutung geworden.« (Gneist 1872: [183].

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heit von Menschen bezeichnet, während der Name Staat jedenfalls auf einen Verein – eine Verbindung oder, wie man jetzt zu sagen pflegt, Organisation – hinweist, dem so und so viele Menschen, die zumeist in einem »Staatsgebiet« nebeneinander wohnen, angehören. Gegen die Theorie des modernen Naturrechts, das den Staat wie einen anderen Verein (eine Sozietät) aus dem Willen der Individuen hervorgehen ließ, hatte sich die historische Rechtsphilosophie empört, indem sie erklärte, der Staat sei etwas Gewordenes, Organisches, seinem Kerne nach Ursprüngliches, keineswegs durch Verträge entstanden. Die Polemik beruhte auf einem Mißverständnis jener Theorie und auf dem konservativen (oder restauratorischen) Bestreben, die Tätigkeit des in der Revolution wie vorher im fürstlichen Absolutismus sich erhebenden Staates zu hemmen, dessen Beruf  für Gesetzgebung und Kodifikation der Hauptbegründer der historischen Rechtsschule leugnete. Allerdings muß aber zugegeben und erkannt werden, daß eine andere Konstruktion wie anderer Verbände so des Staates möglich ist als jene, die ihn als Mittel für gemeinsame Zwecke vieler Einzelmenschen vorstellt, und sogar, wenn er so als Mittel gedacht wird, so muß er noch nicht als mechanisches und isoliertes Mittel gedacht werden, sondern kann auch zugleich Zweck sein, der mit den gemeinsamen Zwecken so unlösbar zusammenhängt, daß er durch sich und in sich diese selber darstellt. Ein [268] Verband kann nämlich von seinen eigenen »Mitgliedern« als eine »Körperschaft« nicht nur benannt, sondern auch vorgestellt werden, die von ihnen als Teilen wesentlich unabhängig sei, vielmehr als eine lebendige Sache, ein Organismus, im Wechsel seiner Teile, durch diesen Wechsel sich selbst erhalte. Und wie ein Verband, so wird schon ein bloßes Verhältnis zweier oder mehrerer Menschen anders aussehen, wenn die Menschen gedacht werden als einander wesentlich fremd, aber mit ihren Wünschen und Interessen einander begegnend und ein Verhältnis des Austausches eingehend, bei dem jeder seine Rechnung findet – anders, wenn gedacht wird, daß ein Gemeinsames von vornherein  für sie vorhanden und gegeben ist, aus dem wechselseitige Leistungen notwendig sich ergeben. Das Gemeinsame wäre in diesem Falle z. B. gemeinsame Abstammung, es kann aber auch ein gemeinsamer Zweck sein, z. B. die Begründung eines Hauswesens, sofern diese gedacht wird, nicht sowohl als Gegenstand zufällig zusammentreffender Wünsche, sondern als ge 3  3  5 14 18

hinweist, dem so – A: hinweise, dem so. die zumeist – Textverderbnis »die zunächst« nach A korrigiert. Gegen die Theorie – A: Gegen das Theorem. Hauptbegründer der historischen Rechtsschule – D. i. Friedrich Carl von Savigny. vorstellt, und sogar – A: vorstellt; und sogar.

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meinsame Obliegenheit, als Pflicht und Notwendigkeit. So sollen auch alle sozialen Werte, an denen der Einzelne einen Anteil hat, sei es, daß er sie ganz und gar als ihm gehörig empfindet und denkt, oder daß er nur eine Beziehung der Wertschätzung dazu hat, verschieden gedacht werden, nämlich erstens als objektive, im vollkommenen Falle heilige Werte, an denen der Teilhaber als Genosse einen Mitgenuß habe, die aber unabhängig von ihm bestehen und dauern; zweitens als durch die Individuen, die je für sich den Wert erkennen und setzen, bedingt – das gemeinsame Eigentum ist daher im ersten Falle als eine unteilbare oder doch wieder in ein Ganzes zurückfließende Masse zu denken, im anderen Falle als durch die Beiträge der Einzelnen zusammengesetzt, immer teilbar bleibend, eine Menge von Mitteln, die für einen mehr oder minder begrenzten Zweck bestimmt sind. Ich habe geglaubt feststellen zu sollen, daß alle sozialen Verhältnisse, sozialen Werte und sozialen Verbindungen, insofern als sie für ihre Subjekte – die sozialen Menschen – vorhanden sind, durch deren Willen geschaffen, gesetzt oder eingerichtet werden, daß eben diese ihre psychologische Bedingtheit ihr Wesen ausmacht, weil sie dadurch gleichsam von innen gesehen werden, während z. B. die Steinsche Bestimmung des Begriffs der Gesellschaft (»organische Einheit des menschlichen Lebens«) an der Außenseite hängen bleibt; vollends ist bei ihm »Gemeinschaft« nur ein Ausdruck, der bezeichnen soll, daß die »Vielheit für den Einzelnen da ist«, er nennt daher auch – in einem späteren Werke – Gesellschaft und Staat »die beiden großen Elemente der Gemeinschaft« (System der Staatswissenschaft. 2. Band. Die Gesellschaftslehre S. 73). [269] Vielmehr muß das oberste Einteilungsprinzip der sozialen Gebilde in der verschiedenen Beschaffenheit des menschlichen Willens erkannt werden, der gleichsam darin steckt und ihr Lebensprinzip darstellt. Deutlicher tritt dies zu Tage, wenn wir anstatt des perfektischen Wollen das präsentische Zeitwort Bejahen setzen und also von Bejahung der 10 19 20 23

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oder doch wieder – A: oder doch immer wieder. von innen gesehen werden – A von innen geschehen werden – Wahrscheinlich Textverderbnis in A. »organische Einheit des menschlichen Lebens« – Stein 1850 I: XXVIII – vgl. ed. Fn. zu Z. 1, S. 373. »Vielheit für den Einzelnen da ist« – »Die Vielheit selber muß eben für den Einzelnen da sein; sie ist vorhanden, weil der Einzelne ein absoluter Widerspruch ist; ihr Wesen ist es, diesen Widerspruch zu lösen; und diese Lösung nun, das für einander Vorhandensein der Einzelnen in der Vielheit ist die Gemeinschaft der Menschen.« (ebd., XIV). »die beiden großen Elemente der Gemeinschaft« – Stein 1856: 73. Vielmehr muß das oberste Einteilungsprinzip – In A hiervor kein Absatz. perfektischen Wollen das präsentische Zeitwort Bejahen setzen – A: perfektischen wollen das präsentische Zeitwort bejahen setzen.

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sozialen Verhältnisse, sozialen Werte und sozialen Verbindungen reden. Und hier entsteht die begrifflich schärfste Entgegensetzung, wenn auf die eine Seite Bejahung der Gebilde lediglich um ihrer selbst willen, auf die andere Seite Bejahung lediglich eines äußeren Zweckes halber gesetzt wird – den Willen der einen Art nenne ich Wesenwillen, den der anderen Willkür oder (neuerdings) lieber, um diesen vieldeutigen Ausdruck zu vermeiden, Kürwillen. Diese Lehre weicht daher ganz und gar ab von der hie und da begegnenden Theorie, worin »unwillkürliche« und gewollte oder gewillkürte Vereine, Verbindungen usw. unterschieden werden, indem jene auch rein äußerlich betrachtet werden als solche, die nicht aus einem ausdrücklichen Ent- oder Beschluß der beteiligten Individuen hervorgegangen sind, und deshalb als »ohne Willen« z. B. die Familie, in die man hineingeboren wird. In Wahrheit darf man als normalen Fall setzen, daß die Familie mit ganzem Gemüte bejaht wird, daß also der Mensch sie mit seinem Wesenwillen setzt, wie er mit seinem Kürwillen eine Handelsgesellschaft setzt, die ausschließlich den begrenzten Zweck hat, einer von ihm eingelegten Geldsumme Werterhaltung und möglichst hohen Gewinn zu erwerben. Diese Ansicht deckt sich auch keineswegs mit derjenigen, die »unwillkürliche Organisationen« aus Gefühl und Instinkt hervorgehen läßt. Für mich ist erstens nicht das Hervorgehen die Hauptsache, sondern das dauernde innere Verhältnis. So kann eine Ehe – um ein ganz individuelles Verhältnis in diesem Sinne zu betrachten – mit voller Begeisterung und wie um ihrer selbst willen eingegangen sein, und doch nach kurzer Frist von beiden Eheleuten nur festgehalten und bejaht werden »um der Leute willen«, des sozialen Ansehens halber, als ein Mittel, sich und etwa auch die erzeugten Kinder in der Gesellschaft zu behaupten, m. a. W. als mariage de convenance. Zweitens, meine synthetischen Begriffe Wesenwille und Kürwille entsprechen keineswegs der bei Wundt und sonst begegnenden Unterscheidung von Triebhandlungen und Willkürhandlungen. Wesenwille umfaßt durchaus (in der Psychologie so bezeichnete) Willkürhandlungen mit, sofern diese Mittel und Zweck als ein organisches d. i. zusammengehöriges Ganze bejahen. Der Begriff des Kürwillens entsteht gleichsam erst, je mehr Mittel und Zweck sich voneinander entfernen (sie sich gegeneinander entfremden), bis sie sogar in einen offenen Gegensatz zueinander [270] geraten. Der vollendete Kürwille bejaht ein Verhältnis usw. trotz entschiedenen Widerwillens – d. i. eben lediglich dem Zwecke »zu Liebe«. So werde ich eine Wande28 31

mariage de convenance – [Frz] svw. Ehe aus Anstand. Unterscheidung von Triebhandlungen und Willkürhandlungen – So z. B. bei Wundt 1880 II: 412 ff.

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rung im Gebirge, deren Ziel die Erreichung eines hohen Gipfels ist, trotz großen Schwierigkeiten und Strapazen als Ganzes willkommen heißen und bejahen; dagegen werde ich in eine Eisenbahnfahrt von Eutin nach Berlin – zumal unter den Verhältnissen des Jahres 1919 – lediglich um des Zieles und des Zweckes willen einwilligen, ich werde mich mit Widerwillen dazu entschließen, sofern ich an die Fahrt allein denke und diese als das unvermeidliche Mittel, um zu meinem Ziele zu gelangen ins Auge fassen. In der Regel gibt die Lustbetonung des Zweckes etwas an das Mittel ab, wie die Unlust, die der Handelnde anderen verursacht, auf ihn selber zurückstrahlt, aber je mehr sich ein kaltes Räsonnement dem Zwecke zuwendet, je mehr dieser als unbedingter erstrebt wird, um so gleichgültiger wird der Gehirnmensch gegen alle Begleiterscheinungen, die mit Verfolgung solches Zweckes verbunden sind, in Wirklichkeit und in vorausnehmenden Gedanken: ebenso gleichgültig gegen eigene unmittelbare Unlust als vollends gegen die anderen Wesen verursachte und gegen das Mitleid, dessen Regungen etwa sich einstellen mögen. Noch allgemeiner stellen wiederum diese Verhältnisse sich dar durch die Begriffe des Bejahens und Verneinens. Denn ebenso wie trotz innerer Unlust, so wird auch trotz anderer innerer Verneinung der Kürwillige seine Mittel gebrauchen, z. B. Worte machen, die er nicht bejaht, oder die er sogar wissend verneint, also bewußte Unwahrheit sagen, die darauf berechnet ist, andere zu täuschen. Dagegen bleiben Willkürhandlungen, z. B. auch Worte, die mit voller Überzeugung, wenn auch zugleich in Absicht auf bestimmten Zweck, gesprochen werden, innerhalb des Begriffes des Wesenwillens. Ebenso bleibt ein Verhältnis, das aus Liebe, Zuneigung oder als gewohntes liebgewordenes oder pflichtmäßig bejaht wird, innerhalb des Begriffes der Gemeinschaft, wenn es auch zugleich mit voller Erkenntnis seines Wertes, seines Nutzens  für mich selber, den Bejahenden, gedacht und geschätzt wird. Der Begriff der Gemeinschaft in diesem – subjektiv begründeten – Sinne muß sich streng unterschieden halten von dem Begriff, vielmehr der Allgemeinvorstellung, die der Sprachgebrauch meint, wenn er von Volks- und Stammes-, von Sprachgemeinschaft, Arbeitsgemeinschaft u. dergl. redet. Hier wird nur an die objektive Tatsache einer auf gemeinsamen Merkmalen oder Tätigkeiten, auf äußeren Zusammenhängen beruhenden Einheit gedacht. Diesem Sprachgebrauch hatte Stein seinen Unbegriff der Gemeinschaft entlehnt. Nun fehlt es freilich nicht [271] an

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der Kürwillige – A: der Kürwille. gemeinsamen Merkmalen oder Tätigkeiten, – A: gemeinsamen Merkmalen,.

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Brücken zwischen solcher äußeren (objektiven) und unserer innerlichen (subjektiven) Gemeinschaft; auch deren Benennung lehnt sich an den Sprachgebrauch an. Alle äußerliche Gemeinschaft der Menschen enthält die Möglichkeit, und d. i. eine gewisse Wahrscheinlichkeit, der innerlichen Gemeinschaft in sich; sie kann daher verstanden werden als eine potentielle Gemeinschaft der in ihr Verbundenen. So wird die Sprachgemeinschaft aus einer bloß äußeren Tatsache ein höchst bedeutsames einigendes Verhältnis, je mehr die Sprache als seelisch verbindendes Element und zugleich als gemeinschaftlich besessener Wert ins Bewußtsein emporsteigt. Das gleiche gilt von der Gemeinschaft der Abstammung, die mit jener nahe verwandt, wenn auch nicht identisch ist; also von der Gemeinschaft, die ein Volk oder eine Nation bezeichnet. In diesem meinem Sinne hat man gesagt: das deutsche Volk wurde am 4. August 1914 eine Gemeinschaft. – Etwas anders verhält es sich mit einer Religionsgemeinschaft, die freilich auch bloß von außen betrachtet werden kann, aber ihrem Wesen nach eine innere Gemeinschaft wenigstens sein will und soll, weil sie eben darin besteht, daß Menschen, die denselben Gott anbeten und verstehen, sich dadurch verbunden  fühlen und verbunden sein wollen; zumal wenn dies Bewußtsein sich dahin ausprägt, daß sie als Glieder eines mystischen Leibes, der Kirche, sich denken; und gar, wenn sie glauben, durch die Teilnahme an einer »Kommunion« das Haupt der Kirche genießend in sich aufzunehmen und also in eine übersinnlich-sinnliche Verbundenheit mit ihm und also miteinander zu treten. Ich habe 3 Arten innerlicher Gemeinschaft aufgestellt, die mit den landläufigen Namen Verwandtschaft, Nachbarschaft, Freundschaft unterschieden wurden. Die ersten beiden werden auch als bloß äußere Tatsachen oder Dinge verstanden und sind es oft nur; von Freundschaft gilt das nur in dem jetzt veralteten Sinne, wonach sie mit Verwandtschaft zusammenfiel oder doch, während diese auf Blutsverwandtschaft eingeschränkt wird, den weiteren Sinn der Verwandtschaft bezeichnet. Sonst  2 12 13

auch deren Benennung – A: auch dessen Benennung. ein Volk oder eine Nation – A: ein Volk als Nation. diesem meinem Sinne – So Lederer 1915: 349 f. – Am 4. August erklärte Kaiser Wilhelm II. den Burgfrieden in Deutschland. Am Ende einer Thronrede vor dem Parlament erklärte er: »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche! Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied, ohne Stammesunterschied, ohne Konfessionsunterschied durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.« – Es war dies auch der Tag der Kriegserklärung Großbritanniens an das Deutschen Reich; Deutschland hatte Frankreich einen Tag früher und schon am 1. August 1914 Russland den Krieg erklärt.

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aber darf man sagen, daß sich die Idee der Gemeinschaft in Freundschaft erfüllt als dem konträren Gegensatz der Feindschaft; dabei aber ist anzumerken, daß keine Art auch der inneren Gemeinschaft  feindselige Gefühle und  feindseliges Verhalten der in ihr Verbundenen als tatsächliche Erscheinungen ausschließt. Ein Verhältnis, z.  B. eine Ehe, kann als wesentliche Gemeinschaft im Bewußtsein der Verbundenen sein und doch durch solche Gefühle und solches Verhalten oft getrübt werden. Allerdings zersetzen sie die Gemeinschaft und können sie innerlich lösen, wenn sie auch äußerlich sogar mit dem Willen der Verbundenen, dann eben als ein gesellschaftliches Verhältnis, fortbesteht (s. o.). [272] Um aber diese Namen von gemeinschaftlichen Verhältnissen durch solche von gemeinschaftlichen Verbindungen zu ergänzen, mögen hier die Ausdrücke Familie – Gemeinde – Genossenschaft angeschlossen werden. Mit diesen Einteilungen parallel und durch sie hindurch geht endlich diejenige, vermöge deren ich als Ausdrücke und Gründe der Gemeinschaft das Zusammenwesen, das Zusammenwohnen und das Zusammenwirken unterscheide. Indem hier gegen die Sprachgewohnheit »wesen« als Zeitwort ausgedrückt wird, soll damit gesagt werden, daß es, ebenso wie das Wohnen, durch die Verbindung mit dem Zusammen eine Art von Tätigkeit wird, nämlich eine psychologische. Zusammenwesen ist die ins Bewußtsein erhobene Zusammengehörigkeit, Zusammenwohnen die Bejahung der räumlichen Nähe als der Bedingung vielfacher Wechselwirkungen, Zusammenwirken endlich diese Wechselwirkungen selber als Ausfluß eines gemeinsamen Geistes und Wesenwillens. Zusammenwesen ist gleichsam die vegetative Seele aller Gemeinschaft – ihr Leben beruht in einem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und der Bejahung des dadurch gegebenen Zustandes des Aufeinander-Angewiesenseins. Zusammenwohnen möge die animalische Seele der Gemeinschaft genannt werden; es ist die Bedingung ihres tätigen Lebens, des Zusammenempfindens von Lust und Leid, des gemeinsamen Genusses umgebender und zusammen-besessener Güter, des Zusammenschaffens in vereinigter wie in geteilter Arbeit. Das Zusammenwirken möge als die vernünftige und menschliche Seele der Gemeinschaft begriffen werden. Es ist ein höheres und bewußteres Zusammenarbeiten in Einheit des Geistes und Zweckes, daher auch ein Streben nach gemeinsamen Idealen als unsichtbaren und  4  9 19 34

inneren Gemeinschaft feindselige Gefühle und feindseliges Verhalten der in ihr – fehlt in A. innerlich lösen – A: innerlich auflösen. das Wohnen, durch die Verbindung mit dem Zusammen – A: das wohnen, durch die Verbindung mit dem zusammen. bewußteres Zusammenarbeiten – A: bewußtes Zusammenarbeiten.

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nur für das Denken erkennbaren Gütern. – Für das Zusammenwesen ist das Blut, für das Zusammenwohnen der Boden, für das Zusammenwirken der Beruf gleichsam die Substanz, worin die sonst auseinander und widereinander strebenden Willen der Menschen verbunden sind. In bezug auf das Zusammenwesen ist der tiefste Unterschied der Menschen, auch in allen psychologischen Wirkungen, der naturgegebene Unterschied des Geschlechtes; demgemäß die Menschen immer voneinander gehen, aber auch immer zueinander hingezogen werden, indem das »Ewig-Weibliche« als das Mütterliche auch die Wurzel alles Zusammenwesens darstellt. Männer entfernen sich leichter und weiter von der Naturgrundlage des Wesenwillens und der Gemeinschaft. Also beharrt das weibliche Geschlecht eher in den Formen des Verständnisses, des Brauches, des Glaubens – die als die einfachsten Formen eines gemeinschaftlichen Willens bestimmt werden –; das männliche geht leichter über zu [273] denen des Vertrages, der Satzung, der Lehre, als den einfachen Formen eines gesellschaftlichen Willens. Wie aber die Geschlechter auf das Zusammenleben angewiesen sind, so sind es auch diese Formen eines gemeinsamen Willens. Dies gilt ebenso für die folgende Erörterung. Der am tiefsten gehende Unterschied in bezug auf Zusammenwohnen ist derjenige, der durch die Vorstellungen Land und Stadt bezeichnet wird. Er ist dem zuletzt bedeuteten Unterschiede verwandt und gleichartig. Auch das Land beharrt eher in den Formen des Verständnisses, des Brauches, des Glaubens. Die Stadt bildet die Formen des Vertrages, der Satzung, der Lehre aus. Aber die Stadt bleibt immer in einem gewissen Maße vom »Land« umfangen und abhängig, wie das männliche vom weiblichen Wesen. Sie befreit sich um so mehr, je ausgesprochener sie zur »Großstadt« wird. Im Zusammenwirken ist wiederum ein ähnlicher tiefer Unterschied erkennbar, der in der sinnfälligsten Weise durch die Merkmale arm und reich bezeichnet wird, im geistig-moralischen Gebiete aber, worauf wir ihn hier insonderheit beziehen wollen, als Unterschied der ungebildeten Volksmenge und ihrer gebildeten Beherrscher zutage tritt. Auch das Volk (um kurz so zu sagen) bleibt dem Verständnis, dem Brauche und Glauben treuer oder darin befangen und gebunden. Die Gebildeten bedürfen stärker des Vertrages, der Satzung, der Lehre, und die Bildung gehört stärker zu den Voraussetzungen dieser Gestaltungen. Aber auch das Verhältnis der wesentlichen Abhängigkeit verhält sich hier zum Volke, wie das der Stadt zum Land, das der Männer zu den Frauen.  4 27

auseinander und widereinander strebenden Willen – A: auseinander strebenden Willen. Sie befreit sich um so mehr, je ausgesprochener sie zur »Großstadt« wird. – A: Sie befreit um so mehr je ausgesprochener sie nun »Großstadt« wird..

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Ebenso wie die Geschlechter auf das Zusammenleben in Verwandtschaft durch Ehe und Familie, sind Land und Stadt, sind Volksmenge und Herrscherschicht aufeinander angewiesen: insbesondere Land und Stadt zu leben in (friedlicher) Nachbarschaft; Volksmenge und Herrscherschicht außerdem auch in einer gewissen Freundschaft und Genossenschaft gegenseitigen Vertrauens. Das intensive Zusammenwirken ist das der Kampfgenossenschaft. In allen diesen Beziehungen gehen aber manche andere wichtige Unterschiede neben den genannten in gewissen Parallelitäten einher und vermischen sich mit ihnen. Im Zusammenwesen sind nicht nur die Geschlechter verschieden, sondern, wenn auch viel weniger ausgeprägt, die Lebensalter. Eine gewisse Zweiheit ist auch hier zwischen jung und alt, besonders zwischen Kindern oder geschlechtsunreifen und erwachsenen oder geschlechtsreifen Personen. Im Zusammenwohnen unterscheiden sich ähnlich wie Land und [274] Stadt schon das dichter zusammenwohnende Land von der dünn verstreuten Bevölkerung, daher das Landvolk der Ebene von dem des Gebirges, das der Marsch von dem der Geest und der Heide; ebenso hebt von der Landstadt die Großstadt, also auch die Großstadt vom Land und kleinen Städten zusammen, vollends also die Hauptstadt von der »Provinz« und die Weltstadt von allen anderen Städten sich ab. Ferner sind in den gleichen Hinsichten ganze Gegenden oder Bezirke, unter deren klimatischen und kulturellen Einflüssen ganze Volksstämme, voneinander verschieden. Auch diese Unterschiede gehen teilweise parallel mit dem von Land und Stadt, teilweise kreuzen sie sich mit ihm. Im Zusammenwirken unterscheiden sich ähnlich wie Volksmenge und Herrscherschicht verschiedene Tätigkeitsgruppen innerhalb des Volkes, verschiedene Stände innerhalb der Herrscherschicht. Dort der Unterschied des arbeitenden und des handeltreibenden Volkes, innerhalb des arbeitenden der des ackerbaulich und des handwerklich arbeitenden. In der Herrscherschicht der Unterschied der herrschenden Stände, besonders des geistlichen und des weltlichen Herrenstandes, innerhalb des weltlichen der des älteren, wesentlich mit dem Grundbesitz verknüpften und des jüngeren, wesentlich durch Kapitalbesitz mächtigen Herrenstandes.  6 36

intensive Zusammenwirken – A: intensivste Zusammenwirken. besonders des geistlichen und … Kapitalbesitz mächtigen Herrenstandes. – In A ein Textverderbnis: besonders des geistlichen und des weltlichen aber der des älteren, wesentlich mit dem Grundbesitz verknüpften und des jüngeren, wesentlich durch Kapitalbesitz mächtigen Herrenlandes..

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Vollkommener noch als an allen diesen Scheidungen erfüllen sich die hier dargelegten Begriffe, wenn auf der einen Seite die Teilnahme überhaupt am wesentlichen Inhalt des gemeinschaftlichen Zusammenlebens vorgestellt wird, auf der anderen die Entblößung davon, die schlichte Freiheit des Einzelmenschen, die sich von der Gemeinschaft abhebt oder sich über sie erhebt. Dieser freie und isolierte Einzelmensch wird sodann gedacht als Urheber (Subjekt) neuer Verhältnisse und Verbindungen, deren er für seine Zwecke bedarf; alle diese begreife ich als Gesellschaft im Gegensatz zu Gemeinschaft, als dem Inbegriff der natürlichen, auch der unter Mitwirkung subjektiver Vernunft gewordenen Verhältnisse und Verbindungen. In der Richtung auf Gesellschaft bewegen sich daher mehr als die jedesmal ersten die jedesmal zweiten Glieder der angeführten Zweiheiten. Mithin die Männer mehr als die Frauen, die Städter mehr als die Landleute, die Herrscherschicht mehr als das Volk. Ebenso ferner die reiferen Lebensalter mehr als die Jugend, die dichter zusammen Wohnenden mehr als die dünner zusammen Wohnenden, [275] daher die Anwohner des Meeres mehr als die Binnenländer, die Anwohner der Ströme oder anderer Verkehrsstraßen mehr als die davon Entfernten, die Einwohner der Täler mehr als die der Gebirge, die Großstädter mehr als die Städter überhaupt, die Hauptstädter mehr als die Provinzler, die Weltstädter mehr als alle anderen usw. die handeltreibenden mehr als die arbeitenden Menschen, die handwerklich Arbeitenden mehr als die ackerbaulich Arbeitenden, der weltliche Herrenstand mehr als der geistliche Herrenstand, der jüngere (kapitalistische) mehr als der ältere (grundherrliche) Herrenstand. Die Analyse aber des gedachten Einzelmenschen lehrt ihn wiederum in der dreifachen Beziehung kennen: denn es steht gegenüber dem Familienmenschen der Familienlose, gegenüber dem Einheimischen der Fremde, 12

bewegen sich daher mehr als die jedesmal ersten die jedesmal zweiten Glieder – Recte: bewegen sich daher mehr die jedesmal ersten als die jedesmal zweiten Glieder.

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gegenüber dem in seinem Denken durch Gemeinschaften gebundenen der Freidenker. Wiederum gibt es in jeder dieser Beziehungen verschiedene Grade der Annäherung: und zu dieser Annäherung sind eben Männer mehr geneigt als Frauen, Städter mehr als Landleute, die Gebildeten mehr als das Volk usw. Dies tritt auch darin hervor, daß Männer eher als die Frauen aus freien Stücken ein ehe- und familienloses Leben erwählen; das gleiche gilt für die Städter im Vergleich mit den Landleuten, für die Gebildeten im Vergleich mit dem Volke usw. Ebenso haben die Männer mehr Veranlassungen, Beweggründe und Neigungen zum Reisen, werden also leichter als Fremde in der Fremde sein, und mit Fremden Geschäfts- und andere Beziehungen anknüpfen. Dasselbe gilt wiederum von Städtern im Vergleich mit Landleuten, von Gebildeten im Vergleich mit dem Volke, von Gereiften mehr als von der Jugend, von Händlern mehr als von Arbeitern usw. Die Massenwanderungen des Volkes, zumeist durch Notstände hervorgerufen und nicht durch die Individuen bestimmt, beweisen nichts gegen diese Tendenz. Vielmehr gilt hier allgemein, daß es sich um die Grade der Freiwilligkeit handelt, und die Freiwilligkeit stellt sich am reinsten dar als die Freiheit der Wahl oder des Kürwillens, die also weniger unter einem Druck sich entschließt, und mehr um eines bestimmten Zieles willen ihre Vorsätze faßt und [276] Pläne macht; insbesondere indem sie sich Zwecke setzt, wie Gewinn von Machtmitteln, und solchen Zwecken alles, was ihr zur Verfügung steht, mithin auch alle eigenen Handlungen dienstbar werden läßt. Wir bemerken endlich auch, daß der Frei-Denker sich leichter aus dem Manne als aus der Frau, aus dem Städter als aus dem Landmann und vollends aus dem Gebildeten als aus dem Volksgenossen sich entwickelt. Und so in allen jenen Zwiespalten, die wir betrachtet haben, läßt ein gleicher Unterschied sich feststellen. Der Freidenker selber kann am meisten in bewußter Weise, auf Grund seines Denkens und seiner Erkenntnis, nach Gemeinschaft streben, wie jedes »isolierte« Individuum es kann; jenem aber kommt die Einsicht zu, es auf Grund des erkannten Unterschiedes von Gemeinschaft und Gesellschaft zu tun. Es kann ein Streben gleichsam zurück, nach abgelebten und schwerlich wieder belebbaren Formen der Gemeinschaft sein. Aussichtsvoller ist es, wenn es vorwärts, auf neue Formen gerichtet ist, 14 17 34

Landleuten, von Gebildeten im Vergleich – A wahrscheinlich mit Textverderbnis: Landleuten, von Gebildeten im Vergleich mit Landleuten, von Gebildeten im Vergleich. durch die Individuen – A: durch die Zwecke der Individuen. Einsicht zu – A: Einsicht an.

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wie sie teils aus beständigen Bedürfnissen hervorgehen, teils durch ihre eigene Idee, wie sie einem gereiften und wissenschaftlichen Bewußtsein entspringen mag, bedingt sind. [277]



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Mit dem Ausdrucke »die große Menge« pflegen zwei verschiedene Vorstellungen verbunden zu werden. Am häufigsten wohl erstens die ganz unbestimmte von vielen zerstreuten Menschen, die – nach dem Urteil des Redenden – eine gewisse Minderwertigkeit miteinander gemein haben; man meint, diese auch in ihrer Art zu denken und zu handeln erkennen und nachweisen zu können. Es ist darin nicht der Gedanke enthalten, daß diese Menge irgendwie miteinander verbunden sei und ein gemeinsames Wollen und Handeln bekunde – außer sofern gemeinsam auch ein Merkmal genannt wird, das mehreren eigen ist, ohne daß irgendwelche Verbindung zwischen ihnen besteht und daraus hervorgeht. Eine andere Vorstellung ist aber zweitens die einer zusammenhängenden Menge, die als eine Art von Einheit sichtbar ist, so aber, daß eine gewisse Zahl von Menschen, und zwar eine so große, daß sie nicht ohne Mühe gezählt

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Die große Menge und das Volk – Der Text erscheint in Schmollers Jahrbuch (44.1920: 317–345, Tönnies 1920, im Folgenden A). – Tönnies setzt sich mit der Theorie der Masse, die in dieser Zeit breit diskutiert wurde, aus der Perspektive seiner Soziologie auseinander, die soziale Verbindungen aus den Willen der beteiligten Individuen konstruiert. – In A steht unter dem Titel ein Inhaltsverzeichnis (Seitenzahlen angepasst): »Inhaltsverzeichnis«: Wie ist soziales Wollen möglich? S. 385. – Drei Ursachen – Unterschied ob nur gleiches oder einheitliches Wollen? S. 387. – 1. Die Psychologie der Menge – Le Bons Theorem – Kritik – 2. Getrennter Haufen und versammelter Haufen – zufälliges und absichtliches Zusammenkommen – Versammlungen, die sich selbst versammeln, und Versammlungen, die versammelt werden – ungeordnete und geordnete – sich selber ordnende und von außen geordnete – ungeordnet und schon geordnet zusammenkommende – das »Volk« – Volk, Nation, Staatsvolk – Volk als die große Menge – die versammelte Menge S. 387–393. – 3. Selbstversammlungen – wirtschaftliche, politische, moralische Zwecke S. 393–397. – 4. Geladene, berufene, befohlene Versammlungen – wiederum dreierlei Zwecke – Form der Ordnung – Versammlung als ein Mensch – Unordnung durch Affekte – Unterschied von der wilden Menge – drei Wahrheiten S. 397–403. – 5. Das Mehrheitsprinzip – Parteien – Wählerschaften S. 403–409. – 6. Plebiszit und Referendum – Delbrück über den Volkswillen – Frauenwahlrecht – Verstoß gegen Grund des Mehrheitsprinzips – Kritik S. 409 bis 414«. – Autorenzeichnung unter dem Titel »Von Professor Dr. Ferdinand Tönnies – Eutin«. Die Zeitschrift ist in der Fraktur gesetzt. – Vgl. im Editorischen Bericht S. 658. »die große Menge« – A: »Die große Menge«.

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werden kann, vorausgesetzt wird. Bei der großen Menge dieses Sinnes wird man ein gleiches und gemeinsames Wünschen, Streben, Trachten allerdings vermuten, und zwar ein Zusammenstreben, das als solches die Menschen verbindet, und also in ein »soziales Wollen« übergeht. Soziales Wollen ist ein allgemeines Problem, dessen Untersuchung hier der Betrachtung der großen Menge zugrunde gelegt wird: teils insofern, als es überhaupt Menschen verbindet und zusammenhält, teils in seiner Eigenschaft als allgemeiner Wille, nämlich als Wille einer verbundenen (»organisierten«) Gesamtheit, wozu die große Menge sich erheben oder doch begrifflich entwickelt werden kann: einer Nation, eines Volkes, eines Staates, einer Kirche oder anderen Gemeinwesens. Fassen wir also die Antworten zusammen, um den Fragen zu genügen: Wie ist soziales Wollen möglich? welche sind seine Ursachen? – Das Wollen entspringt aus Wünschen, das Wünschen aus Lust- oder Unlustgefühlen. Daß aber bei mehreren Menschen durch die gleichen Empfindungen, Wahrnehmungen, Vorstellungen die gleichen Gefühle ausgelöst werden, beruht erstens in der ihnen gemeinsamen allgemeinen menschlichen oder besonderen menschlichen, zum Teil in der animalischen und vegetativen Natur; ebenso daß die gleichen Gefühle in gleichen oder doch [278] ähnlichen Strebungen und Handlungen sich ausdrücken. Dies gilt besonders von den gleichen Empfindungen. Wenn mehrere Individuen gleichzeitig gepeitscht werden, so fühlen sie heftigen Schmerz und werden ihre Schmerzen durch Schreien oder andere Äußerungen kundgeben. Ebenso wird ein beliebiger Haufen von Menschen, der etwa von Hunger geplagt wird, seiner Unzufriedenheit lärmend und tobend Ausdruck geben. Bei freudigen Eindrücken ruft jede beliebige Menge Hurra! oder (wie beim Aufsteigen einer Rakete) Ah! usw. Es beruht aber zweitens in besonderen Eigenschaften, die Gruppen von Menschen miteinander gemein haben als ihre gemeinsamen, erworbenen »Voraussetzungen«. So werden Jäger durch die Wahrnehmung eines Wildes von Lustgefühlen erregt, und damit zugleich erwacht in ihnen der Trieb, das Wild zu erlegen. Hingegen eine Gruppe von Malern wird durch denselben Anblick anders bewegt; sie freuen sich über die Gestalt des Wildes, die umgebende Landschaft, und wünschen, das Bild festzuhalten, sei es auf der Netzhaut oder auf der Leinwand. Es beruht aber drittens darauf, daß Menschen in besonderer Weise zusammenhängen und miteinander verbunden sind. So wirkt der Anblick des leidenden Vaters auf mehrere Geschwister leidvoll und löst den Wunsch ihm zu helfen aus; so auch die Vorstellung von seiner Erkrankung und von seinem Sterben; auch wenn sie an verschiedenen, weit 15

aber bei mehreren Menschen – A: aber mehreren Menschen.

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auseinander liegenden Orten leben, wirkt die Nachricht auf gleiche oder ähnliche Art, erregt viele andere Vorstellungen und – normaler Weise – leidvolle Gefühle, den Wunsch hinzureisen, der Mutter beizustehen, den Nachlaß zu ordnen usw. Ebenso wirken überhaupt viele Vorstellungen gleichartig auf Menschen, die in irgendwelcher Gemeinschaft oder Gesellschaft verbunden sind. Bei so Verbundenen aber muß sorgfältig unterschieden werden, was sie, infolge ihrer Verbundenheit, gleichzeitig und gemeinsam fühlen, denken, wollen, von dem was ihre Gesamtheit, die Genossenschaft, der Verein, Bund und wie immer eine solche heißen mag, als ihren Willen ausprägt und ausspricht. Das Erste ist seinem Wesen nach nicht verschieden von dem gemeinsamen Wollen irgendwelcher Menge sonst nicht verbundener (»unorganisierter«) Personen. Darum ist von grundlegender Wichtigkeit die Erörterung und Unterscheidung: ob ein gemeinsames Wollen nur das gleiche Wollen oder das einheitliche Wollen vieler sei, d. i. ob die Gruppe als solche oder nur als Menge einen Willen hat. Um als Gruppe einen Willen zu bilden, muß sie »organisiert« sein, d.  h. sie muß gemeinschaftlich oder gesellschaftlich eine zusammenhängende Einheit darstellen. Wenn gemeinschaftlich, so kann ihr gültiger Wille schon in stillschweigendem Einvernehmen oder in [279] Gewohnheit oder im herrschenden Glauben beruhen, d. h. der besondere Wille leitet sich aus allgemeinem Willen ab, er versteht sich von selbst oder wird erschlossen; er kann aber auch ausdrücklich von der gesamten Gruppe oder von einem Ausschuß, der sie vertritt und leitet, gestaltet werden; es ist dann die Frage, wie die Mitglieder der Gruppe oder des Ausschusses »sich einig werden«. Durch den Gemeinschaftscharakter wird diese Einigung erleichtert: auch sie kann »sich von selbst ergeben«. Eine gesellschaftliche Gruppe bedarf immer der verabredeten oder sonst ausdrücklich bestimmten Regel, unter welchen Bedingungen die Übereinstimmung eines Teils als der Wille der Gruppe gelten soll: die rationale Form der Entscheidung ist die Abstimmung und das Mehrheitsprinzip; der Beschluß einer Versammlung, sofern diese als »beschlußfähig« gilt, wofür wiederum eine anerkannte Regel bestehen muß.

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In neuerer Zeit haben mehrere Denker sich beschäftigt mit der Psychologie des Haufens oder der »Menge« (foule) und haben dieser Erscheinung

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einen besonderen Charakter zugeschrieben, der den Haufen als solchen bezeichne, wie auch immer die Individuen beschaffen sein möchten, aus denen er zusammengesetzt ist. So daß z. B. eintausend gelehrte und hochgebildete Männer, wenn sie als Haufen zusammen sind, gewisse Erscheinungen darbieten, die dem Haufen als solchem eigentümlich seien, die also in gleicher Weise in einer gleich großen Zahl von rohen und schlichten Menschen beobachtet werden könnten. In geistreicher Weise hat der Franzose Gustave le Bon diese Lehre vorgetragen1. Er behauptet das Dasein einer Kollektivseele in jedem Haufen, welche alle darin vereinigten Individuen auf eine Art fühlen, denken und handeln mache, die ganz und gar verschieden sei von der Art, wie jeder Einzelne für sich fühlen, denken und handeln würde. Es sei nicht eine Summe und ein Mittelwert der Elemente, sondern Kombination und Schaffung neuer Merkmale. Die intellektuellen Eigenschaften, also die Individualitäten, verwischen sich, die unbewußten allgemeinen Eigenschaften erlangen das Übergewicht. Hauptursachen: 1. daß der einzelne im Haufen, durch die bloße Tatsache der Zahl, ein Gefühl unüberwindlicher Macht erwirbt, das ihm gestattet, Instinkten nachzugeben, die er, auf sich allein gestellt, mit Gewalt gezügelt hätte; 2. die Ansteckung der Gefühle bewirkt, daß der Einzelne sehr bereit ist, sein persönliches Interesse dem Gesamtinteresse aufzuopfern; 3. die wichtigste Ursache ist die Suggestibilität, wovon Ansteckung [280] die Wirkung: der Zustand des Menschen im Haufen ist ähnlich dem des hypnotisierten. – So stehe der Haufen immer intellektuell unter dem einzelnen Menschen. In bezug auf Gefühle und Handlungen aber könne er sowohl besser als schlechter sein – es hänge von der Art der Suggestion ab. Der Haufen wird als impulsiv, wankelmütig und reizbar beschrieben; er sei so wenig eines dauerhaften Willens wie eines dauerhaften Gedankens fähig: leicht beeinflußbar (»suggestibel«) und leichtgläubig; seine Gefühle neigen zur Übertreibung und Versimpelung (simplisme); er ist unduldsam, autoritär und konservativ bis zur Servilität, vermöge eines fetischistischen Respekts vor der Überlieferung. 1

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Siehe le Bon, Psychologie des foules (auch in deutscher Übersetzung vorhanden). Vgl. Sighele, La folla delinquente (deutsch von Kurella) und La delinquenza settaria (franz. Psychologie des sectes). Tarde, l’Opinion et la Foule. Robert E. Park, Masse und Publikum. Simmel s. u. Psychologie des foules – Le Bon 1895, dt. 1908. La folla delinquente – Sighele 1895, dt. Sighele 1897. La delinquenza settaria – Sighele 1897a. Psychologie des sectes – Sighele 1898. l’Opinion et la Foule – Tarde 1901. Masse und Publikum – Park 1904.

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So ist, nach Le Bon, der Haufen jedes Verbrechens, aber zuweilen auch einer Handlung von hoher Sittlichkeit  fähig. Ideen  finden langsamen Eingang, weichen aber, einmal festgewurzelt, um so schwerer. Logisches und kritisches Denken ist dem Haufen  fremd, dagegen seine Phantasie arbeitet lebhaft: auf die Phantasie des Volkes baut sich die Macht der Eroberer und die Kraft der Staaten auf. Daher »wer die Kunst versteht, auf die Phantasie der Volksmenge zu wirken, versteht auch die Kunst, sie zu regieren«. Alle Überzeugungen des Haufens nehmen religiöse Formen an. Seine Glaubensmeinungen und Ansichten beruhen auf Rasse, Überlieferung, Zeit, als den entfernteren Ursachen, während die politischen und sozialen Institutionen, außer, sofern sie durch Illusionen und durch Worte wirken, verhältnismäßig wenig vermögen, ebensowenig Erziehung und Unterricht. Die unmittelbaren Faktoren sind Bilder, Worte, Illusionen: Erfahrung, wenn oft genug wiederholt, kann dagegen wirksam sein, der Einfluß der Vernunft ist gleich Null. Dies alles müssen diejenigen wissen, die sich als Führer geltend machen; ihre Hauptmittel sind: Behauptung, Wiederholung, Ansteckung. Außerdem hat der Machtzauber (»das Prestige«) wesentliche Bedeutung. Es gibt dauernde und wandelbare Glaubensmeinungen. In neuerer Zeit treten jene mehr und mehr zurück, die Meinungen werden mehr und mehr wandelbar. Auch die Presse, die ehemals die Meinungen leitete, hat, wie die Regierungen, allmählich dem aus anderen Ursachen geschehenden Wandel nachgeben müssen. Alle diese Merkmale beziehen sich, nach Le Bon, auf die »heterogenen« Haufen, die er als anonyme (z.  B. der Haufen der Straßen) und nichtanonyme (wie Geschworenengerichte, parlamentarische Versammlungen und dergl.) unterscheidet. Ein besonderes Studium will er den homogenen Haufen, nämlich 1. den Sekten, 2. den Ständen (oder »Kasten«), 3. den Klassen vorbehalten. Besondere Betrachtungen widmet Le Bon dann noch den verbrecherischen Haufen, den Geschworenengerichten, den Wählerschaften und den parlamentarischen Versammlungen, mit manchen treffenden und stechenden Einzelbemerkungen. [281] Übrigens wird hier über das Theorem in eingehender Weise berichtet, weil es – ungeachtet seiner offenbaren Unzulänglichkeit und widerspruchsvollen Natur, oder eben durch diese Eigenschaften – großes Ansehen und gläubige Nachsprecher gefunden hat, wodurch allerdings bestätigt wird, was es an (scheinbarer und wirklicher) Wahrheit enthalten mag.

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»wer die Kunst versteht … sie zu regieren« – »Qui connaît l’art d’impressionner l’imagination des foules connaît aussi l’art de les gouverner.« (Le Bon 1895: 59).

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Ich versuche dieser Wahrheit ihr Recht zu geben durch eine kritische Behandlung des Gegenstandes.

2 Wenn man die Psychologie der Menge oder des Haufens erforschen will, so muß man zunächst unterscheiden: den getrennten Haufen und den versammelten Haufen. Man muß  ferner die Unterscheidung  festhalten, was die Mehreren miteinander gemein haben, daher auch was sie gleichzeitig und gleichartig empfinden, fühlen und wollen, und was sie einheitlich, also als Menge, empfinden, fühlen und wollen. Eine versammelte Menge wird leichter als eine getrennte die Einheit einer »Seele« durch einheitliche Willenshandlung kundgeben. Wenn aber eine Menge sich versammelt, so geschieht es entweder »zufällig«, d. h. aus mannigfachen Beweggründen der Mehreren, oder »absichtlich«, d.  i. infolge eines schon vorhandenen, ihnen gemeinsamen Gefühles, einer Stimmung, die sie hintreibt, oder einer Nötigung, die sie empfinden. Die Nötigung wird in der Regel von außen kommen, als Einladung oder Ruf, oder Befehl, hinter dem der Zwang steht. Allgemein werden wir Versammlungen, die sich selbst versammeln, und Versammlungen, die versammelt werden, unterscheiden. In beiden Fällen ist ein weiterer Unterschied, ob die Versammlung ungeordnet ist oder geordnet: wenn geordnet, ob sie sich selber ordnet oder von außen geordnet wird, ob sie ungeordnet oder schon geordnet zusammenkommt. Geordnete und geordnet zusammenkommende Versammlungen sind entweder nur beratende oder beratende und beschließende; diese wie jene beraten und beschließen entweder nur für sich selber (»was sie tun wollen«) oder in Absicht auf andere (»was diese tun sollen«). Betrachten wir im Lichte dieser Unterscheidungen die Menge, die wir als Volk oder Volksmenge kennen, also wovon eine unbestimmte Vorstellung auch dem Theorem Le Bons zugrunde liegt. Wir verstehen als »Volk« regelmäßig eine räumlich getrennte, wenn auch zumeist in einem und demselben Lande, also in räumlicher Benachbarung zusammenwohnende Menge. Wir verstehen sie aber ferner; bald 1. ausschließlich als eine Menge, die durch Abstammung – die »Ras-

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festhalten, was die Mehreren – A: festhalten: was die Mehreren. oder geordnet: wenn geordnet – A: oder geordnet; wenn geordnet.

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se« – miteinander zusammenhängt; dann kann das Merkmal des Zusammen[282]wohnens unwesentlich werden: so ist das »jüdische Volk« über den Erdball zerstreut, das irische Volk besteht aus den Einwohnern Irlands und den Iren, die in Amerika oder anderswo wohnen; auch zum deutschen Volke rechnen wir die Amerikaner deutscher Herkunft, wenigstens soweit sie nicht mit der deutschen Sprache alles deutsche »Volkstum« verloren haben, und die versprengten Volksteile in allen Ländern, auch wenn sie eine fremde Staatsangehörigkeit erworben haben. Dann 2. verstehen wir als Volk eine Menge, die durch Sprache, Volkstum, Überlieferungen, Literatur, Kunst und Wissenschaft, kurz durch Kulturelemente verbunden ist und eine Einheit bildet. In diesem Sinne rechnen wir z.  B. zum deutschen Volke nicht nur Österreicher, Schweizer, Balten, die durch ihre Abstammung dazu gehören mögen, sondern auch Juden und andere Fremdstämmige, insofern als sie eben an den Kulturelementen offenbaren und starken Anteil haben und zu deren Leistungen mitwirken, obgleich sie zum Volke im ersten Sinne nicht gehören. Endlich 3. wird als Volk die in einem geographischen Raume und folglich in einem Staate oder doch in einem Reiche politisch geeinigte Menge verstanden, wobei die Bedeutung der früheren Merkmale gegen dies Merkmal des gemeinsamen Staatsbürgertums zurücktritt. In diesem Sinne hat man neuerdings die Staatsnation (3) von der Kulturnation (2) unterschieden und könnte füglich die Volksnation (1) hinzufügen. Der Kürze halber werden wir aber einfach den ersten Begriff durch das Wort »Volk«, den zweiten durch »Nation« und den dritten durch »Staatsvolk« bezeichnen, an Stelle des letzten kann aber auch von Gemeindevolk, Kirchenvolk (das »gläubige Volk«) geredet werden. Wenn nun in diesen drei Begriffen eine Menge verstanden wird, ohne daß andere Eigenschaften der Menschen, die dazu gehören, in Betracht kommen, so geht im Sprachgebrauch daneben einher die Vorstellung vom Volk als der großen Menge, dem großen Haufen der ärmeren und ungebildeten oder doch minder gebildeten »Masse«, im Gegensatz zu den höheren Schichten, den besitzenden Klassen, den »besseren Ständen«, oder kurz den »Gebildeten« – innerhalb eines »Volkes«. Jener Sinn enthält also regelmäßig ein Werturteil, und zwar vorzugsweise jenes (wovon wir ausgingen) der Geringschätzung, zuweilen aber der Hochschätzung, wenn etwa von der körperlichen Rüstigkeit und dem gesunden Sinne des Volkes im Gegensatz zur Verzärtelung und Sitten22

die Staatsnation (3) von der Kulturnation (2) unterschieden – Die Begriffe Kulturnation und Staatsnation wurden durch Friedrich Meinecke in seiner Arbeit »Weltbürgertum und Nationalstaat« (1908: 2) verwandt. Meinecke verweist auf begriffliche Vorarbeiten von Kirchhoff (1905: 52 ff.) und Neumann (1888: 132 und 149).

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verderbnis in den höheren Ständen die Rede ist. Insoweit als der Gegensatz überhaupt brauchbar ist, werden wir hier das Wort »Volksmenge« anstatt »Volk« für angebracht halten, und das Werturteil dabei im Hintergrunde zurückhalten, das am offensten sich kundgibt, wenn die Menge als »Pöbel« gebrandmarkt wird, und diesen pflegt man am unmittelbarsten als einen [283] auf der Straße angesammelten Haufen dürftiger und schlechtgekleideter Menschen vorzustellen. Sowohl Volk als Nation als Staatsvolk und nicht minder die Volksmenge als Teil eines Volkes oder Staatsvolkes sind insoweit räumlich getrennte Haufen, daß sie zwar gleichzeitig und einheitlich empfinden,  fühlen, wünschen, aber nicht unmittelbar einheitlich wollen und handeln können. Auch in bezug auf Gemeinsamkeit des Empfindens usw. ist eine solche Gesamtheit nur bedingterweise als solche zu verstehen. Nicht nur scheiden Kinder, wenigstens die jüngsten Jahrgänge immer aus, nicht nur gibt es Blöd-, Schwach- und Wahnsinnige, die keinen Anteil etwa an gemeinsam empfundener Not nehmen, sondern auch außerdem gibt es immer einzelne, die anders fühlen und anders denken, auch wenn sie die Äußerungen davon aus Furcht vor Mißbilligung und Mißhandlung unterdrücken; anderseits freilich auch solche, die zwar die gleichen Gefühle und Gedanken hegen, aber aus Eitelkeit oder Eigensinn oder Widerspruchsgeist andere kundgeben. Anders ist es mit einer versammelten Menge, ob sie sich von selbst versammelt oder einer Einladung, einem Rufe oder einem Geheiße folgt. Das Versammeltsein macht sie wollens- und handlungsfähiger, sie wird mehr oder minder eine geschlossene Einheit. Daß ein »ganzes Volk«, eine Nation oder ein Staatsvolk oder auch nur die Volksmenge als Teil des Volkes sich versammele, darf als unmöglich gelten, sogar wenn man etwa nur an die erwachsenen männlichen Mitglieder einer solchen Gesamtheit denkt. Am nächsten kann dieser Vorstellung das »Staatsvolk« einer Stadtgemeinde oder eines Liliputstaates, wie das Fürstentum Liechtenstein, kommen, zumal wenn die »Masse« der arbeitenden Menge als unfreie nicht dazu gerechnet wird, wie in der griechischen Polis. Immer werden auch die in einer »Volksversammlung« Versammelten nur Teile der Gesamtheiten sein, aber sie können allerdings als deren Darsteller (»Repräsentanten«) gelten. Meistens gelten sie mit Unrecht dafür. Es pflegt schon zu genügen, wenn man etwa aus der »Stimmung«, die ein solcher versammelter Teil kundgibt, auf die Stimmung einer Gesamtheit glaubt schließen zu können; möglicherweise wird der Schluß richtig sein.

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Ein großer Unterschied, in welcher Weise und welche Menge sich versammelt oder versammelt wird. Als mögliche Folge der Versammlung werde die Einigung und die Vereinigung ins Auge gefaßt. Von der Vereinigung hebt wiederum die Bildung dauernder Vereine sich ab. [284]

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Nach den Zwecken der sich selbst versammelnden Menge unterscheiden wir wirtschaftliche, politische und geistige Zusammenkünfte. A. Zu wirtschaftlichen Zwecken versammeln sich erstens die zusammen arbeiten Wollenden, zweitens die mit einander Tauschgeschäfte machen Wollenden. Als Beispiel von eins möge die regelmäßige Zusammenkunft von Tausenden  freier Arbeiter in einer Fabrik gelten, sofern sie noch als wesentlich freiwillig erscheint, wenn auch die Fabrikglocke mahnt und Versäumnis wie Verspätung gebüßt wird. Sie versammeln sich, aber bilden keine Versammlung; sie kommen zusammen, nicht um etwas Gemeinsames zu wollen und zu tun, sondern jeder kommt, um seine Arbeit zu tun wie bei der Ansammlung vor einem Billetschalter jeder sein Billet haben will, wie die Menge, die aus einem Eisenbahnzuge oder aus einem Theater sich ergießt, nicht in einer Versammlung absichtlich, sondern zufällig zusammen war; nicht zum Behuf gemeinsamen und einheitlichen Handelns oder auch nur Wollens, sondern zum Behuf vielheitlichen, gemeinsamen Fahrens oder Sehens und Hörens. Sie wollen nichts miteinander, sondern nur nebeneinander. Anders, wenn zum Behuf des Austausches von Gütern, der Bezahlung von Schulden, der Verabredung von Geschäften, der Mietung von Arbeitskräften, Landleute aus allen Himmelsrichtungen auf den Märkten der in ihrem Mittelpunkte belegenen Stadt zusammenkommen; städtische Kaufleute auf dem Markte oder in den Räumen der Börse sich versammeln; aus allen Städten und Dörfern eines Landes Geschäftsleute und Schaulustige in der Hauptstadt oder einer anderen Zentrale zusammenströmen; zu einer »Weltausstellung« Verkäufer und Käufer, Schausteller und Schaulustige aus allen Nationen herbeieilen: das Zusammenkommen zufälliger Art vermischt sich mit dem Zusammenkommen, das in der Absicht, miteinander und durcheinander Geschäfte zu machen, geschieht.

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mit einander – A: miteinander.

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Selten sind solche Haufen zu gemeinsamem Wollen und Handeln, nach außen hin, vorbereitet und geneigt. Die sich aus  freien Stücken zu gemeinsamer Arbeit Versammelnden haben diesen Willen allerdings, sofern sie von einer Vorstellung ihres Gegenstandes und Zweckes erfüllt sind; darum die Arbeiter einer Fabrik nur, wenn es sich etwa um eine genossenschaftliche Werkstätte handelt. So versammeln sich auch die Bürger einer Stadt, um bei einer Feuersbrunst helfend zusammen zu wirken; die Küstenanwohner, um eine gefährdete Stelle des Deiches vor der Sturmflut zu schützen. – Die Haufen, die zum Tauschen und Geschäftemachen sich versammeln, streben in der Regel vielmehr auseinander und widereinander. Sie laufen um die Wette, sie machen einander »Konkurrenz«. Aber sie haben gemeinsame Gegner. Die Käufer sind Gegner der Ver[285]käufer und umgekehrt. Die gemeinsamen Belange (»Interessen«) erzeugen gleiche und gemeinsame Wünsche, die gemeinsamen Wünsche gemeinsames und einheitliches Wollen. So können auf jedem Markte die Tauschbegehrenden sich versammeln und vereinigen, um mit vereinten Kräften besser zu erreichen, was jeder für sich erstrebt: die möglichst günstige Verwertung seines Gutes (oder des Geldes). Versammlung der Personen ist das einfachste Mittel, um eine ausdrückliche Verabredung zu treffen oder in stillschweigender einig zu sein; aber, so wenig wie die Bildung eines Vereins, ist sie notwendig, sobald man schriftlich oder durch Apparat in die Ferne sprechen und sich verabreden kann. Ferner können die Einmütigen durch einen oder mehrere Vertreter oder Sprecher ihre Willensmeinung mitteilen oder sonst zur Geltung bringen. Die elementare Versammlung bleibt dem Ausdruck starker Gefühle und darin beruhenden Entschlusses vorbehalten. So als plötzliche, wenn auch verabredete Arbeitsniederlegung oder doch Lohnbewegung als Forderung höherer Löhne; so als Demonstration und Protest gegen Teuerung überhaupt, oder gegen Verteuerung eines Bedarfsgegenstands, z. B. des Bieres; wenn auch »Zusammenrottungen« dieser Art, da sie an die Behörden sich wenden, schon ins politische Gebiet übergehen. Der Unterschied zwischen einer bloß gemeinsamen und gleichen Handlung, und einer einheitlich bestimmten tritt auf dem Markte deutlich zutage, wenn mit den bezeichneten Tätigkeiten der Andrang verglichen wird, in dem alle kaufen oder verkaufen wollen, zumal wenn dies unter dem Einflusse starker Gefühle, z. B. der Furcht geschieht. In diesem Sinn wird der allgemeine Wille zum Verkauf einer »Panik« zuge-

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Arbeitsniederlegung – A: Arbeitniederlegung.

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schrieben. Treffend nennt E. Gothein2 diese Art »Massenerscheinung« zugleich ausgesprochen individualistisch; die Masse sei zu gleicher Zeit das Subjekt und ein Objekt der Furcht und Flucht: »die Masse zerfällt, sie zerstiebt in ihre Atome; und trotzdem wirkt sie als Masse, sei es, daß durch die Zusammendrängung die Angst überhaupt entstand, sei es, daß sie erst aufs höchste durch die Ansteckungskraft der Masse, die unbewußte Nachahmung, das ,Einfühlen‹ gesteigert wird.« Und von der wirtschaftlichen Panik heißt es in der geistreichen Rede: die lockerste aller wirtschaftlichen Vereinigungen sei freilich die des Marktes, zumal die des Effektenmarktes; aber in Zeiten der Hausse könne sie doch zu einer kompakten Masse werden; »der Tanz ums goldene Kalb drängt dann die gestaltlose Menge zusammen; es ist zwar keine Verbindung, aber eine Anhäufung, die wie eine Einheit wirkt. Um so leichter und heftiger [286] stiebt sie in der Panik auseinander. Auf einmal treten alle Kennzeichen einer mißtrauisch individualistischen Wirtschaft wieder ein« usw. (S. 236 f.). B. Zu politischen Zwecken versammelt sich eine Menge, wenn es gilt, einen gemeinsamen Feind abzuwehren oder ihn anzugreifen. Viele verschiedene Mengen können zu diesem Behuf zusammenkommen und zusammenwirken. Das ist eine rohe ursprüngliche Art des Heerwesens. Ebenso ursprünglich ist die Versammlung wehrhafter Männer – zuweilen auch der Frauen – zur Beratung der Angelegenheiten ihrer Gemeinde – Urform geordneter und regelmäßiger politischer Versammlungen. Diese Urform bildet sich immer neu, wenn eine Erregung der Gemüter sich weithin verbreitet. Die Menge strömt zusammen, um zu sehen, zu hören, zu jubeln, zu klagen, zu stören und zu zerstören. In der Erregung fassen die Versammelten auch plötzliche, rasche Entschlüsse. Zuweilen geht man unmittelbar zu gemeinsamem Handeln über. Oft freilich ist es das Handeln weniger einzelner, das der Menge zugeschrieben, wofür sie verantwortlich gemacht wird, z. B. Steinwürfe, Schüsse, aufrührerische Rufe. Aber sie kann wirklich als Menge Taten von großer politischer Tragweite begehen. Eine solche Tat war etwa der Sturm auf die Bastille 1789. Paris war, wie Louis Blanc schildert, im Fieber. »Die Menge war zahllos, in unüberwindlicher Erregung. Der Kreuzweg, die umgebenden Straßen, die Höfe, die an die Kasernen stießen, die Vorstadt St. Antoine strotzten von bewaffneten Männern. Tausende von Stimmen ließen durch den Lärm der Flintenschüsse hindurch den gebietenden Ruf zum 2

Vortrag »Soziologie der Panik«, in Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages, S. 216 ff.

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»die Masse zerfällt … gesteigert wird.« – Gothein 1911: 218.

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Himmel steigen: ›Wir wollen die Bastille‹« (Révol. fr. II, 380). »Es gab keinen allgemeinen Angriffsplan, keine Leitung. Nur die französischen Garden beobachteten einige Disziplin; die Menge folgte nur den Eingebungen ihres Mutes« (ib. 386). Die Bastille ergab sich, ohne eigentlich angegriffen zu sein. »Die Garnison, die sich allzu sicher  fühlte, hatte nicht mehr das Herz, auf lebende Körper zu zielen, und auf der anderen Seite war sie beunruhigt durch den Anblick der ungeheuren Volksmenge« (Taine, La Révol. I, 57). – Anders ist es, wenn ernste Männer, vielleicht Greise, »zusammentreten«, um über öffentliche Angelegenheiten, Gefahren und Notstände Rates zu pflegen. Auch dies kann ganz »spontan« erfolgen: wenn viele sich bewogen  fühlen, an einen Ort zu gehen, wo sie vermuten, andere, Gleichgesinnte, Standesgenossen zu treffen;  freilich wird das schwerlich eine große Menge sein, sie wird aber auch sonst – durch Besonnenheit und Bedächtigkeit, also durch Scheu vor übereiltem Handeln – von der zusammengelaufenen Menge sich unterscheiden. Größere und gemischte Versammlungen dieser Art werden ihr wieder ähnlicher sein, zumal wenn stürmische Jugend darin überwiegt und [287] Gelegenheit, Notstand, allgemeine Unruhe die Leidenschaften entzündet, dem Ehrgeiz weiteren Spielraum läßt. In jedem Falle gehen von einem solchen »Komitee« oft bedeutsame und folgenreiche Entschließungen und Momente der Herrschaft aus, zumal wenn es zu einem Vereine sich erweitert und verdichtet, wie etwa der Klub der Jakobiner. C. Zu geistigen und sittlichen Zwecken versammelt sich eine Menge mannigfach. Der Gottesdienst und das damit so stark zusammenhängende Fest gibt den häufigsten, leichtesten Anlaß. Gemeinsame Andacht, gemeinsames Opfer, gemeinsame Prozessionen leihen den frommen Gefühlen, die jeden erfüllen, verstärkten und höheren Ausdruck. Das ist die Feststimmung, durch die man sich gehoben fühlt. Neugierde, Schaulust und das Verlangen, an einem Ohrenschmaus sich zu ergötzen, ha 1

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»Die Menge war … die Bastille‹« – »La foule était immense, invinciblement irritée. Le chemin tournant, les rues environnantes, les cours faisant suite aux casernes, le faubourg Saint-Antoine regorgeaient d’hommes en armes. Des milliers de voix faisaient monter vers le ciel, à travers le bruit des décharges, ce cri impérieux : ›Nous voulons la Bastille!‹« (Blanc 1847 II: 380). »Es gab keinen allgemeinen … Eingebungen ihres Mutes« – »Nul plan général d’attaque, nulle direction. Seuls, les gardes françaises observaient quelque discipline  ; la foule ne suivait que les inspirations de son courage.« (ebd., 386). »Die Garnison … ungeheuren Volksmenge« – »La garnison, trop bien garantie, n’avait plus le cœur de tirer sans péril sur des corps vivants, et, d’autre part, elle était troublée par la vue de la foule immense.« (Taine 1881: 57). weiteren Spielraum – A: weiten Spielraum.

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ben ihren Anteil daran; aber auch die Gelegenheiten zu gemeinsamen Mahlzeiten und Trinkgelagen sind der Menge hochwillkommen, und in der Lust daran begegnen sich, wenn auch mit gröberem oder feinerem Geschmack, Hohe und Geringe. Auch wirtschaftliche Zusammenkünfte, wie Jahrmärkte und Messen, bieten diese Gelegenheiten und berühren sich auch sonst, wie bekannt, mit gottesdienstlichen Zusammenkünften nahe. Ja, eine entfernte Verwandtschaft mit solchen hat auch die Art, wie – zumeist gleichgesinnte und sonst einander nahestehende – Bürger im Wirtshause, am Stammtisch, sich versammeln. Gemeinsames Wollen und Handeln erfolgt bei religiösen und verwandten Festen ohne besondere Entschließungen, die vorausgingen, vielmehr, wie von selbst verständlich, meistens gemäß alter Sitte oder doch nach vorher getroffener, priesterlicher oder sonst autoritativer Regelung, in strengen Formen. Nicht ausgeschlossen, ja nicht unwahrscheinlich ist indessen, daß eine gottesdienstliche Versammlung in eine politische sich verwandelt und als solche sich betätigt. Ein berühmter Vorgang dieser Art war der Protest der schottischen Kalvinisten gegen das englische »Allgemeine Gebetbuch« und die bischöfliche Kirchenverfassung, im Juli 1637. Im Dom zu Edinburgh wurde er laut. Die versammelte Gemeinde erhob sich zum rasenden Tumult: Frauen nahmen starken Anteil daran, eine von ihnen warf einen Stuhl nach dem Bischof, der diesen zwar verfehlte, aber den Dekan nötigte, die Kanzel zu räumen. Das Leben des Bischofs wurde durch Steinwürfe gefährdet, die noch am Nachmittage den Wagen verfolgten, der ihn in seine Wohnung brachte (R. Gardiner, The fall of the monarchy of Charles I. I, 110). Auch nur gesellige »Zusammenkünfte« im Kaffeehaus, im Klub oder in der Schenke können bestimmtere geistige, können auch politische und wirtschaftliche Bedeutung erlangen, zumal in leicht erregbaren Mengen und in erregten Zeiten. [288]

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Daß Menschen versammelt werden, das ist, daß sie zusammenkommen, einer Einladung, Berufung oder einem Geheiße  folgend, ist eine häufigere und im allgemeinen wichtigere Erscheinung, als daß sie von selber sich versammeln. Die genannten drei Arten der Veranlassung weisen eine offenbare Steigerung der Nötigung auf. Der Einladung zu  folgen,

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The fall of the monarchy of Charles I. – Gardiner 1882.

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»hat man nicht nötig«; die Berufung wendet sich an die Einsicht und das Wissen um Wesen und Zweck der Versammlung, oder auch an das Pflichtgefühl, wie die Einladung an Freundschaft, Geselligkeitssinn, Eitelkeit, Neugier, eigenes Interesse; das Geheiß an Pflichtbewußtsein und Gewohnheit des Gehorsams, daher auch an Aussicht auf Lohn und Strafe. Vermischung der Beweggründe ist aber fast die Regel. Die Verschiedenheit der Zwecke, wie bei Selbstversammlungen, nur daß hier die wirtschaftlichen zu allgemeinen sozialen sich erweitern. Eine »geladene Gesellschaft« hat in der Regel nur solche allgemeine soziale Zwecke: gemeinsames Essen und Trinken, Plaudern, Tanzen, und andere »Unterhaltung«; aber sie kann auch politische Bedeutung erlangen, wie der französische »Salon« oder feierliche Diners, die von amtlichen oder sonst wichtigen Personen »gegeben« werden, geistig-literarische Bedeutung wie die »ästhetischen Tees«. Nicht wesentlich anders ist es, wenn zu wirtschaftlichen und den mannigfachen anderen sozialen Zwecken, die Menschengruppen gemeinsam sind, auch wissenschaftliche und künstlerische Versammlungen anberaumt werden. Eine viel höhere Bedeutung hat die Berufung eigentlicher politischer Versammlungen, zumal solcher, die bestimmte Funktionen der Herrschaft, richterliche, verwaltende und besonders gesetzgeberische rechtmäßig ausüben. Verwandter Art sind alle Vereinsversammlungen, die in bezug auf ihren Verein die gleichen Befugnisse haben wie eine gesetzgebende Körperschaft  für den Staat. Alle solche Versammlungen sind bestimmt, gleich einem einzelnen Menschen mit sich zu Rate zu gehen und Beschlüsse zu fassen. Geheiß, das sich zum Befehl verhärtet, ruft seiner Natur gemäß Versammlungen Abhängiger ein, z. B. der Heerespflichtigen, die dem Geheiß des obersten Kriegsherrn oder eines von ihm betrauten Befehlshabers Folge leisten. Oft wird ein göttliches Geheiß vorgestellt als das, was dem Befehl eines Menschen seine Kraft und Gewähr verleiht. Aber auch Selbstversammlungen haben ohne bewußte Absicht sich oft solche religiöse Weihe gegeben und dadurch ihren politischen Zwecken ein Kleid angezogen, das sie selber erwärmte und zugleich diesen Absichten nach außen hin Schimmer und Schutz verlieh. Selbst Versammlungen, zumal solche der »Menge«, sind es, die als Volksversammlungen, ebenso wie die Versammlungen politischer Vereine, insbesondere geheimer Gesellschaften, oft die Besorg[289]nisse der Staatslenker wach gerufen und wach erhalten haben; sie gelten nicht ohne Grund als gefährlich, weil zumeist aus glimmenden Unzufriedenheiten hervorgehend und oft in aufrührerische Bewegungen übergehend. Der Übergang zu Handlungen und tätlichen Angriffen wird um so eher vermutet, wenn die Versammlungen im Freien stattfinden, wo der Anhäufung von Massen keine Grenze gesetzt ist

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und die Stimmungen um so leichter sich entzünden, je näher die Gegenstände für Angriffe liegen; wird auch in geschlossenen Versammlungen eher von Waffentragenden als von Unbewaffneten gefürchtet. Zusammenberufene Versammlungen mit politischen Zwecken werden in der Regel mehr geordnet sein als bloße »Zusammenrottungen« zu gleichen Zwecken. Sonderbar, und doch nicht ohne Sinn und Grund ist es, wenn Le Bon die Menge schlechthin als »konservativ« charakterisiert, während sie in der Regel, zumal die großstädtische, ob in Selbstversammlung oder berufener Versammlung, als radikal gilt: stürmisch und unbesonnen Neuerungen verlangend. Gebotene Versammlungen – um ihnen diesen allgemeinen Namen zu geben – unterscheiden sich von Selbstversammlungen in der Regel durch Form und Ordnung, die sie sich geben oder die ihnen gegeben wird. Sie pflegen nicht jedem offen zu stehen, auch nicht durch bloß äußere Merkmale, die etwa gesetzliche Beschränkungen sind, sich zu begrenzen. Indessen gibt es Versammlungen, die in dieser Hinsicht den Selbstversammlungen sehr ähnlich sind. Anderseits können auch Selbstversammlungen sich eine bestimmte Form und Ordnung geben. Ein Merkmal, das sich oft an Selbstversammlungen hängt, ist, daß sie unter  freiem Himmel »tagen«, ebenso bezeichnet es die gebotene Versammlung zumeist, daß sie in geschlossenem Raume ihre Beratungen hält. Denn die Beratung ist ebenso für diese, wenn sie über die bloße Geselligkeit sich erhebt, nächster Lebenszweck, wie die Selbstversammlung zumeist »unberaten« ist und einem dunklen Drange  folgt oder unter dem Einflusse einer einzigen oder mehrerer  führender Personen handelt. Ein versammeltes Heer – in der Regel, wie bemerkt, durch Befehle versammelt – fällt aus dem Begriff einer Versammlung heraus, sofern zu diesem das Merkmal gehört, daß sie im Raum eine Art von Einheit bildet; dies kann nur von kleinen Heereskörpern gelten. In alten Zeiten war bekanntlich die Heeresversammlung auch die – mehr oder minder zu Entscheidungen berechtigte – Volksversammlung. Ein modernes Heer ist gleich einer (oder Teilen der) zerstreuten Volksmenge, aber einer gegliederten und geordneten, für den bestimmten Zweck des Kampfes eingerichteten und geübten Menge (exercitus). Jede Versammlung wird mehr oder minder durch Denken, Wollen und Handeln einem einzigen Menschen ähnlich. Aber wie ein Mensch, [290] je mannigfacher seine Angelegenheiten, Bestrebungen, Gedanken, um so mehr von Leidenschaften zerrissen wird, so ist auch eine Versammlung, je größer und aus je verschiedeneren Teilen zusammengesetzt, um so wahrscheinlicher von Gegensätzen erfüllt, die sich heftig bekämpfen und um die Herrschaft miteinander ringen. Und wie der Mensch, je mehr er

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der Vernunft teilhaftig ist, um so mehr sich selbst zu beherrschen beflissen ist, seinem Streben Maß und Ziel setzt und seine Denkweise wie Lebensweise einer Regel, einem Gesetz unterwirft; so auch eine Versammlung, die sich eine Geschäftsordnung gibt und ein Präsidium einsetzt, um nach dieser Ordnung zu verfahren, Streit zu schlichten, Unruhen zu dämpfen. Nichtsdestoweniger verlaufen Versammlungen oft wild und stürmisch, ja tobend, sei es, weil die gesetzte Ordnung ungenügend oder weil der Vorsitzende zu schwach ist an Einsicht oder Willenskraft, oder weil ihre Parteien zu stark widereinander erregt sind und zu feindselige Gesinnung hegen. Wie auch die Wogen der Einzelseele oft genug hoch gehen und den Nachen der Vernunft auf den Strand setzen. Was man dem Haufen, der großen Menge zum Vorwurf macht, daß sie wild und ungestüm, gesetzlos und oft gesetzwidrig verfährt, daß in ihr das Unterbewußte vorherrscht, daß sie impulsiv und wankelmütig, leicht beeinflußbar, unbesonnen ihren Phantasien und Affekten preisgegeben erscheint, also zu Ausschreitungen und gewaltsamen Taten geneigter ist, als vielleicht irgendein einzelner in ihr für sich allein wäre – das ist eine Tatsache von ganz anderer Art. Ein solcher, zumeist in Selbstversammlung wirkender Haufe wird dadurch schrecklich, daß er einig ist, daß ein Gefühl, eine Stimmung, ein Wille, insbesondere Unwille und Wille der Zerstörung, in ihm mächtig waltet. Hingegen eine sonst geordnete Versammlung, die in Ruhe beraten und Beschlüsse fassen will oder soll, ist gerade dadurch in wüstem Aufruhr, daß sie nicht mit sich einig ist, daß sie als ganze ihre Teile nicht zu meistern vermag. Gruppen in ihr pflegen einig zu sein als Kampfgenossen und Verschworene, sie greifen andere Teile mit Vorwürfen und Drohungen an, diese wehren sich mit gleichen Waffen, die Versammlung wird ein Kriegsschauplatz. In der Regel treten die Gegensätze greller und schärfer hervor, die auch sonst vorhanden sind, zum Beispiel Gegensätze der Interessen und Gesinnungen, die in Rivalität und feindseligen Verhältnissen ganzer gesellschaftlicher Klassen ihre Ursachen haben, wenn diese in einer gemeinsamen Versammlung durch ihre Anwälte und Abgeordneten vertreten werden. Die Eigenschaften, die von Le Bon und anderen Schriftstellern (unter denen durch geistreiche Kritiklosigkeit der Italiener Sighele hervorragt) der Menge schlechthin zugeschrieben und auf eine dunkle [291] Qualität der Mengenhaftigkeit zurückgeführt werden, rühren zum guten Teile aus verallgemeinerter Beobachtung der zusammengescharten Selbstversammlung her; diese aber bildet sich regelmäßig zum größten Teile aus unreifen Jünglingen (»Halbstarken«) und anderen abenteuerlustigen, 32

vertreten werden. – A: vertreten werden. –.

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oft hungrigen und unbeschäftigten, ohne ihre Schuld arbeitslosen, aber auch arbeitsscheuen Elementen, denen sich gern rohe Frauenzimmer zugesellen, nicht wenige Aufgeregte werden überdies noch vorher »sich Mut getrunken« haben, kurz, es ist nicht selten, um nicht zu sagen: in der Regel, die Hefe des Volkes, die in dieser Weise sich versammelt, und gar zumeist großstädtischen Volkes, in dem verkommene und verbrecherische Bestandteile stark vertreten zu sein pflegen: diese Hefe und Haufen sind es eben, die als Pöbel allzu bekannt sind und sich immer neu bekannt machen; das englische Wort rabble erinnert an das ungeordnete Durcheinanderreden als charakteristisches Merkmal solchen Haufens. Anderseits kommen aber auch in Weltstädten nicht selten Aufzüge und Demonstrationen durchaus ruhiger und besonnener Leute, zumeist ernsthafter Arbeiter, vor, die sich versammelt haben – in der Regel freilich nach vorheriger Verabredung oder auf ergangenen Ruf –, um der Behörde oder um ihren wohlhabenden und reichen Mitbürgern ein Bild von ihrer Lage und eine Vorstellung ihrer Wünsche mitzuteilen; die Familienväter, von berechtigten Sorgen erfüllt, sind in einer solchen »Menge« naturgemäß zahlreich. Freilich kann auch in diese eine leidenschaftliche aufrührerische Stimmung kommen, wenn etwa Polizei oder Militär es  für geboten hält, Schüsse abzugeben oder sonst mit Gewalt einer gesetzlichen »Demonstration« entgegenzutreten; aber auch durch leidenschaftliche Ansprachen kann eine solche Menge »wild gemacht« werden. Drei Wahrheiten bleiben von jeder großen Ansammlung von Menschen, ob sie ungeordnet wirksam oder als geordnete Versammlung sich Beratungen hingibt, gültig: 1. daß sich leidenschaftliche Stimmungen leicht fortpflanzen, daß starke Affekte gleichsam ansteckend wirken von Person zu Person, und daß mancher Widerspruch, der in kleinem Kreise laut werden würde, im großen verstummt, schon weil stärkerer Mut, größeres Selbstvertrauen dazu gehört, gegen eine Masse als gegen wenige Einzelne Widerstand zu leisten; 2. daß in einer zusammenseienden und zusammendenkenden Menge die durchschnittliche Beschaffenheit dieser Menge3 sich notwendig bemerkbar macht [292] und mächtig wird, 3

Dieser Auffassung steht die Behauptung gegenüber: der Punkt, auf den eine große Anzahl von Individuen sich vereinige. müsse sehr nahe an dem Niveau des Tiefstehenden unter ihnen liegen: weil jeder Hochstehende hinabsteigen, aber nicht jeder Tiefstehende hinaufsteigen könne, so daß dieser den Punkt angebe, auf [292] dem beide sich zusammenfinden können; was allen gemeinsam, könne nur der Besitz des am wenigsten Besitzenden sein. Insbesondere sei ein Zusammenhandeln nur durch dieses Hinabstei-

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zusammenseienden – A: zusammen seienden.

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weil die Mehrheit diesem Durchschnitt nahe zu sein pflegt, und weil sie die Minderheit der Unterdurchschnittlichen (an Verstand, Besonnenheit, Gewissenhaftigkeit) leicht an sich zieht und mit sich fortreißt, während die Minderheit der Überdurchschnittlichen bald erkennen muß, daß ihre Anstrengungen, dagegen aufzukommen, vergeblich sind. Am deutlichsten tritt dies naturgemäß zutage, wenn zu Abstimmungen geschritten wird. 3. Jede Arbeit oder Tätigkeit wird durch das Zusammenwirken mit anderen – die Kooperation – ebenso wie mechanisch in der Regel, so auch psychisch erleichtert. Im allgemeinen um so mehr, je größer die Zahl der Helfer. Das gilt besonders auch von dem Entschluß und der etwa dazu erforderlichen Selbstüberwindung. Auch ohne Worte feuern gen des Höheren auf das Niveau des Tieferen möglich (Simmel, Soziologie, S.  550). Zur Verstärkung dieser Ableitung werden Aussprüche, wie der des Solon, der von den Athenern gesagt hat, jeder Einzelne sei ein schlauer Fuchs, aber auf der Pnyx seien sie eine Herde Schafe, oder der Schillersehe Spruch herangezogen: »Jeder, siehst du ihn einzeln, ist leidlich klug und verständig. Sind sie in corpore, gleich wird dir ein Dummkopf daraus.« Nun wird ja der Weisere, aber auch wer sich nur weiser dünkt, immer sagen, Verstand sei stets bei Wenigen nur gewesen, oft auch meinen, daß er ganz allein die Einsicht habe, wenn nämlich seine Ansicht und sein Wünschen von dem der Mehrheit oder gar aller Übrigen verschieden ist. Aber die Verallgemeinerung, jeder Hochstehende könne hinab-, aber nicht jeder Tiefstehende hinaufsteigen, würde, auch wenn sie richtig wäre, nichts beweisen. Wenn nicht jeder, so können doch vielleicht viele Tiefstehende sich erheben, und wenn jeder Hochstehende hinabsteigen kann, so folgt daraus nicht, daß er es will. Wenn Höhere und Tiefere zusammenkommen wollen, so ist doch das Einfachste, daß jene hinab-, diese hinaufsteigen und daß sie in der Mitte sich begegnen; warum aber nicht jeder Tiefstehende hinaufsteigen könne, ist schlechterdings nicht einzusehen. Wenn er vielleicht zu töricht ist, um überzeugt zu werden, so kann er etwa um so leichter überredet werden, und wenn die Beredsamkeit des Höheren nicht auf ihn wirkt, so vielleicht dessen Ansehen, Rang und selbstsicheres Auftreten oder die glänzenden und blendenden Erfolge, die sein Handeln schon erzielt hat: wirkliche und scheinbare Verdienste um das Gemeinwohl, und alle Eigenschaften, die zusammen das »Prestige« – ich versuche das deutsche Wort Machtzauber dafür einzusetzen – einer Persönlichkeit ausmachen. Eine Theorie des Machtzaubers liegt in der (früher ungarisch und englisch erschienenen) Schrift von Ludwig Leopold vor (Prestige. Ein gesellschaftspsychologischer Versuch. Berlin 1916. Puttkammer & Mühlbrecht, 431 S.); es wäre leicht, aus dem recht interessanten Buche manche Belege zu der hier angedeuteten Frage des Einflusses einzelner auf die Menge zu schöpfen. 12

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Simmel, Soziologie – »Soll eine Mehrheit wirklich zusammenhandeln, so wird es nur nach denjenigen Richtungen geschehen, die ein Herabsteigen des Höheren zu dem Niveau des Tieferen ermöglichen.« (Simmel 1908: 550). »Jeder, siehst du ihn … Dummkopf daraus.« – Schiller 2005 I: 327. Eine Theorie des Machtzaubers – Der Text der Fußnote ist ab hier in A mit einem * gekennzeichnet und als Fußnote zur Fußnote gesetzt. Prestige – Leopold 1916. Einflusses einzelner auf die Menge – A: Einflusses Einzelner auf die Menge.

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jeden die Genossen an, die Bürde der Verantwortung wird gleichsam mechanisch geteilt. Der Vorsatz, einem verhaßten Gegner die Fenster einzuwerfen, wird in der Seele eines vereinzelten Mannes nicht leicht sich befestigen, er wird be[293]schleunigt, wenn nicht bedingt durch die Gewißheit zahlreicher Mittäter, eine Gewißheit, die aus deren Gegenwart und gleicher Gemütsverfassung, zumeist auch aus Reden und Ausrufen, worin diese sich kundgibt, rasch genug hervorspringt. Richtig hebt Le Bon hervor, daß das Gefühl der Macht in jedem durch die körperliche Nähe der anderen gesteigert wird – wenn auch nicht immer zum Gefühl »unüberwindlicher Macht« – und daß dadurch Hemmungen beseitigt werden, die sonst beim einzelnen sich geltend machen würden.

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Eine geordnete Versammlung gibt sich einen geltenden Willen dadurch, daß sie vor Entscheidungen (Ja oder Nein) gestellt, den übereinstimmenden Willen ihrer Mehrheit, sei es einfacher Mehrheit (wie in der Regel) oder eine Mehrheit von gewisser Stärke (zum Beispiel zwei Drittel ihrer versammelten Mitglieder) als ihren Willen darstellen will; und dies zu wollen, müssen alle einig sein; daß diese Einigkeit sich stillschweigend herstellt, ja als von selbst verständlich gilt, ist das Ergebnis einer langen Schulung, die das Bewußtsein des Mehrheitsprinzips hergestellt hat. Oder es wird ihr diese Bestimmung von einem überlegenen, sie regelnden Willen gegeben. In einem wie im anderen Falle können auch besondere Bestimmungen zugunsten einer Minderheit, sei es einer möglichen oder gewisser Teile der Versammlung festgesetzt sein. Auch eine geordnete Versammlung kann – ihrem eigenen Willen oder der ihr auferlegten Bestimmung gemäß – sich auf Beratungen beschränken; und wenn sie eine beschließende Versammlung ist, so können ihre Beschlüsse nur sie selber oder aber eine größere Menge, wie ein ganzes Staatsvolk, binden (s. oben).

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»unüberwindlicher Macht« – »Diverses causes déterminent l’apparition de ces caractères spéciaux aux foules, et que les individus isolés ne possèdent pas. La première est que l’individu en foule acquiert, par le fait seul du nombre, un sentiment de puissance invincible qui lui permet de céder à des instincts que, seul, il eût forcément refrénés.« (Le Bon 1895: 18). beim einzelnen – A: beim Einzelnen.

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So gut wie niemals bildet ein Volk, eine Nation, ein Staatsvolk oder auch nur Gemeindevolk, als solches eine gesetzgebende Versammlung. Es ist schon durch die zu große Zahl der zu Versammelnden ausgeschlossen; überdies können niemals sämtliche Individuen als gleichberechtigte Mitglieder einer Gesamtheit gelten: Kinder, Wahn- und Blödsinnige, Strafgefangene (wenigstens so lange als sie es sind) scheiden von selber aus; außerdem mit wenigen allerneuesten Ausnahmen (und wenn man von Zeiten primitiver Gynäkokratie absieht), also der weitaus überwiegenden bisherigen Erfahrung nach, das weibliche Geschlecht. Auch die regierenden Volksversammlungen der antiken Städte waren nur Versammlungen der männlichen  freien Vollbürger. Ihnen ähnlich sind die noch bestehenden Landsgemeinden der schweizerischen Kantone Appenzell, Uri, Unterwalden und Glarus: Versammlungen der Männer, die Beamte ernennen und Gesetze geben. Sonst aber wird das Staatsvolk oder Gemeindevolk »vertreten« durch eine Einzelperson oder durch eine [294] Samtperson, eine Versammlung. Beiden kann durch eigenes Recht oder durch übertragenes Recht – dann in der Regel durch Wahl – die Vertretung zukommen. Auch wenn ein einzelner Mensch, ein Alleinherrscher, Gesetze gibt und sogar, wenn er durch Erbrecht dazu berufen ist, so muß als Normalfall verstanden werden, daß durch seinen Mund und seine Hand das »Staatsvolk« sich selber die Gesetze gibt; das Bewußtsein davon pflegt verhüllt zu sein in der Vorstellung, daß ein Gott durch den Herrscher spreche; in Wirklichkeit hat aber der Gott seine Macht nur durch Glauben und Wollen des Volkes, er wird gedacht als eine Persönlichkeit, die das wahre Wohl der Volkes kennt und will, vielleicht sogar als dem Volke durch Vertrag zu seinen wohltätigen Leistungen verpflichtet; jedenfalls ist das Verhältnis zwischen ihm und dem Volke ein gegenseitiges; und der Herrscher, ob selber Hohepriester oder durch diesen geweiht und gesalbt, ist Stellvertreter des Gottes. Auch wenn die religiöse Hülle abgestreift wird, so bleibt der Fürst als der oberste Diener des Staates und der Staat als Gegenstand des Willens eines Staatsvolkes übrig. Freilich sind wir an die Meinung gewöhnt, daß in einer »Despotie« oder unter einem absoluten Herrscher das Volk – nämlich dessen große Mehrheit, die zugleich die untere Volksmenge bildet – unwillig regiert werde und unzufrieden sei; die Vorstellungen der Tyrannei und des Tyrannisierens haben sich an den griechischen Namen des Alleinherrschers

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auch nur Gemeindevolk – A: auch nur ein Gemeindevolk. wenn die religiöse Hülle abgestreift wird – A: wenn diese religiöse Hülle abgestreift wird.

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geheftet. In Wahrheit ist dies ein möglicher, leicht ein wahrscheinlicher und oft ein wirklicher, aber bekanntlich keineswegs ein notwendiger Fall. Jeder volksbeliebte (»populäre«) Herrscher weist ein anderes Beispiel auf; und selbst wenn der individuelle Träger einer Krone unbeliebt ist, so kann doch die Familie (die Dynastie) in hohem Grade beliebt und ihre Erhaltung Gegenstand allgemeinen Wunsches sein. Dieser Wunsch kann sich auf mannigfache Weise kundgeben, er kann auch durch ausdrückliche Willenserklärung einer überwiegenden Menge von Untertanen – sei es daß diese besonders angeordnet ist oder nicht – in die Erscheinung treten. Indessen es gelten nur diejenigen Verfassungen als »freie« Verfassungen, die Länder als  freie Länder, in denen eine Versammlung herrscht, und diese Versammlung muß durch  freie Wahlen gewählt sein, so daß durch diese Versammlung »das Volk« sich selbst zu beherrschen scheint, wenn es nicht sogar unmittelbar gleich einer Versammlung selbst bindende Beschlüsse zu  fassen und Gesetze zu geben sich vorbehält. Wie ein einzelner Mensch, so können auch mehrere als Träger, Vertreter und Verkünder eines Gesamtwillens gelten und als geordnete Versammlung zusammenwirken, sei es, daß sie regelmäßig sich selbst [295] versammeln, oder daß sie versammelt werden. Und diese Versammlung gewinnt durch den Gesamtwillen eine besondere Wesenheit, die ihrer jedesmaligen Erscheinung (der »Session«) überlegen ist und diese überdauert. Diese Wesenheit – als solche stellt sich ihr Dasein »im Rechte« dar – ist davon abhängig, ob sie aus irgendwelchen Wahlen des gesamten Volkes oder von Volksteilen oder aus Ernennungen hervorgeht oder auf Grund erblicher oder angeborener Befugnisse gebildet ist. In jedem Falle wird die so entstehende Körperschaft als geordnete Versammlung einheitlich wollen und handeln, sei es daß alle Mitglieder übereinstimmen oder daß sie – gemäß eigener oder ihr auferlegter Satzung – einen Teil ihrer selbst als »beschlußfähig« gelten läßt; und die Gesamtheit oder der Teil kann dann wieder darüber einig sein, die Übereinstimmung ihres größeren Teils als Willen der Versammlung selber – also der Körperschaft – geltend zu machen und zu verkünden. Ganz davon verschieden ist die etwaige Einigkeit des Affektes und der Stimmung, wie sie durch überwältigende und bedeutende Ereignisse, möglicherweise aber, und im Zusammenhange damit auch durch  fortreißende Reden in jeder beliebigen Menge, daher auch möglicherweise

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beliebt und – A: beliebt sein und. gleich einer Versammlung selbst bindende Beschlüsse – A: gleich einer Versammlung es selbst bindende Beschlüsse.

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in der Versammlung einer Körperschaft, entsteht. Diese verschiedenen Ursprünge können aber einander begegnen und zusammenwirken, und das Zusammenwirken kann gleichsam nach Verabredung sich einstellen. Wenn aber eine solche Einmütigkeit mit der des zusammengelaufenen oder auch zusammenberufenen großen Haufens verglichen wird, so springen die Unterschiede wie die Ähnlichkeiten in die Augen. Im Haufen wie in der geordneten Versammlung, wenn sie einmütig sind,  finden wir die Elemente des Unmittelbaren, Spontanen, Leidenschaftlichen vermischt mit denen des Mittelbaren, Absichtlichen, ja Berechneten – denn auch der Haufen hat seine Drahtzieher – aber in der Regel werden beim Haufen jene Elemente, bei der geordneten Versammlung diese weit überwiegen, obschon auch in dieser eine ganz natürliche Einmütigkeit vorkommt. Dort wird diese leicht vorhanden und häufig sein, hier nur durch ungewöhnliche Ursachen herstellbar und selten. Eine Versammlung wie ein Einzelner kann gedacht werden als »Vertreter« (Repräsentant, Mandatar) einer größeren Menge, daher auch eines Volkes, also des Staatsvolkes oder Gemeindevolkes usw., und diese »Volksvertretung«, besonders die staatliche, erfüllt, wie bekannt, die Annalen der neueren Jahrhunderte. Es ist mehr und mehr ein fester Bestandteil der öffentlichen Meinung geworden, 1. daß die Volksvertretung den wirklichen Willen des Volkes ausdrücken müsse, daß durch sie das Volk sich selber Gesetze geben und sich selber beherrschen solle; 2. daß dies nur dann geschehe, wenn sie auf breitester Basis, nach [296] möglichst  freiem, möglichst allgemeinem und möglichst geheimem Wahlrecht gewählt werde. Bei einem geordneten Wahlverfahren dieser Art wirkt die Menge nicht als solche, wie sie es etwa in einer Versammlung tut, die sich ihren Vorsitzenden erwählt; sondern die einzelnen wählen, jeder  für sich. Durch geheime Wahl wird die Isolierung des einzelnen Wählers vollkommen, wie sie auch sinnlich durch einen geschlossenen Raum, in den er geführt wird, sich abbildet. Bei so isolierten Handlungen tritt die Gleichheit und Gemeinsamkeit von Meinungen, Gesinnungen, Wünschen nicht unmittelbar, nicht wie von selber zutage. Sie muß planmäßig vorbereitet, bewirkt werden, was auf mannigfache Weise geschieht, am schärfsten durch organisierte Parteien und deren Behörden, die den oder die nach ihrem Wunsch und Willen zu Wählenden bestimmen und den Angehörigen der Partei zur Pflicht machen, diesen Weisungen gemäß die Wahlhandlungen zu vollziehen. Es entwickeln sich die Parteizentren als besondere Behörden, deren Führer sich selbst ernennen oder von einem engen Anhängerkreis gewählt werden, während die große Menge aus freien Stücken, sei es aus Überzeugung von der Richtigkeit der Prinzipien oder von der

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Nützlichkeit der Partei für ihre Interessen und durch den Sieg zu erwartenden Lohn, oder durch unmittelbare, gröbere Mittel der Überredung und Bestechung gewonnen, oder endlich gewohnheitsmäßig  folgsam, den Gang zur Wahlurne antritt und von ihrem Bürgerrecht Gebrauch macht. Im günstigsten Falle ist es das Vertrauen, das in eine Partei statt in eine oder mehrere zu wählende Personen gesetzt wird, wie ja auch das Vertrauen, das einem Richter, einem Rechtsanwalt oder Arzt geschenkt wird, sehr oft nicht der Person sondern dem Beruf oder Gewerbe gilt, höchstens etwa durch den persönlichen Ruf erhöht werdend. Ein bloßes Parteizentrum ist auch, worauf der Wähler durch das System der Listenwahl gedrängt wird, und in Wirklichkeit hat er nur die Wahl zwischen den Parteien, die stark genug sind, eine Liste aufzustellen; ob er (oder gar sie!) sonst das Wesen dieser Parteien kenne oder nicht. Wenn nun die Freiheit der Wähler auf die Freiheit, sich für eine Partei zu entscheiden, eingeschränkt wird, so ist um so mehr für das Ziel, die Einheit eines Volkswillens in die Erscheinung treten zu lassen, die Freiheit der Mitglieder einer gesetzgebenden Körperschaft, zumal wenn diese berufen ist, die höchste Gewalt des Staates in sich darzustellen, von der größten Bedeutung. Der Ansicht, daß es das notwendige und natürliche Recht des Volksvertreters sei, nach seiner Überzeugung zu stimmen und, wenn ihm das Wort gegeben wird, auch zu reden, steht die Ansicht gegenüber, es sei seine »Pflicht«, dem ihm erteilten [297] Auftrag gemäß sich zu verhalten, und diese Behauptung kann wiederum zwiefachen Sinn haben: 1. daß er gemäß der parteigenössischen Mehrheit, der er sein Mandat verdankt (oder wenn diese Mehrheit, wie bei engeren Wahlen, eine gemischte ist, gemäß den stärksten Elementen innerhalb ihrer) reden und stimmen müsse; 2. daß er insbesondere den Beschlüssen der »Fraktion« sich zu  fügen und danach sich zu richten habe, der er – in der Regel gemäß den Wünschen, wenn nicht im Auftrage jener Mehrheit – sich angeschlossen hat. In diesem zwiefachen Sinne meint der »Volkswille« sich geltend machen zu sollen und zu dürfen. Es gilt als Konsequenz des demokratischen Gedankens, daß die Wählerschaft (the electorate) einen dauernden und zwar den entscheidenden Willen hat, daß sie nicht etwa nach geschehener Wahl zugunsten des Gewählten abgedankt hat. Es wird sogar als  folgerichtig in Anspruch genommen, daß sie berechtigt sein müsse, ein Mandat zu widerrufen, wenn der Mandatar nicht nach ihrer Meinung sich richtet, wenn also ein von ihm abgegebenes Votum oder eine von ihm gehaltene Rede ihr mißfällt. Dieser Versuch, die Wählerschaften – denn es sind ja so viele, als 30

zwiefachen Sinne – A: zweifachen Sinne.

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es Wahlbezirke gibt – als dauernde Träger des Volkswillens hinzustellen, entspringt dem so auffallend unlogischen Durchschnittsgeiste der englischen Politiker. Die Wählerschaft eines Bezirkes wäre danach eine willens- und handlungsfähige Person. Diese Vorstellung ist unsinnig, da sie ja außer durch die gesetzlich vorausbestimmten Wahlhandlungen gar keine Gelegenheit und Fähigkeit hat, einen Willen kundzugeben, sie ist um so sinnloser in bezug auf englische politische Verhältnisse, da bei der Wahl die einfache Mehrheit gilt, die oft nur ein Drittel der abgegebenen Stimmen – ganz abgesehen von den Nichtwählern – bedeutet. Ob der Abgeordnete nach dieser einfachen Mehrheit, die ihn gewählt hat, oder nach der in ihrer Summe viel größeren Mehrheit derer, die ihn nicht gewählt haben, also seine Gegner sind, sich richten solle, darüber hat das englische Bewußtsein, von dessen Höhe und Treffsicherheit immer noch so sonderbare Vorstellungen unter den Deutschen anzutreffen sind, noch nicht einmal sich Klarheit geschafft, ja die Frage nicht einmal aufgeworfen. In Wirklichkeit wird er zumeist den Winken und Wünschen derjenigen Parteiführer und Parteigrößen  folgen, auf deren Beistand für seine Wiederwahl er sich angewiesen fühlt. – Eine sittliche Verpflichtung, in gewissem Sinne zu stimmen oder nicht zu stimmen, kann daraus erwachsen, daß der Kandidat es ausdrücklich versprochen hat; solche Versprechungen werden ihm aber nur dann nicht zum sittlichen Vorwurf gereichen, wenn entweder sein Verhalten notwendige Folgerung aus der einmal angenommenen Parteistellung ist, oder aber er den Gegenstand so gründlich kennt, daß er sicher ist, seine An[298] sicht werde nicht durch Gründe, die er als Abgeordneter hören wird, verändert werden. – In England gibt es keine geschriebene Verfassung und kein Gesetz über die Pflichten und Aufgaben der Members of Parliament. In unserer ehemaligen Reichsverfassung bestimmt Artikel 29, daß die Mitglieder des Reichstages Vertreter des gesamten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden seien. In der neuen Verfassung lautet Artikel 21: »Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.« Demnach hat im jetzt geltenden deutschen Staatsrechte der Reichstag die höchste – souveräne – Gewalt, wenn auch unter gewissen 27 28

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über die Pflichten und Aufgaben – A: über die Aufgaben und Pflichten. ehemaligen Reichsverfassung bestimmt Artikel 29 – »Die Mitglieder des Reichstages sind Vertreter des gesammten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden.« (Gesetz, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16.4.1871; RGBl 1871: 63). »Die Abgeordneten sind … an Aufträge nicht gebunden.« – Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11.8.1919; RGBl 1919: 1383.

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Einschränkungen, die teils im Rechte des Präsidenten, ihn aufzulösen und die Verkündung eines Gesetzes wie auch unter Umständen die Entscheidung darüber zum Volksentscheid zu bringen, gelegen sind, teils in seiner Pflicht, wenn Zwei-Drittel-Mehrheit des Reichtags gegen den Einspruch des Reichsrats vorhanden, es in der vom Reichstage beschlossenen Fassung zu verkünden oder einen Volksentscheid anzuordnen; endlich in der Wahl des Präsidenten durch das Volk.

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Daß die unmittelbare Volkswahl – das Plebiszit – und der Volksentscheid – das Referendum – nicht nur die letzten, sondern als solche auch die vollkommensten Ausdrücke der Volksherrschaft oder der demokratischen Staatsform sind, wird kaum bestritten, und gelangt mehr und mehr zur tatsächlichen Anerkennung im Staatsrechte derjenigen Staaten, die darauf Anspruch machen, jene Staatsform in der reinsten Ausprägung zu verwirklichen. An deren Spitze steht jetzt das Deutsche Reich und geht über alle bisher verwirklichten Gestaltungen dadurch hinaus, daß es dem weiblichen Geschlechte die völlig gleichen staatsbürgerlichen Rechte verleiht wie den »Herren der Schöpfung«. Treffend bemerkte H. Delbrück in seinen 1913 gehaltenen, im folgenden Jahre herausgegebenen Vorlesungen (Regierung und Volkswille, S. 1324): »Sieht man in dem Parlament eine Volksvertretung, so ist das Frauenstimmrecht konsequenterweise zuzugestehen, denn die Frauen gehören ganz gewiß ebenso zum Volk wie die Männer.« Um so mehr ist die Folgerichtigkeit gegeben, wenn das Volk selber nach Art einer einzigen Versammlung zur Wahl oder zur gesetzgeberischen Entscheidung aufgerufen wird; [299] denn in dieser Betätigung ist das »Volk« wirklich nichts als eine große Menge von gleichberechtigten Individuen. Und daß es also als eine ein4

Ich bedauere, daß ich diese 1914 erschienene Schrift (2. Aufl. 1920) bei Abfassung meiner Studie »Der englische Staat und der deutsche Staat« (1917) nicht gekannt habe. Ich hatte allerdings von der darin enthaltenen Kritik demokratischer Lehrmeinungen gehört, vermutete aber nicht Ausführungen darin, die sich mit meinen eigenen über die englische Verfassung so nahe berührten, wie es der Fall ist.

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vom Reichstage beschlossenen – A: vom Reichstag beschlossenen. dem weiblichen Geschlechte – A: dem weiblichen Geschlecht. (2. Aufl. 1920) – Fehlt in A. Der englische Staat und der deutsche Staat – Tönnies 1917a.

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zige Körperschaft sich darstelle, die gleich anderen Körperschaften nach dem Mehrheitsprinzip Beschlüsse  faßt, ist wiederum eine notwendige Folge aus dem Gedanken, der in den Wahlen von Vertretern einen geringeren und mangelhaften Ausdruck längst zu finden meinte. Delbrück wendet ein (S.  29), die Vorstellung, daß auf diesem Wege ganz sicher der Volkswille zur Erscheinung gebracht werde, habe sich wiederum (nämlich ebenso wie die Volksvertretung) als Illusion erwiesen. Auch bei dem Referendum bleibe stets ein so großer Teil der Bürger der Abstimmung fern, »daß von den 41 Bundesgesetzentwürfen, die von 1874 bis 1898 in der Schweiz dem Referendum unterworfen worden sind, kein einziger von der Mehrheit der Wähler angenommen worden ist«. Früher (S.  7 und 26) hat nämlich Delbrück geltend gemacht, daß bei Vertreterwahlen erfahrungsmäßig sehr viele Bürger sich an den Abstimmungen nicht beteiligen, und daß zum Beispiel in Württemberg auch die Hoffnung, durch Verhältniswahlen die ganze Masse der Bürger an die Wahlurne zu führen, sich nicht erfüllt habe. Der Politiker helfe sich da mit dem alten Satz Qui tacet consentire videtur, aber der Satz genüge hier offenbar nicht. »Denn zustimmen kann man nur zu einem Beschluß, den man kennt. Hier muß angenommen werden, nicht sowohl, daß die Nichtwähler zustimmen als daß sie sich unterwerfen, was auch immer das Ergebnis der Abstimmung sei« (S. 8). Ich bin nicht bereit, anzuerkennen, daß dies Bedenken Gewicht habe. Wenn es der Fall wäre, so gälte es gegen jede Art von Beschluß eines Kollegiums (eines Vorstandes, einer Versammlung), an dem berechtigte Mitglieder dieses Kollegiums nicht teilnehmen, sei es, daß sie entschuldigt oder unentschuldigt  fehlen, oder daß sie sich der Stimme aus irgendwelchem Grunde enthalten. Wenn ich von einem Rechte, das mir zusteht, keinen Gebrauch mache, aus Fahrlässigkeit oder mit Absicht oder weil ich durch irgendwelche Umstände behindert bin, so kann das  für mich selbst und  für andere verhängnisvoll sein, ja es könnte, wenn ich eine gewichtige Persönlichkeit wäre, auch  für eine Körperschaft, ein Gemeinwesen schlimme Folgen haben; aber das sind Folgen menschlicher Schwachheiten oder Wendungen des Schicksals, nicht anders als wenn durch Erkrankung oder Todesfall dem Wirken eines Menschen ein unverhofftes Ziel gesetzt wird. Vielem Unglück kann eben keine menschliche Einrichtung wehren. Delbrück macht aber  ferner gegen das Referendum geltend 11 17 21

»daß von den 41 Bundesgesetzentwürfen … angenommen worden ist« – Ebd., 29 – Die Worte »… in der Schweiz …« von Tönnies hinzugefügt. Qui tacet consentire videtur – [Lat.] svw. Wer schweigt, scheint zuzustimmen. »Denn zustimmen kann man nur … Ergebnis der Abstimmung sei« – Ebd., 8 – Das grammatisch überflüssige Wort »zu« steht nicht bei Delbrück.

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(S. 30 ff.), es wirke konservativ. »Das Volk wünscht keine Veränderung, wenn ihm nicht das Übel etwa schon auf der Haut brennt.« Es wirkt etwas überraschend, daß ihm dies zum Vorwurf [300] gemacht wird von dem ausgezeichneten Autor, der sich selber in dieser Schrift noch als zur »Reichspartei« (die ja in Preußen die freikonservative hieß) gehörig bekannt hat. Die Ausführung läßt aber den Vorwurf verstehen, wenn alsbald behauptet wird, es unterliege gar keiner Frage, daß die Gesetze, »die für unser Dasein in jüngster Zeit den größten Fortschritt bedeuten« – gemeint ist Sozialpolitik, Kolonialpolitik und die Kriegsflotte – bei einem Referendum abgelehnt worden wären (S.  31). Ob diese Vermutung für den ganzen Komplex zutreffe, mag man billig bezweifeln. Die Erfahrungen der Schweiz sind nicht beweisend, ebensowenig die Erfahrungen in Australien. Aber gesetzt, dem wäre so – was die Kolonialpolitik und die Flotte betrifft, so sind wir leider genötigt, über diese »Fortschritte« heute anders zu denken, als man es 1914 geneigt war; wenn aber sozialpolitische Gesetze etwa erst nach wiederholter, gründlicher Erwägung, nachdem ihr Inhalt und ihre Bedeutung den weitesten Volkskreisen wirklich bekannt geworden, durchgesetzt werden, so wäre zwar die Verzögerung in den meisten Fällen unmittelbar von Übel, aber der Idee des sozialpolitischen Fortschrittes würde sie vermutlich hilfreich wirken, es wäre eine heftige und wahrscheinlich Jahre dauernde Anregung gegeben, mit der Frage sich zu beschäftigen und die verhängnisvolle Unkenntnis, Ursache zugleich und Wirkung der Gleichgültigkeit, zu bekämpfen. Der Volksentscheid müßte als ein beinahe zwingendes politisches Erziehungsmittel wirken; vielleicht wirkt er tatsächlich in der Schweiz so, obwohl die außerordentliche Verschiedenheit der Sprache, Lebensweise, des Bildungsstandes auf dem kleinen Gebiete ungemein erschwerend sich geltend machen muß. Delbrück erwähnt die Ablehnung des Kranken- und Unfallversicherungsgesetzes 1900, das erst bei erneutem Anlauf 1912, und zwar nur mit 287  565 gegen 241  416, durchgebracht wurde. Bemerkenswert scheint mir bei Vergleichung, daß die Zahl der annehmenden Stimmen 1900 nur 148 022 gewesen war, also sich beinahe verdoppelt hatte, während die der ablehnenden damals 342 114 betrug, also um fast 30% sich vermindert hat.

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»Das Volk wünscht keine Veränderung … Haut brennt.« – Ebd., 30. gehörig bekannt hat. – A: gehörig bekennt.. »die für unser Dasein … den größten Fortschritt bedeuten« – Ebd., 31. Kriegsflotte – bei einem Referendum – A: Kriegsflotte – … bei einem Referendum. Delbrück erwähnt – Vgl. ebd., 30. – Die Zahlenreihe von 1900 nicht bei Delbrück. Bemerkenswert scheint – A: Bemerkenswerter scheint.

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Jedenfalls ist Delbrücks zweiter Einwand dadurch fremdartig, daß er den Ausdruck des »Volkswillens« durch das Referendum nicht in Frage stellt. Daß der Volkswille töricht sein kann und sehr oft auf mangelhafter Erkenntnis des eigenen wahren Wohles beruht, ist eine Erwägung, die gegen alle Herrschaft des Volkes über sich selber spricht, wie auch entsprechender Weise die Freiheit der Individuen oder der Korporationen mit gutem Grunde angefochten wird. Will man die »Freiheit«, so muß man auch ihre schlimmen Folgen ertragen. Manche wollen sie bloß um ihrer Idee willen; aber auch diese werden zumeist [301] behaupten, daß die guten Folgen weit überwiegen. Beweise sind schwierig, wenn nicht unmöglich. Das Frauenwahlrecht, dessen richtige Folgerung aus dem Gedanken der Volksvertretung er anerkennt, will Delbrück darum nicht gelten lassen, weil die stärkere Stimmenzahl, sobald die Frauen dabei sind, nicht mehr die stärkere Macht darstelle; der innere Sinn des Majoritätsprinzips sei nämlich, daß in friedlicher Weise stets die größere Macht regieren solle (S. 132), wie schon zuvor (S. 18) als der einzige Grund für die Herrschaft der Mehrheit geltend gemacht wurde, daß die größere Masse auch die größere Macht bedeute. Es sei ein rein praktisches Prinzip. »Wenn man Bürgerkriege vermeiden will, läßt man die regieren, die bei einem Kampfe auf jeden Fall die Oberhand haben würden, und das sind die Meisten.« Ich halte dies nicht für richtig. Daß historisch der Gedanke, daß sieben stärker sind als sechs, bei der Entwicklung des Prinzips mitgewirkt hat, verkenne ich nicht; lehrreiche Nachweisungen finden sich in dem unerschöpflichen Born von Gierkes Genossenschaftsrecht. Es bedeutet aber doch: sieben Gleiche gegen sechs Gleiche, gleich starke und gleich gut bewaffnete. Der Begriff der Gleichheit ist das entscheidende Moment. Dazu kommt ein anderer Gedanke: der der willensfähigen Körperschaft, der Einheit des Kollegiums. Daß diese am vollkommensten sich darstellt bei vollkommener Einmütigkeit, ist offenbar; demnächst aber um so vollkommener, je stärker das Übergewicht einer Seite über die andere. Dabei wird der Gedanke der Gleichheit der beteiligten Mitglieder um so leichter sich einstellen, je mehr er durch deren Beschaffenheit nahe gelegt ist, z. B. durch die Tatsache des gleichen Geschlechtes, der gleichen Abstammung (zumal wenn vom gleichen Elternpaar – Bruderschaft –), des gleichen Berufes, des gleichen Standes und Ranges, also auch  2 22 26

Ausdruck des »Volkswillens« – Vgl. hier auch eine Ergänzung Tönnies’ aus seiner Korrespondenz mit Delbrück auf S. 584, Z. 26. »Wenn man Bürgerkriege vermeiden … sind die Meisten.« – Ebd., 18. Gierkes Genossenschaftsrecht – Gierke 1868, 1873, 1881, 1913.

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z. B. der gleichen Abhängigkeit von einem Herrn, am ehesten aber der gleichen Freiheit und männlichen Waffenfähigkeit; die Gleichsetzung ist hier eine so notwendige und vorherrschende Funktion des menschlichen Denkens wie im ganzen Gebiete der reinen Wissenschaft, vor allem also in dem des Rechnens und der Mathematik. Aber die Entscheidung durch Mehrheit der Stimmen ist keineswegs die einzige Art des Sich-einigwerdens. Welche Art gelten soll, ist wie alle Geltung, bedingt durch einen sozialen Willen, der im gesellschaftlichen Sinne als ein Vertrag oder als Satzung »sich geltend macht«; in jedem Falle gehorcht der einzelne einer Norm, die er als geltend anerkennt. Ein Kollegium will als Einheit wirken – es will am ehesten, wenn es wollen muß, und es muß, wenn es soll. So soll ein Gerichtshof erkennen. Die Richter werden durch Eide verpflichtet; sie werden [302] etwa in einen Raum eingeschlossen und dürfen nicht Speise oder Trank erhalten, bis sie sich einig geworden sind; ein Druck auf den Magen, der den »Eigensinn« des Gehirnes zuweilen brechen wird. Die Nötigung macht es um so wahrscheinlicher, daß die Minderheit nachgibt, daß sie den Spruch der Mehrheit als Spruch der Gesamtheit anerkennt. Daß aber nicht eine einzige Form naturnotwendig, offenbart sich in der Mannigfaltigkeit von Bestimmungen, die wir in allerhand Vereinen finden: bei Stimmengleichheit entscheidet der Vorsitzende; bis zu gewissen Grenzen kann der Vorstand oder kann sogar der Vorsitzende selbständig handeln, sogar Regeln aufstellen, über Gelder verfügen usw.; was alles im modernen Staate, der ja durchaus nach Art eines Vereines vorgestellt wird, Gegenbilder findet. Auch im demokratischen Staate wird von der Regierung erwartet und verlangt, daß sie im Sinne der Gesamtheit, das ist des Staates, des Landes, nicht nur der Mehrheit wirke und verordne; nur die feste Überzeugung, daß alles, was die eigene Partei wolle oder worüber die Koalition von Parteien einig ist, aus der die Regierung hervorgeht, zum Wohle des Ganzen diene, gibt einer Parteiregierung ihre subjektive Redlichkeit, so sehr sie den Unwillen der Minderheit erregen mag. – Wenn etwa die Gleichheit der Individuen, die ein bestimmtes Lebensjahr vollendet haben, Grundlage des Grundgesetzes der Volkswahlen und Volksabstimmungen als der Normen des Volksstaates ist, so gilt diese Gleichheit zwar in allen Kollegien, deren Mitglieder als gleiche gelten, auch in solchen, die aus ganz anderem, z. B. DreiklassenWahlrecht, hervorgehen, aber sonst keineswegs in allen beschließenden Versammlungen. In den Generalversammlungen der Aktiengesellschaf-

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Sich-einigwerdens – A: Sich-Einig-Werdens. Mannigfaltigkeit – A: Mannigfalt.

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ten wird nicht nach Köpfen abgestimmt, sondern es wird nach der Zahl der Aktien gefragt, die der einzelne Kopf vertritt, so daß die Stimme des einen Aktionärs tausendmal so schwer wiegen kann als die des anderen. Und auf dem Gegenpol finden wir, daß die Kongresse der Gewerkschaften und anderer Arbeiterverbände die gewählten Vertreter nach der Zahl der von ihnen vertretenen Individuen bewerten, also keineswegs als gleiche Volksvertreter gelten lassen. So könnte  füglich als  folgerichtiges Ergebnis des demokratischen Gedankens die Ungleichheit der Abgeordneten in einer gesetzgebenden Volksvertretung sich herausstellen, indem jeder Abgeordnete so viel Gewicht in die Wagschale legte, als die Zahl seiner Wähler ausmacht; und um die Vertretung der Minderheiten noch vollkommener zu machen, als es durch das von mir (1917) empfohlene Prinzip des Addierens der überschüssigen Stimmen5 geschähe, müßten die schließlich unvertreten bleibenden Stimmen in der Lage sein, das Gewicht irgendeines ihnen [303] zusagenden Abgeordneten nachträglich durch Übertragung ihrer Stimmen zu vermehren. Es  fehlte dann nur noch, daß man auch die Ungleichheit der einzelnen Wähler zur Geltung kommen ließe, nämlich nicht etwa die Ungleichheit nach Besitz, Bildung, Begabung, moralischem Wert, was der demokratische Gedanke immer verschmähen müßte, sondern einfach die Verschiedenheit, ob ein Wähler (eine Wählerin) nur sich selber oder auch eine gewisse Zahl von nicht wahlberechtigten Personen, z. B. sieben Schulkinder »vertritt«, die vielleicht nicht als gleichwertig, aber doch zusammen etwa zwei bis drei Wahlstimmen aufwiegend gedacht werden könnten6. [304]

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Der englische Staat und der deutsche Staat, S. 101. Erst nachdem diese Arbeit abgeschlossen war (zum größten Teil ist sie vor 3 Jahren geschrieben), lernte ich die Abhandlung »Vom Wesen und Wert der Demokratie« von Hans Kelsen (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 47. Bd., 1. H.) kennen. Wenn Zeit und Gelegenheit erlauben werden, die hier mitgeteilten Gedanken weiter zu führen, so möchte ich versuchen, sie mit denen Kelsens in Verbindung zu bringen. Der englische Staat und der deutsche Staat – Tönnies 1917a: 101. »Vom Wesen und Wert der Demokratie« – Kelsen 1920a.

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Das Problem der Demokratie1 war für die alten Griechen, die es wohl zuerst aufgeworfen haben, ein anderes, als es für uns heute ist. Damals 1

Literatur: A. de Tocqueville, Oeuvres. Vol. I: De la démocratie en Amérique; deutsch: Über die Demokratie in Nordamerika, übersetzt von F. A. Rüder. 2 Bde. Leipzig 1836; E. Alletz, La démocratie nouvelle. Paris 1834; G. G. Gervinus, Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts. Leipzig 1853; H. S. Maine, Popular Government. Four essays. London 1885; J. Bryce, The American Commonwealth. New edition. 2 Bde. New York 1911; E. Laveleye, Le gouvernement dans la démocratie. Bd. I u. II. Paris 1891; W. E. H. Lecky, Democracy and Liberty. New edition. 2 Bde. London, New York u. Bombay 1899; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre. 3. Aufl., 4. Abdr. Berlin 1922; W. Hasbach, Die moderne Demokratie. Eine politische Beschreibung. Jena 1912; J. Bryce, Modern Democracies. 2 Bde. London 1921. Deutsch von Loewenstein u. Mendelssohn Bartholdy, 3 Bde. 1923; N. Bucharin, Theorie des Historischen Materialismus. Gemeinverständliches Lehrbuch der Marxistischen Soziologie. Hamburg 1922; A. T.

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Zur Soziologie des demokratischen Staates – Der Aufsatz erscheint 1923 im Weltwirtschaftlichen Archiv (19: 540–584, Tönnies 1923a, im Folgenden A). – Unter dem Titel die Autorenzeichnung »Von Professor Ferdinand Tönnies, Kiel«. Die Zeitschrift ist der Antiqua gesetzt. – Der Aufsatz geht weit über eine Besprechung aktueller Literatur hinaus. Vgl. im Editorischen Bericht S. 658. Tocqueville – Tocqueville 1835. Über die Demokratie in Nordamerika – Tocqueville 1836. Alletz, La démocratie – Recte Alletz 1837. Gervinus, Einleitung – Gervinus 1853. Maine, Popular Government – Maine 1885. Bryce, The American Commonwealth – Bryce 1888. Laveleye, Le gouvernement – Laveleye 1891. Lecky, Democracy – Lecky 1896. Jellinek, Allgemeine Staatslehre – Jellinek 1922. – A verweist auf Jellinek 1914. Hasbach, Die moderne Demokratie – Hasbach 1912. Bryce, Modern Democracies – Bryce 1921, dt. 1923, 1925, 1926. – Die hier herangezogene Ausgabe (New York 1921) hat andere Seitenzahlen als die von Tönnies verwandte. – In A fehlt der Verweis auf die deutsche Ausgabe. Bucharin, Theorie – Bucharin 1922.

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beruhte es auf der Erfahrung herrschender Stadtgemeinden, in denen die anfänglichen Herren: Fürsten und Geschlechter, von Bürgern und Bauern aus ihrer Machtstellung verdrängt waren. Vielfach schwankten die Formen der Regierung, so daß z. B. beim Ausgang des Peloponnesischen Krieges viele Städte von der Staatsform des besiegten Athens, eben der Demokratie, zur Oligarchie des siegreichen Sparta übergingen. Daß es überall in den Demokratien einen Stand von Schutzbürgern, die keine politischen Rechte hatten, und einen noch viel zahlreicheren Sklavenstand gab, der überhaupt keine Rechte hatte, wurde allgemein als  für den Begriff gleichgültig gesetzt. Aristoteles nennt in seiner Politik die Verfassung, in der die Gesamtheit der Bürger die Macht habe, nicht Demokratie, sondern Verfassung schlechthin und versteht als Demokratie nur die Entartung der bürgerlichen Selbst[305]regierung und stellt sie der Oligarchie gegenüber, als der fehlerhaften Gestalt einer Aristokratie: Demokratie scheint ihm gegeben, wenn die Freien, Oligarchie, wenn die Reichen Herr sind. Als erste Form der Demokratie versteht er diejenige, in der die Gleichheit am besten durchgeführt sei. Das Gesetz einer solchen bestimme die Gleichheit dahin, daß die Armen nicht mehr bedeuten sollen als die Reichen und weder die einen noch die anderen Herr seien, sondern alle gleichartig, »denn wenn, wie einige annehmen, Freiheit vorzüglich in der Demokratie zu  finden ist und Gleichheit, so wäre beides wohl am meisten vorhanden dadurch, daß alle insgesamt auf gleiche Art an der Verfassung gemeinsamen Anteil haben; da aber das Volk die größere Zahl ist und das, was die Mehrheit beschließt, gilt, so muß dies notwendig eine Demokratie sein«. Er unterscheidet dann in nicht ganz klarer Weise mehrere andere Arten der Demokratie. Später hat sich der Sprachgebrauch herausgebildet, Demokratie als eine neben der Monarchie und der Aristokratie normale Staatsform zu Hadley, Undercurrents in American Politics. New Haven 1915; Derselbe, Economic Problems of Democracy. Cambridge 1923; J. Dowd, Democracy in America. Oklahoma City 1923; H. Cunow, Die Marxsche Geschichts-, Gesellschafts- und Staatstheorie. 2 Bde. Berlin 1920; M. Weber, Gesammelte politische Schriften. München 1921; Hauptprobleme der Soziologie. Erinnerungsgabe für Max Weber. 2 Bde. München u. Leipzig 1923. 25 30 30 31 32 33

»denn wenn, wie einige annehmen … eine Demokratie sein« – Vgl. Politik, Buch IV, 4. (Aristoteles 1996: 20). Hadley, Undercurrents … Derselbe, Economic Problems – Hadley 1915 und 1923. Dowd, Democracy – Recte: Dowd 1921. Cunow, Die Marxsche – Cunow 1920 und 1921. Gesammelte politische Schriften – Weber 1921. Hauptprobleme – Palyi 1923.

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begreifen und ihre Entartung Ochlokratie zu nennen (wie die Entartung des Königtums Tyrannis, die der Aristokratie Oligarchie). Oft wird auch die Lehre des Aristoteles so dargestellt. Diese hat einen unermeßlichen Einfluß auf die neuere Denkungsart ausgeübt, nachdem ihr Urheber fast als unfehlbarer Führer in allen weltlichen Wissenschaften anerkannt war, also etwa seit Ende des zwölften Jahrhunderts in Westeuropa. Bei der Erörterung des Wertes jener Formen hat ein starkes Übergewicht der Meinung sich zugunsten der Mischung der echten Hauptformen herausgebildet, und Montesquieu, dessen Einfluß für eine geraume Zeit mit dem des Aristoteles in Wettbewerb trat, sah in der englischen Verfassung seinerzeit diese Idealverfassung und in ihr die politische Freiheit beinahe ganz verwirklicht. In den Demokratien, meint er, scheine das Volk zu tun, was es will; aber die politische Freiheit bestehe nicht darin, zu tun, was man will. In einem Staat, d. h. in einer Gesellschaft, worin es Gesetze gebe, könne die Freiheit nur darin bestehen, daß man tun könne, was man wollen muß, und daß man nicht gezwungen sei, zu tun, was man nicht wollen muß. Die Mischung der Staatsformen bringt Montesquieu in Zusammenhang mit der Scheidung der Staatsgewalten, die einander gegenseitig hemmen und beschränken sollen. Die richterliche Gewalt ist bei Montesquieu nicht verschieden von der nach innen gerichteten Exekutive und hat nach ihm für die Verfassung keine andere als temperierende Bedeutung. In den monarchischen Staaten Europas sind lange Zeit für den emporkommenden dritten Stand, und daher für die öffentliche Meinung, diese beiden Ideale: Beschränkung der monarchischen Ge[306]walt durch eine Vertretung des Volkes und Unabhängigkeit der Staatsgewalten voneinander in wenig angefochtener Geltung geblieben. Von der reinen Demokratie war nicht oft die Rede. Eine Analogie zur Antike hätte man wohl in manchen Städterepubliken des Mittelalters finden können; aber teils waltete dort über ihnen ein auch kirchlich geheiligtes Kaisertum, teils waren sie, wie die berühmtesten Oberitaliens, ausgesprochene Aristokratien oder schwankten zwischen dieser Form und der illegitimen Tyrannis; unter den hervorragenden Städten hat nur Florenz zeitweilig eine demokratische Gestaltung bewahrt. – In der Neuzeit ist das Andenken dieser städtischen Republiken allmählich mehr und mehr durch die großen Monarchien verdunkelt worden, wenn auch innerhalb der größten und ehrwürdigsten die Reichsstädte sich behaupteten, von denen aber wiederum die großen am wenigsten Veranlassung zu Forschungen über demokratische Verfassung gaben. Auch die Kolonien Nordamerikas blieben zunächst Republiken unter der monarchisch-aristokratischen Vormundschaft des Mutterlandes.  4

neuere Denkungsart ausgeübt – A: neuere Denkungsart geübt.

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Auch nachdem sie sich losgerissen und sich mit den Vereinigten Staaten verbanden, blieben die meisten und blieb auch die Union vom Wesen der Demokratien noch ziemlich weit entfernt, wenn auch die Verfassungen sehr bald dahin verstanden wurden, daß sie demokratische Verfassungen seien und die Tendenz der meisten Einzelstaaten wie die des Bundestaates mehr und mehr in diese Richtung ging. Die Episode der französischen Demokratie inmitten der großen Revolution, die so rasch in den Cäsarismus überging, diente mittelbar durch den großen Rückschlag, den die gesamte Revolution und die partielle Weltherrschaft ihres Vollstreckers hervorrief, zur Befestigung des monarchischen Bewußtseins in Europa, das auch durch die neuen Staatsveränderungen des 19. Jahrhunderts nur wenig erschüttert, durch die Erfolge und Vormachtstellung des preußischen Königtums und das neue deutsche Kaisertum aufs neue gestärkt wurde.

II Als Alexis de Tocqueville in den ersten Zeiten des Juli-Königtums die Demokratie in Nordamerika beschrieb, meinte er im strengen Sinne sagen zu können, daß das Volk in den »Vereinigten Staaten« regiere: es ernenne die Gesetzgeber und die vollziehende Gewalt, es bilde auch die Jury zur Bestrafung der Gesetzesübertreter. Nicht nur seien die Institutionen demokratisch in ihrem Prinzip, sondern, überdies in allen ihren Entfaltungen; so ernenne das Volk direkt seine Vertreter und wähle sie im allgemeinen jährlich, um sie vollständiger in seiner Abhängigkeit zu halten. »Es ist also in Wirklichkeit das Volk, [307] welches leitet, und obgleich die Regierungsform repräsentativ ist, so ist doch offenbar, daß die Meinungen, die Vorurteile und die Interessen und sogar die Leidenschaften des Volkes keine dauernden Hemmungen finden können, wodurch sie behindert würden, in der täglichen Leitung der Gesellschaft sich darzustellen.« In der Allgemeinheit des Wahlrechtes sah der ausgezeichnete Beobachter kein Merkmal der Demokratie, vielmehr meinte er deren Wesen im sozialen Zustand zu erkennen, 28

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»Es ist also in Wirklichkeit das Volk… Gesellschaft sich darzustellen.« – »C’est donc réellement le peuple qui dirige, et quoique la forme du gouvernement soit représentative, il est évident que les opinions, les préjugés, les intérêts, et même les passions du peuple ne peuvent trouver d’obstacles durables qui les empêchent de se produire dans la direction journalière de la société.« (Tocqueville 1835 II: 2). im sozialen Zustand zu erkennen – A: im sozialen Zustande zu erkennen.

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indem er meinte, daß dieser zwar in der Regel gemeinsames Ergebnis von Tatsachen und Gesetzen sei, wenn aber vorhanden, so dürfe man ihn als erste Ursache der Gesetze, der Gewohnheiten und der Ideen betrachten, die das Verhalten der Völker ordnen. Der soziale Zustand bei den Amerikanern sei aber durchaus demokratisch seit Entstehung der Kolonien, er sei es aber noch mehr zu der Zeit, da er, Tocqueville, ihn kennengelernt habe. Freilich schränkt er dieses Urteil alsbald erheblich ein: im Süden des Hudson sei aus den großen englischen Grundeigentümern eine vornehmere Klasse mit eigenem Geschmack und eigenen Begriffen entstanden, der auch die politische Leitung zufiel. Tocqueville weiß auch sehr wohl, daß in den meisten Staaten das Wahlrecht an einen Zensus geknüpft war, der oft auch ein Grundeigentum forderte; er weiß natürlich auch, daß die Sklaverei noch in voller Blüte stand, daß auch die Reste der schwer mißhandelten Indianer politisch rechtlos waren, daß man immer noch beflissen war, sie zu verdrängen und zu vertilgen. Er meint immer das zu seiner Zeit noch weit mehr als später vorherrschende angloamerikanische Volk, wenn er geltend macht, daß in Amerika die Volkssouveränität von den Sitten anerkannt, in den Gesetzen proklamiert sei; bis zu der Erklärung der Unabhängigkeit habe sie in den Gemeindeversammlungen sich verstecken müssen, dann aber sei sie das Gesetz der Gesetze geworden und habe sich der Regierung bemächtigt. Tocqueville sieht auch scharf und deutlich voraus, daß der Wahlzensus nicht haltbar sein werde. Ja, er erklärt es für eine unerschütterliche geschichtliche Wahrheit in allen Staaten, daß der Zensus, einmal angegriffen, allmählich ganz verschwinde. »Ein Zugeständnis folgt auf das andere, und erst dann wird es ruhig, wenn jedermann mitstimmen darf.« Er dachte noch nicht an jede Frau. Tocqueville hält aber das Bestehen einer demokratischen Republik jenseits des Meeres für eine so merkwürdige Erscheinung, daß er ihre Dauer auf ganz besondere Ursachen zurückführen zu sollen meint. An die Spitze dieser Ursachen setzt er den Umstand, daß die Union keine Nachbarn habe, darum keine großen Kriege, keine finanziellen Krisen, keine Verwüstungen, keine Eroberungen fürchten müsse. »Sie brauchen weder [308] hohe Steuern noch eine zahlreiche Armee, noch große Generale; sie haben fast nichts zu fürchten von einer Geißel, die für die Republiken schrecklicher ist als alle genannten zusammen: ich meine den militärischen Ruhm.« Ferner habe 25

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»Ein Zugeständnis folgt … jedermann mitstimmen darf.« – »… les concessions se succèdent sans relâche, et l’on ne s’arrête plus que quand on est arrivé au suffrage universel.« (ebd., I: 65). »Sie brauchen weder … ich meine den militärischen Ruhm.« – »… ils n’ont besoin ni de gros impôts, ni d’armée nombreuse, ni de grands généraux; ils n’ont presque rien à redouter d’un fléau plus terrible pour les républiques que tous ceux-là ensemble, la gloire militaire.« (ebd. II: 199).

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Amerika keine große Hauptstadt, und so gebe es noch viele Umstände, unter denen wohl der wichtigste der Ausgangspunkt ihrer kolonialen Ansiedelungen sei, indem von Anfang an die Gleichheit der Lebenslagen und die der Intelligenzen bestand, »woraus die demokratische Republik eines Tages wie aus ihrer natürlichen Quelle hervorgehen mußte«. Ein fernerer günstiger Umstand, der zur Erhaltung der demokratischen Republik beitrage, sei die Weite und Menschenleere des Landes, über das hin die Amerikaner in unablässigen Wanderungen sich verbreiten; dazu helfe der Umstand, daß der fortgesetzten Unterteilung des Grundbesitzes die Sitte entgegen sei. Tocqueville erörtert ferner den Einfluß der Gesetze und den der Sitten auf die Erhaltung der demokratischen Republik, endlich als den mächtigsten Faktor die Religion als politische Institution; der mittelbare Einfluß, zumal der Einfluß der unzähligen Sekten sei noch mächtiger als der unmittelbare: nämlich wenn sie gar nicht von Freiheit rede, unterweise die Religion am besten die Amerikaner in der Kunst, frei zu sein. Sehr eingehend beschäftigt der Beobachter sich mit der Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten und mit den Wirkungen der Gesetze, der öffentlichen Meinung und der Tätigkeit der Priester selber in der Richtung auf dies Ergebnis. Indem er mit dem Worte Sitten die Gesamtheit der intellektuellen und moralischen Dispositionen verstehen will, welche die Menschen in den sozialen Zustand hineintragen, glaubt er, daß die Sitten mehr als die Gesetze und die Gesetze mehr als die physischen Umstände dazu beitragen, die demokratischen Institutionen der Vereinigten Staaten zu erhalten. Immer kommt er darauf zurück, daß der demokratische soziale Zustand das Entscheidende sei, und diesen meint er zu erkennen in der ursprünglichen Gleichheit oder im Fehlen der Aristokratie. »Die Sitten und die Gesetze der Amerikaner sind nicht die einzigen, die für demokratische Völker sich eignen; aber die Amerikaner haben gezeigt, daß man nicht daran verzweifeln muß, die Demokratie mit Hilfe der Gesetze und der Sitten zu regeln.« Und er schließt den langen Abschnitt, der diese Betrachtungen enthält, mit dem Bekenntnis, das gleich manchen anderen Einsichten des im Grunde konservativ gerichteten Grafen merkwürdig ist: »Die Organisation und die Einrichtung der Demokratie unter den Christen ist das große politische Problem unserer Zeit. Die Amerikaner lösen ohne Zweifel dies Problem  5 30

»woraus die demokratische Republik … hervorgehen mußte« – »… d’où la république démocratique devait sortir un jour comme de sa source naturelle.« (ebd., 198). »Die Sitten und die Gesetze … Gesetze und der Sitten zu regeln.« – »Les mœurs et les lois des Américains ne sont pas les seules qui puissent convenir aux peuples démocratiques; mais les Américains ont montré qu’il ne faut pas désespérer de régler la démocratie à l’aide des lois et des mœurs.« (ebd., 260).

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nicht, aber sie liefern denen, die es lösen wollen, nützliche Lehren.« Der Politiker Tocqueville hat, wie noch ins[309]besondere aus dem letzten Stück dieser Erörterung hervorgeht (das Schlußkapitel X beschäftigt sich noch mit dem Verhältnis der drei Rassen in den Vereinigten Staaten), unablässig die Folgerungen im Auge, die sich ihm aus seinen Ergebnissen für Europa, d. h. natürlich für Frankreich, ergeben. Er meint, daß es nur die Wahl habe zwischen demokratischer Freiheit und cäsarischer Tyrannei. »Wenn man schließlich zu einer vollkommenen Gleichheit kommen müßte, wäre es nicht besser, durch die Freiheit als durch einen Despoten sich nivellieren zu lassen?« Und endlich: »Aber ich denke, daß, wenn man nicht dahin gelangt, bei uns demokratische Institutionen allmählich einzuführen und schließlich zu begründen; wenn man darauf verzichtet, allen Bürgern Gedanken und Empfindungen zu geben, welche sie zunächst vorbereiten auf die Freiheit und alsdann ihnen deren Gebrauch gestatten – so wird es keine Unabhängigkeit geben für irgendwen, weder für den Bürger, noch für den Adligen, weder für den Armen, noch  für den Reichen, sondern eine gleiche Tyrannei  für alle; und ich sehe voraus, wenn es nicht gelingt, unter uns mit der Zeit die friedliche Herrschaft der größeren Zahl zu begründen, so werden wir früher oder später zur unbegrenzten Macht eines Einzigen gelangen.« Man erkennt, daß es  für Tocqueville keinen wesentlichen Unterschied gibt zwischen Demokratie und vorwaltendem Liberalismus. Er bestimmt oft das Wesen der amerikanischen Demokratie dahin, daß sie den Geist der Freiheit mit dem Geiste der Religion verbinde. Indessen gelangt er im zweiten Teil seines Werkes zu einer etwas schärferen Fassung des Begriffes der Demokratie, indem er im  fünften Kapitel des zweiten Bandes die da-

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»Die Organisation und … nützliche Lehren.« – »L’organisation et l’établissement de la démocratie parmi les chrétiens est le grand problème politique de notre temps. Les Américains ne résolvent point sans doute ce problème, mais ils fournissent d’utiles enseignements à ceux qui veulent le résoudre.« (ebd., 261). »Wenn man schließlich zu einer vollkommenen Gleichheit … sich nivellieren zu lassen?« – »et s’il fallait enfin en arriver à une complète égalité, ne vaudrait-il pas mieux se laisser niveler par la liberté que par un despote?« (ebd., 267). »Aber ich denke, daß, wenn … unbegrenzten Macht eines Einzigen gelangen.« – »Mais je pense que si l’on ne parvient à introduire peu à peu et à fonder enfin parmi nous des institutions démocratiques, et que si l’on renonce à donner à tous les citoyens des idées et des sentiments qui d’abord les préparent à la liberté et ensuite leur en permettent l’usage, il n’y aura d’indépendance pour personne, ni pour le bourgeois, ni pour le noble, ni pour le pauvre, ni pour le riche, mais une égale tyrannie pour tous; et je prévois que si l’on ne réussit point avec le temps à fonder parmi nous l’empire paisible du plus grand nombre, nous arriverons tôt ou tard au pouvoir illimité d’un seul.« (ebd., 268).

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mals noch weniger als heute richtige Behauptung zugrunde legt, von allen Staaten der Union sei das allgemeine Stimmrecht angenommen worden. Ein gegenwärtiger, dort einheimischer Beobachter, A. T. Hadley (der Präsident der Yale-Universität), berichtigt Tocqueville dahin: 1. bis 1820 sei die amerikanische Nation in ihrer sozialen Verfassung ganz vorwiegend aristokratisch gewesen, und englisch – erst von da an sei insbesondere das politische System demokratisch und amerikanisch geworden; 2. zunächst seien es die neuen bis 1840 gebildeten Staaten gewesen, die allen  freien Männern das Stimmrecht verliehen; mehrere ältere Staaten wie New York, Massachusetts seien dann gefolgt. Tocquevilles Werk, das in seinem Vaterlande eine glänzende Aufnahme fand, war in der Tat mit starken politischen Absichten für Frankreich geschrieben: er wollte die französische Demokratie, deren Heraufkommen er sah, ohne scharf zwischen einem liberal-bürgerlichen Regiment und der eigentlichen Demokratie zu unterscheiden, im voraus durch das Vorbild Amerikas erziehen: ganz besonders lag ihm dabei [310] an dem Gegensatz gegen die administrative Zentralisation, also an provinzieller und lokaler Selbstverwaltung. Die Zentralisation war für sein Bewußtsein unlöslich verknüpft mit der Erinnerung an das ancien régime und den Absolutismus; er blieb persönlich bei allen großen Einräumungen an den Zeitgeist Aristokrat genug, um den »Despotismus« am meisten zu verabscheuen. Im Anfang des genannten fünften Kapitels spricht er sich dahin aus, daß die französische Nation durch eine unwiderstehliche Bewegung Tag für Tag fortgerissen werde, daß sie blindlings wandere, vielleicht auf den Despotismus, vielleicht auf die Republik, aber sicherlich auf die Demokratie zu. Und er verhehlt nicht, daß er die demokratische Republik dem demokratischen Despotismus bei weitem vorziehe. Gegen Ende seines Werkes spricht er sich dahin aus, man habe bisher gemeint, der Despotismus sei abscheulich, welche auch immer seine Formen, aber »in unsern Tagen hat man entdeckt, daß es in der Welt legitime Tyrannien und heilige Ungerechtigkeiten gebe, vorausgesetzt, daß man sie ausübe im Namen des Volkes«. Ein Satz, der auch in diesem Jahre 1923 bemerkenswert ist. – Wenige Jahre nach dem berühmten Buche erschien in

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Hadley … berichtigt Tocqueville – Zur Kritik an Tocqueville vgl. Hadley 1915: 21–23, Fn. – Zu 1: »The social order [vor und nach der amerikanischen Revolution 1776] was essentially an aristocratic one not quite so much so as it was in England at that time, but very much more so than it is in England today.« (ebd., 11, vgl. auch 14) – Zu 2 vgl. ebd., 22 f. »in unsern Tagen … im Namen des Volkes« – »Mais on a découvert de nos jours qu’il y avait dans le monde des tyrannies légitimes et de saintes injustices, pourvu qu’on les exerçât au nom du peuple.« (Tocqueville 1835 II: 419).

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Paris eine Verherrlichung des Bourgeoisregimentes von Eduard Alletz, ein Buch, das viel früher als das Tocquevillesche Werk mit dem Preise der Akademie gekrönt wurde. Er unterscheidet seine neue Demokratie, die er noch lieber Polykratie nennen will, ausdrücklich von der »alten«. »Da die alte Demokratie die Macht der Zahl ist und die Armen und die Unwissenden die zahlreichsten in dieser Gesellschaft sind, so muß man unter dieser Demokratie die Autorität der Unklugheit und des Elends verstehen.« Es wäre mehr Grund vorhanden, das Verhältnis des Alters umzukehren: wenigstens sofern die Demokratie als Parteibezeichnung gedient hat. In England wie in Deutschland hat man lange Zeit im 19. Jahrhundert als demokratisch die Bestrebungen der Parteien verstanden, die den Einfluß und die Macht des Adels und etwa auch der Geistlichkeit zugunsten der emporkommenden Bourgeoisie beschränken oder sogar vernichten wollten. Freilich meldete sich schon bald nach 1840 in den deutschen Staaten neben und hinter der »bürgerlichen« die soziale Demokratie als Partei, die aber nach dem Scheitern der Revolution 1848 einstweilen wieder in den Hintergrund trat, wie ohne eine solche Revolution in Großbritannien der Chartismus durch die ungeheure Entwicklung der großen Industrie in den Schatten gefallen war. In Deutschland erlosch dem Namen nach die bürgerliche Demokratie beinahe völlig zugunsten einer »Fortschrittspartei«, die dann unter wechselndem Namen und nach mehreren Spaltungen fortbestanden hat, bis sie im Jahre 1918 als deutsche demokratische Partei wieder erwachte, [311] nachdem inzwischen die Sozialdemokratie ihr längst über den Kopf gewachsen war, die zunächst durch ihr ökonomisch-politisches Programm, aber zugleich auch in der Verfassungsfrage durch das wenn schon nicht ausgesprochene Bekenntnis zur Republik und durch das offene Eintreten für das allgemeine Wahlrecht der Männer, bald auch für das der Frauen und für das Verhältniswahlrecht von allen sogenannten bürgerlichen Parteien sich unterschied und von der bürgerlichen Demokratie sich längst ausdrücklich getrennt hatte.

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»Da die alte Demokratie … Unklugheit und des Elends verstehen.« – »La vieille démocratie est la puissance du nombre; les pauvres et les ignorants étant les plus nombreux en toute société, il faut entendre, par cette démocratie, l’autorité de l’imprudence et de la misère.« (Allez 1837 I: ix).

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III Schon unmittelbar nachdem die Nationalversammlung zu Grabe getragen und der deutsche Bundestag wiederhergestellt war, schrieb (1852) G. G. Gervinus seine Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts. Er schließt sich an die Beobachtungen des Aristoteles über die Geschichte der griechischen Staatenwelt an und meint, ganz den gleichen Verlauf habe die europäische Staatsentwicklung in neuerer Zeit genommen, obwohl in weit größeren Verhältnissen der Massen, der Räume und Zeiten. Die ganze Zeit vom Ausgange des Mittelalters bis zu uns fülle ein einziger Kampf der demokratischen Ideen mit den aristokratischen Einrichtungen des Mittelalters; die ganze Geschichte auch seiner Generation sei nichts anderes als eine Erneuerung desselben noch immer ungeschlichteten Streites auf immer ausgedehnterem Gebiet, und der nämliche Kampf werde wieder dem kommenden Geschlecht zur weiteren Entscheidung übermacht. Wenn auch Gervinus zunächst nur an die politische Vorherrschaft des Bürgertums denkt, so sieht er doch schon klar, daß die Bewegung dieses Jahrhunderts »vom Instinkt der großen Massen getragen werde«: der Kampf dieser Zeiten gelte dem Emporstreben eines vierten Standes; der vierte Stand dränge aufwärts, um sich gleichzustellen mit dem dritten und mit ihm gemeinsam die oberen Stände und selbst die fürstliche Gewalt abzuwerfen. Das Bürgertum habe weder körperschaftlich den Ehrgeiz noch geschäftlich die Muße, den Hang, die Gewöhnung, sich als einen politischen Stand in starker Gewalt zu behaupten. Es komme hinzu, daß es von dem vierten Stande ganz anders abhängig und durch eine kleinere Kluft getrennt sei, als der Adel einst vom Bürgertum war. Das Feld sei den demokratischen Grundsätzen freigegeben. »Sie schreiten auf jedem Wege vor, auf dem gewaltsamen der Revolution, wo sie in den Lehren der Sozialisten die furchtbarsten Losungsworte agrarischer Gesetze erhalten haben; noch wirksamer aber auf dem stillen Wege der untergrabenden Gewalt der Ideen und Sitten.« Er beschreibt lebhaft, wie alle Elemente des sozialen Lebens zugunsten des Proletariats zusammen[312]wirken. »Dies ist der große Zug der Zeit. Die Stärke des Glaubens und der Überzeugung, die Macht des Gedankens, die Kraft der Entschlüsse, die Klarheit des Ziels, die Ausdauer der Hingebung sind in dem volkstümlichen Lager, alles was einer ge 4 18 30

Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts – Gervinus 1853. »vom Instinkt der großen Massen getragen werde« – »Die Bewegungen der Zeit sind von dem Instinkte der Massen getragen.« (ebd., 165). »Sie schreiten auf jedem Wege … Gewalt der Ideen und Sitten.« – Ebd., 173. – Gervinus schreibt »… Loosworte agrarischer Gesetze …«.

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schichtlichen Bewegung den providentiellen Charakter, den Charakter der Unwiderstehlichkeit gibt.« Diesen Charakter erkenne man in den Bewegungen der Zeit auch aus ihrem gesetzmäßigen Verlaufe. Die große Frage sei, ob die Bewegung des Proletariats nur eine vorübergehende Zuckung sein werde, wie die städtischen Bewegungen im 13. Jahrhundert, wie die Jacquerie und die Bauernkriege. Ob auch der vierte Stand noch der Jahrhunderte bedürfen werde zu seiner politischen Bedeutung und Berechtigung wie einst das Bürgertum? Gervinus ist durchaus geneigt, diese Frage zu verneinen: die Bewegung dieser Zeiten sei nicht veranlaßt wie jene durch vereinzelten Druck und Elend, sondern sie sei die Folge einer allgemeinen Idee. Alle Elemente der gegenwärtigen wirtschaftlichen und politischen Zustände, die sich in dieser Idee vereinigen, werden dargestellt, in bezug auf die politischen Formen, insbesondere dies: es sei nicht glaublich, daß die straffen Ordnungen Englands Aussicht hätten, auf das Festland überzugehen, sondern man müsse für unausbleiblich halten, daß vielmehr die demokratischen Ideen, welche die Welt bewegen, allmählich nach England hinüberdringen; die Verfassung Amerikas sei das Vorbild und die Vorliebe der großen Massen. – Gervinus, der schon als junger Mann zu den Göttinger Sieben gehörte, die ihr Amt für ihre politische Überzeugung preisgaben, tritt in dieser Schrift, die er in den Anfängen der antidemokratischen Reaktion verfaßte, nicht nur als ein weitsichtiger Denker, sondern auch als ein kühner Mann auf; kein Wunder, daß sie ihm einen Prozeß wegen Hochverrats und politischer Agitation zugezogen hat, der freilich im Sande verlief.

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»Dies ist der große Zug … Unwiderstehlichkeit gibt.« – Kleine Abweichungen: »… Stärke des Glaubens und der Überzeugungen, die Macht … die Ausdauer der Hingebung ist in dem volkstümlichen Lager, Alles was einer geschichtlichen Bewegung ...« (ebd., 174). Jacquerie – Die Grande Jaquerie bezeichnet einen Bauernaufstand in Frankreich im Jahr 1358. Göttinger Sieben – Die »Göttinger Sieben« sind sieben Professoren der Göttinger Universität, die 1837 gegen die Aufhebung der vergleichsweise liberalen Verfassung von 1833 im Königreich Hannover protestierten. Sie wurden alle entlassen, einige des Landes verwiesen. Die sieben Professoren erreichten eine hohe Publizität und viel öffentliche Solidarität.

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IV Unter den Schriften, die sich während der folgenden Jahrzehnte mit den Problemen der politischen Institutionen beschäftigt haben, dürfte als die erste von allgemeiner und dauernder Bedeutung jene zu nennen sein, die Sir Henry Sumner Maine im Jahre 1885 in Gestalt von vier Abhandlungen über Popular Government herausgab: er versteht unter diesem Ausdruck das System der modernen Volksvertretung. Er will es prüfen auf Grund der Erfahrung und findet, daß es sich als ungemein zerbrechlich erwiesen habe; dies ist der Gegenstand der ersten Abhandlung. In der zweiten betrachtet er das Wesen der Demokratie, dem jenes System mehr und mehr sich nähere, und er glaubt wahrscheinlich machen zu können, daß sie in der extremen [313] Gestalt, zu der es tendiere, von allen Arten der Regierung bei weitem die schwierigste sei. Dies führt er in der dritten Abhandlung dahin aus, daß der unablässige Wechsel, den die Demokratie, wie sie in der neuesten Zeit verstanden werde, zu fordern scheine, mit den normalen Kräften, von denen die menschliche Natur beherrscht werde, nicht harmoniere und darum leicht zu grausamer Enttäuschung oder zu ernstem Unheil  führe. Schon das System der Volksvertretung, insbesondere wie es seiner demokratischen Gestalt sich nähere (er meint also die parlamentarische Regierung), werde den ganzen politischen Scharfsinn und die ganze staatsmännische Kunst der Welt auf eine äußerst scharfe Probe stellen, um sie vor Mißgeschick zu bewahren. Einen gewissen Schutz gegen diese Gefahren findet er in der Verfassung der Vereinigten Staaten, der seine vierte Abhandlung gewidmet ist. Er trifft also hier nach einer verlängerten Erfahrung von 50 Jahren wieder mit Tocqueville zusammen, sofern man eine kleine Abhandlung mit einem großen Buch vergleichen darf. Maine sieht in der Verfassung der Union eine modifizierte Übertragung der britischen Verfassung, wie sie zwischen 1760 und 1787 sich darstellte: modifiziert nur durch die Umstände, unter denen die unabhängig gewordenen Kolonien sich befanden: Ausschluß der erblichen Monarchie und im Prinzip des erblichen Adels verstand sich von selbst. Die neue Verfassung konnte den in der Zeit liegenden Tendenzen politischer Unstetheit wehren, teils vermöge dessen, was sie aus den britischen Institutionen übernommen hatte, teils aber auch dank dem Scharfsinn, womit die amerikanischen Staatsmänner die Lücken aufzufüllen wußten, die dadurch entstanden, daß einige der damaligen britischen Institutionen auf die neuen Kolonien unanwendbar waren. »Dieser Scharfsinn gibt sich auf jeder Seite des

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Federalist kund, und man kann ihn Schritt für Schritt in der ganzen folgenden Geschichte der Vereinigten Staaten wahrnehmen.« Wenige Jahre nach dem Buche Maines erschien zuerst das Werk seines gelehrten schottischen Landsmannes James Bryce, die zwei starken Bände über den amerikanischen Staat, die auf lange Zeit hin das Meister- und Musterwerk über den Gegenstand geworden sind. Diesen Gegenstand will er unter ein ganz anderes Bezugssystem bringen als Tocqueville. »Für Tocqueville war Amerika in erster Linie eine Demokratie, die ideale Demokratie und angefüllt mit Lehren  für Europa, vor allem für sein Vaterland Frankreich. Was er uns gegeben hat, ist nicht sowohl eine Beschreibung von Land und Leuten als eine Abhandlung über die Demokratie, voll von feiner Beobachtung und bedeutendem Denken, dessen Folgerungen durch Amerika illustriert werden, aber weniger auf Analyse amerikanischer Phänomene als auf [314] allgemeine und etwas spekulative Ansichten der Demokratie abzielen, wie die  französischen Zustände sie angeregt hatten.« Die demokratische Regierung scheine ihm (Bryce) nicht eine in der moralischen und sozialen Sphäre so gewaltige Sache, wie Tocqueville gemeint habe; ihre Vorzüge und Fehler zu erörtern, lasse er sich weniger angelegen sein, als die Institutionen und das Volk Amerikas zu schildern, wie sie sind, indem er das Besondere an ihnen nicht allein auf die Souveränität, sondern auch auf die Geschichte und Überlieferungen des Volkes, auf seine Grundanschauungen, auf seine materielle Umgebung zurückführen wolle. Er lasse am liebsten die Tatsachen für sich selber sprechen, und je länger man einen großen Gegenstand studiere, desto vorsichtiger werde man mit seinen Schlußfolgerungen. In der Tat findet man, was einer allgemeinen Theorie der Demokratie ähnlich sähe, bei Bryce gar nicht. Eine Menge von Material dafür enthält der zweite Band allerdings. Hier stellt er nämlich (Part III) das Parteisystem mit seinen Politikern, seinen Bosses, seiner Maschine, seinem Beutewesen, seiner Korruption in eingehender Weise dar, wenn auch nicht in einem so großen und düsteren Gemälde, wie es nach ihm  2

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»Dieser Scharfsinn gibt … Vereinigten Staaten wahrnehmen.« – »This sagacity stands out in every part of the ›Federalist,‹ and it may be tracked in every page of subsequent American history.« (Maine 1885: 254). »Für Tocqueville war Amerika … französischen Zustände sie angeregt hatten.« – »To De Tocqueville America was primarily a democracy, the ideal democracy, fraught with lessons for Europe, and above all for his own France. What he has given us is not so much a description of the country and people as a treatise, full of exquisite observation and elevated thinking, upon democracy, a treatise whose conclusions are illustrated from America, but are in large measure founded, not so much on an analysis of American phenomena, as on general views of democracy which the circumstances of France had suggested.« (Bryce 1888 I: 3 f.).

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Ostrogorski enthüllt hat. Part IV behandelt in 12 Kapiteln die öffentliche Meinung, ihre Herrschaft, ihre Organe, ihre nationalen Eigenheiten, ihre örtlichen Typen. Hier handelt ein Kapitel über die schon von Tocqueville signalisierte Tyrannei der Mehrheit, die zufolge Bryce das amerikanische System nicht mehr beflecke (wie es früher freilich der Fall gewesen sei); die Anklagen, die man durch das vermeintliche Beispiel Amerikas gegen die Demokratie begründet habe, seien also grundlos. Verwandt damit sei allerdings, was Bryce den Fatalismus der großen Menge nennt. Der Glaube an das Recht der Mehrheit liege dem Glauben, daß die Mehrheit recht haben müsse, sehr nahe; aus ihrer Verbindung entspringe das minder bewußte, aber doch durchaus wirksame Gefühl, daß es unnütz sei, der Mehrheit zu opponieren oder sie zu kritisieren: die Neigung also, sich dabei zu beruhigen und sich zu unterwerfen. Dieser Fatalismus der großen Menge enthalte weder rechtlichen noch moralischen Zwang, aber er mindere die Widerstandskraft, den Sinn  für persönliche Verantwortlichkeit und für die Pflicht, seine eigene Meinung zu vertreten. »Viele unterwerfen sich willig; einige unwillig, aber sie unterwerfen sich. Selten hält einer durch und wagt, der großen Mehrheit seiner Landsleute zu sagen, daß sie im Unrecht sind.« In Part V begegnen wir zwei Kapiteln über Demokratie, von denen das erste (Kapitel 100) allgemein die vermeintlichen Fehler der Demokratie mit dem Ergebnis erörtert, daß man von diesen nur einen billigerweise den Vereinigten Staaten zur Last legen könne: wenigstens [315] trete er hier sichtbarer auf als in den konstitutionellen Monarchien Europas: nämlich die Neigung zur Schwachheit in Durchführung von Gesetzen, die bei irgendeinem erheblichen Teil der Bevölkerung unbeliebt seien, also Störungen der öffentlichen Ordnung zu dulden und insgemein zu nachsichtig gegen Verfehler zu sein. Die folgenden Kapitel wollen die wirklichen Fehler der amerikanischen Demokratie und ihre wirkliche Stärke darstellen. Der Einfluß des Reichtums, der Mangel an Würde im öffentlichen Leben, die hervorragende Stellung mittelmäßiger Menschen, das Fehlen hervorragender Gestalten werden darin bloßgestellt. Es seien nicht die Früchte von Freiheit und Gleichheit, sondern die Früchte eines Optimismus, der die inhärenten Schwierigkeiten der Politik und die inhärenten Mängel der menschlichen Natur unterschätzt, einer Theorie, wel 1  8 19

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Ostrogorski – Ostrogorski 1903. Fatalismus der großen Menge – »Fatalism of the multitude« (vgl. Bryce 1888 II: 297 ff.). »Viele unterwerfen sich … im Unrecht sind.« – »Many submit willingly; some unwillingly, yet they submit. Rarely does any one hold out and venture to tell the great majority of his countrymen that they are wrong.« (Ebd., 305). einer Theorie – A: in der Theorie.

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che Gleichheit, bürgerliche Rechte und Pflichten mit gleichen Fähigkeiten verwechselt habe, und an der Gedankenlosigkeit, die vergessen habe, daß die Probleme der Welt und die Gefahren, von denen die Gesellschaft bedrängt wird, immer neue Gesichter zeigen und in neuen Richtungen erscheinen. Die Vorzüge, soweit sie nicht unmittelbar in der Verfassung liegen, sieht Bryce 1. in der Stabilität, 2. in dem Sinn  für Gesetzlichkeit, 3. in dem Glauben an die Richtigkeit von Grundsätzen trotz aller einzelnen Mißerfolge, 4. in dem geringen Spielraum der Bürokratie, 5. in der geringen Ausdehnung von Klassenkämpfen, 6. in dem großen Umfange potentieller Energie der Zentralregierung, einem Ergebnis der Einigkeit der Nation, 7. habe die Demokratie einen gewissen Geist der Brüderlichkeit genährt, der sogar auf internationale Verhältnisse einen Einfluß übe. Interessant ist auch das letzte Kapitel (103) dieses Abschnittes, das den Gedanken entwickelt, Amerika wandle eine Straße, auf der wahrscheinlich die europäischen Nationen folgen würden. Es trage (in einem berühmten Gleichnis Dantes) hinter sich eine Lampe, deren Licht denen, die nach ihm kommen, mehr nütze, als es ihm selber nützen könne, weil einige der Gefahren, wodurch die Union hindurchgegangen sei, vielleicht auf keinem Punkte ihres Weges wiederkommen, während sie jenen, die hinter ihr hergehen, mutmaßlich noch bevorstehen. In diesem Sinne werden hier kurz die Hauptmerkmale des amerikanischen Staatslebens resümiert, zum Schluß die Plutokratie: die Tatsache, daß den Verfassungen Unterschiede des Eigentums nicht bekannt seien, mache sie weder weniger mächtig, noch weniger schädlich. Die Demokratien dürften von der Macht des Reichtums mit Dante sagen: Quivi trovammo Pluto il gran nemico.

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Auch Part VI »Soziale Institutionen«, enthält beachtenswerte Kapitel für die Kritik der Demokratie: so über den Einfluß der Religion [316] (111), über die Lage der Frauen (112), über Gleichheit (113), über den Einfluß der Demokratie auf das Denken (114) usw. Die Schlußkapitel betrachten die Zukunft der politischen Institutionen und die soziale und die ökono 2 26 28 29 29 30

und der Gedankenlosigkeit – A: und an der Gedankenlosigkeit – »Thoughtlessness« – vgl. die Passage ebd., 459, bei Bryce ohne Hervorhebungen. Quivi trovammo Pluto il gran nemico. – [Ital.] svw. Und Plutus sahen, den großen Widersacher (Dante 1989: 64 f. (I, 4, 115)). Einfluß der Religion (111) – In der verwandten Ausgabe Kapitel 104: »The influence of religion« (Bryce 1888 II: 571 ff.). die Lage der Frauen (112) – Kapitel 105: »The position of women« (584 ff.). Gleichheit (113) – Kapitel 106: »Equality« (599 ff.). Einfluß der Demokratie auf das Denken (114) – Kapitel 107: »The Influence of democracy on thought« (611 ff.).

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mische Zukunft. Es bestehe allerdings, so schließt das erste der beiden, die Möglichkeit, daß eine Zeit des Kampfes und der Gefahr bevorstehe, aber um sie zu bestehen, werde Amerika Elemente der Kraft haben, an denen es in manchen europäischen Ländern mangele. Eine weithin vorwiegende Feindseligkeit zwischen den Klassen sei nicht wahrscheinlich, wenn auch das Ringen zwischen Kapital und Arbeit heftiger geworden sei. Auch das letzte Kapitel klingt in Zuversicht und Hoffnung aus. Insbesondere im Westen der Union schimmert dem Verfasser das Glück entgegen, wenn er auch den Übeln des allzu raschen Wachstums sich nicht verschließt. Und im ganzen gilt ihm: »So viel als das Volk der Vereinigten Staaten hoffnungsvoller ist, um so viel gesünder ist es auch.« Auch habe Amerika noch eine lange Reihe von Jahren vor sich, worin es weit günstigere Lebensbedingungen genießen werde, als worauf irgendein europäisches Land rechnen könne. Die kluge, anziehende, behaglich sich ergehende und doch nicht zu breite Darstellung Bryces kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß für seinen schottischen Liberalismus Amerika das gelobte Land gewesen und geblieben ist. Bei allen Zugeständnissen an die Tadler der öffentlichen Zustände dieses Landes ist er immer der offenbare Apologet, und ohne Zweifel versagt zuweilen sein kritischer Scharfsinn angesichts der trüben Tatsachen, wie namentlich Ostrogorski sie aufgedeckt hat, wie sie aber auch von Amerikanern selber eingeräumt werden. Ich habe2 eine Andeutung von sentimentaler Beschönigung gemacht, die Bryce den Zuständen der Vereinigten Staaten zuteil werden lasse. Ich werde bei Erörterung des jüngeren, großen Werkes, das dem ausgezeichneten Autor verdankt wird, darauf zurückkommen.

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F. Tönnies, Kritik der Öffentlichen Meinung. Berlin 1922. S. 345.

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»So viel als das Volk … gesünder ist es auch.« – »And by so much as the people of the United States are more hopeful, by that much are they more healthy.« (ebd., 718). Andeutung von sentimentaler Beschönigung – »Vor Bryces eigener Darstellung zeichnet sich Ostrogorski dadurch aus, daß er, obschon sich selber als Demokraten bekennend, den amerikanischen Zuständen keine sentimentale Beschönigung zuteil werden läßt, sondern nur beflissen ist, zu schildern, was ist.« (Tönnies 1922: 345) – Tönnies erwähnt (ebd.), dass Bryce zur englischen Ausgabe von Ostrogorskis Werk ein Vorwort beisteuerte (vgl. Bryce 1902).

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Sein Amerika-Buch hat in der Literatur über Demokratie nicht unerhebliche Wirkungen gezeitigt. Solche  finden wir in dem Werke Emile Laveleyes, »Le gouvernement dans la démocratie« (Paris 1891), das vom Standpunkt des Liberalismus aus vorzugsweise mit den Übeln und Gefahren der Demokratie sich beschäftigt. So setzt er im vierten Kapitel des 6. Buches in knappen Sätzen auseinander, wie die Demokratie die Freiheit bedrohe; und im vorhergehenden Kapitel, warum die Menschen in der Demokratie die Gleichheit der Freiheit vorziehen. Hier und sonst vielfach Anschluß an Tocqueville. Der [317] Belgier verhält sich ablehnend gegen das allgemeine Stimmrecht, zum wenigsten hält er für notwendig, daß der allgemeine Volksunterricht ihm vorausgehe, und er anerkennt, daß das Referendum weit mehr noch als das allgemeine Stimmrecht für das Volk eine Schule politischer Bildung sei; es beruhige die revolutionären Leidenschaften eher, als es sie errege. Freilich bietet die Schweiz für seine Anwendung besonders günstige Bedingungen, und seine Anwendung habe besondere Schwierigkeiten in Fragen der auswärtigen Politik, die  für die Schweiz so gut wie nicht vorhanden sei. Denn man müsse sich mit der Wahrheit durchdringen, die alle Tage offenbarer werde: daß die Demokratie als repräsentative oder als direkte unfähig sei, gute auswärtige Politik zu machen. »Darum haben die Vereinigten Staaten den weisen Entschluß gefaßt, sich dieser zu enthalten.« Die Vereinigten Staaten hatten damals (1891) noch nicht die Wege ihres Imperialismus zu gehen angefangen. Wenige Jahre nachher wurde der Krieg gegen Spanien vom Zaun gebrochen, und im Jahre 1917 wußten die Munitionsfabrikanten die Meinung in dem großen Lande auszubreiten, daß Deutschland als ein Land allzu mangelhafter Kultur im Namen des Rechts, der Freiheit und so weiter vertilgt werden müsse. Laveleye beschäftigt sich in einem besonderen Kapitel nach Anleitung von Bryce mit der Umwandlung der demokratischen Regierung in den Vereinigten Staaten, insbesondere in den Einzelstaaten: er  findet dort ebenso wie in England die Tendenz, das repräsentative einem plebiszitären System unterzuordnen, aber den dort wie hier angewandten Methoden sei die des Referendums unbedingt vorzuziehen. Der Autor sieht deutlich die

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»Le gouvernement dans la démocratie« – Laveleye 1891. »Darum haben die Vereinigten … dieser zu enthalten.« – »La démocratie, avec le régime représentatif, non moins qu’avec le gouvernement direct, est incapable de faire de bonne politique étrangère. C’est pourquoi les États-Unis ont pris la sage résolution de s’en abstenir.« (ebd. II, 168).

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Unabwendbarkeit des Fortschrittes der Demokratie, aber er sieht auch – und beruft sich dabei auf Tocqueville – das Gespenst des Cäsarismus hinter ihr, von dem er sagt (I, S.  231): »Der Cäsarismus korrumpiert und erniedrigt die Untertanen; denn, was degradiert, ist nicht einem Könige gehorchen, den man achtet, sondern dem Gesetze eines Herrn sich unterwerfen, den man verachtet« – eine Sentenz, die offenbar weit vorbeischießt. In den Klassenkämpfen der heutigen Gesellschaften sieht Laveleye die hauptsächliche Ursache, die den Cäsarismus begünstige. – Ein Werk verwandter Tendenz erschien gleichfalls im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts in Gestalt der beiden Bände von W. E. H. Lecky, Democracy and Liberty. Noch ausgesprochener ist es eine Vindikation des Liberalismus gegen die Demokratie. Der berühmte Autor sagt u. a. (VI. I. S. 256): »Meines Erachtens kann niemand, der mit Ernst die Kraft und die Allgemeinheit der Bewegung unserer Generation in der Richtung der Demokratie erwägt, bezweifeln, daß diese Art der Regierung notwendigerweise, wenigstens für eine beträchtliche Zeit, in allen zivilisierten Ländern [318] herrschen wird, und die wirkliche Frage für Staatsmänner ist die Gestalt, die sie wahrscheinlich annehmen wird, und die Mittel, wodurch ihre charakteristischen Übel am besten gemildert werden können.« Ihr größtes Übel erblickt er eben darin, daß sie, wie die Erfahrung lehre, oft sich als das gerade Gegenteil der »Freiheit« erweise. Der auf Plebiszit beruhende Despotismus sei eine ebenso natürliche Form der Demokratie wie eine Republik. Die Demokratie zerstöre das Gleichgewicht der Meinungen, der Interessen und der Klassen, von dem die verfassungsmäßige Freiheit hauptsächlich abhänge, und ihre beständige Tendenz gehe dahin, die Leistungsfähigkeit und das Ansehen der Parlamente, die sich bisher als die Hauptorgane politischer Freiheit bewährt haben, zu beeinträchtigen. Keine Tatsache sei heute weniger bestreitbar und offener zutage liegend als die Vorliebe der Demokratie für autoritative Regelung. »Die beiden Dinge, die man in mittlerem Lebensalter stehend am meisten an Kredit unter den Zeitgenossen hat verlieren sehen,  6

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»Der Cäsarismus korrumpiert … den man verachtet« – »Le césarisme corrompt et abaisse les sujets, car ce qui dégrade, ce n’est pas d’obéir à un roi qu’on respecte, mais de subir la loi d’un maître qu’on méprise.« (ebd. I, 231). Democracy and Liberty – Lecky 1896. »Meines Erachtens kann niemand… am besten gemildert werden können.« – »I do not think that any one who seriously considers the force and universality of the movement of our generation in the direction of democracy can doubt that this conception of government will necessarily, at least for a considerable time, dominate in all civilised countries, and the real question for politicians is the form it is likely to take, and the means by which its characteristic evils can be best mitigated.« (ebd., I: 212) – Der Text steht am Anfang des 3. Kapitels.

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sind wahrscheinlich Vertragsfreiheit und Handelsfreiheit.« Demgemäß sieht der Verfasser die Hauptgefahr im Wachsen einer sozialistischen Gesetzgebung, und er sieht eine solche schon am Werke im Vereinigten Königreich, insonderheit in der Art, wie man seit 1881 und früher mit den Rechten der irischen Grundbesitzer verfahren sei. Er beruft sich auf Laveleye (op. cit. I, S. 31), der dies als einen radikaleren Angriff auf das Prinzip des Privateigentums und des freien Vertrages bezeichnet, als ihn je die französische Revolution sogar in der Schreckenszeit unternommen habe (I, S.  192). In gleichem Sinne kritisiert Lecky die neuere Gesetzgebung in England, Frankreich, Deutschland in vielen anderen Fragen, immer mit großer Sachkenntnis und mit dem Scharfsinn, der den Lesern seiner früheren (ins Deutsche übersetzten) Schriften bekannt ist.

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In Deutschland ist bekanntlich die Literatur des Allgemeinen Staatsrechts und der Politik (unter welchem Namen die allgemeine Staatslehre am liebsten von Historikern, wie Dahlmann, Waitz, Treitschke, aber auch von Juristen, wie Holtzendorff, von Nationalökonomen, wie Roscher, behandelt wurde) auch im 19. Jahrhundert reichhaltig gewesen und von Gelehrten des Auslandes stark benutzt worden. Neuerdings ist das Werk Georg Jellineks (Allgemeine Staatslehre) zu einer  für lange Zeit maßgebenden Geltung gelangt. Das besondere Problem der Demokratie hat sich – ebenfalls in der jüngsten Epoche, im Anschluß an die hier genannten Autoren des Auslandes – Wilhelm Hasbach zum Gegenstande einer sehr eingehenden Forschung gemacht. Sein Werk teilt sich nach einer ideen[319]geschichtlichen Einleitung in ein erstes Buch: die geschichtliche Entwicklung, ein zweites: die Formenarten, Begriff und Wesen der modernen Demokratie, und ein drittes, das ihren »Mechanismus« behandelt. Der Geist der Schrift ist demjenigen Leckys verwandt, ist aber dem, was Hasbach einen gesunden sozialen Demokratismus  1

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»Die beiden Dinge, die man … Vertragsfreiheit und Handelsfreiheit.« – »The two things that men in middle age have seen most discredited among their contemporaries are probably free contract and free trade.« (ebd., 213.). (I, S. 192) – Recte Lecky 1896 I: 158 f. Dahlmann – Dahlmann 1835. Waitz – Waitz 1862. Treitschke – Vgl. Treitschke 1897/8. Allgemeine Staatslehre – Jellinek 1900, 1914, 1922.

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nennt, günstiger. Dieser versündige sich weder gegen die Organe, noch gegen die Psyche einer durch Privateigentum, Ehe und Familie charakterisierten Gesellschaftsordnung. Um so schärfer verurteilt er den »ungesunden« sozialen Demokratismus als den aus dem Klassenkampf hervorgehenden Verwesungsprozeß. Er wirft die Fragen auf, ob die Demokratie das Mittel zur Erkämpfung des Sozialismus sei, und beantwortet sie dahin, daß für einen Fortschritt in dieser Richtung, d. h. für die Schaffung großer Organisationen gesellschaftlicher Unternehmungsform, für die Förderung des Genossenschaftswesens, für die Arbeiterversicherung usw., es »unerfindlich« sei, welchen Nutzen dabei die Demokratie dem Sozialisten gewähren könnte. Was sich hier anschließt (S. 370), um aus einigen Beispielen von Kongreßrednern nachzuweisen, daß der »revolutionäre Demokratismus« den Sozialisten verwehre, die natürlichen politischen Zusammenhänge zu erkennen, kann nicht mehr als wesentlich anerkannt werden. Hasbach wirft ferner die Frage auf, ob der Sozialismus nur in der staatsrechtlichen Form der Demokratie verwirklicht werden könne, und stellt folgende Ergebnisse seiner Untersuchung fest: 1. Die Demokratie sei kein Mittel zur Erkämpfung des Sozialismus, 2. sie sei nicht die notwendige staatsrechtliche Form, in der das sozialistische Gemeinwesen erscheinen werde, 3. der Revolutionarismus sei das versteinerte Produkt der revolutionären Jugendstimmung von Marx und Engels. – Hasbach will sogar (S. 384–392) nachweisen, daß der revolutionäre Demokratismus – zuletzt sagt er aber dafür einfach: die Demokratie – den Sozialismus selbst vernichtet und »von den gesunden Wegen der früheren Sozialisten des 19. Jahrhunderts« abgedrängt habe. Das Werk Hasbachs, sonst gelehrt und klug, ermangelt oft der logischen Strenge. Es leidet an Unklarheiten und ephemeren Verallgemeinerungen, die geschichtsphilosophische Einsicht geht nicht tief, der Blick des Verfassers wird zuweilen durch heftige Gefühle getrübt. Als Verteidigung des liberalen Staates, den Hasbach ohne weiteres mit der konstitutionellen Monarchie gleichsetzt, dürfte das Werk eine gewisse parteipolitische, wie durch seinen objektiven Inhalt eine gewisse wissenschaftliche Bedeutung behalten. Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß es, obschon es kurz vorher erschien, ohne eine Ahnung der ungeheuren Ereignisse geschrieben wurde, die seitdem das Antlitz Europas, seiner Staaten und Staatsformen, von Grund aus verändert haben. [320] 10 12 16 17 24 34

»unerfindlich« – Vgl. Hasbach 1912: 363. »revolutionäre Demokratismus« – Ebd., 384. Frage … Form der Demokratie verwirklicht werden könne – Vgl. ebd., 380. Ergebnisse seiner Untersuchung – Nachfolgendes fast wörtlich ebd., 384. »von den gesunden Wegen der früheren Sozialisten des 19. Jahrhunderts« – Ebd., 384. ungeheuren Ereignisse – Erster Weltkrieg.

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Bedeutungsvoll ist es nun, daß ein Beobachter und Theoretiker vom Range Bryces noch kurz vor seinem Lebensende, aber nach dem Ende des Weltkrieges, ein großes Werk über »moderne Demokratien« herausgegeben hat. Freilich täuscht man sich, wenn man etwa meint, es enthalte so etwas wie eine Prognose der politischen Neugestaltung des europäischen Kontinents, die in so ausgesprochener Weise auf Republiken und Demokratien abzielend geschehen ist. Das Werk nimmt darauf nur obenhin Bezug; man hat den Eindruck, daß es innerlich abgeschlossen war lange vor seiner Veröffentlichung, die (so erklärt die Vorrede) durch Unterbrechungen der Arbeit verzögert wurde, an denen der Krieg schuld war. Kurz vor dessen Ausbruch hatte der Verfasser seine Reisen beendet, die er zum Behuf seiner Studien nach der Schweiz und anderen Teilen Europas, nach den Vereinigten Staaten und Kanada, nach dem spanischen Amerika, nach Australien und Neuseeland unternommen hatte. Er verzichtet ausdrücklich darauf, die Ereignisse der Jahre 1914–1920 in seine Betrachtung hineinzuziehen: sie seien so abnorm, daß Schlußfolgerungen nicht wohl daraus zu ziehen seien. Auch dies Werk ist überwiegend analytisch. Es will nicht Theorien vorsetzen, sondern Tatsachen und (soweit möglich) Erklärungen der Tatsachen, worüber die Leser nachdenken und woraus sie ihre eigenen Schlußfolgerungen ziehen können. Es soll also wiederum ein Werk der Beschreibung sein. – Was beschrieben wird? Nach dem Titel moderne Demokratien, nach der Vorrede die Demokratie als eine Form der Regierung (so sagt man charakteristischerweise auf englisch, das Wort Staatsform ist so gut wie unbekannt), in Wirklichkeit sind im ersten Teil »Erwägungen, anwendbar auf die demokratische Regierung im allgemeinen«, an die Spitze gestellt, im zweiten, umfangreichsten, werden sechs Staaten als demokratische beschrieben, nämlich Frankreich, die Schweiz, die amerikanische Union, Kanada, Australien und Neuseeland. Auf dies Mittelstück folgt dann wiederum der letzte (III.) als ein theo-

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großes Werk über »moderne Demokratien« – Bryce 1921, deutsche Übersetzung 1923, 1925 und 1926. Er verzichtet ausdrücklich – Vgl. Bryce 1921 I: vii. Demokratie als eine Form der Regierung – »It [democracy] is of the Form of Government as a Form of Government – that is to say, of the features which democracies have in common – that this book treats …« (ebd., viii). »Erwägungen, anwendbar auf die demokratische Regierung im allgemeinen« – »Considerations applicable to democratic government in general« lautet der Titel des ersten Teils in Bd. 1 (ebd., 1).

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retischer Abschnitt. Man erkennt schon hieraus, daß das Werk ungemein reichhaltig ist. Wenn wir zunächst den mittleren Teil betrachten, so geschieht es, weil er  für die theoretische Erörterung am wenigsten Stoff bietet. Die Auswahl der Staaten erscheint uns als etwas auffallend: denn nur zwei von diesen Staaten sind politische Mächte und diese ihren Verfassungen nach außerordentlich verschieden, nämlich das geschlossene, zentralisierte Frankreich und der große Bundesstaat, der in manchen gewichtigen Hinsichten nur als ein Staatenbund richtig verstanden wird, jenseits des Ozeans. Drei der geschilderten Staaten sind, wie unabhängig [321] auch ihrer inneren Verfassung nach, Vasallenstaaten Großbritanniens; die Schweiz endlich ist ein neutralisierter Bundesstaat, mithin auch in den Welthändeln von geringer Bedeutung. Sein eigenes Vaterland, das er doch ausdrücklich eine der großen modernen Demokratien nennt, hat der Verfasser ausgeschaltet, und zwar (I, S. 8), weil er sich nicht die nötige Unparteilichkeit des Urteils zutraut. Wenn also die Anwendung einer vergleichenden Methode auf Gegenstände dieser Art durchaus als zweckmäßig begrüßt werden muß, so konnte doch offenbar eine solche Anwendung hier nur in begrenzter Weise geschehen. Der Wert des Werkes als einer wissenschaftlichen Abhandlung wird dadurch beeinträchtigt. Die einleitenden Kapitel (Part I) wollen die Begriffe oder Lehren, worauf die demokratischen Regierungen beruhen, analysieren, den Prozeß, durch den sie gewachsen sind, darstellen und die Bedingungen anzeigen, unter denen sie jetzt wirksam werden. Auch werden die Einflüsse der Bildung, der Religion, des Zeitungswesens, der Überlieferung, des Parteigeistes und der Parteiorganisation, endlich der öffentlichen Meinung als einer herrschenden Kraft erörtert. Es geht noch ein interessantes Kapitel über die Methode der Forschung voran. Darin wird die »menschliche Natur« als die Konstante in den Phänomenen des menschlichen Zusammenlebens und darum als die Basis der Sozialwissenschaften bezeichnet: die Politik habe ihre Wurzeln also in der Psychologie zu suchen, die freilich nicht einer solchen Genauigkeit und solcher Vorausbestimmbarkeit fähig sei wie die physikalischen Wissenschaften. Der beste Weg zum Studium der Demokratie sei die Beschäftigung mit der praktischen Politik. Demnächst müsse man versuchen, die Vergangenheit mit den Augen der Gegenwart zu lesen und umgekehrt. Rücksicht sei zu nehmen auf Unterschiede des Ortes, wie auf die der Zeit, auch auf die Modifikationen, wie sie in jedem Lande durch die Einflüsse der Rasse, der äußeren Bedingungen (wie des Klimas, der Lebens- und Arbeitsweise, 13

eigenes Vaterland – Bryce ist Brite, genauer: Schotte, vgl. ebd., 7 f..

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als bedingt durch die Bodenprodukte usw.) bewirkt werden. Hinzu kommen die historischen Voraussetzungen. Diese nennt der Verfasser die leitenden Gesichtspunkte der vergleichenden Methode. Er meint dadurch herauszufinden die normalen oder dauernden Gewohnheiten und Tendenzen von Staatsbürgern einer Demokratie und einer demokratischen Gemeinschaft als eines Ganzen. Es folgt ein Kapitel, das die Definition der Demokratie geben soll. Bündiger noch als hier erklärt er in der Vorrede, daß Demokratie nicht mehr und nicht weniger heißen solle als die Herrschaft des ganzen Volkes, das seinen souveränen Willen durch Abstimmungen kundgibt. Das Merkmal des Mehrheitsprinzips wird dann hervorgehoben. Die Schwierigkeiten der Anwendung [322] auf konkrete Fälle werden nicht verhehlt: Ausschließung der schwarzen Rasse, der Frauen, der Analphabeten, der Besitzlosen, Einschränkungen durch Monarchie oder eine zweite Kammer. »War Deutschland z. B. im Jahre 1913 eine Demokratie, weil der Reichstag auf allgemeinem Wahlrecht der Männer beruhte?« Der Verfasser verzichtet darauf, Oligarchie oder Demokratie zu definieren, d. h. gegeneinander abzugrenzen. Aber: »Wo der Wille des ganzen Volkes in allen wichtigen Angelegenheiten vorwiegt, auch wenn er einige hemmende Einflüsse überwinden muß oder für gewisse Zwecke rechtlich verbunden ist, in einer besonders vorgesehenen Art zu handeln, da mag die Staatsform eine Demokratie genannt werden.« Es tritt hier sehr stark die übliche hilflose Art der Begriffsbildung durch Verallgemeinerung zutage. Will man die Mannigfaltigkeit der so genannten oder so sich nennenden Demokratien zu einem einheitlichen Begriff in Beziehung setzen, so muß man diesen Begriff künstlich bilden und seinen Gegenstand, den Max Weber erfolgreich Idealtypus genannt hat, konstruieren. Ob eine einzelne Erscheinung dann mit dem Namen benannt werde oder nicht, ist eine Frage der Konvenienz; man wird den Namen dann erweitern müssen, wenn ein Merkmal, das man als für den Normalbegriff wesentlich statuiert hat, gänzlich fehlt. Bryce kommt in seinem 78. Kapitel auf die Sowjetverfassung zu sprechen. Er sagt dort (II, S. 640), diese Regierung sei nicht nur die höchstzentralisierte, die es gebe, sie sei auch die am meisten demokratische

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»War Deutschland … allgemeinem Wahlrecht der Männer beruhte?« – »Was Germany, for instance, a democracy in 1913 because the Reichstag was elected by manhood suffrage?« (ebd., 21). »Wo der Wille des ganzen Volkes … Demokratie genannt werden.« – »Where the will of the whole people prevails in all important matters, even if it has some retarding influence to overcome, or is legally required to act for some purposes in some specially provided manner, that may be called a Democracy.« (ebd., 22). (II, S. 640) – Ebd. II, 583.

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Regierung der Geschichte. Nun ist bekannt, daß die »Diktatur des Proletariats« in bewußtem Gegensatz gegen das Postulat der Demokratie sich gebildet hat, und daß sie der Theorie gemäß die Demokratie erst herzustellen gewillt ist, nachdem das kapitalistische Eigentum gänzlich vertilgt sein wird. Eben darin ist der Gegensatz gegen die sozialdemokratischen Programme der Menschewiki und der Parteien anderer Länder enthalten – diese sagen: durch Demokratie zum Sozialismus, Moskau sagt: durch Sozialismus zur Demokratie. Übrigens soll nicht behauptet werden, daß die theoretischen Erörterungen des Brycesehen Werkes in ihrem Werte durch die Schwäche der Begriffsbildung wesentlich vermindert werden. Wohl darf man sagen, daß diesen Erörterungen eigentliche Systematik  fehlt. So ist es nicht klar, warum die ersten Teile des ersten Abschnittes vor, die letzten hinter die Beschreibung der sechs demokratischen Verfassungen (denen übrigens noch ein Kapitel über die Republiken des Altertums und eins über die des spanischen Amerikas vorausgeschickt wird) gesetzt worden sind: außer, daß die ersten 11 Kapitel die des dritten Abschnittes ausdrücklich als Prüfung und Kritik demokratischer Insti[323]tutionen im Lichte der Tatsachen vorstellen, die der zweite Abschnitt als das Leben jener sechs demokratischen Verfassungen beschreiben wollte. Diese Erörterungen sind nun überaus mannigfach und  fast ohne Ausnahme von großem Interesse. Der Verfasser hat ebenso wie Hasbach (dessen Buch er kennt)  fortwährend die große Abwandlung im Auge, die das Wesen der Demokratie, wie es ehemals im Gesichtswinkel des »liberalen Bürgertums« erschien, durch die wachsende politische Bedeutung und die steigenden Ansprüche der Arbeiterklasse erlitten hat. Dabei verrät sich freilich, daß diese Tatsachen und die dadurch hervorgerufenen Erwägungen dem Verfasser wie ein Fremdkörper in seine, an den Erfahrungen des Liberalismus und an der Parteinahme dafür genährte Denkungsart hineingeraten sind. An vielen Stellen entspringen ihm Zweifel und Unsicherheiten daraus. Das 7. Kapitel ist überschrieben: Gleichheit. Vier verschiedene Arten Gleichheit werden unterschieden: bürgerliche, politische, soziale und natürliche Gleichheit. Eingehend erörtert wird der Widerspruch und langwierige Konflikt zwischen natürlicher Gleichheit, als einer Gefühlssache und Doktrin auf der einen, der eigensinnigen Tatsache natürlicher Ungleichheit auf der anderen Seite. Im allgemeinen sei die abstrakte Theorie siegreich gewesen, aber in einem merkwür-

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Hasbach (dessen Buch – Vgl. Hasbach 1912. bürgerliche, politische, soziale und natürliche Gleichheit – Vgl. Bryce 1921 I: 60  f.: Civil, political, social and natural equality.

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digen Falle habe die natürliche Ungleichheit gleichsam Rache genommen, indem das nach dem Bürgerkriege den befreiten Negern gewährte Stimmrecht ihnen neuerdings der Wirkung nach wieder entzogen wurde. Nach feinen Bemerkungen über die Wechselwirkungen zwischen diesen verschiedenen Arten der Gleichheit wird dann noch die wirtschaftliche Gleichheit als eine Forderung erwähnt, aber kurz mit der Wendung abgetan, mit dieser habe die Demokratie nichts zu tun, sie könnte unter jeder Staatsform entstehen und würde vielleicht unter einer nichtdemokratischen mit geringerer Reibung funktionieren. Gegen den Schluß des Werkes aber kommt das 77. Kapitel, das die neueren Phasen der Demokratie behandeln will, doch mit vermehrtem Gewicht auf dies Verhältnis zurück. Man empfängt den Eindruck, daß dies Kapitel erheblich später verfaßt worden ist. Es wird durch die Bemerkung eröffnet, wer 70 Jahre zurückdenken könne, werde die Ansicht gewinnen, daß keine Periode von gleicher Länge – nicht einmal die Jahre zwischen 1453 und 1521 oder zwischen 1776 und 1848 – so viele tiefbedeutungsvolle Veränderungen im menschlichen Leben und Denken geschaut habe. Der ökonomische Faktor – heißt es weiterhin – habe nicht nur im Weltverkehr, sondern innerhalb jedes Landes eine neue Wichtigkeit gewonnen. Er habe nach oben und nach unten nivellierend gewirkt. Alle Werte seien gewandelt, die Traditionen ge[324]brochen, die Überzeugungen unstät geworden. Mit der ökonomischen Strömung habe die intellektuelle eine neue Welt, sowohl im Reiche dessen, was man das soziologische Denken nenne, als der materiellen Bedingungen des Daseins und in der wirtschaftlichen Struktur der Gesellschaft ins Leben gerufen. Im Verlaufe des Kapitels schildert dann Bryce das Anschwellen der Arbeiterbewegung, nachdem oder indem die  früheren demokratischen Ideale der politischen Freiheit und politischen Gleichheit mehr oder minder erreicht wurden. Er schildert diese Bewegung als Bewegung zur ökonomischen Gleichheit, also die Entwicklung sozialistischer Ideen, und er unterscheidet vier taktische Methoden dieser neuen Bewegungen: 1. die parlamentarische, 2. Streiks, 3. Generalstreiks, 4. direkte Aktion. Die ersten beiden seien, verfassungsmäßig und gesetzlich, nicht hinausgehend über die Grundsätze der Demokratie, die beiden letzten revolutionär und antidemokratisch. Über die gegenwärtigen Tendenzen in den Demokratien sagt dann das folgende Kapitel: zu konstatieren seien 1. die fortschreitende Ausbreitung der demokratischen Verfassung, 2. Anzeichen des Verfalls des

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durch die Bemerkung eröffnet – Vgl. ebd. II, 564. das folgende Kapitel – Vgl. ebd., 575 ff.

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Parlamentarismus, 3. steigende Bedeutung (so ist offenbar gemeint) des Referendums und der Initiative, 4. Zunahme der Bürokratie, 5. Verschiebung der Bevölkerung nach den Großstädten. Dies alles seien Veränderungen, die in der Wirksamkeit des verfassungsmäßigen Mechanismus demokratischer Regierung hervortreten oder wenigstens sich bemerklich machen. Zwei andere neue Tatsachen seien durch das Auftreten von Kräften gegeben, wodurch von außen her die Demokratie bedroht werde. Die erste dieser Kräfte findet nun Bryce eben in der Arbeiterbewegung: die Koalitionen stellen ihm Demokratien innerhalb der nationalen Demokratie dar, die Ausübung des Rechtes der Arbeitsverweigerung sei eine passive Insurrektion und bedeute eine Zersetzung der Demokratie. Den anderen neuen Faktor sieht er im Aufkommen der sozialistischen Lehren, im Predigen der sozialen Revolution und in der Diktatur des Proletariats. Bryce sieht in den beiden Entwicklungen des Klassengeistes und insbesondere in der Lehre vom Klassenkampf und in der Waffe des Generalstreiks eine Art von Nemesis: die heutige kapitalistische Schicht müsse büßen, was ihre Väter gefehlt haben; auch seien die geistigen Führer anderer Klasseninteressen nicht weniger selbstsüchtig als die der Arbeiterinteressen. Jene neuen Bedrohungen des menschlichen Fortschrittes seien zugleich der schwerste Schlag, der je gegen die Demokratie gerichtet wurde, weil sie die Empfindung zerstören, daß ein Volk ein sittliches und geistliches Ganzes sei – da ihr Werkzeug die Revolution sei, so eröffnet sich die trübe Aussicht auf ein langes Ringen gewaltsamer Art: physische Kraft, einst [325] notwendig, um die Demokratie einzurichten, werde nun angewandt, um sie zu zerstören. Bryce nennt dies eine seltsame und unerwartete Entwicklung. Hier wie sonst tritt uns in seinem Werke entgegen, daß seine ursprüngliche Ansicht des sozialen und politischen Fortschrittes eine schwere Störung und Erschütterung erlitten und daß eine wirkliche Ausgleichung in seiner Denkungsart sich zu vollenden nicht vermocht hat. Wohl aber zeugen alle diese letzten Kapitel von dem großen Ernst, womit der gelehrte Schotte die ihm sehr unbequemen neuen Tatsachen und Ideen zu verstehen beflissen war. Ein besonderes Kapitel (79) widmet er dem Gegenstande »Demokratie und der kommunistische Staat«. Obwohl er die ungeheuren Schwierigkeiten einer solchen Gesellschaft seinem Leser immer gegenwärtig hält, so versagt er sich doch nicht, die Verwirklichung einer solchen 22

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und geistliches Ganzes – A: und geistiges Ganzes. – Vgl. »… for they destroy the sense that a people is one moral and spiritual whole, bound together by spiritual ties …« (ebd., 581). »Demokratie und der kommunistische Staat« – »Democracy and the communist state« (ebd., 585 ff.).

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gewaltigen Genossenschaft (cooperative company) bis in Einzelheiten vorzustellen. Er kommt zu dem Schluß, daß die herkömmlichen Institutionen der Demokratie den Zuständen des politischen und wirtschaftlichen Lebens, wie sie von den kommunistischen Ideen geplant würden, schlecht angepaßt seien. Der Kommunismus betrachte den Körper einer Nation in erster Linie als eine ökonomische Gesamtheit für die Zwecke der Produktion und Verteilung, hingegen die Apostel der Demokratie betrachteten sie in erster Linie als eine sittliche und geistige Gesamtheit zum Behuf dessen, was die antiken Philosophen das gute Leben nannten. So kann man das letzte Kapitel (80), die »Zukunft der Demokratie«, nicht mit allzu großer Zuversicht ins Auge  fassen. In den eineinhalb Jahrhunderten ihres Daseins in der neuen Welt sei die politische Freiheit (free government) durch manche Phasen hindurchgegangen, sie scheine nun dazustehen wie der Reisende, der am Saume eines großen Waldes viele Pfade erblicke, die in seine Schluchten  führen, und nicht wisse, wohin der eine oder andere dieser Pfade ihn führen werde. »Eine Straße nur hat bisher in die Demokratie hineingeführt, nämlich der Wunsch, greifbarer Übel ledig zu werden, aber der Straßen, die aus der Demokratie herausgeführt haben oder aus ihr herausführen können, sind viele.« In diesem Sinne sei der militaristische, nationalistische Geist, sei ferner der Parteigeist schlechthin zu bewerten; endlich sei es das Wachstum des politischen Indifferentismus und der Bürokratie, die eben dadurch gestärkt werde – »wie nach einem Naturgesetz entspringt überall die Oligarchie, und so viele seltsame Dinge haben in unserer Zeit sich ereignet, daß nichts für unmöglich erklärt werden kann«. »Wenige freie Länder gibt es, in denen die Freiheit für ein Jahrhundert oder zwei gesichert zu sein scheint.« [326]

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cooperative company – Vgl. den Ausdruck »… that huge Co-operative Company, the Communist State …« (ebd., 589). »Zukunft der Demokratie« – »The future of democracy« (ebd., 597 ff.). (free government) – »Within the century and a half of its existence in the modern world free government has passed through many phases, and seems now to stand like the traveller who on the verge of a great forest sees many paths diverging into its recesses and knows not whither one or other will lead him.« (ebd., 597 f.). »Eine Straße nur … herausführen können, sind viele.« – »One road only has in the Past led into democracy, viz. the wish to be rid of tangible evils, but the roads that have led or may lead out of democracy are many.« (ebd., 602). »wie nach einem Naturgesetz … gesichert zu sein scheint.« – »If any people loses its free self-government this will more probably happen with its own acquiescence. But oligarchy springs up everywhere as by a law of nature: and so many strange things have happened in our time that nothing can be pronounced impossible. Few are the free countries in which freedom seems safe for a century or two ahead.« (ebd., 603).

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Fernere Ausblicke, Ausblicke auf die Macht der Berufspolitiker und ihres Spielens auf den Parteimaschinen, dann wiederum auf das Streben der großen Menge nach mehr oder minder weitreichender Verwirklichung der wirtschaftlichen Gleichheit scheinen ihm die Vermutung zu bestätigen, die Massen möchten ihren Händen die Zügel entschlüpfen lassen, so daß sie in die Hände einer Oligarchie  fallen würden, und er fügt in seine Erwägung auch die zu erwartende vermehrte Mischung der Rassen, die schwerlich im Frieden zwischen den Nationen oder in den Nationen zur Ruhe kommen werde. Schließlich löst sich ihm die Frage der Dauer der Demokratie auf in die Frage, ob die Menschheit wachse in Weisheit und Tugend, damit in die Frage der Zukunft der Religion. Die tiefe Beunruhigung, die den bejahrten Verfasser ergriffen hat, offenbar hauptsächlich infolge des Weltkrieges, tritt uns auf diesen Seiten und sonst an manchen Stellen des Werkes entgegen. Wenn er die Hoffnung auf die Zukunft der Demokratie nicht aufgibt und in eine Verherrlichung der Hoffnung als der Hauptquelle des Glaubens sein Buch ausklingen läßt, so mag er doch sich und seinen Lesern nicht verhehlen, daß er beim Studium der demokratischen Einrichtungen und ihrer Wirkungen  fast Schritt  für Schritt auf Enttäuschungen gestoßen ist. »Die Demokratie hat uns  freundschaftlichen Gefühlen und der Empfindung menschlicher Brüderlichkeit unter den Völkern der Erde nicht nähergebracht: die Freiheit ist nicht eine Versöhnerin gewesen.« »Auch hat sie nicht innerhalb der einzelnen Völker guten Willen und eine Empfindung der Einheit und staatsbürgerlichen Gemeinschaft geschaffen … Freiheit und Gleichheit hatten nicht die Brüderlichkeit im Gefolge; nicht einmal in der Ferne sehen wir ihren Schimmer nahen.« »Sie hat bei weitem nicht so viel von der besten praktischen Fähigkeit  für den Staatsdienst geworben, wie jedes Land besitzt und jedes Land nötig hat, um die innern und internationalen Fragen des gegenwärtigen Zeitalters zu beherrschen.« »Sie hat die Politik nicht gereinigt oder veredelt, sie ist nicht dem verderblichen Einfluß entronnen, den die Geldmacht ausüben kann.« Diesem letzten Punkte hatte Bryce schon zuvor ein besonderes 32

»Die Demokratie hat … Geldmacht ausüben kann.« – »What, then, has democracy failed to accomplish? It has brought no nearer friendly feeling and the sense of human brotherhood among the peoples of the world towards one another. Freedom has not been a reconciler. | Neither has it created goodwill and a sense of unity and civic fellowship within each of these peoples. … Liberty and Equality have not been followed by Fraternity. Not even far off do we see her coming shine. | It has not enlisted in the service of the State nearly so much of the best practical capacity as each country possesses and every country needs for dealing with the domestic and international questions of the present age. | It has not purified or dignified politics, nor escaped the pernicious influence which the Money Power can exert.« (ebd., 533).

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Kapitel dieser Schlußbetrachtungen gewidmet (69), worin er die Methoden der Bestechung von Wählern, von Abgeordneten, von Verwaltungsbeamten und als die schlimmsten die von Richtern schildert, woran sich als ein Abschnitt die Darstellung der Wahlkosten und der FoyerEinflüsse auf Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften anschließt. Und von Frankreich sagt er u. a., es unterliege keinem Zweifel, daß dort geglaubt werde an den verborgenen Einfluß der Häupter einiger großer industrieller und finanzieller Unternehmungen als an eine starke Kraft, welche die Presse lenke, die Ge[327]schicke von Staatsmännern hebe oder senke und auf die eine oder andere Weise die Regierungsmaschine dahin wende, daß sie privaten Zwecken diene. Wenn ich nicht irre, so ist Bryce die Erwägung ferngeblieben, daß die gesamte politische Entwicklung, die der ihm so teuren, wenn auch mit einiger Wehmut betrachteten Freiheit und  folgerichtig der Demokratie, aus andern Ursachen als aus wesentlich ideellen entsprungen sein möchte. Wohl sieht er (Vorrede XI), daß der Geist der Menschen gegenwärtig so von Gedanken und Plänen sozialer Rekonstruktion erfüllt sei, daß die Aufmerksamkeit dadurch abgelenkt werde von den Problemen des Staatsrechtes (of free government), womit die Menschen sich beschäftigten, als vor 70 oder 80 Jahren die demokratische Flut im Steigen war; es scheine ihm daher zuweilen, als ob sein Werk mehr an die jüngstvergangene als an die gegenwärtige Generation sich wende. Offenbar sieht er nicht deutlich den Zusammenhang zwischen den Tendenzen der einen und der anderen Art. Es kommt nirgendwo zum Ausdruck, daß die großbürgerliche Klasse in den Hauptstaaten Europas und vollends in den Kolonialländern die vorwaltende des wirtschaftlichen Lebens geworden, seit 1789 auch politisch mehr oder minder vollkommen und in stark voneinander abweichenden Verfassungsformen der Herrschaft sich bemächtigt hat; daß sie aber keineswegs in der Demokratie, wenigstens nicht wie Bryce sie versteht, die ihr angemessene und erwünschte politische Gestaltung gesucht hat. Das allgemeine, gleiche und direkte, sogar geheime Wahlrecht mußte ihr immer und überall Unbehagen verursachen, wenngleich es etwa in den Staaten der Union unschädlich sein mochte wegen der noch mangelnden Entwicklung des Klassengegensatzes; unschädlich wenigstens so lange, als die ehemaligen Sklaven nicht in Frage kamen. Übrigens wäre ohne Zweifel ein dauerndes Zensuswahlrecht, wie es ja in einer Anzahl von europäischen Staaten bis an die Schwelle der Gegenwart bestanden hat, dasjenige System gewesen, das als politischer Ausdruck der sich immer mehr konsolidierenden sozialen Herrschaft dieser Klasse ihr am meisten genehm 16

Vorrede XI – Ebd. I, ix.

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gewesen, also auch als politisch richtig und zweckmäßig erschienen wäre. Warum ist man doch fast überall zu dem radikaleren System übergegangen? Es war zunächst das System des Cäsarismus, der sich auf die Massen stützen will, um sie und zugleich das Großbürgertum zu beherrschen; seine wirkliche Grundlage sind die Bauern und zugleich die Schicht der Großgrundbesitzer, solange als sich diese noch in einem wesentlichen Gegensatz gegen das Großbürgertum fühlen mag. Auch sonst erfolgt äußerlich die Erweiterung der Volksrechte aus dem Kampfe der Parteien heraus, indem z. B. in England Disraeli die Wahl[328]reform durchsetzte, indem er seiner Partei voraussagte, sie werde ihr bei der nächsten Wahl zum Siege verhelfen, und der Erfolg gab ihm recht. Was aber die innere Verursachung angeht, so liegt sie ohne Zweifel in der fortschreitenden Organisation und in der drohenden Haltung, die im Laufe des 19. Jahrhunderts das Proletariat zu einem so mächtigen Faktor der sozialen Entwicklung gemacht hat, daß sie notwendigerweise auch einen Anteil an der politischen Gewalt gewann. Den innern Zusammenhang zwischen der ökonomischen Basis der sozialen Verhältnisse und Zustände auf der einen, den politischen Einrichtungen und ihrer Entwicklung auf der anderen Seite erkennt und beachtet Bryce so gut wie gar nicht. Er betrachtet den Fortschritt der Demokratie fast ausschließlich ideologisch. Eine Ausnahme beleuchtet die Tatsache: die einzige (so darf man, glaube ich, sagen) Ausnahme, wo von einer Wirkung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Politik die Rede ist, erscheint bei Erörterung der spanisch-amerikanischen Republiken, die gänzlich außerhalb des Planes des Werkes fällt. Hier wird als Hauptursache, warum einige dieser Republiken wirklichen Fortschritt aufweisen – und aus diesem Fortschritt folgt für Bryce, daß sie Aussicht haben, mit der Zeit wirkliche Demokratien zu werden –, die Entwicklung der materiellen Hilfsquellen, daher das Wachstum des Reichtums durch Landwirtschaft und Bergbau, dargestellt. Freilich kann man die angeführten Stellen über die jüngeren Phasen der Demokratie dahin deuten, als ob sie einen allgemeinen Zusammenhang zwischen der neueren wirtschaftlichen Entwicklung und der neueren politischen Entwicklung behaupten wollten. Sie sind aber ziemlich entfernt davon, ein allgemeines Theorem zu geben, wenngleich der Satz darin vorkommt (II, S.  618), politische Veränderungen seien, abgesehen von der Wirkung eines überragenden Individuums, stets die Wirkung entweder von Veränderungen in den äu36

politische Veränderungen seien – Ebd. II, 564: »But political changes are – apart from the action of some extraordinary individuals – always due either to changes in the external conditions of man’s life, economic and social, or to changes in man’s thoughts and feelings, or to both combined.«.

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ßeren menschlichen Lebensbedingungen, wirtschaftlichen und sozialen, oder von Veränderungen in den Gedanken und Empfindungen der Menschen oder endlich von einer Verbindung der beiden Arten. Die entscheidende Frage ist eben, welche der beiden Ursachen, die »materielle« oder die »ideelle«, die primäre, d. h. die von den anderen Kausalreihen relativ unabhängige sei; denn daß eine fortwährende Wechselwirkung zwischen diesen Reihen stattfindet, ist eine von selbst einleuchtende Wahrheit.

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Hier begegnet uns nun der »Historische Materialismus«, dessen Theorie zugleich als ein »gemeinverständliches Lehrbuch der marxistischen Soziologie« N. Bucharin neuerdings ausführlich entwickelt [329] hat. Das Werk ist aus der russischen Revolution geboren. Ausdrücklich erklärt der Verfasser, daß er die Traditionen der am »meisten orthodoxen materialistischen und revolutionären Auffassung von Marx« fortsetzt. Nachdem in einer Reihe von Kapiteln die Voraussetzungen (Kausalität – Determinismus – dialektischer Materialismus – Begriff der Gesellschaft) dargelegt worden, werden im 5. Kapitel die Produktivkräfte als Ausgangspunkt der soziologischen Analyse bezeichnet: es ergebe sich daraus die Regel, daß die Erörterung mit der technischen Grundlage der Gesellschaft beginnen müsse. Der Einwand, daß die natürlichen Bedingungen, das Vorkommen der Rohstoffe,  für die Ausbildung der Technik wesentlich bestimmend sei (Heinrich Cunow, der einen  freieren Neumarxismus vertritt, macht diesen Einwand geltend), wird dahin erledigt, daß durch die Unterschiede der natürlichen Bedingungen wohl der Unterschied in der Entwicklung der verschiedenen Völker, aber nicht die Entwicklung einer und derselben Gesellschaft zu erklären sei. Andere Einwände wollen das Wachstum der Bevölkerung als primäre Ursache behaupten. Bucharin macht dagegen geltend, von der Entwicklungsstufe der Technik hänge auch die Möglichkeit jenes numerischen Wachstums ab, und führt ferner den bekannten Marxschen Satz ins Gefecht, daß jede besondere Produktionsweise 14

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»meisten orthodoxen … Auffassung von Marx« – »Es wäre merkwürdig, wenn die marxistische Theorie ewig auf einem Fleck trampeln würde. Aber überall setzt der Verfasser die Traditionen der am meisten orthodoxen, materialistischen und revolutionären Auffassung Marx’ fort.« (Bucharin 1922: VI). Heinrich Cunow … macht diesen Einwand geltend – Vgl. Bucharins Kritik an Cunow ebd., 132.

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ihre besonderen Populationsgesetze habe. Er berührt dann auch noch wegwerfend die Rassentheorie: die Natur einer Rasse ändere sich beständig nach ihren Daseinsbedingungen, diese aber seien bestimmt durch das Wechselverhältnis zwischen Gesellschaft und Natur, d. h. durch den Zustand der Produktivkräfte. Ebenso wie hier hat der gelehrte Moskauer für alle ferneren Fragen, die er in seinem Buche behandelt, die Formeln bereit, mit denen er sie auf das streng marxistische Geleise schiebt. Jedes Herrenwort (αὐτὸς ἔφα) dient anstatt des Beweises. Wenn man mit den von Marx und Engels ausgesprochenen Grundsätzen vertraut ist, so empfängt man wenig Neues aus der Schrift. Aber man erhält allerdings einen Kommentar, der als solcher an Wert und Bedeutung durch zwei Momente gewinnt: 1. durch den Hintergrund der russischen Revolution und die Tatsache des Regimentes einer Gruppe von Literaten, die von jenen Lehren erfüllt sind und ihre Herrschaft »Diktatur des Proletariats« nennen, 2. durch den Einblick, den er uns gewährt in die russische soziologische Literatur, die, wie man weiß, zu einem erheblichen Teil den gleichen Theorien huldigt. Der Kommentar ist nicht ohne Geist geschrieben, zugleich aber mit einer unbedingten Verachtung abweichender Denkungsart, zumal mit offenem Haß gegen benachbarte Theoretiker, von denen Heinrich Cunow dem Ver[330]fasser ganz besonders ein Dorn im Auge ist. Die äußere Bedeutung des Marxismus als soziologischer Theorie ist offenbar durch die Ereignisse und auch dadurch, daß sie ein so mächtiges Element im russischen Geistesleben geworden ist, beträchtlich gewachsen. Es wird mehr und mehr nötig, daß deutsche Wissenschaft sich damit beschäftigt, und zwar mit den Originalen; denn nur wenige dieser Werke werden übersetzt, und für die Zuverlässigkeit der Übersetzungen bürgt der Umstand nicht, daß sie in agitatorischer Absicht verfertigt werden. Ich gebe noch einen kurzen Überblick über den Inhalt des Bucharinschen »Lehrbuchs«. Das 5. Kapitel, worüber berichtet wurde, behandelt das Gleichgewicht zwischen Gesellschaft und Natur – das sechste erörtert das Gleichgewicht zwischen den Elementen der Gesellschaft: als solche erscheinen ihm Sachen, Menschen, Ideen. Technik verbindet die beiden ersten, der menschliche Arbeitsapparat der Gesellschaft ist ihre reale Grundlage. Der »Überbau« wird durch diese ökonomische Struktur bestimmt, vor allem zunächst der politische Bau, dann auch der geistige. Dies wird dann breit ausgeführt für Wissenschaft, für Religion, Philosophie und Kunst, wobei die Musik eine besondere Analyse erfährt: ihr sachlich materieller Teil, ihre Technik, ihre Organisation (Orchester,  8

αὐτὸς ἔφα – [Gr.] svw. Er selbst hat es gesagt.

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Musikvereine usw.), ihre formalen Elemente (Rhythmus, Harmonie und dergl.), ihr Stil, ihr Inhalt, ihre Theorie – alles wird durch den ökonomischen Aufbau und das Niveau der gesellschaftlichen Technik »unmittelbar oder mit Hilfe zahlreicher Zwischenglieder« bestimmt, und dies gelte für jede Kunst. Auch die allgemeinsten ideologischen Formen des Überbaus, nämlich die Sprache und das Denken, werden in gleicher Weise mit der Entwicklung der Gesellschaft, ihrer Arbeitsorganisation und ihres »technischen Rückgrates« in Verbindung gebracht. Eine verallgemeinernde Ausführung will dann begründen, daß mit der Veränderung der gesellschaftlichen Psychologie eine Veränderung der gesellschaftlichen Ideologie stattfinde: diese sei »das Geronnene« jener. Die Arten des Überbaues seien als eine besondere Art der gesellschaftlichen Arbeit (im Unterschiede von der materiellen Produktion) zu betrachten. Die relativ unabhängige, wenigstens in der subjektiven Verhaltungsart der Ideologen unabhängige Bedeutung des Überbaus wird dann stark herausgestrichen. Der Verfasser macht sich selbst den Einwand, sein Satz, daß zwischen den verschiedenen Reihen der gesellschaftlichen Erscheinungen ein stetiger Prozeß der Wechselwirkung stattfinde, scheine mit den Grundlagen der marxistischen Theorie nicht zu stimmen. In Wahrheit sei jedoch in jedem gegebenen Moment der innere Bau der Gesellschaft durch das Wechselverhältnis zwischen ihr und der Natur be[331] stimmt, d.  h. durch den Zustand der materiellen Produktivkräfte; es widerspreche also die Vielheit der sozial wirksamen Ursachen nicht der einzigen einheitlichen Gesetzmäßigkeit der sozialen Entwicklung. Jede Epoche habe ihre Vorstellungsweise, das sei der Stil ihrer Ideologie und das formierende Prinzip des sozialen Lebens, dessen Typen seien durch die Typen der ökonomischen Struktur bestimmt. Aber das Gleichgewicht unterliegt fortwährenden Störungen, Widersprüche zwischen den Reihen der sozialen Erscheinungen treten zutage, vor allem der Widerspruch zwischen der Bewegung der Produktivkräfte und der ökonomischen, sozialen usw. Struktur. Auch hier (Kapitel 7) strengster Anschluß an Marx, von dem auch Stellen aus dem dritten Bande des Kapitals herangezogen werden. Ursache der Revolution ist demnach der Konflikt zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen,  4  8 11 33

»unmittelbar oder mit Hilfe zahlreicher Zwischenglieder« – Ebd., 224, bei Bucharin als Teil eines vollständig hervorgehobenen Satzes. »technischen Rückgrates« – Ebd., 237, auch dies Teil eines vollständig hervorgehobenen Satzes. »das Geronnene« – »Die Ideologien sind das Geronnene der gesellschaftlichen Psychologie.« (ebd., 248). Ursache der Revolution ist – A: Ursache der Revolutionen ist.

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»die in der politischen Organisation beherrschende Klasse befestigt sich. Die Sprengung dieser, also der Eigentumsrechte, wird zur Lebensnotwendigkeit«. Hier werden dann die Phasen der Revolution auf Grund der bolschewistischen Erfahrung dargestellt: der ideologischen folgt die politische, dieser die ökonomische. Hier handelt es sich um die Zerstörung des alten Arbeitsapparates und den Aufbau eines neuen (wie in der politischen Phase auch). »Selbstverständlich« sei es, daß dadurch zeitweise ein Sinken der Produktivkräfte einträte. Die vierte und letzte Phase der Revolution sei dann die technische Revolution, woran sich eine normale oder organische Periode in der Entwicklung der neuen Gesellschaftsform anschließe. Allgemeines Gesetz des Wachstums der Produktionskräfte: daß ein immer größeres »spezifisches Gewicht« den Sachen, der toten Arbeit, der gesellschaftlichen Technik zufällt. Ähnlich verhalte es sich auch mit der Ideologie: sie materialisiere sich, erstarre in Gegenständen. So reproduziere der Reproduktionsprozeß beständig die Ökonomie der Gesellschaft, folglich auch ihre Physiologie, d. h. die Gesamtheit der verschiedenen Qualifikationen der Arbeitskräfte, und also auch die gesellschaftlichen Widersprüche. Es folgt noch ein recht interessantes Schlußkapitel über Klassen, Stände, Beruf, Klasseninteressen, ihre Psychologie und Ideologie, Klassenkämpfe usw. Letzter Paragraph: »Die klassenlose Gesellschaft der Zukunft«. Die Zuversicht des orthodoxen Dogmatikers gibt dem Buche seine Stärke, wodurch es vorzüglich geeignet ist, jenen, die diese Probleme nicht selbst erwogen haben, tief zu imponieren. Freilich ist die Stärke auch begründet in der Marxschen Gedankenwelt. Diese war freilich sehr fehlerhaft orientiert, wenn sie im Jahre 1848 das nahe Ende der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu sehen meinte und in den fol[332] genden Jahrzehnten immer von neuem die Sturmglocke für die europäische Arbeiterklasse läuten hörte. Sie ist aber von der höchsten Bedeutung dadurch, daß sie die aufwühlende, umgestaltende Wirkung der un 3

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»die in der politischen Organisation beherrschende Klasse … zur Lebensnotwendigkeit« – Textverderbnis im Zitat. Bei Bucharin findet sich: »Also: die Ursache der Revolutionen ist der Konflikt zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen, die in der politischen Organisation der herrschenden Klasse befestigt sind. Diese Produktionsverhältnisse hindern so sehr die Entwicklung der Produktivkräfte, daß sie unbedingt gesprengt werden müssen, soll sich die Gesellschaft weiter entwickeln. Können sie nicht gesprengt werden, so hemmen und ersticken sie die Entfaltung der Produktivkräfte, und die ganze Gesellschaft verfällt in Stagnation oder geht zurück, d. h. macht eine Periode des Verfalls durch.« (ebd., 290 f.). »Selbstverständlich« sei es – Vgl. ebd., 304. immer größeres »spezifisches Gewicht« – Vgl. ebd., 316. »Die klassenlose Gesellschaft der Zukunft« – Ebd., 363 ff.

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geheuren neuen Elemente in den Produktionsmitteln auf die Gesamtheit des sozialen Prozesses zu einer Zeit voraussah, als diese Elemente selbst noch in der Kindheit sich befanden. Marx und Engels waren in der Tat Propheten und Herolde einer großen Veränderung in der sittlichen Welt, zunächst einer neuen Denkungsart, die sich erobernd ausgebreitet hat über die Zusammenhänge des sozialen, also des geschichtlichen Lebens. In seinem Ursprunge war der »historische Materialismus« nur eine Reaktion des Gedankens gegen den in Hegel sich übergipfelnden »Idealismus«, eine Restauration der empirisch rationalen Ansicht der menschheitlichen Entwicklung, wie seit Anfang des 17. Jahrhunderts die Philosophie im Gegensatz zu den theologischen Deutungen sie vorgebildet hatte. Marx hat sicherlich wohl gewußt, daß seine mageren, wenn auch mit viel Geist in meisterhafter Knappheit gestalteten Formeln bei weitem nicht ausreichten, das unendlich verwickelte Gewebe der historischen Faktoren zu durchschauen und zu erklären. Schließen darf man dies aus den Korollarien, die uns Engels, offenbar der berufenste Deuter der von ihm zuerst so genannten materialistischen Geschichtsauffassung, jenen Formeln hinzugefügt hat. Das bestimmende Moment in der Geschichte nennt er die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens: diese sei aber selbst wieder doppelter Art, nämlich einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; anderseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, anderseits der Familie seien die sozialen Einrichtungen einer bestimmten Geschichtsepoche »und eines bestimmten Landes« bedingt. Diese neu erscheinende Form der Lehre trat kurze Zeit nach Marx’ Tode auf (der Ursprung der Familie usw., S. IV). Engels bezeichnete diese Schrift als Ausführung eines Vermächtnisses von Marx; dieser habe selbst vorgehabt, die Ergebnisse des Morganschen Werkes darzustellen, dafür biete er den Ersatz. »Doch liegen mir in seinen ausführlichen Auszügen aus Morgan kritische Anmerkungen vor, die ich hier wiedergebe, soweit es irgend angeht.« Unter einem trennenden Strich folgt dann jene Ausführung: »Nach der materialistischen Geschichtsauffassung ist das bestimmende Moment in der Geschichte usw.« Man hätte guten Grund zu vermuten, daß eben hier Marx’ eigene kritische Anmerkungen vorliegen, ich halte dies in der Tat für ziemlich wahrscheinlich. Für höchst[333]

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»und eines bestimmten Landes« – Engels 1886: IV. »Doch liegen mir … es irgend angeht.« – Ebd. »Nach der materialistischen Geschichtsauffassung … Geschichte usw.« – Ebd.

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wahrscheinlich aber halte ich, daß Engels eben hier, wo er sich als Testamentsvollstrecker vorstellt, nicht etwas geschrieben hat, was dem Geiste seines kurz zuvor verstorbenen Freundes  fremd gewesen wäre. Man darf mit einem hohen Grade von Sicherheit behaupten, daß Marx selber unter dem Einflusse des Amerikaners, von dem Engels sagt, daß er jene Geschichtsauffassung in seiner Art neu entdeckt habe – daß Marx unter diesem Einflusse seine früheren Formeln modifiziert und erweitert hat. Wie dem auch sei, wichtig und richtig ist die Ergänzung. Das Problem darf dahin gefaßt werden: – wenn man die drei großen Komplexe sozialer Erscheinungen: den ökonomischen, den politischen und den geistigen oder moralischen unterscheidet –, welcher von diesen am ehesten eine von den andern relativ unabhängige Bewegung in sich trage. Dies darf allerdings vom ökonomischen Komplex gesagt werden, wenn man darunter die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens in jenem erweiterten Sinne versteht, und in diesem Sinne ist eben das, was hinzugefügt wird, nämlich die Fortpflanzung der Gattung, das  frühere und das am meisten unabhängige. Seine Bedeutung läßt sich nicht, wie Bucharin es möchte, dadurch erledigen, daß die Möglichkeit des numerischen Wachstums einer Bevölkerung selbst von der Entwicklungsstufe der Technik abhänge. Auch wenn man dies als schlechthin richtig anerkennen will, so bleibt doch die Bedeutung der Tatsache davon unberührt, daß die Tendenz zur Vermehrung unabhängig vom Grade der Entwicklung der Produktivkräfte besteht, daß sie nicht nur etwas ursprünglich und allgemein Menschliches ist, sondern etwas schlechthin Organisches, und daß die Wirkungen dieser Tendenz, möge sie durch die Bedingungen des Zusammenlebens mehr gehemmt oder mehr gefördert werden, immer sich geltend machen müssen. Die sozialen Verhältnisse aber, welche im Gattungsleben ihren Ursprung haben, unterscheiden sich wesentlich von den »Produktionsverhältnissen« oder Eigentumsverhältnissen, die Marx sonst allein im Auge gehabt hatte und von der die marxistische Orthodoxie ausschließlich Kenntnis nimmt. Jene habe ich durch den Begriff der Gemeinschaft herausheben wollen und behaupte, daß sie auch diesen in weitem Maße zugrunde liegen. Die einen wie die anderen soziologischen Begriffe dürfen aber, wenn sie an die Erfahrung, mit anderen Worten an die Wirklichkeit, herangebracht werden, niemals so mißverstanden werden, als ob sie darin allein herrschten. Das Moment der Gewalt und des Zwanges, dem Begriffe gemäß schlechthin asozial, fehlt in keinem sozialen Verhältnisse, sobald als darin Herrschaft enthalten ist, möge die Herrschaft als solche gemeinschaftlich oder gesellschaftlich begründet sein und möge [334] seine Erscheinung auch oft nur dadurch asozial auftreten, daß ein an sich rechtmäßiger, das ist sozial begründeter Zwang, als Feindseligkeit

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ausgeübt wird und wirkt. – Ich gehe eine weite Strecke Weges mit der materialistischen Geschichtsphilosophie, wenn auch mehr mit den Deutungen, die ihr schon Engels in seinen bekannten Briefen, dann Antonio Labriola und neuerdings H. Cunow gegeben haben, als mit Kautskys oder gar mit Bucharins scholastischer Auslegung. Wohlverstanden und in Verbindung mit dem Theorem, das durch die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bezeichnet wird, halte ich es allerdings für außerordentlich geeignet, ja  für unentbehrlich, um als das zu dienen, was Marx in jener programmatischen Stelle (»Zur Kritik der politischen Ökonomie, Vorwort«) als Leitfaden für seine Studien bezeichnet hat: man darf auch sagen als Schlüssel für das Verständnis der Kulturgeschichte. Um noch mit einem Worte auf das Bucharinsche Werk zurückzukommen, so ist darin nach dem Maßstabe eines dogmatischen Kommentars nicht wenig geleistet; aber nicht einmal zu leisten versucht hat der gelehrte Verfasser, aus den ihm heiligen Grundsätzen abzuleiten, daß gerade in Rußland, und sonst in Halb- oder Ganzasien, in den ebenso hochindustriellen Staaten Ungarn und Bayern mehr oder minder erfolgreiche Versuche gemacht worden sind, durch das Mittelglied einer scheinbaren Diktatur des Proletariats die Überwindung einer noch völlig unentwickelten kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu bewirken; obgleich doch αὐτὸς ἔφα: eine Gesellschaftsform gehe nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die mate 3

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in seinen bekannten Briefen – Wahrscheinlich bezieht sich Tönnies auf die Briefe Engels’ an Friedrich Adolf Sorge, die dieser 1906 veröffentlichte. – Zu dieser Briefausgabe schreibt Franz Mehring in der »Neuen Zeit«: »In wenigen Tagen wird ein Werk erscheinen, das dazu bestimmt ist, ein dauerndes Denkmal in der Literatur nicht nur der deutschen, sondern auch der internationalen Sozialdemokratie zu werden. Wir meinen den Sorgeschen Briefwechsel …« (Mehring 1906: 10). Antonio Labriola – Tönnies bespricht Labriola 1895 und 1896 in einem Aufsatz zur soziologischen Literatur (Tönnies 1889: [229] ff.). neuerdings H. Cunow – Vgl. Cunow 1920 und 1921. Kautskys – wahrscheinlich bezieht sich Tönnies auf Kautskys »Ethik« (1906). Leitfaden für seine Studien – Tönnies bezieht sich auf S. V f. des Vorworts, die ersten Sätze des bekannten Textes seien hier in Erinnerung gerufen: »Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab, und einmal gewonnen, meinen Studien zum Leitfaden diente, kann kurz so formulirt werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, nothwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesammtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Ueberbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. …« (Marx 1859: V). αὐτὸς ἔφα – [Gr.] svw. Er selbst hat es gesagt

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riellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind. Hat der Zarismus so gut gebrütet?

IX Bekanntlich sind in den Vereinigten Staaten von Amerika die Symptome noch schwach entwickelt, aus denen man schließen könnte, daß ein vorhandener Konflikt zwischen gesellschaftlichen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen eine revolutionäre Explosion wahrscheinlich machten; obgleich doch die Entwicklung jener, der Produktivkräfte, auf einer so ungeheueren Stufenleiter und in einem so gewaltigen Tempo vor sich geht, daß sie offenbar Aussicht hat, den gesamten europäischen Kapitalismus in ihre Fesseln zu schlagen. Indessen kann man schon aus den Schriften Bryces, so sehr dessen Mentalität noch durch einen liberalen Optimismus bestimmt wird, entnehmen, daß [335] auch diese koloniale Treibhausblüte der europäischen Zivilisation schon längst angefangen hat, durch den Einfluß der Zersetzungselemente ihres sozialen Erdreichs ein welkes Ansehen zu gewinnen. Alle soziologisch ernst zu nehmenden Schriften, die, von Amerikanern selbst ausgehend, während der letzten Dezennien mit der sozialen Frage sich befaßt haben, geben davon einhelliges Zeugnis. Durchaus beachtenswert sind in dieser Hinsicht die beiden kleinen Bücher, die den sehr angesehenen, jetzt emeritierten Präsidenten der Yale-Universität zum Verfasser haben, obgleich sie unmittelbar nur mit den politischen Problemen der Demokratie sich beschäftigen. Das erste Büchlein besteht aus Vorlesungen, die in Oxford über »Eigentum und Demokratie« und in Virginia über politische Methoden gehalten wurden. Die erste Vorlesung, auf die schon früher Bezug genommen ward, schildert die allmähliche Entwicklung der amerikanischen Demokratie aus der wesentlich aristokratischen, kolonialen Organisation seit 1820. Es sei für Beobachter amerikanischer Institutionen eine fortwährende Überraschung gewesen, daß die vollkommene politische Freiheit und Gleichheit keine Versuche zur Folge gehabt habe, die Macht des Kapitals einzuschränken. Tatsächlich sei alles, was in dieser Hinsicht vorgekommen sei, höchstens bestimmt gewesen, eine Klasse von Kapitalisten gegen eine andere zu schützen. Der Erklärung dieser Tatsache, daß es in Amerika so

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Das erste Büchlein besteht aus Vorlesungen – Hadley 1915. auf die schon früher Bezug genommen ward – Vgl. S. 422, Z. 3 ff.

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wenig Sozialismus gibt – einer Tatsache, die bekanntlich auch Sombarts Geist beschäftigt hat –, sind die beiden folgenden Vorlesungen gewidmet, die an interessanten Betrachtungen reich sind. Die Hauptursache, warum Amerika so kapitalistisch auch in seiner Ideologie nicht nur geworden, sondern auch geblieben ist, sieht Hadley wie andere vor ihm in dem so wesentlichen Umstande des verbleibenden offenen Landes: »Der Einwanderer, der sich in den westlichen Staaten niederließ, fand sich vor zwei ihm dargebotenen Dingen, dem Stimmrecht und der Gelegenheit, ein Landeigentümer zu werden.« In Verbindung damit blieb das Vertrauen auf den Wert der Konkurrenz stark. Sie setzte einen Preis auf wirtschaftliche Tüchtigkeit. Sie tendierte, die Leitung industrieller Betriebe Männern zu geben, die mit dem geringsten Aufwande an Arbeit das größte Produkt zu erzielen vermochten, und das ist bisher eine Lebensgewohnheit  für die Vereinigten Staaten gewesen, in Verbindung mit der Notwendigkeit, durch alle möglichen Mittel Kapital heranzuziehen. Freilich hat schon der Bürgerkrieg die Funktionen der Regierung vermehrt und das Volk daran gewöhnt, nachdem die konservativen Pflanzer des Südens ihren Reichtum und damit einen großen Teil ihres politischen Einflusses eingebüßt hatten. Das Verlangen nach Einschränkung des freien Wettbewerbes hat sich zunächst hauptsäch[336]lich auf die Eisenbahntarife bezogen; aber auch in den Städten nahm die Bewegung gegen die Monopole der Gesellschaften zu. Gegen Ende des Jahrhunderts wuchs auch der Klassengegensatz und das Verlangen positiver Sozialpolitik. Aber der Erfolg Henry Georges hatte mehr dahin gewirkt, die beiden relativ antikapitalistischen Schichten: die Landwirte und die Arbeiter, zu trennen als sie zu verbinden. Hingegen führte das neue Jahrhundert, als die Vertretung der Arbeiter aufgehört hatte, gegen das Grundeigentum sich zu wenden, die beiden Gruppen wieder zusammen in der Feindseligkeit gegen das organisierte Kapital. Die Folge war, daß »die 10 Jahre 1903–1913 eine Anzahl von Maßregeln  2  9

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auch Sombarts Geist beschäftigt hat – »Warum gibt es in den Vereinigten Staaten keinen Sozialismus?« (Sombart 1906). »Der Einwanderer … Landeigentümer zu werden.« – »The immigrant who settled in the western states was offered two things: the vote, and the chance of becoming a landowner.« (Hadley 1915: 48). der Erfolg Henry Georges – Vgl. ebd., 79 f. Henry George ist Vordenker und Gründer der Bodenreformbewegung, die das Programm verfolgt, durch Besteuerung des nicht durch Investition des Eigentümers entstandenen Wertzuwachses auf Grundeigentum den Kapitalismus sozialpolitisch zu befrieden. Vgl. George 1881 (zuerst 1879). »die 10 Jahre 1903–1913 … – »The decade from 1903 to 1913 has witnessed the passage of a number of measures which twenty years ago would have been regarded as distinctly socialistic in tenor. Where state control already existed it has been made more strict.« (ebd., 86).

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– staatlichen Eingriffen ins wirtschaftliche Leben – durchgehen ließen, die 20 Jahre  früher als ihrer Tendenz nach ausgesprochen sozialistisch gegolten hätten«. »Wo staatliche Kontrolle schon vorhanden war, wurde sie strenger gemacht.« Dringend not tue daher eine Verbesserung des Beamtentums: außer in Heer, Flotte und in der Justiz sei das amerikanische Niveau administrativer Intelligenz niedriger als in Europa und die öffentliche Schätzung ihres Wertes erheblich niedriger. In der zweiten Hälfte des Buches schildert Hadley das Wachstum des Parteimechanismus, die Reaktion gegen dessen Herrschaft und den heutigen Sitz der politischen Macht. Auch diese drei Vorlesungen gewähren uns wertvolle Einblicke in das politische Leben der Union, ihrer Staaten und Gemeinden. In der letzten wird entwickelt, daß und warum die unorganisierte öffentliche Meinung in der praktischen Politik unwirksam sei (öffentliche Meinung bedeutet hier, was ich als »unartikulierte« von der Öffentlichen Meinung unterscheide). Unter den vielen veränderten Bedingungen amerikanischer Politik sei das Wachstum einer unabhängigen, d. h. nicht im Dienste einer Partei stehenden Presse vielleicht die wichtigste: die Macht, der öffentlichen Meinung Gestalt zu geben, sei den Händen des Parteiführers entglitten und in die des Redakteurs übergegangen. Und der Verfasser sieht diese Veränderung überwiegend in günstigem Lichte: Regierung durch die Zeitungen sei Regierung durch Diskussion und vielleicht die einzige Form einer solchen, die in einem großen Gemeinwesen sich durchführen lasse. Er verkennt nicht die ungeheuere Gefahr, daß der Journalist die öffentliche Meinung an ihrer Quelle vergiftet, und dies geschehe viel öfter unabsichtlich als absichtlich. In der Tat sei er mehr und mehr auf einen Posten öffentlicher Verantwortlichkeit vorgerückt. Was Lowell den organisierten Affekt genannt habe, sei etwas, was die Stabilität der amerikanischen Regierung schwer bedrohe. Man bemerke wohl, daß diese Vorlesung im Frühjahr 1914 gehalten wurde. Auch wenn die Erfahrungen der folgenden Jahre nicht [337] vorlägen, möchte man doch sehr starken Grund haben zu urteilen, daß der gelehrte Verfasser eine viel zu günstige Meinung vom Zeitungswesen seines Landes kundgibt, und zwar zu urteilen auf Grund von Zeugnissen gleicher Autorität wie seiner eigenen. Hadley legt sehr großes Gewicht auf ein Sachverständigenurteil in bezug auf die politische wie auf andere 15 28

als »unartikulierte« von der Öffentlichen Meinung – Vgl. Tönnies 1922: 131. Lowell den organisierten Affekt genannt habe – »I do not know whether it was President Lowell or some one else who coined the phrase ›organized emotion.‹ Whoever may have been the inventor, it is an accurate description of something which gravely threatens the stability of American government.« (Hadley 1915: 164 f.).

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Technik. Jeder Versuch, sagt er (S. 176), wissenschaftliche Fragen durch die öffentliche Meinung zu erledigen, bedeutet morsche Brücken und bankerotte Eisenbahnen. In der New Yorker »Nation«, die noch heute das angesehenste Wochenblatt der Union ist, vom 20. Juni 1923 wird berichtet, daß vor kurzem einer der Anwälte, die zur Verteidigung der Wilsonschen Konfiskation der deutschen chemischen Patente ernannt wurden, im Gerichtshof offen erklärt habe, daß der Krieg ein Handelskrieg gewesen ist. Diese Charakteristik, die während des Krieges bekanntlich mit den schwersten Strafen belegt worden sei, habe  freilich jeder einsichtige Beobachter immer als die allein richtige erkannt. Jetzt, wo es für die Wilsoniten gälte, sich vor Gericht gegen die Folgen aus ihrem unsäglich unmoralischen, wenn nicht verbrecherischen Handeln zu wehren, werde sie von diesen Herren ausdrücklich zu ihrer Rechtfertigung gebraucht. »Nichts mehr über unsere Ideale oder darüber, daß man Amerika vor dem Hunnen retten oder die Welt für die Demokratie sichern wolle, oder irgend etwas von dem andern Humbug und heuchlerischen Geschwätz.« Auch das zweite Büchlein Hadleys ist eine Ausgabe von Vorlesungen, die an englischen Universitäten gehalten wurden: acht Jahre später als die früheren, also »nach dem Sturm«. Es zeigt sich von denselben Gedanken erfüllt, die schon vorher den Autor bewegten. Aber noch stärker rückte in den Vordergrund die Besorgnis  für das Schicksal der Demokratie seines Landes. Am meisten beunruhigte ihn das Vordringen der Privatinteressen im Staatsleben, die wachsende Bestimmung der politischen Arbeit durch die Verbände und das »kollektive Feilschen«. Das Blocksystem schicke sich an, das Parteisystem in gesetzgebenden Körperschaften zu verdrängen, habe es in einigen Fällen schon verdrängt. Die Hauptarbeit der Politik habe die Verwaltung (administration, was im Englischen Regierung in sich begreift) zu tun; es bestehe aber die Gefahr, daß sie in ihrer stetigen wirksamen und wirtschaftlichen Arbeit durch die gesetzgebenden Körperschaften behindert werde. »Ein Haus,  3  5 16

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morsche Brücken und bankerotte Eisenbahnen – »Any attempt to settle scientific matters by public opinion means rotten bridges and bankrupt railroads.« (ebd., 176). einer der Anwälte – Tönnies bezieht sich auf die »Editorial Paragraphs« der Ausgabe vom 20.6.1923 (o. V. 1923: [707]), der genannte Anwalt ist Isidor J. Kresel. »Nichts mehr über unsere Ideale … heuchlerischen Geschwätz.« – »Nothing more about our ideals, or saving America from the ›Hun,‹ or making the world safe for democracy, or any of the rest of all that humbug and hypocrisy!« (ebd.). – A: »… und heuchlerischem Geschwätz.«. zweite Büchlein Hadleys – Hadley 1923. beunruhigte ihn – A: beunruhigt ihn. »kollektive Feilschen« – »collective bargaining« (Vgl. ebd., 64 und als Titel einer Vorlesung [79] ff.).

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das gegen sich selbst geteilt ist, kann keinen Bestand haben. Wenn das Ergebnis der Demokratie in derartigen Zwiespälten zwischen verschiedenen Zweigen der Staatstätigkeit zutage tritt, daß gute Verwaltung dadurch verhindert wird, so ist die Demokratie dazu verurteilt, einem besseren System zu weichen.« Die [338] Ursache dieser verhängnisvollen Entwicklung sieht der Verfasser in den wirtschaftlichen Lebensbedingungen und den Gruppeninteressen, in der Regel ökonomischen Interessen. Er gibt einige amerikanische Beispiele der Zersetzung des Parteiwesens durch diese »Blocks«: 1. den Einfluß der Sklavenhalter, 2. der Hochschutzzöllner nach dem Bürgerkriege, 3. der Kapitalschuldner und Inflationisten, die von 1867–1877 vermehrte Ausgabe uneinlöslichen Papiergeldes verlangten und 30 Jahre länger die  freie Silberprägung. Aber das erste wirkliche Zeichen des Zusammenbruches des amerikanischen Parteisystems trat hervor in der Reaktion gegen die Trusts zu Anfang dieses Jahrhunderts. Gegenwärtig seien es drei Blocks, die ihren Druck auf die Mitglieder des Kongresses ausüben: der des Tarifs, der Landwirtschaft, der Arbeit. Die Worte, die der Amerikaner zu Engländern sprach, geben lebendiges Zeugnis von dem tiefen Ernst, womit er dies Problem, das zwar auch in Europa, auch in England vorhanden sei, ins Auge faßt, weil es nirgends so große Gefahren in sich berge wie in den Staaten. »Die Vorstellung von einem Staatsleben, das eine Gruppe instand setzen würde, die Regierung zu behaupten, während sie mit dem Publikum um einen Preis dafür feilscht, ist in noch monströserer Weise unmöglich als ein wirtschaftliches System, das um eines ähnlichen Druckes willen die Nation der Kohle oder des Lichtes oder der Verkehrsmittel würde beraubt sein lassen.« Der Verfasser beschäftigt sich immer aufs neue mit der großen Wandlung und der Reaktion, die auch in Amerika gegenüber den »Idealen« des Freihandels und des Kosmopolitismus seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts sich entwickelt habe: der Weltkrieg stelle die natürliche und  fast unvermeidliche Gipfelung dieser Reaktion dar. Sie sei vorzugsweise der Steigerung des industriel 5

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»Ein … einem besseren System zu weichen.« – »A house divided against itself cannot stand. If democracy results in conflicts between different branches of the government in such a way as to prevent good administration, democracy is doomed to give way to some better system.« (ebd., 91 f,). »Blocks« – »…the system of collective bargaining in politics, known as the block system …« (ebd., 94). – Vgl. zum Folgenden ebd., 95 ff. »Die Vorstellung … würde beraubt sein lassen.« – »A conception of politics which would enable a group to hold up the government of the nation while it bargains with the public for a price, is even more monstrously impossible than a system of economics which would allow the nation to be deprived of coal or light or transport for some similar purpose.« (ebd., 104).

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len gegenüber dem Handelskapital zuzuschreiben. Erschwerend komme das Wachstum von Rassenbewußtsein und Rassenstolz hinzu: Futter für den Demagogen. »Im großen und ganzen scheinen Demokratien mehr geneigt, Leute anderer Rassen mißzuverstehen, als Monarchien – und scheinen rascher entschlossen, zu Gewaltsamkeiten auf der Basis wirklichen oder eingebildeten Unrechts fortzuschreiten.« (Als Demokratien gelten hier natürlich Staaten wie Frankreich. Diese Rede ist vor dem Ruhreinbruch gehalten worden.) Auch in den Vereinigten Staaten habe sich ein exklusiver Nationalismus entwickelt, zugleich mit dem Wandel vom Selbstvertrauen zum Vertrauen auf die Regierung, vom Glauben an offenen Wettbewerb zum Mißtrauen gegen offenen Wettbewerb. Das Amerika von heute nehme eine defensive Haltung gegen den Welthandel an, und seine Politik der kommerziellen Isolierung steigere gewaltig die Gefahr des Krieges. [339] Im Zusammenhang mit diesen Tendenzen betrachtet die letzte Vorlesung die Entwicklung des Klassenbewußtseins. Er sieht die Rettung gegen dessen Schäden für die Demokratie, die in der inneren Politik so schlimm seien, wie die des Rassenbewußtseins in der auswärtigen, ausschließlich in der Steigerung des Pflichtgefühls, darum im Aufbau eines neuen Systems der Ethik. Es gelte allerhand ethische Spreu aus dem Wege zu räumen, vor allem den Glauben bei den Kapitalisten, daß das Eigentumsrecht etwas Heiliges sei, den Glauben auf Seite des Arbeiters, daß die Arbeit Werte schaffe. Die Formen des Eigentumsrechtes seien etwas, was mit dem Gange der Entwicklung neuen Bedürfnissen angepaßt werden müsse: die englische Gerichtspraxis habe dies trefflich verstanden, bis sie in neuerer Zeit den gesetzgebenden Körperschaften diese Funktion abtreten mußte. In Amerika herrscht ausgesprochener Kampf zwischen neuernden Gesetzgebungen und konservativen Gerichten, der unheilvoll sich fortsetzen werde, bis man auf beiden Seiten

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»Im großen und ganzen … eingebildeten Unrechts fortzuschreiten.« – »On the whole, democracies seem more likely to misunderstand people of other races than do monarchies, and quicker to proceed to acts of violence on the basis of either real or fancied wrongs.« (ebd., 116). Ruhreinbruch – Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und Belgien von Januar 1923 bis Sommer 1925. Zweck war, Reparationsforderungen aus dem Versailler Friedensvertrag durchzusetzen. in den Vereinigten Staaten habe sich – A: in den Vereinigten Staaten hat sich. Entwicklung des Klassenbewußtseins – »Class Consciousness and Public Opinion« (ebd., 131 ff.). Es gelte allerhand ethische Spreu … Arbeit Werte schaffe. – »We have two large pieces of ethical deadwood to remove; the belief on the part of the capitalists that property right is something sacred and the belief on the part of the workingman that labour creates value.« (ebd., 137).

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erkenne, daß das Privateigentum so etwas wie ein öffentliches Amt, etwas Anvertrautes sei. – In betreff des anderen Satzes habe zwar Marx nur die gesellschaftlich notwendige Arbeit als wertbildend gesetzt, aber in der Agitation trete diese Beschränkung zurück, so daß unvernünftige Folgerungen daran geknüpft werden. Bei dieser gleichen Verteilung der »Schuld« richtet der amerikanische Gelehrte seine Forderungen doch in erster Linie an die Kapitalisten. Sie sollen ihrer Tätigkeit den Charakter eines freien Berufes anstatt desjenigen eines Geschäftes (trade) geben; dann würden sie in der öffentlichen Schätzung gewinnen und infolgedessen mit einem erheblich geringeren Entgelt für ihre Leistungen zufrieden sein, als deren Wert im freien Verkehr in Anspruch nimmt. Indem er diesen höheren Entgelt als sein geheiligtes Recht in Anspruch nimmt, setzt er sich auf gleiche Linie mit Gewinnlern und Schiebern, welche dieselben Ansprüche erheben. Hadley hält offenbar die Erhaltung des Kapitalismus als Gesellschaftsordnung nur durch die Wandlung der industriellen Ethik für möglich; diese zu bewirken vermöge die öffentliche Meinung, wenn das einsichtige Publikum über die Notwendigkeit zur Klarheit gekommen sein werde, die jetzt (in Amerika) zwischen Gesetzgebung und Gerichtshöfen schwanke. In der Volksbildung sieht der Verfasser das andere Heilmittel. »Denn – mit diesem Satze schließt das Buch – von der Fähigkeit der Staatsbürger, die Berufung einzulegen vom Vorurteil an die Vernunft, vom Klasseninteresse und Klassenbewußtsein an das nationale Interesse und nationale Bewußtsein, hängt nicht weniger als das Dasein der Demokratie ab.« Der idealistische Versuch eines amerikanischen Professors, der nicht nur als solcher sein Ansehen genießt, sondern auch (was drüben [340] wohl mehr bedeutet) zeitweilig Direktor einer Bank und zweier Eisenbahnen gewesen ist, möchte auch  für europäische

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In Amerika herrscht ausgesprochener Kampf … etwas Anvertrautes sei. – Vgl. die Passage bei Hadley: »Instead of an orderly development of law as an expression of public opinion, we find a struggle between progressives who carry measures through the legislature regardless of traditional rights, and conservatives who appeal to the courts for defence against the results of such measures … Before we can accomplish anything positive, the property owners and their counsel must accept the idea that private property is in the large sense a public trust …« (ebd., 139). habe zwar Marx nur die gesellschaftlich notwendige Arbeit als wertbildend gesetzt – Vgl. zu Hadleys Auseinandersetzung mit der Arbeitswerttheorie Marx’ ebd., 140 ff. »Schuld« – Der Begriff so nicht bei Hadley. Gemeint ist die Schuld an den kollektiven Verhärtungen, die zur Blockbildung und zum »block bargaining« führen. vermöge die öffentliche Meinung – A: vermöge die Öffentliche Meinung. »Denn … Dasein der Demokratie ab.« – »For on the ability of the citizens as a body to entertain the appeal from prejudice to reason, from class interest and class consciousness to national interest and national consciousness, the very existence of democracy depends.« (ebd., 157).

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Theoretiker und für »Praktiker«, denen jene verdächtig sind, nicht geringes Interesse haben. Dem Scharfsinn des Amerikaners blieb übrigens nicht verborgen, daß die Grenzlinie zwischen Beruf und Geschäft recht unsicher (somewhat ill-defined) sei; ja, er spricht die ohne Zweifel gerechte Befürchtung aus, daß die Tendenz in neuerer Zeit gewesen sei, sie in der »falschen Richtung« zu verschieben – »d.  h. den Betrieb unserer Heilkunde, unseres Rechts und unserer Wissenschaft zu kommerzialisieren, anstatt das Geschäft zu professionalisieren«. Es gereicht der Gesinnung noch mehr als dem Denken des Verfassers zur Ehre, daß diese Erfahrung ihn nicht entmutigt hat. Es ist sein Verdienst, das Problem des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, wie es in dem großen Gebiet der Vereinigten Staaten immer gewaltiger anwächst, gesehen und scharf ins Auge gefaßt zu haben, wie immer man über seine Lösungen denken möge3. [341] 3

Es liegt uns ganz und gar fern, dem zu widersprechen, was ein Autor aus seinen Gefühlen heraus über den Wert anderer Länder, anderer Regierungssysteme und Denkweisen urteilen mag, auch wenn diese Urteile uns mißfallen. Wenn aber, wie es so leicht geschieht, solche Urteile mit Irrtümern verbunden sind, so darf man solche Irrtümer wohl berichtigen. In seinem Vortrage über alte und neue Demokratien meint Hadley, von modernen Monarchien wie Preußen sei die Lehre eines Plato und Aristoteles in bezug auf die Wichtigkeit des politischen Zieles in der Schulbildung wohl angeeignet worden. Die Schulen, das Heer und die Kirche von »Norddeutschland« seien während des letzten halben Jahrhunderts als einander beigeordnete Teile eines Erziehungssystems behandelt worden, das in ebenso konsequenter Weise die Tugenden des Untertanen lehrte, wie Athen jemals versuchte, die des  freien Mannes zu lehren. Hingebung an die nationalen Ideale und freiwillige Unterordnung unter die monarchische Autorität, verbunden mit Gewohnheiten harten Arbeitens und erstaunlicher technischer Leistungsfähigkeit: das seien die sorgfältig geplanten Ergebnisse preußischer Lehrmethode gewesen. Es wird eine Betrachtung über die Fehler daran geknüpft, durch welche Deutschland den Krieg verloren habe, und zugleich über die Ursachen, aus denen »die Hohenzollern« mit ihren Eroberungsplänen gescheitert seien. Es wird damit unterstellt, daß Eroberungspläne das Deutsche Reich in den Krieg geführt hätten. Dies ist richtig, aber es waren Eroberungspläne Serbiens, Rußlands und Frankreichs, welche Mächte

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»d. h. den Betrieb unserer Heilkunde… Geschäft zu professionalisieren« – »The line between the two [»trade« und »profession«] is somewhat ill-defined and I am afraid the tendency in recent years has been to shift it in the wrong direction – to commercialize our medicine and our law and our science, rather than to professionalize our business.« (ebd., 144). Die Schulen, das Heer und die Kirche von »Norddeutschland« – »The schools, the army and the church of northern Germany during the last half-century were treated as coordinated parts of an educational system which taught the virtues of the subject as consistently as Athens ever tried to teach those of the freeman.« (ebd., 26) – Vgl. ebd. zum Folgenden.

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X Max Weber, der in seinen letzten Jahren, wenn auch mit unmittelbarer praktischer Tendenz, mehrfach über die Probleme der Demokratie und der Demokratisierung sich ausgesprochen hat, sah deutlich, [342] daß zusammen, auch ehe England, Belgien, Portugal, ehe Italien und Rumänien, ehe endlich die Ver. Staaten mit allen ihren Trabanten in den Krieg eintraten, schon eine ungeheuere Überlegenheit in der Kriegsstärke ihrer Armeen gegenüber dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn darstellten. Wenn also unser Verfasser das Scheitern der angeblichen preußischen Eroberungspläne einem Mangel an Verständnis  für Charakter und Gefühle der Nachbarländer zuschreibt und die Meinung ausspricht, Deutschland habe seinen anfänglichen Vorsprung gewonnen durch seine Kriegsrüstungen und die Gewissenlosigkeit, womit es sich dieser be[341]diente; wenn er dann aber bemerkt, daß den verbündeten Mächten die Überwindung des bösen Feindes so schwer geworden sei, daß man die Frage aufwerfen müsse, ob die Unterrichtssysteme dieser Staaten ebenso tauglich für ihre guten Zwecke gewesen seien wie das deutsche Unterrichtssystem für seine bösen Zwecke – so blicken wir hier in ein Wirrsal der Gedanken auch bei einem so unbefangenen und redlichen Beobachter, daß sich daran wohl die Macht einer gewissenlosen Propaganda messen läßt: »Jene Ausstreuung von Unwahrheiten, Trugschlüssen und Aufreizungen, zu einer Technik entwickelt, vermöge deren ihre Meister in der Lage sind, Leute, die nicht die Mittel oder die Zeit haben, selber die Tatsachen zu erkunden, durch geschickte und emsige Lieferung falscher oder einseitiger Behauptungen zu täuschen und irrezuführen.« (J. Bryce, Modern Democracies, a. a. O., II. Bd., S. 505; I. Bd., S. 175.) Auch einem Gelehrten wie Hadley scheinen Mittel oder Zeit gefehlt zu haben, sich zulänglich über die wirklichen Verhältnisse im Deutschen Reich zu unterrichten. Es gab kein gemeinsames Unterrichtssystem im Deutschen Reich, so wenig wie eine gemeinsame Kirche, auch nicht in Norddeutschland allein. Wie will ein wissenschaftlicher Mann mit seiner Vorstellung, das preußische System habe mit glänzendem Erfolge gehorsame Untertanen erzogen, die Tatsache vereinigen, daß bei den Wahlen zum Deutschen Reichstage zweieinhalb Jahre vor Ausbruch des Weltkrieges mehr als 4 1/2 Millionen Stimmen – nicht viel weniger als zwei Fünftel aller abgegebenen Stimmen – für sozial-

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die Meinung ausspricht, Deutschland … Kriegsrüstungen und die Gewissenlosigkeit – »As a result of this blindness Germany made a succession of mistakes which united against her a group of nations strong enough to overcome whatever initial advantage she had won by her preparations for war and her unscrupulousness in using them. But the contest was so close, and the peril to which the Allies were exposed was so grave, that we may well pause to consider whether the educational systems of our great modern republics have been up to the standard of present-day requirements – whether they are as good for our purposes as were those of Germany for her purposes.« (ebd., 27). »Jene Ausstreuung von Unwahrheiten … zu täuschen und irrezuführen.« – »The art of propaganda has been much studied in our time, and has attained a development which enables its practitioners by skilfully and sedulously supplying false or one-sided statements of fact to beguile and mislead those who have not the means or the time to ascertain the facts for themselves.« (Bryce 1921 I: 155 f.). mit seiner Vorstellung – A: mit seiner Wahnvorstellung.

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die Bürokratie das am meisten charakteristische Merkmal des modernen Staates ist, und daß so etwas wie eine Demokratisierung im Sinne der Nivellierung der ständischen Gliederung durch den Beamtenstaat längst eine Tatsache ist. Er polemisierte lebhaft gegen die Idee, der Parlamentarisierung des Staates die Demokratie entgegenzusetzen. Er warf die Frage auf, welches Organ die Demokratie habe, wenn man die Parlamentsmacht wegdenke, um die Verwaltung der Beamten zu kontrollieren? Wie solle die Gesetzgebung vor sich gehen? Etwa durch das Referendum? demokratische, das ist der Monarchie ganz abgeneigte Kandidaten, abgegeben wurden? Vgl. jedoch Anm. 1926, S. 445. Eine vollkommene Unkenntnis wundert uns nicht bei einem Autor wie Jerome Dowd, dessen Buch über die Demokratie in Amerika hier eine Erwähnung finden möge. Es ist ein mittelmäßiges Werk, das zum weitaus größten Teil aus Zitaten besteht, und zwar werden zur Charakteristik und guten Teils zum Lobe des heutigen Amerikas seitenlange Stellen aus dem nun bald hundert Jahre alten Werk Tocquevilles ausgeschrieben. Der Verfasser verschmäht aber nicht, auch den deutschen Gelehrten Münsterberg zu pflücken und eine Reihe anderer Autoren, die besser sind als er. Professor der Soziologie in Oklahoma, schreibt der Verfasser über den Weltkrieg u. a.  folgendes (eine der Stellen, an denen er sich mit seinen eigenen Federn schmückt, sie möge als Kuriosum hier in Übersetzung wiedergegeben werden): »In dem jüngsten Konflikt waren die autokratischen Regierungen am schwächsten in dem wesentlichsten Element nationaler Leistungsfähigkeit, nämlich in ihrem Vermögen, mit anderen Nationen zusammenzuwirken. Die autokratische Philosophie und die darauf aufgebaute Leistungsfähigkeit waren auf merkwürdige Weise egoistisch und sehr abstoßend für andere Nationen. Deutschland insbesondere nahm eine Miene der Überlegenheit gegen alle anderen Nationalitäten an und zeigte einen Grad von Eitelkeit und Anmaßung beispiellos in der Geschichte. Alles, was die Weltherrschaft Deutschlands auszudehnen schien, wurde von ihnen als moralisch richtig betrachtet. Das sittliche Gefühl der Deutschen konnte durch keine barbarischen Handlungen verletzt werden, wenn sie sie – die sich selber die zum Überleben Tüchtigsten oder die Übermenschen nannten – instand setzen konnten, jede andere Rasse zu überwinden.«

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Vgl. jedoch Anm. 1926, S. 445 – Fehlt in A. – Hier S. 584, Z. 33. – Tönnies berichtet aus einem Briefwechsel mit Hadley zu dieser Passage. Zu diesem s. den Editorischen Bericht S. 659. Buch über die Demokratie in Amerika – Dowd 1921. den deutschen Gelehrten Münsterberg zu pflücken – Dowd bezieht sich auf Hugo Münsterbergs Werk »The Americans« (1905). Deutsch »Die Amerikaner« (1904). »In dem jüngsten Konflikt … Rasse zu überwinden.« – »In the recent conflict the autocratic governments were weakest in the most essential element of national efficiency, i. e. in their power of co-operating with other nations. The autocratic philosophy, and the efficiency built upon it, were remarkably selfish, and very repellent to other nations. Germany especially assumed a superiority, to all other nationalities, and exhibited a degree of vanity and arrogance of which history furnishes no like example. Whatever appeared to extend the domination of Germany in the world was considered by them as morally right. The moral sense of the Germans could be offended by no violation of pledges or act of barbarity which might enable them – the self-styled fittest to survive or supermen — to overcome any other race.« (Dowd, ebd., 253).

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Das Referendum sei in keinem Lande  für die wichtigste Leistung der laufenden Parlamentsarbeit, nämlich das Budget, eingeführt, das wäre auch offenbar unmöglich. Es gehe eben nur, wo glatt mit ja oder nein zu antworten sei; dagegen sei das Parteikompromiß ausgeschlossen, und einigermaßen verwickelte Gesetze würden schlechthin unmöglich. Auch sei das Schicksal fast aller Steuervorlagen bei Entscheidung durch Volksabstimmung leicht vorauszusehen. Die Leitung der Parteien durch plebiszitäre Führer bedinge die Entseelung der Gefolgschaft: um für den Führer als Apparat brauchbar zu sein, müsse sie blind gehorchen, Maschine im amerikanischen Sinne sein; es sei das der Preis, mit dem man die Leitung durch Führer zahlen müsse, es gebe sonst nur die führerlose Demokratie, Herrschaft der Berufspolitiker ohne Beruf. Aber auch Amerika könne sich nicht mehr durch Dilettanten regieren lassen. Weber hielt  für den Bestand des modernen Staates nicht nur das Gegenspiel des fachgeschulten Beamtentums und eines regierenden Parlaments für notwendig, sondern auch innerhalb des Parlaments der Führer der Parteien, deren Handeln unter einem ganz anderen, gerade entgegengesetzten Prinzip der Verantwortung stehe als der des Beamten: seine Ehre (des Parteiführers) sei die ausschließliche Eigenverantwortung  für das, was er tue. Alles, was Weber über »Politik als Beruf« ausführt, über die Qualitäten, die für den Politiker entscheidend seien – als solche bestimmte er neben dem Verantwortungsgefühl leidenschaftliche Hingabe an eine Sache und als entscheidende psychologische Qualität das Augenmaß als die Fähigkeit, Realitäten mit innerer Sammlung und Ruhe auf sich wirken zu lassen –, alles deutet darauf, daß er mit tiefen Zweifeln der Entwicklung der Demokratie auch im revolutionären Deutschland entgegensah; er würde heute wohl so wenig als 1919 erkennen, auf welchem Wege sich Chancen für politisch Begabte eröffnen, vor eine befriedigende politische Aufgabe gestellt zu werden; einstweilen  fand er, daß das Verhältniswahlrecht ebenso wie die durchaus kleinbürgerliche Führerfeindschaft aller Parteien, mit Einschluß vor allem der Sozialdemokratie, dem im Wege sei. Die Sammlung der politischen Schriften [343] Webers gibt, obgleich  fast alle während des Weltkrieges verfaßt worden sind oder unmittelbar nachher, so daß manche ihrer Gedanken des Gegenstandes ledig geworden sind, eine Fülle von Anregungen zur politischen Erwägung und zum politischen Verständnis.

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»Politik als Beruf« – Weber 1919a. Sammlung der politischen Schriften – Weber 1921.

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In der Erinnerungsgabe für Max Weber finden wir, besonders im ersten Abschnitt des zweiten Bandes, der das Strukturproblem des modernen Staates behandelt, die Reflexe seines Geistes. Den Begriff der modernen Demokratie in seinem Verhältnis zum Staatsbegriff behandelt Richard Thoma. Er unterscheidet Demokratismus radikaler und solchen liberaler Prägung; Demokratie in dem dafür wesentlichen Sinne eines Rechtsbegriffes sei jeder Staat, dessen Staatsrechtsnormen dem ganzen Volke politische Freiheit und Gleichheit verleihen. Sie könne die Staatsform der parlamentarischen Monarchie und die verschiedenartigsten republikanischen Staatsformen annehmen, ja auch die des Cäsarismus, solange nur tatsächlich die Macht des führenden Demagogen noch entscheidend vom Plebiszit abhänge und nicht als Militärdiktatur in sich selbst ruhe. Es gebe also zum modernen Begriff der Demokratie nur einen ausschließenden Gegensatz: den Privilegienstaat. Die Frage sei, ob und in welchem Sinne die Demokratie eine Herrschaftsorganisation herausstelle, ein demokratisch geordneter Volksverband sich somit als Staat erweise? Werde der Staat als ein Volksverband aufgefaßt und als eine juristische Person, in der normativ alles, was als Herrschaft erscheine, nur Handhabung übertragener Organkompetenz sei, wo also die Staatspersönlichkeit selber allein herrschen solle, was in der Demokratie »sogar verhältnismäßig weniger fiktiv« sei als in jeder anderen Staatsform, so verstehe es sich von selbst, daß die Demokratie Staat sei und daß in diesem Sinne auch in der demokratischen Genossenschaft geherrscht werde. Etwas anderes sei es, wenn man eine andere, ursprünglichere Bedeutung des Wortes Staat zugrunde lege, wo er nicht juristisch die gedachte Einheit über der Vielheit des Volkes, sondern realistisch einen wirklichen historisch konkreten Status von Herrschaftsmitteln in der Hand individueller Machtfaktoren darstelle. Man könne allerdings auf die Meinung kommen, der demokratische Gedanke  fordere, daß der demokratische Staatsverband durch den genossenschaftlichen Staatsverband ersetzt werde. Thoma erledigt dies Postulat, das er an der Utopie Rousseaus mißt, durch den Satz, daß alle wirklich bestehenden oder praktisch jemals realisierbaren Demokratien ihre Herrschaftsbildungen, die sie den Minderheiten aufzwingen, in sich tragen: und zwar beruhe die legitime Herrschaft in der Demokratie, wie sie in den Demokratien der führenden Kulturvölker heute die durchaus vorherrschende sei, auf einer Er[344] oberung der staatlichen Betriebsdirektion mit den gesetzlich erlaubten  1  5 21

In der Erinnerungsgabe für Max Weber finden wir – A: In der neulich herausgekommenen Erinnerungsgabe finden wir. – Palyi 1923. Richard Thoma – Thoma 1923. »sogar verhältnismäßig weniger fiktiv« – Ebd., 57.

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Mitteln des Zusammenschlusses und der Stimmenwerbung; politisch möglich sei allerdings auch eine illegitime, d. h. durch Gesetzwidrigkeit ertrotzte oder erschlichene Ergreifung solcher Direktion. – Die ungemein wichtige Unterscheidung dessen, was von Rechts wegen (de jure) ist und geschieht, von dem, was tatsächlich, und zwar auch in Formen des Rechtes, ist und geschieht, scheint bei diesem Autor nicht durchaus klar zu sein. Er erklärt die politische Freiheit  für gegeben, wenn »alle Gewalt vom Volke ausgeht«, und erklärt diese Bedingung dahin, daß kein staatlicher Gewalthaber vorhanden sein soll, der nicht unmittelbar oder mittelbar durch Wahlen der Aktiv-Bürgerschaft berufen oder wie beim Volksentscheid mit der Mehrheit der Aktiv-Bürgerschaft identisch ist. Die Einführung des Begriffes Aktiv-Bürgerschaft muß hier überraschen. Das Aktiv-Bürgerrecht, wird weiter erklärt, müsse allen sozialen Schichten verliehen sein, dabei seien Wahlalter, Frauenstimmrecht und ähnliches irrelevant, weil weder Jugendliche noch die Frauen, so wenig als Verbrecher und Idioten, eine besondere soziale Schicht bilden. In diesem Sinne würde also auch der Ausschluß der mehr als sechzigjährigen Männer, wozu eine Proletarierherrschaft wohl geneigt sein könnte, mit dem Begriff der Demokratie vereinbar sein. Die Ausschließung der Analphabeten, »je nach Sinn und Bedeutung«, hält der Verfasser schon damit vereinbar, obgleich er ohne Zweifel weiß, daß sie in den amerikanischen Staaten, wo sie beliebt wird, nur die Form ist, worin die Ausschließung einer sozialen Schicht, die sich durch ihre Farbe von den Aktiv-Bürgern unterscheidet, geschieht. Ich meine, daß man die Erscheinungen demokratischer Verfassungen an einem Normalbegriff oder, wie M. Weber dessen Gegenstand benennt, einem Idealtypus messen muß, und daß zu diesem Begriff allerdings nicht nur eine direkte Volksherrschaft gehört, sondern auch ein Aktiv-Bürgerrecht aller Staatsangehörigen, wozu also auch Kinder gehören, wenngleich sie öffentlich-rechtlich so gut wie privatrechtlich durch Eltern oder Vormünder vertreten werden müßten. Daß in einem solchen Normaltypus, sofern er Vertretung des Volkes selber zuläßt, alle Individuen vertreten sein müßten, versteht sich folgerichtigerweise von selbst. Thoma beruft sich auf Bryce dafür, daß man allgemein parlamentarisch regierte Monarchien »beim Vorliegen der üblichen Voraussetzun 1  8 20 31

auf einer Eroberung … der Stimmenwerbung – So wörtlich ebd., 58. Er erklärt die politische Freiheit für gegeben, wenn »alle Gewalt vom Volke ausgeht« – Ebd., 43. »je nach Sinn und Bedeutung« – Ebd., hier auch die Begriffe »Aktivbürger« und »Aktivbürgerrecht«. solchen Normaltypus – A: solchen Idealtypus.

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gen« zu den Demokratien rechnet. Ob »man«, selbst wenn man Bryce heißt, einen Staat zu den Demokratien rechnet oder nicht, scheint mir von minderer Bedeutung; bekanntlich wird oft, zumal in erregten Zeiten, ein Spiel mit Worten getrieben, und zwar in bestimmten Absichten. Offenbar scheint mir, daß dem in ihm geltenden Verfassungs[345]recht nach der britische Staat wenigstens vor 1911 von jenem Typus der Demokratie sehr weit entfernt gewesen, daß er ihm freilich durch die Novellen von 1911 und 1918 beträchtlich näher gekommen ist, obschon dank der Geltung einfacher Mehrheiten in den Wahlkreisen auch (z. B.) die gegenwärtige Regierung einer Minderheit von Wählern ihr Dasein verdankt, ebenso wie bekanntlich in der amerikanischen Union der Präsident, dessen Machtbefugnisse größer sind als die eines europäischen Monarchen, mehr als einmal einer Minderheit von Urwählern seine Stellung verdankt hat (auch Wilson 1912). Unser Verfasser scheint das alles für unwesentlich zu halten; so meint er, auch beim Vorhandensein von Gebilden, wie dem englischen Oberhaus, komme es darauf an, ob solche erste Kammern (nach britischem Sprachgebrauch übrigens zweite Kammern) wirklich noch »ruling power« besitzen oder absterbende Rudimente sind. Hier stoßen wir recht scharf auf die Scheidewand zwischen Recht und Tatsache. Nach Thoma selber ist entscheidend, ob alle Gewalt vom Volke ausgeht, das heißt natürlich: ob dem Rechte nach, wie er selber sagt, den Staatsrechtsnormen gemäß, dies der Fall ist. Tatsächlich kann ja auch dies ein absterbendes Rudiment oder eine leere Form sein, wie alles Recht, wenn die Menschen sich nicht danach richten. Wenn Thoma sagen will, daß die ruling power ausschließlich dem Unterhaus gehöre, so meint er offenbar nicht, daß dies von Rechts wegen der Fall sei; denn nach geltendem englischen Staatsrecht ist noch heute »King in Parliament« der Gesetzgeber. Ein guter englischer Kenner des britischen Staatswesens sagt: man müsse bei den Hauptkomponenten des Systems drei verschiedene Seiten unterscheiden, nämlich die formale – den Standpunkt des Juristen –, die konventionelle – dies ist der Standpunkt des politischen Theoretikers, der die Natur der Gewohn-

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Ob »man«, selbst wenn man Bryce heißt … Demokratien rechnet oder nicht – »Nachdem aber die in England vorgebildete, in alle gegenwärtigen europäischen Erbmonarchien eingedrungene parlamentarische Abkapselung des Monarchen den Unterschied zwischen einer solchen Monarchie und einer Republik zu einem verfassungspolitisch sekundären gemacht hat, rechnet man allgemein (zum Beispiel auch Bryce) parlamentarisch regierte Monarchien beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zu den Demokratien.« (ebd.). – Thoma bezieht sich auf Bryce 1921 (vgl. ebd., 40, Fn.). auch Wilson 1912 – Woodrow Wilson reichten bei der Präsidentschaftswahl 1912 41,8 % der Stimmen, um eine Mehrheit der Wahlmänner zu gewinnen.

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heiten und Regeln zu ermitteln beflissen ist, wodurch die verschiedenen Mächte und Vorrechte verändert oder ausgedehnt worden sind – und endlich die wirkliche als die Ansicht des praktischen Beobachters, der unter die Oberfläche zu den tatsächlichen Verhältnissen durchzudringen sucht. In diesem Sinne äußerte zu Beginn des Jahrhunderts der ToryPolitiker Lord Hugh Cecil: Es könne nicht geleugnet werden, daß eine Übertragung der politischen Macht vom Unterhaus auf das Kabinett sich vollziehe; im Lande habe das Gefühl tiefe Wurzeln geschlagen, daß das hohe Haus eine Institution sei, die aufgehört habe, viel Autorität oder viel Ansehen zu haben. Der Vater des Lords, der als Marquis von Salisbury eine große politische Rolle gespielt hat, hatte schon mehrere Jahre früher ausgesprochen, die Macht des Hauses der Gemeinen, zu einer unabhängigen und wohlerwogenen Beschlußfassung zu kommen, sei längst dahin geschwunden. [346] So stark also weichen in einem Lande, das starr an den überlieferten Formen festhält, die Tatsachen des Staatslebens nicht nur von den eigentlichen Rechtsregeln, sondern auch von den konventionell gegen diese gültig gewordenen Normen ab. Nun gar die Tatsachen des sozialen Lebens, die hinter dem Staatsleben, insbesondere hinter den Formen, in denen das Volk seinen Willen kundzugeben, also die Gewalt aus sich hervorgehen zu lassen berufen wird, verborgen und doch unablässig wirksam sind. So angesehen ist die ruling power der britischen Aristokratie, mit Einschluß der geistigen, auch heute noch von außerordentlicher Stärke. Unser Verfasser, der den Begriffen vom Staat mit Scharfsinn nachgeht, meint, der Soziologe, indem er zum individuellen Verhalten und seinen Motiven als dem allein Realen im sozialen Geschehen durchdringe, »löst den Staat auf und verneint in gewissem Sinne seine Existenz«. Er führt dies dahin aus, der Soziologe müsse zu allererst feststellen, er sehe den Staat in seiner Welt der sozialen Realitäten nicht; er sehe die Vorstellung von der unwiderstehlichen Herrschaftsgewalt des in den Anordnungen gewisser als seiner Organe geltender Menschen hervortretenden »Staates«, und die Vorstellung davon, daß es (aus Klugheit oder ethischer Pflicht) geraten sei, die Normen des Rechts zu beachten; er sehe einzelne Menschen, deren Ansichten und Wille den in einem Gebiet bestehenden Herrschaftsapparat maßgebend bestimmen und die regelmäßig, aber nicht notwendig und immer, identisch seien mit denen, die das Staats 6 14 27

Es könne nicht geleugnet werden – Tönnies bezieht sich auf eine Parlamentsrede Hugh Cecils im März 1901, zitiert bei Low 1914: 80. sei längst dahin geschwunden – Vgl. einen Brief Salisburys an den Verfasser (Dezember 1894) bei Low, ebd., 114 f. »löst den Staat auf und verneint in gewissem Sinne seine Existenz« – Thoma 1923: 54.

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recht als Regenten des Staates bezeichne. Thoma will damit einem Teil der kritischen Grundlagen H. Kelsens zustimmen, ohne aber mit diesem den Staatsbegriff ausschließlich als Rechtsbegriff aufzufassen und die Möglichkeit eines besonderen soziologischen Staatsbegriffes zu verneinen. Er meint, der juristische Deutungsbegriff (Staat = Körperschaft) stelle den äußersten Pol der synthetischen, der soziologische (Staat = herrschafterzeugender Komplex von mannigfaltigen individuellen sozialen Verhaltungsweisen) den äußersten Pol einer analytischen Betrachtungsweise dar. Ich  finde mich durch diese Hinweise auf das Problem des Soziologen veranlaßt, mein eigenes Verhältnis zur Auffassung des Staates hier in Kürze zu erwähnen. Ich schreibe allen menschlichen sozialen Verbänden gleichwie den sozialen Verhältnissen und sozialen Samtschaften (so benenne ich die unorganisierten Gesamtheiten, sofern sie wenigstens auch subjektiv vorhanden sind) ein dreifaches Dasein zu: 1. das am meisten unmittelbare Dasein in ihren eigenen Subjekten, in deren Gedanken, Bewußtsein, Willen; 2. das Dasein in anderen Seelen von Individuen oder von anderen Verbänden, die mit dem betrachteten Verbande irgendwelche Beziehungen pflegen, etwa auch in sozialen Verhältnissen zu ihm stehen [347] oder mit ihm zusammen eine Samtschaft, endlich auch einen (höheren) Verband bilden. Sie müssen zu diesem Behufe ihn nicht nur erkennen, sondern als eine willens- und handlungsfähige Person anerkennen. Die Anerkennung gibt ihm ein besonderes Dasein, das von dem Dasein im Bewußtsein seiner eigenen Subjekte verschieden ist. Ihre Kraft und Bedeutung hat sie zumal, wenn sie von gleichartigen oder übergeordneten Verbänden ausgeht. 3. Als dritte Art des Daseins von Verbänden bestimme ich das Dasein in der Vorstellung des Zuschauers, also des theoretischen Denkers. Es ist seinem Wesen nach von den beiden anderen Arten verschieden. Mit der zweiten hat es gemein, daß es mittelbar ist, also ein unmittelbares Dasein der ersten Art voraussetzt. Es setzt aber nicht auch die zweite Art voraus. So kann eine geheime Gesellschaft oder Verschwörung schlechthin nur  für die Verschworenen vorhanden sein und vorhanden gewesen sein; wenn es aber verraten wird, so ist alsbald, nämlich  für den Mitwisser, die dritte Art des Daseins gegeben, deren Wesen von den Zwecken dessen, der die Kenntnis nimmt, unabhängig ist: es kann sich also der Beamte oder Richter, der sie auflöst, darin mit dem Denker teilen, für den sie lediglich Objekt des Studiums ist. Für jene erste und unmittelbare Art des Daseins setze ich nun als den fundamentalen Unterschied, ob es im Wesenwillen oder im Kürwil 2

Thoma will damit … H. Kelsens zustimmen – Ebd., mit Bezug auf Kelsen 1922.

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len beruht, will sagen, ob der Verband – und dasselbe gilt von sozialen Verhältnissen und Samtschaften – auf den Begriff Gemeinschaft oder auf den Begriff Gesellschaft zu beziehen ist. Dies ist keineswegs immer klar und eindeutig bestimmbar, gerade der Begriff des Staates bietet in dieser Hinsicht besondere Schwierigkeiten. Der Staat ist das, als was er von seinen Subjekten gedacht und gewollt wird. Diese Subjekte sind eine kleinere oder größere Zahl von Angehörigen des Staates, der gerade betrachtet wird. Der Begriff des Staatsbürgers will sagen, daß alle, die durch diesen Namen bezeichnet werden, Subjekte des Staates sind. Sie sind es dadurch nicht wirklich, d.  h. in ihrer eigenen Idee. Es ist aber eine wissenschaftlich zulässige Fiktion, um des Begriffes willen alle als Subjekte des Staates zu denken. Ob nun der Staat, sofern er in den Gedanken seiner Bürger vorhanden ist, mehr dem Typus Gemeinschaft oder mehr dem Typus Gesellschaft entspricht? Den Gesetzen der Entwicklung gemäß, und das heißt, je mehr er in das Bewußtsein seiner Subjekte eintritt, um so mehr werden die ihres Individualismus bewußter werdenden, d. i. ihre Willensentschlüsse und Handlungen nach ihren persönlichen Zwecken einrichtenden Individuen den Staat wie jede andere soziale Verbindung als ein Mittel für ihre Zwecke – möglich aber auch als Hemmnis ihrer Zwecke – denken und also bejahen [348] (in anderm Fall so verneinen). Nur in diesem Sinne habe ich theoretisch gewagt, den Staat unter den Begriff Gesellschaft zu ordnen4. Ich wußte wohl und habe es später ausdrücklich hervorgehoben, daß der Staat für die Gedanken vieler und zum guten Teil in der überlieferten, vielfach durch Religion geheiligten Ideologie etwas anderes, Höheres, Edleres, jedenfalls einen Zweck an ihm selber bedeutet, so gut wie etwa noch heute die Kirche für ihre gläubigen Seelen. Aber ich sah und ich sehe, daß in unserem Zeitalter, das so sichtlich an einer Befestigung und Erweiterung der Tätigkeiten des Staates arbeitet, alle jene Vorstellungen und Empfindungen, in denen die Menschen sich miteinander und mit ideellen Wesenheiten wie Glieder mit ihrem Leibe verbunden  fühlen, hinschwinden, um immer völliger einem nüchternen, praktischen Rationalismus zu weichen. In bezug auf den Staat hat dieser Prozeß des Empfindens und Denkens mehr als in Deutschland in westlichen Staaten, mehr als in diesen in denen der Union und anderer Kolonialländern 4

F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin 1926. 6. u. 7. Aufl., S. 227 ff.

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Begriffes willen alle als Subjekte – A: Begriffes willen Alle als Subjekte. F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft – In A die Fn.: F. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin 1922. 4. u. 5. Aufl., S. 227 ff. – Tönnies verweist auf den § 29 des Dritten Buches (TG 2: 396 ff.).

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sich vollendet. Ich behaupte nicht, daß diese Entwicklung notwendig in gleichem Sinne sich fortsetzen müsse; ich glaube aber nicht zu irren, wenn ich sage, daß nur in dem Verhältnis, wie die gesamte Grundlage des Zusammenlebens, also das Familienwesen und das wirtschaftliche Leben in ihren Formen sich wandeln, auch das Staatsleben wiederum dem Typus der Gemeinschaft sich nähern kann. Insofern, als dies geschieht, würde der Staat in seinen Subjekten als ein reales Wesen sich darstellen, während gesellschaftlich er gleich jeder Verbandsperson, die für irgendwelche Zwecke von irgendwelchen Individuen geschaffen wird, eine Fiktion seiner Subjekte darstellt. Für die soziologische Theorie ist auch die gemeinschaftlich gedachte Verbandsperson, also etwa, um ein deutlicheres Beispiel zu nehmen: die Kirche, in erster Linie Fiktion derer, die sich, sei es als zu ihr gehörige Glieder, sei es als ihre Urheber empfinden und denken. Auf die Frage (Thoma, S.  56), was der Staat an und für sich sei, abgesehen von der juristischen oder soziologischen Betrachtungsweise, eine »metaphysische« Antwort zu geben, als ob es lebendige, reale Verbandspersonen wirklich »gäbe«, hat die soziologische Theorie auch dann keinen Grund, wenn sie feststellt, daß z. B. die Kirche von ihrem Klerus und etwa auch von den Laien als eine solche Realität gedacht wird; jedes Sinnes ledig wird aber die metaphysische Antwort, wenn sie auf Fälle bezogen wird, in denen die Subjekte der Verbandsperson selber weit davon entfernt sind, ihr eine übersinnliche Wirksamkeit zuzuschreiben. Wie verhält sich nun der soziologische Begriff zum juristischen? [349] Wir hören, der juristische Begriff sei der einer Körperschaft, und es wird daran als etwas, was sich von selbst verstehe, angefügt, daß die Soziologie so etwas wie eine Körperschaft nicht kenne oder nicht sehe; wie es scheint, ist die Meinung, daß »der« Soziologe sich darin bewähre, daß er nur individuelles Verhalten und dessen Motive, »als das allein Reale im sozialen Geschehen« erkenne und sehe. Ich widerspreche dem in der bestimmtesten und schärfsten Weise. Ich behaupte, daß die reine Soziologie ihren bedeutendsten Gegenstand in den sozialen Verbänden und Körperschaften, zumal in den historisch wichtigsten, wie Kirche und Staat, erkennen muß, daß aber das Verständnis dieser sozialen Gebilde eine psychologische Deutung von der Art, wie ich sie hier vorgeschlagen habe, fordert. Ja, ich mache ferner geltend, daß alle juristischen Begriffe, sofern sie allgemeine und notwendige Gültigkeit in Anspruch nehmen, in 30

»als das allein Reale im sozialen Geschehen« – »Der Soziologe also, indem er zum individuellen Verhalten und seinen Motiven als dem allein Realen im sozialen Geschehen durchdringt, löst den Staat auf und verneint in gewissem Sinne seine Existenz …« (Thoma 1923: 54).

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soziologischen Begriffen beruhen müssen, wie denn der Begriff des Staates seinen klassischen juristischen Ausdruck gefunden hat in der naturrechtlichen Idee, daß er durch Verträge aller mit allen und durch Beschluß der Mehrheit einer verfassunggebenden Versammlung geschaffen werde als die souveräne Persönlichkeit (so die definitive und vollkommenste Fassung des Hobbesschen Theorems)5. Daß dieser Idee seit bald eineinhalb Jahrhunderten die Herstellung neuer Staatsverfassungen, d. h. neuer Staaten, auch wenn die Fortdauer des alten unter dem alten Namen fingiert wird, in allen Revolutionen vor sich gegangen ist, diese Tatsache wirkt als ein starkes Licht auf jenes vergessene naturrechtliche Theorem zurück. Auch bemerken wir, daß die gewichtigsten neueren Staatslehren, wenigstens in dem einen, höchst bedeutsamen Punkte auf Hobbes, als den Erfinder der einheitlichen Person des Staates, zurückkommen. So vor andern die allgemeine Staatslehre Georg Jellineks, wie deutlich zutage tritt, wenn darauf hingewiesen wird (3. Aufl., S. 26), daß das erste geschlossene System des Naturrechts (d.  h. des rationalen), die absolutistische Lehre des Hobbes, den Staat als einheitliche Persönlichkeit erfaßte, der durch keinen ihr gegenüberstehenden Willen Schranken gesetzt werden können, und wenn sie dann ausführt, die moderne juristische Theorie vom Staat habe diesen Gedanken dahin fortgebildet, daß sie dem Staat das formelle Recht zuschreibe, nach seinem Ermessen die Grenzen seiner Wirksamkeit zu bestimmen, so daß prinzipiell nichts dem menschlichen Gemeinleben Angehörige seiner regulierenden Macht entrückt sei. Inwiefern ist nun jenes Hobbessche Theorem ein soziologisches Theorem? Insofern als diese Konstruktion des Leviathan, als des in die Luft des Gedankens gebauten [350] Willensungetüms, allgemeine und notwendige, also abstrakt wissenschaftliche Geltung in Anspruch nimmt. Wenn die Jurisprudenz als Lehre des Allgemeinen Staatsrechts dieselbe Geltung in Anspruch nimmt, so ist sie eben eine soziologische Lehre, und es ist wohl nicht zufällig, daß das Allgemeine Staatsrecht sich neuerdings lieber Allgemeine Staatslehre nennt: die Lehre vom Staat ist ein notwendiger Teil der allgemeinen Lehre von den sozialen Wesenheiten. Der eigentlichen Jurisprudenz als Lehre des öffentlichen Rechts bleibt immer die Beschreibung, Auslegung und Kritik der einzelnen Staatsverfassungen vorbehalten. 5

Vgl. Th. Hobbes Leben und Lehre. Stuttgart 1925. 3. Aufl., S. 193 ff.

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wenn darauf hingewiesen wird – Recte: Jellinek 1914 und Jellinek 1926: 206. von den sozialen Wesenheiten. – A: von den sozialen Gebilden.. Vgl. Th. Hobbes Leben und Lehre. Stuttgart 1925. 3. Aufl., S. 193 ff. – A: Vgl. Th. Hobbes, Der Mann und der Denker. Stuttgart 1912. S.  193  ff. – Es ist für Tönnies 1925c die falsche Seitenzahl stehengeblieben: Die Verweisstelle dort S. 237 ff.

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In diesem Zusammenhang möge noch auf zwei andere Aufsätze des dem Andenken Max Webers gewidmeten Sammelwerkes hingewiesen werden: auf den zwölften, worin Carl Schmitt die Soziologie des Souveränitätsbegriffes und »politische Theologie« behandelt, und den vierzehnten »Soziologie und Staatswissenschaft« von Carl Brinkmann. Schmitt kritisiert die von Kelsen aufgestellte Disjunktion Soziologie-Jurisprudenz. Nach Kelsen sei der Staat nicht irgendeine Realität oder ein Gedachtes neben oder außer der Rechtsordnung, sondern nichts anderes als eben diese Rechtsordnung selbst,  freilich als eine Einheit. Schmitt bedenkt diesen Satz mit der treffenden parenthetischen Glosse: »Daß hier das Problem liegt, scheint keine Schwierigkeit zu machen.« Indem er Kelsens Lehre, es gebe für die juristische Betrachtung nur Zurechnungspunkte, und der Staat sei der Endpunkt der Zurechnung, der Punkt, an dem die Zurechnungen, die das Wesen der juristischen Betrachtung seien, »haltmachen können« – »dieser Punkt« sei zugleich eine »nicht weiter ableitbare Ordnung« –, indem Schmitt diese Ansicht eingehend wiedergibt und daran auch eine Beschreibung der Lehre des holländischen Rechtsgelehrten Krabbe anfügt, ferner Woltzendorffs und Kaufmanns neuere Lehren erörtert, kommt er auf Hobbes als den klassischen Vertreter des (von ihm so genannten) dezisionistischen Typus. Es wird der Satz des Leviathan als die klassische Formel der Antithese, um die es sich handele, angeführt: auctoritas non veritas facit legem. Es ist ganz richtig: die Verherrlichung der Rechtsordnung als der über den Souverän erhabenen Macht hat Hobbes vorgefunden und u. a. mit der Bemerkung erledigen wollen (Lev. E. W. III. 313), damit werde auch ein Richter über den Sou 4  6 10 12 17 20 23 26

Carl Schmitt – Schmitt 1923. Carl Brinkmann – Brinkmann 1923. Nach Kelsen sei der Staat … freilich als eine Einheit. – Schmitt (1923: 13), den Tönnies hier textnah referiert, bezieht sich auf Kelsen 1920 und 1922. »Daß hier das Problem liegt, scheint keine Schwierigkeit zu machen.« – Schmitt, ebd. »haltmachen können« – »dieser … weiter ableitbare Ordnung« – Tönnies gibt von Schmitt zitierte Formulierungen Kelsens wieder, vgl. ebd., 14. neuere Lehren erörtert – Vgl. Schmitt zu Krabbe ebd., 15 ff., zu Wolzendorf 17 ff., zu Kaufmann 19 ff. auctoritas non veritas facit legem – [Lat.] svw. Autorität, nicht die Wahrheit, schafft das Recht. – Hobbes 1841: 202 [XXVI] – zit. bei Schmitt, ebd., 25. (Lev. E. W. III. 313) – »Which error, because it setteth the laws above the sovereign, setteth also a judge above him, and a power to punish him; which is to make a new sovereign; and again for the same reason a third, to punish the second; and so continually without end, to the confusion, and dissolution of the commonwealth.« (Hobbes 1839: 312 f. [II, 29]).

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verän gesetzt, also eine Befugnis, ihn zu strafen, d. h. es werde ein neuer Souverän eingesetzt. Dieser bedürfe aber wieder eines dritten, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen, und so des weiteren ohne Ende, zur Verwirrung und Auflösung des Gemein[351]wesens. – Interessant ist die Parallele, welche Schmitt im letzten Abschnitt seiner Abhandlung zwischen Staatslehre und Theologie zu ziehen unternimmt, wie er ausführt, mehr als eine Parallele und Analogie, vielmehr tiefer innerer Zusammenhang der Ideen, wie er ja am stärksten hervortritt, wenn die Monarchie als Theokratie sich geltend macht oder wenigstens sich empfiehlt, wozu sie ja immer geneigt gewesen ist. Längst ist der Begriff des konfessionellen Absolutismus eingeführt worden, und wenn der aufgeklärte Absolutismus die theologische Hülle abstreifte, so zog er dafür das Gewand der Philosophie an, die durch ihren deistischen Rationalismus charakterisiert wird. Daß die moderne Tendenz zur demokratischen Republik einen gewissen Zusammenhang aufweist mit der naturwissenschaftlichen antimetaphysischen Weltansicht, die man allenfalls als pantheistisch qualifizieren mag, läßt sich einigermaßen wahrscheinlich machen. Es muß aber doch erinnert werden, daß die Demokratie in den Vereinigten Staaten, als sie vor hundert Jahren sich entwickelte, von nichts weiter entfernt war, als von pantheistischer oder gar atheistischer Lehre, geschweige von relativistischer und unpersönlicher Wissenschaftlichkeit, als deren Ausdruck Kelsen die Demokratie auffassen will. Mir scheint, daß man den ganzen Prozeß der modernen Staatsentwicklung immer betrachten muß in seiner Wechselwirkung mit dem Prozeß des Zerfalles der gewaltigen, ihrer Idee nach schlechthin universalen Institution der mittelalterlichen Kirche. Dem widerspricht es nicht, daß die heutige römische Kirche, deren Wurzeln längst absterbende sind, mit großem Verstande jeder Staatsverfassung sich anzupassen bemüht ist, und daß es ihr auch gelingt – gelingt, indem sie, wie auf andern Gebieten, ihre Ansprüche und Doktrinen zwar nicht aufgibt, aber schweigen heißt. Die Abhandlung Brinkmanns gibt ebenfalls nicht wenig zu denken. Sie setzt sich mit denselben Autoren, zu denen aber noch Haff und andere kommen, auseinander. Sie findet, daß in der Soziologie die Vereinigung der positivistischen und der normativen Staatslehre zu suchen sei. Brinkmann tritt für eine Erkenntnis des staatlichen Geschehens ein, die sich sowohl von philosophischen und juristischen Schematen wie von unbewußter Hingabe an bestimmte, geschichtliche Machtverhältnisse  frei genug zu halten wisse, um das Werden des Staates aus der Gesellschaft zu begreifen. Er erörtert in diesem Zusammenhang die  7

vielmehr tiefer innerer Zusammenhang – A: vielmehr tieferer innerer Zusammenhang.

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»Staatsscheu« des liberalen und des sozialistischen Rechtsdenkens und will dagegen den Idealtypus des Staates als Rechtsaufgabe und Machtleistung retten. – Hier möge auch noch auf die letzte Abhandlung dieses Abschnittes des Weberbuches hingewiesen werden, worin Karl Landauer »die Wege zur Eroberung des demokratischen [352] Staates durch die Wirtschaftsleiter« einsichtig schildert. Im Text spricht er von der Aushöhlung des Staates durch die Wirtschaftsleiter. Sie erscheint ihm nicht als unabwendbares Schicksal; es sei aber dem heutigen Staate, ganz unabhängig von seinem Verhältnis zu sozialistischen Theorien, die Aufgabe gestellt, sich wirtschaftliche Eigenmacht zu schaffen, zum Behuf seiner Sicherung, insbesondere für den Zeitpunkt der Wiedererstarkung des Kartellwesens. Der Gedanke des Verfassers ist so richtig, wie er in überzeugender Weise dargestellt ist.

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Der außerordentlichen Schwierigkeiten, unter denen die moderne Demokratie sich entwickeln muß, sind alle Autoren, die hier behandelt worden sind, mehr oder minder sich bewußt. Man möchte sagen: je jünger desto mehr. Der zuletzt genannte Autor drückt die größte Schwierigkeit sehr gut dahin aus: die moderne Demokratie beraube die Beherrscher der Produktionsmittel der politischen Vorrechte und trenne dadurch wirtschaftliche und politische Herrschaft. Er leitet das Streben der Massen nach Ergänzung der politischen Herrschaft durch wirtschaftliche und ebenso das Streben der wirtschaftlichen Führer nach Rückgewinnung der politischen Macht daraus ab. Treffend nennt er die daraus hervorgehenden Spannungen und Kämpfe ein Erkenntnisobjekt von elementarer Bedeutung für die wissenschaftliche – ich würde insbesondere sagen: für die angewandte – Soziologie. Auf der andern Seite sind alle Autoren mehr oder minder einig über die innere Notwendigkeit der demokratischen Entwicklung. Denker haben sie vor bald hundert Jahren vorausgesehen. Nichtdenker wähnen  1  6 21 27

»Staatsscheu« – Brinkmann 1923: 72. »die Wege zur Eroberung … durch die Wirtschaftsleiter« – Dies der Titel von [Carl] Landauer 1923. die moderne Demokratie beraube … trenne dadurch wirtschaftliche und politische Herrschaft – So Landauer fast wörtlich im Inhaltsverzeichnis (ebd., [113]). sagen: für die angewandte – A: sagen für die angewandte.

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heute noch, sie aufhalten, ja zurückwerfen zu können. Der Politiker, der von richtiger Erkenntnis sich leiten läßt, wird sich die Aufgabe stellen, den Strom zu regulieren, und das wird heißen, die politischen und die wirtschaftlichen Kräfte in ein richtiges Verhältnis zueinander zu setzen. [353]

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Im Zusammenhange mit allgemeinen Theoremen über die Geschichte der Menschheit ist auch neuerdings oft die Bedeutung der Religionen für das soziale Leben erörtert worden. Niemand verkennt, daß diese Bedeutung noch in der heutigen Zivilisation sehr groß ist, obwohl ebenso unverkennbar bleibt, daß sie während der letzten Jahrhunderte sich ungemein verringert hat. Eben dieser Prozeß ihrer sinkenden Macht läßt deutlicher gewahren, wie die Grundlage dieser Macht beschaffen ist und war. Das gänzliche Vergehen einflußreicher Religionen liegt für unsere Betrachtung durchaus nahe, wenn wir der Abhängigkeit aller unserer Kulturelemente von der Antike gedenken und uns vergegenwärtigen, daß die Götter Griechenlands wie die Götter der römischen Weltherrschaft versunken sind. Wenn wir die Fortdauer der Religionssysteme des  fernen Orients, die Fortdauer der mosaischen Religion, des Islam, und des Christentums damit vergleichen, so scheint die Schlußfolgerung unabweisbar, daß die zukünftige Menschheit keine antike Götterwelt wieder erstehen lassen wird, daß vielmehr nur monotheistische, pantheistische und etwa auch atheistische Systeme – der Buddhismus ist ja seinem echten Kerne nach ein solches – miteinander in Wettbewerb um die

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Kulturbedeutung der Religionen – Zuerst in Schmollers Jahrbuch (48.1924: 1–30. Tönnies 1924a, im Folgenden A). In A folgt dem Titel ein Inhaltsverzeichnis [Seitenzahlen sind angepasst]: »Religion und Kultur S. 475. – I. C. H. Beckers Islamstudien S. 478. Islam und Christentum S. 478. Die Analogien S. 479. II. Das Judentum und seine beiden Sprösslinge S.  481. Weiblicher und männlicher Geist in den Religionen S.  483. Das greisenhafte Verhältnis zur Welt S. 484. Unterschiede von Islam und Christentum S. 485. Verhältnis zum Handel S. 486. – III. Der Islam und die Reformation S. 489. Reformation und Kapitalismus S. 490. Max Weber S. 491. Weber und Becker S. 492. – IV. Zur Kritik von Max Weber S. 494. Asketischer Rationalismus und Utilitarismus S. 496. Die Interessenlage der bürgerlichen Schichten S. 498. Ehrlich währt am längsten – die Prämie – Motive des Geschäftsgeistes – relative Zufälligkeit der puritanischen Motivierung S. 501. Die Mehrdeutigkeit des Rationalismus S. 504. – V. Die Zukunft des Islam. Zukunft des Christentums S. 505.« – Unter dem Titel die Autorenzeichnung »Von Dr. Ferdinand Tönnies, o. Prof. der Staatswissenschaften an der Universität Kiel«. Die Zeitschrift ist in Fraktur gesetzt. – Vgl. im Editorischen Bericht S. 661.

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Seelen einer von wissenschaftlichem Geiste durchtränkten Menschheit treten können. Drei Völkergruppen, von denen die eine auch mit Recht und mit Grund als eine echte Rasse verstanden wird, haben zur Ausbildung dieser überlebenden Systeme des Glaubens und Kultus zusammengewirkt: 1. die Mongolen mit der entschiedenen Richtung auf einen moralischen Rationalismus, der in sich selbst beruht und einer übersinnlichen Stütze kaum bedarf, 2. die Arier Indiens mit der entschiedenen Richtung auf einen Pantheismus, der sogar in Atheismus übergeht, 3. die Semiten mit der entschiedenen Richtung auf den Monotheismus. Dieser Monotheismus ist nach seinem Ursprunge der Kultus des Jahwe als des Kriegsgottes Israels; zum alleinigen Gott hat ihn die jüdische Prophetie erhoben. Die mosaische Religion dauert in der Gestalt fort, die ihr die Schriftgelehrten und der Talmud gegeben haben. Viel bedeutender als durch sich selber ist sie aber durch die beiden Weltreligionen geworden, die ihre Sprößlinge sind. [354] In allen diesen überlebenden Religionen, die in mehr oder minder ausgesprochenem Gegensatz zum Polytheismus entstanden sind und sich behaupten, macht sich aber bemerkbar, daß der Volksglaube die Tendenz zeigt, in der Verehrung vieler göttlicher oder dämonischer Wesen zu verharren oder darin zurückzufallen, und sogar die Kirchen – wenn man die förmlichen Organisationen der Bekenntnisse mit diesem allgemeinen Namen bezeichnen will – haben diesen Neigungen teils nachgegeben, teils sie sogar bewußt gefördert. Innerhalb des protestantischen Christentums überleben sie jedoch  fast nur in übereinstimmend kirchlicher und popularer Verehrung des Gottmenschen und etwa auch des Heiligen Geistes, wenngleich die Kirchenlehre diese beiden mit dem Vater sowohl identifiziert als von ihm unterscheidet; was aber das gläubige Volk nicht versteht. Es ist oder war mehr geneigt, an den leibhaftigen Teufel zu glauben – eine Ergänzung des Monotheismus, den auch die Theologie sehr mit Widerstreben und kaum je ganz förmlich aufgegeben hat. Irgendwelcher Zusammenhang der gepflogenen und geübten Religionen mit den allgemeinen Lebensbedingungen, mit Arbeit und Geschäften, mit dem Stande der Geistesbildung ist offenbar immer vorhanden. Die höchst entwickelten Formen des Polytheismus stellen solchen Zusammenhang unmittelbar in ihrem Pantheon dar; und der christliche Heiligenkalender schließt sich in mehr ethischem als künstlerischem Geiste daran an. Die Aufnahme des christlichen Glaubens durch den zerrütteten antiken Geist war zugleich ein Sieg des spekulativen Denkens über die Phantasie, des altersreifen, ja greisenhaften sittlichen 30

Es ist oder war mehr geneigt … förmlich aufgegeben hat. – Satz fehlt in A.

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Ernstes über das kindliche Spiel der bildenden Kunst und der Dichtung, über den Leichtsinn der Jugend. In diesem Sinne war freilich schon die römische Religion mit ihrer nüchternen Vergeistigung des Lebens und der Welt1, ihrem starren Ritualismus, den Griechen verglichen, mehr moralisch als ästhetisch disponiert; wie innerhalb des hellenischen Geistes schon einzelne Kulte, wie das Mysterienwesen und vor allem dann die Philosophie in diese Richtung wies; besonders hat im Gefolge des Platonismus die kosmopolitische Stoa, die sich über das römische Reich ausbreitete, dem Christentum sichtlich vorgearbeitet. Auch in ihren spätesten Blüten, besonders durch den Neuplatonismus, hat die griechische Spekulation zur Gestaltung der christlichen Dogmatik wesentlich mitgewirkt. Das Christentum trat aber als die Weisheit einer weit überlegenen Kultur, zugleich als ein Mittel der Herrschaft von Römern, und bald auch von romanisierten Germanen, in eine Welt hinein, die seinen Ursprüngen fremd war. Aus einer vergehenden Nation war es hervorgegangen, in einer zerfallenden Kultur hatte es sich entwickelt – auf einem jungen frischen Boden [355] durch Wanderungen sich umschichtender Völker, die sich teils der alten Zivilisation und ihrer Schätze bemächtigt hatten, teils diese in ihre eigenen Heimaten übertrugen, ist das Christentum der geistige, auch moralisch-politische Faktor einer neuen Kultur geworden, als der es noch heute mächtig wirkt. Aber nicht auf diesem jungen Boden allein hat es seine Kräfte entfaltet. Es blieb auch in der antiken, mit den Ausläufern orientalischer Kulturen vermischten Geisteswelt und politischen Welt. Auch in Rom hat es nicht nur sich festgesetzt, sondern sein mächtigstes Zentrum gefunden. Aber das römische Reich war gespalten, und ein oströmischer Kaiser war es, der als zeitweiliger Herr des ganzen Reiches das Christentum zur Reichsreligion machte. Das alte Rom blieb als Sitz des heiligen Stuhles die Sonne des Westens und Nordens – das neue Rom hatte gleich dem Hellenismus, der ihm vorangegangen war, als sein natürliches Bereich, auch für seine Kirche, den Osten und den Süden; sie nennt sich selber die orthodoxe, katholische und apostolische Kirche des Morgenlandes. Aber schon längst ehe sie endgültig durch das große Schisma vom Papsttum sich geschieden hatte, fand sie einen Gegner, der ihr mehr und mehr 1

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Chantepié – Tönnies bezieht sich auf den niederl. Theologen Pierre Daniel Chantepie de la Saussaye (1848–1920). Dieser spricht in seinem Lehrbuch der Religionsgeschichte von einer »Vergeistigung des Lebens und der Welt« als Charakter der römischen Religion: »Dieser Zug gehörte zu den ältesten in der römischen Religion und zeigte sich noch in ihren spätesten Phasen …« (1887/1889 II: 205).

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das Gebiet streitig machte und nach Kämpfen vieler Jahrhunderte das oströmische Reich als solches vernichtete, in einer neuen propagandistischen Religion, dem Islam.

I Einer der wenigen großen Kenner des Islam hat eine Reihe von Abhandlungen gesammelt, die durch den einen Grundgedanken zusammengehalten werden, das Werden und Wesen der Gesamtheit von Kulturerscheinungen darzustellen, die von der mohammedanischen Religion ausströmen. Dabei wurden die rein philologischen Arbeiten des Verfassers ausgeschieden: die Sammlung soll nur enthalten, was ein allgemeineres Interesse in Anspruch nimmt2. Der Hauptinhalt ist unter die zwei großen Abschnitte gebracht: 1. Zur Geschichte und Kulturgeschichte der Kalifen[356]zeit; 2. Zur Religionsgeschichte des Islam. Es gehen aber vier Abhandlungen »zur Einleitung« voran. Es kann hier nicht versucht werden, von dem reichen Inhalt des Bandes eine zureichende Vorstellung zu geben. Wie der Berichterstatter, so werden mit wenigen Ausnahmen seine Leser nicht zu den berufeneren Nutznießern des Werkes gehören, die den gelehrten Inhalt mit eigenen Kenntnissen nachzuprüfen vermögen. Wir verhalten uns durchaus nur als Empfangende und Lernende dazu. Etwas anders verhält es sich mit 2

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C. H. Becker, Islamstudien. Vom Werden und Wesen der islamischen Welt. Erster Band. 1924, Verlag Quelle & Meyer in Leipzig. XII, 534 S. Die folgende Erörterung beschäftigt sich nur mit den geschichts- und kulturphilosophischen Lehren, die in dem Buche zum Ausdruck kommen. Mehr als die Hälfte des Bandes ist spezielleren Problemen gewidmet, darunter auch solche sind, die der Universalgeschichte des Wirtschafts- und Finanzwesens angehören, so Nr. 9 Steuerpacht und Lehnswesen und die folgenden, die sich mit Landflucht und Schollenpflichtigkeit unter der ersten Kalifendynastie, mit dem Wakfsystem (als Stiftungswesen zur toten Hand), städtischem Grundbesitz und Abrechnungswesen der syrischen Lehnsverwaltung u.  a. beschäftigen. Besonders hingewiesen werde noch auf Nr. 18: »Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere?«, den Ursprung unseres Gaudeamus Igitur.

Islamstudien – Becker 1924. – Das Buch versammelt an anderer Stelle früher veröffentlichte Aufsätze Beckers. Ein zweiter Band erscheint erst 1932. »Ubi sunt qui ante nos in mundo fuere?« – [Lat.] svw. Wo sind die, die vor uns in der Welt waren. Gaudeamus Igitur – Studentenlied, lat. svw. Lasst uns fröhlich sein.

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einigen allgemeineren Schlußfolgerungen und Betrachtungen, die uns in mehreren Abhandlungen entgegentreten, insbesondere in dem zur Einleitung gegebenen und in den beiden ersten zur Religionsgeschichte3. Wie die christliche Lehre, ist auch der Islam dem semitischen Geiste entsprossen. Ja er ist ebenso wie das Christentum von der jüdischen Überlieferung abhängig. Weniger bekannt ist es, daß auch das Christentum selber stark auf die Entwicklung des Islam gewirkt hat, freilich »nicht das wirkliche zeitgenössische Christentum, sondern das von Mohammed vorausgesetzte«, auch von »seiner spezifisch semitischen Gottesanschauung« aus widerlegte Christentum. Mohammed ehrt Jesus wie die anderen Propheten der Juden, aber er sieht sie alle im Spiegel seiner Person; er will der letzte, der höchste Gesandte Gottes sein. Indessen war zunächst kaum ein religiöser Gegensatz gegen das Christentum vorhanden. Der eigentliche Inhalt der islamischen Expansion ist politisch; es handelt sich um die Herrschaft der Araber in den von ihnen eroberten Gebieten: die letzte große politische Völkerwanderung, die nach Beckers Ansicht wesentlich in wirtschaftlicher Not, ja im Hunger ihre Ursache hatte, liegt der Eroberung zugrunde. Sie will Kopfsteuer erzwingen, nicht Bekehrung, die anfangs nicht einmal willkommen ist: wirtschaftlich setzte der islamische Staat eine große Menge nicht islamischer Untertanen voraus; soziale Vorteile bewogen dazu, die Religion der neuen Herren anzunehmen. Das große Ergebnis ist bekannt: in erheblichem Umfange die Verdrängung des Christentums aus Vorderasien, Ägypten und dem ganzen Gebiete des Mittelmeeres, worin die antike Kultur geblüht hatte. Das ist nun, wie Becker in großen Zügen darstellt, der am meisten ausgeprägte Unterschied: »Die Germanen haben die vorgefundene Welt zerstört, freilich auch zahlreiche Kulturelemente der christlichen übernommen … die Araber haben die vorgefundene Kultur der ausgehen[357]den Antike einfach weitergelebt.« Eben diese aber hatte damals schon seit Jahrhunderten im Christentum ihren geis3

Es ist mir nicht entgangen, daß Becker auch der theoretischen Soziologie besondere Aufmerksamkeit widmet. So durch Hinweisung darauf, daß die Derwischorden ein »hochinteressantes soziologisches Problem« als wesentliche Form orientalischer Vereinsbildung darstellen (S. 41). Vgl. über das »Bruderschaftswesen‹‹ und seine Beziehung zur Organisation der Zünfte, S. 59. Vgl. S. 363 und sonst.

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»nicht das wirkliche … Mohammed vorausgesetzte« – Becker 1924: 396. »seiner spezifisch semitischen Gottesanschauung« – Ebd., 395. »Die Germanen haben … Antike einfach weitergelebt.« – Ebd., 401, ohne Beckers Hervorhebungen. Derwischorden ein »hochinteressantes soziologisches Problem« – Recte Becker 1924: 47.

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tigen und moralischen Ausdruck, so daß die kriegerische Überwindung »nur das Vorspiel einer ungeheuren geistigen Auseinandersetzung« wurde, die ihrem Wesen nach ein Prozeß der Anpassung des Islam an die auf wirtschaftlichem wie auf geistigem Gebiet überlegene christliche Kultur bedeutete. Diese Anpassung konnte nur dadurch geschehen, daß eine bis dahin christliche Oberschicht selber sie vollzog, indem sie den Islam annahm. Und doch bestand ein tiefer innerer Gegensatz zwischen dem Geiste des weltverneinenden, auf Askese gerichteten Christentums und dem Geiste des Islam, der keine Mönche, ja auch keinen Klerus kennen wollte. Durch den genannten Prozeß wurde nun allerdings ein Gutteil der dem Leben abgewandten christlichen Gedanken vom Islam aufgesogen, so daß eine »überraschende Ähnlichkeit der Weltanschauung« sich ergab, wenigstens der praktischen, der moralischen Grundsätze. So in bezug auf Pracht und Luxus: man soll so einfach und enthaltsam wie möglich leben. In der beständigen Beziehung auf den Gegensatz von Gott und Welt. Der Preis der Armut, Haß gegen den Staat, sofern er unabhängig ist von der Religion, Forderung religiöser Durchdringung des wirtschaftlichen Lebens, Bevorzugung der Handarbeit, Ausbildung der Armenpflege, der Fürsorge für Witwen, Waisen, Greise, Kranke, fromme Stiftungen aller Art um des Platzes im Himmel und im Paradiese willen: religiöse Motivierung auch der guten Sitte – in allen diesen Gebieten findet Becker christlichen Einfluß auf den Islam. So in der gesamten Pflichtenlehre, die auch Zivilrecht und Strafrecht in ihr Bereich zieht: Abhängigkeit vom kanonischen und dadurch vom römischen Recht. Dahin gehört auch die Ausgestaltung des Gottesdienstes, dahin die Berührung zwischen beiden Religionen in Mystik und Dogmatik. Christlicher Einfluß führt auch die begriffliche Spekulation, die Dialektik, die Scholastik herbei. Und doch ist nach wenigen Jahrhunderten die Kultur des Islam der des Christentums überlegen gewesen. Dies erklärt sich daraus, daß das Abendland in derselben Zeit durch die Germanenstürme politisch und kulturell gebrochen war, da die Welt des Ostens politisch erstarkte, weil der Faden der Entwicklung nicht abgerissen war, so daß der anpassungsfähige Islam unmittelbar das Erbe der hellenistisch-orientalischen Mischkultur antreten konnte, während ein gleiches Hineinleben in Europa nur mühsam und langsam erst gegen das Ende des 12. Jahrhunderts  2 12

»nur das Vorspiel einer ungeheuren geistigen Auseinandersetzung« – Ebd., 402. »überraschende Ähnlichkeit der Weltanschauung« – Tönnies zieht Sätze Beckers zusammen: »Wir sehen, daß selbst bei grundverschiedenen Ausgangspunkten eine erstaunliche Ähnlichkeit sich zeigt. Eine gewisse Verschiedenheit bleibt freilich bestehen. Aber was bedeuten solche Unterschiede gegenüber der Gleichheit der gesamten Weltanschauung?« (ebd., 408).

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hin sich vollzog. In der immer stärker gewordenen Orientalisierung des Hellenismus hatte sich die Verschmelzung besonders der persischen mit den griechischen Kulturelementen vorbereitet, die dann im Islam sich vollendete und den gewaltigen kulturellen Einfluß seiner Welt auf die christliche Welt vermittelte, wodurch sie einen [358] Teil ihrer Schuld an das Christentum beglichen hat. Bekanntlich machten diese Einflüsse besonders in der Philosophie sich geltend, wo es wieder um das Erbe der ausgehenden Antike, jener dunklen orientalisch-hellenistischen Mischkultur sich handelte, die,  früher in christlichem Gewande dem Islam mitgeteilt, nunmehr auch ihre Naturwissenschaft und Logik durch das arabische Medium dem Abendland überlieferte. Dann aber hat dieses eine neue Welt geschaffen, »der das Orientalische nur noch in dürftigen Resten anhaftet« während der Islam »völlig in den Banden des Mittelalters gefangen« blieb. Der gelehrte Autor verhehlt nicht, daß er die Differenzen der beiden Religionen etwas habe zurücktreten lassen. Das überraschende Ergebnis bleibe, daß bei der offenbaren großen Verschiedenheit des Dogmas nicht nur die Weltanschauung der beiden Religionen so ähnlich, sondern auch das materielle Leben, namentlich zur Zeit der Höhe unseres Mittelalters, in beiden Kulturkreisen ein fast identisches gewesen sei. Dazu darf nun auch der nicht orientalistisch gebildete Leser einige Anmerkungen sich gestatten.

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Das Problem erhebt sich vor unserem geistigen Auge, was die drei großen Religionen, die Religion Israels und ihre beiden Kinder, miteinander gemein haben, was die beiden jüngeren von der Mutter geerbt, und was sie je für sich im eigenen Geiste hervorgebracht haben, der aus der Befruchtung mit anderen Kulturelementen sich entwickelt hat: der Geist des Christentums hauptsächlich durch den Samen des Hellenismus und Roms, aber auch durch persische und andere, zum Teil durch die Araber mitgeteilte Einflüsse – der Islam, wie wir es nun gelernt haben, durch die mannigfachen Wirkungen jener Mischkultur, die ihm die schon christlich gewordene Antike vermittelte. Die außerordentlich große Be-

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»der das Orientalische nur noch in dürftigen Resten anhaftet« – Ebd., 428. »völlig in den Banden des Mittelalters gefangen« – Ebd.

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deutung, die der Jahweglaube in der Religionsgeschichte und durch sie in der gesamten Kulturwelt seit der Eroberung Vorderasiens durch den Zögling des Aristoteles, gewonnen hat, tritt mit der Erwägung, daß die beiden neueren Weltreligionen von ihm abstammen, scharf und deutlich hervor. Die Juden waren schon damals, als sie in den Hellenismus sich hineinlebten, ein aufgelöstes Volk, das mit seinem Handelsgewerbe über die Ökumene sich ausbreitete. Was sie zusammenhielt, war mehr noch als das Bewußtsein ihrer Abstammung ihre darin wurzelnde Religion, wie es auch heute, soweit diese noch lebendig blieb, der Fall ist. Der jüdische Monotheismus war eine Frucht der Prophetie und des Pharisäismus, der seit der Makkabäerzeit sich entwickelt hatte; beide Erscheinungen bezeichnen ein intellektuell hoch entwickeltes Volk und also ein denkendes und seinem [359] Denken gemäß strebendes, wollendes. Dadurch trifft es zusammen mit der Entwicklungsstufe der Griechen, als die Blüte ihrer Stadtgemeinden dahin war und ihre Kultur in der Vermischung mit den orientalischen Kulturen als die Bildung alexandrinischer Gelehrsamkeit, der philosophischen und theologischen Spekulation, weiterlebte. Der Monotheismus war auch das letzte Wort der griechischen Philosophie. Im Judentum aber wurde er erfüllt und gehoben durch den Stolz, das Empörungsgefühl (Ressentiment) und die heimlichen Hoffnungen eines gekränkten und geknechteten Volkes, das zu einem großen Teil aus weithin zerstreuten, aber durch den Reichtum, den von je der Handel erobert hat, mächtig werdenden Individuen, Familien, Gemeinden bestand. Ein deutlicher Zusammenhang ist zwischen dem Handel und der rationalistischen Denkungsart vorhanden, zum Teil ein ursächlicher Zusammenhang der Wechselwirkung, zum größeren Teil ein natürlicher Parallelismus. Wenn wir bemerken, wie der Rationalismus in das Gebiet des religiösen Glaubens, des Gottesdienstes und der hergebrachten Vorschriften dafür und  für das tägliche Leben eindringt, so  führt diese Betrachtung unmittelbar in die so wichtigen wie merkwürdigen Beziehungen zwischen Religion und sozialem Leben überhaupt. Wenn die Verallgemeinerung zu weit geht, daß es die Furcht sei, welche die Götter geschaffen habe, so liegt ihr doch die Wahrheit zugrunde, daß das Bedürfnis des Schutzes, der Hilfe, der Rettung, des Trostes und der Beruhigung die Vorstellungen von übersinnlichen Wesen und den Verkehr mit ihnen sowohl hervorgebracht als gelenkt und geregelt hat. Freilich darf man bei dieser Deutung nicht an eine quasimechanische Kausalität denken: die Religionen sind (wenn ich hier meine Begriffe einsetzen darf) nicht Gebilde des Kürwillens, sondern des Wesenwillens. Sie sind aus dem Leben selber hervorgegangen: von rohen und einfältigen Anfängen her verfeinert und vermannigfacht, durch

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Phantasie und Geist bereichert und veredelt, in den bildenden Künsten wie in Poesie und Musik zu dauernden objektiven Gestalten und Werken erhoben, mit der Volksseele selbst verwachsen, als ihr Eigentum und ihr Schatz geliebt und gepflegt, verherrlicht und verteidigt. Daß diese Entwicklung eine begleitende und zum guten Teil eine Folgeerscheinung der allgemeinen Entwicklung bedeutet, deren Grundlage Vermehrung und Differenzierung der Bevölkerung, ihrer Arbeit und ihrer Güter ist, werde hier als durch sich selber offenbar vorausgesetzt. Innerhalb dieser allgemeinen Entwicklung ist für den Volksgeist, also auch für die Religion, die Zunahme des Verkehrs und des Handels, auch wenn sie nicht bis zu einer kapitalistischen Produktionsweise mit freier Arbeit und Maschinentechnik gesteigert wurde, der entscheidende Faktor. Auch in der antiken Welt war der Kaufmann in einigem Maße der Leiter der Volkswirtschaft und dadurch [360] des Volksgeistes geworden. Dies mußte einem intelligenten und sich bereichernden Händlervolk und seiner Denkweise zugute kommen. Religion ist gemeinsame Denkungsart und dadurch kollektiver Wille, zunächst einer engeren oder weiteren Volksgemeinde, gemeinsame Götter zu glauben und zu ehren. Immer hat aber der weibliche Sinn, weibliche Furchtsamkeit und Demut, weibliche Pietät an ihrer Gestaltung in Kultus und Phantasien einen besonders  fruchtbaren Anteil. Im Laufe der Entwicklung vermindert sich dieser Anteil, je mehr gelehrte Doktrin, also das Dogma, je mehr ein starrer Ritualismus, also die Satzung und die Schriftgelehrsamkeit, die Oberhand gewinnen. Das Spätjudentum war nicht nur die Religion eines zerstreuten Volkes von Händlern, sondern auch und zum guten Teile eben dadurch die eines in dieser Richtung ausgeprägten männlichen Geistes. Das christliche Reformjudentum bedeutet auch eine Gegenwirkung des weiblichen Geistes. Dieser weibliche Geist ist der Geist der Barmherzigkeit und der Liebe, die auch bei den Essenern, deren Orden wenigstens als Vorläufer der christlichen Ketzerei geschätzt werden muß, bis zur Feindesliebe, also auch zum Erbarmen über den Heiden, gesteigert war – die Entsagung und Geduld des Hoffens und Harrens auf die Parusie, die Wiederkunft des Herren. Diese urchristlichen Tugenden und Lehren sind von den Anfängen des Christentums an bis in unsere Tage die Merkmale der Gemeinde, also der Sekte und der Häresie, geblieben. Hingegen die Kirche, mit ihrer Anbequemung an die Welt, mit ihrem Formalismus, ihren Sakramenten, ihrer Hierarchie und Zentralisation, ihrer Monarchie und ihren Finanzen, wodurch sie das einem Staate ähnliche Gebilde wurde und im Osten mit dem römischen Reiche verschmolz, im Westen ihm überlegen ward und es überlebte – die Kirche trägt schon als die ausgeprägte Organisa-

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tion des geistlichen Herrenstandes wiederum ein starkes Element männlichen Wesens in das Christentum hinein. Und doch muß auch sie, je mehr sie als Macht im Volksleben Wurzel schlägt, mit weiblichem Geiste sich erfüllen, wie er die orthodoxe sowohl als die römische Kirche im Kultus der Madonna wie in der polytheistischen Heiligenverehrung bezeichnet, ja auch im Trinitätsdogma niederschlägt, das die Gottheit eines Mannes zur übersinnlichen Wahrheit macht und den Heiligen Geist, von dem die Jungfrau empfangen habe, anstatt des männlichen Vaters als Erzeuger des Gottmenschen darstellt. In der römischen Kirche kommt die weibliche Frömmigkeit noch vielfach zu ihrem besonderen Rechte. Das Gelübde der Keuschheit und der Zölibat machen den Priester  für das weibliche Gefühl zum heiligen Mann; die Ehe wird von der Kirche zum Sakrament erhoben, daher ein unlösbares Band; die Monogamie erhebt die Frau ebenso wie ihre karitative Tätigkeit in der Gemeinde; durch das ehelose Leben [361] gewinnt auch die Nonne priesterliche Würde und Heiligkeit. Auch der Schmuck des Gottesdienstes, die ganze kirchliche Kunst, die kirchlichen Feste, Wallfahrten, Prozessionen, wie die Vergeistlichung des Familienlebens in Freuden und Trauern kommen den Gesinnungen, wie die Beichte den Gewissensnöten der Frauen, sonderlich entgegen. Die religiösen Bedürfnisse der Männer sind zum Teil andere: sofern sie nämlich durch die den Männern eigenen Tätigkeiten stark bedingt sind. Der Krieger bedarf eines starken und gewaltsamen Gottes, der ihm Sieg verleiht und Beute schafft; der Händler, wie er mit dem siegreichen Krieger  fortschreitet, so ist er gleich ihm auf Glück und Gelingen, also auf die Gunst seiner Götter angewiesen, und wenn er als Schiffer »Güter sucht« und in der Fremde sich niederläßt, so muß er auch ein Stück von einem Krieger sein – Krieg, Handel und Piraterie gehen zusammen, und wenn der Handel Klugheit und Listen ausbildet, so nehmen auch Krieg und Piraterie mehr als das  friedliche Tages- und Familienleben die verschlagene Anpassung an neue Lagen in Anspruch. Naturgemäß sind in jeder Religion weibliche und männliche Beweggründe und Gesinnungen vermischt, aber der Geist eines seßhaften Arbeitslebens ist mehr weiblich als männlich; in späten Phasen der Kulturentwicklung jedoch treten die männlichen Züge der Denkungsart um so stärker hervor, je mehr mit Handel und Verkehr auch Wanderungen und Kolonisationen zunehmen und Veranlassungen zu weiten Feldzügen, anstatt sonst vorherrschender nachbarlicher Fehden, werden. Es begegnet sich aber wieder weibliche und männliche Sinnes- und Denkungsart, wie sie in früher Kindheit gemeinsame Ursprünge haben, im späten Greisenalter. Ein Erzeugnis kulturlichen Greisenalters war das Christentum in der antiken Welt. In seinem Ursprunge war es zugleich

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eine Reaktion des weiblichen Geistes gegen die Härte und Starrheit der jüdischen Gesetzlichkeit und traf in den  folgenden Jahrhunderten auf den mehr und mehr eintretenden »Verfall der exakten Wissenschaften und das steigende Ansehen einer nach Offenbarungen suchenden und Wunder begehrenden, mystischen Religionsphilosophie« (Harnack: »Die Mission und Ausbreitung des Christentums«2 I, 20, wo dieses Moment, neben der Ausbreitung des Judentums, die der des Christentums den Weg bereitet habe, unter den äußeren Bedingungen für die Schnelle und Weite der Ausdehnung der christlichen Religion in der Kaiserzeit als das neunte und letzte geltend gemacht wird). Greisenhaft aber ist das Verhältnis zur Welt, ihre Verneinung und die Flucht vor ihr, also die individualistische Vereinsamung und die intensive Beschäftigung mit dem Jenseits und dem Geiste, die Überzeugung, daß die Verbindung mit dem Fleische  für den Geist erniedrigend und verunreinigend sei (das. 28). Es ist an und für sich nicht sonderbar, vielmehr [362] für die Kontinuität der Kulturentwicklung charakteristisch, daß eine solche Denkungsart sich auch auf einen jungen und frisch aufgebrochenen Boden – als »Kulturdünger« – übertrug. Aber es ist auch damit gegeben, daß unter ihren Wirkungen die Naturbedingungen dieser jungen Welt, deren eigenes Wesen sie entwickelten, daß auch diese gelehrte und greisenhafte Religion mit kindlicher Phantastik sich erfüllte, mit der zusammen die weibliche Frömmigkeit und ahnungsvolle Ergebung in göttlichen und priesterlichen Willen, der wiederum ritterliche Tapferkeit ihre Dienste weiht, Merkmale der Christlichkeit im Germanentum wurden, die auch auf Kelten und Slawen sich ausdehnten. Wenn wir nun, wie es durch Becker in so eindringlicher Weise geschieht, die Berührungen und die Ähnlichkeiten des Christentums und Islams vorstellen und die Kultureinheit der morgenländischen und abendländischen Welt, namentlich in der Zeit der Höhe unseres Mittelalters, erkennen, so tritt uns doch auch ein starker Unterschied entgegen: nicht nur, daß es andere Stämme und Völker sind, die – wenigstens die für die Dauer – (insbesondere) das römische Christentum, als die den Islam empfingen, es sind eben auch die jungen, also relativ empfänglichen Stämme und Völker dort, während der Islam doch vorzugsweise im ausgeweideten Bereiche der Mittelmeerländer seine nächsten und für  5 10 14

»Verfall der exakten Wissenschaften … mystischen Religionsphilosophie« – Harnack 1906: 20, dort ist die zitierte Passage hervorgehoben. als das neunte und letzte – Die neun Momente im Kapitel »Äußere Bedingungen für die universale Ausbreitung der christlichen Religion« (ebd., 17–20). die Verbindung mit dem Fleische … verunreinigend sei – So wörtlich ebd., 28, bei Harnack hervorgehoben.

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ihn ergiebigsten Gefilde fand. Der Islam blieb in seiner politischen und erobernden Expansion eine Religion von Kriegern, in seinem geistigen und ethischen Wesen, dem auch an der Auslegung des Rechts und der Gerichte wesentlich gelegen war, eine Religion der Kaufleute; wie denn noch heute, so belehrt uns Becker, S. 332, »Bewunderung der kulturellen Überlegenheit der reisenden Kaufleute die primitiven Völker Afrikas in die Reihen der Moslems treibt«. Auch war ja Mohammed selber ein reisender Kaufmann und »am Ende seines Lebens ein Fürst«, der den Besitz als Gottesgabe bezeichnete (S. 411). An diesem Punkte scheint nun doch ein starker innerer Gegensatz des Christentums zutage zu treten, wie es trotz seiner Verkirchlichung, trotz der Reformation, trotz der Aufklärung, trotz des protestantischen Rationalismus und Liberalismus immer einen Rest seines ursprünglichen Geistes bewahrt hat: jenes Geistes, der in den ebionitischen Abschnitten des Lukasevangeliums so stark hervortritt, der in dem Satze, daß der Kaufmann »Deo vix placere potest«, seine klassische Ausprägung fand, der im kanonischen Recht und in der Wucherkontroverse mühsam gegen eine ihm immer  fremder werdende Welt ringt – man mag dahingestellt sein lassen, ob und wie fern die Urgemeinde ihren Messiasglauben in einem proletarischen oder, wie Nietzsche übertreiben würde, einem Sklavenbewußtsein versammelte – gewiß ist wenigstens, daß »die große religiöse Schlußwendung der Antike mit die Folge ungeheuerer [363] sozialer Krisen gewesen ist« (»in denen das soziale Ideal durch menschliche Arbeit und Reflexion sich als nicht erreichbar gezeigt hat«: Troeltsch, Die Soziallehren, S. 30); gewiß ist, daß die Urgemeinde die der Armen (ebionim) hieß, und daß eine kommunistische Tendenz mit der Erwartung des Weltendes und der Parusie unmittelbar verbunden war, auch daß diese, in der Kirche verdrängt, in der Häresie sich erhielt und auf die täuferischen Gemeinden überging. So meint denn auch Becker, daß der im Islam angetroffene Preis der Armut (der für den religiösen Kommunismus als Gesinnung immer charakteris 7

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»Bewunderung der kulturellen … Moslems treibt« – »Bewunderung der kulturellen Überlegenheit der reisenden Kaufleute treibt die primitiven Völker Afrikas in die Reihen der Muslime.« (Becker 1924: 332). ebionitischen Abschnitten des Lukasevangeliums – Die Ebioniten waren eine – je nach Sichtweise – frühe Gruppe häretischer Juden oder häretischer Christen (1. Jh.). »Deo vix placere potest« – [Lat.] svw. Gott kann es kaum gefallen. »die große Schlußwendung … erreichbar gezeigt hat« – »Es ist nicht zu bezweifeln: die große religiöse Schlußwendung der Antike ist mit die Folge ungeheurer sozialer Krisen, in denen das Sozialideal durch menschliche Arbeit und Reflexion sich als nicht erreichbar gezeigt hat und nach denen man sich der Ordnung durch den Cäsarismus gerne ergab, indem man ihm das Aeußerliche preisgab und für sich die Freiheit der Seele gewann und ausbaute.« (Troeltsch 1912: 30 f.).

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tisch ist) nicht auf das wirkliche Vorbild des Propheten, sondern auf den christlichen Einfluß zurückgeführt werden muß. Es ist sehr merkwürdig, was in dieser Hinsicht der Kenner des Islam über die ähnliche Stellung beider Religionen sowohl zum politischen als auch zu den Äußerungen des wirtschaftlichen Lebens mitteilt. Er übersieht hier den Unterschied, den er sogar als Gegensatz beschreibt, nicht. Wenn Thomas von Aquino den Handel direkt als schimpfliches Gewerbe erkläre, weil der Umsatz von Gütern sich hier ohne daran geleistete Arbeit und auch ohne Befriedigung eines notwendigen Bedürfnisses vollziehe, so sage die Islamtradition: »Der fromme Kaufmann ist wie der Kämpfer auf dem Wege Gottes«. »Der erste, der ins Paradies eingeht, ist der ehrliche Kaufmann«4. Gemeinsam aber sei das Wucherverbot, die Verurteilung jedes reinen Geldgeschäftes, der Spekulation insbesondere in Getreide und dergleichen. »Die Hauptbetätigung wirtschaftlichen Geistes vollzog sich unter diesen Umständen hier wie dort auf landwirtschaftlichem Gebiet, wodurch beide Wirtschaftsgebiete ein so ähnliches, mittelalterliches Aussehen gewannen« (S. 413). Ich möchte aber doch der Meinung Ausdruck geben, daß in der christlichen Welt die Abwehr der, sagen wir einmal: kapitalistischen Entwicklung sehr viel tiefer, ernster und stärker gewesen ist, eben darum aber auch so viel tragischer verlaufen ist als im Islam: weil die christliche Denkungsart in ihrer notgedrungenen Anpassung an die Welt immer mit ihrem eigenen ursprünglichen Geiste zu kämpfen hatte; weil insbesondere die Kirche diesen Geist verleugnete, indem sie ihn behauptete: ihre Interessen stritten gegen ihre Dogmatik, ihr Wille zur Macht wider die Nachfolge Christi und seiner paupertas. Unser 4

Und »meist auf dem Wege des Handels drang der Islam, rein als Religion und Zivilisation, über die Grenzen des alten Kalifenreiches hinaus«, S. 22. Der Islam selber »spielt« (kulturgeschichtlich) eine ausgesprochene Vermittlungsrolle (S. 39).

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»Der fromme Kaufmann … auf dem Wege Gottes« – Becker zitiert mit diesem und dem folgenden Satz »die islamische Tradition« (Becker 1924: 413). »Die Hauptbetätigung … Aussehen gewannen« – Bei Becker (ebd., 413): »… ein so ähnliches ›mittelalterliches‹ Aussehen …«. – A zitiert: »… ein so ähnliches ›mittelalterliches Aussehen‹ …«. sagen wir einmal: kapitalistischen – A: sagen wir einmal kapitalistischen. paupertas – [Lat.] svw. Armut. »meist auf dem Wege … Kalifenreiches hinaus« – »Als aber nun in späteren Jahrhunderten der Islam ohne staatlichen Rückhalt rein als Religion und Zivilisation meist auf dem Wege des Handels über die Grenzen des alten Chalifenreiches hinausdrang, da verhielt sich das Lebensideal zu der Praxis jener neuen Länder wie das Ideal des Staates zur traurigen Wirklichkeit.« (Becker 1924: 22). Der Islam selber »spielt« … Vermittlungsrolle – »Der Islam spielt also, wenn man ihm seine kulturgeschichtliche Stellung zuweisen soll, eine ausgesprochene Vermittlungsrolle.« (ebd., 39).

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Autor hat ein besonderes Kapitel (das 4. zu A) dem Thema: »Islam und Wirtschaft« gewidmet. Er wirft darin die Frage auf: Ist der Islam wirtschaftsfeindlich? Es sei ein weitverbreitetes Urteil, dem man namentlich in missionarischen [364] Kreisen begegne, daß man nur den Fortschritt des modernen Europa mit der kulturellen Rückständigkeit des heutigen Orients zu vergleichen brauche, um die Wirtschaftsfeindlichkeit der islamischen Religion mit Händen zu greifen. Becker widerspricht diesem Urteil mit Hinweisungen auf entgegenstehende Tatsachen und mit dem allgemeinen Satz: die Religion sei nur einer der Faktoren, die  für den Kulturzustand eines Volkes entscheidend sind; der völkische Grundcharakter, die geschichtliche Entwicklung, die klimatischen Verhältnisse und die wirtschaftliche Lage seien mindestens ebenso bestimmend wie die Religion. So sei an der zweifellosen Vernichtung überkommener blühender Wirtschaft, die den Arabern und Türken zu Last falle, weniger ihre Religion als (außer anderen Gründen) ihr völkischer Nomadentrieb schuld; aber nur eine oberflächliche Geschichtsbetrachtung könne den Islam als Typus der Nomadenreligion darstellen. »Der Islam ist nicht bei den Beduinen geboren und gewachsen, sondern in der städtischen Kultur des ausgehenden Hellenismus. Er ist durch und durch Kultur- und nicht Wüstenreligion«5 (S. 55). 5

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Dagegen heißt es jedoch S. 402: »Es war eine Naturnotwendigkeit, daß (die früheren Christen) ihre Fragestellungen an Gott und Welt nunmehr islamisch wandten, daß sie den großen Prozeß der Anpassung der jungen Wüstenreligion vollzogen.« Dieser Aufsatz ist 1907 erschienen, jener, aus dem im Texte zitiert wird, 1916. Es scheint also eine veränderte Ansicht vorzuliegen. Gibt es nicht einen geistigen Zusammenhang zwischen dem Nomadentum der Wüste und dem des Handels, zumal des Handels auf damaliger Kulturstufe? Man wird an Sombarts geistvolle Ausführungen im Judenbuche erinnert. besonders S. 415 daselbst. Becker betont selber auch in der früheren Abhandlung (a. a. O.) den »völkischen Nomadentrieb« der Araber und Türken.

»Islam und Wirtschaft« – Becker 1924: 54–65. »Es war eine Naturnotwendigkeit… Wüstenreligion vollzogen.« – Recte: Becker 1924: 403, das Wort »Wüstenreligion« dort nicht hervorgehoben, wohl aber das Wort »Nomadentrieb«. – Becker bezieht den von Tönnies herangezogenen Satz auf »diese früheren Christen«, auf solche »die den Islam annahmen, so daß eine bis vor kurzem christliche, nun muhammedanische, geistige Oberschicht entstand, deren Mitglieder den alten Muslimen an geistiger Regsamkeit unendlich überlegen waren und als Lehrer gerade die besten arabischen Elemente an sich zogen.« (ebd.). Dieser Aufsatz ist 1907 erschienen – Becker 1907. – Es handelt sich um eine Broschüre in der Reihe »Religionsgeschichtliche Volksbücher für die deutsche christliche Gegenwart«. jener, aus dem im Texte zitiert wird – Becker 1916. Sombarts geistvolle Ausführungen im Judenbuche – Sombart 1911a.

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Wenn man als Wirtschaft die Gesamtheit vernünftiger Tätigkeiten versteht, die der Erhaltung und Förderung des individuellen und des Zusammenlebens von Menschen dienen, so ist ihrem Kerne nach die christliche Religion der Wirtschaft weniger günstig als der Islam, wegen ihrer so viel ausgeprägteren kontemplativen und asketischen Denkungsart. Wenn man auf die Wiederkunft des Herrn und auf die Errichtung des tausendjährigen Reiches hofft und harrt, so lohnt es sich nicht, für die Zukunft zu schaffen und zu sorgen; und Sorge für die Zukunft ist wesentliches Element jeder entwickelten Wirtschaft. Die Ausgestaltung der Kirche bedeutet eine Anpassung an die Welt und ihre Wirtschaft. Auf dem alten Kulturboden des römischen Reiches war dies eine vom Handel und Zinswesen beherrschte, also kapitalistische Wirtschaft. Ihr fügt sich das Christentum mit Widerstreben und mit der Hoffnung auf ihren [365] Untergang. Auf den jungen Kulturboden jenseits der Alpen verpflanzten sich nur die Ausläufer der damaligen Weltwirtschaft. Ausroden der Wälder und Urbarmachen des Bodens, Viehzucht, Fischerei, Ackerbau waren hier die über Jagd und Krieg hinausgehenden, durch die Überlieferungen aus der römischen Kultur geförderten Betätigungen. In ihrer Würdigung der Arbeit, insbesondere der Arbeit für die Volksernährung, bewahrte die Kirche einen Rest ihrer kommunistischen Urgesinnung und der dieser zugrunde liegenden Sympathie mit dem armen und geringen Volke, also der Abneigung gegen jeden anders als durch Arbeit erworbenen Besitz und Genuß. »Die kanonistische Lehre«, sagt der Protestant Endemann, »erhob die Arbeit zu der höchsten wirtschaftlichen Ehre.« Sie rechtfertigte bekanntlich den Handelsgewinn nur insofern, als er den Lohn einer Arbeit darstellen mochte. Sie kämpfte gegen den Wucher durch Jahrhunderte, wenngleich Umgehungen des Verbotes der Zinsen mit dem Fortschreiten der Geldwirtschaft immer leichter und häufiger wurden und die Lehre genötigt war, der allmählich zugunsten des Kreditwesens sich gestaltenden öffentlichen Meinung immer mehr Einräumungen zu machen. Auch der Islam hat wie das mosaische Recht ein Zinsverbot, das, wie unser Gewährsmann sagt, nicht ganz ohne Einfluß auf die wirtschaftliche Gebarung des Orients gewesen ist (S.  63). 20 26

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insbesondere – A: insonderheit. »Die kanonistische Lehre«, … »erhob die Arbeit zu der höchsten wirtschaftlichen Ehre.« – »Dieselbe [kanonistische] Lehre, welche sonach den Besitz sonstiger Güter, Geld und Reichthum verkümmerte, erhob umgekehrt die Arbeit zu der höchsten wirthschaftlichen Ehre.« (Endemann 1866: 36 f.) wie unser Gewährsmann sagt – Vgl. Becker 1924: 63.

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Aber, wie uns derselbe Gewährsmann lehrt, hatte der Islam den wichtigsten Kompromiß, den mit dem Leben, welchen das Christentum erst ganz allmählich vollzog, bereits in Mohammeds Entwicklung selber geschlossen und hatte trotz aller Bußpredigt Mohammeds in seinen bedeutendsten Äußerungen etwas Weltfreundliches, etwas Unasketisches (S. 405), mithin dürfen wir hinzufügen, weniger dem Verkehr und der Geldwirtschaft Widerstrebendes. So kann man sagen, daß der Abfall von der römischen Kirche, der gerade auf dem jungen Kulturboden am lebhaftesten und erfolgreichsten geschah, daß also die »Reformation« eine innere Verwandtschaft mit dem Islam in sich enthält. Wollte doch der Islam selber so etwas wie eine Verbesserung des orientalischen Christentums seiner Zeit bedeuten. Und wie die Reformation das Urchristentum, so wollte ja Mohammed die Religion Abrahams wiederherstellen. Vgl. Becker S. 347. Das Verhältnis der reformierten Kirchen und Sekten zu der unter ihrer Ägide so viel höher und kräftiger als zuvor sich entwickelnden kapitalistischen Wirtschaft ist bekanntlich neuerdings der Gegenstand sehr bedeutender Untersuchungen gewesen. Die meisterhafte Arbeit Max Webers wird hier dauernd im Vordergrunde bleiben. Ihr und der noch ausgedehnteren Forschung, die Ernst Troeltsch den Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen gewidmet hat, schließt auch [366] Becker sich an. Die Erkenntnis der modernen Welt, sagt er (S. 33), sei durch Max Webers Vergleich zwischen der verschiedenartigen Auswirkung der Ideen so nahverwandter Männer wie Luther und Calvin mehr gefördert worden als durch alle  früheren Vergleiche zwischen Protestantismus und Katholizismus, oder Mittelalter und Neuzeit, oder Morgen- und Abendland. Becker hebt in diesem Zusammenhang hervor, das große unterscheidende Erlebnis des Abendlandes sei der Humanismus. »Im Abendland lebt die Antike nicht nur weiter, wie im Islam, nein, sie wird dort neu geboren.« Also sei sie neu erlebt worden, und zwar nicht von rassefremdem Intellekt, sondern von verwandtem Blut. Er betont nicht ausdrücklich, daß eben im Islam ein rassefremder Intellekt es gewesen ist, der die Antike  fortpflanzte, wohl aber, daß die Epigonen in ihm herrschten, die zwar auch griechisch sprechende und schreibende, aber  5 18 21 22 30 34

etwas Weltfreundliches, etwas Unasketisches – Vgl. Ebd., 405. – Bei Becker »… etwas Weltfreundliches, etwas Unasketisches …«. Die meisterhafte Arbeit Max Webers – Vgl. Weber 1920 und 1920a. Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen – Troeltsch 1912, Nachdruck 1919. Erkenntnis der modernen Welt, sagt er (S. 33) – So fast wörtlich bei Becker. »Im Abendland lebt die Antike … dort neu geboren.« – Ebd., 34. wohl aber, daß die Epigonen in ihm herrschten – Vgl. ebd., 35.

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im Grunde schon orientalisierte Antike. In diesem Zusammenhange tritt auch der wichtige Satz auf, daß der Begriff des freien Bürgers im Orient nie erlebt, ja nicht einmal gedacht worden ist. »Das Lebensgefühl des Orients ist urdemokratisch, und doch hat es niemals eine der antiken vergleichbare Demokratie gegeben«. Nirgends sei im Islam wie in Europa etwas der griechischen Polis Wesensverwandtes entstanden. So sei denn auch das Ich im Sinne des Individualismus »eine abendländische Entdeckung« (S. 37). Dies sind offenbar, und zwar eben im Zusammenhange mit Max Webers großen Erkenntnissen tiefreichende Betrachtungen. Becker weist darauf hin, daß es auch im Orient einen primitiven Kapitalismus gab; er habe dort sogar eine ganz direkte antike Tradition gehabt, und zwar sowohl institutionell wie literarisch. Trotzdem habe erst die calvinistische Berufsideologie – diese sei aber eine ganz und gar abendländische – die kapitalistische Wirtschaftsform als Tatsache und Weltanschauung geschaffen (S. 38). Gegen diese Formel, die das Hauptergebnis der berühmten Max Weberschen Abhandlung: »Über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus« aussprechen will, hege ich freilich starke Bedenken. Weber faßt sein Ergebnis dahin zusammen: die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee sei geboren aus dem Geist der christlichen Askese; die rationale Lebensführung aber sei einer der konstitutiven Bestandteile des modernen kapitalistischen Geistes und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur (jetzt Religionssoziologie I, S 202). Weber will nicht behaupten, daß der Calvinismus geradezu als der Vater des kapitalistischen Geistes anzusprechen sei. Er hat dem Puritanismus ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet; er beschäftigt sich aber auch in sehr eingehender Weise mit anderen Ge[367]staltungen des Pietismus, der innerhalb der lutherischen und ebenso innerhalb der anglikanischen Kirche im 18. Jahrhundert sich entwickelte; und in einem besonderen Aufsatz betrachtet er die protestantischen Sekten und den Geist des Kapitalismus; welchen Aufsatz er als Ergänzung jener Hauptarbeit über  5 15 16

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»Das Lebensgefühl des Orients … Demokratie gegeben« – Ebd., 36. abendländische – die kapitalistische – A: abendländische Konzeption – die kapitalistische. Trotzdem habe erst die calvinistische … Weltanschauung geschaffen – »Trotzdem hat erst die calvinistische Berufsideologie – eine ganz und gar abendländische Konzeption – die kapitalistische Wirtschaftsform als Tatsache und Weltanschauung geschaffen.« (Becker 1924: 38) – Becker beruft sich in einer Fußnote auf Max Weber. »Über die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus« – Weber 1920. in einem besonderen Aufsatz – »Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus« (Weber 1920a).

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die protestantische Ethik bezeichnet. Es liegt ihm vorzugsweise an der Ermittlung der psychologischen Antriebe, welche der Lebensführung die Richtung gaben und das Individuum in ihr festhielten; diese sei in hohem Maße auch aus der Eigenart der religiösen Glaubensvorstellungen entsprungen. In dieser Hinsicht legt er nun ganz besonderes Gewicht darauf, abzuleiten, wie schwer das rigorose Dogma der Prädestination auf den gläubigen Gemütern gelastet habe: die Angst um sein Seelenheil brachte im Puritaner den Gedanken hervor, durch Bewährung im Leben seines Heiles gewiß zu werden, und als vorzüglichstes Mittel, diese Selbstgewißheit zu erlangen, wurde ihm rastlose Berufsarbeit dringend empfohlen. Nicht einzelne gute Werke, sondern eine zum System gesteigerte Werkheiligkeit wurde von ihm verlangt. Unablässig sollte der Heilige an die ewige Seligkeit denken, eben darum ein waches, bewußtes helles Leben  führen, ausgerichtet nach dem ausschließlichen Zwecke, Gottes Ruhm auf Erden zu mehren. Dies ist es, was Weber als die innerweltliche Askese hervorhebt. Diese Askese sei durch und durch rational gleich der außerweltlichen Mönchsaskese. Was der Calvinismus hinzufügte, war der Gedanke, daß die Bewährung des Glaubens im weltlichen Berufsleben notwendig sei. Jedem, der seines ewigen Heiles gewiß werden wollte, wurde ein positiver Antrieb zur Askese gegeben. An die Stelle der geistlichen Aristokratie der Mönche außer und über der Welt, trat die geistliche Aristokratie der von Ewigkeit her auserwählten Heiligen in der Welt: eine tiefere Kluft tat sich dadurch auf als sonst zwischen dem Klerus (denn hier dürfen wir in Webers Sinne die Weltgeistlichkeit mitbegreifen) und den Laien es gegeben hatte6. Weber kommt an mehreren Stellen auf diese unsichtbare und doch so bedeutsame Aristokratie der Heiligen zurück. Wenn er aber von der Gnadenwahllehre als der 6

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Diese Vergleichung ist sehr interessant. Aber ich sehe darin nur einen besonderen Fall des Unterschiedes und Gegensatzes der mittelalterlichen Aristokratie herrschender Stände und der neueren herrschender Klassen: dort Ritterschaft und Klerus – hier die Reichen und die Gebildeten. Die »Heiligen« sind im Sinne ihrer Zeit zugleich die »Gebildeten«. Mit der protestantischen Frömmigkeit war ein positives Verhältnis zur Naturwissenschaft frühzeitig verbunden. »Die bevorzugte Disziplin alles puritanischen, täuferischen und pietistischen Christentums war die Physik und andere … mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplinen«, Weber a. a. O., S. 142, Anm. Aber sie tranken darin den Giftbecher. an der Ermittlung – A: an Ermittlung. »Die bevorzugte Disziplin … mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplinen« – »Die bevorzugte Disziplin alles puritanischen, täuferischen und pietistischen Christentums war demgemäß die Physik und demnächst andere mit gleichartiger Methode arbeitende mathematisch-naturwissenschaftliche Disziplinen« (Weber 1920: 142. Fn.).

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konsequentesten Form, worin der  für seine [368] Betrachtungen  fundamentale Bewährungsgedanke erscheine, ausgeht, so  findet er doch diesen Gedanken auch in der asketischen Richtung wieder, die man als Pietismus zu unterscheiden pflege; und diese machte zwar auch im Calvinismus sich geltend, aber als Gefühlsseite der Religion schien sie den asketischen Kampf um die Sicherung der Seligkeit für das Jenseits in das Schwärmerische des Genusses der Seligkeit hinieden abzulenken. Wie konnte nun aber diese innerweltliche Askese den Kapitalismus befördern oder sogar den kapitalistischen Menschen erziehen? Seinen ganzen Scharfsinn wendet Max Weber auf, um eben dies so tief als möglich zu begründen. Sie wirkte – so sagt er – mit voller Wucht gegen das triebhafte Gewinnstreben und gegen den unbefangenen Genuß des Reichtums, schnürte also die Konsumtion, zumal die luxuriöse ein; aber sie entlastete »im psychologischen Effekt den Gütererwerb von den Hemmungen der traditionalistischen Ethik, sie sprengte die Fesseln des Gewinnstrebens«, indem sie es nicht nur legalisiert, sondern sogar als gottgewollt schätzt. Weber verwahrt sich nachdrücklich dagegen, als wolle er »eine so unhaltbare (er braucht einen ärgeren Ausdruck) These« verfechten wie etwa die: daß der »kapitalistische Geist« (in seinem Sinne, den er hier als provisorisch bezeichnet) nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen können, oder wohl gar: daß der Kapitalismus als Wirtschaftssystem ein Erzeugnis der Reformation sei. Er betont ebenso mit Nachdruck, daß er den Einfluß der wirtschaftlichen Entwicklung auf das Schicksal der religiösen Gedankenbildung für sehr bedeutend halte und später darzulegen suchen werde, wie »in unserem Falle« die gegenseitigen Anpassungsvorgänge und Beziehungen beider sich gestaltet haben (S. 192, Anm. 1). So ist er denn weit entfernt davon, »an Stelle einer einseitig materialistischen eine ebenso einseitig spiritualistische kausale Kultur- und Geschichtsdeutung« setzen zu wollen. Beide seien gleich möglich, aber mit beiden sei, wenn sie nicht Vorarbeit, sondern Abschluß der Untersuchung zu sein beanspruchen, der historischen Wahrheit gleich wenig gedient. Mit diesem Satze schließt 16 22

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»im psychologischen Effekt … Fesseln des Gewinnstrebens« – Weber 1920: 190, ohne Webers Hervorhebung. »eine so unhaltbare (er braucht einen ärgeren Ausdruck) These« … Erzeugnis der Reformation sei. – »Aber andererseits soll ganz und gar nicht eine so töricht-doktrinäre These verfochten werden wie etwa die: daß der ›kapitalistische Geist‹ (immer in dem provisorisch hier verwendeten Sinn dieses Wortes) nur als Ausfluß bestimmter Einflüsse der Reformation habe entstehen können oder wohl gar: daß der Kapitalismus als Wirtschaftssystem ein Erzeugnis der Reformation sei.« (ebd., 83). »an Stelle einer einseitig materialistischen … Geschichtsdeutung« – Ebd., 205, Weber setzt das Wort »materialistischen« in Anführungszeichen.

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die ursprüngliche Abhandlung Webers (S. 205–206). Wenn er (wenige Seiten vorher, S. 202) als den Zweck seiner Darlegungen bezeichnet, zu erweisen, worauf schon hingewiesen wurde, daß »einer der konstitutiven Bestandteile des modernen kapitalistischen Geistes und nicht nur dieses, sondern der modernen Kultur: die rationale Lebensführung auf Grundlage der Berufsidee« aus dem Geiste der christlichen Askese geboren sei, so wird man dieser Formel schwerlich etwas anhaben können. Der erwähnte Satz Beckers, daß die calvinistische Berufsideologie die kapitalistische Wirtschaftsform als Tatsache und Weltanschauung erst geschaffen habe, lautet aber anders. Wenn ich dies [369] Urteil nicht gelten lasse, so habe ich Webers eigenes Urteil auf meiner Seite. Auch glaube ich nicht von seiner Denkweise mich wesentlich zu entfernen, wenn ich – guten Teiles auf Grund des reichen Stoffes, den er mitgeteilt und geistvoll erörtert hat – hier einige Andeutungen hinzufüge, wie ich selber über das schwierige Problem meine Ansichten ausgebildet habe, und inwiefern sie von den Weberschen abweichen.

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IV Zunächst bin ich nicht ganz damit einverstanden, wenn Weber oft, und am eindringlichsten in der später verfaßten Vorbemerkung (S.  7), das, was er hier den Gründer-, Großspekulanten-, Kolonial- und den modernen Finanzkapitalismus, vor allem aber den spezifisch kriegsorientierten Kapitalismus, was er oft als Abenteurerkapitalismus, zuweilen auch als Pariakapitalismus (dazu rechnet er insbesondere den des Judentums, S.  181) – alle diese Arten von der rational-kapitalistischen Organisation  formell  freier Arbeit schlechterdings unterscheidet. Er sagt, diese ganz andere, nirgends sonst auf der Erde entwickelte Art des Kapitalismus,  für die sich anderwärts nur Vorstufen  finden, sei eben nur im Abendlande, nur in der Neuzeit entwickelt worden. Die Tatsache, die damit bedeutet wird, ist sicherlich richtig. Fraglich kann und muß aber sein, ob sie eine so strenge begriffliche Unterscheidung rechtfertigt. Ohne Vorbehalt gebe ich Weber wie Sombart recht, wenn sie die besonderen  6  8 19 23

»einer der konstitutiven Bestandteile … Grundlage der Berufsidee« – Ebd., 202, ohne Hervorhebungen Webers. Der erwähnte Satz Beckers – Vgl. ed. Fn. zu Z. 16, S. 491. Vorbemerkung – Vgl. Weber 1920b. Pariakapitalismus – Vgl. Weber 1920: 182.

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Probleme stark hervorheben, die sich aus dieser modernen Gestaltung des Kapitalismus ergeben, und wenn sie die kapitalistische Produktionsweise in zentralisierten Großbetrieben als das besondere Merkmal der heutigen Gesellschaft auffassen und darstellen. Ich meine aber, es dürfte über diesen Feststellungen, die in der genannten Vorbemerkung treffend akzentuiert werden, nicht zu sehr der gemeinsame Charakter aller Arten des Kapitalismus in den Hintergrund geschoben oder gar vergessen werden. Auch Weber betrachtet (S. 6) den gesamten Handel als eine Form des Kapitalismus. Er hebt hervor, daß die kapitalistische Unternehmung und auch der kapitalistische Unternehmer, nicht nur als Gelegenheits-, sondern auch als Dauerunternehmer, uralt sind, und immer höchst universell verbreitet waren. Ich meine nun, daß angesichts dieser Tatsache das allgemeine Problem vorgestellt werden muß als ein Problem, wodurch das besondere von Weber behandelte wesentlich mitbestimmt wird, und daß es dieses ist: wie verhält sich der Lebensstil, das Ethos, und im Zusammenhange damit die Weltanschauung, also auch die Religiosität des »Kapitalismus« allgemein, ich sage lieber konkret: des Kaufmanns zu seiner Berufstätigkeit und zu derjenigen Mentalität, die in dieser Berufstätigkeit unmittelbar enthalten ist? Im Verlaufe [370] dieser Untersuchung sind schon einige Andeutungen darüber gemacht worden: hier möchten auch diese nach einer allgemeineren Erwägung gerichtet werden. Jede Art von Religion besteht aus irrationalen und rationalen Elementen, das ist aus solchen, die von Gefühl und Phantasie eingegeben, und solchen, die durch ein verständiges Denken bestimmt werden. Zusammenhänge mit der Lebensweise, also mit der gewohnten Arbeit, also mit dem Können und Wissen der Menschen sind offenbar. Wir werden aber nicht erwarten, daß die Religionen in dem Sinne variabel seien, daß sie als Funktionen der vorwiegenden Tätigkeiten, also des wirtschaftlichen Lebens, erscheinen könnten. Vielmehr liegt es im Wesen der Religion, dauerhaft zu sein, nicht nur sofern sie Überlieferung und Herkommen ist, sondern weil eben diese durch sie geheiligt, also befestigt werden. Auch ist durch diesen Charakter ausgeschlossen, daß bei ausgebildeter Arbeitsteilung etwa jede Schicht eines Volkes ihre besondere Religion hätte. Allerdings aber bilden sich innerhalb einer Religion bedeutende Modifikationen aus und innerhalb der Entwicklung einer Kultur so gewaltige Veränderungen der herrschenden Religionen, wie sie in der Annahme des Christentums, später des Islam durch die Völker der Antike

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Auch Weber betrachtet … als eine Form des Kapitalismus. – Wie Tönnies selbst. gemacht worden: hier möchten – A: gemacht worden; hier möchten.

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und in noch auffallenderer Weise in der Christianisierung der germanischen, slawischen und keltischen Nationen sich darstellen. Es läßt sich leicht ableiten, daß wiederum innerhalb der modernen Kulturgeschichte mit der Entwicklung der Städte, der Geldwirtschaft, des Handels, vollends mit der Entwicklung des Kapitalismus, Veränderungen in der gesamten, insbesondere auch in der religiösen Denkweise sich einstellen mußten. Dies bestätigt die Erfahrung. Nicht nur in dem großen Abfall von der römischen Kirche gibt sie sich kund, sondern wie dieser Jahrhunderte hindurch sich vorbereitet hatte, so waren auch mit der sogenannten Wiedergeburt des Altertums die Elemente gewachsen, die sich ihrem innersten Wesen nach negativ zum Geiste der Kirche verhielten, wie klug auch dieser solche feindliche Elemente sich einzuverleiben und anzuähnlichen verstand, nachdem er sich vergebens dagegen gewehrt hatte. Becker bietet uns (S.  33–39) eine geistreiche Vergleichung des Nachlebens der Antike im Orient mit ihrem Nachleben in Europa. Er hebt auch hier den Satz hervor: daß das große unterscheidende Erlebnis des Abendlandes der Humanismus sei. Der Humanismus ist der gemeinsame Vorfahr der Kirchenreformationen und der Aufklärung, die ebenso gegen diese wie gegen die alte Kirche sich kritisch verhält. Und die Aufklärung setzt sich nach und unter romantischen Schwankungen in das heutige wissenschaftliche Bewußtsein  fort, das mit dem christlichen Glauben nur noch durch dünne äußere Fäden verknüpft ist. Das Phänomen, dem Max Weber [371] sein Studium gewidmet hat, gehört offenbar in die Gesamtheit dieser Betrachtungen hinein: daß nämlich Protestantismus und Kapitalismus miteinander gewachsen sind. Weber will nicht gelten lassen, daß die kapitalistischen Tendenzen einfach die protestantische Häresie hervorgebracht haben; er müßte dann folgern, daß sie ferner auch die Aufklärung und das moderne wissenschaftliche Bewußtsein hervorgebracht haben. Vielmehr sieht er, wie wir wissen, in der innerweltlichen Askese, darum insbesondere in der religiös begründeten Berufsidee, den Ursprung der methodischen Ordnung des täglichen Lebens, die eben das spezifische Ethos des kapitalistischen Geistes ausmache. Weber verkennt keineswegs, daß das besondere Merkmal, wodurch dieser Geist von dem der alten Kirche sich abhebe, der »Rationalismus« ist. Er weist des öfteren darauf hin (z. B. S. 205), daß dieser asketische Rationalismus in den reinen »Utilitarismus« sich auflöse: der siegreiche Kapitalismus bedürfe, seit er »auf mechanischer Grundlage beruhe, der religiösen Stütze nicht mehr; nur als ein Gespenst ehemaliger Glaubens-

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das große unterscheidende Erlebnis des Abendlandes der Humanismus – Bei Becker (1924: 34) ist diese Aussage hervorgehoben.

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inhalte gehe der Gedanke der Berufspflicht in unserem Leben um«. (Diesen Satz anerkenne ich nicht: der Gedanke der Berufspflicht beruht in elementaren, daher stärker gesicherten Gründen.) Weber beklagt sich offenbar mit Grund, daß sogar Kritiker wie Brentano und Sombart den eigentlichen Sinn seiner Abhandlung nicht richtig gedeutet haben. Vielleicht läßt sich aber auch bei ihm selber ein leises Schwanken in seinem eigenen Urteile über die Beziehungen zwischen Religion und Geschäft wahrnehmen. Freilich betont er mit Recht: der moderne Mensch pflege auch beim besten Willen nicht imstande zu sein, die Bedeutung, welche religiöse Bewußtseinsinhalte für die Lebensführung, die Kultur und die Volkscharaktere7 gehabt haben, sich so groß vorzustellen, wie sie tatsächlich gewesen sei. Die Richtigkeit dieser Bemerkung ist freilich kein Beweis dagegen, daß die Gläubigkeit, wenn auch noch so stark, noch so breit und tief, durch die soziale Lage, den Stand, die Berufstätigkeit mitbedingt ist. Weber verkennt dies nicht. In der Einleitung zu den gesammelten Aufsätzen über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen (Ges. [372] Aufsätze, I, S. 237 ff.) kommt der Gesichtspunkt stärker zur Geltung als in jener Abhandlung des Protestantismus. Während er dort gegen das Mißverständnis sich verwahrt, als wolle er einer wesentlich spiritualistischen Auffassung das Wort reden, so wehrt er hier, also mehrere 7

Ich meine, daß der Volkscharakter in Webers Theorem durchaus zu kurz kommt, sofern er seinem Wesen nach unabhängig von irgendwelchen Vorstellungsinhalten vorzugsweise durch Temperament, dieses aber durch Klima und andere natürliche Elemente bedingt ist. Webers kritische Haltung gegen voreilige Verallgemeinerungen und Folgerungen aus Rasseneigenschaften führte ihn zu einer Verkennung dessen, was darin unabweisbar ist. In einer polemischen Anmerkung gegen H. K. Fischer (Archiv f. Sozialw. 25 S. 247) spricht er von all dem, was man heute mit dem »nichtigen Begriff Volkscharakter« überdecke. Er hat  freilich recht, daß man damit nicht als mit einer okkulten Qualität etwas beweisen zu können meinen darf.

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»auf mechanischer Grundlage … in unserem Leben um« – Tönnies zitiert recht frei: »Der siegreiche Kapitalismus jedenfalls bedarf, seit er auf mechanischer Grundlage beruht, dieser [religiösen] Stütze nicht mehr. Auch die rosige Stimmung ihrer lachenden Erbin: der Aufklärung, scheint endgültig im Verbleichen, und als ein Gespenst ehemals religiöser Glaubensinhalte geht der Gedanke der ›Berufspflicht‹ in unserem Leben um.« (Weber 2020: 204). – A: »… seit er auf mechanischer Grundlage ruhe …«. Weber beklagt sich offenbar mit Grund – Vgl. zu Brentano die Fn. ebd. auf S. 205, zu Brentano und Sombart die Kritik in der Fn. S. 165. Bedeutung, welche religiöse Bewußtseinsinhalte … gehabt haben – Vgl. Weber 1920: 205. Einleitung zu den gesammelten Aufsätzen über die Wirtschaftsethik der Weltreligionen – Weber 1920c. »nichtigen Begriff Volkscharakter« – Weber 1907: 247, Fn. Bei Weber: »nichtigen Begriff ›Volkscharakter‹«. – Weber bezieht sich auf Fischer 1907.

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Jahre später, als gründlichstes Mißverständnis des Standpunktes seiner Erörterungen die Deutung ab, seine These gehe dahin, daß die Eigenart einer Religiosität eine einfache Funktion der sozialen Lage derjenigen Schicht sei, welche als ihr charakteristischer Träger erscheine, etwa nur deren Ideologie oder eine Widerspiegelung ihrer materiellen oder ideellen Interessenlage darstelle. Primär, betont er (S.  240), empfange eine religiöse Ethik ihr Gepräge »doch« aus religiösen Quellen. Von hier aus kommt er auf die Erlösungsreligionen und auf das rationale Bedürfnis der Theodizee des Leidens und des Sterbens, an der das »Ressentiment« freilich einen Anteil habe, aber der tiefere Grund des in den Erlösungsreligionen regelmäßig vorhandenen Mißtrauens gegen Reichtum und Macht sei in der inneren Lage der gedrückten oder ständisch negativ gewerteten Schichten, in ihrem rationalen Interesse an materiellem und ideellem Ausgleich zu suchen (S. 248). Stark wird dann hervorgehoben, daß die Vorstellungen von Seligkeit, Wiedergeburt, Erlösung notwendig verschieden sind, je nach den wichtigsten Trägern der dahin zielenden Religiosität. Besonders sei die Eigenart der intellektuellen Schichten, ihr Weltbild und ihr Verlangen, einen Sinn darin zu finden, oder hineinzudeuten – das Kernprodukt des eigentlich religiösen Rationalismus, – für diesen immer maßgebend gewesen. Mehr und mehr seien dabei die religiösen Vorstellungen ins Irrationale geschoben: die irrationalen Voraussetzungen der großen Typen rational methodischer Lebensführung seien eben durch die Eigenart jener Schichten bedingt, »das heißt aber hier: die äußere sozial, und die innere psychologisch bedingte Interessenlage« jener Schichten. In der näheren Ausführung wird dann aber der entscheidende Einfluß vornehmer intellektueller Schichten auf die asiatischen Weltreligionen eingeschränkt. Anders sei es, wo »die für die Entwicklung einer Religion ausschlaggebenden Schichten praktisch handelnd im Leben standen, oder endlich, wo die Religion von einer organisierten Hierokratie beherrscht wurde«. Weber scheint hier nicht zu bemerken, daß auch diese, nämlich die römische und ihre Nachfolge 7

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»doch« aus religiösen Quellen – »Wie tiefgreifend auch immer die ökonomisch und politisch bedingten sozialen Einflüsse auf eine religiöse Ethik im Einzelfalle waren, – primär empfing diese ihr Gepräge doch aus religiösen Quellen.« (ebd., 240). »Ressentiment« – Vgl. ebd., 241 und 247. »das heißt aber hier: die … Interessenlage« – Ebd., 253, dort in der Interpunktion klarer: »… die äußere, sozial, und die innere, psychologisch bedingte Interessenlage derjenigen Schichten …«. »die für die Entwicklung einer Religion… beherrscht wurde« – Ebd., 254 mit einer Auslassung: »… standen, ritterliche Kriegshelden oder politische Beamte oder wirtschaftlich erwerbende Klassen waren, oder endlich …« – Hierokratie svw. Priesterherrschaft.

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kirchen, eine vornehme Intellektuellenschicht darstellen, und daß anderseits, wenn irgendeine, so die Kaste der Brahminen eine organisierte Hierokratie bedeutet. Nachdem er deren Einfluß, dann den eines politischen Beamtentums, einer ritterlichen Kriegerschicht und die elementare Religiosität der Bauern betrachtet hat, verweilt er endlich bei den bürgerlichen Schichten: sie seien die in den Möglichkeiten ihrer religiösen Stellungnahme [373] scheinbar vieldeutigsten. Er  führt aus, daß die mannigfachsten Formen auch der asiatischen Religiositäten mit Einschluß des Judentums, mittelalterlichen und neueren Christentums, besonders stark in diesen Schichten wurzeln; gemeinsam aber »und durch die Natur ihrer von der ökonomischen Naturgebundenheit stärker losgelösten Lebensführung« sei ihnen die Tendenz zum praktischen Rationalismus darin. Die »Sendungs-Prophetie« und der ihr wahlverwandte Glaube an den persönlichen Schöpfergott seien es, deren Konsequenzen auf bürgerlichem Boden gezogen wurden (S. 256 f.). Im Anschlusse daran betont Weber dann wieder, daß umgekehrt auch die Richtung einer Rationalisierung der Lebensführung durch die letzten Werte, an denen sich diese orientierte, immer in tiefgreifendster Weise bestimmt worden sei, und zwar seien dies oft auf entscheidende Art religiös bedingte Wertungen und Stellungnahmen. Für diese gegenseitigen Zusammenhänge »zwischen äußerer und innerer Interessenlage« sei nun die ungleiche religiöse Qualifikation der Menschen, wie sie in schroffster rationalistischer Fassung die Prädestinationslehre dogmatisiere, von größter Wichtigkeit, mit anderen Worten die Virtuosenreligiosität gegenüber der Massenreligiosität und der Einfluß jener auf diese und da, wo man den magischen Charakter der Gnadenmittel abgestreift und den Weg zum Heil aus der kontemplativen Weltflucht in die aktiv-asketische Weltbearbeitung verlegt hat, und dies sei fast nur in den großen Kirchen und Sektenbildungen des asketischen Protestantismus im Okzident geschehen. Damit geht diese allgemeine Erörterung zurück auf das Thema der früheren: die protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus. Es scheint aber aus dem, was mitgeteilt wurde, sich zu ergeben, daß die Akzente in dieser späteren Betrachtung etwas anders liegen als in der früheren. Wenn Weber auch hier die Eigengesetzlichkeit der religiösen und moralischen Denkungsart hervorhebt, so meint er offenbar nicht nötig zu haben, auch die Eigengesetzlichkeit der wirtschaftlichen Entwicklung zu betonen, weil sich diese von selbst zu verstehen schien; und wenn die

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»und durch die Natur ihrer … Lebensführung« – Ebd., 256. »Sendungs-Prophetie« – Bei Weber (ebd., 257) auch als »›Sendungs‹-Prophetie«. »zwischen äußerer und innerer Interessenlage« – Ebd., 259.

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einfache Lösung des Problems im Begriffe der Wechselwirkung ausgesprochen werden darf, so muß doch die relative Unabhängigkeit der wirtschaftlichen Reihe, nicht von der geistigen überhaupt, wohl aber von deren religiösen und moralischen Ausdrücken stärker hervortreten als die Unabhängigkeit eben dieser, da sie offenbar in hohem Grade abhängig sind von Stand und Bewegung der intellektuellen Bildung, besonders also von der Wissenschaft und der durch Wissenschaft befruchteten Philosophie – diese geistige Entwicklung ist aber wiederum offensichtlich an die Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens gebunden, wenn man, wie es sein muß, auch die (im weitesten Sinne zu verstehende) Kriegswirtschaft dazu rechnet; so sehr auch anderer[374]seits hier eine fortwährende Wirkung in umgekehrter Richtung: des Wissens auf die Technik, durch die Technik auf die Wirtschaft, behauptet werden muß. Zugrunde gelegt hat Weber seiner ganzen Untersuchung eine provisorische Veranschaulichung dessen, was er als Geist des Kapitalismus verstehen will, durch eine Reihe von Sätzen Benjamin Franklins über Zeit und Geld, Kredit, Geld und Arbeit: Lebensregeln für den Geschäftsmann, der vorwärts kommen will; er sieht darin eine eigentümliche Ethik und folgert daraus, daß in Massachusetts8 der kapitalistische Geist vor der kapitalistischen Entwicklung da war; es liege also in diesem Falle das Kausalverhältnis »jedenfalls umgekehrt«, als vom »materialistischen Standpunkt« aus zu postulieren wäre (S. 32 ff.). Gegen Ende der Abhandlung (über die protestantische Ethik) beruft sich der Verfasser wiederum auf Franklin: offenbar seien die wesentlichen Elemente jener als Geist des Kapitalismus bezeichneten Gesinnung eben diejenigen, die er, Weber, als Inhalt der puritanischen Berufsaskese ermittelt habe, nur ohne die religiöse Fundamentierung, die eben bei Franklin schon abgestorben war. Ich knüpfe daran die Frage, ob man denn sagen muß, daß diese religiöse Fundamentierung  für das berufene Ethos oder  für die eigentümliche Ethik des Geschäftsmannes ein innerlich notwendiges und wesentliches Element gewesen ist, wie sie allerdings in historisch 8

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Nicht nur in M. Gewinn ist der Geist des Handels, dessen Grundlage immer da war. wo es Handel gab. dessen auch der Handwerker, sobald er für den Markt arbeitete, nicht schlechthin entraten konnte, so wenig wie der Leiter eines auf den Markt gerichteten landwirtschaftlichen Betriebes. »jedenfalls umgekehrt«, als vom »materialistischen Standpunkt« aus zu postulieren wäre – So fast wörtlich Weber 1920: 38. Gegen Ende der Abhandlung … Verfasser wiederum auf Franklin – Vgl. ebd., 202. Nicht nur in M. – Fußnote fehlt in A.

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notwendigem Zusammenhange in dieser Form sich entwickelt hat? Mit anderem Ausdrucke: was ist das logische Prius, der kapitalistische Geschäftsgeist, dessen am meisten charakteristische Moral in dem Satze: honesty is the best policy, sich resümiert – Weber macht hier und öfter darauf aufmerksam, daß auch dieser Grundsatz puritanischen Ursprunges sei; wir haben ihn aber auch im deutschen Sprichwort »Ehrlich währt am längsten« –, oder ist die Frömmigkeit das Prius? Ich behaupte, daß die genannte Maxime eben darum charakteristisch ist, weil sie das moralische als ein kaltes Mittel zu dem »politischen« Zwecke darstellt: eben dadurch ist sie ihrem Wesen nach von aller Frömmigkeit weit entfernt; sie ist durch und durch irreligiös, sie gehört zur andern Moral, die ich Moral der Gesellschaft und des Kürwillens nenne, wobei ich noch nicht einmal Gewicht darauf lege, was Weber selbst bemerkt (S. 34), daß da, wo etwa der Schein der Ehrlichkeit den gleichen Dienst tue, dieser genügen und ein unnötiges Surplus an dieser Tugend als unproduktive Verschwendung in den Augen [375] Franklins verwerflich erscheinen müßte – sondern es ließe sich sehr wohl ableiten, daß wirkliche Tugend unter allen Umständen nützlicher sei als bloß scheinbare. Aber eben dieser Geist der Berechnung, nicht des ewigen Heiles, sondern des durchaus zeitlichen wirtschaftlichen Vorteiles ist ja dem Geist des Christentums offenbar schlechterdings entgegengesetzt. Was Weber über die puritanische Ethik mitteilt, ist eben dadurch so interessant, daß es zeigt, wie dieser seinem Wesen nach durchaus antireligiöse Geist in einem  frommen Zeitalter und in Menschengruppen, die ihre Denkungsart nicht anders als in religiösen Formen ausprägen konnten, es verstanden hat, in solcher Umhüllung zu wirken und sich zu entwickeln. Und zwar ist dies bezeichnend für den Übergang aus dem noch wesentlich gläubigen Handwerk und Kleinbürgertum zum  freieren Unternehmer des größeren Stiles, der seinem Wesen nach Geschäftsmann, also Kaufmann ist. Auch dieser emanzipiert sich keineswegs unmittelbar vom Glauben seiner Väter, seines Landes; aber seiner Geistesrichtung entspricht durchaus besser als alle religiöse Phantastik die nüchterne Wissenschaft, folglich auch die utilitarische Auffassung der Moral, insbesondere seiner Berufspflicht, also des Handelns in der ihm eigenen Sphäre des Geschäftes. Weber wiederholt des öfteren mit Nachdruck, das Besondere des strengen calvinistischen Bewährungsgedankens sei darin gelegen, daß er eine Prämie setze auf die an Gottes Willen orientierte, rationale Gestaltung  4 14 20

honesty is the best policy – [Engl.] svw. Ehrlichkeit ist die beste Handlungsweise – Tönnies zitiert Benjamin Franklin nach Weber, ebd., 160. der Schein der Ehrlichkeit den gleichen Dienst – So wörtlich ebd., 34. durchaus zeitlichen – Worte fehlen in A.

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des Daseins. Nehmen wir einmal an, es habe wirklich eine ganze Klasse strenggläubiger Unternehmer und Kaufleute gegeben, die an dieser Prämie und dem Ausblick auf die ewige Seligkeit sich genügen ließen, so wird man doch nicht verkennen, daß es wenigstens daneben auch, und vermutlich in größerer Zahl, solche gegeben hat, die hauptsächlich oder ganz und gar im geschäftlichen Erfolge, also in der Steigerung ihres Reichtums einen Beweggrund hatten, der noch mehr geeignet war, ihnen zu genügen und dessen Winken manche auch reizen konnte, bürgerliche Tugenden, wie Sparsamkeit, Nüchternheit, Ehrlichkeit, zu üben und einen methodisch ehrbaren Wandel zu führen, wozu freilich, gemäß der bürgerlichen Denkungsart, die bis in unsere Tage, wenn auch erheblich abgeschwächt, überlebt, die Erfüllung kirchlicher oder sonst religiöser Pflichten gehörte; und Weber hat in vorzüglicher Weise dargestellt, daß gerade innerhalb der Sekten an die Zulassung zur Abendmahlsgemeinschaft regelmäßig die Kreditwürdigkeit geknüpft war. Für den Frühkapitalismus war ja das Beharren in religiösen Vorstellungen wie im gesamten bürgerlichen und bäuerlichen Milieu notwendig und charakteristisch. Und der in den oberen Schichten, besonders an den Höfen und beim höfischen Adel und dem Beamtentum, den an diese Mächte vielfach sich anlehnenden Gelehrten (zu denen immer [376] auch manche Kleriker gehörten, mehr aber Juristen, noch mehr Ärzte und verwandte Professionen), allmählich sich entwickelnden naturwissenschaftlichen Denkungsart kam allerdings der Protestantismus aller Denominationen weit mehr entgegen als die alte Kirche; obgleich man nicht vergessen darf, daß auch der Jesuitismus sehr bald mit der neuen Wissenschaft, wie sehr er ihre philosophischen Konsequenzen ablehnen mochte, Fühlung suchte und gewann; daß ein Mönch aus dem Orden der Tertiarier (Marin Mersenne) es war, der bei den Werken des Jesuitenzöglings Descartes wie des Ketzers Hobbes Pate gestanden hat, der auch die Lehren Galileis der Welt vermittelte; daß sein und des Hobbes Freund Pierre Gassendi im Frankreich Richelieus die bisher verrufene Naturphilosophie des Demokritos erneuerte. »Es scheint also, als sei die Entwicklung des kapitalistischen Geistes am einfachsten als Teilerscheinung in der Gesamtentwicklung des Rationalismus zu verstehen und müsse aus dessen prinzipieller Stellung zu den letzten Lebensproblemen ableitbar sein. Dabei käme also der Protestantismus nur insoweit historisch in Betracht, als er etwa als Vorfrucht rein rationalistischer Lebensanschauungen eine Rolle gespielt hätte.« Mit diesen Sätzen (S. 61) macht Weber sich selber einen Einwurf, des-

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»Es scheint also … Lebensanschauungen eine Rolle gespielt hätte.« – Ebd., 61 – Weber setzt die Worte »kapitalistischen Geistes« und »Vorfrucht« in Anführungszeichen.

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sen Sinn sich beinahe mit dem, was hier ausgeführt wurde, deckt. Er will ihn aber sogleich widerlegen, eine so einfache Problemstellung gehe schon um deswillen nicht an, weil die Geschichte des Rationalismus keineswegs eine auf den einzelnen Lebensgebieten parallel fortschreitende Entwicklung zeige. Ich halte dies Argument nicht für zureichend. Weber selbst schlägt es, wenn er den »einfachen Satz«, der oft vergessen werde, alsbald einschärft: man könne das Leben unter höchst verschiedenen letzten Gesichtspunkten und nach sehr verschiedenen Richtungen hin »rationalisieren«. Wenn er im gleichen Zusammenhange darauf hinweist, der Voltairianismus sei noch heute Gemeingut breiter oberer und, was praktisch wichtiger sei, mittlerer Schichten, gerade in den romanisch-katholischen Ländern, und wenn man vollends unter praktischem Rationalismus jene Art Lebensführung verstehe, welche die Welt bewußt auf die diesseitigen Interessen des einzelnen Ich beziehe und von hier aus beurteile, so sei noch heute dieser Lebensstil erst recht typische Eigenart der Völ ker des »liberum arbitrium«, wie es dem Italiener und Franzosen in Fleisch und Blut stecke – dies sei aber keineswegs der Boden, worauf jene Beziehung des Menschen auf seinen Beruf als Aufgabe, wie sie der Kapitalismus brauche, vorzugsweise gediehen sei, das Sichhingeben an die Berufsarbeit sei aber einer der am meisten charakteristischen Bestandteile in der kapitalistischen Kultur, und dieser sei vom Standpunkt der rein eudämonistischen Eigeninteressen aus durch[377]aus ein irrationales Element. Ich setze auch hier meinen Widerspruch ein. Weber beschreibt wie sonst, was er den Geist des »Traditionalismus« nennt, als das Gegenteil des kapitalistischen Geistes, und meint (S. 54): nicht die Sorge für die Familie, ein Motiv, das ja bei den traditionalistischen Menschen ganz ebenso wirke, sondern daß den vom kapitalistischen Geist erfüllten Naturen das Geschäft mit seiner steten Arbeit zum Leben unentbehrlich geworden sei, sei die allein zutreffende Motivierung  für jenes rastlose Jagen, das des eigenen Besitzes niemals froh werde; sie bringe zugleich das vom persönlichen Glücksstandpunkt aus angesehen so Irrationale dieser Lebensführung, wobei der Mensch  für sein Geschäft, nicht das Geschäft  für den Menschen da sei, zum Ausdruck. Vorher noch (S.  35) erläutert er gegen Brentano seinen Begriff des »Irrationalen«  2  6 10 16 34

widerlegen, eine so einfache – A: widerlegen: eine so einfache. »einfachen Satz« – Vgl. ebd., 62. Voltairianismus – Svw. eine auf Voltaire orientierte Denkrichtung, ebd. »liberum arbitrium« – [Lat.] svw. freier Wille. vom persönlichen Glücksstandpunkt … da sei, zum Ausdruck – So fast wörtlich ebd., 54.

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dahin, es sei immer zu verstehen als von einem bestimmten rationalen Gesichtspunkte aus irrational. Diese Art der Hingebung an den Beruf ist mithin – so sollen wir folgern – nur aus der besonderen calvinistischen und sektiererischen Frömmigkeit erklärbar, insbesondere aus der Angst um das Seelenheil, die aus dem Glauben an die Gnadenwahl entsprungen sei. Ich gebe nicht zu (was Weber hier meint), daß vom hedonistischen Standpunkte aus jene Lebensführung schlechthin irrational sei. Wenn die Sorge für die Familie – die doch auch die eigene Zukunft für Krankheitsfälle und anderes Unglück einschließt – dem traditionalistischen mit dem kapitalistischen Geiste gemein ist, so folgt daraus nicht, daß dieser sehr starke Beweggrund bei diesem nicht für zureichend zu halten sei, um sein freudloses Aufgehen im Geschäfte zu erklären und ihn nach (vermeintlich) immer vollkommenerer Sicherheit, immer größerer Macht über widrige Zufälle streben zu lassen. Bei jenem wie bei diesem kommen allerdings andere Motive hinzu: der Eifer, den jede erfolgreiche Tätigkeit in schaffenslustigen Naturen erzeugt, die ungeheuere Macht der Gewohnheit, die das Beharren in der Beschäftigung der Langeweile des Müßigganges sogar solche Menschen bevorzugen läßt, die ihre Muße auszufüllen wüßten oder etwa noch wenige Jahre vor ihrer »Pensionierung« auszufüllen gewußt hätten, erklären die Erscheinung außer jener rationalistischen Begründung beim traditionalistischen Menschen wie beim kapitalistischen; bei diesem aber kommt der gesteigerte Erwerbstrieb, die Freude am wachsenden Reichtum, der bei diesem Gastmahl immer zunehmende Appetit hinzu – das sind irrationale und rationale Gründe durcheinander. Wenn nun gar auch die Artung des religiösen Glaubens, der sonst so leicht Einspruch erhebt, diese Lebenshaltung nicht nur zuläßt, sondern billigt, ja vorschreibt, so rundet sich freilich die Motivierung zu einem vollkommenen Ring; aber die Liebe zum Beruf und die Treue in seiner Ausübung ist [378] mehr ein Erbteil des Handwerkers, aber auch der freien Berufe, als daß sie den Kaufmann und kapitalistischen Unternehmer spezifisch bezeichneten, die ja tatsächlich im Zeitalter des Frühkapitalismus zum großen Teile aus Handwerkern und anderen kleineren Bürgern hervorgegangen sind, nicht selten auch heute noch hervorgehen. Ihren ideellen Typus würde ich nicht diesem Zeitalter, sondern dem Zeitalter ihrer Vollendung, also dem des Hochkapitalismus, entlehnen. Ich füge noch ein Wort hinzu über den, wie Weber sagt, nur scheinbar eindeutigen Begriff des Rationalen, den in seiner Vielseitigkeit aufzudecken, wie er an der genannten Stelle sagt, sein Aufsatz mitwirken  1

gegen Brentano seinen Begriff des »Irrationalen« dahin – Vgl. ebd., 35, Fn.

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will. Ich selber habe eben dahin wirken wollen durch die Opposition des Kürwillens gegen den Wesenwillen. Auch Wesenwille ist in seiner Vollendung – und dieser gemäß ist der herrschende Begriff des Willens gestaltet – vernünftiger Wille. Sein Übergang, wenn man will, sein Umschlagen in den schlechthin rationalen »Kürwillen«, liegt an dem Punkte der Gestaltung des Mittels und der Mittel in Beziehung auf den Zweck. Diese Rationalisierung geschieht durch die Isolierung und Scheidung – bis zur Negation – der Mittel vom Zwecke, vollends durch deren planmäßige Bearbeitung und Ordnung, welche in letzter Instanz über alle Rücksichten sich hinwegsetzt, alle Skrupel überwindet. Eine nähere Ausführung dieser für meine Ansicht der Entwicklung einer kommerziellen und kapitalistischen Gesellschaft entscheidenden Wandlung habe ich in meinem Beitrage zu der dem Andenken Max Webers gewidmeten Erinnerungsgabe (Nr. 8: »Zweck und Mittel im sozialen Leben«) ausführlicher als früher darzustellen versucht.

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Zu den großen Vorzügen Max Webers gehört seine Objektivität. Diese zeichnet auch C. H. Becker aus. Geleitet durch so gelehrte und gewissenhafte Denker, darf man hoffen, zu begründeten Urteilen über die gewaltigen Kulturfragen zu gelangen, die unser Zeitalter bewegen und immer tiefer erschüttern. Becker erörtert in Nummer 3 und am Schlusse der Nummer 13 auch die Zukunft des Islam. Sie könne nur in einer Anpassung an das europäische Geistesleben bestehen, und daß diese möglich sei, beweise das Beispiel hochstehender Inder – der Bruch der mittelalterlichen Weltanschauung, der allerdings, wie im Christentum, dem Eintritt in die moderne Kultur vorangehen müsse, brauche so wenig wie im Christentum zum Atheismus zu führen, wie Lord Cromer, der ein ansehnliches Buch über das moderne Ägypten verfaßt hat, meinte. Viel[379]mehr berge der Islam so viele wertvolle ethische und religiöse Momente in sich, daß daraus auch eine moderne Religion sich entwickeln ließe. »Die 14 22

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»Zweck und Mittel im sozialen Leben« – Tönnies 1923. in Nummer 3 und am Schlusse der Nummer 13 – Nr. 3: »Der Islam als Weltanschauung in Vergangenheit und Gegenwart« (Becker 1924: 40–53); Nr. 13: »Abriß der islamischen Religion« (ebd., 331–385). Buch über das moderne Ägypten – Cromer 1908.

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aufgeklärten empirisch gebildeten Moslems  feiern sogar den Islam als besonders  für die moderne Welt geeignet; sie entwickeln einen rationalistischen Monismus, den sie für die einzig vernunftgemäße Religion erklären9.« Sicher sei nur eins, daß der Islam sich nicht christianisieren lasse; wohl aber dürfe man bei der wachsenden Aufnahmefähigkeit des Orients  für die geistigen und materiellen Güter Europas eine Angleichung der islamischen Zivilisation an die europäische auf die Dauer als wahrscheinlich schätzen. Diese Prognose ist schon im Jahr 1912 in dem Handwörterbuch »Die Religion in Geschichte und Gegenwart« Band 3 erschienen. Seitdem ist auch über die islamische Welt ein ungeheurer Strom neuer Schicksale gewälzt worden, dessen Wirkungen noch unabsehbar sind. Die Abschaffung des Kalifats ist das jüngste bedeutende Ereignis, wenn auch dessen Bedeutung für die Kenner des Islam schwerlich, wie für ein anderes Publikum, einer Abschaffung des Papsttums in der christlichen Welt vergleichbar sein dürfte. Wichtiger noch scheint der Prozeß einer Regeneration der Türkei, der, von der jungtürkischen Partei vor nunmehr 16 Jahren angebahnt, seitdem in einer langen Reihe schwerster Prüfungen sich fortgesetzt hat und in den großen Fluß europäisch-asiatischer Entwicklung mündet, der überall die religiös geheiligten Horte monarchischer Autoritäten hinweggeschwemmt und nur noch wenige orientalische Despotien oder deren Reste und etliche fast nominell gewordene europäische Königtümer bisher verschonte. Zu den Analogien der islamischen und der christlichen Kulturentwicklung, die Becker unbeirrt durch irgendwelche Voreingenommenheit so lichtvoll darstellt, möchte ich im Anschluß an ihn auch rechnen, daß die Zukunft des Islam 9

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S. 383. Vgl. 52: »und daß eine innere Verwandtschaft bestehe zwischen dem Islam und so ausgeprägt neuzeitlichen Produkten wie dem Haeckelschen Monismus«. Hier wird auch auf Comte, und daß die moderne Naturwissenschaft »ohne weiteres« vom Islam aufgenommen werden könne, hingewiesen. Ich bemerke dazu, daß die führenden Jungtürken, wie ich vernommen habe, in Paris gebildete Comtisten gewesen sind. Haeckel gibt seine Sympathie mit dem Islam offen kund (»Die Welträtsel«, Kröners Taschenausgabe, S. 175). »Die aufgeklärten empirisch … Religion erklären.« – Becker 1924: 383 f. – Dort: »Die aufgeklärten, empirisch gebildeten Muslime …«. Handwörterbuch »Die Religion in Geschichte und Gegenwart« Band 3 – Tönnies bezieht sich auf den Erstdruck des Textes, vgl. Becker 1912. Das Zitat ebd., Sp. 744. Abschaffung des Kalifats – Durch Gesetz, verabschiedet in der türkischen Nationalversammlung am 2.3.1924. »und daß eine innere Verwandtschaft … Haeckelschen Monismus« – Wie das folgende Zitat Becker 1924: 52, dort ohne Hervorhebungen. »Die Welträtsel« – Vgl. Haeckel 1921: 175.

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und die Zukunft des Christentums, wie es scheint, einander begegnen müssen; denn wenn schon jetzt »die islamische Welt mit der europäisch-amerikanischen durch tausend Fäden verbunden« (Becker S.  31) ist, so darf man sagen, daß noch in diesem Jahrhundert diese Fäden gleich allen, die die Trennung von Orient und Okzident aufheben, fortwährend sich verdichten werden. Becker urteilt (S.  51), daß der Islam dem Christentum folgen [380] könne und wahrscheinlich folgen werde, indem die Hauptmenge der Gläubigen ihre Weltanschauung mit der Gegenwart in Einklang bringen, zugleich aber es im Islam nicht an Leuten fehlen werde, die von der religiösen Basis sich vollkommen loslösen, ebenso wie bei uns völlige Aufgeklärtheit und Entchristlichung neben einer zukunftreichen Verbindung der christlichen Weltanschauung mit den Gedanken der modernen Welt stattgefunden habe. Soweit eine nahe Zukunft in Frage steht, möchte diese Ansicht für den Islam wie für das Christentum gelten. Ich lasse sie nicht gelten, wenn etwa die Zukunft als das bevorstehende halbe Jahrtausend verstanden wird. Vielmehr halte ich  für wahrscheinlich, daß nach dem Ablaufe dieser oder einer etwas längeren Folge von Jahrhunderten die monotheistischen Religionen ebenso zu den nur ideell überlebenden Altertümern gehören werden, wie längst dazu die Religionen von Ägypten, von Hellas und dem alten Italien gehören. Samenkörner einer neuen panpneumatischen Weltreligion, die der heutigen Welt so angemessen sein wird, wie die bisherigen ihrer engeren Welt es gewesen sind, können schon heute hie und da gefunden werden. Es liegt nahe zu vermuten, daß in ihr Elemente des Judentums und Christentums und des Islam mit solchen des Buddhismus und der quasireligiösen Moralphilosophien des  fernen Ostens zu einer Einheit zusammenwachsen werden, die als den Tag zu deuten, der endlich für eine Veredlung des Menschentums aufgehen werde, niemandem verwehrt sein möge. Anmerkung. In der »Sociological Review«, April 1924, finde ich eine Mitteilung (von E. Denison Roß) über den Plan einer Konferenz, worin die innerhalb des Britischen Reiches lebenden Religionen erörtert werden sollen; diese Konferenz werde bei Gelegenheit der

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panpneumatischen Weltreligion – Ein selten gebrauchter Ausdruck, svw. »pantheistisch«, aber mit einer auch weltlichen Bedeutung: Pneuma im Sinne eines Prinzips von Natur, als Substanz gedacht, theologisch gelegentlich als Beschreibung von Gott oder Heiliger Geist, also etwa der Geist in allem. Solche Weltreligion würde zurückweisen auf Spinoza. fernen Ostens – A: fernsten Ostens. Mitteilung (von E. Denison Roß) – Ross 1924. Die Konferenz ist gemeinsam von der School of Oriental Studies (University of London) und der Sociological Society organisiert. Die »Sociological Revue« ist das »Journal of the Sociological Society«.

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Ausstellung in Wembley (einem Vororte von London) im Herbste dieses Jahres stattfinden. Die Meinung ist, daß sie wesentlich informatorisch sein solle: Vertreter der Religionen, zu denen auch die primitiven auf der einen Seite, moderne Weltanschauungen auf der anderen gerechnet werden, sollen über ihre Systeme – am liebsten persönlich, sonst durch eingesandte Vorträge – Berichte erstatten; namentlich sind solche vorgesehen über Hinduismus, Buddhismus, Islam, Sikhs, Jains, Parsis, Taoismus und Konfuzianismus; Christentum, in seinen verschiedenen Bekenntnissen, und Judentum sind seltsamerweise ausgeschlossen. Propaganda und jede Art von feindseliger Kritik anderer Systeme sollen ausgeschlossen werden. In der Hauptsache will man sich auf Berichte über die geographische Verbreitung und Zahl der Anhänger, über die charakteristischen Lehren und über die Wirkungen des Systems auf das tägliche Leben des Volkes beschränken. Trotz früherer Religionskongresse, die anders bedingt gewesen seien, werde diese Zusammenkunft die erste in ihrer Art sein (gemeint ist offenbar, daß jene mehr einer theologischen Verständigung bestimmt gewesen seien, diese ausschließlich der soziologischen Erkenntnis). – Die genannte Zeitschrift beginnt gleichzeitig eine Folge von Aufsätzen über »Lebende Religionen innerhalb des Reiches« zu veröffentlichen (natürlich des britischen). Zusatz 1926. Ein Kongress-Bericht ist erschienen, und wird im Jahrgang 1925 der Zeitschrift von drei Kritikern besprochen (S. 255–293); die Besprechung von Vidgery ist bemerkenswert. [381]

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Folge von Aufsätzen über »Lebende Religionen innerhalb des Reiches« zu veröffentlichen – A endet hier. – Vgl. die »Editorial Note« zu den Aufsätzen »Living Religions Within the Empire« ([Branford / Farquharson] 1924]). Kongress-Bericht – Hare 1925. Besprechung von Vidgery – Recte: Widgery 1925. – Die beiden anderen Besprechungen von Huxley 1925 und Branford 1925.

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»Die Aufgabe selbst aber, die immer für jede Epoche bewußt oder unbewußt bestand, ist für unsern Lebensmoment ganz besonders dringend. Die Idee des Aufbaues heißt Geschichte durch Geschichte überwinden und die Plattform neuen Schaffens ebnen. Auf ihr muß die gegenwärtige Kultursynthese beruhen, die das Ziel der Geschichtsphilosophie ist. Davon soll, soweit es im Vermögen eines einzelnen steht, der nächste Band handeln.« Dieser Absatz beschließt das starke und gehaltvolle Buch, dessen Studium uns obliegt1. Im Vorwort aber wird angekündigt, daß der zweite Band die materiale Ausführung von demjenigen geben solle, was Tröltsch als Geschichtsphilosophie anerkennen könne. Dieser zweite Band werde so bald folgen als möglich, d. h. in ein paar Jahren. Das Vorwort ist abgeschlossen am 19. September 1922. Am 31. Januar 1923 ist Ernst Tröltsch seiner fruchtbaren Tätigkeit durch den Tod entrissen worden.

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Gesammelte Schriften von Ernst Tröltsch. Dritter Band. Der Historismus und seine Probleme. XI u. 777 S. Tübingen. J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1922.

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Tröltsch und die Philosophie der Geschichte – Zuerst gedruckt in »Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche« (49.1925 I., S. 147–191; Tönnies 1925, im Folgenden A). Vor dem Text steht, wie in Schmollers Jahrbuch üblich, eine kurze Inhaltsangabe: »Inhaltsverzeichnis: Aufgabe und Ziel Tröltsch’ S.  509 – Die neueste Entwicklung der Ph. d. Gesch. S.  510. – 1. Tröltsch’ Auffassung der Geschichte und des Historismus S. 513. – Rettungen der Kulturwerte S. 515. – 2. Das Problem der Maßstäbe S. 517. – Die Theorien und das Sinns-Allgemeine S. 518. – 3. Tröltsch über Marxismus, Entwicklung, Universalgeschichte S. 523. – 4. Der Aufbau der europäischen Kulturgeschichte S. 530. – 5. Die Vorträge Politik und Religion S. 537. – 6. Kritik der ›Lösungen‹ S. 546. – Tröltsch und Marx S. 547. – 7. Kritik der »Kultursynthese« S. 555. – M. Weber S. 556. – Eigene Ansicht der Entwicklung S. 562.« – Die Seitenzahlen sind angepasst. – Unter dem Titel die Autorenzeichnung »Von Ferdinand Tönnies, o. Prof. der Staatswissenschaften an der Universität Kiel«. Die Zeitschrift ist in der Fraktur gesetzt. – Vgl. im Editorischen Bericht S. 663. »Die Aufgabe selbst aber … der nächste Band handeln.« – Troeltsch 1922: 772. Vorwort aber wird angekündigt – Ebd., VII.

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Die Philosophie der Geschichte schien vor einem Menschenalter  fast begraben. Die Soziologie, die an ihre Stelle treten zu wollen schien, war noch schwach entwickelt und erfreute sich fast keiner Anerkennung oder Förderung. Heute hängen an ihr viele Gedanken und Erwartungen. Und in ihrem Gefolge ist auch die Philosophie der Geschichte aufs neue erwacht. Tröltsch stand im Vordergrunde der Bestrebung, sie in den Dienst nicht nur der Einsicht in den Charakter unseres Zeitalters, sondern auch einer bewußten Wirkung auf diesen Charakter zu stellen. Er hat uns in dem vorliegenden Werke eine durchdringende Übersicht und Kritik der Versuche gegeben, die seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts bis heute gemacht worden sind, Geschichte zu verstehen, besser zu verstehen, als man sie zuvor verstanden hatte. Daß für diese Untersuchung deutsche Denker den Vorzug haben, rührt nicht nur daher, daß der Kritiker selber ein Deutscher ist, sondern beruht auch auf der Tatsache, daß die deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts, deren Wirkungen freilich in dessen zweiter Hälfte erheblich abgeschwächt er[382]scheinen, in ausgeprägter Weise Philosophie der Geschichte ist oder in sich trägt. Dies gilt freilich fast noch mehr von den moderneren Systemen Auguste Comtes und Herbert Spencers: sie werden auch von Tröltsch mit eingehender Sorgfalt dargestellt; gleich anderen Ausländern, die jenen z.  T. vorausgingen, zumeist aber erst in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben. Wir stehen dem, was Tröltsch’ Fleiß und Kenntnis hier geleistet haben, mit Bewunderung gegenüber. Das Werk ist zu rechter Zeit erschienen. Es wird dazu helfen, die große Besinnung zu fördern und zu vertiefen, wozu die ungeheuren Erlebnisse dieser Jahre jeden Denker, jeden Staatsmann, ja jeden Staatsbürger dringend und heischend ermahnen. Aber nicht die Erlebnisse der neuesten Zeit allein. Wir wissen, daß diese sich lange vorbereitet hatten. Wir wissen, daß seit 1789, wenn auch mit einigen nicht lange dauernden Unterbrechungen, steigende Unruhen und Erschütterungen den Kontinent bewegt haben, denen auch das große Inselreich ungeachtet seiner zunehmenden Weltherrschaft sich nicht entziehen konnte; die auch auf die Neue Welt, auf alle Erdteile, nicht am wenigsten, wenngleich erst in der jüngsten Epoche, auf die uralten dichtbevölkerten Kulturländer des fernen Asien sich erstrecken. Hier stehen wir sogleich vor dem Problem selber. Die Krisis der Historie, mit deren Betrachtung Tröltsch sein Werk eröffnet, ist die Krisis der modernen Zivilisation; das Wiedererwachen der Geschichtsphilosophie, dem sein erstes Kapitel gewidmet ist, ist einer der vielen Reflexe

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Wiedererwachen der Geschichtsphilosophie – »Das Wiedererwachen der Geschichtsphilosophie« (ebd., 1–110).

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des Weltkrieges und der Welttendenzen, die in ihm ihre vorläufige Erfüllung gefunden haben. In der Tat ist jenes Erwachen dem eines Mannes zu vergleichen, der in recht unruhigem Schlafe geruht hat. Es fehlte nicht an Träumen von so lebhafter Art, daß die Beschäftigung mit ihnen einem wachen Denken ähnlich war. Denn seit Jahrzehnten war das Gespenst der materialistischen Geschichtsauffassung (oder des historischen Materialismus) zu immer größeren Dimensionen angewachsen und hatte sich als ein Alp auf den Leib des schlummernden Bewußtseins gelegt. Das Odium, das allem Materialismus, ja in einigem Maße noch dem wissenschaftlichen Verhalten zu Dingen des Geistes überhaupt anhaftet, mußte böse Träume wirken. Es ist nicht zu verwundern, daß das Gespenst auch in den Gedanken, die Tröltsch vor uns ausgebreitet hat, seine Aufwartung macht, daß es hier, wie auch sonst neuerdings überhaupt öfter und leidenschaftlicher geschehen ist, beschworen und in ein ernstes Verhör genommen wird. [383] Sehr langsam hatte seit dem 17. Jahrhundert die Idee des Fortschrittes der Kultur im Zusammenhange mit der Idee, daß ein neues und besseres Zeitalter durch die wachsende Erkenntnis der Natur, die zunehmende Beherrschung ihrer Kräfte, im Aufstiege sei, sich erhoben. Der christliche Glaube hatte in Übereinstimmung mit einer uralten Empfindung, die der menschlichen Seele natürlich ist (da sie, zumal die alternde, immer geneigt ist, das Vergangene zu idealisieren), die Idee einer allmählichen Verschlechterung der menschlichen Zustände ausgebildet, die an die vermeinte Prophetie von den vier Weltreichen angeknüpft wurde. Diese Lehre wich – unter dem Hochdrucke des Gedankens der Aufklärung – der Lehre von Altertum, Mittelalter, Neuzeit; und wenn auch vielfach – sogar schon viel früher – das jüngste Zeitalter als eine Wiedergeburt des ältesten gedeutet wurde, als ein Wiederaufgehen der Sonne nach dem finsteren Mittelalter, so setzte doch allmählich sich die Meinung durch, daß auch die Glanzzeit der Antike ein spätes Ergebnis der Entwicklung von Jahrtausenden gewesen, und daß überhaupt das Dasein der Menschheit nicht durch die Genealogie der biblischen Schöpfungssage begrenzt sei, sondern nach Hunderttausenden, ja Millionen von Generationen gemessen werden müsse. Nur einen Schlußstein  für diese neue Erkenntnis bildete die biologische Abstammungslehre. Wo immer sie angenommen wurde, machte sie der Täuschung, daß der Mensch als ein vernunftbegabtes und

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Prophetie von den vier Weltreichen – Tönnies spielt auf die antike und mittelalterliche Theorie der vier Reiche an. Vgl. z. B. Sleidanus’ Werk »De Quatuor summis Imperiis libri tres« (lat., svw. Drei Bücher von den vier Weltreichen, Sleidanus 1556).

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sogar seinem gegenwärtigen Wesen überlegenes Geschöpf auf die Erde gesetzt worden sei, ein vollkommenes und grausames Ende. Noch heute wirkt diese Erkenntnis gleich einer heimlichen und verbotenen Enthüllung, ja als ein Frevel auf die Gemüter derer, die von den überlieferten Lehren und Heiligtümern nach wie vor umfangen sind. In der Regel spricht der elementare Gegensatz dieser Denkweisen in der verschiedenen Beurteilung der Neuzeit, mithin eben in ihrem Verhältnis zum sogenannten Mittelalter sich aus. Die Vertreter der Neuzeit und ihrer gewaltigen Fortschritte sind die Verächter und Ankläger des Mittelalters; die Verteidiger des Mittelalters erblicken in den Errungenschaften der Neuzeit, auch wenn sie nicht gesonnen sind, deren Macht und Bedeutung zu leugnen, doch zugleich eine Verschlechterung der Volkszustände und eine Neigung zum Verfalle der echten Gesittung, die in der Religion beschlossen sei. Stärker noch als der ethische wendet der ästhetische Sinn sich zurück zu einem naiven und gläubigen Zeitalter, das in minder bewußtem Kunstgefühl, in treuer Bewahrung und Fortbildung des überlieferten Stiles und Geschmacks schaffend gestaltet hat, anstatt von Theorien geleitet zu konstruieren und das mathematisch Vernünftige ins Leben einzuführen. Sogar in Vermischung mit den [384] Tendenzen der volkstümlicher – und der Aristokratie, weltlicher und geistlicher,  feindseliger – werdenden Aufklärung und ihrer Revolution tritt zuerst die Romantik als eine Wiederbelebung der konservativen gegen die liberale Gedankenrichtung auf; und damit hängt es zusammen, daß sich – im 18. Jahrhundert angebahnt – im 19. Jahrhundert bald, wenn auch langsam, die dritte Denkungsart gerade in bezug auf die Geschichte und ihre Deutung entwickelte, die wir heute längst als die sozialistisch-kommunistische kennen: sie verhält sich ihrem Wesen nach neutral zu jenem Gegensatz, kann daher bald mit der einen, bald mit der anderen Seite gehen; verhängnisvoll aber wird sie für den Liberalismus insofern am unmittelbarsten, als sie dessen siegreiches Fortschreiten, wie es sonst durch alle Schwungkräfte des Jahrhunderts gefördert wird, hemmt und in sehr bedeutsamen Stücken der reaktionären Anschauung recht zu geben scheint; wie denn auch Allianzen dieser mit dem Sozialismus in mannigfachen Gestalten immer aufs neue auftreten. Es ist unverkennbar, daß diesen verschiedenen Ansichten verschiedene Gefühle, Willensrichtungen, Stimmungen, also auch Werte und Ideale zugrunde liegen, und daß diese wiederum verschiedene Menschen, Menschengruppen, Stände oder Klassen bezeichnen, sofern solche in verschiedenen Ländern unter ähnlichen Lebensbedingungen stehen und demgemäß für verwandte Denkweisen empfänglich sind. Eine Betrachtung der Geschichte, die in wissenschaftlichem Sinne philosophisch sein

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will, wird versuchen, von allen solchen »Vorurteilen« sich frei zu halten, und ohne Bejahung und Verneinung, ohne Werturteile den Gang der Ereignisse und seine Zusammenhänge rein zu erkennen, mit dem letzten Ziele, aus dieser Erkenntnis des Gewesenen und des Seienden so etwas wie eine astronomische Voraussicht des Zukünftigen zu gewinnen.

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Tröltsch lehnt aber solche »kontemplative« Ph. d. Gesch.2 ab. Er sieht darin eine »Ertötung des praktischen Willens, der vielmehr die Unbestimmtheit der Zukunft und die Zusammenraffung des historischen Materials unter Gesichtspunkten des Ideals bedarf« (S. 113). Die Aufgabe der »materialen« Ph. d. Gesch. unterscheidet er beflissen von der neuerdings gepflogenen »formalen« oder der »Geschichtslogik« wie von der »empirischen Historie«: die materiale wachse »im wissenschaftlichen und logischen Sinne« aus der formalen Ph. d. Gesch. heraus (S. 70); von den beiden Hauptbegriffen dieser, dem des historischen Gegen[385] standes und dem des historischen Werdens, führen – sagt Tröltsch – die Linien zur materialen Ph. d. Gesch. hinüber. Schon die Entwicklung einer Einzeltotalität (des historischen Gegenstandes, z. B. eines Volkes) sei notwendig eine »Sinnentwicklung«, um so mehr müsse die zusammenhängende und untrennbare Entwicklung aller Totalitäten in der Menschheit selber das sein (72), aber: die Entwicklung der Menschheit zu erkennen, ist »ein ungeheures Unterfangen« (74), sogar logisch unmöglich. Möglich ist nur die Konstruktion des Prozesses des abendländischen Kulturkreises mit dem Ergebnis des Verständnisses »der eigenen Lage und der in ihr rein tatsächlich liegenden Entwicklungstendenzen« (76). Damit ist aber die Ph. d. Gesch. (von nun an wird als solche nur die »materiale« verstanden) nicht zu Ende. Die »Zusammenfassung der Gegenwart« als »der Einheit des Heterogenen«, ein »Begriff der eigenen Lage«, ist zugleich »eine Zusammenfassung zum Zwecke der Weiterbildung«, worin auch die Zukunft mitgesetzt ist (77) – die wahrscheinli2

Ich setze von nun an dies Wort an die Stelle des mißfälligen »Geschichtsphilosophie«. Die Abkürzung Ph. d. Gesch. möge jenes genügend bezeichnen.

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»Zusammenfassung der Gegenwart« – Troeltsch 1922: 77. »der Einheit des Heterogenen« – Ebd., 76, dort auch der folgende Zitatsplitter. »eine Zusammenfassung zum Zwecke der Weiterbildung« – Ebd., 77.

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che?, nein, hier tritt die  für Tröltsch entscheidende Wendung ein, »als Tat und Folgerung auf Grund des vorhandenen Bestandes«. Nicht an die stärksten tatsächlichen, sondern an die »wertvollsten« möglichen Tendenzen der Vergangenheit und Gegenwart knüpfe die Ph. d. Gesch. an. Schon bei Aufnahme jenes Bestandes werde man »in Akzenten und Auslese« immer auch von der in der Phantasie vorausgenommenen kommenden Entwicklung bestimmt werden; um so mehr werde man im Gedanken der »Fortbildung« von einem Sollen, einem Drang zum Allgemeinen sich bestimmt fühlen, also »das damit Übereinstimmende« aus dem Bestande auslösen und es in die Richtung einer steigenden inneren Bedeutsamkeit und Notwendigkeit entwickeln wollen. Hierin, daß also die Ph. d. Gesch. in die Ethik einmünde, ist das Programm enthalten, das nun Tröltsch vor uns ausbreitet. Ihre logischen Voraussetzungen und Konstruktionsmittel will er – im engsten Zusammenhang mit der empirischen Historie und ihrer Logik – darstellen (83). Aber der Größenunterschied von Natur und Geschichte wirkt erschreckend! Ihm gegenüber kann man dem Gedanken einer Vielheit von Geisterreichen nicht ausweichen (86). Dazu die geschlossene allgemeingültige und gleichartige Naturkausalität, die Erhaltung der Energie, die Entropie! (83–87). Wird nicht ihnen gegenüber »das Psychische, Historische, Geistige und Logische ein seltsames vereinzeltes Epiphänomen zu den eigentlich die Wirklichkeit allein erfüllenden Naturvorgängen«? Führt nicht der Ausgleichszustand des Wärmetods »zur völligen Vergleichgültigung aller Werte und alles Sinnes«? (88). Diese Meinungen will Tr. als Vorurteile widerlegen, an denen »der Kantianismus und besonders der Neukantianismus nicht unschuldig« sei (89). [386] Es bleibe dunkel, wie es von der Anerkennung des geschlossenen Natursystems aus überhaupt zur logischen Möglichkeit anderer »Betrachtungsweisen« kommen könne (90). Die Lösung von den Fesseln eines naturalistisch-logischen Postulates sei eine Lebensfrage »nicht bloß für die histo­­risch-ethischen Wissenschaften, sondern für das Leben und das Ethos, von dem sie handeln« (91). Tr. findet die Rettung (so darf man sagen) in den drei großen Wissenschaftskomplexen: 1. der Logik und der ihr nahe verwandten Wertlehre, 2. der Psychologie, 3. der Naturphilosophie. Die grundsätzliche Geschiedenheit der geltenden und Anerkennung verlangenden logischen  2  6 26

»als Tat und Folgerung auf Grund des vorhandenen Bestandes« – Ebd. wie auch der folgende Zitatsplitter. »in Akzenten und Auslese« – Ebd., 78. »der Kantianismus … nicht unschuldig« – Im Zitat eine Auslassung: »… Neukantianismus trotz alles Idealismus und Phänomenalismus, mit dem er uns aus dieser grauenvollen geistigen Einsperrung erretten wollte, nicht unschuldig.« (ebd., 89).

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Gesetze von den psychologischen Kausalgesetzen – das Ergebnis der Husserlschen Untersuchungen – habe den bloßen evolutionistischen Naturalismus »entscheidend und grundsätzlich durchbrochen« (91) – die »erste und grundlegende Befreiung von der Übergewalt des Naturalismus« (92). Dann hilft die Psychologie, die geisteswissenschaftliche, die sich nicht der Lehre vom psychophysischen Parallelismus unterwirft; denn dieser »widerspricht aufs schärfste jeder naiven und lebendigen Erfahrungswirklichkeit und widerspräche tödlich aller Historie«, wie denn auch »kein Historiker, auch der naturwissenschaftsbegeisterte Soziologe nicht, sich in praxi das geringste um ihn gekümmert« habe (93). Nur eine »geläuterte Wechselwirkungslehre« entspreche den Tatsachen der wirklichen Erfahrung, sie sei durch Bergson neu begründet – »damit hat die Historie auch nach dieser Seite hin Luft«, da sie ohnehin auf solche metaphysische Hintergründe wie den verborgenen psychischen Lebenshintergrund, das Problem des Ich und des Unbewußten, führe, so werde Raum gewonnen für die relative Naturunabhängigkeit der Historie, »für das, was man Schöpfung, Neuzeugung, Durchbruch und Aktualisierung geistiger Gehalte nennt«. Endlich die Naturphilosophie! Denknotwendigkeit jenes geschlossenen körperweltlichen oder raumzeitlichen Naturzusammenhanges? »Das psychische Leben, die geistigen und werthaften Schöpfungen in den Molekularbewegungen des Gehirns als einem Bestandteil des geschlossenen Naturzusammenhanges in ein Verhältnis der Zuordnung oder der Epiphänomenalität zu bringen, ist ein nicht bloß praktisch unlösbares, sondern ein theoretisch falsch gestelltes Problem«. »Das genügt für die Historie, um ihr Luft und Möglichkeit zu geben, während sie im übrigen ja eng genug an die Natur gebunden bleibt« (97). Sie »erstreckt sich stark in die irdische Geschichte selbst hinein« (99). Die Prähistorie! Die begrenzte Dauer aller großen Kultursysteme! Die kulturell erfüllte und schöpferische Geschichte vielleicht nur eine kurzdauernde und unvollkommene Blüte an dem Riesenbaum der irdischen Lebewesen? In Wahrheit sind ja in der Geschichte selbst [387] die Zeiten der Blüte, der Harmonie und des Gleichgewichtes der Werte selten, wie die Genies in der Masse – »die Weltgeschichte ist ungeheuer aristokratisch«, »Erwählung, Gnade, Prädestination, Ausle 8 11 18 28

»widerspricht aufs schärfste … tödlich aller Historie« – »… widerspricht nun aufs schärfste …« (ebd., 93). »geläuterte Wechselwirkungslehre« – Ebd., 94; dort auch das folgende Zitat. »für das, was man Schöpfung … nennt« – Ebd., 95. »erstreckt sich stark in die irdische Geschichte selbst hinein« – »Doch sind damit die Schwierigkeiten nicht zu Ende. Sie erwachsen zuletzt noch aus der starken Erstreckung der Natur in die irdische Geschichte selbst hinein.« (ebd., 99).

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se« sind »das Geheimnis und Wesen der Geschichte« (101). »Nur für die ärgsten Flachköpfe« werde Prädestination mit dem naturalistischen Determinismus identisch. Ich finde, daß Tröltsch an diesem letzten Punkte seiner Rettung der Historie unklar wird, wie ich denn auch ihre dualistische Fundierung keineswegs gelten lasse. Freiheit und Zufall sei durch die Prädestination nicht ausgeschlossen, man könne ihr treu oder untreu sein; das sei nicht Pessimismus, sondern Glaube und Heroismus, der Gott keine Vorwürfe mache, daß er sie nicht anders gemacht hat als sie sind (102). »So wird man alles hinnehmen, wie es ist, und aus der gegebenen historischen Situation das Höchste an Kraft und Aufschwung herausholen, das sie jeweils geben kann. Dann wird man aber auch nicht an dem Eigenwesen der Geschichte zweifeln wegen ihrer Kürze und der Seltenheit ihrer Blüten. Ja, wenn der … Gedanke richtig ist, daß im Kosmos im allgemeinen der Rhythmus von Erstarrung und Bewegung, von Tod und Leben herrscht, dann wird man darin nur die Einfügung in die allgemeine Regel des Kosmos sehen.« Ich habe den Eindruck, daß der treffliche Denker hier bejaht, was er eben verneinen will. Er betritt aber diese Brücke, um im sechsten und letzten Abschnitt dieses ersten Kapitels auf das Problem der Bedeutung und des Wesens des Historismus überhaupt zu kommen – d. h. der »grundsätzlichen Historisierung alles unseres Denkens über den Menschen, seine Kultur und seine Werte«. Ihm stehe ebenso prinzipiell und umfassend der Naturalismus gegenüber in dem Sinne, wonach er den die gesamte Wirklichkeit umfassenden Zusammenhang einer von allem Qualitativen und aller unmittelbaren Erfahrung absehenden Vergesetzlichung bedeutet (103). Wir leben in einer Rivalität dieser beiden großen Wissenschaftsschöpfungen der modernen Welt (106, 104). Sie stammen aus der gemeinsamen Wurzel der Bewußtseinsanalyse als des Fundaments der Philosophie; die Abgrenzungen liegen der Naturphilosophie und der Geschichtsphilosophie ob (107). Diese muß den Mut zu einer das historische Material bewältigenden Kultursynthese aufbringen.

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»Nur für die ärgsten Flachköpfe« – »Freiheit und Zufall sind durch diese Prädestinationen nicht ausgeschlossen, da sie ja mit dem naturalistischen Determinismus nur für die ärgsten Flachköpfe identisch wird …« (ebd., 102). »So wird man alles hinnehmen… Kosmos sehen.« – Ebd.; dort auch das folgende Zitat.

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Mit diesen Erwägungen schließt das erste Kapitel, als dessen wichtigstes Ergebnis hingestellt wird, was die Ph. d. Gesch. nicht sein könne, nämlich nicht eine Systematik des Geschichtsverlaufes, weil sie im Realismus der modernen Historie beruhen müsse (111). Was bleibe? die Gewinnung eines Maßstabes, eines Ideals, sie sei naturgemäß teleo[388]logisch – »die Teleologie des seine Vergangenheit zur Zukunft aus dem Moment heraus formenden und gestaltenden Willens« – die »Kultursynthese«, die nun noch oft verheißen wird, die »einzig mögliche philosophische Bewältigung des Historismus« (113). Das Problem der Maßstäbe! Der empirische Historiker könne ihrer nicht entraten: wenn er auch zuerst den immanenten Wert eines historischen Gebildes an sich selber mißt, so müsse er ihn doch auch an einem allgemeinen Wertzusammenhang messen. Und die Maßstäbe muß er doch selber »erst aus der Fülle der historischen Erfahrung und Anschauung« herausholen – »einer der häufigsten und schwierigsten Zirkel unseres Denkens« (117) Tatsache die häufige Zurückwendung auf die Vergangenheit: »Das Maßstabproblem ist aufs engste verknüpft mit dem der Renaissancen, bedeutet neue Betrachtung der Gegenwart aus dem Vergangenen und neue Betrachtung des Vergangenen aus der Gegenwart« (118). Die Geschichtslogik muß aus dem logischen Verständnis der empirisch-historischen Forschung heraus den entscheidenden Punkt des historischen Denkens und Schauens finden, von dem aus es zu den allgemeinen logischen Grundlagen der Lösung des vorliegenden Problems kommen kann. Dieser Punkt ist »zunächst« (119) die Individualität des historischen Gebildes: darin liegt die erste Anwendung der Maßstäbe zur Beurteilung historischer Dinge. »Es ist die Messung jedes Gebildes an seinen eigenen Idealen und Möglichkeiten.« Windelband-Rickert haben  für die empirische Geschichtslogik den Begriff der Individualität am energischsten in den Mittelpunkt gestellt. Darum will der »Überblick über die versuchten Problemlösungen« (Historisch-Individuelles und Allgemeingültiges zu verbinden) zuerst ihren Spuren folgen (120 ff.). Für Rickert gibt es einen Allgemeinbegriff über den individuellen Gegenständen: die Repräsentation unzähliger Einzelvorgänge in einem sie zusammenfassenden Ganzen, als Deutschtum, Antike, Renaissance, oder aber Wirkungszusammenhänge wie der 1870er Krieg, »ja schließlich die ihren Helden als möglichste Einheit begreifende und erklärende Biographie«; immer sind es Individualbe-

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»Es ist die Messung … Idealen und Möglichkeiten.« – Ebd., 119.; dort auch das folgende Zitat. »ja schließlich die … erklärende Biographie« – Ebd., 121.

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griffe – also kommt man nicht auf dem Gebiete der Historie zum Begriffe eines »Seins-Allgemeinen«, *»es muß ein Sinns-Allgemeines sein«* (122)3. Wie ist dies vom Individuellen aus überhaupt zu erreichen? Die Windelband-Rickertsche Theorie läßt uns hier im Stich. Es ist die große Hauptfrage: Auf welche Weise kann das konkret verstandene geschichtliche Leben an Maßstäben seines Sinnes und Wertes gemessen und eine momentane Lage diesen Idealen nach Möglichkeit [389] entgegengeführt werden? Mit dieser Frage befinden wir uns sowohl jenseits des historischen wie des naturwissenschaftlichen Denkens, nämlich »in der Region der normativen Ideen, der Idealbildung, die aus dem selbständigen Gefühl einer *Verpflichtung* unseres Daseins zur Verwirklichung an sich selber gültiger Werte hervorgeht, und deren Anerkennung daher lediglich aus einer Anerkennung dieser *Verpflichtung* selbst begründet werden kann«. »Über diese Verpflichtung selbst zu streiten hat keinen Sinn« (124). – Tröltsch berichtet also über die bedeutendsten Versuche, jene Hauptfrage zu lösen. Kant, die Marburger Schule, Hegel und seine Schule werden als Vertreter der rationalistischen Grundtendenz dargestellt. Hegels Versuch der großartigste: er will der empirischen Forschung eine zugleich an jedem Punkt metaphysische und werthafte Deutung unterbauen und damit den sonst unvermeidlichen Gegensatz von Sinn und Wert, Tatsache und Ideal überwinden. Der Versuch versagt beim Problem des Individuellen, das einen Doppelsinn als in sich selbst wertvoll und als bloßer Durchgangspunkt erhält, und bei dem der Zukunftsgestaltung: prinzipiell ist die Geschichte vollendet, überschaubar, und bewegt auf endgültigem Niveau sich weiter (132). Eine gewisse Erneuerung bezeichnet Eucken mit seinem »Geistesleben«; den schroffsten Gegensatz Schopenhauers Schule mit ihrer antirationalistischen Willens- und Lebensmetaphysik, die auch in Simmel und Bergson nachwirkt (136–141). Ganz anders verhält sich der anglo-französische Positivismus (142), der vor allem auf praktische Lösung der »modernen Krisis der Werte« hinarbeitet, daher grundsätzlich und beinahe restlos die Wertlehre auf Erfahrung und Geschichte begründet und sie auf die gegenwärtige Kultursynthese zuspitzt. Aber sie »kennt den romantischen Begriff der Individualität nicht« oder »verwirft ihn als Mystik und Wunder«. Die Wertgesetze werden als Naturgesetze vorgestellt. »Die Entwicklung zum Pazifismus und Industrialismus oder zur Demokratie und Menschheitsorganisation oder zu einer rational-wis3

Zitierte Stellen, die im Druck hervorgehoben werden, während sie im Original nicht gesperrt sind, schließe ich in Asterisken ein.

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»kennt den romantischen Begriff der Individualität nicht« – Ebd., 142; dort auch der folgende Zitatsplitter.

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senschaftlichen Völker- und Menschheitshygiene oder zum größten Glück der größten Zahl oder zum planmäßig die Schäden der modernen Naturausbeutung heilenden Weltsozialismus oder zur Auslese der Angepaßtesten und der freien Konkurrenz des Manchestertums: das erscheint dann als Wesen dieser Naturgesetze.« In diesem Zusammenhange werden noch Kidd, Wells, Guyau (»die feinste, zarteste und edelste Blüte des Positivismus«) kritisiert, und endlich als »die letzte und praktisch bedeutsamste Form der positivistisch-soziologischen Geschichtstheorie« der Marxismus, – das Wertsystem gehe auch in ihm nicht aus Geschichte und Entwicklung, sondern [390] aus subjektivem Glauben und Enthusiasmus hervor; es habe keine Begründung als die der Selbstverständlichkeit und der Entsprechung zu der bestimmten historischen Lage einer gedrückten und unter den Verhältnissen leidenden Klasse (149). Mithin »schweben alle diese Maßstäbe völlig in der Luft«, sind »Mischungen aus Überlieferungen, Utopien, Trivialitäten und jeweiliger Zeit- und Klassenforderungen bestimmter Lagen«. Eine besondere Betrachtung kehrt dann nochmals zu Rickert zurück: dieser Philosoph unterscheide materiale Kulturgüter als bloß historische und abstrakte formale Kulturwerte oder Geltungen als überhistorische; diese »haften« an jenen: dieser »ganz seltsame Begriff«, meint Tröltsch, zerhaue den gordischen Knoten der Historie (153). »Es ist, wie wenn alles vergessen wäre, was Rickert über die empirische historische Forschung gelehrt hat.« Die Feinheiten dieses Wertsystems werden eingehend dargestellt, Tröltsch leugnet aber, daß von ihm aus historische Formung und Auslese, Organisation der historischen Sinntotalitäten, die letzte Objektivierung der historischen Individuen – was alles zu leisten es doch bestimmt war – möglich sei (155). Folgerichtig kommen nur »die historischen Bestandteile der systematischen Geisteswissenschaften zustande«. Die Geschichte wird zum Bilderbuch der Ethik, der Maßstab ist wiederum nicht ein aus der Geschichte selbst herausgewachsener; das Problem, aus dem Historischen heraus die gegenwärtige Kultursynthese zu schaffen,  5  7  8 14 19 23 28

»Die Entwicklung zum Pazifismus … Wesen dieser Naturgesetze.« – Ebd., 142 f. »die feinste, zarteste und edelste Blüte des Positivismus« – Ebd., 147. »die letzte und praktisch … Geschichtstheorie« – Ebd., 149; Anpassung an Tönnies’ Sprachfluss. »schweben alle diese Maßstäbe völlig in der Luft« – »Die Maßstäbe schweben völlig in der Luft …« (ebd., 150); dort auch das folgende Zitat. »haften« – Ebd., 152. »Es ist, wie wenn alles vergessen … Forschung gelehrt hat.« – Ebd., 154. »die historischen Bestandteile … zustande« – »So kommen aber überhaupt keine Geschichte und Darstellung zustande, sondern nur die historischen Bestandteile der systematischen Geisteswissenschaften.« (ebd., 155).

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entfällt völlig (156 f.). Ein irrationales Element bleibt: daß die Philosophie selber in den Begriff des Entwicklungsstromes gefügt wird, worin Tatsächliches und Ideales (der »Fortschrittsprozeß«) einmal zusammentreffen. Bei Windelband und bei Rickerts Schülern  finden sich die Schwierigkeiten nicht gemildert, die Dunkelheiten nicht erhellt. Max Weber, »der größte unter den Gesinnungsgenossen Rickerts«, schaltet das bei den anderen »sehr wenig geklärte Irrationale« einfach aus. Für ihn gibt es nur einen »Wertgott«: nationale Kraft und Größe, als unbeweisbarer, nur durch Entschluß und Willen zu schaffender, in dessen Dienst die umfassendste und sorgfältigste Geschichtserkenntnis tritt: »die Verzweiflungslösung eines heroischen, aus der Rickertschen Geschichtslogik berichtigten Positivismus« (161). Die Maßstäbe der praktischen Historiker sind im allgemeinen von den Grundrichtungen der Zeit, der Parteien und Kulturgruppen abhängig (163). Muß also – so hebt der dritte Abschnitt des Kapitels an, der den Begriff der gegenwärtigen Kultursynthese in seinem Verhältnis zum Historisch-Individuellen und zum Ethisch-Allgemeinen behandelt – der ganze Gedanke solcher Maßstäbe aufgegeben werden? Auf ihre Allgemeingültigkeit muß allerdings verzichtet werden (166). Alle Maßstabbildung gegenüber [391] historischen Dingen entspringt aus dem eigenen Lebenszusammenhang, ist dessen Kritik und Weiterbildung zugleich (169). »Von Beurteilungsmaßstäben kann also zunächst überhaupt nur für den Geschichtszusammenhang der Gegenwart die Rede sein, d. h. für die letzten zwei oder allenfalls fünf Jahrhunderte der abendländischen Geschichte« (171). Es gibt aber »Maßstäbe zweiten Grades«: eine immanente Kritik »fremden« Totalitäten historischen Geschehens gegenüber, wo die Rücksicht auf Zukunft und Weiterbildung nicht, sondern nur die Konstruktion allgemeinster historischer Begriffe, worin das »Wesen« einer Epoche auszusprechen ist, in Frage kommt. Allerdings bleibt dann der »fremde Geist« mit dem des eigenen Zusammenhanges zu vergleichen und an ihm zu messen (172). Daraus gestaltet sich der historische Entwicklungsbegriff in seinem zwiefachen Sinne, nämlich außer den Einzelentwicklungen im Sinne eines universalen Entwicklungsbegriffs – eine Synthese, die wie die Bildung der Maßstäbe selber Sache des Glaubens sei (175), Sache intuitiven Denkens, aber eines wissenschaftlich geschulten. Einer doppelten Beurteilung unterliegen also die fremden und vergangenen Kulturen, auch die vergangenen Strecken unseres eigenen Kulturkrei 6 15 28

»der größte unter den Gesinnungsgenossen Rickerts« – Ebd., 160; wie auch der folgende Zitatsplitter. so hebt der dritte Abschnitt des Kapitels an – Vgl. ebd., 164. »Wesen« – Bis hier ebd., 171.

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ses (177). Die gegenwärtige Kultursynthese schöpft das eigene neue Leben gerade aus treuestem und genauestem Sachverständnis des Fremden – moderner Realismus und Wahrheitssinn gegen romantischen Mythenkult. »Die moderne Wirt­­schafts­­geschichte und die Soziologie lehren uns unser eigenes Dasein neu und richtiger sehen« (178). »Nur durch einen entscheidenden Sprung« gelangen wir in eigener Entscheidung und Verantwortung aus der Vergangenheit in die Zukunft. »Damit ist der innere Gegensatz zwischen historisch-empirischer Forschung und kulturphilosophischer Idealbildung überwunden. Beide bleiben völlig selbständig nebeneinander, aber sie heben sich nicht gegenseitig auf« (179). Der vierte Abschnitt will die Apriorität und Objektivität einer solchen Kultursynthese retten. Jene bedeute eine nicht weiter ableitbare spontane Kraft des Geistes – eine einfache Tatsache des Lebens, »sie anzuerkennen ist ein Entschluß des Willens«. Die Objektivität ist in zwei Momenten begründet: Versenkung in die Tatsachen, Herausbildung von Idealen unseres eigenen Kulturkreises aus dem tatsächlichen Leben: »Jedes Ergreifen ist ein Hervorbringen, das sich als Gehorsam gegen den Genius der Geschichte weiß« (181). Es kann echte und wahre Gültigkeit geben, die nicht zeitlos und unveränderlich-ewige ist (183). Aus der inneren Beweglichkeit und Wandlung »Gottes selber« wird auch die Wandlung und Beweglichkeit der Wahrheit und des Ideals verständlich (184). »Ohne Wagnis, ohne Fehlgriff, ohne Martyrium gibt es kein Ergreifen von Wahrheiten und Werten« (185) – Rechtfertigung aus dem Glauben! [392] So werden wir frei von der Zuschneidung aller kulturphilosophischen Maßstäbe auf den Begriff der »Menschheit« (186),  frei von den Täuschungen des üblichen Fortschritts- und des als Fortschritt verstandenen Entwicklungsbegriffs (188); frei »von jenem erstickenden Übermaß der Vergleichung in der Historie« (190); so endlich frei »zur Antwort auf die drängenden praktischen Lebensfragen unseres abendländischen Kulturkreises selbst, die aus der Auflösung der christlich-kirchlichen Kultur seit dem 18. Jahrhundert für uns entsprungen sind und unter denen die religiöse Frage in letzter Linie entscheidend ist« (192). Wo bleibt aber bei alledem »die große Idee der

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»Nur durch einen entscheidenden Sprung« – Bei Troeltsch abweichend. »Es ist, wie es Kierkegaard gegen die pantheistischen Versenkungen des Einzelnen und Individuellen, des Momentanen und Verantwortlichen, in ein allgemeines Seinsgesetz oder eine allgemeine Seinsfülle mit immer neuer Schärfe behauptete, der entscheidende Sprung, durch den wir in eigener Entscheidung und Verantwortung aus der Vergangenheit in die Zukunft gelangen.« (ebd., 178) – »Aber der Sprung bleibt das Entscheidende …« (ebd., 179). »sie anzuerkennen ist ein Entschluß des Willens« – Ebd.

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Humanität«?, tatsächlich der Begriff eines Kulturideals oder einer Kultursynthese; aber erstens kein einheitliches Gebilde (194), zweitens Bestandteil einer ganz bestimmten individuellen europäischen Geschichtslage »und in keiner Weise ein rationales und universales Prinzip« (195), drittens, sofern es dies zu sein scheint, sind es die moralischen Maßstäbe, die innerhalb der Humanität einen besonderen Bestandteil eigener Art bilden (196 ff.). Das Moralische ist aber »nicht Wesen und Maßstab der kulturellen historischen Bildungen, sondern nur eine ihrer Kräfte und Bedingungen, die neben anderen immer im Auge behalten werden muß« (198). – Von diesen Voraussetzungen aus wird im letzten Abschnitt (5) dieses Kapitels noch die Wertlehre (»Axiologie«) erörtert. Aus den tatsächlichen Wertungen und Gestaltungen müssen die Beurteilungs- und Gestellungsnormen »herausgeholt werden« (202), was nur durch eine umfassende Phänomenologie geschehen kann. »Die darin zu vollziehende Ineinssetzung aller Werte hat die Bedeutung, das Lebewesen als ein grundsätzlich nicht betrachtendes und abspiegelndes, sondern als ein praktisch handelndes, auswählendes, kämpfendes und strebendes zu zeigen, bei dem alle bloße Intellektualität und alle bloße Betrachtung letztlich im Dienste des Lebens … steht« (203). Die Analyse der praktischen Werte, die sie in bloß animalische Lebenswerte und in die geistig-persönlichen gliedert, und diese wiederum spaltet in die Folgerungen aus der formalen Gesolltheit (das Moralische im engeren Sinne) und die kulturellen Sachinhalte (die Kulturgüter) – diese Analyse hat »natürlich wie überall« zum Endziel »die Synthese zu einem Aufbau und System der Werte«, die notwendig in metaphysische Hintergründe  führt (203). Die Problemstellung selber ist auf die Cartesianische Wendung zur Bewußtseinsphilosophie zurückzuführen, die im Gegensatz zur antiken und mittelalterlichen Philosophie das moderne Denken beherrscht (205 ff.); darin beruht der »grundsätzliche Subjektivismus« – bei diesem Charakter wird »das einzige Mittel zur Unterscheidung der objektiven gesollten Werte oder der ethischen Kulturwerte von den animalischen [393] und sinnlichen Lebens- und Nutzwerten die Allgemeinheit der Wertungen, bei den einen die empirische und tatsächliche Allgemeinheit, bei den anderen die ideelle und anzuerkennende Allgemeingültigkeit (207 f.) – womit der Begriff des Individuellen so gut wie ausgemerzt ist, wozu der Weg auch in den heutigen phänomenologi 1 19 33

»die große Idee der Humanität« – Ebd., 193; »Humanität« bei Troeltsch hervorgehoben. »Die darin zu vollziehende Ineinssetzung … steht« – »Nur die Hauptsache ist hervorzuheben, daß diese ganze Ineinssetzung aller Werte …« (ebd., 202 f.). die Allgemeinheit der Wertungen – Bei Troeltsch nicht hervorgehoben.

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schen Betrachtungen noch nicht gefunden ist, so daß in diesem Kernpunkt die moderne Wertlehre der Reform bedarf (208). Den Ausgangspunkt, das sogenannte Ich, muß man nicht mehr als etwas Isoliertes und Leeres, sondern als virtuell und jeweils in sehr verschiedenem Umfang das Allbewußtsein in sich befassend oder umgekehrt, dieses als das Ich in sich schließend betrachten (209) – »erst so kann der eigentliche Sinn der Individualität begriffen werden« (210), der gleich grundsätzlicher Wertrelativität, und diese bedeutet »das stets bewegliche und neuschöpferische, darum nie zeitlos und universal zu bestimmende Ineinander des Faktischen und des Seinsollenden« (211). Sie »setzt voraus einen Lebensprozeß des Absoluten, in welchem dieses selber von jedem Punkte aus in der diesem Punkte entsprechenden Weise ergriffen und gestaltet werden kann« (212); mag auch »dieser Zusammenhang mit dem Absoluten ein Mythus sein«. Hier wird auf Goethe und auf Kierkegaard hingewiesen (214): der handelnde Mensch und die von ihm berichtende Historie sei ohne den Begriff der Wertrelativität gar nicht zu verstehen. Es liege auf der Hand, daß diese historische Wertrelativität eine gewisse Analogie habe zur physikalischen Relativitätslehre (219).

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Man erwartet nun, daß das System der Werte, also der Wertrelativitäten in des Verfassers Sinne vorgeführt werde. In Wirklichkeit handelt aber das umfangreiche dritte Kapitel (221–693) »über den historischen Entwicklungsbegriff und die Universalgeschichte«, das vierte und letzte Kapitel »über den Aufbau der europäischen Kulturgeschichte« – das eine fast ausschließlich kritisch, das andere allerdings systematisch. Und zwar trägt jenes offene Spuren der Ähnlichkeit mit dem Gegenstande des zweiten Kapitels, wenn es auch unter einen neuen Gesichtspunkt gebracht ist. Wieder wird von der Rickertschen Theorie ausgegangen – in Wahrheit zum dritten Male: denn auch das erste Kapitel knüpfte an die

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»erst so kann der eigentliche Sinn der Individualität begriffen werden« – »Vor allem aber kann auch erst so der eigentliche Sinn der Individualität begriffen werden …« (ebd., 210). »dieser Zusammenhang mit dem Absoluten ein Mythus sein« – »Dieser Zusammenhang mit dem Absoluten mag ein Mythos sein …« (ebd., 212). physikalischen Relativitätslehre – Troeltsch verweist auf die Relativitätstheorie Einsteins.

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»formale Geschichtslogik« und damit an Windelband-Rickert an. Jetzt wird wiederholt (235), daß in bezug auf »Wesen und Bedeutung des Entwicklungsbegriffs« Rickerts Geschichtslogik »in besonderem Maße« versage gegenüber demjenigen, was ein historisches Denken  fordere. Dem »Mangel jedes dynamischen [395] Entwicklungsbegriffs« (239) gegenüber sei die Hegelsche Dialektik die erste große Theorie der historischen Dynamik (241) »und bis heute der Mittelpunkt« aller Fragen, wie man aus den Entwicklungstendenzen der Vergangenheit die Gegenwart und Zukunft erfassen könne (242). Ihr wird daher der lange zweite Abschnitt dieses Kapitels gewidmet, an den sich vier andere anknüpfen, die alle mit anderen Versuchen, solche Dynamik zu begreifen, sich beschäftigen. Zum guten Teile werden dieselben Autoren hier wieder vorgeführt, die wir aus dem ersten Kapitel kennen: Marx und Marxisten, Comte, Spencer und Positivisten, Schopenhauer und Kierkegaard, Eucken, Max Weber, die Marburger Kantschule, Simmel, Bergson u. a., ohne daß je eines dieser verschiedenen Theoreme mit dem  früheren Aspekt, unter dem sie vorgeführt wurden, in organische Verbindung gebracht wäre, und so, daß das  früher so stark betonte »Hauptproblem« der materialen Ph. d. Gesch. dabei in den Hintergrund fällt. Wenn ich nicht irre, so tritt hier zutage, daß das Buch, so wie es ist, nicht aus einem Plane entworfen ist: seine Entstehung würde uns, wenn wir sie genau kennten, die Entwicklung der Gedanken des Verfassers über Ph. d. Gesch. deutlicher machen, als die Folge der Kapitel es vermag. Er selber teilt in seinem Vorwort uns mit, daß er im Jahre 1913 die Sammlung seiner Arbeiten zur Entstehungsgeschichte des modernen Geistes in Aussicht gestellt habe; je mehr er aber diese (sie waren also schon vorhanden) neu zu bearbeiten und zum Ganzen zu vereinigen suchte, um so deutlicher sei ihm geworden, daß das kein rein historisches Thema sei und sein könne, sondern stets einen Gedanken von dem wahrscheinlichen oder erstrebenswerten Fortgang einschließe. Daher sei jene Sammlung verschoben, und der vorliegende Band bestehe aus lauter neuen Arbeiten, die nur stückweise zuvor veröffentlicht waren. Alle seien mehr oder minder stark verändert. Dies will sagen: alles, was vor dem Ende des Weltkrieges gedacht und geschrieben wurde, ist nach dessen Ende redigiert, ergänzt, erweitert worden. Die Gedanken eines so ausgezeichneten Philosophen wären wohl wert, in dem Sinne philologisch untersucht zu werden, daß man die Frage stellte, wie das Jahr 1918 auf sie gewirkt

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erste Kapitel knüpfte an die »formale Geschichtslogik« – Vgl. ebd., 26. teilt in seinem Vorwort uns mit – Ebd., VII. (sie waren also schon vorhanden) – In A in eckigen Klammern.

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habe. Der gegenwärtige Berichterstatter erachtet nicht für seine Aufgabe, diese Untersuchung anzustellen. Aber er hält für wahrscheinlich, daß Tröltsch des Systems der Werte, das er der Geschichte entgegensetzen wollte, vor 1918 sich sicherer gefühlt hat als nachher, und daß er über die Entwicklung selber und ihre Phasen, also über den Aufbau der europäischen Kulturgeschichte und über die bisherigen Versuche, ihn zu deuten und zu gestalten, neue Ansichten gewonnen hat unter dem Eindruck der ungeheueren Katastrophe und ihrer besonderen [395] Wirkungen auf das Deutsche Reich und dessen Schicksal. Diese Wahrscheinlichkeit zu begründen, muß er an dieser Stelle sich versagen. Indessen glaubt er, um Tröltsch’ Bemühung um die Ph. d. Gesch. zu würdigen, über dies andere kritische und über das konstruktive (vierte) Kapitel verhältnismäßig kurz hinweggehen zu sollen. Denn der Kern seines Denkens, die Untersuchung seines »Hauptproblems« ist darin nicht enthalten. Von der »Kultursynthese« ist in ihnen nur mittelbar die Rede. Bedeutend und anregend sind diese Studien über Hegel, Ranke, die deutsche historische Schule und ihre »Organologie« allerdings (Abschnitt 2 und 3). Natürlich kommt darin die Romantik und Adam Müller, aber auch der große Philologe Niebuhr zu gehöriger Geltung. Diese besonderen deutschen Erscheinungen werden trefflich gewürdigt. Sie haben eine starke allgemeine, aber nur schwache philosophische Bedeutung. Schopenhauer, Nietzsche, Burckhardt kommen dafür schon mehr in Betracht. Dann aber folgt der Abschnitt (4): »Die marxistische Dialektik«. »Sie ist insbesondere wieder der Drang zu einer allgemeinen universalgeschichtlichen Entwicklungsidee und zu einer darauf begründeten normativen Kultursynthese der Gegenwart und Zukunft, während die Organologie dazu teils den Mut, teils das Bedürfnis verloren hatte oder gar die moderne Welt gern nur als Abfall und flachen Rationalismus behandelt hatte« (315). Tröltsch wendet sich sogleich mit scharfer Kritik gegen die Versuche von Anhängern und Gegnern, die Dialektik durch eine mechanistische Kausalitätstheorie zu ersetzen oder »den in der Dialektik verbundenen Zusammenhang von Sein, Bewegung und Ziel« (315) zu lösen und sogar neben die Kausalität der Geschichte eine Kantische Richtung auf den ethischen Endzweck zu setzen. Der stärkste wissenschaftliche Gehalt und die eigentliche gedankliche Kraft sei damit zerbrochen oder zersplittert (316). Tröltsch stellt die Marxische Fassung der Dialektik als »echtes Produkt des Zerfalles der Hegelschen Schule« (317) und somit diesen Zerfall selber dar. »Von dem Materialismus muß und kann … zunächst abgesehen werden, wenn man die Hauptsache 12

über dies andere – A: über dieses andere.

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richtig verstehen will. Es handelt sich im Grunde für Feuerbach wie für Marx um realistische Dialektik, nicht um Materialismus« (321). »Auch die Herleitung der ideologisch-geistigen Welt aus sinnlich-konkreten Bedürfnissen und Gruppierungen der Interessen, die starke Betonung der ökonomisch-sozialen Unterlagen und Voraussetzungen ist an sich kein Materialismus, sondern nur eine sehr einseitige und ausschließlich realistische Erklärung, die aber den durch diese Interessen in Bewegung gesetzten Geist und Willen selbst nicht aus Materie erklärt« (325). [396] »Nichts springt … einem Betrachter, der den grundsätzlichen Unterschied zwischen mechanistisch-psychologistischer Kausalität und Reihenbildung einerseits und dialektisch-intuitiver Zusammenfassung realer Gegensätze in einheitlichen Entwicklungstendenzen andererseits erfaßt hat, so sehr entgegen als die grundsätzlich dialektische Haltung beider, die ja auch bei den besten Köpfen der sozialistischen Literatur sich als Fähigkeit zur Zusammenschau großer Entwicklungen behauptet hat« (327). Für die hinreißende Leistungsfähigkeit der Dialektik verweist unser Autor hauptsächlich auf das »Manifest« als »die erste große Gesamtdarstellung des universal-historischen Prozesses« (328), was doch eine offenbare Überbewertung ist. Dann aber setzt eine scharfe Kritik dieser Neu-Dialektik ein (332), und die Abweichungen von Hegel werden in vier Punkten eingehend erörtert. Wir werden in die Streitfragen über den Marxismus tief hineingeführt. Die geschichtswissenschaftlichen Wirkungen der marxistischen Dialektik »in größerem Stil« findet Tröltsch nur bei Werken ohne die sozialistisch-praktische Tendenz und ohne die dogmatische Bindung der Revolutionspartei (361). Er charakterisiert diese Werke ausführlich, wie fern sie abweichen und doch Charakterzüge tragen, die aus dem Marxismus stammen. Er bespricht dann zuerst mich als »der Dialektik und damit der Universalgeschichte am nächsten stehend« (362), ferner Plenge, Bücher, Sombart, Max Weber; erinnert aber auch an Historiker wie Beloch, Pöhlmann, ja Delbrück. Ich überlasse anderen Kritikern, diese Wirkungen des Marxischen Denkens außerhalb seiner Parteikreise zu beurteilen, bemerke aber, daß meine eigenen Grundgedanken unabhängig davon entstanden sind; daß ich sie erst nachher damit verbunden habe. Der Entwicklungsgedanke wird 18

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»die erste große Gesamtdarstellung des … Prozesses« – »Hinreißend tritt diese Leistungsfähigkeit der Dialektik jeden falls sofort schon in der ersten großen Gesamtdarstellung des universalhistorischen Prozesses zutage, die die beiden Denker in ihrem feurigen Jugendwerke … gaben …« (ebd., 328 f., sich auf Anonym 1848 beziehend). »in größerem Stil« – Ebd., 360. »der Dialektik … am nächsten stehend« – Tönnies zitiert recht frei: »Der Dialektik und damit der Universalgeschichte am nächsten steht Tönnies …« (ebd., 362).

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weiter verfolgt im Positivismus (5), im historischen Realismus (6) und im »nachspekulativen Realismus« (7). Wenn es auffallen muß, daß der sechste Abschnitt in vier Stücken: A. die deutschen Metaphysiker der Jahrhundertmitte (außer Lotze auch v. Hartmann und Eucken, die Mitte muß also sehr breit verstanden werden), B. die psychologisierenden Lebensphilosophen, C. die apriorisierenden Formdenker, D. positivistischneuromantische Metaphysik in Italien und Frankreich behandelt, da man meinen möchte, jene Entwicklungsidee habe gerade mit Metaphysik nichts zu schaffen – so muß man verstehen, daß hier nur »Berührungspunkte« der Philosophie mit der Historie gesucht werden (466), die unser Verfasser vor allem in der empirischen Psychologie als der »Erbin der zusammengebrochenen Systeme« (467)  findet, die aber in neukantischen Logizismus oder in Erkenntnistheorie umschlage (467) – jene aber habe sich ihrer feindlichen Schwester für die Bildung des Entwicklungsgedankens [397] überlegen erwiesen, und innerhalb der Psychologie wieder die verstehende und einfühlende der experimentellen, allgemeingesetzlichen und kausalgenetischen Tendenz (469); auch Hegels Phänomenologie des Geistes habe sich in das »fabelhafte moderne Vermögen der Einfühlung und psychologischen Nachkonstruktion« übersetzt, das mehr als etwas anderes in seiner Spannweite, Universalität und Biegsamkeit den modernen Geist charakterisiere. – Ergebnis? die Philosophie wurde wieder Geistesphilosophie (470), die Historie »ist sich ihrer methodischen Eigentümlichkeit gegenüber den Naturwissenschaften  freudiger und lebhafter bewußt« geworden, »verfeinert ihre Kunst des psychologischen Verstehens, breitet den Kreis des historischen  1  1

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im Positivismus (5) – »5. Die historische Dynamik des Positivismus« (ebd., 371 ff.). im historischen Realismus (6) – »Die Entwicklungsidee des historischen Realismus und die Versuche zu ihrer Deutung und Bestimmung in der modernen Geistes- und Lebensphilosophie« (ebd., 464 ff.). im »nachspekulativen Realismus« (7) – »7. Die Historiker des nachspekulativen Realismus« (ebd., 649 ff.). A. die deutschen Metaphysiker der Jahrhundertmitte – Ebd., 472 ff. B. die psychologisierenden Lebensphilosophen – Ebd., 493 ff. C. die apriorisierenden Formdenker – Ebd., 530 ff. D. positivistisch-neuromantische Metaphysik in Italien und Frankreich – Ebd., 617 ff. Phänomenologie des Geistes – Hegel 1807. »fabelhafte moderne Vermögen … Nachkonstruktion« übersetzt – Tönnies verkürzt Troeltschs Argument: »Hegels ›Phänomenologie des Geistes‹ verwandelte sich in empirische, beschreibende und verstehende Psychologie, und die letztere näherte sich dem Problem der ersteren in dem Maße an, als die ›verstehende‹ Psychologie von der genetischen Kausalerklärung sich unabhängig machte und jenes fabelhafte moderne Vermögen der Einfühlung und psychologischen Nachkonstruktion entwickelte, das … mehr als irgend etwas anderes den modernen Geist charakterisiert.« (ebd., 469).

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Lebens über eine immer breitere Wertwelt aus und ist immer eifriger dem Verständnis des Werdens zugewandt« (471); überdies »neue Durchblicke durch den universalhistorischen Prozeß, die der Krisis des europäischen Geistes vom Ende des Jahrhunderts entsprechen«. Den Philosophen aber falle »ganz natürlich« in der Überlegung der Methodik und in den Entwürfen der Universalgeschichte die Führung zu (649). »Die Historiker selbst dagegen haben sich mit den philosophischen Elementen und Bedeutungen ihrer Wissenschaft in dem Maße immer weniger beschäftigt, je mehr sie auf der Grundlage jenes Realismus (der immer realistischer gewordenen historisch-empirischen Forschung) ihre Methode immer selbständiger auf eigene Füße stellten« (650). Der Hauptcharakterzug aber des historischen Realismus ist »das Versiegen der Universalgeschichte bei allem verbleibenden Trieb zu ihr« (652). Ursache neben anderen »vor allem die Erschütterungen der Wertideen, der Idee eines religiösen oder ethischen Gesamtziels, die ganze Auflösung der europäischen Humanitätsidee« (654). »Die Beziehungen zwischen Geschichte und gegenwärtiger Kultursynthese sind gelockert, und dadurch entfällt das Bezugs- und Achsensystem, um das das historische Material in seinem weitesten Umfang sicher geordnet werden könnte« (655). Und doch hat der historische Entwicklungsbegriff »eine universale und philosophische Bedeutung, die immer wieder aus ihm hervorbrechen muß« (656). Dies soll im achten Abschnitt durch eine rein logische Untersuchung, die jenen Begriff »vereinzelt und für sich« betrifft, sich ergeben. Hier wird natürlich vorzugsweise das Verhältnis zur Biologie erörtert (663 ff.) – in verneinendem Sinne, wenn auch die Möglichkeit, die historische Entwicklung in eine kosmische einzureihen, an sich gar nicht bestritten werden soll (667), es ergebe sich aber nichts daraus für die Logik des historischen Entwicklungsbegriffes. Wie verhält sich dazu die Praxis der Historiker selbst? (669) Irgendwelcher philosophischer Untergrund kommt auch bei ihnen immer zum Vorschein (670). Der historische Entwicklungsbegriff von ganz besonderer [398] Art: dies das einzige sichere Ergebnis. Hauptfrage: Ob in den logischen Mitteln der wirkliche Zusammenhang erfaßt und erschaut werden kann? ein Prob-

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»neue Durchblicke … des Jahrhunderts entsprechen« – Ebd., 470. »Die Historiker selbst … auf eigene Füße stellten« – Der Einschub in Klammern von Tönnies, er zit. ebd., 650. – Einschub in A in eckigen Klammern. »vor allem die Erschütterungen … Humanitätsidee« – »Vor allem aber sind die Erschütterungen …«, ab dann unverändert (ebd., 654). (655) – Recte: (654 f.). im achten Abschnitt – »Historie und Erkenntnistheorie« (ebd., 656 ff.). »vereinzelt und für sich« – Ebd., 656.

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lem, das nur von der Erkenntnistheorie aus sich entscheiden läßt (672 f.). Erkenntnistheorie und Logik seien reinlich zu scheiden, die neukantische Lehre von der Erzeugung des Gegenstandes erst und nur durch das Denken, sei zu verwerfen. Dagegen die in Leibniz zentrierende »Deutung des endlichen Ich aus dem in ihm erschaubar werdenden und rekonstruierbaren absoluten Ich oder der Gottheit« (677) zu betonen, die von so großer Bedeutung  für den Entwicklungsbegriff der Geschichte sei, weil die Erkenntnis des Fremdseelischen die eigentliche Erkenntnistheorie der Geschichte, und weil darauf »die Möglichkeiten und Schwierigkeiten gemeinsamen Denkens, Philosophierens und Handelns überhaupt beruhen« (679). »Das Fremdseelische kann nur erkannt werden, weil wir es vermöge unserer Identität mit dem Allbewußtsein anschaulich in uns selber tragen und es verstehen und empfinden können wie unser eigenes Leben, indem wir es doch zugleich als ein fremdes, einer eigenen Monade angehöriges empfinden« (684). Aber: es gibt keine unmittelbare Intuition; sie bleibt an sinnliche Vermittlungen gebunden. Auch ist nach Begabung und Art »der Schauenden« das Ergebnis sehr verschieden. »Aber in dem Geschauten sind die logischen Zusammenhänge, Kontinuierlichkeiten und Konstruktionen mitgeschaut und mitenthalten« (685). »Wie man nun von hier aus die Individualität in ihrem historisch letzten Sinne verstehen kann, so kann man auch erst von hier aus den historischen Entwicklungsbegriff bestimmen« (687). Für die praktische Ausgestaltung dieses Begriffs ergibt sich, daß er »zunächst nur auf geschlossene anschaulich und real-kausal zusammenhängende, in der Zeit bereits vollendete Geschehensgruppen« angewandt werden kann. Einzelentwicklungskreise, die aber »naturgemäß zu Verbindungen und Reihen drängen« (688) … So kommt es zur Universalgeschichte »die allerdings die natürliche Vollendung und Krone der Historie, die zusammenfassende Leistung des Entwicklungsbegriffs ist« (689). Aber dieses Ganze ist nicht übersehbar, die Zukunft ist unbekannt, in die Einheit eines Sinnes nicht einbeziehbar. Es ging wohl, Universalgeschichte zu machen, solange man meinte, sie aus völlig idealen oder abstrakten Zielen ethischer oder religiöser Art konstruieren zu dürfen, weil man allgemeine geschichtlose Wahrheiten und Ziele besaß, wie im jüdischen Messianismus, der christlichen Erlösungslehre, dem stoischen Naturrecht (689), auch dem modernen profanen Naturrecht und natürlichen System, das als Ziel und Triebkraft des Fortschritts konstruiert wurde 22 27

»Wie man nun von hier … Entwicklungsbegriff bestimmen« – Übertragungsfehler: »Wie man nur von hier aus …« (ebd., 687). »naturgemäß zu Verbindungen und Reihen drängen« – »Aber naturgemäß drängen die Einzelkreise zu Verbindungen und Reihen …« (ebd., 688).

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(690). »Der universalgeschichtlichen Entwicklung ist Sinneinheit und Sinnbeziehung unentbehrlich« (692), die aus rein historischer Kon[399] templation nicht zu finden ist. Darum führt unseren Denker die Betrachtung am Schlüsse dieses Kapitels zurück auf die Korrelation zwischen der Universalgeschichte, die organisiert sei von der Idee einer gegenwärtigen Kultursynthese, und dieser Kultursynthese selber, die »herausgeholt« sei aus dem Entwicklungstrieb unseres geschichtlichen Lebenszusammenhanges. Dies die Idee einer Ph. d. Gesch., wie Tröltsch sie schaffen wollte.

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Hier also stehen wir der großen Lücke gegenüber, von der diese Abhandlung ausgegangen ist. Aber es fehlen doch nicht die Entwürfe und Anfänge zu dem Bau, den Tröltsch ausführen wollte. Da ist zuerst das vierte und letzte Kapitel dieses Bandes. Verf. weist in der Vorrede hin auf den ebenso überschriebenen (»Der Aufbau der europäischen Kulturgeschichte«) Beitrag zu Schmollers Jahrbuch XLIV, 3, wo er an der Spitze des Heftes stand. In der Tat kehrt ein erheblicher Teil davon in dem Buche wieder. Aber das vierte Kapitel hat hier 78, die Studie des Jahrbuchs nur 48 Seiten. Nun hat es damit folgende Bewandtnis: Diese gibt einen Vortrag wieder, den Tröltsch im Mai 1918 gehalten hatte. Hier liegt also deutlich der Fall vor, auf den oben hingewiesen wurde4. Ich muß aber bemerken, daß das ganze Kapitel sich nicht organisch an den übrigen Inhalt des Buches anschließt; es ist nur äußerlich damit verbunden. Seinem Sinne nach war das Buch mit dem dritten großen Kapitel zu Ende, abgesehen davon, daß auch dieses im Plane des ganzen Werkes nicht scharf von dem zweiten unterschieden ist, das gleichfalls mit bisherigen Tendenzen der Ph. d. Gesch. zu tun hat. So handelt 4

Indessen ist doch schon der Vortrag in einigem Maße überarbeitet worden, besonders S. 17 durch die Ausführung über die Revolution und was vor ihr war.

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Schmollers Jahrbuch XLIV, 3 – Troeltsch 1920. – Das Kapitel in Troeltsch 1922: 694– 772: »Ueber den Aufbau der europäischen Kulturgeschichte«, der Verweis im Vorwort ebd., IX. – A: Beitrag zu diesem Jahrbuch. Aber das vierte Kapitel – A: Aber dies vierte Kapitel. im Mai 1918 gehalten hatte – So eine Fußnote zum Titel (Troeltsch 1920: 633). oben hingewiesen – Vgl. S. 524 f.

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es sich zunächst darum, jenem vierten Kapitel eine Anknüpfung zu schaffen. Das geschieht also im ersten Abschnitt, von dem nichts im Vortrage steht: »Entwicklung und Aufbau«. Die beiden Hauptthemata (Kultursynthese und Universalgeschichte) stehen im Verhältnis gegenseitiger Bestimmung und gegenseitiger Abhängigkeit, also im »Zirkelverhältnis« (694). Ihnen geht aber ein gemeinsamer Anfang voran, »ein aus der Mischung historischer Erkenntnisse und praktisch-ethischer Einstellungen hervorgehendes, allgemeines und noch verschwommenes Vorgefühl von dem gegenseitigen Zusammenhang und der inneren Entsprechung« (695). Freilich spalten sich die Gedanken in der Praxis: die Philosophen halten sich mehr an die Kultursynthese, die Historiker wollen das Problem der Universalgeschichte mehr mit rein empirischen Mitteln lösen, »wenn sie es überhaupt als solches anerkennen« (698). Es [400] handelt sich aber »für die Lösung unseres Problems gar nicht unmittelbar um die universale Entwicklungsgeschichte selbst, sondern um den aus ihr ersichtlich werdenden Aufbau der großen Schichtungen unseres Kulturkreises« (700). Die Theorie eines so verstandenen Aufbaus kann sich an einem Punkte von der durchgeführten Entwicklungsgeschichte loslösen, dieser Punkt »liegt in der Periodisierung der Universalgeschichte«, die Aufbauidee tritt an Stelle der Entwicklungsidee, man kommt aus dem Zirkel ein gutes Stück weiter heraus. »Gesetzt den Fall, die großen Kulturmassive höben sich durch realen Zusammenhang ihrer Wirkungsbestandteile und durch historische Anschaulichkeit deutlich heraus, dann hätte man eine objektive Periodisierung und dementsprechend wenigstens grundsätzlich objektive, d.  h. einfach erschaubare Unterlagen der großen Hauptelemente unseres Kulturlebens« (701). Stark subjektiv mitbedingt bleibt die Setzung des Einschnitts nur bei Ansetzung des Beginns der modernen Welt (702). Hier »hängt alles von der Auffassung der kommenden Dinge ab« (703). Im Vortrag waren (S. 18 ff.) an die Frage der objektiven Periodisierung, nach ganz kurzer Begründung, die darauf gehenden Gedanken Hegels, Rankes, Guizots, Comtes, Spencers, Lacombes, Breysigs, Max Webers, Sombarts angeknüpft worden, die in dem Buche an viel späterer Stelle, unter 3. »Das Problem einer  3 17 20 27 29

»Entwicklung und Aufbau« – Troeltsch 1922: 694–703. »für die Lösung unseres Problems … unseres Kulturkreises« – Tönnies tilgt Hervorhebungen Troeltschs (ebd., 700). – Dasselbe gilt für das folgende Zitat (ebd.). Universalgeschichte«, die Aufbauidee – A: Universalgeschichte«: die Aufbauidee. »Gesetzt den Fall… Hauptelemente unseres Kulturlebens« – Ebd., 700 f. »hängt alles von … kommenden Dinge ab« – »Hier hängt in der Tat alles von der Auffassung der kommenden Dinge ab …« (ebd., 703).

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objektiven Periodisierung« (730–754 = Jahrbuch S. 20–39) mit geringen Veränderungen wiederkehren. Dazwischen schiebt sich 2. Der Europäismus (703–730). Hier soll nun »die Beschränkung der Universalgeschichte auf das Europäertum« (704) begründet werden. »Schon das Tatsächliche … macht den Begriff der Menschheitsgeschichte unmöglich«; »von den philosophischen Ingredienzien her … ebenso unmöglich«. Für die Menschheit »gibt es … keinen gemeinsamen Sinn- und Kulturgehalt« (705). »Die Menschheit als Ganzes hat keine geistige Einheit und daher auch keine einheitliche Entwicklung« (706). »Es gibt  für uns nur eine Weltgeschichte des Europäertums« (708). Es gibt  freilich … mehrere Kulturkreise (außerdem), in denen »ein einheitliches Kulturergebnis von jedesmal völlig eigenem und einzigartigem Sinn« vorliegt. Aber wenn man sie auch alle verstehen könnte, so würde dies Verständnis … »praktisch  für die eigene Stellungnahme und positive Kulturarbeit schlechterdings nichts nützen«. Dies letztere sei aber der einzige Sinn, den er, der Verfasser, der Ph. d. Gesch. zuschreiben könne. Übersichten über die Allheit des Historischen seien »zum Glück der menschlichen Gesundheit« mit unseren Erkenntnisund Denkmitteln ganz unmöglich. Dennoch werden »universale Ausweitungen« (712) zugelassen: Anreihungen der Geschichten von Indien, China, Japan usw., etwa mit Kontemplation [401] in der Art Spenglers; »praktisch bedingte Weltorientierung für die gegenwärtigen Interessen gerade des Europäismus selbst« (712), besonders aber »Universalgeschichte als Soziologie« (715): Versuch, allgemeine »Gesetze« der Entwicklungen und Aufstiege von Gruppen und Vol kstümern, Typiken, Parallelisierungen darzustellen – Breysigs Stufentheorie und der Entwurf Vierkandts gefallen von solchen Versuchen dem Verfasser am besten (714 f.). Können übrigens nicht jene allgemeinen Entwicklungsschemata für die Erfassung der europäischen Welt uns sehr behilflich sein? (715). Die Frage weist auf das völlig Einzigartige dieser hin, daß sie »nicht einen einzelnen Entwicklungs- und Stufenzusammenhang der Kultur und des Vol kstums enthält, sondern deren zwei, und zwar  1

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»Das Problem einer objektiven Periodisierung« – Troeltsch 1922: 730 ff.; ders. 1920: 652 ff., dort die Überschrift nicht im Text, sondern nur in der Inhaltsangabe am Anfang des Textes, verweisend auf die Seiten 18–38 [650–670]. »ein einheitliches Kulturergebnis … einzigartigem Sinn« – Troeltsch 1922: 708, dort auch die beiden folgenden Zitatsplitter. – In A an Stelle der Klammer eine eckige Klammer. »universale Ausweitungen« – Bei Troeltsch (1922: 712) im Singular: »Wieder eine andere universale Ausweitung ist es …«. Breysigs Stufentheorie – Troeltsch bezieht sich auf Breysig 1905. der Entwurf Vierkandts – »Naturvölker und Kulturvölker« (Vierkandt 1896).

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völlig geschiedene und getrennte miteinander verbindet« (716): die Verwachsung unserer europäischen Welt mit der Antike … »Vermittlung … durch die christliche Kirche« (717) [nicht sie allein! F. T.]. Darum bleibe auch heute »und auf jede absehbare Zeit« (?) die europäisch-amerikanische Kultur an das Christentum gebunden. Die »Ineinanderschiebung zweier Kulturverläufe von sehr verschiedener klimatischer, geographischer und anthropologischer Grundmasse« (719) und die »unerhörte Einzigartigkeit« des modernen Europa und Amerika in sozialer und technischer Hinsicht werden stark hervorgehoben (718–721), worauf Ausführungen über den heute fortwirkenden Beruf des Historismus (721– 725) folgen. Diese gesamte Gedankenfolge war (kürzer gefaßt) im Vortrag an die Spitze gestellt (705–725 = Jahrbuch S. 4–17: hier schließt dann das über Periodisierung sich an, welches im Buch vorausgeschickt war). Man könne aber zweifelhaft wegen des Umfanges »dieser Universalgeschichte des Europäismus« sein. Einbeziehung der islamischen Welt? Es hat eine Universalgeschichte  für sich, »es gibt keine gemeinsame Kultursynthese für beide Welten« (727) – hier geschieht Hinweisung auf die hier (XL) besprochenen Aufsätze C. H. Beckers. Einbeziehung Rußlands in die europäische Welt? Diese Frage scheint bejaht zu werden, obwohl »hier noch so gut wie alles im Fluß« sei (728), ebenso die wegen Amerikas. »Auch hier ist eine der offenen Stellen der Zukunft, die uns daran mahnt, den Gedanken der gegenwärtigen Kultursynthese nicht zu eng und nicht zu zentraleuropäisch aufzufassen …« (729). – Nachdem dann (s. o.) die Periodisierung abgehandelt worden, beschließt als vierter und letzter Abschnitt »die Schichtung des Aufbaus« das Kapitel und somit das Buch (756–772). Die ersten Seiten auch im Vortrag. Hier heißt es (S. 39): »Peri-

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»nicht einen einzelnen Entwicklungs- … miteinander verbindet« – Einige Auslassungen: »Es ist nämlich die stärkste Eigentümlichkeit der europäischen Entwicklung, daß sie nicht einen einzelnen Entwicklungs- und Stufenzusammenhang der Kultur und des Volkstums enthält, wie er von jener Stufentheorie schematisiert werden kann, sondern sie deren zwei, und zwar völlig geschiedene und getrennte miteinander unlöslich verbindet« (Troeltsch 1922: 716). »Vermittlung … durch die christliche Kirche« – »Diese Vermittlung ist die christliche Kirche.« (ebd., 717). – In A korrekt: »Vermittlung … die christliche Kirche«. »unerhörte Einzigartigkeit« – Ebd., 719. Jahrbuch S. 4–17 – Troeltsch 1920: 636–649. hier (XL) besprochenen Aufsätze C. H. Beckers – Vgl. S. 475 ff. – Becker 1910, 1922, 1924. – A verweist auf den Erstdruck in Schmollers Jahrbuch: »hier (XLVIII, 1/2) besprochenen Aufsätze« – vgl. erste ed. Fn. zu Nr. XL. (s. o.) die Periodisierung abgehandelt – S. 531. im Vortrag – Nachstehendes Zitat nicht im Vortrag, wohl aber im Text in Schmollers Jahrbuch: Troeltsch 1920: 671 [39].

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odisierung ist kein Aufbau«; im Buche (756): »Aber auch die Periodisierung als solche ist noch nicht identisch mit der Idee des Aufbaus.« Dort »verlangt« der Aufbau, »daß wir nur diejenigen großen Perioden herausnehmen und betonen, in [402] denen entscheidende Elemente unseres heutigen Lebens erwachsen sind«. Historische »Bildung«, die der Welt- und Lebensanschauung zugrunde liege, sei sorgfältig zu scheiden von historischer Wissenschaft. Im Sinne jener soll ein »Bild« des Aufbaus »gewagt« werden. Zu diesem Behufe wird die Frage gestellt nach dem Einsatzpunkte und dem allgemeinen Charakter der Gegenwart. Sie wird dann ihren Hauptzügen nach charakterisiert: vor allem die modernen Einheitsstaaten und diesem großen Gebilde entsprechende ungeheure Bevölkerungsmassen erhaltende wirtschaftlich-soziale Systeme des Kapitalismus, des Großbetriebes und der kolonialen Weltausbeutung – »ideell genährt von den feindlichen Brüdern des Rationalismus und der Romantik«. Diese Ausführung ist im Buche in wenige Sätze zusammengezogen. Es wird da die Beantwortung von »zwei schwierigen Vorfragen« eingeschoben: erstens, wie das  für uns bedeutsame Ereignis oder der kulturelle Sinn eines Zeitalters nach einer einigermaßen objektiven Methode erhoben werden könne, zweitens, wo der Beginn der Neuzeit anzusetzen ist? (757) – In bezug auf die erste Frage, die schwierig zu beantworten sei, führt Tröltsch dann aus, der Grundsatz, der eine objektive Periodisierung ermögliche, sei doch auch für die Typisierung nicht unfruchtbar – es müsse dabei aber ausdrücklich auf den Zusammenhang des soziologischen und des geistig kulturellen Elementes geachtet werden, »das wieder tief im allgemeinen Wesen des geschichtlichen Lebens begründet ist« (759). Dann folgt eine Reihe von Sätzen, die für den Berichterstatter außer ihrer sachlichen auch eine persönliche Bedeutung haben. Es heißt nämlich: »Dieses (das geschichtliche Leben) verläuft in dem Rhythmus zwischen mehr substantieller und traditionalistischer ›Gemeinschaft‹, wo alle Kräfte im stillen und unterbewußt, vor allem auch unter Führung dauernder Herrenschichten gebildet werden, und mehr individualistischer, auflockernder ›Gesellschaft‹, wo die Kulturgehalte verbreitert, individualisiert, humanisiert und universalisiert werden. Dieses  formale und der verschiedensten konkreten Einzelgestaltung  fähige Grundverhältnis ist auch der Schlüssel zur Lösung des vorliegenden Problems. Jedenfalls trifft es auf die Entwicklungsgeschichte des europäischen Kulturgebietes zu« (760). Es sei wahrschein-

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»verlangt« der Aufbau, »daß … erwachsen sind« – Troeltsch 1922: 757. – Der anschließend paraphrasierte Satz ebd. »ideell genährt … Rationalismus und der Romantik« – Ebd., 764.

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lich, »aus der inneren Natur der Dinge heraus«, daß andere Entwicklungsgeschichten »mit diesem Grundgesetz übereinstimmen«. Nachdem dieses dann in nähere Anwendungen entwickelt worden, scheint es dem Verfasser »wohl möglich«, nach ihm »den klassischen Fruchtbarkeitsmoment zu bestimmen« (761). Und wie die Übergänge von Gemeinschaft zu Gesellschaft, so gebe es historisch auch das Umgekehrte: »Die Bildung substantieller Gemeinschaft aus zersetzter und haltlos gewordener Gesellschaft.« »Die Bildung der Kirche ist die [403] Redintegration und geht mit der Rückbildung der ganzen Gesellschaft in agrarische und feudale Formen Hand in Hand.« Eine solche Redintegration suche auch die Gegenwart »im Sozialismus aller Arten«. »Jedenfalls liegen auch bei solchen Zeitaltern die klassischen Momente da, wo der Individualismus und die gemeinsame Substantialität neu verbunden sind und das Human-Allgemeine mit dem Konkret-Gemeinschaftlichen sich verschmilzt.« Das einzelne werde die nähere Ausführung zeigen müssen (diese hatte demnach Tröltsch für seine systematische Ph. d. Gesch. in Aussicht genommen). »Der Grundsatz im ganzen aber erscheint in der Tat als ein Mittel der Erfassung der Ergebnisse und des Sinngehaltes der Perioden  für den hier vorschwebenden geschichtsphilosophischen Zweck« (762). – Es folgen einige wuchtige Absätze in bezug auf die Frage des »Beginnes der Neuzeit«. Schon entspringe aus ihr die neue Frage nach »einer Beendigung dieses durch und durch revolutionären, über die Ausgleichungen des Anfangs immer wieder hinausstrebenden und heute sie als Bürgertum dogmatisierenden und verhöhnenden Zeitalters« (763). Neuzeit gebe es in einem weiteren und einem engeren Sinne – die moderne Welt umfaßt beide. Aus ihr müssen die großen elementaren Grundgewalten oder Urgewalten »herausgeholt« werden, die »unmittelbar … bedeutungsvoll wirksam und anschaulich sind« (765). Sie »in ihrem ursprünglichen Sinn und ihrem Herauswachsen aus der historischen Bewegung verständlich zu machen, damit unserer geschichtlichen Erinnerung die entscheidenden Akzente aufzusetzen und sie in Hinsicht auf die Gegenwart zu gliedern, schließlich das in der modernen Welt sich herausbildende Verhältnis dieser Grundgewalten zueinander und zu dem modernen Leben zu erfassen«: das sei die Idee eines Aufbaues der  2 15 17 27

»aus der inneren Natur … Grundgesetz übereinstimmen« – Ebd., 760. »Jedenfalls liegen auch bei … sich verschmilzt.« – Leichte Abweichungen: »Jedenfalls aber liegen … sich verschmelzt.« (ebd., 761 f.); vorstehende Zitatfragmente ebd., 761. (diese hatte … in Aussicht genommen) – In A eckige Klammern. großen elementaren Grundgewalten oder Urgewalten »herausgeholt« werden – »Aber der Gedanke des Aufbaus verlangt nur, daß wir daraus die großen elementaren Grundgewalten herausholen …« (ebd., 765); dort auch das folgende Zitat.

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europäischen Kulturgeschichte. Dieser Grundgewalten gebe es vier: 1. Der hebräische Prophetismus und die hebräische Bibel, 2. das klassische Griechentum, 3. die Welt des antiken Imperialismus, aus der zwei Dinge »mit unerhörter Kraft« nachwirken: »die Idee des geschlossenen militärisch-bureaukratischen Großstaates und die der Weltreligion, die aus dem Bedürfnis des Weltreiches im letzten Grund entstand« (766), 4. unser abendländisches Mittelalter. »Die wenigsten wissen, aber alle leben diesen Zusammenhang« (767). Diese vier Urgewalten aber »sind es, die als die tragenden Grundpfeiler und als die  fortzeugenden Kräfte noch die moderne Welt tragen und durchwirken und mit deren Eigenem sich unübersehbar kreuzen und vermischen. Aus allem zusammen und aus dem Einsatz neuer Kräfte *muß die seelische Kraft der Zukunft herausgearbeitet werden*«. Damit gibt uns also Tröltsch den Grundriß seiner Ph. d. Gesch. mit ihrer praktischen, ethisch-paränetischen Ausgestaltung, die [404] er sogleich dahin bezeichnet, mit einem solchen Bild im Kopfe könne man dann erst an die Kulturarbeit der Gegenwart gehen –  für die Erfüllung dieser Aufgabe auf den zweiten Band verweisend. Drei wichtige Erkenntnisse aber, die sich daraus ergeben, will er noch besonders hervorheben – sie seien »eine Folge der Einsichten in das Verhältnis soziologischer und ideologischer Elemente in der Geschichte, wie sie gerade aus dem modernen Geschichtsdenken entspringen« (768), nämlich: 1. daß als eine der Grundtatsachen aller Geschichte, vor allem der mittelmeerisch-europäischen, ein Prozeß der Loslösung, Verselbständigung und Vergeistigung aller einst konkreten und individuellen, überdies stark soziologisch bedingten Kulturgehalte zu betrachten sei. Von solchen Loslösungen und Verallgemeinerungen, Umwandlung in -ismen, »lebt die europäische Welt ihr Leben«. »Ebenso notwendig aber ist die beständige historisch-exakte Wiederbelebung und immer neue Verhältnisbestimmung der im Grunde sich vielfach widersprechenden, aber vom Leben zusammengelebten Prinzipien« (769); 2. Der soziologische politisch-ökonomisch-rechtliche Bestand der Gegenwart bedarf umgekehrt keiner endlosen historischen Unterbauung und Vergleichung. »Diese Dinge sind praktisch unser Schicksal, und sie muß man praktisch handhaben und verstehen lernen«; 3. Die praktisch-kulturelle Aufgabe der Gegenwart ergibt sich aus der Vereinigung jener beiden Sätze. »Da darf denn freilich Ideologisches und Soziologisches nicht mehr getrennt, sondern muß beides in seinem engen Zusammenhang gesehen und ver13 14 34

»sind es, die als die tragenden Grundpfeiler … herausgearbeitet werden*« – Ebd., 767; Tönnies’ Hervorhebung. ethisch-paränetischen – Svw. ethisch-mahnend. »Diese Dinge sind praktisch … verstehen lernen« – Ebd., 769 f..

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standen werden« (771). Zwiefache Aufgabe: a) »Herausarbeitung eines klaren Bildes der gegenwärtigen soziologischen Lebensordnung, ihrer vorwärtsstrebenden, ihrer absterbenden und ihrer beharrenden Kräfte, ihrer Begründung in praktisch-materiellen und in psychologischen Verhältnissen, kurz, ihrer eigentümlichen Struktur, von der jeder einzelne ein Teil ist«, b) »die Konzentration, Vereinfachung und Vertiefung der geistig-kulturellen Gehalte, die die Geschichte des Abendlandes uns zugeführt hat, und die aus dem Schmelztiegel des Historismus in neuer Geschlossenheit und Vereinheitlichung hervorgehen müssen« (771). »Die Idee des Aufbaues heißt Geschichte durch Geschichte überwinden und die Plattform neuen Schaffens ebnen«. Diesen Satz hatten wir mit den angeschlossenen Schlußworten des Bandes an die Spitze unseres kritischen Berichts gestellt.

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Nun liegt uns noch eine posthume Frucht des Tröltschschen Geistes vor, die freilich nicht ersetzt, was wir vermissen, aber doch wertvoll ist als eine Ergänzung des reichen Inhaltes, den er selber noch aus der Fülle seines Forschens und Denkens mitgeteilt hat. Freiherr [405] Friedrich von Hügel, »einer der  führenden katholischen Gelehrten Englands«, hat in englischer Sprache und im Original5 die fünf Vorträge herausgegeben, die Tröltsch in London, Oxford, Edinburgh und wieder in London zu halten eingeladen war und zugesagt hatte. Schon im Frühjahr 1920 war er von den Behörden der Londoner Universität um drei Vorträge  für ihre reiferen theologischen Studenten ersucht worden und hatte das Thema »Ethik und Geschichtsphilosophie« gewählt, das auch die drei ersten hier vorliegenden bezeichnet. Die Wahl, meint der Herausgeber, war schon deshalb eine besonders glückliche, 5

»Der Historismus und seine Überwindung«. Fünf Vortrage von Ernst Tröltsch. Panverlag von Rolf Heise. Berlin 1924. XII u. 108 S.

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an die Spitze unseres kritischen Berichts gestellt – Vgl. S. 509. »einer der führenden katholischen Gelehrten Englands« – Mit diesen Worten wird Friedrich von Hügel in einer Fußnote zu seiner Einleitung (Hügel 1924: [V]) vorgestellt. fünf Vorträge – Die englische Ausgabe Troeltsch 1923, die deutsche Troeltsch 1924. – »Kurz vor Antritt der Reise starb Ernst Troeltsch am 1. Februar 1923.« (Troeltsch 1974: 41).

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»weil er hierdurch die Hauptresultate seines anderswo noch ganz ungeschriebenen zweiten Bandes des ›Historismus‹ vorwegnimmt und uns so einen sicheren Einblick in den sonst nur hypothetischen Schluß zu den weitschichtigen Vorstudien in ›Historismus‹ Band I (Ende 1922) gewährt«. Wir erfahren aber hieraus nichts über die Zeit der Abfassung. Ich glaube schließen zu müssen, daß wenig davon später ist als die Vollendung dieses ersten Bandes, dessen Vorrede der Verfasser nur um vier Monate überlebt hat. Freilich waren ja die einzelnen Stücke dieses Bandes sämtlich damals nicht neu, aber sie waren alle überarbeitet und »mehr oder minder stark verändert«, wir haben am Beispiel des letzten Stückes eine starke Veränderung kennengelernt. Wir müssen vermuten, daß der rastlose, unermüdlich sich berichtigende Geist dieses Philosophen auch den Gedankengehalt jener Vorträge, und besonders der drei ersten, nicht unwesentlich anders gestaltet hätte, wenn er ihn erst nach Abschluß des ersten Bandes aufs neue durchdacht hätte. Die Vorträge haben naturgemäß einen exoterischen, übrigens auch in notgedrungener Anpassung an ihr Publikum einen etwas mehr theologischen Charakter, als sonst in den letzten Schriften des großen Gelehrten angetroffen wird und als vollends vom zweiten Bande des »Historismus« sich erwarten ließ. Sie zeichnen sich aber aus durch bündigere Fassung und durchsichtigeren Gedankengang: in den Abhandlungen des Buches begegnen viele Wiederholungen, und tritt das Pathos des Ringens um möglichst reichen und kraftvollen Ausdruck der in ebenso heftigem Ringen ausgebildeten Gedanken in einigem Überschwange zutage. – Was nun die beiden ersten Vorträge (I) über die Persönlichkeits- und Gewissensmoral, (II) über die Ethik der Kulturwerte ausführen, ist uns, wenn wir den »Historismus Band I« kennen, nicht neu, wenn auch die Weise des Ausdruckes etwas abweicht und die Akzente etwas anders liegen. Bald bewältigen und begrenzen, bald dämmen und begrenzen will er hier den ungeheuren, immer reißender und breiter werdenden historischen Lebensstrom – [406] durch die Idee eines bleibenden und maßgebenden Systems der Werte, »das doch gerade von diesem System unterwaschen und zerfetzt zu werden

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»weil er hierdurch … gewährt« – Hügel 1924: VI. daß wenig davon – A: daß nichts davon. »mehr oder minder stark verändert« – Troeltsch 1922: IX. wenn er ihn erst nach Abschluß des ersten Bandes aufs neue durchdacht hätte – Troeltsch schrieb am 11.1.1923 an von Hügel: »Im übrigen bemerke ich, daß diese drei Londoner Vorträge einen Teil der Grundideen meines kommenden II. Bandes des Historismus enthalten.« (Troeltsch 1974: 148). die beiden ersten Vorträge – A: die ersten beiden Vorträge.

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schien« (Überwindung 3). Daß »im nächsten Bande in der Schlußabhandlung über Ethik und Geschichtsphilosophie« von der Spaltung des Ethischen noch die Rede sein sollte, war S. 203 Anm. 86 angekündigt worden. Davon liegt nun hier wenigstens eine ausgeführtere Skizze vor. Die »Persönlichkeits- und Gewissensmoral« wird im ersten, die »Ethik der Kulturwerte« im anderen Vortrage erörtert. Jene könne nur in Kompromissen sich anpassen: der wesenhaften Kampfnatur des Moralischen gemäß lasse es von seiner Verwachsenheit mit Naturtrieben und natürlichen Bedürfnissen sich nicht ablösen, sei daher seine volle Verwirklichung unmöglich (S.  17  ff.). Der historische Relativismus könne und müsse allerdings von hier aus eingedämmt werden. Aber »der eindämmende Akt« sei jedesmal ein nach Lage und Umständen, Entwicklungsreife und Lebensschwierigkeit verschiedener, sei ein »relativer Akt« (21), kein zeitloses, immer gültiges, abstraktes Programm liege darin, von dem aus an jedem Punkte unter der Voraussetzung guten Willens das Problem der historischen Wirrsale gelöst werden oder das in irgendeiner Zukunft als Triumph des Fortschrittes die gesamte Menschheit restlos organisieren könnte. Anders zu betrachten sind die ethischen Güter oder Kulturwerte, »gesollte Werte oder objektive Zwecke, d.  h. sachliche Werte von allgemeiner überzufälliger und überindividueller Geltung, deren Anstrebung wir uns und anderen als Pflicht zumuten« (22). Die beiden Sphären der Ethik fordern und bedingen sich gegenseitig (26 f.), aber sind doch sehr verschieden. Die Gewissensmoral rein formal, zeitund geschichtslos – die ethischen Kulturwerte durch und durch historische Gebilde: die großen Kulturgebiete der Familie, des Staates und Rechtes, der wirtschaftlichen Naturbeherrschung, der Wissenschaft, der Kunst und der Religion – »rätselhaft und unableitbar individuelle Bildungen« (30). Wichtiger Unterschied im Verhältnis zum »natürlichen Untergrund«. In der Gewissensmoral ein reiner und voller Gegensatz; hingegen die Kulturwerte lösen nur allmählich, gradweise von den  1  2  6 12 13 21

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»das doch gerade … zerfetzt zu werden schien« – Troeltsch 1924: 3. »im nächsten Bande … und Geschichtsphilosophie« – Troeltsch 1922: 203 Fn. im ersten … im anderen Vortrage – Troeltsch 1924: [1] ff. und 21 ff. »der eindämmende Akt« – Ebd., 20. »relativer Akt« (21) – Recte: ebd., 20. »gesollte Werte … als Pflicht zumuten« – Tönnies passt das Zitat seinem Schreibfluss an: »Das Wesentliche dieser Werte ist, daß sie gesollte oder objektive Werte sind, d. h. …« (ebd., 22). »rätselhaft und unableitbar individuelle Bildungen« – Troeltschs Formulierung im Zusammenhang: »Chinesische, indische, islamische, hellenisch, mittelalterliche, moderne Kulturatmosphären sind rätselhaft und unableitbar individuelle Bildungen, die sich bis in Religion und Wissenschaft hinein ausdrücken.« (ebd., 30).

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Grundlagen der Triebe und ihren soziologischen Verflechtungen sich ab, und die Beziehung wird nie völlig ausgetilgt (31). Sie haben daher ein viel engeres Verhältnis zur Historie, ihrem Fluß und ihrem Wechsel, ihren Zusammenhängen und Gesamtlagen – die Kulturethik setzt sich stärker und siegreicher durch als die Gewissensethik. Man versucht daher, um das Ideal zu verwirklichen, ein System der Güter aus einheitlicher Wurzel zu einheitlichem Ziel zu konstruieren, zu deduzieren: »sei es aus dem Wesen der Vernunft oder dem der Gesellschaft, aus dem Weltprozeß oder aus dem religiösen Ziel« (36). Aber der wirkliche »Hervorgang aus [407] der gemeinsamen Wurzel und das Gesetz des Zusammenhanges sowie das Gesetz des Wechsels der verschiedenen Formen des Zusammenhanges … läßt sich hieraus nicht gewinnen« (37). Und doch kann man nicht darauf verzichten, diese Kulturwerte zu einem einheitlichen Ganzen für die Gegenwart und Zukunft innerhalb eines gegebenen großen Kulturkreises zusammenzuarbeiten. Dies vollzieht sich in der Sphäre des Unbewußten. »Aber in allen kritischen Momenten und in den reiferen Perioden wird dann auch eine bewußte und konstruktive Synthese nötig« (39). Sie muß eine A posteriori-Konstruktion sein, die in erster Linie Voraussetzungen, Geschichte und Schicksal des eigenen Kulturkreises kennt; muß das Zusammenspiel des Notwendigen und Zufälligen zu erkennen versuchen und geistig durchdringen; muß die Richtung bestimmen durch Heraushebung des zentralen Wertes und mit diesem die übrigen Werte verbinden (39) – in letzter Linie eine persönliche Lebenstat: das persönliche und individuelle Gewissen verbindet auch das System der Kulturwerte mit dem der Gewissensmoral, begründet und verstärkt, bedingt und begrenzt eines durch das andere (40). Zuletzt entscheidet und rechtfertigt der Glaube. In diesen individuellen Synthesen steckt aber »etwas Objektives und Allgemeingültiges, das immer vorwärts treibt« (44); diese Objektivität ist aber »eingewickelt in eine tiefe Subjektivität« – jede »wirkliche Lösung  fordert Massenüberzeugungen, Gemeingeist, breite Stoßkraft, öffentliche Meinung«. Darum handelt der dritte Vortrag vom Gemeingeist. In seinen Verherrlichungen und den Klagen, daß er uns fehle, sei freilich viel sentimentale Phantastik und Schwäche des Willens, viel Rückwärts- und Vorwärtsromantik enthalten (45). Aber es gibt neben der vermeintlichen auch eine wirkliche Anarchie der Gegenwart. Tröltsch erwähnt auch hier die Theorie

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»Hervorgang aus … läßt sich hieraus nicht gewinnen« – Ebd., 36 f. »Aber in allen kritischen … Synthese nötig« – Ebd., 38 f. »eingewickelt in eine tiefe Subjektivität« – Ebd., 44. Dort auch das folgende Zitat.

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von Gemeinschaft und Gesellschaft, ohne sie aber ausdrücklich zu billigen (46); ja an etwas späterer Stelle (50) mahnend, man dürfe die Verschiedenheit der soziologischen Strukturen der aufeinanderfolgenden typischen Kulturzeitalter nicht übertreiben und nicht überschätzen. Es könne auch die von ihm selber gegebene »Lösung« als typischer Ausdruck der individualistischen, liberalen und anarchistischen Grundzustände angesehen werden: sie scheine, wenigstens den Worten nach, ganz der individualistischen Gesellschaft zu entsprechen. Aber das sei ein Mißverständnis: Kampf und Durchsetzung, nicht beliebige Duldung sei die Losung und unter den obwaltenden Umständen – zumal in Deutschland, wo innerhalb der Bildungsschicht die Traditionen der Aufklärung und die des romantischen Idealismus, der in seinem ganzen Wesen durch Marx und durch Nietzsche aufgelöst sei, miteinander kämpfen – sei eine individuelle Position ganz unvermeidlich (49), und der etwa entstehende [408] Gemeingeist müsse, soweit er an der Art der Beweismittel hänge, wie diese ein stark individualisierter sein müssen; auch in den Zeitaltern der Kulturreife bestehe die Tatsächlichkeit und Notwendigkeit eines Gemeingeistes, im Falle übermäßiger Zersetzung die Notwendigkeit seiner Neubildung, die … »auch von gedanklichen Einsichten aus möglich ist« (52). Die »monistischen Auffassungen des Gemeingeistes« seien ein phantastischer Irrtum. Wir leben in einer Mehrzahl von Kreisen, »deren jeder einzelne einen eigenen ethischen Gemeingeist hat« (53). Neun solche Kulturkreise, von der »Menschheit« bis zu den »freien Geistesgemeinschaften oder Schulen des Gedankens« will Tröltsch unterscheiden, von denen jede einen anderen geistigen Gehalt habe. Weder Kirchen noch philosophische Ethiken können sie zu einer Gemeinschaft zusammendenken. Wenn auch ihre Pluralität heute gesteigert und vertieft ist, so sind doch Autorität und Tradition in vielen Formen geblieben (54). »Nur auf dem Gebiet des Religiösen und Metaphysischen herrscht allerdings eine reißend zunehmende Anarchie, und diese ist es, der es zu begegnen gilt.« Nur von diesem Element aus  1

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erwähnt … die Theorie von Gemeinschaft und Gesellschaft – »Im Anschluß an die Unterscheidung Sir Henry Maines von Status und Kontrakt hat Ferdinand Tönnies, der ausgezeichnete Erforscher der von Hobbes zu Herbert Spencer führenden Entwicklung der soziologischen Ideen, eine Folge der Kulturzeitalter konstruiert, die mit der Gemeinschaft als einer mystisch die Individuen tragenden Substanz einsetzt und von da zur Gesellschaft als dem zweckrationalen Vertragsverhältnis der souveränen Individuen fortschreitet, um von da aus unter schweren Revolutionen dem Sozialismus zuzustreben.« (ebd., 46). »Lösung« als typischer Ausdruck … anarchistischen Grundzustände – Vgl. ebd., 47. Neun solche Kulturkreise – Vgl. ebd., 53. »Nur auf dem Gebiet des Religiösen … zu begegnen gilt.« – Ebd., 54. von diesem Element – »… das metaphysische und religiöse Element …« (ebd., 56).

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kann »eine Verbindung und Zusammenwölbung erfolgen« (56). Dafür gibt es aber »heute nur mehr den persönlichen Zusammenschluß der Gewissensmoral, der Kulturwerte und der gegebenen Situation«, und auf dem Wege dieser Lösung »finden wir auch bereits die Praxis der modernen Völker, insbesondere die heißesten Forderungen der Jugend«: »Jugendbewegungen, christliche, philosophische, humanistische Assoziationen, Bünde aller Art« (57). »Überall, wo man die moderne Lage versteht, verlangt man nach mehr Ursprünglichkeit und mehr Gemeinschaft.« Und jene Bünde »sind Keimzellen einer neuen geistigen Frische, Kraft, Zusammenfassung und Disziplinierung, die überall gegen die Rohheit, Flachheit und Gemeinheit einer trivialisierten oder karikierten, immer zersetzten und verödeten Kultur gebildet werden müssen« (58). »Aus diesen Keimzellen müssen große kämpfende Kräfte des allgemeinen Lebens hervorgehen.« »Daraus mag dann das Maß von Gemeingeist in den letzten ethischen Grundlagen ausgehen, das modernen Völkern allein möglich ist.« Die persönlichen Vereinigungen und Bünde sind »Ersatz für die Kirchen und müssen selber streben, zu einer Art Kirche zu werden« (60). In lebendigen und beredten Worten gibt zuletzt der Redner seinen Enthusiasmus für diese »zentrale ethische Synthese«, vermöge deren der Lebensstrom zu dämmen und zu gestalten sei, kund. »Eine radikale und absolute Lösung gibt es nicht, nur kämpfende, partielle und synthetisch verbindende Lösungen« (60). – Man wird, so stark auch die Sympathie des Lesers sein möge, dem Eindrucke nicht wehren können, [409] daß die Resignation den Grundton bildet in diesen »Lösungen«. Verstärkt wird mir dieser Eindruck durch die beiden übrigen Vorlesungen. Die vierte ist  für Tröltsch’ Persönlichkeit und inneres Leben in besonderer Weise charakteristisch: sie gibt uns einen Schlüssel für den Schrein seiner Gedankenschätze. Er brauchte nicht ein tiefgelehrter Theologe zu sein,  3

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»heute nur mehr den persönlichen … gegebenen Situation« – »Für diese zentralste Frage der Ethik gibt es heute nur mehr den individuell persönlichen Zusammenschluß der Gewissensmoral, der Kulturwerte und der gegebenen Situation …« (ebd.). »Überall, wo man die moderne … mehr Gemeinschaft.« – Ebd., 57. »Aus diesen Keimzellen … Lebens hervorgehen.« – Ebd., 58. – Dort auch das folgende Zitat. »Ersatz für die Kirchen … einer Art Kirche zu werden« – Tönnies passt an seinen Schreibfluss an: »Seit keine Einheitskirche mehr diese Verbindungen bewirkt, ist die Aufgabe einer Mehrzahl von Kirchen und neben diesen persönlichen Vereinigungen und Bünden zugefallen, die Ersatz für die Kirchen sind und zu einer Art Kirche zu werden selber streben müssen.« (ebd., 60). »zentrale ethische Synthese« – Troeltsch spricht von einer »neuen ethischen Synthese« und von »diese[r] zentralen Synthese« (ebd., 59).

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um »die Stellung des Christentums unter den Weltreligionen« philosophisch zu erwägen. Er spricht hier von seinem früheren Büchlein über »die Absolutheit des Christentums« (1902, 2. Aufl. 1912), das auch in England bekannt geworden ist. Es sei aus dem gleichen Konflikt hervorgegangen, der ihn noch immer bewege, nur daß dort die religiöse Idee schlechthin im Vordergrunde stand. Noch meinte er »die absolute Geltung der christlich-religiösen Wahrheit gegenüber den Relativitäten der Geschichte« (66) begründen zu können, obgleich er schon damals die vorwaltenden  freiprotestantischen Theorien als unhaltbar bezeichnete. Dem Christentum komme doch von allen Religionen die innerlichst, aus dem Wesen Gottes und des Menschen begründete Allgemeingültigkeit zu – es sei aber selbst noch eine werdende und nach immer neuem Ausdruck strebende Religion (74). »Praktisch« will Tröltsch von diesem »Ergebnis« nichts zurücknehmen. Aber theoretische Bedenken, die ihm aufgestiegen und immer klarer geworden, seien auch nicht ganz ohne praktische Folgen. Das Christentum sei als Ganzes und im einzelnen »doch« (viermal kommt hier dies Wörtchen vor) eine vollkommen historisch-individuelle und relative Erscheinung – und allgemein: »Die Religion ist jedesmal von dem Boden und den geistigen, sozialen und nationalen Grundlagen abhängig« (75). Tröltsch bezieht sich dann auf die »jüngst abgeschlossenen« Untersuchungen in dem Buche »Der Historismus und seine Probleme«. Demnach dürfen wir hier sicher sein, daß der dargebotene Gedankengang jünger ist als der Abschluß des Buches. Die »neue Denkweise« (79) ist der Verzicht auf die Absolutheit des Christentums. Seine Geltung wird ganz auf »uns« beschränkt. »*Wir* können die Religion nicht entbehren, aber die einzige, die *wir* vertragen können, ist das Christentum, weil es mit *uns* gewachsen ist und ein Teil *unserer* selbst ist« (77). Offenbar andere als jene »Wir«, in deren Namen auch ein protestantischer Theologe, D. F. Strauß, 50 Jah-

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»die Stellung des Christentums unter den Weltreligionen« – Titel der vierten Vorlesung, ebd., [62] ff. früheren Büchlein über »die Absolutheit des Christentums« – Troeltsch 1902 und 1912a, im Vortrag erwähnt S. [62]. »Praktisch« will Tröltsch … nichts zurücknehmen. – »Das war vor etwa 20 Jahren das Ergebnis meines Buches, und ich habe davon praktisch heute nichts zurückzunehmen. Aber theoretisch habe ich heute doch manches abzuändern und diese Abänderungen sind auch nicht ganz ohne praktische Folgen.« (Troeltsch 1924: 74). viermal kommt hier dies Wörtchen vor – Vgl. ebd., 74–76. »jüngst abgeschlossenen« – »Es sind Untersuchungen, die ich ganz jüngst abgeschlossen habe …« (ebd., 76).

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re  früher gesprochen hat6. Jene Behauptung wird in noch lebhafteren, theologisch-poetischen Worten wiederholt. Zuvor aber  findet sich die Folgerung an jene (angebliche) Tatsächlichkeit geknüpft: »Das Christentum könnte nicht die Religion einer so hochentwickelten Menschheitsgruppe sein, wenn es nicht eine gewaltige innere Kraft und Wahrheit hätte, wenn es nicht wirklich etwas [410] von göttlichem Leben in sich enthielte« (77). (Dann müssen auch die Götter des Olymps etwas von göttlichem Leben in sich enthalten haben.) Aus dieser tiefen inneren Erfahrung sei zweifellos die Geltung des Christentums zu begründen, aber eben doch nur »seine Geltung für uns« (78). Es sei dadurch nicht ausgeschlossen, »daß andere Menschheitsgruppen im Zusammenhang völlig anderer kultureller Verhältnisse den Zusammenhang mit dem göttlichen Leben auf eine individuell ganz andere Weise empfinden und eine ebenso mit ihnen gewachsene Religion haben«. Und man dürfe nicht wagen, entscheidende Wertvergleichungen zu machen, was nur »Gott selbst« könnte (79). Als eine wichtige praktische Konsequenz bezeichnet Tröltsch dann a) im Gebiete der Mission, daß es zwischen den »großen Weltreligionen« Bekehrung und Verwandlung nicht gebe, sondern (nur) Ausgleich und Verständigung; b) in der inneren Entwicklung des Christentums selbst schlage ihm »heute eine neue weltgeschichtliche Stunde«; es seien sehr gründliche und kühne Neuerungen nötig, er, der Redner, sei in dieser Hinsicht *immer radikaler und überkonfessioneller* geworden (81). – Der »Zusammenschluß« – zum objektiven Sinn eines gemeinsamen höchsten Geistesgehaltes der Menschheit – könne nicht in einer der historischen Religionen selbst schon liegen, sondern man müsse anerkennen, daß sie »alle in eine gemeinsame Richtung deuten und alle aus innerem Antrieb in eine unbekannte letzte Höhe streben, wo allein erst die letzte Einheit und das Objektiv-Absolute liegen kann« (82). Den göttlichen Grund und das göttliche Ziel haben sie miteinander gemein, sie können sich gegenseitig verstehen, können sich berühren und nähern. Deutlich vernimmt man, daß aus dieser Ansicht und Aussicht ein anderer Geist spricht als der jener früheren Vorträge, der den Lebensstrom 6

»Der alte und der neue Glaube«. Erster Abschnitt: »Sind wir noch Christen?«

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»daß andere Menschheitsgruppen … gewachsene Religion haben« – Troeltsch 1924: 78. »großen Weltreligionen« – Ebd., 80 – die Aufzählungszeichen von Tönnies. »heute eine neue weltgeschichtliche Stunde« – »Gerade heute schlägt ihm [Christentum] eine neue weltgeschichtliche Stunde.« (ebd., 81). »Der alte und der neue Glaube« – Strauß 1872. Der 1. Abschnitt »Sind wir noch Christen?« ebd., [13] ff.

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»zu dämmen und zu gestalten« als Aufgabe »einer Mehrzahl von Kirchen und neben diesen persönlichen Vereinigungen und Bünden« zuwies (60). Damals standen die besonderen deutschen Probleme in der Mitte, auf Europa und etwa Amerika blieb der Blick beschränkt. Allgemeiner noch ist der Gesichtspunkt des letzten Vortrages, wie schon die Überschrift »Politik, Patriotismus, Religion« anzeigt. Er findet, daß »überall in der Welt« einander die Mächte der Politik und der »moralischen Religion« gegenüberstehen (84). Universal und moralisch, wie die Weltreligionen sind, haben sie selten in durchgreifender Weise die Politik beeinflussen können. Nur zwei Beispiele: 1. China in der Blütezeit der konfuzianischen Ethik, 2. das europäische Mittelalter (86). In Europa ist das Problem »Politik und Religion« »am brennendsten« (88). Aber das Mittelalter »war doch nur die Vorgestalt und der Beginn der europäischen Kultur« (89). Erst die »unter sich kämpfende Welt sou[411] veräner monistisch konstruierter Staaten … eröffnete … den engen Zusammenhang von Politik und Wirtschaft, von Machtpolitik, Bevölkerungssteigerung und Weltausbeutung, der uns heute selbstverständlich ist« (90). Diese Sachlage sei von der Theorie sofort erkannt und formuliert worden. In diesem Sinne wird der Macchiavellismus und die Lehre der Staatsräson besprochen, sodann die der innerlich entgegengerichteten Utopien, um die aber »die wirkliche Politik« sich nicht gekümmert habe (95). Von hier aus, und indem er auf die Entwicklung bis zum letzten Weltkriege – »allem Anschein nach ist auch er kein Wendepunkt, sondern eine Episode« – hinweist, erörtert Tröltsch die »Lösungsmöglichkeiten« für den Konflikt zwischen Politik und religiöser Moral, religiösem Universalismus. Man könne 1. auf allen Idealismus und vor allem auf alle universale Religion grundsätzlich verzichten und sich einem völligen Naturalismus ergeben. »Macchiavelli am Anfang, Spengler am Ende: das wäre die Lösung dieser Denkweise für die tragisch große Zeit Europas« (96). 2. Die entgegengesetzte Lösung sei die rein religiöse und spiritualistische. »Es ist der gleiche Heroismus und Pessimismus wie der der extremen Macchiavellisten, nur auf die entgegengesetzten Werte gerichtet, und daher auch entgegengesetzt in seiner praktischen Auswir-

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»Politik, Patriotismus, Religion« – Ebd., [84] ff. »überall in der Welt« – »Zunächst handelt es sich um die in der Welt überall einander gegenüberstehenden Mächte der Politik und der moralischen Religion.« (ebd., [84]). Problem »Politik und Religion« – A: Problem ›Politik und Religion‹. »allem Anschein nach … eine Episode« – Ebd., 95 – dort auch der folgende Zitatsplitter das wäre die Lösung dieser Denkweise – Bei Troeltsch: »… das wäre die Losung dieser Denkweise …« (ebd., 96).

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kung« (97). Beides sei in der Praxis selten rein durchgeführt worden und dann stets gescheitert. 3. Der dritte Weg sei der einer den Frieden garantierenden Weltherrschaft oder eines einheitlichen Weltreiches – »ein unwahrscheinlicher und schwieriger Ausweg, abgesehen von der ungeheuren Resignation, zu der er die Mehrzahl der Völker verurteilt« (99). 4. Es bleibt »der Ausweg einer  freien Verständigung oder eines nur auf Verträge und gegenseitige Rücksicht gestützten Völkerbundes« – die Gefahren und Schwierigkeiten bleiben auch hier groß. Alles weist »auf den Weg des praktischen Kompromisses« (101). Die Politik müsse »bis zu einem gewissen Grad humanisiert und ethisiert werden können und die Anerkennung der Menschenwürde nach innen, die gegenseitige Rücksicht auf Lebensnotwendigkeiten nach außen in sich aufnehmen können«. Unterstützt werde dieser Weg des Kompromisses durch den Unterschied von Politik und Patriotismus. Dieser bedürfe »keiner bedingungslosen Souveränität, nur der Öffnung von Ventilen für die Bevölkerungsbewegung, des Freiheits- und Ehrgefühls« (103). Tröltsch schließt damit, das Kompromiß grundsätzlich zu verteidigen und zu empfehlen. »Wenn das Wesen der ganzen Geschichte Kompromiß ist, wird sich der Denker dem nicht entziehen können und auch in dem Moment sich dazu bekennen müssen, wo die Kompromißnatur alles Irdischen vielleicht ganz besonders schwer auf unsere Seelen drückt« (105). [412]

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6 Das historische Denken hat im 19. Jahrhundert – besonders in Deutschland – sein Ansehen vorzugsweise gewonnen als konservatives Denken. Es war gegenrevolutionär – in einem Sinne, der nicht nur gegen die Französische Revolution und ihre Wirkungen, sondern ebenso gegen den Geist des modernen Staates sich richtete, wie er in Gestalt des Absolutismus der Fürsten zutage getreten war. Nichts lag jenem Denken, das in der historischen Jurisprudenz hervorragte, ferner, als die Kulturwerte, etwa gar die christliche Religion,  fragwürdig erscheinen zu lassen; vielmehr wollte es diese Werte gegen eine rationalistische Kritik befestigen. Die Aufklärung und ihr Naturrecht, ihre natürliche Religion und ihre individualistisch-vernünftige Denkweise auf allen Gebieten, hatten

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»der Ausweg einer freien … Rücksicht gestützten Völkerbundes« – Ebd., 99. »bis zu einem gewissen Grad … in sich aufnehmen können« – Ebd., 101.

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das Neue als das Richtige dem historisch Gewordenen als dem Zufälligen, durch Irrtümer und Wahnvorstellungen, Aberglauben und Vorurteile Bestimmten entgegengesetzt. Nicht erst die Romantik und die mit ihr nahe verwandte historische Schule lehrten die Vergangenheit besser würdigen; schon Kant und seine Nachfolger, Lessing und seine Anhänger, obwohl sie noch im Sinne der Aufklärung dachten, Theologen wie Herder, Dichter wie Schiller haben dahin gewirkt. Ihre kritische Haltung vollendete sich in Hegel, der, für seine Person ein Liberaler, wenn auch ein professoral behutsamer, die Romantik im Rationalismus aufgehen, aufgehoben werden ließ, indem er in der Veränderung als solcher die Tätigkeit des Vernünftigen nachweisen wollte, die also unablässig und unabsehbar sich steigere, bis sie nunmehr ihrer Vollendung wenigstens nahe gekommen sei, ja im Staate, wie er war, die Wirklichkeit der sittlichen Idee lebendig darstelle. Das war gemeint gegen die historische Schule, gemeint im Sinne des Liberalismus und des Fortschrittes, des bureaukratischen Staates. Es konnte allerdings auch daraus eine – im Sinne des Protestantismus und der zu Hegels Zeit noch blühenden preußischen unumschränkten Monarchie – konservative Denkungsart sich entwickeln; aber von stürmischer Jugend und von den Schichten, die unter dem Drucke dieser Einrichtungen litten, erfaßt, mußte eine radikale und revolutionäre Gesinnung als dem Gedanken der im Widerspruch sich bewegenden, unablässig verneinenden Dialektik angemessen erscheinen. Dies machte im Gebiete der Religion zunächst stärker als in dem des Rechts und des Staatslebens sich geltend. Die Feuerbachsche Kritik der Religion entzündete in den Seelen der Jünglinge Friedrich Engels und Karl Marx die Kritik der Gesellschaft. Beide setzten in energischer und rücksichtsloser Weise das Werk der Aufklärung  fort oder nahmen es wieder auf. Aber an die Stelle der Aufklärung oder der Philo[413]sophie oder der Freimaurerei, die von den gegenrevolutionären Schriftstellern verantwortlich gemacht waren, setzt das kommunistische Manifest »die Bourgeoisie«. »Sie … hat alle  feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört … sie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheines entkleidet; sie … hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen usw.« Auch das Objekt ist in diesen Sätzen verändert. Nicht die Zersetzung der Gedanken, sondern die der Verhältnisse, die der Tätigkeiten steht im Vordergrunde. Und, wie immer man über die Kausalität 14 35

Wirklichkeit der sittlichen Idee – Vgl. in Hegels Rechtsphilosophie § 257 (Hegel 1821: 241). »Sie … hat alle feudalen … Schleier abgerissen usw.« – Anonym 1848: 5; mit leichten Abweichungen.

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und Wechselwirkung der einen oder der anderen Prozesse denken möge, man kann nicht an der Beobachtung vorbeigehen, daß sie stark zusammenhängen, man kann nicht den einen betrachten, ohne des anderen zu gedenken. Diese Frage, die, vom sogenannten historischen Materialismus aus, immer tiefer in die geschichtsphilosophische Problematik hineingedrungen ist, hat auch den regen Geist Tröltschens stark beschäftigt. Er behandelt sie bald unter dem Namen der »Unterbau-Überbau-Lehre«, bald als die des Verhältnisses zwischen soziologischem und ideologischem Tatsachenbestand. Wir haben bei Tröltsch keine Auslassung über das gefunden, was hier zuerst zum Thema Philosophie der Geschichte bemerkt wurde: daß nämlich die Verschiedenheit der Denkweise darüber durch Verschiedenheit des Parteigeistes und dieser durch die soziale Schichtung bestimmt wird. Das Problem: wie ist eine objektive, also wissenschaftliche Ansicht der historischen Entwicklung, insbesondere derjenigen, wo wir mitten­ inne stehen, möglich, eine Ansicht, die voraussetzt, daß man zu keiner dieser sozialen Schichten gehört oder gehören will, und auch nicht aus irgendwelchem anderen Beweggrunde ihre Ideologie adoptiert – daß man außerhalb und über den Parteien steht? Tröltsch hat die Frage nicht so gestellt, aber er verwirft, wie wir wissen, die bloße »kontemplative« Historie, welche er offenbar versteht als eine solche, die an diesen Fragen vorbeigeht, ohne sie aufzuwerfen, ohne sie aufzulösen. Jene Erkenntnis der Bedingtheit der Ideologie ist eine objektive Erkenntnis und will es sein. Sie relativiert auch die Denkungsart des Proletariats und fordert zu ihrer Ergänzung eine nichtwertende, unparteiische Auffassung der »Klassenkämpfe«, welche sie ebenso wie die ihnen unterliegende Wandlung der Produktionsverhältnisse vom Grade der Produktivkraft der Arbeit abhängig macht und daher – »quietistisch«, wie diesem Historismus oder Evolutionismus oft zum Vorwurf gemacht wurde – den ferneren Verlauf der Dinge und der Ideen erwartet, [414] wie der Zuschauer die Wendungen und das Ende eines Dramas. Das will aber der Marxismus nicht. Er enthält in sich den Willen zur Tat, die Aufforderung zum Handeln, die Folgerung, daß die Arbeiterklasse handeln solle, daß ihre Bestimmung, weil ihre notgedrungene Aufgabe, sei, in einem bestimmten Sinne zu handeln. So läßt auch Tröltsch an einer  8 22 31

»Unterbau-Überbau-Lehre« – S. z. B. Troeltsch 1922: 350. »kontemplative« Historie – Vgl. Troeltsch 1922: 113. »quietistisch«, wie diesem Historismus oder Evolutionismus oft zum Vorwurf gemacht wurde – Vgl. ebd., 113 f.: »Die Philosophen dieser Art haben daher auch stets im Quietismus geendet.«.

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bloßen Erkenntnis dessen, was war, und etwa dessen, was sein werde, was werden wolle, sich nicht genügen, er fühlt sich durch einen starken Antrieb bewogen, die »Kultursynthese« zu suchen, oder das Programm, was man als Denkender, als Erkennender wollen solle. Der Unterschied aber zwischen jener und dieser Ableitung ist offenbar. Marx sieht im bewußten denkenden Wollen eine notwendige Folge der richtigen Erkenntnis, wenn diese Erkenntnis in die Hirne derer  fällt, die dadurch ihre Lage als eine Lage erkennen, die zu überwinden ihr Lebensgesetz, Lebensnot ihnen gebietet – der Klassenkampf ist naturnotwendig da, er ist und wird sein, aber er ist von Natur auf Seite der schwächeren Klasse vergeblich, so lange, als er unorganisiert, unklar, zersplittert ist; stark, ja unwiderstehlich kann ihre Macht werden, wenn der Kampf mit wissenschaftlichen Waffen um die politische Herrschaft geführt wird; in dieser Hinsicht kommt auf das Bewußtsein des Proletariats nicht weniger als alles an. Daher wird – auf dem europäischen Kontinent – der Umwälzungsprozeß »sich in brutaleren oder humaneren Formen bewegen, je nach dem Entwicklungsgrad der Arbeiterklasse selbst« (Vorrede zur 1. Aufl., Kapital I). Diesen Entwicklungsgrad will Marx  fördern, mithin erwartet er von dem Einfluß seiner Lehre die Wirkung der humaneren Formen – wenn er auch meines Wissens nirgendwo ausgeführt hat, daß gerade die Erhebung des bloßen ökonomischen Kampfes zum politischen Kampf, worauf doch sein Absehen vorzugsweise gerichtet war, der Humanisierung zugute kommen werde. Daß dies seine wirkliche Meinung war, kann nicht bezweifelt werden; ebensowenig, daß er von der Umwälzung eine allgemeine, auch sittliche Hebung der Kultur erwartet hat; vermutlich hat er gemeint, daß in der »kommunistischen« Wirtschaft die Lehren und Redensarten weniger, das wirkliche Leben und Handeln aber desto mehr moralisch sein würden, daß also die Kluft, welche heute in dieser Hinsicht zwischen »Theorie und Praxis« klafft, sich verengen werde. Was er mit scheinbarer Verleugnung aller Ethik, mit nüchternem »Materialismus« bekämpft, ist der rhetorisch-pathetische »Phrasennebel« von Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit, den er immer verbunden  fand mit Unfähigkeit, wissenschaftlich zu denken, und wie allen utopischen Sozialismus, als innerlich veraltet, darum schädlich und »reaktionär« verachtete. Er war überzeugt, daß man nicht mit mo[415]ralischen Rezepten – wie auch Comte und seine Anhänger schließlich wollten – die Desorganisation der heutigen Gesellschaft heilen könne, daß vielmehr alles darauf ankomme, die an dieser Heilung interessierte Klasse, we17

»sich in brutaleren oder … Arbeiterklasse selbst« – Marx 1867: X.

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nigstens deren Führer, zu ökonomisch und politisch denkenden, klar und folgerichtig handelnden Männern zu machen. Er hat sich nicht darüber getäuscht, daß auch seine Lehre dies nicht bewirken, höchstens dazu helfen könne, wenn die allgemeine Entwicklung dieser besonderen sich günstig gestalten werde. Sein heimischer, der deutsche Boden schien ihm bessere Bedingungen dafür als der französische, englische, vollends als der amerikanische zu bieten. Gleichwohl wird er mit zunehmender Erfahrung, in den letzten Jahren seines Lebens unter dem Drucke des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen, die Zukunft keineswegs mehr – wie wohl in jungen Jahren – als eine Art des Millennium infolge der »Weltrevolution« gesehen haben, sondern – wie auch immer die politischen Formen sein würden, wie viel oder wie wenig das Ringen des Proletariats um Political power, sogar um die politische Macht, entscheidenden Erfolg haben möge – als einen langsamen Fortschritt eines »umwandlungsfähigen und beständig im Prozeß der Umwandlung begriffenen Organismus« – eben der jetzigen Gesellschaft. Seine Erfahrungen mit der Internationale und dem Generalrat waren nicht ermutigend: Bakunin und seine Leute spukten als unheimliche Gespenster dahinein7. – Vergleichen wir nun Tröltsch. Er war, wie Marx, ein großer deutscher Gelehrter, er durchdachte zum guten Teil dieselben Probleme, das Kulturproblem, aber er stand auf der Höhe des Lebens ein Menschenalter nach Marx’ Ende, er hat eine Entwicklung erlebt, die ohne Zweifel den Gedanken, die Marx hegte, in sehr weitem Maße recht gegeben haben: einen nicht geringen Anteil an der politischen Macht hat in  fast allen  führenden Ländern die Arbeiterklasse durch ihre Führungen errungen, sogar in Großbritannien hat es – was vielleicht Marx am wenigsten binnen dieser 40 Jahre erwarten konnte 7

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Für die Kenntnis der wirklichen Marxischen Denkweise in bezug auf die Arbeiterklassenbewegung halte ich neben den Vorreden zum Kapital den Brief an Bolte vom 23. Nov. 1871 und manches in den Briefen an Sorge für sonderlich beachtenswert. (Vgl. Briefe und Auszüge, Stuttgart 1906. S. 39 ff. u. passim.) Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen – Das sogenannte »Sozialistengesetz« (Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21.10.1878; RGBl 1878: 351). – Tönnies veröffentlicht 1929 eine Monographie zum Gesetz und seiner Wirkung (Tönnies 1929a). »umwandlungsfähigen … Organismus« – Die Zeichen der Zeit »zeigen, wie selbst in den herrschenden Klassen die Ahnung aufdämmert, dass die jetzige Gesellschaft kein fester Krystall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig im Prozess der Umwandlung begriffener Organismus ist.« (Marx 1867: XII). gegeben haben: einen – A: gegeben haben, einen. Briefe und Auszüge – Sorge 1906.

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– eine Regierung gegeben, deren Ideologie in nicht geringem Maße unter seinem, des Deutschen, Einflusse stand – dies letzte hat freilich auch Tröltsch nicht mehr erlebt. Tröltsch war ganz anders bedingt als Marx: dieser ein freidenkender Israelit, jener ein liberal-protestantischer Germane; Marx ein verfolgter, heimatloser Journalist, Tröltsch mit allen Ehren und Würden ange[416]taner wohlbestallter Professor; Marx, von Haus aus Jurist, war kritischer Sozialökonom geworden, Tröltsch, ein Theologe, ist Philosoph geworden; aber nicht nur dies »Umsatteln« haben sie miteinander gemein, sondern was damit zusammenhängt, eine weitreichende allgemeine Bildung, einen starken Wahrheitssinn, das brennende Interesse für die Ph. d. Gesch., darum auch für die Analyse der sie umgebenden Gesellschaftsordnung und also der sozialen Frage – und eine gewisse Jüngerschaft zur »klassischen deutschen Philosophie«, insonders zu Hegel. Für Tröltsch als Theologen lag die spekulative Philosophie immer nahe genug; aber das Wiederaufleben Hegels in Deutschland ist offenbar stark mitbewirkt durch das Emporkommen des Marxismus. Für Tröltsch’ Ph. d. Gesch. steht die Auseinandersetzung teils mit Hegel, teils mit Marx im Vordergrunde der Forschung. Und doch ist das Verhältnis zur Geschichte ganz und gar anders. Marx lebt wie Hegel im Strom der Geschichte und bejaht ihn. Nicht minder als etwa Condorcet und Comte ist er vom unabsehbaren Fortschritt der Menschheit durchdrungen; und wie Comte die letzte entscheidende Wendung vom Durchdringen des politischen Positivismus, von der geistlich-wissenschaftlichen Führerschaft der Gesellschaft, vom Übergewicht der Moral über die Politik, zugleich die Rettung und das dauernde Heil der Menschheit in ihrer Selbsterkenntnis und Selbstverehrung erwartete, so Marx von der weiteren Steigerung der Produktivkraft der Arbeit, von der zunehmenden Konzentration des Kapitals, von der Organisation des Proletariats, von der Expropriation der Expropriateure, die Erfüllung des historischen Berufes dieser letzten herrschenden Klasse: Überwindung der Klassenherrschaft und somit Abschaffung der Klassen überhaupt! – Solchen Gedanken steht Tröltsch  fern. Er steht nicht so sehr der geschichtlichen Entwicklung selber als ihrer Erkenntnis, dem Einfluß dieser Erkenntnis, des Historismus, mit Bedenken, ja mit Sorgen gegenüber. Er sieht die Krisis »in den allgemeinen philosophischen Grundlagen und Elementen des historischen Denkens, in der Auffassung der historischen Werte, von denen aus wir den Zusammenhang der Ge-

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eine Regierung gegeben – Ab dem 23.1.1924 gab es im Vereinigten Königreich erstmals eine Regierung der Labour-Party unter Ramsay MacDonald. Die von der Liberal Party gestützte Minderheitsregierung war bis zum 4.11.1924 im Amt.

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schichte zu denken und zu konstruieren haben« (Hist. 4). Zu den Zerstörungen durch Marx, Nietzsche u. a. sei die »furchtbare praktische Probe aller historischen Theorien« durch Weltkrieg und Revolution hinzugekommen – »da schwankt der Boden unter den Füßen und tanzen rings um uns die verschiedensten Möglichkeiten weiteren Werdens …« (ebenda 6). Die Jugend empfinde diese Krisis des historischen Denkens am stärksten, »die vor allem ihr eigenes Lebensschicksal aus diesem Chaos wird formen müssen«. Als eine Last und eine Verwirrung (10) [417] wirke neuerdings die Geschichte und der Historismus. Aus der ferneren Darstellung aber, und besonders aus den hinterlassenen Vorträgen, geht hervor, daß Tröltsch persönlich diese Verwirrung und Belastung empfand, daß es ihn verlangte nach einer »Auseinandersetzung mit der Idee eines bleibenden und maßgebenden Systems der Werte, das doch gerade von diesem Strom unterwaschen und zerfetzt zu werden schien« (S. 3). Wir erinnern uns, auf welchen Wegen die Vorträge ein solches Ziel zu erreichen glauben. Dabei wird vorausgesetzt, daß es für »uns Europäer« Kulturwerte gebe, die allen gemein sind, die insbesondere in engeren und weiteren »letztlich konzentrischen« Gemeinschaftskreisen die Menschen verbinden oder »Gemeingeister« bilden. »Von den meist ziemlich eindeutigen materiellen Interessen und in Momenten wirklicher oder vermeintlicher Gefahr wachsen die Gruppen zu Gemeingeistern zusammen, wie nur je in der primitivsten Urzeit« (54). Wenn man aber den Kreisen eine Verbindung und einen Zusammenhang geben wolle, so werde man »freilich« auf das metaphysische und religiöse Moment gewiesen, von dem aus allein eine Verbindung und Zusammenwölbung erfolgen könne (56). Gerade auf diesem Gebiet jedoch – vgl. oben S. 408 – herrsche »allerdings« eine reißend zunehmende Anarchie (54). Wenn, um dieser zu »begegnen«, der Redner auf die »Keimzellen« von Bünden aller Art hinweist, so weiß er wohl, daß er damit keine »radikale und absolute Lösung« darbietet, sondern nur »kämpfende partielle und synthetisch verbindende Lösungen« (60). Wäre es Tröltsch gegönnt gewesen, seinen zweiten Band zu verfassen, so hätte er, des bin ich überzeugt, an diesen »Lösungen« sich nicht genügen lassen. Er hätte aber auch der Frage nicht entgehen können, ob es wirklich der »Historismus« ist, der unsere gegenwärtige Kultur so fragwürdig, der den Boden unter den Füßen schwanken macht, ob also eine Geschichtsphilo-

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(Hist. 4) – Troeltsch 1922: 4 – ohne die Hervorhebungen Troeltschs. »Auseinandersetzung mit der Idee … zerfetzt zu werden schien« – Troeltsch 1924: 3. – Auch die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diese Schrift. – In A steht korrekt: (V. 3). vgl. oben S. 408 – Hier S. 541. – A: heißt es unmittelbar vorher.

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sophie, wie er sie meint, die in einer richtigen »Kultursynthese« gipfelt, das Übel dadurch bewältigen könne, daß sie den Strom der Geschichte eindämme, begrenze, kanalisiere, gestalte. Tröltsch hätte erkennen müssen, daß sein Problem durchaus sekundär, daß es sogar wesentlich ein Symptom ist, daß im Grunde auch, was ihn selber beunruhigte, nicht die Krisis des Historismus, sondern die Krisis der Kultur war, die in der Zerrüttung des religiösen Bewußtseins, also der »Weltanschauung« überhaupt, ihren geistigen und tiefsten Ausdruck hat. Eben dies enthüllt sich in den beiden letzten Vorträgen deutlicher als zuvor. Gerade die absolute Geltung des Christentums, die, durch den Mund Hegels, auch die deutsche Philosophie noch verkündet hatte, war für Tröltsch ein felsenfest stehender Kulturwert gewesen. Nicht die eigentliche historische Forschung, [418] wohl aber der kritische Geist der Erkenntnis und Vergleichung hat ihm auch diesen Fels wankend gemacht. Er tröstet sich damit (s. o.), daß das Christentum die einzige Religion sei, die »wir« vertragen können, und daß »wir« die Religion nicht entbehren können. Nun aber – im letzten Vortrag – der Konflikt zwischen Religion und Politik! Aus dem Tröltsch keinen anderen Ausweg weiß als den der Kompromisse: des Kompromisses »von Naturalismus und Idealismus, von praktischen Notwendigkeiten irdischen Menschenlebens und idealen Zielen des geistigen Lebens« (V. 104)! Und zum Schluß verteidigt Tröltsch das Kompromiß grundsätzlich gegen die Verachtung, die ihm »bei uns in Deutschland« zuteil zu werden pflege. Sei doch das Christentum selber »ein ungeheurer und immer neuer Kompromiß der Utopie des Gottesreiches mit dem realen und dauernden Leben« (104). Am auffallendsten ist mir hierin, daß unser Philosoph das Christentum als etwas Einheitliches, Bleibendes, Lebendiges auffaßt, wenn er doch nicht umhin kann, die Zerspaltung in Kirchen, Sekten und Parteien hervorzuheben. Ja, das Christentum heißt ihm einmal (V. 74, s. o.) »noch eine werdende und nach immer neuem Ausdruck strebende Religion«. Wiefern dies richtig ist, erkennt jeder leicht. Es ringt in unablässigen Rückzugsgefechten und bemüht sich in immer neuen Anpassungen und durch immer neue Schlupfwinkel, seine noch immer gewaltige Macht und Geltung zu retten. Noch steht die orthodoxe, noch die römisch-katholische, noch die englisch-katholische Kirche, von den geringeren Landeskirchen zu schweigen.  8 14 20 22 29

ihren geistigen und tiefsten – A: ihren geistigsten und tiefsten. s. o. – Vgl. S. 543. »von Naturalismus und Idealismus … des geistigen Lebens« – Troeltsch 1924: 104. »bei uns in Deutschland« – »Vielen bei uns in Deutschland gilt der Kompromiß als das Verächtlichste und Gewöhnlichste, was der Denker begehen kann.« (ebd.). (V. 74, s. o.) – Tönnies zitiert diesen Satz auch auf S. 543.

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Aber die innere Zerrüttung aller Glaubensbekenntnisse wächst sichtlich. Gegen die wissenschaftliche Erkenntnis und besonders gegen deren Schätzung und das Streben danach im Volke können sie nur durch gewaltsame Künsteleien aufrecht erhalten werden, deren Überredungskraft, von Haus aus auf die Geistlich-Armen, auf die Interessierten und die Superklugen beschränkt, auch den beiden letzteren Kategorien gegenüber schon darum keine Dauer haben kann, weil Interessen und Moden sich verändern. Die Grundlagen des christlichen Glaubens sind völlig morsch geworden. Nach historischen Analogien zu urteilen, ist ihre Erneuerung sehr unwahrscheinlich. Das Verhalten des Proletariats zu den Kirchen und Bekenntnissen, wenn auch nicht einhellig, ist doch nicht nur im protestantischen Deutschland scharf ausgeprägt. In Großbritannien, wo die allgemeine Bildung, sogar in breitesten Schichten des Bürgertums viel schwächer, erst in jüngster Zeit tiefer in die Unterschichten hinabsickert, ist der Prozeß, wenn auch langsamer fortschreitend, nicht mehr verkennbar; daß in diesen Unterschichten viel mehr Bildungshunger vorhanden ist,  fördert ihn im hohen Maße. In Frankreich hat die Ideologie der Revolution die des [419] Christentums untergraben. Diese Tatsachen werden hier nicht angeführt, um sie zu bejubeln, auch nicht, um sie zu beklagen – sondern um sie zu erwägen und ihre Bedeutung zu würdigen. Denn allerdings lassen sich keine logisch zwingenden Folgerungen aus der Beobachtung des Werdens und Werdenwollens und dem darauf gerichteten historischen Denken ziehen; wohl aber kann man durch  folgerichtiges Denken zu dem Schlusse kommen, daß gewisse Entwicklungen unwiderstehlich geworden sind und daß sie höchstwahrscheinlich in gleicher Richtung, mit vermehrter Starke sich fortsetzen werden. Ein trotziger Geist wird sich ihnen trotzdem entgegenwerfen (… sed victa Catoni); wer aber in irgendeinem Sinne mitwirken will an Gestaltung zukünftigen Lebens, wird am ehesten zu der Marxistischen Folgerung kommen, daß man »die Wehen« des temporis partus maximus »abkürzen« könne und wird sein Wollen danach einrichten, wenn er nicht vorzieht, auf alles Wollen zu verzichten. 27

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sed victa Catoni – Zur Redensart verdichtete Aussage, die für das Festhalten an einem idealen Ziel gegen Widrigkeiten steht. Vollständig heißt der Satz Lukans: »victrix causa deis placuit, sed victa Catoni« (lat. svw.) »der Sieger hatte die Götter auf seiner Seite, doch der Verlierer einen Cato.«; Lucanus 1978: 14 f. (I 128)). der Marxistischen Folgerung – A: der Marxischen Folgerung. – Vgl. im Vorwort zum ersten Band des Kapital: »Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist, – und es ist der letzte Endzweck dieses Werks das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen – kann sie naturgemässe Entwicklungsphasen weder überspringen, noch wegdekretiren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.« (Marx 1867: XI). temporis partus maximus – [Lat.] svw. die größte Geburt der Zeit.

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Wir wissen nicht, wie sich Tröltsch’ Denken entwickelt hätte, wenn das Werk, das seine »Kultursynthese« enthalten sollte, vollendet wäre. Wenn er aber gegen Ende des Buches in der Entwicklung von Gemeinschaft zu Gesellschaft und in dem »Rhythmus« ihres Verlaufes einen Grundsatz der objektiven Periodisierung  findet; wenn ihm »dieses  formale Grundverhältnis »auch den Schlüssel zur Lösung des vorliegenden Grundverhältnisses« bedeutet, das »jedenfalls auf die Entwicklungsgeschichte des europäischen Kulturgebietes« zutreffe – so ist diese Entscheidung (nicht nur für mich persönlich) bedeutsam. Ihr gegenüber ist es nicht zu verwundern, wenn die Vorträge, für ein englisches, offenbar fast ausschließlich theologisch gebildetes und gestimmtes Publikum zubereitet, diesen Gedanken nicht fortsetzen, sondern so ausklingen, daß der vierte schließlich der Hoffnung Ausdruck gibt, die Zuhörer würden fühlen, das, was er zu seinen früheren Theorien hinzufüge, sei »kein Geist der Skepsis und der Unsicherheit« (V. 83). Er hätte wohl eingeräumt, daß der Schein solcher Skepsis und Unsicherheit vorhanden und nicht ganz ohne Grund ist. Tröltsch zitiert an einer Stelle des Buches (362), wo er mich im Zusammenhange mit der »Marxistischen Dialektik« behandelt, einige Sätze aus der Vorrede zur zweiten Auflage »Gemeinschaft und Gesellschaft«8 über die treibenden Faktoren der sozialen Bewegungen und erklärt, es »dürfte wohl die treffendste Formulierung der neuen [420] Einsichten sein, die sich zum großen Teil gerade von Tönnies’ Buche … seit 1887 immer breiter durchgesetzt haben«. 8

Jetzt auch in »Soziologische Studien und Kritiken. Erste Sammlung«, (Jena, Fischer), S. 45–57.

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ihm »dieses formale Grundverhältnis … persönlich) bedeutsam – Die Stelle ist verdorben. Tönnies zitiert Troeltsch (1922: 760) richtig oben auf S. 534. einige Sätze aus der Vorrede … »Gemeinschaft und Gesellschaft« – »Entscheidend ist ihm für die genauere Konstruktion die Einsicht, ›daß nicht in erster Linie politische Verhältnisse, noch weniger geistige Strömungen – wissenschaftliche, künstlerische, ethische – die treibenden Faktoren der sozialen Bewegungen sind, so stark sie auch dazu mitwirken; sondern die groben materiellen Bedürfnisse, Empfindungen und Gefühle des wirtschaftlichen ›täglichen‹ Lebens, die sich je nach den sozialen Lebensbedingungen, also in verschiedenen Schichten oder Klassen verschieden gestalten; daß diese relativ unabhängige Variable auch auf die politischen Verhältnisse und die geistigen Strömungen bestimmend einwirkt, durch deren Rückwirkungen sie selber fortwährend gefördert, aber auch gehemmt, immer in bedeutender Weise modifiziert wird.‹« (Troeltsch 1922: 362 zitiert Tönnies 1912: X f. [TG 2: 47], auch SSK I: 51 [TG 15: 91]; Troeltschs Hervorhebungen).

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Wenn mir die Billigung eines so bedeutenden Denkers von hohem Werte ist, so verkenne ich doch nicht, daß seine Stellung zu den Problemen von der meinen stark verschieden ist. Den für Tröltsch unerläßlichen Übergang von einer theoretischen Ansicht zur »Kultursynthese« mache ich nicht mit. Wenigstens nicht in seinem Sinne, der wohl aus dem, was hier mitgeteilt wurde, hinlänglich hervorleuchtet. Ich trenne Erkennen und Wollen schlechterdings voneinander. Was Max Weber darüber in seinem Vortrag »Wissenschaft als Beruf« ausführt, entspricht durchaus meiner eigenen Haltung, wie ich sie von je vertrete. Kein Wunder, daß jener Vortrag seines Freundes (den er »einen der mächtigsten deutschen Menschen und den umfassendsten, zugleich methodisch strengsten Gelehrten des Zeitalters« nennt: Hist. 565) sich Tröltsch schwer auf die Seele gelegt hat. Wenn Weber »den Positivismus beinahe übertrumpft« hat (570), »indem er die der deutschen Philosophie entstammenden teleologisch-evolutionistischen Momente derselben gänzlich ausmerzte und die persönliche, stellungnehmende Wertbejahung ... als völlig außerwissenschaftliche ... Angelegenheit... neben die kausale Wissenschaft stellte« – so versteht sich für Tröltsch von selbst, daß er diese Scheidung ablehnt; denn es ist die herbste Verneinung seiner Art, über diese Dinge zu denken. Auch Weber will ja nicht leugnen, daß wissenschaftliches Denken die Chance enthalte, ethisch bedeutende Wirkungen zu haben, ja er verkündet es als den Beruf der Wissenschaft, nicht nur Technik und Methoden des Denkens zu lehren, sondern eben dadurch ihrem Jünger zur Klarheit zu verhelfen, insbesondere über die tauglichen, ja die richtigen Mittel zu einem vorausgesetzten Zwecke – nur daß eben dieser Zweck sich nicht lehrend behaupten lasse. Allerdings aber kann sie sagen, es lasse eine gewisse praktische Stellungnahme mit innerer Konsequenz und also Ehrlichkeit ihrem Sinne nach sich ableiten aus der und der letzten weltanschauungsmäßigen Grundposition, aus den und den anderen nicht (Ges. Aufs. zur Wissenschaftslehre S. 530). »Wir können so … den einzelnen nötigen, … sich selbst Rechenschaft zu geben über den letzten Sinn seines eigenen Tuns«; der Lehrer, dem das gelinge, könne füglich sagen, er stehe im Dienst sittlicher Mächte, nämlich der,

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»Wissenschaft als Beruf« – Weber 1919, Tönnies zitiert aus dem Nachdruck in »Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre« (Weber 1922: 524–555). »einen der mächtigsten … Gelehrten des Zeitalters« – Tönnies verschiebt die Akzente, bei Troeltsch heißt es: »Max Weber, eine der mächtigsten deutschen Menschen und der umfassendsten, zugleich methodisch strengsten Gelehrten des Zeitalters.« (Troeltsch 1922: 565). »indem er die der deutschen Philosophie … kausale Wissenschaft stellte« – Ebd., 570 f. Ges. Aufs. zur Wissenschaftslehre S. 530 – Recte: Weber 1922: 540 ff.

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Pflicht, Klarheit und Verantwortungsgefühl zu schaffen … Indem ich diesen Gedankengang anerkenne, möchte ich hinzufügen: die Wirkungen der Lehre muß man abwarten. Man kann sie nicht erzwingen, kann sie kaum befördern und begünstigen, und wird dies nur dann wünschen, wenn man die Wirkungen der Erkenntnis unbedingt  für heilsam hält, was doch nicht immer, wenig[421]stens nicht für jede Denkungsart der Fall ist. Auch der wissenschaftliche Mensch scheut sich, dem die Binde von den Augen zu nehmen, der das Licht nicht ohne Leid und Schaden ertragen kann; auch er will nicht dem Ewigblinden die Himmelsfackel leihen; aber er ist ein Priester der Wahrheit und waltet seines Amtes, wenn er sie denen verkündet, – die sie hören wollen und ihr gewachsen zu sein glauben, mögen sie auch »von Augenschmerz geblendet« sich abwenden und, an dem Glauben hängend, der ihren jungen Seelen eingepflanzt wurde und ihrem Gemütsleben homogen ist, sich ängstlich, wenn nicht gar zornig und entrüstet, zur wissenschaftlichen Erkenntnis verhalten. Der wissenschaftliche Mensch darf sich aber der Tatsache nicht verschließen und muß sie aussprechen, daß unzählige einst beliebte, durch Alter und Gewohnheiten  feste, ja durchaus  für heilig und unantastbar gehaltene Vorstellungen dem forschenden Geiste und unerbittlichen Wahrheitssinn haben nachgeben und weichen müssen, daß eine nach der anderen, und viele spurlos, verschwunden sind. Fast immer wurde und wird die Religion in ihren Dogmen, aber auch in ihren Fundamenten, von solchen Erkenntnissen betroffen und erschüttert. Offenbar ist es das in ihr (und zwar näher in der protestantischen Fassung des Christentums, näher noch in der liberal-theologischen Auffassung) enthaltene »System der Werte«, das Tröltsch im Auge hat, wenn er feststellt, daß es von dem ungeheueren historischen Lebensstrom »unterwaschen und zerfetzt« zu werden scheine. Tröltsch erörtert gar nicht, was demselben System der Werte die Naturwissenschaften angetan haben – das ist merkwürdig und bezeichnend: das Christentum in seiner modernsten Gestalt wehrt sich gegen diesen alten Feind nicht mehr oder nur noch mit resignierter Miene; sogar das römisch-katholische hat ihm in sehr weitem Maß nachgegeben, nur gegen gewisse zweifelhaft scheinende Folgerungen wehrt es sich noch, wenn es für unmöglich hält, sie mit der Dogmatik in Einklang zu bringen. Mit einem hohen Maße von Gewißheit darf man voraussagen, daß alle noch gehaltenen Widerstände gegen den Geist der Wissenschaft fallen werden, wenn und sofern die 1

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»Wir können so … den einzelnen nötigen, … Verantwortungsgefühl zu schaffen – Ebd., 550, zunächst zitiert, dann als Paraphrase Webers. – Webers Hervorhebungen nicht dargestellt. »unterwaschen und zerfetzt« – Troeltsch 1924: 3.

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ser lebendig bleibt und sich  ferner entfaltet. Das Gewissen des Volkes liebt in solchen Urfragen nicht die Kompromisse. Es ist schon jetzt allen Voraussetzungen und fast dem gesamten Inhalt der christlichen Lehren tief entfremdet, auch wenn es noch auf Grund des Herkommens und des Vertrauens in die kirchlichen Autoritäten die Kultübungen fortsetzt, ja sogar eine gewisse Gläubigkeit bewahrt oder zu bewahren scheint; wobei immer daran erinnert werden muß, daß der weibliche Teil des Volkes einen anderen, und zwar im großen und ganzen einen konservativeren und religiöseren Geist hat als der männliche. Diese Tatsache [422] verlangsamt die Entwicklung in hohem Grade; aber sie kann ihre stärksten Tendenzen nicht aufheben. Erwägungen, denen wir hier nachgehen,  führen zurück auf unseren Ausgangspunkt. Viel stärker als durch mitgeteilte Vorstellungen und Lehren wird die Denkungsart der Menschen, zumal der Frauen, durch Gefühle, und werden diese durch Gewohnheiten, daher durch die Weise und die Bedürfnisse des täglichen Lebens und Arbeitens bestimmt. Läßt dieser Satz sich beweisen? Wir setzen ihn hier als hinlänglich wahrscheinlich voraus. Er bedarf aber der Ergänzung durch die Einsicht, daß immer die Umgebung, und zwar auch die menschliche, stark mitwirkt, weil Meinungen auf Meinungen wirken, die gemeinsame und öffentliche auf die individuelle und private. So sind die weiblichen immer durch die männlichen gedrückt, oft unterdrückt, besonders oft lächerlich gemacht worden, die kindlichen Vorstellungen durch die der Erwachsenen, der Aberglaube durch die Aufklärung. Was in dieser Hinsicht die letzten zwei bis drei Jahrhunderte in der europäischen Kulturwelt, zumal in der germanischen, vollbracht haben, ist bekannt genug. Auch das proletarische Freidenkertum ist am tiefsten in der germanischen Welt verwurzelt, wie der Protestantismus, der seine Wurzeln genährt hat. Denn es ist in seiner religiösen Auswirkung durchaus Erbe des philosophischen Geistes, der im Zeitalter der Aufklärung nirgendwo so tief in die allgemeine Bildung, sogar in die Theologie, eindrang, wie in Deutschland. Die Arbeiterklasse in ihrem Führertum trat hier einfach in die Fußstapfen der Führer der neubürgerlichen Schicht, die in ihren Spitzen mehr und mehr mit dem alten Herrenstande verschmolzen und mit ihm wieder »religiös« geworden ist – oder scheinreligiös aus Beweggründen politischer Art. Das proletarische Freidenkertum nimmt aber nicht mehr die Bedeutung in Anspruch, die das bürgerliche gehabt hat: die Religion ist ihm nicht mehr der Zentralwert des sozialen Bewußtseins; seine Kritik richtet sich viel lieber gegen die sozialen Verhältnisse als solche, unmittelbar. Auch die Aufklärung bedeutete ja eine Empörung gegen die herrschenden Stände, wie die kirchenreformatorischen Bewegungen vor ihr; da stand der Schrei nach Freiheit,

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Gewissensfreiheit, Glaubensfreiheit im Bunde mit dem Verlangen nach wirtschaftlichen Freiheiten aller Art und nach politischer Freiheit, aber die geistige Freiheit wurde als die wichtigste empfunden. In der Arbeiterbewegung, die nachdrängend dieselben Kämpfe fortsetzt oder wieder aufnimmt, ist doch nicht mehr das Ringen um vermehrte Freiheit im Vordergrunde, sondern das Bedürfnis neuer Ordnung, sie wendet sich zum guten Teil gegen die Freiheit »der Ausbeutung«, gegen die »Nichts-als-Freihändler«, gegen die »Anarchie« der Produktionsweise, das Man[423] chestertum usw. Der eigentliche Sinn der Hegelschen Dialektik in Marxischer Fassung ist, daß der Kritiker der politischen Ökonomie die neue Ordnung sich entwickeln sieht, daß er der Arbeiterklasse den Beruf zuweist, durch das Verständnis dieser Entwicklung ihre eigene Rolle, ihre Organisation, bestimmen zu lassen, um zu lernen, diese Entwicklung zu lenken und zu beherrschen. Der wichtigste Sinn des »historischen Materialismus« ist, daß er die Bedeutung der Meinungen  für die Entwicklung einschränkt, daß er nicht mehr glaubt, man könne durch gute Gründe, sei es der Heiligen Schrift oder der heiligen Vernunft, einen Kardinal zum Evangelium oder durch Gründe der Volkswirtschaftspolitik den durchschnittlichen Großgrundbesitzer zum Anhänger der Nationalisierung des Bodens, den durchschnittlichen Großindustriellen zum grundsätzlichen Freihändler oder den durchschnittlichen Proletarier zum Anbeter des Kapitalismus machen –, sondern dieser Materialismus trägt in das Gebiet der Meinungen das Prinzip der Kausalität, also ihrer Motivierung hinein und findet, daß, außer der Standes- und klassenmäßigen Bedingtheit der Meinungen wie der Wünsche, die Ursachen der Stände- und Klassenscheidung, mithin auch der darin liegenden Antagonismen, mittelbar eine fortwährende Wirkung ausüben: diese beschreibt ja Marx als die »ökonomischen Produktionsbedingungen« oder die ökonomische Struktur der Gesellschaft, den »Unterbau«, die reale Basis, das gesellschaftliche Sein der Menschen, die Produktionsweise des materiellen Lebens – lauter verschiedene Ausdrücke der einen Sache, deren Umwälzung »naturwissenschaftlich treu« sich konstatieren lasse. Ich habe immer die Ansicht vertreten, daß Marx hier in origineller, durch sein Herkommen von Hegel wie durch die Abtrünnigkeit von ihm wesentlich mitbedingter Weise einer Auffassung Ausdruck gibt, deren Kern schon in der Einteilung der 32

»naturwissenschaftlich treu« – »In der Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unterscheiden zwischen der materiellen naturwissenschaftlich treu zu konstatirenden Umwälzung in den ökonomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz ideologischen Formen, worin sich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten.« (Marx 1859: V).

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Menschheit nach Stein-Bronze-Eisen-Zeitalter, in der Unterscheidung von Wilden und Zivilisierten, von Jägern, Nomaden und Ackerbauern, in der Lehre Macchiavellis, daß in den Spätzeiten einer Kulturentwicklung die mechanischen Künste blühen, und in manchen ähnlichen Theoremen enthalten war. Woher denn die Aufregung? Sie hat manche Ursachen: die verworrene Scheu vor dem Greuel des Materialismus, der den Wohlgesinnten ebenso klingt, wie einst die Ketzerei den Gläubigen; die Assoziation mit den Irrlehren der Partei, die »den Umsturz predige«; die unbesonnenen Folgerungen und Anwendungen, die von »Marxisten« in dem Sinne gemacht wurden, als ob nur die ökonomischen Zustände und Entwicklungen wirklich, die geistigen als »Reflexe« bloßer Schein waren. – Mißverständnisse, an denen Marx und Engels Schuld gehabt haben mögen, wenngleich sie nachdrücklich genug sich dagegen ver[424] wahrten. Wie aber steht es mit dem echten Bedenken: daß es demnach überhaupt keine objektive Wahrheit in Sachen des sozialen Lebens und der Geschichte gebe, sondern lediglich subjektive Ansichten, die notwendig voneinander abweichen, je nachdem sie vom Standpunkte der einen oder der anderen Klasse gesehen werden? Insbesondere in Beziehung auf die Kulturwerte, so daß, was den einen heilig, den anderen verächtlich erscheine, ohne daß man die eine oder die andere Ansicht für unrichtig erklären könne? so daß auch über den Gang der Entwicklung, der etwa die einen Werte zerstöre, die anderen emporhebe, die entgegengesetzten Meinungen  für gleich richtig oder  für gleich  falsch gehalten werden müssen? Wie will man wissenschaftlich darüber urteilen? Die Frage bedeutet, daß es zweifelhaft ist, ob ein anderes als ein durch Klassengefühle, Klasseninteressen und Bestrebungen gefärbtes Urteil erstens über die Entwicklung der Menschheit, zweitens über die gegenwärtige Kulturentwicklung möglich sei. – Es ist offenbar, daß es über die erste Frage viel eher möglich ist als über die andere, weil jene den Gefühlen und Interessen sehr viel ferner liegt: tatsächlich hat eine nicht ernstlich mehr bestrittene Ansicht der Wissenschaft gegen die des religiösen Glaubens, trotz der mächtigen Interessen und der mit ihnen verknüpften vorwissenschaftlichen Weltanschauung sich durchgesetzt. Jesuiten wie »orthodoxe« protestantische Pastoren bekennen heute, daß die Bibel in naturwissenschaftlichen Fragen keinen Anspruch auf Gültigkeit habe. Die Zeugnisse für das so viel höhere Alter der Welt, der Erde und ihrer Bewohner, insonderheit auch der Menschen, sind überwältigend, und diejenige Bildung des Geistes, die dazu gehört, die kindliche Einfalt der hebräischen Schöpfungsgeschichte zu erkennen, ist schon reiferen Kindern auch der verschiedensten Volksschichten eigen. Beinahe ebenso tief ist schon die Erkenntnis durchgedrungen, daß nicht aus einem paradie-

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sischen Urzustande die Menschheit zurückgegangen, sondern, wie schon Savigny 1814 als eine in neueren Zeiten herrschend gewesene Ansicht »unberührt lassen« wollte, »zuerst in einem tierähnlichen Zustand gelebt habe und von da durch allmähliche Entwicklung zu einem leidlichen Dasein, bis endlich zu der Höhe gekommen sei, auf welcher wir jetzt stehen« (Vom Beruf unserer Zeit S. 9). – Dauernd streitig ist hingegen die Beurteilung der gegenwärtigen Kulturentwicklung, und zwar offenbarerweise, weil andere Motive, andere Ideale (dürfen wir auch sagen) auf die Beurteilung einwirken, ja sie bestimmen. Der Gegensatz erschöpft sich  fast in der relativen Schätzung des »Mittelalters« und hingegen der »Neuzeit«. Die konservativ-reaktionäre, romantische, aristokratische, poetisch-schwärmerische und katholisch-religiöse Ansicht auf der einen Seite, die protestantisch-fortschrittlich-liberale, [425] demokratische, rationalistische, in ihrer Art auch prophetisch-schwärmerische, für Wissenschaft und Technik begeisterte Ansicht auf der anderen. Dort die der Alten, des Adels, der Geistlichkeit, des Ackerbaues und des Handwerkes, hier die der Jugend, des Großbürgertums und des Proletariats, der Professoren und Literaten, der Industrie, des Handels. So wäre das Verhältnis einfach, wenn nicht jeder dieser Faktoren eine besondere Denkungsart in sich schlösse, und wenn nicht diese Denkungsarten innerhalb der einen Richtung einander auf Tod und Leben bekämpften. Da sind auf jener Seite gegeneinander die katholische Kirche und die Protestantismen (sofern auch diese gegen Aufklärung, Unglauben und Kritik sich wehren, obgleich sie selber der alten Kirche gegenüber schlechthin negativ waren), die Geistlichkeit und die Laien, der Wille, zu erhalten oder zu restaurieren und der Wille, zu verbessern und zu reformieren: Adel und Bürgertum, bäuerliche Landwirtschaft und städtisches Gewerbe; auf dieser Seite aber viel entwickelter der klaffende Riß, der »Klassenkampf« zwischen Reichen und Armen, Bourgeoisie und Proletariat. Dieser Gegensatz steht heute so im Vordergrunde, daß wir eben um seinetwillen davon ausgegangen sind, daß es nicht zwei, sondern drei Grundeinstellungen zum Problem der modernen Kulturentwicklung gibt; diese Auffassung darf uns aber nicht verkennen lassen: ihrem psychologischen Grundtypus nach gehören die einander scheinbar am meisten entgegengesetzten, die zweite und dritte zusammen, wenn auch starke Motive die zweite zur ersten hinüberdrängen, minder starke auch die dritte der ersten gesellen. Jener Grundtypus wird aber dargestellt durch Unterschied und Gegensatz derer, die Besitz, politische Macht, moralische Geltung haben, und derer, die eines dieser Gü 6

Vom Beruf unserer Zeit S. 9 – Savigny 1814: 8 f.

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ter oder mehrere oder alle erstreben. Diejenigen, die alle zusammen gehabt haben und in verringertem Maße noch haben, aber weiter zu verlieren  fürchten, werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in entsprechendem Verhältnis bejahen und verneinen, also nur Vergangenheit ganz bejahen; ebenso werden die anderen Schichten in entsprechenden Verhältnissen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bejahen oder verneinen. In diesem Verstande erneuert sich immer der einfache Gegensatz einer konservativen (und reaktionären) und einer mutativen (und reformativen) Partei, wenngleich dieser Gegensatz in immer anderer Gestalt erscheint. Ist er identisch mit dem Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft? Man hat mir zuweilen zum Vorwurf gemacht, daß ich für Gemeinschaft und wider Gesellschaft Partei zu nehmen scheine, obgleich ich (in meiner Vorrede von 1887) offenbar dafür eingetreten war, »solche Phänomene mit derselben sachlichen Gleichgültigkeit ins Auge zu fassen, mit welcher der Naturforscher die [426] Prozesse des Lebens einer Pflanze oder eines Tieres verfolgt«9. Aber ich räume ein, daß ich jener Auffassung nicht hinlänglich vorgebeugt, daß ich dem Schein, der sie hervorrief, nicht in zureichender Weise gewehrt habe. Ich nehme gern die gegenwärtige Gelegenheit wahr, mich darüber zu erklären. Ich betrachte allerdings die gesellschaftliche Entwicklung, insofern als sie die Gemeinschaft aufhebt, in diesem Lichte, daß sie die »Kultur« in »Zivilisation« verwandelt und auflöst und somit einem Ende, das sich dem natürlichen Tode eines physischen Organismus vergleichen läßt, entgegenführt. Aber daraus  folgt nicht, daß ich diese Ent9

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Jetzt »Soziologische Studien und Kritiken. Erste Sammlung.« S. 40. Der genannte Vorwurf klingt durch in L. v. Wieses Allgemeiner Soziologie I, S. 39. wenn von der großen Gefahr der Sonderung von Grundverhältnissen gesprochen wird, der Vierkandt noch mehr als ich erlegen sei: sie bestehe in der »Aufstellung einer Rangordnung und einer Höherbewertung der Gemeinschaft über das sogenannte Gesellschaftsverhältnis (im engeren Sinne)«. Das führe in die Sozialphilosophie hinüber und lasse subjektiven Vorurteilen Raum. Gegensatz einer konservativen … und einer mutativen … Partei – Vgl. eine ähnliche Formulierung im Manuskript für den zweiten Band des »Geist der Neuzeit« (TG 22.2: 162) und im veröffentlichen ersten Bd. diese Werks (Tönnies 1935: 12 f.; TG 22: 26). »solche Phänomene … Tieres verfolgt« – SSK I: 40 (TG 2: 27; TG 15: 78). »Kultur« in »Zivilisation« verwandelt – Vgl. hierzu im Entwurf zum Folgeband des »Geist der Neuzeit«: »So ist er [Unterschied von Kultur und Zivilisation] schon vom Verfasser selber auf die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft bezogen worden, d. i.: Kultur in eine wesentliche Beziehung zu Gemeinschaft, Zivilisation ebenso in eine wesentliche Beziehung zu Gesellschaft als vorwaltender Gestalt des menschlichen Zusammenlebens und Zusammenwirkens gesetzt worden.« (TG 22.2: 193 f.). L. v. Wieses Allgemeiner Soziologie – Wiese 1924.

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wicklung  für  fehlerhaft, auf Irrtümern, wohl gar auf einer  falschen Theorie des sozialen Lebens – etwa der individualistischen – beruhend auffasse oder gar den »Abfall«, die Bosheit, den Egoismus der Menschen anklage, die Träger dieser Entwicklung seien. Noch weniger betrachte ich sie als ein Verbrechen, an dem der verruchte »Unglaube«, die »Entgottung der Welt« (wie neuestens Sombart sie vor sein Gericht führt), der Materialismus und Sensualismus die »Schuld« trage, die sich also etwa durch bravere, wohlgesinntere Leute sühnen oder in strafender Zucht aufheben lasse. Ich möchte nicht für irgendeine einzelne Äußerung und Ausdrucksweise, die aus den Schriften, sei es der bürgerlichen Aufklärung des 18. oder der proletarischen des 19. bis 20. Jahrhunderts herausgeholt und an den Pranger gestellt werden, mich verantwortlich halten; aber die streng wissenschaftliche Denkungsart, die allem Geister- und Gespensterglauben, allen Phantasien von Göttern und Dämonen verneinend entgegentritt, nenne ich allerdings meine eigene. Gerade, weil ich auch die Schranken der wissenschaftlichen Erkenntnis, ja die wesentliche und ewige Unerkennbarkeit des Seins in allen seinen Gestalten, auf ebenso nachdrückliche Art betone. So verhehle ich auch nicht, daß meine volle persönliche Sympathie der Befreiung der Geister aus den Banden des Aberglaubens und Wahnes gehört; wie ich auch alle Freiheitsbewegungen gegenüber dem Feudalismus, der Erbuntertänigkeit, dem Zunftzwange nicht nur in ihrer Notwendigkeit, ihrem inneren Sinn verstehe, sondern auch ethisch und politisch »billige«; obgleich diese Institutionen in ihren Ursprüngen und Kerngestaltungen ein gemeinschaftliches Gewand trugen, und obgleich jene individualistischen [427] Befreiungen in die heutigen Zerrüttungen des sozialen Lebens hinüberführen mußten. Gerade, weil ich in »Gemeinschaft« das eigentliche soziale Leben sehe, erscheint mir, sofern ich Leben gutheiße, ein lebendiger Individualismus und die Gesellschaft, die er hervorbringt und trägt, wertvoller als erstarrende und veräußerlichte, in Gewalt und Tyrannei übergehende, entgeistete »Gemeinschaft«, die, wie der Glaube, den sie in ihrem Schoße hegt, innerlich unwahr und heuchlerisch geworden ist. Ich habe ausgeführt (»Individuum und Welt in der Neuzeit«: Weltwirtsch.-Archiv I, 1, S. 40 ff.), daß sich in und aus den ihrem Wesen nach gemeinschaftlichen Verbindungen, mehr aber noch neben ihnen her, das »Individuum« in dem besonderen Sinne, durch den es zum soziologischen Begriff

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dieser Entwicklung seien. – A: dieser Entwicklung sind.. »Entgottung der Welt« – Dies der Titel eines Kapitels im Abschnitt »Die Auflösung der bisherigen Weltordnung« (Sombart 1924: 116 ff.).

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geworden sei, entwickle; »das Individuum und der Individualismus«, den ich nicht als eine Ansicht, eine Gedankenrichtung, eine Idee oder ein Ideal, sondern innerhalb der »Systeme des Lebens« verstehen wolle. So ist nicht nur in und aus den Kirchen und ihren Glaubenszwangformen, sondern vorzugsweise neben ihnen her die individuelle und zunächst auch individualistische Weltanschauung entsprungen, die in folgerichtiger Weise eine naturwissenschaftliche und eine kulturwissenschaftliche Denkungsart entwickelt, aber auch die kritische und idealistische Philosophie als deren Begrenzung und Korrektur, woraus wiederum ein universalistisches System entspringen kann, ja entspringen muß: des »Pantheismus«, ja, der aber richtiger Pankosmismus heißt, nicht der Restauration des Olymps oder des Himmelreiches; diese gehören ins Gebiet der Dichtung und der schönen Künste überhaupt. Ob auch »Gemeinschaft« daraus entspringt, wonach, wie uns von so vielen Seiten entgegen tönt, heute die Jugend sich sehnt? Daß ein ethisches Bewußtsein durch Erkenntnis genährt werden kann, daß seiner Vertiefung die Vertiefung der Weltanschauung zugute kommt, wenn überhaupt Tiefen der Seele vorhanden sind, halte ich für gewiß; und das ethische Bewußtsein wird in der Tat mehr in Gemeinschaft als in Gesellschaft sein Genügen finden: so auch der Enthusiasmus, der die Jugend ziert. Darum kann auch die Rückkehr zur Gläubigkeit, die Beruhigung etwa im Schoße einer die ewige Seligkeit verheißenden Kirche, nicht nur die einzelne schwache Seele stärken, sondern auch dem Willen eine bessere (»altruistische«) Richtung geben; aber diese verbesserte Richtung ist nicht dadurch bedingt, sie kann auch, und wird unter heutigen Umständen eher, durch ein entschiedenes und klares wissenschaftliches Denken gefördert werden, wenn anders, was immer entscheidend bleibt, die Gemütsanlage dafür vorhanden ist, der angeborene Sinn für Gemeinschaft, für Treue, für Aufopferung vorhanden ist; ein Sinn, [428] der, wenn nicht sehr stark, wie andere herrliche Gefühle, allzu leicht erstickt im »irdischen Gewühle«, d. h. insbesondere eben im Leben der »Gesellschaft«, im Durcheinander der Menschen, die einander äußerlich nahe, innerlich fremd sind und bleiben. Aber ein gutes und starkes Gemüt wird auch mit der nüchternsten, kältesten, indi-

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daß sich in und aus den ihrem Wesen … und der Individualismus« – Diese Formulierungen finden sich bei Tönnies 1913: 42. – Tönnies kennzeichnet diese Formulierungen als eine »Modifikation« (ebd.) seiner Ansichten aus »Gemeinschaft und Gesellschaft«. In einem Nachdruck des Aufsatzes in der Sammlung »Fortschritt und soziale Entwicklung« (1926c: 10) wird Tönnies diese »Modifikation« noch einmal variieren: Vgl. den Editorischen Bericht in TG 2: 684 Fn. »Systeme des Lebens« – Tönnies 1913: 41. daß seiner Vertiefung – A: daß seiner Vertiefung.

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vidualistischen, materialistischen, atheistischen, und was weiß ich wie die Worte des Grauens und der Verwerfung von Seiten derer, die einer richtigeren und besseren Denkungsart sich rühmen, heißen mögen (heute unter uns mit Vorliebe »westlerisch«, oft auch »semitisch«) – wird, sage ich, auch mit einer vielleicht beschränkten und unzulänglichen Weltanschauung die edelsten Tugenden des sozialen Lebens, die Hebung sittlicher Gemeinschaft, sogar ohne den Glauben an sie, vereinigen können; und es gibt keinen Grund, warum nicht ein gutes und starkes Gemüt jene Weltanschauung hegen sollte, gerade dann, wenn in einem solchen Gemüt auch die männliche Tapferkeit und Rücksichtslosigkeit des Denkens die unbedingte Aufrichtigkeit und Liebe zur schlichten Klarheit und Folgerichtigkeit wurzeln – Eigenschaften, die jeder, der sie kennt, bei den Schwärmern, Romantikern, daher bei allzu vielen (sonst vielleicht höchst schätzbaren) Künstlerseelen allzu sehr vermissen muß. Gegen alle Gläubigkeit und ihre vermeintliche Tiefe steht immer der hohe Sinn der Wahrhaftigkeit; gegen alle Ideale der Kunst und der Dichtung – wie Platos Republik in erhabener Weise ausgeführt hat –, das Ideal der Wahrheit, also die echte Philosophie. Diese wird auch der Denkungsart des Gefühles, der dichterischen oder intellektuellen Anschauung (möge sie als Schau oder als Intuition oder als metaphysische Denkungsart sich vorstellen) gerecht werden, weil sie in der Tat das kalte wissenschaftliche Rechnen berichtigt, aber sie wird sich weigern, diese »Methoden« zu vermischen und zu vermanschen, wie es dem Geschmack verworrener Romantiker immer am meisten zusagt. Auch der treffliche Tröltsch blieb von der Schwäche nicht frei, die diesen anhaftet, obgleich er (Historismus, Vorrede S.  IX, also gegen Ende seines Lebens) nachdrücklich erklärt hat, sein Buch gehöre mehr der Wissenschaft als dem heute in Phantasie und Gefühl so stark erregten Literatentum an, denen er Geist und anregende Kraft, wo sie vorhanden seien, nicht abspreche; er ziehe für seine Person die herbere und nüchternere Atmosphäre des strengen Wahrheitswillens vor. Er scheint mir doch den »psychologisierenden Lebensphilosophen« zuviel einzuräumen und ihren Dauerwert zu hoch zu schätzen. Darum ist auch seine »Kultursynthese« mißlungen, weil sie in der Wurzel verfehlt ist. Was an der Kultur gesund ist und gesund bleibt, vollends was etwa zu ihrer Genesung dienen mag, ist das Werk redlicher, klar denkender, rein wollender [429] Männer und Frauen, die einzeln und verbunden das Ihre tun und nicht gelehrt und philosophisch sein müssen; so nützlich das Wissen auf der einen Seite ist, so schädlich

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»psychologisierenden Lebensphilosophen« – Dazu Troeltsch 1922: 493 ff. »Kultursynthese« – Ebd., passim, z. B. 113.

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kann es auf der anderen sein, wenn es die natürliche Farbe der Entschließung und der Hingebung an gestellte Aufgaben trübt, wie es gar zu leicht geschieht. Gewiß kann das Tun im Sinne einer edlen Gesittung praktisch nur in »Kompromissen« sich bewegen; es wird aber in diesen um so sicherer sich behaupten, je mehr es im Denken und also in Grundsätzen  fest, strenge und unerschütterlich sein wird. Tröltsch gibt einer richtigen Empfindung Ausdruck, wenn er sagt (s.  o. S.  IX),  für seine Grundidee sei es gleichgültig, ob man dem aufsteigenden oder absteigenden Ast einer Kulturentwicklung angehöre. »Gleichgültig« ist allerdings zuviel gesagt; aber er hat recht, wenn er etwa sagen will, daß die Richtigkeit unseres Denkens und die Rechtschaffenheit unseres Handelns von jener Frage unabhängig sind, daß der einen wie der anderen eine relative Ewigkeit immanent ist. Man darf hinzufügen, daß die Erkenntnis, das Bewußtsein der Tragik des Kulturverlaufes in hohem Grade geeignet ist, den sittlichen Ernst des besonnenen Denkers zu stärken. [430]

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(s. o. S. IX) – Ebd., IX.

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Ich unterscheide zunächst die allgemeine und die besondere Soziologie. Die allgemeine Soziologie ist die Lehre vom menschlichen Zusammenleben überhaupt. Dieses umfaßt alle Zusammenhänge der Menschen in Raum und Zeit; unabhängig davon, ob die Menschen einander kennen oder nicht, ob sie in irgendwelchen oder in keinen Beziehungen zueinander stehen, ob sie einer von des oder der anderen Dasein eine volle, eine geringe oder gar keine Kenntnis haben, ob sie einander bejahen oder verneinen, ob sie in primitivem, früher sog. Naturzustand oder im Zustande mehr oder minder entwickelter Kultur zusammen oder widereinander leben. Die Lehre umfaßt in sich alle solche höchst mannigfachen Fälle. Sie schließt aber die auf irgendeinen dieser Zusammenhänge bezogenen Kunstlehren von sich aus, sie will nichts als Wissenschaft von dem, was ist, sein; darin liegt aber eingeschlossen, was war und was sein wird, sofern es erkennbar werden mag. Näher bestimme ich diese Gesamtheit ihrem Wesen nach dahin, daß an ihr entweder 1. die biologische Seite oder 2. die psychologische Seite betrachtet und erforscht wird; oder endlich 3., daß aus beiden die besondere soziologische Untersuchung sich entwickelt.

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Referat  für den 5. Internationalen Philosophen-Kongreß zu Neapel 5.–9. Mai 1924 (wird auch erscheinen in den Atti des Kongresses).

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Einteilung der Soziologie – Tönnies trägt diesen Text auf einem Kongress in Neapel vor, dort erscheint er im Kongressprotokoll (Atti del V Congresso Internazionale di Filosofia, S. 885–898, Tönnies 1924c, im Folgenden A, unter dem Text die Autorenzeichnung »Ferdinand Toennies. Universität Kiel«). – Für ein deutsches Publikum leichter erreichbar ist die Veröffentlichung in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (79: 1–15, Tönnies 1925b, im Folgenden B, unter dem Titel gezeichnet »Von Ferdinand Tönnies«). Diesem Text folgt der Nachdruck in SSK II. – Beide Veröffentlichungen in der Antiqua gesetzt. – Die Fußnote zum Titel nur in B. – Vgl. im Editorischen Bericht S. 666. einer – Wort erscheint überflüssig. haben, ob sie einander … widereinander leben. – Der Satz endet in A mit »haben.«. alle – Wort in A nicht hervorgehoben. – Der folgende Satz fehlt in A.

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Die Sozialbiologie und die Sozialpsychologie haben in diesem Sinne einen Bestand gewonnen, der sie wohl der allgemeinen Soziologie unterordnet, wovon aber die besondere Soziologie strenge unterschieden werden muß. A. Die Sozialbiologie kann ihrem Namen nach auch auf die Symbiose der Pflanzen und auf die sog. tierischen Gesellschaften erstreckt werden, kommt aber als Teil der allgemeinen Soziologie nur in Betracht insofern, als sie das menschliche Zusammenleben erforscht. Sie wird in diesem Sinne auch Sozialanthropologie genannt. Gegenstand dieser Wissenschaft ist der Mensch als animalisches Wesen, das sich ernährt und sich  fortpflanzt, sich hin- und herbewegt und sich ansiedelt, daher auch das die Erdoberfläche verändert, das Äcker, Häuser, Schiffe baut, Geräte, Instrumente, Werkzeuge erfindet – alle diese Dinge und [431] die Arbeit, die sie herstellt, kommen für diese Ansicht nur in Betracht insofern, als sie objektive Tatsachen sind, die zum Zusammenleben, weil zum Dasein der Menschen gehören, es fördern oder hemmen; ebenso das Zusammenleben selber insofern, als es gegenseitige Hilfe oder im Gegenteil gegenseitige Schädigung und Vernichtung in der Welt der äußeren Erscheinungen bedeutet. Das Zusammenleben in Raum und Zeit, mithin als ein Nebeneinander, ein Nacheinander, als ein Mit- und Für- oder Trotz- und Widereinander-Leben ist hier eine Summe von Vorgängen der Natur, die also den allgemeinen Naturgesetzen des Werdens und Vergehens unterliegen. Diese würden auch wirksam sein, wenn das Zusammenleben von keinen Gefühlen und Ideen begleitet oder gar geleitet wäre. Es kann also in der Sozialanthropologie von aller Psychologie abstrahiert werden. Die Sozialanthropologie hat es mit den Rassen der Menschen und ihren Unterabteilungen insofern zu tun, als deren Dasein zum großen Teile eine durch lange Zeiträume sich fortsetzende räumliche Verteilung der Menschen und entsprechende Inzucht der Fortpflanzung in sich schließt; als aber auch Mischungen mit unterscheidbaren Wirkungen vorkommen, als  folglich Menschen gleicher und verschiedener Rassen, Unterrassen usw. teils zusammenwirken, teils gegeneinander wirken. Die Fragen der Rassenveredelung und Entartung gehören in dies Bereich, zusammen mit dem ganzen Kampf ums Dasein der natürlich zusammenhängenden Menschengruppen, Kämpfen gegen die Widerstände der Natur, Kämpfen widereinander um den Lebensraum, Kämpfen um Macht  2  3  6 15 20

der allgemeinen Soziologie – A: der allgemeinen Soziologie. die besondere Soziologie – A: die besondere Soziologie. Symbiose der Pflanzen – A: Symbiosen der Pflanzen. objektive Tatsachen – In A nicht hervorgehoben. ein Nacheinander, – Fehlt in A.

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und Herrschaft; auch Macht und Herrschaft können als lediglich äußere Tatsachen betrachtet werden, insbesondere der äußere Zwang der einen wider die anderen, ihnen zu dienen und für sie zu wirken wie rohe oder verarbeitete Gegenstände der Natur. In mehreren einzeln gepflegten Wissenschaften ist die Sozialbiologie enthalten und kann daraus abgehoben werden. Die Ethnographie beschreibt die Völker, insbesondere die primitiven und kulturarmen, in ihrem äußeren Dasein; man kann ihr die Demographie als Beschreibung der Kulturvölker an die Seite stellen, die durch Zählung und Buchführung deren Leben vollständiger zu erfassen weiß. Wie die Ethnographie als Ethnologie, so wird Demographie als Demologie zu einer besonderen Wissenschaft der kausalen Beziehungen zwischen den beobachteten Erscheinungen. Ihre verallgemeinerten Ergebnisse geben Ethnologie und Demologie an die Sozialbiologie ab, die ihre Elemente in die Bevölkerungslehre überführt; die beschreibenden Teile, also Ethnographie und Demographie, können als »Soziographie« zusammengefaßt werden, die dem ursprünglichen und echten Sinne der »Statistik« ent[432]spricht und ebenso in der Sozialbiologie wie in der Sozialpsychologie und in der speziellen Soziologie verwertet werden muß. Zur Soziographie gehört auch, was als »deskriptive Nationalökonomie« in die Lehre der Volkswirtschaft übergeht. B. Die Sozialpsychologie ist notwendige Ergänzung der Sozialbiologie, wie die Psychologie die der Biologie überhaupt. Sie betrachtet also alle Gegenstände der biologischen Ansicht des menschlichen Zusammenlebens von der inneren, psychischen oder subjektiven Seite. Sie läßt uns erkennen, wie die Menschen durch mannigfache Motive zusammengeführt, zusammengehalten, einander genähert, andererseits aber durch ebenso mannigfache Motive entzweit, verfeindet, voneinander entfernt werden. In diesen Betrachtungen werden die Menschen als individuelle Willensträger gedacht, von denen jeder seine besonderen seelischen Erlebnisse in bezug auf den oder die anderen hat, indem er sie bejaht oder verneint, das eine wie das andere stärker oder schwächer. Außer-

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Demologie – Tönnies verwendet den Terminus erstmals in seinem »ersten Concept« 1880 bei der Arbeit an »Gemeinschaft und Gesellschaft« (das Buch erschien 1887), vgl. TG 2: 488, dort auch Angaben zur Herkunft dieser Übernahme. – In der Eröffnungsrede zum Ersten Deutschen Soziologentag noch empfiehlt Tönnies, den Begriff »Statistik« durch »Demographie und Demologie« zu ersetzen (hier: S. 225). – Später wird Tönnies in Anlehnung an Sebald Rudolf Steinmetz von »Soziographie« sprechen. Vgl. seine Rede vor dem 7. Deutschen Soziologentag 1930 (Tönnies 1931a) sowie den Editorischen Bericht zu diesem Text (TG 21: 624 ff.) zu Tönnies’ Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Statistik und Einsatz für die »empirische Soziologie«. als individuelle Willensträger gedacht – A: als Individuen gedacht.

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dem aber beschäftigt die Sozialpsychologie sich mit den seelischen Erlebnissen, die mehrere gemeinsam haben, insofern, als sie zusammen das gleiche empfinden, in gleicher Weise fühlen, eines und dasselbe wollen. Wegen dieses Unterschiedes hat Stoltenberg »Soziopsychologie« und »Psychosoziologie« voneinander gesondert. Wir nehmen dies an und erkennen in der Psychosoziologie den Übergang zur dritten Abteilung der allgemeinen Soziologie, nämlich zur besonderen oder eigentlichen Soziologie. Das Grenzgebiet, das zugleich die erste Hälfte einer Brücke darstellt, liegt in der Lehre vom sozialen Wollen, insofern als dieses noch als gemeinsames Wollen mehrerer begriffen wird, noch nicht als einheitliches Wollen einer durch solches gemeinsame Wollen geschaffenen Einheit oder sozialen Wesenheit. Die Psychosoziologie schließt also die Lehre von den Massen (Massenpsychologie) und Gruppen, sofern diese als bloße äußere Vielheiten betrachtet werden, ein. C. Die spezielle Soziologie teile ich ein in: I. die reine Soziologie, II. die angewandte Soziologie, III. die empirische Soziologie. Grund dieser Einteilung ist methodologisch: die reine Soziologie ist konstruktiv, die angewandte deduktiv, die empirische induktiv.

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I Innerhalb der reinen Soziologie werden folgende Kapitel unterschieden: [433] 1. die Grundbegriffe Gemeinschaft und Gesellschaft, 2. die Lehre von den Verbundenheiten oder den sozialen Wesenheiten, 3. die Lehre von den sozialen Normen, als dem Inhalte des Willens der sozialen Wesenheiten, 4. die Lehre von den sozialen Werten, als den Gegenständen des Besitzes der sozialen Wesenheiten,  5 10 22 26 30

»Soziopsychologie« und »Psychosoziologie« – Vgl. Stoltenberg 1914. Tönnies bespricht dieses Buch 1917 (Tönnies 1917). – In A kein Absatz nach diesem Satz. als gemeinsames Wollen – A und B: als ein gemeinsames Wollen. – In A kein Absatz am Ende des Satzes. I – In A als Fließtext gesetzt, nicht als Überschrift. Lehre von den Verbundenheiten – A und B: Lehre von den Verbindungen. als den Gegenständen des Besitzes – A: als der Gegenstände des Besitzes.

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5. die Lehre von den sozialen Bezugsgebilden als den Objekten des Handelns der sozialen Wesenheiten. Der Grund dieser Einteilung ist durch den Begriff der sozialen Wesenheit gegeben. Diese wird gedacht als eine Wesenheit, die nicht unmittelbar in der Erfahrung gegeben ist, sondern durch das Medium des gemeinsamen Denkens derjenigen menschlichen Individuen gesehen und begriffen werden muß, die eine solche Wesenheit bilden und benennen. Nur durch diesen gemeinsamen Willen ist sie vorhanden, muß also immer in ihrer Abhängigkeit davon begriffen werden. An die Stelle der Individuen oder natürlichen Personen können aber auch Körperschaften oder künstliche Personen treten.

1. Die soziologischen Grundbegriffe

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Die Lehre vom gemeinsamen Willen und seinen Formen bildet den letzten Ausläufer der Psychosoziologie, gehört also noch in das Gebiet der Sozialpsychologie, aus dem sie aber unmittelbar hineinführt in die reine Soziologie. Innerhalb dieser und in ihre Eingangspforte stelle ich die Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft. Der Sinn dieser Begriffe ist, daß alle Verbindung der Menschen miteinander wie auch die davon abgeleitete Verbindung von sozialen Körperschaften mit Individuen und miteinander, endlich auch die Verbindung zwischen Menschen und ihren Göttern, die gleich den sozialen Wesenheiten Erzeugnisse ihrer Einbildungskraft sind – daß alle diese Komplexe positiver Beziehungen, die ein Band (vinculum) konstituieren, einen zwiefachen Ursprung haben: entweder den menschlichen Wesenwillen oder den menschlichen Kürwillen. Als Wesenwillen begreife ich hier die Formen des Wollens, also der Bejahung und der Verneinung, die im Gefühl (der Neigung, dem Instinkt) ihre Wurzel haben, durch die Übung, also als Gewohnheit, sich befestigen und als Glaube oder Vertrauen sich vollenden. Dazu gehört auch das bejahende Wollen, sofern es auf Mittel zu einem Zwecke gerichtet ist, solange als diese Mittel in wesentlicher Einheit mit dem  2  6 10 11 16 19

als den Objekten des Handelns – A und B: als der Objekte des Handelns. des gemeinsamen Denkens – A: des gemeinsamen Wollens, mithin des gemeinsamen Denkens. An die Stelle der Individuen … Personen treten. – Satz fehlt in A. 1. Die soziologischen Grundbegriffe – Die Überschrift fehlt in A. Stattdessen beginnt der Textabsatz mit »1.«. Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft – A: Begriffe Gemeinschaft und Gesellschaft. die Verbindung zwischen Menschen – A und B: die Verbindungen zwischen Menschen.

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Zwecke gefühlt und gedacht werden. An diesem Punkte tritt aber der Bruch ein, wenn und insofern als Zweck und Mittel sich entzweien, d. h. als ein Mittel in vollkommener Isolierung, ja endlich in Opposition zu dem Zwecke, dennoch als zweckmäßig bejaht und ge[434]wollt wird; also auch trotz Widerwillens, mit Überwindung eines solchen, z. B. der widerstrebenden Neigung, des Ekels, oder des Gewissensbisses. Die Einheit dieser Formen des Wollens nenne ich Kürwillen. Als beruhend in gemeinsamem Wesenwillen wird Gemeinschaft, als hervorgebracht durch gemeinsamen Kürwillen Gesellschaft verstanden. Immer handelt es sich dabei nicht um genetische, sondern um logische Begründung.

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2. Die Lehre von den Verbundenheiten oder den sozialen Wesenheiten Als soziale Wesenheiten unterscheide ich: a) die sozialen Verhältnisse, b) die sozialen Samtschaften, c) die sozialen Körper und Körperschaften. a) Das soziale Verhältnis unterscheidet sich wesentlich vom natürlichen und vom seelischen Verhältnis zwischen Menschen. Das natürliche Verhältnis zwischen Menschen ist zunächst Gegenstand der biologischen Erkenntnis, also auch der Sozialbiologie. Die Individuen der Menschenart hängen gleich den Individuen einer anderen Art miteinander zusammen und zwar 1. dadurch, daß ein Organismus vom anderen abstammt, am meisten unmittelbar jeder vom mütterlichen Organismus; 2. dadurch, daß die Individuen männlichen und diejenigen weiblichen Geschlechtes zum Behuf der Reproduktion von ihresgleichen aufeinander angewiesen sind,  folglich zueinander hinstreben; 3. dadurch, daß sie einander näher oder ferner verwandt, infolgedessen mehr oder weniger ähnlich sind und aus diesen natürlichen Ursachen einander räumlich nahe bleiben und leicht zusammenkommen. – Die natürlichen Verhältnisse sind also nach ihrem Inhalt und nach ihrer Kraft oder Bedeutung sehr verschieden. Man kann alle Menschen, wird aber um so eher, je mehr sie durch Abstammung zusammenhängen, Menschen als Brüder und Schwestern betrachten; man kann innerhalb sol-

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2. Die Lehre von den Verbundenheiten … Wesenheiten – Die Überschrift fehlt in A. Stattdessen beginnt der Textabsatz mit »2.«.

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cher Mengen jede Generation als die Mutter der folgenden, als Tochter der vorhergehenden denken – immer hätte dies an sich lediglich einen biologischen und keinen psychologischen oder soziologischen Sinn. Das seelische Verhältnis zwischen Menschen besteht in der objektiven Tatsache, daß sie sich zueinander hingezogen oder voneinander abgestoßen fühlen, sei es (a) durch Neigung und Abneigung, Bekanntheit oder Fremdheit, durch Vertrauen und Pflichtgefühl oder durch Mißtrauen und Widerpflichtgefühle; sei es (b) durch Interesse, durch Berechnung eines Vorteils, durch das Bewußtsein der Tauglichkeit des anderen  für die eigenen Zwecke oder seiner Schädlichkeit: mithin [435] durch Wesenwillen oder durch Kürwillen. Folglich auch, daß sie sich zueinander gehörig denken und wissen: als natürliche Freunde und Genossen; oder aber als einander hemmend und ausschließend, als wirkliche oder mögliche – mehr oder minder wahrscheinliche – Gegner und Feinde. Ein seelisches Verhältnis der einen Art werde als positives, das der anderen Art als negatives Verhältnis begriffen. Ein soziales Verhältnis entsteht aus einem positiven seelischen Verhältnis in dem Maße, als dieses nicht nur als solches empfunden, gedacht, gewußt, sondern auch als seiendes und dauerndes bejaht und gewollt (»gesetzt«) wird. Mehr oder minder beruht jedes soziale in einem natürlichen Verhältnis, sofern dieses zugleich ein positives seelisches Verhältnis ist oder wird. So das Urbild der gemeinschaftlichen Verhältnisse: das Verhältnis von Mutter und Kind. Seinem Ursprung als natürliches Verhältnis gemäß ist es anfänglich einseitiges seelisches Verhältnis und als solches nicht wesentlich verschieden von dem Verhältnis zu einer geliebten Sache; normal ist, daß aus dem einseitigen ein gegenseitiges seelisches Verhältnis wird, und auch, daß es als solches durch beide Subjekte bejaht wird, also als dauerndes und wirkliches im Bewußtsein lebt. Dies Bewußtsein bezeichnet den Menschen als Menschen. Die Ödipussage und die daraus entsprungene Tragödie stellt in erschütternder Weise dar, wie ein furchtbares Schicksal aus der Unwissenheit und dem Irrtum hervorgeht. Durch den Willen zur Beständigkeit, zur Dauer, wie durch das Bewußtsein der Richtigkeit erhebt sich das soziale Verhältnis, das Mann und Weib verbindet, zur Ehe. Das deutsche Wort bedeutet, wenn auch vielleicht nicht seinem Ursprunge, so doch dem Sinne nach, unbegrenzte Dauer, »Ewigkeit«. Religiöse Ideen und gesetzliche Verbote pflegen den Willen zur erlaubten Ehe zu schützen; aber dieser Schutz gehört nicht zum Wesen der Ehe als sozialen Verhältnisses. Rein soziologisch – ohne

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(»gesetzt«) – Fehlt in A. stellt in erschütternder Weise – A: stellen in erschütternder Weise.

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Rücksicht auf rechtliche Geltung oder auf sittliche geltende Ideen – betrachtet, ist auch die Gewissensehe, wie immer sie genannt werde, dann eine wirkliche Ehe, wenn der beiderseitige feste Wille zu dem Verhältnis, also dauernde Treue, darin vorhanden ist und sich bewährt, wodurch sie sogar den Durchschnitt der geltenden Ehen als Ehe übertreffen kann. Zum Wesen jedes sozialen Verhältnisses als eines gegenseitigen und gemeinsam gewollten gehört es, daß von der einen beteiligten Person der Anspruch auf ein gewisses – regelmäßiges oder gelegentliches, mehr oder minder dauerndes – Verhalten der anderen Personen erhoben und geltend gemacht, mithin die Erwartung eines solchen gehegt wird, und zwar eines Verhaltens, das aus deren freiem Willen hervorgehe und dem Wunsch und Willen (dem Interesse) des Erwartenden gemäß sei: dies [436] gegenseitige Verhalten heischt und gebietet also der dem sozialen Verhältnis wesentliche gemeinsame und einheitliche Wille, der eben insofern als Wille des Verhältnisses selber sich darstellt, als dieses in der Form einer Wesenheit gedacht wird. Das Verhältnis also ist es, das Pflichten oder Obliegenheiten erzeugt, die entsprechenden Forderungen erhebt, das folglich auch diesen Pflichten widersprechende freie Handlungen verneint und verbietet. Im gesellschaftlichen Verhältnis treten die Rechte und Pflichten in rationaler Klarheit auseinander. – Es gibt Gesamtheiten innerlich zusammenhängender Verhältnisse: eine solche ist die Familie als Inbegriff ihrem Wesen nach gemeinschaftlicher Verhältnisse. Auch gesellschaftliche Verhältnisse können so miteinander zusammenhängen und eine unbestimmte Einheit bilden: z. B. die Gruppe von Interessenten an einem Geschäft, sofern sie einander als solche kennen. b) Hier liegt der Übergang zum zweiten Begriff einer sozialen Wesenheit, d. i. zum Begriff der Samtschaft. Als Samtschaft verstehe ich eine Vielheit von Individuen, die durch natürliche oder durch positive seelische oder durch soziale Verhältnisse, die zwischen ihnen obwalten, so miteinander verbunden sind, das sie als Einheiten gedacht werden. Natürliche Samtschaften sind die Einheiten biologischen Charakters, in denen Menschen jedes Alters, beider Geschlechter, beliebigen Wohnsitzes zusammengefaßt werden: als Rasse, Volk, Stamm und andere genealogische Komplexe, zu denen die Individuen gehören, durch welche sie auch bedingt sind insofern, als sie die Eigenschaften von ihren Vorfahren geerbt haben, die solchen blutsverwandten Gesamtheiten eigen sind. Diese Samtschaften sind auch seelische Samtschaften, insofern als jene Eigenschaften selber seelisch sind und in seelischen Erscheinungen sich kundgeben. Es gibt aber auch seelische Samtschaften, die nicht wesentlich durch natürliche, son16

als dieses in der Form – A und B: als dieser in der Form.

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dern wesentlich durch seelische Merkmale, nämlich durch die Fähigkeiten und Leistungen der Zugehörigen bedingt sind; solche sind die Sprachgenossenschaften, die Glaubensgenossenschaften, die Berufsgruppen u. dergl. – alle ganz äußerlich als objektive Tatsachen betrachtet, wie auch in diesem Sinne geographische Zählung und Statistik sie feststellt, ohne daß daraus irgend etwas für innere Zusammenhänge und soziale Verhältnisse folgend gedacht würde. Soziale Samtschaften nenne ich diese und andere, wenn sie als solche von den Menschen, die dazu gehören, gewollt und bejaht werden, sei es gefühlsmäßig oder verstandesmäßig, in mehr oder minder klarem und wollendem Bewußtsein: sie werden also mehr durch Wesenwillen oder mehr durch Kürwillen gewollt, entsprechen mithin mehr der Kategorie Gemeinschaft oder mehr der Kategorie Gesellschaft. Ich teile die möglichen sozialen Samtschaften ein in 1. solche, die wesentlich ökonomisch und durch ökonomisch begründete so[437]ziale Tatsachen verursacht sind, 2. solche, die wesentlich politisch, 3. die wesentlich geistig-moralisch begründet sind. Beispiele: zu 1: Stände und Klassen; zu 2: die Nation, die bürgerliche Gesellschaft; zu 3: die Christenheit, die Gelehrtenrepublik, die Kunstschule oder Philosophenschule u. dergl. c) Die soziale Wesenheit vollendet sich im Begriff der Körperschaft und des sozialen Körpers. In dieser Gestalt ist der Begriff ausschließlich soziologisch: die soziale Wesenheit wird nicht mehr bloß als solche, sondern als eine Person gedacht, mithin gleich den Göttern nach Art eines Vernunftwesens; sie denkt, berät und beschließt: sie hat einen Willen und macht ihn geltend. Hier begegnen uns Gemeinschaften und Gesellschaften, Verbände und Vereine aller Art, mithin wiederum 1. im ökonomischen als dem allgemeinen sozialen Gebiete, 2. im politischen, 3. im geistig-moralischen. Wichtigste Beispiele sind: zu 1: der Klan, die Dorfgemeinde, die Zunft als gemeinschaftliche; die Aktiengesellschaften, Kartelle, Trusts als gesellschaftliche Verbände; zu 2: Gemeinwesen und Bünde als gemeinschaftliche, Staaten (im modernen Sinne), politische Vereine als gesellschaftliche Verbände; zu 3: religiöse Gemeinden, Orden, Kirchen gemäß der Kategorie »Gemeinschaft«, die zu solchen und anderen moralischen Zwecken gebildeten Vereine in der Kategorie »Gesellschaft«. Soziale Verhältnisse, Samtschaften und Körper haben den wesentlichen und ersten Grund ihres Seins immer in dem Willen der sie bilden20 22 34

Begriff der Körperschaft und des sozialen Körpers. – A: Begriff der Körperschaft und des Sozialen Körpers.. mithin gleich den Göttern – A: also gleich den Göttern. Soziale Verhältnisse, Samtschaften – In B kein Zwischenraum zwischen den Absätzen. – Der gesamte Absatz fehlt in A.

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den und zusammensetzenden natürlichen oder kollektiven Personen; sie gewinnen aber in zweiter Ordnung ihr Dasein durch äußere Anerkennung, die als solche ihrer Bildung  folgt, durch andere natürliche oder kollektive Personen; diese Anerkennung kann aber auch die Ursache, also Voraussetzung ihres Daseins darstellen; dies Dasein erscheint dann als ein gemachtes und als dem natürlichen und gewordenen vorausgehend; aber das Leben der sozialen Verhältnisse usw. ist immer nur dies natürliche und gewordene, nämlich durch die eigenen Willen der beteiligten Individuen bedingte Dasein. – Eine dritte Form ihres Daseins, die quasi-objektive, gewinnt endlich jede soziale Wesenheit im Bewußtsein des Zuschauers und Denkers, der sie zugleich erkennt und anerkennt. Insbesondere können Körperschaften auch durch einen  fremden sie einrichtenden Willen ihr Dasein und ihre Verfassung erhalten. Sie fallen dann unter den allgemeinen Begriff der Anstalt: sie werden gestiftet. Der fremde Wille kann ein Individualwille oder ein Kollektivwille sein. Der Kollektivwille kann die Anstalt unmittelbar – durch einen Beschluß (ein Dekret) – einrichten, oder mittelbar: durch eine Verfassung, d.  i. innerhalb des Ganzen einer Bestimmung über die Regeln des Zusammenlebens in einem sozialen Körper. – [438] Auch in sozialen Körpern prägt die Verschiedenheit und der Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft sich aus. In allen ihren Ausprägungen müssen aber diese Begriffe dahin verstanden werden, daß Übergänge von der einen Form zur andern möglich und unter bestimmten Bedingungen wahrscheinlich sind.

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3. Die Lehre von den sozialen Normen

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Das nächste, also dritte Gebiet der reinen Soziologie ist die Lehre von den sozialen Normen. Soziale Nonnen sind alle von einer Verbindung (einem Verhältnis einer Samtschaft oder einer Körperschaft) ausgehenden, ihre Subjekte oder Mitglieder – zunächst also individuelle Menschen – angehende allgemeine Gebote und Verbote, mithin alle die Frei-

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Insbesondere können Körperschaften auch – A: Körperschaften können auch. in einem sozialen Körper. – Der Gedankenstrich am Absatzende fehlt in A. Auch in sozialen Körpern prägt – A: Auch in diesen prägt. 3. Die Lehre von den sozialen Normen – Die Überschrift fehlt in A. Stattdessen beginnt der Textabsatz mit »3.«. Lehre von den sozialen Normen – In A hervorgehoben. angehende allgemeine Gebote – A: angehende Gebote.



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heit ihres Verhaltens einschränkende, die Willen bindende Vorschriften. Sie sind von sehr mannigfacher Art, von sehr verschiedener Extensität sowohl als Intensität. Sie binden Verhältnisse, Samtschaften, Körperschaften selbst so gut wie Individuen. Ich unterscheide zunächst: 1. Normen der Ordnung, 2. Normen des Rechtes, 3. Normen der Moral. Die sozialen Willensformen, in denen die Normen als Willensinhalte beruhen, sind: A. gemeinschaftliche: ich nenne sie a) Eintracht (Inbegriff alles gemeinsamen Wollens, das auf Grund gemeinschaftlicher Verhältnisse usw. als natürlich und notwendig sich von selbst zu verstehen scheint), b) Sitte (Grund: die gemeinschaftliche Gewohnheit), c) Religion (Grund: der gemeinschaftliche Glaube an übernatürliche herrschende und normengebende Mächte). B. gesellschaftliche: ich nenne sie a) Konvention (Inbegriff alles um gemeinsamer zusammenkommender Zwecke willen als Mittel sich setzenden Wollens in ausdrücklicher oder stillschweigender Übereinkunft), b) Gesetzgebung (gemeinsames Wollen, das ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen in dem Sinne als notwendig setzt, daß ein Wollen zu nötigen, zu zwingen oder büßen zu lassen damit verbunden ist), c) öffentliche Meinung (ein gemeinsames Wollen, das um eines gemeinsamen Interesses willen Kritik übt und dadurch hemmend oder fördernd auf die »privaten« Verhaltungs- und Handlungsweisen einwirkt). Ordnung, Recht, Moral sind gemäß folgendem Gesichtspunkt unterschieden worden: 1. Ordnung ist der allgemeinste Komplex von Normen. Er beruht vorzugsweise auf Eintracht oder auf Konvention, mehr oder minder auf der einen oder der anderen Form des sozialen Wollens. 2. Recht ist der Komplex von Normen, die ihrer Idee (d.  h. dem zugrunde [439] liegenden Willen) gemäß durch Richterspruch bestimmt und angewandt werden sollen. Dieser Komplex wird mehr oder weniger durch Sitte (Gewohnheitsrecht) oder durch förmliche, bewußte Zwecke verfolgende Gesetzgebung (Gesetzesrecht) geschaffen. 3. Moral: Komplex von Normen, deren Auslegung und Anwendung gedacht wird als Sache eines ideellen Richters, sei es eines Gottes oder eines abstrakten Wesens: der Vernunft oder des Gewissens, der Menschheit oder eines Ideals: z. B. der Humanität. Diese Normen empfangen ihre Gestaltung und Bestätigung mehr oder minder durch Religion oder durch die öf 4 21 29 34

Individuen. Ich unterscheide – A: Individuen; ich unterscheide. c) öffentliche Meinung – A: c) Öffentliche Meinung. (d. h. dem zugrunde liegenden Willen) – In A ohne Klammern. eines ideellen Richters – A: eines ideellen Richters.

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fentliche Meinung. In beiden Gestalten wirken sie zurück auf das allgemeine soziale und besonders auf das politische Gebiet. Alle Formen und alle Inhalte des sozialen Willens hängen untereinander vielfach zusammen und gehen ineinander über. Alle sozialen Verhältnisse, Samtschaften, Körperschaften haben zunächst ihr Dasein im ersten Komplex von Normen: ein ordentliches Dasein; sie haben demnächst ein rechtliches Dasein, endlich ein moralisches Dasein. Die eine oder die andere Art des Daseins prägt in ihnen, je nachdem sie mehr gemeinschaftlicher oder mehr gesellschaftlicher Art sind, stärker oder schwächer sich aus. Diese Mannigfaltigkeit darzustellen ist die besondere Aufgabe der Lehre von den sozialen Normen.

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4. Die Lehre von den sozialen Werten Das vierte Hauptgebiet der reinen Soziologie stellt sich uns in der Lehre von den sozialen Werten dar. Soziale Werte sind: die Gegenstände eines sozialen Wollens, 1. insofern als dieses Wollen einerseits die Gegenstände selber will, d.  h. bejaht, wertschätzt, also behalten oder erwerben will; 2. insofern, als es sich ihrer mächtig  fühlt und weiß, mit andern Worten sie besitzt. Hierin, mithin in einem absoluten oder relativen Behaltenwollen, das dem Grade und der Art der Wertschätzung entspricht, vollendet sich der Begriff des sozialen Wertes. Ich teile die sozialen Werte ein in: 1. ökonomische Werte. Dazu rechne ich alle materiellen Gegenstände gemeinsamen Besitzes. Auch menschliche Individuen gehören dazu, wenn sie als solche Gegenstände gedacht werden: sei es gleich Sachen wie Sklaven, oder gleich Personen wie Kinder. Auf die Bedeutung des sozialen Eigentums an Boden und anderen Immobilien, aber auch an beweglichen Sachen, und auf die Probleme, die sich daran knüpfen; auf die Werte der mineralischen Bodenschätze; auf die materiellen Werte, die zugleich eine ideelle Bedeutung haben, möge hier nur hingedeutet werden; 2. politische Werte. Diese sind teils materielle, teils ideelle. Dahin gehören: das Gebiet eines Landes, einer Stadt, wenn auch solches Gebiet [440] nicht als allgemeines Eigentum vorgestellt wird; dazu gehören die 12 14 33

4. Die Lehre von den sozialen Werten – Die Überschrift fehlt in A. Stattdessen beginnt der Textabsatz mit »4.«. Lehre von den sozialen Werten – In A hervorgehoben. als allgemeines Eigentum – A: als gemeinsames Eigentum.

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dem Gemeinwesen zur Verfügung stehenden Mittel der Verteidigung und des Angriffes, die Häuser der Beratung, die Instrumente und Urkunden des politischen Zusammenlebens. Die politischen Werte von ideeller Bedeutung sind teils dieselben, teils insbesondere noch die Einrichtungen, Verfassungen, Gesetze und Rechte, insofern als das zusammenlebende Volk sie bejaht und – wenigstens ihrem Grundstock nach – zu erhalten wünscht. 3. ideelle und geistige Werte. Diese sind a) Personen, die insgemein wertgeschätzt und geehrt werden, lebende und verstorbene; wirkliche oder wirklich gewesene und gedachte – also Menschen und Götter; mithin auch vergötterte Heroen, Heilige usw.; b) Sachen: das sind Werke der Kunst, der redenden und der bildenden Künste, somit auch der Wissenschaft, die als gemeinsame, im besonderen Falle als nationale, Güter empfunden und gedacht werden. Auch die gemeinsame Sprache, die heimischen Sitten und Gewohnheiten, die Religion in ihren besonderen Kulturformen, können als solche Güter oder soziale Werte Gegenstände leidenschaftlicher Liebe und Treue sein; c) die sozialen Zeichen – eine sehr mannigfache und sehr bedeutsame Gruppe ideeller, sozialer Werte. Das Wesen des Zeichens besteht darin, daß es nicht ist, sondern bedeutet und gilt. Sein Wert besteht eben in seiner Geltung. Ich teile die sozialen Zeichen ein in: A. die Zeichen für soziale Werte selbst. Dazu gehört auch die Sprache als ein System von Zeichen  für den ideellen Wert des Sichverstehens, also Mitteilenkönnens; und die Schrift, der Druck usw. wiederum als Zeichen der Zeichen. Es gehören aber ferner dazu alle insbesondere sog. Wertzeichen, unter denen das Geld das wichtigste ist: als Zeichen materieller Werte gehören sie zu diesen selbst, auch außer dem, daß sie – wie das Metallgeld – es zugleich sind. B. Zweckzeichen: für den Willen, daß etwas sein oder geschehen soll. Sie unterscheiden sich nach den Normen, die das Seinsollende setzen: daher Zeichen geltender Ordnung, geltenden Rechtes, geltender Moral. Es gehören dahin sowohl Signale, seien es verabredete oder befohlene, akustische oder optische, als gerichtliche Urteile und Gesetze, wofür bestimmte Formen die Zeichen sind, daß sie Rechtsgültigkeit erlangen; endlich gibt es analoge Zeichen für moralisch gültige Begriffe und Regeln. C. Symbole: in Worten, Handlungen oder Gegenständen ausgeprägte Zeichen von Verhältnissen, Zuständen, Normen, die entweder als sei-

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in ihren besonderen Kulturformen – A: in ihren besonderen Kultformen. A. die Zeichen – In A wird mit kleinen griechischen Buchstaben aufgezählt.

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end, d.  i. schon Gültigkeit habend, oder als sein sollend, d.  i. solche Gültigkeit haben sollend gedeutet werden. Auch die Zeichen, wie die ideellen Werte überhaupt, können mehr oder minder durch Wesenwillen oder durch Kürwillen bestimmt und [441] bedingt sein, mehr oder minder gemeinschaftlichen oder gesellschaftlichen Sinn haben.

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5. Die Lehre von den sozialen Bezugsgebilden Als  fünftes und letztes Gebiet der reinen Soziologie beschreibe ich die sozialen Bezugsgebilde, d.  i. die Systeme von Leistungen, in denen der soziale Wille jeder Art sich betätigt. Solche Bezugsgebilde haben a) ökonomischen, b) politischen, c) geistig-moralischen Charakter. Zu a: Hauswirtschaft, Stadtwirtschaft, Landwirtschaft, Volkswirtschaft, Weltwirtschaft. Zu b: alle Gemeinwesen, alle Rechtssysteme, Wehrsysteme, Verfassungen. Zu c: alle Systeme der Religion, der Künste, der Philosophien, der Wissenschaften, des Unterrichts und der Bildung. Sämtliche Bezugsgebilde können auch als soziale Werte begriffen werden und mehrere wurden schon als solche erwähnt. Sie haben hier eine andere Bedeutung: die Bedeutung von Bestandstücken einer lebendigen Kultur, die als solche gepflegt und gefördert oder gehemmt und verdorben wird; deren Zustand alle Gestaltungen des Zusammenlebens, mithin alle übrigen Gegenstände der reinen Soziologie bedingt und von sich abhängig erhält.

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II Die angewandte Soziologie wird eingeteilt: einerseits nach den Grundbegriffen, anderseits nach den Bezugsgebilden. Die Begriffe, die zwischen beiden Kategorien liegen, kommen in allen Bezugsgebilden zur Geltung. Durch Anwendung aller dieser Begriffe werden in jedem Gebiete der  7  9 23 24

5. Die Lehre von den sozialen Bezugsgebilden – Die Überschrift fehlt in A. Stattdessen beginnt der Textabsatz mit »5.«. die sozialen Bezugsgebilde – In A hervorgehoben. II – In A als Fließtext gesetzt, nicht als Überschrift. eingeteilt: einerseits – A: eingeteilt einerseits.

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Kultur die Verschiedenheit der gemeinschaftlichen und der gesellschaftlichen Gestaltungen, ihr Mit- oder Widereinander, Vermischungen und Gegensätze, Übergänge von der einen zur anderen Art illustriert. Die Gebiete aber werden als Bezugsgebilde eingeteilt in: A. die der Wirtschaft – Hauswirtschaft, Volkswirtschaft, Weltwirtschaft –, mithin a) des Familienlebens, b) der Geselligkeit und zwar α. der natürlichen, β. der geschichteten, γ. der Weltgeselligkeit, c) des Berufslebens – in α. produktiver Arbeit, β. geistiger Arbeit, γ. Handel; B. die der Politik, also die Gemeinwesen und Staaten, Rechtspflege und Verwaltung; Finanzwesen und Kriegswesen, innere und äußere Regierungstätigkeiten; die zwischenstaatlichen und internationalen Ordnungen und Rechtsbildungen. C. die des Geisteslebens – ich teile sie in die Sphären a) der Kunst – hier ist der Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen und daher mit dem allgemeinen sozialen Leben in Familienwesen, Geselligkeit, Geschäftsleben am stärksten; [442] b) der Sittlichkeit – hier ist der Zusammenhang mit dem politischen Wesen am stärksten – insbesondere α. durch die Religionen, aber auch β. durch die Zusammenhänge von Moral und Recht: Rechtsgefühl und Rechtsbewußtsein, Streben nach Gerechtigkeit – also durch das Gerichtswesen – und γ. durch das Erziehungs- und Unterrichtswesen; c) der Wissenschaft, worin das Geistesleben als Denken und Erkenntnis sich am freiesten entfaltet, und zwar α. als Logik und Mathematik, β. als Naturwissenschaften, γ. als Kulturwissenschaften. Alle Wissenschaften haben eine allgemein-soziale, insbesondere wirtschaftliche, eine politische und eine rein-geistige Bedeutung. In allen Gebieten betrachtet die angewandte Soziologie auch die möglichen Störungen und Zerrüttungen, das Verderben und Vergehen dieser Gebilde; die Wirkungen der Feindseligkeiten aller Art, also, des Zankes, Streites, innerer und äußerer Kriege, der Verbrechen und Gewaltsamkeiten; sodann die Wechselwirkungen zwischen den Bezugsgebilden, insbesondere zwischen deren verschiedenen Gattungen, also der höheren – wie die zu B. und C. genannt werden mögen – auf die niederen; der niederen auf die höheren.

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eingeteilt in: – In A kein Doppelpunkt und kein Absatz – In B kein Doppelpunkt.

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III Der dritte oder empirische Teil beruht auf Beobachtung und Vergleichung der wirklichen Erscheinungen des sozialen Lebens in seinem ganzen Umfange, auch der sozialbiologischen und sozialpsychologischen Tatsachen. Er ist also spezielle Soziologie insofern, als diese in der Soziographie beruht, deren auch die übrigen Teile der allgemeinen Soziologie (Sozialbiologie und Sozialpsychologie) nicht entraten können. Hingegen den ersten beiden Stücken der speziellen Soziologie liegt sie nur zugrunde insofern, als die Bildung und Anwendung der soziologischen Begriffe die Sozialbiologie und die Sozialpsychologie voraussetzt, durch diese also auch Beschreibung von Tatsachen und allgemeine Erfahrung solcher zur Grundlage hat. Wenn nun die Soziographie, insbesondere als Demographie, mit der Statistik in dem Sinne, den sie – im deutschen Sprachgebiete etwa von 1750–1850 – gehabt hat, zusammentrifft, so ist Statistik, wie sie heute insgemein verstanden wird, nämlich als statistische Methode, diejenige Ausprägung des induktiven wissenschaftlichen Verfahrens, die für die soziographische Forschung am meisten fruchtbar ist. Durch sie kann man in einigem Maße zum »quantitativen Studium der Zivilisation und des Fortschritts« (Niceforo) gelangen. Denn auch die Erforschung historischer Daten kann der Soziographie dienen, und die Kulturgeschichte (worin auch die politische Geschichte eingeschlossen ist, so hoch diese immer als Kunstwerk [443] traditionellen Stiles sich über sie erheben mag) ist von Soziographie nur insofern verschieden, als Kulturgeschichte wesentlich Schilderung von Zuständen, Erzählung (»Geschichte«) von Ereignissen sein will, Soziographie aber grundsätzlich nicht an das einzelne (»Individuelle«) sich hängt, sondern durch Vergleichung, sofern möglich, Messung zum Darstellen von Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten, überhaupt zur kausalen Erforschung historisch vergangener, wie gegenwärtiger sozialer Erscheinungen gelangen will, als Beobachtung aber vorzugsweise von gegenwärtigen ausgeht. Die erste Einteilung der empirischen Soziologie ist Einteilung in ein ethnographisch und ein demographisch begründetes Hauptstück. [444]

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III – In A als Fließtext gesetzt, nicht als Überschrift. den sie – im deutschen … 1750–1850 – gehabt – A: den sie im deutschen Sprachgebiete etwa von 1750–1850 gehabt. »quantitativen Studium der Zivilisation und des Fortschritts« – Dies ist die Aufgabe, die sich Niceforo in seinem Werk »Les indices numériques de la civilisation et du progrès« (1921) gibt.

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1. XVIII a–d. Früher in der Zeitschrift »Kulturfragen« (Sonderhefte von Henze’s Allg. Anzeiger für Kontor und Bureau, 2. Jahrg., 1906). 2. Zu S. 1. Dies ist geschrieben worden, lange bevor das ausgezeichnete Werk von Dr. Michael Hainisch (dem österreichischen Bundespräsidenten) »Die Landflucht, ihr Wesen und ihre Bekämpfung im Rahmen einer Agrarreform« (Jena [Gustav Fischer] 1924) erschienen war, auf das ich nunmehr gern und mit Nachdruck hinweise. 3. Zu S. 4. Wie sich diese Verhältnisse durch den Weltkrieg zum Üblen verändert haben, sei hier nur angedeutet. Nach der VZ. vom 16. VI. 1925 war im gegenwärtigen Gebiet des Deutschen Reiches das Verhältnis 1070 : 1000 und der Natur der Sache nach am ungünstigsten in den heiratsfähigsten und heiratslustigsten Altersklassen. In Groß-Berlin ist es sogar 1170, im Staate Hamburg 1083. 4. Zu S. 9–18. Das Reisen in Flugzeugen, dem offenbar ein großes Stück der Zukunft gehört, ist hier noch nicht mitbehandelt worden. 5. Zu S. 21 Anm. Jetzt Sombart, D. mod. Kapitalismus2 (1916) I, S. 668 ff. Im Texte war noch die erste Ausgabe des großen Sombart-Werkes zitiert worden. 6. Zu S. 24 ff. Neuerdings: Anderson Nils (offenbar schwedischer Herkunft), The Hobo. The Sociology of the homeless man. Chicago-Ill. 1923. Mir bisher nur durch eine Anzeige in den Kölner Vierteljahrsheften für Soziologie, 3. Jahrg., H. 2–3, bekannt geworden. 7. Zu S. 33. Loening, Armenwesen in Schönbergs Handbuch3 III, S. 994. 8. S. 33–62. Früher in Festgabe für Adolph Wagner (1905). Über Wesen und Entwicklung der Technik jetzt vor allem v. Gottl Ottlilienfeld im Grundriß der Sozialökonomik, II. Abt., 2. Teil, 2. Aufl., 1923. 9. XIX. Früher in »Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre im 19. Jahrhundert” (Festgabe für Gustav Schmoller) I. 10. XX. Früher in »Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie«, I, S. 36 ff. (1907/08). 11. XXI. Früher in »Dokumente des Fortschritts«, Febr. 1908. 12. XXII. Früher in »Monatsschrift für Soziologie”, 1. (einz.) Jahrg. Vgl. auch Berichte über den III. Internationalen Philosophen-Kongreß in Heidelberg (1908).

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»Die Landflucht, ihr Wesen und ihre Bekämpfung im Rahmen einer Agrarreform« – Hainisch 1924. VZ. vom 16. VI. 1925 – Nach der endgültigen Auszählung waren die Verhältnisse jeweils noch etwas ungünstiger (vgl. Volkszählung 1928: 84, 44, 46). In gerundeten Zahlen: Deutsches Reich: 1.073 zu 1.000; Berlin: 1.175 zu 1.000; Hamburg: 1.087 zu 1.000. D. mod. Kapitalismus2 (1916) I, S. 668 ff. – Tönnies verweist auf das 44. Kapitel: »Der Raub«. The Hobo – Recte: Nels Anderson (1923). Anzeige in den Kölner Vierteljahrsheften für Soziologie – Meuter 1923. Loening, Armenwesen in Schönbergs Handbuch3 III – Vgl. ed. Fn. zu Z. 25, S. 89. Grundriß der Sozialökonomik – Gottl-Ottlilienfeld 1923.

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Soziologische Studien und Kritiken

13. XXIII. Ebenso. 14. XXIV. Früher in Verhandlungen des ersten Deutschen Soziologentages vom 19. bis 22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M. 15. XXV. Früher S. 144–148 im »Kunstwart«, XXIV, 22. 16. XXVI. Früher in »Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaften», 1. Jahrg., H. 1. 17. XXVII. Früher in »Frauen-Zukunft«, I, 7. 18. XXVIII. Früher in »Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie«, IV, 4 (1911). [445] 19. XXIX. Früher in »Das neue Leben«, 1912, I. 1 u. 2. 20. XXX. Früher in »Archiv  für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie«, III, 372  ff. (1909/10). 21. XXXI. Früher in »Die Geisteswissenschaften«, 1. (einz.) Jahrg., 1913/14, Heft 3. 22. XXXII. Früher in »Die Tat«, VI, 4 (1914). 23. XXXIII. Früher in »Akademische Rundschau«, 2. Jahrg., H. 8 (1914). 24. XXXIV. Früher in »Weltwirtschaftliches Archiv«, VI, 2. Oktober 1915. 25. XXXV. Früher in »Archiv  für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie«, IX, 180  ff. (1915/16). 26. XXXVI. Früher in »Zeitschr. für d. ges. Versicherungswissenschaft«, XVII, 6. 27. XXXVII. Früher in »Zeitschrift für soziale Pädagogik«, I, 4 (1919). 28. XXXVIII. Früher in »Schmollers Jahrbuch«, XLIII (1919), H. 1. 29. XXXIX. Früher in »Weltwirtschaftliches Archiv«, XIX, 4. Okt. 1923. 30. XL. Früher in »Schmollers Jahrbuch«, XLVIII, 1/2 (1924). 31. XLI. Früher in »Schmollers Jahrbuch«, XLIX, 1 (1925). 32. XLII. Früher in »Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft«, 19. Jahrg. (1925), H. 1. 33. S. 298. Prof. Hans Delbrück schrieb dem Verf. am 22. VIII. 1920, es wäre ihm lieb gewesen, wenn ich auch den Grund, weshalb er den »Volkswillen« für eine Illusion halte, hinzugefügt hätte. Er meine, das Ergebnis der Abstimmungen sei abhängig: 1. von der Organisation, dem Modus der Abstimmung, 2. den Potenzen, die die Abstimmenden beeinflussen und sie an die Urne führen, daß also hier und nicht bei dem sog. »Volke« die Entscheidungen liegen. Er sei daher Befürworter des Frauen-Stimmrechts auch nur unter der Voraussetzung, die er selber für nicht-existent erkläre. 34. S. 341. Wie mir Prof. Hadley (vormals Präsident der Yale-Universität) mitteilte, halte er zwar meine kritischen Bemerkungen  für wohlbegründet, er sei aber in einem Punkte von mir mißverstanden worden: es sei nicht seine Meinung gewesen, von der Kirche Norddeutschlands zu sprechen, sondern er habe sagen wollen: das kirchliche Wesen des nördlichen Deutschland – so sei church im Unterschiede von Church, northern im Unterschiede von Northern zu verstehen, – habe in dem von ihm gemeinten Sinne mitgewirkt. Diese richtigere Deutung anerkenne ich hier ausdrücklich, halte aber meinen sachlichen Einwand aufrecht. 35. S. 364. Herr Staatsminister Prof. Dr. Becker schrieb dem Verfasser am 9. Juli 1924, er habe allerdings im Laufe der Jahre das Bild, das er über die Entwicklung der Dinge sich geschaffen, leise gewandelt oder wenigstens nuanziert.

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Hans Delbrück schrieb dem Verf. am 22. VIII. 1920 – Die Postkarte ist im TN erhalten: Cb 54:56.241,08. Vgl. S. 412. Prof. Hadley (vormals Präsident der Yale-Universität) mitteilte – Vgl. hier S. 459, Fn. – Zum Briefwechsel mit Hadley vgl. im Editorischen Bericht S. 659. Becker schrieb dem Verfasser am 9. Juli 1924 – Der Brief ist im Nachlass Tönnies’ nicht erhalten.

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Anmerkungen (1926)

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36. S. 432. Die »Einteilung der Soziologie« wird demnächst – in einem Hefte der »Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie« – eine (dem Verfasser noch nicht bekanntgewordene) Kritik durch den Verfasser der »Beziehungslehre« (Teil I der Allgemeinen Soziologie), Herrn Professor Dr. L. v. Wiese, erfahren. [446]

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Kritik durch den Verfasser der »Beziehungslehre« – Vgl. die Besprechung von Wiese 1926, seine »Beziehungslehre« ist von 1924.

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Soziologische Studien und Kritiken

Namenverzeichnis Achelis 99 Adler, Max 221 Ahrens 83 Alengry 121 Alletz 304, 310 Ammon 100 Aristoteles 52, 72, 176, 183, 304  f., 311, 340, 358 Arkwright 59 Arnold, W. 96 Ashley 187 Baader 70 Bachofen 81, 100 v. Bär, K. E. 226 Barth, Paul 87, 101, 121, 151, 211 f. Bastian 81, 87, 91, 99 Bayle 192 Beck 150 Becker, H. C. 355  ff., 362  ff., 368, 378  f., 401 Beesly 213 Behaim, Martin 46 Beloch 396 v. Below 43 Berghoff-Ising 218 Bergson 213, 389, 394 Bernatzik 214 Bernhard, Ludw. 218 Bernheim 102 Bernhöft 96 Bernstein, Ed. 219 Berolzheimer 215 Biermann 218 Blanc, Louis 286 Bluntschli, J. C. 85 Bodin, Jean 192

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le Bon, Gust. 279 ff., 289 f., 293 Bonucci 214 Bornhak 99 Bortkiewicz 218 Bosco 214 Bouglé 212 Braun, H. 100, 217 –, Lily 219 Brentano, Ferd. 213 –, Lujo 96, 261 f., 371, 377 Breysig 101, 400 f. Brinkmann 350 f. Brütt 87 Bryce 215, 229, 304, 313  f, 320  ff., 334, 341, 344 Bucharin 304, 328 ff., 333 f. Bücher 9 f., 61, 95, 217, 396 Buylla 219 Burckhardt 215, 395 Burke 65 van Calker, W. 215 Carlyle 81 f. Cartwright 59 Claussen 51 Cohen, Hermann 213 Cohn 96 Colbert 185 Columbus 46, 228 Comte, Auguste 70, 86 ff., 92, 94, 102, 113, 116  ff., 130, 137, 199, 213, 379, 381, 394, 400, 415 f. Condorcet 120, 416 Conrad 96 Cosentini 220 f. de Coulanges, F. 96 Cunow, Heinrich 219, 304, 329, 334

Namensverzeichnis – Das Verzeichnis ist dreispaltig gesetzt. Die Paginierung ist nicht an diese Ausgabe angepasst. Verwiesen sei auf das Personenregister im Editorischen Bericht.

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Namenverzeichnis

Dahlmann 72, 215, 318 Dante 315 Darwin 88, 94, 100, 166 f. Delbrück, H. 298 ff., 396 Descartes 376 Dicey 215 Diehl 218 Dilthey 101 Dippe 176 ff. Disraeli 327 Dowd 304, 341 Dühring 86 f., 94 Dunkmann 222 Dürer 41 Durkheim 211 f. Eckert, Chr. 222 Ehrlich 215 Eichhorn, K. F. 69 Eisler 221 Engels, Friedrich 74 ff., 81, 93 f., 319, 329, 332 ff., 412 Erdmann, Benno 213 Espinas 219 Eucken 87, 212, 389, 394, 396 Eulenburg 103, 217 Ferguson 61, 266 y Ferre, Salles 219 Feuerbach 73, 78, 395, 412 Fiamingo, Guiseppe 211 Fichte 66, 68, 70, 202 –, der jüngere 83 Fischer, A. 102 –, H. K. 371 Franklin, Benjamin 110, 374 Friedrich der Große 42 Galilei 176, 376 Galton, Fr. 158 ff. Gans, Ed. 71 Gardiner, R. 287 [447] Gassendi, Pierre 376 George, Henry 336 Gerlach 218 Gervinus, G. G. 304, 311 von Gierke, Otto 95, 207, 214, 260 f. Gneist 83, 267 Gobineau 92 Goethe 15, 66 f., 71, 142, 393

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Goldscheid 151, 218, 221 Goldschmidt 99 Goldstein 218 Gothein 151, 218, 285 de Greef 211 Gros 69 Große, Ernst 99 Guizot 400 Gumplowicz 91 f., 102, 214 Gusti, Dmitri 213 Guyau 389 Haeckel 91, 94, 163 ff., 379 Hadley 304, 309, 335 ff. Haff 351 Hahn, Eduard 25, 99 v. Haller, K. L. 67, 70 Hammacher 213 Hansen, G. 100 Hanssen 80, 95 Harms, B. 218 Harnack 361 Harrison, F. 213 Hartmann, Georg 56 –, Ludo M. 151, 221, 396 Hasbach 262, 304, 318 f., 323 Hasenkamp 218 Haxthausen 80 Hearne 93 Hegel 70 f., 74 f., 81 f., 130, 170, 202, 207, 266, 332, 389, 394 ff., 400, 412, 416 f., 423 Held, Josef 85 f., 96 v. Hellwald 91, 99 Herbart 83 f. Herder 412 Herkner 150 Hesse 218 Hildebrand 83, 99 Hobbes, Thomas 65, 67, 78, 96, 192, 349 f., 376 Hobson, J. A. 219 Höffding 213 Hoffmann 218 Holtzendorff 318 Huber 22 v. Hügel, Frhr, 405 Hugo 66 f. v. Humboldt, W. 73, 84 Husserl 386

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Soziologische Studien und Kritiken

v. Ihering, Rudolf 90 f., 98, 104, 202 Inama-Sternegg 96 Jähns 21, 40 ff., 47 ff., 57 Jansen, K. 86 Jastrow 218 Jellinek, Georg 99, 214, 304, 318, 349 Jerusalem 215, 221 Jodl 213 Kamarsch 57 Kammerer 218 Kant 16, 64, 66 f., 202, 389, 412 Kantorowicz 151 Kapp 264 Kaufmann 215, 250 Kautsky, Karl 219, 334 v. Kelles-Kraus 102 Kelsen 214, 221, 303, 346, 350 Kidd 100, 389 Kierkegaard 393 f. Kiesselbach 86 Klein, Franz 214 Klemm, Gustav 86 Knies 83 Kohl, J. G. 86, 228 f. Kohler, Josef 96, 99 f., 172, 215 Koigen 218, 222 Kollmann 215 Kopernikus 176 Kovalewsky 214 Krabbe 350 Krause 83 Kriegsmann 215 Krohn 87 Lacombe 400 Lamprecht 96, 101, 152, 215 Landauer, Karl 351 Lassalle 218 Laveleye 95, 304, 316 ff. Lazarus 84, 222 Lecky 304, 317, 319 Lederer 218 Leibniz 42, 398 Leist 95 f., 99 Leopold, Ludw. 292 Leser 218 Lessing 412 Levy 218

Lexis 51, 53 Libri 39 Liepmann 215 v. Lilienfeld, Paul 88 f., 102 Lindemann 222 Lindner 215 Lionardo da Vinci 40 Lippert 91, 99 List 83 Littré 88 Loening 33 Lorenz, O. 101, 216 Loria, Achille 219 Lotz 218 Lotze 396 Lowell 336 Loyola, Ignatius 187 Lubbock, Sir J. 81, 100, 216 Luther 187 Lyall, Sir Alfred 96 Macchiavelli 411, 423 Magelhaens 46, 228 Maine, Sir Henry S.  93  f., 95  f., 98, 215, 304, 312 f. de Maistre 67 Maitland 215 Makarewicz 215 [448] Mandello, Julius 211 Manes 254 Marcart 218 Marshall 219 Marx, Karl 51 f., 73 ff., 81, 93 ff., 96, 100, 113, 217  f., 319, 329, 331  ff., 339, 394 f., 407, 412, 414 ff., 419, 423 Masaryk 101, 213 Mascher 29 Maurer 80 Mayer, Julius Robert 131 v. Mayr, Georg 101, 139, 141 f., 147 f., 153, 197 f., 217 f. McLenan 93 Meitzen 96 Mersenne, Martin 376 Metzger 213 Miaskowski 96 Michels, Robert 151, 217, 220 Mill, Stuart 121 v. Mohl, Robert 83, 85, 173 Mombert 218

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Montalembert 42 Montesquieu 65, 120, 305 Morgan, Lewis H. 93, 100, 332 Möser, Justus 35 Müller, Adam 67, 70, 73, 395 –, Friedrich 91 –, -Lyer 213 Münsterberg 341 Natorp, Paul 213 Newton 165 Niceforo 442 Nieboer 216 Niebuhr 71, 80, 395 Niemann 198 Niemeyer 215 Nietzsche 100, 362, 395, 407 Nitzsch 96 Novikow 213 Nowacki 100 Odin 159 Oldenberg 218 Oppenheimer, Fr. 101, 151, 218 Öri, Jakob 216 Ostrogorski 314, 316 Paciolo, Fra Luca 43 Pappenheim 214 Park, Robert E. 279 Paulsen, Friedrich 212 Pearson 159 Perthes 85 Peschel 91 Platon 88, 340, 428 Plenge 222, 396 Ploetz 150 f. Pohle 218 Pöhlmann 396 Pollock, Sir Frederick 215 Post 93, 96, 99 Preuß, Hugo 214 Pribram 221 Radbruch 215 Ranke 80, 192 f., 395, 400 Rathgen 151, 218, 220 Ratzel 101, 228 Ratzenhofer 102, 218 Redslob 215

Namenverzeichnis

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Regiomontanus 41, 46 Rehm 99 Reuleaux 52, 59, 61 Richelieu 18 Rickert 388, 390, 393 Riehl, W. H. 84 f. Rimpler 42 Ritter, Carl 84 Rodbertus 73, 83, 96, 218 Rohmer 85 Rohrbeck 254 Roscher 51, 73, 77, 83, 198, 318 Roß, E. Denison 380 Rousseau 65 f., 112, 343 Rümelin 99 Saint Simon 70, 73, 81, 94, 117 f., 120 Savigny 69 ff., 81, 267, 424 Schäffle, A. 88 ff., 98, 100, 173, 216 f. Schelling 67 ff., 88 Scheppig, R. 93 Schiller 66, 111, 194, 292, 412 Schmid, Ferdinand 151 Schmidt, Bruno 99 –, Richard 99 Schmitt, Carl 350 f. Schmoller, Gustav 25, 50, 77, 96, 99, 103, 105, 173 f., 217, 221, 263 Schopenhauer 16, 78, 389, 394 f. v. Schulze-Gävernitz 62, 218 Schumacher 218 Schurtz 103 Schwabe 28 Sergi 214 Sering 218 Sighele 279, 290 Simmel, Georg 102, 150 f., 211 f., 221, 254, 279, 292, 389, 394 Sinzheimer 218 Smith, Adam 65, 67, 106, 110, 186, 188 f. Sokrates 142 Solon 292 Sombart, Werner 21, 50, 103, 150 f., 217, 364, 369, 371, 396, 400, 426 Somló 216 Spann, Othmar 218 Spencer, Herbert 62, 87  ff., 91  ff., 94, 98, 113, 132, 137, 184, 211, 381, 394, 400 Spengler 401, 411 Spiegel, Nic. 29

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Soziologische Studien und Kritiken

Spinoza 67, 78, 96, 181, 192 Stahl 85 Stammler 79, 101, 215 Staudinger, Franz 217, 263 –, Hans 217 Steffen 262 [449] Steffen, Gustaf F. 213 Stein, Lorenz 39, 73, 82 f., 98, 177, 266 ff., 270 –, Ludwig 101 f., 213 –, Philipp 150 f. Steinmetz 216, 221 Steinthal 84, 222 Stieda 2 Stoltenberg 432 Strauß 74, 409 Taine 286 Tarde, G. 113, 279 Tartaglia, Nicolò 40 Teulon, Giraud 93 Thoma, Richard 343 ff., 348 Thurnwald 222 Tönnies 62, 96  ff, 102, 114, 150  f, 206, 211  ff., 220, 259, 302, 316, 346, 348, 378, 402, 419, 427 de Tocqueville, A. 304, 306  ff., 313  f., 316 f., 341 Treitschke 73, 80, 85, 215, 318 Tröltsch 151, 216, 363, 365, 381 ff., 415 ff., 428 f. Tugan-Baranowski 218 Tylor, E. B. 81, 216 Vaccaro 214 Vasco da Gama 47, 226 Vauban 42 del Vecchio 24, 221 Vespucci 46

Vieillard 122 Vierkandt 99, 150, 216, 401, 426 Voigt 151, 218 Vollgraff 85 5

Waentig 87, 218 Wagner, Adolph 34, 44, 96, 104 f., 174 f., 217 Waitz 81, 84, 215, 318 Walter 202 Waxweiler 152 Webb 219 Weber, Alfred 151, 217 –, Marianne 219 –, Max 103, 150  f, 153, 217, 304, 322, 341 ff., 350, 365 ff., 390, 394, 396, 400, 420 Wells 389 Westergaard 213 Westermarck 100, 216 Widmann, A. 83 v. Wiese, Leopold 154, 222, 426 Wilbrandt 218 Wilcox 17 Wilda 260 Wilken, Claudius 213 Wilson 337, 345 Windelband 388, 390, 393 Woltmann 101 Wolzendorff 350 Worms, Emile 219 –, René 219, 221 Wundt 135, 212, 269 Wygodzinski 218

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Xénopol 213 Zahn 258 Zwiedineck 218



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Aberglaube 129, 132, 426 Abgeordnete 290, 297 Abhängigkeit 267, 301 Absolutismus 65, 68, 207, 225, 267, 310, 351, 412 Abstammung 97, 268, 281, 301 Abstammungslehre 88, 94, 111, 183 Ackerbau 25 f., 79, 94, 111 f., 186, 365 Adel 68, 234, 310, 313 Agrarkommunismus 80 Agrarstaat 233 Ahnenkult 92 Ähnlichkeit 157 Aktivbürgerrecht 344 Alleinherrscher 294 Alter 247, 249 Anerkennung 347 Anlagen 155 ff. Année Sociologique 210 Anpassung 155 ff. Anschauung 68 Anstalt 254 Anthropologie 79, 135, 145, 193, 239, 241, s. auch Sozialanthropologie Antike 306, 353, 358, 366, 370, 383 Antirationalismus 69 Arbeit 11, 95, 110, 188 f., 207, 243 f., 339, 359, 365, 416 Arbeiter 61, 63, 105, 234, 261, 336 Arbeiterbewegung 81, 324, 422 Arbeiterversicherung 255, 261, 319 Arbeitskraft 231, 257 Arbeitslose 30 Arbeitsreise 11 Arbeitsteilung 61, 87, 110, 126, 132, 241, 266 Arbeitsverfassung 60 Arier 353

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Aristokratie 305 f., 308, 384 Armenpflege 32, 256, 357 Armut 102, 247, 357 Artillerie 38, 40, 57 Askese 366 Astronomie 40 [450] Atavismus 163 f. Aufbau 399 f., 402, 404 Aufklärung 78, 110, 362, 370, 383 f., 407, 412, 422 Auslese 90, 158, 161 Aussterben 167 Auswanderung 1, 3 Banken 44 f. Barbarei 93 Bauern 65, 248 Bedürfnis 126, 132, 185, 251 Begabung 160 Begriff 123, 131, 169, 197, 322, 349 Bejahung 169, 241, 244, 269, 384 Beobachtung 138, 142, 197, 419, 442 Beratung 289, 293 Bergbau 58 Beruf 141, 301, 339 f, 367, 376 f. Berufsidee 366 ff. Berufsreise 10 Bevölkerung 6, 110, 132, 140 f., 274, 329, 333 Bevölkerungslehre 114, 218, 238 Bewußtsein 123, 265, 271, 346, 427 Beziehung 123, 126, 244 Bezugsgebilde 441 Bildung 321, 373 Binnenwanderung 1, 3 Biographien 160

Sachverzeichnis – Das Verzeichnis ist dreispaltig gesetzt. Die Paginierung ist nicht an diese Ausgabe angepasst. Verwiesen sei auf das Sachregister im Editorischen Bericht.

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Soziologische Studien und Kritiken

Biologie 89, 100, 114, 123  f., 132, 142, 149, 169, 183, 191, 193, 219, 236 f., s. auch Sozialbiologie Blut 97, 201, 203 Blutsverwandtschaft 245 Boden 231 Börsen 45, 284 Bourgeoisie 234, 310, 413, 423 Buchhaltung 43 f. Buddhismus 353, 380 Bund 278, 408 Bürokratie 342 Calvinismus 187, 366 ff. Cäsarismus 317, 327 Chartismus 310 Chemie 57, 121, 185 Christentum 354, 356 ff., 362 ff.. 370, 373, 375, 378 ff, 409, 418 Dampfkraft 18 Dasein sozialer Verbände 346 Deduktion 134, 138, 142 Demographie 114, 141, 431 Demokratie 207, 304 ff. Demokratischer Gedanke 297, 302 Demokratismus, sozialer 319 Demologie 140, 431 Demonstration 285, 291 Denken 57, 79, 97 f., 108, 110 f., 123, 126, 133, 136, 141, 155, 184, 194, 240, 244, 259, 280, 316, 352 –, historisches 412 –, rationales 246 –, soziologisches 63, 71, 126, 191, 222, 324 –, spekulatives 132 –, wissenschaftliches 252, 420, 427 Despotie 294, 310 Destruktion 37 Deszendenztheorie 98, s. auch Abstammungslehre Determination 113 Diagnose 127 Dialektik 74, 130, 423 Dienstreise 11 Differenzierung 87, 102, 126, 165, 241, 250 Dogmatik 357, 363 Durchschnitt und Menge 291 f. Dynamik 87, 120, 199

Ehe 8, 63, 112, 115, 190, 202, 237, 269, 271, 273, 360, 435 Ehrlichkeit 374 Eigentum 95, 111, 121, 190, 208, 246, 315, 322 Einigung 283 Einladung, Berufung, Geheiß 283, 288 f. Eintracht 193, 240, 245 Eisenbahnen 18, 22 Elektrizität 18 Enquete 141, 198 Entdeckung der neuen Welt 226 Entschluß 292 Entwicklung 98 f., 109 f., 116, 126, 131 f., 137, 145, 171, 183, 186, 191, 327, 347, 359, 385, 422, 426 –, demokratische 352 –, gesellschaftliche 265, 328 –, industrielle 225 –, kapitalistische 363 Erfahrung 97, 183, 252, 333, 387, 415 Erfindung 35, 40, 50 f., 57 Erkennen und Wollen 420 Erkenntnis 130, 183  f., 190, 413, 418, 426 f. – des Fremdseelischen 398 Ernährung 113, 185, 238 Ersatz für Schaden 249 f. Ethik 83, 108, 126, 339, 385, 390, 414 – der Kulturwerte 405 –, protestantische 372 f. –, puritanische 375 –, religiöse 372 Ethnographie 91, 136, 141, 216, 431 Ethnologie 84, 86, 91, 136, 141, 216, 239, 241, 431 Eugenik 216 Europa 220 – und Asien 223 Evolution u. Dissolution 184 Evolutionismus 413 Exogamie 93, 112 Fabrik 34, 58, 61,188, 284 Fabrikarbeiter 61 Familie 3, 81, 89, 93, 107, 112, 121, 237, 247, 259, 266, 269, 273, 377 Fatalismus 109 – der großen Menge 314 Feldherr 37

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Fernwanderung 3 Feste 285 Feudalismus 65, 94, 225 Feuerversicherung 261 Fiktion 348 Finalwissenschaft 122 Finanzen 49, 79, 187 Flotte 21, 48 f. Forschung, genealogische 158 Forschungsinstitut  f. Sozialwissensch. 154, 222 Fortbildung 385 Fortpflanzung 113 Fortschritt 81, 87, 93 f, 119, 199, 245, 324 – der Demokratie 317, 328 – der Kultur 382 – der Wissenschaft 126 Frage, soziale 80, 101, 218 Frauenfrage 219 Frauenrechte 133 Frauenwahlrecht 301, 344 Freidenker 276 Freihandel 127 Freiheit 62, 95, 98, 193, 253, 305, 309, 315 f., 318, 324, 327, 343, 422 Freiwilligkeit 275 Freizügigkeit 33 Freundschaft 245, 273 Frühkapitalismus 375, 378 Führer 280, 352, 415 Gefahr 243, 249 f., 265 Gegenseitigkeitsvereine i. d. Versicherung 263 Geist, kapitalistischer 366, 371, 374, 377 –, männlicher und weiblicher in der Religion 360, 421 –, der objektive 70 f., 74, 83, 207 f. Geistesleben 441 Geld 44, 49, 231, 233 Geldhandel 186 Geldwirtschaft 49, 259, 365 Gemeingeist 407 f. Gemeinschaft 201, 203, 205, 246 f., 266 ff., 278, 333, 426 ff. –, innere u. äußere 270 f. – und Gesellschaft 33, 96  f., 203  ff., 242, 245 ff., 259, 264, 276, 334, 347 f., 402, 419, 425 f., 428, 437; als die soziologi-

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schen Grundbegriffe 433, Übersicht der Zweiheit 274 f. – und Individuum 200 ff. Gemeinschaften, religiöse 96 Genossenschaft 63, 245, 263 ff., 273, 278, 325 Gens 112 Geographie 86, 135 Gerechtigkeit 106, 193 Gericht 133, 200 f., 248 Gesamtheit 283, 293, 302, 430 Gesamtgeist 239 Gesamtwille 295 Geschäft 34, 37, 249 ff., 284, 340, 371, 377 Geschäftsreise 11 Geschichte 63, 74, 79  f., 84, 87, 92, 100, 113, 121, 137 f., 146, 190 ff., 215, 352, 381, 424 Geschichtsauffassung, materialistische 75, 79, 101, 109, 113, 134, 332  ff., 368, 382, 413, 423 Geschichtslogik 387 f. Geschichtsphilosophie 381, 384 Geschichtschreibung 80, 101, 137, 192 –, soziologische 82 Geschlecht 5, 132, 272, 301 Gesellschaft 18, 24, 63, 82  f., 87, 93, 98, 102, 118  f., 121, 125, 137, 150, 246, 266 ff., 278, 329, 351, 374, 415, 427 –, bürgerliche 68, 70 f., 75, 107, 266 –, Deutsche Statistische 153, 180 –, Deutsche –  f. Soziologie 144  ff., 150  f.. 172, 180, 219 –, soziologische 133 –, Wiener Soziologische 152 Gesellschaftslehre 173 Gesellschaftswissenschaft und Staatswissenschaft 173 Gesetz 106, 133, 170, 307 f. Gesetzbuch, Bürgerliches 68 Gesetzgebung 65, 68 f., 126, 129, 246 – über Versicherung 253, 262 Gesetzmäßigkeit 139, 193, 198 Gewalt 98, 333 –, öffentliche 64 –, politische 194 Gewerbe im Umherziehen 27 Gewerkschaften 18, 33 Gewinn 250 Gewohnheit 132, 193, 206, 307, 422

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Soziologische Studien und Kritiken

Gewohnheitsrecht 69, 94, 170, 201 Gilden 260 ff. [452] Gleichheit 62, 95, 193, 301, 305, 308, 315 f., 323 f., 326, 343 Gleichsetzung 301 Gottesdienst 287 Großindustrie s. Industrie Grundeigentum 99, 336 Gruppe 169, 278 f. –, biologische 237 Gütertransport 22 ff.

Instinkt 132, 166, 193 Institut International de Sociologie 102 Institut  für Rechtsphilosophie und soziologische Forschung 215 Institut de Sociologie Solvay 152 Intelligenz 165 Interesse 127, 132, 170, 234, 239, 250, 265 f., 285, 372 Islam 353, 355 ff., 362 ff., 370, 378 ff. Istituto Internationale di Sociologia etc. 220 f.

Handel 5, 21 f., 43 ff., 98, 111, 132, 140, 186, 188, 224  f, 231, 250, 259, 265, 359, 361, 363 Handel und rationalistische Denkungsart 359 Handels- und Gewerbefreiheit 65 Handlung 285 Handwerk 28  f., 34  ff., 42, 60  f., 79, 96, 111, 186, 375 Hanse 225 Haufe 279 ff., 290 Haushalt, der öffentliche 105 Heer 289 Heerwesen 23, 286 Heimat 33 Hellenismus 354, 357 Herrschaft 203, 333, 352 – in der Demokratie 343 – des Volkes 321 Herrscherschicht 273 f. Hilfe, gegenseitige 245, 265 Historismus 381, 401, 405, 409, 413, 417 Hochkapitalismus 369, 378 Höflichkeit 91 Humanismus 366, 370 Humanität 193, 392, 439

Jagd 25, 365 Jahresprodukt 106, 188 f. Jesuitismus 187, 376 Jude, der ewige 26 Jugend 416, 427 – und Alter 273 Jugendbewegung 408 Jurisprudenz 213, 350 Justiz 32, 141; s. auch Rechtspflege

Ideal 128, 272, 387, 428 Idealismus 109, 208, 332 Idealität 205 Idealtypus 322, 344, 351 Idee 74, 109, 125, 170, 245, 307 Imperialismus 317 Individuum 194, 205 f., 278, 346, 427 Indossament 44 Induktion 114, 138 f. Industrie 22, 50 ff, 79, 94, 111, 187 f, 310 Industriestaat 233

Kalkül 68, 249, 252 Kampf ums Dasein 90, 112 Kapital 49, 95, 188 f., 207, 231, 250 f., 335, 416 – und Arbeit 316 Kapitalismus 62, 94, 133, 265, 334, 337, 366, 368 f., 376 – und Versicherungswesen 253 Kapitalverkehr 187 Karlsbader Beschlüsse 177 Kartellwesen 352 Kaufmann 37, 187  f., 249, 257, 359, 363, 369, 375 Kausalverhältnis 258, 413 Kausalwissenschaft 169 Kirche 68, 87 f., 112, 130 f., 137, 183, 186, 224, 226, 271, 308, 348, 351, 354  f., 360, 363, 365, 370  f., 373, 376, 418, 427 Kirchengeschichte 192 Klan 92, 112, 247 Klasse, soziale 76  f., 100, 106, 192, 246, 253 f., 256, 280, 282, 316, 416 Klassenkampf 317, 319, 324, 413 f., 425 Klima 161 Koalition 8, 324 Kohle 52, 233 Kollegium als Einheit 301

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Kollektivseele 279 Kolonien 231 f. Kommunismus 93, 95, 325 Kompromiß 365, 411 f., 418, 421, 429 Kongreßreise 13 Königtum, soziales 82 Konkurrenz 5, 94, 112, 240, 284, 335 Können 34, 36, 56, 60, 138, 201, 244, 248 Konservative 73 Konsumtion 37, 125, 140, 368 Konsumvereine 263 Kooperation 54, 62, 95, 110, 240, 292 Körper, der soziale 88 f., 99 Körperschaft 204, 251, 267, 295, 299, 349, 437 f. – gesetzgebende 288, 296 Kraftmaschine 53 Krankenversicherung 263 Krankheit 247, 249 Kredit 43 ff., 231, 365 Kreditwürdigkeit 375 [453] Krieg 20 f., 38, 112, 240, 361, 365 Kriminalstatistik 140 Krisis der Kultur 416 f. – der Zivilisation 382 Kultur 19, 26, 66, 81, 93, 106, 110, 112 f., 132, 225, 239 f., 245 f., 282, 426, 428 –, antike 223, 356 –, Bewegung der 224 –, christliche 357 –, europäische 96, 223 Kulturentwicklung 24  f., 78, 84, 94, 132, 361 f., 379, 424 Kulturgeschichte 191, 442 Kultursynthese 387, 391, 395, 399, 414, 417, 419 Kunst 34, 36, 106, 190, 441 Kürwille 33, 60, 98, 259, 269 ff., 275, 347, 359, 374, 378

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Landsknechte 29, 47 Landstreicher 29 f., 33 Landwirtschaft 259 Leben 155, 256, 427 –, das soziale 63, 103, 110 f., 115, 122, 124, 127, 130 f., 133, 140, 144 f., 171, 191, 212, 219, 257, 311, 346, 353, 424, 427 –, das wirtschaftliche 64, 78, 125, 138, 140, 259, 373 Lebensalter 273

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Lebensdauer 160 Lebensführung 125, 372 f., 376 Lebensversicherung 264 Lehre 273, 350 Leviathan 349 Liberalismus 65, 94, 207, 253, 262, 309, 316, 323, 384 Logarithmen 57 Logik 137, 358, 386 Lohn 90 Lohnkampf 240, 285 Macht und Reichtum 184, 201 Manifest, das kommunistische 79, 81, 413 Manufaktur 188 Marine 45 Markt 231, 250, 284 f. Marktfreiheit 26 Marxismus 102, 329 f., 389, 395 f. Maschine 51 ff., 60 Masse 282 Massenbeobachtung 139 ff., 197 Massenpsychologie 194, 432 Maßstab 388, 390 ff. Materialismus 74 f., 93, 101, 114, 194, 328, 332, 382, 414, 426 –, historischer s. Geschichtsauffassung, materialistische Materie und Geist 131 Mathematik 39 ff., 46, 56 f., 121 Mechanismus 54, 59 Medizin, soziale 172 Medizinalstatistik 140 Mehrheit 293, 297, 299, 302, 314, 321, 345, 349 Mehrwert 250 Meinung, öffentliche 7, 107, 131, 295, 305, 308, 336, 365 Menge 252, 281 –, die große 277 ff., 290, 326 Mensch 36, 88, 110, 117, 129, 135, 137, 141, 157 ff., 205, 236, 280, 289, 383 –, der wissenschaftliche 421 Merkantilismus 186, 188 Methode 110, 114, 120, 134, 140, 145, 191, 321, 428 –, statistische 140 f., 197, 442 Milieu 135, 159 f. Minderheit, 292 f., 302, 343, 345 Mittel, s. Zweck und Mittel

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Soziologische Studien und Kritiken

Mittelalter 43, 66, 68, 81, 87, 94, 119, 130, 223, 234, 246, 306, 311, 358, 383, 424 Monarchie 68, 82, 305, 313, 319, 344, 351 Monotheismus 354, 358 Mongolen 353 Moral 87, 374, 438 – und Politik 416 Moralstatistik 140, 218 Motor 19, 53 Mutterrecht 81, 93, 112 Mystik 68, 201, 205, 357 Mythologie 84, 205 Nachahmung 113 Nachbarschaft 245, 273 Nachkommenschaft 155 ff. Nähe, räumliche 237 Nahrungsmittel 110 Nation 65, 89, 105, 128, 188, 237, 271, 282 f., 293 Nationalökonomie 77, 127, 140, 173, 216  ff., 238, 432; s. auch Ökonomie, politische Nationalreichtum 233 Natur 66, 87, 106, 126, 165  f., 183, 238, 385 Naturalismus 78, 387 Naturgesetze 145 Naturkräfte 51 f., 237 Naturphilosophie 386 f. Naturrecht 64, 66, 69  ff., 88, 97, 126, 169 f., 201 f., 267, 412 Naturwissenschaften 39  ff., 56  f., 63, 78, 94, 103, 185, 191 f., 196, 358 [454] Neuerung 50, 111 Neuzeit 43, 50, 81, 119, 185, 223 ff., 234, 246, 306, 369, 383, 403, 424 Nivellierung 16, 342 Nomadentum 25, 27 f. Norm 169, 346 Normen, die sozialen 438 f. Normalbegriff, Normaltypus 149, 322, 344 Nutzen 97, 246 Obdachlosigkeit 30 f. Objektivität 130, 139, 424 Ochlokratie 305 Ökonomie, politische 64, 105, 138, 186, 423 Ökonomie und Politik 76

Oligarchie 305, 322, 326 Ontogenese 165 ff. Ordnung 87, 119, 130, 266, 289  f., 378, 422, 438 Organisation 254, 267 Organismus 54, 59, 87  f., 93, 99, 124, 155 ff., 169, 205, 268, 426 Orient und Okzident 223 f. Panik 285 Parlament 342 Partei 85, 127 f., 290, 295, 321, 327, 336, 413 –, Gegensatz der konservativen und mutativen 425 –, sozialdemokratische 175, 311 Parteien, demokratische 310 Parteipolitik und Universitätsunterricht 179 Parteisystem, amerikanisches 337 f. Pathologie, soziale 128 – des Versicherungswesens 265 Patriarchalismus 112 Pauperismus 262 Periodisierung 400 f., 419 Person 200, 347 Person, kollektive 246 Philosophie 63, 75 f., 97, 104, 107, 117 f., 125, 144, 179, 183, 191, 212, 351, 373, 381, 428 – der Geschichte 63, 101 f., 111, 120, 130, 133, 191, 381 ff., 413 –, spekulative 102 f., 111 – politische 120 – positive 118, 122 Phylogenie 168, 191 Physik 57 –, soziale 116 f. Physiokratismus 65, 186 Pietismus 367 Plebiszit 298, 318 Plutokratie 315 Politik 71  f., 87, 118, 120, 124, 127, 129, 131, 212, 318, 321, 336 f., 441 –, merkantilistische 185 f. –, positive 120, 130 »Politik als Beruf« 342 – und religiöse Moral 411, 418 Polizei 32, 71, 248 Polytheismus 354 Positivismus 87, 94, 122

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Post 19, 22 Prädestination 367, 373, 387 Presse 326, 336 Privateigentum 73, 77, 95, 202 Privatrecht 170, 357 Privatversicherung 258 Produktion 5, 37, 94, 125, 140, 188  f., 332 f. Produktionsweise, kapitalistische 98, 113, 359, 369 Produktivkräfte 77 f., 329, 331, 333 f. Prognose 130 Proletariat 9, 311, 328, 413 f., 425 –, Diktatur des –s 324, 334 –, das gelehrte 29 Prostitution 24, 32 Psychologie 78, 84, 113, 123, 132, 135  f., 149, 169, 219, 236, 239 f., 386 – der Menge 279 ff. Puritanismus 366 Rasse 92, 113, 133, 135, 161, 237, 280 f., 321, 329, 431 –, die gelbe 235 Rassenhygiene 216 Rationalismus 67 f., 70, 98, 348, 351, 371, 373, 376 Realität 97, 205, 348 Recht 63 f., 66 f., 68, 126, 131, 133, 169, 193, 201 ff., 225, 344, 438 –, öffentliches 170 –, positives 201 –, römisches 68, 201 –, subjektives 200, 204 – und Moral 202 – und Tatsache 344 f. Rechtsgeschichte 69, 95, 191 Rechtslehre und Sittenlehre 170 Rechtsordnung 101, 241 Rechtspflege 69, 71 Rechtsphilosophie 69, 74, 83, 99, 125  f., 169 ff., 208, 214, 266 Rechtsschule, historische 69 f., 77, 97, 170, 412 Rechtsverhältnis 200 Rechtswissenschaft, vergleichende 95 f. Referendum 298 ff., 317, 342 Reform, soziale 33, 133 Reformation 95, 226, 362, 365 Regierung 302, 304, 336

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Reichtum 105, 248, 315, 359, 368, 375 Reisen 9 ff., 275 [455] Religion 63, 94, 96, 106, 122, 131, 133, 179, 193, 240, 245, 308  f., 315, 321, 353 ff., 370 ff., 383, 409, 421 f. – und soziales Leben 359 Religionsgeschichte 356 Republik 306, 308, 310 f., 318, 328, 351 Resignation 409 Restauration 66, 332 Revolution 65, 68, 76, 130, 133, 207, 267, 306, 311, 324, 331, 384, 412, 418 Romantik 66, 68, 70, 111, 114, 384, 407, 412 Romantiker 73, 428 Ruhe 243 Sage und Geschichte 72 Samtschaft 346 f., 436 f. Satzung 273 Schätzung 198 Schiffahrt 45 Schutz 244 Sekten 280, 365, 373, 418 Selbsterkenntnis 142 f. Selbstversammlung 288 f. Selbstverwaltung 258, 310 Semiten 353 Sicherheit 243 ff. Siedelung 112 Sitte 63, 84, 91, 106, 115, 131, 133, 193, 240, 245, 308 Sittlichkeit 442 Sklaven 23, 304 Sollen 200 Souveränität 65, 350 Sowjetverfassung 322 Sozialanthropologie 431 Sozialbiologie 430 Sozialhygiene 133 Sozialismus 62, 73, 94 ff., 100, 133, 176 ff., 258, 319, 322, 384 –, wissenschaftlicher 130, 175 f. Sozialistik 86 Sozialität 121 Sozialpädagogik 133 Sozialphilosophie 117, 125 Sozialpolitik 107, 133, 336 Sozialpsychologie 136, 239 ff., 432 Sozialstatistik 113

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Sozialversicherung 256 Sozialwirtschaft 101 Sozialwissenschaft 117, 137, 142, 321 Soziographie 431, 442 – und Kulturgeschichte 443 Soziologentage, Deutsche 125  ff., 150  ff., 173 Soziologie 63, 77, 84, 86  f., 91  f., 96, 98, 101 f., 107, 110 ff., 114, 116 ff., 123 f., 125  ff., 144  ff., 150, 173, 190, 197, 219 f., 236, 304, 346, 349, 351 f., 358, 381, 430 –, Aufgabe der 123 ff., 352 – und ihre Aussichten in Europa 209 ff. –, Biologie und Psychologie 83 –, Einteilung 430 ff. –, Entwicklung im 19. Jahrh. 63 ff. – und Geschichte 137 f., 190 ff. – als Lehrdisziplin 152 – im Lehrplan der Jurist. Fakultät 219 –, Lehrstühle für 209 –, marxistische 328 ff. –, Name 142, 173 – und Rechtsphilosophie 169 ff. – im System der Wissenschaften 131  ff., 236 ff. – u. Universitätsstudium 172 ff., 222 –, Zukunft 108 ff. Soziopsychologie u. Psychosoziologie 432 Sparsamkeit 249, 375 Spekulation 249, 363 Sprache 92, 121, 225, 240, 245 Sprachgemeinschaft 270 f. Staat 64 ff., 69 f., 72, 88, 92, 96, 98, 126 f., 131, 133, 137, 170, 206  f., 246, 254, 265 ff., 282, 288, 305, 319, 343, 346 ff., 356 –, soziolog. und jurist. Begriff 346 ff. – und Gesellschaft 50, 71, 82, 85, 93, 139, 173, 256 f., 266, 340 – und Kirche 63, 258 – und Recht 66 Staatenkunde 198 Staatsform 305, 319, 323, 343 Staatsgebiet 267 Staatsgewalten 305 Staatslehre 83, 90, 96, 98, 125, 318, 349 f. – und Theologie 351 –, vergleichende 191 Staatsmann 37, 129, 187, 257

Staatsräson 265 Staatsrecht, Allgemeines 318, 350 Staatsscheu 351 Staatssozialismus 82 Staatsvolk 282 f., 293 Stadt und Land 2 f., 7, 233, 273 Stand, der dritte 305 –, der vierte 311 f. Statik 87, 120 f., 199 Statistik 80, 101, 114, 139 ff., 146 ff., 172, 180 f., 197 f., 218, 238, 431 f., 442 –, amtliche 140, 198 – und Geschichte 80, 199 – und Nationalökonomie 180 [456] Sterblichkeit 5, 237 Steuerpolitik 106 Stimmung einer Versammlung 283, 289, 291, 295 Strafrecht 214 f., 357 Streik 324 Streit 90, 240 Studienreise 12 Sympathie 239 System 37, 61, 107, 134

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Tausch 20, 110, 132 Technik 19, 33  ff., 41, 94, 111, 133, 225, 231, 329 f., 333, 337 Technologie 56 Teleologie 109 Tendenzen 98, 107, 125, 230, 233, 241, 265, 324, 333, 340, 422 Theologie 83, 169, 188, 205, 354 Tierstaaten 132 Tradition 19, 37, 50, 61, 89, 111, 206, 225, 323, 366 Tragik des Kulturverlaufs 429 Transport s. Verkehr u. Transport – zur See 250 Transportversicherung 251, 258 Tyrannis 294, 305 f. Übel, soziale 126, 129, 243, 259 Überbau 330 Überbevölkerung 6 Überlieferung 280, 321; s. auch Tradition Umgangsformen 91 Umsiedelung 1 Unfall 251, 260

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Ungleichheit der Abgeordneten und Wähler 302 f. Universitäten 172 ff., 177, 212, 225 Unternehmer 35, 60, 187, 375 Unternehmung 231, 250 Unterrichtsstatistik 140 Unterstützungswohnsitz 33 Unterwerfung 267 Urgeschichte 239 Urproduktion 234 Urzustände, soziale 72, 80 Vagieren 24 ff. Variation 163 Vaterland 206 Verallgemeinerung 322 Verbindung 63, 97, 123, 126, 131, 169, 204, 241 f., 244, 252, 259, 267 f., 272, 346 f. Verbrechertum 30 f. Vereinigung 283 – f. Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 172 Vererbung 157 ff., 184 – erworbener Eigenschaften 161 f. Verfassung 86, 139, 141, 177, 266, 294, 298, 304 ff. Vergleichung 136, 139, 141, 145, 149, 191, 442 Verhältnis 63, 97, 123, 126, 131, 169, 194, 200, 203 f., 241 f., 244, 268, 271 f., 346, 434 ff. Verkehr 22 f., 68, 111, 140, 224 – und Transport 18 ff. Verneinung 244, 384 Vernunft 66, 98, 126, 129, 143, 170 Versachlichung 252 Versammlung 281 ff. Verschwörung 347 Versicherung 249 ff. Versicherungsmonopol, staatliches 254 Versicherungsvertrag 251 Versicherungswesen 172, 243 ff. Vertrag 67, 170, 200 f., 240, 245, 267, 273, 349 Vertreter 285, 295, 344 Verwaltung 96, 186, 266, 337 Verwandtschaft 271, 273 Volk 65, 84, 88, 105, 137, 139, 168, 184, 190, 237, 271, 277 ff., 281 ff., 293, 305, 317, 324, 354

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–, Die »Hefe« des –es 291 Völkerkunde 136, 145, 239 Völkerpsychologie 84, 135, 194, 239, 241 Volkscharakter 371 Volksentscheid 300 Volksgeist 72, 74 f., 84, 135, 170, 240, 359 Volksgemeinschaft 206 Volksstaat 302 Volksversammlung 283, 293 Volksvertreter, Gebundenheit der – an Aufträge 296 f. Volksvertretung 295 ff., 301, 312 f. Volkswille 296 f. Vollkommenheit 108 f. Vorfahren 155, 166 Wahl 295 ff., 345 Wählerschaft 297 Wahlrecht 307, 327 Wahrheit 143, 281, 421, 423, 428 Wahrscheinlichkeit 251, 258 Wandern 1 ff., 29, 275 Ware 231, 250, 252 f. Wechselverhältnis zwisch. Gesellschaft und Natur 329 f. Wechselwirkung 134, 138, 232, 272, 323, 328, 351, 413 Weltanschauung 178  f., 357  f., 366, 369, 380 Weltflucht 361 Weltgeist 75 Welthandel 231 [457] Weltwirtschaft 232, 253, 365 Werkzeug 51 ff., 60, 79, 110, 238 Werkzeugmaschine 53 Wert 97, 131, 170, 241  f, 245, 267, 271, 384, 438 Werte, ökonomische, politische, geistige 439 f. Wertrelativität, historische 393 Werturteil 139, 142, 146, 191, 282, 384 Wesenheiten, soziale 434 f. Wesenwille 33, 60, 98, 206, 269  f., 347, 359, 378 Wettbewerb 251, 254, 335; s. auch Konkurrenz Wille, menschlicher 170 –, sozialer 63, 123, 131, 200, 267 f. Willenserklärung 200 Wirtschaft 67, 131, 363 ff., 414, 441

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– und Religion 364 ff. Wirtschaftsgeschichte 95, 191 Wirtschaftsleiter 352 Wirtschaftsphilosophie 104 ff. Wirtschaftspolitik 96 Wissen 60, 108, 429 Wissenschaft 50, 56, 66, 87, 104, 106  f., 116, 126, 129, 133, 176, 184  f., 205, 231, 246, 265, 373, 376, 421, 442 –, abstrakte u. konkrete 121 »Wissenschaft als Beruf« 420 – und Fürsten 39 –, Geist der 220 – und Technik 50, 185, 230 Wohlfahrt 246 Wohltätigkeit 247 Wohnen 28 Wollen 20, 36, 56, 59  f., 63, 78, 97, 113, 125  f., 128, 136, 138, 194, 204, 240, 242, 244, 277 ff. Wucherlehre 187, 362 Zahl 279 Zeichen 242, 440 Zeitalter 79, 130, 246, 383 –, Kontinuität der 225 Zeitgeist 107

Zeitungswesen 153, 321 –, amerikanisches 336 f. Zigeuner 26, 28 Zivilisation 82, 89, 93  f., 111, 194, 205, 225 f., 231, 335, 353, 379, 426 Zivilrecht s. Privatrecht Zuchtwahl, natürliche 167 Zufall 251 Zukunft 73, 108, 115, 257, 425 Zukunftsprogramm 130 Zukunftsstaat 208 Zurechnung (Kelsen) 350 Zusammenkünfte 284 ff. Zusammenleben 123, 132, 144, 185, 195, 201, 236, 245, 272, 321, 333, 348, 430 Zusammenwesen 272 f. Zusammenwirken 134, 2011 245, 272 ff. Zusammenwohnen 111, 272 ff., 281 f. Zuschauer 347 Zustände u. Bewegungen 134, 140 Zwang 91, 98, 333 Zwangskurs 44 Zwangsversicherung 262 Zweck und Mittel 18, 36, 55 f., 97 f., 169, 245  f., 257, 259, 267  ff., 347  f., 376, 420, 433 f. Zweckvorstellungen 125

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Editorischer Bericht Allgemeines Der 17. Band der Tönnies-Gesamtausgabe macht zwei Werke Tönnies’ aus dem Jahr 1926 zugänglich. Zum einen die Monographie »Das Eigentum«, zum anderen den umfangreichen Sammelband »Soziologische Studien und Kritiken. Zweite Sammlung«. Weitere Monographien aus den Jahren 1926 und 1927 sowie die Aufsätze und Rezensionen aus diesem Zeitraum werden im Band 18 veröffentlicht. Die Aufteilung auf die beiden Bände erfolgt nach pragmatischen Gesichtspunkten: Die Bearbeitung der Schrift »Fortschritt und soziale Entwicklung«, die thematisch gut zu »Soziologische Studien und Kritiken« passt, verbietet sich in diesem Band aus Platzgründen. Diese Aufteilung ändert den bis einschließlich Band 21 der TG bisher publizierten Plan der Ausgabe. Beide hier edierten Texte wurden im Original geprüft. Die »zweite Sammlung« der »Soziologischen Studien und Kritiken« (SSK II) ist eine nach Tönnies’ Vorstellungen zusammengestellte Wiederveröffentlichung schon zuvor publizierter Aufsätze. Auch diese wurden im Original herangezogen. Die Authentizität aller hier veröffentlichen Texte steht nicht in Zweifel. Der Originaltext ist grundsätzlich ohne editorische Eingriffe wiedergegeben. Orthographie und Satzzeichen folgen den historischen Vorlagen. Von diesem Prinzip sind jedoch  folgende Ausnahmen gemacht worden: (1) Am Zeilenende wird – wo nötig – nach der Rechtschreibreform vom 1.8.1998 getrennt. (2) Der gelegentlich in den Referenztexten redaktionell gesetzte Punkt nach Überschriften wurde überall  fortgelassen. (3) Druckfehler wurden entweder stillschweigend korrigiert oder in den editorischen Anmerkungen annotiert, wenn durch den Druckfehler eine andere Lesart des Textes denkbar wäre. (4) Hervorhebungen unterschiedlichen Typs (zeittypisch vor allem Sperrungen, aber auch Kursivierung, Fettdruck, Kapitälchen) wurden sämtlich kursiviert. Die in Frakturtexten in der Antiqua gesetzten Fremdwörter gelten als nicht hervorgehoben, erscheinen hier also recte. Analog gilt dort, wo in Texten in Antiqua alle Fremdwörter kursiv gesetzt sind und die Hervorhe-

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Editorischer Bericht

bung sonst durch Sperrung geschieht, dass diese Fremdwörter hier recte gesetzt sind. Die Satzgewohnheiten der Epoche tradieren teilweise noch die Praxis des Satzes in der Fraktur, Fremdsprachiges in einer anderen Schrifttype zu setzen. (5) Findet sich im Text eine hochgestellte Zahl, so liegt eine Fußnote Tönnies’ vor. Die Fußnoten werden hier, gleichgültig wie sie im Original erscheinen, text- oder kapitelweise durchgezählt und mit hochgestellter Ordnungszahl auf der gleichen Seite am Fuß des Originaltextes wiedergegeben. Einige weitere Besonderheiten betreffen nur die Edition von SSK II und werden weiter unten vorgestellt. Editorische Fußnoten zur Texterläuterung  finden sich ebenfalls auf der gleichen Seite, jedoch durch einen Halbstrich abgesondert ganz unten. Sie sind doppelt bezeichnet: durch eine tiefgestellte Zeilenzahl, die sich auf das Ende der kommentierten Stelle bezieht, und durch ein (kursives) Lemma, d. h. durch ein Textbruchstück, das auf die des Kommentars bedürftige Stelle verweist. Zeilenzahlen  finden sich am Innenrand des Textes, sie zählen Überschriften und Original-Fußnoten, nicht aber Leerzeilen mit. Die editorischen Fußnoten bieten  folgende Erläuterungen: (1) Bei jedem Text wird zunächst in einer ersten, oft etwas längeren Fußnote eine kurze Notiz zur Überlieferung und zum Textbefund gegeben. Vertiefendes  findet sich, wo nötig, im zweiten Teil dieses editorischen Berichts. (2) Druckvarianten zu anderen relevanten Fassungen des Textes werden wiedergegeben. Dies betrifft bei SSK II durchgängig die Erstveröffentlichung, in wenigen Fällen mehrere Vorveröffentlichungen. (3) Ungewohnte Begriffe oder historische Bezüge werden erklärt. Die Erklärungen sind möglichst knappgehalten, davon ausgehend, dass die erörterte Materie und ihr historischer Kontext den Nutzern nicht grundsätzlich fremd sind. (4) Alle Zitate wurden geprüft. Dort, wo es bei Tönnies keine Abweichungen vom zitierten Text gibt (nicht berücksichtigt wurden orthographische Eigenarten oder Modernisierungen sowie  für den Sinn des Zitierten nicht relevante Änderungen der Zeichensetzung), bleibt es bei dem Nachweis des zitierten Textes; Abweichungen hingegen werden mitgeteilt. Zitiert Tönnies aus  fremdsprachigen Quellen und übersetzt selbst, so gilt seine Übersetzung als Abweichung, das  fremdsprachige Original wird in der editorischen Fußnote wiedergegeben. Die Quellen von Zitaten, von offensichtlichen Anspielungen und Paraphrasen in



Das Eigentum

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Tönnies’ Text werden nachgewiesen.1 Dort, wo die Angaben Tönnies’ ausreichen, um zum Zitat zu führen (eventuell mit Hilfe des Literaturverzeichnisses, das alle Literaturquellen verzeichnet), ist auf einen solchen unmittelbaren Nachweis verzichtet worden. Ein editorischer Zusatz sind die orientierenden Kopfzeilen auf den Seiten mit Texten Tönnies’. Die in diesem Band edierten Texte sind in der Antiqua gesetzt. In der ersten editorischen Fußnote steht, in welcher Type die in SSK II enthaltenen Texte beim Erstdruck jeweils gesetzt waren. Die Verwendung der Schrifttype wurde am Ende des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts immer mehr zu einem Politikum: Frakturschriften galten als »deutsch«, die Verwendung der Antiqua als modernistisch, oft als antinational (vgl. hierzu Hartmann 1999). Autoren hatten, namentlich in Zeitschriftenbeiträgen, allerdings kaum Einfluss darauf, in welcher Type gesetzt wurde.

Zu den einzelnen Texten Das Eigentum Tönnies’ Beitrag zur Schriftenreihe der Wiener Soziologischen Gesellschaft ist, wie er in einem Brief an Hermann Schmalenbach schreibt, eine »Gelegenheitsschrift«: »Sie wurde, auf Drängen der Wiener Gesellschaft, der längst etwas anderes versprochen war, was wieder ›zu dick‹ geworden wäre, in zwei Wochen des Juli [1926] niedergeschrieben.«2 Was vorliegt, kann als eine  fundierte Einführung in eine soziologische, über die juristische Begriffsbestimmung hinausgehende Theorie des Eigentums gelten, wie sie sich aus der Begriffswelt Tönnies’ entfalten lässt. Als aktuellen Anlass  für seine Überlegungen nutzt Tönnies

1 2

Für Anspielungen gilt dies natürlich nur, wenn der Editor sie erkannt hat. Brief an Herman Schmalenbach vom 3.4.1927, ein Durchschlag im TN unter Cb 54.51: 16,02, S.  1. – Kalendereinträge Tönnies’ stützen diese Datierung: am 7.7.1926  findet sich der Eintrag »Jacoby. Diktat.« Am 8.7. trägt Tönnies in seinen Kalender ein: »Vorm[ittags] MS [Manuskript] Wien.«, ebenso diktiert er Jacoby am 24.7., 6.8. und 9.8. Davor liegt am 22.7. der Eintrag »Neuer Entschl. [Entschluss?] betr[effend] MS. Wien. ›Eigentum‹«. Am 10.8. verzeichnet der Kalender »Abschluß des MS ›Eigentum‹ – Abges[andt]. nach Wien« (Cb 54.11:23).

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Editorischer Bericht

den Volksentscheid über die Enteignung der Fürsten vom 20.6.1926.3 Tönnies erwähnt ihn am Anfang und weist am Ende des Textes in einer langen Fußnote darauf hin, dass ein Verständnis von Eigentum als eine machtgestützte soziale Beziehung auch im monarchischen Staat selbstverständliche Praxis war. Eigentum ist eben nicht das Verhältnis zwischen einer Person und einer Sache, sondern ein komplexes soziales Gebilde. Tönnies entfaltet in seinem Text ein Programm zur sozialpolitischen Gestaltung der Eigentumsverhältnisse in der deutschen Republik, dabei geht er auch auf die aktuelle »Finanzsoziologie« Rudolf Goldscheids ein. Für den begrifflichen Zusammenhang der Soziologie Tönnies’ ist bedeutend, wie er dem durch die römische Rechtstradition geprägten Begriff des Eigentums in der »Gesellschaft« einen »gemeinschaftlichen Eigentumsbegriff« entgegensetzt. Diese begriffliche Unterscheidung ermöglicht ihm weitere Differenzierungen, so eine soziologisch fruchtbare Unterscheidung zwischen dem Eigentum in persönlicher Nutzung und dem abstrakten »Kapital«. Tönnies schlägt eine Brücke zwischen den Kategorien seiner »reinen Soziologie« und dem Rechtsbegriff »Eigentum«. Sein Text ist gegenwartsbezogen, argumentiert politisch und fordert, sozialpolitische Gestaltungsräume zu nutzen, die sich aus seinem Verständnis von Eigentum erschließen. Fünf Jahre später veröffentlicht Tönnies mit dem Artikel »Eigentum« in Vierkandts »Handwörterbuch der Soziologie« einen weiteren Text zum Thema (TG 21: 291–304). Die Argumentation hier ist kürzer, nimmt weniger Bezug auf aktuelle sozial- und rechtspolitische Fragen, folgt den Stilerfordernissen eines Handbuchartikels. Recht präzise fasst ein Rezensent in einer kurzen Buchanzeige zusammen, welche politischen Implikationen sich aus der begrifflichen Arbeit im vorliegenden Text ergeben: »Die doppelte Wurzel des Eigentums in Kürwillen und Wesenwillen, diesen beiden Polen des sozialen Lebens nach T.’ Grundanschauung, wird bloßgelegt. T. tritt ein  für eine Reform des Eigentumbegriffs zugunsten des vom Wesenwillen beherrschten Eigentums. Er polemisiert dementsprechend gegen die kapitalistische Rechts- und Besitzordnung, gegen die Expropriation des Staates und das herrschende Steuerrecht; er tritt ein  für eine Steuer- und Bodenreform und ein weitgezogenes Enteignungsrecht im Interesse einer gemeinschaftsbetonten sozialen Demokratie.« (hvr 1927: 59**) Deutlich mehr auf die politischen Tagesauseinandersetzungen bezogen ist eine kurze Anzeige in der österreichischen Gewerkschaftszeitung »Arbeit und Wirt3

Dazu immer noch einschlägig Schüren 1978. Ein neuerer, kürzer gefasster Überblick zu dem Thema: Weipert 2021.



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schaft« durch den Schriftsteller und sozialdemokratischen Parteifunktionär Jacques Hannak: »Die Broschüre über das ›Eigentum‹ aber ist, so klein an Umfang sie ist, dennoch ein Paradestück an mutiger Bekenntnistreue und geistiger Rücksichtslosigkeit des großen Gelehrten. Es genügt, daß wir hier sein Urteil über das Recht der deutschen Republik auf Enteignung der davongelaufenen Fürsten zitieren: ›Ob eine siegreiche Revolution und dadurch begründete Republik dem besiegten Monarchen mehr schuldig ist, als ein monarchischer Sieger dem anderen Monarchen, den er im Kriege besiegt hat?? – Diese Betrachtung allein wirft alle Redensarten von Raub und Diebstahl, von ›das letzte Hemd ausziehen‹ und dergleichen mehr rettungslos zu Boden, auch wenn sie von großen Juristen geführt wurden.‹ Ob nicht all das reaktionäre streberische Professorentum schamrot werden sollte vor der Tapferkeit und lauteren Gesinnung dieses aufrechten Greises?«4 Die Arbeitgeber-Zeitschrift »Württembergische Industrie« widmet drei Schriften Tönnies’5 eine kurze Betrachtung. Das »Eigentum« stellt aus Sicht dieser Zeitschrift »eine sehr interessante Untersuchung über die Wandlungen dar, die das Eigentum und der Eigentumsbegriff in Rechtsordnung und gesellschaftlicher Anschauung durchlaufen haben.« Zu Tönnies’ schriftstellerischer Arbeit insgesamt heißt es: »Der Kieler Gelehrte, der nie den Ehrgeiz hatte, nur Wissenschaftler zu sein, scheut auch auf diesen Blättern vor bestimmter politischer Stellungnahme nicht zurück, wo sie sich aus dem behandelten Gegenstand ergibt; aber wesentlicher als sie ist uns die wissenschaftliche Denkarbeit, die Wahrhaftigkeit und der Ernst der Gesinnung, die diese Aufsätze gestaltet haben und aus ihnen in glänzend formulierten Sätzen zu uns sprechen.« (er 1927) Karl Dunkmann bespricht Tönnies’ Eigentum ausführlich in den »Unterrichts-Briefen« seines »Instituts für angewandte Soziologie«. Wie üblich reibt sich der Tönnies-Schüler Dunkmann an den »linken« sozialpolitischen Schlussfolgerungen in der Argumentation Tönnies’. Dieser antwortet auf die Besprechung, die Antwort wird 1927 in den »Unterrichts-Briefen« gedruckt. Dunkmann antwortet hierauf noch einmal. Die Auseinandersetzung sei hier dokumentiert.6 Das Verhältnis von Tönnies und Dunkmann darf besondere Aufmerksamkeit beanspruchen: 4 5 6

Hannak 1926: Sp. 821 f. – Die von Jaques Hannak zitierte Passage auf S. 42, Fn., Hannaks Hervorhebungen. Neben »Eigentum« der Sammelband »Fortschritt und soziale Entwicklung« und die Broschüre »Wege zu dauerndem Frieden« (1926c und 1926d). Voraussichtlich im zweiten Heft 2023 der »Kieler Sozialwissenschaftlichen Revue«wird ein Artikel von Dieter Haselbach veröffentlicht werden, der die Beziehungen zwischen Dunkmann und Tönnies näher beleuchtet.

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Dunkmann kommt als Liberal-Konservativer regelmäßig zu politischen Schlussfolgerungen, die konträr zu denen Tönnies’ stehen, stützt sich aber auf die theoretischen Ansätze bei Tönnies, so wie er sie versteht und legt mehr als einmal Zeugnis ab für seine Bewunderung von Person und Werk.7 Dunkmann kritisiert die Schrift »Das Eigentum« an drei Punkten. Zunächst vermisst er »die Anerkennung der wenn auch relativen Selbständigkeit oder Eigenbewegung des gesellschaftlichen Eigentums, also vornehmlich des Geldes in seiner überstaatlichen internationalen Bedeutung. Wir entfernen uns doch innerhalb der ›Gesellschaft‹ dem gemeinschaftlich bedingten Volkstum, auf dem der Staat ruht und auf dem er freies Verfügungsrecht in Anspruch nehmen muß über Verteilung von Grund und Boden, vor allem auch zwecks Vermehrung des öffentlichen oder staatlichen Eigentums … Aber sobald es sich um das abstrakte, ideelle Eigentum in Gestalt des Geldes handelt, entzieht sich dies in hohem Grade der Staatsgewalt. Es ist internationalisiertes Eigentum, und ein Staat, dem die Anerkennung seiner ›Forderungen‹ seitens anderer Staaten  fehlen würde, geht an seiner Valutenentwertung zu Grunde. Hier steckt jedenfalls ein sehr schweres Problem, dessen Aufdeckung ich vermisse … Bekanntlich  flüchteten die Inflationsgewinnler mit ihrem Goldgeld ins Ausland, als der Staat sie ›fassen‹ wollte. Mir scheint die Abschaffung des Geldes überhaupt das konsequente Mittel, um hier zum Ziel zu kommen. Aber dieses Mittel halte ich für utopisch.« (Dunkmann 1926: 15  f.) Dunkmanns Kritik steht unter dem Eindruck der Hyperinflation bis 1923 in Deutschland. Dunkmanns zweiter Kritikpunkt erwächst aus der »Meinung [Tönnies’], daß ›die Mehrheit der Staatsbürger‹ das Staatsrecht in der Umänderung der Eigentumsgesetze bestimmen solle, obwohl andererseits gefordert wird, daß es sich bei alledem um ethische Maßnahmen handeln würde. Ob aber die ›Mehrheit‹ wirklich ›das Mikroskop der Ethik und Soziologie‹ besser zu handhaben versteht als eine Auslese berufener Männer? … Ob das Vertrauen von Tönnies auf die Demokratie sich rechtfertigen wird, wenn der ›Parlamentarismus‹ in diesem Stil weiter ›wurstelt‹? Woher dann die andauernde ›Krise der Demokratie‹, wenn nicht in dem sinkenden Glauben an seine moralische Bedeutung? Die Entfesselung der Parteiwirtschaft ist identisch mit Demoralisierung der Politik und wachsenden [sic] Ohnmacht des Staates.« (ebd., 16) Dunkmann  fragt nach Krisenfestigkeit und Reformfähigkeit des Weimarer

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Vgl. Tönnies’ einleitende Worte auf S. 610.



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Staates; auch dieses Argument  folgt ersichtlich unmittelbar aus seiner politischen Wahrnehmung. »Endlich zur ›Fürstenenteignung‹.« (ebd.) Hier greift Dunkmann Tönnies’ Narrativ der Geschichte von Weltkrieg und Revolution an: Die Fürstenenteignung »wird als ›Kriegsrecht‹ verteidigt. Bestand aber wirklich ein Kriegszustand zwischen Volk und Fürsten, in dem das Volk ›gesiegt‹ habe? War die ›Revolution‹ in dem Sinn ›siegreich‹? Sie war doch zunächst nur ›Zusammenbruch‹ erst der Front, dann der inneren Verfassung. Volk und Fürsten hatten gemeinsam gekämpft. Das gemeinsame Band zerriß. Das ›Volk‹ gewisser Parteien ›stand auf‹, nicht das ganze ›Volk‹, und entthronte seine Fürsten, die – leider – widerstandslos das Feld räumten. Geht es hier um einen Kriegszustand des ›Volkes‹ gegen die Fürsten? Höchstens um einen seit Jahrzehnten genährten Kriegszustand eines Teils des Volks. Kann daraus ein ›Kriegsrecht‹ gefolgert werden? Die einfache ›Abstimmung‹ des ›Volkes‹ in seiner Gänze war vielmehr selbstverständlich. Auch hier ist das bloße Mehrheitsprinzip im ethischen Sinn bedenklich, aber es war unvermeidlich. Und nur um die ›Unschädlichmachung‹ sollte es sich handeln? Davon war  freilich nirgends die Rede, und das Maß dieser Bestimmung, die Grenze, wo sie aufhörte oder anfing, wäre wohl auch nicht so einfach gewesen. Als ›Enteignung‹ hingegen bezeichnet, und ohne Analogie zu Kriegsrechtsmaßnahmen, war sie ein absolutes Unikum, das weder ›formal-juristisch‹, noch ›ethisch und soziologisch‹ lösbar war.« (ebd.) Tönnies Antwort ist im 6. Heft der Unterrichts-Briefe gedruckt.8 Sie gehört in den 17. Band der TG. Wegen des sachlichen Zusammenhangs mit dem »Eigentum« wird der Text hier vollständig dokumentiert.9

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Tönnies 1927. Im TN liegt ein Typoskript der Antwort Tönnies’ vor, offensichtlich diktiert, mit eigenhändigen handschriftlichen Korrekturen (Cb 54.34:91). Der Text ist umgekehrt kursiv gedruckt, Hervorhebungen gibt es nur in der Überschrift.

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[Meinungsaustausch. »Das Eigentum« von Prof. Dr. Ferd. Tönnies, Kiel]10 Von Professor Dunkmann empfing ich einen neuen Beweis seiner längst bewährten Gesinnung für mich und mein Werk, durch die Besprechung, die er meiner jüngsten kleinen Schrift »Das Eigentum« in dem dritten seiner Unterrichtsbriefe gewidmet hat. Er vermisst darin die Anerkennung der »wenn auch relativen Selbständigkeit oder Eigenbewegung« des gesellschaftlichen Eigentums, also vornehmlich des Geldes in seiner überstaatlichen internationalen Bedeutung. Als internationalisiertes Eigentum entziehe es sich in hohem Grade der Staatsgewalt. Dunkmann verweist auf unsere Erfahrungen der Flucht des Goldgeldes ins Ausland. Ich meine nun, daß hier ein tatsächlicher Irrtum vorliegt. Wir hatten schon längst kein Goldgeld mehr, aber freilich war es minderentwertetes Geld, durch dessen verbotene Ausfuhr viele Kapitalisten der völligen Entwertung vorzubeugen gewusst haben. Die Gesetzgebung hat dem lange mit Erfolg Widerstand geleistet und ohne diesen Widerstand wäre das Übel ohne Zweifel viel schlimmer geworden. Die völlige Entwertung der Vermögen hat sich tatsächlich auf fast alle kleinen und mittleren Vermögen, so weit sie nicht im Grundbesitz bestanden, erstreckt. Die großen Vermögen sind auch darum weniger betroffen worden, weil 10

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Unter dem redaktionellen Titel steht eingerückt folgender Text: »Im Unterrichtsbrief Nr. 3 besprach Herr Prof. Dunkmann die Schrift des Herrn Prof. Tönnies-Kiel, ›Das Eigentum‹. Diese Besprechung nahm Herr Prof. Tönnies-Kiel als Anlaß, seine Stellungnahme zu seiner Schrift und auch zur Besprechung des Herrn Prof. Dunkmann mit folgenden Ausführungen zum Ausdruck zu bringen. Auf die Ausführung des Herrn Prof. Tönnies wird Herr Prof. Dunkmann im nächsten Unterrichtsbrief eingehend zurückkommen.«. Beweis seiner längst bewährten Gesinnung für mich und mein Werk – Dunkmann gehört zu den Gratulanten zum 70. Geburtstag in den »Kölner Vierteljahrsheften« (1925), schreibt im selben Jahr vier weitere Artikel zu Tönnies (»Charakterköpfe deutscher Soziologie. Ferdinand Tönnies«, 1925a; »Ferdinand Tönnies«, 1925b; »Ferd. Tönnies zum 70. Geburtstag«, 1924c; »Die Soziologie von Ferd. Tönnies und ihre Bedeutung für die Pädagogik«, 1925d). Schon 1924 widmet er seine »Kritik der sozialen Vernunft« »Ferdinand Tönnies[,] dem Entdecker der Gemeinschaft[,] dem Bahnbrecher deutscher Soziologie«. 1927 veröffentlicht Dunkmann in seinen Unterrichts-Briefen ein Grußwort zum 50jährigen Doktorjubiläum. – Tönnies erkennt diese Orientierung Dunkmanns an seinem Werk durchaus an (vgl. Tönnies 1926: XVI; TG 2: 108, die Vorrede zur 6. und 7. Auflage von Gemeinschaft und Gesellschaft), wenn er auch andeutet, dass er die Unterschiede zwischen seinem Verständnis insbesondere des Gemeinschaftsbegriffs und Dunkmanns Interpretation durchaus kritisch wahrnimmt (ebd., TG 2: 109 Fn., vgl. dazu auch im Editorischen Bericht ebd., 733 ff.).

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sie in den größten industriellen Unternehmungen steckten und weil sie, selbst wenn etwa auf ein Zehntel reduziert, immer noch ein stattliches arbeitsloses oder mit geringer Mühe erworbenes Einkommen gewähren; wie denn auch die Lebenshaltung vieler üppig genug geblieben ist, ja sogar teilweise die Üppigkeit sich bedeutend gesteigert hat, wenn auch die Neureichen den größten Anteil daran haben mögen. Dunkmann hält die Abschaffung des Geldes überhaupt  für das konsequente Mittel um hier zum Ziele zu kommen: dies Mittel aber sei utopisch. Offenbar meint er nicht, daß dies das einzige wirksame Mittel wäre, um durch die Gesetzgebung auf die Verteilung von Vermögen und Einkommen verbessernd zu wirken. Längst hat die Gesetzgebung mit der progressiven Einkommensteuer, neuerdings auch mit progressiven Vermögenssteuern eingegriffen. Dunkmann erwähnt nicht, daß ich S. 35 ff. mich mit lebhafter Zustimmung den Goldscheidschen Gedanken, den Staat zum größten Grundeigentümer und Kapitalbesitzer, also reich zu machen, anschließe. Dieser Staatskapitalismus ist im Grunde nicht verschieden von dem, was man als Staatssozialismus bei Adolph Wagner gefunden und bald mit kühlem Wohlwollen aufgenommen, bald mit starker Abgunst angeklagt und beehrt hat. Wenn die ganze Wirkung dieser Bereicherung keine andere wäre als daß sie die entsetzliche Steuerplackerei, die mit notorischer Ungerechtigkeit und unausrottbarer Unredlichkeit verbunden ist, wesentlich einzuschränken vermöchte, so würden mindestens 95 v. H. der Staatsbürger dies als eine große Erleichterung, auch als eine moralische Entlastung stark empfinden. Der Kapitalismus hat dagegen das Dogma erfunden: der Staat (und ebenso die Gemeinde) sei zu der Leitung wirtschaftlicher Unternehmungen untauglich und unfähig. Richtig ist es, daß die öffentliche Hand niemals die Biegsamkeit und Geschicklichkeit sich zu eigen machen wird, die zum erfolgreichen Vertriebe von Waren, zumal auf dem Weltmarkt, gehört. Daß aber überhaupt staatliche und gemeindliche Betriebe nicht gedeihen, ist längst und vielfach durch die Erfahrung widerlegt. Die Verpachtung von Grundbesitz durch Staat oder Gemeinde unterscheidet sich nur zu ihrem Vorteil nämlich zum Besten der Pächter von den meisten sonstigen Pachtverhältnissen: durch größere Stabilität, durch die Fähigkeit der Auslese tüchtiger Land- und Forstwirte, die größere Fähigkeit, den ohne Schuld notleidenden Pächter zu unterstützen u. a. Der Betrieb der preußisch-hessischen Staatseisenbahnen hatte durch musterhafte Ordnung und Einheitlichkeit und andere Vorzüge die Bewunderung des Auslandes erworben. Im preußischen Etat für 1913 waren die »Erwerbseinkünfte« schon auf ca. 75 v. H. der gesamten Brutto-Einnahmen angeschlagen und von dieser Schätzung fielen auf die Staatseisenbahnen allein mit 2,45 Milliarden mehr als 75 v. H. Das Deutsche Reich ist in dieser

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wie in anderer Hinsicht weniger glücklich gewesen: es war bekanntlich hauptsächlich auf indirekte Steuern, wodurch die Lebensmittel verteuert und der Verkehr belastet wurden, angewiesen. Jetzt wäre wohl der gute Wille vorhanden und ist schon zu Tage getreten, das Reich endlich auf eigene finanzielle Füße zu stellen, aber die traurige Lage, die durch allgemeine Verarmung und aufgezwungene unmäßige Schuldenlast hervorgerufen ist, macht einstweilen eine gründliche Besserung auf diesem Gebiete unwahrscheinlich. Der nächste Weg würde darin bestehen, daß das Latifundienwesen und zwar besonders das massenhafte Grundeigentum mehrerer Großbetriebe in einer Hand, radikal bekämpft würde. Einen Weg dahin weist die von der Sozialdemokratischen Partei eingesetzte Agrarkommission, wenn sie beantragen will, daß alle Betriebe, die mehr als 750 Hektar umfassen, an das Reich heimfallen sollen. Freilich ist das mobile Eigentum viel schwerer zu fassen. Erst wenn etwa in allen europäischen Staaten die gesetzgebenden Körper und die Regierungen von dem entschlossenen Geiste einer umfassenden und scharf gestimmten sozialen Reform erfüllt wären, könnte man hier den zum großen Teile unnützen privaten Reichtum energisch beschränken. Auch der öffentliche Reichtum ist von Schäden nicht  frei. Aber so weit er ehrlich verwaltet wird, kommt er allen Staatsbürgern oder Gemeindebürgern zugute und dient zur Befestigung der Autorität des Staates und seiner Verfassung, mittelbar also der bewussten Hingebung an das Vaterland, das in dieser Gestalt mehr als leistende denn als heischende Macht der Familie wie dem einzelnen Individuum gegenübertritt. 2. Dunkmann scheint mir die Meinung zuzuschreiben, daß die Mehrheit der Staatsbürger das Staatsrecht in der Umänderung der Eigentumsgesetze bestimmen solle. Wenn ich dies ausgesprochen zu haben scheine, (ich finde diese Stelle in meiner Schrift nicht) so war es ein trügerischer Schein. Ich halte nichts wichtiger für eine heutige Staatsnation, die sich selber leiten und beherrschen will, als daß sie, da dies nur durch eine Regierung Weniger, die so sehr als möglich das Vertrauen Aller haben muss, geschehen kann, eine richtige Auslese berufener Männer und etwa auch berufener Frauen treffe. Ich habe neuerdings mehrfach geltend gemacht – eine Abhandlung dieses Sinnes wird demnächst in Schmollers Jahrbuch erscheinen –, daß ein Volk mit demokratischer Verfassung seine Regierung unmittelbar selber wählen muss nach derselben Methode, 35

eine Abhandlung … wird demnächst in Schmollers Jahrbuch erscheinen – Vgl. folgende Formulierung im Aufsatz »Demokratie und Parlamentarismus«: »Man dürfte zu behaupten wagen, daß eine unmittelbare Wahl der Regierung durch das Volk bessere Chancen darböte, den richtigen Mann auf den richtigen Platz zu stellen.« (Tönnies 1927a: 183 f.).

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wie bei uns schon die Präsidentenwahl stattfindet. Das ist freilich eine schwierige Sache, aber erheblich leichter als die Gewinnung einer regierungsfähigen Regierung aus dem Mischkessel eines Parlaments. Der Parlamentarismus ist nicht das spezifisch demokratische Mittel, sondern stammt aus der liberalen und zuletzt aus der ständischen Überlieferung, die den dualistischen Staat, als die Negation des einheitlichen und souveränen Staates zur Voraussetzung hat. Dunkmann wirft die Frage auf: woher denn die andauernde Krise der Demokratie, wenn nicht in (soll heißen aus) dem sinkenden Glauben an seine moralische Bedeutung? Ich gebe durchaus nicht zu, daß dieser sinkende Glaube eine Tatsache ist. Soweit er vorhanden und begründet ist, so steht dahinter die große Verwüstung des sittlichen Bewusstseins, also der gemeinen Redlichkeit, die nicht sowohl eine Folge der entfesselten Parteiwirtschaft als vielmehr die Wirkung der unermesslichen Geldgier und schamlosen Genußsucht sein dürfte, die das große Hasardspiel des Kapitalismus allerdings entfesselt. Irgendeine Form des staatlichen Lebens kann nicht davor schützen. Der Inhalt kann nur durch radikale Sozialreform oder wenn diese scheitert, durch die soziale Revolution verbessert werden – wenn es überhaupt möglich ist. Die Frage an »Reform oder Revolution?« ist oft genug gestellt worden – der Weltkrieg sollte billig auch dem Verblendeten ihren Ernst zu Gemüte geführt haben. 3. Dunkmann weist darauf hin, daß ein Kriegszustand zwischen Volk und Fürsten nicht bestanden habe. Ich habe dies nicht behauptet, habe  freilich als sehr  fraglich bezeichnet, ob eine siegreiche Revolution und dadurch begründete Republik den besiegten Monarchen mehr schuldig sei als ein monarchischer Sieger dem anderen Monarchen, den er im Kriege besiegt habe. Ich spreche dies aus in Anknüpfung an eine von Dunkmann nicht erwähnte Darstellung der Behandlung, die vom norddeutschen Bunde, d. h. vom Grafen Bismarck aus, den Fürsten, die er entthront hatte, zuteil wurde. Der Sieg der Revolution ist eine historische Tatsache. Es ist wohl erlaubt, als ein Glück zu betrachten, daß es eine der vielen unblutigen Revolutionen gewesen ist, die sich in neuerer Zeit ereignet haben. Dunkmann konstatiert mit einem »leider«, daß die Fürsten widerstandslos das Feld räumten. Er hätte also einen Bürgerkrieg  für erwünscht gehalten, natürlich nur einen solchen mit glücklichem Ausgange  für die Fürsten. Die Fürsten haben sicherlich größere Sympathien bei den Frauen als bei den Männern. Die Frauen stimmten mit schon bei den Wahlen zur Nationalversammlung. Ihnen und den schon ihrem Alter nach politisch Unreifen das Wahlrecht zu verleihen, war der schwerste Fehler der siegreichen Revolution, wenngleich er erst später als ein solcher Fehler sich ausgewiesen hat. Aber bei den Wahlen

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zur Nationalversammlung  fielen auf die vier Parteien, nämlich auf die drei, aus denen die Weimarer Koalition entstand und die U.S.P., die sich bald nachher mit der einen dieser Parteien vereinigte, von 30,4 Millionen gültiger Stimmen nicht weniger als 25,4 Millionen, das sind fast 84 v. H. – Ich habe nicht vom Kriegsrecht gesprochen, sondern davon, daß die ehemaligen Fürsten, als die »natürlichen Feinde« der mühsam eingerichteten, um ihr Dasein noch ringenden Staatsform den Anspruch hätten, als Feinde behandelt zu werden, und mich auf die Analogie der Redner im norddeutschen Reichstage und im Preußischen Herrenhause berufen, die davor warnten, einen unversöhnlichen Gegner mit Mitteln auszustatten, die er zu den allerschlimmsten Absichten gegen »uns verwenden« könne, ich meine allerdings, daß ein monarchischer Gegner – zumal da es sich damals wirklich um einen Bürgerkrieg handelte, zwischen Monarchen, die als solche bis dahin mehr als verbündet waren, nämlich einem Staatenbunde angehörten – ich meine allerdings, daß ein monarchischer Gegner seinem Kollegen mehr Rücksicht schuldig war, als eine Republik ihren ehemaligen allzuvielen Monarchen schuldig ist, die nicht einmal so viel politische Erkenntnis besaßen, um es  für notwendig zu halten, ihren Untertanen nach den ungeheuren Opfern, die der Krieg diesen auferlegt hatte, ein angemessenes Wahlrecht zu verleihen. Sie hätten vielmehr mit Vergnügen es gesehen, daß Männer mit dem eisernen Kreuz erster Klasse auf der Brust die Ehre gehabt hätten, z. B. in Preußen als Urwähler für das Haus der Abgeordneten (das ohnehin nur einer von den drei gesetzgebenden Faktoren war, während die zwei anderen der König und die »Herren« waren) an die Wahlurne zu treten, wo die Wähler der dritten Klasse mit 82 bis 85 v. H. ebensoviel politisches Gewicht hatten wie 3 bis 4 Wähler der ersten Klasse, zu denen zum Beispiel in Kiel der allzu bekannte Eigentümer von sogenannten Freudenhäusern gehörte. Ich leugne also durchaus, daß die beabsichtigte Enteignung ein absolutes Unikum gewesen sei, während ich zugebe, daß das Maß der »Unschädlichmachung« zu finden nicht »so einfach« gewesen wäre. Einfach sind politische Probleme niemals. Sie erfordern Denken, moralisches Gefühl und Takt; vor allem aber Denken.

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Weimarer Koalition – Als solche wird die Koalition der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, des Zentrums und der Deutschen Demokratischen Partei bezeichnet. U.S.P. – Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, gegründet 1917 als Abspaltung von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, vereinigte sich im September 1922 mit dieser.

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Dunkmanns Antwort steht im 7. Unterrichts-Brief. Dunkmann eröffnet wie meist, wenn er sich mit Tönnies auseinandersetzt, mit einer tiefen Verbeugung vor dem Älteren: »Vor allem sympathisch ist mir der Grundsatz, den er [Tönnies] am Schlusse seiner Ausführungen ausgesprochen hat, daß die politischen, aber auch die sozialen Probleme überhaupt, ›Denken erfordern, moralisches Gefühl und Takt, vor allem aber Denken‹. Tönnies weiß, daß ich ihn einst gebeten habe, einen seiner markanten Aussprüche mir unter sein Bild zu setzen, der lautet: ›In der harten und scharfen Luft des Gedankens vertragen sich die Menschen immer noch am besten, wenn auch wenige sie vertragen können.‹ Wie dieser Grundsatz … mich ihm nahegebracht hat und mich ihm trotz mehr und mehr zu Tage tretender Differenzen verbunden halten wird, so möge er auch gegenwärtig zu einem ›Verstehen‹ und ›Vertragen‹ führen.« (Dunkmann 1927: 18) Die im Politischen und Ethischen bestehenden Differenzen versucht Dunkmann von einer theoretischen Übereinstimmung abzuscheiden: »Dabei weiß ich sehr wohl, daß es ursprüngliche Verschiedenheiten in der Gesamtauffassung geben kann, über die keine Brücke des ›Denkens‹ führt. Tönnies steht ›gefühlsmäßig‹ sehr viel weiter ›links‹ als ich, ich hoffe aber, daß, soweit wir unsern politischen Standpunkt ›in der harten und scharfen Luft des Gedankens‹ verfechten, wir uns doch allzeit auch als Gegner achten werden, wissend und glaubend, daß die Zustimmung zu den gemeinsamen Grundgedanken auf dem Boden der Soziologie genau ebenso sehr Frucht reinen Wahrheitswillens ist wie die gegenseitige Abweichung und Trennung.« (ebd.). Zur ersten Kritik, der Frage nach der Flucht mobilen Kapitals, zitiert Dunkmann zustimmend die Aussage Tönnies, dass eine soziale Reform auf europäischer Ebene nötig sei, um »den zum großen Teil unnützen privaten Reichtum« wirksam zu bekämpfen. »Das ist ganz meine Meinung, nur daß ich diesen Zeitpunkt wohl sehr viel  fernerer Zukunft vorbehalte als Tönnies, da ich die ›nationalen Schwerefelder‹ offenbar gewichtiger beurteile als er, wobei ich nicht daran denke, mir ein größeres Nationalempfinden beizulegen, als ihm, sondern hier nur ›denkend‹ mich verhalte.« (ebd., 19) Zum zweiten Dissens argumentiert Dunkmann national und, in dem Sinne, wie Tönnies den Liberalismus versteht, liberal.11 »Das Gewinnstreben z. B. könnte und dürfte nicht gemindert werden, aus ihm aber  folgt immer wieder bei sittlich schwachen Charakteren Skrupellosigkeit im Erraffen und Genießen. Dagegen helfen nicht gesetzliche Zuchtmaßnahmen, sondern pädagogische und ethische Einwirkungen. 11

Der Liberalismus »will die Herrschaft der Eigentümer und unter ihnen vorzugsweise die der Kapitalisten …« (Tönnies 1927a: 173).

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Keine Staatsgewalt kann hier helfen. … Meines Erachtens soll der Staat ruhig nach möglicher Macht- und Finanzgewalt streben, nur nicht soll er der persönlichen Freiheit und dem berechtigten Machtstreben der sozialen Gruppen Fesseln anlegen, in denen er sich selbst verschlingen würde.« (ebd., 19 f.) Dunkmann liest aus Tönnies’ Replik eine grundsätzliche Skepsis gegen Parlamentarismus und Volksherrschaft: »Die aristokratische Grundeinstellung des hervorragenden Gelehrten springt mit Naturnotwendigkeit wieder einmal hervor. Er  fühlt die Kluft zwischen sich und der ›Masse‹ zu elementar.« (ebd., 20) Schließlich die Frage der Fürstenenteignungen: Hier besteht Dunkmann auf seinem Narrativ zum Ende des Kaiserreichs und schließt hieraus, dass die Enteignung ethisch eben nicht geboten sei: »Noch stand und steht das Volk in der überwiegenden Mehrheit unter dem überwältigenden Eindruck, daß es seinen aufgezwungenen und nicht verschuldeten – Tönnies betont das selbst –, also auch von den Fürsten nicht verschuldeten Existenzkampf gemeinsam mit seinen Fürsten durchkämpft hat.« (ebd., 21) – Eine weitere Stellungnahme Tönnies’ gibt es nicht. Noch vor dem Titelblatt der Broschüre »Das Eigentum« steht auf unpaginierten Seiten ein Text des Präsidiums der Soziologischen Gesellschaft in Wien, der in die Aktivitäten der Gesellschaft und in die Sammlung »Soziologie und Sozialphilosophie. Schriften der Soziologischen Gesellschaft in Wien« einführt. Da er Einblicke in die Formationsperiode der akademischen Soziologie vor 1914 bietet, sei dieser Text hier dokumentiert.12

Zur Einführung Die Soziologische Gesellschaft in Wien, die 1907 von Max Adler, Rudolf Eisler, Rudolf Goldscheid, Michael Hainisch, Ludo Hartmann, Bertold Hatschek, Wilhelm Jerusalem, Josef Redlich und Karl Renner gegründet wurde erblickte ihr Hauptziel darin,  für die junge Wissenschaft der Soziologie, die damals noch vielfach umstritten war, volle Anerkennung zu erwirken. Diese Aufgabe suchte sie vor allem dadurch zu erfüllen, daß sie hervorragende Gelehrte der verschiedensten Gebiete zu Vorträgen einlud. Seit ihrem Bestande wurden über 160 Vortrags- und Diskussionsabende veranstaltet, bei denen außer den bereits genannten Persönlichkeiten, u.  a.  folgende  führende Sozialforscher sprachen: 12

Der Text ist umgekehrt kursiv gesetzt, Hervorhebungen recte.

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Kurt Breysig, Lujo Brentano, Eduard Bernstein, Otto Bauer, Karl Beth, J. M. Bonn, Carl Brockhausen, Hermann Cohen, Eugen Ehrlich, Franz Eulenburg, Alfred Fried, Emil Goldmann, Karl Grünberg, Julius Goldstein, Friedrich Hertz, Oskar Kraus, Hermann Kantorowicz, Emil Lederer, Karl Lamprecht, Th. G. Masaryk, Robert Michels, Rosa Mayreder, Adolf Menzel, Friedrich Naumann, Julius Ofner, Wilhelm Ostwald, Franz Oppenheimer, Eugen v. Philippovich, Hugo Preuß, Emil Reich, Walter Schücking, Rudolf Stammler, Ludwig Stein, Georg Simmel, Joseph Schumpeter, Walter Simons, Paul Szende, Ernst Troeltsch, Ferdinand Tönnies, Emil Vandervelde, Alfred Vierkandt, Max Weber, Alfred Weber, Leopold von Wiese, Ernst Zitelmann etc. etc. Durch die Wirksamkeit der Soziologischen Gesellschaft in Wien und der 1909 in Berlin gegründeten Deutschen Gesellschaft  für Soziologie wurde das Interesse an der Soziologie erheblich gestärkt, so daß sie sich im Verlauf – auch an den Universitäten, wo sie die längste Zeit sehr vernachlässigt war – immer mehr durchzusetzen vermochte. Schon knapp vor dem Weltkrieg hatte die Soziologische Gesellschaft in Wien, besonders auf das stete Drängen ihres Mitvorsitzenden Wilhelm Jerusalem, beschlossen, sich nicht auf die Abhaltung von Vorträgen zu beschränken, sondern ihre allgemeinen Ziele – und vor allem ihre Hinarbeit auf Errichtung von Lehrstühlen  für Soziologie an den Hochschulen – durch Herausgabe von Schriften zu unterstützen. Dieser Plan gelangt jetzt endlich zur Verwirklichung. Es hat sich gezeigt, welche Bereicherung, Erweiterung und Vertiefung alle Wissenschaften, deren Gegenstand der Mensch ist, durch Voranstellung des Wortes »Sozial« und durch Erfüllung mit dem Inhalt dieses Begriffes erfahren. Eine Fülle von Problemen wurde durch die soziologische Betrachtungsweise der Klärung zugeführt; ja durch die immer verfeinerte Anwendung der soziologischen Methode erschlossen sich zahllose neue Probleme, an denen man vorher achtlos vorübergegangen war. In unseren Schriften sollen die allgemeinsten sozialphilosophischen Themen ebenso zur Behandlung gelangen, wie spezielle und aktuelle Fragen der Soziologie. Auch sollen die verschiedensten Richtungen frei zur Aussprache kommen. Für die einzelnen Arbeiten trägt darum nicht die Soziologische Gesellschaft als Ganzes, sondern tragen die einzelnen Autoren die Verantwortung. Neben Werken größeren Umfangs werden wir längere Abhandlungen veröffentlichen, außer deutschen Originalar-

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Ferdinand Tönnies – Tönnies trägt schon am 20.10.1907 in Wien über »Verbrecher und ihre Herkunft« vor; vgl. Exner 2013: 23. Bei Exner (ebd., 27) das Fehlurteil zu diesem Thema, es »gehörte nicht zu seinen wichtigsten Arbeitsgebieten«.

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beiten Uebersetzungen bedeutender Autoren des Auslandes herausbringen. Hauptziel auch unserer Schriften wird sein: Allgemeinbildung als soziologische Bildung zu  fördern, die Eingliederung der Soziologie als Lehr- und Prüfungsfach an den Hochschulen, ja an allen Schulen überhaupt zu propagieren, unermüdlich der Mehrung und Vertiefung jener Kenntnisse und Erkenntnisse zu dienen, die niemand entbehren kann, der im öffentlichen Leben steht oder der zum Bewußtsein der gesellschaftlichen Notwendigkeiten und Möglichkeiten gelangen will. Bei der richtigen Rolle, die der wissenschaftlichen Soziologie für alle planmäßige Kulturgestaltung zukommt, hoffen wir auf eine günstige Aufnahme und weite Verbreitung unserer Schriften. Das Präsidium der Soziologischen Gesellschaft in Wien: Rudolf Goldscheid Prof. Dr. Hans Kelsen Prof. Dr. Max Adler

Soziologische Studien und Kritiken. Zweite Sammlung Die Arbeiten in der »Zweiten Sammlung« der »Soziologischen Studien und Kritiken« können vier Themen zugeordnet werden.13 Das erste Thema umfasst Arbeiten zur »angewandten Soziologie«, wenn man diese Bezeichnung so verwendet, wie Tönnies dies im letzten der dokumentierten Texte (S. 580 f.) vorschlägt. Dazu gehören die »Soziologischen Skizzen« (XVIII), eine Untersuchung zu Mobilität und Technik, insbesondere auch zum Zusammenhang von Krieg und Technikentwicklung, »Historisch-geographische Richtungen der Neuzeit« (XXXIV), die Studie »Über Anlagen und Anpassung« (XXVII), der große Artikel »Das Versicherungswesen«, eine Soziologie der Versicherung und sozialpolitischer Schutzsysteme (XXXVI), die Auseinandersetzung mit dem Begriff der »Masse« in »Die große Menge und das Volk« (XXXVIII), schließlich große Rezensionsaufsätze, zuerst »Zur 13

Natürlich gibt es Überschneidungen; auch andere Zuordnungen sind denkbar. Fritz Pappenheim (1928: 83), ein zeitgenössischer Rezensent, ordnet die Texte »in zwei Hauptgruppen. Die erste umfaßt vor allem Studien, die sich der Wissenschaftsgeschichte und -theorie der Soziologie zuwenden. In der zweiten Gruppe hingegen stehen konkrete Phänomene des sozialen Lebens selbst zur Erörterung.«

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Soziologie des demokratischen Staats« mit einer Untersuchung zur Theorie und Praxis der Demokratie (XXXIX), dann »Kulturbedeutung der Religionen«, eine Untersuchung, die bei Islamstudien ansetzt und bis zu einer Kritik der Protestantismus-Aufsatzes von Max Weber reicht (XL), am Ende eine Auseinandersetzung mit der Geschichtsphilosophie Ernst Troeltschs (XLI). Ein zweiter Themenkreis betrifft Arbeiten zur Geschichte und Entwicklung soziologischer Begrifflichkeit. Dazu gehört die Darstellung der – wie man heute vielleicht sagen würde – Protosoziologie »Entwicklung der Soziologie in Deutschland im 19. Jahrhundert«, verschiedene Gedankenströme darstellend, die dann am Ende des Jahrhunderts in die Soziologie münden (XIX) sowie eine Studie zu Auguste Comte (XXII). Eine große Zahl von Beiträgen lässt sich einem dritten Themenkreis zuordnen: der institutionellen Etablierung der Soziologie als Universitätsfach. Das umfasst zum einen die Institutionalisierung des Faches als Verband, als wissenschaftliche Vereinigung in der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie. Zum anderen geht es um die Positionierung des Faches in der disziplinären Landschaft, Überlegungen zur Abgrenzung von anderen Fächern oder zur Eingemeindung anderer Themen in die Soziologie. Besonders beim letztgenannten Thema gibt es Überschneidungen mit dem zweiten Themenkreis. Im Einzelnen sind dies die Aufsätze »Sinn und Wert einer Wirtschaftsphilosophie« (XX), »Die Zukunft der Soziologie« (XXI), »Die Aufgabe der Soziologie« (XXIII), der Eröffnungsvortrag zum Soziologentag 1910 »Wege und Ziele der Soziologie« (XXIV), »Soziologie als Wissenschaft und die Deutsche Soziologische Gesellschaft« (XXV), »Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie« (XXVI), »Soziologie und Rechtsphilosophie« (XXVIII), »Soziologie und Universitätsstudium« (XXIX), »Soziologische Bedeutung ökonomischer Theorien« (XXX), »Soziologie und Geschichte« (XXXI) sowie »Die Soziologie und ihre Aussichten in Europa« (XXXIII), »Soziologie im System der Wissenschaften« (XXXV). Schließlich sind viertens Beiträge berücksichtigt, die im engeren Sinne mit der Theorie und Begrifflichkeit Tönnies’, seiner »reinen Soziologie«, im Zusammenhang stehen. Hier ist an erster Stelle der letzte Beitrag im Band zu nennen, Tönnies’ Entwurf »Einteilung der Soziologie« (XLII): Er bietet mit den Kategorien der »reinen Soziologie« einen Begriffsapparat an, in dem nach Tönnies’ Vorstellung das Fach Soziologie eine sichere terminologische Grundlage bekommt. Die fachliche Diskussion folgt allerdings seinen Vorstellungen nicht, auch später nicht, nachdem Tönnies in seiner »Einführung in die Soziologie« diesen Begriffsapparat vollständig ausarbeitet (vgl. Tönnies 1931; TG 21). Weiter gehören hierhin die

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kurzen Texte zu »Gemeinschaft und Individuum« (XXXII) und »Der Begriff der Gemeinschaft« (XXXVII). Eine Systematik in der Zusammenstellung oder Gliederung der Texte ist nicht zu erkennen. Zur Auswahl der Texte in dieser zweiten Sammlung der »Soziologischen Studien und Kritiken« äußert sich Tönnies im Vorwort: »Wenn ich die Zusammenstellung gänzlich auf eigene Hand gemacht hätte, so wäre ich bei der Auswahl etwas strenger verfahren: einige kleine Sachen hätten fehlen können. Ich hatte aber die Auswahl meiner Tochter Franziska Heberle überlassen, der ich also gern die Verantwortung dafür zuschiebe.« Redundanzen innerhalb des Bandes gibt es insbesondere bei den Texten zur Geschichte der Institutionalisierung der Soziologie, einiges findet man ausführlicher woanders argumentiert. Tönnies beschreibt das Motiv zur Sammlung der »Soziologischen Studien und Kritiken« am Anfang des Vorworts zur Ersten Sammlung wie folgt: »Wenn ich mich entschlossen habe, eine Sammlung kleinerer Schriften, die mit einer Ausnahme schon gedruckt waren, herauszugeben, so geschah dies in der Hoffnung auf den von altersher bekannten ›wohlwollenden Leser‹, der aus der Mannigfaltigkeit das auslesen wird, was ihm in irgendeinem Sinne Wert zu haben scheint.« (SSK I: [V]) In einer »Selbstanzeige« der Ersten Sammlung ergänzt er, nachdem die Erste Sammlung schon in der Produktion14 ist: »Aus der Fülle von Wohlwollen, die ihm zu seinem 70. Geburtstag entgegengebracht wurde, ergibt sich ihm in dieser Hinsicht gesteigertes Selbstvertrauen.« (Tönnies 1925e: 331) Im Nachlass Tönnies’ (Cb  54) ist ein Exemplar des Verlagsvertrags zwischen Tönnies und der Verlagsbuchhandlung von Gustav Fischer in Jena erhalten, unterzeichnet im Dezember 1921 durch den Verlag, im Februar 1922 durch Tönnies. Der Vertrag bezieht sich auf eine unbestimmte Zahl von Bänden der »Soziologischen Studien und Kritiken«. Sie sollen »eine Sammlung von bereits erschienenen und ungedruckten Arbeiten des Herrn Verfassers über soziologische Fragen« enthalten. Die Auflage ist mit 1.000 Exemplaren, zuzüglich 5 Prozent  für »Frei- und Rezensionsexemplare« festgelegt (§ 2). Tönnies erhält ein Honorar von 260 Mark pro Druckbogen, zahlbar beim Erscheinen des Bandes (§ 3).15 In Tönnies’ Kalender für das Jahr 1926 (Cb 54.11:23) finden sich zur Datierung folgende Einträge: Am 7. und 8.1.1926 korrespondieren der Verleger und Tönnies’; die Briefe sind nicht erhalten. Am 10.5. der Eintrag »Jacoby bringt d. letzten Revisionen »Studien u Kritiken«. 14 15

Das Vorwort der Ersten Sammlung ist auf den Oktober 1924 datiert. Der Band erscheint 1925. Für SSK 2 mit 29½ Druckbögen bedeutet dies ein Honorar von 7.670 Mark.



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Gustav Fischer ist mit dem Absatz der »Soziologischen Studien und Kritiken« alles andere als zufrieden. Am 4.7.1934 teilt er Tönnies Vertriebszahlen der bis dahin erschienenen drei Bände mit, um zu begründen, warum ein vierter Band sich – abgesehen von den politischen Verhältnissen, die für die Aufnahme der Werke Tönnies’ nicht günstig seien – auch wirtschaftlich verbiete.16 Danach wurden bis dahin verkauft: von der ersten Sammlung 577 Exemplare, der hier edierten zweiten Sammlung 423 Exemplare, von der dritten (erschienen 1929) nur noch 231 Exemplare. Am 10.12.1934 bittet der nun 79 Jahre alte Tönnies seinen Verleger noch einmal, einen vierten Band zu akzeptieren: »Ich möchte nun meinen Wünschen noch dadurch besonderen Nachdruck geben, dass ich hervorhebe, was bisher nicht geschehen ist: ich bin zu allen Einräumungen bereit, die ich Ihnen gegenüber als begründet anerkennen muss; sodass ich also nicht darauf Anspruch mache, diesen 4. Bd. unter den gleichen für mich günstigen Bedingungen publiziert zu sehen wie die drei bisher erschienenen. Ich würde … zufrieden sein, wenn ich erst nachdem die Kosten des Bandes gedeckt sein würden, mit meinem Interesse – oder dem meiner Rechtsnachfolger – in Frage käme.« Solche Konzession fällt Tönnies schwer, wie er weiter ausführt: »Leider bin ich nach meinen persönlichen Verhältnissen weniger als je in der Lage, einen Anteil an den Kosten zu übernehmen: ich habe mein Vermögen bis auf einen geringen Rest in der Inflation verloren, und das Einkommen, das ich als Professor Ordinarius bezog, ist mir entgegen dem Rechte, das man als für gesichert halten durfte … entzogen und durch eine Pension ersetzt worden, die ungefähr den vierten Teil des Betrages darstellt … Ich muss mir jetzt vieles versagen, was für einen tätigen Gelehrten notwendiges Zubehör seines täglichen Lebens bildet …«17. Eine Antwort Fischers liegt nicht vor. Bei der Behandlung von Hervorhebungen hat der Editor entschieden, für SSK II vom Prinzip einer Edition der Fassung letzter Hand durchgängig abzuweichen. Es wird auf den Erstdruck der Texte zurückgegangen und diesem gefolgt. Im Erstdruck sind Hervorhebungen dokumentiert, die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch Tönnies selbst im Manuskript veranlasst sind. In SSK II dagegen können Hervorhebungen nicht durch Textzusammenhang oder als Leserführung entschlüsselt werden, sondern es wird mechanisch verfahren. Mal ist ganz vieles und dann wieder ganz we16

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LATh – HStA Weimar, Gustav Fischer Verlag Nr. 1224 Bl. 287r. Schon 1932 klagt Fischer über den schleppenden Absatz (Cb 54.56: 267,14), die Absatzschwierigkeiten sind zu diesem Zeitpunkt nicht dem politischen Regimewechsel geschuldet, sondern wahrscheinlich der Wirtschaftskrise. LATh – HStA Weimar, a. a. O. – Zu Tönnies’ Situation seit 1933 vgl. auch Carstens 2013: 296 ff.

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nig hervorgehoben. Wahrscheinlich geht diese Praxis auf das von Tönnies beauftragte Editionsteam (vgl. das Vorwort zum Bd., S. 49) zurück. Von Text zu Text gibt es Wechsel in der Hervorhebungspraxis. Es ist möglich, dass sie auf Interventionen Tönnies’ in den Prozess der Druckvorbereitung zurückgehen. Der Verzicht auf die Dokumentation der Unterschiede im Einzelnen entlastet die Edition um mehrere hundert editorische Fußnoten, die keinen Erkenntnisgewinn erbracht hätten. Hier der Befund für die einzelnen Texte: –– XVIII: In der Vorlage gibt es deutlich mehr Hervorhebungen als in SSK II. Dagegen sind in SSK II Namen hervorgehoben, die in der Vorlage recte gesetzt sind. – XVIII e) ist ein Sonderfall: Hier sind im Text der Vorlage Namen durchgängig versal gesetzt, während Hervorhebungen durch Sperrung erfolgen. Die Hervorhebungen sind übernommen, die versal gesetzten Namen gelten als nicht hervorgehoben. In den Fußnoten sind Autorennamen gesperrt, entsprechend erscheinen sie auch hier hervorgehoben. –– XIX: In der Vorlage gibt es sowohl bei den Namen als auch bei Begriffen Hervorhebungen, die in SSK II nicht übernommen wurden. –– XX: Keine Abweichungen zwischen der Vorlage und dem Nachdruck in SSK II. –– XXI: Nur in SSK II sind Namen hervorgehoben. –– XXII: Es gibt leichte Unterschiede zwischen den beiden Vorlagen, sie werden in editorischen Fußnoten annotiert. Von beiden weicht der Nachdruck in SSK II insbesondere bei der Hervorhebung von Begriffen stark ab. –– XXIII: Keine Abweichungen. –– XXIV–XXVI: Namen sind nur in SSK II hervorgehoben. –– XXVII: In SSK II sind Namen fast durchgängig hervorgehoben, dafür die Hervorhebung einiger Begriffe ausgelassen. –– XXVIII: Eine Namenshervorhebung nur in SSK II, sonst keine Unterschiede. –– XXIX: Namen sind nur in SSK II hervorgehoben, einige Hervorhebungen von Begriffen fehlen. –– XXX: Mechanisch sind in SSK II Namen hervorgehoben, wenige Begriffshervorhebungen fehlen. –– XXXI–XXXIII: Alle Namensnennungen sind in SSK II hervorgehoben, der Erstdruck differenziert. –– XXXIV–XXXV: Keine Abweichungen. –– XXXVI–XL: Mechanisch sind in SSK II Namen hervorgehoben, bei XL nur im ersten Teil des Textes.



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Bei Unterschieden in der Interpunktion zwischen den Druckfassungen wird wie folgt verfahren: Abweichungen bei Kommata werden nicht dokumentiert, Abweichungen bei stärkeren Satzzeichen (Doppelpunkt, Semikolon, Punkt, Gedankenstrich) sind in editorischen Fußnoten dokumentiert. Die Erfahrungen eines intensiven Vergleichs der Interpunktion zwischen Manuskript und Druckfassung in TG 2 legt den Schluss nahe, dass Tönnies in der Setzung von Kommata seinen eigenen Regeln folgt, aber Änderungen im Satz nicht korrigiert. Tönnies verwendet Kommata eigenwillig wie sparsam (vgl. TG 2: 441 f.). Einige Texte aus SSK II sind, vollständig oder zum Teil, ins Englische übersetzt worden. So in einem von Werner J. Cahnman und Rudolf Heberle besorgten Sammelband mit Texten Tönnies’ (1971), hierin Auszüge von »Der Begriff der Gemeinschaft« (XXXVII) und die »Einteilung der Soziologie« (XLII). Ein wiederum von Cahnman verantworteter Band (Tönnies 1973) bringt, neben kurzen Auszügen aus einigen der Texte von SSK II, zusammenhängend die Kritik an Max Weber aus dem Aufsatz »Kulturbedeutung der Religionen« (XL) unter dem Titel »Comment on Max Weber’s Theory of Capitalism«. Schließlich sind in einem von Eduard Georg Jacoby herausgegebener Band (Tönnies 1974) der Aufsatz zu Comte (XXII), der Text »Entwicklung der Soziologie im Neunzehnten Jahrhundert« (XIX) und Teile aus dem Aufsatz zu Troeltsch (unter dem Titel »The Stream of Historical Life”) übersetzt.

XVIII. Soziologische Skizzen [53–123] Die Reihenfolge der fünf Artikel in den »Soziologischen Studien und Kritiken« ist gegenüber der Erstveröffentlichung verändert: Zuerst erschien der fünfte Artikel (e) 1905 in der Festschrift für Adolph Wagner. Dann erschienen in einer auf ein breiteres Publikum ausgerichteten Zeitschrift (»Illustrierter Anzeiger für Kontor und Büro. Eine Monatsschrift für den deutschen Kaufmann«18) die vier weiteren Beiträge (a–d). In einer »Vorbemerkung« ordnet Tönnies die Bedeutung der soziologischen Skizzen im Zusammenhang seines soziologischen Werks ein: »Die hier mitgeteilten Ausführungen sind ein Stück aus einem größeren Entwurfe, worin ich den Gegensatz meiner Begriffe von Gemeinschaft und Gesellschaft, dem die allgemein-psychologische Antithese von Wesenwillen und Kür18

Zwischen 1905 und 1908 erschienen unter diesem Titel »Sonderhefte« des seit 1877 erscheinenden »Illustrierten Anzeigers für Kontor und Bureau«.

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willen [im Erstdruck: Willkür] entspricht und parallel läuft, auf die historische Entwicklung der letzten vier Jahrhunderte anzuwenden versucht habe.« (S.  90) Tönnies zitiert sodann eine Passage aus Wagners »Grundlegung der politischen Ökonomie«, aus der deutlich wird, dass er  für seine Darstellung der historischen Entwicklung den Anspruch verfolgt, zu einer systematischen Strukturgeschichte zu kommen, die an die Begriffe »Gemeinschaft und Gesellschaft« anknüpft. – Ein solcher Anspruch ist schon im Jugendwerk »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1887)  formuliert, im Spätwerk »Geist der Neuzeit« (1935) versucht Tönnies eine zusammenhängende Umsetzung. Die Skizzen kreisen um zwei Themen. Das eine ist Mobilität, vor allem von Menschen, dann aber auch von Gegenständen. Drei Mobilitätstypen werden beim Menschen unterschieden, »der Vagierende hat keinen Wohnsitz, der Wandernde verändert seinen Wohnsitz, der Reisende behält seinen Wohnsitz« (S.  64). Mobilität verändert sich mit technischen Mitteln. Dies wird in der Skizze Verkehr und Transport aufgenommen. Den zweiten Themenschwerpunkt Technik vertieft die hier als letzte gedruckte Skizze. Klammer zwischen beiden Themen ist, dass Mobilität und Technikentwicklung sich mit der Verschiebung von gemeinschaftlichen zu gesellschaftlichen Sozialformen erweitern und verändern. Für die Entwicklung der Technik zeigt Tönnies, wie Handel und Krieg neben- und miteinander wirken.

XX. Sinn und Wert einer Wirtschaftsphilosophie [182–188] Man kann diesen Text als eine begriffliche Abgrenzung von Einzelwissenschaft auf der einen, der Philosophie als einer auf Synthese und Zusammenhang gerichteten Wissenschaft auf der anderen Seite lesen. Innerhalb der Philosophie ist dann wiederum die im engeren Sinne wissenschaftliche Arbeit am Sein und die ethische Bemühung um das Sollen des Wirtschaftens von Menschen zu unterscheiden. Tönnies macht deutlich, dass es ihm noch um ein anderes Thema geht. Die Wirtschaftsphilosophie, die sich um die Zusammenhänge des menschlichen Zusammenlebens kümmert, ist in seinem Verständnis eine »Abteilung der Soziologie« (S.  186), genau wie die Rechtsphilosophie (dazu auch die Nr. XXVIII: »Soziologie und Rechtsphilosophie«). Der Aufsatz kann so nicht nur als ein Argument  für eine wissenschaftliche Philosophie, eine positivistische Philosophie gelesen werden (an einer zentralen Stelle steht ein Zitat Auguste Comtes, S.  186), sondern auch als die Artiku-



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lation eines Anspruchs des neuen Faches Soziologie auf eine zentrale Position als Wissenschaft und im Kanon der Disziplinen.

XXI. Die Zukunft der Soziologie [189–194] Absicht der Enquête in der Zeitschrift »Dokumente des Fortschritts. Internationale Revue« ist, die Fragen »durch die bedeutendsten Vertreter der neueren Soziologie und der an der Soziologie interessierten Geschichtswissenschaften beantworten zu lassen.« Der Versuch allerdings brachte, so räumt der Initiator ein, »kein definitives Ergebnis«, denn eine »einstimmige Antwort konnte angesichts des Chaos innerhalb der Soziologie nicht erwartet werden.« Der Initiator der Enquête, Félix Vályi sieht gleichwohl, bei aller Unterschiedlichkeit der Grundprinzipien, »gemeinsame Forderungen«, die »uns die Richtung zeigen, in welcher sich die nächste Zukunft der soziologischen Forschung bewegen wird. Diese Richtung führt zur Vertiefung in die historische Genesis der Gesellschaften und der gesellschaftlichen Bildung, kurz, sie wurzelt in der Neigung, die Soziologie durch sozialhistorische Analyse zu begründen …« (Vályi 1908: [219]). – Möglicherweise veröffentlicht die Zeitschrift nicht alle eingegangenen Antworten: »Aus der Reihe der Antworten teilen wir folgende mit«, heißt es einleitend (220). Vor dem Beitrag Tönnies’ stehen Texte von Georg Simmel (220), Émile Durkheim (221 f.), Arvid Grotenfelt (222 f.), Franklin H. Giddings (224), Albion W. Small (224), Alfred Fouillée (224 f.), Melchior Palágyi (226). Nach Tönnies kommen Rudolf Stammler (230), Kurt Breysig (230–234), schließlich Lester Ward (234) zu Wort. Die meisten Äußerungen umfassen eine Seite oder weniger. Tönnies Beitrag ist mit fast vier Seiten im Satzspiegel der Zeitschrift der längste, Kurt Breysigs Text ist dreieinhalb Seiten lang. – Es kann davon ausgegangen werden, dass die Befragten die Äußerungen der jeweils anderen Autoren nicht kannten: Nirgends wird Bezug aufeinander genommen.

XXII. Comtes Begriff der Soziologie [195–205] Der III. internationale Kongress für Philosophie fand vom 1.–5.9.1908 in Heidelberg statt. Er war ein Weltereignis. Der Organisator des Kongresses, Theodor Elsenhans, schreibt Tönnies am 24.7.1908, dass ein Vortrag über Comte »ein  für den Kongreß besonders geeignetes The-

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ma« sei. Aus dem Kontext der Postkarte (Cb 54.56:255,10) geht hervor, dass Tönnies auch andere Themen angeboten hat. Das Protokoll des Kongresses verzeichnet vier Beiträge Tönnies’, den hier dokumentierten zu Auguste Comte, eine kurze Präsentation »Über eine Methode moralstatistischer Forschung (Auszug)«19, ein Beitrag »Zur Biographie des Hobbes«20 schließlich einen kurzen Diskussionsbeitrag zum Vortrag Felix Somlós »Das Problem der Rechtsphilosophie« (Somló 1909, Tönnies 1909e), in dem Tönnies in äußerster Knappheit die Überlegungen andeutet, die er in seinen Thesen zu Soziologie und Rechtsphilosophie (hier S. 259) ausführlicher fasst. Alle diese Beiträge sind der V. Sektion des Kongresses »Ethik und Soziologie« zugeordnet. Der Kongressband verzeichnet unter den »angemeldeten Sektionsvorträgen« auch einen Beitrag Tönnies’ unter dem Titel »Zur Biographie des Hobbes« (S. 17), in der Sektion »Geschichte der Philosophie« ist auch für das Zeitfenster 2.9.1908, 9–11h Tönnies als Redner angekündigt (ebd., 19), ein Vortrag ist im Protokoll der Sektion aber nicht dokumentiert.21 Auf dem Kongress bittet Abraham Eleutheropulos, damals Hochschullehrer in Zürich, Tönnies, den Vortrag auch der »Monatsschrift für Soziologie«22 zur Verfügung zu stellen. Tönnies kommt dieser Bitte nach. In einem Notizbuch Tönnies’  findet sich ein nicht datierter  fragmentarischer Eintrag zu Comte, der zum ausgearbeiteten Text in unmittelbarem Zusammenhang steht: »III. Comte’s Begriff d[e]r Soziologie. Es pflegt oft aus d. Tatsache, dass Comte der Soziologie ihren Namen gegeben hat, gefolgert zu werden, dass er sie auch ›begründet‹ habe. Das war in d. Tat seine eigene Meinung nicht, in sofern, als er ihr Dasein in einem antepositiven Zustande voraussetzte; es war seine Meinung dass er sie in den wissenschaftl. Zustand hinüberführe. Dass diese Meinung ein Irrtum war und dass er e. klaren Begriff nicht hatte, davon kann schon die Vielfachh[ei]t d[e]r Namen, die er ausser dem Worte ›Soziologie‹ anwendete eine Andeutung geben, namentlich die Zwiefachh[ei]t v Phys[ique] sociale und Politique positive; …« (Cb 54.41:49, S. 30). In einer Selbstanzeige  fasst Tönnies seine Arbeit so zusammen: »Comte gilt vielfach, weil er Erfinder des Namens ist, auch als Begründer dieser Wissenschaft, wofür er sich auch selber gehalten hat. Einen 19

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Tönnies 1909c. Bis fast zur Unverständlichkeit verkürzt, stellt Tönnies hier seine Methode zur Korrelation von Zahlenreihen vor, ausführlicher Tönnies 1909d. – Im Notizbuch Cb 54.41:49 findet sich auf den S. 28 f. ein Eintrag, der als Disposition für den kurzen Vortrag in Heidelberg gedient haben könnte. Tönnies 1909h. – Auch hierzu im eben genannten Notizbuch ein Eintrag (S. 24–27). Auch andere angemeldete Vorträge finden sich nicht im Kongressbericht. Vgl. zu dieser Zeitschrift S. 638.



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klaren Begriff dessen, was Soziologie sein sollte und leisten kann, hat er aber nicht gebildet. Es ist unrichtig, in dieser Hinsicht zwischen seinem früheren Werke und der späteren ›subjektiven‹ Phase scharf zu unterscheiden. Der Gedanke, von dem er sich leiten ließ, ist immer mehr ein praktischer – die Rekonstruktion der Gesellschaft – als ein streng theoretischer gewesen.«23

XXIII. Die Aufgabe der Soziologie [206–207] Im ersten Heft der »Monatsschrift für Soziologie« wird ein »Diskussionsthema« »Was ist das Objekt bzw. die Aufgabe der Soziologie« aufgerufen.24 Von der Zeitschrift erscheint nur dieser erste Jahrgang 1909. Das Programm der Zeitschrift ist durch eine explizite thematische Orientierung auf Soziologie geprägt (vgl. einen Brief von Eleutheropulos an Tönnies vom 20.6.1908, Cb 54.56:255,05). Initiator der Diskussion ist der Herausgeber der Zeitschrift, der Züricher Philosoph Abraham Eleutheropulos.25 Die zu diskutierende Frage wird wortreich wie folgt erläutert: »Es mag auf den ersten Blick sonderbar erscheinen, daß eine Zeitschrift für Soziologie gegründet wird, während ihr Objekt, ihre Aufgabe noch ein Diskussionsthema, ein noch zu bestimmendes Problem bildet. Man könnte meinen, es handle sich um ein fingiertes Wort, für das ein Objekt (ein Begriffsinhalt) gesucht wird, es handle sich also um eine fingierte Wissenschaft. Bei der Möglichkeit eines solchen Eindrucks hätten wir also mit unserm Diskussionsthema einen guten Dienst denjenigen erwiesen, die über eine ›künstlich‹ geschaffene Wissenschaft ›Soziologie‹ nicht genug lachen können. Aber ob es noch solche gibt oder nicht und sie lachen mögen oder nicht, die Sache verhält sich bei genauer Betrachtung doch ganz anders: Wenn die Monatsschrift  für Soziologie das Objekt bzw. die Aufgabe der Soziologie als Diskussionsthema vorschlägt, so handelt es sich dabei nicht 23

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Die Selbstanzeige (Tönnies 1910b) erscheint in einem bibliographischen Projekt, das – nach dem internationalen Philosophenkongress 1908 in Heidelberg begründet – anstrebt, international alle philosophische Literatur zu dokumentieren. Es sollten möglichst Selbstanzeigen oder Inhaltsverzeichnisse dokumentiert werden. Es besteht kein Zweifel, dass der zitierte Text eine Selbstanzeige aus der Feder Tönnies’ ist. Der Eintrag ist der Sektion »VIc. Sozial- und Rechtsphilosophie« zugeordnet. Zum Konzept des bibliographischen Werks vgl. Ruge 1910, zu den Selbstanzeigen dort S. VII. Erster (und einziger) Jahrgang, H. 1: 25 ff. So Eleutheropulos auf S. 317 der Zeitschrift. – Die Beiträge sind in der Bibliographie nachgewiesen. Hier wird nur nach der Seitenzahl in der »Monatsschrift« zitiert.

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darum, daß für ein launenhaft entstandenes neues Wort ein Objekt, ein Begriffsinhalt gesucht wird, damit es nach dem eigenmächtigen Willen irgend eines Menschen auch eine Wissenschaft bilde. Mag auch das Wort ›Soziologie‹ in seiner … Zusammensetzung als ein  fingiertes … und … schlechtes Wort erscheinen; es hat aber doch sein Objekt, seinen Inhalt, die Gesellschaft, von vornherein, und die Diskussionsfrage bezweckt nur die Abgrenzung und genaue Bestimmung des Objekts und der Aufgabe der Soziologie.« (25 f.) Im ersten Heft der Zeitschrift sind Beiträge von René Worms, Achille Loria und Lester F. Ward dokumentiert. Worms sieht es als Aufgabe der Soziologie, den Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Sozialwissenschaften herzustellen, sie sei die Philosophie der Sozialwissenschaft. Machen letztere »une œuvre analytique«, so soll sie »une œuvre synthétique« herstellen (29). Ganz ähnlich argumentiert Loria, auch sein Beitrag erscheint in  französischer Sprache. Ward gründet seinen soziologischen Ansatz auf einer psychologischen Basis, die Psychologie wiederum gründe in der Biologie von Naturwesen. Dass das Fach sehr kontrovers sei, sei normal für eine Wissenschaft in der Formationsperiode. Auch sei normal, dass sich die Soziologie zunächst um die Statik bemühe und zu Betrachtungen sozialer Dynamik erst später kommen werde, auch das teile sie mit anderen Wissenschaften in der Formationsperiode. Ward lässt sich dann ausführlich über soziale Institutionen aus und mündet in eine Betrachtung sozialer Evolution, die er wie Spencer von »social differentiation and social integration« (36) geformt sieht. Die Differenzierung sei wesentlich die in unterschiedliche Menschenrassen, was dann zum »struggle of races«  führe. In diesen Kämpfen wachse Integration (37). Alle diese Prozesse seien Naturprozesse. Für eine angewandte Soziologie sei die Wissenschaft noch nicht weit genug entwickelt: »… the time is not yet ripe  for an applied sociology. Yet the whole field of politics, all efforts at social reform, socialism, communism, anarchism, and all the current ’isms that  fill the air, are so many attempts to establish a social art, made for the most part by those who have no conception of a social science.« (38) Doch genau hier sieht Ward den zukünftigen Wert der Soziologie. Im zweiten Heft schiebt die Zeitschrift eine weitere Erklärung nach: »Die Absicht der Monatsschrift  für Soziologie ist, allen Soziologen (Philosophen, Historiker, Nationalökonomen, Staatsrechtslehrer) der verschiedensten Richtungen die Gelegenheit zu bieten, sich über das vorgeschlagene Diskussionsthema nebeneinander zu äußern. Dann hätten wir nämlich die Möglichkeit, die authentischen, kurzen, präzisen Meinungsäußerungen über die Aufgabe bzw. das Objekt der Soziologie



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miteinander zu vergleichen, die übereinstimmenden Punkte von den abweichenden zu sondern und über diese letzteren dann eigentlich zu diskutieren. Die Monatsschrift für Soziologie richtet daher an alle sich mit Soziologie befassenden Kreise die ergebene Bitte um Meinungsäußerung …« (89). Hiernach folgen Beiträge Tönnies’ und Alfred Vierkandts. Tönnies verweist sehr knapp auf seine Überlegungen zur »reinen Soziologie«, die die Begriffe für die Analyse der »im Bewußtsein des Menschen vorhandenen Tatsachen des Zusammenlebens« bereitstellen will. Eine Fußnote mit Verweisen auf Arbeiten, in denen er seinen Ansatz ausführlicher begründet, ist in SSK II nicht übernommen. Vierkandt stellt seine Überlegungen unter die programmatische Überschrift »Die Soziologie als empirisch betriebene Einzelwissenschaft« (91  ff.) und beruft sich dabei namentlich auf Simmel und Tönnies. Gegenstand der Soziologie seien »die seelischen Beziehungen zwischen verschiedenen Individuen« (93), die sozialen Beziehungen, schließlich Institutionen.26 Im dritten Heft steht noch einmal der kürzere Aufruf des zweiten Heftes. Im vierten Heft steht wieder dieser Aufruf (237), gefolgt von einem langen Beitrag Adolfo Posadas in deutscher Sprache. Dieser bestimmt als Gegenstand der Soziologie die »sozialen Tatsachen« und stellt fest: »jede soziologische Forschung hat zum Gegenstand die soziale Realität, d. h. die Summe der sozialen Tatsachen.« (241) Ohne schon beantworten zu können, was »das Soziale« (passim.) sei, ohne zu wissen, ob so etwas wie ein »absolute[s] Soziale[s]« existiert, muss nur davon ausgegangen werden, »daß das Soziale eine Realität« sei (242). Dieses Soziale, Posada spricht auch von »Sozialität« (242), müsse »als natürliche Erscheinung innerhalb der Welt und nach Naturgesetzen« betrachtet werden; soziale Tatsachen seien »als außerhalb des Individuums stehende Realitäten zu untersuchen«, hier schließt Posada sich nun auch explizit Durkheim an (245). Besonders in der letzten Wendung wird ein Gegensatz zur Vorstellung Tönnies’ offensichtlich, der die Verbindungen von Menschen in den Mittelpunkt seiner Soziologie stellt und eben nicht wie Posada Tatsachen »außerhalb des Individuums«. Überall in seinem Werk wendet Tönnies sich gegen eine Essentialisierung des »Sozialen«, der »Gruppe«, auch der »Gemeinschaft«, besteht immer darauf, dass erst die Verbindung der menschlichen Willen soziale Gebilde konstituiert. Im fünften Heft veröffentlicht Eleutheropulos einen Beitrag, in dem er eine Zusammenfassung der Ergebnisse versucht. An deren Ende steht »die ergebene Aufforderung« an den schon angesprochenen Personenkreis, »Stellung zu nehmen, damit aus der Diskussion sich event. eine 26

Vierkandt spricht von »festen Organisationen«, »äußeren Gebilden«, die sich auf einem »Gesamtgeist« (alles 94) entwickeln, aber auch von »Institution« (99).

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Einheit der Meinungen ergebe.« Es  folgt der Aufruf, »Meinungsäußerungen über ein weiteres Diskussionsthema[,] … die Methode der Soziologie« einzureichen (323).27 Was ist der Ertrag der Diskussion? Eleutheropulos meint eine Definition geben zu können, die alle sehr kontroversen Äußerungen abdeckt: »Die Soziologie hat das positiv gegebene Zusammensein von Menschen als solches, die Sozialität als solche zu verstehen. Das steht also sicher.« (320) Hiermit schließt er sich der von Posada am deutlichsten vertretenen Position Durkheims an. – Von diesem Ansatz her konsequent kritisiert Eleutheropulos Tönnies: »… er denkt dabei [Sozialität] an ein soziales Verhältnis, einen sozialen Willen und ein soziales Gebilde; das Unberechtigte einer solchen Auffassung liegt darin: sollte nämlich auch das ›soziale Verhältnis‹ und das ›soziale Gebilde‹ als eine Analyse des Begriffs Sozialität (Zusammensein von Menschen) gleichsam im Kantischen Sinne a priori angesehen und zugelassen werden, so ist der ›soziale Wille‹ von vornherein nicht gegeben und also  für den objektiven Forscher im Anfang nicht vorhanden, nicht bekannt: es ist nicht von Anfang an gegeben, ob die Sozialität einen Willen hat, bzw. durch einen Willen besteht, ob es also einen sozialen Willen gibt oder nicht; es gehört also nicht in die Angabe der Aufgabe der Soziologie hinein, will man der Forschung Objektivität bewahren.« (320 f.) Vom gewonnenem Standpunkt aus kritisiert Eleutheropulos auch Simmel (der nicht auf die Umfrage geantwortet, aber auf seine Schriften verwiesen habe; vgl. 317): Er wolle das Fach auf die »Formen der Vergesellschaftung« beschränken, nicht aber über Sozialität forschen (321). Auch andere Positionen finden keine Gnade, vor allem dort, wo sie vorab Sozialität »aus dem Rassenkampfe oder biologisch, oder psychologisch, oder organisch oder sonst irgendwie« erklären (320). Eleutheropulos endet mit drei Erkenntnissen: 1. Soziologie habe »ein eigenes Einzelproblem zum Objekte«, eben jene Sozialität, 2. »eine Rechtsphilosophie mit der Aufgabe, das Wesen, die Idee, den Zweck, die Entwicklungsursachen des Rechtes (und des Staates) zu bestimmen, gibt es nicht; diese Aufgaben gehören … zu dem Probleme der Soziologie …«. 3. »eine Geschichtsphilosophie … gibt es nicht; denn dieses Problem gehört, soweit exakte Forschung in Betracht kommt, zur Soziologie …« (323). – Der ersten der drei Schlussfolgerungen Eleutheropulos’ hätte Tönnies vehement widersprochen, der zweite und der dritte Punkt hingegen liegen ganz auf der Linie dessen, die auch Tönnies vertritt. Im sechsten Heft (Juni) wird noch ein Beitrag J. Novicows nachgereicht (390), der aber von der Redaktion als normativ und fachlich nicht 27

Zu diesem Thema ist nur ein erster Beitrag von Vierkandt (1909a) in der Monatsschrift dokumentiert.



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zureichend angesehen wird (393). Schließlich erscheint im Heft 8/9, als letzter Beitrag zur Debatte, eine Auseinandersetzung des österreichischen Philosophen und Soziologen Wilhelm Jerusalem, der die Position Eleutheropulos’  freundlich, nur teilweise kritisch kommentiert. Jerusalem mahnt vor zu  forschen Angriffen auf Tönnies und Simmel, hierzu möchte er »nicht Stellung nehmen, weil die positiven Leistungen dieser Forscher so viel Wertvolles enthalten, daß selbst berechtigte methodologische Einwendungen mir ihnen gegenüber wenig zu bedeuten scheinen.« (555) Jerusalem macht sich gegen Eleutheropulos’ scharfen Angriff auf Rechts- und Geschichtsphilosophie dafür stark, auch metaphysische Debatten und Positionen zuzulassen: »Warum soll aber die Soziologie, deshalb weil sie selbst nicht Metaphysik ist, sich allem Metaphysischen und Apriorischen  feindselig gegenüberstellen? Weiß man doch, daß in den Träumen der Metaphysiker oft neue und mächtige intuitive Wahrheiten enthalten sind.« (557) Eleutheropulos verfasst wiederum eine »Antwort« (558 f.), sie enthält keine neuen Gesichtspunkte. Tönnies äußert sich zur Sache in dieser Zeitschrift nicht mehr.

XXIV. Wege und Ziele der Soziologie [208–228] Dass Tönnies mit der Eröffnungsrede des ersten deutschen Soziologentages in Frankfurt betraut ist, zeigt seine, in der Wahrnehmung seiner Fachkollegen, unbestrittene Stellung. Tönnies selbst fasst in einer Selbstanzeige den Inhalt des Vortrags so zusammen: »Der Vortrag unterscheidet reine oder philosophische Soziologie von der empirischen oder nach Analogie der Naturwissenschaften zu gestaltenden. Jener wird in erster Linie die ›Skulptur der Begriffe‹, demnächst die Her- und Darstellung der Zusammenhänge mit den andern Wissenschaften aufgegeben. In diesem Sinne werden Anthropologie und Psychologie, insonderheit Völkerpsychologie, sodann Ethnologie und die historischen Disziplinen, näher dann die Statistik als Methode und die Möglichkeit der Statistik als Wissenschaft erörtert. Die Termini Demographie und Demologie für das empirische Studium der Kultur – ob nach statistischer Methode geschehend oder nicht – werden empfohlen.«28 28

Die Selbstanzeige (Tönnies 1913b: 198) erscheint in einem bibliographischen Projekt, das, nach dem internationalen Philosophenkongress 1908 in Heidelberg (vgl. S. 625) begründet, anstrebt, international alle philosophische Literatur zu dokumentieren. Auf der nächsten Seite des Werks steht unter der Nr. 2212 ein knappes Inhaltsverzeichnis von Verhandlungen 1911. Die Einträge sind der Sektion »VIc. Sozial- und Rechtsphi-

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Zwei Gesichtspunkte sollen hier aus dem Vortrag hervorgehoben werden: das Thema Werturteilsfreiheit und die Gründung der statistischen Gesellschaft. Der Vortrag Tönnies’ liest sich in Teilen als ein Bekenntnis zur Werturteilsfreiheit, differenzierende Zwischentöne lassen sich allenfalls ahnen. Es sollen Ausführungen Tönnies’ hier mit den Aussagen eines 23 Jahre späteren Dokuments konfrontiert werden: der Rücktrittserklärung Tönnies’ als Präsident der DGS. Mit dem Dokument »Erklärung« (»Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie«, datiert auf den 27.12.1933)29 übergibt Tönnies die Geschäfte an den gewählten Nachfolger Werner Sombart.30 »Ich habe im Jahre 1910 dem vorzugsweise von den Herren Max Weber und Sombart ausgesprochenen Grundsatz des Ausschlusses von Werturteilen aus unserer Wissenschaft mit der ausdrücklichen Deutung mich angeschlossen, dass ich ohne eine Entscheidung der Frage in Anspruch zu nehmen, ob auf diesem Gebiete praktische Theorien wissenschaftlich möglich seien, insbesondere also Ethik und Politik, dass wir jedenfalls diese vom Bereiche unserer Tätigkeit ausschliessen wollten. Dieser Richtlinie gemäss habe ich mich zu verhalten für verpflichtet erachtet und hege das Vertrauen, dass sie ferner eingehalten werde. Jede Vermischung halte ich für verderblich und durfte mich überzeugt halten, dass dieses auch die weit überwiegende Meinung in der gesamten Mitgliedschaft gewesen ist. Demgemäss berührte mich keine Veränderung der Staatsregierung auch nicht der Staatsform, in meiner Eigenschaft als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Auch als einfaches Mitglied werde ich von nun an diesen Grundsatz mit aller Entschiedenheit vertreten.« Hintergrundinformationen aus den Akten der Gesellschaft zur Gründung der Deutschen Statistischen Gesellschaft als Sektion der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie seien hier noch mitgeteilt. Am 28.8.1910 schickt der Geschäftsführer der Gesellschaft, Hermann Beck, ein »Rundschreiben an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie«, beigefügt ein Schreiben »des Herrn Geheimrat Würzburger«31 mit der Anregung, eine statistische Sektion innerhalb der Gesellschaft zu gründen. »Ich persönlich würde die Begründung einer statistischen Sektion innerhalb unserer Gesellschaft ausserordentlich begrüssen, wenn auch, wie ich zugebe, ganz wesentlich hierin geleitet von praktisch-organisatorischen

29 30 31

losophie« zugeordnet. Zum Konzept des bibliographischen Werks vgl. die Fußnote auf S. XXX. In TG 23.2: [459] f. dokumentiert. Zuvor schon mit einer erläuternden Einleitung abgedruckt in Bickel / Zander 1991. Zu den Vorgängen in der DGS im Jahr 1933 siehe Schnitzler 2018. Schreiben Würzburgers vom 26.8.1910 in Abschrift: (Cb 54.61:1.1.64A,01).



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Gesichtspunkten. Eine selbständige Statistikervereinigung, deren Inslebentreten wir zu hindern jetzt in der Hand haben, würde uns ganz zweifellos grossen Abbruch tun, nicht nur, was die Mitgliederzahl anlangt, sondern ihr Programm und Problemenkreis würde sich mit dem unsrigen m. E. stark überschneiden.« (Cb 54.61:1.1.5,27) In einem Rundschreiben vom 7.9.1910 berichtet Beck rundum von Zustimmung zur Gründung (ebd., Nr. 28). Ein Rundschreiben vom 9.12.1910 (Nr. 35) erörtert Satzungsfragen für die Sektion. Seitens der neuen Sektion übernimmt Georg von Mayr den Vorsitz des Vorbereitungs- und Gründungskomitees. Ein »Vorläufiger Entwurf eines Gründungsstatuts«, undatiert, wahrscheinlich vom 5.12.1910,  findet sich als Abschrift (Cb  54.61:1.2.01C,01) in den Akten, ein zweites, ebenso undatiertes Dokument enthält »Satzungen der Statistischen Abteilung der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie« (Cb  54.61:1.2.01D,01). Die »Deutsche Statistische Gesellschaft. Abteilung der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie« konstituiert sich am 17.6.1911 in Dresden. In den Akten der Gesellschaft findet sich eine »Niederschrift der Verhandlungen der konstituierenden Versammlung im alten Stadtverordnetensaale in Dresden am 17. Juni 1911, Vormittags 10 Uhr« (Cb 54.61:1,2,10,08). Tönnies hält einen Fachvortrag, eine Zusammenfassung von seiner Hand ist in der Niederschrift enthalten (Tönnies 1911c). Mit seinen Äußerungen zur Begrüßung der statistischen Fachkollegen und zur Eingemeindung der Statistik in die Soziologie (hier: S.  223  ff.) macht sich Tönnies nicht nur Freunde, vielmehr sind sie der Anfang einer Kontroverse vor allem mit dem einflussreichen Statistiker Georg von Mayr bis in die 1920er Jahre hinein (vgl. den editorischen Bericht zu TG 21: 626 ff.).

XXV. Soziologie als Wissenschaft und die Deutsche Soziologische Gesellschaft [229–235] Der »Kunstwart«, in dem dieser Text erscheint, ist eine von Ferdinand Avenarius 1887 gegründete, konservativ ausgerichtete Kulturzeitschrift, die sich an ein breiteres lesendes Publikum wendet. Die größte Verbreitung hat der Kunstwart in den Jahren vor dem Weltkrieg, ab 1904 verkauft die Halbmonatsschrift eine Auflage von ca. 22.000 Exemplaren. Tönnies veröffentlicht zweimal im Kunstwart: im zweiten Märzheft

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1909 eine statistische Untersuchung zu Schülerselbstmorden32 und 1911 den hier gedruckten Text. Tönnies ist mit dem Herausgeber der Zeitschrift persönlich bekannt, dies wird aus einigen Briefen von Avenarius an ihn deutlich. Die beiden Herren teilen die Liebe zu Sylt; aus der Korrespondenz sind einige Treffen auf der Insel belegt. Avenarius wirbt immer wieder um Tönnies, er möchte im Kunstwart mehr von ihm veröffentlichen. So schreibt Avenarius anlässlich des Beitrags zu den Schülerselbstmorden am 28.8.1908: »Ich würde Ihnen überhaupt sehr dankbar sein, wenn Sie die Ausbildung der Kunstwart­ rundschau ein wenig durch tätige Beihilfe unterstützten.« (Cb  54.56: 27,02) Am 20.2.1909 schreibt Avenarius: »Indem ich eben einen kleinen Auszug aus Ihrem Aufsatze in der ›Neuen deutschen Rundschau‹ ›Politische Reife‹ zurecht machen lasse, wird mir recht bewusst, wie schön es wäre, wenn Sie über derartige Stoffe auch für den Kunstwart schrieben. Das ist ja jetzt eigentlich eine unserer Hauptaufgaben: abseits vom Parteiwesen aus allen Parteien heraus für gemeinsame Aufgaben die Männer zu  finden, die Leute, denen endlich klar wird, dass wir bestimmte allgemeine Anschauungen sozusagen ins Blut bekommen müssen, ganz ohne Rücksicht auf die besonderen Parteiziele!« (Cb 54.56:27,03)33 Am 16.7.1909 bittet Avenarius zunächst um Nachsicht, dass die Entgegnung zu den Schülerselbstmorden noch nicht erschienen ist, macht aber gleich einen weitergehenden Vorschlag: »Ich möchte Sie aber fragen, ob Sie nicht zu Themen das Wort nehmen möchten, die Ihnen, so viel ich weiss, ganz besonders liegen. Ich glaube, über unsre allgemeinen Kulturverhältnisse denken Sie und ich so ähnlich, dass wir uns darüber nicht erst zu verständigen brauchten, insbesondere gehen wir in der ›Bewunderung‹ des allgemeinen ›patriotischen Geistes‹ in Neudeutschland schwerlich weit auseinander. Mir scheint es nun recht eine Kunstwartaufgabe, durch geregelte kleine Beleuchtungen die Augen kritisch gegenüber all dem Subalternen und Byzantinischen unsres öffentlichen Wesens zu machen, aber nicht nach Art der Zeitungen, indem man einen bestimmten Parteistandpunkt beim Leser voraussetzt, sondern so, dass man ihn ganz parteilos einfach aus Voraussetzungen der Sache her zu eigener Erkenntnis führt. Auch ruhige Vergleichungen z. B. mit Skandinavien und England, die sich auch gegen die Mängel drüben nicht blind zeigen, können uns Deutschen glaube ich, zur Aufhellung nützlich sein. Ich weiss nun  freilich nicht, ob Ihnen derartige Beiträge sympathisch 32 33

Tönnies 1909f. Hierzu gibt es im zweiten Augustheft eine kritische Zuschrift, auf die Tönnies energisch reagiert (1909g). Bis auf Anrede und Grußformel ist dies der ganze Inhalt des Schreibens.



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sind, weiss es schon deshalb nicht, weil sie, um gelesen und beachtet zu werden, stets ganz kurz sein müssten. Aber anfragen möchte ich doch, wie Sie darüber denken.« (Cb 54.56:27,05) – Es finden sich in der Zeitschrift keine Spuren dafür, dass Tönnies, über den hier veröffentlichten Text hinaus, solcher Werbung gefolgt wäre.

XXVI. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie [236–242] Nach dem Wiederaufleben der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie (DGS) werden die »Kölner Vierteljahrshefte  für Sozialwissenschaften« zum Publikationsorgan der Gesellschaft. Leopold von Wiese vom Kölner »Forschungsinstitut  für Sozialwissenschaften« wird bis 1933 Sekretär der Gesellschaft. Tönnies’ Beitrag in der ersten Ausgabe der »Vierteljahrshefte« im Jahr 1921 vergegenwärtigt die Aktivitäten vor der Unterbrechung der Arbeit der Gesellschaft während des Weltkriegs. Veranlasst und geschrieben ist der Artikel noch vor der Wiedergründung der DGS. Leopold von Wiese schreibt Tönnies am 19.10.1920: »Die erste Nummer unserer Zeitschrift soll nicht zuletzt auch als eine Art Prospekt die Fachvertreter des In- und Auslands über den Stand der Organisation unserer Wissenschaft orientieren. Mir scheint es deshalb wünschenswert, in diesem Heft auch einen ganz kurzen Artikel – ich habe ja nur sehr wenig Gesamtraum – über die deutsche Gesellschaft für Soziologie zu bringen, um nach Kräften sammelnd zu wirken.« Von Wiese positioniert sein »Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften« vor einer möglichen Wiedergründung der DGS: »Mit Eulenburg, der vor kurzem hier war, haben Herr Geheimrat Eckert und ich die Zukunftsmöglichkeiten der Gesellschaft eingehend besprochen. Soweit eine etwaige Mitwirkung unseres Instituts bei irgendwelchen Rekonstruktionsversuchen in Frage käme, haben wir uns auf den Standpunkt gestellt, zunächst erst mit eigenen Arbeiten hervorzutreten und erst dann uns, falls es gewünscht wird, weiter zur Verfügung zu stellen. Wir pflichten also auch der von Ihnen, Herr Geheimrat, vertretenen Auffassung bei, die endgültige Entscheidung zu vertagen.« Dann kommt von Wiese auf seine Bitte um einen Beitrag zurück: »Der augenblickliche Zustand der Suspendierung der Gesellschaft würde aber nicht hindern, etwas über ihre Tätigkeit vor dem Kriege ins Gedächtnis zu rufen. Darf ich Sie, Herr Geheimrat, bitten, uns diesen ganz kurzen Artikel über die Gesellschaft zu schreiben? … Am 30. November spätestens müßte ich im Besitz des Manuskripts sein.« (Cb 54.61:2.1.22,07).

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Die Geschichte der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie ist in der Literatur gut dokumentiert. Im Folgenden sollen lediglich einige Details entlang der Akten in Tönnies’ Nachlass vertieft werden. Zum Rückzug Heinrich Herkners zunächst aus dem Vorstand, später aus der DGS (S.  237): Für seinen Rückzug vom Vorstandsamt nennt Herkner private Gründe.34 Den Beschluss zur Kooptation Sombarts lässt Hermann Beck Tönnies am 31.3.1910 durch eine Hilfskraft wissen: »Im Auftrage von Herrn Dr. Beck teilen wir Ihnen hierdurch höfl. mit, dass sich der Vorstand der soziologischen Gesellschaft nunmehr aus folgenden Herren zusammensetzt: Beck, Ploetz, Simmel, Sombart, Tönnies, Vierkant [sic], Weber.« (Cb 54.61:1.1.4,09) Am 4.7.1913 erklärt Herkner seinen Austritt aus der Gesellschaft. Anlass ist eine »Vorbemerkung« zur Veröffentlichung der »Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages« (Verhandlungen 1913: [V]), dass »gemäß einem Beschluß des Vorstandes .. die Referate … vollständig, die Diskussionen hingegen nur in kurzem Auszug veröffentlicht« werden. Zur Begründung heißt es: »Selbstverständlich soll an den Aeußerungen, die nicht aufgenommen worden sind, dadurch keine Kritik geübt werden; die Redaktion war nur bemüht, in den zur Verfügung stehenden Raum diejenigen Teile der Diskussion aufzunehmen, für die ihr das Interesse jenes weiteren Kreises [»Gesamtheit der soziologisch Interessierten«] am gesichertsten schien.« (ebd.) Herkner liest hieraus, »dass sich der Vorstand berechtigt und befähigt glaubt ein Urteil darüber abzugeben, was von den Verhandlungen der Tagung für weite Kreise von Interesse ist« und sieht dieses Vorgehen »in einem so schroffen Gegensatz zu dem, was mir zulässig erscheint«, dass er sich zum Austritt genötigt sieht (Cb  54.61:1.1.32,03). In den veröffentlichen »Verhandlungen« ist kein Diskussionsbeitrag Herkners überliefert. Zum Rückzug Simmels aus dem Vorstand der DGS (S. 238): Simmel erklärt seinen Austritt aus dem Vorstand der Gesellschaft in einem Brief vom 11.10.1913: »Ich hatte die ehrenvolle Wahl in den Vorstand von vornherein unter grossen Bedenken angenommen, da ich schon damals wusste, dass meine Interessen nicht bei der Soziologie verbleiben würden; allein ich wollte mich dennoch der Aufforderung nicht entziehen, da damals gerade meine Soziologie erschienen war und mein Fernbleiben von der Gründung der Gesellschaft als eine Art Demonstration erschienen wäre, die ich durchaus vermeiden wollte. Im Lauf der Jahre haben sich nun meine Interessen und meine Arbeitsrichtung so völlig der reinen Philosophie zugewandt und sind mit einem Radikalismus, 34

Abschrift eines Briefes vom 31.8.1909 (Cb 54.61:1.1.32,02).



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der mich selbst überrascht hat, der Soziologie entfremdet, dass mein Verbleiben an einer führenden Stelle der Gesellschaft eine innere Unehrlichkeit bedeutet.«35 Zum Vertrag mit dem Institut de Sociologie Solvay über die Herausgabe des »Soziologischen Archivs« als Publikationsorgan  für die DGS (S.  238): Dass die Gesellschaft ein Organ  für ihre Veröffentlichungen braucht, und wie dabei mit den schon etablierten sozialwissenschaftlichen Zeitschriften umzugehen ist, ist Thema des Vorstandes der neuen Gesellschaft. In einem »Rundschreiben an die Herren Mitglieder des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie« vom 15.2.1909 nimmt sich der Geschäftsführer Hermann Beck des Problems an. Als Antwort auf einen Vorschlag Georg Simmels führt er aus: »Ihren Standpunkt, von dem Anerbieten Max Webers, sein Archiv [für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik] unserer Gesellschaft als Publikationsorgan zur Verfügung zu stellen, Gebrauch zu machen, kann ich leider nicht teilen. Mit mindestens dem gleichen Recht könnte Herr Prof. Barth erwarten, dass seine Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie, Karl Bücher oder Julius Wolf, die alle auch mit zu den Gründern gehören, dass ihre Zeitschriften gewählt werden. Keine dieser Zeitschriften kann den Anspruch erheben, im Sinne unseres Programms das geeignetste Organ zu sein. Genau genommen kann es ein solches Organ überhaupt nicht geben, müssen wir vielmehr unser Augenmerk daraufhin richten, dass die bedeutendsten Fachzeitschriften der Nationalökonomie, Rechtswissenschaft usw. usw. auch soziologische Aufsätze auf ihrem Gebiete veröffentlichen.« Beck schlägt vor, an einer ursprünglichen Absicht  festzuhalten, Publikationen mehreren Zeitschriften anzubieten, hofft dabei darauf, dass bei dieser Gelegenheit für Mitglieder der soziologischen Gesellschaft ermäßigte Bezugspreise vereinbart werden können. »Eine derartige Regelung der Frage erscheint mir auch deshalb angemessen, weil wir gerade erst vor einigen Tagen den Herausgebern der Monatsschrift für Soziologie erklärt haben, dass wir unsere Mitteilungen nicht einem einzigen Organ … zugänglich machen.« (Cb 54.61: 1.1.5,06, S. 2) Seitens der »Monatsschrift für Soziologie« war der Geldgeber und Verleger Baron Rudolf von Engelhardt-Alt-Born mit Brief vom 19.1.1909 an die Deutsche Gesellschaft  für Soziologie36 initiativ geworden: Er bot an, die Daten der DGS in seiner Zeitschrift zu veröffentlichen. Die Zeitschrift sei ein wirtschaftlicher Erfolg, das erste Heft sei mit 1000 Exemplaren in 8 Tagen vergriffen gewesen. Auch bittet er für sich und 35 36

Abschrift im TN: Cb 54.61:1.1.49B,08. – Simmels »Soziologie« (1908) gilt bis heute als klassischer Text aus der Konstitutionsphase der Soziologie. Durchschrift: Cb 54.61:1.1.23,01.

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seinen Verwandten Baron Alexis von Engelhardt um Aufnahme in die Gesellschaft. Sich selbst stellt er vor als Cand jur., Herausgeber der Monatsschrift für Soziologie und Rittergutsbesitzer auf Alt-Born. Die Gesellschaft folgt weder dem Angebot noch den Aufnahmeanträgen. – Die »Monatsschrift  für Soziologie« geht nach nur einem Erscheinungsjahr im »Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik« auf.37 An Tönnies tritt der in Zürich lehrende Philosoph Abraham Eleutheropulos schon 1908 heran und stellt ihm das Projekt einer »Monatsschrift für Soziologie« vor. In einem Brief vom 20.6.1908 wirbt er für das Projekt. Dieser Brief38 belegt, dass eine mögliche Rolle als Organ der Soziologischen Gesellschaft auch wirtschaftliche Interessen anstößt. Er sei hier in Auszügen wiedergegeben: »Sehr geehrter Herr! Die Soziologie macht grosse Fortschritte: der Kreis der sich für die Soziologie interessierenden [sic] vergrössert sich, die Soziologieen erleben neue Auflagen, soziologische Gesellschaften werden gegründet, u.s.w. – Ich brauche Ihnen gegenüber nicht zu erwähnen, dass dies alles auch mit Recht geschieht, da es nur der grossen Bedeutung der Soziologie im Systeme der Wissenschaften entspricht. – Nichtsdestoweniger leidet die Soziologie immer noch an einem innern Krankheitszustande, der sie nicht richtig aufblühen lässt und der ihren Feinden den Angriffspunkt liefert: die Soziologie ist innerlich nicht befestigt; je nach dem Soziologen wech[s]elt die Auffassung derselben als Wissenschaft, die Auffassung ihrer Aufgabe, ihrer Probleme, ihrer Methode, u.s.w. […] Diesem Zustande in der Soziologie abzuhelfen giebt es nur ein Mittel: ein Organ für dieselbe, in dem alle Ansichten ohne Ausnahme, selbst diejenigen, welche gegen die Berechtigung der Soziologie als Wissenschaft gerichtet sind, zur Sprache und zur Diskussion kommen. Ich [bin] so glücklich mitteilen zu können, dass die Freigebigkeit eines warmen Freundes der Soziologie, des mitunterzeichneten Herrn Baron v. Engelhardt die Soziologie in den Stand setzt, sich dieses im wahren Sinne des Wortes, vollständig unabhängiges Organ anzuschaffen.« Tönnies wird um Mitarbeit gebeten. Dieser Bitte kommt er zumindest insoweit nach, dass er seinen Aufsatz zu Auguste Comte (vgl. S. 195) der Zeitschrift zum Zweitdruck überlässt. Mit in der Diskussion war wahrscheinlich schon frühzeitig ein Vorschlag Emile Waxweilers vom privaten Institut de Sociologie Solvay, seine Zeitschrift »Archives Sociologiques« der DGS als offizielles Publikationsorgan zur Verfügung zu stellen. Die Möglichkeit einer Vergabe 37 38

So die einschlägigen Bibliothekskataloge, in den beiden Zeitschriften finden sich hiervon keine Spuren. Cb 54.56:255,5, masch.schr., 2 S., möglicherweise auch an andere Vertreter des Fachs geschickt, weil ohne persönliche Anrede.



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an eine ausländische Zeitschrift mag als ein Ausweg erschienen sein: Die Kollision mit Interessen oder Empfindlichkeiten von deutschen Kollegen und Mitgliedern der Gesellschaft mochte hier geringer sein. Der Sekretär der Gesellschaft, Hermann Beck, schreibt Tönnies am 3.7.1909: »Anbei übersende ich Ihnen die uns von Herrn Prof. Waxweiler hier überreichten Unterlagen  für seinen in dem letzten Rundschreiben erwähnten Plan, sowie die Umarbeitung dieser Unterlagen durch Herrn Prof. Simmel, dessen Brief ich ebenfalls beifüge. Ich bitte, die Materialien recht bald mit Ihren evt. Abänderungsvorschlägen versehen zurückzusenden, damit ich sie vervielfältigen und zunächst dem Vorstande und späterhin auch dem Ausschusse unterbreiten kann.« (Cb54.61:1.1.4,05) Diese Diskussion führt noch nicht zu einem Ergebnis. Zwischenzeitlich scheint sich auch Hermann Beck mit der von ihm herausgegebenen Zeitschrift »Blätter  für die gesamten Sozialwissenschaften. Bibliographisches Zentralorgan«39, die er als Herausgeber als Publikationsorgan der Gesellschaft angeboten zu haben. Die »Blätter« veröffentlichen in Heft 2/3 des 5. Jahrgangs (o. V. 1909) eine Einladung zum Beitritt in die neu gegründete Gesellschaft, unterzeichnet mit 85 Namen von Wissenschaftlern und vier von Wissenschaftlerinnen. Beigefügt ist eine »Zusammenstellung soziologischer Probleme« auf knapp zwei Seiten, die Satzung der Gesellschaft und ein kurzer Bericht über die »Eröffnungsversammlung« am 7.3.1909 in Berlin sowie eine Liste der dort gewählten Mitglieder des »Ausschusses«, »unter denen wir leider eine Vertretung von Frauen, die doch bei der Unterzeichnung des Gründungsaufrufes mitgewirkt hatten, vermissen.« (ebd., 57) – In Becks Protokoll einer Sitzung des Vorstands am 5.7.1913 heißt es: »Zur Frage der Schaffung einer periodischen Publikation mit soziologischen Literaturberichten, die den Mitgliedern der Gesellschaft als Gegenleistung für den Mitgliedsbeitrag geboten werden soll, erklärt Herr Dr. Beck, dass das sozial-bibliographische Institut zur Zeit an einer Neu-Organisation seiner verschiedenen Veröffentlichungen arbeite und dass noch nicht sicher sei, ob die jetzige Form der ›Blätter für die gesamten Sozialwissenschaften‹ mit ihren Literaturreferaten beibehalten werde. Die früher geplante diesbezügliche Verbindung mit der Gesellschaft könne daher im Augenblick noch nicht herbeigeführt werden.« (Cb 54.61:1.2.10,11) Der Plan einer Verhandlung mit Waxweiler und dem Institut Solvay wird wieder aufgenommen. Im Protokoll heißt es dazu: »Herr Prof. Simmel regt an mit dem Institut Solvay in Verbindung zu treten zwecks 39

1909 erscheint der 5. Jahrgang als »Neue Folge der Kritischen Blätter für die gesamten Staatswissenschaften« im Bibliographischen Zentral-Verlag. Inhalt der Zeitschrift ist eine bibliographische Erfassung sozialwissenschaftlicher Literatur.

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Bezuges der ›Archives Sociologiques‹ für die Mitglieder der Gesellschaft zu ermässigten Preisen. Herr Dr. Beck hält es für nicht aussichtslos, dass das Institut Solvay eventuell eine deutsche Ausgabe oder jedenfalls eine den deutschen Verhältnissen mehr Rechnung tragende Ausgabe seiner Publikationen selbst unter  finanziellen Opfern veranstalte um die Arbeit des Institutes in Deutschland und Oesterreich mehr zu verbreiten. Der Vorstand beauftragt Herrn Dr. Beck mit Herrn Prof. Waxweiler zunächst unverbindliche schriftliche und persönliche Verhandlungen zu pflegen.« (ebd.) Am 1.11.1913 verzeichnet das Protokoll der Vorstandssitzung: »Herr Beck berichtet über seinen Briefwechsel mit dem Institut Solvay und schlägt vor, das Institut Solvay anzuregen, sein Bulletin in Zukunft gemischtsprachig herauszugeben, sodass es unverändert in den deutsch und englisch sprechenden Ländern Verwendung  finden kann. Der Vorstand beauftragt Herrn Beck, in diesem Sinne an das Institut Solvay zu schreiben.« (Cb 54.61:1.2.10,12, S. 1 f.) Verhandelt wird das Thema auch auf der Hauptausschusssitzung am 3.1.1914 und auf der Vorstandssitzung am 10.1.1914 (Cb 54.61:1.2.10,13 und 14).40 Noch vor Vertragsschluss werden die Mitglieder der Gesellschaft in einem »Rundschreiben« vom 12.1.1914, gezeichnet von »Der Vorstand: Goldscheid, Sombart, Toennies, Vorsitzende: Barth, Beck, Grotjahn, Rathgen. Michels, Rechner.« informiert: »Um den Mitgliedern künftig neben den in zweijährigem Abstande erscheinenden Bericht über die Soziologentage auch laufende Publikationen zu bieten, werden Verhandlungen gepflogen, die darauf abzielen, den Mitgliedern einerseits ohne besondere Bezahlung eine bereits bestehende angesehene Publikation zu liefern, und andererseits für den Bezug einer weiteren Fachpublikation eine erhebliche Preisermässigung zu sichern.« (Cb 54.61:1.2.04,06) Ein Vertrag mit dem Institut Solvay wird unter dem Datum 22.4.1914 geschlossen. Mitunterzeichnerin ist die Wiener Soziologische Gesellschaft.41 Für den Vertrag ist eine Laufzeit von einem Jahr vorgesehen. Die DGS verpflichtet sich, gegen Bezahlung 300 Exemplare der vereinbarten Publikation abzunehmen. Erfüllt wird der Vertrag mit zwei Heften der Zeitschrift »Soziologisches Archiv«42. Sie sind im Archiv der Nachfolgeeinrichtung des Ins40

41 42

Vom 12.12.1913 datiert die Abschrift eines Briefes an Beck, in dem Waxweiler die Vorschläge der DGS aufnimmt und einen modifizierten Vertrag  für die Veröffentlichung der Zeitschrift anbietet: diese soll die Mitteilungen der DGS enthalten. (Cb 54.61:1.1.59,02). Am 16.3.1914 wendet sich Waxweiler noch einmal an den Vorstand und signalisiert, dass letzte Vereinbarungen auch getroffen sind und nunmehr die Herstellung beginnen könne – wahrscheinlich eine Abschrift (Cb 54.61:1.1.59A,01). Ein Vertragsexemplar unter Cb 54.61:1.2.02,4. Vgl. ed. Fn. zu Zeile 20 auf S. 238.



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titut Solvay, dem Soziologischen Institut der Internationalen Universität in Brüssel erhalten. Das erste Heft bildet das Bulletin No. 31 vom 30.4.1914 ab. Auf dem Titelblatt steht »Sonderausgabe für die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft  für Soziologie und der Soziologischen Gesellschaft in Wien mit Unterstützung beider Gesellschaften herausgegeben«. Die Beiträge der Zeitschrift sind teilweise ins Deutsche übersetzt. Den größten Teil der Zeitschrift machen Literaturbesprechungen aus, die teilweise ins Deutsche übersetzt sind. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Soziologie enthält dieses Heft nicht. Das gleiche Bild zeigt sich beim Bulletin No. 32 vom 29.6.1914. Am Ende dieses Heftes (947–950) ist die Eingabe zur Soziologie als Lehrdisziplin dokumentiert (vgl. S. 238). Diese steht nicht im vorwiegend in französischer Sprache veröffentlichen Original des Bulletins. Nach der Besetzung von Teilen Belgiens durch das Deutsche Reich zu Beginn des Weltkriegs wird der Vertrag nicht mehr bedient. Schriftführer Beck schreibt Sombart am 7.9.1914: »Was den Vertrag mit dem Institut de Sociologie anlangt, so wird man sich mit Solvay freundschaftlich verständigen müssen, da [wir] bereits vor Ausbruch des Krieges zwei Hefte empfangen haben, so dass von Seiten Solvays der Vertrag jedenfalls zum Teil bereits erfüllt ist.«43 Zur »Korrespondenz der Neutralen« (S.  240): Ein nicht datiertes gedrucktes »Programm« der »Korrespondenz«  findet sich u.  a. in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig.44 Die »Korrespondenz« sollte zwei- bis dreimal wöchentlich in zehn Sprachen erscheinen. Sie »hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Presse des Auslandes … mit streng sachlichen Berichten über die tatsächlichen inneren Zustände Deutschlands während des Krieges … aufzuklären.« Dabei soll nicht »politisches und militärisches Material« präsentiert werden, man möchte sich »ausschliesslich der … Auslandsberichterstattung über Deutschland in wirtschaftlicher, sozialer, rechtlicher, ethischer und allgemein kultureller Hinsicht« widmen. Unparteilichkeit wird zugesichert und soll über einen international besetzten »Ausschuss  für objektive Presseberichte nach dem Ausland« sichergestellt werden (die Mitglieder werden im Programm namentlich genannt). Verantwortlich zeichnet  für das herausgebende »Deutsche Archiv der Weltliteratur e.  V.« der »Direktor: Dr. Hermann Beck«; er führt auch die Geschäfte der »Deutschen Gesellschaft für Soziologie« unter derselben Berliner Adresse. Das »Deutsche 43 44

Cb  54.61:1.1,3. Ähnlich in einem Rundschreiben an den Vorstand vom 12.9.1914 (Cb 54.61:1.1.5,79). Signatur ZB 20520/1929 – mit einer falschen Datierung nicht auf 1914, sondern 1929, die zu korrigieren durch den Editor angeregt wurde.

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Archiv« ist ein internationaler Zusammenschluss von Vereinen, die eine einheitliche bibliographische Erfassung der wissenschaftlichen Literatur, darunter auch der Sozialwissenschaften, anstrebt (vgl. Beck 1912). Damit ist das Archiv international gut vernetzt. Im Leipziger Bestand schließen sich an das »Programm« weitere acht hektographierte Blätter an (paginiert 2–9), sie sind nicht datiert, stammen vermutlich aus der ersten Ausgabe, etwa Oktober 1914. Thematisiert werden Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit zu Beginn des Krieges (2  f.), die Nahrungssicherheit ohne Einfuhren (3  f.)45, die Platzierung der ersten Kriegsanleihe von September 1914 (5 f.)46, der Zustand der deutschen Volkswirtschaft im Krieg (6 f.), schließlich »Aufzeichnungen eines Fliegeroffiziers« von der belgischen oder  französischen Front als Abdruck aus den Münchner Neuesten Nachrichten (7–9). Weitere Ausgaben der »Korrespondenz« sind in deutschen bibliographischen Auskunftsmitteln nicht nachgewiesen. In einem Rundbrief an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (Cb 54.61:1.1.5,80) wirbt Beck am 9.10.1914 für sein Projekt der »Korrespondenz« und schlägt vor, »dass unser Vorstand ein Rundschreiben an unsere Mitglieder erlässt und die Mitglieder auffordert, ihm etwaige Beziehungen zu Auslandsdeutschen und zu Angehörigen neutraler Auslandsstaaten zur Verfügung zu stellen.« Dabei sollten »mit den ersten Berichten persönliche Einführungsschreiben an die betreffenden Adressaten« gerichtet werden (S. 5). Weiter regt Beck an, einen Teil der Mittel der Gesellschaft »in den Dienst der Verbreitung der Wahrheit« zu stellen, denn die »Korrespondenz« sei auf private Zuwendungen angewiesen, sie habe »die Annahme amtlicher Gelder ausdrücklich abgelehnt« (S.  6). – So wird verfahren, der Entwurf eines entsprechenden Rundbriefs an die Mitglieder vom 31.10.1914 (Cb  54.61:1.2.04,07) geht zur Abstimmung an den Vorstand. Ein 45

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Um einen Eindruck der Argumentation in diesem Organ zu geben, hier ein Textauszug: »Berechnet man .. den Bedarf des Volkes am einfachsten nach Kalorien, so verbraucht ein einzelner pro Tag 2743, also das deutsche Volk im Jahre 68 Billionen Kalorien. Hiervon entfallen auf die gesamte Einfuhr 20,6%, auf die Einfuhr aus den feindlichen Staaten 9,1%. Nimmt man an, dass die Armee sich im Kriege im  feindlichen Lande selbst ernährt, so würde sich der Bedarf um 11% verringern – und dann wäre das Defizit bereits gedeckt.« (4). Auch hier ein Textauszug: »Ferner ist aber die Anleihe auch für den Privatmann und den kleinen Sparer eine vorteilhafte Kapitalanlage. Der Emissionskurs beträgt 97½%, die Verzinsung 5%, und es wird in Bankkreisen mit Sicherheit vermutet, dass der Kurs in Bälde auf etwa 105 steigen wird. Die tatsächliche Verzinsung beträgt also ca. 5⅓% und die Kursgewinnchance ca. 7%, das sind für gegenwärtige deutsche Verhältnisse bei einer Staatsanleihe ausserordentlich verlockende Bedingungen.« (5 f.).



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»Verzeichnis der bisher in der ›Korrespondenz der Neutralen‹ veröffentlichen Aufsätze« ist als nicht datierte »Anlage II« beigefügt.47 Das »Rundschreiben an die Mitglieder der Gesellschaft wird am 13.11.1914 versandt (Cb  54.61:1.2.04,08). Schon am 26.11.1914 berichtet Beck dem Vorstand in einem Rundschreiben (Cb 54.61:1.1.5,81), dass er aus der Deutschen Gesellschaft für Soziologie »über 400 grösstenteils wertvolle Auslands-Adressen« gewonnen habe. Er möchte Mittel der Gesellschaft für die Versandkosten einsetzen. Beck rechnet mit einem kurzen Engagement: »Nach viermonatlicher Versendung würde die Unternehmung immer erst noch ca. 1/3. des Vereinsvermögens beanspruchen, möglicherweise kann man den Versand aber schon früher einstellen; jedenfalls ist aber mit einer erheblich längeren Dauer kaum zu rechnen.« Die Erwähnung der »Korrespondenz der Neutralen« durch Tönnies hat ein Nachspiel. Robert Michels, der im Artikel nach dem Rücktritt Max Webers als »Rechner« für die DGS genannt wird (S. 238), befürchtet, dass er für diese Aktivität der DGS mit in Verantwortung genommen werden könnte. Über einen Einspruch informiert von Wiese Tönnies am 6.10.1921: »Eben erhalte ich von Herrn Prof. Michels, gegenwärtig in Paris, einen Brief, in dem er mich zunächst darauf aufmerksam macht, wegen der Notiz in Ihrem Artikel über die Korrespondenz der Neutralen auf Seite 44 hätte es ›böses Blut gesetzt und Sie hätten die Anknüpfung neuer Bande von neuem herausgeschoben‹. Er fährt dann fort: ›Aus dem gleichen Grunde muß ich Sie auch bitten, in die nächste Nummer Ihrer Zeitschrift beifolgende Berichtigung aufzunehmen. Ich lege nicht auf absoluten Wortlaut Wert und wäre unter Umständen Vorschlägen Ihrerseits zugänglich. Die Sache selbst aber muß umso mehr klar gestellt werden, als aus dem Tönnies’schen Artikel interpretiert werden kann, als sei ich der Kassierer der dummen und unwissenschaftlichen Kriegszeitung gewesen. Das fehlte gerade noch. Polemiken freilich wären zu vermeiden. Ich wüßte aber kaum, woher sie kommen könnten‹.« (Cb 54.61:2.1.22,13) Von Wiese beschwichtigt gegenüber Tönnies, zeigt aber Verständnis: »Ich muss gestehen, daß ich nicht angenommen hatte, daß Ihr rein sachliches Referat, das wir zur Orientierung der Leser sehr begrüßt haben, zu irgend welchen Weiterungen führen könnte. Ander47

Cb 54.61:1.2.13,01 und 01a. Als erste Einträge finden sich die schon erwähnten Artikel. Das Spektrum reicht von Kriegskrediten über die Nahrungsversorgung und Volkswirtschaftspolitik bis hin zu kulturellen Themen. Allein schon manche Überschriften machen es schwierig, sich vorzustellen, dass die von der Publikation angestrebte »neutrale« Berichterstattung in allen Fällen eingehalten wurde: Dies gilt z. B. für die Überschriften »Freundliche Bilder aus Feindesland«, »Der Selbstmord Belgiens«, »Die Wahrheit über Deutschland«.

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Editorischer Bericht

seits, wenn ich mich in Michels’ Lage versetze, kann ich mir vorstellen, daß ihm eine Ergänzung, die von seinem Standpunkte aus geschrieben ist, erwünscht sein muss.« Das zweite Heft der »Vierteljahrshefte« war für eine entsprechende Notiz nicht mehr zu erreichen. Von Wiese bittet nun Tönnies um Stellungnahme, »ob Sie etwas gegen die Michelssche Notiz als ganzes oder in Einzelheiten ihrer Fassung einzuwenden hätten. Ich möchte vorschlagen, mit Rücksicht auf die außerordentlich schwierige Situation, in der sich der wissenschaftliche Verkehr der europäischen Völker befindet …, wenn es irgend möglich ist, die Notiz hingehen und die Sache auf sich beruhen zu lassen. Wir müssen, meine ich, nichts so sehr fürchten, als daß der politische Zwist auf neue in unsere gemeinsame wissenschaftliche Arbeit gebracht wird. Doch bin ich selbstverständlich weit entfernt, Sie, Herr Geheimrat, beeinflussen zu wollen und sehe Ihrer Antwort mit Interesse entgegen.« – Einige Briefe gehen zwischen von Wiese und Michels und von Wiese und Tönnies hin und her, bis eine abgestimmte Formulierung gefunden ist.48 Sie allerdings lässt nicht mehr ahnen, worauf sie sich bezieht. Zur »Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens« (S.  240): Der Mitgliederversammlung am 6.3.1911 wird eine »Vorlage betr. den Ausschuss für die Erhebung über die Soziologie der Presse« präsentiert, nach der Prof. Gothein, Dr. Beck und Prof. Max Weber diesen Ausschuss zusammenrufen und die Erhebung organisieren sollen. Die vierseitige maschinenschriftliche Vorlage umfasst eine ganze Reihe von Namensvorschlägen  für den Ausschuss. Die geplante Erhebung ist mit 20.000 Mark ausgestattet (Cb 54.61:1.2.08,01). Weiter findet sich in den Akten eine »Disposition für die Bearbeitung einer soziologischen Untersuchung des Zeitungswesens (Entwurf von Professor Max Weber, Heidelberg.)«, maschinenschriftlich auf Durchschlagpapier (Cb  54.61:1,2,08,03), 6 Blätter, dann noch einmal ein nicht überschriebener Text, S.  8–11, mglw. Fortsetzung des vorherigen als  fester Durchschlag in schwarz (Cb 54.61:1,2,08,04). »Als Manuskript gedruckt« liegt ein siebenseitiger nicht datierter »Vorbericht über eine vorgeschlagene Erhebung über die Soziologie des Zeitungswesens« vor (Cb 54.61:1.2.08,02).49

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Vgl. ed. Fn. zu Z. 11 auf S. 238 sowie Briefe, die von Wiese an Tönnies richtet vom 4.11.1921 (Cb  54.61:2.1.22,14), am 21.11.1921 (ebd., Nr. 15) und am 27.11.1921 (ebd., Nr. 16). Kutsch (1988: 7) datiert diesen Vorbericht auf 1910, dort weiteres Material zu Webers Rolle in diesem Forschungsvorhaben.



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XXVII. Über Anlagen und Anpassung [243–258] Vor und nach der Jahrhundertwende wird in der europäischen Naturund Sozialwissenschaft intensiv diskutiert, welchen Einfluss Vererbung auf das soziale Geschehen und auf das Schicksal von Einzelmenschen hat. Tönnies markiert die Relevanz dieses Forschungsfeldes schon in der Vorrede zu »Gemeinschaft und Gesellschaft« dort, wo er die zentrale Bedeutung des Willensbegriffs für seine Theorie beansprucht. Die sehr dichten Sätze dort lauten: »In diesem Sinne lehre ich … die Einheit und Verschiedenheit von Gefallen, Gewohnheit und Gedächtniss als von elementaren Modificationen des Willens und geistiger Kraft, in Bezug auf alle mentale Production, und diese Ausführung soll auch auf das Problem des Ursprunges und der Geschichte menschlicher Erkenntniss sich erstrecken. Dies ist mithin nur eine Auslegung, theils im Spinozistischen und Schopenhauerischen Sinne, theils mit den Mitteln der diese Philosopheme erläuternden, wie auch durch dieselben verdeutlichten biologischen Descendenz-Theorie, eine Auslegung des Gedankens, mit welchem Kant die Hume’sche Darstellung wirklich überwunden hat.« (Vorrede von 1887, TG 2: 21 f.) Aber schon in der Vorrede zur zweiten Auflage (1912) – nun gibt er »Gemeinschaft und Gesellschaft« den neuen programmatischen Untertitel »Grundbegriffe der reinen Soziologie« – warnt Tönnies davor, zu rasch politische Schlussfolgerungen aus der Forschung zur Vererbung zu ziehen. Besonders warnt er vor einer »›organistischen‹ Auffassung«, wie er sie namentlich bei Albert Schäffle und Herbert Spencer sieht: »Beide aber sehen die Entwicklungen der Kultur im Lichte der Entwicklung des Lebens, also der Descendenztheorie, ziehen Folgerungen, die, so unwiderlegbar sie in ihren Elementen sein mögen, bald auf das glatte Eis der Mutmaßung zwischen Furcht und Hoffnung geraten.« (ebd., 45). Zwischen diesen beiden Äußerungen liegt Tönnies’ intensive Auseinandersetzung mit der Eugenik, die er anlässlich eines Preisausschreibens zur »naturwissenschaftlichen Gesellschaftslehre« im Jahr 1900 mit den Preisträgern führt. Die preisgekrönten Schriften kritisiert Tönnies zwischen 1905 und 1911 in sechs umfangreichen Besprechungsaufsätzen in »Schmollers Jahrbuch«. Dort warnt er vor allem davor, politische Schlussfolgerungen aus der in der eugenischen Literatur immer wieder beschworenen Erbverschlechterung in der modernen Gesellschaft zu ziehen: Weder seien diese Diagnosen schlüssig noch seien die wertenden Schlussfolgerungen und Forderungen einer eugenischen Reform der Gesellschaft wissenschaftlich zulässig. Mit einigen Kürzungen nimmt Tönnies diese Aufsätze in die »erste Sammlung« der »Soziologischen Studien und Kritiken« auf (vgl. TG 15:

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Editorischer Bericht

205–448 und den Editorischen Bericht ebd., 641 ff.). In denselben Themenkreis gehört Tönnies’ Auseinandersetzung mit Francis Galton von 1905, auch sie sind im ersten Band der Soziologischen Studien und Kritiken (ebd., 455–476) nachgedruckt. In die Zeit zwischen den beiden Auflagen von »Gemeinschaft und Gesellschaft« gehört auch die Auseinandersetzung über die Gründung einer sozialbiologischen Sektion in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in den Jahren vor dem Weltkrieg. Der Vorstand, namentlich Tönnies, verwehren sich im Namen der in der Gesellschaft beschlossenen Werturteilsfreiheit gegen eine Tendenz der Betreiber dieser Sektionsgründung, von der Forschung direkt zu Reformvorschlägen einer eugenischen Politik weiterzugehen (vgl. hierzu im Editorischen Bericht ebd., 642 ff.). Vgl. zu Tönnies’ Sicht der Bedeutung der Abstammungslehre für die Entwicklung der Wissenschaft auch die einleitenden Sätze in »Soziologische Bedeutung ökonomischer Theorien« (Nr. XXX, hier S. 276).

XXVIII. Soziologie und Rechtsphilosophie [259–261] Tönnies’ Leitsätze werden auf dem II. Kongress der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie (IVR) am 6.–9.6.1911 in Darmstadt vorgetragen. Tönnies ist Mitglied dieser Gesellschaft. Zum Thema »Verhältnis von Soziologie und Rechtsphilosophie, insbesondere die Förderung der Rechtsphilosophie durch die Soziologie« sind im Kongressbericht vor Tönnies’ Thesen zwei Referate abgedruckt. Josef Kohler, Rechtsprofessor aus Berlin, spricht über »Soziologie und Rechtsphilosophie«. Der Vortrag von Felix Somló, Rechtslehrer an der Universität Kolozsvár (Klausenburg), ist mit dem Titel der Vortragsreihe überschrieben, er wird von Tönnies verlesen, der Referent ist verhindert. Eine Diskussion ist im Kongressbericht in der Zeitschrift der IVR50 nicht dokumentiert. In der Sache geht es darum, ob Rechtsphilosophie als ein Teil der Soziologie anzusehen sei. Hintergrund solcher Debatten ist immer auch, welchen Gegenstandsbereich das um seine akademische Existenz ringende Fach Soziologie beanspruchen kann. Tönnies gibt seine Antwort in den Leitsätzen: »… insofern als die Rechtsphilosophie die Wirklichkeiten des Rechts begreifen will«, sei sie Teil der theoretischen Soziologie, 50

Bericht über den II. Kongress der I.V.R., Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie mit besonderer Berücksichtigung der Gesetzgebungsfragen. 4.1911. H. 4: 543 ff.



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wo es um »Normen des richtigen oder guten oder zweckmäßigen oder gerechten Rechtes« geht, liege sie außerhalb der Soziologie (S.  260).51 Die Positionen seiner Vorredner liegen nicht weit ab. Kohler erkennt grundsätzlich an, dass Recht ein Gegenstand der Soziologie sei, verteidigt die disziplinäre Grenze zwischen Rechtswissenschaft und Soziologie aber pragmatisch: »… so sehr das Recht mit den übrigen Kulturfaktoren im Zusammenhang steht, so sehr es eine Äusserung des sozialen Geistes der Menschheit ist, so sehr verlangt es doch sein eigenes Studium …« (560). Anknüpfend an seine konservative Lesart von Hegels »Grundlinien der Philosophie des Rechts« sieht Kohler als Aufgabe der Rechtsphilosophie, »die Kulturereignisse als Äusserungen der göttlichen Vernunft darzustellen und in der Geschichte die Bedeutung der Entwickelung zu erforschen.« Von Hegel setzt er sich ab mit der Überzeugung, dass »wo er an einen Endpunkt gelangt zu sein glaubte« die »Relativität aller Kulturerscheinungen aufzuweisen« sei (562). Dies widerspricht der von Tönnies angeregten Arbeitsteilung nicht. Kohler resümiert im Interesse der Integrität seines Faches: »Die Soziologie aber anstelle der Rechtsphilosophie zu setzen, ist eine Ungeheuerlichkeit, welche sowohl die Soziologie als auch die Rechtsphilosophie verkennt.« (563) Somló kommt zu ähnlichen Einsichten. Die Soziologie könne »der Rechtsphilosophie die Feststellung der Massstäbe des richtigen Rechtes nicht liefern« (567). Aber bei der Frage einer »Definition des Rechts« habe die Soziologie »einen vorher nie gekannten Reichtum sozialer Tatsachen« zusammengetragen und zu ordnen begonnen (566), was einen »vorher nie gekannten Überblick auf das Tatsächliche … auch auf dem engeren Gebiete der juristischen Erscheinungen« lieferte (567). Habe die Rechtsphilosophie einen Maßstab des richtigen Rechts gefunden, dann könne die Soziologie bei der Umsetzung helfen und angeben, »welches die entsprechenden Mittel zu seiner Verwirklichung sind«: »Das Verhältnis von Mittel und Zweck ist aber immer nur das umgekehrte Verhältnis von Ursache und Wirkung.« Die gewollten Ursachen soll die Soziologie aufsuchen, wo »die Rechtsphilosophie … zur Politik herabzusteigen bestrebt ist.« (567) Besonderen Wert legt Somló auf die Feststellung, dass es keinen überhistorischen Maßstab des Rechts gebe; die historische Schule habe »die historische und somit kulturelle Bedingtheit des Rechts in den Vordergrund« (569) gestellt, die »Unmöglichkeit des Naturrechts« sei eine soziologische Erkenntnis. Somló nennt die historische Rechtsschule, die diese Erkenntnis erbracht habe, eine »soziologische Schule«. Tönnies’ Leitsätze 5 und 6 kann man als eine weitgehend zustimmende Antwort 51

Vgl. hier auch den editorischen Bericht zum Text XXXII (S. 648).

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auf diese Überlegungen Somlós lesen. Gegen Somló ist es Tönnies dabei wichtig, den Begriff des Naturrechts als einen Maßstab oder ein Fundament des Rechts zu retten. Das Verhältnis von Soziologie und Rechtsphilosophie ist auch schon auf dem III. Internationalen Kongress für Philosophie in Heidelberg ein Thema, auch hier referiert Somló (1909; vgl. hier S. 626). Tönnies geht in seinem Diskussionsbeitrag zu diesem Referat nicht auf Somló und seine Charakterisierung der historischen Rechtsschule als Protosoziologie ein, sondern verteidigt gegen den Philosophen Adolf Lasson eine progressive Interpretation von Hegels Begriff des Naturrechts gegen die historische Schule: »Die historische Schule war eben wesentlich konservativ und reaktionär, die Hegelsche Philosophie war progressiv, rationalistisch und liberal. Was die beiden Richtungen verbindet, ist der Entwicklungsbegriff. […] Hegel konnte zwar auch konservativ ausgelegt werden, aber dem Geiste seiner Rechtsphilosophie ist die sozialistische Konsequenz angemessener, die auch in seiner Schule sich am meisten lebensfähig erwiesen hat. Getreuer  freilich reflektiert sich dieser Geist etwa in dem evolutionär-›staatssozialistischen‹ Gedanken Lassalles als im revolutionären Marxismus.« (Tönnies 1909e: 1060) Vor dem Kongress in Darmstadt hatte die IVR eine Umfrage veranstaltet, ob ein »deutsches Institut für Rechtsphilosophie und soziologische Forschung« eingerichtet werden soll und veröffentlicht die Antworten zusammen mit dem Kongressprotokoll 1911 in ihrer Zeitschrift52. Tönnies geht auf die Umfrage an anderer Stelle (S. 263) ein und stellt dort  fest, dass die »Frage … mit einer einzigen Ausnahme (Hans Delbrücks), in bejahendem Sinne beantwortet« wurde. »… für die meisten Antworten stand die Soziologie durchaus im Vordergrunde«.

XXXII. Gemeinschaft und Individuum [295–304] Der Text erscheint im Juliheft 1914 der »Tat«, wenige Monate vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Unter Friedensbedingungen erscheint danach noch ein Heft im August; das spätere Heft »September [1914]/ März[1915]« ist als »Erstes Kriegsheft« überschrieben und erscheint erst im März 1915. Nach dieser Pause erscheint »Die Tat« wieder regelmäßig.

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Kohler / Liszt / Berolzheimer 1911.



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Das Juliheft hat einen rechtswissenschaftlichen Schwerpunkt. Auf dem vorderen Innendeckel (nicht Teil der Paginierung) führt der Verleger in diesen Schwerpunkt ein: »Wohl keine andere deutsche Zeitschrift darf es wagen, ihren Lesern zuzumuten, sich ernsthaft mit der dem Laien noch so  fern liegenden Frage der Rechtsentwicklung zu beschäftigen. Aber die Tatsache, daß praktische Juristen aufstehen und sich zusammenschließen, um ein neues Recht zu erarbeiten, ist wichtiger als alle Zeitungsneuigkeiten von Albanien«. Das Heft »ist von zwei Führern der Freirechtsbewegung, Prof. G. Radbruch-Königsberg und Prof. M. Rumpf-Mannheim besorgt. Die neue Rechtsbewegung nahm vor wenigen Jahren von Jena aus ihren Anfang, von seinen Richtern und Professoren. ›Recht und Wirtschaft‹, ›Recht und Kultur‹ – das sind die Formeln, an denen sich ihre Anhänger erkennen. Sie will das Recht aus seiner selbstgenugsamen Vereinsamung reißen, es als ein Mittel im Dienste der Wirtschaft und mit ihr der Kultur begreifen und so mit den Kernfragen der Menschenseele und des Volkslebens wieder in Berührung bringen. Sie will den Richter lehren, sich zwar als Diener des Rechts, aber ebendeshalb auch als verantwortlichen schöpferischen Mitarbeiter am Wirtschafts, am Kulturleben seines Volkes zu fühlen. Die Kulturphilosophie des Rechts und die ›Freirechtliche-Bewegung‹ sollen in dieser Rechtssondernummer der ›Tat‹ durch den Mund namhafter Männer zu den weitesten Kreisen sprechen.« Unter dem Namen der Freirechtsbewegung sind Bestrebungen in der Rechtswissenschaft zusammengefasst, die eine Aufgabe der Rechtswissenschaft nicht nur in der Rechtsanwendung, sondern auch in der Rechtsgestaltung bis hin zur Rechtsschöpfung sehen.53 In der Terminologie Kantorowicz’ (1914: 345 f.) geht es um den Übergang von einem »formalistischen« zu einem »finalistischen« Verständnis der juristischen Aufgabe. Die Beiträge des Heftes der »Tat« variieren dieses Thema. Im Heft wird die Frage erörtert, auf welcher wissenschaftlichen oder ethischen Grundlage Rechtsgestaltung stattfinden könne und dürfe; auch wird von mehreren Autoren angesprochen, dass ein  fachlicher Austausch mit den Sozialwissenschaften, namentlich Nationalökonomie, Sozialpolitik und Soziologie, stattfinden müsse, um der rechtsgestaltenden Aufgabe gerecht zu werden. Die Titel der Aufsätze geben einen guten Eindruck ihres Inhalts. Nach einem literarischen Text (Anatole France mit einem Auszug aus 53

Vgl. zu diesem Themenkreis auch den hier unter der Nummer XXVIII dokumentierten Aufsatz (S. 259). Kantorowicz (1911: 285 ff.) gibt in seinem Vortrag auf dem ersten deutschen Soziologentag eine gute Zusammenfassung der Absichten und Hintergründe der Freirechtsbewegung. Vgl. Zu diesem Text auch weiter unten S. 652.

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einer Novelle unter dem Titel »Die untadeligen Richter«) eröffnet Gustav Radbruch mit »Über das Rechtsgefühl«, handelnd vor allem von den Dilemmata einer christlichen Ethik gegen das persönliche und interessengeleitete Rechtsgefühl. Hermann Kantorowicz bespricht »Die Epochen der Rechtswissenschaft« als eine Pendelbewegung zwischen Begriffsjurisprudenz und gestaltender Rechtswissenschaft. Ernst Wolff thematisiert »Freirechtsbewegung und Richteramt«. Hugo Sinzheimer zielt auf das freirechtliche Zentralthema in »Der Wille zur Rechtsgestaltung«. Ernst Fuchs schreibt über »Die Erneuerung der Juristenfakultäten«. Fritz Münch ordnet in »Rechtsformbewegung und Kulturphilosophie« die Rechtsentwicklung in die kulturphilosophische Diskussion der Zeit ein. Nach dem Aufsatz von Tönnies  folgt noch Max Rumpf mit »Vom Berufe unserer Zeit zur Gesetzgebung«, fragt, ob die Voraussetzungen ein Jahrhundert nach Savigny54 besser seien und kommt zu einem positiven Ergebnis. Auch wenn der Titel keinen direkten Bezug auf Fragen des Rechts erkennen lässt, passt Tönnies’ Artikel zum Generalthema, er  fasst es grundlegender an. Tönnies thematisiert das Verhältnis von einem Recht, das aus Sitte erwächst, und einem Recht, das vertragliche Verhältnisse abbildet und stützt. Er diskutiert dies an zwei Rechtsgebieten, einmal eher abstrakt und begrifflich, einmal mit konkretem zeitgenössischen Bezug. Als erstes thematisiert er die Ehe, auf der einen Seite als Vertragsverhältnis des bürgerlichen Rechts und auf der anderen als sittliche Verbindung zwischen zwei Menschen. Als zweites thematisiert er die Nation, für die aus Tönnies’ Sicht in der sozialen Situation am Übergang des 19. zum 20. Jahrhundert ein Zusammenhalt erst hergestellt werden muss: Nur sozialer Ausgleich, die Überwindung des Kapitalismus in der sozialpolitischen Reform macht Nation möglich. Verbindungen von Menschen (und eine davon ist in Tönnies’ Theorie auch die Nation) stellen sich aus der Perspektive der Tönniesschen Theorie durch gleichgestimmten Willen her, und der ist nicht voraussetzungsfrei. Ganz am Ende stellt Tönnies die Vision eines Zukunftsstaates vor, darin deutet er das Bild einer sozialen Ordnung an, wie sie geschaffen werden könnte und sollte. Dieses Bild ist mit einer soziologischen Geschichtsskepsis getränkt: Der Zukunftsstaat sei »die Folgerung einer dialektischen Konstruktion, so das Postulat des sittlichen Idealismus, der als Gestalter der Wirklichkeit einen zwar möglichen, und wenn wirklich werdend, höchst bedeutenden, aber auch einen sehr ungewissen und unter regulären Bedingungen unwahrscheinlichen Faktor darstellt.« 54

Vgl. den Titel der berühmten Studie Savignys (1814).



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Der Aufsatz entstand auf Einladung der Herausgeber des Themenheftes. Am 8.2.1914 wendet sich Gustav Radbruch an Tönnies: »Der Verleger Eugen Diederichs hat Herrn Prof. Rumpf in Mannheim und mich gebeten, ihm bei der Zusammenstellung einer Rechtsnummer seiner Zeitschrift ›Tat‹ behilflich zu sein. Wir haben jetzt das Programm, das ich nun diesen Zeilen beizufügen gestatte, entworfen und, wie Sie daraus ersehen, beschlossen, Sie um einen Aufsatz über ›Individuum und Gemeinschaft‹ zu bitten. Es erschiene uns wertvoll, wenn auch vor einem weiteren Leserkreis einmal auf die in Philosophie und Leben sich auffällig machenden Äußerungen einer Sehnsucht heraus aus der ›Gesellschaft‹ und hinein in eine neue ›Gemeinschaft‹ zusammenfassend hingewiesen würde. Ich bitte Sie  freundlich zu entschuldigen, daß ich ohne eine andere persönliche Beziehung als die eines mit den gleichen Problemen beschäftigten dankbaren Lesers Ihres Buches mich mit dieser Bitte an Sie wende, und gebe der Hoffnung Ausdruck, daß es keine Fehlbitte gewesen sein möge.« (Cb  54.56:631,02) Das Programm ist nicht erhalten. Tönnies sagt sofort zu, am 18.2. dankt Radbruch  für diese Zusage (Cb 54.56:631,03). Auf einer Postkarte mit Stempel vom 21.3.1914 folgt eine Vereinbarung zu Umfang des gewünschten Beitrags und zur Honorierung (Cb 54.56:631,04). Am 14.4.1914 schickt Tönnies das Manuskript an Max Rumpf. »… hiermit überreiche ich Ihnen das MS eines Artikels, den Herr Prof. Radbruch, zugleich in Ihrem Namen von mir gewünscht hatte. | Es wird hoffentlich nicht störend wirken, daß der größte Teil einer ungedruckten größeren Abhandlung entnommen ist, die seit lange in meinem Pulte ruht.«55 Am 3.5.1914 schreibt Radbruch an Tönnies: »Ich danke Ihnen herzlich für Ihren Aufsatz, der mir soeben durch Herrn Rumpfe zugeht. Ich habe ihn sofort gelesen, freue mich persönlich [über] weitgehende Übereinstimmung mit eigenen Gedanken und begrüße es sehr, daß wir ihn in der ›Tat‹ bringen können.« (Cb  54.56:631,05) Radbruch legt ein Exemplar seiner Schrift »Grundzüge der Rechtsphilosophie« (1914a) bei, was wiederum Tönnies veranlasst, am 17.5.1914 einen Dankesbrief56 zu schreiben. »Während ich noch  für die  freundliche Aufnahme meines kleinen Beitrages zur ›Rechtsnummer‹ zu danken habe, empfange 55

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Universitätsbibliothek Heidelberg, Nachlass Radbruch: Heid. Hs. 3716 / NL Radbruch, III Korrespondenz (Heid. Hs. 3716 III F 1249,2). Es ist unklar, um welches Werkmanuskript Tönnies’ es sich handelt. Auf das Thema Ehe und Familie kommt Tönnies häufiger zu sprechen, vgl. z. B. aus dem Jahr 1931 die Passagen in der »Einleitung in die Soziologie« (TG 21: 66 f.) mit einer sehr ähnlichen Argumentationsführung. Nachlass Radbruch: Heid. Hs. 3716 / NL Radbruch, III Korrespondenz (Heid. Hs. 3716 III F 1249,3).

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ich heute Ihre ›Grundzüge‹ und spreche Ihnen alsbald meinen lebhaften Dank dafür aus. | Ich erkenne schon, daß das Buch mir vieles bietet, und ich sehe, auch hier, daß das Denken über diese Probleme ein gutes Stück weiter gekommen ist, seit ich – um das Jahr 1878 – angefangen habe, mich mit ihnen zu beschäftigen. Der völlige Mangel an Verständniß, dem meine Schrift von 1887 (1. Aufl.) begegnete, hat mich leider entmutigt, in diesen Richtungen weiter zu gehen, so daß ich mich fast nur noch mit ebenso mühsamen, wie wenig dankbaren Einzelforschungen statistischer Art beschäftige.« Radbruch widmet sein Buch »Meinem Freund Hermann U. Kantorowicz« (Radbruch 1914a: [III]). Dies weckt bei Tönnies eine Erinnerung an den Soziologentag von 1910: Tönnies hatte die letzte Sitzung geleitet, auf der Hermann Kantorowicz zu »Rechtswissenschaft und Soziologie« referierte. Der Redner spielt in seinem Vortrag mit dem Gebot der Werturteilsfreiheit, das sich die DGS auferlegt hat, meint, sich dem entziehen zu können, indem er keine Werturteile über »das soziale Leben selbst«  formuliert, sondern lediglich zur erkenntnis- oder wissenschaftstheoretischen Frage, ob eine Rechtssoziologie für die juristische Erkenntnis hilfreich sei (Kantorowicz 1911: 278). »Wir dürfen also unsere seit vier Tagen mit Mühe gebändigten Werturteile heute austoben lassen, und dennoch wird, so hoffe ich, der Herr Vorsitzende keinen Anlaß haben, die methodologische Guillotine in Tätigkeit zu setzen.« (ebd., 278 f.) Kantorowicz plädiert vehement für die Ansätze der »freirechtlichen Bewegung«, die sich »unter mannigfachen Namen und Gestalten unaufhaltsam durchzusetzen scheint und der auch ich mich zuzähle« (ebd., 285). In die Diskussion des Vortrags greift Tönnies mehrmals und vehement ein und maßregelt Debattenredner wegen Verstößen gegen das Wertfreiheitsgebot (vgl. in Verhandlungen 1911: 312, 314, 318), teilweise sekundiert von Max Weber (vgl. ebd., 312 und 323 ff.), aber auch immer wieder von Diskussionsrednern aufgegriffen. Den Referenten Kantorowicz, der zur Geschäftsordnung spricht und vorschlägt, nicht in die Debatte einzugreifen, sondern Verstöße gegen das Neutralitätsgebot nachträglich zu rügen, ruft Tönnies mit dem Einwurf zur Ordnung: »Die Geschäftsführung in diesem Sinne behalte ich mir ausschließlich vor.« (ebd., 314). Diese Sitzung erinnert Tönnies im Brief vom 17.5.1914 an Radbruch: »Ihre Widmung erinnert mich in schmerzlicher Weise an eine Szene auf dem 1. Soziologentage in Frankfurt, der wenn ich richtig vermute, auch Sie beigewohnt haben. Ich hatte den Vorsitz übernehmen müssen, trotz eines Zustandes völliger Erschöpfung, der mich ungeheuer reizbar machte; so sehr, daß ich gedacht habe, ein zweites Mal werde ich eine



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solche Aufregung nicht überleben. Ich glaube auch heute, daß ich sachlich im Rechte gewesen bin, aber ich bin sonst wahrlich nicht gewohnt, mein Recht in leidenschaftlicher Weise zur Geltung zu bringen – meine Lebensstimmung ist zu sehr gedämpft. Von jener Stunde her schleppte ich im  folgenden Winter einen heftigen Katarrh, der im Februar 1911 in eine Rippenfell- und Lungenentzündung überging und mich an den Rand der schwarzen Gewissen[?] brachte.« Max Rumpf war zum Zeitpunkt der Planung für das Heft der »Tat« mit Tönnies’ Werk nicht vertraut: Am 29.9.1921 schreibt er Tönnies, dass er erst »kürzlich – leider erst jetzt! – Ihr vortreffliches Werk ›Gemeinschaft und Gesellschaft‹ durchgearbeitet« habe.57 Die Zeitschrift »Die Tat« wird heute vor allem als ein Organ der »konservativen Revolution« erinnert. Dieses Profil trifft auf die Stellung der Zeitschrift in der späten Weimarer Republik zu, nicht aber für die Anfangsjahre. Seit der Übernahme des ursprünglich neureligiös und sektiererisch-monistischen Blattes58 durch den Eugen Diederichs Verlag im Jahr 1912 richtet der Verleger die Zeitschrift auf ein breites kulturbürgerliches Publikum aus. Das Meinungsspektrum darf breit sein, es schließt deutsche Gestimmtheiten ein. »Die sozialaristokratische Position wurde durch die starke Präsenz der Soziologie als neuer und – in der Akzentuierung der ›Tat‹ – sozial engagierte Wissenschaft erheblich erweitert und kritisch reflektiert …«59. In einer Verlagsbroschüre beschreibt Diederichs 1912 das Programm der Zeitschrift so: »Die ›Tat‹ vertritt die innerliche Erneuerung Deutschlands aus den irrationalistischen Anlagen seines Volkstums und ist ein neuer Typus innerhalb der Zeitschriftenliteratur. […] Sie umfasst alles, was ernsthaft der Erneuerung des Lebens zustrebt. Nicht auf die Theorie kommt es an, auf kein Schulmeistertum, sondern auf den Versuch, das Experiment. Der Geist schafft das Leben. Kurz, die ›Tat‹ ist selbst ein Experiment, die schöpfe57

58 59

Cb 54.56:686,10a. Rumpf teilt Tönnies auch gleich seine Leseeindrücke mit: »Die Bodenständigkeit, das feste Wurzeln Ihrer Gemeinschaften in der Naturbasis scheint mir ganz besonders wertvoll. Freilich glaube ich, dass solcher Art ›Tatsachenzwang‹, wie ich es mal in meinem 08 erschienenen Büchlein ›Volk und Recht‹ genannt habe, auch innerhalb Ihrer Gesellschaft sich doch sehr geltend macht. In der Gesellschaft etabliert sich mir darum Ihre Willkür doch etwas zu luftig, scheint mir. Aber gegenüber Simmel und Spann finde ich nur bei Ihnen dies den Dingen ihre Festigkeit und Selbständigkeit lassen, worauf gerade für die Rechtssoziologie viel ankommt.«. »Volk und Recht« erschien o. J. mit einem auf September 1910 datierten Vorwort des Verfassers (Rumpf 1910). Vgl. Hanke / Hübinger 1996: 302. Hanke / Hübinger 1996: 304, vgl. auch Hübinger 1999: 27. 1910 findet der erste Soziologentag in Deutschland statt. Zum Engagement des Verlegers für Soziologie vgl. auch Heidler 1998: 355 ff.

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rischen Kräfte des Neuidealismus zu organisieren.« (zit. n. Hanke / Hübinger 1996: 299). 1911 verlegt Diederichs Arbeiterliteratur, namentlich das autobiographische Werk Franz Rehbeins »Das Leben eines Landarbeiters«. Zu seiner Verlagsstrategie schreibt er 1910 dem Sozialdemokraten Eduard Bernstein: »Ich beabsichtige nämlich, mit dem Verlag den Zug nach links auf politischem Gebiete mitzumachen …« (zit. n. Diederichs / Rüdel 1985: 345). Die Programmausrichtung umfasst auch eine Aufmerksamkeit  für neue wissenschaftliche Strömungen: »Diederichs erkennt sofort den sich um 1910 eröffnenden Markt für neue sozial- und verfassungsreformerische Literatur.«60 Mit Alfred Weber als Herausgeber legt Diederichs 1913 eine Buchreihe »Schriften zur Soziologie der Kultur« auf.61 Der Tönnies sehr nahestehende Franz Staudinger veröffentlicht als ersten Band dieser Reihe 1913 eine Schrift, die schon im Titel eine große Nähe zu Tönnies’ Theorie zeigt: »Individuum und Gemeinschaft in der Kulturorganisation des Vereins«. Nach drei Bänden wird die Buchreihe zu Beginn des Weltkriegs eingestellt. Im Weltkrieg steht auf dem Briefbogen der »Tat« dieser Programmtext: »DIE TAT (Monatsschrift für die Zukunft deutscher Kultur) ist grundsätzlich jeder Meinung offen, die zur Klarlegung unserer heutigen Kulturaufgaben positiv beiträgt. Deutsch denken heißt jedem die Entfaltung seines Wesens aus seinen inneren Kräften und Anlagen heraus zugestehen. In diesem Sinne umfaßt die Tat alles, was auf die Erneuerung unseres volklichen Lebens zustrebt. Ihre besonderen Arbeitsgebiete sind: Undogmatische Religion, Soziale Umgestaltung des Lebens, Erziehungs- und Volksbildungsfragen, Neugestaltungen in Literatur und Kunst, Vertiefung des Volkstumsempfindens, Aufbau eines Volksstaates, Entwicklung des Nationalgefühls zum Menschheitsdienst.«62 Tönnies’ hier veröffentlichter Text kann als Dokument zur soziologischen Orientierung der »Tat« eingeordnet werden. Dass die »Tat« später, in den ersten Kriegsjahren, Positionen vertritt, die auf annexionistische Kriegsziele verzichten und Autoren Raum gibt, die die Kriegswirtschaft als eine Chance sehen, den Kapitalismus durch eine staatssozialistische Gemeinwirtschaft zu ersetzen (vgl. Hanke / Hübinger 1996: 309 f.), mag die Zeitschrift Tönnies durchaus sympathisch gemacht haben. Aber es kommt zu keinen weiteren Beiträgen Tönnies’ in der Zeitschrift.

60 61 62

Hübinger 1999: 27. Im hinteren inneren Buchdeckel des Heftes von Juli 1914 findet sich eine fast seitenlange Anzeige der Reihe. Entnommen dem Brief Diederichs an Tönnies am 12.5.1917, masch.schr., auf Bogen der »Tat« (Cb 54.56:245,04).



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Im Nachlass Tönnies’ sind Briefe von Diederichs an ihn erhalten, sie betreffen allerdings nicht den hier dokumentierten Text. Schon 1907 wendet sich Diederichs an Tönnies, sendet ihm noch vor dem Veröffentlichungstermin den Kulturalmanach »Jena und Weimar«63 zu und setzt auf Tönnies’ Mitarbeit in einem geplanten Zeitschriftenprojekt: Er wolle versuchen, »ein Kulturjahrbuch zu schaffen, bei dem ich dann auch mit auf Jhre Mitarbeit rechne. Vielleicht ist es doch möglich, der Verflachung, die von der Grossstadt ausgeht, eine Spitze zu bieten«.64 1908 bietet Tönnies dem Verlag die Edition eines englischen Textes zum englischen König Karl II an, was Diederichs aus wirtschaftlichen Gründen und auch, weil es nicht recht ins Verlagsprogramm passt, ablehnt. Er empfiehlt den Curtius-Verlag, wo das Buch (Halifax 1910) auch erscheint.65 Erhalten ist weiter eine Einladung Diederichs zur von der »Tat« organisierten Tagung auf der Burg Lauenstein Pfingsten 1917.66 Thema ist wiederum die Nachkriegsordnung unter dem Titel »Sinn und Aufgabe unserer Zeit«. Tönnies nimmt an der Tagung teil. Max Weber ist anwesend und vertritt energisch parlamentarisch-liberale Positionen. Spätere Briefe betreffen die Zeit nach dem Krieg und sind hier nicht relevant.

XXXIV. Die historisch-geographischen Richtungen der Neuzeit [323–336] Bis auf die letzten beiden Absätze ist der Text 1910, vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, entstanden. Tönnies versucht einen universellen Blick auf historische Welttendenzen, die zur europäischen Moderne und planetaren Dominanz Europas führen. In den Schlussabsätzen deutet Tönnies über die Epoche europäischer Dominanz hinaus, prognostiziert mit 63

64 65 66

O. V. 1908. Aus der Selbstdarstellung des Verlags auf der letzten Seite [176]: »Der moderne Mensch hat nicht das Verlangen nach vielem theoretischen Wissen, sondern nach fruchtbarem Wissen und schöpferischem Wirken, nach künstlerischer Anschauung, eigener Religion und eigener Lebensgestaltung.« Diederichs an Tönnies am 29.10.1907, masch.schr., auf Verlagsbogen (Cb 54.56:245, 02). Diederichs an Tönnies am 30.12.1908, masch.schr., auf Verlagsbogen (Cb 54.56:245, 03). Diederichs an Tönnies am 12.5.1917, masch.schr., auf Bogen der »Tat« (Cb 54.56:245, 04) – Wahrscheinlich handelt es sich um eine Durchschrift einer Standardeinladung, vgl. die Anrede »Sehr geehrter Herr!«. Vgl. zum Anlass und zum Kontext Hanke / Hübinger 1996: 312 f. sowie Hübinger 1996, zu Tönnies’ Rolle Wierzock 2017.

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einem sehr weiten zeitlichen Horizont eine Machtverschiebung hin zu den asiatischen Zivilisationen. Ohne dass dies aus dem hier publizierten Text allein schon deutlich wird: Der Text gehört zu dem Werksegment Tönnies’, mit dem er beansprucht, in einer soziologischen Universalgeschichte eine große zyklische Bewegung der Zivilisationen von »gemeinschaftlichen« Anfängen bis zu einem »gesellschaftlichen« Ende identifiziert zu haben. Die seine Vorstellungen zusammenfassende Schrift hierzu erscheint erst 1935 mit dem »Geist der Neuzeit«, ist aber als ein Thema seit »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1887) präsent, greifbar im Untertitel der ersten Auflage »Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen«. Man vergleiche hier auch Tönnies’ 1922 in der Vorrede zur vierten und  fünften Auflage von »Gemeinschaft und Gesellschaft«  formulierte Abgrenzung seiner universalgeschichtlichen Überlegungen von dem rasch populär gewordenen Buch »Untergang des Abendlandes« von 1918. Spenglers universalgeschichtlichem Entwurf gegenüber betont er die Priorität seiner eigenen Gedankenführung und er beklagt die Popularität des Bildes vom »Untergang« des Abendlandes (TG 2: 82 f.). In den Themenkreis gehört schon eine briefliche Äußerung Tönnies’ an den dänischen Philosophen Harald Höffding von 29.6.1899, in der er anlässlich einer Zweitveröffentlichung von Höffdings Kritik an »Gemeinschaft und Gesellschaft« (Høffding 1899) sein Bild großer historischer Kulturzyklen so zusammenfasst: »Ich möchte noch bemerken, dass mir im̅ er das Hinscheiden der antiken Kultur im römischen Reiche vorschwebt und das grosse Vermächtniss das sie dem Germanismus hinterliess. Ich meine: wir müssen unser Haus bestellen und der Kultur, die nach uns kom̅ en wird, ein so sehr als möglich gut erhaltenes Erbe hinterlassen. Wann, wo und wie diese kom̅ en wird, weiss ich nicht. Aber ich denke mir allerdings, dass ein Niedergang, der noch etwa 500 Jahre dauern möchte, vorausgehen wird, und dass sie – auf Grund des fortschreitenden modernen Processes – den ganzen Erdball umfassen wird.«67 Der von Tönnies am Ende zitierte Zeithorizont von 2.000 Jahren allerdings bleibt auch hier ohne Referenz.

67

THB: 68. Vgl. zur Diskussion von »Gemeinschaft und Gesellschaft« zwischen Höffding und Tönnies den Editorischen Bericht in TG 2: 620 ff.



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XXXVI. Das Versicherungswesen in soziologischer Betrachtung [345–371] Der Text ist ein bemerkenswertes Dokument dafür, wie Tönnies die Begriffe seiner »reinen Soziologie« auf soziale Zusammenhänge anwendet. Gleichzeitig ist der Text Werbung  für das Fach Soziologie und dafür, dass es den Horizont gegenüber der herkömmlichen, wirtschaftswissenschaftlich und juristisch geprägten Diskussion des Versicherungswesens weitet. In Tönnies’ Perspektive ist die Versicherung als privates Unternehmen nur eine späte Form sozialer Sicherung, die von Vorkehrungen in vorkapitalistischen Sozialformen (in Tönnies’ Terminologie Gemeinschaften) über genossenschaftliche Formen der Sicherungssysteme auf Gegenseitigkeit bis zur privatwirtschaftlichen Form reicht. Privatwirtschaftliche Versicherung beantwortet Risiken des Geschäftslebens, namentlich des Fernhandels. Sicherungssysteme  für Individuen und Familien verweisen oft auf die lange Tradition des gemeinschaftlichen Arrangements. Besonderen Wert legt Tönnies auf die Systeme sozialer Sicherung, die in seiner Sicht den Übergang zu nachkapitalistischen Formen des Wirtschaftens darstellen. Tönnies resümiert seine Überlegungen darin, dass man die Entwicklung des Versicherungswesens als »ein lebendiges Spiegelbild der gesamten sozialen Entwicklung und ihrer Hauptkräfte« (S. 371) begreifen kann. In einem Notizbuch Tönnies’68 finden sich Passagen aus dem Text vorformuliert, teilweise fast wörtlich, aber nicht in der Reihenfolge, in der sie in der Veröffentlichung erscheinen. Auf den nicht datierten Seiten69 stehen Teile der §§ 18, 19, dann 10 und 9. Es folgen Teile der §§ 13, 14 und 15, dann der §§ 21, 22 und 23. Der Schlussparagraph 24 ist von dieser Vorlage aus am deutlichsten erweitert und überarbeitet. Im Notizbuch fehlen die meisten Verweise auf andere wissenschaftliche Literatur und auf Parlamentspapiere. Die Bedeutung von Tönnies’ Arbeit wird in einer zeitgenössischen Schrift wie folgt eingeordnet: »Was außer den Arbeiten von Rohrbeck und Tönnies an Versuchen über den durch diese Arbeiten berührten Ge-

68 69

Cb  54.41:103, Bl.  3r–10l. Hiervor stehen auf den Bl.  2r–3l stichwortartige Notizen unter der Überschrift »Versicherung – soziologisch –«. Auf der ersten Seite des Notizbuches steht – wahrscheinlich von Tönnies’ Hand – in rot »Oe[ffentliche] M[einung] 1918«. Die Textpassagen hier müssen früher entstanden sein, denn der Aufsatz erscheint 1917 in Druck.

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genstand vorliegt, bietet nur eine lose oder unbestimmte Verknüpfung von Soziologie und Versicherungswissenschaft.«70

XXXVIII. Die große Menge und das Volk [385–414] Für den Vertreter einer soziologischen Theorie, die das soziale Geschehen vom Ausgangspunkt des Willens und Handelns der Individuen darstellen möchte, ist die Soziologie des »Haufens« oder der »Menge« eine Provokation. Die Annahme in dieser Diskussion ist meist, dass »Masse« für sich existiert und handelt und eben nicht als eine Verbindung von Individuen. Tönnies setzt solchen Vorstellungen Beobachtungen und Ableitungen entgegen, in denen unterschiedliche Formen und Anlässe für Zusammenkünfte und  für die Äußerung kollektiven Willens systematisch aufgesucht werden. Tönnies stellt sich mit diesem Text gegen die weitverbreitete Faszination von und Angst vor der »Masse« bei seinen Zeitgenossen. Er nimmt das Thema in seiner »Kritik der öffentlichen Meinung« unter dem Titel »Gemeinsame Meinungen« (TG 14: 44 ff.) breit auf, verweist dabei (ebd., 46) auf den hier dokumentieren Text. Die Auseinandersetzung mit »gemeinsamen Meinungen« gibt Tönnies auch Gelegenheit, im hier vorliegenden Aufsatz den Begriff des »Volkes« und den der »Nation« soziologisch zu schärfen. Am Ende seines Textes geht es Tönnies um Verbindungen, wie sie im demokratischen Staat entstehen und ihn konstituieren.

XXXIX. Zur Soziologie des demokratischen Staates [415– 474] Den umfassenden Aufsatz zur Theorie der Demokratie schließt Tönnies in der zweiten Jahreshälfte 1923 ab.71 Nach einer kurzen Orientierung in der klassischen Diskussion ist die Demokratieforschung in der Moderne sein Gegenstand; Tönnies wählt ein Vorgehen entlang seiner Li-

70 71

Moeller 1925. Mit Rohrbeck (1910 und 1919) setzt sich Tönnies in seinem Text auseinander. Diese Datierung nach einem Verweis auf einen Artikel in der US-amerikanischen Zeitschrift »Nation« vom 20.6.1923 (S. 455).



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teraturquellen, der Text bekommt so fast die Form eines Besprechungsaufsatzes. Zwei Kontrastpaare spielen eine durchgehende Rolle, die die Diskussion der Zeit prägen und auch in späteren Arbeiten Tönnies’ zum Thema Demokratie Bedeutung behalten. Das eine ist der Unterschied von Demokratie und Liberalismus, sowohl in der Theorie als auch in der politischen und rechtlichen Praxis. Tönnies vertieft dies in einem Aufsatz zu »Demokratie und Parlamentarismus« (Tönnies 1927a), in dem er auch die Auseinandersetzung mit Carl Schmitt und Hans Kelsen fortführt. Damit in Verbindung steht das Verhältnis von »bürgerlicher Demokratie« (S. 423) zur sozialen Demokratie, in der Tönnies ein demokratisches Regime unter wirtschaftlichen Verhältnissen diskutiert, in denen die »soziale Frage« gelöst ist. Die Auseinandersetzung mit Tönnies’ Überlegungen zur Demokratie ist nicht vollständig ohne auf seinen Vortrag auf dem Soziologentag in Wien im September 1926 (Tönnies 1927b) Bezug zu nehmen. »Demokratie« war das Thema der plenaren Sitzung. An einer eher beiläufig formulierten Fußnote im Text entzündet sich eine Kontroverse mit Arthur Twining Hadley (S. 459, Fn. und 584), die briefliche Spuren hinterlassen hat und zu der Tönnies eine Nachbetrachtung veröffentlicht. Hadley und Tönnies kannten sich aus gemeinsamen Studientagen in Berlin, beide besuchten im Wintersemester 1878/79 Adolph Wagners Seminar in Berlin.72 In Reaktion auf die Kritik an einer Formulierung schreibt Hadley Tönnies am 15.11.1923: »Your citations in the foot-note on page 575 are largely based on mistranslating a misquotation of what I actually said. If you will compare what I actually said in the sentence just above the middle of page 2773 with your translation of it, you will see that I speak of the educational systems of Germany in the plural, and that the 72

73

Vgl. Carstens (2013: 74) für Tönnies‹ Studium bei Wagner und den Eröffnungssatz von Hadleys Brief vom 15.11.1913: »It is a great pleasure to hear from you and to be reminded of the old days in Wagner’s Seminar.« (Cb 54.56:312,02) Im Zusammenhang: »The Hohenzollerns failed in their plans of conquest from the same defect which has so often caused the plans of monarchs in earlier ages to miscarry – a lack of understanding of the character and feelings of their neighbours.« (Hadley 1923: 26) »As a result of this blindness Germany made a succession of mistakes which united against her a group of nations strong enough to overcome whatever initial advantage she had won by her preparations  for war and her unscrupulousness in using them. But the contest was so close, and the peril to which the Allies were exposed was so grave, that we may well pause to consider whether the educational systems of our great modern republics have been up to the standard of present-day requirements – whether they are as good for our purposes as were those of Germany for her purposes.” (ebd., 27)

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suggestion of a ›gemeinsames Unterrichtssystem[‹], which you so fiercely criticise, is yours, not mine. Possibly you may have been misled by the use of the phrase ›Educational system‹ in the second and third lines of the previous page. But a correct translation of the sentence in which this phrase stands, would have saved you from the possibility of any such error. ›church of northern Germany‹ with a small ›c‹ and a small ›n‹, means ›Pfaffenstand des nördlichen Deutschlands‹. It cannot possibly mean ›Kirche von Norddeutschland‹; for an adjective which forms part of a proper term is always spelt with a capital in English, and so is ›Church‹ when it is personified as the astablished [established] Church. In a context like this, ›system‹ means simply ›a connected whole‹, and did not and could not mean ›an organized governmental agency‹. These points may perhaps seem rather trivial; but the sum total of them all, coupled with intention of adjectives like ›böse‹, which I did not use, and did not have in mind (I was thinking of the adaptation of the German School Systems to the needs of a monarchic confederacy), gives an impression of ignorance and prejudice which tends to interfere with the growth of good understanding. It is too soon after the war to expect agreement on some of the fundamental question at issue; but for that very reason we need to be doubly careful to avoid unnecessary misunderstandings or stumbling-blocks. It is because of my anxiety on this point that I have gone into this matter at such length. Please do not feel as if what I have just said indicated any want of appreciation of the real courtesy of which your review is so full. I thank you from the bottom of my heart; and I trust that we may both have many years before us in which we can work together for the clearing up of problems of government in which we have so large a common interest.« (Cb 54.56:312,02: S. 2–5). – Tönnies setzt sich mit diesem Brief am Ende einer Besprechung »Neuere[r] soziologische[r] Literatur« (1924d) auseinander. Die Ungenauigkeit seiner Übersetzung räumt er ein, übersetzt nun: »›Die Schulen, das Heer und das kirchliche Wesen des nördlichen Deutschlands (was heute in unserer Sprache keine von ›Norddeutschland‹ verschiedene Bedeutung hat) werden behandelt als zusammenhängende (coordinated) Teile eines Unterrichtssystems, das die Tugenden des Untertans in ebenso folgerichtiger Weise lehrte, wie Athen jemals versuchte, diejenigen des freien Mannes zu lehren.‹« (Tönnies 1924d: 272) Tönnies kommentiert nun: »Auch so, in dem einen Punkte richtiger übersetzt, kann ich den Satz selber nicht als richtig einräumen; wohl aber gebe ich zu, daß der darin enthaltene Irrtum leicht erklärlich ist und von mir in minder scharfer Weise hätte berichtigt werden müssen.« (ebd.) Die letzten, versöhnlichen Sätze des Briefes veröffentlicht Tönnies teils in deutscher Übersetzung,



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teils wörtlich. – Den zitierten Text schickt Tönnies mit einigen anderen Sonderdrucken wiederum Hadley; dieses Schreiben ist nicht überliefert. Hadley reagiert am 8.8.1924: »I am particularly grateful to you for what you say on pages 271–3 of the Weltwirtschaftliches Archiv. It clears up the misunderstanding completely – and I may add, most generously. You are probably right in thinking that das kirchliche Wesen was the proper German equivalent for ›church‹ in the passage in question. I thank you particularly for accepting without reserve my statement that the idea of ›böse Zwecke‹ was far from my thoughts – that I was simply thinking of the general idea and purpose of the State as conceived in Germany. With these misunderstandings out of the way, the differences which remain between us are simply differences of viewpoint. Such as will help discussion rather than hinder it.« (Cb 54.56:312,03, S. 1 f.)

XL. Kulturbedeutung der Religionen [475–508] Tönnies schlägt einen weiten Bogen. Am Anfang des Aufsatzes steht die Auseinandersetzung mit den Islamstudien Carl Heinrich Beckers, von dort gelangt Tönnies zur Frage der Bedeutung von Religion als Förderer oder Hindernis wirtschaftlicher Entwicklung, namentlich der Entwicklung zu Handel und Kapitalismus. In diesem Zusammenhang steht eine ausführliche Auseinandersetzung mit Max Weber und seiner These über den Zusammenhang von Protestantismus und Kapitalismus. Die Frage, wie Religion und wirtschaftliche Entwicklung zusammenhängen, beantwortet Tönnies anders als Weber. Es schwingt immer das Motiv mit, sich mit Religion und Gemeinschaft bzw. mit Religion und Gesellschaft insgesamt auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung mit Religion und Glaubenssystemen scheint durch das Werk Tönnies’ immer wieder auf. Damit verbunden ist die weitergehende Frage, wie soziale Integration in »Gesellschaft« ohne den Kitt der Religion gelingen kann, der in »Gemeinschaft« eine unhinterfragte Stütze ist. Mit Carl Heinrich Becker hält Tönnies vielerlei Kontakte. Beckers Nachlass im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz74 enthält dessen Briefe im Durchschlag und Briefe Tönnies’. Im Aufsatz bezieht Tönnies sich auf Beckers Arbeiten als Orientalist. Becker ist ab 1908 Professor für Orientalistik, zunächst in Hamburg, ab 1913 in Bonn und ab 74

GStA PK VI. HA Nl Carl Heinrich Becker Nr. 3255.

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1916 in Berlin. In der Islamforschung verfolgt Becker auch soziologische Fragen. Becker gilt als Erneuerer der Orientwissenschaft. Im Jahr 1916 beginnt Becker neben dem Lehramt im Preußischen Kultusministerium zu arbeiten, zunächst als Referent für Auslandsstudien. Nach Kriegsende wirkt Becker, der parteilos bleibt, zunächst als Unterstaatssekretär, dann kurzzeitig 1921 als Kultusminister, weiter als Staatssekretär, schließlich von 1925 bis zu seinem Rücktritt 1930 wiederum als Kultusminister unter Ministerpräsident Otto Braun. Er entwickelt in dieser Zeit einen maßgeblichen Einfluss auf die Hochschulpolitik Preußens und er ist Förderer der Soziologie als Universitätsfach. Auch hier ergeben sich Kontakte zwischen Tönnies als dem Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und dem preußischen Hochschulpolitiker und Minister.75 Am 9.7.1924 schreibt Becker einen eineinhalbseitigen Brief76 und dankt für die Zusendung der Erstfassung des hier gedruckten Aufsatzes: »Es ist mir besonders wertvoll, dass ein Mann wie Sie meine Arbeit in einen so grossen Rahmen gestellt hat. Leider ist die Zahl derer, die wie Troeltsch, Max Weber und Sie über die Grenzen des eigenen Faches hinausschauen, ausserordentlich gering bei uns in Deutschland. Umso dankbarer bin ich, dass Sie sich der Mühe unterzogen haben. Mir ist es ganz unschätzbar, wenn meine auf engem Gebiet unternommenen Versuche auch einmal den Vertretern anderer Disziplinen vorgeführt werden.« Becker geht auch auf Tönnies’ Kritik ein: »Sie haben übrigens richtig bemerkt, dass natürlich einzelne Unstimmigkeiten in meinem Buche vorliegen, da sich natürlich im Laufe der Jahre das Bild, das ich von der Entwicklung der Dinge mir schuf, leise wandelte oder doch wenigstens nuancierte.« Becker kündigt für das Schlusswort des zweiten Bandes, dessen Erscheinen im Oktober 1924 geplant sei, ein Eingehen auf solche Wandlungen an. Jener zweite Band erscheint allerdings erst 1932. »Dem 1924 erschienen ersten Bande meiner Islamstudien folgt – leider erst nach fast achtjähriger Pause – der zweite Band, der zum größten Teile seit Jahren im Satz stand. Der geeignete Zeitpunkt zum Abschluß verschob sich aber aus sachlichen und persönlichen Gründen immer wieder, und schließlich lief das inzwischen neu hinzugekommene Material so auf, daß es den Umfang einer Schlußbetrachtung sprengte. Unter diesen Umständen entschloß ich mich, dem zweiten Band nur eine kurze Skizze, die bis zur Gegenwart führt, bei75

76

Am 14.4.1925 und am 26.4.1926 (vgl. ebd.) bittet Tönnies den Minister um Unterredungen. Ein Thema ist im ersten Schreiben nicht genannt, im zweiten bittet Tönnies um den Termin, um »in 1–2 wissenschaftlichen Angelegenheiten Ihre Zeit eine kurze Weile in Anspruch zu nehmen.« Es ist davon auszugehen, dass die Kontakte zwischen Becker und Tönnies weiter gehen als das, was in den wenigen überlieferten Briefen dokumentiert ist. Durchschlag des masch.schr. Briefes ebd.



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zugeben …« (Becker 1932: [V]). Die brieflich angekündigten Äußerungen sind in diesem Band nicht enthalten.

XLI. Tröltsch und die Philosophie der Geschichte [509–566] Ernst Troeltsch arbeitet von einer gänzlich anderen Ausgangslage als Tönnies an einem Thema, das auch Tönnies lebenslang tief beschäftigt: Lässt sich auf wissenschaftlicher Basis eine Aussage über den Verlauf von Geschichte insgesamt machen? Tönnies tendiert dazu, solche Aussagen für möglich zu halten, das zeigt sein Œuvre von »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1887) bis hin zum letzten Werk »Geist der Neuzeit« (1935). Der Anspruch, Aussagen über den Verlauf der Geschichte insgesamt machen zu können, tritt deutlich hervor in der Vorrede zur vierten und  fünften Auflage von »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1922a), wo Tönnies sich von Oswald Spenglers »Untergang des Abendlandes« (1918) absetzt. Er beansprucht gleichzeitig »eine gewisse Priorität meines Gedankens« (TG 2: 82 Fn.), wie er auch diesen schnell populär gewordenen geschichtsphilosophischen Entwurf ablehnt: Leser dieses Buchs ließen sich »von Erwägungen und Bedenken«, die Tönnies selbst in seinem geschichtsphilosophischen Entwurf leiteten, »kaum etwas träumen«. Solche »Erwägungen und Bedenken«, die sich in »Gemeinschaft und Gesellschaft« wie auch in seiner wissenschaftlichen und publizistischen Arbeit danach fänden, formuliert Tönnies so: »Ich habe .. ein Menschenalter hindurch, vielfach dargetan – zu meinem äußeren Schaden –, daß ich ernsthafte, tiefgehende, ethische und soziale Reformen unserer gesellschaftlichen Zustände, keineswegs als vergebliche Bemühungen verwerfe oder gar verspotte, vielmehr solche zu fördern immer gesonnen war. Ich lehne auch durchaus nicht die wahren Tatsachen des Fortschritts, der Aufklärung, der freiheitlichen Entwicklung und Zivilisation, als ob sie wertlos wären, ab: niemals ist meine Meinung die der Romantiker gewesen, denen das Vergangene im Lichte der Poesie verklärt entgegenschimmert; ich verstehe und würdige diese Phantasien so gut, wie ich auch den Stolz verstehe und würdige, daß wir es so herrlich weit gebracht haben: der Gedanke, daß die von Christentum und Antike genährte, überwiegend nordeuropäische ›Kultur‹ in ihrer glänzenden jüngeren Gestalt (der ›Zivilisation‹) umso rascher und vollständiger sich erschöpfen wird, je weniger sie auf ihre sozialen Grundlagen, die der Gemeinschaft, sich zurückzubesinnen vermag; je mehr sie in eine reine Gesellschaft übergeht, die der staatlichen zentralen Regulierung nicht entraten kann, ohne daß diese

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doch ihr Wesen wirklich zu verändern im Stande wäre – dieser Gedanke hatte, als ich das Buch verfaßte, als Ergebnis meines Studiums, aber mit intuitiver Kraft, sich meiner Seele bemächtigt; und alles Forschen und Denken, dessen ich in den folgenden 35 Jahren fähig gewesen bin, ist nur, ihn zu befestigen und zu vertiefen geeignet gewesen.« (ebd., 80 ff.). Wenig später wird Tönnies in einem autobiographischen Text noch deutlicher: »So ist es denn kein Wunder, daß ein Gedanke, dem vor 30 bis 40 Jahren ein mitleidiges Lächeln zuteil wurde, heute als ›Untergang des Abendlandes‹ bewundert und gepriesen, zur Tagesmode geworden ist.« (Tönnies 1924: 238). Ist Spengler kein wissenschaftlich ernstzunehmender Diskurspartner, auch wenn Tönnies ihn nirgends explizit kritisiert, so ist dies Troeltsch, obwohl dieser in einem gänzlich anderen wissenschaftlichen Bezugsfeld arbeitet und argumentiert als Tönnies. Troeltsch ist evangelischer Theologe und Religionshistoriker, beansprucht eine eigenständige Entwicklung von Geist und geistiger Entwicklung und steht so in einer dem Monismus Tönnies’ entgegengesetzten Tradition. Gleichzeitig zeichnet es Troeltschs Werk aus, dass er sich mit den neueren Strömungen einer sich naturwissenschaftlich verstehenden Sozialwissenschaft auseinandersetzt. Das von Tönnies in seinem langen Besprechungsaufsatz behandelte Werk Troeltschs »Der Historismus und seine Probleme« (1922) berührt den Kern des Themas und der Differenz mit Tönnies. Sehr deutlich zeigt sich hier wie auch sonst überall, wo er sich mit Troeltsch auseinandersetzt, die große Wertschätzung, die Tönnies dem Theologen entgegenbringt. Troeltsch ist als Religionssoziologe im entstehenden Fach anerkannt. Er ist einer von acht Vortragenden auf dem ersten deutschen Soziologentag 1910 (Troeltsch 1911) und sein Vortrag zum Naturrecht skizziert einen Ansatz, nach dem aus geistigen Entwicklungen heraus »Kirche«, »Sekte« und »Mystik« in ihren Bezügen auf die Bearbeitung der Differenz zwischen idealem Naturrecht und tatsächlicher Welt dargestellt werden. Der Vortrag ruft eine lebhafte Diskussion hervor. Als erster Diskussionsredner spricht Tönnies (Verhandlungen 1911: 192 ff.). Gegen Troeltsch setzt er einen Ansatz, der »durch die Worte ›historischer Materialismus‹ oder ›materialistische Geschichtsauffassung‹ gekennzeichnet ist. Ich mache keinen Hehl daraus, daß ich  für meine Person dieser Auffassung sehr nahestehe, daß ich … zu einer Auffassung gekommen bin, die sich wenigstens wohl nahe mit dem berührt, was vielleicht als der rationelle Kern jener materialistischen Ansicht bezeichnet werden kann. In diesem Sinne glaube und behaupte ich nun, daß diejenigen Lehren, insbesondere diejenigen, die soziale Ideale ausprägen, in gewissem Sinne als Reflexe betrachtet werden müssen, als Ausstrahlungen eines tiefer liegenden



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Wollens, das im letzten Grund auf den natürlichen menschlichen Trieben beruht und das nun mehr oder minder sich dahin entwickelt, auch in den Ideen, insbesondere eben in den Idealen sich auszuprägen und zu versuchen, eben durch diese Ausprägung in seinem Sinne zu wirken. Ich betrachte in diesem Lichte wesentlich auch die Rechts- und Staatstheorien und daher auch das Naturrecht und im Zusammenhang damit die für das menschliche Gemüt so bedeutungsvollen, daher für die menschliche Geschichte so ungemein tief wirkenden religiösen Glaubensvorstellungen und Sätze.« (Verhandlungen 1911: 192 f.). In seiner Besprechung von Troeltschs »Soziallehre der christlichen Kirchen« (1912), veröffentlicht 1914, nimmt Tönnies seine Kritik an Troeltschs Unterscheidung von »Kirche«, »Sekte« und »Mystik« in ihrer Stellung auf Naturrecht noch einmal auf: »In soziologischer Betrachtung … kann es nur zwei Typen geben: die Kirche als – göttliche oder staatliche – Anstalt auf der einen, die religiöse Genossenschaft auf der anderen Seite.« (SSK III: 434). Troeltsch bezieht sich auf Tönnies immer wieder mit großer Wertschätzung. In einem programmatischen Aufsatz »Konservativ und Liberal« (1916) sieht er die mit diesen Begriffen bezeichneten Strömungen als die Hauptkräfte der geistigen und sozialen Entwicklung seines Zeitalters und beschreibt sie als Grundmotiv in der Modernisierung. An zentraler Stelle zitiert er Tönnies. Mit den Begriffen »Kommunistisch-Sozial« sieht er »die moderne Grundspannung in der Form, die sie nach dem Restaurationszeitalter und neben oder gegenüber dem bürgerlichen Liberalismus angenommen hatte, bis in ihre Tiefen hinein erleuchtet. Denn nun war es der ewig unauflösliche antinomische Gegensatz von Individuum und Gemeinschaft selbst. Aber es war möglich und nötig, den … Gegensatz noch eine Stufe weiter in das Leben und Denken selbst hinein zu verfolgen. Das ist die Bedeutung des berühmten Werkes von Ferdinand Tönnies über ›Gemeinschaft und Gesellschaft‹, das so langsam begriffen wurde, daß erst nach etwa zwanzig Jahren eine neue Auflage nötig wurde, dessen Einfluß man aber heute allenthalben spürt. Hier ist die Sache von der Soziologie aus angefaßt …« (ebd., Sp. 649  ff.). Später zitiert Troeltsch in einer Schrift über den Marxismus aus der Vorrede zur zweiten Auflage von »Gemeinschaft und Gesellschaft« (1912) eine Passage, die er in Bezug auf den Problemkreis von Materialismus und Dialektik »wohl die treffendste Formulierung der neuen Einsichten« nennt, »die sich zum großen Teil gerade von Tönnies Buche über ›Gemeinschaft und Gesellschaft‹ seit 1887 immer breiter durchgesetzt haben.« (Troeltsch 1919a: 442): »Ferner aber ist die Einsicht ein notwendiges Element des ›wissenschaftlichen Sozialismus‹, daß nicht in erster Linie politische Verhältnisse, noch

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weniger geistige Strömungen – wissenschaftliche, künstlerische, ethische – die treibenden Faktoren der sozialen Bewegungen sind, so stark sie auch dazu mitwirken; sondern die groben materiellen Bedürfnisse, Empfindungen und Gefühle des wirtschaftlichen ›täglichen‹ Lebens, die sich je nach den sozialen Lebensbedingungen, also in verschiedenen Schichten oder Klassen verschieden gestalten; daß diese relativ unabhängige Variable auch auf die politischen Verhältnisse und die geistigen Strömungen bestimmend einwirkt, durch deren Rückwirkungen sie selber fortwährend gefördert, aber auch gehemmt, immer in bedeutender Weise modifiziert wird.«77

XLII. Einteilung der Soziologie [567–582] Tönnies entfaltet in diesem Text sein Programm zur Einordnung der Soziologie in die Wissenschaften und schlägt eine innere Gliederung des Faches vor. Zuerst steht die Unterscheidung der allgemeinen von der besonderen oder »speziellen« Soziologie. Die allgemeine Soziologie schließt an Biologie und Psychologie an, mit einem Fokus auf das »menschliche Zusammenleben«. Die spezielle Soziologie fächert sich in die »reine« Soziologie, die das begriffliche Instrumentarium erarbeitet, die »angewandte« Soziologie, die mit diesen Begriffen soziale Gebilde untersucht und vergleicht, dabei wiederum begrifflich vorgeht, schließlich in die »empirische« Soziologie auf, die mit Hilfe der Begriffe, aber gestützt auf Beobachtungen, »Tatsachen« des sozialen Lebens darstellt. Das hier skizzierte Programm erfüllt Tönnies 1931 mit seiner »Einführung in die Soziologie«, dies mit einigen Modifikationen und Präzisierungen. Dabei ist die »Einführung«, wie Tönnies in der Einleitung zu diesem Werk selbst herausstellt, mehr eine Einführung in die Kategorien seiner Begrifflichkeit, also der »reinen« Soziologie, als eine in das gesamte soziologische Arbeitsfeld, so wie es hier dargestellt wird. Der Schwerpunkt auf die »reine« Soziologie wiederholt die Schwerpunktsetzung im vorliegenden Text: Auch wird der größte Teil der Aufmerksamkeit auf die Ausarbeitung der Termini »reiner« Soziologie gelenkt; die anderen Bereiche werden mehr erwähnt als ausgearbeitet. Für Tönnies selbst ist dieses Programm eine Weiterführung des wissenschaftlichen Vorhabens, das er mit seinem Haupt- und Jugendwerk »Ge77

TG 2: 47, bei Troeltsch zitiert mit zahlreichen Hervorhebungen. Troeltsch übernimmt diese Passage in seine Historismus-Schrift (Troeltsch 1922: 362 f.).



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meinschaft und Gesellschaft« 1887 skizziert. Hat die Studie in der ersten Auflage noch den Untertitel »Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen«, was in der nun gefundenen Terminologie mehr auf die »angewandte Soziologie« verweist, gibt Tönnies seiner Arbeit in der zweiten Auflage (1912a) den Untertitel »Grundbegriffe der reinen Soziologie«. Auch wenn auf dem Titelblatt der zweiten Auflage eine »erheblich veränderte und vermehrte Auflage« versprochen wird, gibt es nur wenige, und fast keine substantiellen Veränderungen im Text.78 Man kann das Werk als einen Beitrag zu beiden Forschungsfeldern lesen. Der Begriff »reine Soziologie« kündigt sich in einer ganzen Reihe von kleineren Arbeiten Tönnies’ seit der Jahrhundertwende an (vgl. TG 2: 681 ff.). Warum Tönnies es für sinnvoll hält, zunächst eine begriffliche Grundlage  für die neue Wissenschaft Soziologie zu erarbeiten und erst dann zu systemischen Vergleichen und geschichtstheoretischen Überlegungen (»angewandte« Soziologie) sowie zur empirischen Forschung (»Soziographie«79) fortzuschreiten, begründet er ausführlich in der Studie »Philosophische Terminologie in psychologisch-soziologischer Ansicht«, die, 1897 als eine Preisschrift verfasst, 1899–1900 in drei Teilen in Englisch erscheint und 1906 in deutscher Sprache als Buch (Tönnies 1906d; vgl. TG 6: 119 ff. und 510 ff.). Leopold von Wiese widmet der »Einteilung« eine Besprechung in den Kölner Vierteljahresheften für Soziologie (Wiese 1926). Tönnies erwähnt dies in seinen Anmerkungen am Schluss von SSK II (vgl. S. 585). Wieses Absicht, eine solche Kritik zu veröffentlichen, ist ihm aus einem Brief vom 10.12.1925 (Cb  54.61:2.1.23,35) bekannt: »Ich möchte in diesem Artikel nach der selbstverständlichen und gebührenden Anerkennung Ihrer Systematik auch ganz sachlich und – wie ich hoffe – ohne Anmaßung darstellen, worin ich glaube, Ihnen nicht folgen zu können. Es wäre mir überaus unangenehm, wenn Sie oder andere, diesen Aufsatz als polemisch empfinden könnten. Im Gegenteil möchte ich versuchen, ihn so zu schreiben, daß er die Ergänzung und Zusammenarbeit des doch recht kleinen Kreises positiv schaffender Soziologen  fördert. Ich denke mir, daß eine solche Aussprache, die Argumente ohne bewertende Kritik vorbringt, uns allen sehr willkommen sein könnte. Sollten Sie, sehr verehrter Herr Geheimrat, aber solche Diskussion nicht wünschen, so möchte ich es gern wissen, ehe ich meinen Artikel in Druck gebe.« Wiese  fragt in seinem Brief auch danach, worauf sich Tönnies’ Kritik an ihm in einer Fußnote 78 79

Vgl. im Einzelnen den Variantenvergleich in den editorischen Fußnoten von TG 2 sowie im Editorischen Bericht S. 680 f. Vgl. dazu auch in TG 21 die einschlägigen Arbeiten zur empirischen Soziologie und dazu den Editorischen Bericht S. 624 ff.

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der »Vorrede zur sechsten und siebenten Auflage« von Gemeinschaft und Gesellschaft80 beziehe, um darauf in seinem Aufsatz eingehen zu können: »Würden Sie die Güte haben, mir zu sagen, worauf sich dies bezieht? Mir liegt natürlich nichts ferner, als in der Würdigung Ihrer Forschungen unzureichend zu sein. Sollte ich etwas nicht klar und inhaltlich oder formal ausreichend wiedergegeben haben, so werde ich mich selbstverständlich bei der ersten geeigneten Gelegenheit berichtigen.« Diese Gelegenheit sei der geplante Aufsatz zur »Einteilung«. – Eine Antwort Tönnies’ auf diese Anfrage liegt nicht vor. In Wieses Text  findet sich keine solche Berichtigung. Vielmehr wiederholt er in Variationen seine Kritik an Tönnies’ Grundbegriffen, dass diese zu sehr Bewertungen im Sinne einer Befürwortung von Gemeinschaft und einer Ablehnung von Gesellschaft enthalten, dass diese Begrifflichkeit wissenschaftlicher Neutralität ermangele. Tönnies reagiert ausführlich in der 1932 veröffentlichten Schrift »Mein Verhältnis zur Soziologie« (Tönnies 1932: 108 f., 111 ff.). Er besteht darauf, dass er mit seinen Begriffen »nur ein heuristisches Prinzip gesucht« habe (111), dass er seine Begriffe schon in der ersten Fassung seines Werkes »Normalbegriffe« genannt habe, worunter er »mit einer leichten Abänderung des Max Weberschen Terminus ideelle Typen« verstehe (112). Die richtige Anwendung solcher Normalbegriffe stellt Tönnies sich so vor: »Ich kenne keinen Kulturzustand, in dem nicht Elemente der Gemeinschaft und Elemente der Gesellschaft gleichzeitig vorhanden, also gemischt wären; überdies beide immer mit Feindseligkeiten stark legiert.« (109) Wieses Kritik, die Grundbegriffe trügen eine parteiliche Botschaft, erscheint Tönnies gegenstandslos. Auch in der »Einführung in die Soziologie« kommt Tönnies auf Wieses Einwand einer parteiischen Begrifflichkeit zu sprechen, weist ihn auch hier zurück (Tönnies 1931; TG 21; 9 und 82 f.).

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Gesellschaft  für Soziologie. I. Serie: Verhandlungen der Deutschen Soziologentage. II). Tübingen. Verhandlungen, 1913a: Verhandlungen des Einunddreißigsten Deutschen Juristentages (Wien 1912). 3. Bd. (Stenographische Berichte). Berlin. Verhandlungen, 1923: Verhandlungen des Dritten Deutschen Soziologentages am 24. und 25. September 1922 in Jena. Reden und Vorträge von Ferdinand Tönnies, Leopold v. Wiese, Ludo Moritz Hartmann und Debatten über Das Wesen der Revolution (Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. I. Serie: Verhandlungen der Deutschen Soziologentage. III). Tübingen. Verhandlungen, 1925: Verhandlungen des Vierten Deutschen Soziologentages am 29. und 30. September 1924 in Heidelberg. Vorträge von Alfred Günther, Ludwig Heyde, Max Scheler und Max Adler. Ansprachen und Diskussionen (Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. I. Serie: Verhandlungen der Deutschen Soziologentage. IV). Tübingen. Verhandlungen, 1927: Verhandlungen des Fünften Deutschen Soziologentages am 26. bis 29. September 1926 in Wien. Vorträge und Diskussionen in der Hauptversammlung und in den Sitzungen der Untergruppen (Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. I. Serie: Verhandlungen der Deutschen Soziologentage. V). Tübingen. Vierkandt, A[lfred]., 1909: Die Soziologie als empirisch betriebene Einzelwissenschaft. I. Objekt und Aufgabe der Soziologie, Monatsschrift für Soziologie. 1: 91–100. Vierkandt, A[lfred]., 1909a: Die Soziologie als empirisch betriebene Einzelwissenschaft. II. Die Methode der Soziologie, Monatsschrift  für Soziologie. 1: 394–403. Vierkandt, Alfred, 1896: Naturvölker und Kulturvölker. Ein Beitrag zur Socialpsychologie. Leipzig. Vierkandt, Alfred, 1927: Der geistig-sittliche Gehalt des neueren Naturrechtes (Soziologie und Sozialphilosophie. Schriften der Soziologischen Gesellschaft in Wien. VI). Wien und Leipzig. Voigt, Andreas, 1911: Wirtschaft und Recht, S. 249–265 in: Verhandlungen 1911. Volkszählung, 1928: Volks, Berufs- und Betriebszählung vom 16. Juni 1925. Volkszählung. Die Bevölkerung des Deutschen Reichs nach den Ergebnissen der Volkszählung 1925. Teil I. Einführung in die Volkszählung 1925. Tabellenwerk. Bearbeitet im Statistischen Reichsamt (Statistik des deutschen Reichs. Bd. 401, I). Berlin. Vollgraff, Karl, 1851: Anthropognosie oder zur Kunde des Menschen überhaupt. Als Grundlage und Einleitung sowohl zur Ethnologie

722

Bibliographie

wie zur Staats- und Rechts-Philosophie (Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der allgemeinen Ethnologie durch die Anthropologie wie auch der Staats- und Rechts-Philosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker. in drei Theilen. 1.). Marburg. Vollgraff, Karl, 1853: Ethnognosie und Ethnologie oder Herleitung, Classification und Schilderung der Nationen nach Maasgabe der Culturund Raçe-Stufen. In zwei Abtheilungen: Erste Abtheilung Die Stufen und Classen (Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der allgemeinen Ethnologie durch die Anthropologie wie auch der Staats- und Rechts-Philosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker. In drei Theilen. 2.). Marburg. Vollgraff, Karl, 1854: Ethnognosie und Ethnologie oder Herleitung, Classification und Schilderung der Nationen nach Maasgabe der Cultur- und Raçe-Stufen. Zweite Abtheilung Die Ordnungen und Zünfte (Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der allgemeinen Ethnologie durch die Anthropologie wie auch der Staatsund Rechts-Philosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker. In drei Theilen. 2.). Marburg. Vollgraff, Karl, 1855: Polignosie und Polilogie oder: Genetische und comparative Staats- und Rechts-Philosophie auf anthropognostischer, ethnologischer und historischer Grundlage (Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der allgemeinen Ethnologie durch die Anthropologie wie auch der Staats- und Rechts-Philosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker. In drei Theilen. 3.). Marburg. Vollgraff, Karl, 1856 [1864]: Wie muss man forschen und dann schreiben? Nachgewiesen durch die Analyse des Werkes: Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der Ethnologie durch die Anthropologie, wie auch der Staats- und Rechtsphilosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker [hier zitiert nach der zweiten Ausgabe, mit neuem Titelblatt als anastatischer Nachdruck nach dem Vorwort [des Herausgebers Held] zur zweiten Ausgabe in: Vollgraff 1864 I.]. [ursprünglich] Marburg. Vollgraff, Karl, 1864: Staats- und Rechtsphilosophie auf Grundlage einer wissenschaftlichen Menschen- und Völkerkunde. In zwei Theilen. Neue Ausgabe des Werkes: Erster Versuch einer wissenschaftlichen Begründung sowohl der allgemeinen Ethnologie durch die Anthropologie wie auch der Staats- und Rechtsphilosophie durch die Ethnologie oder Nationalität der Völker. Drei Theile. Marburg. Mit neuer Eintheilung, neuem Titel und einem Vorworte. Hgg. von Joseph Held



Bibliographie

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(Erster Theil: Die Menschen- & Völkerkunde als wissenschaftliche Grundlage der Staats- und Rechtsphilosophie. In zwei Abtheilungen mit einer Einleitungsschrift des Verfassers für das ganze Werk „Wie muss man forschen und dann schreiben?“. Zweiter Theil: System der Staats- und Rechtsphilosophie als Resultat einer wissenschaftlichen Menschen- und Völkerkunde.) 2 Bde. Frankfurt a. M. Waentig, Heinrich, 1894: Auguste Comte und seine Bedeutung  für die Entwicklung der Socialwissenschaft (Staats- und socialwissenshaftliche Beiträge. Hgg. von August von Miaskowski. 2. Bd. 1. Heft). Leipzig. Wagner, Adolph, 1890: Der Kredit und das Bankwesen, S. [379]–496 in: Volkswirtschaftslehre. In zwei Bänden. Dritte Aufl. Erster Bd. Hgg. von Gustav Schönberg (Handbuch der Politischen Oekonomie. Dritte Aufl. 1). Tübingen. Wagner, Adolph, 1892: Grundlegung der politischen Oekonomie. 3. wesentlich um-, theilweise ganz neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Erster Theil. Grundlagen der Volkswirthschaft. Erster Halbband. Einleitung und Buch 1–3 (Lehr- und Handbuch der politischen Oekonomie 1.1). Leipzig. Wagner, Adolph, 1894: Grundlegung der politischen Oekonomie. 3. wesentlich um-, theilweise ganz neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. Zweiter Theil. Volkswirthschaft und Recht, besonders Vermögensrecht, oder Freiheit und Eigenthum in volkswirthschaftlicher Betrachtung. Buch 1–3 (Lehr- und Handbuch der politischen Oekonomie 1.2). Leipzig. Waitz, Georg, 1862: Grundzüge der Politik nebst einzelnen Ausführungen. Kiel. Waitz, Theodor, 1859: Anthropologie der Naturvölker. Erster Theil (Ueber die Einheit des Menschengeschlechtes und den Naturzustand des Menschen). Leipzig. Walter, Ferdinand, 1871: Naturrecht und Politik im Lichte der Gegenwart. Zweite verbesserte Auflage. Bonn. Ward, Lester F., 1909: The Status of Sociology, Monatsschrift für Soziologie. 1: 30–42. Weber, Alfred, 1913: Der soziologische Kulturbegriff, S. 1–20 in: Verhandlungen 1913. Weber, Max, 1891: Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht. Mit zwei Tafeln. Stuttgart. Weber, Max, 1892: Die Verhältnisse der Landarbeiter im ostelbischen Deutschland (Preußische Provinzen Ost- und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien, Brandenburg, Großherzogtümer Mecklen-

724

Bibliographie

burg, Kreis Herzogtum Lauenburg). Dargestellt auf Grund der vom Verein für Socialpolitik veranstalteten Erhebungen (Schriften des Vereins für Socialpolitik. 55). Leipzig. Weber, Max, 1895: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Akademische Antrittsrede. Freiburg und Leipzig. Weber, Max, 1907: Kritische Bemerkungen zu den vorstehenden „Kritischen Beiträgen“, Archiv  für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. 25: 243–249. Weber, Max, 1911: Geschäftsbericht, S. 39–62 in: Verhandlungen 1911. Weber, Max, 1919: Wissenschaft als Beruf (Geistige Arbeit als Beruf. Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Erster Vortrag). München und Leipzig. Weber, Max, 1919a: Politik als Beruf (Geistige Arbeit als Beruf. Vorträge vor dem Freistudentischen Bund. Zweiter Vortrag). München und Leipzig. Weber, Max, 1920: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, S. 17–206 in: Weber, Max. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. Tübingen. Weber, Max, 1920a: Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus, S. 207–236 in: Weber, Max. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. Tübingen. Weber, Max, 1920b: Vorbemerkung, S. 1–16 in: Weber, Max. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. Tübingen. Weber, Max, 1920c: Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Vergleichende religionssoziologische Versuche. Einleitung, S. 237–275 in: Weber, Max. Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd. 1. Tübingen. Weber, Max, 1921: Gesammelte politische Schriften. München. Weber, Max, 1922: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre. Tübingen. Weipert, Axel, 2021: „Den Fürsten keinen Pfennig!“. Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926, Berlin. Westermarck, Eduard, 1893: Geschichte der menschlichen Ehe. Einzig autorisierte deutsche Ausgabe. Aus dem Englischen von Leopold Katscher und Romulus Grazer. Bevorwortet von Alfred Russel Wallace. Jena. Widgery, Alban G., 1925: The Way to Truth and Unity, The Sociological Review. Journal of the Sociological Society. 17: 259–264. Widmann, Adolph, 1851: Die Gesetze der socialen Bewegung. Jena. Wierzock, Alexander, 2017: Ein Appell an die Brüderlichkeit. Tönnies und die Ideen von 1917, S. 121–124 in: Werner, Maike G. (Hg.):



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Ein Gipfel für Morgen. Kontroversen 1917/18 um die Neuordnung Deutschlands auf Burg Lauenstein. Göttingen. von Wiese, Leopold, 1924: Allgemeine Soziologie als Lehre von den Beziehungen und Beziehungsgebilden der Menschen. Teil I: Beziehungslehre. München und Leipzig. von Wiese, Leopold, 1926: Tönnies’ Einteilung der Soziologie, Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie. 5: [445]–455. Wilcox, Delos F., 1904: The American City: a Problem in Democracy. New York. Wilda, Wilhelm Eduard, 1831: Das Gildenwesen im Mittelalter. Eine von der Königlich Dänischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Kopenhagen gekrönte Preisschrift. Halle. Wolff, Ernst, 1914: Freirechtsbewegung und Richteramt, Die Tat. 6: 361–375. Woltmann, Ludwig, 1900: Der historische Materialismus. Darstellung und Kritik der Marxistischen Weltanschauung. Düsseldorf. Worms, René, 1909: L’objet de la sociologie, Monatsschrift für Soziologie. 1: 26–28. Wundt, Wilhelm, 1880: Grundzüge der physiologischen Psychologie. 2. völlig umgearbeitete Aufl. 2 Bde. Leipzig. Wundt, Wilhelm, 1895: Methodenlehre. Zweite Abteilung. Logik der Geisteswissenschaften (Logik. Eine Untersuchung der Principien der Erkenntniss und der Methoden wissenschaftlicher Forschung. 2. Bd. 2. Abteilung). 2. umgearbeitete Aufl. Stuttgart. Wundt, Wilhelm, 1900: Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. Leipzig. Zahn, Friedrich, 1908: Die wissenschaftlichen Ansichten über das soziale Versicherungswesen. Nr. XXXV, S. 1–36 in: Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre im neunzehnten Jahrhundert. Gustav Schmoller zur siebenzigsten Wiederkehr seines Geburtstages, 24. Juni 1908, Zweiter Teil. Leipzig.

Register der Publikationsorgane Nachstehend sind die Zeitschriften und Sammelwerke aufgeführt, aus denen Tönnies Texte in SSK II übernahm. Grammatikalische Artikel sind eingeordnet. Akademische Rundschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie . . . . 182, 259, 276, 337 Atti del V Congresso Internazionale di Filosofia . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Bericht über den III. Internationalen Kongress für Philosophie zu Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Dokumente des Fortschritts. Internationale Revue . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaftslehre im neunzehnten Jahrhundert. Gustav Schmoller zur siebenzigsten Wiederkehr seines Geburtstages . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Festgaben für Adolph Wagner zur siebenzigsten Wiederkehr seines Geburtstages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Frauen-Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Die Geisteswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Illustrierter Anzeiger für Kontor und Büro. Eine Monatsschrift für den deutschen Kaufmann .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53, 62, 72, 80 Kölner Vierteljahrshefte für Sozialwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Der Kunstwart. Halbmonatsschau für Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Monatsschrift für Soziologie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Das neue Leben. Blätter für Bildung und Kultur. Zeitschrift für alle akademischen Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche . . . . . . . . . . . . . . 385, 475, 509 Die Tat. Sozial-religiöse Monatsschrift für deutsche Kultur . . . . . . . . 295 Verhandlungen des Ersten Deutschen Soziologentages vom 19.-22. Oktober 1910 in Frankfurt a. M.. . . . . . . . . . . . . . . . 208 Weltwirtschaftliches Archiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323, 415 Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft .. . . . . . . . . . . 345



Register der Publikationsorgane

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Zeitschrift für soziale Pädagogik. Vierteljahrsschrift der Deutschen Gesellschaft für soziale Pädagogik .. . . . . . . . . . . . . . . . 372

Personenregister Achelis, Thomas (1850–1909), dt. Pädagoge und Religionswissenschaftler 175 Achenwall, Gottfried (1719–1772), dt. Historiker und Rechtswissenschaftler, Begründer der „Göttinger Schule“ der Statistik 147, 175, 223 Achilles, Alexander (1833–1900), dt. Rechtswissenschaftler 9 f. Adickes, Erich (1866–1928), dt. Philosoph 183 Adickes, Franz [Bourchard Ernst] (1846– 1915), dt. Kommunalpolitiker, u.a. Oberbürgermeister in Frankfurt/M. 34 Adler, Georg (1863–1908), dt. Wirtschaftswissenschaftler 101, 616, 618 Adler, Max [Maximilian] (1873–1937), österr. Soziologe und Politiker 321 Herzog Adolph von Nassau [Weilburg], Adolph Wilhelm Carl August Friedrich (1817–1905), Herzog von Nassau, später Großherzog von Luxemburg 41 Ahrens, Heinrich (1806–1874), dt. Rechtsphilosoph 151 Herzog von Alba, Fernando Álvarez de Toledo (1507–1582), span. Feldherr und Staatsmann 107 Alengry, Franck (1865–1946), frz. soziologischer Autor 203 Alletz, Édouard (1798–1850), frz. Diplomat und Autor 415, 423 Ammon, Otto (1842–1916), dt. Ingenieur und Privatgelehrter 177 Anderson, Nels (1889–1986), US-amerik. Soziologe 583 Aristippos von Kyrene, (ca. 435 v. Chr.–ca. 355 v. Chr.), griech. Philosoph 272 Aristoteles, (384–322 v. Chr.), griech. Philosoph 14, 111, 136, 268, 277, 416 f., 424, 459, 482 Arkwright, Richard (1732–1792), brit. Industrieller 119

Arnold, Wilhelm [Christoph Friedrich] (1826–1883), dt. Rechtswissenschaftler und Politiker 170 Ritter von Aschbach, Joseph (1801–1882), dt./österr. Historiker 98 Ashley, William James (1860–1927), brit. Wirtschaftshistoriker 281 Avenarius, Ferdinand (1856–1923), dt. Redakteur, Herausgeber des „Kunstwart“ 229, 633 f. Ritter von Baader, Franz (1765–1841), dt. Philosoph 133 Bachofen, Johann Jacob (1815–1887), schweiz. Religionshistoriker 149, 166, 176 von Baer [Bär], Karl Ernst (1792–1876), dt.-baltischer Mediziner und Naturforscher 324, 329 Bakunin, Michael Aleksandrovič (1814– 1876), russ. Schriftsteller und Politiker 550 Bammé, Arno (1944–), dt. Soziologe und Didaktiker 31 Barth, [Ernst Emil] Paul (1852–1922), dt. Philosoph und Soziologe 158, 177, 178, 203, 237 f., 240, 308 f., 637, 640 Bastian, (Philipp Wilhelm) Adolf (1826– 1905), dt. Arzt und Ethnologe 124, 149, 158, 164, 174 Bauer, Otto (1881–1938), österr. sozialdemokratischer Politiker 617 Bayle, Pierre (1647–1706), frz. Philosoph 287 Beck, Hermann [August] (1879–unklar), Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie bis ca. 1914 237, 239, 632 f., 636 f., 639 ff. Becker, Carl Heinrich (1876–1933), dt. Orientalist, preuß. Kulturminister 475 ff., 533, 584, 661, 663



Personenregister

Beesly, Edwar Spencer (1831–1915), brit. Historiker 310 Behaim, Martin (1459–1507), dt. Geograph und Kartograph 104 f. Behrens, Franz (1872–1943), dt. Politiker und christlicher Gewerkschafter 369 Beloch, Karl Julius (1854–1929), dt. Althistoriker 526 von Below, Georg (1858–1927), dt. Verfassungs- und Sozialhistoriker 102 Berghoff-Ising, Franz (1858–1920), dt. Wirtschaftswissenschaftler 316 Bergson, Henri (1859–1941), frz. Philosoph 310, 515, 518, 524 Freiherr von Berlepsch, Hans Hermann (1843–1926), preuß. Handelsminister 30 Bernatzik, Edmund (1854–1919), österr. Rechtswissenschaftler 312 Bernhard, Ludwig (1875–1935), dt. Wirtschaftswissenschaftler 316 Bernheim, Ernst (1850–1942), dt. Historiker 179 Bernhöft, Franz [Alwin Friedrich August] (1852–1933), dt. Rechtswissenschaftler 170 Bernstein, Eduard (1850–1932), dt. sozialdemokratischer Politiker und politischer Schriftsteller 317, 617, 654 Berolzheimer, Fritz (1869–1920), dt. Rechtswissenschaftler 263, 312 f., 648 Beseler, Georg (1809–1888), dt. Rechtswissenschaftler und Politiker 10 Beth, Karl (1872–1959), dt. Theologe 617 Bickel, Cornelius (1945– ), dt. Soziologie, Mitherausgeber der TG II, XII, 632 Biermann, Wilhelm Eduard (1878–1937), dt. Rechtswissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftler 316 Fürst von Bismarck, Otto (1823–1899), dt. Politiker 41 f., 613 Blanc, [Jean-Joseph-Charles-] Louis (1811– 1882), frz. Journalist, Schriftsteller und Politiker 395 f. Bluntschli, Johann Caspar (1808–1881), schweiz.-dt. Staatsrechtler und Politiker 154 Bodin, Jean (ca. 1530–1596), frz. Staatstheoretiker und Philosoph 287

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Bolte, Friedrich (bll. um 1872–), dt.-USamerik. Zigarrenmacher und kommunistischer Politiker 550 Bonn, Moritz Julius (1873–1965), dt. Wirtschaftswissenschaftler 239, 310, 617 Bonucci, Francesco (1826–1869), ital. Philosoph 312 Bornhak, Conrad (1861–1944), dt. Rechtswissenschaftler 174 Bortkiewicz, Ladislaus (1868–1931), poln. Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker, lehrte in Deutschland 316 Bosco, Augusto (1859–1906), ital. Rechtswissenschaftler und Statistiker 312 Boswell, James (1740–1795), brit. Rechtswissenschaftler und Schriftsteller 190 Bouglé, Célestin (1870–1940), frz. Soziologe 308 Branford, Victor (1863–1930), brit. Soziologe 508 Braun, Heinrich (1854–1927), dt. sozialdemokratischer Publizist und Politiker 109, 176, 315 Braun, Lily (1865–1916), dt. Autorin und Frauenrechtlerin 318 Braun, Otto (1872–1955), dt. Politiker, Ministerpräsident Preußens 662 Bredt, Johann Victor (1879–1940), dt. Staatsrechtler und Politiker (Reichspartei des deutschen Mittelstandes) 26 f. Brentano, Franz Clemens Honoratus Hermann Josef (1838–1917), dt. Philosoph und Psychologe 310 Brentano, Lujo [Ludwig Joseph] (1844– 1931), dt. Wirtschaftswissenschaftler 170, 315, 366, 497, 503 f., 617 Breysig, Kurt (1866–1940), dt. Historiker 177, 531 f., 617, 625 Briggs, Henry (1561–1630), engl. Mathematiker 117 Brinkmann, Carl (1885–1954), dt. Historiker, Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe 471 ff. Brockhausen, Carl (1859–1951), österr. Verwaltungs- und Rechtswissenschaftler 617 Brunner, Heinrich (1840–1915), dt. Rechtshistoriker 10 Brütt, Maximilian (1850–1928), dt. Pädagoge 158

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Personenregister

Bryce, James (1838–1922), brit. Rechtswissenschaftler, Historiker und Politiker 313, 330, 415, 427 ff., 452, 460, 464 f. Bucharin, Nikolaj Ivanovic (1888–1938), russ. Politiker und marxistischer Theoretiker 415, 445, 447 ff. Bücher, Karl (1847–1930), dt. Wirtschaftswissenschaftler 63, 122, 169, 315, 526, 637 Burckhardt, Jakob (1818–1897), Schweizer Kulturhistoriker 314, 525 Burke, Edmund (1729–1797), irisch-brit. Schriftsteller, Philosoph und Politiker 127 Buylla [Álvarez-Buylla y Gonzáles-Alegre], Adolfo [Álvarez] (1850–1927), span. Wirtschaftswissenschaftler 317 Cabot, Giovanni (um 1450–nach 1498), ital. Seefahrer 104 Cahnman, Werner J. (1902–1980), dt.-USamerik. Soziologe 623 van Calker, Wilhelm (1869–1937), dt. Rechtwissenschaftler 312 Calvin (Caulvin), Johann [Jean Cauvin] (1509–1564), schweiz. Reformator 281, 490 von Campe, Rudolf (1860–1939), dt. Politiker 40 Carlyle, Thomas (1795–1881), brit. Essayist und Geschichtsschreiber 150 f. Carnegie, Andrew (1835–1919), brit. - USamerik. Industrieller und Philanthrop 62 Carstens, Uwe (1948– ), dt. Soziologe 621, 659 Cartwright, Edmund (1743–1823), brit. Pfarrer, Erfinder der mechanischen Webmaschine Power Loom 119 Lord Cecil [eigentlich: Gascoyne-Cecil], Hugh [Richard Heathcote] (1869–1956), brit. konservativer Politiker 466 Chantepie de la Saussaye, Pierre Daniel (1848–1920), niederl. Theologe 477 Clausen, Lars (1935–2010), dt. Soziologe, Begründer der TG II, XII von Clausewitz, Carl (1780–1831), dt. Soldat, preuß. Generalmajor und Militärwissenschaftler 94 Chevalier Claussen, Pieter (bll. um 1851–), belg. Erfinder 111

Cohen, Hermann (1842–1918), dt. Philosoph 310, 617 Cohn, Georg (1845–1918), dt. Rechtswissenschaftler 170 Marquis de Colbert, Jean-Baptiste, Marquis de Seignelay (1619–1683), frz. Politiker und Wirtschaftstheoretiker 279 f. Columbus [Kolumbus], Christoph (um 1451–1506), ital. Seefahrer 104 f., 328 f. Comte, [Isodore Marie] Auguste [FrançoisXavier] (1799–1857), frz. Soziologe 124, 134, 157 f., 160, 165, 168, 179, 186, 192, 195 ff., 209, 213, 215, 221, 294, 310, 506, 510, 524, 531, 549, 551, 619, 623 ff., 639 Marquis de Condorcet, Marie Jean Antoine Nicolas Caritat (1743–1794), frz. Philosoph, Mathematiker und Politiker 201, 551 Conrad, Johannes [Ernst] (1839–1915), dt. Wirtschaftswissenschaftler 170 Cosentini, Francesco (1870–1932), ital. Soziologe 319 f. Cosentini, Lydia (bll. um 1924–), Ehefrau von Francesco Cosentini 320 Earl of Cromer, Evelyn Baring (1841–1917), brit. Diplomat 505 Cunow, Heinrich (1862–1936), dt. Ethnologe, Politiker, marxistischer Theoretiker 176, 317, 416, 445 f., 451 da Vinci, Lionardo (1452–1519), ital. Künstler 97 f. Dahlmann, Friedrich-Christoph (1785– 1860), dt. Historiker und Staatsmann, Mitglied der Göttinger Sieben 135 ff., 313, 433 Dahn, Felix (1834–1912), dt. Schriftsteller 10 Damaschke, Adolf (1865–1935), dt. Pädagoge und Bodenreformer 34 Dante Alighieri, (1265–1321), ital. Dichter und Philosoph 429 Darwin, Charles Robert (1809–1882), brit. Naturforscher 159, 177, 253, 256 f., Deichsel, Alexander (1935– ), dt. Soziologe, Mitherausgeber der TG II



Personenregister

Delbrück, Hans (1848–1929), dt. Historiker und Politiker 263, 385, 409 ff., 526, 584, 648 Demokritos, (bll. vor 268), griech. Philosoph, Platoniker 502 Descartes, René (1596–1650), frz. Philosoph 502 Dicey, Albert Venn (1835–1922), brit. Rechtswissenschaftler 313 Diederichs, Eugen (1867–1930), dt. Verleger 651, 653 ff. Diederichs, Urs J. (1954–), dt. Historiker 654 Diehl, Karl (1864–1943), dt. Wirtschaftswissenschaftler 316 Dilthey, Wilhelm (1833–1911), dt. Philosoph 178 Dippe, Alfred (1853–1945), dt. Pädagoge 268, 270 f. Disraeli, Benjamin (1804–1881), brit. Politiker und Schriftsteller 444 Graf zu Dohna[-Schloiden], Alexander (1876–1944), dt. Rechtswissenschaftler 40 von Döllinger, Ignaz (1799–1890), kath. Theologe und Kirchenhistoriker 281 Dörk, Uwe (1967– ), dt. Historiker 240 Don Karlos [Carlos María Isidro de Borbón], (1788–1855), 2. Sohn König Kars IV. von Spanien, Thronfolger in Spanien und Frankreich 41 Don Miguel [Miguel Maria do Patrocínio João Carlos Francisco de Assis Xavier de Paula Pedro de Alcântara António Rafael Gabriel Joaquim José Gonzaga Evaristo de Bragança e Bourbon], (1802–1866), König von Portugal 1828–1834 41 Dowd, Jerome (1864–1952), US-amerik. Soziologe 416, 460 f. Dühring, Eugen (1833–1921), dt. Philosoph, Wirtschaftswissenschaftler und Antisemit 156, 158, 168, 215 Dürer, Albrecht (1471–1528), dt. Künstler 98 f. Dunkmann, Karl (1868–1932), dt. ev. Theologe und Soziologe 3, 322, 607 ff. Durkheim, Émile (1858–1917), frz. Soziologe 306 ff., 630

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Eck, Johannes (1486–1543), dt. kath. Theologe 281 Eckert, Christian (1874–1952), dt. Wirtschaftswissenschaftler 321, 635 Eckstein, Walther (1891–1973), dt. Philosoph und Soziologe 321 Ehrlich, Eugen (1862–1922), österr. Rechtswissenschaftler und Rechtssoziologe 312, 617 Eichhorn, Carl Friedrich (1781–1854), dt. Rechtswissenschaftler 132 Einstein, Albert (1879–1955), dt. Physiker 523 Eisler, Rudolf (1873–1926), österr. Philosoph 321, 616 Eleutheropulos, Abraham (1873–1963), griech. Philosoph und Soziologie 626 ff., 638 Elsenhans, Theodor (1862–1918), dt. Philosoph 625 Elster, Ludwig Hermann Alexander (1856– 1935), dt. Wirtschaftswissenschaftler, preuß. Hochschulreferent 240, 322 Endemann, [Samuel] Wilhelm (1825–1899), dt. Rechtswissenschaftler 489 Baron von Engelhardt, Alexis (1868–1954), dt. Journalist, Schriftsteller 638 Baron von Engelhardt-Alt-Born, Rudolf (1857–1913), dt. Architekt 637 f. Engels, Friedrich (1820–1895), dt. Fabrikant und politischer Schriftsteller 23, 138, 140, 145, 148, 150 f., 167 f., 434, 446, 449 ff., 547, 560 Erdmann, [Karl Hermann Dietrich] Lothar (1888–1939), dt. Journalist und Gewerkschaftsfunktionär 310 Espinas, Alfred (1844–1922), frz. Soziologe 317 Eucken, Rudolf (1846–1926), dt. Philosoph 158, 309, 518, 524, 527 Eulenburg, Franz (1867–1943), dt. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler 180, 239, 316, 586, 617, 635 Evert, Georg (1856–1914), dt. Rechtswissenschaftler und Statistiker 241 Exner, Gudrun (1966–), österr. Historikerin 617 Farquharson, Alexander (1864–1951), brit. Arzt und Politiker 508

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Personenregister

Fechner, Rolf (1948–2011), dt. Soziologie, Mitbegründer der TG 267 Kaiser Ferdinand I., (1503–1564), dt. Kaiser 99 Ferguson, Adam (1723–1816), brit. Historiker und Philosoph 122, 372 Ferri, Enrico (1856–1929), ital. Soziologe 177 Feuerbach, Ludwig (1804–1872), dt. Philosoph 98, 124, 138, 140, 145, 150, 526, 547 Fiamingo, Giuseppe (1875–1966), ital. Soziologie und Politiker 307 Fichte, Immanuel Hermann (1796–1879), dt. evang. Theologe und Philosoph 151 Fichte, Johann Gottlieb (1762–1814), dt. Philosoph 128, 131, 133, 135, 138, 148, 297 Fischer, Arnold (bll. um 1897–), dt. sozialpolitischer Autor 179 Fischer, Gustav (1845–1910), dt. Verleger 620 f. Fischer, H. Karl (bll. um 1907–), dt. sozialwissenschaftlicher Autor 497 Fischer, Paul David (1836–1920), dt. Verwaltungs- und Rechtswissenschaftler 77 Fouillée, Alfred (1838–1912), frz. Philosoph 625 France, Anatole (1844–1924), franz. Schriftsteller 649 Herzog Francesco Maria I. della Rovere, (1490–1538), Herzog von Urbino 98 Franklin, Benjamin (1706–1790), USamerik. Verleger, Politiker, Staatsmann 190, 500 f. König Franz I., (1494–1547), französischer König 98 König Franz II., (1836–1894), König beider Sizilien 41 Freiligrath, Ferdinand (1810–1876), dt. Dichter 54 Fried, Alfred (1864–1921), österr. pazifistischer Schriftsteller 617 Friedjung, Heinrich (1851–1920), österr. Historiker, Publizist, Politiker 96 König Friedrich der Große, (1712–1786), preuß. König 100 König Friedrich Wilhelm III., (1770–1840), preuß. König 95

Frönssperger, Lienhard (ca. 1520–1575), dt. Kriegsschriftsteller 107 Fuchs, Ernst (1859–1929), dt. Rechtswissenschaftler 650 Fuchs, Eugen (1856–1923), dt. Rechtswissenschaftler 10 Fustel de Coulanges, Numa Denis (1830– 1889), frz. Historiker 171 Galilei, Galileo (1564–1641), ital. Universalgelehrter 117, 268, 502 Sir Galton, Francis (1822–1911), brit. Naturforscher und Schriftsteller 246, 248, 646 Gans, Eduard (1797–1839), dt. Rechtswissenschaftler, Rechtsphilosoph und Historiker 135 Gardiner, Samuel Rawson (1829–1902), brit. Historiker 397 Gassendi, Pierre (1592–1655), frz. Theologe 502 Geibel, Emanuel (1815–1884), dt. Dichter 53 König Georg V. von Hannover, (1819– 1878), letzter König von Hannover 41 f. George, Henry (1839–1897), US-amerik. Bodenreformer 453 Gerhardt, Carl Immanuel (1816–1899), dt. Mathematiker 98 Gerlach, Kurt Albert (1886–1922), dt. Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler, Schüler Tönnies’ 316 Gerloff, Wilhelm (1880–1954), dt. Wirtschaftswissenschaftler 30 Gervinus, Georg Gottfried (1805–1871), dt. Historiker 415, 424 f. Giddings, Franklin H. (1855–1931), USamerikanischer Soziologe 625 von Gierke, Otto [Friedrich] (1841–1921), dt. Rechtswissenschaftler und Rechtshistoriker 10, 159, 169, 303, 304, 311, 364, 365, 412 Giraud-Teulon, Alexis (1839–1916), frz. Rechtswissenschaftler und philosophischer Schriftsteller 166 Gneist, Heinrich Rudolf Hermann Friedrich (1816–1895), preuß. Rechtswissenschaftler und Politiker 152, 373 Gobineau, Arthur de (1816–1882), frz. Diplomat und Schriftsteller 165



Personenregister

Goethe, Johann Wolfgang (1749–1832), dt. Dichter 31, 49, 69, 72, 91, 128, 130, 135, 227, 233, 245, 275, 523 Goldmann, Emil (1872–1942), österr. Rechtshistoriker und Sprachwissenschaftler 617 Goldscheid, Rudolf (1870–1931), österr. Soziologe, Philosoph und Schriftsteller 5, 30 ff., 236, 238 ff., 317, 321, 606, 611, 616, 618, 640 Goldschmidt, Levin (1829–1897), dt. Rechtswissenschaftler und Handelsrechtler 175 Goldstein, Julius (1873–1929), dt. Soziologe und Philosoph 316, 617 Gothein, Eberhard (1853–1923), dt. Wirtschaftswissenschaftler, Kultur- und Wirtschaftshistoriker 237, 308, 316, 395, 644 von Gottl-Ottlilienfeld, Friedrich (1868– 1958), dt. Wirtschaftswissenschaftler 583 de Greef, Guillaume (1842–1924), belg. Soziologe 307 von Gros, Karl Heinrich (1765–1840), dt. Rechtswissenschaftler 133, 247 Große [Grosse], Ernst (1862–1927), dt. Ethnologe 99, 138, 175, 274, 365 Grotenfelt, Arvid (1863–1941), finn. Philosoph und Psychologe 625 Grotjahn, Alfred (1869–1931), dt. Arzt 640 Grünberg, Carl [Karl] (1861–1940), österr. Soziologe und Rechtswissenschaftler 617 Guizot, François (1787–1874), frz. Politiker und Schriftsteller 531 Günther, Siegmund (1848–1923), dt. Mathematiker, Geograph und Politiker 105 Gumplowicz, Ludwig (1838–1909), poln. [österr.] Rechtswissenschaftler und Soziologe 124, 164 f., 179, 311 Gusti, Dimitrie (1880–1955), rumänischer Soziologe, Historiker und Politiker 311 Guyau, Jean-Marie (1854–1888), frz. Philosoph und Dichter 519 Hackländer, Friedrich Wilhelm (1816– 1877), dt. Schriftsteller 78

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Hadley, Arthur Twining (1856–1930), USamerik. Wirtschaftswissenschaftler 416, 422, 452 ff., 584, 657, 659 ff. Häckel, Ernst siehe Haeckel, Ernst Haeckel, Ernst (1834–1919), dt. Zoologe und Philosoph 164, 168, 252 f., 255, 506 Haff, Karl (1897–1955), dt. Rechtswissenschaftler 472 Hahn, Eduard (1856–1928), dt. Ethnologe, Geograph, Wirtschaftshistoriker 80, 175 Hainisch, Michael (1858–1940), österr. Politiker, Sozial- und Wirtschaftspolitiker, 1920–1928 Präsident Österreichs 583, 616 von Haller, Carl Ludwig (1768–1854), schweiz. Staatsrechtler, Wirtschaftswissenschaftler und Politiker 129 f., 133 Hammacher, Emil (1885–1916), dt. Philosoph 310 Hanke, Edith (1962– ), dt. Politikwissenschaftlerin 653 ff. Hannak, Jaques (1892–1973), österr. Journalist und sozialdemokratischer Parteifunktionär 607 Hansen, Georg (gest. 1901), Autor von Hansen 1889 177 Hanssen, Georg (1809–1894), dt. Wirtschaftswissenschaftler und Agrarhistoriker 148, 170 Hare, William Loftus (1868–1943), brit. Handwerker, Sekretär der Religionskonferenz in London 1924 508 Harms, Bernhard (1876–1939), dt. Wirtschaftswissenschaftler und Begründer des Instituts für Weltwirtschaft 316 von Harnack, Karl Gustav Adolf (1851– 1930), dt. protestantischer Theologe und Kirchenhistoriker 485 Harrison, Frederick (1831–1923), brit. Rechtswissenschaftler und Historiker 310 von Hartmann, Eduard (1842–1906), dt. Philosoph 527 Hartmann, Georg (1489–1564), dt. Mathematiker und Instrumentenhersteller 117 Hartmann, Ludo [Moritz; auch: Ludwig Moritz] (1865–1924), österr. Historiker und Politiker 237, 308, 321, 616

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Personenregister

Hartmann, Silvia (1969– ), dt. Historikerin 605 Hasbach, Wilhelm (1849–1920), dt. Wirtschaftswissenschaftler 366, 415, 433 f., 438 Haselbach, Dieter (1954– ), dt. Soziologe, federführender Herausgeber der TG II Hasenkamp, Adolf (1874–1936), dt. Wirtschaftswissenschaftler 316 Hatschek, Bertold (1854–1941), österr. Zoologe 614 Freiherr von Haxthausen, August Franz Ludwig Maria (1792–1866), dt. Agrarwissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftler 148 Hearn, William Edward (1826–1888), austral. Wirtschaftshistoriker und Rechtswissenschaftler 167 Heberle, Franziska (1900–1997), älteste Tochter Ferdinand Tönnies’ 49, 620, 623 Heberle, Rudolf (1896–1991), dt.-US-amerik. Soziologe 623 Hedemann, Justus Wilhelm (1878–1963), dt. Rechtswissenschaftler 43 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770– 1831), dt. Philosoph 124, 133 ff., 138 ff., 144 f., 148 ff., 214, 260 f., 297, 303 f., 372, 449, 518, 524 ff., 531, 547, 551, 553, 559, 647 f. Heidler, Irmgard (1952– ), dt. Literaturwissenschaftlerin 653 Heinrich der Seefahrer, (1394–1460), port. Königssohn 105 Heiss [Heiß], Robert (1904–1974), dt. Philosoph und Psychologe 49 Held, Adolf (1844–1880), dt. Wirtschaftswissenschaftler 170 Held, Joseph (1815–1890), dt. Rechtswissenschaftler 155 von Hellwald, Friedrich Anton Heller (1842–1892), österr. Kulturhistoriker und Publizist 164, 175 Helvetius, Claude-Adrien (1715–1771), frz. Philosoph 272 Infante Dom Henrique de Avis (genannt O Navegador), (1394–1460), s. Heinrich der Seefahrer

Herbart, Johann Friedrich (1776–1841), dt. Philosoph, Psychologe und Pädagoge 151 Herder, Johann Gottfried (1744–1803), dt. Philosoph, Theologe und Dichter 547 Herkner, Heinrich (1863–1932), dt. Wirtschaftswissenschaftler 237, 636 Hertz, Friedrich (1878–1964), österr., später-brit- Soziologe 617 Hesse, Albert (1876–1965), dt. Wirtschaftswissenschaftler 241, 316 Hildebrand, Richard (1840–1918), dt. Wirtschaftswissenschaftler 151, 175 Hobbes, Thomas (1588–1679), engl. Philosoph 21, 61, 127, 129, 145, 171, 287, 470, 471, 502, 541, 626 Hobson, John Atkinson (1858–1940), brit. Wirtschaftswissenschaftler 123, 318 Höffding [Høffding], Harald (1843–1931), dän. Philosoph 310, 656 Hoffmann, Franz (1804–1881), dt. Philosoph 133 Hoffmann, Friedrich (1880–1963), dt. Wirtschaftswissenschaftler 316 von Holtzendorff, Franz (1829–1889), dt. Rechtswissenschaftler 433 von Hoyer, Johann Gottfried (1726–1802), dt. Offizier und Militärschriftsteller 106 f. Huber, Franz C[aspar]. (1851–1913), dt. Wirtschaftswissenschaftler 77 Hübinger, Gangolf (1950– ), dt. Historiker 653 ff. Freiherr von Hügel, Friedrich (1852–1925), österr.-brit. kath. Theologe 537 f. Ritter Hugo, Gustav Conrad (1764–1844), dt. Rechtswissenschaftler 129 von Humboldt, Wilhelm (1767–1835), preuß. Gelehrter 137, 153 Hume, David (1711–1776), schott. Philosoph 645 Husserl, Edmund (1859–1938), österr. Philosoph 513, 515 Huxley, Julian (1887–1975), brit. Biologe 508 Ibsen, Henrik (1828–1906), norw. Schriftsteller 273 Ihering, Rudolf s. Jhering



Personenregister

von Inama-Sternegg, Theodor (1843–1908), dt-österr. Staatswissenschaftler, Statistiker und Wirtschaftshistoriker 170 Jacoby, Eduard Georg Peter (1904–1978), dt.-neuseel. Soziologe und Demograph, Tönnies’ Assistent 49, 605, 620, 623 Jähns, Max (1837–1900), dt. Offizier und Schriftsteller 75, 97 ff., 106 f., 109, 116 f. Jansen, Karl [Carl] (1823–1894), dt. Historiker und Lehrer 157 Janssen, Johannes (1829–1891), dt. kath. Priester und Historiker 98, 105 Jastrow, Hermann (1848–1917), dt. Rechtswissenschaftler 10 Jastrow, Ignaz (1856–1937), dt. Historiker und Sozialpolitiker 316 Jellinek, Georg (1851–1911), österr. Staatsrechtler 174, 311, 415, 433, 470 Jerusalem, [Franz] Wilhelm (1883–1970), dt. Rechtswissenschaftler und Soziologe 312 Jerusalem, Wilhelm (1854–1923), österr. Pädagoge, Philosoph und Soziologe 321, 616 f., 631 von Jhering, Rudolf (1818–1892), dt. Rechtswissenschaftler 28, 124, 162 f., 173, 183, 298 Jodl, Friedrich (1849–1914), dt. Philosoph und Psychologe 310 Graf Johann von Nassau [auch: Johann VII.], (1561–1623), Graf von NassauSiegen 99 Kammerer, Otto (1865–1951), dt. Maschinenbauingenieur 316 Kant, Immanuel (1724–1804), dt. Philosoph 70, 124, 126, 128 ff., 132, 135, 297, 518, 547, 586, 645 Kantorowicz, Hermann (1877–1940), dt. Rechtswissenschaftler 237, 308, 617, 649 ff. Kapp, Wolfgang (1858–1922), dt. Verwaltungsbeamter und Politiker 370 Kaiser Karl V., (1500–1558), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 98 Karmarsch, Karl (1803–1879), dt. Ingenieur 117

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Kaufmann, Erich (1880–1972), dt. Rechtswissenschaftler 312, 471 Kautsky, Karl (1854–1938), österr.-tschech. Politiker und Philosoph 167, 317, 451, 586 Keller (bll. Anfang des 18. Jh.–), dt. Stückgießer in Kassel 100 von Kelles-Krauz, Casimir [Kazimierz] (1872–1905), poln. Philosoph und Soziologe 179 Kelsen, Hans (1881–1937), österr. Rechtswissenschaftler 312, 321, 414, 467, 471 f., 618, 659 Kidd, Benjamin (1858–1916), brit. Soziologe 177, 519 Kierkegaard, Søren (1813–1855), dän. Philosoph 521, 523 f. Kiesselbach, Wilhelm (1824–1872), dt. Journalist 156 f. Kirchhoff, Alfred (1838–1907), dt. Geograph und Pädagoge 391 Klauke, Sebastian (1984–), dt. Politikwissenschaftler, Mitarbeiter der TG II, XI Klein, Franz (1854–1926), österr. Rechtswissenschaftler und Justizminister 311 Klemm, Gustav (1802–1867), dt. Kulturhistoriker 156 Knelangen, Wilhelm (1971–), dt. Politikwissenschaftler, Mitherausgeber der TG II, XII Knies, Carl Gustav Adolph (1821–1898), dt. Wirtschaftswissenschaftler 151 Kobler-Ringler, Nadja (1971–), dt. Juristin, XII Kohl, Johann Georg (1808–1878), dt. Reiseschriftsteller 157, 329 Kohler, Joseph [Josef] (1849–1919), dt. Rechtswissenschaftler 170, 174, 176, 263, 312 f., 646 f. Koigen, David (1879–1933), russ.-dt. Soziologe und Philosoph 317, 321 Kollmann, Horst (1884–1918), dt. Rechtswissenschaftler 312 Kopernikus, Nikolaus (1473–1543), preuß. Universalgelehrter 268 von Kotzebue, August Friedrich Ferdinand (1761–1819), dt. Schriftsteller 269 Kovalewsky, Maxime [Maximus] (1851– 1916), russ. Rechtswissenschaftler 312

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Personenregister

Krabbe, Hugo (1857–1936), niederl. Rechtswissenschaftler 471 Kraus, Oskar [Oscar] (1872–1942), österr. Philsoph 179, 617 Krause, Karl Christian Friedrich (1781– 1832), dt. Philosoph 151 Kresel, Isidor J. (ca. 1879–1957), US-amerik Rechtswissenschaftler 455 Kriegsmann, Hermann (1882–1914), dt. Staatsrechtler 312 Krohn, August (1840–1889), dt. Philosoph 158 Kurella, Alfred (1895–1975), dt. Übersetzer und Schriftsteller 388 Kutsch, Arnulf (1949–), dt. Kommunikationswissenschaftler 644 Labriola, Antonio (1843–1904), ital. Philosoph 451 Lacombe, Paul (1834–1919), frz. Historiker 531, 587 Lamarck, Jean-Baptiste (1744–1829), frz. Naturforscher 158 Lamprecht, Karl (1856–1915), dt. Historiker 170, 177, 239, 313, 587, 617 Landauer, Carl (1891–1983), dt. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler 473 Lange, Gustav (1855–1925), dt. Rechtswissenschaftler und Statistiker 241, 313 Lasker, Eduard (1829–1884), preuß. Politiker 41 f. Lassalle, Ferdinand (1824–1865), dt. Schriftsteller und Politiker 7, 317, 648 Lasson, Adolf (1832–1917), dt. Philosoph 648 Laveleye, Émile Louis Victor (1822–1892), belg. Staatswissenschaftler 169, 415, 431 ff. Lazarus, Moritz (1824–1903), dt. Kaufmann und Philosoph 153, 321 Le Bon, Gustave (1841–1931), frz. Soziologe, Psychologe und Anthropologe 385, 388 ff., 399 f., 403 Lecky, William Edward Hartpole (1838– 1903), irischer Historiker 415, 432 f. Lederer, Emil (1882–1939), österr. Soziologe 316, 378, 617 Lehmann, Max (1845–1929), dt. Historiker 96

Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716), dt. Philosoph und Mathematiker 100, 529 Leist, Burkard Wilhelm (1819–1906), dt. Rechtswissenschaftler 170, 174 f. Leo, Heinrich (1799–1878), dt. Historiker und Politiker 136 ff. Leopold, Ludwig [Lewis, Lajos] (1879– 1948), ungar. Soziologe 402 Leser, Emanuel (1849–1914), dt. Wirtschaftswissenschaftler 317 Lessing, Gotthold Ephraim (1729–1781), dt. Dichter 273, 547 Levy, Hermann (1881–1949), dt. Wirtschaftswissenschaftler 317 Lexis, Wilhelm (1837–1914), dt. Statistiker und Wirtschaftswissenschaftler 111, 113, 315 Graf Libri, Guglielmo Brutus Icilius Timeleone Libri Carucci dalla Sommaia (1803–1869), ital. Mathematiker 97 Liepmann, Moritz (1869–1928), dt. Rechtswissenschaftler 312 von Lilienfeld, Paul (1829–1903), russ. Soziologe 124, 159 f., 179 Lindemann, Hugo (1867–1949), dt. Sozialwissenschaftler 321 Lindner, Theodor (1843–1919), dt. Historiker 313 Linguet, Simon Nicolas Henri (1736– 1794), frz. Schriftsteller 8 Lippert, Julius (1839–1909), dt. Historiker 164, 175 List, Erich (1905–1962), dt. Rechtswissenschaftler 151 von Liszt, Franz (1851–1919), dt. Rechtswissenschaftler 10, 263, 648 Littré, Émile (1801–1881), frz. Philosoph 160 Locke, John (1632–1704), engl. Philosoph 38 Loening, Edgar (1843–1919), dt. Rechtswissenschaftler 89, 583 Loewenstein, Karl (1891–1973), dt. Rechtswissenschaftler 415 Lorenz, Ottokar (1832–1904), dt. Historiker 178, 314 Loria, Achille (1857–1943), ital. Wirtschaftswissenschaftler 206, 317, 628 Lotz, Walther (1865–1941), dt. Wirtschaftswissenschaftler 317



Personenregister

Lotze, Hermann (1817–1881), dt. Philosoph 527 König Louis XIV., (1638–1715), frz. König 279 f. Lowell, Abbott Lawrence (1856–1943), USamerik. Rechts- und Politikwissenschaftler, 1909–1933 Präsident der Harvard University 454 von Loyola, Ignatius (1491–1556) 281 Sir Lubbock, John [4th Lord Avebury (1834–1913), brit. Bankier, Wissenschaftler, Schriftsteller und Politiker 146, 149, 316 Lucanus s. Lukan Ludwig XIV. s. Louis XIV Lukan, (39–65), röm. Dichter 554 Luther, Martin (1483–1546), dt. Theologe 281, 490 Sir Lyall, Alfred Comyn (1835–1911), brit. Historiker 171 Macchiavelli, Niccolò (1469–1527), ital. Philosoph und Politiker 545, 560 MacDonald, Ramsay (1866–1937), brit. Politiker, Premierminister 1924 und 1925–1931 551 Maedge, Carl [Max] (1884–1969), dt. Wirtschaftswissenschaftler, Schüler von Ferdinand Tönnies 305 Magelhaens [Magellan], Ferdinand (vor 1485–1521), port. Seefahrer 104, 329 Sir Maine, Henry James Sumner (1822– 1888), brit. Anthropologe, Rechtswissenschaftler und -historiker 124, 166 ff., 313, 415, 426 f., 541 Comte de Maistre, Joseph (1753–1821), frz. Staatsmann, Schriftsteller und Philosoph 129 Maitland, Fredric William (1850–1906), eng. Rechtswissenschaftler und Historiker 313 Makarewicz, Juliusz (1872–1955), polnischer Rechtswissenschaftler 312 Mandello, Julius (1868–1919), ungarischer Rechtswissenschaftler 307 Manes, Alfred (1877–1963), dt.-amerik. Wirtschaftswissenschaftler und Versicherungswissenschaftler 356

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Manske, Maike (1981–), dt. Germanistin, Leiterin der Handschriftenabteilung der SHLB, Mitherausgeberin der TG II, XII Marcart, Kurt (1887–1914), Student und Schüler Ferdinand Tönnies 317 Maritz, Jean [Johann] (1680–1743), schweiz. Stückgießer 100 Marshall, Alfred (1842–1924), brit. Wirtschaftswissenschaftler 317 von der Marwitz, Friedrich August Ludwig (1777–1837), preuß. Offizier 95 Marx, Karl [Heinrich] (1818–1883), dt. Philosoph 23, 110 ff., 124, 138 ff., 143 ff., 148, 150 f., 167 ff., 171, 177, 190, 193, 268, 315, 317, 434, 445 ff., 449 ff., 458, 509, 524, 526, 541, 547, 549 ff., 554, 559, 560 Masaryk, Thomas [Tomáš Garrigue] (1850– 1937), tschech. Philosoph und Soziologe, Staatspräsident der Tschechoslowakei 178, 310, 617 Mascher, Heinrich Anton (1824–1898), dt. Verwaltungsbeamter und Publizist 84 Ritter von Maurer, Georg Ludwig (1790– 1872), dt. Rechtswissenschaftler und Politiker 148, 176 Kaiser Maximilian II., (1527–1576), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 98 f. von Mayer, Julius Robert (1814–1878), dt. Arzt 215 von Mayr, Georg (1841–1925), dt. Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker 178, 223, 225 f., 233, 241, 292 f., 317, 633 Mayreder, Rosa (1858–1938), österr. Schriftstellerin und Frauenrechtlerin 321, 617 McLennan, John Ferguson (1827–1881), brit. Ethnologe 166 Mehring, Franz (1846–1919), dt. sozialdemokratischer Publizist und Politiker 25, 451 Meinecke, Friedrich (1862–1954), dt. Historiker 391 Meisel, Franz (1853–1939), Finanzwissenschaftler 30 Meitzen, August (1822–1910), dt. Wirtschaftswissenschaftler und Statistiker 170

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Personenregister

Mendelssohn Bartholdy, Alfred (1874– 1936), Politikwissenschaftler und Rechtswissenschaftler 415 Menzel, Adolf (1857–1938), österr. Rechtsund Staatswissenschaftler 617 Mersenne, Marin (1588–1648), frz. Theologe und Mathematiker 502 van Meteeren [Meteren], Emmanuel (1535– 1612), flämischer Historiker 107 Metzger, Wilhelm (1848–1914), dt. Redakteur 310 Meuter, Hanna Alma Josefa Carola (1889– 1964), dt. Soziologin 583 von Miaskowski, August (1838–1899), dt. Wirtschaftswissenschaftler 170 Michels, Robert(o) (1876–1936), dt.-ital. Soziologe 238, 308, 315 f., 319, 587, 617, 640, 643 f. Mill, John Stuart (1806–1873), brit. Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler 203 Mischler, Ernst (1857–1912), österreich. Statistiker und Finanzwissenschaftler 241 Freiherr von Miuntoli, eig. Johann Heinrich Karl Menu (1772–1846), preuß. Offizier 98 Moeller, Hero (1892–1974), dt. Wirtschaftswissenschaftler 658 Möser, Justus (1720–1794), dt. Rechtswissenschaftler, Staatsmann, Historiker 92 Mohammed (570–632), Religionsstifter des Islam 479, 486, 490 Mohl, Robert (1799–1875), dt. Rechtswissenschaftler und Politiker 124, 151 f., 154, 264 Mombert, Paul (1876–1938), dt. Wirtschaftswissenschaftler 239, 317 Marquis von Montalembert, Marc-René (1714–1800), frz. Ingenieur 100 Baron de Montesquieu, (1689–1755), frz. Philosoph 7 f., 127, 201, 417 Moreau, Jacques Joseph (1804–1884), frz. Psychiater 249 Morgan, Lewis H. (1818–1881), US-amerik. Anthropologe 167, 169, 176, 449 Landgraf Moritz von Hessen, (1572–1632), Landgraf von Hessen 99 Moritz von Oranien, (1567–1625), Statthalter von Holland und Zeeland 99

Graf Moritz von Sachsen, (1696–1750), dt. Feldherr und Kriegstheoretiker 100 Müller, Adam Heinrich (1779–1829), dt. Philosoph 130, 133, 138, 525 Müller, Friedrich (1834–1898), österr. Sprachwissenschaftler 164 Müller, Reinhard (1954– ), österr. Soziologe 3, 239 Müller, Wilhelm [Johann Ludwig] (1794– 1827), dt. Dichter 53, 239, 310 Müller-Lyer, Franz (1857–1916), dt. Soziologe, Psychiater und Schriftsteller 310 Münch, Fritz (1879–1920), dt. Philosoph 650 Münsterberg, Hugo (1863–1916), dt.[später US-amerik.] Psychologe 461 Napier, John (1550–1617), schott. Mathematiker 117 Natorp, Paul (1854–1924), dt. Philosoph 310 Naumann, Friedrich (1860–1919), dt. Politiker 617 Neumann, Friedrich Julius (1835–1910), dt. Wirtschaftswissenschaftler 391 Newton, Isaac (1642–1726), engl. Naturforscher 255 Niceforo, Alfredo (1876–1960), ital. Soziologe, Statistiker und Kriminologe 582 Nicolaus von Cusa [Kues], (1401–1464), Universalgelehrter 301 Nieboer, Hermann Jeremias (1873–1920), niederl. Schriftsteller 314 Niebuhr, Barthold Georg (1776–1831), dt. Althistoriker 135 f., 138, 148, 525 Niemann, August Christian (1761–1832), dt. Forst- und Kameralwissenschaftler 292 Niemeyer, Theodor [Hugo Edwin] (1857– 1939), dt. Völkerrechtler 313 Nietzsche, Friedrich Wilhelm (1844–1900), dt. klassischer Philologe und Philosoph 177, 486, 525, 541, 552 Nitzsch, Karl Wilhelm (1818–1880), dt. Historiker 170 Novikow [Novicow], Jakow Alexandrowitsch Jaques) (1849–1912), russ. Soziologe 310, 631 Nowacki, Anton (1839–1925), Schweizer Pflanzenbauwissenschaftler 175



Personenregister

Nussbaum, Moritz (1850–1915), dt. Anatom 253 Odin, Alfred (1862–1896), kurländischer, später bulg. Romanist 248 Öri [Oeri], Jakob (1844–1908), schweiz. Altphilologe 314 Ofner, Julius (1845–1924), österr. Rechtswissenschaftler, Politiker 617 Oldenberg, Hermann (1854–1920), dt. Indologe 239, 317 Olufsen, Oluf Christian (1764–1827), dän. Wirtschaftswissenschaftler 148 Oppenheim, Heinrich Bernhard (1819– 1880), dt. Rechtswissenschaftler und liberaler Politiker 27 Oppenheimer, Franz (1864–1943), dt. Soziologe 178, 237, 308, 317, 617 Ostrogorski [Ostrogorskij], Moisej Ja. (1854–1919), russ. Politikwissenschaftler 428, 430 Ostwald, Wilhelm (1853–1932), dt. Chemiker, Soziologe, Historiker 617 Paciolo [auch: Pacioli], Luca (ca. 1445– 1517), ital. Mathematiker 101 Palágyi, Melchior [auch Menyhért] (1859– 1924), ungar. Philosoph 625 Palm, Johann Philipp (1766–1806), dt. Verleger und Buchhändler 270 Palyi, Melchior (1892–1970), ungar. Wirtschaftswissenschaftler 416, 463 Pappenheim, Fritz (1902–1964), dt., später US-amerik. Soziologe 618 Pappenheim, Max (1860–1934), dt. Rechtswissenschaftler 311 Park, Robert E. (1864–1944), US-amerikanischer Soziologe 388 Paulsen, Friedrich (1846–1908), dt. Pädagoge und Philosoph 309 Pearson, Karl (1857–1936), brit. Mathematiker und Biologe 247 f. Pedro IV., (1319–1387), König von Aragonien 106 Perthes, Clemens Theodor (1809–1867), dt. Rechtswissenschaftler 155 Peschel, Oscar Ferdinand [auch Oskar] (1826–1875), dt. Geograph, Ethnograph, Publizist 105, 164

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Petty, William (1623–1787), brit. Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph 224 von Peuerbach, Georg (1423–1461), österr. Astronom 98 Phaleas, vorsokratischer Philosoph 14 von Philippovich, Eugen (1858–1917), österreich. Wirtschaftswissenschaftler 617 Platon (Plato), eigentl. Aristokles, (428 oder 427–348/347 v. Chr.), griech. Philosoph 13 f., 159, 187, 459 Plenge, Johann [Max Emmanuel] (1874– 1963), dt. Soziologe 322, 526 Fürst von Pleß, Hans-Heinrich XV (1861–1938), dt. Großgrundbesitzer und Montanindustrieller 38 Ploetz, Alfred (1860–1940), dt. Arzt und Rassenforscher 237, 636 von Pöhlmann, Robert (1852–1914), dt. Althistoriker 526 Pohle, Ludwig (1869–1926), dt. Wirtschaftswissenschaftler 317 Pollock, Frederick (1845–1937), brit. Rechtswissenschaftler 313 Pope, Alexander (1688–1744), engl. Poet 227, 233 Post, Hermann (1693–1762), dt. Rechtswissenschaftler 166, 170, 174 Preuß, Hugo (1860–1925), dt. Staatsrechtler und Politiker 311, 617 Pribram, Karl Eman (1877–1973), österreich. Wirtschaftswissenschaftler 321 Proudhon, Pierre-Joseph (1809–1865), frz. Frühsozialist und Anarchist 7 Quetelet, [Lambert] Adolphe [Jacques] (1796–1874), belg. Astronom, Mathematiker und Statistiker 224 Radbruch, Gustav (1878–1949), dt. Rechtswissenschaftler und Politiker 312, 649 ff. Radestock, Max (1854–1913), dt. Konsumgenossenschaftler, Vorstandsvorsitzender des Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften 369 Ranke, Leopold (1795–1886), dt. Historiker 148, 286, 287, 525, 531

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Personenregister

Rathgen, Karl (1856–1921), dt. Wirtschaftswissenschaftler 238 f., 317, 319, 640 Ratzel, Friedrich (1844–1904), dt. Zoologe und Geograph 178, 329 Ratzenhofer, Gustav (1842–1904), österr. Offizier und Soziologe 179, 317 Redlich, Josef (1869–1936), österr. Rechtswissenschaftler und Politiker 616 Redslob, Robert (1882–1962), dt.-frz. Staats- und Völkerrechtler 312 Regiomontanus, Johannes [eigentl. Johann Müller] (1436–1476), dt. Mathematiker und Astronom 98, 104 Rehbein, Franz (1867–1909), dt. Landarbeiter und Sozialdemokrat 654 Rehm, Hermann (1862–1917), dt. Rechtswissenschaftler 174 Reich, Emil (1864–1940), österr. Literaturwissenschaftler 617 Renner, Karl (1870–1950), österr. Politiker 616 Reuleaux, Franz (1829–1905), dt. Ingenieur 109, 112, 119 ff. Reusch, Fr[anz]. Heinrich (1825–1900), dt. Theologe und Priester 281 Duc de Richelieu, Armand-Jean du Plessis (1585–1642), frz. Staatsmann und Kirchenfürst 107, 502 Rickert, Heinrich (1863–1936), dt. Philosoph 517 ff., 523 f. Riehl, Wilhelm Heinrich (1823–1897), dt. Journalist und Kulturhistoriker, gilt als Begründer der „Volkskunde“ 124, 154 Rimpler, Georg (um 1636–1683), dt. Militäringenieur, Festungsbaumeister 100 Ritter, Carl (1779–1559), dt. Geograph 105, 153 Rockefeller, John D. (1839–1937), USamerik. Industrieller und Philanthrop 62 von Rodbertus[-Jagetzow], Carl (1805– 1875), dt. Agrar- und Sozialpolitiker 138, 151, 171, 317 Rohmer, Friedrich (1814–1856), dt. Philosoph 155 Rohmer, Theodor (1820–1856), dt. Publizist 155 Rohrbeck, Walter (1885–1956), dt. Versicherungswissenschaftler 356 f., 657 f.

Roscher, Georg Friedrich Wilhelm (1817– 1894), dt. Wirtschaftswissenschaftler 111, 138, 144, 151, 294, 433 Ross, Edward Denison (1871–1940), britischer Orientalist und Linguist 507 Rousseau, Jean Jacques (1712–1778), schweiz.-frz. Philosoph 127 f., 192, 463 Rüdel, Holger (1951– ), dt. Historiker 654 Rüder, Friedrich August (1762–1856), dt. Jurist und Wirtschaftswissenschaftler 415 von Rümelin, Gustav (1815–1889), dt. Pädagoge, Politiker und Statistiker 174 Ruge, Arnold (1881–1945), dt. Philosoph, völkisch-antisemitischer Querulant 627 Rumpf, Max (1878–1953), dt. Soziologe 649 ff., 653 de Saint-Simon, Henri (1760–1825), frz. Philosoph 134, 149, 168, 196, 198, 201 Sales y Ferré, Manuel (1843–1910), span. Soziologe 317 Marquis of Salisbury, Robert Arthur Talbot Gascoyne Cecil (1830–1903), brit. konservativer Politiker, mehrmals Premierministery 466 Sand, Karl Ludwig (1795–1820), dt. Burschenschaftler und Theologe 269 von Saucken[-Georgenfelde], Karl Ernst (1822–1871), dt. Großgrundbbesitzer und Politiker 41 von Savigny, Friedrich Carl (1779–1861), dt. Rechtswissenschaftler 132, 133, 135, 149, 374, 561, 650 Schäffle, Albert (1831–1901), dt. Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe 124, 160 ff., 173, 176, 264, 314 f., 645 von Scharnhorst, Gerhard (1755–1813), preuß. Offizier 95 f. von Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1775–1854), dt. Philosoph 130, 132 f., 135, 152, 159 Scheppig, Richard (1845–1903), dt. Lehrer und Theologe 166 von Scherzer, Karl (1821–1903), österr. Forscher und Diplomat 121 von Schiller, Johann Christoph Friedrich (1759–1805), dt. Schriftsteller 58, 72, 128, 190, 213, 288, 402, 547



Personenregister

von Schlözer, August Ludwig (1735–1809), dt. Historiker, Philologe und Statistiker 147, 294 Schlüter-Knauer, Carsten (1955– ), dt. Politikwissenschaftler, Mitherausgeber der TG II, XII Schmalenbach, Herman (1885–1950), dt. Philosoph 50, 605 Schmid, Ferdinand (1862–1925), österr. Rechtswissenschaftler und Statistiker 237, 308 Schmidt, Bruno (1865–1905), dt. Rechtswissenschaftler 174 Schmidt, Richard (1862–1944), dt. Rechtswissenschaftler 174 Schmitt, Carl (1888–1985), dt. Staatsrechtler 471 f., 588, 659 Schmoller, Gustav (1838–1917), dt. Wirtschaftswissenschaftler und Historiker 30, 38, 80 f., 109, 124, 144, 170 f., 175 f., 180, 183, 206, 264 ff., 294, 315, 320, 367, 368 Schnitzler, Sonja (1974– ), dt. Soziologin 632 von Schönberg, Gustav (1839–1908), dt. Wirtschaftswissenschaftler 103, 583 Schopenhauer, Arthur (1788–1860), dt. Philosoph 70, 145, 524 f., 645 Schubert, Franz (1797–1828), dt. Komponist 53 Schücking, Walter (1875–1935), dt. Politiker und Völkerrechtler 617 Schulze-Delitzsch, Hermann (1808–1883), dt. Sozialreformer, Politiker und Rechtswissenschaftler 41 von Schulze-Gävernitz [-Gaevernitz], Hermann [Johann Friedrich] (1824–1888), dt. Rechtswissenschaftler 122, 317 Schumacher, Hermann (1868–1952), dt. Wirtschaftswissenschaftler 317 Schumpeter, Joseph (1883–1950), österr. Wirtschaftswissenschaftler und Politiker 617 Schurtz, Heinrich (1863–1903), dt. Ethnologe und Historiker 180 Schwabe, H[ermann]. (1830–1874), Leiter des statistischen Amts Berlin 84 Sergi, Giuseppe (1841–1936), ital. Anthropologe 312

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Sering, Max (1857–1939), dt. Wirtschaftswissenschaftler 35, 317 Seyfert, Robert (1975– ), dt. Soziologe, Mitherausgeber der TG II, XII Herzog Sforza, Ludovico Maria (1452– 1508), Herzog von Mailand 97 Shakespeare, William (1564–1616), engl. Dramatiker 21 Siegert, Elvira (bll. um 1984–), Herausgeberin von o.V. 1806 270 Sieveking, Heinrich (1871–1945), dt. Wirtschaftswissenschaftler und Historiker 101 f. Sighele, Scipio (1868–1913), ital. Kriminologe und Anthropologe 388, 400 Simmel, Georg (1856–1918), dt. Soziologe 124, 179 f., 208, 236 ff., 307 ff., 320, 356, 388, 402, 518, 524, 617, 625, 629 ff., 636 f., 639, 653 Simons, Walter (1861–1937), dt. Rechtswissenschaftler und Politiker 134, 149, 168, 198, 617 Sinzheimer, Hugo (1875–1945), dt. Politiker und Rechtswissenschaftler 317, 650 Sleidanus, Johannes (1506–1556), dt. Rechtswissenschaftler und Diplomat 139, 511 Small, Albion Woodbury (1854–1926), USamerik. Soziologie 262, 625 Smith, Adam (1723–1790), brit. Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph 127, 130, 184, 190, 268, 280, 282 f. Sohm, Rudolph (1841–1917), dt. Rechtswissenschaftler, Rechtshistoriker 10 Sokrates, (469 v. Chr.–399 v. Chr.), griech. Philosoph 227, 233, 302 Solon, (um 640 v. Chr.–um 560 v. Chr.), athenischer Staatsmann und Lyriker 402 Sombart, Werner (1863–1941), dt. Soziologe 75, 109, 181, 237, 239, 240, 308, 315, 363, 453, 488, 494, 497, 526, 531, 563, 583, 632, 636, 640 f. Somló, Félix (1873–1920), ungar. Rechtswissenschaftler 312, 314, 626, 646 ff. Sophokles, (497/496 v. Chr.–406/405 v. Chr.), gr. Dichter 345 Sorge, Friedrich Adolf (1828–1906), dt. / US-amerik. Musiklehrer und kommunistischer Politiker 451, 550

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Personenregister

Spann, Othmar (1878–1950), österr. Soziologe 317, 653 Speckle, Daniel (1536–1589), dt. Baumeister 99 Spencer, Herbert (1820–1903), brit. Soziologe und Philosoph 123 f., 158 ff., 164 ff., 173, 192, 215 f., 221, 277, 307, 510, 524, 531, 541, 628, 656, 645 Spengler, Oswald (1880–1936), dt. Philosoph 632, 545, 663 f. Spiegel, Nicolaus (1858–?), dt. Gymnasiallehrer 85 de Spinoza, Baruch [Benedict(us)] (1632– 1677), niederl. Philosoph 93, 129, 133, 145, 171, 274 f., 287, 507, 645 Spranger, Eduard (1882–1963), dt. Philosoph und Pädagoge 234 Stahl, Friedrich Julius (1802–1861), dt. Rechtswissenschaftler, Philosoph und Politiker 151 f., 155 Stammler, Rudolf (1856–1938), dt. Rechtsphilosoph 146, 177, 179, 312, 617, 625 Staudinger, Franz (1849–1921), dt. Theologe und Philosoph 316, 368, 654 Staudinger, Hans (1889–1980), dt., später US-amerik. Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, Verwaltungsbeamter und Politiker 316 Steffen, Gustaf Frederik (1864–1929), schwed. Soziologe 310, 367 Freiherr vom und zum Stein, Heinrich Friedrich Karl (1757–1831), dt. Politiker 270, 377 von Stein, Lorenz (1815–1890), dt. Staatsrechtler 96, 124, 138, 150, 152, 173, 372 f., 375, 377 Stein, Ludwig (1859–1930), österr.-schweiz. Philosoph 178 f., 310, 617 Stein, Philipp (1853–1909), dt. Theaterschriftsteller 273 Stein, Philipp (1870–1932), dt. Rechtswissenschaftler 237 f. Steinmetz, Sebald(us) Rudolph (1862– 1940), niederl. Ethnologe 314, 321, 569 Steinthal, Chajim (Hermann) (1823–1899), dt. Sprachwissenschaftler und Philosoph 153, 321 Stenzel, Gustav Adolf (1792–1854), dt. Historiker 303

Stevin, Simon (1548/49–1620), flämischer Mathematiker, Physiker und Ingenieur 99 Stieda, Wilhelm (1852–1933), dt. Wirtschaftswissenschaftler, Wirtschaftshistoriker und Sozialreformer 55, 111 Stoltenberg, Hans Lorenz (1888–1963), dt. Soziologe 240, 570 Strauß, D[avid]. F[riedrich]. (1808–1874), dt. Schriftsteller, Philosoph, Theologe 138, 543 f. von Sybel, Heinrich (1817–1895), dt. Historiker und Politiker 41 Herzog Sylvius [I. Nimrod] von Württemberg-Öls, auch: Silvius (1622–1664), Herzog von Württemberg-Oels 99 Szende, Paul (1879–1934), ungar. Rechtswissenschaftler 617 Taine, Hippolyte (1828–1893), frz. Historiker 396 Tarde, Gabriel (1843–1904), frz. Soziologe, Kriminologe und Sozialpsychologe 193, 388 Tartaglia, Niccolò (1499/1500–1557), ital. Mathematiker 98 Thierry, Augustin (1795–1856), frz. Historiker 280 Thoma, Richard (1874–1957), dt. Staatsrechtler 463 ff. Thomas von Aquin (Th. Aquinas) hl., (1225/6–1274) 487 Thurnwald, Richard (1869–1954), österr.dt. Ethnologe 321 de Tocqueville, Alexis Charles-Henri-Maurice Clérel (1805–1859), frz. Politiker und Historiker 415, 418 ff., 426 ff., 431 f. Tönnies, Ferdinand (1855–1936) passim. Tönnies, Franziska s. Heberle Torricelli, [Evangelista] (1608–1647), ital. Physiker und Mathematiker 117 Trautmann, Tatjana (1985– ), dt. Historikern, Mitarbeiterin der TG XI Treitschke, Heinrich (1834–1896), dt. Historiker und Publizist 137, 148, 154, 313, 433 Troeltsch, Ernst (1865–1923), dt. ev. Theologe 308, 314, 486, 490, 509-566, 617, 619, 623, 662 ff.



Personenregister

Tugan-Baranowsky, Michail Iwanowitsch (1865–1918), ukrainischer Wirtschaftswissenschaftler und Historiker 317 Tylor, E[dward]. B. (1832–1917), britische Anthropologe und Ethnologe 149 von Tzschoppe, Gustav Adolf (1794–1842), preußischer Verwaltungsjurist 303 Ure, Andrew (1778–1857), britischer Chemiker 122 f. Vaccaro, Michaelangelo (1854–1937), ital. Soziologe 312 Vályi, Félix (1855–1952), ungar. Philosoph 189, 625 Vandervelde, Emil (1866–1938), belgischer Politiker und Hochschullehrer 617 Varro, Marcus Terentius (116–23), röm. Historiker 80 Vasco de Gama, Dom (1469–1524), port. Seefahrer 104 Vauban, Sébastien Le Prestre de (1633– 1707), frz. Festungsbaumeister und General 100 del Vecchio, Giorgio (1878–1970), ital. Rechtsphilosoph 312, 320 Venturi, Giovanni Batista (1746–1822), ital. Physiker, Erfinder 98 Vespucci, Amerigo (1451–1512), ital. Seefahrer 105 Vieillard, Narcisse (1791–1857), frz. Politiker 204 Vierkandt, Alfred (1867–1953), dt. Soziologe 175, 237 f., 240, 314, 321, 532, 562, 606, 617, 629 f., 636 Voigt, Andreas (1860–1940), dt. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler 237, 308, 317 Vollgraff, Karl [Friedrich] (1794–1863), dt. Rechtswissenschaftler und Soziologe 155 f. Voltaire [eigentl. François Marie Arouet], (1694–1778), frz. Philosoph 503 Waentig, Heinrich (1870–1943), dt. Wirtschaftswissenschaftler und Politiker 158, 317 Wagner, Adolph [Adolf] Heinrich Gotthilf (1835–1917), dt. Wirtschaftswissen-

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schaftler 5, 18, 28 ff., 90 f, 103, 171, 183, 266 f., 315, 583, 611, 623 f., 659 Waitz, Georg (1813–1886), dt. Rechtshistoriker 313, 433 Waitz, Theodor (1821–1864), dt. Psychologe 149, 153 Waldeck, Benedikt (1802–1870), dt. Politiker 41 Wallenstein, [Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein] (1583–1634), böhm. Feldherr und Politiker 108 Walter, Ferdinand (1794–1879), dt. Rechtswissenschaftler 297 Ward, Lester F. (1841–1913), US-amerikanischer Paläobotaniker und Soziologe 206, 625, 628 Waxweiler, Emile (1867–1916), belg. Soziologe 238, 316, 638 ff. Webb, Beatrice (1858–1943), brit. Sozialwissenschaftlerin und Politikerin 318 Webb, Sidney (1859–1947), brit. Sozialwissenschaftler und Politiker 318 Weber, Alfred (1868–1958), dt. Soziologe 308, 316, 617, 654 Weber, Marianne (1870–1954), dt. Rechtshistorikerin und Frauenrechtlerin 318, Weber, Max (1864–1920), dt. Soziologe 35, 181, 228, 236 ff., 241, 315, 363, 416, 437, 460, 462, 464, 475, 490 ff., 509, 520, 524, 526, 531, 556 f., 617, 619, 623, 632, 636 f., 643 f., 652, 655, 661, 668 Weismann, August (1834–1914), dt. Arzt und Zoologe 177 Wells, Herbert George (1866–1946), brit. Schriftsteller und Soziologe 519 Werner, Johann [Johannes] (1468–1528), dt. Astronom und Mathematiker 105 Westergaard, Harald (1852–1936), dän. Statistiker und Wirtschaftswissenschaftler 310 Westermarck, Eduard [Edward, Edvard] (1862–1939), finn. Soziologe, Enthnologe und Philosoph 176, 314 Widgery, Alban Gregory (1887–1968), brit. Religionswissenschaftler 508 Widmann, [Christian ] Adolph [Friedrich] (1818–1878), dt. Schriftsteller 152 Wierzock, Alexander (1983– ), dt. Historiker XII, 47, 655

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Personenregister

von Wiese [und Kaiserswaldau], Leopold (1876–1969), dt. Soziologe 242, 321, 562, 585, 617, 635, 643 f., 667 f. Wilbrandt, Robert (1875–1954), dt. Wirtschaftswissenschaftler 317 Wilcox, Delos F[ranklin] (1873–1928), USamerikanischer Verwaltungsbeamter 71 Wilda, Wilhelm Eduard (1800–1856), dt. Rechtswissenschaftler 364 Kaiser Wilhelm II., (1859–1941), dt. Kaiser 378 Wilson, Woodrow (1856–1924), Präsident der USA 465 Windelband, Wilhelm (1848–1915), dt. Philosoph 517 f., 520, 524 Wolf, Julius (1862–1937), österr.-dt.. Wirtschaftswissenschaftler 239, 637 Wolff, Ernst (1877–1959), dt. Rechtswissenschaftler 650 Woltmann, Ludwig (1871–1907), dt. Anthropologe und Zoologe, Neukantianer 178 Wolzendorff, Kurt (1882–1921), dt. Rechtswissenschaftler 589 Worms, Emile (1838–1918), frz. Rechtsund Wirtschaftswissenschaftler 317 Worms, René (1868–1926), frz. Soziologe und Philosoph 206, 317, 320, 628

Würzburger, Eugen (1858–1938), dt. Statistiker und Wirtschaftswissenschaftler 241, 632 Wundt, Wilhelm (1832–1920), dt. Psychologe und Philosoph 219, 224, 232, 309, 310, 376 Wygodzinski, Martha (1869–1943), dt. Politikerin 317 Xénopol, Alexandru Dimitrie (1847–1920), rum. Philosoph und Soziologe 311 Yelin, Philipp Christian Gottlieb (1745– 1814), dt. Pfarrer 270 Zahn, Friedrich (1869–1946), dt. Statistiker 362 Zander, Jürgen (1939–), dt. Soziologe und Handschriftenbibliothekar 632 Ziegler, Franz (1803–1876), dt. Rechtswissenschaftler und Politiker 41 Zitelmann, Ernst (1852–1923), dt. Rechtswissenschaftler und Schriftsteller 617 de Zurita [y Castro], Jerónimo (1512– 1580), span. Historiker 106 von Zwiedineck Edler von Südenhorst, Otto Wilhelm Helmut (1871–1957), österr. Wirtschaftswissenschaftler und Staatsrechtler 317

Sachregister von Dr. Nadja Kobler-Ringler

Abstammung 172, 374 Bewusstsein 482 Gemeinschaft 378 Verhältnis, natürliches 572 Volk 390 Abstammungs-/Deszendenztheorie 173 f., 255 ff., 645 f. Ähnlichkeit 245 f. Anlagen (Erbanlagen) siehe dort Arten 255 ff. Auslese/Selektion 241, 247, 250, 255 ff., 289 Bedeutung 276 f. Entwicklung Soziologie 167 f. Erkenntnis Mensch als Wesen, animalisches 145 Evolution/Dissolution 277 Frühkultur 191 Geschichte 511 Mensch als Teil der Natur 159 f. Übergang in Entwicklungslehre 277 Varietät 289 Vererbung Eigenschaften, erworbene 289 Adel Ablösung durch Gesellschaft, bürgerliche 283, 423 Absolutismus 127 Geist, feudaler 129 Kriegstechnik 97 f. Wiedereinsetzung 131 Aktiengesellschaft 32, 101, 355, 369, 413, 575 Anlagen (Erbanlagen) 243 ff., 645 f. Ähnlichkeit 245 f. Ausbildung 250 f. Auseinandersetzung mit Eugenik 645 Auslese 247 Begabung 247 ff. Berühmtheit 248

Defekte/Eigentümlichkeiten, angeborene 251 Element, stabiles 289 Entwicklung 258 Erbteil, gemeinsames 251 f. Genie 249 Gesundheit 249 glücklichere 249 Lebensdauer 249 Rasse/Stamm/Volk 289 Tendenz zur Wiederkehr/Rückschlag 251 Überwiegen von Anpassung 245 Verbesserung intellektuelle - 249 Vermischung 247 Verwandtschaft 249 Anonymität 71 f. Anpassung 243 ff., 257 f., 645 f. Anstalt 300 einfache 160 göttliche/staatliche 665 Handel/Banken 103 f. Kirche 665 Körperschaft 576 staatliche 104, 665 Unterrichts-/Lehranstalt 54, 63, F 63, 65, 269 Verband 300 Versicherungsanstalt 67, 357, 360, F 360 Wille 300 Anthropologie Ankünpfungspunkt der Sozialpsychologie 342 Lehre, eigentliche biologische vom Menschen 340 Sozialanthropologie 307 Verhältnis zur Soziologie 218 f., 230, 631 Widerspruch Übernatürliches 288

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Sachregister

Arbeit 350, 489 Ansicht, psychologische 342 Arbeitsbedingungen/-rechte 290 Arbeitskampf 290, 394 Arbeitskraft, Menge/Verfügbarkeit 332 Arbeitslohn 350 Arbeitsreisen 64 f. Arbeitsteilung 122 f., 190, 210, 216, 342, 368, 379 Arbeitsverfassung 121 Austausch Arbeitsprodukte 189, 331 f. freie 483, 494 Freiheit 122 f., 126 Gefahren Arbeitsleben 359 Geist Arbeitsleben 484 gemeinsame 340 gemeinschaftliche/gesellschaftliche 303 Grad Produktivkraft 548 individuelle 340 Jahresprodukt 283 Kooperation 122, 189 Lohnarbeiterschaft 360 Lohneinkommen 359 Menge/Masse, arbeitende 392 Nation 283 nationale 303 Sozialversicherung 359 ff. Tatsache, soziale 126 Trennung von Kapital 283 Unterordnung 122 f. vereinigte 379 Verteilung 283 Volk, arbeitendes 381 volkswirtschaftliche 303 Wille 290 Zusammenwirken 379 f., 402 Zustrom Arbeitskräfte 361 Zweck 346 Arbeiter allgemeiner 351 Arbeiterbewegung 550, 559 Arbeiterklasse 359, 370, 548, 550, 558 Arbeitslosigkeit 86 Befreiung 123 ernsthafter 401 Fabrikarbeiter 120 ff. Freidenkertum, proletarisches 558 Freiheit 558 Führertum 558 Lohnarbeiter 351

Marxismus 548 Proletariat 60, 62, 86, 444, 451, 554, 561 Reisen 72 Verband 414 Versammlung 413 Versicherung 363 Arbeitskräfte 13 Angestellte 357 Dienstboten 54 Handwerk siehe dort industriell qualifizierte 56 Koalition 61 Saisonarbeit 63 ungelernte 56 weibliche 58 Aufklärung 127 ff. Denken, konservatives 546 f. Gegensätze Beurteilung Neuzeit 512 Humanismus 496 Rechtsphilosophie 129 f. Tatsachen, historische 663 Veränderung Denkungsart 558 Zeitalter 145, 189, 558 Australien/Neuseeland 329 f. Banken/Kreditwesen 102 Funktion, öffentliche 103 Geld siehe dort Kaufmann 102 f. Kredit 12, 332, 350, 363 Obligationenrecht 11 f. staatliche 104 Wechsel 102 Beamte Beamtenstaat 30, 122, 461 f. Dienstreisen 64 f. Polizei 79 Privatbeamte 357 Teil Staatsfundament, sittliches 302 Werurteilsfreiheit 269 Begriff 619 siehe auch Name/Bezeichnung Ähnlichkeit 246 als Werkzeug 230 Anpassung 254 Basis, psychologische/historische 308 Bearbeitung, kritische/dialektische 180 bei Comte 195 ff. Bejahung/Verneinung 376



Sachregister Beruhen juristischer in soziologischem 470 Besitz 11 Bestimmung 193, 230 Bezugsgebilde, soziale 580 f. Bildung als Aufgabe Soziologie 215, 292, 631, 666 Bildung durch Verallgemeinerung 437 Bürger, freier 491 Durchschnittsmensch 232 echte 284 eigentlich soziologische 311 Entwicklungsbegriff, historischer 520 Festlegung 235 Gegenstände 235 Gemeinschaft 171, 343, 372 ff., 377, 450, 570 ff. gemeinschaftlicher 260 Genossenschaft 370 Gesellschaft 151 ff., 343 f. Gleichheit 412 Grundbegriffe, soziologische 571 ff. Grundlage Soziologie 259 Idealtypus 235, 437, 464 individualistischer/gesellschaftlicher 260, 296 Individuum 563 f. Kampf 289 f. klare 284 Körper, sozialer/Körperschaft 575 f. kritisch bearbeiteter 193 Kulturideal 522 Kürwille 376, 571 f. Leben, soziales 210, 214 f. Nation 658 Normalbegriff/Normaltypus 235, 437, 464, 668, F 464 Normen 577 Notwendigkeit Bildung 214 f. parteiischer 668 Prinzip, heuristisches 668 Rationales 504 Rechtsphilosophie 259 f. Religion 214 f., 483 Sakrament 299 Samtschaft 574 Sinn 571 Sitte 214 f. Soziales 337 Soziologie 230, 625 ff.

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soziologischer 262, 450 Staat siehe Staatslehre/-theorie Staatsbürger 468 Staatsperson 348 System normativer - 310 Teil Soziologie, allgemeine 306 Übergänge 576 Verbindungen 311, 343 Verfassung, demokratische 464 Verhältnis Staat/Gesellschaft/Recht/ Wirtschaft 266 f. Verhältnis/-se, soziale/-s 259, 343 Volk 658 Wert, sozialer 343 Wesenheiten, soziale 570 ff. Wesenwille 571 f. Wirklichkeit 310, 450 Beharrung 254, 335, 380 Beruf Ansicht, psychologische 342 Auslese 241 Berufsethos 500 f. Berufsgruppe 575 Berufsideologie, calvinistische 491 Berufsleben 581 Berufspflicht 501 Berufsreise 64 Berufstätigkeit 495 Bewährung Glaube 492 Bezugsgebilde, wirtschaftliches 581 Differenzierung 342 freier 504 Handwerker 500 Hingabe an - 504 idealer 274 Idee 494 Kaufmann/Kaufleute siehe dort Leben, weltliches 492 Liebe zum - 504 Politik 462 Religion 495 ff. Statistiker 274, F 262 Substanz Zusammenwirken 380 Besitz Besitzlosigkeit 359 Bodenschätze 332 Forderungen, geldwerte 334 Geld 290, 334 Gottesgabe 486

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Sachregister

Grundeigentum/-besitz 26, 33 ff., 290, 332, 419, 611 f. Islam 486 Kapital 381 Klasse, besitzende 391 Klasse, besitzlose 358, F 360 kommunistischer 191 Rechtsfriede 11 Schutz, abstrakter 11 Sicherheit 350 f. Tatsache, tatsächliche/rechtliche 11 Überlegenheit 290 Verhältnis zum Eigentum 11 Völkerrecht 11 vorhandener/erstrebter 561 Werte, soziale 578 f. Bewusstsein Abstammung 482 Dasein Verband/Samtschaft/Verhältnis 467 Eigentums-/Einkommensinteressen 144 f. ethisches 564 gemeinschaftliches 21, 564 gereiftes wissenschaftliches 384 historisches 135 Körperschaft 576 Materie 254 Nation 24 Proletariat 549 Rechtsbewusstsein 304, 581 Religion als Zentralwert 558 religiöses 553, 558 Richtigkeit 573 Samtschaft 576 sittliches 297, 613 soziales 558 Sprache 378 Staat 468 Tatsachen Zusammenleben 206 Tragik Kulturverlauf 566 Verhältnis/-se 576 Versammlung 403 Verwüstung 613 Weltbewusstsein 336 wissenschaftliches 496 Zusammenleben 629 Zusammenwesen 379 Zweckbewusstsein 577 Beziehung siehe Verhältnis/-se

Bezugsgebilde 571, 580 ff. Begriff/Charakter 580 f. Einteilung 581 Geschäft 581 Geschichtsschreibung, soziologische 580, 666 Kunst 580 Leben, soziales 580 ff. Politik 581 Recht 581 Religion 580 f. Sitte 581 Staat 580 f. Störungen/Zerrüttungen 581 Systeme von Leistungen 580 Untersuchung 666 Vergleichung 666 Wechselwirkungen 581 Bildung allgemeine 558 Anstalt siehe dort Geist 560 intellektuelle 500 Reisen 68 ff. soziologische 618 Staat 460 Unterrichtssystem, gemeinsames 660 Volk 380 Zusammenwirken 380 Zweck, böser 661 Biologie 117 Bedeutung Kampf 289 f. Fortschritt Denken 276 Sozialbiologie 568 f., 572 Soziologie, allgemeine 337, 666 Verhältnis zur Soziologie 206, 216, 314 Widerspruch Übernatürliches 288 Bodenreform 33 ff., 34 Bodenwirtschaft 34 Großgrundbesitz 36 Latifundien 35, 41 f. Reichssiedlungsgesetz 35 SPD 40 f. Wohnboden/-gebäude 33 Bolschewismus 40 Bruderschaft 364, 365, 479 Bund 364 f., 387, 576 China/Japan 331



Sachregister

Demographie/Demologie siehe Soziologie, empirische Demokratie 415 ff., 658 ff. Aktiv-Bürgerecht 464 bürgerliche 423 Demokratismus, gesunder sozialer 433 Deutscher Reichstag 460 England/Großbritannien 443, 464 f. Ereignisse, prägende 434 f. Forschung 658 Frankreich 422, 436, 443 Gegensätze Programme 438 Glaube, sinkender 613 Grundsätze, demokratische 424 ideale 427 Kolonialismus/Kolonien 417 f. Krise 613 Kritik 427 ff. Liberalismus 659 Masse/Haufen 424 Mittel, spezifisches 613 moderne 473, 658 Opposition 290 Organe 461 Orient 491 Parlamentarismus 613 Phasen, jüngere 444 Preußen 459 Reaktion, antidemokratische 425 Referendum 461 Russland 445 ff. Sozialdemokratie 40 f., 423, 438 soziale 423, 659 Tendenz zur Republik, demokratischen 472 Theorie 658 Ursprung 443 Verbindungen in - 658 Vereinigte Staaten (USA) 422, 426 f., 436, 443 f., 452 ff. Verfassung, demokratische 464, 612 Verursachung Spannung/Kämpfe 473 Volksherrschaft, direkte 464 Zusammenhang zur Weltsicht 472 Denken/Denkungsart alltägliche 351 Arten, gegensätzliche 561 f. Aufklärung 546 f. begriffliche 360 berechnende kaufmännische 352

749

besonnene 566 bürgerliche 502 Eigentums-/Einkommensinteressen 144 f. Entwicklung 484 f. Ernst, sittlicher 566 ethische 275 Fortschritt 276 Freidenker 383, 558 freie 327 Gefühl 565 Gegensätze Beurteilung Neuzeit 512 gemeinsame 483, 570 geschäftliche, rechnende 362 gesteigerte verallgemeinernde 216 Gewalt, zerstörende/umgestaltende 216 Grund Verhältnisse 172 Handel 482 historische 287, 546 f., 554 individualistisch-vernünftige 546 Individuum 289 Jurisprudenz, historische 546 Juristen 311 klare wissenschaftliche 564 konservative 546 f. kontemplative/asketische 489 korrekte 271 kulturwissenschaftliche 564 männliche 484 f. metaphysische 565 moderne 14 natürliche richtige 131 neue 445 Organisation Revolution 216 Philosophie 14, 322, 546 f. Politik 614 primitive 288 Proletariat 548 Quelle 125 rationale 348, 482 Richtigkeit 566 Rücksichtslosigkeit 565 Seele 233 Sitte 566 soziale 289 sozialistisch-kommunistische 512 soziologische 124 ff., 209, 322 spekulative 476 Staat 125 Streben nach Wahrheit 278

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Sachregister

technische 146 Verhältnis zum Wollen 145, 482 Versammlung 399 Versicherungswesen 354, 362 verständige 495 Wesen 354 Wirkungen 289 Wissenschaftler 186 f. wissenschaftliche 146, 193, 204, 226, 233, 243, 278 f., 354, 502, 563 Zeitalter 561 f. Zweck 346 Deutsche Gesellschaft für Soziologie 229 ff., 236 ff., 633 ff., 646, 652 Deutsche Statistische Gesellschaft 241, 273, 632 Deutscher Bundestag 424 Deutscher Reichstag 460 Deutsches Reich 326, 333, 336, 358, 409 f., 459, 525, 611, 641 Dorf siehe Gemeinde/Dorf Ehe Eheschließung 292 Eintracht, eheliche 61 Entwicklungsgeschichte 284 Frühformen 191 Gemeinschaft, sittliche 299, 650 Gewissenehe 574 Idee, religiöse 573 Kirche 484 Schutz 573 Staatswille 292 Verbindungen, eheliche 57, 61 Verhältnis, individuelles 376 Verhältnis, soziales 292, 650 Vertrag 297, 299, 650 Wesen 297 Wesenwille 376 wirkliche 574 Eigentum 3 ff., 450, 605 ff. allgemeines 578 Bedeutung, soziale 12 Begrenzungen 10 Begriff, gemeinschaftlicher 606 Begründung/Entstehung/Verschaffung 11 ff. Begründung/Theorien 13 ff., 38 Bewusstsein 21, 144 f. Beziehung, machtgestützte soziale 606

BGB 10 Bodenreform 33 ff. Bodenwirtschaft 34 Denken 144 f. Eigentumsfrage 7 ff. Eigentumsverhältnisse 450 Enteignung siehe dort Entwicklung 22 f., 284 Erster Weltkrieg 23 Erwerb, redlicher/unredlicher 39 Fahrnis 17 Forderungen/Obligationenrecht 11 f., 43 freies 22 Funktion 43 f. Garantie 26 Gebilde, soziales 606 Gegensatz Ökonomie/Politik 143 Geld 20 Gemeineigentum 16 gemeinsames 375 Gemeinschaft 21, 606 Gesellschaft 14 Gestaltung Eigentumsverhältnisse 606 ff. Grundeigentum/-besitz 26, 33 ff., 290, 332, 419, 611 f. Herreneigentum 16 ideelles 20 Imperialismus 23 Kapital 19 f., 606 Kapitalismus 22 f., 27 Kredit/Leihkapital 12 Kritik 11 ff. Kürwille 18 ff. Leibeigentum/Sklaverei 13 Macht 20 Mittel/Zweck 18 f. mobiles 612 modernes 20, 22 Nutzung, zweckwidrige 33 Parzellierung 59 Privateigentum 297 f. Privatrecht/Recht, öffentliches 7, 10 Produktionsmittel 12 f. Recht, natürliches 11 Recht, römisches 9 f. rechtmäßiges 10 Rechtsbegriff 7 ff. Reichsverfassung 24 ff.



Sachregister

Religion 483 Sozialbindung 37 ff. soziales 578 soziologisches 12 Staat siehe dort statisches/fließendes 43 Theorie, soziologische 605 Unterscheidung 606 Verhältnis Gesellschaft/Eigentum 14 Verhältnis Wille/Sache 18 f. Verhältnis zum Besitz 11 Vermögen 12 Vernichtung 25 Wahlrecht 419 wertgeschätztes 19 Wertzugewinn 33 Wesenwille/Kürwille 18 ff. wirkliches/bedeutendes 12 Wohnboden/-gebäude 20 Wollen 144 f. Einkommen, privates 30 Eintracht eheliche 61 Normen 577 Religion 288 Seite, psychologische Zusammenleben 342 Typus Gemeinschaft 347, 577 Wille 220, 577 England/Großbritannien Demokratie 443, 464 f. Leben, soziales 367 Richtungen, historisch-geographische 333 Staat, britischer 465 Versicherungswesen 366 f. Enteignung 24 ff., 614, 616 Bodenreform 33 ff. Enteignungslehre 28 ff. Entschädigung 37 ff. Entwicklung Analogie Christentum/Islam 506 f. Ansicht, empirisch rationale 449 Ansicht, objektiv-wissenschaftliche 548 Arbeiterklasse 359 Arbeiterversicherung 363 aus Städten heraus 334 Bedingungen 332 Begriff, historischer 520 Denken 484 f.

751

differenzierende 359 Ehe 284 Eigengesetzlichkeit Wirtschaft 498 f. Eigentum 22 f., 284 Entwicklungslehre 130 freiheitliche 663 Gegensatz Gemeinschaft/Gesellschaft 623 Gegensatz Kürwille/Wesenwille 623 f. Geist 139 f., 500 Geldwirtschaft 496 Gemeinschaft zu Gesellschaft 290 f. Gemeinwesen 304 Gesellschaft 290 f., 298, 505 gesellschaftliche 298, 359, 370, 562 f. Gesetzmäßigkeiten 261, 285, 297, 468, F 232 f. Großstadt 290 Handel 101 ff., 496, 661 Handwerk 92 historische siehe Geschichte Idee 139 industrielle 327 Institutionen, soziale siehe dort Interesse, industrielles/Stadt 334 Islam 479, 506 f. Kapitalismus 109, 487, 496, 661 Körper, sozialer 161 Kultur siehe Kulturgeschichte Kunst 92 Ländercharakter, zunehmend städtischer 334 Leben 125, 261, 285 menschliche 449 Methode 285 neuere politische/wirtschaftliche 444 Neuzeit 327 politische 443 Produktivkräfte 450 Recht 261, 297 f. Religion 483 Richtungen, historisch-geographische 323 ff. soziale 443 f., 657 Soziologie, reine 210 Staat 261, 304, 472 f. Stadt 290, 496 Technik 90 ff., 618, 624 Ursachen 331 f., 630 Vergleichung 285

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Sachregister

Versicherungswesen 365, 657 Waren-/Geldverkehr 280 f., 328, 496 Wechselwirkungen 500 wirtschaftliche 661 Zusammenhang wirtschaftliche/politische 444 Zusammenleben 188 Erkenntnis auf das Tatsächliche gerichtete 217 biologische 243 Drang zur - 278 Einheit 215 Entwicklungsgesetze F 232 f. Erkenntnistheorie 306 Fälle, analoge 354 Funktion, gemeinsame 371 Gegenstand 295 Gesetzmäßigkeiten Naturereignisse 286 Menschheit F 232 f. objektive 190 f., 214 soziologische 287 Tatsachen 214 Verhältnis/-se 295 Voraussicht Zukunft 284 Wirkungen 557 wissenschaftliche 213, 557 Ziel 284 Ethik 187, 260, 500 f. Ethnographie/Ethnologie als Methode 291 Forschung, ethnologische 285 Statistik 194 Teil Soziologie, allgemeine 306 Verallgemeinerung, theoretische 164 Vergleichung Erkenntnisse in Soziologie 230 f. Verhältnis zu Demographie/Demologie 225, 232 f. Verhältnis zur Sozialpsychologie 342 Verhältnis zur Soziologie 220, 314, 569, 631 Europa 305 ff. Aussichten Soziologie 305 ff. Fortschritt 488 Geist, europäischer 331 Kultur Westeuropa 332 Kultur, nordeuropäische 326, 663 Neu-Europa 330 Verbindung Europa/Orient 330 Westmächte, konkurrierende 325

Familie 166 f., 363 Ansicht, biologische 338 Bejahung 376 Bezugsgebilde 581 Ersparnisse 364 Familienähnlichkeit 246 Frühformen 191 Geschichte 148 Interesse 303 Judentum 482 Mutter-Kind-Verhältnis 573 f. Sicherheitsgefühl 349 Staat 469 Verbindung, gemeinschaftliche 379 Verein, künstlicher 191 Vererbung 246 Verhältnis, soziales 573 f. Wandern/Vagabundieren 56, 82 f. Wesen 574 Wesenwille 376 Fatalismus 188 Feindlichkeit 668, F 337 Ausübung Zwang 450 f. Bezugsgebilde 581 Feind, natürlicher 614 Gemeinschaft 379 Verhältnis, seelisches 573 Forderung 295, 302, 334 Förderung 244, 289, 347, 353, 488, 568, 661 Fortschritt 72 f., 663 Arbeitsteilung 189 DDP/Fortschrittspartei 423 Denken 276 Europa 488 Geld-/Kreditwesen 363 gesellschaftlicher 200 intellektueller 201 Kriegstechnik 95 f. Kultur 511 Kürwille 363 sozialpolitischer 411 Staat 547 Technik 332 Theorie 294 Ursachen, ideelle/materielle 444 USA 443 f. Wechselwirkung Bevölkerung/Nahrungs­mittelproduktion 190



Sachregister

Wissenschaften 332 Zusammenhang mit Wohnen/Sitzen 81 Frage, soziale 147, 217, 234, 267, 367, 659 Frankreich Demokratie 422, 436, 443 Revolution, französische 546 Richtungen, historisch-geographische 333 Freiheit 288, 360, 443 allgemeine persönliche 259 Arbeit 122 f., 126 Bergbaufreiheit 367 Entwicklung, freiheitliche 663 Freirechtsbewegung 649 Freiwilligkeit 383 geistige 559 Geschichte 139 Gewissensfreiheit 559 Glaubensfreiheit 559 Individuum 382 Körperschaft 407 Menge, unfreie 392 Menschenverkehr, freier 53 ff., 62 ff. Organismus, objektiver 159 politische 417 Reisen 68 Relativität 123 Richtungen, historisch-geographische 324 Verwirklichung 303 von Religion 559 Wahl 407 Werturteilsfreiheit, allgemeine 632, 646 Wesen 173 Wille 172, 295, 574 wirtschaftliche 367, 559 Fremdheit 342 Entfremdung von Religion 558 Handel 75 f. innere 564 Landfremder 82 Vagieren (Vagabundieren) 82 Verhältnis, seelisches 573 Wesen, gesellschaftliches 356 Freundschaft 347, 378, 381 Gattung 255 Gebilde siehe Bezugsgebilde Gedächtnis 116, 645

Gefahr 345 f., 346, 359, 361 Gefühl Affekte 401, 405 Ansicht, psychologische 340 Denkungsart 565 Differenzierung 298 feindseliges 379 Freude 504 Furcht 288, 394 Gemütslage 564 Genuss 615 Glück 184, 270 herrliche 564 Hoffnung 288 Individuum 298 Klassen 298 Kultur 216 Leidenschaft 287 Liebe 340 Lust/Unlust 386 Macht 403 Menge/Haufen 394 f. Mitleid 377 moralisches 614 Rechtsgefühl 298, 581 Religion 493, 495, 558 Sicherheit 349 Versammlung 394 Wesenwille 571 Geist antireligiöser 501 Arbeitsleben, sesshaftes 484 Berechnung 501 Bezugsgebilde 581 Bildung 560 Christentum 480, 501 deutscher 135 Durchschnittsgeist 408 entschlossener 612 Entwicklung 139 f., 500 europäischer 331 Fabrikware 121 feudaler 129, 328 forschender 557 Freiheit 559 Geistesrichtung 501 gemeinsamer 379 gemeinschaftlicher 367, 371 Genossenschaft 371 Gesamtgeist 341

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Sachregister

Geschäftsgeist, kapitalistischer 501 Geschichte 139 f., 284 Gewinn 500 Handel 105, 108, 500 hellenischer 477 individueller 217 Inhalt Geschichte 139 Intelligenz 254 Islam 480 kapitalistischer 494, 501, 503 ländlicher 328 Leben, geistiges 193 menschlicher 254, 443 Nachahmung 193 neuer sozialer 275 Neuzeit 335 objektiver 304 orientalischer 477 Parteigeist 272 philosophischer 558 rationaler, aufgeklärter, wissenschaftlicher 360 Religion 483 sozialer 139, 369 Staat 371, 546 Sterben 141 Tatsachen, geistige 225 Traditionalismus 503 trotziger 554 Volksgeist 141, 260, 483 weiblicher 485 Weltgeist 132, 140 wissenschaftlicher 557 Zeitgeist 367 Zusammenwirken 379 Geld Anhäufung 332 Banken 102 f. Besitz 290, 334 Eigentum 20 Entwicklung 328, 496 Fortschritt Geldwesen 363 Geldersatz 332 Geldgeschäft 487 Geldhandel 280 f. Geldwirtschaft 291, 489 Goldgeld 610 Inflation/Entwertung 610 f. Kaufmann/Kaufleute 283 Kredit 332

Macht 290 Spekulation 487 Staat 103 Verdrängung Naturalwirtschaft 291 Zinsverbot 281 f. Gemeinde/Dorf 148, 349, 395 Bildung Zivilisation 190 Gemeindeleben 331 Gemeindevolk 391, 404 Großgemeinde 361 Judentum 482 Merkmale 483 religiöse 575 Stadtgemeinde, herrschende 416 täuferische 486 Verbindung, gemeinschaftliche 379 Verpachtung Grundbesitz 611 Versicherung 365 Vertretung 404 Wesenheit, soziale 575 Gemeinschaft 295 ff. Abstammung 302, 378 Annäherung Gesellschaft 382 f. Ausdrücke 379 äußerliche 378 Begriff siehe dort Bewegung, geschichtliche 656 Bewusstsein 21, 564 Charakter, gemeinschaftlicher 301 Ehe siehe dort Eigentum siehe dort Elemente 344, 668 entgeisterte 563 Entwicklung zu Gesellschaft 290 f. Feindschaft 379 Ganzes, wirkliches 173 Gegensatz zur Gesellschaft 623 Glaube an - 565 Gründe 379 Gruppe 387 Hauptursache 347 Heilung von Schäden 349 Idee 379 in Gewalt/Tyrannei übergegangene 563 Individuum 648 ff. innere 378 f., 378 innerlich unwahre/heuchlerische 563 Kirche 378 Leben, eigentliches soziales 563 nachbarliche 349



Sachregister

Nation 302, 678 Organismus 348 potentielle 378 Rasse 497 Reisender 72 Religion 378 f. Rückbesinnung auf - 663 Sicherungssysteme, traditionelle 348 ff., 657 sittliche 299, 565 Sprachgemeinschaft 378 Staat 468 Streben nach - 383 Typus 347 Verhältnisse, gemeinschaftliche 298, 360, 573 f. Vertrauen in andere 350 Verwandtschaft 378 Volksgemeinschaft 278 Wesen 379 Wille/Wollen siehe dort Zersetzung 379 zur Sicherung 348 ff. Zusammenwesen/-wirken/-wohnen 379 f. Zweck 348 ff. Genossenschaft Begriffssynthese 370 Berufsgenossenschaften 362 Eigenproduktion/Selbstherstellung 368 Geist, gemeinschaftlicher 371 Genosse 375 Geschlechtsgenossenschaft 191 Glaubensgenossenschaft 575 Hilfe, genossenschaftliche 349 Individuum 375 Kampfgenossen 381, 400 moderne wirtschaftliche 370 öffentlich-rechtliche 368 Prinzip, genossenschaftliches 368 Produktion 368 Recht 412 religiöse 665 Sprachgenossenschaft 575 Studentenverbindung 275 Typus Gemeinschaft 347 Verbindung, gemeinschaftliche 379 Verhältnis, seelisches 573 Versammlung 403

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Versicherer, genossenschaftlicher 368, F 360 Volksgenossenschaft 370 Werkstatt, genossenschaftliche 394 wirtschaftliche 368 Zusammenwirken 381 Geschäft Bezugsgebilde 581 Form, vollkommene gesellschaftliche 353 freies 371 Geldgeschäft 487 Geschäftsmann/-leute 93 f., 360 siehe auch Kaufmann/-leute kapitalistisches 370 Konsum siehe dort politisches 65 Spekulation 487 Tauschgeschäft 393 f. Technik siehe dort Typen 94 Urheberschaft, ideelle 93 Versicherung 353 ff., 657 Vertrag 353 Wollender 93 Zweck/Mittel 93 Geschichte 74, 165, 509 ff., 663 ff. Abstammungslehre 511 Ansicht, wissenschaftliche 146 Anwendung Begriffe Gemeinschaft/Gesellschaft 624 Auffassung, soziologische 287, 289 Aufklärung siehe dort Basis Begriffssystem 310 Beobachtung Anfänge 285 Besiedelung Kontinent, amerikanischer 323, 328 f. Bestimmung durch Tendenz zum Städtischen 334 f. Betrachtungsansatz 146, 548 Bewegung von Gemeinschaft zu Gesellschaft 656 Charakter, offizieller Geschichtsschreibung 286 Denken, historisches 287, 546 f., 554 Denken, soziologisches 125, 209, 322 Deutschland 24 Einfluss Instinkt, Leidenschaft, Phantasie 287 f. Elemente, sesshafte/unstete 82 f.

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Sachregister

Entwicklung 161, 548, 624 Entwicklungsgeschichte 109, 189 ff., 284 Existenz 630 Familie 148 Forschung, historisch-empirische 528 Freiheit 139 Gegensätze Beurteilung Neuzeit 512 Geistesgeschichte 139 f., 284 f. Gesetzmäßigkeiten Naturereignisse 286 Handel 139 Humanisierung 549 Idee/-n 284 f., 529 f. im objektiven Sinne 284 Inhalt 139 f. Institutionen, soziale siehe dort Kantianismus/Neukantianismus 514 Kirche 14, 284, 286 f., 314 Kommunismus 547 ff. Konkurrenz in - 74 Kraftmaschine/Werkzeugmaschine 112 ff. Krise 510 Kultur siehe Kulturgeschichte Kunst/Künste 284 Leben, soziales siehe dort Liberalismus 512, 547 marxistische 144 f. Materialismus, historischer 188, 194, 315, 445 ff., 511, 548, 559, 664 materialistische 451 Mittel, empirische 531 Monismus 664 Parteigeist/-zugehörigkeit 548 politische 582 Prägung durch Geist, individuellen 217 Prähistorie 515 profane/heilige 287 Psychologie 289 Rationalismus 547 Realismus 528 Rechtsgeschichte siehe dort reine 125 Religion 284, 479, 481 f., 663 Revolution, französische 546 Romantik 512, 525, 547, 663 Schauplatz neuerer 335 Schichtung, soziale 548 Sozial-/Moralstatistik 273 Sozialismus 512

Sozialphilosophie 178 Soziologie siehe Geschichtschreibung, soziologische Staat 284 stillstehende/Statistik 147, 294, F 147 systematische 624 Theorie 177 f. Universalgeschichte 529, 531, 656 Verhältnis zur Soziologie 631 Verschlechterungsidee 511 Wahrheit, objektive 560 Weltgeschichte 139, 141 Weltkrieg 511 Werturteilsfreiheit 632, 646 Wesen 334 Wirtschaft 90, 169, F 239 Wissenschaften 230 ff., 284 Geschichtsschreibung, soziologische 195 ff., 259 ff., 284 ff., 570, 618 f. Aufgabe Soziologie 206 ff., 265 Bedeutung 306 Bezugsgebilde 580 f., 666 Methode Soziologie 157 Skepsis, soziologische 650 Spannungen/Kämpfe 473 Unterschied zur Historie 291 f. Vergleichung als Methode 220 f. Verhältnis zu Psychologie 289 Verhältnis zu Staatslehre 313 Verhältnis zu Wissenschaften, anderen 230 ff. Geschlecht 88 f., 349, 380, 383 Gesellschaft (als „Begriff“) alte 452 Annäherung Gemeinschaft 382 f. Auseinandersetzung mit Erbverschlechterung 646 Begrifflichkeit 151 ff., 343 f. Berufsethos 501 Bewegung, geschichtliche 656 Bildung 200 bürgerliche 131, 134, 140, 303, 575 Eigentumsbegründung 15 Elemente 344, 668 Entwicklung siehe dort Form 452 Fortschritt 200 Gegensatz zum Staat 79, 134, 150 ff. Gegensatz zur Gemeinschaft 623



Sachregister

Gesellschaftsordnung, kapitalistische 371, 451 Großindustrie 109 Grundbegriffe 570 f. Gruppe 387 Individualismus 563 kapitalistische 298, 505 Klasse, gesellschaftliche 400 Kritik 547 Kürwille 571 f. Mittel 348 Moral 501 Name 373 f. Organismus 165 f. Produktionsweise, kapitalistische 495 Reform Zustände 663 reine 663 Richtung auf - 381 f. Samtschaft 575 Staat als - 468 städtische ökonomische 173 statt Staat 126 Struktur, ökonomische 559 Typus 348 Verbindung 301 Verhältnis zum Eigentum 14 Verhältnis/-se, rechtliche 299 Verhältnisse, gesellschaftliche 301, 379 Verkehr 73 Vertrag 348 Vertrauen in andere 350 Wesen 209, 663 f. Wille/Wollen siehe dort Zweck 348 Gesellschaft (körperschaftliche) Aktiengesellschaft siehe dort Deutsche Gesellschaft für Soziologie 229 ff., 236 ff., 633 ff., 646, 652 Deutsche Statistische Gesellschaft 241, 273, 632 geheime 398, 468 geladene 398 Gesamtperson, fingierte 173 Handelsgesellschaft 355, 376 Hervorbringung/Trägerschaft 563 kommerzielle 351, 505 Versicherungsgesellschaft 355, 368 Gesinnung 566

757

Gewalt 563, 581 siehe auch Zwang fürstliche 424 politische 291, 444 souveräne 408 Staat 282, 328 Verhältnis, soziales 450 Volk 466 Gewerkschaften 72, 89, 414, F 369 Gewinn 351 Absicht Kaufmann 353 Geist 500 Handel 331, 489, 500 Handelsgesellschaft 376 Kaufmann/Kaufleute 283 Streben, triebhaftes 493 Versicherer, staatlicher 357 Wille, auf - gerichteter 116 Zweck 383 Gewissen 559, 572 ff. Gewohnheit 84, 288, 302, 324, 571, 645 Gilde 364 f. Glaube 324 siehe auch Religion, siehe auch Weltanschauung Aberglaube 212 f., 216 an Gemeinschaft 565 christlicher 511 Denken, primitives 288 Geschlecht 380 Glaubensfreiheit 559 Glaubensgenossenschaft 575 Glaubensvorstellung 665 Gruppe 387 Handwerk 501 sinkende an Demokratie 613 überlieferter 271 f. Volk 380 Wesenwille 571 Zeitalter, naives gläubiges 512 Gleichheit 75, 122 f., 252, 288, 302, 412, 414, 416 Gruppe 570 Ansicht, biologische 338 Berufsgruppe 575 Bestimmtheit, quantitative 356 Differenzierung 341 Eigenschaften, besondere 386 Einvernehmen, stillschweigendes 387 gemeinschaftliche/gesellschaftliche 387 Glaube 387 Kampf 568

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Sachregister

Menschengruppe 501 natürliche 259 Regeln 387 Unterscheidung von Verbindung, sozialer 259 Versammlung 400 Völkergruppen 476 Willensbildung 387 Handel 190 Ausbreitung 216 Austausch Produkte 190, 331 f. Bankgewerbe 102 Begegnung Staats-/Handelsinteressen 104 Bezugsgebilde 581 Bodenschätze 327 Börse, militärische 109 Buchführung 101 f. Bürgerliches Gesetzbuch 131 Charakter 173 Denken, rationales 482 Einwirkung auf - 184 f. Element Leben 280 Entwicklung 101 ff., 328, 496, 661 Fernhandel 657 Geld 102 f. Geldhandel 280 f., 291 Geschichte 139 Gewinn 331, 489, 500 Großhandel 108, 356, 368 Handelsgeist 105, 108, 500 Handelsgesellschaft 355, 376 Handelspolitik 104, 147, 185 Handelsschiffe 107 Handelsstaat 133 Hanse 325 Interessensphäre, gemeinsame 76 Kirche 280 ff. Klasse, großbürgerliche 443 Kolonialismus/Kolonien 108 Krieg 75 f., 107 ff., 624 Kulturentwicklung 290 Macht 333 Merkantilisten 282 Nachrichtenwesen 76 Nahrungsmittel 190 Quasi-Einkaufspreis 354 regulierter 282 Reichtum 333

Religion 483, 484 Richtungen, historisch-geographische 325 Soldatenhandel 109 Söldnerwerbung 108 Spekulation 332, 351 Staatskasse 282 Technik 101 ff., 191 Versicherung 353 Volk, handeltreibendes 381 von Staatsgewalt befreiter 282 Welthandel 332, 333 Weltwirtschaft 333, 340 Wesen 332 Wille 376 Wirken 371 Wucherverbot 487, 489 Zinsverbot 489 Zunahme 290, 483, 484 Handlung 299, 377, 392 ff., 397, F 401 f., 406, 571 Handwerk 171, 190 Arbeitsteilung 92 Berufsethos 500 f. Eigentumsbegründung 17 Geselle 120 ff. Gesellenwanderung 84 gläubiges 501 Handwerker 500 Lehrlinge 54 Liebe zum Beruf 504 Manufaktur 282 Nutzen (Ziel) 92 Technik 91 Veränderung/Entwicklung 92 Verkehr 73 Zunft/Zünfte 55, 479 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 325 Hemmung 244, 347 Denken/Wollen Individuum 289 Gebrauch Rechte, schädlicher 298 Religion für Kultur 661 Verkehr 361 Versammlung 403 Zusammenfallen mit Förderung 244 Zusammenleben 568 Herrschaft 227, 443, 569 Alleinherrscher 404 anfängliche 416



Sachregister asoziale 450 Autorität 288 Cäsarismus 444 Christentum als Mittel 477 Despotie/Tyrannei 404 f. Eigentumsbegründung 16 Element Verhältnisse, gemeinschaftliche 298 Fürsten 613 f. Großbürgertum 444 Herrschaftsschicht 381 Kampf 290 politische 473 Privateigentum 298 Religion, herrschende 495 soziale 359, 443 Stadtgemeinde, herrschende 416 Stand/Stände 381, 558 Tyrannei 563 Versammlung 396, 398 f., 405 Volksherrschaft, direkte 464 Weltherrschaft 510 wirtschaftliche 473

Ideal Antike 127 Idealismus 188 Körperschaft 300 Kultur 522 Kunst 565 Leben, soziales 205 Liberalismus, sozialpolitischer 366 Meinung, öffentliche 417 Normen 577 Verhältnisse 301 Wahrheit/Philosophie, echte 565 Werurteilsfreiheit 214 Idealtypus 235, 437, 464 Idee 630 Begriffsbildung 171 Beruf 494 Ehe 573 eigene 384 Einsicht, rein theoretische 210 Entwicklung 139 Fortschritt, sozialpolitischer 411 Gemeinschaft 379 Gericht 297 Geschichtsphilosophie 529 f. Humanität 521, 528, 577

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Ideengeschichte 284 f. Kirche 472 f. Liberalismus, nationaler 303 naturrechtliche 470 Recht 133 religiöse 573 sittliche 142, 547 Staat 127, 133 f., 142, 304, 547 verknüpfende 347 Verschlechterungsidee 511 Zeitalter, besseres 511 Imperialismus 431, 536 siehe auch Kolonialismus/Kolonien Indien 331, 333 Individuum 172, 289 Analyse 382 anderes 253 Anpassung 245, 252, 254 Begriff 563 f. Denken 289 Erbteil, gemeinsames 251 f. Förderung 289 Freiheit 382 Gefühle 298 geistig hervorragendes 249 Gemeinschaft 648 ff. Genossenschaft 375 Hemmung 289, 298 Hervorbringung/Trägerschaft Gesellschaft 563 Individualismus 468, 563 Judentum 482 Realität, alleinige natürliche 301 Selbsterhaltung 255 selbstherrliches 126 Staat 374, 468 Streben 278 Ursache Ungleichheit 252, F 252 Varianten, individuelle 253 Verbesserung Anlagen 249 Verbindung, unabhängige von - 343 Verhältnis/-se siehe dort Vertreter 406 Vertretung 464 Vielheit/Samtschaft 574 Wachstum 255 Wert, ökonomischer 578 Wesen, allein wirkliches 126, 300 Wesenheiten 571 Wesenwille zu Kürwille 363

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Sachregister

Wille 295, 363 Wirkungen überragendes - 444 Industrie Bedeutung Kapitalverkehr, freier 282 Fabrik 91 f., 393 f. Großbetrieb 612 Großindustrie 356 Hausindustrie, zentralisierte 282 Technik 109, 117, 191 Ziel 282 Instinkt 287, 360 Institutionen, soziale 261, 371 amerikanische 452 Ansicht, biologische 338 Charakter 261 Entwicklung 164, 167 f., 176, 261, 284, 444 Geschichte 148, 164, 167 f., 176, 284 Namen 284 politische 425, 444 Recht 298 untergegangene 214 Interesse Ansicht, psychologische 340 Gemeininteresse 360 Geschäftsinteressenten 355 Harmonie von - 355 industrielles 334 Kampf 302 Kaufmann 353 Menge/Haufen 394 öffentliches 305 Selbstinteresse 360 Verhältnis, seelisches 573 Verhältnis, soziales 574 Versicherer 353, 371 Zusammenleben 340 f. Irland 333 Islam 478 ff. Abschaffung Kalifat 506 Ähnlichkeit Christentum 480 ff. Analogie Entwicklung Christentum 506 f. Armenpflege/Wohltätigkeit 480 Besitz 486 Despotie 506 Differenzen zum Christentum 481, 485 Entwicklung 479 Expansion 479 Geist 480

Gottesdienst 480 Kaufleute 486 Krieg 486 Kulturreligion 488 Moral 480 Philosophie 481 Recht 480, 486 Staat 479 Stamm/Volk 485 Türkei 506 Verhältnis zur Reformation 490 Weltanschauung 480 Wirtschaft 488 ff. Wüstenreligion 488 Zukunft 505 ff. Judentum 482 f. Kampf Ansicht, psychologische 342 Arbeit 290 Arbeiterbewegung 550, 559 Auswirkung Wanderungsbewegungen 61 Bedeutung in Soziologie/Psychologie/ Biologie 289 f. Demokratie 473 Einfluss Güter, materielle 290 Freiheit 559 Gruppe 568 Herrschaft 290 Interesse 302 Kampfgenossen 381, 400 Klassen/Schichten siehe dort Krieg siehe dort Kulturgeschichte 349 Landbesitz 290 Leben als - 346 Lohnkampf 342 Masse/Haufen 424 Mittel 95 f. Mittelalter 335 Neuzeit 335, 349 ökonomischer 549 Opposition 290 politischer 549 Produktionsmittel 290 Psychologie 289 f. siegreicher 335 Stand/Stände 290, 349



Sachregister

Streit 290 Überlegenheit Besitz 290 um Dasein 568 Verneinung Leben, soziales 290 Volk 290, 349 Weltreiche 335 f. Zweck 95 f., 399 Kapital absolutes 302 Anhäufung 332 Besitz 381 Betriebskapital 332 Eigentum 19 f., 606 Macht 303 Machtbeschränkung 27 organisiertes 453 privates 303 Trennung von Arbeit 283 Versicherungswesen 353 Verwertung 353 Wohnboden/-gebäude 20 Kapitalismus 613 Abenteurerkapitalismus 494 Aktienbesitzer 121 Charakter 495 Eigentum 22 f., 27 Eliminierung/Befreiung von 123 Entwicklung 109, 496, 661 Ersatz durch Gemeinwirtschaft 654 Finanzkapitalismus 494 Frühkapitalismus 502, 504 Geist, kapitalistischer 494, 501, 503 Gesellschaft, kapitalistische 298, 505 Gesellschaftsordnung, kapitalistische 371, 451 Gestaltung, moderne 495 Hochkapitalismus 504 Kolonialkapitalismus 494 kriegsorientierter 494 Neuzeit 494 Organisation Revolution 216 Organisation, rational-kapitalistische 494 Pariakapitalismus 494 primitiver 491 Produktion, kapitalistische siehe Produktion Religion 495 Tendenzen, kapitalistische 496 Überwindung 650

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Unternehmensführung, staatliche 611 Unternehmer 495, 504 Versicherung 355 Wesen 355 Wirtschaft, kapitalistische 489, 491 Kaufmann/Kaufleute 351 Berufsethos 500 f. Berufstätigkeit 495 Denken, berechnendes kaufmännisches 353 Ethik 500 f. Geld 283 Gewinn 283 Gewinnerzielungsabsicht 353 Interesse 353 Islam 486 Konsum 94 Kreditbank 102 f. Leiter Volkswirtschaft 483 Liebe zum Beruf 504 Mittel 94 Religion 486 Sicherung 351 ff. Unternehmer 501 Verwertung Kapital 353 Zweck 94 Kirche 131, 328 Anpassung an Wissenschaft 560 f. Anstalt 665 Ausgestaltung 489 Calvinisten 282 Ehe 484 Fiktion 469 Franziskaner 281 Geist, ländlicher/feudaler 328 Geldhandel 280 f. Gemeinschaft 378 Geschichte 14, 284, 286 f., 314 Handel 280 ff. Idee 472 f. Jesuitismus 281 Kirchenvolk 391 Kunst 484 Lösung von - 327 f. Macht 423 Menge, große 386 Pflichten 502 Proletariat 554 Reformation 496 reformierte 490

762

Sachregister

Romantik 129 römische 327, 496, 498 f. Rückkehr zur - 564 Schicht 498 f. Sekte 490 Technik 328 Urgesinnung, kommunistische 489 Verband, sozialer 470 Vererbung 277 Wesen, weibliches 483 f. Wesenheit, soziale 575 Wissenschaften 328 Zerfall 472 f. Klan/Sippe 191, 349, 575 f. Klassen/Schichten Angestellte 357 arbeitende 357 Arbeiterklasse 359, 370, 548, 550, 558 Aristokratie, geistliche 492 besitzende 391 besitzlose 358, F 360 Bestimmung Geschichte/Philosophie 548 bürgerliche 499 Eintreten, staatliches für - 359 Gefühle 298 gesellschaftliche 400 großbürgerliche 443 Großgrundbesitzer 444 Grundschicht Leben, soziales 291 Handel 443 Herrschaft, soziale 359, 443 herrschende 492 Herrscherschicht 381 höhere 357, 391 Intellektuellenschicht 499 Kirche 498 f. Klassengegensatz 443, 453 Klassenkampf 290, 302, 349, 548, 561 Kleinbürgertum 501 Kolonien 443 Kontinent, amerikanischer 329 Kriegerschicht, ritterliche 499 landwirtschaftliche 357 Lebensbedingungen 359 Milieu 248, 250 obere 502 Oberschicht, christliche 480 ökonomische 291 Privatbeamte 357

produktive/unproduktive 283 Proletariat siehe dort Samtschaft 575 schwächere 549 sozial herrschende 359 Streit 335 Ursachen Trennung 559 Vererbung 314 Versicherung 355 Volksschicht 349, 363 vornehmere 419 Zusammenwirken 380 Kolonialismus/Kolonien 282 Abhängigkeit, koloniale 330 Analogie Stadt/Land 334 Australien/Neuseeland 329 f. Demokratie 417 f. Denken, männliches 484 f. Handel 108 Imperialismus 431, 536 Klasse, großbürgerliche 443 Kolonialkapitalismus 494 Macht 333 Neu-Europa 330 Nordamerika 417 f. Norden als Kolonie 326 Politik 104 Reichtum 333 Richtungen, historisch-geographische 325 Rückkehr zum Landleben 335 Schichtung Kontinent, amerikanischer 329 Träger Neuzeit, reine 335 Urproduktion 335 Verhältnis zu Staat 78, 334 Verkehr 78 Wanderung 56 f. Weltmacht, politische 333 Kommunismus Besitz 191 Manifest, kommunistisches 547 ff. Marxismus 548 religiöser 486 f. Wirtschaft, kommunistische 549 Zersetzung 547 f. Konkurrenz 325, 342, 394, 453 Können 115 f., 351, 495 Konsum 94, 209, 224, 355, 368, F 369, 493



Sachregister

Konvention 577 Körper Anerkennung 576 Bewusstsein 576 gesetzgebender 612 Grund 576 soziale 159 ff., 572 ff. Körperschaft 572 ff. Anerkennung 576 Anstalt 576 Anwendung Unterschied Gemeinschaft/ Gesellschaft 299 f. Bewusstsein 576 Freiheit Mitglieder 407 gesetzgebende 398 Grund 576 Ideal/Realität 300 Normen, willensbindende 577 Staatsbegriff, juristischer 469 Verband 284, 299 Verfassung 576 Versammlung 398, 405 Volk 410 Wesenheiten 571, 575 Wille 412, 575 f. Zweck 300 Kredit siehe Banken/Kreditwesen Krieg 290 Ansicht, psychologische 342 äußerer 581 Auswirkung Wanderungsbewegungen 61 Börse, militärische 109 Bürgerkrieg 613 Handel 75 f., 107 ff., 624 Heer 398 f. innerer 290, 581 Islam 486 Kapitalismus, kriegsorientierter 494 Kriegerschicht, ritterliche 499 Kriegswirtschaft 500, 654 Kriegswissenschaft 97 ff. Kultur 191 f. Militär 58, 85, 105, 395 Nachrichtenwesen 76 Recht 614 Religion 484 Schaffung Verkehrswege 75 f. Schicht, richterliche 499 Seekrieg 104, 107 f.

763

Söldnertum/Anwerbung 108 Staatsgeschäfte 76 Technik 95 ff., 106 f., 116 f., 119, 146, 191, 618 Verkehr 75 f. Weltkrieg 613 f. Kultur Adaption 330 allgemeine 341, 549 Anpassung an Bedingungen 258 Ansicht, biologische 340 antike 479, 656 Arbeitsteilung 189 ff. Ausbildung Denkungsart, freie 327 Austausch Arbeitsprodukte 189 ff. Bedürfnisse/Gefühle 216 Begriff Kulturideal 522 Bewegung Süden -> Norden 324 Blüte 193 Charakter, gesellschaftlicher 74 Charakter, neuzeitlicher 328 Einheit Morgen-/Abendland 485 Elemente 391, 475, 481 empirische 192 Entwicklung siehe Kulturgeschichte europäische 336 Faktor Christentum 477 Fortschritt 511 Gebiet, jüngeres/älteres 326 geistige 193, 216 Geschichte siehe Kulturgeschichte gesunde 565 f. großstädtische 297 höchste 302 höhere 341 ideelle 327 Krieg 191 f. Krise 267, 553 Kritik 192 Kulturvolk siehe Volk Leben 164, 193 Macht, ökonomische 290 materielle 328 Mischkultur, orientalisch-hellenistische 481 moderne 347, 494 Nation 341, 391, F 391 neue 477 neuzeitlich antike 323 Niedergang 656 f.

764

Sachregister

Nivellierung Unterschiede 70 f. Nomadenkultur 80 f. Nordamerika 330 Norden 323, 326 ff. nordeuropäische 326, 663 ökonomische 55 f., 216 orientalische 477 politische 216, 477 Rasse/Rassenmischung 193 Recht 297 Religion 475 ff., 488, 497, 661 ff. Richtungen, historisch-geographische 323 ff. Römisches Reich 656 Siedlung, feste 192 sittliche 549 Sprache 341 städtische 328 Studium, empirisches 631 f. Süden 323, 326 Synthese 522, 531, 553, 556 Systeme 515 Technik 110 ff. Träger mittelalterlicher - 325 Tragik 566 überlegene 477 Vererbung/Anpassung 254, 258 Verkehr 290 Verlauf 566 Welt 297, 482, 558 Werte 546, 560 Westeuropa 332 Wissenschaften 581 Wurzeln Mittelalter 326 Zunahme Handel/Verkehr 290 Zusammenhang mit Wohnen/Sitzen 81 Zusammenleben 185, 190 f. Zustand 668 Kulturgeschichte 189 ff., 582 Aufklärung siehe dort Durchsetzen Regelmäßiges 79 Entwicklung Produktivkräfte 450 Erdteile, kulturhistorisch bedeutsamste 323 f. Folgen Beurteilung Gegenwart 561 Frage, soziale 147 Geschichtsschreibung, soziologische siehe dort Hauptmoment 290 Kampf 349

Kausalzusammenhang, psychologischer 153 f. materialistische 451 neuere 110 Religion 475 ff. Richtungen, historisch-geographische 323 ff. Technik 110 ff. Verhältnis zur Geschichtsphilosophie 285 Verkehr 290 Wechselwirkung Elemente, sesshafte/ Bewegliche 82 f. Westeuropa 332 Wirtschaft 90 Kunst 173, 351 Bezugsgebilde 580 bildende 477, 483 Charakter, geistig-moralischer 580 Geschichte 284 Geschichte als - 231 Ideal 565 kirchliche 484 Künstlerseele 565 Kunstschule 575 menschliche 73 militärische 99 Religion 288 Samtschaft 575 Technik 91, 99 Veränderung/Entwicklung 92 Verkehr 73 Volk 391 Wert, ideeller/geistiger 579 wissenschaftliche 231 Kürwille 291, 363, 467 f. aus Wesenwille 505 Begriff 376, 571 f. Berufsethos 501 Eigentum 18 ff. Fortschritt 363 Freiwilligkeit 383 Gegensatz zum Wesenwillen 623 f. Gesellschaft 571 f. Lösung 173 Moral 501 rationaler 505 Religion 482 Samtschaft/Verband 467 f., 575 Ursprung Wesenheiten 571



Sachregister Verhältnis, seelisches 573 vollendeter 376 f. Zweck 505

Landwirtschaft 327 Charakter, ökonomischer 580 Parzellierung 59 rationelle 282 f. Tierhaltung 80 f. Wandern 59 Latifundien 35, 41 f. Leben, soziales 12, 207, 278 Ansicht, materialistische 188 Bedeutung Abstammungslehre/Anlagen/ Vererbung 289 Bedürfnis, elementarstes 278 Begriffe 210, 214 f. Bezugsgebilde 580 ff. Charakter 261 Denkungsart, neue 449 eigentliches 563 England 367 Entwicklung 125, 261, 285 Erforschung, biologische 289 Erforschung, induktive 318 Formen 285 Geschichte 125, 217, 284, 287, 294 Gesetzmäßigkeiten 286 f. Grundschicht 291 Ideal 205 Kampf 290 Kern/Substanz 371 Komplexe, soziale 450 Lehre vom - 309 Missstände 361 Organismus siehe dort Religion 475 ff., 482 Tatsachen, soziale siehe dort Technik siehe dort Theorie, falsche 563 Tugenden 565 Vergleichung 220 Verneinung 289 f. Völker 284 Wahrheit, objektive 560 wirkliches 205, 267 Zerrüttung 563 Zustände/Bewegungen, wirtschaftliche/ politische/geistige 224

765

Lebensalter 396 Generation 258, 443, 547 gereiftes 323 Greisenalter 484 Jugend 381, 477, 547 Versammlung 401 Zusammenwesen 381 Liberalismus 154 f., 615 Demokratie 659 Geschichte 512, 547 nationaler 303 Nationalliberalismus 135 f. Naturwissenschaft 168 Recht 547 sozialpolitischer 366 Staat 303, 365, 430 Macht 568 Adel 423 Beschränkung - Kapital 27 Eigentum 20 Gefühl 403 Geld 290 Gewohnheit 504 Grundlage 475 Handel 333 Kapital 303 Kirche 423 Kolonien 333 Machtzauber F 401 f. ökonomische 290 politische 291, 561 regulierende 470 vorhandene/erstrebte 561 f. Wollen, soziales/individuelles 341 Zweck 383 Markt aufnahmefähiger 332 freier 332 Jahrmarkt 397 Menge/Haufen 393 f. Monopol 357, 453 Realisierung Mehrwert 353 überseeischer 332 Unterschied Handlung, gemeinsame/ gleiche 394 f. Weltmarkt 333, 356, 361, 611 Mehrheit 403, 465, 470 Meinung 288 entgegengesetzte 560

766

Sachregister

Kausalität/Bedingtheit 559 öffentliche siehe Meinung, öffentliche Streit 335 Wirkung gemeinsame/individuelle 558 Wirkung öffentliche/private 558 Meinung, öffentliche 289, 489 f. Eigentum 7 Ideale 417 Meinungen, gemeinsame 658 Moral 577 f. Nachrichtenwesen 75 ff. Normen 577 Notwendigkeit Begriffsbildung 214 f. unartikulierte 454 Versammlung/Vertretung 406 Wandern 60 Wille 577 f. Zeitungswesen 454, 644 f. Menge/Haufen/Masse 618 ff., 658 Anhäufung 398 arbeitende 392 Ausdruck 385 Demokratie 424 Demonstration 401 Einheit 392 Elemente 406 Fabrik 393 f. Gefühle 394 f. geistige/sittliche 396 f. geübte 399 Gottesdienst 396 f. große 385 ff., 658 größere 404 Hauptstadt 393 Heerwesen 395 Instinkt 424 Interesse 394 Jahrmarkt 397 Kampf 424 Kirche 386 Mahlzeit 397 Markt 393 f. Massenpsychologie 570 Massentransport 74 Massenwanderung 383 Merkmal 401 Messe 397 Nation 386 Pöbel 392, 401 politische 395 ff.

Psychologie 387, 390 ff. Rasse 390 f. räumlich getrennte 392 Sitte 397 Sprache 391 Staat 386, 392 Stammtisch 397 Taten 395 Trinkgelage 397 unfreie 392 Verbindung 385 f. Versammlung siehe dort Vertretung 406 Volk 380 f., 386, 390 f., 399, 404 Weltausstellung 393 Weltstadt 401 Wille 400 Willens-/Handlungsfähigkeit 392 f., 397 Willens-/Handlungsgeneigtheit 393 f. wirtschaftlicher 393 ff. Zerstörung 400 zufällige/absichtliche 390 f. zusammenhängende 385 Zusammenkunft, gesellige 397 Zwecke 393 ff., 398 ff. Mensch Anpassung siehe dort Bejahung, gegenseitige 259 Menschengruppe 501 Mitglied Staat 302 Mobilitätstypen 624 normal denkender 300 Sein, gesellschaftliches 559 sozialer 375 Staatsbürger F 232 f. Technik siehe dort theoretischer 186 traditionalistischer 504 Verhältnis, fehlendes zu Gemeinschaft/ Gesellschaft 301 Vorfahren 255 Weltbürger F 232 f. Wesen, animalisches 568 wissenschaftlicher 557, F 232 f. Zeitbürger F 232 f. Metaphysik 115, 130 f., 518 Methode/Methodik 157 f. Analyse/Synthese 344 Beobachtung 194, 291, 582 Beschreibung, möglichst vollständige 233



Sachregister

Darstellung Beobachtung, methodische 292 Deduktion 193 f., 215 f., 233 Disputation 218 Entwicklung 285 Erforschung, kausale 582 Ethnographie/Ethnologie als - 291 induktive/Induktion 193 f., 221 f., 230 f., 274, 285, 310, 318, 582 Materialismus, historischer 194 Methode Soziologie 157 Scheidung/Darstellung 344 Sozialwissenschaften 233 soziologische 306 Statistik siehe dort Synthese Ergebnisse Untersuchungen 285 Untersuchung Gesetzmäßigkeiten 292 Vergleich/Vergleichung 220 f., 230, 233, 235, 243, 285, 436, 582 Mittel Anpassung an Zweck 101 Berufsethos 501 Christentum zur Herrschaft 477 Eigentum 18 f. empirische 531 Entfernung von Zweck 376 Gebrauch trotz Verneinung 377 gedachte/gewollte 259 Geräte 93 f. Geschäftsmann/-leute 93 Gesellschaft 348 Gestaltung 505 Kampf 95 f. Kaufmann 94 Konvention 577 Kürwille/Wesenwille 505, 571 Lustbetonung 377 mechanisches isoliertes 374 Menge von - 375 Messung an Zweck 360 Rationalisierung durch Scheidung/Isolation 505 spezifisch demokratisches 613 Staat 374, 468 Staatsmann 94 technische siehe Technik Verbindung 301, 363 Verhältnis/-se 172, 259 Verständigung 66

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Moral 581 Auffassung, utilitaristische 501 Ausbildung Anlagen 250 f. Berufsethos 501 Gesellschaft 501 Islam 480 kalte 501 Kürwille 501 Meinung, öffentliche 577 f. Normen 577 Recht 297 Religion 577 Richter, ideeller 577 Soziologie 306 Tatsachen, moralische 225 Wandern 60 Wesenheit 575 Nachahmung 193 Nachbarschaft 347, 349, 378, 381 Nachkommen 250 Nachrichtenwesen 75 ff. Name/Bezeichnung 288 Benennung 437 Erweiterung 437 f. Freundschaft 378 Geltung/Gebrauch, öffentliche/-r 305 Gesellschaft 373 f. Institutionen 284 Nachbarschaft 378 Soziologie 157, 195 ff., 207, 226 f., 229, 234, 263, 626 Staat 374 Staatsbürger 468 Statistik 224 Verbände, soziale 299 Verwandtschaft 378 Nation 370 Begriff 658 Gemeinschaft 378 Glück 184 Heiliges Römisches Reich Deutscher 325 Jahresprodukt Arbeit 283 Kulturnation 391, F 391 Liberalismus, nationaler 303 Menge, große 386 Nationalbewusstsein 24 Nationalreichtum 334 Nationalversammlung 424, 613

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Sachregister

Rechtsbewusstsein 304 Reichtum 183 f. Reisen 66, 70 f. Samtschaft 575 Staatsnation 391, 612, F 391 Versammlung, gesetzgebende 404 Volksnation 391 Voraussetzungen 650 Wesen, gemeinschaftliches 302 zurückbleibende 335 Nationalökonomie 144 ff., 242, 314 ff. Ablösung durch Staatswirtschaft 283 Ansicht, biologische 340 Aufnahme Gesichtspunkte, soziologische 316 f. deskriptive 569 Gefahren Studium 270 f. Schule, jüngere 315 Sozialwissenschaft 231 Statistik 224, 273 f. Verhältnis zur Soziologie 222, 264 f., 305, 309, 649 Vorgehen 184 Wirtschaftsphilosophie 184 Naturalwirtschaft 291 Naturrecht 129 ff., 210, 259 f. Aufklärung 546 Glaubensvorstellung 665 Idee, naturrechtliche 470 modernes/Rechtsphilosophie 374 rationalistisches 259, 297 Staatstheorie/Staatslehre 136 f. Unmöglichkeit 647 Neuzeit 561, 656 f. Entwicklung, industrielle 327 Gegensatz Beurteilung/Denkweisen 511 Geist 335 Kampf 335, 349 Kapitalismus 494 Kennzeichen 328 reine 335 Richtungen, historisch-geographische 323 ff. Staat 326 Träger 335 Zusammenstoß mit Mittelalter 335 Normaltypus 235, 437, 464, F 464, 668 Normen 125, 570, 577 ff., 646 f. Aufstellung/Rechtsphilosophie 260 Begriff 577

Eintracht 577 Gesetzgebung 577 Gewissen 577 Ideal 577 Meinung, öffentliche 577 methodologische 90 Moral 577 Ordnung 577 f. Recht 577 f., 646 f. Religion 577 Rück-/Auswirkungen 577 Sitte 577 verhaltenseinschränkende 577 Willensinhalt Wesenheiten 570, 577 Ordnung/Organisation 200, 214, 275, 559, 577 f., 650 Organe 120 Demokratie 461 Eigenschaften 251 geerbte 243 Handelsgesellschaft 355 Modifikationen 251 Sinnesorgane 246 Zentralorgan 121 Organismus 243 Anpassung 251 Charakter, organischer Recht 296 Eigenschaften 251 Einwirkung Verhältnisse, umgebende 257 elementarer 255 elterlicher 253 Gemeinschaft 348 Gesellschaft 165 f. gewordener 114 höherer 246 lebendiger sichtbarer 300 Modifikationen 251 objektiver 159 sozialer 157 f., 212 Staat F 132, 159 ff., 374 Tätigkeiten 243 Technik 110 ff., 120 unentwickelter 246 Vererbung 251 Vermehrung 255, 450 Zentralorgan 121 Parteien F 239, 288 Bestrebungen, demokratische 423



Sachregister

bürgerliche 423 DDP/Fortschrittspartei 423 konservative/reaktionäre 562 mutative/reformative 562 Parteigeist 272, 548 Parteistellung 408 Parteiwesen im Staat 155 Parteiwirtschaft, entfesselte 613 Parteizentren 406 f. Sozialdemokratie 40 f., 423, 438 Verschiedenheit Parteigeist 548 Wahl 406 f. Wollen 213 Phantasie 288, 299, 323, 477, 483, 495 Philosophie 125, 500 Arbeit, wissenschaftliche am Sein 624 Beherrschung Jahrhundertdrittel, erstes 125 Charakter, geistig-moralischer 580 Denkungsart, moderne 14 Dogmatik, christliche 477 Eigentumsbegründung 14 Einfluss Denken, soziologisches 322 Geist, hellenischer 477 Generalisierung 186 Geschichte siehe dort Islam 481 kritische/idealistische 564 Kulturgeschichte 285 Kultursynthese 531 Lebensphilosophen, psychologisierende 565 natürliche 197 Naturphilosophie 130, 159, 502, 514 Neuplatonismus 477 Philosophenschule 575 Politik 309 politische 200 positive (positivistische) 195, 198, 204, 624 praktische 151 Recht siehe Rechtsphilosophie Religion als - 186 romantische 150 soziale 200 Sozialphilosophie 3, 177 f., 198, 209, 306, 562 Sozietätsphilosophie 133 Soziologie, philosophische 215 f., 337, 631

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spekulative 135, 144, 180, 190, 551 Staatsphilosophie 151 stoische 296 synthetische 158 systematische F 206 theologisch-metaphysische 199 Unterschied zur Wissenschaft 185 ff. Wahrheitsideal 565 Wirkung 182 Wirtschaftsphilosophie siehe dort Wissenschaften, philosophische 292 wissenschaftliche 624 Politik 136 Abgrenzung zur Soziologie, angewandten 207 antirevolutionäre 130 Beamtentum, politisches 499 Beruf 462 Beweggrund Religion 558 Bezugsgebilde 581 Denken 614 Einfluss Verhältnisse, wirtschaftliche 444 Entwicklung, politische 443 eugenistische 646 Gegensatz zur Ökonomie 143 Geschichte, politische 582 Gewalt 291, 444 Handel 104, 147, 185 Herrschaft 473 Institutionen, politische 425, 444 Kampf, politischer 549 Kolonialismus 104 Kultur, orientalische 477 Macht 291, 561 Menge/Haufen 395 ff. merkantilistische 279 f. Ökonomie, politische 183, 266, 280 ff., 322 Philosophie 200, 307 positive/positivistische 157, 198, 213 Praxis 213 Reform, sozialpolitische 650 Reichtum 184 Reisen 65 revolutionäre 199 ff. rückschrittliche 200 f. Sozialpolitik 154, F 239, 322, 453, 649 Staatslehre 433 Staatsversicherungen 357 ff.

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Sachregister

stationäre 200 Theorien, politische 125 f. Versammlung 395 f., 398 Volkswirtschaftspolitik 210 Weltmacht, politische 333, 335 f. Werte, politische 578 f. Wirtschaftsphilosophie 186 Wohltätigkeit 350 Zweck, politischer 395 f., 399, 501 Portugal/Spanien 328 f. Produktion Abhängigkeit Arbeit 548 Austausch Produkte 189, 331 f. Bedingungen, ökonomische 559 Eigenproduktion/Selbstherstellung 368 Entwicklung Produktivkräfte 450 Gebrauchswerte 291 Genossenschaft 368 Großbetrieb 332 kapitalistische 291, 332, 483, 495, 559 Klassen 283 Komplex, sozialer 450 Lebensgrundlage 283 Massenproduktion 332 mentale 645 Produktionsgebiete 333 Produktionsmittel 12 f., 290, 449 Produktionsverhältnisse 451, 548 Produktivkräfte 451 Riesenbetrieb 332 Urproduktion 335 Verschwendung, produktive 501 Versicherung 356, 363 Verteilung Produkte 303 Waren 282, 291, 332 Proletariat 444, 451, 554, 561 Aufstieg, sozialer 60, 62 Kirche 554 Vagieren (Vagabundieren) 86 Psychologie 120 empirische 230 Kampf 289 f. Massenpsychologie 289 naturwissenschaftliche 278 Psychosoziologie 571 Sozialpsychologie 220, 306, 310, 340 ff., 569 f. Tätigkeiten, psychologische 379 Teil Geschichtesauffassung, soziologischer 289

Verhältnis zur Soziologie 206, 216, 219, 337, 631, 666 Völkerpsychologie 153 f., 220, 230, 289, 631 Wissenschaftskomplex 514 Rasse 568 Anlagen 289 Ansicht, biologische 338 gelbe 336 Gemeinschaft 497 Hindu 336 Menge/Haufen 390 f. Merkmal 247 Mischung 193 neue 289 Rassefrage 314 Samtschaft 574 Typus 246 Ratio Status 348 Rationalismus 130 ff., 173, 547 Recht 126, 216 Abstraktion 260 Anschauung 130 Antirationalismus 131 f. Anwendung 649 Begriff, individualistisch-gesellschaftlicher 296 Bewusstsein 304, 581 Bezugsgebilde 581 Bildung, wirkliche 296 Bürgerliches Gesetzbuch 131 Bürgerrecht 407 Charakter, organischer 296 Dialektik 547 eigenes 404 Eigentum siehe dort Entstehung/Schöpfung 131 f., 649 Erweiterung aus Parteikampf 444 formelles 470 Gefühle/Gedanken 298, 581 Genossenschaft 412 Gerechtigkeit 581 Gericht 298 Gesellschaft, kapitalistische 298 Gesetze 260, 338, 348, 577 gesetzliches 298 Gestaltung 649 Gewohnheitsrecht 132, 260, 296 Großstadt 297



Sachregister Hemmung Gebrauch Rechte, schädlicher 298 Herrschaft Privateigentum 298 Idee 133 individuelles/subjektives 260 Institutionen 298 Islam 480, 486 kanonisches 480, 486 Kriegsrecht 614 Kultur 297 leeres/Rudiment 465 Liberalismus 547 Maßstab, überhistorischer 647 Moral 297 Mutterrecht 166 Nation 304 Naturrecht siehe dort Normen 577 f., 646 f. Notwendigkeit 298 Notwendigkeit Begriffsbildung 214 f. objektives 126 öffentliches 361 Privatrecht 296, 360 Rationalismus 130 f. Rechtsauffassung, wirkliche 296 Rechtsfriede 11 Rechtsgefühl 581 Rechtsgeschichte siehe dort Rechtspflege 581 Rechtsphilosophie siehe dort Rechtsregeln 466 Rechtssystem 580 Rechtswissenschaft, vergleichende 170, 313 Religion 171, 288 Sinn 298 Sitte 297, 650 Soziologie siehe Rechtsphilosophie Staat siehe Staatslehre/-theorie subjektives 300 Tatsache 126, 465 f. Tendenz 299 übertragenes 404 Verbrechen 306 Verhältnis/-se, rechtliche 173, 295 ff., 650 Versicherung 359 Vertrag siehe dort Wahl siehe dort wahres 131

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Wert, politischer 579 Wesen 126, 298 Wirklichkeit - 646 f. Wirtschaftsphilosophie 186 Zweck 28, 163, 577, F 163 Rechtsgeschichte 169 f., 261, 297 deutsche 132 f. Frauenwahlrecht siehe Wahlrecht Freirechtsbewegung 649 Rechtsschule, soziologische 313 Reichssiedlungsgesetz 35 römische 480 Schule, historische/Historische Schule 172, 260, 374, 546 f., 647 f. Ursachen Rechtsentwicklung 630 vergleichende 285 Rechtsphilosophie 259 ff., 630 Aufklärung 129 f. Aufstellung Normen 260 Begriffe, individualistische/gesellschaftliche/gemeinschaftliche 260 Denken Schule, historische 546 f. Gesetzmäßigkeiten Entwicklung 261, 297 Grenzen 260 legitimistisch-konservative 130 marxistische 144 Naturrecht siehe dort Neukantianer 312 Rechtslehre/Sittenlehre 260 Schule, historische/Historische Schule 260, 647 f. Sinn 260 Synthese, begriffliche Recht/Sittlichkeit 260 Verhältnis zur Soziologie 186, 209, 259 f., 297, 304, 306, 646 ff. Vernunft, rechtsetzende/Vertrag 260 Vertrag 260 Volksgeist 260 Wesen 259 Wirklichkeit 259 f. Reichtum 278 Freude am - 504 Handel 333 Judentum 482 Kolonien 333 Konsum 493 Nation/Politik 183 f. Nationalreichtum 334

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Sachregister

öffentlicher 612 Sicherheit 350 f. USA 444 Reisen 62 ff. Abgrenzung zum Wandern 62 f. Arbeiter 72 Arbeitsreisen 64 f. Auswanderung 66 Badreisen 67 Berufsreise 64 Besuchsreisen 66 Bildung/Einfluss, bildender 68 ff. Charakter, temporärer 62 f. Dienstreisen 64 Druck/Freiheit 68 Entfernung 64 Erholungs-/Ferienreisen 67 Forschungs-/Entdeckungsreisen 64 Gattung, eigene 65 Gefahren/Übel, sittliche 71 f. Gelegenheiten/Angelegenheiten 66 Gemeinschaft 72 Geschäftsreisen 65 Geschlecht 383 Handlungsreisen 64 Hauptbetroffene 65 Hochzeitsreise 68 Interessen/Angelegenheiten, lokale 71 kleine 65 Kongressreisen 66 Kunstreisen 65 Menschenverkehr, freier 62 Mittel zur Verständigung 66 Nation 66, 70 f. Nivellierung (Unterschiede, kulturelle) 70 f. Pendler 64 f. periodische 63 Reisende, mittelbare 64 Reisepöbel 69 f. Saisonarbeit 63 Schattenseiten 69 Sehenswürdigkeiten 69 Studienreisen 65 f. Touristen 68 Ursachen/Beweggründe 64 f. Urteilsfähigkeit 69 Verbindung von Orten 65 Vergnügungsreisen 67 f.

Wirkungen, soziale 70 f. Zweck 66 f. Religion 216 siehe auch Glaube, siehe auch Weltanschauung Altertümer, ideell überlebende 507 Analogie Entwicklung Christentum/ Islam 506 f. Anschauung 299 Anstalt, göttliche/staatliche 665 Aristokratie, geistliche 492 Auffassung, liberal-theologische 557 Aufhebung Trennung Orient/Okzident 507 Aufklärung 496, 558 Bedeutung 288, 475 ff., 497, 661 ff. Bedürfnisse Männer 484 Begriffsbildung 214 f., 483 Beruf 495 ff. Berufsethos 500 f. Beweggründe, politische 558 Bezugsgebilde 580 f. Calvinismus 493 Charakter, geistig-moralischer 580 f. Dauerhaftigkeit 495 Denken, spekulatives 476 Determinismus 516 Dialektik 547 Differenzen 481 Dogmatik, christliche 477 Ehe 573 Eigentum 14, 483 Eintracht 288 Elemente 495 Entfremdung von - 558 Entwicklung 483 Erneuerung 554 Gefühl 493, 495, 558 Geheiß, göttliches 398 Geist 480, 483, 501 Gemeinde, religiöse 575 Gemeinsamkeiten Weltreligionen 481 ff. Gemeinschaft 378 f. Genossenschaft, religiöse 665 Geschichte 284, 475 ff., 663 Gewohnheit 288 Gnadenwahllehre 492 f. Gottesdienst 396 f. Greisenalter 484 Handel 483, 484



Sachregister Häresie, protestantische 496 herrschende 495 Humanismus 496 Islam 478 ff. Jesuitismus 502, 560 Kapitalismus 495 Kaufleute 486 Kirchengeschichte 14 Kommunismus, religiöser 486 f. Können 495 Kreationisten 560 f. Krieg 484 Kritik 547 Kulturreligion 488 Kunst 288 Kürwille 482 Leben, soziales 475 ff., 482 moderne 505 Modifikationen 495 Monismus, rationalistischer 506 Moral 577 natürliche 546 Naturwissenschaften 492 Normen 577 Pankoismus 564 Pflichten 502 Phantasie 288, 299, 477, 483, 495 Philosophie 186 Pietismus 491, 493 Prädestination 492, 516 Priester 85 Proletariat 554 Protestantismus 547, 558 Puritanismus 491, 501 Recht 171, 288 Reformation 490, 496 Reichtum/Konsum 493 Religionskongresse 508 Rückkehr zur - 564 Samtschaft 575 Scheinreligiösität 558 Sitte 288 Soziologie 306 Staat 468 Stand 497 Streit 335 Theologie 558 Vererbungslehre 277 Verhältnis zur Erkenntnis 557 Verharrung 477

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Verkehr 483 vernunftmäßige 506 Vernunftreligion 204 Weltreligion 477 Wert Bewusstsein, soziales 558 Wert, ideeller/geistiger 579 Wesen 495 Wesen, männliches 484 Wesen, weibliches 483 f. Wesenwille 482 Wille 347, 577 Wirkungen 288 Wirtschaft 489 ff. Wissen 495 Wissenschaften 288 Wüstenreligion 488 Zerrüttung, innere 554 Zukunft 507 Zusammenhang Lebensbedingungen 477 Richtungen, historisch-geographische 323 ff. Abhängigkeit, koloniale 330 Aufhebung Trennung Orient/Okzident 507 Ausbildung Denkungsart, freie 327 Außenrichtung 334 Bedingungen 332 Besiedelung Kontinent, amerikanischer 323, 328 f. Bewegung Ost -> West 328 f. Bewegung Osten -> Westen 325 Bewegung Süden -> Norden 324, 327, 330 Binnenland 323 f. Charakter, zunehmend städtischer 334 China/Japan 331 Deutsches Reich 333, 336 England 333 Erdteile, kulturhistorisch bedeutsamste 323 f. Frankreich 333 Gegend Zukunft 330 Indien 331, 333 Interesse, industrielles 334 Irland 333 Kolonien 325 Kultur, europäische 336 Küste 323 f. Nordamerika 330

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Sachregister

Norden 323, 326 ff. Okzident 323 Orient 323, 330 f. Osten 324, 336 Süden 323, 326, 336 Übergang Agrarstaat/Industriestaat 334 Übergang Gebundenheit/Freiheit 324 Ursachen/Bedingungen 321 ff. Verbindung Europa/Orient 330 Verhältnis Binnenland/Küste 324 Verhältnis Osten/Westen 324 Wanderung 61 f., 324 Westen 323 f., 330, 332, 336 Westeuropa 332 Westmächte, konkurrierende 325 Romantik 128 ff., 512, 525, 547, 663 Ruhm/Berühmtheit 248 Russland 445 ff. Samtschaft 125, 572 ff. Anerkennung 467, 576 Bejahung 575 Bewusstsein 576 Christenheit 575 Dasein, dreifaches 467 f. Einteilung 575 Gelehrtenrepublik 575 Gesellschaft als Begriff 575 Grund 575 f. Klassen 575 Kunstschule 575 Nation 575 natürliche 575 Normen, willensbindende 577 Philosophenschule 575 Rasse 574 Reform 575 seelische 574 Stamm 574 Stand/Stände 575 Ursprung 575 Vielheit Individuen 574 Volk 574 Wesenwille/Kürwille 467 f., 575 Sicherung 345, 348 ff., 363, 657 Sitte 216 angemessene 72 Ansicht, biologische 338 Ausübung Wahl-/Stimmrecht 408 Bewusstsein, sittliches 297, 613

Bezugsgebilde 581 Denken 566 Ehe 650 Gemeinschaft, sittliche 299, 565 Idealismus, sittlicher 304 Idee, sittliche 142, 547 Kultur 549 Menge/Haufen 397 Normen 577 Notwendigkeit Begriffsbildung 214 f. Recht 297, 650 Reisen 71 f. Religion 288 Sinn, soziologischer 298 Sittenlehre, strenge 280 f. Sittenverhältnis 260 Staat als Wirklichkeit, sittliche 547 Synthese, begriffliche Recht/Sittlichkeit 260 Verpflichtung, sittliche 408 Wandel 72 Welt, sittliche 449 Wert, ideeller/geistiger 579 Wille 347, 577 Wirkungen 288 Wollen, soziales/individuelles 341 Sklaverei/Leibeigentum 13, 138, 342, 417, 419 Traite de blanches/White Slavery/Mädchenhandel 79 USA 444 Verkehr 77 f. Wert, ökonomischer 578 Sozialdemokratie 40 f., 434, 438 Sozialismus 138 f. autoritärer 123 Geschichte 512 Gesichtspunkte, soziologische 317 Katheder- 27, F 27 Lehre 268 f. Staatssozialismus 18, 150, 611, 654 utopischer 549 wissenschaftlicher 214, 267 f. Ziele, sozialistische 358 Sozialreform 320, 613 Soziologie F 239, 650 Abstammungs-/Deszendenztheorie siehe dort Abteilungen 624 akademische 616



Sachregister allgemeine 306, 337, 567 ff., 666 Analyse Produktions-/Austauschweise 192 angewandte siehe Geschichtsschreibung, soziologische ästhetische 307 Aufgabe 206 ff., 214 f., 220, 261, 265, 627 ff., 630 Auslegung 194 Auslese Berufe 241 Aussichten in Europa 305 ff. Bedeutung Staatslehre/-theorie 304 Bedeutung Theorien, ökonomische 276 ff. besondere 567 ff., 666 Bevölkerung 216 Bezugsgebilde 580 ff. Bildung Zivilisation 190 Denkströmungen 124 ff. Deutsche Gesellschaft für Soziologie 229 ff., 236 ff., 633 ff., 646, 652 eigentliche 207 Einfluss Denken, soziologisches 322 Einführung, amtliche 318 Einteilung 567 ff., 666 ff. empirische siehe Soziologie, empirische Entwicklung Deutschland 19. Jhd. 124 ff. Entwicklungsstand 189 ff. Erforschung Tatsachen 234 Ethnographie/Ethnologie siehe dort ethnologische 314 Finanzsoziologie 28 ff., 31 f., 606 Forschung 582 Fundierung, logische 193 Gegenstand 291, 470, 473 Genealogie 314 Geschichte siehe Geschichtsschreibung, soziologische Gliederung, innere 666 Hemmnisse 291 Herrschaft Vernunft 227 Internationalität 319 Korrespondenz der Neutralen 641 ff. Leben, wissenschaftliches 306 Lehre/Lehrstühle 262 ff., 305 ff., 322, 617 f., 625, 641 marxistische 445 ff. Materialismus, historischer 445 ff. Mensch, wissenschaftlicher F 232 f.

775

Methode/Methodik siehe dort Mittelpunkt 629 Moral 306 Morphologie, soziale 307 Name/Bezeichnung siehe dort Normen, soziale 125, 570, 577 f., 646 f. philosophische 215 f., 337, 631 Physik, soziale 195 ff. Polygenismus 164 f. Protosoziologie 619, 648 Quellen 125 Rechtsphilosophie siehe dort Religion 306 Soziologisches Archiv 637 ff. Spannungen/Kämpfe 473 spezielle 582, 666 Staatslehre/-theorie siehe dort Statik/Dynamik 201 ff. Statistik siehe dort Tatsächlichkeit, reine 233 Teil, empirischer 582 Theorie, soziologische 209 Übergang, besondere/eigentliche 570 Verein/-swesen siehe dort Verhältnis zu Wissenschaften, anderen 218 ff., 229 ff., 267, 284 ff., 292, 306 ff., 320, F 320, 337 ff., 473, 666 f. Verwandtschaft zur Kulturgeschichte/ Geschichtsphilosophie 285 Voraussetzungen 289 Wahrscheinlichkeit 233 Wege 208 ff., 631 ff. Werte siehe dort Werturteilsfreiheit in - 211, 218, 231, 233, F 320, 632, 646, 652 Wesen 206, 259 Wesenheiten 570 ff. Wirtschaftsphilosophie siehe dort Zeitungswesen 240 f., 306, 454, 644 f. Ziele 208 ff., 284, 631 ff. Zukunft 189 ff., 284, 625 Zustände, gegenwärtige 291 Soziologie, empirische 567 ff. Demographie 194, 225, 232 f., 569, 582, 631 Demologie 225, 232 f., 569, 631 Einteilung 666 ff. empirisch beglaubigte 218

776

Sachregister

Methode Statistik siehe Statistik Methode, induktive siehe Methode/ Methodik Soziographie 569 f., F 569, 582 Soziologie, reine 310, 567 ff., 631 Aufgabe 265 Deduktion 193 f., 215 f., 233 Einteilung 666 ff. Entwicklung 210 Mittelpunkt 629 Rechtsphilosophie siehe dort Theorie, soziologische 207 Werturteilsfreiheit 646 Spanien 106 Sprache 307 Ansicht, biologische 338 Ansicht, psychologische 341 Bewusstsein 378 Element, seelisch verbindendes 378 Kultur 341 Menge/Haufen 391 Muttersprache 347 Sprachgemeinschaft 378 Sprachgenossenschaft 575 Unterschied Werkzeug/Maschine 110 ff. Wert, gemeinschaftlich besessener 378 Wert, ideeller/geistiger 579 Staat Armenpflege/Landarmenwesen 89 Autorität 612 Banken 102 Beamtentum 499 Begegnung Staats-/Handelsinteressen 104 Bejahung/Verneinung 302, 468 Bewusstsein 468 Bildung 460 britischer 465 Bürokratie 461, 547 deutsch-preußischer 154 Ehe 292 Eigentum 13, 15, 21 f., 606 Eigentums-/Vermögensverteilung 22, 611 f. Einheit 328, 613 Einrichtung, wohltätige 359 Einrichtungen 371 Eintreten für Klasse 359 Familie 469 Finanzen/Geld 31 f., 103, 147, 282

Fortschritt 547 Freiheit 139 Freizügigkeit 89 Gebiet 578 Geschäfte 76 Geschäftsmann 360 Geschichte 284 Gesetzgebung 291, 302, 355 f., 360, 577, 611 Gewalt 282, 328 Gewinn 357 Großindustrie 109 Grundeigentümer 611 f. Islam 479 Klassen/Schichten siehe dort Kolonialisierung 78, 334 Kräfte 147 Leben 466, 469 Menge/Haufen/Masse siehe dort Merkwürdigkeiten 147, F 147 Mitglieder, menschliche 302 Mittel 374, 468 Nachrichtenwesen 76 f. Name 374 Nation 391, F 391, 612 Nationalversammlung 424, 613 Notwendigkeit Begriffsbildung 214 f. Organisation Revolution 216 Parteiwesen 155 Regierung 413 Regulierung, zentrale 663 Reichtum 611 Religion 468 Restauration 128 f. Schuldenlast 612 Selbstverwaltung 361 Sozialreform 612 f. Staatsbürger F 232 f., 302, 468 Staatsmann 94, 360 Statistik 147, 273 f. Tätigkeit 469 Tatsachen, politische 126 Tatsachen, staatliche 291 Teilnahme am - 302 Unternehmer 371, 611 ff. Ursachen Rechtsentwicklung 630 Verband, sozialer 470 Verbindung, soziale 468, 658 Verfassung siehe dort Verkehr 73, 371



Sachregister

Vernunft 126, 134, 360 Versammlung siehe dort Versicherer 357 ff. Versicherung 355 f. Verteilung Produkte 302 Verwaltung 360 Volk siehe dort Vorkaufsrecht 35 Wahl siehe dort Wandel Verhältnis zum Eigentum 17 Weltmacht, politische 333, 335 f. Wille 292, 348, 360, 404, 470 Wirtschaft 279, 283 Wirtschaftsphilosophie 186 Staatsformen 416, 434 Absolutismus 127, 328 Agrarstaat 334 Beamtenstaat 461 Cäsarismus 444 Demokratie siehe dort Despotie 506 Diktatur 451 Feudalismus/Feudalstaat 328 Gelehrtenrepublik 575 Handelsstaat 133 Hegemonialstaat 325, 326 Industriestaat 334 Monarchie 131, 547, 606 Plutokratie 370 Republik 613 Staat, dualistischer 613 Staat, moderner 17, 173, 261, 461, 546 Staat, souveräner 613 Staat, wirklicher 134, 171 Staat, zentralisierter 291 Staatssozialismus siehe Sozialismus Tyrannei 563 Übergang Agrarstaat/Industriestaat 334 Vasallenstaaten 436 Volksstaat 413 Zukunftsstaat 304, 650 Staatslehre/-theorie 284, 415 ff., 470 allgemeine 174, 311, 433 Aufklärung 128 Bedeutung für Soziologie 304 Begriff 348, 371, 468 ff. Bezugsgebilde 580 f. Denken 125 Dialektik 547 Einfluss Denken, soziologisches 322

777

Eingriff in Entwicklung, gesellschaftliche 358 Entwicklung 261, 304, 472 f. Ersatz durch Gesellschaft 126 Gedanke, reiner 131 Gegensatz zur Gesellschaft 79, 126, 134, 150 ff. Gegenstand Wille Staatsvolk 404 Geist 371, 546 Genossenschaft, öffentlich-rechtliche 368 Idee 127, 133 f., 142, 304, 547 Individualismus 374, 468 Körper, sozialer 159 ff. Liberalismus 303, 365, 430 Manifestation Weltgeist 132 Naturrechtslehre 136 f. Neuzeit 326 Opposition zu Gesellschaft 134 Organismus F 132, 159 ff., 374 Philosophie 151 Soziologie, reine 470 Staat, organischer/mechanischer 137 Staatsrecht 126 ff., 433, 470 Typus Gemeinschaft/Gesellschaft 468 Unterordnung Recht unter Staatsbegriff 266 f. Verhältnis zum Recht 126 ff., 266 f. Verhältnis zur Geschichte 313 Verhältnis zur Soziologie 209 Vertrag 374, 470 Wert, politischer 578 f. Wesen, gemeinschaftliches 301 f., 468 Wesen, reales 469 Wesenheit, soziale 575 Wirken 371 Wirklichkeit, sittliche 547 Zweck 374, 468 f. Stadt antike 127 Bildung Zivilisation 190 Eigentumsbegründung 17 Entwicklung 290, 496 Entwicklung Interesse, industrielles 334 Gesellschaft, ökonomische 173 Großstadt 55, 58, 60, 84, 87, 290, 297, 335, 349, 380, 382, 399 Hauptstadt 55, 70 f., 77, 335, 381, 393, 443 Kleinstadt 349

778

Sachregister

Kriegstechnik 106 Kultur, städtische 328 Stadtgebiet 578 Stadtgemeinde, herrschende 416 Stadtverwaltung 71 Stadtwirtschaft 580 Versicherter, städtischer 356 Weltausstellung 393 Weltstadt 381, 401 Wert, politischer 578 Wesen, städtisches 335 Wohnen 81, 380 Zuzug/Binnenwanderung siehe Wandern/Wanderung Stamm Anlagen 289 Ansicht, biologische 338 Islam 485 Samtschaft 574 Volksstamm 381 Stand/Stände Ansicht, biologische 338 Ansicht, psychologische 342 Bürgertum 424 Differenzierung 342 dritter 417 Herrenstand 381 f., 484 herrschende 381, 558 Klassenkampf siehe Klassen/Schichten obere 424 politische 424 Religion 497 Samtschaft 575 Ständescheidung 288 Streit 335 Ursachen Trennung 559 vierter 424 Statistik 291 ff. amtliche 293 Ansicht, biologische 340 Beruf F 262, 274 Demographie 194, 225, 232 f., 569, 582, 631 Demologie 225, 232 f., 569, 631 Deutsche Statistische Gesellschaft 241, 273, 632 Einführung in Kulturleben 193 engere/weitere 232 Ersetzung Bestimmungen, qualitative 233

Ethnographie 194 Gefahren Studium 270 f. Geschichte, stillstehende 147, F 147, 294 im materiellen Sinne 291 Kriminalstatistik 224 Mängel 274 Mangel an Statistikern 274 materielle/formelle 232 Medizinalstatistik 224 Methode/Methodik 193 f., 223 f., F 223, 226, 231 f., 262, 292, 310, 569, 582, 631 Moralstatistik 225, 273, 306, 312 Name 224 Nationalökonomie 224, 273 f. Sozialstatistik 193, 273 Soziographie 569 f., F 569, 582 Staat 147 Staatsinteresse 273 f. Studium/Lehre 275, 291, F 315 Versicherungswesen 353 ff. Wissenschaft 223 f., F 223, 291 ff., 631 Zahlen, gewisse (sichere)/wahrscheinliche 293 Stiftung 480 Streit 290, 335, 342 Takt 614 Tätigkeiten Anpassung 251 Arbeit 340 erfolgreiche 504 Gesamtheit, vernünftiger 488 künstlerisch-spielerische 323 Lebenstätigkeit 254 Organismus 243 praktisch-nützliche 323 psychologische 379 regelmäßige 351 Studentenverbindung 275 Vernünftiger 547 Wirtschaft 488 Zersetzung 547 f. Zusammenwirken siehe dort Zweck 346 Tatsachen allgemeine 243 Ansichten 337 ff. äußere 378



Sachregister

äußeren 569 Erforschung 234 Erkenntnis 214 Ernährung 339 geistige 224 Konzeption/Tod 339 Leben 243 Leben, organisches 253 Leben, soziales 179, 210, 215 f., 224, 235, 285, 291, 318, 337, 342 ff., 466, 666 Materie 243 moralische 225 natürliche 224, 292, 339 physische 206 politische 126, 224 Recht 126, 465 f. staatliche 291 Staatsleben 466 Telegonie 253 wahre 663 Wirtschaftsform, kapitalistische 491 Zusammenleben 568, 629 Tausch 74 f., 216, 340 Technik 72 f., 307 Ackerbau 191 Anpassung an Zweck Macht/Reichtum 278 Arbeitsteilung/System 122 f. Arbeitsverfassung 121 Bedingungen 444 Bergbau 444 Entwicklung 90 ff., 618, 624 Erfindung 110, 118 Formeln Mechanik 294 Formgebung 118 f. Fortschritt 332 Fürsten 97 f. Geräte 93 f. Großindustrie 109 Grundprinzipen/Gegensätze 91, 113, 115 Handel 101 ff., 191 industrielle 109, 117, 191 Kirche 328 Können/Wissen 115, 120 Konsum 94 Kooperation 122 Krieg siehe dort Kultur 110 ff.

779

Kunst 91, 99 Landwirtschaft 444 Manufaktur 122 Maschine 115 Maschinentechnik 112 f., 483 Material 118 f. Mechanik 117 Organ 120 Organismus/Mechanismus 110 ff., 120 Praktiker, denkende 118 Rolle in Kulturgeschichte, neuerer 110 ff. Schaffung/Anwendung 114 f. Stadt 106 Uhrwerk 112 Unterschied Werkzeug/Maschine 110 ff. Veränderung Mobilität 624 Verhältnis Werkzeug/Mensch 120 f. Verschiebung Gemeinschaft/Gesellschaft 624 Verständnis, technisches 332 Vervielfältigung 94 Wasser-/Windmühlenrad 112 f. Wirtschaft 500 Wissen 500 Wissenschaft/Interesse/Wissbegierde 97 f., 116 ff., 278 Tradition 74 Transport siehe Verkehr Tugend 142, 501, 502 Typus Genossenschaft, religiöse 665 Gesellschaft 348 Idealtypus 235, 437, 464 ideeller 504, 668 Kirche als Anstalt 665 männlicher/weiblicher 289 Normalbegriff/Normaltypus 235, 437, 464, F 464, 668 Rasse 246 Überbevölkerung 59 Umsiedelung 53 Unternehmer 351 freier 501 Gelegenheits-/Dauerunternehmer 495 Kapitalismus 495, 504 Liebe zum Beruf 504 Staat als 371, 611 ff. Wesen 501

780

Sachregister

Vagieren (Vagabundieren) 80 ff., 85 f., 88 f. Varietät/Variation/Varianten/Variabilität 247, 251 ff., 289 Verband/Verbände 232, 349, 467 Anerkennung 299, 467 Arbeiter 414 Dasein, dreifaches 467 f. Handlung, soziale 299 Körperschaft 299, 374 Name/Bezeichnung 299 Staat 470 Unterschied zum Verhältnis 299 Verein/Anstalt 300 Wesen, personenähnliches 299 Wesenheit, soziale 576 Wesenwille/Kürwille 467 f. Wille/Wollen 299 Verbindung/-en 125 Anerkennung Idealität 301 Basis 259 Begriff 311, 343 Bejahung/Verneinung 347, 375 f. eheliche 57, 61 Einheit, innere 301, 343 Einteilungsprinzip 375 Förderung/Hemmung 347 gemeinschaftliche 379 gesellschaftliche 301 Menge/Haufen 385 f. Mittel 301, 363 neue 382 politische 311 Schaffung durch Willen 375 sittliche 650 Staat 468, 658 studentische 275 Subjekt 375 Tendenz zur Rationalisierung 290 Theorie 207 Übergang in gesellschaftliche 301 Unabhängigkeit vom Individuum 343 Urheber 382 Wesen 301 f., 375 Wesenwille 301 Zweck 301, 347 Verein/-swesen 239, 374 Bildung, orientalische 479 Fachvereine 72 Familie 191 Folge Versammlung 393

Gegenseitigkeitsverein 368 Konsumverein 368 künstlicher 191 mit Eigenschaften, persönlichen 290 politischer 398, 576 Satzung 413 soziologischer 306 Verband 300 Versammlung 398 Versicherungsverein 364 ff., 364 Wesenheit, soziale 575 wissenschaftlicher 275 Vereinigte Staaten (USA) Besiedelung Kontinent, amerikanischer 323, 328 f. Demokratie 422, 426 f., 436, 443 f., 452 ff. Fortschritt 443 f. Institutionen, soziale 452 Kultur 330 Monopol 453 Neu-Europa 330 Nordamerika 330, 417 f. Reichtum 444 Richtungen, historisch-geographische 330 Sklaverei 444 Vererbung 251 Auslese 247 Eigenschaften, erworbene/angeborene 250 ff., 289 Familie 246 fernere 253 Gegensatz zu Anpassung 253 Gegensatz zur Variation 252 Genealogie 314 heimliche 253 im soziologischen Sinn 277 Klassen 314 Kultur 254 Lehre, religiöse/kirchliche 277 nahe 246 Organismus 251 Rasse-Typus 246 Schichten 314 spezielle 246 Ursache Gleichheit 252 Zucht 257 Verfassung Arbeitsverfassung 121



Sachregister

Autorität 612 Charakter, politischer 580 demokratische 464, 612 Formen 443 Idealverfassung 417 innere 436 Körperschaft 576 Staatsverfassungen, einzelne/neue 313, 417, 470 Tendenz zur Republik, demokratischen 472 Versammlung, verfassungsgebende 470 Weimarer Reichsverfassung 33 Wert, politischer 579 Zusammenhang mit Weltsicht 472 Verhältnis/-se 259 ff., 572 ff. Abstammung 172, 572 Anerkennung 301, 467, 576 Ansicht, psychologische 342 Ausbreitung/Vertiefung 74 ff. Austauschverhältnis 374 Basis Verbindungen, soziale 259 Begriff 259, 343 Begründung 301 Beharrung 254 Bejahung/Verneinung 172, 207, 259, 343, 347, 376, 378 f., 562, 573 Beständigkeit/Dauer 573 Bewusstsein 576 Dasein, dreifaches 467 f. Dasein, ideelles 172 Ehe siehe dort Eigentumsverhältnisse 450 einfache 295 Einteilungsprinzip 376 Entstehung 573 Erforschung als Aufgabe 232 Erscheinungen 259 Familie 573 f. fehlendes 300 f. feindselige/-s F 337, 400 Förderung/Hemmung 347 Fortbestehen 379 friedliche/soziale F 337 gegenseitige 295 Gegenstände Erkenntnis 295 gemeinschaftliche 360, 573 f. gesellschaftliche 379 Gewalt/Zwang in - 450 Grund 172, 576

781

Herrschaft 298 individuell willensbestimmte 343 individuelle 376, 467 klimatische 246, 250 Kommunismus 547 f. Kürwille 573 Materie zu Materie, anderer 254 Mechanismus, geistiger 172 f. Mensch/Mensch 74 ff. Menschen, zwei/mehrere 374 Mittel 172, 259 möglich, wirkliche sittliche/rechtliche 210 Natur 172 natürliche 259, 296, 572 Naturprozess 188 neue 382 Normen, willensbindende 577 f. Notwendigkeit Begriffsbildung 214 f. Nutzen 172 positives/negatives 573 Produktionsverhältnisse 451, 548 rechtliche 173, 295 ff., 650 Rechts-/Sittenverhältnis 259 Samtschaften siehe dort Schaffung durch Willen 375 seelisches 573 sittliche 295, 299 soziale/antisoziale 342 Sukzession 301 Tendenz zur Rationalisierung 290 Übergang in gesellschaftliche 301 Unterschied zum Verband 299 Urbild 573 f. Urheber 382 Verhalten 574 verschiedene 258 vertragliche 650 Verwandlung familiäre in kontraktliche 291 Verwandtschaft 572 von Individuen abhängig bleibende 301 Wesen 295, 301 Wesenwille/Kürwille 467 f., 573 Wille 259, 574 wirtschaftliche 444 Wurzel 259 Zersetzung 547 f. Zweck 259, 347, 374, 573

782

Sachregister

Verkehr 72 ff., 328 Bewegung 73 Fernhandel 657 friedlicher 74 f. Gefangenentransport 78 Gesellschaft 73 Handwerk 73 Hauptstadtverbindung 77 Hemmung 361 Kirche 328 Kolonisierung 78 Krieg 75 f. Kulturentwicklung 290 Kunst, menschliche 73 Massentransport 74 Mensch/Mensch 74 f. Nachrichtenwesen 76 Neuerungen 74 Religion 483 Richtungen, historisch-geographische 323 ff. Schifffahrt/Seefahrt 104, 107, 353 Sklaverei 77 f. Staat 73, 371 Staatseisenbahn, preußisch-hessische 611 Straßen 73, 382 Transport 72 ff., 353 Transportversicherung 353, 356, 362 Unterschied Menschen/Güter 77 f. Vehikel 73 Versicherung 353 Weltverkehr 333 Zunahme 290, 483 f. Zweck 73, 77 Vernunft 227, 577 ethische 260 Lösung 173 rechtssetzende 260 Religion 204, 506 Staat 126, 134, 360 Vernunftwesen 337 Versammlung Abhängiger 398 Affekte 401, 405 Aktiengesellschaft 413 Arbeiterverband 414 Arten Veranlassung 397 f. Befehl 398 beratende/beschließende 390

Berufung 398 Beschaffenheit, durchschnittliche 401 beschließende 403, 413 Beschlussfassung 398 Bewusstsein 403 Demonstration 401 Einigkeit 403 Einigung/Vereinigung 393 Einladung 397 elementare 394 Elemente 406 Folgen 393 Form/Ordnung 399 gebotene 399 Gefühle 394 Gegensätze in - 399 Geheiß, göttliches 398 Generalversammlung 413 geordnete 400, 403, 405 Geschäftsordnung 400 geschlossene 399 gesetzgebende 404 Gewerkschaftskongress 414 größere gemischte 396 großstädtische 399 Gruppe 400 Heer 398 f. Hemmung 403 Herrschaft 396, 398 f., 405 im Freien 398 Kampfgenossen 400 Körperschaft 398, 405 künstlerische 398 Lebensalter 401 Machtzauber F 401 f. Mehrheit 403 Meinung, öffentliche 406 Menge 392, 398 Menschenähnlichkeit 399 Nationalversammlung 424, 613 Pöbel 401 Politik/politische 345 f., 398 Präsidium 400 radikale 399 Raum, geschlossener 399 selbstentstehende/fremdentstehende 390 f. Selbstversammlung 398 ff. Steigerung Nötigung 397 f. Übergang in politische 394, 397



Sachregister

Übergang zu Handlung/Angriff 398 ungeordnet/geordnet 390 Verbreitung Stimmung 401 Vereinsversammlung 398 verfassungsgebende 470 Vertretung 406 Volksversammlung 392, 398 f., 404 Wahl 404 f. Wille 403 f. wissenschaftliche 398 Wollen 399 zusammenberufene 399 Zusammenwirken 402, F 401 f. Zwecke 398 ff. Versicherer Aktiengesellschaft 369 Gegenseitigkeitsverein 368 Geist, sozialer 369 genossenschaftlicher 368, F 360 Gesellschaft 353 ff., 368 Gewerkschaft F 369 Hilfskassen 367 Interesse 353, 371 Knappschaftskassen 367 Krankenkassen 367 privater 352 rechnungsmäßig fundierter 365 Staat 357 ff. Versicherungsgesellschaft 368 Versicherungsverein 364 ff. Volksfürsorge 369 Versicherung 618 ff. Berufsgenossenschaften 362 Denken, geschäftliches, rechnendes 362 Dorf 365 Familienvermögensversicherung 369 Feuerversicherung 356, 362, 365, 368 Form, vollkommene gesellschaftliche 353 Geschäft 353 ff., 657 Gesetzgebung 355 f. Handel 353 Hilfskassen 366 im Rechtssinne 359 internationale/nationale/lokale 356 Kapitalismus 355 Krankenversicherung 362 Landwirtschaft 363 Lebensversicherung 356, 359, 363, 369 Moment, sozialistisches F 360, 361

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Nebenwirkungen 361 Organisationsformen 362 Privatversicherung 362 privatwirtschaftliche 657 Produktion 356, 463 rationale 353 Recht 359 Rückversicherung 356 Schadenersatz als Ware 352 Schichten 355 Sozialversicherung 359 ff. Staat 355 f. Statistik 354 Transportversicherung 353, 356, 362 Unternehmung, freie selbstständige 353 Verkehr 353 Versicherungsfall 352 Versicherungspflicht 357 Versicherungsverein 364 ff. Viehversicherung 365 Wesen Vertrag 353 Zweck 347, 361 Versicherungswesen 345 ff., 657 ff. Denken 354 Differenzierung Sicherung/Versicherung 352 England 367 Entwicklung 365, 657 Erscheinung, gesellschaftliche 363 Kapital 353 privates F 345 Spiegelbild Gesamtentwicklung, soziale 371, 657 Ursachen 363 Wahrscheinlichkeiten 354 Wirkungen, soziologische 371 Zukunft 363 Vertrag 360 Ansicht, psychologische 342 Austausch Leistungen 296 Befestigung/Bestätigung 296 f. Ehe als - 297, 299, 650 Erfüllung 295 Geschäft 353 Gesellschaft 348 Leistungsaustausch 296 Leistungsversprechen 296 Obliegenheit 295, 375, 574 Pflichten 295 Rechte 295

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Sachregister

Rechtsphilosophie 260 Satzung 413 Schadenersatz 353 Staat 374, 470 Sukzession 301 Ursprung 295 Versicherung 353 Versprechen, gegenseitiges 295 Volk 380 Wesen 353 Wille 260, 295, 413 Willenserklärung 296 Vertretung 404, 406, 464 Verwandtschaft 191 f., 249, 347, 378 f., 572, 574 Volk 381, 385 ff. Abstammung 390 Anlagen 249, 289 Anpassung an Kulturbedingungen 258 Ansicht, biologische 338 arbeitendes 381 armes 489 aufgelöstes 482 Begriff 658 Bildung 380 Charakter 497 Ethnologie 569 Geist 141, 260, 483 Gemeindevolk 391, 404 Gemeinschaft 378, 370 geringes 489 Gewalt 466 Gewissen 558 Glaube 380 gläubiges 477 handeltreibendes 381 Herrschaft 464 intellektuell hochentwickeltes 482 Islam 485 Kampf 290, 349 Kirchenvolk 391 Klassen/Schichten 349, 363 Körperschaft 410 Kulturvolk 194, 220, 225, 232, 302, 569 Kunst 391 Leben, soziales 284 Menge/Haufen/Masse siehe dort Nation 391 Naturvolk 220, 233, 285

Rechtserweiterung aus Parteikampf 444 Samtschaft 574 Seele 483 Staatsvolk 128, 371, 386, 389, 391 f., 399, 404, 413 Stamm 381 Streben nach Erkenntnis, wissenschaftlicher 553 f. Teil, weiblicher 558 Teile 391, 405 Veredelung, intellektuelle 249 Verfassung siehe dort Versammlung 392, 398 f., 404 Vertrag 380 Vertretung 404, 406, 464 Völkergruppen 476 Völkerpsychologie siehe Psychologie Volksentscheid/Referendum siehe dort Volksfürsorge 369 Volksgenossenschaft 370 Volkskrankheiten 361 Volkstum 302, 391 Volkswirtschaft 59, 280, 350, 363, 580 Wahl 409 f., 413 Wanderung siehe Wandern/Wanderung Wesen 497 Wille 404, 407, 410, 466 Wissenschaften 391 zusammenlebendes 579 Zusammenwohnen 391 Volksentscheid/Referendum 7, F 7, 40, F 40 f., 410 f., 413, 461 Wahl 404 f. Ausübung Wahl-/Stimmrecht 408 Bürgerrecht 407 Deutscher Reichstag 460 Enthaltung 410 freie 405 Freiheit 407 geheime 406 Geschäftsreisen 65 Nationalversammlung 613 Nichtwähler 410 Parteien 406 f. planmäßig vorbereitete 406 f. Präsidentenwahl 613 Recht siehe Wahlrecht Ungleichheit 414 Verfahren 406 f.



Sachregister

Versammlung 404 f. Volksentscheid/Referendum siehe dort Volkswahl 409 f., 413 Volkswille 407 Wählerschaft 407 f. Wahlrecht allgemeines 423 angemessenes 614 Frauenwahlrecht 409 f., 412, 419, 613 f. freies, allgemeines, geheimes 406 Grundeigentum 419 Sitte/Ausübung 408 Stimmrecht 422 Streben nach - 613 f. USA 422 Verhältniswahlrecht 423, 462 Zensus 419, 443 Wahrheit F 232 f., 278, 560, 565 Wandern/Wanderung 53 ff. Abgrenzung zum Reisen 62 f. Arbeitskräfte, ungelernte 56 Ausland 55 Auswandern 64 Auswanderung 54, 56, 59 f., 66 Auswirkungen 56 ff., 70 f. Binnenwanderung 54 Charakter, ehemals solider 84 f. Denken, männliches 484 f. Dienstboten 54 Entfernungen (Nah-/Fernwanderung) 54 f., 58 Familien(aus)wanderung 56 Geschlechterungleichgewicht 56 f. Geschlechterunterschiede Wanderungsverhalten 58 Geschwindigkeit 62 Geselle 84 Großstadt 55, 58, 60 Hauptstadt 55 Kolonien 56 f. Krieg 61 Kultur, ökonomische 55 f. Landflucht 54 Landwirtschaft 59 Lehrlinge 54 Massenwanderung 383 Meinung, öffentliche 60 Militär 58 Moral 60

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periodisches 63 Proletariat/Aufstieg, sozialer 60, 62 Prostitution 57 Richtungen, historisch-geographische 324 Sterblichkeit 58 Überbevölkerung 59 Umsiedelung 53 Verbindungen, eheliche 57, 61 Verhalten, soziales 60 f. Volk 81, 383 Völkerwanderung 61 f., 477, 479 Volkswirtschaft 59 Wandel Arbeitskraft zu Ware 58 Wanderungsbewegungen, historische 61 f. Wohnen 53 Zu-/Einwanderungsgebiete 59 f. Zünfte 55 Zuzug Ausländer 59 Weltanschauung 271 f., 480, 553, 564 siehe auch Glaube, siehe auch Religion Werkzeug 94, 110 ff., 146, 190 f., F 190, 230, 290, 340 f., 440, 568 Werte 284, 343, 375, 570, 578 ff. Begriff 343 Bejahung/Verneinung 375 Besitz 578 f. Eigentum, allgemeines/soziales 578 Gebrauchswerte 291 gemeinschaftlich besessener 378 ideelle/geistige 579 Kultur 546, 560 Kunst 579 materielle/ökonomische 578 politische 578 f. Recht/Verfassung/Gesetze 579 Religion 579 Sitte, heimische 579 Sprache 378, 579 Stadt 578 Stadt-/Staatsgebiet 578 Tendenz zur Rationalisierung 290 Wissenschaften 579 Wollen, soziales 577 f. Zeichen, soziale 579 Wesen 630 allein wirkliches 126, 300 animalisches 568 Berufsethos 501

786 Deutsches Reich 358 Ehe 297 Familie 574 Freiheit 173 Fremdheit 356 Gemeinde/Dorf 575 Gemeinschaft 379 Geschichte 334 Gesellschaft 209, 663 f. Handel 332 Historismus 516 jugendliches 323 Kapitalismus 355 Kirche 483 f. Lebensalter, gereiftes 323 männliches 323, 484 Mensch 568 Nation 302 nationalgemeinschaftliches 358 personenähnliches 299 reales 469 Recht 126, 298 Rechtsphilosophie 259 Religion 495 Soziologie 206, 259 Staat 469 städtisches 335 Unternehmer 501 Verband 299 Verbindungen 301 f., 375 Verfassung 579 Verhältnis/-se 295, 301 Vernunftwesen 337 Versicherung/Versicherungsvertrag 353 f. Vertrag 353 Vertrautheit 356 Volk 497 weibliches 323, 483 f. Zeichen, soziale 579 Wesenheiten Aktiengesellschaft 575 Begriff 571 ff. Bund 575 Dorf 575 gedachte 574 Gemeinde, religiöse 575 Handeln 571 Individuen 571 Kirche 575

Sachregister Klan 575 f. Körperschaft 571, 575 Moral 575 Normen 570 Samtschaft siehe dort soziale 570 ff. Staat 575 Ursprung, zweifacher 571 Verband 576 Verein 575 Willensinhalt 370, 577 Zunft 575 Zweck 575 Wesenwille 291 Begriff 571 f. Ehe 376 Eigentum 18 ff. Familie 376 Gefühl 571 Gegensatz zum Kürwillen 623 f. Gemeinschaft 571 f. Gewohnheit 571 Glaube 571 Mittel/Zweck-Verhältnis 505, 571 Religion 482 Samtschaft 575 Staat 576 Übergang zu Kürwille 363, 505 Ursprung Wesenheiten 571 Verband 467 f. Verbindung 301 Verhältnis, seelisches 573 Vollendung 505 Widerwille 572 Wille, vernünftiger 505 Zusammenwirken 379 f. Zweck 505, 571 f. Widerstand 243, 255 Wille/Wollen 211 Aberglaube 212 f. Ableitung besonderer aus allgemeinem 387 allgemein 386 Anstalt 300 ausgesprochen begründet 299 bejahend 571 f. Bejahung trotz Widerwille 376 Beruhen auf Trieben, menschlichen 664 f.



Sachregister Beruhen von Verband/Samtschaft/Verhältnis 467 f. Beschaffenheit 375 Beständigkeit/Dauer 573 dauernd entscheidend 407 Determination 193 Eigentums-/Einkommensinteressen 144 f. Eigentumsbegründung 15 f. einheitlich 570, 574 Eintracht 577 Entwicklung Wesenwille zu Kürwille 363 Erhaltung 561 Erklärung 296 Formen 207, 232, 347, 380, 466, 577 f. frei 172, 295, 574 Gebrauch Maschine 116 Gedächtnis 645 Gefallen 645 Geist, trotziger 554 geltend 403 gemeinsam 387, 397, 570, 571 gemeinschaftlich 577 Gesamtheit, verbundene/organisierte 386 Gesamtwille 360, 405 Geschlecht 380 gesellschaftlich 380, 577 Gesetz 260 Gesetzgebung 577 Gewohnheit 645 gleichgestimmt 650 Gottes 502 Grund Verhältnisse 172 Gruppe 387 gültig 387 gut 350 Handelsgesellschaft 376 individuell 341 Individuum 295, 363 kollektiv 483 Konsumenten 354 Konvention 577 Körperschaft 412, 575 f. Kraft/Stärke 212 f. Kürwille siehe dort Loslösung von Zweckvorstellungen 209 Marxismus 548 Meinung, öffentliche 577 f.

787

Menge/Haufen 392 ff. Mensch, individueller 295 menschlich 173 Modifikationen, zentrale 645 Normen, willensbindende 570, 577 f. Partei 213 perfektisch 375 Person 295 Rechte bestimmender allgemeiner 297 regelnd 403 Religion 347, 577 Richtung gebender 259 Sitte 341, 347, 577 sozial 220, 289, 295 f., 341, 343, 348, 385 f., 413, 570, 577 f. Spekulation 332 Staat 292, 348, 360, 404, 470 Studentenverbindung 275 Trennung von Erkenntnis 556 Typen 291 überindividuell 295 Unternehmung 332 Ursprung 386 Verband 299 Verbesserung/Reform 561 Verbindung 301, 375 Verhältnis zum Denken 145 Verhältnis/-se 259, 574 vernünftig 505 Versammlung 399, 403 f. Versicherte 354 Vertrag 260, 295, 413 Volk 404, 407, 410, 466 Werte 577 f. Wesenwille siehe dort Widerwille 572 Willenserklärung 296 Willensfähigkeit 392 Willensgeneigtheit 393 f. Willenssphäre 296 Willenssphäre 298, 343 Willkürhandlung 377 Wirkungen 289 Wissenschaften 348 zur Tat 548 zur Zerstörung 400 Zusammenschluss mit Erkenntnis 188 zweckmäßig 348 Wirtschaftsphilosophie Nationalökonomie 184

788

Sachregister

Neukantianer 312 Ökonomie, politische 183 Politik/Staat 186 Rechtsphilosophie 186 Sinn/Wert 182 ff. Verteilung 184 Zusammenleben 624 f. Wissen Religion 495 Technik 500 Wahrscheinlichkeiten 353 f. Wissenschaftler 186 Wissenschaften Ansicht, biologische 340 Anthropologie siehe dort Astronomie 104 f. Auswirkungen Lage, politische 319 Bedeutung 278, 581 Bevölkerungslehre 340 Beziehungen, kausale 569 Bezugsgebilde 581 Biologie siehe dort Charakter, geistig-moralischer 580 Chemie 117, 278 Disziplinen, soziologische 285 Einfluss Soziologie 286 Einordnung Soziologie 666 f. Entwicklungslehre 130 Erdkunde 105 Erfahrungswissenschaft 288 Erkenntnis, wissenschaftliche 553 Ethnographie/Ethnologie siehe dort Fortschritt 332 Genealogie 314 Geographie 220 Geschichte siehe dort Großindustrie 110 Kirche 328 Klassifikation 182 Kriegswissenschaft 97 ff. Kulturwissenschaften 581 Kunst 231 Leben, wissenschaftliches 306 Liberalismus 168 Mathematik/Mechanik 117 Medizin 322 Nationalökonomie siehe dort Naturwissenschaften 125, 168, 492, 581, 631 neue 502

nüchterne 501 Ökonomie, politische 222 Organisation Revolution 216 Pädagogik 322 Philosophie siehe dort Physik 117, 157, 195 ff. Physiologie 278 Politik 198 f. Prognose 187 Psychologie siehe dort rationalistische 301 Rechnung/Experiment 116 f. Recht siehe dort Rechtswissenschaften, vergleichende 170, 313 Religion 288 Sozialwissenschaften 221, 232 Sprachwissenschaft 285 Statistik siehe dort System 267, 337 ff. Technik siehe dort Teleologie 188 Tendenz zur Spezialisierung 185 Theologie 260, 322, 558 Unterschied zur Philosophie 185 ff. Verein, wissenschaftlicher 275 Versammlung, wissenschaftlicher 398 Volk 391 weltliche 417 Wert, ideeller/geistiger 579 Wille, sozialer 348 Wirkungen 371, 556 ff. Zukunft 187 Zusammenschluss Erkenntnis/Wollen 188 Wohltätigkeit/Gemeinwohl/Armenpflege 39, F 360 Einrichtung, wohltätige 359 Ersatz durch Sozialversicherung 360 Islam 480 Politik 350 Staat 89, 359 Staatsversicherungen 358 f. Unterstützungswohnsitz 89 Volksfürsorge 369 Wohnen/Wohnung Auswanderung 64 Geschlechterunterschied 88 f. Reisen 62 ff. Unterstützungswohnsitz 89



Sachregister

Vagieren (Vagabundieren) 80 ff. Wandern 53 Wohnboden/-gebäude 20, 33 Wohnen, städtisches 81 Zusammenhang mit Kultur 81 Zusammenwohnen 379 f., 391 Wollen siehe Wille/Wollen Wünschen 211 Zeichen 343, 579 Zeitalter 149 f. Altertum 511 Antike 13 f., 479, 656, 663 Aufklärung siehe dort Bejahung/Verneinung 562 Denkungsarten, gegensätzliche 561 f. Idee besseres - 511 Jugend 564 Kontinuität 327 Mittelalter 326, 335, 349, 511, 561 naives gläubiges 512 Neuzeit siehe dort Zukunft 187, 284, 304, 330, 346, 360, 363, 505 ff., 625, 650 Zeitungen/Zeitschriften 240 f., 306, 454, 644 f. Zufall 352 f., 363 Zunft/Zünfte 55, 72, 479, 575 Zusammenleben Ansichten 337 ff. Aufgabe Soziologie 206 Bedingung 337 Bewusstsein 629 Entwicklung Untersuchung, soziologische 567 Entwicklung, veredelnde 188 Erkenntnis/Anerkenntnis Anderer 337 Förderung/Hemmung 488, 568 Grundlage 469 Interesse 340 f. Kultur 185, 190 f. menschliches 338 räumliches 338 Seite, biologische 567 Seite, psychologische 342, 567, 570 f. Sozialbiologie 568 Sozialpsychologie 569 Soziologie, allgemeine 567, 666 Tatsachen 568, 629 Volk 579

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Wesen 568 ff. Wirtschaftsphilosophie 624 f. Zustände, soziale 291 Zusammenwesen Ausdruck/Grund von Gemeinschaft 379 Bewusstsein Zusammengehörigkeit 380 Geschlecht 380 Lebensalter 381 Substanz 380 Tätigkeit, psychologische 380 Wurzel 380 Zusammenwirken Arbeit 379 f., 402 Arm/Reich-Unterschied 381 Ausdruck/Grund von Gemeinschaft 379 Form, intensivste 381 Geist, gemeinsamer 379 Kampfgenossenschaft 381 Klassenunterschiede 380 Seele Gemeinschaft 379 f. Substanz 380 Tätigkeitsgruppen 381 Versammlung F 401 f., 402 Wesenwille 379 Zusammenhandeln F 401 f. Zusammenwohnen siehe Wohnen/Wohnung Zwang 360, 450, 569 siehe auch Gewalt Zweck 630 allgemein sozialer 398 Anpassung Mittel zur Erreichung - 101, 278 Arbeit 346 begrenzter 375 Bejahung äußerer 376 bewusster 577 böser 661 Denken 346 Eigentum 18 f. Entfernung von Mittel 376 Erfindung 110 Erziehung/Unterricht 460 förmlicher 577 geistiger/sittlicher 396 f. gemeinsamer 374 Gemeinschaft 348 ff. Geschäftsmann/-leute 93 Gesellschaft 348 Gewinn 383 Gottesruhm 492

790 Handelsgesellschaft 376 Hilfe, gegenseitige 347 Hygiene 278 individueller menschlicher 259 Kampf 95 f., 399 Kaufmann 94 Konvention 577 Körperschaft 300 Kürwille/Wesenwille 505, 571 f. Loslösung von Zweckvorstellungen 209 Lustbetonung 377 Macht 278, 383 Maschine 115 Menge/Haufen 393 ff., 398 ff. Messung Mittel an - 360 moralischer 575 neue menschliche 116 Nutzung, zweckwidrige 33

Sachregister politischer 395 f., 399, 501 Rationalisierung durch Scheidung/Isolation 505 Recht 28, 163, F 163, 577 Reichtum 278 Reisen 66 f. Selbstzweck 95 f., 302 Sicherung/Sicherheit 347 sittlicher 275 Sozialversicherung 361 Staat 374, 468 f. Staatsmann 94 Tätigkeit 346 Verbindungen 301, 347 Verhältnis/-se 259, 347, 374, 573 Verkehr 73, 77 Versammlung 398 ff. Wesenheiten 575 wirtschaftlicher 393 f.

Plan der Tönnies-Gesamtausgabe Band 1 Band 2 Band 3

Band 4

Band 5 Band 6 Band 7

Band 8 Band 9 Band 10

Band 11 Band 12 Band 13

1875 – 1892: Eine höchst nötige Antwort auf die höchst unnötige Frage: „Was ist studentische Reform“ – DeJove Ammone quaestionum specimen · Schriften · Rezensionen 1880 – 1935: Gemeinschaft und Gesellschaft [2019] 1893 – 1896: „Ethische Cultur“ und ihr Geleite – Fünfzehn Thesen über die Erneuerung des Familienlebens – Im Namen der Gerechtigkeit – L’évolution sociale en Allemagne – Hobbes · Schriften · Rezensionen 1897 – 1899: Der Nietzsche-Kultus – Die Wahrheit über den Streik der Hafenarbeiter und Seeleute in Hamburg – Über die Grundtatsachen des socialen Lebens · Schriften · Rezensionen 1900 – 1904: Politik und Moral – Vereins- und Versammlungsrecht wider die Koalitionsfreiheit – L’évolution sociale en Allemagne (1890–1900) · Schriften [2018] 1900 – 1904: Schriften · Rezensionen 1905 – 1906: Schiller als Zeitbürger und Politiker – Strafrechtsreform – Philosophische Terminologie in psychologisch-soziologischer Ansicht · Schriften · Rezensionen [2009] 1907 – 1910: Die Entwicklung der sozialen Frage – Die Sitte · Schriften · Rezensionen 1911 – 1915: Leitfaden einer Vorlesung über theoretische Nationalökonomie – Englische Weltpolitik in englischer Beleuchtung · Schriften · Rezensionen [2000] 1916 – 1918: Die niederländische Uebersee-Trust-Gesellschaft – Der englische Staat und der deutsche Staat – Weltkrieg und Völkerrecht – Frei Finland – Theodor Storm – Menschheit und Volk · Rezensionen [2008] 1916 – 1918: Schriften 1919 – 1922: Der Gang der Revolution – Die Schuldfrage – Hochschulreform und Soziologie – Marx – Der Zarismus und seine Bundesgenossen 1914 · Schriften 1919 – 1922: Schriften · Rezensionen

792 Band 14 Band 15

Plan der Tönnies-Gesamtausgabe

1922: Kritik der öffentlichen Meinung [2002] 1923 – 1925: Innere Kolonisation in Preußen insbesondere der ehemaligen Provinzen Posen und Westpreußen – Soziologische Studien und Kritiken. Sammlung I · Schriften 1923 [2000] Band 16 1923 – 1925: Schriften · Rezensionen Band 17 1926: Das Eigentum – Soziologische Studien und Kritiken. Sammlung II [2023] Band 18 1926 – 1927: Fortschritt und soziale Entwicklung – Der Selbstmord in Schleswig-Holstein · Schriften · Rezensionen Band 19 1928 – 1930: Der Kampf um das Sozialistengesetz 1878 – Soziologische Studien und Kritiken. Sammlung III · Schriften Band 20 1928 – 1930: Schriften · Rezensionen Band 21 1931: Einführung in die Soziologie · Schriften · Rezensionen [2021] Band 22 1932 – 1936: Geist der Neuzeit · Schriften · Rezensionen [1998] Band 22,2 1932 – 1936: Geist der Neuzeit – Teil II, III und IV [2016] Band 23,1 Nachgelassene Schriften 1873–1918 Band 23,2 Nachgelassene Schriften 1919–1936 [2005] Band 24 Schlussbericht zur TG · Gesamtbibliographie und -register