Doppelbesteuerungsabkommen - Nationale und internationale Entwicklungen 9783504380441

Aus dem Inhalt: Müller-Gatermann, Aktuelle deutsche Abkommenspolitik Czakert, Neue Entwicklungen beim abkommensrechtl

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Doppelbesteuerungsabkommen - Nationale und internationale Entwicklungen
 9783504380441

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Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.) Doppelbesteuerungsabkommen - Nationale und internationale Entwicklungen

Forum der Internationalen Besteuerung

Band 41

DoppelbesteuerungsabkommenNationale und internationale Entwicklungen Herausgegeben von

Prof. Dr. Hubertus Baumhoff WlrtschaftsprOfer und Steuerberater. Bonn

Dr. Jens Schönfeld Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn mit Beiträgen von

Gert MOIIer-Gatermann Ernst Czakert Dr: Michael Schwenke Dr: Helder Schnlttker; LLM. Dr: xaver Ditz Dr: Andreas Roth Dr: Jens Schönfeld Prof Dr: Wolfgang Kessler Diskussionsteilnehmer

Prof Dr: Hubertus Baumhoff und die Beitragsverfasser 2012

Verlag Dr.ottoSchmidt

Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 3738-01, Fax 02211937 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-61541-3 ©2012 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervieltältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfihnungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: A. Quednau, Haan Druck: Betz, Darmstadt Printed in Germany

Vorwort Das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen hat sowohl aus nationaler als auch aus internationaler Sicht eine neue Aktualität erlangt. Aus nationaler Sicht steht die neue deutsche Abkommenspolitik im Fokus, nicht zuletzt aufgrund der Neuausrichtung des Informationsaustausches in eigenständigen Abkommen sowie in den neuen DBA mit der Schweiz und Liechtenstein mit Regelungen, die hier vor Kurzem als kaum realistisch galten. Zudem stellt sich die Frage nach einem Paradigmenwechsel beim Übergang von der Freistellungs- zu der Anrechnungsmethode. Die OECD vollzieht eine Wende rund um die Betriebsstättenbesteuerung, angefangen vom Betriebsstättenbegriff in Art. 5 OECD-MA hin zur Entscheidung der OECD für den „Functionally Separate Entity Approach“ (AOA) in Art. 7 OECD-MA. Aber auch im deutschen Außensteuerrecht werden vor dem Hintergrund der neuen BFH-Rechtsprechung und des BMF-Erlasses zur Anwendung der DBA auf Personengesellschaften die Problematik der Sondervergütungen (§ 50d Abs. 10 EStG) sowie allgemein die Frage der missbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA (hier insbesondere der neue § 50d Abs. 3 EStG) diskutiert. Hinzu kommt die Problematik der zunehmenden „treaty-override“-Fälle im deutschen Steuerecht. Der vorliegende Band befasst sich umfänglich mit den vorstehenden Themen zu aktuellen Entwicklungen im Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen aus nationaler und internationaler Perspektive. Besonders hervorzuheben sind die ebenfalls vollständig abgedruckten Diskussionsbeiträge, die einen weiter gehenden und interessanten Einblick in die Thematik geben. Dem geneigten Leser wünschen wir eine spannende Lektüre. Bonn, im Juli 2012 Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Wirtschaftsprüfer Steuerberater

Dr. Jens Schönfeld Diplom-Kaufmann Rechtsanwalt Fachanwalt für Steuerrecht

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Inhaltsverzeichnis* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gert Müller-Gatermann Aktuelle deutsche Abkommenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Bedeutung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) . . . . . . . . Grundzüge der deutschen DBA-Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansässige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensgewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellensteuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sportler, Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alterseinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Freistellung/Anrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 5 6 7 9 10 10 11 12 12

Ernst Czakert Neue Entwicklungen beim abkommensrechtlichen Informationsaustausch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. B. C. D. E.

Warum Informationsaustausch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Global-Forum-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die 10 wesentlichen Prüfkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkommensentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Michael Schwenke Steuerliche Zulässigkeit nationaler Treaty-overriding-Regelungen

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A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Begriff des Treaty Override . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Beispiele für ein Treaty Override . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 24 25

A. B. C. D. E. F. G. H. I. J. K. L.

_____________ * Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhaltsverzeichnis

D. E. F. G. H.

Treaty Override als völkerrechtswidriger Akt . . . . . . . . . . . . . . . Rangverhältnis völkerrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Treaty Override und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sieben Thesen zum Treaty Override . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktuelle Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Helder Schnittker Anwendung von DBA auf Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anwendung inländischer Phänomene auf das Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Subjektive Qualifikationskonflikte – Veräußerung eines Mitunternehmeranteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64 73

Podiumsdiskussion zu den Vorträgen des Vormittags . . . . . . . . . . . .

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Andreas Roth Konsequenzen aus der Änderung des Art. 7 OECD-Musterabkommen für die Betriebsstättengewinnermittlung . . . . . . . . . . . .

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A. B. C. D.

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Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Authorized OECD Approach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenberichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswirkungen auf die deutsche Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . .

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Xaver Ditz Aktuelles zur Betriebsstättendefinition auf Ebene der OECD und in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Begriff der Betriebsstätte im Spiegel jüngerer Entwicklungen auf Ebene der OECD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Geplante Anpassungen des OECD-MK bis 2014 . . . . . . . . . . . . . D. Aktuelle Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

Jens Schönfeld Nationale Regelungen zur Vermeidung missbräuchlicher Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen . . . . . . . . . .

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A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Fallmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Kessler Praxisprobleme bei der Anrechnung ausländischer Steuern . . . . . . .

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A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Voraussetzungen der Anrechnung und beispielhafte Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Rechtsfolgenebene – Praxisprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Begrenzung der Anrechnung auf die inländische Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Podiumsdiskussion zu den Vorträgen des Nachmittags . . . . . . . . . .

181

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Aktuelle deutsche Abkommenspolitik Gert Müller-Gatermann Ministerialdirigent a. D., Koblenz

Inhaltsübersicht A. Bedeutung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) . . . . . . . . . . 1

G. Quellensteuern . . . . . . . . . . . . . . . . 9

B. Grundzüge der deutschen DBAPolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2

I. Alterseinkünfte . . . . . . . . . . . . . . . 10

C. Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . 3 D. Ansässige Personen . . . . . . . . . . . . . 5 E. Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

H. Sportler, Künstler . . . . . . . . . . . . . 10 J. Freistellung/Anrechnung . . . . . . . 11 K. Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 12 L. Informationsaustausch . . . . . . . . . 12

F. Unternehmensgewinne . . . . . . . . . . 7

A. Bedeutung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Deutschland verfügt über ein breites DBA-Netz. Doppelbesteuerungsabkommen bestehen mit mehr als 90 anderen Ländern. Das DBA-Netz wird fortlaufend ausgebaut und bestehende Doppelbesteuerungsabkommen werden fortlaufend aktualisiert. Das Bundesministerium der Finanzen veröffentlicht jeweils Anfang eines Jahres den jeweiligen Stand der Verhandlungen und der neuen bzw. aktualisierten Doppelbesteuerungsabkommen. Deutschland orientiert sich bei seinen Doppelbesteuerungsabkommen mit anderen Industriestaaten sehr stark am OECD-Muster. Mit Entwicklungsstaaten werden die dort üblichen Besonderheiten entsprechend dem UN-Muster berücksichtigt. Seit sich im Rahmen des Global Forum for Transparency and Exchange of Information eine große Zahl von Staaten und Jurisdiktionen dem OECD-Standard des Art. 26 OECD-Muster für Informationsaustausch unterworfen hat, hat Deutschland mit vielen Jurisdiktionen jeweils ein sogenanntes TIEA (Tax Information Exchange Agreement) abgeschlossen. Diese Abkommen beinhalten im Wesentlichen die Vereinbarung eines Informationsaustauschs nach Art. 26 OECD-Muster, Gründe für ein Doppelbesteuerungsabkommen bestehen mangels hinreichender Geschäftsbeziehungen zu diesen Jurisdiktionen nicht. 1

Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

Das Bundesministerium der Finanzen arbeitet zurzeit an einem deutschen DBA-Muster. Dieses Muster orientiert sich im Wesentlichen am OECD-Muster und enthält jeweils Besonderheiten für DBA mit Entwicklungsländern. Das deutsche Muster dient als Grundlage für neue Verhandlungen, es soll die deutsche Position bei den Verhandlungen stärken und mit einem möglichst einheitlichen Wortlaut Rechtsunsicherheiten bei der Auslegung der Abkommen vermeiden, die sich ansonsten bei unterschiedlichen Verhandlungsführern ergeben können. Das Muster soll i. Ü. die deutsche Abkommenspolitik für den Anwender berechenbarer machen und dadurch der Wirtschaft für ihre Dispositionen mehr Sicherheit geben.

B. Grundzüge der deutschen DBA-Politik Oberstes Ziel der deutschen DBA-Politik ist die Beseitigung der Doppelbesteuerung. Damit soll erreicht werden, dass grenzüberschreitende Wirtschaftsaktivitäten nicht verhindert werden. Die Beseitigung der Doppelbesteuerung wird – wie noch näher auszuführen sein wird – entweder durch die Freistellungsmethode oder die Anrechnungsmethode erreicht. Ebenso wie grenzüberschreitende Aktivitäten nicht durch eine doppelte Besteuerung behindert werden sollen, soll auf der anderen Seite auch eine doppelte Nichtbesteuerung vermieden werden. Diesem letzten Ziel dient insbesondere die Vereinbarung von Klauseln, mit denen die Freistellungsmethode flankiert wird, um strukturell Gestaltungen entgegenzuwirken, die zum einen den Wettbewerb verzerren und zum anderen einer gleichmäßigen Besteuerung widersprechen. Die Bekämpfung von Steuerumgehung und Steuerhinterziehung ist daneben ein eigenständiges Ziel der deutschen DBA-Politik. Die Arbeit hieran ist eingebettet in die Aktivitäten der OECD und der Europäischen Union (EU) gegen den steuerschädlichen Wettbewerb1. Bei der OECD handelt es sich dabei vor allem um die Bemühungen im Rahmen des Global Forum zur Verbesserung des Informationsaustauschs und bei der EU um die Bemühungen im Rahmen des Code of Conduct, dem sich die europäischen Mitgliedstaaten mit dem Ziel eines fairen Umgangs untereinander unterworfen haben. _____________ 1 Steuerschädlicher Wettbewerb bedeutet keine oder besonders niedrige Steuern für ausländische Steuerpflichtige und/oder Elemente, die die Anonymität der ausländischen Steuerpflichtigen gewährleisten.

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Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

Deutschland ist darüber hinaus bestrebt, Quellensteuer zu vermeiden oder zumindest niedrig zu halten. In der internationalen Zusammenarbeit werden Quellensteuern als Behinderung empfunden. Aus diesem Grunde sollten sie insbesondere in der Zusammenarbeit von Industriestaaten möglichst niedrig gehalten werden. Auf der anderen Seite dienen Quellensteuern der Verteilung von Steuersubstrat und helfen Entwicklungsländern mit weniger leistungsstarken Finanzverwaltungen bei der Steuererhebung. Im Verhältnis von Industriestaaten und Entwicklungsstaaten haben Quellensteuern daher ihre Berechtigung. Schließlich ist die Verbesserung der Streitbeilegung ebenfalls ein erklärtes Ziel der deutschen DBA-Politik. Dieses Ziel dient sowohl den Fisken als auch den Steuerzahlern. Die Vermeidung von langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzungen beschert auf der einen Seite den Fisken schnellere Einnahmen und vermeidet auf der anderen Seite – insbesondere für Wirtschaftsunternehmen – lang anhaltende Rechtsunsicherheiten und damit verbundene wirtschaftliche Risiken. Geeignete Maßnahmen zur Erreichung diese Ziels sind u. a. Advanced Pricing Agreements, Verständigungsverfahren oder Schiedsverfahren. Aber auch eine vertrauensvollere Zusammenarbeit2 zwischen der Steuerverwaltung und den Steuerzahlern und ihren Beratern dient diesem Zweck.

C. Begriffsbestimmungen Die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen spielt in der gerichtlichen Auseinandersetzung vor dem Bundesfinanzhof eine besondere Rolle. Das Bundesministerium der Finanzen prüft daher die Möglichkeit, in Doppelbesteuerungsabkommen in Art. 3 jeweils eine Auslegungsklausel zu vereinbaren, die klare Vorgaben für die Ergründung des Willens der Vertragsparteien in Zweifelsfragen gibt. Eine solche zentrale Zweifelsfrage stellt sich hinsichtlich einer dynamischen oder statischen Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens. Hierbei geht es darum, ob für die Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens lediglich die Fassung des OECD-Musterkommentars zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens (statische Auslegung) oder auch eine spätere Kommentarfassung (dynamische Auslegung) für die Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens relevant ist. Ent_____________ 2 Auf den CTPA Round Table bei der OECD am 25. und 26.1.2012 zu diesem Thema wird hingewiesen.

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Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

sprechend den Empfehlungen des OECD-Rates3 vertritt die deutsche Finanzverwaltung die dynamische Betrachtung, demgegenüber befolgt der Bundesfinanzhof in seiner Rechtsprechung4 die statische Auslegung. Für die Auslegungsklausel erwägt das Bundesministerium der Finanzen in seinem deutschen DBA-Muster eine Auslegungsregel, die der dynamischen Betrachtung folgt. Ein weiterer gravierender Streitpunkt zwischen der deutschen Finanzverwaltung und der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist weiterhin die Frage, ob bei der Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens in Zweifelsfällen eine Interpretation gewählt werden sollte, die eine doppelte Nichtbesteuerung vermeidet. Der Bundesfinanzhof5 erkennt eine Auslegungsregel in diesem Sinne nicht an. Das Bundesministerium der Finanzen erwägt, auch zu dieser Frage eine Auslegungsregel in Art. 3 seines deutschen Musterabkommens festzuschreiben, wonach die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Vertragszweck festgeschrieben wird. Schließlich geht es um die Bindungswirkung von Konsultationsvereinbarungen. Bislang hatte die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Bindungswirkung einer Verständigungsvereinbarung abgelehnt.6 Durch das Jahressteuergesetz 2010 ermächtigte der Gesetzgeber in einem neuen § 2 Abs. 2 AO das Bundesministerium der Finanzen, zur Sicherung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung oder doppelten Nichtbesteuerung mit Zustimmung des Bundesrates Rechtsverordnungen zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen zu erlassen. Auch nach dieser Gesetzesänderung wird die Bindungswirkung von Konsultations- oder Verständigungsvereinbarungen nach wie vor infrage gestellt, soweit diese nicht mit dem Abkommenswortlaut oder der Abkommenssystematik vereinbar sind und zu einer Vertragsänderung führen.7 Um diesen Unsicherheiten entgegenzuwirken, soll auch insoweit in Art. 3 des deutschen Muster-DBA eine flankierende Auslegungsregel aufgenommen werden.

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Vgl. hierzu Wichmann, FR 2011, 1082 ff. BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, FR 2011, 127. BFH v. 19.5.2010 – I R 75/09, BStBl. II 2011, 208. BFH v. 1.2.1989 – I R 74/86, BStBl. II 1990, 4. Vgl. zur Problematik Haarmann, Steuerkonferenz 2011, DBA-Entwicklungen.

Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

D. Ansässige Personen Art. 4 des OECD-Musterabkommens regelt die Frage der Ansässigkeit von Personen und damit auch deren Abkommenberechtigung, die wiederum die Gewährung von Abkommensvorteilen indiziert. In diesem Zusammenhang treten in der Praxis mit Personengesellschaften und Investmentvermögen wegen deren unterschiedlicher Qualifizierung in den jeweiligen Ländern Probleme auf. – Bei den Personengesellschaften geht es dabei insbesondere um die Gefahr von Doppelerstattungen. Nach den Empfehlungen des OECD-Kommentars8 soll der Quellenstaat Entlastung von Abzugssteuern gewähren, wenn die Einkünfte bei einer im anderen Staat ansässigen Person steuerpflichtig sind. Die deutsche Praxis9 folgt dieser Empfehlung. Wegen der unterschiedlichen Zurechnung bei Personengesellschaften, je nachdem, ob der jeweilige Staat diese transparent oder intransparent besteuert, ergibt sich daraus das Problem von Doppelerstattungen, wie das nachfolgende Beispiel zeigt: Beispiel: Eine Gesellschaft des Staates A bezieht aus D Dividenden. D betrachtet die Gesellschaft als transparent, während der Staat A die Gesellschaft besteuert. Die Gesellschafter sind im Staat B. Entsprechend den vorstehenden Ausführungen gewährt D der Gesellschaft Entlastung von der Kapitalertragsteuer entsprechend dem im DBA vorgesehenen Satz. Nach deutschem Steuerrecht gelten jedoch die im Staat B ansässigen Gesellschafter als die Personen, denen die Einkünfte zuzurechnen sind. Deshalb könnten sie auf der Grundlage des DBA mit Staat B ebenfalls die Quellensteuerermäßigung geltend machen.10

Im Bundesministerium der Finanzen wird daher überlegt, das Einkommensteuergesetz dahin zu ändern, dass sowohl die beschriebene Praxis abgesichert als auch Doppelerstattungen ausgeschlossen werden.11 – Nach dem deutschen Investmentsteuergesetz ergibt sich bei der Besteuerung der Investmentvermögen auf der Fondseingangsseite durch Erstattung der Kapitalertragsteuer keine Belastung, auf der Fonds_____________ 8 9 10 11

Tz. 5 zu Art. 1 OECD-MA; Tz. 8.8 zu Art. 4 OECD-MA. BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354. Vgl. hierzu z. B. Schmidt, IStR 2010, 413. Zwischenzeitlich im Referentenentwurf für ein Jahressteuergesetz 2013.

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Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

ausgangsseite fällt auf Ausschüttungen und ausschüttungsgleiche Erträge hingegen Kapitalertragsteuer an – und zwar grundsätzlich für Privatanleger mit Abgeltungswirkung (25 %). Bei der Gewährung von Abkommensvorteilen ist – entsprechend den Vorschlägen des OECD-Kommentars – grundsätzlich auf die Abkommensberechtigung der Anleger abzustellen. Im Einzelnen ist daher für das deutsche DBA-Muster Folgendes vorgesehen: a) Investmentvermögen Abkommensvorteile einzuräumen, soweit Anleger – im anderen Vertragsstaat ansässig sind und bei direktem Bezug der Einkünfte in gleichem Umfang entlastungsberechtigt wären, – in einem Staat ansässig sind, mit dem der Quellenstaat ein DBA abgeschlossen hat, das dem Anleger bei direktem Bezug der Einkünfte in gleichem Umfang Entlastungsberechtigung einräumt. b) Investmentvermögen soll die volle Entlastungsberechtigung eingeräumt werden, wenn die Zahl der entlastungsberechtigten Anleger im zuerst genannten Fall unter a) einen Wert von 75 % und im letztgenannten Fall einen Wert von 90 % übersteigt.

E. Betriebsstätte Die Definition der Betriebsstätte, die nachfolgend Gegenstand weiterer eingehenderer Vorträge sein wird, ist für die Praxis von eminenter Bedeutung. In der Diskussion der Working-Party (WP) 1 in der OECD hat sich dabei in den Mitgliedstaaten ein unterschiedliches Verständnis ergeben. Der weite Betriebsstättenbegriff, der sowohl geringe Anforderungen an die Festigkeit der Geschäftseinrichtung als auch an die Dauer der Tätigkeit stellt, hat sich dabei durchgesetzt. Diese Entwicklung setzt sich in der aktuellen Diskussion bei der OECD im Zusammenhang mit Fragen der Subunternehmerschaft fort. Deutschland hat demgegenüber entsprechend der Regelung zur Betriebsstätte in der Abgabenordnung eine enge Auffassung eingenommen und dies in seinem Vorbehalt gegenüber dem sogenannten Anstreicherbeispiel12 dokumentiert. Die Folgen dieses unterschiedlichen Verständnisses sind für alle Beteiligten sehr nachteilig. Es gibt sowohl administrative Erschwernisse bei _____________ 12 Tz. 4.5 des OECD-Kommentars zu Art. 5 OECD-MA.

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Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

der Verwaltung und den Unternehmen als auch haushalterische Nachteile für den deutschen Fiskus. In dieser Situation muss Deutschland überlegen, ob es an seinem engen Verständnis des Betriebsstättenbegriffs festhält. Während Betriebsstätten der deutschen Wirtschaft im Ausland regelmäßig wegen des dort vorherrschenden weiten Verständnisses besteuert werden, profitiert der deutsche Fiskus umgekehrt aufgrund des engen deutschen Verständnisses des Betriebsstättenbegriffs nicht von entsprechenden Aktivitäten der ausländischen Wirtschaft im Inland. Darüber hinaus können deutsche Unternehmen die zusätzliche Steuerbelastung ihrer Betriebsstätten im Ausland lediglich durch den Abzug dieser Steuern abmildern, ohne eine wirkliche Entlastung der Doppelbesteuerung zu erreichen. Sollte sich ein solcher Wandel im Verständnis des Betriebsstättenbegriffs in Deutschland auch politisch durchsetzen, wären entsprechende gesetzliche Anpassungen sowohl in der Abgabenordnung als auch für die beschränkte Steuerpflicht erforderlich, damit dieser Wandel in der Auffassung gesetzgeberisch auch hinreichend manifestiert ist und dadurch von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs akzeptiert wird.

F. Unternehmensgewinne Im Rahmen von Art. 7 des OECD-Musterabkommens hat über Jahre eine Diskussion zur Gewinnabgrenzung von Stammhaus und Betriebsstätte stattgefunden. Am Ende dieser Diskussion stand die Entscheidung zugunsten des sogenannten Functionally Separate Entity Approach (AOA) im Sinne einer Selbstständigkeitsfiktion für die Betriebsstätte. Der vordem neben dem AOA vertretene sogenannte Relevant Business Approach, der diese gedankliche Trennung von Stammhaus und Betriebsstätte nur eingeschränkt nachvollzog, wurde danach aufgegeben. Die Entscheidung zugunsten des AOA fand seinen Niederschlag zunächst in einer klarstellenden Anpassung des OECD-Kommentars und anschließend in einer Änderung sowohl von Art. 7 des OECD-Musterabkommens als auch einer weiter gehenden Änderung des Kommentars. Als Konsequenz dieser Selbstständigkeitsfiktion gilt es festzuhalten, dass Beziehungen zwischen der Betriebsstätte und ihrem Stammhaus, sogenannte Dealings, den Gesamtgewinn des Unternehmens zwischenzeitlich erhöhen, indem Gewinne im Verhältnis von Stammhaus und Betriebsstätte realisiert werden, obwohl tatsächlich Rechtsbeziehungen 7

Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

zwischen Stammhaus und Betriebsstätte zivilrechtlich nicht möglich sind. Entsprechend der Praxis von Betrieben gewerblicher Art und der Trägerkörperschaft, bei denen auch keine zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen denkbar sind, könnten die Geschäftsbeziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte jedoch in fiktiven Verträgen abgebildet werden. Die Selbstständigkeitsfiktion für die Betriebsstätte führt nicht dazu, dass Quellensteuern – z. B. auf fiktive Lizenzen – erhoben werden. Dies schließt die Möglichkeit einer entsprechenden Vereinbarung über Quellensteuern in einem Doppelbesteuerungsabkommen jedoch nicht aus. Für Entwicklungsländer könnte eine solche Vereinbarung durchaus interessant sein. Als weitere Konsequenz der Selbstständigkeitsfiktion ist auf die Gewinnrealisierung hinzuweisen, die sich bei der Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und ausländischer Betriebsstätte ergibt. Im Unterschied zur EU-rechtlichen Beurteilung derartiger Vorgänge, die zuletzt in der EuGH-Entscheidung „National Grid Indus BV“13 ihren Niederschlag gefunden hat, verlangt der AOA demgegenüber nicht einmal nach einer aufgeschobenen Besteuerung – ebenso wenig wie dies bei der Überführung von Wirtschaftsgütern aus der Muttergesellschaft in die ausländische Tochtergesellschaft der Fall wäre. Deutschland hat die Entscheidung zugunsten des AOA bei der OECD nachdrücklich unterstützt. Gegenüber dem Relevant Business Approach hat der AOA den deutlichen Vorteil einer klaren Trennung zwischen Betriebsstätte und Stammhaus und der damit verbundenen Möglichkeit, die Fremdvergleichsgrundsätze anzuwenden, wie sie aus der Besteuerung verbundener Unternehmen nach Art. 9 des OECD-Musterabkommens bekannt sind. Damit gehen ebenfalls eine deutliche Vereinfachung und die Vermeidung von Rechtsunsicherheit einher. Nach der Entscheidung für den AOA im Rahmen der OECD bedarf dieser Grundsatz nunmehr nicht nur seiner Vereinbarung durch Doppelbesteuerungsabkommen, sondern ebenfalls der innerstaatlichen gesetzlichen Einführung zur Erlangung seiner vollständigen Wirksamkeit als Eingriffsnorm. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Bund und Ländern hat einen Gesetzentwurf für die innerstaatliche Einführung des AOA erarbeitet, dem politisch noch zugestimmt werden muss.14 Der Entwurf sieht eine Än_____________ 13 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus BV, FR 2012, 25 ff. 14 Zwischenzeitlich im Referentenentwurf für ein Jahressteuergesetz 2013.

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derung in § 1 AStG vor und enthält im Wesentlichen die folgenden Regelungen: – Nachdem § 1 AStG bisher lediglich für das Verhältnis von Mutterund Tochtergesellschaften vorgesehen ist, erfolgt eine klarstellende Ergänzung i. S. der schon bisher geltenden Verwaltungsauffassung für Mitunternehmerschaften. Diese Klarstellung ist möglich, weil es sich bei Mitunternehmerschaften um Gewinnerzielungssubjekte handelt und § 1 AStG lediglich Gewinnkorrekturen regelt. – Die Ergänzung um Gewinnkorrekturen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte verlangt danach, dass von wirtschaftlichen Vorgängen, den sogenannten Dealings, gesprochen wird und nicht weiter von schuldrechtlichen Vorgängen, da Betriebsstätten keine selbstständigen Rechtsträger sind und zivilrechtlich daher keine Verträge mit dem Stammhaus abschließen können. – Wenn der AOA eine Selbstständigkeit von Stammhaus und Betriebsstätte fingiert, gilt diese Fiktion nicht uneingeschränkt. So hat z. B. die Betriebsstätte kein anderes Kreditrating als das Stammhaus. – Auch wenn sich aus der Selbstständigkeitsfiktion des AOA für die Dealings zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bereits Grundsätze ableiten lassen, so bedürfen Dealings zur Beseitigung von Unsicherheiten in der Praxis weiterer Detailregelungen. Hierfür sieht der Gesetzesentwurf eine Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium der Finanzen vor.

G. Quellensteuern Wie bereits bei den Zielen der deutschen DBA-Politik ausgeführt, ist diese u. a. darauf gerichtet, grundsätzlich möglichst niedrige Quellensteuern zu vereinbaren. Dies ist in jüngster Zeit auch bei dem (paraphierten) Abkommen mit China gelungen. Hinsichtlich der Quellensteuern auf Dividenden ist auf zwei besondere Entwicklungen hinzuweisen: – Deutschland strebt in den Verhandlungen mit Industriestaaten zur Belebung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Staaten bei Dividenden aus wesentlichen Beteiligungen grundsätzlich einen Null-Satz an. Dies gilt z. B. für die Verhandlungen über eine Aktualisierung der Abkommen mit Australien und Japan. Auch beim Abkommen mit Liechtenstein ist ein Null-Satz vereinbart; dies gilt 9

Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

allerdings mit der Besonderheit, dass angesichts des kleinen Staatsgebiets von Liechtenstein und der bisher fehlenden Erfahrungen mit diesem neuen Vertragspartner zur Vermeidung von missbräuchlichen Gestaltungen – sollte Liechtenstein im Einzelfall z. B. lediglich einen virtuellen Standort darstellen – eine sogenannte Realwirtschaftsklausel vereinbart worden ist, die im Grundsatz dem bekannten § 50d Abs. 3 EStG nachgebildet worden ist. – Hinsichtlich der Quellensteuern auf Streubesitzdividenden ist auf zwei Projekte bei der OECD (Trace) und der EU (Fisco) hinzuweisen, mit denen ein Verfahren entwickelt wird, das von vornherein zum Einbehalt der zutreffenden Quellensteuer führt und damit die teilweise umständlichen und langwierigen Erstattungen vermeidet. Diese beabsichtigte Erleichterung für Anleger geht jedoch mit erhöhten Informationspflichten gegenüber der Finanzverwaltung einher.

H. Sportler, Künstler Bei der Besteuerung von Sportlern und Künstlern sieht Art. 17 des OECD-Musterabkommens eine Besteuerung der Einkünfte des Sportlers oder Künstlers aus der persönlich ausgeübten Tätigkeit im Tätigkeitsstaat vor. Hiervon nicht erfasst sind nach der Rechtsprechung des BFH15 Einkünfte aus der Verwertung der Veranstaltung, z. B. die Vergabe von Senderechten. Die Überlassung von Verwertungsrechten wird vielmehr grundsätzlich Art. 12 zugeordnet, d. h., die Besteuerung steht grundsätzlich dem Ansässigkeitsstaat zu. Letzteres gilt auch für Einkünfte aus der Nutzung von Persönlichkeitsrechten, z. B. ehemaliger Sportler. In diesem Zusammenhang ist auf das DBA mit Österreich (Art. 17 Abs. 1 Satz 2) hinzuweisen, nach dem das Besteuerungsrecht aus der Vermarktung des Persönlichkeitsrechts ehemaliger Sportler auch dem Quellenstaat und nicht dem Ansässigkeitsstaat zusteht. Für das deutsche DBA-Muster wird angestrebt, diese Regelung aus dem DBA mit Österreich zukünftig generell zu vereinbaren.

I. Alterseinkünfte Bei den Alterseinkünften sieht das OECD-Musterabkommen grundsätzlich eine Besteuerung durch den Wohnsitzstaat vor. Diese Verteilung _____________ 15 BFH v. 4.3.2009 – I R 6/07, BStBl. II 2009, 625.

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Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

sahen bis zur Einführung der nachgelagerten Besteuerung in Deutschland auch die deutschen Doppelbesteuerungsabkommen vor. Mit der Einführung der nachgelagerten Besteuerung musste Deutschland seine DBA-Politik insoweit ändern, als Deutschland grundsätzlich die Ansparung für die Alterseinkünfte mit steuerlicher Wirkung zulässt und daher bei der späteren Besteuerung der Alterseinkünfte im Gegenzug auch daran partizipieren muss. Diese zumindest teilweise Quellenbesteuerung bedarf häufig intensiver Verhandlungen mit dem Vertragsstaat, da dieser für die Nutzung seiner Infrastruktur durch den Rentner ebenfalls Besteuerungsrechte an den Alterseinkünften geltend macht. Eine Beteiligung Deutschlands an der Besteuerung der Alterseinkünfte ist zuletzt in den Doppelbesteuerungsabkommen mit Spanien, dem Vereinigten Königreich und der Türkei gelungen.

J. Freistellung/Anrechnung Die deutsche DBA-Politik zeichnet sich bei der Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durch eine langjährige Kontinuität aus. Je nach Einkunftsart kommt entweder die Freistellung ausländischer Einkünfte unter Progressionsvorbehalt oder die auf den Betrag der entsprechenden deutschen Steuer begrenzte Anrechnung ausländischer Steuern zur Anwendung. Die Freistellungsmethode gilt grundsätzlich bei – Unternehmensgewinnen – zwischengesellschaftlichen Dividenden ab 10-prozentiger Beteiligung – Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit – Einkünften aus unbeweglichem Vermögen. Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft bedeutet dies, dass die einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnenden Einkünfte in Deutschland freigestellt sind. Von dieser Regel wird nur ausnahmsweise abgewichen, wenn der Vertragsstaat keine oder nur sehr niedrige Ertragsteuern erhebt, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden. In diesem Falle, wie z. B. bei den Vereinigten Arabischen Emiraten, wurde die Anrechnungsmethode vereinbart. Auch bei den Verhandlungen mit Singapur strebt Deutschland einen Wechsel zur Anrechnungsmethode an. Diese Fälle markieren keinen Wandel in der deutschen Abkommenspolitik, sondern bilden bei dem umfangreichen DBA-Netz Deutschlands eine begründete Ausnahme von der Regel, die – angesichts der

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Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

Festlegung im Koalitionsvertrag der gegenwärtigen Regierungsfraktionen – auch weiterhin beachtet wird. Zur Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung versucht Deutschland am Grundsatz der Freistellungsmethode festzuhalten, diese aber durch Klauseln zu flankieren, die in bestimmten Fällen die Anwendung der Anrechnungsmethode zulassen. Hierbei handelt es sich um Switchover-Klauseln für Fälle von Qualifikationskonflikten, um Subject-toTax-Klauseln für den Fall, dass der andere Staat die ihm zugewiesenen Einkünfte nicht besteuert, und um Aktivitätsklauseln, die vor allem für die Betriebsstättenbesteuerung von Bedeutung sind. Bei Letzteren strebt das Bundesministerium der Finanzen an, zu einer Vereinheitlichung16 zu kommen. Neben den vorgenannten Klauseln hält unser nationales Recht auch entsprechende nationale Vorschriften vor, wie z. B. in § 50d Abs. 9 Nr. 1 und 2 EStG und § 20 Abs. 2 AStG.

K. Schiedsverfahren Wie bereits dargestellt, ist Deutschland bemüht, bei der außergerichtlichen Streitbeilegung Fortschritte zu machen. Diesem Zweck dient die Bereitschaft, mit anderen Staaten Schiedsverfahren zu vereinbaren. Die Möglichkeit dieser Verfahren erhöht den Druck auf Verständigungsverfahren und damit die Chance einer schnellen Streitbeilegung. Parallel dazu wurde die personelle Ausstattung im Bundeszentralamt für Steuern, das die Verständigungsverfahren betreut, deutlich verbessert. In Einzelfällen erlaubt das Recht des Vertragspartners aufgrund von bindenden Gerichtsentscheidungen keine Änderung entsprechend dem Ergebnis des Schiedsverfahrens. In diesen Fällen sind Schiedsverfahren nicht zielführend. An dem grundsätzlichen Bemühen Deutschlands, Schiedsverfahren zu vereinbaren, ändert dies jedoch nichts.

L. Informationsaustausch Eine Verbesserung des Informationsaustauschs zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung strebt Deutschland auf den verschiedensten Ebenen an. An erster Stelle ist hier die Verabschiedung des Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetzes auf nationaler Ebene zu nennen. Mit diesem Ge_____________ 16 Vgl. Kritik von Lüdicke, FR 2011, 1077 ff.

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setz wird angestrebt, dass Steuerpflichtige, die in unkooperativen Jurisdiktionen Geschäftsbeziehungen unterhalten, die fehlenden offiziellen Informationen durch erhöhte Mitwirkungspflichten ausgleichen müssen. Im Falle ihrer Weigerung drohen erhebliche steuerliche Nachteile, wie z. B. Versagung von Betriebsausgabenabzug und Abkommensvorteilen etc. Zurzeit gibt es keine im Verhältnis zu Deutschland unkooperativen Jurisdiktionen, d. h., keine Jurisdiktion hat bisher gegenüber Deutschland den Abschluss eines Informationsabkommens abgelehnt.17 Dem Anliegen des anderen Staates, vorzugsweise ein Doppelbesteuerungsabkommen abzuschließen, kann gegebenenfalls durch ein „kleines“ DBA entsprochen werden. Auf europäischer Ebene hat sich der automatische Informationsaustausch als Standard zwischen den Mitgliedstaaten durchgesetzt. Lediglich Österreich und Luxemburg ist vorübergehend im Rahmen der Zinsrichtlinie noch stattdessen die Erhebung von Quellensteuern erlaubt. Im Rahmen der Bemühungen um eine Erweiterung der Zinsrichtlinie versuchen Österreich und Luxemburg, diesen Status mit dem Hinweis auf die günstigere Situation in europäischen Drittstaaten zu perpetuieren. Da das Entdeckungsrisiko für Steuerhinterzieher auch in diesen Staaten dramatisch gestiegen ist – insbesondere seit diese Staaten sich dem OECD-Standard angeschlossen haben und die Schweiz und Liechtenstein mit Deutschland sogar über eine erweiterte Amtshilfe verhandeln –, wird sich Österreich und Luxemburg mittelfristig ebenfalls dem automatischen Informationsaustausch anschließen müssen. Im Rahmen der OECD sind die Bemühungen um die Verbesserung des Informationsaustauschs durch das Global Forum on Transparancy and Exchange of Information, dem sich über 100 Staaten und Jurisdiktionen angeschlossen haben, hervorzuheben. Gleichzeitig sind die Grundsätze des OECD-Standards für den Informationsaustausch nach Art. 26 OECD-Musterabkommen fortgeschrieben worden, die die Informationsmöglichkeiten deutlich verbessert haben. Auf den Vortrag von MR Czakert hierzu weise ich hin. Schließlich sind die Verhandlungen zwischen Deutschland und der Schweiz zu nennen, die hinsichtlich des Informationsaustauschs auf der einen Seite der Schweiz für die Zukunft die anonyme Abführung der deutschen Abgeltungsteuer ermöglichen und auf der anderen Seite _____________ 17 BMF v. 5.1.2010 – IV B 2 - S 1315/08/10001-09, BStBl. I 2010, 19.

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Müller-Gatermann – Aktuelle deutsche Abkommenspolitik

Deutschland über eine erweiterte Amtshilfe (gegenüber dem OECDStandard: Auskunft auf Ersuchen) Informationsersuchen erleichtern. Für die Vergangenheit ist ein pauschaliertes Verfahren vorgesehen, mit dem sich Steuerhinterzieher außerhalb der Selbstanzeige steuerehrlich machen können. Steuerhinterzieher, die diese Möglichkeit nicht nutzen und ihr Geld in anderen Jurisdiktionen verstecken wollen, riskieren angesichts der Entwicklung im Rahmen des Global Forum ein unkalkulierbares Entdeckungsrisiko.

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Neue Entwicklungen beim abkommensrechtlichen Informationsaustausch Ernst Czakert Referatsleiter, Bundesministerium der Finanzen, Berlin

Inhaltsübersicht A. Warum Informationsaustausch? . . 15

D. Die 10 wesentlichen Prüfkriterien 20

B. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . 16

E. Abkommensentwicklung . . . . . . . 21

C. Der Global-Forum-Prozess . . . . . . 19

A. Warum Informationsaustausch? Eine nur „nationale Besteuerung“ ist in einer globalisierten Welt nicht mehr möglich. Die zunehmende grenzüberschreitende wirtschaftliche Betätigung, sei es durch natürliche Personen oder Unternehmen, führt dazu, dass die Besteuerung von natürlichen Personen oder von Unternehmen ohne Informationen aus dem Ausland oftmals nicht mehr möglich ist. Die nationale Besteuerungshoheit endet aber an der Grenze. Braucht eine Steuerbehörde darüber hinausgehende Informationen aus dem Ausland, dann kann sie diese Informationen nur durch Unterstützung der ausländischen Steuerverwaltung erhalten. Auf Anfrage sollte die ausländische Steuerbehörde (ersuchte Behörde) der inländischen Steuerbehörde (ersuchende Behörde) die für die korrekte Besteuerung notwendigen Informationen zur Verfügung stellen. Die zunehmende Mobilität der Steuerzahler und die Zunahme von grenzüberschreitenden Transaktionen führen dazu, dass für eine korrekte Besteuerung Informationen auch zu im Ausland verwirklichten Sachverhalten vorliegen müssen. Das deutsche Steuerrecht besteuert im Grundsatz das Welteinkommen der in Deutschland Steuerpflichtigen (materielle Universalität). Die Ermittlungsmöglichkeiten der deutschen Steuerverwaltung enden aber an der Grenze (formelle Territorialität). Nur durch einen internationalen steuerlichen Informationsaustausch ist daher eine gleichmäßige, gerechte und wettbewerbsneutrale Besteuerung möglich.

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Czakert – Entwicklungen beim abkommensrechtlichen Informationsaustausch Warum int. Informationsaustausch?

Materielle

Formelle

Universalität

Territorialität

Besteuerung des Welteinkommens

Informationsaustausch

B. Rechtsgrundlagen Rechtsgrundlage für Auskunftsersuchen sind bilaterale Verträge (DBA, Auskunftsabkommen), multilaterale Verträge (OECD/Europarat-Konvention) oder innerhalb der EU die Amtshilferichtlinie bzw. die Beitreibungsrichtlinie. Die Ausgestaltung der genannten rechtlichen Grundlagen orientiert sich an Art. 26 und Art. 27 OECD-MA. Die Reichweite des Auskunftsanspruchs des ersuchenden Staates bzw. das Ausmaß der Verpflichtung des ersuchten Staates, Informationen zu übermitteln, war umstritten. Insbesondere Informationen über Bankverbindungen, Konten sowie von sonstigen Finanzinstitutionen wurden nicht von allen Staaten zur Verfügung gestellt. Steuerhinterziehung und Steuervermeidung werden aber durch die Möglichkeit der anonymen Geldanlage begünstigt, weshalb auf internationaler Ebene seit geraumer Zeit versucht wird, zu mehr Transparenz und effektivem Informationsaustausch zu gelangen. Insbesondere auf OECD-Ebene in der Arbeitsgruppe 10 wurde über die Auslegung des Art. 26 OECD-MA diskutiert. Mittlerweile ist anerkannt, dass bei der Stellung eines Auskunftsersuchens eine Namensangabe des betroffenen Steuerpflichtigen nicht erforderlich ist. Es genügt die Angabe von Fakten, die dem ersuchten Staat eine Identifizierung des Steuerpflichtigen ermöglicht. Verboten ist lediglich eine Anfrage,

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Czakert – Entwicklungen beim abkommensrechtlichen Informationsaustausch

welche einfach ins Blaue hinein gemacht wird und jegliche Faktenbasis vermissen lässt. Zulässig ist auch eine Gruppenanfrage, d. h. eine Frage nach einer unbestimmten Vielzahl von Steuerpflichtigen, wenn diese Steuerpflichtigen durch ein spezifisches Verhaltensmuster identifizierbar sind. Am 15.2.2011 wurde die Richtlinie des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung verabschiedet (Richtlinie 2011/16/EU des Rates vom 15.2.2011 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG). Ziel der Richtlinie ist es, die effektive und ordnungsgemäße Festsetzung der Steuern innerhalb der EU bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu ermöglichen und Steuerbetrug sowie Steuerumgehung zu vermeiden. Die Verbesserung der Zusammenarbeit der Steuerverwaltungen innerhalb der EU ist von elementarer Bedeutung, da grenzüberschreitende Sachverhalte innerhalb der EU sowohl bei natürlichen als auch bei juristischen Personen immer stärker zunehmen und Einfluss auf die Besteuerung haben. Die Verabschiedung des Revisionsvorschlags zur Amtshilferichtlinie wird den Auskunftsaustausch mit den übrigen EU-Mitgliedstaaten erheblich verbessern. Die Richtlinie sieht insbesondere vor, Doppel- oder Nichtbesteuerungen zu vermeiden und Steuerhinterziehung, Steuerbetrug und Steuerumgehung besser zu bekämpfen. Durch die Einführung von elektronischen Standardformblättern und Fristen wird die zwischenstaatliche Amtshilfe effizienter werden. Technische Verfahrensfragen werden im Komitologieverfahren behandelt. Das Komitologie- oder Ausschussverfahren erlaubt es der Kommission, in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten Durchführungsbestimmungen zu einem Basisrechtsakt (hier die AmtshilfeRL) zu erlassen. In der Amtshilferichtlinie ist das Ausschussverfahren in Art. 26 geregelt. Ein Kernelement der Richtlinie ist die Einführung eines automatischen Auskunftsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich bestimmter festgelegter Einkünftekategorien. Dabei ist unter einem automatischen Informationsaustausch die systematische Übermittlung zuvor definierter Informationen in regelmäßigen, im Voraus festgelegten Abständen an einen oder mehrere Mitgliedstaaten ohne vorheriges Ersuchen zu verstehen. Zu den in der Richtlinie aufgeführten Kategorien gehören Einkünfte aus abhängiger Beschäftigung, Pensionen, Managergehälter, Lizenzen, Eigentumsverhältnisse und Einkünfte bezüglich Immobilien und Lebensversicherungs17

Czakert – Entwicklungen beim abkommensrechtlichen Informationsaustausch

produkte, die nicht von anderen Richtlinien bzw. Verordnungen abgedeckt werden (z. B. Zinsrichtlinie). Die automatische Auskunft geht an den Staat, in dem der Empfänger der Zahlung ansässig ist. Die Richtlinie wird derzeit ins nationale Recht umgesetzt. Im Amtsblatt der Europäischen Union L 84/1 vom 31.3.2010 wurde die Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16.3.2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben, und sonstige Maßnahmen veröffentlicht. Damit ist die Vollstreckungshilfe innerhalb der Europäischen Union neu gestaltet worden. Die Richtlinie soll nach den Erwägungsgründen die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten und die Neutralität des Binnenmarktes schützen. Der wesentliche Vorteil der neuen Richtlinie liegt in der Einführung eines einheitlichen Vollstreckungstitels innerhalb der EU. Jeder nationale Vollstreckungstitel wird in ein elektronisches Standardformular übertragen und auf elektronischem Weg an den ersuchten Mitgliedstaat übermittelt. Dabei ist das Standardformular so aufgebaut, dass die wesentlichen Informationen durch das Ankreuzen entsprechend vorformulierter Textfelder eingetragen werden können. Freitexte werden auf das notwendige Minimum beschränkt. Die automatische Übersetzung wird das größte Problem im vorher praktizierten Verfahren, die vielen unterschiedlichen Sprachen in den Mitgliedstaaten der EU, weitgehend reduzieren. Insgesamt ist zu erwarten, dass die neue Beitreibungsrichtlinie zu einer erheblichen Verbesserung der Vollstreckungshilfe zwischen den EU-Mitgliedstaaten führen wird. Die Beitreibungsrichtlinie ist durch das Beitreibungsrichtlinienumsetzungsgesetz in das nationale Recht überführt worden. Das EU-Beitreibungsgesetz ist seit dem 1.1.2012 anzuwenden. Die OECD/Europarat-Konvention wurde 1987 vom Ministerrat des Europarats verabschiedet und ist am 1.4.1995 in Kraft getreten. Deutschland hat die Konvention am 17.4.2008 unterzeichnet. Die Konvention gilt für Steuern aller Art, Sozialversicherungspflichtbeiträge und enthält Regelungen über den Informationsaustausch, simultane Betriebsprüfungen, die Amtshilfe bei der Zustellung von Dokumenten und Schriftstücken sowie Regelungen zur Beitreibung von entsprechenden Forderungen. Der Vorteil der Konvention ist, dass deren Unterzeichnung die Rechtsgrundlage für den grenzüberschreitenden Informationsaustausch mit allen Unterzeichnerstaaten schafft. Die Aushandlung von bilateralen Abkommen ist zeitaufwendiger und erfordert mehr Ressourcen. Die G20 haben bei ihrem Treffen im April 2009 ebenfalls gefordert, dass insbesondere für Entwicklungsländer ein multilaterales Werkzeug ge18

Czakert – Entwicklungen beim abkommensrechtlichen Informationsaustausch

schaffen wird, welches auf einfache Art und Weise die Basis für den internationalen Informationsaustausch auf Grundlage des OECD-Standards erlaubt. Die OECD/Europarat-Konvention wurde deshalb um ein Protokoll erweitert, welches seit dem 27.5.2010 zur Zeichnung ausliegt und mittlerweile schon von etlichen Staaten unterzeichnet wurde. In dem Protokoll wurde der OECD-Standard gemäß Art. 26 OECD-MA verankert. Darüber hinaus hat man die Konvention auch für NichtOECD- und Nicht-Europaratsmitglieder geöffnet. Der Forderung der G20, ein multilaterales Werkzeug für die Implementierung des OECDStandards zum transparenten und effektiven Informationsaustausch zu schaffen, wurde damit Rechnung getragen. Deutschland hat das Protokoll am 3.11.2011 unterzeichnet.

C. Der Global-Forum-Prozess Im Prinzip bekunden mittlerweile alle Staaten, den OECD-Standard einhalten zu wollen. Dies bedeutet, dass alle Staaten die dazu notwendigen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen schaffen müssen. Die Staaten müssen sich völkerrechtlich dazu verpflichten, in ihren Beziehungen zu anderen Staaten den OECD-Standard anzuwenden. Dies kann in bilateralen bzw. multilateralen Verträgen oder innerhalb der EU durch EU-Recht bewirkt werden. Jeder Staat ist dann verpflichtet, sein nationales Recht so zu formulieren, dass der OECD-Standard auch rechtlich möglich ist. Darüber hinaus sind die Verwaltungsorganisation und die Verwaltungsabläufe so zu gestalten, dass sie auch praktisch der Verpflichtung zu einem effektiven und transparenten Informationsaustausch gerecht werden können. Dass auch alle Staaten ihre Verpflichtungen erfüllen, wird durch das Global Forum für Transparenz und Informationsaustausch überwacht. Das Global Forum besteht aus mehr als 100 OECD- und Nicht-OECDStaaten, welche es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Anwendung des OECD-Standards unter ihren Mitgliedern zu prüfen. In einem sogenannten Peer-Review-Prozess werden alle im Global Forum vertretenen Staaten in einer ersten Phase daraufhin untersucht, ob sie die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen haben, die die Anwendung des OECD-Standards ermöglichen. In einer zweiten Phase werden dann die administrativen Vorkehrungen der Staaten geprüft, um festzustellen, ob rein tatsächlich die Voraussetzungen für einen effektiven und transparenten Informationsaustausch vorliegen.

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Czakert – Entwicklungen beim abkommensrechtlichen Informationsaustausch

D. Die 10 wesentlichen Prüfkriterien In seinen Terms of Reference hat das Global Forum die zehn wesentlichen Prüfkriterien festgelegt, die als Maßstab für die Einhaltung des OECD-Standards für einen effektiven und transparenten Informationsaustausch dienen: Vorhandensein der Information 1) Staaten sollen sicherstellen, dass Eigentümer- bzw. Nutznießerinformationen für alle wesentlichen Gebilde oder Arrangements den zuständigen Behörden zugänglich sind. 2) Staaten sollen sicherstellen, dass verlässliche Rechnungsunterlagen für alle wesentlichen Gebilde oder Arrangements vorgehalten werden. 3) Bankinformationen bezüglich aller Kontoinhaber sollen zugänglich sein. Zugang zu Informationen 4) Die zuständigen Behörden sollen die Macht haben, von jeder Person innerhalb ihres Territoriums Informationen, die Gegenstand einer auf einem Informationsabkommen basierenden Anfrage sind und die unter der Kontrolle bzw. Verfügungsgewalt dieser Personen sind, herauszuverlangen und weiterzugeben. 5) Die Rechte und Garantien von Personen des ersuchten Staates sollen mit einem effektiven Informationsaustausch vereinbar sein. Austausch von Informationen 6) Das Vertragsnetzwerk soll einen effektiven Informationsaustausch sicherstellen. 7) Das Vertragsnetzwerk soll alle relevanten Partner einschließen. 8) Die staatlichen Regeln für den Informationsaustausch sollen angemessene Vorschriften zum Schutz der Vertraulichkeit der erhaltenen Informationen enthalten. 9) Die Regeln für den Informationsaustausch sollen die Rechte und Garantien der Steuerpflichtigen und Dritter respektieren. 10) Die Staaten sollen Informationen innerhalb ihres Vertragsnetzwerks in zeitlich angemessener Weise austauschen.

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Czakert – Entwicklungen beim abkommensrechtlichen Informationsaustausch

E. Abkommensentwicklung Deutschland hat in den vergangenen Jahren auch etliche Informationsabkommen abgeschlossen, sogenannte Tax Information Exchange Agreements (TIEAs). Die Grundlage der deutschen TIEAs ist immer das OECD-Musterabkommen „Agreement on Exchange of Information on Tax Matters“ aus dem Jahr 2002. Die Zahl der TIEAs weltweit ist seit dem Jahr 2008 von 44 auf 725 im Jahr 2011 gestiegen, was ebenfalls auf den politischen Druck vonseiten der G20 zurückzuführen ist. Abkommensentwicklung 1.1.2012

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A: Erstmaliges Abkommen R-A: Revisionsabkommen als Ersatz eines bestehenden Abkommens R-P: Revisionsprotokoll zu einem bestehenden Abkommen E-P: Ergänzungsprotokoll zu einem bestehenden Abkommen V: Verhandlung P: Paraphierung U: Unterzeichnung hat stattgefunden, Gesetzgebungs- oder Ratifikationsverfahren noch nicht abgeschlossen Einkommen-, Körperschaft-, Gewerbe- und Vermögensteuer KR: Keine Rückwirkung vorgesehen Abzugsteuern von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren KR: Keine Rückwirkung vorgesehen

In den Doppelbesteuerungsabkommen Deutschlands mit der Schweiz, Luxemburg und Österreich hat Deutschland ebenfalls durch Ergänzungsprotokolle den OECD-Standard für den Informationsaustausch verankert. Darüber hinaus wurde mit der Schweiz ein Steuerabkommen unterzeichnet, welches auf Kapitaleinkünfte in der Zukunft eine abgeltende Steuer in Höhe von 26,375 % vorsieht und für die Vergangenheit eine Besteuerung des Kapitalstocks von bis zu 34 % festlegt. Das Abkommen wurde noch nicht ratifiziert. Ein Abkommen zwischen Deutschland und Liechtenstein zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen wurde am 17.11.2011 unterzeichnet. Sollte sich ein Staat dem internationalen Standard für den Informationsaustausch verweigern, kann Deutschland als letzte Möglichkeit das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz anwenden. Dieses lässt es zu, bestimmte vorteilhafte steuerliche Regelungen im Geschäftsverkehr mit unkooperativen Staaten auszusetzen. Ein Staat ist unkooperativ, wenn er mit Deutschland kein Abkommen entsprechend dem OECD-Standard abgeschlossen hat oder keine Auskunft im vergleichbaren Umfang erteilt oder keine Bereitschaft zu einer entsprechenden Auskunftserteilung bekundet hat. Derzeit erfüllt kein Staat diese Voraussetzungen.1 _____________ 1 BMF v. 5.1.2010 – IV B 2 - S 1315/08/10001-09, BStBl. I 2010, 19.

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Steuerliche Zulässigkeit nationaler Treaty-overridingRegelungen Dr. Michael Schwenke Richter am Bundesfinanzhof, München

Inhaltsübersicht A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Der Begriff des Treaty Override . . 24 C. Beispiele für ein Treaty Override . I. Zur Missbrauchsverhinderung . II. Zur Verhinderung der Keinmalbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . III. Zur Sicherstellung von Besteuerungssubstrat . . . . . . . .

25 25 26 26

D. Treaty Override als völkerrechtswidriger Akt . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Zustandekommen eines Doppelbesteuerungsabkommens . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Maßgebliche Vorschriften des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

E. Rangverhältnis völkerrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 F. Treaty Override und Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . II. Die Görgülü-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Alteigentümer-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . IV. Die Konsularrechts-Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . V. Die GriechenlandhilfeEntscheidung des BVerfG . . . . .

31 31 32 35 37 38

G. Sieben Thesen zum Treaty Override . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 H. Aktuelle Rechtsprechung . . . . . . . 41

A. Vorbemerkung Vor knapp 165 Jahren, am 19.5.1847, kam es vor dem Vereinigten Landtag in Berlin zu einem politischen Eklat. Der damalige Preußische Außenminister Karl von Canitz hatte sich für ein Petitionsrecht des Landtags in auswärtigen Angelegenheiten ausgesprochen1. Er war damit nach Auffassung seiner konservativen Ministerkollegen in einen Tabubereich königlicher Kompetenzen vorgestoßen. Es ist überliefert, dass von Canitz nur knapp seiner sofortigen Absetzung entgangen ist2. _____________ 1 Vgl. Lehner, Die Rolle des Parlaments beim Zustandekommen von Doppelbesteuerungsabkommen, in Kirchhof/Birk/Lehner, Steuern im Verfassungsstaat, 1996, 95. 2 Dallinger, Karl von Canitz und Dallwitz, Ein preußischer Minister des Vormärz, Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Band 3, 1969, 70.

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Schwenke – Steuerliche Zulässigkeit nationaler Treaty-overriding-Regelungen

Diese kleine Episode deutscher Zeitgeschichte zeigt in aller Deutlichkeit das damalige Verständnis des Verhältnisses zwischen der Regierung und dem Parlament im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten und insbesondere beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge auf. Was darf das Parlament heute, 165 Jahre später, beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge und, um speziell zum Thema des Treaty Override überzuleiten, was darf es bei der Abänderung völkerrechtlicher Verträge? Heute wie damals offenbar ein Thema, über das man trefflich streiten kann.

B. Der Begriff des Treaty Override Wörtlich übersetzt bedeutet Treaty Overriding „Abkommensüberrollung“3. Nun ist diese schlichte Übersetzung weder besonders elegant noch besonders aussagekräftig. Auch der Begriff der legislativen Abkommensderogation4 soll in diesem Zusammenhang nicht weiter verwandt werden. Als Fachterminus hat sich der Begriff des „Treaty Override“ durchgesetzt. Es bezeichnet die innerstaatliche Änderung oder Aufhebung einzelner Vorschriften eines Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) durch zeitlich nachfolgende unilaterale Steuergesetzgebung. Der Steuerausschuss der „Organisation for Economic Co-Operation and Development“ (kurz OECD) definiert ein Treaty Override ganz in diesem Sinn als „the enactment of domestic legislation intended by the legislature to have effects in clear contradiction to international treaty obligations“5. Ausgehend von dieser Begriffsdefinition werden nachfolgende unilaterale Regelungen nicht als Treaty Override angesehen:6 – Ein unilaterales Gesetz korrigiert ein Urteil, das der unbestrittenen Auslegung des DBA durch die Vertragsparteien widerspricht. – Ein unilaterales Gesetz ändert die Bedeutung eines Begriffs, sofern die Änderung dem Geist und Sinn eines DBA entspricht. – Ein neues Gesetz widerspricht unbewusst einem DBA. _____________ 3 Debatin, StÄndG 1992 und „Treaty Override“, DB 1992, 2159. 4 Musil, Deutsches Treaty Overriding und seine Vereinbarkeit mit Europäischem Gemeinschaftsrecht, 26. 5 OECD Committee on Fiscal Affairs, Tax treaty Override, 1989, in: Model Ta Convention on Income and Capital, Volume II, R (8)-4. 6 Vgl. Gosch, Über das Treaty Overriding, IStR 2008, 413.

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Schwenke – Steuerliche Zulässigkeit nationaler Treaty-overriding-Regelungen

– Ein DBA enthält explizit entsprechende Verdrängungsvorbehalte (z. B. saving clause im DBA USA 2006).

C. Beispiele für ein Treaty Override Dem Versuch einer Kategorisierung durch Gosch7 folgend können drei verschiedene Arten von Treaty Override unterschieden werden:

I. Zur Missbrauchsverhinderung Als Beispiel für ein Treaty Override zur Missbrauchsverhinderung ist zunächst § 50d Abs. 1 und 2 i. V. m. Abs. 3 EStG zu nennen. Substanzund funktionslose Zwischengesellschaften sollen nicht die Möglichkeit einer Vorabfreistellung von der Kapitalertragsteuer oder nachfolgenden Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuern erhalten, wenn sie lediglich vorgeschoben werden, um die Vergünstigungen eines Abkommens zu erhalten. § 50d Abs. 3 EStG überschreibt insoweit die Abkommenslage. Ein Treaty Override ist damit aber nicht in jedem Fall verbunden, wenn beispielsweise im Abkommen selbst spezielle Missbrauchsvermeidungsregelungen enthalten sind bzw. eine Konkretisierung eines abkommensrechtlichen Begriffs erfolgt.8 Das älteste Treaty Override im deutschen Steuerrecht findet sich in § 20 Abs. 2 AStG. Dort wird für Auslandsbetriebsstätten mit zwischengesellschaftsgleichen passiven Einkünften statt der eigentlich vereinbarten Freistellungsmethode die Anrechnungsmethode vorgesehen. Auch durch § 42 AO können Abkommensvergünstigungen eingeschränkt und verwehrt werden. Bislang hält der BFH die Anwendung des § 42 AO auf Doppelbesteuerungsabkommen wohl für unproblematisch.9 Dies mag aber daran liegen, dass die Vorschrift des § 42 AO auf einer anderen Ebene als die anderen Treaty-Override-Regelungen ansetzt, nämlich der steuerlichen Bemessungsgrundlage. Im Ergebnis führt aber auch § 42 AO zu einer Verdrängung der Abkommenswirkungen.

_____________ 7 Gosch, Über das Treaty Overriding, IStR 2008, 413. 8 Frotscher, Zur Zulässigkeit eines „Treaty Override“ in FS für Harald Schaumburg, „Steuerzentrierte Rechtsberatung“, 687. 9 BFH v. 5.3.1986 – I R 201/82, BStBl. II 1986, 496; v. 7.2.1975 – VIII B 62/74, BStBl. II 1976, 608.

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II. Zur Verhinderung der Keinmalbesteuerung Ein Treaty Override zur Verhinderung der Keinmalbesteuerung hat der Gesetzgeber mit § 50d Abs. 8 EStG eingeführt. Es betrifft Steuerpflichtige mit Einkünften aus nicht selbstständiger Tätigkeit. Mithin wird das Tätigkeitsortprinzip in Art. 15 Abs. 1 OECD-MA ausgehebelt. Über § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG wird die Anwendung der Freistellungsmethode versagt, wenn der andere Vertragsstaat aufgrund seiner Abkommensanwendung zu einer Nicht- oder Niedrigbesteuerung gelangt. Erfasst werden sollen insbesondere Fälle im Zusammenhang mit Einkünften von Personengesellschaften, bei denen es aufgrund unterschiedlicher Einkünftequalifikationen durch die beteiligten Vertragsstaaten zu Qualifikations- und Zurechnungskonflikten kommen kann. In diesem Zusammenhang (im Kern geht es eigentlich um die dritte Fallgruppe der Sicherung deutschen Besteuerungssubstrats) ist an dieser Stelle die Regelung zu den Sondervergütungen in § 50d Abs. 10 EStG zu nennen. Es wird zwar vertreten, dass hierdurch nur eine Auslegung abkommensrechtlicher Begriffe erreicht werden soll. Angesichts der entgegenstehenden Rechtsprechung des BFH10 ist jedoch von einem Treaty Override auszugehen.11 Ein weiteres Treaty Override enthält § 50d Abs. 9 EStG in Satz 1 Nr. 2 EStG. Als letzte Beispiele für ein Treaty Override zur Verhinderung einer Keinmalbesteuerung sind §§ 8b Abs. 1 Satz 3, 26 Abs. 6 Satz 1 KStG zu nennen. Danach soll das DBA-Schachtelprivileg nur dann greifen, wenn sich verdeckte Gewinnausschüttungen auf der Ebene der Beteiligungsgesellschaft nicht einkommensmindernd ausgewirkt haben.12

III. Zur Sicherstellung von Besteuerungssubstrat Als Beispiele für ein Treaty Override zur Sicherstellung des deutschen Steuersubstrats werden die im Zuge des SEStEG geschaffenen §§ 15 Abs. 1a, 17 Abs. 5 Satz 3 EStG sowie §§ 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 21 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 UmwStG genannt13. Sie sollen Sachverhalte erfassen, in denen dem deutschen Staat in Inlandsfällen das Besteuerungs_____________ 10 Z. B. BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BFHE 219, 518. 11 Vgl. zur Problematik Jansen/Weidmann, Treaty Override und Verfassungsrecht, IStR 2010, 596. 12 Vgl. Gosch, Über das Treaty Overriding, IStR 2008, 413. 13 Gosch, Über das Treaty Overriding, IStR 2008, 413.

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recht zustünde und dieses auch nicht dem anderen Vertragsstaat zugewiesen wurde, aber Deutschland durch die Fusions-RL an einer Besteuerung gehindert ist. Es wird deshalb vertreten, dass durch diese Regelungen lediglich eine aufgeschobene Besteuerung sichergestellt werden soll, die insoweit nicht dem Sinn und Zweck der DBA widerspricht.14

D. Treaty Override als völkerrechtswidriger Akt Zum Verständnis eines Treaty Override als völkerrechtswidriger Akt ist es zunächst von Bedeutung, zu klären, wie ein DBA überhaupt zustande kommt.

I. Zustandekommen eines Doppelbesteuerungsabkommens Bei einem DBA handelt es sich um einen Vertrag im Sinne des Völkerrechts, d. h. eine ausdrückliche oder konkludente Willenseinigung zwischen zwei oder mehreren Völkerrechtssubjekten, durch welche völkerrechtliche Rechte und Pflichten begründet werden. Das Zustandekommen richtet sich dabei nach den Regeln im „Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge“ vom 23.5.1969 (WVRK)15. Es sind die folgenden Stufen des Zustandekommens eines völkerrechtlichen Vertrages und damit auch eines DBA zu unterscheiden: – Verhandlungen zwischen den Verwaltungen der Staaten – Paraphierung des Abkommensentwurfs durch Unterhändler (Art. 10 WVRK): Der Vertragstext ist damit vorläufig festgelegt. – Unterzeichnung des Vertragsentwurfs durch Beauftragte beider Staaten (Art. 11, 12 WVRK): Eine Abänderung des Textes ist nicht mehr zulässig. – Zustimmung der Parlamente der Vertragsparteien – Ratifikation des Vertrages (Art. 14 WVRK): Es handelt sich um die Bindungserklärung des nach der jeweiligen Verfassung zuständigen Organs. – Austausch der Ratifikationsurkunden (Art. 16 WVRK): Die völkerrechtliche Bindungswirkung wird hergestellt. Erst ab der Ratifikation tritt der völkerrechtliche Vertrag in Kraft (Art. 24 Abs. 2 WVRK), es sei denn, es wird eine rückwirkende Anwen_____________ 14 Lüdicke, Überlegungen zur deutschen DBA-Politik, 36. 15 In Deutschland in Kraft getreten am 27.1.1980, BGBl. II 1985, 926.

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dung vereinbart. Ist ein Vertrag einmal in Kraft getreten, so bindet er die Vertragsparteien und ist von ihnen nach dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz des „pacta sunt servanda“ (Art. 26 WVRK) nach Treu und Glauben zu erfüllen. Nach Art. 27 WVRK kann sich eine Vertragspartei nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrages zu rechtfertigen. Ist in einem Vertrag vorgesehen, dass eine Vertragspartei das Recht hat zu kündigen, zurückzutreten oder den Vertrag zu suspendieren, kann dieses Recht nach Art. 44 WVRK nur hinsichtlich des gesamten Vertrags ausgeübt werden. Dies entspricht im Wesentlichen dem Vorschlag der OECD in Art. 31 OECDMA, der eine Kündigung des Abkommens auf diplomatischem Weg unter Einhaltung einer Frist von mindestens sechs Monaten zum Ende eines Kalenderjahres, aber offensichtlich nur eine Kündigungsmöglichkeit für das gesamte Abkommen vorsieht. Eine Möglichkeit zur Beendigung oder Suspendierung eines Vertrags auch ohne Vereinbarung eines Rechts zur Vertragsbeendigung sieht Art. 60 WVRK vor. Voraussetzung ist allerdings eine erhebliche Verletzung des zweiseitigen Vertrags durch eine Vertragspartei. Eine Vertragsanpassung sieht Art. 45 WVRK für den Fall vor, dass eine Vertragspartei stillschweigend einer Weiteranwendung des Vertrages zugestimmt hat, obwohl Gründe für eine Vertragsbeendigung vorliegen, Es bleibt insoweit festzuhalten, dass das Wiener Übereinkommen durchaus Regelungen für den Fall vorsieht, dass eine Vertragspartei gegen vertragliche Bestimmungen verstößt, allerdings müssen diese Verstöße ein gewisses Maß erreichen.

II. Maßgebliche Vorschriften des GG Innerstaatlich sind zwei Vorschriften des Grundgesetzes von Bedeutung, die sich mit dem Zustandekommen eines völkerrechtlichen Vertrages thematisch auseinandersetzen. Dies ist zunächst Art. 25 GG, der die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu einem Bestandteil des Bundesrechts erklärt. Darüber hinaus bestimmt Art. 25 GG, dass diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts den Gesetzen im Rang vorgehen und Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner der Bundesrepublik erzeugen. Art. 59 GG befasst sich in Abgrenzung zu Art. 25 GG mit dem Völkervertragsrecht. In seinem Abs. 2 bestimmt Art. 59 GG, dass Verträge, welche politische Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegen28

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stände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes bedürfen. Bei DBA handelt es sich unstreitig um Verträge, die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen. Art. 59 Abs. 2 GG verlangt daher die Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates zu den von der Bundesregierung abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen. Diese Zustimmung kann der Bundestag entweder erteilen oder verweigern, § 81 Abs. 4 GeschOBT, Änderungsanträge sind nach § 82 Abs. 2 GeschOBT ebenso wenig vorgesehen wie eine besondere Schlussabstimmung, § 86 Satz 4 GeschOBT. Es scheint so, als ob die GeschOBT den Vorstoß des Parlaments in den Tabubereich der Kompetenz der Bundesregierung so gering wie möglich halten will. Die Legislativfunktion des Parlaments erscheint jedenfalls sehr beschränkt.16

E. Rangverhältnis völkerrechtlicher Normen Ausgehend von diesen Regelungszusammenhängen ist nun zu untersuchen, in welchem Rangverhältnis die völkerrechtlichen Normen eines DBA zu einfachen Steuergesetzen stehen. Erst dann kann in einem weiteren Schritt der Frage nachgegangen werden, welche verfassungsrechtlichen Grenzen für ein Treaty Override gelten. Die Klärung des Rangverhältnisses völkerrechtlicher Normen führt zur Frage nach dem Geltungsgrund der DBA im innerstaatlichen Recht und damit zu einem langjährigen Theorienstreit, dem grundlegenden Streit zwischen der monistischen und der dualistischen Theorie. Nach der monistischen Theorie bilden Völkerrecht und innerstaatliches Recht ein einheitliches Regelungssystem. Völkerrecht und innerstaatliches Recht sind nur Teile einer einzigen Rechtsordnung. Nach einer strikt verstandenen monistischen Theorie beruht die Geltung des Völkerrechts auf dem Völkerrecht selbst, nach der gemäßigten monistischen Theorie auf der Übernahme durch das innerstaatliche Recht. Nach der dualistischen Theorie handelt es sich dagegen bei dem Völkerrecht und dem innerstaatlichen Recht um zwei voneinander unabhängige Rechtsordnungen. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass _____________ 16 Vgl. zu dieser Problematik auch kritisch Lehner, Die Rolle des Parlaments beim Zustandekommen von Doppelbesteuerungsabkommen in Kirchhof/Birk/Lehner, Steuern im Verfassungsstaat, 1996, 95.

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völkerrechtliche Regelungen innerstaatlich nur dann gelten, wenn das nationale Recht einen Rechtsgrund für diese Geltung schafft. Diesem letzteren Verständnis folgt die sog. Transformationstheorie. Danach wird der völkerrechtliche Vertrag durch das Zustimmungsgesetz in innerstaatliches Recht transformiert. Innerstaatlich gilt der völkerrechtliche Vertrag damit als nationales Recht. Die Schwäche dieser Argumentation wird aber darin gesehen, dass die Transformationstheorie nicht zu erklären vermag, warum eine innerstaatliche Geltung unabhängig von der zeitlich nachfolgenden Ratifikation erfolgen kann. Demgegenüber basiert die sog. Vollzugstheorie auf einem eher monistischen Verständnis. Ein völkerrechtlicher Vertrag gilt auch innerstaatlich als Völkerrecht, es findet keine Umformung statt. Das Zustimmungsgesetz hat nach dieser Theorie lediglich die Funktion eines Vollzugs- oder Rechtsanwendungsbefehls. Beiden Theorien ist jedenfalls gemeinsam, dass die Rangbestimmung dem Zustimmungsgesetz entnommen wird. Als einfaches Bundesgesetz kann das Zustimmungsgesetz aber dem völkerrechtlichen Vertrag keinen höheren Rang verleihen, als ihm selbst zukommt. Auch die Vorschrift des § 2 AO, die nach ihrem Wortlaut einen Vorrang völkerrechtlicher Vereinbarungen vor den Steuergesetzen anordnet, vermag hieran nichts zu ändern. Denn die Anordnung eines höheren Rangs für eine bestimmte Normengruppe kann nur durch eine Bestimmung erfolgen, die selbst einen höheren Rang als die Norm einnimmt, deren Rangverhältnis sie regeln will. Die Folge ist, dass durch das Transformationsgesetz der Völkerrechtsvertrag gewissermaßen mit einfachem gemeinen Gesetzesrecht nivelliert wird.17 Es bleibt damit bei den zwei allgemeinen Grundsätzen, dass das speziellere Gesetz dem allgemeineren Gesetz18 sowie das jüngere dem älteren Gesetz vorgeht19. Nach dem Grundsatz „lex generalis posterior non derogat legi speciali priori“ geht aber eine allgemeine spätere Norm nicht einer früheren speziellen Norm vor. Ein genereller Vorrang von völkerrechtlichen Verträgen vor nationalen Steuerregelungen besteht danach nicht. § 2 AO kommt weitgehend nur ein deklaratorischer Charakter zu.20 _____________ 17 18 19 20

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Gosch, Über das Treaty Overriding, IStR 2008, 413. „Lex generalis non derogat legi speciali“. „Lex posterior derogat legi priori“. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 3.25.

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Ein genereller Vorrang von völkerrechtlichen Verträgen folgt auch nicht aus Art. 25 GG. Völkerrechtliche Verträge sind keine allgemeinen Regeln des Völkerrechts und damit nicht vom Anwendungsbereich des Art. 25 GG erfasst.21 Art. 59 Abs. 2 GG ist insoweit spezieller und geht dem Art. 25 GG insoweit vor. Nichts anderes ergibt sich aus dem Grundsatz „pacta sunt servanda“. Es handelt sich dabei zwar um einen allgemeinen Grundsatz des Völkerrechts, allerdings kann dieser Grundsatz nicht Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrages in allgemeine Regeln des Völkerrechts umwandeln und im Ergebnis eine Rangerhöhung des völkerrechtlichen Vertragsrechts herbeiführen.22 Dem deutschen Gesetzgeber bleibt es damit nach bislang ganz h. M. unbenommen, eine in nationales Recht transformierte DBA-Vorschrift durch nachfolgendes nationales Recht zu überschreiben.

F. Treaty Override und Verfassungsrecht I. Vorbemerkung Dieses Verständnis wird bislang auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vertreten. Bereits in einer frühen Entscheidung hat das BVerfG sich mit Art. 25 GG und der Frage beschäftigt, ob sich hieraus eine verfassungsrechtliche Bindung der Gesetzgebung an das Vertragsrecht ergibt.23 Wörtlich führt das BVerfG in Rz. 224 dieser Entscheidung aus: „Dem gefundenen Ergebnis kann nicht entgegengehalten werden, es sei mit der in Art. 25 GG zum Ausdruck gebrachten Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren. Eine solche Auffassung würde verkennen, dass das Grundgesetz in seiner Völkerrechtsfreundlichkeit nicht so weit geht, die Einhaltung bestehender völkerrechtlicher Verträge durch eine Bindung des Gesetzgebers an das ihnen entsprechende Recht zu sichern. Weder zugunsten von Verträgen, deren Gegenstand der Bundesgesetzgebung unterliegt, noch zugunsten von Landesverträgen, deren Gegenstand nach dem Grundgesetz der Landesgesetzgebung unterliegt, erachtet das Grundgesetz eine verfassungsrechtliche Bindung der Gesetzgebung an das Vertragsrecht für erforderlich. Das Grundgesetz überlässt die Erfüllung der bestehenden völkerrechtlichen Vertragspflichten der Verantwortung des zuständigen Gesetzgebers. Art. 25 GG räumt nur den ‚allgemeinen Regeln des Völkerrechts‘ den Charakter innerstaatlichen Rechts und den Vorrang vor den Gesetzen ein.

_____________ 21 Vogel in V/L, DBA, 5. Aufl., Einl. OECD-MA Rz. 194 ff. 22 Vgl. Jansen/Weidmann, Treaty Override und Verfassungsrecht, IStR 2010, 596. 23 BVerfG v. 26.3.1957 – 2 BvG 1/55, BVerfGE 6, 309.

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Diese Bestimmung bewirkt, dass diese Regeln ohne ein Transformationsgesetz, also unmittelbar, Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden und dem deutschen innerstaatlichen Recht – nicht dem Verfassungsrecht – im Range vorgehen. Diese Rechtssätze brechen insoweit jede Norm aus deutscher Rechtsquelle, die hinter ihnen zurückbleibt oder ihnen widerspricht. Besondere vertragliche Vereinbarungen, auch wenn sie objektives Recht setzen, genießen diese Vorrangstellung nicht. Der Gesetzgeber hat also die Verfügungsmacht über den Rechtsbestand auch dort, wo eine vertragliche Bindung besteht, sofern sie nicht allgemeine Völkerrechtssätze zum Gegenstand hat.“

Diese deutliche und klare Auffassung des BVerfG soll nunmehr in neueren Entscheidungen des BVerfG eine grundlegende Änderung erfahren haben. Insbesondere Vogel sieht sich durch die Görgülü-Entscheidung des BVerfG (siehe nachfolgend unter F. II.) in seiner schon bei seiner Abschiedsvorlesung geäußerten Meinung bestätigt, dass der Bundesgesetzgeber nicht zum Wortbruch legitimiert ist, da ein solcher gegen die Bindung des Gesetzgebers an das Recht verstößt und einer Rechtfertigung nicht zugänglich ist24.

II. Die Görgülü-Entscheidung des BVerfG25 In der Sache ging es um eine Familienrechtssache, bei der das OLG Naumburg das Urteil der Vorinstanz, das sich auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) berufen hatte, u. a. mit der Begründung aufgehoben hatte, ein Urteilsspruch des EGMR binde nur die Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt, nicht aber deren Organe, Behörden und die nach Art. 97 Abs. 1 GG unabhängigen Organe der Rechtspflege. Nun es ist bekannt, dass das BVerfG dies anders gesehen hat. Interessant sind aber die Ausführungen des Gerichts zum Thema Rangzuweisung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). So stellt das Gericht zunächst klar, dass die EMRK ein völkerrechtlicher Vertrag ist und die Konvention selbst es den Vertragsparteien überlässt, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung der Vertragsvorschriften genügen. Der Bundesgesetzgeber hat den genannten Übereinkommen jeweils mit förmlichem Gesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt. Damit hat er sie in das deutsche Recht transformiert und einen entsprechenden Rechtsanwendungsbefehl erteilt. Innerhalb der _____________ 24 Vogel, Wortbruch im Verfassungsstaat, JZ 1997, 4. 25 BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307.

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deutschen Rechtsordnung stehen die Bestimmungen der EMRK daher im Range eines Bundesgesetzes. Weiter stellt das BVerfG fest, dass den Gewährleistungen der EMRK in der deutschen Rechtsordnung aufgrund dieses Ranges in der Normenhierarchie kein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab zukommt. Ein Beschwerdeführer kann sich insofern vor dem BVerfG nicht unmittelbar auf die Verletzung eines in der EMRK enthaltenen Menschenrechts berufen. Allerdings beeinflussen die Gewährleistungen der Konvention die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes. Ein Beschwerdeführer kann daher die Missachtung der EMRK als Verstoß gegen das in seinem Schutzbereich berührte Grundrecht in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip rügen. Die verfassungsrechtliche Bedeutung eines völkerrechtlichen Vertrages ist nach Auffassung des BVerfG Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG, das die Betätigung staatlicher Souveränität durch Völkervertragsrecht und internationale Zusammenarbeit sowie die Einbeziehung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts fördert und deshalb nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der BRD nicht entsteht. Das BVerfG beruft sich insoweit auf die programmatische Festlegung auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und auf die europäische Integration (Art. 23 GG) sowie auf den Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor dem einfachen Gesetzesrecht (Art. 25 Satz 2 GG) und die Einordnung des Völkervertragsrechts durch Art. 59 Abs. 2 GG in das System der Gewaltenteilung (zudem Art. 24 Abs. 2 und 3 GG, Art. 26 GG). Allerdings relativiert das BVerfG diesen Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG wieder, indem es betont, dass das Grundgesetz nicht die weitesten Schritte der Öffnung für völkerrechtliche Bindungen gegangen ist. Das Völkervertragsrecht ist innerstaatlich nicht unmittelbar, das heißt ohne Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG, als geltendes Recht zu behandeln und – wie auch das Völkergewohnheitsrecht (vgl. Art. 25 GG) – nicht mit dem Rang des Verfassungsrechts ausgestattet. Dem Grundgesetz liegt deutlich die klassische Vorstellung zugrunde, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtskreise handelt und dass die Natur dieses Verhältnisses aus der Sicht des nationalen Rechts nur durch das nationale Recht selbst bestimmt werden kann; dies zeigen die Existenz und der Wortlaut von Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG. Im Ergebnis erteilt das BVerfG damit der 33

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monistischen Theorie eine klare Absage. Die Görgülü-Entscheidung liegt insoweit ganz auf der Linie der alten Rechtsprechung des Gerichts, nach der dem Völkervertragsrecht kein erhöhter Rang in der Normenhierarchie zukommt. Eher einschränkend sind m. E. auch die weiteren Ausführungen des BVerfG zu verstehen: „Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität. Insofern widerspricht es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist. Das Grundgesetz will eine weitgehende Völkerrechtsfreundlichkeit, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und politische Integration in eine sich allmählich entwickelnde internationale Gemeinschaft demokratischer Rechtsstaaten. Es will jedoch keine jeder verfassungsrechtlichen Begrenzung und Kontrolle entzogene Unterwerfung unter nichtdeutsche Hoheitsakte. Selbst die weitreichende supranationale europäische Integration, die sich für den aus der Gemeinschaftsquelle herrührenden, innerstaatlich unmittelbar wirkenden Normanwendungsbefehl öffnet, steht unter einem, allerdings weit zurückgenommenen Souveränitätsvorbehalt (vgl. Art. 23 Abs. 1 GG). Völkervertragsrecht gilt innerstaatlich nur dann, wenn es in die nationale Rechtsordnung formgerecht und in Übereinstimmung mit materiellem Verfassungsrecht inkorporiert worden ist.“

Vogel26 und ihm folgend Gosch27 wollen diesen Aussagen jedoch einen Umkehrschluss entnehmen. Der Gesetzgeber sei von Verfassungs wegen – basierend auf dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG – gehalten, Völkervertragsrecht zu beachten. Nur ganz ausnahmsweise müsse er dies nicht, er brauche hierfür aber eine besondere Rechtfertigung, deren Voraussetzungen sehr eng gezogen seien. Dabei wird jedoch m. E. verkannt, dass die Situation des durch das BVerfG entschiedenen Einzelfalls eine ganz andere ist als die eines Treaty Override. Im Fall Görgülü ging es um eine Bestimmung der EMRK, die im Ergebnis von dem nationalen Gericht nicht angewandt worden ist. Für diesen Fall sagt das BVerfG, dass eine völkerrechtliche Norm, die noch dazu nationales Recht geworden ist, zu beachten ist. Nur ganz ausnahmsweise ist sie das nicht, der Rechtsanwender benötigt dann aber eine besondere _____________ 26 Vogel, Völkerrechtliche Verträge und innerstaatliche Gesetzgebung, IStR 2005, 29. 27 Gosch, Über das Treaty Overriding, IStR 2008, 413.

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Rechtfertigung, damit er diese Rechtsvorschrift nicht anzuwenden hat. Ganz anders die Situation bei einem Treaty Override. Hier existieren zwei nationale Rechtsvorschriften, die des DBA und die des innerstaatlichen Steuerrechts, und die völkerrechtliche Vorschrift geht im Rang gerade nicht der nationalen Steuervorschrift vor. Ist es nicht gerade Ausdruck der in der deutschen Verfassung liegenden Souveränität des Gesetzgebers, die Vorschriften eines DBA durch nachfolgende Rechtssetzungsakte derogieren zu können?

III. Die Alteigentümer-Entscheidung des BVerfG28 In der Sache ging es darum, ob entschädigungslose Enteignungen durch die besatzungshoheitliche Bodenreform in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949 insbesondere mit dem Völkerrecht und der EMRK vereinbar ist. Von Interesse sind wiederum die Ausführungen zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht. Wie in der Görgülü-Entscheidung stellt das BVerfG zunächst fest, dass Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) letztlich jede Freiheit von staatlichem Zwang schützt. Art. 2 Abs. 1 GG schützt deshalb auch davor, durch die öffentliche Gewalt mit einem Nachteil belastet zu werden, der seinen Ursprung und seine innere Rechtfertigung nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung findet. Zur verfassungsmäßigen Ordnung zählen alle Bestandteile des geltenden Rechts, also auch das Völkerrecht. Eine den Einzelnen belastende gerichtliche Entscheidung, die auf einer den allgemeinen Regeln des Völkerrechts widersprechenden Vorschrift des innerstaatlichen Rechts oder auch einer mit dem allgemeinen Völkerrecht unvereinbaren Auslegung und Anwendung einer Vorschrift des innerstaatlichen Rechts beruht, kann gegen das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit verstoßen. In der vom Grundgesetz verfassten staatlichen Ordnung kann es unabhängig davon, ob Ansprüche von Einzelpersonen schon kraft Völkerrechts bestehen, geboten sein, Völkerrechtsverstöße als subjektive Rechtsverletzungen geltend machen zu können. Zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes sind folgende Ausführungen des Gerichts von besonderem Interesse: _____________ 28 BVerfG-Beschl. v. 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01, BVerfGE 112, 1.

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„Die deutschen Staatsorgane sind gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an das Völkerrecht gebunden, das als Völkervertragsrecht nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und mit seinen allgemeinen Regeln insbesondere als Völkergewohnheitsrecht nach Art. 25 Satz 1 GG innerstaatlich Geltung beansprucht. Das Grundgesetz ordnet den von ihm verfassten Staat in eine freiheits- und friedenswahrende Völkerrechtsordnung ein, weil es einen Gleichklang der eigenen freiheitlichen Friedensordnung mit einem Völkerrecht sucht, das nicht nur die Koexistenz der Staaten betrifft, sondern Grundlage der Legitimität jeder staatlichen Ordnung sein will … Die Verfassung hebt bestimmte Einrichtungen und Rechtsquellen der internationalen Zusammenarbeit und des Völkerrechts hervor (Art. 23 Abs. 1, Art. 24, Art. 25, Art. 26 und Art. 59 Abs. 2 GG). Insoweit erleichtert das Grundgesetz die Entstehung von Völkerrecht unter Beteiligung des Bundes und sichert dem entstandenen Völkerrecht Effektivität. Das Grundgesetz stellt die Staatsorgane mittelbar in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts und vermindert dadurch das Risiko der Nichtbefolgung internationalen Rechts … Eine solche verfassungsunmittelbare Pflicht ist nach deutschem Verfassungsrecht allerdings nicht unbesehen für jede beliebige Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen, sondern nur, soweit es dem … Konzept der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes entspricht. Das Grundgesetz will die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit in den Formen einer kontrollierten Bindung; es ordnet nicht die Unterwerfung der deutschen Rechtsordnung unter die Völkerrechtsordnung und den unbedingten Geltungsvorrang von Völkerrecht vor dem Verfassungsrecht an, sondern will den Respekt vor friedens- und freiheitswahrenden internationalen Organisationen und dem Völkerrecht erhöhen, ohne die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt aus der Hand zu geben …“

Auch mit dieser Entscheidung bewegt sich das BVerfG damit ganz auf der Linie der Entscheidung 2 BvG 1/55 aus dem Jahr 1957. Die Existenz zwingenden Völkerrechts, das weder einseitig noch vertraglich abbedungen werden kann, wird eng begrenzt: „Über Art. 1 Abs. 2 und Art. 25 Satz 1 GG rezipiert das GG auch die graduelle Anerkennung der Existenz zwingender, also der Disposition der Staaten im Einzelfall entzogener Normen (ius cogens). Dabei handelt es sich um die in der Rechtsüberzeugung der Staatengemeinschaft fest verwurzelten Rechtssätze, die für den Bestand des Völkerrechts unerlässlich sind und deren Beachtung alle Mitglieder der Staatengemeinschaft verlangen können … Dies betrifft insbesondere Normen über die internationale Friedenssicherung, das Selbstbestimmungsrecht (vgl. Art. 1 Abs. 2 Satzung Vereinte Nationen …), grundlegende Menschenrechte sowie Kernnormen zum Schutz der Umwelt …

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Solches Völkerrecht kann von den Staaten weder einseitig noch vertraglich abbedungen, sondern nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden (vgl. Art. 53 Satz 2 WVRK).“

Im Umkehrschluss lässt sich daraus folgern, dass „normales“ Völkerrecht der Disposition der Staaten nicht entzogen ist. Die in der deutschen Verfassung liegende Souveränität des Gesetzgebers wird auch in dieser Entscheidung deutlich betont.

IV. Die Konsularrechts-Entscheidung des BVerfG29 Folgende Passagen der Entscheidung des BVerfG sind für die vorliegende Thematik von Interesse: „Das Grundgesetz legt die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und die europäische Integration (Art. 23 GG) fest und bindet sie darüber hinaus an das Völkervertrags(Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) und Völkergewohnheitsrecht (Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 25 GG). Es ist Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, dass dieses nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Hieraus ergibt sich eine verfassungsunmittelbare Pflicht der deutschen Gerichte, einschlägige Judikate der für Deutschland zuständigen internationalen Gerichte zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen … Inhaltlich bedeutet die Pflicht, die einschlägigen Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs zu berücksichtigen, dass sich die Fachgerichte mit seinen Ausführungen auseinandersetzen und gegebenenfalls abweichende eigene Auffassungen offenlegen müssen. Eine solche Abweichung von der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs kann die nach dem Vorstehenden zu vermeidenden Konflikte mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auslösen und widerspricht insoweit dem Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit. Deshalb muss in einem solchen Abweichensfall dargelegt werden, warum Grundrechte Dritter oder sonstige Verfassungsbestimmungen ein Abweichen erforderlich machen … Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet in Verbindung mit der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG das Recht des Beschuldigten auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren … Die Ausgestaltung dieses Grundrechts ist zunächst Aufgabe des Gesetzgebers. Die Fachgerichtsbarkeit hat sodann den Schutzgehalt der jeweils infrage stehenden Verfahrensnorm und anschließend die Rechtsfolgen ihrer Verletzung zu bestimmen. Das faire Verfahren

_____________ 29 BVerfG v. 8.7.2010 – 2 BvR 2485/07, 2 BvR 2513/07, 2 BvR 2548/07, NJW 2011, 207.

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wird allerdings nicht nur durch die Normen der Strafprozessordnung, sondern auch durch völkervertragsrechtliche Vorschriften ausgestaltet. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie das Konsularrechtsübereinkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland durch Zustimmungsgesetz beigetreten ist, nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im Range eines Bundesgesetzes … Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben …“

Auch mit dieser Entscheidung bewegt sich das BVerfG auf der Linie seiner bisherigen Rechtsprechung. Völkerrecht steht im Rang eines Bundesgesetzes und ist damit über das Rechtsstaatsprinzip zu beachten. Wie in der Görgülü-Entscheidung sind die Ausführungen zum (ausnahmsweise) Nichtbeachten völkerrechtlicher Vorschriften nicht auf den Fall einer Normenkollision wie beim Treaty Override zugeschnitten. Umkehrschlüsse verbieten sich von daher.

V. Die Griechenlandhilfe-Entscheidung des BVerfG30 Die Entscheidung des BVerfG zur Griechenlandhilfe weist zwar keinen unmittelbaren Bezug zu der Thematik eines Treaty Override auf, sie ist aber insofern von Interesse, als das Gericht einer Entleerung der von der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung gewährleisteten politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Parlaments Grenzen zieht. Folgende Ausführungen sind von Interesse: „Der letztlich in der Würde des Menschen wurzelnde Anspruch des Bürgers auf Demokratie wäre hinfällig, wenn das Parlament Kernbestandteile politischer Selbstbestimmung aufgäbe und damit dem Bürger dauerhaft seine demokratischen Einflussmöglichkeiten entzöge. Das GG hat den Zusammenhang zwischen Wahlrecht und Staatsgewalt in Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG für unantastbar erklärt. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat bei der Neufassung des Art. 23 GG deutlich gemacht, dass der Auftrag zur Entwicklung der Europäischen Union an die dauerhafte Einhaltung bestimmter verfassungsrechtlicher Strukturvorgaben gebunden ist (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) und dass hier durch Art. 79 Abs. 3 GG eine absolute Grenze zum Schutz der Identität der Verfassung gesetzt ist (Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG). Gegen eine mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbare Entäußerung von Kompetenzen durch das Parlament muss sich der Bürger verfassungsgerichtlich zur Wehr setzen können.

_____________ 30 BVerfG v. 7.9.2011 – 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10, NJW 2011, 2946.

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Schwenke – Steuerliche Zulässigkeit nationaler Treaty-overriding-Regelungen

Das Bundesverfassungsgericht hat im Zusammenhang mit der zur Verwirklichung eines vereinten Europas erstrebten Öffnung der staatlichen Herrschaftsordnung hin zur Europäischen Union (vgl. Art. 23 GG) auf verfassungsrechtliche Schranken hingewiesen, die das Grundgesetz gegenüber einer parlamentarischen Selbstbeschränkung des Budgetrechts errichtet. Danach läge eine das Demokratieprinzip und das Wahlrecht zum Deutschen Bundestag verletzende Übertragung wesentlicher Bestandteile des Budgetrechts des Bundestages jedenfalls dann vor, wenn die Festlegung über Art und Höhe der den Bürger treffenden Abgaben in wesentlichem Umfang supranationalisiert und damit der Dispositionsbefugnis des Bundestages entzogen würde. Es dürfen keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden; es muss darüber hinaus gesichert sein, dass weiterhin hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht.“

Mit diesen Erwägungen zum Demokratieprinzip macht das BVerfG deutlich, dass selbst im Bereich des Art. 23 GG, der eine sehr weitgehende Öffnung der staatlichen Herrschaftsordnung hin zur Europäischen Union vorsieht, Grenzen im Hinblick auf eine Beschneidung der Souveränität des parlamentarischen Gesetzgebers einzuhalten sind. Muss dies nicht im Erst-recht-Schluss auch für den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes gelten? Spricht nicht das Demokratieprinzip gegen eine derart extensive Wirkung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit, wie sie von Vogel vertreten wird?

G. Sieben Thesen zum Treaty Override Die vorgestellten Entscheidungen des BVerfG lassen sich m. E. in die folgenden sieben Thesen zusammenfassen: 1. DBA als völkerrechtlichen Verträgen kommt keine Vorrangstellung vor nationalem Recht zu. Das Völkervertragsrecht ist innerstaatlich nicht unmittelbar, das heißt ohne Zustimmungsgesetz nach Art. 59 Abs. 2 GG, als geltendes Recht zu behandeln und nicht mit dem Rang des Verfassungsrechts ausgestattet. Dem Grundgesetz liegt deutlich die klassische Vorstellung zugrunde, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtskreise handelt und dass die Na39

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tur dieses Verhältnisses aus der Sicht des nationalen Rechts nur durch das nationale Recht selbst bestimmt werden kann; dies zeigen die Existenz und der Wortlaut von Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG. Art. 2 Abs. 1 GG schützt letztlich jede Freiheit von staatlichem Zwang und schützt deshalb auch davor, durch die öffentliche Gewalt mit einem Nachteil belastet zu werden, der seinen Ursprung und seine innere Rechtfertigung nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung findet. Die deutschen Staatsorgane sind gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an das Völkerrecht gebunden, das als Völkervertragsrecht nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und mit seinen allgemeinen Regeln insbesondere als Völkergewohnheitsrecht nach Art. 25 Satz 1 GG innerstaatlich Geltung beansprucht. Das Grundgesetz will eine weitgehende Völkerrechtsfreundlichkeit, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und politische Integration in eine sich allmählich entwickelnde internationale Gemeinschaft demokratischer Rechtsstaaten. Es will jedoch keine jeder verfassungsrechtlichen Begrenzung und Kontrolle entzogene Unterwerfung unter nichtdeutsche Hoheitsakte. Das Rechtsstaatsprinzip ist daher nicht nur im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG auszulegen, sondern auch einschränkend im Lichte des Demokratieprinzips; dieses verlangt nicht nur eine anfängliche Legitimation allen staatlichen Handelns, sondern prinzipiell eine Revidierbarkeit alter Rechtssetzungsakte. Bei völkervertraglich eingegangenen Verpflichtungen, von den der Gesetzgeber nicht mehr abweichen könnte, bestünde die Gefahr einer Entleerung der von der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung gewährleisteten politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Parlaments. Das Rechtsstaatsprinzip ist einschränkend auch im Lichte einer gleichheitsgerechten Besteuerung auszulegen. Es dürfte daher nicht geeignet sein, ein subjektives Recht eines Steuerpflichtigen auf Nichtbesteuerung zu begründen.31 Insofern dürfte es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit widersprechen, wenn der Gesetzgeber Völkervertragsrecht überschreibt; das Völkerrecht selbst scheint Vertragsverletzungen jedenfalls zu

_____________ 31 Vgl. Heger, Das Verhältnis von Abkommensrecht und nationalem Steuerrecht, SWI 2011, 95.

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kennen; Sanktionsmöglichkeiten sind nach der WVRK „nur“ für „erhebliche“ Verletzungen vorgesehen.32

H. Aktuelle Rechtsprechung Der BFH hat in der Vergangenheit ein Treaty Override als innerstaatlich wirksam angesehen.33 Vor Kurzem musste er sich in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erneut mit dieser Frage beschäftigen. Der BFH hat ernstliche Zweifel geäußert, ob § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG – neben dem Rückwirkungsverbot – den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die durch den prinzipiellen Vorrang des Völkervertragsrechts vor „einfachem“ Recht zu verlangen sind, uneingeschränkt gerecht wird.34 Es spreche manches dafür, dass § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG unilateral und konstitutiv die mit Spanien in Art. 23 Abs. 1 DBA Spanien vereinbarte Methode zur Vermeidung der Doppelbesteuerung mittels „virtueller“ Freistellung (als sog. Treaty Override) „überschreibt“. Auch wenn sowohl das DBA – infolge dessen Transformation in nationales Recht – als auch das EStG in der Normenhierarchie gleichrangig auf derselben Stufe stehen, stellt sich der BFH die Frage, ob nicht gleichwohl abkommensrechtlich und verfassungsrechtlich durchschlagende Gründe dafür ersichtlich sein müssen, die die Durchbrechung der völkerrechtlich verbindlich getroffenen Vereinbarungen (Art. 59 Abs. 2 GG) erzwingen und (ausnahmsweise) rechtfertigen können. Er beruft sich insoweit ausdrücklich auf die Auffassungen von Vogel und Gosch. Eine abschließende Würdigung ist jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Ein weiteres Verfahren zur Thematik eines Treaty Override ist derzeit beim BFH anhängig. Es betrifft die Revision gegen ein Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 30.6.2009 (6 K 1415/09). Die Revision wird unter dem Az. I R 66/09 geführt. In der Sache geht es um die Regelung des § 50d Abs. 8 EStG. Das Finanzgericht war der Meinung, dass weder der Grundsatz der Vertragstreue noch der völkerrechtliche _____________ 32 A. A. Becker, Völkerrechtliche Verträge und parlamentarische Gesetzgebungskompetenz, NVwZ 2005, 289; Becker leitet aus dem Umstand, dass das Völkerrecht Mechanismen für die Beendigung vertraglicher Bindungen bereithält, gerade ab, dass die Einräumung einer Gesetzgebungskompetenz zum Erlass eines völkervertragswidrigen Gesetzes an den nationalen Gesetzgeber rechtsstaatlich höchst bedenklich ist. 33 BFH v. 13.7.1994 – I R 120/93, BStBl. II 1995, 129. 34 BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156.

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Vertrag selbst oder § 2 AO einen allgemeinen Vorrang völkerrechtlicher Verträge begründen können. Trotz des Rangs eines einfachen Bundesgesetzes sei aber ein völkerrechtlicher Vertrag von den Gerichten „im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung“ zu beachten und anzuwenden.35 Es dürfte spannend sein, ob sich der BFH für eine Vorlage an das BVerfG entscheidet. Ernstliche Zweifel reichen hierfür nicht, das Gericht muss vielmehr von der Verfassungswidrigkeit überzeugt sein.

_____________ 35 Vgl. BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, BVerfGE 111, 307.

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Anwendung von DBA auf Personengesellschaften Dr. Helder Schnittker, LL.M. Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Hamburg

Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Anwendung inländischer Phänomene auf das Abkommensrecht . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gewerbliche Prägung . . . . . . . . 1. Kein Durchschlagen der gewerblichen Prägung auf das Abkommensrecht . . . . . a) Beurteilung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . b) Beurteilung bei Anwendung des Abkommensrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsequenzen für die Praxis a) Vorsicht beim Wegzug . . . aa) Entstrickungsregelung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht bb) Verlust des deutschen Besteuerungsrechts bei Anwendung des Abkommensrechts . . . . . b) Vorsicht bei Ausgliederung und Einbringung . . . aa) Buchwertansatz nur bei Erhalt des deutschen Besteuerungsrechts . . . . . . . . . . . . . bb) Verlust des deutschen Besteuerungsrechts bei fehlender originär gewerblicher Tätigkeit der Familien-KG . . . . . (1) Erhalt des deutschen Besteuerungsrechts bei Fortsetzung eines

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Teils der bisherigen operativen Tätigkeit durch die Familien-KG . . . . . (2) Erhalt des deutschen Besteuerungsrechts bei Ausgestaltung der Familien-KG als geschäftsleitende Holding ................... c) Vorsicht beim Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . III. Betriebsaufspaltung . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betriebsaufspaltung über die Grenze möglich . . . . . . . . . . 3. Kein Durchschlagen der Betriebsaufspaltung auf das Abkommensrecht . . . . . . . . . 4. Konsequenzen für die Praxis a) Outbound-Fall . . . . . . . . . aa) Beurteilung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht bb) Beurteilung nach Abkommensrecht . . . . b) Inbound-Fall . . . . . . . . . . . aa) Beurteilung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht bb) Beurteilung nach Abkommensrecht . . . . IV. Sondervergütung . . . . . . . . . . . .

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C. Subjektive Qualifikationskonflikte – Veräußerung eines Mitunternehmeranteils . . . . . . . . . 64 I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . 64

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Schnittker – Anwendung von DBA auf Personengesellschaften II. Beurteilung nach innerstaatlichem Steuerrecht des Staates C . . . . . . . . . . . . . . III. Beurteilung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Beurteilung nach Abkommensrecht . . . . . . . . . . . V. Vermeidung der Doppelfreistellung durch einseitigen Treaty Override . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . .

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2. Beurteilung nach innerstaatlichem Steuerrecht des Staates C . . . . . . . . . . . . . 3. Beurteilung nach innerstaatlichem Steuerrecht Deutschlands . . . . . . . . . . . . 4. Beurteilung nach Abkommensrecht . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kein Übergang zur Anrechnungsmethode nach § 50d Abs. 9 EStG . . . . . . . . . . . . . .

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D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

A. Einführung Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über ein engmaschiges Netz von DBA. In jedem Jahr kommen weitere dazu oder es werden bestehende Abkommen aktualisiert. Daher ist es auch nicht überraschend, dass der BFH in zunehmendem Maße mit Fragen befasst wird, die die Auslegung von DBA betreffen. Solche Fragen haben sich dem BFH in den letzten Jahren besonders häufig im Zusammenhang mit Einkünften aus der Beteiligung an in- oder ausländischen Personengesellschaften gestellt. Dabei ging es insbesondere um folgende Fragen: – Wie wirken sich Phänomene des inländischen Steuerrechts (wie die gewerbliche Prägung1, die gewerbliche Infektion2, die Betriebsaufspaltung3 oder die Sondervergütungen4) auf die Auslegung von DBA aus?

_____________ 1 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, DStR 2011, 2085; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602; v. 4.5.2011 – II R 51/09, BFH/NV 2011, 1637; v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482; v. 28.4.2010 – I R 81/09, DB 2010, 1322; v. 14.3.2007 – XI R 15/05, BStBl. II 2007, 924. 2 Dies ist bisher zwar noch nicht alleiniger Gegenstand eines BFH-Verfahrens gewesen, der BFH hat sich diesbezüglich aber bereits klar positioniert (z. B. in BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, DB 2010, 1321). 3 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602; FG Nürnberg v. 28.9.2011 – 3 K 959/2008, BeckRS 2012, 94098, Rz. 31 (NZB I B 173/11). 4 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, BB 2011, 164; v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356; v. 10.8.2006 – II R 59/05, BFH/NV 2006, 2326.

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– Welche Folgen hat die unterschiedliche steuerliche Einordnung von Personengesellschaften sowohl abkommensrechtlich als auch nach nationalem Recht?5 Zu beiden Fragenkreisen hat die Finanzverwaltung in einem Schreiben vom 16.4.2010 Stellung genommen.6 Dieses Schreiben hat sich für die Diskussion der zum Teil äußerst komplexen Rechtsfragen als besonders nützlich erwiesen. Denn auch wenn es in wesentlichen Punkten sowohl in der Rechtsprechung7 als auch im Schrifttum8 Widerspruch erfahren hat, ist doch festzustellen, dass es die Diskussion insgesamt beflügelt und allen Diskussionsteilnehmern Gelegenheit gegeben hat, die Positionen und Argumente der Finanzverwaltung zu durchleuchten und eigene Lösungsansätze zu entwickeln. Der Gesetzgeber hat das Seine dazu beigetragen, dass die Diskussion um die hier angesprochenen Fragenkreise bis heute anhält. So hat er beispielsweise durch die Einführung der Abs. 9 und 10 des § 50d EStG den Versuch unternommen, die abkommensrechtlichen Folgen in Fällen von Qualifikationskonflikten und Sondervergütungen durch die einseitige Überschreibung des Abkommensrechts (sog. treaty override) zu kassieren. Mit beiden Vorschriften haben sich die Gerichte bereits intensiv beschäftigt und Schwachpunkte aufgezeigt, die ein baldiges erneutes Tätigwerden des Gesetzgebers erwarten lassen.9 Nachfolgend wird der Diskussionsstand zu beiden Fragenkreisen zusammengefasst und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Praxis aufgezeigt.

_____________ 5 6 7 8

BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602. BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354. Siehe in Fußnoten 3, 4 und 5 zitierte Urteile. Siehe z. B. Wassermeyer, IStR 2007, 413; Wassermeyer, FR 2010, 537; Richter, FR 2010, 547, Schmidt, IStR 2010, 354 ff. 9 Zu § 50d Abs. 9 EStG siehe BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, DStR 2011, 2085; zu § 50d Abs. 10 EStG siehe BFH v. 7.12.2011 – I R 5/11, BFH/NV 2012, 556; v. 8.9.2010 – I R 74/09, BB 2011, 164; v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414; v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356.

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B. Anwendung inländischer Phänomene auf das Abkommensrecht I. Einleitung Das deutsche Steuerrecht enthält verschiedene Regelungen und Rechtsinstitute, die bewirken, dass Einkünfte, die originär anderen Einkunftsarten zuzuordnen sind, in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert werden. Beispielhaft seien hier die gewerbliche Infektion (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG), die gewerbliche Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG), die Betriebsaufspaltung und auch die Regelungen zu den Sondervergütungen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG) genannt. Der Sinn und Zweck all dieser Regelungen und Rechtsinstitute besteht vornehmlich darin, eine Schmälerung der Bemessungsgrundlage der GewSt zu vermeiden.10 Alle diese Rechtsfiguren des deutschen Rechts verbindet überdies, dass es sich bei ihnen um rein deutsche Phänomene handelt, für die es im Recht anderer Staaten in der Regel kein Pendant gibt. Dieser Umstand führt in grenzüberschreitenden Sachverhalten unweigerlich zu Konflikten gerade und insbesondere im Abkommensrecht. Welche Konflikte im Einzelnen entstehen und welche Konsequenzen sich daraus für die Praxis ergeben, soll im Rahmen dieses Beitrags überblickartig beantwortet werden.

II. Gewerbliche Prägung Die gewerbliche Prägung tritt ein, wenn (i) eine Personengesellschaft, die (ii) keine originäre gewerbliche Tätigkeit entfaltet, (iii) einer Tätigkeit in Einkünfteerzielungsabsicht nachgeht und an ihr (iv) ausschließlich eine oder mehrere Kapitalgesellschaften als persönlich haftende Gesellschafter beteiligt sind und (v) nur diese oder Personen, die nicht Gesellschafter sind, zur Geschäftsführung befugt sind (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Während die Rechtsfragen zur gewerblichen Prägung für rein innerstaatliche Sachverhalte von der Rechtsprechung weitgehend geklärt sind, besteht in grenzüberschreitenden Fällen in Bezug auf wesentliche Fragen noch Unsicherheit. Zwar ist inzwischen höchstrichterlich entschieden, dass auch ausländische Kapitalgesellschaften in- und auslän_____________ 10 BFH v. 30.8.2001 – IV R 43/00, BStBl. II 2002, 152; Drüen, FR 2000, 177 (185); Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 1400.

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dische Personengesellschaften gewerblich prägen.11 Streitig ist aber nach wie vor, ob die gewerbliche Prägung auch auf das Abkommensrecht durchschlägt, sodass Einkünfte aus einer gewerblich geprägten Personengesellschaft für abkommensrechtliche Zwecke als Unternehmensgewinne (i. S. d. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA) zu qualifizieren sind. Der Diskussionsstand und die Bedeutung dieser Frage werden anhand nachfolgender Fälle erläutert. 1. Kein Durchschlagen der gewerblichen Prägung auf das Abkommensrecht Fall 1: Der in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige A ist Gesellschafter der X-LP, einer nach dem Recht des Staates C gegründeten Personengesellschaft, die mit einer KG deutschen Rechts vergleichbar ist. Die Geschäftsführung der X-LP obliegt der X-Inc., einer Kapitalgesellschaft mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Staat C, die als einzige Gesellschafterin der X-LP voll haftet (Komplementärin). Die X-LP erzielt Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von im Staat C belegenen gewerblich genutzten Immobilien. Außerdem legt sie bei der Vermietung entstandene Einnahmeüberschüsse verzinslich an und erzielt dadurch Zinseinnahmen. Hat Deutschland das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte?

a) Beurteilung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht Ausländische Rechtsgebilde sind für Zwecke der Besteuerung in Deutschland stets nach dem sog. Rechtstypenvergleich einzuordnen.12 Danach ist bei der Qualifikation eines ausländischen Rechtsgebildes für deutsche Besteuerungszwecke darauf abzustellen, ob es sich mehr dem Typ der Personengesellschaft oder der Kapitalgesellschaft nähert. Die X-LP soll vorliegend annahmegemäß mit einer deutschen KG, ihre Komplementärin, die X-Inc., mit einer deutschen GmbH oder AG vergleichbar sein. _____________ 11 BFH v. 14.3.2007 – XI R 15/05, BStBl. II 2007, 924. 12 Der Rechtstypenvergleich geht auf die sog. Venezuela-Entscheidung des RFH zurück (Urt. v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RFHE 27, 79) und wird seither in ständiger Rechtsprechung angewendet; auch die Finanzverwaltung hat ihn seit Langem anerkannt (BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 1.2; BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA - 22/04, BStBl. I 2004, 411). Ausführlich zur Anwendung des Rechtstypenvergleichs Schnittker in Wassermeyer/Richter/ Schnittker, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 4.1 ff.

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Da die X-LP keine originär gewerbliche Tätigkeit ausübt und ihr einziger Vollhafter und Geschäftsführer eine Kapitalgesellschaft (X-Inc.) ist, stellt die X-LP aus Sicht des innerstaatlichen deutschen Steuerrechts eine gewerblich geprägte Personengesellschaft i. S. d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG dar. Denn die Grundsätze der gewerblichen Prägung finden auch in Bezug auf rein ausländische Gesellschaftsstrukturen Anwendung; insbesondere können ausländische Kapitalgesellschaften in- oder ausländische Personengesellschaften gewerblich prägen.13 Die Einkünfte aus der X-LP sind deshalb aus Sicht des innerstaatlichen deutschen Steuerrechts aufgrund der gesetzlichen Fiktion in § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG solche aus Gewerbebetrieb, auch wenn es sich bei ihnen originär um Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder Kapitalvermögen handelt. b) Beurteilung bei Anwendung des Abkommensrechts Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass die gewerbliche Prägung auf das Abkommensrecht durchschlägt.14 Sie ist deshalb auch der Auffassung, dass eine gewerblich geprägte Personengesellschaft stets „Gewinne eines Unternehmens“ (Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA) im abkommensrechtlichen Sinne erzielt. Sie begründet dies damit, dass der Begriff der „Unternehmensgewinne“ im Allgemeinen in den DBA nicht abschließend definiert und deshalb auf das innerstaatliche Recht zu rekurrieren sei (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA; OECD-MK Nummer 4 zu Art. 3).15 Mit diesem Ansatz folgt sie der OECD, die den Begriff der Ausübung einer Geschäftstätigkeit ebenfalls nach dem innerstaatlichen Recht des Anwenderstaats bestimmen möchte. Der BFH teilt diese Auffassung nicht.16 Er geht vielmehr davon aus, dass, wenn ein DBA von „Gewinnen eines Unternehmens“ spricht, es damit Einkünfte aus einer ihrer Art nach „unternehmerischen“ Tätigkeit meint. Einkünfte aus einer Tätigkeit, die inhaltlich zum Bereich der Vermögensverwaltung gehören und im innerstaatlichen Recht nur im Wege einer Fiktion dem Bereich der Gewerblichkeit zugewiesen

_____________ 13 BFH v. 14.3.2007 – XI R 15/05, BStBl. II 2007, 924. 14 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 2.2.1. 15 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 2.2.1; BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 1.1.5.1. 16 Siehe in Fußnote 1 zitierte Urteile.

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werden, erfüllen diese Voraussetzung nach seinem Verständnis gerade nicht.17 Der BFH begründet seine Sichtweise wie folgt: – Der in Art. 3 Abs. 2 OECD-MA genannte abkommensspezifische „Zusammenhang“ fordere eine vom nationalen Recht losgelöste Einordnung. – Die in Art. 7 Abs. 6 OECD-MA bestimmte prinzipielle Subsidiarität von Art. 7 Abs. 1 gegenüber den spezielleren Art. 10, 11 und 12 OECD-MA besage, dass die spezielleren Einkunftsarten gegenüber den Unternehmensgewinnen vorrangig seien, es sei denn, jene Einkünfte unterfielen infolge ihrer tatsächlichen Zugehörigkeit zu einer im anderen Vertragsstaat belegenen Betriebsstätte wiederum den Unternehmensgewinnen. – Ein anderes Verständnis würde ohne hinreichenden Grund die Gefahr fördern, dass das Abkommen in den einzelnen Vertragsstaaten unterschiedlich ausgelegt werde und damit der im Grundsatz angestrebten Entscheidungsharmonie entgegenwirken. Dem BFH ist insbesondere mit Blick auf das erstgenannte Argument zu folgen. Denn der in Art. 3 Abs. 2 OECD-MA enthaltene Halbsatz „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“ kann, wenn er nicht bedeutungslos sein soll, nur so verstanden werden, dass er der Auslegung anhand des innerstaatlichen Rechts Grenzen setzt. Diese Grenzen werden für die Auslegung des Begriffs „Unternehmensgewinn“ durch die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA enthaltene Teildefinition des Begriffs „Unternehmen“ dahingehend konkretisiert, dass ein Unternehmen stets die Ausübung einer Geschäftstätigkeit voraussetzt.18 Ein Unternehmen wird folglich durch sein eigenes originäres (gewerbliches) Handeln begründet. Die originäre (vermögensverwaltende) Tätigkeit einer gewerblich geprägten Personengesellschaft begründet aber – auch nach innerstaatlichem Recht – nicht die Gewerblichkeit. Gewerblichkeitsbegründend sind vielmehr allein die besonderen strukturellen Gegebenheiten einer solchen Gesellschaft. Der BFH zieht daraus zu Recht den Schluss, dass die Einkünfte einer gewerblich geprägten Personengesellschaft abkommensrechtlich nicht zum „unternehmerischen“ oder „gewerblichen“ Bereich gehören.19 _____________ 17 Grundlegend BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, Rz. 22 f., DB 2010, 1563. 18 Vgl. Oenings/Seitz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 12.59. 19 Siehe in Fußnote 1 zitierte Urteile.

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Stattdessen unterfallen die Einkünfte einer solchen Gesellschaft den einschlägigen Spezialartikeln (z. B. Art. 6, 10 bis 12 OECD-MA); im Beispielsfall ist dies für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung Art. 6 OECD-MA, der dem Belegenheitsstaat (Staat C) das Besteuerungsrecht zuweist, und für die Zinseinkünfte Art. 11 Abs. 1 OECD-MA, nach dem der Ansässigkeitsstaat (Deutschland) besteuern darf. Bezüglich der Zinseinkünfte ändert sich daran auch dadurch nichts, dass diese aus der Anlage von Mieteinkünften resultieren. Denn die Zinsen hängen nur mittelbar mit der Vermietungstätigkeit zusammen und gehören somit abkommensrechtlich nicht zu den Einkünften aus unbeweglichem Vermögen nach Art. 6 OECD-MA.20 Ebenso wenig ändert sich das Ergebnis durch den in Art. 11 Abs. 4 OECD-MA enthaltenen Betriebsstättenvorbehalt. Denn dieser setzt die Existenz einer Betriebsstätte voraus, also eine Tätigkeit, die den Begriff des Art. 7 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA erfüllt. An einer solchen Tätigkeit und einer durch sie begründeten Betriebsstätte fehlt es aber – wie oben ausgeführt – gerade in Fällen lediglich gewerblich geprägter Personengesellschaften, so auch im Beispielsfall. Der BFH hat zwischenzeitlich diese Grundsätze auch auf den Fall übertragen, dass sich ein im Ausland unbeschränkt Steuerpflichtiger an einer inländischen, gewerblich geprägten Personengesellschaft beteiligt: Auch hier qualifizieren die Einkünfte für Zwecke des Abkommensrechts – entgegen der innerstaatlichen Würdigung als gewerbliche Einkünfte – nicht als Unternehmensgewinne i. S. d. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA, mit der Konsequenz, dass sich das Besteuerungsrecht hinsichtlich der erzielten Einkünfte nach den speziellen Verteilungsregeln richtet.21 2. Konsequenzen für die Praxis Diese neuen Rechtsprechungsgrundsätze des BFH haben für die Praxis weitreichende Konsequenzen. Dies lässt sich an den nachfolgenden Fällen exemplarisch verdeutlichen.

_____________ 20 BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, DB 2010, 1322, Rz. 25. 21 BFH v. 4.5.2011 – II R 51/09, BFH/NV 2011, 1637.

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a) Vorsicht beim Wegzug Fall 2: Die in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige B ist alleinige Kommanditistin der X-KG; Komplementärin ist die X-GmbH, die nicht am Vermögen der X-KG beteiligt ist. Beide Gesellschaften haben ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland. Einziges Wirtschaftsgut der X-KG ist eine Beteiligung an der operativ tätigen C-GmbH, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung ebenfalls in Deutschland liegt. B plant, in den Staat C zu verziehen, mit dem Deutschland ein Abkommen geschlossen hat, das dem OECD-MA entspricht. Auch nach dem geplanten Wegzug würden alle Gesellschaften ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland behalten. Mit welchen steuerlichen Folgen muss sie rechnen?

aa) Entstrickungsregelung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht Um durch ihren Wegzug nicht die in der X-KG (bzw. mittelbar in der C-GmbH) enthaltenen stillen Reserven aufzudecken und versteuern zu müssen, ist sicherzustellen, dass durch den Wegzug nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt werden.22 Nach dieser Regelung steht einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts Deutschlands hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleich. Würde durch einen Wegzug das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich der in der Beteiligung an der C-GmbH enthaltenen stillen Reserven ausgeschlossen, löste der Wegzug rein faktisch deren Aufdeckung aus (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 Halbs. 2 EStG). Dies unterstellt allerdings (mit der Finanzverwaltung), dass § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG insbesondere aufgrund der Nachbesserungen, die er durch das JStG 2010 erfahren hat, in Wegzugsfällen nun tatsächlich einschlägig ist.23 bb) Verlust des deutschen Besteuerungsrechts bei Anwendung des Abkommensrechts Im Beispielsfall hängt demnach alles davon ab, ob auch nach dem Wegzug der B Deutschland das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus einer (späteren) Veräußerung der Beteiligung an der C-GmbH be_____________ 22 Nicht § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG, sondern § 16 Abs. 3a EStG wäre einschlägig, wenn auch der Verwaltungssitz der X-KG von Deutschland in den Staat C verlegt würde. 23 Tatsächlich ist diese Frage bisher noch nicht geklärt, da es gute Gründe gibt, hieran zu zweifeln (vgl. z. B. Blöchle, IStR 2009, 646 f. m. w. N.).

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hält. Dies wäre zu bejahen, wenn die Beteiligung nach dem Wegzug sowohl nach innerstaatlichem Recht als auch nach Abkommensrecht einer deutschen Betriebsstätte zuzuordnen wäre. Da das innerstaatliche (deutsche) Steuerrecht die X-KG als gewerbliche Personengesellschaft qualifiziert, deren Ort der Geschäftsleitung auch nach dem Wegzug in Deutschland verbleibt, wird diese Gesellschaft in Deutschland zumindest eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte i. S. d. § 12 Nr. 1 AO behalten. Dieser Gesellschaft wird die Beteiligung an der C-GmbH auch weiterhin zuzurechnen sein. B bleibt daher mit einem etwaigen Veräußerungsgewinn auch nach ihrem Wegzug in Deutschland beschränkt steuerpflichtig (§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Legt man die dargestellte BFH-Rechtsprechung zugrunde, ist im Beispielsfall davon auszugehen, dass Deutschland nach dem Wegzug einen späteren Veräußerungsgewinn nicht mehr besteuern kann. Denn da die KG rein vermögensverwaltend tätig ist und ihre gewerbliche Prägung nach der Rechtsprechung des BFH auf das Abkommensrecht nicht durchschlägt, stellt die KG für abkommensrechtliche Zwecke kein Unternehmen i. S. d. Art. 7 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA dar und kann infolgedessen der B auch keine Betriebsstätte (mit eigenem Betriebsvermögen) vermitteln. Fehlt es aber an einer abkommensrechtlich anzuerkennenden Betriebsstätte der KG, gibt es nach dem Wegzug hinsichtlich der Beteiligung an der C-GmbH auch keinen abkommensrechtlichen Anknüpfungspunkt für ein deutsches Besteuerungsrecht i. S. d. Art. 13 Abs. 2 OECD-MA mehr. Das Besteuerungsrecht steht folglich nach dem Wegzug dem Staat zu, in dem die B dann abkommensrechtlich ansässig ist (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Im Ergebnis bedeutet dies, dass durch den Wegzug der B die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt würden und es somit – vorbehaltlich einer die Zweifel am Wirkungsgrad dieser Vorschrift bestätigenden BFH-Entscheidung24 – zur Aufdeckung sämtlicher in der Beteiligung an der C-GmbH liegenden stillen Reserven käme.25

_____________ 24 Blöchle, IStR 2009, 646 f. m. w. N. 25 Siehe hierzu ausführlich Loose/Wittkowski, IStR 2011, 68 (70); Schönfeld, IStR 2011, 142; Nitzschke, IStR 2011, 838.

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b) Vorsicht bei Ausgliederung und Einbringung26 Fall 3: Ein deutsches Familienunternehmen in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG („Familien-KG“) mit Gesellschaftern im In- und Ausland überlegt, die einzelnen Geschäftssparten künftig in inländischen Kapitalgesellschaften zu verselbstständigen. Technisch soll dies so umgesetzt werden, dass die als steuerliche Teilbetriebe qualifizierten Geschäftssparten zivilrechtlich im Wege der Ausgliederung zur Neugründung gemäß § 123 Abs. 3 Nr. 2 UmwG auf verschiedene Kapitalgesellschaften übertragen werden. Steuerlich soll die als Einbringung zu qualifizierende Ausgliederung zu Buchwerten erfolgen. Die ausländischen Gesellschafter leben in einem Staat, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, das dem OECD-MA entspricht. Worauf ist bei der geplanten Umstrukturierung zu achten?27

aa) Buchwertansatz nur bei Erhalt des deutschen Besteuerungsrechts Zu Buchwerten kann die geplante Ausgliederung zur Neugründung (§ 123 Abs. 3 UmwG) steuerlich nur erfolgen, wenn auf sie § 20 Abs. 2 UmwStG anzuwenden ist. Dies setzt u. a. voraus, dass das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird (§ 1 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b UmwStG). bb) Verlust des deutschen Besteuerungsrechts bei fehlender originär gewerblicher Tätigkeit der Familien-KG Würde die Familien-KG sämtliche Geschäftssparten und damit ihr gesamtes Unternehmen auf Tochterkapitalgesellschaften ausgliedern, bliebe sie als reine Finanzholdinggesellschaft zurück, deren Tätigkeit sich auf die Verwaltung ihrer Beteiligungen beschränken würde. Als gewerblich geprägte Personengesellschaft würde sie sodann zwar nach innerstaatlichem Steuerrecht nach wie vor gewerbliche Einkünfte erzielen, für das Abkommensrecht würde dies hingegen nicht gelten. Es würde vielmehr an einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte fehlen, zu deren Betriebsvermögen die Beteiligungen gehören könnten, sodass das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an den Tochtergesellschaften nicht nach Art. 13 Abs. 2 OECD-MA Deutschland zustünde, sondern nach Art. 13 Abs. 5 OECD_____________ 26 Auf das Risiko, das Besteuerungsrecht Deutschlands in Einbringungsfällen zu verlieren, weist insbesondere Nitzschke zutreffend hin (IStR 2011, 838 (840, Beispiel 2)). 27 Siehe Schönfeld, IStR 2011, 497.

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MA dem Staat, in dem die Gesellschafter aus abkommensrechtlicher Sicht ansässig sind (Art. 4 OECD-MA). Da ein Teil der Gesellschafter der Familien-KG im Ausland ansässig ist, ginge insoweit das Besteuerungsrecht Deutschlands durch die Ausgliederung oder Einbringung verloren. Um den Verlust des deutschen Besteuerungsrechts zu vermeiden, ist es daher erforderlich, dass die Familien-KG auch nach der Umstrukturierung weiterhin eine originär gewerbliche Tätigkeit entfaltet. Hierzu bieten sich verschiedene Möglichkeiten an. (1) Erhalt des deutschen Besteuerungsrechts bei Fortsetzung eines Teils der bisherigen operativen Tätigkeit durch die Familien-KG Am einfachsten dürfte es sein, dass die Familien-KG eine ihrer Geschäftssparten nicht ausgliedert und ihre operative Tätigkeit in diesem Bereich fortsetzt. Auf diese Weise bliebe für die Anwendung des Art. 13 Abs. 2 OECD-MA auch nach dem Wegzug ein Anknüpfungspunkt in Deutschland erhalten. Fraglich ist hier allein, ob die Beteiligungen an den Tochtergesellschaften, auf die die übrigen Geschäftssparten ausgegliedert werden, dann abkommensrechtlich Betriebsvermögen der Familien-KG darstellen. Da Art. 13 Abs. 2 OECD-MA – anders als die Art. 11 Abs. 4 und 12 Abs. 3 OECD-MA – keine tatsächlich funktionale Zuordnung der Beteiligungen zu der deutschen Betriebsstätte verlangt, sondern eine bloße Zugehörigkeit zum Betriebsvermögen nach innerstaatlichem Verständnis ausreichen lässt,28 bliebe das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an den Tochtergesellschaften möglicherweise auch dann erhalten, wenn es in Bezug auf diese an einer tatsächlich funktionalen Zuordnung fehlt. Eine steuerneutrale Einbringung nach § 20 Abs. 2 UmwStG wäre damit grundsätzlich möglich.

_____________ 28 BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414; anders allerdings das BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 3.2, Rz. 2.2.4.1, das den Betriebsstättenvorbehalt in Art. 13 Abs. 2 OECD-MA ebenso i. S. der „tatsächlichen Zugehörigkeit“ auslegt wie die übrigen Betriebsstättenvorbehalte (Art. 10 Abs. 4, 11 Abs. 4, 12 Abs. 3 und 21 Abs. 2 OECD-MA), obwohl dort das Wort „tatsächlich“ fehlt (vgl. Reimer in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 13 OECD-MA Rz. 81).

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(2) Erhalt des deutschen Besteuerungsrechts bei Ausgestaltung der Familien-KG als geschäftsleitende Holding Eine andere Möglichkeit besteht darin, bei der Ausgliederung darauf zu achten, dass zentrale Funktionen in der Familien-KG verbleiben, um diese zu einer geschäftsleitenden Holding auszugestalten.29 Dies wäre etwa darstellbar, indem die Familien-KG die strategischen Führungsfunktionen behält und mithilfe entsprechenden Personals erfüllt. Als geschäftsleitende Holding dürfte die Familien-KG auch für abkommensrechtliche Zwecke als originär gewerblich tätige Einheit einzuordnen sein, die die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ausübt. Denn nach dem BFH übt eine geschäftsleitende Holding eine gewerbliche Tätigkeit dann aus, „wenn zum einen die Ausübung der einheitlichen Leitung durch äußere Merkmale erkennbar ist“30. Dafür soll es im Allgemeinen genügen, dass die Konzernleitung die Richtlinien über die Geschäftspolitik aufstellt und den abhängigen Unternehmen zuleitet oder ihnen sonst schriftliche Weisungen oder schriftlich festgehaltene Empfehlungen erteilt.31 Zum anderen muss „das herrschende Unternehmen selbst nach außen in Erscheinung treten, wobei etwa die Eintragung im Handelsregister genügt“32. Auch in dieser Variante würde die Familien-KG für abkommensrechtliche Zwecke ein Unternehmen darstellen, zu deren Vermögen die Beteiligungen an den Tochtergesellschaften gehören. Das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Gewinne aus der Veräußerung dieser Beteiligungen bliebe Deutschland damit erhalten (Art. 13 Abs. 2 OECD-MA), sodass auf die Ausgliederung auch in dieser Variante § 20 Abs. 2 UmwStG anwendbar ist. c) Vorsicht beim Formwechsel Fall 4: Die im Staat C ansässige A-Kapitalgesellschaft hält alle Geschäftsanteile an der in Deutschland ansässigen X-GmbH. Die Tätigkeit der X-GmbH beschränkt sich darauf, Beteiligungen (mit hohen stillen Reserven) an der ebenfalls in Deutschland ansässigen und operativ tätigen A-GmbH und B-GmbH zu halten. Um eine Besteuerungsebene einzusparen, wird erwogen, die X-GmbH in eine zwar gewerblich geprägte, aber nicht originär gewerblich tätige X-KG form-

_____________ 29 30 31 32

So zutreffend Schönfeld, IStR 2011, 497 (498). BFH v. 28.10.2008 – VIII R 73/06, BStBl. II 2009, 647; DStR 2009, 421 m. w. N. BFH v. 28.10.2008 – VIII R 73/06, BStBl. II 2009, 647. BFH v. 28.10.2008 – VIII R 73/06, BStBl. II 2009, 647.

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zuwechseln. Mit dem Staat C hat Deutschland ein DBA abgeschlossen, das dem OECD-MA entspricht. Was ist hierbei zu beachten?

Steuerneutral lässt sich der geplante Formwechsel hier nur bewerkstelligen, wenn die Voraussetzungen des § 9 Satz 1, § 3 Abs. 2 UmwStG erfüllt sind. Dazu gehört u. a., dass das deutsche Besteuerungsrecht an einem Gewinn aus der Veräußerung der Beteiligungen an der A-GmbH und der B-GmbH durch den Formwechsel weder ausgeschlossen noch beschränkt wird (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UmwStG). Wie im Fall 3 hängt das deutsche Besteuerungsrecht hier entscheidend davon ab, dass nach dem Formwechsel die neue X-KG auch für abkommensrechtliche Zwecke eine Betriebsstätte in Deutschland unterhält, zu deren Betriebsvermögen die Beteiligungen an der A-GmbH und der B-GmbH gehören. Denn anderenfalls gäbe es nach dem Formwechsel abkommensrechtlich keine Betriebsstätte in Deutschland mehr, mit der Folge, dass ein späterer Veräußerungsgewinn nur im Ansässigkeitsstaat des Veräußerers besteuert werden könnte (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA).33 Um auch nach dem Formwechsel in Deutschland eine Betriebsstätte zu erhalten, ist es – wie in den vorangehenden Fällen – erforderlich, dass die X-KG eine originär gewerbliche Tätigkeit entfaltet. Erste gedankliche Ansätze, um dies zu erreichen, sind in den Ausführungen zum vorangehenden Fall dargestellt.

III. Betriebsaufspaltung 1. Einleitung Das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung führt zu ähnlichen steuerlichen Konsequenzen wie die gewerbliche Infizierung (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) oder die gewerbliche Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Denn auch durch sie wird eine eigentlich ihrer Art nach vermögensverwaltende Tätigkeit (nämlich das Vermieten oder Verpachten von Wirtschaftsgütern) in eine gewerbliche Tätigkeit umqualifiziert.34 Anders als die gewerbliche Infektion oder die gewerbliche Prägung ist die Betriebsaufspaltung allerdings gesetzlich nicht geregelt, sondern basiert auf Richterrecht.35 _____________ 33 Vgl. Nitzschke, IStR 2011, 838 (840, Beispiel 1). 34 Bode in Blümich, § 15 EStG Rz. 590. 35 BFH v. 6.3.1997 – XI R 2/96, BStBl. II 1997, 460; v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602.

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2. Betriebsaufspaltung über die Grenze möglich Während die Grundsätze der Betriebsaufspaltung im rein innerstaatlichen Kontext durch eine Vielzahl von Urteilen relativ scharf konturiert erscheinen, sind die Anwendbarkeit und die Rechtsfolgen dieses Rechtsinstituts in grenzüberschreitenden Fällen noch nicht abschließend geklärt. Die Rechtsprechung36, Finanzverwaltung37 und der Großteil des Schrifttums38 gehen aber davon aus, dass die Betriebsaufspaltungsgrundsätze auch grenzüberschreitend anwendbar sind. Zum Teil wird allerdings verlangt, dass in Fällen, in denen die Besitzgesellschaft im Ausland ansässig ist, diese eine (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte im Inland haben müsse.39 Überwiegend wird dies aber nicht für erforderlich gehalten. Für Fälle, in denen die Besitzgesellschaft und (ein Teil) ihre(r) Gesellschafter im Ausland ansässig sind, wurde lange darüber diskutiert, ob deren inländische Einkünfte überhaupt in Deutschland besteuert werden können. Im Kern ging es um die Frage, ob § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG oder – aufgrund der in § 49 Abs. 2 EStG normierten isolierenden Betrachtungsweise – § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG zur Anwendung kommen würde. Bei Anwendung der erstgenannten Vorschrift waren die Besitzgesellschafter mit ihren Einkünften aus der Besitzgesellschaft hierzulande nur steuerpflichtig, wenn die Gesellschaft hier auch über eine Betriebsstätte verfügte oder ein inländischer Vertreter bestellt war. Mit _____________ 36 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602; FG Nürnberg v. 28.9.2011 – 3 K 959/2008 (NZB BFH I B 173/11), BeckRS 2012, 94098; FG BW v. 21.4.2004 – 12 K 252/00 (rkr.), IStR 2005, 172 m. Anm. Piltz; BFH v. 28.7.1982 – I R 196/79, BStBl. II 1983, 77; FG Düsseldorf v. 22.5.1979 – IX 694/77 G (rkr.), EFG 1980, 34. 37 BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300 - 111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 1.2.1.1. 38 Kempermann in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 3.71 f.; Haverkamp, IStR 2008, 165 ff. m. w. N.; Streck/Alvermann in Streck, KStG, 805 (ABC „Betriebsaufspaltung“); Streck in Kölner Handbuch der Betriebsaufspaltung und Betriebsverpachtung, 3. Aufl. 1978, 101, Rz. 318; Günkel/Kussel, FR 1980, 553; Becker/Günkel in Raupach/Uelner, FS für Ludwig Schmidt, 1993, 483; Günkel in Herzig/Günkel/ Niemann, StbJb 1998/1999, 143; Piltz, DB 1981, 2044; Kaligin, WPg 1983, 457; Kaligin, Die Betriebsaufspaltung, 3. Aufl. 1995, 172; Dehmer, Die Betriebsaufspaltung, 2. Aufl. 1987, 287, Rz. 1060; Fichtelmann, Betriebsaufspaltung im Steuerrecht, 10. Aufl. 1999, 163, Rz. 315 f.; Schießl, StW 2006, 43; Ruf, IStR 2006, 232; differenzierend Gluth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 776; verneinend – wenn auch nicht für alle grenzüberschreitenden Fallkonstellationen – Söffing/Micker, Die Betriebsaufspaltung, 4. Aufl., Rz. 674 ff., 938 ff. 39 Wacker in Schmidt, 30. Aufl. 2011, § 15 EStG Rz. 862.

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Einführung der durch das Jahressteuergesetz 2009 ergänzten Fassung des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG ist dieser Streit nun obsolet geworden.40 Denn danach sind Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die z. B. aufgrund einer Betriebsaufspaltung in gewerbliche Einkünfte umzuqualifizieren sind, in Deutschland auch ohne Vorliegen einer Betriebsstätte beschränkt steuerpflichtig. Ausländische Besitzgesellschafter sind damit mit ihren Einkünften in Deutschland nun in jedem Fall beschränkt steuerpflichtig. Nichts geändert hat sich durch die Neufassung indes daran, dass sie der Gewerbesteuer aber nur dann unterliegen, wenn für das ausländische Besitzunternehmen im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird.41 3. Kein Durchschlagen der Betriebsaufspaltung auf das Abkommensrecht Noch nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob die gewohnheitsrechtlichen Grundsätze der Betriebsaufspaltung auch auf die abkommensrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts durchschlagen. Ohne dass der Fall der Betriebsaufspaltung darin ausdrücklich erwähnt ist, lässt sich dem BMF-Schreiben vom 16.4.201042 entnehmen, dass die Finanzverwaltung diese Frage bejaht. Denn sie geht davon aus, dass die in den DBA verwendeten Begriffe „Unternehmensgewinne“ oder „Gewinne eines Unternehmens“ mangels eigener Definitionen in den Abkommen unter Heranziehung des innerstaatlichen deutschen Rechts auszulegen sind. Der BFH lehnt ein Durchschlagen der Betriebsaufspaltungsgrundsätze auf die abkommensrechtliche Einkünftequalifikation hingegen ab und bleibt damit seiner Linie, die er auch in Bezug auf die abkommensrechtliche Bedeutung der Grundsätze der gewerblichen Prägung und gewerblichen Infektion eingeschlagen hat, treu.43 Zur Begründung führt er – wie schon in den früheren Entscheidungen – an, dass es abkommensrechtlich stets bei der tatsächlich verwirklichten Einkunftsart verbleibe. Dem folgt auch das FG Nürnberg in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung. Das Gericht stellt darin fest, dass nur tatsächliche ge_____________ 40 41 42 43

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Siehe Lieber/Wagner, Ubg 2012, 229 (235). Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl., Rz. 8.8. BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 2.2.1. BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602, Rz. 22 unter Verweis auf die mittlerweile ständige Spruchpraxis (z. B. BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, DB 2010, 1322; v. 9.12.2010 – I R 49/09, BStBl. II 2011, 482).

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werbliche Unternehmensgewinne abkommensrechtlich als Unternehmensgewinne zu beurteilen seien.44 4. Konsequenzen für die Praxis a) Outbound-Fall Die steuerlichen Folgen dieser Rechtsprechung in einem Fall, in dem Besitz- und Betriebsunternehmen im Ausland liegen (outbound), lassen sich an folgendem Fall verdeutlichen: Fall 5: Der in Deutschland ansässige A ist alleiniger Kommanditist der X-KG (Besitzgesellschaft) mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Staat C; einzige Komplementärin ist eine ebenfalls im Staat C ansässige und dem A gehörende Kapitalgesellschaft (X-GmbH), die allein zur Geschäftsführung befugt ist. Außerdem hält A alle Geschäftsanteile an der operativ tätigen Y-GmbH (Betriebsgesellschaft), die ebenfalls ihren Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Staat C hat. Die X-KG vermietet der Y-GmbH eine im Staat C belegene Lagerhalle mit Maschinenpark und erhält dafür einen Mietzins von insgesamt 100.000 Euro p. a. (davon 80.000 Euro für die Lagerhalle und 20.000 Euro für den Maschinenpark). Mit dem Staat C hat Deutschland ein DBA abgeschlossen, dass dem OECD-MA entspricht. Hat Deutschland das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte?

aa) Beurteilung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht Aus Sicht des innerstaatlichen deutschen Steuerrechts stellen die Vermietungseinkünfte insgesamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb dar, und zwar zum einen nach den gewohnheitsrechtlichen Grundsätzen der Betriebsaufspaltung, zum anderen nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, weil die X-KG von ihrer einzigen Komplementärin, der X-GmbH, gewerblich geprägt wird. Steuerpflichtig ist A mit diesen Einkünften nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht schon deshalb, weil er in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 EStG). bb) Beurteilung nach Abkommensrecht Die innerstaatliche Umqualifizierung der Einkünfte durch Anwendung der Betriebsaufspaltungsgrundsätze schlägt nach jüngster BFH-Rechtsprechung auf die abkommensrechtliche Einkünftequalifikation nicht _____________ 44 FG Nürnberg v. 28.9.2011 – 3 K 959/2008 (NZB BFH I B 173/11), BeckRS 2012, 94098, Rz. 31.

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durch.45 Es bleibt vielmehr bei der tatsächlich verwirklichten Einkunftsart, hier also bei derjenigen aus vermögensverwaltender Tätigkeit. Die Frage der Zuweisung des Besteuerungsrechts richtet sich deshalb danach, in welchem Umfang Einkünfte aus unbeweglichem und beweglichem Vermögen vorliegen. Soweit Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen vorliegen (hier die Miete für die Lagerhalle i. H. v. 80.000 Euro), sind diese nach Art. 6 Abs. 1 OECD-MA allein im Belegenheitsstaat (hier im Staat C) zu besteuern. Diese Vermietungseinkünfte sind in Deutschland dementsprechend freizustellen (Art. 23A Abs. 1 OECDMA).46 Soweit es sich hingegen um Einkünfte aus der Vermietung beweglicher Wirtschaftsgüter handelt (hier Miete für den Maschinenpark i. H. v. 20.000 Euro), darf hingegen nach Art. 21 OECD-MA allein Deutschland besteuern.47 b) Inbound-Fall Liegt das Betriebsunternehmen im Inland und nur das Besitzunternehmen im Ausland, kann sich dies in besonderen Konstellationen für die Beteiligten auch vorteilhaft auswirken. Dies zeigt der nachfolgende Fall. Fall 6: Die in Deutschland ansässige A-GmbH und die im EU-Mitgliedstaat C ansässige B-Kapitalgesellschaft halten alle Geschäftsanteile an der X-GmbH mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung in Deutschland. Die X-GmbH stellt pharmazeutische Produkte her und erwirtschaftet hohe Gewinne. Ihre Gesellschafter beschließen, die Grundstücke und Maschinen in einer eigenen Gesellschaft zu konzentrieren; A-GmbH und B-Kapitalgesellschaft gründen zu diesem Zweck die X-Personengesellschaft, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung sie von Anfang an in den Staat C verlegen. Die X-Personengesellschaft erwirbt sodann sämtliche Immobilien und Maschinen der X-GmbH und vermietet sie dieser.

aa) Beurteilung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht Geht man von der Geltung der Grundsätze der Betriebsaufspaltung auch über die Grenze aus, liegt hier ein Fall einer (echten) Betriebsaufspaltung vor, da A-GmbH und B-Kapitalgesellschaft gemeinsam sowohl die X-GmbH (Betriebsunternehmen) als auch die X-Personengesellschaft (Besitzunternehmen) beherrschen (personelle Verflechtung) und das Be_____________ 45 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602. 46 Wassermeyer, FR 2010, 537; Wassermeyer, IStR 2010, 536 und 683 (684). 47 Das Ergebnis entspricht der Entscheidung des BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602.

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sitzunternehmen dem Betriebsunternehmen ein Wirtschaftsgut zur Nutzung überlässt, das für das Betriebsunternehmen eine wesentliche Betriebsgrundlage darstellt (sachliche Verflechtung). Dies hat zu Folge, dass die Mieteinkünfte der X-Personengesellschaft, die ihrer Art nach VuV-Einkünfte sind, aus innerstaatlicher deutscher Sicht schon auf Ebene der X-Personengesellschaft in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert werden. Die A-GmbH ist in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig und hat die auf sie entfallenden gewerblichen Einkünfte aus der X-Personengesellschaft hier vollumfänglich zu versteuern (§ 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 KStG). Die B-Kapitalgesellschaft ist, da im Staat C ansässig, mit den auf sie entfallenden Einkünften aus der X-Personengesellschaft in Deutschland nur beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 KStG, § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Satz 1 und 2 EStG). Damit sind die Vermietungs- und Verpachtungseinkünfte insgesamt nach innerstaatlichem deutschen Recht körperschaftsteuerpflichtig. Sie unterliegen allerdings nicht auch der Gewerbesteuer, da für den Gewerbebetrieb der X-Personengesellschaft in Deutschland keine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 GewStG). Das Ergebnis der laufenden Besteuerung ist damit insgesamt aus Sicht der A-GmbH und der B-Kapitalgesellschaft günstig, da die Mietzahlungen der X-GmbH für Zwecke sowohl der Körperschaft- als auch der Gewerbesteuer abziehbar sind,48 die Mieteinnahmen in Deutschland aber nur der Körperschaftsteuer unterliegen.49 bb) Beurteilung nach Abkommensrecht Da die Grundsätze der Betriebsaufspaltung für die Auslegung des Abkommensrechts keine Bedeutung haben, sind die Einkünfte der X-Personengesellschaft abkommensrechtlich als solche aus VuV zu qualifizieren. Sie unterfallen damit insgesamt Art. 6 Abs. 1 OECD-MA und sind deshalb allein im Belegenheitsstaat (also in Deutschland) zu besteuern; der Staat C stellt die Einkünfte dementsprechend frei (Art. 23A Abs. 1 OECD-MA). Damit bleibt auch der B-Kapitalgesellschaft der gewerbesteuerliche Vorteil erhalten. Würde die X-Personengesellschaft – wie in Fall 5 – auch bewegliche Wirtschaftsgüter vermieten, hätte Deutschland das Besteuerungsrecht _____________ 48 Für gewerbesteuerliche Zwecke kommt es zu einer leichten Relativierung durch die in § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG angeordnete Hinzurechnung von 12,5 % der Mietzahlungen. 49 Haverkamp, IStR 2008, 165 (168).

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für den Teil der Mieteinkünfte, der der A-GmbH zuzurechnen wäre, und der Staat C das Besteuerungsrecht für den der B-Kapitalgesellschaft zuzurechnenden Anteil der Mieteinkünfte (Art. 21 Abs. 1 OECD-MA). Auch hier würden die Mieteinkünfte im Ergebnis (aufgrund der Kürzung nach § 9 Nr. 2 GewStG) aber nicht der Gewerbesteuer unterliegen.

IV. Sondervergütung Auch in der Frage, wie Sondervergütungen abkommensrechtlich zu behandeln sind, liegen Finanzverwaltung und Rechtsprechung erwartungsgemäß nicht auf einer Linie.50 Aus Sicht der Finanzverwaltung ist das nationale Steuerrecht des jeweiligen Anwenderstaates grundsätzlich bei der Auslegung von DBA mitzuberücksichtigen (sog. länderrechtliche Theorie), weshalb nach ihrer Auffassung für Deutschland als Anwenderstaat eines DBA die Sondervergütungen zu den Unternehmenseinkünften mit dazugehören, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Sondervergütungen des inländischen Gesellschafters einer ausländischen Personengesellschaft (Outbound-Fall) oder um Sondervergütungen des ausländischen Gesellschafters einer inländischen Personengesellschaft (Inbound-Fall) handelt.51 Der BFH lehnt es indes auch bei der abkommensrechtlichen Behandlung von Sondervergütungen ab, Vergütungen, die nur mittels einer Fiktion in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert werden und die der Gesellschafter von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern bezogen hat (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG), abkommensrechtlich als Unternehmensgewinne i. S. d. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA einzuordnen (sog. völkerrechtliche Theorie52).53 Selbst wenn im Rahmen eines Unternehmens erzielte Sondervergütungen tatsäch_____________ 50 Ausführlich zur Diskussion um die abkommensrechtliche Behandlung von Sondervergütungen Rosenberg/Farle in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 13.29 ff.; Franz/Voulon, BB 2011, 166. 51 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 5.1. 52 Zum Begriff siehe Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Rz. 16.57. 53 BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 (Zinseinkünfte); v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFH/NV 2011, 138 (Lizenzvergütungen).

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lich auch unter Art. 7 Abs. 1 OECD-MA zu subsumieren wären,54 hält er den in Art. 7 Abs. 4 OECD-MA angeordneten Spezialitätenvorrang für einschlägig und sieht z. B. Zinseinkünfte weiter von Art. 11 Abs. 1 OECD-MA und Lizenzeinkünfte von Art. 12 Abs. 1 OECD-MA erfasst.55 Der in Art. 11 Abs. 4 bzw. Art. 12 Abs. 3 OECD-MA enthaltene Betriebsstättenvorbehalt kommt nach der Spruchpraxis des BFH nur zum Zuge, wenn der Gesellschafter im anderen Staat eine eigene Betriebsstätte unterhält, der die Rechte, die den Darlehens- oder Lizenzforderungen zugrunde liegen, tatsächlich funktional zuzuordnen sind.56 Der Gesetzgeber hat versucht, diese Diskussion durch Einführung des § 50d Abs. 10 EStG zu beenden. Nach dieser Vorschrift sollen in Fällen, in denen das Abkommen keine ausdrückliche Regelung für Sondervergütungen i. S. v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG enthält, „diese Vergütungen für Zwecke der Anwendung des Abkommens ausschließlich als Unternehmensgewinne“ gelten. Er hat damit insoweit eine anwenderstaatsorientierte Auslegung festgeschrieben.57 Dass er mit dieser Maßnahme sein Ziel, die Sondervergütungen in Deutschland sowohl im Outbound- wie auch im Inbound-Fall steuerlich zu erfassen, aber wohl nicht erreicht hat, liegt daran, dass in dieser Vorschrift die Fiktion der abkommensrechtlichen Zurechnung der Sondervergütungen zu einer Betriebsstätte der Mitunternehmerschaft fehlt.58 Diese Lücke möchte der Gesetzgeber schließen. Dies geht aus einem 12-Punkte-Plan zur Reformierung der Unternehmensbesteuerung hervor, den die finanzpolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen am 14.2.2012 vorgelegt haben. Danach soll u. a. die Besteuerung der Sondervergütungen im Inland durch eine gesetzliche Regelung auch für den _____________ 54 So z. B. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 7 OECD-MA Rz. 391, 397. 55 BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356, Rz. 16 (Zinseinkünfte); v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFH/NV 2011, 138, Rz. 12 (Lizenzvergütungen). 56 BFH v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356, Rz. 22 (Zinseinkünfte); v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFH/NV 2011, 138, Rz. 14 (Lizenzvergütung). 57 Unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung Rosenberg/Farle in Wassermeyer/ Richter/Schnittker, Personengesellschaften im internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 13.32. 58 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFH/NV 2011, 138; v. 7.12.2011 – I R 5/11, BFH/NV 2012, 556; zur Kritik an § 50d Abs. 10 EStG vgl. Günkel/Lieber, Ubg 2009, 301 (304); Meretzki, IStR 2009, 217 (219); Lohbeck/Wagner, DB 2009, 423 (426); Prinz, DB 2009, 807 (812), und Schmidt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 38 (2011), 185 (203); a. A. Mitschke, FR 2011, 182, und FG Düsseldorf v. 7.12.2010 – 13 K 1214/06 E, EFG 2011, 878, allerdings aufgehoben durch BFH v. 7.12.2011 – I R 5/11, BFH/NV 2012, 556.

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Fall festgeschrieben werden, dass der Ansässigkeitsstaat des betroffenen Mitunternehmers die erhaltenen Zahlungen beispielsweise als Zinseinkünfte ansieht und damit regelmäßig ein eigenes Besteuerungsrecht annimmt.59 Wie dies im Einzelnen geschehen soll, ist dem Papier nicht zu entnehmen. Naheliegend scheint es, dass der Gesetzgeber § 50d Abs. 10 EStG ergänzen wird, und zwar um die Regelung einer fiktiven Zurechnung zu einer (evtl. ebenfalls zu fingierenden) Betriebsstätte des Gesellschafters im Betriebsstättenstaat.60 Hieraus resultierende Doppelbesteuerungen sollen allerdings vermieden werden, soweit aus dem jeweiligen DBA für den Ansässigkeitsstaat des Mitunternehmers keine entsprechende Ausgleichspflicht herzuleiten ist.

C. Subjektive Qualifikationskonflikte – Veräußerung eines Mitunternehmeranteils I. Ausgangslage Zu den besonders anspruchsvollen Themen des internationalen Steuerrechts gehört ohne Zweifel auch der Komplex der subjektiven Qualifikationskonflikte. Die damit verbundenen Fragen sind seit Langem bekannt und werden im Schrifttum seit jeher kontrovers diskutiert.61 Nachdem sich der BFH nun in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung der Auffassung der Finanzverwaltung angeschlossen hat, zeichnet sich eine für die Praxis verlässliche Leitlinie ab. Im Kern geht es dabei um die Frage, ob das Einordnungsergebnis, das anhand des Rechtstypenvergleichs für deutsche steuerliche Zwecke erzielt wird, auch auf das Abkommensrecht durchschlägt. Im Schrifttum wird hierüber seit vielen Jahren diskutiert, wobei der Hauptstreitpunkt darin liegt, ob eine ausländische Personengesellschaft, die in ihrem Gründungsstaat steuerlich – und möglicherweise sogar zivilrechtlich – _____________ 59 Vgl. Häuselmann, SteuK 2012, 113; Prinz, FR 2012, 381 (384). 60 Zu den sich daran anschließenden Fragen Prinz zu Hohenlohe/Rautenstrauch/ Wittmann, BB 2012, 357 (360) und Schmidt in Forum der Internationalen Besteuerung, Band 38 (2011), 185 (207 ff.). 61 Vgl. Wassermeyer in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 6.1 ff.; Kempermann in Wassermeyer/ Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 3.1 ff.; Seitz in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 5.1 ff.

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als eigenes (Steuer-)Rechtssubjekt behandelt wird, selbst „ansässige Person“ i. S. d. Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Buchst. b OECD-MA sein kann, der für die Anwendung des Abkommens auch die Einkünfte zuzurechnen sind.62 Gewichtige Stimmen bejahen dies und verlangen, solchen ausländischen Personengesellschaften die Abkommensberechtigung zuzuerkennen.63 Im Schrifttum wird dieser Ansatz z. T. auch als intransparente Sichtweise bezeichnet.64 Die Finanzverwaltung teilt diese Auffassung nicht; sie vertritt vielmehr die sog. transparente Sichtweise und erfährt dafür auch im Schrifttum Zustimmung65. Im BMF-Schreiben vom 16.4.2010 bringt sie unmissverständlich zum Ausdruck, dass Personengesellschaften – unabhängig davon, wie sie in ihrem Gründungsstaat behandelt werden – „zwar Personen i. S. d. DBA seien (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a OECD-MA), jedoch mangels eigener Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerpflicht [in Deutschland]66 keine ansässigen Personen (Art. 4 Abs. 1 OECD-MA). Als ansässige und damit abkommensberechtigte Personen sind die Gesellschafter anzusehen, soweit sie nicht selbst Personengesellschaften sind (OECDMK Nummer 6.4 zu Art. 1).“67 Die Finanzverwaltung stellt sich damit auf den Standpunkt, dass auch für die Anwendung des Abkommens (aus Sicht des Anwenderstaates) die steuerliche Behandlung im anderen Vertragsstaat keine Rolle spielt.68

_____________ 62 Einen Überblick über den Diskussionsstand bieten Engel/Hilbert, FR 2012, 395. 63 Vgl. z. B. Debatin, BB 1989 Beil. 2, 8 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2007, 532 ff.; Prokisch in Vogel/Lehner, DBA, 2008, Art. 1 OECD-MA Rz. 34b; Schmidt, WPg 2002, 1134 ff.; Schmidt/Blöchle, IStR 2003, 685 ff.; Vogel, IStR 1999, 7 m. w. N.; Vogel in Vogel/Lehner, DBA, 2008, Einl. Rz. 106 ff. 64 Vgl. Becker/Loose, BB 2011, 1559 (1562). 65 Vgl. Frotscher, Internationales Steuerrecht, 2009, Rz. 337; Gosch in Gosch/Kroppen/ Grotherr, DBA, Art. 13 OECD-MA Rz. 63 (Stand: Februar 2001); Krabbe, IWB, Fach 3, Gruppe 2, 753 f.; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 1 OECD-MA Rz. 27a (Stand: Januar 2011); Art. 3 Rz. 29 f. (Stand: Januar 2011); zur Diskussion allgemein Lüdicke, IStR 2011, 91, und jüngst Engel/Hilbert, FR 2012, 394. 66 Klammerzusatz zum besseren Verständnis durch Verfasser eingefügt. 67 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 2.1.1.; speziell zu der Fallgestaltung der im Ausland als Körperschaft behandelten Personengesellschaften siehe Rz. 4.1.4.1. 68 Zustimmend z. B. Lüdicke, IStR 2011, 91 m. w. N.

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Der BFH, der diese Frage lange Zeit offengelassen hatte,69 ist nun der Auffassung der Finanzverwaltung gefolgt.70 Er stützt sich dabei insbesondere auf Art. 3 Abs. 2 OECD-MA, der zur Klärung von im Abkommen selbst nicht definierten Ausdrücken auf das innerstaatliche Recht des Anwenderstaats verweist. Da die Frage, welcher Person bestimmte Einkünfte nach steuerlichen Gesichtspunkten zuzurechnen seien, nicht Gegenstand der abkommensrechtlichen Zuordnung des Besteuerungssubstrats sei, müsse sie vom jeweiligen Anwenderstaat beantwortet werden. Eine Bindung des Ansässigkeitsstaats des Gesellschafters an die Qualifikation der in Rede stehenden Beteiligungsgesellschaft im Quellenstaat lasse sich dem OECD-Musterabkommen dabei nicht entnehmen. Maßstab sei deshalb allein der jeweils abkommensanwendende Vertragsstaat.71 Zu welchen Ergebnissen diese neuen Rechtsprechungsgrundsätze in der Praxis führen, soll an folgenden Beispielsfällen erläutert werden. Fall 7: Die in Deutschland ansässigen A und B sind an einer Kommanditgesellschaft – der C-KG – beteiligt, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Staat C liegen. Die C-KG ist operativ tätig und erzielt ausschließlich aktive Einkünfte i. S. d. § 8 AStG. Im Staat C wird die C-KG steuerlich als Körperschaft und damit als selbstständiges Steuersubjekt behandelt. Mit dem Staat C hat Deutschland ein DBA abgeschlossen, dass auf der Basis des OECD-MA abgefasst worden ist. A und B veräußern nun ihre Anteile an der C-KG; sie erzielen einen hohen Veräußerungsgewinn.72 Wo haben A und B ihren Veräußerungsgewinn zu versteuern?

II. Beurteilung nach innerstaatlichem Steuerrecht des Staates C Die C-KG wird im Staat C als Körperschaft angesehen und unterliegt dort dementsprechend der Körperschaftsteuer. Werden Anteile an der C-KG mit Gewinn veräußert, wird der Staat C die Veräußerungsgewinne steuerlich als Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft behandeln. _____________ 69 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156; v. 4.4.2007 – I R 110/05, BStBl. II 2007, 521; v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263. 70 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602. Diese Entscheidung bezüglich der darin durch den BFH abgelehnten Qualifikationsverkettung analysierend Prinz, FR 2012, 381. 71 BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602, Rz. 18. 72 Dieser Fall ist dem Sachverhalt des vom BFH erlassenen AdV-Beschlusses v. 19.5.2010 (I B 191/09, BStBl. II 2011, 138) nachgebildet.

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III. Beurteilung nach innerstaatlichem deutschen Steuerrecht Für Zwecke des innerstaatlichen deutschen Steuerrechts ist die C-KG anhand des Rechtstypenvergleichs mit den Rechtsformen des deutschen Rechts zu vergleichen und steuerlich einzuordnen.73 Annahmegemäß weist die C-KG mit einer deutschen KG die größten Übereinstimmungen auf, sodass sie für innerstaatliche steuerliche Zwecke als KG einzuordnen ist. Sie ist deshalb für Zwecke der Besteuerung in Deutschland als transparentes Gebilde zu behandeln. Dass die C-KG nach dem Recht ihres Gründungsstaates eine Körperschaft darstellt und im Staat C steuerlich auch als Körperschaft behandelt wird, ändert an der steuerlich transparenten Behandlung in Deutschland nichts. Denn der BFH hat wiederholt geurteilt, dass die Einordnung ausländischer Rechtsgebilde allein nach dem Rechtstypenvergleich erfolgt und die zivil- und steuerrechtliche Behandlung des ausländischen Rechtsgebildes in seinem Gründungsstaat hierbei ohne Bedeutung ist.74 Dies entspricht auch der Auffassung der Finanzverwaltung.75 Ist die C-KG danach für Zwecke der Besteuerung in Deutschland als Personengesellschaft zu behandeln, stellt der Verkauf der Anteile an der C-KG den Verkauf eines Mitunternehmeranteils dar, sodass ein dabei erzielter Veräußerungsgewinn nach den § 16 Abs. 1 Nr. 2, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu versteuern ist.

IV. Beurteilung nach Abkommensrecht Da aus Sicht des Staates C die C-KG zivil- und steuerrechtlich eine Körperschaft darstellt, wird er bei Anwendung des Abkommens davon ausgehen, dass die Gesellschafter A und B einen Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft erzielen. Das ausschließliche Besteuerungsrecht für solche Veräußerungsgewinne steht aus Sicht des (das Abkommen anwendenden) Staates C daher dem Ansässigkeitsstaat der Veräußerer zu (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA); dies ist hier Deutschland. Aus deutscher Sicht stellt sich demgegenüber die Frage, ob es den Veräußerungsgewinn des A und des B nach Art. 23A Abs. 1 OECD-MA _____________ 73 Siehe Fußnote 12. 74 BFH v. 20.8.2008 – I R 34/08, BStBl. II 2009, 263. 75 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 1.2.

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freistellen muss. Dies wäre der Fall, wenn der Staat C nach dem Abkommen den Veräußerungsgewinn besteuern dürfte, ihm also nach dem Abkommen das Besteuerungsrecht zustünde. Aus Sicht des Staates C ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, denn er gelangt bei Anwendung des Abkommens zu dem Ergebnis, dass Deutschland das Besteuerungsrecht für die von A und B erzielten Veräußerungsgewinne zusteht. Aus deutscher Sicht fällt die Würdigung des Sachverhaltes – zumindest wenn man der Rechtsprechung des BFH und der Auffassung der Finanzverwaltung folgt – anders aus. Denn danach ist die C-KG für Zwecke der Besteuerung in Deutschland nach dem Rechtstypenvergleich als Personengesellschaft einzuordnen, was auch bei Anwendung des Abkommens zu berücksichtigen ist. Dies hat zur Folge, dass für Zwecke der Abkommensanwendung (aus deutscher Sicht) von der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils bzw. von Bruchteilen an Wirtschaftsgütern auszugehen ist. Soweit der Veräußerungsgewinn auf der Veräußerung unbeweglichen Vermögens basiert, kommt daher Art. 13 Abs. 1 OECD-MA zur Anwendung; in dem Umfang, wie er hingegen auf die Veräußerung von beweglichem Vermögen entfällt, ist er unter Art. 13 Abs. 2 OEDC-MA zu subsumieren. In beiden Fällen steht das Besteuerungsrecht danach dem Staat C zu, sodass der Veräußerungsgewinn in Deutschland im Ergebnis freizustellen wäre (Art. 23A Abs. 1 OECDMA). Die entscheidende Frage lautet damit: Auf wessen Sichtweise kommt es bei der Anwendung des Art. 23A Abs. 1 OECD-MA an? Entgegen vieler Stimmen im Schrifttum76 hat der BFH entschieden, dass maßgeblich auch insoweit die Sichtweise des Anwenderstaates sei. Im Fall 7 führt dies im Ergebnis dazu, dass Deutschland den von A und B erzielten Veräußerungsgewinn freistellen muss. In neueren DBA findet sich allerdings in aller Regel eine Klausel, die die Freistellung von Einkünften nur gewährt, wenn diese im Quellenstaat auch „tatsächlich besteuert werden“.77 Wäre diese Klausel auch im _____________ 76 Statt vieler Meretzki, IStR 2011, 213 ff. m. w. N. 77 Entsprechende Subject-to-tax-Klauseln enthalten alle in jüngster Zeit abgeschlossenen DBA: z. B. die DBA mit Großbritannien (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Großbritannien 2010), Luxemburg (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg), Ungarn (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Ungarn), Bulgarien (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBABulgarien). Eine leicht abweichende Formulierung „…, die nach diesem Abkom-

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DBA mit dem Staat C enthalten, würde Deutschland in Bezug auf die von A und B erzielten Veräußerungsgewinne keine Freistellung gewähren und diese deshalb im Ergebnis voll besteuern. Da das mit dem Staat C geschlossene DBA indes annahmegemäß keine solche abkommensrechtliche Subject-to-tax-Klausel enthält, bleibt es bei der Freistellung der Veräußerungsgewinne sowohl im Staat C als auch in Deutschland.

V. Vermeidung der Doppelfreistellung durch einseitigen Treaty Override 1. Ausgangslage Für den Fall einer solchen – aus Sicht der Finanzverwaltung – unerwünschten Doppelfreistellung, die durch die unterschiedliche Anwendung eines DBA (Qualifikationskonflikt) verursacht wird, hat der Gesetzgeber mit dem JStG 2007 den § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 EStG (nationale Switch-over-Klausel) geschaffen.78 Danach sind nach einem DBA von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmende Einkünfte von der deutschen Besteuerung nicht freizustellen, sondern die ausländische Steuer ist lediglich auf die deutsche Steuer anzurechnen, wenn die Einkünfte im anderen Vertragsstaat nach dessen Abkommensverständnis nicht besteuert werden dürfen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, da der Staat C die Bestimmungen des DBA so anwendet, dass die von A und B erzielten Veräußerungsgewinne in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind. Deutschland würde danach den von A und B jeweils erzielten Veräußerungsgewinn im Ergebnis vollumfänglich besteuern. Zweifel bestehen an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift; ursächlich hierfür ist zum einen die im Gesetz vorgesehene Rückwirkung dieser Vorschrift und zum anderen deren Wirkung als Treaty Override.79 _____________ men [im anderen Vertragsstaat] besteuert werden können.“ ist in den Abkommen mit Syrien (Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Syrien) und Albanien (Art. 23 Abs. 1 Buchst. a DBA-Albanien) enthalten. 78 Besonders instruktiv zur systematischen Einordnung des § 50d Abs. 9 EStG und zu seinem Verhältnis zu abkommensrechtlichen Subject-to-tax-Klauseln und Switchover-Klauseln Meretzki in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 16.66 ff. 79 Vgl. hierzu z. B. Schmidt, IStR 2010, 522; Suchanek/Herbst, Ubg 2011, 786 m. w. N.

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Eine höchstrichterliche Entscheidung liegt hierzu allerdings noch nicht vor.80 Fall 8: Wie im Fall 7, nur halten die Eheleute A und B ihre Kommanditanteile an der C-KG nicht unmittelbar, sondern über die vermögensverwaltende D-KG, deren Sitz und Ort der Geschäftsleitung – wie der der C-KG – im Staat C liegen. Auch veräußern nicht A und B ihre Anteile an der D-KG, sondern die D-KG veräußert ihre Anteile an der C-KG und erzielt einen hohen Veräußerungsgewinn. Der Staat C verfügt über eine dem § 8b Abs. 2 KStG vergleichbare Regelung, nach der Gewinne, die eine Kapitalgesellschaft aus der Veräußerung von Anteilen an einer anderen Kapitalgesellschaft erzielt, steuerfrei gestellt werden. Das mit dem Staat C abgeschlossene DBA entspricht im Wesentlichen dem OECD-MA. Es enthält allerdings eine umfassende Subject-to-taxKlausel, nach der Einkünfte aus dem Staat C von der Bemessungsgrundlage für die deutsche Steuer nur ausgenommen werden, wenn sie nach dem Abkommen tatsächlich im Staat C besteuert werden. Welche steuerlichen Folgen hat die Veräußerung der Anteile an der C-KG und die anschließende Entnahme der Gewinne durch A und B in Deutschland?

2. Beurteilung nach innerstaatlichem Steuerrecht des Staates C Anders als im Fall 7 handelt es sich im Fall 8 aus Sicht des Staates C nicht um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt. Da im Staat C KGs zivilrechtlich juristische Personen darstellen und steuerlich als Körperschaften behandelt werden, veräußert hier aus Sicht des Staates C eine inländische Körperschaft (D-KG) ihre Anteile an einer anderen inländischen Körperschaft (C-KG). Der Staat C würde deshalb auch nicht das Abkommen anwenden. Er würde vielmehr den Gewinn, den die D-KG aus der Anteilsveräußerung erzielt hat, nach seinen steuerlichen Regeln besteuern. Da danach ein solcher Veräußerungsgewinn – ähnlich wie nach § 8b Abs. 2 KStG – bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleibt, fällt darauf im Ergebnis keine Steuer an. _____________ 80 Eine Verfassungswidrigkeit hält der BFH in seinem AdV-Beschluss v. 19.5.2010 in einem obiter dictum zumindest bei summarischer Prüfung für möglich (I B 191/09, BStBl. II 2011, 156). Das FG Bremen (v. 10.2.2011 – 1 K 20/10 (3), EFG 2011, 988 m. w. N.) und das FG München (v. 19.7.2011 – 8 V 3774/10, EFG 2012, 522) haben eine Verfassungswidrigkeit des § 50d Abs. 9 Satz 1 EStG (wenn auch mit Blick auf die Nr. 2 hingegen ausdrücklich abgelehnt. Ebenfalls die Verfassungswidrigkeit ablehnend Schwenke in Forum der Internationalen Besteuerung, Band 41 (2012, dieser Tagungsband), 23. Mit Beschluss v. 10.1.2012 (I R 66/09) hat der BFH dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob der Gesetzgeber durch einen Treaty Override gegen Verfassungsrecht verstößt. Konkreter Hintergrund ist die Regelung des § 50d Abs. 8 EStG.

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3. Beurteilung nach innerstaatlichem Steuerrecht Deutschlands Für Zwecke der Besteuerung in Deutschland sind sowohl die D-KG als auch die C-KG anhand des Rechtstypenvergleichs einzuordnen.81 Beide werden danach (annahmegemäß) als Personengesellschaften qualifiziert, sodass aus deutscher Sicht eine doppelstöckige Personengesellschaftsstruktur vorliegt, in der die Ober-Personengesellschaft ihre Anteile an der Unter-Personengesellschaft veräußert. Auch hier werden damit de facto Mitunternehmeranteile bzw. Bruchteile an Wirtschaftsgütern veräußert. Ein Veräußerungsgewinn wird damit von §§ 16 Abs. 1 Nr. 2, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfasst. 4. Beurteilung nach Abkommensrecht Abkommensrechtlich stellt sich auch hier wiederum die Vorfrage, ob es sich bei den beiden Personengesellschaften um ansässige Personen im abkommensrechtlichen Sinne handelt und inwieweit diesen für abkommensrechtliche Zwecke selbst Einkünfte zuzurechnen sind. Auf Basis der jüngsten BFH-Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass sich auch in einem solchen Fall die Verteilung des Besteuerungsrechts bezüglich des Veräußerungsgewinns wiederum danach richtet, ob die Wirtschaftsgüter, auf die der Veräußerungsgewinn entfällt, unbeweglicher oder beweglicher Natur sind.82 Soweit der Veräußerungsgewinn auf unbewegliche Wirtschaftsgüter entfällt, findet Art. 13 Abs. 1 OECD-MA Anwendung, soweit er auf bewegliche Wirtschaftsgüter zu allokieren ist, ist er unter Art. 13 Abs. 2 OECD-MA zu subsumieren. Das Besteuerungsrecht würde deshalb auch hier in beiden Fällen dem Staat C zustehen; Deutschland müsste insoweit – vorbehaltlich der Einschlägigkeit der abkommensrechtlichen Subject-to-tax-Klausel – freistellen (Art. 23A Abs. 1 OECD-MA). Fraglich ist, wie sich die abkommensrechtliche Subject-to-tax-Klausel83 im Fall 8 auswirkt. Diese Klausel hat zur Folge, dass Deutschland als Ansässigkeitsstaat die Einkünfte (Veräußerungsgewinne) nur dann von der Bemessungsgrundlage für die deutsche Steuer ausnimmt, wenn sie _____________ 81 Siehe Fußnote 12. 82 Eingehend zu den Auswirkungen der besonderen Regelung des Art. 4 Abs. 4 in den DBA Polen, Portugal und Spanien auf doppelstöckige Personengesellschaftsstrukturen Engel/Hilbert, FR 2012, 394 (401). 83 Zum Begriff abkommensrechtlicher Subject-to-tax-Klauseln und zu deren systematischer Einordnung siehe Meretzki in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 16.15 ff.

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nach dem Abkommen tatsächlich im Staat C besteuert werden. Die Freistellung der Einkünfte hängt damit von zwei Voraussetzungen ab. Die erste Voraussetzung für die Freistellung ist danach, dass dem Staat C das Besteuerungsrecht hinsichtlich des Veräußerungsgewinns abkommensrechtlich zusteht, denn die „tatsächliche Besteuerung“ soll „nach dem Abkommen“ erfolgen. Geht man mit dem BFH davon aus, dass die Frage des „Besteuerndürfens“ aus Sicht des Anwenderstaates (hier also aus deutscher Sicht) zu beurteilen ist, ist diese Voraussetzung im Fall 8 erfüllt. Denn aus deutscher Sicht unterfällt der Veräußerungsgewinn Art. 13 Abs. 1 bzw. Abs. 2 OECD-MA, sodass das Besteuerungsrecht dem Staat C zusteht. Mit Blick auf die zweite Freistellungsvoraussetzung, die „tatsächliche Besteuerung“ (im Staat C), lässt sich zunächst feststellen, dass es zu diesem Merkmal in keinem der Abkommen, in denen es enthalten ist, eine Definition gibt. Auch Rechtsprechung84 und Schrifttum85 haben sich mit diesem Merkmal bisher noch nicht eingehend beschäftigt. Angesichts des weit gefassten Wortlauts ist aber davon auszugehen, dass eine tatsächliche Besteuerung von Einkünften nur dann zu bejahen ist, wenn diese im betreffenden Vertragsstaat steuerbar, sachlich nicht steuerbefreit und in eine Steuerfestsetzung eingeflossen sind.86 Die im Staat C geltende Steuerfreistellung von Veräußerungsgewinnen dürfte daher als sachliche Steuerbefreiung einer tatsächlichen Besteuerung widersprechen. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Veräußerungsgewinn trotz seiner Steuerbefreiung im Staat C steuerlich erklärt worden ist.87 Im Fall 8 wird Deutschland daher aufgrund der abkommensrechtlichen Subject-to-tax-Klausel den Veräußerungsgewinn nicht freistellen. Anders wäre dies möglicherweise dann zu beurteilen, wenn das Recht des Staates C nur einen Teil der Veräußerungsgewinne – etwa einen _____________ 84 Nähere Erkenntnisse hierzu lassen sich bisher allein aus zwei Entscheidungen des BFH ableiten: v. 27.8.1997 – I R 127/95, IStR 1998, 83; und v. 17.10.2007 – I R 96/06, IStR 2008, 262. 85 Vgl. Grotherr, IWB, Fach 3, Gruppe 2, 689 (698 ff.); Wassermeyer, IStR 1998, 84 f.; Hey, RIW 1997, 82; Jacob, DStZ 1992, 669. 86 Vgl. Meretzki in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 16.30; Pitzal, Nicht- und Niedrigbesteuerung in Vorschriften des nationalen Außensteuerrechts, Diss. 2008, 248 f. 87 Vgl. Meretzki in Wassermeyer/Richter/Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 16.32.

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gewissen Prozentsatz (z. B. 5 %) – der steuerlichen Bemessungsgrundlage hinzurechnet. 5.

Kein Übergang zur Anrechnungsmethode nach § 50d Abs. 9 EStG

Nicht einschlägig ist hingegen im Fall 8 § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG.88 Denn dass die Veräußerungsgewinne im Ergebnis steuerlich unbelastet bleiben, liegt nicht daran, dass der Staat C das Abkommen anders auslegt als Deutschland. Vielmehr nimmt er trotz einer anderen Abkommensanwendung ein eigenes Besteuerungsrecht an. Ebenso wenig ist für die Steuerfreiheit ursächlich, dass der Veräußerungsgewinn von einer Person bezogen wird, die nach dem Recht des Staates C in diesem Staat nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist. Das Gegenteil ist hier der Fall, da aus Sicht des Staates C die D-KG (als Anteilsveräußerin) den Veräußerungsgewinn als Körperschaft bezieht und damit im Staat C selbst unbeschränkt steuerpflichtig ist. Die Steuerfreiheit hat ihren Grund vielmehr allein in der innerstaatlichen Regelung des Staates C, nach der ein Veräußerungsgewinn, den eine Körperschaft durch den Verkauf von Anteilen an einer anderen Körperschaft erzielt, steuerfrei bleibt. Basiert die Nichtbesteuerung aber – wie hier – allein auf innerstaatlichem Recht, sind die Voraussetzungen des § 50d Abs. 9 EStG nicht erfüllt.89 Es bleibt damit dabei, dass der Veräußerungsgewinn, auch wenn er von A und B aus der D-KG entnommen wird, in Deutschland – vorbehaltlich des Bestehens einer abkommensrechtlichen subject-totax-Klausel – von der Besteuerung freizustellen ist. Sollte im Staat C durch die Auskehrung des Veräußerungsgewinns eine Quellensteuer einbehalten werden, ist diese in Deutschland nicht anrechenbar, da die Entnahme in Deutschland nicht steuerpflichtig ist.90

D. Fazit Die steuerliche Behandlung von Personengesellschaften ist schon in rein innerstaatlichen Sachverhalten komplex und facettenreich. Dies _____________ 88 Zur Prüfungsreihenfolge der abkommensrechtlichen und innerstaatlichen Subjectto-tax- und Switch-over-Klauseln siehe Meretzki in Wassermeyer/Richter/ Schnittker, Personengesellschaften im Internationalen Steuerrecht, Köln 2010, Rz. 16.13. 89 Siehe BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, IStR 2011, 925; Schönfeld in Flick/ Wassermeyer/Baumhoff, § 50d Abs. 9 EStG Rz. 71 ff. (81 ff.); Gosch in Kirchhof, § 50d EStG Rz. 41a. 90 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S - 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354, Rz. 4.1.4.1.

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liegt nicht zuletzt daran, dass es im deutschen Steuerrecht eine Vielzahl von Regelungen gibt, die zur Sicherung des Gewerbesteueraufkommens von den eigentlichen Grundsätzen der Personengesellschaftsbesteuerung abweichen. Hierzu zählen u. a. die gewerbliche Infizierung, die gewerbliche Prägung, die Grundsätze der Betriebsaufspaltung und die Grundsätze der Sondervergütungen. Durch alle diese Regelungen und Rechtsinstitute werden Einkünfte, die originär anderen Einkunftsarten zuzuordnen sind, in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert. Dass gerade hierdurch das Konfliktpotenzial in grenzüberschreitenden Sachverhalten stark ansteigt, kann kaum verwundern. Dies hat auch der BFH erkannt und ist dem in den letzten Jahren mit großer Konsequenz entgegengetreten, indem er der von der Finanzverwaltung postulierten Auslegung abkommensrechtlicher Vorschriften anhand des innerstaatlichen Rechts des Anwenderstaates deutliche Grenzen gesetzt hat. Danach darf das innerstaatliche Recht bei der Auslegung abkommensrechtlicher Vorschriften nur herangezogen werden, wenn der Abkommenszusammenhang nichts anderes erfordert. Bei der Auslegung des Begriffs der Unternehmensgewinne zwingt gerade dieser Zusammenhang dazu, die Teildefinition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c OECD-MA, wonach ein Unternehmen stets die Ausübung einer Geschäftstätigkeit voraussetzt, mitzuberücksichtigen. Dies hat zur Folge, dass Einkünfte, die nur im Wege einer Fiktion dem Bereich der Gewerblichkeit zugewiesen werden, nicht den Unternehmensgewinnen im abkommensrechtlichen Sinne unterfallen. Die Auswirkungen, die diese neue Rechtsprechung auf die Praxis hat, sind keineswegs immer günstig für den Steuerpflichtigen. Positiv ist zu vermelden, dass der BFH in einer Streitfrage, die für die Praxis von vergleichsweise großer Bedeutung ist und zugleich das Fachschrifttum lange Zeit intensiv beschäftigt hat, nun für Rechtssicherheit gesorgt hat. Denn er hat – der Finanzverwaltung zustimmend – entschieden, dass ausländische Personengesellschaften – unabhängig davon, wie sie in ihrem Gründungsstaat steuerlich behandelt werden – zwar Personen i. S. d. DBA sind, jedoch mangels eigener Einkommen- bzw. Körperschaftsteuerpflicht keine ansässigen Personen i. S. d. Abkommensrechts. Abkommensberechtigt sind daher die Gesellschafter, sofern es sich bei ihnen nicht wiederum um Personengesellschaften handelt. Diese Sichtweise kann in Fällen, in denen in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen an einer ausländischen Personengesellschaft beteiligt sind, die im Ausland als Körperschaft behandelt wird, theoretisch zu sog. weißen Einkünften führen, wenn die Gesellschafter ihre Anteile 74

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veräußern. Tatsächlich wird es dazu aber heute kaum mehr kommen, da zum einen neuere DBA inzwischen eine eigene Subject-to-taxKlausel enthalten und zum anderen der deutsche Gesetzgeber mit der Einführung des § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 EStG – vorbehaltlich verfassungsrechtlicher Bedenken – ein wirksames Mittel gegen die Entstehung sog. weißer Einkünfte geschaffen hat. Gerade diese Vorschrift ist Ausdruck des Bestrebens, in Fällen, in denen die Anwendung eines DBA zur doppelten Nichtbesteuerung führt, dies durch einseitige nationale Vorschriften – notfalls im Wege eines Treaty Overrides – zu verhindern.

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Podiumsdiskussion zu den Vorträgen des Vormittags Teilnehmer Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn Ernst Czakert Ministerialrat Bundesministerium der Finanzen, Berlin Gert Müller-Gatermann Ministerialdirigent a. D. Koblenz

Dr. Helder Schnittker, LL.M. Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht Flick Gocke Schaumburg, Berlin Dr. Jens Schönfeld Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht Flick Gocke Schaumburg, Bonn Dr. Michael Schwenke Richter am Bundesfinanzhof, München

Prof. Dr. Baumhoff Ich möchte jetzt die Diskussion eröffnen. Ich darf Sie also bitten, sowohl zum Vortrag von Herrn Czakert als auch zu den anderen drei Vorträgen jetzt ihre Anmerkungen oder Fragen anzubringen. Frage aus dem Publikum Herr Dr. Schwenke, sie haben uns erläutert, dass Doppelbesteuerungsabkommen Bestandteil des Völkerrechts sind, die in nationales Recht umgesetzt werden oder diesem gleichgestellt sind. Hierzu ein kurzer Praxisfall aus dem Grenzgebiet Deutschland/Luxemburg. Zwischen Deutschland und Luxemburg gibt es Verständigungsvereinbarungen zur Besteuerung der Berufskraftfahrer. In einem konkreten Fall aus meiner Beratungspraxis wohnt ein Busfahrer in Deutschland und arbeitet für ein Luxemburger Unternehmen. Er fährt sieben Stunden in Luxemburg und eine Stunde in Deutschland. Dies kann anhand der Fahrpläne nachvollzogen werden. Nach der einschlägigen Verständigungsvereinbarung soll sein Gehalt jedoch zur Hälfte in Deutschland und zur Hälfte in Luxemburg versteuert werden. Nach meiner Meinung führt die Verständigungsvereinbarung in dem konkreten Fall zu einer offensichtlich unrichtigen Besteuerung. Angenommen, das Finanzgericht würde diese Auffassung teilen, welche weiteren Folgen würden hieraus resultieren?

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Müsste Deutschland die Verständigungsvereinbarung kündigen? Könnte das Bundesfinanzministerium einen Nichtanwendungserlass zu diesem Urteil aussprechen? Wie würde der Fall zu Ende gehen? Dr. Schwenke Die Verständigungsvereinbarung trifft eine ganz pauschale Regelung, die natürlich nicht mit den konkreten Stundenzahlen zusammenpasst, da Sie die Arbeitszeit stundenmäßig ganz konkret aufteilen können. Hier stellt sich die Frage, ob das Finanzgericht bzw. der Bundesfinanzhof die Auffassung vertritt, dass keine Bindung an die Verständigungsvereinbarung gegeben ist, soweit diese Verständigungsvereinbarung über den Abkommenstext hinausgeht, also eine Abkommensänderung bewirkt. Bei der von Ihnen geschildeten hälftigen Teilung würde ich fast dazu neigen, eine Abkommensänderung anzunehmen. Das Abkommen sieht in Art. 15 wahrscheinlich vor, dass die Besteuerung entsprechend der physischen Anwesenheit aufzuteilen ist. Die hälftige Teilung scheint mir daher für den konkret geschilderten Fall sehr pauschal zu sein. Für den Linienverkehr kann man tatsächlich der Meinung sein, dass es bessere Aufteilungsmaßstäbe gibt. Deswegen wird der BFH oder das FG prüfen, inwieweit diese Verständigungsvereinbarung für die Gerichte bindend ist. Frage aus dem Publikum Müsste der Bund nicht die Verständigungsvereinbarung kündigen? Dr. Schwenke Mir ist die konkrete Verständigungsvereinbarung bekannt und ich verstehe grundsätzlich die Notwendigkeit gerade bei Berufskraftfahrern, eine pragmatische Lösung zu finden, da eine konkrete Aufteilung hier schwierig sein kann. Aber man muss natürlich auch wahrnehmen, dass das BMF vielleicht etwas über das Ziel hinausgeschossen ist. Bei Busfahrern, die im Linienverkehr eingesetzt werden, kann tatsächlich ganz konkret aufgeteilt werden. Dann stellt sich die Frage, ob die pauschale hälftige Aufteilung noch in Ordnung geht. Vielleicht hätte man hierfür eine andere Regelung treffen müssen. Aber ich glaube, man kann dem BMF keinen so großen Vorwurf machen, da die Fälle pragmatisch erledigt werden müssen. Im Einzelfall kann es tatsächlich zu Ungerechtigkeiten kommen, aber dafür sind die Finanzgerichte dann letztlich da.

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Müller-Gatermann Ich kann den Standpunkt von Herrn Dr. Schwenke nachvollziehen, dass man in Ihrem Beispielsfall praktisch über den Vertragstext hinausgegangen ist. Eine andere Überlegung könnte sein, und Herr Dr. Schwenke hat das ja auch angesprochen, dass Verständigungsvereinbarungen auch Auslegungshilfen sein sollen, die sehr pragmatisch zu sehen sind. Und da frage ich mich schon, ob es nicht auch eine Auslegung in dem Sinne geben kann, dass ich hier wirklich mit „dem dicken Daumen“ eine pauschalierte Regelung mache. Man kann natürlich, das ist ja immer die ultima ratio, im Einzelfall mit einer Billigkeitsregelung helfen. Gegebenenfalls müsste auch die konkrete Verständigungsvereinbarung nochmals überdacht werden. Im Grenzgebiet zwischen Luxemburg und Deutschland treten diese Fälle ja vermehrt auf. Wer hat beispielsweise das Besteuerungsrecht, wenn jemand in Deutschland lebt und in Luxemburg arbeitet, aber von seinem Geschäftsherrn in Luxemburg nach Deutschland zur Erledigung von Aufträgen geschickt wurde? Dann greift auf einmal doch wieder das deutsche Besteuerungsrecht. Für diese Fälle haben wir uns beispielsweise auf eine Bagatellregelung mit Luxemburg geeinigt, um den Druck aus diesen praktischen Fällen rauszunehmen. Wenn man so will, ist das schon eine Ausprägung einer Billigkeitsregelung. Prof. Dr. Baumhoff Weitere Fragen oder Anmerkungen. Müller-Gatermann Dürfte ich zu dem Beitrag von Herrn Dr. Schwenke und zu den Personengesellschaften, die Herr Dr. Schnittker behandelt hat, Stellung nehmen. Herr Dr. Schwenke sprach den Ablauf der Verhandlungen an. In der Praxis führen typischerweise die Referatsleiter die Verhandlungen, die mit der Paraphierung der Vereinbarung durch die Referatsleiter abgeschlossen werden. Bei bedeutsamen Verhandlungen können diese auch durch den zuständigen Unterabteilungsleiter geführt werden. Beispielsweise war ich in die Verhandlungen mit Brasilien eingebunden, da es hier sehr danach aussah, dass die Verhandlungen zu einer Kündigung des DBA führen könnten. Im Fall von Brasilien war jedoch eine Lösung ausgeschlossen, weil die brasilianischen Verhandlungspartner unsere Wünsche immer mit dem Argument ablehnten, dass sie für den kon79

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kreten Punkt kein Mandat hätten. In Brasilien verhandelt nämlich immer noch eine nachgeordnete Behörde und nicht das Ministerium. Das ist natürlich nicht zielführend. Ein anderes Beispiel sind die Verhandlungen mit der Türkei: Wir hatten das DBA gekündigt und der Referatsleiter hatte über einige Jahre mehrere Versuche unternommen, ein neues DBA zu verhandeln. Schließlich haben Frau Merkel und Herr Erdogan bei einem Treffen festgestellt, dass es nicht sein könne, dass es zwischen Deutschland und der Türkei als OECD-Staaten kein DBA gibt. Im Anschluss habe ich die Verhandlungen mit der Erwartungshaltung geführt, dass die Verhandlungen auf einer höheren Hierarchieebene vielleicht auch zu mutigeren Entscheidungen führen können. In der Tat haben wir uns dann nach zähen Verhandlungen auf ein neues DBA verständigt. Nach Abschluss der Verhandlungen wird das DBA typischerweise von den jeweiligen Botschaftern unterzeichnet, d. h., die Unterzeichnung ist mehr oder weniger Sache des Auswärtigen Amts und nicht mehr des Finanzministeriums. Aus optischen Gründen gibt es auch Unterzeichnungen von Ministern usw., aber typischerweise unterzeichnet der Botschafter das DBA. Auf dem Weg zur Unterzeichnung kann natürlich der schon paraphierte Text verändert werden. Aber wenn das DBA unterzeichnet ist, dann ist es in der Tat so, wie von Herrn Dr. Schwenke geschildert, dass das Parlament dem DBA entweder nur zustimmen oder ablehnen kann. Mit der Möglichkeit, das DBA abzulehnen, hat das Parlament natürlich ein Mitwirkungsrecht, denn die Ablehnung könnte die Aufforderung an die Exekutive bedeuten, sich nochmals neue Gedanken zu machen und die eine oder andere Änderung an dem DBA vorzunehmen. Das ist auch eine Form, wie man eine Änderung beeinflussen kann. Die Ausführungen von Herrn Dr. Schwenke zum Treaty Override fand ich ausgesprochen interessant. Herr Wichmann aus dem Bundesfinanzministerium hat in der Finanz-Rundschau1 zu dem Thema Treaty Override mit einer ähnlichen Kategorisierung, die auch Herr Professor Gosch vornimmt, Stellung genommen. Wenn ich mich recht erinnere, unterteilt er Treaty Overrides in auslegende Treaty Overrides, Treaty Overrides zur Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung und umverteilende Treaty Overrides. Letztere hält er für problematisch. Bei den Ausführungen von Herrn Dr. Schwenke fand ich besonders bemerkenswert, dass er ein DBA als einen völkerrechtlichen Vertrag zweier Staa_____________ 1 Wichmann, FR 2011, 1082.

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ten begreift, in dem diese zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung teilweise jeweils auf ihre Besteuerungsrechte verzichten. Woraus ergibt sich dann aber der Anspruch eines Steuerpflichtigen im Falle eines Treaty Override? Denkt man an Art. 25 OECD-MA, so kam Herr Dr. Schwenke zu dem Ergebnis, dass Art. 25 GG hier letztlich doch nicht gilt und wir dann nur über allgemeine Rechtsgrundsätze Rechtsstaatlichkeit erreichen; dabei gilt nur die Grenze des Willkürverbots. Aber die Finanzverwaltung ist natürlich bemüht, nur gut begründete Treaty Overrides zu machen. Wenn wir z. B. versuchen, eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden, wollen wir ja gerade eine gleichmäßige Besteuerung herstellen und damit Art. 3 GG genügen. An dieser Stelle bleibt es interessant, wie man hier weiterkommt. Ganz kurz aus meiner Sicht auch zu den Ausführungen von Herrn Dr. Schnittker. Ich bin außerordentlich zufrieden, dass Sie unser BMFSchreiben vom 16.4.20102, das ich ja auch unterschrieben habe, als eine Übersicht über die Verwaltungsauffassung zur Besteuerung der Personengesellschaften im grenzüberschreitenden Verkehr verstanden haben. So war es auch gemeint. Die Tatsache, dass kurz danach der BFH3 einige Regelungen des Schreibens wieder infrage gestellt hat, führt dazu, dass man sich jetzt auch gesetzgeberisch damit auseinandersetzen muss. Hier interessieren uns die Geprägeregelung und die Sondervergütungen als die wichtigsten Fälle. In meiner Unterabteilung Internationales Steuerrecht haben wir die Auffassung vertreten, dass wir uns der BFHRechtsprechung beugen sollten – sowohl bei der Geprägeregelung als auch bei den Sondervergütungen. Wir mussten einsehen, dass wir zwar gute Gründe für unsere Auffassung hatten – auch im Sinne des OECDMusterabkommens –, wenn wir unser innerstaatliches Verständnis in das internationale Rechtsgefüge übertragen. Der BFH hat es anders gesehen, aber auch das mussten wir für vertretbar halten. Aus unseren Verhandlungen wissen wir i. Ü., dass unsere innerstaatliche Sicht, die von der Gewerbesteuer herrührt (Geprägeregelung und Sondervergütungen) und aus Zinsen oder Lizenzgebühren Unternehmensgewinne macht, von unseren Vertragspartnern kaum verstanden wird. Deshalb haben wir im Finanzministerium den Entschluss gefasst, dass wir unsere bisherige Auffassung nicht weiter vertreten. Wir provozieren nur weitere Qualifikationskonflikte. Es gab jedoch eine Arbeitsgruppe mit den Län_____________ 2 BMF v. 16.4.2010 – IV B 2 - S 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354. 3 BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, FR 2011, 179, mit Anm. Mitschke; v. 28.4.2010 – I R 81/09, FR 2010, 903, mit Anm. Buciek.

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dern und diese haben mehrheitlich entschieden, wir akzeptieren zwar die Geprägeregelung und unternehmen hierzu gesetzgeberisch nichts. Für die Sondervergütungen soll der § 50d Abs. 10 EStG aber ergänzt werden. Der BFH hat ja bemängelt, dass der Gesetzgeber zu kurz gesprungen sei. Ich halte die Entscheidung des BFH zwar persönlich für falsch, weil im entschiedenen Fall das Nutzungsrecht aus Amerika Sonderbetriebsvermögen in der deutschen Personengesellschaft war, auch wenn es sich um ein Teilnutzungsrecht handelte. Ich hätte auch i. Ü. die Möglichkeit gesehen, den aktuellen § 50d Abs. 10 EStG zu akzeptieren. Der BFH hat es jedoch anders entschieden und die Länder wollen jetzt offenbar, dass wir den § 50d Abs. 10 EStG nachbessern. Das überzeugt mich steuersystematisch nicht. Nach der Anrechnung der Gewerbesteuer im Einkommensteuerrecht sind die Belastungsunterschiede gar nicht mehr so groß, sodass die innerstaatliche Regelung für Sondervergütungen entbehrlich ist. Man sollte eher darüber nachdenken, den § 15 EStG auch innerstaatlich zu ändern, weil das eine Vereinfachung wäre. Das stößt natürlich wieder bei den Gemeinden auf Widerstand. Das ist jetzt das politische Problem, weil es für die Gemeinden einen großen Unterschied macht, ob sie Einkommensteuer oder Gewerbesteuer erhalten. Aber steuersystematisch und aus der Sicht des Steuerbürgers wäre es eigentlich sinnvoll, sogar das innerstaatliche Recht zu ändern und es erst recht nicht auf das internationale Recht auszudehnen. Aber die Tendenz ist im Augenblick eine andere. Prof. Dr. Baumhoff Hierzu bitte eine Zwischenfrage: Nach Ihren Ausführungen hätten wir im Ergebnis eine Spagatlösung. Für das nationale Recht wird die Geprägeregelung weiter angewendet (Gewerbesteuer für die Gemeinden) und international würde man der Rechtsauffassung des BFH folgen, da die ausländischen Staaten die Besonderheiten des deutschen Rechts nicht nachvollziehen können und wir uns insofern abkommenskonsequent verhalten würden. Müller-Gatermann Das ist ausgesprochen kompliziert. Dr. Schönfeld Wenn ich an dieser Stelle einhaken darf: Wie wird sich diese Thematik weiterentwickeln, wenn wir den Authorised OECD Approach (AOA) 82

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umsetzen? Dann wird es ganz kompliziert. Jedenfalls für abkommensrechtliche Zwecke hätten wir selbstständige Steuersubjekte; also aus meiner Sicht gäbe es gar keinen Bedarf mehr für Sondervergütungen bzw. Sonderbetriebsvermögen. Man müsste sich ja fragen, ob dann fiktiv § 8b KStG anzuwenden wäre. Ich glaube übrigens an die Öffnung der Büchse der Pandora, wenn Sie das jetzt in § 1 AStG einpflegen.4 Das muss man wirklich zu Ende denken. Auch an diesen Punkten. Müller-Gatermann Mir ist Ihr Argument bekannt. Man muss in der Tat die Betriebsstätten unter Berücksichtigung des AOA praktisch den Kapitalgesellschaften gleichstellen; dadurch fallen die Personengesellschaften praktisch aus dem System raus. Dr. Schwenke Herr Müller-Gatermann, ein neues Problem ist auch, dass man keine Entstrickungsregelungen mehr braucht, wenn man den AOA umsetzt. Die ganze Problematik des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG wäre dann auf einmal nicht mehr existent. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob überhaupt ein Fall eines Ausschlusses oder einer Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland vorliegt, wenn ein Wirtschaftsgut vom inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte überführt wird. Wir müssten uns nicht mehr um die BFH-Entscheidungen I R 77/06 und I R 99/08 kümmern und auch die EuGH-Entscheidung „National Grid“ erschiene in einem anderen Licht. Wir haben es dann nur noch mit „selbstständigen“ Kapitalgesellschaften zu tun. Müller-Gatermann Herr Dr. Schwenke, es gibt einen weiteren interessanten Aspekt, der mir bei der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache National Grid Indus5 etwas gefehlt hat. Der EuGH entscheidet nur unter dem Gesichtspunkt der Grundrechtsfreiheiten und damit anders, als wir das noch im Gesetz angelegt haben. Wir müssen danach mit dem Zeitpunkt der Versteuerung vorsichtig sein. Wir haben versucht, das Problem des verhältnismäßigen Eingriffs pauschal mit den fünf Jahren beim Anlagevermögen in § 4g EStG zu lösen, indem wir den geringstmög_____________ 4 Vgl. Regierungsentwurf des JStG 2013 v. 23.5.2012. 5 EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C-371/10 – National Grid Indus BV, FR 2012, 25 ff.

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lichen Eingriff gewählt haben. Der EuGH differenziert an der Stelle stärker, was sehr stark noch an den Betriebsstättenerlass erinnert. Der EuGH hat sich überhaupt nicht – es war ja wohl ein holländischer Fall – mit der AOA-Betrachtung auseinandergesetzt. Dort wird in der Tat idealtypisch die Betriebsstätte einer Tochtergesellschaft gleichgesetzt und wenn ein Wirtschaftsgut von einer Tochtergesellschaft zur Mutter überführt wird, darf man, ohne dass hier irgendwelche Stundungsregelungen existieren, sofort Gewinne realisieren. Aber mit dieser Frage hat sich der EuGH überhaupt nicht auseinandergesetzt. Es ist ein bisschen schade, aber der Gesetzgeber muss jetzt auf die EuGH-Rechtsprechung reagieren. Er wird die Vorschriften nochmal anpacken müssen. Aber es ist m. E. ein Bruch mit der AOA-Betrachtung. Prof. Dr. Baumhoff Noch zwei weitere kleine Fragen zu anderen Themen. Herr MüllerGatermann, letzte Woche war in der Börsenzeitung zu lesen, dass seitens der deutschen Wirtschaft angesichts des erheblichen Liefer- und Leistungsaustauschs mit Brasilien intensiv beklagt wird, dass zwischen Deutschland und Brasilien seit fünf bis sechs Jahren kein DBA mehr besteht. Die großen deutschen Konzerne, die in Brasilien umfangreich tätig sind, müssten sich letztendlich z. B. über spanische Zwischenholdings behelfen, um trotzdem noch indirekt – man könnte auch sagen mithilfe des Treaty Shopping – unter einen Abkommensschutz zu kommen. Das ist natürlich für eine Industrienation wie Deutschland kein besonders schöner Zustand und auch wirtschaftspolitisch nicht. Wir wissen aber, dass die Ursache für die Kündigung des DBA nicht unbedingt auf deutscher Seite lag. Sie haben das eben schon mal kurz angedeutet. Wie sehen Sie die Chancen, trotzdem in der nahen Zukunft wieder mit Brasilien ins Gespräch zu kommen und letztlich doch zu einem vernünftigen Abkommenszustand? Denn andere europäische Staaten haben ja auch DBAs mit Brasilien. Müller-Gatermann Ich will da keine zu großen Hoffnungen wecken. Ich bedauere es selbst auch sehr, dass der Gesprächsfaden nicht wieder aufgegriffen wird. Bereits bei der Kündigung haben wir ganz deutlich gesagt, dass wir jederzeit bereit sind, den Gesprächsfaden wieder aufzugreifen. Ich war danach im Global Forum bei der OECD in einer Steering Group mit brasilianischen Kollegen zusammen und habe dort im persönlichen Ge84

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spräch vergebens die Aufnahme von Verhandlungen angeregt. Daneben habe ich die brasilianische Seite angeschrieben und die Antwort bekommen, dass man sich kümmern werde. Aber trotz mehrfacher Nachfragen habe ich dann nichts mehr davon gehört. Auch das ist natürlich eine Antwort. Man will kein DBA. Und dann gab es auf politischer Ebene mit den Staatssekretären in Berlin ein Treffen. Da hatte ein brasilianischer Staatssekretär angeregt, dass man selbstverständlich auf der Basis dessen, was Brasilien fordert, sofort wieder ein Abkommen abschließen könne. Das ist natürlich nicht der Sinn dieser Übung. Schließlich habe ich gehört, dass vom BDI auf unterschiedlichen Kanälen, also auf der Wirtschaftsseite, versucht wird, ins Gespräch zu kommen. Bisher auch ohne Erfolg. Brasilien hat in Südamerika einen sehr starken wirtschaftlichen Stand und ist sehr selbstbewusst. Mir ist bekannt, dass die Wirtschaftsunternehmen in Brasilien dort sehr über die steuerlichen Verhältnisse klagen. Aber, wie gesagt, alle diese Versuche haben nicht geholfen. Sie finden das gleiche Verhalten Brasiliens in der OECD wieder. Dort steht die Position der sogenannten BRIC-Staaten auf dem Prüfstand, ob diese Staaten OECD-Mitglieder werden. Z. B. Russland ist sehr kooperativ und wird sicherlich alsbald versuchen, Vollmitglied zu werden. Indien und China sind auch sehr kooperativ. Dort wird es noch ein bisschen dauern, aber die arbeiten kräftig in den Arbeitsgruppen mit und lernen auch so die OECD-Standards kennen. Bei Brasilien ist das ganz anders. Brasilien ist sehr zurückhaltend, obwohl sich die OECD sehr um das Land bemüht. Die Brasilianer versuchen sogar, in der UN – dort gibt es ja auch ein Steuerkomitee – z. B. über Verrechnungspreisgrundsätze ganz eigene Ideen zu entwickeln, die den OECD-Leitlinien diametral widersprechen. Insgesamt ist Brasilien sehr eigenwillig und versucht, die UN als eine Konkurrenzveranstaltung zur OECD aufzumachen. Das wäre nicht gut, weil dadurch Unsicherheiten hervorgerufen werden. Die OECD ist immerhin bemüht, objektive DBA-Grundsätze zu erarbeiten, die Industriestaaten nicht bevorzugen. Brasilien versucht demgegenüber über die UN, ergebnisorientiert günstige Regelungen für Entwicklungsländer zu entwickeln. Positiv ist zu vermerken, dass es gelungen ist, mit Chile wieder den Gesprächsfaden aufzugreifen. Da ruhte ein paraphiertes Abkommen über Jahre und jetzt sind die Verhandlungen wieder aufgenommen worden. Chile ist mittlerweile ja auch OECD-Mitglied. Wenn Sie in den OECDMusterkommentar reinschauen, hat Chile jedoch noch sehr viele Vorbehalte gegen das Muster. Aber man ist dort auch bereit, sich zu bewe85

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gen. Der chilenische Kollege ist sogar mittlerweile in dem ganz engen Zirkel des CFA-Bureaus, was eine Auszeichnung ist. Und das ist auch bewusst gemacht worden, damit man Südamerika ins Boot holt. Es gibt also Fortschritte und ich bin zuversichtlich, dass sich vielleicht sogar noch in diesem Jahr ein DBA mit Chile paraphieren lässt – bisher existiert hier ja kein DBA. Die deutsche Wirtschaft ist in Chile zwar nicht so stark tätig wie in Brasilen, aber es gibt doch sehr intensive Handelsbeziehungen. Dr. Schönfeld Wenn ich vielleicht noch eine Frage und eine Anmerkung an Herrn Czakert richten dürfte. In Ihrem Vortrag kam das Thema der Begrenzung der deutschen Verwaltungshoheit an der Grenze zur Sprache. Sie haben das sehr bildlich mit der Explosion an der Grenze dargestellt. Das ist aber etwas typisch Deutsches. Also ich weiß nicht, wo das herkommt. Andere Länder sehen das ganz anders und haben viel weniger Schwierigkeiten, über die Grenzen ihre Verwaltungshoheit wahrzunehmen. Vereinfacht ausgedrückt bekomme ich beispielsweise einen Bußgeldbescheid aus den Niederlanden nach Hause, wenn ich dort zu schnell fahre. Auch andere Länder, hier insbesondere die USA, nehmen ihre Interessen sehr stark wahr. Die deutsche Finanzverwaltung darf nach § 92 AO mit der Inaugenscheinnahme ihre Interessen auch hinter der deutschen Grenze wahrnehmen. Der Finanzbeamte kann sich beispielsweise ausländische Betriebsstätten und deren Ausstattung anschauen. Dies geschieht jedoch nicht. Nach meiner Einschätzung handelt es sich hierbei um ein typisch deutsches Phänomen. Eine Art althergebrachter Grundsatz, den ich hier einfach mal infrage stellen möchte. Nun die Frage an Sie, Herr Czakert: Sie haben ja viele Informationsaustauschabkommen mit anderen Staaten abgeschlossen, die nicht zu erwarten waren. Beispielsweise mit Liechtenstein und verschiedenen Inselstaaten. Wie sind eigentlich die praktischen Erfahrungen mit dem Informationsaustausch? Findet dieser tatsächlich schon statt oder sind die Abkommen nur Feigenblätter, die die anderen Länder nur auf Druck abgeschlossen haben? Czakert Zunächst möchte ich auf Ihre Anmerkung eingehen: Ich glaube nicht, dass die Unterlassung grenzüberschreitender Ermittlung eine für Deutsch86

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land typische Situation ist. Hoheitsakte, die nicht auf dem Völkerrecht beruhen, dürfen nur auf unserem Territorium ausgeführt werden. Das ist völkerrechtlich geklärt und wird auch von anderen Staaten anerkannt. Einige Staaten lassen beispielsweise die Zustellung von Schriftstücken nur über die Botschaft zu. Dass sich einige Staaten nicht hieran halten, ändert nichts an der völkerrechtlichen Grundlage. Wenn wir hiervon Kenntnis erlangen, dann bitten wir den jeweiligen Staat auch um Zurückhaltung bzw. fordern eine vorherige Konsultation ein. Mit den Informationsaustauschabkommen gibt es bisher nicht allzu viele Erfahrungen, da es sich um eine neue Materie handelt und die meisten Abkommen erst anwendbar werden. Wir haben aber schon z. B. Anfragen nach Liechtenstein übermittelt. Da Liechtenstein in der Vergangenheit nur sehr wenig Erfahrung mit Anfragen zum Informationsaustausch hatte, haben wir uns im Rahmen eines Gesprächs in Berlin über den praktischen Ablauf ausgetauscht. Dieses Gespräch war sehr fruchtbar, weil Liechtenstein sehr interessiert war. Unsere wenigen bisherigen Anfragen wurden zielführend beantwortet. Prof. Dr. Baumhoff Darf ich hier noch mit einer weiteren Frage anknüpfen. Deutschland verfügt zwischenzeitlich über ein DBA mit Liechtenstein und ob das neue Abkommen mit der Schweiz auch in Kraft treten wird, muss man abwarten. Wie der Presse zu entnehmen ist, verfolgt die Schweiz nach eigenem Bekunden mittlerweile eine „Weißgeldstrategie“. Ganz hartgesottene Steuerhinterzieher zieht es daher bekanntermaßen jetzt Richtung Singapur. In Ihrem Vortrag haben Sie angeführt, dass es mit Singapur auch ein Abkommen geben wird, sodass dieser Weg auch nicht mehr unproblematisch ist. Wie groß ist denn die Gefahr für diese ganz hartleibigen Steuerhinterzieher, in Singapur entdeckt zu werden? Czakert Singapur wird in dem Abkommen auf jeden Fall den OECD-Standard zum Informationsaustausch akzeptieren und ist auch Mitglied in der zuständigen Steering Group des Global Forums. Man muss sich auch vor Augen halten, dass die ganz hartgesottenen Steuerhinterzieher ein bisschen blind und realitätsfern sein müssen, da auch im Verhältnis zu Singapur Gruppenanfragen möglich sind, die sich auf Fakten, Verhaltensmuster und sonstige Parameter gründen. Aus unserer Sicht wäre es durchaus möglich, dass man Singapur um Informationen über alle in 87

Podiumsdiskussion

Deutschland ansässigen Personen bittet, die zu einem bestimmten Zeitpunkt Geldtransfers auch von der Schweiz nach Singapur getätigt haben. Wir wären an diesen Informationen sehr interessiert. Es ist offensichtlich, dass es im Zusammenhang mit dem Abkommen mit der Schweiz zu Ausweichreaktionen gekommen ist. Wir gehen jedoch davon aus, dass auf der Grundlage der im Rahmen der Arbeitsgruppe 10 gefundenen Lösungen eine Anfrage möglich ist. Auch wenn am Anfang intensiv darüber diskutiert wurde, ob eine Anfrage an Singapur möglich oder nicht möglich ist, möchte ich noch Folgendes ergänzen: In den letzten zwei Jahren gab es eine ungeheuer dynamische Entwicklung, die noch nicht am Ende ist. Als „vernünftiger Steuerhinterzieher“ würde ich mir jedenfalls hierüber Gedanken machen und versuchen, alle meine Angelegenheiten in der noch verbleibenden Zeit legal zu gestalten, bevor mich die Dynamik möglicherweise überholt und es keinen Weg mehr in die Legalität gibt. Prof. Dr. Baumhoff Gibt es Ihrerseits noch Fragen oder Anmerkungen dazu? Dr. Schönfeld Herr Dr. Schwenke hat das Demokratiedefizit beim Abschluss von DBA beklagt. Dem stimme ich im Kern zu. Die Frage ist allerdings, ob nicht der Gesetzgeber es doch in der Hand hätte, selbst hiergegen etwas zu unternehmen. Beispielswiese durch die Ausarbeitung eines deutschen Musterabkommens, das den Rahmen und die Steuerspielräume der deutschen DBA abstecken könnte und von der Verwaltung umzusetzen wäre. Wäre dieser Ansatz praktikabel? Müller-Gatermann Das ist in der Praxis unrealistisch. Sie mögen jetzt sagen, das entspricht zwar nicht mehr den Auffassungen von Herrn Montesquieu, aber die Zusammenarbeit zwischen den Ministerien und dem Parlament läuft in der Weise ab, dass wir neben unserer politischen Spitze auch das Parlament beraten. Auf unserer Fachebene haben wir über ein deutsches Muster-DBA beraten, das sicherlich durch meinen Nachfolger im Ministerium mit der politischen Leitung und den Berichterstattern im Finanzausschuss abgestimmt wird. Es verkürzt die Beratungen im Finanzausschuss, wenn die Abgeordneten über die deutschen DBAGrundsätze informiert sind und man bei den Erklärungen nicht immer 88

Podiumsdiskussion

wieder bei Adam und Eva anfangen muss. Die Abgeordneten haben zwar wissenschaftliche Mitarbeiter, aber diese Mitarbeiter wären restlos überfordert, wenn sie für ihren Abgeordneten ein DBA ausarbeiten müssten. M. E. wäre auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hiermit völlig überfordert. Das zeigt unsere praktische Erfahrung. Wenn jedoch eine Fraktion, die nicht in der Bundesregierung ist, eigene Vorstellungen hat, können diese aufgegriffen werden. Das ausgearbeitete Muster ist nicht in Stein gemeißelt, sondern entwickelt sich ständig fort. Czakert Vielleicht noch eine ganz kurze zusätzliche Bemerkung. In der letzten Zeit haben die Abgeordneten im Finanzausschuss ein sehr großes Interesse an Doppelbesteuerungsabkommen und auch an Informationsaustauschabkommen. Die Abgeordneten haben aus dem BMF ein Informationspapier zu den Grundsätzen der deutschen DBA-Politik erhalten, das sehr intensiv diskutiert wurde. Wenn sich hierbei über die Parteigrenzen hinweg eine konkrete Grundausrichtung abzeichnet, wird die Verwaltung dies bei den jeweiligen DBA-Verhandlungen berücksichtigen. Die konkreten Verhandlungen sind jedoch Angelegenheit der Exekutive. Aus meiner Sicht ist festzustellen, dass die Verwaltung dem im Vergleich zur Vergangenheit gesteigerten Interesse gegenüber den Abgeordneten in der Bringschuld ist, die Dinge besser zu erklären und darzulegen sowie die Anregungen der Abgeordneten aufzunehmen. Dies machen wir auch. Praktisch jedes Informationsaustauschabkommen, auch wenn es immer gleich aussieht, bietet oftmals Anlass für Grundsatzdiskussionen, da es den Kern der DBA-Politik oder die Gesamtpolitik in diesem Bereich betrifft. Dr. Schwenke Ich sehe es als Außenstehender auch so, dass die Abgeordneten am Zug sind und mehr Beteiligung einfordern müssen, sofern sie diese für notwendig erachten. Diese Möglichkeit haben sie. Wenn sie ihre Beteiligung nicht einfordern, sind sie letzten Endes selber schuld. Aber aus meiner Warte ist schon zu beklagen, dass die Abgeordneten in dieser speziellen Materie vom Bundesfinanzministerium Lösungen vorgesetzt bekommen, da eigene Einschätzungen gerade in dieser speziellen Materie etwas schwierig sind.

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Podiumsdiskussion

Prof. Dr. Baumhoff Das ist eigentlich auch mein Eindruck. Die Abgeordneten wissen, dass über das Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Staat XY abgestimmt wird. Ich persönlich habe allerdings Zweifel, ob sie in jedem DBA-Fall inhaltlich genau einordnen können, worüber abgestimmt wird. Das Thema eines deutschen Musterabkommens ist auf jeden Fall in der Diskussion, neben dem Beitrag von Herrn Wichmann6 gibt es hierzu weitere Veröffentlichungen in der Finanz-Rundschau.7 Ich möchte kurz ergänzen, dass es bekanntlich viele uneinheitliche Aktivitätsklauseln mit abweichenden Formulierungen in den verschiedenen Abkommen gibt, je nachdem, wer verhandelt hat. Das wäre zum Beispiel auch ein Ansatzpunkt für eine einheitliche Regelung in einem deutschen Musterabkommen. Czakert Wie Herr Müller-Gatermann ausgeführt hat, ist unser deutsches Musterabkommen im Prinzip fast fertig. Letztendlich könnten wir mit dem Musterabkommen einheitlich in bestimmte Verhandlungen hineingehen. Wir haben ein Generalmuster und Abweichungen im Detail, um beispielsweise den unterschiedlichen Interessen bei Verhandlungen mit Entwicklungsländern und mit Industrieländern Rechnung tragen zu können. Wir haben jedenfalls mit dem Musterabkommen eine Grundlage als Basis für den Verhandlungsbeginn. Typischerweise führen die Verhandlungen dann immer zu individuellen Ergebnissen, die nicht mehr zu 100 % den in die Verhandlungen eingebrachten Vorgaben entsprechen. Aber eine gemeinsame Ausgangsbasis für alle Verhandlungen wird zukünftig sicherlich auch zu Vereinheitlichungen führen. Prof. Dr. Baumhoff Herr Czakert, das war ein wunderbares Schlusswort vor der Mittagspause. Ich denke, wir hatten heute Vormittag viele interessante Vorträge, Ideen und auch Diskussionsbeiträge. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal bei den Mitdiskutanten auf dem Podium bedanken.

_____________ 6 FR 2011, 1082. 7 Lüdicke, FR 2011, 1077; Lehner, FR 2011, 1087; Richter/Welling, FR 2011, 1092.

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Konsequenzen aus der Änderung des Art. 7 OECDMusterabkommen für die Betriebsstättengewinnermittlung Dr. Andreas Roth Leiter Steuern und Zölle bei John Deere

Inhaltsübersicht A. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . 91 B. Der Authorized OECD Approach . I. Der „Functionally Separate Entity Approach“ . . . . . . . . . . . II. Funktions- und Risikoanalyse . III. Maßgebliche Personalfunktion als Zuordnungskriterium . . . . . IV. Allokiertes Eigenkapital . . . . .

V. Interne „Dealings“ . . . . . . . . . . 98

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C. Gegenberichtigung . . . . . . . . . . . 100

92 92

D. Auswirkungen auf die deutsche Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . I. Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Regelungsbedarf . . . . . . . . . . .

93 95

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A. Entstehungsgeschichte Art. 7 OECD-MA war in seinem Wortlaut seit 1977 unverändert. Er wurde Mitte 2010 in seiner aktuellen Form von der OECD beschlossen. Bereits 1993 hatte die OECD einen Bericht zur Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten veröffentlicht, in dem die Grundsätze des sogenannten Authorized OECD Approach (AOA) erörtert und beschrieben wurden. Die Einführung des AOA in das Musterabkommen erfolgte in 2 Schritten: Im Jahr 2008 veröffentlichte die OECD eine revidierte Fassung des Kommentars zu Art. 7, ließ jedoch den Abkommenstext unverändert. Die Ergebnisse des OECD-Reports aus 1993 wurden insoweit in den Kommentar eingearbeitet, als sie mit dem bestehenden Wortlaut des Musterabkommens vereinbar waren. Erst im Juli 2010 veröffentlichte die OECD den revidierten Abkommenstext, aktualisierte den OECDReport aus 1993 und änderte den Kommentar unter voller Berücksichtigung des AOA und entsprechendem Verweis1 auf den OECD-Report 20102. _____________ 1 Vgl. OECD-MK 2010, Art. 7 Tz. 7. 2 2010 OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.7.2010.

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B. Der Authorized OECD Approach I. Der „Functionally Separate Entity Approach“ Ausgehend von der rechtlichen Unselbstständigkeit der Betriebsstätte gegenüber dem Stammhaus wurden in der OECD-Arbeitsgruppe 6 zwei unterschiedliche Abrechnungskonzepte diskutiert: Der „Functionally Separate Entity Approach“ und der „Relevant Business Activity Approach“. Beim Ersteren wird die Betriebsstätte als wirtschaftlich selbstständig, weitestgehend ähnlich einer Tochtergesellschaft betrachtet, während beim letzteren Konzept die Einheit des Unternehmens im Vordergrund steht, was insbesondere bedeutet, dass der Betriebsstätte kein höherer Gewinn aus einer Geschäftstätigkeit zugeordnet werden kann, als aus Sicht des Gesamtunternehmens erwirtschaftet wurde.3 Die OECD entschied sich für den Functionally Separate Entity Approach. Dies hat zur Folge, dass für jede Betriebsstätte ein Gewinn zu ermitteln und nicht der Gesamtgewinn des Unternehmens auf das Stammhaus und die Betriebsstätten aufzuteilen ist. Insbesondere kann die Betriebsstätte einen steuerpflichtigen Gewinn erzielen, wenngleich das Gesamtunternehmen einen Verlust ausweist. Des Weiteren ist die Gewinnermittlung unter der Fiktion vorzunehmen, dass die Betriebsstätte grundsätzlich uneingeschränkt (vgl. zu möglichen Einschränkungen weiter unten unter IV.) selbständig und nicht Teil eines Unternehmens sei. Maßstab für die Gewinnermittlung der Betriebsstätte ist der auch für nahestehende Unternehmen geltende Fremdvergleichsgrundsatz. Schließlich ist die Möglichkeit der indirekten Methode weggefallen.

II. Funktions- und Risikoanalyse Sowohl für das Stammhaus als auch für jede Betriebsstätte ist je eine gesonderte Funktions- und Risikoanalyse durchzuführen. Diese hat einen zweifachen Zweck und erfolgt demnach in zwei Stufen: (a) zur Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Verbindlichkeiten, von Risiken und Chancen sowie von internen Transaktionen, den sogenannten „dealings“, und (b) zur Angemessenheitsanalyse der Verrechnungspreise für interne Transaktionen. Schematisch kann dies wie folgt dargestellt werden: _____________ 3 Vgl. 2008 OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 17.7.2008, Part I, C-1(i), 23.

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Schritt 1:

Schritt 2:

Zuordnung dem

Bestimmung des

Grunde nach

BS-Gewinns

Funktions- und Risikoanalyse

Wirtschaftsgüter

Vergleichbarkeitsanalyse

Eigen- und Fremdkapital

Rechte und Pflichten Anerkennung von

Anwendung der Verrechnungspreismethoden auf „dealings“

„dealings“

III. Maßgebliche Personalfunktion als Zuordnungskriterium Trotz der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte verbleibt als wesentlicher Unterschied zu nahestehenden Unternehmen die fehlende rechtliche Selbstständigkeit. Somit können die Verhältnisse, insbesondere die Funktions- und Risikoverteilung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte, nicht durch rechtsverbindliche Verträge geregelt werden, sondern es muss ein an tatsächlichen Umständen ausgerichtetes Zuordnungsprinzip für Rechte und Pflichten, Wirtschaftsgüter und Schulden, Einnahmen und Ausgaben bestimmt werden. Der AOA hat als zentrales Zuordnungskriterium die maßgeblichen Personalfunktionen („significant people functions“) gewählt. Dies bedeutet, dass die Funktions- und Risikozuordnung danach erfolgt, wo bestimmte Managementoder ausführende Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Funktionsanalyse folgend sind auch die Wirtschaftsgüter sowie die Risiken entsprechend der maßgeblichen Personalfunktion nach den Grundsätzen des „wirtschaftlichen Eigentums“ zuzuordnen.4 _____________ 4 Vgl. 2010 OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.7.2010, Tz. 18.

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Ein Wirtschaftsgut ist grundsätzlich jeweils nur einer Betriebsstätte zuzuordnen. Dabei ist, sofern nicht im konkreten Einzelfall die Umstände etwas anderes verlangen, regelmäßig die Nutzung durch die in der Betriebsstätte tätigen Personen maßgeblich5. Dies gilt unmittelbar für Sachanlagen und Vorratsvermögen. Schwieriger gestaltet sich die Zuordnung von immateriellen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens. Diese können gleichzeitig von mehreren Unternehmensteilen genutzt werden. Auch kann ihre Entwicklung im Interesse von mehreren Betriebsstätten sein.6 In diesen Fällen wird man darauf abheben müssen, wer die wesentliche Entscheidung bezüglich des Entwicklungsprojekts getroffen bzw. es vorangetrieben hat und welchem Unternehmensteil das Wirtschaftsgut tatsächlich zu dienen bestimmt ist. Entscheidend sind allerdings nicht die strategischen Entscheidungen bzw. Zustimmung, sondern deren aktives Betreiben.7 So kann beispielsweise die Entwicklung einer Software durch eine IT-Betriebsstätte für eine Produktionsbetriebsstätte erfolgen. Dementsprechend ist das Wirtschaftsgut in diesem Fall nicht der IT-Betriebsstätte, sondern der Produktionsbetriebsstätte, in der es genutzt wird, zuzuordnen.8 Allerdings kann nach Ansicht der OECD im Einzelfall auch eine Zuordnung zu mehreren Betriebsstätten vorstellbar sein.9 Jedoch kann im Einzelfall nicht immer auf die Zuordnung der maßgeblichen Personalfunktion abgestellt werden – nämlich dann, wenn eine Betriebsstätte kein Personal hat, z. B. eine vollautomatische Anlage ist.10 Ein weiterer Problembereich bezieht sich auf Finanzanlagen und Geldmittel. Insoweit sieht die OECD die maßgebliche Personalfunktion in der Erwirtschaftung und dem aktiven Management dieser Mittel.11 _____________ 5 Vgl. 2010 OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.7.2010, Tz. 75. 6 Insofern kann die anteilige Zuordnung eines Wirtschaftsguts ggf. zu mehreren Betriebsstätten notwendig sein, vgl. 2010 OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.7.2010, Tz. 90. 7 Vgl. 2010 OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.7.2010, Tz. 87 f. 8 Vgl. 2010 OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments v. 22.7.2010, Tz. 83. 9 U. a. in Tz. 72 spricht der OECD-Report ausdrücklich von der Möglichkeit einer „joint economic ownership“. Im Gegensatz hierzu geht die deutsche Finanzverwaltung von einer eindeutigen Zuordnung aus. 10 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 10. 11 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 20.

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Aus der Bestimmung der maßgeblichen Personalfunktion und der Zuordnung der Wirtschaftsgüter nach dem Grundsatz des wirtschaftlichen Eigentums folgt auch die Zuordnung der mit der ausgeübten Funktion bzw. dem zugeordneten Wirtschaftsgut einhergehenden Risiken und Chancen, denn eine rechtliche Zuordnung zwischen den einzelnen Betriebsstätten ist nicht möglich.

IV. Allokiertes Eigenkapital Auf der Passivseite stellt sich als zentrale Frage die Zuordnung von Eigenkapital („free“ capital)12 und damit der steuerlichen Abziehbarkeit von Kapitalkosten. Hierbei geht die OECD zunächst von der Hypothese aus, dass innerhalb eines rechtlich einheitlichen Unternehmens alle Betriebsstätten die gleiche Kreditwürdigkeit haben.13 Denn dadurch, dass ein Kredit von einem externen Kreditgeber an eine Betriebsstätte innerhalb eines Unternehmens vergeben wird, kann die Haftung nicht auf das betreffende Betriebsstättenvermögen beschränkt werden, sondern letztlich haftet das gesamte Unternehmensvermögen. Deshalb sind die der einzelnen Betriebsstätte zuzuordnenden Fremdkapitalkosten auf die tatsächlich angefallenen beschränkt und keine fiktiven Zins- bzw. Garantiekosten nach Maßgabe einer isolierten Kreditwürdigkeitsprüfung für die einzelne Betriebsstätte anzusetzen.14 Nach dem AOA ist der Betriebsstätte das Eigenkapital zuzuordnen, das für die von ihr ausgeübten Funktionen und ihr zugeordneten Risiken und Wirtschaftsgüter notwendig ist.15 Während bei Finanzunternehmen die mit der Kreditvergabe einhergehenden Risiken im Vordergrund stehen, können bei anderen Unternehmen der Wert der Wirtschaftsgüter oder die Risiken, die sich aus der Wirtschaftstätigkeit ergeben, ein geeigneter Maßstab sein. Ausgehend von dem Grundsatz der Eigenkapitalzuordnung nach den konkreten Umständen des Einzelfalles hält der AOA aus praktischen _____________ 12 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 115. 13 Ausnahmen können bei Finanzunternehmen aufgrund von besonderen regulatorischen Regeln bestehen, vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 103 mit Hinweis auf Teile II und III des OECD-Reports. 14 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 100 ff. 15 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 107.

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Erwägungen und je nach den tatsächlichen Verhältnissen die folgenden Methoden für zulässig: – Kapitalaufteilungsmethode („Capital Allocation Approach“):16 Bei dieser Methode wird das Eigenkapital des Gesamtunternehmens den einzelnen Betriebsstätten nach Maßgabe der ihnen jeweils zugeordneten Wirtschaftsgüter und Risiken zugerechnet. Die Methode ist in erster Linie vermögensbasiert und kann als funktions- und risikobereinigte Kapitalspiegelmethode bezeichnet werden, denn sie berücksichtigt neben der reinen Vermögenszuordnung auch unterschiedliche Funktions- und Risikostrukturen der einzelnen Betriebsstätten. Sie eignet sich vor allem dort, wo Funktions- und/oder Risikounterschiede von untergeordneter Bedeutung sind. Ggf. kann solchen Unterschieden auch bei der Bewertung des Vermögens, das der Kapitalaufteilung zugrunde gelegt wird, Rechnung getragen werden, indem nicht die Bilanzwerte, sondern die Marktwerte der Wirtschaftsgüter herangezogen werden. So können insbesondere auch Funktions- und Risikoannahmen berücksichtigt werden, die den Wert immaterieller Wirtschaftsgüter bestimmen. – Risikokapitalmethode („Economic Capital Approach“):17 Diese Methode eignet sich insbesondere für Banken und andere Unternehmen aus dem Finanzsektor, bei denen das Vermögen vorrangig risikoorientiert ist und die deshalb ein entwickeltes System zur Risikomessung zur Verfügung haben. Außerhalb des Finanzsektors dürfte diese Methode eher selten anwendbar sein. – Kapitalstrukturmethode („Thin Capitalization Approach“):18 Während man mit der Kapitalaufteilungsmethode versucht, das vorhandene Eigenkapital des Unternehmens direkt den einzelnen Betriebsstätten zuzuordnen, werden bei der Kapitalstrukturmethode unabhängige Vergleichsunternehmen zur Bestimmung des Gesamtkapitalbedarfs der jeweiligen Betriebsstätte herangezogen. In einem zweiten Schritt kann dann das notwendige Eigenkapital durch Anwendung beobachteter Eigenkapitalquoten bei den herangezogenen Vergleichsunternehmen bestimmt werden. Dabei kann auf die im jeweiligen Markt der Betriebsstätte gelegenen Unternehmen abgestellt werden, um so spezifische Unterschiede in den einzelnen relevanten Märkten zu berücksichtigen. Da sich diese Methode in erster Linie an _____________ 16 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 121 ff. 17 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 128. 18 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 129.

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Fremddaten orientiert, kann die Summe der so ermittelten Eigenkapitalien aller Betriebsstätten vom Eigenkapital des Gesamtunternehmens abweichen. Ggf. sind in einem dritten Schritt entsprechende Anpassungen durchzuführen, um sicherzustellen, dass insgesamt kein höheres als das vorhandene Eigenkapital zugeordnet wird. – Regulatorisches Mindestkapital („Safe Harbour Approach – Quasi Thin Capitalisation/Regulatory Minimum Capital Approach“): Diese Methode kann bei Unternehmen des Finanz- und Versicherungssektors angewandt werden. Für diese Bereiche bestehen in vielen Ländern aufsichtsrechtliche Vorgaben für die Mindestausstattung mit Eigenkapital. Diese können hilfsweise als Nichtbeanstandungsgrenzen herangezogen werden. Der AOA geht davon aus, dass grundsätzlich jeder Betriebsstätte ein positives Eigenkapital zuzuordnen ist. Ist das Gesamtunternehmen selbst unterkapitalisiert und handelt es sich dabei um ein abhängiges Unternehmen, so kann es notwendig sein, zunächst das Eigenkapital des Unternehmens insgesamt auf ein angemessenes Niveau anzupassen. Hat die Unterkapitalisierung wirtschaftliche Ursachen, etwa als Folge von Verlusten, ist dies auch bei der Zuordnung zu den einzelnen Betriebsstätten zu berücksichtigen. Dabei können einzelne Betriebsstätten ein positives Eigenkapital ausweisen, während andere aufgrund konkreter Umstände negatives Eigenkapital ausweisen.19 Schließlich sind auch Fälle denkbar, bei denen sich das Fremdkapital der Betriebsstätte unmittelbar aus mit ihrem Geschäft verbundenen Verbindlichkeiten und Risiken ergibt, etwa wenn bei einer Dienstleistungsbetriebsstätte Pensionsrückstellungen für deren Personal zu bilden sind, die die zuordenbaren Aktiva übersteigen. M. E. sind in solchen Fällen die durch den Betrieb der einzelnen Betriebsstätte unmittelbar verursachten Verpflichtungen – insbesondere Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen und Rückstellungen – vorrangig zuzuordnen, während hinsichtlich der zinspflichtigen Finanzverbindlichkeiten eine Zuordnung nach den o. g. Grundsätzen durchzuführen ist. Für die Zuordnung der Zinsaufwendungen sieht der AOA im Wesentlichen drei Methoden vor:20 – Interne Finanztransaktion („Treasury Dealing“): Interne Finanztransaktionen zwischen Betriebsstätten werden ausnahmsweise dann an_____________ 19 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 145. 20 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 152 ff.

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erkannt, wenn diese mit einer Betriebsstätte stattfinden, deren Zweck dem einer Finanzierungsgesellschaft oder eines Cash Pools entspricht. In solchen Fällen lässt der AOA zu, dass die Finanzierungsbetriebsstätte eine Vergütung für ihre Funktion in Form einer Zinsmarge erhält, vorausgesetzt, dass echte Finanzierungsfunktionen wahrgenommen werden, die über das bloße Weiterreichen von extern aufgenommenen Krediten an andere Betriebsstätten hinausgehen. Außerdem ist wegen der Annahme einheitlicher Kreditwürdigkeit keine Marge zulässig, die auf unterschiedliche Kreditwürdigkeit zurückzuführen ist.21 – Direkte Zinszuordnung („Tracing Approach“): Bei dieser Methode wird der Zinsaufwand für die der Betriebsstätte zugeordneten verzinslichen Verbindlichkeiten unmittelbar der Betriebsstätte zugerechnet. Diese Methode setzt eine individuelle Zuordnung von konkreten Verbindlichkeiten zu der jeweiligen Betriebsstätte voraus. – Indirekte Zinszuordnung („Fungibility Approach“): Im Gegensatz zur direkten hebt die indirekte Zinszuordnung nicht auf konkret zugeordnete Verbindlichkeiten ab, sondern allokiert den durchschnittlichen Zinsaufwand. Dieser ermittelt sich als Quotient von gesamtem Zinsaufwand und Gesamtbetrag der verzinslichen Verbindlichkeiten. Daneben sind auch Mischmethoden vorstellbar, etwa die Anwendung der direkten Methode für strukturierte Darlehen, während für die laufenden Verbindlichkeiten die indirekte Methode angewandt wird.

V. Interne „Dealings“ Die wesentliche Änderung des AOA zur bisherigen Gewinnzuordnung nach Art. 7 OECD-MA ist, dass nunmehr ausdrücklich und umfassend interne Transaktionen („Dealings“) zwischen Betriebsstätten eines einheitlichen Unternehmens zu Fremdvergleichspreisen anerkannt werden. Sie kommen immer dann zur Anwendung, wenn Liefer- und Leistungsbeziehungen zwischen Betriebsstätten bestehen. Während bisher schon Überführungen von Wirtschaftsgütern zwischen Betriebsstätten nach den Grundsätzen des Fremdvergleichs anerkannt und gefordert waren,22 wurden diese Grundsätze nur eingeschränkt auf Dienstleistungen ausgedehnt, nämlich auf solche Dienstleistungen, welche die Haupt_____________ 21 Vgl. OECD-MK, Art. 5 Tz. 159 ff. 22 Vgl. OECD-MK 2008, Art. 7 Tz. 14.

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tätigkeit einer Betriebsstätte darstellten. Andere Dienstleistungen für allgemeines Management und Verwaltung waren nur mit ihrem tatsächlichen Aufwand zuordenbar.23 Auf die Überlassung von Wirtschaftsgütern dagegen wurde der Fremdvergleichsgrundsatz ebenfalls nicht angewandt.24 Nach dem AOA sind grundsätzlich alle internen Leistungen zwischen Betriebsstätten mit dem Fremdvergleichspreis abzurechnen. Hiervon gibt es nur noch in sehr beschränktem Umfang Ausnahmen, nämlich für die Überlassung von Fremdkapital (hier gilt der Grundsatz der Risikogemeinschaft, wonach nicht die einzelne Betriebsstätte für das ihr zugeordnete Fremdkapital, sondern das Gesamtunternehmen für alle Schulden haftet, es sei denn, dies geschieht, wie oben unter IV. ausgeführt, durch eine Finanzierungsbetriebsstätte) und in den Fällen, in denen auch zwischen fremden Dritten eine bloße Kostenverteilung anzunehmen wäre, also in Fällen der Kostenumlage.25 Wegen der fehlenden Möglichkeit, Verträge zwischen einzelnen Unternehmensteilen abschließen zu können, müssen interne Dealings ausschließlich nach tatsächlichen Gegebenheiten beurteilt werden. Damit kommt der Sachverhaltsdokumentation sowie der Dokumentation des unternehmerischen Willens eine besondere Bedeutung zu.26 Die bisherige Regelung in Art. 7 Abs. 3 OECD-MA zur Zuordnung von Aufwendungen zur Betriebsstätte wurde gestrichen. Sie war nach Auffassung der OECD überflüssig und hatte in der Vergangenheit z. T. zu Missverständnissen bezüglich der Anwendung des Fremdvergleichspreises geführt.27 Schließlich ist festzustellen, dass die Anerkennung interner Dealings nach dem AOA sich auf die Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten beschränkt und nicht zu einer Umqualifizierung von Einkünften nach anderen Artikeln des OECD-MA führt. So führt beispielsweise die Gewinnzuordnung aus der Nutzung eines immateriellen Wirtschaftsguts durch die Betriebsstätte unter Zugrundelegung einer fremdüblichen Lizenzvergütung nicht dazu, dass hinsichtlich dieses Betrags eine _____________ 23 24 25 26 27

Vgl. OECD-MK 2008, Art. 7 Tz. 36 ff. Vgl. ausdrücklich für immaterielle Wirtschaftsgüter OECD-MK 2008, Art. 7 Tz. 34. Vgl. OECD-Report 2010, Tz. 211 ff. Vgl. OECD-MK 2010, Tz. 25 f. Vgl. OECD-MK 2008, Tz. 29.

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Lizenzzahlung vorliegt, für die der Betriebsstättenstaat ein Quellenbesteuerungsrecht nach Art. 12 OECD-MA hat.28

C. Gegenberichtigung Völlig neu wurde in Art. 7 Abs. 3 OECD-MA eine eigenständige Regelung für Gegenberichtigungen bei Betriebsstättengewinnen nach dem Vorbild von Art. 9 Abs. 2 OECD-MA eingeführt. Die OECD war der Auffassung, dass eine solche Vorschrift notwendig sei, um die Doppelbesteuerung aufgrund abweichender Gewinnzurechnung effektiv zu vermeiden. Die bisher bestehenden Möglichkeiten eines Verständigungsoder Schiedsverfahrens wurden als nicht ausreichend angesehen. Voraussetzung für die Anwendung der Vorschrift ist, dass der vom Steuerpflichtigen ermittelte und erklärte Betriebsstättengewinn entweder vom Betriebsstätten- oder vom Ansässigkeitsstaat berichtigt wurde. Die Berichtigung muss dabei abkommenskonform, d. h. in Anwendung der Grundsätze des Art. 7 Abs. 1 und 2 OECD-MA erfolgen. In diesem Fall hat der andere Staat die Berichtigung zu übernehmen und korrespondierend bei seiner Besteuerung zu berücksichtigen, soweit dies zur Vermeidung der Doppelbesteuerung notwendig ist. Gegen die zwangsläufige Gegenberichtigung durch den anderen Staat wurden Bedenken erhoben. Deshalb schlägt die OECD eine Alternativformulierung für den Fall zu, dass der andere Staat der Berichtigung durch den ersten Staat nicht zustimmt. In diesem Fall werden die Staaten verpflichtet, die Doppelbesteuerung im Rahmen eines Verständigungsverfahrens zu vermeiden.29 Deutschland verwendet in seinen neueren DBA die Alternativformulierung.30 Gleichwohl ist auch der Anwendungsbereich von Abs. 3 in der Grundfassung in der Praxis begrenzt. Denn lehnt der andere Staat die Berichtigung als nicht abkommenskonform ab, bleibt ebenfalls nur, ein Verständigungsverfahren herbeizuführen, dann allerdings nicht mit dem Zwang zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Damit wird sich in vielen Fällen die Diskussion um die Anwendung von Abs. 3 zwischen den betroffenen Staaten darauf bezie_____________ 28 Vgl. OECD-MK 2010, Tz. 28; Tz. 29 lässt jedoch ausdrücklich abweichende Abkommenstexte zwischen Staaten zu, sodass dadurch im Einzelfall die Umqualifizierung möglich ist. 29 Vgl. OECD-MK 2010, Tz. 68. 30 Vgl. jeweils Art. 7 Abs. 3 der unterzeichneten, aber noch nicht in Kraft getretenen DBA mit Luxemburg v. 23.4.2012, Niederlande v. 12.4.2012 und Liechtenstein v. 17.11.2011.

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hen, dass die von einem Staat vorgenommene Grenzberichtigung vom anderen Staat als nicht nach Art. 7 Abs. 2 OECD-MA fremdvergleichskonform abgelehnt wird. Damit bietet Abs. 3 entgegen seinem ersten Anschein keine wirksame Verhinderung von Doppelbesteuerung aufgrund unterschiedlicher Gewinnabgrenzung. Es ist sogar festzustellen, dass insoweit die Alternativformulierung das schärfere Schwert ist, verpflichtet sie doch die Staaten, die Vermeidung der Doppelbesteuerung im Rahmen eines Verständigungsverfahrens herbeizuführen.31 Beispiel: Im Zuge einer Produktionsverlagerung überträgt das Stammhaus neben Sachanlagevermögen auch die ausschließliche Nutzung bestimmter Patente, des Produkt- und Fertigungs-Know-hows sowie den Vertrieb für eine bestimmte Produktlinie auf eine ausländische Betriebsstätte. Der Steuerpflichtige bucht als Übertragungsgewinn 100 GE. Dieser Wert entspricht dem Mittelwert einer Bandbreite von 80 bis 120 GE aus einem extern angefertigten Bewertungsgutachten. Der Betriebsstättenstaat hält maximal 120 GE für fremdüblich, während der Ansässigkeitsstaat von einer Funktionsverlagerung ausgeht, die mit mindestens 150 GE zu bewerten sei.

Der Betriebsstättenstaat hat nach dem dargestellten Sachverhalt keinen Grund zu berichtigen. Berichtigt der Ansässigkeitsstaat auf 150 GE, so stellt sich die Frage, ob der Betriebsstättenstaat zur Gegenberichtigung verpflichtet ist. Die Antwort hängt entscheidend davon ab, ob die Bewertung als Funktionsverlagerung mit dem Fremdvergleichsgrundsatz nach Abs. 2 vereinbar ist. Ist sie dies nicht, dann hat der Betriebsstättenstaat keine Veranlassung zur Gegenberichtigung nach Abs. 3 in der Grundfassung. Allerdings wäre zu fragen, ob der Betriebsstättenstaat nicht verpflichtet ist, zumindest bis zur oberen Grenze des von ihm als zulässig betrachteten Wertes, d. h. auf 120 GE gegenzuberichtigen. M. E. ergibt sich aus dem Zweck der Vorschrift eine solche Verpflichtung, denn sie ist geeignet, das Ausmaß der Doppelbesteuerung zu verringern. Der Steuerpflichtige kann allerdings dann hinsichtlich der verbleibenden Differenz von 30 GE ein Verständigungsverfahren initiieren, dessen Ausgang aber nicht zwingend die Doppelbesteuerung vermeidet. In der Alternativfassung, wie sie von Deutschland verwandt wird, hätten beide Staaten ein Verständigungsverfahren einzuleiten und müssten sich auf einen Wert einigen. _____________ 31 Die Formulierung des 2. Halbsatzes von Art. 7 Abs. 3 in der Alternativformulierung lautet: „… if the other Contracting State does not so agree, the Contracting States shall eliminate any double taxation resulting therefrom by mutual agreement.“

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Hätte der Betriebsstättenstaat im o. g. Beispiel einen Angemessenheitsbereich zwischen 70 und 90 GE festgestellt und den Überführungswert auf 80 GE (Mittelwert von 70 und 90 GE) berichtigt, während der Ansässigkeitsstaat die im Gutachten genannte Bandbreite akzeptiert, so müsste Letzterer unter Anwendung von Abs. 3 eine Gegenberichtigung auf 80 GE durchführen. Hält der Ansässigkeitsstaat allerdings nur eine Bandbreite von 90 bis 120 GE für zulässig, so ist er nur verpflichtet, an den unteren Rand der von ihm akzeptierten Bandbreite gegenzuberichtigen, um insoweit die Doppelbesteuerung zu vermeiden. Es wäre dann Sache des Betriebsstättenstaates, an den oberen Rand seiner Bandbreite zu gehen, um so die drohende Doppelbesteuerung zu vermeiden.

D. Auswirkungen auf die deutsche Rechtspraxis I. Status quo Im deutschen Steuerrecht gab es bis zur Einführung des SEStEG im Jahr 2006 keine gesetzliche Grundlage für die Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätte. Die Finanzverwaltung hatte ihre Auffassung in einem umfangreichen Schreiben, dem sogenannten Betriebsstättenerlass dargelegt.32 Darin wurde die Zuordnung der Wirtschaftsgüter, ähnlich dem AOA, nach der wirtschaftlichen Zugehörigkeit geregelt, allerdings mit der Einschränkung, dass für Finanzmittel und Beteiligungen der Vorrang des Stammhauses postuliert wurde.33 Bezüglich der Überführung von Wirtschaftsgütern zwischen Stammhaus und Betriebsstätte folgte der Erlass der finalen Entnahmetheorie. Danach ist eine Entstrickung immer dann notwendig, wenn ansonsten die stillen Reserven der Besteuerung entzogen würden. Unterschieden wurde danach, ob vom inländischen Stammhaus in die ausländische Betriebsstätte oder von der inländischen Betriebsstätte ins ausländische Stammhaus überführt wurde. Im ersten Fall war nur dann zu entstricken, wenn das Wirtschaftsgut in eine Freistellungsbetriebsstätte überführt wurde. Gegebenenfalls konnte der Entstrickungsgewinn bis zu seiner tatsächlichen Realisierung _____________ 32 Grundsätze der Verwaltung für die Prüfung der Aufteilung der Einkünfte bei Betriebsstätten international tätiger Unternehmen (Betriebsstätten-Verwaltungsgrundsätze) v. 24.12.1999, BStBl. I 1999, 1076; BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888. 33 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.4.

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aufgeschoben werden.34 Im letzteren Fall war ein Aufschub nicht erlaubt.35 Als Entstrickungsmaßstab galt jedoch nicht, wie in § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG für Entnahmen vorgesehen, der Teilwert, sondern der Fremdvergleichspreis. Interne Dienstleistungen waren nur dann mit dem Fremdvergleichspreis abzurechnen, wenn die Erbringung von Dienstleistungen die Haupttätigkeit der Betriebsstätte darstellte,36 was in vielen Fällen zur reinen Aufwandsverrechnung führte. Die Verrechnung interner Zinsen und Nutzungsgebühren war nicht erlaubt.37 Die Rechtsprechung hatte bezüglich der Zuordnung von Finanzmitteln, Beteiligungen und immateriellen Wirtschaftsgütern ebenfalls eine restriktive Haltung eingenommen und dies aus den Betriebsstättenvorbehalten der Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 3 OECD-MA abgeleitet.38 Danach muss das Wirtschaftsgut „tatsächlich“ zur Betriebsstätte gehören. Bezüglich der Entstrickung bei Überführung von Wirtschaftsgütern hat der BFH in seinen Urteilen vom 17.7.200839 und vom 28.10.200940 die früher von ihm vertretene sogenannte „finale Entnahmetheorie“ aufgegeben und entschieden, dass mit der Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte der bis zu diesem Zeitpunkt erwirtschaftete Gewinn, soweit er später tatsächlich im Ausland realisiert wird, der inländischen Besteuerung verhaftet bleibt. Damit findet im Realisierungszeitpunkt eine nachträgliche Besteuerung des auf die überführte inländische Einheit anteilig entfallenden Gewinns statt. Mit dem SEStEG 201041 wurde ab 2006 die finale Entnahme im EStG verankert. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG steht einer Entnahme gleich, wenn das Besteuerungsrecht Deutschlands hinsichtlich des Veräußerungsgewinns oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. „Klarstellend“ wurde Satz 4 durch das JStG42 hinzugefügt, wonach dies jedenfalls dann gelten soll, wenn ein bisher _____________ 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.1. Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.6.4. Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888, Tz. 3.1.2. Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888, Tz. 2.2 und 3.3, mit einer Ausnahme für Banken vgl. Tz. 4.1.4. Vgl. Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 Anm. 271 f. mit Hinweisen auf Rechtsprechung. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 (keine finale Entnahme). BFH v. 28.10.2009 – I R 99/08, IStR 2010, 98 (keine finale Betriebsaufgabe). V. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782. V. 8.12.2010, BGBl. I 2010, 1768.

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Roth – Änderung des Art. 7 OECD-MA und die Betriebsstättengewinnermittlung

einer inländischen Betriebsstätte zugeordnetes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zugeordnet wird. Die Ergänzung verfolgte den Zweck, Zweifel auszuräumen, die an der Wirksamkeit des Satzes 3 im Hinblick auf das Urteil des BFH vom 17.7.2008 aufgekommen waren. Es bestand nämlich die Gefahr, dass die Entstrickungsregel leergelaufen wäre, da nach der Urteilsbegründung ja das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland gerade nicht durch die Überführung des Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt sei.43 Zu bewerten sind die Entstrickungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbsatz 2 EStG mit dem gemeinen Wert. Die Möglichkeit des Besteuerungsaufschubs44 wurde gegenüber der Regelung im Betriebsstättenerlass sachlich und zeitlich wesentlich eingeschränkt. Bei der gesetzlichen Neufassung fällt auf, dass der Bereich der internen Dienstleistungen von der Entstrickung nicht erfasst ist. Nach Auffassung der Finanzverwaltung sollen insoweit die Grundsätze des Betriebsstättenerlasses fortgelten.45 Allerdings bestehen hieran durchaus Zweifel, denn der Gesetzgeber wollte seinerzeit eine rechtssichere Grundlage für die Entstrickung schaffen und hatte in Kenntnis der rechtlichen Diskussion darauf verzichtet, interne Dienstleistungen ebenfalls in den Regelungsbereich der Entstrickungsvorschrift aufzunehmen.46 In der Synopse von AOA und deutschem Recht ergibt sich folgendes Bild: Sachverhalt

Art. 7

Deutsches Recht

Zuordnung von Wirtschaftsgütern und Verbindlichkeiten

Funktions- und Risikoanalyse

dito; zusätzlich: Zentralfunktion des Stammhauses

Überführung von Wirtschaftsgütern

Fair Market Value

Gemeiner Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbs. 2 EStG)

_____________ 43 Vgl. hierzu Ditz, IStR 2009, 115; Prinz, DB 2009, 807; Roser, DStR 2009, 2389; Wassermeyer, DB 2006, 1176. 44 Vgl. § 4g EStG i. d. F. des SEStEG. 45 Vgl. BMF v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004, BStBl. I 2009, 888. 46 Vgl. Roth in Herrmann/Heuer/Raupach, § 49 EStG Anm. 323.

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Roth – Änderung des Art. 7 OECD-MA und die Betriebsstättengewinnermittlung Sachverhalt

Art. 7

Deutsches Recht

Interne Dienstleistungen

Fair Market Value

BS-Erlass: Fremdvergleichspreis, wenn Hauptzweck der Betriebsstätte; sonst tatsächlicher Aufwand SEStEG: Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG)

Interne Lizenzen

Fair Market Value

Tatsächlicher Aufwand

Interne Zinsen

Tatsächlicher Aufwand; Ausnahme bei Finanzierungsbetriebsstätten

Tatsächlicher Aufwand; Ausnahme bei Banken

Interne Nutzungsüberlassung

Fair Market Value

Gemeiner Wert (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 Halbs. 2 EStG)

Indirekte Methode

Nicht zulässig

Zulässig

Zeitpunkt der Gewinnrealisierung

Nicht ausdrücklich geregelt, aber sofortige Realisierung unterstellt

Sofort; ggf. aufgeschoben nach § 4g EStG

II. Beispiele Zur Verdeutlichung der Unterschiede sollen die folgenden Beispiele dienen: Beispiel 1: Überführung eines Wirtschaftsguts Vom inländischen Stammhaus gefertigte Teile werden in das niederländische Ersatzteilzentrum verbracht, wo sie eingelagert und bei Bedarf an Kunden veräußert werden. Herstellungskosten zzgl. Fracht seien 80, der Fremdvergleichspreis sei 95 und der Verkaufspreis 100. Tatsächlich kann die Ware im Folgejahr nur für 85 verkauft werden; der zu diesem Zeitpunkt festgestellte Fremdvergleichspreis sinkt entsprechend auf 80.

Nach der Rechtsprechung des BFH erfolgt die Gewinnzurechnung zum Stammhaus erst im Zeitpunkt der Veräußerung und zu den dann herrschenden Verhältnissen; das Stammhaus weist einen Gewinn in Höhe von Null aus. Nach SEStEG erfolgt die sofortige Gewinnzurechnung bei Verbringung; das Stammhaus weist in diesem Fall 15 als Gewinn aus; ein Besteuerungsaufschub nach § 4g EStG kommt für Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens nicht in Betracht. Nach dem OECD-MA 2010 ist der Gewinn nach den Verhältnissen des Verbringungszeitpunkts, d. h. in Höhe von 15 für das Stammhaus zu ermitteln. Das MA enthält aller105

Roth – Änderung des Art. 7 OECD-MA und die Betriebsstättengewinnermittlung

dings keine Aussage zum Besteuerungszeitpunkt. Dieser bleibt der nationalen Regelung vorbehalten und ist nach SEStEG der Zeitpunkt der Überführung. Beispiel 2: Interne Dienstleistung Das inländische Stammhaus, dessen wesentliche Funktionen die Produktion, der Inlandsvertrieb und die Zentralverwaltung sind, erbringt u. a. administrative Dienstleistungen (Buchführung, Rechnungsprüfung, Finanzberichte und -analysen, Auftragsabwicklung) für sämtliche in- und ausländischen Verkaufsniederlassungen.

Nach dem Betriebsstättenerlass erfolgt die Aufwandszuordnung ohne Gewinnaufschlag, da es sich bei den Leistungen nicht um die Haupttätigkeit des Stammhauses handelt. Durch das SEStEG ist insofern keine Änderung eingetreten. Dies gilt auch für das OECD-MA 1977. Nach dem OECD-Report 2010 sind die internen Leistungen grundsätzlich mit dem Fremdvergleichspreis anzusetzen, soweit eine Kostenumlage nicht möglich ist.47 Abwandlung: Die Leistungen werden von einer inländischen Shared Services BS erbracht.

In diesem Fall sieht der Betriebsstättenerlass die Abrechnung zum Fremdvergleichspreis vor, da es sich um die Haupttätigkeit der Betriebsstätte handelt. Ab Geltung des SEStEG sind diese Leistungen m. E. jedoch nach tatsächlich angefallenem Aufwand abzurechnen, da interne Dienstleistungen nicht von der Entstrickungsnorm des § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG erfasst sind. Beispiel 3: Interne Nutzungsüberlassung Das inländische Stammhaus überlässt einer ausländischen Betriebsstätte Know-how und Patente für die Produktion bestimmter, im Stammhaus ebenfalls hergestellter Produkte. Entwicklungsaufwand für das Know-how fällt im Überlassungszeitraum nicht mehr an. Für die Aufrechterhaltung der Patente fallen laufende Gebühren an.

Nach dem Betriebsstättenerlass sind die angefallenen Aufwendungen der Betriebsstätte zuzuordnen. Da für das Know-how und die Patente die wesentlichen Aufwendungen bereits in früheren Perioden angefallen waren, stellt sich jedoch die Frage, in welchem Umfang überhaupt noch Aufwendungen der Betriebsstätte zugeordnet werden können. Nach der _____________ 47 OECD Report on the Attribution of Profits to Permanent Establishments of 22 July 2010, Tz. 119.

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Roth – Änderung des Art. 7 OECD-MA und die Betriebsstättengewinnermittlung

Rechtsprechung des BFH können Aufwendungen nur in dem Geschäftsjahr zugeordnet werden, in dem sie tatsächlich anfallen.48 Somit können lediglich die laufenden Kosten für die Aufrechterhaltung der Patente anteilig der Betriebsstätte zugeordnet werden. In der Literatur wird zur Lösung des Problems u. a. vorgeschlagen, nicht die Aufwendungen als solche, sondern entsprechende Erträge aufgrund der vorzeitigen Verursachung dem Stammhaus zuzuordnen.49 Nach dem SEStEG ist die Nutzung der immateriellen Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte zum gemeinen Wert zuzuordnen. Nach dem OECD-MK 2010 ist die Überlassung von immateriellen Wirtschaftsgütern als ein klassischer Fall eines „internal dealing“ mit dem Fremdvergleichspreis abzurechnen, während bis dahin nur eine reine Aufwandszuordnung möglich war.50 Beispiel 4: Internes Darlehen Die inländische Betriebsstätte eines US-Konzerns benötigt für Investitionen 1 Mio. Euro zusätzliches Kapital. Das Dotationskapital sei angemessen und die Zuordnung von zusätzlichem Eigenkapital („free capital“) nicht notwendig. Eine für das Cash Management des Konzerns zuständige Betriebsstätte in den Niederlanden stellt der inländischen Betriebsstätte ein internes Darlehen zu einem fremdüblichen Zins (5 %) zur Verfügung. Die Cash-ManagementBetriebsstätte hat ein EK:FK-Verhältnis von 1:1 und nachgewiesene Zinsbelastungen auf das FK in Höhe von 4,5 %.

Nach dem Betriebsstättenerlass waren die tatsächlich bei der CashManagement-Betriebsstätte angefallenen Zinsaufwendungen der deutschen Betriebsstätte nur anteilig zuzurechnen. Dies entspricht einem Zinsaufwand von 4,5 % auf den halben Betrag, d. h. effektiv 2,25 %. Durch das SEStEG hat sich insoweit nichts geändert – allenfalls wäre zu prüfen, ob nicht ggf. die Zinsschranke nach § 4h EStG eintritt. Nach dem OECD-MK 2010 ist die Zurverfügungstellung des Kapitals als Darlehen anzuerkennen, da die Cash Management-Betriebstätte eine Finanzierungsfunktion erfüllt; es ist mithin der Fremdvergleichszinssatz in Höhe von 5 % für den gesamten Betrag anzusetzen.

III. Regelungsbedarf Es ist festzuhalten, dass die derzeitige Rechtslage zur grenzüberschreitenden Gewinnabgrenzung zwischen Stammhaus und Betriebsstätten _____________ 48 Vgl. BFH v. 20.7.88 – I R 49/84, BStBl. II 1989, 140. 49 Vgl. insbes. Wassermeyer, DB 2006, 2420. 50 Vgl. OECD-MK 2008, Art. 7 Tz. 34.

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eines Unternehmens lückenhaft und unbefriedigend ist. Deshalb tut eine systematisch saubere und umfassende gesetzliche Regelung not. Nach Veröffentlichung des AOA hatten Vertreter des Bundesfinanzministeriums verlauten lassen, dass Deutschland beabsichtige, den AOA in nationales Recht umzusetzen. Hierzu ist im Rahmen eines Referentenentwurfs zum JStG 2013 vom 5.3.2012 zwischenzeitlich ein Vorschlag gemacht worden. Danach soll § 1 AStG um einen neuen Abs. 5 erweitert werden, in dem die Grundsätze des AOA wiedergegeben sind. Allerdings erscheint § 1 AStG systematisch als der falsche Platz, da es nicht um Gewinnberichtigung, sondern um eine Rechtsgrundlage für die Ermittlung eines Betriebsstättengewinns und damit um eine Gewinnermittlungsvorschrift geht. Aus meiner Sicht wäre der systematisch bessere Platz bei den §§ 4 ff. EStG. Zumindest sind Inkonsistenzen und Konkurrenzen mit den derzeitigen Regelungen in § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 8 sowie § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG bzw. § 12 Abs. 1 Satz 2 KStG zu befürchten, solange diese nicht entsprechend angepasst werden. Auch wurden im Schrifttum erste Analysen des Referentenentwurfs veröffentlicht und auf technische, aber auch systematische Mängel hingewiesen.51

_____________ 51 Vgl. Wassermeyer, IStR 2012, 277–282; Wilke, IWB 2012, 271–275.

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Aktuelles zur Betriebsstättendefinition auf Ebene der OECD und in der Rechtsprechung Dr. Xaver Ditz Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 B. Begriff der Betriebsstätte im Spiegel jüngerer Entwicklungen auf Ebene der OECD . . . . . . . . . . 110 I. Überblick zu Art. 5 OECD-MA 110 II. Bedeutung des OECD-MK als bloße Auslegungshilfe . . . . . . 112 III. Ausweitung des Betriebsstättenbegriffes im Zuge des OECD-MK 2005 . . . . . . . . . . . 114 IV. Fortentwicklung der Dienstleistungsbetriebsstätte im OECD-MK 2008 . . . . . . . . . . . 116 C. Geplante Anpassungen des OECD-MK bis 2014 . . . . . . . . . . I. Überblick zur geplanten Neukommentierung des Betriebsstättenbegriffes . . . . . . . . . . . . II. Klärung von Einzelfragen zur (unechten) Dienstleistungsbetriebsstätte . . . . . . . . . . . . . III. Betriebsstättenbegründung durch Einschaltung von Subunternehmern . . . . . . . . . . . .

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122

IV. Zeitliche Anforderungen an die Existenz einer Betriebsstätte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bau- und Montagebetriebsstätten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Totaldelegation an Subunternehmer . . . . . . . . . . . . 2. Präzisierung der 12-Monats-Frist . . . . . . . . . VI. Behebung von Zweifelsfragen bei Vertreterbetriebsstätten . . VII. Klarstellungen im Bereich der Hilfsbetriebsstätten . . . . . D. Aktuelle Rechtsprechung des BFH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bloßes Tätigwerden in Räumlichkeiten eines Vertragspartners begründet keine Betriebsstätte (BFH vom 4.6.2008) . . . II. Betriebsstätte durch Einschaltung einer Managementgesellschaft (BFH vom 24.8.2011) . . . . . . . . . . . . . . . . III. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . .

123 125 125 125 126 128 129

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130 131

E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

A. Einführung Der abkommensrechtliche Betriebsstättenbegriff nimmt bei der Zuweisung von Besteuerungsrechten im grenzüberschreitenden Kontext eine geradezu tragende Rolle ein. Schließlich dürfen Gewinne eines in einem DBA-Staat ansässigen Unternehmens auf Grundlage des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA nur dann im anderen (Quellen-)Staat zur Besteuerung heran109

Ditz – Aktuelles zur Betriebsstättendefinition auf Ebene der OECD und in der Rspr.

gezogen werden, wenn das Unternehmen seine Tätigkeit durch eine dort belegene Betriebsstätte ausübt. Wenngleich der Wortlaut des Art. 5 OECD-MA selbst in der Vergangenheit weitgehend unangetastet blieb, wurde die Betriebsstättenschwelle durch mehrmalige Anpassungen des OECD-MK ständig abgesenkt und die Betriebsstättendefinition damit mehr und mehr aufgeweicht – eine Tendenz, die ihre Fortsetzung in der kürzlich publizierten Entwurfsfassung des OECD-MK 2014, aber auch in jüngeren Judikaten des BFH zu finden sein scheint. Neben eine zunehmend extensive Auslegung der Vertreterbetriebsstätte treten mittlerweile immer häufiger die in den DBA regelmäßig keine Reflektion findenden Begriffe der Dienstleistungs- sowie jüngst der Managementbetriebsstätte. Die steuerliche Gestaltungsberatung – aber auch grenzüberschreitend tätige Unternehmen – sehen sich somit in zunehmendem Ausmaß mit dem nicht akzeptablen Zustand konfrontiert, in Grenzfällen zuverlässige Aussagen zur Existenz einer Betriebsstätte mit all ihren steuerlichen Konsequenzen kaum mehr treffen zu können. Der nachfolgende Beitrag greift diese Problematik auf und will zunächst einen Überblick über die jüngeren Entwicklungen im Bereich des Art. 5 OECD-MA geben. Dabei sollen zum einen Schwerpunktbereiche der geplanten Neufassung des OECD-MK skizziert, auf der anderen Seite aber auch jüngere Entscheidungen des BFH einer kritischen Analyse unterzogen werden. Bereits an dieser Stelle kann vorweggenommen werden, dass die gegenwärtig (leider) bereits einen roten Faden zu erkennen gebende Tendenz hin zu einer weiter ausufernden Auslegung des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffes höchst bedenklich stimmt.

B. Begriff der Betriebsstätte im Spiegel jüngerer Entwicklungen auf Ebene der OECD I. Überblick zu Art. 5 OECD-MA Als Generaltatbestand definiert Art. 5 Abs. 1 OECD-MA eine Betriebsstätte als eine feste Geschäftseinrichtung, durch die die Tätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Aus dieser recht allgemein wirkenden Definition leitet der OECD-MK folgende, eine abkommensrechtliche Betriebsstätte prägende Voraussetzungen ab:1 _____________ 1 Vgl. nur Ditz, Internationale Gewinnabgrenzung bei Betriebsstätten, 2004, 26 ff.; Kahle/Ziegler, DStZ 2009, 841; Schnitger/Bildstein, Ubg 2008, 447.

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– feste Geschäftseinrichtung2, – Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen („at the disposal of“)3, – Ausübung der Unternehmenstätigkeit4. Im Betriebsstättenbegriff des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA manifestieren sich mithin die Präsenzanforderungen in zeitlicher, rechtlicher und örtlich-sachlicher Hinsicht. Zielsetzung ist dabei, dass eine unternehmerische Tätigkeit nach Möglichkeit erst dann im Quellenstaat der Besteuerung unterworfen werden soll, wenn sie dort zu einer intensiven geschäftlichen Bindung geführt hat und in jener Bindung ein gewisses Ausmaß an tatsächlicher „Verwurzelung“ am Ort der ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit zum Ausdruck kommt.5 Ein solches Verständnis des Betriebsstättenprinzips fußt auf dem Ursprungs- bzw. Quellenprinzip. Danach soll ein Staat diejenigen Einkünfte besteuern dürfen, die in seinem Hoheitsgebiet erwirtschaftet werden. Dadurch unterliegen die Betriebsstättengewinne dem gleichen Steuerniveau wie die der unmittelbaren ausländischen Mitbewerber, sodass im Rahmen der sog. Kapitalimportneutralität eine wettbewerbspolitische Gleichstellung der Betriebsstätten mit Wettbewerbsunternehmen in ihrem Quellenstaat hergestellt wird.6 Art. 5 Abs. 2 OECD-MA normiert – ähnlich wie § 12 Satz 2 AO – Regelbeispiele von sog. prima-facie-Betriebsstätten. Nach Auffassung der OECD ist der Katalog in Abs. 2 jedoch keineswegs als eigenständige und von Abs. 1 losgelöste Betriebsstättendefinition anzusehen, sondern auch er muss – soll die Existenz einer Betriebsstätte bejaht werden – an den allgemeinen Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA gemessen werden.7 Neben den in Art. 5 Abs. 3 OECD-MA definierten Bau- und Montagebetriebsstätten beschränkt Art. 5 Abs. 4 OECD-MA den Betriebsstät_____________ 2 3 4 5

Tz. 4 OECD-MK 2008. Tz. 4 OECD-MK 2008. Tz. 7 OECD-MK 2008. Vgl. Görl, StbJb 2004/2005, 81 (83); Eckl, IStR 2009, 510 (510); Hoor, IStR 2012, 17 (18); sowie auch judikativ aufgegriffen durch BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922. 6 Vgl. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, 19 ff. 7 Vgl. Tz. 12 OECD-MK 2008; Eckl, IStR 2009, 512; a. A. BFH v. 28.7.1993 – I R 15/93, BStBl. II 1994, 148; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 5 OECD-MA Rz. 61.

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Ditz – Aktuelles zur Betriebsstättendefinition auf Ebene der OECD und in der Rspr.

tenbegriff auf qualitativ und quantitativ bedeutsame Tätigkeiten.8 Im Übrigen normieren Art. 5 Abs. 5 und 6 OECD-MA die sog. Vertreterbetriebsstätte. Danach wird ein abhängiger Vertreter als Betriebsstätte eines Unternehmens behandelt, wenn er die Vollmacht besitzt, im Namen des Unternehmens Verträge abzuschließen und er diese Vollmacht gewöhnlich ausübt. Makler, Kommissionäre oder andere unabhängige Vertreter eignen sich demzufolge nicht, eine Vertreterbetriebsstätte zu begründen, wenn sie allein im Rahmen ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit handeln. Im Allgemeinen stellt Art. 5 Abs. 7 OECD-MA schließlich klar, dass ein Beherrschungsverhältnis zwischen Mutterund Tochterunternehmen als solches nicht zur Konsequenz hat, dass das (beherrschte) Tochterunternehmen eine Betriebsstätte ihres Mutterunternehmens begründet.9

II. Bedeutung des OECD-MK als bloße Auslegungshilfe Durch die am 27.9.1961 erfolgte Ratifizierung der OECD-Konvention hat Deutschland bestätigt, dass sie die Regelungen der OECD anerkennt. Diese reichen von bloßen „Erklärungen“ bis zu „bindenden Entscheidungen“.10 Der OECD-MK hat in diesem Zusammenhang den Status einer „Empfehlung“.11 Eine Empfehlung entfaltet nach Art. 18 lit. b der Verfahrensregeln der OECD v. 30.9.1961 keine rechtliche Bindungswirkung für die Vertragsstaaten. Sie ist lediglich den Mitgliedstaaten zur Prüfung vorzulegen, damit sie deren Durchführung veranlassen können, falls sie es für angebracht halten. Insofern ist der OECDMK streng von dem in innerstaatliches Recht transformierten Doppelbesteuerungsabkommen abzugrenzen. Der OECD-MK ist vielmehr als reine Interpretationshilfe im Sinne einer „Empfehlung“ der OECD anzusehen.12 Der OECD-MK ist zu keinem Zeitpunkt Gegenstand parla_____________ 8 Zu Einzelheiten vgl. Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2006, Rz. 4.12 ff. 9 Siehe ausführlich dazu Ditz, IStR 2010, 553 ff. 10 Vgl. Art. 5 lit. a OECD-Konvention i. V. m. Art. 18 lit. a und i OECD-Verfahrensregeln v. 30.9.1961. 11 Vgl. Art. 5 lit. b der OECD-Konvention i. V. m. Art. 18 lit. b OECD-Verfahrensregeln v. 30.9.1961; siehe insoweit auch die Empfehlung des OECD-Rates v. 10.10.1997 (OECD/C (97) 195/final): „Recommendation of Counsel concerning the Model Tax Convention on Income and on Capital“. 12 Vgl. auch Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 34.

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mentarischer Beratungen gewesen. Infolgedessen kann ihm keine normative Wirkung zukommen.13 Weiterhin ist zu beachten, dass die Mitglieder des OECD-Rates und des OECD-Finanzausschusses, welche die Änderungen des OECD-MK beschließen, von der Exekutive der OECD-Mitgliedstaaten entsandt werden. Den Mitgliedern dieser Organisation ist keine Kompetenz zur Rechtssetzung mit Wirkung in den Mitgliedstaaten der OECD übertragen worden; insbesondere Art. 23 oder 24 GG sind in keiner Variante anwendbar.14 Infolgedessen verbietet es schon der Grundsatz der Gewaltenteilung, dass die Mitglieder des OECD-Rates und des OECDFinanzausschusses die nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in nationales Recht transformierten Doppelbesteuerungsabkommen mittels fortlaufender Modifikation des OECD-MK abändern.15 Hinsichtlich der Frage, welche Fassung des OECD-MK für die Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens heranzuziehen ist, verfolgt die OECD eine dynamische Auslegung. Danach soll ein neugefasster OECDMK zur Auslegung bereits bestehender Doppelbesteuerungsabkommen herangezogen werden, da er den übereinstimmenden Willen der OECDMitgliedstaaten widerspiegelt.16 Auch die deutsche Finanzverwaltung scheint dieser Auffassung zu folgen.17 Wenngleich eine solche Heranziehung der jeweils aktuellsten Version des OECD-MK zur Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens aus praktischen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll sein kann, folgt der BFH dieser Auffassung nicht. Die Rechtsprechung geht vielmehr davon aus, dass zur Auslegung eines Doppelbesteuerungsabkommens immer die Fassung des OECD-MK heranzuziehen ist, welche im Zeitpunkt des Abschlusses des Doppelbesteuerungsabkommens gültig war.18 Diese Sichtweise lässt sich mit völkerrechtlichen Auslegungsgrundsätzen begründen, wobei lediglich Art. 31 Abs. 3 WVK für die Berücksichtigung von neueren Versionen des OECD-MK sprechen könnte. Art. 31 Abs. 3 Buchst. a WVK setzt hingegen eine „spätere Übereinkunft“ zwischen den Vertragsstaaten vor_____________ 13 14 15 16 17

Vgl. auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2011, Rz. 16.76. Vgl. Waldhoff, StbJb 2005/2006, 175. Vgl. auch Schnitger, IStR 2002, 408. Vgl. Tz. 33 bis 35 OECD-MK Einleitung. So zumindest Vertreter der Finanzverwaltung, vgl. Wichmann in Lüdicke, Wo steht das deutsche internationale Steuerrecht?, 2009, 104 f.; Wichmann, FR 2011, 1083. 18 Vgl. etwa BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, FR 2011, 127; BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BFH/NV 2011, 1602 m. w. N.

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aus. Gerade eine solche liegt indessen beim OECD-MK nicht vor, da diese nicht von den Vertragsstaaten selbst, sondern von den Finanzbehörden der Vertragsstaaten entwickelt werden.19 Art. 31 Abs. 3 Buchst. a WVK ist folglich kein taugliches Mittel zur Berücksichtigung späterer Kommentarversionen bei der Auslegung von bereits bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen. Im Übrigen ist auch Art. 31 Abs. 3 Buchst. b WVK nicht geeignet, eine dynamische Auslegung des OECD-MK zu rechtfertigen.20 Damit ist der Auffassung des BFH zu folgen, wonach die Version des OECD-MK als Hilfe für die Auslegung eines konkreten Doppelbesteuerungsabkommens heranzuziehen ist, welche beim Abschluss des entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommens galt. Neueren Versionen des OECDMK kann nur dann eine Bedeutung zukommen, wenn sie zur Klarstellung dienen oder weiter gehende Erläuterungen enthalten.

III. Ausweitung des Betriebsstättenbegriffes im Zuge des OECD-MK 2005 Im Zuge der Revision des OECD-MK im Jahre 2005 kam es – infolge einer fundamentalen Auflockerung des Kriteriums der „Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen“ – zu einer deutlichen Absenkung der Betriebsstättenschwelle.21 So wurde, folgt man den Ausführungen des OECD-MK, der Wortlaut des die Betriebsstättendefinition in Art. 5 Abs. 1 OECD-MA maßgeblich prägenden „Ausübens durch eine Geschäftseinrichtung“ einem deutlich breiteren Interpretationsspielraum zugänglich gemacht.22 Zwar knüpft die OECD den Betriebsstättenbegriff weiterhin an eine feste Geschäftseinrichtung. Gleichwohl wurden die Substanzanforderungen infolge einer extensiven Auslegung der notwendigen Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung deutlich zurückgefahren.23 So soll eine Verfügungsmacht jedenfalls dann vorliegen, wenn der Unternehmer über ein exklusives Nutzungsrecht über eine bestimmte Geschäftseinrichtung verfügt. Vom Bestand einer solchen soll fortwährend jedoch auch bereits dann ausgegangen werden können, wenn die Geschäftstätigkeit kontinuierlich und mit gewisser _____________ 19 20 21 22 23

A. A. Wichmann, FR 2011, 1083. Kritisch auch Lang, IStR 2001, 537 m. w. N. Siehe auch Eckl, CDFI 2009a, 317 (325). Siehe nur Tz. 4.6 OECD-MK 2008. Vgl. Rosenberger/Vitali/Ziehr, IStR-Beihefter Heft 18/2010, 1.

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Regelmäßigkeit über einen längeren Zeitraum an einer bestimmten Geschäftseinrichtung, bspw. in den Räumlichkeiten des Auftraggebers, lokal ausgeübt wird.24 Dabei kann dahinstehen, ob besagte Geschäftseinrichtungen einem anderen Unternehmer gehören oder der Nutzung verschiedener Unternehmer zugänglich sind. Allenfalls dann soll keine Betriebsstätte begründet werden, wenn der Unternehmer in den Geschäftseinrichtungen nur gelegentlich anwesend ist und die Einrichtung mithin nicht als „seine Geschäftseinrichtung“ angesehen werden kann. Ein prominentes und viel diskutiertes Beispiel dafür, wo die Grenzen zur abkommensrechtlichen Betriebsstätte bereits als überschritten angesehen werden sollen, bildet seither das sog. „painter example“ in Tz. 4.5 OECD-MK 2008. Danach soll ein Anstreicher, der sich über zwei Jahre an wöchentlich drei Tagen mit der äußeren Renovierung eines Bürogebäudes seines Auftraggebers beschäftigt, bereits allein durch seine Anwesenheit in nämlichen Bürogebäuden eine Betriebsstätte begründen können. Demnach soll das Bürogebäude nicht nur das Objekt der eigentlichen Tätigkeit, sondern darüber hinaus auch die Einrichtung, derer sich der Unternehmer zur Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung bedient, darstellen.25 Dieses sowie zahlreiche weitere im OECD-MK aufgeführte Beispiele illustrieren die offenkundige Sichtweise der OECD, dass allein der Leistungsort einer Dienstleistung bereits zur Begründung einer (Dienstleistungs-)Betriebsstätte führen kann. Infolgedessen soll allein die physische Substanz des Auftraggebers, an der der Unternehmer tätig wird, fiktiv zu dessen eigener fester Geschäftseinrichtung werden, durch die er seine Tätigkeit ganz oder teilweise ausübt.26 Die deutsche Finanzverwaltung steht dieser Entwicklung und den erkennbaren Tendenzen zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffes – erfreulicherweise – äußerst kritisch gegenüber.27 Denn in der Tat ist es so, dass die reine Anwesenheit an einem bestimmten Ort – auch über einen längeren Zeitraum – keineswegs automatisch zur Folge hat, dass das Unternehmen einen Zugriff auf die Einrichtungen im Sinne einer Verfügungsmacht erhält. Stattdessen muss man wohl, soll am Leistungsort einer Dienstleistung eine Betriebsstätte vorliegen, die Existenz einer vom _____________ 24 25 26 27

Vgl. Bendlinger, SWI 2011, 531 (532). Vgl. Sasseville/Skaar, CDFI 2009a, 17 (25). Ebenso Rosenberger/Vitali/Ziehr, IStR-Beihefter Heft 18/2010, 3. Siehe bspw. Müller-Gatermann, FR 2011, 1092 (1094), sowie Wichmann, FR 2011, 1082 (1084).

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Objekt der Tätigkeit verschiedenen festen Geschäftseinrichtung fordern, mit deren Hilfe unternehmerische Tätigkeiten ausgeübt werden.28

IV. Fortentwicklung der Dienstleistungsbetriebsstätte im OECD-MK 2008 Am 8.12.2006 hat die Working Party I des OECD-Fiskalausschusses – wohl getrieben durch den zunehmenden Einfluss der Schwellenländer – den Entwurf eines Berichtes zur Behandlung von Dienstleistungen29 veröffentlicht. In der Folge erfuhr der OECD-MK in 2008 eine Ergänzung um einen optionalen Vertragstext zu Art. 5 OECD-MA zur sog. Dienstleistungsbetriebsstätte, der die Besteuerung von Dienstleistungen im Quellenstaat auch ohne die Existenz fester Geschäftseinrichtungen ermöglichen soll. Art. 5 OECD-MA selbst blieb indes unangetastet.30 So sieht Tz. 42.23 OECD-MK 2008 – abweichend von Art. 5 Abs. 1 bis 3 OECD-MA – vor, dass Vergütungen für Dienstleistungen eines Unternehmens im Tätigkeitsstaat als Betriebsstätteneinkünfte besteuert werden können, wenn – eine natürliche Person mehr als 183 Tage innerhalb einer beliebigen 12-Monats-Periode im Vertragsstaat Dienstleistungen erbringt und der vor Ort ausgeführten Tätigkeit mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes des Unternehmens während dieser Periode zuzurechnen sind, oder – ein im anderen Staat ansässiges Unternehmen Dienstleistungen an mehr als 183 Tagen innerhalb einer beliebigen 12-Monats-Periode für das gleiche Projekt oder für verbundene Projekte durch „natürliche Personen“ im Vertragsstaat erbringt. Die Regelungen stellen mit der Fiktion einer Betriebsstätte einen alternativen und subsidiären Ersatztatbestand zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA dar.31 Mithin soll die Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen einer festen Geschäftseinrichtung im Sinne des Abs. 1 keine fiktive, gleichwohl aber eine – sofern die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen als erfüllt gelten – originäre Betriebsstätte begründen können. Wenngleich _____________ 28 Vgl. auch die Ausführungen der österreichischen Finanzverwaltung, abgedruckt bei Bendlinger, IStR 2009, 521 (522). 29 Vgl. OECD, The Tax Treatment of Services: Proposed Commentary Changes. 30 Vgl. zu Einzelheiten Kahle/Ziegler, DStZ 2009, 843; Großenberger/Vitali/Ziehr, IStR-Beihefter Heft 18/2010; Bendlinger, IStR 2009, 523 ff. 31 Tz. 42.25 OECD-MK 2008.

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die Finanzverwaltungen mehrerer Staaten, wie bereits weiter oben geschildert, den Tendenzen zur Ausweitung des Betriebsstättenbegriffes kritisch gegenüberstehen, besteht auf OECD-Ebene doch weitgehend Einigkeit darüber, dass, sollte eine Dienstleistungsbetriebsstätte vorliegen, auch in diesem Fall nicht deren Einnahmen, sondern, wie in Art. 7 OECD-MA normiert, nur deren Gewinn der Besteuerung im Quellenstaat zu unterwerfen ist (Nettobesteuerung).32 Weitere in diesem Zusammenhang auftretende Einzelfragen vermag der OECD-MK 2008 indes nicht oder allenfalls unzureichend zu beantworten. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf die Frage nach der definitorischen Abgrenzung der Termini „Dienstleistung“ oder „Projekt“ sowie nach der im Einzelfall mitunter entscheidenden Ermittlung der maßgebenden Umsatzgrenzen.33 Grundsätzlich muss von einer Dienstleistung wohl stets dann ausgegangen werden, wenn Leistungen im Interesse eines anderen Unternehmens erbracht werden. Ob sich die abkommensautonome Auslegung dabei vollends als tauglich erweist oder ob stattdessen die lexfori-Klausel in Art. 3 Abs. 2 OECD-MA bedient werden muss, bleibt abzuwarten. Die Grenzen verlaufen dabei jedenfalls, lenkt man den Blick bspw. auf das Umsatzsteuerrecht, bekanntlich fließend. Der Klarstellung bedürfte unter anderem die Frage, wann trotz einer Kombination von Liefer- und Leistungselementen von einer einheitlichen Leistung oder aber von einem Leistungsbündel ausgegangen werden muss, welches wiederum in seine einzelnen selbstständigen Bestandteile zu zerlegen wäre. Ganz ähnlich liegen die Dinge im Bereich der Differenzierung zwischen Werklieferungen und Werkleistungen. Der OECDMK lässt insoweit offen, ob auch für Abkommenszwecke eine Dienstleistung zumindest dann nicht vorliegen soll, wenn der Werklieferer – angelehnt an § 3 Abs. 4 UStG – Stoffe selbst beschafft, die nicht nur als Zutaten oder sonstige Nebenbestandteile zu qualifizieren sind. Ganz ähnliche Probleme sind aufgrund eines fehlenden internationalen Konsenses betreffend die Bemessung der in der zweiten Alternative aufgeführten Umsatzgrenzen zu erblicken. Es steht mithin die Frage im Raum, ob zu deren Bestimmung – will man belastbares Zahlenmaterial heranziehen – allein auf die Gewinnermittlungsvorschriften des Ansässigkeits- bzw. Quellenstaates oder gar ein international angewandtes _____________ 32 Tz. 42.21 f. OECD-MK 2008. 33 Siehe dazu umfassend Rosenberger/Vitali/Ziehr, IStR-Beihefter Heft 18/2010, 6 f.

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Rechenwerk (bspw. IFRS) abgestellt werden soll. Bisweilen wird zur Lösung dieses Zustands die Heranziehung der dem OECD Partnership Report immanenten Idee und entsprechend die Maßgeblichkeit des Quellenstaates vorgeschlagen.34 In jedem Fall muss wohl mit zusätzlichen administrativen Hürden gerechnet werden. Vertreter der deutschen Finanzverwaltung stehen der interpretativen Ausweitung des Betriebsstättenbegriffes im OECD-MK überaus kritisch gegenüber.35 Geschuldet ist diese Haltung im Wesentlichen der Tatsache, dass die Begründung einer Dienstleistungsbetriebsstätte im deutlichen Gegensatz zur traditionellen deutschen Rechtsauffassung steht, wonach eine Betriebsstätte, ähnlich wie in Art. 5 Abs. 1 OECD-MA, nur eine Geschäftseinrichtung oder Anlage sein kann, die der Tätigkeit des Unternehmens dient (§ 12 Satz 1 AO). Anders als mittlerweile im OECD-MK, wo das Kriterium der Verfügungsmacht bereits dann bejaht wird, wenn eine (fremde) Geschäftseinrichtung existiert, durch die der Unternehmer seine Tätigkeit ganz oder teilweise ausübt, ging die Rechtsprechung des BFH bislang davon aus, dass der Unternehmer über die nämliche Geschäftseinrichtung verfügen können bzw. ein gewisser Grad an „Verwurzelung“ am Tätigkeitsort vorliegen muss. Die als zwingend anzusehende Anforderung der Verfügungsmacht setzt dabei in ständiger Praxis des BFH eine Rechtsposition des Unternehmers voraus, die ihm ohne sein Mitwirken nicht ohne Weiteres entzogen werden kann.36 Insbesondere soll die bloße Mitbenutzung einer Einrichtung dort keine Betriebsstätte des Unternehmers begründen.37 Dementsprechend nachvollziehbar fällt die ablehnende Haltung der Finanzverwaltung zu dem oben geschilderten „painter example“ sowie deren auch auf Abkommensebene eher engherzige Auslegung des Betriebsstättenbegriffes aus.38 Insoweit ist zu erwarten, dass die künftige Umsetzung der bislang lediglich in den DBA mit China und den Philippinen existenten Regelung zur (echten) Dienstleistungsbetriebsstätte durch die Neukommentierung der OECD durchaus eine Dynamik entfaltet, das BMF dem aufkommenden Druck aber nicht tatenlos nachgeben wird. _____________ 34 Vgl. Rosenberger/Vitali/Ziehr, IStR-Beihefter Heft 18/2010, 7. 35 Vgl. Wichmann, FR 2011, 1082 (1084). 36 Vgl. BFH v. 3.2.1993 – I R 80-81/91, BStBl. II 1993, 462; BFH v. 16.5.1990 – I R 113/87, BStBl. II 1990, 983; BFH v. 11.10.1989 – I R 77/88, BStBl. II 1990, 166; BFH v. 14.7.2004 – I R 106/03, BFH/NV 2005, 154; BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922. 37 So bspw. BFH v. 14.7.2004 – I R 106/03, BFH/NV 2005, 154. 38 Vgl. Müller-Gatermann, FR 2011, 1092 (1094).

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Schließlich ist zu beachten, dass es – aufgrund der fortschreitenden technischen und wirtschaftlichen Entwicklung – zur Erbringung von Dienstleistungen einer physischen Anwesenheit von Personal häufig nicht mehr bedarf. Insoweit greift auch die Definition der DienstleistungsBetriebsstätte im OECD-MK 2008 zu kurz. Infolgedessen kann sich insofern die Grundsatzfrage stellen, ob die Betriebsstätte zukünftig überhaupt noch das richtige Anknüpfungsmerkmal einer Quellenbesteuerung von Unternehmensgewinnen ist oder ggf. ein anderer Anknüpfungstatbestand zu entwickeln ist.39

C. Geplante Anpassungen des OECD-MK bis 2014 I. Überblick zur geplanten Neukommentierung des Betriebsstättenbegriffes Trotz mehrfacher Überarbeitungen und Ergänzungen des OECD-MK sind im Hinblick auf die Betriebsstättendefinition zahlreiche Fragestellungen offengeblieben. Im Februar 2009 wurde daher eine Arbeitsgruppe durch die Working Party I (WP) des OECD-Fiskalausschusses einberufen, die sich intensiv mit der Auslegung von Einzelheiten des Betriebsstättenbegriffes auseinandersetzen und Vorschläge für notwendige Änderungen und Ergänzungen des OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA unterbreiten soll. Während die seit nahezu 50 Jahren weitgehend unverändert gebliebene Definition der Betriebsstätte in Art. 5 OECD-MA – nach derzeitigen Überlegungen – auch künftig unangetastet bleiben soll, sind die Ergebnisse der Arbeitsgruppe dazu bestimmt, in die für 2014 geplante Revision des OECD-MK Eingang zu finden. Am 12.10.2011 hat die Arbeitsgruppe einen Bericht samt Handlungsempfehlungen zur Revision des OECD-MK präsentiert.40 Der Bericht der Arbeitsgruppe sieht bedeutende Änderungen des OECD-MK zu Art. 5 OECD-MA vor. Dabei ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt die Tendenz zu einer weiteren Aufweichung des Betriebsstättenbegriffes – insbesondere durch eine Erweiterung des Begriffes der Verfügungsmacht – unverkennbar.41

_____________ 39 Vgl. auch Roth, StbJb 2010/2011, 173. 40 Vgl. Interpretation and Application of Article 5 (Permanent Establishment) of the OECD Model Tax Convention, abrufbar unter www.oecd.org. 41 In diese Richtung ebenso Bendlinger, SWI 2011, 531 (538).

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II. Klärung von Einzelfragen zur (unechten) Dienstleistungsbetriebsstätte Ganz wesentliche Änderungen in der geplanten Neukommentierung des Art. 5 OECD-MA betreffen das dem Betriebsstättenbegriff immanente Wesensmerkmal der „Verfügungsmacht“ („at the disposal of“) über eine feste Geschäftseinrichtung. Grundsätzlich liegt nach Auffassung der WP eine Verfügungsmacht unzweifelhaft dann vor, wenn der Unternehmer über ein exklusives Recht zur Nutzung der Geschäftseinrichtung – bspw. in Gestalt eines Miet- oder Pachtvertrages – verfügt. Gleichwohl soll eine Betriebsstätte aber bereits dann begründet werden, wenn der Unternehmer andauernd und regelmäßig über einen längeren Zeitraum Räumlichkeiten eines anderen Unternehmers nutzt oder diese Räumlichkeiten der Nutzung durch mehrere Unternehmer gemeinsam zugänglich sind. Quasi im Umkehrschluss kann die Existenz einer Betriebsstätte nicht bejaht werden, sollte der Unternehmer in den nämlichen Räumlichkeiten lediglich unregelmäßig oder nur gelegentlich präsent sein. Schließlich kann die Einrichtung dann fiktiv nicht als seine Geschäftseinrichtung angesehen werden.42 Gleiches soll laut der OECD für den Fall gelten, dass dem Unternehmer keine Berechtigung zusteht, die Räumlichkeiten nach eigenem Ermessen zu nutzen und er auch tatsächlich in diesen nicht anwesend ist.43 Beispiel 1: Die Unternehmensberater der U-GmbH erbringen über einen Zeitraum von 20 Monaten Beratungsleistungen an einen im Ausland ansässigen Kunden. Den Unternehmensberatern sollen annahmegemäß verschiedene Besprechungsund Aufenthaltsräume innerhalb der Einrichtungen des Kunden zur Verfügung stehen. Ebenso verfügen die Berater über eine sog. security card, die ihnen einen jederzeitigen und uneingeschränkten Zugang zu den Räumlichkeiten gestatten.

_____________ 42 Vgl. Bendlinger, SWI 2011, 531 (532). 43 Vgl. Tz. 4.2 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011.

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Zur Falllösung existiert, folgt man den Verlautbarungen der OECD, wohl kein Interpretationsspielraum. Mit den ausgehändigten security cards erfahren die Berater ein in der Regel personengebundenes und damit exklusiv ihnen zustehendes Recht, die ihnen zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zu nutzen. Ferner wird das zeitliche Moment in Gestalt der regelmäßig erforderlichen Mindestdauer von sechs Monaten44 (dazu sogleich) überschritten, sodass von einer andauernden, regelmäßigen und über einen ausreichend langen Zeitraum erfolgten Nutzung der Räumlichkeiten und damit von der Begründung einer Betriebsstätte ausgegangen werden muss. Beispiel 2: Die A-AG beauftragt – im Wege der Lohnfertigung – die LF-TG mit der Herstellung von Lenksäulen. Die für die Herstellung der Lenksäulen notwendigen Materialien werden beigestellt. Die Fertigprodukte stehen im Eigentum der A-AG.

Vorliegend kann mitnichten davon ausgegangen werden, dass die sich im Eigentum der LF-TG befindlichen Produktionsanlagen allein durch die Nutzung zur Herstellung der in Auftrag gegebenen Produkte als der A-AG zur Verfügung stehend angesehen werden können. Weder ist Personal der A-AG in irgendeiner Weise zur Nutzung der Anlagen der LFTG berechtigt, noch ist dieses tatsächlich vor Ort anwesend. Nur weil die Lenksäulen zur Verfügung der A-AG produziert werden, kann allein keine Betriebsstätte der A-AG vorliegen. Anders können die Dinge liegen, wenn die Einflussnahme der A-AG auf die Produktionsabläufe bei der LF-TG derart starke Züge annimmt (man denke an zur Qualitätssicherung entsandtes Personal der A-AG), dass sich die A-AG die Tätig-

_____________ 44 Vgl. Tz. 6 OECD-MK 2008; Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 5 OECD-MA Rz. 37a und 42b.

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keit der LF-TG wie eine eigene zurechnen lassen muss und mithin eine Betriebsstätte im Ausland begründet wird.45 In engem Zusammenhang mit dem Begriff der „Verfügungsmacht“ steht schließlich die Frage, ob bereits ein sog. Home Office, von dem aus ein Arbeitnehmer für das Unternehmen seines Arbeitgebers tätig wird, die Begründung einer Betriebsstätte in der Wohnung des Arbeitnehmers nach sich ziehen kann. Folgt man den Ausführungen der OECD46, so muss dies im Einzelfall zumindest dann bejaht werden, wenn der Arbeitsplatz nicht nur gelegentlich, sondern regelmäßig, dauerhaft und den Vorgaben des Unternehmens entsprechend zur Ausführung von Geschäftstätigkeiten genutzt wird und nach den Umständen des Einzelfalles die vom Arbeitnehmer ausgeführte Tätigkeit der Einrichtung eines Büros bedurft hätte. Inwiefern indes tatsächlich eine Betriebsstätte vorliegen wird, kann im Einzelfall aber nur mit Rücksicht auf Art. 5 Abs. 4 OECD-MA beantwortet werden, sollte es sich doch in der Praxis häufig um für eine Betriebsstättenbegründung unschädliche Vorbereitungsoder Hilfstätigkeiten handeln.

III. Betriebsstättenbegründung durch Einschaltung von Subunternehmern Neben deren Rolle bei der Bemessung der 12-Monats-Frist im Kontext von Art. 5 Abs. 3 OECD-MA findet die Thematik der Subunternehmer in der Entwurfsfassung nunmehr auch im Bereich der Kommentierung zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA Berücksichtigung. So wird hinsichtlich der Begründung einer Betriebsstätte durch den Generalunternehmer aufgrund der Aktivitäten seiner Subunternehmer allgemein klargestellt, dass der Generalunternehmer über seine Subunternehmer nur dann eine Betriebsstätte begründet, wenn die allgemeinen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 OECD-MA erfüllt sind. Dies setzt voraus, dass – über die Tätigkeit der Subunternehmer – eine Verfügungsmacht des Generalunternehmers über eine feste Geschäftseinrichtung vorliegen muss.47 Insoweit scheint es denkbar, dass eine Betriebsstätte des Generalunternehmers bei Totaldelegation an Subunternehmer sogar dann unterstellt werden kann, wenn der Generalunternehmer im Quellenstaat selbst _____________ 45 In diese Richtung auch Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 5 OECD-MA Rz. 42c. 46 Vgl. Tz. 4.8 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011. 47 Tz. 10.1 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011.

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keinerlei Präsenz zeigt, ihm aber eine Verfügungsmacht über feste Geschäftseinrichtungen und damit eine Betriebsstätte durch den Subunternehmer vermittelt wird. Fehlt es indessen an der Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung, weil der Subunternehmer bspw. lediglich im Auftrag des Generalunternehmers tätig wird oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles eine örtliche Verfestigung bzw. „Verwurzelung“48 der Tätigkeit zweifelsfrei nicht vorliegt, so muss die Begründung einer Betriebsstätte wohl weiterhin verneint werden. Denn was bei direkter Auftragswahrnehmung durch den Generalunternehmer gilt, kann bei einer Totaldelegation an Subunternehmer nicht anders beurteilt werden.

IV. Zeitliche Anforderungen an die Existenz einer Betriebsstätte Der Begriff der festen Geschäftseinrichtung impliziert nach gefestigter Auffassung im Schrifttum49 eine dauerhafte Verbindung zu einem bestimmten Punkt der Erdoberfläche. Insoweit wohnt dem Betriebsstättenbegriff ein zeitliches Moment dergestalt inne, als eine unternehmerische Tätigkeit über eine gewisse Mindestdauer hinweg ausgeübt werden muss. Art. 5 Abs. 1 OECD-MA vermag diesbezüglich keine Konkretisierung zu liefern. Weil innerhalb der OECD bislang kein Konsens herzustellen war, begnügte sich der OECD-MK seither mit einer Art „Daumenregel“, die besagte, dass eine Betriebsstätte jedenfalls nicht unterstellt werden könne, wenn die Geschäftstätigkeit durch eine Einrichtung ausgeübt wird, welche weniger als sechs Monate und damit für eine nur „sehr kurze Zeit“ Bestand hatte.50 Nunmehr geht die WP davon aus, dass die für Bau- und Montagebetriebsstätten in Art. 5 Abs. 3 OECD-MA geltende 12-Monats-Frist durchaus als Grundregel herangezogen werden könne. Eine absolute zeitliche Untergrenze vermag indes auch der vorliegende Diskussionsentwurf nicht zu liefern. Stattdessen stellt der Neuentwurf des OECD-MK anhand von zwei Beispielsachverhalten klar, dass auch wiederkehrende Tätigkeiten von sehr kurzer Dauer insgesamt zu einer nachhaltigen _____________ 48 So die beim BFH gebräuchliche Terminologie, vgl. BFH v. 3.2.1993 – I R 80-81/91, BStBl. II 1993, 462; BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922; BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, IStR 2011, 925. 49 Vgl. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 5 OECD-MA Rz. 37; Görl in Vogel/Lehner, DBA, Art. 5 Rz. 14; Günkel in Gosch/Kroppen/ Grotherr, DBA, Art. 5 Rz. 74, sowie auch in Tz. 5 OECD-MK 2008. 50 Vgl. Tz. 6 OECD-MK 2008.

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Tätigkeit führen und folglich eine feste Geschäftseinrichtung begründen können. Beispiel 3:51 Ein Unternehmer nimmt aufeinanderfolgend in 15 Jahren für jeweils fünf Wochen im Jahr an einer Messe teil. Zu diesem Zweck mietet er einen Messestand an und verkauft an diesem Produkte. Aufgrund des wiederkehrenden Charakters der Tätigkeit auf der Messe begründet der Unternehmer eine Betriebsstätte, wenngleich zusammenhängend kein länger andauernder Aufenthalt von über sechs Monaten im Quellenstaat erfolgt.

Dieses Beispiel zeigt, wie praxisfern die OECD argumentiert. Denn es bleibt in diesem Fall völlig offen, ab welchem Jahr tatsächlich eine Betriebsstätte anzunehmen und folglich eine Steuererklärung für beschränkt Steuerpflichtige abzugeben ist. Dies nicht zuletzt deswegen, weil in praxi jeweils nur schwerlich absehbar ist, ob im darauffolgenden Jahr tatsächlich wieder an der Messe teilgenommen werden wird. Dies kann mit Rechtssicherheit nur dann bejaht werden, wenn im Vorhinein ein entsprechender Vertrag über eine längerfristige Teilnahme an der Messe abgeschlossen wurde. Neben diesen kaum praktikablen Fragestellungen im Hinblick auf die Begründung einer Betriebsstätte stellt sich ferner die Frage der Betriebsstättengewinnabgrenzung. Hier wird es wesentlich darauf ankommen, ob eine reine Routinetätigkeit (vergütet auf Basis der Kostenaufschlagsmethode) oder eine wertschöpfungsstarke Tätigkeit (z. B. Verkauf von Produkten am Messestand) ausgeübt wird. Antworten auf diese Fragen lässt die WP I offen. Im Übrigen können nach Auffassung der WP auch sehr kurzfristige, jedoch exklusiv in einem Quellenstaat ausgeübte Tätigkeiten eine Betriebsstätte begründen. Beispiel 4:52 Aufgrund von Filmarbeiten sind Schauspieler, Kameraleute etc. in einer Stadt über vier Monate tätig. Ein in einem anderen Staat ansässiger Unternehmer nimmt dies zum Anlass, im dort belegenen Haus seiner Eltern für die Dauer der Dreharbeiten eine kleine Kantine zu betreiben. Der Unternehmer ist daher in der Stadt, in welcher die Filmarbeiten ausgeübt werden, für vier Monate tätig, ohne weitere gewerbliche Tätigkeiten in diesem Zusammenhang auszuüben. In diesem Fall geht die WP von einer Betriebsstätte aus, da die Kantine über die gesamte Dauer der unternehmerischen Betätigung des Unternehmens betrieben wird.

_____________ 51 Vgl. Tz. 6.1 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011. 52 Vgl. Tz. 6.2 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011.

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Abwandlung zu Beispiel 4: Eine Betriebsstätte soll hingegen nicht vorliegen, wenn der Unternehmer im Bereich der Gastronomie allgemein tätig ist und während eines vierwöchigen Sportereignisses in einem anderen Staat eine Cafeteria betreibt. In diesem Fall wird nach Auffassung der WP die unternehmerische Tätigkeit in dem Staat, in welchem das Sportereignis stattfindet, nur temporär ausgeübt.

V. Bau- und Montagebetriebsstätten 1. Totaldelegation an Subunternehmer Nach derzeitiger Auffassung der OECD werden zur Ermittlung der für die Begründung von Bau- oder Montagebetriebsstätten zwingend erforderlichen 12-Monats-Frist Zeiten, die Subunternehmer auf der Baustelle arbeiten, dem Generalunternehmer zugerechnet.53 Nach der nunmehr vorliegenden Entwurfsfassung des OECD-MK soll dies auch im Falle einer Totaldelegation – der Generalunternehmer gibt den Auftrag vollumfänglich an den Subunternehmer weiter – gelten.54 Denn in einem solchen Fall würde die Baustelle während der Anwesenheit der Subunternehmer auch dem Generalunternehmer zur Verfügung stehen, sofern der Generalunternehmer die Gesamtverantwortung trägt. Damit kommt zum Ausdruck, dass eine Betriebsstätte des Generalunternehmers nur dann vorliegt, wenn dieser tatsächlich über die Baustellen verfügen kann. In allen anderen Fällen kann ihm die Tätigkeit von Subunternehmern nicht zugerechnet werden.55 2. Präzisierung der 12-Monats-Frist Unbeschadet der Fiktion von Mitunternehmerbetriebsstätten stellt die Entwurfsfassung indes klar, dass die zwölfmonatige Frist des Art. 5 Abs. 3 OECD-MA stets auf Ebene der Personengesellschaft selbst zu bestimmen ist. Jeder Gesellschafter der Personengesellschaft, die ein Bau- oder Montageprojekt betreut, begründet daher ungeachtet seiner tatsächlichen Anwesenheit vor Ort eine Betriebsstätte, wenn das Bauund Montageprojekt insgesamt durch die Personengesellschaft länger als 12 Monate betrieben wird.56 _____________ 53 Vgl. Tz. 19 OECD-MK 2008; siehe auch BMF v. 24.12.1999 – IV B 4 - S 1300111/99, BStBl. I 1999, 1076, Rz. 4.3.3. 54 Vgl. Tz. 19 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011. 55 Vgl. auch Bendlinger, SWI 2011, 531 (534). 56 Vgl. Tz. 19.2 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011.

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War für die Bestimmung des für das Fristende maßgeblichen Stichtages bislang vom Abschluss bzw. dem endgültigen Einstellen der Arbeiten die Rede, so wird in der derzeitigen Entwurfsfassung des OECD-MK klargestellt, dass auch „Testzeiten“ des Generalunternehmers bzw. seiner Subunternehmer im Rahmen der Fristberechnung für das errichtete Werk einzubeziehen sind. Im Übrigen ist als Ende der Frist in der Regel die Projektübergabe heranzuziehen, soweit zu diesem Zeitpunkt der Generalunternehmer und seine Subunternehmer die Baustelle auch tatsächlich verlassen haben.57 Schließlich äußert sich der Entwurf dahingehend, dass nach Fertigstellung der Bau- und Montagearbeiten durchgeführte Reparaturarbeiten üblicherweise nicht im Rahmen der Fristberechnung zu berücksichtigen sind.

VI. Behebung von Zweifelsfragen bei Vertreterbetriebsstätten Mithin bekannt wird das Wesen der Vertreterbetriebsstätte in Art. 5 Abs. 5 OECD-MA durch das Tatbestandsmerkmal der „Vollmacht“ des Vertreters, in einem Vertragsstaat im „Namen des Unternehmens“ Verträge abzuschließen und diese „gewöhnlich auszuüben“, bestimmt. Diesbezüglich weist der aktuelle OECD-MK darauf hin, dass sich die „Vollmacht“, im Namen des Unternehmens abzuschließen, keineswegs nur auf solche Vertreter beschränkt, die Verträge im Namen des Prinzipals abschließen.58 Stattdessen soll Art. 5 Abs. 5 OECD-MA ebenso bei Vertretern anwendbar sein, die Verträge für das Unternehmen nicht im eigenen Namen des Prinzipals abschließen. Ob damit im Umkehrschluss gleichzeitig Vertreter, die als Kommissionäre im eigenen Namen Verträge abschließen, in den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 5 OECDMA fallen können, ist umstritten. So lassen bislang auch die internationalen Gerichte keine einheitliche Linie im Hinblick auf die Frage erkennen, ob für die Annahme einer „Vollmacht“ eine gegenüber Dritten wirksame rechtliche (direkte) Bindung vonnöten ist oder ob bereits eine wirtschaftliche (indirekte) Bindung des Prinzipals durch seinen Vertreter als ausreichend erachtet werden kann.59 _____________ 57 Vgl. Tz. 19.1 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011. 58 Vgl. Tz. 32.1 OECD-MK 2008. 59 Vgl. Urteil des französischen Conseil d’État v. 31.3.2010 – Zimmer, sowie die Entscheidung des norwegischen Borgarting Lagmannsrett v. 2.3.2011 – Dell Computers; vgl. dazu Ditz, IStR 2010, 554 f.; Rasch, IStR 2011, 7 ff.; Bendlinger, SWI 2012, 101 ff.

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Im Entwurf des OECD-MK wird nunmehr auf die Besonderheiten des Zivil- bzw. Handelsrechts mancher OECD-Mitgliedstaaten hingewiesen, wonach unter bestimmten Voraussetzungen ein Prinzipal auch dann gebunden sein kann, wenn der Vertreter nicht im Namen seines Prinzipals, sondern im eigenen Namen auftritt (Handeln „on behalf of“). Dies soll auch dann gelten, wenn der Vertreter den Namen seines Prinzipals nicht förmlich offenlegt.60 Letztlich wird im Kontext von Kommissionärsstrukturen zur Auslegung des Begriffes der „Vollmacht“ qua Art. 3 Abs. 2 OECD-MA wohl auch künftig die nationale Sichtweise der Vertragsstaaten bemüht werden müssen. Aus deutscher Perspektive dürfte ein Kommissionär i. S. v. § 383 HGB im Einklang mit der ganz herrschenden Auffassung im deutschen Schrifttum61 damit auch weiterhin nicht geeignet sein, eine abkommensrechtliche Vertreterbetriebsstätte zu begründen. Diese Sichtweise entspricht auch dem Urteil des französischen Conseil d’État (Fall „Zimmer“62) sowie der jüngst ergangenen Entscheidung des norwegischen Höchstgerichtes Noregs Hogsterett (Fall „Dell Computers“63), dass sich ein Kommissionär, der in seinem eigenen Namen handelt, mangels Abschlussvollmacht nicht als abhängiger Vertreter qualifiziert.64 Beide Judikate liegen damit dergestalt auf einer Linie, als es für die Auslegung des Begriffes der abkommensrechtlichen Vertreterbetriebsstätte nicht auf die wirtschaftliche, sondern auf die formal-juristische Betrachtungsweise und damit allein auf die rechtliche Gestaltung der infrage stehenden Geschäftsbeziehungen ankommt. Sofern also der Kommissionär – wie in § 383 HGB vorgesehen – den Kommittenten im Verhältnis zum Auftraggeber nicht unmittelbar zu binden imstande ist, kann eine abkommensrechtliche Vertreterbetriebsstätte nicht vorliegen. Im Übrigen nimmt Art. 5 Abs. 6 OECD-MA den Kommissionär als unabhängigen Vertreter explizit von der Begründung einer Vertreterbe_____________ 60 Vgl. Tz. 32.1 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011. 61 Vgl. Piltz, IStR 2004, 184 ff.; Endres, IStR 1996, 3 ff.; Kroppen/Hüffmeyer, IWB 1995, Fach 3 Gruppe 2, 641 ff.; Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2006, Rz. 4.28; Ditz in Schaumburg/Piltz, Besteuerung von Funktionsverlagerungen – Neuausrichtung?, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 37, 163 (173); Ditz, IStR 2010, 553 (554 f.). 62 Vgl. Urteil v. 31.3.2010; zur Entscheidung siehe Ditz, IStR 2010, 553 ff.; Bendlinger, SWI 2011, 251 (252 f.). 63 Urteil v. 2.12.2011 und dazu Bendlinger, SWI 2012, 101 ff. 64 Vgl. Ditz, IStR 2010, 553 (554).

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triebsstätte aus, sofern dieser innerhalb seiner ordentlichen Geschäftstätigkeit handelt. Eine als Kommissionär agierende Konzern-Vertriebsgesellschaft handelt dabei stets dann innerhalb ihrer ordentlichen Geschäftstätigkeit, wenn ihre Geschäftstätigkeiten dem für Kommissionäre branchenüblichen Handeln entsprechen. Dazu reicht es aus, wenn sich ihre Aktivitäten und die erforderlichen Vertragsbeziehungen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben des Kommissionärsrechts sowie der kaufmännischen Gepflogenheiten von Kommissionären bewegen.65 Insoweit sollte unter Zuhilfenahme der Neukommentierung die Unterstellung von Vertreterbetriebsstätten bei kommissionarisch operierenden Tochtergesellschaften auch künftig weder einer normativen noch interpretativen Fundierung im OECD-MA zugänglich sein.66

VII. Klarstellungen im Bereich der Hilfsbetriebsstätten Die Neukommentierung betreffend die in Art. 5 Abs. 4 OECD-MA genannten Einrichtungen, welche trotz des Bestandes einer festen Geschäftseinrichtung abkommensrechtlich bereits per se nicht als Betriebsstätte gelten sollen, sieht vor, dass die in Art. 5 Abs. 4 Buchst. a bis d OECD-MA genannten Einrichtungen (Warenlager, Warenbestände, Ausstellungslager, Informationsbüros) nur dann als Hilfseinrichtung zu qualifizieren sein sollen, wenn die darin genannten Aktivitäten die einzigen an der jeweiligen festen Geschäftseinrichtung ausgeübten Tätigkeiten darstellen.67 Zusätzlich führt die Neufassung im Kontext des Art. 5 Abs. 4 Buchst. a OECD-MA aus, dass ein Warenlager die fiktive Befreiung von der Annahme einer Betriebsstätte nicht für sich in Anspruch nehmen kann, sofern von der Einrichtung aus auch Güter oder Waren verkauft werden.68 Zudem wird der Begriff der „Güter und Waren“ auf körperliche Gegenstände konkretisiert, die gelagert, ausgestellt und geliefert werden können; unbewegliches Vermögen und digitale Daten (mit Ausnahme von CDs und DVDs) gelten nicht als „Güter und Waren“.69 Schließlich sieht die Entwurfsfassung eine Ergänzung zu den im Jahre 2005 in den OECD-MK aufgenommenen Ausführungen zu Art. 5 Abs. 5 _____________ 65 Vgl. Ditz, IStR 2010, 553 (555). 66 In dieselbe Richtung Hoor, IStR 2012, 17 (21). 67 Vgl. Tz. 21 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011; vgl. dazu auch Ditz in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2006, Rz. 4.17. 68 Vgl. Tz. 22 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011. 69 Vgl. Tz. 22 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011.

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OECD-MA – allein durch die Teilnahme an Vertragsverhandlungen durch eine im Quellenstaat tätige Person werde keine Betriebsstätte für den verhandelnden Unternehmer begründet – vor. So sollen künftig Mitarbeiter eines Repräsentationsbüros, sofern ihnen bei Vertragsverhandlungen eine aktive Rolle zuteilwird, zum Ausschluss der Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 4 OECD-MA und folgerichtig zur Begründung einer Betriebsstätte führen. Einer Vollmacht, Verträge im Namen des Unternehmens abschließen zu dürfen, soll es dabei nicht bedürfen. Denn nach Auffassung der WP stellen Vertragsverhandlungen einen wesentlichen Teil unternehmerischer Tätigkeit dar und qualifizieren daher nicht als Vorbereitungs- oder Hilfstätigkeiten i. S. v. Art. 5 Abs. 4 OECDMA.70

D. Aktuelle Rechtsprechung des BFH I. Bloßes Tätigwerden in Räumlichkeiten eines Vertragspartners begründet keine Betriebsstätte (BFH vom 4.6.2008) Die Entscheidung des BFH vom 4.6.200871 betraf eine niederländische Kapitalgesellschaft, die als Subunternehmerin Reinigungsarbeiten an militärisch genutzten Flugzeugen auf einem deutschen NATO-Flughafen durchführte. Die Mitarbeiter des Reinigungsunternehmens verfügten über Sicherheitsausweise für die Zutrittskontrolle; Räumlichkeiten wurden auf dem Flughafengelände gleichwohl nicht angemietet. Die vor Ort anwesenden Mitarbeiter der Kapitalgesellschaft waren allein zur Nutzung einer Kücheneinrichtung sowie eines abschließbaren Aufenthaltsraumes berechtigt. Die Reinigungsarbeiten selbst wurden in einer eigens dafür vorgesehenen Halle durchgeführt. Zu dieser hatte das Reinigungspersonal ebenso Zutritt wie zu einer weiteren Räumlichkeit, in der die notwendigen und durch die NATO zur Verfügung gestellten Gerätschaften und Putzmittel lagerten. Der BFH stellte in seiner Entscheidung klar, dass das bloße Tätigwerden in den Räumlichkeiten eines Vertragspartners für sich genommen nicht zur Begründung einer Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung und damit zur Entstehung einer Betriebsstätte gereicht. Dies soll selbst bei einer über mehrere Jahre hinweg andauernden Tätigkeit gelten. Stattdessen müssen – so die Ausführungen in der Entschei_____________ 70 Vgl. Tz. 24.2 OECD-MK in der Entwurfsfassung v. 12.10.2011. 71 Vgl. BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922.

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dungsbegründung – neben der zeitlichen Komponente zusätzliche Umstände auf eine örtliche Verfestigung der Tätigkeit schließen lassen. Diese lag in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt im Wesentlichen deswegen nicht vor, weil das Reinigungsunternehmen über kein selbstständiges Zutrittsrecht zu den Flugzeughallen verfügte. Dass die Gewährung des Zutritts zur Abwicklung des Auftrages gleichwohl faktisch notwendig war, reichte dem BFH indes – anders als noch in seiner Entscheidung vom 14.7.200472 vertreten – nicht aus, um die Anforderungen an die Verfügungsmacht zu bejahen.73 Vielmehr, so das Gericht, müsse hinzukommen, dass die Einrichtungen dem Auftragnehmer vermietet oder zumindest in vergleichbarer Weise zu Nutzung überlassen würden, um von einer örtlichen Verfestigung und dem Vorliegen einer Verfügungsmacht auszugehen. Im Ergebnis hat der BFH damit in seinem Urteil vom 4.6.2008 dem Modell der Dienstleistungsbetriebsstätte eine Absage erteilt bzw. deren mögliche Existenz exklusiv auf den Bereich der Bau- und Montagebetriebsstätten in Art. 5 Abs. 3 OECD-MA reduziert.74

II. Betriebsstätte durch Einschaltung einer Managementgesellschaft (BFH vom 24.8.2011) Zu einem überraschenden Ergebnis gelangte der BFH in seiner aktuellen Entscheidung vom 24.8.2011.75 Dieser lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die in UK als geschlossener Fonds operierende E-LP schloss mit der ebenfalls in UK domizilierenden EV-Ltd. einen sog. Managementvertrag ab, weil allein die bei der EV-Ltd. angestellten Manager über die nach englischem Recht erforderlichen Genehmigungen zur Vornahme von Finanztransaktionen berechtigt waren. Die EV-Ltd. verfügte über eigene Büroräume sowie eigenes Büropersonal. In ihren Räumlichkeiten waren zugleich die für die E-LP per Managementvertrag tätig gewordenen Mitarbeiter der EV-Ltd. zugegen. Die E-LP selbst verfügte über keine eigenen Räumlichkeiten. Die Geschäftsführer der bei der E-LP als _____________ 72 Vgl. BFH v. 24.8.2011 – I R 106/03, BFH/NV 2005, 154. 73 Relativierend hingegen Buciek, IStR 2008, 704, sowie Eckl, IStR 2009, 510 (512). 74 So auch Gosch, SWI 2011, 324 (333); Gosch, BFH-PR 2008, 524; Korff, IStR 2009, 231 (236), sowie anschließend bestätigt durch BFH v. 22.4.2009 – I B 196/08, BFH/NV 2009, 1588; zweifelnd hingegen Rosenberger/Vitali/Ziehr, IStR-Beihefter Heft 18/2010, 14. 75 Vgl. BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BFH/NV 2011, 2165.

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Komplementär eingesetzten E-Ltd. waren zugleich auch geschäftsführend für die EV-Ltd. tätig.

Nach Auffassung des BFH unterhält die E-LP eine Betriebsstätte im Sinne des Art. II Abs. 1 Buchst. I DBA Großbritannien 1964/1970 (entspricht Art. 5 Abs. 1 OECD-MA). Dass sich die E-LP dabei ausschließlich der Räumlichkeiten und des Personals der EV-Ltd. als Managementgesellschaft bediente, sei – so der BFH – unbeachtlich. Ausschlaggebend ist nach Auffassung des BFH vielmehr, dass die E-LP mittels der vertraglichen Übertragung von Aufgaben und dadurch mittels eines entsprechenden sachlichen und personellen Apparats in der Lage war, ihrer unternehmerischen Tätigkeit operativ nachzugehen, und sie infolgedessen Zugriff in Gestalt einer Verfügungsmacht über die fraglichen Räumlichkeiten hatte. Wegen des Managementvertrages folgerte der BFH, die E-LP sei auch ohne ein ihr vertraglich eingeräumtes eigenes Nutzungsrecht nicht nur „gelegentliche Mitnutzerin“ der Räume der EV-Ltd. gewesen. Im Ergebnis konzedierte der BFH, dass die auf eine Managementgesellschaft übertragenen Tätigkeiten eine Betriebsstätte des Auftraggebers vermitteln können.

III. Würdigung Schien der BFH in seiner Entscheidung vom 4.6.200876 noch einen Kontrapunkt in Bezug auf die Ausweitung des Betriebsstättenbegriffes auf Dienstleistungsbetriebsstätten gesetzt zu haben, so verleiten die Ausführungen in der Begründung zur Entscheidung vom 24.8.201177 zu der Annahme, der BFH würde im Zuge einer weniger strikten Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Verfügungsmacht der unechten Dienstleistungsbetriebsstätte nicht mehr gänzlich mit Abneigung gegenüber_____________ 76 Vgl. BFH v. 4.6.2008 – I R 30/07, BStBl. II 2008, 922. 77 Vgl. BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BFH/NV 2011, 2165.

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stehen. Wenngleich bereits im Anschluss an die Entscheidung vom 4.6.2008 deutlich wurde, dass die seinerzeit nicht vorliegenden, regelmäßig notwendigen qualifizierten Anforderungen an eine Verwurzelung bzw. Verfügungsmacht keineswegs einer vertraglichen Grundlage bedurften,78 überrascht die Entscheidung vom 24.8.2011 aufgrund des Urteilssachverhalts zwar nicht unmittelbar, die herangezogene Begründung wirft aber zahlreiche Fragestellungen auf. Im Einzelnen: Der BFH hält es offenbar für denkbar, dass sich die Fondsgesellschaft allein durch die Übertragung dispositiver Aufgaben auf eine Managementgesellschaft in die Lage versetzt sieht, Zugriff in Gestalt einer Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten der Managementgesellschaft zu erhalten und damit dort eine Betriebsstätte zu begründen. Hinweise darauf, dass eine Verfügungsmacht aufgrund einer tatsächlichen „Verwurzelung“ in den Geschäftseinrichtungen der Managementgesellschaft bejaht wurde, enthält die Urteilsbegründung hingegen nicht. Damit drängt sich die Frage auf, ob jedes Auftragsverhältnis mit einem eigenverantwortlich tätigen Berater zur Annahme einer Betriebsstätte des Auftraggebers gereichen soll und ob sich der BFH von seinem durch die langjährige Rechtsprechung geprägten Verständnis des Begriffes der Verfügungsmacht nunmehr – zumindest in Teilen – distanziert. Es entspricht schließlich der h. M., dass der Auftraggeber keine Betriebsstätte in den Räumen seines Auftragnehmers unterhält, wenn der Auftragnehmer eigenverantwortlich die ihm übertragenen Aufgaben erledigt und nicht wie ein leitender Angestellter des Auftraggebers auftritt.79 Eine Betriebsstätte des Auftraggebers in den Räumlichkeiten des Auftragnehmers kann stattdessen erst angenommen werden, wenn der Auftraggeber dort seinem Geschäftsbetrieb dienende Handlungen selbst ausführt. Eine bloße Anwesenheit des auftraggebenden Unternehmers ohne eine jegliche „Verwurzelung“ reicht derweil nicht aus. So verhält es sich grundsätzlich auch in der jüngst veröffentlichten Entwurfsfassung des OECD-MK bei der Beauftragung von Subunternehmern. Denn wie bereits ausgeführt, soll es dem Auftraggeber gerade dann an der Verfügungsmacht über eine feste Geschäftseinrichtung seines Subunternehmers fehlen, wenn dieser lediglich in dessen Auftrag tätig wird und dem Auftraggeber keinerlei Verfügungsmacht über feste Geschäftseinrichtungen des Subunternehmers zusteht. _____________ 78 So Buciek, IStR 2008, 703 (704). 79 Vgl. zuletzt Blumers/Weng, DStR 2012, 551 (552); kritisch auch Wassermeyer, IStR 2011, 931 (931); Wichmann, FR 2011, 1082 (1085).

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Die Urteilsbegründung vom 24.8.2011 deutet indessen darauf hin, dass es dem BFH im streitgegenständlichen Sachverhalt allein auf den Umfang der auf die Managementgesellschaft übertragenen Aufgaben ankam, um die Existenz einer Betriebsstätte zu bejahen.80 Zwar mag es sehr wohl einleuchten, dass die vorliegend vertraglich vereinbarte Übertragung von Managementaufgaben als Indiz für eine Verfügungsmacht des Auftraggebers über die Geschäftseinrichtungen des Auftragnehmers (konkludent) herangezogen wurde. Darüber hinaus wäre es jedoch wünschenswert gewesen, der BFH hätte – wie auch in früheren Entscheidungen – außerdem die tatsächlichen Umstände einer umfassenden Würdigung unterzogen. Gerade aufgrund des Umstands, dass im Urteilssachverhalt wohl eine nachhaltige Überwachung der Managementgesellschaft durch den Auftraggeber innerhalb der Räumlichkeiten der Managementgesellschaft gegeben war, hätte der BFH schlüssig und im Einklang mit der bis dato ergangenen Rechtsprechung81 dazu gelangen können, eine Verfügungsmacht zu bejahen.82 In ähnlicher Weise hätte auch die Tatsache, dass die Geschäftsführer der E-Ltd. zugleich auch operativ bzw. geschäftsführend bei der EV-Ltd. tätig waren, erörtert werden können. Mit der Urteilsbegründung suggeriert der BFH jedoch, dass es auf eine derartige Verwurzelung im Zweifel nicht mehr ankommt. Dies kann indessen nicht gemeint sein. Natürlich verläuft bei der Einschaltung von Subunternehmern oder Dienstleistern, rekurrierend auf die Frage nach einer Verfügungsmacht, ein schmaler Grat zwischen Begründung und Nichtbegründung einer Betriebsstätte. Ohne jeden Zweifel muss aber eine Grenze existieren. In einer Besprechung der Entscheidung weist Gosch83 zumindest weiterhin auf die Voraussetzungen einer „räumlichen und zeitlichen Verwurzelung“ hin. Insoweit scheinen sich an den grundlegenden Anforderungen hinsichtlich des Begriffes der Verfügungsmacht nachhaltig keine Änderungen ergeben zu haben. Gleichwohl muss dem BFH bei der Formulierung künftiger Urteilsbegründungen zu mehr Augenmaß angeraten werden, will er die Grenzen zur Vermittlung abkommensrechtlicher Betriebsstätten (ungewollt) nicht noch weiter ausgedehnt sehen. _____________ 80 81 82 83

Vgl. auch Wassermeyer, IStR 2011, 931 (931). Vgl. BFH v. 13.6.2006 – I R 84/05, BStBl. II 2007, 94. Ebenso Blumers/Weng, DStR 2012, 551 (552). BFH-PR 2012, 33 (34).

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E. Fazit Wenngleich die in der Entwurfsfassung des OECD-MK zu Art. 5 derzeit vorgesehenen Klarstellungen in der Praxis für mehr Rechtssicherheit sorgen sollten und damit insoweit zu begrüßen sind, machen die vorstehenden Ausführungen doch mehr als deutlich, dass die vorgeschlagenen Änderungen die Tendenz zur Aufweichung des Betriebsstättenbegriffes nicht nur nahtlos fortsetzen, sondern gar zu einer Beschleunigung dieser wenig erfreulichen Entwicklung beizutragen scheinen. Dabei vermag insbesondere die zunehmend flexible Neuauslegung des Begriffes der Verfügungsmacht dazu beitragen, dass der in den allerwenigsten Abkommen verankerten Dienstleistungsbetriebsstätte im Wege der Interpretation zu immer mehr Geltung verholfen wird. In der Folge werden abkommensrechtliche Betriebsstätten schlichtweg fingiert, ohne dass es einer besonderen Verwurzelung oder Präsenz des Unternehmens im Quellenstaat tatsächlich bedarf. Führt man sich die zunehmende Unsicherheit, gepaart mit den zu erwartenden, exponentiell erhöhten Verwaltungsaufwendungen und steuerlichen Risiken international tätiger Unternehmen, vor Augen,84 so wird schnell klar, dass selbst die in den Quellenstaaten zu erwartenden Steuermehreinnahmen nicht geeignet sind, die derzeitigen Entwicklungen zu legitimieren. Dies nicht zuletzt auch deswegen, weil sich auf Ebene der Gewinnabgrenzung die Thematik der Generierung zusätzlichen Steuersubstrats relativieren sollte. Denn Dienstleistungsbetriebsstätten werden in der Regel keine wertschöpfungsstarken und infolgedessen wesentlichen Gewinne zuzuordnen sein. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass sich das BMF in künftigen DBAVerhandlungen (insbesondere mit Entwicklungs- und Schwellenländern) einem erhöhten Druck zur Aufnahme entsprechender Regelungen in die DBA ausgesetzt sehen wird. Aus diesem Grund, aber auch wegen der damit aufklaffenden Lücke zwischen dem nationalen und abkommensrechtlichen Betriebsstättenverständnis nimmt es kaum Wunder, dass auch Vertreter aus dem BMF der Versuchung von Mehreinnahmen im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht trotzen und sich stattdessen wenig erfreut über die Entwicklungen auf Ebene der OECD gezeigt haben. Zumindest sollte nach der Entscheidung des norwegischen Noregs Hogsterett im Fall „Dell Computers“ nunmehr endgültig Klar_____________ 84 Siehe bspw. Haas, FR 2011, 1092 (1094).

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heit dahingehend bestehen, dass ein Kommissionär deutschen Handelsrechts keine Vertreterbetriebsstätte begründen kann. Schließlich wäre es dem BFH aus den genannten Gründen zu wünschen gewesen, an seiner bislang eher engen Auslegung des Begriffes der Verfügungsmacht auch weiterhin klar festzuhalten. Zu allem Überfluss scheinen aber auch dessen jüngere Judikate Sympathien für eine Ausweitung des Betriebsstättenbegriffes erkennen zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung vom 24.8.2011 im Wesentlichen dem speziellen Sachverhalt geschuldet war und weniger zu verallgemeinernden Schlussfolgerungen anregen wollte. Orientiert man sich an dem durch die langjährige Rechtsprechung gefestigten Erfordernis der „räumlichen und zeitlichen Verwurzelung“, so ist eine Dienstleistungsbetriebsstätte mangels vorliegender Verfügungsmacht auch weiterhin nicht denkbar.

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Nationale Regelungen zur Vermeidung missbräuchlicher Inanspruchnahme von Doppelbesteuerungsabkommen Dr. Jens Schönfeld Dipl.-Kfm., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Inhaltsübersicht A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Missbrauchsbegriff . . . . . . . . . II. Erscheinungsformen der missbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA . . . . . . . . . . . III. Missbrauchsbekämpfungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsgrundlagen im DBARecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsgrundlagen im innerstaatlichen Steuerrecht . . . IV. Zulässigkeit von Missbrauchsbekämpfungsvorschriften . . . . 1. Zulässigkeit im innerstaatlichen Recht . . . . . . . . 2. Zulässigkeit im EU-Recht .

137 137

139 140 140 140 141 141 141 143

B. Fallmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fall 1: „Die grenzwertige Finanzierungsgesellschaft“ . . . II. Fall 2: „Die bessere Dienstleistungsgesellschaft“ . . . . . . . III. Fall 3: „Die verunglückte Vertriebsbetriebsstätte“ . . . . . IV. Fall 4: „Zinsen sind doch nur Teufelszeug“ . . . . . . . . . . . . . . V. Fall 5: „Die ärgerliche Kapitalertragsteuer“ . . . . . . . . VI. Fall 6: „Auf nichts ist mehr Verlass“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fall 7: „Der erfreuliche Qualifikationskonflikt“ . . . . . VIII. Fall 8: „Irgendwo sind auch Grenzen“ . . . . . . . . . . . . . . . .

145 145 148 150 151 154 157 159 160

C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

A. Allgemeines I. Missbrauchsbegriff Das Problem des Missbrauchs und dessen Vermeidung gehört mit zu den schillerndsten Problemen des Steuerrechts. Bevor man sich allerdings der Frage nähert, inwieweit die missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA durch nationale Regelungen bekämpft werden darf, sollte man sich vergegenwärtigen, was überhaupt unter dem Begriff des Missbrauchs zu verstehen ist. Außerhalb des Steuerrechts wird mit „Missbrauch“ im Allgemeinen ein funktionswidriger, Treu und Glauben widersprechender Gebrauch 137

Schönfeld – Nat. Regeln zur Vermeidung missbräuchl. Inanspruchnahme von DBA

einer Sache oder eines Rechtes beschrieben.1 Darin kommt bereits zum Ausdruck, dass es im Kern darum geht, ein gewährtes Recht zweckwidrig zu gebrauchen. Der Missbrauchsbegriff im deutschen Steuerrecht setzt dieses Verständnis noch wesentlich detaillierter um. Danach setzt Missbrauch eine rechtliche Gestaltung voraus, die gemessen an dem angestrebten Ziel unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht gerechtfertigt werden kann.2 Darin kommt insbesondere zum Ausdruck, dass das Steuerrecht einem zivilrechtlichen Subsumtionsvorschlag nicht folgt, wenn die Gestaltungsmöglichkeiten des Zivilrechts ausschließlich dazu genutzt werden, Steuern zu mindern, und dieses Ziel durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht gerechtfertigt werden kann. In einem ähnlichen Sinne versteht auch das europäische Steuerrecht den Missbrauch. Danach ist eine missbräuchliche Praktik jede rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung, die zu dem Zweck errichtet wird, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird.3 Im Kern geht es also dem europäischen Missbrauchsbegriff darum, dass die vom EU-Recht gewährten Grundfreiheiten nicht ihrem eigentlichen Zweck entsprechend genutzt werden, nämlich die europäischen Teilmärkte gegenseitig zu durchdringen, sondern nur deshalb in Anspruch genommen werden, um der in einem Mitgliedstaat erhobenen Steuer zu entgehen. Auf einer ähnlichen Linie liegt das abkommensrechtliche Missbrauchsverständnis. Danach wird unter Missbrauch jede künstliche Rechtskonstruktion verstanden, die darauf gerichtet ist, in den Genuss von Steuervorteilen nach bestimmten innerstaatlichen Gesetzen bzw. von Steuererleichterungen nach den DBA zu kommen.4 In diesem weiten Sinne soll der Missbrauchsbegriff im Weiteren verwandt werden.

_____________ 1 Vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band IV (K-OZ), 1982, 688. 2 Vgl. z. B. BFH v. 17.11.1999 – I R 11/99, BStBl. II 2001, 822 m. w. N. 3 Grundlegend EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, Rz. 55. 4 Vgl. Nr. 8 MK zu Art. 1 OECD-MA.

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Schönfeld – Nat. Regeln zur Vermeidung missbräuchl. Inanspruchnahme von DBA

II. Erscheinungsformen der missbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA Hat man sich ein Bild davon gemacht, was unter dem Begriff des Missbrauchs zu verstehen ist, kann man sich der weiteren Frage zuwenden, welche Erscheinungsformen der missbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA es gibt. Die wohl bekannteste Erscheinungsform ist das sog. „treaty shopping“. Dabei handelt es sich um eine Gestaltung, die darauf angelegt ist, den Schutz eines DBA zu erlangen, welches an sich für den Steuerpflichtigen nicht gilt. Der Klassiker ist die Einschaltung einer abkommensberechtigten Person für das Erzielen bestimmter Einkünfte, etwa die Einschaltung einer Gesellschaft in einem Staat, mit dem Deutschland ein DBA abgeschlossen hat, welches Vorteile gewährt, die bei einem unmittelbaren Bezug der Einkünfte nicht zur Anwendung kämen. Ferner zu nennen ist das sog. „rule shopping“. Eine derartige Gestaltung ist darauf angelegt, die Voraussetzung einer bestimmten Verteilungsnorm eines DBA herbeizuführen, dessen Schutz der Steuerpflichtige an sich beanspruchen kann. Zu nennen ist hier z. B. der Versuch, in den Genuss des Zinsartikels anstelle des Dividendenartikels zu gelangen, weil der Zinsartikel nach dem deutschen DBA typischerweise kein Quellenbesteuerungsrecht vorsieht, wohingegen der Dividendenartikel typischerweise ein Quellenbesteuerungsrecht ermöglicht (ausgenommen Schachtelprivileg). Eine weitere Erscheinungsform der missbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA sind sog. Qualifikationskonflikte. Derartige Gestaltungen sind darauf angelegt, durch die unterschiedliche Anwendung eines DBA im Quellen- und Ansässigkeitsstaat einen Steuervorteil zu erlangen, der bei übereinstimmender Auslegung des DBA nicht entstanden wäre (Stichwort: „weiße Einkünfte“). Schließlich kann man auch die Einkünfteverlagerung darunter fassen, bei der es darum geht, Einkünfte in einen in der Regel niedrig besteuernden DBA-Quellenstaat zu verlagern, für die der Ansässigkeitsstaat die Freistellungsmethode gewährt oder anderweitig an der Besteuerung gehindert ist (z. B. zivilrechtliche Abschirmwirkung ausländischer Rechtsträger).

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Schönfeld – Nat. Regeln zur Vermeidung missbräuchl. Inanspruchnahme von DBA

III. Missbrauchsbekämpfungsvorschriften 1. Einleitung Vor dem Hintergrund des dargestellten Missbrauchsbegriffes sowie der Erscheinungsformen missbräuchlicher Inanspruchnahme von DBA kann man sich sodann der Frage zuwenden, wie und auf welchen Rechtsgrundlagen die DBA einerseits und das – in der Folge relevante – innerstaatliche Steuerrecht andererseits versuchen, missbräuchliche Praktiken zu verhindern. 2. Rechtsgrundlagen im DBA-Recht So enthalten die deutschen DBA zunehmend selbst Regeln, um eine aus Sicht der Abkommenspartner missbräuchliche Inanspruchnahme von DBA zu verhindern. So werden z. B. bestimmte Rechtsträger generell von der Abkommensberechtigung ausgenommen, wenn im Zusammenhang mit diesen Rechtsträgern typischerweise unangemessene Gestaltungen verbunden sind. Zu nennen ist hier z. B. das neue DBA mit Liechtenstein, welches Privatvermögenstrukturen liechtensteinischen Rechts, die ausschließlich der Mindestertragsteuer in Liechtenstein unterliegen, vom Abkommensschutz ausnimmt (z. B. Familienstiftungen).5 Zunehmend wird auch der Kreis der durch DBA begünstigten Personen mithilfe sog. „limitation-on-benefits“-Klauseln eingegrenzt. Die bekannteste und komplexeste Regelung enthält hier Art. 28 DBA-USA. In den DBA werden auch zunehmend Regelungen aufgenommen, um Qualifikationskonflikte zu verhindern (z. B. Art. 1 Abs. 7 DBA-USA und Art. 23 Abs. 4 Buchst. b 1. Alt. DBA-USA). Beliebt sind auch sog. „subject-to-tax“-Klauseln (z. B. Art. 23 Abs. 4 Buchst. b 2. Alt. DBA-USA), die die Anwendung der Freistellungsmethode davon abhängig machen, dass die freigestellten Einkünfte im Quellenstaat einer Besteuerung unterlegen haben. Echte Klassiker sind mittlerweile sog. Aktivitätsvorbehalte (z. B. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a DBA-Schweiz), die die Freistellung davon abhängig machen, dass die freigestellten Einkünfte aus einer bestimmten aktiven Tätigkeit stammen. Damit will man verhindern, dass insbesondere bestimmte (mobile) betriebliche Teilfunktionen in eine Freistellungsbetriebsstätte verlagert werden. Dann enthalten die DBA auch Öffnungsklauseln, die die Anwendung innerstaat_____________ 5 Vgl. Protokoll zum DBA Nr. 2c.

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licher Missbrauchsbekämpfungsvorschriften ausdrücklich ermöglichen. So sieht z. B. Art. 1 Abs. 6 DBA-USA vor, dass Deutschland seine Hinzurechnungsbesteuerung im Verhältnis zur USA anwenden kann. Ist eine solche Öffnungsklausel enthalten, wird man nur schwerlich von einem „treaty override“ sprechen können, weil dieser im DBA selbst angelegt ist. 3. Rechtsgrundlagen im innerstaatlichen Steuerrecht Im Bereich des innerstaatlichen Steuerrechts hat man zu unterscheiden zwischen der allgemeinen Missbrauchsbekämpfungsvorschrift des § 42 AO einerseits und den typisierenden Missbrauchsbekämpfungsvorschriften andererseits. In diesem Zusammenhang ist deutlich zu erkennen, dass es der Gesetzgeber (auch bedingt durch die zurückhaltende Anwendung von § 42 AO durch die Rechtsprechung) bevorzugt, missbräuchliches Verhalten zu typisieren und steuerlich entsprechend zu sanktionieren. Von diesen typisierenden Missbrauchsbekämpfungsvorschriften sind im Bereich des internationalen Steuerrechts insbesondere zu nennen die Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7 bis 14 AStG, der switch-over von der DBA-Freistellung zur Anrechnung nach § 20 Abs. 2 AStG, die Einkünftekorrektur bei verbundenen Unternehmen gemäß § 1 AStG, die Anti-treaty-shopping- und Anti-directive-shoppingRegelung des § 50d Abs. 3 EStG sowie die Regelung zur Vermeidung von sog. „weißen Einkünften“ aufgrund von DBA-Qualifikationskonflikten nach § 50d Abs. 9 EStG. Die Aufzählung könnte weiter fortgesetzt werden, es sollen hier nur die praktisch wichtigsten Vorschriften genannt werden.

IV. Zulässigkeit von Missbrauchsbekämpfungsvorschriften 1. Zulässigkeit im innerstaatlichen Recht Was die Zulässigkeit von Vorschriften zur Bekämpfung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA anbelangt, so ist zunächst zwischen solchen Vorschriften zu unterscheiden, die einen sog. „treaty override“ bewirken, und solchen Vorschriften, von denen ein solcher völkerrechtsunfreundlicher Akt nicht ausgeht.6 Missbrauchsbekämpfungsvorschriften, die ohne einen „treaty override“ auskommen (z. B. weil deren Anwendung im betreffenden DBA aus_____________ 6 Vgl. hierzu auch grundlegend z. B. Gosch, IStR 2008, 413.

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drücklich zugelassen ist), sollen nach bislang ganz herrschender Auffassung grds. zulässig sein. Es ist allerdings Hey7 und ihrer Schülerin Gabel8 zu verdanken, in jüngster Vergangenheit den Blick insoweit etwas geschärft zu haben. Sie haben sich mit überzeugenden Argumenten dafür ausgesprochen, die Zulässigkeit typisierender Missbrauchsbekämpfung stärker an den Grundrechten zu messen, insbesondere dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung die Möglichkeit des Nachweises einzuräumen, dass ihn der typisierte Missbrauchsvorwurf im konkreten Fall überhaupt nicht trifft. Dem kann nur beigepflichtet werden. Denn es drängt sich doch geradezu die Frage auf, warum das, was für die Grundfreiheiten des AEUV gilt, nicht auch für die Grundrechte des GG gelten soll. Hier wie dort geht es um die Gewährleistung von Freiheitsrechten. Und hier wie dort gibt es ein Verhältnismäßigkeitsgebot, welches überschießende Tendenzen typisierender Missbrauchsbekämpfungsvorschriften begrenzt. Im Verfassungsrecht ist es nur lediglich so, dass das BVerfG (anders als der EuGH) bislang nur sehr eingeschränkt einen Eingriff in die Grundrechte durch steuerliche Vorschriften bejaht (Stichwort: konfiskatorische Besteuerung). Insoweit kommt das BVerfG meist gar nicht zur Verhältnismäßigkeitsprüfung. Hier könnte die Grundfreiheitsdogmatik des EuGH neue Anstöße für eine freiheitsfreundliche Auslegung des GG geben. Die vorstehenden Überlegungen gelten erst recht, wenn von der betreffenden Missbrauchsbekämpfungsvorschrift ein „treaty override“ ausgeht. Im Schrifttum mehren sich zunehmend die Stimmen, die im Anschluss an neuere Rechtsprechung des BVerfG9 darin einen Verstoß gegen Art. 2 GG i. V. m. mit dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechtsstaatsprinzip sehen.10 Auch Gosch11 geht der Frage grundlegend _____________ 7 Hey, DStJG Bd. 33, 139 ff. 8 Gabel, StuW 2011, 3 ff. 9 BVerfG v. 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04, IStR 2005, 31; v. 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 1038/01, NVwZ 2005, 560. 10 Vgl. den instruktiven Beitrag von Schwenke in diesem Tagungsband; ferner Becker, NVwZ 2005, 289 (291); Elicker, Die Zukunft des deutschen Internationalen Steuerrechts, 2006, 56; Hummel, IStR 2005, 35 (36); Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 (1380); Rust/Reimer, IStR 2005, 843; Stein, IStR 2006, 505 (508); Vogel, IStR 2005, 24; Vogel, IStR 2007, 225; Daragan, IStR 1998, 225; Schütz in Mössner/ Fuhrmann, § 20 AStG Rz. 18 f.; wohl auch Rupp in Haase, § 20 AStG Rz. 25 ff.; a. A. Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 ff., die bezweifelt, dass sich die auf die EMRK bezogenen Äußerungen des BVerfG auf DBA übertragen lassen; ferner Prokopf in Strunk/Kaminski/Köhler, § 20 AStG Rz. 70 f. 11 IStR 2008, 413 (414).

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nach und weist ausdrücklich darauf hin, dass sich insoweit eine neue Entwicklung abzeichne. Vor dem Hintergrund der völkerrechtskonformen, milderen Reaktionsmöglichkeiten erachtet er die von der Literatur vorgebrachten Bedenken ausdrücklich für ernst zu nehmend. Er fordert dabei die Rspr. auf, diese Entwicklung voranzutreiben. Insoweit verwundert es nicht, dass der I. Senat des BFH in jüngster Vergangenheit andeutet, sich dieser Aufgabe anzunehmen.12 In gleich zwei Entscheidungen bringt der BFH seine Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines „treaty override“ deutlich zum Ausdruck. Es ist allerdings auch zu beachten, dass die Grundrechte nicht schrankenlos gewährleistet werden. Dies bringt auch das BVerfG zum Ausdruck, wenn es einen Abkommensbruch als gerechtfertigt ansieht, „sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist“.

Ob die Missbrauchsbekämpfung mit Blick auf die aus Art. 3 GG folgende Verpflichtung des Staates, für eine Gewährleistung der gleichmäßigen Besteuerung zu sorgen, zu derart tragenden Verfassungsgrundsätzen gehört, darüber kann man sicherlich streiten. Bejaht man dies aber, dann muss dem Steuerpflichtigen als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebotes die Möglichkeit eingeräumt werden, den (ggf. typisierten) Missbrauchsvorwurf zu widerlegen. 2. Zulässigkeit im EU-Recht Neben dem innerstaatlichen Recht können der Missbrauchsbekämpfung auch (ggf. effektivere) Grenzen durch das (höherrangige13) EU-Recht gesetzt sein,14 auch wenn der EuGH dem „treaty override“ als solchem bislang (leider) keine Verletzung von EU-rechtlichen Vorgaben entnehmen konnte, und zwar grds. selbst dann nicht, wenn dies zu einer Doppelbesteuerung führt.15 Beginnen wir mit den typisierenden Miss_____________ 12 BFH v. 19.5.2010 – I B 191/09, BStBl. II 2011, 156; v. 8.9.2010 – I R 6/09, BFH/NV 2011, 154. 13 Zum Verhältnis von EU-Recht und DBA vgl. z. B. Schönfeld in Debatin/Wassermeyer, Vor Art. 1 OECD-MA Rz. 86 ff. m. w. N., speziell zu DBA und Missbrauchsbekämpfung ausführlich Rz. 131 ff. 14 Aus der großen Zahl der Beiträge dazu vgl. aus jüngerer Zeit z. B. Bergmann, StuW 2010, 246; Thiele, IStR 2011, 452, jeweils m. w. N. 15 Vgl. EuGH v. 14.11.2006 – Rs. C-513/04 – Kerkhaert und Morres, Slg. 2006, I-10967, Rz. 15 ff.; zu Recht kritisch Englisch, IStR 2007, 67 ff.; Kofler, Doppelbesteuerungsabkommen und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 2007, 167 ff.

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brauchsbekämpfungsvorschriften. Sind diese nicht diskriminierend bzw. nicht beschränkend, so sind diese Vorschriften EU-rechtlich uneingeschränkt zulässig. Dies ist auch in der Sache nachvollziehbar, weil die EU-Grundfreiheiten nur dann die Anwendung einer nationalen Vorschrift hindern, wenn eine Diskriminierung oder eine Beschränkung dieser Grundfreiheiten gegeben ist.16 Auch diskriminierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften sind grundsätzlich zulässig. Bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“ war diese Einsicht allerdings nicht selbstverständlich. Bis dahin ging man davon aus, dass typisierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften per se unzulässig sind. Mit der Entscheidung in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“ stellte der EuGH allerdings klar, dass auch typisierende Missbrauchsbekämpfungsvorschriften grundsätzlich zulässig sind. Die Grenze ist jedoch das EUrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot, d. h., die typisierende Maßnahme darf nicht über das hinausgehen, was zur Zielerreichung erforderlich ist. Der EuGH folgert daraus, dass der Steuerpflichtige in jedem Einzelfall die Möglichkeit haben muss, den typisierten Missbrauchsvorwurf zu widerlegen (Stichwort: „wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“).17 Denn gelingt ihm dieser Nachweis, ist auch die Anwendung einer (typisierenden) Missbrauchsbekämpfung nicht erforderlich. Auch die allgemeine Missbrauchsbekämpfungsvorschrift des § 42 AO ist EU-rechtlich uneingeschränkt zulässig. Dies ist in der Sache auch nachvollziehbar, weil § 42 AO jedenfalls von seinem Wortlaut her eine nicht diskriminierende Regelung ist. Hinzuweisen ist aber darauf, dass in der praktischen Rechtsanwendung kein unterschiedliches Missbrauchsverständnis in Abhängigkeit davon zugrunde gelegt werden darf, ob es um einen inländischen oder um einen grenzüberschreitenden Sachverhalt geht. Wird ein solcher Unterschied gemacht, und zwar zulasten des grenzüberschreitenden Sachverhalts, dann kann diese Rechtsanwendungspraxis sehr wohl gegen die EU-Grundfreiheiten verstoßen mit der Folge, dass der Steuerpflichtige wiederum den Nachweis führen können muss, dass die von ihm gewählte Gestaltung keine rein künstliche Konstruktion, bar jeder wirtschaftlichen Realität ist. _____________ 16 Vgl. z. B. EuGH v. 6.12.2007 – Rs. C-298/05 – Columbus Container, Slg. 2007, I-10451. 17 Vgl. EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995, Rz. 60 ff.

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Hinzuweisen ist ferner darauf, dass das EU-Recht zum Teil ausdrückliche Missbrauchsbekämpfungsvorbehalte zugunsten der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber enthält (z. B. Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochter-Richtlinie).

B. Fallmaterial Das vorstehende allgemeine Verständnis soll anhand der nachfolgenden Beispiele konkretisiert werden:

I. Fall 1: „Die grenzwertige Finanzierungsgesellschaft“ D-AG Deutschland EK = 1 Mrd.



Darlehen = 1 Mrd.



Europäische Union

FinCo Anwalt als „Halbtags-GF“

Die deutsche D-AG ist alleinige Gesellschafterin der außerhalb der EU ansässigen FinCo. Letztere Gesellschaft unterliegt mit ihren Zinseinkünften einer Besteuerung von 5 %. Dies bringt den Vorstand der D-AG auf die Idee, die FinCo mit einem Eigenkapital i. H. v. 1 Mrd. Euro auszustatten, welches der D-AG unmittelbar als langfristiges Darlehen zurückgegeben werden soll. Zur Abwicklung der Transaktion soll die FinCo in ihrem Ansässigkeitsstaat einen Raum in einer Anwaltskanzlei anmieten, den sie sich mit anderen Gesellschaften teilt. Einer der Anwälte soll zum Geschäftsführer der FinCo berufen werden, der die nötigen Dokumente ausfertigt, dann aber eigentlich nicht mehr viel zu tun hat. Mit dem Ansässigkeitsstaat der FinCo besteht ein dem OECD-MA nachgebildetes DBA mit Schachtelprivileg für Dividenden. Der Steuerberater Theo Vorsicht meint, der Plan könnte daran scheitern, dass die niedrig besteuerten Zinsen der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7–14 AStG unterliegen. Zu Recht? Abwandlung: Wäre die Frage anders zu beurteilen, wenn die FinCo innerhalb der EU ansässig wäre?

Es ist in der Tat so, dass die Zinsen als niedrig besteuerte, passive Einkünfte der sog. Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7–14 AStG unterliegen, d. h., die D-AG die von der FinCo erzielten Zinsen zu besteuern hat, und zwar unabhängig davon, ob diese Einkünfte bereits 145

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ausgeschüttet wurden oder nicht. Daraus resultiert nach ganz überwiegender Auffassung auch ein Konflikt mit DBA, wenngleich umstritten ist, welche DBA-Vorschrift konkret angesprochen ist.18 Durch § 20 Abs. 1 Halbs. 1 AStG sollen diese Bedenken gegen die Vereinbarkeit der §§ 7–14 AStG mit DBA zwar beseitigt werden. Folgt man aber der neueren Auffassung in Schrifttum und Rspr. (vgl. oben A. IV. 1.), die einen „treaty override“ aus verfassungsrechtlichem Blickwinkel eher kritisch sieht, dann hilft auch der ausdrückliche einfachgesetzliche Hinweis darauf, dass der DBA-Konflikt unbeachtlich ist, nicht. Oder anders formuliert: Ein Konflikt mit höherrangigem Recht kann nicht dadurch beseitigt werden, dass das einfache Recht diesen Konflikt schlicht verneint. Der vom „treaty override“ ausgehende verfassungsrechtliche Eingriff könnte vorliegend aber gerechtfertigt sein, wenn man die Hinzurechnungsbesteuerung mit Blick auf das aus Art. 3 GG folgende Gebot der gleichmäßigen Besteuerung für erforderlich hält (worüber man durchaus streiten kann). Bejaht man diese Rechtfertigungsmöglichkeit, dann muss dem Steuerpflichtigen als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebotes zumindest die Möglichkeit offenstehen, den typisierten Missbrauchsvorwurf zu widerlegen. Er müsste also anhand objektiver Kriterien darlegen, dass es sich – um auf den DBAMissbrauchsbegriff zurückzukommen (vgl. oben A. I.) – bei der gewählten Gestaltung um keine künstliche Rechtskonstruktion handelt, die darauf gerichtet ist, in den Genuss von Steuervorteilen nach bestimmten innerstaatlichen Gesetzen bzw. von Steuererleichterungen nach den DBA zu kommen. Genau das könnte im vorliegenden Beispiel aber durchaus schwerfallen. Da die Hinzurechnungsbesteuerung nur gegenüber ausländischen, nicht aber auch gegenüber inländischen Kapitalgesellschaften erfolgt, ist darin zudem eine Beschränkung der EU-Grundfreiheiten zu sehen. Bei wesentlichen Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften wird es in erster Linie um eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gehen, ansonsten um eine solche der Kapitalverkehrsfreiheit. Bislang ist noch nicht abschließend geklärt, ob die Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung im Verhältnis zu sog. Drittstaaten durch die (grds. auch den Kapitalverkehr mit Drittstaaten schützende) Kapitalverkehrsfrei_____________ 18 Zum Streit vgl. Wassermeyer/Schönfeld in F/W/B/S, § 20 AStG Rz. 21 ff. m. w. N.

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heit gehindert ist.19 Jedenfalls in der Abwandlung kommt es darauf auch nicht an, weil die FinCo innerhalb der EU ansässig ist. Der EuGH hat dabei zur vergleichbaren Hinzurechnungsbesteuerung nach britischem Steuerrecht in der Rechtssache „Cadbury Schweppes“ entschieden, dass ein derartiger diskriminierender Durchgriff durch eine ausländische Kapitalgesellschaft einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit darstellt, der u. U. gerechtfertigt sein kann.20 Wie bereits weiter oben gezeigt, muss der betroffene Steuerpflichtige aber die Möglichkeit haben nachzuweisen, dass die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft keine künstliche Konstruktion ist, die bar jeder wirtschaftlichen Realität ist. Der deutsche Gesetzgeber hat dieses Erfordernis in § 8 Abs. 2 AStG versucht umzusetzen. Danach kann der inländische Steuerpflichtige die Hinzurechnungsbesteuerung dadurch vermeiden, dass er nachweist, dass die in einem EU/EWR-Staat ansässige Gesellschaft „einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht“.21 Im obigen Beispiel könnte dieser Nachweis auch aus EU-rechtlicher Sicht durchaus schwerfallen. Denn mit dem Kriterium der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit soll gerade der entscheidende Aspekt der Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit zum Ausdruck gebracht werden. Oder anders formuliert: Der Steuerpflichtige muss nachweisen, dass er mit der Einschaltung der ausländischen Gesellschaft einen wirklichen wirtschaftlichen Niederlassungsvorgang in dem anderen Staat bewirken wollte. Es geht also um die von den EU-Grundfreiheiten zur Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes intendierte wirtschaftliche Verflechtung zu diesem anderen Staat. Das könnte hier durchaus problematisch sein, weil die ausländische Gesellschaft über nicht wirklich viel Personal verfügt und räumlich sowie von der Geschäftsausstattung her eher schwach erscheint. Hinzu kommt, dass die Gesellschaft eigentlich nur sehr wenige Geschäftsvorfälle abzuwickeln _____________ 19 Vgl. zur Diskussion z. B. Gosch, BFH/PR 2011, 455; Lang, StuW 2011, 209; Zorn, IStR 2010, 190. 20 EuGH v. 12.9.2006 – Rs. C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995; zu dieser Entscheidung vgl. Gliniorz/Klattig, NWB, Fach 2, 9073; Gosch, BFH-PR 2006, 458; Hahn, IStR 2006, 667; Hahn/Heß, jurisPR-SteuerR 49/2006; Johnson, TNI 2006, 521; Kleinert, GmbHR 2006, 1055; Köhler/Eicker, DStR 2006, 1871; Körner, IStR 2006, 675; Kraft/Bron, IStR 2006, 614; Lieber, FR 2006, 993; Sedemund, BB 2006, 2119; Sheppard, TNI 2006, 164; Strunk/Kaminski, Stbg 2006, 588; Thömmes/Nakhai, NWB, Fach 11a, 1065; Wassermeyer, DB 2006, 2050; Wassermeyer/Schönfeld, GmbHR 2006, 1065; Wilke, PIStB 2006, 244. 21 Zu den zahlreichen Problemen im Rahmen der Anwendung von § 8 Abs. 2 AStG vgl. z. B. Schönfeld in F/W/B/S, § 8 AStG Rz. 400 ff.

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hat, nämlich die Gewährung von Eigenkapital in Höhe von 1 Mrd. Euro mit anschließender Rückgewährung eines Darlehens von wiederum 1 Mrd. Euro. Danach passiert nicht wirklich viel in der Gesellschaft. Es fallen zwar Zinsen an, die auch zu verbuchen sind, vielleicht gibt es auch Kontoauszüge, die abzuheften sind, von wirklichem wirtschaftlichen Leben wird man allerdings kaum sprechen können. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang allerdings darauf, dass der BFH in der Folgeentscheidungen zu „Columbus Container Services“ zum Ausdruck gebracht hat, dass die Voraussetzungen von § 8 Abs. 2 AStG gemessen an den EU-rechtlichen Vorgaben möglicherweise etwas zu eng sind und dass bei Kapitalanlagetätigkeiten typischerweise nur wenig Substanz erforderlich ist.22 Auch bei namhaften Vertretern im deutschen Schrifttum zeichnet sich eine Tendenz ab, bei mobilen Finanzierungsfunktionen einen nur geringen Umfang an wirtschaftlicher Substanz als ausreichend zu erachten.23 Dies ist grds. auch sachgerecht, weil es diesen Funktionen immanent ist, nur wenig Substanz zu erfordern. Insoweit könnte eher eine theoretisch mögliche „Überausstattung“ einer Finanzierungsgesellschaft mit Substanz künstliche Züge annehmen. Man wird die weitere Entwicklung abwarten müssen.

II. Fall 2: „Die bessere Dienstleistungsgesellschaft“ D-AG Deutschland

Eigen- und Fremdkapital

Europäische Union

Einkünfte aus Einkünfte aus konzerninterner

FinCo

konzerninternen Dienstleistungen

Finanzierung

Der D-AG aus Fall 1 ist das steuerliche Risiko doch zu hoch. Die FinCo soll besser innerhalb der EU ansässig sein und die Funktion einer konzerninternen Finanzierungsgesellschaft übernehmen. Zusätzlich sollen verschiedene Dienstleistungsfunktionen bei der FinCo angesiedelt werden, die diese auf Basis von cost-plus im Konzern erbringt. Die FinCo soll einen eigenverantwortlich handelnden Manager sowie weitere zwei Mitarbeiter erhalten. Die FinCo soll

_____________ 22 BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774; v. 13.10.2010 – I R 61/09, BStBl. II 2011, 249. 23 So ausdrücklich Gosch in FS Reiß, 2008, 597 (608); in diese Richtung auch Schön in FS Reiß, 2008, 571 (589).

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eigene Büroräume mit vollständiger Infrastruktur in ihrem Ansässigkeitsstaat anmieten. Besteht auch jetzt die Gefahr der Hinzurechnungsbesteuerung?

In diesem Fall liegt es mit der Anwendung der Hinzurechnungsbesteuerung anders: Die D-AG kann sehr wohl nachweisen, dass die FinCo einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. Zum einen erbringt die Gesellschaft entsprechende Dienstleistungen im Konzern, zum anderen übernimmt sie auch die konzerninterne Finanzierung in der Gruppe. Zudem verfügt sie über entsprechende Büroräume mit vollständiger Infrastruktur und über entsprechende Mitarbeiter. Es kann daher eigentlich kein Zweifel daran bestehen, dass die Anwendung der §§ 7–14 AStG entweder durch § 8 Abs. 2 AStG oder, falls dieser zu eng ist, unmittelbar durch die Anwendung der EU-Grundfreiheiten gehindert ist. In der Praxis zeigt sich zwar, dass sich die Finanzverwaltung insbesondere im Umgang mit konzerninternen Finanzierungsgesellschaften nach wie vor schwertut. Nach der Schlussentscheidung des BFH in der Rechtssache „Columbus Container Services“24 dürfte aber kein Zweifel mehr daran bestehen, dass derartige Finanzierungsgesellschaften den Schutz der Grundfreiheiten genießen. Aufgrund der Schutzwirkung der EU-Grundfreiheiten kommt es daher nicht darauf an, ob daneben auch das Grundgesetz vor dem von den §§ 7–14 AStG ausgehenden „treaty override“ schützt. Bei der hier bejahten Kollision mit dem Rechtsstaatsprinzip wäre dies aber selbst dann zu bejahen, wenn man den verfassungsrechtlichen Eingriff als gerechtfertigt ansehen würde. Denn nach dem vorliegenden Verständnis des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebotes und den deutlichen Parallelen zum EU-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot muss der Steuerpflichtige den (hier erbrachten) Gegenbeweis wirtschaftlicher Realität führen können (vgl. oben A. IV. 1.).

_____________ 24 BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774; zu dieser Entscheidung vgl. Buciek, FR 2010, 397; Gebhardt, IWB 2010, 473; Gosch, BFH/PR 2010, 113; Jungbluth, EWiR 2010, 271; Lieber, IStR 2010, 142; Prinz, FR 2010, 378; Sydow, IStR 2010, 174.

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III. Fall 3: „Die verunglückte Vertriebsbetriebsstätte“

Deutschland Schweiz

D-AG

Lieferung und Unterstützung SalesPE

Verkauf am Markt

Die deutsche D-AG unterhält in der Schweiz eine Vertriebsbetriebsstätte (SalesPE) für den dortigen Absatz ihrer Produkte. Zu diesem Zweck liefert die D-AG entsprechende Endprodukte in die Schweiz, wo diese von der SalesPE weiterverkauft werden. Die Kundenbetreuung und der Service erfolgen im Wesentlichen durch die SalesPE, teilweise wird sie dabei aber auch durch die D-AG unterstützt. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a DBA-Schweiz sind Betriebsstättengewinne von der deutschen Besteuerung ausgenommen, soweit diese nachweislich aus dem „Handel (…) unter Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr erzielt werden“. Die Betriebsprüfung meint, diese Voraussetzungen seien zwar erfüllt, allerdings sei die Freistellung nach § 20 Abs. 2 AStG zu versagen, weil aufgrund der Mitwirkung der D-AG am Vertrieb die Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a AStG nicht erfüllt seien. Zu Recht?

Die Frage dürfte jedenfalls nach dem Wortlaut von § 20 Abs. 1 Halbs. 2 AStG zu bejahen sein. Denn danach wird § 20 Abs. 2 AStG durch die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht berührt. Im Kern heißt dies, dass dann, wenn nach Prüfung des DBA die Einkünfte abkommensrechtlich freizustellen sind, die Freistellung nicht gewährt wird, soweit die Voraussetzungen von § 20 Abs. 2 AStG erfüllt sind. Im Beispielsfall kommt einem dieses Ergebnis aber deshalb etwas merkwürdig vor, weil die Abkommenspartner des DBA-Schweiz im Aktivitätsvorbehalt des Art. 24 Abs. 1 zum Ausdruck gebracht haben, unter welchen Voraussetzungen Betriebsstättengewinne der Freistellung oder der Anrechnung unterliegen sollen. § 20 Abs. 2 AStG lässt diese Wertung schlicht außer Betracht. Der „treaty override“ ist hier also offensichtlich. Der daraus resultierende verfassungsrechtliche Konflikt lässt sich allerdings möglicherweise durch eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung von § 20 Abs. 2 AStG beheben. Denn es erscheint nicht abwegig, den Aktivitätsvorbehalt in Art. 24 DBA-Schweiz als die speziellere Regelung mit der Folge anzusehen, dass ein Rückgriff auf § 20 Abs. 2 AStG nicht erfolgen darf. Insoweit lässt sich der Eingriff in verfassungsrechtlich verbürgte Rechte im Auslegungswege beseitigen. Auf die Frage der Rechtfertigung kommt es daher nicht mehr an. 150

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Wenn man dem aber nicht folgen würde, dann bliebe es bei einem mit dem Rechtsstaatprinzip kollidierenden „treaty override“. Eine Rechtfertigung mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG und dem daraus folgenden Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung erscheint in diesem Zusammenhang nur schwer möglich, weil die Parteien des DBA-Schweiz eben in Art. 24 abschließend zum Ausdruck gebracht haben, unter welchen Voraussetzungen schweizerische Betriebsstättengewinne in Deutschland besteuert werden dürfen. Aber auch hier würde der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einräumen, den durch § 20 Abs. 2 AStG typisierten Missbrauchsvorwurf im Einzelfall zu widerlegen. Im Beispielsfall dürfte das nicht schwerfallen, weil die gewählte Gestaltung keine künstliche Rechtskonstruktion darstellt.

IV. Fall 4: „Zinsen sind doch nur Teufelszeug“

Deutschland Europäische Union

D-AG

Zinsloses Darlehen FabricCo

Die D-AG ist auch alleinige Anteilseignerin der in der EU ansässigen FabricCo, die über ausreichend Eigenkapital verfügt. Für die Erweiterung einer Produktlinie gewährt die D-AG der FabricCo ein zinsloses Darlehen i. H. v. 1 Mio. Euro zum 1.1.2010. Nach ausländischem Recht wird das Darlehen als Fremdkapital anerkannt. Ein fremdüblicher Zins hätte 5 % p. a. betragen. Mit dem Ansässigkeitsstaat der FabricCo besteht ein dem OECD-MA nachgebildetes DBA. In der Betriebsprüfung wird der Gewinn der D-AG für das Jahr 2010 um 50.000 Euro erhöht. Zu Recht? Abwandlung: Wäre die Frage anders zu beurteilen, wenn das Darlehen deshalb zinslos ausgereicht wurde, um eine bereits bestehende Krisensituation der FabricCo nicht weiter zu vertiefen?

Rechtsgrundlage für eine entsprechende Korrektur könnte vorliegend § 1 AStG sein. Danach gilt, dass eine Minderung deutscher Einkünfte, die daraus resultiert, dass zwischen nahestehenden Personen vom Fremdvergleichsgrundsatz abweichende Konditionen vereinbart worden sind, für deutsch-steuerliche Zwecke nicht anerkannt wird. Im Bei151

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spielsfall heißt dies, dass der fremdübliche Zins von 5 %, also ein Betrag von 50.000 Euro, einkünfteerhöhend bei der D-AG berücksichtigt wird.25 Aus abkommensrechtlicher Sicht wird man diese Korrektur wohl nicht beanstanden können, weil § 1 AStG lediglich die in Art. 9 Abs. 1 OECDMA enthaltene Berichtigungsmöglichkeit ins innerstaatliche Recht umsetzt und weil beide Regelungen ein ähnliches Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes haben. Da § 1 AStG ebenso wie die §§ 7–14 AStG nur bei grenzüberschreitenden Leistungsbeziehungen eingreift, stellt sich allerdings die Frage nach der EU-rechtlichen Zulässigkeit. Im Schrifttum war man sich lange einig, dass es sich bei dieser Vorschrift um eine ungerechtfertigte Beschränkung der EU-Grundfreiheiten handelt.26 Der EuGH hat jedoch in der Rechtssache „Société de Gestion Industrielle SA“ für eine vergleichbare belgische Regelung zum Ausdruck gebracht, dass eine Abweichung von Fremdvergleichsgrundsatz ein Indiz dafür sein kann, dass es sich bei der gewählten Gestaltung um eine künstliche Konstruktion handelt.27 Daher ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich möglich, bei Abweichungen vom Fremdvergleichsgrundsatz typisierend einen entsprechenden Gestaltungsmissbrauch mit der Folge anzunehmen, die gewünschten steuerlichen Folgen für deutschsteuerliche Zwecke nicht anzuerkennen. Allerdings gilt auch hier, dass der Steuerpflichtige den typisierten Missbrauchsvorwurf widerlegen können muss.28 Bei § 1 Abs. 1 AStG wird jedoch mit guten Argumenten bezweifelt, ob diese Vorschrift den vorstehenden Rechtfertigungsmaßstäben genügt, weil diese keine ausdrückliche Regelung für den Gegenbeweis ent_____________ 25 Vgl. ausführlich zu einem ähnlichen Fall bereits Schönfeld, IStR 2011, 219. 26 Ganz herrschende Auffassung, vgl. hierzu z. B. grundlegend Glahe, IStR 2010, 870, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; hiergegen z. B. Naumann/Sydow/Mitschke, IStR 2009, 665. 27 EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – Société de Gestion Industrielle SA, Slg. 2010, I-8; dazu Andresen, IStR 2010, 289; Becker/Sydow, IStR 2010, 195; Bron, EWS 2010, 80; Englisch, IStR 2010, 139; Glahe, IStR 2010, 870; Scheipers/Linn, IStR 2010, 469; Thömmes, IWB 2010, 107; so bereits auch EuGH v. 13.3.2007 – Rs. C-524/04 – Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg. 2007, I-2107, Rz. 81 ff.; dazu z. B. Englisch, SWI 2007, 398 (406); Schön, JbFStR 2009/ 2010, 43 (80 f.); Schönfeld, IStR 2007, 260. 28 EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08 – Société de Gestion Industrielle SA, Slg. 2010, I-8.

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hält.29 Zu diesem Ergebnis kann man selbst dann gelangen, wenn die Finanzverwaltung durch BMF-Schreiben einen (ungeschriebenen) Gegenbeweis zuließe. Denn die von einer nationalen Vorschrift ausgehende Beschränkung kann nur durch eine verbindliche Regelung geheilt werden.30 Dazu gehören aber weder Billigkeitsmaßnahmen noch Verwaltungserlasse. Der BFH hält allerdings eine die EU-rechtlichen Vorgaben herstellende, geltungserhaltende Erweiterung einer nationalen Vorschrift für zulässig.31 Dem dürfte aber – anders als in den vom BFH entschiedenen Fällen – im Rahmen von § 1 AStG entgegenstehen, dass der Gesetzgeber bislang (bewusst) nichts unternommen hat, um einen EU-rechtskonformen Zustand herzustellen. In einem solchen Fall sollte der Weg zu einer geltungserhaltenden Auslegung versperrt sein, um ein legislatives Unterlassen nicht auch noch zu belohnen. Folgt man dennoch der Auffassung des BFH, dann müsste vorliegend die D-AG einen wirtschaftlichen Grund für die Zinslosigkeit des Darlehens an die FabricCo vorbringen können. Im Ausgangsfall hat die D-AG aber nichts dazu vorgetragen, warum sie der FabricCo ein unverzinsliches Darlehen gewährt hat. Die bloße Unterstützung für eine neue Produktlinie dürfte nicht ausreichen. Anders dürfte es demgegenüber bei der Abwandlung liegen. Das Darlehen in der Krise wird typischerweise als tauglicher Rechtfertigungsgrund dafür angesehen, die Rechtsfolgen des § 1 AStG abzuwenden.32 Das zinslose Darlehen in der Krise könnte man im Übrigen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht für gerechtfertigt halten, weil auch das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot – wie gezeigt – dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit des Gegenbeweises einräumt, und zwar auch dann, wenn kein „treaty override“ gegeben ist (vgl. oben A. IV. 1.). _____________ 29 So z. B. Bron, EWS 2010, 80 (82); Glahe, IStR 2010, 870 (876); Stadler/Bindl, DB 2010, 862 (867); Thömmes, IWB, Fach 11a, 107 (112); Thömmes, JbFStR 2010/2011, 79 (88); a. A. Becker/Sydow, IStR 2010, 195 (198). 30 Vgl. EuGH v. 8.5.1990 – Rs. 175/88 – Biehl, Slg. 1990, I-1779, Rz. 18; bestätigt in EuGH v. 26.10.1995 – Rs. C-151/94 – Kommission vs. Luxemburg, Slg. 1995, I-3685, Rz. 18; v. 14.2.1995 – Rs. C-279/93 – Schumacker, Slg. 1995, I-225, Rz. 56 f. 31 So für den EU-rechtlich gebotenen Gegenbeweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen von §§ 7–14 i. V. m. § 20 AStG: BFH v. 21.10.2009 – I R 114/08, BStBl. II 2010, 774; für die EU-rechtlich gebotene Stundung der Wegzugsteuer im Rahmen von § 6 AStG a. F.: BFH v. 23.9.2008 – I B 92/08, BStBl. II 2009, 524. 32 Vgl. z. B. Thömmes, JbFStR 2010/2011, 79 ff.

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Schönfeld – Nat. Regeln zur Vermeidung missbräuchl. Inanspruchnahme von DBA

V. Fall 5: „Die ärgerliche Kapitalertragsteuer“

Monaco Schweiz Deutschland

Dividende

CH-Trade AG

20 % D-GmbH

Der in Monaco lebende Edelmetallhändler John Gold hält insgesamt 20 % der Anteile an der deutschen D-GmbH. Da er die deutsche Abgeltungsteuer für vollkommen überflüssig hält, hat er die Anteile über seine in der Schweiz ansässige CH-Trade AG erworben, die mit Edelmetallen handelt und über ein Büro sowie einen Mitarbeiter verfügt. Nach Art. 10 Abs. 3 DBA-Schweiz ist Deutschland die Erhebung von Kapitalertragsteuer versagt. In 2010 schüttet die D-GmbH eine Dividende i. H. v. 10 Mio. Euro aus, wovon 25 % KapESt zzgl. SolZ einbehalten und abgeführt werden. Aus dem Handel mit Edelmetallen erzielt die CH-Trade AG in 2010 einen Umsatz von 700.000 Euro. Das BZSt verweigert die Erstattung der Kapitalertragsteuer, weil dem das 10 %Erfordernis aktiver Bruttoerträge gemäß § 50d Abs. 3 Nr. 2 EStG entgegenstünde. John Gold meint, das verstoße gegen das DBA, jedenfalls aber gegen EU-Recht. Zu Recht?

Bei § 50d Abs. 3 EStG in der bis zum 31.12.2011 anzuwendenden Fassung handelt es sich im Grunde um die Komplementärvorschrift zu den §§ 7–14 AStG im Inbound-Fall. Geht es bei der Hinzurechnungsbesteuerung nach den §§ 7–14 AStG darum, eine ungerechtfertigte Verlagerung von Steuersubstrat ins Ausland im Outbound-Fall zu verhindern, versucht § 50d Abs. 3 EStG, das durch ein treaty- und directive-shopping gefährdete deutsche Quellenbesteuerungsrecht im Inbound-Fall zu sichern. Im Beispielsfall wird die Möglichkeit des directive-shoppings dadurch bewirkt, dass die in Monaco ansässige natürliche Person für deutsche Dividenden eine Schweizer Gesellschaft zwischenschaltet. Denn während bei unmittelbarem Bezug der deutschen Dividenden keine Möglichkeit besteht, eine Entlastung von Kapitalertragsteuer nach einem DBA oder nach der Mutter-Tochter-Richtlinie in Anspruch zu nehmen, kommt die zwischengeschaltete Schweizer Gesellschaft für Ausschüttungen der D-GmbH sehr wohl in den Genuss eines DBA-Schachtelprivilegs nach Art. 10 Abs. 3 DBA-Schweiz, d. h. eine Kapitalertragsteuerherabsetzung auf null. Allerdings verlangte § 50d Abs. 3 EStG 154

Schönfeld – Nat. Regeln zur Vermeidung missbräuchl. Inanspruchnahme von DBA

a. F. dafür im Rahmen des Freistellungs- bzw. Erstattungsverfahrens vor dem Bundeszentralamt für Steuern, dass die folgenden drei Voraussetzungen dargelegt und nachgewiesen werden: Zunächst dürfen für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaften wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe nicht fehlen (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG a. F.). Ferner muss die ausländische Gesellschaft mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielen (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F.) und die ausländische Gesellschaft muss mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehmen (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 EStG a. F.). Im Beispielsfall könnte es bereits am Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für die Einschaltung der CH-TradeCo fehlen. Letztlich scheitert aber die Erstattung der Kapitalertragsteuer daran, dass die CH-TradeCo nicht mehr als 10 % ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt. Denn Dividenden von nicht strategisch geleiteten Kapitalgesellschaften (aktive Beteiligungsverwaltung) sollen nicht zu den aktiven Bruttoerträgen gehören.33 Zudem erzielt die CH-TradeCo in 2010 aus dem Handel mit Edelmetallen lediglich einen Umsatz von 700.000 Euro. Hätte sie mehr als 1 Mio. Euro erzielt, dann wären die Voraussetzungen von § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. wohl erfüllt gewesen. Genau an dieser 10 %-Typisierung störte sich die EU-Kommission. In dem eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik34 machte sie geltend, bei diesem Erfordernis handele es sich um eine Typisierung, für die dem Steuerpflichtigen nicht die Möglichkeit des Gegenbeweises offensteht. Im Verhältnis zur Schweiz dürften diese Überlegungen zwanglos übertragen werden können, weil ein entsprechendes Quellenbesteuerungsverbot nicht nur aus Art. 10 Abs. 3 DBASchweiz folgt, sondern auch aus Art. 15 des Zinsbesteuerungsabkommens zwischen der EU und der Schweiz vom 29.12.2004 (ZBstA). Die EU-rechtlichen Bedenken haben den Gesetzgeber des BeitrRLUmsG35 in Abstimmung mit der EU-Kommission dazu bewogen, insbesondere die 10 %-Typisierung in § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG a. F. vollständig _____________ 33 Vgl. BMF v. 30.1.2006 – IV B 1 - S 2411 - 4/06, BStBl. I 2006, 166; zur Tätigkeit einer geschäftsleitenden Holding vgl. auch bereits RFH v. 9.5.1939 – I 413/38, RStBl. 1939, 1059; ferner z. B. BFH v. 17.9.2003 – I R 95, 98/01, BFH/NV 2004, 808. 34 2007/4435. 35 Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (BeitrRLUmsG) v. 7.12.2011, BStBl. I 2011, 2592.

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zu streichen.36 Ob das ein wirklicher Segen für die Steuerpflichtigen war, darf aber wohl bezweifelt werden. Im Beispielsfall ist die Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG allerdings ohnehin noch nicht anwendbar, da diese erst für Ausschüttungen ab dem 1.1.2011 greift. Daher kann dahingestellt bleiben, ob vorliegend eine Kapitalertragsteuerherabsetzung nach der Neufassung in Betracht kommt. John Gold muss lediglich nachweisen, dass es sich bei der CHTradeCo um keine künstliche Konstruktion handelt, die bar jeder wirtschaftlichen Realität ist. Dieser Nachweis wird ihm sehr einfach gelingen, wenn er nachweisen kann, dass die D-GmbH in einer wirtschaftlichen Beziehung zur CH-TradeCo steht. Andernfalls könnte es aufgrund des geringen Beteiligungsumfangs schwierig werden. Aus abkommensrechtlicher Sicht ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die Protokollerklärung Nr. 2 zu Art. 23 DBA-Schweiz die Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG ausdrücklich zulässt. Insoweit bewirkt § 50d Abs. 3 EStG im Verhältnis zur Schweiz keinen „treaty override“, was nach hier vertretener Auffassung aber nichts daran ändert, den durch § 50d Abs. 3 EStG typisierten Missbrauchsvorwurf als Ausfluss des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebotes widerlegen zu können. Ob dies im Beispielsfall gelingt, hängt – wie gesagt – davon ab, inwieweit die D-GmbH in einer wirtschaftlichen Beziehung zur CHTradeCo steht. Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass selbst dann, wenn keine Kapitalertragsteuerherabsetzung nach § 50d Abs. 1 oder 2 EStG in Betracht kommt, die CH-TradeCo möglicherweise eine Veranlagung in Deutschland unter Anwendung von § 8b Abs. 1 KStG begehren kann. Denn hätte John Gold anstelle einer Schweizer Gesellschaft eine deutsche Kapitalgesellschaft zwischengeschaltet, dann wäre eine solche Veranlagung unzweifelhaft möglich. Der EuGH hat daher auch nur folgerichtig entschieden, dass in dieser Ungleichbehandlung eine Beschränkung der Grundfreiheiten liegt.37 Da die Veranlagung unter Anwendung von § 8b Abs. 1 KStG nicht an ein bestimmtes Mindestbeteiligungserfordernis geknüpft ist, dürfte die daraus resultierende Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nach (umstrittener) Rspr. des BFH auch im Verhält_____________ 36 Zu weiteren Einzelheiten der Neufassung vgl. sogleich Fall 5 sowie Kraft/ Gebhardt, DB 2012, 80; Maerz/Guter, IWB 2011, 923; Dorfmueller/Fischer, IStR 2011, 857; Lüdicke, IStR 2012, 81. 37 EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-284/09 – Kommission/Deutschland, IStR 2011, 840, mit Anmerkung Linn.

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nis zu Drittstaaten (hier: Schweiz) gerügt werden können.38 Selbst ein EU-rechtskonform ausgestatteter § 50d Abs. 3 EStG dürfte dabei einer Kapitalertragsteuererstattung im Rahmen einer Veranlagung nicht entgegenstehen. Denn als Rechtsfolge verweigert § 50d Abs. 3 EStG lediglich eine materielle Kapitalertragsteuerherabsetzung nach einem DBA oder der Mutter-Tochter-Richtlinie, nicht aber eine solche nach innerstaatlichem Steuerrecht.

VI. Fall 6: „Auf nichts ist mehr Verlass“

Cayman Isl. Schweiz Deutschland

Cayman Ltd.

Dividende 20% D-GmbH

CH-Holding AG

SalesCo

ProdCo

Die in der Schweiz ansässige CH-Holding AG gehört zu einem international agierenden Konzern. Die Anteile an der CH-Holding AG werden aus Gründen des ausländischen Steuerrechts von einer auf den Cayman Islands ansässigen Ltd. gehalten. In der CH-Holding AG wird das gesamte Europa-Engagement der Gruppe gebündelt. Neben Anteilen an EU-Produktions- und Vertriebsgesellschaften hält die CH-Holding AG auch eine Beteiligung von 20 % an einem deutschen Wettbewerber. Anders als bei den übrigen Beteiligungen kann die CH-Holding AG aufgrund der geringen Beteiligungsquote ihren Willen nicht aktiv gegenüber der D-GmbH durchsetzen. Aufgrund der Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG will das BZSt die bestehende Freistellungsbescheinigung für Dividenden der D-GmbH zum 1.1.2011 widerrufen. Zu Recht?

Die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG hat nunmehr folgenden Wortlaut (Änderungen kursiv hervorgehoben): „(3) 1Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft

_____________ 38 Vgl. BFH v. 26.11.2008 – I R 7/08, BFHE 224, 50 m. w. N.; v. 9.8.2006 – I R 95/05, BStBl. II 2007, 279; v. 26.11.2008 – I R 7/08, IStR 2009, 244; a. A. BMF v. 21.3.2007 – IV B 7 - G 1421/0, BStBl. I 2007, 302.

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im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie 1. für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.“

Entscheidend ist danach künftig (stark vereinfacht), dass für jede Einkunftsquelle der ausländischen Gesellschaft, für die eine Kapitalertragsteuerherabsetzung begehrt wird, der Nachweis einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit geführt werden muss. Im Beispielsfall muss die CH-Holding AG daher nachweisen, dass die Dividenden aus der D-GmbH auf einer eigenen Wirtschaftstätigkeit beruhen. Die Finanzverwaltung wird dies vermutlich verneinen. Denn in dem zu § 50d Abs. 3 EStG n. F. ergangenen BMF-Schreiben werden nur Dividenden aus sog. geleiteten Gesellschaften als aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammend anerkannt.39 Letzteren Nachweis kann die CH-Holding AG vorliegend nicht führen, da sie lediglich über 20 % der Anteile an der D-GmbH verfügt. Von einer Leitung der Gesellschaft kann also in Ermangelung einer entsprechenden Beteiligungsquote keine Rede sein. Ob diese Schlussfolgerung allerdings auch EU-rechtlichen Anforderungen standhält, erscheint durchaus zweifelhaft.40 Denn nach dem europäischen Missbrauchsverständnis geht es nur um die Ausschaltung rein künstlicher Konstruktionen, die bar jeder wirtschaftlichen Realität sind. Davon dürfte aber keine Rede sein, wenn ein ausländischer Konzern sein gesamtes europäisches Engagement in einer Holding bündelt. Diese Überlegungen gelten im Übrigen – wie gezeigt – nicht nur innerhalb der EU, sondern wegen Art. 15 des Zinsbesteuerungsabkommens zwischen der EU und der Schweiz vom 29.12.2004 (ZBstA) jedenfalls auch im Verhältnis zur Schweiz. Schließlich gilt auch hier, dass die CH-Holding AG für Dividenden aus der deutschen D-GmbH eine Veranlagung unter Anwendung von § 8b _____________ 39 BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 - DOK 2011/1032913, FR 2012, 327. 40 Vgl. dazu auch Kraft/Gebhardt, DB 2012, 80; Maerz/Guter, IWB 2011, 923; Dorfmueller/Fischer, IStR 2011, 857; Lüdicke, IStR 2012, 81.

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Abs. 1 KStG verlangen kann (s. Fall 5). Aufgrund der fünfprozentigen „Wegelagerergebühr“ des § 8b Abs. 5 KStG ist diese Option allerdings schlechter als eine vollständige Kapitalertragsteuerherabsetzung nach § 50d EStG.

VII. Fall 7: „Der erfreuliche Qualifikationskonflikt“

Deutschland Europäische Union

D-AG

Verkauf

PurchCo

TargetCo

Die deutsche D-AG ist Gesellschafterin der in der EU ansässigen TargetCo, die Deutschland nach dem Rechtstypenvergleich als Personengesellschaft behandelt, der ausländische Staat jedoch als Steuersubjekt. Die TargetCo unterhält in ihrem Ansässigkeitsstaat eine Betriebsstätte. Nach dem DBA mit dem Ansässigkeitsstaat der TargetCo nimmt Deutschland die Betriebsstätteneinkünfte von der deutschen Besteuerung aus; im Übrigen entspricht das DBA dem OECD-MA. Die D-AG veräußert ihren Anteil an der ausländischen Gesellschaft. Kann Deutschland den Veräußerungsgewinn besteuern?

Nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG ist die abkommensrechtliche Freistellung von Einkünften nicht zu gewähren, wenn „der andere Staat die Bestimmungen des Abkommens so anwendet, dass die Einkünfte in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind“.

Der Wortlaut dieser Vorschrift ist vorliegend erfüllt. Es liegt ein klassischer Qualifikationskonflikt vor. Deutschland besteuert den Veräußerungsgewinn nicht, weil aus deutscher Sicht die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils vorliegt. Als ggf. anteilige Veräußerung einer Betriebsstätte stellt Deutschland diesen Gewinn gemäß Art. 23 OECDMA steuerfrei. Der Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft sieht sich ebenfalls an einer Besteuerung gehindert. Dies ergibt sich daraus, dass der Ansässigkeitsstaat für steuerliche Zwecke keine transparente Personengesellschaft, sondern eine Kapitalgesellschaft erblickt. Für die Veräußerung des Anteils an der Gesellschaft bringt der Ansässigkeitsstaat daher die Regelung des Art. 13 Abs. 5 OECD-MA zur Anwendung, welche Deutschland das Besteuerungsrecht zuweist. Insoweit beruht die Nichtbesteuerung auf einer unterschiedlichen Anwendung des DBA. Genau 159

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diesen Fall will § 50d Abs. 9 Nr. 1 EStG regeln. Sieht man darin einen „treaty override“, dann stellt sich die Frage, ob der dadurch bewirkte verfassungsrechtliche Eingriff zur Gewährleistung einer gleichmäßigen Besteuerung gerechtfertigt werden kann. Darüber wird man durchaus streiten können, weil Deutschland auch dann nicht besteuert hätte, wenn der Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft zwar ebenfalls eine transparente Personengesellschaft angenommen hätte, er aber nur eine geringe Steuer von z. B. 1 % erhoben hätte. Insoweit erscheint es etwas wertungswidersprüchlich, die fehlende Besteuerung durch den ausländischen Staat, die letztendlich in dessen Verantwortungsbereich liegt, durch einen unilateralen Akt unter Berufung auf das Gebot gleichmäßiger Besteuerung nachholen zu wollen.

VIII. Fall 8: „Irgendwo sind auch Grenzen“

Deutschland Griechenland

D-AG

SolarPE

Steuerbefreiung Die deutsche D-AG unterhält in Griechenland eine gewerbliche Betriebsstätte zur Herstellung von Solarmodulen. Beide Staaten gehen übereinstimmend davon aus, dass die in der Betriebsstätte anfallenden Einkünfte der Betriebsstätte zuzuordnen sind. Sie wenden übereinstimmend Art. III DBA-Griechenland an. Nach griechischem Steuerrecht sind die Betriebsstätteneinkünfte steuerbefreit, um einen steuerlichen Anreiz für die Herstellung von Produkten zur Erzeugung regenerativer Energien zu geben. Die Förderung wird unabhängig von der Ansässigkeit der Investoren gewährt, also auch an Inländer. Die EU-Kommission hat die Förderung als Beihilfe genehmigt, um Griechenland wieder auf die Beine zu helfen. Kann Deutschland die Betriebsstätteneinkünfte dennoch besteuern? Abwandlung: Ändert sich etwas, wenn die Steuerbefreiung nur Ausländern gewährt wird?

Die Frage ist zu verneinen. Es sind bereits die Voraussetzungen von § 50d Abs. 9 EStG nicht erfüllt. Denn der BFH hat in seinem Urteil vom 24.8.201141 bestätigt, dass § 50d Abs. 9 EStG keine allgemeine „subject _____________ 41 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BFH/NV 2011, 2165.

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to tax clause“ enthält. Es würde in der Sache auch etwas zu weit gehen, wenn Deutschland einen Steuervorteil, der nach ausländischem Recht ausdrücklich gewährt werden soll und von der Europäischen Kommission als Beihilfe genehmigt wurde, von Deutschland einfach eliminiert wird. Genau diese Frage stellt sich aber in der Abwandlung, wenn die Steuerbefreiung nur Ausländern gewährt wird. In diesem Fall greift nämlich § 50d Abs. 9 Abs. 1 Nr. 2 EStG ein. Es darf bezweifelt werden, ob der damit verbundene „treaty override“ gerechtfertigt werden kann. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die Kommission die Steuerbefreiung als EU-rechtliche Beihilfe genehmigt hat.

C. Fazit Zusammenfassend kann danach festgehalten werden, dass die Bekämpfung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA auch durch nationale Regelungen grds. zulässig ist. Bewirkt die Anwendung der Missbrauchsbekämpfungsvorschrift jedoch einen „treaty override“, so ist darin mit zunehmenden Stimmen in Rspr. und Schrifttum ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 i. V. m. dem aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Rechtsstaatsprinzip zu sehen. Dieser Verstoß kann zwar zum Schutz tragender Verfassungsgrundsätze gerechtfertigt sein, wozu in Grenzen auch die aus Art. 3 GG resultierende Gewährleistung einer gleichmäßigen Besteuerung gehört. Das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot gibt aber dem Steuerpflichtigen in jedem Einzelfall die Möglichkeit, den (ggf. typisierten) Missbrauchsvorwurf zu widerlegen. Dies sollte bei freiheitsfreundlicher Auslegung der Grundrechte selbst dann gelten, wenn die Anwendung der Missbrauchsbekämpfungsvorschrift keinen „treaty override“ bewirkt. Ähnliches gilt aus EU-rechtlicher Sicht, auch wenn sich das EU-Recht an einem „treaty override“ nicht zu stören scheint. Die Grundfreiheiten sollen nicht durch rein künstliche Konstruktionen zweckentfremdet werden können, um einer mitgliedstaatlichen Besteuerung zu entgehen. Die betroffenen Steuerpflichtigen müssen aber in jedem Fall die Möglichkeit haben, den (ggf. typisierten) Missbrauchsvorwurf zu widerlegen, und zwar indem nachgewiesen wird, dass die gewählte Gestaltung gerade keine künstliche Konstruktion darstellt, sondern über die notwendige wirtschaftliche Realität verfügt. Insoweit besteht eine deutliche Parallele zwischen dem Schutz durch die EU-Grundfreiheiten und 161

Schönfeld – Nat. Regeln zur Vermeidung missbräuchl. Inanspruchnahme von DBA

den Grundrechten des GG. Lediglich wenn man eine eher konservative Sicht einnimmt und sowohl das verfassungsrechtliche Kollisionspotenzial des „treaty override“ als auch den Schutzgehalt der Grundrechte bestreitet, bieten die EU-Grundfreiheiten einen effektiveren Schutz vor überschießenden Typisierungsregeln als die deutschen Grundrechte, was aufgrund der Parallelen insbesondere im Bereich des Verhältnismäßigkeitsgebotes nicht so recht nachvollziehbar ist. Die bisherigen Versuche des Gesetzgebers, die EU-rechtlichen Vorgaben umzusetzen (z. B. in § 8 Abs. 2 AStG oder in § 50d Abs. 3 EStG n. F.) erscheinen im Ergebnis nicht ausreichend, teilweise wird der Versuch auch erst gar nicht unternommen (z. B. in § 1 AStG).

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Praxisprobleme bei der Anrechnung ausländischer Steuern Prof. Dr. Wolfgang Kessler Steuerberater Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Inhaltsübersicht A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Voraussetzungen der Anrechnung und beispielhafte Problembereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Unbeschränkte Steuerpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 II. Steuersubjektidentität . . . . . . 165 III. Identität des Abgabegegenstandes und ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG . . 168 IV. Entsprechende Steuer . . . . . . . 169 V. Zeitpunkt der Besteuerung . . 170

C. Rechtsfolgenebene – Praxisprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 I. In wirtschaftlichem Zusammenhang stehende Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 II. Verlust im Inland und fehlender Anrechnungsvortrag . . . . . 174 D. Begrenzung der Anrechnung auf die inländische Einkommenbzw. Körperschaftsteuer . . . . . . . 176 I. Hinzurechnungsbesteuerung . 176 II. Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . 178 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

A. Einleitung Neben der Freistellung ausländischer Einkünfte ist die Anrechnung ausländischer Steuern die wichtigste Methode, um eine drohende Doppelbesteuerung im grenzüberschreitenden Verhältnis zu mildern bzw. zu vermeiden. Ihre Domäne hat die Anrechnungsmethode im anglo-amerikanischen Recht, wo sie – abgesehen von einzelnen Sonderregelungen, z. B. für Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen in UK – ausschließlich zur Anwendung kommt. Das kontinentaleuropäische Recht bevorzugt dagegen überwiegend die Freistellungsmethode. Dies gilt im Ergebnis auch für das deutsche internationale Steuerrecht. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis ist allerdings in Deutschland genau umgekehrt als in vielen ausländischen Rechtsordnungen. Nachdem die Anrechnungsmethode im Jahre 1956 aus dem 163

Kessler – Praxisprobleme bei der Anrechnung ausländischer Steuern

anglo-amerikanischen Recht in das nationale deutsche Recht importiert wurde, dauerte es relativ lange, bis für Beteiligungserträge (wieder) eine Freistellung als vorherrschende Methode im nationalen Recht normiert wurde.1 Nach mehreren Rechtsänderungen gilt die Freistellung für Beteiligungserträge allerdings für Zwecke der Gewerbesteuer nur, wenn eine bestimmte Mindestbeteiligung und teils auch eine Mindestbesitzdauer eingehalten werden. Über eine ähnliche Einschränkung für die Körperschaftsteuer wird derzeit bereits öffentlich nachgedacht. Im deutschen Abkommensrecht war dagegen – anders als in vielen anderen, auch kontinentaleuropäischen Staaten – vielfach eine Freistellung der ausländischen Einkünfte vereinbart (insbes. unbewegliches Vermögen und Unternehmensgewinne). Ausgenommen hiervon sind allerdings Dividenden aus Portfoliobeteiligungen, Zinsen und Lizenzen, für die ausnahmslos eine Steueranrechnung gilt. Teilweise kommt die Anrechnungsmethode im Recht der DBA oder im deutschen Außensteuerrecht auch als Auffanglösung zum Tragen, wenn bestimmte Aktivitätsmerkmale nicht erfüllt werden. Anrechnungssachverhalte sind daher in der betrieblichen Praxis nicht selten. Allein das wäre Grund genug für eine Bestandsaufnahme aus wissenschaftlicher Sicht. Hinzu kommt, dass die Thematik gerade in jüngster Zeit eine besondere Aktualität und Brisanz gewonnen hat. Seit der Absenkung der Körperschaftsteuer auf 15 % entstehen bei Kapitalgesellschaften regelmäßig Anrechnungsüberhänge, denn weltweit gibt es nur wenige Länder mit einem niedrigeren Körperschaftsteuersatz. Sowohl einzelwirtschaftlich – aus Sicht der betroffenen Kapitalgesellschaft – als auch gesamtwirtschaftlich und steuersystematisch ist dies ein suboptimales Ergebnis. Es stellt sich daher die Frage, ob die drohende Doppelbesteuerung nicht durch eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer vermieden werden kann. In der Literatur werden dazu widerstreitende Auffassungen vertreten. Während für bestimmte Sachverhalte eine Anrechnung auf die Gewerbesteuer aus Sicht der Praxis und Wissenschaft bejaht wird, wird dies insbesondere von Vertretern der Finanzverwaltung vehement bestritten.2 Aus praktischer und wissenschaftlicher Sicht besteht insoweit offenbar noch Klärungsbedarf. _____________ 1 Kessler, Euro-Holding, 1996, 101 ff. 2 Beachte hierzu Kessler/Dietrich, IStR 2011, 108 und Replik hierzu Eglmaier, IStR 2011, 951 sowie Kessler/Dietrich, IStR 2011, 953 und Eglmaier, IStR 2011, 955.

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Kessler – Praxisprobleme bei der Anrechnung ausländischer Steuern

B. Voraussetzungen der Anrechnung und beispielhafte Problembereiche I. Unbeschränkte Steuerpflicht Nach § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG, § 26 Abs. 1 KStG ist bei unbeschränkt Steuerpflichtigen, die mit ausländischen Einkünften in dem Staat, aus dem die Einkünfte stammen, zu einer der deutschen Steuer entsprechenden Steuer herangezogen werden, die ausländische (Einkommenbzw. Körperschaft-)Steuer anzurechnen, die auf die Einkünfte aus diesem Staat entfällt. Prämisse ist damit die unbeschränkte Steuerpflicht. Da es allerdings auch bei beschränkt Steuerpflichtigen zu Situationen kommen kann, in denen ohne eine Anrechnung auf deutscher Seite die Doppelbesteuerung nicht vermieden würde,3 gestattet § 50 Abs. 3 EStG – im Unterschied zu den meisten ausländischen Rechtsordnungen – die Anwendung des § 34c Abs. 1–3 EStG auch für beschränkt Steuerpflichtige. Diese unilaterale Milderung bzw. Vermeidung der Doppelbesteuerung ist bei Steuerausländern allerdings auf die Gewinneinkunftsarten begrenzt. Auch § 26 Abs. 6 Satz 1 KStG enthält einen Verweis für beschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften, der zwar effektiv ins Nichts führt – nämlich zu § 50 Abs. 6 EStG und nicht zu § 50 Abs. 3 EStG –, dies bleibt als erkennbar rein redaktioneller Fehler jedoch folgenlos.4 Fraglich bleibt darüber hinaus, ob die europäischen Grundfreiheiten nicht eine Ausweitung der Anrechnungsmöglichkeit auch auf andere als Gewinneinkunftsarten erfordern.5

II. Steuersubjektidentität Eine Anrechnung ist ferner nur erreichbar, wenn der im Inland unbeschränkt Steuerpflichtige selbst Schuldner der ausländischen Steuer ist.6 Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass § 34c EStG lediglich die _____________ 3 Zu denken ist bspw. an einen Steuerausländer, der eine Betriebsstätte in Deutschland unterhält, die wiederum Dividenden aus einem Drittstaat bezieht, die dort ebenfalls der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Vgl. hierzu Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 34c EStG A 92. 4 Buciek in Blümich, § 26 EStG Rz. 18; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2011, Rz. 15.196. 5 Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 34c EStG B 13; Roser in Gosch, § 26 KStG Rz. 42, in Rz. 163 darauf hinweisend, dass der DBA-Vorbehalt des § 34c Abs. 4 EStG für beschränkt Steuerpflichtige explizit nicht gilt. 6 BFH v. 4.6.1991 – X R 35/88, BB 1991, 1778.

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juristische, nicht aber auch die wirtschaftliche Doppelbesteuerung vermeiden will. Die Steuersubjektidentität ist bei abweichender Qualifikation des ausländischen Rechtssubjekts zumindest formaljuristisch nicht erfüllt. Nehmen das deutsche und das ausländische Recht einander widersprechende Einordnungen der ausländischen Gesellschaft vor, ist für Zwecke der deutschen Besteuerung die deutsche Steuerrechtswertung maßgebend.7 Relativ unproblematisch ist die Anrechnung, wenn eine ausländische Personengesellschaft nach deutschen Maßstäben einer Kapitalgesellschaft entspricht: Zwar besteht keine Subjektidentität, gleichwohl wird im Zuge einer wirtschaftlichen Betrachtung die Steuer der Personengesellschaft bei der Besteuerung des aus deutscher Sicht als Dividende betrachteten Geldtransfers angerechnet (Steuer auf eine vorgezogene Gewinnzuweisung unter Erhebung einer (fiktiven) Quellensteuer).8 Schwieriger gestaltet sich die Situation, wenn Deutschland die Gesellschaft als transparent, der ausländische Staat sie jedoch als Körperschaft ansieht. Soweit aus deutscher Sicht nicht die Freistellungsmethode (unter Progressionsvorbehalt) gilt, was die Regel sein dürfte, kann die anteilige auf den Gesellschaftsgewinn erhobene ausländische Körperschaftsteuer bei den Gesellschaftern nach § 34c Abs. 1 (i. V. m. Abs. 6) EStG angerechnet werden. Denn aus deutscher Perspektive ist dies eine Steuer auf die (anteilig) den inländischen Gesellschaftern zuzurechnenden Betriebsstätten. Recht umstritten ist dagegen, ob eine vom anderen Staat im „Ausschüttungsfall“ erhobene Quellensteuer anzurechnen ist. Gegen die Anrechnung spricht, dass solche „Ausschüttungen“ aus deutscher Sicht als steuerlich nicht relevante – ergo nicht steuerbare – _____________ 7 Hierzu grundlegend RFH v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RStBl. 1930, 444; BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695; BMF v. 19.3.2004, betr. steuerliche Einordnung der nach dem Recht der Bundesstaaten der USA gegründeten Limited Liability Company, IV B 4 - S 1301 USA - 22/04, BStBl. I 2004, 411; siehe hierzu Philipp, IStR 2010, 204. Die steuersystematische Einordnung ausländischer Gesellschaften erfolgt durch einen zweistufigen Typenvergleich: BMF v. 16.4.2010, betr. Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen auf Personengesellschaften, IV B 2 - S 1300/09/10003, BStBl. I 2010, 354. 8 Ebenso Wagner in Blümich, § 34c EStG Rz. 35; Kuhn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34c EStG Rz. 61; Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 34c EStG B 31; Haase, IStR 2010, 45 (47); Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 130. Jedoch offengelassen in BMF v. 16.4.2010, betr. Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen auf Personengesellschaften, BStBl. I 2010, 354, Rz. 4.1.4.2.

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Entnahmen einzuordnen sind.9 Dessen ungeachtet stellt die „Quellensteuer“ eine zusätzliche (Ertrag-)Steuer auf den Gewinnanteil des Unternehmers dar und sollte als solche anrechenbar sein.10 Nicht zuletzt deshalb, weil es sich um eine ordnungsgemäße ausländische Steuerzahlung und somit um zwangsläufige Aufwendungen handelt, denen sich der Steuerpflichtige nicht entziehen kann und das Nettoprinzip als Ausdruck steuerlicher Leistungsfähigkeit gerade die Berücksichtigung zwangsläufiger Aufwendungen gebietet.11 Die Interpretation als „zusätzliche (Ertrag-)Steuer auf den Gewinnanteil des Unternehmers“ bedingt gleichzeitig, dass eine Anrechnung im Gewinnentstehungsjahr und nicht im Ausschüttungsjahr zu erfolgen hat.12 Bei Bestehen einer Organschaft ist die auf die ausländischen Einkünfte der Organgesellschaft entfallende ausländische Steuer unter den übrigen Voraussetzungen des § 34c Abs. 1 EStG trotz fehlender Personenidentität auf Ebene des Organträgers zu berücksichtigen. Die Spezialvorschrift des § 19 Abs. 2 und 3 KStG ermöglicht dies sowohl für natürliche Personen als auch für Personengesellschaften, bei Letzteren ist für die Anrechnung auf die Gesellschafter abzustellen. Durch das Institut der Organschaft kann somit eine (teilweise) Anrechnung ausländischer Quellensteuern auf Ebene des Organträgers ermöglicht werden, wenn diese beim Organ selbst scheiterte. Empfängt bspw. eine inländische Holdingkapitalgesellschaft (Organgesellschaft) von ihrer ausländischen Tochterkapitalgesellschaft eine Dividende, steht der im Ausland einbehaltenen Quellensteuer regelmäßig kein inländisches Anrechnungsvolumen gegenüber.13 Mittels Organschaft ist jedoch zumindest eine _____________ 9 BMF v. 16.4.2010, betr. Anwendung der Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) auf Personengesellschaften, IV B 2 - S 1300/09/10003, BStBl. I. 2010, 354, Rz. 4.1.4.1; Kuhn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34c EStG Rz. 61; Müller/Wangler, IStR 2003, 145 (151). 10 Wagner in Blümich, § 34c EStG Rz. 35; Weinschütz in Lademann, § 34c EStG Rz. 39; Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 130. 11 Das Abzugsverbot für Steuern vom Einkommen und sonstige Personensteuern von der Bemessungsgrundlage nach § 12 Nr. 3 EStG bleibt unberührt. 12 Vgl. mit weiteren Nachweisen Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 34c EStG B 30. 13 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, 62: Die Anrechnung nach § 34c EStG erfordert die inländische Steuerpflicht der ausländischen Einkünfte. Dividenden sind ausländische Einkünfte i. S. d. § 34d Nr. 6 EStG. Sie sind nach § 8b Abs. 1 KStG allerdings zu 100 % von der steuerlichen Bemessungsgrundlage ausgenommen. Die Fiktion nach § 8b Abs. 5 KStG von 5 % nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben ändert hieran nichts.

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Anrechnung im Rahmen des Anrechnungshöchstbetrags auf Ebene des Organträgers möglich. Im Hinblick auf die Identität des Steuersubjekts ist nicht ausschlaggebend, wer die Steuer tatsächlich „zahlt“. Infolgedessen sind z. B. Quellensteuern, bei denen Dritte für den Einbehalt und die Abführung verantwortlich sind, anrechenbar, da der unbeschränkt Steuerpflichtige den Besteuerungstatbestand als Steuerschuldner der Quellensteuer (Steuersubjekt) verwirklicht.14 Von gewöhnlichen Quellensteuern sind „Zusatzsteuern“ streng zu unterscheiden. Die brasilianische CIDE – eine föderale Abgabe zugunsten von Programmen zur Förderung von Universitäten – ähnelt z. B. einer Quellensteuer dahingehend, als die grenzüberschreitende Zahlung auslösendes Moment der Besteuerung ist.15 Jedoch ist – anders als bei anrechenbaren Quellensteuern – das Steuersubjekt gerade nicht die ausländische (z. B. deutsche) Person, sondern das brasilianische Unternehmen selbst. Die Anrechnung der CIDE geht darüber hinaus fehl, weil die als „Steuerobjekt“ belasteten Kostenumlagen des technischen Bereichs (belastet wird jegliche Zahlung an ausländische juristische oder natürliche Personen für die Zurverfügungstellung von Know-how, Technologien, Lizenzen, Patenten, technischen Dienstleistungen) aus inländischer Sicht oftmals nicht steuerbare Vergütungen darstellen. Faktisch führt dies zu einer zusätzlichen Besteuerung von ausländischen Dienstleistungen im weitesten Sinne, die nach Auffassung der brasilianischen Behörden nicht durch Doppelbesteuerungsabkommen berührt wird. Eine Liberalisierung der Anrechnungsvoraussetzungen scheint hier angeraten und nötig, da der Abschluss eines neuen DBA momentan nicht absehbar ist.

III. Identität des Abgabegegenstandes und ausländische Einkünfte i.S.d. § 34d EStG Das Kriterium der Steuerobjektidentität findet sich auch beim Tatbestandsmerkmal der ausländischen Einkünfte i. S. d. § 34d EStG. § 34d EStG bestimmt abschließend, was „ausländische Einkünfte“ sind. Soweit die jeweiligen Einkünfte nicht in § 34d EStG aufgelistet sind, _____________ 14 BFH v. 5.2.1992 – I R 9/90, BStBl. II 1992, 607. 15 Vgl. zur CIDE IBFD, Brazil – Corporate Taxation, 2010, 55. Zur Nichtanrechenbarkeit der CIDE und den resultierenden Anrechnungsüberhängen Schaumburg/ Schulz, IStR 2005, 794 (798).

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bleibt allein ein Abzug der ausländischen Steuer nach § 34c Abs. 2 EStG. Hier muss ebenfalls für eine Liberalisierung geworben werden. Denn § 34d EStG erfasst bspw. keine Währungsgewinne; Währungsverluste mindern jedoch bei Vorliegen eines wirtschaftlichen Zusammenhangs den Anrechnungshöchstbetrag.16 Eine folgerichtige Ausgestaltung erfordert aber eine symmetrische Berücksichtigung. Der Identität des Abgabegegenstands stehen weder unterschiedliche Bemessungsgrundlagen noch die verschiedenen Besteuerungs- und/oder Erhebungsformen oder abweichende Erhebungszeiträume entgegen. Einzig müssen die Einkünfte sowohl im In- als auch im Ausland besteuert werden. So scheitert die Anrechnung ausländischer Steuern auf im Inland steuerfreie Einkünfte (z. B. aufgrund eines DBA) nicht an einer fehlenden Identität des Abgabegegenstandes.17 Vielmehr kommt es einzig nicht zur Anrechnung, weil sich durch die Steuerfreiheit ein rechnerischer Anrechnungshöchstbetrag von Null ergibt.18

IV. Entsprechende Steuer Anzurechnen ist nach § 34c Abs. 1 Satz 1 EStG ausschließlich die „festgesetzte und gezahlte und um einen entstandenen Ermäßigungsanspruch gekürzte Steuer“. Schutzadressat dieses seit VZ 2007 geltenden Zusatzes ist der deutsche Fiskus. Der Steuerpflichtige wird damit verpflichtet, eine Ermäßigung bzw. Erstattung im Ausland einzufordern – auch per Rechtsbehelfs- oder Gerichtsverfahren – und eine solche Möglichkeit nicht zulasten des deutschen Steueraufkommens zu unterlassen.19 Deshalb führen sowohl vorsätzlich als auch fahrlässig verjährte

_____________ 16 BFH v. 22.6.2001 – I R 103/10, BFH/NV 2011, 1785. 17 So aber Wagner in Blümich, § 34c EStG Rz. 42 mit Verweis auf BFH v. 4.6.1991 – X R 35/88, BStBl. II 1992, 187 und BFH v. 20.12.1995 – I R 57/94, BStBl. II 1996, 261. 18 Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 134; Schnitger, IStR 2003, 298. 19 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2011, Rz. 15.107. Weinschütz in Lademann, § 34c EStG Rz. 59, argumentiert – unter Verweis auf Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 163, die Pflicht, Rechtsbehelfe o. Ä. einzulegen, hänge von deren Erfolgsaussicht und Zumutbarkeit ab. Dies wäre zwar realitätsnah, entspricht wohl aber nicht dem Gesetzeszweck.

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oder verwirkte Ermäßigungsansprüche zu einer Kürzung der anrechenbaren ausländischen Steuer.20 Ungewiss bleibt, ob Deutschland auch dann eine Anrechnung verweigern kann, wenn der Ermäßigungsanspruch rechtlich besteht, faktisch aber nicht durchgesetzt werden kann. Die europarechtliche Zulässigkeit einer solchen einseitigen Risikoverlagerung ist zumindest diskutabel. So ist unsicher, ob ein Ermäßigungsanspruch tatsächlich „entstanden“ ist, wenn sich das Anrecht nicht aus nationalen Gesetzen, sondern vielmehr aus europäischen Grundfreiheiten ergibt. Vieles spricht dafür, dass eine Versagung der Anrechnung jedenfalls solange als unverhältnismäßig einzustufen ist, als Deutschland selbst an diskriminierenden Vorschriften für beschränkt Steuerpflichtige festhält (venire contra factum proprium).21 Indes gilt es auch zu bedenken, dass nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH22 die Schlechterstellung durch eine fehlende bzw. unvollständige Anrechnungsmöglichkeit der Quellensteuer einzig dem Quellenstaat anzulasten ist.23

V. Zeitpunkt der Besteuerung Nach § 34c Abs. 1 Satz 5 EStG ist eine Anrechnung der auf die im jeweiligen Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallenden ausländischen Steuer möglich. Demnach kommt es weder auf den Gewinnrealisierungszeitpunkt im Ausland noch auf den Zeitpunkt der dortigen _____________ 20 Geurts in Ernst & Young, § 26 KStG Rz. 95.1; Kuhn in Herrmann/Heuer/Raupach, § 34c EStG Rz. 73; Roser in Gosch, § 26 KStG Rz. 99a; Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 161 warnen in diesem Zusammenhang vor einem Vollzugsdefizit, da die erforderlichen besonderen Rechtskenntnisse des ausländischen Steuerrechts im Inland regelmäßig nicht gegeben seien. 21 Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, Vor § 34c EStG Rz. 39; Roser in Gosch, § 26 KStG Rz. 99a; Schnitger, IStR 2011, 653 (656). 22 Zur Kapitalertragsteuer: EuGH v. 20.10.2011 – Rs. C-284/09 – Kommission/ Deutschland, DStR 2011, 2038, Rz. 57; v. 3.6.2010 – Rs. C-487/08 – Kommission/ Spanien, DStRE 2010, 1242, Rz. 69; v. 19.11.2009 – Rs. C-540/07 – Kommission/ Italien, Slg. I 2009, 11007, Rz. 61; v. 18.6.2009 – Rs. C-303/07 – Aberdeen Property Fininvest, Slg. I 2009, 5159, Rz. 56; v. 18.11.2007 – Rs. C-379/05 – Amurta, IStR 2007, 853, Rz. 28; v. 14.12.2006 – Rs. C-170/05 – Denkavit, Slg. I 2006, 11968, Rz. 41, IStR 2007, 62. Der BFH sieht die Verantwortung zur Entlastung hingegen beim Ansässigkeitsstaat des Empfängers: BFH v. 22.4.2009 – I R 53/07, DStR 2009, 1469. 23 Kessler/Dietrich, DStR 2011, 2131 (2133).

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Steuerzahlung an. Eine in früheren Perioden erhobene ausländische Steuer – die in sachlicher Hinsicht der inländischen Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer entspricht – kann daher stets angerechnet werden. Entsprechendes gilt bei erst späterer Besteuerung im Ausland (rückwirkendes Ereignis, Änderung des Steuerbescheids gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO).24 Gleichzeitig führt die „per-year-limitation“ des § 34c Abs. 1 Satz 5 EStG aber auch dazu, dass Anrechnungsüberhänge nicht vor- oder rückübergetragen werden können, was nicht sachgerecht ist.

C. Rechtsfolgenebene – Praxisprobleme I. In wirtschaftlichem Zusammenhang stehende Aufwendungen Als Rechtsfolge sieht das Gesetz die Anrechnung der ausländischen Steuer auf die deutsche Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer vor, die auf die ausländischen „Einkünfte“ entfällt. Nach den Rechtsvorschriften des deutschen Steuerrechts sind daher die Nettoeinkünfte unter Abzug von Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten zu ermitteln.25 Als Reaktion auf die Rechtsprechung des BFH26, wonach nur in unmittelbarem Zusammenhang stehende Betriebsausgaben abzuziehen sind, wurde mit Geltung für VZ ab 2003 Satz 4 in § 34c Abs. 1 EStG eingefügt.27 Dieser normiert für ausländische Einkünfte i. S. d. § 34d Nr. 3 (selbstständige Arbeit), Nr. 4 (Veräußerungen), Nr. 6 (Kapitalvermögen), Nr. 7 (Vermietung und Verpachtung) und Nr. 8 Buchst. c (Leistungen _____________ 24 BFH v. 31.7.1991 – I R 51/89, BStBl. II 1991, 922; Kaminski/Strunk in Korn, § 34c EStG Rz. 29.1 ff.; Wagner in Blümich, § 34c EStG Rz. 47; Kuhn in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 34c EStG Rz. 97; Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 137 f.; Weinschütz in Lademann, § 34c EStG Rz. 70. Vgl. auch mit gl. A. zu § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG a. F. OFD Frankfurt v. 24.8.1998 – S 2293 A - 55 - St II 2 a/25, BeckVerw 155582. 25 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2011, Rz. 15.69; Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34d EStG Rz. 35; Kaminski/Strunk in Korn, § 34d EStG Rz. 26. 26 BFH v. 29.3.2000 – I R 15/99, BStBl. II 2000, 577; v. 9.4.1997 – I R 178/94, BStBl. II 1997, 657; v. 16.3.1994 – I R 42/93, BStBl. II. 1994, 799; entgegen BMF v. 10.2.1998, betr. steuerliche Behandlung der Refinanzierungszinsen einer an einer Personengesellschaft beteiligten Bank, IV B 2 - S 2241 - 8/98, DStR 1998, 489. 27 BMF v. 23.11.2001, betr. steuerliche Behandlung der Refinanzierungszinsen einer an einer Personengesellschaft beteiligten Bank, IV A 6 - S 2241 - 901, DStR 2002, 805. Die Rechtsprechung des BFH ist daher für VZ vor 2003 weiter anzuwenden.

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i. S. d. § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG) EStG, die zum Gewinn eines inländischen Betriebs gehören, ein erweitertes Betriebsausgabenabzugsgebot28. Betriebsausgaben und Betriebsvermögensminderungen sind demnach stets dann zu berücksichtigen, wenn sie in wirtschaftlichem Zusammenhang zueinander stehen. Infolge des ausgedehnten Aufwandabzugs mindert sich die Rechengröße „ausländische Einkünfte“ und daran anknüpfend die maximal anrechenbare ausländische Steuer teilweise erheblich. Sachlich gesehen erfasst die Regelung damit neben Aufwendungen, die in direktem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, auch solche, die schlichtweg keinen anderen Einnahmen direkt zugerechnet werden können, aber gleichwohl einen wirtschaftlichen Bezug zu den entsprechenden ausländischen Einnahmen aufweisen. Der Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs sollte nach dem Beschluss des Großen Senats29 in Übereinstimmung mit dem des Veranlassungszusammenhangs auszulegen sein.30 Ergo ist ein beliebiger Zusammenhang unzureichend, vielmehr muss die Beziehung objektiv erkennbar sein. Unabdingbares Element ist daher die Zugehörigkeit der jeweiligen Aufwendungen zu den spezifischen ausländischen Einnahmen. Ein allgemeiner Zusammenhang zu einem Betrieb – wie in § 4 Abs. 4 EStG normiert – ist nicht ausreichend.31 Der demnach vorzunehmende Ermittlungs- und Rechenaufwand – der zwangsweise mit Schätzungen verbunden ist – bewegt sich nahe der Zumutbarkeitsgrenze.32

_____________ 28 29 30 31

Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 200. BFH v. 4.7.1990 – GrS 2-3/88, BStBl. II 1990, 817. Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34d EStR Rz. 201. Dies dürfte bei allgemeinen Verwaltungsaufwendungen nur sehr vereinzelt gegeben sein: Siegers in Dötsch/Jost/Pung u. a., § 26 KStG Rz. 168; Wassermeyer/ Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34d EStG Rz. 203; Geurts in Frotscher, § 34c EStG Rz. 40. Für eine Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungskosten führt Buciek (Aussprache), JbFSt 2009/2010, 2010, 815 (829 f.), ins Feld, dass ein vollkommenes Außerachtlassen dieser Aufwendungen bei einem Unternehmen, das ausschließlich ausländische Einkünfte erzielt, nicht sachgerecht wäre. Geurts in Frotscher, § 34c EStG Rz. 43, spricht sich dafür aus, die laufenden allgemeinen Verwaltungskosten über eine Schätzmethode zuzuordnen. Gleichwohl weist er auch darauf hin, dass eine Aufteilung sämtlicher Kosten nicht sachgerecht sei. 32 Siegers in Dötsch/Jost/Pung u. a., § 26 KStG Rz. 168.

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Der Gesetzgeber hat (bewusst) auf eine zeitraumübergreifende Ausgestaltung verzichtet.33 So betrifft § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG auch zeitlich gesehen nicht jedwede Aufwendungen, sondern nur die, die mit den im betreffenden Veranlagungszeitraum bezogenen Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Das für Zwecke der Anrechnung in § 34c Abs. 1 Satz 5 EStG normierte Prinzip der Abschnittsbesteuerung greift. Dieses Verständnis zugrunde legend, ist offensichtlich, dass vorgelagerte Aufwendungen das Anrechnungsvolumen bei erst späterem Bezug von Einnahmen nicht mindern.34 Das frühere Ballooning-Konzept kann daher auch für die Anrechnungsmethode nutzbar gemacht werden. Wurden einst – um die Abzugsfähigkeit der Beteiligungsaufwendungen zu sichern – Gewinnausschüttungen aufgeschoben, sodass keine steuerfreien Einnahmen vorlagen, erscheint es heute zweckmäßig, ausländische Einnahmen erst in späteren – vom Veranlagungszeitraum der Aufwendungen abweichenden – Perioden zu erzielen.35 Europarechtlich ist noch auf ein Urteil des EFTA-Gerichtshofs hinzuweisen. In der Rechtssache „Seabrokers“36 entschied der EFTA-Gerichtshof, dass bei der Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags die anteilige Zuordnung von Aufwendungen, die mit den ausländischen Betriebsstätteneinkünften in keinem Zusammenhang stehen, gegen die Niederlassungsfreiheit verstößt. Der Einbezug nur schätzungsweise ermittelter, allgemeiner Verwaltungsaufwendungen könnte daher ebenfalls gegen Unionsrecht verstoßen. Die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags selbst ist darüber hinaus Gegenstand einer Vorlagefrage des BFH an den EuGH.37 Diese bewirkt nämlich einerseits, dass eine Doppelbesteuerung nicht vollstän_____________ 33 Dies steht in Kontrast zu § 3c Abs. 1 EStG, der explizit eine veranlagungszeitraumübergreifende Betrachtung vornimmt: „… unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen …“ 34 Ebenso Geurts in Ernst & Young, § 26 KStG Rz. 84.5; Geurts in Frotscher, § 34c EStG Rz. 42. Morlock, JbFSt 2009/2010, 2010, 815 (821), geht abweichend davon aus, dass (Entwicklungs-)Kosten für die Berechnung des Anrechnungshöchstbetrags dann zu berücksichtigen sind, wenn in diesem Jahr bereits ausländische Einnahmen erzielt werden. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den im jeweiligen Veranlagungszeitraum bezogenen Einnahmen sei daher nicht notwendig. 35 Ebenso Pfaar/Jüngling, IStR 2009, 610 (615). 36 EuGH v. 7.5.2008 – Rs. E-7/07 – Seabrokers, IStR 2009, 315. 37 BFH v. 9.2.2011 – I R 71/10, IStR 2011, 387; anhängig unter Az. C-168/11 Beker und Beker.

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dig38 vermieden wird. Außerdem können sich persönliche Steuerabzüge bei der Veranlagung im Ansässigkeitsstaat nicht vollständig auswirken, sondern gehen durch einen reduzierten Anrechnungshöchstbetrag teilweise unter.39 Es spricht daher vieles für eine enge Auslegung der nur in mittelbarem Zusammenhang stehenden Aufwendungen.40

II. Verlust im Inland und fehlender Anrechnungsvortrag In der Rechtssache „Haribo und Österreichische Salinen“41 rügt der EuGH einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit: Beim Bezug inländischer Dividenden besteht in Österreich aufgrund der für diese geltenden Freistellungsmethode die Möglichkeit zum intertemporalen Verlustausgleich fort, beim grenzüberschreitenden Dividendenbezug gilt dagegen ggf. die Anrechnungsmethode mit der Folge, dass insoweit ein bestehendes Verlustvortragspotenzial vernichtet wird. Der (vortragsfähige) Verlust verringert sich hier durch die der Anrechnungsmethode eigene Addition von inländischen und ausländischen Einkünften (Einbezug der ausländischen Dividenden in die inländische Bemessungsgrundlage).42 Die diskriminierende Ungleichbehandlung ergibt sich aus dem fehlenden Anrechnungsvortrag für die im Quellenstaat entrichtete Körperschaftsteuer.43 Dadurch kommt es aufseiten der Empfängergesell_____________ 38 Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH aber auch nicht erforderlich, solange sich die Doppelbesteuerung aufgrund der parallelen Anwendung zweier Steuerrechtsordnungen ergibt, EuGH v. 10.2.2011 – Rs. C-436/08 und 437/08 – Haribo und Österreichische Salinen, IStR 2011, 299 (nur Leitsätze), Rz. 170 (Volltext abrufbar unter http://curia.europa.eu); v. 16.7.2009 – Rs. C-128/08 – Damseaux, Slg. I 2009, 6826, Rz. 27–35; v. 14.11.2006 – Rs. C-513/04 – Kerkhaert und Morres, Slg. I 2006, 10981, Rz. 20, 22, 24. 39 Lüdicke/Jorewitz, IStR 2011, 387 (390). 40 Differenziert auch Weinschütz in Lademann, § 34c EStG Rz. 209 f. 41 EuGH v. 10.2.2011 – Rs. C-436/08 und 437/08 – Haribo und Österreichische Salinen, IStR 2011, 299 (nur Leitsätze). 42 Hierzu bereits EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-439/07 und C-499/07 – KBC Bank und Beleggen, IStR 2009, 494, Rz. 39, 40; v. 12.2.2009 – Rs. C-138/07 – Cobelfret, Slg. 2009, I-731, Rz. 39, 40. 43 In Reaktion auf das Urteil des EuGH fügte Österreich in § 10 Abs. 6 öKStG durch das AbgÄG 2011 folgende Sätze an: „Übersteigt die anrechenbare ausländische Körperschaftsteuer die Steuerschuld unter Außerachtlassung einer Mindeststeuer nach § 24 Abs. 4, kann der Übersteigungsbetrag auf die Steuerschuld in den folgenden Jahren auf Antrag angerechnet werden. Über die Höhe des Übersteigungsbetrages ist im Abgabenbescheid abzusprechen.“ Rz. 66 des amtlichen Kommentars zu Art. 23B OECD-MA erkennt ebenfalls eine Vortragsmöglichkeit an.

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schaft in den folgenden Veranlagungsjahren bei einem positiven Betriebsergebnis zu einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der ausländischen Dividenden.44 Der EuGH untersagt damit explizit eine veranlagungszeitraumübergreifend eintretende (wirtschaftliche) Doppelbesteuerung. Auch in Deutschland können nach § 34c Abs. 1 Satz 5 EStG ausländische Steuern nur insoweit angerechnet werden, als sie auf die im Veranlagungszeitraum bezogenen Einkünfte entfallen.45 Durch die eintretende „per-year-limitation“ verfallen Anrechnungsüberhänge, sie können weder zurück- noch vorgetragen werden.46 Die drohende – in den folgenden Veranlagungszeiträumen eintretende – Überbesteuerung kann Inländer davon abhalten, im Ausland zu investieren.47 Europarechtlich weitgehend unbedenklich erscheinen Anrechnungsüberhänge, wenn sie aus einem höheren ausländischen Steuerniveau resultieren. Ist die Doppelbesteuerung aber Ergebnis der inländischen Anrechnungsvorschriften, könnte eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit oder Niederlassungsfreiheit vorliegen.48 Letztere kommt bspw. bei der Verursachung von Anrechnungsüberhängen aufgrund zeitlicher Differenzen49 oder aufgrund des Einbezugs ausländischer Einkünfte in die inländische negative Bemessungsgrundlage in Betracht, sofern es in der _____________ 44 EuGH v. 10.2.2011 – Rs. C-436/08 und 437/08 – Haribo und Österreichische Salinen, IStR 2011, 299 (nur Leitsätze), Rz. 158. In Rz. 159 folgert der EuGH: „Sieht eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche keinen Vortrag der Anrechnung der im Ansässigkeitsstaat der ausschüttenden Gesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer vor, unterliegen daher Dividenden aus ausländischen Quellen in einem System wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen einer höheren Besteuerung …“ Und in Rz. 160: „… dass Art. 63 AEUV einer solchen Regelung entgegensteht.“ 45 Damit regelt Satz 5, auf welche ausländische Steuer die Höchstbetragsregelung des Satzes 2 anzuwenden ist bzw. welche ausländische Steuer unterhalb des Höchstbetrags anzurechnen ist. Wassermeyer/Lüdicke in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 208. 46 Lüdicke, FR 2011, 1077 (1079); Geurts in Frotscher, § 34c EStG Rz. 83; Kaminski/ Strunk in Korn, § 34c EStG Rz. 31.3.1. Insbesondere kommen keine Billigkeitsmaßnahmen in Betracht, BFH v. 25.4.1990 – I R 70/88, BStBl. II 1990, 1086. 47 Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG Rz. 34; Lüdicke, FR 2011, 1077 (1079); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, 53; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2011, Rz. 15.117; Schnitger, IStR 2011, 653 (656). 48 Zusätzlich bleibt zu bedenken, dass die per-country-limitation und die per-itemlimitation des § 34c Abs. 1 Satz 3 EStG und die damit einhergehende begrenzte Anrechnung Gegenstand europarechtlicher Kritik sind, vgl. nur Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStR Rz. 32. 49 Prokisch in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 34c EStG B 167.

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Folge an einem intertemporalen Verlustausgleich fehlt. Hier ist der Gesetzgeber gefragt, das Gesetz zeitnah an die Vorgaben des EuGH anzupassen.50

D. Begrenzung der Anrechnung auf die inländische Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer I. Hinzurechnungsbesteuerung Ein weiterer Problemkreis entsteht durch Anrechnungsüberhänge im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung.51 Die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7–14 AStG) normiert die Steuerpflicht des inländischen Gesellschafters mit niedrig besteuerten, passiven Einkünften einer ausländischen Kapitalgesellschaft, soweit er an dieser qualifiziert beteiligt ist.52 Der Hinzurechnungsbetrag gehört nach § 10 Abs. 2 Satz 2 AStG zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb, wenn die Anteile an der ausländischen (Zwischen-)Gesellschaft zum inländischen Betriebsvermögen gehören.53 Statt die ausländische Steuer auf die passiven Einkünfte bei Ermittlung des Hinzurechnungsbetrags zum Abzug zu bringen, ist auf Antrag auch die Anrechnung auf die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer nach § 12 Abs. 1 Satz 1 AStG möglich. Die Gewerbesteuerpflicht des Hinzurechnungsbetrags verwundert zuerst, galt die Gewerbesteuer – traditionell jedenfalls – als eine dem Territorialitätsgrundsatz folgende Objektsteuer. Jedoch ist das Territorialitätsprinzip längst nicht mehr gewährleistet, weil ausländische Einkunftsteile nur unvollständig aus dem Gewerbeertrag gekürzt werden.54 Durch diese lückenhafte Kürzung und fiskalisch motivierte Erweiterungen der Hinzurechnungstatbestände tritt die Gewerbesteuer (nicht erst) seit der Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf 15 % als _____________ 50 Hinzuweisen bleibt aber auch darauf, dass der EuGH daran festhält, dass ein Anrechnungsvortrag für ausländische Quellensteuern unionsrechtlich nicht geboten ist. 51 Beachte hierzu jüngst Quilitzsch, Ubg 2011, 942 (945). 52 Zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung vergleiche Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, 441 ff.; Köhler in Kessler/ Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, 2008, § 7 AStG Rz. 145 ff. 53 § 8b Abs. 1 KStG, § 3 Nr. 40 EStG sind nicht anzuwenden. 54 Kritisch zur Gewerbesteuerpflicht des Hinzurechnungsbetrags Rödder, IStR 2009, 873 ff.

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(gleichberechtigte) Ertragsteuer auf.55 Ist die Zielsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung in der Herstellung eines vergleichbaren inländischen Ertragsteuerniveau zu sehen,56 könnte dies für die Gewerbesteuerpflicht des Hinzurechnungsbetrags sprechen. Denn die Gewerbesteuer stellt – ebenso wie die Einkommen- und Körperschaftsteuer – eine Ertragsteuer dar.57 Auch der in § 8 Abs. 3 AStG genannte Schwellenwert für die Niedrigbesteuerung von 25 % belegt, dass die Gewerbesteuer implizit einbezogen ist. Dies belegt auch die Gesetzesbegründung, die von einer nominalen (Gesamt-)Belastung einer Kapitalgesellschaft von knapp unter 30 % – also inklusive Gewerbesteuer – ausgeht und mit Hinweis auf dieses Belastungsniveau das Festhalten am Referenzsteuersatz von 25 % begründet.58 Beides ist jedoch verfehlt: Die deutsche Zurechnungsbesteuerung von Einkünften, die im Ausland mit 15 % bis 24,99 % besteuert werden, führt bei inländischen Kapitalgesellschaften zu Anrechnungsüberhängen.59 Denn das ausländische „Niedrigsteuerniveau“ ist höher als das in Gestalt der Körperschaftsteuer zu Verfügung stehende Anrechnungsvolumen. Vermeiden ließe sich diese Verzerrung durch ein einfaches Rückbesinnen auf die Schwelle zur Niedrigbesteuerung bei Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung anno 1972. Damals orientierte sich diese an der hälftigen körperschaftsteuerlichen Belastung thesaurierter _____________ 55 Zur fiskalisch motivierten Erweiterung der Hinzurechnungstatbestände vgl. BRPlenarprotokoll zur 771, Sitzung v. 20.12.2001, 721: „Um die fiskalische Belastung aufgrund der Gesetzesänderung in engen Grenzen zu halten, hat sich der Vermittlungsausschuss auf […] die Gewerbesteuerpflicht für Dividenden aus Streubesitzanteilen […] geeinigt.“ Vgl. auch Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drs. 14/7780, 5; zu den fiskalischen Beweggründen der Einführung siehe zudem FG Münster v. 1.9.2011 – 9 K 5772/03 G (Vorlage an das BVerfG 1 BvL 6/07), DStRE 2008, 495; Baumgärtel/Lange, Ubg 2008, 525 (530); Gröning/ Siegmund, DStR 2003, 617 (620 ff.); zur unvollständigen Ermittlung der objektivierten Ertragskraft vgl. Montag in Tipke/Lang, Steuerrecht, 2010, 476 f.; Güroff in Glanegger/Güroff, 2009, § 8 GewStG Rz. 1; Hey, Beihefter zu DStR 2009, 109 (115 f.); Schön, JbFSt 2008/2009, 2009, 60 (69); Lüdicke in Oestreicher, Unternehmensbesteuerung 2008: Neue Wege gehen, 2008, 47 (64). 56 So jedenfalls Wassermeyer/Schönfeld in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, § 10 AStG, Rz. 187. 57 Die Gewerbesteuer als Ertragsteuer sehend: Gosch, Außensteuerliche Aspekte der Gewerbesteuer, Grüne Hefte zur Internationalen Besteuerung, Heft 177, 2011, 22; Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, AStR, § 34c EStG, Rz. 172; Drüen (Aussprache), JbFSt 2009/2010, 2010, 768 (775 f.); Gosch, DStZ 1998, 327 (328). 58 BT-Drs. 16/6290, 91. 59 Für ein Rechenbeispiel vgl. Quilitzsch, Ubg 2011, 942 (945).

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Gewinne von inländischen Kapitalgesellschaften.60 Da heute die allseits akzeptierte typisierte Gesamtsteuerbelastung bei ca. 30 % liegt, wäre eine Absenkung des Referenzsteuersatzes auf 15 % folgerichtig. Wird – entgegen der hier vertretenen Auffassung – davon ausgegangen, dass der Einbezug ausländischer Einkunftsteile in die Gewerbesteuer gerechtfertigt ist, muss dies logisch konsequent für die belastenden und entlastenden Effekte gelten. Das geltende Recht bleibt auf halbem Weg stehen. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 AStG kommt eine Anrechnung ausländischer Steuern ausdrücklich und trotz Gewerbesteuerpflicht des Hinzurechnungsbetrags nur auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer in Betracht.61 Kombiniert mit den Verwerfungen aufgrund des Referenzsteuersatzes führt dies zu einer überschießenden Wirkung der Hinzurechnungsbesteuerung und damit zu einer – auch verfassungsrechtlich fragwürdigen – Strafbesteuerung.

II. Anrechnung ausländischer Quellensteuer auf die Gewerbesteuer Schließlich stellt sich die Frage, ob eine Anrechnung ausländischer Quellensteuern nicht auch auf die Gewerbesteuer möglich ist.62 Dieser Aspekt hat durch die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf 15 % erheblich an Brisanz gewonnen. Hinzu kommt, dass die ausländischen Quellensteuern auf Bruttobasis erhoben werden, die Anrechnung im Inland aber auf die Nettoeinkünfte begrenzt ist – was wegen der bereits erläuterten Problematik des Abzugs auch mittelbarer Aufwendungen umso belastender ist. In der betrieblichen Praxis sind Anrechnungsüberhänge daher an der Tagesordnung. Ausländische Einkünfte wie Lizenzen, Zinsen und (Streubesitz-)Dividenden werden bei der Ermittlung des Gewerbeetrags nicht gekürzt und unterliegen daher ebenso wie die Einkünfte aus rein inländischen Quellen in voller Höhe der Gewerbesteuer. Gleichwohl ist im GewStG _____________ 60 Kraft in Kraft, § 8 AStG Rz. 820; Wassermeyer/Schönfeld in Flick/Wassermeyer/ Baumhoff, § 8 AStG Rz. 701. Damals wurde die GewSt zwar ebenfalls außer Acht gelassen, aufgrund ihrer damaligen Ausgestaltung und auch ihrer Abzugsfähigkeit als Betriebsausgabe war dies wiederum auch zutreffend. 61 Quilitzsch, Ubg 2011, 942 (945). 62 Becker/Loose, IStR 2012, 57; Eglmaier, IStR 2011, 951; Gosch, Außensteuerliche Aspekte der Gewerbesteuer, Grüne Hefte zur Internationalen Besteuerung, Heft 177, 2011, 22; Kessler/Dietrich, IStR 2011, 953; Kessler/Dietrich, IStR 2011, 108; Heurung/Seidel, IWB 2009, 687 (692 f.); Schmidt/Boller, PIStB 2008, 270 (277).

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keine Anrechnung ausländischer Steuern vorgesehen. Im abkommenslosen Zustand ist daher mangels einer gesetzlichen Grundlage keine Anrechnung ausländischer Quellensteuern auf die Gewerbesteuer möglich. Etwas anderes gilt dagegen dann, wenn die DBA Rechtsgrundlage für die Anrechnung ausländischer Quellensteuern sind.63 Voraussetzung dafür ist, dass das entsprechende Abkommen eine Anrechnung der erhobenen ausländischen Quellensteuern auf die deutschen Steuern vom Einkommen vorsieht (z. B. Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 DBA Belgien), unter die abkommensrechtlich zumeist auch die Gewerbesteuer fällt (z. B. Art. 2 Abs. 3 Buchst. a Nr. 3 DBA Österreich; Art. 2 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. e DBA Belgien). Eine Ausnahme hiervon gilt allerdings, soweit das jeweilige DBA ausdrücklich eine Anrechnung allein auf die zu erhebende deutsche Einkommen- und Körperschaftsteuer normiert (z. B. Art. 23 Abs. 2 Buchst. b DBA Norwegen; Art. 24 Abs. 2 Buchst. b DBA China).64 Sofern Abkommen die Anrechnung ausländischer Steuern auf die deutsche Steuer (vom Einkommen)65 „unter Beachtung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts“ vorsehen (z. B. Art. 23 Abs. 1 Buchst. b DBA Österreich), schließt diese Formulierung die Anrechnung auf die Gewerbesteuer hingegen nicht aus. Vielmehr wird lediglich für die Technik der Anrechnung auf das innerstaatliche Recht verwiesen, der materielle Anrechnungsanspruch hierdurch aber nicht beschränkt.66 Dahingestellt bleibt vorerst die Reihenfolge einer Anrechnung. Um eine nicht folgerichtige Doppelanrechnung zu vermeiden, könnten lediglich verbleibende Anrechnungsüberhänge auf die Gewerbesteuer angerech_____________ 63 Im Hinblick auf die Anrechnungs- und Abzugsmethode gilt das Primat der DBA lediglich grundsätzlich, da § 34c Abs. 6 Satz 2 bis 6 EStG Modifikationen vorsieht. Bestimmt ein DBA die Anrechnung ausländischer Steuern auf die deutschen Steuern vom Einkommen, sind die Vorschriften des § 34c Abs. 1 Satz 2 bis 5 EStG entsprechend anzuwenden. Aus dem Zusatz „entsprechend“ folgt, dass die nationale Anrechnungsnorm stets mit der DBA-Regelung vereinbar sein muss; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2011, Rz. 15.13. 64 Kessler/Dietrich, IStR 2011, 953 (954). 65 In den Abkommenstexten wird anstatt des Plurals („deutsche Steuern“) z. T. der Singular „deutsche Steuer“ (z. B. Art. 23 Abs. 1 Buchst. b DBA Österreich) oder „erhobene Steuer“ (Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a DBA Belgien) verwendet. Dieser Terminus umfasst ausweislich der Regelungen zu den unter das Abkommen fallenden Steuern (vgl. Art. 2 Abs. 3 Buchst. a Nr. 3 DBA Österreich; Art. 2 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. e DBA Belgien) ausdrücklich die Gesamtheit aller unter das Abkommen zu subsumierenden Steuern. 66 Gl. A. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Art. 23a OECD-MA Rz. 104; Kessler/Dietrich, IStR 2011, 953 (954); Pfaar/Jüngling, IStR 2009, 610 (614 f.); Schmidt/Boller, PIStB 2008, 270 (277).

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net würden.67 Kritisch ist hierzu freilich anzumerken, dass dies eine qualitative Rangordnung der Steuern voraussetzt, nach der die Gewerbesteuer erst auf dem zweiten Platz käme. Da sich jedoch eine solche Rangfolge der Steuern weder aus dem DBA noch aus dem nationalen Recht ergibt, müsste die Anrechnung simultan und anteilig sowohl auf die Körperschaft- als auch auf die Gewerbesteuer erfolgen.68 Dies hätte zumindest einen erhöhten administrativen Aufwand zur Folge.

E. Fazit Trotz grundsätzlichem Bekenntnis der Bundesregierung zur Freistellungsmethode69 ist die praktische Bedeutung der Anrechnungsmethode uni- wie bilateral erheblich. Die aufgezeigten (inhärenten) Mängel der Anrechnungsmethode wiegen daher schwer. Akuter Handlungsbedarf besteht zum einen in der Liberalisierung der Anrechnungsvoraussetzungen. Gerade im abkommenslosen Zustand kann nur so eine dem Leistungsfähigkeitsprinzip zuwiderlaufende Besteuerung vermieden werden. Gleichzeitig gilt es, die Anrechnungsmethode aus EU-rechtlicher Sicht zu überarbeiten. Sachgerechte Verbesserungsvorschläge liegen mit der Aufgabe der starren per-country-limitation und der Einführung einer overall-limitation (ggf. in Kombination mit der per-countrylimitation) bereits vor.70 Ebenfalls muss zeitnah und proaktiv auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „Haribo und Österreichische Salinen“ reagiert und ein Anrechnungsvortrag zumindest bei der Existenz inländischer Verluste eingeführt werden. Und last, but not least muss das Thema der Anrechnung auf die Gewerbesteuer angegangen werden. Zwei Wege können hier beschritten werden: Entweder werden ausländische Einkünfte lückenlos von der inländischen Gewerbesteuerpflicht ausgenommen oder die durch DBA vorgeschriebene Anrechnung ausländischer Quellensteuern auf die Gewerbesteuer wird (endlich) praktiziert. _____________ 67 Kessler/Dietrich, IStR 2011, 108; Vogel in Vogel/Lehner, Art. 23B OECD-MA Rz. 129; Loukota, SWI 1993, 8 ff.; Lechner, SWI 1991, 68 (71 ff.). 68 Debatin, DB 1962, Beilage Nr. 12, 1 (7). 69 Koalitionsvertrag v. 26.10.2009, Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 17. Legislaturperiode, 14. Zum Ende der 16. Legislaturperiode des deutschen Bundestags wurden verschiedene Anträge eingebracht, die einen generellen Methodenwechsel hin zur Steueranrechnung forderten: Vgl. BT-Drs. 16/6451, 1; BT-Drs. 16/9421, 2. 70 Vgl. nur Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, 2011, 53.

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Podiumsdiskussion zu den Vorträgen des Nachmittags Teilnehmer Prof. Dr. Hubertus Baumhoff Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Gert Müller-Gatermann Ministerialdirigent a. D. Koblenz

Dr. Xaver Ditz Steuerberater Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Dr. Andreas Roth Director International Tax & Customs John Deere, Mannheim

Prof. Dr. Wolfgang Kessler Steuerberater Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg

Dr. Jens Schönfeld Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht Flick Gocke Schaumburg, Bonn

Prof. Dr. Baumhoff Bestehen zunächst Fragen bzw. Diskussionsbedarf im Anschluss an den Vortrag von Herrn Dr. Roth? Müller-Gatermann Wie bereits heute Morgen erwähnt, stellt sich bei der BetriebsstättenDefinition für Deutschland die Frage, ob wir uns der internationalen Tendenz zur Erweiterung des Betriebsstätten-Begriffs weiter entgegenstellen können, um nicht bei der Verteilung des Steuersubstrats ins Hintertreffen zu geraten. Bedauerlich dabei ist nur, dass die Anwendung des AOA bei der Funktionsanalyse schwieriger werden dürfte. Dr. Roth Das sehe ich genauso wie Sie, Herr Müller-Gatermann. Die Gefahr ist nur, dass bei diesen Betriebsstättendefinitionen bzw. der Erweiterung des Betriebsstättenbegriffs auch immer versucht wird, nicht nur Routinetätigkeiten in der Betriebsstätte anzusiedeln, sondern sog. Significant People Functions anzudocken. Da stehen wir dann vor dem ganz anderen Problem, dass der Betriebsstätte unter Umständen erheblicher Gewinn zugerechnet wird, was im Stammhaus erhebliche Schwierigkeiten bereitet, wenn der Sitzstaat eine Betriebsstätte nicht aner181

Podiumsdiskussion

kennt. Ich will es an einem Beispiel erläutern. Herr Dr. Ditz hatte in seinem Vortrag das Beispiel des Lohnfertigers angeführt, wo eine Materialbeistellung noch nicht zu einer Betriebsstätte führt. Aber was ist denn, wenn der Unternehmer, der Prinzipal, auch die Werkzeuge liefert bzw. beistellt? Das ist häufig der Fall, da die Betriebsmittel zum einen teuer sind und der Prinzipal die Betriebsmittel natürlich nicht aus der Hand geben möchte. Dem Lohnfertiger wird also Anlagevermögen mit teilweise Millionenwert zur Verfügung gestellt, über das der Prinzipal nachträglich natürlich weiterhin verfügen wird. Das ist beim Lohnfertiger angesiedelt. Liegt dann eine Betriebsstätte vor? Des Weiteren muss man berücksichtigen, dass gegebenenfalls mit den Werkzeugen auch immaterielle Wirtschaftsgüter an den Lohnfertiger überführt werden. Kommt es hier zu einer Entstrickung? Da entstehen ganz große Probleme. Als zweiten Punkt möchte ich die Verfügungshoheit ansprechen. Heute ist es in internationalen Konzernen häufig so, dass die Hierarchien nicht mehr innerhalb einer rechtlichen Einheit, einer Betriebsstätte, stattfinden. Viele Mitarbeiter einer Tochtergesellschaft berichten nicht mehr an den Geschäftsführer, sondern direkt an eine andere Stelle im Konzern, meist im Stammhaus. Beispielsweise berichtet der deutsche Entwicklungsleiter an seinen Chef in den USA. Dieser beansprucht auch die Budgethoheit, d. h., er bestimmt das deutsche Entwicklungsbudget, und nicht etwa der Geschäftsführer der deutschen Tochtergesellschaft. Hier stellt sich die Frage, ob die Tochtergesellschaft bei der amerikanischen Muttergesellschaft dadurch eine Geschäftsleitungsbetriebsstätte begründet. Wenn dem so sein sollte, birgt der AOA Probleme, da die Frage entsteht, welche Wirtschaftsgüter der Betriebsstätte zuzurechnen sind. Wie groß ist der „Funktionsnutzen“ dieser Betriebsstätte? Hier sehe ich riesige Probleme. Deshalb bin ich eigentlich über diese Entwicklung bei der OECD sehr bestürzt. Sie hat sich ja schon seit Jahren angekündigt und wird von der OECD stringent fortgeführt. Auch das letzte 25-Punkte-Programm der OECD ist m. E. sehr konsequent in die bisherige Richtung der OECD weitergedacht. Mit den Dienstleistungsbetriebsstätten und dem Sub-Contracting ist das eigentlich nichts anderes als die konsequente Fortführung der Bau- und Montagebetriebsstätte. Auch da existiert keine feste Einrichtung. Der Lohnfertiger reiht sich auch hier ein. Insofern sehe ich schon eine klare Linie der OECD, aber ich sehe sie sehr sorgenvoll, weil das für die Unternehmen zu riesigen Befolgungskosten führt, und zwar auch dann, wenn am Ende nur 182

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ein geringer Gewinn zugeordnet wird. Wir sehen ja vor lauter Betriebsstätten kein Land mehr. Prof. Dr. Baumhoff Darauf müssen wir uns aber einstellen, Herr Müller-Gatermann. Sie haben das heute Morgen ja schon erwähnt: Wenn also Deutschland jetzt ein bisschen widerwillig seinen DBA-Betriebsstättenbegriff in Art. 5 öffnet, werden wir auch mehr Inlandsbetriebsstätten bekommen. Dann erleben wir vielleicht in den nächsten Betriebsprüfungen böse Überraschungen, wenn der Betriebsprüfer plötzlich eine Betriebsstätte feststellt, die bisher noch keiner kannte. Mit all den Konsequenzen, die Herr Dr. Ditz eben aufgerufen hat: Lohnsteuer, Lohnsteuerhaftung, Umsatzsteuer. Die gesamte Bandbreite. Und noch ein anderer Gedanke, anknüpfend an das, was Herr Dr. Roth gesagt hat. Ist § 1 AStG der „richtige Kleiderhaken“, an dem wir den AOA aufhängen? Oder müssen wir in § 4 EStG eine entsprechende Regelung treffen? Ich stimme Herrn Dr. Roth zu, dass § 1 AStG eine hinkende Norm ist. Da werden inländische Einkünfte gemindert. Wäre man konsequent, müsste man sagen, das geht auch umgekehrt. Und wir kommen dabei natürlich auch mit der Betriebsstätte in die Funktionsverlagerungsbesteuerung, die mittlerweile ein elementarer Bestandteil des § 1 Abs. 3 AStG ist. Und bisher gilt die Funktionsverlagerung auf Betriebsstätten als zentrales Instrument zur Vermeidung der Funktionsverlagerungsbesteuerung, da diese nicht für Betriebsstätten gilt. Da kommen wir automatisch rein und müssen umgekehrt Funktionsverlagerungen in das Inland zulassen, auf Inlandsbetriebsstätten. Insofern ist Ihre Frage schon sehr berechtigt: Ist § 1 AStG die richtige Adresse? Wir haben eine ganz andere Betriebsstättenbesteuerungswelt, in die wir aus der Sicht des BMF durch die internationale Entwicklung ungewollt hineingedrängt werden bzw. die uns überrollt. Als Randnotiz möchte ich noch erwähnen, dass auch der Betriebsstättenerlass vom 24.12.1999 dann neu geschrieben werden muss. Dr. Ditz Ich habe noch eine Anmerkung, Herr Müller-Gatermann, zu Ihren Ausführungen. Ich sehe bei der OECD auch ein Problem, weil die Betriebsstättendefinition und die Betriebsstättengewinnabgrenzung von verschiedenen Abteilungen (Working Parties) bearbeitet werden. Das passt insgesamt nicht zusammen. Dies gilt bspw. für die Frage, ob eine Be183

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triebsstätte ohne den Einsatz von Personal begründet werden kann. Der OECD-Musterkommentar stellt dazu eindeutig fest, dass das möglich ist. Beispiele sind Pipelines, Spielautomaten und IT-Server, die Betriebsstätten sein können. Umgekehrt, wenn es um die Frage geht, welcher Gewinn diesen Betriebsstätten ohne Personal zuzuordnen ist, ist nach dem AOA zu prüfen, welche „Significant People Functions“ die Betriebsstätte ausübt. Da stellt man dann fest, dass zu diesen Betriebsstätten keine Menschen gehören; Folge wäre, dass der Betriebsstätte kein Gewinn zugeordnet werden dürfte. Sie sehen schon an dem Beispiel, dass hier zwei verschiedene Gremien tätig sind, die unterschiedlich und ohne inhaltliche Abstimmung mit großen Problemen für die Praxis arbeiten. Müller-Gatermann Es ist sicher richtig, dass in der OECD die Working Party 1 bei der Bestimmung des Betriebsstätten-Begriffs eng mit der Working Party 6 zusammenarbeiten muss, die für die Frage der Gewinnabgrenzung zwischen der Betriebsstätte und dem Stammhaus zuständig ist. Deutschland hat in diesem Zusammenhang bereits gegenüber der OECD und den anderen Mitgliedstaaten auf die Schwierigkeit der Anwendung des AOA bei einem weiten Betriebsstätten-Begriff hingewiesen. Was die nationale Implementierung des AOA angeht, so halte ich § 1 AStG für die passende Regelung. Es handelt sich dabei immerhin um die Korrekturvorschrift, die diejenigen des EStG und KStG für grenzüberschreitende Beziehungen ergänzt, sich aber bisher nur auf selbstständige Rechtsträger bezog. Dr. Ditz Herr Müller-Gatermann, noch eine Anmerkung. Wenn Sie die Regelung in § 1 AStG aufnehmen, ist im Fall der beschränkten Steuerpflicht sicherzustellen, wie auch Herr Dr. Roth meint, dass fiktive Dienstleistungsentgelte und fiktive Lizenzgebühren in Deutschland als Betriebsausgabe anerkannt werden, wofür ich momentan im Einkommensteuergesetz keine Rechtsgrundlage sehe. Dies gilt bspw. für die Anerkennung der Verrechnung einer Dienstleistungsgebühr mit 10 % Gewinnaufschlag eines ausländischen Stammhauses an seine inländische Betriebsstätte. § 1 AStG ist hier nicht ausreichend, weil er eine Einkünftekorrekturvorschrift ist. Vielmehr ist eine Gewinnermittlungs184

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vorschrift notwendig, weil wir nicht nur über Erträge, sondern auch über den Abzug von Aufwendungen sprechen. Dr. Roth Bei den beschränkt Steuerpflichtigen brauchen wir originär eine Gewinnermittlungsvorschrift, also entweder in § 50 EStG, wenn wir sagen, das wollen wir auf beschränkt Steuerpflichtige begrenzen oder eben in § 4 EStG, der eigentlich schon die Entstrickung beinhaltet. Wenn alles in § 1 AStG geregelt werden sollte, dann muss diese Vorschrift zu einer vollwertigen Einkünfteermittlungsvorschrift ausgebaut werden und wir müssen die Entstrickung konsequenterweise aus § 4 EStG rausnehmen. Jedenfalls, dieses Hin und Her – mal ein bisschen da, mal ein bisschen dort – trägt nicht zur Klarheit des Gesetzes bei. Und verunsichert nur den Rechtsanwender. Prof. Dr. Baumhoff Sofern es nur um den Fremdvergleichsgrundsatz geht, kann man für die materielle Ausgestaltung in § 4 EStG auch einen Verweis auf § 1 AStG einfügen und wäre trotzdem auf dem richtigen Weg. Dr. Roth Auf einen Aspekt möchte ich hier hinweisen: Bei Auslandsengagements kann es u. U. dazu kommen, dass Sie Hunderte Betriebsstätten haben, die Sie dokumentieren müssen. Nur ein Beispiel, das es heute schon bezüglich technischer Beratung gibt. Wenn Sie in China tätig sind, können Sie durch das Erbringen von Dienstleistungen eine Betriebsstätte begründen, und zwar ohne feste Geschäftseinrichtung, wenn Sie mehr als 6 Monate innerhalb eines 12-Monatszeitraums dort tätig sind. Das wäre nach dem DBA China auch kein Problem, wenn nicht die Chinesen eine etwas eigenwillige Interpretation des Zeitraums hätten. Denn nach deren Auffassung reicht jeweils ein Tag Aufenthalt im Monat aus, um einen vollen Monat zu „verbrauchen“. Das heißt, dass im Extremfall ein Aufenthalt an nur 6 Tagen innerhalb eines 12-Monatszeitraums ausreichen kann, um eine Betriebsstätte zu begründen. Daher haben deutsche Firmen heute schon Hunderte von Betriebsstätten in China, die sie nicht konsolidieren können, sondern jede einzelne Betriebsstätte muss separat abgerechnet werden. Das ist ein Riesenproblem.

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Prof. Dr. Baumhoff Wir haben ja bisher auch schon Dokumentationsvorschriften für Betriebsstätten. Das Problem liegt in der unerkannten Betriebsstätte, die erst der Betriebsprüfer aufdeckt und der dann das Fehlen einer zeitnahen Dokumentation der Betriebsstätte bemängelt. Dann kann der Betriebsprüfer schätzen und wir kommen in einen Bereich, wo wir uns im Kreis drehen. Dr. Roth Aus praktischer Sicht bin ich der Auffassung, dass die unerkannten Betriebsstätten das größte Problem in dem ganzen Bereich sind. Das ist die größte Falle, in die Sie tappen können. Die Beispiele der OECD sind manchmal an den Haaren herbeigezogen. Da überlegt man sich, ob das eigentlich relevant ist. Aber wenn man es auf einen Konzern überträgt, dann ist es sehr wohl relevant. Ich möchte nur die Beispiele zur Verfügungsmacht mit dem Lohnfertiger und das Anstreicher-Beispiel erwähnen. Wenn wir es auf Unternehmensberater übertragen, dann sind Sie sehr schnell bei der Unternehmensberatungsbetriebsstätte, und zwar auch ohne besondere Regelung bezüglich Dienstleistungsbetriebsstätten im DBA. Oder das Messebeispiel im OECD Discussion Paper von letztem Jahr: Ab wann soll die Messe eine Betriebsstätte begründen? Muss ich da von vornherein einen Vertrag über die nächsten 15 Jahre haben oder ist es nachträglich? Was mache ich denn im Jahr 15? Kann ich jetzt für 15 Jahre zurückberichtigen? Muss der andere Staat dann auch gegenberichtigen? Das sind alles offene Fragen … – was mache ich, wenn ich nur jedes 2. Jahr auf die Messe gehe? Aber es sind ja nicht nur Messestände betroffen, sondern die gesamte Wartungsbranche, z. B. wiederkehrende Revisions- und Wartungsarbeiten an Raffinerien oder Kraftwerken. Ein ganz wichtiges Problem sind auch die Territory bzw. Service Manager. Stichwort Home Office. Wenn ein Unternehmen einen großen Außendienstmitarbeiterstab hat, kann dies zu größten Schwierigkeiten führen. Denn der Service Manager und der Territory Manager, auch wenn sie nicht Verträge abschließen oder an Verhandlungen teilnehmen, sondern eher eine Art Händlerberater sind, arbeiten natürlich von ihrem Home Office aus. Wenn da jedes Mal eine Betriebsstätte existiert, ist das in der Praxis nicht mehr beherrschbar.

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Prof. Dr. Baumhoff Das nächste Problem ist, wenn eine zeitlich befristete Betriebsstätte im Inland existiert, die beendet oder geschlossen wird. Erfolgt dann eine Zuordnung der Wirtschaftsgüter zum Stammhaus mit einer Funktionsverlagerung ins Ausland? Fällt dann nochmals Kapitalertragsteuer an? Diese Fragen sind aus meiner Sicht noch nicht richtig reflektiert. Dr. Roth Ich habe den AOA eigentlich immer so verstanden, dass der AOA zwar die Festsetzung der Bemessungsgrundlage im Zeitpunkt der Überführung regelt, aber über den Besteuerungszeitpunkt, also über die Steuererhebung selbst sagt er nichts aus, die ist meines Erachtens immer dem jeweiligen Land überlassen. Die DBAs sagen ja generell nichts über den Besteuerungszeitpunkt aus. Dort wird geregelt, dass jedes Land so besteuert, wie es seine Verfahrensvorschriften vorsehen. Und so habe ich den AOA auch hier verstanden. Also insofern halte ich ihn für EUkompatibel, wenn ich sage, die Bemessungsgrundlage zimmere ich jetzt fest. Die gieße ich jetzt in Form und dann überlasse ich es dem Land, wann es später besteuert, und als EU-Staat müssen wir uns nach dem EuGH richten und dürfen erst besteuern, wenn tatsächlich realisiert wird. Dr. Ditz M. E. stellt die OECD darüber hinaus explizit klar, dass sie nicht in das innerstaatliche Gewinnermittlungsrecht eingreift. Die OECD definiert ein Besteuerungsrecht des Betriebsstätten- oder Stammhausstaates, d. h., wenn das nationale Gewinnermittlungsrecht vorsieht, dass die Überführung von Wirtschaftsgütern oder Lizenzen zur Gewinnrealisierung führt, dann ist das abkommensrechtlich gedeckt. Die OECD regelt explizit in dem Betriebsstättenbericht aus dem Jahr 2008, dass es dem nationalen Recht des jeweiligen Vertragsstaates überlassen ist, ob er sofort besteuert, eine aufgeschobene Besteuerung oder ein Stundungsmodell vorsieht oder Ähnliches. Da mischt sich die OECD m. E. zu Recht nicht in die nationalen Regelungen ein. Müller-Gatermann In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass sich nach dem AOA aus der Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte im Verhältnis zum Stammhaus die Notwendigkeit der Entstrickung bei der Überfüh187

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rung von Wirtschaftsgütern ergibt – ebenso wie dies im Verhältnis von Tochter- und Muttergesellschaft anerkannt ist. Dr. Ditz Aber, da würde ich Ihnen entgegenhalten, Herr Müller-Gatermann, gerade diese EuGH-Entscheidung vom 29. November 2011 – National Grid Indus – fordert europarechtlich eine Stundungsregelung. Müller-Gatermann Das halte ich nicht für erwiesen, da wir im deutschen Recht bereits eine „pauschalierte Stundung“ für Anlagevermögen nach § 4g EStG haben. Bedauerlicherweise hat sich der EuGH mit der Frage des AOA nicht auseinandergesetzt – sonst hätte er möglicherweise gar nicht zur Notwendigkeit einer Stundung kommen dürfen. Dr. Ditz Ich habe noch eine Anmerkung, die mir jetzt auch in der Praxis aufgefallen ist und die nach meiner Wahrnehmung bisher nicht aufgegriffen wurde. Art. 4 der EU-Schiedskonvention greift zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auch bei Betriebsstätten, d. h., die Doppelbesteuerung wird bei Einkünftekorrekturen verpflichtend über die EU-Schiedskonvention vermieden. In der EU-Schiedskonvention ist allerdings auch noch das alte Verständnis des Fremdvergleichsgrundsatzes enthalten. D. h., der (neue) Art. 7 Abs. 2 OECD-Musterabkommen 2010 ist in der EU-Schiedskonvention noch nicht genannt und beschrieben. Da hat sich für mich auch die Frage der korrespondierenden Gegenkorrektur gestellt, die in der Praxis immer mit Problemen behaftet ist, weil sich der andere Vertragsstaat dagegen sperrt. Wenn dann nach einem neuen DBA auf Basis des Art. 7 Abs. 2 OECD-Musterabkommen 2010 ein Schiedsverfahren eingeleitet wird und in der Schiedskonvention noch das herkömmliche Verständnis der eingeschränkten Selbstständigkeitsfiktion der Betriebsstätte enthalten ist, dann passen die Regelungen noch nicht hundertprozentig zusammen. Prof. Dr. Baumhoff Ich höre jetzt keinen Widerspruch mehr. Deshalb gehe ich davon aus, dass das Thema jetzt abschließend diskutiert wurde. Und deswegen vielen Dank, Herr Dr. Roth, Herr Dr. Ditz. Gerne würde ich die Diskus188

Podiumsdiskussion

sion zu dem Vortrag von Herrn Professor Kessler zu den Praxisproblemen bei der Anrechnung ausländischer Steuern mit der folgenden Frage eröffnen: Sie haben zu Recht den Anrechnungsvortrag mit der Möglichkeit des nicht ausgeschöpften Zinssaldos gefordert. Auf der anderen Seite haben wir bei Anrechnungsüberhängen mit dem Wahlrecht nach § 34c Abs. 2 EStG zum Abzug von der Bemessungsgrundlage ein kleines Trostpflaster. Das hat natürlich nicht den Nachsteuereffekt wie die direkte Anrechnung, aber durch den Abzug von der Bemessungsgrundlage könnte man ja ggf. einen Verlust vergrößern und vortragen. D. h., so eine kleine Milderungsmöglichkeit haben wir hier doch noch. Es geht sozusagen nicht alles verloren. Prof. Dr. Kessler Das ist natürlich richtig. Das habe ich jetzt auch aus Zeitgründen einfach ein bisschen gekürzt. Insbesondere im Verlustfall, wenn die Anrechnung mangels inländischen Steuersubstrats nicht gelingt. Es gibt Fälle, da ist sogar nach § 34c Abs. 3 EStG die ausländische Steuer zwingend von Amts wegen bei der Ermittlung der Einkünfte abzuziehen. Beispielsweise wenn keine ausländischen Einkünfte aus unserer Sicht vorliegen oder die Steuer nicht der deutschen Einkommensteuer entspricht – Stichwort Lieferbesteuerung. Aus deutscher Sicht ist es ein Inlandsgewinn, der ausländische Staat erhebt aber trotzdem eine Quellensteuer. Diese Quellensteuer kann jedoch nicht angerechnet werden, weil aus unserer Perspektive keine ausländischen Einkünfte vorliegen. In diesem Fall ist nach § 34c Abs. 3 EStG von Amts wegen ein Abzug vorgeschrieben. Da haben wir so ein kleines Trostpflaster, wie Sie richtig gesagt haben. Aber es ist nur ein kleines Trostpflaster, und da kann und muss man sogar durchrechnen, welche Methode sinnvoller ist. Beim Verlust ist klar, dass es nur um den Abzug geht. Aber wenn der Überhang nicht so ganz groß ist, wenn ein kleiner Überhang bleibt, da muss man überlegen und konkret rechnen. Man kann die ausländische Steuer abziehen, aber nur insgesamt. Man könnte jetzt nicht die Verluste teilweise abziehen – denn das wäre ganz nett, wenn man sagt, soweit mein Anrechnungsvolumen reicht, bis 15 % Körperschaftsteuer beispielsweise, da rechne ich an, und den übersteigenden Betrag, den ziehe ich ab. Das geht leider nicht. Daher ist es wirklich nur ein Trostpflaster, der Wirkungseffekt ist ja ein ganz anderer, ob ich etwas von der Bemessungsgrundlage oder von der Steuer abziehe. Das eine wirkt eins zu eins und das andere wirkt nur mit 15 % bei einer Kapitalgesellschaft. 85 Prozentpunkte gehen verloren. Das ist schon sehr viel. 189

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Prof. Dr. Baumhoff Das ist also nicht vergleichbar. Sie haben ja alle Facetten beleuchtet, aber zum Thema der fiktiven Anrechnung möchte ich Sie nach Ihren Erfahrungen fragen. Wenn ich hierzu vortrage, verbinde ich das immer mit dem DBA Portugal, Stichwort Madeira-Anleihen. Aus der Praxis kennen wir vielleicht alle den Umstand, dass dort Steuern angerechnet werden können, die überhaupt nicht bezahlt wurden. Dadurch steigt natürlich die Nachsteuerrendite, das ist noch so ein Anachronismus im DBA Portugal, der aus einer Zeit herrührt, als Portugal noch als Entwicklungsland galt. Vielleicht ist das zukünftig wieder gerechtfertigt, die fiktive Anrechnung auch den Portugiesen zu gewähren. Aber man kündigt ja nicht mit einem befreundeten EU-Staat ein Abkommen, hört man jedenfalls, und die deutsche Seite drängt wohl immer darauf, die fiktive Anrechnung im DBA Portugal zu beseitigen. Aber die Portugiesen sagen, wir leben so gut damit und es sind so viele schöne deutsche Banken bei uns auf Madeira und haben dort mit ihren Firmenschildern alle Fassaden zugepflastert. Deswegen lasst das mal so. Könnten Sie da noch etwas zu sagen? Prof. Dr. Kessler Das war mal als Entwicklungshilfemaßnahme gedacht. Es gab eine ganze Reihe von Staaten, z. B. Brasilien und Korea. Im Fall von Korea gab es Leute, die auch unter diesem Aspekt Anleihen gezeichnet hatten. Dann war das aber wirtschaftlich nicht mehr ganz so sinnvoll, da es bei den Korea-Anleihen Zahlungsschwierigkeiten gab und die Anleihen plötzlich nichts mehr wert waren. Wirtschaftlich sollte man sich solche Investitionen gut überlegen, bei Portugal sehe ich das Problem aber nicht so sehr. Zeitweise wurde es natürlich auch übertrieben, da hatte man die Nettobetrachtung nicht gesehen. Es gab beispielsweise Banken, die kamen auf die Idee, sich bei einer anderen Bank Geld zu leihen und wollten dann brutto anrechnen. Solche Varianten gab es. Das wurde natürlich ein bisschen übertrieben. Deswegen ist es in den Blick der Politik geraten. Aber wenn es im DBA eine Regelung hierzu gibt, dann habe ich gar kein Problem damit. Man müsste das DBA kündigen. Ich glaube, Dänemark hat das DBA mit Portugal mit Blick auf diese Gestaltung gekündigt. Aber aus deutscher Sicht müsste man das DBA kündigen. Wir haben ja gehört, dass das geht. Das ist eher selten, aber die einzige Chance. Ansonsten ist das von der Rechtslage eine klare Sache.

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Podiumsdiskussion

Allerdings natürlich nur, wenn ich mit Eigenkapital investiere und nicht refinanziere. Ich kann nur den Nettoertrag anrechnen. Dr. Ditz Herr Professor Kessler, noch mal zurück zur Anrechnung der Gewerbesteuer. Sie hatten zutreffend zwischen unterschiedlichen Fällen differenziert. Mein Eindruck ist auch, wie Sie es dargestellt haben, dass es ein bereits jahrelang bekanntes Thema ist, aber die Unternehmen werden mittlerweile mutiger und versuchen eine Anrechnung ausländischer Quellensteuern auf die Gewerbesteuer. Verfahren vor Finanzgerichten sind mir hierzu noch keine bekannt. Wenn man sich zu diesem Schritt entschließt, stellt sich die Frage nach dem „Wie“. Und da hatten Sie auf nationale Vorschriften verwiesen, wobei diese nationalen Vorschriften, gerade was die Gewerbesteueranrechnung betrifft, keine Regelung vorsehen. Wie ist denn Ihre Empfehlung? Oder wie würden Sie technisch vorgehen, wenn man beispielsweise 100 Euro Lizenzgebühren aus dem Ausland erhält, im Ausland 20 % Quellensteuer einbehalten wurde und in Deutschland ein Körperschaftsteuersatz von 15 % besteht. Wie würde man technisch anrechnen: 15 % voll auf die Körperschaftsteuer, d. h., die Körperschaftsteuer wäre dann de facto null. Und 5 % gehen gegen die Gewerbesteuer? Der Kämmerer der Gemeinde wird sich das natürlich genau ansehen und für diese Regelung plädieren. Aus Sicht des Bundes würde ich anders argumentieren und mit einer Anrechnung auf die Gewerbesteuer beginnen. Wie ist da Ihre Meinung zu? Prof. Dr. Kessler Das ist ein Punkt, den ich im Vortrag bewusst nicht ausdehnen konnte, weil es zeitlich knapp war. Aber danke für Ihre sehr gute und sehr wichtige Frage. Also erst vielleicht noch einmal zurück zu meinem Vortrag. Diese für mich etwas lustige und überraschende Reaktion einer Finanzbeamtin1 ist ein ziemlich klares Indiz, dass sie den Fall auf dem Tisch hat. Denn sonst würde sie nicht so hart reagieren. Es gab auch eine Replik und eine Duplik hierzu in der IStR.2 Von daher bin ich ziemlich sicher, dass da ein Fall in der Welt ist. Das ist der erste Punkt. Und der nächste Punkt ist, wie man es technisch umsetzt. Die Rechts_____________ 1 Siehe hierzu Eglmaier, IStR 2011, 951. 2 Siehe Kessler/Dietrich, IStR 2011, 108 und Replik hierzu Eglmaier, IStR 2011, 951 sowie Kessler/Dietrich, IStR 2011, 953 und Eglmaier, IStR 2011, 955.

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Podiumsdiskussion

grundlage – also das Ob – ist das DBA, das regelt, dass auf die Steuern vom Einkommen ohne Ausnahme der Gewerbesteuer angerechnet wird. Jetzt geht es um die Frage des Wie. Und da das Gewerbesteuergesetz keine Norm hierzu enthält, haben wir keine Vorgabe. Ich würde dafür plädieren, eine anteilige Anrechnung zu beantragen. Man müsste überlegen, wie man es am geschicktesten macht, ob man 50:50 auf beide Steuern anrechnet oder 2/3 auf die Körperschaftsteuer und 1/3 auf die Gewerbesteuer. Da kann man verschiedene Varianten planen. Nicht ganz geschickt wäre aus meiner Sicht die Variante, 15 % auf die Körperschaftsteuer anzurechnen und den überschießenden Betrag auf die Gewerbesteuer. Ich würde die Anrechnung der ausländischen Steuer aufteilen, notfalls hälftig, da Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer ja gleichwertig geworden sind. Das wäre aus meiner Sicht die sinnvollste Variante. Dr. Ditz Da scheint mir noch eine offene Flanke zu sein, wenn man einen solchen Fall vor das Finanzgericht bringt. Man kann hier natürlich, wie Sie es auch zutreffend dargestellt haben, das „Ob“ sehr sauber ableiten, bei der Technik des „Wie“ wird es aus meiner Sicht schon etwas schwammig. Dr. Schönfeld Könnten nicht verfahrensrechtlich möglicherweise Schwierigkeiten entstehen? Angenommen, der BFH folgt nicht Ihrer zutreffenden Auffassung und lehnt die Gewerbesteueranrechnung ab. Dann wurde nur anteilig auf die Körperschaftsteuer angerechnet, ohne eine weitere Anrechnungsmöglichkeit offenzuhalten. Ich weiß nicht, ob das im Nachhinein geändert werden kann. Oder ob dieser Betrag verloren geht. Deswegen hätte ich es wahrscheinlich bevorzugt, voll auf die Körperschaftsteuer und nicht auch auf die Gewerbesteuer anzurechnen. Dann ist das im grünen Bereich, auch die Finanzverwaltung würde dem zustimmen. Anschließend würde ich versuchen, die Gewerbesteuer auf den verbleibenden Verlust anzurechnen, um der Gefahr vorzubeugen, dass möglicherweise Körperschaftsteueranrechnungspotenzial verloren geht. Prof. Dr. Kessler Man kann ja auch Hilfsanträge formulieren, aber das ist eine spannende Frage, das ist natürlich ein wichtiger Aspekt, den wir nicht außen vor 192

Podiumsdiskussion

lassen sollten. Ich komme jetzt schon ganz klar aus der ökonomischen Überlegung, die für eine anteilige Anrechnung spricht. Aber da war noch eine Wortmeldung. Frage aus dem Publikum Kann auf den Solidaritätszuschlag angerechnet werden? Dr. Schönfeld Nein, eine Anrechnung auf den Solidaritätszuschlag kann es nicht geben, weil der Solidaritätszuschlag ja in Abhängigkeit von der Steuer entsteht, d. h., Sie vermindern die Steuer und dann gibt es auch keinen Solidaritätszuschlag. Prof. Dr. Baumhoff Meine Damen und Herren, da nunmehr keine weiteren Fragen und Anmerkungen bestehen, können wir die Veranstaltung pünktlich schließen. Wir hatten einen fachlich sehr interessanten Tag und haben das Thema Doppelbesteuerungsabkommen von vielen Seiten beleuchtet. Es bleibt festzustellen, dass dieses Thema aktueller denn je ist und viele Rechtsentwicklungen im Gange sind, deren Ausgang wir noch nicht genau kennen. Es bleibt daher sowohl aus Sicht der Praxis als auch aus Sicht der Wissenschaft spannend, die Entwicklungen in den nächsten Monaten und vielleicht Jahren zu beobachten. Eins steht jedenfalls fest: So wie es ist, wird es nicht bleiben, und insofern danke ich allen Beteiligten für Ihre Referate und Ihre Beiträge, Ihnen für Ihr Kommen, für Ihre Fragen, für Ihre Mitarbeit und wünsche Ihnen einen guten Heimweg und bis zum nächsten Mal alles Gute.

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Stichwortverzeichnis Abgabegegenstand – Identität 168 f. Abkommensberechtigung 65, 140 – Anleger 6 Abschnittsbesteuerung, Prinzip 173 Aktivitätsklausel 90 – Betriebsstättenbesteuerung 12 Aktivitätsmerkmale 164 Aktivitätsvorbehalt 140, 150 Alterseinkünfte – nachgelagerte Besteuerung 10 f. Amtshilferichtlinie 16 f. Anrechnung – ausländische Steuern 11 f., 141, 163 f., 189 f. – Gewerbesteuer 82 f., 164, 184 f., 191 f. Anrechnungshöchstbetrag 168 f. Anrechnungsmethode 2, 11 f., 25, 73 f., 163 f., 180 – grenzüberschreitende Dividenden 174 Anrechnungsüberhänge 164, 171, 175 f., 189 Anrechnungsvortrag 174, 180, 189 Auskunftsaustausch – automatischer 17 Auslandsbetriebsstätten 25 Authorised OECD Approach 7 ff., 82 ff., 91 ff., 181 ff. Bau- und Montagebetriebsstätte 111, 123, 125, 130, 182 Beitreibungsrichtlinie 16, 18

Besteuerung, konfiskatorische 142 Besteuerungssubstrat – Sicherstellung 26 f. – Zuordnung 66 Betriebsaufspaltung 44 f., 56 f., 74 – Durchschlagen auf Abkommensrecht 58 f. Betriebsausgabe 13 – in unmittelbarem Zusammenhang stehend 171 Betriebsausgabenabzugsverbot – erweitertes 172 Betriebsstätte – Aktivitätsklausel 12, 90 – Bau- und Montage 111, 123, 125, 130, 182 – Definition 6, 109 f., 181 f. – Dienstleistungsbetriebsstätte 97, 116 f., 131 f., 182, 186 – Geschäftseinrichtung, feste 6, 110 f., 114 f., 128 f., 185 – Hilfseinrichtung 128 – Kapitalimportneutralität 111 – Managementgesellschaft 130 f. – Mindestdauer 121, 123 – painter example 115, 118 – Quellenprinzip 111 – Räumlichkeiten des Vertragspartners 115, 120, 129 f. – Repräsentationsbüro 129 – Selbstständigkeitsfiktion 7 f., 93, 187 f. – Substanzanforderungen 114 – Subunternehmer 6, 122 f., 132 f. – Verfügungsmacht 32, 111, 114 f., 119 f., 129 f., 186 195

Stichwortverzeichnis

– Vertreterbetriebsstätte 110 f., 126 f. – Verwurzelung 111, 118, 123, 132 f. BVerfG-Urteile – Alteigentümer 35 f. – Görgülü 32 f. – Griechenlandhilfe 38 f. – Konsularrecht 37 f. Dealings – interne 7, 9, 98 f. Demokratieprinzip 39 f. Dienstleistungsbetriebsstätte 97, 116 f., 131 f., 182, 186 directive-shopping 141, 154 Direkte Zinszuordnung – Tracing Approach 98 Dividenden – grenzüberschreitende 174 – Quellensteuer 166 f. Doppelbesteuerung – ausländische Dividenden 175 – Beseitigung 2 – juristische/wirtschaftliche 166, 175 – Milderung, Vermeidung 165 Doppelbesteuerungsabkommen – dynamische Auslegung 3, 113 – missbräuchliche Inanspruchnahme, Erscheinungsformen 139 f. – statische Auslegung 3 f. Dualistische Theorie 29 EFTA-Gerichtshof-Urteil – Seabrokers 173 Eigenkapital – Allokiertes 95 f.

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Entnahmetheorie – finale 103 Entstrickungsgewinn 102 Ermäßigungsanspruch 169 f. EuGH-Urteile – Cadbury Schweppes 146 f. – Haribo und Österreichische Salinen 174 f., 180 – National Grid Indus BV 8 – Société de Gestion Industrielle SA 152 Europäische Menschenrechtskonvention – Rangzuweisung 32 f. Formelle Territorialität 15 Freistellung, Beteiligungserträge – Mindestbesitzdauer 164 – Mindestbeteiligung 164 Freistellungsmethode 2, 11 f., 25 f., 139 f., 163, 166, 174, 180 Fremdvergleichsgrundsatz 8, 92, 99 f., 151 f., 185 Functionally Separate Entity Approach 7, 92 f. Funktionsanalyse 92 f., 181 Gegenberichtigung 100 f. Geleitete Gesellschaften – Dividenden 158 Gewerbesteuer – Anrechnung ausländischer Quellensteuer 164, 178 ff., 191 Gewerbliche Prägung – Durchschlagen auf Abkommensrecht 47 ff. Gewinnabgrenzung – grenzüberschreitende 7, 91, 99 ff., 107, 134, 183 ff.

Stichwortverzeichnis

Grundfreiheiten – europäische 138, 142, 144 ff., 161 ff. Grundgesetz – Völkerrechtsfreundlichkeit 31 ff., 35 ff., 40 Gruppenanfrage 17, 87 Hinzurechnungsbesteuerung 141, 145 ff., 176 ff. Inbound-Fall 60, 62 ff., 154 Indirekte Zinszuordnung – Fungibility Approach 98 Informationsaustausch – Automatischer 13, 17 ff. Interne Finanztransaktion – Treasury Dealing 97 Investmentvermögen – Besteuerung 5 ff. Kapitalaufteilungsmethode – Capital Allocation Approach 96 Kapitalstrukturmethode – Thin Capitalization Approach 96 f. Kapitalverkehrsfreiheit 146, 156, 174 ff. Keinmalbesteuerung – Verhinderung 26 Konsultationsvereinbarung s. auch Verständigungsvereinbarung – Bindungswirkung 4 Managementgesellschaft 130 ff. Materielle Universalität 15 Mindestkapital, regulatorisches – Safe Harbour Approach 97

Missbrauchsbegriff – deutsches Steuerrecht 138 – europäisches Steuerrecht 138 Missbrauchsbekämpfungsvorschriften – typisierende 141 ff. – diskriminierende 144 Missbrauchsverhinderung 25 Monistische Theorie 29 ff. Nachgelagerte Besteuerung – Alterseinkünfte 11 Nettoprinzip – steuerliche Leistungsfähigkeit 167 Nichtbesteuerung, doppelte – Vermeidung 2, 4, 11 ff., 17, 75, 80 ff. – Subject-to-Tax-Klausel 12, 69, 71 ff. Niederlassungsfreiheit 146 ff., 173, 175 OECD/Europarat-Konvention 16, 18 ff. OECD-Fiskalausschuss – Working Party I 116 OECD-Standard 1, 13, 19 ff., 85, 87 Organschaft – Organträger 167 ff. – Organgesellschaft 167 Outbound-Fall 59, 62 overall-limitation 180 per-country-limitation 180 Personalfunktionen 93 Personengesellschaft, Besteuerung – intransparente 5 – transparente 5 197

Stichwortverzeichnis

Persönlichkeitsrechte – Nutzung 10 Qualifikationskonflikt – Switch-over-Klausel 69 – intransparente Sichtweise 65 – subjektiv 64 ff. – transparente Sichtweise 65 ff. – weiße Einkünfte 139 Quellensteuer – Dividenden 9 f. – Streubesitzdividenden 10 – Vermeidung 3 Rangordnung – Steuern 180 Rangverhältnis – DBA/einfache Steuergesetze 29 f. Realwirtschaftsklausel 10 Rechtsstaatsprinzip 33, 37 f., 142, 149 Rechtstypenvergleich 47, 64, 67 ff., 159 Referenzsteuersatz 176 f. Risikoanalyse 92 ff. Risikokapitalmethode – Economic Capital Approach 96 rule shopping 139 Selbstbeschränkung, Budgetrecht – Parlamentarische 39 Sondervergütungen – Inbound-Fall 62 – länderrechtliche Theorie 62 – Outbound-Fall 62 – völkerrechtliche Theorie 62 Staaten – unkooperative 13, 22 198

Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz 12, 22 Steuerliche Leistungsfähigkeit – Nettoprinzip 167, 180 Steuerpflicht – unbeschränkte 165 f. Steuersubjektidentität – deutsche Steuerrechtswertung 165 ff. Streubesitzdividenden s. auch Quellensteuer – Trace 10 – Fisco 10 Subject-to-Tax-Klausel 12, 69 ff. Switch-over-Klausel 69 Tax Information Exchange Agreements 21 Territorialitätsprinzip 176 Transformationstheorie 30 f. Treaty Override – Qualifikationskonflikt 69 treaty shopping 84, 139 ff. Veranlassungszusammenhang 172 Verhältnismäßigkeitsgebot, EUrechtlich 144, 149 Verlustausgleich – intertemporal 174 ff. Verlustvortragspotenzial 174 Vertreterbetriebsstätte 110 ff., 126 ff., 135 Verwaltungsaufwendungen – Ermittlung des Anrechnungshöchstbetrags Völkerrechtsfreundlichkeit 31 ff. Völkervertragsrecht – Normenhierarchie 33 ff., 41 Vollstreckungshilfe 18 f.

Stichwortverzeichnis

Vollstreckungstitel – einheitlicher 18 Vollzugstheorie 30

Zusatzsteuern 168 Zwischengesellschaft – ausländische 147, 155, 157 ff. – substanz- und funktionslose 25

Wirtschaftliche Tätigkeit, eigene 144, 149, 155, 158

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