Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern: Internationale Entwicklungen erziehungswissenschaftlicher Forschung [1. Aufl.] 9783839422458

Ethnographische Ansätze, seit den 1990er Jahren fester Bestandteil der deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen Fo

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Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern: Internationale Entwicklungen erziehungswissenschaftlicher Forschung [1. Aufl.]
 9783839422458

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Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich, Ingrid Miethe, Sabine Reh (Hg.) Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern

Pädagogik

Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich, Ingrid Miethe, Sabine Reh (Hg.)

Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern Internationale Entwicklungen erziehungswissenschaftlicher Forschung

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Inhalt

Ethnographie als internationales und interdisziplinäres Projekt. Eine Einleitung

Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich, Ingrid Miethe & Sabine Reh | 9

I. DIE FIGUR DER DIFFERENZ ALS THEORETISCHE GRUNDLAGE ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHER ETHNOGRAPHIE Relative und radikale Differenz – Herausforderung für die ethnographische Forschung in pädagogischen Feldern

Norbert Ricken & Sabine Reh | 25 Landscapes of Difference and Inequality: Educational Ethnography in the United States

Margaret Eisenhart | 47 Theorie Gestalten. Auf dem Weg zu einer empirisch gestützten Bildungstheorie

Hans-Rüdiger Müller & Dominik Krinninger | 63 Praktiken des Differenzierens. Zu einem Instrumentarium der poststrukturalistischen Analyse von Praktiken der Differenzsetzung

Daniel Wrana | 79 Ethnographische Bildungsforschung Revisited

Herbert Kalthoff | 97

II. DIFFERENZ UND DIFFERENZEN IN METHODOLOGIE UND M ETHODEN ETHNOGRAPHISCH ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHER F ORSCHUNG Identifying Scandinavian Ethnography: Articulating Notions of Theory and Objectivity in the Ethnography of Education

Dennis Beach | 119

Differenz beobachten?

Jürgen Budde | 133 Notwendige Differenzbearbeitungen: Selbst- und Fremdbeobachtung im ethnographischen Schreiben

Birgit Althans | 149 Audioethnographie und Autoethnographie

Siegfried Saerberg | 167 The ›moral ethnographer‹: Chancen und Risiken der Entdifferenzierung von Wissenschaft, Kunst und Politik

Alexander Geimer | 185

III. PHÄNOMENE, KONSTRUKTIONEN UND PRODUKTIONEN VON DIFFERENZEN IN UNTERSCHIEDLICHEN PÄDAGOGISCHEN F ELDERN ETHNOGRAPHIE UND O RGANISATION Schools as Organizations: On the Question of Value Consensus

David N. Gellner | 205 Praxismuster der Differenzbearbeitung. Zu einer pädagogischen Ethnographie der Organisationen

Michael Göhlich | 225 Organisation(en) der Differenz. Übersetzungsanforderungen an eine pädagogische Ethnographie von Organisationen

Nicolas Engel | 241 Organisation, Profession und die Herstellung von Differenz

Peter Cloos | 257

ETHNOGRAPHIE UND SCHULISCHE B ILDUNG (Un-)Doing Ethnicity im Unterricht – Wie Schüler/innen Differenzen markieren und dekonstruieren

Yalz Akbaba | 275

»Das hat der Stefan alleine gemacht«. Zur Herstellung der Unterscheidung behindert – nichtbehindert in einer Grundschulklasse

Ira Schumann | 291 What (Cultural) Difference Does it Make? Children of Immigrant Background between Colour-blind and Culturalist Ideologies at Primary Schools in Catalonia

Beatriz Ballestín | 309 Inklusion als Exklusion. Differenzproduktionen im Rahmen des schulischen Anerkennungsgeschehens

Bettina Fritzsche | 329

ETHNOGRAPHIE UND LEBENSALTER Von Diversität zu Differenz. Ethnographische Beobachtungen zum Umgang mit Plurilingualität in frühpädagogischen Settings

Sascha Neumann & Claudia Seele | 349 Differenzdokumentationen in Einschulungsverfahren. Ethnographische Instrumentenanalyse am Beispiel von Beurteilungsbögen in Grundschulen

Helga Kelle & Anna Schweda | 367 Sich zueinander ins Verhältnis setzen. Zur Verräumlichungspraxis im Zusammenleben als Familie

Sebastian Schinkel | 387 Students as Young People: The Process of Subjectivization

Eduardo Weiss | 407

Autorinnen und Autoren | 423

Ethnographie als internationales und interdisziplinäres Projekt Eine Einleitung A NJA T ERVOOREN , N ICOLAS E NGEL , M ICHAEL G ÖHLICH , I NGRID M IETHE & S ABINE R EH

Ethnographische Forschungsansätze gewinnen in den unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Feldern im deutschsprachigen Raum und international kontinuierlich an Bedeutung. Die Ethnographie mit ihrem multimethodischen Zugang und ihrem praktischen Ausgangspunkt, der leiblichen Anwesenheit der Forscher oder Forscherinnen im Feld, bietet besondere Potentiale, um Felder eines immer wieder Ambivalenzen und Differenzen erzeugenden und durch Ungewissheit gekennzeichneten pädagogischen Tuns und Prozesse von Selbst- und Subjektbildungen in den Blick zu nehmen. Für diese These lassen sich einige Argumente nennen. Hier soll aber vor allem eines in den Vordergrund gestellt werden: Die Ethnographie blickt auf eine lange Tradition der Erforschung bzw. der Konstruktion von Differenzen zurück und profitiert davon bei der Analyse aktuell zu beschreibender Phänomene. Die Auseinandersetzung mit Differenz – verstanden als »das Fremde« – ist zunächst in der Ethnologie, die international unter Variationen des Namens »Anthropologie« firmiert, eine Grundfigur und wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eines der zentralen Themen der Philosophie und Kulturwissenschaften (Ricken/Balzer 2007). Die Konstruktionen von Differenz in pädagogischen Feldern waren schon immer ein Thema pädagogischer Theorie und Analyse, gerieten aber seit den 1970er Jahren verstärkt in den Fokus erziehungswissenschaftlicher Forschung. Nach der Wende zum dritten Jahrtausend wurden sie zum Brennpunkt erziehungswissenschaftlicher Auseinandersetzung.

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Die Konjunktur ethnographischer Forschungszugänge in den unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Forschungsfeldern zeigt einige Besonderheiten internationaler und nationaler Forschungstraditionen auf. Im internationalen Kontext besteht trotz der Komplexität, die in der Analyse sehr spezifischer, lokal situierter Felder im Kontext ethnographischer Studien entwickelt wurde, bis heute eine hohe Anschlussfähigkeit dieser Forschungsrichtung innerhalb des qualitativen Paradigmas. Während die qualitativen Ansätze im deutschsprachigen Raum häufig auf einzelne Methoden, Bezugstheorien und daraus entwickelte Auswertungsverfahren zurückgreifen, weist sich die Ethnographie dadurch aus, dass je nach Gegenstand Methoden ausgewählt, theoretische Perspektiven entwickelt und Erhebungs- und Auswertungsmethoden eng miteinander verschränkt werden. Während in Deutschland ethnographische Forschung lediglich einen Teilbereich der qualitativen Sozialforschung beschreibt, steht dieser Begriff international oft als Synonym für jede Form qualitativer Forschung. Darin zeigt 1 sich die große Bedeutung ethnographischer Ansätze. Im Folgenden wird zunächst in einem ersten Schritt der grundlegende Bezug der Ethnographie auf die Figur der Differenz anhand ihrer Internationalität und Interdisziplinarität in seiner historischen und aktuellen Entwicklung kurz entfaltet. In einem zweiten werden die einzelnen Beiträge des Bandes, die sowohl einen Einblick in die deutschsprachige Diskussion als auch in die internationale ethnographische Forschungslandschaft geben, vorgestellt.

I NTERNATIONALE

UND INTERDISZIPLINÄRE ETHNOGRAPHISCHE T RADITIONEN : F REMDHEITS - UND D IFFERENZRELATIONEN

Gerade in Bezug auf ihre historischen, theoretischen und forschungspraktischen Wurzeln in Ethnologie und Anthropologie liefert die Ethnographie stets Interpretationen von als »fremd« begriffenen Kulturen und arbeitet seit der »Krise der Repräsentation« in dem Bewusstsein, dass gerade die verstehende Aneignung des Differenten immer auch (post-)koloniale Beziehungen politischer und ökonomischer Abhängigkeit transportiert. Ethnographie konstituiert sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund des durch den Kolonialismus wachsenden Bedarfs nach einem Wissen über das Fremde im Kontext eigener und als fremd

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In klassischen Ethnographien wurde jedoch häufig mit qualitativen und quantitativen Methoden gearbeitet, so dass diese Zuordnung zu Paradigmen der Sozialforschung für die Ethnographie letztendlich nicht durchzuhalten ist.

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begriffener Kulturen vor allem im britischen und US-amerikanischen Kontext. Sie wird aus zwei Wissenschaftstraditionen gespeist, die wiederum in unterschiedlichen nationalen Kontexten verankert sind, und weist von Beginn an eine große Flexibilität auf: Auf der einen Seite die ältere, die im deutschsprachigen Raum »Ethnologie« genannt wird und sich als Wissenschaft vom Fremden versteht (Kohl 2012) und auf der anderen die Soziologie, die sich, teilweise mit der Ethnologie entliehenen Methoden, der Analyse der eigenen Gesellschaft widmet. Diese Tradition zweier Disziplinen, in die im Verlauf noch weitere einfließen wie die Psychologie und die Erziehungswissenschaft, schafft eine spannungsreiche und produktive Beziehung (Atkinson et al. 2001: 2). Auch in den einzelnen Disziplinen existieren unterschiedliche, teilweise nationale Traditionen, in denen Differenz verschieden interpretiert wird. Die sich etwa zeitgleich entwickelnde social anthropology in Großbritannien und die cultural anthropology in den USA stehen beide in enger Wechselwirkung mit dem Kolonialismus, der in beiden Ländern jedoch andere Ausprägungen hatte. In der sich ebenfalls zu Beginn des 19. Jahrhunderts neu etablierenden Disziplin wurde zunächst noch zu menschlichen Universalien geforscht, bis sich eine partikulare Anthropologie herausbildete, die kulturelle Phänomene in ihren jeweiligen Kontexten untersuchte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs in Großbritannien das Bedürfnis, die weltumspannende ›British family of nations‹ zu verstehen und die sich neu konstituierende Disziplin social anthropology wurde von der britischen Regierung großzügig mit Forschungsgeldern ausgestattet (Brewer 2000). Wenn es auch die Absicht der Disziplin war, koloniale Herrschaft herauszufordern, hatten diese ersten Einsätze der Anthropologie doch enge Verbindungen zu Politik und der britischen Regierung. Deshalb konnte die Etablierung der Wissenschaft so schnell gelingen (Heath/Street 2008: 101f.). In der US-amerikanischen Tradition der cultural anthropology wurden die indigenen Kulturen im eigenen Land untersucht, deren Träger durch Verfolgung, Krieg und Krankheit stark dezimiert worden waren, bis schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, etwa zeitgleich mit der allmählichen Anerkennung ihrer Bürgerrechte, das Bedürfnis entstand, ihre Sprache und Kultur zu sammeln, zu dokumentieren und letztendlich zu konservieren (Heath/Street 2008: 114f.). Der Gründungsmythos der Anthropologie beider Länder mit ihren unterschiedlichen kolonialen Traditionen basiert auf einem holistischen Kulturverständnis: Kulturen sollten beschrieben werden, bevor sie nicht mehr existierten (Jebens 2011). Spätestens in den 1960er Jahren wurde jedoch deutlich, dass Kulturen nicht verschwanden, sondern ihre Organisations-

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form wechselten und sich modernisierten.2 Es wurde ein Kulturbegriff eingeführt und bis heute kontinuierlich weiterentwickelt, mit dem Differenzen innerhalb von Kulturen und vor allem auch die Transformation von Kulturen untersucht werden konnten. Ulf Hannerz, britischer Anthropologe, beschreibt den Gegenstand der eigenen Disziplin ganz schlicht: »Diversity is our business« (Hannerz 2011), um diese Aussage dann allerdings zu präzisieren: »Yet I would propose … that our methodological inclination toward ethnography, toward open end encounters with a potential for serendipitous discoveries, should be of particular value in studying what is emergent« (ebd. 195). Feldforschungen wurden ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts auch in anderen Wissenschaftsdisziplinen durchgeführt, allen voran in der Soziologie. Das Ziel war nun nicht mehr, fremde Kulturen, sondern Teile der eigenen Gesellschaft, die den Forschenden dennoch fremd sind, zu untersuchen. Ob das Fremde im Eigenen oder im Anderen untersucht wird, mag zwar verschiedene Auswirkungen haben, wirft aber durchaus ähnliche Fragen auf. Die Chicagoer Schule der Soziologie hat die Methoden der cultural anthropology aufgegriffen, um das Leben und die Kultur der Stadt Chicago zu untersuchen. Robert E. Park forderte seine Studierenden explizit dazu auf, das Studierzimmer zu verlassen und sich ins ›wirkliche Leben‹ zu begeben. Dort verfolgten jene dann den Forschungsan-

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Viele der Protagonisten, die sich an der Etablierung der neuen Disziplin beteiligten und bald nicht mehr nur Fakten oder Wortlisten wie in der klassischen Anthropologie des 19. Jahrhunderts sammelten, sondern den Alltag der untersuchten Menschen beschrieben, machten Erfahrungen mit der Notwendigkeit der Übersetzung nicht nur zwischen verschiedenen Kulturen bzw. Subkulturen, sondern auch zwischen unterschiedlichen nationalen Wissenschaftstraditionen. So stammte etwa Bronislaw Malinowski aus Polen, studierte zunächst in Krakau und im Anschluss bei dem Psychologen Wilhelm Wundt an der Universität Leipzig, um letztendlich an der London School of Economics einen Abschluss in anthropology zu machen. Nach seinen langen Feldforschungen auf den Trobriand-Inseln, die er aufgrund des Ausbruchs des ersten Weltkriegs nicht verlassen konnte, erhielt er an der School of Economics einen Lehrstuhl für social anthropology und seine Schüler, etwa Edward E. Evans-Pritchard, Max Gluckman und Edmund Leach gründeten weitere anthropologische Institute in Großbritannien (Murdock 1943). Auch Franz Boas, einer der maßgeblichen Begründer der US-amerikanischen cultural anthropology, wurde in Deutschland geboren und ausgebildet. In die USA migriert gab er maßgebliche Impulse, aus denen sich kulturrelativistische Ansätze der Anthropologie entwickelten, die auf Vergleiche und Bewertungen von Kulturen untereinander verzichteten und Kulturen nicht in Bezug auf andere, sondern auf sich selbst analysierten.

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satz eines »nosing around«, worunter ethnographische Feldforschungen unterschiedlichster Form zu verstehen sind (vgl. zum Beispiel Lindner 2007). Zahlreiche Feldstudien entstanden, die heute zum Teil als klassische Studien der Soziologie gelten. Untersucht wurden vor allem städtische Subkulturen und ethnische Minderheiten, beispielsweise die Probleme obdachloser Aussiedler, die Lebenswelt von Wanderer- und Gelegenheitsarbeitern, städtische und ethnische Ghettos, Jugendgangs oder auch organisierte Kriminalität. Die methodischen Ansätze vieler dieser Studien wurden zum Vorbild für weitere empirische Forschungen vor allem in der Tradition des Symbolischen Interaktionismus und der Ethnomethodologie. Ein empirisches Vorgehen, das vor allem auf der Praxis einer Beobachtung vor Ort basierte, war fortan aus dem Kanon der Wissenschaften nicht mehr wegzudenken. Die deutschsprachige anthropologische Disziplin, die im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts unter dem Namen »Völkerkunde« rangierte, blieb – auch weil Deutschland seine Kolonien bereits nach dem ersten Weltkrieg verloren hatte – ein wenig bedeutendes Fach (Hauschild 2004: 130). In diesem wurde im Vergleich zu den internationalen Diskursen eher ein Sonderweg eingeschlagen: Viele deutsche Forscher, wenn auch nicht alle, orientierten sich nicht an dem international weit verbreiteten Modell der Feldforschung, wie es unter anderem durch Boas eingeführt und durch Malinowski konsolidiert wurde, sondern eher an der Tradition historischer Forschung, wie sie in der Romantik entwickelt wurde (ebd. 123). Durch die erzwungene Migration und Expatriierung vieler Wissenschaftler nach 1933 wurde dieser deutsche Sonderweg noch verstärkt. Im deutschsprachigen Raum erhielt die ethnographische Tradition maßgebliche Impulse aus der Disziplin der Entwicklungspsychologie und Soziologie, die zur Konstitution der Kindheits- und Jugendforschung beitrug und auf Methoden der Sozialforschung zurückgriff. So wurde die Studie »Die Arbeitslosen von Marienthal« (Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1975 [1933]), die am Psychologischen Institut der Universität Wien angesiedelt und im Untertitel »soziographischer Versuch« genannt wird, von den Untersuchungen Charlotte Bühlers zum Lebenslauf beeinflusst.3 Diese Studie, die die Auswirkungen massiver Arbeitslosigkeit in ei-

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Die Studie wurde durch eine Unterstützung der US-amerikanischen Rockefellerstiftung finanziert, den das Ehepaar Charlotte und Karl Bühler verwaltete. Paul Lazarsfeld berichtet im Vorwort zur Neuauflage von 1960, dass die beteiligten Wissenschaftler sich als Sozialpsychologen begriffen und sich nicht damit begnügen konnten, »…Verhaltenseinheiten einfach zu ›zählen‹; unser Ehrgeiz war es, komplexe Erlebnisweisen empirisch zu erfassen« (Jahoda/Lazarsfeld/Zeisel 1975 [1933]: 14). Deshalb entwickelten sie qualitative Methoden weiter. Lazarsfeld, der sich zwischen 1933

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ner Kleinstadt untersucht, ist multimethodisch ausgerichtet und legt ihre Schwerpunkte sowohl auf quantitative Methoden wie auch auf Methoden der Beobachtung. Martha Muchow, Wissenschaftlerin am Psychologischen Institut an der Universität Hamburg, die seit 1918 mit dem international sehr renommierten William Stern zu einem weiten Begabungsbegriff bei Schulkindern forschte, suchte als Alternative zu den quantitativen Forschungen einen Weg, um die Spezifika der Lebenswelt des Großstadtkindes und die Art und Weise, wie dieses seinen Lebensraum erlebt, zu untersuchen (Muchow/Muchow 2012). Diese Studie, die die Dimension des Lebensalters als zentrale Differenzlinie etablierte, wurde 1978 von Jürgen Zinnecker wieder aufgelegt und in der Erziehungswissenschaft breit rezipiert (Faulstich-Wieland/Faulstich 2012). Etwa zeitgleich mit der Wiederveröffentlichung wurden auch erste ethnographische Forschungen in der Schulforschung vorgelegt (exemplarisch Diedrich/Wulf 1979) und ethnographische Schulstudien aus den USA impulsgebend für die deutschsprachige Diskussion (Terhart 1979). In den 1980er Jahren wurden dann, angeregt durch die britischen cultural studies, Kulturen von Jugendlichen vor allem im Ruhrgebiet mit ethnographischen Designs untersucht (Bietau 1989, Helsper 1989). Eine weitere Vitalisierung der ethnographischen Forschung in der Erziehungswissenschaft erfolgte schließlich maßgeblich über die Kindheitsforschung, in der flankiert durch die new sociology of childhood im skandinavischen und angloamerikanischen Raum Kinder als Akteure im Kontext ihrer eigenen Lebenswelt in den Mittelpunkt gestellt (Kelle/Breidenstein 1996) und ethnographische Forschungsdesigns als korrespondierend mit dem zugrunde gelegten Kindheitsbild aufgefasst wurden. Diskutiert wurde dann im Verlauf der weiteren Entwicklung, was das spezifisch Erziehungswissenschaftliche in der ethnographischen Forschung ausmacht. Zum einen wird aktuell stärker auf das Normativitätsproblem in der Pädagogik fokussiert (exemplarisch Hünersdorf/Müller/Maeder 2008), zum anderen werden Anschlüsse an die aktuellen Debatten der Bildungsforschung ausgebaut (exemplarisch Göhlich/Reh/Tervooren 2013). Die interdisziplinäre Tradition und die internationale Verbreitung der Ethnographie und ihre Anschlussfähigkeit ist durch die Konstituierung über verschiedene Figuren der Differenz, über verschiedene Gegenstände und diverse Wissenschaftstraditionen ermöglicht worden. Genau diese interdisziplinäre Verfasstheit war für die Verbreitung der Ethnographie von großer Bedeutung, weil dadurch

und 1935 mit einem Stipendium der Rockefeller Foundation in den Vereinigten Staaten aufhielt, entschied sich auch aufgrund der sich wandelnden politischen Verhältnisse in Österreich endgültig zu migrieren. In den USA wurde er ein sehr bekannter Soziologe.

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nicht nur vielfältige Felder, sondern auch verschiedene Wissenschaftstraditionen Eingang in diese Forschungsrichtung fanden. Ein internationaler Austausch im Feld der erziehungswissenschaftlichen Ethnographie ist also in der Tradition der Ethnographie angelegt, bislang jedoch nur in Ansätzen etabliert. Die internationalen Konferenzen zur Ethnographie in der Erziehungswissenschaft 2006 in Zürich, 2009 in Frankfurt und 2011 in Erlangen haben jedoch dazu beigetragen, diesen zu intensivieren. Ausgewählte Vorträge der Konferenz, die im November 2011 am Institut für Pädagogik der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg in Kooperation mit der Kommission »Qualitative Bildungs- und Biographieforschung« in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft veranstaltet wurde, liegen den Aufsätzen dieses Bandes zugrunde.4 Unabhängig davon, ob in der ethnographisch orientierten Forschung Differenz nun als Fremdes, Kultur oder als Subkultur, als Lebensalter oder – abstrakter – als relationale Struktur gefasst wird, kann nicht übersehen werden, dass der Umgang mit Figuren der Differenz stets problematisch bleibt und der Gefahr der Reifizierung ausgesetzt ist (Fritzsche/Tervooren 2012). Die Beiträge dieses Bandes beschäftigen sich deshalb auf der theoretischen, der methodologischen und empirischen Ebene mit den Herausforderungen der Konstruktionen von Differenz. Der Schwerpunkt liegt auf der erziehungswissenschaftlichen Forschung, doch sind auch soziologische und anthropologische Perspektiven aufgenommen worden, da neben der internationalen an die interdisziplinäre Tradition der Ethnographie angeschlossen wird.

A KTUELLE P OSITIONEN INTERNATIONALER ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHER E THNOGRAPHIE . Z U DEN B EITRÄGEN DES B ANDES Der Band ist in drei Teile untergliedert. Im ersten Teil wird die Figur der Differenz als theoretische Grundlage erziehungswissenschaftlicher Ethnographie diskutiert. Im zweiten Teil wird in einer methodologischen Perspektive nach methodischen Implikationen des Differenzbegriffs. Der dritte Teil Bandes – wiederum unterteilt in drei Abschnitte – ist empirisch ausgerichtet: Hier werden Differenzphänomene und Konstruktionen von Differenzen in Organisation, Schule – als eine in der erziehungswissenschaftlichen Ethnographie häufig untersuchte

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Sarah Zimmermann sei herzlich für die sorgfältige Korrektur und Formatierung des Bandes gedankt.

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Form der Organisation – und in Bezug auf unterschiedliche Lebensalter fokussiert. Die Beiträge des ersten Teils »Die Figur der Differenz als theoretische Grundlage erziehungswissenschaftlicher Ethnographie« diskutieren die Notwendigkeit einer theoretischen Auseinandersetzung ethnographischer Forschung mit dem Begriff der Differenz. In der Absicht, »Differenz« als theoretischen Ausgangspunkt auszuarbeiten, greifen die Beiträge auf jeweils unterschiedliche sozialwissenschaftliche Theorietraditionen sowie auf unterschiedlichen Debatten innerhalb der (erziehungswissenschaftlichen) Ethnographie zurück. Der den theoretischen Teil eröffnende Beitrag von Norbert Ricken und Sabine Reh nimmt Bezug auf die ausgedehnte Debatte um Differenz in der sozialwissenschaftlichen und erziehungswissenschaftlichen Forschung und diskutiert die empirischen und methodologischen Herausforderungen eines Verständnisses von radikaler Differenz für die ethnographische Forschung in pädagogischen Feldern. Gefragt wird, was differenztheoretisches Forschen charakterisiert und aus welchen Traditionen sich dieses speist. Margaret Eisenhart arbeitet im zweiten Beitrag vier Phasen erziehungswissenschaftlicher Ethnographie in den USA seit den 1950er Jahren heraus und gibt so einen Überblick über die US-amerikanische Entwicklung der Ethnographie. Sie zeigt, welche herausragende Bedeutung die Konzepte von Differenz und Ungleichheit hatten und haben und wie sie jeweils unterschiedlich gefasst worden sind. Hans-Rüdiger Müller und Dominik Krinninger bestimmen Fremdheit als Grundparadoxon erziehungswissenschaftlicher Ethnographie. Am Beispiel ihres Forschungsprojekts zum inhärenten Bildungssinn der Lebenswelt Familie schlagen sie ein methodisches Vorgehen vor, das zwischen der Dignität des Feldes und dem pädagogisch ausgerichteten Erkenntnisinteresse vermittelt. Daniel Wrana fragt in seinem Beitrag nach Operationen, in denen ein Unterschied gemacht und damit Differenz konstruiert wird. Dabei entfaltet er Potentiale einer strukturalen Differenzanalyse, umreißt im zweiten Schritt eine theoretische Wende, die mit dem Poststrukturalismus verbunden ist, um im dritten Schritt aufzuzeigen, wie nach einer pragmatischen Wende, die das doing difference in den Vordergrund stellt, diskursive soziale Praktiken analysiert werden können. Im letzten Beitrag präsentiert Herbert Kalthoff mit Bezug auf Debatten in der Bildungssoziologie eine Rekonzeptionalisierung ethnographischer Schulund Unterrichtsforschung. Auf der Ebene der Methodologie stellt er vor allem die Bedeutung von Artefakten für Bildungsprozesse heraus. Im zweiten Teil »Differenz und Differenzen in Methodologie und Methoden ethnographisch-erziehungswissenschaftlicher Forschung« sind Beiträge versammelt, die in dezidiert methodologischer Absicht Möglichkeiten und Bedingungen ethnographischer Forschungspraxis vor einem differenztheoretischen

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Hintergrund diskutieren. Neben der Betrachtung unterschiedlicher ethnographischer Forschungsansätze in der Erziehungswissenschaft steht dabei vor allem der Vorgang der Beobachtung im Zentrum methodologischer Überlegungen. Einleitend präsentiert Dennis Beach eine Bestandsaufnahme ethnographischer Forschungspraxis und ethnographischer Studien im skandinavischen Raum. Problematisiert und als meta-ethnographische Frage dem skandinavischen Kontext enthoben wird dabei die auffallende Differenz zwischen dem hohen ethnographischen Anteil innerhalb erziehungswissenschaftlicher Forschung und dem relativ geringen Erfolg der Publikation selbiger. Jürgen Budde stellt in seinem Beitrag die Frage, ob sich Differenz beobachten lässt. In Bezug auf ein Forschungsprojekt zu Heterogenitätskonstruktionen wird die Analyse von Differenz als methodisch-methodologisches Problem erörtert. Birgit Althans bestimmt den Körper der Beobachtenden in pädagogischen Situationen als Ort der Differenzerfahrung. Sie rekonstruiert exemplarisch die Konstruktion des teilnehmenden Beobachters seit dem 18. Jahrhundert, um abschließend Impulse aus den Bewegungs-, Tanzund Theaterwissenschaften und Theorien des Performativen als mögliche Perspektiven ethnographischer Forschung zu markieren. Siegfried Saerberg charakterisiert in seinem Beitrag die visuelle Wende innerhalb der qualitativen Forschung als Teil des body turns, der bisher auditive und haptische Sinneswahrnehmungen vernachlässigt habe. Zur Bearbeitung des methodischen Desiderats wird die Audioethnographie vorgeschlagen und die Erforschung des blinden Wahrnehmungsstils durch ein blindes autoethnographisches Forschungssubjekt erprobt. Im abschließenden Beitrag von Alexander Geimer werden im Anschluss an die performative Wende im anglo-amerikanischen Raum Grundlagen, Politik und Ästhetik einer performativen, kunstbasierten Ethnographie diskutiert. Nach einem Vergleich mit Ansätzen des Performativen im deutschsprachigen Raum schließt er mit dem Plädoyer, dass qualitative Forschung zumindest in Teilen produktiv an diese Debatte anschließen könne. Der Schwerpunkt des dritten Teils »Phänomene, Konstruktionen und Produktionen von Differenzen in unterschiedlichen pädagogischen Feldern« versammelt Beiträge, die auf Grundlage ethnographischer Studien das Phänomen der Differenz empirisch beleuchten. Dabei wird – an die Diskussionen der ersten beiden Abschnitte anschließend – das gegenstandstheoretische und methodische Erkenntnisinteresse bezüglich des Verhältnisses von Ethnographie und Differenz in unterschiedlichen pädagogischen Feldern fortgeführt. Im Abschnitt »Ethnographie und Organisation« gerät die Organisation nicht nur als Rahmen und Ort pädagogischer Praktiken der Differenz, sondern auch als differenzproduzierender Gegenstand in das Blickfeld pädagogischer Ethnographie. Eröffnet wird dieser Teil mit einem Beitrag von David N. Gellner zu seinen

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Forschungen an nepalesischen Schulen. Ausgehend von der Annahme, dass in Organisationen keinesfalls per se gemeinsame Werte bestehen, widmet sich Gellner hier der Frage, wie differente Werte und Moralansichten in Schulen hergestellt und verhandelt werden. Im zweiten Beitrag stellt Michael Göhlich Überlegungen zu einer pädagogischen Ethnographie von Organisationen an. Als zentrale ethnographische Kategorie wird das Praxismuster vorgeschlagen und anhand empirischer Befunde zu Praktiken der Differenzbearbeitung aus unterschiedlichen Forschungskontexten exemplifiziert. Nicolas Engel spricht sich im dritten Beitrag für eine pädagogische Ethnographie von Organisationen aus. Auf Grundlage ethnographischer Studien in deutsch-tschechischen Organisationen werden dabei zentrale Differenzverhältnisse und Übersetzungsanforderungen einer pädagogischen Organisationsethnographie diskutiert. Der Abschnitt schließt mit einem Beitrag von Peter Cloos, in dem dieser dem Phänomen der Differenzherstellung in Organisationen zunächst aus professions- und organisationstheoretischer Perspektive nachgeht und dann auf Basis von Erfahrungen aus unterschiedlichen Forschungszusammenhängen Möglichkeiten der Analyse aufzeigt. Der Abschnitt »Ethnographie und Schule« versammelt Beiträge, die die Praxis und die Bedingungen der Herstellung von Differenz- und Anerkennungsverhältnissen im schulischen Kontext ethnographisch untersucht haben. YalѢz Akbaba setzt mit einem Beitrag ein, in dem auf das strukturelle Dilemma der Anerkennung von Andersartigkeit hingewiesen wird. Anhand von ethnographischen Beschreibungen unterschiedlicher Einheiten des Englischunterrichts einer Gesamtschule werden pädagogische Praktiken der Anerkennung als differenzproduzierende Vorgänge interpretiert. Der Beitrag von Ira Schumann setzt sich mit der Differenz »behindert – nicht-behindert« und der Frage auseinander, wie diese Unterscheidung von Akteuren des schulischen Felds hervorgebracht bzw. durch die Forschung selbst hergestellt wird. Im Zentrum des Beitrags stehen erste Ergebnisse eines ethnographischen Forschungsprojekts in einer integrativen Gesamtschule. Beatriz Ballestín stellt in ihrem Beitrag Ergebnisse einer vergleichend angelegten Ethnographie zur Frage der Integration von Kindern mit Migrationshintergrund in zwei katalonischen Grundschulen vor. Für eine hier konstitutive soziale Ungleichheit resp. Reproduktion sozio-kultureller Differenzen werden kulturalisierende institutionelle Ideologien verantwortlich gemacht. Im letzten Beitrag des zweiten empirischen Teils beschäftigt sich Bettina Fritzsche mit dem Phänomen der Differenzproduktion im schulischen Anerkennungsgeschehen. Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit dem Konzept der Anerkennung werden videographische Analysen der interaktiven Unterrichtsgestaltung einer Grundschule in Überlegungen zu einem verantwortlichen Handeln in Schulen unter der Bedingung von Heterogenität überführt.

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Unter dem Titel »Ethnographie und Lebensalter« werden Phänomene der Differenzproduktion in unterschiedlichen Lebensphasen und entsprechenden pädagogischen Feldern mit ethnographischen Zugängen analysiert. Der Beitrag von Sascha Neumann und Claudia Seele bezieht sich auf das frühpädagogische Feld in Luxembourg. Auf Grundlage ethnographischer Daten wird bezogen auf das Phänomen der Plurilingualität der Frage nachgegangen, wie im Alltag einer dortigen Kindertageseinrichtung (sprachliche) Diversität als Differenz hervorgebracht wird. Die Hervorbringung von Differenz im Rahmen von Einschulungsverfahren thematisieren Helga Kelle und Anna Schweda in ihrem Beitrag. Am Beispiel von zwei Beurteilungsbögen werden zum einen Praktiken der Differenzdokumentation aufgezeigt sowie zum anderen das Verfahren der ethnographischen Instrumentenanalyse exploriert. Der Beitrag von Sebastian Schinkel fokussiert auf das Feld der Familie. Untersucht wird hier die alltagspraktische Verräumlichung des familialen Zusammenlebens hinsichtlich der Orientierung gebenden Reproduktion ›bio-sozialer‹ Differenzen. Der den Abschnitt abschließende Beitrag von Eduardo Weiss thematisiert die Bedeutung des Konzepts der Subjektivität für die Rekonstruktion studentischen Lebens in Mexiko. Mit Rückgriff auf Erkenntnisse einer breit angelegten Studie werden Identitätsbildungsprozesse von mexikanischen Studenten und Studentinnen nicht nur auf mit Blick auf die jeweilige Sozialisation, sondern auch vor allem hinsichtlich eines komplexen Alltagskontexts rekonstruiert.

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INTERNATIONALES UND INTERDISZIPLINÄRES

P ROJEKT

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Relative und radikale Differenz – Herausforderung für die ethnographische Forschung in pädagogischen Feldern N ORBERT R ICKEN & S ABINE R EH

Spätestens seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts hat sich der Begriff der Differenz disziplin- und diskursübergreifend im Wissenschaftssprachgebrauch eingenistet und fungiert seitdem als eine Art ›Losung‹ theoretisch aufgeklärter Zeitgenossen und als ›Signalwort‹ eines veränderten‚ auf Differenz umgestellten und sich ausdrücklich nachmetaphysisch verstehenden Denkens (vgl. ausführlicher Kimmerle 2000). Wer Differenz sagt, kann daher zunächst mit allgemeiner Zustimmung rechnen – auch wenn der Begriffsgebrauch mindestens unübersichtlich ist und zwischen der expliziten Betonung von Verschiedenheit und einer impliziten Beanspruchung von Gleichheit changiert. Genau das aber führt dazu, dass Differenz selbst gegenwärtig eigentümlich differenzlos gebraucht oder gar eher suggestiv genutzt wird; kaum verwunderlich ist dann auch, dass mit Einheit, Identität oder auch Ordnung und dem Allgemeinen jeweilig unterschiedliche Gegenbegriffe aufgerufen und (oft genug) abgewertet werden. Indem Differenz aber einem Phänomen gegenübergestellt ist, das selbst nicht klar bestimmt und zudem als ›alteuropäisches Erbe‹ (Luhmann) markiert wird, bleibt verborgen, dass – bei aller Vorliebe für Differenz – mit Differenz doch ein bis heute auch ungelöstes Problem verbunden ist, das sich zudem in besonderer Weise zwischen Theorie und Empirie abspielt: Was genau meint Differenz? Wie viel Differenz muss gedacht und wie konsequent muss sie dann konzipiert werden? Bei aller Fokussierung auf Differenz: Setzt sie nicht doch auch etwas voraus, was nicht different, sondern gemeinsam ist beziehungsweise die Differenz überspannt, was also den Vergleich beziehungsweise die Differenzbestimmung erst ermöglicht

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und zwei voneinander unabhängige Dinge aufeinander beziehen und voneinander unterscheiden lässt? Wie radikal lässt sich Differenz überhaupt denken? Entlang der leitenden Frage, was eigentlich Differenz denken beziehungsweise differenztheoretisch forschen heißt, werden wir im Folgenden vier Überlegungen entwickeln und erläutern: In einem ersten Schritt fragen wir, was das Problem ist, auf das (mit) Differenz geantwortet wird, und worauf man sich einlässt, wenn man auf Differenz setzt (1.). Vor diesem Hintergrund soll – wenn auch pointiert – skizziert werden, welche Differenzkonzepte den verschiedenen (erziehungswissenschaftlichen) Forschungsansätzen unterliegen (2.). Dabei wird der (methodologischen) Thematisierung des Differenzproblems in der Ethnographie gesondert nachgegangen (3.), bevor wir dann danach fragen wollen, in welcher Weise die Ethnographie – auch und gerade methodisch – mit dem Problem der (radikalen) Differenz so umgehen kann, dass dies weder theoretisch (um seine radikale Fassung) verkürzt noch empirisch unbearbeitbar justiert wird (4.).

W ORAUF

LÄSST SICH EIN , WER AUF

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SETZT ?

Mit Differenz wird gewöhnlich ein Unterschied beziehungsweise eine Verschiedenheit (und insofern auch eine Unstimmigkeit) bezeichnet, die aus einem Vergleich beziehungsweise einer Unterscheidung resultiert und sich darauf bezieht (vgl. zum Folgenden auch Ricken/Balzer 2007). Daher markiert Verschiedenheit selbst zunächst keinen eigenständigen Status, insofern man nur relativ anders und verschieden – und zwar in Hinsicht auf eine als gemeinsam unterstellte Eigenschaft –, nicht aber schlechthin verschieden sein kann. Bis weit in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein kam der Differenz nur eine eher marginale Bedeutung zu, insofern diese als bloß relative Verschiedenheit der fungierenden Einheit und Gleichheit nach- und untergeordnet war und hinter diese zurücktrat (vgl. exemplarisch Muck 1976). Diese Begriffs- und Theoriefassung hat sich aber seit mindestens drei Jahrzehnten bis heute zugunsten eines Primats der Differenz drastisch verschoben – und das auf verschiedenen Feldern beziehungsweise in verschiedenen Diskursen mehr oder weniger gleichzeitig. Der Wandel des Differenzbegriffs von einem bloß untergeordneten Theorem zu einem theoretischen Grundbegriff und einer damit verknüpften eigenen (nämlich differenztheoretischen) Theorietypik lässt sich vielleicht entlang der drei Etikettierungen – Differenz als Theorieprinzip (beziehungsweise -architektur), als Gesellschaftsdiagnose und als moralisch-politische Kampfvokabel – erläutern und illustriert die jeweilig unterschiedlichen Bedeutungshorizonte. So wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl in wissenschafts- und erkenntnistheoreti-

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schen als auch sprach- und fundamentalphilosophischen Arbeiten – sozusagen von Saussure und Heidegger über Levinas und Derrida bis schließlich hin zu Lyotard und Luhmann (vgl. ausführlicher Kimmerle 2000) – das Problem der Differenz aus den eingewöhnten Unterordnungskonstellationen des Einen und Allgemeinen kritisch gelöst und zunehmend zum Problem der Grundlosigkeit des Grundes zugespitzt – wie zum Beispiel in den Arbeiten Ernesto Laclaus (2002). Parallel dazu taucht Differenz auch – vermutlich erstmalig im feministischen Diskurs – in den 50er Jahren als politisch-moralischer Begriff auf, der aus Differenz sozialstrukturelles Kapital zu schlagen versucht und Gleichheit beziehungsweise Gleichwertigkeit des Ungleichen betont, so dass nun soziale Gerechtigkeit sowohl als traditionelle Kritik der Ungleichheit als auch als neues Plädoyer für Verschiedenheit und Partizipation zugedacht werden kann. Was so auf der einen Seite als (politischer) Imperativ gelesen werden kann, (vorhandene) Differenzen zu achten und nicht zu verallgemeinern beziehungsweise zu normalisieren und zu nivellieren, gerät auf der anderen Seite zu einer Reflexions- und Theoriefigur, in der mit Differenz auch eine radikal gedachte Unterschiedenheit und Singularität bezeichnet wird, die gerade durch kein Allgemeines, keine Einheit mehr zusammengehalten wird, so dass neben Verschiedenheit nun auch Andersheit und Fremdheit (Alterität) als Bedeutungsfacetten von Differenz mit anklingen. Mit dieser Theoriezuspitzung aber geht zweierlei einher: Zum einen wird zunächst – in guter vernunftkritischer Tradition – das Eine beziehungsweise Allgemeine gerade nicht mehr als bloß gegeben beziehungsweise seiend und insofern übergeordnet, sondern als – durch das Erkennen und Klassifizieren selbst – hergestellt gedacht, so dass dann auch zwischen Normierung und Normation (als Anwendung beziehungsweise (Ein-)Setzung einer binären Norm) und Normalisierung (als Anwendung von gradueller Normalität) als den zwei Wegen der Einheits- beziehungsweise Allgemeinheitsproduktion unterschieden werden kann und muss; zum anderen aber taucht Inkommensurabilität, das heißt die Einsicht in die wechselseitige Unübersetzbarkeit und Nichtvergleichbarkeit als Theorieproblem sozusagen nun auch innerweltlich auf (was bislang, vereinfacht formuliert, ausschließlich der Religion vorbehalten war) und erweist sich als ebenso unvermeidbar wie weitgehend auch unlösbar. Damit aber werden zwei der für das abendländische Denken konstitutiven Prinzipien – der Gedanke der Repräsentation sowie der des Allgemeinen – ebenfalls problematisch und müssen zugunsten des unabschließbaren Zusammenhangs von Konstruktion und Dekonstruktion aufgegeben werden. Beide Diskurse sind – auch und gerade als Spannungszusammenhang – in ihrer Triftigkeit aber nur verständlich, wenn sie auch als Indiz (ob vorlaufende Ermöglichung oder bloß nachträgliche Spiegelung, das kann hier dahin gestellt

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bleiben) für einen gesellschaftlichen Wandel – genauer für den Wandel gesellschaftlicher Integrationsmechanismen – gelesen werden. Anders formuliert: Individualität und Individualismus bekommen einen anderen gesellschaftlichen Wert und können auch einen solchen anderen Wert zugesprochen bekommen, weil gesellschaftliche Integrations- und Inklusionsmechanismen sich längst umgestellt haben (vgl. Dumont 1991). Gesellschaftliche Integration und Kohäsion werden – zumindest idealtypisch – also zunehmend formaler, das heißt abnehmend substantieller praktiziert, so dass Gesellschaft immer weniger über ein substantiell Gemeinsames und normativ Allgemeines – zum Beispiel der eigenen Kultur – sich definiert, sondern Integration und Kohäsion immer mehr formal beziehungsweise funktional herstellt. Zu nennen wären hier sowohl Mechanismen der Verallgemeinerbarkeit (wie dies im Recht geschieht), der Unterscheidung von Normalität und Abweichung (wie dies für die Disziplinargesellschaft von Foucault analysiert wurde; vgl. Foucault 1976 [1975]) als auch über technische Zugangs- und Ausschlussregelungen qua Funktionalität, wie dies für die Kontrollgesellschaft von Deleuze beschrieben worden ist (vgl. Deleuze 1993). Mit Differenz – so ließe sich nun bilanzieren – taucht daher zunächst ein ganzes Bündel von (auch heterogenen) Problemstellungen auf, die zwar irgendwie zusammenhängen, doch auch unterschiedliche Bedeutungsfacetten haben, was an den jeweilig aufgerufenen Gegenbegriffen deutlich werden kann. Durchgängig ist aber mit ihr auch eine veränderte Denkform markiert, in der sich das Allgemeine und Eine zugunsten des Verschiedenen und Vielen, des Heterogenen und Inkommensurablen verschoben und an orientierender Triftigkeit verloren hat. Seitdem meint Differenz die Einsicht in zweierlei: Es meint Einsicht in die klassifikatorische Tätigkeit des Beobachtens und Erkennens – mit Georg Spencer Brown: Beobachten heißt, eine Unterscheidung treffen (Spencer Brown 1997) –, präziser: in die Produktion relativer Differenzen und darin auch in die aktive Konstruktion eines Allgemeinen (welches dann mit entsprechender Geste ja auch dekonstruiert werden kann und muss). Es meint aber auch die Einsicht in die Unzulänglichkeit eben dieser Konstruktionen, das heißt die Einsicht in das Problem der radikalen Differenz, die weder vermeidbar noch lösbar ist, insofern sie gerade nicht positivierbar beziehungsweise positiv denkbar ist. Differenztheoretisch denken heißt daher nicht nur, Unterscheidungen zu treffen und Unterschiede festzustellen, sondern auch, seinerseits keinen festen Ursprung identifizieren, keinen archimedischen Punkt einnehmen zu können und insofern permanent an Differenzen sich verwiesen zu sehen. Das eine ist aber ohne das andere wohl nicht zu haben, weil relative Differenz notwendigerweise mit radikaler Differenz verknüpft ist.

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Vor diesem Hintergrund lassen sich nun drei Fragekomplexe skizzieren, die die folgenden Rekonstruktionen des jeweilig erziehungswissenschaftlichen (Forschungs-)Umgangs mit Differenz strukturieren helfen; in ihnen ist enthalten, worauf man einzugehen bereit sein muss, wenn man sich auf Differenz – auch in der Ethnographie – nun forschend einlässt. a) Wie und als was kann Differenz zur Erscheinung kommen und wie wird der

gemeinsame Bezugspunkt – als Allgemeines, als Gleichheit oder gar Einheit und Identität – gedacht? Welcher Status wird sowohl der Differenz selbst als auch diesem Bezugspunkt zugeschrieben? b) Wo wird Differenz verortet? Wird Differenz als Produkt der eigenen Unterscheidungen verstanden und wie schütze ich mich dann vor Tautologie? Oder gilt Differenz doch als ein nicht beziehungsweise nicht bloß zugeschriebenes Merkmal des Beobachteten? c) Schließlich: Gibt es ein (jeweiliges) Wissen um das Problem einer radikalen Differenz und wie beziehungsweise wo findet dieses dann seinen Ausdruck?

W ELCHE D IFFERENZKONZEPTE UNTERLIEGEN DEN VERSCHIEDENEN ( ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICH RELEVANTEN ) F ORSCHUNGSANSÄTZEN ? Im Folgenden soll auf drei in der Erziehungswissenschaft bedeutsame Forschungsparadigmen eingegangen werden, die in unterschiedlicher Art und Weise Differenz, diese immer auch unterstellend und konstruierend, erforschen: hypothesenprüfende Verfahren, hermeneutische Rekonstruktionsverfahren und die sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Während die erstere Differenzen als Abweichung von einer über Häufigkeitsverteilung bestimmten Norm beziehungsweise Normalität sichtbar machen, scheinen die zwei anderen Verfahren in besonderer Weise geeignet, aufmerksam auf Differenzen zu sein – weil sie entweder am je differenten Einzelfall als an einem Besonderen interessiert sind, wie etwa das kasuistisch arbeitende Verfahren der Objektiven Hermeneutik (vgl. zum Beispiel Oevermann et al. 1979, Oevermann 2000) oder aber, wie das Verfahren einer an Foucault (1981) anschließenden sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse (vgl. zum Beispiel Keller et al. 2001) den Diskurs als eine gesellschaftliche Hervorbringung von Differenzbeziehungen konzeptioniert (vgl. im Kontext der Bildungsforschung Langer/Wrana 2010, Schäfer 2011). Generell kann dabei gelten: Beobachtungen, Beschreibungen und Kommentierungen einer ›empirischen Wirklichkeit‹ – sei es als Formulierung etwa von

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Gesetzmäßigkeiten, von Wahrscheinlichkeiten, von Typen oder Typologien oder von Fällen – erfolgen notwendigerweise mit Hilfe von Kategorien: Es wird etwas als etwas Bestimmtes in Differenz zu anderem vor einem bestimmten Hintergrund zum Erscheinen gebracht. In diesem Sinne ist empirische Bildungsforschung insgesamt – über alle paradigmatischen Unterschiede hinweg – zunächst einmal (und das ist auch kaum anders denkbar) in unterschiedlicher Weise auf die Beschreibung relativer Differenzen gerichtet und kann sich mit dem Problem radikaler Differenz nur ungenügend auseinandersetzen. Das gilt – erstens – für das hegemoniale Paradigma der empirischen Bildungsforschung, sogenannte quantifizierende und hypothesenprüfende Verfahren, die sich für ein einzelnes interessieren nur als Exemplar einer in bestimmter Weise identifizierten Gruppe (vgl. Wernet 2006: 24), deren Elemente gleich sind in Bezug auf ein oder mehrere Merkmale, sogenannte unabhängige Variablen. Differenz wird hier zunächst markiert als eine zwischen zwei oder mehreren Gruppen, deren Elemente in Bezug auf eine unabhängige Variable je gleich und voneinander als Gruppen wiederum verschieden sind. Diese Differenz kann dann in Form von Wahrscheinlichkeiten, mit denen für die unterschiedlichen Gruppen je etwas Bestimmtes im Verhältnis zu unabhängigen Variablen auf- beziehungsweise eintritt, errechnet werden. Die Kunst, innerhalb dieses Paradigmas sinnvolle und interessante Ergebnisse zu produzieren, heißt dann, die in Bezug auf bestimmte unabhängige Variablen Gleichheit unterstellenden Gruppen so zu konstruieren, dass die rechnerisch bestimmbare Abweichung im Hinblick auf ein bestimmtes Verhältnis zwischen unabhängiger und abhängiger Variable innerhalb der Gruppe möglichst klein und als Abgrenzung zwischen Gruppen möglichst groß ist. Dass hier beobachterabhängige Gleichheitsunterstellungen unterlegt sind, wird zunächst umstandslos zugegeben, um dann – und das ist auch ein erklärtes Ziel – im Prozess des Umganges mit einem Datensatz für unerheblich erklärt zu werden: Die Rechnungen zeigten schließlich, ob es sich um ›falsche‹ Beobachterunterstellungen von Gleichheit handelt oder ob die Differenzen zwischen den Gruppen groß genug sind, um die Einheit der Gruppe als ›wirklich‹ bestehend zu akzeptieren. Anders formuliert: Es findet über den solchermaßen rechnerischen Aufweis von graduellen Differenzen zwischen Gruppen eine Essentialisierung von Gleichheit statt, so dass es dann soziale Milieus und Ethnien genauso gibt, wie es Jungen und Mädchen oder auch in Bezug auf bestimmte Fähigkeiten Kompetente und weniger Kompetente gibt. Ganz andere Verfahren, solche die auf die Erfassung des Einzelnen, des Individuellen setzen, indem sie Fälle zum Ausgangspunkt nehmen, könnten – zweitens – als Kandidaten eines anderen Verständnisses von Differenz in Frage

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kommen. Stellvertretend für hermeneutisch-sozialwissenschaftliche Verfahren soll hier ein kurzer Blick auf die Objektive Hermeneutik geworfen werden. Sie interessiert sich für den einzelnen Fall einer Lebenspraxis, für das einzelne Individuum, für die einzelne Familie, die einzelne Unterrichtsstunde, weil und insofern sie erstens je eine Identität aufweisen, nämlich eine Fallstruktur(ierungs)gesetzlichkeit als latente, sich möglicherweise hinter dem Rücken der Individuen durchsetzende Sinnstruktur und zweitens aber als Besonderung eines Allgemeinen, mit dem der einzelne Fall immer schon und notwendig vermittelt ist, beschrieben werden kann. Das Allgemeine wird als Erwartung formuliert, als ›Normalform‹ – zum Beispiel einer Kommunikation –, die als eine Art ›Vergleichshorizont‹ in die Interpretation des Falles eingeführt wird. Das ist so unterschieden von dem Verfahren einer klassischen, philologischen Hermeneutik nicht; es ist aber methodisiert – und das ist nun allerdings anders als im philologischen Vorgehen oder dem der historischen Quellenanalyse –, indem strikt sequenzanalytisch nach der Strukturlogik der Wahl aus (differenten) Reaktionsmöglichkeiten, auch als Handlungsoptionen definiert, gefragt wird. Das geschieht häufig in einer Gruppe mehrerer Interpreten, die im Gespräch sich über diese »Normalform« einigen können müssen. Die Bestimmung der »Normalform« und der Abweichung davon ist nicht Resultat eines Aushandlungsprozesses, aber dennoch gibt es in der Gemeinschaft der Interpreten die Möglichkeit des Einspruchs eines einzelnen Mitgliedes, der überzeugen kann; für eine Interpretation muss argumentiert werden können. Das Spezifische des einzelnen Falles ist dann immer eine Art der graduellen Abweichung – bis zur dann auch so genannten Pathologie – gegenüber der »Normalform«. Differenz ist hier konstruiert als die des Falles und die in ihm selbst nachweisbare Abweichung von einer Art Idealtypus; so etwa wird der Bildungs-Anspruch von Unterricht in der fallspezifisch, also beispielsweise in einem bestimmten Unterricht oder bei einem bestimmten Lehrer, anzutreffenden Art der Ironisierung dieses Anspruches durch die Schüler gerade immer wieder virulent als ein auf besondere Weise in der Ironie aufgerufener und gleichzeitig verfehlter. Differenz des Besonderen als besondere Ausprägung eines Allgemeinen ist den Annahmen der Objektiven Hermeneutik folgend rekonstruierbar, weil das Allgemeine als eine Art Idealtypus im Fall selbst transportiert wird – das heißt sie wird gerade nicht als beobachterkonstruiert verstanden, sondern als beobachterunabhängig. In ähnlicher Weise lässt sich nun – drittens – die Diskursanalyse beschreiben, verfährt sie doch, in bestimmter Hinsicht betrachtet, durchaus analog zur Objektiven Hermeneutik, indem sie auf die Analyse der Strukturen des Gesagten abhebt. Anders als jene aber versteht sie diese nicht als fallspezifische Ausprägungen eines Allgemeinen, sondern als nur an vielen Fällen von Äußerungen

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gewinnbare Einsicht in das Bestehen und die Transformation von Bedeutungsund Wertungs-Differenzen. Das Bestehen hegemonialer Strukturen wird als gesellschaftliche Tätigkeit, als neues – in diskursiven Praktiken produziertes – Allgemeines entschlüsselbar. Zugleich wird dieses dabei – in unter Umständen problematischer Lesart (vgl. Waldenfals 1991, Reh 2003: 57ff.) – so verstanden, als würde es die besonderen Äußerungsakte nicht nur bestimmen, sondern geradezu hervorbringen, indem es zum Beispiel das zu sagen erlaubt, was sagbar ist und ausschließt, was nicht beziehungsweise so nicht sagbar ist. Markiert werden kann damit also – und das ist zentral – die Differenz zwischen einem Sagbaren und dem Unsagbaren. Aber auch wenn damit nun radikale Differenz wenigstens denkbar wird, so gerät doch der in der rekonstruktiven Hermeneutik durchgängig präsent gehaltene Zusammenhang – die Differenz zwischen einem Besonderen und dem Allgemeinen – latent in den Hintergrund (vgl. Frank 1985), weil die Zurechnung des einzelnen Äußerungsaktes zum Allgemeinen zumindest in der Gefahr steht, eher in der Art einer subsumtionslogischen Schlussfolgerung zu erfolgen. Um zu bilanzieren: Beobachtungen, Beschreibungen und Kommentierungen einer ›empirischen Wirklichkeit‹ – sei es als Formulierung etwa von Gesetzmäßigkeiten oder Wahrscheinlichkeiten, als Darstellung von Typen beziehungsweise Typologien oder von Fällen – erfolgen notwendigerweise mit Hilfe von Kategorien. Es wird immer etwas als etwas Bestimmtes in Differenz zu anderem vor einem bestimmten Hintergrund – einem Verständnis des Allgemeinen – zum Erscheinen gebracht. In diesem Sinne ist empirische Forschung insgesamt – über alle paradigmatischen Unterschiede hinweg – zunächst einmal in unterschiedlicher Weise auf die Beschreibung relativer Differenzen gerichtet. Obwohl nun in den skizzierten qualitativen Verfahren die beobachtete Differenz durchgängig zunächst als Tätigkeit, das heißt als Unterscheidung und Differenzierung verstanden wird, zielen jedoch auch sie – strukturell vergleichbar mit den quantitativen Verfahren – darauf, ein Allgemeines, eine Normalität oder Struktur aufweisen zu können – und zwar als beobachterunabhängig. Radikale Differenz hätte darin – würde man sich überhaupt für sie interessieren – einen allenfalls störenden, dann aber doch vernachlässigbaren Charakter. Könnte ein Vorgehen, in dem explizit das Unterscheiden als Tätigkeit, das »doing difference« in den Fokus rückt, die Ethnographie also, es erlauben, in einer anderen Weise Differenz in doppelter Konstruiertheit – als konstruiert von den Beobachteten und von den Beobachtern – wahrnehmbar zu machen?

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I N WELCHER W EISE IST DAS D IFFERENZPROBLEM ZUR H ERAUSFORDERUNG IN DER E THNOGRAPHIE GEWORDEN ? Wie die Ethnographie von Beginn an mit dem Problem der Differenz und ihrer Beobachtung verbunden ist, zeigt ein kurzer Blick zurück auf die Geschichte der Ethnographie, auf deren »empirische Wende« (Kohl 2000: 109), für die immer wieder Malinowskis Arbeiten (1979, 1985) mit der methodologischen »Erfindung« der teilnehmenden Beobachtung und deren Dokumentation in Texten stehen (vgl. Reh 2013, auch Althans in diesem Band). Diese Wende lässt sich explizit als Versuch charakterisieren, Differenz als Fremdheit zu begreifen und diese dann aber in unmittelbarer Erfahrung zugänglich zu finden, sie – als relative – zu verstehen. Es verwundert daher nicht, dass von Vertretern der Ethnologie diese empirische Wende wiederum auch als eine »hermeneutische« charakterisiert wird (vgl. Fuchs/Berg 1993: 44), in der eine hermeneutische »Lebensform« (vgl. Gumbrecht 1996: 19) – die allgegenwärtige Suche nach einem versteckten, aber entschlüsselbaren Sinn, der auf ein Allgemeines verweist – auch in ethnologischen Projekten sich durchsetzte. Dem Ethnographen ist – so war die Grundannahme – ein Verstehen des Fremden möglich, wenn er am Alltagsleben teilnehmen kann. Dieses Verstehen wird in einem spezifischen Text darüber dokumentiert, in einer »dichten Beschreibung« (Geertz 1983), deren Kunst – so später die Kritik – gerade darin besteht, den Beobachter als Autor der Konstruktion von Beobachtungen und damit auch von Differenzen unkenntlich zu machen, eine Art des »aperspektivischen«, eines objektiven Beobachters (vgl. Daston 2003) zu schaffen. Das Verstehen des Fremden als eines ›Falles‹ kann hier gelingen, weil und insofern eine Art Ordnung, ein Ganzes, unterstellt und herausgearbeitet wird. Die Vorstellung von einer Ordnung ist dabei dann nur in begrenztem Umfange irritierbar, weil das, was hätte irritieren können, in neuen Beschreibungen der Ordnung je wieder in ein Ganzes integriert wird. Erkennbar ist in diesem Sinne schon in den frühen ethnographischen Studien die Unterstellung eines Verhältnisses von Teil und Ganzem, dem man sich in einem – allerdings unabschließbaren – zirkulären Prozess nähern kann. Das entspricht in Teilen dem klassischen geisteswissenschaftlichen Verständnis der Hermeneutik um die vorletzte Jahrhundertwende (vgl. Dilthey 1970). In der teilnehmenden Beobachtung allerdings rückte bald schon die Problematik der strikten Unterscheidung zwischen einer körperfundierten Wahrnehmung und begriffsgebundener Erfahrung, die nicht nur die geisteswissenschaftliche Hermeneutik fundierte (vgl. auch Gumbrecht 2004), sondern auch dem historischen Modus einer als wissenschaftlich verstandenen Beobachtung entsprach

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(vgl. Daston/Lunback 2011), in den Blick. Fragwürdig wurde der akademische Habitus, eine distanzierte Position des Wissenschaftlers, weil die teilnehmende Beobachtung an den Körper des erkundenden Interpreten gebunden blieb und so die Materialität der Standortgebundenheit jeder Beobachtung kaum zu leugnen war und sich immer wieder Ausdruck verschaffte. Die Ausgesetztheit des Beobachters, die Tatsache, dass der Beobachter nicht nur auch im gleichen »Schlamassel« (Goffman 1996) steckt wie die Beobachteten, sondern dadurch in besonderer Weise herausgefordert ist, zeigen die posthum veröffentlichten Tagebücher Malinowskis (1985), die seine körperliche Angesprochenheit durch das ›Feld‹, seine kaum überwindbaren ›Fremdheitserfahrungen‹ dokumentieren (vgl. Kohl 2000: 111ff., vgl. auch Althans in diesem Band). Die besondere Provokation der Teilnahme, der Anwesenheit im Feld zeigt sich gerade auch in denjenigen qualitativ-empirischen Verfahren, in denen Standortgebundenheit des Forschers ausdrücklich reflektiert, aber gleichzeitig zu eskamotieren versucht wird, wie zum Beispiel in der an Mannheim anschließenden »Dokumentarischen Methode« (vgl. Bohnsack 2007). Dieser folgend nämlich kann einer habituellen Standortgebundenheit des Beobachters begegnet werden, indem das Feld selbst die Vergleichshorizonte und damit Differenzen weisen soll. Zweifelhaft erscheint allerdings, ob damit anders als im hermeneutischen Projekt mehr als relative Differenz durch den distanzierten, auswählenden Interpreten erkennbar werden kann. Erst der besondere Gegenstand der Ethnologie beziehungsweise Anthropologie, die ehemals kolonialisierten oder ›unberührten Völker‹ in Zeiten des Postkolonialismus, das Auftauchen von Teilnehmenden in verschiedenen und miteinander sich vermischenden Diskursen über sie, machen die doppelte Konstruiertheit der Differenz sichtbar: Explizit wurde seit den 80er Jahren herausgestellt, dass im Versuch der Repräsentation des verstandenen Fremden dessen Konstruktion einerseits (das »Othering«, vgl. Fuchs/ Berg 1993: 13) und dessen Relativierung in einer Art der »Nostrifizierung« (Matthes 1992: 84), der Vereinnahmung beziehungsweise Anerkennung als mit Eigenem der Beobachter vergleichbar andererseits stattfanden. Zweierlei Bewegungen sind aus der geäußerten Kritik an der Idee der verstehenden Ethnographie entstanden. Erstens wurde nun darauf gesetzt, den eigenen Beobachtungsprozess zu beobachten, das heißt zu dokumentieren und wiederum anderen Lesern zu verstehen zu geben. Produziert wurde eine Art ›Bekenntnisliteratur‹ oder die weitergehende Autoethnography, in der der Autor sich selbst, seine Eindrücke und Gefühle zum Gegenstand der ethnographischen Beobachtung macht (vgl. Chang 2008). Zweitens sind daraus experimentelle Schreibund Darstellungsformen entstanden. Diese bedienen sich etwa poetischer Formen des Schreibens, ähneln fiktionalen Texten wie etwa das Ethnodrama oder

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Formen der Performance, arbeiten mit Hypertexten oder verschiedene Arten der Videodokumentation (vgl. Angrosino 2007: 63ff., vgl. zur writing-cultureDebatte in den USA Clifford/Marcus 1986, Marcus 2007, Fortun 2010, zum Beispiel Ellis/Bochner 1996, vgl. Ruby 2000). Mit ihrer Hilfe wird versucht, den Anderen das Wort zu überzulassen oder ihnen eine Stimme zu geben. Im Sinne einer sich moralisch verstehenden Aktion und entlang der Formel ›Give the oppressed a voice‹ wurde, hauptsächlich in den USA und vertreten vor allem von Norman Denzin, aus der Ethnographie so ein politisches Projekt (vgl. Denzin 2009). Im Unterschied dazu zeigte man sich teilweise in Europa diesen experimentellen Formen des Schreibens, der besonderen Dokumentation von Differenz und Differenzerfahrung gegenüber eher skeptisch (vgl. Hammersley 2010, Atkinson/Delamont 2010, Atkinson/Delamont/Housley 2008) und verstand sie lediglich als unterschiedliche Formen des Präsentierens von Daten, weniger als Möglichkeit, in mehrfachen Rahmungen unterschiedliche Ebenen von Differenzkonstruktionen gegeneinander zu führen. Die Kritik am verstehendholistischen Ansatz, die Kritik der Repräsentierten an Repräsentationen, die mehr oder weniger unvermittelte Präsentation mehrerer Perspektiven und die Dokumentation von Selbsterfahrungen haben aber jeweils in unterschiedlicher Weise Differenzkonstruktionen neu beschrieben und werfen die Frage auf, wie möglicherweise auch radikale Differenz wahrnehmbar und gestaltbar sein könnte.

IN

WELCHER W EISE KANN DIE E THNOGRAPHIE – SOWOHL METHODOLOGISCH ALS AUCH METHODISCH – MIT DEM D IFFERENZPROBLEM UMGEHEN ? Überblickt man nun also auch den ethnographischen Umgang mit Differenz, wird deutlich, dass es einen hermeneutisch legitimierten beziehungsweise gar privilegierten Weg, auch mit radikaler Differenz umzugehen und angemessen umgehen zu können, nicht gibt und nicht geben kann, weil Verstehen immer eine relative Differenzbildung beziehungsweise die Relationierung von Differenzen darstellt. Im Verstehen von etwas als etwas wird immer die Besonderheit auf etwas bezogen, was diese Besonderheit übersteigt und sie insofern auch nivelliert. Für ein reflektiertes Verständnis radikaler Differenz, die etwas als etwas Fremdes, als etwas Singuläres zu achten sucht, ist daher der Bruch mit dem Verstehen, der Bruch mit der Dominanz der Interpretation und der Hermeneutik kennzeichnend geworden. Bevor dazu in ethnographischer Perspektive ein eigener

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Einsatz markiert werden soll, sei vorbereitend auf verschiedene Etappen der ›Verabschiedung des Verstehens‹ hingewiesen. Bereits früh hat Susan Sontag sowohl auf die Grenzen als auch die Gewalt der Interpretation aufmerksam gemacht (vgl. Sontag 1966 [1964]); im deutschen Diskurs hat insbesondere Jochen Hörisch unter dem Stichwort »Die Wut des Verstehens« (Hörisch 1988) diesen Gedanken weiter verfolgt und nicht nur den Machtcharakter des Verstehens – etwas unter Kategorien zu subsumieren und dadurch sowohl sich anzueignen und sich unterzuordnen als auch zu vereinheitlichen und insofern als Besonderes zum Verschwinden zu bringen – betont, sondern in der Erörterung der Grenzen des Verstehens auch nach Alternativen und anderen Formen der Bezugnahme, einer nicht bloß beziehungsweise überwiegend verstehenden Bezugnahme, gesucht. Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem Nichtverstehen im Verstehen ebenso alt wie die Hermeneutik selbst und ein Grundzug des Verstehens als eines ›Bildungsprozesses‹ (Gadamer 2010; vgl. dazu auch Schurz 1995); bereits Schleiermacher hatte in seiner Hermeneutik (1819/1838) darauf hingewiesen, dass wohl »das Mißverstehen« – weil es sich von selbst ergibt – die Regel ist (vgl. Schleiermacher 1977: 92), so dass Verstehen – weil es sich nicht von selbst einstellt – der bewussten Anstrengung bedarf. Dabei aber zeigt sich das Nichtverstehen in mehrfacher Hinsicht als mit dem Verstehen verknüpft: erstens als Grenze des Verstehens, das heißt als etwas, was sich dem Verstehen entzieht und insofern außerhalb liegt, weil es unverständlich und zum Beispiel seinerseits nichts selbst Zeichen – etwa das Schweigsame (vgl. Hirschauer 2001) – ist. Mit Nichtverstehen ist aber zweitens auch ein Moment im Verstehen selbst gemeint, das das andere als Anderes nicht zu erfassen vermag, weil es – als Relationierung – weder der Alterität noch der Singularität gerecht werden kann und insofern immer auch ein Nichtverstehen in der Form des Verkennens ist. Das lässt sich zwar nicht positivieren, aber wenigstens – wie zum Beispiel Schurz in seiner ›negativen Hermeneutik‹ (Schurz 1995) zeigt – als Bewusstsein der Unzulänglichkeit ebenso wie der Achtsamkeit bewahren. Besonders interessant aber scheint nun drittens eine weitere Variante des Nichtverstehens zu sein, die auf das fokussiert, was dem Verstehen zuvorkommt beziehungsweise ihm vorausliegt und es als Verstehen allererst ermöglicht (und insofern etwas anderes ist als Verstehen, nämlich ein vorausliegendes Nichtverstehen). Solchermaßen an den Grenzen des Verstehens angelangt, wird üblicherweise einer der zwei Wege beschritten: Entweder man wechselt das Register und wendet sich der Kunst zu oder man kehrt dem Problem den Rücken und erklärt die Frage nach (den Grenzen) der Verstehbarkeit als zwar grundsätzlich triftig, aber für das eigene Arbeiten nicht mehr relevant, weil es nicht weiter bearbeitbar ist

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oder insofern auch nicht weiter bearbeitet werden muss. Beide Wege sind – zumindest wissenschaftstheoretisch und methodologisch gesehen – nicht zufriedenstellend; bevor aber abschließend versucht werden soll, auf die Begrenztheit des Verstehens auch methodisch einzugehen, sei hier zunächst der Versuch unternommen, mithilfe zweier philosophischer Reflexionen einen weiteren Weg zu erkunden, der zwischen diesen üblichen Auswegen liegt. Es sind insbesondere Dieter Merschs Überlegungen zu einer »Posthermeneutik« (Mersch 2010), die genau hier ansetzen und – auch entlang des Begriffs des Ereignisses – auf andere Formen der Bezugnahme als die des Verstehens zielen. Mersch setzt damit nicht nur eine zum Beispiel bereits bei Gumbrecht pointierte (Gumbrecht 2004) Konstruktivismuskritik fort, sondern entwickelt auch einen Versuch, zwischen zwei Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorien – verkürzt formuliert: dem Gedanken der Repräsentation einerseits und dem der Konstruktion andererseits – einen (›Posthermeneutik‹ genannten) Spalt zu finden, der es allererst sinnvoll macht, über einen dritten Weg nachzudenken. Sein Gedankengang lässt sich dabei folgendermaßen bündeln: Das Hermeneutische beziehungsweise der hermeneutische Zugriff ist zunächst weiter gefasst als das bloße Sinnverstehen im Sinne des subjektiven Nachvollzugs von Intentionen; Hermeneutik ist »Signifikation« (Zeichensetzung) und »Mediation« (Zeichenverständigung) (vgl. Mersch 2010: 12) und umfasst auch noch – selbst schon als Hermeneutikkritik formulierte – Positionen wie den Strukturalismus beziehungsweise Poststrukturalismus und die Dekonstruktion. Demgegenüber ist Posthermeneutik der Versuch, die Bedingungen des Verstehens selbst zu fokussieren und danach zu fragen, was das Verstehen allererst ermöglicht. Dies impliziert, dass die Grenzen des Verstehens gerade nicht bloß ein Außerhalb markieren. Der Hermeneutik entgeht von Anfang an, so Mersch, ein Verständnis dafür, dass etwas bereits gegeben ist, bevor wir uns auf es beziehen und es als etwas verstehen beziehungsweise zu verstehen suchen. Auch wenn sich Wahrnehmen und Verstehen nicht fein säuberlich voneinander trennen lassen, so dass Mersch auch von der »Unvermeidbarkeit des Hermeneutischen« (ebd.: 311) spricht, so weist er doch immer wieder darauf hin, dass in der ›verstehenden Bezugnahme‹ mehr als nur eine Relationierung mit eigenen Kategorien enthalten ist, das heißt mehr als nur etwas sofort als etwas zu sehen. Mersch betont dabei zwei Momente: Zum einen ist der Bezug auf etwas immer bereits von etwas konstituiert, das seinerseits nicht durch den Bezug erst konstituiert wird und werden kann (ebd.: 23); vielmehr gründe die Bezugnahme in etwas, was sie trägt, ohne sie schon zu enthalten (vgl. ebd.). Mersch versucht, sich dieser Gegebenheit von etwas vor jedem zum Beispiel verstehenden Bezug auf es anzunähern, indem er »Quodditas« (als Markierung des »ist«) von »Quidditas« (als Markierung des »was ist«)

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(ebd.: 118) unterscheidet und als Bewegung vom ›Was‹ und ›Wie‹ des Gegebenen (Quidditas) zum ›Dass‹ der Gegebenheit (Quodditas) zu bestimmen sucht. Anders gesagt: Es geht ihm um einen Bezug zu etwas, das – bei aller Konstruktivität des Bezugs – nicht durch Konstruktion hergestellt wird, sondern seinerseits Boden der Konstruktion ist (vgl. auch ebd.: 323). Zum anderen – und darin folgt Mersch dann Gumbrechts Pointierung der Präsenz des Materiellen und Sinnlichen, das sich dem Verstehen entzieht – ist er insofern in besonderer Weise an dem Materiellen, an dem Sinnlichen, eben an Präsenz als etwas, was sich dem Sinngeschehen nicht sofort erschließt beziehungsweise sich ihm entzieht, interessiert, ohne nun aber dieses Erscheinen im Ereignis als eine Form des Offenbarens fassen zu können und zu wollen; vielmehr herrscht auch hier »wesentliche Opazität« (ebd.: 331), so dass das Gemeinte den Charakter einer »negativen Ereignung« (ebd.: 334) hat. Sinn der Argumentation Merschs ist daher, in der verstehenden Bezugnahme und der darin unvermeidlich sich vollziehenden Subsumtion des Fremden unter die eigenen Kategorien ein Moment zu markieren, das sich einerseits der einfachen Dualität von ›Konstrukt‹ und (wahrgenommener und dann abgebildeter beziehungsweise re-präsentierter) ›Substanz‹ entzieht und andererseits auf eine andere Ebene im Bezugnehmen und Verstehen aufmerksam macht. Es ist daher wohl weder zufällig noch uninteressant (auch für methodologische Erörterungen des ethnographischen Verstehens), dass es seit einigen Jahren – nach langen Phasen sowohl der Kritik des Hermeneutischen durch andere (letztlich aber doch hermeneutische) Formen der Textauseinandersetzung als auch der (im Zeichen der Alterität vorgenommenen) Betonung des Nichtverstehens als einer Grenze des Verstehens – nun eine Auseinandersetzung um Präsenz und Aufmerksamkeit gibt, die sich nicht nur als Kritik des Verstehens lesen lässt, sondern auch Wege zu bahnen versucht, sich in andere Formen der Bezugnahme und Aufmerksamkeit einzuüben. Neben den Arbeiten Gumbrechts (insbes. Gumbrecht 2004 wie aber auch jüngst Gumbrecht 2010 und 2012) sind es auch Überlegungen von Martin Seel, die für uns dabei bedeutsam geworden sind (Seel 2003). Entlang seines Zentralmotivs – »Die Aufmerksamkeit für das Erscheinende ist zugleich [...] eine Aufmerksamkeit für uns selbst« (ebd.: 9) – geht es ihm um eine ausgesprochen subtile Analyse der Wahrnehmung und deren Unterscheidung von einem Begriff der Beobachtung, demzufolge Beobachten heißt, eine Differenz zu markieren. Wahrnehmung, so Seel, ist immer dreidimensional verfasst und muss als »Wahrnehmung von etwas als etwas« (ebd.: 52) wahrgenommen werden: In ihr wird nicht nur etwas wahrgenommen, sondern auch als etwas wahrgenommen, was eine Relation zwischen dem Wahrgenommenen und dem Wahrnehmenden meint, die in der Analyse üblicherweise immer wieder als

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Verstehensakt (und insofern immer wieder als hermeneutische Leistung) markiert worden ist; in Absetzung dazu geht es Seel aber um eine Implikation, die schnell im Übergang von »Wahrnehmung-von« zu »Wahrnehmung-als« (ebd.: 51) übersprungen wird: dass die Wahrnehmung von etwas als etwas verlangt, dass man die Wahrnehmung selbst wahrnehmen muss – was Seel im Begriff der »Wahrnehmung-daß« (ebd.) zu fassen versucht. Diese Wahrnehmungswahrnehmung ist aber weniger – wenn auch immer auch – eine weitere (gar gesteigerte) Form der »reflexiven Selbstbezüglichkeit« (ebd.: 60), sondern ein spezifisches Spüren: »Wir spüren uns hören und sehen und fühlen« (ebd.: 59). Pointierter: »Es geht den Subjekten der ästhetischen Wahrnehmung um ein Verspüren der eigenen Gegenwart im Vernehmen der Gegenwart von etwas anderem« (ebd.: 62). Seel betont zwei Aspekte dieser spezifisch spürenden Wahrnehmung und markiert darin deren Distanz vom Hermeneutischen: Auf der einen Seite geht Wahrnehmung »in keiner Weise über die Gegenwart hinaus, sie geht nicht ins Exemplarische oder Allgemeine, sie sucht und findet keinen Sinn; sie bleibt in einem leiblichen Vernehmen der sinnlichen Präsenz ihrer Gegenstände stehen« (ebd.: 151). Die schließt auf der anderen Seite »ein intensives sinnliches Sich-selbst-Verspüren der Subjekte dieser Wahrnehmung ein, aber wiederum – ohne die Ambition eines über den Augenblick hinausreichenden Verstehens, ohne die Ambition einer Transzendierung des Hier und des Jetzt« (ebd.: 151). Ziel ist aber nun gerade nicht die Steigerung des Selbst, sondern die paradoxe Öffnung des Selbst für das andere: »Nur in der Vergegenwärtigung des bloßen Erscheinens können wir uns derart ausschließlich auf eine Anschauung des Gegenwärtigen verlegen« (ebd.: 151). Ohne hier die skizzierten posthermeneutischen Überlegungen zum Problem der Gegenwart und Aufmerksamkeit wiederum zu einer erweiterten ›VerstehensLehre‹ systematisch zusammentragen zu können, lassen sich dennoch vor diesem Hintergrund nun einige Überlegungen zur ethnographischen Methodologie entlang der drei Momente der Beobachtung beziehungsweise der Wahrnehmung – das Beobachtete, der Beobachter, das Beobachten – anstellen und in gewisser Hinsicht als Anforderung an das methodische Arbeiten zuspitzen: 1) Es ist eine Heterogenisierung des Beobachteten vorzunehmen durch eine Vervielfältigung des Materials, der Perspektiven, Schreibweisen, so dass sich nicht ein einziges, zu schnell verstandenes Bild ergibt. 2) Der Beobachter selbst hat sich zu reflektieren: Zwei Formen der Reflexion sind dabei zu unterscheiden – (a) die ethnographische Beobachtung des Beobachters selbst wie aber auch (b) eine ›Objektivierung des objektivierenden Subjekts‹ (Bourdieu). Während Rabinow (2007) – durch Luhmanns Konzept der

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Beobachtung inspiriert – auf die Integration eines Beobachters zweiter Ordnung zielt (vgl. Rabinow 2007: 107), der den Beobachter erster Ordnung seinerseits ethnographisch zu beobachten sucht, und so Beobachtung selbst iteriert, ohne diese grundsätzlich verlassen zu können, mahnt Pierre Bourdieu in seiner – mehrfach formulierten – Aufgabe, »das objektivierende Subjekt [zu] objektivieren« (Bourdieu 1992) eine ebenso gesellschaftstheoretische wie auch selbstbezügliche Rahmung des Beobachters an: gerade weil sich der Bedingtheit einer jeden Beobachtung nicht entkommen lässt, so dass es nicht darum gehen kann, Perspektivität – und mit ihr Begrenzung wie überhaupt Interpretation – aufzuheben (vgl. Bourdieu et al. 1997: 394), ist es unabdingbar, die eigene gesellschaftliche Position – das heißt sowohl die eigene »Klassenposition« (Bourdieu 1992: 219) und »seine Position in jenem Sub-Universum« (ebd.) als auch den eigenen (Kampf-)Einsatz in der sozialen Welt – in Rechnung zu stellen. Ziel der Objektivierung ist aber nicht die Rückrechnung der beobachteten beziehungsweise der eigenen Perspektive auf eine soziale Position, das heißt die Erklärung der eigenen Perspektive aus einer überperspektivisch justierten Theorie heraus, was ja eine umgreifende (und zudem kausal deterministisch angelegte) Ideologietheorie verlangte, die es so nicht geben kann, sondern – in einer Art »soziologischer Selbstanalyse« (ebd.: 223) – die Arbeit daran, »sowohl dem Objekt als auch der Arbeit am Objekt meine Aufmerksamkeit zu widmen« (ebd.: 221). Bourdieu – ausdrücklich die »subjektivistische Weltsicht der Ethnomethodologie« (Bourdieu et al. 1997: 394) zurückweisend – zielt damit aber erstaunlicherweise auf eine Art »geistige Übung« (ebd.: 400), in der es um die Schulung der »Aufmerksamkeit für das Gegenüber und eine hingebungsvolle Offenheit« (ebd.: 399) geht. 3) Mit diesen zwei Möglichkeiten der Reflexion des Beobachters rückt aber nun die Beobachtung selbst in den Mittelpunkt: Beobachtung des Beobachtens durch Arbeit an Aufmerksamkeit und Wahrnehmung. Hier lassen sich nun die angeführten Formen der Wahrnehmung der Wahrnehmung benennen, die darauf zielen, das Wahrnehmen selbst – diesseits fixierender Kategorien – wahrzunehmen, es zu spüren als ein ›Sich-selbst-Verspüren‹ (Seel) im ›Anderen-Spüren‹. Was damit möglich wird ist ein Ausgang aus der traditionellen Subjekt-ObjektDichotomie (vgl. auch Rabinow 2007: 109): nicht nur, weil nun mit dem Beobachten die Relation selbst in den Blick rückt, die sich nicht auf die Relata – des Beobachteten und des Beobachters – begrenzen lässt; sondern vor allem, weil die Arbeit an der Aufmerksamkeit das Selbst auf sich selbst bezieht in der Form eines in sich grundlosen und nicht fundierenden Selbst. Poststrukturalistische Subjektkritik – also alle Formen des Rückweisens von Identität, Transparenz und Souveränität (vgl. Ricken 1999) – geht notwendigerweise mit ethno-

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graphischer Selbstthematisierung einher, denn Aufmerksamkeitsübungen sind letztlich Öffnungsübungen und Überwindungen der Zentrik, des Fundierenden, des Sich-selbst-Zugrundeliegens. Damit aber rückt wieder etwas in den Horizont, was – so die Diagnose Foucaults – als modern ausgeschlossene Figur bis Descartes durchaus vertraut wie erstrebenswert schien: dass die Erkenntnis beziehungsweise das »Vernehmen« – was ›theorein‹ bedeutet – der Wahrheit eine (asketische) Arbeit an sich selbst verlangt, die mit der cartesischen Begründung des ›cogito‹ verschwunden war (vgl. Foucault 2004, Masschelein 2004). Für ethnographische Arbeit bedeutet dieses, neben die unverzichtbare Reflexion von Subjektiviertheit auf das Beobachten selbst und besondere Praktiken des Beobachtens, auf Sensibilisierung des Beobachtens und deren Methodisierung zu setzen – die immer auch als Formen der Subjektivierung des Forschers zu sehen sind: (a) Als Schulung der Aufmerksamkeit durch Spürenlernen des Sehens, Hörens und Fühlens und dem darin unternommenen Versuch der ›EntInkorporierung‹, wie dies bei Bourdieu auftaucht (vgl. Bourdieu et al. 1997: 405); (b) als Training und Übung der methodischen Grundsätze und Haltungen von Beobachtung, so dass es hier um eine Art Überschreibung geht – um eine methodische Inkorporierung (ebd.: 406). Eine solche Form der ethnographischen Arbeit ist nicht identisch mit Autoethnography, aber auch nicht mit den vielen Formen experimentellen Schreibens, weil zum einen nicht einfach die eigene Person des Forschers interpretiert, in einem Kontext verstanden und damit zum Forschungsgegenstand ›objektiviert‹ wird, aber auch zum anderen nicht von der eigenen Person wie in der Textmontage anscheinend gänzlich abgesehen wird, sondern das als ästhetische Wahrnehmung methodisierte Beobachten als eine subjektivierende wissenschaftliche Praktik an sich selbst noch beobachtet wird (und beobachtbar gemacht wird).

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Landscapes of Difference and Inequality: Educational Ethnography in the United States M ARGARET E ISENHART

Difference and inequality are foundational to educational ethnography in the United States. In schools and other educational contexts, difference and inequality are continually being marked, staged, recorded, interpreted, negotiated, manipulated, and contested. By directing attention to difference and inequality, educational ethnography has provided a consistent alternative to U.S. mainstream educational research, which focuses on improving but not seriously challenging the organization and ideology of schools. Since the 1950s at least, educational ethnographers: »have searched for ways to conceive and confront the institutionalized arrangements that have turned schools against children and teachers […] They have expressed outrage about what gets done in the name of schooling; a skepticism about the received categories that make it easy to mis-measure kinds of children and kinds of learning; a distrust of national efforts to change and reform; and they have given attention to real people in action as the site for the drama of schooling to reveal its connections to ongoing inequalities and injustices.« (McDermott/Raley 2011: 46)

In this article, I discuss four ways American anthropologists and sociologists of education have framed and re-framed the conversation about difference and inequality in education over the past several decades.1 Some framings emerged ear-

1

In the U.S. »educational ethnographers« may be trained in numerous disciplines. In this paper, I write from my perspective as an anthropologist of education and focus

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lier than others, but all four remain thematic in U.S. ethnography of education today.

C ULTURAL D IFFERENCE AND U NEQUAL S CHOOL P ERFORMANCE One framing of the conversation dates from the 1950s when educational anthropology emerged as a subfield of U.S. cultural anthropology (Spindler 1997). At the time, many anthropologists conceived of culture as an adaptive, collective response to particular social, economic, and historical conditions; the response was a distinctive way of life – a culture, including characteristic institutions, social arrangements, survival strategies, child-rearing practices, values, beliefs, languages, and customs. Cultural differences arose when groups faced different social, economic, and historical conditions. Although each culture was different, none was universally better adapted. Some were better adapted to particular circumstances, and some were more successful at colonizing or dominating than others. In the U.S. context of educational research and public debate, Native Americans, minority ethnic groups, immigrants, non-English speakers and poor people came to be marked as »culturally different« relative to English-speaking, resident Whites, who, as a group, had greater control of wealth and power, including the power to label the other. From this perspective, children acquire culture from child-rearing practices at home and in the neighboring community. Different child-rearing practices produced different patterns of behavior, beliefs, language use, and normative expectations. Sometimes these cultural practices and patterns matched or closely overlapped with those expected and promoted in school; other times they did not. Numerous anthropologists of education and other ethnographers have conducted micro-ethnographic research in schools and classrooms that documents the influence of cultural differences on school performance and outcomes (Heath 1996, Moll/Diaz 1987, Spindler 2000, Trueba 1988). They have found that when behaviors and norms expected at home match those expected at school, students are likely to do well in school. When these behaviors and norms do not match, as is often the case for non-dominant minority groups, students are likely to do poorly in school. Because expectations in U.S. schools, especially post-school

primarily on educational ethnographies produced by those who have been trained in and identify as anthropologists or sociologists of education.

L ANDSCAPES

OF

D IFFERENCE

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desegregation in the 1960s and 1970s, have been set and enforced by dominant (middle class, English-speaking, White) interests, these ethnographers anticipate that dominant-group children will consistently do better in school than their minority group peers. For this reason, many anthropologists of education have argued that if mainstream teachers would appreciate minority group cultural differences, if minority group students could recognize features of their home communities in school, and if efforts were made to bridge the cultural gap between home and school, minority students would perform much better in school. In consequence, ethnographers have repeatedly recommended that mainstream schools be altered to value and incorporate cultural differences. Some schools and curricula have developed in accord with this recommendation, but most, especially publiclysupported schools, have not. The effort to make schooling more culturally compatible for non-mainstream students endures to this day – especially under the funds of knowledge rubric (Gonzalez/Moll/Amanti 2005, Gonzalez/Wyman/ O’Connor 2011, Vélez-Ibáñez/Greenberg 1992). The term, funds of knowledge, was defined by Vélez-Ibáñez and Greenberg as the complex knowledge that members of Mexican households straddling the Mexican-U.S. border need to respond to their challenging and shifting economic and political context. »[T]hese largely rural skills, experience, technical knowledge of habitat and survival, make up the adaptive strategies that we have called funds of knowledge for much of the Arizona-Sonora Mexican population« (Vélez-Ibáñez/Greenberg 1992: 317f.). Their goal was to use children’s funds of knowledge as a tool to capitalize on »household and other community resources« among Mexican communities in Arizona and to to »organize classroom instruction that far exceeds in quality the rote-like instruction these children commonly encounter in schools« (González/Moll/Amanti 2005: 132). In the project, teachers and anthropologists worked together to spend time with and interview Mexican and Mexican American families to document the households’ funds of knowledge and incorporate them into school curriculum and instruction. Unfortunately, this approach has never caught on with the U.S. educational establishment. And, while this perspective on culture difference was and continues to be a challenge to racist models of genetic inferiority and cultural deprivation, it has, for the most part, focused too little on the significance of structural forces in perpetuating educational inequalities (Eisenhart 2001, Levinson/Holland 1996: 8, McDermott/Raley 2011).

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S OCIAL

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C ULTURAL R EPRODUCTION IN S CHOOLS

A second framing of the conversation about difference and inequality came to the fore in the 1970s and 80s with the work of British ethnographers, such as Stuart Hall (1986, 1992), Paul Willis (1981) and others from the Birmingham Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS), French sociologist Pierre Bourdieu (1974, 1977, 1988), Italian theorist Antonio Gramsci (Foley 2010, Hall 1986), and American sociologists of education such as Michael Apple (1982, 1986) and Lois Weis (1990). Their work encouraged educational ethnographers to turn more of their attention to the ways in which U.S. schools are organized to produce and reproduce consent for inequalities through (a) unequal structural arrangements, such as tracking (Mehan 1996, Oakes 2005), curriculum differentiation (Anyon 1981), and special education (Mehan/Hertweck/Meihls 1986), and (b) institutionalized discourses of difference, such as those that construct fast or slow readers, learning disabled students, and English language learners (McDermott 1987, Varenne/McDermott 1998). These researchers identified patterns of difference in the way students were grouped, sorted, and labeled in schools, the way knowledge was embedded in various curricula, and the way resources were distributed across schools and classrooms. For example, organizational features in some schools (or classrooms) encourage student academic exploration, autonomy and creativity, while those in other schools emphasize obedience to authority, classroom control, and basic skills (Anyon 1981). Schools or classrooms in the first group tend to serve privileged students from dominant groups, while those in the second tend to serve non-English speaking, nonWhite, special needs, and poor students. However, another important tenet of this framing of difference and inequality is that students and other school actors do not simply accept the categories and groups in which schools place them. Paul Willis’ book Learning to labor was particularly influential in the U.S. for his argument that »social agents [in his case, the lads] were not passive bearers of ideology, but active appropriators who reproduced existing structures through struggle, contestation and a partial penetration of the structures« (Willis 1981: 175). In other words, students’ (and others’) responses to stratifying and demeaning organizational features might vary from practices of acceptance to practices of resistance to practices of opposition and innovation, making social and cultural reproduction problematic (Holland/Eisenhart 1990). About this second framing of the conversation, Frederick Erickson has written,

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»The shift in understanding of culture from a tightly integrated set of rules learned in childhood to a more flexible array of principles for action, belief, and desire, which are then enacted adaptively and opportunistically in practice, became a fundamental change in American anthropology and in culture theory.« (Erickson 2011: 31, see also Ortner 1984)

In the dialectic between institutionalized categories and individual or group responses, schools usually do reproduce social hierarchies and cultural models constituted by educational inequalities, but this outcome is not inevitable or automatic. Students and others can resist or develop alternatives, thus the outcome is always in doubt, always potentially reproductive or transformative or both. Levinson and Holland write: »Schools […] create a space for the formation of social relations among people of different classes, genders, castes, ethnic, and age groups which would be unlikely in other sites. Such relations may come to reconfigure previous alliances, allegiances, and sympathies. […] Thus, schools provide each generation with social and symbolic sites where new relations, new representations, and new knowledges can be formed, sometimes against, sometimes tangential to, sometimes coincident with, the interests of those holding power.« (Levinson/Holland 1996: 21-22)

The transformative possibility in this approach has and continues to motivate the research of many educational ethnographers in the U.S. (Collins 2012, Foley 2010).

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S ITUATED L EARNING

In the 1990s and continuing today, a third framing of difference and inequality has developed in work on situated learning (Lave/Wenger 1991, Wenger 1998). Early studies of situated learning focused on local contexts, primarily outside of school, in which people form new identities through participation in the sociocultural practices of a community. These learning contexts are referred to as communities of practice. The activities and tools of a community of practice (and the structures and histories embedded in its activities and tools) – not teachers or students by themselves – provide the structuring resources of learning. And identity formation as a member of a community of practice – not cognitive growth – is the defining process and outcome of learning. In the prototypic case, newcomers to a community learn by gradually taking on identities as part of regular, on-

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going activities and relationships within the community (Lave/Wenger 1991: 37f.). At first, novices’ participation is legitimately peripheral, but over time, it increases in engagement and complexity, becoming more central. African Vai and Gola apprentice tailors, for example, form identities as tailors as they participate in the activities of their craft along with more experienced tailors (Lave/Wenger 1991: 69ff.). In this process, apprentices also acquire skills and knowledge, but this learning occurs in the context of identity formation, not separate from it. Of course, participants in communities of practice may disengage for various reasons and fail to develop as experts. They may also manipulate and innovate as they become more proficient, thereby differentiating types and levels of expertise and perhaps even initiating changes in practice. But these permutations do not undermine the basic tenet of situated learning theory, and more generally of social practice theory (Bloch 1989), i.e., that learning occurs in the context of identity formation in communities of social practice. Many U.S. educational researchers who use the concepts of situated learning and communities of practice pay little attention to the broader context in which communities of practice are located or the social divisions they contain and reproduce. Issues of power and conflict have been mostly ignored in favor of difference conceived primarily in terms of the micro-interactional practices of novices (those who don’t yet know) with more experienced members (those already in the know). However, Lave and Wenger did not intend the work to be limited in this way (ibid: 47-58), and they and others have moved decisively to make difference and social inequality more central concerns (Barton/Tusting 2005, Holland et al. 1998, Holland/Lave 2001). Emphasizing the roots of situated learning theory in the sociocultural tradition of cultural-historical psychology, Holland and Lave write: »For us, one central analytic intention of social practice theory lies in inquiry into historical structures of privilege, rooted in class, race, gender, and other social divisions, as these are brought to the present – that is, to local, situated practice (4-5) […] Our approach has been to start with local struggles – that is, struggles in particular times and places – and trace out practices of identification, the relation of these practices to broader structural forces, and, within that relational context, the historical production of persons and personhood.« (ibid: 9)

Several important educational ethnographies, including Stanton Wortham’s Learning Identity (2006) and Luis Urrieta’s Working from Within (2009), illustrate attempts to further develop this approach. Wortham’s book focuses on the complex interconnected practices of social identification in a grade 9 classroom;

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Urrieta examines the local struggles of Chicana and Chicano activist educators as they form and re-form identities in various institutional contexts. Similar to Willis, these ethnographers take the position that difference and inequality are fundamental processes of learning contexts. In the organization and contestations of local social practices, difference and inequality are learned and relearned, drawing on and affected by, but never totally reproducing what has gone before. Individuals and groups engaged in local struggles of identification that produce new cultural and social possibilities are of special interest to these researchers.

N ATIONALISM , G LOBALIZATION

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In recent years, U.S. ethnographers of education also have been interested in the influences of nationalism and globalization on schools and local cultures. This work focuses on how circulating flows of capital and information, including those under government, corporate, and media control, affect schooling as a global institution as well as children and communities in local schools. In this formulation, the complex multiplicity of nationalizing and globalizing forces unsettles local practices. Material and symbolic resources and processes, including representations of difference and inequality, originating both elsewhere and locally, are mediated in schools and other local contexts of learning (AndersonLevitt 2003, McDermott/Raley 2011, Stambach/Ngwane 2011). Representations of difference and inequality include discursive and performative technologies that travel back and forth in overlapping layers of local and translocal interactions and networks affecting education (Bartlett 2009, Hall 2002, Levinson 2001, Lukose 2009, Luykx 1993, Stambach 2000).2 Studies of nationalizing and globalizing forces call for what George Marcus (1995) has called multi-sited ethnography, »designed around chains, paths, threads, conjunctions, or juxtapositions of locations in which the ethnographer establishes some form of literal, physical presence, with an explicit, posited logic of association or connection among sites that in fact defines the argument of the ethnography« (Marcus 1995: 105, see also Burawoy/Blum/George2000). The idea of ethnographically studying widely dispersed local sites connected by forces of nationalism and globalization is provocatively addressed by anthropologist Anna Tsing in her 2005 book Friction: An ethnography of global connection, a

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This body of scholarship has been influenced by actor network theory (Latour 2007) as well as by other forms of post-structural, post-colonial theory.

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study of intersecting environmental and economic networks that affect the use of Indonesia’s rainforests. About her work as an ethnographer, Tsing writes: »I search for odd connections […] [I] focus on zones of awkward engagement, where words [one of her examples is frontier] mean something different across a divide even as people agree to speak. These zones […] are transient; they arise out of encounters and interactions. They reappear in new places with changing events.« (2005: xi)

Tsing’s odd connections include those made by local, national and international environmentalists, research scientists, investors, large corporations, resource extraction advocates, United Nations funding agencies, mountaineers, village elders, and urban students, for whom the word frontier applied to the rainforest means quite different things. Large corporations and extraction advocates view the rainforest as a frontier that is largely unused and vacant, thus available for exploitation and profit. To villagers, the so-called frontier is their home, the source of their sense of place and livelihood. For mountaineers and other tourists, the frontier is wild and uninhabited, a place to be enjoyed and preserved, not updated, modernized, or changed. It is in the odd connections among these actors, their resources and their understandings of the frontier – made local and immediate in the context of nationalism and globalization – that the fate of the forest is played out. Jan Nespor’s books Knowledge in motion (1994) and Tangled up in school (1997) have made important contributions to this line of work in educational ethnography. Tangled up in school is an ethnographic examination originating in one U.S. elementary school, but moving beyond it to suggest how school district politics, regional economics, parental concerns, urban development, popular culture, gender ideologies, racial politics, and university and corporate agenda come together to construct educational contexts and produce educational effects. In Nespor’s book, contested representations include the meaning of whole language reading instruction, grades, and school-business partnerships, rather than the meaning of frontier. The results of this work, similar to Tsing’s, is not a coherent ethnography in the traditional sense; instead, it offers angles of perspective and slices of experience that make up a partial account of what is being produced and responded to in various local sites of practice that are often geographically and functionally distinct but intersect in networks of wide scope. The basic tenet of this approach is that local struggles and practices of education exist in, contribute to, and are affected by multiple intersecting networks that connect widely dispersed people, sites, and representational technologies. To grasp why education,

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learning, difference and inequality look the way they do in any given place and time, it is necessary to trace the many networks of which they are a part.

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The third and fourth (and the most recent) framings of the conversation emphasize the importance of understanding how difference and inequality are continually being formed and re-formed, sometimes along familiar contours of ethnicity, language, gender, or class, and sometimes in what Collins, diLeonardo, and Williams (2008) call new landscapes of inequality. These landscapes produce new forms of stigmatization, as when certain kinds of people receive new pejorative labels, such as illegal aliens or terrorists; intimidation, such as when community panics arise over the local presence of homosexuals or mosques; delegitimization, as when public schools and social services are de-funded or working parents cannot make a living wage; pollution, as when oil and gas exploration or liquor stores are allowed near some residences and not others; and profit-taking, as when bankers but not homeowners or shopkeepers are protected from risk. New landscapes of inequality also form in the shadow of success at overcoming differences. Roger Lancaster (2008) has argued that in the U.S. today, »moral victories«, such as when a few schools succeed in closing the achievement gap, are used to hide inequalities whose effects will emerge later – inequalities such as resource differences among schools that compromise students’ access to college despite achievement gains. Equity-motivated practices to identify and remediate one difference can hide other inequalities with serious long-term consequences. Alfredo Artiles (2011) gives an example of just such a new landscape of inequality using the case of school services for special education students. It has long been known that identification and placement in special education directs resources and assistance to students who otherwise would not get them. But at the same time, this arrangement increases segregation, hardens stereotypes, strengthens bureaucratic control, and may disadvantage other students. Artiles shows that President George Bush’s highly touted No Child Left Behind (NCLB) legislation – which requires schools to disaggregate student achievement scores by race so that racial differences are clearly visible and can be monitored and addressed – has had this kind of effect: NCLB promotes a reinvigorated justice agenda for schools (to reduce achievement gaps by race), but at the same time, it negatively re-casts underperforming groups in terms of race and disability (tightening the race-disability knot, as Artiles puts it), stigmatizes

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schools that may be doing many (other) things well, and diminishes teachers’ autonomy and prerogative. Ang and St. Louis (2005) refer to this situation as the »Janus-faced character« of difference: While the recognition of difference may be a salutary conduit for equalization, this very move also incorporates difference within the existing framework of schooling, hence updating the inequalities schooling instantiates, rather than diminishing them. My current research is an attempt to understand, in somewhat similar fashion, new landscapes developing around the effort to produce more scientists and engineers. In the U.S. context, this competition is instantiated in multiple ways including educational policies and practices intended to increase the number and diversity of young Americans who study science, engineering, technology and mathematics (the so-called »STEM fields«), develop proficiency and expertise in these areas, and persist into jobs and careers in these fields. Encouraging more culturally different Americans to pursue STEM fields is described as a national priority to improve global competitiveness (by developing innovations that markets want and will pay for), to protect national security (by growing our own workforce so as not to be dependent on foreign workers), and to decrease economic inequality (because STEM jobs are well-paying with projected availability and growth in the near future). Schools have been assigned the job of getting this work done. In many respects, improved and increased STEM education, especially for groups historically marginalized in the U.S., has become the primary focus of school reform in the U.S. today. Thus, the push for STEM expansion and diversity has landed in schools and in the lives of students and parents who have never before considered STEM jobs or careers. I am curious about the effects of this national rhetoric and the policies and programs flowing from it: What do these activities lead to, for whom, and at what cost? Who or what is being advantaged or disadvantaged? What happens on the ground for particular people and groups caught up in this social project? Initial results suggest that political rhetoric in the name of economic competitiveness has been joined to a discourse about new opportunities for historically marginalized groups. This connection satisfies two often opposing streams of contemporary U.S. politics: those on the right for whom economic growth is a priority and those on the left for whom equal opportunity and access is salient. However, policies motivated by this merged political discourse have, for example, identified underrepresented groups (women, minorities) already in college STEM for support and benefits. This group, historically quite small, can have only minimal affect on expanding and diversifying STEM. The much larger number of underrepresented middle and high school students who demonstrate interest in STEM but do not pursue these fields in college is virtually ignored. Thus, by appropriating the discourse

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of STEM diversity, politicians and policy makers place themselves on the side of what is just and benefit a few, while simultaneously perpetuating the disadvantage of many. This is a moral victory of the kind Lancaster (2008) describes: a moral accomplishment on behalf of equality that hides more consequential inequalities. In my on-going ethnographic study, I am investigating how small groups of high-achieving young women of color are experiencing this national agenda for STEM expansion and diversity in their high school and post-high school lives. In the context of U.S. educational ethnography today, »difference« and »inequality« are understood as interactional accomplishments and representational technologies that can and do move back and forth across levels of activity, spaces of discourse, actors, and contexts. One group’s advantage may be another’s disadvantage. Advantage in one case can mask disadvantage in another. Difference and inequality are constituted, marked, and transported to both positive and negative effect. Difference can garner resources (a positive outcome) but at the cost of negative stereotyping or segregation. Difference can mark and transport a valued identity, e.g., good student (positive), or a devalued identity, e.g., weak student (negative). »Inequality«, at least in the U.S., is almost always considered bad - unacceptable and something to overcome, yet it can be manipulated in multiple ways, e.g., to serve as the basis for action or inaction, to bolster or encumber claims, and to raise hope or diminish it. Difference and inequality are undertakings and tools that can be variously, multiply, flexibly and strategically used to create an impression, make a point, gain ground, decide what to do next, rationalize what has already been done, and make numerous other social and cultural moves. Ethnographies of education teach us that difference and inequality are continually being constituted, produced, negotiated and changed in ways that create rich, ever-changing contexts for investigation and reflection.

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Theorie Gestalten Auf dem Weg zu einer empirisch gestützten Bildungstheorie H ANS -R ÜDIGER M ÜLLER & D OMINIK K RINNINGER

F REMDHEIT IM Z UGRIFF DER P ÄDAGOGIK – EIN G RUNDPARADOXON ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHER E THNOGRAPHIE Wie kommt es eigentlich, dass seit mehreren Jahrzehnten schon in der pädagogischen Forschung der ethnographische Blick auf zunehmendes Interesse stößt und inzwischen fest im methodischen Repertoire der Pädagogik verankert ist? Vielleicht liegt es daran, dass versucht wird, das Erbe einer Kritischen Erziehungswissenschaft zu bewahren, wenn schon nicht in der Fortführung eines theoretischen Paradigmas, dann doch wenigstens in der Methodologie, einer Art Verbeugung vor dem (möglicherweise subversiven) Eigensinn der einschlägigen Gegenstandsfelder (Kindheit, Jugend, Familie, Schule) – mit einem deutlichen Anklang an die reformpädagogische Maxime einer Pädagogik vom Kinde aus. Vielleicht gab aber auch gerade die Verunsicherung hinsichtlich der Zielbestimmungen pädagogischen Handelns, die schwindende Überzeugungskraft von Erziehungsidealen und pädagogischen Utopien oder, wie Jürgen Habermas es Mitte der 1980er Jahre formulierte, die (damals) »Neue Unübersichtlichkeit« (Habermas 1985) den Anstoß, sich mit und gegenüber den eigenen praktischen Absichten und theoretischen Vorgriffen auf Distanz zu halten, während methodisch die maximale Nähe zum pädagogischen Feld und seinen Akteuren gesucht wird. Und vielleicht spielte ja auch die nahezu zeitgleich einsetzende pädagogische Biographieforschung eine Rolle; zwar bot sie forschungspraktisch den großen Vorteil, mit wenig Erhebungsaufwand (den narrativen Interviews) viel über die subjektive Strukturierung von Erziehungs- und Bildungsprozessen zu erfahren,

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aber sie nahm dabei vielfach, wie es Lothar Wigger (2010) nennt, eine die Strukturierungskraft des Sozialen vernachlässigende Weltvergessenheit in Kauf, die es nun in der ethnographischen Rekonstruktion des Lebensumfeldes zu überwinden gelte. Wie dem auch sei, bezeichnend ist, dass die pädagogisch-ethnographische Forschung einerseits bemüht ist, Differenzen zu erzeugen, die die Fremdheit des Untersuchungsfeldes hervortreten lassen (vielleicht auch mit hervorbringen), und andererseits als pädagogische Forschung (im Unterschied zur Ethnologie, der sie ihr Instrumentarium verdankt) doch immer vor dem Hintergrund eines praktisch fundierten Erkenntnisinteresses agiert, das letztlich darauf abzielt, das Fremde dem pädagogisch-verständnisvollen Zugriff zugänglich zu machen. Entsprechend handelt es sich ja bei der pädagogischen Ethnographie (zum Beispiel Hünersdorf/Maeder/Müller 2008, Friebertshäuser et al. 2012) zumeist um einheimische Untersuchungsbereiche und nicht um den Kulturvergleich mit anderen Ländern. Dabei unterscheidet sich die Intensität dieses pädagogisch motivierten Zugriffs der pädagogischen Ethnographie auf ihre Gegenstände erheblich. Angefangen bei der distanzierten, aus der Soziologie importierten Sozialmorphologie von Kindheiten, Familien oder pädagogischen Feldern (vgl. hierzu kritisch mit Hinweis auf die impliziten generationalen Ordnungen Honig 1999, Honig 2004), über die Ethnographie in der Schul- und Unterrichtsforschung (Breidenstein 2006, Reh/Labede 2012) bis zum Einsatz ethnographischer Methoden für die Praxisentwicklung und Professionalisierung pädagogischen Personals (Cloos/ Schulz 2011, Müller/Schmidt/Schulz 2005) reicht ein weites und vielfältiges Spektrum pädagogischer Ethnographie, immer angesiedelt im Spannungsfeld zwischen Exotisierung fremder Kindheits- oder Erziehungswelten auf der einen und der Aufhebung des Fremden im pädagogischen Verstehen auf der anderen Seite. Dabei handelt es sich hier doch nur um eine Facette pädagogischer Paradoxien, die die moderne Pädagogik und ihre Theorie seit jeher begleitet. Kants Forderung, den kindlichen Eigensinn zu disziplinieren, zu zivilisieren, zu kultivieren und zu moralisieren, so allerdings, dass die Erziehung zur Freiheit bei allem Zwange das Erziehungsgeschäft maßgeblich bestimmen müsse (Kant 1995 [1803]), weist bereits in diese Richtung. Auch Humboldts Hinweis, dass »(alles) Verstehen [fremder Sprachen und Kulturen wie auch der individuellen Rede] immer zugleich ein Nicht-Verstehen« (Humboldt 1994 [1830-1835]: 439) sei, konfrontiert uns mit einer unauflösbaren Differenz von Fremdem und Eigenem, die zu einer labilen Balance zwischen Missverstehen und Neuverstehen herausfordert. Und sein Zeitgenosse Schleiermacher, der diesem Problem mit einer

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ausgefeilten Hermeneutik begegnete, hoffte, dem die Differenzen aufzeigenden, komparativen Verstehen einen divinatorischen (erahnenden) Akt des Verstehens zur Seite stellen zu können, mit dem diese Differenzen kühn (aber immer in der Gefahr, ins Fantastische abzugleiten) übersprungen werden können, und zwar dadurch, dass der Verstehende anstrebt, sich selbst dem Fremden gleich zu machen, oder in den Worten Schleiermachers: »sich selbst gleichsam in den anderen verwandelt, das Individuelle unmittelbar aufzufassen sucht« (Schleiermacher 1977 [1838]: 169). Heute gibt die Anerkennungstheorie dem pädagogischen Diskurs hier neue Impulse, beispielsweise in der von Butler inspirierten These Rehs und Rickens, dass die Anerkennung des Fremden (wenn es eben mehr sein soll als nur ein interesseloses Geltenlassen) mit spezifischen Zuschreibungen oder Adressierungen verbunden ist, die das Subjektsein der Anderen nicht nur respektieren, sondern auch von außen formieren (Reh/Ricken 2012: 40ff.). Das zentrale Problem einer pädagogischen Ethnographie, eine vertretbare Balance zwischen dem Respekt vor der Intransparenz des Fremden und der mindestens impliziten Wirkungsabsicht pädagogischen Verstehens zu finden, hat also eine lange, hier nur knapp angedeutete Geschichte. Letztlich operiert die pädagogische Ethnographie doch stets direkt oder indirekt im Horizont eines praktischen Interesses an der pädagogischen Reflexions- und Handlungszugänglichkeit des untersuchten Feldes. Heute, in der sich immer rascher modernisierenden Moderne, stellt sich dieses Problem auf eine besondere Weise. Durch die weitere Ausdifferenzierung der Gesellschaft in eine Vielzahl von Subsystemen und sozialen Milieus, von individuierten Bildungsgeschichten und heterogenen Bildungsbedingungen findet sich die Pädagogik anders mit dem Fremden konfrontiert, als es im 19. Jahrhundert der Fall war, und zwar sowohl innerhalb der Bildungsinstitutionen, in denen – unter anderem aufgrund der wachsenden sozialen und geographischen Mobilität – die Heterogenität zunimmt, als auch außerhalb des Erziehungssystems, indem sich die pädagogische Aufmerksamkeit zunehmend auf informelle Bildungsorte richtet, um deren Potential für pädagogisch als wertvoll erachtete Zwecke zu erschließen. Man kann politisch darüber streiten, inwieweit eine solche Ausweitung des Pädagogischen sachlich sinnvoll und im Hinblick auf das Lebenslaufregime der Betroffenen legitim ist. Doch wo auch immer man die Grenze pädagogischer Zuständigkeiten zieht, der Frage der Erzeugung von und des adäquaten Umgangs mit Fremdheit kann man, sofern man überhaupt für dieses Problem sensibilisiert ist, nicht entgehen. Der pädagogischethnographischen Forschung stellt sich dieses Problem vor allem im Hinblick auf die Angemessenheit ihrer Methoden wie auch ihrer Begriffe und Theorien, mit denen sie ihr Untersuchungsfeld strukturiert und ihren Gegenstand konstruiert. Worum es uns im Folgenden vor allem geht, ist die Frage, wie man zu theo-

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retischen Modellen gelangt, die einer solchen Forderung nach Angemessenheit nahe kommen, und zwar nach beiden Seiten des Problems hin. Sie müssen einerseits den Anschluss an die praktischen Fragen zulassen, die sich aus der Pädagogik auf dieses Feld richten, und sie müssen andererseits in der Herausbildung ihrer konkreten Gestalt sich dem Gegenstand so anschmiegen, dass in ihnen der Eigensinn des Feldes (nicht gemeint als eigentlicher sondern als immanenter Sinn) nicht verloren geht. Es geht mit anderen Worten um Theoriefiguren, die sich vom pädagogischen Interesse ausgehend für das Geflecht von Bedeutungen öffnen, die das Feld von innen strukturieren. Wir greifen auf Erfahrungen aus unserem gemeinsamen Forschungsprojekt zu familialen Bildungs- und Erziehungsmilieus zurück, um an einem Beispiel Perspektiven für eine diesen Intentionen folgende theoretische Modellierung aufzuzeigen.

D IFFERENZEN ZWISCHEN SYSTEMATISCHEN K ATEGORIEN UND PRAXISIMMANENTEN H ANDLUNGSFIGUREN – EIN B EISPIEL In unserem Projekt fragen wir nach dem inhärenten Bildungssinn der Lebenswelt der Familie, worunter wir in einem grundlegenden Sinne ihre Bedeutung für die Weitergabe kultureller Lebensformen verstehen, die sich auch zwischen den Generationen vollzieht und an deren Ausgestaltung die heranwachsenden Individuen in ihrer personalen Entwicklung beteiligt sind. Dabei differenzieren wir zwischen den heterogenen familialen Bildungsmilieus nicht in vertikaler Hinsicht (also zwischen hohem und niedrigem Bildungspotential), sondern horizontal (nach der Art des Bildungspotentials), um die spezifischen Ressourcen sichtbar zu machen, die im Binnenmilieu einer Familie bestehen. In der ethnographisch orientierten Untersuchung (Hünersdorf/Maeder/Müller 2008) exemplarisch ausgewählter Alltagspraxen des Fernsehens, des Kinderspiels und der Mahlzeiten in der Familie gehen wir deren kulturellem Eigensinn und den darin enthaltenen Anregungen für die Bildungstätigkeit der Familienmitglieder nach. Unser besonderes Interesse gilt den aktiven Strategien und Praktiken, mit denen die Familien ihre spezifische soziale Situation bewältigen und auftretende Differenzerfahrungen (Generationendifferenz, Entwicklungsdifferenz, kulturelle Differenz, Geschlechterdifferenz etc.) bearbeiten (Müller 2007). Die Implikationen dieser sensibilisierenden Fragestellung werden in der konkreten Auswertung des Fallmaterials auf ihre heuristische Brauchbarkeit hin geprüft und kategorial weiterentwickelt. Im Zuge dieses Vorgehens, das wir später ausführlicher vorstellen, haben sich in der Studie drei Hauptkategorien herauskristallisiert, mit denen die Fami-

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lie als Bildungs- und Erziehungsmilieu erfasst wird: der Erziehungsgestus der Familie, der Familienstil und die Bildungskonfiguration, in die der Alltag der Familie eingebettet ist. Die Kategorie des Familienstils systematisiert die Beobachtung, dass die untersuchten Familien einen kohärenten Vorrat an Verhaltens-, Ausdrucks- und Gestaltungsformen sowie spezifische Muster der Verteilung ihrer Aufmerksamkeit entwickeln, mit dem sie sowohl auf die innere Struktur des Familienmilieus als auch auf die sozialen und kulturellen Kontexte reagieren. Die analytische Bündelung dieser Praxisformen zu einem Stil erfolgt in einer kritischen Nähe zu habitustheoretischen Forschungsansätzen zur Familie (etwa Büchner/Brake 2006), die beschreiben, wie familiale Bildungspraxen durch soziale Emergenz und Funktionalität mitstrukturiert werden. Allerdings genügt es unseres Erachtens nicht, darauf hinzuweisen, dass der Habitus als ein »System von Grenzen« (Bourdieu 1997: 33) Spielräume für individuelles Verhalten lässt. Aus pädagogischer Perspektive ist zu fragen, wie diese Spielräume genutzt werden und es ist insbesondere nach den – in einem weiten Sinne – reflexiven Formen zu suchen, in denen sich Subjekte und Gemeinschaften zu den habituierten und aktuellen sozialen Ordnungen verhalten, in denen sie sich bewegen. Mit der so konturierten Kategorie des Familienstils wird die soziale und kulturelle Bedingtheit des familialen Alltags aufgenommen. Zugleich hält sie den Blick dafür offen, dass die spezifische Art, wie Familien ihren Alltag und ihre Lage bearbeiten, über unilaterale Effekte sozialer und kultureller Voraussetzungen hinaus geht und konstruktive Dimensionen aufweist. Ein Beispiel: Familie Grewe1 Die Gemeinschaftsstrukturen, die sich bei Familie Grewe beobachten lassen, zeichnen sich durch eine auffällige Parität bei der Verteilung von Aufgaben und Spielräumen zwischen den Individuen aus. So arbeiten beide Eltern in Teilzeit und teilen sich haushaltliche sowie pädagogische Aufgaben. Auch zwischen den Generationen lassen sich – auf der Basis klarer Generationen- und Autoritätsverhältnisse – quasi-symmetrische Beziehungsmuster beobachten (zum Beispiel bei Tischgesprächen und Spielen). Im Alltag werden diese Strukturen vor allem performativ im interaktiven Vollzug bestätigt, fußen aber auch in einem expliziten Gegenentwurf zu biographischen Erfahrungen der Mutter, die in einer Interviewpassage in Bezug auf ihre Herkunftsfamilie meint: »Die Eltern haben sich

1

Zu Familie Grewe gehören fünf Personen: die Mutter Gabriele (36 Jahre), der Vater Gero (42 Jahre), die Töchter Gritt und Gesa (9 und 4 Jahre) und der Sohn Glen (7 Jahre).

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vor uns Kindern geschützt«. In der gemeinsamen Interaktion entsteht ein familialer Handlungsraum, in dem sich bei Familie Grewe zum einen sprachbezogendiskursive Interaktionsstrukturen zeigen (neben den genannten Tischgesprächen werden bei Grewes zum Beispiel Inhalte von Kindernachrichten zum Gesprächsthema zwischen Kindern und Eltern). Zum anderen spielen körperlich-präsentative Interaktionsformen eine wichtige Rolle (so werden manche routinierten Vorgänge wie bestimmte Spiele oder das Zu-Bett-Bringen der jüngeren Kinder im praktischen Vollzug nur marginal sprachlich, dafür umso mehr mimischgestisch begleitet). Je nach Entwicklungsstand der Kinder und situativer Angemessenheit präferieren die Eltern entweder den diskursiven oder den präsentativen Interaktionstyp. Als ein Koordinierungsprinzip des familialen Handlungsraums zeichnet sich insgesamt der Bezug auf ein Prinzip der Angemessenheit ab, gemäß dem Interaktionen, aber auch die kindlichen Handlungsspielräume vorstrukturiert werden. Grewes zeigen eine ausgeprägte Aufmerksamkeit für das familiale Binnenmilieu. Familie und Elternschaft sind für Gabriele und Gero ein wichtiger Teil ihres Lebens. Ihre ausgeprägte Familiarität verwirklicht sich in einer Gestaltung des Familienraumes als quasi-natürliches Lernfeld, in dem die kulturellen Einflüsse und die Anforderungen, die die Familie aus der gesellschaftlich-kulturellen Umwelt erfährt, in ein pädagogisches Arrangement transformiert werden (vergleichbar dem Prinzip der negativen Erziehung bei Rousseau). Diese hohe Strukturierungsleistung der Eltern wird auch dadurch möglich, dass Familie Grewe keine gravierenden sozialstrukturellen oder kulturellen Erschwernisse zu bearbeiten hat und sich in einer relativ sicheren ökonomische Lage befindet. Lässt sich also bei Familie Grewe der Familienstil insgesamt als paritätisch, kindzentriert und pädagogisch-transformativ charakterisieren (das zeichnet sie als Sonderfall gegenüber anderen von uns untersuchten Familien aus, deren Familienstil sich zum Beispiel eher an der pragmatischen Lösung von Problemen der materiellen Existenzsicherung orientiert oder im Sinne eines Familienentwurfs die andauernde Diskrepanz zwischen Familienideal und Familienrealität diskursiv zu überbrücken sucht), so zielt die Kategorie der Bildungskonfiguration auf den kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem sie sich als Gemeinschaft konstituiert; wobei sich dieser nicht auf die gerade genannten sozialstrukturellen Bedingungen beschränkt, sondern etwa auch familienbiographisch bedeutsam gewordene kulturelle Bezüge umfasst. Förderlich für die hohe Strukturierungs- und Transformationsleistung der Eltern wirkt sich nicht nur die hohe Konvergenz von Interessen und Orientierungen innerhalb der Paarbeziehung aus, sondern auch die mit ihrer sozial, ökonomisch und beruflich vergleichsweise stabilen Situation verbundenen Entlastungen und Planungssicher-

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heiten. Dieses (keinesfalls in allen Familien so konstruktiv-entlastende) Zusammenspiel von sozialstruktureller Lage, kulturellem Kontext und dem Binnenmilieu der Familie lässt sich in der theoretischen Systematisierung mit dem von Norbert Elias (1970, 2003) entlehnten Begriff der Figuration gut erfassen. Elias vermeidet mit diesem Begriff die schlichte Gegenüberstellung von Individuen und Gesellschaft beziehungsweise von sozialen Einheiten und übergreifenden sozialen Strukturen, ohne die Differenzen dieser Betrachtungsebenen dabei zu ignorieren. So treten die Interdependenzen der verschiedenen familialen Akteure untereinander, wie auch die Interdependenzen von Familie und Umwelt hervor, um sowohl deren wechselseitige Abhängigkeit als auch deren relative Autonomie in die Analyse einzubeziehen. Die Kategorie des Erziehungsgestus schließlich richtet noch einmal speziell auf die familiale Erziehungspraxis. Mit Siegfried Bernfeld (1973 [1925]) könnte man sagen, dass wir mit dieser Kategorie der Frage nachgehen, wie jede einzelne Familie insgesamt in ihrem gemeinsamen Alltag auf die Tatsache der Entwicklung ihrer Kinder reagiert. Wie integriert die Familie praktisch die generationale Differenzkonstellation von Kindsein und Erwachsensein in die Organisation ihres Alltags? Welcher impliziten Ordnung folgt sie in ihrer intergenerationalen Praxis? Im Falle der Familie Grewe meinen wir einen präventiv-harmonisierenden Erziehungsgestus identifizieren zu können, der dem Prinzip einer aktiven (nicht der nachgebenden) Konfliktvermeidung folgt. Die Absorption kindlichspontaner Impulse durch eine Lenkung der Aufmerksamkeit, sokratische Strategien zur Erzeugung von Einverständnis und die Bevorzugung symmetrischer Interaktionsmuster beim Aushandeln von Interessen kennzeichnen den zurückhaltenden und zugleich pädagogisch strukturierenden Umgang der Eltern mit ihren Kindern. Die aktive Strukturierung von Situationen durch die Eltern, die damit konflikthaften Verläufen entgegenwirken, zeigt sich in einer dokumentierten Szene, in der die Familie gemeinsam fernsieht.2 Nach der Sendung, als es für Glen Zeit ist, zu Bett zu gehen, ergibt sich folgende Szene:3

2

Die Familie sieht eine Wissensshow für Kinder (»pur+«), die im Kinderkanal »KIKA« ausgestrahlt wird. Es geht um das Thema »Gewürze«; unter anderem wird in der Sendung ein sog. »Familien-Chili« gekocht. Das Rezept dazu wird zum Nachkochen auf der Webseite der Sendung bereitgestellt.

3

Eine etwas ausführlichere Interpretation dieser Szene findet sich in Krinninger/Müller 2012.

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Gero: Machen wir morgen Chilli? Steht vom Sofa auf, auf dem er mit Gabriele sitzt, steigt über den Couchtisch und stellt sich an das Ende des gegenüber platzierten Sofas, auf dem Glen sitzt. Gabriele: Wendet sich vom Fernseher ab und blickt zu Glen. Glen: Ja! Rückt von Gero weg zum anderen Ende der Couch und zieht seine Beine zum Schneidersitz auf die Sitzfläche. Gritt: Ja! Gero: Klatscht in die Hände und hält sie offen in Richtung Glen. Glen: Ah nein, ich möchte das gucken. Wirft seine Arme mehrfach in die Luft. Glen: Warum darf ich… Gero: Komm, wir gehen nach oben! Gabriele: …weil das für Große ist! Glen: Ach! [deutlich enttäuscht] Gero: Geht auf Glen zu und ergreift dessen Hände. Warum hast du eigentlich einen Vogel an? [Gero bezieht sich auf den Aufdruck von Glens Sweatshirt.] Glen dreht sich und liegt nun mit dem Rücken auf dem Sofa. Wer hat dir denn das gegeben? Glen: Ich hatte das, als ich aufgestanden bin… Gero: …als du aufgewacht bist (.) hast du das angehabt. Hebt Glen hoch. Glen: Jaa! Gero: Trägt Glen, der seine Arme und Beine dabei schlaff baumeln lässt, aus dem Blickfeld der Kamera.

Das Fernsehen bei Familie Grewe ist – nicht nur in der hier dokumentierten Szene – ein Familienereignis, bei dem stets mindestens ein Elternteil anwesend ist und fast immer auch mehrere Kinder. Es lässt sich eine unter pädagogischen Gesichtspunkten vorgenommene Programmauswahl beobachten und es werden im Fernsehen behandelte Gegenstände (hier: Kochen unter geschmacklichen Aspekten) wenigstens zum Teil auch familial angeeignet, indem sie mit gemeinschaftlichen Aktivitäten verknüpft oder auch in Gesprächen thematisiert werden. Insgesamt verweist das Arrangement des Fernsehens bei Familie Grewe auf eine pädagogisch vorstrukturierte und im Beisammensein aktualisierte familiale Gemeinschaftlichkeit. Dies spiegelt sich in einer Beschränkung der Fernsehzeiten für die Kinder. Als Gero über den Wohnzimmertisch steigt, um Glen zu Bett zu bringen, empört sich dieser und möchte weiter »gucken«. Nun lassen sich mehrere ineinander verschränkte Strategien zur möglichst reibungslosen Wahrung des familialen Tagesablaufs beobachten. Zum einen initiiert Gero einen Themenwechsel, als Glen protestiert (dieses taktische Gesprächsverhalten der Eltern lässt sich auch in anderen Situationen beobachten). Zum andern vollzieht sich auf körperlich-leiblicher Ebene eine Art spielerische

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Bändigung des kindlichen Willens: Gero ergreift Glens aufbegehrende Gliedmaßen, woraufhin sich dieser auf die Couch sacken lässt. Schließlich trägt Gero Glen, der seine Arme und Beine jetzt schlaff hängen lässt, aus dem Bild. Währenddessen wirft Gabriele einmal eine Begründung ein (»weil das für Große ist«), greift ansonsten aber nicht weiter ein. Die zeitliche und inhaltliche Regulierung des Fernsehens der Kinder durch die Eltern beruht auf einem Prinzip der Angemessenheit, die am Alter beziehungsweise am Entwicklungsstand der Kinder festgemacht wird.4 Auf dieses Prinzip der Angemessenheit wird zwar argumentativ verwiesen, in der effizienten Abwicklung des aufscheinenden Konflikts beim Zu-Bett-Bringen von Glen wird aber auch deutlich, dass nicht verhandelt wird, was zeitlich beziehungsweise inhaltlich als angemessen gilt. Mit dieser Szene lässt sich nicht nur die im Projekt entwickelte Kategorisierung des Erziehungsgestus konkretisieren, zugleich scheint in ihr auch das heuristische Potential empirischer Fremdheit exemplarisch auf. Die präventive Strukturierung familialer Abläufe zur Konfliktvermeidung, die sich bei Familie Grewe finden lässt, machte im Analyseprozess zunächst einmal bestehende Vorerwartungen auf Forscherseite sichtbar, die sich auf eine entwicklungsförderliche Verhandlung von Konflikten in der Familie richteten. Hier zeigt sich zunächst eine durch feldimmanente Sinnstrukturen eröffnete Möglichkeit der Differenzierung des Kategoriengefüges und der entsprechenden Merkmalsräume. So ist die Strategie der familialen Harmonisierung durch die Eltern bei Familie Grewe mit einem spezifischen kompatiblen und responsiven Verhalten der Kinder verknüpft5 und insofern auch als eine gemeinschaftliche Leistung der Familie zu verstehen, in der ko-konstruktive und autoritative Anteile ineinander verschränkt sind. Dies verweist auf Relationen zwischen dem Erziehungsgestus und den spezifischen familialen Gemeinschaftsstrukturen, die mit der Kategorie des Familienstils erfasst werden. In dieser latent paradoxalen Figur, nach der sich die Familie gemeinschaftlich darauf ausrichtet, mögliche oder sich anbahnende Konflikte zu umgehen, wird eine zweite Ebene der heuristischen Wirksamkeit empirischer Fremdheit sichtbar. Für die Gemeinschaftsstrukturen bei Familie Grewe lassen sich sowohl paritätische Aspekte als auch solche elterlicher Vorstrukturierung finden. In konzeptueller Hinsicht wird darüber das komplexe Verhältnis zwi-

4

Glen hat 20, Gesa 40 und Gritt 60 Minuten Bildschirmzeit pro Tag zur Verfügung. Diese Zeit kann – zum Beispiel für längere Filme – angespart oder auch an Geschwister verliehen werden.

5

Hier ist neben Glens leiblich-körperlicher Beteiligung in der transkribierten Szene auf das Fernsehzeiten-Kreditsystem zu verweisen, das für die Kinder auch einen selbsttragenden spielerischen Charakter hat.

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schen dem vielfach gestellten Befund einer Demokratisierung von Familienstrukturen und der in jüngeren Diskursen macht- und subjekttheoretisch erörterten, nicht aufzulösenden Asymmetrie pädagogischer Beziehungen sichtbar. Dabei versetzen die entsprechenden theoretischen Instrumente allerdings nur in die Lage, hier auch aus einer Beobachterposition begrifflich-systematisch paradoxale Strukturen festzustellen. Sie stoßen an Grenzen, wenn es darum geht, das Zustandekommen und Fungieren der Handlungsfiguren zu beschreiben, die sich feldimmanent entwickeln und die dortige Praxis mittragen. Hier liegt eine von der Fremdheit des Feldes gestellte Herausforderung: Es fehlen – weitgehend – Theoriefiguren, die derartige paradoxale Grundstrukturen des Pädagogischen nicht nur als solche registrieren, sondern auch die Spielräume und Formen des Handelns in diesen Strukturen erklärlich machen.

V ERZEITLICHUNG DER PARADOXALEN V ERHÄLTNISSE ZWISCHEN PÄDAGOGISCHEN I NTERESSEN UND DER F REMDHEIT DES F ELDES IM P ROZESS DER F ORSCHUNG In unserem Forschungsprojekt haben wir versucht, ein methodisches Vorgehen zu entwickeln, das dem eingangs erläuterten und gerade an einem exemplarischen Materialausschnitt verdeutlichten Anspruch gerecht wird, die Fremdheit(en) zwischen einem dezidiert pädagogisch ausgerichteten Erkenntnisinteresse und der Dignität des Feldes konstruktiv zu gestalten. Wir unterscheiden dabei vier aufeinander aufbauende Phasen. Zu deren Bezeichnung greifen wir auf Metaphern aus den Bereichen der Optik, der Fotographie und des Kinos zurück, um die Prozesse des Sichtbarmachens und des Sichtbarwerdens sowie den Umgang mit gewonnenen Bildern in der Forschungsarbeit zu charakterisieren. Im Einzelnen geht es um pädagogische Fragestellungen, die uns als Scheinwerfer dienen, um eine heuristische Nutzung der Differenzen zwischen dem appliziertem Frageinteresse und feldimmanenten Sinnzusammenhängen, die insofern als Lenkspiegel fungieren, um eine gegenstandsbezogene Systematisierung, die sich als Belichtung verstehen lässt, und schließlich um eine verknüpfende Montage der Forschungsbefunde mit Topoi des erziehungswissenschaftlichen Diskurses. Scheinwerfer Erziehungswissenschaftliche Forschung hat, wie gesagt, eine ihrer Besonderheiten darin, dass sie am Interesse einer pädagogischen Reflexions- und Handlungszugänglichkeit orientiert ist. Dieses Interesse zeigt sich in den erziehungswissenschaftlichen Begriffen, die nicht nur deskriptive und analytische Funktion haben,

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sondern auch als Instrumentarium einer aufgeklärten Artikulation pädagogischer Interessen dienen. Ohne Begriffe in diesem Sinn kann weder die Bildungsphilosophie noch die empirische (qualitative oder quantitative) Bildungsforschung arbeiten; beide pädagogischen Wissensformen, die von Hans-Christoph Koller als »Sprachspiele« (Koller 2006: 115) im »Widerstreit« (ebd.) beschrieben werden, führen begriffliche Diskurse und generieren dadurch pädagogische Fragestellungen. Die Entwicklung pädagogischer Fragestellungen steht in der von uns entworfenen Gestalt pädagogischer Forschung am Beginn. Wenn wir nach der erzieherischen Wirkung der Familie als kultureller Lebensgemeinschaft fragen, dann dienen uns die dabei herangezogenen Begriffe als »Scheinwerfer« (Schäfer 2005: 150). Mit dieser Metapher beziehen wir uns auf Alfred Schäfer, der damit den Konstruktionscharakter einer erziehungswissenschaftlich bestimmten Erziehungswirklichkeit anspricht. In unserem Verständnis verknüpfen begrifflich gefasste pädagogische Fragestellungen den Gegenstandsbezug und die Möglichkeitsdimension pädagogischen Denkens und geben ihm eine spezifische Ausrichtung. Lenkspiegel Was durch dieses pädagogisch gerichtete Interesse sichtbar wird, ist indes nicht nur eine Frage der begrifflichen Perspektive. Forschung, die in ethnographischer Orientierung versucht, das »Geflecht der Bedeutungen« (Geertz 1983: 99) einer beobachteten symbolisch-sozialen Ordnung, innerhalb derer sich Handlungen und Interaktionen vollziehen, aus der Analyse der dokumentierten Handlungen und Interaktionen selbst zu rekonstruieren, hat – auch wenn sie dabei eine bestimmte Bedeutungsebene durch ihr spezifisches Interesse herausgreift – hohe induktive Anteile. Eine begrifflich konturierte Aufmerksamkeitsrichtung strukturiert Gegenstandsbezug und Verstehensperspektive zwar vor, stellt aber – sofern sie als sensibilisierende Fragestellung fungiert und nicht als vorgefasstes Erklärungsmuster – die dem Feld immanenten Sinnzusammenhänge nicht still, die so als Fremdheit in Bezug auf pädagogische Interessen erscheinen. Diese ausschnitthafte Fremdheit lässt sich dann auch zur Transformation des Ausgangsinteresses in empirisch gehaltvolle Kategorien nützen. Wir versuchen dies durch eine Verknüpfung sinnauslegender und sinnrekonstruktiver Vorgehensweisen zu erreichen. In einer hermeneutischen (insbesondere an Ricoeur 2005 [1970] orientierten) Spur bearbeiten wir das Material theoriebegleitet; komplementär dazu (im Rückgriff auf Verfahren der dokumentarischen Methode) streben wir zugleich eine materialnahe Systematisierung an. Wir entwickeln in der empirischen Analyse Kategorien, um sichtbare Strukturen zu

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erfassen, wobei wir diese Kategorien zugleich auch theoretisch anschlussfähig formulieren. Im Rahmen dieser Kategorien suchen wir dann empirisch-induktiv nach Differenzierungen. Für die zentrale Kategorie des Familienstils spielt, wie gerade am Beispiel von Familie Grewe angedeutet, auch die spezifische Art der Vergemeinschaftung der Familien eine wichtige Rolle, ebenso wie die Frage, wie die Familien mit ihren eigenen Gemeinschaftsstrukturen umgehen. Diese doppelte Frage nach der Gestaltung und dem Verhältnis zur familialen Ordnung hat zur Unterscheidung eher kollektivierender und eher individualisierender Strukturen geführt, in denen mal mehr intersubjektive Synchronisierungen und mal mehr individuelle Spielräume und Verantwortlichkeiten innerhalb der Gemeinschaft akzentuiert werden. Hieran schließt die Beobachtung an, dass Gemeinschaft grundsätzlich durch das gemeinsame Tun, also performativ hergestellt wird, dass aber Familien sich darin unterscheiden, in welchem Ausmaß sie über ihr gemeinschaftliches Handeln hinaus auch reflexive Bezugnahmen auf die Muster ihrer Vergemeinschaftung zeigen. Belichtung Diese empirisch gehaltvollen und theoretisch begleiteten Kategorisierungen bilden die Grundlage für einen nächsten Schritt: die gegenstandsbezogene Systematisierung, bei der es um die Konstruktion einer Typologie aus den untersuchten Fällen geht. Für deren Erstellung spielt nicht nur eine empirisch sinnvolle Differenzierung verschiedener Ebenen des Untersuchungsgegenstandes eine wichtige Rolle, sondern auch die Erfassung und Erklärung struktureller Interdependenzen zwischen den Kategorien. In diesem Zusammenhang ist zunächst grundsätzlich auf die von Bohnsack hervorgehobene »Paradigmenabhängigkeit« (Bohnsack 2010: 48) der Typenbildung zu verweisen. So geht auch die von uns avisierte Typologie der Familienstile aus dem in den grundlegenden Fragestellungen artikulierten pädagogischen Erkenntnisinteresse hervor. Wir streben eine praxeologische Typenbildung an, bei der wir den familialen Alltag in der Absicht untersuchen, die »Strukturprinzipien dieser Praxis typologisch zu verdichten« (ebd.: 73). Mit Bezug auf unserer Projekt heißt das, dass wir (auch aufgrund einer anfänglichen Überbetonung der Kohärenz des familialen Geschehens) die Kategorie des Familienstils zunächst eher schlicht und global angelegt haben, was uns mit einem Problem konfrontierte, das Kelle und Kluge als ein »Zuviel an empirischem Gehalt« (Kelle/Kluge 2010: 71) charakterisieren. Die notwendige Ausdifferenzierung der Kategorie Familienstil über den Fallvergleich (ebd.: 76 ff.) hat zu einer spezifischeren Dimensionierung geführt. Bei diesem sukzessiven Vorgehen können sich – und bei uns war das der Fall – auch Status und Funktion der Kategorien in der Architektur der Typologie selbst

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noch einmal ändern. Die in dieser differenzierten Dimensionierung abgebildeten »empirischen Regelmäßigkeiten« (ebd.: 91) konturieren schließlich die Merkmalsräume zur Kategorie Familienstil. Montage Mit der gegenstandsbezogenen Bearbeitung pädagogischer Fragestellungen ist eine wichtige Ebene pädagogischer Forschung indes noch nicht wieder erfasst. Da, wie wir eingangs dieses Abschnitts bemerkt haben, erziehungswissenschaftliche Begriffe pädagogische Interessen implizieren und als Scheinwerfer die Sicht auf pädagogische Phänomene vorstrukturieren, ist es erforderlich, auch diese Hilfsmittel der Konstruktion der sogenannten Erziehungswirklichkeit zu de- und zu rekonstruieren. Unser Anspruch ist es dabei allerdings nicht, Grundbegriffe neu zu formulieren. Stattdessen geht es uns um eine Re-Theoretisierung der gewonnenen gegenstandsbezogenen Befunde. Dazu ist es zunächst notwendig, den eigenen empirischen Ausschnitt zu überschreiten (zum Beispiel diachrone Perspektive zur Ergänzung der von uns eingenommenen synchronen Perspektive auf das familiale Geschehen). Darüber hinaus erlauben die erarbeiteten empirisch gehaltvollen und theoretisch anschlussfähigen Kategorien auch eine Bezugnahme auf andere Modelle und theoretische Topoi. Das perspektivische Ziel einer in diesem Sinn vorangetriebenen bereichstheoretischen Systematisierung jenseits einzelner Forschungsprojekte liegt – im Unterschied zu der zuvor benannten gegenstandsbezogenen Systematisierung und bezogen auf unser exemplarisches Forschungsprojekt – in der fortschreitenden Systematisierung des Theoriediskurses zur pädagogischen Familienforschung. Anspruch des hier skizzierten Forschungsansatzes ist es, nachvollziehbare, also auch disjunktive methodische Schritte zu entwickeln, um in der ethnographischen Analyse pädagogischer Praxen einen Beitrag zur Fortentwicklung empirisch gestützter Bildungstheorie zu leisten. Mit dieser Sequenzialisierung des Forschungsprozesses soll das von Schäfer aufgezeigte Problem einer schlicht additiven Verkettung arbeitsteilig verstandener theoretischer und empirischer Forschungsperspektiven (Schäfer 2006) durch rekursive Schleifen zwischen der theoretisch-begrifflichen Erschließung des Untersuchungsfeldes und seiner immanenten Sinnstrukturen umgangen werden. In der letztlich zirkulären Anordnung der Untersuchungsschritte wird das paradoxale Verhältnis zwischen einem pädagogisch interessierten Zugang und dem Eigensinn des untersuchten Feldes im Sinne einer mehrfachen Refigurierung des pädagogischen Verstehens in Bewegung versetzt, einer Refigurierung, die theoretische Vorgriffe in der Auseinandersetzung mit dem empirischen Material und der in ihm gegebenen Fremdheit prinzipiell fraglich werden lässt und für eine empirisch gestützte Modifika-

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tionen öffnet. Diese enge, bis in einzelne Forschungsoperationen hinein beabsichtigte Verflechtung von Theorie und Empirie folgt einem zweifachen disziplinären Interesse. Zum einen zielt dieser Forschungstypus darauf ab, Bildungstheorie als pädagogische Theorie weiterzuentwickeln. Das klingt nahezu tautologisch, ist es aber nicht, wenn man die Interdisziplinarität des wissenschaftlichen Bildungsdiskurses bedenkt. Wenn auch die Erziehungswissenschaft zur Klärung ihrer Fragen auf dieses interdisziplinäre bildungstheoretische Wissen angewiesen ist, so steht sie als Wissenschaft einer Praxis doch vor der Aufgabe, dieses Wissen im Hinblick auf eben diese spezielle Praxis – die pädagogisch Praxis – zu ordnen. Auch mit Bezug auf den gegenwärtigen bildungsphilosophischen Diskurs ist zu fragen, ob nicht eine stärkere Berücksichtigung dieses praktischpädagogischen (und keinesfalls als praktizistisch misszuverstehenden) Interesses zur schärferen Konturierung des spezifischen Gegenstandsfeldes beitragen könnte. Unserer Auffassung nach ist es daher das eingangs erwähnte praktische Interesse an der pädagogischen Reflexions- und Handlungsfähigkeit im Untersuchungsfeld, das einen gewinnbringenden Fokus für die Fortentwicklung pädagogischer Bildungstheorie darstellen könnte. Zum zweiten gilt es aber auch, in der Orientierung an diesem praktischen Interesse den Respekt vor der Fremdheit und Andersartigkeit der Lebenspraxis zu wahren, auf die sich die Forschung bezieht. Ein solcher Balanceakt zwischen praktisch-pädagogischem Interesse und Anerkennung einer grundsätzlich unaufhebbaren Fremdheit erfordert Spielräume im Forschungshandeln und lässt sich nicht anders produktiv gestalten, als in prozessualer Offenheit.

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Praktiken des Differenzierens Zu einem Instrumentarium der poststrukturalistischen Analyse von Praktiken der Differenzsetzung D ANIEL W RANA

Der Begriff der Differenz ist in den letzten Jahrzehnten zu einem der zentralen Begriffe einer an Ethnomethodologie, Poststrukturalismus und Systemtheorie orientierten kulturwissenschaftlicher Theoriebildung geworden. Differenz gilt dabei nicht mehr nur als »auf ein Gemeinsames bezogene Verschiedenheit« (Ricken/Balzer 2007: 57), sondern als »radikal gedachte Unterschiedenheit und Singularität« (ebd.). Von der Antike bis in die Moderne war die Ordnung der Welt als ein Ensemble von klar unterscheidbaren und über binäre Verzweigungen strukturierten »differentia« dechiffrierbar, ein Zugang, der etwa in der kognitiven Psychologie noch gültig geblieben ist (zum Beispiel Chi 2008). Zugleich haben sich mit der gesteigerten Komplexität und Kontingenz der Moderne jedoch eine Reihe von Verschiebungen im Differenzbegriff abgezeichnet, die dessen Fähigkeit unterlaufen, wohlgeordnete Ganzheiten und Identitäten zu bilden. Zunächst zeigte differenztheoretisches Denken das Allgemeine als Selbsttäuschung und Gewaltakt, der den vorgängigen Differenzen ihre Gültigkeit nimmt (zum Beispiel Lyotard 1989) und somit minoritäre Wahrheiten, Lebensweisen und soziale Gruppen unter die Norm des Allgemeinen zwingt (zum Beispiel Foucault 1996). Während die Debatte zur »Postmoderne« und zum »radikalen Konstruktivismus« sich durch diese erste Verschiebung auszeichnet und daher mit einer Ethik der unbedingten Option für die Pluralität und das Singuläre einhergeht, ist die kulturwissenschaftliche Differenztheorie von einer zweiten Verschiebung geprägt, mit der Differenz selbst noch als Produkt der Performativität und Operativität sozialer Praxis erscheint. Die Produktion von Differenz wird damit reflexiv und Machtverhältnisse erscheinen nicht nur restriktiv als Diffe-

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renzen qua Normen unterwerfend, sondern produktiv als Differenz allererst hervorbringend. Mit dieser doppelten Verschiebung wird die mit der Differenztheorie verbundenen ethische Position durchaus komplex, denn sie fordert nicht nur Sensibilität gegenüber der Subsumtion von Differenzen unter das Allgemeine, sondern noch grundlegender für die Konstitution des Singulären durch Differenzen als kontingente Zuschreibungen im Horizont gesellschaftlicher Machtverhältnisse und symbolischer Gewalt (Mecheril/Plößer 2009, Ricken/Balzer 2007). Wenn man diesen kulturwissenschaftlichen Problemhorizont empirisch wendet, dann stellt sich für die Analyse sozialer Praktiken die Frage, wie die Operativität von Differenzsetzungen und Zuschreibungen beziehungsweise das »doing difference« analytisch gefasst und an empirischem Material aufgezeigt werden kann (vgl. Fritzsche/Tervooren 2012: 31). Dabei lassen sich zwei Dimensionen der Konstitution von Differenz unterscheiden: erstens eine kategoriale Dimension, insofern eine spezifische Differenz als Unterscheidung gelten kann, die Unterschiede produziert und zweitens eine positionale Dimension, insofern diese Unterschiede als Zuschreibungen eine Andersheit und Alterität konstituieren. Der folgende Beitrag wendet sich der Operationalisierung der Differenzanalyse in einer gewissermaßen methodologisch-technischen Weise zu. Es wird nach den Operationen gefragt, die vollzogen werden, wenn ein »Unterschied gemacht« wird und wenn dieser Unterschied als Zuschreibung ein anderes konstruiert. Dieser Zugang ist insofern reflexiv, als die Operationen, mit denen diese Praktiken des Unterscheidens beobachtet werden, selbst nichts anderes sein können als Praktiken des Unterscheidens (vgl. Bourdieu 1994, Luhmann 1999: 73). Ich werde auf unterschiedliche Theorien, Forschungsrichtungen und Disziplinen zurückgreifen und diese kontrastieren, um einige Aspekte eines gegenwärtig möglichen Problembewusstseins in der Differenzanalyse aufzuzeigen. Ich beginne beim Strukturalismus, in dem Differenz als binäre Opposition zum methodischen Prinzip der Analyse von Sinn- und Handlungssystemen erhoben wurde und versuche dann zu zeigen, wie diese Binarität in der weiteren Theorieentwicklung dynamisiert und reflexiv geworden ist. Differenzanalyse fokussiert dann nicht mehr auf dem Gegenstand inhärente Differenzen, sondern auf die Operativität des »doing difference« und sie zeigt die Einbettung dieser Operativität in Machtverhältnisse. Ich werde, um Vorgehen und Analyseprobleme zu demonstrieren, zunächst mit konkreten Differenzen aus den referierten Zugängen operieren, und dies schließlich an aktuellem Material aus einer Podiumsdiskussion zur »Bologna-Reform« weiterführen.

P RAKTIKEN

S TRUKTURALISMUS : D IFFERENZ

UND

DES

DIFFERENZIERENS

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S TELLUNG

Oft wird die Differenztheorie auf Saussures strukturale Linguistik zurückgeführt. Zitiert wird dessen grundlegende These, dass jedes Element der Sprache nicht aus einer intrinsischen Identität heraus definiert sei, sondern aus seiner Unterschiedenheit von allen anderen Elementen (de Saussure 1967: 143). Die Sprache erscheint dann als differentielles System und Differenz ist ursprünglicher gedacht als Identität. Tatsächlich lässt sich das strukturale Denken von Relation und Differenz kaum auf eine einzelne Theorie beziehen und die Annahme, dass es sich um eine Rezeption aus der Linguistik handele, verdeckt mehr als es sichtbar macht. Die strukturale Analyse prägte im frühen 20. Jahrhundert gleichermaßen Mathematik, Biologie, Geschichte, Anthropologie, Psychologie und Erkenntnistheorie und mündete im (Post-)Strukturalismus ebenso wie in der Systemtheorie (vgl. Piaget 1973). Der Kern dieser Analyseform – so betont Deleuze – ist, dass die Objekte ihren Sinn nicht aus einer inneren Bedeutung gewinnen, sondern aus der Stellung, die sie zu anderen Objekten einnehmen (Deleuze 1992: 15). Differenzen bilden eine Ordnung der Positionen und die Analyse hat diese Ordnung zum Gegenstand. Das Erkenntnisinteresse ist weder qualitativ noch quantitativ, sondern topologisch: untersucht werden (An-)Ordnungen wie ein »Gelände«, ein Raum, in dem Orte und Positionen bestimmbar sind (Foucault 1991). Eine weitere methodologische Prämisse ist, dass die Modelle, die in der strukturalen Analyse angefertigt werden, keine Abbildungen der Realität sind, sondern Beschreibungen, die die Realität intelligibel machen (Barthes 1966). Diese Prämisse bleibt aber nicht auf die wissenschaftliche Analyse beschränkt, vielmehr soll sie für jede menschliche Aktivität gelten. Die Struktur sei »im Wesentlichen eine Tätigkeit, das heißt, die geregelte Aufeinanderfolge einer bestimmten Anzahl geistiger Operationen« (Barthes 1966: 191, vgl. Lévi-Strauss 1997). So entsprechen die Linien einer Streckenkarte eines Bahnnetzes keineswegs den Streckenverläufen in der Landschaft. Die Karte weist nicht die metrischen Eigenschaften der Strecken auf, sondern ihre topologischen (Carnap 1998: 19). Die Struktur ist somit keine Eigenschaft der Strecken der Bahnhöfe, sondern eine Eigenschaft der strukturellen Beschreibung, die die Karte den Nutzern liefert und das Bahnnetz für sie befahrbar macht. Die »Karte« ist also nicht »Territorium« (Bateson 1983: 584, Deleuze/Guattari 1992: 23).

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D AS

DIFFERENZIELLE

S PIEL

DER

K ULTUR

Die differenziellen Ordnungen zu untersuchen ist also das Projekt strukturaler Studien in den Kulturwissenschaften. Klassisch sind die Mythenanalysen von Claude Lévi-Strauss (1976), die mit der Differenz Natur | Kultur operieren und die Leitdifferenzen, die Luhmann (1999) den funktionalen Subsystemen der Gesellschaft zuschreibt oder auch die differenziellen Strukturen, mit denen sich für Bourdieu (1987) die Gesellschaften sozial differenzieren. In diesen Studien werden methodologische Prinzipien der Strukturanalyse auf kulturelle Phänomene angewandt: Ein strukturales Modell wird gebildet, indem jene »leitenden« Differenzen herauspräpariert werden, die innerhalb des Wucherns der Differenzen eine Ordnung konstituieren beziehungsweise mit der sich die Praktiken des Gegenstandsbereichs erklären lassen. Diese Ordnungen sind meist in Form binärer Oppositionen organisiert. So arbeitet beispielsweise Lévi-Strauss in »Das Rohe und das Gekochte« ausgehend von einem Referenzmythos an einer großen Menge mythischen Materials heraus, wie eine Reihe von Differenzpaaren auftauchen, die immer wieder ein und dieselbe leitende Differenz »umspielen«: Abbildung 1: Differenzielle Struktur mit Gegensatzpaaren in einer konnotierten Reihe Gekocht Roh verbrannt verfault Kultur Natur Quelle: Abbildung des Autors

Man sieht hier eine horizontale Dimension, die von binären Oppositionen gebildet wird und eine vertikale Dimension, in der die oppositionellen Terme je Konnotationsketten bilden. Das Gekochte wird der Kultur zugeordnet, das Rohe der Natur. So wie sich das Gekochte vom Rohen unterscheidet, so unterscheidet sich auch die Kultur von der Natur. Das Gekochte kann verbrennen, das Rohe kann verfaulen etc. (vgl. Lévi-Strauss 1976: 434). Solche Strukturierungsprinzipien eines Feldes, in dem sich jeweils zwei Terme als oppositionelle Differenz gegenüberstehen, untereinander aber konnotiert sind, sodass sich eine Kette von Differenzen ergibt, werden Differenzial genannt. Sie werden so auch von Bourdieu (1987: 305) gebraucht und in der Diskursanalyse aufgegriffen, wenn seman-

P RAKTIKEN

DES

DIFFERENZIERENS

| 83

tische Differenziale als grundlegende Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata gefasst werden (zum Beispiel Höhne 2003: 402, Scharloth 2005: 127). In Analysen dieser Art werden die Differenzen als relativ stabile Oppositionen in diskursiven Formationen – und daher als Differenziale – rekonstruiert, mit denen die diskursive Ordnung des untersuchten Gegenstandsbereich beschrieben werden kann. Die Analysen reduzieren das Material dabei jedoch nicht auf simple Oppositionen, Lévi-Strauss etwa rekonstruiert das Spiel der Mythen zwar von einer basalen differenziellen Ordnungsstruktur her, aber erklärbar wird dieses erst durch das komplexe Ensemble von Schichten und Transformationen, das er herauspräpariert.

M ARKIERUNG

UND

W ERTUNGSRICHTUNG

Die semiotische Theorie der Differenz von Algirdas Julien Greimas erlaubt, diese Zusammenhänge formalisiert darzustellen. Greimas formuliert den Ausgangspunkt seiner Argumentation operativ: »Wir nehmen Unterschiede wahr und dank dieser Wahrnehmung ‚formt’ sich die Welt vor uns und für uns« (Greimas 1971: 13). Unterschiede wahrnehmen ist dabei eine doppelte Operation: erfasst wird erstens die gleichzeitige Anwesenheit zweier Terme und zweitens die Relation zwischen diesen (ebd.). Angewandt auf Lévi-Strauss Untersuchungen in »Das Rohe und das Gekochte« ergibt sich in Greimas Schreibweise folgende differenzielle Struktur: Abbildung 2: Erweiterte Differenzielle Struktur mit semantischer Achse und Markierung Gegenstandsfeld Semantische Achse Differenzielle Struktur Markierung Wertungsrichtung

Gekocht Roh Kultiviertheit = s gekocht (Kultur) roh (Natur) s nicht s + –

Quelle: Abbildung des Autors

Die Relationierung, die die beiden Terme verbindet, bezeichnet Greimas als die semantische Achse. Hier handelt es sich um die Kultiviertheit, die Natur und

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Kultur verbindet. Die von Lévi-Strauss untersuchten Mythen und Riten problematisieren nämlich die Natur als etwas dem Menschen und seiner Kultur nicht Vermitteltes. Diese Vermittlung muss erst hergestellt werden und damit repräsentiert die Natur symbolisch den Mangel an Kultiviertheit. Der zweite Term also, das Rohe, zeichnet sich durch die Abwesenheit des ersten Terms aus. Das heißt: Die Kultur ist die kultivierte Natur, das »nicht mehr Rohe«. Damit zeigt sich eine wesentliche Eigenschaft dieser Differenz: Ihre beiden Seiten sind nicht gleichwertig. Die semantische Achse »Kultiviertheit« ist gewissermaßen »parteiisch« und markiert den einen Pol als Mangel des anderen. Dieses Phänomen von Differenzen hat zuerst Jakobson (1971: 220) beobachtet und als Markiertheit bezeichnet. Demnach käme das Merkmal (marque) der Kultiviertheit einer Seite der binären Differenz zu, sie wäre »merkmalhaltig«: Das Gekochte wäre markiert, das Rohe nicht. Noam Chomsky hat das Argument in der sogenannten »Markiertheitstheorie«, die auch »Natürlichkeitstheorie« genannt wird, auf sämtliche Bereiche der Sprache ausgeweitet (Lyons 1971: 81). Diese postuliert, dass in binären Differenzrelationen eines der beiden Elemente als das Natürlichere, das Häufigere, das Normalere gelten kann und somit die unmarkierte Seite ist. Die markierte Seite gilt als die Ausnahme, als die Besonderung, als Aufmerksamkeit auf sich ziehend (Chomsky/Halle 1971: Kap. 9, Dressler 1987). Die Markierung wird hier nicht mehr daran festgemacht, ob ein Merkmal enthalten ist, sondern daran, welche Seite als die anormale und besondere gelten kann. Demgemäß wäre es nun umgekehrt: Das Rohe ist markiert, weil die Kultur der normale Zustand ist, von dem her die Rohheit der Natur und die Vermittlung des kulturellen Menschen mit dieser Natur zum Gegenstand einer Problematisierung in den Mythen wird.

D AS K IPPEN

DER

A CHSEN

UND DAS

S UPPLEMENTÄRE

Aber das eigentliche Problem wird erst deutlich, wenn wir in diesem Differenzial noch einen Schritt weiter gehen. In der oben erwähnten Untersuchung von Scharloth zur Tiefensemantik des 18. Jahrhunderts arbeitet dieser ein ähnliches und doch etwas anderes Differenzial heraus: die Opposition von Natürlich | Gekünstelt.

P RAKTIKEN

DES

DIFFERENZIERENS

| 85

Abbildung 3: Differenzielle Struktur mit einer Umkehrung der Wertungsrichtung Gegenstandsfeld Semantische Achse Differenzielle Struktur

Gekocht Roh verbrannt verfault Kultiviertheit gekocht (Kultur) roh (Natur)

Markierung

s nicht s

Wertungsrichtung

Differenzielle Struktur Wertungsrichtung

+ –

Gekünstelt

Natürlich – +

Quelle: Abbildung des Autors

Scharloth beobachtet in den Texten des 18. Jahrhunderts wie dort das »Gekünstelte« zu einem Gegenstand der Kritik wird, während das Natürliche als wünschenswert gilt. Bisweilen findet er auch einen dritten Term, »roh«, aber er verwirft diesen und postuliert, dass »roh« von »natürlich« dominiert werde. Das ist zwar nicht falsch, aber es verstellt den entscheidenden Punkt: Man kann die Beziehungen eines neuen Differenzials zu seinem Gegenstandsbereich oft nur angemessen erklären, wenn man die Transformationen in Rechnung stellt, mit denen dieses Differenzial aus anderen hervorgeht. Im Barock war »künstlich sein« noch positiv konnotiert, das »artige« Kind ist das der Kunst gemäß geformte, das gewissermaßen »gekochte« Kind. Im 18. Jahrhundert scheint nun diese Wertungsrichtung der Differenz sich umzukehren, sodass das Natürliche plötzlich als das Positive erscheint. Das alte Differenzial wird durchaus von dem neuen »dominiert«, aber die alte Unterscheidung ragt in die neue Formation hinein und macht sie komplex. Dem jetzt positiven Pol des »Natürlichen« bleibt die Konnotation des »Rohen« erhalten und Elemente, die mit dem Natürlichen konnotiert werden, können sowohl als positiv als auch als negativ erscheinen. Die semantischen Achsen formen keinen glatten Bedeutungsraum, sondern überkreuzen sich auf komplexe Weise und so werden die Pole ambivalent und verschieden besetzbar. Die Umwertung im späten 18. Jahrhundert führt nicht einfach zu einem neuen, anderen semantischen Raum, sondern zu einem übercodierten Raum mit semantischen Achsen, die sich im Verlauf von Artikulationen auf bisweilen verwirrende Art plötzlich »umpolen« können. Eine mögliche Strategie dieser Am-

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bivalenz entgegen zu arbeiten, ist die »diskursive Arbeit« an der Stabilisierung der Differenz und ihrer Markierung. Historisch ist dies die Geburtsstunde eines neuen pädagogischen Theoriestils, mit dem seit Rousseau und Kant der Keim des Guten in der Natur erkannt wird und zugleich Arrangements ihrer »Entrohung« etabliert werden, die das Gute im Natürlichen kultivieren. Die pädagogischen Klassiker schöpfen aus der Ambivalenz und Recodierfähigkeit dieser semantischen Achse. Dass Scharloth diese Dynamik nicht beobachtet, liegt vermutlich an seinem Erkenntnisinteresse, ein bestimmtes kulturelles Ensemble auf der Basis eines einheitlichen Differenzials – er spricht im Anschluss an Busse (1997) von einer diskurssemantischen Grundfigur – zu beschreiben. In poststrukturalistischen Studien geht es hingegen eher darum, jenes Spiel zu beschreiben, das die Operationsfelder der Differenziale unterläuft und transformiert. Diese unvorhersehbare permanente Komplexitätssteigerung im kulturellen Prozess ist, was Derrida (1996: 250f.) als das Supplementäre bezeichnet hat. Eine poststrukturalistische empirische Analyse von Differenzen dürfte, wenn sie Differenziale beobachtet, nicht darin aufgehen, diese im Material festzustellen. Sie müsste das »supplementäre Spiel« zeigen, in gewisser Hinsicht sogar mit- oder gegenspielen.

D IE

GRUNDLEGENDE

B EWEGUNG

DER DIFFÉRANCE

Es wird sich im Weiteren zeigen, dass die Komplexität der Differenzen noch zunimmt. Der bereits zitierte Semiotiker Algirdas Julien Greimas bringt folgendes Beispiel: Abbildung 4: Zwei Deutungen: »keine Markierung« nach Greimas und »Markierung« nach Wittig Gegenstandsfeld semantische Achse differenzielle Struktur keine Markierung Markierung Quelle: Abbildung des Autors

Mädchen Junge Geschlecht Mädchen (feminin) Junge (maskulin) s t s nicht s

P RAKTIKEN

DES

DIFFERENZIERENS

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Auch hier zeigt sich, wie mit diesem Differenzial ganze Welten geordnet werden. Nach Greimas handelt es sich nun nicht um eine markierte Differenz, weil »Mädchen« sich nicht durch Abwesenheit von »maskulin« bestimmen lasse, ihm komme vielmehr die Eigenschaft »feminin« zu. Maskulin | feminin – so sein Argument – seien zwar polare oppositionelle Merkmale, sie seien aber nicht markiert, weil das eine nicht als Mangel des anderen betrachtet werden könne. Nun argumentiert Monique Wittig in dem Aufsatz »The mark of gender« aber genau umgekehrt (Wittig 1985). Es gebe sehr wohl eine Markierung, weil es nur ein »Geschlecht« gebe. Nur Mädchen/Frauen haben ein Geschlecht in der heterosexuellen Matrix, in der das Männliche als das Natürliche, das Normale, das Vorherrschende gilt. Mädchen/Frauen sind in diesem Sinne durch Feminität »markiert«. Hier kommen jetzt beide Definitionen von Markiertheit zusammen: die unmarkierte Seite »männlich« zeichnet sich durch die Abwesenheit des Merkmals »Gender« aus und zudem durch die »Normalität«, von der sich die Markierung der weiblichen Seite abzeichnet. Das auf den ersten Blick formalistische strukturale Spiel mit Differenzen nimmt hier eine machtanalytische Wende und daher spielt Wittigs Argumentation in Judith Butlers »Gender Trouble« eine bedeutende theoriestrategische Rolle (Butler 1990: 165). In der poststrukturalistischen Analyse wird, was als »Natürlichkeit« und »Normalität« erscheint, reflexiv als Normalitätskonstruktion aufgedeckt, die in Sprache und Kultur eingelassen ist (Culler 1999 [1983]: 89, 93). Diese zu denormalisieren ist das strategische Unternehmen der Dekonstruktion. Dichotomien und Polaritäten wie gut | böse, wahr | falsch, Geist | Materie, männlich | weiblich, Seele | Körper, Natur | Kultur, Sprache | Schrift usw. werden als Differenziale betrachtet, die vom metaphysische Denken gesetzt werden und sich in der Dekonstruktion als kontingent erweisen. Sie sind markiert, insofern die polar in Beziehung gesetzten Begriffspaare einander nicht gleichberechtigt zugeordnet sind. Man habe es bei einem klassischen philosophischen Gegensatz nicht »mit der friedlichen Koexistenz eines Vis-à-Vis, sondern mit einer gewaltsamen Hierarchie zu tun [...]. Einer der beiden Ausdrücke beherrscht […] den anderen, steht über ihm.« (Derrida 2009: 66) Die Dekonstruktion zeigt, wie eine der Seiten der Differenz als die negative, schlechte, unerwünschte Version des anderen, als die von dieser abgefallene konstruiert wird. Daher sind die Differenziale nicht statisch. Sie inszenieren vielmehr in den kulturellen Formationen eine Bewegung des Abfalls von einem Term zum anderen sowie eine ideale Rückkehr zum Ausgangsterm, der als Ursprung betrachtet wird. Die diskursive Strategie, mit der die pädagogischen Klassiker die ambivalente Differenz von Natur | Kultur stabilisieren (siehe oben) wird nun weiter als ein Moment dieses Bewegtseins zwischen den Termen interpretierbar. Mit Jacques Derridas Theorem der différance werden Differenzen

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nicht mehr als zweipolige Binaritäten verstanden, sondern als diskursive Strategien der Verschiebung, in der Terme auseinander hervorgehen. So bezeichnet différance jene Bewegung, »durch die sich die Sprache oder jeder Code, jedes Verweisungssystem im allgemeinen ›historisch‹ als Gewebe von Differenzen konstituiert« (Derrida 1988: 41). Während der Strukturalismus postulierte, dass die Differenz als Unterschied grundlegender sei als die Identität, so postuliert der Dekonstruktivismus, dass die différance als Operation des verschiebenden Unterscheidens grundlegender sei als die Differenz. Dekonstruktion wäre dann die Auflösung, das wieder »ins Spiel bringen« von Oppositionen: »Eine Dekonstruktion des Gegensatzes besteht zunächst darin, im gegebenen Augenblick die Hierarchie umzustürzen« (Derrida 2009: 66). Das ist eine zweite Eigenschaft – oder zumindest ein Anspruch – poststrukturalistischer Differenzanalysen: Indem sie Differenzen untersuchen, stellen sie diese nicht fest und reproduzieren sie, sondern zeigen ihre Kontingenz und ihre Machtverhältnisse auf und präsentieren sie als potentiell umstürzbare. In diesem Sinn setzt Butler an der Geschlechterdifferenz an und zeigt deren Kontingenz sowie die Möglichkeit, die heterosexuelle Matrix »umzuschreiben«. Ihre These ist allerdings nicht, dass diese als Oppositionssystem gar nicht existiere, sondern dass sie sehr wohl existiert und zwar als Machtverhältnis. Es gehört zu den Effekten der Macht, die binären Oppositionen als nicht-kontingente und damit alternativlose Ordnungen der Welt erscheinen zu lassen. Mit dem Aufweis ihrer Kontingenz wird Struktur nicht postmodern geleugnet, vielmehr wird eine Politik der Subversion etabliert. Damit erscheint auch ein neuer ethischer Imperativ. Während die Ethik der Differenz in der Philosophie des Anderen dazu aufforderte, sich »vom Anderen, von der anderen Seite der Differenz in Deiner Identität irritieren« zu lassen (vgl. Schäfer 2011), lautet der neue Imperativ, sich den differenziellen Unterscheidungen und ihren Positionierungen zu entziehen, sich von ihnen nicht ordnen zu lassen. Die heteronormative Matrix als Ordnung produziert eine differenzielle Struktur und naturalisiert die Differenz nicht nur über die Materialität der am Körper angebrachten Geschlechtsteile, sondern auch über die Materialität der Augen und Ohren, durch die in den Seh- und Hörsinn tief eingeschriebene semiotische Aktivität, aufgrund derer Greimas naturalisierend sagt: »Wir nehmen Unterschiede wahr und dank dieser Wahrnehmung ›formt‹ sich die Welt vor uns und für uns« (ebd.) Mit Foucault, Butler und Derrida müsste diese These umgekehrt werden: Die Bewegungen der différance formen in der Wahrnehmung eine Welt, die es zu unterlaufen gilt.

P RAKTIKEN

D IE P RAKTIKEN

DER

DES

DIFFERENZIERENS

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D IFFERENZSETZUNG

Die poststrukturalistischen Theorie hat gezeigt, dass die Differenziale eine supplementäre Komplexität ausbilden, sodass sie nicht mehr als statisches Modell, sondern als verschiebende Bewegung der Andersheit begreifbar werden. Sie lässt Differenziale nicht mehr als generative Matrix gelten, die Artikulationen hervorbringt, sondern als Effekt einer différance als produktiver Struktur. Derrida verweist auf Heideggers Theorem der ontologischen Differenz zwischen dem Seienden als dem, was ist und dem Sein, als produktivem Prinzip (Derrida 1988: 52, vgl. auch Ricken/Balzer 2007: 59) sowie auf die »Seinsvergessenheit« als Leugnung dieser Differenz. Diese Leugnung der Differenz ist aber nicht nur eine Eigenschaft der Metaphysik, sondern zugleich ein Moment sozialer Praxis, welche die Gegenstände, die sie formt und die Kategorien, die sie gebraucht als Gegebenes und An-sich-seiendes postuliert und damit verdeckt, dass sie diese im Vollzug, in ihrer Selbstläufigkeit hervorbringt. Von dieser Beobachtung ausgehend, liegt es nahe, den Poststrukturalismus und die Ethnomethodologie in Bezug zu setzen, um die Wendung der Differenzanalyse von der generativen Struktur zur operativen Praxis noch weiter zu treiben. Differenz vollzieht sich so gesehen operativ im doing difference (vgl. West/Zimmermann 1987, Gildemeister/Wetterer 1992, Fritzsche/Tervooren 2012). Wenn die performative Produktion in diskursiven sozialen Praktiken zum Gegenstand der Analyse von Differenzen werden soll, dann muss sich diese auch der Mikroanalytik von Situationen zuwenden, in denen sich diese Praxis vollzieht. Um diese klarer zu fassen, schlagen wir vor, Differenziale und differenzielle Figuren analytisch zu unterscheiden (vgl. Wrana 2002: 119, Langer/Wrana 2005: 6, Maier Reinhard 2008, Wrana 2011, Maier Reinhard/Ryter/Wrana 2012)1. Während das Differenzial eine Dynamik formalisiert, die Gegenstandfelder ordnet, formalisiert eine differenzielle Figur eine lokale Geste der Differenzsetzung und dient daher der Analyse jener Praktiken, die die Dynamik der Differenziale (re-)produzieren. Die Explikation dieser differenziellen Operationen und ihrer Beschreibung in differenziellen Figuren soll nun anhand einiger Ausschnitte einer Podiumsdiskussion gezeigt werden. Die Podiumsdiskussion liegt in einer Videoaufzeichnung vor, wurde an der Universität Karlsruhe 2004 veranstaltet und trägt den Ti-

1

Diese Formalisierungsweise ist unter anderem von den Arbeiten von Thomas Höhne inspiriert (Höhne 2003, Höhne/Kunz/Radtke 2005: 35), der aber nicht zwischen Differenzialen und differenziellen Figuren unterscheidet.

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tel »Der Bologna-Prozess: Die Europäisierung der Hochschulen«2. Die im Folgenden analysierten Äußerungen stammen von einem Protagonisten, den die Moderatorin als »Kunstgeschichtler« vorstellt und leitende Posten als »Kulturmanager« bei einer wirtschaftsnahen Stiftung als Beruf nennt. Sein erstes Statement lautet: »Ich würde da jetzt gerne mal kurz intervenieren und nachdrücklich [...] unterstreichen und jetzt tatsächlich aus Sicht der Wirtschaft. Die Unternehmen in Deutschland [...] sind derzeit überhaupt noch nicht in der Lage, die ersten Abschlüsse Bachelor oder Master zu qualifizieren. Wir haben keine Kriterien, um die Qualität [...] tatsächlich richtig einzuschätzen in Bezug auf das, was in den Unternehmen gebraucht wird. Mit anderen Worten – öh – das Studium Curriculum ist derzeit noch ein bisschen am Markt, auch an der Nachfrage vorbei strukturiert – und da habe ich schon noch große Sorgen [...]. Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass bei der Entwicklung dieser Studiengänge möglicherweise die Zielorientierung, sich für den Markt zu wappnen, noch nicht ausreichend entwickelt ist«

Damit beginnt die performative Setzung von Differenzen, die in der differenziellen Figur (siehe Abbildung 5) veranschaulicht wird. Man kann dort zunächst in der ersten Zeile auf der linken Seite die »Wirtschaft« als Sprecherposition eintragen. Zu dieser Seite hin wird mehrfach eine Positionierung vollzogen und schließlich wird diese mit der Aussage »wir haben keine Kriterien« verstärkt, insofern der Sprecher und »die Unternehmen« mit dem deiktischen Indikator »wir« als AkteurIn kollektiviert werden. Während der Wirtschaft zugeschrieben wird, nicht in der Lage zu sein, die neuen Studienabschlüsse einzuschätzen, erscheint damit eine Akteurin als Gegenpol zur Wirtschaft auf der anderen Seite der Differenz: die »Wissenschaft«. Während von der »Wissenschaft« unpersönlich im Passiv gesprochen wird, erscheint die »Wirtschaft« im Nominativ Singular als aktiv handelnde Einheit. Als Konstrukteurin der Studiengänge gehe die Wissenschaft »am Markt vorbei«, ihre »Zielsetzung« sei »nicht ausreichend entwickelt«. In dieser diskursiven Praktik der Differenzsetzung werden zwei Seiten aufgemacht und jeder Seite werden Eigenschaften zugeschrieben, die in den rhetorischen Strategien der Äußerungspraktik untereinander konnotiert und zu Gegensätzen gemacht werden. Dabei sind die beiden Seiten ungleich: Die »Wissenschaft« wird zum Gegenstand einer Sorge, sie wird zum »Problem« erklärt. Da-

2

Website: http://digbib.ubka.uni-karlsruhe.de/diva/2004-362/, zuletzt abgerufen am 22.01.2014. Das Material wird ausführlich im Rahmen eines 2013/14 erscheinenden Kompendiums zur Diskursforschung analysiert.

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DIFFERENZIERENS

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mit vollzieht sich jene »Markierung« der Differenz, das Ungleichgewicht, mit dem die eine Seite als die Selbstverständlichere, als die Normalere, die Gesetztere konstruiert wird und die andere als die »problematische«. Abbildung 5: Differenzielle Figur mit Materialzitaten, Markierung und Wertungsrichtung Wirtschaft Wissenschaft wissen nicht, was BA/MA für Unternehmen wert sind [die Wirtschaft ist der Markt, an dem es »vorbei« geht]

[Konstruieren BA-MA-Studiengänge] strukturieren »am Markt vorbei« »sich für den Markt zu wappnen [...] noch nicht ausreichend entwickelt«

»den Freiraum kriegen sie wollen Studierenden Freiraum im in der Wirtschaft nicht« Unternehmen lassen die Wirtschaft ist die Praxis] »ist völlig unrealistisch« [die Wirtschaft ist praktisch] »ist völlig an der Praxis vorbei« praktisch {realistisch} {ist gerade darauf zu} {Notwendigkeit}

unpraktisch unrealistisch dran vorbei Freiheit

Positionierung »haben keine Kriterien« hat »den Eindruck« und »große Sorgen« unmarkiert markiert pos neg Quelle: Abbildung des Autors

Darauf der Stiftungsvertreter weiter: »Nicht also der MA sieht ja wohl vor, [...] dass man berufsbegleitend sich weiterbildet, das setzt voraus, [...] dass man zunächst einmal in einem Unternehmen einen BAAbsolventen integriert, ihm den Freiraum lässt, sich dann parallel zu seinem beruflichen Einsatz auch noch im MA weiterzubilden, das ist völlig unrealistisch derzeit, das ist völlig an der Praxis vorbei, das kriegen sie in der Wirtschaft nicht. Das wäre mein Einwurf von der Wirtschaftsseite.«

Der »Wissenschaft« wird zugeschrieben, den Studierenden einen Freiraum im Unternehmen geben zu wollen, was als »unrealistisch« und »an der Praxis vor-

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bei« konnotiert wird. In dem polaren diskursiven Raum mit seinen differenziellen Zuschreibungen beginnt sich eine semantische Achse abzuzeichnen, die in der ersten Äußerung auf die oppositionelle Differenz unpraktisch | praktisch rückführbar ist. Es findet eine Konnotation der Wissenschaft als »unpraktisch« statt, die Wirtschaft ist dann – so die implizite Konnotation – praktisch. Explizit genannt ist also zunächst die Negation eines Merkmals – die Wissenschaft ist etwas nicht und das wird kritisiert. Die zwei Seiten sind folglich nicht gleichwertig, sondern auf spezifische Weise/spezifisch markiert. Die linke Seite wird negativ gewertet, die rechte Seite implizit positiv. Demonstriert werden sollte an dieser Stelle, wie in der Analyse von Material differenzielle Figuren herausgearbeitet werden können und wie dabei die bisher genannten Dynamiken von Differenzen zu einem entscheidenden Moment der Analyse werden. Dabei zeigt sich ein rekursives Verhältnis der Differenziale und der Praktiken der Differenzsetzung. Der Stiftungsvertreter kann seine Position nicht aus einem singulären Akt oder aus seiner souveränen Subjektivität beziehen. Jede seiner Äußerungen zitiert vorausgehende Äußerungen, deren Deutungen, Entgegensetzungen, Zuschreibungen und Metaphoriken und transformiert sie zugleich. Dabei wird eine Ordnung reartikuliert, die den Ort des »Praktischen« als einen beziehbaren Ort bereitstellt. Zugleich aber ist es diese die gesamte Gesellschaft durchziehende Praxis des Vollzugs des Ordnens, die die Ordnung erst möglich macht. Die Praktiken des Unterscheidens, Konnotierens und Positionierens treffen in der Welt der Wörter und Dinge Unterscheidungen, stellen Beziehungen her, vollziehen Verschiebungen. Diesen Reproduktionsmodus haben Derrida und Butler als Iterabilität bezeichnet (Derrida 2001, Butler 1998), in der mit jedem neuen Vollzug zugleich ein Feld der Praxis zitiert wird und der Neueinsatz einen notwendigen Bruch mit sich bringt, durch den das Feld der Praxis für eine einfache differenzielle Struktur immer uneinholbar heterogen bleibt. Mit der theoretischen Option für Iterabilität als Reproduktionsmodus sind die Differenziale endgültig nur noch als nominale Beschreibungen einer Praxis mit begrenztem Erkenntniswert möglich und nicht mehr als Identifikation einer generativen Struktur. Überflüssig sind sie nicht, wenn die Analyse weiterhin etwas über gesellschaftliche und nicht nur über lokale Praxen machen möchte. Die feministische Analyse macht vor, wie dieses Verhältnis denkbar bleibt.

R ESÜMEE Die strukturale Differenzanalyse hat damit begonnen, die kulturellen Formationen auf Differenziale hin zu analysieren, mit denen die Mannigfaltigkeit als eine

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DIFFERENZIERENS

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geordnete erscheint und durch die Analyse intelligibel wird. Die Differenziale können auch in einer poststrukturalistischen Analyse ein Mittel sein, um in der Komparation eines größeren Materialkorpus bestimmte Aspekte einer allgemeinen Logik differenzieller Relationen zu veranschaulichen. Aber sie sind dann weit davon entfernt, als regelhafte, generative Strukturen eine großflächige homogene Ordnung »anzuleiten«. Die »revidierte Differenzanalyse« macht vielmehr darauf aufmerksam, dass die differenzielle Struktur eine machtförmige Struktur ist, in der Differenzierung als Zuschreibungspraxis den Anderen konstruiert und positioniert. Mit der Dekonstruktion ist die erste theoretische Wende verbunden, mit der die différance als uneinholbare Dynamik einer Bewegung betrachtet wird, die Differenzialität produziert. Mit einer weiteren, pragmatischen Wende richtet sich der analytische Fokus auf die Praktiken, mit denen Differenz performativ produziert wird. Das klassische strukturale Instrumentarium der Beobachtung von Markierungen und Wertungsrichtungen lässt dennoch die Positionierungen analysieren, mit der die Subjektivität der Sprechenden in der Praxis gesetzt wird. Mit ihr lassen sich auch Brüche und Verschiebungen im Material beschreiben, mit denen die Praxis der Differenzsetzung als supplementär und heterogen erscheint.

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Ethnographische Bildungsforschung Revisited H ERBERT K ALTHOFF

E INLEITUNG In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist die ethnographische Erforschung von Schule und Unterricht in der Soziologie und Erziehungswissenschaft noch relativ unbekannt. Es ist Ewald Terhart, der in diese methodische Stille hinein einen Forschungsansatz zur Sprache bringt, der im angloamerikanischen Raum gut eingeführt ist, und zwar die »ethnographische Schulforschung«. Ziel des Literaturberichts sei es, so der Autor, die wissenschaftstheoretischen und die forschungspraktischen Dimensionen des Ansatzes in der deutschen Erziehungswissenschaft bekannt zu machen, auf Forschungsresultate hinzuweisen und dabei gleichzeitig unterschiedliche Ausformulierungen des Ansatzes zu skizzieren. In der abschließenden Zusammenfassung spricht Terhart die Hoffnung aus, dass auch in Deutschland konkrete ethnographische Schulforschungsprojekte folgen mögen (Terhart 1979). 34 Jahre später: Das Feld der ethnographischen Bildungsforschung hat sich ausdifferenziert, verschiedene ethnographische Vorgehensweisen haben sich etabliert und es liegen vielfältige ethnographische Untersuchungen zu unterschiedlichen Phänomenen vor. Geforscht wird entweder in der Schule über spezifische schulische Phänomene (etwa Unterrichtsgespräch, Bewertungspraxis, Differenzbildungen, Schülerlernen, didaktische Objekte) oder in der Schule über nichtschulische Phänomene (etwa ethnische Konflikte, Peer Culture oder über Praktiken der sozialen und ethnischen Differenzierungen). Die Institution Schule wird also als eine Möglichkeit genutzt, etwas über etwas anderes aussagen zu können, etwa über Kommunikationsprozesse, Beurteilungspraktiken, Paarbildungen unter Kindern und organisatorische Verfahren.

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Diese ethnographischen Forschungen haben zu Veränderungen in der Bildungsforschung geführt, die nicht mehr zu übersehen sind: An die Stelle eines anekdotischen Wissens, das viele Jahre kennzeichnend für den Diskurs über Schule war, ist eine empirische Forschung getreten, die die vordergründige Betrachtung von Randbedingungen von Bildungsprozessen durch detaillierte Analysen des schulischen Innenlebens ersetzt hat. Diese Forschungen haben die Black Box Schule auf ganz unterschiedliche Weise geöffnet und das Selbstverständliche zum Gegenstand der Forschung erhoben. Hiermit haben sie die Grundlage für eine andere empirische Bildungsforschung gelegt, die nicht auf Quantifizierung setzt, sondern auf empirischen Detailreichtum und theoretische Explikation (Kalthoff 2008). Dabei ist das Feld der ethnographischen Bildungsforschung keineswegs homogen, sondern heterogen strukturiert: Verschiedene Ansätze ethnographischen Forschens, unterschiedliche theoretische Optiken und analytische Interessen sammeln sich in diesem Feld. Trotz dieses zu diagnostizierenden Bedeutungszuwachses sieht sich die ethnographische Bildungsforschung auch mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, auf die sie empirische und theoretische Antworten suchen muss. Im Folgenden wird es um diese Herausforderungen gehen.

P ERSPEKTIVEN

DER

B ILDUNGSFORSCHUNG

Kennzeichnend für die Bildungsforschung ist die Analyse von drei Dimensionen der schulischen Bildung: Sie erforscht erstens die Vermittlung und Aneignung von (nicht-)curricularem Wissen, zweitens erforscht sie Praktiken und Wirkungen der schulischen Bewertung sowie drittens die Steuerung und Organisation von Schule. Es geht somit um die Frage, welches Wissen an die Schüler weitergegeben wird, wie dieses Wissen vermittelt und angeeignet, also gelernt (oder nicht gelernt) wird (1), um Mechanismen und Praktiken der Selektion und Differenzierung und damit um die Etablierung von (dauerhaften) Unterscheidungen (2) sowie um die Organisation von Schule und ihre Steuerung (3). Mit der zweiten Dimension richtet die Bildungsforschung ihre Aufmerksamkeit auf Praktiken der Schülerbewertung durch Lehrpersonen und damit auf die Umsetzung respektive (Nicht-)Aneignung von Fremddifferenzierungen; mit der dritten Dimension gerät die Arbeit unter anderem von Kultusbürokratien und Lernmittelindustrien in das Blickfeld der Bildungsforschung. Die Vermittlung und Aneignung von Wissen (erste Dimension) ist seit vielen Jahren Gegenstand der ethnographischen Bildungsforschung: Untersucht wurde dabei insbesondere die mündliche Performanz des schulischen Unterrichtens: Nach welcher Logik wird der Stoff sprachlich in Szene gesetzt, wie werden die

E THNOGRAPHISCHE B ILDUNGSFORSCHUNG R EVISITED

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Schüler als Kollektiv konstituiert und wann gilt etwas als bearbeitet und gelernt. Ein besonders wichtiger Aspekt dieser Arbeiten ist die Sprache und ihr Verhältnis zur Sozialisation. Auf vielfältigste Weise wurde gezeigt, nach welchen Regeln der schulische Unterricht mündlich vollzogen wird, wie Rede- und Schweigegebote den Unterricht durchdringen und damit ein andauerndes Spiel von kommunikativer Inklusion und Exklusion etablieren, und auf welche Weise Rituale den Unterricht strukturieren und schulische Gemeinschaften entstehen lassen. Diese Leistung der ethnographischen Forschung, welche oft die sprachliche Dimension betonte, hat aber auch dazu geführt, das Nicht-Sprachliche ethnographisch nicht in den Blick zu nehmen. Sieht man einmal von einigen Ausnahmen ab, so lässt sich eine Tendenz der ethnographischen Bildungsforschung ausmachen, die man als Entmaterialisierung des Sozialen bezeichnen kann: beim Vollzug des Mündlichen sah man von anderen Modalitäten der Äußerungen ab (Gestik, Mimik, Blickrichtungen), und beim Vollzug des Unterrichts spiel(t)en schulische Artefakte kaum eine Rolle. Mit anderen Worten: Die ethnographische Schulforschung tendiert(e) dazu, Sozialität und Kultur auf einen kognitiv vermittelbaren Sinn zu beziehen. Dies hat zwei Gründe: Zum einen liegt es am Gegenstand selbst, der die mündlichen Behandlung schulischen Stoffs in das Zentrum rückt; zum anderen sind es methodische und theoretische Optiken, durch die die mündliche Performanz des Sozialen stark gemacht wird, während andere Dimensionen vernachlässigt wurden. Man denke hier etwa an sprachanalytische Perspektiven wie die Konversationsanalyse, die Ethnographie der Kommunikation oder Gattungsanalysen. Nun ist aber die dingliche Konstitution der sozialen Welt in anderen Feldern seit vielen Jahren Gegenstand der Forschung, insbesondere in der Technik- und Wissenschaftsforschung. Auch in den Erziehungswissenschaften und in der Unterrichtsforschung ist das Interesse an der Erforschung der Materialität schulischer Ordnung in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen (siehe nur Wulf et al. 2007, Reh/Scholz 2012, Sørensen 2009, Nohl 2011). Frühe Spuren der Materialitätsforschung finden sich in der Pädagogik bei Martinus Langeveld (1955) und in den Sozial- und Geisteswissenschaften unter anderem bei George Herbert Mead (1972 [1938]) und Martin Heidegger (2000 [1927]). Diese frühen Entwürfe haben das spannungsreiche Verhältnis von Mensch und Ding, Mensch und Technik, Mensch und Materialität auf ganz unterschiedliche Weise thematisiert. Im Feld der Erziehungswissenschaften sind es die Fachdidaktiken gewesen, die sich mit Lernobjekten befasst haben und befassen. Eine erste Herausforderung für die ethnographische Forschung besteht also darin, den multi-modalen Formen und den materiellen Objekten ihren empirischen und theoretischen Platz einzuräumen. Ich beschränke mich hier auf die Objektwelt, und zwar deshalb, da

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der Umgang mit Dingen – so lehrt es die Phänomenologie – ein zentraler Bestandteil des menschlichen Bezuges zur Welt ist.

M ATERIALITÄT

SCHULISCHER

O RDNUNG

Eine erste Beobachtung zeigt, dass in der Schule viele Dinge herumstehen oder herumhängen, von Hand zu Hand gehen (also zirkulieren), etwas Alltägliches oder etwas Besonderes darstellen. Ganze Räume sind als didaktische Materiallager vorgesehen und drängen dem Ethnographen, der sich darin verlieren kann, sofort eine Reihe von Fragen auf: Wofür wird welches Artefakt benötigt? Wie werden die Artefakte beschafft und geordnet? Welches Wissen benötigt man, um diese Artefakte herzustellen? Wer darf wann welches Artefakt nutzen und wer nicht? Von der Wissenschaftsforschung hat die ethnographische Schulforschung gelernt, dass Dinge wichtig sind und dass man ihnen folge solle (beispielsweise Latour 2001, ausführlich: Kalthoff 2011). Folgen wir also einmal den Dingen in den Unterricht und schauen, wie sie das soziale Geschehen mit bestimmen, wie sie also Teilnehmer an der Sozialität sind. Die schulischen Artefakte, die man dann antrifft, lassen sich wie folgt ordnen:1 Abbildung 1: Die Ordnung der Dinge

Quelle: Abbildung des Autors

Die ethnographische Bildungsforschung kann sich verschiedenen Artefakten widmen, die Schule ausmachen, etwa dem räumlichen Setting (das heißt der Ar-

1

Diese Einteilung geht auf eine Anregung von Tobias Röhl zurück, dem ich hierfür danke.

E THNOGRAPHISCHE B ILDUNGSFORSCHUNG R EVISITED

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chitektur, dem Mobiliar etc.) sowie anderen Materialitäten und Stofflichkeiten (etwa Licht, Geräusche). Aus der Vielzahl schulischer Artefakte beziehe ich mich hier auf diejenigen Artefakte, die unmittelbar didaktischen Zwecken dienen und Wissen vor einem Publikum – der Schulklasse – zur Darstellung bringen sollen. Ich folge hier einer Unterscheidung zwischen präsentierenden und repräsentierenden Objekten (Mollenhauer 1983). Dies bedeutet: Lehr- und Lernmittel präsentieren Wissen, indem sie es dinglich darstellen (etwa das Prisma oder der Experimentierkasten); Darstellungsmedien (etwa Tafeln, interaktive Whiteboards, Hefte, Arbeitsblätter) bringen etwas anderes repräsentierend zum Vorschein. Beiden Formen – oder besser: Technologien – ist gemeinsam, dass sie nicht nur etwas sichtbar machen, sondern insbesondere ein aktives Sehen und auch Tasten/Fühlen ermöglichen. Dieses Wahrnehmen richtet sich auf die Form und den Stoff, die Farbe und das Zeichen. Indem Präsentations- und Darstellungsmedien ihr Wahrnehmen durch Schüler organisieren, erzeugen und kanalisieren sie auch die Aufmerksamkeit der Schüler. Dies ist aber auch nur dadurch möglich, dass das Artefakt als Ding selbst zurücktritt. Gesehen wird in der Regel nicht die Tafel als Tafel, sondern die Zeichen an der Tafel und das, was diese Zeichen bedeuten sollen. Medientheoretisch kann man hier mit Sybille Krämer (2008) formulieren: Die Stofflichkeit der Tafel, der Kreide, der Landkarten, die Materialität der physikalischen Experimente etc. treten als solche in den Hintergrund, um überhaupt den Lernstoff präsent machen zu können. Medien neutralisieren sich in einem gewissen Maße und erzeugen eine Differenz zwischen dem, was sie sichtbar machen, und dem, wie sie es sichtbar machen. Ein Beispiel: Ein Physiklehrer führt seine Klasse in die schiefe Ebene ein. Zur Anschauung hat er ein Objekt mitgebracht, das er auch mit diesen Worten zu Beginn der Stunde einführt. Es ist ein Spielzeug seiner Tochter, eine Kugelbahn. Die Bahn soll Prinzipien der schiefen Ebene anschaulich machen. Zunächst aber muss dieser alltägliche Gegenstand überhaupt erst als ein Medium, an dem Wissen deutlich wird, konstituiert werden. Zunächst ist es für die Schüler nur ein vertrautes, alltägliches Objekt. Diese Verwandlung geschieht durch Hinweise und Kommentare des Lehrers; hiermit lenkt er die Aufmerksamkeit der Schüler auf diejenigen Merkmale des Objekts, die aus seiner Sicht physikalisch interessant sind. Erarbeitet werden hier nach und nach die materiellen Rahmenbedingungen, welche die Kugelbahn zu einer funktionierenden Kugelbahn machen. Der Lehrer stellt schließlich auch die Frage, wie das denn mit der Geschwindigkeit der Kugeln sei. Wovon hängt sie ab? Wann rollen die Kugeln langsam, wann rollen sie schnell? Um die Fragen genauer zu klären, zeichnet er eine schematische Darstellung der schiefen Ebene an die Tafel und schreibt die entsprechenden Kräfte dazu, die bei der schiefen Ebene wirksam sind (beispielswei-

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se Hangabtriebskraft, Gewichtskraft). Mit den Schülern entwickelt er dann Zug um Zug die Formel zur Berechnung der Hangabtriebskraft. Das Unterrichtsgespräch rahmt das Artefakt und transformiert es in ein Wissensobjekt. Es ist kein alltäglicher Gegenstand mehr, sondern ein Objekt, welches Fragen aufwirft. Im nächsten Schritt erfolgt dann – ebenfalls Schritt für Schritt – die Transformation des epistemischen Objekts an der Tafel und durch die mathematische Schrift. Das heißt: Das Wissensobjekt wird an der Tafel in und durch die operativ-mathematische Schrift in ein Zeichenobjekt umgewandelt und als Formel generalisierbar und bearbeitbar (Kalthoff/Röhl 2011). Sichtbar wird an diesem kleinen Beispiel folgender Sachverhalt: Objekte, wie die Kugelbahn, machen Phänomene in einer Weise sichtbar, dass sie von Schülern auch gesehen werden können. Sie erzeugen Anschaulichkeit und stiften Legitimität. Sie lehren den Schülern auch einen disziplinären Blick (in diesem Falle der Physik) und damit Phänomene physikalisch, mathematisch etc. zu sehen. In diesem Sinne wird das Wahrnehmen der Schüler fachlich diszipliniert. Das Zusammenspiel von Kreide, Tafel und Lehrer abstrahiert noch einmal vom konkreten Artefakt und zeigt das beobachtete Phänomen in einer anderen, abstrakten und generalisierbaren Form – reduziert auf ein System miteinander verbundener Zeichen. Wenn also ein Physiklehrer das Phänomen der schiefen Ebene am Objekt thematisiert und sichtbar macht, um es anschließend an der Tafel im Medium der mathematischen Schrift (»operative Schrift«, Krämer 1997) in eine Darstellung zu transformieren, dann überschneiden sich Medien der Schriftlichkeit und Mündlichkeit, der Objekte und der Zeichen. Das physikalische Phänomen durchläuft somit eine mehrstufige Transformation, in der verschiedene Darstellungsmodi aktiviert werden: das Artefakt (Kugelbahn) als Anschauung des Phänomens, als Wissensobjekt der mündlichen Erörterung und als operative Schrift (Formel) an der Tafel. Es existiert damit zugleich in drei Formen – Artefakt, Sprache, Zeichen –, die sich in ihrer Wirkung überschneiden. Dem mündlichen Prozedere der Wissensdarstellung – dem Unterrichtsgespräch – steht also das optische System der dinglichen und semiotischen Darstellung von Wissensphänomenen zur Seite; diese Technologien des Zeigens aktualisieren den Sehsinn und der Unterricht macht sich diesen Sehsinn zu Eigen: Dies geschieht unter anderem dadurch, dass Wissen sichtbar gemacht wird, in dem es durch Artefakte dargestellt und in eine semiotische Repräsentation überführt wird. Einige schulische Artefakte sind auch so konstruiert, dass sie anderen Medien Raum gewähren – so etwa die Tafel der Schrift: Visualisiert wird an der Tafel aber durch die Schrift. Den Augen der Schüler kann sich somit ein Phänomen darbieten, das erst durch seine objektuale und zeichenförmige Aufführung vor einem Publikum zur Existenz gebracht wird.

E THNOGRAPHISCHE B ILDUNGSFORSCHUNG R EVISITED

A RTEFAKTE

ERFORSCHEN



| 103

ABER WIE ?

Die empirische Plausibilität der Materialitätsforschung wird durch ihre methodische Vorgehensweise herausgefordert. Denn, so ist zu fragen, wie soll die Bildungsforschung schulische Artefakte empirisch beobachten? Wie und wohin soll man ihnen folgen? Diese empirisch-methodische Frage ist nicht von den theoretischen Perspektiven zu trennen, die im Feld der Materialitätsforschung auszumachen sind. Prominent ist in der Materialitätsforschung der Gegensatz zwischen der Position des Post-Humanismus und der Position des Sozialkonstruktivismus. Der Humanismus tritt in drei Varianten auf. Einmal wird betont, dass die von Menschen geschaffenen Artefakte den Menschen, die sie verwenden, als Werkzeuge zur Verfügung stehen und in »um-zu«-Motive eingespannt sind. Zum anderen orientiert man sich an der Wittgensteinschen Gebrauchstheorie der Bedeutung, nach der durch die Verwendungsweisen entstehenden Sinnbezüge von Artefakten offen für situative Umdeutungen und Verwendungen sind (Bijker 2010). Drittens wird konstatiert, dass die von Menschen geschaffenen Objekte in ihrer symbolischen Bedeutung zu sehen sind – etwa als Ausdruck einer (kosmologischen) sozialen Ordnung (Bourdieu 1979). Der Posthumanismus ist in den zurückliegenden Jahren von der Actor Network Theory international prominent gemacht worden. Diesem Ansatz zufolge rahmen und ermöglichen Artefakte gerade die Praxis, für die sie entwickelt und gestaltet wurden, und zwar durch Skripte, die den Objekten an anderen Orten und zu anderen Zeiten durch andere Akteure eingeschrieben wurden. Sie präjudizieren aber nicht nur die Praxis, sondern ermöglichen sie überhaupt, in dem sie handeln lassen und den situativen lokalen Gebrauch transzendieren (Latour 2001). Neuere Entwicklungen gehen dahin, nicht nur materielle Objekte respektive Artefakte in den Blick zu nehmen, sondern ebenso andere Stofflichkeiten und Materien (wie Licht, Ton, Klang und Tiere) (Schatzki 2010). Die skizzierten Optiken auf Materialität, die ihrerseits in der Tradition interpretativer oder strukturalistischer Sozialtheorien stehen, legen nun selbst methodische Zugangsweisen nahe. Die Ansätze, die um soziale Handlungen oder Praktiken zentriert sind, fokussieren den Sinn und die Bedeutung des Objektes im sozialen Gebrauch. Die Ansätze, die dagegen von einer theoretischen Induzierung der Artefakte ausgehen, fragen nach den Wissensformen, die in den Stationen des Produktionsprozesses – also Entwicklung, Erprobung, Fertigung und Distribution – in die Artefakte eingehen. Im ersten Fall steht der Gebrauchssinn, im zweiten Fall der Herstellungssinn im Zentrum der theoretischen Konzeptualisierung des Sozialen. Nun konstatierte aber Max Weber, dass die Soziologie, um den Sinn von Artefakten auf die Spur zu kommen, da diese ihn uns ja nicht »zu-

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murmeln« (Meyer-Drawe 1999), neben dem Gebrauch von Artefakten auch ihre Herstellung zu untersuchen habe: »Jedes Artefakt […] ist lediglich aus dem Sinn deutbar und verständlich, den menschliches Handeln […] der Herstellung und Verwendung dieses Artefakts verlieh« (Weber 1985 [1922]: 3, Herv. H.K.). Die Aufforderung lautet also, beide Sphären systematisch – und ich würde sagen: empirisch – in den Blick zu nehmen. Festzustellen ist nun, dass die gesamte Bildungsforschung die Herstellung schulischer Artefakte in der Lehr- und Lernmittelindustrie bislang nicht untersucht hat. Die empirische Bildungsforschung weiß also wenig über den Sinn und die Bedeutung, die – im Sinne Max Webers – in die Herstellung dieser Artefakte eingegangen ist und wie sich Gebrauchs- und Herstellungssinn im Unterricht ergänzen, kommentieren, überschneiden oder einander widersprechen. Rückt die Verwendung der Artefakte durch die Subjekte der schulischen Bildung in den Blick der Forschung, dann erscheinen mir folgende Fragen besonders wichtig zu sein: Wie gehen sie mit den Artefakten um? Was machen sie mit ihnen und was nicht? Wann gebrauchen sie die Artefakte und in welcher Weise? Wie müssen sie präpariert werden, damit sie auch das zeigen, was sichtbar werden soll? Eine solche methodische Annäherung an das Phänomen orientiert sich am Sozialkonstruktivismus und an Ludwig Wittgensteins Spätphilosophie. Demzufolge lässt sich die Bedeutung von Artefakten über ihre soziale Verwendung ermitteln, die ihrerseits interpretativ offen und nicht festgelegt ist (Wiesemann/Lange im Erscheinen). Verbindungen gibt es hier zu der Idee, dass Artefakte uns auffordern, sie in einer bestimmten Weise zu behandeln und zu erleben. Diese Aufforderungen oder instrumentelle Intentionalitäten (Ihde 1990) richten sich an unsere Sinne und Wahrnehmungen. Sie sind Bestandteil unserer gelebten Erfahrung und richten unser vor-reflexives Wissen aus. In dieser Perspektive sind Artefakte zumindest in einem gewissen Rahmen offen gegenüber ihrer Verwendung. Darüber hinaus gerät, wenn man diese Optik ein wenig ändert, auch die Wirkung der Artefakte auf ihre Nutzer in den Blick. Wenn man nicht mehr nur beobachtet, wie Artefakte verwendet werden, sondern welche Handhabungen und Umgangsweisen durch sie selbst nahe gelegt werden, dann spüren empirische Bildungsforscher die Rekonfigurationen auf, die von den Artefakten selbst ausgehen und die sich in den Gebrauchsweisen zeigen. Wie mit Artefakten umgegangen werden kann, liegt auch an der Beschaffenheit der Artefakte selbst und an den Teilnehmern, sie kompetent lesen zu können. Wie Artefakte ihrerseits das Geschehen ordnen, soll an einem einfachen, alltäglichen Artefakt des schuli-

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schen Unterrichts – der Tafel – erläutert werden.2 Was lässt sich beobachten, wenn man die Verwendung der Tafel durch Lehrpersonen und Schüler beobachtet? Es gibt erstens die Zeitdimension der Tafel. Verglichen mit der Mündlichkeit des Unterrichts macht die Tafel die Gegenstände dauerhafter sichtbar, verfügbar und bearbeitbar. Der Stoff, der an der Tafel steht, kann somit laufend verändert, erweitert und selbstverständlich auch gelöscht werden; der Stoff wird reinspizierbar. Zweitens wirkt die Tafel choreographierend: Die Tafel richtet die Schüler körperlich im Raum und kognitiv am Unterrichtsgeschehen aus. Dies sieht man etwa daran, dass Schüler ihren Blick ‚an die Tafel heften’, um das, was an der Tafel sichtbar wird, abzuschreiben. Dies sieht man auch an den Redebeiträgen der Schüler, die ihre Kommentare und Fragen auf die Tafelanschrift beziehen. Drittens werden an der Tafel Darstellungen sichtbar: Die Tafel bietet dem Auge ein Phänomen dar, das dann sowohl mündlich wie schriftlich bearbeitet werden kann. Visualisiert wird an der Tafel und durch die mathematische Schrift. Viertens wird etwas durch die Tafel autorisiert: Die Tafel zeigt nicht nur etwas, sondern verleiht auch dem, was an ihr steht, Bedeutung. In den Augen der Lehrpersonen und Schüler ist richtiges und wichtiges Wissen. Die Tafel kann diese Autorisierung leisten, da sie das, was an ihr hervorgebracht wird, vom Autor der Zeichen entkoppelt, denn sie verallgemeinert die Gegenstände, die sie zeigt. Die Tafel ist also als ein Artefakt sozial wirksam ist: sie wirkt performativ und sie ist ein kognitives Instrument. Methodisch sichtbar wird die Wirkung der Tafel dadurch, dass man die beobachteten Verwendungsweisen nicht mehr den Akteuren alleine zurechnet, sondern in ihnen auch eine Wirkung des Artefaktes erkennt. Ein solcher Blick ist theoretisch anders informiert, und zwar durch die Debatten zur Performativität und Medialität materieller Objekte und Artefakte.3 Deutlich wird hier, wie theoretische Überlegungen die empirische Beobachtung anleiten, sich aber auch bewähren müssen beziehungsweise korrigiert werden können. In diesem Sinne ist die ethnographische Forschung eine ganz eigene Form sozialwissenschaftlicher Theoriebildung, die ich »theoretische Empirie« genannt habe (Kalthoff 2008).

2

Untersuchungen zur Rolle und Verwendung der Tafel liegen unter anderem für die künstliche Intelligenzforschung (Suchman/Trigg 1993) sowie für die universitäre Mathematik vor (Greiffenhagen im Erscheinen).

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Es gibt weitere Heuristiken, materielle Objekte zu erforschen (etwa Krisensituationen), auf die hier nicht eingegangen werden kann (vgl. aber Röhl 2012, Adams/ Thompson 2011).

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Wichtig ist schließlich ein weiterer Aspekt. Artefakte sind – ganz allgemein betrachtet – ein zentraler Bestandteil unserer menschlichen Praxis. Im Gebrauch erfahren wir sie und wir nutzen sie für bestimmte Zwecke. Darüber hinaus dient der Gebrauch von Dingen auch der Subjektivierung. In seiner Kommentierung von »Sein und Zeit« schreibt Hubert Dreyfus: »I write on the blackboard in a classroom, with a piece of chalk, in order to draw a chart, as a step towards explaining Heidegger, for the sake of my being a good teacher« (Dreyfus 1991: 92, Herv. im Orig.). Der Sinn der Kreide und ihre geübte Handhabung ist die Produktion von Schriftzeichen an der Tafel. Diese mit einem bestimmten Zweck verbundene Schreibpraxis und ihr Umgang mit Dingen sind mit dem Selbstverständnis der Person als »guter Dozent« verbunden. Das heißt: In der Form, in der wir mit Dingen umgehen, entsprechen wir also einer Art zu sein. Dieser Umgang mit den Dingen ist also immer auch ein Umgang mit uns selbst, und zwar um unserer selbst willen. Man kann – um zu resümieren – den schulischen Artefakten auf vielfältigen Wegen folgen und damit beobachten, wie sie rahmen und gerahmt werden, wie sie handeln und handeln lassen, wie sie ermöglichen und ermöglicht werden. Immer aber gibt es dieses Zusammenspiel mit Teilnehmern von Schule und Unterricht. Hiermit verbunden ist gleichzeitig auch eine Aufforderung, die für die ethnographische Bildungsforschung paradox erscheinen mag. Die ethnographische Forschung hat die genuinen Orte ihrer Forschung zu verlassen und die Bereiche aufzusuchen, an denen die Artefakte mit didaktischer oder Lerntheorie induziert werden. Sie hat dem Herstellungssinn auf die Spur zu kommen. Es reicht nicht, die Forschung auf den Bereich der Instruktionen mit Artefakten zu beschränken; die Herstellung dieser Lehr- und Lernmittel ist ebenfalls in den Blickpunkt zu rücken. Erst wenn wir wissen, wie die schulischen Artefakte konstruiert und gerahmt worden sind, erschließt sich der Gebrauch dieser Objekte durch Lehrer und Schüler auf andere Weise. Dieses Zusammenspiel verstehe ich in Anlehnung an Andreas Reckwitz (2011) als ein ‚analytisches Rechteck‘ der ethnographischen Bildungsforschung. Seine vier Eckpunkte – Diskurse, Artefakte, Körper, Zeichen – erzeugen ganz verschiedene Sichtweisen auf das Phänomen des schulischen Unterrichts und der Etablierung seiner Wissensordnung. Die Perspektiven, die hierdurch gewonnen werden, stehen in einem komplementären Verhältnis: Sie informieren, ergänzen und korrigieren sich gegenseitig. Das Ergebnis ist eine dialektische Relation von Materialität und Interaktivität (Kalthoff im Erscheinen, Kalthoff/Röhl 2011).

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Abbildung 2: Perspektiven ethnographischer Bildungsforschung Diskurse (mdl./schriftl.)

Personen/ Körper Soziale Praktiken des Lehrens und Lernens

Objekte / Artefakte

Zeichen/ Darstellungen

Quelle: Abbildung des Autors

S CHULISCHE H UMANDIFFERENZIERUNG Mit der Wissensvermittlung sind die Bewertungen der Schüler und damit ihre Klassifikation eng verwoben. Wissensvermittlung und Bewertungen sind füreinander sogar Folge und Voraussetzung dafür, dass Schüler und Schülerinnen in Leistungsklassen differenziert werden können. Diese Differenzierung in Leistungsklassen setzt zunächst nur an den Handlungen der Schüler an, schreibt ihnen dann aber die Zugehörigkeit zu einer Leistungsklasse zum Teil recht dauerhaft zu. Dies geschieht mit Hilfe individueller Diagnosen, die Schüler aber immer auch hierarchisieren. Es gibt dann Sonderschüler, Hochbegabte, Einserkandidaten usw. Die Bewertung von Schülern durch Lehrer oder Lehrerkollegien ist soziologisch betrachtet eine Differenzierung durch Klassifikation. Dieser alltäglichen schulischen Selbstverständlichkeit stand schon früh die Frage entgegen, wie »man die Leistungsmessung durch Zensuren […] möglichst objektiv machen« kann (Lietzmann 1927: 46). Diese Frage reagierte auf drei Befunde US-amerikanischer Schulforscher: (1) Verschiedene Lehrpersonen kommen bei der Beurteilung ein und derselben Klausurarbeit nicht zum gleichen Ergebnis; (2) eine Lehrperson bewertet bei einer wiederholten Beurteilung den gleichen Klausurtext nicht mit der zuvor gegebenen Note; (3) die Bewertung der Schüler durch Lehrpersonen wird von den lokalen Bedingungen einer jeden Schule beeinflusst (Starch/Elliot 1912, Lennes 1923: 470ff.). Die Differenz der Leistungsbeurteilungen wurde dabei dem subjektiven Urteil von Lehrern zugerechnet. Bis in die 1980er Jahre hinein hat dann die Forschung die Kontingenz des Lehrerurteils immer wieder thematisiert, durch experimentelle Untersuchungen beobachtet und auch kritisiert: Eine Vielzahl von Untersuchungen hat zu zeigen versucht, dass die Ergebnisse des schulischen Bewertungsverfahrens nicht den Gütekriterien der Objektivität, Reliabili-

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tät und Validität standhalten. Versuchskombinationen belegen empirisch die Ungenauigkeit des schulischen Bewertungsmittels »Zensur« durch die Fehlerquelle und den Unsicherheitsfaktor Lehrer. Diese Studien bestätigen im Wesentlichen die Befunde – die »alte Klage«, wie Luhmann/Schorr (1988 [1979]: 314) meinen – aus den ersten Dekaden des 20. Jahrhundert (beispielsweise Eells 1930, Hartog/Rhodes 1934, Day 1938). Die Befunde der Bewertungsforschung, die hier nicht dargestellt werden können (siehe hierzu Kalthoff 1996, 2013, Zaborowski/Meier/Breidenstein 2011) ergeben ein eher widersprüchliches Bild. Einerseits geht man von einer Verletzung der Gütekriterien aus, andererseits von einer relativ hohen und professionellen diagnostischen Kompetenz der Lehrpersonen. Einigkeit besteht allerdings darin, dass die Gütekriterien den Bezugsrahmen für Lehrerurteile darstellen (sollten). Auf diese Weise wird nach Wegen gesucht, das Urteil der Lehrpersonen den Gütekriterien anzunähern, sie also noch genauer und zuverlässiger zu machen. Zu diesen Bemühungen zählen sowohl frühe Versuche, die Gaußsche Normalverteilung zu begründen und zu etablieren (Lietzmann 1927), als auch neuere Versuche, die Bewertung in den Kontext von Schulentwicklung zu stellen (Heller 1995), die Diagnostik »messmethodisch auf hohem Niveau« durchzuführen und subjektiv gefärbte Urteile zurückzudrängen (Jürgens/Sacher 2008: 53) sowie Verfahren der intersubjektiven Validierung zu erproben (Shay 2004). Insgesamt ist festzustellen, dass diese Forschung das, was sie als Leistung der Schüler bezeichnet, aus dem lokalen Rahmen herauslöst, in dem sie erbracht wurde. Diese Dekontextualisierung beruht auf der Annahme, es handele sich bei der schulischen Prüfung um ein Messverfahren, bei dem diejenigen, die messen, austauschbare Instrumente sind, die zu gleichen und somit gültigen Ergebnissen kommen (müssten), da sie lediglich die Ergebnisse und damit die Schulleistung abbilden. Aber was könnte eine objektive Unterscheidung von Menschen sein? In der beschriebenen Perspektive ist es eine Klassifikation, die durch die Klassifizierenden selbst nicht gestört wird und damit zuverlässig (reliabel) ist. Demzufolge ist die schulische Bewertung dann eine objektiv zu messende Klassifikation, wenn von der Relationalität der Lehrpersonen (zu den Schülern, zur eigenen Praxis, zu den Peers etc.) abgesehen wird. Es ist eine Klassifikation ohne eigentlich Klassifizierende, das heißt ein von Sozialität bereinigter Fall. Von besonderem Interesse für diese Forschung ist daher die »Schulleistung«: Da sie – so die Annahme – in den Bewertungsprozeduren abgebildet wird (beziehungsweise werden soll), rückt nicht die institutionelle Praxis der Bewertung selbst in den Blick, sondern die Konstitution der Leistung, ihre Determinanten und ihre Messung.

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Im Gegensatz zu diesem Realismus der Dekontextualisierung streben kontextualisierende Ansätze danach, verschiedene Faktoren und Dynamiken zu berücksichtigen, die potentiell Einfluss auf das Lehrerurteil nehmen können. In dieser Perspektive wird Bewertung weniger als ein neutraler Akt der Leistungszuschreibung (Parsons 1987), sondern vielmehr als ein sozial induzierter Prozess gesehen. Der Isolierung des Lehrerurteils von den institutionellen Rahmenbedingungen und lokalen Praktiken stellt man hier eine Einbettung mit dem Ziel entgegen, Korrelationen und Wirkungen zu erforschen und sichtbar zu machen. Die Lehrperson ist auch nicht mehr der unsichere Faktor eines an sich objektiven Verfahrens, sondern mit ihrem Wissen an der Hervorbringung des Urteils beteiligt. Neuere Forschungen schlagen daher vor, die Angemessenheit des Konzepts der Validität zu überprüfen (Moss/Girard/Haniford 2006) und die Bewertungspraxis des Lehrers auf die lokalen Lehr- und Lernkulturen zu beziehen (Brookhart 2004). Kennzeichnend für die schulische Klassifikation sind demnach insbesondere folgende Merkmale: Die schulische Klassifikation bringt gute und schlechte Schüler hervor. Der Bewertung geht also keine eigenständige, objektive Leistung voraus, sondern das, was als Leistung gilt, wird im Akt der Bewertung konstituiert. Mehr noch: Die schulische Bewertung zeigt – vergleichbar den Urteilen von Ratingagenturen – nicht nur die vergangene Leistung eines Schülers an, sondern die zukünftig zu erwartenden Ergebnisse. Darüber hinaus sind Lehrerurteile kontingente Urteile – es hätte auch anders beobachtet werden können. Dies ist vielfach belegt und experimentell getestet worden. Das Besondere der Schule ist, dass die Kontingenz der Fremdzuschreibung qua Klassifikation durch institutionelle Prozeduren zum Verschwinden gebracht wird. Die Schule tut also Einiges dafür, den kontingenten Urteilen ihres Personals materielles Gewicht und Wirkung zu verleihen. Mit anderen Worten: Das Urteil des Lehrers wird durch spezifische Prozeduren erhärtet und objektiviert, während es verschiedene Stationen durchläuft. Es lassen sich folgende Stationen feststellen: 1) Mündliche Bewertungen im laufenden Unterrichtsgeschehen: Die Kommen-

tierung und Kategorisierung von Schülerantworten ist ein zentraler Bestandteil der Wissensvermittlung im Unterrichtsgeschehen. Mit ihren geradezu beiläufigen bewertenden Einschätzungen der Schülerbeiträge steuern Lehrpersonen den Unterrichtsverlauf, die Produktion richtiger Schülerantworten und die Einordnung der Schüler (Kalthoff 1997, 2000). 2) Erste Verschriftlichung und Dokumentation der Differenz: Dass die mündliche Wissensvermittlung im Unterricht auch ein Prüfungsgeschehen ist, wird spätestens bei der Bekanntgabe der »mündlichen Noten« offensichtlich. Sichtbar

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wird dieser Umstand auch in den Formen, die Lehrpersonen zur nachträglichen Dokumentation des Unterrichts verwenden (etwa Strichlisten, Kommentare zu Schülern). 3) Kollegiale Meinungsbildung: Zu verschiedenen formellen und informellen Gelegenheiten findet in der Schule eine diskursive Verstetigung der Meinungsbildung im Lehrerkollegium statt (etwa im Lehrerzimmer, in der Zeugnis- oder Klassenkonferenz). Diese Markierung einzelner Schüler oder Klassen erfolgt aber nicht einhellig und unwidersprochen, sondern bleibt ein umstrittenes Terrain, auf dem sich Lehrerurteile auch legitimieren und bestätigen müssen (Verkuyten 2000). 4) Schriftliche Prüfungen: In die periodische Zeit des Unterrichts hat die Schulorganisation Momente der systematischen Wissensüberprüfung installiert: die schriftliche Prüfung. Ihre Funktion ist es, Schüler mit ihrem Wissensstand sichtbar zu machen und das diffuse und unübersichtliche Geschehen des mündlichen Unterrichts zu systematisieren. Schriftliche Prüfungen sind folglich aus dem Unterricht herausgehobene Verfahren, die Differenzen sichtbar machen sollen (Kalthoff 1996, 2013). Die Bewertung der schriftlichen Arbeiten, bringt die »Leistung« einzelner Schüler in eine relationale Ordnung zur gesamten Klasse. Schulische Prüfungen basieren auf der Annahme, dass Schüler gleich sind, da sie im Schulunterricht gleiches Wissen gelernt haben (sollten). Diese Annahme der Gleichheit begründet Vergleichbarkeit, die ihrerseits Voraussetzung dafür ist, dass in der Prüfung Differenz beobachtbar wird. 5) Zeugnisse, Abschlussprüfungen und Statuspassagen: Zu festgelegten Zeitpunkten und von Periode zu Periode dokumentiert die Institution Schule die Leistungsfähigkeit ihrer Schüler. Zeugnisse übernehmen verschiedene Funktionen: Sie geben Auskunft über gewählte Fächer, Zensuren und erreichte Qualifikationen; sie regeln den Übergang in das nächsthöhere Niveau der schulischen Klassenorganisation (vulgo: »die nächste Klasse«); und sie zertifizieren das Recht, in eine andere Bildungsinstitution zu wechseln. Zeugnisse regeln also Statuspassagen, die mit Übergängen und Trennungen verbunden sind (van Gennep 1999 [1909]). Sie führen eine dauerhafte Differenz zwischen denen ein, die den Übergang geschafft beziehungsweise nicht geschafft haben, und zwischen denen, die den Schultyp besucht beziehungsweise nicht besucht haben. 6) Die Permanenz der dargestellten Stationen schulischer Klassifikation führt zu einer habituellen Sedimentierung der Fremdzuschreibung im Selbstbild der Schüler. Es entsteht nach und nach, durchkreuzt durch verschiedene, diskontinuierliche, uneinheitliche und sich auch widersprechende Lehrerurteile eine Vorstellung von der eigenen Leistungsfähigkeit – ein Selbst-Fremd-Bildnis, das bestimmte Berufs- und Bildungswege plausibel erscheinen lässt und andere nicht,

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das wiederkehrend bestätigt oder in Frage gestellt wird, das aber auch die Möglichkeit bietet, den Fremdzuschreibungen zu widerstehen. Schüler eignen sich also nicht nur schulisches Wissen an, sondern ebenso – wie durchbrochen und widerständig auch immer – ihre Klassifikation und damit ein institutionell geschaffenes Selbstbild (Zaborowski/Meier/Breidenstein 2011). Um zu resümieren: Die Stationen der schulischen Bewertung zeigen eine zunehmende Entkoppelung vom Urteil, das Lehrerpersonen ad hoc im mündlichen Unterricht äußern. Zu berücksichtigen bleibt, dass die schulische Bewertung durch Schulgesetze rechtlich kodiert ist und durch sozialwissenschaftliche Diskurse (unter anderem über Gleichheit, Leistung, Kompetenzerwerb) formatiert und durch Relevanzen des Milieus, in dem die Schule eingebettet ist, beeinflusst wird. Diese hier nur skizzierten Stationen der schulischen Bewertung bedürfen noch einer umfassenden empirischen Erkundung und Erforschung. Hierzu schlage ich vor, diese Bewertungspraxis begrifflich als institutionelle Humandifferenzierung zu fassen und zu analysieren; die Schule ist hierbei – im heuristischen Sinne – ein Humanlabor, in dem Menschen, deren Anwesenheit verpflichtend ist, beständig verändert und beschäftigt werden, diese Veränderungsprozesse wiederkehrend beobachtet und verschriftlicht werden, um diese Menschen dann mit einem »Zeugnis», dass sie differenziert und kennzeichnet, zu entlassen (ausführlich: Kalthoff 2006, 2011).

S CHLUSS Die ethnographische Bildungsforschung hat in den zurückliegenden Jahrzehnten in der Soziologie und in der Erziehungswissenschaft signifikant an Bedeutung gewonnen und das gesellschaftlich verfügbare Wissen über das, was in Schule und Unterricht vor sich geht, grundlegend erweitert. Sie folgte dabei thematischen und theoretischen Konjunkturen und sie hat sich letztendlich interdisziplinär positioniert. So gibt es einen regen Austausch von erziehungswissenschaftlichen und soziologischen Forscher/innen, die zuweilen die Fächergrenzen in Frage stellen. Gleichwohl gibt es auch Differenzen zwischen diesen Forschungen, die auch mit den empirischen und theoretischen Diskursen in den Fächern zu tun haben. Wesentlicher aber scheint mir die Perspektive und damit die Fragestellung zu sein, die Forscher/innen an ihren Forschungsgegenstand herantragen. Dann zeigen sich Fächergrenzen weniger deutlich und auch weniger bedeutsam. Dieser Aufsatz hat verschiedene Herausforderungen für diese ethnographische Bildungsforschung identifiziert und sich mit zwei Themen etwas detaillier-

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ter beschäftigt, und zwar mit schulischen Artefakten und mit der schulischen Bewertungspraxis. Für beide Themen wurde ein theoretischer und empirischer Forschungsbedarf festgestellt, denn ihnen kommt, so die Annahme, eine besondere Bedeutung zu. Mit ihnen nähert sich die Bildungsforschung erneut den (klassischen) Themen der Wissensvermittlung und Wissensaneignung im Unterricht sowie der Klassifikation von Schülern. Aber sie beschreitet hier auch neue Wege: Zum einen wird nach Rahmung des unterrichtlichen Geschehens durch schulische Artefakte gefragt, die von der Lehr- und Lernmittelindustrie designt worden sind, die ihrerseits eine (implizite) Theorie des Unterrichts und des Lernens annimmt, um diese Artefakte überhaupt produzieren zu können. Für die Bewertungspraxis gilt, dass ihre ethnographische Erforschung auch hier Rahmungen in den Blick nimmt: zum einen sind es institutionelle Verfahren, in denen Lehrerurteile prozessiert werden, zum anderen sind es jene Diskurse, die eine Umstellung von Bewertung/Benotung hin zur Kompetenzmessung vorschlagen. In beiden Fällen sind neben den alltäglichen Vollzügen des Unterrichts und der Bewertung auch die angewandten Wissenschaften der Lehr- und Lernmittelindustrie sowie der pädagogisch-psychologischen Diagnostik von besonderem Interesse für die ethnographische Forschung. Schließlich berühren beide Themen zwei Funktionen, die der strukturfunktionalistisch inspirierte Diskurs der schulischen Institution zurechnet: Wissen zu vermitteln und Schüler zu selektieren. Aber ist durch die schon vorliegenden Befunde der ethnographischen Bildungsforschung nicht offensichtlich geworden, dass Schule nicht in diesen Funktionen aufgeht, sondern mehr ist, als mit diesen Funktionszuschreibungen verkürzend gesagt werden kann? Es ist, so meine ich, an der Zeit, dass wir diesen Glauben an die Rede von den Funktionen der Schule in modernen Gesellschaften in der für die Ethnographie üblichen Weise erneut befragen und erkunden.

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Identifying Scandinavian Ethnography: Articulating Notions of Theory and Objectivity in the Ethnography of Education D ENNIS B EACH

In this article I will present an account of the development of Scandinavian education ethnography, by which I mean the research practices and written products of researchers at departments of education in the Scandinavian countries who use ethnography to conduct education research. I exclude through this focus the work of sociologists, anthropologists, ethnologists and others who may also use ethnographic methods in educational settings as a part of their research. It makes the presentation somewhat selective. The article is mainly based on a broad reading of research, above all journal articles and academic theses for academic articles published in 2010 (Beach 2010a, Beach/Eriksson 2010). These articles attempted to identify and compare key concepts and possible ideas about ethnographic work. Some other research that has attempted to synthesise an account of ethnography in the region (such as Larsson 2006, Gordon/Lahelma/Beach 2003, Gordon et al. 2006, Beach/Lunneblad 2011) has also been used. This gives the presentation a kind of metaethnographic character (see for example Noblit/Hare 1988). It has been complemented by interviews with Scandinavian researchers and compared to the documentations I have made from some twenty years participation in the ethnographic research community in education research as a researcher, network coordinator, journal editor, examiner, writer and supervisor. Thus there is also an element of triangulation involved, in relation to both conventional and auto-ethnography. Presenting education ethnography in Scandinavia could be considered to be important due to firstly the relatively high proportion of research in education in the

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region that is ethnographic and secondly the relative success in getting this research published.

E THNOGRAPHY IN S CANDINAVIAN RESEARCH : CONCEPTUALIZATION

EDUCATION

Ethnography is now quite common in Scandinavian education research (Beach 2010a). It is said to be important by researchers there as it enables researchers to get inside everyday educational contexts and close to everyday practices and the people involved in these, to provide insight into insider perspectives on everyday action and institutional arrangements that can correct the oversimplifications of more distal approaches, without over-steering from personal ideas or pet theories (Borgnakke 1996, Gordon/Lahema/Beach 2003). Ethnography is said to open up the black box of institutional and other educational activities and practices that are of interest to the researcher, research community and hopefully also others as well (Arnesen 2002). There are, though, several key differences within education ethnography in Scandinavia and elsewhere. These concern the research focus, the substantive interest and the relationships between theory and observation and observation and analysis, as well as the appropriation of different types of theories in research (Beach 2010a). These theories help identify which questions to ask and how to produce and interpret data in relation to these questions (Larsson 2006). They enable a dialectic relationship between data and theory to be formed and used in a way that helps theory to enliven data and data to modify and improve the explanatory capacity of education theories (Trondman 2008). This helps researchers to be reflexive about three common problems in ethnographic work, three kinds of plaque in Trondman’s (2008) terms, specifically the good, the bad and the ugly: basically (good) being over-sensitive to the point of analytical paralysis, (bad) endless reflexive self-occupation and the (ugly) post-modern desolation of a remarkably self-assured epistemology of the impossibility of representation(s) and epistemological reason. These dimensions of similarity and difference in ethnography are particularly clear within Scandinavia according to Beach (2010a). In Scandinavian education ethnography theoretical naivety is rarely adopted and several quite different theoretical positions are used for framing the work done. This has also been noted earlier by Larsson (2006). Taking up a position in relation to actor-networktheory (ANT) Larsson (2006) wrote that ethnography has become a label to Scandinavian researchers that has offered them a research identity in both a gen-

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eral sense (as ethnographers) and more specifically in connection to different and already established theoretical traditions that can be put to work within the broader canvas of ethnographic practices. The most common were identified as constructivist or interactionist. However, also noted was that critical and conflict-theoretical perspectives, which recognise that schools are places that are strongly rooted in gendered, racial and class-based structures and traditions that are not simply mirrored in schools but are also actively (re)produced in these institutions are also present, even if they are significantly outnumbered by the consensus-perspective-based-research of the two named traditions (Beach 2010a, 2010b, Beach/Eriksson 2010). Critical ethnographies have been mainly conducted by authors from Gothenburg and Helsinki universities (Beach/Lunneblad 2011, Gordon/Holland/Lahelma 2000, Gordon/Lahelma/Beach 2003, Gordon et al. 2006, Öhrn/Lundahl/Beach 2011). Being openly theoretically informed (or tied) in one’s ethnographic research is not only recognised as a strength or advantage. Theoretical choices can be described as restricting the research and its discovery potential (Hammersley 2006) and as imposing a challenge to the idea of research being able to provide what might be called an objective picture of reality, as it is acknowledged that refigured theoretical positions mean that observations and recordings are always inevitably filtered (Rajander 2009) with this influencing the questions that are initially developed (Borgnakke 1996, Hegelund 2005), the interpretation of data that have been produced with an eye to in some way providing answers to these questions (Larsson 2006) and informant selection and choices of where to be and what to do in fieldwork (Gordon/Holland/Lahelma 2000, Gordon/Lahelma/ Beach 2003, Gordon et al. 2006, Beach 2010a). Ethnographic works are in line with this sometimes described as uniquely the product of one particular observer viewing the world through a particular set of proclivities (Rajander 2009) and it is also recognised that ethnographers usually do their research from within a single community with small numbers of informants, so they cannot guarantee that the information and analyses provided are fully representative of all possible experiences, or even the main predominant cultural perspectives (Arnstberg 1997). Ethnography is often therefore accepted as particular, subjective and highly relativistic. Amongst ethnographers these positions seem often to have been taken by new researchers in particular and they are also more common in some parts of the region. Some, usually older researchers, have warned against it (as for example »ugly« plaque: Trondman 2008). One of them is an informant in the present context, who I have called Bill. Bill said:

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»Such an extreme relativistic position… leads to understandings of ethnography as a form of fiction to be evaluated on the basis of its literary characteristics, rather than in terms of how ethnographers have put scientific principles into practice in order to contribute to an evolving scientific knowledge… It becomes just a good story at best… Boundaries of ontology and epistemology rupture as do the foundations for ethnographic writing as a depiction of social facts and obdurate social relations.«

But there is another perspective that is voiced in ethnographic research in the region according to Bill. It states that: »Although perfect objectivity may not be attainable in the positivistic sense, good practices can still be developed by which to assess ethnographic representations. The (objective) qualities of (an) ethnography can still be debated and discussed if ethnographic researchers clearly articulate, question and discuss their theoretical and other sources of influence when developing research and reporting research results.« (Angela)

This position is more common in subtle realist, interactionist and also, if with some modification, critical schools (Larsson 2006, Beach 2010a, 2010b). It has been responded to by the young postmodernists, such as the following informant (called Jill), who is as critical of it as she is of positivism. She sees it as »representing the same kind of will to power and desire for control over research… and the realities it is said by its proponents to capture… as all modernist research, including positivism« (Jill). Both the postmodern relativist and the, what I will cautiously try to term the reconstructed realist positions in Scandinavian education ethnography, including critical realism, have one thing in common. They recognise that although ethnography is a method for producing, analysing and writing about data, this process cannot be distinguished from the broader theoretical and philosophical frameworks that give the method credibility (Rajander 2009), and that method and methodology are therefore so intertwined (Borgnakke 1996) that ethnography is less of a method as such and more of a research approach (Gordon/Holland/Lahelma 2000, Gordon/Lahelma/Beach 2003), with methodological implications that compete to form the basis for the intellectual legitimation of the investigative process (Hegelund 2005, Larsson 2006). This point was made many years ago by Lave and Kvale (1995). Brewer (2000: 6) describes it as a position that is common to all non-positivist qualitative research. He asserts that it means that technical descriptions of how ethnography has been done should always be complemented by a discussion of the theoretical, philosophical and ethical issues that are raised (Rajander 2009) and that theoretical perspectives should be made ac-

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tively explicit as part of an undertaking to be critically reflexive about our research (Larsson 1994, 2006, Gordon et al. 2006). Ethnography, like all forms of human perception, is, Brewer and others point out, shaped by language, gaze and personal history (Gordon/Lahelma/Beach 2003). Certain things become important for documentation and analysis and others are ignored. The ethnographer forms the research at the same time as it progresses (Rajander 2009). This doesn’t mark the region as different to others but the open recognition and continual debate of the issues at hand might do. Such openness has been mentioned in previous research about education ethnography in the region generally (Larsson 2006, Beach 2010a) and in relation to research ethics (Beach/Eriksson 2010) and research on issues of gender, race, ethnicity and educational marginalisation, citizenship and inclusion (Gordon et al. 2006, Beach/Lunneblad 2011). When described in this way it becomes obvious that the object of study in education ethnography is not fully given in advance (Larsson 1994, 2006, Gordon/Lahelma/Beach 2003, Gordon et al. 2006), but emerges from an inquiry as it progresses (Trondman 2008). However, there are distinctions here and the education ethnographic field in Scandinavia is quite divided in respect of the question of whether the research should strive to be clearly bounded a priori or not. Some state that the object of study should be clearly framed and empirically limited by this framing (Borgnakke 1996). They argue that although positivist ontology and method seems almost to be eschewed, moves toward systematization of a kind reminiscent of developments in positivist methodology that shape the research in advance need not be and should not be. Arguments for framing ethnography also often stress the concept of reflexivity. Reflexivity is a means by which researchers reflect on the contingencies which bore upon and helped produce data as well as form the analysis (Hegelund 2005). In line with understandings of reflexivity in social theory, the point is that being aware of these contingencies and how they have operated means that one becomes more able to act back on and even eventually change them to open up new avenues of investigation and new empirical foundations for discovery in the research. A third involves an expression of concern with the methodological and theoretical base on which ethnographic research is founded and its ability to represent ›reality‹ (Larsson 1994). These concerns are generally described in the region in ways like that of the following informant (Angela), as attempts to, »at one and the same time, understand research… in order to overcome the limits of a single case and answer back to the criticism of ethnography as merely journalistic or fictional«. However, some researchers also describe a desire to hold onto both ends of the scale of

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openness and pre-determination (Beach 2010a). They argue for being openminded enough to allow surprising discoveries to be made but also focused enough to avoid drowning in a flood of data (Trondman 2008). Kvale (1996) made this point in relation to qualitative research generally. Some research groups differ at this juncture, particularly perhaps the critical ethnographers and some feminists, for whom the lack of systematization is not the acknowledged problem. For them the problem is not the steering effects of systematization as such, which can be reflexively monitored and accounted for, but rather the domination of systematization itself by the canons of a (class privileging and masculine) positivist science. These researchers celebrate systematization, but as the following informant (Ken) says »not in the manner driven by positivism… which excludes values, ignores power relations and conflates issues of bias with those of objectivity«. Positivism flattens the emergent, inductive, and democratic character of the research, it is suggested (Rajander 2009), and is avoided, but there are other procedural rules in ethnography that reflect philosophical ideas about the nature of knowledge and science that the research community gives authority to.

F ORMS

OF SYSTEMATIZATION AND CONTROL

The issue here is thus not whether systematization is good or bad but rather »what kind of systematization to strive for and in what way« (Ken) and the answers are different depending on whether researchers »develop their work as distanced, neutral, uncommitted observer-recorders of events… or as involved participants who are passionately and jointly committed to and involved in intentional forms of transformative intellectual labour« (Jill). The latter usually describe themselves »as speaking from a moving position about key events, properties or conditions together with (or on behalf of) their informants and the communities they are part of« (Jill). This position is recognisable in the critical Marxist and critical feminist traditions at Gothenburg and Helsinki (for example Gordon/Holland/Lahelma 2000, Rajander 2009, Öhrn/Lundahl/Beach 2011). But it is also expressed by some individual researchers in other parts of the region, such as Arnesen (2002) and Borgnakke (1996). Some of these researchers are gathered in networks such as Norung and Nordcrit (www.norung.org, www.nordcrit.fi). Together with the original Ethnoped network they have been very influential on the way ethnography has been formed (Beach 2010a, Larsson 2006).

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Ethnography is described by these networks, as elsewhere, as creative and irreducible to easily reproduced algorithmic recipes, but as nevertheless bounded by specific understandings of a particular scientific purpose. They express the »understanding of and commitment toward a purpose as highly significant« (Ken) as it helps »structure the research in important ways… Even when the purpose is primarily to critique and challenge« (Ken), »understanding the research in terms of its over-riding aim provides a means by which to control the unruliness of field materials« (Bill). This means that: »Although ethnography may always be expressed as an iterative kind of process, it is a process that is also steered by a commitment and if this commitment is to make a difference… the question then becomes what sort of difference, in whose interests and the level or vertical depth the analysis tries to travel, to accomplish it, in relation to the experiences, beliefs and practices ethnographically portrayed and their relationship to underlying social and cultural structures and mechanisms.« (Angela)

The framing by commitment might not provide the same frame as that of positivism but it provides a frame nevertheless and has obvious implications in relation to the questions of objectivity. Three different outlooks on objectivity have been clear within social science historically, and also ethnography (Hegelund 2005). The first discards objectivity for ethnographic and other qualitative research, which is said to be subjective. The second says that objectivity is possible if we first redefine what we mean by the term. The third says that the prevailing connotations of objectivity, although they to a large degree stem from logical positivism and the context of natural sciences, are applicable even to ethnographic research, and that we should try to meet these »universal« demands as best we can. These points were made some time ago by both Larsson (1994, 2006) and Lave and Kvale (1995). Different positions within the philosophy of science agree with them. Constructivism is one of these. As mentioned in the four overview studies by Larsson (2006), Beach (2010a), Beach and Eriksson (2010) and Beach and Lunneblad (2011), constructivism is the most often openly disclosed theoretical framework of ethnography in education research in the region. In constructivist and related perspectives ontology is described as multiple, as created in interactions between people and as mediated through the use of artefacts and language. The distinctions of ontology and epistemology are said to be blurred or perforated (Beach 2010a) and the methodology is consequentially described as deconstructive and not striving to be objective in the conventional sense. Researcher values are said to help create inquiry questions and shape in-

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vestigation procedures, and research is often described in terms of a kind of travel metaphor. The final report of the research often takes the form of, or is developed around this metaphor, as a kind of reconstructed dialogue that is set in open opposition to positivist ontologies. The research will generally express that social phenomena or objects of consciousness develop in social contexts and that the ethnographer observes, takes part in, and is influenced by these, as well as by her/his understandings and anticipations of an intended audience. Positivism is positioned as more or less opposite to constructivism on all points; at least by the constructivists themselves. It is said to assume that an external objective reality exists that can be identified, described and theorised about on the basis of direct sense data. Research is considered to be constructive and cumulative and research design tends to be focussed around describing and/or theorising about a real, existing (ontological) world. Ethnographic realism forms the main representational modality (Beach 2008). However, sometimes there is some caution or scepticism, even amongst positivists, and multiple methods may be introduced, as may a shift from the verification to the falsification of hypotheses (Larsson 1994). Approaches such as grounded theory’s constant comparative method are often employed here. The critical research groups express yet another position. Here reality is accepted as historically mediated through established traditions and language that are also subject to power injunctions. These researchers express that there is no such thing as neutral knowledge, only objective forms of class consciousness, and they stress that an identification of the means, outcomes, processes and implications of the mediation of power and interests in social practices, institutions and everyday life should be the main aim of research (Beach 2010b). Trustworthiness and credibility replace conventional validity and concepts of authenticity and negotiation are also used. Ethnographic works should be framed by an interest in the valorisation of counter-hegemonic forms of knowledge of the suppressed classes on the one hand and uncovering (or demystifying) the ideological basis and biases of institutional forms of knowledge and practices and showing something about the interests in which they tend to operate on the other.

T ALKING

ACROSS DIFFERENCES TO KEEP ETHNOGRAPHY ALIVE AND VITAL The presence of the different ways of organising, doing and writing about ethnography in Scandinavian educational research is not that striking. These variations appear of course elsewhere as well. One thing that in my experience does

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seem potentially interesting when compared to other regional and national ethnographic research though, is that researchers in Scandinavia seem to more often collaborate and carry on talking to each other despite and across these differences. Several reasons can be posited for this. One reason may lie in the way initial funding for the Ethnoped network started and worked (Larsson 2006, Beach 2010a). Ethnoped was a multi-level project involving PhD students, senior researchers and professors from across the region. From the outset many theoretical perspectives were represented and the applicants knew this. Also, the aim was to allow as many as possible to survive, as the funding was for establishing and expanding ethnographic research not resolving differences within an established research tradition. A system of communicating with each other was established and has continued. As two informants have put it: »The way we formed ethnography… through collaboration between researchers with very different politics… got a conversation going across differences that because of there being several generations of researchers present kept on even after network funding ended. People helped each other with new network applications, joint funding, critical reading, examination and supervision… to keep ethnography… vital and alive… We had this aim from the start and kept it… NordCrit has grown from this (as has) your other network.« (Anne) »Things began as a collective venture (around) a strong methodological interest… We otherwise specialised in different subfields and had different theoretical preferences… Also, education research departments in the region can be quite large with colleagues from different theoretical points of departure and with different understandings of the relationship of research and politics. Even this has forced us to communicate and discuss… Also this communication may just be the Scandinavian way of course. But whatever, there are now at least three relatively successful related networks involving ethnography and education research across the region…« (Robert)

Keeping talking to each other has meant several things. For instance the critical ethnographic group recognises the relevance of the critique of a positivist philosophy from the post-modern relativist position, but without fully buying into the alternative social constructionist philosophy they offer. The critique that is accepted and the philosophy that is refused can be described as follows: »Whilst in practice complete objectivity is, philosophically speaking, now accepted as not only a passé but also as an ontologically and epistemologically untenable and misguided expression of a will to power, this does not mean that the only alternative option is a total

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relativism, of the kind proposed by the pomo constructionists, and an almost ‘anything goes’ and ‘anything can count as data’ idea like that expressed by the more radical of these position takers… None of us in the networks take an extreme and isolated position... Instead (we) constantly debate with and influence each other.« (Allan)

Thus, in Scandinavian education ethnographic research, we have quite a broad church of ethnographers. Some take a modified positivist stance (Larsson 1994, 2006). But they are few. The majority share a rejection of positivistic inclined views of objectivity and they have talked about and shared this critique, both with each other and with positivistic inclined or sympathetic researchers. »In this way the critique of positivism hasn’t led to a reliance on relativism or a deep postmodern scepticism toward observable facts and the common sense and research skills of practical research... What is accepted is that ‘objectivity is not a simple technical question… or merely a matter of observation and control… in an investigation of a world that exists independently of what we might think about it.« (Bill)

Objectivity is thus not independent of values, »it has to do with values« (Angela) but this doesn’t mean that objectivity must be abandoned (Trondman, 2008)! It means instead that objectivity can be rescued from the reifications of positivist philosophies of science (Mulkay 1989, Beach 2003) and that there is room for other kinds of objectivity than this (Hegelund 2005, Trondman 2008). For instance, reflecting Rorty (1980), in Scandinavian education ethnography objectivity might simply be broadly about eliminating idiosyncrasies by arriving at some kind of open consensus between rational discussants through open negotiation (Hegelund 2005). This position on objectivity contrasts different forms, demands and understandings of objectivity with each other, rather than contrasting an assumed dominant, superior and universal form »to what is assumed to be outside of objectivity« (Bill): i.e. specifically a »subjectivity that is solely based on individual commitment and private understanding« (Angela) regarding the subject matter or idea at hand (Larsson 1994, Hegelund 2005, Hammersley 2006) and that allows background ideologies and beliefs to give meaning to what is sought, seen and concluded in a manner that leaves research blind to things that for another researcher would have been very evident (Hegelund 2005). An informant (Michaela) put things as follows: »A commonly acknowledged position for us is that the open communication that has been maintained has been particularly important because it has meant that aspects of research

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(objectivity and method) have had to be discussed and that researchers have been very clear that one should account for any chosen theory in terms of what (kind of) theory it is, why it was chosen and what effects the choice may have had on what questions are considered important and what aren’t… Also important has been that we should then take appropriate measures to allow others to control for or assess these effects and other forms of influence. We must account for them and how they challenge and may have influenced the work that has been presented.« (Michaela)

A point that researchers like Michaela make is thus that it is »not primarily the researcher’s background, politics, ideology, perception or perspective that matters« (Michaela), as the relativists assert, »as we can’t avoid these« (Angela), but rather how such things are put into practice, and that we need to articulate this in research accounts (Larsson 1994, Beach 2003, Hegelund 2005). Their point is that when we are transparent about these things, when observations are found to fit uncomfortably with the categories given by our ideas and produced by our analyses, not only can we create new ideas and categories into which they can be fitted without forcing (Hegelund 2005), our work will also be open to full evaluation and assessment in these terms, and can be openly discussed, critiqued and respectfully challenged. This might be an aspect »of the Scandinavian way«, as one informant (Robert) put it in an earlier extract. It certainly seems to be a useful standard by which to develop reflexive research.

O BJECTIVE

OR NOT ?

A

QUESTION OF PERSPECTIVE ?

Whether research like this can still be considered objective is a talking point amongst ethnographers of education in Scandinavia and elsewhere (Borgnakke 1996, Gordon/Holland/Lahelma 2000, Gordon/Lahelma/Beach 2003, Larsson 2006, Beach 2010a). The answer is obviously »no« in one way. The research is not neutral and the results are not unfiltered by preconceived ideas. But it is »yes« in another. We can account for selection effects on the development of data, their analysis and the results (Hagelund 2005), so that our work may then add another perspective to a developing inter-discursivity as a means through which we can try to understand and even explain educational events and processes as key aspects of human group life. This is what my brief attempt to systematically study Scandinavian education ethnography arrived at. What is recognised is that these researchers accept that there is always a risk of misunderstanding in scientific studies, but that this does not have to be taken to suggest that there are fundamental problems of method involved, only a need of careful consideration and

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negotiation in relation to openly declared ways of reasoning (Hegelund 2005) that are rendered as transparent as possible (Larsson 1994, 2006) and are openly engaged with (Trondman 2008). These are arguments which assert that research reports are never beyond questioning and can and should always be disputed. They make clear that in ethnography we should always be free to choose a conceptual and/or theoretical framework and make judgments based on this choice, which we would then be expected to discuss and defend if necessary. It means that whilst our judgments are never the outcome of mere speculation, ethnographic data are always open to influence, not only with regard to our conscious selection of what to count as data but also with regard to choices of places to do research in and of events there that are of interest, as well as our perceptions of and ways of recording, interpreting and communicating about these events (Beach, 2008). The framing effects of the basic interests of the research are significantly important to all of this (Borgnakke 1996, Gordon/Holland/Lahelma 2000, Gordon/Lahelma/Beach 2003). Recognising this acknowledges that the researcher’s theories and worldview will affect the outcome of the research and that whilst approaching the object of analysis within ethnography with a neutral stance is thus now regarded as an unsound and impossible ideal, discussing the choices we make and their possible effects is an ideal to strive for (Hegelund 2005).

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I DENTIFYING S CANDINAVIAN E THNOGRAPHY

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Differenz beobachten? J ÜRGEN B UDDE

Der Beitrag thematisiert ein methodisch-methodologisches Problem, welches sich in ethnographischen Forschungsprojekten wiederholt stellt, nämlich die Schwierigkeit der Analyse von Differenzen mit ethnographischen Methoden. Konkreter Anlass ist ein Forschungsprojekt zu Heterogenitätskonstruktionen von Lehrpersonen in der Sekundarstufe I. In dem fraglichen Projekt wurde über einen längeren Zeitraum hinweg an zwei Tagen in der Woche in unterschiedlichen Schulen beobachtet. Im Laufe dieser Beobachtungen sind zunehmend Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens gekommen, die sich in dem schlichten Titel des Beitrags pointieren lassen, nämlich in der Frage, ob sich Differenz beobachten lässt? Anhand der Analyse von Beobachtungsprotokollen zielt der Artikel nicht auf eine Antwort, sondern auf eine Diskussion eben dieser Frage. Dazu werden im Folgenden zuerst die beiden im Titel genannten Begriffe – Beobachtungen und Differenz – kurz theoretisch eingeführt und dann anhand von Beobachtungsprotokollen die Schwierigkeiten darlegt, die sich beim Versuch ergeben, Differenz beobachten zu wollen.

E THNOGRAPHIE Als Aufgabe der Ethnographie formuliert Geertz, dass sie herausfinden solle: »What the hell is going on here« (Geertz 1983). Mit dieser Bestimmung zielt Ethnographie auf die Analyse von Handlungen. Routinierte, selbstläufige Handlungen sind zentraler Bestandteil des schulischen Alltags. Die Unterrichtsakteure gestalten diese Veranstaltung in aller Regel vor dem Hintergrund selbstläufiger Wissensbestände darüber, wie Unterricht abzulaufen hat. Unterricht ist nicht »einfach da«, weil er auf dem Stundenplan steht oder sich selbstläufig aus der

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didaktischen Planung ergibt, sondern wird von den AkteurInnen in sozialen Praktiken erst hergestellt. Der Vollzug von Handlungen verweist auf keinen tieferen Zweck, er ist der Zweck selber. Praktiken sind in diesem Sinne als »Oberflächenphänomene« (Breidenstein 2002: 19) zu verstehen. Das Zentrale an ethnographischen Beobachtungen ist die Tatsache, dass es nicht lediglich um sprachlich geäußerte – und in diesem Sinne den Beforschten zugängliche, weil verbalisierbare – Erfahrungen, Einstellungen, Orientierungen oder Narrationen geht, sondern auch um jene nicht-sprachlichen Handlungen. Schatzki spricht von Praktiken als »nexus of doing and saying« (Schatzki 1996). Diese Praktiken haben also (neben intentionalen, verbalen und symbolischen) eine zutiefst materielle, körperliche Dimension. Der Körper ist nicht »aus dem Spiel«, sondern sowohl Agent als auch Objekt sozialer Praxis zugleich. Deswegen sind in der Ethnographie Handlungen auch von besonderem Interesse. Leitend ist die Vorstellung, dass durch die Abfolge routinierter Handlungen implizite Ordnungen hergestellt und aufrecht erhalten werden; von wenigen – zumeist spektakulären – Ausnahmen abgesehen, in denen die Interaktionsroutinen irritiert werden, funktioniert soziales Miteinander (nicht nur in einer Schulklasse) vorbewusst und reibungsarm. So wie Fahrradfahren im Laufe des Erlernens zu einer routinierten (körperlichen) Handlung wird, werden auch soziale Interaktionen beispielsweise in einer Schulklasse auf der Grundlage von Routinen hergestellt. Interaktionen funktionieren gerade deshalb, weil ihre Praktikabilität durch die Akteure vielfach in der sozialen Praxis evaluiert wurde. Somit verweisen singuläre Praktiken auf zugrunde liegende Strukturierungen und Ordnungen, da die Praktik (und nur genau diese) ausschließlich dann funktioniert, wenn sie sich relativ reibungslos in den sozialen Vollzug der Situation einpasst (Budde 2011a). An dieser Stelle schimmern strukturtheoretische Bezüge durch, wenngleich Strukturen in diesem Sinne nicht als fixierende Determinierung zu verstehen sind, sondern als flexible und bisweilen konkurrierende Ordnungsschemata. In diesem Sinne ist eine Praktik auch nicht willkürlich, sondern die Tatsache, dass genau diese Praktik (und keine andere) in genau diesem räumlich und zeitlich situierten Kontext zur Anwendung kommt, lässt auf ihren spezifischen Stellenwert als routinierte Handlung im Feld und damit ihre Bedeutung für die Konstitution impliziter Ordnungen schließen. Jene Ordnungsfunktion nun, die der praxeologische Gebrauch von Differenz für die Prozessierung von Unterricht hat, ist der Aspekt, der im Folgenden von besonderem Interesse ist. Offen ist, ob diese Ordnungsfunktion durch Differenzproduktion für jede Praktik und in gleichem Maße gilt. Der ethnographische Forschungsprozess ist gekennzeichnet durch zeitlich länger dauernde Feldphasen und ein variantenreiches Datenmaterial, das dabei

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anfällt. Dies reicht von Dokumenten über Unterrichtskonzepte, Interviews, Fotos, Spickzetteln, Raumplänen, autoethnographischen Berichten oder olfaktorischen Eindrücken bis zu Zeugnisnoten. Immer häufiger werden auch visuelle Daten gesammelt (Breidenstein 2006, Wagner-Willi 2008). Zentral ist jedoch in den meisten Schul- und unterrichtsbezogenen Forschungsprojekten die teilnehmende Beobachtung von Handlungen, denn wesentliche Annahme ist, dass die Interaktionsordnungen und Praktiken im Feld nur durch Anwesenheit und Teilnahme erfahrbar sind. Die personale Anwesenheit und die selektiven Wahrnehmungsstrategien der Forschenden werden dabei als besondere Erkenntniswerkzeuge ethnographischer Forschung herausgehoben.1 Das »Gespür« für das, was im Feld »los ist«, ist in dieser Perspektive ein wesentliches Qualitätsmerkmal ethnographischer Forschung.

D IFFERENZEN Anhand eines Forschungsprojektes zur Herstellung von Heterogenität und Homogenität im Schulunterricht mit fünften Klassen erweist sich jedoch die Beobachtung von Differenz und Gleichheit als problematisch. Dies liegt auch daran, dass der Begriff Differenz und seine erziehungswissenschaftliche Konturierung als Heterogenität unscharf formuliert ist (Budde 2012a). Eine diskursanalytische Betrachtung offenbart, dass sich Heterogenität als Konzept dadurch auszeichnet, dass es als eine Art Containerbegriff zwar präzise genug zu sein scheint, unterschiedliche Varianten und Ebenen von Differenzen unter einem Begriff zu bündeln und andererseits unbestimmt genug, um flexible und vielschichtige Bedeutungen aufzunehmen (Budde 2012b). Dieser letzte Punkt ist problematisch für eine analytisch-empirische Verwendung, da die Unbestimmtheit des Konzepts Heterogenität nachgerade Grundlage seiner Existenz zu sein scheint. So lassen sich je nach Ebene und/oder Begrifflichkeit höchst unterschiedliche Einsätze finden. Heterogenität, Diversity, Vielfalt, Differenz, all diese Begriffe beschreiben die Relationierung von Personen und/oder Gruppierungen zu anderen Personen und/oder Gruppierungen. Dazu werden soziale Kategorien herangezogen, welche die Struktur der Relation erfassen. Implizit ist damit immer auch Homogenität oder Gleichheit mit im Spiel, denn Differenz kann nur her- oder festgestellt werden in Bezug auf etwas, was sich wiederum gleicht. Mit

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Dieses wird auch durch die verstärkte Tendenz zur Videographie in der Ethnographie nicht außer Kraft gesetzt.

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dieser weiten Bestimmung allerdings ist Differenz jedoch nicht operationalisierbar. Weder sind die Merkmale der Personen/Gruppierungen bestimmt, noch der Charakter der Relationen. In der Sozialforschung existieren unterschiedliche Möglichkeiten Differenz zu analysieren. In einer groben Vereinfachung lassen sich meines Erachtens drei Herangehensvarianten identifizieren. In der ersten Variante werden spezifische Heterogenitätskategorien vorausgesetzt und dann auf dieser Grundlage die Beobachtungen analysiert. Dies ist ein deduktives Vorgehen. Prominent ist dabei die Trias aus Gender, Class und Race, der gerade in Bezug auf soziale Ungleichheit eine wichtige Bedeutung zukommt. In der Schul- und Unterrichtsforschung dominierte lange Zeit die Analyse einer einzelnen Kategorie (zum Beispiel in Arbeiten zur Bedeutung von Gender), mittlerweile wird (zum Beispiel unter dem Stichwort Intersektionalität) die Verschränkung unterschiedlicher Kategorien diskutiert – wenngleich diese Forderung empirisch alles andere als eingelöst ist. Problematisch an dieser Vor-Ab-Setzung ist erstens die Gefahr der Reifizierung, das heißt, dass die vorausgesetzten Kategorien im Forschungsprozess nicht nur rekonstruiert, sondern überhaupt erst konstruiert werden. Dies widerspricht nicht zuletzt der in der Ethnographie geforderten Offenheit. Vor allem die erziehungswissenschaftliche Geschlechterforschung hat wiederholt problematisiert, welches Problem mit Bedeutungszuschreibungen einhergeht, deren Relevanz im konkreten Feld nicht weiter überprüft ist. So droht das Risiko, die feldeigenen Ordnungen zu verkennen, weil die Ordnungskategorien und damit die Vergleichsdimensionen bereits vorab festgelegt und so mit Bedeutungszuschreibungen aufgeladen sind. Problematisch ist zweitens, dass in diese Kategorien gesellschaftliche Vorstellungen eingelassen sind und sie ohne diese nicht funktionieren würden. Der Gebrauch der sozialen Kategorien Geschlecht beispielsweise setzt eine Definition voraus, was darunter verstanden wird. Wie aber ließe sich Männlichkeit oder Weiblichkeit anders bestimmen als durch Bezug auf gesellschaftlich dominante Konzepte? Dabei wird unmittelbar klar, dass dieser Bezugspunkt ein schwaches Kriterium ist. Was wären denn gesellschaftliche Konzepte von Geschlecht, Männlichkeit oder Weiblichkeit, die als Referenz- oder Vergleichsebene herangezogen werden könnten? Meines Erachtens lässt sich kaum mehr auf makrosoziologischer Ebene je eine singuläre dominante Formation sozialer Kategorien festmachen, viel weniger in der unübersichtlichen Gemengelage der Mikroebene des Unterrichts. Außerdem fließt in diese Setzung die Vorstellung ein, dass diese groben Kategoriendefinitionen auf der Mikroebene des Forschungsfeldes zumindest eine

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ähnliche hegemoniale Relevanz entfalten – was streng genommen erst empirisch überprüft werden müsste, denn es kann auch andere oder zumindest konkurrierende Ordnungen geben. So kann beispielsweise die Bedeutung eines Migrationshintergrundes je nach Ebene variieren: Was auf der makrostrukturellen Ebene als ein Marker für soziale Benachteiligung fungiert, kann auf der Peer-Ebene ein hegemoniales Muster sein, welches Zugehörigkeit und Anerkennung gewährt. Zweitens: Eine abgemilderte Variante stellt der Versuch dar, lediglich dann soziale Kategorien zu verwenden, wenn sie im Feld selber verwendet werden. Dahinter steht die Annahme, dass der Gebrauch von Kategorien in jenem Falle keine Reifizierung sei, in dem die AkteurInnen selber auf Kategorien Bezug nehmen. Diese für sprachbasierte Forschungsansätze nicht unplausible Vorgehensweise stößt allerdings als ethnographische Beobachtungsmaxime an ihre Grenzen. Denn diese Bezugnahmen sind – wie eine empirische Rekonstruktion zeigen könnte – seltener als erhofft. Meines Erachtens wird auf diese sprachbasierte Strategie häufig implizit zurückgegriffen, dadurch erklärt sich der hohe Stellenwert, der dem gesprochenen Wort in der Auswertung ethnographischer Protokolle zukommt – selbst wenn Ethnographie häufig postuliert, verbale und non-verbale Handlungen gleichermaßen zu analysieren. Die dritte Variante stellt der Versuch eines grundlegend konstruktivistischen Blicks dar. Damit soll die Setzung von Ordnungskategorien vermieden werden. Die Differenzkategorien sollen aus dem Feld selber gewonnen werden – zugrunde liegt dann eine induktive Vorgehensweise. Hier wird versucht, die Mechanismen der Genese von Heterogenität nicht als »einfach gegeben« vorauszusetzen, sondern der Tatsache Rechnung zu zollen, dass diese in sozialen Prozessen erst hergestellt wird und entsprechend als soziale Konstruktion zu verstehen ist (vgl. Berger et al. 2009). Unter dieser Perspektive wird gefragt, wie überhaupt Heterogenität in Schule und Unterricht konstruiert wird und wie diese Konstruktionen von Heterogenität in der Herstellung von Unterricht prozessiert werden. Dies bedeutet ein bewusstes Zurückstellen von sozialen Kategorien. Aufgerufen ist damit auch die Vorstellung, dass SchülerInnen nicht aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe etikettiert werden, sondern immer nur in der Anwendung von Unterscheidungspraktiken. Einmal unterstellt, es wäre möglich, den eigenen Blick auf das Feld in dieser Weise »naiv« zu stellen, bestünde das Risiko, aufgrund der Komplexität der Herstellung von Differenz und Gleichheit im Schulunterricht möglicherweise keine Aussagen über Ordnungen und Strukturen treffen zu können. Hier besteht das Problem, dass keine Vergleichsdimensionen existieren.

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Der Versuch, die Bedeutung der Ordnungsfunktion von Differenzen und Gleichheit auf der Ebene von Praktiken zu analysieren, bleibt somit unbefriedigend. Dies liegt in allen drei Varianten daran, dass die Bezugsdimension – man könnte auch sagen, die Vergleichsdimensionen – nicht geklärt ist.

D ESIGN

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F ORSCHUNGSPROJEKTS

Dieses Problem und Leerstellen der Varianten sollen im Folgenden mit ersten Daten aus einem laufenden ethnographischen Forschungsprojekt zu Heterogenitätskonstruktionen von Lehrpersonen in der fünften Klasse näher beleuchtet werden. Damit wird die Perspektive auf die Herstellung von Heterogenität und Differenz auf der Mikroebene der sozialen Praktiken im Unterricht scharfgestellt. Grundlage sind mehrwöchige Beobachtungen an einem bilingualen Gymnasium in zwei Klassen, sowie an einer reformorientierten Gesamtschule und einer »innovationsträgen« Sekundarschule jeweils in einer Klasse. Aus zeitlichen Gründen konnte lediglich an ein bis zwei Tagen in der Woche beobachtet werden. Neben dem Mathematikunterricht wurde auch der Deutschunterricht und – soweit möglich – der Klassenrat an diesen Tagen untersucht. Für jede der vier Klassen liegen für beide Fächer mindestens zehn Protokolle vor. Zusätzlich wurden mit den beteiligten Lehrpersonen leitfadengestützte Interviews durchgeführt. Das Gymnasium und die reformorientierte Gesamtschule liegen in innenstadtnahen Wohnquartieren einer norddeutschen, die Sekundarschule im inneren Bereich einer ostdeutschen Großstadt. Ziel des Forschungsprojekts ist es, Konstruktionen von sozialer und Leistungsheterogenität bei Lehrpersonen zu dokumentieren und anhand darin deutlich werdender sozialer Positionierungsprozesse Ordnungen und Strukturen von Unterricht zu analysieren (Budde 2011b). Die Unterrichtsbeobachtungen wurden protokolliert und zusätzlich als Audiodatei aufgenommen, um vollzogene Handlung und gesprochenes Wort gleichermaßen dokumentieren zu können. Aus den beiden Aufzeichnungsformaten wurden Feldprotokolle erstellt, die anschließend mithilfe eines codierenden Verfahrens bearbeitet wurden. Dabei wurden in einem ersten Schritt thematische Sequenzen codiert und in ihrem Verlauf interpretiert. Anschließend wurden materialimmanent maximale und minimale Kontraste mit dem Ziel gesucht, spezifische Strukturierungen und Ordnungen von Unterricht zu analysieren.

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B EFUNDE Als besonders interessant im Sinne der Fragestellung wurden Situationen bestimmt, in denen die Klasse aus pädagogischen oder didaktischen Gründen von der Lehrperson gruppiert und gegliedert wird. Der Fokus ist dabei nicht auf soziale Kategorien, sondern auf das pädagogische Handeln gerichtet. Dies thematisieren die folgenden Beispiele, anhand derer sowohl die feldinduzierte, als auch die induktive Vorgehensweise diskutiert wird. Feldinduziertes Vorgehen Es gibt zahlreiche Situationen, in denen die Beobachtung der Herstellung von Differenz kein methodisches Problem aufwirft. Das folgende Beispiel der Neuverteilung von Sitzplätzen handelt davon: Die Lehrerin fragt dann, wer zusammensitzen will. Anina beginnt nun ›Gruppen‹ an die Tafel zu schreiben. Zuerst bildet sich eine Mädchen-Dreiergruppe, dann eine MädchenVierergruppe. Die Lehrerin fragt: »Jungs, habt ihr `ne Gruppe?« Es gibt Probleme, da fünf Jungen in eine Gruppe wollen. Nun schlägt ein Junge vor, dass sie doch einen SechserTisch machen können. Es werden die Namen weiterer Jungen gerufen, die dazu kommen sollen. Einer wendet aber auch ein, dass sie doch einen Achter-Tisch machen könnten, dann würde niemand ›ausgegrenzt‹. Nun werden erst mal alle Jungen zusammen aufgeschrieben.

Es ist offensichtlich, dass bei der Verteilung von Sitzplätzen Geschlecht als wesentliches Sortierungsmerkmal verwendet wird. Dabei lässt sich eine passförmige Einigkeit zwischen Lehrerin und SchülerInnen konstatieren. Die Zweigeschlechtlichkeit bildet den gleichsam »natürlichen« Referenzrahmen für die Eingruppierung. Geschlecht wird von den FeldakteurInnen selber ins Spiel gebracht und widerspruchsfrei ausgestaltet, eine Analyse der Bedeutsamkeit von Geschlecht könnte sich relativ problemlos darauf stützen. Zweck ist die Herstellung einer funktionalen Ordnung im Kontext von Peerfreundschaften, Zweigeschlechtlichkeit und Effektivität in der Organisation unterrichtlicher Voraussetzungen. Bezugnahmen auf Gender sind im Unterricht häufig, offensichtlich und oftmals bereits selber ordnend (Budde 2013). Die Ordnungsfunktion wird dem Forscher sozusagen »auf dem Präsentierteller« dargereicht, wenn Geschlecht in dieser Weise bei der Vergabe von Sitzplätzen oder in zweigeschlechtlichen Aufrufketten adressiert wird. Neben Geschlecht sind auch Leistung, sowie Status und Alter bedeutende feldinduzierte Differenzierungskategorien, die sich in Unterrichtsforschungspro-

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jekten häufiger – und relativ einfach – analysieren lassen. Die Status- und die Altersdifferenz drückt sich vor allem in der dauerhaften Aktualisierung durch die asymmetrische Gestaltung der Unterrichtskommunikation aus, beispielsweise in der Adressierung der SchülerInnen als »Liebe Kinder«. Leistung hingegen wird beispielsweise dann deutlich, wenn die Lehrkräfte leistungsdifferenzierte Aufgaben stellen. Für andere soziale Kategorien sind die Erkenntnismöglichkeiten dieses Vorgehens begrenzt. Finden sich zur Kategorie Ethnizität zumindest auf der PeerEbene noch feldinduzierte Aussagen (und sehr selten wohlmeinende oder auch feindliche Beiträge der Lehrpersonen), so wird soziale Herkunft geradezu nivelliert: In den Praktiken, den körperlich vollzogenen Handlungen wird diese kaum deutlich. Erwartbar könnte sein, dass sich beispielsweise in Distinktionspraktiken im Zusammenhang mit (manchen Kindern fehlenden) Statussymbolen (wie Markenkleidung, Kommunikationselektronik oder Ähnlichem) soziale Herkunft manifestieren müsste. Allerdings scheinen diese Praktiken – so sie nicht sprachlich expliziert werden – nicht einfach zu beobachten zu sein. Die vorliegenden Studien zu Mikropraktiken des Gebrauchs von Statussymbolen oder zum Shopping-Verhalten (zum Beispiel Phoenix 2009) ermöglichen nur selten tatsächlich eine Rekonstruktion sozialer Herkunft. Die Zugehörigkeit zu spezifischen Milieus wird dort zumeist aufgrund makro- oder mesostruktureller Daten vorausgesetzt. Die prominente Stellung der feldinduzierten Konstruktion von Geschlecht im Vergleich zu anderen sozialen Kategorien ist aus drei Gründen relativ problemlos: 1) Erstens gibt es immer wieder feldinduzierte sprachliche Bezugnahmen auf Geschlecht. Körperliche, vorbewusste Praktiken geraten mit diesem Ansatz nicht in den Blick. 2) Zum zweiten scheint Geschlecht aufgrund der körperlichen Repräsentation einfach zurechenbar. Geschlecht ist leichter körperlich zu identifizieren als ein Migrationshintergrund oder der soziale Status. Die Binarität der Kategorie erleichtert ihre Offensichtlichkeit zusätzlich. 3) Zum dritten gilt Geschlecht als individuelles und gleichzeitig generalisierbares Merkmal und scheint damit vor der Kopplung an Ungerechtigkeitsdiskurse gefeit.

Diese Kriterien treffen auf alle Verwendungen von Kategorien im Unterricht zu, die sich feldinduziert rekonstruieren lassen.

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Induktives Vorgehen Problematischer wird die Beobachtung von Differenz jedoch, wenn die feldeigenen Bezugnahmen verborgener sind. Dies soll anhand der Interpretation eines ausführlichen Beobachtungsprotokolls vertieft werden. Im Mittelpunkt steht die Aufteilung von SchülerInnen im Deutschunterricht in einer der bilingualen Gymnasialklassen auf verschiedene Arbeitsgruppen, eine Unterrichtsanordnung, die in hohem Maße Befunde zu Differenz und Sortierungspraktiken erwarten lässt. Die Lehrerin unterteilt sieben verschiedene Felder auf der aufgeklappten Tafel und notiert in jedem Feld eine Aufgabe zum Thema »Märchen«. An der Tafel stehen die Namen von Übungen: Hans im Glück/ Der süße Brei/ Märchenkreuzworträtsel/ Steckbrief/ Die Galoschen des Glücks/ Das Mädchen und die Schwäne/ Rotkäppchen im Pelz. Dann präsentiert sie die Inhalte der verschiedenen Übungen und ergänzt, dass sich die Kinder für eine Aufgabe entscheiden sollen. Als Frau Haber merkt, dass vor allem das Kreuzworträtsel attraktiv scheint (viele haben schon bei der Vorstellung »Ja« gerufen oder geklatscht), legt sie fest, dass in jede Gruppe nur 5 Kinder dürfen und kommentiert »Das müssen wir gleich noch ein bisschen sortieren«. […] Dann fragt, die Lehrerin, wer das Kreuzworträtsel machen möchte, es melden sich viele. »Uhh, das sind ja viel zu viele«. Die Lehrerin sagt dann, dass sie pro Tischgruppe nur einen auswählt. Dann wählt sie in schneller Reihenfolge Sascha, Ahmed und Marius von den Tischgruppen V, IV und III. Frau Haber sagt nach dem Anschreiben: »Oh. Wieso hab ich jetzt nur Jungen, da muss ich auch mal ein Mädchen kriegen.« In Richtung Tischgruppe II meint sie: »Ist da keine? « Julian ruft: »Doch ich«. Einige SchülerInnen lachen. Die Lehrerin sagt, »Noch ein Junge? Gut« und notiert seinen Namen. »Wir haben doch gar nicht so viel Jungenüberschuss«. (An der TG II sitzen Hannes, Julian, Florian und Janine). An der Tischgruppe I wählt sie dann Chantal aus. Einige SchülerInnen stöhnen und machen enttäuschte Geräusche beim Runternehmen des Armes. Die Lehrerin kommentiert dies mit »Des einen Glück, des anderen Pech.« Jetzt ist die Aufgabe »Steckbrief« dran. Sie wendet sich vor allem an Tischgruppe I. »Nun kommen die Kriminalistinnen unter Euch zum Zuge!« Die Lehrerin wählt wieder je Tisch eine Person, weil sich wieder mehr als 5 melden. Sie wählt in schneller Reihenfolge Inge, Nelson, Raya, Maja und Hatice. »Nun haben wir einen Mädchenüberschuss, naja, ist doch egal.« Bei »Rotkäppchen im Pelz« melden sich wieder mehr als fünf. Sie wählt Claus, Nilüfer, Kjara, Johanna und Anna. Jusuf ruft: »Nicht mal das krieg ich. Ich hab mich zwei Mal gemeldet und bin nie dran gekommen.« Die Lehrerin sagt, dass sich andere sogar drei Mal gemeldet hätten. Hannes beschwert sich, dass bei Rotkäppchen so viele Mädchen sind. Ein anderer meint »Ja ehrlich«.

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In dem Protokoll wird von der Aufteilung in Arbeitsgruppen zum Thema »Märchen« für die zwei darauf folgenden Deutschstunden berichtet. Offensichtlich ist auch hier Geschlecht ein zentrales Differenzierungskriterium, welches im Feld selber zur Anwendung kommt – dies soll jedoch nicht weiter vertieft werden, denn die Frage ist ja, inwieweit weitere Differenzen hergestellt werden. Dabei ist schnell festzustellen, dass in dem reinen Beobachtungsprotokoll kaum weitere Differenzkategorien explizit thematisiert werden. Nun könnte man spekulieren, inwieweit in der Auswahl der Gruppe »Steckbrief« implizite ethnisierende Sortierungspraktiken zum Vorschein kommen. Ein erster Anhaltspunkt im Beobachtungsprotokoll sind die Namen der Kinder: Inge, Nelson, Raya, Maja und Hatice. Allerdings sind in hohem Maße Reifizierungsund Zuschreibungsproblematiken zu vermuten, wenn Kinder nach ihrem Namen beurteilt werden. Aus diesem Grund haben wir in der Studie einen ergänzenden Fragebogen ausfüllen lassen, in dem elf von 28 SchülerInnen in einem einen Migrationshintergrund angeben. Nun nennen im Fragebogen tatsächlich immerhin drei von fünf Kindern der Gruppe »Steckbrief« einen Migrationshintergrund. Über die Funktion dieser möglichen Sortierung können jedoch noch immer keine Aussagen getroffen werden. Weiter wird diese Annahme nur darüber abgesichert, dass zusätzliche Informationen über die SchülerInnen vorliegen, die jenseits von beobachtbaren Praktiken liegen und welche die Interaktionspraktiken gewissermaßen mit Kategorien anreichern. Dieser Einwand mag dogmatisch daherkommen, Schatzki bezeichnet Praktiken ja als »nexus of doings and sayings« (Schatzki 1996: 89). Da aber • Interaktionen in der Ethnographie als zentrale soziale Einheit angesehen werden, sollten aus der Beobachtung eben dieser (Interaktionen) auch Aussagen generierbar sein (man kann selbstverständlich auch das Ausfüllen eines Fragebogens oder ein Zeugnis als Praktik bezeichnen – dann droht allerdings Beliebigkeit in der Anwendung des Begriffs). • Weiter ist die Analyse nun wieder im Bereich der deduktiven Kategorien angekommen. Damit wird auch die oben diskutierte Limitierung aktualisiert, denn so können nur Differenzen in Erwägung gezogen werden, denen zuvor (beispielsweise im Rahmen eines Fragebogens) Relevanz zugeordnet wurde. So haben wir im Fragebogen nicht nach Leistung gefragt. Auch liegen keine Daten zu Zeugnisnoten oder aus Leistungstests vor. Die Beurteilung, ob zum Beispiel leistungsbezogene Aspekte bei der Auswahl der SchülerInnen für die Gruppe »Steckbrief« eine Rolle gespielt haben, könnte sich nur auf beobachtbares Leistungsverhalten im Unterricht stützen, was sicher ein zu schwaches Kriterium darstellt.

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Andere Differenzen werden ebenfalls erst dann deutlich, wenn neben der Beobachtung zusätzliche Informationen herangezogen werden. So macht die Lehrerin in einem informellen Gespräch nach dem Unterricht einige Tage vorher Aussagen zu einigen SchülerInnen, die sie in der Gruppe »Kreuzworträtsel« versammelt. »Vor allem bei Ahmed und Marius gibt es wenig Unterstützung im Elternhaus und große Probleme mit der Sprache. Sascha und Ahmed erhalten nachmittags Förderunterricht.« In diesem kurzen Ausschnitt wird auf zwei Differenzkategorien angespielt. Zum ersten nimmt die Lehrerin Bezug auf familiäre Hintergründe, die sie aus schulischer Perspektive als problematisch identifiziert. Die »wenige Unterstützung« wird zwar nicht weiter ausgeführt, reicht jedoch im Kontext Schule aus, um beim Forscher an Diskurse über bildungsferne Milieus anzuschließen. Weiter werden Leistungsdifferenzen im Verhältnis zum Rest der Klasse thematisiert, die sich in »großen Problemen mit der Sprache« und dem »Förderunterricht« ausdrücken. Mit dieser zusätzlichen Information lassen sich nun weitere Überlegungen zur Zusammensetzung der Gruppe »Kreuzworträtsel« anstellen. So spontan, wie die Lehrerin die Gruppe einteilt, kommt es dazu, dass in dieser Gruppe überproportional viele schwache SchülerInnen mit familiären Problemlagen versammelt sind. Gleichzeitig ist nach Aussage der Lehrerin das Kreuzworträtsel die einfachste der sieben Arbeitsaufgaben, hier geht es lediglich um die Reproduktion von Wissen. Die Lehrerin kann also die Hoffnung haben, dass die ausgewählten SchülerInnen die Aufgabe erfolgreich bewältigen werden können. Dies könnte gleichzeitig zu einer Bestärkung ungünstiger Schulkarrieren führen, da die als schwach identifizierten Kinder sich auch mit den einfachsten Aufgaben beschäftigen. Ein weiteres Beispiel für ein induktives Vorgehen bei der Beobachtung ließ sich in der anderen Gymnasialklasse in Bezug auf ethnisch markierte Differenzen beobachten. Einzig bei einem Schüler mit arabischem Migrationshintergrund ließ sich in der Gymnasialklasse widerholt eine spezifische Form der Infantilisierung feststellen. Während die Deutschlehrerin sich bei Einzelgesprächen bei den übrigen MitschülerInnen entweder hinter oder neben diese stellt und sich dann herunterbeugt, geht sie bei Samir jedes Mal in die Hocke, wenn sie mit ihm spricht. Diese körperliche Praktik verbirgt eine ambivalente Struktur. Die beiden begegnen sich so »auf Augenhöhe«, allerdings lediglich aufgrund der einseitigen Größenminderung durch die Lehrperson. Das freiwillige Herablassen auf das körperliche Niveau von Samir ist nämlich im strengen Sinne eine Art »Gnade«. Es existiert kein Anspruch von Samir auf diese spezifische Begegnungsebene. Diese Art der »Augenhöhe« lässt sich vor allem im Kontakt von Erwachsenen mit Kleinkindern finden. Samir wird – so könnte man streng interpretieren – aus dem an Rationalitäten orientierten schulischen Diskurs ausgeklammert und auf

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einen vorschulischen Status zurückgesetzt. Damit wird eine Ungleichheitsrelation aktualisiert. Hier jedoch manifestiert sich das Problem der Grenzen der Beobachtungsmöglichkeiten von Differenz, da sich ähnliche Praktiken weder bei anderen SchülerInnen mit Migrationshintergrund beobachten lassen, noch abgesichert werden kann, dass es tatsächlich der Migrationshintergrund von Samir ist, der die Lehrerin zu ihrem körperlichen Handeln veranlasst.

F AZIT Reflektiert man die Beispiele vor dem Hintergrund der Frage, wie sich Differenzen beobachten lassen, lassen sich zukünftige Entwicklungslinien skizzieren. Drei Punkte sind meines Erachtens weiter zu klären, die beide in Relation zum Konzept der Praktik stehen und die ein zukünftiges methodologisches Programm skizzieren. 1) Der erste bezieht sich auf den zeitlichen Horizont. Ethnographie erfordert zeitlich längere Feldphasen. In dem hier diskutierten Projekt wurde die Beobachtung nur an ein bis zwei Tagen für jeweils etwa zwei Stunden durchgeführt, sodass zentrale Entwicklungslinien in den Klassen nur bruchstückhaft erfasst werden können und sich entsprechend das Problem von Singularität versus Regelhaftigkeit immer wieder von neuem stellt. So bleibt unklar, ob die Beobachtungen lediglich singulären Charakter haben und eben nicht auf Ordnungsstrukturen verweisen oder aber ob sie als Routinen gelten können, denen Strukturierungen zugrunde liegen. Hier bedarf es einer Schärfung des Praktiken-Konzeptes, um auch unter suboptimalen Beobachtungsbedingungen einer »saisonalen Ethnographie« (Budde 2013) Unterscheidungen zwischen Singularität und Regelhaftigkeit von Praktiken vornehmen zu können. Welche Qualitätsstandards braucht Ethnographie, um das Risiko zu minimieren, dass aus zufälligen Eindrücken Aussagen über generalisierbare Strukturen des Sozialen getroffen werden? Kann eine fokussierte Ethnographie den bisherigen Vorstellungen von ethnographischer Feldforschung gerecht werden (vgl. Budde 2011b)? Was bedeutet es für das Spannungsfeld von going native und reflexiver Distanzierung vom Feld als »Suchstrategie«, wenn die Feldphasen zu Stippvisiten werden (vgl. etwa Rademacher 2008). Bollig und Neumann kritisieren, dass dadurch »die Spezifität ethnographischer Feldforschung gegenüber anderen Formen video- oder audiogestützter Forschung eher undeutlich und zuweilen auch gar nicht mehr ausdrücklich thematisiert« (Bollig/Neumann 2011) wird.

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2) Weiterhin ist zu schärfen, welche Daten als Praktiken verstanden werden. Sind informelle Gespräche, Zeugnisse, Daten aus Leistungstests oder soziokulturellen Fragebögen Praktiken? Wie verhält es sich mit Artefakten? Wie immer die Antwort ausfällt, es muss genauer bestimmt werden, wie sprachliche und nicht sprachliche Praktiken, Interaktion, Sprechakt und diskursive Praktik, Praktiken und Artefakte etc. zueinander stehen und welcher Stellenwert ihnen in der Analyse zukommt. Eine Ethnographie, die sich als Forschungsstrategie der sozialen Handlung versteht, sich aber in der Interpretation stillschweigend vor allem auf Gesprochenes stützt, wird weder ihren Ansprüchen noch ihrem Potential gerecht. In einer ersten Annäherung würde ich als Kennzeichen einer empirisch analysierbaren Praktik verstehen, dass diese a) nicht einfach Interaktion ist, sondern soziale Prozesse zum Gegenstand hat (auch Raum, Artefakte oder Zeit können in einem konstruktivistischem Sinn als sozialer Prozess begriffen werden), b) in einem weiten Verständnis nicht zufällig ist, sondern routinierten Abläufen und nicht-bewussten Handlungsverläufen folgt sowie c) in einem je spezifischen sozialen Kontext – mit Bourdieu in einem sozialen Feld – stattfindet und somit als partikular und nicht universalistisch verstanden werden sollte. 3) Zu klären wäre weiter, wie das Verhältnis von Praktiken und sozialer Struktur zu fassen ist. Wenn Praktiken nicht einfach Struktur abbilden und wenn Struktur nicht ausschließlich in und durch Praktiken generiert wird – wenn also Praktiken und soziale Struktur in einem interdependenten Verhältnis zueinander stehen – dann wäre zu präzisieren, wie die Relationierungen zwischen den beiden Ebenen methodologisch und methodisch zu fassen sind. Dem skizzierten Verständnis von Praktiken folgend, würde das bedeuten, a) das Soziale einer Praktik herauszuarbeiten, b) zwischen singulären und routinierten Handlungen unterscheiden zu können sowie c) durch einen Reflexion der Feldeffekte feldspezifische, lokale Aussagen von generalisierenden, übergreifenden Aussagen unterscheiden zu können.

Nun könnte man den Standpunkt vertreten, dass in ethnographischen Forschungen diese Punkte sowieso ineinander fallen – der Hinweis, dass Ethnographie keine Methode, sondern eine Forschungsstrategie sei (Bohnsack 1997, Hirschauer/Amann 1997) deutet in diese Richtung, denn in dieser Sichtweise wird methodologische Strenge zurückgewiesen. Problematisch ist jedoch, dass jeweils eine Vorstellung des Vergleichshorizontes fehlt, denn erst der Vergleich ermöglicht Bewertung – und was wäre eine Interpretation von Daten anderes als eine Bewertung der Relevanz der analysierten Praktik für die Strukturierung des Feldes. Sind Beobachtungen willkürlich, fehlt der Vergleich zu den alltäglichen Routinen. Wenn – wie im zweiten Punkte angedeutet – alles, was als Daten er-

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scheinen kann, als Praktiken verstanden wird, dann bleibt das Spezifische einer Praktik als Praktik (in Relation zu anderen sozialen Erscheinungsformen) unklar. Als Befund zu der Frage der Ordnungsfunktion von Differenzkonstruktionen lässt sich festhalten, dass es vor allem um einen funktionalen Gebrauch von Differenz zur Durchführung und Aufrechterhaltung von Unterricht geht. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Übereinstimmung zwischen SchülerInnen und Lehrpersonen. Das Interesse an einer funktionalen Handhabung von Unterricht scheint auf beiden Seiten zu dominieren. Weiter bilden weder gruppenspezifische Förderkonzepte oder implizite Benachteiligungsstrukturen die zentrale Referenz für die Tauglichkeit der Anwendung sozialer Kategorien, sondern der Vollzug von Unterricht selber. Funktional sind dafür solche Kategorien, die a) körperlich offensichtlich sind, b) als natürlich (und deswegen nicht ungerecht) gelten und c) in dem Sinne generalisierbar sind, dass alle selbstverständlich über sie verfügen. Vor allem Gender, Leistung und Alter kommen dabei im Feld selber zur Anwendung, während sich für andere, in der Theorie von Heterogenität oder Intersektionalität als bedeutsam markierte Kategorien wie Milieu, Migration oder Behinderung auf der Ebene der Praktiken kaum feldinduzierte Bezugnahmen finden lassen. Zukünftig könnte dies für Forschungsprojekte bedeuten, eine Doppelstrategie anzuwenden. So müssten Kategorien an das Material herangetragen werden, nicht als vorgefertigte Begründungen, sondern als heuristische Annahmen, deren Relevanz erst mit dem Material zu prüfen wäre. Diese Art der Verwendung sozialer Kategorien als heuristische Annahme wiederum müsste expliziert und damit auch der reflexiven Bearbeitung zugänglich gemacht werden.

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D IFFERENZ

BEOBACHTEN ?

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Notwendige Differenzbearbeitungen: Selbst- und Fremdbeobachtung im ethnographischen Schreiben B IRGIT A LTHANS

Was sehe ich, nehme ich wahr, wenn ich Andere und Anderes beobachte? Beobachte ich »fremde« Akteure und ihre Konstruktionen sozialer Wirklichkeiten oder nehme ich mich selbst als Fremde in einem unbekannten Feld des Sozialen wahr? Diese Fragen, wie auch die Frage, ob ich andere – als Angehörige anderer Kulturen – tatsächlich »verstehen« kann, wurden im Kontext der »Krise der Repräsentation« (Berg/Fuchs 1993) in Bezug auf die klassische Kulturanthropologie und Ethnologie im angelsächsischen Kontext ausführlich diskutiert. Wie verhält es sich damit in der deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen Ethnographie? Und welche Rolle – so die zentrale Frage des Beitrags – spielt dabei der Körper des oder der Beobachterin als prädestinierter »Ort« der Differenzerfahrung in den wechselseitigen Beobachtungskonstruktionen pädagogischer Situationen? Wie wird er in den theoretischen Traditionen von Selbst- und Fremdbeobachtung reflektiert – und konstruiert? Der Beitrag möchte diesen Fragen nachgehen und dabei zeigen, dass auch die erziehungswissenschaftliche Ethnographie in einer langen europäischen Tradition der Kontrolle beziehungsweise Objektivierung des Beobachterkörpers steht und deshalb für die Notwendigkeit einer kontrollierten Reflexion der körperlichen Differenzerfahrung zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung und ihrer Bearbeitung im Text, also in der ethnographischen Publikation plädieren. Als Referenztexte dienen dabei unter anderem Bronislaw Malinowskis »Argonauten des westlichen Pazifik« (1979 [1922]), in dem er die »teilnehmende Beobachtung« erstmals als wissenschaftliche Methode der »Ethnographie« beschrieb, und die gleichzeitigen Beobachtungen seiner Selbst in »A Diary in the strict sen-

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se of the term« (1989 [1967]), die diese Differenzerfahrung belegen und kurzzeitig auch skandalisierten (Geertz 1988, Clifford 2004). Begonnen wird jedoch zunächst mit einer historischen und kulturwissenschaftlichen Perspektive auf die europäische Geschichte der Konstruktion des Konzepts der differenten Selbst- und Fremdwahrnehmung des teilnehmenden Beobachters in den Diskursen der Aufklärung (1.), um dann den Niederschlag dieser Differenzierungsbemühungen am Beispiel der Textproduktionen Bronislaw Malinowskis zu betrachten (2.). Abschließend sollen aktuelle Praxen der Differenzierung zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung in Systemtheorie und den phänomenologisch motivierten Neuformulierungen der Ästhetik aufeinander bezogen sowie Bewegungs-, Tanz- und Theaterwissenschaft und die Theorien des Performativen als mögliche Perspektiven der ethnographischen Forschung skizziert werden (3.).

D IE HISTORISCHE K ONSTRUKTION DES TEILNEHMENDEN B EOBACHTERS : S CHREIBEN ZWISCHEN S ELBST - UND F REMDBEOBACHTUNG Die Beobachtung der eigenen fremden Kultur, verknüpft mit der Idee der »teilnehmenden Beobachtung« beginnt, wie so vieles, zu Beginn des 18. Jahrhunderts in England und zeigt sich eng mit der Entstehung des Journalismus, der modernen Finanz- und Geschäftswelt, verknüpft. Joseph Addison: The Spectator und die Etablierung eines sichtbar unsichtbaren Beobachters in der bürgerlichen Öffentlichkeit Auch die Etablierung des neutralen Beobachtens oder der teilnahmslosen Teilnahme (vgl. Lindner 1981) lässt sich – ethnographisch gefasst, als gesellschaftlicher Vorgang, der »das Handeln von Menschen, ihre Alltagswelten und Lebenswelten« beschreibt (Lüders 2000: 384) – sowie der sich konstituierenden bürgerlichen Öffentlichkeit (Habermas 1990 [1962], Sennett 2012, 1983) zurückverfolgen. Sie beginnt somit mit den von Joseph Addison und Richard Steele begründeten moralischen Wochenzeitschriften, 1709 mit dem Tatler, auf den 1711 The Spectator folgte. Der Spectator, zum ersten Mal am 1.3.1711 und bis 1712 täglich in 600 Exemplaren erscheinend, wurde als schriftliches Organ geradezu aus der individuellen Disposition Joseph Addisons destilliert, der sich selbst als Person beschrieb, die das Beobachtet-Werden hasste »for the greatest

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pain I can suffer, is the being talked to, and being stared at« (Addison 1711)1, das Beobachten anderer jedoch liebte und »jeden Tag die öffentlichen Plätze aufsuchte«, sich »zeitlebens unter Menschenmassen mischte« und »außerhalb ihres Clubs niemals den Mund aufmachte« (Addison 1711, deutsch zit. nach Manthey 1983: 166.). Als das entsprechende Verbreitungs-Medium wurde The Spectator in der öffentlichen Debatte installiert. Die Zeitschrift Spectator beobachtete und dokumentierte von nun an täglich die sich zu dieser Zeit stark im Wandel befindenden Kommunikationsformen der Protagonisten des Finanz- und Handelswesens, der (Kolonial-)Politik sowie derer des Wissenschafts-, Kunst-, und Literaturbetriebs des entstehenden britischen Empires, wie sie in den Londoner Kaffeehäusern zunächst inszeniert und dann institutionalisiert wurden. Addison selbst beschreibt diese Zuordnung von Expertisen qua Kaffeehaus in der ersten Nummer des Spectator: »There is no place of general Resort wherein I do not often make my appearance; sometimes I am seen thrusting my Head into a Round of Politicians at Will's and listning with great Attention to the Narratives that are made in those little Circular Audiences. Sometimes I smoke a Pipe at Child's; and, while I seem attentive to nothing but the Post-Man, over-hear the Conversation of every Table in the Room. I appear on Sunday nights at St. James's Coffee House, and sometimes join the little Committee of Politics in the Inner-Room, as one who comes there to hear and improve. My Face is likewise very well known at the Grecian, the Cocoa-Tree, and in the Theaters both of Drury Lane and the Hay-Market. I have been taken for a Merchant upon the Exchange for above these ten Years, and sometimes pass for a Jew in the Assembly of Stock-jobbers at Jonathan's.« (ebd., Herv. im Orig.)

Addison konstruierte so eine spezifische Figur des Beobachtens: Einen für andere sichtbaren, als Person in unterschiedlichen Kontexten bekannten Körper, der einem Chamäleon gleich mit seiner jeweiligen Umwelt verschmolz und so im Beobachtungsvorgang selbst unsichtbar wurde. Das, was der Spectator dabei erfuhr und verschriftlichte, die Kaffeehausgespräche »als informative Gespräche zwischen einander Fremden« (Sennett 1983: 103), wurden so, in den bevorzugten Kaffeehäusern, die als Treffpunkte für bestimmte Informationen galten, teilnehmend beobachtet, dokumentiert und verbreitet. Mit Clifford Geertz späterer Perspektive auf »Dichte Beschreibungen« ließe sich auch sagen, die Kaffee-

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Die erste Ausgabe des Spectators wird im Text nunmehr mit »Addison: 1711« markiert aus der Internet-Version (http://www.gutenberg.org/files/12030/12030-h/SV1/ Spectator1.html#section1) zitiert.

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hausgespräche wurden als »kollektive Selbstbilder« (Ellrich 1999), als »Bilder«, die »ein Volk« selbst über »die Dinge in ihrer reinen Vorfindlichkeit hat« (Geertz 1987: 47), beschrieben. Die Aussagen der bei Addison beschriebenen Protagonisten wurden durch diese Form der Präsentation auch stets inhaltlich gerahmt: Der Rahmen des Kaffeehauses diente gleichzeitig als solcher für die Bewertung der Inhalte des aufgezeichneten Gesprächs. Jürgen Habermas wies in »Strukturwandel der Öffentlichkeit« darauf hin, dass Addison eben diese Gesprächskultur durch seine Beobachtungen auch »performativ« miterzeugte. Was Habermas als grundlegend für den »Strukturwandel der Öffentlichkeit« setzt, die Einbeziehung der Beobachteten in die Erzeugung und die Kontrolle von Diskursen, beschreibt Richard Sennett etwas distanzierter als neugeschaffene »Fiktion« der Nicht-Existenz gesellschaftlicher Unterschiede im Kaffeehausgespräch (Sennett 1983: 103); der Literaturwissenschaftler Jürgen Manthey schließt unter anderem aus der oben beschriebenen Konzeption des Spectator folgerichtig auf die »ungeheure Aufwertung von Autorschaft im 18. Jahrhundert« (Manthey 1983: 168). In seiner Studie über das »Sehen in Literatur und Philosophie« zeigt er, dass einerseits die Selbststilisierung Addisons als distanzierter, neutraler, aber körperlich präsenter Beobachter ihn durch die Praxis der täglichen Beobachtung und stummen Teilnahme zum selbsternannten »Erzieher der Nation« macht. Zum anderen sieht er die Kaffeehaus-Autoren des 18. Jahrhunderts durch die neuen technischen Möglichkeiten der Vervielfältigung zu »Kopisten« der »Transkripte der Welt«, so wie sie sie vorfanden, und so auch zu »Gesetz- und Regelgebern« des neuen Alltags, den sie beobachteten, avancieren (ebd.). Addison selbst sah sich sowohl als Beobachter wie Theoretiker des Alltags dieser fremden, neuen, eigenen Kultur: »Thus I live in the World, rather as a Spectator of Mankind, than as one of the Species; by which means I have made my self a Speculative Statesman, Soldier, Merchant, and Artizan, without ever medling with any Practical Part in Life. I am very well versed in the Theory of an Husband, or a Father, and can discern the Errors in the Œconomy, Business, and Diversion of others, better than those who are engaged in them; as Standers-by discover Blots, which are apt to escape those who are in the Game.« (Addison 1711)

Addison positionierte sich so als »Zwischenglied« der Beobachtungskunst auf ihrem Weg zur »wissenschaftlichen Objektivität« (Daston/Galison 2007), zwischen die strenge, synthetisierende und wahrheitssuchende Perzeptionskunst der Naturwissenschaft seiner Zeit, die auch die Künstler, die die naturwissenschaftlichen Werke zu einer disziplinierten, »passiven« Rezeptionshaltung gegenüber

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der Natur zwangen. Addison agierte dagegen zwar als stiller, aber aktiv rezipierender Beobachter, der gut zu lesende »Vernunft-Bilder« der neu entstandenen Welten inmitten der eigenen Kultur zeichnete, und wirkte so ebenso diskurs-2 wie stilbegründend, wie keine geringere als Virginia Woolf seiner Autorschaft zubilligte3. Er erfand für seine (leibhaftige) Person den unparteiischen Beobachter als Figur (und Fiktion), etablierte sie im kollektiven Imaginären und begründete so seine Autorschaft. Fast folgerichtig erscheint in diesem historischen Kontext dann Adam Smiths Konstruktion des »impartial spectators« in »The Theory of Moral Sentiments« (2004[1759]), der dieses Konzept des unbeteiligten Beobachters – als innere moralische Instanz der angemessenen, aber distanzierten Beurteilung menschlicher Affekte und sozialer Interaktionen – als Konstrukt selbstbeherrschter bürgerlicher Individualität moralphilosophisch entwirft. Adam Smiths »impartial spectator«: Teilnehmende Beobachtung als moralische Instanz in der Gesellschaft von Fremden Adam Smith griff Addisons Figur des stummen, aber körperlich präsenten Beobachters, die dieser im kollektiven Imaginären der von ihm beschriebenen Gesellschaft fest installiert hatte, auf. Er transformierte sie jedoch zur Forderung an die individuelle Imagination, als moralische Inskription des BeobachtetWerdens, die jedes gesellschaftliche Subjekt zu verinnerlichen habe. Die Gesellschaft derjenigen, die später von der »unsichtbaren Hand« des Marktes regiert werden sollten, die Smith in »An Inquiry into the nature and causes of the wealth of nations« (1976[1776]) beschrieb, bestand im frühen 18. Jahrhundert aus Individuen, für die nunmehr universell zu gelten hatte, dass sie »sich selbst« und ihre

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Angesichts der Tatsache, dass es auch 2012 immer noch eine konservative Zeitschrift The Spectator mit einer Rubrik Coffeehouseblogs und einem Chefredakteur (Boris Johnson) gibt, der in seiner Doppelfunktion als Politiker und Zeitschriftenredakteur im Bewusstsein seiner Zeitgenossen überaus populär ist, dabei die Gründung des Spectator jedoch auf das Jahr 1828 datiert, kann Addison und seine Konzeption des Spectator als ein weiterer Beleg für Michel Foucaults These angesehen werden, dass der Begründer eines Diskurses notwendigerweise vergessen, aber auch stets wiederentdeckt werden muss (vgl. Foucault 1988 [1969]: 27f.).

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Während Habermas auf sein Selbstverständnis als »censor of moral and manners« hinweist (Habermas 1990 [1962]: 106), sieht ihn Virginia Woolf als Begründer der britischen Essayistik und merkt an: »Unzweifelhaft ist es Addison zu verdanken, dass Prosa nun prosaisch ist – ein Medium, das es Menschen von gewöhnlicher Intelligenz ermöglicht, ihre Ideen der Welt mitzuteilen« (Woolf 1989 [1925]: 129).

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Begierden und Interessen »mit den Blicken der anderen« sehen sollten, für die das als eine notwendigen Voraussetzung ihrer »Gesellschaftsfähigkeit«, als notwendiges gesellschaftliches Regulativ galt: »Ein gesellschaftliches Wesen (›something to go along with‹) wird einer erst sein, wenn er den ›impartial spectator‹ in sich selbst über sein eigenes Verhalten wachen lässt« (Smith 1759 zit. nach Manthey 1983: 178). Dabei sah Smith den »impartial spectator« keineswegs als empfindungs- oder leidenschaftslosen Beobachter, sondern fasste die beobachtende Empathie vielmehr als Grundlage gesellschaftlicher Ordnung: »Wenn wir die verschiedenen Schattierungen und Abstufungen von Schwäche und Selbstbeherrschung prüfen, wie wir sie im gewöhnlichen Leben antreffen, so werden wir uns leicht davon überzeugen, dass diese Gewalt über unsere passiven Gefühle nicht aus den unverständlichen Schlussfolgerungen einer spitzfindigen Dialektik gewonnen werden muss, sondern aus jener großen Schule, die uns die Natur selbst zur Erwerbung dieser oder jener anderen Tugend errichtet hat, nämlich aus einem Blick auf die Gefühle eines wirklichen oder des in der Phantasie vorgestellten Zuschauers, der unser Verhalten beobachtet.« (Smith 2004[1759]: 214).

Der »impartial spectator« wurde so zu einer ersten Instanz der Selbstbeobachtung, aufgefasst als Verinnerlichung des Blicks der anderen; die Beobachtung der Beobachtung wird als moralischer Imperativ und als gesellschaftliches Regulativ etabliert. Dass diese Imagination auf einer gewissen Erziehungsleistung beziehungsweise Sozialisation in das Gesehenwerden4 basiert, scheint ebenfalls folgerichtig. Sie findet in einem historischen Kontext statt, in dem die eigene Kultur stark befremdet wurde. Durch den intensivierten, forcierten Austausch von Informationen zwischen Geschäfts- und Finanzleuten, Politikern, Künstlern und Wissenschaftlern im England des 18. Jahrhunderts, die sich in den Kaffeehäusern als spezialisierten Informationszentren trafen, kam es vermehrt zu Begegnungen zwischen Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Milieus und Nationalitäten, die einander bis zu diesem Zeitpunkt zutiefst fremd waren. Richard Sennett wies in seiner Darstellung der Kaffeehauskultur des 18. Jahrhunderts deshalb auf die ausgeprägte Theatralik der Kaffeehausgespräche hin:

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Smith beschreibt dabei durchaus unterschiedliche Positionen bzw. Klassen des Gesehenwerdens: »Der Arme kommt und geht unbeachtet, und selbst inmitten einer großen Menge befindet er sich in der Dunkelheit, als sei er in einer Hütte eingeschlossen. […] Der Mann von Rang wird dagegen von der ganzen Welt beobachtet. Jeder ist begierig, den Blick auf ihn zu richten.« (Smith 1759 zit. nach Manthey 1983: 175)

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»London und Paris füllten sich insbesondere nach den 1760er Jahren mit Fremden, die Informationen nicht nur austauschen, sondern auch in ihrer Bedeutung und ihrem Wert einschätzen mussten (Es ist kein Zufall, dass Versicherungshäuser wie Lloyds zu Anfang Kaffeehäuser waren.) Dazu bedurfte es einer ausdruckstarken Kommunikation. Das Cafe, schrieb Diderot, sei ein Theater, in dem es drauf ankomme, das einem geglaubt werde.« (Sennett 1983: 103)

Ähnliches demonstrierte schon Daniel Defoe zu Beginn des 18. Jahrhunderts in seiner Funktion als Wirtschaftsjournalist mit seiner fiktiven Figur der Lady Credit, mit Hilfe derer er in seiner Zeitschrift Review die für den Geschäftsmann seiner Zeit eminent wichtige Doppel-Konstruktion der moralischen Glaub- und finanziellen Kreditwürdigkeit im täglichen Sehen und Gesehenwerden des Kaffeehauses beschrieb und so das Kreditwesen im öffentlichen Diskurs etablierte (Defoe 1706, Sherman 1996, Althans 2000). Während jedoch Lady Credit als semiprofessioneller Begleitservice mit körperlichen Zuständen auf das Geschäftsgebaren der englischen Finanzwelt reagierte und somit in Defoes Texten Krisen im kollektiven finanziellen Imaginären körperlich veranschaulichte, verkörperte Adam Smiths Figur des »impartial spectator« das Prinzip der Selbstregulation, das durch die Imagination eines stummen Beobachters des eigenen Verhaltens erzeugt werden konnte. Smiths Ausführungen fußten dabei unter anderem auf Jean-Jacques Rousseaus Konstruktionen des unbeteiligt und sichtbar Blickenden, den er in der Person des alles sehenden, aber fast nie in Erscheinung tretenden Erziehers in »Emile oder über die Erziehung« (1971[1761]) in der Pädagogik auftreten lässt, der aber auch schon in der Figur des strengen, leidenschaftslosen, alles überblickenden Ehemanns Herr de Wolmar in Rousseaus erstem Bildungsroman »Julie oder die neue Heloise« (1988[1761]) präsentiert wurde, und als seine einzige Leidenschaft die »Lust am Beobachten« benennt: »Die Gesellschaft ist mir angenehm zur Betrachtung, nicht, um ein Teil von ihr zu sein. Könnte ich die Natur meines Wesens ändern und zu einem lebendigen Auge werden lassen, so tauschte ich gern« (Rousseau 1988[1761]: 512). Dabei agiert Herr von Wolmar keineswegs als Voyeur, sondern als leidenschaftsloser Vertreter der Ordnung, als alles sehender Herr eines pädagogischökonomischen Experiments, dem Gut Clarens. In »Émile oder über die Erziehung« (1971[1761]) wird dagegen der stets unsichtbare Erzieher zum Erzähler, zum Gesetzgeber und »gottgleichen Autor« (Manthey 1983), der zu seinen Adressaten, den Lesern, aber auch zu Émile stets als alles sehender Vertreter des Willens aller spricht und ihn so erzieht. Émile, der fiktive Zögling selbst, wird als Beobachtungs- und Erziehungsgegenstand in all seinen Regungen, Handlungen und Entwicklungsstadien detailliert beschrieben. Der Erzieher, der lediglich

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als Stimme aus dem off in den fiktiven Dialogen mit seinem Zögling in Erscheinung tritt, bleibt ein Körperloser, Unsichtbarer, teilnahmslos erscheinender Teilnehmender. Das 19. Jahrhundert: Einsetzung des Beobachter-Körpers Während das 18. Jahrhundert also in der Figur des unparteiischen, indifferenten Beobachters die Differenz von Fremd- und Selbstbeobachtung aufhob und dadurch den moralisch erziehenden, öffentlichen Autor sowie das bürgerliche Subjekt generierte und den Beobachter-Körper im Imaginären instrumentalisierte, entdeckte das 19. Jahrhundert, so der Kulturwissenschaftler Jonathan Crary in seiner Untersuchung »Techniken des Betrachters« (1996), den Körper des Beobachters als sensibles Instrument. Vermehrt wurde nun das Zusammenspiel von visuellen und taktilen Reizen und Sinneswahrnehmungen, die Beobachtung als physisch-kognitives Vermögen untersucht: Crary benennt hier insbesondere Arthur Schopenhauer als Zeitzeugen, der in Anlehnung an Kant ein Subjekt der Beobachtung beschrieb, das sowohl »Schauplatz als auch Produzent der Sinneswahrnehmung war« (Crary 1996: 82); ein unzuverlässiges Subjekt, das mit seinen unkontrollierbaren Trieben zu kämpfen hatte (Crary 1996: 84). Es wird so ein hoch ambivalent empfindender Beobachtungskörper konstruiert, der sich in den unterschiedlichen Textsorten Malinowskis »teilnehmender Beobachtung« in der Südsee wiederfinden wird. Das 19. Jahrhundert erzeugt so einen physiologisch und psychologisch vermessenen Beobachtender-Körper, der qua ästhetischer Erziehung lernt, sich selbst in seinen Beobachtungshandlungen quasi fremd zu beobachten, während er gleichzeitig der anderen, körperlich arbeitenden, sich re-produzierenden Menschen natur- und arbeitswissenschaftlich vermisst. Wieder scheint die Differenz zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung im Beobachterkörper aufgehoben, sich aber in Richtung der Fremdbeobachtung zu verlagern. Foucault hat gezeigt, wie zu dieser Zeit der ärztliche Blick etabliert und eingeübt wird, der die Mediziner als wissenschaftlich geschulte Beobachter herausbildet (Foucault 2005 [1963], Daston/Lunbeck 2011). Gleiches entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts im neuen Feld der »wissenschaftlichen Betriebsführung«, der Managementlehre (Taylor 1995 [1913]). Obwohl Frederick Winslow Taylor während seiner Lehrzeit als gewöhnlicher Arbeiter als verdeckt »teilnehmender Beobachter« trotz ausgeprägter mimetischer Fähigkeiten aufflog, da er sich nicht zu dem »im Feld« gebräuchlichen Fluchen und Tabakspucken überwinden konnte, wurde der »wissenschaftliche Beobachter« mit Stoppuhr und Notizblock von Taylor später fest an der Seite der Arbeiter, deren Arbeitsleistung durch Beobachtung ihrer Praktiken gesteigert werden sollte (Althans 2000: 371), etabliert. Und auch in der Pä-

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dagogik steckten naturwissenschaftlich (Fröbel) und medizinisch geschulte (Montessori) BeobachterInnen neue Claims der Früh- und Reformpädagogik ab. In der Soziologie erfand Georg Simmel zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch eine andere Figur des Beobachters, den des Fremden, der konstitutiv für die qualitative empirische Forschung, insbesondere die Chicago School of Sociology und die dort – zwecks Erforschung der eigenen Kultur – weiterentwickelte Methode der teilnehmenden Beobachtung werden sollte. Der Fremde, so Simmel, ist der, der nicht mehr weiterwandert, sondern »heute kommt und morgen bleibt«, und somit frei ist, das Geschehen um ihn herum »objektiv«, »das Nahverhältnis wie aus der Vogelperspektive« oder aber wie ein Forscher zu beobachten: »Mit der Objektivität des Fremden hängt auch die vorhin berührte Erscheinung zusammen, die freilich hauptsächlich, aber doch nicht ausschließlich dem Weiterziehenden gilt; dass ihm oft die überraschendsten Offenheiten und Konfessionen, bis zum Charakter der Beichte, entgegengebracht werden, die man jedem Nahestehenden sorgfältig vorenthält. Objektivität ist keineswegs Nicht-Teilnahme – denn diese steht überhaupt jenseits von subjektivem und objektivem Verhalten –, sondern eine positiv-besondere Art der Teilnahme – wie Objektivität einer theoretischen Beobachtung durchaus nicht bedeutet, daß der Geist eine tabula rasa wäre, in die die Dinge ihre Qualitäten einschrieben, sondern die volle Tätigkeit des nach seinen eigenen Gesetzen wirkenden Geistes, nur so, dass er die zufälligen Verschiebungen und Akzentuierungen ausgeschaltet hat, deren individuell-subjektive Verschiedenheiten ganz verschiedene Bilder von dem gleichen Gegenstand liefern würden.« (Simmel 2002 [1908]: 50)

Bei Simmels Figur des Fremden, »der heute kommt und morgen bleibt«, setzt der neue Typus der Anthropologie, die Feldforschung als »participant observation« ein, die Bronislaw Malinowski erstmals detailliert beschrieb und zur Methode erhob.

M ALINOWSKIS B EGRÜNDUNG DER TEILNEHMENDEN B EOBACHTUNG UND DAS K ONZEPT DER S TIMMUNGEN Malinowski brach während seines Feldaufenthaltes bei den Tobriandern (19151918) mit der Etablierung seiner Methode der Ethnographie, der teilnehmenden Beobachtung, mit den beschriebenen Traditionen der Ineinssetzung von Fremdund Selbstbeobachtung. Er trennte in seiner Forschungspraxis beide Sphären und betrieb eine Art der doppelten Buchführung. Bekannt wurde dies jedoch erst

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durch die Veröffentlichung seines während dieser Zeit privat geführten Tagebuchs im Jahre 1967. Malinowski installierte seinen beobachtenden Körper zwar inmitten der Dorfgemeinschaft, inmitten der Arbeiten, Tauschhandlungen und Rituale der Beobachteten, als an allen Interaktionen Teilnehmender im Feld und beschrieb seine Beobachtungen der Strukturen und Organisation der Gesellschaft und ihrer Handels- und Verwandtschaftsbeziehungen in seinen Beobachtungsprotokollen. Seine dabei registrierten Empfindungen und Begierden notierte und reflektierte er jedoch in seinem privaten Tagebuch. James Clifford zufolge stellt das Tagebuch lediglich ein weiteres Detail von Malinowskis FeldforschungsDokumentation dar, in der er gleichzeitig die fiction »der Tobriander« wie auch die neue öffentliche Figur des Anthropologen als Feldforscher (Clifford 2004: 216) kreierte. Das Tagebuch bleibt auch aufgrund der Passagen, in denen Malinowski deutlich einen Transfer von der Selbst- in die Fremdbeobachtung, vom privaten, polnisch verfassten Tagebuch in die offiziellen, englisch und kiriwinisch gehaltenen Feldnotizen und -protokollen versuchte, ein wertvolles Dokument für die Ethnographie. Sein ebenso sensibel wie turbulent empfindender Körper wird dabei zum Resonanzkörper und Archiv der im Tagebuch notierten Stimmungen, die er später in die offizielle Feldbeobachtung transferierte: »Im Gehen warf ich riesige Schatten auf die Palmen und Mimosen am Weg; der Geruch des Urwalds ruft eine charakteristische Stimmung hervor – der subtile, köstliche Duft der grünen krerero-Bäume, geiles Schwellen der sprießenden, befruchtenden Vegetation; Jasminsträucher – ein Geruch, schwer wie Weihrauch […] Modernde Bäume, die manchmal nach dreckigen Socken oder Menstruation riechen, manchmal berauschend wie ein Fass wie ›in Gärung‹. Ich versuche, eine Zusammenschau zu skizzieren. Die offene, jubelnde, klare Stimmung der See, das smaragdgrüne Wasser über dem Riff, das Blau des Himmels mit winzigen Wolken, wie Schneeflocken. Die Atmosphäre im Dschungel ist schwül und gesättigt mit einem Geruch, der wie Musik eindringt und sättigt. Die Linien der Berge und der allgemeine Charakter der Insel sind ziemlich gewöhnlich.« (Malinowski 2000 [1967]: 82, Herv. im Orig.)

Stimmungen, die Malinowski, wie das Tagebuch dokumentiert, mit Hilfe seines (auf-)begehrenden, oft trägen Körpers rezipierte und produzierte. Wie etwa in folgender Passage: »[…] lag in euthanasischer Konzentration auf dem Schiff. Verlust der Subjektivität und Aussetzen des Willens (strömt das Blut aus dem Gehirn ab?), nur mit den Sinnen und dem Körper lebend, bewirkt direktes Aufgehen in der Umgebung. Hatte das

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Gefühl, als sei das Rattern des Schiffsmotors ich selbst.« (Malinowski 2000 [1967]: 39) In den offiziellen gereinigten Texten, in denen dann lediglich idyllische Süd-

seepanoramen der »heiteren« Gestimmtheit des Landes, als Landschaftstapete auftauchen, hob Malinowski die von ihm durch die in unterschiedlichen Textsorten in verschiedenen Sprachen etablierte Differenz zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung scheinbar wieder auf. Er tilgte seinen sinnlichen Körper im Text und formt dabei im Schreibakt selbst einen objektiv registrierenden Körper, den Ethnographen-Körper, »da-seiende Unperson des Erzählers« (Ellrich 1999: 88), der die »für künftige Ethnographien so notwendige Fiktion des »Dort-Seins« erzeugt und dabei, »persönlichen und wissenschaftlichen ethnographischen Stil, der in den Argonauten zur vollen Entfaltung gelangt« (Clifford 2004: 222), und unter anderem den Erfolg des Buchs und seine Rezeption in der Anthropologie (Geertz 1988) ausmachen sollte. Dieser Kunstgriff der Erzeugung des »objektiv sichtbaren« Beobachterkörpers, Gegenstand der Beobachtung durch das Feld, auf die schon Addison zurückgriff und die nunmehr die Wirklichkeit der Ethnographie be- und erzeugen soll, wurde später von Clifford Geertz in seinem berühmten »Hahnenkampf«-Text zur rhetorischen Meisterleistung gebracht (Ellrich 1999: 79ff.). Sein Körper selbst wird ein anderer. Malinowski schuf daraus eine wissenschaftliche Methode, gab im einleitenden Kapitel in den Argonauten klare Hinweise zum Eintauchen ins Feld als »angemessene(r) Bedingung(en) ethnographischer Arbeit« (Malinowski 1979 [1922]: 28f.) zur Einführung von »Gesetz und Ordnung ins scheinbar Chaotische« (ebd.: 31). Er sah die wissenschaftliche Ethnologie nunmehr mit Hilfe der Methoden der modernen Wissenschaft in der Lage, die Eingeborenen nicht mehr als wild, sondern als sozial institutionalisiert und organisiert zu beschreiben, »verstrickt in ein Netz von Pflichten, Funktionen und Privilegien«, in einer »entwickelten Stammes-; Gemeinschafts-; und Verwandtschaftsorganisation« lebend, deren »Glauben und Gebräuchen es in keiner Weise an Folgerichtigkeit« mangelte (ebd.: 32). Und sowohl Clifford Geertz (1988: 78) wie auch James Clifford interpretieren diese Bestrebungen, die Malinowski selbst als »Umschreiben« seiner Beobachtungen bezeichnete (Malinowski 1979 [1922]: 35) nicht nur als Rationalisierung, sondern als »Literalisierung« und »Fiktionalisierung« der Ethnographie. Und so, »durch Rationalisierung der Wahrnehmungen und Empfindungen daseienden Ethnographen-Körpers konstruiert und rekonstruiert die Disziplin der auf Feldforschung gestützten Anthropologie, indem sie ihre Autorität behauptet, jeweils kohärente kulturell Andere sowie ein interpretierendes Selbst« (Clifford

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2004: 216, 218). Darin bestand, zumindest für Malinowski, zugleich die »Magie« der Anthropologie.

A KTUELLE T ENDENZEN : »V ER - ODER E NTKÖRPERLICHUNG « DER B EOBACHTUNG IN DER E THNOGRAPHIE Wie aber gehen wir ein Jahrhundert später mit einem schier unermesslichen Zuwachs an Aufzeichnungstechniken, -technologien und -geräten, mit der geforderten und etablierten Differenz zwischen Selbst- und Fremdbeobachtung um? Offensichtlich werden hier einige Rezeptionsdebatten des 18. Jahrhunderts wieder aufgenommen – allerdings wird jetzt die jeweilige theoretische Perspektive auf den beobachtenden Körper verstärkt mitreflektiert. Selbstbeobachtung durch Fremdbeobachtung des Feldes Der oder die ethnographische Forscherin, die im 21. Jahrhundert teilnehmend beobachtet, bemüht sich besonders um eine »teilnahmslose Teilnahme« (Lindner 1981: 51) und versucht, sich – gerade angesichts der Konjunktur der »Befremdung der eigenen Kultur« in ethnographischer Organisationsforschung und europäischer Ethnologie – ihrem Beobachtungs-Gegenstand möglichst unvoreingenommen und als beobachtender Körper möglichst unsichtbar zu nähern. Dabei schrieb das Feld, von jeher dem oder der Beobachtenden eine Rolle zu. Rolf Lindner wies 1981 unter Rekurs auf Chris Argyris (1972) auf solche mit Rollenzuweisungen einhergehenden Kontextualisierungen in der Industrieforschung hin (ebd.: 62), sowie auch Clifford Geertz in seinem berühmten HahnenkampfText »Deep Play« seine Einsetzung als Forscher in Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit als Entscheidung des Feldes inszenierte: Seine Frau und er seien so lange »körperlos« geblieben, bis sie offiziell durch die Beforschten wahrgenommen wurden (Geertz 1987 [1972]: 203, kritisch dazu Ellrich 1999: 79ff.). Bettina Hünersdorf und Sascha Neumann machen auch im aktuellen Diskurs erziehungswissenschaftlicher Ethnographie die Sichtbarmachung des Beobachters durch die Reaktionen der beobachteten Akteure des pädagogischen Feldes deutlich (Hünersdorf 2012, Neumann 2012). Beobachtung des Beobachtens: Systemtheorie oder der Input der ästhetischen Disziplinen Systemtheoretisch ließe sich dies durch das Verschieben des »Bewusstseins des Beobachtet-Werdens«, das sonst eher als »Irritation« dem Feld zugeschlagen

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wird (Hünersdorf 2012: 48), auf die Seite der Forschenden, also der Beobachter, beschreiben. Dies ist eine Perspektive, die die Systemtheorie jedoch ungern einzunehmen scheint5, da sie den Körper lediglich als technische Notwendigkeit der Kommunikation versteht und ebenso wie den Beobachter selbst als imaginär begreift: »Bei jeder Beobachtung ist ein Beobachter vorausgesetzt als Ausdruck dafür, dass die Beobachtungsleistung generiert wird – durch eine Unterscheidungs- und Bezeichnungsleistung. Da dies immer so ist, entschwindet der Beobachter im Imaginären. Er ist imaginär, weil er sich nur bezeichnen und unterscheiden lässt, als immerzu: ausrückt.« (Fuchs 2004: 19f., Herv. im Orig.)

Eine Konstruktion des Beobachters im Imaginären, als »imago agens« (ebd.: 58), ist als ein »Verschwinden des Beobachterkörpers« in der »Theorie der Beobachtung« zu sehen, die »auch diese Aussage (als) die Konstruktion eines Beobachters« liest (ebd.: 20), und nichtsdestotrotz durchaus an die von Addisons Spectator erinnert. Benjamin Jörissen schlägt angesichts von Peter Fuchs’ »Auslagerung des Beobachter-Körpers« ins Imaginäre vor, die Systemtheorie um eine körperliche, anthropologische Perspektive zu ergänzen und » […] das System ›Körper‹ dort, wo soziale Situationen sich wie Systeme verhalten (selbstreferentiell, selbstbeobachtend), als konstitutiv zu betrachten. Körperlichkeit kann damit nicht mehr als bloße Umwelt sozialer und politischer Systeme betrachtet werden (wie es in der Systemtheorie der Fall ist), sondern muss als konstitutives Element der ›Systemoperationen‹ eingesetzt werden, als ihr differenter Unterscheidungsgrund. […] Die Gesten der Körper erzeugen in diesem Sinne auf performative Weise eine Wirklichkeit, deren Realität einerseits in ihrem Vollzugsmoment (die ›Operationen‹ in der Terminologie der Systemtheorie) liegt, andererseits aber zu-

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In dem Band »Beobachtungen des Unbeobachtbaren« weist Siegfried J. Schmidt noch einmal auf die Unbeobachtbarkeit der Beobachtung hin und darauf, dass es Luhmann bekanntlich nur um das Beobachten und nicht um die »Beobachter« ging: »Beobachten heißt im Luhmann-Diskurs im Anschluß an G. Spencer-Brown bekanntlich: Beobachten und Benennen. Beobachten ist eine Realoperation, ohne daß dieses Spezifikum ihre Resultate objektiv macht. Nach Luhmann können alle Systeme beobachten, anderes und sich selbst. […] Neben ›System‹ wird ›Beobachter‹ zur zentralen Kategorie, was bekanntermaßen von Identitäts- auf Differenzphilosophie umstellt und WasFragen in Wie-Fragen transformiert« (Schmidt 2000: 21).

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gleich immer Konstruktion des Beobachters oder der Beobachter der Vollzüge bleibt.« (Jörissen 2007: 167)

Ähnlich scheint Hans-Ulrich Gumbrecht aus präsenzphilosophischer Perspektive zu argumentieren, wenn er bei Beobachtungen zweiter Ordnung – die er als Beobachtungen beim Akt der Beobachtung selbst fasst – davon ausgeht, dass der Beobachter sich »unvermeidlich seiner körperlichen Konstitution – des menschlichen Körpers im Allgemeinen, seines Geschlechts wie auch seines individuellen Körpers bewusst wird, und zwar bewusst als einer komplexen Bedingung seiner eigenen Wahrnehmung von Welt« (Gumbrecht 2012: 32). Genau dies, eine Körperlichkeit des Beobachtens, die (selbstreferentiell und selbstbeobachtend) körperliche Gesten und Praktiken unterscheidet, scheint zur Zeit sowohl eine im Kontext der Theorien des Performativen und im Anschluss an Pierre Bourdieu und Loïc Wacquant agierende Bewegungswissenschaft zu bestimmen, die mittlerweile auch in der Ethnographie des Schulunterrichts produktiv wird (Alkemeyer 2009, Pille 2009). Die Bewegungswissenschaftlerinnen Christiane Berger und Sandra Schmidt setzen eine »körperliche Kompetenz« (Berger/Schmidt 2009) als grundlegend für die Analyse von Unterrichtsgeschehen voraus, das letztlich auch die Analyse von Körperbewegungen und -anordnungen in pädagogischen Räumen ist. Sie installieren einen »responsive body« oder »kinesthetic response« des Beobachters, den sie unter anderem der Tanzwissenschaft entlehnen. Der »responsive body« findet sich nicht zuletzt auch in der Bildungsphilosophie des 20. Jahrhunderts, ist etwa in John Deweys frühem Konzept des »circular response« angelegt und zeigt sich in den späteren Beschreibungen der »Perceptionsanstrengungen« des Beobachters (Dewey 1998 [1934]: 68f.). Dewey verweist hier auf die Beobachtungsleistungen der »Kunst als Erfahrung«, die körperlichen und intellektuellen Anstrengungen der ästhetischen Rezeptionserfahrungen, die Hans-Ulrich Gumbrecht in seiner Theorie der »Präsenz« als »produktive Spannung, als Oszillieren zwischen Präsenz und Bedeutung (der beobachteten Dinge)« (Gumbrecht 2012: 343) zu fassen sucht und dieses noch einmal an Luhmann anschließt: »Schließlich denke ich, dass meine These mit der These von Niklas Luhmann zusammengeht, der zufolge das Kunstsystem das einzige soziale System ist, in dem Wahrnehmung (im phänomenologischen Verständnis einer durch die Sinne vermittelten Bezugnahme auf die Welt) nicht nur Voraussetzung der Kommunikation ist, sondern überdies (und ebenso wie die Dimension der Bedeutung) Gegenstand der Kommunikation. Luhmann bezeichnet als eine besondere Eigenschaft des Kunstsys-

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tems die Simultanität von Bedeutung und Wahrnehmung, von Bedeutungs- und Präsenzeffekten in der Kommunikation […]« (ebd. 2012: 341)

Gumbrecht ist durchaus bewusst, dass seine stark subjektorientierte Präsenzphilosophie sich schlecht mit Luhmanns Systemtheorie vermählen lässt – das gäbe eine unglückliche Verbindung – doch scheint in der Tat eine engere Verknüpfung der systemtheoretischen Konzeptionen mit neueren Begriffsentwicklungen in der Ästhetik und ihrer an körperliche Wahrnehmungsprozesse gebundenen Rezeptionstheorie – Präsenz, Atmosphäre, Performativität – vielversprechend (dazu weitergehend: Böhme 1995, Seel 2003, Mersch 2010). Es bleibt hier jedoch nur noch die Möglichkeit, auf ähnliche Untersuchungen der Rezeptionsmethodologie der Theaterwissenschaft hinzuweisen (Roselt 2008).

L ITERATUR Addison, Joseph 1711: The Spectator. Editorial, 1.3.1711 [http://www.guten berg.org/files/12030/12030-h/SV1/Spectator1.html#section1] Zuletzt abgerufen: 22.01.2014. Alkemeyer, Thomas (2009): »Lernen und seine Körper. Habitusformungen und -umformungen«. In: Friebertshäuser, Barbara/Rieger-Ladich, Markus/Wigger, Lothar (Hg.): Reflexive Erziehungswissenschaft. Forschungsperspektiven im Anschluss an Pierre Bourdieu. Wiesbaden: VS, S. 119-140. Althans, Birgit (2000): Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit. Frankfurt/New York: Campus. Argyris, Chris (1972): »Unerwartete Folgen ›strenger‹ Forschung«. In: Gruppendynamik: Zeitschrift für angewandte Sozialpsychologie, 3. Jg., H. 1, S. 5-22. Berg, Eberhard/Fuchs, Martin (1993): »Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation«. In: Berg, Eberhard/Fuchs, Martin (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 11-108. Berger, Christiane/Schmidt, Sandra (2009): »Körperwissen und Bewegungslogik. Zu Status und Spezifik körperlicher Kompetenzen«. In: Alkemeyer, Thomas/Brümmer, Kristina/Kodalle, Rea/Pille, Thomas (Hg.): Ordnung in Bewegung. Choreographien des Sozialen. Körper in Sport, Tanz, Arbeit und Bildung. Bielefeld: transcript, S. 65-89. Böhme, Gernot (1995): Atmosphäre. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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Audioethnographie und Autoethnographie S IEGFRIED S AERBERG

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich in der qualitativen Forschung eine Wende von in ihrer akustisch-verbalen Form konservierten und visuell schrift-textlich fixierten Daten hin zu im engeren Sinne visuellen Daten wie Bildern, Photographie und Film vollzogen. Dieser Wende wurden unterschiedliche Namen gegeben, »pictorial turn« (Mitchell 1986), »visual turn« (Brennan/Jay 1996) oder »iconic turn« (Maar/Burda 2004). Im Zuge dieser Entwicklung hat sich der Korpus der sozial- und kulturwissenschaftlichen Methoden längst um Analyseverfahren für Bildmaterial erweitert (vgl. Bohnsack 2003: 55ff., Flick 2007: 304ff., Bohnsack/Marotzki/Meuser 2003, Raab 2008). Im letzten Jahrzehnt hat sich herausgestellt, dass diese Wendung nur einen Teilbereich – wenn auch den bisher bedeutendsten – eines weit radikaleren »body turn« (Gugutzer 2006) und »sensual turn« (Howes 2003) darstellt. Geräusche, Berührung, Gefühl, Geschmack und Geruch tauchen in allen Bereichen des Alltags und menschlicher Sinnkonstruktion auf. Allerdings fehlen noch Methoden, um Sinnesdatensammlungen zu analysieren, die nicht-visuelle Daten betreffen. Nach Flick verlangt eine solche Ausdehnung des Forschungsinteresses »nach einer Erweiterung der Daten, um die mit diesen Wenden verbundenen Fragestellungen untersuchen zu können« (Flick 2007: 279). Eine solche Methode ist die Audioethnographie. Ich bin auf deren Möglichkeiten im Laufe meiner vergleichenden Studie über blinden und sehenden Raum gestoßen (Saerberg 2006). Die Erforschung des blinden Wahrnehmungsstils durch ein blindes autoethnographisches Forschungssubjekt (Ellis/Adams/Bochner 2010) konturiert eine Methodik, die sowohl ihrem Gegenstand adäquat ist, als auch intersubjektiv überprüfbare empirische Ergebnisse liefert. Sie bringt das Schweigen dieser sozio-kulturell benachteiligten Wahrnehmungs-Kultur zum Sprechen und macht sie für eine allgemeine Forschungskultur fruchtbar.

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Die Audioethnographie ist eine multi-sensorische Ethnographie. Neben dem Hörbaren werden Gustatorisches, Taktiles, Olfaktorisches, Emotives und allgemein alle Wahrnehmungsformen, die für eine Kultur oder Person relevant sind, erforscht. Visuelles ist auch nicht ausgeschlossen. Im Anschluss an Schütz (Schütz/Luckmann 2003) und Merleau-Ponty (1964) bette ich diese Überlegungen in eine körpersoziologisch fundierte und leibphänomenologisch vermittelte Wissenssoziologie ein (Saerberg 2006, 2010a). Handeln baut immer auf Sinnkonstruktionen auf (Schütz 2004) und solche Sinnkonstruktionen sind wissensvermittelt (Berger/Luckmann 1969) sowie körpergebunden. Körpergebundenheit bedeutet, dass ein bestimmtes Set von sensorischen Qualitäten, Erfahrungen, emotiven Zuschreibungen (Simmel 1908) und sensorisch inkorporiertem Routinewissen (Schütz/Luckmann 2003) zur Anwendung kommt. Über die Beschreibung und Rekonstruktion des subjektiv sinnhaften Handlungsentwurfs, in dem Wahrnehmung als ein Teil einbezogen ist, erschließt sich ein Bereich auferlegter sinnlicher Struktur, der dem subjektiven Entwurf vorausgeht, aber in ihm als perzeptive Komponente aufgenommen, mitverarbeitet und angeeignet wird. Wahrnehmendes Handeln soll demnach das Handeln heißen, das in Form von verkörpertem Routinewissen wesentlich von der Wahrnehmung geformt ist und in dessen Handlungsentwurf Wahrnehmung auch routinehaft oder explizit planend mitberücksichtigt wird. Materiale Voraussetzungen des eigenen Sensoriums, der räumlichen Lebensumwelt, der umweltlichen Dingwelt, Artefakte materialer Kultur (vgl. Miller 2005) und der sensorisch-sozialen Ordnung (Saerberg 2010, 2011, 2012) werden in diesen Handlungsentwurf eingearbeitet. Gleichberechtigt zum Handlungsentwurf ist der Handlungsvollzug, der durch dem Subjekt auferlegte, oft unvorhersehbare materiale Bedingungen in das Sinnkonstrukt dieser sozialen und umweltlichen Situation ständig aufs Neue eingewoben werden muss. Improvisation ist daher ein Prinzip dieses Handelns. Selbstbezug, Interaktion und Interaktivität (Rammert 2006) werden in situ eingefangen. Daher ist das erfahrende Subjekt weit davon entfernt, ein monadischaußerweltliches und monokular-visuell konzipiertes zu sein. Es ist weder rein intuitiv, solipsistisch oder methodologisch introspektiv (vgl. Jackson 1996). Es ist vielmehr ein leibliches und verkörpertes Subjekt, dessen Verkörperung gehend, mitten im sozialen und umweltlichen Vollzug dokumentiert und rekonstruiert wird (Ingold/Verdunst 2008). Die Beschreibung dieses Wahrnehmungsstils ist von der phänomenologischen Methode inspiriert (vgl. Luckmann 1992, Ihde 1976). Nur methodisch kontrolliertes Wahrnehmen ermöglicht eine adäquate Beschreibung subjektiven Erfahrens im Sinne von Alfred Schütz.

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Audioethnographie ist eine Textwissenschaft im weitesten Sinn. Mit Peter Gross (1981) sind Texte nicht nur alle schriftlichen Aufzeichnungen sondern auch alle sensorischen Aufzeichnungsmedien. Vertextung bedeutet hier nicht unbedingt Versprachlichung oder Verschriftlichung: Texte fixieren und dokumentieren flüchtiges Geschehen, das dadurch dem wiederholten Zugriff durch den Forscher und der intersubjektiven Nachprüfbarkeit durch die Forschungsgemeinschaft offen steht. Daher muss Audioethnographie methodologisch die Transformierung der Ereignisse und Erfahrungen aus der Eigen,- Um- und Sozialwelt in Texte reflektieren. Sie untersucht selbst diesen Prozess und entwickelt daraus Konsequenzen für ihre Forschungspraxis (Gross 1981). Die hier inaugurierte Audioethnographie weist fünf distinkte, miteinander aber verbundene Instrumente auf: Audiopoeme, Audioprotokolle, Audioscapes, Audiointeraktionen und Audiogramme. Sie alle sind miteinander vergleichend an der Produktion von Erkenntnis beteiligt.

D IE A UDIOPOESIE Die Audiopoeme sind neuere Formen ethnographischen Schreibens. Sie sind emotional dichte Beschreibungen gehörten und gefühlten Erfahrens. (Audiopoem »Hardt«) »Ich stehe am Rande des Ruhrgebietes, in der Hardt, einem großen Waldgebiet, ich höre hier das Zwitschern der Vögel, einen leichten Wind, der über und durch Bäume streift. Der Hall des Vogelgesanges und des Laubraschelns lässt mir diese Landschaft als einen Wald klingen. Je nachdem, wie der Wind steht und welche Jahreszeit es ist, ob die Bäume reich mit schallschluckendem Laub behängt sind, oder eben kahl und skeletthaft dastehen, so kann man sogar die entfernten großen Autoverkehrswege ins Ruhrgebiet hinein hören. Vielleicht auf der Suche nach einem klassischen Idyll, der von Vogelgesang, Insektengesumm und Blätterrauschen durchwirkten Stille eines Frühlingsnachmittags, wird man selbst hier von Verkehrsgeräuschen heimgesucht: in erster Linie von Sportflugzeugen, die vor allem beim schönsten Sonnenschein, wie wohl alles andere Flug-Zeug auch, durch die Luft brummen.«

Audiopoeme sind als Verdichtungen mehr als die nüchterne Beschreibung von faktisch Gehörtem oder Erlebtem. Alle tatsächlich erfahrenen Sinnesmodalitäten werden darin eingebunden und deshalb sind sie multisensorisch. Neu ist der Akzent auf das Nicht-Visuelle. Sie sind allerdings auch gewissermaßen im klassi-

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schen Sinne ethnographisch, da sie tatsächlich ein Schreiben sind mit all seinen körperlichen und materialen Ingredienzien: Involvierung von Kopf, Nacken, Arm, Hand, Fingern, Benutzen eines Schreibgeräts und eines Schreibmediums, kognitiver Stil des nachdenkenden Innehaltens. Sie reflektieren lange über ihre Dichtung, versuchen filigran das passende Wort für die gehabte Erfahrung zu finden.

D AS A UDIOPROTOKOLL Das Audioprotokoll ist ein auf ein akustisches Aufnahmegerät gesprochenes Beobachtungs-Protokoll. So scheint es eine recht einfache Erweiterung des papiergebundenen Gedächtnis-Protokolls zu sein. Es setzt aber möglichst zeitnah am Erlebten an, um dessen faktisches Geschehen festzuhalten. Zudem muss kein zum Schreiben geeigneter Ort aufgesucht werden und Forscher können hier und jetzt sofort nach dem Erlebten lossprechen. (Audioprotokoll »21.7.1992«) »Eben ist wieder einer an mir vorübergegangen, den ich ansprechen wollte. Einfach so, ich habe sogar das Gefühl gehabt, dass er mir ausgewichen ist. [...] ärgerlich, frustrierend, nervig. [...] dass man nicht in der Lage ist, jemanden anzuquatschen, oder dass die einfach weglaufen oder keine Lust oder Zeit haben.«

Das Audioprotokoll hat den Vorteil, dass es wenig distanziert von seinem Verfasser ist: Die Wörter können stammelnd, frohlockend, laut oder leise herauskommen und müssen nicht erst durch Arm, Hand und Schreibgerät prozessiert werden. Vor allem dokumentiert es den emotionalen Niederschlag, den dieses Geschehen im körperleiblichen Bewusstsein des Forschers hinterlassen hat, im Ton des Gesprochenen und der Stimme (Schützeichel 2010). Nicht nur der Inhalt des Gesagten, sondern eben der Klang der Stimme ist ausschlaggebend. Das Audioprotokoll zeigt emotive Färbungen des Forschungsprozesses auf, welche zum Beispiel zu einer Fokussierung oder Akzentuierung oder auch Vernachlässigung bestimmter Momente der Forschung geführt haben. In dieser Hinsicht ist es ein Korrektiv für die Forscher. Oft verweist es auf einen Bruch des routinehaften Laufs des Alltags, zeigt dabei häufig Machtasymmetrien an, die sich in Empörung oder Angst-Konnotationen in der Stimme niederschlagen. Es vermag aber auch – verschriftlicht man die Emotionen – für die Darstellung des Forschungsprozesses und der Forschungsergebnisse eine empathische Dimension für die Leser zu eröffnen.

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A UDIOSCAPES Audioscapes sind Tonaufnahmen von Einzelgeräuschen wie etwa Stimmen und Gesamtklängen verschiedener individueller Umwelten. Sie sind registrierendes Datenmaterial (Bergmann 2006). In der registrierenden Konservierung liegt laut Bergmann keine sinnhafte Bearbeitung oder an kommunikativen Gattungen orientierte Rekonstruktion des Materials vor. Sie ist im Prinzip technisch automatisierbar. Auch eine Tonaufnahme natürlich kommt nicht ohne Sinndeutung aus: Aber hier ist diese Deutung ein zweiter Schritt nach der registrierenden Konservierung dieser Ereignisse. Allerdings muss bedacht werden, dass Tonaufnahmen (wie Videoaufnahmen) keine objektiven Daten sind. Sie haben eine Perspektive, die bestimmte Räumlichkeiten hervorhebt und andere dafür ausblendet. Auch bleibt ein Audioscape auf akustische Phänomene beschränkt und schließt andere Sinnesfelder aus. Durch die Etablierung qualitativ hochwertiger akustischer Aufzeichnungsmöglichkeiten kann zum einen die unverwechselbare individuelle klangliche Identität eines Ortes etwa des Kölner Hauptbahnhofs durch alle Veränderungen des Klangs durch tages- und jahreszeitlichen Wandel erkannt werden. Zum anderen ergeben sich aus dem Vergleich solcher individueller Audioscapes verschiedener Orte typische Klang- und Geräuschmuster. Diese weisen auf Umwelttypen hin. Dies hängt mit den sogenannten Grundklängen zusammen, die nicht als einzelnes Geräusch sondern eher als Summe allen geräuschhaften Vorkommens zu begreifen sind. Sie können sich erst als ein Gesamtklang in einem Raum entwickeln. Während der kanadische Soundforscher Murray-Schafer (Murray-Schafer 1991) einen bestimmten einzelnen Grundton herausgreift, der als Charakteristikum für eine bestimmte Lautsphäre pars pro toto steht, so verstehe ich unter Grundklang ein bestimmtes Zusammengesetztes oder Tongemisch, das eine typische Umwelt repräsentiert. Der Grundklang bedarf also wesentlich der Ausbreitung im Raum, den er erfüllt und den er zum hörbaren Klingen bringt. Eine besondere Form der Grundklänge sind hallende Klänge, die vor allem innerhalb von Gebäuden zu hören sind. Sie führen dort zur differenzierten Orientierung in Gängen, Eingangs- oder Ausgangsbereichen und Treppenhäusern: Der weite hallende Grundklang, der sich unter der Kuppel des Kölner Hauptbahnhofs über seinen Bahnsteigen ausbreitet: ein hallender Grundklang, der selbst noch von innen bei offenen Türen aus der S-Bahn heraus deutlich zu hören ist. Der hallende Grundklang in dem breiten Hauptgang der Bahnhofshalle, dort, wo die Reisenden zu den Bahnsteigen laufen. Der hallende Grundklang in dem zwar immer noch breiten, aber im Vergleich zum Hauptgang schmaleren Nebengang,

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der zu den Gleisen führt. Der hallende Grundklang in der Eingangshalle des Hauptbahnhofs. Dann derjenige hallende Grundklang, der im Bereich des UBahnhofs zu hören ist, der vom Kölner Hauptbahnhof abzweigt. Dann der wiederum verschieden hallende Grundklang in einem Gang, der zum U-Bahnhof führt oder als Querverbindung zwischen Haupt- und Nebengang im Hauptbahnhof selber fungiert und schließlich der hallende Grundklang des U-Bahnsteigs. In urbanen oder ländlichen Kontexten gibt es weitere typische Grundklänge: Straßen der verschiedenen Größe haben ebenso verschiedene Grundklänge wie Plätze oder Parks. Diese typischen Grundklänge stellen im blinden Wahrnehmungsstil eine starke Grundorientierung innerhalb der räumlichen Umgebung dar (Saerberg 2006). Ich gehe aber davon aus, dass sie auch für die räumlich-emotionale Verortung nicht blinder Zeitgenossen und Zeitgenossinnen von bisher weit unterschätzter Bedeutsamkeit sind. Neben dieser hier vorgetragenen Versprachlichung der Audioscapes muss das Material parallel immer angehört werden. So sind etwa die Soundpoeme des Ruhrgebiets immer vor Ort, reflexiv in der Erinnerung und im Vergleich mit ihren Audioscapes entstanden (vgl. »Die Klänge« auf Saerberg 2000).

A UDIOINTERAKTIONEN Audiointeraktionen sind registrierendes Textmaterial. Es folgt dem dokumentierten Geschehen, um es in seiner Fülle zu konservieren. Die Registrierung ist ihrem Verlauf nach synchron zum aufgezeichneten Ereignis: Sie hebt mit ihm an und endet mit seinem Abschluss. Danach kann keine neuerliche Registrierung mehr stattfinden. Das flüchtige Geschehen sozialer Interaktionen zwischen dem blinden Ethnographen und den eilig vorbeihuschenden Mitgliedern der sehenden Kultur wurde in der Studie über die räumliche Orientierung (Saerberg 2006) vom Ethnographen mit Hilfe eines Walkmans und eines am Kragen seines Pullovers befestigten Mikrofons aufgenommen und später transkribiert. Hierdurch kann – auch heute noch – auf den ursprünglichen real-zeitlichen Ablauf wiederholt zugegriffen werden, so dass durch diese Repetition auch tieferliegende Strukturen schrittweise interpretierend im Sinne der hermeneutischen Wissenssoziologie erkennbar werden (Schröer 1994, Soeffner 2004). Die Transkription und das Anhören des Originals sind beide später Grundlage der ethnographischen Interpretation.

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(Ausschnitt Situation »Rathaus«) 07 O: DA lang müssen Sie da gehn 08 E: ich wollt aber rauf 09 (--) 10 O: aehm 11 I: wo wollen Sie hin zum Schloss 12 O: Runter und dann hier 13

wieder rauf

(--)

14 E: zum Rathaus wollt ich 15 I: zum Rathaus ja DA is es besser (-) äh DIESES führt 16 O: DA müssen Sie 17 I: mehr zum Schloss da 18 E: Ja ich seh das aber nich wenn Sie das zeigen (lachend)

Für eine sensorische Ethnographie ist dieses Aufeinandertreffen zweier differenter Wahrnehmungsstile und der mit ihnen verbundenen sensorischen Ordnungen sehr aufschlussreich. Es zeigt die sensorische Komponente der Sprache, die nicht nur akustisch ist. Wollten sehende Passanten dem blinden Ethnographen einen Weg beschreiben, so wendeten sie stets die in ihrer Kultur sozial sedimentierte und körperlich routinierte Fertigkeit des Zeigens an (Kita 2003, Jarvella/Klein 1982). Dies ist allerdings für die blinde Ethnographie ein Problem, wenn sie sich in den »native point of view« der sehenden Kultur versetzen will. Denn die Spuren, die das zeigende Handeln und Sprechen auf der Tonaufnahme hinterlässt, sind ein ins Leere weisender Weltbezug. Rein verbal sprachlich ist ihm nicht beizukommen. Karl Bühler (Bühler 1982) spricht von der Zeigefunktion der Sprache. Sie findet in sprachlichen Zeigewörtern wie ›dort, da, diese oder gleich‹ ihren Ausdruck. Dort, wo Sprache in ihrer visuellen Indexikalität die Welt meinend ins Leere zeigt, wird sie allerdings, wenn sie umgekehrt auf die Sprecherin zurück verweist, wieder hörbar. Bühler spricht in diesem Zusammenhang von der Herkunftsqualität der Sprache. Sie hängt eng mit der Zeigefunktion zusammen und ist gewissermaßen ihre andere Seite. Wer sagt: »Dort ist dies« wird für den Zuhörer zu »Hier bin ich«. So wird jede Sprechende zu einem Ort der Orientierung für jeden Zuhörenden. Der sich in seiner Stimme und Geräuschen (Schritte, Kleider) räumlich offenbarende Körper der anderen wird so im Wahrnehmungsstil des blinden Ethnographen zum klar umrissenen Ort richtungsmäßiger Orientierung, an dem er seine Studienobjekte festmacht. In der ethnographischen Situation zwischen der blinden Ethnographie und der Ethnie der Sehenden verliert die Sprache einen Teil ihres Zeigefeldes. Das

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liegt daran, dass Sprache eben kein rein verbal-textliches Ereignis ist. Sie ist vielmehr mit der sensorischen Textur der Welt verbunden. Allen Verfechtern einer rein arbiträren Konzeption von Sprache und Welt ist an dieser Stelle also nachgewiesen, dass ihre theoretisch grundlegende Abstinenz von Wahrnehmung und Sensualität zu einer Verwirrung der Sprache führt. Texte, Narrationen und Diskurse bedürfen der Sensorik, um ihr Verhältnis zur Welt einzurichten. Das wussten die Wanderer der untersuchten sehenden Kultur anscheinend besser als die Wissenschaftler: Um dem blinden Ethnographen in der Kontaktzone zwischen blind und sehend den zeigend vergeblich angedeuteten Weg zu weisen, begleiteten ihn die Mitglieder des Stamms der Sehenden dorthin, wohin sie vorher gezeigt hatten. Sprache und Welt sind in der Sprache selbst miteinander verbunden: Sprache hat schon immer die Welt in sich aufgenommen, in den Indices, ihrem indexikalischen Bezug auf die Welt, in den sogenannten Icons (Peirce 1993) und in Onomatopoesie, welche den Klang vieler Geräusche nachahmt. In Dunkelausstellungen, die für im Alltag sehende Besucher die Lebenswelt blinder Menschen durch komplett dunkle Räume simulieren, findet sich ein weiterer Beleg hierfür. Es handelt sich um ein akustisches ikonisches Zeigen als Nachahmung eines Geräuschs: Der Ausgang aus der Bar war mit einem leise und gleichmäßig tackenden Geräusch gekennzeichnet worden. Um einen Besucher darauf hinzuweisen, ahmte ein Guide dieses Geräusch nach: »Hör mal das Tacken, tack tack«. Um das Ding zu kennzeichnen, das in der dunklen Lebenswelt gezeigt werden soll, müsste man ihm einen Namen geben. Da dieser bei Geräuschen aber oftmals nicht präzise existiert, ziehen es die Bezugnehmenden unter dem pragmatischen Handlungsdruck des Alltags vor, es zu imitieren, so gut sie eben können, anstatt sich in einer komplizierten und langwierigen Beschreibung einzelner Geräuschmerkmale, wie seiner Tonhöhe oder dem Rhythmus seines Erklingens, oder im Erfinden brauchbarer Vergleiche zu ergehen. Zeigen und Ikonizität verschränken sich in diesem Beispiel in einander, denn das zeigende »Hör mal das Tacken« und die Mimesis des Geräusches, kommen ein jedes nicht ohne das andere aus (vgl. Goodwin 2003). Sprache schreibt sich also nicht einfach in Körper und deren Sensualität ein; das kommt auch vor, aber genauso schreiben sich sensuelle Körper in Sprache ein. Wie die Welt für die Ohren klingt, so hallt sie in der Onomatopoesie wider. Wovon man nicht sprechen kann, dahin kann man einen anderen Menschen bringen, um es ihn selber erleben zu lassen.

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D AS A UDIOGRAMM Ein Audiogramm ist ein auf ein audielles Aufzeichnungsgerät diktiertes Erlebnis- und Beobachtungsprotokoll des autoethnographischen Forschers, welches dem Ereignis- und Handlungsgeschehen sukzessive folgt und der Sensorik des jeweils erlebten eine stimmlich-verbale Beschreibung gibt. Diesen Erlebnis-, Erfahrungs- und Wahrnehmungsbereich kann ein schriftlich fixiertes Forschungsprotokoll schlechterdings nicht erreichen, da ein Notieren des Gehens beim Gehen nur akustisch möglich ist. Verschriftlichung kann nur nach dem Gehen erfolgen, das Gehen begleiten kann sie nicht. Damit gehört das Audioprotokoll zum registrierenden Datenmaterial und ist damit die stärkste Erweiterung des ethnographischen Instrumentariums, die in der Audioethnographie kreiert wird. Zusätzlich zur Stimme des Ethnographen sind auch viele Geräusche der durchwanderten Um- und Mitwelt zu hören. Das Audiogramm fokussiert die beschreibende Entzifferung audiellen, taktilen oder olfaktorischen Wahrnehmungsmaterials. Es ist die Selbstbeobachtung und Selbstkommentierung eigenen Tuns und Wahrnehmens während der Begehung einer bestimmten Örtlichkeit. Es baut nicht die Distanz zu einem schriftlichen Notationsmedium auf, sondern nutzt die unmittelbare Abspeicherung auf einem »innere-Stimme-Spiegel«. Hierdurch werden emotive und perzeptive Tönungen des Texthaften auch mitberücksichtigt. Die Audiogramme haben gegenüber der Videographie den Vorteil, dass sie das intentionale Gefüge von Bewusstsein und leiblichem Körper artikulieren. Die Kamera, die von außen panoptisch alle Bewegungen beobachten kann, vermag in diese Innenwelt von Motivation und Intention nicht hineinzuschauen (vgl. Schütz 2004). Audiogramme geben einen ständigen Auslegungsprozess wieder. Dies ist introspektiv sprechend möglich, wenn auch natürlich nicht längst erschöpfend. Diese Art der Beschreibung verändert die Realität der Situation wesentlich weniger als das Gedächtnis-Protokoll. Letzteres überformt die aktuelle und unmittelbare Sinnkonstitution, denn es geht zwangsläufig aus einer zeitlichen Distanz vor. Dies hat mit der phänomenalen Zeitstruktur des Erlebens und der interpretierten Erfahrung zu tun, die Schütz so brillant im Anschluss an Edmund Husserl beschrieben hat (Schütz/Luckmann 2003). Denn die rekonstruierende Deutung und Beschreibung im Gedächtnis-Protokoll eines beliebigen Momentes X erfolgt immer von dessen nachträglicher Auflösung her, den Momenten X1, X2 bis Xn, der nah an der Protokollierungssituation liegt. Völlig anders ist diese Beschreibungsstruktur, wenn man aktuell während der Sukzession des Erlebens kommentierend beschreibt. Das Audiogramm notiert sinnkonstituierende Kogni-

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tion und Perzeption so nah wie möglich in der unmittelbar und aktuell erlebten Sukzession der Momente, da es festhält, wie ich einen Moment im Stillstand gewissermaßen nur aus der Vergangenheit her deute, Moment X aus X-1, X-2 bis X-n, nicht aber aus Xn, da diese Momente mir noch unbekannt sind. Ich entwerfe auf sie hin, erstelle Hypothesen über ihr Erscheinen oder ihre Beschaffenheit, aber die Art dieser Beschaffenheit ist mir noch unbekannt. Ein Schmerzensschrei ertönt unmittelbar auf die Verletzung. Hier ist es so unmittelbar wie möglich. Allerdings gibt es auch hier eine kleine zeitliche Verzögerung, die sich aber im Bereich von Retentionen und Protentionen aufhält (ebd.). Reflexion ist dem aktuellen Verlauf tatsächlich nachgeordnet. Das Subjekt ist mehrfach: Es ist einmal ein Wahrnehmungen erleidendes, denn plötzlich geschieht Unerwartetes. Eine sensuelle Beobachtung wird vermerkt. Und zum anderen beginnt gleich anschließend daran, oder besser in sie hineingewoben, der aktive Deutungsprozess. Dieser ist auf pragmatisches Handeln mit Hilfe körperlicher Routinen hin entworfen. (Ausschnitt aus Audiogramm »Kölner Hauptbahnhof«) »Jetzt bin ich in einer engeren Situation, links scheint sich irgendetwas aufgetürmt zu haben, vielleicht ein Verkaufsstand oder so etwas. Also, der Abstand zwischen rechter und linker Wand ist geringer geworden. Das spüre und höre ich. Ich gehe weiter. Der StockKlang ist auch weniger hallig, trockener. Ich spüre, rechts kam etwas auf mich zu, ich berühre es mit dem Stock, dann mit der Hand, Fensterscheibe würde ich tippen. Rechts Musikgeräusch, ein Geschäft, ich denke mal eine Art Kaffeebar oder so was. Ich gehe weiter. Ich spüre, rechts ist die Wand wieder enger, wieder Luftzug, Geräusche einer Lok, wieder ein Aufgang. Ich gehe erneut weiter. Hier scheint sich der Weg wieder zu verbreitern, der Hall ist wieder da. [...] Vor mir ist irgendwie das Hallengeräusch abgeebbt. Vielleicht habe ich jetzt eine falsche Abzweigung gewählt. Ähm, denn es ist hier auf einmal relativ leise. Jetzt wieder ein Luftzug von rechts. Ich werde mal nachschauen, was da ist. Es geht leicht nach oben, ich befinde mich, doch hier ist ein Aufgang. Ich gehe wieder zurück, spüre rechts die Wand und gehe um die Kurve herum, hinter mir jetzt eher das Hallengeräusch, vor mir eher Ruhe. Stimmen hinter mir, es ist fast schon zu leise, finde ich. [...] So. Die Hypothese ist: Ich bin im Nebengang, ich muss stärker links gehen, als ich vermutet habe, um zur U-Bahn zu kommen«.

Hier ist eine Mischung aus einzelnen Wahrnehmungen wie Geräuschen, Klängen und Berührungen, die zunächst einen Gesamtraum konstituieren. Dieses Konstrukt fließt wohlig hin in der Zeit. Dann stellen sich auch Wahrnehmungen dem Gehenden in den Weg, mit Vermutungen und Hypothesen des sie deutenden

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Ethnographen. Schalldämmungen und Dingreflexionen verweisen zunächst darauf, dass an einer Raumfläche, die allerdings nicht klar umrissen ist, sodass man besser von einer Raumtiefe sprechen würde, sich ein Etwas befindet, dessen Dinghaftigkeit wohl angenommen wird, dessen Art aber zunächst unbestimmt ist. Das Tasten bringt eine pragmatische Deutung des Dings ans Licht, die allerdings auch nicht eine Letztauslegung sein muss: »Fensterscheibe würde ich tippen«. Tippen und Vermuten zieht sich durch das ganze Audiogramm. Und damit zeigt es seinen Wert als Dokument der Offenheit dieses Vorgangs. Eine Offenheit, die Unsicherheit in sich birgt, die im Gedächtnisprotokoll bestenfalls als solche notiert würde. Die verschlungenen Wege dieser Offenheit und der Versuche, sie aufzulösen, blieben dabei völlig unterrepräsentiert. Das Audiogramm hat also seine Stärke im Vollzug der Handlung, weder in ihrem Entwurf noch in ihrer das Ziel erreichenden Vollendung. Besonders scharf wird diese Konstitution der audiogrammatischen Daten in der Wissenskonstruktion beim Irrtum. Wenn durch den Irrtum zwar nicht im nächsten Moment, aber in irgendeinem der folgenden Momente ein Ereignis eintritt, das unerwartet war und den Irrtum bestätigt oder ihn auflöst. Auch wird hier schon deutlich, dass wir es nicht mit reinen oder rohen Daten zu tun haben, als wäre das Audiogramm ein Spiegel. Eine irgendwie geartete Wirklichkeit außerhalb subjektiver Auslegung kann es nicht geben, dies ist inzwischen nach der Writing Culture Debatte fast schon trivial. Denn jeder Ethnograph kann nur gemäß seinem Wahrnehmungsstil beobachten, interpretieren und dokumentieren. Sowohl überaus deutliche Sinnesempfindungen wie Schmerz als auch undeutliche Empfindungen werden in einen Interpretationsprozess überführt, der das Hintergrundwissen des lebensweltlichen Kontexts anwendet. In dieser Detailfülle liegt ein weiterer entscheidender Vorteil des Audiogramms gegenüber dem Gedächtnisprotokoll. Es regt das Hintergrundwissen des Ethnographen an, wodurch der nachträglichen wissenschaftlichen Interpretation unendlich viel reflexives Datenmaterial zur Verfügung gestellt wird. Auf eine Eigenheit dieser Forschungssituation möchte ich noch hinweisen: Der Kontext dieser Walking Ethnography ist ein ganz besonderer: Trotz zahlreicher Hindernisse und einer beträchtlichen Anzahl menschlicher Mitspieler ist es eine hochgradig zivilisierte Situation. Der Untergrund ist begradigt und der Ethnograph trägt Schuhe. Das ist weder selbstverständlich noch unproblematisch. Es gibt vielmehr maßgebliche Vorgaben für das eingesetzte Instrumentarium, das Zusammenspiel zwischen materialer Raumumwelt, materialer Kultur und Körperlichkeit. Als Kontrast wird nun ein gewissermaßen wildes Experiment präsentiert. Ich zitiere

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dazu die Transkription eines auf ein mitgeführtes Diktiergerät gesprochenen Audiogramms: (Audiogramm »Barfuß1«) »Ja, jetzt hab ich links viel Stein, rechts diese Nabe. [7 Sekunden Gräserrascheln. 1 Sek kratzendes Geräusch.] Ja, nach (6.0) [das Kratzen hält 4 Sek. an, es klingt so, als hätte dasjenige, was das Kratzen hervorruft, auch das Mikro berührt] pf zwei Schritten kam von rechts ein Dornengestrüpp. (2.0) hh da ratscht man sich immer dran aber jetzt geh ich weiter. [man hört entfernt einen Automotor, der in seiner Tonhöhe moduliert, so als ob er leicht bremst und dann wieder leicht beschleunigt, als fahre er um eine Kurve. Ich atme in einer Mischung aus Anstrengung und Vorsicht. Meine Schritte sind leise, erzeugen ein feines grasiges Geräusch. Ich betätige einen Reißverschluss, der nach unten gezogen wird. Meine Schritte werden lauter, erzeugen ein gröberes grasiges Geräusch] Unter meinen Füßen ab und zu dickere Steine. Hhh (lautes Räuspern) die kommen einfach unerwartet. (1.0) hh ähm, Ich gehe so vorsichtig, dass ich nicht voll reinratsche. [ich spreche hier hörbar angestrengt] und wenn man auf so einem Stein drauf landet, einem großen, (1.0) dann nimmt man nur wenig Gewicht auf den Fuß, versucht, (3.0) sich irgendwie abzustützen mit dem Stock zum Beispiel, den ich rechts halte (3.0) hh oder das Gewicht so zu verteilen, dass es auf dem anderen Fuß liegt. Jetzt hab ich mehr Steine unter den Füßen Hh ich bin zu weit nach links geraten links war hh Stein unterm Fuß, rechts des das Gras [ich spreche hier etwas schnell und angestrengt, gepresst fast] Jetzt wieder unter beiden Füßen das Gras [Hier spreche ich wieder entspannt] (1.0) (Räuspern) (8.0) (Magenknurren, Atmen) Hh (leicht zitternd) Autsch (gesagt) links Aua (gerufen, leicht stöhnend ausatmen danach) hhh spitze Steine, größere Steine hh ich versuch, mehr nach rechts zu tendieren. (2.0) oooh links ohhhh (mit zusammen gebissenen Zähnen) (1.0) mehrere Steine, hat wehgetan, hhh so schnell wie möglich Gewicht nach rechts verlagern. hhh Links hab ich jetzt Ahh gar kein Gewicht. [bis hier klinge ich gepresst, aber hier werde ich ruhiger, der Schmerz scheint abzuklingen] Hh taste mit dem linken Fuß und versuche, den hhh nach vorne zu schieben. Jetzt hab ich eine Stelle, hhh die nicht so sehr schmerzt, jetzt kann ich das Gewicht wieder drauf legen,

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zieh den rechten Fuß nach. Bin jetzt auf Gras, geh ganz vorsichtig (erleichtert und langsam).«1

Die Erkundung eines prekären Instrumentariums. Prekär, weil es schmerzt und dadurch seine alltäglich routinehafte Verwendung gefährdet ist, neujustiert und erprobt werden muss. Teilweise wenigstens. Daher greift es auch zu kurz, mit Schütz einfach von Handlungsentwürfen zu sprechen, die handelnd sukzessive umgesetzt werden. Der Boden dieser Handlungen ist nicht fruchtbar genug, nicht kultiviert genug, seine Materialität ist zu wild für die Füße: Dornen, Sträucher, Steine geraten in den Weg. Es ist aber nicht nur die Materialität, sondern auch die Wahrnehmungsweise, das »Blind-auf-die-Steine-Laufen«. Es ist aber auch die materiale Kultur, die bewusst eingesetzt ist, das Barfuß-Laufen. Im Grunde ist diese Methode eine Erweiterung der phänomenologischen Beobachtung: Sie nimmt sensuell-körperliche Abläufe mit in den Beobachtungsraum. Damit erweitert sie die extrem an optischen Phänomenen orientierte Phänomenologie auf andere Sinnesfelder. Sie ist an alltäglichen Abläufen interessiert. Zeit wird als kontinuierliche Sukzession dieser Aufzeichnung registrierend dokumentiert. Mitmenschen können auch ins Zentrum dieser Beschreibung kommen. Materiale Gegebenheiten, wie etwa räumliche Strukturen und Dinge, werden in ihrer Wirkung auf den Körper/Leib beschrieben und sind daher in der Analyse ebenso präsent wie Artefakte, die zur Hand sind, im Gebrauch durch das körperlich in die Umwelt eingreifende Subjekt wie etwa Schuhe oder der Langstock. Sie ist daher weder mentalistisch noch solipsistisch. Somit ist das Audiogramm eine hervorragende Methode zur feineingestellten Ensemble-Analyse einer Interaktivität von höchst heterogenen Mitspielern. Dadurch erst vermag sich der Ethnograph über das Wie seiner Forschungen, über all das, was in sie hineinspielt, über den feinen Aufbau der Erfahrungswelt Rechenschaft abzulegen, um immer neue, kreative Methoden zu entwickeln, dem lebensweltlichen Geschehen auf die Spur zu kommen, immer gehend, praktisch fühlend, tastend, witternd, hörend, sprechend und wahrnehmend interpretierend.

1

In eckigen Klammern sind auf der Aufnahme zu hörende ausführlich beschriebene Geräusche und die bei der interpretierenden Transkription erreichten Versprachlichungen/Verschriftlichungen der emotionalen Qualität meiner Stimme notiert. Dazu kurz beschreibbare Geräusche und Pausen in mit Nummern spezifizierten Sekundenlängen. »Hh« meint deutlich hörbares Einatmen.

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Z USAMMENFASSUNG Die Audioethnographie als spezielle Methode sensorischer Ethnographie ist eine Alternative zur im Wissenschaftsdiskurs hegemonial dominierenden visualistischen Methode. Entgegen der Methodik der Sammlung von visuell einsehbarem Text- und Bildmaterial und eines durch es hindurch visuell konstruierten Gegenstandes wird ein akustischer Datenkorpus angelegt. Audiopoesie, Audioprotokoll, Audioscape, Audiogramm und Audiointeraktion sind Instrumente der Datensammlung. Ein Audiopoem verdichtet zunächst die audielle Dimension der Forschungssituation und öffnet darüber hinaus Aufmerksamkeits- und Notizraum für weitere sensorische Felder. Es weist noch eine ähnliche zeitliche und räumliche Distanz zur Forschungssituation auf wie ein herkömmliches Protokoll und ist wie dieses zusammenfassend. Die Distanz verringert sich über das Audioprotokoll bis hin zum Audiogramm, wo die subjektive Aufmerksamkeit auf Details von Zeit, Raum und Wahrnehmungsinhalt maximal ist. Audiointeraktion, Audioprotokoll und Audiogramm geben über die Stimme des Forschers Einblicke in die emotive Gestimmtheit der Forschung. Audioscape, Audiogramm, Audioprotokoll und Audiointeraktion registrieren zudem in unterschiedlicher Akzentuierung das audielle Feld. Das Audielle hinterlässt im Audiogramm und im Audioprotokoll eigene, materiale Spuren im Datenmaterial. Die audielle Umwelt kommt im Audioscape deutlich zu Wort. Die soziale Mitwelt ist in der Audiointeraktion direkt dokumentiert. In diesen Methoden kann sich der Forscher zum subjektiven Messinstrument für die an sensorischer Forschung interessierte Ethnographie machen und Daten für die Erforschung des Non-Visuellen als einem lange vernachlässigten Gegenstandsbereich eruieren.

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The ›moral ethnographer‹: Chancen und Risiken der Entdifferenzierung von Wissenschaft, Kunst und Politik A LEXANDER G EIMER

E INLEITUNG In diesem Beitrag wird ein Blick auf die Grundlagen einer Performative Social Science (Roberts 2008) geworfen, welche sich im Zuge einer performativen Wende (Finley 2011, Denzin 2003, 2010) vor allem in der angloamerikanischen Ethnographie als Erneuerung der qualitativen Forschung versteht. Das grundlegende Merkmal dieses Forschungsprogramms liegt in einem an Verfahren der Kunst orientierten Bruch mit Traditionen und Techniken der professionellen Distanzierung von dem Gegenstand der Forschung. Gemäß allseits bekannten Gepflogenheiten klammern wissenschaftliche Texte – selbst bei besonders dichten Beschreibungen und persönlichen Erfahrungsberichten – die Emotionen der Forschenden und ihre politischen Orientierungen weitgehend aus. Wenngleich mit der Grenze zum Privaten auch gespielt wird und zeitweilig Übertritte und damit ein Verweis auf diese Grenze wahrnehmbar werden (können), so gelten persönliche Distanz und Wertneutralität weithin geteilt als Voraussetzung für die Produktion intersubjektiv überprüfbarer Forschungsergebnisse. Im Kontrast dazu sind Emotionen der Forschenden, deren eigene Werturteile den VertreterInnen der performativen, kunstbasierten Ethnographie kein auszublendendes Hindernis, sondern eine Ressource der Forschung (vgl. Canella/Lincoln 2011), so dass »das Persönliche, das Politische und die Performance nicht voneinander zu trennende Aspekte des Forschungsprozesses« (Atkinson 2004: 107, eigene Übersetzung) darstellen. Diese Verschränkung von Performance (beziehungsweise Poesie), Politik und Wissenschaft in der neueren angloamerikanischen Ethnographie

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wird im Weiteren vorgestellt, worauf kritische Fragen sowohl an jenes Forschungsprogramm als auch an die deutsche Tradition qualitativer Forschung folgen. Es ist vor allem das von zentralen Varianten der performativen, kunstbasierten Ethnographie in Epiphanien der Beforschten (Krisen- und Umbruchserfahrungen) aufgegriffene, kritische Reflexionspotenzial der Alltagsakteure, das Ansätze qualitativ-rekonstruktiver Forschung in Deutschland produktiv aufgreifen können.

G RUNDLAGEN

EINER PERFORMATIVEN , KUNSTBASIERTEN E THNOGRAPHIE Die Ansätze im Rahmen der Performative Social Science sind weitgehend ethnographisch ausgerichtet und lassen sich differenzieren in Performative Autoethnography (Spry 2011), Performance Ethnography (Denzin 2003, Hamera 2011), Evocative Ethnography (Ellis 1997) oder Critical Arts-Based Inquiry (Finley 2011), wobei die Labels teils austauschbar sind und die AutorInnen aufeinander verweisen (vgl. Geimer 2011) und so jenen Diskurs herstellen, den ich mit Roberts (2008) unter Performative Social Science beziehungsweise als performative, kunstbasierte Ethnographie fasse. Möglichst knapp lässt sich das Anliegen dieses Forschungsprogramms zusammenfassen, wenn man es als Umkehrung der klassischen Ethnographie versteht (vgl. Moser 2006: 115ff.). Die VertreterInnen sind nicht vorrangig an fremden Ländern und deren Kultur, sondern an Kulturen innerhalb der eigenen Gesellschaft interessiert. Diese sollen nicht möglichst objektiv beschrieben und wertfrei klassifiziert, sondern in ihrer Verwobenheit mit der Subjektivität der ForscherInnen analysiert werden. Wenn also Malinowski während seinen Untersuchungen der melanesischen Kultur (2010 [1922]) Tagebücher (2003 [1914-1918]) führte, in denen er seine eigenen Erfahrungen in der Fremde zu verarbeiten suchte, um dann diese möglichst aus seinen eigentlichen Forschungsberichten zu verbannen, dann interessiert die VertreterInnen der performativen, kunstbasierten Ethnographie die Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst im Zusammenhang mit dem Fremden und dem Anderen der eigenen Kultur. Diese Auseinandersetzung ist in einem engen Sinne bezogen auf das Performative im Sinne der Performance als Aufführung. Die VertreterInnen der performativen, kunstbasierten Ethnographie stimmen darin überein, dass die Aufführung Begrenzungen der Artikulation in Texten überwindet (Jackson 1993). Damit geht ein Bezug auf die Unmittelbarkeit und Vielfalt der menschlichen Erfahrung einher, die in den Konventionen sozialwissenschaftlichen Forschens und Schreibens nicht ausreichend zu erfassen sei.

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Techniken der Distanzierung vom Forschungsgegenstand werden vielmehr als eine Form der Disziplinierung der Forschenden gesehen, die dazu dient, bestehende Hierarchien und Ungleichheiten aufrecht zu erhalten. Entsprechend folgt die persönliche Bezugnahme auf die Unmittelbarkeit und Vielfalt alltäglicher (wie vor allem außeralltäglicher, siehe unten) Erfahrung – sowohl in der Erhebung der Daten als auch Präsentation der Forschungsergebnisse – nicht dem Anliegen, die soziale Welt wirklichkeitsgetreu abzubilden. Stattdessen stehen die unterschiedlichen und nicht-textuellen oder textuell-poetischen Praktiken einer performativen, kunstbasierten Forschung im Kontext der Kritik, die Beforschte wie Adressaten der Forschung politisch aktivieren möchte. Damit besteht ein »paradox of immediacy« (Gurevitch 2002: 405): Einerseits wird mittels kunstbasierter Praktiken versucht, die Vielfalt von Erfahrungen möglichst unmittelbar wiederzugeben, zugleich verweist diese künstlerische Wiedergabe auf etwas der Erfahrung gerade Entzogenes auf ein zukünftiges Werden, das aus der kunstbasierten, kritischen Reflexion und Aufarbeitung eben der Erfahrung folgen soll. Im Sinne einer »poetischen Soziologie« (ebd.: 404) handelt es sich also um ein Projekt, das die individuellen Stimmen und (Auto-)Biografien hervorheben möchte und zugleich sensibel ist für die Unmöglichkeit, diese korrekt wiederzugeben. Ihre Repräsentation dient der politischen Aktivierung und diese ist auf das Medium der Kunst angewiesen (vgl. ebd.: 405, vgl. Finley 2011: 436). Trotz gegebener Differenzen zwischen einzelnen AutorInnen der performativen, kunstbasierten Ethnographie stimmen diese darin überein, dass die soziale Wirklichkeit nicht lediglich zu beschreiben oder nur adäquat zu erfassen, sondern zu verändern und zu verbessern ist (Spry 2001: 710, Hamera 2011: 318f.). Das entscheidende Gütekriterium innerhalb der scientific community liegt demzufolge in der durch künstlerische Praktiken ermöglichten Kraft von Arbeiten zur Intervention in alltägliche Handlungsstrukturen und zur Transformation von Identitäten (Denzin 2010: 49, Holman Jones 2005: 763). Diese Ausrichtung der qualitativen Forschung geht wesentlich auf die Entwicklung eines »postmodern informed interactionism« (Fontana 2005: 242) innerhalb der (nord-)amerikanischen Cultural Studies (vgl. Denzin 1992) zurück. Fontana macht vier Abgrenzungsmerkmale zwischen einem traditionellen und postmodernen Interaktionismus aus: »reflexivity, commitment, truth claims, and modes of reporting« (ebd.). Mit Reflexivität ist die gesteigerte Berücksichtigung des eigenen Beobachtungsstandpunkts gemeint, der nicht methodisch zu kontrollieren und so einzuklammern ist, sondern in die Untersuchungen aktiv und kreativ einzubringen sei. Dies im Sinne eines Bekenntnisses zu politischem und persönlichem Engagement, das Wahrheitsansprüche zurückweist. Im Unterschied zum generalisierenden Modus des qualitativen Forschungsberichts, der auf Theoriegenerierung und Typenbil-

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dung abstellt, werden entsprechend neue künstlerische Formen der Darstellung entwickelt, die LeserInnen intensiv an den Erfahrungen der Beforschten teilhaben lassen, um Kritik und Widerstand zu evozieren. Im Folgenden werde ich nicht gegenstandsbezogene Arbeiten, sondern die übergreifenden, methodologischen Grundlagen der performativen, kunstbasierten Ethnographie detaillierter diskutieren, wobei folgende zentrale Einflüsse diskutiert werden: Politik und Ästhetik der Interpretation, die zu einer Ausrichtung der qualitativen Forschung führen, in der das Private politisiert wie poetisiert wird.

P OLITIK

UND Ä STHETIK DER I NTERPRETATION IN DER PERFORMATIVEN , KUNSTBASIERTEN E THNOGRAPHIE

Im Anschluss an die writing culture-Debatte (Clifford/Marcus 1986), in der die Unsichtbarkeit eines allwissenden Autors in Forschungsberichten kritisiert wurde, wird die Position der ForscherInnen im Untersuchungsprozess der performativen, kunstbasierten Ethnographie keine Frage der methodischen Kontrolle von Standortgebundenheit, sondern die eigene Subjektivität selbst zu einem Forschungsgegenstand (Anderson 2006: 384). Holman Jones (2005: 766) spricht in diesem Kontext von einer generellen »Unmöglichkeit der Repräsentation der gelebten Erfahrung« (eigene Übersetzung). Diese Haltung ist wesentlich als Reaktion der amerikanischen Cultural Studies auf die Krise der Repräsentation von Wirklichkeit zu sehen (vgl. Winter 2006, 2009). Aus der unausweichlichen Verflechtung von Repräsentation und Politik (vgl. Denzin/Lincoln 2011: 10f.) folgt für die VertreterInnen die Notwendigkeit einer »Politik der Interpretation« (Denzin 1992, Finley 2011: 437), die Ang (2006: 184) folgendermaßen fasst: »No ›theory‹ brought to bear on the ›empirical‹ can ever be ›value-neutral‹; it is always interested in the strong sense of that word. Here, then, the thoroughly political nature of any research practice manifests itself«. Die Wendung zum Politischen basiert also auf der Annahme, dass ForscherInnen nicht in der Lage sind, generalisierbares Wissen zu generieren (Lincoln/Guba 1985: 110). Stattdessen ist nur möglich, Erzählungen über Forschungssubjekte zu erfinden, deren Gültigkeit stets dahin gestellt bleibt (Winter 2006: 84). Damit wird die für ForscherInnen in der deutschen Tradition elaborierter qualitativer Verfahren zentrale Frage hinfällig, (vgl. Bohnsack 2005, Reichertz 2007), inwiefern sich die Konstruktionen zweiten Grades (im Rahmen einer gegebenen Methodologie) adäquat zu den Konstruktionen ersten Grades verhalten. Vielmehr geht es stattdessen darum, Modi des Schreibens zu entwickeln, die sich Konventionen einer realisti-

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schen Darstellung entziehen (Reed-Danahay 2002: 421). Unter der Voraussetzung, dass es keine Wirklichkeit abzubilden und keine Möglichkeit eines methodisch kontrollierten Fremdverstehens gibt, werden spezifische Anforderungen an die Persönlichkeiten der ForscherInnen gestellt, die sich für die instabile Lokalität von Sinn- und Bedeutungszuschreibungen zu öffnen haben, sich also möglichst verletzbar machen sollen, um Momente eines unwahrscheinlichen Verstehens des anderen doch möglich zu machen. In diesem Sinne führt Denzin aus: »I seek […] an existential ethnography, a vulnerable ethnography which shows us how to act morally, in solidarity, with passion, with dignity; […] This ethnography moves from my biography to the biographies of others, to those rare moments when our lives connect« (Denzin 2000: 402, Herv. A.G.). Wenn nur in wenigen Augenblicken eine authentische Erfahrung des anderen möglich ist (besser: eine Erfahrung, die sich für beide Seiten oder eine als authentisch anfühlt), kommt diesen Erfahrungen eine politische und moralische Pflicht zu, sie verantwortungsvoll zu nutzen. Und zwar so, dass die Beforschten nicht nur Informationsträger für wissenschaftliche Anliegen (wie Publikationen, Karrieren, etc.) sind, welche sie selbst eher weniger betreffen, sondern auf eine Weise, nach der die Beforschten selbst aus den Situationen intimer Nähe bekräftigt und in ihren eigenen Anliegen gestärkt hervorgehen. Entsprechend halten auch Bochner und Ellis fest, dass Forschende sich selbst verletzbar machen und sich auf die Intimität der Beforschten einlassen sollen, wobei es folglich moralisch geradezu verwerflich ist, die engen Beziehungen zu den Beforschten für das Schreiben distanzierter Theorietexte zu nutzen (vgl. Ellis/Bochner 2006: 433). Dieses Selbstverständnis führt zu einer moralischen Pflicht, vor allem Krisen und Notlagen der Beforschten in intimen Momenten des Verstehens zu thematisieren, welche die Beforschten existentiell beschäftigen und in ihrem Dasein prägen. Die VertreterInnen sprechen in dieser Hinsicht von »Epiphanien« (Ellis/Adams/Bochner 2011: 6) beziehungsweise »epiphanic moments« (Denzin 1992: 83) und meinen Sinnzusammenbrüche, Grenzerfahrungen und Krisen, die biografische Spuren hinterlassen und Wendepunkte im Leben von Menschen darstellen, mithin »erinnerte Momente, die als besonders bedeutsam wahrgenommen werden […] oder existenzielle Krisen, die eine Auseinandersetzung erzwingen« (Ellis/Adams/Bochner 2010: 346). Solche Momente sollen vor allem auf die Bewusstwerdung der Veralltäglichung von Unterdrückung, Diskriminierung, Ausgrenzung, Marginalisierung zurückgehen. Der Arbeit eines/r »moral ethnographer« (Denzin 2000: 402) kommt so eine politische wie zugleich eine therapeutische Funktion zu; ihre Aufgabe ist die Heilung von emotionalen Narben der Vergangenheit (vgl. Chang 2008: 53). Entsprechend fordert Pelias (2004) auch eine »methodology of the heart«, welche das wissenschaftliche

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Handeln anleiten sollte. Ansätze innerhalb der performativen, kunstbasierten Ethnographie unterscheiden sich in dieser Hinsicht, indem etwa die Autoethnography eher therapeutische Aspekte der Forschung hervorhebt, während die Performative beziehungsweise Performance Ethnography eher auf Interventionen alltags- und mikropolitischer Natur setzt; auf die vielfältigen Überkreuzungen dieser beiden Anliegen hebt der Überblick von Fontana (2005: 243ff.) ab. Wie Denzin (1997: 228) festhält wird durch die politisch-moralische beziehungsweise therapeutische Haltung das Repräsentationsproblem umgangen, indem nicht eine korrekte Widerspiegelung von Wirklichkeit(-skonstruktionen) oder detailgetreue Abbildung von Erfahrungen die Anliegen der Forschung sind. Stattdessen ist das dezidierte Ziel, das Problem der Repräsentation zu umgehen, indem eine Epistemologie angestrebt wird, welche die LeserInnen dazu anregen soll, die Gefühle der Beforschten nachzuempfinden. Qualitative Forschung soll dann durch künstlerische Praktiken der Darbietung der Forschungsergebnisse nicht nur politische und/oder therapeutische Effekte bei den direkt an dem Forschungsprozess Beteiligten evozieren, sondern auch bei dem (möglichst nicht nur wissenschaftlichen) Publikum, so dass auch von einer »evocative ethnography« die Rede ist (vgl. Ellis 1997). Der Blick eines distanzierten Beobachters ist demzufolge aufzulösen zu Gunsten »the embrace of intimate involvement, engagement« (Ellis/Bochner 2006: 433, Spry 2001: 714). Dazu werden kunstbasierte Praktiken, wie das Schreiben persönlicher Gedichte oder Geschichten, so genannte »Mystories« (Denzin 2010: 58) oder Dramen und Aufführungen genutzt. Diese sollen Worte und Geschichten der Beforschten nicht einfach wiedergeben, sondern aufgreifen und in einer Bricolage (vgl. Denzin/Lincoln 2011) so umformen, dass sie möglichst intensiv berühren und bewegen. Worte und Geschichten der Beforschten werden also nicht transkribiert, interpretiert und zitiert, sondern in Performances oder »performance texts« (Denzin 2003: 105) poetisiert, wodurch die Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst wie Politik explizit aufgelöst, die jeweiligen Modi der Repräsentation einander angenähert werden (vgl. Ellis/Bochner 2003: 217). Wegweisend in dieser Hinsicht war Cliffords »ethnographischer Surrealismus« (1986), dessen Ziel es ist, das Bekannte herauszufordern und den Einbruch des Fremden in bestehende Ordnungen zu provozieren (vgl. ebd.: 562). In Anlehnung an die Ideen der literarischen und künstlerischen Avantgarde der Moderne des 20. Jahrhunderts, in der Handlungsroutinen und Denkgewohnheiten dekonstruiert werden sollen, ist damit das Anliegen der entsprechend ausgerichteten Ethnographie die Hervorbringung von »action that incessantly insinuates, interrupts, interrogates, antagonizes, and decenters powerful master discourses« (Conquergood 1995: 138). Entsprechend fasst Hamera (2011: 327) dieses utopische Moment, das für jegliche Varianten der performati-

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ven, kunstbasierten Ethnographie maßgeblich ist, mit der Hoffnung in die Macht der Poesie, die alltägliche Handlungsroutinen und Deutungsweisen nachhaltig erschüttern soll.

K RITISCHE D ISKUSSION METHODOLOGISCHER G RUNDLAGEN DER PERFORMATIVEN , KUNSTBASIERTEN E THNOGRAPHIE Vergleicht man den hier dargelegten Performativitätsbegriff mit Konzepten, wie sie etwa von Fischer-Lichte (2004) oder Wulf und Zirfas (zum Beispiel 2001, 2006) oder Bohnsack (2007) hierzulande ausgearbeitet wurden, so lassen sich wenige Parallelen finden. Zwar sieht Fischer-Lichte (2004: 82) ebenso wie die performativen, kunstbasierten Ansätze der Ethnographie, dass sich in »einer Ästhetik des Performativen die Bereiche Kunst, soziale Lebenswelt und Politik kaum säuberlich voneinander trennen lassen«, versteht allerdings dieses Unternehmen als »einen dezidiert kunstwissenschaftlichen Ansatz« (ebd.: 56). Wulf und Zirfas hingegen, die ein erziehungs- und sozialwissenschaftliches Konzept der Performativität entwickelten, betonen, dass das »Performative […] die Momente des Herstellens von Ritualen, ihre Handlungsvollzüge, ihre Dynamiken, die mit den Ritualen verbundenen Materialien und Rahmungen« (2006: 294) fokussiere. Im Unterschied zur performativen, kunstbasierten Ethnographie interessieren bei diesen Ansätzen erstens keine politisch-moralischen Kontextuierungen und zweitens nicht vorrangig Sinnzusammenbrüche und Grenzerfahrungen (Epiphanien), sondern »Formen rituellen Handelns, die es Gemeinschaften ermöglichen, sich zu generieren, restituieren und ihre Differenzen zu bearbeiten« (Wulf/Zirfas 2006: 298, vgl. Zirfas/Wulf 2001). Performativität wird also auf Seiten der Beforschten in den Blick genommen und nicht das Handeln der Forschenden Standards einer künstlerischen Aufführung (Performance) angepasst. Während die performative, kunstbasierte Ethnographie wissenschaftliche Typisierungen und theoretische Klassifikationen des Alltagshandelns als distanzierte Konstruktionen begreift, welche das Leben und die Erfahrungen der Beforschten mit fremden Interessen und Kategorien überziehen (Denzin 2010: 92), so kennen Forschungsprogramme deutscher Tradition (in Anschluss an Schütz 1971) Gütekriterien der Erfahrung von Erfahrungen beziehungsweise der Erstellung von Konstruktionen zweiter Ordnung, die sich möglichst adäquat auf Kon-

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struktionen erster Ordnung beziehen sollen (Bohnsack 2005)1. Die Fokussierung des Performativen ist eben als ein solches Gütekriterium von Forschung zu verstehen: »Soziales Handeln ist mehr als die Verwirklichung von Intentionen. Dieses ›Mehr‹ besteht unter anderem in der Art und Weise, in der Handelnde ihre Ziele verfolgen […]. Trotz der intentional gleichen Ausrichtung zeigen sich in dem Wie ihrer Durchführung, in der Inszenierung ihrer körperlichen Ausführung erhebliche Unterschiede« (Wulf 2005: 85, Herv. im Orig.).

Insofern ist die Berücksichtigung des »performativen Charakter[s] sprachlichen und sozialen Handelns« (ebd.) eine zentrale Voraussetzung, um Unterschiede und Unterscheidungsweisen der Beforschten überhaupt in den Blick zu bekommen. Eben deshalb versteht Bohnsack (2007) die Bezugnahme auf das Performative als eine Fokussierung der Alltagswirklichkeit als Vollzugs- und Prozesswirklichkeit, so dass sich »der Begriff der Performativität [auf] die Struktur dieses Herstellungsprozesses, die Prozessstruktur, den modus operandi, den wir auch als Habitus […] bezeichnen« (ebd.: 206), bezieht. Konzepte, die dazu dienen, die Prozessstrukturen des Alltagshandelns zu rekonstruieren, wie Habitus oder Ritual, sind so gesehen metatheoretische Voraussetzungen, die qualitative Forschung erst ermöglichen. Die erheblichen Unterschiede der performativen, kunstbasierten Ethnographie zu etablierten Traditionen qualitativer Forschung werden international diskutiert und kritisiert, wobei die Diskussionslinien erheblich verhärtet erscheinen und in ihrer Schärfe teils derart akribisch wie unnachgiebig verwaltet werden, dass etwa Zeitschriften in Stellungnahmen der HerausgeberInnen ihre prinzipielle Abneigung gegenüber den performativen, kunstbasierten Forschungsansätzen öffentlich machen (beispielsweise Morse et al. 2009). Die KritikerInnen (vgl. Delamont 2007, Anderson 2006) heben zumeist auf folgenden epistemologischen Aspekt der Forschung ab: Mit der Aufgabe eines methodisch kontrollierten Fremdverstehens geht auch die Möglichkeit intersubjektiver Prüfung der Forschungsergebnisse verloren, so dass man die performative, kunstbasierte Ethnographie nicht als Wissenschaft begreifen kann. Zudem wird die Tendenz zur Entgrenzung hinsichtlich der Subjektivität auch der Forschenden als extrem überzogene Beschäftigung mit sich selbst gesehen; etwa von Gans (1999: 542),

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Dies trifft freilich auch auf die Chicago School und ihre Weiterentwicklungen zu, von der sich die performative, kunstbasierte Ethnographie radikal absetzen möchte (ausführlich dazu: Geimer 2011).

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wenn er die Varianten der performativen, kunstbasierten Forschung als postmoderne, aber unsoziale Theorien des Wissens versteht, die behaupten, dass es kein Wissen jenseits des Selbst zu erforschen gäbe. Ebenso reagiert Atkinson (2004: 109) auf den »performative move« in der qualitativen Forschung: »They insist that the personal is political, but then remain in the realm of the personal and relegate the political to the personal experience and emotional response« (ebd. 110). In eben diese Richtung weist auch die Kritik von Geertz, der neuere, ethnographische Versuche als »Seelenerforschung« (Geertz 1990: 96) markiert, die konstant damit beschäftigt sei, die Perspektive der Beforschten auf sich selbst einzunehmen. Diese Kritiken treffen durchaus zu, nehmen allerdings kaum in den Blick, dass die Auseinandersetzung mit fremden (und eigenen) Epiphanien (Krisen- und Umbruchserfahrungen) für die VertreterInnen maßgeblich ist. Diese Epiphanien sollen insofern sozialstrukturell ungleich verteilt sein, als dass sie mit Prozessen der Exklusion und Stigmatisierung verknüpft sind. Darauf sollen die LeserInnen über eine empathische Lektüre (produziert durch künstlerische Verfahren und persönliche Auseinandersetzungen) derart intensiv hingewiesen werden, dass sie politisch aktiviert werden. Mit der Fokussierung von Epiphanien, in denen Beforschten die Erfahrungen alltäglicher Ausgrenzung, Diskriminierung und eines Otherings problematisch werden, stellen die VertreterInnen der performativen, kunstbasierten Ethnographie auf das kritische Reflexionspotenzial der Akteure ab. Versucht man die vorgestellten Ansätze für die qualitative Forschungslandschaft in Deutschland produktiv zu wenden, ist meines Erachtens vor allem diese Rehabilitierung der Möglichkeiten der Kritik der Akteure aufzugreifen. Im Folgenden möchte ich versuchen, an die performative, kunstbasierte Ethnographie in diesem spezifischen Punkt anzuschließen, hierbei erscheint mir insbesondere die Einebnung der erkenntnistheoretischen Differenz zwischen der Haltung eines/r wissenschaftlichen BeobachterIn und jenen der Beforschten, die dem Verständnis der qualitativen Sozialforschung deutscher Tradition deutlich widerspricht, von Relevanz. Aufgabe der meisten Forschungsprogramme, die hierzulande entwickelt wurden, ist – wie oben dargelegt (vgl. auch Geimer 2011) – die Rekonstruktion von Konstruktionen erster Ordnung in solchen einer zweiten Ordnung (vgl. Schütz 1971): alltägliche Konstruktionen werden in wissenschaftlichen Konstruktionen nachgebildet. Dabei wird zumeist – etwa in der Objektiven Hermeneutik oder dokumentarischen Methode (vgl. Przyborski/Wohlrab-Sahr 2008: 26ff.) – davon ausgegangen, dass sich den Akteuren der Sinn ihrer Handlungen nicht vollständig enthüllt beziehungsweise dass sich (im Sinne von Bourdieus Habitus) verinnerlichte und inkorporierte Wissensstrukturen dem

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reflexiven Zugriff entziehen. Damit wird ein Bruch mit dem Common Sense vorausgesetzt: Äußerungen und Handlungen werden von Forschenden nicht als Ausdruck von bewussten Intentionen und gewussten Motiven der Akteure gedeutet. Einen solchen Bruch mit der Logik des Alltags kennt die performative, kunstbasierte Ethnographie nicht. Deren Grundannahmen ähneln damit jenen einer »pragmatischen Soziologie der Kritik« wie sie Boltanski (2010) vorgeschlagen hat; mit dem entscheidenden Unterschied, dass die performative, kunstbasierte Ethnographie den Bruch mit dem Common Sense alltagspraktisch wendet und im Leben der Beforschten selbst verortet. Boltanski kritisiert die Unterscheidung von präreflexivem und bewusstem Handeln (vgl. ebd.: 38ff.) und damit jenen Beobachtungsstandpunkt, der Theorien der Beforschten über sich selbst prinzipiell misstraut, weil ihnen ihre eigenen Motivationen und Orientierungen generell kaum zugänglich seien. Bourdieu spricht in dieser Hinsicht bekanntlich von der fehlenden Transparenz des eigenen Habitus und warnt entsprechend die Sozialwissenschaft vor der »Illusion eines unmittelbaren Verstehens« (Bourdieu/Chamboredon/Passeron 1991: 15). Stattdessen setzt die Wissenschaft als Beruf einen »Bruch mit dem Wirklichen und den Konfigurationen voraus, die es der Wahrnehmung anbietet« (ebd.: 17). Dagegen sperrt sich Boltanski und fokussiert in Anlehnung an Pragmatismus und Ethnomethodologie (vgl. Boltanski 2010: 41) die Reflexivität von Praktiken der alltäglichen Kritik. Während Boltanski den Bruch mit dem Common Sense methodologisch explizit für irrelevant erklärt, geht die performative, kunstbasierte Ethnographie davon aus, dass ein solcher in Krisen- und Umbruchserfahrungen den Akteuren selbst möglich ist und versucht über kunstbasierte Methoden der Forschung und Präsentation das damit einhergehende kritische Potenzial der Praxis wachzuhalten (beziehungsweise mittels künstlerischer Performances aufzuwecken). Hierin sehe ich die zentrale Leistung des vorgestellten Forschungsprogramms, indem dieses also nach alltäglichen Situationen sucht (und solche Momente produzieren möchte), in welchen die Akteure sich den Grundlagen ihrer Subjektivität und deren Kontingenz kritisch zuwenden. Sieht man die performative, kunstbasierte Ethnographie aus dieser Perspektive wird der viel kritisierte Bezug auf kunstbasierte Praktiken und die politische Kontextuierungen idiosynkratischer Erfahrungen zumindest plausibler – wenn auch keineswegs unproblematischer.

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F AZIT Die Argumente gegen die performative, kunstbasierte Ethnographie wiegen schwer. Wenn Kunst und Politik Teil der erziehungs- und sozialwissenschaftlichen Interpretation von alltäglichen Handlungen und Äußerungen sein sollen und die Wissenschaft dabei zu keinen generalisierbaren Aussagen kommen kann, was jeweils einen gemeinsamen Nenner der performativen, kunstbasierten Ansätze darstellt, dann wären wissenschaftliche Praktiken lediglich moralisch zu beurteilen: Wem nützt die Forschung? Wem hilft die Forschung? Und: Wem sollte Forschung nützen/helfen? Es ist offensichtlich, dass diese Fragen nicht abschließend und zufriedenstellend beantwortet werden können beziehungsweise dass es mindestens so viele Antworten gibt wie Beteiligte, so dass es schon sehr erstaunt, dass dieses Legitimitätsdefizit der Forschung von keinen mir bekannten AutorInnen der performativen, kunstbasierten Ethnographie systematisch behandelt wird. Ebenso bedenklich ist, dass die politisch-moralische Kontextuierung der Forschung die Alltagsakteure schon durch die Auswahl als Beforschte als ›unterstützenswert‹, ›hilfebedürftig‹ oder ›optimierungsfähig‹ labelt und durch die Aufforderung zum Wandel zudem unter einen gewissen Druck setzt, den die Beforschten wohl zumeist nicht nachgefragt haben dürften. Auch zu diesen Imperativen der Aktivierung finden sich keine kritischen Überlegungen. Ebenso wenig wird reflektiert, dass selbst wenn sich Akteure in Epiphanien – und durch deren kunstbasierte Kommunikation und Reflexion auch Adressaten der Forschung – Subjektivierungsregimes entziehen können, damit kein Ausstieg aus Machtverhältnissen angezeigt ist, sondern lediglich Verschiebungen von Kräfteverhältnissen stattfinden (die von einer anderen Studie wiederum problematisiert werden könnten). Bei allen berechtigten Kritikpunkten zur Entdifferenzierung von Wissenschaft, Kunst und Politik, erscheint es dennoch möglicherweise fruchtbar, die Grundannahmen der performativen, kunstbasierten Ethnographie hinsichtlich des kritischen Reflexionspotenzials der Alltagsakteure teils aufzugreifen und den Akteuren selbst und nicht nur den WissenschaftlerInnen die Möglichkeit eines Bruchs mit dem Common Sense einzuräumen – »dismantling the notion that the researcher is the only knower and expert on the lives and experiences of the participants« (Dixson et al. 2005: 17). Insbesondere in dieser Hinsicht könnten qualitative Forschungsprogramme deutscher Traditionen also produktiv an die performative, kunstbasierte Ethnographie anknüpfen und Versuche anstellen, kunstbasierte Prozeduren und ästhetische Praktiken etwa im Bereich der Erhebung von Daten derart methodologisch reflektiert einzusetzen, dass Krisen- und Umbruchserfahrungen der Akteure artikulierbar(er) werden. Ohne Frage gibt es si-

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cher kritische Lebensereignisse und emotionale Krisen, die sich etwa in dem Medium der Sprache nur schwer ausdrücken lassen; was an dieser Stelle allerdings nicht mehr ausführlich behandelt werden kann. Für die Sicherung eines methodisch kontrollierten Fremdverstehens – und damit entscheidend für den Erhalt der Legitimität qualitativer Forschung – erscheinen mir jedoch der Verzicht auf politisch-moralische Interventionen im Forschungsprozess und die Fokussierung des Performativen in der Interpretation als Gütekriterium der Forschung unerlässlich. Eine Forschungsperspektive, gemäß welcher sich eine Verknüpfung des – von den performativen, kunstbasierten Ansätzen fokussierten – kritischen Reflexionspotenzials der Akteure mit generativen Organisationsprinzipien des Handelns (die sich in dessen Performativität dokumentieren, vgl. Absatz 4) besonders anbietet, ergibt sich etwa aus Fragen zu Formen der Aneignung, Aushandlung und Reflexion von hegemonialdominanten, diskursiven Subjektfiguren, wie etwa einem unternehmerischen oder kreativen oder authentischen Selbst (vgl. Geimer im Erscheinen). Auch wenn eine »symbolisch-diskursive Vermitteltheit von Selbst- und Weltverhältnissen« (Koller 2012: 21, vgl. Reh/Ricken 2012, Rosenberg 2011) berücksichtigt wird, kommen die vielfältigen Relationen diskursiver Subjektfiguren zu reflexiven und präreflexiven Wissensstrukturen derzeit noch nicht systematisch in den Blick. Für diese Relationen kann also eine kritische Auseinandersetzung mit der performativen, kunstbasierten Ethnographie ebenfalls sensibilisieren.

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T HE › MORAL

ETHNOGRAPHER ‹

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Schools as Organizations: On the Question of Value Consensus D AVID N. G ELLNER

I NTRODUCTION : A NTHROPOLOGY , E THNOGRAPHY , S CHOOLS Do all members of an organization – for present purposes, I focus on schools – have to share the same goals and values? Or, to put the question in a more answerable graduated form: To what extent do goals and values have to be shared by all those who participate in a school environment?1 Anthropology once answered this question with a resounding affirmative: social units need shared values and these are inculcated through, and expressed in, shared rituals. Over the last forty years or so, the functionalist and Durkheimian assumptions underlying this position have fallen decidedly out of fashion. Conflict, resistance, shifting networks, and radical change have all been emphasized instead. Thus, discussion of values or morality, seen as implying old functionalist approaches, was equally out of fashion. In recent years, however, the anthropology of morality has made a comeback and it is claimed that it now constitutes a rec-

1

This chapter is the result of an invitation to address the conference ›Ethnography and Difference in Educational Fields: International Developments of Educational Research‹, 17.-19. November 2011 in Erlangen. The invitation was due, I believe, to an edited collection on doing ethnographic research in organizational contexts (Gellner/Hirsch 2001). An earlier version was tried out in a seminar at Brunel University in March 2008 and was given again in Oxford in February 2013. I have modified the original spoken presentation considerably, and deleted the autobiographical and exculpatory opening passages, but it none the less retains the form of a lecture.

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ognized sub-field of the subject (see, for example, Laidlaw 2002, Agrama 2010, Faubion 2011). The contributions to this sub-field have on the whole emphasized the point of view of the ›self-making‹ individual and so have not addressed the old question of shared values – which is still very much alive in other branches of the social sciences that specialize in looking at organizations. One of the points made in the introduction to Inside Organizations, amply borne out by the case studies included in the book, was that different people within organizations have very different views of what the organization should be doing or standing for (Hirsch/Gellner 2001: 9). It would be naïve – as hardly needs to be said – to assume that all members of an organization subscribe equally or even at all to the mottos and mission statements that the organization puts forward to the world as summing up its values. In this paper I wish to go a step further and suggest that at least some organizations can exist and function perfectly well even when there is a total disjunction between the aims of the different parties to, or stakeholders in, the institution in question. In the case of the school I shall be discussing, it is possible for it to function admirably even though the various stakeholders concerned disagree fundamentally on whether the school is about producing and sustaining linguistic and cultural difference or not. Educational processes need to be seen in the wider context of which they are a part; that wider political and economic context determines much of what happens and what is possible inside these organizations that we call schools. It is surely also uncontroversial to argue that including the class background of the children studied in some fashion or other is essential if we are to understand educational outcomes. Methodologically, I argue that there is an irresolvable tension, an ›antinomy‹, between our small-scale, local methods as ethnographers, on the one side, and the global links and forces that we must take into account and try to study, in their local incarnations, on the other (Gellner 2012). We have to live with that tension and try to do justice to both ends of it in our work as ethnographers and anthropologists. Anthropology, or more correctly social and cultural anthropology, believes it has a special claim on the method of participant observation usually called ethnography. It is heartening, if occasionally alarming (as when a teenager first leaves home), to see ethnography flourishing within so many other fields, such as sociology, cultural studies, and educational studies (e.g. Delamont/Atkinson 1980, Eisenhart 2001). I must thank my ex-colleagues at Brunel University, where I taught between 1994 and 2002, for really bringing home to me that children could be valid subjects of ethnographic investigation: not only that they could be, but that any

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study that took social change seriously had to include them, and not just as objects but as subjects of the research process, as ethnographic informants in their own right with (in the famous Malinowskian phrase) ›their view of their world‹. Children could be ›natives‹ too. This led to brief fieldwork in two schools in 1996 and a substantial report on that fieldwork published some eight years later (Gellner 2004). One of the schools was right next door to the house where I had lived for 19 months when doing my doctoral fieldwork. The other school, to be discussed in detail below, was and still is a fairly unique experiment, a school founded as way to maintain the Nepal Bhasha or Newari language and funded by a Japanese social service organization.

T HE N EPALI

CONTEXT

Nepal as it is today was largely the creation of King Prithvi Narayan Shah ›the Great‹, who reigned from 1743 till 1775. He inherited the tiny kingdom of Gorkha and expanded it to a kingdom larger even than the contemporary boundaries of Nepal through many years of cunning, diplomacy, and conquest (Stiller 1973). For this achievement he is still a hero to many people today. He famously described his new domains as a yam between two boulders in Dibya Upadesh, the testament that he dictated to scribes shortly before his death in 1775 (Stiller 1989 [1968]). Prithvi Narayan’s image of the yam notwithstanding, Nepal is not as small a country as it is often taken to be – it only appears so because of the size of China and India. The area of the country is about 60% of the UK or about 40% that of Germany. Its population is 26.6 million (with an estimated 1.92 million working outside the country) according to the early results of the 2011 census. Put another way, it is considerably bigger in geographical area than Switzerland and Austria combined and will soon have double their population. Nepal is characterized by enormous social complexity and diversity. Over 100 different caste and ethnic groups were counted in the 2001 census, from the Kusunda with just 164 people to the Chhetris with nearly 3.6 million. Many of these groups were not publicly recognized before 1990. From 1960 to 1990 Nepal experienced a form of authoritarian guided democracy under which political parties – claimed to be ›foreign to the soil of Nepal‹ – were banned and only non-party assemblies, known as panchayats, were permitted. It was a period of nation-building and de-emphasis of ethnic difference (see Hoftun/Raeper/Whelpton 1999, Whelpton 2005, Pigg 1992, Hachhethu/Gellner 2010). Cultural difference was allowed in the sphere of music and dance, but not in politics (though it

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was noticeable that, unofficially, attempts were made to maintain a rough balance of ministerial posts as between major groups). With political parties outlawed, a fortiori no politically based ethnic mobilization was permitted. After 1990 there was an explosion of ethnic self-assertion. There was also, from 1996 to 2006, a serious Maoist insurgency/civil war which, as the price for peace, put an end to the monarchy and introduced a republic. Following elections in 2008 to a Constituent Assembly, with an unprecedented level of reservations for women and ethnic minorities, there were high hopes that a new form of federalism would be worked out for the country. But these hopes foundered four years later in 2012, when the period of the Assembly came to an end and the Supreme Court refused to allow it to be extended any further, after repeated extensions over the previous two years. The key issue, over which the parties failed to agree, was the ethnic one: how far would the different federal units be defined in ethnic terms?2 Migration and movement have been facts of life throughout Nepalese history, but migration beyond national borders for work started to increase rapidly in the 1980s. Underlying this movement out of the country were a number of trends, including a rapid rise in literacy rates, and improved health outcomes – but little work, and a big decline in the willingness of educated youth to perform agricultural labour. Enormous numbers of private schools and colleges have sprung up catering to the universal faith in education as providing a way out of poverty and (for many) a way out of the country. There are educational consultants who send people abroad – often to dodgy colleges that charge small fees and provide low-level courses, giving people time to work. Fees for private schools at the top of the range cost well over the monthly salary of a top civil servant. As in so much of Asia, the government schools are poorly run and teachers frequently don’t teach; state schools become sumps for the low status and poor. Everyone who can afford it sends their children to fee-paying private schools, where, though the education may be little better than in the government schools, at least teachers appear in the classroom and go through the motions of teaching. Education, in short, is big business, and many people have made a lot of money out of it.3

2

For an introduction to the political history of recent years, see Hachhethu/Gellner (2010). On the ethnic issue in Nepal, there is a huge and sometimes partisan literature. For introductions, see Gellner (2007), Gellner/Pfaff-Czarnecka/Whelpton (2008), and Hangen (2010). Lawoti (2005) makes the case for ethnic federalism.

3

Two superb ethnographies of education and literacy under the Panchayat regime are by Ragsdale (1989) and Ahearn (2003). It is no coincidence that both authors were

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T HE IMMEDIATE BACKGROUND TO J AGAT S UNDAR S CHOOL

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THE FOUNDING OF

In 1990 the Panchayat regime collapsed in a street revolution – known in Nepal as Jan Andolan 1 or People’s Movement 1 (as opposed to People’s Movement 2 of April-May 2006 which finally got rid of the monarchy). The 1990 movement introduced multi-party democracy and a constitutional monarchy for the first time since the late 1950s. It also, relevantly for the subject of this paper, as part of the new Constitution of 1990, introduced the right to have education in the mother tongue in primary school (though not in secondary school). In 1991 the census started to collect data on ethnicity, so for the first time the politically highly sensitive figures became public knowledge. For the first time it became known that the two jointly dominant groups, the Bahuns and Chhetris (Brahmans and Kshatriyas), formed only 31% of the population. The groups formerly known as ›hill tribes‹ and now as Janajati or (in the activists’ preferred English translation) nationalities, when all added together, outnumbered them. Analyses of jobs held in the senior Establishment posts show that the Bahuns and Chhetris between them have two thirds – more than double their proportion in the population, whereas Janajatis have only 7%, about a fifth or less of what they believe they should have.4 The hill Janajatis feel aggrieved thereby – but they are by no means so disadvantaged as many other groups, especially Muslims and Dalits (ex-Untouchables), who have even fewer representatives at the top levels of society, in relation to their share of the population. There is strong and fighting talk of exploitation, imperialism/internal colonialism, and the need to right historic injustices and to re-write the history books (see Bhattachan 1995 for an early statement of the position). These systematic inequalities gave rise to a strong ethnic rights movement, which in the years after 2000 received considerable support and encouragement from the Maoists. In 1991 the Nepal Federation of Indigenous Nationalities was formed, which aimed to be the confederal body representing all minority nonHindu ethnic groups in the country. It is essentially an anti-Brahman movement (as found in parts of India, especially the south), since, far more than Chhetris, it is Bahuns who dominate at the top in almost every sphere of modern employment requiring high levels of education. The Nepali movement took sustenance

Peace Corps volunteers teaching in Nepali schools before undertaking anthropological research. For more recent educational research on Nepal, see the special issue of Globalisation, Societies and Education 9 (1) (2011). 4

These differences are analysed in Lawoti (2005), Onta (2006), and Gellner (2007).

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from the global movement for indigeneity, which had been launched in the early 1990s. Before 1993 the activists in Nepal were barely aware of it, but when the UN declared first a year and then a Decade of Indigenous Peoples, it became essential to link up, and they did so very successfully (see Gellner 2001, Mishra/Gurung 2012). The putatively indigenous people of the Kathmandu Valley are known as Newars. They are sub-divided by caste, with each caste having a different myth of origin. By religion Newars are traditionally both Hindu and Buddhist, some combining them, some being one rather than the other. They have their own language, Newari or Nepal Bhasa, which is Tibeto-Burman in origin, but has been much influenced, for at least 1500 years, by Indo-European languages. In that respect it is like Maltese, which is essentially an Arabic dialect that has wandered into the sphere of the Romance languages. Newar culture (including caste distinctions) is undergoing rapid transformation (for example, inter-caste marriage is common nowadays, whereas it was treated as highly anomalous just thirty years ago).5 The Newars, like all big groups in Nepal, have their own ethnic activists and campaigns (see Gellner 1986, 2008 [1997], 2003, Shrestha 2007). The Newars are the most urban, and therefore the most educated, and on average well-off, of all Nepal’s groups. As such they have a long history of modern activism, going back to the 1920s. However, their activists were slow to campaign politically on specifically ethnic grounds compared to other groups such as the Gurungs. There is now a Newar political party, the Nepa Rastriya Party. It was founded very late in the day (over a decade later than similar attempts on the part of other groups) shortly before the elections in 2008. It managed to win enough votes (37.757) under the proportional system to receive one MP in the Constituent Assembly. Historically, Newar ethnic activism before this has largely been about the language, how to preserve it, how to regain the official status it had till 1965. It is this history of language activism that lies behind the creation of the school, Jagat Sundar Bwonekuthi or JSB.

T HE S CHOOL Jagat Sundar Bwonekuthi is a private, but government-recognized, institution founded in 1990 (Gellner 2004, Shrestha/Van den Hoek 1995). The name of the

5

On the Newars, see Toffin (1984, 2007), Gellner/Quigley (1995), Levy/Rajopadhyaya (1990), Gellner (1986, 2003).

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school comes from one of the heroes of Newar cultural nationalism, Jagat Sundar Malla (1882-1952), a schoolmaster from Bhaktapur who translated Aesop’s fables into Nepal Bhasha. A statue to him was erected in the school in 2001. The school was founded taking advantage of the provision in the new constitution allowing primary teaching in the mother tongue. During the ferment of 1990, while the constitution itself was still being drafted, women of the Nepal Bhasa Misa Khala (Newari language women’s group) decided to start teaching poor Newar children, who otherwise would not attend school. They received sponsorship at 3,000 rupees per child from luminaries of the language movement such as Prem Bahadar Kansakar. The well-known children’s NGO, CWIN (Child Workers in Nepal Concerned Centre), sponsored five children. Rajbhai Jahkami, another activist, offered the use of the ground floor of his house. A governors’ committee was formed chaired by Laksmi Das Manandhar. Ratna Devi Kasa was the first principal. The teachers taught without taking any salary. The principle of selfless social service with which it began continues even today, with the salaries of the current teachers considerably lower than the private sector norm. In 1991 a Japanese woman called Kumashiro, who was on her way to Swayambhu, happened to pass the open-air shelter where, before the move to Jahkami’s house, the women of the Nepal Bhasa Misa Khala were teaching. Impressed by the teachers’ spirit of social service, she made the first foreign donation of $70.6 Then contact was made – via Shobhana Shrestha Masoka, a Newar married to a Japanese and living in Japan – with a non-governmental social service foundation called HIKIVA (Hirakata Katano International Volunteer Association), based in Osaka. Japanese members of HIKIVA pay ¥17.000 (these days approx. US$209) per year (¥12.000 goes for fees and other expenses of the child, ¥5.000 for general expenses of the school, see HIKIVA). HIKIVA currently funds six schools in Nepal: one of the other schools is in Kathmandu, and the remaining four are in districts outside the Valley (Dhading, Makwanpur). Jagat Sundar Bwone Kuthi is the school with which it has had the longest connection and where it supports the most children (in 2007 it supported 240). Selection of the children for sponsorship is carried out by the staff of the school and is on the basis of need. Teachers from the school interview the parents in the home to assess the economic level of the family. The amount paid by the Japanese sponsors appears not to have increased at all in the years since 1991. Unlike Japan which has experi-

6

Interview with Chunda Vajracharya, one of the school governors (8/1/97).

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enced deflation, there has been considerable inflation in Nepal, so that an amount that was generous then and could stretch to expenses such as books and uniform, today barely covers the fees. New buildings, on the edge of the Vishnumati river and funded by HIKIVA, were opened in 1993. The standard of the buildings and the facilities is certainly higher than most ordinary government schools, despite the fact that the school lost part of its grounds to the new Vishnumati link road in 2002. There is a large hall which is often used for meetings not immediately connected to the school. The JSB pupils are largely from poor and/or low-caste backgrounds. Most, but not all, are Newars by ethnicity. A serious issue for the school in 1996 was the question of expansion up to class 10, so that they could offer the School Leaving Certificate. Until that point, it appeared problematic, because the 1990 Constitution did not guarantee the right for secondary schools, only primary schools, to be operated in languages other than Nepali. After a period when children were transferring to other schools for their last two years before the SLC, eventually the school was extended up to SLC.

R ESTUDYING

CHILDREN FROM ELEVEN YEARS LATER

1996

When I did my original research in JSB in 1996 I asked the children to draw pictures and write essays on three topics: on themselves and their families, ›on an occasion of illness‹ (this is more idiomatic in Nepali or Newari than it sounds in English and the formulation avoided obliging the children to talk about themselves), and on their neighbourhood. I was particularly interested to see if there would be any evidence of ethnic consciousness emerging from the last topic. My conclusion on that was as follows: »The fact that [JSB] was founded and is run in accordance with the ethos of Newar cultural nationalism did not appear to make a big difference to the children at the school […] This suggests that it is the experience of being at school as such, not the particular kind of school or ideology that guides it, that is the most important determinant of the Nepali child’s experience – though again this should be tested by further research comparing so-called ›English boarding‹ schools with government schools in Nepal.« (Gellner 2004: 44)

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In August 2007 I had a week in which I was able to do some research in Kathmandu. Thanks to the help of Basanta Maharjan, I was able to find and make contact with 13 out of the 22 children from JSB whose responses I had collected in 1996 and published in 2004. It was striking that, with one partial exception (a girl who writes poetry in Newari occasionally), none of the 13 children contacted showed the slightest interest in Newar cultural nationalism, despite having been educated for eight years or more in what is taken by many to be a flagship Newar cultural nationalist institution. One brother and sister pair were actually very uncomfortable speaking Newari and the interview had to be carried out in Nepali; they were very clear that they were definitely not interested in politics and did not approve of the idea of ethnic autonomy (their mother, who was also present in the shop where we met them, chimed in, »Everyone is one jat [›kind‹, caste]«). All the young people, as they now were, had very good memories of the school, recalling in particular how kind the teachers had been; some still visited the school on occasion. All recalled how people either had never heard of the school or, if they had, thought of it as ›the Newar school‹ and assumed that all one studied there was Newari. Some of them had never had any contact with their Japanese sponsors, some had received occasional letters (as they had written them, when at school), and others had been visited in their homes. None had particularly close relations, however.

F IVE

SETS OF STAKEHOLDERS IN

JSB

(Male) activists As noted above, Rajbhai Jahkami allowed the school to use the ground floor of his house, rent-free, in its early days. He is a Newar activist, both a poet and an organizer, famous for having been the main instigator behind the formation of the Jyapu Mahaguthi, an organization which unites in one caste association all the peasant-caste people of Kathmandu city and the west of the Kathmandu Valley. He has close links to leftist parties, including the Maoists, but claims never to have joined or supported any particular one. For him, as for the other five men on the board of the school, who registered the school with the government, JSB is a flagship in the struggle to get the government to accept, permit, and ultimately to fund schools for the ›languages of the nation‹ as they were designated in the 1990 Constitution, i.e. for Nepalese languages other than Nepali. As far as they are concerned the history of the twentieth century in Nepal is a history of language death; and they are convinced that the government has encouraged mi-

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nority languages to die out, occasionally explicitly and overtly, but always covertly through rigging the rules against them, and by deliberately neglecting them. Press reports in the Newari-language press (there are now at least three daily newspapers and various others appearing weekly) reflect the views of these cultural nationalists.7 Female activists and teachers The Nepal Bhasa Misa Khala is a cultural nationalist organization: it is, according to its name, the Newar cultural nationalist organization for women. It is the women of this group – all educated high-caste women from Kathmandu – who actually founded the school. Their leader is undoubtedly Chunda Vajracharya, historian, college lecturer, and activist, who is very articulate and frequently involved. In 1997 she told me: »What the activists want is just for Nepal Bhasha to be taught. Everything in Nepal Bhasha, even science and maths. That’s not good for the children, they have to be able to compete with others… We were the ones who went out, cleaned the noses of the Dyahla and Khadgi children [i.e. the Dalits or Untouchables], brought them in and taught them [at the start of the school]. We did this, not the Board… What’s important to the Japanese is the fact that it was women running it for free and that the children were poor… The other day they sent a letter saying that we should teach in English and Nepali too.«

Without being an activist or a scholar like Chunda Vajracharya, the women teachers (there was only one male in 2007 and none in 1996) shared her pragmatic and gender-inflected cultural nationalism: they were working for salaries well under the market rate because they believed in an education that prioritized Newari. But their first duty was to the children. In the way they describe the situation there is a not-so-hidden critique of the male activists for being all talk and no action, hogging the limelight and the glory, but not actually getting things done, and not putting the interests of the children themselves first. Japanese sponsors The main leader of HIKIVA is, as noted above, Takashi Khajita, a retired engineer; his official position is vice-president. He started a local NGO in Osaka to support third-world development. At first his idea was to concentrate on water,

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It is worth noting that Jahkami’s wife is one of the teachers at JSB. His son, through the contacts with HIKIVA has learnt Japanese, spent time in Japan, and is now employed to maintain links with HIKIVA and works from an office inside the school.

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but his support base was Osaka housewives, and their priority was education, so that is what the charity ended up concentrating on. As far as he is concerned, what is important about JSB is the ethos: the fact that the teachers work as volunteers, taking lower than average salaries and putting more in; and the fact that the targeted children are from deprived backgrounds. It is clear from Khajita’s contribution to the memorial booklet (smarika) produced in 2003 for the ten-year anniversary of the school’s establishment, that HIKIVA expected the school to become ›self-sustaining‹ within the next ten years. He reiterated the point to me in an interview in Osaka on 8th March 2004. He told me that he had argued to the teachers and to the School Board that by providing more instruction in English and Nepali the school could make itself attractive to the middle class who could afford the fees. Mr Khajita stressed that, because of the selflessness of the teachers and the moral education provided, he regarded JSB as a model school. In other words, for the Japanese donors, the key issue was education for all, and supporting the poor; they were not interested in the cultural nationalist considerations that motivated the teachers and (even more) the governors of the school. In 2007 it was clear that the arguments of the Japanese donors had won out. The school had expanded to 9th class, and was about to add class 10, so that they would be able to offer the School Leaving Certificate. Everyone was keen to impress on me that the JSB students could compete with the best. The only subject now taught in Newari was Newari itself. Nepali was used for teaching Nepali. Everything else was now taught in English. Effectively the school had become an English-medium private school, but with Japanese and other sponsors. Apparently in every class there were two or three non-Newars present; and the caste profile of the school was beginning to change, as Khajita had hoped, with more high castes entering the school. There are two young Japanese-speaking Nepalis, one the son of Rajbhai Jahkami, as noted above, who act as HIKIVA’s local representatives. Some Japanese sponsors have visited the school and met their sponsored children; a very few come more than once; quite a few have never visited or communicated with ›their‹ children. The vast majority of the Japanese sponsors are just supporting poor children and families in a developing country and are certainly not aware of the cultural nationalist issue. Parents It was clear that, for the vast majority of the parents I was able to meet, the connection with Newar cultural activism was of no significance. For Maharjans in the early days, the very idea of being educated was a new thing and, but for the

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school, it was likely that the female Maharjans would barely have been educated at all. Two of the Maharjan girls in my cohort of 13 did not pass the SLC, married young, and had their first child already in 2007. For those of lower castes, education was evidently new in the same way. It was not possible to track down those of the very lowest castes, except in one case, and he declined to be interviewed. It would seem that, at least for those in the original sample, the school was not a means of upward mobility. In my original article, I quoted a girl who had written how pleased her father was that there were no fees to pay, thanks to the Japanese sponsorship. For the parents, then, the school offered either an education, or a privatestyle education, that they could not otherwise have afforded. The Newarist agenda was simply not of interest to them. Interestingly, no Newar cultural nationalist has ever, to my knowledge, put their own children in JSB. The children Last, but not least, one should include the children’s point of view. On the basis of very brief and casual observation in 1996, it appeared to me that the JSB playground was a completely bilingual sphere in which Nepali and Nepal Bhasha were used more or less equally by the children, even though the teachers were careful always to use Nepal Bhasha. We have seen that the graduates of the school did not turn into, and most in 2007 did not look likely to turn into, Newar cultural nationalists. Newar cultural nationalists tend to come from a different class entirely – and, as I and others have pointed out, their own children often do not speak Newari, or do so only badly.8 Despite these very different points of view, it is indisputable that JSB does indeed provide poor children with a good education – better than they would otherwise get – and does indeed send them on to other schools with an ability to write in Nepal Bhasha, which is for the vast majority of them their mother tongue. This is no mean achievement given the dominance of Nepali among the younger generation. The children much appreciated the love and concern of the teachers at JSB, and the sense of community it generated. That, they almost unanimously felt, set it apart from the larger schools they moved on to. They had to face some curious, occasionally slighting, views of the ›Newar‹ school they had been to (alternatively people just had no idea about it, never having heard of it). They were keen to combat the idea that the preparation they had had for later life was in any way

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I can think of exceptions here, but it the generalization remains broadly true in my experience.

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inferior. The one thing they did not feel was that they were foot soldiers in any great battle of ideas. Or that Newar culture was a glorious heritage they should preserve. Despite the fact that these nationalist ideas were and are very much in the air, and that they had most certainly been exposed to them on many occasions, being taken by the school on demonstrations for example, they were extremely resistant to ›catching‹ them. For those educated to higher levels, at college and university, by contrast, nationalist ideas are highly intuitive and plausible, even if they themselves do not become active nationalists.

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VIEWPOINTS ON DIFFERENCE

We can see therefore that there are rather different expectations and understandings on part of the parents, children, Newar activists, teachers, and Japanese donors involved in Jagat Sundar Bwone Kuthi. The parents are mainly concerned to get a good education for their children, and the children are happy that they have a scholarship which means that their parents don’t have to pay fees. The governors of the school wish to preserve Newar culture and Nepal Bhasha as a medium of thought, writing, and cultural production; this is also the aim of the teachers, though they also have the more immediate concerns of the children at heart. The Japanese donors are primarily concerned with the uplift of poor and deprived communities in Nepal and the propagation of education. In terms of the production of difference, the founders of the school and the teachers both wish to protect and produce cultural difference. With rare exceptions, the children and their parents are not interested in this and some are positively against it. The funders also have no interest in this issue, and indeed, as Japanese, usually have a strong, common-sense presumption that the production of cultural homogeneity is a good thing in every nation-state; they are even sometimes puzzled by the very idea of multiculturalism. Similar disconnects between the pupils’ parents and the founders and funders of the school exist in most mission schools. A good example would be the mission schools routinely taken advantage of by the Indian elite for the education of their children. Another example is provided by Anthony Simpson’s Half London in Zambia: Contested Identities in a Catholic Mission School. The teachers who ran the school were not able to control their charges, even though it was a boarding school. They resisted the controls, both with formal strikes and by means of religion. Many of them were or became Seventh Day Adventists or Born Again fundamentalists, and openly rejected Catholicism, while also carrying on secret meetings late at night in their dormitories. They believed in salvation by faith,

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and rejected the social doctrine the missionaries had come to adopt. Simpson writes: »[S]tudents from the earliest days, demonstrated that they were quite able to retain a sense of agency in the face of official Catholic authority […] they retained a space for themselves, in which to fashion their own desire, namely the identity of missioneducated, Christian gentlemen, of future leaders, of an elite in the making […] Technologies of discipline met with counter-technologies of resistance, at times openly, at times covertly.« (Simpson 2003: 190)

The students were the ones with certainty, their teachers troubled by doubt, no longer sure, as they had been decades earlier, that they should be trying to convert Africans. Although his focus is on just one group of boys, Willis’s much-cited study, Learning to Labour (1977), also provides evidence in the same direction, namely that there are systematic subcultures within schools that do not share the aims or the values of the teachers. This is, then, an uncontroversial conclusion shared by many studies.

C ONCLUSION Organizations are the defining feature of the modern world. We are born in one – even that minority who give birth at home, only do so by warrant of them; we become full persons or citizens by spending twelve years in one, known as a school; most of us work for one; and it is only when we die that – nowadays – there is some expression of individuality, so that at least in my country, there is an attempt to craft a brief ritual out of bits and pieces that reflect the personality of the dead person. It may seem self-evidently true that the participants in an organization or institution must share some common understandings for that institution to operate at all. But careful ethnography reveals ›hidden transcripts‹, backstage backbiting, and very divergent views of what is actually going on. On the basis of this case study, we can perhaps go further and say that it is possible for the aims of the different participants to be wholly distinct and incommensurate, and yet the whole can function and flourish. Of course, there must be some overlap: the Japanese donors had an interest in providing a good education, the children and their parents wanted to receive it, and the teachers were interested in providing it. From that point of view, it may appear that the nationalist motivations of the

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school board were an irrelevance. But that is not actually the case: nationalist motivations were central to the founding of the school, to the local support the school received, to acquisition of the land for the school, to the work that was done in getting it registered and getting permission for it to expand, and to the teachers in continuing to work for the school at much lower salaries than they could command elsewhere. A similar point to the one I am trying to argue for has been made about intergenerational families by Frederik Barth. Using the example of a Pakistani family in Norway, he points out that the husband, who has come to the country first, his wife, who comes after, and the children who are born there will all have very different experiences. »The elementary point is that each such family unit, though it is the key node of ethnic recruitment, will also be a crucible of cultural difference and contention. Its members are deeply divided in the culture that each commands, parts of which they will share with different circles of others, both inside and outside the ethnic group […] In this situation we need to ask just what is the culture difference that ethnicity organizes […].« (Barth 1996: 15)

If this is correct, it does not make sense – or is, at the least, highly misleading – to treat a school as if it were an isolated culture. Just as there are no isolated cultures, even more so there cannot be isolated organizations. And yet, are we really going to throw out the baby of anthropological holism with the bathwater of an outdated structural functionalism? In other words, can this observation – radical difference within organizations like schools or institutions like families – be reconciled with the thoroughgoing Durkheimianism of Mary Douglas? Douglas writes: »Any institution that is going to keep its shape needs to gain legitimacy by distinctive grounding in nature and in reason. Any institution […] starts to control the memory of its members […] It provides the categories of their thought, sets the terms for self-knowledge, and fixes identities. All of this is not enough. It must secure the social edifice by sacralizing the principles of justice.« (Douglas 1986: 112)

The solution, I believe, lies in looking at the wider society and at the general value given to education within modern societies. If the shared values are not there within the school, they are present, at some deep level, in the wider society. The point is that the form of the school, the division into classes, the advancing year on year (or not, if deemed to have failed the year) – what Douglas calls the

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system of justice – is more important than the content of either the learning or the ideology of the school. The ideals of a school’s founders are then less foundational than the concept of schooling as such and the training that schooling implies. The only exception here might be those anti-schools which allow children to choose whether or not to attend lessons whether or not to go a classroom in order to study (e.g. Summerhill in the UK) – that really does strike at the heart of what a school is and does. An ethnographic study of such schools, if it were possible to do it, would present an interesting contrast to the kinds of cases I have considered. In conclusion, although I have argued for plurality of voices, and in a very un-Durkheimian way for a lack of value consensus in the case I have described, I am not keen on throwing out what Louis Dumont called ›the sociological apperception‹ altogether. I would not like it to be replaced by shifting networks, whether those of evolutionary psychology, game theory and economics, actor network theory, or any other of the fashionable trends in social science that privilege the individual above society. In so far as the new anthropology of morality focuses exclusively on individuals, it too shares this weakness of ignoring collective ethics. As a parenthesis, it seems to me surprising that the new ethical literature in anthropology does not link up with the enormous literature on schooling. Surely, if there is a ›self-‹ and ›other-making‹ project par excellence, it is the emergence of mass schooling. In so far as lessons for the study of schools are concerned, it should be clear that I am advocating an awareness of different points of view, of different interests, including those points of view that tended to be ignored in the past (›muted‹ or ›hidden‹ voices). This much is conventional in contemporary anthropology – a rejection of the oversocialized and rigid models of the past. What I am less keen on is a complete rejection of Durkheim’s and Douglas’s insight that we are social beings and are shaped by the social organizations in which we find ourselves. There is a an inescapable Kantian antinomy, a necessary contradiction if you will, between seeing humans as constrained and embodying social forces that pre-exist them and as agents, able to shape and contest their future to some degree. The best anthropological approaches will keep both these in mind and in play in their descriptions and analyses.

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Praxismuster der Differenzbearbeitung Zu einer pädagogischen Ethnographie der Organisationen M ICHAEL G ÖHLICH

Um pädagogisch interessierte Organisationsethnographie betreiben zu können, ist zunächst das Verständnis von Ethnographie und Organisationen zu klären. Des Weiteren wird im vorliegenden Beitrag vergegenwärtigt, was die in verschiedenen disziplinären Kontexten vorzufindende Organisationsethnographie kennzeichnet und welche Spezifik der organisationsethnographische Zugang im Fall einer dezidiert pädagogischen Ethnographie der Organisationen gewinnt (vgl. auch den Beitrag von Engel in diesem Band). Vor diesem Hintergrund wird das Praxismuster als (organisations-)ethnographische Kategorie vorgestellt, bevor schließlich Praxismuster organisationaler Differenzbearbeitung aus eigenen ethnographischen Studien exemplarisch skizziert und als Ressource organisationalen Lernens reflektiert werden.

E THNOGRAPHIE , O RGANISATION , O RGANISATIONS ETHNOGRAPHIE . B EGRIFFE UND S TAND DES D ISKURSES Mit Bate lassen sich drei Varianten von Ethnographie unterscheiden: Ethnographie als Aktivität, als intellektuelle Leistung und als narrativer Stil, anders gesagt: Ethnographie als Handeln, Denken und Schreiben (vgl. Hirsch/Gellner 2001: 1). Während die auf dem Verständnis von Ethnographie als Schreiben beziehungsweise als Text basierende Rede von einer Ethnographie eher im ethnologischen Diskurs zu finden ist, wird Ethnographie in den Sozialwissenschaften, nicht zuletzt in der Organisationsforschung, häufig als Methode teilnehmender Beobachtung beziehungsweise allgemeiner als qualitative Feldforschung verstanden (vgl. ebd.). Sinnvoll zur Klärung des Ethnographieverständnisses ist

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deshalb, neben Bates systematischer Ausdifferenzierung von Aktivität, intellektueller Leistung und narrativem Stil auch Neylands historische Unterscheidung dreier nacheinander entwickelter Auffassungen von Ethnographie zu berücksichtigen: eine realistische Ethnographie, die davon ausgeht, dass die Aktivitäten unabhängig von der Studie existieren und als eine mehr oder weniger definitive Repräsentation der untersuchten Gruppe gesammelt werden können; zweitens eine narrative Ethnographie, die die Möglichkeit einbezieht, dass eine ethnographische Version von Ereignissen nur eine von verschiedenen möglichen Versionen ist, und drittens eine reflexive Ethnographie, die davon ausgeht, dass die untersuchte ethnographische Realität nicht unabhängig ist von der Arbeit des Ethnographen, einen ethnographischen Text zu produzieren (vgl. Neyland 2008). Der somit offenbar werdenden Kontingenz zum Trotz stellt John van Maanen treffend fest, dass jede Ethnographie nach wie vor ihre Punkte mit denselben Mitteln zuwege bringen muss wie zur Zeit, bevor diese Kontingenz erkannt worden war, nämlich durch: die aufwendige Erarbeitung eines Zugangs zu den Räumen (»sites«) der Forschung, die Sättigung mit Wissen aus erster Hand, die Sammlung und Schaffung von Evidenz, die Erfindung und Ausarbeitung von Interpretationen und Analogien, das Durcharbeiten von Beispielen und das Ausrufen einer Theorie (vgl. van Maanen 2001). Damit ist klar, dass Ethnographie mehr als eine Methode ist und etwa über die teilnehmende Beobachtung, die sicherlich ein wichtiger Bestandteil ethnographischer Forschung ist, schon dadurch hinausgeht, dass sie nicht nur Mittel zum Zweck ist, sondern selbst ein charakteristisches Ziel hat, nämlich die Kultur (einer Gruppe, einer Gesellschaft, oder eben einer Organisation) zu beschreiben. Meinen folgenden Ausführungen liegt dementsprechend eine Auffassung von Ethnographie zugrunde, die in dieser mehr sieht als eine einzelne Methode, die einen Aufenthalt des Forschers in der Praxis der untersuchten Einrichtung voraussetzt und die die Kontingenz der Ethnographie beziehungsweise die Mitwirkung des Ethnographen am Ethnographierten berücksichtigt. In seinem Nachwort zu den in Gellner und Hirschs Sammelband Inside Organizations vorgestellten organisationsethnographischen Studien weist van Maanen mit kritischem Unterton darauf hin, dass Organisationsforscher, die sich nie der alltäglichen Arbeit in einer Klinik, einem Betrieb, einem Forschungslabor, einem Gericht, einer Sozialagentur oder welcher Organisation auch immer ausgesetzt haben, »have probably missed something« (ebd.: 235). Sehen wir vom kritischen Unterton seines Zitats ab, so deutet sich in seiner Aufzählung das inzwischen verbreitete institutionelle Verständnis von Organisationen an, dem auch ich folge und das sich wie folgt zusammenfassen lässt: Betriebe, Schulen und ähnliche Einrichtungen haben nicht einfach nur eine Organisation (etwa im

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Sinne einer Funktion der Einrichtungsleitung oder einer bloßen Struktur der Arbeitsteilung oder des Arbeitsprozesses), sondern sind selbst Organisationen. Organisationen lassen sich als menschliche Sozialgebilde verstehen, die durch das Zusammenwirken ihrer Mitglieder, spezifische Zweck- und damit auch Aufgabenorientierung, geregelte Arbeitsteilung, beständige Grenzen und last not least eben auch durch eine je eigene Kultur gekennzeichnet sind. Dass dieser Organisationsbegriff neben anthropologischen, kultur- und praxistheoretischen auch systemtheoretische Argumente impliziert, liegt auf der Hand. Angesichts des für jede Organisation zu konstatierenden systemischen Bedarfs an Unterscheidung stellen Organisationen Differenz her, bearbeiten sie jedoch wiederum, da die Differenz eine Spannung enthält, die in Lernen überführt werden kann beziehungsweise muss, um das Überleben der Organisation zu sichern. Eine aus systemtheoretischer Perspektive basale Differenz ist die zwischen der jeweiligen Organisation (sei es eine Schule oder ein Betrieb, eine Kindertagesstätte oder eine Kultureinrichtung) und ihrer Umwelt. Die System-Umwelt-Differenz erscheint unter anderem in der Differenz zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern. Als weitere organisational bedeutsame Differenzen sind beispielsweise die zwischen Programm und Praxis, zwischen Geschichte und Gegenwart, zwischen Standard und Einzelfall, zwischen Leitung und Mitarbeitern sowie zwischen Aufgaben- und Mitarbeiterorientierung zu nennen. Zudem kann die Diversität der Mitglieder (Männer-Frauen, Alte-Junge, mit und ohne Migrationshintergrund) zur Herstellung und Bearbeitung organisationaler Differenzen genutzt werden. Eines ethnographischen Ansatzes bedarf die Erforschung von Organisationen insbesondere dann, wenn sie sich in erster Linie nicht für deren offizielle Struktur und gesatzte Ordnung, sondern für deren in praxi aufgeführte Kultur interessiert. Im englischsprachigen Raum liegen organisationsethnographische Studien zwar seit den 1930er Jahren vor, im deutschsprachigen Raum ist die Organisationsethnographie jedoch erst in den letzten Jahren zu finden und auch im englischsprachigen Raum war sie zwischen den 1950ern und 1980ern weitgehend verschwunden (vgl. Schwartzman 1993: 2). Ein wesentlicher Beitrag zur Wiederbelebung der Organisationsethnographie war der 1979 publizierte Aufsatz John van Maanens The Fact of Fiction in Organizational Ethnography, in dem er vor dem Hintergrund seiner ethnographischen Arbeiten zur Polizei die eingangs erwähnte narrative und im gewissen Sinne auch schon die reflexive Wende des Ethnographieverständnisses vollzieht. Von Maanen hat seitdem mit einer Fülle von Arbeiten zur Organisationsethnographie beigetragen. Des Weiteren zu nennen sind zum Beispiel Barbara Czarniawskas 1998 publizierte narrativ-ethnographische Organisationsforschung,

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Neylands 2008 erschienene Übersicht über die Organisationsethnographie, der von Ybema und anderen 2009 herausgegebene Sammelband Organizational Ethnography, Arbeiten von Hodson (2001, vgl. auch Hodson et al. 2011) und der schon genannte Sammelband von Gellner und Hirsch. Der Nutzen der Anwendung ethnographischer Techniken in der Organisationsforschung liegt van Maanen zufolge darin, dass die Ethnographie den Organisationsforscher zwingt, mit der zentralen ethnographischen Frage klarzukommen, was und wie es ist, ein Organisationsmitglied zu sein (statt nur damit, Organisationsmitglieder zu beobachten). Das ist ein radikaler Anspruch, der in den ethnographischen Studien zu Organisationen, die seit damals entstanden sind, nur selten realisiert wurde. Mit van Maanen lassen sich in den vorliegenden Studien vier Forschungsfelder ethnographischer Organisationsforschung unterscheiden: Organisationale Prozesse, Organisationale Identität und Wandel, das Verhältnis von Organisation und Umwelt, sowie Organisationsethik und Konflikt. Als in den Studien wiederkehrendes Problem erweisen sich der Zugang zu relevanten locations beziehungsweise sites der Organisation, die Frage der adäquaten Zeiten beziehungsweise das Verhältnis der Forschung zu dem von der Organisation, zum Beispiel mit der Zusammenführung von MitarbeiterInnen in Besprechungen, angebotenen zeitlichen Rahmen, sowie das Verhältnis zwischen Beobachtung und Mitwirkung, das nicht zuletzt dadurch eine Gratwanderung wird, weil die Organisation, immanent logisch gemäß ihrer Zwecksetzung und Aufgabenorientierung, auf eine Mitwirkung des Ethnographen am Erfolg der Organisation drängt. Wir können also festhalten, dass es eine lange Tradition ethnographischer Organisationsforschung gibt, dass die ethnographische Organisationsforschung die Wende zur narrativen und schließlich reflexiven Ethnographie mitvollzogen hat, und dass sie (im Vergleich mit ethnographischen Studien in Stammesgesellschaften oder in PeerGroups) typischen Problemen gegenüber steht, die sich aus der Zwecksetzung beziehungsweise Aufgabenorientierung von Organisationen ergeben. Vor diesem Hintergrund ist nun zu fragen, was speziell unter einer pädagogischen Ethnographie der Organisationen zu verstehen ist. Im erwachsenenpädagogischen Diskurs unterscheidet Wolfgang Seitter die Organisationsethnographie von der Adressaten- und der Unterrichtsethnographie: »Für eine Frageperspektive, die sich für die Organisierbarkeit und Vermarktbarkeit von Bildungseinrichtungen interessiert, steht schließlich das Kriterium der Knappheit/Wirtschaftlichkeit im Vordergrund. Die Organisationsethnographie fragt daher nach dem Organisationsgeflecht, in das das Lerngeschehen eingebettet ist, nach den ökologischen Beziehungen, die die Organisation unterhält, oder nach den monetären Optionen, über die sich die Organisation finanzieren kann« (vgl. Seitter 2002: 929).

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Organisation wird hier als Instrument der postulierten Aufgabe einer Bildungseinrichtung, nämlich Lernen zu ermöglichen, verstanden. In diesem Sinne wäre eine pädagogische Organisationsethnographie auf Schulen und Erwachsenenbildungseinrichtungen beschränkt, genauer: auf deren administrative und ökonomische Rahmenbedingungen. Im Unterschied hierzu gehe ich, wie schon eingangs erwähnt, von einem institutionellen Organisationsverständnis aus. Organisationen sind aus dieser Sicht nicht nur durch Strukturen und Regeln gekennzeichnet, sondern durch spezifische Zwecke, Aufgaben, Mitglieder, Grenzen, Normen und Muster der alltäglichen Praxis des organisationalen Miteinanders und der organisationalen Aufgabenbewältigung, kurz: Organisationen sind durch eine bestimmte Kultur gekennzeichnete menschliche Sozialgebilde. Als solche sind sie lernfähig, sie können Probleme des organisationalen Miteinanders und der organisationalen Aufgabenbewältigung lösen, neue Strukturen, Regeln, Grenzen, Normen und letztlich auch Praxismuster entwickeln oder aber vorhandene Praxismuster auf neue Probleme anwenden. Dementsprechend ist eine pädagogische Ethnographie nicht notwendigerweise auf die Erforschung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen beschränkt, sondern kann sich potentiell jeder Organisation widmen, allerdings mit dem pädagogisch interessierten Fokus, deren Lernen oder NichtLernen, deren Identitätsentwicklung, deren Humanisierung oder Inhumanisierung zu erkunden und als kulturelles Phänomen zu verstehen.

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ALS ETHNOGRAPHISCHE

K ATEGORIE

Vor dem nun entworfenen Hintergrund der Auffassungen und Literaturbefunde zur Ethnographie von Organisationen geht es im zweiten Schritt meines Beitrags um die Vorstellung des Praxismusters als ethnographische Kategorie. Von Praxismustern oder Ähnlichem (zum Beispiel Handlungsmuster) ist in (organisations-)ethnographischen Studien durchaus des Öfteren die Rede, allerdings ohne dass eine genaue Bestimmung des Begriffs oder gar seine Explikation als ethnographische Kategorie erfolgt. So schreiben beispielsweise Thole und andere im Abschlussbericht eines Forschungsprojekts: »Zentrales Ergebnis des Forschungsprojektes ist eine rekonstruktive Analyse der Kinderschutzwirklichkeit im ASD, die sich sowohl auf die Ebene der Handlungsweise der ASD-Mitarbeiter als Einzelne (professionelle Ebene) wie auch auf deren

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organisationale Einbettung bezieht. Es wurden acht Praxismuster rekonstruiert,…« (Thole et al. 2010: 5, Herv. MG).

Dass die zitierte Passage mit den Worten »die typischen Formen der Falldeutung und Fallbearbeitung durch die ASD-MitarbeiterInnen« (ebd.) fortgesetzt wird, lässt vermuten, dass unter Praxismustern hier wiederkehrende Handlungsweisen der einzelnen Mitarbeiter verstanden werden. In Argyris’ und Schöns Klassiker Die lernende Organisation findet sich eine ähnliche Formulierung. So konstatieren die Autoren: »Man kann beispielsweise lernen, auf einen Irrtum zu reagieren, indem man einen Sündenbock sucht, Spielchen mit einseitiger Kontrolle spielt oder die Kontrolle umgeht, systematisch zu Täuschungen greift, seine wahren Absichten verbirgt und Tabus aufrechterhält, die eine Erörterung wichtiger Fragen unmöglich machen. Derartige Denk- und Handlungsmuster, die die Erfahrung lehrt, verhindern oft jenes produktive Lernen, das bessere Leistungen oder veränderte Leistungswerte hervorruft« (Argyris/Schön 1999: 35, Herv. MG).

Allerdings findet sich bei ihnen auch eine überindividuelle Verwendungsweise des Begriffs, etwa wenn sie vom »beharrlichen Festhalten einer Organisation an vergangenen Praxismustern« (ebd.: 229) sprechen. Dieses Zitat legt nahe, dass Argyris und Schön nicht nur die Musterhaftigkeit der Handlungsweisen einzelner Mitglieder der Organisation, sondern auch die Musterhaftigkeit der Praxis der gesamten Organisation in den Blick nehmen. Dass Argyris und Schön nur selten von Praxismustern, zumeist hingegen von Denk- und Handlungsmustern sprechen und in ihren Reflexionsseminaren mit Organisationsmitgliedern vorrangig an der Änderung von deren mentalen Modelle arbeiten, spricht allerdings für ein primär kognitionsorientiertes Verständnis von Mustern. Eine solche Kognitionsorientierung ist auch in van Maanen und Scheins (1977) Entwurf einer Theorie organisationaler Sozialisation zu erkennen, wenn sie von »certain patterns of thought and action« (ebd.: 1, Herv. MG) schreiben, die von einer zur nächsten Generation von Organisationsmitgliedern übertragen werden. Jedoch finden sich im ethnographischen Diskurs auch Verwendungen des Musterbegriffs, die deutlicher auf der performativen Ebene verortet sind, die die Praxis selbst beschreiben wollen und nicht die diese beeinflussenden Kognitionen oder Werte. Schon in dem Entwurf van Maanens und Scheins findet sich eine solche, die performative Ebene organisationaler Praxis fokussierende Aussage: »In industrial settings where worker morale is low and turnover is high, a

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serial pattern of initiating newcomers into the organization would maintain and perhaps amplify an already poor situation« (ebd.: 60, Herv. MG). Ausführlich beschreibt Schwartzman in ihrer Aufarbeitung der ethnographischen Materialien der Hawthorne Studies der 1930er Jahre anhand von Interaktionsprotokollen das Praxismuster der betreffenden Arbeitsgruppe, auf schnellere Arbeiter Druck auszuüben, ihre Arbeit zu verlangsamen (vgl. Schwartzman 1993: 11). In ähnlicher praxisbeschreibender Weise wird der Begriff des Musters in Hodsons Ethnographie von Handelsschiffen als Arbeitsstätten verwendet: »The exaggerated status hierarchy typical of relations between officers and crew in the merchant marine generates a chronic pattern of abuse and resistance: It was not unusual for members of the catering staff (who were subjected to a stream of ‘do this, do that, do this, do that’ orders from obnoxious second stewards) to feel so fed up they would have a whole pile of dirty dishes through an open porthole instead of washing them« (Hodson 2001: 86, Herv. MG).

Auch in der ethnographischen Schul- und Unterrichtsforschung ist von Praxis(beziehungsweise hier meist Handlungs-)Mustern die Rede. So resümiert Maeder, »… dass sich in dieser kleinen sozialen Welt […] der Klasse 2c Aushandlungsmuster um gültige Rahmen als geteilte Bedeutungssysteme in die Organisationskultur hinein verdichtet haben […] und diese recht häufig unerwünschte, konfliktive Formen angenommen haben. Diese Muster […] fordern die Lehrkraft in ihrer regulatorischen Fähigkeit zur Erzeugung und Durchsetzung von gültigen und zugelassenen Rahmen im Klassenraum heraus« (Maeder 2008: 168, Herv. MG).

Ähnlich formuliert Breidenstein (2006: 260, Herv. MG) in seinen unterrichtsethnographischen Studien: »Der nachvollziehenden Rekonstruktion von Verläufen der Gruppen- oder Partnerarbeit zeigen sich Muster der Arbeitsorganisation, etwa in pragmatischen Formen der Arbeitsteilung oder des ‚Managements’ unterschiedlicher Anforderungen in der ›Freiarbeit‹«. Es lassen sich also zahlreiche ethnographische Arbeiten anführen, in denen mit dem Begriff des (Praxis- oder Handlungs-)Musters gearbeitet wird. Dabei bleibt der Begriff jedoch – im Unterschied zu Habitus, soziale Praktik und anderen in den Studien zu findenden Begriffen – in aller Regel schillernd und unbestimmt. Angesichts dessen, dass mit Bourdieus Habitusbegriff und Reckwitz‘ Praktik-Begriff zwar praxistheoretische Begriffe für die Beschreibung und Analyse des (sozial konstituierten, aber letztlich) individuellen Agierens vorliegen,

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jedoch für die – für eine Organisation charakteristischen – Formen überindividueller Interaktions- beziehungsweise Kooperationssegmente bislang kein eigener Begriff gängig ist, schlage ich vor, den Begriff des Musters, genauer: des Praxismusters eben hierfür zu nutzen und näher zu bestimmen. Die Ergänzung des in einer früheren Arbeit unter Rückgriff auf Bateson entwickelten Begriffs »Muster« (Göhlich 2001: 208ff.) durch »Praxis« dient der Präzisierung, dass der Begriff »Praxismuster« der Beschreibung von überindividueller, interaktiver, kooperativer Praxis (und nicht von zwar sozial konstituierten, aber individuell realisierten Praktiken, individuell intendierten Handlungen oder gar individuellen mentalen Modellen und normativen Orientierungen) dient. Ein Praxismuster in diesem Sinne ist ein sichtbares, wiederkehrendes, zeiträumlich begrenztes, für die Beteiligten selbstverständliches, organisationale Identität stiftendes, unter Beteiligung mehrerer Organisationsmitglieder erzeugtes beziehungsweise aufgeführtes, formal weitgehend festgestelltes Kommunikations- beziehungsweise Kooperationssegment, das in seinen Wiederholungen (aus Sicht des Forschers und ggf. aus Sicht reflexiver Praktiker) als ein charakteristischer, die weitere Praxis prägender Modus der Praxis der betreffenden Organisation erscheint.

P RAXISMUSTER DER D IFFERENZBEARBEITUNG ALS R ESSOURCE ( N ) ORGANISATIONALEN L ERNENS Praxismuster verschaffen den Organisationen jene Stabilität, die zur Herstellung und Bearbeitung der Differenzen (Organisation-Umwelt, Mitglieder-Nichtmitglieder, Programm-Praxis, Geschichte-Gegenwart, Standard-Einzelfall etc.) erforderlich ist, um sich nicht in den Differenzen zu verlieren. Dem Verständnis der Pädagogik als Wissenschaft menschlichen Lernens und seiner Unterstützung entsprechend interessiert sich eine pädagogische Ethnographie der Organisationen für die Frage, welche Praxismuster der Differenzbearbeitung in menschlichen Organisationen zu entdecken und inwiefern sie als Lernprozesse beziehungsweise als Lernressourcen zu verstehen sind. Ich möchte dies an Beispielen aus drei ethnographischen Studien zeigen. Die frühe Studie in den kommunalen Kindertagesstätten von Reggio Emilia war meine intensivste und »ethnographischste«, insofern als das ich damals über viele Wochen als Einzelforscher permanent im Feld war, zuvor mein Italienisch in intensiven Konversationskursen verbessert hatte, vor Ort in Reggio dann bei einer Mitarbeiterin der untersuchten Organisationen wohnte und an der alltäglichen Arbeit ebenso wie an der Freizeit zahlreicher MitarbeiterInnen unmittelbar teilnahm. Die zweite, nun auch schon ein paar Jahre zurückliegende, war die Berliner Ritualstudie. Sie verlief

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insofern distanzierter, als ich nicht wochenlang am Stück, sondern immer nur tageweise im Feld war und dort (zudem nicht allein, sondern als Teil der Forschergruppe um Christoph Wulf) theoriegeleitet nur an bestimmten Ausschnitten der organisationalen Praxis teilnahm. Die dritte ist gerade abgeschlossen, also für mich die jüngste ethnographische Studie und zugleich diejenige, bei der meine eigene Beteiligung nur noch rudimentär ethnographisch ist, da sie zwar an meinem Lehrstuhl stattfindet, ich selbst jedoch nur höchst selten im Feld war beziehungsweise an der Praxis der untersuchten Organisation unmittelbar teilnahm. Das erste Beispiel entstammt einem meiner Tagebücher aus Reggio Emilia: »Elternabend. Es stehen Wahlen für den Consiglio di Gestione Sociale an. Aber zuerst (wie sich schließlich zeigt, im Grunde bis auf die letzte Viertelstunde) inhaltlich: Auswertung eines Fragebogens/Interviewbogens (gemacht von ErzieherInnen mit den Kindern) über die Identität der Kinder. ›Non existono delle risposte sbagliate!‹ Die Erzieherin (Carla) erklärt den Eltern, dass dieser Fragebogen sowohl Aufschluss gibt als auch Anregungen hinsichtlich vieler Fähigkeiten der Kinder nicht nur, aber auch der sprachlichen. Nach dieser theoretischen Einführung wird der beantwortete Fragebogen jedes Kindes an die entsprechenden Eltern ausgeteilt. Anwesend sind: 8 Väter, 10 Mütter. […] Nachdem die Eltern ausgiebig die ›eigenen‹ Fragebögen studiert hatten, fasst die andere Erzieherin (Anna) anhand einer vorbereiteten Tabelle die Ergebnisse zusammen. Betont die Bedeutung des Wissens um das eigene Alter. Wenn ein Kind weiß, jetzt bin ich vier Jahre, kann es sagen, mit drei habe ich das noch nicht gekonnt, jetzt bin ich vier und kann es, mit fünf kann ich noch mehr. Die Eltern (Mütter wie Väter) bringen sich ein, sobald ihre Kinder als Beispiele genannt werden. Jetzt im Augenblick starten zwei, drei Mütter eine Diskussion. […] Die Antworten auf ›Wann machen mich meine Eltern zufrieden, wann wütend?‹ werden z.T. von den Eltern selbst vorgelesen. Die Eltern scherzen, sind aber äußerst interessiert und (soweit ich in der Lage bin, das zu beurteilen) betroffen von den Antworten ihrer Kinder. An vielen Einzelbeispielen sehen sie, wie weit zurück z.T. die exakte stark positiv oder stark negativ besetzte Erinnerung ihres Kindes reicht. Bei einigen Antworten bittet Anna die Eltern um ihre Interpretation der Antwort. Alles ist unglaublich offen, solidarisch.«

Der Ausschnitt lässt vier Praxismuster erkennen, die in den unterschiedlichsten Situationen der reggianischen Kitas wiederzufinden sind: 1. Inhalt (hier: Diskussion der Kinderantworten) wird über Formales (hier: Wahl des Leitungsrats) gestellt; 2. grundsätzliche Anerkennung individueller Äußerungen wird expliziert (hier: non existono delle risposte sbagliate), 3. die Stimmen der Betroffenen (hier: Kinder, Eltern) erhalten Raum, 4. Vorgefundenes wird vorrangig studiert, untersucht, interpretiert, und nicht oder zumindest nicht vorrangig bewertet.

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Diese organisationalen Praxismuster – deren Zusammenspiel das Praxismuster der Offenheit ergibt – finden sich in ganz verschiedenen Momenten der Praxis der reggianischen Kitas wieder. Sie sind zur Zeit meiner Feldforschung in Reggio Emilia in den in den Kitas durchgeführten Projekten ebenso wiederzufinden wie in der Antwort der reggianischen Kitas auf eine gegen sie gerichtete Medienkampagne der katholischen Kirche. So reagieren die reggianischen Kitas auf die Medienkampagne nicht etwa ablehnend, verweigernd oder mittels Kritik an kirchlichen Kitas, sondern mittels eines Jahres der offenen Tür: Vertreter der katholischen Kirche werden in die Kitas und zu Diskussionsabenden eingeladen, ihren Ansichten wird Raum geben und die Bedeutung der verschiedenen Ansichten für den Kita-Alltag mit den Kindern wird unter Beteiligung von Eltern und Nachbarn der Kitas gemeinsam mit den Kirchenvertretern untersucht. Die Praxismuster ermöglichen den Kitas, für sie existentielle Differenzen zu bearbeiten. Im Fall des Elternabends können so die Differenzen ErwachseneKinder und Expertinnen-Laien bearbeitet werden, im Fall der Projekte werden damit die Differenzen Erzieherin-Kind und Vorstellung-Wirklichkeit bearbeitet, und im Fall der Medienkampagne ermöglicht das Praxismuster der Offenheit (oder differenzierter: die Praxismuster der Anerkennung, der Partizipation und der Untersuchung) den Kitas, die Differenz zwischen ihnen selbst als Organisationen und ihrer (hier: kirchlichen) Umwelt so zu bearbeiten, dass sie die Kampagne nicht nur überstehen, sondern gestärkt aus dieser hervorgehen. Interpretieren wir den Vorgang aus der Perspektive der Theorie organisationalen Lernens, so können wir die genannten, in einem bestimmten Moment der organisationalen Praxis entstandenen und nur in einem bestimmten Teilbereich der organisationalen Praxis zu findenden Praxismuster als Ressource begreifen, auf die die Organisation bei der Bearbeitung anderer organisational relevanter Differenzen zurückgreifen kann. Diese Einführung des Praxismusters in einen anderen organisationalen Kontext kann als organisationales Lernen verstanden werden, zumal beim Transfer keine eins-zu-eins-Übernahme, sondern eine Adaption des Praxismusters erfolgt. Das zweite Beispiel entstammt meiner ethnographischen Arbeit im Rahmen des Berliner Ritualprojekts. Es handelt sich um ein in der Ausgestaltung sogenannter Morgenkreise an einer Schule entdecktes Praxismuster, auf das ich schon in einer früheren Publikation hingewiesen (vgl. Göhlich 2001, 209ff), für den vorliegenden Beitrag jedoch mittels erneuter Durchsicht meiner damaligen Tagebücher darauf hin geprüft habe, ob und wie es sich im Alltag der betreffenden Organisation auch an anderer Stelle wiederfindet. Es handelt sich um einen Stuhlkreis in einer vierten Grundschulklasse:

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»Als alle Kinder und sie selbst montags morgens zu Beginn der ersten Stunde im Stuhlkreis sitzen, ergreift die Lehrerin nach einer ritualisierten Begrüßung (sie sagt ›Guten Morgen‹, die SchülerInnen antworten choral ›Guten Morgen‹) und zwei Informationen (neuer Schüler, Unterrichtsausfall) einen, neben ihr auf dem Tisch bereit gelegten, kleinen Ball und sagt: ›Jetzt wollen wir mal anfangen, wie immer, und uns erzählen…(was am Wochenende passiert ist).‹ Ungefähr sechs Kinder melden sich. Sie wirft den Ball zu Schüler A, der sich gemeldet hat. Er erzählt vom Samstag. Als er fertig ist, streckt die Lehrerin ihre offene Hand in seine Richtung. Er wirft den Ball zu ihr zurück. Wieder melden sich etwa so viele Kinder. Sie wirft den Ball zu Schüler B. Er erzählt und wirft anschließend den Ball zurück zur Lehrerin. Kinder melden sich. Sie gibt den Ball der neben ihr sitzenden Schülerin C, die erst von der Lehrerin mit Hinweis auf Unruhe in der Runde zurückgehalten wird, dann erzählt und ihr den Ball wieder zurückgibt. Sie wirft den Ball zu Schüler D, der erzählt und ihr den Ball wieder zurückgibt. Sie gibt den Ball der in ihrer Nähe sitzenden Schülerin E. Andere SchülerInnen werden lauter. E gibt den Ball der Lehrerin zurück, die alle ermahnt, es gehe hier darum, zuhören zu lernen. Sie wirft den Ball zu Schüler F, der erzählt und den Ball zu ihr zurück wirft. Die Lehrerin sagt nun: ›Ihr erzählt vom Wochenende. Aber ganz oft kann man dem, was ihr erzählt, nicht folgen. Ihr müsst Euch vorher überlegen, was ihr sagen wollt. Man soll sich auf eine Sache konzentrieren.‹ Damit (und indem sie niemandem mehr den Ball gibt) beendet sie die Schülererzählrunde.«

Das hier sichtbare Praxismuster weist einerseits den Anspruch unterrichtlicher Öffnung und Schülerorientierung aus (indem es den SchülerInnen die Möglichkeit eröffnet, außerschulische Erfahrungen einzubringen), tradiert jedoch andererseits weitgehend ungebrochen die Hegemonie der Lehrer- und Lerngegenstand-Orientierung (»zuhören lernen«; »vorher überlegen«, »auf Sache konzentrieren«). Dass E den Ball von selbst an die Lehrerin zurückgibt, als es laut wird, zeigt, dass es eben nicht bloß eine individuelle Handlungsweise der Lehrerin, sondern ein organisationales Praxismuster, an dem mehrere beteiligt sind, ist. Wir können dieses Praxismuster als Reformreduzierung oder genauer als Reduktion beanspruchter Reform bezeichnen. Ein weiterer Beleg hierfür ist die Beschreibung eines anderen Morgenkreises derselben Schule, die ich in meinen Tagebüchern fand. Der Tagebuchnotiz zufolge wies die Lehrerin zu Beginn darauf hin, »dass das, was Kinder im Morgenkreis sagen, auch in die Note (mündlicher Ausdruck Deutsch) einfließt«. Und als eines der im Folgenden erzählenden Mädchen die Formulierung »Ich musste kotzen« verwendet, wird dies von den Mitschülern lebhaft kommentiert und von einem Mitschüler ausdrücklich mit der Bemerkung »Dafür gibt es auch andere Worte« korrigiert. Es ist eben kein freies Erzählen eigener Erfahrungen, was hier praktiziert wird, sondern es

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ist eine schulisch höchst traditionelle Ausgestaltung eines mit Reformanspruch versehenen Modells, also eine Wiederholung des erwähnten Praxismusters der Reduktion beanspruchter Reform. Wenn wir uns an die eingangs genannten Differenzen erinnern, die von Organisationen hergestellt und bearbeitet werden, so kann mit dem soeben beschriebenem Praxismuster vor allem die Differenz zwischen Programm und Praxis hergestellt werden. Das Programm ist das einer Reformschule, in der Praxis wird die überlieferte Unterrichtsvorstellung beibehalten. Was die Frage des organisationalen Lernens angeht, so ist hier eher von organisationalem NichtLernen oder höchstens von single-loop-learning zu sprechen. Das dritte Beispiel entstammt unserer aktuellen ethnographischen Erforschung grenzüberschreitend ausgerichteter Organisationen in der deutschtschechischen Grenzregion (vgl. Göhlich/Engel/Höhne 2011, 2012, Engel im Erscheinen). Bei einer Ausstellungseröffnung in einer zur Förderung des Kulturaustauschs eingerichteten Begegnungsstätte, an der über achtzig Personen teilnahmen, darunter auch Nicolas Engel und ich als Beobachter, nennt der Leiter der Begegnungsstätte nach seiner Begrüßung der BürgermeisterInnen und der KuratorInnen sowie einer Danksagung an seine MitarbeiterInnen auch Nicolas Engel und dessen Forschungsvorhaben, welches er als »linguistisches Projekt« bezeichnet. Auch hier liegt ein Praxismuster vor, das für diese Organisation charakteristisch ist. Externe Akteure, mit denen die Organisation in Berührung kommt, werden propagandistisch internalisiert (vgl. auch Beitrag Engel in diesem Band). Was der externe Akteur selbst vorhat, ist organisational unerheblich und geht nicht ins organisationale Gedächtnis ein (so wird Engels Projekt fälschlicherweise in der Linguistik statt in der Pädagogik angesiedelt). Praktisch relevant ist für die Organisation nur, dass das im Forschungsprojekt zum Ausdruck kommende wissenschaftliche Interesse an der Organisation deren Bedeutung öffentlichkeitswirksam steigern kann. Hierfür spricht auch, dass am Ende einer in dieser Organisation mitgeschnittenen Teambesprechung, an der neben den Mitgliedern der Kultureinrichtung auch zwei Mitglieder unserer Forschungsgruppe teilnahmen, folgende Interaktionssequenz zu finden ist: B4: ›habds ihr zwei no was? Nee. + Ähm äh a Bittä häd i no an euch’, ähm, ich würd also gerne no: am, an Atikl äh veröffndlichn hier bei uns in der Zaitung, und des wär, äh guad wenn ihr da:, äh vielleichd auch, äh:m, sonsdwo, veröffndlichn’, wenns ihr, mir mal an, a Email schickn würdeds und, äh einfach über des Brojegd, ähm verschiedenes: /I1[?]: Ja – I2[?]: Klar/ äh sangn und dann kömmer da, Foto hamma gmachd’ /I1: Nja/ und dann kömma da /I1: Supa/ ja? I1: Ja’, mach ma /B2: Mhm/ B4: Gud.‹

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Deutlicher als in der beobachteten Ausstellungseröffnung wird hier, dass es sich nicht (jedenfalls nicht allein) um den Habitus des Leiters, sondern um ein unter Mitwirkung mehrerer Beteiligter aufgeführtes Praxismuster handelt. Das »Ja«, »Klar«, »Ja, mach ma« der anwesenden Forscher trägt ebenso dazu bei wie die Aussagen des Leiters und das »mh« des stellvertretenden Leiters. Man kann dieses Praxismuster als Propagandisierung bezeichnen. Wie schon im Beispiel der reggianischen Kindertagesstätten wird hier die Organisation-Umwelt-Differenz bearbeitet, allerdings in charakteristisch anderer Weise, nämlich nicht mittels des Praxismusters der Offenheit, sondern mittels des Praxismusters der Propandisierung. Organisationales Lernen findet hier wiederum nur in Form von SingleLoop-Lernen statt, indem nämlich das Muster der Propagandisierung auf alle Akteure übertragen wird, derer die Organisation habhaft wird.

F AZIT Die Auseinandersetzung mit dem einschlägigen Diskurs führt zu einem Verständnis von Ethnographie, das in dieser mehr sieht als eine einzelne Methode, das einen Aufenthalt des Forschers in der Praxis der untersuchten Einrichtung voraussetzt und welches die Kontingenz der Ethnographie beziehungsweise die Mitwirkung des Ethnographen am Ethnographierten reflektiert. Organisationen werden als menschliche Sozialgebilde verstanden, die durch das Zusammenwirken ihrer Mitglieder, spezifische Zweck- und damit auch Aufgabenorientierung, geregelte Arbeitsteilung, beständige Grenzen und last not least eben auch eine je eigene Kultur gekennzeichnet sind. Bei einer Sichtung der einschlägigen Literatur ist zu erkennen, dass es eine bis in die 1930er zurückreichende Tradition ethnographischer Organisationsforschung gibt, dass die ethnographische Organisationsforschung die Wende zur narrativen und reflexiven Ethnographie mitvollzogen hat und dass sie spezifischen Problemen gegenüber steht, die sich aus der Zwecksetzung und Aufgabenorientierung der Organisationen ergeben. Eine pädagogische Ethnographie von Organisationen ist nicht auf die Erforschung von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen beschränkt, sondern kann sich jeder Organisation widmen, um deren (Nicht-)Lernen, Identitätsentwicklung und (In-)Humanisierung als kulturelles Phänomen zu erkunden. Für die je spezifischen überindividuellen Interaktionsformen, die für eine bestimmte Organisation charakteristisch sind, wird der in verschiedenen ethnographischen Arbeiten verwendete, bislang jedoch in der Regel nicht näher bestimmte Begriff des Praxismusters eingeführt: Ein Praxismuster ist ein sichtbares, wiederkehrendes, zeiträumlich begrenztes, für die Beteiligten selbstverständliches,

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organisationale Identität stiftendes, unter Beteiligung mehrerer Organisationsmitglieder erzeugtes beziehungsweise aufgeführtes, formal weitgehend festgestelltes Kommunikations- beziehungsweise Kooperationssegment, das in seinen Wiederholungen als ein charakteristischer, die weitere Praxis prägender Modus der Praxis der betreffenden Organisation erscheint. Praxismuster generieren und bearbeiten Differenzen. Praxismuster können, unter anderem aufgrund der bei ihrem Transfer in andere organisationale Bereiche entstehenden Adaptationserfordernisse, zur Ressource organisationalen Lernens werden. Öfter jedoch führen sie zu organisationalem Einschleifen-Lernen (vgl. Argyris/Schön 1999) beziehungsweise Nicht-Lernen, indem sie den Organisationen jene Stabilität verschaffen, die zur Herstellung der für sie notwendigen und zur Bearbeitung der ihnen angetragenen Differenzen erforderlich ist, um sich nicht in den Differenzen zu verlieren.

L ITERATUR Argyris, Chris/Schön, Donald A. (1999): Die lernende Organisation. Stuttgart: Klett-Cotta. Breidenstein, Georg (2006): Teilnahme am Unterricht. Ethnographische Studien zum Schülerjob. Wiesbaden: VS. Czarniawska, Barbara (1998): Narrative approach in organization studies. Thousand Oaks: Sage. Engel, Nicolas (2013): »Lernende Grenzorganisationen. Organisationales Identitätslernen im Kontext kultureller Übersetzungspraxen«. In: Göhlich, Michael/Engel, Nicolas/Höhne, Thomas/Klemm, Matthias/Kraetsch, Clemens/ Marx, Christoph/Nekula, Marek/Renn, Joachim (Hg.): Grenzen der Grenzüberschreitung. Bielefeld: transcript, S. 123-194. Göhlich, Michael (2001): System, Handeln, Lernen unterstützen. Eine Theorie der Praxis pädagogischer Institutionen. Weinheim: Beltz. Göhlich, Michael/Engel, Nicolas/Höhne, Thomas (2011): »Grenzüberschreitende Organisationen. Pädagogisch-ethnographische Untersuchungen in der deutsch-tschechischen Grenzregion«. In: Meinke, Markus A./Brunnbauer, Ulf (Hg): Die tschechisch-bayerische Grenze im Kalten Krieg in vergleichender Perspektive. Politische, ökonomische und soziokulturelle Dimensionen. Regensburg: Stadt Regensburg, S. 201-212. Göhlich, Michael/Engel, Nicolas/Höhne, Thomas (2012): »Szenen und Muster. Zur pädagogischen Ethnographie von Organisationen im Kontext der Grenzüberschreitung«. In: Friebertshäuser, Barbara/Kelle, Helga/Boller, Heike/

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Organisation(en) der Differenz Übersetzungsanforderungen an eine pädagogische Ethnographie von Organisationen N ICOLAS E NGEL

Organisationen sind komplexe Praxisgebilde, die – gleich welcher programmatischen Ausrichtung und sektoraler Zugehörigkeit – Legitimationszwängen unterworfen sind. Sie bestehen aufgrund einer »gesatzte[n] Ordnung« (Weber 1968: 114), verfolgen spezifische Zwecke und sind den ökonomischen Logiken des Wettbewerbs sowie gesellschaftlichen Funktionsansprüchen unterworfen (vgl. Ortmann 2010, Kühl 2011). Ethnographische Ansätze, die diesen oder ähnlichen gegenstandstheoretischen Überlegungen folgen und die Organisation in den Fokus der Betrachtung stellen, finden sich vornehmlich im organisationsanthropologischen und managementwissenschaftlichen Diskurs um ›Organizational Ethnography‹ (vgl. Hirsch/Gellner 2001, van Maanen 2001, Ybema et al. 2010, vgl. auch Göhlich in diesem Band). Befragt man hingegen den Diskurs der pädagogischen Ethnographie nach einer dezidiert auf Organisationen ausgerichteten Forschung, so finden sich zwar eine große Anzahl pädagogisch-ethnographischer Studien in Organisationen, die Einrichtungen der Jugendarbeit (vgl. Thole 1991, Cloos 2008), Schulen (vgl. Kalthoff 1997, Breidenstein 2006) oder Kindergärten (vgl. Honig/Joos/Schreiber 2004) als Felder, Orte und Rahmenbedingung für Lern- und Bildungsprozesse untersuchen. Eine Reflexion des Gegenstands ›Organisation‹ als pädagogisches Subjekt ethnographischer Forschung wird jedoch kaum erkennbar. Im Anschluss an diese kurze Bestandsaufnahme widmet sich folgender Beitrag zwei Fragen: Was bedeutet es, in Organisationen ethnographisch zu forschen und nicht nur Vorgänge in Organisationen, sondern die Organisation selbst

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zum Gegenstand der Betrachtung zu machen? Was ist das spezifisch pädagogische Interesse an einer Ethnographie von Organisationen? In Bezugnahme auf Felderfahrungen und empirische Befunde aus ethnographischen Studien von Organisationen der Grenzüberschreitung1 soll diesen Fragen im Folgenden nachgegangen werden. Ausgangspunkt bildet dabei die Kategorie der Differenz, die für die Konstitution und Praxis grenzüberschreitendagierender Organisationen in einem doppelten Sinne Relevanz hat. Als selbstreferentielle Praxis erfolgen Markierungen und Setzungen von Differenz in Form von Grenzziehungen, die die Organisation von ihrer Umwelt unterscheidet und sie zugleich in ein Verhältnis zu ihr bringt. Zudem wird eine Markierung von Differenzen aufgrund einer programmatisch auf Interkulturalität gründenden Ausrichtung der Organisation bedeutsam. Diese Überlegungen zu einer doppelten Relevanz des Differenzbegriffs in Bezug auf die Praxis der Organisation sollen im ersten Abschnitt diskutiert werden. Im Anschluss an den translational turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften wird im zweiten Abschnitt das Konzept der Übersetzung als methodologische Perspektive einer ethnographischen Praxis vorgeschlagen, die dem doppelten Differenzcharakter des Gegenstands gerecht zu werden versucht. Anhand von empirischen Befunden können im dritten und vierten Abschnitt des Beitrags exemplarisch unterschiedliche Organisationspraktiken der (kulturellen) Differenzkonstruktion und -bearbeitung nachvollzogen werden. Im fünften Abschnitt werden, die Analysen resümierend, Antworten auf die Fragen nach Form und Fokus einer pädagogischen Ethnographie von Organisationen skizziert.

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Für die Untersuchung von grenzüberschreitend-agierenden Organisationen ist der Begriff der Differenz von fundamentaler Bedeutung. Erstens – und dies gilt in systemtheoretischer Perspektive für Organisationen im Generellen – erfolgen Vorgänge der Differenzherstellung und -bearbeitung als eine ständige Arbeit an den Systemgrenzen. Die Markierung und der Erhalt von Differenz zwischen System und Umwelt in Form der Entwicklung organisationaler Mechanismen und

1

Die hier vorgestellten Überlegungen und ethnographischen Beschreibungen entstanden im Rahmen eines interdisziplinären BMBF-geförderten Forschungsprojekts, das unter dem Titel »Interkulturelle Übersetzung in grenzregionalen Organisationen« acht programmatisch grenzüberschreitend ausgerichtete Organisationen des deutschtschechischen Grenzraums erforscht hat (www.grenzorganisationen.de).

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Praktiken der Abgrenzung und Unterscheidung sind hierbei zentral (vgl. Luhmann 1987: 35). Auch rücken organisationale Praktiken der Herstellung und Bearbeitung von – aus der Grenzbezogenheit und der Grenzüberschreitung resultierenden – Differenzen und Differenzverhältnissen in das Blickfeld. Hierbei handelt es sich vor allem um kulturelle Differenzen, die im Zuge der programmatisch-grenzüberschreitenden Ausrichtung der Organisationen von beteiligten Akteuren markiert beziehungsweise eingefordert und reproduziert werden sowie im alltäglichen bilingualen und bikulturellen Miteinander-Arbeiten konstruiert und bearbeitet werden müssen. Die hier angedeutete doppelte Relevanz des Differenzbegriffs für die Entstehung und Fortentwicklung von Organisationen kann konkretisiert werden: 1) Als Aspekt des System-Umwelt-Zusammenhangs beziehungsweise des Handlungs-Situations-Zusammenhangs (vgl. Göhlich 2001: 206) interessiert die organisationale Praxis als eine Praxis der Differenz mittels derer organisationale Grenzen zur Umwelt bestimmt, markiert oder überschritten werden. Hierdurch positioniert sich die Organisation gegenüber und inmitten der Umwelt und erhält ein bestimmtes (Differenz-)Verhältnis zu dieser aufrecht. Wie Göhlich im Anschluss an die systemtheoretischen Überlegungen Gregory Batesons hervorhebt, ist dabei nicht nur die Erzeugung von Differenzen als organisationale Praxis der Unterscheidung bedeutsam, sondern auch zu berücksichtigen, dass sich Grenzen in Vernetzung mit dem Kontext herausbilden (ebd.: 81). So bestehen organisationale Grenzen nicht a priori, sondern die Genese von Grenzen erfolgt als Erzeugung und Bearbeitung von Differenzen mittels Kontextualisierung – in Auseinandersetzung mit Bedingungen und Möglichkeiten der Umwelt (vgl. Bateson 1985: 374ff.). Organisationsethnographisch rücken damit vor allem die Ränder der Organisation in den Blick und das Wechselverhältnis unterschiedlicher Umwelten – Stakeholder, Kunden, Konkurrenten, Politik etc. – sowie deren Bedeutung für die Konstitution organisationaler Praxis (vgl. van Maanen 2001). Die Frage, welche praktischen Formen der organisationalen Grenzmarkierung sichtbar werden und in welchem Verhältnis diese zur Praxis der Repräsentation der Organisation stehen, soll weiter unten an der praktischen Herstellung des Differenzverhältnisses einer Organisation zu ihrer (forschenden) Umwelt gezeigt werden. 2) Neben der organisationstheoretischen Bedeutung des Differenzbegriffs ist eine kulturtheoretische Perspektive von Interesse, denn bezüglich der programmatisch-grenzüberschreitenden Ausrichtung der untersuchten Organisationen werden Grenzen und Differenzen in ihrer räumlichen und kulturellen Trennungsfunktion – als programmatischer Ausgangspunkt und Medium organisationaler

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Praxis – virulent. So sind im Kontext der deutsch-tschechischen Grenzüberschreitung einerseits die politisch-territorialen Grenzziehungen im Raum, andererseits die kulturelle Unterscheidung in ›deutsch‹ und ›tschechisch‹ ständige Referenzpunkte für den organisationalen Auftrag und die organisationale Programmatik der Grenzbearbeitung. Eine solche Betonung von Grenzen geht mit Tendenzen der Homogenisierung von Differenzen einher. Mit den Worten Marianne Krüger-Potratz‘ wird hierbei von »kultureller Homogenität als Normalfall« (Krüger-Potratz 2002: 60) ausgegangen. In kritischer Perspektive kann der Vorstellung von Kulturen als gegebene Entitäten ein sozialkonstruktivistisches Verständnis von kultureller Differenz entgegen gehalten werden. Kulturelle Differenzen sind in dieser Sichtweise in erster Linie Praktiken der Repräsentation kultureller und auch anderer Orientierungen sowie Konstruktionen aufgrund politischer und sozialer Auseinandersetzungen (vgl. ebd., Mecheril 2004). Gerade vor dem Hintergrund einer ethnographischen Untersuchung organisationaler Praxis im Kontext nationaler, kultureller und sprachlicher Grenzüberschreitung werden diese Aspekte zentral, denn Markierungen von kulturellen Grenzen und deren Überschreitungen erfolgen als Konstruktionen im Kontext der Erhaltung des organisationalen Zwecks. Dies und zugrunde liegende Implikationen für eine pädagogische Organisationsethnographie sollen anhand eines zweiten empirischen Befunds dargestellt werden.

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Einer Ethnographie von Organisationen, die den Gegenstand im Kontext des skizzierten doppelten Differenzverhältnisses untersucht und sich dabei für die organisationale Praxis der Differenzbearbeitung interessiert, werden übersetzungstheoretische Überlegungen zu Grunde gelegt. War Übersetzung lange im linguistischen Sinne auf die Übertragung von Sprachen und Texten und im hermeneutischen Sinne auf Textverstehen beschränkt, suchen in neuerer Zeit kulturwissenschaftliche Forschungsperspektiven auf kontingente und vielschichtige kulturelle Lebenswelten immer häufiger Anschluss an das Konzept der Übersetzung (Bachmann-Medick 2004: 549, für einen ausführlichen Überblick vgl. dies. 2007). Übersetzung dient in diesen Zusammenhängen einerseits als Kategorie zur Analyse und Beschreibung aktueller Probleme und Anforderungen des Kulturkontakts. Eine translatorische Forschungsausrichtung impliziert dabei eine Perspektive auf Kultur, die sich essentialistischen Dichotomien von Kulturbegegnung entgegenstellt. Sie »wirft […] ein neues Licht auf den Übersetzungscharakter der kulturwissenschaftlichen Gegenstände selbst, auf ihre nicht-

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holistische Struktur, auf ihre Hybridität und Gebrochenheit« (Bachmann-Medick 2004: 453). Mit ›Gebrochenheit‹ und ›Hybridität‹ wird dabei betont, dass sich Kulturen nicht in binären Logiken reproduzieren, sondern sich in Übersetzungsprozessen konstituieren. Damit wird ein Blick auf die Herstellung und Bearbeitung von kulturellen Differenzen in ihrer Prozessualität und Unabgeschlossenheit möglich. Andererseits wird Übersetzung pragmatisch gedacht, als praktisches Verfahren der Erschließung ›fremder‹ Kulturwelt oder als praktische Kulturtechnik der Befremdung (vgl. Renn 2002, Bachmann-Medick 2007). Im Anschluss an Positionen der Writing Culture-Debatte wird das ethnographische Beschreiben und Nacherzählen von Erlebtem und Gesehenem als ein Vorgang der Übersetzung gekennzeichnet. Er vollzieht sich als textförmige Repräsentation des unbekannten Gegenstands in bekannten Formulierungen und Ordnungsversuchen und folgt dabei einer postkolonialen Auffassung von »Kulturübersetzung« als eine »Repräsentation von Repräsentation« (BachmannMedick 2004: 451). Folglich wird kulturelle Übersetzung als methodisches Vorgehen von »einer repräsentionalistischen Vorstellung [...] einer logisch äquivalenten Bedeutungsübertragung« (Renn 2002: 14) gelöst und als »teilweise kreative Neudichtung« (ebd.: 15) und übersetzerische Erschließung unbekannter Kontexte und Erfahrungswelten verstanden. Übersetzung als ethnographisches Arbeiten kann demnach als »praktische Erschließung einer fremden Kulturwelt und Praxisform durch teilnehmende partielle Kooperation« (ebd.: 28) bestimmt werden. Die »praktische Erschließung durch teilnehmende partielle Kooperation« vollzieht sich in einer Auseinandersetzung mit fremden Welten und bezüglich ›anderer‹ Sichtweisen, Erfahrungen und Praktiken und deren methodische Übersetzung in wissenschaftlichen Text als Wechselspiel von Erhebung (Beobachtung) und Auswertung (Beschreibung). Bezüglich der oben aufgezeigten Relevanzen des Differenzbegriffs für eine ethnographische Erforschung des Gegenstands Organisation kann für eine Ethnographie von Organisationen der Grenzüberschreitungen folgendes konkretisiert werden: 1) Der übersetzte Forscher: Für die Ethnographie von Organisationen ist die

Übersetzungsperspektive hinsichtlich des Verhältnisses von ForscherIn zur beforschten Organisation relevant. Als Nicht-Mitglied und bezüglich der für die Organisation charakteristischen gemeinsamen und in einer gesatzten Ordnung geregelten Aufgabenbewältigung ist der/die EthnographIn ein Fremdkörper, gleichwohl eine Person, die im Zuge längerer Aufenthalte doch irgendwie dazugehört (vgl. Bollig 2010). Die Anwesenheit beziehungsweise die Erlaubnis und Möglichkeit der Teilnahme und der Einblicknahme in Organisationsgeheimnisse wird schnell verbunden mit teils expliziten Erwartungen an die Forschenden, der

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Organisation etwas ›zu bringen‹. Sensibilität ist hinsichtlich der hierbei möglichen zweckbezogenen Bemühungen der Vereinnahmung von Forschung durch die untersuchte Organisation gefordert. 2) »thick translation«: Die (nicht-)verstehende Aneignung und Übertragung des Differenten und des unbekannten Gegenstands im Lichte einer translationalen Forschungsperspektive ist im besonderen Maße sensibel für kulturell konstruierte, intersektionale und ökonomische Differenzen und Machtverhältnisse. Das ethnographische Schreiben erfolgte in Anlehnung an die Idee einer »thick translation« (Appiah 2009). Diese kann als Vorgang beschrieben werden, der darum bemüht ist, das erfahrene kulturelle Nicht-Verstehen (vgl. Mecheril 2004) während der praktischen Erschließung des Gegenstands im Schreiben aufrecht zu erhalten. Damit wird versucht, der kulturellen Vereinnahmung durch das Verstehen zu widerstehen. Eine Ethnographie im Sinne der »thick translation« fokussiert im Falle der Untersuchung programmatisch-grenzüberschreitend agierender Organisationen auf Praktiken der kulturellen Differenzbearbeitung beziehungsweise Differenzkonstruktion und folgt dabei der Analyseeinstellung des »borderthinking« (vgl. Bachmann-Medick 2007). Diese versucht für machtvolle und interessenbezogene Praktiken der interkulturellen Übersetzung, die Differenzen möglicherweise auch zweckbezogen konstruiert, sensibel zu sein (vgl. Spivak 2008). Entsprechend dieser beiden Aspekte sollen im Folgenden zwei empirische Befunde meiner organisationsethnographischen Aktivitäten im deutsch-tschechischen Grenzraum vorgestellt werden. Die Befunde lassen jeweils unterschiedliche organisationale Praktiken der Differenzbearbeitung – in einem ersten Beispiel eine organisationsspezifische Bearbeitung des Organisations-UmweltVerhältnisses und in einem zweiten Beispiel die programmatisch notwendige Herstellung kultureller Differenz – erkennbar werden. Anhand beider Beschreibungssequenzen soll dabei auch die organisationsethnographische Bedeutung einer Übersetzungsperspektive herausgearbeitet werden.

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Die im Folgenden vorgestellten organisationsethnographischen Beschreibungen wurden im Rahmen meiner Forschungsaufenthalte in der Organisation Zentrum KULT (anonymisiert) angefertigt. Bei dem Zentrum KULT handelt es sich um eine mit Interkulturalitätsanspruch gegründete und programmatisch-grenzüberschreitend ausgerichtete Organisation kultureller Bildung. Über Projektmittel der

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EU finanziert und damit zeitlich befristet, verfolgt die Einrichtung die Vernetzung und Förderung kultureller Aktivitäten im deutsch-tschechischen Grenzraum. Zunächst soll eine Szene vorgestellt werden, die eine spezifische Praxis der Differenz im Sinne der Herstellung und Bearbeitung einer System-UmweltGrenze erkennen lässt. Die Szene ereignet sich im Rahmen des ersten Besuches bei der Organisation Zentrum KULT, also noch in der Phase der Organisation des Feldzugangs. Der Ausgangspunkt meiner Forschungsaktivität in der Einrichtung waren zwei narrativ-episodische Interviews mit dem deutschen Leiter und seinem tschechischen Stellvertreter, die ich gemeinsam mit meinen Projektkollegen durchgeführt habe. Das Interview endete mit dem für mich überraschenden Vorschlag des Leiters, ein Gruppenfoto »mit den Forschern« zu machen. Als PETR (stellvertretender Leiter) den Raum betritt, in dem ich gemeinsam mit meinem Kollegen Matthias Klemm seit über 90 Minuten ein narratives Interview mit ERWIN (Leiter) führe, endet dieses abrupt. Beim Anblick PETRS unterbricht der Leiter seine Erzählung und gibt seinem Mitarbeiter die Anweisung, ein Foto von ihm und den »Forschern« zu machen. Nach etwa fünf Minuten erscheint PETR erneut, nun mit einer Kamera. Der Leiter unterbricht seine in der Zwischenzeit wieder aufgenommene Erzählung erneut, rückt etwas vom Tisch ab und bittet auch uns um eine seitlichere Positionierung, die uns einen Blick Richtung Kamera ermöglicht. […] Nachdem wir uns entsprechend der Anweisung ERWINS ein Stück zurückgesetzt haben und seitlich Richtung PETR schauen, macht dieser einige Fotos. ERWIN schließt die Fotosession mit den Worten: »Das ist für organisationseigene Datenbank«.

Der souveräne und selbstverständliche Umgang in der fotografischen Dokumentation unseres Besuches (inklusive des gekonnten Arrangements aller Beteiligten zu einem Gruppenbild am Interviewtisch) verweist für den Fall des Zentrums KULT auf eine spezifische Praxis der Repräsentation. Bezüglich der Frage, wie Organisationen ein spezifisches Differenzverhältnis mit der Umwelt (in diesem Fall mit uns »Forschern«) erzeugen und bearbeiten, treten in dieser Szene zwei Aspekte in den Vordergrund. In dem Vorschlag ERWINS ein Gruppenfoto »mit den Forschern« zu machen, werden meine Kollegen und ich zunächst als interessante und relevante Umwelt anerkannt. In einem eingespielt wirkenden Vorgang wird dies fotografisch dokumentiert. Zugleich wird damit unsere NichtZugehörigkeit zur Organisation aufgeführt und betont. Über das Foto erfolgen eine Akzeptanz unserer Anwesenheit und eine Hineinnahme in die Organisation beziehungsweise in ein bestimmtes Kooperationsverhältnis. Die Organisation konstruiert damit ein Differenzverhältnis zur Umwelt, in dem die Nicht-

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Zugehörigkeit der Forscher zur Organisation (Grenze) betont und gleichzeitig eine Kooperationsbereitschaft mit denselben (Grenzüberschreitung) signalisiert wird. Einen Monat nach diesem ersten Gespräch erscheint in einer regionalen Tageszeitung ein eigens von der Organisation verfasster Pressebericht mit dem Titel »Vorzeigeobjekt interessiert Forscher. Am Beispiel Zentrum KULT: Projekt untersucht komplexes Management in der bayerisch-böhmischen Grenzregion«. Zwar wird hier nicht das genannte Foto abgebildet, sehr wohl aber über unser erstes Treffen, über uns persönlich und unsere dortigen Vereinbarungen berichtet. Die dokumentarische Weiterverarbeitung des ersten Treffens in Form einer öffentlichen Berichtserstattung durch die Organisation selbst macht deutlich, wie diese das konstruierte Differenzverhältnis verwertet. Die eilige Repräsentation unserer Arbeit als Teil der organisationalen Öffentlichkeitsarbeit verweist nicht nur auf eine organisationsspezifische Praxis der Selbstdarstellung, sondern auch auf einen Verwertungsdruck der Organisation (vgl. Götz 2000: 66) sowie auf eine mögliche Funktionalisierungsgefahr der Forschung durch das Feld (vgl. Novak 1994: 186). Die hier beschriebene Szene und ihre Folgen lassen vermuten, dass ein wesentliches Interesse der Organisation nicht nur darin besteht, ein Differenzverhältnis zwischen Organisation und Umwelt bezüglich der Frage von Zugehörigkeit herzustellen, sondern diese Differenz auch vermarktungsstrategisch relevant zu machen (vgl. auch Göhlich in diesem Band). So schmückt sich die Organisation mit den »Forschern« und bewirbt sich selbst als besonders ›erforschungswürdig‹. An diesem Beispiel zeigt sich ein doppeltes Übersetzungsverhältnis von Organisationsforscher und erforschter Organisation. Nicht nur der Ethnograph übersetzt die Organisation in Text und wissenschaftliche Rede, sondern auch die Organisation übersetzt den Forscher im eigenen Interesse. Solche zweckbezogenen Versuche der Vereinnahmung von Forschung durch Organisationen, die im Kontext marktwirtschaftlichen Wettbewerbs immer auch um Prestige bemüht sind, lassen eine spezifische Logik des Gegenstands erkennen. Organisationen sind ökonomische Gebilde und folgen der Logik des Wettbewerbs und der Verwertung. Gerade im Fall der Organisation Zentrum KULT, die aufgrund ihrer projektförmigen Existenz auf Zeit einem ständigen Refinanzierungszwang ausgesetzt ist, besteht diesbezüglich ein fortwährendes Interesse.

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Das Zentrum KULT verfügt über ein eigenes Gebäude in einer grenznah gelegenen bayerischen Kleinstadt. Im Gebäude materialisiert sich vielerorts der programmatische Anspruch einer national-kulturellen Grenzüberschreitung. Anhand der ethnographischen Beschreibung und Analyse des Treppenhauses des Organisationsgebäudes kann die programmatisch bedingte und notwendige Herstellung und Bearbeitung kultureller Differenz fokussiert werden. Im Unterschied zum vorangegangenen Beispiel steht hier die organisationsethnographische Relevanz einer kulturtheoretischen Perspektive auf Differenz im Vordergrund. Das dreistöckige Treppenhaus des KULT-Gebäudes besteht aus wuchtigen Stahlpaneelen auf denen durchgängig und in enger Reihenfolge deutsch-tschechische Vokabeln eingraviert sind. Die Anordnung der einzelnen Vokabeln ist immer erst deutsch, dann tschechisch. Angebracht wurden diese Vokabeln – so informiert ein Schild im Eingangsbereich – im Rahmen des Kunstprojekts »Sprache im Raum«. Die Reihenfolge der Worte vermitteln dem Betrachter eine Übersetzung deutscher Begriffe und Wörter ins Tschechische. Hierbei wird eine strikte Ordnung der Übersetzungsrichtung eingehalten. Übersetzt wird nicht vom Tschechischen ins Deutsche, sondern immer – entsprechend des ebenfalls festgelegten und im Organisationsnamen sowie bei Veranstaltungen gebräuchlichen Zusatzes »bayerisch-böhmisch« »deutsch-tschechisch« – vom Deutschen ins Tschechische.

In der Perspektive des ›border-thinking‹ verknüpft sich die Beobachtung der strikten Einhaltung der Übersetzungsrichtung ›deutsch-tschechisch‹ mit der Frage nach der Gleichberechtigung national-kultureller Repräsentation. Möglicherweise hat die strikte Anordnung ästhetische oder didaktische Gründe, würde eine wechselnde Reihenfolge Verwirrung schaffen. Mit Blick auf das sprachliche Arrangement im Treppenhaus kann konstatiert werden (was bei geänderter Reihenfolge der Sprachen ebenfalls der Fall wäre), dass durch die Gegenüberstellung der einzelnen Vokabeln eine (sprachliche) Grenze markiert wird. Vermittelt wird durch diese Grenzmarkierung, dass im Sinne gelingender grenzüberschreitender Verständigung sprachliche Übersetzung notwendig ist. Zugleich wird vermittelt, dass die sprachliche Übersetzung von der Organisation Zentrum KULT bewerkstelligt werden kann. Die Repräsentation von deutsch-tschechischer Zweisprachigkeit (vgl. Marx/Nekula 2011) sowie die Repräsentation eines auf Übersetzung angewiesenen Verhältnisses zwischen Deutsch und Tschechisch korrespondiert mit dem ausdrücklichen Zweck der Organisation, zwischen Bayern und Tschechien »Wege zu bereiten«. Für Letzteres werden sprachliche und kulturelle Grenzen benötigt, um sie überschreiten zu können.

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Vor dem Hintergrund dieser und ähnlicher Befunde einer Konstruktion von Binarität kann die Annahme formuliert werden, dass die Organisation Zentrum KULT die Repräsentation von Differenzüberwindung und Grenzüberschreitung mit einer Betonung, Markierung und Festschreibung nationaler Grenzen und nationalkultureller Differenzen erlernt oder erlernt hat. Interessant erscheint die Frage, warum ein derartiges Wechselspiel der Repräsentation kultureller Differenzherstellung und -überwindung erlernt werden muss. Zur Beantwortung dieser Frage soll der Kontext, in dem die Organisation Zentrum KULT agiert, näher beleuchtet werden. Die programmatisch-grenzüberschreitend ausgerichtete Organisation Zentrum KULT agiert im Kontext der Europäisierung. Die programmatische Ausrichtung der Organisation auf Grenze ist somit als Teil der seit den Anfängen des Europäischen Integrationsprozesses bestehenden und sich verstärkenden Deterritorialisierungsbemühungen zu sehen, die in vielerlei Akkulturationsprozessen, in Anstrengungen der Konturierung einer europäischen Zivilgesellschaft, der Angleichung von Bildungs- und Berufsabschlüssen oder einer europäischen Identitätsbildung zum Ausdruck kommen (vgl. Wienand/Wienand 2010). Der Abbau von Grenzen (zum Beispiel durch das Schengen-Abkommen) und die Förderung von grenzüberschreitenden Maßnahmen erfolgen dabei auch unter ökonomischen Vorzeichen. So heißt es in der Zusammenfassung der EU-Gesetzgebung, dass es im Rahmen der Förderung durch den Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE), »Ziel der Verordnung ist […], den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu stärken, um eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung der Regionen der Europäischen Union (EU) […] zu fördern« (vgl. EFRE 2007-2013). Im Kontext der Europäisierung ist die Arbeit an und mit der Grenze und kultureller Differenz auch im Lichte einer ökonomischen Dimension zu betrachten: die Organisation wird – solange die Grenze Grund und Anlass ihrer Existenz ist – darum bemüht sein, diese als ›Problem‹ aufrechtzuerhalten. So kann das organisationale Wechselspiel der Repräsentation von Markierung und Überschreitung kultureller Differenz im Lichte der Legitimation der eigenen Arbeit sowie möglicher überregionaler (Re-)Finanzierung gesehen werden. Aufgrund dieser ökonomischen (und unter Umständen existentiellen) Zwänge müssen Grenzen, die es (weiterhin) zu überschreiten gilt, und Differenzen, deren Bearbeitung den Dialog oder das nachbarschaftliche Verhältnis noch intensivieren können, erzeugt und aufrecht erhalten werden.

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A NFORDERUNGEN AN EINE PÄDAGOGISCHE E THNOGRAPHIE VON O RGANISATIONEN IM K ONTEXT DER G RENZÜBERSCHREITUNG In Bezug auf die eingangs formulierten Fragen, was eine Ethnographie von Organisationen auszeichnet und was eine pädagogische Ethnographie von Organisationen fokussieren kann, können einige gegenstandsbezogene und methodische Aspekte festgehalten werden. Für eine pädagogische Ethnographie von Organisationen im Kontext der Grenzüberschreitung sind (differenz-)theoretische Überlegungen zur Beschaffenheit des Gegenstands Organisation relevant. Im Gegensatz zu Gruppen, Familien und anderen sozialen Zusammenkünften sind Organisationen durch eine explizite Herstellung eines Organisationszwecks sowie durch eine offizielle Aufgabenbezogenheit charakterisiert (vgl. Kühl 2011, Göhlich/Engel/Höhne 2012). Vor dem Hintergrund der beiden empirischen Beispiele kann für grenzüberschreitend-agierende Organisationen angenommen werden, dass sich der Erhalt und das Entsprechen des Organisationszwecks mit einer organisationalen Praxis der Markierung und Konstruktion von Differenzen und Grenzen verbindet. In der Entwicklung und Anwendung dieser Praxis lernt die Organisation einen Umgang mit umweltlichen und organisationszweckbezogenen Legitimationszwängen. So erfolgt die Konstruktion eines Differenzverhältnisses zwischen Organisation und Forschern im ersten Beispiel nicht nur als selbstreferentieller Vorgang der Vergewisserung von Organisationsgrenzen, sondern auch in der Absicht sich mittels dieses Differenzverhältnisses als ›GrenzüberschreitungKönnende Organisation‹ zu präsentieren. In finanzieller Abhängigkeit von europäischer Regionalpolitik sieht sich die Organisation Ansprüchen gelungener Grenzüberschreitung ausgesetzt, die sie mittels der Konstruktion und öffentlichkeitswirksamen Präsentation eines Differenzverhältnis zur Umwelt (in diesem Fall zu mir als Forscher) bearbeitet. Im zweiten Beispiel ist die Konstruktion von kulturellen Differenzen im Kontext der Zweck- und Aufgabenbezogenheit einer programmatisch-grenzüberschreitenden Ausrichtung der Organisation zu sehen. Mittels der Betonung einer deutsch-tschechischen Binarität wird nicht nur der Interkulturalitätsanspruch der Organisation, sondern auch die Notwendigkeit einer Bearbeitung selbiger aufrechterhalten. Die sich hier vollziehenden Vorgänge der Übersetzung von systemischem Prozessieren (Konstruktion eines SystemUmwelt-Verhältnisses) in eine organisationale Praxis der Präsentation einerseits sowie der Erhalt interkultureller Übersetzungsanforderungen durch die Etablierung eines Wechselspiels von Differenzkonstruktion und -überwindung andererseits interessieren in pädagogisch-ethnographischer Perspektive auf Organisatio-

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nen als Vorgänge beziehungsweise Kontexte organisationalen Lernens. Der organisationale Zweck (im obigen Beispiel die Vernetzung und Förderung grenzüberschreitender Aktivitäten) ist dabei ständiger Bezugspunkt der organisationalen Praxis, die darum bemüht ist, Differenzen zu überwinden und zugleich zu bewahren beziehungsweise zu konstruieren, um den Zweck des Bestehens zu rechtfertigen. Pädagogisch-organisationsethnographisch sind diesbezüglich einerseits die Praxen der Herstellung von Zweck und Aufgabe, der Aushandlung (organisations-)kultureller Differenzen und Grenzen sowie deren Bearbeitung im organisationalen Geschehen bedeutsam. Andererseits gilt es auch, die formalen Regelungen folgenden, habitualisierten Gewohnheiten und Routinen im Umgang mit Zweckgerichtetheit in den Blick zu nehmen. Vor dem Hintergrund obiger Überlegungen lassen sich neben diesen gegenstandstheoretischen Überlegungen einige Zusammenhänge hervorheben, die die Form und den Modus organisationsethnographischer Arbeit konkretisieren helfen. Die explizite Zweck- und Auftragsbezogenheit von Organisationen erschwert das ethnographische Teilnehmen, da eine Einbindung in die für Organisationen charakteristische gemeinsame Aufgabenbewältigung schwer möglich ist (vgl. Göhlich/Engel/Höhne 2012). Denn als Ethnograph ist man zunächst ein Fremdkörper – ein Nicht-Mitglied, das sich aber dennoch Einblicke in Organisationsgeheimnisse erhofft. Die Konfrontation im Feld mit ›Lügen‹ und ›Unwahrheiten‹ (vgl. van Maanen 1979), die Verdächtigung, als Spion zu agieren (vgl. Bachmann 2009), aber auch Strategien der Vereinnahmung und Verzweckung des Ethnographen (vgl. Götz 2000, Novak 1994) sind mögliche Folgen. Gerade die Gefahr einer Funktionalisierung durch die Organisation, die im Kontext ihrer Legitimationszwänge das pädagogische Forschungsinteresse vermarkten möchte, ist virulent und erfordert eine erhöhte Sensibilität für das doppelte Übersetzungsverhältnis des ethnographisch-Forschenden zum zu erforschenden Gegenstand. So ist folgender Feststellung von David Gellner und Eric Hirsch im Hinblick auf eine Ethnographie von Organisationen besondere Aufmerksamkeit zu schenken: »Access is therefore not something to be negotiated once and then forgotten about […]. It is, on the contrary, something that has to be both scrutinized for the way it transforms the research and continuously negotiated throughout the time of fieldwork« (Hirsch/Gellner 2001: 5).

L ITERATUR Europäischer Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) (2007 - 2013): »Allgemeine Bestimmungen EFRE-ESF-Kohäsionsfonds« [http://europa.eu/legisla

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Organisation, Profession und die Herstellung von Differenz P ETER C LOOS

Während sich klassische Organisationtheorien in Anlehnung an Max Weber (1972 [1922]) mit der Frage nach der Herstellung von Funktionalität durch rationale Herrschaft in Organisationen beschäftigt haben, sind Ende der 1980er Jahre verstärkt die Machtprozesse (Crozier/Friedberg 1979), die Subkulturbildung (Küpper/Ortmann 1992) und das Durcheinander in Organisationen in den Blick geraten. Dabei zeigte sich, dass eine wesentliche Aktivität in Organisationen darin besteht, Differenzen nach innen und außen herzustellen und zu bearbeiten. Wenn davon ausgegangen wird, dass Organisationen Teil der Kultur sind (Dülfer 1991), dann kann dies nicht als eine ihrer Besonderheiten, sondern nach Pierre Bourdieu vielmehr als Ausdruck habitueller Distinktionspraktiken beschrieben werden, durch die in kulturellen Feldern feine Unterschiede (Bourdieu 1987) hergestellt werden. Der folgende Beitrag versucht sich dem Phänomen der Herstellung von Differenz in Organisationen zunächst aus einer theoretischen Perspektive anzunähern. Dabei wird der Blick auf professionelle Organisationen im Feld der Pädagogik gelenkt. Hiervon ausgehend werden professions- und organisationstheoretische Ansätze auch in ihrer Verknüpfung dazu genutzt, sensibilisierende Konzepte (Strauss 1994) für die ethnographische Beschreibung der Herstellung von Differenzen in professionellen Organisationen zu entwickeln. Der an diese theoretische Verortung sich anschließende Bericht fasst die Erfahrungen mehrerer ethnographischer Forschungsprojekte aus dem eigenen Forschungskontext zusammen und zeigt Möglichkeiten der Untersuchung von Differenzbearbeitung auf.

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T HEORETISCHE Z UGÄNGE 1 Profession Für den Begriff Profession ist wesentlich, dass er Differenzen produziert, zumal mit dem Terminus höhere Berufe als Professionen durch die Zuweisung spezifischer Kriterien von anderen Berufen abgegrenzt werden. Ausgangsbasis professionstheoretischer Bestimmungsversuche waren folglich auch merkmalstheoretische Modelle, die die klassischen Professionen – Ärzte, Priester, Anwälte – als Berufe besonderen Typs in den Blick nahmen und ihre hervorstechenden Merkmale bestimmten. Als besondere Merkmale wurden zum Beispiel ein hohes Maß an Ausbildungshöhe, Ansehen und Einfluss, aber auch »Fachautorität, Anwendung systematischen Wissens, weitgehende Autonomie bei der Gestaltung der Berufsvollzüge, Vertrauenswürdigkeit der Dienstleistung, Orientierung des Handelns an beruflichen Normen (Berufskodex), Kontrolle durch Gremien, die von Angehörigen des Berufes gebildet werden, und hohe gesellschaftliche Anerkennung« (Bock 1997: 734)

identifiziert. Diese Merkmale wurden dann auf andere Berufe mit dem Ziel übertragen, den jeweiligen Grad der Professionalisierung einer Berufsgruppe zu bestimmen. Kritisiert wurde an den merkmalstheoretischen Modellen, dass sie vorwiegend deskriptiv, wenig theoretisch fundiert und ahistorisch Merkmale bestimmen (Olk 1986). Insbesondere machttheoretische Modelle kritisierten, dass Autorität, Kontrolle und Macht nicht als sich aus den Arbeitsvollzügen ergebende Kategorien betrachtet würden. Dementsprechend fragen sie danach, wie Professionen ein Zuständigkeitsmonopol für die autonome Ausübung ihres Berufes erreichen können. Instruktiv sind hier die Überlegungen von Eliot Freidson in seiner Untersuchung »Der Ärztestand« (1979). Er beschreibt die Medizin als eine Form der Arbeitsteilung. Ärzte selber schaffen sich ein spezifisches System der Integration verschiedenster zum Teil paraprofessioneller Berufe. Diese Berufe streben selber Professionalität an und sind den Professionellen unterstellt. Als wesentliches Merkmal der Profession hebt er Autonomie hervor, während paraprofessionelle Berufe über keine Autonomie verfügen. Er stellt dabei fest, dass die Profession ihre autonome Stellung nur durch die Protektion einer Eliteschicht der Gesellschaft erlangen kann. Dies kann nur gelingen, wenn die jeweilige Pro-

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Ein großer Teil dieser Überlegungen lässt sich ausführlicher nachlesen in Cloos (2008a).

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fession die Elite von ihrem Wert für die Gesellschaft überzeugen kann. Dienlich ist dabei auch, dass sie spezifische esoterische Methoden, esoterisches Wissen und auch eine spezifische Kultur herausbildet, die einen herausragenden Kompetenzvorsprung gegenüber anderen Berufen sichert. Die Protektion ist notwendig, weil die an die Profession angekoppelten Paraprofessionen aber auch neue Berufsgruppen ebenfalls Autonomie anstreben. Im Berufssystem entstehen folglich immer wieder Machtkämpfe um die Sicherung und den Erwerb eines autonomen Status. Nun kann auch Freidsons älterem professionstheoretischem Entwurf entgegengehalten werden, dass aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen selbst die klassischen Professionen einige ihrer ihnen zugewiesenen Merkmale nicht mehr erfüllen können. Zweitens kann konstatiert werden, dass sich im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung im 20. Jahrhundert zunehmend mehr organisational eingebundene Professionen herausgebildet haben, bei denen das Merkmal der Autonomie auf andere Weise operationalisiert werden muss. Zudem kann die Frage gestellt werden, ob das von Freidson für die Medizin entworfene Verhältnis von Professionen und Paraprofessionen auch auf die Pädagogik angewendet werden kann. Hier lässt sich feststellen, dass in den vielfältigen Handlungsfeldern außerhalb von Schule erstens eine Vielfalt an unterschiedlichen Berufsgruppen vorzufinden ist. Zweitens lassen sich dort sehr unterschiedliche Mischungen von Berufsgruppen finden, sodass hier kaum von einer Kernprofession, sondern von jeweils unterschiedlichen Berufsgruppenkonstellationen ausgegangen werden kann. Die professionsbezogene erziehungswissenschaftliche Forschung hat dieses Verhältnis von unterschiedlichen Berufsgruppen und die Frage, wie zwischen den Berufsgruppen Zuständigkeiten und professionelle Spielräume ausgehandelt werden, weitgehend ausgeklammert. Dies mag auch daran liegen, dass sich hier insgesamt ein Blickrichtungswechsel von den gesellschaftlichen Bedingungen der Herausbildung professioneller Berufssysteme hin zu einem Interesse an den Kernaktivitäten mehr oder weniger professionalisierter Berufe beobachten lässt. Prägnant zusammengefasst, könnte man dies als Perspektivwechsel von der Professionstheorie hin zur Theorie professionellen Handelns markieren. Kennzeichen dieser Forschung ist, dass sie »in den Mikrobereich pädagogischen Handelns« (Dewe/Ferchhoff/Radtke 1992: 12) vordringt und anstrebt, die Binnenstrukturen und die Logik pädagogischen Handelns zu analysieren. Das Professionsfeld, in dem dieses Handeln hervorgebracht wird, und seine gesellschaftlichen Bedingungen, geraten dabei jedoch empirisch kaum in den Blick.

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Organisation Für die Konstituierung einer Organisationstheorie war Max Webers Bürokratietheorie (1972 [1922]) zentral. Hier wird der Idealtypus eines gewandelten bürokratischen Systems in der modernen Gesellschaft anhand von hervorstechenden Merkmalen grundgelegt, die funktional eine Lösung für Problem- oder Schwachstellen darstellen, die früher in Verwaltungssystemen immanent enthalten waren. Für Max Weber, der sich für das Verhältnis von Autorität und Herrschaft in Organisationen interessierte, sind moderne bürokratische Systeme durch rationale Herrschaft gekennzeichnet, die sich unter anderem in einer festen Aufgabenteilung, in Amtshierarchie, in einem allgemeinen Regelsystem und in einer Trennung von Person und Amt ausdrückt (ebd.: 172ff.). Einwände gegen Organisationen als rationale Gebilde sind vielfältig hervorgehoben worden und beziehen sich insbesondere auf das nicht einfach zu bestimmende Verhältnis von übergeordneten rationalen Zielen und dem kulturell geprägten Alltag in Organisationen (May 1997: 23, Becker/Küpper/Ortmann 1992: 90f.). Kritisiert wurde auch, dass Rationalitätsvorstellungen vorwiegend die normative Struktur der Organisationen in den Blick nehmen und somit eine Theorie der menschenlosen Organisationen entworfen werde, in der viel über die Regeln und Normen, aber kaum etwas über das konkrete Verhalten der Mitglieder der Organisationen ausgesagt wird. Die Grundannahme ist hierbei: Organisation funktioniert auf der Basis von guter Planung und vernünftigen Entscheidungen. Diese Sichtweise auf Organisationen kann tatsächlich wenig darüber aussagen, inwieweit die normativ vorgegebenen Ziele und Werte auch tatsächlich das Verhalten der Organisationsmitglieder steuern. Sie geht von einfachen Prämissen über das Verhältnis von formaler Organisationsstruktur und den Sichtweisen und Verhaltensmustern der in ihnen handelnden Akteure aus. Im Anschluss an die Kritik an zweckrationalen Ansätzen wurde das organisatorische Entscheidungsverhalten eher als ein »muddling through« bezeichnet (Bardmann 1994: 34). Aus mikropolitischer Perspektive sind Organisationen »in Wirklichkeit die Arenen heftiger Kämpfe, heimlicher Mauscheleien und gefährlicher Spiele mit wechselnden Spielern, Strategien, Regeln und Fronten. Der Leim, der sie zusammenhält, besteht aus partiellen Interessenkonvergenzen, Bündnissen und Koalitionen« (Küpper/Ortmann 1992: 7). Im Vordergrund der Überlegungen steht also nicht mehr die Frage, wie Organisationen im funktionalistischen Sinne aufrechterhalten werden. Es geht vielmehr um die Betrachtung von Dysfunktionen und Fragmentierungs- und Differenzierungsprozessen sowie um die Bildung von Gegenkulturen in Organisationen. Zumindest verliert hier die formale Organisationsstruktur für das Verhalten der Organisationsmitglieder seine strukturierende Kraft.

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Organisationskulturelle Ansätze haben die veränderte Sichtweise auf Organisationen aufgenommen und weiterentwickelt und vor dem Hintergrund soziologischer Kulturkonzeptionen reformuliert. Sie fassen Organisationen nicht als rationale Gebilde, sondern als Kulturen des Organisierens. Organisationen sind somit (Teil der) Kultur (unter anderem Dülfer 1991: 6). »Unterstellt wird aus interpretativ-soziologischer Sicht, dass die organisatorischen Bedeutungs- und Verständigungsrahmen nicht einfach existieren oder vorgegeben sind, sondern permanent von den Akteuren eines Organisationssettings geschaffen, institutionalisiert und legitimiert werden. Analytisch lässt sich der Begriff Organisationskultur bestimmen als die kontextspezifische organisatorische Konstruktion von Wirklichkeit, als ein zeichenhaft-symbolisch vermitteltes Netz von Sinnbestimmungen, Deutungsmustern und Wirklichkeitskonstruktionen« (Franzpötter 1997: 59f.).

Aus dieser Perspektive lassen sich nun in Organisationen die alltägliche Hervorbringung von Bedeutungen und die damit verbundenen Machtkämpfe, Positionierungen und Legitimationen der Organisationsmitglieder nach innen und nach außen empirisch beobachten. Profession und Organisation Innerhalb der professionstheoretischen Diskussion wird häufig die These »einer tendenziellen Unvereinbarkeit professioneller und organisatorischer Handlungsrationalitäten« vertreten (Flösser et al. 1998: 231). Organisationen würden durch bürokratische Vorgaben und Handlungszwänge die autonomen Entscheidungen von Professionellen und damit Professionalität verhindern oder zumindest schmälern. Diese Verhältnisbestimmung geht von drei Prämissen aus: Erstens sei Zweckrationalität das herausragende Merkmal von Organisationen (vgl. vorheriger Abschnitt). Zweitens sei Organisation mit Bürokratie und Administration gleichzusetzen. Drittens würden Organisationsvorgaben das Handeln ihrer Organisationsmitglieder determinieren. Viertens könne genau dann von Professionalität gesprochen werden, wenn berufliches Handeln über weitgehende autonome Spielräume verfüge. Die Unvereinbarkeitsthese von Organisation und Profession mündet dann in normative Vorstellungen, die idealtypisch konstatieren, dass weniger Bürokratie und mehr professionelle Autonomie höhere Professionalität garantieren. Organisation und Profession werden somit in einem konträren und nicht wechselseitigen Verhältnis konzeptioniert. In der professionsbezogenen Diskussion lassen sich hierbei unterschiedliche Ausprägungen vorfinden. Ulrich Oevermann geht davon aus, dass die Einbindung einer Berufsgruppe in eine Organisation durch Standardisierung der Ar-

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beitsabläufe ihre Nicht-Professionalisierbarkeit zur Folge habe (Oevermann 1996). In der Fassung von Fritz Schütze (1996) wird zwar grundsätzlich davon ausgegangen, dass professionelles Handeln in Organisationen möglich ist. Jedoch wird hier von einer entgegengesetzten Handlungsrationalität von Organisation und Profession ausgegangen, auch wenn diese nur partiell zum Tragen komme und zu den Paradoxien professionellen Handelns (in der Sozialen Arbeit) gehöre. In einer anderen Fassung sind Professionelle in hohem Maße selbst AkteurInnen von Verwaltung und Bürokratie. Bürokratische Vorgaben könnten erst dann ihre Gültigkeit entfalten, wenn sie in Interaktionen reproduziert und reaktualisiert werden (Nadai/Sommerfeld 2005). Thomas Olk (1986: 38) verweist am Beispiel der Sozialen Arbeit darauf hin, dass »formale Organisation […] die Möglichkeitsbedingung für professionelle Autonomie ist, da sie die Berufsangehörigen mit denjenigen Ressourcen versorgt, die sie für die Ausübung ihrer Berufsvollzüge benötigen.« Er weist jedoch auch darauf hin, dass »formale Organisationen […] zur Sicherung ihrer Kontrollstrukturen an der Aufrechterhaltung von Gewissheit konstitutiv interessiert« sind (ebd.: 38) und ergänzt: »Auch in diesen Fällen ist der Autonomiespielraum, der den Angehörigen einer spezifischen Profession eingeräumt wird, keine ›objektive Größe‹, sondern Gegenstand von andauernden machtgestützten Konflikt- und Aushandlungsprozessen« (ebd.: 39). Problematisch bleibt auch an diesen Beschreibungen, dass Organisation mit Verwaltung, Bürokratie und Organisationsstruktur gleichgesetzt und nur ein Teil der Organisation, quasi deren institutionelle Seite betrachtet wird. Ein anderes Verständnis vom Verhältnis von Organisation und Profession entfalten Ansätze über professionelle Organisationen. Nach diesem Verständnis befassen sich professionelle Organisationen mit nicht-routinisierbaren, unbestimmten und aktiven Arbeitsaufgaben (Klatetzki 2005: 253 f.). Die Bearbeitung dieser Probleme ist nicht durch bürokratische Vorgaben festgelegt und wird auch nicht zentralisiert von denen verantwortet, die die Vorschriften für die Arbeit bestimmen, sondern liegt »bei den einzelnen Professionellen an der ›front line‹ […], mit der Folge, dass die Organisation eine flache, horizontale Form annimmt, die idealtypisch als ein egalitäres, polykratisches Kollegium beschrieben worden ist« (ebd.: 254). Im Feld der Pädagogik finden wir außerhalb der Schule viele Handlungsfelder, die formal betrachtet kein egalitäres Kollegium darstellen, weil hier Berufsgruppen zusammenarbeiten, die formal über sehr unterschiedliche Ausbildungsabschlüsse verfügen. Die nachfolgend ausgeführte These ist jedoch, dass sich diese Kollegien als egalitär inszenieren und dabei Differenzen zwischen den MitarbeiterInnen herstellen.

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POSITIONIERT WERDEN Schon am Anfang eines Feldaufenthalts, beim Prozess des Eintretens in eine Organisation, können die EthnographInnen nicht nur die wesentlichen Grundzüge einer Organisationskultur erfahren, vielmehr werden sie von den FeldteilnehmerInnen zumeist deutlich darauf gestoßen. Der Eintritt in eine Organisation ist damit verbunden, dass EthnographInnen mit vielfachen Praktiken des Zeigens, Positionierens und Positioniert-Werdens konfrontiert werden. Im Folgenden werden solche Praktiken mit Rückgriff auf Protokolle aus zwei Projekten (Cloos 2008a, b, Cloos/Köngeter/Müller/Thole 2009) stark verdichtet dargestellt. Positionieren und die Regeln der professionellen Organisation zeigen Bärbel, Kirsten und Kira (…) haben nachgeguckt, welches der Mädchen bereits ein Geschenk vom selbst gebastelten Adventskalender bekommen hat. Dieser Kalender ist [aus Perspektive der Ethnographin] für unsere Kultur eher untypisch. Hier werde das interkulturell gefeiert, sagte Bärbel zu mir. »Wir haben hier hauptsächlich muslimische Mädchen. Sie feiern in ihrer Kultur kein Weihnachtsfest. Deswegen wird in der Einrichtung auch nicht alles auf Weihnachten ausgerichtet.«

In diesem Protokoll (im Folgenden Cloos 2008b), das am ersten Tag des Feldaufenthalts der im Forschungsprojekt arbeitenden Forschungspraktikantin Diana Gruber in einem Mädchentreff entstanden ist, entfaltet die Pädagogin »Bärbel« das pädagogische Programm der Interkulturalität, ohne dass sie von der Ethnographin dazu aufgefordert wird. Sie positioniert sich im Feld. Sie erläutert, aus welchen Gründen sich der Kalender hier von gewöhnlichen Kalendern unterscheidet. Solche Positionierungen müssen nicht offensichtlich, sondern können auch beiläufig geschehen, wie beispielsweise bei meinem eigenen Eintritt in die Jugendwerkstatt Goldstraße: Oben [geht] die Türe auf. Ein Mann im Blaumann steht in der Tür. Wir gucken uns an, nicken uns zu (…). Ich gebe ihm die Hand, stelle mich vor und sage: »Es tut mir leid, ich bin ein bisschen zu spät«. »Ja macht nichts, ist nicht schlimm«, sagt (…) Paul Fröhling. Wir gehen durch einen Flur. (…) Paul Fröhling sagt: »Ich bin dann noch mit einem Jugendlichen dran, was am Computer erklären«. Am Ende des Flurs biegen wir links ab in ein Büro. Hinter einem Schreibtisch sitzt ein Jugendlicher, den ich begrüße. Paul Fröhling: »Ich mach das noch eben fertig«. (…) Paul Fröhling fragt mich: »Wollen Sie einen Kaffee, wollen wir uns jetzt hinsetzen und uns unterhalten oder sollen wir mal rumgehen?«

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Nach einer kurzen Pause: »Ach dann gehen wir erst mal rum, dann zeige ich das alles erst mal.« Ich antworte: »Ja klar, einverstanden.«

Die Tür wird von Paul Fröhling, dem Einrichtungsleiter, und nicht von einer ›Empfangsdame‹ oder einem Sekretär geöffnet. Eine Zugangsschwelle zum Leiter, zum Beispiel in Form von Vorzimmern, muss also nicht überwunden werden. Auch die erste Interaktion lässt solche Zugangsschwellen nicht erkennen: Während die Förmlichkeit eher vom Ethnographen ausgeht, antwortet Paul Fröhling mit einem informellen »ja macht nichts«. Hinzu kommt, dass Paul Fröhling vor dem Gespräch mit dem Ethnographen sein Vorhaben mit einem Jugendlichen zu Ende führt. Der Einrichtungsleiter demonstriert dem Ethnographen einen hohen Aktivitätsgrad, denn der angekündigte Besuch hindert ihn nicht, zwischendurch einen Jugendlichen in PC-Kenntnisse einzuweisen. Nicht nur durch die Form der Begrüßung, sondern auch im Zeitmanagement zeigt sich somit ein eher informeller Umgang mit BesucherInnen. Die Informalität unterstreicht auch der Blaumann, den der Einrichtungsleiter trägt. Dieser zeigt dem Ethnographen aber auch auf, dass der Leiter nicht nur mit Büro- und Leitungsaufgaben, sondern auch mit der direkten Arbeit mit den Jugendlichen in der Werkstatt befasst ist. Nachfolgend führt der Einrichtungsleiter den Ethnographen in die Werkstätten der Einrichtung. Dabei wird Handeln in der Jugendwerkstatt als methodisch durchdachtes und innovatives Handeln demonstriert. Mit Stolz wird eine bebilderte Anleitung für die Herstellung von Werkstücken erläutert, durch die die Jugendlichen in den Werkstätten Selbstständigkeit erlernen sollen. Während Paul Fröhling dem Ethnographen diese Methode erläutert, zeigt er gleichzeitig das zentrale Anliegen der Jugendwerkstatt auf. Ihr Ziel ist die Vermittlung der Fähigkeit, selbstständig Anweisungen abzuarbeiten. Auf diese Weise werden die Jugendlichen auf die Erfordernisse des Arbeitslebens in einer Werkstatt vorbereitet. Dem Fremden begegnen und ihn in pädagogische Diskurse einbeziehen Die Zeigepraktik des Einrichtungsleiters Paul Fröhling kann aber auch als ein Versuch verstanden werden, den Ethnographen in einen pädagogischen Diskurs einzuspannen. Bei unserer Ethnographie der Kinder- und Jugendarbeit (Cloos/ Köngeter/Müller/Thole 2009) werde ich in einem offenen Spieltreff für Kinder als Ethnograph von einer Honorarkraft auf das dort übliche Ritual des Verteilens von Süßigkeiten am Ende des Tages angesprochen.

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Thomas fragt mich: »Wie findest du das eigentlich, dass hier so Süßigkeiten verteilt werden, also richtig pädagogisch ist es ja nicht.« Ich überlege kurz: Gibst du jetzt ein Statement dazu ab oder nicht?

Die Honorarkraft will vom Ethnographen nicht nur wissen, wie er sich gegenüber der Verteilung von Süßigkeiten positioniert, sondern drückt gegenüber dem Ethnographen seine eigene Position im Organisationsgefüge aus. Als Honorarkraft hat er die Regel nicht festgelegt. So fällt es ihm auch nicht schwer, sich als ein Anderer in der Organisation darzustellen. Das Positionsgefüge aufzeigen Auch in der Jugendwerkstatt zeigt mir Paul Fröhling das Positionsgefüge innerhalb der Einrichtung auf: Auf dem Weg durch die Räume treffen wir die verschiedenen MitarbeiterInnen der Einrichtung. Jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin werde ich kurz vorgestellt. Wir treffen auch die Sozialpädagogin Anja Schell. (…) Paul Fröhling stellt mich vor. (…) Paul Fröhling zu Anja Schell: »Willst du nicht noch dazu kommen gleich? (…) Ich mache jetzt erst noch mal ne Führung«. Dann gehen wir weiter. (…) In der Küche treffen wir die Sozialpädagogin Carolin Weber. Zu ihr sagt er: »Dann ist erst mal die Anja dabei, nee, das reicht erst mal«.

Die Vorstellung der MitarbeiterInnen entspricht jeweils einem ritualisierten Ablaufmuster: Paul Fröhling stellt vor und fügt hinzu, dass über die Einrichtung eine Dissertation geschrieben werden soll. Danach wird der Ethnograph begrüßt, ohne dass ein Gespräch folgt. Unter anderem wird die Sozialpädagogin Anja Schell vorgestellt, die Paul Fröhling bittet, an dem nachfolgenden Gespräch mit dem Ethnographen teilzunehmen. Die Anfrage wird vorsichtig und betont höflich gestellt. Carolin Weber indes verweist er darauf, dass Anja Schell schon an dem Gespräch teilnimmt und dass sie aus diesem Grunde nicht auch noch dazukommen bräuchte. Ihre Nicht-Teilnahme ist begründungsbedürftig, die der anderen MitarbeiterInen jedoch nicht. Im anschließenden Gespräch im Büro des Leiters Paul Fröhling unterstreicht dieser seine Zuständigkeit, an der Schnittstelle zwischen Innen- und Außenwelt zu operieren. In dieser Funktion führt er den Fremden durch die Einrichtung und führt maßgeblich das Eingangsgespräch. Anja Schell beteiligt sich nur wenig an der Unterhaltung. Sie übernimmt hier die Rolle der zusätzlichen Kommentatorin, die die Aussagen von Paul Fröhling ergänzt. Insgesamt wird mir als Ethnographen deutlich gezeigt, dass den MitarbeiterInnen in der Organisation unterschiedliche Aufgabenbereiche zugeteilt sind.

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In der Studie wurde diese unterschiedliche Aufgabenzuteilung als die interaktive Herstellung von Aufgabenhierarchien gekennzeichnet. Diese Aufgabenhierarchien können aber müssen sich nicht an formalen Organisationsstrukturen orientieren. Die Aufgabenhierarchie sieht im Falle der Arbeit an der Schnittstelle von Innen- und Außenwelt folgendermaßen aus: Paul Fröhling ist zentraler Gestalter dieser Schnittstelle, Anja Schell kann dies kommentierend begleiten, Carolin Weber könnte auch daran mitwirken und der Rest der Organisationsmitglieder ist in der Regel davon ausgeschlossen. Die AdressatInnen im Positionsgefüge Dann habe ich Paul Fröhling und Anja Schell über mein Vorhaben der Beobachtung informiert und dazu hat dann auch Anja Schell etwas gesagt. Sie würde nur darum bitten, wenn ich Kritik üben wollte, sollte ich das nicht vor den Jugendlichen machen. Das Team sei wie eine Mauer und das wäre dann nicht gut.

Im weiteren Verlauf des Gespräches bittet Anja Schell mich darum, nicht vor den Jugendlichen Kritik zu äußern, weil das Team »wie eine Mauer« zusammenstünde. Auch hier wird dem Ethnographen das Organisationsgefüge aufgezeigt. Dieses zieht zwischen dem Team und den Jugendlichen eine klare Trennlinie. Die Inszenierung von Gemeinsamkeit dient als pädagogisches Mittel beim Umgang mit den Jugendlichen. Sie entspricht einer pädagogischen Alltagstheorie, bei der angenommen wird, dass Differenzen im Team intern gelöst werden müssen, weil sonst die Gefahr drohe, dass Kinder und Jugendliche Meinungsverschiedenheiten zu ihren Gunsten ausnutzen. Das Team als geschlossenes System bietet den Jugendlichen aber auch einen verlässlichen Orientierungspunkt, den es zu bewahren gilt. Die sich hieran anschließende berufsbezogene Leitlinie lautet: Professionell sein heißt, gegenüber den Jugendlichen die Gemeinsamkeit des Teams zu wahren.

S CHLUSSFOLGERUNGEN : D IE H ERSTELLUNG VON D IFFERENZ IN PROFESSIONELLEN O RGANISATIONEN Aus der Diskussion der in diesem Beitrag vorgestellten professions- und organisationstheoretischen Positionen lassen sich das Verhältnis von Organisation und Profession in einer alternativen Weise bestimmen und daraus Konsequenzen für die Beschreibung der Herstellung von Differenzen in professionellen Organisationen ableiten.

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Erstens sind Professionen in Berufssysteme eingebunden, die nach innen und nach außen ihre professionellen autonomen Spielräume in mehr oder weniger machtvollen Auseinandersetzungen durchzusetzen versuchen und dabei distinktiv Differenzen erzeugen. Im Fall der Pädagogik haben wir es – insbesondere außerhalb der Schule – mit komplexen Berufssystemen zu tun, die häufig nicht durch eindeutige Laufbahnen, feste Aufgabenteilungen und Amtshierarchie geprägt sind, sodass die eigenen, nicht immer klar definierten Spielräume miteinander verstärkt ausgehandelt werden müssen. Zweitens sind Organisationen keine rationalen Gebilde und können auch nicht auf Bürokratie und Organisationsstruktur reduziert werden. Vielmehr sind Organisationen aus organisationskultureller Perspektive Orte der alltäglichen Hervorbringung von Bedeutungen und damit verbundener Machtkämpfe, Positionierungen und Legitimationen der Organisationsmitglieder nach innen und nach außen. Vor dem Hintergrund einer organisationskulturellen Sichtweise kann somit Organisation nicht als Widerpart professionellen Handelns, sondern als ein alltägliches Hervorbringen der Organisationsmitglieder begriffen werden. Drittens haben gesellschaftliche Modernisierungsprozesse eine stärkere organisationale Einbindung von Professionen zur Folge. Dies führt jedoch nicht zu einer Deprofessionalisierung, sondern vielmehr zur Herausbildung von professionellen Organisationen. Professionelle Organisationen stellen eine Möglichkeitsbedingung für professionelle Autonomie dar, weil sie den Professionellen den Spielraum eröffnen, Verantwortung für das eigene Handeln in eher hierarchisch flachen Kollegien zu gestalten. Die hierarchisch flach organisierten Kollegien stellen Aushandlungsarenen dar, in denen habituell Gemeinsamkeit inszeniert und Unterschiede hergestellt werden.2 Für die Organisationsethnographie ergibt sich aus den vorgestellten Überlegungen, dass in einer Organisation insbesondere am Anfang eines Feldaufenthalts Positionierungen besonders gut beobachtet und rekonstruiert werden können, denn für die FeldteilnehmerInnen hält die Enkulturation von Fremden besondere Herausforderungen bereit. Der Nähe der Fremden wird damit begegnet, dass nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden gesucht wird. Herbert Kalthoff (1997: 259) schreibt hierzu: »Dem Beobachter nachträglich Kommentare zu entlocken, ist ein Versuch, Einblicke in seine ›andere Welt‹ zu erhalten«. Gleichzeitig ist dies aber auch als ein Versuch zu werten, sich der eigenen Position zu

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Im Pädagogischen Feld haben wir es möglicherweise jedoch mit Berufsgruppen zu tun, deren professionelle Autonomie weniger deutlich als bei anderen Professionen durch eine gesellschaftliche Elite abgesichert wird. Dies zu untersuchen, sollte jedoch Gegenstand weiterer empirischer Studien sein.

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vergewissern. In pädagogischen Feldern gelingt dies besonders gut, wenn die EthnographInnen in pädagogische Diskurse um die Frage nach gutem und schlechtem pädagogischen Handeln eingebunden werden. Beim Eintritt in die Organisation zeigen deren Akteure den Forschenden die organisationalen Regeln, Leitlinien und Programme. Zum einen verhalten sich die AkteurInnen in pädagogischen Organisationen nicht anders, als in anderen Feldern. Im Sinne Pierre Bourdieus (1987) geht es den Organisationsmitgliedern darum, zum einen ihre Position in der Organisation und zum anderen die Position der Organisation im Handlungsfeld darzustellen und distinktiv von anderen Positionen abzugrenzen. Zum anderen können diese Praktiken des Zeigens in professionellen Organisationen mit einer höheren »Begründungsverpflichtung« (Oevermann 1996: 124) oder auch einer gesteigerten »Kompetenzdarstellungskompetenz« (Pfadenhauer 2003) in Zusammenhang gebracht werden. Nach Michael-Sebastian Honig und Sascha Neumann (2004) können sie auch als spezifischer Ausdruck des pädagogischen Feldes angesehen werden, denn hier werden permanent Diskurse darüber geführt, was pädagogisch gut oder schlecht ist. FeldforscherInnen in pädagogischen Feldern werden in diese Diskurse einbezogen. Die von uns ethnographisch beobachten pädagogischen Organisationen – außerschulische Kinder- und Jugendeinrichtungen, Jugendwerkstätten und Kindertageseinrichtungen – können als professionelle Organisationen beschrieben werden, weil sie flache Hierarchien herausbilden und sich relativ ausgedehnte autonome Spielräume sichern können. Hierbei wurde insbesondere in der eigenen Studie zu den beruflich-habituellen Unterschieden von MitarbeiterInnen in der Kinder- und Jugendhilfe (Cloos 2008a) herausgearbeitet, dass Organisationen Orte der Inszenierung von Gemeinsamkeit und der gleichzeitigen Herstellung von Unterschieden sind. Orientierung bot dabei Pierre Bourdieus Habituskonzept, der den Habitus als das »Dispositionssystem sozialer Akteure« (Schwingel 1998: 53) und als »Erzeugungsprinzip« (Bourdieu 1987: 278) sozialer Praxisformen betrachtet, das Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata hervorbringt. Da in Organisationen unterschiedliche Berufsgruppen und unterschiedlichste Habitusformationen zusammenkommen, ist von einer Vielfalt der habituellen Homogenitäten auszugehen, die wiederum unterschiedlichste widerstreitende Wahrnehmungs-, Deutungs- und Handlungsschemata erzeugen (Cloos 2008a). Die Anbindung des Organisationskulturkonzeptes an die Habitustheorie ermöglichte die Bestimmung der Organisationskultur als ein habituell vermitteltes Gefüge, in welchem der Einzelne ein Gespür für »den Platz, an dem man steht« (Bourdieu 1997: 110) entwickelt. Organisationell werden den Organisationsmitgliedern jeweils unterschiedliche Positionen und Aufgabenbereiche zu-

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gewiesen. Diese Aufgabenhierarchien machen Handlungen erwartbar und begrenzen Ungewissheit. Die Inszenierung von Gemeinsamkeit erfüllt angesichts der bestehenden habituellen Positionen zwischen den Organisationsmitgliedern dabei den Sinn, dem Team, den KlientInnen und der organisationalen Außenwelt Handlungsfähigkeit und Geschlossenheit zu demonstrieren.

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(Un-)Doing Ethnicity im Unterricht – Wie Schüler/innen Differenzen markieren und dekonstruieren Y ALIZ A KBABA

E INLEITUNG Ganz in der Absicht, einem Schüler für dessen Türkisch-Kenntnisse Anerkennung zu zollen, fragt eine Lehrerin diesen nach dem türkischen Wort für Marienkäfer. Mit diesem Beispiel illustriert Till-Sebastian Idel (2010) den widersprüchlichen Charakter von Adressierungen: Beabsichtigt war zwar die Anerkennung des Schülers als Experte für exklusives Wissen. Als der Schüler aber die Antwort nicht kennt und die Lehrerin die Situation auch nicht aufzuklären weiß, zieht deren gute Absicht gegenteilige Folgen nach sich und exponiert den Schüler als Nicht-Wissenden. Idel folgert, dass die Alternative zu beiläufigen und spontanen Anerkennungsgesten differenzsensibler Art sein könnte, dass die Lehrer/innen die lebensweltliche Bezugnahme im Vorfeld besser reflektieren und didaktisch geplant vollziehen sollen. Weil aber Interaktionsdynamiken im Unterricht so komplex sind und interkulturell konnotierte Situationen viele Fallstricke aufweisen, können Lehrer/innen differenzielle Adressierungen noch so gut reflektieren, ihre Verhandlung seitens der Schüler/innen bleibt ungewiss. Dieser Artikel legt daher das Augenmerk auf die Schüler/innen und auf das Handlungsrepertoire, das ihnen zur Verfügung steht, um auf ethnische Differenzmarkierungen zu reagieren. Gefragt wird: Wie und mit welchem Ergebnis verhandeln sie Differenzmarkierungen? Den theoretischen Bezug der Analyse bilden jene Ansätze der Interkulturellen Pädagogik, welche die Anerkennung von Differenzen als unauflösbare Am-

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bivalenz problematisieren: In der Anerkennung des Anderen wird zugleich die Andersartigkeit produziert. Über die Anerkennung des Anderen werden oft Unterscheidungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen aufgemacht, die mit jeweils unterschiedlichen Wertigkeiten versehen sind. Das strukturelle Dilemma der Anerkennung von Differenz ergibt sich somit aus der Absicht, Differenz zu berücksichtigen, und der Gefahr, Zuschreibungen vorzunehmen, durch die wiederum Dominanzverhältnisse bestätigt werden (vgl. Mecheril/Plößer 2009: 198f.). Aus diesem theoretischen Bezug ergeben sich für die vorliegende Analyse diese Fragen: Wie kann der ethnische Hintergrund von Schüler/innen anerkannt werden, ohne dass sie darauf festgelegt werden? Ist Differenzsensibilität möglich, ohne Essentialisierung und Ausgrenzung in Kauf nehmen zu müssen?

›E THNIE ‹

UND › DOING ETHNICITY ‹

Ganz im Trend der Praxiswende in den Geistes- und Sozialwissenschaften (vgl. Schatzki/Knorr-Cetina/Savigny 2001) meint ›doing‹ all jene interaktiven Konstruktionsprozesse, in denen entlang eines Kriteriums Bedeutungen hergestellt werden, die ihre soziale Relevanz wiederum durch permanente Bezugnahme reproduzieren. Im vorliegenden Beitrag geht es um die Kategorie Ethnie. Der Begriff stellt den Gegenstandsbereich der Ethnologen dar, die den Neologismus mit der aus dem Griechischen abgeleiteten Bedeutung ›Volk‹ verwenden, um Stämme zu größeren sozialen Einheiten zusammenzufassen, wenn sie nicht in abgrenzbaren Staaten lebten, sich aber in Sprache, Kultur, Religion und kollektiver Selbstdefinition ähnlich seien (vgl. Nieke 2008: 38). Ethnie ist somit eine von außen festgestellte Kategorie, auf die aber auch zurückgegriffen wird, wenn die Lebenslage zugewanderter Minoritäten analysiert wird (vgl. ebd.: 39). Diese von außen zugeschriebene Kategorie kollidiert mit der interaktionistischen Einsicht, dass Ethnie nicht als natürlicher Unterschied zu sehen ist, sondern als Zugehörigkeit erworben wird: Ethnische Zugehörigkeit ist wie Geschlechtszugehörigkeit eine soziale Konstruktion (vgl. ›Doing Gender‹ von West/Zimmerman 1987, weiterentwickelt in ›Doing Difference‹ West/Fenstermaker 1995). Wie Geschlechtszugehörigkeit unterliegt also auch Ethnizität einer permanenten Relevanzsetzung durch die alltägliche Unterscheidungspraxis (vgl. Diehm 2000). Sie strukturiert Wahrnehmung und schreibt sich in das Denken, Fühlen, Handeln und die Körper der Menschen ein. Verhalten wird auf diese Weise typisiert und habitualisiert. Analog zu ›doing culture‹ (vgl. Hörning/Reuter 2004) steht ›doing ethnicity‹ als Sammelbegriff für das Dickicht, in

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dem Ethnie zum praktischen Einsatz kommt und mit Rückgriff auf Ethnie Selbst- und Fremdabgrenzungen praktisch vollzogen werden (ebd.: 10).

M ETHODISCHES V ORGEHEN Der zu analysierende Auszug stammt aus einem Beobachtungsprotokoll, das während der ersten etwa einjährigen Feldphase eines ethnographischen Dissertationsprojekts1 entstanden ist. Die ethnographische Datenerhebung erfolgte in Form von Feldnotizen, deren Übertragung in verdichtete Beschreibungen (Geertz 2012) schließlich das Feldprotokoll als Datenträger ergaben. Diese Beobachtungs- und Reflexionspraxis folgt dem Ziel, die komplexe soziale Wirklichkeit durch die Reduktion in Verschriftlichung für die Bearbeitung, Nachbetrachtung und Reflexion zu konservieren (vgl. Atkinson 2006, Breidenstein 2006, Emerson/Fretz/Shaw 2010, Hünersdorf/Maeder/Müller 2008). Diesen durchaus selektiven Beobachtungsprozess versteht die Ethnographie zugleich als Stärke: Mit steigender Intensität der Erfahrungen im Feld bringt die teilnehmende Beobachtung den Vorteil, in der originalen Situation das zu fokussieren, was für theoretische Analyseperspektiven anschlussfähig erscheint. Im ethnographischen Forschungsprozess verschränken sich demnach Erhebungs- und Auswertungsphasen. Die offenen Beobachtungen unterrichtlicher und anderer schulischer Situationen wurden mit den Kodierungsmethoden der Grounded Theory (Glaser/Strauss 1998) und mit theoretischer Sensibilität in theoretische Kontexte übersetzt, mit dem Ziel, Phänomene mit erziehungswissenschaftlicher Terminologie und unter Einbeziehung vorhandener Konzepte und Theorien zu analysieren und neue analytische Ideen zu generieren. Während das Dissertationsprojekt im Fokus hat, welche Interaktionsambiguitäten beim Handeln von Lehrer/innen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Migrationshintergrund sichtbar werden und welche Umgangsstrategien zu beobachten sind, ergab sich durch die offene und explorativ angelegte Beobachtungsstrategie auch die Möglichkeit, in Protokollpassagen herauszuarbeiten, wie Schüler/innen mit hergestellten Differenzen umgehen. Das Differenzmanagement der Schüler/innen steht im Folgenden im Zentrum der Analyse.

1

Das Dissertationsprojekt trägt den Titel: »Anforderungsambiguitäten und Umgangsstrategien von Lehrerinnen und Lehrern mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Migrationshintergrund«.

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»A RE

YOU G REEK ?« UND RELATIVIEREN

– D IFFERENZEN

MARKIEREN

Der erste Protokollausschnitt entstammt einer teilnehmenden Beobachtung im Englischunterricht einer fünften Klasse einer Gesamtschule im Vorort einer deutschen Großstadt. Die Schule liegt in einem sozialstrukturell benachteiligten Umfeld mit hoher Arbeitslosenquote in der Bevölkerung. Begleitet wurde eine Lehrerin, die sich selbst als Lehrerin mit türkischem Migrationshintergrund bezeichnet. Sie unterrichtet seit einigen Wochen in dieser Klasse, die aus 16 Schülerinnen und Schülern besteht. Die Beobachterin ist den Schüler/inne/n mittlerweile bekannt und sitzt in der hinteren Reihe des Klassenzimmers. Beschrieben wird eine Sequenz kurz nach Beginn des Unterrichts. »(…)Die Schüler/innen bekommen von der Lehrerin einen Arbeitsauftrag. Die Aufgabe aus dem Englischbuch heißt ›Let`s talk: More about my family‹, die Buchseite ist übertitelt mit ›People countries languages.‹ Die Aufgabe gibt einen Dialog in Form eines Lückentexts vor, den die Schüler/innen mit wechselnden Partner/innen und in wechselnden Rollen aufführen sollen. Der Dialog lautet: ›A: Where are you from? B: I’m from… I’m… A: Where’s your family from? B: My family is from… They’re… A: Where is your grandma/grandpa from? B: My grandma/grandpa is from… They’re…‹ Über der Aufgabe sind Flaggen verschiedener Länder abgebildet. Diese Flaggen können den zugehörigen Ländernamen und Sprachen in einer Tabelle zugeordnet werden. Die Aufgabe trifft auf großes Engagement, von überall ist zu hören ›I’m from…‹ und Länder wie ›Marocco‹, ›Germany‹, ›Turkey‹. Die Schüler/innen führen den vorstrukturierten Dialog sehr mechanisch auf und kontrollieren sich gegenseitig streng: Überspringt der/die Partner/in eine Frage, weist der/die andere Schüler/in gleich darauf hin, dass er oder sie sich an die Reihenfolge der Fragen zu halten habe. Für einige Minuten sind alle Anwesenden in Partnerarbeit und die allermeisten bearbeiten die Aufgabe einerseits mit viel Elan, andererseits mit viel Ungeduld, denn kaum ist der Dialog beendet, eilen sie bereits zum/r nächsten Partner/in. Sheila stellt laut eine Frage: ›Kommt hier irgendjemand aus Russland?‹ Die Lehrerin entgegnet: ›Sheila, das gehört jetzt überhaupt nicht hier rein, ich will nicht, dass ihr ständig rein ruft.‹ Sheila: ›Was soll ich ausfüllen? Ich bin hier geboren.‹ Die Lehrerin: ›Ja, genau.‹ Sheila: ›Aber meine Mutter ist aus Portugal, mein Vater aus Amerika.‹ Lehrerin: ›Ja. Dann schreibst du das so hin.‹ Ein Junge aus den vorderen Reihen fragt die Lehrerin: ›Was soll ich schreiben? Kann ich schreiben: I’m from Greece but I’m Tur-

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kish?‹ Die Lehrerin bejaht. Aus der hinteren linken Ecke des Klassenzimmers fragt Antonia: ›Was heißt halb auf Englisch?‹ Sie fragt sehr leise, die Lehrerin hat sie nicht gehört. Inzwischen wechseln wieder die Paare und wieder ist von überall ist zu hören ›I’m from…‹ Die Partnerarbeit wird beendet, die Lehrerin lobt die Schüler/innen: ›Das habt ihr gut gemacht.‹ Es folgt eine benotete Überprüfung im Plenum. Die Lehrerin sitzt an ihrem Pult um sich Noten in ein Heft zu notieren. Die Schüler/innen scheinen das Vorgehen wiederzuerkennen und viele melden sich ambitioniert und wollen für eine DeutschEnglisch-Übersetzungsleistung benotet werden. Die Lehrerin fragt nach der Übersetzung von Sätzen wie: ›Wir kommen aus Griechenland‹, ›Meine Schwester ist türkisch‹, ›Meine Großeltern sind auch aus Marokko‹, ›Sind Sie Türkin?‹ Nach Übersetzung von etwa drei Sätzen wird der geprüfte Schüler benotet und eine andere Schülerin wird zur Bewertung aufgerufen. Die Kriterien für die Bewertung bestehen daraus, das ›to be‹ in die richtige Form zu setzen und die englischen Ländernamen oder eben ihre adjektivische Entsprechung richtig zu verwenden. Nedim, ein Junge aus der vorderen Reihe, wird nun abgeprüft und soll antworten auf: ›Are you Greek?‹ Nedim: ›Yes, I am.‹ Die Antwort fällt mir auf, weil Nedim für die Paarübung die Formulierung ›I’m from Greece but I’m Turkish‹ gewählt hatte. Hinter Nedim und vor mir sitzt Pelin. Sie will jetzt auch aufgerufen werden, um die Wette mit Nedim zu gewinnen, wer besser Englisch könne. Auf die Nebengespräche zwischen den Schüler/innen, in denen zum Beispiel die Wette abgeschlossen wurde, reagiert die Lehrerin nicht. Pelin macht einen Fehler mehr und bekommt daher eine zwei, etwas schlechter als Nedim mit einer eins minus. Es kommt zu einem kurzen Aufruhr, denn Nedim feiert sich jetzt, während Pelin sich gegen eine vorschnelle Entscheidung der Wette auflehnt(…)«

Zunächst lässt sich die Übung als wohlwollende Aufgabe interpretieren, die differenzsensibel die Vielfalt der im Klassenzimmer befindlichen Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf heterogene Einwanderungsgeschichten anerkennt und für die Darstellung der eigenen und familiären Herkunft Raum und Zeit bietet. Der lebensweltliche Bezug zu den Schüler/innen ist mit Lerninhalten aus dem Lehrplan Englisch verknüpft: ›to be‹ soll korrekt konjugiert, die englischen Vokabeln zu Ländernamen und ihren adjektivischen Entsprechungen gelernt werden. Ähnlich wie im Marienkäfer-Beispiel erzeugt die Aufgabenstellung eine Differenz, indem sie nationale Markierungen aktiviert und aktualisiert (vgl. Bukow/Llaryora zit. nach Weißköppel 2001: 59). Die Differenz ist der Situation insofern vorgängig, als dass sie an Elemente des öffentlichen Diskurses über die nationale und ethnische Heterogenität von Schülerschaften anknüpft. Heterogenität gilt als von außen festgestelltes Konstrukt, das in Relation zu den Normalitätsvorstellungen des Betrachters entsteht. Die Verfasser der vorliegenden Schul-

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aufgabe betrachten ihre Adressatinnen und Adressaten also unter den Heterogenitätsdimensionen von Nation, Ethnie und Sprache. Nun entspricht die ausgewählte Differenzdimension auch realen Gegebenheiten. Die Schülerinnen und Schüler finden Antworten auf die Fragen, wo ihre Eltern herkommen und welche Sprache entsprechend dazugehört. Gäbe es diese Entsprechung nicht, würde wiederum die Aufgabenstellung nicht die erhoffte Verwendung all der vorgeschlagenen Ländernamen und Sprachen erbringen. Stellt man sich als überspitzten Kontrast eine Dorfschule in Unterfranken vor, könnte die Aufgabe so verlaufen: »Where are you from?« »I’m from Unsleben. My father is from Wollbach, my mother is from Oberelsbach. My grandmother and grandfather are from Oberelsbach. I am Franconian. I speak Franconian.« Jetzt wird deutlich, dass die Aufgabenstellung im Protokoll die Differenz nicht lediglich erzeugt, sondern sich auch die vorgängig existierende Differenzlinie basierend auf Ethnizität zunutze macht. Frank-Olaf Radtke beschreibt Ethnizität als »sozialen Abgrenzungstatbestand«, der »zur (Selbst-)Identifikation oder von anderen zur (Fremd-)Kategorisierung einer Gruppe von Menschen benutzt werden kann« (Radtke 2008: 653). Der Begriff Abgrenzungstatbestand scheint hier dienlich: Er bezeichnet mit Abgrenzung einen Prozess (wenn man so will den des ›doing‹) und mit Tatbestand zugleich das Ergebnis ›ethnicity‹. Ethnizität als Selbst- und Fremdabgrenzung von Minoritäten existiert in der Klasse bereits als Denkmuster. Forcing ethnicity Während ›doing‹ alle im Besonderen auch subtilen Praktiken der Bedeutungsherstellung meint, handelt es sich bei der vorliegenden Aufgabe um mehr als implizite Zuschreibungen. Die Differenzmarkierung bekommt ihre große Wirkmächtigkeit durch die Explikation von Fragen nach Herkünften der Adressaten und ihrer Familienangehörigen. Nach der Erzeugung der Differenz fordert das Format der Aufgabenstellung die Schüler/innen dann noch auf, Markierungen entlang ethnischer Differenzlinien selbst vorzunehmen und in Dialogform zu reproduzieren. Mit dem Analyseblick des forcing ethnicity kommt eine andere Interpretation der Aufgabe in den Blick: Die Lebenswelten der Schüler/innen werden instrumentalisiert. Die Vokabeln werden auf Kosten einer verkürzten Realitätsdarstellung gelernt, in der die Schüler/innen ethnisiert werden. Im fiktiven Kontrastbeispiel aus der unterfränkischen Schule wird neben der Verwendung von ›to be‹ nichts Weiteres gelernt. Es geht also nicht primär um Lebenswelten der Schüler/innen, sondern um solche Bezugspunkte, die sich als ethnisch different markieren lassen. Die Verortungen werden nicht mit spezifischer Bedeutung

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wie etwa Kulturwissen gefüllt. Dieser von allen Sinnzusammenhängen befreite Dialog ist daher auch in einem anderen Kontext schwer vorstellbar. Die Frage »Where are you from?« ist in einer Situation vorstellbar, in der sich zwei Personen neu oder näher kennenlernen. Für diese Vergleichssituation sind allerdings die weiteren Fragen zur Herkunft der Familie über zwei Generationen hinweg unpassend und führen weg vom Kennenlernen der Person. Vorstellbar wären diese Fragen in einem Formular, etwa zur behördlichen Feststellung der nationalen Herkunft einer Person, ähnlich wie zum Nachweis der Abstammung von deutschen Volkszugehörigen in der ehemaligen Sowjetunion, die zur Einbürgerung in Deutschland benötigt wurde. Aus der Perspektive der Interkulturellen Pädagogik erinnert die Frage an den »Herkunftsdialog«. Der von Santina Battaglia (2000) so bezeichnete Dialog steht in Erwartung einer ganz bestimmten Antwort des Dialogpartners und gilt erst als geschlossen, wenn die Antwort gemäß den Erwartungen des Fragenden erfolgte. Der Herkunftsdialog verweist die Person in eine Zugehörigkeit außerhalb (etwa) Deutschlands, macht nationale Kultur oder Ethnie zum vordergründigen Merkmal der Person und entindividualisiert sie damit. Der Dialog findet meist zwischen Mehrheits- und Minderheitsangehörigen statt, in einer asymmetrischen Beziehungsstruktur also. Eine Asymmetrie besteht auch im Fall des Dialogs zwischen Lehrerin und Schüler/innen. Allerdings findet die Aufgabe die meiste Zeit als Partnerübung zwischen Schülerinnen und Schülern statt. Hier besteht keine asymmetrische Beziehung. Zu schlussfolgern wäre, dass der Herkunftsdialog für zukünftige Situationen einstudiert wird. Oder stehen der Partner und die Partnerin stellvertretend für die Lehrerin, für die die Schüler/innen die Aufgabe eigentlich erledigen? Die mechanische und pflichtbewusste Ausführung der Aufgabe unter exakter Befolgung des Skripts sprächen dafür. Die Differenzierung der Differenz Im Folgenden wird der Schüler Nedim eingehender betrachtet und die Frage gestellt, wie er sich zum Herkunftsdialog positioniert. Der Schüler nimmt die Aufforderung der Aufgabe mit Enthusiasmus an und verortet sich und seine Eltern und Großeltern national. Das Aufgreifen der ethnischen Unterscheidung ist zunächst als Selbstethnisierung zu deuten. Die vorgegebene Differenzierung nach nationaler Herkunft reicht Nedim aber nicht aus und er erweitert sie um die ethnische Komponente, als er fragt: »[…] Kann ich schreiben: ›I’m from Greece but I’m Turkish?‹« Seine Klassenkameradinnen treffen auch differenziertere Aussagen, deren korrekte Artikulation in der gewünschten Zielsprache sie suchen, etwa als Sheila ihre Unsicherheit in der Frage ausdrückt: »Was soll ich ausfüllen? Ich bin hier geboren.« Die Lehrerin: »Ja, genau.« Sheila: »Aber meine Mutter ist

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aus Portugal, mein Vater aus Amerika.« Lehrerin: »Ja. Dann schreibst du das so hin […]«, und auch Antonia, auch wenn ihre Frage von der Lehrerin nicht wahrgenommen wurde: »Was heißt ›halb‹ auf Englisch?« Vor dem Hintergrund der sehr einfachen Hilfsmittel, die den Schüler/innen für die Differenzmarkierung an die Hand gegeben wurden, sind dies kreative Eigenleistungen. Sie differenzieren die Differenzierung auf eigenen Wegen aus, denn, wenn schon differenzieren, dann doch differenziert. Die Schüler/innen erweitern zwar die eigene Einordnung in zwei statt einer Nation und differenzieren zwischen nationaler und ethnischer Zugehörigkeit. Ihre Selbstmarkierungen nehmen sie dennoch innerhalb Ethnie als bereits eingeführter Differenzlinie vor. Eine selbstbestimmte Platzierung außerhalb der vorgängig eingeführten Deutungsmuster ist allerdings in dem unterrichtlichen Setting schlecht vorstellbar. Aufschlussreicher ist daher zu sehen, dass Nedim unverhofft ein alternatives Deutungssystem heranzieht: Während die Aufgabenstellung dichotome Unterscheidungslinien bemüht und vorgibt, entweder das eine oder das andere sein zu können, deutet Nedim Identität als wechselhaft und seine eigene aus mindestens zwei Komponenten bestehend. Dass ethnische Zugehörigkeit im interaktionistischen Sinn erworben wird, treibt Nedim auf die Spitze: Gerade noch Grieche, wird er »im Nu« zum Türken. Betrachtet man Nedims alternatives Deutungssystem aus der Perspektive des »Schülerjobs« (vgl. Breidenstein 2006), fällt seine Deutung nüchterner aus. Diese Perspektive zieht in Betracht, dass Schüler/innen einen instrumentell-strategischen Umgang mit Schule hegen, weil sie praktischen Anforderungen entsprechen müssen. »Man tut, was zu tun ist, ohne damit (vollständig) identifiziert zu sein.« (ebd.: 11). In diesem Sinne fügen sich die Schüler/innen den Mitgliedschaftsbedingungen der Institution Schule und machen mit, weil sie mitmachen sollen. Die schulischen Rahmenbedingungen werden für die Schüler/innen dann am virulentesten, wenn es um die Leistungsüberprüfung geht. Die Ebene, auf der die Handlungsstrategie jetzt greifen muss, ist die akute Benotungssituation, in der sich Nedim – noch zugespitzt im Rahmen einer Wettbewerbssituation mit Pelin – befindet. Erwartungsgemäß muss auf die Frage der Lehrerin »Are you Greek?« eine Verneinung folgen. Die ausdifferenzierte Antwort erfordert die Verneinung, »No, I’m not«, die Korrektur der ethnischen Zugehörigkeit in »I am Turkish« und, bleibt er seiner Differenzierung treu, auch dem komplizierten Zusatz »but I am from Greece.« Im Vergleich zur Möglichkeit, seine Identität zu leugnen, sind diese sprachlichen Anforderungen hoch. Seine Antwort fällt strategisch nachvollziehbar risikoscheu aus: »Yes, I am.« Eine praktische Lösung für ein praktisches Problem.

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Während ich zu Beginn die Aufgabe noch im Sinne einer Würdigung des lebensweltlichen Bezugs interpretierte, entpuppt sich jetzt die Frage nach dem Sein als Scheinfrage. Es war ein Spiel, das der gewinnt, der die Schulregeln kennt und sich an sie hält. Dekonstruktion Am Beispiel von Nedim wurde bis jetzt gezeigt, wie Schüler/innen mit von außen gesetzten Differenzen umgehen, indem sie Markierungen aufgreifen, aber auch relativieren und ausdifferenzieren. Mit diesen Umgangsstrategien werden Differenzen grundsätzlich erhalten. Eine dazu gegensätzliche Umgangsstrategie könnte sein, die Differenzen zu dekonstruieren. Ist in der Situation mit Nedim eine Differenzdekonstruktion zu erkennen? In erster Linie dekonstruiert Nedim seine eigene Differenzierung, als er in der Bewertungssituation wieder auf die zur Verfügung gestellten komplexitätsreduzierenden Begriffe zurückgreift. Nehmen wir seine erste Verortung seiner Person als »Turkish« ernst, dann dekonstruiert er seine für sich wahrgenommene nationale Zugehörigkeit. Die vorgängig hergestellte Differenzlinie der Nationalität tastet er nicht an, wohl aber stellt er durch den mutwilligen Nationalitätswechsel die längerfristige Gültigkeit der Differenzlinien in Frage. Gestehen wir ihm aber seine praktische Lösung als strategisches Handeln im schulischen Regelrahmen zu, dann hat er nicht seine Zugehörigkeit dekonstruiert, sondern die Ernsthaftigkeit der Übung als Übung mit lebensweltlichem Bezug. Am Beispiel von Nedim lässt sich die Ambiguität erkennen, innerhalb der die Strategien des Differenzmanagements der Schüler/innen analytisch betrachtet werden können. Aus der Perspektive des ›doing ethnicity‹ könnte die Situation so interpretiert werden, dass die national codierte ethnische Ordnung im Sinne einer Verordnung bereitwillig fortgeführt wird. Diese Unterordnung wird aber von ihrerseits subversiven Dekonstruktionsleistungen begleitet: Die Gültigkeit der Differenzlinien wird in Frage gestellt und der lebensweltliche Bezug als konstruierter Scheinbezug enttarnt. Noch einmal anders hätte Nedims Differenzverhandlung ohne die institutionelle Rahmung durch die Schul- und Bewertungssituation verlaufen können. Aus Sicht dieser doing institution-Perspektive, unter der ich hier verstehe, dass die Akteure der Schule in Kenntnis ihrer expliziten und impliziten Regeln und Erwartungen handeln, lesen wir sein Verhalten als strategisch. Differenzbearbeitung und Identitätsperformanz sind überlagert von institutionell notwendig gewordenen Strategien. Die institutionelle Perspektive steht also auch in Wechselwirkung mit der doing ethnicity-Perspektive: ›doing ethnicity‹ passiert im Rahmen der institutionellen Regeln. Für die Deutung von

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sozialer Realität spielen unterschiedliche theoretische Perspektiven und ihre gegenseitige Verschränkung sowie Bedingtheit eine Rolle. Unabhängig von der Perspektive auf die Situation ist Nedims Handlungsrepertoire zwischen Differenzmarkierung und -dekonstruktion auf zwei Ebenen erfolgreich: Die Markierung kommt ihm zugute, weil er sich mit ihr zu präsentieren weiß. Zum entscheidenden Zeitpunkt wiederum realisiert er, dass es auf das Nachaußenkehren seines wahrhaftigen Identitätsentwurfs nicht ankommt und fährt seine selbst auferlegten Anforderungen zurück. Seine Handlungsstrategie wird in zweifacher Hinsicht als erfolgreich bestätigt: Zum einen bleibt sein Identitätswechsel von außen unangefochten, zum anderen erhält er eine ihn zufriedenstellende Note. Ich möchte kurz weitere Strategien von Schüler/innen aufzeigen, auf markierte Differenzen zu reagieren. Im folgenden Beispiel ist die Forscherin der Referenzpunkt, an dem auf ethnisch codierte Unterscheidungen reagiert wird.

A LLE SIND ANDERS – ALLE SIND GLEICH: H ERSTELLUNG VON G LEICHSEIN ALS D IFFERENZDEKONSTRUKTION Der zweite Protokollausschnitt entstammt einer teilnehmenden Beobachtung in der gleichen Schule. Begleitet wurde Frau Öztürk, die in einer neunten Klasse Englisch für Fortgeschrittene unterrichtet. Der Unterricht findet im Computerraum statt. Die Schüler/innen haben den Auftrag, in Gruppenarbeit eine PowerPoint-Präsentation zu erstellen, in der die Reiseinformationen und die kulturellen Programmpunkte einer fiktiven Reise in eine englischsprachige Stadt zusammengestellt sind. Es befinden sich 14 Schüler/innen im Kurs. »Während der Gruppenarbeit spricht Erdem mich an: ›Aus welchem Land kommen Sie?‹ Ich antworte: ›Aus Deutschland.‹ Er fragt nach: ›Sind Sie richtige Deutsche oder Ausländerin? Also Türke?‹ Ich frage ihn, wann man denn als Türke gelte. Seine Antwort: ›Wenn die Vorfahren Türken sind.‹ Daraufhin ist Fatih auch im Gespräch: ›Wir sind hier alle Türken, ich bin Türke, du bist Türke, er sie es ist Türke..‹ Murat: ›Die Türken sind die nettesten Menschen der Welt. Die kommen zu zehnt und fragen dich: Hast du ein Problem?‹ Diesen Beitrag hört auch die Lehrerin, die sich in unserer Nähe aufhält. Die drei Schüler lachen, sie grinst auch, schaut mich an, worauf ich auch amüsiert reagieren muss.«

Die Parallelen zur Produktion von Differenzen zum Fall vorher sind deutlich. Auch hier ist ethnische Zugehörigkeit an die nationale Herkunft der Eltern und Großeltern geknüpft. Ethnizität als alltägliche Unterscheidungspraxis strukturiert

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die Wahrnehmung auch hier derart, dass sie zur Selbst- und Fremdabgrenzung herangezogen wird. Erdem greift Ethnizität als vorherrschenden Abgrenzungstatbestand auf und führt den Herkunftsdialog an. Interessant ist nun, was Fatih und Murat aus der paradoxalen Situation machen, in der ähnlich wie im Adressierungsgeschehen beim Marienkäfer die Gefahr besteht, dass auf Kosten der Anerkennung von Unterschieden möglicherweise Identitätspositionen reduktionistisch festgelegt werden und unbeabsichtigt Ausgrenzung stattfindet. Zunächst werden Unterschiede anerkannt. Die Schüler betrachten sich – möglicherweise auch als Ergebnis der Wahrnehmung ihrer Fremdwahrnehmung durch ihr Umfeld – in ihrer Differenz zur Mehrheitsgesellschaft als »Türken« Nun besteht die Gefahr, dass über die Anerkennung als andere gesellschaftliche Gruppen konstruiert und mit jeweils unterschiedlichen Wertigkeiten belegt werden. Murat weist konkret auf diese Wertigkeiten hin, als er die Zugehörigkeit »Türke sein« mit Merkmalen belegt, die in der Gesellschaft als kollektive Fremdbilder vorherrschen – hier in Form von diskriminierenden Stereotypen: Die Zugehörigkeit »Türke« wird mit einem gewalttätigen ClanMitglied assoziiert, was diese Gruppe stigmatisiert und ihren gesellschaftlichen Wert beträchtlich mindert. Murat bleibt aber nicht auf der Ebene stehen, den Herrschaftsdiskurs zu zitieren. Er ironisiert die Elemente, die zur Ausgrenzung führen würden, indem er die zitierten Stigmatisierungen umdeutet: Aus clanförmiger Gewaltbereitschaft werden kollektive Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Mit den ins positive gewandelten Zuschreibungen werden die Dominanzverhältnisse nicht bestätigt, sondern humorvoll unterwandert. Murat gelingt es, den ethnischen Hintergrund (den eigenen und den der anderen Anwesenden) zu berücksichtigen, jedoch die Festlegungen, die damit einhergehen, spielerisch abzuwenden. So wird das Dilemma der Anerkennung von Differenz kreativ aufgelöst. Auch Fatihs Differenzmanagement kann als empirisches Beispiel für einen produktiven Ausweg aus dem Anerkennungsparadoxon gedeutet werden. Fatih konjugiert »Türke sein« und verbindet (im wahrsten Sinne des lateinischen conjugatio, die Verbindung) alle »hier« Anwesenden zu einem »Wir«. Die Herstellung einer Wir-Gemeinschaft hat möglicherweise ihren Beginn schon in der an die Forscherin gerichteten Eingangsfrage von Erdem, die als Vergemeinschaftungsversuch deutbar ist. Dieser erste Versuch scheitert. Die Inklusion gelingt aber spätestens mit dem Lachen, das soziale Verbundenheit und Solidarität zwischen den Schüler/innen, der Lehrerin und der Forscherin herstellt. »Türke sein« zu konjugieren ist zum einen eine humorvolle Zweckentfremdung von schulischen Konjugationsregeln, mit der Fatih sich und andere in der Klasse ins Verhältnis zu sozialen Zuschreibungen setzt. Dies steht in Kontrast

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zum ersten Fallbeispiel, in dem es um das grammatische Konjugieren ging und die Frage nach dem Sein nur vorgetäuscht wurde. Zum anderen stellt die Konjugation auch eine interessante Form der Dekonstruktion von Ethnie dar, mit der Gleichheit hergestellt wird. Ethnische Unterscheidungen dienen »kategorial exklusiv verwendet […] (dazu) graduelle Übergänge unmöglich (zu) machen […]; sie essentialisieren eine Differenz, die gleichwohl arbiträr, austauschbar ist und wechseln kann […], die jedoch, einmal die Macht politisch und rechtlich valorisiert, nicht mehr verhandelbar und nicht leicht abzustreifen ist« (Radtke 2008: 652).

Nedim war es gelungen, ethnische Differenzlinien in ihrer Verbindlichkeit infrage zu stellen, Fatih dekonstruiert Ethnie als Kategorie komplett. Er realisiert den Übergang und die Verhandelbarkeit von Ethnie, weil er sie kategorial nicht exklusiv verwendet, sondern inklusiv. Denn wenn alle zu Türken werden, ist es auch keiner mehr, da die Kategorie als ethnische Unterscheidung keinen Sinn mehr ergibt, wenn sie nicht als Abgrenzung von etwas anderem dient. Fatih gelingt es, Ausgrenzung durch Identitätsfestlegungen umzukehren in einen Einschluss aller, indem alle das gleiche Differenzmerkmal bekommen. Im Zusammenhang mit der Interpretation, dass hier Differenzen berücksichtigt werden ohne Ungleichheiten herzustellen, lohnt zuletzt noch ein differenztheoretischer Blick2. Differenz im relativen Sinn bedeutet, dass sich zwei Dinge in Bezug zu einer gemeinsamen Kategorie voneinander unterscheiden, denn die relative Verschiedenheit setzt eine »vor- bzw. übergeordnete Einheit« voraus (vgl. Ricken/Balzer 2007: 57). Das neue Verständnis von Differenz, das seit den Debatten der ›Postmoderne‹ eine »kategoriale Um- und Neuorientierung des Denkens« mit sich gebracht habe, formulieren Ricken und Balzer als »radikal gedachte Unterschiedenheit und Singularität […], die durch keinen übergreifenden Kontext bzw. kein einheitliches Fundament (mehr) zusammengehalten wird und so die klassische Frage nach dem Verhältnis des Einen und des Vielen, des Allgemeinen und des Besonderen insgesamt aufbricht« (ebd.).

Fatih hat die Kategorie Ethnie aufgelöst. Dadurch löst sich auch die Möglichkeit auf, Identitätspositionen im Sinne relativer Differenz auf eine »übergreifende Ordnungsvorstellung« zu beziehen, und womöglich die Gefahr, dominanten

2

Vgl. auch Ricken/Reh im vorliegenden Band

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Schemata der Unterscheidung zu verfallen. Die Reaktion von Fatih auf die omnipräsente ethnische Differenzlinie könnte man in den Slogan übersetzen: Alle sind anders – alle sind gleich.

F AZIT Zu Beginn des Beitrags wurde infrage gestellt, dass die Reflexion von Lehrerhandeln hinreichend sei, wenn es um Schüler/innen und ihre Subjektkonstitution in der paradoxen Figur der Anerkennung geht. Was ist nun der Gewinn der empirischen Beleuchtung der Schülerstrategien, mit ethnisch codierten Differenzlinien umzugehen? Die Betrachtung des Differenzmanagements der Schüler/innen erweist sich zum einen lohnenswert, weil es so vielfältig ist. Das Repertoire, mit hergestellter Differenz umzugehen, verläuft jenseits einer dichotomen Einteilung in missachtende Differenzblindheit und ausgrenzende Differenzdramatisierung. Differenzmarkierungen werden aufgenommen und fortgeschrieben, eigenmächtig ausdifferenziert, und in Bewertungssituationen umgedeutet oder ausgesetzt. Negativzuschreibungen werden umgewandelt, Stereotypen ironisiert, Kategorien dekonstruiert, und zusammen ergeben sich Inklusionsstrategien, die in differenzsensiblen Kontexten Gleichsein herstellen. Es sind Facetten produktiver Auswege aus der Paradoxie, aus denen analytische Ideen für Adressierungs- und Differenztheorien generiert werden können. Interessant ist dabei zum anderen, dass unterschiedliche Anlässe, in denen auf hergestellte Differenzen reagiert wird, auch unterschiedliche Spielräume für Strategien des Umgangs bieten. Der Fall Nedim spielt in einem stark formalisierten Setting, das gerade durch Planung, aber auch durch Rollenfixierung und Benotungssituationen Möglichkeiten der Aushandlung von Differenzherstellung eher verwehrt. Dagegen eröffnet das informelle Setting im Fall Fatih Zwischenräume für ein kreativeres Differenzmanagement. Der Umgang mit Differenzen im Sinne von sozialen Zuordnungen ist abhängig davon, wie handlungsfähig sich jemand erlebt. Selbst vorgenommene (Zu-)Ordnung ist zugleich Voraussetzung und Ergebnis von erlebter Handlungsfähigkeit. Differenzen, ihre Produktion und Umwandlung sind somit gebunden an den sozialen Kontext, der Differenzierung als handlungsbeschränkend oder handlungsbefähigend mitdefiniert. Offensichtlich gehört Humor zu Handlungsbefähigung.

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L ITERATUR Atkinson, Paul (Ed.) (2010): Handbook of Ethnography. Los Angeles: Sage. Battaglia, Santina (2000): »Verhandeln über Identität. Kommunikativer Alltag von Menschen mit bi-nationaler Abstammung«. In: Frieben-Blum, Ellen/ Jacobs, Klaudia/Wießmeier, Brigitte (Hg.): Wer ist fremd? Ethnische Herkunft, Familie und Gesellschaft. Opladen: Leske + Budrich. S. 183-202. Breidenstein, Georg (2006): Teilnahme am Unterricht. Ethnographische Studien zum Schülerjob. Wiesbaden: VS. Diehm, Isabell (2000): »›Doing Ethnicity‹: Unintended Effects of Intercultural Education«. In: Alheit, Peter/Beck, Johannes/Kammler, Eva/Taylor, Richard/ Salling Olesen, Henning: Lifelong Learning Inside and Outside Schools, Collected Papers Vol. 2, Roskilde University, Universität Bremen, Leeds University, pp. 610-623. Emerson, Robert M./Fretz, Rachel I./Shaw, Linda L. (2010): Writing Ethnographic Fieldnotes. Chicago: University of Chicago Press. Geertz, Clifford (2012): Dichte Beschreibung: Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L. (1998): Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung. Bern: Huber. Hünersdorf, Bettina/Maeder, Christoph/Müller, Burkhard (Hg.) (2008): Ethnographie und Erziehungswissenschaft. Methodologische Reflexionen und empirische Annäherungen. Weinheim: Juventa. Hörning, Karl H./Reuter, Julia (Hg.) (2004): Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis. Bielefeld: transcript. Idel, Till-Sebastian (2010): »Anerkennung als ungleichheitsstiftende Form didaktischer Inszenierungen«. Vortrag im Rahmen des DGfE-Kongress am 17.03.2010 in Mainz. Mecheril, Paul/Plößer, Melanie (2009): »Differenz«. In: Andresen, Sabine/Casale, Rita/Gabriel, Thomas/Horlacher, Rebekka/Larcher Klee, Sabina/Oelkers, Jürgen (Hg.): Handwörterbuch Erziehungswissenschaft. Weinheim/Basel: Beltz, S.194-208. Nieke, Wolfgang (2008): Interkulturelle Erziehung und Bildung. Weltorientierungen im Alltag. 3., aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS. Radtke, Frank-Olaf (2008): »Schule und Ethnizität«. In: Helsper, Werner/Böhme, Jeanette (Hg.): Handbuch der Schulforschung. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS, S. 651-672. Ricken, Norbert/Balzer, Nicole (2007): »Differenz: Verschiedenheit – Andersheit – Fremdheit«. In: Straub, Jürgen/Weidemann, Arne/Weidemann, Doris

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(Hg.): Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz. Weimar: Metzler, S. 56-69. Schatzki, Theodore/Knorr-Cetina, Karin/Savigny, Eike von (Hg.) (2001): The Practice Turn in Contemporary Theory. London: Routledge. Weissköppel, Cordula (2001): Ausländer und Kartoffeldeutsche. Identitätsperformanz im Alltag einer ethnisch gemischten Realschulklasse. Weinheim: Juventa. West, Candace/Fenstermaker, Sarah (1995): »Doing Difference«. In: Gender and Society, Vol. 9, No. 1, pp. 8-37. West, Candace/Zimmerman, Don (1987): »Doing Gender«. In: Gender and Society, Vol. 1. No. 2, pp. 125-151.

»Das hat der Stefan alleine gemacht« Zur Herstellung der Unterscheidung behindert – nichtbehindert in einer Grundschulklasse I RA S CHUMANN

Die Differenz behindert – nichtbehindert ist im Bereich Schule seit Jahren ein Thema durch die Debatten um Integration beziehungsweise Inklusion. Verschärft hat sich diese Diskussion in Deutschland noch einmal durch die hier 2009 in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention1, welche unter anderem Forderungen nach inklusiver Bildung enthält. Dies wird dazu führen, dass in Zukunft an immer mehr Regelschulen als behindert etikettierte und als nichtbehindert geltende Schüler_innen gemeinsam unterrichtet werden und die Frage nach dem Umgang mit dieser Differenz in vielen Schulen und zudem in der Ausbildung von Lehrer_innen an Bedeutung gewinnen wird. Trotz der zunehmenden Relevanz dieses Themas existiert bisher allerdings kaum Forschung zu der Frage wie Akteure im Feld Schule diese Unterscheidung hervorbringen und wie sie mit ihr umgehen. Eine solche Forschung, die nach den konkreten Prozessen fragt, in denen die Differenz immer wieder konstruiert wird und die mit ihren Beobachtungen die Reflexivität der Praxis unterstützen kann (vgl. Widmer-Wolff 2008: 72f.), scheint notwendig, wenn unter dem Etikett der Inklusion nicht wieder (neue) segregierende Praktiken stattfinden sollen. In diesem Beitrag werde ich zuerst die Forschungslage zu der Differenz behindert – nichtbehindert im deutschsprachigen Raum betrachten und dabei auch auf die erziehungswissenschaftliche ethnographische Forschung zum Thema eingehen. Davon ausgehend werde ich erste Ergebnisse meines eigenen Forschungsprojektes in einer integrativen Grundschule anhand von Auszügen aus

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Für einen Überblick über Inhalte der Konvention vgl. Schumann 2009.

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den dort entstandenen Beobachtungsprotokollen vorstellen, bevor ich mich zum Abschluss mit dem Problem der Reifizierung der beforschten Differenz auseinandersetze. Ich verwende die Begriffe Inklusion und Integration hier folgendermaßen: Wenn ich mich auf aktuelle bildungspolitische Debatten beziehe, spreche ich von »Inklusion«, bezogen auf mein Forschungsfeld aber von »Integration«, da ich hier ein »sonderpädagogische[s] Verständnis von Integration« (Hinz 2003: 333) umgesetzt sehe, von dem sich die Befürworter_innen des Inklusionsbegriffs abgegrenzt haben2.

D IE D IFFERENZ » BEHINDERT – NICHTBEHINDERT « IN DER DEUTSCHSPRACHIGEN ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHEN ( ETHNOGRAPHISCHEN ) F ORSCHUNG Die Forschung zu schulischer Integration/Inklusion, deren Ausgangspunkt in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts lag, als die ersten schulischen Integrationsversuche begannen (Preuss-Lausitz 2009: 458), hat ihren Fokus vor allem darauf gerichtet, wie sich Schüler_innen in integrativen/inklusiven Klassen entwickeln, ob sie »besser« oder »schlechter« lernen als Schüler_innen in nicht-integrativen Settings und ob sogenannte behinderte Schüler_innen sozial integriert sind. Zudem interessierten sich die Forscher_innen häufig für die Akzeptanz der Integrationsversuche bei Schülerschaft und Eltern und für die Frage, welche Unterrichtsformen förderliche Bedingungen für Integration/Inklusion bieten (für einen Überblick über Themen der Integrationsforschung vgl. Preuss-Lausitz 2009: 461ff., ergänzend dazu: Deppe-Wolfinger/Preuss-Lausitz 2007). Keine Beach-

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Hinz unterscheidet zwischen einem »integrationspädagogische[n] Verständnis von Integration« und einem »sonderpädagogischen Verständnis von Integration« (2003: 332 f.): Während in Ersterem Heterogenität als selbstverständlich angesehen und die Ansicht vertreten wird, dass alle an allen Lebensbereichen von Anfang an teilhaben sollten, stehen im sonderpädagogischen Verständnis nur behinderte Menschen im Mittelpunkt und werden zudem nicht als von Anfang zugehörig gedacht, sondern als zu Integrierende. Ausgehend von der Wahrnehmung, dass in der Integrationspraxis vor allem die sonderpädagogische Idee umgesetzt wurde und Integrationstheorie und -praxis nicht mehr viel miteinander gemein hatten, plädierten Vertreter_innen der Integrationstheorie für die Verwendung des Inklusionsbegriffs, obwohl dieser auf der theoretischen Ebene nicht als Neuerung eingeschätzt wurde (vgl. beispielsweise Sander 2003).

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tung fand allerdings die Frage danach, wie Schüler_innen überhaupt in behindert und nichtbehindert unterteilt werden und über welche Prozesse diese Unterteilung in integrativen/inklusiven Settings aufrechterhalten wird. Stattdessen war die Forschung häufig an der Konstruktion dieser Differenz beteiligt (vgl. Widmer-Wolf 2008: 68 ff). Noch 2008 stellte Monika Wagner-Willi fest: »Eine auf die Prozessstrukturen der Handlungs- und Interaktionspraxis in ihrer vielfältigen Performativität gerichtete rekonstruktive Forschung gilt es hier [in der Sonderund Integrationspädagogik, I.S.] noch systematisch zu entwickeln« (157, Herv. im Orig.). Auch in der deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen ethnographischen Forschung wird die Unterscheidung behindert-nichtbehindert kaum thematisiert, was verwundert, da in der Ethnographie an sich »eine Affinität zu dem Thema Differenz« (Fritzsche/Tervooren 2012: 27) besteht und einige erziehungswissenschaftliche Arbeiten zu anderen Differenzkategorien, vor allem zu Geschlecht, existieren (für einen Überblick: ebd.). Dies lässt sich vermutlich damit erklären, dass die Kategorie Nicht/Behinderung3 lange kein Thema in der Allgemeinen Pädagogik war, sondern der Sonderpädagogik zugeschrieben und von dieser auch beansprucht wurde. Zudem ist diese Differenz – im Gegensatz zu Geschlecht und mittlerweile auch Ethnizität – scheinbar nicht in jedem schulischen Kontext relevant. Auf Grund der aktuellen Entwicklungen im Bereich der schulischen Inklusion wird Nicht/Behinderung in den nächsten Jahren immer stärker in den Blick der erziehungswissenschaftlichen ethnographischen Forschung rücken. Dazu tragen auch die Disability Studies bei, die sich seit der Jahrtausendwende im deutschsprachigen Raum langsam verbreiten: Sie verstehen Nicht/Behinderung als eine soziale, historische und kontingente Kategorie, setzen sich kritisch mit Konzepten wie »Normalität« und »Unversehrtheit« auseinander, analysieren die Konstruktionsprozesse und fragen nach der gesellschaftlichen Funktion der Differenz behindert-nichtbehindert (für einen Überblick: Tervooren 2003, Waldschmidt/Schneider 2007). Zu den wenigen ethnographischen Arbeiten im deutschsprachigen Raum, die sich mit der Frage auseinandersetzen, wie die genannte Differenz produziert wird, gehören die Publikationen von Länger (2002), Saerberg (2006) und Wag-

3

Entgegen dem üblichen Sprachgebrauch verwende ich nicht »Behinderung« als Oberbegriff, da es mir nicht nur um die eine, negativ konnotierte Seite der zu betrachtenden Kategorie geht, sondern auch um die – sonst unsichtbare – Seite Nichtbehinderung.

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ner-Willi und Widmer-Wolf (2009).4 Die beiden erstgenannten Arbeiten erforschen die Unterscheidung blind/sehend, setzen dabei aber unterschiedliche Schwerpunkte: Länger fokussiert auf das Sehen und seine Naturalisierung und interessiert sich zudem für die »kulturellen Entstehungsorte der Differenzbildung von Blindheit und Sichtigkeit« (2002: 7). Saerberg dagegen verfolgt das Ziel, die Wahrnehmung von Blindheit als einen fast schon mystischen Zustand, der das ganz Andere verkörpert, zu ersetzen durch das Konzept von Blindheit als einen »vom Sehen unterschiedenen Wahrnehmungsstil« (2006: 11). Die Arbeit von Wagner-Willi und Widmer-Wolf lässt sich nur teilweise als ethnographisch einstufen, da die Forscher_innen nur eine sehr kurze Zeit in ihrem Feld beobachtet haben (ebd. 25f.). 5 Allerdings ist sie die einzige genuin erziehungswissenschaftliche Forschungsarbeit von den genannten. Im Mittelpunkt der Studie stand die »Evaluation der Entwicklung und Integration von Kindern mit besonderem Förderbedarf im Schulversuch Grundstufe« (ebd.: 10). In diesem Rahmen gingen die Autor_innen auch der Frage nach, wie »Differenzen hervorgebracht und bearbeitet werden« (ebd.). Wagner-Willi und Widmer-Wolf arbeiten vor allem institutionelle Maßnahmen heraus, welche die Kinder mit besonderem Förderbedarf herausstellen und ein hohes Stigmatisierungspotential besitzen: Hier wurden einerseits Fördermaßnahmen genannt, die mit einzelnen Schüler_innen außerhalb des Klassenzimmers durchgeführt wurden, aber andererseits auch Maßnahmen, bei denen ein Kind im regulären Unterricht durch eine_n Sonderschullehrer_in begleitet wurde, zum Teil mit Methoden, die stark von der sonst im Feld üblichen Didaktik abwichen (ebd.: 40f.). So beschreiben die beiden Autor_innen im Fall eines Schülers: »Mit dem Einsatz exklusiver sinnlicher Materialien sowie stimulierender körperbetonter Aktivitäten gerieten Nathan und der Sonderschullehrer stets in den Aufmerksamkeitsfokus der anderen Kinder« (ebd.: 41). Als weitere differenzproduzierende Praktik wurde der sogenannte »Behindertentransport« beobachtet: »So ging gemäss unserer Beobachtung mit der institutionellen Inszenierung seines besonderen Eintreffens auf dem Schulareal eine stigmatisierende Wirkung einher, die eine Etikettierung von Nathan als ›Behinderter‹ seitens der umstehenden Kinder forcierte« (ebd.: 53). Aufgrund ihres Forschungsdesigns nimmt die Studie die alltäglichen Praktiken in den untersuchten Grundstufen allerdings nur ausschnitthaft in den Blick.

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Für den englischsprachigen Bereich sind die Studien von Benjamin (2002) und Youdell (2006) zu nennen. Beide nehmen Subjektivationsprozesse von Schüler_innen in integrativen/inklusiven Schulen in den Blick.

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Die kurzen, aber intensiven Beobachtungen wurden gekoppelt mit Gruppendiskussionen und Interviews (vgl. Wagner-Willi/Widmer-Wolf 2009: 23 ff).

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An dieser Forschungslücke setzt meine eigene Forschungsarbeit an, auf die ich im Folgenden genauer eingehen werde.

D IE H ERSTELLUNG DER U NTERSCHEIDUNG BEHINDERT – NICHTBEHINDERT . E RSTE F ORSCHUNGSERGEBNISSE Das Forschungsdesign Am Beginn meines Dissertationsprojekts stand das Interesse, zu erforschen, wie Schüler_innen einer integrativen Grundschulklasse im Alltag produktiv mit der Unterscheidung behindert-nichtbehindert umgehen, woran sie diese überhaupt »festmachen« und welche Relevanz sie im Umgang miteinander hat. Dahinter stand die Idee, dass die Kinder sich in ihren Interaktionen möglicherweise viel stärker mit anderen Differenzkategorien wie beispielsweise Geschlecht auseinandersetzen könnten. Ich bekam Zugang zu einer Institution, in der in einigen Klassenstufen so genannte »Außenklassen«6 eingerichtet sind. Die Schule liegt in einem eher dörflichen Umfeld, gehört aber noch zu einer Großstadt und umfasst sowohl einen Grundschulbereich als auch die Sekundarstufe I. Es besteht eine Kooperation mit einer Schule, die vor allem von Kindern und Jugendlichen mit einer sogenannten geistigen Behinderung besucht wird. Zu dieser Sonderschule gehören die Schüler_innen der Außenklassen formal weiterhin, auch wenn sie ihre gesamte Unterrichtszeit an der anderen Schule verbringen. Die von mir durchgeführte teilnehmende Beobachtung fand in drei jeweils mehrwöchigen Feldphasen in der 3. beziehungsweise später 4. Klasse statt (die Feldaufenthalte erstreckten sich über zwei Schuljahre), zu der insgesamt 29 Kinder gehörten. Diese Schulklasse war aufgeteilt in drei Untergruppen, die jeweils

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Das Integrationskonzept »Außenklasse« ist in Baden-Württemberg verbreitet, im Schuljahr 2011/12 beispielsweise existierten 463 dieser Klassen (vgl. Landtag von Baden-Württemberg 2012: 5 ff.). Trotz Kritik von Elternverbänden und Wissenschaftler_innen (vgl. Hudelmaier-Mätzke/Merz-Atalik 2011) soll diese Maßnahme auch in Zukunft erhalten bleiben: »Auf mittlere und lange Sicht haben Außenklassen beziehungsweise gruppenbezogene inklusive Bildungsangebote auch vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention ihren festen Platz im System der schulischen Bildung von jungen Menschen mit Behinderung« (Landtag von Baden-Württemberg 2012: 4).

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über eine eigene Klassenlehrerin und einen eigenen Klassenraum verfügten.7 Während sich in zwei Gruppen zwölf beziehungsweise dreizehn Kinder befanden, gehörten der 3. Untergruppe – der Außenklasse – nur vier Schüler_innen an. In bestimmten Fächern (Heimat- und Sachkundeunterricht; Sport, Technik und Werken) wurden alle Kinder der Klasse gemeinsam unterrichtet. Der übrige Unterricht fand getrennt statt. Wie bereits erwähnt, stand zu Beginn meiner Arbeit die Frage, wie Kinder untereinander produktiv mit der Differenz behindert – nichtbehindert umgehen. Allerdings wurde während der ersten Feldphase deutlich, dass es nicht möglich ist, institutionelle Praktiken und Interaktionen zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen zu ignorieren, da beide entscheidend zur Konstruktion der Differenz beitrugen. Ausgehend von den ersten Beobachtungen fragte ich nun danach, welche Praktiken im Feld die Unterscheidung behindert – nichtbehindert immer wieder einführen. Zudem entwickelten sich mit der Zeit noch andere Fragen: Wie produzieren institutionelle Strukturen die Differenz behindert – nichtbehindert? Wie tragen Förder- und Unterstützungsmaßnahmen zur Konstruktion bei? Welche Zuschreibungen gehen mit der Unterteilung in behinderte und nichtbehinderte Kinder einher? Wird von allen Schüler_innen das Gleiche erwartet? Welche Handlungsoptionen eröffnen unterschiedliche Erwartungen gegebenenfalls für verschiedene Schüler_innen, welche verhindern sie? Wie gehen die einzelnen Schüler_innen gegebenenfalls mit unterschiedlichen Erwartungen und unterschiedlichen zugewiesenen Rollen um? Welche Strategien haben sie entwickelt? Welche Rolle spielt die Kategorie Geschlecht in Praktiken, in denen die Unterscheidung behindert – nichtbehindert konstruiert wird? Analysen und erste Ergebnisse Wie bereits Monika Wagner-Willi und Patrick Widmer-Wolf in ihrer Studie (2009) herausgearbeitet haben, können bereits institutionelle Strukturen und Maßnahmen dazu führen, dass manche Kinder besonders hervorgehoben und letztendlich von anderen als »behindert« wahrgenommen werden (siehe oben). In der von mir beforschten Klasse bildeten vier Kinder eine Untergruppe namens »Außenklasse«, deren Name bereits eine Nicht-Zugehörigkeit suggeriert, die sich darin manifestierte, dass diese Kinder formal nicht Schüler_innen der von ihnen täglich besuchten Schule waren, sondern zu einer Förderschule gehörten – ein Umstand, der auch ihren Mitschüler_innen bekannt war. Die Klassenlehrerin

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Der Begriff »Untergruppe« wurde von den Akteuren im Feld selbst nicht verwendet – es wurden stattdessen die Namen der einzelnen Gruppen genutzt, die »Igel«, »Otter« und »Löwen« lauteten.

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der Außenklasse, auch sie gehört formal zur Förderschule, ist ausgebildete Sonderschullehrerin, während ihre Kolleg_innen, die für die anderen beiden Untergruppen zuständig waren, Grundschullehrerinnen sind, was impliziert, dass die Schüler_innen der Außenklasse besondere (Lern-)Bedürfnisse haben, die eine reguläre Grundschullehrerin nicht erfüllen kann. Unter diesen Bedingungen ist es nicht möglich, dass Kindern nur temporär ein besonderer Förderbedarf zugeschrieben wird und die Grenze zwischen beiden Gruppen – den Kindern mit und ohne Förderbedarf – flexibel und durchlässig ist (vgl. Widmer-Wolf 2008: 63), sondern es existieren zwei klar voneinander abgegrenzte Gruppen, zwischen denen ein Hin- und Herwechseln scheinbar nicht möglich ist. Diese Besonderung setzte sich in der Klassengröße (vier Kinder in der Außenklasse gegenüber jeweils zwölf beziehungsweise dreizehn Kindern in den beiden anderen Untergruppen) und in der Ausstattung der Klassenräume fort: Während es im Klassenraum der Außenklasse mehrere Regale voller Materialien (zum Teil Montessori-Material) und zeitweise auch sehr auffälliges Material wie einen großen Kaufmannsladen gab, existierte in den beiden anderen Klassenräumen sehr wenig Material, auf das die Kinder im Unterricht zurückgreifen konnten beziehungsweise was von den Pädagog_innen eingesetzt werden konnte. Dieser sehr auffällige Unterschied zwischen den Klassenräumen verstärkt die Idee, dass die Kinder der Außenklasse andere Zugänge zu Lerngegenständen benötigen. Ein weiterer Aspekt, der zur Herstellung der Unterscheidung beitrug, war die unterschiedliche inhaltliche Differenzierung in verschiedenen Unterrichtssituationen: Im getrennten Unterricht der Außenklasse ließ sich ein hoher Grad an inhaltlicher Differenzierung beobachten (jedes Kind arbeitete an eigenen Aufgaben) – in gemeinsamen Unterrichtssituationen wie Heimat- und Sachkundeunterricht und Technik und Werken fand wenig bis keine Differenzierung mehr statt, das heißt alle mussten die gleiche Aufgabe bewältigen. Einerseits verhinderte dies im gemeinsamen Unterricht eine Differenzsetzung durch besondere Fördermaßnahmen, besonderes Material oder besondere didaktische Methoden, andererseits führte die nicht vorhandene Differenzierung immer wieder dazu, dass ein besonderer Unterstützungsbedarf für die Kinder der Außenklasse erst entstand, während der Großteil von ihnen im getrennten Unterricht eher selbständig arbeitete. Dies mündete in Situationen, in denen diesen Schüler_innen Unterstützungsbedarf von Anfang an zugeschrieben wurde und sie (zum Teil ungewollt) Hilfe erhielten, die anderen Mitschüler_innen in dieser Form nicht zukam. Im Fall eines Schülers der Außenklasse ging diese Hilfe soweit, dass viele seiner Aufgaben von den Lehrer_innen selbst erledigt wurden (siehe unten).

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Auch zu Beginn und zum Abschluss jedes Schultags fielen die Mitglieder der Außenklasse auf: Während die anderen Kinder der Klasse in der Nähe der Schule wohnten und den Schulweg zu Fuß oder mit dem Rad bewältigten, wurden sie mit einem Fahrdienst gebracht und geholt. Eine andere Art der Differenzproduktion verlief über Ausnahmen beziehungsweise Sonderregeln, die für die Kinder der Außenklasse gemacht beziehungsweise zugelassen wurden: Ich gehe im Folgenden auf eine Szene aus dem Sportunterricht ein, welche dieses illustriert und die ich in ähnlicher Form in einer anderen Sportstunde noch einmal beobachtet habe. Zum Kontext dieser Szene: Es wurden drei Gruppen für ein Spiel namens »Moorhühner« gebildet. Für dieses Spiel wurde ein Parcours in der Halle aufgebaut, den jeweils die Mannschaft der Moorhühner absolvieren muss. Der Parcours besteht aus mehreren Hindernissen: einer Bank, unter der man hindurch kriechen, einem Kasten, über den man klettern und einem Bock, über den man springen muss. Das Ziel ist es, am Ende des Parcours einen mitgeführten Ball in eine Kiste zu werfen und damit einen Punkt für die eigene Mannschaft zu erzielen. An der Seite steht die Gruppe der Jäger, die versucht, die Kinder, die gerade den Parcours absolvieren, abzuwerfen. Wer abgeworfen wurde, muss wieder zurück zum Anfang. Frau Schneider und Frau Taube erklären, was heute gespielt wird, es werden drei Gruppen benötigt. Die Kinder werden aufgefordert, selbst Gruppen zu bilden, wobei Frau Taube betont, dass diese »ausgewogen« sein sollen. Es scheint etwas Verwirrung unter den Kindern zu herrschen, die dieses Verfahren wahrscheinlich so nicht gewohnt sind (bei anderen Gelegenheiten, bei denen ich den Sportunterricht beobachten konnte, wurden die Gruppen sehr klassisch gebildet: es wurde ein Kind pro Mannschaft von den Lehrer_innen bestimmt, das dann den Rest seiner Mannschaft wählen konnte). Frau Taube erklärt: »Nein, ihr wählt nicht, ihr besprecht das jetzt«. Die Kinder sollen sich also untereinander einigen, wer mit wem in welche Mannschaft geht. […] Ich habe den Eindruck, dass diese Art der Gruppenbildung relativ gut funktioniert (in dem Sinne, dass ich niemanden verloren herumstehen sehe wie sonst bei der Gruppenwahl). […] Als die beiden Lehrer_innen das Spiel zu Ende erklärt haben, tuscheln sie kurz miteinander, bevor Frau Schneider ruft: »Die Igel dürfen erst nach dem Bock abgeschossen werden« (also erst nach dem letzten Hindernis).

Im Gegensatz zu anderen Situationen im Sportunterricht, in denen einzelne Kinder von den Lehrer_innen ausgewählt wurden, damit sie die Mitglieder ihrer Mannschaft selbst wählen können, müssen die Kinder hier untereinander aushandeln, wer mit wem eine Mannschaft bildet. Im Gegensatz zum üblichen Wahlverfahren, bei dem immer wieder Kinder sehr lange nicht in Mannschaften

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gewählt wurden und darüber potentiell beschämende und ausgrenzende Situationen entstehen, hatte ich als Beobachterin hier den Eindruck, dass kein Kind übrig blieb. Kurz vor Beginn des Spiels führen die Lehrer_innen ihre eigene integrierende Maßnahme aber wieder ad absurdum, indem die Lehrerin der Außenklasse eine Sonderregel verkündet: Die Kinder dieser Untergruppe (die »Igel«) erhalten die Möglichkeit, den Großteil des Parcours zu absolvieren, ohne dass sie abgeworfen werden können. Hier erfolgt analog zu anderen Stunden des gemeinsamen Unterrichts eine Zuschreibung von Unterstützungsbedarf, ohne dass dieser tatsächlich gegeben sein muss. Den Kindern wird hier eine verminderte körperliche Leistungsfähigkeit zugeschrieben, die sie im Spiel benachteiligen würde und durch eine besondere Regelung soll die Chancengleichheit wieder hergestellt werden. Allerdings sind die vier Kinder der Außenklasse keineswegs alle unsportlicher als die anderen Kinder der Klasse. Unter ihnen gibt es einen Schüler, der als sportlich bekannt ist und den Parcours später ohne Unterstützung und in großer Schnelligkeit absolviert, während manche Kinder aus anderen Untergruppen große Mühe an einigen Stationen des Parcours, vor allem beim Sprung über den Bock, haben, diese aber ohne Unterstützung bewältigen müssen und dabei immer wieder abgeworfen werden. Aufgrund sehr unterschiedlicher körperlicher Voraussetzungen der Schüler_innen wäre die Einführung einer Regel, die es auch weniger sportlichen Kindern ermöglicht, den Parcours ohne Beschämung und Frustration zu durchlaufen, grundsätzlich nachvollziehbar. In ihrem Bemühen um Chancengleichheit entscheiden sich die Lehrer_innen hier allerdings für eine Maßnahme, welche die anwesenden Kinder in zwei Gruppen unterteilt. Das Kriterium für die Unterteilung in zwei Gruppen war dabei aber nicht die reelle Fähigkeit der Kinder, diesen Parcours problemlos zu absolvieren, sondern ein angenommener Leistungsunterschied zwischen der Gruppe der als behindert wahrgenommenen Kinder und der als nichtbehindert geltenden Kinder. Ich möchte noch auf eine weitere Szene eingehen, die eine Schlüsselszene meiner Studie darstellt, da hier verschiedene Formen der Besonderung beobachtet werden können, die sich – zum Teil weniger stark ausgeprägt – auch in vielen anderen Situationen finden ließen. Zum Kontext der Szene: Kurz vor dem Ende des 4. Schuljahres fertigten die Kinder in Technik und Werken T-Shirts mit dem Profil ihres Kopfes an. Diese T-Shirts sollten auf dem Abschlussfoto der Klasse, deren Schüler_innen ab dem folgenden Schuljahr in die Sekundarstufe I übertreten und verschiedene Schulen besuchen würden, getragen werden, weshalb immer wieder von den Lehrer_innen gemahnt wurde, dass präzise und sauber gearbeitet werden müsse. In der beobachteten Stunde waren alle Kinder damit beschäftigt, ihr Profil, welches sie in der vorherigen Stunde auf Papier gebracht hatten, auszuschneiden. Die Aufgabe nahm relativ viel Zeit in Anspruch und

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wurde von mehreren Schüler_innen, an deren Tisch ich saß, immer wieder von Seufzern begleitet. Für Stefan schneidet Frau Schneider die Vorlage aus. Stefan läuft mit seinem ausgeschnittenen Profil an jeden Tisch (und dort von Kind zu Kind), um es dort jedem einzelnen zu zeigen, während alle noch selbst mit Ausschneiden beschäftigt sind. Die meisten Kinder lächeln ihn an, Franziska streicht ihm über den Arm. Als er bei uns am Tisch ist, ruft Frau Bühler »Einfrieren«, woraufhin alle mit dem, was sie tun, aufhören und zu Frau Bühler schauen.8 Nur Stefan läuft weiter herum und zeigt sein ausgeschnittenes Profil, während ihn alle im Raum dabei beobachten. Sören sagt wiederholt leise zu Stefan »Du musst an deinen Platz gehen«, was aber keine Wirkung erzielt. Letztendlich ruft Frau Schneider ihm zu »Stefan komm zu mir, du wirst nachher wieder gelobt.« Als Stefan bei uns am Tisch war, um allen sein Profil zu zeigen, meinte Claas »Das hat der Stefan alleine gemacht«. Einige Minuten später, als Stefan schon längst wieder an seinem Platz sitzt, höre ich, wie Hannes den Satz wiederholt (gegenüber Justus oder Sören, die auch mit am Tisch sitzen).

Während fast alle anderen Kinder die Aufgabe allein bewältigen (ein anderer Schüler der Außenklasse schneidet mit einer Lehrerin zusammen sein Profil aus), wird sie für Stefan von Frau Schneider, seiner Klassenlehrerin, vollständig erledigt. Für ihn wird das Ausschneiden seines Profils scheinbar als zu schwierig erachtet. Dadurch wird einerseits sichergestellt, dass Stefans T-Shirt am Ende ebenso möglichst makellos aussehen wird wie die anderen und nicht auffällt, was ihn vermutlich stigmatisiert hätte. Andererseits findet gerade durch dieses Nicht-Selbst-Machen eine Entwertung und Stigmatisierung Stefans statt. Sein Herumzeigen des fertigen Produkts lässt sich als ein Versuch lesen, dies zu kompensieren und auf anderem Weg Anerkennung zu erhalten. Zu erwarten wäre nun eine Zurückweisung Stefans gewesen, aber erstaunlicherweise wenden sich die anderen Kinder ihm zu und er erhält nur positive Reaktionen. Paradoxerweise lässt sich aber gerade diese Zuwendung, die er für sein Handeln erhält, als Ausdruck fehlender Anerkennung lesen: Stefan als gleichwertiges Gegenüber anzuerkennen, hätte Widerspruch gegen seine Regelverletzung bedeutet. Die Nachsicht, mit der er behandelt wird, verfestigt dagegen seinen Status als NichtZugehöriger. Als die Kinder von der Lehrerin zum Innehalten aufgerufen werden, setzt sich Stefan über eine weitere Regel hinweg, indem er als Einziger nicht seine

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Dieses Signal war im Feld üblich und wurde immer wieder von Lehrer_innen dazu verwendet, Aufmerksamkeit für Erklärungen herzustellen.

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Aufmerksamkeit auf die Lehrerin richtet, sondern weiter sein Profil herumzeigt. Bis auf einen Schüler, der Stefan darauf hinweist, dass er sich an seinen Platz begeben sollte, kommt erst einmal keine Reaktion. Auch die Lehrerin, die das Signal gegeben hat und in anderen Situationen Kinder ermahnt, die nicht in ihrem Tun innehalten, sanktioniert Stefans Handeln nicht, beginnt aber auch nicht mit ihren Erläuterungen, sondern beobachtet die Szene wie alle anderen im Raum (wie der Ausschnitt aus dem Beobachtungsprotokoll verdeutlicht, lag auch die Aufmerksamkeit der Ethnographin vollständig auf Stefan und nicht auf der Lehrerin). Beendet wird die Szene durch die, offensichtlich auch im gemeinsamen Unterricht für Stefan zuständige, Sonderschullehrerin, die ihn zu sich ruft und sich zugleich in Distanz zu ihrem Rufen setzt, indem sie Stefans Handeln als Suche nach Anerkennung deutet und dieses ironisiert. Zwar gab es keine lauten Proteste gegen Stefans Regelüberschreitungen, aber Claas’ Kommentar lässt sich durchaus als Kritik an Stefans Herumzeigen eines Produkts, das er nicht selbst hergestellt hat, lesen. Indem er eine Behauptung aufstellt – nämlich dass Stefan sein Profil alleine ausgeschnitten hat – von der alle wissen, dass sie nicht zutrifft, weist er auf den allen bewussten, aber nicht benannten, Umstand hin, dass Stefan keinen Anteil am Ausschneiden seines Profils hatte und trotzdem dafür Aufmerksamkeit erhält. Gleichzeitig ist seine Kritik als Nicht-Kritik, als bloße Beschreibung getarnt. Nachdem alle wieder zu ihrer Aufgabe zurückgekehrt sind, greift Hannes den Kommentar von Claas noch einmal auf und reproduziert damit dessen Kritik. Claas weicht mit seiner Bemerkung vom sonst üblichen Verhalten der Kinder ab, welche die Ausnahmen und Sonderregeln meist hinnehmen, ohne sie zu thematisieren oder dagegen offen zu protestieren. Ich habe nur wenige Szenen beobachtet, in denen Sonderregelungen für die Kinder der Außenklasse von anderen Kindern in Frage gestellt wurden beziehungsweise in denen diese sichtbare Empörung bei anderen Kindern erzeugten. Ich interpretiere solche Situationen, in denen gegen Sonderregelungen protestiert wird, als Brüche in dem eingeübten Verhalten der Schüler_innen. Brüche, an denen differenzproduzierende Praktiken, die sonst in diesem Kontext kaum verhandelt werden, nicht nur sichtbar, sondern auch in Frage gestellt werden. Weitaus häufiger waren Situationen zu beobachten, in denen Kinder eine ihnen zugeteilte Helfer_innenrolle einnahmen beziehungsweise sie selbst wählten, wobei dies in sehr unterschiedlichem Maße erfolgte: Manche Kinder (vor allem Mädchen) nahmen diese Rolle häufiger ein beziehungsweise sie wurde ihnen öfter zugeteilt und das Ausmaß an Unterstützung variierte auch je nachdem welchem Kind geholfen wurde. Mit einem Kind aus der Außenklasse kam es zudem immer wieder zu Situationen mit einem relativ hohen Grad an körper-

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licher Nähe, die ich sonst zwischen anderen Kindern nicht beobachten konnte. Mehrmals gab es Situationen, in denen Leistungen von Kindern der Außenklasse überschwänglich gelobt beziehungsweise sogar bejubelt wurden, während sie bei anderen Kindern nicht kommentiert wurden. Die Unterscheidung wurde außerdem über Sitznachbarschaften, über die Beteiligung beziehungsweise Nichtbeteiligung an Gesprächen und über Konstellationen, in denen zusammengearbeitet oder eben nicht zusammengearbeitet wurde, immer wieder produziert. Die Schüler_innen der Außenklasse gingen sehr unterschiedlich mit dem ihnen zugeschriebenen Unterstützungsbedarf um: Ein Schüler nutzte dies immer wieder zu seinem Vorteil, indem er sich beispielsweise nicht wie alle anderen am Ende einer Warteschlange anstellte, sondern sich vordrängelte, was entweder von den Lehrer_innen und den anderen Schüler_innen einfach akzeptiert wurde oder nur zu halbherzigen Protesten führte. Die Mädchen der Außenklasse dagegen verstießen selten gegen geltende Normen.

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DER R EIFIZIERUNG DER BEFORSCHTEN D IFFERENZ Im Rahmen einer Forschungsarbeit, welche die Herstellung einer Differenz zum Thema hat, muss berücksichtigt werden, dass und wie die Forschung selbst an der Konstruktion beteiligt ist: Am Beginn meiner Forschungsarbeit stand bereits die Annahme, dass Nicht/Behinderung in der beforschten Klasse von Bedeutung ist, auch wenn mir nicht klar war, in welchem Ausmaß dies der Fall sein würde. Allein meine Anwesenheit im Feld trug dazu bei, die Unterscheidung, die ich untersuchen wollte, erneut zu produzieren. Beispielhaft zeigt dies die Frage einer Schülerin an meinem ersten Beobachtungstag: »Schaust du auch, wie wir mit den behinderten Kindern umgehen?« In meiner letzten Feldphase kam es zudem immer wieder zu Situationen, in denen mich die Lehrer_innen aufforderten, Kindern aus der Außenklasse zu helfen. Die folgende Szene verdeutlicht, wie ich, indem ich die mir zugewiesene Helferrolle annehme, übliche differenzproduzierende Praktiken im Feld übernehme und damit meinen Untersuchungsgegenstand mitkonstruiere. Zum Kontext der Szene: Im gemeinsamen Unterricht (Technik und Werken) beschäftigen sich die Kinder mit verschiedenen Bastelarbeiten. An diesem Punkt beendet Claudia, die zur Außenklasse gehört, eine Arbeit und beginnt, den Elefanten aus der Sendung mit der Maus zu basteln. Die anderen drei Schüler_innen an ihrem Tisch basteln bereits seit längerem an Figuren aus der genannten Fernsehsendung.

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Claudia hat das Filzen beendet und beginnt nun auch den Elefanten zu basteln: Sie holt sich die Schablone dafür. Als Claudia zum Tisch zurückkommt, läuft Frau Bühler kurz neben ihr her und ruft mir zu (ich fühle mich erst gar nicht angesprochen, weil sie mich duzt), ob ich Claudia helfen kann, indem ich die Schablone festhalte. Ich biete Claudia daraufhin zweimal Hilfe an, worauf sie aber gar nicht eingeht. Als Claudia die Umrisse des Elefanten abzeichnet und ich nach einer Weile sehe, wie dabei die Schablone immer wieder ein kleines Stück verrutscht, halte ich den Finger darauf. Daraufhin meint Leonie: »Mir hilft auch keiner beim Ausschneiden«.

Leonie thematisiert hier offen den Umstand, dass ich Claudia geholfen habe (obwohl diese gar nicht um Unterstützung gebeten hat), während sie selbst ihre Arbeit alleine bewältigen muss. Diese Situation, also dass den Schüler_innen der Außenklasse ungefragt geholfen oder dass ihnen ihre Aufgabe sogar abgenommen wird, erleben die Kinder immer wieder. Die Helfenden sind dabei meist die Lehrer_innen, manchmal auch andere Kinder – fast immer wird dies ohne sichtbaren Protest hingenommen. Die Tatsache, dass jetzt sogar noch die Ethnographin diese Rolle übernimmt, scheint für Leonie aber zu viel zu sein. Leonies Äußerung vorausgegangen ist die Zuschreibung von Unterstützungsbedarf durch eine Lehrerin: Claudia hatte noch nicht einmal mit dem Basteln angefangen, als ihr bereits Hilfe zugeteilt wird; ungewöhnlich an diesem Vorgang war nur, dass ich hier die Unterstützerin sein sollte. Claudia aber äußert von sich aus gar keinen Bedarf an meiner Hilfe und ignoriert auch meine Nachfragen, ob sie Unterstützung benötigt, womit sie die erfolgte Zuschreibung durch die Lehrerin nicht annimmt. Nach einer Weile bin ich es dann, die die Unterscheidung wieder einführt, indem ich ungebeten Claudias Schablone festhalte. Das hier geschilderte Problem der Reifizierung einer Kategorie durch ihre Beforschung ist nicht vollständig lösbar (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2010: 86). Es ist allerdings möglich, eine gewisse »Reifizierungssensibilität« (ebd.) zu entwickeln: Differenzsetzungen können beispielsweise vermieden werden, indem in Beobachtungsprotokollen Etikettierungen wie »behindert« vermieden werden und also nicht bereits davon ausgegangen wird, dass es behinderte und nichtbehinderte Kinder »wirklich« gibt. Fritzsche und Tervooren (2012) schlagen vor, sich bei den Beobachtungen im Feld erst einmal nur auf die »Materialität der Praktiken« (ebd.: 32) zu konzentrieren, ohne das Gesehene bereits zu interpretieren und damit Gefahr zu laufen, die eigenen Vorannahmen zu sozialen Kategorien nur wieder zu reproduzieren. Die eigenen Beobachtungen im Forschungsfeld kommen »nicht ohne gewisse Aufmerksamkeitsrichtungen« (Diehm/Kuhn/Machold 2010: 87) aus: Beobachten ohne Fokussierung ist nicht möglich und diese Fokussierung wird erst

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einmal bestimmt von den eigenen Annahmen, wo im Feld die beforschte Differenz von Bedeutung sein könnte beziehungsweise welches Orte ihrer Herstellung sein könnten. Dies wird verstärkt, wenn die Akteure im Feld die beforschte Kategorie kaum explizit thematisieren und somit wenig Hinweise auf Situationen geben, in denen die Unterscheidung eine Rolle spielt. So hatte ich beispielsweise zwar angenommen, dass die Differenz behindert – nichtbehindert für die Schüler_innen weniger wichtig sein könnte als andere Differenzen, stellte dann aber während meiner ersten Feldaufenthalte irritiert fest, dass die Unterscheidung im Feld einerseits allein durch institutionelle Bedingungen im Feld bereits sehr präsent war, andererseits aber Lehrer_innen und Schüler_innen so gut wie gar nicht über Nicht/Behinderung sprachen, im Gegensatz zur Kategorie Geschlecht, die öfter thematisiert wurde, vor allem von den Lehrer_innen. Dies hatte zur Folge, dass ich in meinen Beobachtungen doch häufig die Schüler_innen der Außenklasse und ihre Interaktionen mit anderen in den Blick nahm. (Ethnographische) Forschung zu Differenz muss also permanent den Balanceakt vollbringen, die jeweils interessierenden Unterscheidungsprozesse in den Blick zu bekommen und zu analysieren, während sie sich selbst daraufhin beobachtet, welche eigenen Anteile sie an diesen Prozessen hat.

F AZIT Die hier vorgestellten ersten Ergebnisse zu der Frage, wie die Unterscheidung behindert – nichtbehindert in einem integrativen schulischen Setting hergestellt wird, zeigen, dass auch in einer Institution, die sich die Integration von als behindert eingestuften Kindern zum Ziel gesetzt hat, Praktiken beobachtbar sind, welche eine Einbeziehung und Zugehörigkeit aller verhindern. In der von mir beforschten Schulklasse wird das Integrationskonzept »Außenklasse« umgesetzt, welches mit institutionellen Strukturen wie beispielsweise getrennten Klassenräumen und unterschiedlichen Klassenlehrer_innen einhergeht und bereits darüber Unterscheidungen zwischen den Schüler_innen produziert. Zudem wird deutlich, dass den Kindern, je nachdem ob sie zur Außenklasse gehören oder nicht, bestimmte Fähigkeiten beziehungsweise ein Mangel an Fähigkeiten zugeschrieben werden. Diese Zuschreibungen wirken sich auf das Handeln der Lehrer_innen aus und sie strukturieren die Interaktionen der Kinder untereinander. Da diese Zuschreibungen von Fähigkeit beziehungsweise Unfähigkeit vermutlich eng mit der inhaltlichen Struktur der Kategorie Nicht/Behinderung zusammenhängen, könnten ähnliche Praktiken auch in Settings vorkommen, die mit anderen Integrations- beziehungsweise Inklusionskonzepten arbeiten

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Es ist notwendig, die Forschung zu dieser Frage auszuweiten auf andere Schulen, um übergreifende Muster herausarbeiten zu können. In einem weiteren Schritt gilt es zu schauen, welche differenzproduzierenden Praktiken sich ebenfalls in anderen als integrativ beziehungsweise inklusiv titulierten Kontexten wie beispielsweise Kindergärten und (Sport-)Vereine rekonstruieren lassen, so dass Ungleichheit produzierende Unterscheidungen wie nichtbehindert – behindert nicht unbeabsichtigt immer wieder hergestellt werden und mit dem Ziel der Inklusion wieder Ausgrenzung produziert wird.

L ITERATUR Benjamin, Shereen (2002): The micropolitics of inclusive education: an ethnography. Buckingham: Open University Press. Deppe-Wolfinger, Helga/Preuss-Lausitz, Ulf (2007): »Zwanzig Jahre Integrationsforschung: Aufbrüche, Ansprüche, Widersprüche. Ein Gespräch über Vergangenes für die Zukunft«. In: Demmer-Dieckmann, Irene/Textor, Annette (Hg.): Integrationsforschung und Bildungspolitik im Dialog. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 229-237. Diehm, Isabell/Kuhn, Melanie/Machold, Claudia (2010): »Die Schwierigkeit, ethnische Differenz durch Forschung nicht zu reifizieren – Ethnographie im Kindergarten«. In: Heinzel, Friederike/Panagiotopoulou, Argyro (Hg.): Qualitative Bildungsforschung im Elementar- und Primarbereich. Bedingungen und Kontexte kindlicher Lern- und Entwicklungsprozesse. Reihe: Entwicklungslinien der Grundschulpädagogik, Band 8. Hohengehren: Schneider, S. 78-92. Fritzsche, Bettina/Tervooren, Anja (2012): »Doing difference while doing ethnography? Zur Methodologie ethnographischer Untersuchungen von Differenzkategorien«. In: Friebertshäuser, Barbara/Kelle, Helga/Boller, Heike/ Bollig, Sabine/Huf, Christina/Langer, Antje/Ott, Marion/Richter, Sophia (Hg.): Feld und Theorie. Herausforderungen erziehungswissenschaftlicher Ethnographie. Opladen/Berlin/Toronto: Barbara Budrich, S. 25-39. Hinz, Andreas (2003): »Die Debatte um Integration und Inklusion – Grundlage für aktuelle Kontroversen in Behindertenpolitik und Sonderpädagogik?«. In: Sonderpädagogische Förderung, 48. Jg., H. 4, S. 330-347. Hudelmaier-Mätzke, Peter/Merz-Atalik, Kerstin (2011): »Länderbericht BadenWürttemberg Der Wechsel beginnt: Vom Außenklassenkonzept und anderen kooperativen Modellen zu einer inklusiven Gemeinschaftsschule!« In: Zeit-

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schrift für Inklusion, Nr. 2 [http://www.inklusion-online.net/index.php/inklu sion/article/view/117/118] Zuletzt abgerufen: 22.01.2014. Landtag von Baden-Württemberg (2012): »Antrag ›Außenklassen von Sonderschulen‹«. [http://www9.landtag-bw.de/WP15/Drucksachen/2000/15_2154_ d.pdf] Zuletzt abgerufen: 22.01.2014. Länger, Carolin (2002): Im Spiegel von Blindheit. Eine Kultursoziologie des Sehsinnes. Stuttgart: Lucius & Lucius. Preuss-Lausitz, Ulf (2009): »Integrationsforschung. Ansätze, Ergebnisse und Perspektiven«. In: Eberwein, Hans/Knauer, Sabine (Hg.): Handbuch Integrationspädagogik. Kinder mit und ohne Beeinträchtigung lernen gemeinsam. Weinheim/Basel: Beltz, S. 458-470. Saerberg, Siegfried (2006): »Geradeaus ist einfach immer geradeaus«. Eine lebensweltliche Ethnographie blinder Raumorientierung. Konstanz: UVK. Sander, Alfred (2003): »Von Integrationspädagogik zu Inklusionspädagogik«. In: Sonderpädagogische Förderung, 48. Jg, H. 4, S. 313-329. Schumann, Monika (2009): »Die ›Behindertenrechtskonvention‹ in Kraft! - Ein Meilenstein auf dem Weg zur inklusiven Bildung in Deutschland?!« In: Zeitschrift für Inklusion, Heft 2 [http://www.inklusion-online.net/index.php/inklu sion/article/view/35/42] Zuletzt abgerufen: 22.01.2014. Tervooren, Anja (2003): »Der verletzliche Körper. Überlegungen zu einer Systematik der Disability Studies«. In: Waldschmidt, Anne (Hg.): Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Disability Studies. Tagungsdokumentation. Kassel: bifos, S. 37-48. Wagner-Willi, Monika (2008): »Die Erforschung von Handlungspraxis in der Sonder- und Integrationspädagogik. Zum Potential der Dokumentarischen Methode«. In: Schley, Wilfried (Hg.): Systemische Sonderpädagogik. Bern/ Stuttgart/Wien: Haupt, S. 157-188. Wagner-Willi, Monika/Widmer-Wolf, Patrick (2009): Kinder mit besonderem Förderbedarf in der Grundstufe. Schlussbericht zur Fallstudie INTEGRU (Integration der Grundstufe). Universität Zürich [http://edudoc.ch/record/37906/ files/ZH_INTEGRU_Schlussbericht_oeff.pdf] Zuletzt abgerufen: 22.01. 2014. Waldschmidt, Anne/Schneider, Werner (2007): »Disability Studies und Soziologie der Behinderung. Kultursoziologische Grenzgänge – eine Einführung«. In: Waldschmidt, Anne/Schneider, Werner (Hg.): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung. Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld. Bielefeld: transcript, S. 9-28.

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Widmer-Wolf, Patrick (2008): »›Besonderer Förderbedarf‹ aus methodologischer Sicht«. In: Schley, Wilfried (Hg.): Systemische Sonderpädagogik. Bern/Stuttgart/Wien: Haupt, S. 59-93. Youdell, Deborah (2006): Impossible bodies, impossible selves: exclusions and student subjectivities. Dordrecht: Springer.

What (Cultural) Difference Does it Make? Children of Immigrant Background between Colour-blind and Culturalist Ideologies at Primary Schools in Catalonia B EATRIZ B ALLESTÍN

One of the main features that have characterized primary state schools in Catalonia (Spain) during the last decade has been the reception of pupils coming from migrant families of very diverse sociocultural backgrounds. Drawing on the findings of a comparative ethnographic fieldwork carried out in two different primary schools, the paper tries to cast light on the following questions: How do schools deal with the new sociocultural differences? What is the role played by the school’s structural features, teaching practices, ethos (ideologies and values), and images of immigrant children and their families? Which effects do they have on pupils’ social experiences and dynamics? The exploration of these questions converges in the identification of two modalities of institutional ethos that appear opposed to each other: in one of the schools community members consistently denied the local salience of ethniccultural variables, regarding themselves as colour-blind (Lewis 2003), while in the other school, more polarized in terms of class composition, national origin and linguistic diversity, culture in an essentialist conception (Franzé 2002) was raised as the key factor to explain academic trajectories. Eventually, it is shown how these two apparently antagonistic institutional ideologies contributed to a differential construction of the distance between family culture and school culture (Spindler 2000), beyond objective characteristics of pupils and their families. And how this constructed cultural distance 1 had consequences not only for pupils’ academic outcomes by increasing inequa-

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For specific results on children’s academic outcomes see Ballestín (2010).

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lities in school trajectories, but for the very core of the children’s dynamics of sociability, although we cannot view them simply as a reproduction of adults’ attributions and expectations: children generate their own dynamics of inclusion/exclusion rooted in the unique logics of creation and transmission of infantile cultures (Connolly 1998). The depiction of these peer dynamics fostered by the colour-blind and culturalist ethos is worth a last section of my contribution before its conclusion.2

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SOCIAL AND EDUCATIONAL CONTEXT : A BRIEF OVERVIEW OF IMMIGRATION AND EDUCATION IN C ATALONIA (S PAIN ) Catalonia, one of the wealthiest areas in Spain, has not traditionally been an immigrant-receiving country. In recent years, however, it has experienced a very rapid influx, particularly in regions along the Mediterranean coast.3 Nowadays, 15,7 % of the total population4 (7.565.603) are from a foreign country: more than

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This chapter is based on the author’s doctoral research (Ballestín 2008), which focuses on the intersections between primary schools’ treatments of pupils’ cultural backgrounds and their experiences and dynamics of academic dis/engagement. It is situated in an area on the Mediterranean coast (El Maresme) that receives migrant families of very different sociocultural origins: mainly from extra-communitarian poor African, Latin American and Asian countries, but also luxury migrants from European Union countries who first came as temporary visitors and became permanent residents.

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In fact, Spain occupies the second rank among the world’s countries after the United States in the overall number of immigrants received annually, with the immigrant share of the population increasing from 1,6 % in 1998 to 12,1 % by 2012. The sharp growth in immigration is due to Spain’s rapid economic and social development since joining the European Union (EU) in 1986, to its location on Europe’s southern border, which makes it a major gateway for immigrants from Africa, documented as well as undocumented, and to the ease of incorporation of immigrants from Latin America wishing to return to the »mother country«, some of whom also enjoy special legal advantages. Moroccans and Ecuadorians today form the largest non-EU immigrant groups.

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All statistical figures in this chapter have been extracted from Idescat (http://www. idescat.cat/en/). The Statistical Institute of Catalonia is the regional institution specializing in providing local sociodemographic statistics.

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31 % of them come from Central and South America, mainly from Ecuador and Colombia; the second largest group is from European countries (30 %), and nearly 27 % of the immigrants come from Africa, the large majority of these from Morocco, but also from West-African countries (Gambia, Senegal, Mali, etc.). The least contingent in quantity, but a rapidly growing one, form Asian immigrants, who make up 11,3 % of the total foreign population. But for a better understanding of the complexity of the social context in this territory we have to go back to the 1950s, 60s and 70s, when Catalonia received a large contingent of workers from other places in Spain, attracted by the demand of labour force in the industrial areas. Great numbers of internal immigrants concentrated in the surroundings of towns, so that urban growth and a certain urban segregation consolidated. These are the quarters where also most of the immigrants from poor extra-communitarian countries have settled down, repeating some of the patterns of the former (internal) immigrants. In Catalonia, Catalan is a prestigious minority language which is used as the main language of local administration and school. In contrast, Spanish is a powerful state language but commonly associated with the ›former immigrants‹.5 There has been a weak language immersion programme for 23 years (following the Quebec model), and recently we have seen the beginning of a new educational policy built upon linguistic cohesion: LICS (Llengua, Interculturalitat, Cohesió Social)6, a programme addressed to the whole student population at risk of social and educational exclusion, which includes especially the children of immigrant families. The education system of Catalonia follows the Spanish national law of education, including the major educational reforms implemented in 1995, which extended compulsory schooling from age 14 to age 16 and changed the structure of primary and secondary education. Today, free public schooling begins at age 3

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Since its linguistic normalization after Franco’s dictatorship, Catalan is now trapped in the paradox of Authenticity and Anonymity. According to Woolard’s studies: »As a rare threatened minority language that makes a bid not just for survival but to become a principal public language, Catalan is indeed in a paradoxical position. Ethnic authenticity and identity value contributed to its survival under conditions of subordination. But now this value is in conflict with the universalistic ideology of anonymity that typically characterizes hegemonic public languages« (2008: 13).

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The LICS (Language, Interculturality and Social Cohesion teams) form part, in Catalonia, of a second attempt (the first was a proposal called LOGSE – Ley Orgánica General del Sistema Educativo – in 1995) to develop a comprehensive reform in Spain after the counter-reform instituted by the conservative Government (PP 2003).

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and most children (97 %) attend pre-school for three years (P3, P4 and P5). Compulsory schooling begins at age 6 and continues until age 16, or the 4th year of ESO (Educació Secundària Obligatòria).

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ETHNOGRAPHIC STUDY : RESEARCH SITES AND METHODOLOGY The present research is based on two ethnographic case studies with the goal of comparing two different immigration settings and school models in the same area of Barcelona. Mataró is an industrial town in the metropolitan area of Barcelona; it is in a process of transformation into a service sector due to the delocalization of textile industry. It has been a pioneer in the reception of African immigrants, who first arrived in the 1970s to work in the intensive agricultural sector which still survives in the area. Today (2011) 17,2 % of the total population (123.868) have a foreign nationality, with an increasing diversification of origins, though Moroccan and Sub-Saharan origins (Gambia, Senegal, Mali) are still predominant. The public (state) primary school chosen in Mataró, named Icaria (fictitious appellation), was located in a multicultural working-class suburb inhabited mostly by immigrant population, first internal immigrants and then progressively immigrants from Morocco, Sub-Saharan and South American countries. At the time of the fieldwork (2001-2003) nearly 500 pupils were enrolled in the school, and the ratio of children from foreign immigrant families was only 7,4 %, mainly second generation. It was an institution with a good reputation in the town based on a long progressive and Catalanist (nationalist) trajectory fostered by a teaching staff involved in the democratic transición following Francisco Franco’s fascist dictatorship (1939-1975). In fact, Icaria was one of the first schools in Mataró to adopt as a leitmotiv the principles of active pedagogy7 and the programme for Catalan Linguistic Immersion, acquiring in the 1980s a certain elitist status in the context of the quarter. However, the »Immersion« policy that was erected as a progressive emblem during political Transición had fossilized in

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In Catalonia and Spain active pedagogy refers to the contributions of constructivist psychology to education, especially contributions adopting the perspective of members of the Institute Jean Jacques Rousseau in Geneva (Piaget, Claparéde, Ferriére, Decróly and Montessori) and of the »pragmatics« developed by Dewey and his followers at the University of Chicago.

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(Catalan) monocultural practices that didn’t empathize with families and children from non-mainstream cultural backgrounds. The second setting of the research is Miramar (fictitious name), a small traditional coast village living on tourism and associated services. This village, unlike the quarter in Mataró, has the particularity of attracting migrants and residents from much more diverse origins, not only in cultural terms but also in economic ones. In 2011, 15,2 % of the total population (2.800) were of a foreign nationality. Although Latin American countries are most salient (56,5 %), it is important to note the presence of immigrants from the European Union (27 %), while Africans represent »only« 14,4 % of the contingent. The only primary (state) school in Miramar therefore offered a unique scenario for the comparison of inclusion/exclusion dynamics: more than 30 % of the total 110 pupils enrolled in Muntanyà (invented name) were of immigrant background, with the confluence of children from »autochthonous« local families, affluent European families, which in many cases first came as tourists and eventually became residents, and children from extra-communitarian countries (mostly Morocco and the Dominican Republic), whose families had or sought a job in the tourist sector and domestic service. In marked contrast to Icaria, at Muntanyà there were no clear identity features or no distinguished institutional trajectory for the school to lean on, and this was due in great part to the instability of the teaching staff, many of its members being temporary personnel waiting for a permanent position in another school. This made it difficult to establish and maintain a coherent and stable educational project. In compensation (and unlike Icaria), local and affluent immigrant families got easily engaged in the school’s practices and activities, and their participation was prominent. Teachers were more accessible to the school population than the apparently committed and activist staff at Icaria, who actually displayed quite bureaucratized and distant interactions with the families. The methodology applied in the ethnographic research included participant observation as a support teacher in nearly all classrooms (from P3 to 6th grade, ordinary and for pupils »with special needs«) at both schools during the academic year 2001-2002 (I could follow and interact with 56 pupils from immigrant families), complemented in 2003 by semi-structured interviews with teachers and other relevant actors (»compensative« education programmes, social services, community representatives, etc.) inside and outside the schools. I also used sociodemographic and statistic data, and consulted documents from the local authorities and from internal circulation within the schools (curricular projects, pupils’ academic files and reports, etc.).

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AND CULTURALIST IDEOLOGIES AT 8 PRIMARY SCHOOL IN C ATALONIA : TWO CASE STUDIES

The comparative ethnography conducted in the schools introduced above gave shape to the emergence of two seemingly opposed symbolic and relational modalities of facing cultural diversity in relation to pupils from immigrant origins: on one hand, it was possible at Icaria (Mataró) to identify what some researchers term colour-blindness (Gillborn 1990, Sefa Dei 1999, Lewis 2003), an educational ramification of a progressive ideological rhetoric supposedly indifferent to pupils’ »colour« and, by extension, to their cultures of origin. On the other hand, the school Muntanyà (Miramar) revealed an antithetic pattern based on culturalist ideologies and imageries (Franzé 2002) that identified the culture of origin as the core element for making sense of the inequalities and differences that divided pupils’ academic trajectories of academic success and failure. While culturalist dispositions at Muntanyà implied congruence and continuity between teaching discourses and practices, colour-blind ideologies at Icaria entailed important inconsistencies and contradictions. Let us characterize the two modalities in some ethnographic detail: In the context of the Mataró’s multicultural working-class quarter, teachers at Icaria, with a progressive purpose (integrating all children), tended to assimilate the new immigrant pupils coming from long-settled Moroccan and (more recent) Gambian families (Latin American pupils were not present yet) to the autochthonous pupils from working-class families of the former internal migration. They felt uncomfortable when talking about immigration and cultural issues: »At the moment the majority of children coming from immigrant families are born here, or they came when they were babies. And I would say all the families are very similar in terms of school unconcern. All is masked by economic resources and life conditions!« (4th grade teacher)

The teaching staff shared the vision that »all children here are now locals«, a clear indicator of a colour-blinded point of view: academic failure of immigrant pupils was attributed to socio-economic inequalities, as they all were supposed to share »the same« opportunities of access to learning content and to participation in formal and informal school activities. As also witnessed by Lewis (2003)

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For a more extended presentation and illustration of these colour-blind and culturalist ideologies at primary school see Ballestín (2011).

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in her ethnographic study at Foresthills (USA), they consistently denied the local salience of race. Yet, this ideological statement masked an underlying reality of racialized practices and colour-unconscious practices and understandings. The defence of an »equal treatment« for everybody regardless of their sociocultural origins was frequently in contradiction to some practices – the obligatory use of »only« Catalan language, the externalization and lack of inclusion in linguistic support for foreign immigrant families, the lack of recognition of the traditions that many Muslim pupils followed and which became totally invisible at the school ... – all this led to an implicit favouring of cultural assimilation and separation between »home-family culture« and »school (mainstream) culture«, as one teacher declared: »Children know how to separate what they do at school and at home… and which are the traditions that they ought to celebrate at home and the traditions and celebrations we have in the school9, there is no problem...«.

Other inconsistencies were centred on some pedagogical practices: the use of tracking (Davidson 1996, Mehan et al. 1996, Dauber/Alexander/Entwistle 1996, Carbonaro 2005) had relevant effects in terms of exclusion: apart from the overrepresentation of immigrant pupils in the lowest ability groupings (Hallam/Ireson/Davies 2005) and special education services, it was really shocking to discover the existence of a specific withdrawal group called »Ni-nis« (Neither speak Catalan Nor Spanish), i.e. pre-school (P3, P4 and P5) children of African newcomers that started school »without knowing either the Spanish or the Catalan language«, labelling them with a sense of »handicap« while these children were developing multiple bilingual abilities at home.10 Moreover, there was some unequal treatment according to stereotyped cultural origins: while pupils from Moroccan families were seen as troublesome, victimist (always complaining without real reasons), and mischievous, WestAfricans were regarded as »primitive (instincted)«, impulsive, and handicapped in academic work. In correlation with these dominant imageries, the children of Moroccan and (to a lesser extent, as they were also seen as »honest«) Sub-

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In that school, similar to the majority in Catalonia, the traditions celebrated were only those seen as »emblematic« for Catalan culture, depurated from their religious connotations: La Castanyada (autumn celebration); Christmas based on rural traditions such as El tió or the representation of the play Els pastorets; Sant Jordi (Saint George), etc.

10 Such skills were neither supported nor fostered in the classroom, even when teachers recommended that mothers speak their own language with their children.

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Saharan families were subject to an additional degree of control and suspicion according to some stigmatizing social stereotypes11 of their culture of origin; therefore they were exposed to disciplinary treatment and punishment more frequently than their autochthonous mates. In addition, as no important cultural differences between children were recognized, the perception of segregation among peers was diminished: »Then, it is not that native born pupils leave aside immigrant ones deliberately. What happens is that you go with peers with whom you know you will have a better communication. And if immigrant children have problems in understanding the language they are naturally going to be set apart. If these children are lively, if they are keen to learn and have initiative, this is a temporary situation. But if they are the ones saying ›they don’t want me‹ (there are many of these here), they become excluded. It’s something natural« (Quotation from an interview with a pre-school teacher).

When these children protested against peer aggressions and harassment they were accused of »playing the race card« and were not taken seriously by the teaching staff. In significant contrast, the scenario of discourses and practices at Muntanyà school in the small village of Miramar was more transparent and consistent: in spite of an epidemic positive discourse accepting cultural diversity as constitutive of the school’s history, the culturalist ethos shared by the teaching staff clearly distinguished dispositions and expectations of teachers towards immigrant pupils depending on their geographical origins: Top expectations of success were placed on children from European countries (in fact they remained invisible as immigrants in the eyes of the teaching staff) and relatively affluent Latin American countries (Paraguay, Uruguay, etc.); in contrast, all attributions of »cultural incompatibility and distance« and »cultural handicaps« leading to academic failure were ascribed to, again, children from Moroccan families. There were clearly stigmatizing stereotypes about these pupils based on their cultural distance: they were supposed to have more handicaps and to lack interest in school; teachers often attributed to them resistance to curricular contents as well as to schools norms and values, as these statements of teachers reflect:

11 In Spain there is a conflictual historical relation with Morocco that has given shape to mutual stereotypes of mistrust. For centuries the »Moor« has generally been viewed as mischievous, treacherous, etc., which has left traces in everyday contacts between nationals and Moroccan immigrants.

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»The integration of Moroccan pupils is very difficult: they have to struggle with economic problems, but also their culture is very far (from ours), and the expectations they have for the future of their children are very different from those of the local families…« »First we intended that they (Moroccan pupils) be integrated..., but now we are resigned to basic coexistence and only ask them to comply with school rules. They have a very strong culture...« »... One day we found all the Moroccan pupils praying in the library: some of them had brought their rugs from home and had gathered all the Muslim mates, even the pre-school ones! All together praying...«

Pupils from poor Latin American families (mainly the Dominican Republic) were (initially) seen as »easy-going«, because of their supposed cultural-linguistic proximity, but they were subject to low expectations in terms of academic outcomes, and characterized as »low-achievers«. An important difference from the school in Mataró that can help understand the salience of this culturalist position is that a significant proportion of immigrant children had only recently arrived in the village as newcomers, while in Mataró there were mostly »second generation« immigrants. Also, we have to note the polarization in children’s adscription not only in terms of culture but also of social class (at Icaria most of the pupils came from working-class families regardless of their origins and nationalities). The hierarchization of cultures inside school and its impact on academic and social dynamics and trajectories can be summarized by referring to the treatment of languages: on the one side, the spontaneous use of English or German by children from European immigrant families was even admired among the teachers, to the extent that British mothers were invited to conduct out-of-school English lessons. On the other side, the Moroccan dialect of Arab was prominently and explicitly pointed out as an insuperable barrier for pedagogic contents and goals. Only the Moroccan pupils attended remedial linguistic classes designed for the »nouvinguts« (newcomers). European and Latin American pupils never were supposed to need linguistic support. In summary, the reflections of broad stigmatizing stereotypes within Muntanyà constructed Moroccan children as belonging to a »very strong Arab culture« which supposedly collided with the values of the school: »Their values and expectations are very far from ours. They don’t appreciate the future that education can provide«. Claims like that were accompanied by low expectations and a sense of mistrust that ended up permeating social relations, including peer

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interactions, which in turn damaged these pupils’ academic engagement in dramatic ways.

I MPACT

ON PEER RELATIONS AND PUPILS ’ EXPERIENCES : DYNAMICS OF INCLUSION / EXCLUSION Similar impact at Icària and Muntanyà The symbolic and pedagogic construction of children from (poor-extracomunitarian) immigrant backgrounds as some kind of academically »inferior« pupils had its correlation at the level of peer relations and cultures, following the findings of previous researchers (for example Gillborn, op cit., Troyna/Hatcher 1992, Griffiths/Troyna 1995, Hatcher 1995, Connolly, op. cit., Lewis, op. cit.). At both schools, these pupils had weak and unstable positions in peer groups, and they were especially marginalised in informal contexts: in the playground during recess and in other leisure activities such as outdoors activities and excursions. In every classroom at least one of the most rejected classmates was from poor immigrant origin, and the basic indicators of their devaluated position were two: in the first place, the display of pollution or cooties rituals12 to avoid them: for example, the rejected children were told that they were infected with »peste« (black death disease), or that they were »de la muerte« (»belonging to Death«), frequently they were said to »smell«. In the second place, there was racist namecalling, as illustrated in an ethnographic scene: one spring morning at recess time, two outsider boys from second grade, Fili (sub-Saharan origin) and Mohamed (Moroccan), decided to spend their time chasing some of the most popular girls. While I was observing them from a distance, the girls came icreasingly close to me and finally asked for my help shouting, in a very excited way: »¡Jo! ¡Dile al negrito i al colacao que paren de pegarnos y de perseguirnos!«. (»Hey!! Tell the little nigger and the ›colacao‹ – brown cocoa – to stop beating and chasing us!«).

12 When pollution rituals appear, even in play, they frequently express and enact larger patterns of inequality, by gender, by social class and race, and by bodily characteristics like weight and motor coordination. Recoiling from physical proximity with another person and their belongings because they are perceived as contaminating is a powerful statement of social distance and claimed superiority (Thorne 1993: 75). See also Hirschfeld (2002).

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Even if these children were apparently »well integrated« into their peer groups inside the school, they had to face an evident »fracture« of relations outside the school walls: this was much more visible in the small village of Miramar, where networks of school friendship were extensive and permeated children’s social relations outside, leaving apart children from Moroccan and Dominican families. Pupils from long-established immigrant families showed clear patterns of avoiding newcomers of the same origin: Moroccan children who were second generation immigrants or/and had been enrolled in the school from the beginning displayed acting white (Fordham/Ogbu 1986, Fordham 1988, Ogbu 2003) strategies to avoid being associated with the (allegedly) »dumb« newcomers of the same origin. Sometimes these positionings were very subtle, as this scene depicts: »Today they were doing maths and while they were working on their sheets, Salah (Moroccan origin), Marc, Sergi and Laia (the latter three from ‘autochthonous’ families) talked about their activities during the past weekend. The conversation has derived in commenting which things they could do ›alone‹. Sergi claimed: ›My mother still has to accompany me to school because she’s afraid of the moors‹; Salah didn’t react to this allegation, neither did he respond to the next one by Laia: ›I’m frightened of them, the moors always steal sweets in shops‹.«

The appellative »moor« is very derogatory, but the local children did not seem to consider or identify their friend Salah as one of them, while Salah did not seem to regard these comments as an offense to his cultural origin. The stigmatization and the unequal access of Moroccan (and Sub-Saharan, although their bad reputation wasn’t as visible) children to ordinary curriculum in the schools led the most advantaged ones to strive for assimilation with majority pupils at any price.13 (Moroccan) Boys were more hard-hitting in adopting unsupportive attitudes, regardless of their age, than girls. In fact, the big exception were Moroccan girls at Muntanyà school: due to the fact that most of them had arrived as newcomers

13 At Muntanyà, for example, veteran children even tended to avoid their mother tongue inside the classroom, as they were quite aware that their occasional use of dialectal Arabic to communicate with newcomers resulted in disturbance and isolation, making access to peer groups more difficult. In an implicit but nevertheless unequivocal form, separation from kids of their same origin was a condition sine qua on to raise their status in the popular peer groups.

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and to the subsequent experience of sharp collective segregation, they had built a supportive inter-age network which functioned as a buffer for new girl mates, helping and taking care of them especially in informal activities and contexts (playground, excursions and school parties).14 This last observation on gender leads us to summarize some other gender divisions and inequalities in the dynamics of inclusion/exclusion of the immigrant pupils from stigmatized cultural backgrounds: In the playground, boys of Moroccan and Sub-Saharan background appeared more integrated than girls due to their physical abilities for team sports such as football or basketball, which were the most frequented leisure activities. Girls of the same origins, by contrast, were more isolated from their peers because of their own dynamics of interaction: as they used to socialize and play in little groups or pairs of the same sex (Renold 2005), cultural minority peers were often ostensibly segregated from the different cohesion rituals displayed by autochthonous girls (singing infantile rhythms or adolescent pop hits together, dressing in the same type of clothes, mutual invitations to birthday parties etc.) and were kept apart from the underground economy of food and objects15 the others shared. Most salient differences in the dynamics of inclusion/exclusion In spite of all the shared patterns described in the previous section, the schools’ different social context and ethos gave shape to specific experiences and dynamics: Being situated in one of the town’s poorest suburbs, Icaria accumulated some of the features of oppositional culture (for example Fordham/Ogbu 1986, Gillborn 1990) attributed to pupils in schools at urban peripheries. Most of them were born and raised in the same working-class quarter and immigrant parents, whether they came from internal or foreign flows. Their home and family backgrounds showed significant distance from the mainstream school culture personified by a teaching staff that originated mainly from the middle-class ranks in

14 In contrast, teachers interpreted the Moroccan girl clique as an obvious consequence of their cultural »desire to separate« from peers and to »impose« their culture on other Moroccan girls. As one teacher half jokingly said: »They want to do a Zoco in school«. 15 This is how Thorne (1993) labels the clandestine circulation and interchange of objects among children, especially girls: dolls, little toys, school supplies, make-up, sweets and candies, etc., which embody peer exclusion/inclusion dynamics as well as strategies of resistance to adult norms.

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the center of the town. To some extent, pupils tended to share certain academic »anti-school« attitudes (Gillborn, see above). A central indicator was the continuous use of Spanish on formal and informal occasions, which emerged as an element of resistance to the formally hegemonic use of Catalan as the dominant vehicular language. This was not intentional, however, and resulted from living in a social environment where occasions to interact with mother-tongue Catalan speakers were fewer and the use of Catalan more restricted to public areas (Woolard 2003, 2008, Nussbaum/Unamuno 2006). Such uniformities among children enrolled at Icaria led to more subtle dynamics of exclusion in comparison to what happened at Muntanyà: there was some race bias in the formation of peer groups, but not as pronounced as in the school at Miramar.16 Pupils from immigrant background were more integrated into the different peer groups; but as I observed, it was easier for girls to participate and contribute during formal lessons in the classrooms, while the boys reached their optimum of inclusion during recess at playground, participating in team sports, basically football. In vivid contrast, Muntanyà’s environment, composition and ethos favoured much more polarized dynamics of inclusion and exclusion according to the pupils’ origins. Despite the great cultural and socioeconomic diversity that characterized the school, the most popular and influential peer groups came from relatively wealthy local and European families, which had many extra-school connections with each other and apparently took the education of their children »very seriously« (as the staff recognized) and were keen to collaborate and participate in all aspects of the institution. At the school in Miramar, Catalan was the home language of the majority of both teachers and pupils, therefore there was a natural link between formal/academic and informal linguistic uses. The Moroccan children even learnt to speak,

16 For instance, in the withdrawal classes for »slow« pupils in 1rst, 2nd and 3rd grade I discovered how pupils from native and immigrant families created, in some contexts, a warm climate that favoured good friendships between children from diverse cultural backgrounds, as this scene shows: »In the last minutes devoted to free drawing, Iris (native pupil) was making her own drawing and started admiring the ones of her peers: ›I like Moha’s very much!, and Rachid’s!!, and that one, and this one… I like them all!!!‹. Moha, very proud, replied to her: ›We all have done very nice drawings!!‹.« (1rst grade. fieldwork quotation). Unfortunately, these beneficial dynamics of comradeship didn’t continue into the ordinary classrooms, where the pressure for segregation diluted their impact.

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read and write in Catalan earlier and better than in Spanish, and for the veterans it was also the language of spontaneous interaction with peers. Ironically and in contradiction to teachers’ expectations concerning the benefits of linguistic immersion, this did not warrant inclusion in the native peer groups. The continuity (Spindler/Spindler 1994, 2000) between school culture and patterns of family socialization among majority pupils fostered a dominant proschool orientation which easily triggered patterns of conformity and engagement in all the pedagogical activities proposed inside the classroom. In some ways, the pro-school climate also reached immigrant newcomers (there were more resilient identifications and identity constructions), but the school didn’t have discursive or pedagogical tools to avoid the stigmatization and low expectations that both teachers and native pupils conferred on extra-communitarian immigrant children, especially Moroccan ones. As a result, it was possible to distinguish a clear cultural hierarchy in the experiences of inclusion and exclusion among pupils: at all levels, European (English, German and French) children were the most popular mates to be friends with, particularly boys. Latin American children had a more ambiguous and variable position in peer groups: pupils from relatively rich countries such as Argentina or Paraguay were more popular than those from the Dominican Republic, who had a more vulnerable and shifting status, always waiting to be integrated into locals’ peer groups, and finding their chances of popularity on informal occasions where they could demonstrate valued (stereotypical) expressive abilities (playing, dancing, singing, etc.). The highest levels of segregation concerned, as stated above, Moroccan pupils, in large part because of the school’s culturalist acceptance and legitimization of the dominant stigmatizing imageries of their cultural origin, and their consequent construction as »dumb« and »handicapped« by local peers. I could observe numerous scenes where this was obvious, as recently arrived pupils were systematically excluded from the activities of the ordinary curriculum. On one rare occasion, in fifth grade, when the teacher of natural science gave Lamiah the opportunity to read a passage from the text book for the class, this was the reaction: »When Lamiah started reading aloud, slowly but self-confidently, there was a strong expectation among the rest of the pupils: everybody was surprised by her great fluency, to the extreme that one of the (native-born) boys exclaimed, expressing a general feeling: Wow!! How well Lamiah is reading!!!« (5th grade, fieldwork quotation)

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Unfortunately, Lamiah and her Moroccan girl mates didn’t have many chances of demonstrating their smartness and skills to their native peers, and always retained a sense of »not belonging«. At this point we should remember the encapsulated and segregated network that all the Moroccan girls at this school had developed to protect themselves from rejection and isolation. Even when some teachers tried to intervene in order to promote the mixing and inclusion of these children, the results were discouraging, as these intentions were easily undermined by teachers’ (unconscious) pre-notions of cultural in/exclusion, as the following quote expresses quite dramatically: »At recess time, Rosa (teacher) was dynamizing the playground in order to favour shared playing. She suggested to some of the older girls a cooperative play with a ball. For a while they were all playing together but with time Rosa detected that Loubna, Lamiah and Rahma passed the ball only to each other, laughing in complicity. Visibly annoyed, Rosa cried out: ›¡Hey, girls, this game is both for Moroccans and for Catalans!, you must pass the ball to Anna, Cinta and Sarah‹ (English origin), who still haven’t received it…‹.«

Such verbalizations solidified excluding ethnification processes that virtually made »Catalan« identity compatible with and assimilative to socially privileged cultural origins (European and affluent Latin American countries) but incompatible with depreciated cultural backgrounds (in my study Moroccan, SubSaharan, and, less clearly, Dominican).

C ONCLUSION In this chapter I have provided a summary of comparative results from two cases studies on primary schools in Catalonia (Spain) with the goal of showing to which extent race and ethnicity are embedded in the schools’ cultures, although (re)production (Bourdieu/Passeron 1970) dynamics and processes follow specific paths and patterns that must be discovered and analyzed ethnographically in each school in connection with their social and community context. It has been pointed out that of the way children from immigrant backgrounds are conceptualized in a hierarchy of inclusion/exclusion of new citizenships, extraneous to but reproduced by schools, is based on the differential responses schools give in terms of educational expectations and attention to pupils from

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different socioeconomic and sociocultural backgrounds.17 Nevertheless, the modalities and forms in which this symbolic and cultural hierarchy is constructed and maintained can vary markedly and significantly from one institution to another: contrasting the two case studies on Mataró and Miramar has revealed the functioning and the effects of such mechanisms on pupils’ peer relations through a different and to some degree opposite school ethos: colourblind versus culturalist. Both of types of ethos had a critical impact on the (re)production of pupils’ social geographies and on their experiences of sociability and academic engagement. In Catalonia and Spain, even though there is a growing awareness of and involvement in intercultural education issues, it is still necessary to go beyond soft and innocuous approximations to cultural diversity and to be conscious of the fact that »racism needs to be tackled as a critical part of a much broader project by schools, to help children to understand their own lives, relationships, experiences, ideas and social behaviour« (Hatcher 1995: 114), as children actively understand race as a socially meaningful category and a significant feature of personal identity (Van Ausdale/Feagin 2002, Lewis 2003). Therefore, as Davidson suggests (1996), it is critical for scholars to view schools as more than stages for cultural and social reproduction. Schools can make a difference so that, due to socially constructed unequal attributions to their ethnic or racial identity, pupils do not react to schooling in a neatly predictable way. Instead, schools have a potential to be important cultural sites for the empowerment of marginalized children and youth, so that they can challenge power relations and beliefs in the dominant culture.

R EFERENCES Ballestín, Beatriz (2008): Immigració i identitats a l’escola primària. Experiències i dinàmiques de vinculació i desvinculació escolar al Maresme«. Doctoral Thesis. Universitat Autònoma de Barcelona [http://www.tdx.cat/handle/1 0803/5527;jsessionid=4CC06C69C0DF1CACC7B4313FE2AA9406.tdx2] last consulted: 22.01.2014.

17 Broader ethnographical accounts of the informal dynamics and formal strategies that segregate pupils within the school, including educational services devoted to early childhood through the end of compulsory education, can be found in Carrasco et al. (2011).

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Ballestín, Beatriz (2010): »Entre la força del prejudici i l’efecte Pigmalió: cultures d’origen’ i resultats escolars dels fills/es de famílies immigrades«. In: Quaderns-e de l’Institut Català d’Antropologia, Vol. 15, No. 1 [http://www. antropologia.cat/files/Quaderns_151_04.pdf] last consulted: 22.01.2014. Ballestín, Beatriz (2011): »Los niños de la inmigración en la escuela primaria: identidades y dinámicas de des/vinculación escolar entre el ‘colour-blindness’ y los esencialismos culturalistas«. In: Jociles, Maria Isabel/Franzé, Adela/Poveda, David (Eds.): Etnografías de la infancia y de la adolescencia. Madrid: Editorial La Catarata, pp. 131-157. Ballestín, Beatriz (2012):»¡Dile al negrito y al cola cao que paren de molestarnos! Sociabilidad entre iguales y dinámicas de segregación en la escuela primaria«. In: García Castaño, Francisco Javier/Olmos, Antonia (Eds.): Segregaciones y construcción de la diferencia en la escuela. Madrid: Trotta, pp. 119-152. Bourdieu, Pierre/Passeron Jean-Claude (2001 [1970]): La reproducción: elementos para una teoría del sistema de enseñanza. Madrid: Popular. Carbonaro, William (2005): »Tracking, Students’ Effort, and Academic Achievement«. In: Sociology of Education, Vol. 78, No. 1, pp. 27-49. Carrasco, Silvia/Pàmies, Jordi/Ponferrada, Maribel/Ballestín, Beatriz/Bertran, Marta (2011): »Segregación escolar e inmigración en Cataluña. Experiencias etnográficas«. In: Castaño, Francisco Javier/Carrasco, Silvia (Eds.): Población inmigrante y escuela: conocimientos y saberes de investigación (Textos reunidos en homenaje a Eduardo Terrén). Madrid: IFIIE-CREADE, Ministerio de Educación, pp.133-159. Connolly, Paul (1998): Racism, Gender Identities and Young Children. London: Routledge. Dauber, Susan L./Alexander, Karl L./Entwistle, Doris R. (1996): »Tracking and Transitions through the Middle Grades: Channeling Educational Trajectories«. In: Sociology of Education, Vol. 69, No. 4, pp. 290-307. Davidson, Ann Locke (1996): Making and Molding Identity in Schools. Student Narratives on Race, Gender, and Academic Engagement. New York: State University of New York Press. Fordham, Signithia/Ogbu, John U. (1986): »Black Students’ School Success. Coping with the Burden of ›Acting White‹«. In: Urban Review, Vol. 18, No. 3, pp. 176-206. Fordham, Signithia (1988): »Racelessness as a Factor in Black Students’ School Success: Pragmatic Strategy or Pyrrhic Victory?«. In: Harvard Educational Review, Vol. 58, No. 1, pp. 54-85.

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Inklusion als Exklusion Differenzproduktionen im Rahmen des schulischen Anerkennungsgeschehens B ETTINA F RITZSCHE

Spätestens seit der Intensivierung der Diskurse um »Heterogenität« in der Schule ist es zum unumstrittenen Topos geworden, dass Schüler_innen verschieden sind und entsprechend unterschiedlich behandelt werden sollen. Lehrer_innen sehen sich mehr denn je mit dem Anspruch konfrontiert, eine Diversität ihrer Schülerschaft als Chance zu begreifen und möglichst alle Mitglieder ihrer Klasse zu inkludieren. In besonderer Weise trifft dies auf Grundschulen zu, die seit den 1920er Jahren als ›Schulen für alle‹ gelten. Das Ziel einer gerechteren Schule wird aktuell oftmals am Begriff der Inklusion festgemacht (Sturm 2012: 5). Dieser ist in der Erziehungswissenschaft traditionell mit der schulischen Integration von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf verbunden. Wie Tanja Sturm (ebd.: 5f.) erläutert, formiert sich jedoch zunehmend ein politisch-gesellschaftliches Verständnis von Inklusion, das diese als Abbau und Überwindung von Diskriminierung und Marginalisierung in Schule und Unterricht begreift. Eine Unterrichtsforschung, die Inklusion untersuchen wolle, sei herausgefordert, Unterricht einerseits in seiner gesellschaftlich-schulischen Verankerung und andererseits in seiner konkreten methodisch-interaktiven Gestaltung zu betrachten. Anschließend an diese Überlegungen Sturms wende ich mich in meinem Beitrag insbesondere der interaktiven Gestaltung des Unterrichts zu und analysiere diese im Horizont des genannten Anspruchs, Diskriminierung und Marginalisierung in Schule zu überwinden. Theoretische Bezugspunkte sind hierbei das von der Philosophin Judith Butler vorgelegte Konzept von Anerkennung sowie praxistheoretische Ansätze. Weiterhin beziehe ich mich in meiner Argumen-

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tation auf Daten zu Unterrichtsinteraktionen an Grundschulen, die im Rahmen eines ethnographischen Forschungsprojekts zu Beziehungen zwischen Lehrer_innen und Schüler_innen gewonnen wurden. Bei der Interpretation dieser Interaktionen interessiert mich, inwiefern Differenzen in der Schülerschaft zum Tragen kommen und wie sich die zu beobachtenden Umgangsweisen mit Differenz zu den genannten Ansprüchen der produktiven Nutzung von Heterogenität und der Inklusion verhalten: Inwiefern werden in der Weise, wie Schüler_innen von Pädagog_innen angesprochen werden, Differenzen zwischen diesen aufgerufen und (re-)produziert und welche inkludierenden, beziehungsweise diskriminierenden und marginalisierenden Effekte haben die zu beobachtenden pädagogischen Praktiken in Bezug auf diese Differenzen? In einem ersten Teil des Aufsatzes werden die Forschungsperspektive und der theoretische Zugang vorgestellt. Anschließend erfolgen methodologische und methodische Überlegungen sowie eine kurze Beschreibung der Studie, in deren Rahmen die analysierten Daten gewonnen wurden. In einem dritten Abschnitt werden die Interpretationen zweier videographisch aufgezeichneter Interaktionen in der Grundschule dargestellt. Schließlich entwerfe ich im Fazit auf dieser Grundlage Überlegungen zu einem verantwortlichen Handeln in Schule unter der Bedingung von Heterogenität.

H ETEROGENITÄT UND A NERKENNUNG IM K LASSENZIMMER : F ORSCHUNGSPERSPEKTIVE UND THEORETISCHER Z UGANG Die an Schule gerichtete Forderung, einer Verschiedenheit von Kindern angemessen zu begegnen, ist immer auch mit dem Anspruch einer gerechten Behandlung von Schüler_innen verbunden. Dank zahlreicher Studien ist bekannt, dass im deutschen Bildungssystem bestimmte Zugehörigkeiten mit einer systematischen Ungleichbehandlung von Kindern verknüpft sind: Insbesondere Kinder aus bildungsfernen Schichten, mit Migrationshintergrund und Kinder, die mit Behinderungen leben, erfahren signifikante Benachteiligungen (vgl. zum Beispiel Muños 2006). Um Ungerechtigkeiten im Bildungssystem entgegenzuwirken, wird in pädagogischen Diskursen − unter anderem von Annedore Prengel bereits 1993 − oft-

I NKLUSION ALS E XKLUSION

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mals eine verstärkte Anerkennung bestimmter Schüler_innen beziehungsweise auch der Differenzen innerhalb der Schülerschaft gefordert.1 Einer solchen Konzeption von Anerkennung als »Heilmittel« in Bezug auf die Ungleichbehandlung von Schüler_innen möchte ich einige von Judith Butler inspirierte Überlegungen zur Ambivalenz von Anerkennung gegenüberstellen. Butler betont die subjektkonstituierende Bedeutung der Anerkennung und Adressierung durch die Anderen (Butler 2007: 74). In der Begegnung mit Anderen, die das Subjekt unter Bezug auf die zur Verfügung stehenden Diskurse bezeichnen, erkennen und anerkennen, kann dieses erst entstehen: »Das ergibt sich nicht nur aus der Tatsache, dass die Sprache zunächst dem anderen zugehört und ich sie erst über eine komplizierte Form der Mimesis erwerbe, es ergibt sich auch daraus, dass schon die bloße Möglichkeit der sprachlichen Handlungsfähigkeit der Situation entspringt, in der man sich von einer Sprache angesprochen findet, die man sich nicht ausgesucht hat. […] Auf die eine oder die andere Weise scheint man immer angesprochen zu werden, auch wenn man verlassen oder missbraucht wird, da auch die Leere und die Verletzung einen in bestimmter Weise rufen.« (ebd.: 74)

Die Ansprache − an anderer Stelle spricht Butler unter Bezug auf Althusser von Adressierungen (Butler 2001: 10f.) − konstituiert das Subjekt, und, wie in diesem Zitat deutlich wurde, kann eine solche Anrede sich auch als ausbleibende Anrede äußern, weitergehend lässt sich sagen, auch als ausbleibender Blick oder eben als Blick oder als Geste (hierauf werde ich im nächsten Abschnitt noch genauer eingehen). Eine in diesem Sinne verstandene Anerkennung geht über eine rein positiv verstandene Wertschätzung des jeweiligen Gegenübers hinaus und beinhaltet gleichzeitig eine Festlegung dessen, was dieses ist und was es sein könnte (vgl. Butler 2005: 62, Balzer 2007: 62). Sie wirkt somit ebenso ermöglichend wie einschränkend. Butler verweist auch darauf, dass, um ein Gegenüber anerkennen zu können und von diesem anerkannt zu werden, bestimmte Kriterien der Beurteilung nötig seien. Eine Reihe von Normen für das, was Anerkennbarkeit ausmache, seien in der Sprache eingebettet (Butler 2007: 44). Unter Bezugnahme auf Foucault versteht sie dabei Normen als ein Mittel der Disziplin, das oftmals auf einer impliziten Ebene wirkt und seine Kraft eher über die Konstitution von Idealen als über Verbote entfaltet.

1

Für eine kritische Zusammenfassung dieser Diskurse vgl. Balzer 2007: 53ff.

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Anerkennung besitzt die Macht, Subjekten bestimmte Rechte zu verschaffen. Sie legt diese jedoch oftmals gleichzeitig auf bestimmte Eigenschaften fest und wirkt somit einschränkend. In diesem Sinne argumentiert etwa Hans-Uwe Rösner, dass die Beschreibung behinderter Menschen als rechtliche Gemeinschaft aufgrund gemeinsamer medizinisch feststellbarer Merkmale und Eigenschaften diese einerseits ermächtige, ihnen andererseits jedoch auch Identitätsmerkmale auflege, die schwer abzuschütteln seien (Rösner 2012: 380). Was bedeuten diese Überlegungen im Hinblick auf schulische Interaktionen? Norbert Ricken argumentiert, dass pädagogisches Handeln sich durchgehend im Medium der Anerkennung vollziehe (Ricken 2006). Pädagogische Praktiken gehen mit Adressierungen einher und sie stellen den Adressierten einen diskursiven Rahmen zur Verfügung, in dem diese sich positionieren können. Die im schulischen Rahmen vollzogenen Adressierungen sind von zahlreichen, teilweise auch konfligierenden Normsystemen gerahmt. Auf einer expliziten Ebene ist der Leistungserfolg das wichtigste Kriterium der Anerkennung in Schule (vgl. auch Helsper/Sandring/Wiezorek 2005: 191). Butler bemerkt hierzu: »The student achieves precisely through mastering skills and this mundane practical appropriation of norms and rules culminates in ›excellent work‹ and fine marks that can be recognized publicly as such. The acts of skill acquisition are thus modes of subject formation, and this formation takes place within a set of norms that confer or withdraw recognition. […] The conferral of recognition, however, does not happen once, if it happens at all, so a certain anxiety is built in the norm, since the student must repeat the good grade, and that repetition is not assured in advance. The norm is applied, but the norm is always about to happen again.« (Butler 2006: 532)

Normen, so wird hier deutlich, sind auf Wiederholung angewiesen, um wirkmächtig sein zu können und Anerkennung ist ein Gut, das beständig neu errungen werden muss. In besonderer Weise scheint das für Schule zu gelten, deren dezidierte Aufgabe es ist, Schüler_innen kontinuierlich zu unterscheiden und zu bewerten, was Butler zufolge bedeutet, dass das Begehren, der schulischen Leistungsnorm gerecht zu werden, unweigerlich mit der immer wieder erneuerten Angst verbunden ist, diese zu verfehlen. Neben einer gerechten Leistungsbewertung gelten Wertschätzung von und Sorge für die individuellen Schüler_innen oftmals als explizite normative Horizonte pädagogischen Handelns in Schule. Wie bereits angesprochen, ist gleichzeitig bekannt, dass eine solche Programmatik auf der Ebene impliziter Normen − auf die uns Butler ja besonders hinweist − oftmals untergraben wird. In diesem

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Sinne konstatiert Deborah Youdell in ihrer ethnographischen Studie zur schulischen Konstitution von Schüler_innen-Subjektivitäten, dass die durch soziale Kategorien wie Geschlecht, Sexualität, Klasse, Befähigung beziehungsweise Behinderung, »race«, Ethnizität und Religion ebenso wie (sub-)kulturelle Zugehörigkeit markierten Identitäten von Schüler_innen untrennbar mit ihrer Konstruktion als spezifische Schüler_innen oder Lernende sowie mit pädagogischen Inklusionen und Exklusionen verbunden seien (Youdell 2006: 2). Ebenfalls unter Bezug auf Butler unterstellt sie, dass hegemoniale Diskurse und Bedeutungssysteme bestimmen, welche Subjekte und welche Körper überhaupt denkbar seien und welche unmöglich. In ihren Analysen schulischer Interaktionen zeichnet Youdell nach, wie beispielsweise Adressierungen eines Schülers, sowie dessen Selbstinszenierungen und Readressierungen im schulischen Kontext diesen als hypermaskulin und der Arbeiterklasse zugehörig und gleichzeitig als unmöglichen Lernenden (»impossible learner«) konstituieren, ein Vorgang, den sie als Exklusion beschreibt (ebd.: 103ff.) Im deutschsprachigen Kontext zeigt Martina Weber − ebenfalls im Rahmen einer ethnographischen Forschung – auf, dass von als »türkisch« wahrgenommenen Schülerinnen in deutschen Schulen weniger Leistung erwartet wird (Weber 2003). Nicole Balzer und Norbert Ricken schlagen vor, Differenzen als dem pädagogischen Handeln nicht vorausgesetzt zu begreifen, sondern vielmehr die pädagogische Praxis selbst als eine Praxis des »doing difference« zu befragen (Balzer/Ricken 2010: 62). Dieses »doing difference« bringt Subjekte mit ungleich verteilten Möglichkeitsbedingungen hervor: Schule produziert Ungleichheit und reproduziert hierbei gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse. Gleichzeitig erheben pädagogische Diskurse, wie die angesprochenen Debatten um Heterogenität und Inklusion, den Anspruch, diesen Mechanismen entgegenzuwirken. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen werde ich in meinem Beitrag einerseits danach fragen, wie Schüler_innen in konkreten schulischen Interaktionen (unterschiedlich) adressiert werden und wie sich andererseits diese Adressierungen zum Anspruch einer inklusiven Schule verhalten.

W EGE

DER A NALYSE PÄDAGOGISCHER METHODISCHER Z UGANG

P RAKTIKEN :

Bereits in ihren frühen Arbeiten verweist Butler auf die performative Dimension von Geschlechter-Normen (vor allem Butler 1995). Die mit unserer jeweiligen Geschlechtsidentität verknüpften gesellschaftlichen Erwartungen beeinflussen in

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diesem Sinne die Art und Weise, wie wir unsere Körper wahrnehmen und wie wir diese anderen gegenüber präsentieren und erst durch diese Verkörperung und im Zuge von Praktiken können sie weiterbestehen. Normen sind somit kein »Überbau« sozialer Praktiken, stattdessen ist ihre stete (Re-)Aktualisierung und Idealisierung durch und in den »täglichen sozialen Ritualen des körperlichen Lebens« (Butler 2009: 85) Voraussetzung ihres Fortbestehens. In Bezug auf Schule bedeutet dies, dass Normen ihre Kraft im Konkreten entfalten und im Klassenraum aufgeführt werden müssen (Reh/Rabenstein 2012: 226). Mein Interesse für die sich in schulischen Interaktionen vollziehenden Subjektivationsprozesse richtet sich im Anschluss an diese Überlegungen nicht nur auf den Vollzug von Sprechakten, sondern auf im Klassenraum vollzogene Praktiken, auch in ihrer nonverbalen, körperlichen Dimension. Unter Bezugnahme auf praxistheoretische Ansätze gehe ich dabei davon aus, dass erstens Praktiken aus bestimmten routinisiert ablaufenden Bewegungen des Körpers bestehen (Reckwitz 2003: 290) und zweitens diesen ein implizites Wissen inhärent ist, das wiederum auf kollektive Wissensordnungen verweist (Polanyi 1985, Schatzki 2001: 2). Als zentraler Bestandteil dieser Wissensordnungen sind im Anschluss an Butler jene Normen anzusehen, die in und durch Praktiken aktualisiert und idealisiert werden. Georg Breidenstein (2008: 211) verweist darauf, dass eine praxistheoretisch fundierte Unterrichtsforschung die Qualität eines Unterrichts unterhalb der Ebene von Entscheidungen für bestimmte Unterrichtsformen und Methoden in der Unterrichtsinteraktion selbst identifiziert. Empirischer Gegenstand einer solchen Forschung sind »szenische Gefüge körperlich hervorgebrachter Praktiken« (Kolbe et al. 2008: 132). Eine praxeologische beziehungsweise performative Analyseeinstellung fragt danach, wie Praktiken aufeinander bezogen sind (Bohnsack 2009: 149). Methodisch knüpfen praxeologische Zugänge oftmals an die Forschungsstrategie der Ethnographie an, die über eine fundierte Praxis der Beobachtung verfügt (Breidenstein 2006: 19f., Reckwitz 2008: 195f.). Ethnographie erscheint darüber hinaus als geeignetes Instrument, um die Bedeutung von Differenzen beziehungsweise auch die Anerkennung des Anderen in einem sozialen Feld zu analysieren, insofern sie über eine lange Tradition der Reflexion eines angemessenen Umgangs mit dem Anderen verfügt. Als Spielart qualitativ-rekonstruktiver Forschung handelt es sich außerdem um einen Zugang, der den Anspruch erhebt, besonders sensibel mit den eigenen Vorannahmen umzugehen und die beobachteten Praktiken keinen vorab festgelegten Kategorien zu unterwerfen (Fritzsche/Tervooren 2012).

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Die im Folgenden vorgestellten Interpretationsergebnisse entstammen einem DFG-finanzierten ethnographischen Forschungsprojekt zu Beziehungen von Lehrer_innen und Schüler_innen an zwei ausgewählten Grundschulen in Berlin und London. In diesem werden Beobachtungsprotokolle und Videoaufnahmen von Unterrichtsinteraktionen angefertigt und mit Gruppendiskussionen und Interviews mit Lehrer_innen und Schüler_innen trianguliert. Im Folgenden werde ich auf zwei videographierte Szenen eingehen. Videographien von Interaktionen können diese nicht in ihrer Vollständigkeit erfassen, sie ermöglichen uns jedoch einen Zugang zu ihrer auditiven, körperlichen und insbesondere auch zu ihrer visuellen Ebene, die für eine Analyse sozialer Praktiken und von den diesen inhärenten impliziten Wissensbeständen ausgesprochen hilfreich ist. Die bei videographischen Aufnahmen gegebene Möglichkeit, Interaktionen wieder und wieder anzusehen, eröffnet einen Zugang auch zu unauffälligen, routinisierten und körperlichen Praktiken und subtilen Formen der Adressierung (vgl. Wagner-Willi 2005: 256, Kolbe et al. 2008: 131). Im Anschluss an die dargestellten anerkennungstheoretischen Überlegungen und inspiriert von dem von Sabine Reh und Norbert Ricken entwickelten Konzept zur Analyse von Adressierungen interessieren mich im Blick auf die ausgewählten Videoszenen die folgenden Fragen: 1) Wie werden Schüler_innen in konkreten schulischen Interaktionen adressiert? 2) Inwiefern werden in diesen Adressierungen Differenzen zwischen Schü-

ler_innen aufgerufen oder bestätigt? 3) Wie positionieren die Schüler_innen sich hierbei? 4) Welche Normen der Anerkennbarkeit rahmen diese Prozesse und wie verhalten sich diese zum Anspruch einer inklusiven Schule?

I NKLUSION , B ESONDERUNG UND F ÜRSORGE SCHULISCHEN I NTERAKTIONEN

IN

Die videographierte Szene, auf die ich zunächst eingehen werde, wurde in einer jahrgangsübergreifend organisierten Klasse 1-3 aufgenommen. Während die Zweit- und Drittklässler_innen aufgefordert sind, Wochenplanaufgaben zu bearbeiten, hat die Klassenlehrerin die Erstklässler_innen für eine Leseübung nach vorne an die Tafel geholt. Im Raum ist außerdem eine Schulhelferin, die dem Jungen Elian zugeteilt ist. Schulhelfer_innen werden in Berlin an Schulen mit Inklusionsanspruch zur Unterstützung von Kindern mit Behinderungen einge-

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setzt. Sie sind für sogenannte »Maßnahmen der Pflege und Hilfe«2 zuständig. Elian hat eine komplexe Behinderung (vgl. Fornefeld 2008) und ist nach langem Krankenhausaufenthalt erst kürzlich in die Schule zurückgekehrt. In der mit einer Handkamera aufgezeichneten Videoaufnahme ist der folgende Interaktionsablauf zu erkennen: Zu Beginn der Szene erläutert die Lehrerin, dass sie an der Tafel Bildkarten aufgehängt und jeweils zugehörige Wörter angeschrieben habe, die Schüler_innen sind aufgefordert, die Bildkarten den Wörtern zuzuordnen. Während sie noch spricht, melden sich bereits die ersten Schüler_innen. Die am nächsten zur Kamera und ganz rechts sitzenden Kinder Marie und Elian unterhalten sich flüsternd, wobei Marie zur Tafel zeigt. Im Laufe dieses Gesprächs legt Elian den Kopf in den Nacken, woraufhin Marie ihre eine Hand an seinen somit freigelegten Hals führt und gleichzeitig mit der anderen Hand sacht seinen Kopf wieder aufrichtet. Kurz darauf wendet Elian seinen Kopf nach rechts hinten und blickt in einen Bereich des Raumes, der von der Kamera nicht mehr erfasst wird. Lilli wird aufgerufen und tritt zur Tafel. Sie zeigt zunächst auf ein Wort und tippt dann auf eine Bildkarte. Dann wird sie von der Lehrerin aufgefordert, das Wort vorzulesen. Nachdem sie dies getan hat, erläutert die Lehrerin Besonderheiten des Wortes »Ameise«, anschließend soll Lilli das Wort neben die Schrift hängen. Nachdem die Lehrerin klargestellt hat, dass die Schüler_innen sich selbst ein Wort aussuchen dürfen, entdeckt sie Elian, der mittlerweile hinter der Reihe der anderen Schüler_innen entlanggelaufen ist und nun vor einem Tisch neben der Türe des Klassenzimmers steht. Sie fragt ihn, ob er es schaffe, ein Wort einem Bild zuzuordnen, wobei sie sich neben ihn auf den Boden hockt, sodass ihr Kopf sich noch unterhalb von seinem Kopf befindet. Elian wendet sich der Tafel zu, währenddessen tritt die Schulhelferin an die beiden heran, was die Lehrerin veranlasst, sie zu fragen: »Ach, ihr müsst gerade herausgehen?« Dann möchte sie wissen, ob der Junge vorher noch ein Bild zuordnen könne, was die Schulhelferin bejaht, wobei sie Elian, der sich nun zu ihr umgedreht hat, mit einer leichten Berührung wieder hin zur Tafel lenkt. Die Lehrerin wählt, noch immer hockend, das Wort ›Salat‹ aus und lässt es Elian vorlesen, wobei sie ihm einzelne Buchstaben souffliert. Anschließend sagt sie »bravo« und fordert den Jungen, der sich bereits abgewandt hatte, auf, noch die Bildkarte neben das Wort zu hängen. Er tut dies, die Lehrerin steht auf und flüstert ihm noch ein Kompliment zu. Dann verlässt er mit der Schulhelferin den Raum und die Lehrerin ruft Natalia auf, mit der sie wieder auf ähnliche Weise interagiert wie vorher mit Lilli.

2

Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2011

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Auffällig an dieser Szene ist aus der Perspektive meiner Fragestellung zunächst, dass ein Kind anders adressiert wird als die anderen, was sich insbesondere auch in der Körperhaltung der Lehrerin zeigt, die sich Elian in sehr konzentrierter Weise zuwendet, wobei sie sich hinhockt, so dass ihr Kopf sich sogar unterhalb des seinen befindet. Dies mag auch seiner geringen Körpergröße geschuldet sein, die allein jedoch nicht notwendig erfordern würde, dass die Lehrerin sich hinhockt, wodurch sie eine starke Nähe zum Schüler erzeugt und ihrer körperlichen Überlegenheit ihre potentielle Bedrohlichkeit nimmt. Während die Lehrerin ihre Interaktion mit Lilli nutzt, um zwischendurch die Klasse zu adressieren und die individuell gelöste Aufgabe zum Anlass nimmt, bestimmte Regeln an alle zu vermitteln, schenkt sie Elian ihre exklusive ungeteilte Aufmerksamkeit. Der exklusive Status Elians wird darüber hinaus durch die Anwesenheit der Schulhelferin akzentuiert, die allein durch seine Behinderung gerechtfertigt ist. In der analysierten Interaktion haben Schüler und Schulhelferin vor, den Klassenraum zu verlassen, was möglicherweise Elian initiiert hat, als er sich zu Beginn der Szene umwendete: Vermutlich benötigt er die Schulhelferin für eine pflegerische Aufgabe. Die Frage, ob Elian vorher noch eine Aufgabe bearbeiten könne, wird vorrangig zwischen den beiden Pädagoginnen verhandelt. Zunächst fragt die Lehrerin Elian, ob er die Aufgabe schaffe und adressiert ihn somit als Schüler, dem dies nicht ohne weiteres zuzutrauen ist. Nachdem beide Pädagoginnen ihn einrahmend und mit intensiver Aufmerksamkeit beziehungsweise ihn berührend in Richtung der Tafel dirigiert haben, lenkt die Lehrerin ihn durch die Aufgabe hindurch. Indem sie selbst das abzulesende Wort auswählt, nimmt sie ihm die Wahlfreiheit, die sie den anderen beiden Schüler_innen zugesteht: Während diese die Möglichkeit haben, sich ein Wort auszusuchen, das sie − etwa weil sie den Anfangsbuchstaben erkennen − leicht entschlüsseln können, muss Elian sich mit dem von der Lehrerin gewählten Wort beschäftigen, hat es also schwerer als die anderen beiden. Ihr schrittweises Soufflieren lässt ihm schließlich kaum eigenen Spielraum für die Bewältigung der Aufgabe. Die ihm am Ende gewährte Anerkennung (»bravo!«), die das den beiden anderen Schüler_innen gezollte Lob deutlich übersteigt, markiert insofern umso mehr Elians Adressierung als Schüler, von dem schwächere Leistungen als von den anderen zu erwarten sind. In dem videographierten Unterricht wird ein Kind mit Behinderung, das lange abwesend war, als Schüler angesprochen und ermutigt, trotz seiner mit besonderer Aufmerksamkeit zu behandelnden körperlichen Bedürfnisse dieselbe Aufgabe zu bearbeiten wie die anderen Schüler_innen. Ihm ist eine Schulhelferin an die Seite gestellt, die seine Anwesenheit in der Schule durch ihre Unterstüt-

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zung erst ermöglicht. Diese Praktiken nehmen Bezug auf pädagogische Diskurse zu Integration und Inklusion und sie sind orientiert an der Norm, alle Schüler_innen ungeachtet ihrer individuellen Ausgangslage in das Geschehen des Unterrichts einzubeziehen. Gleichzeitig ist in dieser Szene deutlich eine Adressierung Elians als besonderer und als wenig leistungsfähiger Schüler zu erkennen. Die exklusive Zuwendung, die ihm erteilt wird, diskriminiert ihn und unterminiert somit seine Inklusion. Dieser Effekt wird noch durch den Umstand verstärkt, dass die Lehrerin ihm bei der Bearbeitung der Aufgabe keinen eigenen Handlungsspielraum lässt. Diese Weise der Zuwendung scheint orientiert an pädagogischen Normen der Fürsorge und der individuellen Förderung. Angesichts von Elians besonderen körperlichen Bedürfnissen ist eine fürsorgliche Haltung ihm gegenüber nicht unangemessen, diese lässt sich, wie erläutert, nicht nur bei der Lehrerin, sondern auch bei seiner Mitschülerin Marie beobachten, die ihre Hand schützend auf seinen freigelegten Hals legt. Bevor ich weiterführende Überlegungen zu dieser Weise der Differenzkonstitution anstelle, möchte ich kontrastierend noch auf eine zweite videographierte Szene eingehen, die ich nicht mehr ausführlich interpretieren werde, die meines Erachtens jedoch hilfreich ist, um die angesprochene Doppelstruktur des hier analysierten Anerkennungsgeschehens als gleichzeitig inkludierend und marginalisierend noch deutlicher herauszuarbeiten. Es handelt sich um eine Interaktion, die in der vierten Klasse einer Londoner Grundschule aufgenommen wurde. Es geht mir an dieser Stelle bei dem angestrebten Vergleich nicht um Unterschiede zwischen England und Deutschland, zwischen den beiden Schulen oder den beiden Lehrkräften. Vergleichen möchte ich hingegen die Struktur der zu beobachtenden Praktiken und das in dieser Struktur erkennbare Anerkennungsgeschehen. In der ebenfalls mit einer Handkamera aufgenommenen Szene ist eine Gruppe von 25 Schüler_innen zu sehen, die in einem großen Kreis auf dem Boden einer Turnhalle sitzen. Neben der Schülerin Kioni, die den Status »special educational needs« (SEN) hat, sitzt auf einem Stuhl eine »teaching assistant«, die − ähnlich wie die Schulhelferin − dafür zuständig ist, Kinder mit Beeinträchtigungen zu unterstützen. Auch der anwesende Schüler Darcy hat einen »SEN«-Status, neben ihm sitzt jedoch keine »teaching assistant«. Der neben dem Sitzkreis stehende Lehrer gibt der Klasse einen Rhythmus vor, den die Schüler_innen nachklatschen sollen. Nachdem der Lehrer die Aufgabe erläutert hat, zeigen sehr viele Schüler_innen in äußerst engagierter Weise auf. Nachdem Shanice aufgerufen wurde, stößt Darcy, der am rechten

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Bildrand sitzt, einen langgezogenen Klagelaut aus, dies ebenfalls, nachdem Connor als nächster aufgerufen wurde. Shanice fällt es leicht, die gestellte Aufgabe auszuführen. Nachdem sie fertig ist, veranlasst der Lehrer die Gruppe, zu applaudieren und es erfolgt ein heftiger und von Jubelrufen unterstützter Applaus. Connor hingegen hat Mühe, den Rhythmus zu finden und ist auf die Unterstützung des Lehrers angewiesen. Nach seiner Performance fordert der Lehrer die Klasse nicht auf, zu klatschen und es klatscht auch niemand. Noch bevor Connor fertig ist, setzt sich Darcy, dem Lehrer zugewandt, auf und reckt seinen Finger in die Höhe. Schließlich wird er aufgerufen, woraufhin einzelne Schüler_innen »yeah!« rufen und klatschen. Insbesondere Kioni, die Darcy gegenüber sitzt und sich selbst gemeldet hatte, reagiert erfreut, sie lacht und als Darcy in die Mitte des Kreises tritt, verbirgt sie aufgeregt ihr Gesicht in den Händen. Nach Darcys erfolgreicher Vorführung ruft der Lehrer »brilliant, give him an applause!«, hierauf wird noch wilder geklatscht und noch lauter gejubelt als nach Shanices Vorführung.

Ich möchte nun auf einige Aspekte hinweisen, die ich im Vergleich der beiden Szenen für relevant halte: Während die auf lobende Weise anerkennende Anrede Elians durch die Lehrerin unter der Hand mit einer Adressierung als leistungsschwacher und besonderer Schüler einhergeht, wird Darcy als Schüler adressiert, der eine Aufgabe auf herausragende Weise gelöst hat. Es gibt mehrere Gründe für Darcys Erfolgserlebnis: 1) Das didaktische Setting verlangt das Ausführen einer Aufgabe, die Darcy gut

erfüllen kann. 2) Der Lehrer behandelt ihn kaum anders als seine Mitschüler_innen − lediglich auf einer subtilen Ebene, insofern er auf Darcys Leistung etwas euphorischer reagiert als auf die gleichrangige Leistung von Shanice. 3) Darcy bekommt eine spontane, solidarische und sehr engagierte Unterstützung durch seine Mitschüler_innen, insbesondere von Kioni, die selbst eine Schülerin mit dem »SEN«-Status ist. Gerade die individuelle Zuwendung und die Fürsorge, mit der Elian von den beiden anwesenden Pädagoginnen adressiert wird, akzentuiert seinen besonderen Status und hat einen marginalisierenden Effekt, insofern sie ihn von seinen Mitschüler_innen abschirmt. Ebenso wie Darcy erfährt allerdings auch Elian eine fürsorgliche Zuwendung von einer Mitschülerin, als Marie ihm ihre Hand auf den freigelegten Hals legt und seinen Kopf wieder aufrichtet. Inwiefern diese Geste auch einen anmaßenden Charakter hat, lässt sich auf der Basis der Videoaufnahme nicht entscheiden, allerdings holt sie ihn auf sehr diskrete Weise aus

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einer exponierten Körperhaltung heraus, wodurch sie ihn stärker in die Klassengemeinschaft miteinbezieht, insofern also inkludiert. Wie Kionis Gestik wirkt die ihre also solidarisch und eine solche Solidarität ist nur auf der Ebene symmetrischer Beziehungen möglich und Lehrer_innen in der Bezugnahme auf Schüler_innen versagt.3 Helsper und Reh (2012) weisen in einem aktuellen Beitrag darauf hin, dass pädagogischen Verhältnissen stets Asymmetrie eingeschrieben sei. Die entsprechende professionelle Herausforderung bestehe darin, diese Asymmetrie in einer beständigen Gratwanderung einerseits nicht zu negieren und andererseits ertragbar und annehmbar auszugestalten und als Generator für die Entstehung des Neuen in Bildungsprozessen zu entfalten. Ein Bewusstsein für diese Asymmetrie, so möchte ich im Kontext der vorgelegten Analyse ergänzen, könnte auch den Blick für die machtvolle Dimension der durch Pädagog_innen ausgeübten Praktiken der Fürsorge schärfen.

V ERANTWORTLICHES H ANDELN IN S CHULE UNTER DER B EDINGUNG VON H ETEROGENITÄT : F AZIT Beide der analysierten Szenen zeigen Interaktionen zwischen Lehrkräften und Schüler_innen, die sich als »Kinder mit besonderem Förderbedarf« kategorisieren lassen. Das heißt, Elian, Darcy und auch Kioni wird unterstellt, dass sie einer besonderen Förderung bedürfen, um mit dem Konzept des Unterrichts kompatibel zu sein. Darüber hinaus stammen alle drei aus Familien, die aufgrund ihrer Zuwanderungsgeschichte nicht der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft angehören. Wie wir aus vorliegenden Forschungsergebnissen wissen, kann dieser Umstand ebenfalls dazu beitragen, dass sie im schulischen Geschehen benachteiligt werden beziehungsweise, mit Youdell gesprochen, kann er sie vom Status der »acceptable learners« exkludieren. Wie in der vorgestellten Analyse deutlich wird, werden die entsprechenden Kinder jeweils in den Unterricht miteinbezogen, wobei sich gleichzeitig zeigt, dass Versuche, ihren besonderen Status anzuerkennen, diesen gleichzeitig festschreiben und marginalisierende Effekte haben können. Dies wird beispielsweise in Bezug auf den Status der Schulhelferin deutlich: Die pflegerische Unterstützung, die diese Elian gewährt, ist Voraussetzung dafür, dass er die Schule besuchen kann.

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Mit dieser These soll nicht bestritten werden, dass Schüler_innen untereinander auch unsolidarisch und exkludierend agieren können.

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Hierin vergleichbar mit den »teaching assistants«, die für Schüler_innen mit »SEN«-Status zuständig sind, ist die Maßnahme »Schulhelferin« gleichzeitig unvermeidlich diskriminierend, insofern die stete Anwesenheit einer Pädagogin an der Seite Elians dessen besonderen Status immer wieder aufs Neue akzentuiert.4 In diesem Sinne argumentiert Jan Weisser, jegliche Maßnahmen als Antwort auf Behinderungen im und des Systems können unabhängig von ihrer Form nicht nicht diskriminieren (2005: 81). Unter Bezug auf Butler lässt sich das hier aufscheinende Spannungsverhältnis von Inklusion und Diskriminierung mit der Ambivalenz von Anerkennung erklären: Die Anerkennung eines besonderen Subjektstatus legt die adressierten Subjekte gleichzeitig auf diesen fest und schränkt sie somit auch ein. Dies geschieht auch in der in beiden Szenen zu beobachtenden Leistungsbewertung durch die Lehrkräfte, die die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen der Schüler_innen mitberücksichtigt. Im Kontext einer Institution mit Selektionsauftrag ist dies eine unumgängliche und auch sinnvolle Reaktion auf eine heterogene Schülerschaft, die jedoch gleichzeitig immer wieder aufs Neue Differenzen zwischen den Schüler_innen herstellt und festschreibt. Die Frage ist insofern nicht, wie eine Diskriminierung bestimmter Schüler_innen vermieden werden kann, sondern welche Weise der Diskriminierung vermeidbar wäre. Wird Behinderung mit Weisser verstanden als »Feststellung, dass etwas nicht geht, von dem man erwartet, dass es geht« (ebd.: 15), lässt sich anders formuliert auch fragen, wie es möglich ist, der Differenz von Schüler_innen in pädagogischen Adressierungen gerecht zu werden, ohne gleichzeitig diese Differenzen als Behinderungen zu konstituieren. Aus anerkennungstheoretischer Warte erscheint an dieser Stelle das zukunftsorientierte Potenzial von Anerkennung zentral: »Anerkennung zu fordern oder zu geben heißt gerade nicht, Anerkennung dafür zu verlangen, wer man bereits ist. Es bedeutet, ein Werden für sich zu erfragen, eine Verwandlung einzuleiten […]« (Butler 2005: 62). Wenn, wie Butler hier anmerkt, das Begehren nach Anerkennung immer auch ein Begehren nach einer Anerkennung der eigenen Wandlungsfähigkeit ist, so lässt sich die oben formulierte Frage wie folgt weiterspinnen: Wie kann Schule dem Anspruch aller Kinder auf eine Verwandlung, ein Werden im Zuge schu-

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Vermeidbar wären allerdings die karge Ausbildung und Entlohnung der Schulhelfer_innen, die dazu führen, dass diesen selbst ein marginalisierter Status zukommt, der einer Marginalisierung ihres Klientels Vorschub leistet.

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lischer Anerkennungsprozesse gerecht werden, ohne hierbei spezifische Differenzmerkmale als Behinderung dieses Anspruches zu konstituieren? Vor dem Hintergrund der dargestellten Interpretationen möchte ich abschließend folgende erste Antworten auf diese Frage formulieren: Zum einen kann das jeweilige didaktische Setting zentrale Voraussetzungen dafür schaffen, dass auch Schüler_innen mit Beeinträchtigungen als leistungsfähig adressiert werden: Die Aufgabe des Rhythmusklatschens ermöglicht Darcy auch deshalb ein Erfolgserlebnis, weil sie anders gelagert ist als die sonstigen Anforderungen des Unterrichts. Zum anderen ließ sich aufzeigen, dass von Lehrer_innen ausgeübte Praktiken der Fürsorge marginalisierende Effekte haben können: Diese weisen dem adressierten Schüler einen exklusiven Status zu und adressieren ihn in seiner Besonderheit, jedoch nicht in seiner Wandlungsfähigkeit. Die Einlösung eines Inklusionsanspruches, Schüler_innen mit »besonderem Förderbedarf« nicht auf ihre Behinderung festzuschreiben und ihnen Wandlungsprozesse zuzugestehen, wäre insofern nur möglich, indem diese durch ihre Lehrer_innen eben gerade nicht fürsorglich, sondern als potenziell leistungsfähig adressiert werden. Weisen der fürsorgenden Zuwendung müssten hingegen dem entsprechenden pädagogischen Personal und den Mitschüler_innen überlassen werden, die nicht qua Status in der Position sind, kontinuierlich Leistungen zu bewerten.

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Von Diversität zu Differenz Ethnographische Beobachtungen zum Umgang mit Plurilingualität in frühpädagogischen Settings S ASCHA N EUMANN & C LAUDIA S EELE

E INLEITUNG Die Erfahrung von Diversität setzt immer schon sozial objektivierte Differenzen als Produkt spezifischer Unterscheidungsleistungen voraus. Der »feine Unterschied« zwischen Diversität und Differenz besteht jedoch darin, dass im Falle der Produktion von Differenz Unterscheidungen nicht egalitär gehandhabt werden, sondern wahrgenommene Verschiedenheiten in ungleichheitsrelevante Unterschiede bei der sozialen Wahrnehmung, Beurteilung und Behandlung bestimmter Personen oder Personengruppen münden, also etwa mit unterschiedlichen Rechten, Ressourcen und Partizipationsmöglichkeiten verknüpft werden (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2013, Lutz/Wenning 2001, Olk 2009). Will man empirisch beobachten, wie sich Diversität in Differenz verwandelt, sieht man sich also mit der Frage konfrontiert, welche Unterscheidungen tatsächlich einen Unterschied zwischen bereits als different wahrgenommenen Personen machen (vgl. Neumann 2011). Der vorliegende Beitrag verortet sich im Horizont dieser Fragestellung und geht ihr anhand von Materialien eines ethnographischen Forschungsprojekts in sogenannten Maisons Relais pour Enfants (MRE) für null- bis vierjährige Kinder in Luxemburg nach. Die Ergebnisse und Materialien, auf die wir uns dabei beziehen, stammen aus teilnehmenden Beobachtungen, die zwischen 2010 und 2012 in insgesamt sechs Einrichtungen und in mehreren, bis zu achtwöchigen Feldphasen von bis zu drei Forscher/-innen durchgeführt worden sind. Zur Auswertung sind neben Beobachtungsprotokollen, Videoaufnahmen, Fotos sowie

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Notizen in Feldtagebüchern auch Artefakte und Dokumente herangezogen worden. Jenseits normativ-programmatischer Intentionen fragt der Beitrag danach, wie »Diversität« im Alltag der Kindertageseinrichtung als »Differenz« praktisch bearbeitet und hervorgebracht wird. Das Augenmerk liegt dabei auf dem Umgang mit sprachlicher Diversität, die im plurilingualen Alltag der institutionalisierten Kindertagesbetreuung in Luxemburg eine herausragende Rolle spielt und jene Ebene darstellt, auf der nicht nur im engeren Sinne pädagogische Fragen nach einer angemessenen Entwicklungsförderung und Schulvorbereitung, sondern auch solche von Identität und Zugehörigkeit verhandelt werden. Der erste Schritt widmet sich vor diesem Hintergrund den analytischen Perspektiven, mit deren Hilfe die vollzugspraktische Hervorbringung von Differenz am Beispiel der Sprachverwendung in plurilingual geprägten pädagogischen Settings ethnographisch untersucht werden kann. Der zweite Schritt macht wiederum die komplexe Ausgangslage der luxemburgischen Sprachsituation zum Thema und erläutert mit Blick auf die lokalen Praktiken der Sprachverwendung, wie sich die diverse Sprachökologie des gesellschaftlichen Alltagslebens in Luxemburg in die institutionelle Kindertagesbetreuung hinein »übersetzt«. Der dritte Schritt schließlich rekonstruiert anhand von Protokollmaterial aus der ethnographischen Studie die Logik sprachverwendungsbezogener Differenzproduktion und zeigt dabei, wie im Alltag von Kindertageseinrichtungen gerade jene Differenzen erzeugt werden, die immer schon vorausgesetzt sind, wenn vom Umgang mit Diversität als einer besonderen fachlichen Herausforderung die Rede ist.

A NALYTISCHE P ERSPEKTIVEN : D OING D IFFERENCE UND T RANSLANGUAGING Unter den verschiedenen Zugängen, die zum Thema Differenz in den Erziehungswissenschaften und der erziehungswissenschaftlichen Ethnographie kursieren (vgl. Fritzsche/Tervooren 2012, Lutz/Wenning 2001, Plößer/Mecheril 2009), verfolgt unsere ethnographische Forschung einen Ansatz, der die sozialen Praktiken der Differenzerzeugung in den Fokus rückt. Das Konzept des »doing difference« (Fenstermaker/West 2001) basiert auf einer sozialkonstruktivistischen und ethnomethodologischen Epistemologie, die Differenzen nicht einfach als immer schon vorausgesetzte Bedingungen pädagogischen Handelns betrachtet, sondern sich danach erkundigt, wie sie in alltäglichen Interaktionen praktisch hervorgebracht werden. Damit verschiebt sich in der empirischen Forschung der Fokus von der normativ-programmatischen Frage, ob die pädagogische Praxis die Herausforderungen der Diversität ihrer Adressatinnen und Adressaten in an-

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gemessener Weise bewältigt, hin zu der Beobachtung des praktischen Vollzugs von Unterscheidungsleistungen, die eine sozial differenzierte Wirklichkeit erst entstehen lassen. Indem in Augenschein genommen wird, in welcher Weise gesellschaftliche Differenzkategorien wie etwa Geschlecht (dazu zum Beispiel Kelle 2001), Generation (zum Beispiel Kelle 2005) und Ethnizität (zum Beispiel Diehm/Kuhn 2006, Seele 2012) in der Interaktion selbst immer wieder erzeugt, in ihrem Sinn und ihrer sozialen Relevanz bestätigt beziehungsweise neu verhandelt werden und damit überhaupt erst ihren Anschein der Selbstverständlichkeit erlangen, werden diese in ihrer Geworden- und Gemachtheit beobachtbar und ihre je spezifische, kontextgebundene Bedeutung rekonstruiert (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2010). Die Forschungsperspektive konzentriert sich demnach nicht auf die Beobachtung von Unterschieden und ihrer Handhabung, sondern auf die Beobachtung von Praktiken der Unterscheidung (vgl. Neumann 2011). Um die ungleichheitsrelevanten Effekte der beobachteten Interaktionen nachvollziehen zu können, ist jedoch eine Kontextualisierung und Relationierung der mikroanalytischen Betrachtung sozialer Praktiken notwendig (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2013). Dies lässt sich unseres Erachtens auch in der ethnographischen Forschung selbst bewerkstelligen, indem die Bezüge und Verweise mitrekonstruiert werden, welche die Akteure – sei es diskursiv oder über den Gebrauch von Dokumenten und Artefakten – selbst herstellen. Der Kontext wird dann nicht lediglich als ein der Vollzugswirklichkeit äußerlicher, in sie hineinragender Ordnungsmechanismus vorausgesetzt, sondern auch als ein Produkt dieser Wirklichkeit erschließbar. Diversität und Differenz bilden demnach keinen vorgegeben, gleichsam statischen »Rahmen«, in dem die beobachteten Sprachpraktiken stattfinden. Vielmehr stellen sie gleichermaßen die Voraussetzung und das Ergebnis jener sozialen Praxis dar, die in ihren Vollzügen vermeintlich auf sie »reagiert«. Einen zweiten analytischen Bezugspunkt für eine Ethnographie sprachverwendungsbasierter Differenzproduktion stellt das Konzept des »translanguaging« (García 2009) dar. Es besitzt den Vorzug, dass es gerade die lokal situierten Praktiken der Sprachverwendung in den Fokus rückt: das sogenannte »languaging«. »Translanguaging« meint in diesem Sinne »the act performed by bilinguals of accessing different linguistic features or various modes of what are described as autonomous languages, in order to maximize communication potential« (ebd.: 140). Mehrsprachigkeit wird hier nicht als ein bloßes Nebeneinander einzelner »Sprachen« verstanden, die sich trennen und aufaddieren lassen, sondern als ein Komplex verschiedenster linguistischer Ressourcen, die ein »superdiverses« Repertoire (Blommaert 2010) bilden, aus dem die Akteure flexibel und situationsabhängig schöpfen können (vgl. auch Gogolin 2010). Die Vorstellung

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von Sprachen als homogenen und eindeutig unterscheidbaren Entitäten wird dabei infrage gestellt und als Ergebnis historischer Prozesse der Nationenbildung und damit verflochtener wissenschaftlicher Klassifizierungspraxen und in Bildungsinstitutionen vorangetriebener Standardisierungen aufgedeckt. Somit handelt es sich um einen dekonstruktivistischen Zugang zu sprachlicher Differenzproduktion, der diese nicht einfach als egalitär ansieht, sondern immer auch in ihrer ungleichheitsrelevanten Machtdimension betrachtet (vgl. auch Gogolin 1994, Makoni/Pennycook 2007). Ausgehend von dieser Perspektive werden auch die bildungspolitischen Debatten um Sprachförderung und Mehrsprachigkeit in ihrem ideologischmonolingualistischen Bias erkennbar. Wenn von Sprachförderung die Rede ist, dann impliziert dies unausgesprochen stets die Förderung in einer Mehrheitssprache oder der vermeintlichen Muttersprache. Genauso referiert der Terminus Multilingualität auf die Vorstellung multipler Einsprachigkeit. In diesem Sinne kennzeichnet Heller (2008) auch den Bilingualismus als einen Mechanismus der Differenzproduktion: »Bilingualism is all about boundaries: it is all about what counts as the difference between two languages, about who counts as a speaker of particular languages, and about how the categorization of languages and language practices is connected to the categorization of groups of people« (ebd.: 252). An dieser Kritik des Bilingualismus wird deutlich, dass auch die Differenz zwischen verschiedenen Sprachen und ihre Verknüpfung mit bestimmten (etwa: nationalen) Zugehörigkeiten und Identitätspositionen nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, sondern selbst ebenso immer wieder aktiv hervorgebracht wird. Nicht nur, dass das »doing difference«, das heißt die Performanz und konkrete Ausgestaltung von Differenz in sozialen Interaktionen, zu einem großen Teil über die Verwendung von Sprache verläuft, vielmehr wird in multilingualen Settings die Verwendung einer bestimmten Sprache beziehungsweise Sprachvariante selbst zu einem Medium der Differenzproduktion (vgl. García 2010). So rückt zunehmend auch die Rolle von Erziehungs- und Bildungsinstitutionen in der Konstruktion dessen, was als »legitime« Sprache (Bourdieu 1990) gilt, in den Fokus empirischer Untersuchungen (zum Beispiel Blackledge/Creese 2010, Heller 2006, Mecheril/Quehl 2006). Dass die Sprachverwendung in Bildungsinstitutionen immer auch mit Macht- und Herrschaftspraktiken verflochten ist, kann zwar keineswegs überraschen (vgl. nur Bernstein 1975). Interessant ist mit Blick auf diverse linguistische Ökologien jedoch die Einsicht, dass die dort stattfindende Differenzproduktion wesentlich auf der Hegemonie eines monolingualistisch orientierten Ideals von Sprachkompetenz und Mehrsprachigkeit beruht. Vor diesem Hintergrund stellen wir an unser empirisches Material unter anderem die Frage, welche Rolle die vielfältigen Sprachpraktiken der Akteure

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bei der praktischen Bearbeitung von Diversität im Kindergartenalltag spielen. Wie werden Differenzen dabei vorausgesetzt, hervorgebracht oder auch überschritten beziehungsweise in Frage gestellt? Das übergreifende Erkenntnisinteresse dabei lautet: Wie bringen die Akteure diejenigen Unterschiede hervor, die sie als immer schon gegeben voraussetzen, wenn vom Umgang mit Diversität die Rede ist?

L INGUISTIC L ANDSCAPES : S PRACHÖKOLOGIE IN L UXEMBURG UND V IELSPRACHIGKEIT IM K INDERGARTENALLTAG In kaum einem anderen europäischen Land ist die Sprachsituation derart komplex und »plurigloss« wie in Luxemburg (Kühn/Reding 2007: 31). Dies hat nicht allein mit dem hohen Anteil an Migrant/-innen zu tun, sondern auch damit, dass die oft mehrsprachigen Ausländerinnen und Ausländer bereits eine historisch gewachsene Dreisprachigkeit vorfinden (Berg 1993). So kodifiziert das Sprachengesetz von 1984 – neben dem Luxemburgischen als Nationalsprache – auch das Deutsche und Französische als sogenannte »langues administratives et judiciaires«. In der alltäglichen Praxis allerdings geht die Mehrsprachigkeit der Luxemburger Gesellschaft weit über die offizielle Triglossie hinaus. Die Komplexität der sprachlichen Situation lässt sich bereits an den statistischen Daten über die Bevölkerung Luxemburgs ablesen. Unter den insgesamt 43,8 Prozent der ansässigen Bevölkerung von 524.900 Einwohner/-innen, die als Ausländer/-innen klassifiziert sind (STATEC 2012), besitzen unter anderem 37,1 Prozent die portugiesische, 14,4 Prozent die französische und 7,9 Prozent die italienische Staatsbürgerschaft (ebd.: 9). Hinzu kommen täglich 154.900 Grenzpendler/innen (sogenannte »frontaliers«) aus den Nachbarländern Frankreich, Belgien und Deutschland (ebd.: 12). Die Komplexität der alltäglichen Praktiken der Sprachverwendung in Luxemburg wird zudem noch unterschätzt, wenn man die Sprachensituation lediglich als eine multilinguale auffasst, in der vermeintlich ausnahmslos mehrsprachige Sprecher/-innen aufeinandertreffen. Was man in Luxemburg antrifft, ist vielmehr eine Situation, wie man in Anlehnung an Steven Vertovec (2007) formulieren kann, sprachlicher »Super-Diversität« (vgl. hierzu Gogolin 2010). Diese beschreibt einen Zustand, in dem nicht lediglich unterschiedliche Sprachen in einem sozialen Raum getrennt voneinander koexistieren und von den Sprecher/-innen unabhängig voneinander verwendet werden, sondern eine Situation, in der die sprachliche Lage durch ein komplexes Ineinander, Miteinander und Gegeneinander unterschiedlicher »fremder« und »einheimi-

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scher« Sprachen gekennzeichnet ist (vgl. auch Blommaert 2010, Creese/Blackledge 2010). Die komplexe Sprachsituation spiegelt sich auch im Bildungswesen wider. So beträgt etwa der Anteil ausländischer Schüler/-innen an Luxemburger Schulen insgesamt 41,7 Prozent (MENFP 2012: 16); für das Jahr 2010 gaben 56,1 Prozent der Schülerschaft der Primarstufe an, zuhause eine andere Sprache als Luxemburgisch zu sprechen (ebd.: 106). Betrachtet man vor diesem Hintergrund die fachliche und politische Auseinandersetzung zum Umgang mit sprachlicher Diversität in der Kindertagesbetreuung, dann ist die öffentliche Wahrnehmung und Problematisierung mit derjenigen in Deutschland durchaus vergleichbar. Migrationsbedingte Chancenungleichheit im Bildungswesen ist auch in Luxemburg ein wichtiger Bezugspunkt bildungspolitischer Debatten. Der 2010 erstmals erschienene Rapport national sur la situation de la jeunesse au Luxembourg (MFI 2010) wiederholt in dieser Hinsicht noch einmal, was die PISA-Studien auch für Luxemburg gezeigt haben (vgl. zuletzt MENFP 2010), nämlich, dass von Chancenungleichheit im Bildungssystem vor allem Kinder und Jugendliche mit niedrigem sozioökonomischen Status, Migrationshintergrund und fremdsprachigen Elternhäusern betroffen sind (vgl. auch Horner/Weber 2008, Berg et al. 2011). Der vor- und außerschulischen Betreuung und Bildung wird in diesem Zusammenhang eine sowohl präventive wie kompensatorische Funktion zugeschrieben (siehe zum Beispiel Majerus 2009). Dies gilt auch für die Maisons Relais pour Enfants, also jenen Typus von Einrichtungen, die Gegenstand unseres ethnographischen Forschungsprojektes sind. Zu ihrem Bildungsauftrag gehört es, Kindern unterschiedlicher Herkunft eine »gemeinsame Umgangssprache« (Majerus 2008: 294) zu vermitteln. Wenn in den pädagogischen Rahmenkonzepten auf die Regelung des sprachlichen Umgangs in den Einrichtungen explizit eingegangen wird, heißt es zumeist sinngemäß: Die Fachkräfte sollen mit den Kindern Luxemburgisch sprechen und auf deren korrekte Aussprache achten. Aufgegriffen wird also der Bildungsauftrag konzeptionell in der Gestalt des Versuchs, der diversen Sprachökologie auf institutioneller Ebene mit einer Monolingualisierung des sprachlichen Verkehrs zu begegnen. Gleichwohl reflektiert sich in der Forderung nach einer Durchsetzung des Luxemburgischen als lingua franca in den Institutionen der Kindertagesbetreuung nur die politisch-programmatische Seite des luxemburgischen Diskurses um Mehrsprachigkeit, wohingegen der sprachliche Verkehr in den Einrichtungen etwas anderes zeigt. Allein aus einem rein deskriptiven Blickwinkel sieht man sich dabei – wie es bereits die folgende Abbildung andeutet – mit einer vielfältigen Sprachlandschaft konfrontiert.

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Abbildung 1: Mehrsprachiges Hinweisschild am Eingang einer »Maison Relais pour Enfants«

Quelle: Abbildung der Autoren

Die Metapher von der linguistic landscape, wie sie sich im Rahmen unterschiedlicher Untersuchungen als Deskriptionsformat für das Profil plurilingual verfasster Sprachräume etabliert hat (vgl. hierzu zum Beispiel Gorter 2006), drängt sich dabei nicht zuletzt deshalb auf, weil der Blick auf das Geschehen in den Maisons Relais eine in sich differenzierte linguistische Ökologie zu erkennen gibt, in der Areale der Multilingualität, Monolingualität und Translingualität fließend ineinander übergehen (vgl. Neumann 2011, 2012). Während in multilingualen Arealen mehrere Sprachen gleichrangig nebeneinander verwendet werden, zeichnen sich monolinguale Zonen durch die Dominanz einer bestimmten Sprache aus. Translinguale Zonen sind wiederum durch eine Sprachverwendung gekennzeichnet, die unterschiedliche linguistische Ressourcen der kommunikativen Sinnproduktion und -vermittlung miteinander verknüpft. Aus der Perspektive der teilnehmenden Beobachtung scheint dabei insgesamt die Festlegung auf das Luxemburgische als Hauptsprache in den Institutionen nur partikular zu greifen. Die hier geschilderten Beobachtungen zur sprachlandschaftlichen Gliederung des Geschehens in den Maisons Relais pour Enfants zeigen zunächst einmal, dass die diverse Sprachsituation keineswegs vor den Toren der Kindertageseinrichtungen Halt macht. Sie zeigen ebenso, dass die gesellschaftliche Sprachöko-

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logie dabei nicht lediglich als äußerlicher Kontext in die Institutionen hineinwirkt, sondern dort auch aktiv erzeugt, transformiert und rekontextualisiert wird (vgl. Pennycook 2010). Inwiefern verwandelt sich nun in der Vollzugswirklichkeit dieser Institutionen der Umgang mit der sprachlichen Diversität in die Produktion von Differenz?

U MGANG

MIT M EHRSPRACHIGKEIT IM A LLTAG LUXEMBURGISCHER K INDERBETREUUNGSEINRICHTUNGEN »Normalerweise Luxemburgisch«

»Der Erzieher Stéphane erklärt der neuen Aushilfe Tanja den Tagesablauf, die Bring- und Holzeiten, Essens- und Schlafenszeiten, die Konferenz, Aktivitäten, die Aufteilung der Gruppen etc. Er erläutert weiterhin, dass sie normalerweise Luxemburgisch mit den Kindern sprechen. Aber wenn sie weinen, beziehungsweise nicht hören oder nicht zu verstehen scheinen, dann sprechen sie auch in ›ihrer‹ Sprache mit ihnen – sofern sie die Sprache können, was nicht bei allen Kindern der Fall ist (zum Beispiel Chinesisch). Er zählt dann auf, welche Sprachen sie benutzen: Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, ein paar Worte Japanisch. Dann fährt er fort, jedes Kind der Reihe nach vorzustellen, wobei er immer den Namen und die jeweilige Nationalität beziehungsweise Sprache nennt (zum Beispiel ›Dat ass Lian. Hien ass chinesesch.‹). Bei manchen Kindern führt er auch mehrere Zugehörigkeiten an (zum Beispiel ›halb däitsch, halb hollännesch‹).«

Das Beobachtungsbeispiel gibt einen guten Einblick, wie in vielen Maisons Relais mit sprachlicher Diversität umgegangen wird. Luxemburgisch gilt hier als die generelle Umgangssprache mit den Kindern. Während in der Kommunikation unter Erwachsenen durchaus »translingual« agiert wird, also mehrere Sprachen und auch der Wechsel zwischen diesen zulässig und üblich sind, wird im Umgang mit den Kindern eine Monolingualisierung des Sprachgebrauchs, das heißt, eine Beschränkung auf eine einzige Sprache vorangetrieben. Dass diese Ambition jedoch eher programmatischen denn praktischen Charakter hat, zeigt schon die Einschränkung, die in dem Wort »normalerweise« zum Ausdruck kommt. Damit wird nicht nur interaktiv eine bestimmte Vorstellung von »Normalität« erzeugt, der gegenüber jeder davon abweichende Sprachgebrauch als Ausnahme erscheinen muss; es wird ebenso augenfällig, dass die monolingualistische Engführung des sprachlichen Verkehrs sich in der Praxis nicht immer so konsequent durchhalten lässt. Die Erläuterungen des Erziehers Stéphane signalisieren, dass es bei Verständigungsproblemen zwischen erwachsenen Fachkräften und einzelnen Kindern durchaus legitim ist, unterschiedliche Sprachressourcen

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zu mobilisieren. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn Kinder weinen oder nicht auf die Ansprache des Fachpersonals reagieren; es ändert sich jedoch, wenn sich die die Frage der Sprachverwendung mit pädagogischen Förderambitionen verknüpft. Die Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung zeigen in dieser Hinsicht, dass das Luxemburgische hauptsächlich in gemeinsamen Aktivitäten, beim Essen und in solchen Situationen dominiert, in denen Kinder als Gruppe angesprochen werden. Trotz und entgegen der weithin anzutreffenden Multilingualität des sprachlichen Verkehrs in den Einrichtungen lässt sich dabei der Einzugsbereich der monolingualisierten »luxemburgischen Sprachzone« relativ klar eingrenzen. Territorial gesehen ist es eher die Sprache der Gruppenräume als die des Empfangsbereichs, sozial gesehen ist es nicht unbedingt die Sprache der Kinder unter Kindern und auch nicht diejenige von Eltern und Fachkräften, sondern diejenige zwischen Kindern und erwachsenen Erzieher/ -innen sowie von Kindern in deren Anwesenheit (vgl. Neumann 2011, 2012). Abbildung 2: Übergang in die »monolinguale« Zone: Illustration zum Tagesablauf an der Eingangstür zu einem Gruppenraum

Quelle: Abbildung der Autoren

Die Verwendung des Luxemburgischen ist in der Kommunikation zwischen den erwachsenen Erzieher/-innen und den Kindern nicht einfach auf die zwischenmenschliche Verständigung ausgerichtet, sondern vielmehr jene Sprache in der, durch die und zu der ›gebildet‹ werden soll. Die Maisons Relais antworten also

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auf die Herausforderung der Sprachförderung in einer plurilingual geprägten sozialen Umgebung, indem sie eine Monolingualisierung der Kommunikation mit den Kindern anstreben (vgl. Honig/Neumann 2011). »Andere« Sprachen als Luxemburgisch werden im obigen Beobachtungsbeispiel vom Erzieher als »ihre« Sprachen bezeichnet, also als die Sprachen der Kinder und eben nicht die der Institution, wobei sie gleichzeitig mit nationalen Zugehörigkeiten verknüpft werden. Den Kindern werden dabei vereindeutigende Identitätspositionen zugeschrieben, durch die sie auch in der wechselseitigen Wahrnehmung als different hervortreten. »Mat Diego schwätzen mir awer Lëtzebuergesch« »Nach dem Mittagessen ist Freispiel-Zeit. Danach geht es wieder ans Aufräumen. Die Erzieherin Rita bittet Diego (26 Monate) und Alexander (30 Monate), den Tunnel aufzuräumen, den sie mit Büchern, Decken und Legosteinen gefüllt haben. Alexander fängt auch an, ein bisschen was wegzuräumen, aber Diego spielt einfach weiter. Nach Ritas wiederholten Aufrufen und Ermahnungen in Luxemburgisch ruft Ritas Kollegin Denise ihm zu: ›Diego, mira me! Escucha me, Diego! Hablo contigo!‹ [Diego, sieh mich an! Hör mir zu, Diego! Ich rede mit dir!] Aber auch darauf reagiert er nicht. Ilona, eine weitere Erzieherin, wendet nun ein: ›Mat Diego schwätzen mir awer Lëtzebuergesch.‹ [Mit Diego sprechen wir aber Luxemburgisch.] Denise verteidigt sich: ›Hien héiert jo net. Weder op Lëtzebuergesch nach op Spuenesch héiert hien.‹ [Er hört ja nicht. Weder auf Luxemburgisch noch auf Spanisch hört er.] Und Ilona: ›Jo, mä net, well hien net versteet. Hien wëll just net.‹ [Ja, aber nicht, weil er nicht versteht. Er will einfach nicht.] Denise spricht dann weiter Luxemburgisch mit Diego…«

Hier vollzieht sich in actu, was im vorigen Beispiel als praktische Regel für den Umgang mit sprachlicher Diversität geschildert wurde. Greift das Luxemburgische als allgemeine Umgangssprache mit den Kindern nicht, weil diese – wie Diego in diesem Fall – nicht darauf reagieren, wird auch auf andere sprachliche Ressourcen zurückgegriffen. Der programmatische Anspruch einer monolingualen Sprachverwendung wird erst durch den Eingriff Ilonas wieder aktualisiert. Dies ist durchaus kein Einzelfall. Wir haben des Öfteren beobachtet, wie sich das Personal gegenseitig dazu anhält, mehr Luxemburgisch mit den Kindern zu sprechen. In anderen Situationen wiederum fordern die pädagogischen Fachkräfte die Kinder direkt dazu auf Luxemburgisch zu sprechen oder geben vor, sie nicht zu verstehen, wenn sie in einer anderen Sprache angesprochen werden. Die Normen, welche Sprache im Kindergarten mit den Kindern zu sprechen ist, sind also keineswegs immer schon festgelegt, sondern stehen fortlaufend auf dem Spiel. Das monolinguale Ideal, an dem sich diese Normierungspraktiken orien-

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tieren, tritt dabei in ein Spannungsverhältnis zu den vorhandenen vielsprachigen Kompetenzen der Akteure und den ansonsten beobachtbaren fließenden Übergängen zwischen den diversen sprachlichen Ressourcen, die auch die kommunikative Praxis im gesellschaftlichen Alltag Luxemburgs jenseits der institutionellen Kindertagesbetreuung prägen. Wenn aber »translinguale« Sprachpraktiken in der Kommunikation mit Kindern in Kindertageseinrichtungen angewandt werden, erzeugt dies gerade den Eindruck eines »Durcheinander«, das den eigenen professionellen Ansprüchen zuwiderzulaufen scheint. Dazu ein weiteres Beispiel: »Alles durcheinander« »Melanie, eine der Erzieherinnen, fragt mich, was ich denn nun zu den Sprachen hier im Kindergarten herausgefunden hätte – wie viele sie denn zum Beispiel sprechen würden, ob zwei oder drei, und wahrscheinlich alles durcheinander. Ich antworte, dass vor allem Luxemburgisch und Französisch gesprochen werden, aber auch Deutsch, Portugiesisch, Italienisch und andere Sprachen. Melanie macht ein ganz verwundertes Gesicht. ›Wirklich? Italienisch auch? Und Portugiesisch? Aber nicht bei mir oder? Ich versuche eigentlich schon immer Luxemburgisch mit den Kindern zu reden. Aber manchmal, wenn sie auf Französisch antworten, dann rede ich auch einfach auf Französisch weiter, ohne es überhaupt zu merken. Erst später fällt mir dann auf: Oh, ich rede ja Französisch gerade.‹ Ich erzähle, dass ich auch oft beobachtet habe, wie eine Person zum Beispiel etwas auf Französisch sagt und eine andere darauf auf Luxemburgisch antwortet, wobei beide sich ohne Probleme verstehen. Sie wiederholt dann noch einmal: ›Ja, aber es geht immer alles so durcheinander.‹«

Die von Melanie beschriebene Erfahrung, vom Luxemburgischen ins Französische zu wechseln ohne es überhaupt zu bemerken, kennzeichnet präzise das, was García (2009) als »translanguaging« auf den Begriff bringt und steht im krassen Gegensatz zu den im Beispiel zuvor geschilderten normierenden Eingriffen. Die monolingualistische Normierung des sprachlichen Geschehens erfolgt wiederum, wie der Protokollausschnitt aus dem Gespräch mit Melanie verdeutlicht, im Zeichen der Zielsetzung, eine Ordnung in das sprachliche »Durcheinander« zu bringen und die monolinguale Sprachförderung in der alltäglichen Praxis der Institution zu etablieren. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass der Umgang mit sprachlicher Diversität sich insgesamt in einem Spannungsfeld zwischen dem Festschreiben sprachlicher Grenzen und deren ständiger Überschreitung und Infragestellung bewegt. Dabei wird augenscheinlich, wie bei der alltäglichen Bewältigung sprachlicher Diversität in den Betreuungseinrichtungen in doppelter Hinsicht Differenzen erzeugt werden (vgl. Neumann 2011, 2012). Einerseits un-

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terscheidet sich der sprachliche Umgang unter Erwachsenen von demjenigen zwischen Erwachsenen und Kindern, so dass die generationale Differenz zwischen Kindern und Erwachsenen, die für die pädagogische Praxis an sich als konstitutiv gilt (Nemitz 1991), auch durch die Praxis der Sprachverwendung mit hervorgebracht und bestätigt wird. Die im luxemburgischen gesellschaftlichen Alltag vorherrschende Sprachtoleranz und -flexibilität ist zwar auch in pädagogischen Einrichtungen beobachtbar, sie wird allerdings vorrangig unter Erwachsenen und eher außerhalb des pädagogischen »Kerngeschäfts« gepflegt. In der Kommunikation mit den Kindern wird in sprachfördernder Absicht dagegen eine monolinguale pädagogische Sonderwelt geschaffen. Dadurch kann sich die professionelle Praxis in Kindertageseinrichtungen in doppelter Hinsicht abgrenzen und zwar sowohl vom Bereich der Schule, in dem Deutsch und Französisch die offiziellen Unterrichtssprachen sind, als auch vom Bereich der Familie, in dem unterschiedlichste Familiensprachen nebeneinander und miteinander bestehen. Auf der anderen Seite werden durch die vereinheitlichende sprachliche Praxis auch Differenzen unter den Kindern selbst erzeugt, da sie bei ihnen auf unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen trifft und damit unterschiedliche Partizipationsmöglichkeiten im institutionellen Alltag, aber auch differente Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten hervorbringt. Gleichzeitig führen auch die beschriebenen »Ausnahmen«, bei denen andere Sprachen als Luxemburgisch Eingang in die pädagogische Praxis finden, selbst im anerkennenden Umgang mit Differenzen zu deren unausweichlicher Reproduktion (vgl. Plößer/Mecheril 2009).

S CHLUSS : A MBIVALENZEN MONOLINGUALISTISCHER S PRACHFÖRDERUNG IN EINER MULTILINGUALEN G ESELLSCHAFT Ethnographische Forschung, die sich für die Praxis der Sprachverwendung in luxemburgischen Kindertageseinrichtungen interessiert, entdeckt nicht nur eine Diversität an Sprachen, sondern auch unterschiedliche Optionen und Formen des Umgangs mit dieser Diversität. Diese zeigen sich nicht erst beim Vergleich unterschiedlicher Einrichtungen, sondern bereits im Alltag jeder einzelnen: Der Rückgriff auf translinguale Sprachrepertoires ist genauso gängig wie multilingual orientierte Übersetzungsleistungen oder die Versuche, die sprachliche Vielfalt durch eine Monolingualisierung zu bändigen. Jedoch macht es dabei einen Unterschied, wer mit wem spricht und nicht zuletzt auch, worum es eigentlich geht. Steht bei der Sprachverwendung die Verständigung im Mittelpunkt, dann herrscht selbst in den Kinderbetreuungseinrichtungen die in Luxemburg übliche

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Sprachtoleranz vor. Geht es jedoch um die Ambition, bei den Kindern eine gemeinsame Umgangssprache zu kultivieren, tritt diese Toleranz deutlich in den Hintergrund und wird von monolingualisierenden Interventionspraktiken abgelöst. Vor diesem Hintergrund zeigt sich wiederum, wie eng pädagogisch finalisierte Sprachverwendung und Differenzproduktion im Betreuungsalltag miteinander verknüpft sind. Das zentrale Medium bei der Erzeugung von Differenz ist dabei die Monolingualisierung des sprachlichen Verkehrs. Sie bringt erst jene Unterschiede hervor, von denen sie ausgeht und erzeugt dabei paradoxerweise auch erst die Probleme, die sie zu lösen versucht. In ihr manifestiert sich nicht nur der institutionalisierte Unterschied von Kindern und Erwachsenen, sie lässt auch die unterschiedlichen Herkünfte und Sprachkompetenzen der Kinder erst offen hervortreten. Auch wenn sich dabei noch nicht unmittelbar die ungleichheitsrelevanten Folgen der Differenzproduktion zu erkennen geben, weisen die ethnographischen Beobachtungen zum sprachlichen Verkehr dennoch bereits auf sie voraus. Sie signalisieren nämlich, dass die Einrichtungen der Kindertagesbetreuung Vielfalt nicht lediglich bearbeiten, sondern auch Verschiedenheit erzeugen. Befragt man die monolingualisierende Praxis der Sprachverwendung und -förderung auf ihre möglichen Konsequenzen hin, so müssen diese mindestens als ambivalent erscheinen – dies sowohl für die Luxemburgisch sprechenden Kinder als auch für diejenigen mit anderssprachigen Elternhäusern. Zwar vermittelt die monolingualistische Förderung des Luxemburgischen einerseits mit der Nationalsprache auch eine gemeinsame Umgangssprache für den institutionellen Alltag und bereitet auf die linguistische Ökologie des Unterrichts in den ersten Schuljahren vor. Andererseits aber schafft sie auch eine pädagogische Sonderwelt der Einsprachigkeit, die in einem scharfen Kontrast zur multilingualen gesellschaftlichen Wirklichkeit steht. Für die Kinder mit anderssprachigen – mitunter sogar selbst mehrsprachigen Elternhäusern – bedeutet dies, schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine zusätzliche Sprache lernen zu müssen. Kinder, die auch zuhause Luxemburgisch sprechen, werden zwar in ihrer Familiensprache gefördert. Sie lernen jedoch nicht, wie man mit Sprache im gesellschaftlichen Kontext Luxemburgs umgeht, der immer auch die Kompetenz zur sprachübergreifenden Kommunikation voraussetzt. Die Sprachverwendungspraxis in den Kindertageseinrichtungen reflektiert also nicht nur die Vielfalt der luxemburgischen Gesellschaft, sondern fügt ihr noch weitere Quellen hinzu. Letztlich wird damit die bildungspolitisch beabsichtigte Integrationsfunktion der Kindertagesbetreuung tendenziell ad absurdum geführt.

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V ON D IVERSITÄT

ZU

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Differenzdokumentationen in Einschulungsverfahren Ethnographische Instrumentenanalyse am Beispiel von Beurteilungsbögen in Grundschulen H ELGA K ELLE & A NNA S CHWEDA

E INLEITUNG : W ANDEL DER B EDEUTUNG VON E INSCHULUNGSVERFAHREN Der Wandel der Einschulungsverfahren in den letzten 15 Jahren in (fast) allen Bundesländern wurde durch eine Kritik an bis dahin selektiven Einschulungspolitiken und -praktiken angestoßen, die zu hohen Rückstellungsquoten und einem im internationalen Vergleich hohen durchschnittlichen Einschulungsalter geführt hatten. Die Stichtagsregelungen (Erreichen der Schulpflicht) sowie die sogenannten Kann-Kinder-Regelungen (Regelungen zur vorzeitigen Einschulung) wurden geändert und es kam zu einer Ausbreitung von flexiblen Schuleingangsstufen, die auf Selektion am Schulanfang verzichten (wollen). In Bezug auf die Schuleingangsdiagnostik kann man – auf programmatischer Ebene – von einem sukzessiven Wandel von der Funktion der Selektion hin zu der Ermittlung von Förderbedarf sprechen (vgl. Kammermeyer 2000). Während die Stichtage und zum Beispiel die Termine für die Schulanmeldungen schulgesetzlich festgelegt sind, werden Inhalt, Form und Einsatz von eingangsdiagnostischen Methoden und Materialien auf der Ebene der Einzelschulen geregelt. Im Zuge einer »Ausstreuung von Diagnostik« (Tervooren 2010) haben sich in den letzten Jahren Dokumentationspraktiken zu der Entwicklung und Bildung der Kinder im Elementar- und Primarbereich etabliert und diversifiziert. Bei schulischen Terminen vor der Einschulung wird eher punktuell

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der Entwicklungsstatus der Kinder beobachtet und die beteiligten Lehrkräfte kennen die Kinder vor Beginn des Verfahrens meist noch nicht. In Hessen, wo die beiden Fälle angesiedelt sind, die wir in diesem Beitrag analysieren, findet die Schulanmeldung seit 2010 bereits 15 Monate vor der Einschulung statt, um vor allem Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen früh erfassen und sie in einen sogenannten »Vorlaufkurs« überweisen zu können, in dem sie bis kurz vor Schuleintritt eine Sprachförderung erhalten. An vielen hessischen Grundschulen gibt es noch weitere (diagnostische) Termine vor der Einschulung wie »Kennenlern-« oder »Schnuppertage«, bei denen neben der Klassenzusammensetzung weitere Entscheidungen getroffen werden können. Auch die möglichen Bildungsentscheidungen im Einschulungsverfahren haben sich diversifiziert: Es geht nicht allein um die Frage, ob ein Kind eingeschult wird oder nicht, sondern es kann zum Beispiel um vorzeitige und fristgerechte Einschulung, um vorschulische Förderung in besonderen Maßnahmen, um herkömmliche Einschulung oder Einschulung in eine flexible Schuleingangsstufe und nach wie vor auch um Rückstellung in eine Ersatzeinrichtung wie die Vorklasse gehen. In unserer Pilotstudie mit einer zufallsgenerierten Stichprobe von 10 Grundschulen zeigte sich, dass hessische Schulen für die Eingangsdiagnostik weitgehend selbst entwickelte oder kompilierte Instrumente nutzen. Veröffentlichte und standardisierte Diagnostiken kommen dagegen eher selten zum Einsatz (vgl. auch Kleissendorf/Schulz 2010: 10). Es ist eine empirisch offene, praxisanalytisch bisher nicht eingehend erforschte Frage, auf welche Instrumente Schulen für die Eingangsdiagnostik zurückgreifen und welche Praktiken sie in diesem Zusammenhang entwickeln. In dem Beitrag präsentieren wir erste Ergebnisse aus dem DFG-Projekt »Einschulungsverfahren, Eingangsdiagnostiken und Bildungsentscheidungen im Kontext des Strukturwandels des Übergangs in die Grundschule«, das wir von 2012 bis 2014 durchführen. Ziel des Projekts ist es, am Beispiel des Landes Hessen die heterogene Praxis der Einschulungsverfahren und der eingesetzten Dokumente auf der Organisations-, Verfahrens- und Instrumentenebene zu explorieren sowie die differenzielle Handhabung der Einschulungsverfahren und Instrumente in je konkreten Einzelfällen zu analysieren. Im Projekt arbeiten wir mit einer Kombination aus ethnomethodologischen Dokumentenanalysen (Wolff 2008), Beobachtungen, die durch Audioaufnahmen gestützt werden, Experteninterviews und Informantengesprächen (Kelle 2010). Für diesen Beitrag ist die Verschränkung von Dokumenten-/Instrumentenanalyse und Beobachtungen zentral.

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Wir führen zunächst unsere heuristischen Konzepte und Forschungsfragen ein (2.). Im empirischen Teil rekonstruieren wir, wie zwei kontrastiv ausgewählte Beurteilungsbögen die Dokumentation von Differenzen zwischen Kindern an »Kennenlerntagen« instrumentieren (3.1), welche Dokumentationspraktiken die beteiligten Lehrkräfte in situ entwickeln (3.2) und wie schließlich auf die Dokumente in abschließenden mündlichen Beurteilungen der Kinder referiert wird (3.3). Der Beitrag endet mit einer Reflexion auf die Bedeutung der Differenzdokumentationen im Einschulungsverfahren (4.).

H EURISTISCHE K ONZEPTE

UND

F ORSCHUNGSFRAGEN

In Anlehnung an Gomolla und Radtke (2007) konzipieren wir Schule als Organisation, die Bildungsentscheidungen prozessiert und in diesen Prozessen Differenzen zwischen (Ein-)Schulkindern nicht nur feststellt, sondern auch herstellt. Versteht man Bildungsentscheidungen nicht allein individuums-, sondern auch organisationsbezogen, sind die schulrechtlichen, schulorganisatorischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen, aber auch die Instrumente der Überprüfung von Lernvoraussetzungen bei den Einschülern in den Blick zu rücken, welche in Form einer Ergebnisdokumentation Bildungsentscheidungen innerhalb der Organisation und gegenüber den Eltern legitimieren helfen. Die Einschulungsverfahren werden nicht nur im untersuchten Feld so genannt, sondern ihre Untersuchung als Verfahren erfordert auch einen theoretischen Verfahrensbegriff. In Anlehnung an Luhmann (1969: 41) verstehen wir Verfahren als einen »teilweise durch sich selbst gesteuerten, Komplexität reduzierenden Handlungszusammenhang«, Verfahren erfüllen »eine spezifische Funktion [...], nämlich eine einmalige verbindliche Entscheidung zu erarbeiten, und [sind] dadurch von vornherein in ihrer Dauer begrenzt«. Scheffer, Michaeler und Schank (2008: 425) modifizieren Luhmanns Verfahrensbegriff im praxisanalytischen Interesse, indem sie Verfahren als »ein Zusammenspiel von selbstbezüglichen und ergebnisoffenen Prozessen der Entscheidungsfindung, der Kommunikation sowie der Wissensproduktion« exponieren. Wir schließen zudem an praxistheoretische Prämissen an (Reckwitz 2003): Die Annahme der Materialität sozialer Praktiken in Abhängigkeit von Körpern und Artefakten lenkt die Forschungsaufmerksamkeit nicht nur auf die Akteure, sondern auch auf die während der Einschulungsverfahren eingesetzten (diagnostischen) Materialien, Instrumente und Dokumente, die neben und mit den menschlichen Akteuren die soziale Praxis (prä-)formieren und strukturieren (Latour 2006).

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Dabei geht es uns in der Analyse nicht einfach um eine Rekonstruktion der Realisierung der den Dokumenten eingeschriebenen Handlungsprogramme. Die Studie von Bollig und Schulz (2012) zu Beobachtungs- und Dokumentationspraktiken von Erzieherinnen in Kindertagesstätten ist in diesem Kontext instruktiv, insofern sie darauf zielt, »empirisch fundierte Rekonstruktionen der institutionellen Binnenlogiken« dieser Praktiken zu leisten. Empirisch vorfindliche Modifikationen von publizierten Beobachtungsverfahren interpretieren die Autoren dabei nicht modellorientiert als Effekte einer ge- oder misslungenen Umsetzung, sondern als praktische Strategien mit den Anforderungs- und Ungewissheitsstrukturen des Handlungsfeldes umzugehen. Bollig, Kelle und Seehaus (2012) rekonstruieren das »reworking« der Form von Dokumenten in der diagnostischen Dokumentationspraxis bei kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen. Sie stellen Fälle dar, in denen das Präskript von Dokumenten/Instrumenten praktisch zwar aufgegriffen, aber auch modifiziert und variiert wird. Im Anschluss an Smith’ (2001) Ansatz einer »institutional ethnography« verstehen wir die hier zu analysierenden schulischen Dokumente also als schriftsprachliche Instrumente institutioneller Kommunikation, die bisweilen gerade in der Differenz von Formular und Dokumentation ihre praktischen Wirkungen entfalten. Wenn wir hier den Begriff der Differenzdokumentation verwenden, zeigen wir damit an, dass wir nicht einfach die Ethno-Konzepte des Feldes aufgreifen. Wir zielen analytisch zum Beispiel nicht auf eine Rekonstruktion der ›Dokumentation von Lernstandsdiagnosen‹. Differenzen sind nur über Relationierungen bestimmbar, sie verweisen stets auf Unterscheidungen von etwas zu etwas anderem. Wir verwenden das Konzept also als heuristischen Begriff, der den virulenten Individuumsbezug der Schuleingangsdiagnostik und Beobachtung von Kindern im Einschulungsverfahren einklammert und den Blick auf Differenzierungen und Relationierungen lenkt, die in den diagnostischen Praktiken (mit)vollzogen werden. Dies können Differenzierungen zwischen Kindern einer Einschulungsgruppe oder Differenzierungen zwischen dem Entwicklungsstand von Kindern und der Altersnorm sein. Es gilt also, die Bezugsnormen für Differenzmarkierungen in die Analyse einzubeziehen. Aus den entwickelten heuristischen Perspektiven ergeben sich folgende Fragen: Welche Konstruktionslogik ist den Dokumenten/Instrumenten inhärent, die der Wissensgenerierung und -archivierung im Einschulungsverfahren dienen? Welche Praktiken und Logiken der Dokumentation mit welchen Relevanzen lassen sich in der Durchführung der Überprüfung der Einschüler beobachten? Wie werden die Dokumente in das Einschulungsverfahren eingebracht und wie interagieren sie mit mündlichen Gesprächen über die Kinder? Und wie werden

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schließlich Differenzen zwischen einzuschulenden Kindern dokumentiert und verfahrensrelevant?

V ERGLEICHENDE A NALYSE VON D IFFERENZ DOKUMENTATIONEN IM E INSCHULUNGSVERFAHREN ZWEIER G RUNDSCHULEN Die Dokumente, um die es im Folgenden geht, wurden in den Schulen selbst entwickelt. Sie werden in den beiden kontrastiv ausgewählten Grundschulen am »Kennenlerntag« beziehungsweise »Schnuppertag« eingesetzt, um die Ergebnisse der Beobachtung der Kinder während der circa zweistündigen Gelegenheiten festzuhalten, bei denen die Einschulkinder die Schule und die Lehrkräfte vice versa die Kinder kennenlernen beziehungsweise ›beschnuppern‹ sollen. Diese Termine liegen am Ende des Einschulungsverfahrens im April/Mai des Einschulungsjahres. Einige der Lehrkräfte haben die Kinder bereits circa elf Monate zuvor bei der Schulanmeldung und/oder bei einem zweiten »Diagnosetermin« im Herbst im Jahr vor der Einschulung gesehen. Wir haben die Dokumente dieses Termins ausgewählt, da die Lehrkräfte hier ihre über das Verfahren hinweg angehäuften Beobachtungen noch einmal verdichten und sich gewissermaßen die ›letzte‹ Bestimmung des Verfahrens erfüllt: Sollten die Einschulungsentscheidung oder andere Bildungsentscheidungen bis dahin noch nicht feststehen, werden sie im Anschluss an diese Termine getroffen. Logik der Dokumente Wir bilden zunächst beide Dokumente ab, damit sich Leser selbst ein Bild von deren Gestalt und Konstruktionslogik machen können.

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Abbildung. 1: Beurteilungsbogen Schule B

Quelle: Abbildung der Autorinnen

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Abbildung 2: Beurteilungsbogen Schule C

Quelle: Abbildung der Autorinnen

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Wir rekonstruieren die Logik der Differenzdokumentation für beide Dokumente im Vergleich.1 In das Dokument aus Schule B wird oben der Name eines Kindes eingetragen. Es funktioniert also zunächst als individuelles Dokument, das nicht unmittelbar auf eine Veranschaulichung der Differenz zu anderen Kindern hin angelegt ist. Der Bogen ist als institutionelles Dokument mit neun Arbeitsblättern (ABern) vernetzt, welche einzelnen der 14 durchnummerierten Zeilen zugeordnet sind. Auf diesen Blättern erledigen die Kinder Aufgaben: Die Leistungen der Kinder werden sozusagen auf den ABern vollzogen und materialisiert, sie dienen als Belege für eine erbrachte Leistung, welche auf dem Beurteilungsbogen ggf. in einen Befund übersetzt wird. Die Struktur und Form dieser Übersetzungsleistung orientiert sich an den drei Spalten des Bogens: In der ersten Spalte »Inhalt« werden zum Teil Gegenstände der Beobachtung wie zum Beispiel »visuelle Gliederungsfähigkeit« beschrieben und Spiele benannt, die mit den Kindern durchgeführt werden. In der zweiten Spalte »Kriterien« werden Bewertungskriterien genannt; die dritte Spalte heißt »Blitz« und bezieht sich auf eine Dokumentationsweise der Schulleiterin, die auch auf den (anders gestalteten) Bögen für die Schulanmeldung mit gezeichneten Blitzen arbeitet. Diese Blitze drücken etwa aus ›Achtung, bei dieser zu überprüfenden Leistung ist etwas auffällig‹. Die wiederkehrende Formulierung in der Spalte »Kriterien«, »mehr als 1 Fehler«, legt die Lesart nahe: Tritt bei der Aufgabe mehr als ein Fehler auf, ist dies zu vermerken. Das Dokument strukturiert also nicht nur eine individuelle Ergebnisdokumentation vor, sondern ist diesbezüglich auch defizitorientiert, insofern nur Fehler und Auffälligkeiten notiert werden sollen. Kompetenzen werden nicht dokumentiert, demzufolge auch nicht das Leistungsspektrum der ganzen Gruppe. Dagegen kann man das Dokument aus Schule C als kollektives Dokument bezeichnen, das eine unmittelbare Relationierung der Ergebnisdokumentation eines einzelnen Kindes an der für fünf weitere Kinder erlaubt, die auf demselben Blatt eingetragen werden. Die Logik der Dokumentation ist zudem sowohl defizit- als auch kompetenzorientiert, denn die je Kriterium ankreuzbaren vier ver-

1

Wir führen hier eine fokussierte Dokumentenanalyse durch, die nicht alle formalen, inhaltlichen und ikonographischen Gestaltungselemente aufgreift und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Aus Platzgründen bilden wir die Dokumente auch nur einmal – ausgefüllt – ab, konzentrieren die Analyse aber zunächst auf das BlancoDokument. Erst im zweiten Schritt der Analyse geht es, unter Hinzuziehung von Beobachtungsprotokollen und Transkripten, um die beobachtbaren Dokumentationspraktiken.

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schiedenen Smileys sollen eine Platzierung der vom Kind gezeigten Leistungen auf dem ganzen Leistungsspektrum ermöglichen. Die Menge der Eintragungen, die vom Dokument vorgesehen sind, ist somit immer gleich; sie variiert allerdings in der Dokumentationspraxis. Auf diese Weise kann prinzipiell eine Profillinie je Kind über die Aufgabenbereiche hinweg erzeugt werden, die den Vergleich zwischen Kindern nicht nur je Einzelfertigkeit, sondern im Gesamtprofil der überprüften Fertigkeiten erlaubt und Differenzen zwischen den Kindern platz- und zeitsparend ›auf einen Blick‹ veranschaulicht. Wenn Dokument B (als Einzeldokument) auch nicht Entsprechendes leisten kann, so ist auch darin eine Relationierungslogik eingebaut: »mehr als ein Fehler« bedeutet wahrscheinlich, dass hier das Unterschreiten der Altersnorm in Bezug auf einzelne Fähigkeitsbereiche markiert wird. Der Maßstab für die Dokumentation einer Fehleranzahl wäre dann das Unterschreiten einer unteren Schwellennorm im Spektrum der erwartbaren Leistungen der Altersgruppe, das heißt umgekehrt, dass ein Großteil der Kinder sehr wahrscheinlich über die geforderte Kompetenz verfügt. Auch der Smiley-Vergabe durch Lehrkräfte bei Dokument C unterliegen Vorstellungen von der Altersgemäßheit bestimmter Fertigkeiten, so dass der Struktur des Dokuments beide Bezugsnormen inhärent wären: die Relation zur Altersgruppe und die Relation zur Gruppe der einzuschulenden Kinder an dieser Schule. Im Vergleich mit Dokument B weist Dokument C eine strukturelle Differenz auf: Da an dieser Schule am Schnuppertag wesentlich weniger mit ABern gearbeitet wird, bleiben die dokumentierten Leistungen der Kinder weitgehend ohne Beleg, die Dokumentation selbst hat den Charakter, die Einschätzung der Lehrkräfte zu materialisieren, diese aber nicht durch weiteres Material stützen zu können. Dokument B sieht neben der Fehlerdokumentation keinen zusammenfassenden Befund vor wie zum Beispiel »schulfähig: ja/nein«. Insofern scheint es dabei nicht in erster Linie um die Einschulungsentscheidung zu gehen, sondern um die Sammlung von Hinweisen, in welchen Bereichen die Kinder ggf. noch gefördert werden sollten. So erscheint das Dokument zwar deutlich defizitorientiert, aber nicht darauf ausgerichtet, Selektionsentscheidungen zu legitimieren. Dokument C dagegen enthält am Seitenende eine »Gesamteinschätzung« zur Einschulung mit den Optionen »Ja«, »Bedenken« und »Nein«, die wiederum durch anzukreuzende Smileys umgesetzt werden und die zuvor im Einzelnen dokumentierten Befunde zusammenfassen. Praktiken des Dokumentierens Wir kommen nun zu den Praktiken des Dokumentierens in der Durchführung der Kennenlern-/Schnuppertage. An beiden Schulen teilen sich zwei Lehrkräfte die

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Anleitung von Aufgaben und die Dokumentation in einer Gruppe von zwölf beziehungsweise 13 Kindern untereinander auf.2 An Schule B arbeitet die dokumentierende Lehrkraft an dem von uns beobachteten Tag nicht mit Blitzen, wie es das Dokument nahe legt, sondern schreibt die Anzahl der Fehler (»1 F«) oder andere Kommentare (wie auch im vorliegenden Fall bei Aleyna in Zeile zehn) in die Blitz-Spalte. Betrachtet man alle zwölf von uns gesammelten Beurteilungsbögen, so stellt man fest, dass insgesamt wenig dokumentiert wurde. Es wird aber auch recht häufig »1 F« notiert, und zwar bei sechs von zwölf Kindern (bei vereinzelten Aufgaben); bei drei werden gar keine Fehler notiert, bei drei Kindern in verschiedenen Zeilen recht viele. Diese Praxis legt die Lesart nahe: ›Kriterium‹ heißt, dass eine bestimmte Fehlerquote einen auffällig defizitären Leistungsstand in einem Bereich indiziert (und dann unbedingt in Form eines Blitzes notiert werden sollte) – die Lehrkräfte notieren aber auch bereits eine Fehlerquote, die diesem defizitären Leistungsstand nahekommt, die angegebenen Schwellenwerte (»1 F«) also. Sie erbringen auf diese Weise eine ›feinere‹ Differenzierung in der Leistungsdokumentation, als es das Formular vorsieht. Die Verweisungszusammenhänge zwischen Beobachtungen und Dokumentationen sind wie folgt charakterisiert: Die Dokumentationen sind erstens durch »Kriterien« gesteuert hochselektiv (an Schule B vor allem fehlerorientiert) und reduzieren darin die Komplexität der beobachteten Praktiken der Aufgabenerfüllung in der Darstellung erheblich. Die Dokumentationen weisen zweitens die festgehaltenen Beobachtungen als Tatsachenbeschreibungen (Daten) aus – auch wenn diese selbst falsch sein können. Die Bögen sind drittens durch Rubrikenund Formvorgaben gekennzeichnet – passen Beobachtungen nicht in diese Struktur, bringen die Lehrkräfte sie zum Beispiel als Zusatznotizen oben oder unten auf dem Bogen an (zum Beispiel »Trennungsschmerz 15 min«); die Notizen ›fallen‹ dann aus der Form. Die Lehrkräfte variieren die übliche Dokumentationspraxis, Fehler zu notieren, auch in den Fällen, wo sie der individuellen Zurechnung einer erbrachten Leistung widersprechen wollen, so zum Beispiel bei Ole, für den in Zeile sieben notiert ist: »kann nur malen, was er bei anderen sieht«, oder bei Aleyna in Zeile zehn: »verbessert, nachdem vorgesagt wurde«. Dies ist eine Methode, falsch positive (in der Logik des vorliegenden Dokuments), nämlich fehlende Eintragungen zu vermeiden. In den Variationen des

2

An Schule C führen normalerweise drei Lehrkräfte den Schnuppertag für eine Gruppe durch. In der hier beobachteten Gruppe musste die dritte Lehrkraft vorzeitig gehen, so dass der Schnuppertag hier ausnahmsweise größtenteils von zwei Lehrkräften durchgeführt wurde.

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Dokumentierens zeigt sich ein »reworking« der Form des Dokuments, über das für Beobachtungen, die Lehrkräfte über die vorgesehenen Rubriken hinaus für wichtig halten, ebenfalls ein Datenstatus reklamiert wird. Die Defizitorientierung in Dokument B erzeugt, legt man die ausgefüllten Beurteilungsbögen nebeneinander, wie Lehrkräfte es im Anschluss an die Beobachtungen tun, eine anschauliche Differenz zwischen gar keinen, wenigen und vielen Eintragungen. Die Dokumente dienen im weiteren Verfahren dann als ›Repräsentanten‹ der Einschulkinder. Das ist schon an der Gruppierung der Bögen aller Kinder direkt nach den Beobachtungen erkennbar: Die beiden Lehrkräfte sortieren die restlichen ABer auf Stapel, für jedes einzelne Kind einen, die auf einer Kommode verteilt sind. […] Oben aufgelegt wird der Beurteilungsbogen. Die Stapel der »drei etwas problematischen Kandidaten« (aus Sicht der Lehrkräfte) hat Frau I alle an den rechten Rand sortiert, also zusammen gruppiert: Ole, Beo und Aaron. Auf deren Bögen sind im Unterschied zu den anderen neun Kindern in vielen Zeilen Eintragungen vorhanden.

Die Differenz, dass die Eintragungen sich zu einem nicht geringen Teil nicht an der Bewertungslogik des Dokuments orientieren, wird bei dieser Sortierung in Leistungsgruppen vernachlässigt. So finden sich zum Beispiel bei Beo in Zeile neun (»Rechnen«) Bemerkungen wie »keine Lust mehr«, »ich kann nicht mehr«. Die schiere Fülle der Eintragungen im Vergleich zu den (fast) leeren Blättern anderer Kinder scheint die Gesamteinschätzung zu illustrieren, dass Ole, Beo und Aaron »problematische Kandidaten« sind. Mit Blick auf welche Entscheidungen sie für problematisch gehalten werden, klärt sich im weiteren Verfahren. Für Schule C ist eine Kontextinformation vorauszuschicken: Dass es auf dem Bogen eine »Gesamteinschätzung zur Einschulung« gibt, irritiert deshalb, weil Schule C eine flexible Schuleingangsstufe hat und somit die offizielle Einschulungspolitik vorsieht, dass keine Kinder zurückgestellt werden. Die Rubrik erklärt sich durch eine Anweisung, welche an dieser Schule vorab zum Schnuppertag gegeben wird: Die Lehrkräfte sollen darauf achten, ob es in ihrer Gruppe Kinder gibt, die sie für Kann-Kinder halten. Ihnen wird vorher nicht mitgeteilt, auf welche Kinder in ihrer Gruppe dies zutrifft. Für Kann-Kinder steht, trotz flexibler Eingangsstufe, genauso wie an Schule B die Einschulung zur Disposition. Von der Organisation wird also, jenseits des Dokuments, die Leitdifferenz Pflicht- und Kann-Kinder in das Verfahren als relevant eingespeist. An Schule C setzt die dokumentierende Lehrkraft in den Bereichen Sprache und Feinmotorik ihre Kreuze, bei drei Kindern finden sich auch Kreuze im Bereich auditive Wahrnehmung und bei einem Kind im Bereich visuelle Wahr-

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nehmung. Diese – in Bezug auf die ausgewählten Fähigkeitsbereiche – sehr selektive Dokumentationspraxis ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass in dieser Gruppe ausnahmsweise zwei und nicht drei Lehrkräfte die Durchführung des Schnuppertages übernehmen. Da es für eine Lehrkraft kaum machbar ist, am Schnuppertag für 13 Kinder parallel in den acht angegebenen Kompetenzbereichen Leistungen zu bewerten, konzentriert sie sich bei der Leistungsbeurteilung qua Symbolen auf für sie relevante Fähigkeitsbereiche. Da auf dem Bogen ganze Fähigkeitsbereiche mittels eines einzelnen Symbols abgedeckt werden sollen, können ganz unterschiedliche Beobachtungen in die Bewertung einfließen. Vermutlich hat die Lehrkraft deshalb bei zwei Kindern auf dem Bogen in einem Fähigkeitsbereich gleich zwei Smileys angekreuzt. Bei drei der insgesamt 13 Kinder hat die Lehrkraft die Kreuze zwischen zwei Smiley-Symbole gesetzt und so in der praktischen Durchführung eine weitere Differenzierungsstufe in die Bewertungslogik eingebaut. Auf der (hier nicht gezeigten) Rückseite der Bögen besteht die Möglichkeit zur ›freien‹ Dokumentation. Im vorliegenden Fall dokumentiert die Lehrkraft dort vor allem Beobachtungen in den Bereichen, die sie auf der Vorderseite ausgelassen hat, insbesondere zu Sozial- und mathematischen Kompetenzen, zum Beispiel bei Laura: »Meldet sich immer, anstatt reinzureden« oder bei Sabina: »Mathe: sehr gut«. Die Komplementarität der praktizierten Dokumentationen auf Vorder- und Rückseiten vermeidet das Problem von inhaltlichen Dopplungen, welche die Struktur des Dokuments zunächst nahelegt.3 Frau A. kommentiert ihre Praxis so: »Wenn ‘s hinten steht, müssen wir das doch vorne auch nicht alles« [eintragen]. Die Dokumentationen auf der Rückseite bieten dabei den praktischen Vorteil, dass sie nicht in Fähigkeitsbereiche einsortiert werden müssen, sie streuen nicht nur nach Kriterien und Inhalten, sondern auch in Hinblick auf ihren Umfang: Für Anton wird zum Beispiel doppelt so viel eingetragen wie bei den anderen fünf Kindern auf demselben Bogen. (Mündliche) Arbeit an den Dokumenten In beiden Schulen treffen sich die Lehrkräfte nach dem Kennenlern- und Schnuppertag zu Auswertungsgesprächen, um sich gemeinsam auf ein Gesamturteil über jedes Kind zu verständigen. Die Beurteilungsbögen und ABer der Kinder liegen ihnen im Gespräch vor. Ein Ausschnitt aus Schule C: Frau A.: Den Anton, den müsste man sich ja markieren.

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Es gibt auf der Vorderseite ein Feld, das die gleiche Überschrift trägt, wie die Rückseite: »Bemerkungen/weitere Beobachtungen/Auffälligkeiten«.

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Frau Z.: Denk ich auch, ja. Frau A.: Hast du aufgeschrieben: »Lispelt«. Frau Z.: Ja, also ich bin kein Sprachwissenschaftler, aber der ist schonFrau A.: Doch=doch mir ist schon aufgefallen, wie er spricht. Frau Z.: Und erFrau A.: Aber die Fragen gut beantworten, ähm, bei einem Würfel war es okay, mit zwei Würfeln zählt er ab, aber auch okay. Aber ich find das auch noch normal, dass die abzählen. Frau Z.: Mhm ((zustimmend)). Frau A.: ((liest vom Bogen ab)) Hält hoch, wenn er nicht dran ist und ((..)) was- anders herum. Auditive Wa- aha, wird zunehmend besser dann, aber- […] Frau Z.: Der war auch in Sport [ziemlich auffallend]. Frau A.:

[Ganz, ((.)) ganz schwach!]

Frau Z.: Ziemlich auffällig. Also, ähm ja. Frau A.: Also, den würde ich auf jeden Fall mal- der wird ein Probleme- Das wird sicher Probleme geben mit dem. Frau Z.: Mhm ((zustimmend)).

Frau A. referiert mit dem Begriff »markieren« auf eine für Schule C gängige, über den vorliegenden Bogen hinausgehende Dokumentationspraxis: Die Lehrkräfte sollen die potentiellen Kann-Kinder in einer separaten Namensliste aller Kinder mit einem Textmarker hervorheben. Die Markierungspraxis liegt verfahrenstechnisch gewissermaßen vor der Einschätzung zur Einschulungsentscheidung auf den Beurteilungsbögen, denn in einer Schule mit flexibler Schuleingangsstufe wären, entsprechend der Programmatik, die Optionen »Bedenken« oder »nein« nur für Kann-Kinder anzuwenden. Im vorliegenden Fall deutet sich allerdings eine Bedeutungsverschiebung für das Markieren an. Mit der Formulierung »hast du aufgeschrieben« referiert Lehrkraft A. auf eine Eintragung zum Lispeln, die schon in der Notiz enthaltene Tatsachenfeststellung wird damit mündlich noch einmal verstärkt. Frau Z. schränkt diese zwar ein – »bin kein Sprachwissenschaftler, aber [...]« –, doch Frau A. bestätigt noch einmal den Befund, der dann so stehen bleibt. Auch in die mündlichen Verhandlungen werden, ähnlich wie in die Dokumente, Relationierungen eingebaut: »ich find das auch noch normal, dass die abzählen«. »Die« steht hier indexikalisch für die Altersgruppe und der konkrete Fall, Anton, wird sprachlich als deren Repräsentant konzipiert. Entgegen der Hervorhebungslogik des »Markierens«, der ›Besonderung‹, könnte man hier komplementär von ›Demarkierung‹ und Normalisierung sprechen. Die beiden Lehrkräfte ringen in dem Gespräch über Anton mit beiden Optionen, letztlich wird aber aus den dokumentierten Auffälligkeiten

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auf einen negativ auffälligen Gesamteindruck geschlossen. Die positiven Aspekte, die für Anton auf der Rückseite des Bogens eingetragen wurden (»nett, freundlich«, »Kann Fragen zur Geschichte gut beantworten«, »zählt ab, aber OK«) werden zwar genannt, verändern das Bild, das die Lehrkräfte von Anton insgesamt zeichnen, aber nicht maßgeblich. Die dokumentierten negativen Aspekte fallen stärker ins Gewicht, sie untermalen die Prognose weiterer potenzieller Probleme. Ob oder dass Anton ein Kann-Kind sein könnte, wird nicht thematisiert, dies ist auch in den Gesprächen über die anderen Kinder nicht der Fall. Ausgehend von der Aufforderung, Kann-Kinder zu markieren, verschiebt sich in den Dokumentations- und Besprechungspraktiken der Fokus auf die ›problematischen‹ Kinder, die als »markierte« aus dem Verfahren hervorgehen. An beiden Schulen konnten wir feststellen, dass die Lehrkräfte ihre Dokumentationen kommunikativ validieren und ratifizieren: Bezüglich ihrer Einschätzung waren die Lehrkräfte stets einer Meinung. Aus der Besprechung in Schule B: Frau T:

Ok und dieser Beo?

Frau U:

Der Beo mischt dir den ganzen Laden auf, weil er kein Durchhaltevermögen auch hat.

Frau I:

Der ist F. Nr. 2 son bisschen, ja. ((Das ist ein Junge, der aus Frau U’s 1. Klasse zurückgestuft werden soll)) Der ist clever, der hat immer sofort verstanden, worum es geht, der konnte dir alles sofort, der der konnte sich kaum melden, da war schon klar, da war schon klar und das war auch richtig und er hat zum Beispiel bei den letzten Blättern noch zeigen können, das gehört dahin und das gehört zusammen, aber er war nicht mehr in der Lage die Kreuzchen zu machen.

Frau U:

Wie oft der mit Rucksack im Raum stand und gesagt hat, ist es jetzt fertig, kann ich jetzt gehen.

Frau I:

Drei oder vier Mal!

Frau U:

Kann ich jetzt gehen mit Rucksack schon! Oh Mann! ((lachen))

Frau I:

Der Tisch sieht aus wie bei F., wo oben und unten alles liegt. Also der hat auch ein wenig, naja nicht wenig, der hat ein Problem mit der Körperwahrnehmung, der hat gegessen und hat alles verschmiert am Mund, merkt das nicht am Mund, die Gurke liegt neben der Dose, das merkt der nicht, der Tisch sieht aus.

Frau U: Frau I:

Das wird ADHS. […] Also das war jetzt auch unser Fazit, F. und Beo in eine Klasse auf gar keinen Fall, da haben wir nämlich die gleichen zwei in einer Klasse, da haben wir nämlich genau die gleichen zwei.

Frau T:

Ja da guckt ihr nachher mit drauf, wenn wir hier die Gruppenbildung machen.

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Vor dem Hintergrund der tendenziell inklusiven Einschulungspolitik an Schule B steht hier nicht Beos Einschulung in Frage, sondern die Klassenzusammensetzung: Beo soll nicht mit F., der aus der ersten Klasse zurückgestellt wird, in eine Klasse eingeteilt werden. Für die Komposition der zukünftigen Klassen referieren die Lehrkräfte lediglich auf ›problematische‹ Kinder, die ihrer Einschätzung nach »den Laden aufmischen« werden. Beo werden dabei andere auffällige Merkmale als Anton an Schule C zugeschrieben, er wird mit Bezug auf einen anderen Schüler und dessen Merkmale als intelligenter, aber unaufmerksamer zukünftiger Schüler gezeichnet. Für beide Fälle bleibt aber die Prognose von Problemen für den Schulalltag als vorläufiges Fazit stehen. Interessant an dem vorliegenden Ausschnitt ist dabei die Darstellungsstrategie, das Bild eines bekannt problematischen Schülers aufzurufen, mit dem Beo in eine Linie gestellt wird – so als sei Beo auch bereits ein Schüler. Die Relationierung funktioniert hier also nicht über eine Differenz-, sondern eine Ähnlichkeitsdarstellung – mit der Referenz auf das Konstrukt einer bestimmten Problemgruppe. Für die Lehrkraft, welche sich nicht selbst auf das Beobachten konzentriert hat, wird auf diese Weise Plausibilität erzeugt für die von ihr formulierte Prognose, dass Beo ein ADHSKind werde. Im Vergleich beider Schulen wird als Gemeinsamkeit deutlich, dass letztlich die quantitative Differenzierung der Eintragungen auf den Bögen zum Bezugspunkt für die Beratungen der Lehrkräfte wird. Die Besprechung findet bei ›unbeschriebenen Blättern‹, bei als unauffällig eingeschätzten Kindern an beiden Schulen entweder gar nicht statt oder ist relativ schnell zu Ende, zum Beispiel an Schule B: »Hugo als Kann-Kind sehe ich kein Problem.« Dagegen wird lange über die Kinder gesprochen, zu denen es viele Eintragungen gibt. Damit wird eine Gruppierung der Kinder in unauffällige und auffällige weiter forciert. Am Ende stellt sich an Schule C heraus, dass es in der beobachteten Gruppe kein einziges Kann-Kind gibt, für alle 13 Kinder bleibt die »Gesamteinschätzung« zur Einschulung auf dem Bogen unausgefüllt; drei Kinder wurden in der Namensliste dennoch markiert. Diese Markierungen korrespondieren mit der Menge der Eintragungen auf den Beurteilungsbögen und erweisen sich in anderer Weise als ursprünglich vorgesehen als ›produktiv‹ für das Verfahren. In subtiler Weise werden irgendwie auffällige Kinder herausgestellt, und es werden weitere Unterscheidungen und Entscheidungen als die zunächst relevant gesetzten in das Verfahren ›importiert‹: Für zwei dieser Kinder wird auf der Liste der Vermerk gemacht »nicht in eine Klasse«. In Hinblick auf die individuellen Bildungsentscheidungen wird mit der Markierungspraxis im Verfahren möglicherweise auch ›eine Tür geöffnet‹, die durch die offizielle Einschulungspolitik einer

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flexiblen Schuleingangsstufe schon geschlossen war, nämlich Rückstellungen auch für andere als Kann-Kinder in Erwägung zu ziehen.

F AZIT In beiden analysierten Fällen handelt es nicht um eine standardisierte Testung der Kinder, deren Durchführungsbedingungen ganz genau kontrolliert würden, um die Leistungsmessung für ›valide‹ erklären zu können. Dennoch werden die dokumentierten Beurteilungen durch die Dokumente auch authentifiziert und ›validiert‹. Während an Schule B neben dem Beurteilungsbogen auch die Arbeitsblätter als Materialisierungen der Leistungen der Kinder und damit Belege der Beurteilung dauerhaft vorliegen und letztere dadurch überprüfbar wird, bleibt die Übersetzung von Beobachtung in Beurteilung in den Dokumenten an Schule C vergleichsweise unvermittelt: Die Leistungserbringung der Kinder ist mit den Momenten der Beobachtung perdu, und im Nachhinein und weiteren Verfahren schlagen nur noch die Beurteilungen der Lehrkräfte selbst ›zu Buche‹. Dies erklärt auch den hohen Grad der Selbstreferentialität und die ausgeprägten Praktiken der kommunikativen Validierung in den Beratungen an dieser Schule. Angesichts des eingangs beschriebenen programmatischen Paradigmenwechsels von der Selektions- hin zur Förderdiagnostik in der Eingangsdiagnostik überrascht die in diesem Beitrag analysierte Praxis der Einschulungsverfahren. Überraschend ist die Defizitorientierung im Blick auf die Einschülerleistungen, die zwar auf der Ebene der Dokumente unterschiedlich und an Schule B stärker in den Beurteilungsbogen eingebaut ist, sich auf der Ebene der Praktiken des Dokumentierens und des kommunikativen Verhandelns über die Einschulkinder aber an beiden Schulen durchsetzt. Über weite Teile hören sich die Abschlussgespräche der Lehrkräfte über die ›auffälligen‹ Kinder so an, als wollten sie Rückstellungsentscheidungen legitimieren – obwohl die Einschulungspolitiken beider Schulen diese Möglichkeit für Pflichtkinder nicht vorsehen und in den konkret diskutierten Fällen auch keine Rückstellungen am Ende des Verfahrens stehen. Es scheint, als würden die Instrumente der Eingangsdiagnostik und die Haltungen der Lehrkräfte häufig noch eher dem Selektions- als dem Fördergedanken folgen. Hier deutet sich eine praktische Inkonsistenz von Instrumenten und Einschulungspolitik an, der wir im DFG-Projekt weiter nachgehen. Für beide Schulen zeigt sich zudem, dass die Dokumentationen zum Lernund Entwicklungsstand der Kinder, so unterschiedlich sie sich in der formalen Gestalt zunächst ausnehmen, nicht so stark der Prozessierung von Einschulungsoder Rückstellungsentscheidungen und auch nicht der Entwicklung von Förder-

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perspektiven dienen, sondern dass die Prävention von ›Problemen‹ und die Entscheidung über die Klassenkomposition in den Vordergrund des Verfahrens rückt. Mit der Defizitorientierung im Blick auf die Schülerleistungen korrespondiert also, dass die zunächst individualdiagnostisch ausgerichteten und als solche instrumentierten Beobachtungen im Einschulungsverfahren nicht in auf den individuellen Einschüler bezogenen, differenziellen Förderentscheidungen oder -überlegungen, sondern in Überlegungen zu organisationalen Entscheidungen münden. In Bezug auf die Differenzdokumentationen können wir zusammenfassen, dass den Einschulungsverfahren eine Dynamik von Differenzierung und Entdifferenzierung eigen ist: Zunächst werden die Leistungsdifferenzen zwischen den Kindern über Leistungsbereiche hinweg in Dokumenten ›festgestellt‹, an die Fülle der auf diese Weise erzeugten ›Daten‹ kann das weitere Verfahren aber gar nicht anschließen. Vielmehr wird kommunikativ eine Fokussierung auf einzelne, ›problematische‹ Kinder verfolgt, welche das Leistungsspektrum der beobachteten Kindergruppe entlang der Unterscheidung auffällig – unauffällig entdifferenziert. Die Ausdehnung des Einschulungsverfahrens in Hessen auf 15 Monate erzeugt unseres Erachtens das verfahrensstrukturelle Problem, dass ein Förderbedarf in manchen Fällen recht früh festgestellt wird, der aber mit Ausnahme der Sprachförderung in »Vorlaufkursen« nicht schon schulisch beantwortet werden kann. Die vorschulische Diagnostik, so nicht massive Störungen bei den Kindern erfasst und diese an weitere Experten überwiesen werden, läuft dann gewissermaßen ›ins Leere‹. An die Leerstelle kann die Ausrichtung des Verfahrens auf Entscheidungen treten, die zur gegebenen Zeit getroffen werden können, nämlich über die Zusammensetzung der zukünftigen Schulklassen. Dass im Zuge dieser Prozesse aber zukünftige Einschüler bereits (immer früher) als diffus problematisch ›markiert‹ werden, hat vermutlich auch Auswirkungen für die Schulpraxis, die dann ab dem ersten Schultag ihren Lauf nimmt. Die Frage zu bearbeiten, ob und wie Erstklassenlehrkräfte praktisch an die Ergebnisse der Schuleingangsdiagnostik anschließen, bleibt der weiteren Schulforschung überlassen.

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L ITERATUR Bollig, Sabine/Kelle, Helga/Seehaus, Rhea (2012): »(Erziehungs-)Objekte beim Kinderarzt. Zur Materialität von Erziehung in Kindervorsorgeuntersuchungen«. In: Zeitschrift für Pädagogik. 58. Beiheft: »Die Materialität der Erziehung«, S. 218-237. Bollig, Sabine/Schulz, Marc (2012): »Die Aufführung des Beobachtens. Eine praxisanalytische Skizze zu den Praktiken des Beobachtens in Kindertageseinrichtungen«. In: Hebenstreit-Müller, Sabine/Müller, Burkhard (Hg.): Beobachtungen in der Frühpädagogik. Berlin: Das Netz, S. 89-103. Gomolla, Mechtild/Radtke, Frank-Olaf (2007): Institutionelle Diskriminierung. Die Herstellung ethnischer Differenz in der Schule. 2., durchgesehene und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS. Kammermeyer, Gisela (2000): Schulfähigkeit: Kriterien und diagnostische/prognostische Kompetenz von Lehrerinnen, Lehrern und Erzieherinnen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Kelle, Helga (2010): »Theoretische und methodologische Grundlagen einer Praxis- und Kulturanalyse der Entwicklungsdiagnostik«. In: Kelle, Helga (Hg.): Kinder unter Beobachtung. Opladen: Barbara Budrich, S. 23-40. Kleissendorf, Barbara/Schulz, Petra (2010): »Sprachstandserhebungen zweisprachiger Kinder am Beispiel Hessens«. In: Rost-Roth, Martina (Hg.): DaZSpracherwerb und Sprachförderung Deutsch als Zweitsprache. Beiträge aus dem 5. Workshop Kinder mit Migrationshintergrund. Freiburg: Fillibach. Latour, Bruno (2006): »Über technische Vermittlung. Philosophie, Soziologie und Genealogie«. In: Belliger, Andrea/Krieger, David J. (Hg.): ANThology. Einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Bielefeld: transcript, S. 483-528. Luhmann, Niklas (1969): Legitimation durch Verfahren. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Reckwitz, Andreas (2003): »Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken: Eine sozialtheoretische Perspektive«. In: Zeitschrift für Soziologie, 32. Jg., H. 4, S. 282-301. Scheffer, Thomas/Michaeler, Matthias/Schank, Jan (2008): »Starke und schwache Verfahren. Zur unterschiedlichen Funktionsweise politischer Untersuchungen am Beispiel der englischen ›Hutton Inquiry‹ und des ›CIA-Ausschusses‹ der EU«. In: Zeitschrift für Soziologie, 37. Jg., H. 5, S. 423-444. Smith, Dorothy E. (2001): »Texts and the ontology of organizations and institutions«. In: Studies in Cultures, Organizations and Societies, Vol. 7, No. 2, pp. 159-198.

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Tervooren, Anja (2010): »Expertendiskurse zur Schulfähigkeit im Wandel. Zur Ausstreuung von Diagnostik«. In: Bühler-Niederberger, Doris/Mierendorff, Johanna/Lange, Andreas (Hg.): Kindheit zwischen fürsorglichem Zugriff und gesellschaftlicher Teilhabe. Wiesbaden: VS, S. 253-271. Wolff, S. (2008): »Dokumenten- und Aktenanalyse«. In: Flick, Uwe/Kardorff, Ernst von/Steinke, Ines (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 2. Auflage. Reinbek: Rowohlt, S. 502-513.

Sich zueinander ins Verhältnis setzen Zur Verräumlichungspraxis im Zusammenleben als Familie S EBASTIAN S CHINKEL

Eine Vertrautheit im Zusammenleben als Familie wird nicht nur durch die Interaktion der Familienmitglieder und entsprechend gefestigte Familienbeziehungen hervorgebracht, sondern auch durch die Räume und Routinen eines ›gewohnten‹ Lebenszusammenhangs – ein dynamischer Zusammenhang von Alltagspraxis und Materialitäten.1 »Man versteht einander im Zusammenleben durch das unausdrückliche Gebrauchmachen dessen, was sich so von selbst versteht und woran alle Anteil haben«, schreibt Aron Gurwitsch und weist damit über eine explizite Welt der Verständigung hinaus auf eine verbindende Alltagspraxis, die mit der ›gewohnten‹ Umgebung verwoben ist (Gurwitsch 1976: 178). Das wechselseitige Verstehen im unausdrücklichen Gebrauch gemeinsamer Grundlagen – er begreift darunter ebenso materielle Güter wie habituelle Grundlagen – resultiert aus einer gemeinsamen Praxisgeschichte, aus der heraus ein spezifischer Erfahrungsraum generiert wird. Im Zusammenleben lernen sich die Familienmitglieder auf diesen Grundlagen des ›Gewohnten‹ zu verstehen und wechselseitig zu verorten, wobei die Beziehungen stabilisiert und mit diesen Grundlagen wiederkehrend aktualisiert werden. In Hinblick auf das ›gewohnte‹ Zusammenleben als Familie soll in diesem Beitrag eine Praxis der Verräumlichung beschrieben werden, und zwar mit einem

1

Vom ›Zusammenleben als Familie‹ ist in diesem Beitrag die Rede, um trotz einer Unschärfe des Familienbegriffs, der seit den 1980er Jahren vermehrt auf haushaltsübergreifende personale Netzwerke bezogen wird, den Untersuchungsrahmen möglichst präzise zu bestimmen. Vgl. zum Familienbegriff die Diskussionen in den Zeitschriften Soziale Welt (2002) und Erwägen – Wissen – Ethik (Lenz 2003, mit zahlreichen Repliken).

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Fokus auf das Arrangement am Familientisch. In diesem Arrangement werden Orientierungsmuster geltend gemacht, die an typischen ›bio-sozialen‹ Differenzen (Generationenbeziehungen, Geschlechtszugehörigkeiten, Altersunterschieden) ausgerichtet sind und in der Alltagspraxis objektiviert werden. Das geschieht in familienspezifischer Eigenart und nicht unbedingt in Übereinkunft, da die ›gewohnte‹ Ordnung des Zusammenlebens nicht nur Grundlage, sondern auch Gegenstand von alltäglichen Aushandlungen im Familienleben ist. Mit dem Fokus auf das TischArrangement wird in diesem Beitrag an zwei Fallbeispielen der Frage nachgegangen, wie sich alltagspraktisch in Räumen und Routinen des ›gewohnten‹ Zusammenlebens eingerichtet wird. Das Arrangement bei Tisch kann in gewisser Weise als ein Sinnbild des aufeinander abgestimmten Familienlebens aufgefasst werden, weil die persönlichen Beziehungen dort in besonders dichter Weise körperlich ausagiert werden, indem sich zueinander ins Verhältnis gesetzt wird.

Z USAMMENSEIN BEI T ISCH : I NSTALLATION EINES F AMILIENSINNS Um das Zusammenleben als Familie in Kopräsenz zu beobachten, eignet sich der Tisch als Erhebungsschauplatz wie kaum ein anderer. Die Familienmitglieder kommen innerhalb des Alltagslebens nicht nur routiniert am Tisch zusammen; die entsprechenden Arrangements bieten sich auch aufgrund ihrer Vergleichbarkeit an (vgl. Keppler 1995, Audehm 2007). Am Tisch treffen forschungsstrategische Interessen mit einem Selbstverständnis der Beteiligten hinsichtlich ihrer Darstellbarkeit als Familie aufeinander. Ohne Zweifel wird im Familienleben an sehr verschiedenen Orten ›zuhause‹ und ›außer Haus‹ gemeinsam Zeit verbracht (vgl. DeVault 2000). Auch wird ein gemeinsamer Tisch nicht in jedem Haushalt auf die gleiche Weise genutzt – von interkulturellen Unterschieden ganz zu schweigen. Doch kommt dem Tisch für das ›westliche‹ Verständnis familialen Zusammenseins eine zentrale Bedeutsamkeit zu. Entgegen beispielsweise dem Zusammensitzen im ›Familienauto‹ (sofern überhaupt eins vorhanden ist), hat der ›Familientisch‹ eine besondere Stellung in der europäischen Sozialgeschichte des Familienlebens. Historiker wie Philippe Ariès oder Richard Dülmen haben darauf verwiesen, dass die Trennung zwischen häuslicher ›Binnensphäre‹ und ›Außenwelt‹ vor drei Jahrhunderten noch weniger ausgeprägt war als später. Die allmähliche ›Einkapselung‹ einer Binnensphäre ging mit der Entwicklung eines modernen ›Familiengefühls‹ einher, auf dessen Grundlage das Zusammenleben für die individuelle Organisation persönlicher Beziehungen an Bedeutsamkeit gewann. Ebenso wie das

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Zusammenleben als Familie ist auch das feststehende Ensemble aus Tisch und Stühlen innerhalb des Wohnbereichs nicht ahistorisch. In Europa hat es sich erst im 18. Jahrhundert etabliert – als ›Installation‹ an einem festen Platz entwickelte es sich zusammen mit einem entsprechenden ›Familiensinn‹ und hat aus Sicht von Jean-Claude Kaufmann auch zu dessen Genese beigetragen (Kaufmann 2006: 88f., vgl. Ariès 2007: 542f., 556f., Dülmen 1995: 56ff.). Durch seinen wiederkehrenden Gebrauch wirkt der Tisch wie ein fixierendes Bindeglied, das einen stabilen Zusammenhang in Szene setzt und dem Familienleben gewissermaßen ›Form‹ verleiht (Muxel 1996: 64). Doch es wird nicht nur ein ›fester‹ Beziehungsrahmen verräumlicht. Mit der Ritualisierung gemeinsamer Zeiten, vor allem durch gemeinsame Mahlzeiten in verbindlichen Tagesrhythmen, wurde der Tisch zu einer Plattform der Bekräftigung familialer ›Einheit‹ wie auch zu einem Forum der Differenzbearbeitung. So heben Kathrin Audehm und Jörg Zirfas hervor, dass neben der Dar- und ›Herstellung‹ von Gemeinsamkeit im Zusammenleben Differenz gerade auch dadurch bearbeitet werde, dass soziale Unterschiede aufgezeigt und reproduziert werden (vgl. Audehm/Zirfas 2001). Kraft seiner historisch gefestigten Stellung ist der Tisch dafür prädestiniert, die einzelnen Bewohner in Kopräsenz zusammenzubringen und in ihrer Divergenz miteinander zu konfrontieren. Aufgrund der materiellen Vorgaben, der angepassten Körperhaltungen und der routinierten Verhaltensweisen formt der Tisch ein Aufmerksamkeitsfeld vor, auf das die Beteiligten ›zentriert‹ sind (vgl. Eickhoff 1997). Für eine gewisse Verweildauer sind sie auch einander ausgesetzt: ihren Blicken, Erwartungen und Urteilen. Vieles in der Familieninteraktion geschehe bei Tisch in einer besonderen Dichte, schreibt Anne Muxel, und zwar nicht zuletzt deswegen, weil es eine Verpflichtung gebe, am Tisch sitzen zu bleiben – auch dann, wenn die Interessen auseinanderstreben (Muxel 1996: 63ff.). Die ›typischen‹ ritualisierten Zeiten und Orte des Familienlebens, die nach dem Historiker John Gillis im 19. Jahrhundert aus der Sorge heraus ›erfunden‹ worden seien, sich im Wandel der Moderne voneinander zu entfremden (vgl. Gillis 2001), gehen mit der Spezialisierung von Verhaltensstandards einher. Besonders bei Tisch werden sozusagen »stehende Verhaltensmuster« geformt (vgl. Goffman 2001: 61f.). Dabei übernehmen Alltagsdinge »häufig die Rolle von ›Härtern‹ sozialer Ordnung«, so Karl Hörning und Julia Reuter, »da sie soziale Regelungen und kulturelle Bedeutungen in einen mehr oder weniger dauerhaften Zustand überführen«. Sie stabilisieren die Alltagspraxis, indem sie »als Anhaltspunkte für die gewohnten Handlungsabläufe, Wege und Rhythmen« dienen (Hörning/Reuter 2008: 115f.). »So fungieren etwa Möbelstücke wie Stühle als Stabilisatoren sozialer Ordnung: Sie weisen dem Einzelnen einen ziemlich festen Platz im Raum und im Verhältnis zu an-

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deren, von Menschen besetzten und unbesetzten Plätzen zu und beeinflussen damit über kulturspezifische Distanzmaße nicht nur die Praktiken des Sitzens und Wohnens, sondern auch die Praktiken des Kommunizierens oder Vergemeinschaftens.« (ebd.)

Das Sich-Einrichten im Wohnbereich, durch das Räume und Routinen in der Zeitlichkeit einer Praxisgeschichte aufeinander abgestimmt werden, bringt nicht nur eine habituell fundierte Ästhetik des Wohnens hervor, die zu einer spezifischen Atmosphäre beiträgt. Sie verleiht dem Alltag des Zusammenlebens auch eine Vertrautheit, mit der sich die Bewohner im Unterschied zu Außenstehenden vergleichsweise orientierungssicher bewegen. Wie kaum irgendwo sonst kennen sie ›zuhause‹ ihren Ort und ihre situationsspezifischen Spielräume.

T EILNAHME

UND

A UFZEICHNUNG

In Hinblick auf das Einrichten des ›gewohnten‹ Zusammenlebens als Familie in Räumen und Routinen wurden jeweils Gruppeninterviews zu Alltagsstruktur und gemeinsamer Praxisgeschichte geführt und Situationen der Kopräsenz bei Tisch teilnehmend und videobasiert beobachtet.2 Videographie bietet den Vorteil, dass dem Beobachten eine veränderte Zeitlichkeit eingeräumt werden kann. Es wird weniger über einen ausgedehnten ›Feldaufenthalt‹ (der nicht immer möglich ist), als über die ›Dehnung‹ von Beobachtungszeiten zu einzelnen Situationen analytisch ins Detail gegangen – wobei diese Beobachtung zeiträumlich separiert und dadurch von dem Handlungsdruck entlastet wird, auf das Beobachtete in der beobachteten Situation sozial reagieren zu müssen (vgl. Dinkelaker/Herrle 2009: 44). Jörg Bergmann hat die apparaturbasierte Aufzeichnung als eine »registrierende Konservierung« bezeichnet, was ihre Gerichtetheit und Selektivität sehr gut zum Ausdruck bringt (Bergmann 1985: 305). Es wird ein Datenkorpus produziert, der durch formale Gestaltungsfaktoren wie die Perspektivität, Bildrahmung, Bildkom-

2

Die Option einer ›Selbstdokumentation‹ der Teilnehmenden, wie es im Bereich der Konversationsanalyse mit auditiven Aufzeichnungen praktiziert wurde (vgl. Keppler 1995), ist nach den ersten Vorgesprächen verworfen worden. Einzelne Eltern standen diesem Vorschlag hinsichtlich der Kameraführung durch einzelne Familienmitglieder skeptisch gegenüber. Problematisch wäre diesbezüglich auch, dass formale Gestaltungsfaktoren der Datenproduktion – wie die Kameraführung, Perspektiven, Bildkomposition und Aufnahmezeiten – analysiert werden müssten (vgl. Bohnsack 2007), was den Akzent in der Untersuchung mehr als gewünscht zu Fragen der Bildproduktion verschoben hätte.

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position und Aufzeichnungszeiten, durch technische Eigenschaften der Apparatur sowie unter Umständen durch eine bewegte Kameraführung determiniert ist (vgl. Knoblauch/Schnettler/Raab 2006: 12). Ein räumlich-atmosphärisches, örtlich verstreutes Geschehen wird in ein zweidimensionales Bewegungsbild mit scharf umgrenzten Bildrändern und eine dazu synchronisierte Tonspur transformiert (vgl. Wagner-Willi 2004: 52). Die technisch voreingestellte Selektivität wird dabei durch einen Präzisionsgewinn aufgewogen, da auditives und visuelles Geschehen dichter erfasst wird, als es der gleichfalls selektive Wahrnehmungsapparat eines Forscherkörpers vermag. Der teilnehmenden Beobachtung wird dagegen das Gewicht zugemessen, die sinnlich nicht irritierbare Selektivität der technischen Aufzeichnung ergänzend zu kontrollieren.3 Da ich als Forschender an der Hervorbringung der beobachteten Situationen beteiligt bin, habe ich mich im Erhebungsprozess nicht darum bemüht, mich aus der Aufzeichnung herauszuhalten. Insofern ich mich als Ethnograph dezidiert für meine Sichtbarkeit im Forschungsprozess entscheide (vgl. Kalthoff 2006: 155f.), gibt es keinen guten Grund, die Präsenz innerhalb des videographischen Datenmaterials zu negieren. Die Präsenz des Forschenden ist vielmehr als konstitutiv für die ethnographische Datengenerierung anzusehen (vgl. Fuchs/Berg 1993: 14, Kalthoff 2003: 72). Wenn dennoch von einer ›naturalistischen Beobachtung‹ gesprochen wird, so ist damit keine Situation gemeint, die von der Beobachtung ›unberührt‹ bliebe, sondern es wird die Differenz zu einem ›nicht-natürlichen‹ Umfeld wie bei Laborbeobachtungen markiert (vgl. Goffman 1982: 10). In der Terminologie Bourdieus ausgedrückt bleibt der Habitus der Familienmitglieder sozusagen in seinem Habitat (vgl. Bourdieu 1991: 32).

I M W OHNZIMMER Der Wohnbereich folgt einer eigenen Gestaltungslogik hinsichtlich der empfundenen Stimmigkeit räumlicher Verhältnisse und der Realisierungsweisen des Zusammenseins. Trotz eines standardisierten Wohnzimmers als zentraler Teil des

3

Zum jeweiligen Status der teilnehmenden und videobasierten Beobachtung vgl. auch die Kontroverse in der Zeitschrift Sozialer Sinn (Knoblauch 2001, Breidenstein/Hirschauer 2002 und eine Replik von Knoblauch 2002). Insbesondere Elisabeth Mohn experimentiert mit Formen einer für Situationen und Stimmungen sensiblen Kameraführung, um Aspekte der ›leiblichen‹ Teilnahme der Forschenden wie auch der Tätigkeit des ›Beschreibens‹ in die videobasierte Beobachtung zu implementieren (vgl. Mohn 2008).

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Wohnbereichs unterscheiden sich die Formen und die eingeräumten Dynamiken ebenso wie die zugrundeliegenden Schemata, mit denen die Alltagsordnung realisiert wird. In den folgenden Fallstudien bleibt der Fokus auf das Areal eines Tischs im Wohnzimmer beschränkt. Mit dieser Fokussierung richtet sich das Interesse auf die Rekonstruktion einer alltagspraktischen Ordnung im Zusammenleben, insbesondere der ›generationalen Ordnung‹ (vgl. Alanen 2005, Kelle 2005). Bei Woellmer Die Wohnung von Woellmer befindet sich in einem ehemaligen Gewerbegebäude an einer Hauptverkehrsstraße.4 Das Wohnzimmer ist rechteckig geformt und hat eine etwa 35qm große Grundfläche. Im Wohnzimmer befinden sich zahlreiche Möbelstücke und auf den Ablageflächen haben sich viele Alltagsutensilien angesammelt. Nippes und Sammelkästen schmücken das Areal in und um einen großen Wohnzimmerschrank. Die Wohnzimmerhälfte mit dem Schrank wird vom Esstisch dominiert, der mittig platziert ist; in der anderen Wohnzimmerhälfte befinden sich zwei Sofas und eine Chaiselongue um einen Couchtisch gruppiert. Zur Ankunft des Forschenden ist der Tisch bereits weitgehend gedeckt. Während er das Stativ und die Kamera aufbaut, setzen sich Isabel, Frau und Herr Woellmer an den Esstisch; Andreas befindet sich außerhalb des Wohnzimmers. Nachdem der Forschende die Kamera justiert hat, setzt er sich auf einen Stuhl, den er sich zurechtstellt, vorne an die rechte Ecke des Tischs. Frau Woellmer:

Nö:ö, sie sollen sich mit hinsetzen; mitessen.

Forschender:

Wohin denn?

Frau Woellmer:

Wo sie möchten. sind ja noch zwei Stühle frei. -(3)-

Forschender:

¬Ah, gut. Danke.

Während Frau Woellmer antwortet, wenden alle drei Familienmitglieder am Tisch ihren Kopf in Richtung der beiden Stühle am Kopfende und zeigen zeitlich leicht versetzt mit jeweils einer Hand dorthin. Isabel macht daraufhin eine abwinkende Bewegung.

4

Alle Personennamen sind Pseudonyme. Ich danke den Forschungsteilnehmenden für die Möglichkeit, Abbildungen aus den Aufzeichnungen mit anonymisiertem Gesichtsbereich zu veröffentlichen. Der Autor hat für sich selbst von dieser Maßnahme abgesehen.

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Abbildung 1: Dem Forschenden wird seine Platzierung gezeigt

Quelle: Abbildung des Autors

Frau Woellmer reagiert auf die Platzwahl des Forschenden mit der Äußerung, er solle sich doch »mit hinsetzen« und »mitessen«, womit sie kenntlich macht, dass der von ihm gewählte Platz nicht als integrierter Bestandteil des vorgesehenen Arrangements angesehen wird. Er soll sich »mit hinsetzen«, anstatt ›außerhalb‹ zu sitzen.5 Die von ihr offerierte Platzwahl auf die Nachfrage des Forschenden »wohin denn« ist dabei weder auf das gesamte Areal um den Tisch herum, noch auf alle ›freien‹ Stühle bei Tisch bezogen; einen der Stühle hält sie mit ihrem Arm auch besetzt. Im gemeinsamen Zeigen wird vielmehr eine vorab feststehende Platzierung des Forschenden aufgezeigt, die unter anderem aus einer selbstverständlichen Einhegung des Arrangements resultiert. Der Wohnzimmertisch besteht nämlich aus zwei Segmenten, die aneinandergestellt und von getrennten Wachstüchern bedeckt sind. Im gemeinsamen Zusammensitzen wird jedoch nur das hintere Segment genutzt. Weil das vordere Segment ›außen vor‹ bleibt, kommen nur zwei Plätze für den Forschenden in Betracht, zu denen er sich daraufhin bewegt. Inzwischen ist auch der 15-jährige Andreas ins Wohnzimmer gekommen und dem Forschenden an diese Plätze gefolgt. Der Forschende dreht sich zu ihm um. Forschender:

Wo sitzt Du? ¬Am besten in der {er zeigt auf den mittleren freien

Herr Woellmer:

Stuhl}, den in der Mitte; das is (

).

¬Ich äh, {er zeigt erst zum äußeren,

Andreas:

dann zum mittleren Stuhl, während er zu Herrn Woellmer sieht} in der Mitte.

5

Zum Erhebungstermin einer Familienmahlzeit ging die Entscheidung, ob der Forschende in das entsprechende Arrangement integriert werden sollte oder nicht, jeweils von den Forschungsteilnehmer/innen aus.

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Forschender:

Ah. (.) äh, ich in die Mitte oder Du in der Mitte. ¬Joa.

Herr Woellmer:

¬Ne nee, Sie ¬Sie

Frau Woellmer:

Anstelle von Andreas regelt Herr Woellmer die Frage der Platzverteilung. Die Zuständigkeit einer ›Einweisung‹ des Forschenden wird trotz dessen Adressierung an Andreas nicht aus der elterlichen Hand gegeben. Dadurch entsteht jedoch eine kurze Konfusion, weil Herr Woellmer nicht direkt auf die Frage des Forschenden antwortet, sondern an die bisherige Thematik anknüpft, welcher Platz diesem zugedacht sei. Andreas wiederum ändert noch während seiner Zeigebewegung die Orientierung: von einer Antwort auf die geäußerte Frage ausgehend folgt er Herrn Woellmers Fingerzeig zum Stuhl in der Mitte. Alle Sitzplätze sind also vorab ›fest‹ verteilt, was für alle Teilnehmenden außer den Forschenden auch offensichtlich ist. Dieser kommt nach dem Beginn der Mahlzeit darauf zurück. Forschender:

Und ähm; sitzen Sie immer so? also so im Halbkreis hier? an dem Tisch?

Frau Woellmer:

Wenn wa zusammen sitzen, dann sitzen wa so. ¬Mhm,

Forschender:

Der Forschende nickt, greift nach seinem Glas mit Tee und trinkt. Andreas gießt sich indessen Apfelsaft ein. Ein Kaninchen nähert sich Isabel, die sich zu ihm hinwendet. Isabel bewegt ein Bein in dessen Richtung. Frau Woellmer:

Wir hatten’s auch mal anders ’rum probiert, aber dat hat nich’ geklappt.

Forschender:

Wie denn anders ’rum?

Frau Woellmer:

Na mei-; {sie zeigt zu Herrn Woellmer} ich hab da gesessen, {sie zeigt auf sich} und mein Mann hier;

Forschender:

Ach so. ¬Mhm,

Frau Woellmer: Isabel:

Aua.

Isabel ist zusammengezuckt, schaut neben sich zum Boden, kräuselt ihre Stirn und wendet sich ihrem Essen zu. Ein Kaninchen hoppelt hinter Frau Woellmer entlang. Der Forschende schaut zu Frau und dann zu Herrn Woellmer. Forschender:

Dann gibt es schon ganz feste Plätze;

Herr Woellmer nickt. Forschender:

Dass Sie da sitzen; und Sie da {er weist dabei mit beiden Händen erst zu Herrn und dann zu Frau Woellmer}.

Herr Woellmer: Frau Woellmer:

Also es kann mal sein, ¬Mhm, und die Kinder wechseln.

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¬Mhm?

Forschender:

Šh; die

Herr Woellmer:

¬die

Frau Woellmer:

streiten sich nämlich da, immer darum, wer neben mir sitzen darf. Forschender:

Aha?

Herr Woellmer:

Genau. {Er macht eine abwinkende Handbewegung} det is; (.) hat sich vorhin ooch schon wieder angebahnt.

Forschender: Herr Woellmer:

Mhm? Aber öhh (.) {Herr Woellmer schaut geradeaus über den Tisch, ohne Frau Woellmer direkt anzusehen}; dann ham ’se sich noch einjekricht.

Unbesehen der Frage, warum Frau Woellmer anfangs nur in Hinblick auf sich und ihren Mann antwortet, drängt sich die Frage in den Vordergrund, was am Platztausch der Eltern problematisch sein könnte, wenn doch die Kinder ihre Plätze mitunter wechseln. Ein Platztausch zwischen den Generationen kommt offenbar nicht in Frage, und entsprechend werden die beiden Platzkategorien auch getrennt voneinander thematisiert. Grundsätzlich wird nicht in Betracht gezogen, die Sitzplätze am Tisch anders zu arrangieren, so dass beispielsweise zwei Sitzplätze neben Frau Woellmer verfügbar wären. In dieser schematischen Organisation des Raums gibt es lediglich einen Platz neben ihr, um den sich dann wiederkehrend gestritten wird. Auch andere Regelungen, wie zum Beispiel ein festgelegter Tauschrhythmus, sind nicht vorhanden. Stattdessen wird mit der Statik des Arrangements auf eine ›Macht der Gewohnheit‹ gesetzt, wobei die feste Verankerung der Eltern eine stabilisierende Achse bilden soll. Da von den Eltern keine Aushandlungsprozesse angestoßen werden, geht der Streitanlass auf dieser Grundlage ausschließlich von Andreas oder Isabel aus, die sich entsprechend wieder »einkriegen« sollen. Durch die ›Konservierung‹ der Sitzordnung wird der Streitanlass persönlich zugeordnet und mit der Zuordnung auch zu ›deckeln‹ versucht; er wird als ›typisch‹ für die Kinder abgetan. Die beiden Platzkategorien ›vorne‹ und ›hinten‹ unterscheiden sich hinsichtlich des zugelassenen Bewegungsraums und der Blickausrichtung entlang einer Generationendifferenz. So sitzen Frau und Herr Woellmer als Einzige frontal von Angesicht zu Angesicht und nur sie haben die Option, sich barrierefrei entfernen zu können. Die hinteren Plätze sind dagegen eingeengt, die ›Zugangskorridore‹ halb verstellt und durch ›Blickschranken‹ unter Beobachtung – sozusagen mit ›Kindersicherung‹ versehen –, denn sprunghaftes Aufstehen vom Tisch ist ein wiederkehrendes Problemthema. Das Aufspringen wird zugleich jedoch durch die offene Blickschneise in das Wohnzimmer angeregt, wo während der

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Mahlzeit regelmäßig zwei Kaninchen frei herumlaufen und Aufmerksamkeitsattraktoren sind. Abbildung 2: Sitzordnung während der Mahlzeit

Quelle: Abbildung des Autors

Der Forschende ist in dieses Ordnungsschema so eingefügt, dass die Stabilität der formalen Statik nicht gestört wird. Ihm wird ein Platz zugewiesen, der eine symmetrische Balance unterstreicht – wobei die Statuszuweisung, die mit der Platzierung einhergeht, ambivalent ist. Einerseits wird er sozusagen ›in die Mitte der Familie‹ aufgenommen und zentral an das Kopfende gesetzt. Bereits die Verknappung des Tischareals deutet darauf hin, dass diese räumliche Qualität von körperlicher Nähe geschätzt wird. Andererseits ist dieser Platz hinsichtlich der Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt wie kein anderer – wobei der Forschende auch als Puffer zwischen den Geschwistern fungieren kann. Dieses Ordnungsschema scheint für Dynamik nur wenig offen zu sein, weil der Differenz zwischen den Generationen in der Organisation des Arrangements ein besonderes Gewicht zugemessen wird. Ein Statusunterschied wird als Rangordnung und Kontrollregime in Szene gesetzt und durch eine räumliche Verfestigung abgesichert. Diese Statusunterscheidung lässt sich auch in den zugestandenen Handlungsräumen finden, was zum Beispiel an expliziten Regelungen deutlich wird, wer zu welchem Anlass aufstehen darf. Eine weniger sichtbare Differenzlinie, nämlich die ›einseitige‹ Anbindung an Frau Woellmer mit einer impliziten Zurückweisung von Herrn Woellmer, bildet dagegen ein subversives Potential zur Destabilisierung. So setzen sich Frau und Herr Woellmer zwar in eine symmetrische Position zueinander und in eine gemeinsame Asymmetrie zu Isabel und Andreas, doch die persönlichen Vorlieben und daraus resultierende Konkurrenzverhältnisse konfligieren mit dieser formalen Statik der verräumlichten Verhältnisse.

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Bei Schneider/Rocchi Die Wohnung von Schneider/Rocchi befindet sich in einem Altbau an einem ruhigen Straßeneck. Das Wohnzimmer ist etwa 35qm groß, mit zwei Fensterseiten über Eck sehr hell und hat einen fünften Winkel. Der Holzdielenboden und die Wände sind, von einigen Möbelstücken abgesehen, weitflächig frei. Der Esstisch steht mit dem Kopfende an der inneren Längswand. Die Sitzordnung am Tisch ist auch hier nicht beliebig, obwohl die Plätze immer mal gewechselt würden, wie Frau Schneider erzählt. Selbst die dreijährige Anna weiß aber, wer gegenwärtig wo seinen Platz hat. Eine Generationendifferenz wird dabei weniger an der Organisation des Raums, als an einzelnen Dingen fest gemacht. Die neunjährige Rebecca, der sechsjährige Lorenzo und Anna haben nämlich Kinderteller und Kinderstühle, die sich sowohl von den Erwachsenentellern und -stühlen unterscheiden, als auch einzeln unterscheidbar und persönlich zugeordnet sind. Nach der Ankunft hat Frau Schneider mich in das Wohnzimmer geführt, woraufhin sie zu Herrn Rocchi in die Küche gegangen ist. Rebecca, Lorenzo und Anna nehmen indessen im Wohnzimmer Fühlung zu mir auf und stellen Fragen. Nachdem etwas später alle drei von Herrn Rocchi aufgefordert worden sind den Tisch zu decken, verteilen Rebecca und Lorenzo dort Teller und Besteck, woran sich Anna nicht beteiligt. Als ich mich nützlich machen möchte und einen Teller platziere, werde ich von Lorenzo korrigiert, das sei der falsche Platz. Er setzt daraufhin das Tischdecken fort. Lorenzo steht am Kopfende, schaut über den Tisch und trommelt mit den Fingern seiner rechten Hand auf den Tellerrand eines erhöhten, hellblauen Tellers. Lorenzo:

Ich frag mich, wo ich set- sitze. (.) °(wo will ich mich hinsetzen.)°

Lorenzo schaut kurz zum Forschenden und verschiebt den hellblauen Teller quer über das ausgezogene Tischende auf die linke Seite. Lorenzo:

Ich sitz mal hier.

Er hat den Teller noch nicht losgelassen, da hebt er ihn wieder an und stellt ihn nach hinten, zum Platz an der Wand. Lorenzo:

Ich sitz hier. da kann ich immer das (Licht anzünden).

Er nimmt den bisher dort platzierten Erwachsenenteller hoch, schiebt den hellblauen Teller an dessen Platz und stellt den anderen Teller auf den vordersten Platz an der linken Tischseite – wohin er den hellblauen Teller schließlich doch nicht platziert hatte.

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Abbildung 3: Lorenzo tauscht links hinten einen Teller aus

Quelle: Abbildung des Autors

Einerseits korrigiert Lorenzo eine ›falsche‹ Zuordnung von Teller und Platz durch den Forschenden und weist damit auf eine verhältnismäßig feste Sitzordnung hin; andererseits legt er eine gewisse Offenheit dieser Ordnung nahe, indem er laut darüber nachdenkt, wo er selbst sitzen möchte – er wählt aber schließlich den Sitzplatz an der Wand, den er auch sonst einnimmt. Die Platzierung des Forschenden ist dagegen tatsächlich eine offene Frage. Der Forschende verschiebt das Kamerastativ etwas. Lorenzo räumt ein paar Sachen von einem Holzstuhl, der links an der Wand steht, und legt diese auf den Fußboden. Als dieser Stapel auseinanderrutscht, schiebt er ihn am Boden hockend zusammen. Lorenzo:

Wo willst’n Du sitzen?

Forschender:

Das ist mir egal. ¬Glä::ser; brauchen wir auch.

Rebecca:

¬Ja?

Forschender: Lorenzo:

Hier kann man sich die Platzwa:hl; (.) selber aussuchen.

Lorenzo ist aufgestanden und verschiebt den freigeräumten Holzstuhl zum Tisch, platziert ihn an der Tischseite mittig. Daraufhin rückt er den hellblauen Teller am Wandplatz nochmals zurecht. Den dort platzierten Holzstuhl zieht er zurück und schiebt ihn hinter den Korbsessel an der Tischseite links vorne. Dann schlägt er mit der Hand auf die Rücklehne des Holzstuhls in der Mitte. Lorenzo:

Kannst Du hier sitzen?

Forschender:

Das ist mir egal. mal gucken. wie es sich, wie es sich ergibt.

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Abbildung 4: Lorenzo platziert den Forschenden

Quelle: Abbildung des Autors Lorenzo schaut über den Tisch und schlägt nochmals mit der Hand auf die Rücklehne. Lorenzo:

Kannst Du hier sitzen?

Forschender:

Wie es sich ergibt.

Anna läuft zum Korbsessel, schlägt mit beiden Händen auf dessen Lehne und schaut dabei zum Forschenden. Anna.

Nein hier, hier (.) hier sollst Du sitzen.

Lorenzo:

Der Stuhl kommt dort aber weg; und do:rt sitz ich.

Lorenzo zieht den Korbsessel von Anna weg, weist mit dem Kinn zum hellblauen Teller und schiebt den Korbsessel an den Platz zur Wand, wo er sich selbst platziert hat. Daraufhin zeigt Lorenzo auf den Stuhl, der mittig steht. Lorenzo: Anna:

Er sitzt dort. ¬°(Ach so)°

Anna steht vor dem Stuhl, den Lorenzo vom Wandplatz beiseite geschoben hat, und dreht sich abrupt weg. Sie geht auf die Kamera zu, kehrt wieder um und schaut Lorenzo zu. Dieser greift den beiseite gestellten Holzstuhl an der Lehne und schiebt ihn an den vorderen Platz, wo bisher der Korbsessel stand, und rückt daraufhin dessen Sitzkissen zurecht. Lorenzo:

Ich wollte eigentlich noch Namensschilder machen. hab ich dann aber nicht mehr geschafft.

Nachdem der Forschende auf Lorenzos Frage, wo er sitzen möchte, nur geantwortet hat, das sei ihm »egal«, befasst sich Lorenzo vorerst weiter mit dem Aufbau des Arrangements; er räumt einen Stuhl an der Wand frei und proklamiert dabei, hier könne man sich die Platzwahl selber aussuchen. Während seine ältere Schwester Rebecca das Wohnzimmer vorübergehend verlässt, bereitet er am Korbsessel einen Stuhltausch vor. Er klopft danach auf die Rücklehne des mittleren Stuhls und fragt diesmal zielgerichteter, ob der Forschende »hier sitzen« könne –

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was dieser aber weiterhin offen lässt. Lorenzo bleibt beharrlich, klopft und fragt nochmals, woraufhin der Forschende sich ebenfalls wiederholt. Dieser entzieht sich seiner Platzierung, indem er auf einen vagen späteren Zeitpunkt verweist, an dem »es sich ergibt«. Damit negiert er zugleich Lorenzos Anspruch, diese Platzierung zu diesem Zeitpunkt wirksam festlegen zu können. Die Angelegenheit bleibt also offen und Anna schaltet sich nun ein, die auch zuvor bereits angeregt hatte, der Forschende könne doch in dem Korbsessel sitzen. Für diesen hat Lorenzo allerdings einen anderen Plan, und er schafft nun zügig Tatsachen, wobei er erklärt, dass der Korbsessel an diesem Platz nicht zur Verfügung stehe. Dem Forschenden, der bisher keine Bereitschaft gezeigt hat, sich auf einen Sitzplatz festzulegen, weist er einen Platz zu, indem er auf den Stuhl in der Mitte zeigt: »Er sitzt dort.« Während er den ausgetauschten Stuhl und das Sitzkissen zurechtrückt, merkt er an, dass er »eigentlich noch Namensschilder machen« wollte, was er »dann aber nicht mehr geschafft« habe. Lorenzo ist damit befasst, beim Tischdecken eine Sitzordnung vorzuarrangieren, wobei er ein alltägliches Schema reproduziert, in dem der Forschende noch keinen Platz hat. Während des Erhebungszeitraums sitzen sich Herr Rocchi und Frau Schneider diagonal gegenüber; an der linken Seite sitzt Lorenzo an der Wand und neben Herrn Rocchi; Rebecca sitzt vorne an der rechten Tischseite neben Frau Schneider, und Anna sitzt am Kopfende. In dieser alltäglichen Sitzordnung schafft die Extra-Platzierung des Forschenden eine Öffnung, in der Lorenzo einen Gestaltungsspielraum sieht. Die Sitzplätze von Frau Schneider und Rebecca an der rechten Tischseite stehen außer Frage; er interessiert sich nur dafür, die beiden offenen Plätze an ›seiner‹ Seite zu klären. Mit Herrn Rocchi und Lorenzo ist links sozusagen die ›Jungs-Seite‹ (ähnlich wie bei Woellmer). Ebenso wird Rebecca, die nicht im Wohnzimmer gewesen ist, den Forschenden etwas später wie selbstverständlich der linken Tischseite zuordnen. Lorenzo changiert spielerisch zwischen Reproduktion und einer außeralltäglichen Öffnung der Sitzordnung, so dass er einerseits eine freie Platzwahl proklamiert und andererseits die Idee von Namensschildern hat. Er wendet sich dabei nicht gegen das alltägliche Ordnungsschema, sondern streicht seine Eigenständigkeit heraus – und er versucht dabei, seinen Gestaltungsspielraum größer wirken zu lassen als er ist. Die beanspruchte Gestaltungshoheit verlagert sich auch schlagartig, als Herr Rocchi mit der Frage ins Wohnzimmer tritt, wie weit sie denn seien. Lorenzo stellt Herrn Rocchi daraufhin ›seine‹ Sitzordnung vor, was Herr Rocchi mit einem kurzen »Mhm« quittiert, worauf er ankündigt, jetzt erst einmal Annas Stuhl zu holen, der sich ebenso wenig wie Lorenzos Kinderstuhl im Wohnzimmer befindet. Es schließt sich eine Auseinandersetzung um den Korbstuhl an, der Lo-

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renzos Kinderstuhl schließlich weichen muss. Die Platzierung des Forschenden bleibt aber bestehen. Wie bei Woellmer ist das Arrangement auch bei Schneider/Rocchi relativ fest geregelt. Letztendlich sind nur zwei Plätze ›frei‹ und Lorenzo beansprucht, diese Rest-Offenheit eigenständig abzuklären, was ihm letztlich auch gelingt. Zur Vorbereitung des Arrangements bleiben Frau Schneider und Herr Rocchi im Hintergrund und lassen ihre Kinder erst einmal machen – womit sie Vertrauen in eine ›ordnungsgemäße‹ Reproduktion demonstrieren. Kontrolliert wird durch Delegieren, Supervision und gegebenenfalls Korrekturen. Anstelle hierarchischer Platzkategorien wird mit den unterschiedlichen Stühlen und Tellern einer Differenz zwischen Erwachsenen und Kindern Ausdruck gegeben, wobei diese ›kindgerechten‹ Platzhalter ein objektiviertes Wissen über Kindheit verkörpern. Auf einer diskreten Ebene wird eine Statusdifferenz sozusagen an den ›harten Fakten‹ von Entwicklungsunterschieden zwischen Kindern und Erwachsenen fest gemacht, die mit den Dingen symbolisch repräsentiert werden. Im Kontrast zu festen Platzkategorien, mit denen eine Statusdifferenz in die räumliche Erfahrung implementiert ist, lassen sich die zugeordneten ›Platzhalter‹ jedoch ohne Weiteres austauschen; die symbolisierte Statusdifferenz ist ohne Umbruch in der ›gewohnten‹ Ordnung bei Tisch nivellierbar.

Z UR V ERORTUNG

BEI

T ISCH

Die beiden Fallbeispiele zielen in ihrer Kontrastierung nicht darauf, Erziehungsstile zu differenzieren oder am Einzelfall zu identifizieren (vgl. Steinberg 2001). Vielmehr war das Interesse nachzuvollziehen, wie jeweils eine Ordnung des Zusammenlebens, hier besonders die ›generationale Ordnung‹, bei Tisch realisiert und objektiviert wird. Trotz einer kulturhistorisch wandelbaren Stellung im Familienleben ist das Arrangement bei Tisch für die europäische Gegenwart in besonderer Weise an der Konstituierung eines Erfahrungsraums des ›gewohnten‹ Zusammenlebens beteiligt. Die Beziehungsqualitäten und Orientierungen schlagen sich hier als räumlich verdichtete, auch atmosphärische Erfahrung nieder. Bei Woellmer sind Statusdifferenzen, Verhaltenserwartungen und Kontrolloptionen in die räumliche Organisation des Arrangements implementiert und werden durch diese verfestigt, was auf die Beweglichkeit zurückwirkt. Beschränkungen und Privilegien konstituieren hierarchische Platzkategorien innerhalb einer formalen Statik der Sitzordnung, in der soziale Symmetrien und Asymmetrien zu einem vergleichsweise festen Arrangement austariert worden sind. Auf den ›hinteren‹ Plätzen ist der Bewegungsraum eingeschränkter, wobei

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eine visuelle ›Fluchtlinie‹ aus dem Arrangement hinausweist; die vorderen Plätze sind durch eine Ausrichtung ›von Angesicht zu Angesicht‹ stärker auf den Interaktionsraum bei Tisch, auch auf eine Kontrolle des Bewegungsareals um den Tisch herum ausgerichtet. Zugleich wird durch das gemeinsame Zusammenrücken Nähe manifestiert. Bei Schneider/Rocchi ist die Organisation des Arrangements gleichfalls an sozialen Differenzen und auch an Kontrolloptionen orientiert. So bietet die diagonale Sitzverteilung hinsichtlich der Generationendifferenz ideale Möglichkeiten zu punktuellen Interventionen. Die räumliche Organisation enthält jedoch keine festgefügte Hierarchisierung; vielmehr deutet die generationenübergreifende Ausrichtung ›von Angesicht zu Angesicht‹ die Orientierung an einer ›proto-egalitären‹ Teilhabe an. Diese Orientierung tritt in der weiteren Alltagspraxis deutlich hervor, indem den Kindern Raum gegeben wird, Routinen des Alltagslebens einzuüben und im Rahmen des Zusammenlebens möglichst eigenständig an der Alltagsbewältigung zu partizipieren. Die persönlich zugeordneten Dinge schaffen als Platzhalter kleine ›Reservate‹ der Selbstentfaltung, mit denen spielerisch umgegangen werden kann, ohne dass übergeordnete Ordnungsschemata gravierend tangiert würden – diese werden vielmehr in spielerischer Eigenständigkeit eingeübt. Auf familienspezifische Weise wird besonders über die Generationendifferenz eine ›gewohnte‹ Ordnung des Familienlebens ausagiert und austariert. Mit Blick auf Woellmer und Schneider/Rocchi wird dabei unterschiedlich mit Raum und Materialitäten, einschließlich der eigenen Körper, umgegangen – und diese Verräumlichungspraxis weist über die lokalen Platzierungen hinaus auf subjektivierende Positionierungen und habituelle Orientierungen, mit denen sich letztendlich nicht nur im Verhältnis zueinander, sondern auch ›gesellschaftlich‹, sozial-räumlich verortet wird.

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Students as Young People: The Process of Subjectivization E DUARDO W EISS

This paper presents a reflection on the central concepts of the study of students as young people. Such theoretical reflection is the product of a line of research on »School and Young People« that I work on with my students at the master’s and doctoral levels. Our research attempts to overcome the unilateral quality of studies on students and studies on young people in Mexico as Guzman and Saucedo (2005) propose in overview of the state of the art. Research on students is focused mainly on social condition, scholastic achievement, and academic trajectory. Outside of the school setting, research on young people has focused on the production of youth cultures. We try to understand students as young people. Our research approach is both ethnographic and hermeneutic. Ethnography at the Educational Research Department (DIE) at CINVESTAV1 started in 1984 (see Rockwell 1998) in opposition to theories of reproduction (Althusser, Bourdieu) and educational behaviorism. It has its origins in the conceptions of everyday life found in Schütz, Gramsci, Heller, and Berger and Luckmann and currently emphasizes the appropriation of cultural resources – an appropriation that considers culture as simultaneously constrictive and enabling, with an emphasis on agency (Rockwell 1996, 2005). In contrast with much of United States ethnography that focuses on minorities, the DIE centers its attention on the school life of the lower classes (»clases populares« in Spanish) in a broad sense. In Latin America, the lower classes constitute the majority of the population (Rockwell 1998). Hermeneutics (see Weiss 2005) attempts to understand the configu-

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Centro de Investigación y de Estudios Avanzados del Instituto Politécnico Nacional (CINVESTAV)

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rations of meaning in others’ discourse (both written and oral). Dialogue and narration are central elements in the construction of social life and identity of social actors. Meaning is always meaning in context. The part and the whole, or the text and the context, are mutually constitutive. Hermeneutics aims at reaching understanding by means of dialogue between the researcher and cultural productions or social actors. Each thesis had a different research site, a general or technical high school in the cities of México, Netzahualcoyotl, Aguascalientes, León and the port city of Mazatlán. And they used various qualitative techniques related to ethnography and narrative: autobiographical interviews from one to three hours, conversations and open-ended interviews, non-participative observation and even participative observation as a quasi-student in the classroom. The current article centers on explaining the conceptualization of our line of research, and especially the concept of subjectivization. We sustain that approaching young people’s and students’ lives from the concepts of sociability and socialization is insufficient. Instead, we propose focusing also on the process of subjectivization, characterized by the distance from norms and values, the development of tastes, interests, and abilities, reflection and choice. Of extreme importance in this process are diverse life events, encounters with others, and conversations. Based on these practices, young students develop their identities and experiences.

S CHOOL

AS A

S PACE

FOR

Y OUTH

We were greatly impressed to discover, in our first research study on the meaning of high school attendance, that young people’s accounts frequently included expressions such as »I’m at school to see my friends«, »to see my girlfriend« and »I get bored at home«. To explain these expressions, we created the category of »school as a space for youth« (cf. Guerra 2000, Guerra/Guerrero 2004). Further research by our group delved into the topic. Meeting friends, »flirting« with girls or guys, entering school with a crowd and changing friends, getting along in an easy or difficult manner, getting together, and standing out, are some of the activities that students carry out daily (Hernández 2006, Grijalva 2010). Ávalos (2007) found that youthful experiences are not limited to times contiguous to academic activities (before and after class), but also occur in the classroom, especially during group work. But above all, we have found (Guerrero 2008, Hernández 2007, Grijalva 2010) that young people’s experiences in their peer groups and with their girl-

S TUDENTS

AS

YOUNG P EOPLE

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friends/boyfriends at school, are not limited to having fun. We are interested in emphasizing that young people converse and reflect on their life events. To conceptualize our object of study, we reviewed the contributions and limitations of various theoretical focuses.

S TUDIES

ON

Y OUTH C ULTURES

To understand students as young people, we looked at studies on young people. In the 1980s, young people appeared in these studies as gang members, then as participants in the aesthetics and cultures of youth (Feixa 1999, 2005, Reguillo 2000). The study by Willis (1977) underlines, from a perspective of class struggle, the resistance of young people from blue-collar families to hegemonic school culture; the study perceives youth culture as subordinated and rebellious. Current studies on young people have overcome the notion of youth culture as subordinated, and present young people as leaders in the creation of new cultural styles (Feixa 1999, 2005, Reguillo 2000, Urteaga 2007). Through the notion of youth cultures, the currently dominant research on young people has been able to establish its own object of study, independent from psychological studies on adolescents; such studies replace the concept of adolescents as growing or maturing individuals, with the idea of young people as creators of new cultures expressed above all through music and aesthetics. They emphasize that they have overcome the reference of young people as incomplete individuals and the notion that young people live in a stage of moratorium, without having to assume adult responsibilities. By treating young people as quasiadults living in their own figured worlds, these studies have lost the notion of growth and the (gradual and changing) construction of identifications as a process.

S OCIALIZATION

AND

S OCIABILITY

Studies on young people as students have emphasized the concept of socialization, centering on the intergenerational transmission of norms and their internalization. School is conceived as a transmitter of society’s norms to future generations, although this function seems to be in decline (Dubet 2002). From a critical perspective, Bourdieu and Passeron (1964) emphasized the reproductive function of socialization and schools’ reproduction of a class-based society. Without doubt, students who reach high school have been successfully socialized in the

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craft of being a student, and adapt during the early semesters to the norms of the new institution (Guerrero 2006, 2007) – or fail to do so, as in the case of many low-class students in technical high schools who drop out of school during the early semesters (Guerra 2009). It is during middle school when students challenge professors and rebel against school, while during high school, they tend to »blow off« teachers and school. The youthful condition has also been viewed as intra-generational socialization. Feixa (1999) identifies some United States researchers like Lynd and Linton, who proposed in 1929 and 1942, respectively, that adolescents and young people have a separate world from adults, and that school cultures create their own values, rules, and hierarchies. The study by Coleman (1961), The Adolescent Society, shows that the most important aspect in US high schools was being popular. In our studies, we can observe how different groups of high school students develop their own norms and values with respect to teachers’ behavior and students’ dedication to schoolwork, their »look«, acceptable music, and the type of preferred entertainment (Grijalva 2010, see also Ávalos 2007). Current studies on young people and »urban tribes« have been greatly influenced by the concept of »sociality« by Maffesoli (1991), who postulates that our society is not entirely modern, rational, and civilized, but quite the opposite: characterized by the emergence of micro-groups or tribes. The suggestion is that instead of focusing on socialization, emphasis should be given to »sociality«. His concept of »sociality« returns (as he mentions briefly) to the concept of »sociability« by Simmel (1917), who emphasizes the pleasure of joining with others and the fun aspect of being together; Maffesoli takes from Nietzsche (to whom he refers extensively) the notion of excessive Dionysian festivities and the predominance of aesthetics over ethics. Our research (Ávalos 2007, Guerrero 2007, Hernández 2007, Weiss et al. 2008) without doubt contains the sociality of Maffesoli: young people spend a large part of their daily life in group relations of a fun and affective type; they are »vibrating together«. In the thesis by Grijalva (2010), we find that most of the interviewed small groups in the high school in Mazatlán are oriented to fun, while a minority is aimed at schoolwork, and that various groups use timerelated strategies to combine fun and schoolwork. However, interaction among young people is not limited to entertainment.

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S UBJECTIVIZATION Theorizing about young people requires going beyond the concepts of sociability and socialization. It is necessary to return to the concept of subjectivization, the notion that parallel to the process of socialization, the construction of subjectivity is developing. The study that drew our attention to the process of subjectivization was the book entitled A l'école. Sociologie de l'expérience scolaire by Dubet and Martuccelli (1996). The authors focus in parallel form on the processes of socialization and individualization, and indicate that experience is developed in three logics of interaction: the internalization of rules or roles (socialization), the development of personal subjectivity in the form of taste and interests that lead individuals to establish a distance from their socialization (subjectivization), and the instrumental or strategic action centered on calculating the usefulness of investing in schoolwork with a view to future projects, considering students’ resources and previous scholastic trajectory (strategy). We are living in an era that attaches new value to individual uniqueness and subjectivity as the feeling of something personal (Martuccelli 2002). Emotions and intimate relations have become a legitimate subject of sociology, as we can see in the work by Giddens (1991), and Beck and Beck-Gernsheim (2002). Subjectivity is seen by Holland et al. (1998) as development in the interface between the social and the self within the flesh, as the authorship of self. Such subjectivity is developed and becomes observable, not in an introspective manner, but in individual interactions, personal practices, and in the way people talk about themselves and others (Hernández 2007). Along with these notions of subjectivity, the concepts of subjectivization and individuation (re)appear complementary to the concept of socialization. In our view, subjectivization implies: • The development of individual tastes, interests, and abilities; this notion originates in the romantic, humanistic notion of the 19th-century individual, against a background of the development of individual uniqueness and the full development of human potential in an area – an idea mobilized in the pedagogical concept of »formation« and given new life under the name of the »authentic expression« (cf. Taylor 1992) that is so important among today’s young people. • The »internalization« of norms and values – a central idea of the concept of socialization – assumes their insertion into the individual’s moral and cognitive systems and their consequent modification, like the processes of assimilation and accommodation by Piaget (Ferreiro 1999). Dreier (2010: 91) indicates that indi-

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viduals’ actions, thoughts, and emotions must function in flexible forms, and be more than mere adherence to systems, proceedings, and rules: individuals need to interpret and locate standards and rules to include them in concrete situated action. • The cultural perspective of ethnographic studies addresses the same problem proceeding from the concept of »appropriation« which, according to Rockwell (2005: 29) »has the advantage of transmitting simultaneously to the individual’s active transforming nature and the coactive – but also instrumental – nature of cultural heritage«. Chartier (1991: 19, cited by Rockwell 2005: 30) argues that appropriation always »transforms, reformulates, and exceeds what it receives«. • Emancipation from dominant norms and values and the development of personal norms and values (Dubet and Martuccelli 1996), is a notion that appeared, as indicated by Martuccelli (2002), in the context of social movements related to collectives and social movements (workers and feminists), and which has gained new relevance for individuals. The idea is about becoming an actor who makes decisions based on personal moral criteria; in short, the process of becoming responsible for one’s self (Hernández 2007). • The ability to reflect on the different demands from »generalized others« (role expectations) and one’s own position regarding these demands (G.H Mead (1999 [1934]); to be able to act, the actor must take into account what others expect from him (what they told »me«). Mead’s »self«, however, is the ability to reflect on varying demands and one’s own position, an instance of reflection and decision (cf. Hernández, 2007). • The meaning of the agency of self, which is derived from the sensation of being able to begin and carry out activities on one’s own (Bruner 1990). »Agency« emphasizes the human ability to act and decide on the way to use the symbolic resources of culture to construct identity, and to some degree, to reconfigure the practices and places where one participates (Bucholtz 2002, cited by Hernández 2007: 11). Kierkegaard had already pointed out that in our existence, we have the need and constant possibility to choose and decide (cf. 1975). Individuals develop personal projects in different settings of life (Schütz 1993 [1936]). • The emotional knowledge of self that began in the novels of Romanticism and attained scientific meaning with Freud, has found popularity today in self-help manuals, parallel to the revaluing of intimacy in sociological writings (Giddens 1991, Beck/Beck-Gernsheim 2002). The development of individual tastes, interests, abilities, values, and norms is made manifest in the creation of young groups’ patterns and practices (cf. Coleman 1961, Willis 1977, Reguillo 2000). Such creation is not always original and

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is most often an adherence to existing group norms. Young people in secondary school characteristically believe they are more »authentic«, the more closely they imitate the look of a musical idol. The argument could be made that they simply replace adult and school norms with dominant juvenile norms. However, we can consider adherence to norms, although assumed in group form, as a step toward the elaboration of personal norms. We can focus on looks as »masks« that hide the incipient development of personal subjectivity (as Dubet and Martuccelli 1996 emphasize), or as a form of experimenting with different alternatives. It is interesting to observe the development of personal taste among the older female students in the Mazatlán high school; the girls emphasize their personal ways of combining certain garments and accessories, and take corporal characteristics and attitudes into consideration when making their decisions (Grijalva 2010). On the other hand, it is necessary to recognize that the issue is not to revive an idealistic conception of subjectivization or individuation, removed from social and cultural influence. Without doubt, tastes, interests, values, and norms – not only of young people – are molded by cultural flows (hegemonic and emerging) promoted by the media, as correctly emphasized by Giddens (1991), Bauman (2000), and Beck and Beck-Gernsheim (2002). Young people’s actions and reflections make use of diverse social representations and models, both new and old, but young people combine and modify them in a group and individual manner.

T HE C ONSTRUCTION OF I DENTITY AS A C ONTINUAL P ROCESS The topic of identity has been discussed in the social sciences most often in terms of attachment and affiliation of collective identities. For a long time, identity was determined (and/or conceived) predominantly by family or neighborhood attachment and through identification with a job, profession, or social class; a contemporary example is found in the theory of habitus by Bourdieu (1979). However, new ethnic, race- and gender-based movements – in general, new cultural movements – have shown that attachments are more diverse and that we handle multiple identities at the same time (Martuccelli 2002), including the electives of a cultural nature that are becoming increasingly more important. Lahire (1998) emphasizes that actors are plural and live in different settings at the same time (for example, family, school, work). In each setting, individuals have different socializing experiences and acquire different types of norms,

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logics of action, and forms of reflectivity. Hernández (2007) indicates that the formation of personal identity is a process of appropriating identity resources, shared references, and learning from experience. In many studies on youth, identities appear to be provided by youthful aesthetics of attachment and are longlasting. In contrast, in our studies on students, young people experiment with different styles and forms of being. Identities are constructed in a double process of socialization (internalization of norms and values) and subjectivization (emancipation and elaboration of one’s own norms and values), especially upon interacting with others (sociability). The process of socialization and subjectivization is an unending process, but young people experience it with great intensity. They continually explore different settings and ways of interaction. Identifications are generated in social practice, and are experienced in and through activity in different life settings or figured worlds. Terms like settings, contexts, life settings, »figured worlds« (Holland et al. 1998), and »communities of practice« (Lave/Wenger 1991) are concepts with different accents that allude to a common denominator. They are settings of interaction – for example school, work, or groups of young peers – where actors carry out a certain type of activities that require the development of determined knowledge and skills; they share certain meanings, norms, and values in their interactions and the actors occupy determined positions and hierarchies. On participating in the practices of various settings, we socialize in those settings (we understand their meanings and the rules of the game, and become competent participants), while subjectifying (weighing the norms, developing preferences, and selecting certain actions over others). Ricoeur (1990) studied identity based on change and continuity: continuity and physical changes of the person, and continuity and changes in the word given to others. Both topics are a concern for young people. For example, let us think about the continuities and ruptures in friendships as shown by Grijalva (2010), and in courtships as shown by Hernández (2007). In all the settings of their lives, young people explore different ways of acting and being. They may be obedient children today and rebellious children tomorrow, model students in elementary school, unconcerned in middle school, and strategists in high school; they may identify with certain musical styles and then change to others; they may be trustworthy friends and then look for new friends more in agreement with their interests; they may be faithful boyfriends/girlfriends for a time and then jump to new choices, or job hoppers. But they also reflect and claim they become more »mature« (Hernández 2007, Guerrero 2007).

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At the high school level, both schools and families grant young people a wider margin of freedom and decision-making abilities. Greater decision-making abilities allow students to live their youthful life in different manifestations and to experiment with its risks – and risks have always attracted young people (Weiss et al. 2008). There are many freedoms: »A whole lot, for example, here you see people smoking ... for example if you want to go to class, you do, and if you don’t, you don’t go in because here there are no prefects« (Danae, student at CCH-Sur, fourth semester). Enrollment is marked by positive expectations, and then there is the attractiveness of the space for youth. The group of friends encourages missing class. Several of the students from the fourth, fifth, and sixth semester have failed subjects and now feel pressured to finish high school (see, in greater depth, Guerrero 2006 and Hernández 2006). More than a few are able to return. In »changes in the direction of life course« as shown by Guerrero (2006, 2008) – and using a term coined by Elder (1994) – young people at CCH rededicate their time to school (Guerrero 2006) or return to school after having interrupted their studies and spending time in a gang, abusing alcohol, or suffering unpleasant experiences in informal employment (Guerra 2009). The most meaningful lesson for some students seems to have been: »All these experiences helped me […] because this – man! – was a time when I became responsible« (Javier). Students make significant use of phrases like »acquiring responsibility«, »reflecting«, and »maturing« (Hernández 2006, 2007, Guerrero 2006, 2008). Dubet and Martuccelli (1996) point out that in order to grow, to move from childhood to adolescence (and to adulthood, we would add), emotional characteristics of security and independence are important. Hernández (2007) points out – using the expression of Beck and Beck-Gernsheim (2002) – that taking charge of one’s self and one’s life is an important part of the process of individuation. For these life stories, the metaphor of »trajectory« seems to lack pertinence. These stories are not ballistic trajectories as described by Bourdieu and Passeron (1964), but can better be described as routes and returns. Nor are they labyrinths as proposed by Pais (2003); only a few Mexican young people are that pessimistic. I propose visualizing scholastic and employment routes as a network of roads – some marked, some not – in which young people must choose their route at the intersections.

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S UBJECTIVIZATION AS K NOWLEDGE OF »O THER « AND S ELF Studies on youthful cultures emphasize the importance of identifying with a certain aesthetic. Emphasis is on distinguishing one’s group and identity from others. In these studies, the »Others« refer to the »antagonist«, the »radical otherness« that permits constructing a feeling of »us« (Reguillo 2000: 41). In effect, we can observe – more so in middle school, but also in high school – that students gather in groups with similar tastes and interests (musical tastes, styles of producing appearance, and interest in studies or different types of fun) and that more than a few speak disparagingly about other groups (Grijalva 2010). However, the »Others« in our studies are not primarily the antagonist or radical other, but the hermeneutic »Other«. Hermeneutics (cf. Gadamer 1975, Ricoeur 1990, and Taylor 1992) has always emphasized that knowing and trying to understand »Others« (other languages, other cultures, other histories, and other people) permits better self-understanding. High school students are interested in this aspect. For young people, school is the ideal place for getting to know the Other in widely varying experiences of friendship, companionship, love, and sexuality, as shown in research by Hernández (2007). When »speaking in private« with them, young people can reveal intimate aspects about themselves and learn about points of view that are different from their own. They also establish different types of relations with the opposite sex: like »cholocate« (holding hands), »amigovio« (composite of »amigo« – friend – and »novio«/»novia« – boyfriend/ girlfriend), »free love« (erotic or casual sexual encounter), or »boyfriend«/»girlfriend«. Practical knowledge of the »Other« passes through corporal sensuality, in addition to sharing, opening up to the Other, mutual support, and trial and error. In romantic relationships, young people learn to handle social links of intimacy, trust, care for others as well as the ability to express affection and suffer romantic uncertainty, discover other ways of feeling, and pay attention to the needs of others, as pointed out by Hernández (2007).

E XPERIMENTATION

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E XPERIENCE

The concept of experience implies the notion of experimentation, as seen in writings from the Anglo-Saxon setting, from Bacon to Dewey, where the notion of experience alludes to sensual-corporal empiricism and the testing in experimentation. Pais (2007: 29) believes contemporary young people to be a generation

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dominated by randomness, which seems to venture into an »ethic of experimentation«. Dayrell (2007) emphasizes that young people’s adventures and experimentations imply personal challenges: young people’s multiple experimentations »seek to overcome the monotony of daily life and find adventure and excitement. In this process, they test their potential, they improvise, and they confront their own limits, often taking paths that lead to wrong turns and ruptures but that are forms of learning about self.« Hernández (2007) emphasizes the »exploration« of practices, behaviors, feelings, and thoughts. In this sense, the old psychological concept of »youthful moratorium« (Erikson 1968) – considered anathema by many studies about young people since it implies that youth is a transitory phase of waiting and preparing for adult life – acquires another meaning: a time of exploration and experimentation (Romo 2009: 164). But young people do not experience only adventures. They also reflect, and learn from their experiences, which help them to learn more about themselves and to trace their routes and projects. The concept of experience also implies reflection on life events and alternatives of action, as emphasized by Giddens (1991), Bauman (2000) and Beck and Beck-Gernsheim (2002); this is the definition most of us have used in our research (Hernández 2006, 2007, Guerrero 2006, 2008, Romo 2009).

C ONVERSATIONS

AS A

P ROCESS

OF

R EFLECTION

Dubet and Martuccelli (1996: 334) indicate: »Thus, at the lyceum, students consecrate the essence of their free time […] to practicing the art of conversation […], which is carried out in some cases in cafés, where students meet to talk about class, about everything and nothing«. Ávalos (2007) – who on writing a master’s thesis in our line of research, was able to interact with a group of students at CCH, first in their reading and writing class, and then outside of class as well – tells about some of the conversations that occur inside and outside of the classroom. He states that young people talk about the most recent party and how to organize the next one, they discuss musical groups or sports events, they comment about television programs, and talk about romantic or sexual experiences and concerns. Dreier (2010: 87) emphasizes that: »Social practices […] are interlinked local contextual practices that participate in wider ranging practices. People who move within and through these practices create direct and indirect links between these practices for themselves and others«.

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We might add that the practices developed in various contexts are especially linked at the moment they become the subject of conversation. Young people, on talking with their peers, describe their life events in other settings, such as home and work; thus the conversation becomes a vehicle for interconnecting young people’s settings and practices. Conversations among students, even when they talk about trivial topics, allow them to discover other opinions; and as Hernández (2007) indicates, conversations are a form of reflection. The most outstanding examples refer to the word of love and sexuality, to conversations as a couple as well as in conversations with friends and classmates. On conversing and listening to others, young people acquire and broaden their erotic and/or sexual experiences.

C ONCLUSIONS The young students who appear in the theses of our line of research spend a large part of their time in interactions with peers. They like to be associated in their peer groups and with their friends (sociability), and have fun with them (sociality). Each group establishes its own norms and values (socialization among peers). At the same time, being a student requires adhering to certain norms of school and adult society (inter-generational socialization). Families as well as schools tend to grant high school students greater freedom in deciding about the use of their time, the way they dress, and the people with whom they want to associate. This greater freedom is a consequence of and requirement for the process of subjectivization: the development of tastes, interests, and abilities, emancipation from norms and values, growing reflection on the demands and needs of others, and increasing ability to make choices and decisions. Subjectivization is not – in most cases – a solitary process. A principal reason for attending school daily is the presence of friends, boyfriends/girlfriends, and classmates. High schools – which are usually large in size and regroup students each semester by subject – facilitate getting to know others: different others who attract attention through their styles and ways of acting and seeing. The most important others are friends and girlfriends/boyfriends. With these important others, students share and converse about life events. Their conversations are carried out for the pleasure of conversing (sociability), but are also a form of reflection (subjectivization). When students reflect on events in their lives, these events become experiences.

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Knowing and understanding others allows young people to know and understand themselves better, and construct their identifications. Through multiple life events and experiences, young people socialize, in the sense of learning to handle norms and values in different life settings, and they subjectivize by elaborating their own norms and values. At the same time, they construct their identities in different settings and plan their projects (always temporary). Because they are with friends, boyfriends/girlfriends, and classmates, they often neglect their studies or become disinterested in them. For this reason – although it is not the only one for dropping out – a segment of students does not finish in time, or does not finish with good grades, or does not finish at all. However, a considerable number of young people reach a point of return in their lives, when they reconsider and dedicate themselves once again to school, or return to school after having quit. They declare that their experiences have »matured« them. We believe it is important to recover the concept of the adolescent who grows. Not as a stage in an evolutionary concept but as an ongoing process. Not as a purely intra-subjective process but as a process that is gestated in practices and life events with others, which through conversations and reflection become intra-subjective experiences. Rescuing the concept of »growth« from the psychology of adolescence for studies on youth, and promoting the concept of subjectivization, will not imply that we are focusing on psychological individuals. We are interested in individuals who are at the same time psychological, social, and cultural, in the humanistic tradition of »persons«.

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Autorinnen und Autoren

Yalız Akbaba ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft, Arbeitsgruppe Schulpädagogik, an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Umgang mit Heterogenität in der Schule, Differenztheorien, professionelles Lehrerhandeln in der Migrationsgesellschaft und qualitative Forschungsmethoden. Birgit Althans ist Professorin für Empirische Grundschulforschung mit dem Schwerpunkt Genderforschung an der Leuphana-Universität Lüneburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich Professions-, Organisations- und Heterogenitätsforschung in der Grundschule, Pädagogische und Historische Anthropologie, gender und cultural studies sowie Methoden qualitativer Forschung, insbesondere in responsiven Forschungsdesigns. Beatriz Ballestín (PhD., MA and Graduate in Social Anthropology; Graduate in Sociology) is a Lecturer in Social Anthropology in several masters on education, immigration and minorities at the Universitat Autònoma de Barcelona, Spain. Her key activities are in the field of childhood, migration, and education, with a special focus on children’s academic and socio-cultural identities. Dennis Beach is Professor of Education at the University of Gothenburg, Sweden and the University of Borås, Sweden, and a visiting Professor at the Froebel Institute at Roehampton University, London, England. His main research interests are in the intersecting fields of the sociology and politics of education and education democracy. He is currently Editor in Chief of the Taylor and Francis Journal of Ethnography and Education. Jürgen Budde ist Professor für die Theorie der Bildung, des Lehren und Lernen am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Flensburg. Seine Ar-

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beitsschwerpunkte liegen im Bereich Heterogenität in Bildungsinstitutionen, Praxeologie neuer Lernkulturen sowie Erziehungsprozesse in Schule und Unterricht. Peter Cloos ist Professor für die Pädagogik der frühen Kindheit an der Universität Hildesheim. Er ist Sprecher des „Kompetenzzentrums Frühe Kindheit Niedersachsen“. Seine Forschungsschwerpunkte sind Erziehung und Bildung in Kindertageseinrichtungen, Qualitative Forschungsmethoden, Übergänge im Lebenslauf und Alltag von Kindern und professionelles Handeln in Arbeitsfeldern der Pädagogik der frühen Kindheit. Margaret Eisenhart is University Distinguished Professor of Educational Foundations, Policy and Practice/Research and Evaluation Methodology at the University of Colorado at Boulder, USA. Since 2004 she has held the Bob and Judy Charles Endowed Chair of Education. Her research focuses on the social and cultural experiences of students in U.S. schools with ethnographic research methods. She is a Fellow of the American Anthropological Association and a Founding Fellow of the American Educational Research Association. Nicolas Engel, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pädagogik an der FAU Erlangen-Nürnberg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der pädagogischen Organisationsforschung (hier insbesondere der Organisationsethnographie), der interkulturellen Pädagogik sowie im Bereich der qualitiativen Methodologie. Bettina Fritzsche ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt qualitative Methoden an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der rekonstruktiven Bildungsforschung, der Ethnografie und Videografie pädagogischer Praktiken, der kulturvergleichende Bildungsforschung und der Forschung zu Heterogenität und Ungleichheit in der Schule. Alexander Geimer ist Juniorprofessor für Soziologie, insbesondere Methoden der qualitativen Sozialforschung an der Universität Hamburg. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der praxeologischen Wissenssoziologie, Medienforschung, Cultural Studies sowie Bildungs- und Subjektivierungsforschung. David N. Gellner is Professor of Social Anthropology and a Fellow of All Souls College, University of Oxford, England. His research, principally ethnographic,

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but also supplemented by surveys, has mainly focused on Nepal, on topics related to religion, ritual, ethnicity, politics, and healing; more recently he has also done research on Nepalis in diaspora and on borderland issues. Michael Göhlich ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik I an der FAU in Erlangen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Allgemeine Pädagogik und Organisationspädagogik. Herbert Kalthoff ist Professor für Soziologie an der Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Bildungssoziologie und Unterrichtsforschung, Wirtschafts- und Finanzsoziologie sowie Qualitative Methoden. In diesen Feldern forscht er gegenwärtig zu Wissensformen, Materialitäten sozialer Praktiken und zur Praxis von (mathematischen) Zeichen. Helga Kelle ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Allgemeine Pädagogik an der Universität Bielefeld. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Kindheitsforschung, der Theorien von Bildung und Erziehung, der Methoden und Methodologien qualitativer Forschung und der Praxisanalyse von Verfahren der Entwicklungsbeobachtung Dominik Krinninger, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Osnabrück. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der empirisch gestützten Erziehungs- und Bildungstheorie, der pädagogischen Familienforschung und der ästhetischen Bildung. Ingrid Miethe ist Professorin für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Ungleichheiten im Bildungssystem, Geschichte der Bildung, Qualitative Methoden und Gender Studies. Hans-Rüdiger Müller ist Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität Osnabrück. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Theorie und Geschichte der Erziehung und Bildung, der pädagogischen Anthropologie, der Familienerziehung und der qualitativen Erziehungs- und Bildungsforschung. Sascha Neumann ist Professor für Bildungsforschung mit dem Schwerpunkt Sozialisation und Entwicklung in Kindheit und Jugend an der Universität Freiburg/Schweiz. Seine Arbeitsgebiete umfassen Qualitative Bildungsforschung,

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Theorie der Kindheit und Kindheitsforschung, Theorie und Geschichte der Sozialpädagogik und Ethnographie der (Früh-)pädagogik. Sabine Reh ist Professorin für Historische Bildungsforschung an der HumboldtUniversität zu Berlin und Direktorin der Bibliothek für bildungsgeschichtliche Forschung (BBF) des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Historische Bildungsforschung, insbesondere Kultur- und Sozialgeschichte pädagogischer Institutionen, Professionen und Diskurse, Ethnographie pädagogischer Praktiken und Ordnungen sowie Theorie und Methodologie historischer und rekonstruktivhermeneutischer Bildungsforschung Norbert Ricken ist Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Theorie und Geschichte von Erziehung und Bildung an der Universität Bremen. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Bildungs- und Erziehungstheorie und -philosophie, der Wissenschaftstheorie und -geschichte der Erziehungswissenschaft, der Subjektivitäts- und Intersubjektivitäts- sowie Anerkennungstheorie und der Differenz- und Subjektivationsforschung Siegfried Saerberg, Dr. phil, ist unabhängiger Soziologe und Kulturforscher. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Soziologie der Behinderung, Disability Studies und die Soziologie der Sinne. Dieses Feld untersucht er auch künstlerisch und ethnographisch als Kulturanthropologe von »dunklen Sternen« resp. vom »schwarzen Loch«, der oder die nach neuesten Forschungen aber gar nicht dunkel resp. schwarz sind oder ist. Sebastian Schinkel, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozialisationsforschung, Kindheits- und Familienforschung, Kultursoziologie des Alltagslebens sowie Methoden qualitativer Forschung, insbesondere Ethnographie. Ira Schumann ist Doktorandin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und derzeit Stipendiatin der Martha-Muchow-Stiftung. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Disability Studies, Ethnographie, GroundedTheory Methodologie und Gender Studies. Anna Schweda ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im

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Bereich der Kindheitsforschung, des Übergangs vom Kindergarten in die Grundschule und der Praxisanalyse von Verfahren der Schuleingangsdiagnostik. Claudia Seele ist Doktorandin der Erziehungswissenschaften an der Universität Luxemburg. Ihr Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit der ethnographischen Erforschung des Umgangs mit Mehrsprachigkeit und kultureller Diversität in luxemburgischen Einrichtungen frühkindlicher Bildung und Betreuung. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Ethnographie und der Kindheits- und Migrationsforschung Anja Tervooren ist Professorin für Erziehungswissenschaften unter besonderer Berücksichtigung der Kindheitsforschung an der Universität Duisburg-Essen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Bildungs- und Sozialisationsforschung, der Konstruktionen von Differenz und der Methoden qualitativer Forschung, vor allem der Ethnographie. Eduardo Weiss is Professor of Pedagogy at the Department of Educational Research of the Center for Research and Advanced Studies (CINVESTAV) in Mexico City, Mexico. He studies socialization and individuation processes in secondary education. His approach to qualitative research is influenced by hermeneutics and ethnography. Daniel Wrana ist Professor für Lernforschung an der Pädagogischen Hochschule der Nordwestschweiz in Basel. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich einer Analyse von Lehr-Lern-Prozessen und -Arrangements, einer Gouvernementalität des Bildungssystems sowie der Entwicklung einer Methodologie der Analyse diskursiver Praktiken.

Pädagogik Christine Baur Schule, Stadtteil, Bildungschancen Wie ethnische und soziale Segregation Schüler/-innen mit Migrationshintergrund benachteiligt 2012, 244 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2237-9

Markus Dederich, Martin W. Schnell (Hg.) Anerkennung und Gerechtigkeit in Heilpädagogik, Pflegewissenschaft und Medizin Auf dem Weg zu einer nichtexklusiven Ethik 2011, 264 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1549-4

Ghodsi Hejazi Pluralismus und Zivilgesellschaft Interkulturelle Pädagogik in modernen Einwanderungsgesellschaften. Kanada – Frankreich – Deutschland 2009, 376 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1198-4

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Pädagogik Monika Jäckle, Beate Bendel (Hg.) Handbuch TraumaPädagogik und Schule Januar 2015, ca. 400 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2594-3

Barbara Keddi Wie wir dieselben bleiben Doing continuity als biopsychosoziale Praxis 2011, 318 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1736-8

Barbara Lutz-Sterzenbach, Ansgar Schnurr, Ernst Wagner (Hg.) Bildwelten remixed Transkultur, Globalität, Diversity in kunstpädagogischen Feldern 2013, 382 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2388-8

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Pädagogik Anselm Böhmer Diskrete Differenzen Experimente zur asubjektiven Bildungstheorie in einer selbstkritischen Moderne 2013, 288 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2571-4

Thorsten Fuchs Bildung und Biographie Eine Reformulierung der bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung 2011, 444 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1791-7

Wiltrud Gieseke, Steffi Robak, Ming-Lieh Wu (Hg.) Transkulturelle Perspektiven auf Kulturen des Lernens 2009, 266 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1056-7

Kerstin Jergus Liebe ist ... Artikulationen der Unbestimmtheit im Sprechen über Liebe. Eine Diskursanalyse 2011, 276 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-8376-1883-9

Dominik Krinninger Freundschaft, Intersubjektivität und Erfahrung Empirische und begriffliche Untersuchungen zu einer sozialen Theorie der Bildung 2009, 278 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN 978-3-8376-1287-5

Tobias Künkler Lernen in Beziehung Zum Verhältnis von Subjektivität und Relationalität in Lernprozessen

Christine Kupfer Bildung zum Weltmenschen Rabindranath Tagores Philosophie und Pädagogik 2013, 430 Seiten, kart., 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2544-8

Claudia Lemke Ethnographie nach der »Krise der Repräsentation« Versuche in Anlehnung an Paul Rabinow und Bruno Latour. Skizzen einer Pädagogischen Anthropologie des Zeitgenössischen 2011, 300 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1727-6

Elisabeth Sattler Die riskierte Souveränität Erziehungswissenschaftliche Studien zur modernen Subjektivität 2009, 176 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1323-0

Peter Schlögl Ästhetik der Unabgeschlossenheit Das Subjekt des lebenslangen Lernens Februar 2014, 236 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2643-8

Robert Stölner Erziehung als Wertsphäre Eine Institutionenanalyse nach Max Weber 2009, 254 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1183-0

Julia Weitzel Existenzielle Bildung Zur ästhetischen und szenologischen Aktualisierung einer bildungstheoretischen Leitidee 2012, 278 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2223-2

2011, 612 Seiten, kart., 39,80 €, ISBN 978-3-8376-1807-5

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