Dominant, verführend, ewig schuld: Frauen im Umfeld des Herrschers [1 ed.] 9783737014045, 9783847114048

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Dominant, verführend, ewig schuld: Frauen im Umfeld des Herrschers [1 ed.]
 9783737014045, 9783847114048

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Kraftprobe Herrschaft

Band 2

Herausgegeben von Heide Frielinghaus, Sebastian Grätz, Heike Grieser, Ludger Körntgen, Johannes Pahlitzsch und Doris Prechel

Ludger Körntgen / Heide Frielinghaus / Sebastian Grätz / Heike Grieser / Johannes Pahlitzsch / Doris Prechel (Hg.)

Dominant, verführend, ewig schuld Frauen im Umfeld des Herrschers

Mit 11 Abbildungen

V&R unipress Mainz University Press

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Veröffentlichungen der Mainz University Press erscheinen bei V&R unipress. © 2022 Brill | V&R unipress, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Gastmahl des Herodes (St. Johann/Müstair, Mittelapsis), © Stiftung pro Kloster St. Johann. Foto: Rufino Emmenegger. Freistellung: A. Schurzig. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2698-2110 ISBN 978-3-7370-1404-5

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Heide Frielinghaus / Heike Grieser / Doris Prechel Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stefan Nowicki The Role of Women in the Light of Royal Texts from Ancient Mesopotamia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Daliah Bawanypeck Jenseits von Puduhepa – Darstellungen von Frauen im Umfeld ˘ hethitischer Herrscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anja Klöckner Medeia und Iason. Geschlechterstereotype und ihre Inversion in der griechischen Klassik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Sara Kipfer Batseba und Tamar in 2Sam 11–13 oder: Erzählungen jenseits von Täter-Opfer-Konstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Erasmus Gaß Die Biene und der Blitz – Die eigenwillige Koalition von Debora und Barak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Elisabeth Birnbaum Wie viel Frau darf Judit sein? Anmerkungen zur Rezeption des Juditbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

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Inhalt

Konrad Huber Herodias und ihre Tochter. Femmes fatales an der Seite des Königs . . . . 183 Dominic Bärsch Die christusliebende Isebel – Zur ambivalenten Darstellung der Kaiserin Aelia Eudoxia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Katharina Greschat Die Repräsentation der christlichen augustae Pulcheria und Eudokia im Umfeld des Kaisers Theodosius II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Sebastian Scholz Gregor von Tours und sein Bild der Königinnen und Konkubinen der Herrscher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Thomas Pratsch Theodora Augusta: von der Bühne auf den Kaiserthron . . . . . . . . . . 265 Despoina Ariantzi Mätressen am Hof der makedonischen Dynastie

. . . . . . . . . . . . . . 291

Petra Melichar Historians and Their Victims: Apprehensive Men and Powerful Women in Late Byzantium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Abbbildungsnachweise

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

Vorwort

Unter dem Titel „Dominant, verführend, ewig schuld. Frauen im Umfeld des Herrschers“ fand am 21./22. Oktober 2019 in der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz eine internationale Tagung statt. Die namengebenden Schlagwörter des Titels waren Vorannahmen geschuldet: Frauen mit Macht würden in den meisten Kulturkreisen als dominant wahrgenommen, da sie es vermochten, die traditionelle Hierarchie zu durchbrechen; nicht selten erschiene diese außer-ordentliche Situation in Verbindung mit ihrer verführenden Physis und die Resultate der aus traditioneller Sicht irregulären Herrschaft bewerte man sodann als schuldhaft. Die Tagung wurde von der Arbeitsgruppe ‚Kraftprobe Herrschaft‘ organisiert, die sich an der Johannes Gutenberg-Universität seit mehreren Jahren auf interdisziplinärer Ebene mit dem kultur- und epochenübergreifenden Phänomen monarchischer Herrschaft beschäftigt. Auch mit dem zweiten Band der gleichnamigen Reihe möchte die Arbeitsgruppe ihre Aktivitäten einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen. Mit dem besonders ergiebigen Forschungsfeld monarchischer Herrschaft wird nicht nur die Absicht verfolgt, die beteiligten Disziplinen miteinander ins Gespräch zu bringen, sondern auch, deren kultur-, epochen- und fachspezifische Leitnarrative prinzipiell zu relativieren und zu öffnen. Mit dem Alten Orient, dem Alten Israel, der Griechisch-Römischen Antike und der Christlichen Spätantike sowie deren westlich-mittelalterlichen, östlich-byzantinischen und islamischen Nachfolgekulturen sind dabei Räume und historische Epochen angesprochen, die deutlich genug voneinander abgegrenzt sind, um einen interkulturellen Vergleich sinnvoll zu machen. Zugleich handelt es sich aber um Räume bzw. Epochen, die kulturell und/oder zeitlich doch so erkennbar miteinander verbunden sind, dass neben dem Vergleich auch die Frage nach Transfer und Nachwirkung kultureller und politischer Vorstellungen und Handlungsmuster zu stellen ist. Die Herausgeberinnen und Herausgeber danken der Fritz Thyssen Stiftung, die durch ihren finanziellen Zuschuss das Zustandekommen der Tagung ermöglicht hat, sowie der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur

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Vorwort

für ihre bewährte Gastfreundschaft. Das Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur (MWWK) des Landes Rheinland-Pfalz sicherte durch die Förderung des Profilbereichs der Johannes Gutenberg-Universität Mainz 40.000 Years of Human Challenges: Perception, Conceptualization and Coping in Premodern Societies (Challenges) nicht nur die Drucklegung des Bandes, sondern finanzierte auch die bisherige Koordinatorin der Arbeitsgruppe, Frau Elwira Janus. Sie hat den Drucklegungsprozess des vorliegenden Bandes maßgeblich begleitet. Den Vortragenden und Autoren und Autorinnen danken wir für ihr großes Engagement während der Tagung ebenso wie für die pünktliche Einreichung der sorgfältig erarbeiteten Manuskripte. Mit ihren Fragen und Anregungen haben uns schließlich die Studierenden der beteiligten Fächer inspiriert und motiviert, indem sie sich in einem interdisziplinären Blockseminar vorbereitend mit der Thematik auseinandergesetzt und unsere Tagung durch ihre Teilnahme bereichert haben. Wir danken dem Verlag Vandenhoeck und Ruprecht und namentlich Herrn Oliver Kätsch und Frau Janin Mojib Yazdani für die umsichtige Unterstützung und die sorgfältige Drucklegung.

Heide Frielinghaus / Heike Grieser / Doris Prechel

Einleitung

Der Titel „Dominant, verführend, ewig schuld. Frauen im Umfeld des Herrschers“ ist Klassifizierungen geschuldet, die sich sowohl auf der Ebene von Zeitgenossen als auch auf derjenigen der Nachwelt und dann spezifisch auf derjenigen wissenschaftlicher Analyse beobachten lassen. Für eine Arbeitsgruppe, die sich der Figur des vormodernen Herrschers verschrieben hat, ist das Thema von besonderem Interesse: Einerseits sind in Antike und Mittelalter im euromediterranen Raum nur sehr vereinzelt Frauen als Herrscherinnen nachweisbar, die Regierungsgeschäfte aktiv und eigenständig führten. Andererseits lässt sich eine Vielzahl weiblicher Figuren im Umfeld des Monarchen feststellen, die politisch sehr einflussreich sein und entscheidende Funktionen übernehmen konnten, wie z. B. die Gattin, die Mutter, die Schwester, die Tochter, die Mätresse, die Beraterin oder die Mäzenin. Typisch ist für diese Akteurinnen, dass sie alle eine besondere Nähe zum i. d. R. männlichen Herrscher haben. Die Tagung setzte sich zum Ziel, diese Frauen sowohl unter quellenreferenzierten als auch figurativen Perspektiven zu betrachten. In Bezug auf die Quellen ist zunächst das Gefälle zwischen einer zeitgenössischen Dokumentation und deren Rezeption zu bestimmen. Als Beispiel kann etwa Sammu-ramat, die Gemahlin des assyrischen Königs Schamschi-Adad V., angeführt werden. Die keilschriftlichen Primärquellen weisen sie als annähernd gleichberechtigte Partnerin aus, die an der Seite ihres Ehemannes sogar zu Felde zog. Erst die griechischen Historiker klassischer und hellenistischer Zeit entwarfen die Figur einer babylonischen, nymphomanen Amazone, die sodann in die abendländische Kultur unter dem Namen Semiramis Eingang fand. Auch die Beurteilungen der Konstantinmutter Helena schwanken, vor allem im Zuge der späteren, variantenreichen Erklärungen der Verwandtenmorde Konstantins, an denen die Quellen ihr teilweise eine Mitschuld zuschreiben. Geradezu gegensätzliche Wertungen finden sich auch bei annähernd zeitgenössischen Quellen: So wird die aus Byzanz in den Westen gekommene Kaiserin Theophanu vom Merseburger Bischof und Chronisten Thietmar als tatkräftige Regentin gewür-

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digt, während Abt Odilo von Cluny sie unter Verwendung eines hagiographischen Musters als bösartige Verfolgerin ihrer Schwiegermutter stilisiert. Eine Analyse zeitnaher Quellen kann zunächst die folgenden Fragen zu beantworten suchen: Welcher Repräsentationsformen, Medien (z. B. Briefe, Siegel, Münzen, Felsreliefs) und (Sinn-)Bilder bedienen sich diese Quellen und in welchem Maße bestimmt der mediale Aspekt die Botschaft? Gibt es Fälle, in denen diese Frauen selbst zur Sprache kommen? Inwiefern spiegeln die nachgewiesenen Zuschreibungen eine definierte Rolle der Frau in der jeweiligen Gesellschaft (vielleicht auch nur die einer bestimmten sozialen Schicht) bzw. welche Funktion erfüllen sie? Lassen sich widersprüchliche Zuschreibungen zur selben Figur finden und wie kann man diese Differenzen erklären? Sodann soll dieses zeitnahe Bild mit dem später in der Historiographie und/oder bildlichen Quellen transportierten verglichen und dabei auf relevante Differenzen und Funktionalisierungen geachtet werden. Hierbei ist auch zu bedenken, welche sozialen Gruppen diese Diskurse jeweils bestimmen und dominieren und an welche Adressaten sie sich richten. Von besonderem Interesse sind dabei Akzentverschiebungen, die sich synchron und diachron im Vergleich feststellen und interpretieren lassen. Zuletzt gilt es auch, im Lichte dieser Ergebnisse unkritisch übernommene Zuschreibungen in der modernen Historiographie zu hinterfragen und zu überdenken. Denn es fällt doch auf, dass die verarbeitende Literatur teilweise dieselben Bilder zur Charakterisierung dieser Frauen verwendet wie die ihren Forschungen zugrundeliegenden Quellen, z. B. die ‚intrigante Konkubine‘, die ‚giftmischende, böse Hexe‘, die ‚männermordende Nymphomanin‘ und auf der anderen Seite die ‚wunderschöne, keusche Gattin‘, ‚beste Stütze und rechte Hand‘ ihres Mannes oder ‚heilige Mutter‘. Diese Zuschreibungen sind, weil im wissenschaftlichen Kontext transportiert, häufig autoritativ und bis heute wirkmächtig. Sie müssen deshalb von der modernen Geschichtswissenschaft dringend als Stereotypen erkannt, überdacht und revidiert werden. Erinnert sei an dieser Stelle nur an Messalina, die Gattin des Kaisers Claudius, die als sprichwörtliche Nymphomanin Aufnahme in die Geschichtsbücher gefunden hat und als Verkörperung des sittlichen Verfalls im kaiserlichen Rom gilt. Ein anderer bekannter Fall ist derjenige der bereits erwähnten Sammu-ramat/Semiramis. Beide Frauen haben auf diese Weise Eingang in die Populärkultur genommen, in der sie bis heute als Femmes fatales gelten, nämlich als Frauen, deren inszenierte Schönheit die Männer ins Verderben führte. Auch Kaiser Justinians Ehefrau Theodora kann in diesem Zusammenhang als byzantinisches Beispiel angeführt werden, war sie doch der Darstellung des Historikers Prokop zufolge von einer Schauspielerin oder sogar Prostituierten mit nymphomanischen Neigungen zur Kaiserin aufgestiegen. Vor allem ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert diente Theodora als Stereotyp der Verführerin in Kunst, Oper, Theater, Roman und Film.

Einleitung

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Aus der Perspektive der Figuration sind zum einen Frauen in unmittelbarer Nähe des Herrschers, die als Ko-Regentinnen bzw. Herrscherinnen an dessen Seite erscheinen, zu betrachten und zum anderen Frauen im engeren Umfeld eines (männlichen) Herrschers: In welchen Rollen lassen sich solche Frauen beschreiben? Wie sind sie in den Quellen charakterisiert und mit welchen Attributen werden sie dargestellt? In welchen Konstellationen sind Frauen in Machtzentren besonders präsent, welche Funktion erfüllen diese weiblichen Figuren für die Konzeptualisierung von Herrschaft und inwiefern tragen sie dazu bei, ein Urteil über den jeweiligen Herrscher zu fällen bzw. diesen entsprechend zu kategorisieren? Die wenigen anzuführenden Beispiele für die Frau auf dem Thron geben zunächst darüber Auskunft, unter welchen Umständen das ‚klassische‘ Konzept männlicher Herrschaftsfolge durchbrochen und diese Ausnahme akzeptiert wurde. So scheint oft ein geeigneter männlicher Kandidat gefehlt zu haben, der die Herrschaft auszuüben imstande gewesen wäre; die Frau aus bzw. in seinem Umfeld fungiert somit als ‚Lückenbüßerin‘ und wird, in der Bewertung ggf. ambivalent, häufig als ‚Ersatzmann‘ mit männlichen Attributen versehen. In zeitgenössischen Quellen werden solche männlichen Regenten zumeist als defizitär dargestellt. Hierzu werden bestimmte Topoi verwendet, die den unfähigen Herrscher als unmännlich charakterisieren: kränklich, weibisch, kindisch/kindlich, körperlich und geistig minderbemittelt, urteilsschwach, unfähig, Loyalitäten zu errichten und zu erhalten etc. So erhob der ‚schwache‘ (= junge) Kaiser Theodosius II. seine etwas ältere Schwester Pulcheria 414 zur Augusta und soll, wie der Kirchenhistoriker Sozomenus betont, in der Folgezeit fortwährend unter dem Einfluss der frommen Pulcheria gestanden haben. Auch die biblische Atalja (2Kön 11; 2Chr 22,10–23,21) kann hier genannt werden, die sich durch die Ermordung der männlichen Thronprätendenten der Königsherrschaft bemächtigte. Es ist jedoch zu bemerken, dass der biblische Bericht bereits eine tendenziöse und klischeehafte Einfärbung besitzt und es für Atalja keine annalistische Notiz gibt. Die zugrundeliegende historische Königin Atalja wird, so unsere vorläufige These, vielmehr wie ein fremder Usurpator beschrieben. Ein seltenes Konstrukt bezeugt die Gemahlin als (Mit-)Herrscherin, die nach Ausweis der Quellen über die für die Herrschaft notwendigen Fähigkeiten in hohem Maße verfügte. An dieser Stelle kann auf die im 13. Jh. v. Chr. wirkende hethitische Königin Puduhepa verwiesen werden, die an der Seite ihres erfolg˘ reichen Gemahls eine eigenständige Außenpolitik betrieb, mithin als Herrscherin fungierte. In Byzanz und im europäischen Mittelalter finden sich dann durchaus Frauen auf einem Thron, die recht eigenständig Herrschaft ausüben konnten. So stürzte Eirene ihren eigenen Sohn und Mitkaiser Konstantin und ließ ihn blenden. Dabei führte sie interessanterweise während ihrer anschließenden Alleinherrschaft (797–802) in offiziellen Dokumenten den Titel basileus

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(„Kaiser“, in der männlichen Form). Manche konnten auch an der Seite eines erfolgreichen Monarchen eine wichtige Rolle spielen. Die bereits erwähnte Kaiserin Theodora (gest. 548) etwa beeinflusste in bestimmten Bereichen die Gesetzgebung ihres Gatten Justinian. Zudem scheint sie als Förderin der von der Reichskirche bekämpften Miaphysiten, vermutlich in Absprache mit ihrem Mann, eine eigenständige Religionspolitik betrieben zu haben. Der islamische Kulturbereich wiederum lässt zwar direkte Herrschaft von Frauen nicht zu, räumt aber mächtigen Frauen im Umfeld des Herrschers viel Handlungsspielraum ein. Dennoch blieben auch im Mittelalter Frauen, die mit eigener Legitimation Herrschaft ausübten, die Ausnahme. Möglich war das besonders, wenn Herrschaft auf dem Wege dynastischer Erbfolge weitergegeben wurde, weshalb im römisch-deutschen Reich für die eigenberechtigte Herrschaft einer Königstochter eo ipso jede Grundlage fehlte. Aber auch in Fällen weiblicher Erbfolge trat zumeist ein männlicher Ehepartner faktisch in die Herrschaftsposition ein, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung: Im Königreich Jerusalem etwa herrschte Friedrich II. nach der Heirat mit der Thronerbin im Namen des gemeinsamen Sohnes, so wie sein Vater, Kaiser Heinrich VI., in Sizilien die Herrschaftsrechte seiner Gemahlin Konstanze durchgesetzt hatte. Kaiserin Mathilde wiederum konnte nach dem Tod ihres salischen Gatten Heinrich V. mit dem bleibenden Rang der Kaiserin als Erbin ihres Vaters, Heinrichs I., eigene Thronansprüche in England verfechten, die aber erst nach der Eheschließung mit dem mächtigen Grafen Gottfried von Anjou und letztendlich vom gemeinsamen Sohn Heinrich II. gesichert wurden, der sich besonders als Nachfolger seines gleichnamigen Großvaters stilisierte. So selten sich in Antike und Mittelalter eine selbstständig agierende Herrscherin findet, so häufig lässt sich der Typus einer mächtigen Frau im Umfeld des Herrschers ausmachen. Positiv konnotiert agieren diese als Beraterinnen (wie etwa Schibtu, Gemahlin des Zimri-lim von Mari im 18. Jh. v. Chr.) oder, wie in der christlichen Spätantike und besonders im hochmittelalterlichen römisch-deutschen Reich, als Erzieherinnen und Vermittlerinnen von Kommunikation und Konsens. Negativ werden sie vor allem als Intrigantinnen gezeichnet: so z. B. Batseba im Umfeld Salomos als dessen einflussreiche Mutter; Isebel, die Ehefrau Ahabs, als fremde Frau und Anstifterin; Herodias und deren Tochter, die die Enthauptung des Täufers Johannes erwirken; oder Judith, die zweite Ehefrau Kaiser Ludwigs des Frommen, der sowohl von den Zeitgenossen als auch von der modernen Geschichtsschreibung die einseitige Beeinflussung des Kaisers zugunsten ihres Sohnes und ihrer Günstlinge vorgeworfen wird. Diese Dichotomie kann sich literarisch entfalten, weil der Zugriff auf zeitgenössische Quellen vom königlichen Hofe weitgehend monopolisiert wird. Hier findet sich wahrscheinlich auch der Grund, warum Biographien der Frauen, welche das Herrscherbild und seine Vita tangieren, relativ uniform erscheinen. Im islamischen Kulturbe-

Einleitung

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reich – der im Folgeband der Reihe auch verschriftlicht vertreten sein wird – stößt man ebenfalls oft auf die Figur der mächtigen Mutter des Herrschers, die als ehemalige Konkubine ihren jeweiligen Sohn protegiert, gegen rivalisierende Konkubinen durchsetzt und auf den Thron bringt; politische Kontrahenten stellen sie dann gerne als skrupellose Intrigantin dar. Auf der anderen Seite ist in diesem Kulturbereich die tugendhafte Gattin, Mutter oder Schwester in den narrativen Quellen oft unsichtbar, da ihre Erwähnung mit einem Tabu belegt ist und ihre Unsichtbarkeit zur Erhöhung und Sakralisierung des Herrschers dient; fassbar ist sie hingegen manchmal als fromme Stifterin. Im Unterschied dazu lassen christlich geprägte Quellen auch eine entgegengesetzte Tendenz erkennen: Die Frömmigkeit beispielsweise der Konstantinmutter Helena oder das öffentliche Jungfräulichkeitsgelübde der einflussreichen Pulcheria werden, mitunter vor allem in der Rezeption (s. o.), offensiv zur Untermauerung der Autorität des Kaiserhauses propagiert. Dass solche frommen Frauen Kirchen und Klöster stiften, pilgern, Reliquien vermitteln oder Bedürftige unterstützen und sich dadurch u. a. der Loyalität sowohl der Bischöfe als auch der Bevölkerung versichern, ist geradezu selbstverständlich. In mittelbyzantinischer Zeit wiederum trugen Frauen aus dem Umfeld des Herrschers wiederholt zum Sturz des Kaisers bei, um ihrem Geliebten auf den Thron zu verhelfen: So war im 9. Jh. Eudokia Ingerina die Mätresse des Kaisers Michael III., der sie zur Wahrung des Scheins mit seinem Günstling Basileios verheiratete; doch ermordete dieser seinen Förderer, um selbst zum Kaiser aufzusteigen, mit Eudokia als seiner Kaiserin. Die im vorliegenden Band vereinigten Beiträge zeigen die genannten Aspekte anhand von prägnanten Fallbeispielen auf. Die frühesten Belege von Frauen, die in einer bestimmten Form an der Macht partizipieren, stammen aus Mesopotamien. Bereits im 24. Jh. v. Chr. ist hier mit Enheduana eine Königstochter ˘ belegt, die in das machtvolle Amt der Hohepriesterin eingeführt wurde. Stefan Nowicki kann in seiner Analyse der offiziellen Königsinschriften feststellen, dass das Interesse an der Erinnerung königlicher Töchter stets mit der Amtseinführung als Priesterin verbunden ist und sich auf die Frühzeit der Überlieferung beschränkt. Jüngere Inschriften thematisieren Töchter von (feindlichen) Herrschern als Kriegsbeute. Mütter von Herrschern finden so gut wie keine Erwähnung. Frauen werden in den Königsinschriften über die Familienbeziehungen zum Herrscher thematisiert; trotz dieser ernüchternden Quellenlage scheint die Erwähnung von Frauen nicht verzichtbar gewesen zu sein. Möglicherweise spiegelt sich ihre Bedeutung für den Herrscher in den Qualitäten wider, die gemeinhin den Göttinnen zugeschrieben werden: Sie verhelfen ihm zu einem glücklichen, freudigen und friedlichen Leben. Daliah Bawanypeck stellt den frühen, aus Mesopotamien belegten Frauengestalten im herrscherlichen Umfeld die hethitische Königin Puduhepa an die ˘ Seite und diskutiert deren bemerkenswerte Rolle im hethitischen Staatsapparat.

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Dabei kann sie aufzeigen, dass die Wahrnehmung weiblicher Macht wesentlich von der männlich dominierten Quellenüberlieferung abhängt. So stellen Machtträgerinnen stets die Ausnahme dar. In der hethitischen Geschichte treten Königinnen nur dann aus dem Schatten ihres Gatten hervor, wenn dies – insbesondere in der Thronfolgefrage – von Relevanz ist. Es sind Adoptions- und Eheregelungen, die eine Erwähnung von weiblichen Mitgliedern des Königshauses evozieren, nur in Ausnahmefällen sind es die Leistungen der Frauen selbst. Das Narrativ vom Erfolg einer ‚gefährlichen‘, ‚fremden‘ Frau an der Seite eines ‚schwachen‘ Prätendenten und von deren Versagen gegenüber einem ‚starken‘ (zukünftigen) Herrscher nimmt Anja Klöckner anhand der mythischen Figur der Königs-Tochter, Prätendenten-Gattin, Königs-Gattin und Königs-(Stief)mutter Medea in den Blick. Mit Fokus auf den attischen und unteritalischen Vasenbildern des 5. und 4. Jhs. v. Chr. verfolgt sie, wie der griechische Heros Iason über die eigenständige Aktivität und den dominierenden Auftritt seiner Frau Medea zunehmend als schmächtige, passive und ohnmächtige Randfigur charakterisiert wird, und dies nicht nur durch ikonographische Mittel, sondern auch dadurch, dass Medea (allein) deutlich häufiger Gegenstand der Darstellung ist als er. Sara Kipfer beleuchtet die in 2Sam 11–13 erzählten Geschichten von Batseba und Tamar, die je auf ihre Weise männlichem Begehren und männlicher Gewalt ausgesetzt scheinen. Sie zeigt auf, dass eine einseitige Zuschreibung von Rollen, die die Männer als Täter und die Frauen als Opfer definieren, fehl geht. Vielmehr plädiert sie dafür, die hinter diesen Erzählungen liegenden sozialen Strukturen offenzulegen und historisch-kritisch einzuordnen. Auch Erasmus Gaß widmet sich einer alttestamentlichen Beziehungsgeschichte, die indes bereits an der Textoberfläche die Rollen gegen die Erwartungen verteilt. Jeweils zwei Frauen (Debora und Jael) und zwei Männer (Barak und Sisera) treten in Ri 4 paarweise auf, wobei der aktivere Part, teilweise auch unter der Verletzung von Normen, den beiden Frauen zukommt. Der Artikel bietet zudem einen Überblick über die Wirkungsgeschichte des Textes. Insbesondere rezeptionsgeschichtlich ausgerichtet ist der Beitrag von Elisabeth Birnbaum, die die biblische Figur der Judit untersucht, die ja ähnlich der Jael einen fremden Herrscher – im Fall der Jael einen feindlichen Feldherrn – tötet. Die Wirkungsgeschichte zeigt, dass vor allem ihre Rolle als Repräsentantin des ‚wahren‘ Gottes und als Widerstandskämpferin positiv betont wird, hingegen nicht ihr Frau-Sein. Dieses wird schließlich sogar zur Projektionsfläche von Misogynie, indem ihre Tat als Akt der Rache einer sexuell vernachlässigten Frau zur Darstellung kommt. Subtil-ironische Herrscherkritik an einem nur scheinbar souverän agierenden „König“ Herodes dominiert nach Ausweis von Konrad Huber die Erzählung

Einleitung

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von der Enthauptung Johannes’ des Täufers in Mk 6,14–29. Zwar identifiziert der Evangelist die Ehefrau des Königs, Herodias, und ihre tanzende Tochter als maßgeblich Verantwortliche, doch verzichtet er bewusst auf die Explikation von Zusammenhängen und Motiven. Seine narrativen Leerstellen füllen erst die zahlreichen Rezipienten. Deren persönliche Enzyklopädien führen zu vorwiegend negativen Zuschreibungen an die beiden Frauen, die sich damit vor allem als intrigante Femmes fatales in das kollektive Gedächtnis einschreiben. Spätantike Historiographen charakterisieren die oströmische Kaiserin Aelia Eudoxia einerseits als fromme und christusliebende Herrscherin, andererseits als machthungrige und durchtriebene Ränkeschmiedin. Das pejorativ-misogyne Bild, das besonders in ihrer Auseinandersetzung mit Johannes Chrysostomus entworfen wird, hat noch bis ins 20. Jahrhundert ihre Beurteilung in wissenschaftlichen Untersuchungen dominiert. Wie Dominic Bärsch zeigt, wird dieses Paradigma erst seit den letzten Jahren kritisch hinterfragt und vor dem Hintergrund antiker soziokultureller Normen dekodiert. Wie sehr das Urteil der Forschung und der ihr zugrundeliegenden Quellen polarisieren kann, weist Katharina Greschat am Beispiel des Kaisers Theodosius II. nach. Dieser wird einerseits als Opfer der ‚Weiberherrschaft‘ vor allem seiner älteren Schwester Pulcheria, aber auch seiner Ehefrau Eudokia als schwach, manipuliert und dekadent gezeichnet, andererseits als einer der ‚erfolgreichsten Herrscher der Antike‘ tituliert, dessen bewusst inszenierte Rechtgläubigkeit die Regentschaft entscheidend stabilisierte. Wenig verwunderlich variieren auch die Bewertungen der zunehmend konkurrierenden Augustae: Sie reichen, deren Konflikt jeweils deutlich spiegelnd, von Bezügen zur fromm stilisierten Konstantinmutter Helena bis hin zur Behauptung von Unzucht bzw. Ehebruch. Eine Quelle, die bis in die aktuelle Forschung das Bild einer ganzen Epoche bestimmt, nimmt Sebastian Scholz in den Blick. Er analysiert das historiographische Werk des wirkungsvollsten Chronisten der Merowingerzeit, des Bischofs Gregor von Tours, in zweifacher Perspektive: Zum einen fragt er nach den religiösen und gesellschaftlichen Vorstellungen, von denen Gregors Wahrnehmung der Ereignisse um Ehefrauen und Konkubinen der Merowinger beeinflusst wurde. Dabei zeigt sich besonders deutlich die Durchsetzbarkeit kirchlicher Ehevorstellungen, vor allem der Scheidungs- und Inzestverbote, als ein Problem, das die negative Wahrnehmung und Darstellung der Ehefrauen und Konkubinen im Geschichtswerk Gregors motiviert. Noch klarer lässt zum anderen die Frage nach den Erzählstrategien des Autors eine Instrumentalisierung des Bildes der Frauen erkennen, denen etwa Heimtücke bis hin zum Giftmord vorgeworfen wird. Solche Darstellungen entspringen wohl keiner grundsätzlichen Misogynie des Bischofs, sondern werden als ein Instrument eingesetzt, um bestimmte Könige in ein besonders schlechtes Licht zu setzen und vor allem deren Praxis zu

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kritisieren, Ehefrauen und Konkubinen von niedrigerer Herkunft zu wählen, anstatt standesgemäße Ehen einzugehen. Mit Theodora, der Tochter eines Bärenwärters am Hippodrom in Konstantinopel, gelangte im 6. Jahrhundert eine ganz ungewöhnliche Frau mitten in das Machtzentrum des byzantinischen Reiches. Als gekrönte Augusta und Ehefrau des byzantinischen Kaisers bewies sie ihr politisches Geschick und war durchaus aktiv in die Regierung ihres Gatten eingebunden. Es ist jedoch nicht verwunderlich, dass solch ein Aufstieg auch Neid und offene Ablehnung hervorrief. Letztere äußert sich dann etwa in der Figur Theodora, die der Historiker Prokop in seinen „Anekdota“ entwarf: die heimtückische und böswillige Frau, die ihren Ehemann, den Kaiser, manipuliert und zu schlechtem Handeln veranlasst. Wie Thomas Pratsch verdeutlicht, formt Prokop in seinen anderen Werken dagegen wie der Hauptstrom der historiographischen Überlieferung eine ganz andere Figur: die fromme, tugendhafte und wohltätige Herrscherin, die ihrem Mann eine verlässliche und widerstandsfähige Stütze ist. Ein Nebenstrang der Überlieferung vor allem aus dem Osten des Reiches kreiert wiederum ein anderes Bild: die Vorkämpferin und Unterstützerin der religiösen Doktrin des Miaphysitismus. Es zeigt sich daran, dass das Vordringen der Protagonistin in das Umfeld der Macht die relevanten Akteure der historischen Darstellung dazu einlädt, ihre eigenen Interessen auf eine von ihnen zu erschaffende Figur zu projizieren. Die historische Person der Theodora ist dabei nur noch durch diesen Nebel der Projektionen erahnbar und erfahrbar. Der Aufsatz von Despoina Ariantzi untersucht die Karrieren von kaiserlichen Mätressen am Hofe der makedonischen Dynastie und stellt sie der Darstellung dieser berühmten Frauen in der byzantinischen Geschichtsschreibung entgegen. Am Beispiel dreier erfolgreicher Frauen (Eudokia Ingerina, Zoe Zautzina und Zoe Karbonopsina), die später alle Kaiserinnen wurden und den Fortbestand der Dynastie durch ihre Söhne sicherten, fragt Ariantzi nach den Handlungsspielräumen, Rollen und Beschreibungen von Mätressen am byzantinischen Hof. In der Geschichtsschreibung wurden diese Frauen stark typisiert, wobei man ihnen ausnahmslos großen Ehrgeiz und Skrupellosigkeit bescheinigte und sie zu Mörderinnen und Ehebrecherinnen stilisierte. Ariantzis Blick hinter die Stereotype zeigt, wie diese Frauen oft über viele Jahre lang die bestehenden Machtstrukturen am Hofe und ihre Stellung geschickt ausnutzten, um ihre eigene Politik zu betreiben und schließlich Kaiserinnen zu werden, die zum Teil gegen den Widerstand der Kirche und mancher Teile des Hofes auch mit und für ihre Söhne herrschten. Der Beitrag von Petra Melichar versucht, das in Byzanz häufig zu beobachtende negative Bild mächtiger Frauen in den Werken männlicher Historiker systematisch zu hinterfragen. Dahinter steht nach Meinung der Autorin die Furcht, Frauen in Machtpositionen könnten ihre Rolle nicht erfüllen oder, noch

Einleitung

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schlimmer, akzeptierte Gesetze, Institutionen und Traditionen ändern und dadurch das Imperium schwächen und schädigen. Insofern stellten Frauen in Machtpositionen eine Bedrohung dar. Die bedrohte Ordnung erzeugte Angst, die sich im Werk männlicher Autoren in Form von wütenden, feindlichen oder kritischen Äußerungen widerspiegelt. Am Beispiel der Charakterisierung dreier palaiologischer Kaiserinnen (Eirene/Yolanda von Montferrat, Anna von Savoyen und Sophia von Montferrat), die nicht den Erwartungen der männlichen byzantinischen Gesellschaft in Bezug auf Verhalten, Status, Konfession oder Auftritt entsprachen, wird diese Angst als Motiv der Autoren herausgearbeitet. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei der Betrachtung des Umfelds des Herrschers diejenigen Frauen greifbar werden, die dort eine politisch bedeutende Rolle zu spielen scheinen, zum Beispiel die Gattin, Schwester, Mutter, Beraterin oder Konkubine. In allen Fällen stellt sich die Frage nach den relevanten medialen Aspekten und soziokulturellen Kontexten, die dazu führen, dass bestimmte Stereotype wie beispielsweise dasjenige der mannstollen ‚Nymphomanin‘, aber auch dasjenige der ‚aufopferungsvollen Mutter‘, der ‚jungfräulich lebenden Schwester‘ oder der ‚treusorgenden Gattin‘ Verwendung fanden. Es ist insbesondere von Interesse, inwiefern solche Topoi komplementär zur Ab- bzw. Aufwertung des der Frau zugeordneten Herrschers instrumentalisiert wurden: So verweist die sexuell zügellose Frau auf die Ohnmacht des Mannes, der diese bzw. seine eigenen Begierden nicht unter Kontrolle hat. In ähnlicher Form suggeriert die böse ‚Intrigantin‘, dass dieser ‚Versager‘ den Frauen zu viel Raum für die Ausübung informeller Macht gegeben hat. Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass transkulturell immer wieder das Stichwort ‚Weiberherrschaft‘ als Metapher für Anarchie, Zusammenbruch der Ordnung und Versagen des Herrschers begegnet. Im Gegensatz dazu umgibt sich ein potenter und erfolgreicher Herrscher oft mit zahlreichen, ihm angemessen unterworfenen, attraktiven Frauen, z. B. mit einem Harem faszinierender Konkubinen, die er auch als Gastgeschenk an fremde Herrscher weitergibt, oder zumindest mit einer wunderschönen und fruchtbaren Gattin, und lässt sich von weisen oder frommen Frauen beraten.

Stefan Nowicki

The Role of Women in the Light of Royal Texts from Ancient Mesopotamia

The study of women in inscriptions left to us by ancient Mesopotamian rulers is quite a complicated task. As official royal texts they served particular aims, showing not only the king himself, but also the world described, in a carefully set and arranged manner. Therefore, any interpretation of the events portrayed within the corpus of royal inscriptions, may in fact be an analysis of the image of the world as it should be seen, rather than of the real one. Often the main question is namely not what we can learn about the social and political reality of those days, but what rulers desired to communicate through their inscriptions to their subordinates, and to neighbouring sovereigns. Thus, the role of women in the king’s entourage may also have been quite different than that presented in official texts. Be that as it may, even in royal inscriptions some premises which refer to the official and social role of women in ancient Mesopotamian society can be found. The main aim of this article will be to describe and interpret (where possible) these fragments in which women are referred to, and to find the answer to the question concerning their actual role at the royal court, as well as their relationship with the ruler himself. On the basis of the women mentioned in royal inscriptions it could, to begin with, be argued that two different types of rulers can be distinguished. The first type is the good farmer, landlord and manager of his land. Inscriptions of this type are known especially from the rather short time-span of the second dynasty of Lagasˇ (ca. 2140–2120 BCE). Textual sources left by ruling families are focused on the religious and private life, and women appear to play an important role there – among over two hundred inscriptions more than twenty refer directly to women, and the total number of texts containing fragments concerning women exceeds 20 % of the whole corpus. The second type of ruler is the merciless warrior, who spent his life broadening the borders of his country, and conquering all the countries and peoples not previously subdued to the kingdom of his ancestors. The best examples of this type of inscription come from Assyrian kings, irrespective of the exact period of

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origin. For example, there are more than three hundred Assyrian royal inscriptions dated to the 3rd and 2nd millennium BCE, among which only three refer to women. When women appear, in the later centuries of the Assyrian state, they are mostly mentioned as court or temple personnel, or as booty from conquered countries. One of the most problematic issues is the character of fragments referring to women throughout the corpus of Mesopotamian royal inscriptions. These fragments are rare and insufficient to form a satisfactory image of women, regardless of their social position. Nevertheless, here, too, some premises can be found, that make this task possible. One of them are the attributes used for women, which vary according to their social status. Textual fragments referring to women of the lowest social status may serve as an example here, those taken as booty or as slaves, who appear to possess no special attributes. Generally they are mentioned in royal texts at the end of the lists of spoils taken from the enemy by the victorious kings. A good example of this is the following fragment from Ashurnasirpal II’s inscription: “I carried off silver, gold, tin, casseroles, (and) precious stone of the mountain, the property of his palace, his chariots, teams of horses, equipment for troops, equipment for horses, his palace women, (and) valuable booty from him.”1

On the other hand, inscriptions by Gudea are quite exceptional in this matter. According to them, even slave women play an important role in correct social interaction: “The slave-woman was allowed to be equal to her mistress.”2

What is especially interesting in the light of this inscription, is that Gudea states that he “made things function as they should,”3

as if he knew that the subordinate social status of women was not the right thing, at least in the eyes of the gods. Among the things “as they should be”, one could also number, according to the inscription, protecting widows from the abuse of power by influential members of society, as well as allowing daughters to inherit a legacy.4

1 Ashurnasirpal II 1 iii:21–22, Royal Inscriptions of Assyria Online, http://oracc.org/riao/Q004 455/. 2 This fragment concerns the purification of the city on the occasion of building Eninnu, the temple of Ningirsu Edzard, Gudea, p. 36 (3.1.1.7 StB vii:31), further referred to as RIME 3. 3 RIME 3.1.1.7 StB v:12–14. 4 RIME 3.1.1.7 StB vii:43–46 “(…) nor did I expose the widow to the influential one. In a house having no male child I let the daughter (of the house) become its heir (…)”.

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Another fragment touching on the expected world order, where relationships between women and men are employed to depict this, comes from Ashurbanipal inscriptions. He describes all the calamities that plagued the land of Babylonia on account of the betrayal by Sˇamasˇ-sˇuma-ukı¯n. The text tells us that the gods punished this area and the people, so that all was amiss: “In the square(s) of the city, the young man saw the concealed par[t(s)] of the you[ng woman], (and) the young woman the concealed par[t(s)] of [the young man] (…) A father did not show m[ercy] to his son, (nor) a mother to [her] dau[ghter]. The young man aband[oned] his wife.”5

Evidently the assumed world order should include not only proper dress, but also healthy family relationships between parents and their offspring, as well as between a wife and her husband. The same idea can be found in uttuku¯ lemnu¯tu incantations, where evil demons are described as those who invert the divine world order: “They have no personal god, they are the workers – the evil Utukku, Alû, ghost, Sheriffdemon, god, and Bailiff-demon, the Lamasˇtu, Labas¸u, and Ahhazu demons: they chance ˘˘ upon a man. (…) They drive the wife from her husband’s lap, they remove the son from a man’s knee, and they oust the groom from his father-in–law’s house.”6

This short parenthesis on the world order, and its conclusion, can be of use when interpreting textual fragments concerning royal families: their well-being can be understood as one possible good outcome when the king respects the world order. Such fragments can be found primarily in Esarhaddon’s inscriptions, for example as a desire expressed by the ruler: “Let me enlarge my [fa]mily, gather my relatives, (and) extend my progeny so that they branch out widely”.7

Another is part of a blessing formula for future rulers, who will maintain the dilapidated temples built by Esarhaddon: “If at any time in the future, during the days of the reign of some future ruler, this temple falls into disrepair and becomes dilapidated, may (that ruler) seek out its (original) emplacement (and) repair its dilapidated parts! May he anoint an inscription written in my name with oil, make an offering, (and) set (it) back in its place! The gods will (then) hear his prayers. He will lengthen (his) days (and) enlarge (his) family.”8

5 Ashurbanipal 7 viii:27’–29’, 36’–37’. Royal Inscriptions of Assyria Online, http://oracc.org /rinap/Q003706/. Regarding “canonical” families see also Gelb, Household and Family, pp. 60–69. 6 Uttuku¯ lemnu¯tu tab. 4:67–69, 76–78. Geller, Evil Demons, p. 205. 7 Esarhaddon 107 viii:3’. Royal Inscriptions of Mesopotamia Online, http://oracc.org/rinap/Q 003336/. 8 Leichty, Esarhaddon, pp. 262 (128:18–19) further referred to as Esarhaddon.

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The same rhetoric is used by his son Ashurbanipal, while describing his forefathers during the succession ritual: “In (the midst of) joyous celebration, I entered the House of Succession, a sophisticated place, the mooring place of kingship, inside of which Sennacherib – the father of the father who had begotten me – had performed (his duties) as heir designate and king, the place in whose midst Esarhaddon – the father who had engendered me – was born, grew up, exercised dominion over Assyria, led all of the rulers, expanded (his) family, (and) bonded with relatives and kin.”9

Nevertheless, in most of the known royal inscriptions family as a whole, as well as individual family members, seems to play a minor role in the world of royal deeds. Tracing single words, we find for example hardly any mention of royal wives as individuals. For instance, in textual fragments dated to the Early Dynastic Period, of which more than three hundred are of royal origin, the term “wife” itself appears twice; once in Ur-Nansˇe’s inscription, where the person carved on the stele is called by her name – Men-bara-abzu,10 and once in the introductory part of the so-called Urukagina reform.11 Similarly, in the Sargonic period, the word wife appears once as an undetermined expression12 and once to mention the spouse of Gutian’s ruler Tirigan, taken as booty.13 The number of women mentioned as wives in royal texts from the later periods is correspondingly low. In the Old Babylonian period only the wife of Iba¯l-pî-El, king of Esˇnunna,14 appears once as the receiver of the royal seal,15 and in Neo-Babylonian times wives of the citizens of Babylon are only mentioned once, as the group of people oppressed by the Chaldean usurper Nabû-sˇuma-isˇkun: he “expelled the citizens of Babylon, their wives, children and servants, and he in the steppe.”16

In Assyrian royal inscriptions wives are hardly mentioned in any other context than as victims or booties of war. The oldest textual source in which they are found is one of the inscriptions of Adad-nara¯ri I. It mentions the wives of Uasasˇatta, who had rebelled against the Assyrian king. The wives were taken as 9 Royal Inscriptions of Mesopotamia Online (Ashurbanipal 11, i:23) http://oracc.org/rinap /Q003710/. 10 Frayne, Presargonic, p. 88 (1.9.1.6a), further referred to as RIME 1. 11 RIME 1.9.9.3 ii:15’. 12 It is worth noting, that this fragment is parallel to the uttuku¯ lemnu¯tu incantation, showing Gutians as those, who “took away the wife from the one who had a wife”. Frayne, Sargonic, p. 288 (1.9.1.6a), further referred to as RIME 2. 13 RIME 2.13.6.4:116–117. For more regarding the military campaigns against Tirigan see Sauren, Der Feldzug Utuhengals. ˘ p. 47 n. 20. 14 See e. g. Harris, The Archive, 15 Frayne, Old Babylonian, p. 540 (4.5.13.2) further referred to as RIME 4. 16 Frame, Rulers, p. 120 (6.14.1 iii:16’–17’), further referred to as RIMB.

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booty from the city Taidu, capital of Hanigalbat.17 Moreover, Adad-na¯ra¯rı¯ I ˘ “personally inspected” the booty, that included wives of Muquru from the city Raqammatu.18 Another king in the 2nd millennium, Tiglath-Pileser I, mentions the wives of Kili-Tesˇub taken as booty from the country of Katmuhu.19 Similarly, ˘ in the first millennium Tukultı¯-Ninurta II recorded in his inscription taking wives as booty from the unidentified city Ki[…], that was placed somewhere on his return journey from the campaign against the lands of Nairi.20 During the reign of Tiglath-Pileser III, wives can be found in five fragments of inscriptions, in all cases listed as booty – the wife of Mita¯ki from the city of Ursˇanika,21 the wife of Nabû-usˇabsˇi, king of Bı¯t-Sˇila¯ni, who was impaled by the Assyrian king,22 the wife of Zaqiru, king of Bı¯t-Sˇaʾalli23 and the wife of Hanu¯nu, ruler of the city Gaza.24A ˘ few decades later Sennacherib writes about wives only twice in his inscriptions. Although there are altogether seventeen textual fragments which include wives, all texts concern only two women – the wife of Marduk-apla-iddina II, king of Babylon,25 and the wife of Sidqâ, ruler of Ashkelon,26 both taken as booty by the ˙ victorious Assyrian ruler. His successor, Esarhaddon, also mentions only two women in his inscriptions; both are wives of defeated rulers – Abdi-Milku¯ti from Sidon,27 and Taharqa from Egypt.28 Ashurbanipal, son of Esarhaddon, also did ˘ not find more place in his inscriptions for women, listing only three of them, taken as booty after military campaigns. One is the wife of Duna¯nu, king of

17 For more about this conflict see Kessler, Das Schicksal von Irridu. It should also be mentioned here that the term used to describe Uasasˇatta’s wives is not dam, but dam.é.gal, literally “wives of the palace”. This shift in terminology can be understood as a further diminishment of their social status. 18 Grayson, Assyrian Rulers Early First Millenium, p.350 (0.99.2 58), further referred to as RIMA2. Raqammatu was the Aramaic name for the Assyrian city Gidara, taken by Arameans during the reign of Tiglath-Pileser II, see Herles, Einordnung der ahlamû, p. 333. ˘ 19 RIMA 2 0.87.1 ii:28. 20 RIMA 2 0.100.5 3. 21 Tiglathpileser III 7 9, see Tadmor / Yamada, Tiglath-Pileser III, p. 31, further referred to as Tiglathpileser III. 22 Tiglathpileser III 39 8; 47 15b. 23 Tiglathpileser III 47 19b. 24 Tiglathpileser III 48 14’b. 25 It should be mentioned here that these fragments are placed in the same fragments of royal inscriptions – line 30 in Sennacherib 1, see Grayson / Novotny, Sennacherib Part 1, p. 34, further referred to as Sennacherib (nos. 1–38) (and Sennacherib 213, see Grayson / Novotny, Sennacherib Part 2, p. 296, further referred to as Sennacherib (nos. 39–233), or in lines between 7 and 9 in Sennacherib 2, Sennacherib 3, Sennacherib 4, Sennacherib 8 as well as Sennacherib 9. 26 Sennacherib 4 39; 16 iii:26b; 17 ii:87; 18 ii:1’’; 22 ii:60b; 23 ii:57b; 29 i’:1’; 140 r:3; 142 4’; 165 iii:7b. 27 Esarhaddon 1 ii:65; Esarhaddon 6 ii:16’. 28 Esarhaddon 98 r:43b; Esarhaddon 103 11.

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Gambulu,29 the second is Adiya, the wife of Iautaʾ, king of the Arabs,30 and the third is the wife of Natnu, king of the Nabayateans.31 It is quite interesting that the wife of the king of the Arabs is called by her name in one of two fragments (Ashurbanipal 11 viii:18), whilst all others are simply listed as “wife”. As far as daughters are concerned, things look much better: they are mentioned much more frequently in royal inscriptions. One of the reasons for this difference between wives and daughters is that the latter were often introduced as the high priestess of the chief goddesses of the state or city. Thus, some further details, including their personal names, can also be found in textual fragments. One of the oldest inscriptions including the name of a king’s daughter is written on the limestone plaque from the reign of Ur-Nansˇe, king of Lagasˇ – one of the persons carved in it is described as “ABda, a daughter.”32

The same ruler mentions his other daughter Nin-usu on a limestone stele, bearing the foundation inscription of the “Great Oval” – temple of Inanna.33 King Nara¯m-Sîn from the Old Akkadian dynasty, mentions altogether four daughters in official inscriptions, namely – Tu¯ta-napsˇum, who was the entu priestess of Enlil in Nippur34 “Nara¯m-Sîn, king of the four quarters: Tu¯ta-napsˇum, entu priestess of the god Enlil, (is) his daughter,”35

En-men-ana, who became entu priestess of the god Nanna in Ur “Nara¯m-Sîn, king of the four quarters: En-men-ana , zirru priestess of the god Nanna, spouse of the god Nanna, entu priestess of the god Sîn at Ur, (is) his daughter,”36

Sˇumsˇanı¯, entu priestess of Sˇamasˇ in Sippar “Nara¯m-Sîn, king of the four quarters: Sˇumsˇanı¯, entu priestess of the god Samas in Sippar, (is) his daughter,”37 29 Royal Inscriptions of Assyria Online: Ashurbanipal 3 vi:18 (http://oracc.org/rinap/Q003702/); Ashurbanipal 4 vi:20 (http://oracc.org/rinap/Q003703/); Ashurbanipal 6 vii:21 (http://oracc.o rg/rinap/Q003705/); Ashurbanipal 7 vi:31’ (http://oracc.org/rinap/Q003706/); Ashurbanipal 8 vii:21’ (http://oracc.org/rinap/Q003707/). 30 Royal Inscriptions of Assyria Online, Ashurbanipal 11 viii:15; viii:120 (http://oracc.org/rinap /Q003710/). 31 Royal Inscriptions of Assyria Online, Ashurbanipal 23:124b (http://oracc.org/rinap/Q00372 2/). 32 RIME 1.9.1.2 ii:1. 33 RIME 1.9.1.6a, caption. 34 For more about her see Westenholz / Westenholz, Die Prinzessin. 35 RIME 2.1.4.20. 36 RIME 2.1.4.32. 37 RIME 2.1.4.48.

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and ME-Ulmasˇ, who is not described as a court or temple official, but simply as “his daughter.”38 The name of his granddaughter Lı¯pusˇ-ia¯ʾum can also be found,39 in his inscriptions a practice which seems to be very uncommon, as this kind of family relationship in not mentioned in any other known royal inscription. In the texts of Gudea of Lagasˇ hardly any mention of daughters can be found, apart from one short fragment. It shows that daughters could perform activities that were exclusively male, such as slaying animals: “In a house having no male child, the daughter would slaughter a sheep.”40

After the times of Gudea there is a longer break in mentioning family members. The next textual fragment, concerning the daughter of Sˇu¯-Sîn, describes the war that was probably caused by the hijacking of the king’s daughter: “(…) his daughter was given as a bride to Sima¯num. Sima¯num, Habu¯ra, (and) the ˘ surrounding districts, rebelled against the king. They chased his daughter away from her residence. (…) (Sˇu¯-Sîn) smote the heads of Sima¯num, Habu¯ra, and the surrounding ˘ districts. He returned his daughter to her residence.”41

In the Old-Babylonian period the royal daughters Sˇ¯ıma-iltum and Tara¯m-pala¯migrı¯sˇa are mentioned in the corpus of Isˇme-Dagan inscriptions, in the role of high priestesses.42 Lipit-Esˇtar, ruler of Nippur, describes the building of the gipar in Ur for his daughter, the first to boast of giving such a gift to a family member: “the gipar house for En-nin-sun-zi, the en priestess of the god Ningubalag in Ur, the true stewardess of the goddess Nineigara, the one suited for true words of supplication, who stands (making) prayers for him in the Gabura (temple), for his beloved daughter, when he established justice in the land of Sumer and Akkad, he built it for her in Ur.”43

This tradition appears to be continued by Sîn-ka¯sˇid, who left a very similar inscription: “(…) he built Eanna, for Nı¯sˇi-ı¯nı¯sˇu, nin-dingir priestess of the god Lugalbanda, his beloved daughter, who was installed on behalf of his life, he built for her shining gipar, house of her office of nin-dingir priestess.”44

38 RIME 2.1.4.49. 39 RIME 2.1.4.43. These inscriptions can also belong to Nabi-Ulmasˇ, son of Nara¯m-Sîn, and not to the latter alone. 40 RIME 3.1.1.7. CylB xviii:8–9. The context is unfortunately unclear, as this activity can be of profane or ritual character as well. 41 RIME 3/2.1.4.1 iii:26–37, iv:21–28. 42 RIME 4.1.4.9 rev. iii’:4’–17’. 43 RIME 4.1.5.6 14–28. 44 RIME 4.4.1.9 5–14.

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Concerning smaller gifts, Da¯dusˇa, king of Esˇnunna, inscribed a small duck weight as a present to his daughter Inibsˇina.45 In the Old and Middle Assyrian periods only one fragment referring to daughters can be found – Adad-na¯ra¯rı¯ I lists the booty taken from Uasasˇatta, son of Sˇattuara, king of Hanigalbat, who rebelled against Assyrian dominion, among ˘ which the daughters of Uasasˇatta are mentioned.46 In later times, the number of daughters mentioned in royal inscriptions is significantly lower, with a large lacuna between the Old and Neo Babylonian periods, as well as until the 1st millennium Assyria. The only one to write about his daughter is the Babylonian ruler Nabonidus, and then in the context of extispicy for the office of en priestess of Sîn in Ur: “At the request that he (Sîn) made of me, I became frightened, (but) I was attentive and did not deny his request and consented to his command. I elevated (my) daughter, my own offspring, to the office of e¯ntu-priestess and (then) I named (her) En-nigaldiNanna, as her (new, official) name, and had (her) enter the Egipar.”47

The same ruler also mentions a “daughter from his extended family” as the candidate rejected by the gods for the entu office48 Among his inscriptions one particular fragment can be found, explaining the reasons for the renewal of Egipar in Ur, and problems he had had with this project: “Because the rite(s) of the e¯ntu-priestess had been forgotten since distant days and its (the Egipar’s) structure was no (longer) known, I deliberated (these matters) daily. (…) I discovered inside it (Egipar in Ur) inscription(s) of ancient kings of the past. I (also) discovered an ancient inscribed object of Enanedu, e¯ntu-priestess of Ur, daughter of Kudur-Mabuk, sister of Rı¯m-Sîn, king of Ur, who had renewed Egipar and restored it (lit. ‘returned (it) to place’), (and who) surrounded the burial ground of the ancient e¯ntu-priestesses near the boundary of Egipar with a wall. Then, I built Egipar anew as (it had been) in ancient times.”49

As far as terms used in 1st millennium Assyrian royal inscriptions to describe women are concerned, it seems that the most popular, and thus the most important, was their family status as daughters of other rulers. The term (MUNUS.) DUMU.MUNUS appears many times in royal inscriptions from this period. Those listed among the Assyrian booty or tribute received from subordinated 45 RIME 4.5.19.2. For this duck weight as the historical source see Lewy, The Synchronism, pp. 441f. 46 RIMA 0.76.3 46. 47 Nabonidus 19 ii:11–14a, Royal Inscriptions of Babylonia Online http://oracc.org/ribo/Q005 416/. En-nigaldi-Nanna is mentioned in the same context also in Nabonidus 34 i:20, i:22, ii:6, ii:8, and ii:40 (http://oracc.org/ribo/Q005431/). 48 Nabonidus 34 i:19, Royal Inscriptions of Babylonia Online http://oracc.org/ribo/Q005431/. 49 Nabonidus 34 i:26–27, i:44–ii:5, Royal Inscriptions of Babylonia Online http://oracc.org/ribo /Q005431/.

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countries are the daughters of Muquru from the city Raqammatu,50 of Ahi˘ iababa,51 niece of Lubarna from the city Kunulua,52 which has recently been identified as Tell Taʾyinat,53 the daughters of the nobles of Bı¯t-Zama¯ni, who gave their daughters voluntarily as part of the tribute to the Assyrian kings, since they were deeply interested in avoiding the revenge by Ashurnasirpal for killing Amme-Baʾali from Bı¯t-Zama¯ni,54 who was designated by the Assyrian king,55 of Mutallu the Gurgumite,56 of Qalparunda the Patinean,57 of Haiia¯nu of Bı¯t-Gab˘ bari,58 of Sangara the Carchemishite and of his nobles,59 of Ahu¯nu from Bı¯t˘ Adini,60 of Ianzû of Bı¯t-Haban,61 of Anhitti the Sˇubraean,62 of Katê from the city ˘ ˘ 63 64 ˇ Pahru, of Sarsina and Usˇpina from the land of Nairi, of Munirsuarta from ˙ ˘ Araziasˇ,65 of an unknown ruler from the city De¯r,66 of Hadiia¯ni the Damascene,67 ˘ and of Baba-ahha-iddina, ruler of Babylonia68. Two inscriptions also describe ˘˘ Assyrian daughters taken as booty by Arameans, revenged by Asˇsˇur-da¯n II.69 In one fragment from Shalmaneser IV’s inscriptions, daughters are listed as part of the tribute paid by the aforementioned Hadiia¯ni of Damascus to the Assyrian ˘ king.70 The rapid growth of the Assyrian empire seems to strengthen the role of daughters taken as war trophies in royal inscriptions. During the reign of Tiglath50 51 52 53 54 55 56 57

58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70

RIMA 2 0.99.2 58. RIMA 2 0.101.1 85. RIMA 2 0.101.1 76. Hawkins, Cilicia, p. 165. For more about the relationship between Assyria and Bı¯t-Zama¯ni see Szuchman, Bit Zamani. RIMA 2 0.101.1 ii118b–125a; RIMA 2 0.101.17 iv:109–120; RIMA 2 0.101.19 85b–90. RIMA 3 0.102.2 i:40–41a. RIMA 3 0.102.2 ii:18b–24a. Both Mutallu and Qalparunda were the Neo-Hittite rulers, whose names were written by Assyrians differently than in their original forms. Mutallu is Hittite Muwatalis, and Qalparunda is the writing of Halparuntiyas. See Hawkins, Assyrians, pp. 73– 75 with notes. RIMA 3 0.102.2 ii:24b–27a. This was the Assyrian name for the land, known from Aramean sources as Sam’al, see Hamilton, Past as Destiny, p. 223 n. 32; Wartke, Sendschirli, p. 41. RIMA 3 0.102.2 ii:27b–28. Interestingly, Sangara is known only from Assyrian inscriptions, and is not mentioned by any local ones, see Ussinshkin, On the Dating, p. 181. RIMA 3 0.102.14 45–50a; RIMA 3 0.102.16 20b–24a. RIMA 3 0.102.14 125–126. RIMA 3 0.102.28 44b. RIMA 3 0.102.40 iii:5b–8. This fragment contains an interesting note regarding the role of daughters in shaping the political world – after Katê’s daughter was taken by Shalmaneser to Calah, Katê himself submitted to the Assyrian ruler. ˘ 3 0.103.1 ii:22–28. RIMA RIMA 3 0.103.1 iii:37–44a. RIMA 3 0.103.4 6’–12’; 13’–20’. RIMA 3 0.105.1 4–10. RIMA 3 0.103.2 iv:16’–18’. RIMA 2 0.98.1 16–18, similar fragment RIMA 2 0.98.2 1’. Shalmaneser IV 1 4. Royal Inscriptions of Assyria Online http://oracc.org/riao/Q006687/.

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Pileser III they are mentioned only in the context of war – as booty from the cities Ursˇanika and Kianpal,71 and among the people from the land Musurni, who were ˙ set free after their hands were cut off,72 daughters of Nabû-usˇabsˇi of Bı¯t-Sila¯ni,73 of Zaqiru of Bı¯t-Sˇaʾalli,74 and of Hanunu of Gaza,75 all taken as booty. In Sen˘ nacherib’s inscription as many as 19 enumerations of daughters can be found, all of them, however, the offspring of only two rulers – Hezekiah of Judah,76 and Sidqâ of Ashkelon,77 taken to Assyria after the military campaign. In inscriptions ˙ by his son Esarhaddon daughters are mentioned only four times – those of Abdı¯Milku¯ti of Sidon,78 of Baʾalu, king of Tyre,79 of Taharqa, king of Egypt and ˘ Kush,80 – and only in the context of taking booty as well. During the reign of Ashurbanipal, we can observe a slight change in the context in which daughters are mentioned in royal inscriptions. Altogether thirteen texts contain fragments concerning daughters; in three cases, describing the siege of the city Sˇa-pı¯-Be¯l during the conflict with Duna¯nu, they are listed as booty.81 Another ten fragments concern daughters from ruling families, sent to Assyria as a tribute or gift, in order to avoid the fate of neighbouring countries and their ruling families; the following fragment can serve here as a good example: “Afterwards, Uallî, his son, sat on his throne. He saw the might of the deities Asˇsˇur, Be¯l (Marduk), Nabû, Isˇtar of Nineveh, (and) Isˇtar of Arbela, the great gods, my lords, and bowed down to my yoke. For the preservation of his (own) life, he opened up his hands to me (and) made an appeal to my lordly majesty. He sent Erisinni, his heir designate, to Nineveh and he kissed my feet. I had mercy on him. I dispatched my messenger with (a message of) goodwill to him. He sent me (his) daughter, his own offspring, to serve as a housekeeper. (As for) his former payment, which they had discontinued in the time of the kings, my ancestors, they carried (it) before me. I added thirty horses to his former payment and imposed (it) upon him.”82

71 Tiglathpileser III 3 8b–10a. 72 Tiglathpileser III 19 1–5. 73 Tiglathpileser III 39 10–11a. He was probably one of the active supporters of Mukin-zeri, see Saggs, Chaldeans, p. 387. 74 Tiglathpileser III 47 21. 75 Tiglathpileser III 48 15’. 76 Sennacherib 4 55; 15 iv:1’; 17 iii:66; 19 I’:3’b; 22 iii:37b; 23 iii:33; 46 30b; 140 r:19. 77 Sennacherib 4 39; 16 iii:26b; 17 ii:87; 18 ii:1’’; 22 ii:60b; 23 ii:57b; 29 I’:1’; 140 r:3; 142 4’; 165 iii:7b. 78 Esarhaddon 1 ii:74; Esarhaddon 6 ii:19’. 79 Esarhaddon 31 rev.:5’. 80 Esarhaddon 99 rev:44. 81 Ashurbanipal 3 vi:18 (http://oracc.org/rinap/Q003702/); 4 vi:20 (http://oracc.org/rinap/Q00 3703/); 6 vii:21 (http://oracc.org/rinap/Q003705/). 82 Ashurbanipal 3 iii:80–92a. Royal Inscriptions of Assyria Online http://oracc.org/rinap/Q00 3702/. Identical fragments – 4 iii:2’ (http://oracc.org/rinap/Q003703/); 6 iv:73’’ (http://oracc.o rg/rinap/Q003705/).

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Among the rulers who sent their daughters to Ashurbanipal, the following can be enumerated – Baʾalu of Tyre,83 and “rulers, who reside in the middle of the Sea” among whom we can find Yakı¯n-Lû from Arwad, Mugallu from Tabal, and Sanda-sˇarme from Hilakku.84 ˘ If it can be said that wives and daughters did not appear very often in known royal inscriptions, then we must acknowledge that mothers are hardly present in royal texts at all. In the Presargonic Period we encounter this term in a votive text left by Me-ane-si, son of En-anatum. He made a statue, that should “pray to the god Lugal-URU×KAR for the life of his father En-anatum, for the life of his mother (…).”85

In another inscription from the same period, En-metena boasts of restoring his subjects’ world order, among which “He cancelled obligations for Lagasˇ, restored child to mother and mother to child.”86

From the following periods, there is also only one known inscription which includes the name of a particular mother. This text is from the royal prince Urgigira, son of Ur-nigina, king of Uruk, in which the mother of the prince, AmaSAL.ME.HÚB, is mentioned.87 In the times of Gudea, mother (as a general term) ˘ is invoked to describe the perfect social relationship introduced by the ruler while he has his city purified for Ningirsu. Among other taboos, it states that “no mother would beat her child”,88 and “no mother would have words with her child, and no child would disobey its mother”.89 He also describes one role exercised by the mother as a person, who “administers the potion” to a sick person.90 During the Ur III period, mothers do not often appear in royal inscriptions. For example Ur-Nammu, describing the justice he established throughout the whole country, mentions that he also settled his family members, including his mother, peacefully in the land.91 Sˇu¯-Sîn seems to call his mother Abı¯-Sˇimtı¯ by her name in the short inscription on the seal presented by him to Babati, one of his

83 Ashurbanipal 3 ii:50 (http://oracc.org/rinap/Q003702/); 4 ii:23’ (http://oracc.org/rinap/Q003 703/); 6 iii:73’ (http://oracc.org/rinap/Q003705/); 7 iii:29’ (http://oracc.org/rinap/Q003706/). 84 Ashurbanipal 3 ii:63 (http://oracc.org/rinap/Q003702/); 4 ii:34’ (http://oracc.org/rinap/Q003 703/); 6 iii:89’ (http://oracc.org/rinap/Q003705/). Arwad was an island near Cyprus, while two others toponyms relate upland and lower Cilicia respectively. See Dalley, Sennacherib, p. 75. 85 RIME 1.9.4.15 ii:9–16. 86 RIME 1.9.5.4 iii:10–iv:3; 9.5.26 v:2–6. 87 RIME 2.13.1 1–9. 88 RIME 3/1.1.7StB 12. 89 RIME 3/1.1.7CylA xiii:3–5. 90 RIME 3/1.1.7CylB iv:17–19. 91 RIME 3/2.1.1.20 172–175.

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court officials.92 On the other hand it could be an inscription left by Babati himself. Rulers from the Old Babylonian period do not mention mothers more often. Moreover, it seems that the role of the mother is limited to the fact that she has born the actual ruler. Such fragments can be found e. g. in one of Warad-Sîn’s inscriptions: “For this purpose it was me, Warad-Sîn, the wise one possessing wisdom, who loves righteousness, who was purely formed in the womb of the mother who bore me (…).”93

Similarly, Sˇamasˇ-sˇuma-ukı¯n states that he was appointed king in his mother’s womb,94 and Nebuchadnezzar II writes that “the god Marduk, fashioned my form inside (my) mother (so that) when I was born I myself was (fully) formed.”95

Against this background there is one absolutely unique royal inscription, concerning Hadad-happı¯, the mother of Nabonidus, king of Babylon. Composed on ˙ ˘ the occasion of her burial, it consists of 161 verses, and presents a full description of the life and deeds of the king’s mother. She is depicted in this text not only as a very pious woman, whom the gods granted a long, healthy life so that she reached the age of 104, but also as the spiritus movens of two important events – the conquest of the throne of Babylon by her son Nabonidus,96 and the return of the gods Sîn, Ningal, Nusku, and Sadarnunna to their Ehulhul temple in Harran.97 ˘ ˘ ˘ This is the only fragment amongst all published royal inscriptions where a mother – or indeed any woman – is presented as one able to influence the political reality of any Mesopotamian state. Going back in time to Assyrian rulers, one can observe that mothers were only rarely mentioned in royal inscriptions. For example, concerning Assyrian kings from the 3rd and 2nd millennium, there is but one fragment containing the word “mother”; it relates in fact only to the womb, in which Asˇsˇur-re¯ˇsa-isˇi was designated “for the proper administration of Assyria”.98 The same happens in texts composed for Tukultı¯-Ninurta II, who explains his fate with divine intervention,

92 93 94 95

RIME 3/2.1.4.32 12–20. RIME 4.2.13.21 42–45. RIMB 6.33.1 6–8. Nebuchadnezzar II 2 i:23. Royal Inscriptions of Babylonia Online http://oracc.org/ribo/Q00 5473/. 96 See also Stol, Women, p. 136. 97 Nabonidus 2001 ii:16–21. 98 Grayson, Assyrian Rulers Third and Second Millennia (RIMA 1), p.310 (0.86.1 2).

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as the gods “faithful[ly noticed me in] my mother’s womb (and) [altered] my [bi]rth to lordly birth”.99 The only exception to this rule of tacitly ignoring women in Assyrian royal inscriptions is the case of Semiramis, the mother of Adad-na¯ra¯rı¯, who exercised lordship over Assyria during the minority of his son. As in the case of the Hadad˘ happı¯ inscription, the name of the king’s mother and her genealogy appears in ˙ the first paragraph. Surprisingly however, in the following fragment Semiramis is said to join the military campaign together with her son: “Boundary stone of Adad-na¯ra¯rı¯, king of Assyria, son of Sˇamsˇ¯ı-Adad, king of Assyria, (and of) Semiramis, the palace-woman of Sˇamsˇ¯ı-Adad, king of Assyria, mother of Adad-na¯ra¯rı¯, strong king, king of Assyria, daughter-in–law of Shalmaneser, king of the four quarters. When Usˇpilulume, king of the Kummuhites, caused Adad-na¯ra¯rı¯, king of ˘ Assyria, (and) Semiramis, the palace woman, to cross the Euphrates (…).”100

Later Assyrian kings return in their inscriptions to the tradition of ignoring women in public life. Sennacherib writes that it was goddess Be¯let-ilı¯ who “created his features” in his mother’s womb.101 Esarhaddon mentions his mother again in the context of giving birth to him, whilst his office is evidently granted by some unknown gods,102 or even Isˇtar herself.103 Nevertheless, at least one fragment of Esarhaddon’s inscriptions exists that could point to a quite different (and important) role of a mother in the life of a king. Calling on the gods Enlil, Marduk and Zarpanı¯tu, he asks them for help and support, using following words: “ (…) like a father and mother, may they come over to my side in battle and warfare; may they come to my aid (…).”104

Similarly the role of a mother is mentioned in another inscription where Esarhaddon praises the goddess Innini “who always cares like a mother for the king – her favourite”.105 Ashurbanipal, Esarhaddon’s son and successor, surprisingly uses his maternal genealogy to underline his right to be the king of Assyria with the following words:

99 Tukultı¯-Ninurta II 2 14. Royal Inscriptions of Assyria Online http://oracc.org/riao/Q006032/; 4 7’ (http://oracc.org/riao/Q006034/). 100 RIMA 3 0.104.3 1–10. 101 Sennacherib 43 3; 50 3. 102 Esarhaddon 37 8’. 103 Esarhaddon 43 12b–16. 104 Esarhaddon 106 20–23. 105 Esarhaddon 128 1–2.

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“[Before my father] was bo[rn (and) my birth-mother] was created in [her mother]’s womb, [the god Sîn, who c]reated me to be ki[ng], named [me to (re)build] Ehulhul.”106 ˘ ˘

He also continues to invoke the womb of his mother as the place of his nomination as the Assyrian ruler.107 Interestingly, in one of his inscriptions the mother of the defeated ruler is listed amongst the booty taken from Uaiteʾ, son of BirDa¯da.108 This is presumably the only passus in Mesopotamian royal inscriptions, where a mother is mentioned as being taken captive after a military campaign. Finally, Ashurbanipal also continues the tradition of his father’s inscriptions, using the description of her mother’s behaviour as a model for protection: “the goddess Mullissu, the mother of the great gods, raised me like my (own) birth mother in the benevolent (crook of) her arm.”109

The last of the Assyrian rulers, Sîn-sˇarru-isˇkun, uses the word “mother” to describe the close relationship he had with the chief deities of the Assyrian pantheon, stating that these deities have guided him like a father, and a mother.110 Royal inscriptions left by ancient Mesopotamian rulers also allow us to distinguish other roles and contexts, in which women are described or mentioned. To complete the picture of their social status as far as possible, I will include inscriptions left by royal women. In the Early Dynastic period the general term “woman” appears three times, within the description of Urukagina’s reform.111 In fragments written by women, their family relationships are underlined strongly – they appear as wives, daughters, granddaughters, daughters-in–law and mothers. They also refer to their office as queens or priestesses. Similarly in later periods, family roles and the office of priestess were the main terms women referred to in their own inscriptions.112 A most unusual fragment is left by Aman-Asˇtar, a servant of Tu¯tanapsˇum, who describes herself as a deaf lady, and a prattler.113 During the Ur III period this catalogue of terms is widened by the word “lukur”, that, however, can

106 Ashurbanipal 5 ii:2’ (http://oracc.org/rinap/Q003704/); 6 i:65’ (http://oracc.org/rinap/Q003 705/); 7 i:39’ (http://oracc.org/rinap/Q003706/); 10 ii:29 (http://oracc.org/rinap/Q003709/). 107 Ashurbanipal 9 i:1 (http://oracc.org/rinap/Q003708/); 13 i:15 (http://oracc.org/rinap/Q003 712/); 73 i:5’ (http://oracc.org/rinap/Q003772/). 108 Ashurbanipal 11 viii:120 (http://oracc.org/rinap/Q003710/). 109 Ashurbanipal 75 4 (http://oracc.org/rinap/Q003774/). 110 Sîn-sˇarru-isˇkun 1 7 (http://oracc.org/rinap/Q003862/); 6 8 http://oracc.org/rinap/Q003867/); 7 ii:2’ (http://oracc.org/rinap/Q003868/); 10 16b (http://oracc.org/rinap/Q003871/); 19 7 (http://oracc.org/rinap/Q003880/). 111 RIME 1.9.9.1 vii:7–8; vi:13, 26. 112 For more about this topic, as well as further details regarding women known by name from Early Dynastic to Ur III Period, see Nowicki, Women. 113 RIME 2.1. 4. 2017. For the presumed mistake in the translation of “deaf lady” see the discussion in Charpin, Sargonic, p. 93.

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be translated as the “junior wife of the god”; it could also possibly refer to the second wife of the king, especially after the deification of Sˇulgi.114 In Babylonian periods inscriptions also refer to women as priestesses – e n , n i n - d i n g i r , EGE.ZI (egis¯ıtum) or AMALU (amalu¯tum). In two cases the de˙ scribing word is not preserved and once the term ha-bi-il5-tum (oppressed ˘ woman), is used in an inscription by Nidnusˇa, the governor of De¯r, who presents himself as the liberator of his country’s weak people. In one special case the term “weak mother” is used by the king Warad-Sîn to describe not a human being, but the old city of Ur. This fragment of an inscription concerns the building of the walls of Ur. The king starts with the description of a divine blessing for the city: “(Asˇimbabbar) looked with shining face and joyous heart at his city, Ur, the old woman of the land. He raised hi[s] head, caused (Ur) to have a lofty reputation, granted to it to enjoy the abundance of the mountain and sea, (and) to charge in the battles and combat of the nation,”115

and continues (in the lines 61–62) with the description of the king’s plan: “to enlarge the area of Ur that its supporting wall will exceed the former one (…).”116

It seems that the passus containing the term “old woman” should rather be translated as “weak mother” – a small city, but of respectable origins, which will be enlarged and reinforced by Warad-Sîn. In their own inscriptions women usually present themselves as members of the royal (or at least ruling) family. Altogether the textual sources contain 34 fragments of this kind. The term used most often for describing their family status is “daughter”, written in thirteen fragments as d u m u . m u n u s and in seven as d u m u . A little less popular is “wife”, u written in ten fragmentsas d a m and in another two as l u k u r . The term “mother” (a m a ) appears only once, as does “sister”, written surprisingly as sˇ e sˇ instead of n i n 9. There are also twelve fragments which concern the author’s priesthood, in eleven cases the term e n appears, in two – zirru (written as EN.MÍ.ME.NUNUZ.ZI or EN.MUNUS.NUNUZ.ZI). Other functions also appear in some inscriptions. In six fragments a woman introduces herself as g é m e , and once as kezertum. Finally, in two fragments the author simply presents herself (in addition to other epithets without any official title) as the humble woman (m u n u s - s u n 5 - n a ). Two further inscriptions exist in which the describing word is not preserved. Inscriptions written by people other than the kings or women themselves, mention women as having official duties more often. In three cases there is information about a woman’s priesthood – twice the lady is mentioned as e n 114 For more about l u k u r priestess in the Ur III period see Sharlach, Priestesses, p. 182. 115 RIME 4.2.13.21 29–37. 116 RIME 4.2.13.21 30.

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priestess, once as n i n - d i n g i r . In another three cases women are named according to their functions – twice as kezertum117 and once as kulmasˇ¯ıtum.118 Once the lady is described with the term NIN, which can be translated as entum, l u k u r , nadı¯tum priestess or even as sister.119 Interestingly, four of the ten inscriptions contain no personal names, and in three of them women are named as a group, subservient to the author of these inscriptions, who is not a king. Family bonds play a not insignificant minor role, since in four fragments a lady is described as the daughter of an important father. Although there are thirty one women whose names are known from textual sources, additional information is only available for about thirteen of them. Unfortunately, even this data provides only scarce information concerning royal women. The first of these royal women is En-ana-tuma, the daughter of IsˇmeDaga¯n, who was probably the tenth successor of Enheduana as the entu priestess ˘ of Nanna in Ur and was also a zirru of Nanna in Ur.120 Another is Nutuptum, who ˙ was a l u k u r of Sîn-Ma¯gir, and bore him his firstborn son.121 We have a little more information on En-ane-du, who was a daughter of Kudur-mabuk and the sister of Warad-Sin. As the entu of Nanna in Ur, she restored the giparu in this temple, and this is described in her inscription (no. 40–42).122 Some women are known only from one or two textual fragments, such as Lamassatum, the mother of Lipit-Isˇtar, for whom only two examples of one inscription are preserved.123 The situation of Belta¯ni is similar. Although Be¯lta¯ni was a very popular female name in the Old Babylonian Period, we lack any detailed information about this particular Be¯lta¯ni.124 All we know is the information which her own seal affords, that she was the daughter of Habannum and the wife of Rı¯m-Sîn. ˘ Some of the women known from Old Babylonian sources are members of the royal court of Mari. Here we have Addu-du¯ri, the wife of Hadnı¯-Addu (who was ˘ 117 Kezertu is usually translated as “prostitute”, see Held, Parallels, p. 136 with literature in n. 14. Nevertheless it also can be interpreted as “courtesan”, with connotation of non-sexual entertainment, see Roth, The Slave, p. 278. Finally, there is also a suggestion, that this term can be translated as “hairdresser”, see Güterbock, A Hurro-Hittite Hymn, p. 159. 118 Kulmasˇ¯ıtum was probably also a type of prostitute. It also seems that the status of kulmaˇs¯ıtum could be only temporal. See Sallaberger / Huber Vulliet, Priester, p. 633b. As for the kulmasˇ¯ıtum prostitute see e. g. Dalley, Old Babylonian Dowries, p. 62. 119 Sallaberger / Huber Vulliet, Priester, p. 633b. 120 Sollberger, Notes, pp. 85f.; Sollberger, A Note, P. 100. 121 See also Poebel, The City, p. 366. 122 For her activities as entu and importance for the next few centuries see Weadock, The Giparu at Ur. A study, p. 20. This book were redeveloped into a very essential article by Weadock, The Giparu at Ur. A complete study about En-an-e-du see Gadd, En-an-e-du. 123 Glassner, Textes et Fragments, p. 210. 124 It seems that this name was popular especially among nadı¯tu priestess. See Klengel, Urkunden, pp. 125. 128; Stone, Nadı¯tu Women, p.57; Charpin, Un quartier de Nippur, pp. 107. 112; Abdi / Beckmann, Chogha Gavaneh, p. 68.

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maybe the brother of Iahdun-Lı¯m), and possibly the mother of Zimri-Lı¯m.125 She ˘ is also present in literature, as the seer who had an unfavourable dream about Mari’s future.126 Then there is Inibsˇina, the daughter of Iahdun-Lı¯m, the king of ˘ Mari127 who was also introduced as an Addu priestess.128 Another of Iahdun˘ Lı¯m’s daughters was Iamama, the sister of Zimri-Lı¯m and a wife of Asqudum, a 129 diviner at Zimri-Lı¯m’s court. The wife of Zimri-Lı¯m was Sˇibtu, a daughter of Iarı¯m-Lı¯m.130 Apart from royal inscriptions, some letters by Sˇibtu concerning textiles and the textile business are known.131 The second wife of the same king was Iatara¯ia. She was probably the second wife of Zimri-Lı¯m, living in the palace in Terqa.132 A female servant of this king was Ummum-ta¯bat, who is probably ˙ identical with the servant (or wife?) of Sˇamsˇ¯ı-Adad, known from RIME 4, 637.133 Finally, the last woman known from the area of Mari is Iltani, the daughter of Samu-Addu, king of Karana, and the wife of Aqba-Hammû from Mari.134 She ˘ owned one of the archives in female possession in the Old Babylonian period, found in Tell Al Rimah.135 The last woman is known from the western part of the fertile crescent area. Some information about Matrunna, the daughter of Applahanda, who was a ˘ priestess of Kubaba is available.136 She is known only from one seal which is widely discussed, since it contains the first occurrence of the winged disc outside Egypt.137 For the Assyrian state in the 3rd and 2nd millennium, only one votive inscription is known, by a woman named Hadı¯tum, who was the wife (DAM) of ˘ Be¯lum-na¯da. Unfortunately, no further details about this woman nor her husband can be found. Perhaps this reflects the poor social status of women in this

125 Sasson, The King, p. 458. For general information about Addu-du¯ri as the member of ZimriLı¯m’s royal court see Ziegler, Le harem, pp. 50f. More about women in Mari see Batto, Studies. 126 Sasson, Mari Dreams, p. 286; Sasson, Thoughts, pp. 11f.; She is also mentioned in some legal and economic documents, see e. g. Sasson, Treatment, pp. 96. 107; Batto, Land Tenure, pp. 237. 239; Gates, Dialogues, pp. 75–78. 127 Batto, Studies, p. 60. 128 Ziegler, A Questionable Daughter-in-Law, p. 56. 129 See Sasson, Thoughts, p. 112. 130 Bossert, Bemerkungen, p. 247; Sasson, Mari Dreams, p. 284; Heintz, u¯mu¯sˇu¯ qerbu¯, p. 529; Rendsburg, No Stelae, no Queens, p. 99. 131 Dalley, Old Babylonian Trade, p. 155; Malamat / Artzi, Sˇibtu. 132 See Batto, Studies, pp. 21. 23; Sasson, Biblical Archaeologist Update; p. 248. 133 Duran, Les dames, p. 408. 134 See Sasson, Biographical Notices, p. 62; Batto, Studies, pp. 52f. 135 Dalley, Old Babylonian Greetings; Eidem, Iltani Archive. 136 Virolleaud, Ras Shamra, p. 308; Albright, New Light, pp. 26f.; Güterbock, Carchemish, p. 110; Nagel / Strommenger, Alalah und Siegelkunst, p. 118; Schwartz et al.; Umm el˘ Marra, p. 182. 137 Dalley, The God, p. 98.

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period.138 In the early 1st millennium the situation seems to be no better, since there is only one case in which women are not described as booty, prisoners, tribute or victims. This is the passus in which Ashurnasirpal II boasts that he invited 47074 men and women from every part of his land to the feast to celebrate the building of a new palace in Kalhu.139 In two fragments, a women’s hairdo is ˘ mentioned, probably a disparaging description of Sipirmenians.140 That comparisons with women can also be abusive or at the least disrespectful for men, is proven to some extent by a fragment from Esarhaddon, where the people who ˘ incited a rebellion against his father Sennacherib were described in the following way: “With difficulty and haste, I followed the road to Nineveh and (i 70) before my (arrival) in the territory of the land Hanigalbat all of their crack troops blocked my advance; they ˘ were sharpening their weapons. Fear of the great gods, my lords, overwhelmed them, (and when) they saw my mighty battle array, they became like crazed women.”141

During the reigns of the following rulers, in addition to the above mentioned terms, women are also described as “girls”, and “palace women”.142 Sometimes other words are also used – sister, woman, female singer, woman of the house, or female servant. In one instance in an inscription by Esarhaddon, Taharqa, the ˘ king of Egypt’s concubines are mentioned.143 Further information on particular women is not indicated; nonetheless they are usually described in a “geographical” or “ethnical” context, as booty taken from a specified land or tribe. Other family members we can read about are the sisters of Hamata¯iia from the ˘ Laqû, from Bı¯t-Zama¯ni, and of Amme-baʾlı¯ from Bı¯t-Zama¯ni.144 There are many 138 As one of the most convincing proofs of the minor status of women in Assyrian society in the 3rd and 2nd millennium BCE, the fragment of Assyrian laws (par. 59) can be used, that reads as follows: “Apart from the penalties for [a married woman] which [are prescribed] on (this) tablet, a man [may beat] his wife, may pull out (her hair), may crush and pierce (?) her ears. There is no liability (for so doing)”, see Driver / Miles, Laws, p. 425. Cf. also the most recent translation “In addition to the punishments for [a man’s wife] that are [written] on the tablet, a man may [whip] his wife, pluck out her hair, mutilate her ears, or strike her, with impunity” done by Roth, Law, pp. 175f. 139 RIMA 2 0.101.30 141–142. 140 RIMA 2 0.101.1 75. 141 Esarhaddon 1 i:70–73. The word mahhutu used here means literally “female ecstatic”. ˘˘ 142 Palace women and daughters of Ahi-iababa, from Bı¯t-Adini, who probably was king of the ˘ city Su¯ru. See Russel, Historical Geography, p. 73. 143 Esarhaddon 15 7’; 98 rev:43. 144 Sisters of Hamata¯iia, ruler of the land of Laqû, were received as tribute. The name of this ruler seems to be a gentilicium, nevertheless it is most probable that it functioned as the proper personal name. See Mallowan, Carchemish, p. 68 n. 16; Maxwell-Hyslop, Assyrian Sources, p. 174. n. 35; Russel, Historical Geography, p. 73 n. 111; Dion, The Aramaeans, p. 57. The sister of Amme-baʾlı¯ of Bı¯t-Zama¯ni was taken as booty, but in rather

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fragments concerning adolescent girls, burned in the cities Kinabu, Te¯la, Isˇpilipria, Larbusa, Aridu, Pitura, and Hudun or girls received as tribute from San˘ gara, king of Hatti. Further we find palace women from Ahi-iababa, from the city ˘ ˘ Su¯ru, from Ianziburiasˇ the Allabriaean from the city Paddira, from Mardukmudammiq king of Namri, from Giammu from the city Tı¯l-Turahi, from Mar˘ duk-bala¯tsu-iqbi from Du¯r-Papsukkal, from Baba-ahha-iddina, and an unknown ˙ ˘˘ ruler from the city De¯r. Also listed as booty are female singers of Lubarna from the city Kunulua,145 of Hiram of Tyre,146 of Merodach-Baladan of Babylon,147 of Hezekiah of Judah,148 of Duna¯nu of Gambulu,149 of Teumman of Elam,150 and female musicians, tribute of an unknown ruler to Ashurnasirpal II.151 Once servant women, probably from the area of Urartu or Sˇubria, are mentioned.152 Sennacherib also mentions female stewards, taken from the palace of MerodachBaladan in Babylon.153 Sennacherib adds to the catalogue of terms used to describe women a very general description “female people”, used to describe prisoners of war taken from Arameans,154 Ispaba¯ra, king of Ellipi,155 or Hezekiah, ˘ king of Judah,156 and his grandson Ashurbanipal continues this description 157 158 concerning hostages from Tanutamon of Egypt, Duna¯nu of Gambulu, and Sˇamasˇ-sˇuma-ukı¯n of Babylon.159 From this period on we also notice an interesting trend, namely that within booty lists some animals are also registered, divided according to their gender into male and female. In this way monkeys, elephants and bears are enumerated, coming from Arvad, Byblos, Sidon, Egypt, from king Lubarna of Kunulua, monkeys from the eastern coast, as well as some animals bred in Calah. It is interesting to consider what kind of effect was intended with such actions, since it can be considered as unimportant whether the king received male or female

145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159

unusual circumstances. Amme-baʾalı¯ was the ruler established by Ashurnasirpal II, murdered by his nobles, so the Assyrian king started the punitive campaign to avenge him. RIMA 2 0.101.1 iii:76. Tiglathpilesar III 49 rev:8. Sennacherib 1 32; 15 i:8’; 16 i:45; 17 i:37; 22 i:32; 23 i:29; 165 i:39; 213 32. Sennacherib 4 58; 6 14’; 15 iv:10’; 17 i:37; 17 iii:77; 19 i’:12’; 22 iii:47; 23 iii:40; 46 32; 140 rev.:21; Ashurbanipal 3 vi:18; 4 vi:20; 6 vii:21; 7 vi:31’; 8 vii:21’. Ashurbanipal 8 ix:1’’’. RIMA 2 0.101.71. RIMA 3 0.102.17 52. Sennacherib 1 30; 213 30. Sennacherib 138 i:6’. Sennacherib 4 27; 15 ii:13’; 16 ii:49; 17 ii:31; 18 ii:8’; 22 ii:19b; 23 ii:17b; 139 i’:6’; 140 obv:10’; 165 ii:41. More about Ispaba¯ra see Levine, Sennacherib, p. 38; Cuyler, Iranian Migration, pp. 13f. Sennacherib 140 rev:15; 142 rev:7. Ashurbanipal 3 ii:26; 4 iii:3’b; 6 iii:43’; 7 iii:2’. Ashurbanipal 3 vi:18; 4 vi:20; 6 vii:21; 7 vi:31’; 8 vii:21’. Ashurbanipal 6 ix:1’’; 7 viii:62’; 8 viii:21’’’’’.

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animals. as tribute. This should perhaps be investigated further. Nonetheless, it is evident that this information was important for rulers, since the gender of animals received as booty was recorded not only in the booty lists, but also in the official royal inscriptions. In the Neo-Assyrian periods women are also referred to also as queens. Two of them are queens of Arabia, and two were queens of Assyria. As far as the queens of Arabia are concerned, there can be listed Zabibe, who probably was not an Assyrian vassal, paying tribute only to avoid Assyrian military intervention.160 Unfortunately we possess very little further detailed information concerning her.161 Another is Samsi, an Arabian queen mentioned in royal Assyrian texts, who reigned until the times of Sargon II.162 It is known that qe¯pu, an Assyrian official representing Tiglath-Pileser III resided at her court.163 From the reign of Sennacherib, Teʾelhunu164 and Iatiʾe165 are also known. His son Esarhaddon ˘ enumerates three queens of the Arabs by name – Apkallatu of Arabs,166 Iapaʾ of Dihra¯ni,167 and Baslu of Ihilum.168 It can be assumed that the name “Apkallatu” ˘ ˘ was not the real personal name, but rather an epithet comparing this woman to apkallu known from Mesopotamian mythology.169 As for Assyrian queens, the first listed by name is Yabâ, who was the wife of Tiglath-pileser III. This queen left a very uncommon text – her own funerary tablet, including the curse formula. What is really interesting is the fact that this curse formula is addressed to any woman who dares to rob the grave of Yabâ.170 The second one listed is Banı¯tu, wife of Shalmaneser V.171 Interestingly, in royal inscriptions the term ˇsarratu is only used to describe queens of Arabia, and never Assyrian royal women. The latter are mentioned rather in their own inscriptions than in royal texts, and were described as “palace woman”. Such a term can point to the queen as property of the palace, at least in official propaganda. Queen Yabâ 160 See Winter, Karatepe, p. 141. 161 See Levine, Menahem, p. 41. 162 See also Wisemann, Fragmentary Inscription, p. 121; Tadmor, Campaigns of Sargon II, p. 78; Na’aman / Zadok, Sargon II; Blakely / Hardin, Southwestern Juda, p. 54. 163 See Elat, Economic Relations, p. 29. For relationships between Assyria and Arabs see Eph’al, Ancient Arabs, pp. 74–169. 164 Sennacherib 35. 165 Sennacherib 213 28. 166 Esarhaddon 1 iv:4; 6 iii:1’. ˘ 167 Esarhaddon 1 iv:64; 8 i:21’. Regarding her identification as the queen of Dihra¯ni see Abbott, ˘ Arab Queens, p. 5. 168 Esarhaddon 1 iv:67; 8 i:22’. As for her identification as the queen of Ihilum see Abbott, Arab ˘ Queens, p. 5. 169 Borger, Miszellen, p. 9; Rabinowitz, Aramaic Inscriptions, p. 8. 170 And not against any male offender. See Kamil, Yaba’s Tomb. pp. 13–15. More about Yabâ see Dalley, Yaba; Macgregor, Beyond Hearth and Home, pp. 78–80. 171 For more details concerning Ba¯nı¯tu see Macgregor, Beyond Hearth and Home, pp. 73. 80.

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is only once identified as a “wife” of the king. The third queen is Tasˇme¯tu-sˇarrat, the wife of Sennacherib, who is called by name in his royal inscription, described both as a palace woman and a wife.172 In the corpus of Ashurbanipal royal inscriptions, where he boasts of bringing to Assyria so many camels because they were ridiculously cheap, the role of a woman as a tavern keeper is mentioned: “I apportioned [ca]mels li[ke sheep and goats (and) divided (them) amo]ng the people of [Assyria (so that) with]in my country (x 25) they (the Assyrians) [could purchas]e [a camel for one shek]el (or even) a half sh[ekel of silver at the market gate. The female tavern keep]er [for a serving, the beer brewer for a jug (of beer)].”173

Again, as in the case of earlier Assyrian inscriptions, some female animals are listed, altogether six times in the inscriptions of these two kings. Among them we can enumerate female onagers, and camels.174 But this time the context of female animals is in all cases but one quite clear – it is a standard animal euphemism, used to ridicule the enemy. As the military opponent of Tiglath-Pileser was called the “queen of Arabs”, animal similarity used in the description of her escape from the battlefield must also have been gender-tailored. The last female animal to be found in Tiglath-Pileser’s inscriptions is a she-camel, taken as part of the booty from the same Samsi. The reason for underlining the gender of the animals remains unclear. Against the background of the above presented fragments about women in Mesopotamian royal inscriptions, those regarding goddesses appear to be quite different. To begin with, there are many more cases of divine ladies than of mortal women. Secondly, they are not only mentioned, they are depicted with their attributed features. Looking closer at these fragments, it is easy to notice some hidden features of women in these descriptions. As early as the Early Dynastic period goddesses are described with general epithets – goddess Baba175 as a “gracious woman”,176 Nansˇe177 as a “mighty lady”178 as well as a “powerful lady”,179 Inanna180 as a “queen of all the lands”181 or Ninlil182 as a 172 Sennacherib 40 44’’. 173 Ashurbanipal 7 x:21–27. 174 Camels were bred by the Arabs, who also controlled pasture land in the North. That was probably the main reason why Assyrians fought Arabian rulers. See Köhler-Rollefson, Camels, p. 184. 175 Goddess of delivery and fertility, see Ebeling, Baʾu.Regarding her representations see Maxwell-Hyslop, The Goddess, p. 80. 176 RIME 1.9.4.11, 183. 177 Sea goddess, considered also the dream interpreter, see Maxwell-Hyslop, The Goddess, p. 80; Heimpel, Nansˇe. 178 RIME 1.9.1.11 ii:2. 179 RIME 1.9.1.20 v:1. 180 Multifaceted goddess, mostly referred to as the lady of sexual desire and war, see e. g. Wilcke, Inanna; Kramer / Wolkenstein, Inanna; Harris, Inanna.

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“queen of heaven and earth”183 in direct relation to their supernatural status. Other fragments seem to be quite “terrestrial” in context. One of the most popular of them concerns royal genealogy – although kings did not mention their mothers in royal inscriptions, in the case of goddesses it was quite the opposite – they boasted of being born to particular goddesses, among whom Gatumdu,184 Inanna,185 Ninhursag186 and Nissaba187 can be counted.188 In other fragments, ˘ although it is not recorded that a particular goddess is the mother of the king, she gives him his royal name.189 Similarly, there is no sign of women’s involvement in the upbringing of a king, apart from these fragments that speak of goddesses as wet-nurses who fed the king from their own breasts, as in the case of Ninhursag190 ˘ or who nurtured the king, as did Ningirim, his preceptress.191 No wonder then, that they retained their great influence over him throughout the course of his adult life. Therefore, the king can be nominated by the goddess Inanna,192 be granted kingship by Nansˇe193 or called by her to exercise kingship over a particular city.194 Nor should we be surprised that she could also give orders to the king.195 Indeed it was Inanna who “combines kingship with lordship for Lugalkigine-dudu”196 and gave Kisˇ to Eanatum, because he was the one she loved.197 And, speaking of love, goddesses were also named in royal inscriptions as spouses of the king.198 Goddesses, although they were women, could also actively participate in military actions, using a battle net to catch the king’s enemies, as in the case of Ninhursag199 and Inanna.200 Through their descriptions of goddesses ˘ 181 RIME 1.9.4.5 i:1–2. 182 One of the chief goddesses of Mesopotamian pantheon, wife of Enlil. See e. g. Krebernik, Ninlil. 183 RIME 1.14.16.1 3–4. 184 RIME 1.9.5.22 9–10. Mother goddess, similar to Baba, see Ebeling, Gatumdug. 185 RIME 1.9.3.1, 134. 186 RIME 1.9.3.1 xviii:8–9. Mother goddess, “lady of the mountains”, according to literary tradition also Enki’s wife, see Krebernik, Muttergöttin, p. 505; Heimpel, Nin-hursaga. ˘ 187 RIME 1.14.20.1 i:26–27. 188 It can be remarked, that this mother-child relationship sometimes refers not only to the king, but to the whole city as in the case of Gatumdu, who is believed to be the mother of Lagasˇ according to RIME 1.9.5.21 1–2. 189 As Inanna to E-anatum according to RIME 1.9.3.1 iv:18:22; rev. v:49–50. 190 RIME 1.9.3.1 v:27–29; rev. v:47–48; 1.9.3.2 iv:7–8; RIME 1.9.5.18 i:7’–8’. 191 RIME 1.14.20 i:31–32. 192 RIME 1.9.5.5a iii:3–iv:1. 193 RIME 1.9.5.23 13–16. 194 As in the case of Ur-Nansˇe, king of Ur, according to RIME 1.9.1.9 v:5–6. 195 RIME 1.9.5.1 v:6–11. 196 RIME 1.14.14.2 5–9. 197 RIME 1.9.3.5 v:23–vi:5. 198 Or rather kings were described as goddesses or spouses, as e. g. Inanna in RIME 1.9.3.1 rev. vi:8–9. 199 RIME 1.9.3.1 xvii:42–47.

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Early Dynastic rulers also inform us about the existence of some forms of women’s organisation, as in the following fragment regarding the goddess Baba, who is said to be: “[proprietor over] the estate of the woman’s organization [and the property of the woman’s establishment, as much as she possessed].”201

The last Presargonic passus shows the role of women in a different light than other fragments which refer to them directly can do. It describes the greatness of the god Enki, who counsels the ruler in a “motherly fashion”202 an epithet quite unique within the whole corpus of royal inscriptions. In the following Sargonic dynasty, the variety of epithets is greatly reduced. Goddesses are still described as mighty women,203 who have special relationships with particular cities, as in the case of Ninura, who is called the mother of Umma.204 Ninsˇubur is mentioned as the natural mother of the king,205 and Ninhursag and Nintu206 as the godnesses who grant a ruler male offspring.207 ˘ Inanna is named the wife of the king,208 who has animpact on his deeds as the actual ruler,209 sends the king on missions,210 and decides the result of the battles he fights.211 Last but not least, their anger can bring calamity, including the destruction of those who are hostile to them, or their favourites.212 During the times of Gudea only three types of epithets for goddesses can be found, all related to the goddess Gatumdu. She is described as the founder of the city Lagasˇ, the mother of the king and, surprisingly, also of his father.213 In royal inscriptions from the Ur III period similar labels can be found. The goddess Nansˇe is depicted as a strong lady,214 the goddesses Ninsuna215 and

200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212 213 214

RIME 1.9.3.1, 134. RIME 1.9.9.2 v:6’’–10’’. RIME 1.12.6.2 12. E. g. Nansˇe in RIME 2.13.6.1 1–2. RIME 2.11.12.1 1–2. See also Cavigneaux / Krebernik, Nin-ura. RIME 2.12.5.1 iii:2’–3’. She was probably the goddess of Sˇubartu, in Sumerian a female, in Akkadian a male deity. According to textual sources she was in charge of implementing the me rules. See Wiggermann, Nin-sˇubur. One of the mother goddesses, identified with Ninhursag. See Cavigneaux / Krebernik, ˘ Nin-tur. Both within the curse formula in RIME 2.1.4.3 iv:29–35. RIME 2.1.4.1 ii:8’–9’. In the fragment RIME 2.1.1.1 –-5 king Sargon describes himself as the mere bailiff of Inanna. RIME 2.1.4.3 rev. ii:16–20. RIME 2.1.4.2 iii:14–16. As e. g. in the curse formula of RIME 2.1.3.6 12–19, where Ninhursag is mentioned as the one, ˘ who destroys the remover of the royal inscription. RIME 3/1.1.7.CylA iii:3–7. RIME 3/2.2.2.1 1–2.

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Gesˇtinana216 as the king’s natural mothers,217 Inanna and Annunı¯tum218 as his spouses.219 Only five new epithets emerge – the goddess Nissaba is described as a faithful, beautiful, and astral woman,220 Inanna as a lady of battle,221 and Nungal bears the name lady of the prison.222 Epithets known from the earlier periods are those of mothers or creators of the king,223 his spouse Inanna,224 descriptions of their features as ladies of perfect voluptuousness as in the case of Nana¯ia,225 or proud referring to Ningal.226 In the Old Babylonian period we find fragments showing the active involvement of goddesses in events and decision-making. They can deliver enemies into the king’s hands, as in case of Ninsianna,227 but also hold the office of the messenger sent by the god An.228 They are trusted with responsible tasks, such as the goddess Ninegal229 “in whose hands the gods An, Enlil, and Enki have entrusted all the numerous blackheaded people, who make just verdicts and decisions, who know how (both) to give counsel and to confer.”230

She is also described as the supreme adviser.231 Similarly, the goddess Ningal is called the wise counsellor,232 taking care of the world order by holding all the me– laws.233 The goddess Ninsianna is called the one

215 According to literary tradition the wife of Lugalbanda and the mother of Gilgamesˇ. For more about her see Wilcke, Ninsun. 216 Sister-in-law of Inanna, see Edzard, Gesˇtinanna. 217 In RIME 3/2.1.1.20 36–38 and RIME 3/2.1.2.62 1–3 respectively. 218 Probably one of the manifestations of Isˇtar, see Westenholz, Old Akkadian Presence, p. 11. 219 In RIME 3/2.5.2.1 21 and RIME 3/2.1.4.20 1–2 respectively. 220 RIME 3/2.2. 3. 1001 1–4. Nissaba was the goddess of grain, and of scribal arts sensu largo, see Michalowski, Nisaba. 221 RIME 3/2.1.3.13 1–3. 222 RIME 3/2.1. 3. 2008 1–2. Regarding Nungal and her role in the Neo-Sumerian judicial system see Frymer, Nungal-Hymn. 223 Inanna in RIME 4.1.5.8 3–4, Ninibgal in RIME 4.1.10.5 5, Ninmah in RIME 4.3.7.5 34–35, and ˘ Ninsun in RIME 4.4.1.8 3–4. 224 RIME 4.1.4.1 10–11. 225 RIME 4.2.7.2 1–2. Goddess of sex and eroticism, see Azarpay, Nanâ; Stol, Nanaja. 226 RIME 4.1.4.13 2. Spouse of Nanna, goddess of Ur, see Zgoll; Ningal. 227 RIME 4.2.14.18 27–29. Ninsianna with the all probability was the manifestation of Isˇtar as the Venus, see Hawkins, Kubaba, p. 163. 228 As the reliable messenger Ninsˇubur is described in RIME 4.2.14.8 1–2. 229 Minor goddess, in some texts identified with Inanna, see Behrens / Klein, Ninegalla. 230 RIME 4.2.14.17 1–5. 231 RIME 4.2.14.16 1–4. 232 RIME 4.1.4.13 4. 233 RIME 4.2.13.1 1–3.

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“who perfectly executes the artful mes, who truly puts instruction and counsel in heaven, judge, supreme adviser, who distinguishes (between) truth and falsehood.”234

They can also attend to extremely important activities, like the goddess Ninisina who is called a wise physician,235 and the chief physician of the black-headed people.236 But the fragments which concern their role in the divine world and refer to their abilities to influence or change the decision of the great gods, their husbands through their utterance or persuasion are the most important. One such fragment is the curse formula, that reads as follows: “may the goddess bride Aia, the great lady, put in a bad word about him before the god Sˇamasˇ forever.”237

Another fragment of this type is a pledge to the goddess Ninlil, who should persuade Enlil, her spouse, to lengthen the life of the king.238 This trend continues in later periods of Babylonian history. The curse formulae in particular includes fragments showing the importance of the godnesses’ opinion when the great gods decide the fate of people, as in the case of Isˇtar-ofBabylon: “may the goddess Istar-of-Babylon speak evil of him before the god Be¯l (and) the goddess Be¯ltı¯ia (and) make his name (and) his descendant(s) disappear from the lands!”,239

Nana¯ia: “May the goddess Nana¯ia, beloved of the gods Nabû and Marduk, continually speak evil of him in the presence of the god Nabû, the one who loves him (Sîn-sˇarra-usur)!”,240 ˙

and Ninmah: ˘

“may the goddess Ninmah speak evil of him before the god Be¯l (and) the goddess Be¯ltı¯ia ˘ and make his name (and) his descendant(s) disappear from the lands!”241

There are other fragments, where rulers ask the goddesses for help in attaining blessing from the great gods, a long life and happiness. Such an appeal is addressed to Isˇtar-of-Babylon: 234 RIME 4.2.14.18 8–11. 235 RIME 4.2. 7. 2001 1–2. She was also the patron goddess of Isin, sometimes identified with Gula, see Edzard, Nin-Isina. 236 RIME 4.4.1.11 1–3. See also the role of a mother, as the one, who takes care of the sick in RIME 3/1.1.7CylB iv:17–19. 237 RIME 4.6.8.2 149–152. 238 RIME 4.1.10.11 20–22. 239 RIMB 6.32.4 23–24. 240 RIMB 6. 33. 2001 15–17. 241 RIMB 6.32.5 23–24.

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“May the goddess Isˇtar-of-Babylon, the august lady, look upon my good deeds with pleasure and may she say good things about me daily before the god Be¯l (Marduk) and the goddess Be¯ltı¯ia (Zarpanı¯tu)!”,242

and to Ninmah: ˘

“may the goddess Ninmah, the august lady, look upon my good deeds with pleasure and ˘ say good things about me daily before the god Be¯l (Marduk) and the goddess Be¯ltı¯ia 243 (Zarpanı¯tu)!”

Esarhaddon asks the goddess Nana¯ia this favour,244 and Nabonidus turns to Isˇtar˘ of-Agade,245 and to Ningal.246 The latter ruler also asks Aia, the wife of the god Sˇamasˇ, to take care of the well-being of two cities – Sippar and Ebabbar – as follows: “Sˇamasˇ, great lord (and) exalted judge, may the goddess Aya, your beloved wife, intercede for Sippar and Ebabbar so that you have mercy (on me).”247

Additionally, Ninisina is described as the wisest of the gods, Usur-ama¯ssu as the ˙ one who makes decisions for heaven and the netherworld.248 Apart from the above described cases, goddesses are also mentioned in roles known from the inscriptions of earlier rulers.249 Similarly, in Assyria goddesses were believed to possess royal attributes, to be important members of divine society and to play a vital role for the king and his

242 RIMB 6.32.4 14–17. 243 RIMB 6.32.5 14–17. 244 “(…) goddess Nana¯ia. august lady, when you are happily dwelling inside that cella, speak well of me – Esarhaddon, the prince who reveres you – before the god Nabû, your husband!” in RIMB 6.31.17 16–17. 245 “(…) proclaim good health for me. In the presence of the god Marduk, king of the gods, speak all day long about the prolongation of my days (and) the increasing of my years.” Nabonidus 2 ii:16. 246 “May the goddess Ningal, mother of the great gods, speak laudatory word(s) about me in the presence of the god Sîn, her beloved.” Nabonidus 28 ii:38b. 247 Nabonidus 1008 ii’:6’. 248 RIMB 2.8.7 1–2, and RIMB 6. 15. 2001 1–2 respectively. Usur-amassu seems to be the divinity, ˙ establish some sort of direct and whose “special and sole function seems to have been to immediate contact between man and deity act (…)” with a revealing name, meaning “Watch her Utterance” – see Oppenheim, Analysis, p. 262. 249 Erua in RIMB 2.8.5 2, Ninisina in RIMB 2.8.11 1–3, and Ninmah in Nebuchadnezzar II 2 iv:14, ˘ creator of the king, Ninlil as as the mother of the king, Ninmena in Nabonidus 26 i:1 as the the compassionate mother in Marduk-apla-iddina II 2001 1, Innini as the one who cares for the king like a mother in RIMB 6.31.11 1–2. According to RIMB 6.33.1 8–10 Erua also appoints the king, and Nisaba in Nabonidus 44 o:1 protects him. Ba-KUR is the lady, who takes part in military actions and plunders the town in RIMB 6.26.1 10’, and finally Ninsiga in RIMB 6. 14. 2001 2 is described as the “goddess of absolutely everything”.

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country. Goddess Kutusˇar is described as the mother of the king,250 Innini cares for him like a mother,251 Isˇtar is called the queen of Nineveh.252 As in earlier periods, the goddess Gula holds the office of the great chief physician.253 Moreover, some of them are accredited with very important positions, comparable or even equal to the role of the great gods, as was the case of the goddess Kutusˇar: “the lady equal to the gods Anu and Dagan, whose command cannot be altered, mighty, exalted, gigantic, the one who possesses strength (and) whose limbs are magnificent, wide in understanding (and) clever in conception.”254

Sennacherib asks the goddess Mullissu personally for a long and healthy life, admitting that the important issues of heaven and earth are discussed by Asˇsˇur with his wife: “May the goddess Mullissu, the queen of Esˇarra, the consort of Asˇˇsur (…) have a good word about Sennacherib, king of Assyria, set upon her lips daily before Asˇsˇur. May (the god) Assur and the goddess Mullissu discuss [the … of po]wer, the attainment of very old age, the lengthening of his (Sennacherib’s) days, the securing of his reign, (and) the … of the throne of his kingship for ever and ever.”255

Esarhaddon, his successor, asks for similar bounty from the goddess Nana¯ia, the spouse of Nabû: “O goddess Nana¯ya, august lady, when you are happily dwelling inside that cella, speak well of me – Esarhaddon, the prince who reveres you – before the god Nabû, your husband! Determine as my fate a long life, fullness of old age, good health, and happiness! Make the foundation of my royal throne as secure as a great mountain! Establish my reign as firm as heaven and netherworld!”256

And last but not least, the goddess Sˇarrat-niphi, sister of Sˇamasˇ, is described as ˘ one who counsels the great gods too: “great mistress, foremost in heaven (and) underworld, queen of all gods, strong one, whose weighty command is respected [in the temples], whose form is surpassing among the goddesses, shining countenance who like the god Sˇamasˇ her sibling thoroughly inspects the circumference of heaven (and) [underworld], most capable of the Anun-

250 RIMA 3 0.103.1 i:18. She was the mother of Ninurta and Nergal, and could also have been considered to be the spouse of the latter. See Soden, Akkadische Gebete, p. 133; Lambert, Kutusˇar. 251 Esarhaddon 128 1–2. 252 Tiglathpileser III 10 16.’. 253 RIMA 3 0.104.2010 7. 254 RIMA 3 0.103.1 i:18–22. 255 Sennacherib 162 iii:11’–16’. 256 Esarhaddon 135, 16.

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naku gods, offspring of the god Anu, supreme among the gods, counsellor of her brothers, leader.”257

One can easily notice that a comparison between the number of royal inscriptions and the number of fragments which mention women, shows the latter to be quite meagre. Without any doubt, the main actors in these texts are kings; women, even members of his family, played a minor role in the royal ideology. If any relationship between the ruler and the women referred to in the preserved royal inscriptions is described, it refers mostly to family bonds. Without regard to the period or the author of such texts, women emerge as daughters, wives or mothers of the various rulers. It appears that their social status depended officially on the importance of those in whose care they were – father, son, brother or husband. This is especially noticeable in the inscriptions, which were commissioned by women themselves. These women, who appear in different inscriptions as family members, seem to play the role of the backdrop for portraying the deeds of their men. And it is this that looks somewhat inconsistent. If women were so unimportant politically, why do they appear in royal inscriptions? Comparing the context in which goddesses are mentioned in royal texts to the context in which mortal women are described, can be helpful in formulating an answer to the question asked above, as some basic differences can be observed easily. Goddesses do not play the role of the mere backdrop for royal personae. They are referred to as the ones who were actively involved in every part of a king’s life. They give birth to them, feed them with their own milk, or take care of their upbringing. Irrespective of being a mother or a wife of a king, they help with their experience as royal counsellors, support the king in difficult times, and even fight his enemies. They provide him with a lucky, joyful and peaceful life. Studying the image of women in ancient Mesopotamian royal inscriptions suggests that the way in which goddesses were described refers, in fact, to the everyday role of women in Mesopotamian society. As if a direct reference might have been a social tabu, royal texts mirrored the actual importance of women in social and family life by referring to the position of goddesses in the divine world.

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Abbreviations RIMA RIMB RIME

The Royal Inscriptions of Mesopotamia. Assyrian Periods (Toronto 1987ff.) The Royal Inscriptions of Mesopotamia. Babylonian Periods (Toronto 1995ff.) The Royal Inscriptions of Mesopotamia. Early Periods (Toronto 1990ff.)

Daliah Bawanypeck

Jenseits von Puduhepa – Darstellungen von Frauen im Umfeld ˘ hethitischer Herrscher

1.

Einführung

Historische Quellen sprechen nicht für sich selbst, sondern sind immer in ihren kulturellen, politischen und sozialen Kontexten zu betrachten. Dies trifft in besonderem Maße auf die Schriftquellen zu, die Informationen über Frauen aus dem hethitischen Herrscherhaus enthalten. Es gilt zu bedenken, von wem die Texte stammen, die unser Bild dieser Frauen prägen – in wessen Auftrag und mit welcher Intension die Aussagen über ihre Taten aufgezeichnet wurden. Bei der Überprüfung (unkritisch) übernommener Zuschreibungen stellt sich darüber hinaus die Frage, wie viel Macht und Einfluss Frauen aus antiken Herrscherfamilien seitens der modernen Historiographie zugetraut wird. Nach hethitischer Sicht wurde der Großkönig vom obersten Gott, dem Wettergott, zur Herrschaft des in göttlichem Eigentum stehenden Landes eingesetzt.1 Er war für das gedeihliche Leben im Land verantwortlich, verfügte über politische und militärische Macht, war oberster Priester und höchster Richter.2 Seine Hauptfrau, die ebenfalls oberste Priesterin war,3 trug den Titel Großkönigin und konnte dieses Amt auch nach dem Tod ihres Ehemannes unter dessen Nachfolger ausüben. Erst nach ihrem Tod (oder wenn sie das Amt aufgrund eines Rechtsspruchs verloren hatte) wurde die Hauptfrau des amtierenden Großkönigs selbst Großkönigin.4 Während die Aktivitäten der meisten hethitischen Herrscher 1 IBoT 1.30 Vs. 1–8, Übersetzungen bieten z. B. Haas, Religion, S. 189f.; Beckman, Royal Ideology, S. 530. 2 Zu den Ämtern und Aufgaben der hethitischen Großkönige siehe Beckman, Royal Ideology, S. 532f.; Bilgin, Officials and Administration, S. 15–22. 3 Taggar-Cohen, Priesthood, S. 444f.; vgl. auch Imparati, Organisation, S. 323. 4 Diese Praxis ist z. B. durch die verschiedenen Titulaturen der Königin Tawananna auf den Gemeinschaftssiegeln mit ihrem Gemahl, dem Großkönig Sˇuppiluliuma I., sowie mit dessen Nachfolgern Arnuwanda II. und Mursˇili II. bezeugt; siehe dazu den Kommentar zu den Siegellegenden BoHa 23 Nr. 16–19. 23–27. 29–35 in Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 70–73. Tawanannas Biographie wird im Abschnitt 3.2.2 ausführlicher thematisiert.

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durch zahlreiche Keilschrifttexte5 sowie Siegelinschriften6 gut dokumentiert sind, fallen die Informationen über die Königinnen sehr unterschiedlich aus. Umfangreiches Quellenmaterial liegt allein für die großreichszeitliche Königin Puduhepa vor, die auch über die Hethitologie hinaus bekannt ist. Von manchen ˘ Frauen, die lediglich in Opferlisten für die königlichen Ahnen genannt sind oder auf Gemeinschaftssiegeln mit hethitischen Großkönigen auftreten, wissen wir hingegen kaum mehr als ihren Namen. Im Folgenden wird das Bild, das die Quellen von Puduhepa zeichnen, den Eindrücken gegenübergestellt, die uns aus ˘ der Sicht hethitischer Herrscher über einige andere Frauen der Königsfamilie vermittelt werden (sollen).

2.

Geachtet und hoch angesehen – Puduhepa ˘

Bislang ist nur eine hethitische Großkönigin bekannt, von der eine ganze Anzahl eigener – bzw. in ihrem Auftrag erstellter – Schriftquellen erhalten sind. Es handelt sich um Puduhepa, die Gemahlin des Hattusˇili III., der von 1265 bis etwa ˘ ˘ 1240 v. Chr.7 als Großkönig über das Hethiterreich herrschte. Sie ist die Tochter des Bentipsˇarri, der in Lawazantiya, einer im nordöstlichen Kizzuwatna8 gelegenen Ortschaft, Priester der hurritischen Göttin Sˇausˇga (Isˇtar) war. Über ihre Heirat wissen wir aus der Apologie des Hattusˇili III. (CTH9 81) §§ 8–910 Fol˘ gendes: Hattusˇili, damals noch König der zentralanatolischen Stadt Hakmisˇ, ˘ ˘ hatte seinen Bruder, den Großkönig Muwatalli II., im Jahre 1275 v. Chr. während der Schlacht bei Qadesˇ als Truppenkommandeur gegen die Ägypter unterstützt. Sein Rückweg führte ihn über Lawazantiya, um seine persönliche Göttin, die Isˇtar

5 Das hethitische Schrifttum ist vorwiegend auf Keilschrifttafeln überliefert, von denen die meisten (circa 30.000 Tafeln bzw. -fragmente) aus den Palast- und Tempelarchiven der Hauptstadt Hattusˇa kommen. Es handelt sich um Dokumente mit religiösem, historischem, ˘ administrativem, juristischem und gelehrtem Inhalt. „Die Dokumentation stammt damit aus Orten, in denen Macht ausgeübt wurde, und sie war entsprechenden ideologischen Bedingungen wie auch einer bestimmten Zwecksetzung unterworfen.“, Imparati, Organisation, S. 320. Private Texte und die alltägliche Buchhaltung wurden vermutlich mit Tinte in anatolischer Hieroglyphenschrift auf Holztafeln niedergeschrieben und sind nicht erhalten; dazu ausführlich Waal, They wrote on wood. 6 Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 1f. 7 Diese und die folgenden Jahreszahlen sind nur als annähernde Werte zu verstehen und folgen der in der Hethitologie gebräuchlichen kurzen Chronologie, nach der die Eroberung Babylons durch Mursˇili I. im Jahr 1531 v. Chr. stattfand. 8 Kizzuwatna ist in Südostanatolien auf dem Gebiet der kilikischen Ebene zu lokalisieren. 9 Kosˇak, Silvin / Müller, Gerfrid G. W. / Görke, Susanne / Steitler, Charles hethiter.net/: Catalog (2020–01–27) (http://www.hethport.uni-wuerzburg.de/CTH). 10 Otten, Apologie, S. 14–17.

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von Sˇamuha, zu verehren. Dabei forderte die Göttin ihn in einem Traum dazu ˘ auf, Puduhepa zur Frau zu nehmen. ˘

„Da nahm ich die Tochter des Bentipsˇarri, des Priesters, (namens) Puduhepa auf Geheiß ˘ der Göttin zur Ehe. Und wir hielten zusammen und uns gab die Gottheit die Liebe des 11 Gatten (und der) Gattin und wir schenkten uns Söhne und Töchter.“

Puduhepa residierte mit ihrem Gemahl zunächst als Königin in Hakmisˇ (KUB I 1 ˘ ˘ + iii 12–13) bis Hattusˇili III. seinen Neffen Mursˇili III./Urhi-Tesˇsˇub, den Nach˘ ˘ folger Muwatallis II., vom Thron stürzte und ab 1265 v. Chr. selbst als Großkönig in Hattusˇa herrschte. Sie führte neben den Titeln „Großkönigin“ und „Königin ˘ des Landes Hatti“ auch die Titel „Tochter der Stadt Kummanni“12 und „Tochter ˘ des Landes Kizzuwatna“13, die auf ihre Herkunft verweisen.14 Als Großkönigin war Puduhepa auch oberste Priesterin und nahm aktiv am ˘ religiösen Kult teil. Dies belegen z. B. ihre Gebete an die oberste Göttin des hethitischen Pantheons, die Sonnengöttin von Arinna (CTH 383, 384) sowie ihre Gelübde (CTH 585, 586). In Letztgenannten erbat sie Gesundheit und langes Leben für Hattusˇili, der seit jungen Jahren ständig kränkelte, und versprach dafür ˘ verschiedenen Gottheiten, sie mit Stiftungen auszustatten. Außerdem sorgte sie für die Übernahme hurritischer Kulte, indem sie aus verschiedenen selbständigen kizzuwatnäischen Festen das große (h)isˇuwa-Festritual (CTH 628) kompi˘ lieren ließ. Sie stiftete das Fest zu Ehren des Wettergottes für das Wohl der königlichen Familie und das Kriegsheil ihres Gemahls und verfügte, dass es jährlich gefeiert werden sollte.15 „Als die Königin Puduhepa den Walwaziti, den Obertafelschreiber, in Hattusˇa nach ˘ ˘ Tafeln aus Kizzuwatna zu suchen beauftragt hat, da hat er daraus (aus dem Biblio16 theksbestand ) diese Tafeln des (h)isˇuwa-Festes an jenem Tage angefertigt.“17 ˘ 11 KUB 1.1+ iii 1–4 (zitiert nach Otten, Apologie, S. 17). Ob diese Textstelle als Hinweis auf eine besondere Zuneigung zwischen den Eheleuten zu werten ist, wird diskutiert; vgl. HutterBraunsar, Liebe und Politik, S. 115–117. 12 KUB 15.17+KUB 31.61 Vs. i 1 (CTH 585.A); KUB 15.16 Vs. 2 (CTH 585.B); Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, BoHa 23 Nr. 86, S. 81. 183. Kummani ist eine bedeutende Kultstadt in Kizzuwatna. 13 In hieroglyphen-luwisch (ká-zuwa-na REGIO FILIA) findet sich dieser Titel auf der Inschrift des Felsreliefs von Fıraktın. Auch Puduhepas Siegelinschrift der silbernen Vertragstafel des ˘ ägyptisch-hethitischen Staatsvertrags zwischen Hattusˇili III. und Ramses II. soll die Herkunftsangabe „Tochter des Landes Kizzuwatna“˘ enthalten haben. Die Tafel ist zwar nicht erhalten, aber die ägyptische Fassung des Vertrages beschreibt die Siegel von Hattusˇili und ˘ Puduhepa mitsamt ihren Inschriften, Edel, Vertrag, S. 82f. §§ 28–29. ˘ Puduhepa, S. 14–16. 14 Otten, 15 Haas, Religion, S. 848–875 bietet einen Überblick über die Ritualhandlungen. 16 Haas, Religion, S. 848. 17 Rekonstruierter Kolophon des (h)isˇuwa-Festrituals (zitiert nach Wegner / Salvini, (h)isˇuwa˘ ˘ Fest, S. 4).

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Puduhepas religiöse Aktivitäten sind auch auf dem Felsrelief von Fıraktın18 do˘ kumentiert. Dort ist das Großkönigspaar Hattusˇili III. und Puduhepa (durch ˘ ˘ hieroglyphen-luwische Beischriften namentlich ausgewiesen) bei der Durchführung von Opferhandlungen dargestellt. Beide stehen jeweils vor einem Altar und spenden der auf der anderen Seite des Opfertisches befindlichen Gottheit ein Trankopfer. Hattusˇili libiert vor einer männlichen, Puduhepa vor einer weibli˘ ˘ chen Gottheit. Aus der Beischrift DEUS hi geht hervor, dass es sich um die Göttin ˘ Hepat handelt, die in einem Gebet der Puduhepa auch als Sonnengöttin von ˘ ˘ Arinna angerufen wird.19 Die Verbundenheit mit der Göttin Hepat findet auch ˘ darin Ausdruck, dass der Name der Göttin im Namen der Königin enthalten ist.20 Da König und Königin auf dem Relief in gleicher Weise wie die gehuldigten Gottheiten gekleidet sind, könnten sie bei der Ausübung ihrer priesterlichen Tätigkeiten dargestellt sein.21 Bemerkenswert ist, dass bislang keine weiteren Darstellungen hethitischer Königinnen auf Felsreliefs bekannt sind. Puduhepa war als Großkönigin auch am verwaltungspolitischen Leben be˘ teiligt. Dies bezeugen z. B. ihre Siegelabdrücke auf Tonbullen aus dem Westbau des Nis¸antepe-Archivs in Hattusˇa, das möglicherweise als königliches Kataster˘ amt22 fungierte. 13,93 Prozent der 2095 großköniglichen Siegelungen aus diesem Archiv sind Abdrücke von vier Einzelsiegeln der Puduhepa, fünfzehn gemein˘ samen Siegeln mit Hattusˇili III. und zwei weiteren mit Tuthaliya IV.23 Zusätzliche ˘ ˘ Belege bieten Texte wie die Erklärung des Kurunt(iy)a (CTH 96), der angibt, dass er von Hattusˇili und Puduhepa gemeinsam in Tarhuntasˇsˇa eingesetzt wurde.24 ˘ ˘ ˘ Ferner verfasste Puduhepa einen Brief an Tattamaru (CTH 180), den Mann ihrer ˘ verstorbenen Nichte, in dem es um die Gestaltung des familiären Verhältnisses nach dem Tod seiner Frau geht.25 In der Außenpolitik spielte Puduhepa während der Regierungszeit Hattusˇilis ˘ ˘ III. eine wichtige Rolle. Aus dem ägyptischen Text des 1259 v. Chr. geschlossenen Staatsvertrages zwischen Ramses II. und Hattusˇili III. ergibt sich, dass die aus ˘ Hattusˇa stammende silberne Vertragstafel mit Siegeln von Hattusˇili und Pudu˘ ˘

18 Ehringhaus, Felsreliefs, S. 59–64. 19 KUB 21.27 i 1–6 (CTH 384.1). 20 Auf den Siegeln BoHa 23, Nr. 86 und Nr. 11 ist der Name der Königin mit den Zeichen Pudu-dhé-pát geschrieben. 21 Vgl. ˘Bryce, Kingdom, S. 287. 22 Singer, Royal land registry, Spalte 6–8. 23 Einen kurzen Überblick über weitere Siegelungen der Puduhepa bietet Bawanypeck, Kö˘ niginnen, S. 51f. mit Literatur in Anm. 6–11. 24 Güterbock, Siegel aus Bog˘azköy 2, S. 10f. 82 (Text Nr. 1). 25 Hoffner, Letters, S. 364f. (Nr. 121). Zur Möglichkeit, dass dieser Tattamaru ein Sohn des Prinzen Sˇahurunuwa war, siehe van den Hout, Ulmitesˇub-Vertrag, S. 117–119. ˘

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hepa beurkundet war.26 Nach dem Vertragsschluss kam es zu einem umfang˘ reichen Briefwechsel zwischen dem hethitischen und ägyptischen Hof 27, der belegt, dass Puduhepa mit Ramses, dessen Mutter Tu¯ja und Gattin Naptera ˘ korrespondierte und Briefe, die sich an Hattusˇili richteten, zugleich auch an sie ˘ geschickt wurden. Die hethitische Großkönigin wird als Schwester bezeichnet, parallel zu dem Titel Bruder, der sich auf den hethitischen Großkönig bezieht und der Anrede gleichrangiger Herrscher dient.28 Inhaltlich geht es z. B. um den Austausch von Geschenken (KBo 28.17, CTH 164; CTH 167; CTH 168), von Ärzten und Arzneien (z. B. CTH 164.2; 164.3) und den Verbleib des exilierten Urhi-Tesˇsˇub/Mursˇili III. (KUB 3.47(+)KUB 3.58, CTH 164). Die Heiratsbriefe, die ˘ zwischen Ramses, Hattusˇili und Puduhepa ausgetauscht wurden (CTH 157–160) ˘ ˘ betreffen die Hochzeit einer hethitischen Prinzessin mit Ramses, die dreizehn Jahre nach Abschluss des Staatsvertrages stattfand. Sie thematisieren die Hochzeitsvorbereitungen, den Austausch von Mitgift und Brautgeschenken und die Stellung der hethitischen Prinzessin am ägyptischen Hof. Dynastische Verbindungen waren ein gebräuchliches Mittel, um gute internationale Beziehungen mit gleichrangigen Herrschern oder Vasallenkönigen einzugehen oder aufrechtzuerhalten.29 Unter Puduhepa kam es auch zu anderen politischen Ehe˘ schließungen, z. B. mit den Herrscherfamilien von Amurru30 und Isˇuwa31, vermutlich auch mit dem babylonischen Königshaus32. Puduhepa blieb nach Hattusˇilis Tod unter seinem Nachfolger Tuthaliya IV. als ˘ ˘ ˘ Großkönigin im Amt und war weiterhin politisch aktiv. Dies belegen Abdrücke von Gemeinschaftssiegeln33 und verschiedene Dokumente: z. B. der gemeinsam mit Tuthaliya herausgegebene Erlass zugunsten des Sˇahurunuwa (CTH 225), ˘ ˘ Puduhepas Edikt über einen Streitfall anlässlich eines Schiffbruchs in Ugarit in ˘ 34 Form eines Briefes an Ammistamru II. (CTH 95 ) sowie ihr Brief an Niqmaddu III. von Ugarit (CTH 18935). Puduhepa war eine einflussreiche Persönlichkeit, von deren langem Wirken ˘ die Quellen ein sehr positives Bild zeichnen. Es scheint als hätte Hattusˇili sie als ˘

26 Dazu bereits Anm. 13 mit Literaturangabe. Nach der ägyptischen Beschreibung handelt es sich um zwei Siegel vom Typus „Umarmungsszene“. Zu diesem Siegeltyp siehe Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 53–60, insbes. S. 57 zu Hattusˇili und Puduhepa. ˘ ˘ 27 Edel, Korrespondenz Band 1 und 2. 28 Imparati, Organisation, S. 379. 29 Imparati, Organisation, S. 380f. 30 Klengel, Geschichte, S. 260; Bryce, Kingdom, S. 268. 31 Bryce, Kingdom, S. 268. 32 Klengel, Geschichte, S. 272; vgl. auch Bryce, Kingdom, S. 286. 33 Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, BoHa 23 Nr. 110–111, S. 82f. 197f. 34 Bryce, Kingdom, S. 286f. 35 Singer, Ugarit, S. 693f.

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Ehefrau geachtet und in ihren politischen Tätigkeiten unterstützt. Sie war eine machtvolle Großkönigin, die auch international hohes Ansehen genoss.36

3.

Ewig schuld – Das Bild ehrgeiziger Frauen aus dem Königshaus

Wie aber sieht unser Bild von hethitischen Großköniginnen und anderen hochrangigen Frauen aus der Königsfamilie aus, von denen keine eigenen Schriftquellen überliefert sind? Hier erwecken die Überlieferungen den Eindruck, dass die Frauen die Verantwortung für Krisen im Herrscherhaus trugen, herrschsüchtig waren und auch vor Übeltaten nicht zurückschreckten. Allen Texten gemeinsam ist, dass sie die Ereignisse jeweils aus der Perspektive männlicher Machthaber schildern. Im Folgenden werden sie in ihrer chronologischen Abfolge behandelt, angefangen mit einigen Passagen aus historischen Schilderungen der althethitischen Zeit (ca. 1600–1500 v. Chr.), die Schuldzuweisungen an Frauen aus der königlichen Familie enthalten. Anschließend wird es um Berichte über drei Großköniginnen gehen, denen Zauberei und andere Vergehen vorgeworfen wurden.

3.1

Schuldzuweisungen in historischen Schilderungen

Am Beginn stehen zwei Dokumente des althethitischen Herrschers Hattusˇili I., ˘ der in der Mitte des 16. Jh. v. Chr. regierte. Sie sind unter den Bezeichnungen „Der Erlass des Hattusˇili“ und „Das politische Testament des Hattusˇili“ bekannt und ˘ ˘ richten sich belehrend an die Oberen des Reiches und seinen jungen Enkel, Mursˇili I., den er adoptiert und zu seinem Nachfolger bestimmt hatte. In Form verschrifteter Reden Hattusˇilis sind sie durch junghethitische Abschriften (ver˘ mutlich althethitischer Originale) aus Hattusˇa überliefert. Das Testament Hat˘ ˘ tusˇilis wurde – wie auch einige andere historiographische Texte der althethitischen Zeit – als Bilingue in akkadisch und hethitisch abgefasst.37 Beide Texte enthalten Schilderungen in denen Frauen aus der Königsfamilie die Schuld an innenpolitischen Unruhen zugewiesen wird.

36 Vgl. auch die Darstellung bei Bryce, Kingdom, S. 286–289. 37 Vgl. z. B. die Annalen des Hattusˇili I. (CTH 4) und den Telipinu-Erlass (CTH 19). ˘

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3.1.1 Der Erlass des Hattusˇili I. (CTH 5) ˘ In seinem Erlass fordert König Hattusˇili I. die Untergebenen auf, seinen Ent˘ scheidungen Folge zu leisten, da sonst drastische Strafen verhängt würden. Der Anfang liegt nur fragmentarisch vor. Der erhaltene Text setzt mit einer Passage ein, die demjenigen eine grauenhafte Todesstrafe androht, der es wagen sollte, den Namen der vom Königshof verbannten Tawananna oder ihrer Kinder zu nennen. „In Zukunft darf niemand [den Namen] der Tawananna aussprechen! Die Namen ihrer Söhne [(und) ihrer Töchter38] darf niemand aussprechen! Wenn einer der Söhne [ihren Namen ausspricht], sollen sie seine Kehle durchschneiden und ihn a[n seiner] Tür aufhängen. Wenn einer unter meinen Dienern ih[ren] Namen ausspricht, ist er nicht mein Diener! Sie sollen [seine] Kehle durchschneiden und ihn an seiner Tür aufhängen!“ „Hierbei habe ich euch Mursˇili (für die Königswürde) gegeben. Den Thron seines Vaters soll er nehmen. Mein Sohn ist nicht (mehr) mein Sohn! Aber [e]ure, meiner Diener Sip[pe], sei eins wie die des Wolfes! Aber wer auch immer (das Wort) umkehrt – (seien es) die Palastgardisten, die Nebensöhne und auch die M.-Männer39, die das Wort des Königs umkehren – die [sollen] ver[flucht sein!] Die Höflinge di[ffamieren] sein W[ort?] – der Höfling, der (das Wort) umkehrt, seine Kehle sollen sie durchschneiden und ihn a[n seiner] Tür [aufhäng]en!“40

Tawananna ist sowohl als weiblicher Eigenname als auch als Titel hethitischer Königinnen belegt und scheint das Gegenstück zum großköniglichen Titel Tabarna bzw. Labarna zu bilden.41 Der Titel Tawananna tritt häufig in kultischen Kontext ohne Nennung des Personennamens der Trägerin auf.42 Einiges spricht dafür, dass Tawannana im vorliegenden Text als Titel gebraucht ist. Welche Frau aus dem Herrscherhaus sich dahinter verbirgt, wurde vielfach diskutiert.43 Überwiegend wird davon ausgegangen, dass es sich um die Tochter Hattusˇilis I. ˘ handelt, der auch eine Episode in seinem politischen Testament gewidmet ist44 (siehe dazu ausführlicher unter Abschnitt 3.1.2.2). Diese Frage kann hier offen bleiben, da dem Text kein konkretes Vergehen der Tawananna zu entnehmen ist. 38 So auch de Martino, KBo III 27, S. 55. Haas, Literatur, S. 65 zieht als Ergänzung auch „Enkelsöhne“ in Betracht. 39 Oder „Köche“ (so de Martino, KBo III 27, S. 55; Haas, Literatur, S. 66; siehe auch Gilan, Formen und Inhalte, S. 101 Anm. 379). 40 KBo 3.27 Vs. 6’–21’ (zitiert nach Gilan, Formen und Inhalte, S. 100f.). Zu KBo 3.27 siehe auch de Martino, KBo III 27; Gilan, Formen und Inhalte, S. 99–103; Haas, Literatur, S. 65f. 41 Klinger, Kultschicht, S. 214f. 42 Bilgin, Officials and Administration, S. 23. 43 Siehe z. B. de Martino, KBo III 27, S. 58–60 und Gilan, Formen und Inhalte, S. 89–90 mit Anm. 340. 44 So z. B. Bin-Nun, Tawananna, S. 72–75; de Martino / Imparati, Sifting, S. 392–395; Gilan, Formen und Inhalte, S. 89–90.

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Vielmehr scheint sie als Mutter eines möglichen Thronfolgers45 eine Bedrohung für Hattusˇilis neuernannten Nachfolger Mursˇili I. darzustellen und man wollte ˘ sich ihrer durch die Verbannung entledigen. 3.1.2 Das politische Testament des Hattusˇili I. (CTH 6)46 ˘ Ähnliche Schilderungen finden wir in Hattusˇilis „politischem Testament“, das ˘ ebenfalls die Thronfolge zugunsten des Mursˇili I. regelt und Verhaltensregeln aufstellt, die das Königshaus festigen sollen. 3.1.2.1 Vorwürfe gegen die Schwester des Hattusˇili I. ˘ Hattusˇili widerruft die Thronfolge des Labarna, des Sohnes seiner Schwester, den ˘ er aufgezogen hatte. Er wirft ihm u. a. eine Verschwörung mit seiner Mutter und den Geschwistern vor. „Den Rat des Königs hat er nicht angenommen, sondern er befolgte immer wieder den Rat seiner Mutter – der Schlange! Seine Brüder und Schwestern schicken ihm frostige Worte zu und auf deren Rat hört er ständig. Allerdings erfuhr ich, der König, (davon) und stritt einen Streit.“ Hattusˇili enthebt Labarna von der Thronfolge mit den Worten ˘ „Aber genug davon! Er ist nicht (mehr) mein Sohn!“ und fährt dann fort „Seine Mutter indes brüllte wie ein Rind: ‚Lebend aus meinem Schoß hat man das Stierkalb ausgerissen und entfernte ihn! Du wirst ihn töten!‘“47 Des Weiteren warnt Hattusˇili seine Untergebenen vor Gefahren, die zukünftig von sei˘ nem Neffen ausgehen könnten „Seine Mutter ist eine Schlange! Er wird kommen und beginnen, (nur) den Worten seiner Mutter, seiner Brüder und Schwestern zu gehorchen. Und er wird kommen und beginnen Rache zu suchen. [Und was meine Truppen], meine Großen und meine Diener betrifft, die zum König ha[lten, wird er schwören]: ‚Sie werden wegen des Königs sterben‘. Er wird kommen und sie ve[rnichten]. Er wird beginnen, Bluttaten zu begehen, und [wird sich nicht] fürchten.“48

Hattusˇili setzt seinen Neffen Labarna nicht nur ab, sondern verbannt ihn aus ˘ Hattusˇa. Allerdings stattet er ihn auch mit Besitz aus und erlaubt ihm nach ˘ Hattusˇa zu kommen, solange er keine Unruhe stiftet.49 ˘

45 Klinger, Testament, S. 144 Anm. 10; vgl. auch Giorgieri, Verschwörungen, S. 360: „Es ist zu beobachten, daß nicht selten einflussreiche Königinnen und Prinzessinnen eine entscheidende Rolle bei diesen Verschwörungen gespielt haben, insbesondere in bezug auf das Problem der Ernennung des Thronfolgers.“ 46 Gilan, Formen und Inhalte, S. 66f. bietet einen kurzen Überblick über die Editionsgeschichte. 47 KUB 1.16+KUB 40.65 Vs. ii 9–16 (zitiert nach Gilan, Formen und Inhalte, S. 68–69). 48 KUB 1.16+KUB 40.65 Vs. ii 20–25 (zitiert nach Gilan, Formen und Inhalte, S. 70). 49 Vgl. KUB 1.16+KUB 40.65 Vs. ii 31–36.

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3.1.2.2 Vorwürfe gegen die Tochter des Hattusˇili I. ˘ In demselben Text berichtet Hattusˇili auch über einen Nachfolgestreit, der von ˘ seiner Tochter ausgegangen sein soll. Nach dem Tod seines Sohnes Huzziya, der ˘ als Gouverneur von Tappasˇsˇanda durch die lokale Aristokratie gegen seinen Vater aufgestachelt worden war (KUB 1.16+KUB 40.65 Vs. ii 63–67), hätte seine Tochter einen ihrer eigenen Söhne auf dem Thron sehen wollen. „[Aber ich, der König], ergriff [Huzziya nic]ht, sondern die Einwohner von Hattusˇa ˘ ˘ [tötet]en [Huzziya].50 Danach ergriffen sie (meine) Tochter. Und weil diese [männliche] ˘ Nachkommenschaft [hatte,] feindeten sie [mich] an: [‚Für den Thron] deines Vaters [ist kein Sohn vorhanden. Ein Di]ener wird sich (auf den Thron) setzen, ein Diener [wird König.‘ Und sie] verleitete Hattusˇa und die großen [Häuser zum Abfall. Mir gegenüber] ˘ wurden [meine (eigenen) Diener] und meine (eigenen) Höflinge feindlich. Sie [vers]etzte [nämlich das ganze Land in Aufru]hr.“51

Die weitere Schilderung (KUB 1.16 +KUB 40.65 Vs. ii 75–Rs. iii 12) ist fragmentarisch erhalten. Hattusˇili scheint der Tochter vorzuwerfen, dass sie auf˘ rührerisch war und es infolgedessen zu Blutvergießen in Hattusˇa kam. Aus ˘ diesem Grund schickte er sie in die Verbannung. „[Die Tochter schmähte meine Person] und meinen Namen [so dass ich, der König, die Tochter n]ahm und [ jene] aus Hattusˇa [herab brachte] hierher. Ich legte Land aufs ˘ Land, ich legte [Rind aufs Rind] – sie hat das Wort des Vaters missachtet [und der Einwohner von Hattusˇa], ihr [Bl]ut hat sie getrunken. Jetzt aber [ist sie aus der Stadt ˘ verbannt! Sob]ald sie in mein Haus kommt, [wird sie] mein Haus [umstürzen; soba]ld sie aber nach Hattusˇa kommt, wird sie [diese (Stadt) wieder zur Re]volte verleiten. Auf ˘ dem Lande (ist) ihr [ein Haus zugete]ilt, so dass sie essen und [trinken] soll!“ Die Episode endet mit den Worten „Sie [nannte] mich [nicht] Vater, ich nenne sie nicht (mehr) meine Tochter!“52

Amir Gilan hat in seiner Untersuchung zur didaktisch-politischen Literatur der althethitischen Zeit festgestellt, dass die Texte vor allem der Erziehung des jungen Mursˇili zum Thronfolger sowie der Belehrung der politischen Gemeinschaft dienten. „In seiner ‚Rede‘ offenbart Hattusˇili seine politische Klugheit und legt ˘ die Gründe für die Absetzung Labarnas offen. Historische Beispiele und Anekdoten werden angeführt, um Hattusˇilis Entscheidungen zu legitimieren und ˘ seine politischen Ratschläge zu untermauern.“53

50 Anders z. B. Klinger, Testament, S. 144; Haas, Literatur, S. 62 und Beckman, Bilingual Edict, S. 80, die Zeile 68 im Sinne von „lch, [der König,] setzte [daraufhin den Huzziya ab]“ ˘ ergänzen.

51 KUB 1.16+KUB 40.65 Vs. ii 68–74 (zitiert nach Gilan, Formen und Inhalte, S. 75). 52 KUB 1.16+KUB 40.65 Rs. iii 13–22, 25 (zitiert nach Gilan, Formen und Inhalte, S. 77f.). 53 Gilan, Formen und Inhalte, S. 94; vgl. auch Giorgieri, Verschwörungen, S. 363f.

62

Daliah Bawanypeck

Auf diese Weise wollte der Herrscher seine Untergebenen von seinen Argumenten überzeugen. Anhand der Beispiele der beiden Frauen aus dem Herrscherhaus sollten den Einwohnern Hattusˇas die negativen Folgen vor Augen ˘ geführt werden, die sich aus der Nichtachtung königlicher Weisungen ergeben. Indem die Machtkämpfe ausgiebig (aber einseitig aus der Sicht des obsiegenden Herrschers) geschildert, die unheilvollen Auswirkungen für die Höflinge betont und die Frauen mit drastischen Worten („Seine Mutter ist eine Schlange!“) als Intrigantinnen dargestellt wurden, legitimierte der König seine eigenen Entscheidungen. Die Einführung der neuen Thronfolgeregelung wurde dadurch gerechtfertigt, dass es galt, die Söhne der Frauen, die zum Schaden des Landes gehandelt hätten, von der Herrschaft auszuschließen.

3.2

Anklagen wegen Zauberei und anderer Vergehen

Eine weitere beliebte Taktik, Frauen aus der Königsfamilie Schuld zuzuweisen, bestand darin, sie der Zauberei zu bezichtigen.54 Auch hier geben die Quellen jeweils die männliche Sicht wieder. 3.2.1 Der Fall der Ziplantawiya, der Schwester des Tuthaliya I. ˘ Ein solcher Vorwurf wurde z. B. gegen Ziplantawiya erhoben, die Schwester des Königs Tuthaliya I.(/II.), der in der mittelhethitischen Zeit, gegen 1400 v. Chr. ˘ herrschte. Dies geht aus einem Ritual hervor, das für Tuthaliya und seine Ehefrau ˘ Nikkalmadi durchgeführt wurde (CTH 443.155). Damit sollte das Unheil abgewendet werden, das dem Königspaar und seinen Kindern aufgrund einer Verfluchung vor der Sonnengottheit des Blutes und dem Wettergott drohte. Der Text weist die Besonderheit auf, die Ritualmandanten und die Schadensverursacherin namentlich zu nennen.56 Dahinter könnte die Intension stehen, das Ritual zu historisieren und die Tat der Ziplantawiya dauerhaft zuzuschreiben.57 54 Vgl. auch Hutter, Magische Rituale, S. 32: „Wie eng Religion und Politik in den Kulturen des Alten Vorderen Orients ineinander verflochten sind, wird etwa an jenen Fällen sichtbar, welche zeigen, wie magische Handlungsweisen verwendet werden, um … politische Widersacher auszuschalten.“ Allerdings bezieht sich das Zitat von Hutter auf die Ausübung von Schadenszauber und nicht darauf, dass eine politische Widersacherin durch die Bezichtigung von Zauberei ausgeschaltet werden sollte. 55 Zur Editionsgeschichte siehe Görke, hethiter.net/: CTH 443.1 (INTR 2013-12-19). 56 Ritualtexte sind in der Regel Handlungsanweisungen, wie zu bestimmten Anlässen rituell zu verfahren ist. Sie sind nicht an bestimmte Ritualmandanten oder Schadensverursacher gebunden, sondern werden offen formuliert, damit sie bei Vorliegen gleicher Ausgangssituationen für unterschiedliche Personen durchgeführt werden können. 57 Vgl. Christiansen, Entsühnungsritual, S. 100.

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63

„Die bösen (und) verhexte[n] Zungen, [di]e Zi.58 gerade machte, haben wir jetzt hiermit in Honig gegeben. Sonnengott des Blutes und Wettergott, sei[d] besänftigt! Und diese bösen (und) verhexten Zung[en] sollen sich [weg]wenden von meinem Herrn zusammen mit seiner Frau, seinen Söhnen, seinem Haus. Sie sollen Zi. u[nd ihre Söhne halt]en. Meinem Herrn aber, seiner Frau (und) seinen Söhnen sollen sie Leben, Helden[haftigkeit] (und) Manneskraft geben! Und die Götter sollen ihm gezückte [Waf]fen geben! Er soll Kinder und Enkel aufziehen, und das Land soll sich sättigen!“59

Der Grund, aus dem Ziplantawiya zum Schaden ihres Bruders und seiner Familie gehandelt haben soll, wird nicht genannt. Auch in diesem Fall könnten Streitigkeiten um die Thronfolge den Hintergrund der Anschuldigung bilden.60 Der Verweis auf die Nachkommenschaft und das Gedeihen des Landes deutet darauf hin, dass der Konflikt nicht nur eine Familienstreitigkeit betraf sondern eine politische Dimension hatte.61 Hinzu kommt, dass die behexten Zungen (d. h. die Verfluchungen) sowohl auf Ziplantawiya als auch ihre Söhne (als mögliche Konkurrenten um den Thron?) zurückgewendet werden sollten. Der Siegelabdruck Bo 99/6962 weist Tuthaliya I. als Sohn eines Mannes namens ˘ Kantuzzili aus. Das Siegel trägt die Inschrift: „Siegel des Tuthaliya, des Groߢ königs, Sohn des Kantuzzili“. Der Name Kantuzzili ist in Texten und auf Siegeln mehrfach belegt.63 Tuthaliyas Vater dürfte der ältere Kantuzzili sein, der mit ˘ Himuili zusammen Muwatalli I. ermordet hatte.64 Ob Kantuzzili selbst jemals ˘ König war und wie Tuthaliya nach der Ermordung Muwatallis auf den Thron ˘ gelangte, ist bislang nicht bekannt.65 Unklar ist auch die familiäre Verbindung von Tuthaliya I. zu seinem Nach˘ folger Arnuwanda I. Das gemeinsame Siegel von Arnuwanda und Asˇmunikkal trägt folgende Inschrift: „Siegel des Tabarna Arnuwanda, des Großkönigs, Sohn des Tut[haliya …] Siegel der Tawananna Asˇmunikkal, der Großkönigin, ˘ T[ochter der Nikkalmadi …] und Tochter des Tuthaliy[a … ].“66 Die Ergänzung ˘

58 Die Abkürzung Zi. steht für Ziplantawiya, deren Name in Vs. i 13 ausgeschrieben ist. Warum der Name im weiteren Verlauf des Textes abgekürzt wurde, ist unklar. Man könnte an eine Marginalisierung oder Verächtlichmachung der Übeltäterin denken, andererseits werden auch die Namen von Königen und Prinzen manchmal verkürzt geschrieben: z. B. Kán-li für Kantuzzili in CTH 373.A, seinem Gebet an den Sonnengott (KUB 30.10 Vs. i 3). 59 KBo 15.10+KBo 20.42 Vs. i 30–37 (zitiert nach Görke, hethiter.net/:CTH 443.1 § 5). 60 Vgl. auch Szabó, Entsühnungsritual, 88f.; Hutter, Magische Rituale, S. 35; Miller, Black magic, S. 174. 61 So auch Hutter, Magische Rituale, S. 35. 62 Otten, Siegelabdruck. 63 Siehe Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 67 mit Anm. 268. 269. 64 Dazu ausführlicher Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 67. 87f. 65 Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 87f. 66 Güterbock, Siegel aus Bog˘azköy 1, SBo 1 Nr. 60, S. 31f. 68.

64

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der Filiationsangabe „Tochter der Nikkalmadi“ ist durch ihr Einzelsiegel mit der Inschrift „Asˇmunikkal, Großkönigin, Tochter der Nikkalmadi“ gesichert.67 Da das hethitische Recht keine Geschwisterehe erlaubt, ist es unwahrscheinlich, dass Arnuwanda und Asˇmunikkal als die leiblichen Kinder von Tuthaliya ˘ und Nikkalmadi verheiratet waren. Zur Erklärung werden zwei unterschiedliche Lösungen präsentiert: Zum einen wird angenommen, dass der Titel Tawananna die Herrschaftsausübung einer Frau bezeichnet, die aber nicht unbedingt die Ehefrau des herrschenden Königs sein muss. Danach könnte Asˇmunikkal nach dem Tod ihrer Mutter noch zu Lebzeiten des Tuthaliya I. als Tawananna einge˘ setzt worden sein und diese Position während der Regierung ihres Bruders Ar68 nuwanda I. beibehalten haben. Überwiegend geht man aber davon aus, dass Tuthaliya I. seinen Schwiegersohn Arnuwanda I., den Ehemann seiner leiblichen ˘ Tochter Asˇmunikkal, adoptiert hatte.69 In einer Situation, in der sich der Tuthaliya-Zweig der Königsfamilie erst ˘ etablieren musste, erscheint es recht plausibel, dass Familienangehörige wie die Ziplantawiya durch die Bezichtigung der Zauberei als mögliche Rivalin bzw. Mutter eines rivalisierenden Thronanwärters ausgeschaltet werden sollten.70 Durch die namentliche Nennung zu Beginn des Rituals (Vs. i 13) könnte dieser Vorwurf Angehörigen des Hofes publik gemacht worden sein. 3.2.2 Der Fall der Tawananna, der babylonischen Königstochter Eine weitere Königin, die der Zauberei verdächtigt wird, trägt den Namen Tawananna. Sie ist die letzte Frau und Witwe des Sˇuppiluliuma I. (etwa 1355–1321 v. Chr.), des Begründers des hethitischen Großreichs. Ihr Werdegang ist vor allem durch die Legenden der Gemeinschaftssiegel aus dem Nis,antepe-Archiv in Hattusˇa überliefert.71 Sie war eine babylonische Königstochter (DUMU MU˘ NUS.LUGAL KUR KÁ.DINGIR.RA72), die den anatolischen Namen Tawananna sicherlich aufgrund ihrer Heirat mit Sˇuppiluliuma angenommen hat. Im Laufe der Regierungszeit Sˇuppiluliumas wechselt ihr Titel auf den Siegeln von Groß67 Einzelsiegel der Asˇmunikkal SBo I Nr. 77 mit Dublette BoHa 23 Nr. 3; siehe dazu Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 66. 109. Die Inschrift des Einzelsiegels des Arnuwanda SBo I Nr. 76 mit Dublette Bo 83/650 lautet: Siegel des Arnuwanda, des Großkönigs, Sohn des Tuthaliya, des Großkönigs; siehe dazu Otten, Neufunde, 18f. Abb. 13. 14. ˘ 68 Bin-Nun, Tawananna, S. 258f. 69 Beal, Studies, S. 115–119; Beckman, Inheritance, S. 23 mit Anm. 51; vgl. auch Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 85. 70 Vgl. dazu auch Miller, Black magic, 174. 71 BoHa 23 Nr. 16–19 (mit Sˇuppiluliuma I.); Nr. 21–22 (mit Arnuwanda II.); Nr. 29–35 (mit Mursˇili II.); siehe oben Anm. 4. 72 Eventuell eine Tochter des Kassitenkönigs Burnaburiasˇ II.; siehe dazu Klengel, Geschichte, S. 200 mit weiterer Literatur in Anmerkung 287.

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65

prinzessin (REX.FILIA MAGNUS73) zu Großkönigin (MUNUS.LUGAL.GAL und MAGNUS.REGINA74), was wohl darauf zurück zu führen ist, dass sie nach dem Tod von Sˇuppiluliumas Gattin Henti deren Amt als Großkönigin (und Tawan˘ anna) einnahm. Dieses übte sie auch nach dem Tod Sˇuppiluliumas weiter aus, zunächst als Großkönigin ihres Stiefsohnes Arnuwanda II., der nach kurzer Regierungszeit an der Pest starb, danach als Großkönigin ihres Stiefsohnes Mursˇili II. In dieser Zeit scheint es zu einem Machtkampf zwischen der einflussreichen Großkönigin und ihrem Stiefsohn gekommen zu sein. Wie seinem Gebet über die Untaten und die Verbannung der Tawananna (CTH 70.1–275) zu entnehmen ist, bezichtigt Mursˇili sie der Zauberei durch Verfluchung und macht sie für den Tod seiner Gemahlin Gasˇsˇulawiya verantwortlich. Darüber hinaus wirft er ihr vor, den Nachlass Sˇuppiluliumas I. an das „Steinhaus der Götter“ übergeben zu haben, einer Institution deren Kontrolle ihr möglicherweise als Gottesmutter-Priesterin (MUNUSAMA.DINGIR76) bzw. als oberste Priesterin oblag. Außerdem soll sie zu seinen Lasten Ränke in Babylon und Hattusˇa geschmiedet haben. In dem Gebet ˘ betont Mursˇili, dass er und sein Bruder sich zunächst nicht gegen die Tawananna und ihre verwaltungspolitischen Tätigkeiten gestellt hätten. „[When my father] became a [go]d,77 [though], Arnuwan[da, my brother, and I] in no way did Tawannanna wrong, we did [not] demote her [at all]. Just like [she administered] the [pala]ce and the land of Hattusˇa at the time of my father, she ad˘ ministered [them] exactly the same [then, too]. But when my brother, too, [became a god], neither did I [do Tawa]nnanna any [wrong] whatsoever, nor did I [demote] her at all.“78

Später folgt die Aufzählung der verschiedenen Taten, die Mursˇili der Tawananna vorwirft. Die Verfluchung der Gattin Mursˇilis mit dem Ziel sie zu töten, bildet den Höhepunkt seiner Anklage. „[…] she ruined. Do you gods not see how she has diverted my father’s entire estate to the stone monument building of the protective deity (and) to the royal funerary 73 BoHa 23 Nr. 16–19. 74 Auf den Siegeln RS 17.227 (CTH 46: Vertrag des Sˇuppiluliuma I. mit Niqmaddu II. von Ugarit), 17.373, 17.340 (CTH 47: Dekret über die Festlegung des Tributs von Ugarit.); siehe Bawanypeck, Königinnen, S. 56f. 75 Miller, Mursili II’s Prayer; de Martino, Accuse; Singer, Prayers, Nr. 17–18, S. 73–79. 76 Über dieses Amt, das außer Tawananna auch die Großkönigin Tanuhepa innehatte, ist nicht viel bekannt. Tagga-Cohen, Priesthood, S. 380–383 nimmt an, dass˘es sich um einen Titel – analog zum Titel SANGA der Großkönige, die Oberpriester ihres Landes waren – handelt. Miller, Mursili II’s Prayer, S. 542 vermutet, es handele sich um „a sort of ‚Chief Mother Goddess Priestess‘ position for the whole land“. 77 Die Formulierung „zum Gott geworden ist“ bedeutet, dass der König (hier Sˇuppiluliuma I.) gestorben ist. 78 KUB 14.4 Vs. i 5’–10’ (zitiert nach Miller, Mursili II’s Prayer, S. 523f.).

66

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structure of the deity? Moreover, some (of it) she dispatched to Babylon, while other (things) she distributed to the whole population in Hattusˇa. She left nothing behind. Do ˘ you gods not see (this)?“ … „so that she ruined my father’s estate. And then she followed with real maliciousness. Day and night she stands before (you) gods and [she curses my] wife.“79 „She stands day and ni[gh]t before the gods and she curses my wife before the gods, and she […] her, she wishes (her) an evil death, (saying): ‚May she die!‘“80

Mursˇili setzt Tawananna von ihrem Priesterinnenamt ab und verbannt sie. Dabei betont er, er wäre durch Orakelspruch ermächtigt gewesen, sie zu töten. Stattdessen habe er sie (nur) ihres Amtes enthoben und sie in der Verbannung mit Gütern ausgestattet, so dass es ihr gut ginge. „It was determined (by oracle) for me that she should be put to death, and it was determined for me that she be deposed. And even then I did not execute her, so I removed her from the office of Mother Goddess Priestess. And since it was determined that she be deposed, I deposed her, and I gave her an estate. Nothing whatsoever is lacking for her, for her well-being. There is bread and water for her, everything stands at her disposal. She does not lack a thing. She is among the living, she can see the Sun God of Heaven with her eyes, and she eats bread among the living.“81

Diese Teile aus dem langen Gebet82 erwecken den Eindruck, dass Tawanannas Vergehen schwerwiegend genug waren, um sie mit dem Tode zu bestrafen. Die Beweislage wird indes nicht so klar gewesen sein, wie im Text dargestellt. Das Gebet des späteren Herrschers Hattusˇili III. und seiner Gemahlin Puduhepa an ˘ ˘ die Sonnengöttin von Arinna (CTH 383.183) lässt erahnen, dass die Schilderung der Vergehen der Tawananna seitens Mursˇili II. recht einseitig war. Hattusˇili ˘ spricht die Tawananna-Affäre explizit an: „Solange mein Vater Mursˇili am Leben war, falls (da) mein Vater die Götter, meine Herren, durch irgendeine Angelegenheit, durch Hochmut gere[iz]t hat, war ICH aber in jene Angelegenheit meines Vaters nicht involviert, ich war ( ja) noch ein Kind. Als aber im [I]nneren des Palastes der Prozess der Tawannanna, eurer Dienerin, stattfan[d], wie mein Vater die Tawannan[n]a, die Königin, demütigte, was das betrifft, dass jene aber eine Dienerin der Gottheit w[a]r: [(Du bist es), d]ie du [in deinem,] der Gottheit, meiner Herrin, [Si]nn wusstest, [ob die Dem]üt[igung der Königin dein Wu]nsch war [(oder)

79 80 81 82

KUB 14.4 Vs. ii 3’–8’, 11’–13’ (zitiert nach Miller, Mursili II’s Prayer, S. 524f.). KUB 14.4 Rs. iii 18–20 (zitiert nach Miller, Mursili II’s Prayer, S. 526). KBo 4.8 Vs. ii 7’–16’ (zitiert nach Miller, Mursili II’s Prayer, S. 534f.). Zum Zusammenschluss der früheren CTH-Nummern 70 und 71 zu einer gemeinsamen Komposition siehe die Textedition von Miller, Mursili II’s Prayer, bes. S. 540–546. 83 Singer, Prayers, S. 97–99. Zu den Editionen und weiteren Übersetzungen siehe Rieken et al, hethiter.net/:CTH 383.1 (INTR 2016-01-18).

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ob es nicht dein Wu]nsch war. [Jener aber beging] die Demütigung [der Tawannann]a. [Ich aber war] keineswegs [in die Sache involviert84].“85

Die Tatsache, dass Hattusˇili III. sich von den Angelegenheiten seines Vaters ˘ Mursˇili II. distanziert und von den Göttern auf gar keinen Fall für die Absetzung und Verbannung der Tawananna verantwortlich gemacht werden will, deutet darauf hin, dass er von ihrer Schuld nicht überzeugt war und an dem Ergebnis des Prozesses zweifelt. Da er befürchtet, dass der Zorn der Götter über die mögliche Falschbezichtigung auch ihn treffen könnte, will er sich von den Taten seines Vaters entlasten. 3.2.3 Der Fall der Tanuhepa ˘ Tanuhepa war wahrscheinlich die letzte Frau des Mursˇili II. und bekleidete wie ˘ zuvor Tawananna auch das Amt der Gottesmutter-Priesterin. Ihr wurde ebenfalls der Prozess gemacht. Dass einer der Anklagepunkte Zauberei betraf, lässt sich aus KUB 21.3386 (CTH 79) schließen; einem Memorandum, das verschiedene politische Aktionen des Mursˇili III. betrifft. In einem Rückblick wird Tanuhepa ˘ dort (Rs. iv? Z. 18’–22’) in Verbindung mit dem Begriff „Zunge“ (EME) genannt, der Verfluchung bedeutet.87 Einzelheiten über die angeblichen Vergehen der Tanuhepa sind nicht bekannt. ˘ Ihr Werdegang als Großkönigin wird durch die Siegelabdrücke aus dem Nis,antepe-Archiv belegt, wo sie auf Gemeinschaftssiegeln anscheinend mit drei Herrschern auftritt: mit Mursˇili II. (BoHa 23 Nr. 58–60), mit seinem Sohn und Nachfolger Muwatalli II. (BoHa 23 Nr. 46–50) sowie mit dessen Nachfolger Urhi˘ Tesˇsˇub/Mursˇili III.88 Außerdem fand sich in dem Archiv ein Abdruck eines Einzelsiegels der Großkönigin Tanuhepa (BoHa 23 Nr. 65). Auf die Zuordnung ˘ der Siegelabdrücke BoHa Nr. 58–60 zu Mursˇili II. deuten der Wortlaut und die Anordnung der Zeichen in der Keilschriftlegende; die Fundlage der Siegel in Raum 3 des Archivs könnte ein weiteres Argument bieten.89 Michele Cammarosano geht in seiner Studie hingegen davon aus, dass Tanuhepa die Frau Mu˘ watallis II. und Mutter des Kurunt(iy)a war. Er weist die Siegel, die wir stilistisch 90 Mursˇili II. zugerechnet haben, Mursˇili III. zu.

84 85 86 87

Ergänzung dieser Zeile nach Singer, Prayers, S. 98. KUB 21.19 Vs. i 15–28 (zitiert nach Rieken et al., hethiter.net/: CTH 383.1 § 2). Cammarosano, Coregency, S. 172–180. Zur Übersetzung dieser fragmentarisch erhaltenen Passage siehe Cammarosano, Coregency, S. 175. 88 BoHa 23 Nr. 61–64 (Name: Mursˇili); BoHa 23 Nr. 51–52 (Name: Urhi-Tesˇsˇub). 89 Herbordt / Bawanypeck / Hawkins, Königssiegel, S. 78. 91–93. ˘ 90 Cammarosano, Tanuhepa, 50–54; siehe auch Singer, Royal land registry, Spalte 11–12. ˘

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Unabhängig davon, ob Tanuhepa nun die Frau des Muwatalli II. oder dessen ˘ Vaters war, steht nach dem Gebet Hattusˇilis und Puduhepas an die Sonnengöttin ˘ ˘ von Arinna jedenfalls fest, dass sie von Muwatalli durch eine Gerichtsverhandlung im Palast zusammen mit ihren Söhnen und ihrem Gefolge „ruiniert wurde“ bzw. „zugrunde ging“. Da Tanuhepa unter Mursˇili III. wieder als Großkönigin in ˘ Erscheinung tritt, hatte ihr „Ruin“ nicht ihren Tod zur Folge. Anscheinend war sie eine Zeitlang verbannt worden.91 „Als später aber im Inneren des Palastes der Prozess der Danuhepa, deiner Gottes˘ mutter, stattfand, w[ie] er (d. h. Muwatalli) Danuhepa [demütigte], damals zusammen ˘ mit ihren Söhnen auch (ihr) ganzes Gefolge, [sowohl] die Herren als auch die Letzten, (eben ihr) Gefolge zugrun[de ging]: Ob der Untergang der Danuhepa aber für die ˘ Sonnengöttin von Arinn[a, meiner Herrin,] ein Wunsch war (oder) ob er nicht ihr Wunsch war, auch das wusste niemand über die Seele der Gottheit, meiner Herrin. ICH aber war in jene Angelegenheit des Untergangs des Sohnes der Danuhepa nicht in˘ volviert.“92

Hattusˇili III. distanziert sich von dem Prozess seines Bruders Muwatalli II. gegen ˘ Tanuhepa und betont, dass er mit dem Untergang ihres Sohnes nichts zu tun ˘ hatte. Im weiteren Verlauf des Gebets berichtet er, dass sein Bruder bereits verstorben sei und mit seinem Kopf Entschädigung geleistet habe. Er bittet die Sonnengöttin von Arinna die Angelegenheit der Tanuhepa daher ruhen zu lassen ˘ und sich nicht gegen ihn (Hattusˇili) zu wenden. ˘ Das Gebet nennt die Gründe für die Verurteilung der Tanuhepa nicht. Die ˘ Aufzählung der Anhängerschaft, die mit ihr verurteilt wurde, deutet darauf hin, dass sie eine einflussreiche Frau war. Da auch ihr Sohn betroffen war, ist wiederum an Thronstreitigkeiten zu denken. Muwatalli II. könnte ihn von der Thronfolge ausgeschlossen haben, um den Weg für Mursˇili III. zu ebnen. Die gemeinsamen Siegel Muwatallis und Tanuhepas gehören stilistisch zu Muwatallis ˘ frühesten, danach verschwindet die Königin von den Gemeinschaftssiegeln. Mursˇili III. setzte Tanuhepa wieder als Großkönigin ein. Michele Cammarosano ˘ geht davon aus, dass dies noch zu Lebzeiten des Muwatalli, während einer CoRegentschaft von Muwatalli und Mursili III. geschah. Darauf deuten auch verschiedene flachzylindrische Tonbullen aus dem Nis,antepe-Archiv, die mit Doppelsieglungen versehen sind. Auf der einen Seite befindet sich der Siegelabdruck eines Umarmungssiegels des Muwatalli II., auf der anderen Seite der Abdruck des Gemeinschaftssiegels BoHa Nr. 52 von Urhi-Tesˇsˇub und Tanuhepa. ˘ ˘

91 Cammarosano beschäftigt sich in seinen Artikeln (Coregency; Tanuhepa) ausführlich mit dem Rechtsfall der Tanuhepa und den dynastischen Ereignissen dieser˘ Zeit. ˘ 21.19+KBo 52.17 ii 1–5 (zitiert nach Rieken et al., hethiter.net/: 92 KUB 14.7 Vs. i 16’–21’, KUB CTH 383.1 §§ 4’–5’).

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4.

69

Fazit

Hethitischen Großköniginnen war es grundsätzlich möglich, am Geschehen ihres Landes maßgeblich mitzuwirken, sei es im Bereich des Staatskults, in Verwaltung oder Politik. Wie umfangreich davon Gebrauch gemacht wurde, hing sicherlich von der individuellen Persönlichkeit der jeweiligen Frau ab. Aus vielen Festritualen ist bekannt, dass die Königinnen an diversen Riten und Zeremonien teilnahmen, die neben der religiösen Funktion vor allem repräsentativen Charakter hatten. Dass die Möglichkeit bestand, den Kult des hethitischen Großreichs auch aktiv mitzugestalten, zeigt das Beispiel der Königin Puduhepa. Sie ˘ war eine außergewöhnliche Frau, die sich auch an der Verwaltung des Landes beteiligte, gemeinsam mit ihrem Gatten regierte, diplomatische Beziehungen knüpfte usw. Sie war nicht nur Mitglied der königlichen Familie, deren Haushalt sie vorstand, sondern sie übte selbst staatliche Herrschaftstätigkeit aus. Vermutlich war sie zu ihrer Zeit die mächtigste Frau im Alten Orient. Herausragende Frauenpersönlichkeiten sind im Alten Orient zwar selten belegt, aber es gab sie. Eine weiteres Beispiel einer mächtigen Frau stellt En-hedu˘ Ana dar, die gegen 2300 v. Chr. – also etwa 1000 Jahre vor Puduhepa – in der ˘ südmesopotamischen Stadt Ur lebte. Ihr Name bedeutet „Hohepriesterin, Zierde des Himmels“.93 Sie war die erste Frau, von der bekannt ist, dass sie eine enPriesterin (Hohepriesterin) war, ein Amt das von Frauen königlicher Abstammung ausgeübt wurde.94 Auf der Votivinschrift einer Alabasterscheibe aus Ur wird En-hedu-Ana als Tochter des altakkadischen Herrschers Sargon und Ge˘ mahlin des Mondgottes Nanna, des Stadtgottes von Ur, bezeichnet. Die Vorderseite der Scheibe zeigt En-hedu-Ana zusammen mit einigen untergeordneten ˘ Personen bei der Ausübung ihrer kultischen Tätigkeiten.95 En-hedu-Anas ge˘ hobene Position wird durch Inschriften von drei Rollsiegeln bestätigt, die dokumentieren, dass zu ihrem Gefolge ein Schreiber, ein Kammerdiener und ein Haushofmeister gehörten.96 Vor allem aber ist sie durch das rituelle Lied nin-meˇsara („Herrin der unzähligen göttlichen Kräfte“) bekannt, in dem sie sich rühmt, dieses für ihre Göttin Innana geschaffen zu haben.97 Dies ist der älteste Beleg für namentlich bekannte Autorenschaft eines literarischen Werkes.98 Die Dichtung entstand als die Stadtstaaten des sumerischen Südens gegen das Reich von Akkad 93 Zgoll, En-hedu-Ana, S. 9, Abb. 2 a+b. 94 Ebd., S. 9. ˘ 95 Ebd., S. 10, Abb. 4a+b. Auch hier erhält die Gottheit in Trankopfer (vgl. das Felsrelief von Fıraktın). 96 Ebd., S. 10 mit Anm. 6–8. 97 nin-me-sˇara Zeile 138: Da das Herz mir voll, da es mir übervoll geworden war, machtvolle Herrin, habe ich dies für dich geschaffen. (zitiert nach Zgoll, Nin-me-sˇara, S. 66). 98 Zu weiteren Kompositionen der En-hedu-Ana siehe Zgoll, En-hedu-Ana, S. 12. ˘ ˘

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aufbegehrten. En-hedu-Ana wurde als Hohepriesterin abgesetzt und aus Ur ˘ vertrieben. Mit dem rituellen Lied, das auf verschiedene Mythen über Innana Bezug nimmt, sollte der Zorn der Göttin über die Rebellion geweckt werden, um mit ihrer Unterstützung den Untergang des Akkad-Reiches zu verhindern.99 Mehr als 100 Tontafeln aus unterschiedlichen mesopotamischen Städten sind Beleg dafür, dass En-hedu-Anas Lied nin-me-sˇara als ein berühmtes Ritual ˘ aufbewahrt und im Rahmen der Schreiberausbildung jahrhundertelang weitertradiert wurde.100 Mit diesen beiden außergewöhnlichen Persönlichkeiten können sich die Frauen, denen Intrigen zu Lasten des Herrscherhauses vorgeworfen wurden, sicher nicht messen. Jedoch dürfte ihnen gemeinsam sein, dass sie über Macht und Einfluss verfügten. Die Ausübung des Amtes der obersten Priesterin machte es den Herrschern unmöglich, die beschuldigten Großköniginnen Tawananna und Tanuhepa mit dem Tode zu bestrafen. Da sie den Zorn der Götter über einen ˘ solchen Umgang mit ihrer Priesterin fürchten mussten, konnten sie die beiden lediglich in die Verbannung schicken.101 Die Annahme, Tawananna und Tanuhepa seien auch außerhalb der kultischen Sphäre einflussreich gewesen, wird ˘ durch den Siegelbefund aus dem aus dem Nis,antepe-Archiv gestützt. Das Archiv umfasst insgesamt 2095 großkönigliche Siegelabdrücke auf Tonbullen, davon enthalten ein gutes Viertel (546) Abdrücke hethitischer Königinnen. Die meisten stammen von Puduhepa, deren Abdrücke fast 14 Prozent aller Siegelungen ˘ ausmachen (s. o.). Von Tawananna sind 117 Abdrücke erhalten (70 mit Sˇuppiluliuma I., 13 mit Arnuwanda II. und 34 mit Mursˇili II.). Das sind 5,5 Prozent aller Siegelungen. 85 Prozent aller Siegelabdru¨ cke des Sˇuppiluliuma I. stammen von Gemeinschaftssiegeln mit Tawananna; sein Nachfolger Arnuwanda II. ist im Nis,antepe-Archiv sogar nur auf ihren gemeinsamen Siegelungen anzutreffen. Tanuhepas 127 Abdrücke machen etwa 6 Prozent am Gesamtanteil aller Siege˘ lungen aus dem Archiv aus. Auch wenn nicht sicher ist, an welchen Dokumenten die Siegel befestigt waren, zeigt der Befund, dass Tawananna und Tanuhepa an einer großen Zahl verwal˘ tungspolitischer Transaktionen beteiligt waren. Vieles spricht dafür, dass die Frauen, die in den Texten als „ewig schuld“ dargestellt wurden, Gestaltungsräume ihrer Rolle als Königinnen (zu) aktiv wahrgenommen haben. Dies missfiel offenbar nicht wenigen männlichen Herrschern. Da die Schriftquellen, die unser Bild prägen, im Auftrag eben dieser Männer verfasst wurden, bedarf deren Schilderung kritischer Würdigung. 99 Zgoll, Nin-me-sˇara, S. 66; die Rolle der Mythen, auf die das Lied anspielt, wird ausführlich in Zgoll, Innana conquers Ur, behandelt. 100 Zgoll, Nin-me-sˇara, S. 55. 101 Vgl. auch Taggar-Cohen, Priesthood, S. 381f.

Jenseits von Puduhepa – Darstellungen von Frauen im Umfeld hethitischer Herrscher ˘

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Abkürzungen BoHa CTH IBoT KBo KUB

Bog˘azköy-Hattusˇa, Ergebnisse der Ausgrabungen ˘ Catalog der Texte der Hethiter Istanbul Arkeoloji Müzelerinde Bulunan Bog˘azköy Tabletleri Keilschrifttexte aus Boghazköi Keilschrifturkunden aus Boghazköi

Anja Klöckner

Medeia und Iason. Geschlechterstereotype und ihre Inversion in der griechischen Klassik

‚Frauen im Umfeld des Herrschers‘ sind in diesem Tagungsband Gegenstand mehrerer historischer Beiträge, die sich in erster Linie auf schriftliche Quellen stützen. Dieser Beitrag schöpft vor allem aus der antiken Bilderwelt. Am Beispiel eines mythologischen Paares, Medeia und Iason, soll ein Stärke-/Schwächediskurs zum Verhältnis der Geschlechter nachverfolgt werden.1 Die Beziehung dieses Paares wird in der attischen und unteritalischen Vasenmalerei des 5. und 4. Jhs. v. Chr. durch verschiedene Darstellungsmodi charakterisiert, die bezeichnende Schlaglichter auf antike Geschlechterstereotype werfen. In den Bildern werden diese Stereotype zum Teil zumindest vordergründig aufgebrochen, letztendlich aber gerade durch gezielte Inversion verfestigt. Um Medeia und Iason ranken sich viele Geschichten, die hier nur in Bezug auf unser Rahmenthema zusammengefasst werden können. Medeia ist gleich in mehrfacher Hinsicht eine ‚Frau im Umfeld der Herrscher‘, wenn auch unter jeweils unterschiedlichen Vorzeichen. Die Tochter des Königs Aietes, Enkelin des Sonnengottes Helios, stammt aus der entlegenen Kolchis. Sie brennt mit einem Abenteurer durch, der zum Thronräuber wird und sie schließlich für eine andere Königstochter verlässt. Sie heiratet einen weiteren König und wird Stiefmutter eines zukünftigen Königs. Der besagte Abenteurer ist Iason, der ebenfalls aus einem Herrscherhaus stammt, aber keinen direkten Thronanspruch besitzt. Sein Onkel Pelias, König von Iolkos in Thessalien, schickt ihn auf der Suche nach dem Bei Heide Frielinghaus und Ludger Körntgen möchte ich mich herzlich für die Einladung zu der gelungenen Tagung bedanken. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung habe ich zahlreiche Anregungen zu verdanken. Axel Filges und Ute Kelp bin ich für ihre stete Diskussionsbereitschaft und für wertvolle Hinweise zu großem Dank verpflichtet. Nicht zuletzt gilt mein Dank aber auch dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald, wo dieser Text im Rahmen eines Fellowships entstanden ist. 1 Diskurs wird hier im Sinne Foucaults als an einem spezifischen Ort, in einer spezifischen Zeit und zu einem spezifischen Thema vorherrschende ‚Redeweise‘ (in unserem Fall bezogen auf Bildmedien) benutzt, nicht im Sinne einer bewusst geführten Debatte mit intendierten Botschaften. Zur Verwendung des Begriffes ‚Diskurs‘ s.a. von den Hoff / Schmidt, Konstruktionen, S. 17f.

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Anja Klöckner

Goldenen Vlies bis zu den Ausläufern des Kaukasus und damit zum Rand der damals bekannten Welt. Auf diesem gefahrvollen Zug wird Iason von einer Gruppe von Gefährten, den Argonauten, begleitet.2 In Kolchis begegnet er Medeia, die sich in ihn verliebt. Sie nutzt ihre magischen Kräfte, über die sie wie ihre zauberkundige Tante Kirke verfügt, und unterstützt Iason beim Raub des Goldenen Vlieses, auch wenn sie sich dafür gegen den eigenen Vater stellen und ihre Heimat verlassen muss. Medeia begleitet Iason zurück nach Iolkos und trägt dort entscheidend dazu bei, Pelias in einer blutigen Intrige vom Thron zu stürzen. Gemeinsam ziehen beide weiter nach Korinth. Als sich Iason dort nach einigen Jahren einer anderen Frau, der Königstochter Glauke/Kreousa zuwendet, nimmt Medeia furchtbare Rache und tötet nicht nur Iasons neue Braut sowie deren Vater, sondern auch ihre gemeinsamen Söhne. Sie flieht nach Athen, wo König Aigeus sie aufnimmt. Als dessen Sohn Theseus zur Gefahr für ihre Beziehung zum Herrscher wird, versucht sie ihn aus dem Weg zu räumen, bleibt damit jedoch letztlich erfolglos. Damit ist dann zwar noch längst nicht das Ende ihrer wechselvollen Geschichte erreicht, aber wir wollen uns hier vor allem auf die Abschnitte konzentrieren, die sie mit Iason verbinden. In der literarischen Überlieferung wird Medeia als mächtige und gefährliche Zauberin geschildert, deren fremde Herkunft und unheimlicher Charakter sich gegenseitig verstärken.3 Sie ist für mehrere Morde verantwortlich, wobei vor allem die Tötung ihrer eigenen Kinder die Rezeption ihrer Figur prägt. Ihren Entscheidungskampf vor dieser Bluttat hat der attische Dramatiker Euripides in seiner 431 v. Chr. aufgeführten Tragödie thematisiert. Bei Iason betonen die Quellen häufig seine körperliche Attraktivität, erotische Anziehungskraft und Verführungskunst, über die er als Liebling der Aphrodite verfügt.4 Seine Bewertung wandelt sich allerdings im Laufe der Zeit. Der Chorlyriker Pindar schildert ihn in seiner 4. Pythischen Ode, die zur Feier eines 462 v. Chr. errungenen Wagensieges des Königs von Kyrene geschrieben wurde, als attraktiven, mutigen und allseits bewunderten Heros:5 2 Für eine Karte des Argonautenzuges (nach der Überlieferung bei Apollonios Rhodios) s. Dräger, Argonautai, S. 1065f. 3 Kottaridou, Kirke, S. 121–136. 200–222; Clauss /, Medea;Zimmermann, Mythische Wiederkehr; Bartel / Simon, Unbinding Medea. 4 Dies wird z. B. von Mason, Jason’s Cloak, S. 198 so zusammengefasst: „Jason uses his special ‚power‘ of persuasion and sexual attraction“. 5 Die Begriffe ‚Heros‘ und ‚Heroine‘ werden im Folgenden im historischen Sinn benutzt, also für männliche und weibliche Figuren, die in griechischen Epen, Mythen und Kulten eine Rolle spielen. Im Unterschied zum modernen Heldenbild setzt das keine moralische Vorbildhaftigkeit voraus. Zum Heroenbild im klassischen Griechenland s. Meyer / van den Hoff, Helden; van den Hoff, Heros. Zu Heroinen s. Lynons, Gender; Meyer, Heldinnen (zu Medeia als Heroine ebenda S. 115 mit Anm. 31).

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„und so denn nach einer Zeit / kam er mit Zwillingslanzen, ein Mann / zum Erstaunen; … Schnell ging er geradeaus, / machte halt, seinen unerschrockenen Willen erprobend, / auf dem Markt, wo das Volk sich drängte. / Den erkannten sie nicht; gleichwohl empfanden sie Scheu, / und einer von ihnen sagte auch dies: / ‚Das ist doch nicht etwa Apollon, / auch nicht im erzenen Wagen der Gatte der Aphrodite?‘“.6

In der bereits genannten euripideischen Tragödie erscheint Iason dagegen als wendiger Opportunist und pflichtvergessener Ehemann.7 Im frühen Hellenismus schließlich charakterisiert Apollonios Rhodios Iason als problematische Figur. In seinem Epos Argonautika besitzt Iason List und Überzeugungsgabe, ähnlich wie Odysseus. Allerdings fehlt ihm das zupackende Wesen, die geistige Beweglichkeit und der Erfindungsreichtum des homerischen Helden. Mehrfach wird er als ἀμήχανος bezeichnet, also als hilflos.8 Charles Rowan Beye hat dies sehr pointiert, aber zutreffend zusammengefasst: „Jason has seemed to many an unlikely candidate for hero. The reasons are many, but in general they rest upon the fact that he is morally, spiritually and intellectually impotent, and perhaps a physical coward as well“.9 Nach diesem kurzen Abriss der literarischen Überlieferung wollen wir uns nun den visuellen Zeugnissen zuwenden. Wie charakterisieren die Vasenbilder den Heros – und die Frau an seiner Seite? Genauer: Was erzählen sie über dieses heroische Paar? Wir wollen nachvollziehen, wie die beiden Protagonisten in den Darstellungen charakterisiert, miteinander in Beziehung gesetzt oder sogar kontrastiert werden. Auf dieser Grundlage soll analysiert werden, wie nicht nur das Verhältnis der beiden, sondern auch das von männlichen und weiblichen Rollenmodellen diskursiviert wird.

6 Pindar, Siegeslieder, Pyth. 4, 79–88, S. 145–147. Zur fragmentarischen literarischen Überlieferung des Argonautenmythos vor Pindar Braswell, Commentary, S. 6–19. Zu dem nur bruchstückhaft erhaltenen archaischen Epos Naupáktia s. Hadas, Tradition; Matthews, Naupaktika; Braswell, Commentary, S. 10. M. Hadas glaubt bereits in diesen Fragmenten eine effeminierte, defiziente Charakterisierung Iasons erkennen zu können; dies lässt sich allerdings anhand der überlieferten Textstellen nicht belegen. 7 S. z. B. Euripides, Medea 207. 1000, S. 102. 136. 8 Apollonios von Rhodos, Argonautenepos 1, 460. 1286–1288, S. 26. 70; 2, 885, S. 124; 3, 423. 432, S. 24. 9 Beye, Jason, S. 37.

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1.

Anja Klöckner

Die Zauberin und der schwache Heros

Zunächst ist festzuhalten, dass die kolchische Zauberin in der Bilderwelt deutlich größere Aufmerksamkeit erfährt als der thessalische Heros.10 Seit archaischer Zeit beschäftigen sich die Bilder mit Medeias Fähigkeit, Menschen und Tiere zu verjüngen, die sie zum Teil zum Wohle ihrer Angehörigen nutzt, zum Teil aber auch für finstere Intrigen missbraucht.11 Ihre Beteiligung am Argonautenzug sowie die Geschehnisse am Hof des Aigeus werden erst in der attischen Vasenmalerei des ausgehenden 5. Jhs. aufgegriffen, während in der unteritalischen Bilderwelt vor allem die Erbeutung des Goldenen Vlieses und der Kindermord Beachtung finden. Die früheste eindeutig zu identifizierende Darstellung Iasons in der attischen Vasenmalerei stammt aus der Mitte des 6. Jhs. v. Chr. Auf einer Bandschale erscheint er als Mitkämpfer bei der kalydonischen Eberjagd, an der er nach der Rückkehr der Argonauten teilgenommen hatte.12 Eingereiht in die Gruppe der durch Namensbeischriften gekennzeichneten Gefährten stürmt er mit erhobenem Speer auf das Untier zu. Während Iason hier als Mitglied einer Gemeinschaft von Heroen auftritt, wird er erst in der frühen Klassik zum Hauptthema der Darstellungen. Aus dieser Zeit sind drei einschlägige Vasenbilder bekannt. Alle zeigen ihn aber gerade nicht als aktiven Kämpfer bei einer siegreichen Unternehmung, wie es dem gängigen Heroenbild entspräche.13 Sie charakterisieren Iason vielmehr, mit jeweils unterschiedlichen Mitteln und auf sehr spezifische Weise, als einen Protagonisten, der nicht den heroischen Normen entspricht, sondern geradezu als Antiheld erscheint. Er wird nicht als handlungs10 Zu Medeia in der griechischen Bilderwelt s. Zinserling-Paul, Bild; Meyer, Medeia (mit z. T. problematischen Interpretationen); Kottaridou, Kirke; Schmidt, Medeia; Simon, Medea; Klöckner, Mütter; Strazzulla, Medea. 11 Meyer, Medeia; Schefold / Jung, Sagen, S. 37–39; Kottaridou, Kirke, S. 121–199. 250–259; Simon, Peliades; Simon, Pelias; Reeder, Pandora, S. 60; Meyer, Heldinnen, S. 115–118. 12 Att. sf. Bandschale des Archikles und Glaukytes, aus Vulci, München, Antikensammlungen 2243 (um 550 v. Chr.): ABV, S. 160 Nr. 2. 163f. Nr. 2; Beazley, Para., S. 68; Neils, Iason, S. 636 Nr. 76; BAPD 310552. Auf einem sf. Dinosfrgt. aus der Slg. Blatter ist bei dem von links auf den Eber einstechenden Kämpfer am rechten Knöchel das Riemenwerk von Sandalen angegeben, am linken Knöchel aber nicht, was zu dem in manchen literarischen Quellen als einschuhig beschriebenen Iason passen könnte: Beazley, Para., S. 42; Neils, Iason, S. 635 Nr. 75; BAPD 350335. Zur bildlichen Überlieferung der kalydonischen Eberjagd s. Woodford / Krauskopf, Meleager, S. 414–435; zu archaischen Argonautenbildern Vojatzi, Argonautenbilder. Zu Iason in der korinthischen Bilderwelt s. den Kolonettenkrater aus Sane mit der Heilung des Phineus (um 575 v. Chr.): Neils, Iason, S. 630 Nr. 7* (Namensbeischrift); zu zwei ungesicherten korinthischen Darstellungen aus dem späten 7. Jh. v. Chr. s. u. Anm. 20. Außerdem war Iason laut Pausanias, Beschreibung Griechenlands 5,17,9–11, S. 44–45 (Ringkampf mit Peleus) und 5,18,3, S. 46 zusammen mit Medeia und Aphrodite auf der heute verlorenen korinthischen Kypseloslade dargestellt. 13 Zum klassischen Heroenbild s. Kunze, Heros; von den Hoff, Heros, S. 125–128.

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bestimmender Akteur von strahlender Erscheinung und beeindruckender Physis dargestellt, sondern als alt, passiv oder defizient.

1.1

Der alte Heros

Auf unserem ersten Beispiel, einer um 470 v. Chr. entstandenen Hydria, stehen Medeia und Iason zu Seiten eines Kessels (Abb. 1). Beide sind durch eine Beischrift identifiziert.14 Im Kessel wird über einem hoch lodernden Feuer ein Widder gekocht, um ihn dadurch wieder in ein junges Böcklein zurück zu verwandeln. Mit dieser magischen Handlung hatte Medeia die Verjüngung ihres Mannes Iason und dessen Vater Aison vorbereitet, aber auch die Töchter des Pelias zu dessen unbeabsichtigter Tötung getrieben.15 Auf dem Vasenbild streut sie ein Zaubermittel aus dem Becher in ihrer Linken über den Widder, während Iason mit weit ausgestreckter rechter Hand gestisch auf das Geschehen verweist. Mit weißem Haar und stoppeligem Bart ist er als alter Mann gekennzeichnet, der an den von seiner Frau vollzogenen Handlungen nicht beteiligt ist, sondern diese lediglich kommentiert und gleichzeitig dringend auf ihren Erfolg angewiesen ist.16

1.2

Der passive Heros

Auf unserem zweiten Beispiel steht nicht Medeia, sondern Athena Iason zur Seite. Im Innenbild einer Schale des Douris aus den Jahren um 480/70 v. Chr.17 (Abb. 2) wird die Örtlichkeit durch einen Obstbaum im Hintergrund angedeutet. 14 Att. rf. Hydria des Kopenhagen-Malers aus Vulci, London, BM 1843,1103.76 (E 163) (um 470 v. Chr.): ARV2, S. 258 Nr. 26, 1634. 1640; Neils, Iason, S. 634 Nr. 62*; Reeder, Pandora, S. 408f. Kat. Nr. 134 mit Farbabb.; BAPD 202944. Zu den klassischen Darstellungen des Peliadenmythos Meyer, Heldinnen, S. 118–120. 15 Zu Medeia und den Peliaden s. o. Anm. 11. 16 Vgl. auch die Reihe von att. sf. Lekythen des frühen 5. Jhs. v. Chr., auf denen durch das Wirken Medeias ein unbenannter, evtl. als Iason zu identifizierender Jüngling einem Kessel entsteigt: Neils, Iason, S. 634 Nr. 58–61. Fraglich ist die Benennung der Figuren auf der Metope aus Foce del Sele und dem großgriechischen Terrakottarelief in Basel, Antikenmuseum BS 318: Neils, Iason, S. 636 Nr. 78f. 17 Att. rf. Kylix des Douris, aus Cerveteri, Vatikan, Museo Gregoriano 16545, Schaleninnenbild (480/70 v. Chr.): ARV2, S. 437 Nr. 116. 1653; Beazley, Para., S. 375; Schefold / Jung, Sagen, S. 30–32 Abb. 14; Neils, Iason, S. 632 Nr. 32*; Steinhart, Razor’s Edge; BAPD 205162. Steinhart versteht das Vasenbild als Ausdruck eines zeittypischen Interesses an der Vulnerabilität der Heroen, die sich trotz des Risikos großen Gefahren aussetzen und gerade dadurch Ruhm erlangen. Er geht aber nicht auf die völlige Passivität, Hilf- und Wehrlosigkeit Iasons ein, die hier im Unterschied zu seinen Vergleichsbeispielen besonders betont wird. Es

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Anja Klöckner

Abb. 1. Att. rf. Hydria des Kopenhagen-Malers aus Vulci, London, BM 1843,1103.76 (E 163), Bildausschnitt, © The Trustees of the British Museum (Bildausschnitt).

Über einem der Äste hängt das goldene Vlies. Iason wird hier aber nicht gezeigt, wie er dieses Vlies erringt – er ist überhaupt nicht fähig, irgendetwas zu tun, denn er hängt mit dem Oberkörper aus dem Maul einer riesigen Schlange. Athena, die mit ihrer hochaufragenden Gestalt die rechte Bildhälfte vollständig einnimmt, blickt auf den hilflosen Heros hinab. Seine Finger hängen locker nach unten, wie bei einem Toten; seine Arme baumeln kraftlos herunter. Sie werden rechts von seinen herabwallenden Haaren, links von dem langen Bart der Schlange gerahmt und damit besonders hervorgehoben. Die spannungslose Körperhaltung Iasons fällt im Kontrast zu dem mächtigen, kraftvoll gewölbten Leib des Reptils um so deutlicher ins Auge. Iason erinnert damit an das mit Vorder- und Hinterläufen über dem Ast drapierte Vlies, dessen Kopf genauso schlaff nach unten sinkt wie sein eigener; allerdings hat Iason im Unterschied zu diesem die Augen geöffnet und lebt offensichtlich noch. Der Heros und seine Beute werden anscheinend aneinander angeglichen; der eine wirkt so leblos wie das andere tatsächlich ist. Außerdem wird Iason durch die Bildkomposition vollständig von Tier- und Monsterelementen eingerahmt: beginnend mit der Schlange, dann dem Wid-

wäre m. E. lohnend, das Schaleninnenbild in Zusammenhang mit der Dekoration der Außenseite zu interpretieren. Hier sind homoerotische Paare, aktive bärtige Erastai und passive jugendliche Eromenoi zu sehen. Anscheinend geht es dem Vasenmaler u. a. darum, verschiedene Konzepte von Männlichkeit zu visualisieren, was der Darstellung des bärtigen, aber völlig inaktiven Iason eine besondere Prägnanz verleiht.

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derfell über ihm, der auf ihn gerichteten Sphinx auf dem Helm Athenas, dem Medusenhaupt und den Schlangenköpfen auf und an der Aigis, der zu ihm hinunterblickenden Eule und schließlich den Schlangenköpfen am Mantel der Göttin. Schlangen, Sphinx, Gorgo und Käuzchen wirken sehr lebendig, wenn nicht sogar bedrohlich, was die Machtlosigkeit Iasons und die Entseelung des Goldenen Vlieses um so deutlicher hervortreten lässt.

Abb. 2. Att. rf. Kylix des Douris, Vatikan, Museo Gregoriano 16545, Bildausschnitt, © Vatican Museums, All Rights Reserved (Bildausschnitt).

Dieses Gefäß ist ein Einzelstück; von der Bildkomposition ist bislang keine Wiederholung bekannt. Mit der Szene lässt sich auch keine Episode aus den literarisch überlieferten Mythenversionen zum Goldenen Vlies in Verbindung bringen.18 Dass es sich um Iason handelt, steht jedoch außer Zweifel, wie die zwischen den Locken und den Armen des Heros angegebene Namensbeischrift verrät. Man hat deswegen verschiedene Handlungsstränge rekonstruiert, durch die sich die Darstellung von Iason im Rachen des Ungeheuers begründen ließe.19 18 Zu dem Mythos vom Goldenen Vlies s. Bremmer, Greek Religion, S. 303–338. 19 S. z. B. Simon, Vasen, S. 119f. Abb. 163: Iason hatte der Schlange die Zunge herausgeschnitten, damit sie ihn nicht herunterschlucken konnte. Meyer, Medeia, S. 81f. (mit einer Auflistung älterer Deutungsvorschläge). S. 83–87: Iason wurde von der Schlange getötet und danach von Athena wiederbelebt. Vojatzi, Argonautenbilder, S. 87: „der Held war in das Innere des Ungeheuers eingedrungen, um mit ihm zu kämpfen“.

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Mangels eindeutiger Hinweise bleiben solche Erklärungsversuche aber rein hypothetisch. Entscheidend ist etwas anderes, nämlich der Umstand, dass die Leistung Iasons hier klar relativiert wird. Das Goldene Vlies wird nicht von einem stark und mutig agierenden Heros erobert, sondern fällt diesem zu, nachdem er von Athena aus einer äußerst misslichen Lage befreit wurde.20 Solche Bilder eines dezidiert inaktiven Iason müssen vor der Referenzfolie zeitgenössischer Heroenbilder gesehen werden, wie sie etwa Theseus und Herakles verkörpern. Diese haben stets das Heft des Handelns in der Hand. Wenn sie auf Monster treffen, stellen sie sich der Gefahr und besiegen das Untier,21 was im deutlichen Kontrast zu dem schlaffen, bewegungslosen Iason auf der Schale des Douris steht. Der Unterschied muss den zeitgenössischen Betrachtern geradezu ins Auge gesprungen sein.

1.3

Der defiziente Heros

Kurz nach der Dourisschale ist ein weiteres Gefäß entstanden, das Jason bei der Beschaffung des Goldenen Vlieses zeigt (Abb. 3).22 Hier ist er im Gegensatz zu der eben besprochenen Darstellung zwar äußerst aktiv, passt aber dennoch nicht in das Raster zeitgenössischer Heroendarstellungen. Er nähert sich in völliger Nacktheit einem Felsen, über den das Widderfell ausgebreitet ist. Vorwärts drängend, mit erhobener Rechter und weit ausholendem rechten Bein, versucht er, das Vlies zu sich zu ziehen. Dieses wird aber von einer langen Schlange bewacht, die den Felsen mehrfach umschlingt und ihren Kopf dem Angreifer drohend entgegenreckt. Hinter Iason wendet sich Athena, mit der rechten Hand gestikulierend, dem Geschehen zu. Rechts daneben hantiert ein bärtiger Hima-

20 Eine ähnliche, allerdings wesentlich reduziertere Darstellung findet sich auf korinthischen Salbölgefäßen des späten 7. Jhs. v. Chr. (Bonn, Akademisches Kunstmuseum 860; Samos, Museum K 3431,3490): Vojatzi, Argonautenbilder, S. 89 und passim; Neils, Iason, S. 632 Nr. 30* f. Beischriften fehlen ebenso wie charakterisierende Attribute, weswegen der Bezug auf Iason nur hypothetisch ist. Das Gleiche gilt für die att. sf. Lekythos Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung 3764: ABV, S. 11 Nr. 19; Beazley, Para., S. 8; Neils, Iason, S. 636 Nr. 77; BAPD 300102. 21 Für ein mit der Schale im Vatikan ungefähr zeitgleiches Heraklesbild vgl. z. B. den att. rf. Volutenkrater des Kleophrades-Malers, Malibu, J. P. Getty Museum 84.AE.974 (um 480 v. Chr.): Lapatin / Wight, Paul Getty Museum, S. 73 mit Farbabb.; BAPD 16201. Zu Theseus s. u. Anm. 61. 22 Att. rf. Kolonettenkrater des Obstgarten-Malers, aus Gela, New York, MM 34.11.7 (470/60 v. Chr.): ARV2, S. 524 Nr. 28; Richter, Jason; Neils; Iason, S. 632f. Nr. 36*; Heinemann, Gott, S. 358–360 Abb. 235; Shapiro, Jason; BAPD 205910.

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tionträger am Bug der in das Bildfeld hineinragenden Argo, dreht sich aber gleichzeitig auch zu den anderen Protagonisten hin um.23

Abb. 3. Att. rf. Kolonettenkrater des Obstgarten-Malers, New York, MM 34.11.7, Bildausschnitt, © The Metropolitan Museum of Art, New York, Harris Brisbane Dick Fund, 1934, www.metmuse um.org (Bildausschnitt).

Durch seine ungelenk wirkende, gebückte Haltung wirkt Iason deutlich kleiner als Athena und der andere Argonaut. Doch selbst in aufgerichtetem Zustand wäre er nicht sonderlich groß. Vor allem aber ist er ungewöhnlich schmächtig.24 Nicht nur dies widerspricht den zeitgenössischen Idealvorstellungen männlicher Physis. Im Bereich des Oberkörpers trägt er mehrere auffällige Markierungen. Die Binnenzeichnung von Brustbein und -muskel wird von dünnen Strichen überlagert. Auf seiner linken Seite ist über den Rippen ein eigenartiges Muster angegeben. Man hat diese Markierungen als Andeutung von Narben oder Körperhaar interpretiert.25 Auch wenn sich dies mangels einschlägiger Vergleiche nicht bestimmen lässt, so ist doch offensichtlich, dass die somatische Erschei23 King, Cloaked Man möchte in der ganz in ihr Himation gehüllten Figur Zeus erkennen. Da Zeus auf zeitgleichen Vasenbildern den Mantel jedoch üblicherweise nur über der linken Schulter trägt und rechte Schulter samt Arm freibleibt, ist dieser Vorschlag nicht überzeugend. 24 Neils, Iason, S. 637 beschreibt Iason als „perhaps deliberately puny“. 25 Shapiro, Jason, S. 122; Heinemann, Gott, S. 359. Als missglückte Angabe von Muskulatur lassen sich die Markierungen nicht verstehen. Sie überlagern die Konturlinie des Brustmuskels mit unregelmäßigen, aber anscheinend gezielt gesetzten Strichen; das Muster im Bereich der Rippen besitzt eine gewisse Symmetrie.

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nung Iasons als nicht normgerecht gekennzeichnet werden soll. Physische Mängel passen nicht zu den vollkommen unversehrt gebildeten Körpern griechischer Heroen, sichtbare Körperbehaarung galt als unzivilisiert.26 Im Widerspruch zu den geltenden Schönheitsidealen steht auch die Andeutung von Schamhaar und Iasons nach unten in dünne Strähnen auslaufender Bart. Dieser setzt sich deutlich von dem üppigen Vollbart des anderen Argonauten ab, der exemplarisch verdeutlichen kann, wie ein idealtypischer Bart nach zeitgenössischem Verständnis auszusehen hatte. Auffällig ist auch, dass Iason sein Glied hochgebunden hat. Auf eine solche Weise werden in dieser Zeit vor allem Athleten, Teilnehmer an festlichen Trinkgelagen, Komasten, Satyrn und Komödienschauspieler dargestellt. Die Infibulation ist ein ambivalantes Darstellungsmittel. Sie kann, vor allem bei Athleten und Komasten, Dezenz und Körperkontrolle zum Ausdruck bringen, kennzeichnet aber auch auffällig oft Personen, die von der Norm abweichen oder körperliche Defizite aufweisen.27 Bei heroischen Unternehmungen hingegen ist die Infibulation unüblich. Auch der Umstand, dass Iason keine Waffen benutzt, sondern sich an sein Ziel anschleicht, entspricht nicht dem Schema des Heldenkampfes. Offensichtlich wird Iason hier bei einer seiner wichtigsten Unternehmungen als ein Heros charakterisiert, der weder in seiner somatischen Erscheinung noch in seinem Aktionsmodus den Standards entspricht. Iason aber sieht nicht so aus; bewegt und verhält sich nicht wie ein Normheros, der stets über beeindruckende physische Präsenz, ein ideales Körperbild und eine ansprechende Physiognomie verfügt.28 Wie einem solchen Muster entsprochen wird, zeigt uns beispielhaft ein etwas später entstandenes Vasenbild des Nausikaa-Malers, das ebenfalls eine Sondersituation zeigt, nämlich einen sich anschleichenden Heros. In diesem Fall ist es Perseus, der sich der schlafenden Medusa nähert.29 Er tut dies vorsichtig, aber in kontrollierter Haltung und hält seine Waffe für den Angriff bereit. Sein Körper sowie seine ganze Erscheinung sind makellos. Perseus verkörpert den normgerechten Heros, während Iason an dieses Bild zwar erinnert, es aber durch seine defiziente Erscheinung gleichzeitig konterkariert. Dass der Vasenmaler dabei sehr bewusst vorgeht, zeigt ein weiteres Bild aus seiner Hand. Auf einem zeit- und auch nahezu maßgleichen Krater zeigt er einen

26 Zur ästhetischen und sozialen Wertung physischer Differenz s. Wannagat, Eurymedon. 27 Heinemann, Gott, S. 137–148. Der Begriff Infibulation ist weit verbreitet, auch wenn, wie Heinemann, Gott, S. 137 zu Recht betont, kynodesme¯ die präzisere Bezeichnung wäre. 28 Zum Begriff ‚Heros‘ s. o. Anm. 5. 29 Att. rf. Hydria des Nausikaa-Malers, Richmond, Virginia Museum of Fine Arts 62.1.1 (460/50 v. Chr.): ARV2, S.1683, 48 bis; Beazley, Para., S. 452; LIMC, Perseus 102; LIMC, Gorgo, Gorgones Nr. 299*; Reeder, Pandora, 411–413 Kat. Nr. 135 mit Farbabb.; BAPD 275462.

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Satyrn beim Versuch, ein von einer Schlange bewachtes Rehfell zu stehlen.30 Der Satyr und Iason entsprechen sich in vielen Punkten, von der Körperhaltung über das hochgebundene Glied bis zum strähnigen Bart. Verändert ist allerdings das setting, wie die Anwesenheit des erschreckt fliehenden Dionysos deutlich macht. Ganz unabhängig von der Frage nach einer möglichen literarischen Vorlage für dieses Bild wird durch den Vergleich nochmals deutlich, dass der einem Satyrn so ähnliche Iason, der zudem noch durch unschöne Körpermarkierungen gezeichnet ist, kein Muster für einen wahrhaft heroischen Kampf liefert.31

2.

Vom aktiven Heros zur Randfigur, von der Helferin zur aktiven Heroine

Nach den besprochenen drei Beispielen aus frühklassischer Zeit dauert es rund eine Generation, bis Iason wieder zum Darstellungsgegenstand wird. Nun findet aber nicht mehr die Erringung des Goldenen Vlieses das Interesse der attischen Vasenmaler, sondern ein anderes Abenteuer, das Iason gemeinsam mit Medeia bestanden hatte.

2.1

Der Kampf gegen Talos

Auf ihrer Rückfahrt aus Kolchis gelangten die Argonauten nach Kreta. Die Insel wurde von dem Riesen Talos bewacht, den Hephaistos aus Bronze gefertigt und belebt hatte. Dieser eigentlich unbezwingbare Gegner konnte nur durch die Hilfe Medeias besiegt werden. Der Zauberin gelang es, ihn so weit außer Gefecht zu setzen, dass ihm der lebenserhaltende Bronzenagel aus der Ferse gezogen werden konnte.32 Drei attische Vasenbilder schildern dieses Ereignis.33 Auf einem um 430 v. Chr. anzusetzenden Kolonettenkrater der Polygnotgruppe haben die beiden Dioskuren den hilflos nach hinten sinkenden Talos an den Armen gepackt (Abb. 4). 30 Att. rf. Kolonettenkrater des Obstgartenmalers, Bologna, Museo Civico Archeologico V.F. 190 (470/60 v. Chr.): Richter, Jason, S. 184 Abb. 3f. (weist als erste auf die Bezüge zwischen den beiden Gefäßen des Obstgartenmalers hin); ARV2, S.524 Nr. 27; Heinemann, Gott, S. 358–360 Abb. 234; Shapiro, Jason, S. 122 Abb. 3; BAPD 205909. 31 Anders Richter, Jason, die den Protagonisten auf dem Krater in New York als „boldly accomplishing his task“ beschreibt und den Krater in Bologna als Eigenparodie der Darstellung von Iasons heroischer Tat versteht. Shapiro, Jason schließt sich dieser Wertung an. 32 Tragicorum Graeccorum Fragmenta IV F 160–161, S. 171–172; Apollodor, Bibliotheke 1, 141, S. 68–69; Apollonios von Rhodos, Argonautenepos 4, 1654–1688, S. 168–170. 33 Zur bildlichen Überlieferung des Mythos Kottaridou, Kirke, S. 273–275; Papadopoulos, Talos; Meyer, Heldinnen, S. 121.

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Iason kniet neben dem rechten Fuß des Riesen und nestelt an dem eisernen Nagel in dessen Ferse.34 Der hier nur als winzige Flügelgestalt wiedergegebene Thanatos geht ihm dabei zur Hand, womit der Ausgang des Geschehens im Bild bereits vorweggenommen wird. Hinter Iason steht Medeia, die in ihrer Linken ein Kästchen hält. Der taumelnde Talos weist mit seiner ausgetreckten Rechten direkt darauf. Dadurch wird die Bedeutung dieses Requisits hervorgehoben, das offenbar die magischen Hilfsmittel der Zauberin beinhaltet. Medeia beugt sich helfend zu ihrem Mann herab und hinterfängt mit ihrer hochaufragenden Gestalt seinen Körper. Damit nimmt sie in der Bildhandlung im Verhältnis zu Iason zwar nur eine sekundäre, in der Bildkomposition aber eine herausgehobene Rolle ein. Das unterscheidet sie deutlich von anderen Heroinen, die lediglich als Beifiguren dienen und dadurch die Tat des Heros rahmen bzw. durch Gesten auf diese verweisen, denen aber keinen Anteil an dessen Erfolg zugeschrieben wird.35 Der rund dreißig Jahre später entstandene Taloskrater aus Ruvo widmet diesem Mythos beide Seiten.36 Auf der Vorderseite sind es wieder die Dioskuren, die den Riesen zu Boden ziehen. Sie vollziehen die Tat, die sie aber nicht allein zum erfolgreichen Abschluss hätten bringen können. Medeia hat die entscheidenden Vorbereitungen geleistet.37 Sie steht vor dem Bug der Argo und betrachtet das Geschehen. Wie seit dem letzten Drittel des 5. Jhs. v. Chr. üblich, trägt sie auffällige orientalische Kleidung.38 Ihr Beitrag zu dem Sieg über Talos wird durch das prächtig verzierte Kästchen in ihrer Linken angezeigt. Iason spielt in diesem

34 Att. rf. Kolonettenkrater der Polygnotgruppe aus Montesarchio, Benevent, Museo del Sannio (um 430 v. Chr.): Schefold / Jung, Sagen, S. 35f. Abb. 18; Neils, Iason, Nr. 55; Papadopoulos, Talos, S. 835 Nr. 6; BAPD 5362. Obwohl eine Namensbeischrift und eindeutig identifizierende Attribute fehlen, ist die Benennung als Iason durch die enge Verbindung mit Medeia durchaus plausibel. 35 Ariadne z. B. hatte den Sieg von Theseus über Minotauros durch ihren Ratschlag erst möglich gemacht. Dies kommt auf den Vasenbildern aber nicht zum Ausdruck. In der Frühklassik erscheint sie auf einigen Darstellungen des Theseuskampfes als Beifigur, danach spielt sie bei diesen Szenen in der Vasenmalerei keine Rolle mehr: Bernhard / Daszewski, Ariadne, S. 1053–1056; Neils, Theseus, S. 940–942; Servadei, Figura, S. 92–126; zu Ariadne S. 104f. 36 Att. rf. Volutenkrater, Ruvo, Museo Jatta J 1501 (um 400 v. Chr.): ARV2, 1338 Nr. 1; Beazley, Para., S. 481; Schefold / Jung, Sagen, S. 33–35 Abb. 17 a-b; Neils, Iason, S. 634 Nr. 56*; Papadopoulos, Talos, S. 835 Nr. 4*; BAPD 217518. 37 Bereits Simon, Typen, S. 211 weist darauf hin, dass die Dioskuren Talos „nicht aus eigener Kraft besiegt“ haben. „Seine eigentliche Bezwingerin ist Medeia, die große Hexe“. 38 In den Bildern ist das Bestreben, Medeias Fremdheit deutlich hervorzuheben, klar zu greifen. Die Aufführung der euripideischen Tragödie im Jahr 431 v. Chr. mag hierfür einen Anstoß gegeben haben, ist aber wohl kaum der alleinige Grund für diese Veränderung (erstmals vorgeschlagen in der 1938 erschienenen Erstauflage von Page, Medea, LXII Anm. 1). Zu den im Zusammenhang mit den Perserkriegen aufkommenden Barbarenstereotypen und der Darstellung ‚fremder‘ Heroen in orientalischer Kleidung Raeck, Barbarenbild; Bäbler, Thrakerinnen; Cohen, Ideal; Kelp, Grabdenkmal, S. 114–122.

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Abb. 4. Att. rf. Kolonettenkrater der Polygnotgruppe aus Montesarchio, Benevent, Museo del Sannio, Bildausschnitt, nach Schefold / Jung, Sagen, S. 35 Abb. 18.

Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle.39 Er findet auf der Rückseite Platz, wo seine Schutzgöttin Hera mit ihm spricht, während Athena und zwei Niken die siegreichen Zwillinge auszeichnen. Auf einem ungefähr zeitgleichen Kraterfragment aus Spina ist der Erzriese ganz ähnlich wie auf dem Taloskrater wiedergegeben.40 Wieder sind es die beiden Dioskuren, die ihn an den Armen festhalten. Wie bei dem Kolonettenkrater aus Benevent zeigt die kleine geflügelte Gestalt des Thanatos den bevorstehenden Tod des Talos an. Von der durch eine Namensbeischrift identifizierten Figur der Medeia ist leider nur noch ein kleiner Teil erhalten. Im Unterschied zu den beiden anderen Beispielen ist sie sitzend dargestellt. Außerdem hält sie zusätzlich zu ihrem Zauberkästchen auch ein Messer mit einer großen, in Richtung des Talos weisenden Klinge. Obwohl sie hier nicht direkt in das Geschehen eingreift, wird damit doch ihre aktive Rolle im Kampf mit Talos markiert. Allen drei Vasenbildern gemeinsam ist der Fokus, den sie auf die Zauberin Medeia legen. Sie ist hier weit mehr als eine reine Assistenzfigur, sondern hat mit ihren ma39 Im Unterschied zu den anderen Figuren ist der links neben Medeia auf das Schiff fliehende Jüngling nicht durch eine Namensbeischrift identifiziert. Schefold / Jung, Sagen, S. 34 wollen in ihm Iason erkennen, der dann wie die Dioskuren auf Vorder- und Rückseite dargestellt wäre. 40 Att. rf. Kraterfragment aus dem Umkreis des Talos-Malers, aus Spina, Ferrara, Museo Nazionale 3092: ARV2, 1340; Schefold / Jung, Sagen, S. 33f.; Papadopoulos, Talos, S. 835 Nr. 5*; BAPD 217532.

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gischen Fähigkeiten die wesentliche Voraussetzung für den Sieg geschaffen.41 Die entscheidenden männlichen Protagonisten sind die Zeussöhne Kastor und Polydeukes, Iason hingegen ist nur eine Randgestalt.

2.2

Das Goldene Vlies

Im letzten Drittel des 5. Jhs. v. Chr. werden die Mythen um Iason und Medeia auch zum Thema der unteritalischen Vasenmalerei. Die Erringung des Goldenen Vlieses findet wieder Eingang in die Bilderwelt. Dabei erscheint Iason zunächst durchaus als Normheros im Bildschema des tapferen Kämpfers.42 So greift er auf einem apulischen Volutenkrater aus Ruvo die über das goldene Vlies wachende Schlange an, während weitere Argonauten das Geschehen betrachten (Abb. 5).43 In einem dynamischen Ausfallschritt greift er entschlossen mit der Linken nach seiner Beute und hält rechts das Schwert zum Stoß bereit. Allerdings vollbringt er diese Tat nicht allein. Medeia steht hinter ihm und präsentiert ein Kästchen, das ihre Zaubermittel enthält.44 Die halbgöttliche Ehefrau Iasons beansprucht hier den Platz, den üblicherweise die Schutzgottheiten der Heroen einnehmen.45 Damit wird angedeutet, dass ihr ein wesentlicher Anteil am Erfolg des Unternehmens zukommt. Iason führt die Tat aus, aber ohne Medeias Zutun wäre er gescheitert. 41 Anders Meyer, Heldinnen, S. 121f., die Medeia in „den drei Bildern mit Talos … nur eine assistierende Rolle“ zugesteht bzw. sie sogar als marginalisiert sieht. 42 Uneindeutige Darstellungen, bei denen ein Mitglied der Gruppe der Argonauten möglicherweise als Iason bestimmt werden könnte, bleiben im Folgenden unberücksichtigt; s. z. B. Neils, Iason, S. 630 Nr. 8. 631 Nr. 11. 43 Apul. rf. Volutenkrater des Sisyphos-Malers aus Ruvo, München, Antikensammlungen 3268 (ca. 420 v. Chr.): Trendall / Cambitoglou, Apulia 1, S. 16 Nr. 51; Neils, Iason, S. 633 Nr. 37*; BAPD 9036838. Möglicherweise ist Iason als erfolgreicher Beschaffer des Goldenen Vlieses gemeinsam mit Medeia auf einem apul. rf. Kelchkrater in Paris, Louvre K 127 (350–340 v. Chr.) dargestellt; allerdings ist die Benennung der Figuren umstritten: Trendall / Cambitoglou, Apulia 2, S. 539 Nr. 332 Taf. 203, 3; Neils, Iason, S. 634 Nr. 57. 44 Seit dem frühen 5. Jh. v. Chr. wird Medea mit einem Behältnis in der Hand wiedergegeben. Auf einem att. rf. Schalenfrgt. in Malibu, Getty Museum 79.AE.19, ist noch die linke Hand Medeas mit einer offenen Pyxis zu erkennen, aus deren Öffnung einige zart angedeutete Kräuter herausschauen: Ohly-Dumm, Widderzauber, S. 7 mit Abb. 1 auf S. 6 (fr. 1i). Abb. 8 (Rekonstruktionszeichnung der Schale mit Medea und den Peliaden beim Widderopfer); BAPD 7507. Wie bereits Simon, Typen, S. 211 beobachtet hat, wird dieses Behältnis in der Hand Medeas seit der zweiten Hälfte des 5. Jhs. v. Chr. zu einem oft aufwändig dekorierten Kästchen. Apollonios von Rhodos, Argonautenepos 3, 844–845, S. 46, steht in dieser Tradition, wenn er beschreibt, wie Medeia das Pharmakon Prometheion aus einem ϕωριαμός entnimmt. 45 Vgl. z. B. Kadmos, der bei seinem Kampf gegen den als Schlange dargestellten Drachen von Athena unterstützt wird: Tiverios, Kadmos, S. 866–872. 876–880. Bereits Beckel, Götterbeistand, S. 78 hebt hervor, welche Rolle Medeia als Beistand für Iason spielt.

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Abb. 5. Apul. rf. Volutenkrater des Sisyphos-Malers aus Ruvo, München, Antikensammlungen 3268, Bildausschnitt, © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, fotografiert von Renate Kühling.

Während auf dem Volutenkrater die Erringung des Goldenen Vlieses nur eine von mehreren Szenen ist, machen andere Vasenbilder dieses Geschehen zum Hauptthema der Darstellung. Auf einem Volutenkrater des mittleren 4. Jhs. v. Chr. wird der Raub zur Gemeinschaftstat.46 An deren Ausführung ist Iason zwar beteiligt, aber nur als einer unter mehreren. Durch eine Namensbeischrift ist er eindeutig identifiziert. Mit zwei langen Speeren bedrängt er die Schlange, die sich um den Stamm eines hohen Baumes mit dem Widderfell im Geäst windet. Dabei kommt ihm Herakles zu Hilfe, der das Untier keulenschwingend angreift. Mehrere namenlose Argonauten sind ebenfalls mit von der Partie. Deutlich größer als diese Kämpfer ist jedoch Medeia, die mit einem reich dekorierten, recht großen Behälter in der oberen Bildhälfte wiedergegeben ist. Ihre auffällige orientalische Tracht unterstreicht die Fremdartigkeit ihrer Erscheinung. Ihre rechte Hand weist auf den Kopf des Reptils und zeigt damit das Ziel ihrer durch Hilfsmittel verstärkten magischen Kräfte an. Diese Kräfte sind es, die letztendlich die Schlange besiegen; mögen die Heroen auch noch so tapfer kämpfen.47 Auf anderen Vasenbildern steht Medeia ihrem Mann allein zur Seite. Aus dem Heros mit vielen heldenhaften Helfern wird der Heros mit einer einzigen Hel-

46 Apul. Rf. Volutenkrater aus Ruvo, St. Petersburg, Ermitage 1718 (St. 422) (um 350 v. Chr.): Trendall / Cambitoglou, Apulia 1, S. 424 Nr. 55; Neils, Iason, S. 633 Nr. 39. 47 Erst in der neuzeitlichen Malerei übernimmt Jason selbst die Betäubung des Drachens durch den magischen Trank; s. z. B. das um 1668 entstandene Gemälde von Salvator Rosa in Montreal: Salerno, L’opera, S. 102 Nr. 218 Taf. 63.

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ferin. Deren aktive Rolle wird durch unterschiedliche bildliche Mittel betont. So berührt sie etwa auf einem apulischen Glockenkrater in Turin bereits die Schlange, während Iason noch mit dem Schwert auf diese zielt.48 Diese Rollenaufteilung verschiebt sich noch weiter; aus dem Heros mit seiner Helferin wird der Heros als Helfer seiner Frau. Nun ist es Medeia, die der Schlange entgegentritt, während sich Iason von hinten nähert. Auf einem paestanischen Volutenkrater besänftigt sie das Untier mit einem Trunk aus ihrer Phiale, wodurch sie es Iason ermöglicht, sich von hinten anzuschleichen und das goldene Vlies zu rauben (Abb. 6).49 Während er hier immerhin noch eigene Initiative ergreift, wird er auf anderen Vasenbildern zum gänzlich inaktiven Begleiter; die handelnde Person ist nun allein Medeia. So versinkt Iason auf einer paestanischen Bauchlekythos des Asteas bewegungslos in die Betrachtung Medeias, während diese die Schlange zu sich lockt (Abb. 7).50 Korrespondierende Gewandmuster unterstreichen die Verbindung der beiden, wobei die rot gefasste Kopfbedeckung der Zauberin deren Figur deutlich hervorhebt. Medeia agiert, Iason schaut zu; sie ist die Haupt-, er die Beifigur.

2.3

Die Unterjochung der wilden Stiere

Das ungewöhnliche, der üblichen Rollenverteilung zwischen Heroen und ihren Partnerinnen zuwiderlaufende Verhältnis von Medeia und Iason wird auch in dem Erzählstrang zur Unterjochung der beiden wilden Stiere deutlich. Aietes hatte Iason die Aufgabe gestellt; sie gehört zu den vielen Bewährungsproben, die ein Heros gemäß gängiger Mythenkonvention bestehen muss. Dieses Abenteuer wird auf zwei apulischen Gefäßen, einem Glocken- (Abb. 8) und einem Volu-

48 Apul. rf. Glockenkrater des Jason-Malers, Turin, Privatsammlung (ca. 360 v. Chr.): Trendall / Cambitoglou, Apulia 1, S. 133 Nr. 294 Taf. 43, 3; Neils, Iason, S. 633 Nr. 38*. 49 Paestan. rf. Volutenkrater, Neapel, NM 82126 (H 3248) (um 320/10 v. Chr.): Trendall, Paestum, S. 344f. Nr. 630 Taf. 224 c; Neils, Iason, S. 633 Nr. 42*. Trendall, Paestum, S. 344 beschreibt Iason als „stepping up rather gingerly“. Ähnliche Komposition, mit sitzender Medeia, auf einer lukan. rf. Hydria des Brooklyn-Budapest-Malers in Paris, Louvre S 4042 (380–360 v. Chr.): Trendall, Lucania, S. 112 Nr. 579; Neils, Iason, S. 633 Nr. 40. 50 Paestan. rf. Bauchlekythos des Asteas, Bochum, Kunstsammlungen der Ruhr-Universität S 1080 (um die Mitte des 4. Jhs. v. Chr.): Trendall, Paestum, S. 109–111 Nr. 143 Taf. 62 b; Neils, Iason, S. 633 Nr. 41*; BAPD 9032262. Medea hält in der Rechten eine Phiale, links eine Oinochoe. Beides ist auf den Fotos kaum noch zu erkennen; s. aber die Umzeichnung CVA Bochum 3, S. 85 Abb. 21. Auch wenn Iason und Medeia in nicht-narrativen Bildern gemeinsam dargestellt werden, steht er handlungslos neben ihr, während sie den großen und prächtig dekorierten Behälter mit ihren Zaubermitteln öffnet; s. z. B. Neils, Iason, S. 631 Nr. 12f.

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Abb. 6. Paestan. rf. Volutenkrater, Neapel, NM 82126 (H 3248), Bildausschnitt, © su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli – foto di Luigi Spina (Bildausschnitt).

Abb. 7. Paestan. rf. Bauchlekythos des Asteas, Bochum, Kunstsammlungen der Ruhr-Universität S 1080, Bildausschnitt, © Kunstsammlungen Antike der Ruhr-Universität Bochum, Foto: Michael Benecke (Bildausschnitt).

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tenkrater, gezeigt.51 Offensichtlich sind beide Bilder in Kenntnis und auf der Folie der seit der Archaik populären Darstellungen von Herakles im Kampf mit dem kretischen Stier entstanden.52 Obwohl Iason eigentlich gegen zwei Stiere kämpfte, wird er wie Herakles nur mit einem Stier dargestellt; auf dem Volutenkrater aus Ruvo hat er als Attribut sogar eine Keule. In beiden Fällen ringt er den Stier nieder und entspricht damit dem gängigen Schema des bestienbezwingenden Heros. Aber dennoch gibt es einen entscheidenden Unterschied zu Herakles: während dieser das Untier ganz allein bezwingt, benötigt Iason dafür die Hilfe Medeias und ihrer Magie. Dass ein Heros von einer Göttin oder einer Heroine unterstützt wird, ist an sich wieder ein geläufiger Topos;53 Herakles z. B. erfährt wiederholt Athenas Beistand. Entscheidend ist jedoch, wie dieser Topos bildlich umgesetzt wird – und hierbei charakterisieren die Vasenmaler das jeweilige Verhältnis der Protagonisten zu ihren Helferinnen unmissverständlich. Ein Vergleich der beiden stierkämpfenden Heroen auf dem Glockenkrater in Neapel und auf einem Gefäß gleicher Form und ähnlicher Zeitstellung kann dies verdeutlichen (Abb. 8–9).54 Die Figur des Heros ist jeweils sehr ähnlich gestaltet. Beide haben muskulöse Körper und volles lockiges Haar. Sie knien mit angewinkeltem linken Bein auf bzw. neben dem Tier und neben ihnen ist eine Nike dargestellt. Als weitere Beifiguren sind im Fall von Iason nur Medeia, im Fall von Herakles Athena und Iolaos angegeben. Während die beiden letzteren die Kampfszene lediglich rahmen, ohne in irgendeiner Weise in das Geschehen einzugreifen, steht Medeia dicht hinter dem Stier und hält mit ihrer Rechten eine Pflanze, offensichtlich ein magisches Mittel, über die Bestie. Das Gleiche tut Nike, die ebenfalls eine Art Zauberkraut zum Kopf des Stieres führt, das sie anscheinend aus einer großen Schale in ihrer Linken genommen hat. Ganz anders verhält 51 Apul. rf. Glockenkrater aus dem Umkreis der Eumenidengruppe, Neapel, NM 81415 (H 2413) (um 370 v. Chr.): Trendall / Cambitoglou, Apulia 1, S. 101 Nr. 262; Neils, Iason, S. 631 Nr. 16; apul. rf. Volutenkrater aus Ruvo, Neapel, NM 82261 (H 3252) (um 330/20 v. Chr.): Trendall / Cambitoglou, Apulia 2, S. 977f. Nr. 200; Neils, Iason, S. 631 Nr. 17* (die sich rechts neben der Kampfgruppe um einen Baum windende Schlange spielt auf die Erringung des Goldenen Vlieses an, ohne dass dieses dargestellt wäre). Hierzu s.a. Kottaridou, Kirke, S. 276–278. 52 Für einen aufgrund der Fülle der Beispiele sehr selektiven Überblick s. Todisco, Herakles, S. 59–63 Nr. 2306–2356. Vgl. auch die um 530 v. Chr. einsetzenden Darstellungen von Theseus und dem Stier von Marathon, bei denen Athena gelegentlich ebenfalls als Beistand für Theseus gezeigt wird: Shefton, Herakles, S. 344–353. 367f.; Neils, Theseus, S. 936–939. In der unteritalischen Vasenmalerei spielt Theseus allerdings, anders als Herakles, keine größere Rolle. 53 Zum Götterbeistand s. Beckel, Götterbeistand. 54 Apul. rf. Glockenkrater des Malers von Neapel 2865, Neapel, NM SANC 81410 (um 360 v. Chr.): Shefton, Herakles, S. 351 Anm. 88; Trendall / Cambitoglou, Apulia 1, S. 133 Nr. 292; De Caro, Ercole, S. 44 (m. Farbabb.).

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Abb. 8. Apul. rf. Glockenkrater aus dem Umkreis der Eumenidengruppe, Neapel, NM 81415 (H 2413), Bildausschnitt, © su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli – foto di Giorgio Albano.

sich dies bei Herakles, der von Nike keine Hilfsmittel, sondern den Siegeskranz erhält. Der Stellenwert der Protagonisten wird auch durch die Körperhaltung Nikes zum Ausdruck gebracht. Bei Iason streckt sie zwar die Hand mit dem magischen Kraut in seine Richtung, wendet sich aber von ihm ab und dezidiert Medeia zu. Bei Herakles hingegen schwebt sie von Athena aus kommend auf den siegreichen Helden zu, um diesen zu bekränzen. Die Bildkompostion unterstreicht ebenfalls, welchen Figuren besonderes Augenmerk zukommt. Bei Iason wird eine Dreieckskomposition gebildet, mit Nike als Mittelachse, Iason und Medeia jeweils außen. Durch die Hinwendung der Siegesgöttin zu Medeia erhält die rechte Seite jedoch ein deutliches Übergewicht. Herakles und der Stier bilden ebenfalls eine Dreieckskomposition, die von Nike betont und von den beiden anderen Beifiguren gerahmt wird (Abb. 9). Der Zeussohn ist unzweifelhaft die Hauptfigur, während Iason gegenüber Medeia geradezu an den Rand rückt.55

55 Auch bei dem o. a. Volutenkrater aus Ruvo (s. o. Anm. 51) kommt eine Dreieckskomposition zum Einsatz, in der Iason eine periphere und Medeia direkt über dem Stier die zentrale Position einnimmt.

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Abb. 9. Apulischer Glockenkrater des Malers von Neapel 2865, Neapel, NM SANC 81410, Bildausschnitt, © su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli – foto tratta dall’archivio Mann (Bildausschnitt).

3.

Die Mörderin und der machtlose Heros

Noch deutlicher als bei den heroischen Kämpfen Iasons kommt sein ungleichgewichtiges Verhältnis zu Medeia in den Darstellungen zum Ausdruck, die dem Kindermord gewidmet sind. Dieses Thema wird in der attischen Bilderwelt vermieden, dafür aber von den unteritalischen Vasenmalern aufgegriffen.56 Iason erscheint hier als völlig machtlos.57 Er kann das Geschehen nicht beeinflussen oder gar verhindern. Alles, was ihm bleibt, ist der auf dem Schlangenwagen ihres Großvaters Helios enteilenden Medeia hinterherzusehen. Seine Versuche, die Schlangen anzugreifen, bleiben wirkungslos,58 das Recken des Schwerts verpufft

56 Schefold / Jung, Sagen, S. 42–47; Kottaridou, Kirke, S. 283–289; Neils, Iason, S. 635 Nr. 70*–74; Schmidt, Medeia, S. 391f. Nr. 29*–31. 35*–39*. Zu Gewaltdarstellungen in der unteritalischen Vasenmalerei s. Schmidt, Gewalt; zu Medeia ebenda S. 178. 57 Apul. rf. Volutenkrater München, Antikensammlungen 3296 (J 810) (um 330 v. Chr.): Trendall / Cambitoglou, Apulia 2, S. 533 Nr. 283 Taf. 195, 1; Neils, Iason, S. 638 Nr. 74; Schmidt, Medeia, S. 391 Nr. 29*. Iason eilt hier aus der Ferne heran, während Medea bereits das Morden beginnt. 58 Apul. rf. Frgt., Berlin, Staatliche Museen, Antikensammlung 30916 (2. Viertel des 4. Jhs. v. Chr.): Trendall / Cambitoglou, Apulia 1, S. 419 Nr. 28 Taf. 152, 5; Neils, Iason, S. 638 Nr. 72*.

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als leere Geste.59 Zu seiner Ohnmacht kommt noch die Einsamkeit hinzu. Auf einem lukanischen Kelchkrater von der Wende vom 5. zum 4. Jahrhundert v. Chr. wird besonders eindrücklich gezeigt, wie der Heros allein zurückbleibt, während die Mörderin seiner Kinder in die Lüfte emporsteigt und durch einen Strahlenkranz der menschlichen Sphäre entrückt wird.60 Iason macht hier noch nicht einmal den Versuch, Medeia aufzuhalten. Beide sind hier zwar noch durch Blickkontakt miteinander verbunden, an ihrer endgültigen Trennung bleibt aber kein Zweifel. Dies wird durch mehrere auffällige Doppelungen hervorgehoben, die das ganze Bild prägen. Sowohl die Dämonen als auch die Schlangen, die Wagenräder, die hingeschlachtet über dem Altar liegenden Kinder, die beiden trauernden Betreuer der toten Kinder und sogar die vor dem Altar emporragenden Zweige sind paarweise dargestellt, nur das ehemalige Paar Iason und Medeia ist auseinandergerissen. Der machtlose Heros und die machtvolle Heroine sind hier klar kontrastiert. Medeia beherrscht das Zentrum der Darstellung, Iason ist eine isolierte Randfigur.

4.

Die Intrigantin und der wahre Heros

Treten andere, normgerecht agierende Heroen auf den Plan, kann allerdings selbst eine mächtige Zauberin wie Medeia kein Profil gewinnen. In der attischen Vasenmalerei wird dies durch Medeias Auseinandersetzung mit Theseus, dem Polisheros Athens, deutlich gemacht.61 In diese Stadt flieht Medeia nach der Ermordung ihrer Kinder, findet Aufnahme bei Aigeus, dem König von Attika, und wird schließlich zur Frau an dessen Seite. Als Aigeus’ verschollener Sohn Theseus aus seinem Geburtsort Troizen nach Athen kommt und sich seinem Vater zu erkennen gibt, versucht Medeia, ihren Stiefsohn zu beseitigen. Hierfür bedient sie sich ihrer bewährten Kenntnisse im Giftmischen, überredet aber auch Aigeus dazu, Theseus mit der gefährlichen Tötung des Marathonischen Stieres zu

59 Lukan. rf. Hydria, Policoro, NM 35296 (um 400 v. Chr.): Trendall, Lucania, S. 58 Nr. 286 Taf. 26, 3. 27, 3; Neils, Iason, S. 635 Nr. 70*; Schmidt, Medeia, S. 391 Nr. 35*. Aktiver in der Verfolgung Medeias ist Iason nur als Berittener auf der apul. rf. Amphora des Dareiosmalers, Neapel, NM 81954 (H 3221) (um 340 v. Chr.): Trendall / Cambitoglou, Apulia 2, S. 497 Nr. 43 Taf. 178, 1; Neils, Iason, S. 635 Nr. 73*; Schmidt, Medeia, S. 392 Nr. 37*; Giuliani / Most, Medea, S. 199–206 Abb. 9.2f. 60 Lukan. rf. Kelchkrater, ehem. Fort Worth, Kimbell Art Museum, Slg. Hunt (um 400 v. Chr.): Neils, Iason, S. 635 Nr. 71; Schmidt, Medeia, S. 391f. Nr. 36*. 61 Zu Theseus in der attischen Bilderwelt von den Hoff, Posen; Flashar / von den Hoff / Kreuzer, Theseus; Servadei, Figura; von den Hoff, Media; von den Hoff, Theseus; von den Hoff, Heros, S. 121–128.

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beauftragen und ihn damit in den (fast) sicheren Tod zu schicken.62 Während Medeia mit ihren Mordplänen bislang stets erfolgreich war, stößt sie in Athen auf Widerstand. Theseus übersteht ihre Ränke unbeschadet, die Zauberin wird aus dem Land gejagt. Wenn Medeia in der attischen Bilderwelt mit Aigeus und Theseus erscheint, wird sie stets deutlich gezähmter wiedergegeben als wenn sie mit Iason zusammen ist. Dabei gibt es für sie im Wesentlichen zwei Darstellungsoptionen, die um die Mitte des 5. Jhs. v. Chr. einsetzen und bis in die Mitte des 4. Jhs. v. Chr. laufen. Bei der ersten Option tritt Medeia als Begleiterin des Königs auf und entspricht dabei zumindest vordergründig dem gängigen comment weiblichen Verhaltens, speziell dem der züchtigen Ehefrau. Die orientalische Tracht sowie das bekannte Kästchen oder ein Gefäß in ihrer Hand verweisen allerdings deutlich auf ihre Fremdheit und auf ihre Zauberkünste, die sie zur gefährlichen Bedrohung für den rechtmäßigen Thronerben machen.63 Bei der zweiten, deutlich häufigeren Darstellungsoption wird gezeigt, wie Medeia an Theseus scheitert, der ihre Umtriebe aufgedeckt und sich als überlegener Gegner erwiesen hat.64 Erschreckt läuft sie vor dem siegreichen jugendlichen Heros davon und folgt damit dem üblichen Schema der fliehenden Heroine (Abb. 10).65 Verschlagen und furcht-

62 Zu den Mythenversionen um Theseus und Medeia s. Shefton, Medea; Kron, Phylenheroen, S. 128; Sourvinou-Inwood, Theseus; Sourvinou-Inwood, Myths. 63 Medea mit Kästchen oder Phiale neben dem thronenden Aigeus: Kron, Aigeus, S. 361 Nr. 15*–17; Meyer, Heldinnen, S. 121 mit Anm. 51. 64 Auf einer Reihe von Vasenbildern führt Theseus den bezwungenen Stier von Marathon fort, was von seinem Vater Aigeus beobachtet wird. Vor dem Stier ist eine Frau in eiliger Bewegung dargestellt, die ein Gefäß hält. Sie wendet sich zu Theseus um, läuft aber in die Gegenrichtung: Shefton, Medea; Sourvinou-Inwood, Theseus, S. 29–58; Kron, Phylenheroen, S. 128–134; Kron, Aigeus, S. 360–362 Nr. 5 f. 8–12; Schefold / Jung, Sagen, S. 251–253; SourvinouInwood, Myths (mit recht weitgehender Interpretation als Sinnbild für den athenischen Sieg über Persien); Kottaridou, Kirke, S. 260–268; Neils, Theseus, S. 938 Nr. 200*. 203–208*; Meyer, Heldinnen, S. 121f. mit Anm. 52. S. außerdem auch die att. rf. Pelike Athen, NM 13026 (440–430 v. Chr.): ARV2, S.1093 Nr. 90; Meyer, Heldinnen, S. 121f. Abb. 7 a–c; BAPD 216032 (Phiale ist der Fliehenden entglitten). Zwar fehlen identifizierende Namensbeischriften, aber da die Frau auf einigen Vasenbildern eine orientalische Tracht trägt (Abb. 10), ist die Benennung als Medeia plausibel. Kron, Aigeus, S. 364: „Die Vasenmaler deuten so proleptisch die Absicht der Zauberin an, den Theseus zu vergiften, nachdem ihr erster Plan, Theseus beim Kampf mit dem Stier umkommen zu lassen, mißlungen ist“. 65 Das Erschrecken Medeias wird besonders deutlich auf dem att. rf. Glockenkrater des Malers von München 2335, Madrid, MAN 32679: ARV2, S. 1163 Nr. 45; Kron, Aigeus, S. 360 Nr. 9*: Servadei, Figura, S. 76 Abb. 28; BAPD 215394. Zu den Verhaltensschemata von Heroinen s. Lyons, Gender, v. a. S. 67: „The typical heroine is transgressed against rather than transgressing“. Ebenda S. 171: „… heroines do not generally initiate action but rather react to others“.

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sam, das sind die Rollenmuster, auf die Medeia im Kontext des Königshofs von Attika reduziert wird.66

Abb. 10. Att. rf. Glockenkrater des Malers von München 2335, Madrid, MAN 32679, Bildausschnitt, © Museo Arqueológico Nacional, Madrid, Inv. 32679. Foto: Antonio Trigo Arnal (Bildausschnitt).

Eine größere Eigenständigkeit wird ihr nur im Verhältnis zu einem Heros wie Iason zugestanden, der seit Beginn der Klassik anscheinend als problematische Figur wahrgenommen und entsprechend dargestellt wird. Im Hinblick auf das antike Verständnis von Herrschaft und Herrschaftslegitimation könnte man überspitzt formulieren, dass eine gefährliche Zauberin zwar an der Seite eines schwachen Mannes ihre dämonische Macht entfalten kann, dass sie aber von einem vorbildlichen Heros wie Theseus, einem der Urkönige Athens, notwendigerweise auf das ihr als Frau vermeintlich angemessene Maß zurückgestutzt wird. Hier kommt dasselbe Muster zur Anwendung wie bei Medeias Tante Kirke. Auch diese heimtückische Hexe macht Männer zu machtlosen Marionetten, bis sie von Odysseus, der sich nicht nur hierdurch als der rechtmäßige König Ithakas erweist, in die Schranken gewiesen wird.67

66 In der unteritalischen Vasenmalerei spielen die attischen Urkönige naturgemäß eine geringere Rolle, das Thema wird seltener aufgriffen: Kron, Phylenheroen, S. 133f. ; Kron, Aigeus, S. 362 Nr. 23*. 67 Zur Entmachtung Kirkes, die von ca. 560–480 v. Chr. als gefährliche Zauberin, bis ca. 430 dann auf der Flucht vor Odysseus dargestellt wird, Kottaridou, Kirke; Reeder, Pandora, S. 403– 406; Meyer, Heldinnen, S. 118. 122. 129f.

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5.

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Fazit

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Figur Medeias die Möglichkeit zur Auslotung und Inversion von Geschlechterstereotypen bietet. In der attischen Bilderwelt wird Medeia als mächtige Magierin charakterisiert, die den Argonautenzug tatkräftig unterstützte, in Athen aber dank der heroischen Gegenwehr von Theseus scheitert. Iason bleibt eine blasse, zum Teil auch negativ gezeichnete Gestalt. Hinweise auf den Kindermord werden vermieden. Dies ändert sich erst in der unteritalischen Vasenmalerei, in der die grässliche Tat recht häufig aufgegriffen wird. Medeia erscheint in diesem Zusammenhang als der menschlichen Sphäre nahezu entrückt. Ihre Figur fasziniert die Vasenmaler (und ihre Kunden) sehr, so dass nun auch weitere mythologische Episoden aus dem Umfeld des Argonautenzuges dargestellt werden. Hierbei spielt Iason zwar eine Rolle, wird jedoch stets und im Laufe der Zeit immer stärker von seiner Ehefrau überstrahlt. Während in der attischen Bilderwelt das ‚Problem‘ Medeia durch den wahren Heros Theseus beseitigt wird, malen die unteritalischen Vasenbilder die schauerlichen Folgen aus, die entstehen, wenn ein Mann seine Frau nicht kontrolliert. Dann kann eine Heroine aus der ihr eigentlich zukommenden untergeordneten Rolle heraustreten und den durch männliche Schwäche entstandenen Freiraum für verderbliche Umtriebe mit fatalen Auswirkungen nutzen. In der attischen und unteritalischen Vasenmalerei wird die Beziehung von Medeia und Iason, von Heroine und Heros und damit auch von weiblichen und männlichen Geschlechterstereotypen diskursiviert und sehr facettenreich nuanciert. Dabei werden geläufige Rollenbilder immer wieder neu justiert. Während andere Heroen als tapfere Kämpfer mit attributiver Begleitung erscheinen, wird Iason zur kraft- und tatenlosen Beifigur einer mächtigen Heroine. Dies läuft dem allgemeinen Trend zuwider, dem zufolge Frauen in klassischer Zeit vor allem und mit zunehmender Intensität als passive Geschöpfe wiedergegeben werden.68 Die ‚gefährliche‘ und bezeichnenderweise gerade auch die ‚fremde‘ Frau fasziniert und findet dementsprechend auch Resonanz in der Bilderwelt, aber sie muss als beherrscht bzw. als beherrschbar erscheinen. Medeia als Prototyp einer bedrohlichen Fremden steht genau in diesem Spannungsfeld. Im Zusammenspiel mit dem ebenfalls prototypischen, allerdings eindeutig positiv besetzten Theseus muss sie unterliegen. Im Umfeld dieses zukünftigen Herrschers ist für sie kein Platz. Erst eine nicht nur in der bildlichen, sondern auch in der literarischen Überlieferung zunehmend problematisierte Figur wie Iason macht eine immer eigenständiger agierende ‚Frau an seiner Seite‘ überhaupt möglich. In dieser sehr spezifischen Konstellation können die Vasenmaler Handlungs- und Verhaltensoptionen von Heros und Heroine durchspielen, die 68 Meyer, Heldinnen, bes. S. 130. 132–134.

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ansonsten durch klare Rollenmuster festgelegt wären. Ein schwacher Mann kann seine Frau nicht kontrollieren und gefährdet damit nicht nur seine eigene Familie, sondern auch andere und damit letztendlich die ganze Gesellschaft. Gerade durch die Inversion von Geschlechterstereotypen im Fall von Iason und Medeia wird deren Existenz legitimiert. Wenn wir zum Schluss den Bogen zum Titel der Tagung ‚Dominant, verführerisch, ewig schuld‘ schlagen, dann kommt Medeia sicher der dominante Part zu, während Iason als Liebling der Aphrodite einiges an Verführungskraft zuzuschreiben ist. Ewig schuld sind sowohl in der zeitgenössischen Wahrnehmung als auch in der bis in die Moderne reichenden Rezeption sicher beide – doch selbst in dieser Hinsicht steht Medeia klar im Vordergrund.

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Sara Kipfer

Batseba und Tamar in 2Sam 11–13 oder: Erzählungen jenseits von Täter-Opfer-Konstruktionen

1.

Einleitung

„Dominant, verführend, ewig schuld“ – diese Adjektive treffen genau auf Batseba zu. Über die Jahrhunderte ist Batseba wohl zur bekanntesten „Verführerin“ aller Zeiten geworden. Seit dem frühen Mittelalter wird sie immer wieder in Buchillustrationen und Gemälden dargestellt;1 sie ist Hauptfigur in Drama2 und Film.3 Auf Grund ihrer Schönheit hat sie es geschafft an den judäischen Königshof zu gelangen, sich geschickt zur Königinmutter hochzuarbeiten und findet schliesslich im Neuen Testament (Mt 1,6) als Vorfahrin Jesu Anerkennung – dies ist zumindest eine Interpretation der Erzählung in 2Sam 11–12. Direkt im Anschluss an die Erzählung von Batseba folgt als „Parallel- und Kontrasterzählung“4 die Geschichte von Tamar (2Sam 13,1–22). Diese Erzählung ist zwar nicht ganz so bekannt wie die von Batseba,5 aber nichts desto trotz zählt auch der Text in 2Sam 13,1–22 zu den am häufigsten untersuchten Erzählungen im 2. Samuelbuch.6 In beiden Erzählungen geht es um Sexualität und Macht.7 Im Zentrum steht jedoch weniger die Darstellung von „Opfer“ und „Täter“ / „Täterinnen“ – wie immer wieder implizit vorausgesetzt wird – sondern vielmehr die Frage nach dem sozialen Rahmen von Emotionen und Handlung. Dies soll im Folgenden in einem 1 Vgl. beispielsweise Kunoth-Leifels, „Bathseba im Bade“. 2 Vgl. zur Darstellung Batsebas in Dramen um 1900 Fischer, Batseba als Femme fatale; sowie in Romanen: Müllner, Blickwechsel. 3 Vgl. Gunn, Bathsheba Goes Bathing in Hollywood; Exum, Plotted, Shot, and Painted, bes. S. 23–24, 46–48. 4 Vgl. Müllner, Gewalt im Hause Davids, S. 83. 5 Zur Rezeption der Tamar-Erzählung siehe beispielsweise Kipfer, Love Turns into Hate. 6 Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 257: „Das zunehmende Interesse an hebräischen Erzähltexten wie an biblischen Frauengestalten hat II 13,1–22 zu einer der am sorgfältigsten untersuchten Erzählungen im 2. Samuelbuch werden lassen.“ 7 Vgl. Müllner, Gewalt im Hause Davids, S. 119: „Es kann nicht in Frage stehen, daß Sexualität innerhalb der ‚Thronfolgeerzählung‘ eine maßgebliche Rolle spielt. Doch ist nicht Sexualität als solche das Problem, sondern die Sexualisierung von Machtpolitik und umgekehrt die Funktionalisierung von Sexualität für die Machtpolitik.“

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Sara Kipfer

ersten Schritt an der Erzählung von Batseba ausgeführt werden. Besondere Beachtung findet dabei die Szene in 2Sam 11,1–5, wo es zur direkten Begegnung zwischen Batseba und David und damit zum sexuellen Akt kommt. Anschliessend wird in einem zweiten Schritt die Erzählung von Tamar in 2Sam 13,1–22 analysiert. In einem zusammenfassenden Schlussteil werden die Ergebnisse aus der Textinterpretation festgehalten und Folgerungen für eine künftige gendergerechte Exegese gezogen in der stärker die historische Genderforschung berücksichtigt wird.

2.

Batseba – Weder Verführerin noch Opfer sexueller Gewalt (2Sam 11,1–5)

Lange Zeit war es in der Forschung unumstritten, dass Batseba David verführt hat, obwohl der Text dies mit keinem Wort sagt.8 Erst in den letzten Jahrzehnten kam es zu einer radikalen Uminterpretation und Batseba wurde zunehmend ein Opfer sexueller Gewalt, das dem mächtigen König David schutzlos ausgeliefert ist. Seit diesem Zeitpunkt existiert in der alttestamentlichen Wissenschaft ein heftiger Streit darüber, wie die Erzählung in 2Sam 11f. zu verstehen ist.9 Einige halten nach wie vor an der „Verführerinnen-These“ fest und weisen Batseba die Schuld zu – die Argumente ähneln häufig dem Muster „victim-blaming“.10 So meint beispielsweise George G. Nicol, dass „Bathsheba’s action of bathing in such close proximity to the royal palace was deliberately provocative“.11 Er charakterisiert sie als „clever and resourceful woman who in marrying David evidently

8 Bei einer ganzen Reihe frühchristlicher Autoren (beispielsweise Tertullian von Karthago, Origenes, Ambrosius von Mailand, Johannes Chrysostomus, Asterius der Homilet) ist David klar der Schuldige. Vgl. ausführlich dazu Grätz / Grieser, David, der Versager, S. 199–214. Allerdings gab es bereits in frühchristlicher Zeit Stimmen, die Batseba verantwortlich machen wollten. So beispielsweise Ephrem der Syrer. Vgl. Mathews, The Armenian Commentary, S. 96. Dies greift beispielsweise Caspari, Die Samuelbücher, S. 524f. auf. 9 Vgl. dazu auch Móricz, Beyond the Textual Gaps, bes. S. 7 und 11. Vgl. Chankin-Gould / Hutchinson / Jackson / Mayfield / Rediger Schulte / Schneider / Winkelman, The Sanctified ‚Adulteress‘, S. 339: „Bathsheba: Seductive nudist? Post-menstruant? Innocent bather? Bathsheba has been depicted as everything from a traditional Israelite woman bathing to a seductress luring David into her bed.“ Vgl. zudem Melanchthon, Bathsheba Reconsidered, S. 87–91. Leider konnte die Arbeit von Fischer, Königsmacht, Begehren, Ehebruch und Mord, nicht mehr berücksichtigt werden. 10 Hertzberg, Die Samuelbücher, S. 254, vermutete beispielsweise „weibliche Koketterie“. 11 Nicol, The Alleged Rape, S. 44. Er räumt jedoch ein: „My conclusion that such a possibility should be taken seriously depends on neither a perverse decision to assassinate the woman’s character nor a misguided attempt to mitigate the seriousness of David’s moral failure.“ (S. 44).

Erzählungen jenseits von Täter-Opfer-Konstruktionen

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achieves her goal“.12 Randall C. Bailey vermutet, dass Batseba den Umstand „sex becomes a tool of politics“13 geschickt auszunutzen versteht. Andere machen Batseba zum Opfer königlicher Macht und behaupten, sie wäre unschuldig und das Opfer eines sexuellen Übergriffs.14 Cheryl Exum war 1993 eine der ersten, die zu diesem Schluss kam. Sie tat dies eher zurückhaltend: „Whether or not David rapes Bathsheba is a moot question, and I do not feel compelled to argue, since I am not interested in subjecting a literary creation to cross examination.“15 Stattdessen weist sie auf eine Vergewaltigung durch den hin, der Batseba zum Lustobjekt stilisiert („raped by the pen“).16 In der Folge wurde Batseba jedoch immer häufiger nicht nur zum „fiktiven“, sondern zum „faktischen“ Opfer der Erzählung.17 David wird als Despot beschrieben, der sich der Frau seines Untertans bemächtigt.18 Steven McKenzie kommt zum Schluss: Batseba „is presented as the passive victim of his lust.“19 Ein

12 Nicol, The Alleged Rape, S. 53. 13 Bailey, David in Love and War, S. 88, vermutet: „In this regard, however, perhaps one should rethink whether this unit is a narrative primarily concerned with ‚sexual lust gone awry‘ or rather with a story of political intrigue in which sex becomes a tool of politics.“ Er führt an: „There is a precedent for portraying situations where women engage in sex as means of improving their status.“ (S. 89). 14 Vgl. zuletzt Andruska, „Rape“, S. 108: „The sexual encounter between David and Bathseba in 2Sam 11:4 was a rape. […] Bathsheba was innocent.“ 15 Exum, Plotted, Shot, and Painted, S. 22. Vgl. Exum, Fragmented Women, S. 173: „In what sense is Bathsheba raped? The question is not whether or not she could have resisted. We cannot subject a literary creation to cross-examination. The point is not, what Bathsheba might have done or felt; the point is we are not allowed access to her point of view. There is no attempted seduction recounted, which would give the woman a role, even if one in which she is manipulated. The denial of subjectivity is an important factor in rape, where the victim is objectified and, indeed, the aim is to destroy her subjectivity.“ 16 Exum, Fragmented Women, S. 170, hält fest, dass es nicht um reelle Gewalt geht, sondern um Gewalt „against women as it takes place in biblical narrative“. Und sie führt aus: „Throughout this study, I have taken the position that women in the biblical narrative are male constructs. I do not assume, therefore, that these stories report actual events. […] I do, however, take these stories to be realistic: they represent a society and its values.“ (S. 170). 17 Auf die Tatsache, dass die Rezeption der Batseba-Erzählung höchst problematisch ist, insofern der weibliche Körper fast ausnahmslos zur Projektionsfläche männlicher Phantasien gemacht wird – ist ausführlich immer wieder hingewiesen worden und das soll hier nicht erneut getan werden. Vgl. Exum, Plotted, Shot, and Painted, S. 19–54. Bal, Reading „Rembrandt“, S. 243, spitzt dies noch weiter zu, wenn sie festhält: „It allows to endorse the ideology of voyeurism and, siding with David, to blame the exposed woman.“ 18 Vgl. Fischer, David und Batseba, S. 57: „Fragen wir nach dem in der Schilderung von Davids Affäre verarbeiteten Batsebamotiv, so gibt es seine Abhängigkeit von dem umlaufenden Topos zu erkennen, daß sich ein orientalischer Herrscher der schönen Frau seines fremden Untertanen bemächtigt.“ Vgl. Naumann, David als exemplarischer König, S. 145–163. 19 Vgl. McKenzie, King David, S. 157. Er vermutet hier zudem das Motiv vom alten Mann, der die junge Frau begehrt und leitet den Altersunterschied aus dem Batseba beigefügten Patronym her. In 2Sam 23,34 wird ein Eliam unter den Helden Davids genannt. Wenn Batseba die

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Sara Kipfer

ähnliches Fazit zieht Alexander Izuchukwu Abasili 2011, der das „concept of rape“ in der Hebräischen Bibel untersucht (insbesondere Dtn 22,23–27): „To blame Bathsheba for the sexual intercourse is tantamount to blaming her for David’s lack of self-control. Without doubt, Bathsheba was a victim of David’s sexual lust.“20 Jennifer Andruska argumentiert auf Ebene der Syntax und vergleicht den Satz in 2Sam 11,4 mit demjenigen in 2Sam 12,24, wo ein zweites Mal davon die Rede ist, dass David mit Batseba schläft: ‫( ַו ָיּב ֹא ֵאֶליָה ַו ִיּ ְשׁ ַכּב ִע ָמּהּ‬2Sam 12,24aβ). An dieser Stelle fehlt jedoch das Verb ‫„ לקח‬nehmen“.21 Sie behauptet auf Grund der unterschiedlichen Formulierungen sagen zu können, dass im ersten Fall der Beischlaf gegen Batsebas Willen war, nicht jedoch im zweiten Fall. Dieser Vorschlag ist höchst sonderbar, denn es ist wohl kaum anzunehmen, dass das Opfer von Vergewaltigung nun plötzlich nach dem Tod des Ehemannes und des ersten Kindes in einvernehmlichen Beischlaf einwilligt und mit dem Vergewaltiger und Mörder des Ehemannes (ob sie letzteres allerdings weiß, lässt die Erzählung offen) Sex haben möchte! Es müsste längst deutlich geworden sein, dass dieser Streit in der Forschung mit Argumenten des Textes nicht gewonnen werden kann. Der Text will keine Auskunft darüber geben, wie einvernehmlich der Beischlaf war. Das ist schlicht nicht Teil der Erzählung. Aber welche Aussage macht der Text dann? 2Sam 11,1–5 1 Zur Jahreswende aber, zu der Zeit, da die Könige22 ‫ַו ְיִהי ִלְתשׁוַּבת ַה ָשּׁ ָנה ְלֵעת ֵצאת‬ ausziehen, ‫ַה ַמְּלאִכים‬ sandte David Joab aus und alle seine Knechte mit ihm und ‫ַו ִיּ ְשַׁלח ָדּ ִוד ֶאת־יוָֹאב ְוֶאת־ֲעָב ָדיו‬ ganz Israel ‫ִעמּוֹ ְוֶאת־ ָכּל־ ִי ְשׂ ָרֵאל‬ Und sie brachten den Ammonitern Vernichtung und ‫ַו ַיּ ְשִׁחתוּ ֶאת־ ְבּ ֵני ַעמּוֹן ַו ָיֻּצרוּ ַעל־ ַר ָבּה‬ belagerten Rabba. David aber blieb in Jerusalem. ‫ְו ָד ִוד יוֹ ֵשׁב ִבּירוּ ָשׁ ִָלם׃‬ 2 Und es war zur Abendzeit, da erhob sich David von ‫ַו ְיִהי ְלֵעת ָהֶע ֶרב ַו ָיָּקם ָדּ ִוד ֵמַעל‬ seinem Bett und ging auf dem Dach des Königshauses hin ‫ִמ ְשׁ ָכּבוֹ ַו ִיְּתַה ֵלְּך ַעל־ ַגּג ֵבּית־ַה ֶמֶּלְך‬ und her. ‫ַו ַיּ ְרא ִא ָשּׁה ר ֶֹחֶצת ֵמַעל ַה ָגּג‬ Da sah er vom Dach aus eine Frau, die sich wusch. Und die Frau war von sehr schönem Aussehen. ‫אד ׃‬ ֹ ‫ְוָהִא ָשּׁה טוַֹבת ַמ ְרֶאה ְמ‬

Tochter dieses Eliams wäre (2Sam 11,3), dürfte sie um einiges jünger sein als David. Fokkelman, Narrative Art and Poetry, S. 52, spricht von einem „object of desire“. 20 Abasili, Was it Rape?, S. 15. 21 Andruska, „Rape“, S. 106: „If 2 Sam 11:4 were describing consensual sex outside of marriage it would have used [direct object] ‫‚ ָיּב ֹא ֵאֶל־‬to go into/enter‘, as it does in David and Bathsheba’s second sexual encounter in 2Sam 12:24, or [direct object] ‫‚ ָשַׁכב עם־‬to lie with‘ without ‫ָלַקח‬.“ 22 Statt ‫„( ַמְלָאִכים‬Boten“ vgl. 2Sam 11,4) ist hier ‫„( ְמָלִכים‬Könige“) zu lesen, das viele hebräische Handschriften, die LXX, Vetus Latina (Neapolitanischer Codex lat 1, Wiener Fragmente, Abschrift von Legionensis sowie die Randbemerkung zu Inkunabel), Targum, Vulgata und 1Chr 20,1 bezeugen.

Erzählungen jenseits von Täter-Opfer-Konstruktionen

3 Und David sandte hin und erkundigte sich nach der Frau, und er sagte : Ist das nicht Batseba, Tochter von Eliam, die Frau von Urija, dem Hetiter? 4 Und David sandte Boten und ließ sie holen . Und sie kam zu ihm,23 und er schlief mit ihr; sie aber reinigte sich gerade von ihrer Unreinheit.24 Dann kehrte sie zurück in ihr Haus. 5 Die Frau aber wurde schwanger, und sie sandte hin und berichtete es David und sagte: Ich bin schwanger.25

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Die Erzählung beginnt in V. 1 mit dem Setting von Ort und Zeit: Es geschieht zur Jahreswende, die Könige rüsten zum Krieg und auch ganz Israel ist daran beteiligt, bringt den Ammonitern eine Niederlage bei und belagert Rabba.26 David aber nimmt seine Pflichten als Herrscher nicht wahr und bleibt in Sicherheit zu Hause in Jerusalem.27 Diese außenpolitische Schwäche ist gefolgt von einem innenpolitischen Vergehen, auf das zahlreiche Thronwirren folgen werden. In V. 2 werden nochmal genauere Angaben zu Ort und Zeit gemacht, so als müsste präzisiert werden, wann sich die Begegnung zwischen David und Batseba zutrug: An einem Abend stand David auf (‫ )קום‬von seinem Bett und ging auf dem Dach des Königshauses hin und her (‫ הלך‬Hitpael).28 Vom Dach aus – ein zweites Mal wird der Ort (‫ ) ָגּג‬betont – sieht (‫ )ראה‬er eine Frau, die sich wäscht (‫)רחץ‬.29 Die Frau – so beschreibt der Text – „ist von sehr schönem Ansehen“ (‫אד‬ ֹ ‫טוַֹבת ַמ ְרֶאה ְמ‬ 23 LXX liest hier καὶ ει᾿σῆλθεν πρὸς αὐτόν („und er ging zu ihr“), was die Aktivität Batsebas natürlich verringerte und David als Handelnder unterstriche. Allerding bezeugt auch 4QSama frgs. 89–92 ‫„( ותבוא אליו‬und sie ging zu ihm“). Vgl. Cross / Parry / Saley / Ulrich, 1–2 Samuel. Qumran Cave 4/XII, S. 138f. vermuten, dass die Übersetzer der LXX „may have been influenced by three occurrences of third masculine waw-consecutives in the immediate context“. 24 LXX liest ἀπὸ ἀκαθαρσίας αὐτῆς bzw. ἐξ ἀφέδρου αὐτῆς. Vgl. Barthélemy, Critique textuelle, S. 256. ‫ מטמאתה‬fehlt in 4QSama (frgs. 89–92). Vgl. Cross / Parry / Saley / Ulrich, 1–2 Samuel. Qumran Cave 4/XII, S. 138f. Es dürfte sich also bei der Präzisierung „von ihrer Unreinheit“ um eine spätere Ergänzung handeln. So auch Auld, I & II Samuel, S. 456. 25 Die LXX liest ἐγώ ει᾿μι ἐν γαστρὶ ἔχω und dreht die Wortstellung also gerade um. 4QSama (frgs. 89–92) bezeugt zusätzlich ‫הנה‬, was die Aussage Batsebas verstärkt. Vgl. Cross / Parry / Saley / Ulrich, 1–2 Samuel. Qumran Cave 4/XII, S. 139. 26 Zum Verhältnis von 2Sam 11,1* und 2Sam 12,26–30 siehe Kipfer, Der bedrohte David, S. 227. Vgl. ferner Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 229–233 sowie Ababi, Quand les intrigues s’entrelacent. 27 Vgl. beispielsweise Linke, Das Charisma der Könige, S. 108–117: „Die militärische Stärke des Königs gehört in dieser Hinsicht zum Pflichtkanon des Herrschers […].“ (S. 108). Für eine Zusammenstellung der Kriege Davids und der Kriege Joabs siehe Kipfer, Der bedrohte David, S. 94–96. 28 ‫ ַמֲהָלְך‬findet sich beispielsweise noch in Dan 4,26. 29 Batseba hat sich – wie später in 2Sam 12,20 auch David – „gewaschen“ und sicherlich nicht „gebadet“. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch, S. 1237.

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Sara Kipfer

vgl. Gen 26,7; Est 1,11; 2,3).30 Und David sandte (‫ )שׁלח‬hin und erkundigte sich (‫ )דרשׁ‬nach der Frau,31 und er sagte zu sich, beziehungsweise vielleicht auch „man sagte ihm“ (‫)אמר‬, ein Subjektwechsel ist hier nicht auszuschließen: „Ist das nicht Batseba, Tochter von Eliam, die Frau von Urija, dem Hetiter?“ (V. 3). David sieht also ihre Schönheit, er kennt jedoch nicht sogleich ihre Identität. Mit der Nennung ihres Namens, des Patronyms sowie des Namens ihres Mannes und dessen Herkunft, wird festgehalten, dass sie verheiratet.32 Nimmt man einen Subjektwechsel in V. 3 an, was nicht unwahrscheinlich ist, dann kann sogar festgehalten werden, dass nur Batseba, nicht aber David in 2Sam 11,1–5 direkt zu Wort kommt. Es beginnt eine schicksalshafte Verstrickung, denn David schickt (‫ )שׁלח‬ein weiteres Mal. Zum dritten Mal wird das Verb ‫ שׁלח‬verwendet: Nachdem David in V. 1 Joab und alle seine Knechte in den Krieg schickte, schickt er zweimal los, um sich einmal der Identität der schönen Frau zu vergewissern (V. 3) und sie dann zu sich holen zu lassen (V. 4). David ist keineswegs allein. Sein Handeln bleibt entsprechend auch nicht geheim. Es fällt jedoch auf, wie sehr der Erzähler es vermeidet andere Figuren als Subjekt einzusetzen. Mit Ausnahme von dem häufig als späteren Zusatz betrachteten Satz in V. 1aβ* („Und sie brachten den Ammonitern Vernichtung und belagerten Rabba“) geht die Handlung bis zu diesem Moment ausschließlich von David aus.33 Die Begegnung zwischen David und Batseba setzt mit einem Subjektwechsel ein:34 Batseba kommt (‫ ;)בוא‬sie wird nicht zu ihm gebracht.35 David schläft mit ihr (‫ )שׁכב‬und sie kehrt in ihr Haus zurück (‫)שׁוב‬. Alles wird ganz knapp durch

30 Vgl. ausführlich Létourneau, Beauty, Bath and Beyond, S. 73–78. 31 Kunz, Die Frauen und der König David, S. 154, vermutet, dass sich David bei Batseba selber erkundigt und begründet dies mit der identischen Satzstruktur in V. 5: „‫ – שלח‬Verbum dicendi – Präposition ‫ – ל‬angesprochene Person – ‫אמר‬. Da in V. 5 ohne jeden Zweifel allein Batscheba das redende Subjekt ist, erscheint ein angenommener Subjektwechsel in V. 3b aufgrund der analogen Satzstruktur kaum vorstellbar.“ (S. 154f.). Die Vergleichsstellen bei Jenni, Die hebräischen Präpositionen, S. 147, machen die Bedeutung „bei“ für die Präposition ‫ ְל‬jedoch unwahrscheinlich. 32 Nicht nur die Nennung von Vater und Ehemann bei Batseba ist auffällig. Auch die Tatsache, dass sich bei Urija anstelle des Patronyms eine Angabe seiner Herkunft findet, hat immer wieder Fragen aufgeworfen. Dass dieser „Gentilname“ jedoch keineswegs bedeuten muss, dass Urija ein „Ausländer“ ist, hat Ehrlich, Biblical Gentilics, S. 413–421, gezeigt. 33 ‫ רחץ‬in V. 2 steht Partizip f. Sg. ‫ר ֶֹחֶצת‬. 34 Dies wurde in der Vergangenheit gerne übersehen. Vgl. beispielsweise Fischer, David und Batseba, S. 50f.: „Der Erzähler konzentriert sich hier ganz auf Davids Tun, während Batseba erst im letzten Vers das Wort ergreift.“ Ferner Oeming, Die Bedeutung von Frauen, S. 53: „In der biblischen Erzählung ist durchgängig David das handelnde Subjekt […].“ 35 Allerdings wurde korrekterweise auf eine gewisse Spannung zwischen dem „nehmen“ ‫ לקח‬auf der Seite Davids und dem „kommen“ ‫ בוא‬auf der Seite Batsebas hingewiesenen. Vgl. Klein, Bathsheba Revealed, S. 49; Kunz, Die Frauen und der König David, S. 156f. u. a.

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zahlreiche aufeinanderfolgende Verben ausgedrückt:36 David „schickt“ (‫)שׁלח‬ und „nimmt“ (‫ – )לקח‬noch bevor Batseba zu ihm gekommen ist.37 ‫ שׁלח‬und ‫לקח‬ kommen häufiger zusammen vor und implizieren keine sexuelle Gewalt – wie immer wieder behauptet wurde.38 Das gleiche gilt auch von der Aussage, dass David mit Batseba schläft (‫ ַו ִיּ ְשׁ ַכּב ִע ָמּהּ‬vgl. 2Sam 12,24). Anders als im Deutschen gibt es im Hebräischen keinen Begriff, der die Gegenseitigkeit ausdrückt, wie beispielsweise „miteinander schlafen“.39 Der sexuelle Akt geht im Hebräischen immer vom Mann aus.40 Batseba kommt (‫ )בוא‬und kehrt zurück (‫)שׁוב‬. Sie übernimmt die Kontaktregulierung und die Nähe-Distanz-Kontrolle.41 Vom Königshaus (V. 2 ‫) ֵבּית־ַה ֶמֶּלְך‬ kehrt sie in ihr eigenes Haus (V. 4 ‫ ) ַבּ ִית‬zurück. Von da an ist in der Erzählung ausschließlich Batseba Subjekt.42 Und die Erzählung geht genauso knapp weiter wie zuvor: Batseba wird schwanger (‫)הרה‬. Und sie schickt (‫ – )שׁלח‬ein viertes Mal innerhalb dieser fünf Verse kommt das Verb ‫ שׁלח‬vor! – und berichtet (‫ )נגד‬es David und sagt (‫)אמר‬,43 beziehungsweise lässt ihm sagen: „Ich bin schwanger“ 36 Abasili, Was it Rape?, S. 9: „The brief and succinct nature of the description of the sexual intercourse agrees with common biblical practice.“ 37 Die beiden Verben kommen etwa auch in 2Sam 3,15 zusammen vor, wo davon berichtet wird, dass Isch-Boschet nach Michal sendet und sie von ihrem Mann wegholt. Siehe Nicol, The Alleged Rape, S. 49. 38 Vgl. ausführlich dazu Abasili, Was it Rape?, S. 9f. 39 Am deutlichsten wird dies bei dem auch hier verwendeten Verb ‫„(שׁכב‬sex. sich zu jemandem legen“, „mit jemandem schlafen“). Vgl. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch, S.1351. Schulte, Entstehung der Geschichtsschreibung, 196, sieht einen Unterschied zwischen ‫ שׁכב‬mit ‫( ֵאת‬2Sam 13,14 u. a.) und ‫ שׁכב‬mit ‫( ִעם‬2Sam 11,4; 12,24 u. a.): „Was den Gebrauch von ‘im und ’æt betrifft, so steht ‘im immer dann, wenn Mann und Frau in freier Übereinstimmung miteinander schlafen, ’æt in allen anderen Fällen, also z. B. bei Tamars Vergewaltigung.“ Allerdings weist sie bereits selber darauf hin, dass die Pristerschrift ‫ שׁכב‬+ ‫ ֵאת‬verwendet, während im Bundesbuch und Dtn ‫ שׁכב‬+ ‫ ִעם‬steht und es neben einer semantischen Erklärung der Verwendung der unterschiedlichen Präpositionen auch traditionsgeschichtliche Gründe dafür geben könnte. Weitere Verben sind beispielsweise ‫בוא‬ „hineingehen“, „beischlafen“ (meist um den Verkehr eines Mannes mit einer Sklavin auszudrücken, Gen 16,2; 30,3; 38,8; 2Sam 16,21) oder das seltene ‫( שׁגל‬akkad. ˇsaga¯lu „in Beschlag nehmen“), „beschlafen“ (Dtn 28,30; Jer 3,2), aber auch „geschändet werden“ (Nifal; Jes 13,16; Sach 14,2). Vgl. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch, S. 1323. 40 Eine Ausnahme ist etwa ‫„ ידע‬erkennen (im sexuellen Sinn)“ (vgl. Gen 4,1.17.25; 24,16; 38,26; 1Sam 1,19; 1Kön 1,4), das auch von einer Frau gesagt werden kann, allerdings mit Ausnahme von Num 31,17 jeweils negativ: „Frauen, die keinen Mann erkannt haben“ (vgl. Ri 11,39; 21,11f.; Num 31,18). 41 Vgl. Fokkelman, Narrative Art and Poetry, S. 51. 42 Entsprechend ist es sicherlich falsch, Batseba als „complete non-person“ zu bezeichnen. So Berlin, Characterization, S. 224: „All this leads us to view Bathsheba as a complete nonperson. She is not even a minor character, but simply part of the plot.“ 43 Bailey, David in Love and War, S. 86, hat auf die Doppelung von ‫ שׁלח‬und ‫ אמר‬in V. 3 und V. 5 hingewiesen und festgehalten, dass Batseba „is placed within a highly select number of powerful and/or devious women“.

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(‫)הרה‬. Batseba informiert den König nüchtern über seine Vaterschaft.44 Batseba behält durch die gesamte Erzählung hindurch eine gewisse „Handlungsautonomie“.45 Dreimal wird in 2Sam 11,2–5 etwas über Batseba – ihr Äußeres, ihre Identität, ihren Zyklus – mitgeteilt, bis sie im Abschluss der Szene zu Wort kommt: „Ich bin schwanger!“ Mit diesen Worten ist der Höhepunkt der Erzählung und ein ausgewogenes Verhältnis der Subjekt-Objekt Relationen zwischen David und Batseba erreicht.46 Die Erzählung geht selbstverständlich weiter: Urija, der Mann Batsebas, wird vom Schlachtfeld geholt, und als er sich weigert – unter Verweis auf sexuelle Enthaltsamkeit in Kriegszeiten (2Sam 11,11) – zu seiner Frau in sein Haus zu gehen, schickt ihn David kurzerhand mit seiner eignen Todesbotschaft zurück in den Krieg. Da stirbt Urija und als die Trauerzeit vorüber war, holt David Batseba in sein Haus und Batseba wird seine Frau (2Sam 11,27). Doch dieses Verhalten missfällt Gott und so folgt eine Gerichtsankündigung durch den Propheten Natan, Bußhandlung und Strafe. Immer wieder wurde vermutet, dass diese Erzählung von einer göttlichen Strafe in 2Sam 12 ganz oder teilweise (insbesondere die Verse 1–15*) redaktionell hinzugefügt wurde, weil man das Handeln des Königs zunehmend als verwerflich betrachtete.47 Auf diese bereits innerbibli44 Nicol, The Alleged Rape, S. 50: „Her message indicates that she will not suffer the consequences of their adultery silently or alone, and that she looks to him to solve their problem.“ Vgl. Klein, Bathsheba Revealed, S. 51: „Although the reader cannot discern the tone of Bathsheba’s words, they are badly direct: there is no hedging of apology or humble appeal to the king. These are not the words of an intimidated woman, although we are to suppose her section by the king involves intimidation.“ 45 Vgl. Kunz, Die Frauen und der König David, S. 161: „In keinem der Texte, in denen das Motiv der Inbesitznahme der Frau durch den Herrscher auftaucht, genießt die Frau Handlungsautonomie. Dass das in 2Sam 11,2–5 gänzlich anders ist, zeigen die V. 2aβ.4a*.4b.5.“ 46 Vgl. Kunz, Die Frauen und der König David, S. 164. Vgl. Klein, Bathsheba Revealed, S. 51. 47 So beispielsweise Baden, The Historical David, S. 221: „The story is a model of the biblical doctrine that sin must be followed by punishment and repentance.“ Immer wieder wird betont, dass David später bestraft worden wäre und für seine Sünden gebüßt hätte, dass er von Gott für Ehebruch und Mord zur Verantwortung gezogen worden wäre. Dies ist im jetzigen Erzählzusammenhang richtig; aber vieles deutet darauf hin, dass es sich hierbei um eine spätere theologische Ergänzung handelt, die diesen Zusammenhang erst hergestellt hat. Vgl. zur Problematik dieser Annahme Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 235: „Bei diesen Modellen wird der Zusammenhang von Schuld, Gericht und Sühne des Machtmenschen David, der in vielen Auslegungen die Bedingung für die schonungslose Darstellung seines Verbrechen ist, zerrissen. Übrig bleibt das literarische Porträt eines ungezügelten und unzügelbaren Menschen im Zentrum der Macht […].“ Vgl. auch Naumann, David als exemplarischer König, der hier von einem „Präzedenzfall politischer Ethik aus prophetischer Perspektive“ (S. 166) spricht. Vgl. zuletzt zu David als „Versager“ in 2Sam 11f., Grätz / Grieser, David, der Versager, 189–199. Die Tat Davids und die Rede Natans beziehen sich lediglich lose aufeinander und es ist höchst ambivalent, wo und wie sich göttliche Vergeltung und Vergebung vollzieht. 2Sam 12,1–7a.13–25 und 2Sam 12,7b–12 sind nicht der gleichen

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schen moralisch-theologischen „Wertungen“ („Jhwh aber missfiel, was David getan hatte“ 2Sam 11,27b) kann hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Bereits die Detailanalyse von 2Sam 11,1–5 hat deutlich gemacht, wo die Leerstellen sind und weshalb der Text so große Kontroversen auslöste und immer noch auslöst.48 Diffus ist insbesondere dreierlei:49 1. Erstens sagt der Text nichts darüber aus, ob Batseba gesehen werden wollte oder ob sie vom König beim sich Waschen überrascht wurde. Als Motiv für ersteres wurde etwa vermutet, dass Batseba – sei es aus reiner Machtgier, sei es aus sozialer Unsicherheit auf Grund von Kinderlosigkeit50 – an den Königshof gelangen wollte.51 2. Zweitens lässt die Erzählung offen, ob Batseba gezwungen war, zu David zu gehen und mit ihm zu schlafen oder ob sie sich auch hätte widersetzen können. Selbst wenn Batseba in die sexuelle Handlung eingewilligt hat, ist es sicherlich illusorisch zu behaupten, das Machtverhältnis wäre ausgewogen.52 3. Und drittens ist unklar, ob David bei seinem „Sehen“ erkennen kann,53 beziehungsweise ob Batseba David mitteilt, dass sie sich gerade von ihrer Unreinheit (‫ )ֻטְמָאה‬gereinigt hat und also ihre furchtbaren Tage erreicht hat, oder nicht.54 Es ist durchaus möglich, dass hier mit „Sehen“, „Wissen“ und „Nicht-

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Tradition zuzurechnen; in beiden Fällen besteht jedoch die Hauptschuld in Davids rücksichtslosem „Nehmen“ (vgl. auch 1Kön 15,5, wo der Tathergang als „Unrecht“ gegen Urija zusammengefasst wird; anders in Ps 51,2 „nachdem er zu Batseba gegangen war“ ‫ַכֲּא ֶשׁר־ ָבּא‬ ‫)ֶאל־ ַבּת־ ָשַׁבע‬. In 2Sam 12,7–12 wird die Verfehlung darüber hinaus stark theologisch gedeutet: David hat sich Batseba unrechtmässig genommen, obwohl ihm Jhwh alles gegeben hätte. Er hat das Wort Jhwhs missachtet. Vgl. ausführlich dazu Kipfer, Der bedrohte David, S. 229– 253. In der Forschung spricht man häufig auch vom „gap filling“. Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 239 hielten fest, dass für die Batseba-Urija-Erzählung das Problem des „gap filling geradezu „Modellcharakter“ hätte. Vgl. Móricz, Beyond the Textual Gaps, S. 14, spricht von „risks of one of the gap-filling interpretations“. Vgl. Klein, Bathsheba Revealed, S. 48–54, sowie Melanchthon, Bathsheba Reconsidered, S. 83–91. Es gibt noch weitere Unsicherheiten, aber die drei Punkte scheinen mir alles Wesentliche zu umfassen. Vgl. Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 239. Vgl. Klein, Bathsheba Revealed, S. 53: „In this reading, Bathsheba seeks the honor associated with motherhood instead of accepting its opposite, social discrimination as a barren woman. She risks a single ‚shameless‘ incident of sexual infidelity – forbidden for woman – in order to achieve lasting honor as a mother.“ Vgl. Hunziker-Rodewald, Die beiden Söhne, S. 100. Nicol, The Alleged Rape, S. 52: „Nevertheless, in spite of that mutual participation, David and Bathsheba may not be equal parties to the adultery.“ Vgl. Müllner, Gewalt im Hause Davids, S. 95, die festhält: „Die Machtverhältnisse führen die Frage nach Batsebas möglicher Zustimmung ad absurdum.“ Dies setzten beispielsweise Grätz / Grieser, David, der Versager, 192 voraus: „Der Reinigungsakt verrät dem König (und der Rezipientenschaft), dass die schöne Frau (V. 2b) wieder sexuellen Verkehr haben darf – und schwanger werden kann.“ Allerdings ist es umstritten, ob ‫( קדשׁ‬Hitpael; Partizip) überhaupt mit der kultischen Reinigung in Lev 15,19–30 in Verbindung gebracht werden kann. Hinzu kommt die Frage, ob es

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Wissen“ gespielt wird: David sieht, dass Batseba schön ist, er erfährt ihren Namen und ihre Zugehörigkeit, aber möglicherweise bleibt ihm verborgen, dass sie gerade die kultische Reinigung vollzogen hat. Vielleicht hält Batseba diese Information absichtlich zurück und nutzt dies als Machtposition über den König.55 Die Erzählung wurde immer wieder auf die Frage nach der Konstitution von „Macht“ gelesen.56 Geht Macht vom König aus, der sich die schöne, verheiratete Frau holen lässt, während seine Männer im Krieg sind und sie „gefügig“ macht, sie vielleicht sogar vergewaltigt?57 Oder geht sie von der Frau aus, die sich ihm absichtlich zeigt und ihre Schönheit ausnutzt, um an den Königshof zu gelangen? Wessen Begehren steht im Vordergrund und wer kontrolliert wessen Emotionen?58 Es gibt nur eine Lösung aus diesem Dilemma in der Forschung, nämlich die Annahme, dass der Text absichtlich keine Aussage zu Verantwortung und Schuld machen will.59 Wer weiterhin versucht, diese Frage schlüssig und überzeugend zu klären, wird sich nur immer tiefer in Genderrollen verstricken und patriarchale Denkmuster widerholen.60 Wer meint, er könne die Verführerin Batseba ein für

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sich in V. 2 und V. 4 um eine identische Handlung handelt oder ob sich Batseba zweimal wäscht bzw. kultisch reinigt. Vgl. Létourneau, Beauty, Bath and Beyond, S. 83–85 und Chankin-Gould / Hutchinson / Jackson / Mayfield / Rediger Schulte / Schneider / Winkelman, The Sanctified ‚Adulteress‘, S. 339–352. Vgl. Nicol, The Alleged Rape, S. 51. Mit der Schwangerschaft, bekommt Batseba möglicherweise auch Macht: „This sequence suggests that conception gives women power, perhaps power beyond that of male.“ – so Klein, Bathsheba Revealed, S. 51. Nicol, The Alleged Rape, S. 52. Smith, The Fate of Justice and Righteousness, S. 124, hält fest: „the narrative’s ethical ethos is grounded in convention, custom and established hierarchies“. Davidson, Did King David Rape Bathseba?, S. 89, spricht deshalb von „power rape“ in der „a person in a position of authority abuses that ‚power‘ to victimize a subservient and vulnerable person sexually“. „Feministische Forscherinnen haben“ – so Fischer, Sexuelle und sexualisierte Gewalt, S. 15, – „vor langer Zeit aufgedeckt, dass sexuelle Belästigung, Nötigung oder gar Vergewaltigung keine Sache des Begehrens ist, sondern eine des Machtmissbrauchs.“ Diese Trennung ist verkürzt, insofern sexuelles Begehren immer in der Gefahr steht, Macht über eine andere Person auszuüben. Aussagen wie etwa die von Abasili, Was it Rape?, S. 11, machen deutlich, dass die Schuldfrage reine Spekulation ist: „Within this context, Bathsheba’s willingness is drastically reduced but not entirely extinguished. Consequently, Bathsheba, though a victim of circumstances may not be declared entirely innocent; she does share minimally in responsibility.“ Vgl. dazu Garsiel, The Story of David and Bathsheba, S. 262: „for the author, the real significance of a narrative must consist in its power to educate readers in religious and moral values through the view of the actions, failings, and eventual fates of historical figures which it offers.“ Etwa, dass Frauen gegen Belästigung machtlos sind und sich nicht wehren können oder dass Frauen umgekehrt das Begehren des Mannes ausnutzen um an ihr Ziel zu kommen – ohne jedoch selber zu begehren. Vgl. dazu Flaßpöhler, Die potente Frau.

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alle Mal vom „Lustobjekt“ Batseba trennen, verkennt, dass es sich dabei um zwei Seiten einer Medaille handelt.61 Im Zentrum steht weder im einen noch im anderen Fall die Frau, sondern lediglich die Frage nach der Rolle männlicher Sexualität.62 In 2Sam 11,1–5 geht es explizit nicht um „Opfer“ und „Täter“ / „Täterin“, sondern um die soziale Dimension von Macht und Sexualität. Es geht nicht um Macht als Handlung, sondern um die Strukturen, die dieses Handeln ermöglichen.63 Dazu gehört, dass David, wie alle anderen Könige, zu Jahresbeginn seine Pflicht ernst nehmen und in den Krieg ziehen sollte. Ferner, dass David und Batseba Boten hin- und herschicken und ihr Tun, mitten in der Stadt64 mitnichten im Verborgenen geschieht.65 Und schließlich, dass diese Handlungen weitere Handlungen hervorrufen und sich bis zum gewaltsamen Tod von Urija beziehungsweise den blutigen Thronwirren zuspitzen.66 Noch viel deutlicher wird jedoch die Bedeutung des sozialen Systems in der anschließenden Tamar-Erzählung in 2Sam 13,1–22.

3.

Tamar und die Gewaltbeziehungen (2Sam 13,1–22)

Der biblische Text in 2Sam 13,1–22 erzählt direkt und ohne zu beschönigen von der sexuellen Gewalt gegenüber einer Frau. Durch die Auslegungsgeschichte hindurch hat er in der Folge immer wieder Anstoß erregt und die Frage nach den Ursachen und den Verantwortlichen provoziert: Ist nicht Jonadab mit seinem desaströsen Rat an allem schuld? Hätte nicht David als Vater ahnen können, was geschehen wird und den Skandal im Königshaus verhindern oder ihn zumindest 61 Vgl. Bal, A Mieke Bal Reader, S. 319: „‚Bathsheba‘ is so much so that even serious sophisticated scholarship fails to do justice to the details of the biblical text.“ 62 Vgl. Melanchthon, Bathsheba Reconsidered, S. 86: „[…] the reading is regulated by the idea of the woman who uses her sexual prowess for the sake of procreation, power and status and hence could only reinforce the complicit and active role of Bathsheba in the sexual encounter with David. While such a reading can be empowering with its [sic] (female initiative, agency, sense of self, her voice) in some ways, it also reinforces the traditional rendering of Bathsheba as ‚temptress/seductress‘ and by extension to all women who are sexually violated.“ Dies dürfen auf keinen Fall die Alternativen sein; vielmehr muss es Frauen zustehen, sexuell aktiv zu sein, ohne dafür verurteilt zu werden. 63 Vgl. beispielsweise auch das Machtverständnis von Foucault, Subjekt und Macht, S. 255. 64 Vgl. Dtn 22,25–27 im Unterschied zu Dtn 22,23f. 65 Darauf deutet auch die zweimalige Nennung des Daches (‫ ) ָגּג‬als Übergang vom privaten zum öffentlichen Raum. Eine andere Deutung bietet allerdings 2Sam 12,12, wo gesagt wird, dass Davids Tun im Verborgenen geschah. Schließlich wird in 2Sam 12,15b–23 implizit vorausgesetzt, dass es sich bei „dem Kind“ (‫ )ַה ֶיֶּלד‬um Davids eigenes Kind handelt. 66 Die Rede Natans in 2Sam 12,7–12 bestraft auch keineswegs David allein, sondern seine Dynastie und insbesondere seine Frauen, die von seinem Nachfolger vergewaltigt werden sollen. Es tut sich eine regelrechte „Spirale der Gewalt“ auf.

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im Nachhinein als König verurteilen müssen? Ist nicht die Lüsternheit Amnons, seine blinde Begierde, der eigentliche Auslöser und der „Täter“ ein „Opfer“ seiner Gefühle? Oder ist vielleicht doch alles ganz anders und Tamar durch ein aufreizendes Auftreten beim Kneten des Teiges vor Amnon daran mitschuldig, dass dieser die Selbstkontrolle verlor?67 Es ist keineswegs klar, wie es genau zu dieser Vergewaltigung68 kommen konnte.69 Und obwohl der sexuelle Akt gegen den Willen der Frau sehr explizit ist, wurde 2Sam 13,1–22 lange Zeit entweder im Zusammenhang mit der BatsebaGeschichte gelesen70 und sozusagen als Strafe für den Ehebruch, den David begangen hat, und als Fortsetzung der Gewalt im Königshaus verstanden71 oder aber sie wurde mit Blick auf Absalom und das Thronfolgethema interpretiert und vermutet, die Erzählung diene lediglich der Erklärung, weshalb Amnon als Thronfolger ausschied.72 In beiden Fällen wird die Gewalt verharmlost. Eine genaue Textanalyse zeigt, dass die Figuren nicht isoliert vorkommen, sondern aufeinander reagieren und eine Entwicklung durchleben: Die Erzählung präsentiert sich als ein dichtes Beziehungsgeflecht von Charakteren, die namentlich erwähnt werden oder anonym auftauchen. Bereits bei ihrer Einführung werden die Figuren mit zahlreichen Zusatzinformationen versehen: Mit der Nennung der Namen verbunden sind erstens – was nicht ungewöhnlich ist – die jeweiligen Verwandtschaftsbeziehungen (beispielsweise „Sohn Davids“ ‫בּן־ ָדּ ִוד‬ V. 1bis, „Schwester“ ‫ ָאחוֹת‬V. 1.2.473 „Bruder Davids“ ‫ ֲאִחי ָד ִוד‬V. 3), oder die soziale 67 Ähnlich auch die Fragen bei Willi-Plein, Frauen um David, S. 109f. 68 Es gibt keinen hebräischen Begriff, der der deutschen „Vergewaltigung“ im Sinne einer nichteinvernehmlichen sexuellen Handlung unter Anwendung von Gewalt entsprechen würde. Jedoch benennt Dtn 22,25–27 (im Unterschied zu Dtn 22,23f.) den Tatbestand einer Vergewaltigung. Vgl. ausführlich zum Begriff ‫ ענה‬van Wolde, Does ‘INNÂ Denote Rape?, S. 528– 544. Vgl. zudem Abasili, Was it Rape?, S. 3–6; Gravett, Reading ‚Rape‘, S. 279–299; Luciani, Violences sexuelles, S. 244–260 sowie Washington, Sexual Violence, S. 351. 69 Vgl. Kipfer, Wie konnte das nur geschehen? 70 Vgl. Burrichter, Die Klage der Leidenden, S. 33f. Dietrich, David, Amnon und Abschalom, S. 118–123. 71 Vgl. ausführlich zur Frage nach der „Erfüllung“ der Strafankündigung aus 2Sam 12,7–12 in der weiteren Erzählung Kipfer, Der bedrohte David, S. 242–244. 72 Obwohl also 2Sam 13,1–22 als abgeschlossene literarische Einheit verstanden werden kann, ist dieser erste Vers an der Spitze zugleich als Prolog zu einer ganzen Reihe von weiteren Erzählungen (2Sam 13,23–19,16) zu verstehen, in denen Absalom als Protagonist fungiert. Vgl. Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 258: „Allerdings haben eine einseitige thematische Fixierung auf Abschalom und das Thronfolgethema sowie auf die politischen Ereignisse des Abschalomaufstands die exegetische Aufmerksamkeit zu einseitig auf den Konflikt der potentiellen Thronfolger gelenkt. Person und Schicksal der Tamar schrumpfen damit schnell zur ‚Nebenfigur‘ […].“ Vgl. McCarter, II Samuel, S. 327: „The story of the rape of Tamar and its consequences in chaps. 13 and 14 stands as a prologue to the account of Abishalom’s rebellion in chaps. 15–20.“ 73 Der Erzähler spricht sowohl von Tamar als Schwester Amnons (V. 2) als auch umgekehrt von Amnon als Bruder Tamars (V. 8.10) und entsprechend wird auch in der direkten Rede

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Stellung („heiratsfähiges Mädchen“ ‫ ְבּתוָּלה‬V. 2.18; „Freund“ / „Berater“ ‫ רע‬74 V. 3; „Königssohn“ ‫ ֶבּן־ַה ֶמֶּלְך‬V. 4; „König“ ‫ ֶמֶלְך‬V. 21). Zweitens werden die Figuren durch zusätzliche Adjektive näher charakterisiert („schön“ ‫ ָיֶפה‬V. 175 oder „sehr weise“ ‫אד‬ ֹ ‫ ָחָכם ְמ‬V. 3), und schließlich drittens die emotionale Bindung der Figuren untereinander beschrieben: Die Ausgangssituation ist die, dass sich Amnon wegen seiner Schwester quält (‫)צרר‬,76 denn er liebt sie (V. 1.4). Später hasst er sie (V. 15). David liebt Amnon (V. 21), Absalom dagegen hasst diesen (V. 22) etc.77 Diese Beobachtungen verlangen meines Erachtens nach einem systemischen Zugang, der die Interaktionen der Figuren untereinander zu verstehen versucht. 2Sam 13,1–22 1 Und es geschah danach: Absalom, der Sohn Davids, hatte eine schöne Schwester, und ihr Name war Tamar, Und Amnon, der Sohn Davids, verliebte sich in sie. 2 Und Amnon quälte sich ganz krank wegen Tamar, seiner Schwester. Denn sie war Jungfrau, und in den Augen Amnons war es nicht möglich, ihr etwas anzutun. 3 Und Amnon hatte einen Freund [Berater] und dessen Name war Jonadab,78 er war der Sohn von Schima, dem Bruder Davids. Und Jonadab war ein sehr kluger Mann. 4 Und er sagte zu ihm: „Warum ist dir Morgen für so elend, Königssohn? Willst Du es mir nicht mitteilen?“ Und Amnon sagte zu ihm: „Ich liebe Tamar, die Schwester Absaloms, meines Bruders.“ 5 Und Jonadab sagte zu ihm: „ Leg dich auf dein Bett und stell dich krank.

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‫ַו ְיִהי ַאֲח ֵרי־ֵכן‬ ‫ּ וְּלַאְב ָשׁלוֹם ֶבּן־ ָדּ ִוד ָאחוֹת ָיָפה וּ ְשָׁמהּ‬ ‫ָתָּמר‬ ‫ַו ֶיֱּאָהֶבָה ַאְמנוֹן ֶבּן־ ָדּ ִוד׃‬ ‫ַו ֵיֶּצר ְלַאְמנוֹן ְלִהְתַחלּוֹת ַבֲּעבוּר ָתָּמר‬ ‫חתוֹ‬ ֹ ‫ֲא‬ ‫ִכּי ְבתוָּלה ִהיא ַו ִיּ ָפֵּלא ְבֵּעי ֵני ַאְמנוֹן‬ ‫ַלֲעשׂוֹת ָלהּ ְמאוָּמה׃‬ ‫וְּלַאְמנוֹן ֵר ַע וּ ְשׁמוֹ יוֹ ָנ ָדב ֶבּן־ ִשְׁמָעה ֲאִחי‬ ‫ָד ִוד‬ ‫אד ׃‬ ֹ ‫ְויוֹ ָנ ָדב ִאישׁ ָחָכם ְמ‬ ‫ַויּ ֹאֶמר לוֹ‬ ‫בֶּקר‬ ֹ ‫ַמדּוּ ַע ַא ָתּה ָכָּכה ַדּל ֶבּן־ַה ֶמֶּלְך ַבּ‬ ‫בֶּקר‬ ֹ ‫ַבּ‬ ‫ֲהלוֹא ַתּ ִגּיד ִלי‬ ‫ַויּ ֹאֶמר לוֹ ַאְמנוֹן‬ ‫אֵהב׃‬ ֹ ‫ֶאת־ ָתָּמר ֲאחוֹת ַאְב ָשׁל ֹם ָאִחי ֲא ִני‬ ‫ַויּ ֹאֶמר לוֹ ְיהוֹ ָנ ָדב‬ ‫ְשַׁכב ַעל־ִמ ְשׁ ָכְּבָך ְוִהְתָחל‬

Jonadabs (V. 5), Amnons (V. 6.11), Davids (V. 7) und Tamars selbst (V. 12.16) die geschwisterliche Beziehung erwähnt. Vgl. Bar-Efrat, Narrative Art in the Bible, S. 245. Im Gegensatz zu Absalom und Amnon, die als „Söhne Davids“ eingeführt werden, wird Tamar jedoch nie als „Tochter Davids“ bezeichnet. Und entsprechend spricht auch Tamar selbst in V. 13 distanziert vom „König“ und nicht vom „Vater“. Es herrscht hier also im dichten Gewebe der Beziehungen und Interaktionen eine auffällige Lücke. Vgl. ausführlich zum „Freund des Königs“ Rüterswörden, Die Beamten, S. 73–77. Die LXX betont „sehr schön“ καλὴ τῷ εἴδει σφόδρα. Vgl. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch, S. 1140. Vgl. Bar-Efrat, Narrative Art in the Bible, S. 276: „Consequently, it can be said that this narrative attributes importance to the character’s inner lives over and beyond what is customary in biblical narratives, and that emotions are accorded a place in their own right alongside external behavior and not just beneath it.“ 4QSama und die lukanische Version der LXX lesen „Jonatan“. Dies ist der Name eines Sohnes, der in 2Sam 21,21 erwähnt wird. Vgl. McCarter, II Samuel, S. 316.

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Kommt dein Vater, um nach dir zu sehen, so sage ihm: ‫וָּבא ָאִביָך ִל ְראוֶֹתָך ְוָאַמ ְר ָתּ ֵאָליו‬ Es möge doch Tamar, meine Schwester, kommen, um ‫ָתּב ֹא ָנא ָתָמר ֲאחוִֹתי ְוַתְב ֵר ִני ֶלֶחם‬ mir zu essen zu geben. Und sie soll das Essen vor meinen Augen zubereiten, ‫ְוָע ְשָׂתה ְלֵעי ַני ֶאת־ַה ִבּ ְר ָיה ְלַמַען ֲא ֶשׁר‬ damit ich es sehen kann; ‫ֶא ְרֶאה‬ Dann werde ich aus ihrer Hand essen. ‫ְוָאַכְל ִתּי ִמ ָיּ ָדהּ׃‬ 6 Und Amnon legte sich hin und stellte sich krank. ‫ַו ִיּ ְשׁ ַכּב ַאְמנוֹן ַו ִיְּתָחל‬ Und der König kam, um nach ihm zu sehen, ‫אתוֹ‬ ֹ ‫ַו ָיּב ֹא ַה ֶמֶּלְך ִל ְר‬ und Amnon sagte zum König: ‫ַויּ ֹאֶמר ַאְמנוֹן ֶאל־ַה ֶמֶּלְך‬ „Es möge doch Tamar, meine Schwester, kommen, ‫חִתי‬ ֹ ‫ָתּבוֹא־ ָנא ָתָּמר ֲא‬ damit sie vor meinen Augen Lebibrot zubereite, ‫וְּתַל ֵבּב ְלֵעי ַני ְשׁ ֵתּי ְלִבבוֹת‬ dann will ich aus ihrer Hand essen.“ ‫ְוֶאְב ֶרה ִמ ָיּ ָדהּ׃‬ 7 Da sandte David ins Haus zu Tamar und ließ ihr ‫מר‬ ֹ ‫ַו ִיּ ְשַׁלח ָדּ ִוד ֶאל־ ָתָּמר ַה ַבּ ְיָתה ֵלא‬ sagen: ‫ְלִכי ָנא ֵבּית ַאְמנוֹן ָאִחיְך‬ „ Geh doch in das Haus Amnons, deines Bruders, und bereite ihm das Essen zu.“ ‫ַוֲע ִשׂי־לוֹ ַה ִבּ ְר ָיה׃‬ 8 Und Tamar ging in das Haus Amnons, ihres Bruders, ‫ַו ֵתֶּלְך ָתָּמר ֵבּית ַאְמנוֹן ָאִחיָה‬ er aber lag da. ‫שֵׁכב‬ ֹ ‫ְוהוּא‬ Und sie nahm den Teig, knetete ihn, ‫ַו ִתּ ַקּח ֶאת־ַה ָבֵּצק ַו ָתָּלשׁ‬ bereitete alles vor seinen Augen zu und backte ‫ַו ְתַּל ֵבּב ְלֵעי ָניו ַו ְתַּב ֵשּׁל ֶאת־ַה ְלִּבבוֹת׃‬ Lebibrot. 9 Dann nahm sie die Pfanne und gab ihm daraus. ‫ַו ִתּ ַקּח ֶאת־ַה ַמּ ְשׂ ֵרת ַו ִתּצ ֹק ְלָפ ָניו‬ Er aber weigerte sich zu essen. ‫ַו ְיָמֵאן ֶלֱאכוֹל‬ Und Amnon sagte: ‫ַויּ ֹאֶמר ַאְמנוֹן‬ „ Geht alle hinaus, weg von mir!“ ‫הוִֹציאוּ ָכל־ִאישׁ ֵמָעַלי‬ ‫ַו ֵיְּצאוּ ָכל־ִאישׁ ֵמָעָליו׃‬ Und alle gingen hinaus und weg von ihm. 10 Und Amnon sagte zu Tamar: ‫ַויּ ֹאֶמר ַאְמנוֹן ֶאל־ ָתָּמר‬ „ Bring das Essen ins Gemach, dann will ich aus deiner ‫ָהִביִאי ַה ִבּ ְר ָיה ַהֶח ֶדר ְוֶאְב ֶרה ִמ ָיּ ֵדְך‬ Hand essen.“ Da nahm Tamar das Lebibrot, das sie zubereitet hatte, ‫ַו ִתּ ַקּח ָתָּמר ֶאת־ַה ְלִּבבוֹת ֲא ֶשׁר ָע ָשָׂתה‬ ‫ַו ָתֵּבא ְלַאְמנוֹן ָאִחיָה ֶהָח ְד ָרה׃‬ und brachte es Amnon, ihrem Bruder ins Gemach 11 Und sie reichte ihm zu essen, ‫ַו ַתּ ֵגּשׁ ֵאָליו ֶלֱאכ ֹל‬ er aber ergriff sie und sagte zu ihr ‫ַו ַיֲּח ֶזק־ ָבּהּ ַויּ ֹאֶמר ָלהּ‬ „ Komm , schlaf mit mir, meine Schwester!“ ‫בּוִֹאי ִשְׁכִבי ִע ִמּי ֲאחוִֹתי׃‬ 12 Sie aber sagte zu ihm: ‫תּאֶמר לוֹ‬ ֹ ‫ַו‬ ‫ַאל־ָאִחי ַאל־ ְתַּע ֵנּ ִני‬ „Nicht, mein Bruder, vergewaltige mich nicht, denn solches darf nicht geschehen in Israel. ‫ִכּי ל ֹא־ ֵיָע ֶשׂה ֵכן ְבּ ִי ְשׂ ָרֵאל‬ ‫ַאל־ ַתֲּע ֵשׂה ֶאת־ַה ְנָּבָלה ַה ֹזּאת׃‬ Diese Schandtat darfst du nicht begehen .“ 13 Und ich, wohin sollte ich meine Schmach bringen? ‫ַוֲא ִני ָא ָנה אוִֹליְך ֶאת־ֶח ְר ָפִּתי‬ Und du wärest wie einer der Tore in Israel. ‫ְוַא ָתּה ִתְּה ֶיה ְכַּאַחד ַה ְנָּבִלים ְבּ ִי ְשׂ ָרֵאל‬ ‫ְוַע ָתּה ַדּ ֶבּר־ ָנא ֶאל־ַה ֶמֶּלְך‬ Aber nun, rede doch mit dem König, denn er wird mich dir nicht verweigern.“ ‫ִכּי ל ֹא ִיְמ ָנֵע ִני ִמ ֶמּ ּ ָך׃‬ 14 Er aber wollte nicht auf sie hören. ‫מ ַע‬ ֹ ‫ְול ֹא ָאָבה ִל ְשׁ‬ Und überwältigte sie und vergewaltigte sie und schlief ‫אָתהּ׃‬ ֹ ‫ְבּקוָֹלהּ ַו ֶיֱּח ַזק ִמ ֶמּ ָנּה ַו ְיַע ֶנָּה ַו ִיּ ְשׁ ַכּב‬ mit ihr. 15 Dann aber hasste sie Amnon mit großem Hass ‫אד‬ ֹ ‫ַו ִיּ ְשׂ ָנֶאָה ַאְמנוֹן ִשׂ ְנָאה ְגּדוָֹלה ְמ‬ Denn der Hass mit dem er sie hasste war größer als die ‫ִכּי ְגדוָֹלה ַה ִשּׂ ְנָאה ֲא ֶשׁר ְשׂ ֵנָאהּ ֵמַאֲהָבה‬ Liebe mit der er sie liebte ‫ֲא ֶשׁר ֲאֵהָבהּ‬ Und Amnon sagte zu ihr: ‫ַויּ ֹאֶמר־ָלהּ ַאְמנוֹן‬ „ Steh auf, geh !“ ‫קוִּמי ֵלִכי׃‬ 16 Sie aber sagte zu ihm: ‫תּאֶמר לוֹ‬ ֹ ‫ַו‬

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„Nicht doch! Denn mich fortzuschicken ist eine größere ‫ַאל־אוֹד ֹת ָה ָרָעה ַה ְגּדוָֹלה ַה ֹזּאת ֵמַאֶח ֶרת‬ Bosheit als das andere, das du mir schon angetan hast“ ‫ֲא ֶשׁר־ָע ִשׂיָת ִע ִמּי ְל ַשׁ ְלֵּח ִני‬ Er aber wollte nicht auf sie hören. ‫מ ַע ָלהּ׃‬ ֹ ‫ְול ֹא ָאָבה ִל ְשׁ‬ 17 Und er rief seinen Burschen, der ihm diente, und er ‫ַו ִיְּק ָרא ֶאת־ ַנֲערוֹ ְמ ָשׁ ְרתוֹ ַויּ ֹאֶמר‬ sagte: „ Schick die da hinaus, weg von mir, und verriegle die ‫ִשְׁלחוּ־ ָנא ֶאת־ז ֹאת ֵמָעַלי ַהחוָּצה וּ ְנעֹל‬ Tür hinter ihr.“ ‫ַה ֶדֶּלת ַאֲח ֶריָה׃‬ 18 Sie aber trug ein Kleid mit langen Ärmeln, ‫ת ֶנת ַפּ ִסּים‬ ֹ ‫ְוָעֶליָה ְכּ‬ denn mit solchen Übergewändern kleiden sich die ‫ִכּי ֵכן ִתְּל ַבּ ְשׁן ָ ְבנוֹת־ַה ֶמֶּלְך ַה ְבּתוּל ֹת‬ Königstöchter, die Jungfrauen sind. ‫ְמִעיִלים‬ Und der ihm diente, führte sie hinaus und verriegelte ‫ַויּ ֵֹצא אוָֹתהּ ְמ ָשׁ ְרתוֹ ַהחוּץ ְו ָנַעל ַה ֶדֶּלת‬ die Tür hinter ihr. ‫ַאֲח ֶריָה׃‬ 19 Tamar aber warf Staub auf ihren Kopf, zerriss das ‫ת ֶנת‬ ֹ ‫ַו ִתּ ַקּח ָתָּמר ֵאֶפר ַעל־ר ֹא ָשׁהּ וְּכ‬ Kleid mit den langen Ärmeln, das sie trug, ‫ַה ַפּ ִסּים ֲא ֶשׁר ָעֶליָה ָק ָרָעה‬ und legte ihre Hand auf den Kopf ‫ַו ָתּ ֶשׂם ָי ָדהּ ַעל־ר ֹא ָשׁהּ‬ und ging schreiend davon. ‫ַו ֵתֶּלְך ָהלוְֹך ְו ָזָעָקה׃‬ 20 Und Absalom, ihr Bruder, sagte zu ihr: ‫ַויּ ֹאֶמר ֵאֶליָה ַאְב ָשׁלוֹם ָאִחיָה‬ „War Amnon, dein Bruder, mit dir zusammen? ‫ַהֲאִמינוֹן ָאִחיְך ָה ָיה ִע ָמְּך‬ ְ ‫ְוַע ָתּה ֲאחוִֹתי ַהֲח ִרי ִשׁי ָאִחיך הוּא‬ Nun denn, meine Schwester, schweig darüber, er ist dein Bruder. Nimm dir diese Sache nicht zu Herzen. ‫ַאל־ ָתּ ִשׁיִתי ֶאת־ִל ֵבְּך ַל ָדָּבר ַה ֶזּה‬ Und Tamar blieb vernichtet im Haus Absaloms, ihres ‫שֵׁמָמה ֵבּית ַאְב ָשׁלוֹם ָאִחיָה׃‬ ֹ ‫ַו ֵתּ ֶשׁב ָתָּמר ְו‬ Bruders. 21 König David aber hatte von all diesen Vorfällen ‫ְוַה ֶמֶּלְך ָדּ ִוד ָשַׁמע ֵאת ָכּל־ַה ְדָּב ִרים ָהֵא ֶלּה‬ gehört und wurde sehr zornig.79 ‫אד ׃‬ ֹ ‫ַו ִיַּחר לוֹ ְמ‬ 22 Absalom aber redete nicht mit Amnon, weder im ‫ְול ֹא־ ִד ֶבּר ַאְב ָשׁלוֹם ִעם־ַאְמנוֹן ְלֵמ ָרע‬ Bösen noch im Guten, ‫ְוַעד־טוֹב‬ denn Absalom hasste Amnon dieser Sache wegen, weil ‫ִכּי־ ָשׂ ֵנא ַאְב ָשׁלוֹם ֶאת־ַאְמנוֹן ַעל־ ְדַּבר‬ er Tamar seine Schwester, vergewaltigt hatte. ‫חתוֹ׃‬ ֹ ‫ֲא ֶשׁר ִע ָנּה ֵאת ָתָּמר ֲא‬

Die gesamte Erzählung besteht aus einer Kette von Imperativen, von gegenseitiger Einflussnahme und Machtausübung: Jonadab, der Freund und Berater, sieht, dass mit dem Königssohn etwas nicht stimmt, erkundigt sich, ob sich dieser ihm nicht anvertrauen will („Willst Du es mir nicht mitteilen?“ ‫ ֲהלוֹא ַתּ ִגּיד ִלי‬V. 4). Als Amnon ihm seinen Liebeskummer gestanden hat, rät er Amnon, sich ins Bett zu legen (‫ שׁכב‬Imperativ) und sich krank zu stellen (‫ חלה‬Hitpael, Imperativ). Er trägt ihm genau auf, was er seinem Vater, König David, sagen (‫ אמר‬Imperativ) soll, wenn dieser kommt um nach ihm zu schauen (V. 5). Amnon führt den Ratschlag aus. Jedes Verb nimmt in V. 6 genau Bezug auf den vorangehenden Befehl. Amnon legt sich ins Bett (erneut ‫)שׁכב‬, stellt sich krank (‫ חלה‬Hitpael) und äußert (‫ )אמר‬König David gegenüber, als dieser kommt, seinen Wunsch. Lediglich die Formulierung ändert Amnon hier geringfügig ab. Er betont nicht, dass er Tamar beim Zubereiten der Speise zusehen möchte; stattdessen nennt er die Speise, die sie ihm zubereiten soll.

79 Vgl. zur Textkritik weiter unten.

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In V. 7 und 8 folgt das gleiche Spiel von Auftrag und Ausführung. David schickt (‫ )שׁלח‬zu Tamar und lässt ihr sagen (‫)אמר‬, sie solle zu Amnon, ihrem Bruder gehen (‫ הלך‬Imperativ) und ihm Krankenkost zubereiten (‫ עשׂה‬Imperativ) (V. 7). David kürzt den Auftrag eindeutig ab, insofern er weder betont, dass sie das vor den Augen Amnons tun soll, noch dass dieser aus ihrer Hand essen will oder dass er sich explizit das Lebibrot gewünscht hat. Als würde sie jedoch die Wünsche ihres Halbbruders kennen, geht (‫ )הלך‬Tamar nicht zu Amnon, sondern „ins Haus Amnons“80 und bereitet das gewünschte Lebibrot vor seinen Augen zu (V. 8). Tamar erfüllt – so wird deutlich – aber nicht mehr nur einen Auftrag. Sie handelt eigenständig. Dies wird in V. 9 noch deutlicher: Sie nimmt (‫ )לקח‬die Pfanne und gibt ihm daraus (‫)יצק‬. Er aber weigert sich zu essen (‫)מאן‬. Die Beziehungen geraten ins Wanken: Amnon hat David gegenüber gesagt, dass er aus ihrer Hand essen will. Nun weigert er sich, genau das zu tun. Stattdessen folgen erneut Befehl und Ausführung: Amnon befiehlt allen, hinauszugehen (‫ יצא‬Hifil, Imperativ) und alle gingen hinaus (‫ יצא‬V. 9). Offenbar meint „alle“ „alle mit Ausnahme Tamars“, denn Amnon befiehlt Tamar das, was David zuvor bei seinem Befehl ausgelassen hat und präzisiert den Auftrag, dass sie das Essen in sein Gemach bringen soll („Bring das Essen ins Gemach, dann will ich aus deiner Hand essen.“ ‫)ָהִביִאי ַה ִבּ ְר ָיה ַהֶח ֶדר ְוֶאְב ֶרה ִמ ָיּ ֵדְך‬. Tamar gehorcht und tut, wie ihr geheißen. Sie bringt das Lebibrot, das sie gemacht hat (hier folgt, das Verb ‫עשׂה‬ aus dem Befehl Davids in V. 7). Tamar reicht Amnon zu essen (‫)נגשׁ‬, aber dieser weigert sich ein zweites Mal und hält sich nicht an sein Wort, das er ihr unmittelbar davor gegeben hat. Stattdessen packt er sie mit Gewalt (‫ )חזק‬und befiehlt ihr: „Komm (‫)בוא‬, schlaf (‫ )שׁכב‬mit mir, meine Schwester!“ Amnon liegt nicht einfach mehr nur in seinem Bett wie in V. 8, wo ebenfalls das Wort ‫ שׁכב‬vorkommt (vgl. ebenso in V. 5 und 6), sondern will Sex (ebenfalls ‫)שׁכב‬. Dies war möglicherweise durchaus bereits davor im Blick; dennoch war davon nicht explizit die Rede. Damit übertritt nicht nur Amnon den ausgemachten Plan, auch Tamar überschreitet eine Grenze: Sie handelt nicht entsprechend dem Befehl sondern reagiert ihrerseits mit drei Befehlen. Zweimal sagt sie, was er, Amnon, nicht tun soll: Er solle ihr keine Gewalt antun (‫ ענה‬Piel) und er solle diese Schandtat nicht begehen (‫ עשׂה‬V. 12). Dann unterbreitet sie ihm in V. 13 einen Lösungsvorschlag und fordert ihn auf mit dem König zu reden (‫דבר‬ Imperativ). Abschließend äußert sie Zuversicht, dass dieser Plan aufgeht und der König sie ihm nicht vorenthalten werde.81

80 Vgl. Bar-Efrat, Das Zweite Buch Samuel, S. 128. 81 Vgl. Fokkelman, Narrative Art and Poetry, S. 113: „Up to v. 10, the pattern of command / request + execution implies with respect to Amnon that all his commands are promptly carried out. Then comes the big shock. Tamar, who was still obedient in v. 10, radically interrupts this pattern twice.“

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Amnon ist nicht in der Lage auf sie einzugehen. Mit drei Verben wird die Gewalt zum Ausdruck gebracht. Er überwältigt sie (‫)חזק‬, vergewaltigt sie (‫ענה‬ Piel) und schläft mit ihr (‫ שׁכב‬zum fünften Mal kommt in V. 14 das Verb vor). Anschließend empfindet er große Verachtung für sie und schickt sie mit zwei ganz kurzen Befehlen weg: „Steh auf (‫)קום‬, geh (‫ “!)הלך‬Ein zweites Mal widersetzt sich Tamar und bittet ihn von seinem Vorhaben abzusehen, diesmal jedoch ohne expliziten Befehl, was er tun oder lassen soll, sondern lediglich in Form einer Aussage: „Nicht doch! Denn mich fortzuschicken ist eine größere Bosheit als das andere, das du mir schon angetan hast“ (V. 16). Die soziale Erniedrigung und gesellschaftliche Isolation, die sie durch das Weggeschickt Werden erfahren würde, wäre schlimmer als die physische Überwältigung.82 Und ein zweites Mal wird ganz einfach festgehalten, dass Amnon nicht auf sie hören wollte (V. 14 und 16). Da Tamar ebenfalls nicht bereit war, Folge zu leisten, greift Amnon ein zweites Mal zu brutalen Mitteln: Er befiehlt einem Diener, sie wegzuschicken (‫ )שׁלח‬und die Tür hinter ihr zu verriegeln (‫)נעל‬. Nachdem in einem Einschub das Kleid Tamars beschrieben worden ist,83 folgt die Ausführung des Befehls durch den Diener, der sie hinausführt (‫ יצא‬Hifil) und die Tür hinter ihr verriegelt (‫)נעל‬. In Vers 19 wird die große Verzweiflung und Trauer Tamars zum Ausdruck gebracht: Tamar aber warf Staub auf ihren Kopf, zerriss das Kleid mit den langen Ärmeln, das sie trug, und legte ihre Hand auf den Kopf und ging schreiend davon.84 Absalom, der in V. 1 zwar eingeführt, bislang aber keine Rolle spielte, erkundigt sich – bereits ahnend, was passiert war – nach dem Geschehen. Dann befiehlt er Tamar zu schweigen (‫ )חרשׁ‬und sich die Sache nicht so zu Herzen zu nehmen (‫)שׁית‬. Es folgen in den abschließenden Versen 20–21 die Reaktion der unterschiedlichen Beteiligten: Tamar bleibt zerstört im Haus ihres Bruders Absalom, König David hört davon und wird zornig,85 Absalom spricht nicht mehr mit seinem Bruder Amnon und hasst ihn. 82 van Wolde, Does ‘INNÂ Denote Rape?, S. 540: „Her social status has completely changed: from being highly esteemed in her father’s house, she has fallen to the lowest position.“ 83 LXX übersetzt χιτὼν καρπωτός. Vgl. Bar-Efrat, Das Zweite Buch Samuel, S. 132f., der vermutet, dass es sich um ein langes Kleid, das bis zu den Handflächen beziehungsweise Fußsohlen reicht, handelt. Vgl. McCarter, II Samuel, S. 325. Zuletzt ausführlich dazu Zwickel, Fabrication, Functions, and Uses of Textiles, S. 208f., der auf die sprachliche Verbindung von ‫תּ ֶנת‬ ֹ ‫ ֻכּ‬zum griechischen χιτὼν hinweist und betont, dass der ‫ת ֶנת ַפּ ִסּים‬ ֹ ‫ ְכּ‬auch von Männern getragen werden kann (Gen 37,3.23.32) und möglicherweise einen bunten Kiton meint. 84 Vgl. ausführlich zu dieser Klage Burrichter, Die Klage der Leidenden, S. 18–24. 85 Die Tatsache, dass David als Vater und König mit vielen Handlungsoptionen nichts unternimmt, verlangt nach einer Begründung. Eine mögliche Erklärung, weshalb Davids Zorn folgenlos blieb, liefert die LXX (καὶ οὐκ ἐλύπησεν τὸ πνεῦμα Αμνων τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ ὅτι ἠγάπα αὐτόν ὅτι πρωτότοκος αὐτοῦ ἦν „und nicht kränkte er den Geist seines Sohnes Amnon, denn er liebte ihn, weil er sein Erstgeborener war“) und 4QSama (‫[„ כי אה[בו כי בכור]ו הוא‬David] liebte ihn, weil er sein Erstgeborener war“). Vgl. Cross / Parry / Saley / Ulrich, 1–2 Samuel.

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Genau wie in der Batseba-Erzählungen gehen die Meinungen, wer für die Tat verantwortlich ist und „Macht“ über die andere Person hat, extrem auseinander. Die Deutung der Rolle und Funktion der einzelnen Charakteren ist höchst umstritten: Absalom wird als liebevoller Bruder86 und Rächer87, der seiner Schwester zur Gerechtigkeit verhilft, dargestellt. Genauso wird aber angenommen, dass er das Unrecht beschönigt88 und zu verheimlichen versucht.89 Als „unbeteiligter Beteiligter“90 würde Absalom die ganze Erzählung überschatten. Entsprechend erscheint auch Jonadab als Freund Amnons, der diesem nichts Ungutes ahnend eine Lösung aus seinem Liebeskummer zeigt,91 und gleichzeitig als Komplize und eigentlicher Vorbereiter und Drahtzieher des Verbrechens.92 In der Erzählung bleibt unklar, was Jonadab Amnon genau rät: War die Vergewaltigung geplant und sollte aus dieser eine Art arrangierte „Ehe“ hervorgehen (vgl. Dtn 22,28f. sowie Ex 22,15)? Oder muss man Hinterlist vermuten und annehmen, dass Jonadab bereits mit einer Bestrafung Amnons rechnete und diesen

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Qumran Cave 4/XII, S. 149. Die Frage, welche Textversion ursprünglicher ist, ist umstritten. Vgl. Alter, The David Story, S. 271: „But this looks suspiciously like an explanatory gloss, an effort to make sense of David’s silence.“ Anders dagegen beispielsweise McCarter, II Samuel, S. 319f. und Dietrich, David, Amnon und Abschalom, S. 128, die die LXX und damit die längere Version für die ursprünglichere halten. Vgl. dazu Fokkelman, Narrative Art and Poetry, S. 110: „Undoubtedly, he will have tried to console her as best he can […].“ Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 262, beschreiben ihn als „anarchische[n] Bluträcher“. Die Frage „War Amnon, dein Bruder, mit dir zusammen“ ‫ ַהֲאִמינוֹן ָאִחיְך ָה ָיה ִע ָמְּך‬ist ein Euphemismus für die Vergewaltigung, die tatsächlich geschah. Vgl. Alter, The David Story, S. 270: „Absalom […] exercises a kind of delicacy of feeling in using this oblique euphemism for rape“. Absalom versucht hier – so Schroer, Die Samuelbücher, S. 172 – die ganze Angelegenheit wenig überzeugend „herunterzuspielen“. Ähnlich Seifert, Tochter und Vater, S. 109: „Um der Familienloyalität willen soll das Verbrechen heruntergespielt werden […].“ Ebenso van Dijk-Hemmes, Tamar and the Limits of Patriarchy, S. 145: „Absalom forces his sister to be silent. The phenomenon of ‚blaming the victim‘, as we have seen, forms the core the story at all.“ Möglich ist jedoch auch die Deutung, dass er sie daran hindert, daraus einen Gerichtsfall zu machen. Dies ist die Vermutung von Fokkelman, Narrative Art and Poetry, S. 111: „[…] Absalom wants to take the law into his own hands.“ Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 257f.: „Abschalom, an hervorragender Stelle innerhalb der Exposition genannt, überschattet als unbeteiligter Beteiligter die ganze Handlung, obwohl er erst am Ende aktiv in Erscheinung tritt.“ Der Erzähler zeichnet Absalom als einen Mann „whose mind works on many levels“ – so Cartledge, 1 & 2 Samuel, S. 540. Vgl. dazu Fokkelman, Narrative Art and Poetry, S. 109: „[…] I consider it improbable that the Jonadab of 13:4–6 had already cynically premeditated rape.“ So auch Bar-Efrat, Narrative Art in the Bible, S. 249f. Vgl. Seifert, Tochter und Vater, S. 106: „In allen Einzelheiten können die Leserin und der Leser mitverfolgen, wie die Tat geplant wird und Amnon gezielt die Rahmenbedingungen dafür schafft (V 3–5.8–11).“ Ebenso spricht Suchanek-Seitz, So tut man nicht, S. 44, von einem „Plan der Vergewaltigung“ und einer „Vorbereitung des Verbrechens“.

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Thronnachfolger taktisch geschickt aus dem Weg schaffte, wie seine distanzierte Haltung in 2Sam 13,32 vermuten lassen könnte?93 Auch David wird in der Forschung ambivalent beurteilt: Konnte er wirklich – zumal in der Rede Amnons doch recht eindeutig mit der Äquivalenz von „Essen“ und „Sex“ gespielt wird94 – die Absichten Amnons nicht ahnen?95 Oder war es einfach „normal“, dass die Königssöhne von ihren Schwestern gepflegt wurden? Während ihm zur Last gelegt wird, dass er das Verbrechen im Königshaus nicht ahndet,96 wird er ebenso mit der Begründung „die Verführung einer Jungfrau“ sei „kein besonders schlimmes Delikt“97 davon entlastet. Nicht nur als Vater ist er unberechenbar, sondern auch als König. Weder ahndet er „als pater familias ein Gewaltverbrechen innerhalb der eigenen Familie, noch setzt er als königlicher Richter die von Tamar angerufene, in Israel geltende Lebensnorm durch“.98 Selbst Amnon erregt als liebeskranker, junger Mann eine gewisse Sympathie99 und mag somit als hilflos seinen Gefühlen ausgeliefert erscheinen, der unfähig ist, seine Interessen durchzusetzen.100 Genauso aber wird er zum kaltblütigen Täter stilisiert.101

93 Jonadab spielt in dieser Erzählung nur am Anfang (2Sam 13,3–5) eine Rolle; danach taucht er nicht mehr auf. Später aber wird er in 2Sam 13,32 noch einmal erwähnt und wiederum als „Sohn Schimeas, des Bruders Davids“ eingeführt. Dort realisiert er als erster, dass nicht alle Königssöhne getötet wurden, sondern einzig Amnon, denn – so seine Begründung – Absalom räche sich für die Vergewaltigung seiner Schwester. 94 Alter, The David Story, S. 266: „The writer is clearly playing with the equivalence between eating and sex […].“ 95 Vgl. Bar-Efrat, Narrative Art in the Bible, S. 255: „His [David’s] phrasing reflects a simple and naïve grasp of the matter.“ 96 Vgl. Burrichter, Die Klage der Leidenden, S. 35: „Eine positive Auswirkung der väterlichen Gewalt, wie sie für Amnon und später Absalom auf der Ebene von Vergehen-Zorn-Verzeihung feststellbar ist, gibt es für Tamar nicht, die väterliche Beziehung erschöpft sich im Verhältnis von Herrschaft und Unterordnung. Trost und Mitleid finden darin keinen Raum.“ 97 Hendlmeier, Das Herz der Männer Israels, S. 76. 98 Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 260. Schroer, Die Samuelbücher, S. 183, spricht von Tamar als einem „Opfer mangelnder väterlicher Achtsamkeit und mangelnden väterlichen Rechtsschutzes“. 99 Vgl. Bar-Efrat, Narrative Art in the Bible, S. 243: „In reading of Amnon’s suffering because of his love the reader might feel a certain sympathy and compassion for him. At the beginning of the narrative Amnon is not presented in a negative light and he does not arouse feelings of disapproval or disgust; quite the contrary.“ 100 Cartledge, 1 & 2 Samuel, S. 534f.: „Amnon first appears as a frustrated man who lusts after his half-sister Tamar, convinced that he is in love with her. Indeed, the passionate Amnon claims to have been made sick by his infatuation for Tamar and his inability to reach her […].“ Fokkelman, Narrative Art and Poetry, S. 104, hält Amnons Handeln hier und im Folgenden für doppeldeutig: „Amnon’s part in the action has two levels: the guile with which he misleads David and Tamar and entices the girl inside, and his true intensions which result in a crime.“

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Kaum kontroverser könnte jedoch die Figur Tamars eingeschätzt werden: Äußerst stark tritt sie auf, wenn man ihren Worten Beachtung schenkt,102 zu einem Opfer von männlicher Gewalt wird sie, wenn auf die Tat Amnons der Hauptakzent gelegt wird. So wurde sie als fleißige, gehorsame Königstocher gelobt,103 als naive wehrlose Frau bemitleidet104 oder ihr sogar unterstellt, sie hätte ihren Bruder verführen wollen.105 Selbst der anonyme Diener bekommt verschiedene Facetten, je nachdem ob er als Komplize eines patriarchalen Systems106 oder auf seine Funktion als „Diener“ und damit selbst als eingebunden in hierarchische Strukturen betrachtet wird.107 Dies ist aber noch lange nicht alles: Denn gerade ein Blick in die Forschungsgeschichte zeigt, dass, wer immer eine Figur verteidigt oder in Schutz nimmt, einer anderen die Verantwortung zu schiebt: Wer in Jonadab einen Komplizen sieht, entlastet Amnon. Wer behauptet, es ginge um Inzest und Amnon hätte tatsächlich keinen legalen Weg finden können, seine sexuelle Lust

101 Vgl. Seiler, Die Geschichte von der Thronfolge, S. 100: „Amnon wird vom Erzähler als unbeherrschter Mann gezeichnet, der sich allein von seinen sexuellen Begierden bestimmen läßt und rücksichtslos seine Ziele verfolgt. Tamar gilt als schöne, gehorsame, besonnene und moralisch hochstehende Frau.“ 102 Tamar erscheint hier in ihrem Widerstand „to be extremely strong“ – so van Dijk-Hemmes, Tamar and the Limits of Patriarchy, S. 145. Und ihr Widerstand zeugt von einem „Höchstmaß an Selbstbeherrschung und rhetorischer Überlegenheit“ – so Wagner, Sprechakte und Sprechaktanalyse, S. 235. Gelegentlich wird vermutet, dass sie keinen wirklichen Lösungsvorschlag präsentiert, sondern lediglich auf Zeit spielt. Vgl. beispielsweise Alter, The David Story, S. 268, der davon ausgeht, dass „Tamar is grasping at any possibility to buy time“. 103 Suchanek-Seitz, So tut man nicht, S. 45, spricht von Tamar als „Sympathieträgerin“. Vgl. Seiler, Die Geschichte von der Thronfolge, S. 97: „Tamar wird vom Erzähler sehr positiv beurteilt.“ 104 Vgl. Reis, Cupidity and Stupidity, S. 48: „But Tamar is not a clever woman.“ 105 In 2Sam 13,1–22 wurden hin und wieder Motive einer tragischen Liebesgeschichte gesehen und von einer Gegenseitigkeit der Beziehung ausgegangen. So hielt beispielsweise Budde, Die Bücher Samuel, S. 261, fest: „Die Vorhaltungen des Mädchens in v. 12f. sind vortrefflich gefasst, rührend in ihrer Wahrheit, zumal ganz im Hintergrund eine Neigung zu dem Bruder durchzuschimmern scheint.“ Und Caspari, Die Samuelbücher, S. 547, spricht von einer „Liebesgeschichte“. Fast ein Jahrhundert später, hat Reis, Cupidity and Stupidity, erneut diese These vertreten und zu zeigen versucht, „that the sexual intimacy of Amnon and Tamar is consensual“ (43). 106 Schroer, Die Samuelbücher, S. 173, spricht von Tamar als einem „Opfer niederträchtiger Männerbündnisse (Amnon-Jonadab und Amnon-Diener)“. 107 Vgl. dazu ausführlich Reinhartz, Anonymity and Character in the Books of Samuel, S. 124–126, die zwischen anonymen „courtiers and servants“ und „personal servants“ in den Samuelbüchern unterscheidet und für letztere festhält: „[…] the anonymous personal servant […] plays a typified role, characterized by intimacy, personal devotion, and effacement of self“ (126).

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zu befriedigen, nimmt die Rede Tamars nicht ernst.108 Wer David Leichtsinnigkeit und Naivität unterstellt, bringt Misstrauen in die Familie. Nicht zuletzt an der äusserst disparaten Forschungslage zeigt sich aber, dass Zuschreibungen zu den Figuren wie „positiv“, „moralisch hochstehend“ oder „negativ“, „schuldig“ dem Text nicht gerecht werden.109 Die Untersuchung zur Interaktion der Figuren hat verdeutlicht, dass jede Figur ein Glied innerhalb einer langen Kette darstellt, die nicht unterbrochen werden kann, ohne den Erzählzusammenhang zu stören. So ergibt sich aus den Figuren – „the second character in each of them is the first in the succeeding one“110 – die Gliederung der Erzählung. Keine ist überflüssig und eine Einteilung in Haupt- und Nebenfiguren von vornherein problematisch, denn jede einzelne ist für den weiteren Gang der Handlung unabdingbar und von der vorangehenden Figur abhängig: Der beratende Jonadab genauso wie der unwissende David, der namenlose Diener ebenso wie der beschwichtigende Absalom. Amnon kann seine Begierde nicht ohne Jonadab stillen, und Jonadabs Plan funktioniert nicht ohne Davids Mitwirken, und die Vergewaltigung wäre nicht geschehen, wenn die Bediensteten Amnon nicht gehorcht hätten und Tamar beigestanden wären und so weiter. Der Text selber beantwortet weder die Frage nach dem Verantwortlichen noch die Frage nach der Ursache des Skandals, hinter der auch die „logical consequence of the dominant power structure“111 vermutet wurde. Damit ist die Vergewaltigung in 2Sam 13,1–22 nicht einfach die Tat eines Einzelnen, sondern steht im Kontext von Familienbeziehungen und Komplizenschaft: „Die innerfamiliären Beziehungen tragen ganz wesentlich zum Leiden Tamars bei.“112 Alles ereignet sich innerhalb der königlichen Familie,113 aber nicht unter der direkten und indirekten „Mittäterschaft“ zahlreicher Einzelfiguren, sondern in deren Interaktion. Dazu bedarf es einer Krankheit und eines Plans, 108 Zum rechtlichen Hintergrund, respektive der Frage, welche Verhaltensnorm von Amnon im Einzelnen gebrochen wird – ob Inzest, Vergewaltigung oder das Gebot im Vergewaltigungsfall die Frau zu heiraten – vgl. Dietrich / Naumann, Die Samuelbücher, S. 258–260, die zum Schluss kommen, dass sich Tamar auf „ein nichtkodifiziertes Gewohnheitsrecht“ (S. 260) berufe. McCarter, II Samuel, S. 328, hält fest, dass „there is no certainty about the legal status of marriage between half-sibling in David Israel“. Vgl. zur rechtlichen Lage auch Burrichter, Die Klage der Leidenden, S. 24–29. In Dtn 27,22; Lev 18,9.11; 20,17 wird der Sexualverkehr zwischen Bruder und Halbschwester verboten (vgl. Ez 22,11). 109 Vgl. van Dijk-Hemmes, Tamar and the Limits of Patriarchy, S. 145. 110 Bar-Efrat, Narrative Art in the Bible, S. 278. Vgl. zur Gliederung der Erzählung ausführlich Fokkelman, Narrative Art and Poetry, S. 99–102, sowie Müllner, Gewalt im Hause Davids, S. 143–334. 111 Van Dijk-Hemmes, Tamar and the Limits of Patriarchy, S. 136. 112 Seifert, Tochter und Vater, S. 110. 113 McCarter, II Samuel, S. 328, urteilt: „The initial sacrilege, therefore, will precipitate the destruction of the entire social unit, the family.“

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des Gehorchens und nicht Hören-Wollens, Schreiens, Öffentlich-Machens und Beruhigens, das schließlich mit dem Verstummen – oder dem zum Verstummen Bringen – endet. Die Vergewaltigung Tamars ist in diesem Sinn weder ein gesellschaftliches Phänomen, durch das Frauen von vornherein als Opfer prädestiniert sind – schließlich kommt Tamar ausführlich und lange direkt zu Wort und es besteht in dieser sicherlich nicht historischen, sondern „stilisierten“, literarischen Szene durchaus die Möglichkeit, die Geschichte auch anders ausgehen zu lassen – noch ein „individuelles Verbrechen“.114 Ebenso missverständlich ist es, den Text metaphorisch zu verstehen und zu behaupten, dass „[…] the violence between victim and rapist signifies broader social dynamics“.115 Die Gewalt zwischen den einzelnen literarischen Figuren steht nicht für größere soziale Spannungen, sondern geht direkt auf diese zurück:116 Beschrieben und beim Namen genannt wird durch den Erzähler ein zum Himmel schreiendes Unrecht und dies geschieht dezidiert im Wissen um die Komplexität von familiären Strukturen und Beziehungen.117

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Fazit: Ein neuer Deutungsversuch jenseits der Opfer-Täter-Konstruktionen

Es geht nicht um das Verhalten des Einzelnen / der Einzelnen und auch nicht – zumindest nicht vorrangig – um Schuld und (göttliche) Strafe (2Sam 12) beziehungsweise (menschliche) Rache (2Sam 13,23–36).118 Weder die Erzählung von Batseba noch die von Tamar sind #MeToo stories, wie dies kürzlich behauptet wurde.119 Sie sind eher das Gegenteil, insofern hier nicht einseitig Anklage erhoben wird, sondern ein breiter Handlungsspielraum aufgemacht und ausgelotet wird. Die Erzählungen schreiben gerade nicht fest, dass die Frau gegenüber Belästigungen machtlos ist, sich nicht wehren kann, dass das männliche Be-

114 Suchanek-Seitz, So tut man nicht, S. 125, meint dagegen: „Die individualistische Darstellung des Verbrechens zeigt sich an den unterschiedlichen Sprechakten, die beide Figuren charakterisieren.“ 115 Keefe, Rapes of Women, S. 83. 116 Vgl. Yamada, Configurations of Rape, S. 131. 117 Der Erzähler, enthält sich eines expliziten moralischen Urteils, beziehungsweise deutet dieses lediglich in den Worten Tamars – etwa durch die Begriffe ‫( ְנָבָלה‬V. 12) und ‫( ָרָעה‬V. 16) – an. 118 Hunziker-Rodewald, Die beiden Söhne, S. 95, vermutet: „David hatte seinen Ehebruch kraft seiner Stellung als absoluter Monarch nicht vor dem geltenden Gesetz und deren offiziellen Vertretern, sondern (nur) direkt vor Gott zu verantworten.“ Bei Amnon in 2Sam 13,1–22 ist das anders. 119 Everhart, The Bible’s #MeToo Stories.

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gehren allmächtig, das weibliche nicht existent ist.120 Sie lassen alles Mögliche offen, wenn auch Tamar am Ende ganz klare Verliererin ist. Genauso verfehlt ist es, die Texte, weil sie von Männern geschrieben wurden, von vornherein als androzentrisch festzulegen, denn sowohl David wie auch Amnon werden für ihre Vergehen mit dem Tod (2Sam 13,23–36) beziehungsweise, durch Schuldeingeständnis und Reue abgemildert, „lediglich“ mit dem Tod des Kindes (2Sam 12) bestraft. Vielmehr dürfte durch die Untersuchung deutlich geworden sein, dass die Texte in einem historischen und sozialen Kontext entstanden sind, in dem Gender-Rollen anders konstituiert wurden als heute. Statt der Übertragung von gegenwärtigen Gender-Rollen in die damalige Zeit121 bedarf es – so banal das klingen mag! – einer ernsthaften, historischen Untersuchung, wie Sexualität122 und Gender123 konzeptualisiert wurden.124 Es ist dringend notwendig, dass die feministische Exegese aufhört, implizite „Vergewaltigungsmythen“ zu transportieren, beispielsweise den Mythos, dass der Mann qua Biologie offensiv und aktiv, die Frau dagegen defensiv und passiv ist, dass Männer grundsätzlich nicht vergewaltigt werden können oder die Stereotype weiblicher Unschuld. Die körperliche Schönheit Batsebas und Tamars sind ihre Stärke und gleichzeitig eine Gefahr. Keine der beiden Frauen wird jedoch allein auf ihre Äusserlichkeit re120 Vgl. Flaßpöhler, Die potente Frau, S. 9. Diese führt aus: „Für #metoo ist kennzeichnend, dass Frauen sich libidinös gesehen eine rein passive Rolle zuschreiben – zielt die Bewegung doch letztlich auf Strategien ab, wie mit männlicher Lust umzugehen, wie sie zu bekämpfen, wie die Frau effektiv vor ihr zu schützen sei. Auffällig leer jedoch bleibt in diesen Bestrebungen die Position der Weiblichkeit selbst; nichts, rein gar nichts erfahren wir über das Begehren der Frau.“ (S. 18f.). 121 Nach Oeming, Biblische Hermeneutik, S. 137, ist feministische Exegese dann sinnvoll, wenn die „systematische Erarbeitung der biblischen Aussagen über Frauen“ im Zentrum steht und versucht wird, realistisch einzuschätzen, „in welchem Maße die Bibel selbst Teil einer patriarchal geprägten Kultur ist und unter einer sexistischen Beschränktheit leidet“. 122 Stone, Sex, Honor, and Power, S. 106, forderte: „However, the story’s relation to cultural assumptions about sexual practice that may be illuminated by anthropology requires further analysis.“ Washington, Sexual Violence, S. 350f.: „Social scientists find that the incidence of sexual violence varies dramatically among cultures, historically and in the present. A continuum runs from those rare cultures where sexual violence is practically absent to the most ‚rape-prone‘ societies. Like most ancient Near Eastern cultures, ancient Israel tends toward the violent range of this continuum. Gender and sexuality are conceived in such a way that sexual coercion is not necessarily recognized as violence. Forced sex might be regarded as an economic offense rather than an assault. A notion of ‚sexual violence‘, therefore, does not exist in biblical antiquity.“ 123 Vgl. beispielsweise zur Frage der Geschlechterdifferenz oder Geschlechtergleichheit und der „one sex model“-Theorie von Thomas W. Laquer, Maier, Körper und Geschlecht, S. 183– 207. 124 Es soll nicht behauptet werden, dass dies bislang nicht getan wurde; dennoch gibt es hier – in Zusammenarbeit mit der Altorientalistik, der Ägyptologie und der altorientalischen Ikonographie – noch Forschungspotenzial. Maier, Körper und Geschlecht, kommt beispielsweise zum Schluss: „So bedarf es weiterer Studien um Unterschiede in verschiedenen Traditionen sowie diachrone Entwicklungen aufzuzeigen.“ (S. 202).

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duziert. Beide treten sie – und gerade in der Batseba-Erzählung wurde dies immer wieder übersehen oder sogar bestritten – als aktiv agierende Subjekte auf.125 Weder sind Batseba und Tamar passive Opfer, noch umgekehrt David und Amnon die alleinigen Täter. War die Inbesitznahme einer Frau durch den Herrscher vermutlich einmal gängige Praxis,126 so ist sie das seit dem deuteronomischen-deuteronomistischen Königsgesetz nicht mehr (Dtn 17,17).127 David macht sich nicht nur gegenüber Batseba und Urija schuldig, sondern seine Handlungen haben einen viel weiteren Bezugsrahmen insofern er in seiner Rolle als König versagt und sich nicht an das Gesetz hält (vgl. Ex 20,14; Lev 18,20; 20,10; Dtn 5,18). Die „Inbesitznahme“ Batsebas und die Vergewaltigung Tamars sind ein einziger Fehler des Systems. Vordergründig geht es bei diesen Interaktionen der Figuren um Gehorchen und sich Widersetzen, Befehlen und Ausführen. Im Hintergrund steht jedoch auch das stumme und tatenlose Zuschauen aller – das Sehen und Nicht-Sehen wollen. Was immer die Aussage-Absicht dieser beiden Texte ist, nicht die einmalige Handlung eines Einzelnen / einer Einzelnen steht im Zentrum, sondern deren Relationalität. Jede Handlung, jede Emotion ist – wie Assmann es für Ägypten festgehalten hat – „kommunikativ verzahnt“: Sie ist entweder Antwort oder erfordert Antwort.128 Der Einzelne / die Einzelne existiert nicht allein und handelt nicht einfach so, sondern ist eingebunden in ein Beziehungsnetz, geprägt von der eigenen Erfahrung und Geschichte.129 Im Zentrum steht nicht ein Täter-OpferDenken, sondern ein Denken in sozialen Strukturen; nicht der Einzelne / die Einzelne, sondern die Gesellschaft.

125 Vgl. ausführlich zur Problematik, dass Viktimisierung und Feminisierung häufig zusammen gedacht werden bereits Müllner, Gewalt im Hause Davids, S. 338–346. Gerade wenn man die Erzählung von Batseba von ihrem Ende in 1Kön 1–2 her versteht – etwa mit welcher Selbstverständlichkeit sich der König vom Thron erhebt, sich vor ihr niederwirft und mit welcher Bestimmtheit sich die Königinmutter auf den Thron zu seiner Rechten setzt (1Kön 2,19) – wird deutlich, was für eine selbstbestimmte und mächtige Frauenfigur Batseba ist. Ehrlich, Bathsheba the Kingmaker, hält fest: „Such a reading of 1 Kings 1–2, and of the Succession Story as a whole, casts a different light on the family drama. Instead of Bathsheba being simply a passive conduit for the production of David’s heir, she is someone with agency, able to turn a king’s eye, change a king’s mind, and even have a rival executed, all without ever revealing her cards.“ 126 Vgl. dazu Augustin, Die Inbesitznahme der schönen Frau, 153: „David nimmt die Verfügungsgewalt über die Frauen seiner Untertanen in Anspruch und verwirklicht damit die Macht orientalischer Herrscher. Von einer antiköniglichen Tendenz sollte man deshalb in diesem Zusammenhang nicht sprechen, eher von einem Selbstverständnis Davids, das auch in 2 Sam 11 deutlich wird.“ 127 Vgl. Naumann, David als exemplarischer König, S. 149f. 128 Vgl. Assmann, Ma’at, 61. 129 Janowski, Konfliktgespräche mit Gott, S. 44, hat den Begriff der „Sozialsphäre“ geprägt.

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Erasmus Gaß

Die Biene und der Blitz – Die eigenwillige Koalition von Debora und Barak

Die biblische Debora-Barak-Erzählung (Ri 4) ist in vielerlei Hinsicht für die Fragestellung „Frauen im Umfeld des Herrschers. Herrschaft im interkulturellen Vergleich“ interessant, und das nicht nur, weil hier eine Frau und ein Heerführer zusammengebracht werden, die wie ein Tandem funktionieren. In der ursprünglichen Erzählung von Ri 4 werden nämlich verschiedene traditionelle Geschlechterstereotype durchbrochen. Denn die einzelnen Personen handeln nicht so, wie es eigentlich von ihnen erwartet wird. Zunächst sollen die Eigennamen kurz vorgestellt werden, da diese im Blick auf die Erzählung transparent sind. In einem zweiten Punkt soll die ursprüngliche Debora-Barak-Erzählung herausgearbeitet werden, die hinter der redaktionellen Übermalung zu finden ist. Danach wird in einem dritten Abschnitt versucht, Hinweise für eine adäquate Datierung der ursprünglichen Erzählung herauszuarbeiten. Schließlich sollen in einem vierten Punkt die einzelnen Protagonisten näher profiliert werden, bevor in einem abschließenden fünften Abschnitt die Nachgeschichte dieser Erzählung kurz zur Sprache kommt, zumal in der Rezeptionsgeschichte gewisse Leerstellen gefüllt und Probleme der biblischen Erzählung gelöst werden.

1.

Zu den Eigennamen

Schon die Eigennamen der Debora-Barak-Erzählung in Ri 4 sind aufschlussreich, da deren Bedeutung zur besseren Profilierung der Protagonisten beiträgt. Deshalb sollen zunächst die Eigennamen im Folgenden näher untersucht werden: 1) Debora: Der Name der Prophetin Debora wird in der Regel mit „Biene“ wiedergegeben.1 Die Wurzel DBR/ZBR, die dem Namen Debora zugrunde 1 Nach Eder, Frauen, S. 98 sind Tiernamen in der Hebräischen Bibel ohnehin nicht ungewöhnlich, wie auch der Name Jael ebenfalls in der Debora-Barak-Erzählung zeigt. Auffälligerweise werden in den Erzählungen der Frühzeit viele Tiernamen verwendet, was deren

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liegt, ahmt lautmalerisch das Summen und Brummen nach, durch das die Bienen besonders auffallen.2 Bei dem Lexem debôra¯h sind vermutlich Wildbienen im Blick, die bei Gefahr besonders angriffslustig sein können. Aufgrund ihrer Gefährlichkeit werden Bienen in der Hebräischen Bibel eigentlich nur negativ gesehen.3 So verwundert es nicht, dass das hebräische Wort debôra¯h für „Biene“ meist für eine feindliche Bedrohung eingesetzt wird. Nach Dtn 1,44 haben die Amoriter Israel wie Bienen verfolgt. Diese Aktion wird an der entsprechenden Stelle mit dem Verb RDP ausgedrückt, das auch in der Debora-Barak-Erzählung verwendet wird, wo Barak den feindlichen Anführer Sisera und dessen Heer verfolgt (Ri 4,16.22). Auch ganz allgemein können in Ps 118,12 die Feinde des Beters als „Bienen“ bezeichnet werden, die den armen Beter bedrohlich umschwirren. Selbst aus dem Land des Erzfeindes Assur wird nach Jes 7,18 eine debôra¯h gerufen, um die Strafe an Israel zu vollziehen. Im Gegensatz dazu ist es in der Debora-Barak-Erzählung eine debôra¯h, die sich gegen den Feind Israels wendet, indem sie den Heerführer Barak zu einer militärischen Aktion auffordert. Vor diesem innerbiblischen Hintergrund wird das negative Bild der feindlichen Bedrohung umgeschrieben. Vielleicht wird Debora unbewusst sogar in der Erzählung wie eine Bienenkönigin gezeichnet, die sich mit einem Schwarm auf dem Taborberg versammelt und ihre Drohne Barak und 10.000 weitere Kämpfer in die entscheidende Schlacht schickt.4 Zumindest kann das Bild der Biene für die Debora-Barak-Erzählung in vielerlei Hinsicht fruchtbar gemacht werden. Neben der Bedeutung „Biene“ kann man bei dem hebräischen Wort debôra¯h aber auch daran denken, dass eine Beziehung zur Wurzel DBR „sagen, sprechen“ vorliegen könnte.5 Diese Interpretation passt zudem zur eigentlichen Aufgabe Deboras als ʾisˇˇsa¯h nebîʾa¯h „eine prophetische Frau“.6 Der Ausdruck nebîʾa¯h bedeutet vermutlich die von Gott berufene Mittlerin des

2 3 4 5

6

Historizität zweifelhaft erscheinen lässt, vgl. Mathys, Personennamen, S. 232. Zur Verwendung von Tiernamen vgl. auch Lindars, Judges, S. 181f. Vgl. Riede, Spiegel, S. 187. Vgl. Kagerer, Biene, S. 87. Nach Asen, Deborah, S. 518f. setzt sich diese negative Tendenz im Talmud noch fort. Im Gegensatz dazu denkt Jost, Gender, S. 127 an die nährende süße Kraft der Biene. Vgl. hierzu Asen, Deborah, S. 527–533. Vgl. van Wolde, Deborah, S. 288; Bedenbender, Biene, S. 52; Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 185; Eder, Frauen, S. 101. Vgl. auch Assis, Man, S. 124, der darauf hinweist, dass Debora spricht und Barak handelt. Gelegentlich wird der Eigenname debôra¯h von einer Wurzel DBR-II „führen, anführen“ abgeleitet, die im Reichsaramäischen und Palmyrenischen belegt ist, vgl. Hess, Identity, S. 26. Dann wäre dieser Name entweder mit „Anführerin“ oder als Hypokoristikon als „(die Gottheit X) soll anführen“ wiederzugeben. Nach Lindars, Judges, S. 182 ist eine Ableitung vom hethitisch-luwischen Lexem tapara „Herrscher“ unwahrscheinlich. Vgl. hierzu auch Spronk, Deborah, S. 240, der Debora als „Frau des Wortes“ versteht.

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Gotteswortes, wobei etymologisch der Schwerpunkt auf der Berufung durch Gott liegt,7 was der Trägerin eine gewisse Legitimität verschafft. Da Debora als Prophetin bezeichnet wird, die Gottesworte mitteilt, wird das weitere Geschehen mit Yhwh verbunden, der hinter alledem steckt.8 2) Barak: Der Eigenname Barak lässt sich mit dem hebräischen Wort ba¯ra¯q „Blitz“ verbinden. Meist wird vermutet, dass die Bezeichnung „Blitz“ für außergewöhnliche Schnelligkeit steht.9 Im Alten Orient waren Namen mit diesem Element durchaus gebräuchlich.10 Da man im Altertum nicht über weitreichende naturwissenschaftliche Erkenntnisse verfügte, deutete man den Blitz nicht als natürliche atmosphärische Erscheinung, sondern eher als von Gott gewirktes Wunder. Aus diesem Grund verband man das Wort „Blitz“ in der Hebräischen Bibel vor allem mit Gott. Hinzu kommt, dass Yhwh bisweilen als Sturmgott dargestellt wird. Da der Schöpfergott für die Blitze verantwortlich ist (Ps 135,7), kann er auch frei über sie verfügen (Ij 38,35). Nicht ohne Grund werden Blitze bei einer Theophanie eingesetzt.11 Wie andere Kriegs- und Wettergötter der Umwelt Israels bekämpft Yhwh die Feinde des Beters mit mächtigen Blitzen (Ps 18,15).12 Mit Hilfe von Blitzen kann Yhwh zudem die Feinde des Beters verwirren (Ps 144,6), was wie in Ri 4,15 mit dem Verb HMM ausgedrückt wird.13 Interessanterweise gilt der assyrische Großkönig Sanherib ebenfalls als musˇabriqu za¯mânı¯, der seine Feinde mit dem Blitz niederschlägt.14 Vor diesem biblischen und außerbiblischen Hintergrund ist der Namen Barak für die Debora-Barak-Erzählung bestens gewählt,15 da der „Blitz“ Barak für den Sturmgott Yhwh den Feind besiegen

7 Vgl. Müller, ‫ ָנִביא‬na¯b;îʾ, S. 145, der hierfür zum einen auf das akkadische Kognat nabı¯um „Berufener“ und die vorliegende qatı¯l-Bildung verweist, die in der Regel nicht für ein nomen agentis „Sprecher, Verkünder“ verwendet wird. Nach Waschke, Nabîʾ, S. 69 war na¯bîʾ ein bis zum Exil im Tempel oder am Hof wirkender, verbeamteter Prophet. Erst nach dem Untergang Judas löste sich dieser Begriff von den Tempel- und Hofpropheten und wurde auf all jene übertragen, deren Botschaft sich als wahr erwiesen hat. 8 Vgl. Stek, Bee, S. 62. 9 Vgl. Eder, Frauen, S. 110. 10 Vgl. hierzu Hess, Identity, S. 26f. Möglicherweise ist Barak aber auch nur ein Beiname des Heerführers aus Naftali, vgl. Knauf, Richter, S. 68. 11 Vgl. auch Bedenbender, Biene, S. 50; Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 183. 12 Zum Blitz als Waffe Gottes, vgl. auch Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 183. Dementsprechend ruft Debora mit Barak eine göttliche Waffe herbei. 13 Das Verbum HMM „verwirren“ ist fast durchweg mit Gott als Auslöser dieser Panik verbunden. Immer wieder stiftet Yhwh Verwirrung unter den Feinden (HMM: Ex 14,24; 23,27; Dtn 2,15; Jos 10,10; Ri 4,15; 1Sam 7,10; 2Sam 22,15; 2Chr 15,6; Ps 18,15; 144,6). Nur in seltenen Fällen wird dieses Verb mit einem menschlichen Agens verbunden. 14 Vgl. RINAP 3/1 Sennacherib 1:3; 2:3; 3:3; 4:3; 5:3; 8:3; 9:3; 15: i13; 16:i14; 17:i10; 18:i8’; 22:i9; 23: i9; 24:i9; 27:ii4; 31:i9’; 46:2; 136:oi9; 154:o6’; 213:3; 230:5. 15 Vgl. Webb, Book, S. 190.

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soll.16 Wie ein zweiter assyrischer Großkönig wird er die Feinde Israels wie ein Blitz zerstören. 3) Sisera: Der Name Sisera lässt sich nicht mit letzter Sicherheit bestimmen. Meist wird ein nicht-semitischer Ursprung vermutet. In den Texten von Ugarit ist der Name zi-za-ru-wa belegt, bei dem es sich um einen luwischen Eigenname handeln könnte.17 Außerdem könnte man Sisera mit dem minoischen Namen ( j)a-sa-sa-ra verbinden,18 der mit der Bezeichnung Σαισάρα für Zeus Kretogenes gleichgesetzt werden könnte.19 Eine derartige Ableitung würde dann andeuten, dass Sisera ein philistäischer Heerführer gewesen wäre,20 dessen Name mit der Ägäis zu verbinden wäre. Dann würden sich Sterne und Regen des Wettergottes Sisera/Σαισάρα/Zeus Kretogenes sogar gegen den feindlichen Heerführer wenden. Manchmal wird Sisera hingegen von dem griechischen Lexem σισύρα abgeleitet, womit ein mantelartiger Umhang aus Ziegenfell bezeichnet wird.21 In diesem Fall würde man mit diesem despektierlichen Namen auf einen Barbaren verweisen. Bei all diesen Ableitungen wäre Sisera ein anatolischer oder ägäischer Heerführer gewesen. Allerdings hat sich mittlerweile gezeigt, dass der Name Sisera durchaus einen semitischen Ursprung haben könnte,22 auch wenn eine etymologische Ableitung von einer semitischen Wurzel bislang nicht geglückt ist. Wenn es tatsächlich eine semitische Etymologie geben sollte, dann könnte es sich bei Sisera um einen kanaanäischen Heerführer handeln. Dies ist schon vor dem Hintergrund wahrscheinlich, dass eine Zuweisung Siseras zu den Philistern in der biblischen Erzählung nirgendwo erfolgt. Vielmehr sind es nach dem Deboralied die Könige Kanaans, die gegen Israel streiten (Ri 5,19).23

16 Aus moderner Sicht könnte man zusätzlich ergänzen, dass ein mit Eisen verstärkter Streitwagen ein besonders gefährdetes Ziel für einen „Blitz“ ist. 17 Vgl. Hess, Identity, S. 30. 18 Vgl. hierzu Carratelli, ΣΑΙΣΑΡΑ, S. 124–127. Nach Hess, Identity, S. 30 bedeutet ( j)a-sasa-ra etymologisch „Meister, Herr“. Dies würde zumindest gut zum feindlichen Anführer Sisera passen. 19 Vgl. hierzu Becking, Sisera, Sp. 1483. Bedenbender, Biene, S. 45 weist auf einen ZeusMythos hin, dem zufolge Zeus von dem Schwesternpaar Melissa (Biene) und Amaltheia mit Honig und Milch versorgt worden sei, sodass hier mit Debora und Jael eine parodistische Version dieses Zeus-Mythos vorliegen könnte. Kritisch hierzu Eder, Frauen, S. 88, zumal Sisera nicht wie eine Gottheit gezeichnet werde und Debora/Jael kein Geschwisterpaar seien. 20 Vgl. auch Matthews, Judges, S. 64. 21 Vgl. Bedenbender, Biene, S. 45. 22 Vgl. Schneider, Personennamen, S. 192, zumal das Namenselement ssr bei einem reichsaramäischen Eigennamen zusammen mit dem semitischen Element ʾel steht. 23 Bauer, Gottheiten, S. 83f. Anm. 4 verbindet den Namen Sisera mit der arabischen Wurzel ˇsariya „strahlen, leuchten“. Möglicherweise wäre dann Sîsera¯ʾ von Sîn-sa¯ra¯ʾ „der Mondgott leuchtet“ abzuleiten. Bisweilen wird ein Wortspiel des Eigennamens Sisera mit der zweifachen Aufforderung Jaels sûra¯h „Kehre ein“ vermutet, vgl. Eder, Frauen, S. 88.

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4) Jael: Der Eigenname Jael wird in der Regel mit dem hebräischen Lexem ya¯ʿel „Steinbock, Felsenziege, Reh“ verbunden,24 was durchaus mit der Erzählung verbunden werden kann, da zum einen Jael Sisera mit einem Pflock aufspießt, was mit den Hörnern des Steinbocks zu vergleichen wäre, und zum anderen Jael wie eine Ziege dem erschöpften Heerführer Sisera Milch statt Wasser zu trinken gibt. Fraglich ist jedoch, weshalb hier eine maskuline Form des Tiernamens verwendet worden ist.25 Allerdings könnte der Name Jael auch auf die Wurzel YʿL „nützen“ zurückgehen. Eine derartige Ableitung passt ebenfalls zur Debora-Barak-Erzählung, da Jael die nützliche Helferin der beiden Protagonisten Debora und Barak ist und den feindlichen Anführer erledigt.26 Die Namen der Protagonisten der Debora-Barak-Erzählung sind folglich gut gewählt, da sie die unterschiedlichsten Bedeutungspotentiale einzuspielen vermögen. Bereits die Namen tragen folglich zur Charakterisierung bei. Während Barak und Jael durchaus positive Assoziationen erwecken – Barak als die göttliche Wunderwaffe und Jael als die nützliche, sorgende Kämpferin –, klingt bei Debora und Sisera auch Kritik an – Debora als die lästige und bedrohliche Biene und Sisera als Anführer mit einem möglicherweise ausländischen Namen. Auch wenn diese Namen vermutlich auf eine ursprüngliche Tradition zurückgehen und nicht künstliche Bildungen sind, sind sie aufgrund ihrer tiefsinnigen Doppeldeutigkeit narrativ besonders wertvoll.

2.

Zum literarkritischen Hintergrund von Ri 4

Die Hebräische Bibel ist kein Werk, dessen Bücher von einzelnen Autoren stammen. Vielmehr haben viele Autoren und Redaktoren an den Texten gearbeitet und ihre jeweilige theologische Sichtweise in die Texte eingetragen. Schon aus diesem Grund muss man biblische Texte auf ihre Entstehungsgeschichte hin befragen. Eine einseitig synchrone Auslegung, die die diachrone Wachstumsgeschichte vor allem aus arbeitsökonomischen Gründen ausblendet, ist folglich wenig hilfreich. Auch die Debora-Barak-Erzählung ist nicht aus einem Guss. Vielmehr lassen sich sekundäre Zutaten von der ursprünglichen Erzählung abheben. 24 Vgl. Eder, Frauen, S. 151. 25 Vgl. hierzu Lindars, Judges, S. 196. 26 Außerdem könnte man im Namen Jael noch einen Bezug zur Wurzel ʿLY „hinaufziehen“ vermuten, da Jael sich gegen ihren Feind erhoben hat, während die beiden Männer Barak und Sisera gemäß der Erzählung jeweils hinabsteigen (YRD), und zwar vom Berg Tabor bzw. vom Streitwagen, vgl. hierzu van Wolde, Deborah, S. 291f.; Jost, Gender, S. 128.

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Bislang sind verschiedene entstehungsgeschichtliche Modelle entworfen worden, die die ursprüngliche Tradition unterschiedlich beurteilt haben. Ein allgemeiner Konsens ist noch nicht erreicht, auch wenn sich Grundlinien abzeichnen, auf die sich die folgende Literarkritik stützen kann. Im Rahmen der literarkritischen Arbeit negiert man entweder gänzlich vor-dtr. Erzählkerne und weist den Grundbestand von Ri 4 einer dtr. oder gar spätdtr. Hand zu oder man lässt eine vor-dtr. Erzähltradition zu, die zudem nicht notwendigerweise als einheitlich bewertet werden muss und auf mündliche wie schriftliche Textmaterialien zurückgehen kann.27 Nur nebenbei bemerkt: Mit dem Label dtr. versieht man Redaktionsarbeit, die sprachlich und inhaltlich dem Buch Deuteronomium nahesteht. Diese Redaktion ist frühestens ab dem Babylonischen Exil im 6. Jh. v. Chr. anzusetzen. Im Gegensatz dazu sind vor-dtr. Erzählkerne vor dieser Zeit und damit im 7. Jh. v. Chr. oder sogar noch früher entstanden. Im Folgenden wird damit gerechnet, dass es durchaus eine vor-dtr. Erzählung in Ri 4 geben kann, die sich mit den Hauptaussagen des früher entstandenen Deboraliedes in Ri 5 deckt.28 Es wird sich zeigen, dass auf diese Weise den internen Spannungen der Erzählung in Ri 4 ausreichend Rechnung getragen und die literarkritische Differenzierung von einzelnen Textteilen nicht auf die Spitze getrieben wird. Mithilfe des dtr. geprägten Anfangs in V.1–3 und des ebenfalls dtr. Endes in V.23–24 ist die ursprüngliche vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung Ri 4,4–22* in das dtr. geprägte Richterbuch aufgenommen worden. Durch diese Rahmung wurde die Prophetin Debora zu einer Regentin gemacht und damit den übrigen Regenten des Richterbuches angenähert.29 Derartige Regenten sind nach dem Richterbuch immer dann aufgetreten, wenn die Israeliten aufgrund eigenen kultischen Versagens von ausländischen Feinden bedrängt wurden und danach zu Yhwh um Hilfe schrien. Im Anschluss daran schickte Yhwh einen Regenten, der die Israeliten von dieser feindlichen Bedrohung rettete. Danach hatte Israel eine gewisse Zeit Ruhe, bis dieses zyklische Schema von Abfall/Bedrohung/Schrei zu Yhwh/Rettung wiederum einsetzte. Dieses dtr. geprägte Regentenschema, das im Richterbuch jeweils um die vorliegenden Rettererzählungen gelegt wurde, liegt auch in V.1–3 und V.23–24 vor, wobei die Ruhe vor den Feinden erst nach

27 Vgl. zu unterschiedlichen Entstehungsmodellen Gross, Richter, S. 259. 28 Das Deboralied könnte im 9. Jh. v. Chr. am omridischen Hof verschriftet worden sein, wobei diese Tradition bereits in der Zeit Davids und Salomos verortet werden könnte, zumal Saul zuvor noch nicht Galiläa beherrschte und Ruben im 9. Jh. v. Chr. durch Gad ersetzt wurde, vgl. Knauf, History, S. 143. 29 Entgegen Webb, Book, S. 183 ist Barak kein Retter, sodass hier nicht die beiden Aufgaben des Rettens und des Regierens voneinander getrennt und auf Barak und Debora verteilt worden wären.

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dem Deboralied in Ri 5,31 erzählt wird.30 Der dtr. Rahmen in V.1–3 und V.23–24 ist nahezu konsensfähig, da ein vergleichbarer Rahmen sprachlich und inhaltlich auch bei anderen Erzählungen des Richterbuchs anzutreffen ist. Allerdings ist der verbleibende Rest in Ri 4,4–22* nicht ganz ohne interne Spannungen, die ebenfalls spätere redaktionelle Ergänzungen nahelegen. Hierzu soll im Folgenden in gebotener Kürze Stellung bezogen werden. 1) Vermutlich war Sisera in der ursprünglichen Debora-Barak-Erzählung noch nicht der Heerführer des Kanaanäerkönigs Jabin, der nach dem dtr. Rahmen im nördlichen Hazor residierte (Ri 4,2). Vermutlich ist diese Notiz mit Jos 11,1 zu verbinden, wo besagter Jabin eine feindliche Koalition gegen die Israeliten unter Josua schmiedet. Allerdings wird Jabin bereits nach Jos 11,10 von Josua selbst erschlagen.31 Dementsprechend kann der in der Debora-Barak-Erzählung genannte Herrscher Jabin eigentlich nicht mit dem Jabin der Landnahmegeneration unter Josua identisch sein.32 Hinzu kommt, dass Hazor bereits in Jos 11,13 zerstört worden ist. Schon aus diesem literarischen Grund konnte Hazor in der Richterzeit kaum noch als der wichtigste kanaanäische Herrschaftsort mit einem König über Kanaan gewertet werden. Allerdings wird mit der literarischen Anspielung auf den legendären feindlichen Archetypen Jabin von Hazor die feindliche Bedrohung der Nordstämme Sebulon und Naftali zusätzlich gesteigert, auch wenn besagter Jabin bereits erledigt ist.33 Die Klassifizierung Jabins als König von ganz Kanaan ist ebenfalls eine anachronistische Bildung, da es historisch in Kanaan in der Spätbronzezeit nie eine einzige monarchische Spitze gab, sondern immer einige miteinander konkurrierende Stadtkönigtümer.34 Vermutlich wurden die Könige Kanaans aus Ri 5,19 sekundär auf nur eine monarchische Spitze 30 Zu diesem dtr. Rahmen vgl. auch Becker, Richterzeit, S. 126–128; Lindars, Judges, S. 172f.; Neef, Deboraerzählung, S. 143; Scherer, Überlieferungen, S. 87–89; Gross, Richter, S. 263. 31 Nach Knauf, Richter, S. 71 kann ein ungläubiger Kanaanäerkönig mit dem verheißungsvollen Namen Jabin („Er versteht“) gar nicht oft genug getötet werden, zumal nur die Israeliten als Bewahrer der Tora über eigentliches Verstehen verfügen. Anders hingegen Eder, Frauen, S. 85, die Jabin von der Wurzel BNY „bauen, schaffen“ ableitet: „Gott baut/schafft“. Eine derartige Ableitung ist aber nicht möglich, da weder ein theophores Element enthalten ist noch die Verbalform ya¯bîn mit der Wurzel BNY zusammenhängen kann. 32 Vielleicht ist daran zu denken, dass der Name Jabin von unterschiedlichen Herrschern der gleichen Dynastie nach dem System der Papponymie verwendet wurde. Nach Scherer, Überlieferungen, S. 91–93 muss Jabin aufgrund des eklatanten Widerspruchs zu Jos 11 bereits in der ursprünglichen Tradition gestanden haben. Auch nach Neef, Deboraerzählung, S. 129 ist das Jabin-Material in Ri 4 älter als in Jos 11, sodass erst das Josuabuch diesen Widerspruch produzierte. 33 Knauf, Richter, S. 67 weist darauf hin, dass die Erzählungen des Richterbuchs bisweilen auf einer Zeitstufe mit denjenigen des Josuabuchs liegen, sodass die Zeit nicht immer linear verlaufen muss. 34 Vgl. zu diesem Problem Becker, Richterzeit, S. 127; Lindars, Judges, S. 176; Scherer, Überlieferungen, S. 87; Niditch, Judges, S. 64; Gross, Richter, S. 259; Sasson, Judges, S. 253.

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enggeführt, die dann mit dem berüchtigten König von Hazor gleichgesetzt werden konnte,35 ohne dass man diesen Widerspruch beseitigen wollte. Hier wurde nämlich eine literarische Konstruktion angestrebt und keine historische Rekonstruktion der Ereignisse. Dass Jabin eine spätere Ergänzung ist und ursprünglich nicht in der Tradition zu finden war, zeigt darüber hinaus die Leerstelle im Deboralied (Ri 5), wo alle Protagonisten der Erzählung bis auf Jabin genannt werden.36 Hinzu kommt, dass Jabin in der folgenden Debora-Barak-Erzählung ohnehin keine Rolle mehr spielt.37 Die sekundäre Einfügung Jabins durch einen Redaktor könnte durch verschiedene Beobachtungen motiviert sein, zumal man dann die Debora-Barak-Erzählung noch zusätzlich mit dem Deboralied verbinden konnte: Zum einen spielt die kriegerische Auseinandersetzung mit kanaanäischen Königen in Jos 11 im Norden Israels, während in Ri 5,19 die kanaanäischen Könige sich zum Kampf gegen Israel ebenfalls vereinigen. Zum anderen hat der Redaktor möglicherweise aufgrund des Ortsnamens Meros in Ri 5,23 an die legendäre Schlacht von Merom gegen Jabin und die Kanaanäerkönige gedacht.38 Da somit Jabin kaum zur ursprünglichen Erzählung gehören kann, sind alle anderen Erwähnungen ebenfalls sekundär (V.7; 17b). 2) Während Debora in der ursprünglichen Tradition lediglich als Prophetin wirkte,39 wird sie in der redaktionellen Ergänzung zu einer Regentin befördert und auf diese Weise in das dtr. Regentenschema eingepasst. Eine Berufung zur Regentin wird hier jedoch nicht wie sonst im Richterbuch berichtet. Vielmehr sei Debora schon seit längerem Regentin in Israel.40 Außerdem wird in der Erzählung – abgesehen von dem Zusatz in V.4b–5 – nirgendwo die Ausübung ihres Regentenamtes beschrieben. Sie handelt einzig und allein als Prophetin, die dreimal eine Weissagung mitteilt, ansonsten aber nichts tut.41

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Vgl. hierzu auch Becker, Richterzeit, S. 127. Debora: Ri 5,7.12.15, Jael: Ri 5,6.24, Barak: Ri 5,12.15, Sisera: Ri 5,20.26.28.30. Vgl. Neef, Deboraerzählung, S. 124. Nach Guillaume, Josiah, S. 39 Anm. 109 erinnert der Eigenname Jabin, der mit Blick auf ein arabisches Kognat mit „Schläfe“ wiedergegeben werden kann, an das Ende seines Generals. Stek, Bee, S. 73 weist zudem darauf hin, dass das Lexem „Schläfe“ in der in V.21.22 verwendeten Präpositionalverbindung beraqqa¯tô auf den Eigennamen Barak anspielt. Ähnlich auch van Wolde, Deborah, S. 293, zumal Jael dann ausweislich dieses sprachlichen Anklangs mit der Ermordung Siseras die eigentliche Aufgabe von Barak übernimmt. 39 Anders hingegen Knauf, Richter, S. 67f., der den Titel „Prophetin“ und V.5 einer späten Prophetenredaktion zuweist. 40 Vgl. Matthews, Judges, S. 64; Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 185f. Debora ist entgegen Bietenhard, General, S. 8 zudem keine militärische Befehlshaberin. Selbst im Deboralied ist davon nirgendwo die Rede. 41 Vgl. hierzu Assis, Man, S. 112. Zu V.4b–5 als Zusatz vgl. Neef, Deboraerzählung, S. 141; Scherer, Überlieferungen, S. 89–91.

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Eine Beteiligung Deboras an der Schlacht wird an keiner Stelle angedeutet.42 Debora ist somit weder eine militärische Oberbefehlshaberin, die zusammen mit Barak agiert, noch eine religiös-politische Anführerin, während Barak als Heereskommandant fungiert.43 Debora ist somit eine Kriegsprophetin und bekommt auf diese Weise eine besondere Rolle zugeteilt.44 Im Zusatz in V.4b–5 wird zudem en passant eine ansonsten unbekannte Debora-Palme in Efraim mit der Prophetin Debora verbunden und damit ein geographisches Problem erzeugt. Denn es will kaum einleuchten, weshalb eine südlich wohnende Prophetin mit Barak aus Kedesch-Naftali in Verbindung tritt. Allerdings kann auf diese Weise redaktionell die gesamtisraelitische Bedeutung Deboras herausgestellt werden.45 Aufgrund der Nennung der beiden Orte Bet-El und Rama wird darüber hinaus ein zusätzlicher Bezug zum letzten Regenten Samuel gebildet, zumal Samuel von Ort zu Ort zog und wie Debora gemäß der redaktionellen Erweiterung Entscheide verkündete (1Sam 7,15– 17). Fraglich ist zudem, welchem Stamm Debora angehörte. Im Lied wird lediglich berichtet, dass die Obersten des Stammes Issachar mit Debora waren (Ri 5,15). Ob dies allerdings bedeutet, dass auch Debora diesem Stamm angehört, wird nicht explizit gesagt. Falls Debora dem nördlichen Stamm Issachar zuzurechnen wäre, dann fällt die Verortung der Debora-Palme auf dem efraimitischen Bergland zusätzlich auf. Alles in allem ist dieses geographische Problem somit erst durch die V.4b–5 redaktionell geschaffen worden, als man die Bedeutung Deboras gesamtisraelitisch sah und sie als Regentin mit dem Wirken Samuels verband. Aus alledem folgt, dass V.4b–5 erst redaktionell hinzugewachsen sind. 3) Schließlich sind die beiden Notizen zum Keniter Heber in V.11 und 17b zu einem späteren Zeitpunkt sekundär von einer nach-dtr. Redaktion ergänzt worden,46 um die Situation im Zelt Jaels noch zusätzlich zu verschärfen. Denn zum einen wird die Familie Hebers mit Mose verbunden, zum anderen herrscht Friede zwischen Jabin und der Familie Hebers, was einen Bruch des 42 Vgl. zu Recht Butler, Judges, S. 102. Heerführerinnen hat es in der Hebräischen Bibel ohnehin nirgendwo gegeben, vgl. Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 182. 43 Gegen Bietenhard, General, S. 9. Eine doppelte Führungsspitze mit der Prophetin/Regentin Debora und dem Heerführer Barak vermutet jedoch auch van der Kooij, Views, S. 141. 44 Prophetinnen werden nur selten in der Hebräischen Bibel genannt, vgl. Webb, Book, S. 188. Nach Spronk, Deborah, S. 238 erhielt die Kultfunktionärin Debora erst sekundär den orthodoxen Titel einer Prophetin. Knauf, Richter, S. 67f. vermutet, dass Propheten zu Garanten und Verfassern von Heiligen Schriften geworden seien, was spätestens zur Zeit des Zweiten Tempels Männersache gewesen sei. Aus diesem Grund seien auch nur wenige Prophetinnen in der Hebräischen Bibel belegt. Vgl. zu den Prophetinnen in der Bibel Sasson, Judges, S. 254f. 45 Vgl. Gross, Richter, S. 269. 46 Vgl. Becker, Richterzeit, S. 138; Neef, Deboraerzählung, S. 141; Scherer, Überlieferungen, S. 91.

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Gastrechts eigentlich ausschließt. Sisera hätte sich folglich bei Jael sicher fühlen können. Aber weit gefehlt. Die redaktionelle Ergänzung schuf auf diese Weise einen Solidaritätskonflikt. Die Loyalität Jaels zu Israel oder zu Kanaan stand demnach zur Debatte und wurde in der Erzählung nachvollziehbar gelöst: Blut ist eben dicker als Wasser. Durch die redaktionelle Überarbeitung der ursprünglichen Erzählung wurden interessante Modifikationen in die ursprüngliche, vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung eingetragen, die nicht ohne Relevanz für die Beurteilung der Protagonisten sind. Zumindest auf der Ebene des synchronen Endtextes kann man einige Bezüge zu anderen biblischen Erzählungen hineinlesen: 1) Der feindliche Potentat Sisera wird durch die redaktionellen Ergänzungen zum Heerführer des Kanaanäerkönigs Jabin erhoben, der wie in Jos 11 im nördlichen Hazor residiert. Sisera, der in der ursprünglichen Tradition an keiner Stelle näher bestimmt wird,47 ist folglich von einer anderen Größe abhängig. Der lokale Konflikt zwischen Sisera und Barak wird dementsprechend zu einer Auseinandersetzung zwischen Kanaan und Gesamtisrael ausgeweitet. Selbst der dtr. Rahmen musste betonen, dass die gewonnene Schlacht noch lange nicht zum Ende der Unterdrückung durch den Kanaanäerkönig geführt hat (V.23). Vielmehr mussten die Israeliten noch längere Zeit darum kämpfen, das verhasste Joch loszuwerden. 2) Die Prophetin Debora wird durch die redaktionellen Zusätze zu einer Regentin erhoben, die Israel wie später Samuel durch Entscheide lenkt.48 Nicht ohne Grund wird sie zentral in Efraim verortet, dort wo später auch Samuel wirkt. Auf diese Weise wird Debora zusätzlich aufgewertet, da sie nicht nur eine Kriegsprophetin bleibt, sondern man ihr durchaus politische Funktionen zuspricht. 3) Die Familie des Keniters Heber wird in den redaktionellen Zusätzen mit Hobab, dem Schwiegervater des Mose, verbunden. Da die Keniter jedoch ansonsten im Süden lokalisiert werden, musste das nördlich gelegene Zelt der Jael besonders erklärt werden. Die Familie Hebers trennte sich folglich von ihrer südlichen Verwandtschaft und siedelte im Norden. Nur auf diese Weise ist die Konfrontation zwischen Sisera und der Keniterin Jael erklärbar.

47 Nur das Deboralied könnte in Ri 5,19.28–30 andeuten, dass Sisera vielleicht in der ursprünglichen Tradition ein Stadtkönig gewesen ist, vgl. Becker, Richterzeit, S. 124; Knauf, Richter, S. 67. Allerdings ist in Ri 5,19 von Königen die Rede, was sich nur schwer auf das Individuum Sisera beziehen lässt. 48 Spronk, Deborah, S. 235–237 verbindet diesen Entscheid mit Nekromantie, indem er auf einen ugaritischen Text (KTU 1:124) und den verballhornten Ortsnamen Tomer-Debora verweist.

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In der ursprünglichen Debora-Barak-Erzählung ist von diesen Dingen hingegen noch nichts zu spüren. In dieser Erzählung zeigt sich eine gewisse Kontrastierung von Gegensätzen: Ein professionelles Heer tritt gegen den sippenbasierten Heerbann aus den Stämmen Sebulon und Naftali an, Städter streiten gegen Nomaden, Mann gegen Frau.49 In der ursprünglichen Debora-Barak-Erzählung geht es in erster Linie um einen lokalen Konflikt zwischen Sebulon/Naftali gegen das Heer eines ansonsten unbekannten Potentaten namens Sisera. Durch die Intervention der Prophetin Debora konnte ein schlagkräftiges Heer auf dem Taborberg versammelt werden, um die mächtige Streitwagenarmee Siseras zu bekämpfen.50 Sowohl der Ort (Berg Tabor) wie auch die übertrieben hohe Mannschaftsstärke (10.000 Mann) werden von Debora im Gotteswort vorgegeben. Nach der Weissagung Deboras wird Gott den Feind Sisera mit seinem Heer an den Kischon ziehen lassen (V.7). Es kann sich hierbei nicht um den Hauptarm des Nahr el-Muqat@t@a¯ʿ (160.240), sondern nur um einen der nördlichen Tributäre des Nahr el-Muqat@t@a¯ʿ wie das Wa¯dı¯ el-Muwe¯le oder um das Wa¯dı¯ el-Bı¯re handeln, das südlich des Tabor nach Osten verläuft und in den Jordan mündet.51 Schließlich soll Gott den Sisera in die Hände Baraks geben. Der Befehl Deboras an Barak ist eindeutig formuliert und sollte eigentlich ohne Umschweife realisiert werden. Aber weit gefehlt: Barak macht sein Engagement von der Bedingung abhängig, dass Debora ihn begleitet (V.8). Aufgrund dieses Einwandes ergänzt Debora eine weitere Weissagung (V.9). Nun soll der feindliche Feldherr in die Hand einer Frau gegeben werden, wobei der Leser zunächst wohl an Debora denkt,52 zumal Debora die bislang einzige Frau der Erzählung ist. Die Prophetin Debora folgt daraufhin dem Heerführer Barak nach Kedesch (V.10), wo das aus den beiden Stämmen Naftali und Sebulon vereinigte Heer zusammenkommt, wobei die Heeresstärke nicht angegeben wird. Mit den von Gott geforderten 10.000 Mann ziehen Barak und Debora schließlich auf den Berg Tabor hinauf, auch wenn die Ortsangabe erst in V.12 im Bericht an Sisera nachgeliefert wird. Nachdem Sisera sein Heer am Kischon zusammengezogen hat (V.13), bedarf es wiederum des Befehls durch Debora, damit sich Barak endlich in Bewegung setzt. Abermals betont sie (V.14), dass Sisera in die Hand Baraks gegeben werde, was sich ausweislich des verwendeten Verbs NTN „geben“ auf die erste Aussage in V.7 und nicht die Revision in V.9 bezieht, wo das Verb MKR „preisgeben“ ge49 Vgl. hierzu auch Niditch, Judges, S. 66. 50 Knauf, Richter, S. 67 weist darauf hin, dass die Anzahl von 900 Streitwagen im 10., 8. und 7. Jh. v. Chr. eine beträchtliche Anzahl gewesen sei. Nach Becker, Richterzeit, S. 131 Anm. 34 könnte die nachklappende Angabe der 900 Streitwagen in V.13 wie in V.3 sekundär sein. 51 Vgl. zur Topographie Gass, Composition, S. 326–331. 52 Vgl. Becker, Richterzeit, S. 124; O’Connell, Rhetorik, S. 109. Anders hingegen Neef, Deboraerzählung, S. 124, der auf die Rede Deboras in 1.sg. mit Debora als Subjekt hinweist und V.9 als Vorwegnahme von V.17–22 deutet.

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braucht wird.53 Vermutlich ist daher in V.14 nur das Heer Siseras, nicht aber der Heerführer selbst im Blick. Darüber hinaus verweist Debora darauf, dass Yhwh bereits vor Barak ausgezogen ist. Wiederum wird der Heerführer Barak beschädigt, der den richtigen Zeitpunkt für die Schlacht nicht bemerkt, obwohl Gott bereits losgezogen ist. Danach wird Debora nicht mehr in der Erzählung erwähnt. Auch wenn zunächst Barak mit seinem Heer den Berg Tabor hinabstürmt, ist es eigentlich Yhwh, der den gesamten Feind mit der Schärfe des Schwertes54 in Verwirrung bringt und zu einer leichten Beute für die Israeliten macht (V.15),55 sodass das gesamte Heer Siseras offenbar ohne große Gegenwehr von den Israeliten mit dem Schwert niedergemetzelt werden konnte. Als Sisera seine aussichtlose Lage erkennt, flüchtet er zu Fuß,56 was von Barak und den Israeliten offenbar nicht bemerkt wird. Zwar wird im Anschluss das gesamte Heerlager Siseras, was wohl auch die Streitwagentruppe mitbetrifft, vernichtet, aber eine explizite Beteiligung Baraks an diesem Massaker wird nicht berichtet. Die Vernichtung des feindlichen Heeres wird ähnlich wie die Bannweihe beschrieben.57 Kein einziger Soldat bleibt am Leben (V.16). An der Tötung Siseras ist Barak ebenfalls unbeteiligt. Denn das erledigt eine Frau für ihn, wodurch das Gotteswort Deboras eingelöst wird (V.18–21). Der Anführer Sisera floh zwar und wähnte sich im Zelt der Jael in Sicherheit58 – dieser Aspekt wird in der redaktionellen Übermalung aufgrund des Friedensschlusses Hebers mit Jabin noch zusätzlich betont –, wird aber im Schlaf ohne Gegenwehr mit einem Haushaltsgegenstand getötet. Im Zelt der Jael wird Sisera somit unter Bruch des Gastrechtes gepfählt, indem Jael einen Zeltpflock durch die Stirn des schlafenden Siseras treibt. Auch wenn Barak immer noch Sisera verfolgt, kommt er schließlich zu spät zum Zelt der Jael (V.22).

53 Nach Eder, Frauen, S. 84 bezeichnet MKR eine „Übergabe von Gütern, einen Besitzwechsel mit Verfügungsgewalt auf Dauer“. 54 Dementsprechend vermutet Knauf, Richter, S. 69 hier das Schwert Yhwhs. Eder, Frauen, S. 134f. überträgt den hebräischen Ausdruck pî h9æræb mit der „Schneide des Schwertes“. 55 Nach Eder, Frauen, S. 135 kann der Ausdruck „vor Barak“ räumlich oder zeitlich zu verstehen sein. Im ersten Fall hätte die Verwirrung vor den Augen Baraks stattgefunden, im zweiten Fall wäre das feindliche Heer schon ausgeschaltet gewesen, bevor Barak eingreifen konnte. 56 Eder, Frauen, S. 141 ergänzt noch, dass Sisera ohne Waffe und Schutz geflohen sei, was im Text aber so nicht gesagt wird. 57 Vgl. Niditch, Judges, S. 66. 58 Durch die Einkehr bei Jael hat sich Sisera bereits in die Hand einer Frau gegeben, vgl. Sasson, Judges, S. 266.

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3.

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Zur Datierung der vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung

In der Darstellung der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Sisera und Barak verwendet die vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung Formeln des Motivkomplexes Yhwh-Krieg.59 Dieser Motivkomplex ist auch mit Konzeptionen vergleichbar, die in neuassyrischen Texten entwickelt werden. Abgesehen davon sind auch andere Erzählzüge vor einem assyrischen Hintergrund besonders einleuchtend, sodass eine Entstehung der ursprünglichen Debora-Barak-Erzählung im 7. Jh. v. Chr. durchaus plausibel erscheint.60 Im Folgenden sollen die Erzählzüge vorgestellt werden, die sich bestens vor einem assyrischen Hintergrund verstehen lassen. Auch wenn nicht alles zwingend mit der assyrischen Zeit verbunden werden muss, passt die Erzählung sehr gut in diese Zeit. Das Motiv des rækæb barzæl „Eisenwagen“ symbolisiert in erster Linie die herausragende und gefürchtete Stärke der indigenen Bevölkerung.61 Allerdings ist die Erscheinungsform dieser Wagen umstritten. In Ri 4,3.13 wird das hebräische Idiom rækæb barzæl von der Vulgata mit falcatos currus wiedergegeben, was andeute könnten, dass es sich um einen „Sichelwagen“ gehandelt haben könnte.62 Es wären demnach nicht Wagen komplett oder teilweise aus Eisen oder mit eisernen Beschlägen gewesen, sondern besonders bewaffnete Fahrzeuge mit Sicheln an den Rädern. Derartige Wagen hat es aber erst in persischer Zeit gegeben. Hinzu kommt, dass die persischen Sichelwagen nur von geringem militärischen Wert waren. Da folglich rækæb barzæl kaum persische Sichelwagen bezeichnet, ist eine andere Erklärung naheliegend. Denn es könnte sich bei rækæb barzæl um Wagen handeln, deren Räder mit Eisen beschlagen waren, was diese widerstandsfähiger machte. Eine derartige Technik scheint erst in assyri59 Vgl. hierzu Butler, Judges, S. 102; Gross, Richter, S. 274f. Ausweislich der jüngeren Vorstellung von einer prophetischen Mitwirkung am Krieg und aufgrund der Ferne zu einer institutionellen Verortung der Befragung Yhwhs denkt Gross, Richter, S. 279 an die fortgeschrittene Königszeit. 60 Vgl. auch Knauf, History, S. 143, der das späte 8. oder 7. Jh. v. Chr. für die Prosaerzählung vorschlägt. Anders hingegen Scherer, Überlieferungen, S. 98, der aufgrund der prophetischen Komponente und der Lokalisierung der Ereignisse an die Nordreichsprophetie denkt und die vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung bereits in das 9. oder beginnende 8. Jh. v. Chr. datiert. Webb, Book, S. 136 weist auf die vielen Verbindungslinien zur Ehud-Tradition hin. Da die Ehud-Tradition nach Gass, Ehud-Tradition, S. 47 frühestens ins 8. Jh. v. Chr. zu datieren wäre, ist es naheliegend, dass auch die Debora-Barak-Erzählung aufgrund der beobachteten Verbindungslinien kaum älter ist. 61 Vgl. zu den „Eisenwagen“ Millard, Bed, S. 194f. Hess, Judges, S. 145 denkt an „chariot(s) with iron“, zumal ein Streitwagen, der aus Eisen hergestellt ist, zu schwer für den militärischen Einsatz gewesen wäre. Anders hingegen Webb, Book, S. 181, demzufolge Eisenwagen dem Feind „a virtually unassailable superiority“ gegeben hätten. 62 Vgl. Drews, Chariots, S. 16. Zu der Innovation der „Sichelwagen“, vgl. auch Mayer, Gedanken, S. 180f.

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scher Zeit aufgekommen zu sein.63 Allerdings hat militärstrategisch schon in assyrischer Zeit die Bedeutung von Streitwagen merklich abgenommen,64 sodass derartige Wagen etwas Besonderes blieben. Denn ansonsten waren Streitwagen leicht, aus Holz, Leder und Weidengeflecht konstruiert und nur mit wenigen Bronze-Applikationen ausgestattet.65 Es ist kaum vorstellbar, dass die beiden Nordstämme Sebulon und Naftali bereits in der frühen Eisenzeit fähig gewesen wären, 10.000 Mann alleine zu mobilisieren. Die Truppenstärke ist für die frühe Eisenzeit unrealistisch und weit übertrieben.66 Derartig große Heere sind erst zur Zeit der assyrischen Feldzüge in der südlichen Levante literarisch belegt,67 sodass diese Zahl durchaus Verhältnisse der assyrischen Zeit widerspiegeln könnte, als zudem die Besiedlung in Galiläa merklich angewachsen ist.68 Erst Ahab konnte nämlich im 9. Jh. v. Chr. für die Schlacht von Qarqar gegen Salmanassar III. angeblich 10.000 Fußsoldaten beisteuern.69 Hier zeigt sich, dass nicht historisch realistische Angaben geboten, sondern offenbar spätere Verhältnisse in die Frühzeit Israels projiziert wurden.70 Die sogenannte „Übereignungsformel“, die in V.7 verwendet wird, hat zwar eine lange Tradition im Vorderen Orient, sie wird aber auch immer wieder in neuassyrischen Königsinschriften in der Form „der Gott X überliefert Y in die 63 Vgl. Drews, Chariots, S. 19f. 64 Nach Gross, Richter, S. 266 sind die eigentlich unrealisierbaren Eisenwagen der Schreckensphantasie des Erzählers entsprungen und dienen daher nicht für eine Datierung der Erzählung. 65 Mit Hilfe der Betonung des „Eisens“ könnte darüber hinaus symbolisch angedeutet sein, dass es sich bei diesen Streitwagen um ein massives Unterdrückungsinstrument gehandelt hat, vgl. Knauf, History, S. 67. Ähnlich schon Bedenbender, Biene, S. 48, dem zufolge Eisen für die Unerbittlichkeit und Grausamkeit der Feinde steht. Auch nach Eder, Frauen, S. 90 sind die Eisenwagen „ein Zeichen für große Stärke und militärische Überlegenheit.“ 66 Vgl. Lindars, Judges, S. 187; Bietenhard, General, S. 10. 67 Bei der Schlacht von Qarqar im Jahr 853 v. Chr. hat Ahab von Israel angeblich 10.000 Soldaten aufgeboten, vgl. RIM A-0.102.2 Rs.91f. Odorico, Numbers, S. 170 weist jedoch darauf hin, dass die Zahlenangaben der Gegner Assurs zur Zeit Salmanassars III. gerne übertrieben wurden. Zwar kann diese Angabe zu hoch sein. Der Umstand aber, dass diese Zahl literarisch belegt ist, deutet an, dass auch die biblischen Erzähler einen solchen – wenn auch vielleicht unrealistischen – Topos übernehmen konnten. 68 Vgl. Gal, Galilee, S. 13, der darauf hinweist, dass in Untergaliläa die Besiedlung von 23 Orten in der Eisenzeit I auf 57 Orte in der Eisenzeit II angewachsen ist. Selbst zu dieser Zeit hat die Bevölkerung nur etwa 22.500 Menschen betragen, vgl. Broshi / Finkelstein, Population, S. 50. 69 RIM A-0.102.2 Rs.91f. Nach Webb, Book, S. 73 ist die biblische Zahl viel geringer anzusetzen, da ʾælæf nicht mit 1.000, sondern mit einem Kontingent von etwa 10 Mann zu übertragen sei. Dann wären es weitaus weniger Personen gewesen. 70 Allerdings entspricht diese Zahl auch den ansonsten üblichen biblischen Größenverhältnissen für Heere oder Heeresteile (Ri 1,4; 3,29; 4,6.14; 7,3; 20,34; 1Sam 15,4; 2Kön 13,7; 14,7; 2Chr 25,11.12), sodass hier ein unabhängiger alttestamentlicher Topos aufgegriffen worden sein könnte, der nicht auf assyrische Größenangaben angewiesen sein muss.

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Hand von Z“ belegt. Dementsprechend ist dieses Element in der assyrischen Zeit ebenfalls durchaus gebräuchlich.71 Zwar ist diese Formel biblisch breit belegt, aber sie hat ihre Parallelen in assyrischen Texten. Ein längerer Bericht des Königs Asarhaddon über die Ereignisse nach der Ermordung seines Vaters Sanherib enthält einige Parallelen, die in Ri 4 durchaus anklingen. Die Darstellung Asarhaddons im Ninive-Prisma A ist an folgenden Punkten mit Ri 4 vergleichbar: 1) Orakel und Mitsein: Zunächst wird von Asarhaddon ein göttliches Orakel eingeholt: „Zu Assur, Sin, Schamasch, Bel, Nebo und Nergal, der Ischtar von Ninive und der Ischtar von Arbela erhob ich meine Hand, und sie erhörten meine Worte. Mit ihrem festen Ja schickten sie mir immerzu dieses ermutigende Orakel: ‚Gehe ohne abzulassen; wir werden an deiner Seite gehen und deine Gegner töten‘.“72 Vor diesem Hintergrund sind die Unterschiede in der Darstellung der Debora-Barak-Erzählung auffällig. In Ri 4 sucht nämlich der Heerführer Barak nicht das göttliche Orakel, sondern muss von einer Prophetin zum Kriegszug ermuntert werden. Während im neuassyrischen Text im Gotteswort betont wird, dass die Götter an der Seite Asarhaddons gehen, verlässt sich Barak nicht auf die Hilfe Gottes, sondern verlangt, dass Debora mit ihm geht. 2) Göttliche Hilfe: Außerdem wird dargestellt, dass die Götter für das Massaker an den Feinden verantwortlich sind. Asarhaddon begibt sich sofort an die Umsetzung des Orakels und bezwingt seine ersten Feinde mit göttlicher Hilfe: „Die Furchtbarkeit der großen Götter, meiner Herren, warf sie nieder. Als sie den Angriff meiner gewaltigen Schlacht sahen, kamen sie von Sinnen.“73 3) Flucht: Die Flucht der Feinde in der Schlacht ist in neuassyrischen Texten ebenfalls ein wichtiger Topos. Immer wieder entziehen sich die Gegner der gerechten Strafe durch den assyrischen Großkönig, indem sie ins befreundete Ausland fliehen. Auch im Ninive-Prisma A wird dies beschrieben: „Jene Thronräuber jedoch, die Aufruhr und Rebellion angezettelt hatten, ließen, als sie meinen Anmarsch erfuhren, die Truppen, auf die sie sich verlassen hatten, im Stich und flohen in ein unbekanntes Land.“74 Ähnlich wie in V.14 geht auch in neuassyrischen Texten die Gottheit dem Heer voraus, was in einem Text Assurbanipals folgendermaßen geschildert wird: „Ischtar, die in Arbela wohnt, ließ während der Nacht meine Truppen einen Traum sehen und sprach folgendermaßen zu ihnen: ‚Ich gehe vor Assurbanipal 71 72 73 74

Vgl. Weippert, Krieg, S. 472–475. Asarhaddon Prisma Ninive A I 59–62 [Borger, Texte, S. 394]. Asarhaddon Prisma Ninive A I 72–73 [Borger, Texte, S. 395]. Asarhaddon Prisma Ninive A I 82–84 [Borger, Texte, S. 395].

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her, dem König, den meine Hände gemacht haben‘.“75 Das Vorangehen der Gottheit vor dem Heer zeigt sich zudem augenscheinlich im Mitführen von Standarten.76 Derartige Standarten sind für den assyrischen Bereich auch ikonographisch belegt. Es handelt sich hierbei um Stangen mit Symboltieren der Götter oder Scheiben, auf denen die Gottheit oder ihr Symbol abgebildet ist. Derartige Standarten konnten die Gottheit repräsentieren.77 Die Schärfe des Schwertes, mit der das Heer Siseras nach V.15 und V.16 bezwungen wird, lässt sich mit den göttlichen Waffen vergleichen, mit denen die Feinde niedergeworfen werden. So heißt es in einem neuassyrischen Text von Assurbanipal, der vermutlich mit der Gottheit Assur zu verbinden ist: „Meine starken Waffen sandte ich vor dir her, um deine Feinde zu überwältigen.“78 Die sogenannte Ermutigungsformel „Fürchte Dich nicht“ findet sich ebenfalls im neuassyrischen Heilsorakel, wo sie eine strukturierende Funktion hat.79 Im biblischen Kontext wird diese Formel in V.18 von der Keniterin Jael verwendet, die auf diese Weise den feindlichen Feldherrn in ihr Zelt und damit in die Falle lockt. Zwar ist die Ermutigungsformel gemeinorientalisch breit belegt, aber der neuassyrische Kontext ist angesichts der übrigen Parallelen aufschlussreich. Die besonders grausame Pfählung des Gegners war in Assyrien eine beliebte Methode, um massiven Druck auf aufständische Vasallen auszuüben. Wie die Lachisch-Reliefs zeigen, kam Juda zumindest gegen Ende des 8. Jh. v. Chr. im Rahmen des Dritten Feldzugs Sanheribs mit dieser Hinrichtungsart leibhaftig in Kontakt.80 Ab diesem Zeitpunkt wusste man in Juda schmerzhaft um diese assyrische Methode der Bestrafung von aufständischen Vasallen. Im Fall der Pfählung Siseras jagt die Keniterin Jael dem schlafenden feindlichen Feldherrn den Pflock durch den Schädel, was zumindest zu einem schnellen Tod führte, wie auch V.22 betont. Aus rechtsmedizinischer Sicht ist eine derartige Tötungsweise durchaus nicht ausgeschlossen. Denn die Schläfenschuppe ist vergleichsweise dünn und damit besonders fragil. Bei idealer Kopfseitenlage, einem spitzen Pflock und kräftiger Schlagführung des Hammers ist ein Durchdringen des Schädels und ein Eindringen des Pflocks in den Boden durchaus denkbar. Das schwere Schädel-Hirn-Trauma ist zudem rasch tödlich. Alles in allem ist die Darstellungsweise der vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung gerade vor dem assyrischen Hintergrund besonders gut verständlich, da einige 75 Assurbanipal Prisma A V 95–103 [Weippert, Krieg, S. 472 Anm. 47]. 76 Vgl. auch Knauf, History, S. 69, der an das Mitführen von Götterbildern denkt und auf transportable Heiligtümer verweist. Nach Butler, Judges, S. 102 wird hier die Präsenz Yhwhs betont, obwohl Barak zuvor nur um die Gegenwart Deboras gebeten hat. 77 Vgl. hierzu Weippert, Krieg, S. 476f. 78 Assurbanipal CT XXXV 15 [Weippert, Krieg, S. 479]. 79 Vgl. Weippert, Jahwe, S. 37–41. 80 Vgl. Gass, Gewalt, S. 108–110.

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Erzählzüge in neuassyrischen Texten ebenfalls belegt sind. Direkte Abhängigkeiten liegen zwar nicht vor, aber die Nähe zu den neuassyrischen Motiven und deren Häufigkeit ist zumindest auffällig. Es hat folglich den Anschein, dass die biblischen Autoren mit diesen Elementen gearbeitet haben, auf diese Weise die assyrische Kriegsrhetorik übernommen und implizit gegen Assur eingesetzt haben, da nun Yhwh und nicht Assur derjenige Gott ist, der geschichtstheologisch den Weltenlauf bestimmt. Dementsprechend ist es durchaus plausibel, dass diese Erzählung im 7. Jh. v. Chr. in einer ersten Form verschriftet worden ist. Die biblischen Erzähler haben folglich vermutlich assyrische Motive in ihre Erzählung übernommen, als sie eine Prosaversion aus dem vorgegebenen früheren Deboralied (Ri 5) schufen.81

4.

Zur Profilierung der einzelnen Protagonisten

Die vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung in Ri 4,4–22* zeichnet sich durch eine klare und nachvollziehbare Ereignisabfolge aus. Spannung wird zusätzlich dadurch erzeugt, dass man auf die Einlösung der drei Weissagungen Deboras wartet. Die einzelnen Protagonisten werden bereits in der vor-dtr. Erzählung in ihren Handlungen näher charakterisiert und profiliert, was im Folgenden dargestellt werden soll. Um es gleich vorwegzunehmen: Eigentlich haben bereits in der vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung alle beteiligten Personen verloren, da sie nicht besonders ehrenvoll beschrieben werden. Vor allem die männlichen Personen werden beschämt, da sie es verpassen, selbst die Initiative zu ergreifen und überdies von Frauen ausgespielt werden. Dementsprechend wird der mutige, kraftvolle und direkte Heldentypos von ihnen völlig aufgegeben. Aber auch die Darstellung der Frauen ist nicht über jeden Zweifel erhaben, wie im Folgenden gezeigt werden soll:82 1) Barak: Offenbar hat der Naftalit Barak bereits vor den Ereignissen, die in der Debora-Barak-Erzählung geschildert werden, eine gewisse gesellschaftliche Position in seinem Stamm ausgeübt, da nur so der Ruf Deboras nach genau

81 Die verwendeten Eigennamen der Protagonisten Debora und Barak sind vor einem assyrischen Kontext ebenfalls bestens verständlich, auch wenn diese Namen aufgrund ihrer Verwendung im Deboralied vermutlich viel älter sind. 82 Vgl. Matthews, Judges, S. 66. Nach Hanselman, Theory, S. 105 ist Ri 4 keine Erzählung über männliche Macht und ihre falsche Ausübung, sondern über weibliche Macht, die sich gegen patriarchale Unterdrückung wendet, worauf eine narratologische Untersuchung hindeute.

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diesem Anführer verständlich wird.83 Eine eigenständige Berufung Baraks zum Heerführer muss hier somit nicht eingetragen werden,84 da er dies offenbar schon ist. Der Umstand aber, dass der Erzähler die tatsächliche Stellung Baraks verschweigt, deutet bereits die untergeordnete Rolle Baraks an.85 Hinzu kommt, dass die herausragende Position Baraks in der Debora-BarakErzählung sukzessive demontiert wird. Eigentlich würde man erwarten, dass Barak ein fähiger Anführer ist, der die Situation selbst am besten einschätzen könnte. Aber weit gefehlt: Im Gegensatz zu anderen Anführern in der Hebräischen Bibel, die vor einer militärischen Auseinandersetzung zunächst das Orakel befragen, denkt er offenbar überhaupt nicht an einen Kampf, da er erst von Debora gerufen und beauftragt werden muss.86 Außerdem führt Barak anschließend nicht ohne Vorbehalt die Befehle der Prophetin Debora aus, sondern er bittet sie, ihn zu begleiten. Auf diese Weise verweigert er seinen Gehorsam nicht nur gegenüber dem Wort einer Prophetin, sondern auch gegenüber einem expliziten Befehl Yhwhs.87 Offenbar genügt ihm nicht der göttliche Beistand, der durch die Übereignungsformel bereits zugesagt ist, sondern er benötigt auch die Prophetin Debora als Macht- und Orakelquelle.88 Vermutlich repräsentiert Debora die Macht Yhwhs, ohne die Barak nicht in den Krieg ziehen möchte.89 Darüber hinaus könnte das Mitgehen andeuten, dass die eigentliche Führungsrolle bei Debora verbleibt.90 Außerdem könnte Barak schon deshalb auf das Mitgehen Deboras bestehen, da er mitunter die Prophetin für ihre Weissagung haftbar machen möchte, zumal die Frageform 83 Vgl. hierzu auch Gross, Richter, S. 269. Nach Guillaume, Josiah, S. 40 ist Barak erst sekundär in das Deboralied eingedrungen und auf diese Weise zum Retter in der DeboraBarak-Erzählung aufgestiegen. Für diese Vermutung gibt es aber keinen zwingenden Hinweis in Ri 4–5. 84 So aber Scherer, Überlieferungen, S. 103–107. Auch Becker, Richterzeit, S. 129 sieht in Ri 4 Elemente eines Berufungsformulars (Gotteswort, Einwand). 85 Nach Assis, Man, S. 120 sind hingegen die Aufgaben zwischen Debora und Barak klar aufgeteilt. 86 Matthews, Judges, S. 65 vergleicht Debora mit Moses und Samuel, die ebenfalls unaufgefordert zu Feldzügen auffordern. 87 Nach Assis, Man, S. 120f. zeigt die Reaktion Baraks zum einen fehlenden Glauben an Gott oder Feigheit, zum anderen aber auch Ungehorsam oder Skepsis gegenüber der Prophetin Debora. Nach Eder, Frauen, S. 115 Anm. 157 kann der Einwand unterschiedlich gedeutet werden, und zwar als Zögern, Feigheit, mangelndes Selbstbewusstsein, Misstrauen gegenüber der Autorität Deboras, Prüfung Deboras. 88 Diese Deutung schlagen Vetus Latina und LXXB in ihrer redaktionellen Ergänzung vor, vgl. Niditch, Judges, S. 63. Die Anwesenheit von Propheten im militärischen Kontext ist nach Sasson, Judges, S. 258 außerbiblisch zudem bestens belegt. 89 Vgl. hierzu auch Matthews, Judges, S. 65; Scherer, Überlieferungen, S. 95; Assis, Man, S. 120f.; Niditch, Judges, S. 65; Gross, Richter, S. 270. Kritisch hierzu aber Butler, Judges, S. 95, der bezweifelt, dass Barak ein frommer und Gott gehorsamer Heerführer gewesen sei. 90 Vgl. Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 184 Anm. 26.

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der Weissagung in V.6 Barak vielleicht beunruhigt hat.91 Allerdings dient die rhetorische Frage der besonderen Intensivierung des Gotteswortes.92 Der Inhalt der Weissagung wird damit nicht in Frage gestellt. Nicht ohne Grund wird daher die ursprüngliche Zusage, dass Sisera in die Hand Baraks gegeben wird, schon im Vorfeld von Debora zurückgenommen (V.9).93 Es wirkt geradezu grotesk, dass ein Heerführer mit Namen „Blitz“ ohne die Begleitung einer Frau nicht in den Krieg ziehen mag. Dementsprechend müsste es für Barak im patriarchalischen Umfeld, vor dem die biblischen Erzählungen gelesen wurden, eine große Schande gewesen sein, dass er von einer Frau beauftragt wird, ohne die er sich nicht handlungsfähig fühlt, und dass der gefährliche Gegner Sisera ausgerechnet in die Hand einer Frau gegeben wird. Zwar ruft er im Folgenden den Heerbann aus Naftali und Sebulon zusammen, aber nur mit Debora kann er auf den Tabor ziehen (V.10). Außerdem verpasst er den richtigen Zeitpunkt der Schlacht.94 Dieser muss ihm durch die Prophetin Debora geoffenbart werden (V.14). Zwar stürmt er auf den ersten Blick als erster vor seinen Kämpfern den Taborberg hinab, aber die Niederlage bewirkt Yhwh, der nach V.14 bereits vor Barak ausgezogen ist.95 Außerdem fällt auf, dass Barak in der Erzählung mit keiner einzigen ruhmvollen Tat im Rahmen der Auseinandersetzung mit Sisera verbunden wird. Das feindliche Heer fällt durch die Schärfe des Schwertes, ohne dass Barak explizit daran beteiligt ist (V.15–16).96 Darüber hinaus übersieht Barak die Flucht Siseras, die sprachlich ausweislich der Verwendung des Verbs YRD dem Herabsteigen Baraks vom Tabor gleicht. Auf ähnliche Weise steigt nämlich auch Sisera von seinem Streitwagen und ergreift zu Fuß die Flucht. Ironischerweise wird am Schluss behauptet, dass Barak seinen Feind Sisera verfolgt, obwohl dieser längst schon aufgepfählt ist. Der durative Partizipialsatz mit RDP deutet

91 Vgl. Knauf, History, S. 68. Nach O’Connell, Rhetorik, S. 108 antizipiert die rhetorische Frage bereits den Widerwillen Baraks. 92 Vgl. Stek, Bee, S. 63. Vgl. hierzu auch Butler, Judges, S. 96, der hier von einer „bekräftigenden Behauptung“ ausgeht. 93 Nach Assis, Man, S. 121 kann V.9 auf unterschiedliche Weise gedeutet werden. Entweder will Debora betonen, dass ihr die Ehre zukommt, wenn sie Barak zum Schlachtfeld begleitet, oder es ist eine prophetische Aussage, die sich auf Jael bereits bezieht. 94 Entgegen Neef, Deboraerzählung, S. 136f. tritt Barak in diesem Abschnitt im Vergleich zu Debora nicht wirklich in den Vordergrund. 95 Dies wird durch vorzeitiges x-qatal ausgedrückt. 96 Anders hingegen Jost, Gender, S. 155, die davon ausgeht, dass Barak im Gegensatz zu Debora in die Kampfhandlungen eingebunden gewesen sei. Stek, Bee, S. 61 weist zudem darauf hin, dass das hebräische Wort ba¯ra¯q „Blitz“ durchaus mit dem Schwert Yhwhs verbunden sein kann.

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nämlich an, dass Barak Sisera die ganze Zeit verfolgt (V.22).97 Vor diesem sprachlichen Hintergrund wollte Barak offenbar lediglich den feindlichen Anführer aufspüren. Eine Auseinandersetzung mit dem feindlichen Heer sucht er somit nicht. Anscheinend beteiligt er sich demnach gar nicht an der Schlacht und der Erschlagung der Feinde. Barak jagt somit zwar den Streitwagen hinterher, um vermutlich den feindlichen Heerführer zu erwischen, aber dieser war bereits zu Fuß auf der Flucht. Sprachlich wird Barak zudem am Schluss der Erzählung nicht wirklich als Heerführer ernstgenommen, wenn Jael ihn in V.22 auf unhöfliche Weise anspricht. Während sonst in der Debora-Barak-Erzählung stets die höfliche Form von ʾMR + ʾel verwendet wird, steht hier die Präposition l=, die man bei der Ansprache von Untergebenen verwendet.98 Hinzu kommt, dass Jael Sisera bereits ermordet hat. Barak kommt folglich zu spät. Die Ehre, den feindlichen Anführer bezwungen zu haben, wird ihm gänzlich versagt.99 Selbst in der dtr. Ergänzung wird Barak nicht als Retter gefeiert. Stattdessen erringen die Israeliten autonom den Sieg gegen Jabin (V.24). Ein solcher Anführer ist zu nichts nütze.100 Das gilt für die vor-dtr. Erzählung wie auch für die sekundären Zusätze. In der Beurteilung Baraks ist man sich somit auf allen literarhistorischen Ebenen der Hebräischen Bibel einig. Erst in der Nachgeschichte wird der Protagonist Barak bisweilen etwas positiver gezeichnet als in der Bibel. 2) Debora: Debora ist in der ursprünglichen Debora-Barak-Erzählung keine Regentin, die Entscheide für ganz Israel ausspricht, sondern lediglich eine Prophetin, die ein Gotteswort vermittelt. Sie wird auch nicht explizit einem bestimmten Stamm zugeordnet. Man muss sie aber aufgrund der Erzähllogik bei den nördlichen Stämmen lokalisieren. Anders als sonst bei Kriegspropheten üblich, zu denen die Heerführer aus eigenem Antrieb kamen, bestellt sie den Heerführer Barak zu sich, um ihm den göttlichen Auftrag zur Schlacht mit Sisera zu übermitteln (V.6). Sie gibt somit den eigentlichen Anstoß zur kriegerischen Auseinandersetzung der beiden Stämme Sebulon und Naftali mit den Kanaanäern der Ebene. Die anderen israelitischen Stämme sind bei dem Gotteswort noch nicht im Blick. Debora wird schon zu Beginn der vordtr. Debora-Barak-Erzählung als eine normale Frau dargestellt, die trotz ihrer

97 Zu dieser zeitlichen Verortung vgl. auch Sasson, Judges, S. 270. Nach O’Connell, Rhetorik, S. 109 hat Barak die Einschränkung von V.9 offenbar missverstanden, da er Sisera immer noch verfolgt. 98 Vgl. Jenni, Einleitung, S. 32f. 99 Vgl. auch van der Kooij, Views, S. 139. 100 Nach Jost, Gender, S. 155 wird der Heldin Debora der Antiheld Barak gegenübergestellt.

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prophetischen Begabung nur als „Frau Lappidots“ bezeichnet wird.101 Ähnlich wie bei der Prophetin Hulda in 2Kön 22,14 könnte mit Lappidot der Ehemann Deboras angegeben sein.102 Gelegentlich wird diese Zuweisung negativ gesehen, da durch die Zuordnung zu einem Mann die Kraft der Prophetin domestiziert werden würde. Der Eigenname Lappidot ist jedoch aufgrund der femininen Pluralendung seltsam, zumal das hebräische Wort lappîd ansonsten einen maskulinen Plural erfordert. Dieses Problem wird immer wieder auf verschiedene Weise gelöst. Entweder vermutet man hier eine falsch vokalisierte Abstraktendung -ût103 oder diese Namensform könnte den fiktiven Charakter des Namens andeuten.104 Schließlich könnte hier eine feminine Angleichung des hebräischen Wortes lappîd „Fackeln“ aufgrund der Zuordnung zu einer Frau vorliegen.105 Darüber hinaus könnte man den Namen Lappidot „Fackeln“106 auch als Anspielung entweder auf Barak, den „Blitz“, oder symbolisch auf die besondere Beziehung Deboras zu Gott deuten, der sich bei Theophanien auch mithilfe von Fackeln mitteilt.107 Außerdem könnte der Ausdruck Lappidot die besondere charismatische Begabung Deboras als „Frau des Feuers“ hervorheben.108 Allerdings lösen all diese Vorschläge nicht die seltsame Pluralendung. Vielleicht sollte man deshalb Lappidot als Orts- oder Sippennamen deuten.109 Debora stammte demnach aus dem Ort Lappidot oder gehörte zu der Sippe Lappidot. Bei Orts- und Sippennamen ist die Endung -ôt nämlich durchaus belegt.110 Wenn die letzte Deutung das Richtige trifft, dann handelt Debora auf eigene Rechnung, da

101 Vgl. Webb, Book, S. 188. Die Rabbinen deuten bisweilen Lappidot als Pseudonym von Barak oder als Hinweis auf die Tätigkeit Deboras, die als Frau der Fackeln die Lichter für das Heiligtum gefertigt habe, vgl. Bedenbender, Biene, S. 51 Anm. 17. Zu einer sprachlichen Verbindung von Barak und Lappidot, vgl. auch Stek, Bee, S. 61. Kritisch zu einer Identifizierung von Barak mit Lappidot aber Lindars, Judges, S. 182. 102 Vgl. Eder, Frauen, S. 102. 103 Vgl. Sasson, Judges, S. 255. 104 Vgl. Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 181 Anm. 12. 105 Vgl. van Wolde, Deborah, S. 287 Anm. 5. 106 Nach Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 181 kann eine solche „Frau der Fackeln“ Dinge in Brand stecken. Als „Frau der Fackeln“ soll sie nach van Wolde, Deborah, S. 290 Barak anfeuern. Jost, Gender, S. 155 deutet den vorliegenden Ausdruck als „Flammenfrau“ oder „Frau, die entflammt ist“, wodurch der wahre Charakter Deboras beschrieben werde. 107 Vgl. Spronk, Deborah, S. 239f. 108 Vgl. Niditch, Judges, S. 60. Zu dieser Bedeutung vgl. auch Shaw, Constructions, S. 125. Nach Sasson, Judges, S. 255f. könnte mit Lappidot ein Gegenstand der Divination im Blick sein. 109 Vgl. Knauf, History, S. 68. Diese Deutung hat schon LXXB vorgeschlagen, vgl. Niditch, Judges, S. 62. 110 Knauf, History, S. 68 identifiziert den Ort Lappidot mit dem Dorf La¯fı¯ye.

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kein männlicher Haushalt erwähnt wird, von dem sie abhängig ist.111 In der ursprünglichen Tradition war Debora auf jeden Fall eine Prophetin, die selbstinitiativ ein Gotteswort zu vermitteln hatte und deshalb entgegen allen gesellschaftlichen Konventionen den Adressaten des Gotteswortes zu sich kommen ließ. Bisweilen wird vermutet, dass Debora in ihrer Anrede an Barak darauf hinweisen würde, dass Yhwh bereits zuvor die Auseinandersetzung mit Sisera geboten habe,112 was durch x-qatal ausgedrückt werde. Dann hätte Debora ein bereits geschehenes Gotteswort aufgegriffen, an das sie Barak erinnern müsse. Allerdings wird durch die Verbformation x-qatal der Befehl aktuell durch Yhwh erteilt, wobei die rhetorische Frage in erster Linie der Intensivierung des Befehls dient.113 Darüber hinaus kann Debora auch ohne Berufung auf Yhwh in V.9 weissagen und Befehle in V.14 erteilen. Auf die Bitte Baraks hin begleitet sie diesen sowohl bei der Einbestellung des Heerbanns als auch bei der Versammlung auf dem Berg Tabor, obschon dies nicht ihrer Aufgabe als Prophetin entspricht. Darüber hinaus gibt sie den entscheidenden Impuls zum Angriff, der ebenfalls nicht von einer Prophetin, sondern in der Regel von einem Feldherrn gegeben wird. Auch hier handelt Debora nicht wie es ihrer Profession entsprechen sollte. Man könnte hier von einer Kompetenzüberschreitung sprechen, da sich Debora nicht entsprechend den patriarchalischen Konventionen114 verhält und als Frau einen mitunter verlustreichen Krieg anzettelt. Die Ankündigung, dass Sisera in die Hand einer Frau gegeben wird, erzeugt beim Leser zunächst den Eindruck, dass es sich bei Debora um diese Frau handeln könnte, zumal Debora zuvor nicht als Prophetin, sondern als „prophetische Frau“ bezeichnet wurde. In die Hand eben dieser Frau könnte Sisera gegeben werden.115 Aber es kommt schlussendlich alles anders als vermutet. Debora verlässt unerwartet nach dem Befehl zum Angriff die Erzählung, ohne dass ihre Beteiligung am Sieg 111 Debora tritt dementsprechend wie eine ältere Frau auf, die nach der Menopause eine Autorität wie die Ältesten erreichen konnte, vgl. Matthews, Judges, S. 64. 112 Nach Gillmayr-Bucher, Rollenspiele, S. 183 ist der göttliche Auftrag nicht neu, muss aber dringend ausgeführt werden. 113 Vgl. Gross, Richter, S. 269. Nach Gross, Richter, S. 284 ist die rhetorische Frage als eindrücklichere Variante der Botenspruchformel verwendet worden. 114 Hier und im Folgenden wird davon ausgegangen, dass zur Zeit der Entstehung der biblischen Bücher ein patriarchalisches Weltbild die Erzählungen prägte. Dieses patriarchalische Weltbild kann man allerdings nicht explizit aus biblischen oder außerbiblischen Texten angesichts der schütteren Quellenlage extrapolieren, sondern nur durch Vergleich mit soziologischen Studien nomadischer Gesellschaften der Moderne herausarbeiten. Auffälligerweise können derartige Handlungsmuster z. B. in den Erzelternerzählungen immer wieder in der Bibel dank des Eingreifen Gottes durchbrochen werden. Dies heißt dann aber auch, dass es durchaus plausibel ist, dass man die Texte vor einem patriarchalischen Kontext lesen muss. 115 Vgl. hierzu Gross, Richter, S. 271.

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gegen Sisera besonders gewürdigt wird.116 Außerdem wird Debora nicht wie bei anderen Erzählungen des Richterbuchs als Retterin skizziert, die Israel aus der Not befreit. Ihr wird als Prophetin nur eine Vermittlerrolle des göttlichen Wortes zugesprochen. Mehr nicht. Dementsprechend bereitet Debora lediglich die Rettung Israels vor, führt diese aber nicht aus.117 Aus alledem folgt: Auch wenn die Rolle Deboras durchaus positiv gedeutet werden kann, fällt sie durch die eigenwillige Interpretation ihrer Aufgabe als Prophetin auf. Außerdem tritt sie nach ihrem Befehl zum Angriff unvermittelt ab und wird in der vor-dtr. Erzählung überhaupt nicht mehr genannt. Ähnlich kritisch muss die redaktionelle Bearbeitung gesehen werden. Zwar wird Debora in der redaktionellen Überarbeitung durchaus als Regentin beschrieben (V.4–5). Aber eine wirkliche Regentschaft nach der Überwindung der Feinde fehlt im Gegensatz zu den anderen Regenten ebenso wie eine Beschreibung Deboras als Retterin. Selbst in der redaktionellen Überarbeitung werden Debora die einschlägigen dtr. Attribute für die Helden der Richterzeit vorenthalten. Die patriarchalischen Autoren und Redaktoren konnten und wollten der Frau Debora offenbar nicht zu viel Ehre zuschreiben. Das taten erst feministisch gesinnte Exegetinnen. 3) Sisera: Die eigentlich tragische Gestalt ist Sisera, der zu keinem Zeitpunkt eigenständig agiert, sondern nur auf die beobachteten Umstände reagiert, wobei er zudem die jeweilige Situation falsch einschätzt. Obwohl er ein schlagkräftiges Heer besitzt, das in der Ebene seine ganze Stärke entfalten kann, lässt er sich zusammen mit seinem Heer am Kischonfluss vom Gottesschrecken, den Yhwh auslöst, in Verwirrung bringen und sucht sein Heil in der Flucht. Fraglich ist jedoch, weshalb Sisera zu Fuß flieht,118 zumal er in der Ebene mit seinem Streitwagen sicher schneller gewesen wäre. Nur wenn man das Deboralied heranzieht, erhält man einen Grund für die Flucht zu Fuß. Denn dort wird in Ri 5,21 beschrieben, wie es zu einer Flut kam, in der die Streitwagen nicht mehr so gut beweglich und manövrierbar waren. Anstatt heldenhaft in der Schlacht zu fallen, flieht er – alles andere als mannhaft – vor dem drohenden Untergang. Darüber hinaus begibt er sich leichtsinnig und naiv in die Falle der Jael, zumal erst die redaktionelle 116 Nach Rasmussen, Deborah, S. 79 ist das plötzliche Verschwinden Deboras aus der Erzählung durch die Arbeit von Redaktoren zu erklären, die die ursprüngliche Kämpferin Debora aufgrund eines polytheistischen Hintergrundes Deboras unterdrückt haben. Bei einer solchen Lösung werden aber vorschnell Beobachtungen am Deboralied in die Erzählung eingetragen und ein Kult der kanaanäischen Kriegsgöttin Anat für die Debora-Barak-Erzählung postuliert. 117 Vgl. Becker, Richterzeit, S. 129. 118 Vgl. Knauf, History, S. 69. Nach Lindars, Judges, S. 195 konnte Sisera das Schlachtfeld aufgrund des Eingreifens Yhwhs nicht mehr mit dem Streitwagen verlassen.

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Übermalung ein freundschaftliches Verhältnis zwischen der Familie Jaels und dem Kanaanäerkönig Jabin einträgt. In das Zelt einer fremden Frau einzukehren, geziemt sich zudem nicht für einen Mann in einem patriarchalischen Kontext. Auch trotz seiner Erschöpfung hätte er nicht auf dieses Angebot eingehen dürfen. Denn damit bringt Sisera auch Jael in Gefahr. Man könnte ihr Ehebruch vorwerfen. Hinzu kommt, dass das Betreten des Zeltes einer Frau nur dem Ehemann gestattet ist, nicht aber anderen Männern. Dementsprechend beleidigt er den Ehemann Jaels und dessen gesellschaftliche Autorität, da dieser als pater familias die Gastfreundschaft hätte aussprechen müssen. Dementsprechend verstößt Sisera auf ganzer Linie gegen das gesellschaftlich übliche Protokoll.119 Darüber hinaus lässt er sich zweimal in V.18–19 mit einer Decke offenbar vollständig verbergen. Denn das Bedecken wird auch nach dem Trinken ausgeführt und erfolgt somit doppelt.120 Auf diese Weise konnte Jael den fremden Gast komplett verbergen. Trotzdem hindert dieser Umstand Sisera nicht, unter der Decke in V.19–20 zweimal Bitten vorzutragen, was den feindlichen General noch lächerlicher erscheinen lässt. Hinzu kommt, dass der Ausländer Sisera nur schlechtes Hebräisch mit einer falscher Verbalform spricht.121 Die erste Bitte nach einem Getränk verstößt gegen die Regeln der Gastfreundschaft, da der Gast seinen Gastgeber eigentlich nicht um etwas bitten sollte. Die Ehre des Gastgebers könnte dadurch verletzt werden.122 Außerdem ist auch die zweite Bitte nicht unproblematisch. Denn ein Gast sollte nie um Schutz bitten, da das Gastrecht dieses ohnehin schon garantiert. Auf diese Weise hat Sisera wiederum die Ehre des Gastgebers beschädigt.123 Der Aufenthalt Siseras im Zelt der Jael schützt diesen ohnehin schon gegenüber den Verfolgern, sodass er sich nicht verleugnen lassen muss.124 Außerdem soll Jael leugnen, dass Sisera ein Mann ist, was durchaus stimmt, da Sisera wie ein kleines hilfloses Kind wirkt. Außer119 Vgl. zu den gesellschaftlichen Konventionen einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft Matthews, Judges, S. 69. Bisweilen wird vorgeschlagen, dass Sisera das Zelt der Jael als besonders heiligen Raum angesehen habe, der ihm Schutz geboten habe, vgl. Jost, Gender, S. 129f. Allerdings gibt es in der Erzählung überhaupt keinen Hinweis darauf, dass Jael eine Kultfunktionärin in einem heiligen Zelt gewesen ist. 120 Vgl. hierzu auch Lindars, Judges, S. 198f. 121 Vgl. Knauf, History, S. 70. In V.20 verwendet Sisera mitʿamod einen maskulinen Imperativ, obschon er hier Jael anspricht. Zumindest der erste Imperativ in V.19 war korrekt als Femininform gebildet (hasˇqînî na¯ʾ). Zum Problem von ʿamod vgl. auch Lindars, Judges, S. 199f.; Gross, Richter, S. 257. 122 Vgl. Matthews, Judges, S. 72. Sasson, Judges, S. 266 weist jedoch darauf hin, dass Jael zuvor die üblichen Riten (Fußwaschung, Erfrischung) nicht anbietet, sondern den Gast umgehend zudeckt. 123 Vgl. Matthews, Judges, S. 73. 124 Freilich mussten sich Soldaten, die einen Flüchtling aufspüren müssen, dieser traditionellen Vorgabe nicht zwingend unterwerfen, vgl. Sasson, Judges, S. 268.

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dem war im Zelt der Jael zum Zeitpunkt des Eintreffens Baraks in der Tat kein Mann, sondern nur noch ein Leichnam zu finden,125 sodass sich die Bitte Siseras auf ironische Weise erfüllt hat. Dieser Angsthase hat überhaupt kein Mitleid verdient. Sisera wird zu Tode gebracht durch eine Frau, die zudem keine wirkliche Waffe einsetzt, sondern einen Haushaltsgegenstand. Auf diese Weise wird der feindliche Anführer zusätzlich beschämt, da er von der Hand einer Frau mit einem alltäglichen Gegenstand bezwungen wird.126 Dies wirft darüber hinaus ein schlechtes Licht auf Barak: Selbst einen derart unterdurchschnittlichen Gegner konnte Barak nicht eigenhändig erledigen. Die redaktionelle Erweiterung deutet Sisera als Heerführer des berüchtigten Kanaanäerkönigs Jabin von Hazor. Auf diese Weise wird die gesellschaftliche Stellung des feindlichen Anführers herabgesetzt, da er einem durchaus gefährlichen Gegner untergeordnet wird, gegen den sich die Israeliten noch längere Zeit wehren mussten (V.24). 4) Jael: Auch die Mörderin Siseras kommt in der Erzählung nicht gut weg, da sie das fundamentale Gastrecht mit Füßen tritt.127 Trotzdem gibt sie dem Gast Milch anstelle von Wasser, und führt seine sonstigen Bitten gewissenhaft aus. Sie zeigt sich darüber hinaus wie eine sorgende Mutter.128 Bisweilen werden der Erzählung auch erotische Konnotationen unterstellt, was zwar nicht ausgeschlossen ist, aber auch nicht zwingend notwendig sein muss.129 Bereits vor dem Zelteingang bestärkt sie den ahnungslosen Sisera in ihr Zelt einzukehren, indem sie die sogenannte „Ermutigungsformel“ („Fürchte dich nicht!“) verwendet. Aufgrund dieser Formel mutiert sie zur Lügnerin.130 Denn Sisera hätte allen Grund, sich vor ihr zu fürchten. Die Ermutigungsformel wird zudem nicht von rangniedrigeren Personen verwendet131 und steht ansonsten im Kontext eines Kriegsorakels, was ebenfalls eine ironische Note einträgt.132 Außerdem lockt sie ihn mit dem doppelten Imperativ „Kehre ein“ in ihr Zelt. Problematisch ist zudem, dass die Ehefrau Jael in einem patriarchalischen Kontext einen fremden Mann in ihr Zelt bittet und dort über125 Vgl. Butler, Judges, S. 106. 126 Vgl. van der Kooij, Views, S. 138f. 127 Für die Regeln des Gastrechts vgl. besonders Matthews, Judges, S. 68f. Nach Knauf, History, S. 67 verletzt zudem die Nicht-Israelitin Jael zwei der sieben noachidischen Gebote, die noch nicht in Gen 9, sondern im Talmud belegt sind, nämlich das Gebot, sich an Gesetze zu halten, und das Verbot zu morden. 128 Vgl. Niditch, Judges, S. 66, die zudem darauf hinweist, dass sich das zunächst mütterliche Bild von Jael in eine erotisch konnotierte Beziehung verwandelt. 129 Kritisch zu einer zu stark sexuell aufgeladenen Interpretation Butler, Judges, S. 104–106. 130 Vgl. Knauf, History, S. 70. Nach Becker, Richterzeit, S. 133 liegt hier eine versteckte Drohung vor. 131 Vgl. Sasson, Judges, S. 266. 132 Vgl. O’Connell, Rhetorik, S. 111.

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nachten lässt. Auf diese Weise beschwört sie die Gefahr des Vorwurfs des Ehebruchs herauf. Schließlich erfüllt Jael nur die Bitte Siseras nach einem Getränk, während sie den erbetenen Schutz verweigert. Denn die zweite Bitte Siseras wird von Jael mit dessen Ermordung beantwortet. Außerdem verstößt Jael vermutlich aus freien Stücken gegen das Gastrecht, indem sie Sisera ohne ersichtlichen Grund aufspießt. Als dann der Heerführer Barak eintrifft, herrscht sie diesen zudem mit ʾMR l= unfreundlich an und deutet auf diese Weise die untergeordnete Position Baraks an.133 Darüber hinaus weiß sie schon, nach wem Barak gefahndet hat und präsentiert stolz ihr Opfer. Entgegen der zweiten Bitte Siseras ergreift Jael selbst die Initiative,134 indem sie dem Heerführer Barak selbst anspricht und nicht abwartet, bis eine Frage nach einem Geflohenen erfolgt. Woher freilich Jael wusste, wen Barak suchte, bleibt ihr Geheimnis, ebenso ihr Motiv für die Ermordung Siseras. Alles in allem ist auch Jael keine strahlende Heldin.135 Auch sie hat letzten Endes bereits gemäß der vor-dtr. Erzählung verloren. Die redaktionelle Überarbeitung versucht ansatzweise, das Problem des Motivs der Jael für die Ermordung Siseras durch die sekundären Zusätze zu lösen. Denn in V.11 und 17b wird betont, dass es zum einen eine freundschaftliche Verbindung zwischen Jael und Jabin und damit auch Sisera gab, dass aber auch zum anderen ein Bezug zwischen der Familie der Jael und den Kenitern der Exodusgeneration bestand. Auf diese Weise wird die Tat Jaels vor dem Hintergrund eines Loyalitätskonfliktes näher profiliert, der zugunsten Israels gelöst wird, was auch die Leser sicherlich erwartet haben.136 Trotzdem bleibt die Tat Jaels ein Verbrechen am Gast, der eigentlich unter besonderem Schutz stehen sollte. Vor dem Hintergrund der redaktionellen Übermalung bricht sie darüber hinaus durch die Ermordung Siseras noch zusätzlich den Friedensvertrag mit dem Kanaanäerkönig Jabin.137 Bei der Pfählung Siseras wird außerdem weder das eigentliche Motiv Jaels noch ein göttliches Einwirken berichtet. Ungelöst bleibt daher die Frage im Raum stehen, weshalb Jael ihren Gast ermordet und welche Rolle Yhwh dabei spielt. 133 Im Richterbuch ist demgegenüber ʾMR ʾel die neutrale Standardform, vgl. Jenni, Einleitung, S. 27. Nach Webb, Book, S. 135 hat Jael durch ihr Handeln über Sisera und Barak gesiegt, indem sie dem ersten das Leben nahm, dem zweiten die Ehre. 134 Nach Jost, Gender, S. 153 ist Jael eine Außenseiterin, die auf eigene Initiative hin handelt und durch die Ermordung Siseras zur Demütigung von Barak und Sisera beiträgt. 135 Anders Webb, Book, S. 137. Nach Butler, Judges, S. 104 ist Jael wie Ehud oder Schamgar bestenfalls eine unorthodoxe Heldin, die zum einen allein, zum anderen mit Täuschung und Improvisation agiert. 136 Vgl. auch Gross, Richter, S. 279; Knauf, History, S. 69. 137 Jost, Gender, S. 161 hingegen dreht den Spieß um, wenn Jael durch die Ermordung Siseras die durch den Friedensschluss mit Jabin besudelte Ehre ihrer Familie wiederherstellt, zumal Jaels Mann durch den Frieden mit Jabin von Israel abgefallen sei.

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Vermutlich hatte noch die redaktionelle Ergänzung ein gewisses Unbehagen bei dieser Erzählung, da in V.23 nur das Appellativ Elohim und nicht mehr das Tetragramm Yhwh wie sonst in der Erzählung folgt. Augenscheinlich stellt sich für die Redaktion ebenso die Frage, ob man Yhwh mit diesem Frevel verbinden sollte. Dass Yhwh aber hinter den beschriebenen Ereignissen steht, geht bereits aus V.9 hervor, wo verheißen wird, dass Sisera von Yhwh in die Hand einer Frau gegeben wird. Dementsprechend ist Yhwh die treibende Kraft hinter den Geschehnissen.138 Alles in allem hat sich gezeigt, dass eigentlich keiner der Protagonisten optimal in das soziale patriarchale Koordinatensystem eingeordnet wird. Jeder und jede verstößt gegen Regeln, die das gesellschaftliche Zusammenleben in einem patriarchalischen Kontext erst ermöglichen. Trotzdem wird keiner dafür explizit getadelt, auch wenn implizit eine gewisse Kritik geübt wird. Hinzu kommt, dass nur durch das Brechen von gesellschaftlichen Konventionen die Erzählung zu ihrem eigentlichen Ziel kommen kann. Auch wenn Yhwh im Hintergrund die Fäden spinnt und seine Akteure gezielt einsetzt,139 wird er dennoch von der beschriebenen Gewalt weitgehend freigesprochen. Die Arbeit erledigen auf eher unrühmliche Weise die menschlichen Akteure.

5.

Zur Nachgeschichte

In der Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte werden die Charakterbilder der einzelnen Protagonisten noch zusätzlich herausgearbeitet, wobei es auch zu Modifizierungen und Verstärkungen der in der Bibel bereits angelegten Bewertung kam. In der Bibel selbst wird nur an drei Stellen auf die Debora-BarakErzählung verwiesen, wobei die israelitischen Protagonisten meist verschwiegen werden und nur das Bedrohungsszenario durch fremde Herrscher und Heerführer hervorgehoben wird: 1) An die Ereignisse der Debora-Barak-Erzählung wird innerbiblisch zunächst in Ps 83,9 erinnert, wo Gott aufgefordert wird, an den Feinden analog zu Sisera und Jabin am Kischonfluss zu handeln. In der biblischen Tradition wird folglich die Schlacht mit Sisera am Kischon verortet, dessen genaue Lage aber nicht sicher ist. Außerdem werden in Ps 83 die menschlichen Akteure komplett ausgeblendet, vielmehr wird auf das Eingreifen Gottes zum Segen Israels verwiesen. In Ps 83 wird zudem die Konstellation des Endtextes verwendet, da nämlich Sisera mit dem Kanaanäerkönig Jabin verbunden wird. 138 Vgl. Scherer, Überlieferungen, S. 96. 139 Nach Assis, Man, S. 113 ist Gott der eigentliche Held der Debora-Barak-Erzählung.

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2) In seiner programmatischen, dtr. geprägten Rede weist Samuel, der letzte Regent Israels, auf die Unterdrückung Israels durch Sisera hin, der nach 1Sam 12,9 als Heeresoberster der Stadt Hazor beschrieben wird. Diese Erwähnung setzt folglich ebenfalls die dtr. redigierte Version der Debora-BarakErzählung voraus, in der der Gegner Sisera mit dem Kanaanäerkönig Jabin von Hazor verbunden wird, auch wenn dessen Name in 1Sam 12,9 nicht explizit genannt und nur durch das Stichwort Hazor angedeutet wird. 3) Im Neuen Testament wird lediglich an Barak erinnert, während die beiden Frauengestalten Debora und Jael nicht erwähnt werden. Nur Barak wird in Hebr 11,32 unter die alttestamentlichen Helden gerechnet, die große Taten ausgeführt haben, auch wenn er nach der Darstellung der Hebräischen Bibel nicht explizit als großartiger Heerführer beschrieben wird. Neben diesen innerbiblischen Verweisen auf die Debora-Barak-Erzählung gibt es unterschiedliche Entwicklungen in der jüdischen Rezeption: 1) Flavius Josephus: In der Relecture der Antiquitates wird die Größe des Heeres Siseras noch zusätzlich gesteigert (300.000 Fußsoldaten, 10.000 Reiter, 3.000 Wagen).140 Mit diesem übergroßen Heer hat Sisera im Auftrag des Kanaanäerkönigs Jabin die Israeliten unterworfen und tributpflichtig gemacht. Außerdem wird Debora von Josephus als Seherin gedeutet, die bei Gott Fürsprache für die Israeliten einlegen soll.141 Auch dieser Aspekt fehlt in der Bibel. Darüber hinaus nimmt Debora die von Barak angebotene Ehre gerne an, obschon Gott zunächst dem Barak diese Ehre verliehen hat.142 Nur durch das beherzte Eingreifen Deboras konnte zudem der Kampf begonnen werden, zumal das begrenzte Heer Israels – das sich nicht nur aus den beiden Stämmen Sebulon und Naftali zusammensetzte – angesichts der großen Truppenstärke Siseras aufgeben wollte.143 Bei der Schilderung der Schlacht ergänzt Josephus einen gewaltigen Sturm mit Platzregen und Hagel, der nur die Kanaanäer behinderte.144 Außerdem kommt Barak in der Nacherzählung des Josephus wesentlich besser weg als in der Hebräischen Bibel. Hier zeichnet sich schon eine Entwicklung ab, die auch im Neuen Testament zu beobachten ist. Zwar entsetzt er sich wie der israelitische Heerbann angesichts der großen Anzahl von Feinden, aber er schlägt mit seinem Heer nicht nur die Truppen Siseras, sondern erobert auch Hazor und tötet den Kanaanäerkönig Jabin. Auf diese Weise wird Barak rehabilitiert, da er mit Jabin den Hauptverantwortlichen erschlägt. Außerdem entdecken nur seine Soldaten die Leiche 140 141 142 143 144

Jos Ant V:199. Jos Ant V:200f. Jos Ant V:203. Jos Ant V:204. Jos Ant V:205f.

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Siseras. Diese Schmach wird Barak somit erspart. Nicht umsonst wird Barak nach den geschilderten Ereignissen als Regent für 40 Jahre eingesetzt.145 Damit ist zu dieser Zeit Barak und nicht Debora Regent in Israel. Mit seinem „Sondergut“ sorgt Josephus dafür, dass die Beschädigung Baraks weitgehend zurückgefahren wird, wobei er aber die besondere Position Deboras durchaus nicht wirklich schmälert. Denn die positive Zeichnung Deboras wird beibehalten. Gewisse Leerstellen der Erzählung sind somit von Josephus kreativ zugunsten von Barak gefüllt worden. 2) Pseudo-Philo: In der Tradition des Liber Antiquitatum Biblicarum hält Debora dem büßenden Volk Israel zunächst eine längere Predigt, bevor sie Barak zum Kampf auffordert.146 Außerdem wird der Gottesschrecken, der in der Bibel zu einer Verwirrung der Feinde führte, mit dem Eingreifen der Gestirne erklärt, die insgesamt 997.000 Gegner an nur einem einzigen Tag verbrannt haben.147 Darüber hinaus flieht Sisera nicht zu Fuß, sondern auf einem Pferd.148 Jael wird zudem als verführerische Frau beschrieben, die Sisera sofort heiraten möchte, auch wenn sie Übles im Schilde führt. Die Szene der Ermordung Siseras wird wie auch der Aufenthalt Siseras in Jaels Zelt breit dargestellt, wobei es noch zu einem Dialog mit dem sterbenden Sisera kommt.149 Barak sendet schließlich das Haupt Siseras an dessen Mutter, die zudem den Namen Themech erhält.150 Nach dem reichlich erweiterten Deboralied151 regiert Debora Israel noch vierzig Jahre.152 Somit wird ihr allein und nicht Barak das Regentenamt zugeschrieben. Daraufhin wird ausführlich ihr Tod beschrieben.153 Von einer Abwertung Deboras ist hier nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Die Position Deboras wird derjenigen der anderen Retter und Regenten im Richterbuch angeglichen. 3) Spätere jüdische Tradition: Von den Rabbinen werden Debora und Barak gleichermaßen als Regenten verstanden, auch wenn Debora eigentlich der Vorrang gebührt.154 Die Bezeichnung „Frau Lappidots“ wird aufgrund der Bedeutung von lappîd dergestalt gedeutet, dass Debora für das Heiligtum 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154

Jos Ant V:209. LAB XXX:5–7. LAB XXXI:2. LAB XXXI:3. LAB XXXI:3–7. LAB XXXI:8f. Vielleicht hängt dieser Eigenname mit der Wurzel TMK „ergreifen, fassen“ zusammen, zumal diese Wurzel ganz gut die gierige Einstellung der Mutter Siseras nach Beute darstellen könnte. LAB XXXII. Dies hat seinen Anhalt in Ri 5,31, wo allerdings nur neutral gesagt wird, dass das Land vierzig Jahre der Ruhe genoss. LAB XXXIII. Vgl. Gunn, Judges, S. 54.

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Dochte angefertigt habe.155 Außerdem wird vermutet, dass die Prophetin Debora getrennt von ihrem Ehemann Barak gelebt habe.156 Gelegentlich wird Debora sogar mit Mose verglichen. Allerdings gibt es in der rabbinischen Tradition auch Kritik an Debora, die als hochmütig beschrieben wird und darüber hinaus einen hässlichen Namen habe. Ihr Hochmut zeige sich darin, dass sie nach Barak gesandt habe und ihn habe herbeirufen lassen.157 Außerdem habe die prophetische Gabe zeitweise Debora verlassen.158 Alles in allem wird die Prophetin Debora in der rabbinischen Tradition sehr ambivalent beschrieben. Der feindliche General Sisera wird in der jüdischen Tradition hingegen als Tyrann in den Ausmaßen von Goliat gezeichnet, sodass die Überwindung Siseras als besonders großartig dargestellt werden muss. Denn Sisera habe bereits im Alter von 30 Jahren die Welt erobert. Beim Schall seiner Stimme seien Mauern in sich zusammengefallen. Wenn Sisera im Fluss gebadet habe, hätten sich derart viele Fische in seinem Bart verfangen, dass man eine große Menschenmenge damit habe sättigen können. Außerdem habe er 900 Pferde gebraucht, die seinen Streitwagen ziehen. Allerdings wird er auch als Gotteslästerer und Feind des Judentums beschrieben.159 Außerdem wird in der rabbinischen Tradition die Ermordung Siseras ausdrücklich gelobt, zumal Sisera vor seinem Tod siebenfach Geschlechtsverkehr mit Jael in der Stunde seines Todes gehabt habe.160 Jael habe zudem Sisera mit ihrer Stimme verführt.161 In der christlichen Tradition werden die einzelnen Protagonisten der DeboraBarak-Erzählung typologisch gedeutet:162 1) Jael wird allegorisch als Typos für Christus gezeichnet. Die hölzerne Waffe, mit der Jael ihren Feind bezwinge, sei eine Vorwegnahme für den Sieg Christi über den Tod am Kreuz. Jael steht nach Ambrosius sogar für die Kirche als Braut Christi, die von der Prophetie geleitet den letzten Sieg über ihre Feinde erringt. 2) Für die Kirchenväter repräsentiert Sisera im geistlichen Kampf zwischen Gut und Böse hingegen den Satan, der unbedingt besiegt werden muss.

Vgl. bMeg 14a. Vgl. Gunn, Judges, S. 55, der für diese These auf David Kimchi verweist. b Meg 14b. b Pes 66b. Vgl. Gunn, Judges, S. 56. b Naz 23b. b Meg 15a. Nach Gunn, Judges, S. 57 hat Jael nach einer jüdischen Tradition dem Sisera Milch aus ihrer Brust zu Trinken gegeben. 162 Vgl. zum Folgenden mit den entsprechenden Nachweisen Gunn, Judges, S. 57f.

155 156 157 158 159 160 161

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3) Der Unwillen Baraks, nicht ohne Debora in den Krieg zu ziehen, antizipiere angeblich bereits Israels Unfähigkeit, das Böse zu überwinden. 4) Debora ist nach Ambrosius sogar den anderen Regenten weitaus überlegen, da in ihrer Laufbahn kein Fehler zu finden ist. Dementsprechend könnten auch Frauen Führungsaufgaben übernehmen. In der christlichen Tradition werden somit vor allem Debora aufgrund ihrer prophetischen Fähigkeit und Jael aufgrund der Ermordung des Übels gewürdigt. Beide Frauenfiguren werden in erster Linie allegorisch gedeutet, während die männlichen Hauptprotagonisten massiv getadelt werden. Aus alledem folgt: Die bereits in der biblischen Debora-Barak-Erzählung angelegten Bedeutungspotentiale werden in der Nachgeschichte ebenfalls aufgegriffen, wobei die Protagonisten oft sehr unterschiedlich profiliert werden. Einseitigkeiten in der jeweiligen Beurteilung sind auch hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Schon diese Beobachtung zeigt, dass gerade die DeboraBarak-Erzählung zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten bot und man den eher unbestimmten Text auf eigene Fragestellungen zuspitzen konnte. Der biblische Text ist hingegen hinsichtlich seiner Beurteilung der Protagonisten indifferent und enthält sich jeweils einer expliziten Wertung. Nur vor dem historischen Hintergrund der biblischen Erzähler und Redaktoren wird zwischen den Zeilen eine gewisse Kritik an allen Personen laut, die nicht einseitig feministisch oder androzentrisch eingeebnet werden sollte. Vor dem patriarchalischen Hintergrund der biblischen Erzähler und ihrer ursprünglichen Rezipienten werden demnach alle menschlichen Akteure getadelt, die zwar das Falsche tun, aber den Geschichtsplan Yhwhs trotzdem erfüllen. Yhwh ist zwar für den Sieg der Israeliten hauptverantwortlich, wird aber nicht direkt mit dem Handeln der Protagonisten in Verbindung gebracht. Für Israel geht am Schluss alles gut aus, auch wenn ein übler Beigeschmack bleibt, den man nicht wegdiskutieren sollte. Für die gute Sache ist offenbar vieles erlaubt, selbst wenn es zu Kollateralschäden kommen kann.

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Erasmus Gaß

Anhang Übersetzung Ri 4 Normal: vor-dtr. Debora-Barak-Erzählung Fett: dtr. Redaktion Fett, Kursiv: nach-dtr. Redaktion 1

Da taten wiederum die Israeliten das Böse in den Augen Yhwhs, nachdem Ehud gestorben war. 2Da gab Yhwh sie preis in die Hand Jabins, des Königs von Kanaan, der in Hazor herrschte. Und der Anführer seines Heeres war Sisera. Und jener hatte seinen Sitz in Haroschet-Gojim. 3Da schrieen die Israeliten zu Yhwh, denn 900 Streitwagen aus Eisen besaß er, und jener hatte die Israeliten zwanzig Jahre lang mit Gewalt unterdrückt. 4 Und Debora, eine prophetische Frau, war eine Frau aus Lappidot, jene regierte Israel zu jener Zeit. 5Und jene hatte ihren Sitz unter der Debora-Palme zwischen Rama und Bet-El im Gebirge Efraim. Da gingen die Israeliten zu ihr hinauf für einen Entscheid. 6Da sandte sie hin, rief Barak, den Sohn Abinoams, aus Kedesch-Naftali herbei und sagte zu ihm: „Befiehlt Yhwh, der Gott Israels, nicht hiermit?: ‚Geh los und zieh zum Berg Tabor und nimm mit dir 10.000 Mann von den Naftalitern und von den Sebulonitern! 7Ich aber werde zu dir an den Bach Kischon den Sisera, Jabins Heerführer, und seine Streitwagen und seine Streitmacht ziehen. Und ich werde ihn in deine Hand geben.‘“ 8Da sagte zu ihr Barak: „Wenn du mit mir gehst, gehe ich. Wenn du aber nicht mit mir gehst, gehe ich nicht.“ 9Da sagte sie: „Gehen werde ich gerne mit dir, nur dass es nicht dein Ruhm werden wird auf dem Weg, den du gehst, sondern in die Hand einer Frau wird Yhwh den Sisera preisgeben.“ Debora machte sich auf und ging mit Barak nach Kedesch. 10 Da bot Barak Sebulon und Naftali nach Kedesch auf und es zogen – ihm auf dem Fuß – 10.000 Mann hinauf. Und es zog mit ihm Debora hinauf. 11Und Heber, der Keniter, lebte getrennt von Kain, von den Söhnen Hobabs, des Schwiegervaters des Mose. Da spannte er sein Zelt aus bis zur Terebinthe in Zaanaim, die bei Kedesch liegt. 12Da meldete man Sisera, dass Barak, der Sohn Abinoams, auf den Berg Tabor hinaufgezogen war. 13Da bot Sisera seine ganze Streitwagentruppe, 900 Streitwagen aus Eisen, und alles Volk, das bei ihm war, von Haroschet-Gojim an den Bach Kischon auf. 14Da sagte Debora zu Barak: „Auf! Denn dies ist der Tag, an dem Yhwh den Sisera in deine Hand gegeben hat. Ist nicht Yhwh ausgezogen vor dir her?“ Da stieg Barak vom Berg Tabor herab, und 10.000 Mann hinter sich. 15Da brachte Yhwh Sisera und die ganze Streitwagentruppe und das ganze Heerlager mit der Schärfe des Schwertes vor Barak in Verwirrung. Da stieg Sisera vom Streitwagen herab und floh zu Fuß. 16Barak aber jagte der Streitwagentruppe und dem Heerlager nach bis Haroschet-Gojim. Das ganze Heerlager Siseras fiel durch die Schärfe des Schwertes: Nicht ein einziger blieb übrig. 17 Sisera aber floh zu Fuß zum Zelt Jaels, der Frau Hebers, des Keniters, denn es herrschte Friede zwischen Jabin, dem König von Hazor, und dem Haus Hebers, des Keniters. 18Da trat Jael heraus, Sisera entgegen, und sagte zu ihm: „Kehre ein, mein Herr, kehre ein zu mir! Fürchte dich nicht!“ Da kehrte er ein zu ihr ins Zelt, und sie bedeckte ihn mit der Decke. 19 Da sagte er zu ihr: „Gib mir doch etwas Wasser zu trinken, denn ich bin durstig.“ Da öffnete sie den Milchschlauch, gab ihm zu trinken und deckte ihn zu. 20Da sagte er zu ihr:

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„Stell dich an den Eingang des Zeltes! Und es soll geschehen: Wenn jemand kommt und dich fragt und sagt: ‚Ist hier ein Mann?‘, dann sollst du sagen: ‚Nein!‘“ 21Da holte Jael, die Frau Hebers, den Zeltpflock und nahm den Hammer in ihre Hand und trat leise an ihn heran und trieb ihm den Pflock durch die Schläfe und er drang in die Erde ein, während jener erschöpft in tiefem Schlaf lag, und er starb. 22Und siehe: Barak jagte Sisera nach! Da trat Jael heraus, ihm entgegen, und sagte ihm: „Komm! Ich will dir den Mann zeigen, den du suchst.“ Da ging er zu ihr hinein. Und siehe: Sisera lag tot da, und der Pflock in seiner Schläfe. 23 Und es hat Gott an jenem Tag Jabin, den König von Kanaan, vor den Israeliten gebeugt. 24 Und es kam die Hand der Israeliten immer lastender über Jabin, den König Kanaans, bis sie Jabin, den König Kanaans, vernichtet hatten.

[Ri 5: Deboralied] 5,31: Das Land hatte vierzig Jahre lang Ruhe.

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Elisabeth Birnbaum

Wie viel Frau darf Judit sein? Anmerkungen zur Rezeption des Juditbuches

Dass die biblische Judit eine Frau ist, darüber gibt es keine Diskussion. Wie wichtig dieser Umstand allerdings für die Erzählung ist, darüber scheiden sich die Geister. Für Judits Reputation jedenfalls ist die Frage nach der Gewichtung ihres Frau-Seins von entscheidender Bedeutung.

1.

Wer ist der „wahre“ Gott?

Schon oft ist festgestellt worden, dass sich die Ort- und Zeitangaben des Juditbuches nicht historisch vereinbaren lassen. Die Bezeichnung Nebukadnezzars als König der Assyrer ist da nur eine von vielen Ungereimtheiten. In Zeiten, wo die historische Zuverlässigkeit der biblischen Bücher ein entscheidendes Kriterium für ihre Kanonizität war, wurde diesem Problem mit einiger Kreativität begegnet. Versuche, das Unmögliche möglich zu machen und die einander widersprechenden historischen Angaben zu versöhnen, fanden vor allem in der katholischen Exegese ab dem 17. Jahrhundert statt, galt es doch, die Kanonizität des Juditbuches gegen protestantische Angriffe zu verteidigen.1 Die heutige Exegese ist sich weitgehend einig, dass die Anachronismen des Juditbuches beabsichtigt sind. Sie sollen das Paradigmatische der Erzählung von Anfang an deutlich machen. Das Juditbuch verdichtet die Befreiungserfahrungen und -erzählungen der Bibel zu einer einzigen fiktionalen theologischen Erzählung.2 1 Vgl. dazu Birnbaum, Juditbuch, S. 61f. u. ö. So schrieb Bernard Montfaucon ein eigenes apologetisches Buch zu diesem Thema: „La verité de l’histoire de Judith“ (1690). Berühmte katholische Exegeten wie Cornelius a Lapide oder Dom Augustin Calmet stellen teils abenteuerlich klingende Hypothesen zur zeitlichen Einordnung des Buches auf, um die protestantische Forderung zu erfüllen; vgl. ebenda. 2 Vgl. z. B. Schmitz / Engel, Judit, S. 50: „Gleich vom ersten Satz des Buches an wird der Leser darauf aufmerksam gemacht, dass im Folgenden Figuren, Orte und Ereignisse aus unterschiedlichen Zeiten in einer Erzählung zusammengebunden werden.“

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Elisabeth Birnbaum

Der biblische Gott erweist sich darin als ein Gott, der „Kriege zerreibt“, der mit ungewöhnlichen, andersartigen Mitteln zu siegen weiß und militärische Stärke ad absurdum führt.3 „Nicht an der Stärke der Rosse hat er Gefallen. Gefallen hat der Herr an denen, die ihn fürchten und ehren, die voll Vertrauen warten auf seine Huld“ (Ps 147). Darum jubelt Judit auch: „Denn der Herr ist ein Gott, der den Kriegen ein Ende setzt.“ (16,2), vgl. Ex 15 LXX. Die wörtliche Zitation von Exodus 15 in Jdt 16,2 setzt Judits Tat mit dem Exodus in Verbindung.4 Mit dieser theologischen Aussage stellt sich das Juditbuch in eine Linie mit anderen biblischen Befreiungserzählungen. Gott rettet sein Volk beim Exodus vor den hochgerüsteten Ägyptern beim Exodus, er rettet sie im Richterbuch vor dem kriegerisch überlegenen kanaanäischen König Jabin (Ri 4–5) ebenso wie vor Goliat und den militärisch starken Philistern (1 Sam 17) und vor den mächtigen Seleukiden unter Nikanor (1 Makk 7; 2 Makk 14f.).5 Die Größenverhältnisse zwischen dem Gottesvolk und den Gegnern in diesen Erzählungen Ex 1–14, 1 Sam 17 oder 1 Makk 7 bzw. 2 Makk 14f. sind derart ungleich, dass es einer außergewöhnlichen Rettungstat Gottes bedarf, um das eigene Volk zu befreien. Und umgekehrt ist der Ausgang der jeweiligen Erzählungen derart konträr zur Ausgangslage, dass darin eine fast schon parodistische, jedenfalls polemische Komponente mitschwingt. Der Aufbau des Juditbuchs zeigt, dass der Gegensatz zwischen dem wahrhaft mächtigen Gott und der nur scheinbar überlegenen militärischen Macht ein zentraler Schwerpunkt ist. Er rahmt das Buch. In Kp. 1– 2* wird der selbsternannte „Gott“ Nebukadnezzar (vgl. Jdt 6,2) und sein Zugang zu Herrschaft und Macht in all seiner Brutalität beschrieben. Im Schlusskapitel (Jdt 16) wird auf „Assur“ noch einmal Bezug genommen: Gott hat sich Judits bedient, um die Herrschaft des Pseudo-Gottes Nebukadnezzar ad absurdum zu führen. Auch die weiteren Teile solcher Erzählungen finden sich im Juditbuch: Das Gottesvolk wird von einer großen, militärisch überlegenen Macht bedroht oder unterdrückt, die aus ihrem Überlegenheitsgefühl heraus auch den Gott Israels verhöhnt (vgl. z. B. Ex 5,2; 1 Sam 17,26; 2 Makk 15,1–5; anders Ri 4–5). Die Lage erscheint hoffnungslos. Doch wider Erwarten wird der Feind vernichtet. Das geschieht mittels direktem (Ex; Ri) oder indirektem (1 Sam; 1/2 Makk) Eingreifen Gottes. Eine Einzelperson wird von ihm beauftragt oder weiß sich zumindest von

3 So schon Zenger, Judith/Judithbuch, S. 407; Rakel, Das Buch Judit, S. 411. 4 Schmitz, Gedeutete Geschichte, S. 372. 5 Vgl. Van Henten, Judith as Alternative Leader. Auf die Parallelen zwischen Holofernes und Nikanor in 1 Makk 7; 2 Makk 15 weist Barbara Schmitz mit Verweis auf Corley, Imitation of Septuagintal Narrative, S. 22–24, hin: Schmitz / Engel, Judit, S. 54.

Wie viel Frau darf Judit sein? Anmerkungen zur Rezeption des Juditbuches

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ihm geführt.6 Zuletzt wird die Überlegenheit Gottes über die nur scheinbar übermächtigen Feinde Israels bestätigt.7 Die Parallelen zwischen dem Juditbuch und der Erzählung von David und Goliat sind dabei besonders auffällig: 1) Das Gottesvolk ist von einer großen militärischen Macht bedroht. Die ausführliche Beschreibung der militärischen Stärke hebt die Bedrohung hervor. Die Lage wirkt aussichtslos. Der Mut sinkt in beiden Fällen. Bei David ist es der Riese Goliat, der die Israeliten 40 Tage lang mit seinem Aufruf zum Zweikampf erschreckt (1 Sam 17,24–25). In Betulia ist es der Durst, der die belagerten Betulier nach 34 Tagen mürbe macht und sie an Aufgabe denken lässt (Jdt 7,19–22*). Die Führer des Volkes, hier König Saul und sein Heer, dort die Stadtältesten Betulias, sind unfähig die Not des Volkes zu lindern. 2) Nun tritt eine Person als Retter auf, von der sich niemand Hilfe erhofft hätte. Da der junge, kleine David, dort die junge Witwe Judit. Sie sehen die Bedrängnis des Volkes und die Verhöhnung ihres Gottes und schreiten zur Tat, während die Vorgesetzten passiv bleiben. 3) Beide ziehen ohne adäquate Bewaffnung ihren Feinden entgegen. David ist zu klein für Sauls Rüstung, Judit verzichtet von vornherein auf Waffen. In beiden Fällen kommt es zu einem Gespräch mit dem Feind. Beide legen darin ein Bekenntnis zu ihrem Gott ab und künden ihre Tat (direkt oder indirekt) an. 4) In beiden Fällen stirbt der Feind durch das Schwert. Und in beiden Fällen wird er erst enthauptet, als er nicht mehr bei Bewusstsein ist. Goliat wurde von Davids Steinschleuder getroffen (1 Sam 17,48–49.51) und Holofernes hat sich aus Vorfreude auf die bevorstehende Liebesnacht (Jdt 12,16–13,8*) bewusstlos getrunken. Sowohl Judit als auch David nützen das Schwert des 6 Im Exodus spricht JHWH zu Mose direkt. Im Richterbuch berichtet die Erzählstimme von Gottes Eingreifen. David kennt JHWHs Pläne und Judas Makkabäus lässt seine Anhänger während des Kampfes beten. 7 Ri 4 konstatiert: „So demütigte Gott an diesem Tag Jabin …“ (Ri 4,23); 1 Sam 17 nimmt diese Bestätigung schon im Vorfeld vorweg, wenn David sagt (1 Sam 17,46f.): „Heute wird dich der HERR mir ausliefern. Ich werde dich erschlagen und dir den Kopf abhauen. Die Leichen des Heeres der Philister werde ich noch heute den Vögeln des Himmels und den wilden Tieren geben. Alle Welt soll erkennen, dass Israel einen Gott hat. 47 Auch alle, die hier versammelt sind, sollen erkennen, dass der HERR nicht durch Schwert und Speer Rettung verschafft; denn es ist ein Krieg des HERRN und er wird euch in unsere Hand geben.“ Und die während des Kampfes betenden und flehenden Leute des Judas waren „hocherfreut, dass Gott sich so sichtbar offenbarte“ (2 Makk 15,27). Im Juditbuch hingegen wird Gottes Beitrag zum Geschehen unterschiedlich gedeutet. Judit selbst hebt diesen hervor: „… Er offenbart in Israel seine segensreiche Macht, an unseren Feinden aber seine strafende Gewalt“ (Jdt 13,11*, vgl. besonders auch Jdt 16). Usija, einer der Ältesten attestiert immerhin Gottes Hilfe bei der Tat: „Durch seine Hilfe ist es dir gelungen …“ (Jdt 13,18). Der Hohepriester allerdings reduziert Gottes Beitrag zu Judits Tat auf dessen Wohlwollen: „… du hast segensreiche Taten für Israel vollbracht und Gott hat daran Gefallen gehabt“ (Jdt 15,10).

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Feindes, um ihn endgültig zu besiegen. Den abgeschlagenen Kopf nehmen sie als Siegestrophäe mit. 5) Auch die Folgen der Tat sind ähnlich: Die so starken und mächtigen Gegner verlieren durch die Kopflosigkeit ihres Mächtigsten selbst den Kopf und fliehen in Panik. Die Israeliten haben mit ihnen leichtes Spiel, jagen ihnen nach und machen reiche Beute. Das Volk jubelt über die wundersame Rettung und genießt danach eine Zeit des Friedens. Das Juditbuch rezipiert demnach biblische Befreiungstexte und übernimmt deren zentrale Botschaft und polemisch-parodistische Ausrichtung, bleibt aber bei der Botschaft nicht stehen, sondern geht einen Schritt weiter:

2.

Wie handeln Gläubige des „wahren Gottes“?

Wenn ein „falscher“ Gott für Krieg, Zwang zu fremdem Kult und Tod, für Hochmut, Vertrauen auf die eigene militärische Stärke und Grausamkeit steht, der „wahre“ Gott hingegen für Friede, Freiheit und Leben für sein Volk, dann muss es einen Unterschied im eigenen Verhalten machen, welchem der beiden Götter man dient. Diese Logik wird im Juditbuch am Beispiel von Judit und Holofernes veranschaulicht. Anders als etwa bei David und Goliat geraten daher im Juditbuch die Werte, Sichtweisen und Handlungen der „Diener:innen“ der jeweiligen „Götter“ stärker in den Blick. Judit ist Repräsentantin des Gottes Israels und dient somit dem „wahren“ Gott. Holofernes ist Repräsentant des „Gegen-Gottes“ Nebukadnezzar und dient somit einem Menschen, der sich – ganz im Stil der hellenistischen Könige seit Alexander d. Gr.8 – selbst als Gott verehren lassen möchte. Ihre beiden Verhaltensweisen werden ausführlich gegenübergestellt.

2.1

Glaube und Lebensführung

Judit vertraut dem Gott Israels. Materieller Besitz ist ihr nicht wichtig. Sie ist zwar eine reiche Witwe, nützt ihren Reichtum aber nicht. Sie lebt in einem Zelt auf dem flachen Dach ihres Hauses, um Gott anzubeten und ihm in Fasten und Gebet zu dienen (8,5). Ein solches Zelt ist öffentlich einsehbar, sie verzichtet also auch auf Privatsphäre.9 Sie ist bei allen Menschen hoch angesehen und niemand sagt ihr etwas Böses nach, weil sie Gott fürchtet (8,8). Judit verzichtet auf Annehmlich8 Vgl. Schmitz / Engel, Judit, S. 52. 9 Vgl. den Verweis auf 2 Sam 16,20–23 in: Schmitz / Engel, Judit, S. 243.

Wie viel Frau darf Judit sein? Anmerkungen zur Rezeption des Juditbuches

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keiten und auf leibliche Genüsse. Das verschafft ihr eine gewisse Unabhängigkeit und Freiheit. Sie kann sich schön machen, muss es aber nicht, sie kann Essen und Trinken genießen, ist davon aber nicht abhängig. Sie kann Begierde in Männern entfachen, braucht es aber nicht für ihr Selbstwertgefühl. Nach ihrer Tat zieht sie sich wieder zurück in diese Lebensweise. Konträr dazu lebt Holofernes: Er vertraut auf den irdischen Machthaber Nebukadnezzar, auf Macht, Güter und weltliche Genüsse. Auch Holofernes wohnt zur Zeit der Handlung in einem Zelt, um seinem „Gott“ zu dienen. Sein Zelt steht jedoch inmitten des Heerlagers, in einer Welt des Krieges und der Gewalt (vgl. 10,15.17), und sein „Gottesdienst“ impliziert Luxus, Krieg und sofortige Bedürfnisbefriedigung. Er residiert dort und lässt sich von seinem Gefolge anbeten und bedienen. Das Zelt ist luxuriös, ja dekadent ausgestaltet. Er fürchtet niemanden, doch seine Untergebenen fürchten ihn.

2.2

Glaube und Handeln

Judit handelt aus Gott heraus. Von dort entspringt ihr prophetengleiches Wissen über das, was an der Zeit ist. In ihren Reden erweist sie sich als Schriftgelehrte und weise Frau,10 die klar und illusionslos die Lage abschätzt. Sie flüchtet sich nicht in falsche Vertröstungen wie die Ältesten, reagiert aber auch nicht panisch wie das Volk, sondern bleibt klar und besonnen. Sie stellt die Ältesten der Stadt zur Rede und begründet mit großem theologischen Gesamtblick, warum Resignation und Ultimaten nicht angemessen sind. Die Ältesten versuchen sich zu rechtfertigen und Judit auf ihr gewohntes Beten zu beschränken, doch Judit schreitet zur Tat. Ihr Handeln zeichnet sich durch größtmögliche Effizienz und Weitblick aus. Sie kleidet sich elegant, sie macht sich schön, sie wird zu dem, was sie eigentlich nicht ist: zu einem „Objekt der Begierde“. Sie tut dies, weil sie ahnt, dass Holofernes nicht ihren unverstellten Blick hat und sich vom äußeren Schein blenden lassen wird. Das Handeln des Holofernes dagegen ist, seiner Weltanschauung gemäß, ausgerichtet auf Macht, Besitz und Unterwerfung. So wie er fraglos Nebukadnezzars Befehle befolgt, ist er gewohnt, dass auch seinen eigenen Befehlen unverzüglich Folge geleistet wird und seine Wünsche und Begierden so schnell wie möglich befriedigt werden. Das gilt auch für seinen Wunsch Judit „einzunehmen“. Doch gerade dieses Besitz- und Machtdenken führt dazu, dass er, seinen zielund maßlosen Begierden ausgeliefert, nicht frei und selbstbestimmt handeln kann. 10 Dazu besonders Schmitz, Gedeutete Geschichte.

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Elisabeth Birnbaum

Als er Judit in sein Zelt einlädt (Jdt 12,11–12), um sie an sich zu reißen, führt das dazu, dass er sich selbst außer Gefecht setzt und völlig berauscht einschläft, bevor er Judit auch nur berührt hat. Judit hingegen behält kühlen Kopf und nützt ihre Chance. Es scheint fast so, als habe sie die Entwicklung vorausgesehen.

2.3

Exkurs: Verführung?

Judit verführt Holofernes nicht – auch wenn man ihr genau das immer wieder unterstellt. Sie ist nicht aktiv, sondern überlässt Holofernes seinen eigenen Illusionen und Trugbildern. Holofernes vielmehr ist es, der glaubt sie beherrschen zu können, bis hin zu sexueller Gewalt. Er deutet ihr Kommen als Unterwerfung. Andere Beweggründe kann er sich gar nicht vorstellen. Judit setzt von sich aus keine Handlung in Gang. Sie ist einfach nur präsent und bleibt bei sich. Sie nimmt nichts von den Speisen und Getränken des Holofernes an, sondern isst ihre selbst mitgebrachten Vorräte. Sie vollzieht jede Nacht ein Reinigungsritual. Sie folgt der Einladung des Holofernes, in sein Zelt zu kommen, tut aber auch dort nichts. Holofernes ist es, der sich aus Vorfreude auf die sexuelle Begegnung – erzwungen oder nicht, scheint keine Rolle zu spielen – sinnlos betrinkt. Er ist es, der nur seine Diener zum Mahl bittet und sie danach sofort wieder gehen lässt, um mit ihr allein bleiben zu können. Er ist es, der schließlich aufgrund des übermäßigen Weingenusses vornüber fällt und einschläft. Sie tut all das und nur das Nötigste, das zu tun ist, um den Tod von Unmengen an Menschen zu verhindern. Sie nimmt sein Schwert, schlägt zweimal zu und verlässt ohne weiteres Blutvergießen das Lager. Ihr Tun zeichnet sich durch Effizienz, geringstmögliche Gewaltanwendung und größtmögliche Friedlichkeit aus. Die Assyrer handeln wie ihr Feldherr. Die Entdeckung, dass es sich beim Repräsentanten ihres „Gottes“ um einen verwund- und überwindbaren sterblichen Menschen handelt, lässt sie kopflos fliehen. Das Handeln des Holofernes und seines Heeres gründet laut dem Juditbuch auf einer falschen, vergötzenden Sicht auf die Welt und den Menschen. Es betet Menschen an, als wären sie Götter. Es hält sie für unsterblich und unüberwindlich. Es gefällt sich in einem unmäßigen Gebrauch der Güter, in einem Immer-Mehr. Einem solchen Handeln billigt die Bibel keinen Bestand zu.

Wie viel Frau darf Judit sein? Anmerkungen zur Rezeption des Juditbuches

2.4

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Judit – Idealtypus des jüdischen Volkes

Judits Weiblichkeit steht in dieser Gegenüberstellung nicht im Vordergrund. Vielmehr sagt bereits der Name („die Jüdin“), dass sich in ihrer Person idealtypische Frauen und Männer des Gottesvolkes wiederfinden sollen. Sie, die Witwe, die als solche üblicherweise zu den Armen und Unterdrückten gehören müsste, ist gleichzeitig wohlhabend und in keiner Weise bedürftig. Sie lässt sich auch nicht auf weibliche Stereotypen festlegen. Sie ist gleichzeitig Mose, David, Debora, Jaël und Judas Makkabäus. Was ihnen bei allen Unterschieden gemeinsam ist: Sie vertrauen auf Gott und handeln damit klüger als ihre mächtigeren Gegner. Und Judits Gegner Holofernes vereint in sich Züge des ExodusPharaos, Siseras, Goliats oder Nikanors. Als Paradebeispiel eines militärisch starken und gleichzeitig vor lauter Selbstsicherheit wieder einfältigen und naiven Kriegshelden verdichten sich in ihm Erfahrungen mit Feinden vieler Jahrhunderte. Das Juditbuch der LXX reflektiert demnach anhand des Motivs des rettenden Gottes eine angemessene Verhaltensweise, die diesem Gott gerecht wird. Judits Frau-Sein ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung.

3.

Wie verhält sich eine tugendhafte Frau?

Diese Rezeption der zentralen Glaubens- und Rettungserfahrungen der älteren Bibeltexte wurde in weiterer Folge selbst zum Objekt der Rezeption. Durch die in vielem von der LXX-Fassung abweichende Bibelübersetzung des Hieronymus wurde das Juditbuch maßgeblich neu akzentuiert.11

3.1

Die Vulgata

Die Vulgata verstärkt den moralischen Aspekt des Verhaltens der Gott-Dienenden. Besonders auffällig im Vulgata-Text ist die Anhäufung des Wortes „Demut“ (humilitas). Im Gegensatz zu den hochmütigen Assyrern kann sich Judit und das Volk Israels durch Demut die Gnade Gottes erwerben. Auch die Bedeutung des Gebets (oratio/deprecatio) wird gegenüber der LXX noch stärker hervorgehoben.12 Betontes Ziel des (demütigen) Gebetes ist es, die Barmherzigkeit Gottes zu 11 Ausführlich dazu: Birnbaum, Das Juditbuch, S. 21–49. Lange, Die Juditfigur in der Vulgata. 12 Über die in der Septuaginta auch vorkommenden Gebete hinaus wird das Gebet in den Reden ausdrücklich eingefordert: Der Hohepriester Eljakim verweist auf die Macht des Gebetes am Beispiel Moses (4,13) und verspricht die Hilfe Gottes, wenn das Volk beharrlich genug bete (4,12.14). Judit fordert die Ältesten und mit ihnen das Volk auf, Gottes Nachsicht zu erflehen

178

Elisabeth Birnbaum

erlangen (misericordia) (vgl. 7,20; 8,13–14.17; 9,17), die zur Abwendung der Not führt. Das Gebet ist somit, anders als in der LXX, nicht Vergewisserung des eigenen Glaubens und Bitte um Unterstützung der eigenen Tat, sondern im Gegenteil der Versuch, jegliche Initiative Gott zuzuschieben und ihn zum Handeln zu bewegen. Ein zweiter Schwerpunkt betrifft Judit persönlich. Ihr Frau-Sein ist bedeutsamer, wenn auch in asexueller Weise. Jdt 10,4Vg glaubt sie von jedem Vorwurf der (sexuellen) Berechnung freisprechen zu müssen, wenn sie, statt sich wie in der LXX schön zu machen, wegen ihrer Tugend von Gott Schönheit verliehen bekommt.13Ihre eigentliche Heldentat besteht folgerichtig weniger in der Überwindung des Feindes, sondern in der Bewahrung ihrer Keuschheit (castitas) vor männlichen Angriffen. So rühmt der Hohepriester Judits Keuschheit in Jdt 15,11Vg und sieht in der Tatsache, dass sie nach dem Tod ihres Mannes nicht mehr geheiratet hat, den Grund für ihren Sieg.14 Demgegenüber ist Holofernes der Inbegriff der Untugend. Schon in 3,11 wird ihm „Grausamkeit seines Herzens“ (ferocitatem eius pectoris) attestiert, die niemand besänftigen kann. Er wird gefürchtet (vgl. Jdt 14,10Vg) und tritt sogar an Nebukadnezzars Stelle, wenn Judit ihn als „Haupt aller Ungläubigen“ bezeichnet (Jdt 13,27Vg: caput omnium incredulorum), der als personifizierter Hochmut Gott verachtet hat.15 Die Vulgata, die lange Zeit Künstler:innen und katholische Exeget:innen geprägt hat, präsentiert Judit als vorbildlich tugendhafte, asexuelle Frau. Die moralische Botschaft scheint zu lauten, dass Ehelosigkeit und Demut (einer Frau) Gott bewegen, sein Volk zu befreien.

(8,14) und die Seelen vor ihm zu demütigen bzw. ihm demütig zu dienen (8,20), ruft sie also indirekt zum Gebet auf. Am Ende ihrer Rede folgen noch drei direkte Aufforderungen zum Gebet (8,31.32.33). 13 Jdt 10,4Vg: „cui etiam Dominus contulit splendorem quoniam omnis ista conpositio non ex libidine sed ex virtute pendebat et ideo Dominus hanc in illam pulchritudinem ampliavit ut inconparabili decore omnium oculis appareret“. Ob die zentralen Verse in der Vulgata auf Hieronymus selbst oder auf eine ihm vorgelegene Textfassung zurückgehen, soll hier nicht entschieden werden. Vgl. dazu Schmitz / Engel, Judit, S. 39. 14 Jdt 15,11Vg: „… quod castitatem amaveris et post virum tuum alterum non scieris ideo et manus Domini confortavit te …“ 15 Jdt 13,28Vg: „qui in contemptu superbiae suae Deum Israhel contempsit“.

Wie viel Frau darf Judit sein? Anmerkungen zur Rezeption des Juditbuches

3.2

179

Die Psychomachie des Prudentius

In zeitlicher Nähe zur Vulgata-Version des Juditbuches steht die Psychomachie des Prudentius.16 Durch die christozentrische Lektüre wird paradoxerweise Judits Frau-Sein noch stärker zur Voraussetzung für die Interpretation. Die Typologie in Bezug auf Christus kannte keine geschlechterübergreifende Personifizierung und enthielt auch ein hierarchisches Gefälle. Christus steht über der Kirche/Maria. Typos Christi konnten ausschließlich Männer sein. Typos Mariae ausschließlich Frauen. Ein solcher Typos Mariae war Judit.17 Der zentrale Vergleichspunkt war der Sieg über das Böse. Dieser Sieg, den Judit über Holofernes „vorläufig“ erlangte, gelang Maria über die Schlange/den Teufel endgültig durch die Geburt ihres Sohnes.18 Wie in der Vulgata gelingt Judit ihr Sieg nicht durch ihren Mut oder durch ihre Klugheit, sondern durch ihre castitas. Sie ist Gegenspielerin der in Holofernes verkörperten luxuria. Die Entsexualisierung und Entpersonalisierung geht mit ihrer Rolle als Frau einher.

4.

Wer tötet den Tyrannen?

Im Barock trat die politische Seite der Tat wieder stärker in den Vordergrund und die Geschlechterzuordnung wurde weniger relevant. Judit diente, ähnlich wie Judits Vorbilder Debora, Jaël oder David, als Beispiel für den politisch relevanten, von Gott gegebenen und daher auch legitimen und verdienten Sieg über den politischen Gegner. Es kam nur darauf an, Gottes Beistand für sich zu reklamieren, also diesbezüglich eine Judit zu sein, und den Anderen Holofernesgemäße Züge zu verleihen. Ideal für die Etikettierung als Holofernes passten natürlich andersgläubige Regent:innen, die eine gewisse militärische Stärke aufweisen konnten. Die Judit-Parallele konnte dabei für eine militärisch schwächere Regierung gute Dienste leisten, sie konnte aber auch als Legitimation der gewaltsamen Machtübernahme (unter dem Stichwort „Tyrannenmord“) herangezogen werden. So gilt es als ein Kuriosum der Geschichte, dass im 15. Jh. sowohl Herzog Johann der Furchtlose von Burgund als auch dessen späterer 16 Aurelius Prudentius Clemens, Die Psychomachie des Prudentius. Eine spannende Frage dabei wäre, wie sehr Prudentius die Übersetzung des Hieronymus in der Vulgata beeinflusste oder auch umgekehrt Hieronymus‘ Übersetzung die Akzentuierung des Prudentius in Richtung „Keuschheit“ inspiriert hat. 17 Vgl. etwa dazu Siquans, Die Macht der Rezeption. 18 Diese mariologisch-christologische Aussage gründet in der Kombination mehrerer Bibelstellen. Christus ist in der Darstellung des Paulus (vgl. 1 Kor 15,21f.) das Gegenbild zu Adam, durch ihn wird der Tod besiegt. Maria wiederum wird erst „nachbiblisch“ zum Gegenbild zu Eva und außerdem zur Frau mit dem Sternenkranz, die vom Drachen verfolgt, aber nicht besiegt werden kann (Offb 12).

180

Elisabeth Birnbaum

Mörder sich als „Judit“ bezeichneten und ihren Mord als „Tyrannenmord“ rechtfertigten.19 Die Mann-Frau Perspektive war hier dementsprechend weniger ausschlaggebend. Als „Judit“ bezeichneten sich sowohl weibliche als auch männliche Herrschaftsfreudige.

5.

Wer mordet (uns) Männer?

Die für Judits Reputation folgenschwerste Entwicklung erfolgte allerdings durch die ausschließliche Fokussierung auf die Geschlechterdimension.20 Ob (alle) Frauen (alle) Männer töten wollen oder dürfen, lautete nun die Frage, und aus Holofernes wurde ein (nicht sehr sympathischer, aber ansonsten relativ „normaler“) Mann, den eine Frau ins Unglück stürzte. Spätestens seit dem Drama „Judith“ von Friedrich Hebbel (1840) werden ihr unlautere Motive angedichtet.21 Bei Hebbel verliebt sich Judit in Holofernes, er ist der einzige Mann, der ihr gut genug ist. Sie tötet ihn dann auch nur, weil er nach einer Liebesnacht sich lieblos umdreht und einschläft. Seit diesem Drama ist Judits Heldentat in der Kunst immer mehr zu einer Racheaktion einer sexuell frustrierten Frau verkommen oder wurde als Tat eines skrupellosen, männermordenden Vamps zum Schrecken aller Männer stilisiert. Dazu kamen Ende des 19. Jahrhunderts noch antijüdische, oft sogar antisemitische Stereotypen, die Judit vollends zu einer „Anderen“ machten. Nicht mehr Holofernes war „der Andere“, der feindliche Machthaber, der Handlanger des Gegengottes Nebukadnezzar, sondern Judit. Und aus dem „Wir“ des Gottesvolkes, das von dem „Ihr“ der Assyrer bedroht und von Judit, „einer von uns“, gerettet wurde, wurde das „Wir“ der Männer, dessen „einer von uns“ vom „Ihr“ der ( jüdischen) Weiblichkeit heimtückisch ermordet wurde. Interessanterweise unterstützt die Kunstform der Malerei die Verquickung von Geschlecht und Gewalt noch zusätzlich. Zahlreiche Bilder, vor allem der vergangenen zwei Jahrhunderte, stellen die Tötung selbst in den Vordergrund, begangen von einer häufig nur spärlich bekleideten Judit an einem ebenso wenig bekleideten Mann.22 Damit reduzieren sie das Buch auf eine Gewalttat zwischen Frau und Mann. Nicht mehr der Sieg eines rettenden Gottes über einen selbsternannten todbringenden Gott, auch nicht das letztlich nahezu pazifistische Handeln seiner Dienerin an einem gewalttätigen, kriegsbegeisterten Götzen19 20 21 22

Vgl. Birnbaum, Dimensionen des Juditbuches, S. 210. Vgl. dazu Birnbaum, Dimensionen des Juditbuches, S. 213–219. Friedrich Hebbel, Sämtliche Werke I. Besonders sprechende Beispiele sind Gustav Klimt, Judith; Franz von Stuck, Judith. Vgl. dazu auch Birnbaum, Dimensionen des Juditbuches, 216f.; Uppenkamp, Tod eines Feldherrn, S. 45; Wiltschnigg, Judith, S. 68f.

Wie viel Frau darf Judit sein? Anmerkungen zur Rezeption des Juditbuches

181

verehrer, und nicht einmal die moralische Überlegenheit einer gottesfürchtigen Frau über einen dekadenten, grausamen Mann steht im Zentrum, sondern die (gerade begangene oder bereits geschehene) Tötung eines wehrlosen Mannes durch eine ( jüdische) femme fatale. Ihr Blutvergießen gerät in den Blick, das wahllose Morden des Holofernes an Tausenden und Abertausenden wird ausgeblendet. Als Repräsentantin des „wahren“ Gottes darf sie eigenständig handeln wie in der Septuaginta. Als politische Widerstandskämpferin darf sie einen Tyrannen morden. Sobald ihr Frau-Sein stärker in den Fokus kommt, wird es schwierig: Als gottesfürchtige Frau, die es mit dem personifizierten Hochmut zu tun hat, muss sie bereits ihre Schönheit rechtfertigen wie in der Vulgata. Als Typos Mariae wird sie gänzlich auf ihre Keuschheit reduziert wie in der Psychomachie des Prudentius. Wenn der Feind aber einfach Mann ist und nicht das Böse schlechthin, wird ihr Frau-Sein prekär und als Frau im Kampf der Geschlechter wird sie zur Projektionsfläche für Misogynie. „What shall we do with Judith?“, fragte bereits Pamela J. Milne23. Mit einer Judit, die auf ihre Rolle als Frau reduziert wird, lässt sich tatsächlich weder für sie selbst noch für Frauen noch für die biblische Erzählung etwas gewinnen.

Quellen Aurelius Prudentius Clemens, Die Psychomachie des Prudentius, ed. und übersetzt Ursmar Engelmann, Freiburg i.Br. 1959. Biblia Sacra Vulgata. Edition quinta (hg. v. Robert Weber und Roger Gryson), Stuttgart 2007. Die Septuaginta (hg. v. Alfred Rahlfs und Robert Hanhart), Stuttgart 2006. Friedrich Hebbel, Sämtliche Werke I, ed. Richard Maria Werner, Berlin 1904.

Literatur Birnbaum, Elisabeth., Das Juditbuch im Wien des 17. und 18. Jahrhunderts (Österreichische Biblische Studien 35), Frankfurt 2009. Birnbaum, Elisabeth, Dimensionen des Juditbuches und ihre Bedeutung für die neuzeitliche Rezeption, in: Fischer, Irmtraud (Hrsg.), Macht – Gewalt – Krieg im Alten Testament. Gesellschaftliche Problematik und das Problem ihrer Repräsentation (Quaestiones disputatae 254), Freiburg / Basel / Wien 2013, S. 198–224. Calmet, Augustin, Commentaire litteral sur tous les livres de l’ancien et du nouveau Testament Bd. 7, Paris 1723–1726, S. 331–495. 23 Milne, Judith.

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Corley, Jeremy, Imitation of Septuagintal Narrative and Greek Historiography in the Portrait of Holofernes, in: Xeravits, Géza G. (Hrsg.), A Pious Sedectress. Studies in tge Book of Judith (Deuterocanonical and Cognate Literature Studies 14), Berlin / Boston 2012, S. 22–54. Lange, Lydia, Die Juditfigur in der Vulgata. Eine theologische Studie zur lateinischen Bibel (Deuterocanonical and Cognate Literature Studies 36), Berlin / Boston 2016. Lapide, Cornelius a, Commentaria in Scripturam sacram 4, Paris 1860, S. 313–356. Milne, Pamela J., „What Shall We Do with Judith? A Feminist Reassessment of a Biblical ‚Heroine‘“, in: Semeia 62 (1993), S. 37–58. Montfaucon, Bernard de, La verité de l’histoire de Judith, Paris 21692. Rakel, Claudia, Das Buch Judit. Über eine Schönheit, die nicht ist, was sie zu sein vorgibt, in: Schottroff, Luise / Wacker, Marie-Theres, Kompendium: Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 1998, S. 410–421. Schmitz, Barbara, Gedeutete Geschichte. Die Funktion der Reden und Gebete im Buch Judit (Herders biblische Studien 40), Freiburg / Basel u. a. 2004. Schmitz, Barbara / Engel, Helmut, Judit, in: Herders Theologischer Kommentar zum AT, Freiburg i.Br. 2014. Siquans, Agnethe, Die Macht der Rezeption. Eckpunkte der patristischen Juditinterpretation, in: Fischer, Irmtraud (Hrsg.), Macht – Gewalt – Krieg im Alten Testament. Gesellschaftliche Problematik und das Problem ihrer Repräsentation (Quaestiones disputatae 254), Freiburg / Base l/ Wien 2013, S. 171–197. Uppenkamp, Bettina, Tod eines Feldherrn. Über Judith und Holofernes in der bildenden Kunst, in: Dacklé, Dorle (Hrsg.), Bilder vom Tod. Kulturwissenschaftliche Perspektiven (Interethnische Beziehungen und Kulturwandel 44), Hamburg 2001, 29–48. Van Henten, Jan Willem, Judith as Alternative Leader. A Rereading of Judith 7–13, in: Brenner, Athalya, A Feminist Companion to Esther, Judith and Susanna (The Feminist Companion to the Bible 7), Sheffield 1995, S. 224–252. Wiltschnigg, Elfriede, Judith – von der Volks-Heldin zur femme fatale, in: Hilbig, Antje / Kajatin, Claudia / Miethe, Ingrid (Hrsg.), Frauen und Gewalt. Interdisziplinäre Untersuchungen zu geschlechtsgebundener Gewalt in Theorie und Praxis, Wu¨ rzburg 2003, 61–75. Zenger, Erich, Judith/Judithbuch, in: Theologische Realenzyklopädie 17, Berlin 1988, S. 404–408.

Konrad Huber

Herodias und ihre Tochter. Femmes fatales an der Seite des Königs

0.

Hinführung

Frauen an der Seite des Herrschers begegnen auch in den Schriften des Neuen Testaments, wenn auch nicht viele und nicht besonders häufig. Insgesamt sind es fünf Frauen. Dabei handelt es sich um Frauen, die mit dem herodianischen Herrscherhaus in enger Verbindung stehen, und um die Ehefrauen zweier römischer Statthalter in der Provinz Judäa. Neben Herodias und deren Tochter, die im Folgenden eingehender in den Blick genommen werden, ist als ein Mitglied des herodianischen Herrscherhauses Berenike, die älteste Schwester des Herodes Agrippa II., zu nennen. In Apg 25,13–26,32 im Rahmen der Verteidigungsrede des Apostels Paulus vor dem Statthalter in Cäsarea wird sie dreimal an der Seite ihres Bruders, des Königs Agrippa (Ἀγρίππας ὁ βασιλεύς), erwähnt, ohne dass ihr allerdings über die namentliche Nennung hinaus irgendeine aktive Rolle im erzählten Geschehen zugeschrieben wäre (Apg 25,13.23; 26,30).1 Immerhin erwähnt sie der Evangelist, was sich vielleicht historischer Erinnerung verdankt, vielleicht aber auch nur der Entsprechung mit dem Verhör Jesu in Lk 23,6–12 geschuldet ist oder aber der Parallele mit Apg 24,24, wo Paulus im Kontext des vorausgehenden Prozessgeschehens vor den Statthalter Felix gebracht wird und neben Felix auch Drusilla, die Frau des Felix, erwähnt wird.2

1 Zu Berenike vgl. Morgan Gillman, Berenice, S. 249–264; Kollmann, Glamourpaar, bes. S. 151–155 (mit weiterer Literatur z. B. in Anm. 14). Während für Agrippa fast durchgehend auch die Bezeichnung „König“ (βασιλεύς) begegnet (immerhin 11-mal; der Eigenname ohne Zusatz außerdem in Apg 25,22.23; 26,1.28.32, zumeist in Redeeinleitungen; vgl. auch Apg 9,15), fehlt für Berenike in der Apostelgeschichte jegliche nähere Charakterisierung, auch der Hinweis, dass es sich um die Schwester des Königs handelt. Antike Quellen belegen gleichwohl, dass Berenike als Mitregentin anerkannt war und als βασιλίσσα μεγάλη bzw. regina betitelt werden konnte (vgl. CIG 361; Tacitus, Hist II 2,1; 81,2; Josephus, Vit 49.119.180). 2 Felix wird in Apg 23,24.26 als ἡγεμών eingeführt.

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Als Frau eines römischen Statthalters ist Drusilla ihrerseits ebenfalls eine Frau an der Seite eines Herrschers. In Apg 24,24 wird sie über dieses Faktum hinaus ausdrücklich auch als Jüdin vorgestellt, bleibt insgesamt aber in der Szene ähnlich wie später Berenike ohne eigenständige Rolle. Dass sie, wie Flavius Josephus berichtet, die jüngste Tochter Herodes’ Agrippa I. ist, verbindet sie zugleich mit dem herodianischen Herrscherhaus und als deren Schwester auch mit Berenike und Herodes Agrippa II. (vgl. Josephus, Ant 18,132).3 Schließlich ist noch die Frau des Pilatus zu nennen, die einzige dieser fünf Frauen, die kein Mitglied der Herodesdynastie ist, als Frau des römischen Statthalters (ἡγεμών) aber ebenfalls an der Seite eines Herrschers steht. Sie wird in Mt 27,19 in einer kurzen Sondergutnotiz nicht nur erwähnt, sondern auch mit direkter Rede bedacht und als Empfängerin einer im Traum ergangenen Offenbarung vorgestellt. Im Prozess Jesu vor dem Statthalter (Mt 27,11–26) rät sie dem Pilatus, mit diesem Jesus, den sie als „Gerechten“ (ὁ δίκαιος) bezeichnet, nichts zu schaffen zu haben.4 Ein verbindendes Moment fast aller dieser Frauen könnte mit der Anstößigkeit ihrer Beziehungen gegeben sein, durch die zugleich auch die herrschende Oberschicht insgesamt und insbesondere die Herodesdynastie in ihrer Fragwürdigkeit vor Augen gestellt wird.5 Für Herodias wird das im Neuen Testament ausdrücklich thematisiert. Der Ehe der Jüdin Drusilla mit dem Nichtjuden Felix geht wie bei Herodias eine Scheidung voraus und haftet so unter mehrfacher Rücksicht Skandalhaftes an. Und rund um die enge Beziehung zwischen Berenike und Agrippa II. ranken sich hartnäckig Inzestgerüchte, ganz abgesehen davon, dass Berenike nach all dem, was die antiken Quellen von ihr berichten, auch darüber hinaus sehr gut in das Muster einer Femme fatale passen würde.6 Lediglich die Frau des Pilatus macht auch diesbezüglich eine Ausnahme.7 Wie die Frau des Pilatus erfahren im Neuen Testament auch Herodias und deren Tochter über die bloße Erwähnung hinaus die Zuschreibung einer eigenständigen erzählerischen Rolle. Für Herodias und ihre Tochter fällt das allerdings deutlich breiter aus als bei der Frau des Pilatus. Die beiden Frauen spielen im Markusevangelium und im Matthäusevangelium in der Erzählung rund um die 3 Zu Drusilla vgl. z. B. Schneider, Drusilla, S. 59f. 4 Apokrypher Überlieferung zufolge hat die Frau des Pilatus Prokla / Procula geheißen; vgl. dazu Kany, Frau des Pilatus, S. 104–110. – In Mk 6,20 findet sich vergleichbar mit Mt 27,19 die Einschätzung Johannes’ des Täufers als „gerechter Mann“ (ἀνὴρ δίκαιος). 5 Vgl. Schneider, Berenike, S. 43. 6 So auch Kollmann, Glamourpaar, S. 151. Zweimal verwitwet, war Berenike nach ihrer dritten Ehe während des jüdischen Krieges und auch noch danach die Geliebte des Titus, bis Titus sie wegen des öffentlichen Drucks aus Rom wegschickte (vgl. Tacitus, Hist II 2,1; Sueton, Titus 7,1; Dio, Hist LXV 15,3–5; LXVI 8,1; Juvenal, Sat 6,156–160; vgl. auch Josephus, Ant 20,145–146). 7 Offen bleibt, ob und inwieweit die Tochter der Herodias ebenfalls unter diesen Aspekt der anstößigen Beziehung einzureihen ist.

Herodias und ihre Tochter. Femmes fatales an der Seite des Königs

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Enthauptung Johannes’ des Täufers eine zentrale Rolle (Mk 6,17–29 par Mt 14,3– 12). Vor allem im Markusevangelium gestaltet sich diese Erzählung sehr umfangreich, während die Parallele im Matthäusevangelium deutliche Kürzungen aufweist. Im Lukasevangelium fehlt die Episode ganz. In Lk 9,9 konstatiert Herodes nur, dass er Johannes enthaupten hat lassen, und lediglich eine knappe Notiz im Rahmen der Zusammenstellung der Botschaft des Täufers erinnert, diese abschließend, in Lk 3,19–20 daran, dass Herodes neben all den übrigen Schandtaten, die er verübt habe, auch den Johannes ins Gefängnis werfen hat lassen, und nennt als Grund dafür die Kritik des Täufers am Tetrarchen „wegen Herodias, der Frau seines Bruders“ (περὶ Ἡρῳδιάδος τῆς γυναικὸς τοῦ ἀδελφοῦ αὐτοῦ). Herodias wird dabei nur mit Namen genannt, die Hintergründe und näheren Umstände bleiben im Lukasevangelium ebenso unerwähnt wie die Tochter der Herodias.8 Das Johannesevangelium bringt weder einen Hinweis auf den Tod des Täufers9 noch erwähnt es die beiden Frauen. Das neutestamentliche Zeugnis beschränkt sich im Grunde also auf eine einzige Episode, eine Episode freilich, die eine reiche Wirkungsgeschichte entfaltet hat und die beiden Frauen über die Ikonographie, die darstellende Kunst, über Literatur, Musik, Film etc. mit entsprechend einschlägigen Konnotationen fest in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat.10 Außerbiblisch ist von den beiden Frauengestalten zudem beim jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus die Rede, dort allerdings gerade nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Bericht von der Hinrichtung des Täufers (Ant 18,116–119). Herodias findet bei Josephus jedoch mehrfach und in unterschiedlichen Kontexten Erwähnung, allesamt in Texten, die zunächst unter historischer Rücksicht von Interesse sind, die aber durchaus auch nach der literarischen Gestaltungsabsicht und spezifischen Figurenzeichnung des Josephus fragen lassen (vgl. Ant 18,109– 115.136–137.240–255; Bell 2,182–183). Dass die oder eine Tochter der Herodias

8 Der Verfasser des lukanischen Doppelwerks scheint bei den Frauen des herodianischen Königshauses und insbesondere, was ihre Beziehungen angeht, grundsätzlich Zurückhaltung geübt zu haben. Morgan Gillman, Berenice, S. 254. 261–263, sieht darin zugleich eine literarische Abwertung und an Konventionen orientierte Zurücksetzung von Herodias, Drusilla und Berenike. Nach Janes, Daughter, S. 456f. 461, streicht der Evangelist misogyne Elemente und Frauenfiguren, die seinen positiv konnotierten Rollenbildern für Frauen entgegenstehen. 9 Joh 3,24 spricht lediglich davon, dass Johannes noch nicht ins Gefängnis geworfen war. Der nahe Tod des Täufers scheint damit zwar in Erinnerung gerufen zu werden, eine entsprechende Notiz oder Erzählung dazu fehlen aber im Johannesevangelium. 10 Zur Wirkungsgeschichte vgl. z. B. Daffner, Salome; Hausamann, Salome; Merkel, Salome; Winterhoff, Pracht; Fischer, Salome, S. 383–401; Hirdt, Esther; Petersen, Salome, S. 49–79; Zwick, Salome, S. 33–44; Rocca u. a., Herodias, S. 941–945; vgl. auch Hartmann, Tod, S. 356–364.

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den Namen Salome getragen hat, erfährt man ohnehin nur bei Flavius Josephus (Ant 18,136–137).11 Im Folgenden geht es nicht um die historische Frage, im Vordergrund steht vielmehr der literarische Aspekt, d. h. die im Text über die Handlungsträger, die geschilderten Ereignisse und die konkret erzählten Umstände realisierte Aussageintention. Eine Annäherung an die beiden Frauengestalten im engsten Umfeld des Herrschers soll dabei vor allem über das Moment der Figurencharakterisierung versucht werden. Ausgangspunkt und primärer Fokus bildet dafür die Erzählung vom Tod des Johannes im 6. Kapitel des Markusevangeliums (Mk 6,14–29). Die Charakterisierung der drei zentralen Protagonisten, Herodes, Herodias und ihre Tochter, wie sie vom Text selbst auf der Erzählebene und in der Figurenrede je für sich und im Gesamt der Figurenkonstellation tatsächlich realisiert wird, bestimmt in einem ersten Schritt also das Untersuchungsinteresse. Erst in einem zweiten Schritt soll der Blick auf textexterne Motivbezüge und potenziell angespielte oder absichtlich zugrunde gelegte Vorbilderzählungen gerichtet und die Frage nach der vor diesem Hintergrund erzielten Gewichtung und inhaltlichen Zuspitzung hinsichtlich der Figurencharakterisierung der im Markusevangelium gebotenen Erzählung gestellt werden. Schließlich soll in einem dritten Schritt über einen knappen Verweis auf die Bearbeitung in der Parallele des Matthäusevangeliums und über einen ebenso knappen Vergleich mit einschlägigen Überlieferungen bei Flavius Josephus aus einer andersgelagerten Perspektive noch einmal das charakteristische Profil der markinischen Darstellung verdeutlicht werden.

1.

Herodes, Herodias und ihre Tochter – Figurencharakterisierung in Mk 6,14–29

Das Markusevangelium widmet der Erzählung von der Enthauptung Johannes’ des Täufers relativ breite Aufmerksamkeit und bietet die ausführlichste und anschaulichste Schilderung der Ereignisse mit Zügen einer Hoflegende.12

11 Nach Josephus, Ant 18,136, ist Salome die Tochter der Herodias aus ihrer ersten Ehe mit Herodes, einem Stiefbruder des Herodes Antipas. 12 Theissen, Lokalkolorit, S. 85, spricht von einer Hoflegende bzw. einer Hofanekdote von Intrigen und Machtmissbrauch. Nach Pesch, Markusevangelium, S. 338f., bilden Züge eines jüdischen Märtyrerberichts das grundlegende Erzählgerüst, erweitert um eine hellenistisch anmutende Gastmahlszene und ausgeschmückt mit Erzähltraditionen über die Ränke an orientalischen Höfen; vgl. Gnilka, Martyrium, S. 84–87; Gnilka, Markus, S. 245f. Hartmann, Tod, S. 221–228, spricht von einer Hofgeschichte mit Zügen eines jüdischen Märtyrerberichts. Für Bauer, Johannes der Täufer, S. 11, gehört die Erzählung aufgrund der Nähe zur Masistes-Episode bei Herodot „in das Umfeld der ‚Harems-Liebesgeschichten‘“.

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In der für das Evangelium typischen Sandwich-Technik13 ist die Erzählung kompositionell eingebettet zwischen die beiden Perikopen von der Aussendung der Zwölf (Mk 6,7–13) und deren Rückkehr (Mk 6,30–31) und zugleich aufs Engste verknüpft mit der unmittelbar vorausgehenden kurzen Sequenz, in der das Urteil des Herodes über die Identität Jesu referiert wird (Mk 6,14–16). Unter den vorgetragenen Meinungen – der von den Toten auferweckte Täufer, Elija, ein Prophet (vgl. Mk 8,27–29) – stellt sich Herodes auf die Seite derer, die in Jesus den auferweckten Johannes erkennen, den er enthaupten hat lassen (Mk 6,16). Das gibt Gelegenheit und ist Ausgangspunkt dafür, in einer erzählerischen Rückblende von der Enthauptung des Täufers und den Umständen dieser Hinrichtung zu berichten. Bereits durch die kompositionelle Einbettung wird deutlich, was sich dann auch in der narrativen Entfaltung bestätigt: Es geht in der Erzählung nicht primär bzw. nur vordergründig um den Täufer und dessen Schicksal, es geht vielmehr um eine subtile Gegenüberstellung zwischen den beiden Figuren Jesus und Herodes und um eine indirekt vorausschauende Andeutung des Todesgeschicks Jesu, ein Geschick, das in der Konsequenz auch dem von Jesus ausgesandten Zwölferkreis eingeschrieben ist.14 Indirekt reicht damit auch die Ausstrahlung der beiden Frauengestalten, Herodias’ und ihrer Tochter, über die eigentliche Erzählung hinaus. Die Erzählung selbst setzt nach einer Art Vorspann bzw. Exposition ein, wo von der Gefangennahme des Täufers (Mk 6,17–18), von der Tötungsabsicht der Herodias (Mk 6,19) und vom Verhältnis des Herodes zu Johannes (Mk 6,20) die Rede ist. Ausgangspunkt der Ereignisse ist ein Festmahl mit den Hofbeamten und den Größen des Landes, das Herodes anlässlich seines Geburtstags veranstaltet (Mk 6,21). Während dieses Festmahls kommt es zu einer Tanzdarbietung der Tochter der Herodias, die den Herrscher so sehr beeindruckt, dass er sich zu einem fatalen Schwur hinreißen lässt: Er verspricht dem Mädchen, jeden seiner Wünsche zu erfüllen, und sei es die Hälfte seines Königreiches (Mk 6,22–23). Angeleitet durch seine Mutter, erbittet das Mädchen das Haupt des Täufers (Mk 13 Zur sog. Sandwich-Technik des Markusevangeliums vgl. z. B. Edwards, Markan Sandwiches, S. 193–216; Shepherd, Markan Sandwich Stories, bes. S. 172–209; Schmidt, Tanz, S. 129–169, bes. S. 129–138. 165–169. 14 Vgl. Schmidt, Tanz, S. 138. 142. Für die Gegenüberstellung zwischen Herodes und Jesus wird konkret etwa auf die Mk 6,17–29 kontrastierende Geschichte der wunderbaren Speisung in Mk 6,32–44 verwiesen; vgl. z. B. Hartmann, Tod, S. 159–162; Ebner, Etablierung, bes. S. 26– 32; Bailey, Banquet, S. 67–82; Smit, Geburtstagsfeier, S. 31. 45f.; Nadella, Banquets, S. 172– 183; Schramm, Königsmacher, S. 120–159. Zur christologischen Bedeutung insbesondere mit Blick auf die Passion Jesu vgl. Focant, La tête, S. 347–351; Karakolis, Funktion, S. 134–155. Vgl. auch McVann, Passion, S. 152–157, der dabei den Fokus auf die Warnung vor den beiden ungerechten und unehrenhaften Herrschern Herodes und Pilatus legt. Zur mit dem Todesgeschick Jesu verbundenen Charakterisierung des Zwölferkreises vgl. Moloney, Mission, S. 647–663; vgl. auch Smith, Tyranny, S. 281–287; McVay, John the Baptist, S. 71–74. Vgl. insgesamt auch Culpepper, Narrative Context, S. 159–163.

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6,24–25). Und um sein Gesicht vor den Gästen wahren zu können, erfüllt Herodes ihr diesen Wunsch und ordnet die Hinrichtung des Johannes an, die dann auch umgehend vollstreckt wird (Mk 6,26–28). Eine abschließende Notiz berichtet davon, dass die Jünger des Täufers kommen und dessen Leichnam begraben (Mk 6,29).

1.1

Herodes – ein ambivalenter König15

Die Figur des Herrschers tritt schon im Vorspann in Mk 6,14–16 auf die Bühne der Erzählung und erfährt dort erste grundlegende Charakterisierungen. In weiterer Folge dominiert sie das Geschehen, bleibt aber keineswegs die einzige aktive Figur auf der Handlungsebene. Eingeführt wird der Protagonist in Mk 6,14 als „König Herodes“ (ὁ βασιλεὺς Ἡρῴδης), d. h. mit Namen und unter Verweis auf seine Funktion. Die namentliche Bezeichnung beschränkt sich mit Ἡρῴδης auf jenen Namensteil, der ihn der mit Herodes dem Großen begründeten Dynastie zuordnen lässt. Dass es sich dabei konkret um Herodes Antipas, einen seiner Söhne, handelt, ist stillschweigend vorausgesetzt bzw. erschließt sich aus dem weiteren Kontext und dem historischen Hintergrund. Im Markusevangelium und auch sonst im Neuen Testament wird Herodes Antipas stets nur Herodes genannt.16 Auf der Ebene der Textrezeption weckt oder zumindest erleichtert dies Assoziationen mit dem gleichnamigen Vater und trägt zu Überblendungs- und Verschmelzungstendenzen bei, wie sie in der späteren Rezeptionsgeschichte tatsächlich zu beobachten sind.17 Unterstützt wird das, wenn Herodes in Mk 6,14 ausdrücklich als βασιλεύς eingeführt wird und in weiterer Folge mehrfach diese Zuschreibung erhält (vgl. Mk 6,22.25.26.27), eine Zuschreibung freilich, die aus historischer Sicht unzutreffend ist. Anders als sein Vater Herodes der Große war Herodes Antipas nicht

15 Zur Charakterisierung des Herodes in Mk 6,17–29 vgl. auch Smit, Geburtstagsfeier, S. 29–46. 16 Im Markusevangelium fällt der Name Herodes mit Ausnahme von Mk 8,15 ausschließlich innerhalb von Mk 6,14–29 (insg. 7-mal: Mk 6,14.16.17.18.20.21.22). Auch Flavius Josephus nennt Herodes Antipas ab dessen Amtsantritt konsequent nur mehr mit dem Dynastennamen Herodes; vgl. Bauer, Johannes der Täufer, S. 14. 17 Vgl. dazu Schumacher, Herodesrezeption, S. 100–106, der von einer Entwicklung des Namens „Herodes“ zu einer „individuenübergreifenden Bezeichnung für Gegner Jesu und der christlichen Bewegung“ (S. 102) spricht. Nicht so sehr im Markusevangelium, wo stets nur Herodes Antipas gemeint ist und lediglich Mk 8,15 mit der Rede vom „Sauerteig des Herodes“ vielleicht auch generisch ausgreift, wohl aber dann beispielsweise im Matthäusevangelium werden derartige Tendenzen dadurch befördert, dass Antipas ebenso wie dessen Vater immer nur mit „Herodes“ bezeichnet werden.

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βασιλεύς / „König“, sondern lediglich ein von Rom eingesetzter Tetrarch.18 Dieses historische Faktum im Hintergrund, entbehrt die Szene von vornherein nicht einer unterschwelligen Ironie. Das gilt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass es gerade die Frage der Königswürde ist, konkret der Wunsch, diese zu erlangen, der dem Herodes Antipas am Ende schließlich zum Verhängnis wird und zu seiner Verbannung führt. Brisant daran ist nicht zuletzt, dass nach der Darstellung des Flavius Josephus dabei Herodias als treibende Kraft ihre Finger maßgeblich im Spiel hatte (vgl. Ant 18,240–255; Bell 2,182–183), die Frau an seiner Seite also für den Herrscher auch in diesem Punkt zur Femme fatale wird. Ungeachtet des historischen Hintergrunds soll in der markinischen Erzählung jedenfalls aber niemand Geringerer als ein König präsentiert und in seinem Verhalten vor Augen geführt werden. Herrscherliche Souveränität ist denn auch eine der Eigenschaften dieses Königs, die es durchgehend im Text zu beobachten gibt. So konstatiert Herodes in Mk 6,16 nicht nur einfachhin die Identität Jesu mit dem auferweckten Johannes,19 sondern spricht in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich und mit betontem ἐγώ sprachlich hervorgehoben davon, dass er Johannes enthaupten hat lassen. Die Form des kausativen Aorists ermöglicht dabei, den Aspekt des autonomen Verfügens anklingen zu lassen und zugleich Herodes allein als Agens vorzustellen.20 Der erläuternde Anschluss in Mk 6,17 setzt zunächst in derselben Tonart fort, wenn er darauf verweist, dass Herodes selbst (αὐτός) es war, der Johannes festnehmen und im Gefängnis binden hat lassen.21 Doch schon der begründende Hinweis auf Herodias (διά Ἡρῳδιάδα) relativiert die Souveränität dieses vordergründig so forschen Vorgehens des Herodes. Und auch in den Folgeversen begegnet eine durchaus ambivalente Herrscherfigur. Während Herodias auf den Vorwurf des Johannes, eine illegitime Ehe zu führen (vgl. Lev 18,16; 20,21), konsequent mit Unmut und der Absicht, Johannes zu 18 Die beiden Seitenreferenten Mt und Lk korrigieren an dieser Stelle und verwenden für Herodes Antipas das korrekte τετράρχης (Mt 14,1; Lk 9,7; vgl. Lk 3,19; Apg 13,1; aber Mt 14,9: βασιλεύς). Pesch, Markusevangelium, S. 333. 342, vermutet, dass Herodes im Volk als König bezeichnet worden sei, verweist diesbezüglich aber auch auf „an das Esterbuch angelehnte Sprache“ (S. 342; vgl. Hoehner, Herod Antipas, S. 149–151). Anders Bauer, Johannes der Täufer, S. 14, der an eine Entsprechung zur Bezeichnung des persischen Großkönigs Xerxes bei Herodot denkt (s. auch 2.2). 19 Für Smit, Geburtstagsfeier, S. 31f., ist das bereits ein Indiz für eine von Anfang an negative Charakterisierung als unwissender Herrscher, der die falschen Schlüsse zieht. So auch Dormeyer, Prophetentod, S. 98. 20 Mit Gnilka, Markus, S. 249, hier „die Äußerung eines beunruhigten Gewissens“ anklingen zu hören, trägt m. E. zu viel in den Text hinein. Die im Passivum divinum ἠγέρθη ausgedrückte Rehabilitation des Johannes hat nach Hartmann, Tod, S. 59, freilich „Auswirkungen auf die Bewertung der Figur des Herodes[] im Sinne einer Relativierung von dessen ‚königlichem‘ Rang“. 21 Das Partizip ἀποστείλας unterstreicht die kausative Funktion.

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beseitigen, reagiert, fehlt im Text eine vergleichbar negative emotionale Reaktion des Herodes darauf (Mk 6,18–19). Vielmehr ist die Rede davon, dass Herodes den Johannes fürchtete, weil er überzeugt davon war, es mit einem gerechten und heiligen Mann zu tun zu haben, und dass er dem Johannes gerne zuhörte, obwohl er dabei in große Unruhe versetzt wurde (Mk 6,20).22 Umso mehr tritt mit Herodias, jene Frau, die Herodes geheiratet hatte (Mk 6,17),23 der eigentliche Grund für die Inhaftierung des Johannes in den Fokus und umso deutlicher wird die Ambivalenz, ja Widersprüchlichkeit im Handeln des Herodes.24 Doch bleibt vordergründig die Herrscherrolle gewahrt, wenn Mk 6,19–20 konstatiert, dass Herodias ihre Tötungsabsicht nicht einfachhin durchsetzen und am König vorbei agieren konnte, weil Herodes den Johannes schützte. Als einen souverän agierenden Herrscher zeichnet der Text den Herodes dann erneut ab Mk 6,21 und präsentiert ihn zunächst in der Rolle eines statusbewussten Machthabers, der anlässlich seines Geburtstags ein großes Festmahl veranstaltet25 und sich als Ausdruck seiner königlichen Würde und seines umfassenden Einflusses mit Gästen von höchstem Rang, den Obersten im Hofstaat, den Generälen und den führenden Persönlichkeiten in seinem Herrschaftsgebiet umgibt. Der Text verschweigt, wo dieses Festmahl stattfindet. Zieht man das Zeugnis des Flavius Josephus, wonach Herodes den Johannes auf der Festung Machärus inhaftieren und hinrichten hat lassen (Ant 18,119), als textexterne Information hinzu, erfährt das Moment der Machtinszenierung freilich noch eine deutliche Steigerung: Der Einladung des Königs Folge zu leisten bedeutet für „die Ersten Galiläas“ (οἱ πρώτοι τῆς Γαλιλαίας) dann nämlich, sich weitab von Galiläa an das andere Ende der Tetrarchie nach Peräa östlich des Toten Meeres begeben zu haben.26 Das bleibt im Markusevangelium unerwähnt; stattdessen 22 Vgl. Apg 24,24–26 (Felix gegenüber Paulus). Pesch, Markusevangelium, S. 340, verweist diesbezüglich auf ein verbreitetes Motiv (vgl. Bonner, Note, S. 43f.; vgl. auch Hartmann, Tod, S. 170–175). Zur Ambivalenz des Herodes an dieser Stelle und der darin angelegten Schwäche des Herrschers vgl. auch Smit, Geburtstagsfeier, S. 41. Als ein Hörender (2-mal in Mk 6,20) wird Herodes bereits in Mk 6,14.16 charakterisiert. 23 Die vielleicht aus typisch jüdischer Perspektive gewählte Formulierung belässt Herodes auch an dieser Stelle in der Rolle des Subjekts der Handlung (αὐτὴν ἐγάμησεν; vgl. Mk 6,18: ἔχειν τὴν γυναῖκα). 24 Gnilka, Martyrium, S. 86, spricht gar von einem Bruch im Verhalten des Herodes; vgl. Gnilka, Markus, S. 246. 25 Nach Smit, Geburtstagsfeier, S. 34, ist das Feiern des Geburtstags „‚pagan‘ konnotiert“ und bedeutet aus jüdischer Perspektive eine ihn in Frage stellende „negative Charakterisierung des Tetrarchen“. So auch McVann, Passion, S. 154. 26 Hoehner, Herod Antipas, S. 146–149, diskutiert wegen der Nennung der Eingeladenen die Residenzstadt Tiberias als möglichen Ort der Gefangennahme und Hinrichtung, hält aber letztlich an Machärus fest. Für Theissen, Lokalkolorit, S. 91, kommt für die markinische Darstellung nur Tiberias als Ort des Geschehens in Frage. Bauer, Johannes der Täufer, S. 19f., erwägt eine literarische Verortung des Geschehens in Tiberias, aufgrund gegenläufiger

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stellt die Eingangsnotiz in Mk 6,21 das gesamte weitere Geschehen von vornherein unter das Vorzeichen der „günstigen Gelegenheit“ (γενομένης ἡμέρας εὐκαίρου) und damit in den Fokus der Tötungsabsicht der Herodias.27 In der Rolle des Herrschers agiert Herodes des Weiteren auch in Mk 6,22–23, wo er sich gleich zweimal in direkter Rede an die Tochter der Herodias wendet, die bei ihm und seinen Tischgenossen durch ihren Tanz großes Gefallen gefunden hat. Der Text differenziert an dieser Stelle sehr subtil, wenn Herodes allein dort mit seinem Eigennamen genannt wird, wo es um den Ausdruck der Emotion geht, die das Mädchen bei ihm ausgelöst hat (Mk 6,22: ἤρεσεν τῷ Ἡρῴδῃ), und wenn explizit und in der Folge mehrfach vom „König“ ohne weitere namentliche Ergänzung die Rede ist, sobald er das Wort an das Mädchen richtet (Mk 6,22: εἶπεν ὁ βασιλεύς; vgl. Mk 6,25.26.27). Mk 6,22 markiert diesbezüglich auch generell einen Wechsel bzw. eine Zäsur: Ab diesem Vers begegnet Herodes in der Erzählung nur mehr als βασιλεύς.28 Sein Name und damit seine Person treten hinter die Rolle zurück. Es ist Herodes qua König, der wiederholt dem Mädchen großzügig zu geben verspricht, was auch immer es erbittet. Und nur als König (βασιλεύς) ist er überhaupt in der Position, mit einem Schwur bis zur Hälfte eines Königreichs (βασιλεία) anzubieten (Mk 6,22–23). Ganz abgesehen aber von der gewählten Begrifflichkeit, die auf die unter seiner Herrschaft stehende Tetrarchie nur schwerlich zutrifft, hat Herodes als Klientelfürst Roms unter historischer Rücksicht von vornherein nicht die Kompetenz und Befugnis, ein derartig „royales“ Versprechen, sein Herrschaftsgebiet betreffend, abzugeben oder gar in die Tat umzusetzen. Liegt intradiegetisch der Akzent gerade darauf, die Rolle als König dort in den Vordergrund zu stellen, wo Herodes letztlich beeinflusst von seinem unmittelbaren Umfeld und persönlichen Emotionen agiert, erreicht spätestens auf der historischen Ebene die Ironie des Erzählten eine noch andere und zusätzlich zugespitzte Dimension.29 Die Ambivalenz der Figur des Königs Herodes und die daraus resultierende Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit macht schließlich auch die abschließende Szene Mk 6,26–28 deutlich. Einerseits tief betrübt (περίλυπος γενόμενος) wegen der von ihm geleisteten Eide und der ausweglosen Situation, in die er durch seine historischer Kenntnis bleibe im Text der Ort letztlich aber ungenannt. – Zum archäologischen Befund vgl. auch Hartmann, Tod, S. 240–244. 27 Hartmann, Tod, S. 149f., verweist auf die Unschärfe hinsichtlich der Fokalisierung in Mk 6,21, sodass letztlich offen bleibt, ob für das Folgende tatsächlich auch der Aspekt absichtsvoller Manipulation durch Herodias angezeigt sein soll. 28 Bis Mk 6,22 fällt lediglich in Vers 14 die Bezeichnung βασιλεύς, ansonsten begegnet der Eigenname. – Das Wort βασιλεύς begegnet im Markusevangelium später nur in Mk 13,9 (!) und dann im Rahmen der Passionsgeschichte insgesamt 6-mal für Jesus als den „König der Juden“ bzw. den „König Israels“ (ὁ βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων / Ἰσραήλ; Mk 15,2.9.12.18.26.32). 29 Vgl. Gnilka, Markus, S. 250: „Der von Rom abhängige Klientelfürst wirft sich in die Pose des Großkönigs.“ Vgl. auch Smith, Tyranny, S. 266; Karakolis, Funktion, S. 144.

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öffentliche Gunstbezeigung geraten ist, handelt er andererseits ohne Umschweife und mit brutaler Härte. Als König (βασιλεύς) erteilt er nur noch den Befehl, den Kopf des Täufers zu bringen, greift in die von ihm ausgelöste Handlungskette aber nicht mehr persönlich ein: Ein von ihm entsandter Scharfrichter30 enthauptet Johannes im Kerker, bringt den Kopf des Täufers auf einer Schale und übergibt ihn dem Mädchen; das Mädchen übergibt ihn an seine Mutter. Eigennamen fallen in diesen abschließenden Versen keine mehr: Herodes reüssiert ganz als König, die beiden Frauen allein in der verwandtschaftlich konnotierten Rolle von Tochter und Mutter.31 Doch sind es in der Erzählung gerade die beiden Frauen an der Seite des Königs, die im Letzten – eigenen Einsichten und Emotionen zum Trotz (Mk 6,20.26) – sein äußerlich so souverän gezeichnetes Vorgehen gegen Johannes den Täufer beeinflussen und bestimmen. Mag er auch König sein, wegen seiner Frau und um deren Tochter nicht zurückzuweisen (Mk 6,17.26) führt Herodes letztlich das aus, was erklärter Wille dieser beiden Frauen ist.32 Die markinische Erzählung verknüpft die Figur des Königs Herodes insgesamt und insbesondere mit Blick auf den Tod Johannes’ des Täufers auf subtile Weise also mit den Frauen in dessen engstem Umfeld und vermittelt über diese Figurenkonstellation auch ihre spezifische Aussage- und Wertungsabsicht. Der Blick auf die Charakterisierung der beiden Frauengestalten kann das unterstreichen und weiter vertiefen.

1.2

Herodias – die handlungsbestimmende Ehefrau und Mutter im Hintergrund

Unter den beiden Frauen ist die dominante Figur mit Sicherheit Herodias. Sie bzw. ihre Ehe mit Herodes ist der Grund für die Inhaftierung des Täufers (Mk 6,17); von ihr geht die Tötungsabsicht gegen Johannes aus (Mk 6,19); sie ist es, die 30 Nach Bauer, Johannes der Täufer, S. 7, lässt sich im Rahmen der höfischen Szene besser an einen Leibwächter des Herodes denken; vgl. auch Hartmann, Tod, S. 115f.; Smith, Tyranny, S. 277f. Zum ἀποστείλας vgl. Mk 6,17. 31 Vgl. Hartmann, Tod, S. 110: „die Personenkonstellation von V. 22ff. [wirkt] in hohem Maße typisiert“; vgl. auch Focant, La tête, S. 347. Nach Karakolis, Funktion, S. 143f., gibt das Fehlen des Eigennamens für Herodias „eine subtile narrative Ironie“ zu erkennen, die „die skrupellose Frau als Mutter darstellt, um so ihren harten Charakter und ihr tödliches Verhalten ihrem Mutter-Sein zu kontrastieren“. Als letzter Eigenname – gleich zweifach und in voller „Titulatur“ hervorgehoben – begegnet in der markinischen Erzählung „Johannes der Täufer“ (Ἰωάννης ὁ βαπτίζων bzw. ὁ βαπτιστής): in Mk 6,24 im Mund von Herodias, in Mk 6,25 im Mund von deren Tochter. 32 Von den vier Vorkommen des Verbums θέλω sind drei den beiden Frauenfiguren zugeschrieben (Mk 6,19.22.25). Lediglich in Mk 6,26 ist auf der Erzählebene (vgl. Mk 6,19) von einem Wollen des Herodes – freilich zugunsten der Tochter der Herodias – die Rede. Vgl. dazu auch Bucher-Gillmayr, Schicksal, S. 114f.

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im entscheidenden Augenblick die Enthauptung des Täufers ins Spiel bringt (Mk 6,24); und am Ende ist sie es, die den Kopf des getöteten Johannes in einer Schüssel übergeben erhält (Mk 6,28). Das Geschick des Täufers, sein Tod, ist ursächlich mit Herodias verbunden.33 Die aktiv ausführende Rolle aber ist nicht ihr, sondern zuallererst Herodes zugeschrieben34 – ein narrativ angelegtes Zusammenspiel, das den König als ein Instrument der Durchsetzung ihrer Absichten erscheinen lässt, auch wenn er vordergründig souverän agiert. Herodias wird im Text primär unter dem Aspekt ihrer persönlichen und familiären Beziehungen präsentiert: als Ehefrau und als Mutter. In Mk 6,17 wird sie namentlich vorgestellt und eingeführt als Frau des Philippus, eines Bruders des Herodes Antipas, und als die, die Herodes geheiratet hat. Schon ihr Name und umso mehr dann die beiden Ehen geben ihre enge Verbindung zur herodianischen Dynastie zu erkennen.35 Dass sie die Frau des Philippus gewesen sei, ist historisch freilich unzutreffend,36 auf der Textebene bleibt dadurch die enge Namensverwandtschaft aber auf die zentralen „herodianischen“ Erzählfiguren beschränkt.37 Ihre Ehe mit Herodes Antipas wird in Mk 6,16.17 ganz aus der Perspektive des Mannes ausgedrückt und auch die Kritik des Täufers daran ist allein an Herodes gerichtet. Verglichen mit den Ausführungen des Flavius Josephus zu dieser Eheschließung und der darin deutlich aktiveren und auf Machtund Prestigegewinn ausgerichteten Rolle der Herodias (Ant 18,109–110) fällt ihre Rolle in diesem Punkt in der markinischen Darstellung völlig passiv aus. Auch bleibt die Beziehung zu Herodes im Text allein auf dieses Moment beschränkt; selbst beim Festmahl scheint sie nicht persönlich anwesend zu sein (vgl. Mk 6,24). Vergleichsweise häufig genannt ist Herodias demgegenüber als Mutter einer Tochter (Mk 6,22.24.28). Eben diese familiäre Beziehung ist es, die für die 33 In der Einheitsübersetzung heißt es bereits wertend in Mk 6,17: „Schuld daran war Herodias …“. 34 Anders Karakolis, Funktion, S. 142. 35 Als Tochter des Aristobul und der Berenike (vgl. Josephus, Bell 1,552) ist Herodias die Nichte von Philippus und Herodes Antipas. 36 Mt 14,3 übernimmt die unzutreffende Angabe, während Lk 3,19 den Fehler insofern korrigiert, als dort der Name des Bruders unerwähnt bleibt. 37 Nach Josephus, Ant 18,109.136; Bell 1,557, war Herodias zunächst die Frau eines Stief- bzw. Halbbruders des Herodes Antipas mit Namen Herodes (!). Erst deren gemeinsame Tochter Salome war in erster Ehe mit Philippus verheiratet (Ant 18,137). Pesch, Markusevangelium, S. 340, vermutet unter Verweis auf Hoehner, Herod Antipas, S. 131–136, dass der Halbbruder Herodes zusätzlich Philippus hieß, ein Widerspruch also nicht anzunehmen sei. Für diese Annahme fehlt allerdings jeder Beleg; vgl. Bauer, Johannes der Täufer, S. 18. Theissen, Lokalkolorit, S. 92f., sieht darin eine der im Text greifbaren und der Volksüberlieferung geschuldeten Verschiebungen gegenüber der historischen Realität. – Durchaus bemerkenswert ist, dass im Rahmen der Ausführungen zu Herodes Antipas in den Antiquitates des Flavius Josephus gerade Philippus die Funktion des Gegenparts erfüllt; vgl. dazu Hartmann, Tod, S. 338f. 341.

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Durchsetzung ihrer in Mk 6,19 genannten Absicht entscheidend ist. Als Antwort an ihre Tochter begegnet in Mk 6,24 denn auch die einzige direkte Rede der Herodias. Dabei ist im Text von Mk 6,22, dem ersten Verweis auf eben diese familiäre Beziehung, die Zuordnung der Tochterrolle grammatikalisch keineswegs eindeutig vorgenommen. In der textkritisch als Lectio difficilior zu bevorzugenden Lesart ist zunächst nämlich von „seiner“ (αὐτοῦ) Tochter, der Tochter des Herodes, die Rede,38 und man muss schon das anschließende Ἡρῳδιάδος als erklärende Richtigstellung bzw. Ergänzung im Sinne von „(die) der Herodias“ verstehen, um die Mutter bereits an dieser Stelle (mit)genannt zu sehen.39 Zumindest hier scheint das familiäre Beziehungsmoment, das in der Folge ganz auf das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter fokussiert ist, auch die Beziehung zu Herodes einzuschließen. Neben dem Beziehungsaspekt ist es der Aspekt der inneren Befindlichkeit, der Emotionen und Absichten, der die Charakterisierung der Herodias bestimmt,40 jedenfalls dort, wo sie ein erstes Mal von insgesamt nur zwei Stellen innerhalb der Erzählung als Handlungsträgerin begegnet. Mk 6,19 spricht dabei davon, dass sie dem Johannes wegen seiner Kritik an ihrer Ehe mit Herodes „grollt“ (ἐνεῖχεν αὐτῷ), und davon, dass sie den Täufer töten „will“ (ἤθελεν αὐτὸν ἀποκτεῖναι). Ihre Emotionen und Absichten ausleben bzw. in die Tat umsetzen kann sie freilich nicht (οὐκ ἠδύνατο). Darin findet sie offensichtlich trotz bereits erwirkter Inhaftierung des Johannes an der Person und Verfügungsgewalt des Königs ihre Grenzen. Die Gunst der Stunde, die geeignete Gelegenheit ist dazu nötig (vgl. Mk 6,21: ἡμέρα εὐκαίρος). Dort dann aber, in Mk 6,24 – die zweite Stelle, an der sie Subjekt der Handlung ist –, agiert Herodias nur mehr im Hintergrund, außerhalb des eigentlichen Festgeschehens, und gibt mit einem in äußerst knapper direkter Rede41 und völlig emotionslos vorgetragenen Rat an die Tochter den entscheidenden Impuls zur Durchsetzung ihrer Absicht. An beiden Stellen ist Herodias dabei ganz auf Johannes den Täufer fokussiert.

38 Die Lesart αὐτοῦ wird vertreten von Q A D L 565. Hartmann, Tod, S. 102f., entscheidet sich mit vielen anderen u. a. aus kontextuellen Gründen für die von A C K N etc. vertretene Lesart mit αὐτῆς τῆς. Anders z. B. Petersen, Salome, S. 66. – Glancy, Masculinity, S. 39, wertet die handschriftliche Verwirrung symptomatisch für die im Text etwa auch mit der Heirat der Herodias thematisierte Missachtung korrekter familiärer Beziehungen. 39 Grammatikalisch ist ein derartiges Verständnis allerdings eher ungewöhnlich; vgl. auch Anm. 43. 40 Das trifft im Übrigen auch auf Herodes zu (vgl. die kognitiven und emotionalen Aspekte in Mk 6,20.22.26); anders als Herodias ist Herodes aber zugleich der, der handelt. Vgl. dazu auch Bucher-Gillmayr, Schicksal, S. 107. 41 Ein unvollständiger Satz, ist er zugleich die einzige direkte Rede der Herodias. Auch die Redeeinleitung fällt denkbar knapp aus; selbst ein Personalpronomen, das die direkte Rede als Antwort an ihre Tochter kennzeichnen würde, fehlt.

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Nicht von ungefähr werden Herodias in der Rezeption tief eingeschriebener, unversöhnlicher Hass ebenso wie nüchtern abwartendes Kalkül zugeschrieben. Auf der Ebene der markinischen Erzählung wird das durch die so punktuelle Handlungszuschreibung gezielt befördert, ohne es jedoch ausdrücklich zu benennen. Die Souveränität des Herrschers ist dabei in keiner Weise in Frage gestellt oder gar umgangen. Und nur vermittelt über die Tochter und auf deren Anfrage hin nimmt Herodias überhaupt auf den König und die von ihm in der Folge angeordnete Hinrichtung aktiv Einfluss. Es geht am markinischen Text vorbei, wenn ihr, wie häufig in der Rezeption und Auslegung, unterstellt wird, sie hätte ihre Tochter dazu angestiftet, beim Gastmahl des Herodes zu tanzen und das besonders anregend zu tun, um so die emotionale Schwäche des Königs bestmöglich ausnützen zu können.42 Trotz eingangs referierter Tötungsabsicht und subtil gesetzter narrativer Leerstellen bleibt es in der Erzählung der König selbst, der mit seiner überschwänglichen Reaktion auf den Tanz des Mädchens den Point of no return herbeigeführt hat.

1.3

Herodias’ Tochter – das tanzende Mädchen mit fatalem Wunsch

Unweigerlich tritt damit die Tochter der Herodias als eine weitere weibliche Erzählfigur in den Vordergrund. In der Perikope begegnet sie und agiert sie fast ausschließlich in den zentralen und stark von direkter Rede bestimmten Versen Mk 6,22–25, die auf mehrfache Weise als dramatischer Höhepunkt des Erzählten ausgewiesen sind, später dann noch einmal in Mk 6,28. Als Protagonistin treibt sie am narrativen Wendepunkt mit ihren Handlungen und mit ihren beiden Redeanteilen das Geschehen deutlich voran und beeinflusst es entscheidend. Trotz dieser zentralen Positionierung bleibt sie im Text selbst anonym – es sei denn, man versteht den Genitiv Ἡρῳδιάδος in Mk 6,22 nicht erläuternd als Hinweis auf die Mutter, sondern in Fortsetzung der vorausgehenden Genitivform als Nennung des Eigennamens der Tochter. Trifft Letzteres zu,43 dann würde zumindest in der markinischen Erzählung die Tochter der Herodias denselben Namen wie ihre Mutter tragen. Zwar spricht unter historischer Perspektive das Zeugnis des Flavius Josephus, wonach die Tochter der Herodias aus erster Ehe Salome geheißen habe, dagegen (vgl. Ant 18,136–137),44 unter narrativer Rück42 So betont z. B. Duran, Men, S. 122f., das manipulative Moment an Herodias besonders stark. 43 Grammatikalisch liegt das sogar näher als ein Verständnis als appositioneller Zusatz. So z. B. auch Janes, Daughter, S. 451. – Als erläuternd-appositioneller Zusatz gelesen, ruft der Text an dieser Stelle demgegenüber durch die namentliche Nennung der Mutter die Absicht der Herodias noch einmal indirekt in Erinnerung. 44 Nach Smit, Geburtstagsfeier, S. 36, kann es sich in Mk 6,17–29 allerdings nicht um die bei Josephus erwähnte Salome handeln, da diese zum Zeitpunkt der Hinrichtung des Täufers

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sicht wäre damit aber eine möglichst enge, ja nahezu austauschbare Namensgleichheit aller „herodäischen“ Erzählfiguren im Text erreicht, die zugleich auch als Indiz für die Absicht einer generellen Aussage über das aktuell regierende Herrscherhaus gewertet werden könnte.45 In Mk 6,22 schlicht als „Tochter“ (θυγάτηρ) eingeführt – die merkwürdige Spannung, die das textkritisch wahrscheinlichere αὐτοῦ dabei einträgt, gilt es mit Blick auf die darin angelegte, gleichermaßen enge familiäre Beziehung zu Herodes („seine Tochter“) erneut in Erinnerung zu rufen –, wird sie im selben Vers und dann noch zweimal in Mk 6,28 bei der Übergabe des Täuferhauptes durch den Scharfrichter als „Mädchen“ (κοράσιον) bezeichnet,46 eine Diminutivform, die nicht zuletzt auch auf ihr kindliches bzw. jugendliches Alter hinweisen soll.47 Der dadurch erzielte Kontrast – das junge Mädchen vor dem mächtigen König und all den Festgästen höchsten Ranges einerseits, das blutige Haupt des hingerichteten Täufers in der Hand eines jungen Mädchens andererseits – wird damit umso stärker und wirft die Frage umso deutlicher auf, ob mit der Tochter der Herodias ein kleines, naives und letztlich unschuldiges Kind als Spielball der Ereignisse und der Interessen anderer vor Augen gestellt ist oder eine trotz aller vordergründigen Unscheinbarkeit eigenständig agierende Erzählfigur begegnet. In der markinischen Erzählung werden dem Mädchen durchweg aktive Handlungsformen zugeschrieben. Verben der Bewegung und des Sprechens dominieren dabei. Das Mädchen geht zu dem Ort, an dem das Geburtstagsfest stattfindet, hinein (ει᾿σέρχομαι; Mk 6,22), geht von dort hinaus zu ihrer Mutter (ἐξέρχομαι; Mk 6,24), geht wieder hinein zum König (ει᾿σέρχομαι; Mk 6,25) und wird wohl – so muss man aus Mk 6,28 schlussfolgern – für die Übergabe des Täuferhauptes an ihre Mutter erneut zu dieser hinausgegangen sein. Die Tochter der Herodias zeigt Dynamik und Bewegungsfreiheit und sie überbrückt mit ihrem Hin und Her mehrfach die räumliche Distanz, die es zwischen Herodias und dem König in der Szene offensichtlich gibt. Ausdrücklich betont der Text dabei beim zweiten Mal, dass das Mädchen sich beeilt, möglichst rasch wieder mit ihrer Bitte vor den König zu treten (εὐθὺς μετὰ σπουδῆς; Mk 6,25) – ein Aspekt, der hinsichtlich der dahinterstehenden Beweggründe erneut ganz unterschiedliche Deutungen zulässt. schon zu alt gewesen sei, um noch als Mädchen bezeichnet werden zu können; Smit vermutet aber Namensgleichheit mit Salome. Zur Frage, ob Identität überhaupt denkbar ist, vgl. z. B. Theissen, Lokalkolorit, S. 94–96. 45 Vgl. Theissen, Lokalkolorit, S. 94, der von einer sekundären Veränderung ausgeht in der Intention, „schon durch die Namensgebung [zu] signalisieren, solche Geschichten seien typisch für das herodäische Fürstenhaus – insbesondere für seine Frauen“. 46 Ansonsten verschwindet sie ganz hinter Artikeln, Pronomina und Prädikaten. 47 Ihr Alter wird nicht näher angegeben. In Mk 5,42 wird für die ebenfalls als κοράσιον bezeichnete Tochter des Jaïrus ausdrücklich festgehalten, dass diese zwölf Jahre alt ist.

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Durch das Hinein- und Hinausgehen gerahmt, begegnet in Mk 6,22 als eine weitere Form der Bewegung das Tanzen des Mädchens (ὀρχέομαι), das bei Herodes und seinen Tischgenossen großes Gefallen findet und zum Anlass für die spontanen Versprechungen des Königs wird. Dabei ist zumindest syntaktisch an dieser Stelle durch die Verwendung der Partizipialform das Gewicht eigentlich nicht so sehr auf das Tanzen gelegt als vielmehr auf die mit der finiten Verbform ausgedrückte Wirkung, die das Mädchen damit auslöst, durch die Herodes mitsamt der Festgesellschaft indirekt aber als Akteur mit in den Fokus des Erzählinteresses gerückt wird (ὀρχησαμένης ἤρεσεν τῷ Ἡρῴδῃ καὶ τοῖς συνανακειμένοις).48 In der Textrezeption, beginnend im Grunde schon mit der synoptischen Parallele in Mt 14,6,49 rückt der in Mk 6,22 noch nahezu en passant erwähnte Tanz allerdings ganz in das Zentrum der Aufmerksamkeit – mit entsprechenden Konsequenzen auch für die teils sehr phantasie- und emotionsgeladene Einordnung der Rolle und Motivation des Mädchens. Um das Tun der Tochter der Herodias, ihr Tanzen beim Festmahl, über das reine Faktum hinaus als Aspekt der Charakterisierung weitergehend einordnen und bewerten zu können, ist man auf textexterne antike Zeugnisse zum Tanz im Kontext von Mahlsituationen angewiesen.50 Demnach kann Tanzen als ein selbstverständlicher Bestandteil der Unterhaltung im Rahmen von Festmählern, Symposien und Gelagen gewertet werden und ist zunächst auch nicht von vornherein oder gar ausschließlich erotisch konnotiert. Letzteres freilich, die Frage der sexuell-erotischen Konnotation des Tanzes bei einem Mahl, findet in der Forschung unterschiedliche Einschätzung: Während Michael Hartmann eine sexuelle Konnotation nicht zwingend als gegeben ansieht, eine pauschalierend negative Bewertung zurückweist, für eine differenzierte Betrachtung jeweils vom Kontext her und nicht zuletzt auch vom ideologischen Standpunkt der antiken Quelle aus plädiert und in der Folge für Mk 6,22 „vorderhand keine offen erotische Komponente entdecken“ kann,51 äußert etwa Gerd Theißen unter Verweis

48 Vgl. Hartmann, Tod, S. 110. 166. Zu einem darin angelegten und zugleich transzendierten „gendered code“ vgl. Glancy, Masculinity, S. 39–43. 49 In Mt 14,6 wird auch syntaktisch durch die Konstruktion als Hauptsatz und die ergänzende räumliche Lokalisierung der Tanz des Mädchens zum zentralen Ereignis des Geburtstagsfestes: ὠρχήσατο ἡ θυγάτηρ τῆς Ἡρῳδιάδος ἐν τῷ μέσῳ. 50 Im Neuen Testament kommt das Verbum ὀρχέομαι nur an vier Stellen vor: in Mk 6,22 par Mt 14,6 und in Mt 11,17 par Lk 7,32; in der Septuaginta insgesamt 7-mal (2 Sam 6,16.20.21; 1 Chr 15,29; Koh 3,4; Jes 13,21). 51 Vgl. Hartmann, Tod, S. 162–168. 366 (Zitat S. 166). Auch das zur Beschreibung der Wirkung verwendete Verbum ἀρέσκω trägt nach Hartmann „im Regelfall keine erotischen oder sexuellen Konnotationen“ (S. 166). Vgl. z. B. auch Petersen, Salome, S. 69. 77f. Anders Smit, Geburtstagsfeier, S. 37. – Die Tendenz zur Erotisierung und Sexualisierung des Tanzes der Tochter der Herodias ist vor allem in der Rezeption des 19. und 20. Jahrhunderts zu beobachten. Vgl. dazu auch Anderson, Feminist Criticism, S. 121–127, die sowohl die nicht-

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auf antike Quellen die Überzeugung, dass immer „[d]ort, wo Frauen bei Gastmählern von Männern erwähnt werden“, auch der „Gedanke[] an sexuelle Kontakte“ zu finden und das auch für Mk 6,22 vorauszusetzen sei.52 Unabhängig davon aber ist der Umstand, dass dieser Tanz von einem jungen Mädchen und nicht von erwachsenen Frauen oder professionellen Tänzerinnen ausgeführt wird und dass es noch dazu die Tochter des Hauses, die Prinzessin, ist, die beim Mahl auf derart Aufmerksamkeit erregende Weise tanzt, mehr als ungewöhnlich,53 ja eigentlich ungebührlich. Vor dem Hintergrund antiker Gepflogenheiten bringt die Tochter der Herodias damit nicht nur sich selbst und ihre Familie in Verruf, sondern wirft auch ein entsprechendes Licht auf den König, der die Aktion eigentlich erst gar nicht zulassen, geschweige denn sich daran erfreuen hätte dürfen. Mit der Tatsache, dass sie ungehindert tanzt und tanzen kann, kompromittiert und diskreditiert sie auch Herodes Antipas bzw. dieser sich selbst. Allein schon der Tanz des Mädchens und noch viel mehr die emotionale Reaktion des Herodes tragen so indirekt zur Charakterisierung des Königs als unehrenhaftes Familienoberhaupt und dekadenten Herrscher bei.54 Die Figurenzeichnung der Tochter der Herodias erfolgt neben dem Bewegungsaspekt außerdem auch über ihr Sprechen. Die Erzählung schreibt ihr – wie dem Herodes selbst – gleich zweifach direkte Figurenrede zu (Mk 6,24.25).55 Einerseits zeigt sich darin ähnlich der in Mk 6,25 betonten Eile das Bestreben, der Aufforderung des Königs, eine Bitte zu äußern, nach Möglichkeit nachzukommen.56 Ihre Rückfrage an die Mutter in Mk 6,24 – ob aus eigener Unschlüssigkeit, aus Zurückhaltung oder aus kindlicher Loyalität gestellt – eröffnet dabei erst

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erotische als auch die erotische Interpretation des Tanzes als „male constructions of female gender“ (S. 126) bewertet. Vgl. Theissen, Lokalkolorit, S. 96–99 (Zitat S. 96). Im Tanz der Tochter der Herodias sieht Theißen ein legendarisches Motiv zur Diskreditierung der Herodäerinnen. Nach Pesch, Markusevangelium, S. 341, ist das „ohne Vorbild und Parallele“; vgl. Gnilka, Markus, S. 250. Für Hartmann, Tod, S. 167f., liegt die „positive Herausforderung“ vor allem im Umstand begründet, dass ein Mitglied des Königshauses und nicht eine professionelle Tänzerin auf diese Weise in Erscheinung tritt. Handelt es sich um seine eigene Tochter, dann wird die Szene bzw. Herodes als Voyeur noch peinlicher; vgl. insgesamt dazu z. B. Smit, Geburtstagsfeier, S. 36–38. 42f. Glancy, Masculinity, S. 40f. 45, hält es durchaus für plausibel, dass Herodes selbst das Mädchen aufforderte zu tanzen. – Diskreditiert wird Herodes als Herrscher vor dem Hintergrund des idealtypischen Symposions in weiterer Folge auch durch die Gesprächsthemen (insbesondere den Tod als Thema) und durch das Servieren des Täuferhauptes; vgl. Smit, Geburtstagsfeier, S. 38–41, wonach es in der markinischen Erzählung insgesamt um die Persiflage eines Symposions geht; vgl. dazu auch McVann, Passion, S. 154. Als einzige Erzählfigur kommuniziert sie über direkte Rede mit zwei unterschiedlichen Figuren. Vgl. dazu Zusammenspiel und Abfolge der in der direkten Rede des Herodes und des Mädchens bestimmenden Verben αι᾿τέω (Mk 6,22.23.24), θέλω (Mk 6,22.25) und δίδωμι (Mk 6,22.23.25).

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eigentlich den Raum, die Tötungsabsicht der Herodias aufzugreifen und voranzutreiben. Andererseits zeigen sich dann aber in der in Mk 6,25 konkret vorgebrachten Bitte, ja vielmehr Forderung (θέλω) an den König doch auch auffallend Züge eigenständigen Vorgehens. Das Mädchen wiederholt nicht einfach nur die Äußerung ihrer Mutter, sondern spitzt sie signifikant zu: „sofort“ (ἐξαυτῆς) soll ihr das Haupt Johannes’ des Täufers übergeben werden und es soll ihr „auf einer Schüssel“ (ἐπὶ πίνακι) übergeben werden. Mit diesen beiden Details, die vom König bzw. dem von ihm entsandten Scharfrichter auch exakt umgesetzt werden (Mk 6,27–28: εὐθύς; ἐπὶ πίνακι), wird die Hinrichtung des Täufers auf subtile und zugleich sarkastisch-makabre Weise direkt mit dem sich auf dem Höhepunkt befindlichen Geburtstagsmahl des Herodes (τοῖς γενεσίοις αὐτοῦ δεῖπνον) in Verbindung gebracht.57 In aller Öffentlichkeit und in einer an sich völlig unpassenden Situation zeigt sich so unweigerlich und ungeschönt das wahre Gesicht des Herodes: ein König, der sich beeinflusst durch die beiden Frauen aus seinem unmittelbaren Umfeld hinreißen lässt, den sinnlosen Tod eines in seinen eigenen Augen gerechten und heiligen Mannes brutal herbeizuführen! Dass er nach Mk 6,26 mit großer Betrübnis reagiert, entlastet ihn dabei nur vordergründig und unterstreicht einmal mehr seine Ambivalenz. Als Grund dafür sind im Text die von ihm öffentlich geäußerten Eide und sein Ansehen bei den Festgästen genannt.58 Aus Opportunismus also und aus Sorge um seinen Status als König will Herodes das Mädchen nicht zurückweisen (οὐκ ἠθέλησεν ἀθετῆσαι αὐτήν) und erteilt seinen inneren Überzeugungen und Emotionen zum Trotz den Befehl, ihrem fatalen Wunsch umgehend, noch während des Festes, und ohne Einschränkung nachzukommen. Vordergründig bleibt Herodes auch an dieser Stelle als einer gezeichnet, der souverän und „willentlich“ (ἠθέλησεν; vgl. Mk 9,1359) agiert und letztlich den Tod des Johannes verantwortet. Doch trägt das nur noch weiter zur Ironie der vorgenommenen Charakterisierung bei. Am Ende erscheint Herodes nicht mehr

57 Schmidt, Tanz, S. 154, sieht darin den „unangemessenen Kontext für eine Enthauptung“ unterstrichen. Smit, Geburtstagsfeier, S. 34, weist darauf hin, dass „[n]ach gängiger Herrscherideologie […] der Herrscher an seinem Geburtstag seine Macht etablieren“ und „entsprechend würdig feier[n]“ sollte, es ansonsten zum „Gesichtsverlust für den Gastgeber“ kommt. Dass mit dem Auftragen des Hauptes erzählerisch absichtsvoll die Erwartung an ein δεῖπνον zerstört wird, betont auch Hartmann, Tod, S. 158f. 187–189. Beispiele makabrer Perversion des Mahles durch grausame Hinrichtungen finden sich auch bei Sueton, Caligula 32, überliefert. 58 Vgl. auch das Gebot in Lev 19,12, nicht unbesonnene Eide zu schwören; erneut unterstreicht das die Verworfenheit des Herrschers. Vgl. Schmidt, Tanz, S. 159. 59 Der Vers Mk 9,13 fasst mit der Aussage καὶ ἐποίησαν αὐτῷ ὅσα ἤθελον markant das Geschick des Täufers zusammen.

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wirklich als Herr des Geschehens, sondern als ein Gefangener60 seiner selbst: „In der sich anschließenden Stafette mit dem Haupt des Täufers spielt der Herrscher keine Rolle mehr“61; am Ende ist es auch nicht das tanzende Mädchen, sondern die Mutter des Mädchens, Herodias, auf die das Geschehen zuläuft (Mk 6,28). Der König ist, wenn auch selbstverschuldet, in der inszenierten Figurenkonstellation zum Erfüllungsgehilfen der beiden Femmes fatales an seiner Seite geworden.62

2.

Motivbezüge, Erzähltopoi und Mustererzählungen – Facetten textexterner Figurencharakterisierung

Die Figurenanalyse der markinischen Erzählung zeigt deutlich, dass es ihr in erster Linie um König Herodes und eine wertende Aussage über diesen Herrscher geht. Die beiden Frauengestalten sind dabei zwar unverkennbar involviert, vom Hinweis auf die Tötungsabsicht der Herodias und von der Kennzeichnung des Geburtstagsmahles als günstiger Gelegenheit abgesehen, belässt es der Text aber für sie bei einer nüchtern referierenden Schilderung ihrer Aktionen, ohne innere Beweggründe oder etwa Formen mehr oder weniger absichtsvoller Instrumentalisierung anzuzeigen. Gerade Herodias, die am Ende faktisch ihr erklärtes Ziel erreicht, tritt auf der Textebene nahezu ganz in den Hintergrund. Es sind die narrativen Leerstellen, die es zu füllen gilt, will man in Mk 6,14–29 weitergehend wertende Charakterisierungen der beiden Frauengestalten zum Ausdruck gebracht oder gezielt Stereotype oder Klischees bedient sehen. Erkennbare Motivbezüge, vergleichbare Erzähltopoi und potenzielle literarische Vorbilder geben dabei entscheidende Hinweise auf die implizit angelegte erzählstrategische Ausrichtung. Je nach Einschätzung von Relevanz, Genese63 und Gewichtung dieserart textexterner Bezüge hat das Konsequenzen gerade auch für die Bewertung der beiden Protagonistinnen und der ihnen zugeschriebenen Rolle.

60 Geradezu gegenläufig dazu wird als einzige konkrete Ortsangabe des erzählten Geschehens zweimal und wie ein Rahmen das Gefängnis genannt, in dem sich Johannes der Täufer befindet (ἐν φυλακῇ; Mk 6,17.27), während der Raum des Festmahls völlig unbestimmt bleibt und nur durch das Hinein- und Hinausgehen des Mädchens als solcher gekennzeichnet wird. 61 Schmidt, Tanz, S. 158. 62 Smit, Geburtstagsfeier, S. 35, sieht in der Erzählung geradezu „Herodes’ Sturz als Herrscher“ kompositorisch inszeniert und betont insgesamt den Machtverlust und die Abgabe der Entscheidungsmächtigkeit durch den Herrscher (bes. S. 41–44). Schramm, Königsmacher, S. 120–159, spricht von fundamentaler Disqualifizierung und konstatiert durchgehend eine aretalogisch-charismatische Delegitimierung des Herodes Antipas als König. 63 Vielfach wird von traditionsgeschichtlichen Anreicherungen einer Grunderzählung ausgegangen – mit je unterschiedlichen Konsequenzen für die Bewertung der Aussageintention.

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Elija-Erzählung und Esterbuch

Einzelne Erzählzüge und Motive in Mk 6,14–29 weisen Berührungen mit Texten des Alten Testaments auf: mit der Elija-Erzählung im Ersten Buch der Könige und mit dem Esterbuch. Wieweit dabei auch tiefergehende Entsprechungen zwischen den jeweiligen Protagonisten anzunehmen und beabsichtigt sind, bleibt allerdings umstritten. Die Berührungspunkte sind zu partiell und lassen sich insgesamt nur mit erheblichen Abstrichen in ein stimmiges Gesamtbild einfügen. Motivbezüge zur Elija-Erzählung finden ihren Anhalt in der im Markusevangelium insgesamt greifbaren Identifizierung Johannes’ des Täufers mit dem Propheten Elija (vgl. Mk 1,2–3.4–6; 6,14–15; 9,13). Vor diesem Hintergrund erinnert die rachsüchtige Herodias nicht von ungefähr an die Königin Isebel und ihre vehement betriebene Absicht, den Propheten Elija gewaltsam zu beseitigen (1 Kön 19,1–2).64 Auch wenn man darüber hinaus noch weitere Bezugspunkte konzedieren möchte – etwa ein vergleichbar ambivalentes Verhältnis des Königs Ahab zu Elija (vgl. 1 Kön 18,17–20.46; 21,21–29) –, sind für die Annahme einer gezielt angelegten Typologie die Unterschiede doch zu markant, allen voran die Tatsache, dass Isebel den Propheten Elija nicht tötet.65 Ähnlich partiell fallen auch die Berührungen mit dem Esterbuch aus, am deutlichsten noch dort, wo im Kontext eines Mahles (Est 5,1–8) der persische Großkönig Artaxerxes der Königin Ester in wörtlicher Entsprechung zu Mk 6,23 bis zur Hälfte seines Königreiches verspricht (ἕως τοῦ ἡμίσους τῆς βασιλείας μου; Est 5,3; 7,2).66 Das Esterbuch als literarischen Hintergrund für die markinische Szene zu verstehen,67 hätte hinsichtlich der Figurenkonstellation zur Konsequenz, Herodias und / oder die Tochter der Herodias als Gegenfigur/en zur positiv konnotierten Figur der Jüdin Ester, die durch ihre Bitte zur Retterin Israels wird, zu begreifen.68 Herodes wäre demnach als ein Anti-Artaxerxes oder 64 Vgl. z. B. Pesch, Markusevangelium, S. 339. Dagegen aber Gnilka, Markus, S. 249, der ganz generell an die Versinnbildlichung einer ränkesüchtigen Frau denkt, „die in Geschichten, die von Fürstenhöfen erzählt wurden, eine beliebte Figur darstellt“, und speziell auf die Rache der Königinmutter Parysatis bei Plutarch, Artaxerxes 17, verweist. Vgl. Hartmann, Tod, S. 175– 177, der neutral vom „Thema der in ihrer Ehre verletzten Herrscherfrau“ (S. 176) spricht. 65 Vgl. dazu Janes, Daughter, S. 449f.; auch Bauer, Johannes der Täufer, S. 11f. 66 Vgl. auch Est 5,6 MT. Vgl. darüber hinaus die Beschreibung des Gastmahls in Est 1,3 und die Notiz in Est 2,4. 67 Vgl. z. B. Hartmann, Tod, S. 201–214, nach dem aufgrund der implizit markierten Referenzen struktureller und inhaltlicher Art in Mk 6,21–23 die markinische Erzählung „als eine Anti-Erzählung zur biblischen Esthergeschichte gelesen werden“ (S. 237) könne, die auf allen Ebenen zu deren Sinnkonstituierung und Konturschärfung beitrage. Vgl. auch Aus, Water; Anderson, Feminist Criticism, S. 127–130. 68 Vgl. Schmidt, Tanz, S. 140–142, der in Verbindung damit auch eine Gegenüberstellung mit der Tochter des Jaïrus als einer echten Heldin annimmt und von zweierlei Ester-Typen im Markusevangelium spricht; vgl. auch Janes, Daughter, S. 450–452.

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gar als ein neuer Haman stilisiert.69 Das Gesamtarrangement der beiden Erzählungen geht aber in zu vielen Punkten und nicht zuletzt auch, was das Profil der Protagonistinnen angeht, in deutlich unterschiedliche Richtungen.

2.2

Erzählung von der Frau des Masistes

Wiederholt hingewiesen wurde in der Forschung auf die auffallenden Motivbezüge und die zahlreichen inhaltlichen und strukturellen Parallelen zur Erzählung von der Frau des Masistes, die Herodot im 9. Buch seiner Historien überliefert (Hist 9,108–113).70 „Auch hier wird eine Königin in ihrer Ehre verletzt und muss ihre Rache gegen den Willen des Königs durchsetzen; und auch hier verfängt sich ein König in seinem Schwur und muss eine ihm unangenehme Bitte erfüllen.“71 Hintergrund der Erzählung bei Herodot ist die unerfüllte Liebe des Perserkönigs Xerxes zur Frau seines Bruders Masistes und die von ihm daraufhin tatsächlich eingegangene Beziehung zu deren Tochter Artaynte, der Frau seines Sohnes Dareius. Amestris, die Gattin des Xerxes, erfährt von dieser Beziehung und rächt sich grausam nicht etwa an Artaynte, sondern an Masistes, die sie als eigentliche Drahtzieherin des Ehebruchs vermutet und brutal verstümmeln lässt. Um das durchsetzen zu können, macht sie sich den persischen Brauch zunutze, wonach der König beim Festmahl anlässlich seines Geburtstags niemandem eine Bitte abschlagen darf, und erbittet von Xerxes die letztlich unschuldige Masistes. Trotz auch markanter Unterschiede und auch unabhängig von der Frage, wieweit der Evangelist in Mk 6,17–29 bewusst die Masistes-Erzählung des Herodot zugrunde legt und adaptiert, sind die tiefgreifenden Entsprechungen spätestens auf der Ebene der Rezeption von Interesse. Vor dem Hintergrund der Herodot-Erzählung gelesen, treten zentrale Aspekte der Figurencharakterisierung und des komplexen Zueinanders der Protagonisten innerhalb der markinischen Erzählung noch deutlicher zu Tage und erhalten einzelne Facetten, die dort nur äußerst verhalten angedeutet bzw. auf der Textebene offen bleiben, eine inhaltliche Konkretisierung und Zuspitzung. Das gilt insbesondere für die beiden Frauengestalten. Die Rolle der Königin als der eigentlich Fordernden ebenso wie 69 Hartmann, Tod, S. 221, betont den Artaxerxes und Herodes gemeinsamen ambivalenten Charakter und sieht das Phänomen der Macht und ihres destruktiven Gebrauchs thematisiert. 70 Zuletzt ausführlich etwa von Bauer, Johannes der Täufer, S. 1–32. 71 Bauer, Johannes der Täufer, S. 2, bes. S. 3–11. Bauer geht – anders als Hartmann, Tod, S. 228–234 – von einer Benutzung durch Mk als bewusst gewählter literarischer Vorlage aus, die diesem u. a. erlaubt, „jenseits einer bloßen Wiedergabe historischer Fakten die näheren Umstände des Todes des Täufers mit einem Charakterbild des Herodes und der Herodias zu verbinden“ (S. 18).

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die Rolle der rachsüchtigen, in der Ehre verletzten Ehegattin, die sich durch kluges, bestimmtes und skrupelloses Vorgehen letztendlich durchsetzt, treten für Herodias so profiliert zu Tage. Für die Tochter der Herodias ist es vor allem die erotisch-sexuelle Dimension ihres Tanzes, die damit auf der literarischen Ebene in Analogie zu bzw. als Ersatz der sexuellen Beziehung der Artaynte mit Xerxes der Erzählung ausdrücklich eingezeichnet wird.72 Im Fokus der Erzählintention bleibt freilich hier wie dort der König bzw. die Charakterisierung der Figur des Königs im Beziehungsgefüge mit den Frauen in seinem unmittelbaren Umfeld. Die ambivalente Haltung des Herrschers, seine innere Zerrissenheit und sein Handeln wider Willen, bestimmt von eigenverschuldeten Zwängen, sind dabei ebenso kennzeichnend wie seine Stilisierung in der Rolle des souveränen (persischen Groß-)Königs. Beide, Herodes und Xerxes, „gerieren sich als mächtige Potentaten und unterliegen doch dem Willen starker Frauen.“73

2.3

Episode des Machtmissbrauchs des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus

Potenzielle Vorbilder für die Erzählung von der Enthauptung Johannes’ des Täufers im Markusevangelium finden sich auch innerhalb der antiken römischen Literatur. Während Detlev Dormeyer diesbezüglich eher allgemein auf „Hofklatschgeschichten“ über Caligula, Messalina und Nero bei Sueton und Tacitus verweist, deren Intention nicht zuletzt in der Diskreditierung des römischen

72 Vgl. Bauer, Johannes der Täufer, S. 9, der die Tanzszene historisch für undenkbar hält (so auch McVann, Passion, S. 154, und viele andere) und darüber hinaus etwa auch die ambivalente Haltung des Königs gegenüber dem Täufer, das Gastmahl und den Schwur des Königs als historisch fraglich bewertet (vgl. S. 18; die markinische Darstellung insgesamt und insbesondere die Rolle der beiden Frauen sieht auch Kraemer, Implicating Herodias, S. 321– 349, als historisch höchst unglaubwürdige, narrative Fiktion „out of Christian desire to refute claims that Jesus was John raised from the dead“ [S. 348]). – Bei Mk resultiert die Ehrverletzung der Herodias nicht aus dem Ehebruch des Herodes, sondern aus der Kritik des Täufers. Das Beziehungsgefüge verschiebt sich freilich, wenn dem Tanz der Tochter und der Reaktion des Gatten offen sexuelle, je nach Lesart von Mk 6,22 sogar inzestuöse Konnotationen einzuschreiben sind. Zum Motiv der Freistellung eines Wunsches oder einer Bitte zählt Hartmann, Tod, S. 177, auch „die Feststellung, daß der König Gefallen an seinem weiblichen Gegenüber gefunden hat“. Schließlich kann auch das Angebot der Beteiligung an der Macht bis zur Hälfte des Reiches als Affront gegen Herodias gelesen werden. 73 Bauer, Johannes der Täufer, S. 10. Nach Bauer ist das „auffällige Zurücktreten Johannes’ des Täufers in Mk 6,17–29 […] ein Erbe der Herodot-Erzählung“ (S. 11). Die aufgewiesenen Bezüge führen Bauer insgesamt auch dazu, auch von einer engeren Affinität der EsterErzählung mit der Herodot-Episode auszugehen.

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Kaiserhauses vorausgehender Epochen besteht,74 bringt Karl Matthias Schmidt neuerdings dezidiert die bei Cicero überlieferte und in der Antike durchaus verbreitete Episode vom frevelhaften Machtmissbrauch des Lucius Quinctius Flamininus in seiner Funktion als Konsul von Gallien als Subtext ins Spiel,75 ein Skandal aus der Zeit der Republik, der auch eine Reihe von Autoren der frühen Kaiserzeit beschäftigte.76 Zwar variieren in den Quellen die an den geschilderten Ereignissen rund um den Konsul Lucius Quinctius Flamininus beteiligten Figuren, doch immer geht es um die willkürliche Hinrichtung, bei Cicero und der dem Valerius Antias zugeschriebenen Variante bei Livius sogar explizit um die Enthauptung eines Menschen bei einem Mahl bzw. Gelage aufgrund des Ansinnens oder Interesses einer dritten Person – sei es einer Dirne oder eines Lustknaben –, die mit dem Konsul Flamininus durch eine erotische Beziehung verbunden ist. In den Quellen wird das skrupellose Vorgehen des Flamininus stets als Frevel, Lüsternheit und Sittenlosigkeit gewertet, Cicero spricht ausdrücklich von schamloser Willkür, die nicht nur die Person des Konsuls mit Schmach belegt, sondern auch das von ihm bekleidete Amt selbst entehrt. Die Bekanntheit dieser Anekdote und die vergleichbare Motivkombination lassen für Schmidt eine Adaption durch den Verfasser des Markusevangeliums durchaus als Möglichkeit erscheinen, konnten zumindest aber bei seinen Rezipienten derartige Erinnerungen wecken. Fungiert diese Episode als eine Art „Mustererzählung für den Missbrauch der Macht“77 durch eine korrumpierte politische Elite, für triebgesteuerte herrscherliche Willkür, maßlose Entgleisung und dekadenten Despotismus, so beeinflusst das, vor diesem Hintergrund gelesen, entsprechend auch die Wahrnehmung der Intention der markinischen Erzählung vom Tod des Täufers. Deutlich stärker als in Mk 6,17–29 ersichtlich tritt dann etwa das erotische Moment in den Vordergrund, gehört doch die Verbindung von Erotik und Tod zu den essentiellen Topoi der römischen Erzählung. Erotische Begierde, ausgelöst durch den Tanz des Mädchens, wird von dorther auch im Markustext zum bestimmenden Moment für das irrationale und maßlose Vorgehen des Herrschers. Als explizite Verführerin und als eigentlich Schuldige geraten so die beiden Frauen an der Seite des Herrschers, Herodias 74 Vgl. Dormeyer, Prophetentod, S. 101. – Auf einer noch allgemeineren Ebene spricht Smith, Tyranny, S. 259–293, von einer Stilisierung des Herodes als Tyrann nach dem Muster und zentralen Merkmalen antiker Tyrannentypologie. 75 Vgl. Schmidt, Tanz, S. 129–169, bes. S. 143–161. Schmidt sieht zugleich Bezüge zur EsterErzählung und verweist außerdem auch auf die Masistes-Episode bei Herodot: „Man muss die unterschiedlichen Erzählungen nicht gegeneinander ausspielen. Es ist durchaus möglich, dass der Evangelist von verschiedenen Anekdoten beeinflusst wurde“ (S. 150). 76 Vgl. Cicero, Cato 42; Livius XXXIX 42,8–12; 43,1–4; Plutarch, Titus 18,2–5; Plutarch, Cato 17,4; Valerius Maximus, Facta II 9,3. 77 Schmidt, Tanz, S. 149.

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und ihre Tochter, in die Nähe von Kurtisanen und Hetären.78 In der Konsequenz gilt für die Figur des Herrschers: Das eines Königs unwürdige Vorgehen des Herodes Antipas „dokumentiert nicht nur seine persönliche Charakterlosigkeit, sie beschädigt auch das herodianische ‚Königtum‘ Israels, das sich so als niederträchtige Herrschaft erweist“79. Mit entsprechend pejorativen Wertungen ähnlich jenen in den erwähnten antiken Quellen im Rahmen der Episode des Machtmissbrauchs des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus wird für die Rezeption der markinischen Erzählung jedenfalls zu rechnen sein.

3.

Mt 14,1–12 und Flavius Josephus als Vergleichsfolien – Profilierung der markinischen Figurencharakterisierung

Der Rekurs auf potenzielle Motiv- und Traditionsbezüge textexterner Art und deren Berücksichtigung im Prozess der Sinnkonstituierung des Markustextes trägt zu einer weitergehenden Konturierung der Protagonisten in der Erzählung bei und führt, wie sich gezeigt hat, insbesondere hinsichtlich der beiden Frauenfiguren, ihrer Rolle, Vernetzung und Intentionalität im und für das Erzählgeschehen zu einer Füllung von zunächst unbestimmt gebliebenen Leerstellen. Aus einer anderen Perspektive lässt auch der Vergleich mit den übrigen literarischen Zeugnissen zu Herodias und ihrer Tochter, der Blick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten konkret mit der synoptischen Parallele des Matthäusevangeliums und mit der Überlieferung des Flavius Josephus, das spezifische Profil der Figurenkonstellation und Figurencharakterisierung im Markusevangelium noch deutlicher erkennen und weiter bestätigen.

3.1

Die Erzählung vom Tod Johannes’ des Täufers in Mt 14,1–12

Verglichen mit der Erzählung im Markusevangelium bietet das Matthäusevangelium in Mt 14,1–12 eine deutlich gekürzte Version der Ereignisse, die den Fokus zudem weitgehend auf die Figur des Herodes richtet, dabei die Souveränität des Herrschers unterstreicht und auch auf eine Reihe von ambivalenten bzw. potenziell ironischen Zügen verzichtet.80 78 Schmidt, Tanz, S. 152, vermutet, dass die „Varianz der Quellen“ dem Evangelisten „Anlass genug“ bot, „die Frauengestalt aufzuspalten“: die junge Tochter, die erwachsene Frau. 79 Schmidt, Tanz, S. 152. 80 Auch Hartmann, Tod, S. 247–251, sieht „alle Ambivalenzen im Bild des Herodes getilgt“ (S. 248); demgegenüber gewinne „die realpolitische Seite des Herodes an Kontur“ (S. 251). Nach Janes, Daughter, S. 254, „Matthew diminishes female responsibility while retaining the persistence of Herodian hostility to Jesus, manifest from birth“. Für Kraemer, Implicating

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Herodes selbst und nicht mehr seiner Frau ist jetzt die Absicht zugeschrieben, Johannes den Täufer wegen dessen Kritik an der Ehe mit Herodias töten zu wollen (Mt 14,5). Was ihn davon abhält, ist nicht etwa seine persönliche Wertschätzung des Täufers,81 sondern seine Furcht vor dem Volk, die Sorge also um seinen Status als Herrscher, weil das Volk den Johannes für einen Propheten hält. Der Tanz der Tochter der Herodias anlässlich seines Geburtstags – auch erzählerisch „in die Mitte“ (ἐν τῷ μέσῳ) gerückt – scheint zunächst nur vor Herodes alleine stattzufinden und nur bei ihm entsprechend großes Gefallen hervorzurufen (Mt 14,6). Die Bitte des Mädchens löst in Mt 14,9 zwar ebenfalls Betrübnis bei Herodes aus,82 in weiterer Folge übernimmt aber der König selbst bei der Enthauptung des Täufers im Gefängnis in einem aktiv-kausativen Sinn die Rolle des Subjekts, während die Figur des Scharfrichters unerwähnt bleibt (Mt 14,9– 10). Herodias tritt als Protagonistin auf den ersten Blick noch stärker als in der markinischen Fassung in den Hintergrund: Von Groll gegen Johannes und Tötungsabsicht ist für sie keine Rede, und auch die Forderung des Täuferhauptes ist in Mt 14,8 allein ihrer Tochter in Form von direkter Rede zugestanden.83 Doch ist gerade dort in der Redeeinleitung der Verweis auf das Mädchen auf ein Minimum reduziert und ausdrücklich auf die Mutter als Anstifterin (!) dieser Forderung verwiesen (ἡ δέ προβιβασθεῖσα ὑπὸ τῆς μητρὸς αὐτῆς). In der Darstellung des Matthäusevangeliums handelt die Tochter der Herodias spätestens an dieser entscheidenden Stelle nicht mehr aus freien Stücken, sondern veranlasst (προβιβάζω) durch ihre Mutter. Als Drahtzieherin und Verantwortliche für den Tod des Johannes wird explizit Herodias ausgewiesen. Im Letzten freilich führt sie ein Ergebnis herbei, das auch der Absicht des Herodes entspricht (Mt 14,5).

Herodias, S. 346, „Matthew’s recasting of the Markan narrative actually remasculinizes Herod a little“. Theissen, Lokalkolorit, S. 93f. 101f., sieht in der Matthäusversion eine Korrektur der durch vorurteils- und phantasiebehaftete Überlieferung bestimmten und latent herodäer(innen)feindlichen Erzählung im Markusevangelium zugunsten der historischen Fakten. 81 Am ehesten ist dieses Moment noch in Mt 14,2 zu erkennen, wo durch Hereinnahme einer in der Markusvorlage als allgemeine Meinung referierten Überzeugung (Mk 6,14) in das Urteil des Herodes indirekt eine entsprechende Wertschätzung des Täufers zum Ausdruck kommt. 82 Das steht inhaltlich in Spannung zur in Mt 14,5 festgehaltenen Tötungsabsicht des Herodes. Der Vers Mt 14,9 steht insgesamt unter mehrfacher Rücksicht in Spannung zur Matthäusversion der Erzählung: Herodes, der in Mt 14,1 korrekt als Tetrarch eingeführt wird, wird hier als König bezeichnet; von Eiden im Plural ist die Rede, obwohl vorher in Mt 14,7 nur ein Eid in indirekter Rede und nicht wie in Mk 6,22–23 eine zweifache direkte Rede referiert wird; die Tischgenossen sind genannt, obwohl vorher weder von einem Mahl noch von Eingeladenen die Rede war (Mt 14,6). 83 Die fehlende direkte Rede für Herodes macht das direkt referierte Wort des Mädchens in Mt 14,8 umso markanter zum Zentrum und Wendepunkt der Szene.

Herodias und ihre Tochter. Femmes fatales an der Seite des Königs

3.2

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Herodias und ihre Tochter Salome bei Flavius Josephus

Anders als in der neutestamentlichen Überlieferung fehlt in den Ausführungen des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus zur Hinrichtung Johannes’ des Täufers durch Herodes Antipas in Ant 18,116–119 ein Hinweis auf Herodias und deren Tochter.84 Von einer Tochter der Herodias ist bei Josephus ohnehin nur knapp und im Sinne einer neutralen genealogischen Notiz erst deutlich später in Ant 18,136–137 die Rede, darin aber immerhin der Name Salome genannt und auf ihre Ehen mit Philippus und Aristobulus sowie die drei Söhne aus zweiter Ehe verwiesen. Herodias erfährt demgegenüber bei Josephus mehrfach und zum Teil sogar breitere Erwähnung. Die ihr dabei zugeschriebenen Charakterzüge machen sie – wenn auch auf etwas andere und letztlich viel grundlegendere Weise als bisher ausgeführt – zu einer Femme fatale für Herodes. Dass die beiden Frauen im Kontext der Ermordung des Täufers bei Josephus völlig fehlen und zumindest unmittelbar auch der Vorwurf der illegitimen Ehe keine Rolle spielt, wirft für die neutestamentliche Überlieferung die Frage auf, wieweit dort erzählerisch nicht primär bestimmte Rollenbilder und frauenspezifische Stereotype bedient werden sollen. Durchaus vergleichbar mit Mt 14,5, sind es bei Josephus machtpolitische Erwägungen, die Furcht vor einem möglichen Aufruhr wegen des übergroßen Anklangs und Einflusses des Johannes und seiner Reden (λόγοι) im Volk,85 die Herodes dazu veranlassen, den Täufer vorsorglich in Gewahrsam zu nehmen und auf der Festung Machärus hinzurichten – und das, obwohl Johannes auch bei Josephus als „ein Mann von guter Gesinnung“ beschrieben wird und sich im Grunde nichts zu Schulden kommen hat lassen.86 Herodes wird dabei ganz als politisch umsichtiger, um die öffentliche Ordnung und den persönlichen Machterhalt bemühter und souverän agierender Herrscher präsentiert, ein Bild, das gleichermaßen den Erwartungen Roms und des römischen Oberschichtpublikums des Flavius Josephus entgegenkommt, seinerseits also ebenfalls nicht einfach nur ein historisch zuverlässiges Zeugnis

84 Zu Josephus, Ant 18,116–119, und der kontextuellen Verortung der Textpassage vgl. z. B. Hartmann, Tod, S. 254–355. 85 Vgl. dazu Ehling, Herodes Antipas, S. 137–146, der den eigentlichen Grund für die Verhaftung des Johannes nicht so sehr in seiner Ehekritik als vielmehr darin sieht, dass seine prophetische Gerichtsbotschaft das Ende der Herrschaft des Herodes Antipas und den Untergang seines Hauses ankündigte, d. h. den Verlust der Herrschaft als Strafe für Gesetzesübertretungen, und so dessen Herrschaft gefährdete. Um seine Herrschaft zu sichern, agiere Herodes analog zu römischen Kaisern gegen Astrologen und Zeichendeuter und demonstriere mit seinem rigiden Vorgehen Rom gegenüber souveräne Machtkontrolle. 86 Die Stilisierung des Täufers als Lehrer von Tugend, Gerechtigkeit und Frömmigkeit trägt dem Lesepublikum des Josephus Rechnung; Züge eschatologischer Gerichtsbotschaft fehlen.

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und frei von Darstellungsinteressen ist.87 Neben die Rolle des allein und unmittelbar für den Tod des Johannes Verantwortlichen treten in Ant 18,119 aber auch Argwohn und Missgunst und die Furcht vor Macht- und Statusverlust als markante Eigenschaften des Herodes in den Blick.88 Eine wenn auch indirekte Verbindung zwischen dem Tod des Johannes und der Ehe des Herodes mit Herodias gilt es freilich auch bei Flavius Josephus festzuhalten. Aus der die Hinrichtung des Täufers rahmenden Notiz geht nämlich hervor, dass nach allgemeiner Überzeugung im Volk die militärische Niederlage des Herodes gegen den Nabatäerkönig Aretas IV. die Strafe Gottes für die willkürliche und ungerechtfertigte Tötung des Johannes sei. Anstoß für diesen militärischen Konflikt mit Aretas ist gerade aber die Verheiratung des Herodes Antipas mit Herodias. Herodias hatte es nach Josephus nämlich zur Bedingung für ihre Einwilligung zu dieser Ehe und damit zur Bedingung für ihre Trennung von ihrem bisherigen Gatten, dem Stiefbruder des Herodes, gemacht, dass Herodes zuvor die Tochter des Königs Aretas, mit der dieser liiert war, verstößt (Ant 18,110). Letztlich erweisen sich damit aber auch nach der bei Josephus referierten Volksmeinung die Zuneigung zu Herodias, seine Willfährigkeit ihren Forderungen gegenüber und die Ehe mit ihr als in einem negativen Sinn schicksalhaft, ja fatal für Herodes Antipas. Herodias selbst wird dabei als durchaus selbstbewusste Frau, als berechnend, zielstrebig, energisch und auf die Steigerung von Einfluss und Macht bedacht vorgestellt.89 Beide Aspekte, ihre Rolle als Femme fatale und ihr zielstrebiger Charakter, bestätigen sich im Kontext der bei Flavius Josephus in Bell 2,182–183 und vergleichsweise breit in Ant 18,240–255 referierten Ereignisse, die schließlich zum Ende der Herrschaft des Herodes Antipas als Tetrarch von Galiläa und Peräa führten. Aus Unzufriedenheit über den politischen Status und das Prestige als Frau eines Tetrarchen und getrieben von Ehrgeiz, gekränktem Stolz und Neid stiftet Herodias demnach nämlich ihren Gatten dazu an, nach Rom zu reisen, um 87 Im Vergleich mit der Darstellung des Josephus tritt die Dimension der Delegitimierung des Herodes Antipas als König in Mk 6,14–29 umso deutlicher hervor; vgl. dazu Schramm, Königsmacher, S. 134–139. – Dass Herodes den Täufer aus politischen Gründen hinrichten ließ, dürfte wohl historischen Fakten entsprechen. Zum historischen Hintergrund vgl. z. B. auch Theissen, Lokalkolorit, S. 86f. 88 Vgl. Hartmann, Tod, S. 278f., der darauf hinweist, dass diese Eigenschaften in den Antiquitates Judaicae generell als typisch nicht nur für Herodes Antipas, sondern für das herodianische Herrscherhaus insgesamt ausgewiesen sind, ein Befund, der „als eine zunehmende Schwäche dieser Regenten […] und als Anzeichen für den allmählichen Niedergang der herodianischen Familie“ (S. 279) interpretiert werden könne. 89 Die Scheidung von Herodes, dem Stiefbruder des Antipas, vollzog Herodias wohl nicht zuletzt mit dem Kalkül, eine höhere, aussichtsreichere Position zu erlangen. Nach Josephus, Bell 1,573 bzw. Ant 17,53, zeigte ihr erster Mann nämlich „keinen politischen Ehrgeiz“; Herodias hat wahrscheinlich „die Verbindung mit Herodes Antipas als Möglichkeit, ihre eigenen Ambitionen zu verwirklichen“ (Bauer, Johannes der Täufer, S. 22), angesehen.

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den Königstitel (βασιλεύς) für sich zu erbitten, den kurz zuvor Kaiser Gaius ihrem bisher erfolglosen Bruder Herodes Agrippa I. zusammen mit der Tetrarchie des Philippus verliehen hatte. Herodes, der wenn auch nur widerwillig dem eindringlich vorgebrachten Ansinnen der Herodias nachgibt und in Rom vorstellig wird, wird jedoch vom Kaiser des geplanten Umsturzes bezichtigt, seines Amtes enthoben und nach Gallien verbannt. Flavius Josephus zeichnet Herodes dabei „als trägen und phlegmatischen Menschen, der ganz unter dem Einfluss seiner Frau Herodias steht“90. Vor allem in der Darstellung von Ant 18 tritt Herodias als eigentlich treibende Kraft in den Vordergrund und erhält vielleicht auch unter Aufnahme zeitgenössischer Frauenstereotype zudem weitaus negativere Züge als noch in Bell 2 zugeschrieben. Geradezu heroisch nimmt Herodias am Ende aber die schicksalhafte Wendung auf sich: Sie bleibt loyal an der Seite ihres Gatten, lehnt das Angebot Kaiser Gaius’, sie zu verschonen, ab und folgt Herodes, wie sie in der Darstellung des Josephus beteuert, aus Liebe in die Verbannung nach Gallien.91

4.

Resümee

Mit der Erzählung von der Hinrichtung Johannes’ des Täufers in Mk 6,14–29 gelingt dem Evangelienschreiber eine subtile Darstellung der Charaktere der beiden Frauen an der Seite des Herrschers, die das primär auf die Figur des Herodes fokussierte Moment der an Ironie reichen Herrschaftskritik auf allen Ebenen wahrt92 und dennoch Herodias und ihrer Tochter breiten Raum gibt und einen entscheidenden Anteil am fatalen Ausgang des Geschehens zuweist. Negativ wertende Zuschreibungen von klischeehaften Frauenstereotypen fehlen dabei weitestgehend ebenso wie die ausdrückliche Benennung von manipulativen Aktionen, intriganter Ausnutzung von Abhängigkeiten und einer zielgerichteten Durchsetzung destruktiver Absichten. Auf äußerst gekonnte Weise lässt der Erzähler zugrundeliegende Zusammenhänge und handlungsbestimmende Intentionen in der Schwebe und gibt es den Leserinnen und Lesern an die Hand, ja fordert sie geradezu heraus, die narrativen Leerstellen im Kontext der Inszenierung der beiden Frauengestalten mit Hilfe ihrer eigenen Enzyklopädie, sei sie historisch informiert oder aus persönlicher Erfahrung und Einstellung 90 Bauer, Johannes der Täufer, S. 17; er sieht „das Charakterbild, das Markus von Herodes und Herodias zeichnet, durch Flavius Josephus bestätigt“. Von einer Geschichte des sukzessiven Abstiegs des Herodes spricht auch Hartmann, Tod, S. 312f. 91 Nach Josephus, Ant 18,136, allerdings habe sich Herodias noch zu Lebzeiten von Herodes wieder losgesagt. 92 Schon Dibelius, Überlieferung, S. 80, spricht für Mk 6,17–29 pointiert von einer „Anekdote über Herodes“.

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gespeist, zu füllen – mit entsprechendem Niederschlag in der Rezeptionsgeschichte. Traditionsgeschichtliche Hintergründe und Motivanalogien weisen dafür einen möglichen und, wie sich zeigt, meist einschlägig pejorativen Weg; und andererseits gibt der Vergleich mit der synoptischen Parallele und dem außerbiblischen Zeugnis bei Flavius Josephus teils bestärkend, teils gegenläufig die literarische Zielsetzung der markinischen Ausgestaltung als eine eben solche konturiert zu erkennen. In subtiler Manier zeichnet die Figurencharakterisierung im Text des Markusevangeliums ein vordergründig nahezu neutrales Bild von Herodias und ihrer Tochter und lässt sie im Letzten dennoch in der Rolle der Femmes fatales erscheinen, als dominant, als verführend und als ewig schuld.

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Dominic Bärsch

Die christusliebende Isebel – Zur ambivalenten Darstellung der Kaiserin Aelia Eudoxia

1.

Vorbemerkungen

Das Bild, das die literarischen Quellen von der oströmischen Kaiserin Aelia Eudoxia zeichnen, schwankt zwischen den Extremen: Einmal ist sie fromme Anhängerin und Verteidigerin des nicänischen Glaubensbekenntnisses, die christusliebende (ἡ φιλόχριστος)1 und von Gott selbst am meisten geliebte Kaiserin (θεοφιλεστάτη βασιλίς).2 Ein andermal soll sie geldgierig und bestechlich gewesen sein,3 wird in Analogie zu den biblischen Frauengestalten Isebel und Herodias genannt oder erscheint als leibhaftiges Werkzeug Satans.4 Gerade die negative Bewertung Eudoxias wurde in Untersuchungen des 20. und frühen 21. Jahrhunderts nahezu ungefiltert abgebildet, sodass die tendenziöse, unreflektierte Darstellung Einzug in die Forschungsgeschichte gehalten hat. Als repräsentativ kann die folgende Charakterisierung C. Baurs angeführt werden: „An der Seite eines richtigen Mannes hätte sie eine ausgezeichnete Fürstin werden können. So aber fehlte ihr der natürliche Halt, und um ihrerseits den Kaiser zu leiten, dafür war sie derzeit noch zu jung, zu unerfahren und vor allem zu sehr Weib. Ihre Leichtgläubigkeit und ihr rasch aufbrausendes Naturell wurden bald durch allerlei Zuträgereien und böse Einflüsterungen mißbraucht.“5 Wie W. Mayer zeigen kann, folgt ein solches Paradigma engstirnig dem prominenten spätantiken Narrativ der Historiographen: „Here was a woman with the status of Augusta, who clearly represented some kind of threat to the status quo. Whatever that threat was, it could be diminished by claiming that she was a woman incapacitated by not just her inescapably female nature, but also her inescapably barbarian one.“6 Dieses Narrativ unhinterfragt zu akzeptieren, be1 2 3 4 5 6

Johannes Chrysostomus, Homilia 2,1, S. 469. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 92, S. 204. Pseudo-Martyrius, Oratio funebris 122, S. 176. Palladius, Dialogus 8, S. 178. Baur, Chrysostomus und seine Zeit, S. 34. Mayer, Doing Violence, S. 209f.

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Dominic Bärsch

deutet letztlich, misogyne und rassistische Ressentiments zu reproduzieren, anstatt zu untersuchen, welche Perspektiven zu einer derartigen Abwertung Eudoxias in den überlieferten Quellen geführt haben könnten.

2.

Von der Frankentochter zur Aelia Eudoxia

Als Tochter des Franken Bauto, der als magister militum unter Kaiser Valentin II. gedient hatte, und (vermutlich) einer Römerin,7 heiratete Eudoxia am 27. April 395 im Alter von etwa fünfzehn Jahren den oströmischen Kaiser Arcadius.8 Nach der Schilderung des Geschichtsschreibers Zosimus habe diesem Ehearrangement ein Machtkampf zwischen dem Prätoriumspräfekten Rufinus und dem Hofeunuchen Eutropius zugrunde gelegen, wobei es Letzterer geschafft habe, seine präferierte Kandidatin Eudoxia an den Kaiser zu vermitteln. Rufinus habe hingegen die eigene Tochter mit Arcadius vermählen wollen, um seinen Einfluss auf den kaiserlichen Hof zu vergrößern. Den Ausschlag für die Entscheidung des Kaisers habe schließlich die Schönheit der Kandidatin gegeben: ταύτην Εὐτρόπιος, […] ἀγαγέσθαι παρῄνει τῷ βασιλεῖ, τὰ περὶ τοῦ κάλλους διεξιών. ἐπεὶ δὲ τοὺς λόγους ἡδέως ἑώρα δεχόμενον, ἔδειξε τῆς κόρης ει᾿κόνα, ταύτῃ τε πρὸς μείζονα τὸν Ἀρκάδιον ἐγείρας ἐπιθυμίαν ἔπεισε τὸν ταύτης γάμον ἑλέσθαι […].9 Eutropius […] riet dem Kaiser sie (Eudoxia) zu heiraten, indem er ihre Schönheit beschrieb. Als er aber bemerkte, dass seine Worte günstig aufgenommen wurden, zeigte er ihm ein Bildnis des Mädchens, durch das Arcadius’ Verlangen nach ihr umso mehr gesteigert wurde und überzeugte ihn, die Ehe mit ihr einzugehen.

Diese ‚Brautschau‘ und die „Suche des Kaisers nach der Schönsten im Reich“10 erscheint nach bekannten literarischen Topoi gestaltet. Da Eudoxia nach dem Tod ihres Vaters um 388 von dem magister militum Promotus aufgenommen worden war und Arcadius mit dessen Söhnen bekannt gewesen sein soll,11 ist es jedoch wahrscheinlich, dass sich beide bereits zuvor begegnet sind.12 Sollte es also ihre Schönheit gewesen sein, die Arcadius dazu bewegt hat, sie zur Frau zu nehmen, könnte diese Entscheidung auch ohne großes Zutun des Eutropius getroffen worden sein, selbst wenn dessen Einfluss und Geltung am kaiserlichen Hof kaum bestritten werden kann.13 So war er der praepositus sacri cubiculi, der 7 8 9 10 11 12 13

Vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 52. Vgl. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 209f. Zosimus, Nova Historia 5, 3, 2f., S. 219f. Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 61. Zosimus, Nova Historia 5, 3, 2, S. 219. Vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 52f. Vgl. Faber, Anti-Germanism in Constantinople, S. 128.

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darüber entschied, wer Zugang auch außerhalb der Öffentlichkeit zum Kaiser und der Kaiserin hatte.14 Zudem erlangte er den Ehrentitel patricius, was auf eine enge persönliche Verbindung zum Kaiserhaus hinweist, und begleitete im Jahr 399 als erster Eunuch überhaupt das Konsulat,15 wodurch er sich neben dem Kaiser selbst in der offiziell höchsten machtausübenden Position befand.16 Ihr erstes Kind, Flaccilla, gebar Eudoxia am 17. Juni 397.17 Auf diese folgten am 19. Januar 399 Pulcheria und bereits ein Jahr später Arcadia am 3. April 400. Als viertes Kind brachte sie am 10. April 401 den ersten und einzigen Jungen, Theodosius II., zur Welt, also ebenfalls wieder nur ein Jahr nach der vorherigen Schwangerschaft. Nach knapp zwei Jahren folgte dann am 10. Februar 403 das letzte Kind, wiederum ein Mädchen namens Marina. Eine weitere Schwangerschaft im Jahr 404 endete am 6. Oktober mit einer Fehlgeburt, die sie ebenfalls das Leben kostete. In den neun Jahren und fünf Monaten, in denen Eudoxia also mit Arcadius verheiratet gewesen ist, brachte sie mindestens fünf legitime Nachkommen zur Welt.18 Dass schließlich ein männlicher Erbe zur Sicherung der Herrschaftsdynastie geboren wurde, sicherte ihr nicht nur den Status als Gemahlin des derzeitigen, sondern auch als Mutter des zukünftigen Kaisers. Ihr Einfluss wäre damit nicht auf ihre eigene Generation beschränkt gewesen, sondern hätte sich auch auf die nachfolgende ausweiten können.19 Insgesamt zeichnen die historiographischen Quellen die Kaiserin als ausgesprochen herrschaftsorientiert, machtbewusst und aktiv gestaltend, geradezu als die „eigentliche Herrscherin im Oströmischen Reich“,20 wohingegen Arcadius als träge, passiv und leicht zu beeinflussen gilt.21 Er scheint lediglich dann von Bedeutung zu sein, wenn es seiner legislativen Autorität bedarf, um ihre Beschlüsse offiziell zu legitimieren.22 Zwar wird diese Konstellation in den Quellen bereits als problematischer Ausgangspunkt verstanden, da Eudoxia offenbar die konstruierten und gesellschaftlich postulierten Geschlechterrollen und -erwartungen überschritt. Jedoch scheint es abhängig vom spezifischen Kontext zu sein, in dem sie ihre Eigeninitiative zur Schau stellte, wie die Bewertung ihres Gestaltungswillens letztlich ausfiel. 14 Vgl. ebd., S. 60. 15 Vgl. Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 61. 16 Vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 61f. Im Juli des Jahres 399 fand diese Erfolgsreihe jedoch ein abruptes Ende, woran Eudoxia maßgeblich beteiligt gewesen sein soll. 17 Vgl. auch für die nachfolgenden Daten ebd. S. 53. 18 Die Quellen bezweifeln bisweilen, ob Arcadius tatsächlich der Vater von Theodosius II. gewesen sei, was jedoch ganz dem negativen Eudoxia-Bild entspricht und auf reiner Spekulation beruht; vgl. Mayer, Doing Violence, S. 206. 19 Vgl. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 210. 20 Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 60. 21 Philostorgius, Historia ecclesiastica 11, 6, S. 136. 22 Vgl. Cracco Ruggini, Le Auguste, S. 496.

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Allein in der materiell-visuellen Repräsentation Eudoxias werden grundlegende Konzepte deutlich, auf denen sich ihre Einflussmöglichkeiten gründeten. Zentral sind dabei zunächst die Münzen, auf denen sie seit ihrer Erhebung zur Augusta am 9. Januar 400 – noch bevor sie den legitimen Thronerben Theodosius II. geboren hatte – abgebildet ist (siehe Abb. 1). Auf diesen wird die Kaiserin mit dem Familiennamen ihrer Schwiegermutter Flaccilla als Aelia Eudoxia [AEL(ia) EVDOXIA AVG(usta)] bezeichnet und wie jene im Profil mit dem kaiserlichen Perlendiadem sowie mit dem Feldherrenmantel (paludamentum) dargestellt, wodurch eine direkte Sukzession der Kaiserinnen suggeriert wird.23 A. Busch konstatiert somit treffend, dass diese materielle Inszenierung „den dynastischen Gedanken auch über die weibliche Seite des Kaisertums“24 zur Schau stelle. Dadurch, dass es sich bei den Münzen um Gold-, Silber- und Bronzeprägungen handelt, konnte sichergestellt werden, dass die aussagekräftigte Darstellung in alle Schichten vordringen würde.25

Abb. 1: Aureus Solidus, 403–408 n. Chr. RIC X 32 (Courtesy of the American Numismatic Society 1968.131.496)

Von besonderer Bedeutung ist außerdem die göttliche Hand, die am oberen Rand der Münze eingefügt ist. Diese scheint der Kaiserin ihre Krone aufzusetzen, was als Metapher für die göttliche Legitimation der irdischen Herrschaft Eudoxias gedeutet werden kann.26 Hierbei handelt es sich um ein Motiv, das zum ersten Mal für die Darstellung einer Augusta genutzt wurde, sich aber in den

23 Siehe zu diesen Prägungen die umfassenden Auswertungen bei Furlani, Anverso e reverso, S. 237–248. 24 Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 63. 25 Vgl. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 212. 26 Vgl. Furlani, Anverso e reverso, S. 249.

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nachfolgenden Generationen als Bildspender zu etablieren begann.27 Diese Kombination aus dynastischer Kontinuität und göttlicher Legitimierung ist auch in Anbetracht der zeitgenössischen, politisch-militärischen Situation des Jahres 400 von Bedeutung. Denn zu dieser Zeit revoltierte der Heerführer Gainas in Konstantinopel offen gegen Arcadius, ließ hochrangige Politiker ins Exil schicken und Eutropius hinrichten.28 Die bildliche Darstellung der kontinuierlichen, theodosianischen Herrschaft kann vor diesem Hintergrund als (letztlich erfolgreicher) Widerstand des kaiserlichen Hofes verstanden werden, der der anhaltenden Besetzung die gottgewollte Kaiserin als Garantin der Fortführung der etablierten Herrscherlinie entgegenhielt.29 Neben den Münzen als Bildträger zirkulierten außerdem Ehrenbilder der Kaiserin im gesamten römische Imperium, die auch in den weströmischen Provinzen „ebenso wie die des Kaisers durch die Bevölkerung verehrt wurden.“30 Dass dies der Fall und bislang für eine Augusta zudem ausgesprochen untypisch gewesen ist, lässt sich anhand eines Briefes des weströmischen Kaisers Honorius rekonstruieren, der Eudoxias Herrschaftsansprüche kritisiert und Arcadius rät, diese zu unterbinden, damit die Öffentlichkeit sich nicht darüber brüskieren könne.31 Die darin angedeutete Destabilisierung des Herrschaftsanspruches ist wahrscheinlich auf eine klare Vorstellung der Geschlechterrollen zurückzuführen: Für Honorius erfüllten die kaiserlichen Gattinnen die Funktion reiner Repräsentation, die sich von dem Status des Kaisers ableitete. In diesem Paradigma konnte es keinen legitimen Regierungs- oder Machtanspruch einer Frau per se geben, da dieser zwangsläufig als Schwäche des regierenden Kaisers ausgelegt werden könnte.32 Die Verbreitung der Eudoxia-Bildnisse musste für Honorius somit auch als Affront und direkte Einmischung in die Angelegenheiten des Westens gedeutet werden. Besonders öffentlichkeitswirksam waren außerdem mindestens drei Statuen der Kaiserin, die in Konstantinopel aufgestellt worden waren: eine silberne Ehrenstatue auf dem Augusteum,33 eine große „in einer Gruppe von Silberstatuen von Eudoxia und ihren Töchtern sowie eine weitere bronzene auf einer Säule.“34 Neben der physischen Präsenz, die diese Statuen in Konstantinopel einnahmen, promulgiert besonders die Statuengruppe Eudoxias mit ihren Kindern das Konzept der kaiserlichen Mutter, das neben demjenigen der gottgeliebten Kai27 28 29 30 31 32 33 34

Vgl. Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 63. Vgl. Faber, Anti-Germanism in Constantinople, S. 130–132. Vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 69. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 211. Collectio Avellana, Epistulae 38, 1, S. 85. Vgl. dazu Kruse, Geltung des Kaiserbildes, S. 31f. Vgl. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 211. Vgl. Speck, Eudoxia-Säule, S. 430f. Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 64.

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serin die wichtigste Basis ihres Autoritätsanspruches darstellt. Wie diese beiden grundsätzlichen Konzeptionen, einerseits der θεοφιλεστάτη βασιλίς, andererseits der kaiserlichen Mutter, in den Quellen verarbeitet worden sind, soll im Folgenden anhand einiger Beispiele aufgezeigt und eingeordnet werden.

3.

Die θεοφιλεστάτη βασιλίς

Eine Persönlichkeitsfacette Eudoxias, die in verschiedenen Quellen hervorgehoben wird, bildet sich in ihrem Interesse an und Engagement für kirchenpolitische Entwicklungen ab. Diese verknüpft sie in verschiedenen Situationen, auf die noch näher einzugehen sein wird, mit einer geradezu ostentativen Frömmigkeit, die sie besonders in Interaktion mit Mönchen und Priestern erkennen lässt. Eine zentrale Agenda Eudoxias scheint die Verbreitung und Etablierung der nicänischen Orthodoxie gewesen zu sein, weswegen sie in den ersten Jahren ihrer Herrschaft in Johannes Chrysostomus, dem damaligen Bischof von Konstantinopel, einen einflussreichen und charismatischen Unterstützer gefunden hatte.35 Ein Beispiel für ihre Involvierung in kirchenpolitische Kontroversen schildert etwa der Kirchengeschichtsschreiber Sozomenus: So waren die ägyptischen Mönche Ammonius, Dioscorus, Eusebius und Euthymius nach Konstantinopel gekommen, nachdem der Patriarch von Alexandria, Theophilus, mit dem Vorwurf des Origenismus gezielt gegen sie intrigiert und einen Konflikt innerhalb ihrer Heimatgemeinschaft um die Körperlichkeit Gottes angestachelt habe.36 Um den gegen sie grassierenden Verleumdungen entgegenzuwirken, erbaten sie zunächst Hilfe von Johannes, der sie freundlich aufnahm und sich um die Klärung der Angelegenheit bemühte, indem er einen Brief an Theophilus schrieb, der dann jedoch unbeantwortet blieb.37 Da dieses Vorgehen also ergebnislos geblieben war, wandten sich die Mönche in aller Öffentlichkeit an Eudoxia, die offenbar gerade in einem kaiserlichen Wagen ihren Weg kreuzte, und berichteten ihr von Theophilus’ Machenschaften. Die anschließende Szene erweist sich als ausgesprochen aussagekräftig: ἡ δὲ ἐπιβουλευθέντας αὐτοὺς ᾔσθετο καὶ τιμῶσα ἔστη· καὶ προκύψασα τοῦ βασιλικοῦ ὀχήματος ἐπένευσε τῇ κεφαλῇ καί ‚εὐλογεῖτε‘, ἔφη, ‚καὶ εὔχεσθε ὑπὲρ τοῦ βασιλέως καὶ ἐμοῦ καὶ τῶν ἡμετέρων παίδων καὶ τῆς ἀρχῆς· ἐμοὶ δὲ ἐν τάχει μελήσει συνόδου καὶ τῆς Θεοφίλου ἀφίξεως.‘ καὶ ἡ μὲν τοιάδε ἐσπούδαζε.38

35 36 37 38

Vgl. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 208. Sozomenus, Historia ecclesiastica 8, 13, 2, S. 996. Sozomenus, Historia ecclesiastica 8, 13, 3f., S. 996. Sozomenus, Historia ecclesiastica 8, 13, 5f., S. 996. 998.

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Die Kaiserin bemerkte, dass sie drangsaliert wurden, und ließ ihnen zu Ehren anhalten. Und sie beugte sich aus dem kaiserlichen Wagen, nickte mit dem Kopf und sagte: ‚Segnet und betet für den Kaiser und mich sowie für unsere Kinder und das Reich. Ich aber werde in Kürze für eine Synode sorgen und für die Anreise des Theophilus.‘

Verschiedene Aspekte sind hierbei bemerkenswert: Zum einen stellt Eudoxia vor aller Augen ihren Respekt für die Mönche zur Schau und erkennt dadurch deren besonderen Status an.39 Zum anderen scheint sie über die Hintergründe dieser außergewöhnlichen Lage bereits bestens informiert zu sein, da ihre Entscheidung keinerlei weiterer Ausführungen der Mönche bedarf. Schließlich wird sie als die aktiv Handelnde inszeniert, die verspricht, in Kürze für eine Synode zu sorgen, die sich der Problematik annimmt, sodass nicht etwa der Kaiser als derjenige in Erscheinung tritt, dem diese Autorität zukomme, sondern die Kaiserin selbst.40 Auch wenn angenommen werden kann, dass das von ihr vertretene Maß an Frömmigkeit auch durch ihre persönliche Überzeugung bedingt gewesen ist, „bildet sie für Eudoxia ebenso ein Medium, die besondere Erwähltheit als Kaiserin zu reflektieren und in der Öffentlichkeit zu repräsentieren, mithin eine Quelle besonderen Prestiges.“41 Als hoch angesehener Vorsteher der Christen in Konstantinopel beeinflusste Johannes Chrysostomus maßgeblich, welche idealen Vorstellungen von Frömmigkeit und Demut bei seinen Anhängern vorherrschten, wodurch auch deren Konzept einer christlichen Herrscherin durch seine wortgewaltigen Vorträge und Predigten geprägt gewesen sein dürfte. Die imaginative Gestaltungsmacht, die seine rhetorisch geformten Ausführungen über die Kaiserin gehabt haben, kann deshalb kaum überschätzt werden. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, zu untersuchen, welches Bild der Eudoxia der Bischof konstruierte und mit welchen rhetorischen Strategien er dieses erzeugte. Dafür soll zunächst durch einen knappen Exkurs die Bedeutung der Rhetorik für die spätantike Predigt und insbesondere für Johannes Chrysostomus dargestellt werden, um zu eruieren, mit welchen Mitteln ein Prediger auf die spezifischen meinungsbildenden Prozesse seiner Gemeinde einwirken konnte und welche Erwartungen wiederum eine zeitgenössische Zuhörerschaft an eine solche Predigt hatte.

39 Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 69. 40 Vgl. Mayer, Doing Violence, S. 212. 41 Vgl. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 213.

222 3.1

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Exkurs: Predigt und Rhetorik in der Spätantike

Auch wenn Rhetorik von einigen christlichen Predigern in der Theorie als unnötig und schädlich bewertet wurde, lässt sich kaum leugnen, dass Vortragende in christlichen Gemeinden deren Einflussmöglichkeiten und Wirkungen seit Paulus weitestgehend selbst gebraucht haben.42 Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass das pagane Schulsystem auch für Christen beibehalten und somit die Rhetorik als essenzieller Bestandteil gelehrt wurde.43 Pagane Rhetoriker wie Cicero wurden gelesen und verwendet, um Jugendliche auf eine politische oder verwaltungstechnische Laufbahn vorzubereiten, wie es auch bei Johannes Chrysostomus vorgesehen war.44 Dieser ist von den angesehenen paganen Rhetoriklehrern Libanius und Andragathius ausgebildet worden, die sowohl christliche als auch nicht-christliche Schüler unterrichteten.45 Daher stellt sich die Frage, worauf sich die vielfach geäußerte Ablehnung der Rhetorik gründete, wenn sie doch einen festen Bestandteil antiker Schulcurricula dargestellt hat. Einerseits war die Rhetorik hauptsächlich mit dem paganen Gedankengut der Antike verknüpft, gegen das sich insbesondere die christlichen Prediger abzugrenzen versuchten und dieses Faktum auch immer wieder zum Gegenstand ihrer Predigten machten.46 Andererseits wurde stets positiv hervorgehoben, dass das Ideal der christlichen Botschaft die Einfachheit sei, nicht die Komplexität und die Ausschmückung.47 Trotz dieser vordergründigen Ablehnung zeigt sich in der Praxis doch, dass weder die rhetorisch ausgebildeten christlichen Zeitgenossen des Johannes noch er selbst davor zurückschreckten, den Nutzen aus ihren sprachlichen Fähigkeiten zu ziehen. So finden sich besonders in den Predigten des Bischofs zahlreiche stilistische Variationen: „Kurze Sätzchen, Wortspiele, Personifikationen, Einführung fingierter Personen, kühne Bilder (wofür man sich dann entschuldigt), Alliterationen, Reihenbildungen fast gleichartiger (synonymer) oder antithetischer kurzer Glieder, Parallelismus der Sätze, Anaphern, Antithese mit Isokolon und Homoioteleuton“48

So konnte der Bischof die Botschaften des Evangeliums, aber auch seine persönlichen Idealvorstellungen in sprachliche Mittel einkleiden, die dezidiert auf Persuasion ausgerichtet gewesen sind.49 Als Meister dieser überzeugenden Vermittlungsstrategie wurde ihm nicht umsonst post mortem der Beiname Chry42 43 44 45 46 47 48 49

Vgl. Berger, Antike Rhetorik und christliche Homiletik, S. 183. Vgl. ebd. Vgl. Kessler, Kirche und Staat, S. 261. Vgl. ebd., S. 261 Anm. 12. Vgl. Berger, Antike Rhetorik und christliche Homiletik, S. 177. Vgl. ebd., S. 183. Ebd. Vgl. ebd., S. 182.

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sostomus („Goldmund“) zuerkannt. Zum Zweck der Anschaulichkeit setzte er in seinen Predigten bildkräftige Exempla ein:50 Sowohl positive wie auch negative Idealtypen werden anhand von überzeichneten historischen oder biblischen Gestalten angepriesen und als Vorbilder der Nacheiferung inszeniert.51 Der Kreis der Rezipienten war höchstwahrscheinlich sehr breit gestreut: Sowohl Arme aus den niedersten Schichten, die vom seelsorgerischen und wohltätigen Programm des Bischofs profitierten, als auch Eudoxia und Arcadius sowie deren Hofstaat waren wohl regelmäßige Besucher in Johannes’ Gottesdiensten.52 Gerade auch dieser Aspekt, dass eine bisweilen gebildete Zuhörerschaft sich von den Predigten des Chrysostomus eine hochwertige Unterhaltung versprach, beförderte das Präsentieren extrapolierter rhetorischer Fähigkeiten.53 So trugen die zeitgenössischen Predigten durch ihre artifizielle Gestaltung nicht nur zur Verbreitung bestimmter Idealvorstellungen und insbesondere auch der nicänischen Orthodoxie bei, sondern förderten außerdem in kreativer Konkurrenz mit der sogenannten zweiten Sophistik die städtische Kultur.54 Auch unter dem Gesichtspunkt der Kulturgenerierung kam der Auslegung der Bibel im gottesdienstlichen Kontext und der damit verbundenen Predigt eine weitere Bedeutung zu. Die Legitimation des römischen Imperiums, die über Jahrhunderte durch die staatstragenden Kulte erhalten wurde, ging nun auf die christlichen Gottesdienste über: „Dort wurde auf bibeltheologischer Grundlage die Begründung für die öffentliche Ordnung gegeben.“55 Somit nahm der Bischof eine bedeutende Machtposition im Gefüge der gesellschaftlichen Ordnung ein: Seine Predigten konnten Meinungsbilder erzeugen und eine breite Masse der Bevölkerung polarisieren.

3.2

Eudoxia in der Predigt zur Märtyrerprozession

Vermutlich einzuordnen zwischen den Jahren 400 und 402,56 reflektiert die Predigt die Überführung von Märtyrerreliquien in die Thomaskirche in der Vorstadt Drypia,57 welche etwa 13,5 Kilometer von der Hauptstadt entfernt lag,

50 51 52 53 54 55 56

Vgl. Ford, Women and Men in the Early Church, S. 92. Vgl. Hartney, John Chrysostom, S. 67. Vgl. Mayer, Extraordinary Preacher, S. 119. Vgl. Maxwell, Christianization and Communication, S. 40f. Vgl. ebd., S. 63. Kessler, Kirche und Staat, S. 274. Dieser Zeitraum kann angenommen werden, da die Prozession nach Eudoxias Ernennung zur Augusta und vor der Geburt des Theodosius II. stattgefunden haben soll; vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 56.

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und die mit dieser Translation verbundene nächtliche Prozession, an der auch die Kaiserin Eudoxia teilgenommen hatte.58 Eben deren Beitrag und Verhalten während der Prozession bilden den Fokus der gesamten Predigt.59 Im ersten Teil der Predigt beschreibt Johannes die Zusammensetzung der Teilnehmenden, wobei er bereits an dieser Stelle die Kaiserin hervorhebt, die, für gewöhnlich mit dem Diadem und in den Purpurmantel gekleidet, nun den Gebeinen der Märtyrer über den gesamten Weg gefolgt ist.60 In der dicht gedrängten Menge habe sie sogar unverhüllt erblickt werden können, was unter anderen Umständen nicht einmal den Eunuchen des Palastes erlaubt sei.61 Als Teil des gemeinen Volkes reiht sich die Kaiserin also demütig hinter den Märtyrern ein, folgt deren Transportwagen jedoch ohne Verzögerung und geht dadurch immer noch vor den übrigen Gläubigen. So ordnet sie sich einerseits der performativen Autorität der heiligen Märtyrer unter, nimmt andererseits dennoch eine exponierte Stellung gegenüber den anderen Prozessionsteilnehmern ein. Diese Unterordnung bedingt auch, dass Chrysostomus ihr wegen ihrer glühenden Verehrung für die Märtyrer das Attribut „die Christusliebende“ (ἡ φιλόχριστος) zuweisen kann. Er inszeniert sie dadurch als Inbegriff christlicher Tugenden62 und legt somit den Grundbaustein für die Konstruktion eines christlichen Vorbildcharakters, den eine Kaiserin anzustreben habe. Weiterhin bezeichnet Johannes die Kaiserin sowohl als Schülerin wie auch als Lehrerin des Glaubens, was einerseits ein Zugeständnis an ihre Demut darstellt, andererseits eine Betonung ihres Status als lebendiges Vorbild unterstreicht.63 In dieser Passage greift er außerdem auf eine bemerkenswerte biblische Analogie zurück, indem er Eudoxia mit dem alttestamentlichen König David vergleicht, als dieser die Bundeslade aus dem Haus Obed-Edoms in die Davidstadt geleitete.64 Im biblischen Kontext wird David vorgeworfen, dass er sich in Gegenwart der Dienerschaft würdelos verhalten habe, da er sich selbst zu sehr erniedrigt habe und dies seinem Status als König nicht gerecht werde. Daraufhin entgegnet dieser jedoch, dass er lediglich seiner Demut vor Gott Ausdruck verliehen habe und dadurch sein Ansehen im einfachen Volk keineswegs geschädigt sei. Durch diese Analogie überträgt der Bischof bestimmte Charakteristika (Demut trotz königlicher Würde, Ansehen beim einfachen Volk) von David auf 57 Es könnte sich dabei um die Märtyrer Sisinnius, Martyrius und Alexander gehandelt haben, die 397 in Norditalien zu Tode gekommen waren; vgl. Groß-Albenhausen, Imperator christianissimus, S. 184 Anm. 3. 58 Vgl. ebd., S. 184f. 59 Johannes Chrysostomus, Homilia 2, S. 467–472. 60 Johannes Chrysostomus, Homilia 2, 1, S. 469. 61 Johannes Chrysostomus, Homilia 2, 1, S. 469. 62 Vgl. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 208. 63 Vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 57. 64 Besonders 2 Samuel 6,12–22.

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Eudoxia, wobei geschlechtlicher Identität in diesem Kontext offensichtlich keine Bedeutung zugemessen wird. Zumindest scheint Johannes hier keinen Anstoß daran zu finden, die Eigenschaften eines männlichen Vorbildes auf eine weibliche Zielperson zu übertragen. Er geht sogar einen Schritt weiter, indem er Eudoxias Leistung über die Davids stellt: ἐπεὶ καὶ αὕτη κιβωτὸν ἀνῆγε πολλῷ βελτίονα ἐκείνης τῆς τοῦ Δαυΐδ. Οὐ γὰρ πλάκας λιθίνας, ἀλλὰ πλάκας ἔχει πνευματικὰς.65 Denn auch diese leitete eine Lade, die um vieles besser ist als jene Davids. Denn sie enthält keine steinernen, sondern geisterfüllte Tafeln.

Johannes konstruiert an dieser Stelle also ein Überbietungsnarrativ, das er von der biblischen auf die weltliche Sphäre ausweitet. Denn durch ihren außergewöhnlichen Demutsgestus übertreffe sie zudem sämtliche zuvor regierenden Kaiserinnen.66 Ihre Existenz wird also im konkreten Kontext als wahre Personifikation christlicher Herrschertugend stilisiert. Auf dieser Ebene komme sie sogar den Aposteln als Verkünderin des christlichen Glaubens gleich, womit erneut auf den Topos der christlichen Lehrerin angespielt wird. Im zweiten Teil der Predigt ist vor allem der Vergleich der Herrscherin mit dem Mond von Bedeutung, da dies auf die traditionelle Darstellung des Kaisers als Sol und der Kaiserin als Luna verweist.67 Damit ruft der Bischof die Traditionen der vergangenen Generationen in das Bewusstsein seiner Zuhörer und evoziert damit Episoden des kulturellen Gedächtnisses. Unterbewusst stabilisiert sich so die Legitimation der Regierenden, da das Gegenwärtige als althergebracht inszeniert wird. Als bewundernswert stellt er außerdem den Eifer der Kaiserin heraus, welcher glühender sei als Feuer, und ihren Glauben, der härter als ein Diamant sei.68 Sie verfüge zusätzlich über die allgemeinen Tugenden der Bescheidenheit, der Würde und der Keuschheit, welche durch ihre große Frömmigkeit, die sich im Bau von Kirchen und der Ehrerbietung gegenüber Priestern und Mönchen zeige, untermauert werden.69 Die Frage ist nun, ob eine solche Predigt die Selbstinszenierung als erwählte Herrscherin Gottes (θεοφιλεστάτη βασιλίς) der Eudoxia, wie sie auch in den Münzprägungen deutlich geworden ist, unterstützte oder lediglich eine Unterordnung der Kaiserin unter die Autorität der Kirche demonstrierte. C. Tiersch vertritt die These, dass die Darstellung des Johannes „in markantem Kontrast zu der offiziellen Selbstdarstellung Eudoxias“70 stehe, da sie durch die Vereinheit65 66 67 68 69 70

Johannes Chrysostomus, Homilia 2, 1, S. 469. Johannes Chrysostomus, Homilia 2, 2, S. 470. Vgl. Groß-Albenhausen, Imperator christianissimus, S. 186. Johannes Chrysostomus, Homilia 2, 2, S. 470f. Johannes Chrysostomus, Homilia 2, 2, S. 471. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 213.

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lichung innerhalb der Volksmasse die besondere Würde und Demut, die ihre Herrschaft legitimierte, verliere. Meines Erachtens ist dies jedoch nicht der Fall. Wie bereits erwähnt, gründet sich die Legitimation der Macht Eudoxias auf der Erwählung durch die Dextra Dei als Sinnbild für ihre überragende Frömmigkeit. Diese wird auch in der Predigt durch Johannes wiedergegeben: Wie in der evozierten biblischen Analogie muss die Unterordnung der Kaiserin geschehen, um ihre Demut glaubhaft zu machen; die Anerkennung der Autorität der Märtyrer stellt keinen Widerspruch zur Legitimation ihrer irdischen Herrschaft dar und ihr direkter Kontakt zu den Reliquien hebt sie von der Masse der sonstigen Prozessionsteilnehmer ab. Sie wird möglicherweise als eine unter vielen charakterisiert, gewinnt durch die rhetorischen Vergleiche und exaggerierenden Topoi aber einen dezidiert exponierten Status. Gerade dadurch gewinnt sie jedoch auf sozialer Ebene das Profil einer teilhabenden Kaiserin, wie A. Busch klar macht: „Sie demonstrierte civilitas, indem sie sich unter Verzicht auf alle ihre kaiserlichen Insignien und ihre Leibgarde unters Volk mischte und […] auf diese Weise für den Moment jede Distanz aufgab, räumlich wie sozial, die sie sonst von ihren Untertanen trennte.“71 Der konstruierte Vorbildcharakter einer christusliebenden Kaiserin sollte den Absichten der Eudoxia also zuträglich gewesen sein. Neben das Konzept der gottgeliebten Kaiserin tritt ebenfalls das der kaiserlichen Mutter, das einen essenziellen Grundbaustein des Selbstverständnisses bildet, das Eudoxia in den überlieferten Quellen zugeschrieben wird. Auf dieses soll im Folgenden näher eingegangen werden.

4.

Eudoxia in der Mutterrolle

Wie bereits klar geworden ist, war Eudoxia „the importance of imperial childbearing“72 ausgesprochen bewusst. Zahlreiche tradierte Episoden deuten darauf hin, dass die Kaiserin ihre Kinder in Konfliktsituationen heranzog, um diese als Argument für ihre persönlichen Anliegen zu nutzen. Über die historische Glaubwürdigkeit der spezifischen Einzelsituationen kann lediglich spekuliert werden, jedoch scheint Eudoxia ihren besonderen Status als Mutter der nächsten theodosianischen Generation in vielen Situationen in ihr Vorgehen eingebunden zu haben. So berichtet etwa Philostorgius, dass Eudoxia im Jahre 399 vor Arcadius trat und ihm offenbarte, dass ihr einstiger Förderer Eutropius ihr gedroht habe, sie aus dem Palast entfernen zu lassen. Dabei habe sie ihre beiden Töchter Flaccilla 71 Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 69. 72 Holum, Theodosian Empresses, S. 54.

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und Pulcheria an den Händen gehalten, welche für ihre Mutter weinten. Der Blick auf die tränenüberströmten Gesichter hätte ausgereicht, dass sich der Vater von dem Hofeunuchen, der noch im selben Jahr das Konsulat bekleidet hatte, abgewandt habe.73 Unabhängig davon, ob sich der Sturz des Eutropius tatsächlich so ereignet hat,74 wird Eudoxia dennoch prinzipiell die Raffinesse zugeschrieben, ihre Kinder zu persuasiven Instrumenten zu funktionalisieren. Eine weitere, bemerkenswerte Episode bildet ein kirchenpolitischer Konflikt aus dem Jahr 397 zwischen Johannes Chrysostomus und dem Bischof Severian von Gabala, in dem Eudoxia eine Versöhnung der beiden Würdenträger anstrebte. Dafür nutzt sie nach dem Zeugnis des Socrates Scholasticus ebenfalls eines ihrer Kinder,75 nämlich den erst wenige Monate alten Theodosius II.76: „Sie wählte die Öffentlichkeit der Apostelkirche, um den Thronfolger auf die Knie des Johannes Chrysostomus zu setzen und ihn hierdurch […] zur Versöhnung zu drängen.“77 Im zeitgenössischen sozio-kulturellen Kontext konnte eine solche Bitte in Verbindung mit dem erstgeborenen Sohn schwerlich abgewiesen werden, ohne einen enormen Affront gegenüber der Bittstellerin oder dem Bittsteller zu provozieren.78 Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Etikette kann Eudoxias Zug durchaus als strategisch verstanden werden: Er erlaubte dem Bischof ihre Geste als Demut gegenüber der kirchlichen Autorität zu interpretieren, wobei dieser im Gegenzug die unwillkommene Versöhnung mit seinem Kontrahenten eingehen musste.79 Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass Eudoxia in dieser Situation ihr Handlungspotential genutzt hat, um eine Konfliktlösung herbeizuführen, die sie offenbar als notwendig erachtete.

5.

Synthese beider Konzepte in der Vita Porphyrii

Eine Synthese dieser beiden elementaren Konzeptionen von gottgeliebter Kaiserin und kaiserlicher Mutter entwirft die Vita Porphyrii des Marcus Diaconus. In dieser hagiographischen Schrift wird ein ausgesprochen positives EudoxiaBild gezeichnet, das sich als Kombination verschiedener bislang konstatierter Elemente verstehen lässt. Als Begleiter des Bischofs Porphyrius und somit als intradiegetischer Erzähler schildert der Diakon Marcus, wie sich dieser Ende des 4. Jahrhunderts bemühte, 73 74 75 76 77 78 79

Philostorgius, Historia ecclesiastica 11, 6, S. 136. Vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 62f. Socrates Scholasticus, Historia ecclesiastica, 6, 11, 18–21, S. 331–333. Vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 71. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 222. Vgl. ebd. 223. Vgl. Hartney, John Chrysostom, S. 73.

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die pagane Kultlandschaft in Gaza zu transformieren.80 Zu diesem Zweck begeben sich der Bischof und seine Anhänger nach Konstantinopel, um zunächst mit Johannes Chrysostomus über ihr Anliegen zu sprechen und um dessen Unterstützung zu bitten. Dieser kann ihnen jedoch nur indirekt helfen und verweist sie an einen kaiserlichen Eunuchen, der ihnen als guter Christ eine Audienz bei der Kaiserin vermitteln könne.81 Bereits am Tag darauf werden sie von der Kaiserin empfangen, die auch hier ihre Demut gegenüber geistlicher Autorität unter Beweis stellt, worüber diese geradezu staunen, da sie dies nicht von einer Frau ihres Standes erwartet hätten.82 Das Motiv der ostentativen Frömmigkeit wird also auch in dieser Quellengattung prominent in Szene gesetzt, indem diese bereits bei der ersten direkten Interaktion zwischen den Ankömmlingen und der Kaiserin im Vordergrund steht. Während ihres Gespräches sagt Eudoxia dem Bischof sogleich ihre Unterstützung für sein Anliegen zu und erweist sich dadurch als bemühte Förderin des Christentums. Jedoch steht Arcadius diesem Plan entgegen, da er sich – ganz in der Rolle des pragmatischen, weltlich orientierten Herrschers – Sorgen um steuerliche Einbußen macht, die mit der Schließung paganer Tempel einhergehen könnten.83 Paradigmatisch für das Vertrauen in die göttliche Fügung, das sie in der Vita Porphyrii verkörpert,84 entgegnet die Kaiserin lediglich, dass „der Herr seinen Dienern, den Christen, helfen wird, ob wir es wollen oder ob wir es nicht wollen.“85 Im Folgenden entsteht der Eindruck, dass beide Seiten – Kaiserin und Bischof – von ihrer jeweiligen Unterstützung profitieren: So bestätigt Eudoxia am Tag darauf, dass sie nach wie vor Porphyrius’ Anliegen vorantreiben wolle, woraufhin dieser ihr als göttlichen Dank die Geburt eines gesunden Jungen und kaiserlichen Erben vorhersagt.86 Im Gegenzug sagt Eudoxia wiederum dem Bischof Geldmittel zu, um mitten in Gaza eine neue Kirche errichten zu können.87 Wenige Tage nach diesem Austausch bringt die Kaiserin dann tatsächlich den erhofften männlichen Erben zur Welt und lädt Porphyrius und seine Anhänger eine Woche später erneut vor. Noch bevor Eudoxia ihnen ihren finalen Beschluss 80 81 82 83 84 85

Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 26, S. 132. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 37, S. 146. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 38, S. 148. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 41, S. 150. Vgl. Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 67. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 41, S. 152: Ὁ κύριος ἔχει βοηθῆσαι τοῖς δούλοις αὐτοῦ τοῖς Χριστιανοῖς, κἂν θέλωμεν ἡμεῖς κἂν μὴ θέλωμεν. 86 Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 42, S. 152. 87 Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 43, S. 152. Auch in anderen Kontexten tritt Eudoxia als Geldgeberin für christliche Belange auf, wenn sie etwa nächtliche Prozessionen, die Johannes Chrysostomus organisiert hatte, mit silbernen Kerzenleuchtern in Form von Kreuzen ausstatten ließ; vgl. Socrates Scholasticus, Historia ecclesiastica, 6, 8, 6, S. 325.

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vorstellen kann, ergreift Porphyrius das Wort und versichert ihr, dass er überzeugt sei, dass, was auch immer sie beschlossen habe, im Einklang mit dem Wille Gottes geschehe, da er in der Nacht eine diesbezügliche Vision gehabt habe: ἔδοξα γὰρ ἡμᾶς εἶναι ἐν Γάζῃ, ἑστάναι δὲ ἐν τῷ ἐκεῖσε ει᾿δωλείῳ τῷ καλουμένῳ Μαρνείῳ, καὶ τὴν σὴν εὐσέβειαν ἐπιδιδόναι μοι εὐαγγέλιον, καὶ λέγειν μοι· ‚Λάβε ἀνάγνωθι‘. Ἐγὼ δὲ ἀναπτύξας εὗρον τὴν περικοπὴν ἐν ᾗ λέγει ὁ δεσπότης Χριστὸς τῷ Πέτρῳ· ‚Σὺ εἶ Πέτρος, καὶ ἐπὶ ταύτῃ τῇ πέτρᾳ οι᾿κοδομήσω μου τὴν ἐκκλησίαν, καὶ πύλαι ᾅδου οὐ κατισχύσουσιν αὐτῆς.‘ Σὺ , δέσποινα, ἀποκριθεῖσα εἶπες· ‚Ει᾿ρήνη σοι‘, ‚ἴσχυε καὶ ἀνδρίζου.‘ Καὶ ἐπὶ τούτοις διυπνίσθην, καὶ ἐκ τούτου πέπεισμαι ὅτι ἔχει ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ συνεργῆσαι τῇ σῇ προαιρέσει.88 Es erschien mir so, als ob wir in Gaza waren und in dem dortigen Götzentempel standen, der Marneion genannt wird, und dass deine Frömmigkeit mir das Evangelium reichte und zu mir sagte: ‚Nimm und lies!‘ Als ich es aber aufrollte, fand ich die Perikope, in der Christus, der Herr, zu Petrus sagt: ‚Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.‘ Aber du, Herrin, hast geantwortet: ‚Friede sei mit dir‘ und ‚sei stark und mannhaft.‘ Und danach bin ich aufgewacht und deshalb bin ich nun überzeugt, dass Gottes Sohn dir bei deinem Plan beistehen wird.

In dieser Traumepisode wird Eudoxia als Mittlerinstanz zwischen Gott und dem Bischof inszeniert, dem der göttliche Wille vor Augen gestellt wird, indem der Erwählungsgedanke durch das Schriftwort Matthäus 16,18, sowie durch die alttestamentlichen Zitaten aus Richter 6,23 und Josua 1,6 ins Zentrum rückt. Zugleich evoziert diese Szene Reminiszenzen an die Predigt des Johannes zur Märtyrerprozession, in der er Eudoxia auf eine Stufe mit den Aposteln stellt und dies ebenfalls an ihre ostentative Frömmigkeit rückbindet. Im Anschluss an diese Offenbarungsszenerie verkündet die Kaiserin nun ihren Plan, der auffallend listig ist und vielleicht gerade deshalb der ausdrücklichen göttlichen Legitimation bedurfte: Nachdem die Taufe des neugeborenen Theodosius II. vollzogen ist, treten Porphyrius und seine Anhänger an den in den Plan eingeweihten Träger des Säuglings heran, um diesem eine Bittschrift zu überreichen. Dieser nimmt sie entgegen und bewegt mit einer Hand den Kopf des Kindes so, als ob er das Anliegen der Bittsteller absegnen würde.89 Daraufhin ruft der Träger laut aus „Seine Majestät hat befohlen, dass geschehe, was in der Bittschrift steht!“90, woraufhin die Umstehenden vollkommen begeistert von der frühen Kaiserwürde des Neugeborenen sind. Da es sich dabei um den ersten kaiserlichen Erlass handelt, muss der Vater Arcadius den Bitten des Porphyrius

88 Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 45, S. 156. 89 Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 48, S. 158. 90 Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 48, S. 160: Ἐκέλευσεν τὸ κράτος αὐτῶν γενέσθαι τὰ ἐν τῇ ἱκεσίᾳ.

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schließlich stattgeben und ordnet daraufhin die Zerstörung der Götzentempel in Gaza an.91 Auch in diesem Kontext funktionalisiert Eudoxia also ihren gerade erst geborenen Sohn, um ihre eigenen Absichten zu erreichen. Dieses Konzept der kaiserlichen Mutter, die ihre noch unmündigen Kinder dazu gebraucht, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, wird in der Vita Porphyrii ausdrücklich mit der gottgeliebten bzw. -erwählten Kaiserin verknüpft. Diese nimmt hier sogar eine Mittlerstellung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre ein, wenn sie im Visionsbericht des Bischofs auftritt. Nachdem die Gruppe um Porphyrius noch den gesamten Winter bis zu den Ostertagen in Konstantinopel verbracht hat, machen sie sich schließlich daran, nach Gaza zurückzukehren.92 Eudoxia und Arcadius überreichen den ehemaligen Bittstellern daraufhin das in Aussicht gestellte Geld, das diese nutzen werden, um eine Kirche an der Stelle des ehemaligen Götzentempels in Gaza zu errichten, was dann auch den Erzählstrang in Konstantinopel beendet.93 Wieder in ihrer Heimat angelangt, erhalten sie dort noch einmal einen Brief der Kaiserin, dem die Skizze eines kreuzförmigen Kirchengrundrisses beigefügt ist, zusammen mit zweiunddreißig Säulen aus karystischem Marmor, mit denen die noch zu erbauende Kirche geschmückt werden soll.94 Fünf Jahre später sollte die Kirche dann auch fertiggestellt und Eudoxiana genannt werden, „nach dem Namen der von Gott am meisten geliebten Kaiserin Eudoxia.“95 Das Narrativ inszeniert die junge Kaiserin insgesamt als die treibende Figur, die den Willen Gottes voranbringt, sich mit vollem Vertrauen diesem fügt und durch ihre Klugheit die Problemstellung der Erzählsequenz auflösen kann. Es bildet somit ein Kernstück der positiven Eudoxia-Rezeption, das das Bild einer selbst-, aber auch machtbewussten Frau zeichnet, deren Frömmigkeit und Einsatz für die nicänische Orthodoxie zugleich stets hervorgehoben wird. In direktem Gegensatz dazu steht der negative Rezeptionsstrang, auf dessen narrative Bestandteile im Folgenden eingegangen werden soll.

91 92 93 94 95

Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 49, S. 160. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 52, S. 164. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 53f., S. 164. 166. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 84, S. 160. Marcus Diaconus, Vita Porphyrii 92, S. 204: „[…] ἐκ τοῦ ὀνόματος τῆς θεοφιλεστάτης Εὐδοξίας τῆς βασιλίδος“.

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6.

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Pejorative Rhetorik gegen die Kaiserin

Obwohl die Kaiserin in ihren ersten Regierungsjahren noch eine Verbündete für Johannes Chrysostomus gewesen ist, deren Frömmigkeit und Demut er in früheren Kontexten noch ausschweifend zu loben wusste, scheint sich über die Jahre ein Konflikt ausgeprägt zu haben, der letztlich in einer „highly successful smear campaign“96 gegen Eudoxia und der Exilierung des Bischofs mündete, wie zahlreiche historiographische Quellen abbilden. Die voneinander abweichenden Darstellungen der Auseinandersetzung zeigen vor allem, dass „bereits wenige Jahre nach der Absetzung des Bischofs von Konstantinopel und dem Tod der Kaiserin niemand mehr so recht zu sagen wußte, was der eigentliche Anlaß für den Streit der beiden gewesen war.“97 Letztlich kann nur vermutet werden, dass es sich hierbei um einen Kompetenzkampf gehandelt hat, in dem unterschiedliche Ansichten darüber, wer die höhere Autorität in kirchlichen Angelegenheiten habe, aufeinandertrafen und der nicht durch eine dauerhafte Einigung beigelegt werden konnte.98 Nicht zuletzt scheinen in diesem Zusammenhang auch soziokulturell konstruierte Geschlechterrollen von Bedeutung gewesen zu sein, da für die pejorative Rhetorik, die genutzt wurde, um Eudoxia zu diskreditieren, immer wieder auf negative Stereotypen von Weiblichkeit zurückgegriffen wurde.

6.1

Die habgierige Isebel

Unterstützte das Bild der christusliebenden Kaiserin, das Johannes Chrysostomus zuvor entworfen hatte, Eudoxias Konzeption der θεοφιλεστάτη βασιλίς, so destabilisierte dessen Gegenentwurf, den der Bischof in den folgenden Jahren präsentierte, dieses konzeptuelle Gefüge erheblich. Vergleichsweise gemäßigt begann dies mit der unmissverständlichen Ausgrenzung von wohlhabenden Gemeindemitgliedern, indem er jede Form des Luxus und des Repräsentationsstrebens rundheraus ablehnte, was in letzter Instanz auch die Kaiserin miteinschloss.99 Einerseits nutzte er wohl sie selbst als Exempel in seinen Predigten, um die Besessenheit von Reichtum und Einfluss anzuprangern.100 Andererseits bezog er sich ebenso auf ihren Freundeskreis von einflussreichen und wohlhabenden Witwen, die Johannes gelegentlich in seinen Homilien beleidigte und denen er unangemessenes Verhalten unterstellte.101 96 97 98 99 100 101

Mayer, Doing Violence, S. 205. Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 72. Vgl. Mayer, Doing Violence, S. 212. Vgl. Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 219. Vgl. Kelly, Golden Mouth, S. 150f. Vgl. Ford, Women and Men in the Early Church, S. 98.

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Mit Blick auf die rhetorische Ausformung seiner Predigten ist dabei festzustellen, dass er „bestimmte Gegenstandsbereiche zu Argumentationszwecken starr miteinander verknüpfte und eindeutig bewertete“102, wodurch bestimmte Themengebiete mit festem Vokabular verbunden wurden und sich damit ein bestimmter „Kommunikationszusammenhang“103 in der Gemeinde etablierte: Benutzte Johannes die Kaiserin in vielen Zusammenhängen als besonders negatives Beispiel für die Besessenheit von Reichtum und Einfluss, musste automatisch eine Verbindung zu Eudoxia evoziert werden, wenn er möglicherweise in völlig anderen Kontexten von derartigen Charakterzügen sprach. Durch diese kontinuierliche Verfestigung von negativ besetzten Assoziationen konstruierte der Bischof ein negatives Bild der Kaiserin, das beständiger war als der situationsbedingte Vergleich. Palladius berichtet davon, dass die Situation schließlich darin kulminiert sei, dass eine Gruppe, die sich gegen Johannes verschworen habe, diesem vorwarf, die Kaiserin in einer seiner Reden als Isebel bezeichnet und damit die Eigenschaften der verrufenen biblischen Antagonistin auf Eudoxia übertragen zu haben.104 Zwar ist weder der Kontext noch der genaue Wortlaut der Rede überliefert, in der diese Analogie gezogen worden sein soll, jedoch wird dieses Bild auch in der Oratio funebris, die wohl als älteste Lebensbeschreibung des Johannes überliefert ist, bemüht. Hier wird Eudoxia zudem als fleischgewordenes Werkzeug des Teufels inszeniert, der ihre Boshaftigkeit und Durchtriebenheit nutzt, um dem untadeligen Bischof von Konstantinopel größtmöglichen Schaden zuzufügen. Die Polemik, die der Autor hierbei nutzt, diskreditiert nicht nur ihren Status als Kaiserin, sondern spricht ihr weiterhin sogar ihre Weiblichkeit ab: Sie sei weder ganz Mann noch Frau (οὔτε ει᾿ς ἄνδρας οὔτε ει᾿ς γυναῖκας) und habe mit ihrem Verhalten einen Krieg gegen die Kirche provoziert (διαδέχεται δὲ τὸν κατὰ τῆς ἐκκλησίας πόλεμον).105 Gerade anhand dieser beiden Vorwürfe liegt der Verdacht nahe, dass das ‚Vergehen‘ Eudoxias darin bestanden hat, Einfluss auf kirchenpolitische Angelegenheiten zu nehmen, die traditionell in männlicher Hand lagen.

102 103 104 105

Tiersch, Johannes Chrysostomus, S. 219f. Ebd. 220. Palladius, Dialogus 8, S. 178. Pseudo-Martyrius, Oratio funebris 122, S. 176.

Zur ambivalenten Darstellung der Kaiserin Aelia Eudoxia

6.2

233

Die tobende Herodias

Neben diesen Aspekten verhandelten die vorliegenden Auseinandersetzungen zwischen Eudoxia und Johannes ebenso Fragen der Abwägung von weltlicher und kirchlicher Priorisierung im alltäglichen Raum. Dies lässt sich anhand einer weiteren konfliktbeladenen Episode verdeutlichen, die die bereits erwähnte Silberstatue der Kaiserin betrifft. Da diese auf dem Augusteum errichtet wurde, fanden die Einweihungsfeierlichkeiten in unmittelbarer Nähe zur großen Kirche statt. Diese seien jedoch, so beklagte Johannes angeblich in einer seiner Predigten, zur Entehrung der Kirchen geschehen.106 Zwar ist es im kirchlichen Diskurs durchaus verbreitet, den Besuch von öffentlichen Spielen und Feierlichkeiten oder zuweilen auch konkrete Stadtbeamte für deren Ausrichtung zu tadeln, jedoch scheint es ein deutlicher Bruch der gesellschaftlichen Etikette gewesen zu sein, das Kaiserpaar für derartiges zu rügen und sich über diese als Veranstalter zu echauffieren.107 Dieser Umstand wird auch an der Reaktion Eudoxias deutlich, da sie daraufhin eine Synode einberufen haben soll, die darüber urteilen sollte, ob das Verhalten des Bischofs angemessen gewesen sei oder nicht. Dies wiederum soll Johannes aus der Fassung gebracht haben, der in einer weiteren Predigt erneut direkt gegen die Kaiserin polemisiert haben soll: „Erneut wütet Herodias, erneut tanzt sie herum, erneut bemüht sie sich darum, den Kopf des Johannes in einer Silberschüssel zu erhalten.“108 Wie im Fall der Isebel-Analogie wird also auch hier eine biblische Frauengestalt evoziert, deren negative Eigenschaften auf die Kaiserin übertragen wurden. Dass das ursprüngliche Opfer der Herodias, Johannes der Täufer, in diesem Fall ein Namensvetter des Bischofs war, hat den Vergleich wohl nur umso wirkmächtiger gemacht. Dieser Streit, der sich grundsätzlich um Fragen von kirchlichen und weltlichen Zuständigkeiten rankte, konnte letztlich nur mit einem deutlichen Zeichen kaiserlicher Autorität beantwortet werden, sodass Johannes schließlich aus Konstantinopel verbannt wurde.

7.

Fazit

Es wird sich wohl nie abschließend eruieren lassen, welche negativen Aspekte, die der Aelia Eudoxia zugeschrieben worden sind, tatsächlich auf sie zugetroffen haben. Dennoch sollte dabei nicht ausgeblendet werden, dass die vorliegenden Quellen, die zu dieser Kaiserin überliefert wurden, aus der Perspektive männli106 Sozomenus, Historia ecclesiastica 8, 20, 2, S. 1020. 107 Vgl. Puk, Das römische Spielewesen, S. 38. 108 Sozomenus, Historia ecclesiastica 8, 20, 3, S. 1020.

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cher Autoren verfasst sind, zumeist männlicher Kirchenhistoriker und oftmals Bewunderer des „Goldmundes“ Johannes. Eine Frau, die möglicherweise mit soziokulturellen Normen gebrochen hat und einen auf persönliche Konzeptionen gestützten Herrschaftsanspruch formulierte, konnte unweigerlich als Bedrohung der etablierten ‚natürlichen‘ Ordnung begriffen werden. Unter dieser Perspektive sind viele der Vorwürfe, die gegen sie erhoben wurden, verständlich. Sie sind Produkt ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Realität. Der Blick auf die zugrundeliegenden Mechanismen von systematischer Misogynie muss jedoch zeigen, dass genau diese Perspektiven nicht in aktuelle Untersuchungen Eingang finden dürfen, sondern kritisch hinterfragt werden müssen. Ansonsten verschließt sich die Forschung vor einem realistischen Blick auf die tatsächlichen Leistungen der jungen Kaiserin: „Eudoxia’s philanthropy, piety, and patronage of the church were clearly an important aspect of her role as empress and one that, as scholars, we ignore at our cost.“109

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Literatur Baur, Chrysostomus, Der heilige Johannes Chrysostomus und seine Zeit. Zweiter Band – Konstantinopel, München 1930. 109 Mayer, Doing Violence, S. 209.

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Katharina Greschat

Die Repräsentation der christlichen augustae Pulcheria und Eudokia im Umfeld des Kaisers Theodosius II.

1.

Kaiser Theodosius II. als Opfer der „Weiberherrschaft“?

Mit den beiden Kaiserinnen Pulcheria und Eudokia bewegen wir uns im Römischen Reich des fünften Jahrhunderts und halten uns vor allem in der Hauptstadt Konstantinopel auf. Konstantinopel war zu dieser Zeit eine überaus prunkvolle Weltmetropole und der Sitz des oströmischen Kaisers, der von hier aus sein Imperium leitete und kaum noch eine Notwendigkeit sah, die Stadt zu verlassen, um selbst Kriege anzuführen.1 Die Hauptstadt bildete die Herzkammer des nunmehr christlich geprägten Imperiums2 mit einem imposanten Palast als Mittelpunkt, von dem aus der Kaiser, den Blicken seiner Untertanen weitgehend entzogen und damit gleichsam entrückt, nicht allein die Stadt, sondern auch das Heer und das gesamte Reich lenkte. Dem modernen Betrachter erschien der in seinem Palast schon fast eingeschlossene Kaiser gegenüber seinen Vorgängern häufig als verweichlicht und geradezu weltfremd, was dazu führte, dass man sich vorstellte, dass er allzu leicht Manipulationen von sogenannten Freunden, Eunuchen oder Höflingen ausgeliefert sein müsse.3 Ein höchst komplexes Zeremoniell regelte den Zugang zu ihm und das Leben bei Hofe, die Kommunikation und jede öffentliche Begegnung mit der konstantinopolitanischen Elite, der Geistlichkeit und den Untertanen.4 So entstand der Eindruck von starren und blutleeren Ritualen, die das gesellschaftliche Leben geradezu erstickt hätten, von letztlich sinnlosen und gleich1 Pfeilschifter, Kaiser, S. 22. 2 Pfeilschifter, Kaiser, S. 27. 3 Vgl. etwa das knappe Urteil von Cameron, Empress and the Poet, S. 56f.: „The sons and grandsons of Theodosius the Great were a feeble crew. The story of their reigns is largely the story of the struggle for the power behind their thrones“. (Dieser Artikel wurde zuerst im Jahre 1982 in den Yale Classical Studies veröffentlicht). Ähnlich auch Hopkins, Political Power of Eunuchs, S. 187; Noethlichs, Strukturen und Funktionen, S. 40–42; Demandt, Spätantike, S. 261–263. 4 Das wird ausführlich diskutiert bei Pfeilschifter, Kaiser, S. 76–122.

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wohl pompösen Zeremonien, über die man nur den Kopf schütteln konnte. Insofern verwundert es nicht, dass man diese Zeit als eine Zeit des Niedergangs und Verfalls verstanden hat. Wenn von der sprichwörtlichen „spätrömischen Dekadenz“ die Rede ist, dann meint man genau diese Epoche der römischen Herrschaft. Dazu passt dann auch, dass Kaiser Theodosius II. als ein schon fast lächerlich schwacher Herrscher gezeichnet wurde, der mit acht Jahren auf den Thron gesetzt wurde und mit seinen Aufgaben heillos überfordert war. Statt seiner führten einflussreiche Personen am Hof das Regiment und lenkten später den inzwischen erwachsenen Kaiser noch immer wie ein unmündiges Kind mit allerlei Spielereien ab, damit er ihren eigenen Interessen nicht im Weg stünde. Eine dieser einflussreichen Personen war seine ältere Schwester Pulcheria, die nach Ausweis des zeitgenössischen Kirchenhistorikers Sozomenos für eine kaiserliche Erziehung ihres Bruders gesorgt, mit Erfolg gegen das Aufkommen neuer Häresien gekämpft, Kirchen und Klöster gegründet sowie Einrichtungen für Arme und Fremde geschaffen habe.5 Nach dem Zeugnis des Sozomenos trug Pulcheria Sorge für die christliche Erziehung ihres Bruders und leitete ihn „ganz besonders zur Frömmigkeit an und gewöhnte ihn daran, regelmäßig zu beten und die Kirchen zu besuchen; die geweihten Orte mit wertvollen Gaben zu beschenken, schließlich die Priester und überhaupt alle heiligen Männer sowie die nach Art der Christen Philosophierenden zu ehren“.6 Was zunächst wie das vorbildliche und tatkräftige Handeln einer christlichen Kaiserin aussieht – und genauso wollte Sozomenos die Kaiserin Pulcheria wohl auch darstellen –, das liest sich in der modernen Forschungsliteratur oft ganz anders.7 Besonders drastisch brachte es der Historiker Otto Seeck auf den Punkt: In seiner „Geschichte des Untergangs der antiken Welt“8 aus dem Jahr 1920 firmierte die Zeit des Theodosius II. unter der Überschrift „Die Weiberherrschaft“.9 Mit bissiger Ironie charakterisierte Seeck die Kaiserin Pulcheria in diesem Kapitel als den Inbegriff eines herrschsüchtigen Weibes gepaart mit einer geradezu widerlichen Frömmelei, die sich in ihrem überspannten Keuschheitsbegriff äußerte.10 Deshalb konnte aus dem bemitleidenswert schwachen Theodosius II. weder ein wahrer Mann noch ein echter Herrscher werden: „In echt weiblicher Natur dressierte ihn Pulcheria vor allem für die Äußerlichkeiten der Herrschaft […] So konnten Pulcheria und ihre Günstlinge machen, was sie

5 6 7 8

Sozomenos, Historia Ecclesiastica IX,1,6–10, S. 1056–1059. Sozomenos, Historia Ecclesiastica IX,1,8, S. 1056f. Vgl. dazu insbesondere die Untersuchung von Meier, Demut des Kaisers. Seeck, Geschichte des Untergangs. Vgl. zu diesem Werk auch die Untersuchung von Leppin, Spätling. 9 Ebd. S. 67–97. 10 Ebd. S. 69.

Die Repräsentation der christlichen augustae Pulcheria und Eudokia

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wollten“.11 Theodosius II. war von seiner Schwester also allzu leicht zu beeinflussen und wurde vor allem deshalb ebenfalls zu einem überaus frommen Kaiser. „Wie dekadente Schwächlinge seiner Art pflegen, suchte auch er für seine innere Haltlosigkeit die Stütze der Religion […] Weiberherrschaft ist meist auch Pfaffenherrschaft“.12 Kaiserin Pulcheria war für Seeck also das Sinnbild für die unheilige Allianz von weiblicher Herrschsucht und demonstrativ zur Schau gestellter Frömmigkeit. Die Abhängigkeit des Kaisers von seiner Schwester ging sogar soweit, dass Pulcheria auch die Ehefrau Eudokia für ihren Bruder aussuchte. Doch Pulcherias Rechnung, dass die zwar gebildete, aber insgesamt eher peinliche Verse schmiedende Kaiserin Eudokia in ihrer Büchergelehrsamkeit und damit einher gehenden Weltfremdheit Pulcheria in gewohnter Weise die Machtausübung überließe, ging nach Ansicht von Seeck offenbar nicht auf: „Pulcheria wird daher erwartet haben, dass sie gleich ihrem Gemahl hinter den Büchern sitzen und sich über die Regierung nicht bekümmern werde; darin aber sollte sie sich täuschen“.13 Was vielmehr folgte, war ein Kampf bis aufs Blut zwischen den beiden rivalisierenden Kaiserinnen,14 der das Reich nachhaltig destabilisierte und letztlich in den Ruin trieb. Zwar hat man Seeck in den folgenden Jahrzehnten nicht direkt fortgeschrieben,15 doch musste ein im Jahre 2000 erschienener Sammelband zur Rolle römischer Kaiserinnen noch immer feststellen, dass „nach wie vor ein voyeuristisches Schwelgen in den Hofskandalen der römischen Biographen an der Tagesordnung ist“.16 An dieser Stelle ist also noch sehr viel zu forschen und zu diskutieren, weswegen die intensive Debatte darüber, welchen Einfluss die beiden augustae auf die Politik Theodosius‘ II. gehabt haben, noch längst nicht abgeschlossen werden kann.17 Eine andere Linie der Forschung konzentriert sich hingegen auf den „frommen Kaiser“,18 den vor allem die beiden zeitgenössischen Kirchenhistoriker Sokrates und Sozomenos als den neuen Konstantin gepriesen

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Ebd. S. 70f. Ebd. S. 72. Ebd. S. 82f. So auch Clauss, Frauen, S. 407. Vgl. aber die lakonische Bemerkung von Demandt, Spätantike, S. 168: „Die Macht liegt in den Händen der kaiserlichen Damen und Hofbeamten.“ 16 Kunst / Riemer, Grenzen der Macht, S. 1. 17 Vgl. zu diesem Themenkomplex die wegweisende Studie von Holum, Theodosian Empresses, sowie James, Empresses and Power. Zur Rolle der augustae in der römischen Kaiserzeit insgesamt vgl. jetzt auch Kolb, Augustae. Busch, Frauen der theodosianischen Dynastie, S. 190–193 betont zu Recht, dass mit dem Titel einer augusta keinerlei Macht- oder Herrschaftsbefugnis verbunden war. 18 Sozomenos, Historia Ecclesiastica IX,1,2, S. 1054f. betonte, dass nicht Armeen, Kaisermacht oder sonstiger Prunk zum Heil entscheidend seien, weshalb Gott selbst verfügt habe, dass die überaus fromme Pulcheria zum Vormund für ihren Bruder eingesetzt wurde.

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haben.19 Dementsprechend versteht man inzwischen die repräsentative Inszenierung kaiserlicher Rechtgläubigkeit – nicht zuletzt im Hinblick auf die Durchsetzung der wichtigen, die Christologie betreffenden Konzilien20 – als entscheidenden Faktor zur Herrschaftsstabilisierung,21 gerade auch in der klug inszenierten Kommunikation mit der Einwohnerschaft von Konstantinopel und dem gesamten Reich.22 Auf diese Weise erscheint der dezidiert christliche Kaiser Theodosius II. als Herrscher nicht länger vollkommen unfähig, sondern im Gegenteil als höchst effizient; man hat ihn sogar vor kurzem als einen „der erfolgreichsten Herrscher der Antike“23 bezeichnet. So gelang es ihm etwa, nach dem gescheiterten Konzil von Ephesus im Jahre 431 gemeinsam mit der Geistlichkeit eine Unionsformel zu finden und diese im Verbund mit den städtischen, religiösen und militärischen Entscheidungsträgern auch erfolgreich zu vermitteln und durchzusetzen.24 Doch die spezifische Signatur theodosianischer Herrschaftsausübung war keineswegs die sinnenfällige Demonstration von Macht, sondern – im Gegenteil – von sehr bewusst ins Werk gesetzter Demut, die es dem Kaiser ermöglichte, identitätsstiftende Gemeinschaftsakte wie etwa Bußprozessionen oder Reliquientranslationen in überzeugender Weise anzuführen.25 Wenn Theodosius II. nach einem verheerenden Erdbeben etwa für die Einwohnerschaft sichtbar mit nackten Füßen aus seinem prunkvollen Palast heraustrat und sich öffentlich einer Bußprozession unterwarf, dann vollführte er mit diesem Ritual gleichsam das Gegenteil von einem traditionellen römischen Triumphzug.26 In Zeiten, in denen theologisch so intensiv um die Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur Christi gerungen wurde, war die Inszenierung von Demut ein wichtiges Signal für die imitatio der Niedrigkeit Christi und damit als Ausweis der Rechtgläubigkeit zugleich eine wichtige Grundlage für die legitime und gleichzeitig auch höchst erfolgreiche Herrschaftsausübung.27 Allerdings – und das ist bemerkenswert – geht es in diesen Deutungen fast ausschließlich um die religiöse Selbstinszenierung des Kaisers; die beiden augustae werden hingegen kaum erwähnt. Seeck wirkt hier offenbar noch indirekt nach: Will man Theodosius II. als einen aktiven und zugleich frommen Kaiser ernst nehmen, dann muss man ihn offenbar noch immer vom Einfluss der beiden „Weiber“ befreien!

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Harris, Pius princeps, S. 34–44. Dazu jetzt Graumann, Kaiserliche Selbstdarstellung. Vgl. dazu Diefenbach, Frömmigkeit. Meier, Monarch auf der Suche, S. 517f. Pfeilschifter, Kaiser, S. 57. Vgl. insbesondere Elton, Imperial Politics. Vgl. dazu Meier, Demut des Kaisers; Pfeilschifter, Kaiser, S. 119, und Kelly, Stooping to Conquer. 26 Kelly, Stooping to Conquer, S. 239. 27 Meier, Monarch auf der Suche, S. 517.

Die Repräsentation der christlichen augustae Pulcheria und Eudokia

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Aus diesem Grund möchte dieser Beitrag zweierlei: zum einen die nicht unerheblichen und eigenständigen religiösen Selbstinszenierungen der beiden Kaiserinnen Pulcheria und Eudokia in ihrer Überschneidung und in ihrem Kontrast in den Blick nehmen28 und zum anderen danach fragen, in welcher Weise die beiden augustae gegenüber Kaiser Theodosius II. gezeichnet werden.

2.

Kaiserin Pulcheria: Braut Christi und neue Helena

Dass Pulcheria ihrer kaiserlichen Herrschaft ein dezidiert religiöses Gepräge geben wollte, ist bereits angeklungen. Aber auch für eine augusta aus theodosianischem Haus musste Frömmigkeit keineswegs mit Schwäche und Dekadenz verbunden werden: „The ascendancy of Pulcheria and her religious regime did not seriously weaken the government, but it changed the character of the imperial court, and gradually gave the imperial authority an altered image to the world“.29 Was ist damit genau gemeint? Nach der Beschreibung des Sozomenos brachte Pulcheria ihrem Bruder bei, würdig und kaiserlich bei Prozessionen aufzutreten, d. h. sie unterrichtete ihn in erster Linie in religiösen Angelegenheiten, während der Kaiser das Reiten sowie die militärischen oder rhetorischen Fertigkeiten von anderen erlernen musste.30 Ihre eigene Aufgabe als christliche Kaiserin definierte Pulcheria in ganz neuer Weise, indem sie, statt zu heiraten und für einen oder mehrere männliche Erben zu sorgen, der Ehe eine Absage erteilte und sich vielmehr der Jungfräulichkeit weihte.31 Während einer feierlichen Zeremonie in der großen Kirche von Konstantinopel – so jedenfalls die Schilderung bei Sozomenos – enthüllte sie einen goldenen und mit Edelsteinen geschmückten Altar, der die Inschrift trug: „wegen ihrer eigenen Jungfräulichkeit und der Herrschaft ihres Bruders“.32 Das zeugt zunächst einmal keineswegs von unbändigem Machtwillen! Vielmehr ging es Pulcheria als Glied der theodosianischen Dynastie in erster Linie darum, die Herrschaft ihres Bruders verantwortungsvoll abzusichern.33 Doch bisweilen macht man mit Hilfe der vielen Quellen, die Pulcheria gegenüber feindlich gesinnt sind, aus ihrer Entscheidung für die Jungfräulichkeit noch sehr viel mehr.34 So heißt es etwa, dass Patriarch Nestorius ihr Bild, das über dem Altar hing, und ihr Gewand, das den Altar bedeckte, 28 29 30 31 32

Klein, Do good in thy good. Friell / Williams, The Rome That Did Not Fall, S. 47. Sozomenos, Historia Ecclesiastica IX,1,7, S. 1056f. Vgl. dazu Elm, sponsa Christi und Angelidi, Pulcheria. Sozomenos, Historia Ecclesiastica IX,1,3–4, S. 1054–1057; vgl. dazu auch Holum, Theodosian Empresses, S. 93. 33 So auch Diefenbach, Frömmigkeit, S. 57. 34 Vgl. auch James, Empress.

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entfernt und ihr den Zutritt zum Allerheiligsten, in dem sie wohl gewöhnlich das Abendmahl erhielt, versperrt habe. Als sie sich daraufhin mit den Worten: „Habe ich denn nicht Gott geboren?“, beschwert habe und Einlass erhalten wollte, sei ihr Nestorius entgegengetreten und habe ihr barsch zur Antwort gegeben: „Du hast den Satan geboren!“35 Damit wollte er ihr deutlich machen, dass er in ihr nichts anderes sehen wolle als eine Tochter der sündig gewordenen Stammmutter Eva.36 Andere Quellen gehen sogar noch weiter und beschuldigen die jungfräuliche Pulcheria nicht nur einer sehr weitreichenden imitatio Mariae,37 sondern auch der Unzucht mit vielen Männern oder gar mit dem eigenen Bruder.38 Dann verwundert es auch nicht mehr, dass Pulcheria die treibende Kraft bei der Verurteilung des ihr höchst missliebigen Patriarchen Nestorius39 gewesen sein soll.40 Nach dieser Deutung wird die theologisch bedeutsame Propaganda für die von Nestorius vehement bestrittene Charakterisierung der Gottesmutter als theotokos41 überlagert von Pulcherias persönlichem Rachefeldzug!42 Doch auch hier drängt sich der Verdacht auf, dass das alte Klischee fortgeschrieben wird, wonach hinter allem letztlich Pulcherias unbändiger Wille nach möglichst großer Machtausübung stehe.43 Denn Kaiserin Pulcheria polarisierte schon damals und auch noch heute wird sie sehr unterschiedlich beurteilt:44 „She is viewed either as a pious and able deputy who ran the empire and delftly arranged her brother’s marriage to Eudocia or as a manipulative, acquisitive woman who was the antithesis of the female imperial exemplar“.45 Für eine augusta war die Entscheidung für ein jungfräuliches Leben höchst ungewöhnlich.46 Dennoch hat sie sich – ganz analog zu jeder anderen asketischen 35 Cosmasbrief 8, S. 278. Kateucz, Mary and Early Christian Women, S. 161–172, bezieht sich neben diesem Text auf zwei Artefakte aus dieser Zeit, die unmissverständlich deutlich machen, dass beide Geschlechter im Allerheiligsten anwesend waren. 36 Clauss, Neuer Gott, S. 430. 37 Limberis, Divine Heiress, S. 49–59, sowie Cooper, Wives und Constas, Weaving the Body. 38 Barhadbeshabba, Historia ecclesiastica 27, S. 564–568; vgl. dazu auch Cooper, Band of Angels, S. 275–277. 39 Shoemaker, Mary, S. 234. 40 McGuckin, St. Cyrill of Alexandria, S. 40f. 41 Cooper, Empress and Theotokos. 42 So auch Clauss, Neuer Gott, S. 430. 43 Chew, Virgins and Eunuchs, S. 227, schreibt dieses Klischee unhinterfragt weiter und charakterisiert Pulcheria folgendermaßen: „Religion was fundamental to her person, but ambition, for herself, her family, her religion, and her empire, was her strongest characteristic“. 44 Vgl. auch Chew, Virgins and Eunuchs, S. 208. 45 Cohick / Brown Hughes, Christian Women, S. 226f. Zu den Quellen vgl. auch Dirschlmayer, Kirchenstiftungen, S. 124–126. 46 Cooper, Band of Angels, S. 262, betont die Vorteile, die für Pulcheria aus dieser Entscheidung resultierten. Sie verweist darauf, dass Pulcheria nach wie vor in der Welt ihres Bruders und gemeinsam mit der Kirche agierte sowie sich als Christin präsentieren konnte, vgl. auch Harris, Men without Women.

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Jungfrau – wohl zunächst einmal als Braut Christi verstanden. Pulcheria dürfte es nicht darum gegangen sein, eine ganz neue Form der Marienverehrung zu leben oder sich gar als die neue Maria darzustellen, sondern ein besonderes Nahverhältnis zu Christus zu gestalten.47 Indem sie – wie erwähnt – ihr Gewand als Altarbedeckung stiftete und ihr Bild über demselben anbringen ließ, wollte sie wohl deutlich machen, dass sie sich Christus auf das Engste verbunden wusste.48 Während ihr Bruder Theodosius II. als Nachahmer des demütigen Christus gesehen werden wollte, verstand sich die augusta in erster Linie als die Braut des demütigen Christus.49 Insofern ist es wenig verwunderlich, dass Pulcheria auf zeitgenössischen Münzen als von Gott gekrönt dargestellt und die traditionelle Ikonographie der römischen augusta auch auf diese Weise als dezidiert christlich markiert wurde.50 Dasselbe Bild ergibt sich auch bei der Betrachtung von Pulcherias Bautätigkeit: Auf der einen Seite stechen zwar die insbesondere in den literarischen Quellen erwähnten religiösen Stiftungen hervor,51 doch ist inzwischen auf der anderen Seite erwiesen, dass sie auch beim Bau und der Ausstattung von kaiserlichen Palästen äußerst aktiv gewesen sein muss.52 Aus archäologischer Perspektive hat man die literarisch so nachdrücklich bezeugte Kirchenbautätigkeit der Pulcheria – vor allem die Errichtung von Schreinen für die Jungfrau Maria in der Hauptstadt Konstantinopel – jüngst kritisch hinterfragt und in Zweifel gezogen.53 Lediglich den Bau einer Laurentiuskirche lässt man inzwischen noch gelten.54 Damit wird deutlich, wie stark das literarische Bild der Pulcheria gestaltet und geformt worden ist. In verschiedener Hinsicht wollen die Autoren Pulcheria geradezu mit Helena, dem Idealbild einer christlichen Kaiserin in theodosianischer Zeit, verschmelzen. So beschreibt Sozomenos in aller Ausführlichkeit, wie ein Heiliger mit Namen Thyrsus der Pulcheria dreimal erschien, ihr allerlei Anweisungen gab und sie schließlich zu den Überresten der Vierzig Märtyrer von 47 James, Empress, S. 146: „Rather than inventing and adopting a new female role model, it is conceivable that Pulcheria sought to associate herself with the most significant figure in Christian doctrine, Christ himself“. Vgl. auch Cohick / Hughes, Christian Women, S. 228. 48 Ebd. 49 James, Empress, S. 147. 50 Vgl. etwa Roman Imperial Coinage X 220. Holum, Theodosian Empresses, S. 110, betont mit Recht, dass sich diese Ikonographie nicht von derjenigen der männlichen Glieder der theodosianischen Dynastie unterscheidet. 51 Sie sind aufgezählt und diskutiert bei Dirschlmayer, Kirchenstiftungen, S. 127–139. 52 Angelova, Stamp of Power, S. 101: „As we have seen, she possessed palaces in two, and possibly three, Regiones. In contrast, the Augusta seems only to have commissioned one church. If Pulcheria sought to center her public image on personal piety, she would have constructed more churches. But she did not“. 53 Vgl. James, Empress, S. 147, und jetzt auch Twardowska, Church Foundations. 54 Angelova, Stamp of Power, mit Bezug auf die wegweisenden Untersuchungen von Cyril Mango. Vgl. auch Dies., Sacred Founders, S. 152–160.

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Sebaste geleitete.55 In der Erzählung ging es erklärtermaßen darum, eine Parallele zu Helena zu ziehen, um auf diese Weise „die Gottgefälligkeit der Finderin umso wunderbarer und augenfälliger zu machen“.56 Der heilige Thyrsus wurde kaum zufällig in der unmittelbaren Nähe eines kaiserlichen Palastes mit dem Namen Helenianai verehrt57 und die Darstellung von der Auffindung der Vierzig Märtyrer entspricht bis in die Einzelheiten hinein der Schilderung des Ambrosius von der Auffindung des Kreuzes durch Helena,58 die als Teil der berühmten Leichenrede des Ambrosius für Theodosius I. maßgeblich für das Selbstverständnis der theodosianischen Dynastie geworden war.59 Ob Helena tatsächlich in dem Palast ihres Namens in Konstantinopel gewohnt hat, war dabei absolut nebensächlich – wichtig hingegen war, dass Pulcheria, wie schon ihre Mutter, bedeutende Reliquien in die Hauptstadt geholt hatte und auch auf diese Weise an Helena, die als Rollenvorbild für eine christliche Kaiserin angesehen wurde, nahtlos anknüpfen konnte.60 Dass diese Anknüpfung erfolgreich war, zeigte sich nicht zuletzt in den Akten des Konzils von Chalcedon, die Pulcheria als die neue Helena priesen und ihr eine Helena-gleiche Frömmigkeit bescheinigten.61

3.

Kaiserin Eudokia als die andere Helena

Allerdings war Pulcheria in eben diesen Jahren keineswegs die einzige Verkörperung der berühmten Kaiserin Helena. Gerade in der Zeit, in der Pulcheria nach Ausweis von Sozomenos die Vierzig Märtyrer mit allen Ehren heimholte, war auch die andere augusta Eudokia, die Frau des Theodosius II., als pilgernde Helena62 unterwegs und es gelang ihr, die Reliquien des ersten Märtyrers Stefan nach Konstantinopel zu bringen.63 Sowohl das Unternehmen einer Pilgerreise ins Heilige Land als auch die Verehrung von Reliquien und der Kirchenbau waren direkt mit der Erinnerung an die erste christliche Kaiserin Helena verknüpft und konnten somit für Frauen der theodosianischen Dynastie gleichsam als Reservoir 55 56 57 58 59 60 61 62 63

Sozomenos, Historia Ecclesiastica IX,2,1–18, S. 1060–1067. Sozomenos, Historia Ecclesiastica IX,2,6, S. 1062f. Angelova, Sacred Founders, S. 142f. Brubaker, Memories of Helena. Ambrosius von Mailand, De obitu Theodosii 40–49, S. 392–397; vgl. dazu insbesondere Steidle, Leichenrede. Zu Helena vgl. auch Drijvers, Helena Augusta; zu Pulcheria als der neuen Helena vgl. Holum, Theodosian Empresses, S. 137, und Dirschlmayer, Kirchenstiftungen, S. 132f. Acta Conciliorum Oecumenicorum II,2, S. 101: … nova Helena Pulcheria, Helena fidem tu ostendisti. Zelus Helenae in te probatur. Crucem Christi tu defendis. Invenit Helena, salvavit Pulcheria; vgl. auch Cooper, Band of Angels, S. 280. Gärtner, Heilig-Land-Pilgerinnen, S. 36, verweist darauf, dass Helenas Pilgerreise ins Heilige Land einen „regelrechten Pilgerboom“ auslöste. Angelova, Sacred Founders, S. 143.

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zur Ausgestaltung ihrer christlichen Repräsentation dienen.64 Und so mischen sich im Fall der Eudokia die Überlieferungen und kommen wieder zu Pulcheria zurück, von der die wunderbare Geschichte erzählt wird, wonach Theodosius II. in Nachahmung der besonderen Frömmigkeit seiner Schwester dem Bischof von Jerusalem Geld schickte, um dort die Bedürftigen zu versorgen. Darüber hinaus sollte auf Golgota ein goldenes Kreuz errichtet werden.65 Doch war so viel kaiserliche Freigiebigkeit wohl nicht kostenlos zu haben, weshalb besagter Bischof Theodosius II. im Gegenzug die rechte Hand des Protomärtyrers Stefan versprach. Daraufhin erschien der Märtyrer selbst der Pulcheria – und nicht der Eudokia – und stellte ihr in Aussicht, nach Chalcedon zu kommen. Pulcheria machte sich also gemeinsam mit ihrem Bruder auf den Weg, um die wertvolle Reliquie dort feierlich mit eigenen Händen zu empfangen.66 Dieses Ereignis soll bereits im Jahre 421 stattgefunden haben und auf einem in Trier aufbewahrten Elfenbeinrelief dargestellt sein.67 Das ist jedoch deutlich viel zu schön, um wahr zu sein! Schließlich stammt die literarische Quelle aus dem 9. Jahrhundert und auch das Elfenbein ist erst Hunderte von Jahren nach diesem Ereignis angefertigt worden.68 Das Elfenbein zeigt zwar eindeutig eine Reliquientranslation und eine christliche Kaiserin ist darauf ebenfalls abgebildet, aber die Schlussfolgerung, dass es sich um Pulcheria und um die Überreste des Stefans handeln müsse, ist ganz und gar nicht zwingend.69 Manche Quellen erzählen deshalb auch von der Niederlegung der Stefansreliquien in der von Pulcheria gestifteten Laurentiuskirche und eine Quelle berichtet davon, dass nicht Pulcheria, sondern Eudokia die Reliquien 439 von ihrer Reise nach Jerusalem mitgebracht und dort deponiert habe.70 Je nach Vorliebe des Autors wird also eine etwas andere imitatio der Kaiserin Helena mit unterschiedlicher Rollenbesetzung erzählt. Eudokia war zunächst ganz offensichtlich die ideale Ergänzung für Pulcherias Bruder Theodosius II. Schließlich hatte sie die junge Frau ausgesucht, wohl auch, um – wie im Westen des Reichs bereits geschehen – nun auch im Osten für einen legitimen Thronfolger zu sorgen.71 Somit sollte Eudokia ganz dem traditionellen Bild einer augusta entsprechen.72 Pulcherias Wahl fiel interessanterweise auf eine 64 65 66 67 68 69 70 71 72

Hunt, Holy Land Pilgrimages, S. 160; vgl. dazu jetzt auch Heyden, Orientierung, S. 155–160. Vgl. dazu auch Dirschlmayer, Kirchenstiftungen, S. 139f. Theophanes, Chronographia I, S. 86,26–87,5. Holum / Vikan, Trier Ivory, und Holum, Theodosian Empresses, S. 107. Wortley, Trier Ivory. Auch Speck, Überlegungen, meint, dass das Elfenbeinrelief um das Jahr 900 entstanden sein muss. Ebenso wenig lässt sich plausibel machen, dass es sich um Pulcheria mit den Resten der Vierzig Märtyrer handelt, wie Dirschlmayer, Kirchenstiftungen, S. 134, vermutet. Marcellini Comitis Chronicon, S. 80. Cooper, Band of Angels, S. 268; vgl. auch Dirschlmayer, Kirchenstiftungen, S. 145. Das Münzporträt der Eudokia zeigt auch sie mit der göttlichen Hand, die ihr von oben das Diadem auf den Kopf setzt; so z. B. Roman Imperial Coinage X 228 mit einem großen Kreuz

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Athenerin,73 „redegewandt und von schönem Aussehen“,74 die klassisch gebildet und bis zu ihrer Eheschließung wohl auch noch ungetauft war.75 Aufgrund dieses Profils konnte Eudokia kaum zu einer Konkurrenz für Pulcheria werden, die als dezidiert christliche Jungfrau auf dem Feld der traditionellen Bildung nicht sonderlich hervorgetreten war. Eudokias umfassende Bildung ließ sie vielmehr das Gelehrtentum der Hauptstadt verbessern, erfolgreiche Lehrer ehren76 und Lehrstühle für griechische und lateinische Grammatik und Rhetorik finanzieren.77 Darüber hinaus verfasste sie selbst ein – leider nicht erhaltenes – panegyrisches Werk, das den Sieg ihres kaiserlichen Gatten über die Perser feierte.78 Aus Dankbarkeit für die Hochzeit ihrer Tochter mit dem jungen Westkaiser Valentinian III. unternahm sie dann aber die bereits erwähnte Pilgerreise ins Heilige Land, bedachte die vielen Kirchen, die sie besuchte, mit kostbaren Geschenken79 und orientierte sich jetzt immer deutlicher am Modell der Kaiserin Helena.80 Als sie triumphal mit Reliquien des Laurentius, der Agnes und insbesondere des ersten Märtyrers Stefan nach Konstantinopel zurückkehrte, begann sich ihre religiöse Selbstinszenierung mit derjenigen der Pulcheria zu überschneiden. Möglicherweise sorgte Pulcheria deshalb auch selbst dafür, dass Eudokia sich in Konstantinopel nicht noch expliziter als neue Helena entfalten konnte.81 Erst sehr viel später sorgte eine Legende für die Erklärung, warum Eudokia Konstantinopel verlassen und ins Heilige Land gehen musste.82 Demnach hatte Theodosius II. einen besonders schönen Apfel geschenkt bekommen und ihn an seine Gemahlin Eudokia weitergegeben, die ihn jedoch ihrem Vertrauten Paulinus zum Geschenk machte. Nachdem dieser den Apfel wiederum Kaiser Theodosius II. offeriert hatte, wurde der Kaiser wütend und bezichtigte

73 74 75 76 77 78 79 80 81 82

auf dem Revers; vgl. aber auch Roman Imperial Coinage X 262 und Roman Imperial Coinage X 289. Burman, Athenian Empress. Evagrius Scholasticus, Historia Ecclesiastica I,20, S. 28f. Sokrates, Historia Ecclesiastica VII,21,7–9, S. 368, 3–10; vgl. auch Wallraff, Kirchenhistoriker Sokrates, S. 108. Holum, Theodosian Empresses, S. 125–127. Schlange-Schöningen, Kaisertum und Bildungswesen, S. 114–121; vgl. auch Greschat, Kaiserliche Dichtkunst, S. 139. Sokrates, Historia Ecclesiastica VII,21,7, S. 368, 5f. Vgl. auch Cameron, Empress, S. 67, und Greschat, Kaiserliche Dichtkunst, S. 141f. Sokrates, Historia Ecclesiastica VII,47,2–3, S. 394, 14–19. Hunt, Holy Land Pilgrimages, S. 228f., vgl. dazu auch Greschat, Kaiserliche Dichtkunst, S. 139. So die Vermutung von Dirschlmayer, Kirchenstiftungen, S. 152; vgl. auch Klein, Do good in thy good, S. 87: „The relics allowed her to command over important religious resources for the first time; something that only her sister-in-law could do in the past“. James, Making a Name, S. 67f., macht plausibel, warum Pulcheria als Kaiserin des Konzils von Chalcedon in den späteren Jahrhunderten gegenüber Eudokia deutlich häufiger und als die rechtgläubige Kaiserin auch positiver wahrgenommen wurde.

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seine Frau des Ehebruchs mit Paulinus, der ausdrücklich als ein bildschöner junger Mann bezeichnet wurde. Denn auf die Frage, was sie mit dem Apfel gemacht habe, schwor Eudokia, ihn aufgegessen zu haben. Der Lüge überführt, ließ der Kaiser Paulinus hinrichten und zwang seine Gattin, Konstantinopel für immer den Rücken zu kehren.83 Diese etwas absurde Apfelgeschichte, die in verschiedenen Versionen kursierte,84 war offenbar ganz wunderbar dazu geeignet, die Kaiserin nachhaltig zu diffamieren und in ein schlechtes Licht zu rücken.85 Ab 443 zog sich Eudokia also endgültig nach Jerusalem zurück,86 weil ihr die Hauptstadt Konstantinopel zu wenige Möglichkeiten zu einer eigenen religiöspolitischen Entfaltung bot. Nur in der betont christlichen Stadt Jerusalem konnte sie sich als eine christliche Kaiserin stilisieren: „Only this city could offer her the possibility to retain her role as a Christian empress“.87 Nur dort konnte sie alles tun, um als neue Helena angesehen zu werden. Ganz kaiserlich ließ sie eine neue Stadtmauer errichten und etablierte mit dem Bau der Stefanskirche im Norden von Jerusalem nun auch dort die in Konstantinopel schon länger geübte Reliquienfrömmigkeit. Das war neu in einer Stadt, deren christliche Identität seit den beiden Modellen für das Kaisertum, Konstantin und Helena, vor allem durch Orte geprägt war, die von Jesus Christus, Maria, den Jüngern oder Johannes dem Täufer sichtbar Zeugnis abgelegt hatten.88

4.

Fazit

Die beiden Kaiserinnen im Umfeld des Theodosius II. wurden schon in den antiken Quellen äußerst disparat gezeichnet: Wer Pulcheria als vorbildliche christliche augusta in der Tradition der Helena darstellte, der schwieg über Eudokia. Wer aus der Frau des Theodosius II. eine pilgernde Helena machen wollte, bemühte sich, Pulcheria tunlichst gar nicht erst zu erwähnen. Für die Ausgestaltung der beiden christlichen Kaiserinnen konnte man sich ganz offenbar an dem in theodosianischer Zeit geformten Bild der Musterkaiserin Helena orientieren, das mit Hilfe von Kirchenbauprojekten, Reliquienauffindung 83 Zu den Quellen dieser Legende vgl. insbesondere Schulz, Fragmentum Tusculanum II, S. 159. 84 Schulz, Fragmentum Tusculanum II, S. 160–164. 85 Braccini, Apple, S. 306f.: „In fact, there are strong reasons to believe that the narrative about the apple-affair was a spicy story that, evidently, circulated in the empire of the fifth and sixth centuries and, as a kind of urban legend, ended up being adapted to the different personalities that someone might want to discredit“. 86 Cohick / Hughes, Christian Women, S. 241–245. 87 Klein, Do good in thy good, S. 88. 88 Das betont Klein, Do good in thy good.

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und -translationen sowie der Pilgerfahrt ins Heilige Land nachdrücklich als christlich markiert war. Immer wieder bedienten sich schon die antiken Quellen Klischees, um eine der beiden augustae zu diskreditieren: So wird Pulcheria von ihren Gegnern bspw. als eminent herrsch- und rachsüchtig beschrieben. Nur aus diesem Grund – so sehen es vor allem nestorianische Quellen – habe sie den Patriarchen Nestorius aus dem Amt gejagt. Geradezu typisch war ebenfalls, die Kaiserinnen in geschlechtlicher Hinsicht zu diffamieren: Die jungfräuliche Asketin Pulcheria wurde des Umgangs mit verschiedenen Männern oder sogar dem eigenen Bruder verdächtigt; der Ehefrau Eudokia wurde unterstellt, mit ihrem Vertrauten Paulinus Ehebruch begangen zu haben. Interessanterweise machte aber schon die antike Geschichtsschreibung aus Theodosius II. einen vollkommen unfähigen Herrscher, der sich mehr um seinen Glauben, um Handschriften, Mathematik und um seine Pferde als um das Wohl des eigenen Reiches gekümmert habe. So zeichnete man ihn als guten Bogenschützen und begeisterten Reiter, der die unangenehme Regierungsarbeit seinen Hofschranzen überließ und bezeichnenderweise an den Folgen eines Reitunfalls starb.89 Dieses Bild eines letztlich unwilligen und vor allem unfähigen Herrschers schrieb die moderne Forschung geradezu begeistert fort.90 Doch machte sie aus Kaiser Theodosius II. aufgrund ihres Unverständnisses für die explizit christlich geprägte Herrschaftsausübung der theodosianischen Dynastie in Konstantinopel einen verweichlichten und allein auf seinen Palast fixierten Kaiser. Auf diese Weise ließ sich der Gegensatz zu seinem betont männlich-aktiven Großvater Theodosius I., der noch selbst gekämpft und sich ständig im Feldlager aufgehalten habe, besonders gut herausarbeiten. Als der Kaiser jedoch andere für sich kämpfen und regieren ließ, – so die mit dieser Erzählung transportierte Botschaft –, ging es mit dem Reich sehr schnell bergab. Und was eignete sich besser, um Theodosius II. als unmännlich und unselbstständig darzustellen, als ihn dem negativen Einfluss seiner beiden augustae Pulcheria und Eudokia auszusetzen?

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89 Kelly, Rethinking Theodosius, S. 4f. 90 Cooper, Band of Angels, S. 257, verweist darauf, dass in Edward Gibbons großer Erzählung vom Niedergang und Fall des Römischen Reichs Kaiserin Pulcheria die einzige war, die etwas von Theodosius‘ I. männlicher Stärke geerbt hatte.

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Sebastian Scholz

Gregor von Tours und sein Bild der Königinnen und Konkubinen der Herrscher

Gregor wurde 573 Bischof von Tours und verfasste bis zu seinem Tod 594 eine Reihe von Werken, die ausgesprochen gut überliefert sind. Er gilt als der wichtigste Chronist für die Geschichte des Frankenreichs im 6. Jahrhundert und hat die heutige Wahrnehmung dieser Zeit stark geprägt.1 In diesem Beitrag wird es deshalb um die Fragen gehen, durch welche Vorstellungs-, Meinungs- und Bewertungsgeflechte Gregor in seiner Wahrnehmung der Ereignisse beeinflusst wurde. Besonders soll der Einfluss kirchlicher und gesellschaftlicher Erwartungsmuster in seinem Werk untersucht werden. Ein zentrales Werk Gregors sind die „Zehn Bücher Geschichten“. Im vierten Buch dieses Werks schreibt er: „Der gute König Gunthram aber verband zuerst Veneranda, die Sklavin von irgendeinem seiner Männer als Konkubine seinem Bett. Von ihr empfing er den Sohn Gundobad. Später aber nahm er Marcatrude, die Tochter des Magnachar, in die Ehe auf. Seinen Sohn Gundobad aber schickte er nach Orléans. Die neidische Marcatrude aber trachtete, nachdem sie selbst einen Sohn hatte, nach dem Tod Gundobads.2 Wie man sagt tötete sie ihn durch Gift, das sie ihm in einem Trank übersandte.3 Nachdem er gestorben war, verlor sie selbst durch das Urteil Gottes den Sohn, den sie hatte, und zog sich den Hass des Königs zu, und nachdem sie von jenem verstoßen worden war, starb sie nicht viel später. Danach nahm er Austregilde mit dem Beinamen Bobilla,4 von der er wiederum zwei Söhne hatte, von denen der ältere Chlothar und der jüngere Chlodomer genannt wurde.“5 1 2 3 4

Vgl. etwa Heinzelmann, Gregor von Tours; Heinzelmann, Gregory of Tours, S. 7–34. Zur Stelle vgl. Hilchenbach, Das vierte Buch, S. 345f. Zur Stelle vgl. Hilchenbach, Das vierte Buch, S. 346f. Nach Gregor von Tours, Libri historiarum decem 5, 20, S. 228 stammte sie aus der familia Magnachars. 5 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 4, 25, S. 156: Gunthchramnus autem rex bonus primo Venerandam, cuiusdam suorum ancillam, pro concubina toro subiunxit; de qua Gundobadum filium suscepit. Postea vero Marcatrudem, filiam Magnarii, in matrimonium accepit. Gundobadum vero filium suum Aurilianis transmisit. Aemula autem Marcatrudis post habitum filium in huius morte crassatur; transmissum, ut aiunt, venenum in potu maedificavit. Quo mortuo, ipsa iudicio Dei filium, quem habebat, perdidit et odium regis

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Sebastian Scholz

Der Textabschnitt enthält mehrere Aspekte, die von gesellschaftlicher Relevanz sind. Das Konkubinat, die neidische Stiefmutter, die den Stiefsohn mit Gift beseitigt, die Ehescheidung und natürlich auch das Urteil Gottes. Der Text ist schon vielfach behandelt worden, doch stand bisher die Frage nach dem Eheverständnis der Merowinger und nach dem Verhalten der Könige im Mittelpunkt, während nach den zugrunde liegenden kirchlichen und gesellschaftlichen Hintergründen nicht gefragt wurde.6 Das Konkubinat wurde schon lange von der Kirche und ihren Protagonisten kritisiert. So schrieb Salvian um 445 in seinem Werk „De gubernatione Dei“: „Denn von Konkubinen zu sprechen, erscheint sogar ein wenig ungerecht, weil dies im Vergleich zu den oben genannten Schandtaten beinahe eine Art von Reinheit ist, mit wenigen Ehefrauen zufrieden zu sein und mit einer bestimmten Anzahl von Gattinnen seine Lust im Zaum zu halten. Gattinnen habe ich gesagt, weil die Sache zu einer solchen Schamlosigkeit gekommen ist, dass viele ihre Sklavinnen für Ehefrauen halten.“7 Deutlicher kritisierte Bischof Caesarius von Arles (ca. 470–542) das Konkubinat. In einer Predigt erklärte er, dass jene, die vor der Hochzeit eine Konkubine hätten, eine schlimmere Sünde als den Ehebruch begingen. Denn den Ehebruch beginge man im Geheimen, die Konkubinen habe man öffentlich. Dadurch werde dem ganzen Volk signalisiert, es sei kein schlimmes Verbrechen, eine Konkubine zu haben.8 Caesarius warnt ausdrücklich alle, die sich dem Konkubinat hingeben oder Ehebruch begehen, vor dem Gericht Gottes.9 Denn die Möglichkeiten der Kirche, hier erfolgreich einzugreifen, waren gering. „Aber vielleicht sagen jene“, so erklärt Caesarius, „die von dieser Sünde (dem Konkubinat) nicht befleckt worden sind: ‚Weshalb werden jene, die dies tun, nicht von der Gemeinschaft getrennt?‘ Deshalb nämlich kann ein solches Vergehen von den Bischöfen keineswegs bestraft werden, weil es von vielen begangen wird. Wenn nämlich einer oder zwei oder vier oder fünf eine solche schlimme Sünde zu begehen wagten, dann könnten und sollten sie nicht nur aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, sondern auch vom Gespräch und von der Mahlgemeinschaft mit dem christlichen Volk getrennt werden, gemäß jenem

6 7

8 9

incurrit, demissaque ab eodem, ne multo post tempore mortua est. Post quam Austerchilde cognomento Bobillam accepit, de qua iterum duos filios habuit, quorum senior Chlotharius, minor Chlodomeris dicebatur; diese und alle weiteren Übersetzungen: Sebastian Scholz. Vgl. etwa Ewig, Studien, S. 30f.; Esmyol, Geliebte, S. 45–47; Hartmann, Königin, S. 73f.; Hilchenbach, Das vierte Buch, S. 533–539; Dailey, Queens, S. 92f. Salvian, De gubernatione Dei libri VIII, 4, 5, S. 40: Nam de concubinis quippiam dici forsitan etiam iniustum esse videatur, quia hoc in comparatione supradictorum flagitiorum quasi genus est castitatis, uxoribus paucis esse contentum et intra certum coniugum numerum frenum libidinum continere. Coniugum dixi, quia ad tantam res impudentiam venit, ut ancillas suas multi uxores putent. Caesarius von Arles, Sermones 43, 4, S. 192. Caesarius von Arles, Sermones 43, 6, S. 193.

Gregor von Tours und sein Bild der Königinnen und Konkubinen der Herrscher

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Apostelwort: ‚Mit jemandem dieser Art sollt ihr nicht das Mahl einnehmen‘ (1 Kor 5,11). Doch die Menge der Sünder hindert die Bischöfe des Herrn, so wie es schon gesagt worden ist, gegen jene vorzugehen. Doch die guten Bischöfe tun, was sie können und sie bemühen sich, mit vollkommener Nächstenliebe zu beten und beständig zu seufzen und sie geben Seufzer und Schreie von sich…“10 Das Konkubinat war also ein Massenphänomen, das sich nicht einfach unterbinden ließ. Auffälliger Weise hat die fränkische Kirche im 6. und 7. Jahrhundert keinen Versuch gemacht, das Konkubinat von Laien in den Kanones zu verbieten. Ein solches Verbot, das schlicht nicht durchsetzbar war, hätte die Position der Kirche geschwächt. Nur für Kleriker erließ die Synode von Orléans 538 ein entsprechendes Verbot.11 Für Gregor von Tours und auch für andere Bischöfe dürfte es deshalb eine Zumutung gewesen sein, dass viele der merowingischen Könige Konkubinen hatten. Denn die Könige hätten ja eigentlich dem Volk mit gutem Beispiel vorangehen sollen.12 Die Wertschätzung Gregors gegenüber König Sigibert und seiner Frau, der visigothischen Königstochter Brunichild, erklärt sich auch aus dem Umstand, dass Sigibert eine seinem Rang angemessene Verbindung eingegangen war. Wenn selbst der rex bonus Gunthram, den Gregor in seinem Werk immer wieder als vorbildlichen König lobt,13 eine Konkubine nahm, so war das für Gregor problematisch. Er verschweigt dies jedoch nicht, was auch eine mögliche Strategie hätte sein können, sondern nutzt die Vorgänge für subtile Kritik. Denn er berichtet vom Tod aller Söhne Gunthrams14 und lässt Gunthram schließlich sagen, als er seinem Neffen Childebert II. sein Reich übergibt: „Nichts nämlich ist aufgrund der begangenen Sünden von meinem Stamm übriggeblieben.“15 Die Sünden kann man durchaus mit dem Fehlverhalten Gunthrams bei der Wahl seiner Frauen in Verbindung bringen. So sagt Gregor von Gunthrams Frau Austregilde, sie habe eine anima infelix, eine „elende Seele“ besessen. Als sie merkte, dass sie an der Pest sterben werde, habe sie auch andere mit sich in den Tod nehmen wollen. Nach Art des Herodes habe sie deshalb den König durch 10 Caesarius von Arles, Sermones 43, 5, S. 192: Sed forte illi, qui isto peccato non sunt maculati dicunt: Quare, qui hoc agunt, a communione non suspenduntur? Ideo enim tantum scelus a sacerdotibus minime vindicatur, quia a multis admittitur. Si enim unus aut duo aut quattuor vel quinque mala ista facere praesumerent, et poterant et debebant non solum a communione suspendi, sed etiam a conloquio vel convivio christiani populi separari secundum illud apostoli: ‚cum huiusmodi nec cybum quidem sumere‘; multitudo tamen peccantium, sicut iam dictum est, prohibet sacerdotes domini in illis distringere. Faciunt tamen boni sacerdotes quod possunt, et cum perfecta caritate contendunt orare et suspirare iugiter, et gemitus ac rugitus effundunt. 11 Synode von Orléans (538), can. 10 (9) (MGH Conc. 1, S. 76). 12 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 5, Prolog, S. 193. 13 Heinzelmann, Gregor von Tours, S. 57–61. 14 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 4, 25. 5, 17, S. 156. 215. 15 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 7, 33, S. 353.

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einen Eid verpflichtet, ihre Ärzte hinrichten zu lassen, weil diese sie nicht von der Pest heilen konnten. Der König kam seinem Versprechen nach und Gregor bemerkt dazu, vielen sei dies als eine Sünde erschienen.16 Gunthram wird hier also von seiner bösartigen Frau zur Sünde verleitet.17 Aber das Verhalten Gunthrams bei der Wahl seiner Frauen musste dem theologisch geschulten Leser ebenfalls als verwerflich erscheinen, auch wenn Gregor es nicht kommentiert. Wir erfahren von Gregor nicht, ob Gunthram seine Konkubine Veneranda entließ, als er Marcatrude heiratete. Falls er sie weiterhin behielt, machte er sich nach Caesarius von Arles auch noch des Ehebruchs schuldig. Caesarius bezeichnet sowohl das voreheliche als auch das nebeneheliche Konkubinat als adulterium.18 Gunthrams Ehefrau Marcatrude befand sich also möglicherweise in einer doppelten Konkurrenzsituation. Sie musste vielleicht die Gunst Gunthrams mit Veneranda teilen, sicherlich aber musste sie befürchten, dass der Sohn Venerandas ihrem eigenen Sohn vorgezogen werden und die Herrschaftsnachfolge antreten könnte.19 Der Giftmord an Gundobad mag unter diesen Umständen der Realität entsprechen. Gleichzeitig transportiert die Geschichte aber auch verbreitete Vorstellungen von der Bosheit der Frau. Marcatrude war als legitime Ehefrau Gunthrams quasi zur Stiefmutter Gundobads geworden. Und bezüglich der Stiefmütter hatte Gregor seine eigene Vorstellung. So schreibt er über die zweite Frau des Burgunderkönigs Sigismund: „Diese begann sehr böswillig gegen den Sohn dieser (der verstorbenen ersten Ehefrau) zu werden und ihn zu beleidigen, wie es Art der Stiefmütter ist.“20 Und über Fredegunde, die von Gregor überaus negativ dargestellte Frau König Chilperichs, erzählt er, sie habe dafür gesorgt, dass der König ihren Stiefsohn nach BernyRivière schickte, damit er an der dort ausgebrochenen Pest sterbe.21 Der Giftanschlag ist ein weiteres Kennzeichen der bösartigen Frau. So vergiftet Fredegunde einen Ankläger, der sie des Mordes an Bischof Praetextatus bezichtigt.22 Aber auch außerhalb der erzählenden Quellen erscheint die Frau als Giftmischerin. Die um 770 in Sens zusammengestellten Cartae Senonicae, die auf ältere Formeln zurückgreifen,23 enthalten folgende Bestimmung: 16 17 18 19

20 21 22 23

Gregor von Tours, Libri historiarum decem 5, 35, S. 241f. Ebd. Caesarius von Arles, Sermones 42, 5, S. 193; vgl. Esmyol, Geliebte, S. 78f. Dass dies möglich war, zeigt Gregor von Tours, Libri historiarum decem 5, 20, S. 228: … coepit ac dicere, quod filii eius regnum capere non possint, eo quod mater eorum ex familia Magnacharii quondam adscita regis torum adisset, ignorans, quod, praetermissis nunc generibus feminarum, regis vocitantur liberi, qui de regibus fuerant procreati. Gregor von Tours, Libri historiarum decem 3, 5, S. 100f.: quae valide contra filium eius, sicut novercarum mos est, malignari ac scandalizare coepit. Gregor von Tours, Libri historiarum decem 5, 39, S. 245. Gregor von Tours, Libri historiarum decem 8, 31, S. 308f. Vgl. dazu Rio, Legal Practice, S. 121–126.

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„Feststellung über Zauberkräuter. Feststellung, wie und in wessen Gegenwart jene Frau mit Namen A, die im pagus B zum öffentlichen Gericht kam, das in der Basilika des Heiligen C stattfand, vor diesen und jenen und weiteren guten Männern, die unten unterschrieben haben, nachdem sie ihre Hand auf den Altar jenes Heiligen C gelegt hatte, Folgendes schwor: ‚Ich schwöre hier bei diesem heiligen Ort und dem höchsten Gott und der Wirkmacht jenes Heiligen C: Da mich jener Mann D vor dem bedeutenden Mann E und anderen guten Männern verklagt hat, ich hätte ihm Zauberkräuter zubereitet und zu trinken gegeben, wodurch er krank geworden wäre oder sein Leben verloren hätte. Ich habe Zauberkräuter niemals als Zaubertrank zubereitet oder (ihm) zu trinken gegeben, wodurch er krank oder wahnsinnig geworden wäre oder sein Leben verloren hätte. Und ich gebe in keinem Fall in dieser Sache etwas anderes als diesen unanfechtbaren Eid. Bei diesem heiligen Ort und dem höchsten Gott und der Wirkmacht jenes Heiligen C.‘ Sofort aber haben danach die Männer selbst solches geschworen und sie haben mit ihren Stimmen nach dem Gesetz gesprochen.“24

Die Formel trägt zwar die Überschrift „Feststellung über Zauberkräuter“, letztlich geht es aber darum, dass die Frau den Mann angeblich mit einem aus Kräutern zubereiteten Trank vergiften wollte. Die Vorstellung von der Frau als Giftmischerin ist somit auch in den rechtlichen Gebrauchstexten präsent. Das heißt zugleich, dass vergleichbare Anklagen häufiger vorgekommen sein müssen, da es sonst keine Formel dazu gäbe. Bezeichnenderweise findet sich keine einzige Formel, in der Männer mit dieser Anklage konfrontiert werden. Die Rache für diese Untat lässt bei Gregor nicht lange auf sich warten. Nach der Ermordung Gundobads stirbt auch der Sohn Marcatrudes durch das Urteil Gottes. Außerdem zog sie sich den Hass ihres Mannes zu, der sich von ihr scheiden ließ. Der erste Teil dieses Abschnitts ist einfach zu deuten, da er zu dem regelmäßigen Schema bei Gregor gehört. Nach einer bösen Tat folgt früher oder später die Strafe Gottes. Der zweite Teil ist weniger klar, denn die fränkische Kirche kannte kein striktes Scheidungsverbot. Die zwischen 461 und 491 abgehaltene Synode von Vannes bestimmte in ihrem 2. Kanon: „Wir setzen fest, dass auch diejenigen, die, nachdem sie ihre Ehefrauen verlassen haben, – außer im Falle des Ehebruchs, so wie es im Evangelium gesagt wird (Mt 5, 32) – ohne den Ehebruch zu beweisen andere Frauen heiraten, von der Gemeinschaft fernge24 Cartae Senonicae 22, S. 194f.: Notitia de erbas maleficas. Notitia, qualiter et quibus presentibus veniens femina aliqua nomen illa in pago illo, in mallo publico, in basilica sancto illo, ante illos et illos et alius quam pluris bonis hominibus, qui subter firmaverunt, posita manu sua super sacrosancto altare sancto illo, sic iurata dixit: ‚Hic iuro per hunc loco sancto et Deo altissimo et virtutis sancto illo: unde me ille ante vir magnifico illo vel aliis bonis hominibus malavit, quae ego herbas maleficias temporasse vel bibere ei dedisse, per quid ipse infirmasset aut vita sua perdere debuisset: ego herbas maleficias nec potiones malas numquam temporavi nec bibere dedi, per quid ipse infirmus vel insanus fuisset aut vita sua perdere debuisset; et alio de ista causa in nullum non redibio nisi isto et idonio sacramento. Per hunc loco sancto et Deo altissimo et virtutis sancto illo‘. Insequenter vero post ipse tante iuraverunt et de linguas eorum legibus direxerunt.

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halten werden müssen, damit nicht die durch unsere Nachsicht übergangenen Sünden andere zur Zügellosigkeit des Irrtums einladen.“25 Nach dieser Bestimmung wäre eine Ehescheidung nur möglich gewesen, wenn der Mann seiner Frau Ehebruch nachgewiesen hätte.26 Die westgotische Synode von Agde 506, die im 6. Jahrhundert im Frankenreich stark rezipiert wurde, setzte aber in ihrem 25. Kanon eine offenere Praxis fest, die zu Beginn des 7. Jahrhunderts auch Eingang in die Vetus Gallica, die älteste systematische Kirchenrechtssammlung Galliens fand.27 Es heißt dort: „Jene Laien aber, die ihre Ehegemeinschaft wegen erheblicher Schuld auflösen oder sie schon aufgelöst haben und keine Gründe für die Scheidung glaubhaft vorlegen können oder deshalb ihre Ehen aufgelöst haben, damit sie unerlaubte oder fremde Beziehungen eingehen können, sollen, wenn sie die Frauen verstoßen haben, bevor sie bei den Diözesanbischöfen die Gründe für die Scheidung angegeben haben und bevor die Frauen durch ein Urteil schuldig gesprochen wurden, von der Gemeinschaft der Kirche und von der heiligen Zusammenkunft der Gemeinde ausgeschlossen werden, weil sie die Treue und die Ehe befleckt haben.“28 Hier erscheint eine Scheidung möglich, wenn die Männer dem Bischof nachvollziehbare Gründe für die Scheidung vorlegen. Da anders als in Vannes der Ehebruch nicht als einziger möglicher Grund für die Scheidung genannt wird, kamen nach der Bestimmung von Agde offenbar auch andere Gründe in Frage. Die weltliche Praxis war liberaler. Das bestätigt eine Formel aus der Formelsammlung von Angers, die möglicherweise im späten 6. Jahrhundert entstand.29 Die Formel lautet: „Meinem Herrn, aber nicht meinem liebsten, sondern meinem bittersten und ganz verworfenen Ehegatten sagt jene (die Frau): Weil es nicht unbekannt ist, dass wir durch das Wirken des Feindes und durch das Verbot Gottes nicht zusammen sein können, gefiel es uns vor allen guten Menschen, dass wir uns gegenseitig entlassen wollten. Und so haben wir es auch gemacht. Und wo auch immer mein Gatte eine Frau will, soll er die Erlaubnis und die Macht haben, dies zu tun. Ähnlich gefiel es auch jener, dass sie, wo auch immer sie, die oben 25 Synode von Vannes (461–491), can. 2 (Concilia Galliae a. 314-a. 506, S. 152): Eos quoque, qui relictis uxoribus suis, sicut in evangelio dicitur excepta causa fornicationis, sine adulterii probatione alias duxerint, statuimus a communione similiter arcendos, ne per indulgentiam nostrum praetermissa peccata alios ad licentiam erroris invitent. 26 Vgl. Pfammatter, Geschiedene Menschen, S. 255f. 27 Mordek, Kirchenrecht, XLIX, 5, S. 558. 28 Synode von Agde (506), can. 25 (Concilia Galliae a. 314-a. 506, S. 204): Hi vero saeculares, qui coniugale consortium culpa graviore dimittunt vel etiam dimiserunt, et nullas causas discidii probabiliter proponentes, propterea sua matrimonia dimittunt, ut aut illicita aut aliena praesumant, si antequam apud episcopum comprovinciales discidii causas dixerint et prius uxores, quam iudicio damnentur, abiecerint, a communione ecclesiae et sancto populi coetu pro eo, quod fidem et coniugia maculant, excludantur. 29 Rio, Formularies of Angers and Marculf, S. 248–254.

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benannte Frau, für sich einen Ehemann annehmen will, die Erlaubnis und die Macht haben soll, dies zu tun…“30 Demnach konnten sich Mann und Frau in gegenseitigem Einvernehmen trennen, wenn der Ehefriede so sehr gestört war, dass ein harmonisches Miteinander nicht mehr möglich schien. Danach gab es für beide die Möglichkeit, erneut zu heiraten. Da Gunthram begonnen hatte, Marcatrude zu hassen, gab es für ihn einen durchaus stichhaltigen Scheidungsgrund. Die Ursache des Hasses nennt Gregor nicht. Es gibt aus dem Text keinen Anhaltspunkt dafür, dass Gunthram von dem Giftmord wusste. Marcatrude scheint der Scheidung allerdings nicht zugestimmt zu haben, da Gregor schreibt, Gunthram habe sie verstoßen (demittere). Für Gregor musste diese Scheidung problematisch sein, weil sie in keiner Hinsicht den Erfordernissen der kirchenrechtlichen Bestimmungen Rechnung trug. Durch seine neue Ehe mit Austregilde machte sich Gunthram nach Kirchenrecht zudem des Ehebruchs schuldig. Diese Aspekte könnten dazu geführt haben, dass Gregor den Charakter Austregildes in den schwärzesten Farben malt. Sie besitzt einen nequam spiritus, einen „wertlosen Geist“ und eine anima infelix, eine „elende Seele“. Damit weist Gregor der Frau die charakterlichen Schwächen zu, die zur Sündhaftigkeit Gunthrams führen. Man fühlt sich hier an das Frauenbild des Augustinus erinnert, der den Frauen einen schwachen Charakter unterstellt, der von den Männern geleitet werden muss. In „De Genesi contra Manicheos“ schreibt Augustinus: „Aber dennoch hat (die Schlange) die Frau verführt. Unsere Vernunft kann nämlich nicht zur Zustimmung zur Sünde verführt werden, außer wenn der Reiz sie in jenem Teil der Seele bewegt, der der Vernunft gehorchen soll wie dem beherrschenden Mann.“31 Die Frau unterliegt also der Verführung durch die Schlange, weil sie nicht der Vernunft, sondern dem Reiz gehorcht. Und durch den Reiz kann sie dann auch den Mann verführen. Martin Heinzelmann hat darauf hingewiesen, dass Gregor Augustins „De civitate 30 Formulae Andecavenses 57, S. 24: Domeno non dulcissemo, sed amarissimo et exsufflantissimo iocali meo illo illa. Dum non est [incognitum], qualiter, faciente inimico et interticente Deo, ut insimul esse non potemmus, proinde convenit nobis ante bonis hominibus, ut ad vicem nos relaxare deberemus; quod ita et fecimus. Ubicumque iocalis meus muliere volueret, licenciam habiat potestatem faciendi; similiter et illa convenit, ut, ubicumque ipsa femena superius nominata sibi marito accipere voluerit, licenciam habiat potestatem faciendi. Et se fueret post tunc diae unus ex nus ipsis, qui contra hanc episthola ista agere aut repetire presumpserit, soledus tantus ad pare suo conponat una cum iudice intercidentem, et quod repetit nihil valeat vindecare, et hec epistola omni tempore firma permaneat. Neuedition mit deutscher Übersetzung jetzt im Projekt Formulae – Litterae – Chartae der Akademie der Wissenschaften in Hamburg unter https://werkstatt.formulae.uni-hamburg.de/te xts/urn:cts:formulae:andecavensis.form057.lat001%2Burn:cts:formulae:andecavensis.form0 57.deu001/passage/1%2Ball, abgerufen am 28. 01. 2020. 31 Augustinus, De Genesi contra Manicheos II, 14, 20, Sp. 207: Sed tamen mulier decipit: non enim ratio nostra deduci ad consensionem peccati potest, nisi cum delectatio mota fuerit in illa parte animi, quae debet obtemperare rationi tanquam rectori viro.

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Dei“ gut kannte.32 Aber Gregor dürfte auch andere Werke des Kirchenvaters gekannt haben. Für ihn lag jedenfalls die Hauptsünde bei den Frauen. Der rex bonus Gunthram selbst wird nirgendwo direkt von Gregor kritisiert. Trotzdem trifft auch ihn die Strafe Gottes, da alle seine Söhne sterben. Unmittelbar nach seinem Bericht über die Ehen Gunthrams wendet sich Gregor König Charibert zu. Dieser heiratete zunächst Ingoberga, die zwei Dienstmädchen hatte, nämlich Marcovefa und Meroflede. Diesen war der König in großer Liebe zugetan, wie Gregor schreibt. Da der Vater der beiden Mädchen als pauper und als Wollarbeiter bezeichnet wird, waren Marcovefa und Meroflede offenbar von freier Herkunft, da Gregor den Begriff pauper regelmäßig für Angehörige der freien unteren Mittelschicht verwendet.33 Marcovefa lebte zudem als Nonne außerhalb eines Klosters.34 Als Ingoberga, die offenbar beunruhigt über die große Liebe Chariberts zu den beiden Mädchen war, dem König zeigte, dass der Vater dieser nur ein armer Wollarbeiter war, wurde Charibert zornig, verließ Ingoberga und nahm Meroflede zur Frau. Daneben ehelichte er auch Theudichilde, die Tochter eines Schäfers, deren Sohn aber unmittelbar nach der Geburt starb.35 „Danach“, so fährt Gregor fort, „verband er sich mit Marcofeva in der Ehe, der Schwester von Meroflede. Aus diesem Grund sind beide vom heiligen Bischof Germanus exkommuniziert worden. Aber weil der König diese nicht verlassen wollte, starb sie vom Gericht Gottes getroffen. Und nicht viel später ist der König selbst nach dieser gestorben.“36 Theudichilde versuchte nach dem Tod Chariberts die Gunst Gunthrams zu gewinnen, der sie jedoch als Frau bezeichnete, die „unwürdig das Bett meines Bruders betrat“, und sie in ein Kloster sperren ließ.37 Auffällig ist, wie sich Gregors Berichterstattung verändert. Bei Gunthram, dem rex bonus, sind es die beiden bösen Ehefrauen, Marcatrude und Austregilde, die das Ansehen des Königs beschmutzen und ihn zur Sünde verführen. In dem Bericht über Charibert wird nicht nur das Verhalten der Frauen, sondern auch das Verhalten des Königs negativ dargestellt. Ingoberga sündigt, als sie dem König vor Augen führen will, aus welch niedrigen Verhältnissen Meroflede und Marcofeva stammen. Aber Charibert selbst macht sich der Doppelehe mit Me32 Heinzelmann, Works of Gregory of Tours, S. 287–292. 33 Schneider, Darstellung der Pauperes, S. 66–72; die Vermutung von Hilchenbach, Das vierte Buch S. 535 und von Dailey, Queens S. 94, Anm. 59, bei Meroflede und Marcofeva handele es sich möglicherweise um Unfreie, ist nicht haltbar. 34 Vgl. dazu Synode von Paris (614), can. 15 (MGH Conc. 1, S. 190). 35 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 4, 26, S. 157. 36 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 4, 26, S. 158f.: Post haec Marcoveifa, Merofledis scilicet sororem, coniugio copulavit. Pro qua causa a sancto Germano episcopo excomunicatus uterque est. Sed cum eam rex relinquere nollit, percussa iuditio Dei obiit. Ne multo post et ipse rex post eam decessit. 37 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 4, 26, S. 159: quae indigne germani mei torum adivit.

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roflede und Theudichilde schuldig und heiratet dann mit Marcofeva nicht nur eine Nonne, sondern auch noch die Schwester Merofledes. Damit verstieß er gleich doppelt gegen die kirchenrechtlichen Bestimmungen und auch gegen das weltliche Recht. Die Ehe mit der Schwester der Ehefrau war schon 306 auf der Synode von Elvira verboten worden und wurde auch von mehreren fränkischen Synoden untersagt, so von der Synode von Orléans 511, der Synode von Clermont 535, der Synode von Orléans 538 und der Synode von Paris 561 / 562.38 Außerdem war sie in zwei Gesetzen des Codex Theodosianus verboten worden, von denen eins auch in die Lex Romana Visigothorum übernommen worden war.39 Ebenso war die Heirat mit einer Nonne durch mehrere gallische Synoden untersagt worden.40 Es ist bezeichnend, dass sich die Synode von Tours, die 567 nach dem Tod Marcofevas und kurz vor dem Tod Chariberts mit dessen Einwilligung stattfand, in den beiden ungewöhnlich langen Kanones 21 und 22 ausführlich mit diesen beiden Verboten befasste.41 Die Kanones beziehen sich ausführlich auf ältere kirchenrechtliche Bestimmungen und auch auf den Codex Theodosianus.42 Hier stand letztlich der König in der Kritik wie auch in anderen Kanones der Synode.43 Gregor, der als Bischof von Tours die Beschlüsse der Synode von Tours 567 mit ziemlicher Sicherheit gekannt hat, hat die kritische Sichtweise der Synode im Hinblick auf Charibert übernommen. Da er betont, Marcofeva sei die Schwester der Meroflede gewesen, war für ihn wohl der Verstoß gegen das Inzestverbot der Hauptgrund für die Exkommunikation des Königs und seiner Frau. Bezeichnend ist, dass es Charibert ist, der Marcofeva nicht verlassen will, als beide exkommuniziert werden. Trotzdem wird zuerst die Frau von Gottes Strafe getroffen, dann stirbt auch der König. Anders als im Fall Gunthrams steht hier der König deutlich in der Kritik und wird nicht nur durch den Verlust der Kinder, sondern durch den Verlust des eigenen Lebens gestraft. 38 Synode von Orléans (511), can. 18 (MGH Conc. 1, S. 6); Synode von Clermont (535), can. 12 (MGH Conc. 1, S. 68); Synode von Orléans (538), can. 11 (MGH Conc. 1, S. 76f.); Synode von Paris (561 / 562), can. 4 (MGH Conc. 1, S. 144), zur Datierung dieser Synode vgl. Pontal, Synoden, S. 122f.; zum Problem der Inzestehe vgl. ausführlich Ubl, Inzestverbot, bes. S. 156– 159. 39 Codex Theodosianus III, 12, 2. III, 12, 4; Lex Romana Visigothorum, Cod. Theod. 3, 12, 4 Interpretatio, S. 90. 40 Zweite Synode von Arles (490–502), can. 52 (Concilia Galliae a. 314-a. 506, S. 124); zur Einordnung der Synode vgl. Mathisen, Second Council of Arles, S. 511–554; Synode von Orléans (549), can. 19 (MGH Conc. 1, S. 106); Synode von Paris (561 / 562), can. 5 (MGH Conc. 1, S. 144). 41 Ewig, Studien, S. 30 sieht den Grund für die Exkommunikation von Charibert und Marcofeva in ihrer Stellung als Nonne. Esmyol, Geliebte, S. 51f., Ubl, Inzestverbot, S. 156f. und Hilchenbach, Das vierte Buch, S. 538 sehen den Grund in der Inzestehe. 42 Synode von Tours (567), can. 21; can. 22 (MGH Conc. 1, S. 128–133). 43 Vgl. dazu Scholz, Merowinger, S. 128f.

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Insgesamt wird deutlich, wie präsent rechtliche Normen in der Sichtweise und Schilderung Gregors von Tours sind. Konkret benannt werden sie allerdings nicht, doch schwingen sie im Hintergrund mit und waren zumindest für die Leser aus den Reihen der Bischöfe erkennbar. Das Frauenbild wird dabei gemäß der Erzählabsicht gestaltet. Während im Falle Gunthrams die Frauen bösartig sind und den König zur Sünde verführen, werden sie im Falle Chariberts viel weniger mit negativen Attributen belegt. Hier ist eindeutig der König der Hauptschuldige. So erhält Meroflede überhaupt keine negativen Attribute. Ihre Schwester Marcofeva ist die einzige Frau Chariberts, über deren Handeln als Königin wir etwas erfahren. Sie nahm einen Knecht auf, den Gregor als übles Subjekt beschreibt, und machte ihn zum Aufseher über die Pferde. Daraufhin hoffte er, ihr Marschall werden zu können.44 Nur an dieser Stelle wird deutlich, dass auch die aus unteren Schichten stammenden Königinnen einem Teil des königlichen Hofes vorstanden und Handlungsvollmachten hatten. Aus dem oben dargelegten Befund mit Erin T. Dailey auf ein negatives Frauenbild Gregors zu schließen, greift allerdings zu kurz, weil ein solcher Schluss die Erzählstrategien Gregors nicht berücksichtigt. Über Brunichild schreibt Gregor: „Als König Sigibert nun sah, dass sich seine Brüder ihnen unwürdige Frauen wählten und durch ihre Geringschätzung auch Dienerinnen in die Ehe aufnahmen, sandte er eine Gesandtschaft nach Spanien und erbat mit vielen Geschenken Brunichild, die Tochter König Athangilds. Sie war nämlich ein Mädchen, geschickt in häuslichen Arbeiten,45 schön in ihrem Aussehen, ehrenhaft in ihren Sitten und ihrem Anstand, klug im Rat und gewinnend im Gespräch.“46 So hatte eine Königin nach Gregors Verständnis zu sein. Ihm geht es an den besprochenen Stellen vor allem darum, die Heirat mit Frauen aus niedrigeren Schichten als ein Fehlverhalten der Könige darzustellen und nicht darum, ein bestimmtes Frauenbild zu schaffen. Die Frauen werden für seine Erzählabsicht instrumentalisiert. Das zeigt sich auch darin, dass Ingoberga später von Gregor als sehr umsichtige und dem frommen Leben ergebene Frau beschrieben wird.47 Das Fehlverhalten der Könige entspringt ihrer vilitas, ihrer Geringschätzung einer standesgemäßen Ehe. Die Frauen verstoßen zum Teil gegen grundlegende Verhaltensregeln und Rechtsnormen und werden dadurch als minderwertig qualifiziert. In ihrem Verhalten zeigt sich, dass sie nicht als Kö44 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 5, 48, S. 257f. 45 Zur Übersetzung von elegans opere vgl. Hilchenbach, Das vierte Buch, S. 359. 46 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 4, 27, S. 160: Porro Sigyberthus rex cum videret, quod fratres eius indignas sibimet uxores acciperent et per vilitatem suam etiam ancillas in matrimonio sociarent. legationem in Hispaniam mittit et cum multis muneribus Brunichildem, Athanagilde regis filiam, petiit. Erat enim puella elegans opere, venusta aspectu, honesta moribus atque decora, prudens consilio et blanda colloquie. 47 Gregor von Tours, Libri historiarum decem 9, 26, S. 445.

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niginnen geeignet sind. Dadurch wird insbesondere der Fehler der Könige beleuchtet, solche Frauen zur Ehe zu wählen. Zudem nehmen die Könige selbst Handlungen vor, die sie in Konflikt mit kirchlichen und weltlichen Rechtsnormen bringen. Das ist unvereinbar mit einem gottgefälligen Leben und deshalb trifft sie Gottes Strafe. Weder Gunthram noch Charibert können ihre Reiche einem leiblichen Erben übergeben. Bei Charibert ist sein Fehlverhalten zudem der Grund für seinen frühen Tod.

Quellen Augustinus, De Genesi contra Manicheos, ed. Jacques-Paul Migne, Patrologiae cursus completus, Series Latina 34, Paris 1865, Sp. 173–220. Caesarius von Arles, Sermones, ed. Germanus Morin, Corpus Christianorum, Series Latina 103, Turnhout 1953. Cartae Senonicae, ed. Karl Zeumer, Monumenta Germaniae Historica, Formulae Merowingici et Karolini aevi I, Hannover 1886, S. 185–207. Codex Theodosianus. Theodosiani libri XVI cum constitutionibus Sirmondianis et leges novellae ad Theodosianum pertinentes Bd. 1, ed. Theodor Mommsen / Paulus M. Meyer, Berlin 21954, ND Berlin 1962. Concilia Galliae a. 314–a. 506, ed. Charles Munier, Corpus Christianorum, Series Latina 148, Turnhout 1963. Formulae Andecavenses, ed. Karl Zeumer, Monumenta Germaniae Historica Formulae Merowingici et Karolini aevi I, Hannover 1886, S. 1–25. Gregor von Tours, Libri historiarum decem, ed. Bruno Krusch / Wilhelm Levison, Monumenta Germaniae Historica, Scriptores rerum Merovingicarum 1,12, Hannover 1937– 1951. Lex Romana Visigothorum, ed. Gustav Haenel, Leipzig 1849. MGH Conc. 1 = Concilia aevi Merovingici, ed. Friedrich Maassen, Monumenta Germaniae Historica, Concilia I, Hannover 1893. Salvian, De gubernatione Dei libri VIII, ed. Karl Halm, Monumenta Germaniae Historica, Auctores antiquissimi 1,1, Berlin 1877.

Literatur Dailey, Erin T., Queens, Consorts, Concubines. Gregory of Tours and Women of the Merovingian Elite (Mnemosyne Supplements 381), Leiden / Boston 2015. Esmyol, Andrea, Geliebte oder Ehefrau? Konkubinen im frühen Mittelalter (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 52), Köln / Weimar / Wien 2002. Ewig, Eugen, Studien zur merowingischen Dynastie, in: Frühmittelalterliche Studien 8, 1974, S. 15–59. Hartmann, Martina, Die Königin im frühen Mittelalter, Stuttgart 2009.

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Heinzelmann, Martin, Gregory of Tours, The Elements of Biography, in: Murray, Alexander Callander (Hrsg.), A Companion to Gregory of Tours (Brill’s Companion to the Christian Tradition 63), Leiden / Boston 2015, S. 7–34. Heinzelmann, Martin, The Works of Gregory of Tours and Patristic Tradition, in: Murray, Alexander Callander (Hrsg.), A Companion to Gregory of Tours (Brill’s Companion to the Christian Tradition 63), Leiden / Boston 2015, S. 281–336. Heinzelmann, Martin, Gregor von Tours (538–594): „Zehn Bücher Geschichte“, Historiographie und Gesellschaftskonzept im 6. Jahrhundert, Darmstadt 1994. Hilchenbach, Kai Peter, Das vierte Buch der Historien Gregors von Tours: Edition mit sprachwissenschaftlich-textkritischem und historischem Kommentar, Bd. II (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 42), Bern 2009. Mathisen, Ralph, The „Second Council of Arles“ and the Spirit of Compilation and Codification in Late Roman Gaul, in: Journal of Early Christian Studies 5,4, 1997, S. 511– 554. Mordek, Hubert, Kirchenrecht und Reform im Frankenreich. Die Collectio Vetus Gallica, die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 1), Berlin / New York 1975. Pfammatter, Thomas, Geschiedene und nach der Scheidung wiederverheiratete Menschen in der katholischen Kirche. Kriteriologische Fundamente integrierender Praxis, Freiburg, Schweiz 2002. Pontal, Odette, Die Synoden im Merowingerreich (Konziliengeschichte. Reihe A, Darstellungen), Paderborn / Zürich 1986. Rio, Alice, The Formularies of Angers and Marculf: Two Merovingian Legal Handbooks. Translated with an introduction and notes (Translated Texts for Historians 46), Liverpool 2008. Rio, Alice, Legal Practice and the Written Word in the Early Middle Ages: Frankish Formulae, c. 500–1000, Cambridge 2009. Schneider, Johannes, Die Darstellung der Pauperes in den Historiae Gregors von Tours. Ein Beitrag zur sozial-ökonomischen Struktur Galliens im 6. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1966, 4, S. 57–74. Scholz, Sebastian, Die Merowinger, Stuttgart 2015. Ubl, Karl, Inzestverbot und Gesetzgebung: die Konstruktion eines Verbrechens (300–1100) (Millennium-Studien 20), Berlin 2008.

Thomas Pratsch

Theodora Augusta: von der Bühne auf den Kaiserthron

Eine der schillerndsten Frauengestalten des Byzantinischen Reiches im Verlauf der gesamten Geschichte von 330 bis 1453 u. Z. ist sicherlich Theodora, Ehefrau des Kaisers Justinian I. und gekrönte Augusta im 6. Jahrhundert. Das liegt daran, dass sie das gesamte Spektrum der üblichen spätantik-mittelalterlichen femininen Stereotypen überspannt – von der sündhaften Verführerin bis hin zur klugen Herrscherin. Maßgeblich für unsere heutige Einschätzung und Bewertung sind aber zunächst einmal die erhaltenen Quellen. Die Werke des Schriftstellers Prokopios von Kaisareia sind die wichtigsten und für bestimmte Ereignisse im Leben der Theodora auch einzigen Quellen.1 Prokop wurde um das Jahr 500 in Kaisareia in Palästina geboren. Er genoss eine rhetorische und juristische Ausbildung vermutlich an der Rechtsschule von Berytos. Im Jahre 527 finden wir ihn dann in Konstantinopel als Berater, Rechtsbeistand und persönlichen Adjutanten (consiliarius und assessor) des oströmischen Feldherren Belisarios. Als solcher nahm er auch persönlich an den Feldzügen dieses Generals gegen die Perser, die Vandalen und die Ostgoten teil. Über diese Feldzüge schrieb er später – der genaue Zeitpunkt der Abfassung ist umstritten: um 550 bis 553 oder erst um 560 – Kriegsberichte (Bella) in acht Bänden. Seine Schrift über die Bauten (De aedificiis) in sechs Bänden, in denen er die Bautätigkeit des Kaisers Justinian in Konstantinopel und in der Provinz beschreibt, war sicherlich eine Auftragsarbeit des byzantinischen Hofes. In beiden Werken wird Theodora gelegentlich erwähnt und werden teilweise interessante Informationen über sie mitgeteilt, aber sie bleibt eine Nebenfigur. Unmittelbar im Zentrum steht sie dagegen in einer eher problematischen Quelle aus der Feder des Prokop, nämlich der sogenannten „Geheimgeschichte“. Im griechischen Original trägt diese Schrift den Titel „Anekdota“, die „unveröffentlichte Geschichte“. Es handelt sich dabei um eine Schmähschrift, einen Psogos, ein denunziatorisches 1 Vgl. Brodka, Geschichtsphilosophie; Kaldellis, Procopius of Caesarea (stellt kontroverse Thesen auf und wird auch kontrovers diskutiert); Beck, Theodora und Prokop.; Cameron, Procopius; Rubin, Prokopios; Pratsch, Theodora.

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Pamphlet gegen Theodora sowie deren Freundin Antonina, die Frau des Belisarios, und im Grunde genommen gegen alle Frauen, denen Prokop einen negativen Einfluss auf ihre Männer unterstellt. Die Kaiserin und die Frau des berühmten Feldherren werden dafür gleichsam als zwei prominente Beispiele angeführt. In drei ganz unterschiedlichen Werken schrieb Prokop also mit jeweils unterschiedlicher, ja sogar gegensätzlicher Intention über Theodora. Dennoch ist es nicht so, dass die Nachrichten dieser drei Quellen sich gegenseitig ausschließen würden. Sie lassen sich durchaus in einen sinnvollen Zusammenhang stellen, wenngleich dabei einige Fragen offen bleiben müssen oder nur spekulativ beantwortet werden können. Es ist nicht überraschend, dass die beiden „offiziellen“ Schriften des Prokop über die Kriege und über die Bauten es nicht am Respekt gegenüber der Kaiserin fehlen lassen. Im Gegenteil wird sie als Unterstützerin des erfolgreichen Kaisers Justinian herausgestellt. Auf der anderen Seite ist nicht zu leugnen, dass die sogenannte „Geheimgeschichte“ von einem tiefen Hass auf die Kaiserin geprägt ist. Die genauen Daten und die Reihenfolge der Abfassung dieser drei Werke sowie die Gründe für den Sinneswandel bzw. die verschiedenen Standpunkte des Prokop sind Gegenstand einer langen, keineswegs abgeschlossenen Diskussion, die über die rein wissenschaftliche auch in die künstlerische Sphäre hinausreicht.2 Einige zeitnahe griechische und auch nichtgriechische Quellen – im wesentlichen Geschichtswerke wie die Chroniken des Agathias3 und des Ioannes Malalas4, Werke der Kirchengeschichtsschreibung wie Euagrios Scholastikos5 und Johannes von Ephesos6, Gesetzestexte, vor allem die Novellen Justinians selbst, Inschriften und anderes mehr – bestätigen punktuell und mitunter in abgeschwächter Form den Kern der Geschichte der Theodora, so wie Prokop sie erzählt! Man wird also diesen historischen Kern – Theodoras einfache Herkunft von der Bühne, ihre Nähe zur Prostitution in ihrer Jugend usw. – nicht völlig in Abrede stellen können, auch wenn sich der Nachweis führen lässt, dass Prokop einen Großteil seiner Informationen nur aus zweiter oder dritter Hand haben kann und daher vieles von seiner Phantasie ausgeschmückt sein dürfte.7 Was das Bild Theodoras angeht, so bieten die anderen byzantinischen Geschichtswerke – in erster Linie die Chronik von Prokops Zeitgenossen Ioannes Malalas, dann die wenig spätere Chronik des Agathias sowie die Chronographie 2 3 4 5 6 7

Vgl. etwa den Roman von Korber, Die Kaiserin. * um 531/32 in Myrina in Kleinasien, † um 582 in Konstantinopel. * um 490 in Antiocheis am Orontes, † nach 570 in Konstantinopel. * 536/37 in Epiphaneia in Syrien, † ca. 600. * um 507 bei Amida, † um 589. Prokopios kam ja erst ca. 527 in die Hauptstadt Konstantinopel, als Theodora bereits seit einiger Zeit, wohl seit Ende 524 oder Anfang 525, mit Justinian verheiratet war.

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des deutlich späteren Theophanes Confessor8, aber auch die Kirchengeschichte des Euagrios Scholastikos, die einen sehr hohen Anteil an Profangeschichte enthält – die „offizielle“ byzantinische Geschichtsschreibung. Ioannes Malalas reichert seine Chronik noch mit etwas antiochenischem Lokalkolorit an, aber alle zeichnen ein ausschließlich positives Bild der Theodora im Rahmen des üblichen kaiserlichen Enkomions.9 Es werden insbesondere ihre Tugenden und guten Werke hervorgehoben, sie wird als fromm und sittsam beschrieben. Anders liegen die Dinge jedoch bei dem miaphysitischen Bischof Johannes von Ephesos und dem ebenso miaphysitischen Bischof Johannes von Nikiu10 aus Ägypten. Diese Autoren versuchen, Theodora für die miaphasitische Sache zu vereinnahmen und als eine überzeugte Miaphysitin und tatkräftige Unterstützerin ihrer Sache darzustellen. An Sachverhalten außerhalb dieser religiösen Kontroverse scheinen diese Kleriker kaum bis gar nicht interessiert. Unmittelbar nach dem Tod der Theodora am 28. Juni 548 setzt ihre Legendenbildung ein. Zum einen wurde sie zu einer rechtmäßigen Heiligen der Konstantinopler Kirche,11 aber auch die Miaphysiten versuchten, sie zu einer Art miaphysitischen Heiligen zu stilisieren. Diese späteren Zusätze und Fiktionen können hier jedoch unberücksichtigt bleiben. Das grobe historische Gerüst liefern Prokop und die ihn punktuell bestätigenden oder ergänzenden Quellen.

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Die Schauspielerin

Es sind im Wesentlichen nur die Anekdota des Prokop, die uns über die Kindheit und Jugend der zukünftigen Kaiserin unterrichten, der diese Lebensphase dort detailliert beschreibt, obwohl er sie nicht selbst bezeugt haben kann. Diese Darstellung zeichnet etwa folgendes Bild:12 Demnach wurde Theodora ca. 497 in Konstantinopel als Tochter des Akakios, des Bärenwärters der Grünen – einer der Zirkusparteien im Hippodrom von Konstantinopel – geboren.13 Sie hatte zwei Schwestern, die ältere Komito und die jüngere Anastasia. Die Tätigkeit des Vaters ermöglichte der Familie ein bescheidenes Auskommen. Diese Stellung geriet in Gefahr, als der Vater plötzlich 8 * um 760 in Konstantinopel, † 12. März 818 in Samothrake. 9 Zur neueren Ioannes Malalas-Forschung s. die seit 2016 in den Malalas-Studien veröffentlichten Bände. 10 * etwa um 620, † wohl nach 700. 11 Vgl. Pratsch, Theodora, S. 118–121. 12 Prokop, Anekdota IX, 1–26. Ich gebe hier Zusammenfassungen dieses längeren Abschnitts in Paraphrasen wieder. Ausführlicher dazu Pratsch, Theodora S. 16–19; vgl. zur Thematik auch Leontsini, Prostitution S. 80f. 13 Prokop, Anekdota XXVI, 8.

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verstarb.14 Die Mutter heiratete jedoch bald wieder einen anderen Mann, der schließlich Tierwärter der Blauen – einer anderen Zirkuspartei – wurde. Die Tierdressuren stellten jedoch nur einen Teil des Unterhaltungsprogramms dar, das die Schaustellertruppen der Zirkusparteien in den Pausen zwischen den Wagenrennen anboten. So kam es, dass auch die Töchter bereits in jungen Jahren an Darbietungen auf der Bühne, an kleineren Stücken und Possenspielen, beteiligt waren. Laut Prokop hat sich Theodora bereits im jugendlichen Alter sexuellen Aktivitäten hingegeben. Zunächst hätte sie dabei mit den Sklaven Verkehr gehabt, die mit ihren Herren ins Theater gekommen waren. Sie soll sowohl im Bordell als auch auf der Straße angeschafft haben. Sie hätte ihre Schönheit an jeden verkauft, der danach verlangte. Später hätte sie an abendlichen Gelagen mit jungen Männern teilgenommen, die den Charakter von Orgien hatten. Sie sei dann auch in die Häuser von Vornehmen eingeladen worden, wo ähnliche Trinkgelage mit sexuellen Ausschweifungen stattfanden. Bei ihren Theatervorstellungen zog sie sich fast ganz nackt aus und trug lediglich um Lenden und Busen ein Tuch. So angetan, habe sie sich zurückgelehnt und sich rücklings auf den Boden gelegt. Diener hätten ihr nun Gerstenkörner auf die Scham gestreut, die dann von Gänsen, die eigens dafür abgerichtet waren, einzeln mit ihren Schnäbeln aufgesammelt und gefressen wurden.15 Bereits Hans-Georg Beck hatte herausgearbeitet,16 dass diese Darstellung des Prokop schon aus rein chronologischen Gründen weitgehend auf Wissen aus zweiter und dritter Hand und eben auf der Phantasie des Verfassers beruhen muss. Trotz erheblicher Zweifel an den von Prokop dargestellten Einzelheiten zweifelte aber auch Beck nicht an zwei grundlegenden Fakten: Das ist zum einen die Herkunft der Theodora aus dem niederen Stand der Schausteller, zum anderen die spätantike Verbindung von Bühne und Prostitution. Mithin kann es als sicher gelten, dass Theodora sich in ihrer Jugend als eine attraktive und erfolgreiche Bühnenschauspielerin betätigte, die sich auch zu Liebesdiensten an wohlhabenden Theaterbesuchern bereitfand, die ihr dafür im Gegenzug gewisse Vergünstigungen und finanzielle oder geldwerte Zuwendungen, etwa wertvollen Schmuck oder Kleider, zukommen ließen. Nachdem Theodora Kaiserin geworden ist, darf das so – abgesehen eben von der „unveröffentlichten Geschichte“ – eigentlich nicht mehr geäußert werden. Hinweise darauf finden sich jedoch auch

14 Die älteste Tochter Komito war damals noch nicht einmal sieben Jahre alt, Theodora dementsprechend vielleicht vier bis fünf. Der Vater verstarb also ca. 501/02. 15 Es ist schon oft bemerkt worden, dass es sich bei dieser Darbietung wohl um die Szene aus der griechischen Mythologie handeln dürfte, in der sich Zeus in Gestalt eines Schwans der ätolischen Prinzessin Leda nähert, mit der er dann Helena und Polydeukes zeugt. 16 Beck, Theodora und Prokop.

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in anderen Quellen, unter anderem auch in Form der besonderen Fürsorge, die sie später als Kaiserin Prostituierten angedeihen ließ.17 Die Darstellung bei Prokop zeichnet dennoch einen gewissen gesellschaftlichen Aufstieg nach: Am Anfang musste Theodora sich noch mit den Sklaven begnügen, dann besuchte sie mit wohl freien jungen Männern Trinkgelage, schließlich wurde sie sogar in die Häuser der Vornehmen eingeladen. Unwahrscheinlich ist diese Entwicklung nicht. Es ist gut vorstellbar, dass die offenbar begehrenswerte junge Frau im Zuge ihres körperlichen Heranreifens einen gewissen sozialen Aufstieg innerhalb der engen Grenzen ihres Standes erlebte. Theodora wurde bald zur begehrten Hetäre, die es sich leisten konnte, ihre Liebhaber oder Mäzene nach dem Vermögensstand und der Macht, die sie besaßen, auszuwählen. Jedenfalls legt die weitere Entwicklung laut Prokop einen solchen Verlauf nahe. Etwa um 518 sei sie nämlich die persönliche Geliebte eines gewissen Hekebolos geworden, eines Mannes aus Tyros, der zum Gouverneur der Pentapolis ernannt wurde, dem heutigen Libyen.18 Mit diesem Mann ging sie nun nach Nordafrika, überwarf sich aber bald darauf mit ihm und wurde verstoßen. Allein und mittellos sei ihr nun nichts anderes übriggeblieben, als sich wieder der Prostitution hinzugeben. Zunächst begab sie sich nach Alexandreia und durchstreifte dann auf ihrem Weg nach Konstantinopel den gesamten Osten des Reiches. Nach der Darstellung bei Prokop habe sie auf diesem Wege in jeder Stadt ihr anrüchiges Gewerbe ausgeübt. So kam sie dann auch nach Antiocheia in Syrien, wo sie von Makedonia aufgenommen wurde, der Solotänzerin der Zirkuspartei der Blauen in dieser Stadt. Diese verhalf der unglücklichen und völlig mittellosen Theodora laut Prokop in kurzer Zeit zu viel Geld.19 Etwa um 520/21 traf Theodora schließlich wieder in Konstantinopel ein. Prokop erwähnt immer wieder, dass Theodora aufgrund ihrer Tätigkeit als Prostituierte des Öfteren schwanger wurde. Sie habe diese Kinder dann abgetrieben oder nach der Geburt getötet bzw. sterben lassen. Dennoch hat sie bereits vor ihrer Bekanntschaft und späteren Ehe mit Justinian auch wenigstens zwei Kinder geboren: eine Tochter, deren Namen wir nicht kennen, und den Sohn Ioannes.20

17 Siehe dazu noch im Folgenden. 18 Prokop, Anekdota cap. IX, 27–28 und XII, 28–32. 19 Damit meint der Verfasser natürlich, dass sie Theodora jede Menge Aufträge als Hetäre vermittelte. 20 Prokop, Anekdota 9,19.

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Thomas Pratsch

Die Wohltäterin

Es gibt viele Gründe, an den Einzelheiten aus der Geheimgeschichte zu zweifeln, aber wir haben keinen Anlass, dieses Zeugnis völlig zu verwerfen. Vor allem deshalb nicht, weil wir noch über andere Quellen verfügen, die die Darstellung Prokops im Kern zumindest indirekt bestätigen. Dies führt uns aber bereits in die Zeit der Kaiserin, also etwa in das Jahr 525.21 Als Augusta blieb Theodora nämlich nicht untätig, sondern ergriff bewusst Maßnahmen zur Eindämmung der Prostitution und erwies ihre Fürsorge vor allem reuigen und ehemaligen Prostituierten. Der Chronist Ioannes Malalas berichtet darüber etwa folgendes: „Zu dieser Zeit fügte die fromme Theodora ihren anderen guten Taten noch diese hinzu: Die sogenannten Bordell-Betreiber pflegten an jedem Ort herumzugehen und sich nach Armen umzusehen, die Töchter hatten. Und sie machten ihnen, so sagt man, Versprechungen und gaben ihnen ein wenig Geld und nahmen diese Töchter, als hätte man einen Vertrag, und stellten sie öffentlich aus und schmückten sie, wie ihr elendes Los es erforderte, und nahmen von ihnen den erbärmlichen Preis ihrer Körper und zwangen diese zur Prostitution. All diese Bordell-Betreiber befahl sie mit größter Dringlichkeit festzunehmen. Nachdem diese nun zusammen mit den Mädchen herbeigeschafft worden waren, befahl sie einem jeden von ihnen, unter Eid auszusagen, welchen Preis sie den Eltern der Mädchen gezahlt hatten. Und sie sagten aus, dass sie jeweils fünf Goldmünzen gezahlt hätten. Und nachdem sie alle unter Eid ausgesagt hatten, gab ihnen dieselbe fromme Kaiserin das Geld zurück und befreite die Mädchen so von dem Joch der elenden Sklaverei und befahl, dass es von nun an keine Bordell-Betreiber mehr geben solle. Sie schenkte den Mädchen jeweils einen Satz Kleider und gab jeder eine Goldmünze und entließ sie.“22

Theodora kaufte also Prostituierte aus ihrer Abhängigkeit frei und versuchte, Maßnahmen gegen die Prostitution zu ergreifen. Diese Maßnahmen werden auch in Gesetzesform greifbar etwa in einer Novelle Justinians gegen die Zuhälterei.23 In diesem Gesetzestext werden generell die Zuhälterei, das Anwerben junger Mädchen zur Prostitution sowie die Zwangsprostitution unter Androhung schwerer Strafen auch für diejenigen verboten, die die Zuhälterei unterstützten oder auch nur deckten. Das bedeutet, dass auch die potentiellen Freier einer Strafe entgegensehen mussten. Dieses Gesetz mag auch auf die Anregung Theodoras zurückgehen. In seiner schmeichelhaften Schrift „Über die Bauten“ (De aedificiis) bestätigt Prokop selbst diese Maßnahmen gegen die Prostitution und fügt der Darstellung 21 Die Ehe zwischen Justinian und Theodora wurde gegen Ende 524 oder Anfang 525 geschlossen, vgl. Pratsch, Theodora, S. 37f. 22 Malalas 18, 24. Übers. von J. Thurn (†) und M. Meier (Bearb.). Vgl. auch Johannes von Nikiu 93.3. Zur Stelle vgl. Leontsini, Prostitution, S. 78f. 23 Nov. XIV.

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des Ioannes Malalas noch ein Detail hinzu:24 Er berichtet dort davon, dass Justinian und Theodora gemeinsam einen ehemaligen Kaiserpalast am Ufer des Bosporos zu einem Kloster um- und ausbauten. Dieses Kloster wurde als „Kloster der Reue“ (τῆς Μετανοίας) bezeichnet und sollte fortan ehemaligen Prostituierten als Heim und Zuflucht dienen. Prokop stellt den Sachverhalt in der „Geheimgeschichte“ dann allerdings anders dar: „Auch wegen sittlicher Vergehen war Theodora eifrig bemüht Strafen auszusinnen. Sie sammelte mehr als fünfhundert Huren, die mitten auf dem Marktplatz für drei Obolen ihren Lebensunterhalt verdienten, schickte sie ans jenseitige Ufer und sperrte sie in das Kloster Metanoia (Reue), damit sie ihre Lebensweise änderten. Einige davon stürzten sich nachts von der Höhe herab und entzogen sich so der unfreiwilligen Besserung.“25

Dennoch bestätigt Prokop damit aber den Freikauf von Prostituierten durch Theodora und berichtet ferner von der Einrichtung eines Asyls „der Reue“ für ehemalige Prostituierte. Sowohl in der Darstellung des Malalas als auch in der des Prokop werden gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Prostitution erwähnt, die sich, wie oben bereits erwähnt, durchaus konkret benennen lassen: In seiner Novelle 14 vom Dezember des Jahres 535 verbot Kaiser Justinian die Zuhälterei im gesamten römisch-byzantinischen Reich. In seiner Novelle 51 vom September 537 legte er fest, dass Schauspielerinnen keine Bürgschaften oder Eide abverlangt werden dürften, die diese an die Bühne banden. Schließlich dürfte auch die Novelle 117 über die Möglichkeit der Eheschließung zwischen hohen Würdenträgern und Schauspielerinnen und Prostituierten zu einer Verbesserung der Situation für diesen Stand beigetragen haben.26 Außerdem nahm Theodora wohl auch ehemalige Prostituierte in ihren persönlichen Dienst, wie Prokop in den Anekdota quasi nebenher mitteilt, wenn die Rede auf eine gewisse Chrysomallo und deren Gefährtinnen kommt.27 In diesem Zusammenhang erwähnt er auch,28 dass sich die Fürsorge der Theodora sogar auf die Kinder der ehemaligen Prostituierten erstreckte. Theodora habe dafür gesorgt, dass ein vornehmer junger Mann, ein gewisser Saturninos, der Sohn des Magisters Hermogenes, die Tochter der obengenannten Chrysomallo ehelichte, obwohl er doch bereits mit einem Mädchen edler Herkunft verlobt gewesen war. Als dann Saturninos seine Braut in der Hochzeitsnacht bereits entjungfert vorfand, habe er sich öffentlich darüber beklagt. Daraufhin habe Theodora ihn mit 24 Prokop, De aedificiis I, 9. Übers. von O. Veh. Vgl. ferner zu dem Kloster Janin, Les églises et les monastères, S. 332; Berger, Patria Konstantinupoleos, S. 659; Leontsini, Prostitution, 151–153. 25 Prokop, Anekdota XVII, 5–6. Übers. von O. Veh. 26 Vgl. Leontsini, Prostitution, S. 178. 27 Prokop, Anekdota XVII, 34–36. Vgl. auch Leontsini, Prostitution, S. 48–50. 28 Prokop, Anekdota XVII, 31–37.

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Hieben bestrafen lassen und ihm verboten, die Tochter der Chrysomallo weiterhin zu verleumden. Laut Prokop29 sei die Kaiserin auch noch in zahlreichen weiteren Fällen ähnlich verfahren. Was Prokop wie planlose Willkür der Theodora aussehen lassen möchte, spricht eher für eine geschickte Heiratspolitik als Mittel der Verteilung sozialer Vergünstigungen, in die auch ehemalige Prostituierte und sogar deren Kinder miteinbezogen wurden. In ähnlicher Weise hat sich Theodora auch um junge Mädchen gekümmert, die sich lediglich in der drohenden Gefahr befanden, einen sozialen Abstieg zu erleben. Ioannes Malalas berichtet etwa von dem Beispiel der drei Töchter des Eulalios, der durch einen Brand verarmt war. Theodora rettete diese jungen Frauen vor dem sozialen Abstieg, indem sie sie als Kammerfrauen in ihr Gefolge aufnahm und für ihren Lebensunterhalt sorgte.30 Theodora scheint laut Prokops Darstellung in den „Gotenkriegen“ auch in das Schicksal von Frauen eingegriffen zu haben, wann immer sie meinte, diese Frauen dadurch vor einer Gefahr bewahren oder ihnen helfen zu können. So wird dort von einer jungen Witwe namens Preiekta berichtet, die ein gewisser Artabanes, kaiserlicher Statthalter in Lybien, zur Frau nehmen wollte. Theodora vereitelte diese Eheschließung, weil sie wusste, dass Artabanes bereits verheiratet war und seine erste Frau verstoßen hatte.31 Es ist sicherlich übertrieben, die relativ frauenfreundliche Gesetzgebung Justinians32 allein auf den Einfluss Theodoras zurückzuführen, dennoch wird man ihr die Rolle einer Ratgeberin zugestehen müssen, wie sie ja von Justinian in seiner Novelle 8 gegen den Kauf öffentlicher Ämter selbst eingeräumt wird. Dort heißt es nämlich,33 dass der Kaiser, nachdem er sich selbst seine Gedanken gemacht hatte, auch den Rat seiner ihm von Gott gegebenen allerfrömmsten Ehefrau eingeholt habe. Johannes von Ephesos, der syrische Kirchenhistoriker und miaphysitische Bischof, der ein Zeitgenosse, Günstling und Bewunderer der Theodora war und erst auf Anregung der Kaiserin zum Bischof von Ephesos erhoben wurde, bezeichnet sie als Theodora „aus dem Bordell“.34 Da Johannes erst nach Konstantinopel kam, als Theodora bereits Kaiserin war, zeigt dies, dass Gerüchte über ihre skandalumwitterte Vergangenheit noch in der Hauptstadt kursierten. Es deutet also Vieles darauf hin, dass ihre Herkunft sie stark geprägt hatte. Dies dürfte auch der Hintergrund sein für ihr besonders starkes soziales Enga29 30 31 32

Prokop, Anekdota XVII, 28–30; vgl. Pratsch, Theodora, S. 28f. Vgl. Malalas 18, 23. Prokop, Bella Gothica III, 31, 10–14; vgl. Pratsch, Theodora, S. 29f. Vgl. Garland, Theodora, S. 15–18; Krumpholz, Novellengesetzgebung Justinians, S. 191– 201. 33 Nov. VIII, 1. 34 Johannes von Ephesos, Vitae, in: PO 17, 1923, S. 188f.

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gement, wenn es um Prostitution, Schauspielerinnen und die Situation abhängiger Frauen ging. Zwar war die Fürsorge für „gefallene Mädchen“ immer ein Bestandteil des wohltätigen Wirkens von Kaiserinnen, dennoch wird dieser Punkt bei Theodora besonders hervorgehoben. Dies bestätigt zwar nicht die Einzelheiten der Darstellung ihrer Jugend durch Prokop in den Anekdota, aber doch indirekt den wahren Kern ihrer Herkunft aus dem niederen Stand der Schauspieler und wohl auch ihre Vergangenheit als Geliebte reicher und einflussreicher Männer. Ein Weg, der sie schließlich bis in den byzantinischen Kaiserpalast und zum potentiellen Thronfolger Justinian führen sollte.

3.

Die Augusta

Theodora war aber nicht nur Ehefrau und Mutter,35 sondern auch Politikerin. Dabei reichten ihre Aufgaben über rein repräsentative und karitative Funktionen hinaus, die sie natürlich auch wahrnahm. Sie traf wichtige Entscheidungen und leitete diplomatische Missionen. Sie übernahm die Rolle einer kaiserlichen Beraterin und wird in den Gesetzen als Mitautorin genannt. Im folgenden sollen die einzelnen Tätigkeitsfelder der Theodora etwas genauer beleuchtet werden. Die Hauptstadt Konstantinopel stand im Januar des Jahres 532 an mehreren Stellen in Flammen.36 Zehn Tage lang plünderte ein Teil der Bevölkerung die Stadt. Brandschatzend zog der Mob durch die Straßen. Markante Gebäude der Stadt gingen dabei in Flammen auf. Schließlich erreichte die Auflehnung gegen die Herrschaft Justinians ihren Höhepunkt: Eine große Menge Volk versammelte sich im Hippodrom, das an den Palastbezirk grenzte, und präsentierte dort Hypatios, einen Neffen des früheren Kaisers Anastasios (reg. 491–518), als Thronprätendenten. Über die Ursachen des Aufstands ist viel diskutiert worden. Eine Vielzahl von möglichen sozialen und ökonomischen Ursachen wurde dabei erwogen. Diese könnten zusammengefallen sein mit einem aristokratischen (senatorischen) Widerstand gegen die Person des Emporkömmlings Justinian, der eben nicht einer der angestammten aristokratischen Familien entstammte.

35 Zu ihren Kindern und Enkeln und der „Patchworkfamilie“, die sie zusammen mit ihrem Ehemann Justinian bildete, vgl. Pratsch, Theodora, S. 42–48. Zu spätantiken Patchworkfamilien vgl. Schnizlein, Patchworkfamilien. 36 Es handelt sich dabei um den sogenannten Nika-Aufstand, vgl. Ayaita, Justinian und das Volk; Leppin, Justinian, S. 142–148; Meier, Die Inszenierung einer Katastrophe, S. 273–300; Greatrex, The Nika Riot, S. 60–86; Beck, Theodora, S. 35–40; Evans, The ‚Nika‘ Rebellion, S. 380–382; Cameron, Circus factions, S. 278–281.

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Dies deckte sich eventuell mit dem Wunsch des Kaisers, ebendiesen Widerstand auszuschalten.37 Prokop berichtet darüber in seinen „Perserkriegen“ ausführlich.38 So soll gerade in dieser brisanten Situation, als das Volk sich im Hippodrom versammelt und der Thronprätendent Hypatios bereits in der kaiserlichen Loge Platz genommen hatte, im Palast eine Krisensitzung abgehalten worden sein. Während der Kaiser bereits über Flucht nachgedacht haben soll, habe Theodora eine leidenschaftliche Rede gehalten,39 die Justinian überzeugt haben soll, dass die Flucht eines Kaisers unwürdig sei. Aufgrund dieser Rede soll sich der Kaiser dann zu einem harten Durchgreifen entschlossen haben: Er schickte seinen besten Feldherren Belisar mit seinen Elitesoldaten und den Heermeister Mundos mit einem Kontingent herulischer Söldner in das Hippodrom und ließ den Aufstand blutig niederschlagen. Zwischen 30.000 und 35.000 Menschen sollen dabei getötet worden sein. Zahlreiche namhafte Senatoren wurden hingerichtet oder verbannt und ihr Vermögen konfisziert. Indem man die Rede der Theodora als historisch angesehen hat, kam es zu der Deutung ihrer Persönlichkeit als einer entschlossenen, aber auch machtversessenen Herrscherin. Inzwischen hat man sich aber von dieser Interpretation eher distanziert.40 Vielmehr passt die Rede in den Kontext der Anzeichen von Unentschlossenheit und Schwäche während der ersten Jahre der Herrschaft des Kaisers. Mischa Meier hat dagegen zuletzt vermutet,41 dass die Gerüchte vom Kaiser selbst gestreut worden seien, um den Konflikt eskalieren zu lassen42 und dadurch die senatorischen Gegner aus der Reserve zu locken. Wenn dies der Plan gewesen war, hatte er jedenfalls Erfolg, denn von einem senatorischen Widerstand ist im Anschluss keine Rede mehr. Vermutlich kannte Prokop das Gerücht von den Fluchtabsichten des Kaisers, das während des Aufstands die Runde machte, und legte es im Rahmen seiner Darstellung der Theodora in den Mund. Die Kaiserin selbst möchte er dabei als vorlaut und anmaßend hinstellen. Dabei dürfte es zwar in Theodoras Interesse gelegen haben, sich nicht wieder vom kaiserlichen Purpur zu trennen. Doch den Entschluss zur blutigen Niederschlagung des Nika-Aufstands fasste – wahrscheinlich nach intensiven Beratungen mit seinen engsten Vertrauten, darunter eventuell auch mit seiner Frau Theodora – am Ende ganz allein Justinian.

37 Bei Meier, Justinian, S. 47–55, trägt der entsprechende Abschnitt bezeichnenderweise auch die Überschrift „Konsolidierung der Herrschaft“. 38 Prokop, Bella Persica I, 24, 1–58. 39 Prokop, Bella Persica I, 24, 33–37. 40 Leppin, Kohabitation, S. 75–85. 41 Meier, Justinian, S. 47–51. 42 Wenn er ihn nicht ganz und gar provoziert hatte, vgl. Meier, Justinian, S. 50f.

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Von Anfang an wurde Theodora mit wichtigen außenpolitischen Aufgaben betraut. Dies ist außergewöhnlich und spricht dafür, dass Justinian die diplomatischen Fähigkeiten seiner Frau anerkannte und schätzte. Es dürfte allerdings zu weit gehen, wollte man ihr in dieser Hinsicht ein relativ selbständiges oder gar unabhängiges Handeln bescheinigen. Dies lässt sich besonders gut anhand der Wirren um den ostgotischen Königsthron in Italien nach dem Tode Theoderichs des Großen in den verschiedenen historischen Quellen nachweisen: Theoderich der Große, der mit Billigung des byzantinischen Kaisers als König von Italien (rex Italiae) regierte, starb am 30. August 526 in Ravenna im Alter von 70–75 Jahren. Zuvor hatte er seinen Enkel Athalarich zu seinem Nachfolger eingesetzt. Da der Enkel erst zehn Jahre alt war, sollte seine Mutter Amalasuntha, die Tochter des Theoderich, die Regentschaft übernehmen. Dies entsprach nicht der gotischen Tradition, nach der stets ein erwachsener Mann regieren sollte, und man musste mit Widerständen seitens des gotischen Adels rechnen. Bereits kurz nach dem Tod Theoderichs kam es zu ersten Spannungen. Als König Athalarich im Jahre 534 im Alter von nur achtzehn Jahren verstarb, wurde Amalasuntha Königin der Ostgoten. Sie glaubte aber offenbar, sich nur halten zu können, wenn sie einen Mann, nämlich ihren Cousin Theodahad, zum Mitkönig erheben würde. Bald nachdem dies geschehen war, kam es zu einem zähen Ringen um die Macht zwischen Amalasuntha und Theodahad. In dieser Auseinandersetzung wandten sich die ostgotische Königin und der ostgotische König jeweils mehrfach an das byzantinische Kaiserhaus in Konstantinopel, entweder um sich des Rückhalts der Schutzmacht zu versichern oder um sie zu beschwichtigen und von einem Eingreifen in Italien abzuhalten. Der Kaiser ließ dabei stärkere Sympathien für Königin Amalasuntha erkennen. Dennoch ließ König Theodahad Amalasuntha schließlich in Ravenna verhaften und internierte sie auf der Insel Martana im Bolsenasee in Tuscien. Dort wurde sie dann von Vertretern des ostgotischen Adels im Jahre 535 ermordet. Damit war der Anlass für die Gotenkriege Justinians gegeben.43 Die Kontakte zwischen dem ostgotischen Königshaus und dem byzantinischen Kaiserhaus aus dieser Zeit sind etwa bei Cassidor, der lange Zeit die Zivilverwaltung der Ostgoten in Italien leitete, sehr gut bezeugt.44 Man kann erkennen, dass auf byzantinischer Seite auch die Augusta Theodora stark involviert war, ebenso auf ostgotischer Seite die Königin Amalasuntha, aber auch die dort ebenfalls als Königin (regina) bezeichnete Gudeliva, die Frau des Königs Theodahad.45 Man kann ferner feststellen, dass es nur eine byzantinische Position gab. 43 Prokop, Bella Gothica I, 2, 1 – I, 4, 31. 44 Vgl. etwa Cassiodor, Variae X, 126; zu Cassidor vgl. Christensen, Cassiodorus; Hafner, Cassiodor. 45 Cassiodor, Variae X, 24.

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Es finden sich keinerlei Anhaltspunkte für etwaige Unterschiede in den Standpunkten zwischen Justinian und Theodora.46 Von Prokop werden die genannten Ereignisse gleich zweimal dargestellt. Zunächst schrieb er eine ausführliche Schilderung in seiner Kriegsgeschichte, wo er diese Dinge als Auslöser der Gotenkriege erläuterte.47 Diese Darstellung deckt sich im Grunde mit dem oben geschilderten Verlauf der Ereignisse. Dort handelt für die byzantinische Seite allein der Kaiser – Theodora kommt nicht vor. Dann kommt Prokop später aber auch in seinen Anekdota noch einmal auf diese Ereignisse zurück und erweitert sie nun um einen pikanten Punkt. Demnach sei Theodora nämlich eifersüchtig auf die schöne Amalasuntha gewesen. Als sie befürchten musste, dass die Gotenkönigin nach Konstantinopel übersiedeln könne,48 habe sie heimlich deren Ermordung in Auftrag gegeben.49 Man erkennt hier die Arbeitsweise, die Prokop in den Anekdota verwendet, um Theodora zu verunglimpfen:50 Er unterstellt, dass ausschließlich niedere menschliche Triebe – in diesem Falle die Eifersucht – Beweggründe ihres Handelns gewesen seien, weiterhin habe sie natürlich keinerlei Skrupel gehabt und sei nicht einmal vor Mord zurückgeschreckt! Abgesehen davon, dass Prokop selbst die Ereignisse an anderer Stelle ganz anders dargestellt hat, und abgesehen auch davon, dass ein solcher Mord nicht im Interesse Konstantinopels gelegen hätte, liegt auf der Hand, dass diese Interpretation nicht den geringsten Quellenwert besitzt. Dennoch hat man in der Forschung oft genug gerade diese Stelle herangezogen, um den vermeintlichen Nachweis zu führen, dass Theodora mitunter eine eigene und von Justinian deutlich unterscheidbare, ja mitunter sogar seinen Absichten entgegengesetzte Politik betrieben habe. Dafür gibt es jedoch keinerlei Anzeichen. Zwei Chroniken illustrieren wohl viel besser die Rolle Theodoras in außenpolitischen Angelegenheiten, die dort die Politik ihres Mannes auf weiblicher Ebene ergänzt. Zum einen berichtet die Chronik des Ioannes Malalas wohl zum Jahre 530/31 ganz kurz Folgendes:

46 Weder bei Cassiodor, Variae X, 126, noch bei Prokop, Bella Gothica I, 2, 1 – I, 4, 31, finden sich darauf Hinweise. 47 Prokop, Bella Gothica I, 2, 1 – I, 4, 31. 48 Vgl. Prokop, Bella Gothica I, 2, 20–29, wo davon berichtet wird, dass Amalasuntha Vorkehrungen für eine Flucht nach Byzanz traf für den Fall, dass ein Mordanschlag auf drei gotische Adlige, den sie befohlen hatte, misslingen sollte. Der Mordanschlag war jedoch erfolgreich, und Amalasuntha rief daher ihr königliches Schiff mit dem Königsschatz aus dem Hafen von Epidamnos, wo es vorsorglich in Sicherheit gebracht worden war, zurück nach Ravenna. 49 Prokop, Anekdota XVI, 1–5; vgl. dazu Pratsch, Theodora, S. 54–56; Goltz, Gefühle. 50 S. dazu schon Beck, Theodora, S. 127–129.

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„In diesem Jahr wurden Geschenke gesandt vom Kaiser der Römer an den Großkönig der Perser. In gleicher Weise sandte die Augusta Geschenke an die Großkönigin der Perser, die dessen Schwester war.“51

Zum anderen berichtet die Chronik des Theophanes zum Jahre 534/35 ganz ähnlich: „In diesem Jahr kam der König der Iberer (sc. Georgier) Zamanarzos nach Konstantinopel zum allerfrömmsten Kaiser Justinianos mit seiner Frau und seinen Beratern und bat diesen darum, ein aufrichtiger Freund und Verbündeter der Römer zu werden. Der Kaiser aber billigte eine derartige Gesinnung und ehrte ihn und seine Berater mit vielen Geschenken. In gleicher Weise schenkte auch die Augusta seiner Frau Schmuckstücke, die ganz aus Perlen waren. Und er entließ sie in Frieden in das eigene Königreich.“52

Prokop berichtet in den Anekdota nun von einem Brief der Theodora, den sie wohl im Jahre 540 an Zaberganes geschrieben habe, einen vornehmen Perser aus der Umgebung des Großkönigs, der als Gesandter in Byzanz gewesen war. Der persische Großkönig Chosroes I. war wegen militärischer Misserfolge in Bedrängnis geraten und las nun den Brief selbst vor, um damit die Schwäche der Römer aufzuzeigen.53 Angeblich habe Theodora darin um Frieden gebeten und dafür eine hohe Belohnung durch ihren Gatten in Aussicht gestellt. Falls der Brief echt oder wenigstens zutreffend referiert ist, was möglich erscheint,54 gelingt es Prokop hier wieder, eine an sich „normale“ und sinnvolle außenpolitische Aktivität der Theodora ins Negative umzudeuten: Die Perser hätten aus dem Schreiben gefolgert, dass Byzanz von einer Frau regiert werde. Der Vorwurf ist zwar absurd, aber er eignet sich dennoch zur Denunziation. In Wahrheit teilt Theodora ja mit, dass ihr Schreiben mit dem Kaiser abgesprochen ist. Diese Beispiele zeigen, dass Theodora im Rahmen der Außenpolitik lediglich die üblichen Repräsentationspflichten versah, die für römisch-byzantinische Kaiserinnen üblich waren. Dabei pflegte sie vor allem den Kontakt zu den Gemahlinnen ausländischer Herrscher, mit denen ihr Mann in Verhandlungen stand. Bisweilen agierte sie auch stellvertretend für den Kaiser, etwa im Falle des Schreibens an Zaberganes, aber nie ohne Abstimmung mit ihm. Damit fällt aber die These von einer selbständigen und unabhängigen Außenpolitik der Kaiserin. Eine größere Selbständigkeit und Unabhängigkeit Theodoras könnte man dagegen auf dem Gebiet der Innenpolitik und vor allem der Personalpolitik 51 Malalas 18, 61. Übers. vom Verfasser. 52 Theophanes 216,7–14. Übers. vom Verfasser. Vgl. dazu Mango / Scott, Theophanes S. 313 Anm. 1. 53 Prokop, Anekdota II, 32–36. 54 Vgl. O. Veh, in: Prokop, Anekdota S. 286.

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feststellen. Auf diesem Gebiet zeigte Theodora des Öfteren ein offenbar eigenwilliges Engagement, bisweilen anscheinend sogar gegen die vermeintlichen Intentionen ihres Mannes. Das bekannteste Beispiel dafür ist wohl ihr nachdrückliches Eintreten für eine Entmachtung des Ioannes Kappadox. Ioannes hatte bereits als Skriniarios55 im Militär gedient und war später als Illustrios56 in die Finanzverwaltung versetzt worden. Im Jahre 530 wurde er vom Kaiser zum praefectus praetorio ernannt,57 dem insbesondere die Aufsicht über die Finanzen und die delikate Aufgabe der Steuererhebung und -eintreibung oblag. Diese für die Solidität der Staatsfinanzen zentrale Aufgabe erfüllte er offenbar genau und effektiv. Von der alteingesessenen Senatsaristokratie – deren Ansichten etwa bei Johannes Lydus in seinem Werk über die Ämter des römischen Staates und bei Prokop widergespiegelt werden – wurde dies sehr kritisch gesehen, da diese von der Besteuerung stark betroffen war. Das Wirken des Ioannes wird daher bei Johannes Lydus etwa folgendermaßen dargestellt: Er habe ehrbare Leute in Ketten gelegt, ins Gefängnis geworfen und gefoltert, um an ihr Gold zu kommen.58 Bei der wohl übertrieben dargestellten Maßnahme handelte es sich um eine Art Beugehaft zur Erzwingung der finanziellen Offenbarung und anschließender entsprechender Besteuerung. Es liegt auf der Hand, dass dies gerade der Senatsaristokratie nicht gefallen konnte. Derselbe Sachverhalt, nämlich eine effiziente Steuereintreibungspolitik, wird auch von Prokop erwähnt, und zwar nicht in den Anekdota, sondern in der Kriegsberichterstattung. Sie wird dort aber noch stärker mit einer persönlichen Herabsetzung des Ioannes Kappadox verbunden; dieser sei äußerst gierig gewesen und habe einen ausschweifenden Lebenswandel geführt.59 Offenbar betrieb Ioannes eine effiziente Steuereintreibung, die vielen Leuten – unter anderem der Senatsaristokratie, aber auch dem damaligen direkten Vorgesetzten Prokops, dem General Belisarios – nicht gefiel. Da liegt es nahe, einem Menschen in einer solchen Position Gier vorzuwerfen. Dem Kaiser und seinen ehrgeizigen und teuren Plänen spielte die effiziente Finanzpolitik des Ioannes in die Hände. Nach all dem wundert es nicht, dass bereits im Verlaufe des Nika-Aufstandes zu Beginn des Jahres 532 von den aufständischen Demen auch die Absetzung des Ioannes Kappadox gefordert wurde. Der Kaiser kam damals diesem Wunsch zunächst auch nach, wie Prokop in den Perserkriegen berichtet.60 55 56 57 58

Der Titel bezeichnet einen Schreiber. Es handelt sich um einen sehr hohen Rangtitel, dt. etwa „der Glänzende, der Berühmte“. Johannes Lydus cap. 57, p. 220,10–21 (Bandy). Johannes Lydus cap. 57, p. 220,28–222,6 (Bandy); vgl. ausführlicher Pratsch, Theodora, S. 58f. 59 Prokop, Bella Persica I, 24, 11–15; vgl. Pratsch, Theodora, S. 59f. 60 Prokop, Bella Persica I, 24, 11–12 und 17–18.

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Einige Zeit nach der Niederschlagung des Nika-Aufstandes wurde Ioannes jedoch wieder als praefectus praetorio eingesetzt.61 Im Jahre 541 aber trat auch Theodora auf den Plan und fädelte eine Intrige gegen Ioannes ein. Damit handelte sie also gegen die Interessen ihres Mannes, dem an der effizienten Steuereintreibung gelegen war. Die Darstellung bei Prokop in den Kriegsberichten lässt erahnen, dass der Grund dafür wohl ein sehr persönlicher war, nämlich dass Ioannes ihr gegenüber nicht den gebührenden Respekt zeigte.62 Daher entwickelte Theodora einen Plan, wie sie Ioannes zu Fall bringen könnte. Sie ließ ihm übermitteln, dass General Belisarios einen Umsturz plane und Ioannes gerne als Mitverschwörer gewinnen wollte. Als er sich darauf einließ, wurde die angebliche Verschwörung entdeckt, und Ioannes musste Zuflucht in einer Kirche suchen.63 Er wurde anschließend abgesetzt, als Priester eingekleidet und sein Vermögen zugunsten des Staates eingezogen. Doch der Kaiser, der ihn immer noch schonen wollte, überließ ihm einen Teil davon.64 An diesem Beispiel können wir erkennen, dass Theodora ihre Personalpolitik unter Umständen auch gegen die Intentionen und Interessen ihres Mannes betrieb. Auf diesem Gebiet agierte sie also anscheinend relativ unabhängig und eigenständig. Bei Theodora fiel auch ein anderer hoher Würdenträger in Ungnade, nämlich Priskos. Die Chronographie des Theophanes berichtet darüber zum Jahre 533/34 (a. m. 6026) nur relativ lapidar,65 er habe den Zorn der Kaiserin erregt und wurde daraufhin enteignet und zum Diakon geweiht. Anders wird die Geschichte in den Anekdota erzählt. Dort heißt es,66 Theodora habe diesen Priskos bei ihrem Manne angeschwärzt. Er sei zu selbstbewusst67 und versuche dem Kaiser entgegenzuarbeiten. Sie habe dann den Mann auf ein Schiff bringen und zum Priester scheren lassen. Sein Besitz sei konfisziert worden. Die Bestrafung des Priskos entspricht ebenfalls – wie im Falle des Ioannes Kappadox – dem Hochverratsvorwurf. Er wird abgesetzt, zum Kleriker gemacht und sein Vermögen wird konfisziert. Die Darstellung Prokops sollte allerdings vor allem den 61 Prokop, Bella Persica I, 25, 1–3. 62 Prokop, Bella Persica I, 25, 4–5. 63 Prokop, Bella Persica I, 25, 23–33; vgl. dazu Pratsch, Theodora, S. 61f. Er möchte also das Kirchenasyl in Anspruch nehmen, um nach dem Kirchenrecht und nicht nach dem weltlichen Recht abgeurteilt zu werden. 64 Die Bestrafung des Ioannes für Hochverrat ist ausgesprochen milde zu nennen! Darauf stand normalerweise die Todesstrafe. Der Kaiser scheint aber in diesem Falle das Kirchenasyl respektiert zu haben, woraufhin Ioannes lediglich nach dem Kirchenrecht zu Bußleistungen verurteilt wurde. Allerdings stellt die Weihe zum Presbyter schon wieder eher eine Promotion innerhalb der kirchlichen Hierarchie dar als eine Strafe. Und auch die Konfiskation des Privatvermögens erfolgt anscheinend nur unvollständig. 65 Theophanes 186,15–17. Übers. vom Verf. 66 Prokop, Anekdota XVI, 6–10. Übers. von O. Veh. 67 Auch hier wird also wieder fehlender oder mangelhafter Respekt beklagt.

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Eindruck erwecken, dass der Kaiser in bestimmten personellen Fragen einfach den Wünschen seiner Gemahlin entsprach. Machtpolitisch motiviert war auch Theodoras Eingreifen bei der Besetzung des Heiligen Stuhls in Rom zum Jahre 536/37. Nach dem Tod des Papstes Agapet I. im Jahre 536 wurde auf Veranlassung des ostgotischen Königs Theodahad der römische Subdiakon Silverius zum neuen Papst gewählt. Dies war ein Affront gegen Konstantinopel, das ein Mitspracherecht bei der Besetzung des Stuhles Petri beanspruchte. Papst Silverius wurde daher auf Betreiben der Theodora des Hochverrats beschuldigt und im März 537 verhaftet und abgesetzt. Zu seinem Nachfolger wurde ein Günstling der Theodora, Vigilius, erhoben und geweiht. Silverius wurde auf die Insel Pontia (heute Ponza) im Golf von Gaeta verbannt, wo er im Dezember 537 starb. Damit war die byzantinische Oberhoheit bei der Besetzung des päpstlichen Stuhles wiederhergestellt.68 Wir können also feststellen, dass Theodora auf dem Gebiet der Innenpolitik und in Fragen der Personalpolitik ihr Mitspracherecht als Augusta weidlich nutzte und bisweilen auch eigenständige und sehr persönliche, mitunter sogar den Absichten ihres Mannes zuwiderlaufende Ziele verfolgte. Anzeichen einer gemeinsamen oder geteilten Regierung von Justinian und Theodora finden sich besonders auf dem Gebiet der Religionspolitik. Auf der einen Seite vertrat der Kaiser die offiziell gültige, dyophysitische Doktrin (die Lehre von den zwei Naturen Jesu Christi, einer göttlichen und einer menschlichen), wie sie auf dem 4. Ökumenischen Konzil von Chalkedon im Jahre 451 für verbindlich erklärt und durch kaiserlichen Erlass festgeschrieben worden war. Auf der anderen Seite zeigte Theodora Sympathien für die häretische miaphysitische Lehre (die nur eine göttlich-menschliche Natur Christi, freilich in unterschiedlicher Zusammensetzung, annahm).69 Als Begründung für den abweichenden Glauben Theodoras hat man regelmäßig ihre Bekanntschaft mit dem Patriarchen von Alexandreia, Timotheos (Amtszeit 517–535), herangezogen, den Theodora auf ihrer Reise von Libyen nach Konstantinopel in den Jahren ca. 519/20 bei ihrem Aufenthalt in Alexandreia kennengelernt und als geistlichen Vater akzeptiert haben soll.70 Diese Episode wird so jedenfalls in der Chronik des Johannes von Nikiu, eines Bischofs aus Ägypten, kolportiert, die jedoch wie alle orientalischen Quellen über Theodora mit größter Vorsicht zu interpretieren ist, da diese Quellen in der Regel versuchen, Theodora für ihre miaphysitische Sache zu vereinnahmen.71 Es bleibt hier also im Dunkeln, was Ursache und was Wirkung war: Wurde Theodora 68 Vgl. Kohl, Silverius, Sp. 336–338. 69 Vgl. dazu ausführlicher Winkelmann, Die östlichen Kirchen; vgl. in nuce Preiser-Kapeller, Der Streit, Sp. 555–557. 70 Vgl. dazu beispielweise Garland, Theodora S. 23. 71 Johannes von Nikiu 90, 87 (Zotenberg); 144 (Charles).

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durch Timotheos von der miaphysitischen Lehre überzeugt, oder besuchte sie Timotheos und hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm, weil sie bereits der miaphysitischen Lehre anhing. Genauso gut könnte sie nämlich an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert und insbesondere unter Kaiser Anastasios, der ja selbst eine deutliche Vorliebe für die miaphysitische Glaubensrichtung erkennen ließ, auch in Konstantinopel in einer Familie mit miaphysitischer Überzeugung erzogen worden sein. Es scheint aber festzustehen, dass sie der miaphysitischen Lehre bereits vor ihrer Krönung zur Augusta und auch vor ihrer Eheschließung mit Justinian anhing. Wohl bereits zum Jahre 523, also noch zur Zeit des Kaisers Justinus I., berichtet Johannes von Ephesos von einer Intervention Theodoras für die miaphysitische Partei:72 Der miaphysitische Bischof von Amida namens Mare war nach Petra verbannt worden. Von dort sandte er seinen Diakon Stephanos nach Konstantinopel, der bei Hofe Fürsprache für ihn einlegen sollte. Gott führte Stephanos nun zu Theodora, „die, die aus dem Bordell kam“, aber bereits Patrikia war. Theodora setzte sich dann bei Justinian, der damals Heermeister und Patrikios war, für den Bischof ein. Justinian wandte sich an seinen Onkel Justin I., und die Miaphysiten erhielten daraufhin Hafterleichterungen. Bischof Mare selbst wurde nach Alexandreia verlegt. Wie wir ebenfalls von Johannes von Ephesos erfahren, nutzte Theodora den Hormisdas-Palast in Konstantinopel, um dort miaphysitische Flüchtlinge und Besucher der Hauptstadt unterzubringen. Dies war erst nach dem Umzug des Paares vom Hormisdas-Palast in den Kaiserpalast möglich, der im Jahre 527 stattfand.73 An einer Stelle dieser Quelle74 ist von der Gemeinschaft die Rede, die Theodora eingerichtet habe, die verfolgte Männer aus allen Himmelsrichtungen dort versammelte und im Hormisdas-Palast unterbrachte. An einer anderen Stelle75 wird berichtet, dass in der von Theodora begründeten Gemeinschaft über 500 verfolgte Miaphysiten lebten. Um diese große Zahl von Menschen angemessen unterbringen zu können, wurden die großen Hallen des HormisdasPalastes durch Bretter und Vorhänge in kleine, improvisierte Mönchszellen unterteilt. Theodora, die das alles finanzierte, pflegte die Gemeinschaft alle zwei bis drei Tage zu besuchen. Sogar Justinian kam manchmal vorbei, um sich von den heiligen Männern segnen zu lassen, obwohl er doch eine andere religiöse Überzeugung hatte. Johannes von Ephesos berichtet weiterhin davon, dass Theodora derartige Einrichtungen auch für miaphysitische Nonnen unterhielt. In einigen dieser Institutionen sollen mehr als 300 Nonnen gelebt haben.76 72 73 74 75 76

Johannes von Ephesos, Vitae, in: PO 17, 1923, S. 189. Vgl. Mango, Church, S. 190. Johannes von Ephesos, Vitae, in: PO 18, 1924, S. 600. Vgl. Mango, Church, S. 191. Johannes von Ephesos, Vitae, in: PO 18, 1924, S. 676ff. Vgl. Mango, Church, S. 191f. Johannes von Ephesos, Historia Ecclesiastica 1, 10.

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Ein bedeutender Vertreter der dyophysitischen Orthodoxie, der Mönch und Asket Sabas aus Palästina, besuchte im Jahre 531 die Hauptstadt. Nach der Darstellung in seiner Lebensgeschichte, die aus der Feder des Kyrillos von Skythopolis stammt, wurde er aus diesem Anlass beim Kaiserpaar vorstellig. Nachdem der Kaiser von ihm gesegnet worden war, wurde Sabas auch zur Kaiserin geführt.77 Dort soll sie ihn um seinen Segen für ihren Kinderwunsch gebeten haben. Dies lehnte Sabas aber ab aus der Befürchtung heraus, Theodora könne ihr Kind im miaphysitischen Sinne erziehen und das Reich hätte dann einen weiteren miaphysitischen Kaiser zu erwarten, wie schon Anastasios einer gewesen war.78 Unterm Strich bleiben hier die Informationen übrig, dass zum einen die Tatsache, dass Theodora der miaphysitischen Glaubensrichtung anhing, um die Mitte des 6. Jahrhunderts wohl in der Öffenlichkeit allgemein bekannt war, dass es zum anderen aber zwischen Orthodoxen und Miaphysiten kein absolutes Kontaktverbot gab. Man war dezidiert verschiedener Meinung, aber blieb doch im Gespräch miteinander! Die Mitteilung, Theodora habe ihren Mann dazu überredet, den miaphysitischen Theologen und abgesetzten Bischof von Antiocheia, Severos,79 in die Hauptstadt einzuladen, findet sich in der Kirchengeschichte des Euagrios Scholastikos. Severos suchte dann im Jahre 535 Konstantinopel auf.80 Der dort ebenfalls erwähnte Anthimos, Patriarch von Konstantinopel, war Miaphysit. Er war im Jahre 535 von Justinian zum Patriarchen ernannt worden und man wird eine gewisse Mitwirkung Theodoras bei seiner Wahl annehmen dürfen. Allerdings wurde Anthimos ein Jahr später, 536, durch die energische Intervention des Papstes Agapetus wieder abgesetzt. Der ebenso bei Euagrios Scholastikos genannte miaphysitische Patriarch von Alexandreia, Theodosios, blieb sogar bis 537 im Amt, wurde dann aber auch abgesetzt. Am Ende, um 536/37, setzte sich also der kompromisslose Dyophysitismus durch, am Anfang des 6. Jahrhunderts und noch während des ersten Jahrzehnts der Herrschaft Justinians war dies noch nicht so klar. Auch nach 536/37 unterstützte Theodora die miaphysitische Sache. Der Hormisdas-Palast in Konstantinopel blieb ein miaphysitisches Zentrum. Auch unterstützte die Kaiserin miaphysitische Missionsunternehmungen bei den ghassanidischen Arabern, in Nubien und Syrien. Im Jahre 541 wandte sich der ghassanidische Emir Harith direkt an Theodora mit der Bitte um Entsendung 77 Vita Sabae (BHG 1608) p. 173,27–174,11. Übers. vom Verfasser. 78 Vgl. dazu auch Beck, Theodora, S. 115. 79 Severos war unter Kaiser Anastasios von 512 bis 518 miaphysitischer Patriarch von Antiocheia. Unter Kaiser Justinus I. wurde er 518 abgesetzt, blieb aber einer der prominentesten und einflussreichsten miaphysitischen Theologen. 80 Euagrios Scholastikos 4, 10–11. Übers. von A. Hübner. Vgl. zu dem Besuch A. Hübner, in: Euagrios Scholastikos S. 470 Anm. 514.

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miaphysitischer Bischöfe für sein Volk. 542 wurde Jakob Baradaios miaphysitischer Metropolit von Edessa in Syrien und Theodoros Metropolit von Bostra in Arabia.81 Insbesondere Jakob Baradaios entfaltete eine solche Wirkung, dass die syrische miaphysitische Kirche bald nach ihm als jakobitische Kirche bezeichnet wurde. Ein weiteres miaphysitisches Missionsgebiet war Nubien. Dorthin, zum Volk der Nobatai entsandte das Kaiserpaar ca. 541 zunächst laut Johannes von Ephesos parallel konkurrierende, dyophysitische und miaphysitische, Missionare. Theodora habe daraufhin den miaphysitischen Missionaren unter Leitung des Julian einen Vorteil verschafft, indem sie in einem Brief den Dux der südlichsten, byzantinisch kontrollierten ägyptischen Provinz, Thebais, anwies, die miaphysitischen Missionare zu unterstützen. Der Dux gehorchte dem Befehl, und die Missionare bekehrten Silko, den König der Nobatai und sein Volk zum miaphysitischen Christentum.82 Einige Quellen unterstellen, dass das Kaiserpaar die religionspolitischen Zuständigkeiten – Justinian für die dyophysitische Fraktion, Theodora für die miaphysitische – sich ganz bewusst aufgeteilt hätte. Euagrios Scholastikos etwa schreibt dazu,83 dass Justinian sich ganz strikt an die in Chalkedon versammelten Väter gehalten habe, Theodora aber an die, die eine Natur behaupten, entweder weil sie wirklich so dachten, oder weil sie eine bestimmte Vereinbarung darüber getroffen hätten. Nicht ganz so deutlich drückt sich Prokop in seiner „Geheimgeschichte“ aus, meint aber doch dasselbe, wenn er behauptet, dass sie bewusst den Eindruck erweckt hätten, verschiedene Bevölkerungsgruppen zu unterstützen, damit „die Untertanen nicht gemeinsame Sache gegen sie machten“.84 Diese Unterstellungen einer Art bewusst geplanter „Arbeitsteilung“ auf dem Gebiet der Religionspolitik wird man durchaus bezweifeln dürfen. Wenn man diese „Arbeitsteilung“ konstatieren kann, dann dürfte sie eher das Ergebnis der Überzeugungen der Protagonisten gewesen sein. Was Theodoras eigene religionspolitische Rolle angeht, so lässt sich feststellen, dass sie die miaphysitische Lehre nach besten Kräften unterstützte. Man wird aber auch betonen müssen, dass dies wahrscheinlich nicht gegen den Willen ihres Gatten, sondern wohl mit dessen Billigung oder zumindest Duldung geschah. Vermutlich erwies sich dieses Verfahren als ein praktikabler Weg, auch der miaphysitischen Bevölkerung im Osten des Reiches kaiserliche Fürsorge angedeihen zu lassen, ohne dass der Kaiser selbst die offizielle Position des Chalcedonense hätte aufgeben müssen.85

81 82 83 84 85

Johannes von Ephesos, Vitae, in: in: PO 19, 1926, S. 153f. Johannes von Ephesos, Historia Ecclesiastica 4, 6. Euagrios Scholastikos 4, 10. Übers. von A. Hübner. Prokop, Anekdota 10, 13–14. Übers. von O. Veh. Vgl. auch die Zusammenfassung des religionspolitischen Wirkens Theodoras und Justinians bei Garland, Theodora, S. 29.

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Mit Justinians Kodifikation des Römischen Rechts,86 hatte Theodora wohl gar nichts oder nicht viel zu tun. Anders sieht es dagegen in der erhaltenen Gesetzgebung des Kaisers selbst, nämlich seinen Novellen, aus. Oben ist bereits erwähnt worden, dass an einigen wenigen Stellen dieser Gesetzgebung auch Theodora oder doch zumindest ihr möglicher Einfluss greifbar werden. Von den erhaltenen 168 Novellen Justinians gibt es aber nur eine einzige, in der die Augusta Theodora expressis verbis Erwähnung findet. Dies ist die bereits erwähnte Novelle 8 gegen den Ämterkauf. Hier bemerkt Kaiser Justinian eingangs im ersten Absatz, dass er sich nach reiflicher eigener Überlegung anschließend auch mit seiner ihm von Gott gegebenen Ehefrau, also Theodora, über diese Fragen beraten habe.87 Diese Novelle überliefert aber auch den Amtseid, den die neuernannten Würdenträger bei ihrer Amtseinführung zu leisten hatten und zwar auf Justinian und Theodora, den Kaiser und die Kaiserin.88 Aufgrund dieser Tatsache hat man gelegentlich versucht, eine besondere Machtposition und Mitwirkung der Theodora in Fragen der Politik anzunehmen. Angesichts der Lückenhaftigkeit der Überlieferung bleibt dies jedoch reine Spekulation. Es ist eher wahrscheinlich, dass sich das Kaiserpaar auch in Hinsicht auf den zu leistenden Amtseid der Würdenträger ganz im Rahmen der Normalität und des bereits Üblichen bewegte. Wenn in Novelle 8 gegen den Ämterkauf von einer beratenden Funktion der Theodora ausdrücklich die Rede ist, so liegt eine solche Funktion bei mindestens zwei weiteren Novellen nahe. Es sind dies die bereits erwähnte Novelle 14 gegen die Zuhälterei und die Novelle 51 gegen die vertragliche Verpflichtung von Schauspielerinnen an die Bühne.89 In beiden Novellen wird Theodora zwar nicht als Beraterin genannt, doch kann man ihr insbesondere im Hinblick auf diese beiden Novellen und auf weitere Gesetze Justinians, die auf die Verbesserung der Stellung der Frau in der Gesellschaft abzielen, eine beratende Funktion zutrauen. Dies gilt auch für die Novelle 78 über ehemalige Sklavinnen, Eheschließungen mit ihnen und die Rechtsstellung der aus diesen Verbindungen hervorgehenden Kinder.90 Im Großen und Ganzen aber bleiben die Hinweise auf eine Mitwirkung Theodoras an der Gesetzgebung rar. In der überwiegenden Mehrheit der von Justinian erlassenen Gesetze spielt sie keine Rolle. Die Gesetzgebung und deren Umsetzung ist auch unter Justinian eine Sache des Kaisers und seiner Beamten. Ganz allgemein gehörten neben Repräsentationspflichten auch wohltätige Werke, Bau- und Stiftungstätigkeit zu den zentralen Aufgaben einer Augusta. 86 Vgl. dazu den kurzen Überblick bei Pratsch, H ΑΡΧΑΙΑ ΤΟΥ ΠΟΛΙΤΕΥΜΑΤΟΣ ΔΙΚΑΙΟΔΟΣΙΑ, S. 135–138; 154–156 (dort weitere Literatur). 87 Nov. VIII, 1. 88 Nov. VIII, Ius iurandum. 89 Nov. XIV und LI. 90 Nov. LXXVIII.

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Wir haben oben bereits ausführlich Theodoras besonderen Einsatz für Prostituierte sowie für Anhänger des Miaphysitismus betrachtet, ihr soziales Engagement ging jedoch darüber noch hinaus. So berichtet beispielsweise Ioannes Malalas an einer Stelle zunächst von den Bauten und Stiftungen des Kaisers Justinian, um dann zu denen der Augusta überzugehen: „In gleicher Weise wiederum erwies sich auch die sehr fromme Theodora ihrerseits als vielfache Stifterin für die Stadt (sc. Antiocheia in Syrien): So gründete sie auch eine Kirche des Erzengels Michael, die sehr stattlich war. Sie führte auch die Basilika auf, die nach Anatolios benannt ist, wobei er (sic!)91 die Säulen aus Konstantinopel herbeischaffen ließ. Die gleiche Augusta Theodora aber ließ ein kostbares, mit Perlen besetztes Kreuz herstellen und übersandte es nach Jerusalem.“92

Wir können dem entnehmen, dass sich das Stiftungswesen der Theodora über Konstantinopel hinaus auch auf das übrige Reichsgebiet erstreckte. Insbesondere Antiocheia scheint sich großer Aufmerksamkeit erfreut zu haben, wie auch Theophanes anlässlich des Erdbebens vom 29. November 528 vermeldet,93 wonach auch Theodora gemeinsam mit ihrem Mann viel Geld zur Erneuerung und zum Wiederaufbau der Stadt der Antiochener gegeben habe. Beide Chronisten, sowohl Ioannes Malalas als auch Theophanes, berichten auch von einem Ausflug der Kaiserin mit großem Gefolge zu den Thermalquellen von Pythia und den wohltätigen Werken, nämlich Stiftungen an Kirchen, Armenhäuser und Klöster, die sie unterwegs leistete.94 Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die Bau- und Stiftungstätigkeit der Theodora noch weit umfangreicher war, als dies die erhaltenen Belege jetzt noch erkennen lassen.

4.

Das Urteil

Theodora verdankt ihre Berühmtheit nicht etwa dem Umstand, dass sie als Frau selbstständig die Regierungsgeschäfte führte wie andere Kaiserinnen vor und nach ihr, wie etwa Pulcheria (5. Jh.), Martina (7. Jh.), Eirene (8./9. Jh.) oder ihre Namensvetterin Theodora II. (9. Jh.), sondern sie verdankt sie zum einen – historisch gesehen – der Tatsache, dass sie die Ehefrau und Mitherrscherin eines der bedeutendsten byzantinischen Kaiser, nämlich Justinians I., war, und zum anderen – aus einer modernen Perspektive – der detaillierten Beschreibung ihrer

91 Malalas meint hier wohl Justinian. Es spricht also wieder einiges dafür, dass Kaiser und Kaiserin hier gemeinsam handelten. Im Umkehrschluss kann man auch vermuten, dass an Stiftungen, die nur Justinian zugeschrieben werden, auch Theodora beteiligt war. 92 Malalas 17, 19. Übers. von J. Thurn (†) und M. Meier (Bearb.). 93 Theophanes 177,22–178,7. Übers. vom Verf. 94 Theophanes 186,8–13; Malalas 18, 25.

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skandalumwitterten Jugend durch den Historiker Prokopios von Kaisareia, und zum dritten – in der Zusammenschau – auch gerade der Kombination beider Besonderheiten, nämlich der Tatsache, dass es ihr gelungen war trotz ihrer niederen Herkunft und ihrer unrühmlichen Vorgeschichte, also unter eher negativen Vorzeichen, eine Beziehung zu dem aufstrebenden Caesar aufzubauen und schließlich dessen „ihm von Gott gegebene allerfrömmste Ehefrau“95 zu werden. Theodora hat gewiss nicht, wie dies mitunter behauptet wurde, die Politik ihres Mannes und Kaisers bestimmt. Aber sie war auch keine Kaiserin, die sich mit der bescheidenen Rolle zufriedengab, lediglich die Begleitung ihres Mannes zu sein und völlig in seinem Schatten zu stehen. Sie hatte zum einen das Interesse und verfügte zum anderen über die intellektuellen Voraussetzungen, sich in die verschiedenen Gebiete der Politik einzuarbeiten und dort aktiv mitzuwirken. Dabei achtete sie meines Erachtens stets peinlich genau darauf, sich niemals in den Vordergrund zu spielen, sondern stets als eine Ergänzung und Entlastung der Politik ihres Mannes zu erscheinen. So ließ sie etwa keine eigenen Münzen prägen, obwohl dies traditionell möglich gewesen wäre und es dafür Vorbilder gab, und es ist auch nur eine sicher zugewiesene Darstellung ihrer Person in der Kunst erhalten, nämlich die Mosaikdarstellung in San Vitale in Ravenna. Überdies nahm sie freilich auch eine Reihe von karitativen und diplomatischen Aufgaben wahr, die traditionell ohnehin eher in das Ressort der Augusta fielen: etwa die Protektion schutzbedürftiger Frauen oder die Korrespondenz mit den Gattinnen ausländischer Herrscher. Dennoch führte die aktive Mitwirkung der Theodora an der Politik ihres Mannes dazu, dass man Justinian und Theodora in stärkerem Maße als andere Paare gemeinsam als quasi zusammengehöriges „Herrscherpaar“ wahrgenommen hat. Die einschlägigen Quellen modellieren drei verschiedene Figuren der Herrscherin Theodora, wobei Prokop allein bereits zwei recht unterschiedliche, ja gegensätzliche Figuren hervorbringt: Die erste Figur produziert er ausschließlich in den Anekdota, es ist dies die Schauspielerin aus niedrigem, ja unwürdigem Stand, die aus sozialer Not zur Prostituierten und Kurtisane wird und so schließlich auch den zukünftigen Kaiser verführen kann. Als Kaiserin ist sie dann aufgrund ihrer niederen Gesinnung intrigant und heimtückisch und hat ausschließlich niedere und böswillige Absichten. Dieser eher verzerrenden Karikatur der Theodora steht bei Prokop selbst bereits eine andere Figur diametral gegenüber, nämlich die der frommen, tugendhaften und wohltätigen Herrscherin, die ihrem Mann eine verlässliche und widerstandsfähige Stütze ist. Diese Figur zeichnet Prokop in all seinen anderen Werken, also in der Kriegsberichterstattung und der Schrift über die Bauten. Diese konventionelle Darstellung einer positiven Herrscherinnenfigur deckt sich im Grunde mit der Darstellung in den 95 Vgl. Nov. VIII, 1.

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anderen byzantinischen Geschichtswerken des Ioannes Malalas, des Agathias und des Theophanes, aber auch mit der positiven Darstellung in der Kirchengeschichte des Euagrios Scholastikos. Die dritte Figur entsteht dann im miaphysitischen Osten des Reiches, vor allem entworfen durch die Bischöfe Johannes von Ephesos und Johannes von Nikiu, die Theodora zur Gallionsfigur der miaphysitischen Sache erhöhen möchten. Diese Figur ist nun durchaus ambivalent. Aus der Perspektive der miaphysitischen Kleriker wird sie überaus positiv gezeichnet, aus Sicht des Konstantinopler Patriarchats und der Orthodoxie ist sie jedoch eine Häretikerin. Im Falle der Theodora ermöglicht also eine historische Person drei völlig unterschiedliche historiographische Rekonstruktionen.

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Abkürzungen BHG

CJ CSCO JÖB ODB PO

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Despoina Ariantzi

Mätressen am Hof der makedonischen Dynastie

Auf die Ermordung Michaels III. (842–867),1 des letzten Kaisers der amorischen Dynastie, folgte die makedonische Dynastie.2 Damit ist die Herrschaft der Familie der byzantinischen Kaiser von Basileios I., dem Makedonier (867–886),3 bis Theodora III. († 1056) gemeint.4 Ihr Name war eine geographische und keine ethnische Bezeichnung. Die Dynastie erstreckte sich durch direkte männliche Nachkommen Basileios’ I. über eine Dauer von mehr als 150 Jahren bis zum Tod Konstantins VIII. (1025–1028)5 und gewährte einer Reihe weiterer Kaiser bis 1056 Legitimation durch dessen Töchter Zoe und Theodora. Die makedonische Dynastie zeichnet sich zweifelsohne durch herausragende Gestalten auf dem Kaiserthron und deren erfolgreiche Innen- und Außenpolitik aus, aber auch durch einige dynamische Frauen, die unter wechselnden Konstellationen und in unterschiedlichen Rollen indirekt aus dem „Frauengemach“ das politische Geschehen beeinflussten oder an die Macht kamen und das politische Leben bzw. die Fortsetzung der Dynastie mitbestimmten. Die Dynastie beginnt mit Eudokia Ingerina,6 die als Mätresse des Kaisers Michael III. und Ehefrau Basileios’ I. zwischen zwei Dynastien stand und die erste Kaiserin der makedonischen Dynastie wurde. Ihre Rolle als Augusta übernahm über zwölf Jahre Kaiserin Theophano,7 die erste Ehefrau Leons VI., während er eine außereheliche Beziehung mit Zoe Zautzina,8 seiner Mätresse und nach dem Tod Theophanos seiner zweiten Frau, pflegte. Über seine dritte Ehefrau Eudokia Baïane9 wissen wir kaum etwas, weil sie bereits etwa ein Jahr nach der Hochzeit 1 2 3 4 5 6 7 8 9

PmbZ # 4991. Kazhdan, Macedonian Dynasty. PmbZ #20837. PmbZ #27605. PmbZ #23735. PmbZ #21754. PmbZ #28122 und Tochter Eudokia PmbZ #21755. PmbZ #28505 und Tochter Anna PmbZ #20430. PmbZ #21759.

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Despoina Ariantzi

verstarb. Zoe Karbonopsina (oder Karbounopsina)10 schaffte es, dank ihrer Mutterschaft von der Mätresse Leons VI. (886–912) zu dessen vierter Ehefrau und zur Mitkaiserin ihres Sohnes aufzusteigen. Helene Lakapene, die Ehefrau Konstantins VII., unterstützte ihren Mann gegen ihren Bruder Stephanos und soll während der Regierung ihres Mannes großen Einfluss gewonnen haben. Eine weitere Kaiserin, die direkten Einfluss auf das politische Geschehen nahm und dafür sowohl von zeitgenössischen als auch späteren Geschichtsschreibern heftig kritisiert wurde, ist eine weitere Theophano, die Ehefrau zweier byzantinischer Kaiser, nämlich von Romanos II., dem Sohne Konstantins VII., und Nikephoros II. Phokas. Über Jahrhunderte haftete ihr der Ruf einer Mörderin und unmoralischen, hemmungslosen Frau an. Zoe und Theodora, die zwei Töchter Konstantins VIII., wurden in die Konflikte oppositioneller Gruppierungen am Hof verwickelt und trafen vielfach verhängnisvolle Entscheidungen, die eine entscheidende Schwächung der Zentralregierung in Konstantinopel nach sich zogen. In antiken und mittelalterlichen Quellen sind Autorität und politische Macht im Allgemeinen mit Männern verbunden und mit Männlichkeit gleichgestellt. Frauen, die Staatsangelegenheiten aktiv und unabhängig betrieben, sind hingegen nur selten als Herrscherinnen oder Regentinnen bezeugt. Die Zahl der Studien über das Leben und Wirken von Frauen aus der Sphäre des byzantinischen Hofes, egal ob Kaiserin, Prinzessin oder Mätresse, ist seit den Tagen von Charles Diehl11 gestiegen. Von Pulcheria, Eudokia und Theodora u¨ ber Martina, Irene, Theophano, der Ehefrau des Romanos‘ II. bis hin zu Anna von Savoy nahmen diese Frauen Einfluss auf den Gang der Geschehnisse, wie dies genderorientierte Untersuchungen aus den letzten Jahrzehnten deutlich machen.12 Der Fokus der bisherigen Forschung liegt vornehmlich auf individuellen Kaiserinnen, die die politisch-religiösen Ereignisse direkt beeinflussten, während andere, die hinter den Kulissen auf verschiedenen Ebenen das Hofleben mitbestimmten, wenig oder kaum Aufmerksamkeit fanden. Unbeschadet aller Kritik waren Geliebte ein wichtiger Bestandteil des kaiserlichen Lebens in allen Epochen und Kulturen. Trotz der kontinuierlichen Existenz von Mätressen am Hof fehlt eine systematische Analyse des Phänomens in Byzanz über die Jahrhunderte hinweg. Im Rahmen dieses Beitrags beschäftige ich mich mit drei Mätressen der makedonischen Dynastie, die intime Nähe zum Herrscher hatten, einflussreich waren, als Geliebte, Gemahlinnen und Mütter künftiger Herrscher eine dreifache

10 PmbZ #28506. 11 Diehl, Βυζαντινές Μορφές. 12 Um nur einige von den wichtigen Büchern über Kaiserinnen zu erwähnen: Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie; Herrin, Women in Purple; Garland, Byzantine Empresses; Holum, Theodosian Empresses.

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Rolle übernahmen13 und unter unterschiedlichen Konstellationen im Machtzentrum in den Vordergrund traten: Eudokia Ingerina, Zoe Zautzina und Zoe Karbonopsina. Auf der Basis dieser drei Individuen werden folgende Fragen gestellt: In welchen Rollen oder literarischen Formen werden diese Frauen beschrieben und wie sind sie in den Quellen dargestellt? Welche Attribute schreiben ihnen die Autoren zu? Welche Funktionen hatten diese weiblichen Figuren für die Konzeptualisierung von Autorität? Inwiefern haben sie zur Herausbildung des Geschichtsbildes einzelner Herrscher beigetragen? Die offizielle Geschichtsschreibung der makedonischen Dynastie, wie sie durch die sogenannte Continuatus-Gruppe, d. h. die Werke des Joseph Genesios, Theophanes Continuatus und Symeon Logothetes, repräsentiert wird, konzentriert sich erwartungsgemäß auf Glanz und Herrlichkeit der Kaiser. Diese Autoren verfassten im Auftrag Konstantins VII. Porphyrogennetos (913–959) eine Sammlung verherrlichender Kaiserbiographien. Die Schilderung hebt gewisse Akteure hervor und stellt andere absichtlich negativ dar. Es werden weder individuelle Züge der Protagonisten nachgezeichnet noch wird Kritik geübt. Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Präsentation von weitgehend entpersönlichten Idealtypen. Lücken der pro-makedonischen Geschichtsschreibung lassen sich durch die Vita des Patriarchen Euthymios, einer wichtigen zeitgenössischen Quelle für die Zeit Leons VI., ergänzen. Eine kritische Stellungnahme zu den Protagonisten und Ereignissen der makedonischen Dynastie wird erst von nachgeborenen Hofbeamten, wie Michael Psellos, Johannes Skylitzes und Johannes Zonaras, geboten. Skylitzes übte in seinem Prolog scharfe Kritik an der zeitgenössischen Geschichtsschreibung, beispielweise an Michael Psellos, aber auch an den älteren Werken von Leon Diakonos und Joseph Genesios wegen ihrer überschwänglichen Lobhudelei. Die Makedonen waren nunmehr Vergangenheit und er konnte sich frei über sie äußern.14 Die Geschichtsschreiber konzentrieren sich erwartungsgemäß auf politische Ereignisse und deren Protagonisten. Frauen erscheinen nur am Rande an der Seite mächtiger Männer. Gattungskonventionen spielen dabei eine Rolle, aber auch die Wahrnehmung der Autoren als Vertreter eines sozialen Systems mit dessen Autoritätskonzepten. Ihre Sichtweise ist bestimmt von hierarchisch gegliederten Ordnungskonzepten samt einer streng geschlechtsspezifischen Rollenverteilung am byzantinischen Hof. Handlungen von Frauen werden mithilfe von Stereotypen und Klischees über die weibliche Natur dargestellt, die mit 13 Zu rechtlichen Aspekten (Ehe, Scheidung, Mutterschaft, Vormundschaft etc.) siehe Beaucamp, Le statut de la femme à Byzance, Bd. 1; Beaucamp, Le statut de la femme à Byzance, Bd. 2; Laiou, Mariage, amour et parenté; Laiou, Marriage Prohibitions; Laiou, Observations; Laiou, The Role of the Women. 14 Zur Geschichtsschreibung generell Neville, Guide to Byzantine Historical Writing; Rosenqvist, Die Byzantinische Literatur.

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biologischen weiblichen Merkmalen und mit der Projektion sozialer Normen für Frauen – die Weiblichkeit als soziale Konstruktion – in Zusammenhang standen. So waren sie als Kaiserinnen hauptsächlich für die Geburt männlichen Nachwuchses bzw. für die Absicherung der Dynastie zuständig und erfüllten als Augustae eine bestimmte zeremonielle Rolle.15 Ihre karitative Tätigkeit beweist kaiserliche Philanthropie und wird anerkannt, während ihr Einmischen in die Politik kritisiert wird. Sie werden jedoch erwähnt, wenn ihre Handlungen Einfluss auf das politische Geschehen hatten.16 Historiker entwickelten eine fast standardisierte Art, eine Mätresse oder künftige Kaiserin zu beschreiben. Die Beschreibung basierte auf sozialen Merkmalen (Herkunft, Status der Eltern). Ein wichtiger Punkt war die äußere Erscheinung der Frauen, die eng mit Vorstellungen eines guten Charakters oder einer tugendhaften Lebensweise verbunden war. Darüber hinaus wurden rein informativ zentrale Lebensstationen aufgelistet, wie die Trauung des künftigen Kaiserpaares, die Krönung der neuen Augusta, die Geburt oder die Taufe von Kindern, Anlässe öffentlichen Auftretens der Kaiserin und ihr Tod. Die Schönheit einer Mätresse/Geliebten galt vornehmlich als wirksame Waffe, mit der eine Frau mächtige Männer zu verführen vermochte. Weibliche Schönheit fungierte dadurch als ein Element der Rechtfertigung für (außereheliche) Affären von Kaisern. Die von den byzantinischen Autoren verwendete Typologie von Merkmalen und Verhaltensmustern für die Darstellung von Mätressen brachte die vorherrschenden gesellschaftlichen Stereotype, Klischees und Vorurteile gegenüber dieser Gruppe zum Ausdruck. Diese Darstellungen spiegelten teilweise die Wahrnehmung zeitgenössischer sozialer Realitäten wider oder erwuchsen aus literarischen Konventionen, die auf der christlich-patristischen Tradition beruhten. In diesem Rahmen wurden Mätressen mit Verhaltensmustern präsentiert, die offenbar für kaiserliche Geliebte als typisch angesehen wurden: Sie erscheinen als ehrgeizige und oft skrupellose Frauen, Ehebrecherinnen oder Mörderinnen, die in ihrem Ehrgeiz, Kaiserinnen zu werden, gegen jede christliche Moral und soziale Ordnung verstießen. Die Beziehung zu einer Mätresse ist oft nur aus dem Kontext zu erschließen und wird kaum offen thematisiert. Es handelt sich zumeist um eine Frau, die von der Familie des (künftigen) Kaisers als ungeeignet erachtet wurde. Besonders die Mutter des Kaisers setzte sich dafür ein, für ihren Sohn eine passende Frau zu finden und ihn von einer etwaigen 15 Siehe dazu: Busch, Die Frauen der theodosianischen Dynastie; Herrin, Women in Purple; Garland, Byzantine Empresses; Holum, Theodosian Empresses; Nikolaou, Η γυναίκα στη μέση βυζαντινή εποχή. 16 Markopoulos, The Rehabilitaiton of the Emperor Theophilos, S. 37–49: Kaiserin Theodora, Ehefrau des Theophilos, ist ein interessantes Beispiel für die Handlungsfähigkeit byzantinischer Kaiserinnen in dieser Zeit.

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Geliebten zu trennen. Da die Verheiratung eines Kaiserpaares oft von politischen Überlegungen bestimmt war, hatte der Thronerbe kaum die Möglichkeit des Widerspruchs, er setzte jedoch oft die Beziehung mit der Geliebten parallel zur Ehe fort, wie eine Reihe von Beispielen zeigt. Eudokia Ingerina tritt quellenmäßig in den Fassungen der Symeon Logothetes/Georgios Monachos Continuatus-Gruppe im Zusammenhang mit der Verheiratung Michaels III. in Erscheinung. Theodora, die Mutter des unmündigen Michael, und ihr Berater und Bruder Theoktistos hatten ihn nach einer wie üblich von der Kaisermutter organisierten Brautschau17 mit Eudokia, der Tochter des Dekapolites, ehelich verbunden, nachdem sie Michaels Zuneigung (συνεφιλιώθη) zu Eudokia Ingerina bemerkt hatten, welche sowohl Theodora als auch Theoktistos ‚wegen der Schamlosigkeit‘ (δι’ἀναίδειαν) verhasst war.18 Auch wenn Eudokia an diesem Schönheitswettbewerb teilnehmen durfte, hatte Michael keine Chance, die Abneigung seiner Mutter gegenüber seiner Geliebten abzuschwächen.19 Das Verb συνεφιλιώθη, womit in den Quellen das Verhältnis zwischen Michael III. und Eudokia charakterisiert wird, deutet eine intime Beziehung an, die vor Michaels Hochzeit begonnen hatte. Aus Rücksicht auf seine Mutter auch nach ihrer Entmachtung (855/856) erhielt Michael offiziell die Ehe mit Eudokia Dekapolitissa20 aufrecht und Eudokia Ingerina blieb gewissermaßen nur seine „offiziöse“ Mätresse.21 Die Autoren geben keine Auskünfte über die Reaktion seiner Ehefrau auf die Affäre ihres Mannes. Für rund ein Jahrzehnt schweigen die Quellen zu Eudokia Ingerina.22 Erst um 865, bei ihrer von Michael III. betriebenen Verheiratung mit dem Aufsteiger 17 Treadgold, The Bride-shows, S. 405. Im Gegensatz zu Treadgold bezweifelt Rydén den historischen Wert der Brautschau im Allgemeinen und glaubt, dass es sich um eine rein literarische Komponente handelt: Rydén, The Bride-shows, bes. S. 186–187. 190–191. 18 Symeon Magistros, Chronikon, 131, 6, S. 234, 43–48: βουλὴν οὖν ποιήσασα Θεοδώρα Αὐγούστα μετὰ Θεοκτίστου λογοθέτου δοῦναι γυναῖκα Μιχαὴλ τῷ υἱῷ αὐτῆς· ἔγνω γὰρ ὡς συνεφιλιώθη Εὐδοκίᾳ τῇ τοῦ Ἴγγερος, μισουμένῃ τῷ λογοθέτῃ καὶ τῇ δεσποίνῃ σφοδρῶς δι’ ἀναίδειαν. διὸ συζευγνύουσιν αὐτῷ Εὐδοκίαν τὴν τοῦ Δεκαπολίτου, μεθ’ ἧς στεφανοῦται ἐν τῷ ἁγίῳ Στεφάνῳ τῷ ει᾿ς τὴν Δάφνην, γεγονότος τοῦ παστοῦ μὲν ει᾿ς τὴν Μαγναύραν, τῆς δὲ συγκλήτου ἀνακλιθείσης ἐν τοῖς δεκαεννέα Ἀκουβίτοις. Georgios Monachos Continuatus, 6, S. 816, 7–11. Dasselbe bei Leon Grammaticus, Chronographia, S. 229, 22–230, 1–3. Vogt, Le jeunesse de Léon VI, S. 412 behauptet, dass die Abneigung Theodoras gegen Eudokia auch religiös motiviert gewesen sein könne. Vgl. dazu Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 123: Der Autor hielt es für möglich, dass die Zugehörigkeit Eudokias zur Familie der Martinakioi mit ikonoklastischer Tendenz sich für sie belastend auswirkte. 19 Garland, Byzantine Empresses, S. 104. Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 121. 20 PmbZ #1631. 21 Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 124. 22 Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 124–126: Ewald Kislinger ist der Meinung, dass Eudokia mit einem Sohn des Bardas, dem Monostrategos in den westlichen Themen, der früh gestorben ist, verheiratet war und am kaiserlichen Hof weilte. Nach dem Tod des Sohnes nahm Bardas als Oberhaupt der Familie die Witwe zu sich und gab so Anlass zu den Gerüchten, dass er einen

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Basileios begegnen wir ihr wieder in den Quellen. In diesem Zusammenhang wird sie immer noch als Mätresse (pallake, griech. παλλακή23) und ehemalige Mätresse (ehemalige pallake, griech. τῷ κρατοῦντι πρῴην ἐπαλλακεύετο) Michaels III. bezeichnet. Michael III. empfahl ca. 865 seinem Günstling Basileios, sich von seiner ersten Frau Maria zu trennen, schickte sie mit Gold heim zu ihren Eltern und gab ihm Eudokia Ingerina, seine Geliebte, zur Ehefrau. Basileios solle Eudokia als „ehrwürdige Frau bzw. Herrin“ (kyria, griech. Κυρία) respektieren und Thekla, die Schwester des Kaisers, mit kaiserlicher Erlaubnis als seine Mätresse behalten.24 Die Verheiratung mit Basileios, der zu dieser Zeit das hohe Amt des Parakoimomenos,25 eines der engsten persönlichen Vertrauten des Kaisers, innehatte, führte automatisch zu ihrem sozialem Aufstieg und ihrer Etablierung in der Elite des Palastes. Die Quellen beschreiben Eudokia nunmehr als schöne, noble und besonnene Frau aus bekanntem Haus und nicht mehr als verhasste und schamlose Mätresse.26 Ihre neue Rolle als Ehefrau des Parakoimomenos, aber vor allem des künftigen Kaisers und Gründers der makedonischen Dynastie, veränderte ihr Bild in der Geschichtsschreibung.

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sexuellen Umgang mit seiner jung verwitweten Schwiegertochter namens Eudokia pflegte, was ihn in Konflikt mit dem Patriarchen Ignatios brachte. Symeon Magistros, Chronikon 131, 31, S. 248, 289. Symeon Magistros, Chronikon, 131, 32, S. 248, 286–292: ἐχώρισεν δὲ Βασίλειον Μιχαὴλ τῆς ι᾿δίας γυναικὸς Μαρίας, δεδωκὼς αὐτῷ γυναῖκα Εὐδοκίαν τὴν Ἰγγιρίναν, διορισάμενος αὐτῷ κυρίαν αὐτὴν ἔχειν· ἦν γὰρ αὐτὴ τοῦ βασιλέως παλλακή, καὶ πάνυ ἠγάπα αὐτὴν ὡς εὐπρεπῆ. Τὴν δὲ προτέραν αὐτοῦ γυναῖκα Μαρίαν δοὺς χρυσίον καὶ ἄλλα τινὰ ἀπέστειλεν ἐν Μακεδονίᾳ ει᾿ς ἴδια. Θέκλαν δὲ τὴν ι᾿δίαν ἀδελφὴν προσήρμοσε Βασιλείῳ τοῦ ἔχειν αὐτὴν ᾿ιδίως. Georgios Monachos Continuatus, 23, S. 828, 3–9. Leon Grammaticus, Chronographia, S. 242, 5–12. Vgl. Ioannis Zonarae Epitomae, XVI 7, 15–16. Er bezeichnet Eudokia als ehemalige Mätresse (τῷ κρατοῦντι πρῴην ἐπαλλακεύετο) Michaels. Guilland, Recherches Bd. II, S. 202–204; Kazhdan, Parakoimomenos: Parakoimo´¯ menos (griechisch: Παρακοιμώμενος, wörtlich, „der neben der Kammer des Kaisers schläft“) war der Titel eines hohen Beamten im Byzantinischen Reich. Das Amt wurde in der Regel von einem Eunuchen bekleidet. Ioseph Genesios, Book 4, 26. 48–50, S. 79: ὡς καὶ τῇ τῶν πατρικίων εὐκλείᾳ συντόμως προσεμπελάσαι, γαμετῇ τε συναρμοσθῆναι κοσμιωτάτῃ τῶν εὐγενίδων ἐξ Ἴγγερος, υἱόν τε θετὸν ἐπὶ πᾶσι βασιλέως ὀνομασθῆναι, εἶτα μάγιστρον, καὶ παρὰ τῷ κοιτῶνι τῶν προσυπνούντων φυλάκων προτιμηθῆναι κατά τινας, καὶ μετὰ βραχὺ τὴν βασίλειον εὐδοξίαν κληρώσασθαι. Genesios berichtet nichts von der Beziehung Michaels zu Eudokia. Er erwähnt nur die Verheiratung des Basileios mit Eudokia Ingerina, die als besonnene Frau aus bekanntem Haus bezeichnet wird und die Adoption des Basileios durch Michael III. sowie seine Ernennung zum Magistros und Parakoimomenos des Kaisers. Theophanes Continuatus, Ioannes Cameniata, Symeon Magister, Georgius Monachus, V 16, S. 235, 5–8: … καὶ γυναικὶ συζεύξας εὐμορφίᾳ σώματος καὶ κάλλει καὶ κοσμιότητι πρωτευούσῃ πασῶν τῶν εὐγενίδων σχεδόν, ἣν θυγάτηρ ἐτύγχανε τοῦ παρὰ πάντων ἐπ’ εὐγενείᾳ καὶ φρονήσει λαλουμένου τότε τοῦ Ἴγγερος. Ioannes Skylitzes, Synopsis, S. 127, 11: ὁ βασιλεὺς τὸν Βασίλειον, τιμήσας αὐτὸν καὶ πατρικιότητι καὶ γυναικὶ συζεύξας εὐπρεπείᾳ τε σώματος καὶ κάλλει καὶ σωφροσύνῃ πασῶν πρωτευούσῃ τῶν κατ’ αὐτὴν. αὕτη δὲ ἦν θυγάτηρ τοῦ παρὰ πάντων ἐπὶ φρονήσει καὶ εὐγενείᾳ διαβοήτου Ἴγγερος, τοῦ γένους καταγομένου τῶν Μαρτινακίων.

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Mag ihm diese Lösung anfänglich noch sehr passend erschienen sein, brachte Michael allerdings zwei Personen zusammen, deren Ehrgeiz zu einer gegenseitigen Anziehung führte und sie letztlich gegen ihn einnehmen musste. Die prekäre Stellung Eudokias am Hof konnte durch einen Machtwechsel nur verbessert werden. Michael III. stand dem Gedanken fern, sich von seiner Frau zu trennen. Seine Beziehung mit Eudokia mochte in dieser Form fortdauern und früher oder später enden. Ihr war klar, dass sie nur an der Seite eines anderen Kaiserin werden konnte. Basileios war der geeignete Mann dafür. Er hatte durch Gönner,27 körperliche Qualitäten und geschicktes Intrigieren die Position des Parakoimomenos erreicht, misstrauisch beobachtet von Bardas, der allein ihn an Einfluss übertraf. Eudokia verstand es, das Vertrauen beider Seiten zur Verwirklichung ihrer eigenen Ambitionen, welche mit den Absichten des Basileios in Einklang zu bringen waren, nutzbar zu machen. Basileios widmete sich den organisatorischen Voraussetzungen für die Realisierung seiner Pläne gegen Michael III., welcher derweil von Eudokia „betreut“ wurde. Ab wann diese „Abmachung“ datiert, bleibt ungewiss, laut Ewald Kislinger wäre dies aber schon nach der Verheiratung im Jahr 865 denkbar.28 Auch wenn es in Ermangelung konkreter Angaben nicht ganz korrekt ist, von einer echten „Abmachung“ zu sprechen, ergibt sich aus der Schilderung der gemeinsamen Treffen zwischen Basileios, Eudokia und Michael und besonders aus der Beschreibung der Szenen des letzten Abends vor der Ermordung Michaels, die im folgenden dargestellt werden, dass Eudokia Basileios voll unterstützte und beide gegen Michael zusammenarbeiteten. Mit Zustimmung des Kaisers ermordete Basileios im April 866 seinen Rivalen Bardas, der das Reich in Michaels Namen regierte. In der Folge wurde Basileios im Mai 866 zum Mitkaiser gekrönt und bestieg nach Michaels Ermordung im Jahr 867 selbst den Kaiserthron. Im selben Zeitraum beeinflusste die Geburt von Eudokias Sohn im September oder Dezember 86629 den weiteren Gang der Ereignisse. In fast allen Fassungen der Symeon Logothetes/Georgios Monachos Continuatus-Gruppe findet sich ebendort der Vermerk, Leon sei Sohn des Kaisers Michael III.30 Die Frage nach der Vaterschaft Leons wurde mehrfach in der

27 Tobias, Basil I., S. 104–106; Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 127. 28 Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 132. 29 Grumel, La date de naissance de Léon VI, S. 22–29. Dazu Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 129–130. 30 In der Chronik des Symeon Magistros, Chronikon, 131, 45, S. 255, 428–430, wird behauptet, dass zumindest Leon und Stephanos Söhne Michaels III. gewesen seien. Georgios Monachos Continuatus, S. 33, S. 835, 4–6. Der Chronik folgend auch Michaelis Pselli, Historia Syntonos, S. 90: Λέγεται δὲ μὴ παῖδα τοῦ Βασιλείου τοῦτον γεγενῆσθαι, ἀλλὰ τοῦ Μιχαὴλ, ὅτε πρὸς τὴν τούτου γαμετὴν ἠγάγετο ὁ Βασίλειος ἔγκυον ἐκ τοῦ Μιχαὴλ εἶχε τὸν Λέοντα. Aber auch Leon Grammaticus, Chronographia, S, 449, 3–5. Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 7, 17.

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Forschung diskutiert.31 In den Quellen wird das Verhalten Michaels III. in der letzten Zeit vor seinem Tod besonders feindlich und bedrohend gegenüber Basileios dargestellt. Während eines Abendessens machte Michael bekannt, dass er die Macht habe, noch einen anderen, etwa den Patrikios Basiliskos, neben Basileios zum Mitkaiser zu proklamieren. Als Eudokia bemerkte, dass Basileios darüber wütend wurde, schaltete sie sich als Vermittlerin ein und versuchte Michael unter Tränen zur Vernunft zu bringen, indem sie von der großen Bedeutung dieses Amtes sprach.32 Eudokia spielte somit längere Zeit die Rolle der geduldigen Fürsprecherin zugunsten des Basileios. Die angesprochene Kollaboration zwischen Basileios und Eudokia ist auch bei der Ermordung Michaels zu beobachten. Beide leisteten Michael Gesellschaft beim abendlichen Mahl, in dessen Verlauf der Kaiser unter Mithilfe „der sich mit ihm vergnügenden Ingerina“ (τῆς Ἰγγιρίνης αὐτῷ συγχαιρούσης) reichlich dem Wein zusprach.33 Damit lenkte sie Michael erfolgreich von Basileios ab. Dieser entfernte sich kurzfristig, um letzte Vorbereitungen für die Mordtat zu treffen, die dann des Nachts von der Gefolgschaft (hetaireia) des Basileios ausgeführt wurde.34 Als Basileios den Thron errang, stieg sie an seiner Seite von der angefeindeten Mätresse zur Kaiserin (basilis, griech. βασιλίς)35 und äußerst frommen Augusta (πιστοτάτη Αὐγούστα)36 auf. Ohne dass die Autoren Eudokias Charakter und ihr Handeln im Detail ausmalen, vermitteln uns der Kontext und Sinnzusammenhang ihrer Beschreibungen ein indirektes Bild ihrer Person. Demzufolge war sie eine Frau von anziehendem Äußeren, intelligent, anpassungsfähig, ausdauernd pragmatisch, stets mit Entschlossenheit agierend, sobald sich die Gelegenheit bot, den Gang der Dinge im ihr genehmen Sinn zu beeinflussen.37 Während der Herrschaft ihres Mannes widmete sich Eudokia ihren zeremoniellen Aufgaben als Augusta und Kaisermutter: Sie leitete im Jahr 882 die Brautschau für ihren erstgeborenen Sohn Leon VI. und wählte Theophano als seine Ehefrau aus.38 Sie 31 Mango, Eudocia Ingerina. Mango tritt für eine Vaterschaft Michaels III. ein, während Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 128–131 Basileios I. für den Vater hielt. 32 Symeon Magistros, Chronikon, 131, 46, S. 256, 442–445. Georgios Monachos Continuatus, 33, S. 835, 19–21. 33 Symeon Magistros, Chronikon, 131, 48–49, S. 256, 253 – S. 257, 466; Leon Grammaticus, Chronographia, S. 250, 11–18. Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 7, 19–21. Dazu Kislinger, Eudokia, S. 132. 34 Symeon Magistros, Chronikon, 131, 50–52. Vgl. Ioseph Genesios, Book 4, 28, S. 79–80. Zur Ermordung Michaels durch die „Freunde des Basileios“ vgl. Theophanes Continuatus, Chronographia, IV 44, S. 210. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 24, S. 114. Leon Grammaticus, Chronographia, S. 251–252. 35 Theophanes Continuatus, Chronographia (Bonn), V 29, S. 256, 18. 36 Vita der Theophano (BHG 1794), cap. 9, S. 5,13 und cap.10, S. 6. 37 Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 135–136. 38 Vita der Theophano (BHG 1794) cap. 9–10, S. 5–6; noch kürzer: Synaxarium Ecclesiae Constantinopolitanae,, (16. Dezember) S. 314, 34–39. Zur Verlobung Theophanos siehe

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übernahm nach der Verlobung die Betreuung der künftigen Kaiserin bzw. ihre Einführung in das höfische Leben.39 Sie nahm an seiner Krönungsprozession teil und verteilte mit den Söhnen des Kaisers Geldmünzen aus ihrem Privatbesitz an die Bevölkerung Konstantinopels.40 Bei der Taufe des Stephanos, des zweiten Sohnes, am Weihnachtstag vermutlich des Jahres 867 begleitete sie Basileios während der feierlichen Prozession von der Hagia Sophia zum Kaiserpalast.41 Nach der Geburt des jüngsten Sohnes, Alexander, im Jahr 870 hören wir in der Logothetenchronik von einer Affäre Eudokias mit dem Höfling Niketas Xylinites im Jahr 878. Basileios reagierte heftig auf diesbezügliche Gerüchte und verbannte Xylinites ins Kloster, wogegen Eudokia unbehelligt blieb.42 Basileios und Eudokia, das erste Paar der makedonischen Dynastie, erscheinen in der promakedonischen Geschichtsschreibung als starke Persönlichkeiten, die durch eine Interessensgemeinschaft verbunden waren und sich dabei gegenseitig ergänzten. Durch geschickte Koordination, Rollenverteilung, und gegenseitige Unterstützung kamen sie zum Ziel ihrer Ambitionen. Darüber hinaus sorgte Eudokia als Mutter von drei Söhnen – ganz unabhängig von der Vaterschaftsfrage – für den Fortbestand der Dynastie. Während sich die moderne Forschung vorwiegend auf den machthungrigen Basileios als Anstifter an der Ermordung Michaels III. konzentriert, hebt ein Teil der historischen Überlieferung die teilweise sehr aktive Beteiligung Eudokias deutlich hervor. Zoe Zautzina43 war Mätresse des Kaisers Leon VI. des Weisen44 (886–913), die nach dem Tod seiner ersten Ehefrau seine zweite Gattin und Kaiserin wurde.45 Sie war die Tochter des Stylianos Zautzes,46 eines Würdenträgers sowohl unter der Regierung des Kaisers Basileios I. (867–886) als auch Leons VI. Laut Symeon Magistros verheiratete Basileios I. (867–886) um 883 seinen Sohn Leon mit

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Ariantzi, Kindheit in Byzanz, S. 252; Garland, Byzantine Empresses, S. 126–135. Zur Wahl der Braut durch eine Brautschau siehe Treadgold, The Bride-shows, S. 395–413. Dazu Kislinger, Eudokia Ingerina, S. 129. Vita der Theophano (BHG 1794), cap. 10, S. 6. Theophanes Continuatus, Chronographia, V 29, S. 256, 17–20: Καὶ ἡ τούτου δὲ σύζυγος Εὐδοκία ἡ βασιλὶς ἅμα τοῖς υἱοῖς Κωνσταντίνῳ καὶ Λέοντι ὑπατεύσασα πολλὰ τῇ πολιτείᾳ χρήματα ἀπὸ τῶν ἑαυτῆς ἐδωρήσατο. Symeon Magistros, 132, 22–25, S. 268–269. Georgios Monachos Continuatus, 3, S. 840, 8–13. Symeon Magistros, Chronikon,132, 13, S. 264, 81–83 – S. 265, 86; Georgios Monachos Continuatus, 12, S. 843, 10–12. Leon Grammaticus, Chronographia, S. 257, 5–7. PmbZ #28505. PmbZ # 24311. Über Leon und den byzantinischen Humanismus: Antonopoulou, Emperor Leo VI, S. 18–233. Zur Liebesbeziehung siehe auch: Nikolaou Empresses and Augustae, S. 49–50. PmbZ # 27406. Vgl. Vita Euthymii (BHG 651), I, S. 5, 23–28: Basileios I. hatte Zautzes auf dem Totenbett die Sorge für die Regierung anvertraut, und zwar sowohl für die weltlichen als auch für die geistlichen Angelegenheiten.

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Theophano, der Tochter des Martinakios, und krönte sie.47 Die Vita Theophanos berichtet ausführlich über die Brautschau, auf der Eudokia Ingerina Theophano zur Siegerin kürte.48 Einige Jahre später verriet Leon VI. seinem geistlichen Vater, dem heiligen Euthymios, dessen Vita zufolge, dass er von seinem Vater Basileios I. gezwungen wurde, gegen seinen Willen Theophano zu heiraten, und dies der ganze Senat wusste.49 Er gestand, dass er unglücklich in dieser erzwungenen Ehe sei und unter der Eifersucht der Theophano zu leiden habe, weil sie seinen Vater über die angebliche Affäre mit Zoe informierte. Basileios I. verlor daraufhin die Fassung, warf Leon zu Boden, riss ihn an den Haaren und zwang Zoe, die nach Leons Aussage unschuldig war, gegen ihren Willen einen Mann namens Theodoros Gouniazitzes50 zu heiraten und Konstantinopel zu verlassen.51 Basileios I. versuchte offenbar die außereheliche Beziehung zu beenden, jedoch ohne Erfolg. Zoe finden wir erneut in den Quellen als Geliebte Leons, als letzterer kurz nach seinem Herrschaftsantritt im Jahr 886 ihren Vater, Stylianos Zautzes, zum Magistros und Logothetes tou Dromou52 (d. h. dem Leiter der Abteilung der öffentlichen Post und oftmals der äußeren Angelegenheiten des Byzantinischen Reiches)53 und im Jahr 894 zum Basileopator ernannte, einem Titel, den Leon den Berichten zufolge selbst eingeführt habe. Die Chroniken kommentieren diesbezüglich, dass Leons Gefühle für Zoe der eigentliche Grund dieser Neuerung waren. Zoe wird bezichtigt, ihren Ehemann Theodoros Gouniazitzes mit Gift ermordet zu haben und noch zu Lebzeiten der Theophano Mätresse des Kaisers gewesen zu sein.54 Der Historiker Ioannes Skylitzes spricht darüber hinaus von 47 Symeon Magistros, Chronikon, 132, 22, S. 267, 135–137. Vgl. Tougher, The Reign of Leon VI, S. 134–136: Der Autor behauptet, dass der Hauptgrund für die Auswahl Theophanos ihre Abstammung aus der Familie Martinakioi, war. 48 Siehe Anmerkung 34. 49 Vita Euthymii (BHG 651) VII, S. 41, 17–19. 50 PmbZ # 27650. 51 Vita Euthymii (BHG 651) VII, S. 41, 1–8. 52 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 3, S. 354, 9–10; Symeon Magistros, Chronikon, 133, 3, S. 271, 14–15; Die Vita der Theophano (BHG 1794) cap. 16, S. 11, 16–18: nennt ihn kurz vor dem Tod Basileios′I. protospatharios und hetaireiarxes und bezeichnet ihn zudem als Leibwächter des Basileios. Vgl. Vita Euthymii (BHG 651) II, S. 7, 4: protomagistros und danach basileopator. Georgios Monachos Continuatus 3, S. 849, 15–16. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 3, S. 172, 89–93: Προεβάλλετο δὲ καὶ Στυλιανὸν τὸν Ζαούτζαν μάγιστρον καὶ λογοθέτην τοῦ δρόμου. ἤδη γὰρ ἤρξατο πλησιάζειν τῇ αὐτοῦ θυγατρί, ζώσης ἔτι τῆς κατὰ νόμους συνεζευγμένης αὐτῷ γυναικὸς τῆς αὐγούστης Θεοφανοῦς, ἀκουούσης καὶ βλεπούσης τὰ γινόμενα, καὶ μηδαμῶς τῷ τῆς ζηλοτυπίας πάθει ἀναφλεχθείσης ποτέ. Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 11, 12, S. 441, 7–10: τῇ δὲ τοῦ Ζαούτζη Στυλιανοῦ θυγατρὶ συμφθειρόμενος ἔτι ζώσης Θεοφανοῦς τῆς αύτοῦ γαμετῆς τὸν πατέρα ταύτης μάγιστρον ἐτίμησε καὶ λογοθέτην τοῦ δρόμου, μετέπειτα μἐντοι καὶ βασιλεοπάτορα, αὑτὸς τὸ ὄνομα εὑρών. 53 Kazhdan, Logothetes tou Dromou. 54 Theophanes Continuatus, Chronographia VI 7, S, 357, 4–8: Λέων δὲ ὁ βασιλεὺς βασιλεoπάτορα τὸν Ζαούτζαν τιμᾷ, αὐτὸς καινουργήσας τὀ ὄνομα· ἤδη γὰρ Ζωῇ τῇ αὐτοῦ θυγατρὶ συνεφιλιώθη, τοῦ

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der Selbstbeherrschung der Theophano, die zwar alles wusste, sich aber kein Anzeichen von Eifersucht anmerken ließ.55 Aus der Untersuchung der Texte ergibt sich, dass die Geschichtsschreiber erst nach dem Herrschaftsantritt Leons VI. und dem Tod des Mannes von Zoe über ihre Liaison schreiben. In der Theophanes Continuatus-Gruppe wird das Verb συνεφιλιώθη benutzt, um eine Liebesgeschichte zu definieren, wie schon für das Verhältnis zwischen Michael III. und seiner Mätresse Eudokia Ingerina.56 Skylitzes und Zonaras, die etwa 200 Jahre später ihre Geschichtswerke verfassten, betonen die leidenschaftliche (Skylitzes: τῷ πρὸς Ζωὴν τὴν θυγατέρα τοῦ Ζαουτζᾶ φίλτρῳ νικώμενος) bzw. sexuelle Beziehung (Zonaras: συμφθειρόμενος)57 des Paares, und beide bezeichnen Zoe als Mätresse (Skylitzes: epallakeueto / griech. ἐπαλλακεύετο;58 Zonaras: pallake¯n / griech. πρὶν αὐτοῦ παλλακήν) des Kaisers. Skylitzes hebt dabei auch die außergewöhnliche Schönheit Zoes hervor und folgt dadurch dem bekannten Typus der Beschreibung einer Mätresse in der Geschichtsschreibung, die dem Klischee nach sehr hübsch und attraktiv sein soll, um einen Kaiser zu gewinnen.59 Das Bild Zoes in den Quellen ist allerdings überwiegend negativ. Sie wird als Mätresse und Ehebrecherin, aber auch als Mörderin ihres Mannes bezeichnet. Die historiographischen Texte berichten, dass Zoe Leon als seine Geliebte begleitete und gelegentlich mit ihm zusammenlebte. Dies sei sogar ihrem Vater, dem Basileopator Stylianos Zautzes, bekannt gewesen. In diesem Rahmen lesen wir in den Chroniken, dass, während sich Kaiserin Theophano zum Gebet in die Blachernenkirche zurückzog, Leon mit Zoe und ihrem Vater nach ta Damianu, einem Palast in der Umgebung Konstantinopels, reiste. In der Nacht unternahmen Verwandte des Stylianos Zautzes, darunter auch Leon Zautzes,60 Zoes Bruder, einen Anschlag auf den

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ταύτης ἀνδρὸς Θεοδώρου, ᾧ Γουνιατζίτζης ἐπώνυμον, ἀναιρεθέντος φαρμάκῳ. Symeon Magistros, Chronikon, 133,13, S. 224: προεχειρίσατο δὲ Λέων ὁ βασιλεὺς Ζαούτζαν ει᾿ς βασιλεοπάτορα, συμφιλιωθείς ἤδη Ζωῇ τῇ αὐτοῦ θυγατρί, φαρμάκῳ τινὶ τελευτήσαντος τοῦ άνδρὸς αὐτῆς Θεοδώρου τοῦ Γουζουνιάτου. Georgios Monachos Continuatus, 10, S. 852, 16–19. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 10, S. 175, 66–71: Ὁ δὲ βασιλεύς τῷ πρὸς Ζωὴν τὴν θυγατέρα τοῦ Ζαουτζᾶ φίλτρῳ νικώμενος τιμᾷ τὸν ταύτης πατέρα βασιλεοπάτορα, αὐτὸς τὸ ἀξίωμα καινουργήσας μὴ πρότερον ὄν. ἡ γὰρ Ζωή μέγιστον έπὶ κάλλει καὶ εὐπρεπείᾳ τῷ τότε διαλάμπουσα συνέζευκτο μὲν ἀνδρὶ Θεοδώρῳ πατρικίῳ τῷ Γουνιαζίτζῃ, ἐκείνου δὲ δολοφονηθέντος φαρμάκῳ ἐπαλλακεύετο τῷ βασιλεῖ καὶ ζώσης τῆς αὐτοῦ γυναικός. Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 11, 12, S. 441, 10. Vita der Theophano (BHG 1794), cap. 21, S. 14. Die Vita erwähnt nur die Ernennung des Zautzes zum basileopator. Siehe Anmerkung 48. Siehe Anmerkung 15. Siehe Anmerkung 48. Siehe Anmerkung 49. Garland, Byzantine Empresses, S. 112. PmbZ #24344.

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Kaiser. Zoe wurde der Verschwörer gewahr und weckte Leon VI. rechtzeitig auf, so dass er entkommen konnte.61 Die Quellenaussagen deuten darauf hin, dass die intime Beziehung zwischen Leon und Zoe Zautzina bereits in der Regierungszeit seines Vaters begonnen hatte und während der Lebzeiten von Theophano weiterging. Die verfügbaren Texte berichten von zwei unterschiedlichen Verhaltensmustern der Theophano gegenüber dieser Tatsache. In der Vita Euthymii erscheint sie als eifersüchtige Ehefrau, die ihren Schwiegervater über die Affäre ihres Mannes in Kenntnis setzte.62 In den Chroniken dominiert hingegen das Bild der starken Frau, die sich mit der Liaison ihres Mannes abgefunden hatte.63 Das Bild der würdevollen betrogenen Frau entspricht der Intention der promakedonischen Geschichtsschreibung, einen Beitrag zu ihrer Heiligsprechung und zur Propaganda der makedonischen Dynastie zu leisten. Theophano musste dem Schicksal anderer betrogener Kaiserinnen, wie Eudokia Dekapolitissa, folgen und es mit Demut ertragen.64 Leon und Theophano bekamen eine Tochter, Eudokia,65 die im Kindesalter, vielleicht um 892, starb.66 Nach ihrem Tod verlor Theophano laut den Quellen ihren Lebensmut und versuchte durch eine streng asketische Lebensweise mit diesem Verlust und der fortbestehenden Kinderlosigkeit zurechtzukommen,67 die schon aus dynastischen Gründen ohne Zweifel psychisch sehr belastend für sie war. Bei einem Gespräch mit Euthymios äußerte sie den Wunsch, Leon die Scheidung anzubieten und sich in das Theotokoskloster im Blachernenviertel in Konstantinopel zurückzuziehen. Euthymios habe ihr allerdings davon abgeraten, weil sie dadurch ihren Mann zum Fremdgehen gezwungen hätte.68 Es ist allerdings nicht zu entscheiden, ob der Verlust ihrer Tochter oder ihre unglückliche Ehe wegen der außerehelichen Beziehung Leons, die für sie demütigend und psychisch belastend gewesen sein muss, für ihre Entscheidung, sich von ihrem Mann zu trennen, ausschlaggebend war.69 Sie blieb

61 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 11, S. 360, 18–361, 5; Symeon Magistros, Chronikon, 133, 22, S. 278, 141–152; Georgios Monachos Continuatus, 16, S. 855, 20–24, S. 856, 1–8; Ioannes Skylitzes, Synopsis, 15, S. 178, 57–61; Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 12, S. 144, 10–14. Siehe dazu Tougher, The Reign of Leon VI, S. 105. 62 Siehe Anmerkung 47. Dazu auch Garland, Byzantine Empresses, S. 112. 63 Ioannes Skylitzes, Synopsis, 3, S. 172, 90–93. 64 Nikolaou, Empresses and Augustae, S. 51. 65 Zu Eudokia PmbZ #21755. 66 Tinnefeld, Die Braut aus Byzanz, S. 250: Eudokia starb mit fast fünf Jahren im Winter 892. 67 Vita der Theophano (BHG 1794), cap. 21–22, S. 14–16. 68 Vita Euthymii (BHG 651), cap. VI, S. 37, 27–36 – S. 39, 1–10. 69 Vgl. dazu Kazhdan, History of Byzantine Literature, S. 105: Er ist der Meinung, dass der Grund des schlechten Zustands der Theophano die außereheliche Beziehung ihres Mannes war.

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jedoch offiziell verheiratet und erfüllte ihre kaiserlichen Verpflichtungen allem Anschein nach bis zu ihrem Tod im Jahre 895/896 oder 897.70 Stylianos Zautzes holte nach dem Tod der Kaiserin seine Tochter Zoe sofort in den Palast, um sie mit Leon VI. zu verheiraten.71 Leon habe Euthymios um seinen Segen gebeten, doch war dieser wegen des schlechten Rufes der Zoe gegen diese Ehe.72 Es bleibt offen, ob sich Euthymios damit auf das Gerücht bezog, dass Zoe am Tod der Kaiserin Theophano und ihres Ehemannes schuldig gewesen sei, oder auf die außereheliche Beziehung mit Leon zu Lebzeiten der Theophano. Leon wollte in erster Linie Zoe heiraten, um einen Sohn bzw. einen Nachfolger zu bekommen.73 Euthymios meinte, dass eine Ehe mit dieser Frau gesetzwidrig wäre und man allgemein der Ansicht sei, dass die oben genannte Anschuldigung der Wahrheit entspreche.74 Euthymios spiegelt hier die Einstellung der byzantinischen Gesellschaft wider, die die „schmutzige“ Vergangenheit der neuen Kaiserin als ehemalige Mätresse und Ehebrecherin, aber auch vermeintliche Mörderin nicht akzeptieren wollte. Als Leons geistlicher Vater wollte er den Kaiser vor öffentlicher Diffamierung schützen. Diese Aussagen verärgerten Leon jedoch, so dass Euthymios auf Betreiben des Zautzes in die Verbannung geschickt wurde.75 Trotz aller praktischen Hindernisse sowohl vonseiten des Euthymios als auch des

70 Theophanes Continuatus, Chronographia VI 12, S. 361, 13–17; Symeon Magistros, Chronikon, 133, 23, S. 278–279, 156–160. Georgios Monachos Continuatus, 17, S. 856, 14–18. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 16, S. 179, 66. Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 12, 32, S. 441. PmbZ #28122, S. 523: Sie starb wahrscheinlich am 10. November 897, wobei 895 oder 896 nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Laut den Chronisten hatte sie angeblich das außereheliche Verhältnis ihres Mannes mit Zoe mit christlichem Glauben ertragen und Trost im Gebet gefunden. Nach ihrem Tod begann an ihrem Grab ihre Wundertätigkeit. Sie wurde in der Apostelkirche beigesetzt. Ihr Grab in der Apostelkirche wird oft im Zeremonienbuch erwähnt: Constantini Porphyrogeniti, De cerimoniis, Bd. 2, 6, S. 533, 8–14. 7, S. 535, 13–538, 1. Vgl. Garland, Byzantine Empresses, S. 111: Theophano starb 895 oder 896; Tougher, The Reign of Leon VI, S. 140. 71 Vita Euthymiii (BHG 651), cap. VIII, S. 47, 3–4. 72 Vita Euthymiii (BHG 651), cap. VII, S. 45, 33–35. Die Vita teilt mit, dass es ein Gerücht gegeben habe, dass Zoe sowohl am Tod der Kaiserin Theophano als auch ihres eigenen Ehemannes schuldig gewesen sei. 73 Tougher, The Reign of Leon VI, S. 139. 74 Vita Euthymii (BHG 651), cap. VIII, S. 47, 25–29. 75 Vita Euthymii (BHG 651), cap. VIII, S. 47, 31–35. Euthymios blieb im Kloster des Hl. Diomedes, das von Basileios I. restauriert wurde: Theophanes Continuatus, Chronographia, V 9, S. 223, 5–22. Über die Beziehung zwischen Euthymios und Zautzes siehe Garland, Byzantine Empresses, S. 111: Euthymios war ein persönlicher Freund von Leon und Theophano und der spirituelle Vater des Kaisers. In der Vita wird dargestellt, dass es eine gegenseitige Feindseligkeit zwischen Euthymios und Zautzes gab. Zautzes wird von Euthymios als Verkörperung des Bösen dargestellt, während Euthymios von Zautzes wegen des Einflusses auf Leon VI. gehasst wurde. Leon suchte Trost in der Freundschaft mit Euthymios erst nach dem Tod Zoes zu finden.

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Patriarchen Antonios II. Kauleas,76 der sich weigerte, die Ehe einzusegnen, da Leon und Zoe zu Lebzeiten der Theophano eine außereheliche Beziehung hatten, schaffte es Leon durch einen Palastkleriker namens Sinapes Zoe zu heiraten und zu krönen.77 Infolge dessen wurde Sinapes später von der Synode abgesetzt.78 Zoe Zautzina starb nach einem Jahr und acht Monaten an einer furchtbaren Krankheit, durch die sie ihren Verstand verloren hatte.79 Sie sei in einem Sarg beigesetzt worden, der die Aufschrift „Tochter Babylons, die Unselige“ getragen habe.80 Obwohl unklar ist, wie die Aufschrift dort hingekommen sein soll, ist die Absicht der byzantinischen Geschichtsschreibung deutlich erkennbar, das skandalöse Leben der Zoe durch einen Vergleich mit der Hure Babylon im Buch der Offenbarung in Erinnerung zu behalten.81 Der Kaiser blieb ihr gegenüber loyal, sorgte durch Spenden für die Rettung ihrer Seele (psychika)82 und errichtete ihr zu Ehren eine Kirche der Hagia Zoe, in der sie beigesetzt wurde.83 Leon und Zoe bekamen zwei Töchter,84 Anna,85 die erstgeborene, die zu Lebzeiten der Theophano geboren worden sein muss, da sie um 900 im heiratsfähigen Alter war, und Anastasia.86 76 PmbZ #20476. 77 Theophanes Continuatus, Chronographia VI 13, S. 361, 18–20; Symeon Magistros, Chronikon, 133, 23, S. 279, 160–166: Στέφει δὲ Λέων ὁ βασιλεὺς Ζωήν, τὴν θυγατέρα Ζαούτζα, καὶ εὐλογεῖται μετ᾽αὐτῆς παρὰ κληρικοῦ τοῦ παλατίου ᾧ ἐπίκλην Σινάπης· καὶ ὁ μὲν εὐλογήσας καθῃρέθη, ἡ δὲ ἐβασίλευσεν ἔτος ἕν, μῆνας η′. τελευτησάσης δὲ τῆς αὐτῆς Ζωῆς λάρνακα ἐφεῦρον ει᾿ς τὸ ἀποτεθῆναι τὸ σῶμα αὐτῆς ἔχουσαν ἔνδοθεν γράμματα κεκολαμμένα γράφοντα οὕτως· θυγάτηρ Βαβυλῶνος ἡ ταλαίπωρος. Georgios Monachos Continuatus, 18, S. 856, 18–21, S. 857, 1–7. Ioannes Skylitzes, Synopsis, Leon 3, 16, S. 179, 66–72: Τῆς δὲ αὐγούστης Θεοφανοῦς τελευτησάσης στέφει Λέων ὁ βασιλεὺς Ζωὴν τὴν θυγατέρα τοῦ Ζαουτζᾶ καὶ εὐλογεῖται παρὰ τινος κληρικοῦ τοῦ παλατίου. καὶ ὁ μὲν εὐθὺς καθῃρέθη, ἡ δὲ μετὰ τὴν ἀναγόρευσιν ἔτος ἓν καὶ μῆνας ὀκτὼ ζήσασα ἐτελεύτησε. λάρνακος δὲ ἑτοιμαζομένης, ὥστε τὸ ταύτης ἀποτεθῆναι σῶμα, γράμματα εὑρέθησαν ἐν αὐτῇ ἐγκεκολαμμένα οὑτωσὶ διεξιόντα·῾θυγάτηρ Βαβυλῶνος ἡ ταλαίπωρος.᾽Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 12, 32 S. 444, 14–16: ἄρτι δὲ τῆς βασιλίδος θανούσης Θεοφανοῦς τὴν ει᾿ρημένην Ζωὴν ὁ βασιλεὺς Αὐγούσταν ἀνηγόρευσε καὶ νόμιμον ἔθετο γαμετὴν τὴν πρὶν αὐτοῦ παλλακήν, ἣ ἐπ᾽ ὀλίγον τῆς εὐτυχίας άπώνατο· ἐνιαυτὸν γὰρ ἕνα ἐπὶ μησὶν ὀκτὼ τῇ βασιλείᾳ ἐπιβιώσασα τέθνηκεν. 78 PmbZ #27088. 79 Vita Euthymii (BHG 651), cap. VIII, S. 49, 24–25. 80 Zitat aus der Alten Testament, Psalm 137, 8. 81 Die Offenbarung des Johannes, Kapitel 17: Die Hure ist Babylon und hat geistlichen Ehebruch begangen. Kuhn, Babylon, S. 512–514. Siehe dazu Sals, „Hure Babylon“. 82 Georgios Monachos Continuatus, S. 858–859. Dazu siehe Tougher, The Reign of Leon VI, S. 144–145. 83 Pseudo-Symeon, Chronographia, S. 703. 84 Vgl. Tougher, The Reign of Leon VI, S. 146. Leon und Zoe bekamen nur eine Tochter, Anna. 85 PmbZ #20430. Leon krönte Anna vermutlich um 900 aus zeremoniellen Gründen zur Augusta: Theophanes Continuatus, Chronographia VI 17, S. 364, 14–16; Symeon Magistros, Chronikon (Wahlgren), 133, 31, S. 282–283, 226–228. Georgios Monachos Continuatus 23, 860, 5–7. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 19, S. 180, 9–11. Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 12, 32, S. 441. 86 PmbZ # 20281.

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Ein ganz anderes Bild der Ereignisse liefert die Vita der Theophano. Ihr zufolge war die Ehe glücklich, und es ist keine Rede von irgendeinem Zwang. Theophano unterstützte und tröstete ihren Mann während seiner Inhaftierung wegen der Anschuldigungen des Theodoros Santabarinos und stand ihm zur Seite zusammen mit der kleinen Tochter.87 Es wird auch nicht von einem Verhältnis zwischen Leon und Zoe Zautzina berichtet. Die unterschiedliche Darstellung der Ereignisse hängt offenbar mit dem Genre der Hagiographie und der Intention des Autors zusammen, der die Heiligkeit der frommen Kaiserin und die Makellosigkeit der makedonischen Dynastie hervorheben wollte. Die Vita wurde nach dem Tod der Theophano auf Wunsch Leons verfasst.88 Es liegt nahe, dass menschliche Schwächen, wie etwa Eifersucht oder eheliche Untreue, in diesem Zusammenhang tunlichst verschwiegen wurden. Eine weitere Mätresse des Kaisers Leons VI., Zoe Karbonopsina („mit kohlschwarzen Augen“) sorgte für den Skandal der Tetragamie und schaffte es nach vielen Hindernissen Kaiserin und Augusta zu werden. Nach seiner dritten unglücklichen Ehe mit Eudokia Baïane89 begann Leon VI., der so sehr eines Nachfolgers bedurfte, seine Liaison mit Zoe, einer edlen Dame am Hof, die aus gutem Haus kam.90 Die Chroniken sprechen von Zoe, die lange „ungekrönt“ (ἀστεφής, ἄστεπτος) war und mit Leon seit 902 oder Sommer 903 im Palast lebte.91 Das Attribut „ungekrönt“ soll hier offenbar sowohl den fehlenden Ehekranz als auch die fehlende Krönung bezeichnen. Erst nach der Geburt92 ihres Sohnes im Jahre 905 bzw. drei Tage nach seiner Taufe93 am 6. Januar 906 heiratete sie der Kaiser, der hiermit eine nach orthodoxem Kirchenrecht unzulässige vierte Ehe

87 Vita der Theophano (BHG 1794), cap. 13–19, S. 8–13. Tougher, The Reign of Leon VI, S. 136– 137. Vgl. Nikolaou, Ο Βίος, S. 489: Nikolaou ist der Meinung, dass Theophano vielleicht nicht die ganze Zeit bei Leon war, sondern dass sie bei ihm auf Besuch war. 88 Dagron, Théôphano, S. 202. Dagron, Empereur et prêtre, S. 209. 89 Sie starb ein Jahr nach der Hochzeit siehe Vita Euthymii (BHG 651), Commentary, S. 183. 90 Ihr Onkel war Protoasekretis und ihre Familie war mit dem Chronisten Theophanes und mit Photeinos, dem Strategos des Anatolikon-Themas verwandt. Siehe dazu Garland, Byzantine Empresses, S. 114; Tougher, The Reign of Leon VI, S. 153. 91 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 20, S. 366, 10–11: Ἦ δὲ Ζωὴ ἡ Τετάρτη γυνὴ τοῦ βασιλέως ἐν τῷ παλατίῳ μετὰ τοῦ βασιλέως ἀστεφής. Symeon Magistros, Chronikon, 133, 39, S. 285, 274–275: Ἦν δὲ Ζωὴ ἡ τετάρτη γυνὴ τοῦ βασιλέως ἐν τῷ παλατίῳ μετὰ τοῦ βασιλέως ἄστεπτος. Georgios Mοnachos Continuatus, 27, S. 861, 20–21 und 29, S. 862, 14. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 22, S. 182, 46–47. 92 Zoe bekam zuerst eine Tochter und dann einen Sohn. Zoe soll unfruchtbar gewesen sein, aber dann durch Wasser aus der Quelle des Pegeklosters bei Konstantinopel davon geheilt worden sein. Siehe Garland, Byzantine Empresses, S. 114. 93 Zur Geburt und Taufe: Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 23, S. 370, 8–14; Symeon Magistros, Chronikon, 133, 47, S. 288, 325–328; Georgios Monachos Continuatus, 32, S. 865, 1–5. 34, S. 865, 8–13. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 26, S. 184–185, 16–21. Leon Grammaticus, Chronographia, S. 279, 6–10.

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einging.94 Leon VI. erreichte damit, dass sein Sohn als Nachfolger legitimiert und dessen Mutter zur Kaiserin und Augusta gekrönt wurde.95 Die Trauung wurde vom Priester Thomas im Palast zelebriert, der anschließend deswegen vom Patriarchen Nikolaos I. Mystikos seines Amtes enthoben wurde. Hinsichtlich der Taufe des Kindes schaffte es Nikolaos, die Erzbischöfe und Priester zu überzeugen, dass Leon ihm versichert hätte, Zoe nach erfolgter Taufe aus dem Palast zu entfernen und die Beziehung zu ihr abzubrechen.96 Als Nikolaos dem Kaiser wegen der vierten Ehe sogar die Teilnahme an der Liturgie verweigerte, musste er jedoch schließlich zurücktreten. Über den Tetragamiestreit Leons ist sehr viel geschrieben worden. Es genügt hier festzuhalten, dass sich die Kirche aufgrund eines Verstoßes gegen die Beschlüsse der Synode in Trullo gegen diese Ehe stellte. Auch der nachfolgende Patriarch Euthymios, der geistliche Vater Leons und einer der Taufpaten seines Sohnes Konstantin VII. Porphyrogennetos (913– 959),97 machte Leon klar, dass er seine vierte Ehe nicht akzeptieren und Zoe nicht als Augusta anerkennen könne. Die Argumentation des Euthymios lief darauf hinaus, dass die Kirche zwar dem Kaiser aus Gründen der Nachsicht und oikonomia vergebe, aber die Ehe selbst keineswegs billige. Aus der Vita des Euthymios erfahren wir, dass Zoe sowohl durch ihre Verwandten, als auch durch persönliche Botschaften mehrere Versuche unternahm, ihn dazu zu bringen, sie zur Augusta zu proklamieren.98 Ihre Handlungen zeigen, dass sie nicht länger als Mätresse im Schatten des Kaisers, sondern als selbstbewusste Kaiserin, die am öffentlichen Leben Anteil hatte, agierte. Zoe kämpfte entschlossen für ihre Interessen. Die Euthymios-Vita scheint auf die persönliche Enttäuschung der Kaiserin anzuspielen, die als Mutter des Thronfolgers99 Respekt und Anerkennung erwartet hätte. Der Erzählung zufolge reagierte Zoe wütend und versuchte in einem Brief, Euthymios zu erpressen und zu bedrohen.100 Euthymios solle nicht vergessen, dass er sein Amt ihr und ihrem Kind verdanke. Er solle berücksichtigen, dass sie die Ehefrau eines Kaisers und die 94 Zur Heirat: Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 23, S. 370, 16–20. Symeon Magistros, Chronikon, 133, 49, S. 288, 329–334. Georgios Monachos Continuatus, 34, S. 865, 8– 13. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 26, S. 185, 22–25. Ioannes Zonaras, Epitomae, XVI 13, S. 446, 1–10. Vgl. dazu Garland, Byzantine Empresses, S. 114–115; Tougher, The Reign of Leon VI, S. 153–154. 95 Ob die Legitimation des Sohnes oder Liebe zu Zoe der Grund der Verheiratung war, siehe dazu Magdalino, The Bath of Leo the Wise, S.114; Macrides, The Byzantine Godfather. 96 Nicholas I. Patriarch of Constantinople, Letters, Nr. 32, S. 218, 45–51. 97 Vita Euthymii (BHG 651), XI, S. 71, 9–16. Der Autor der Vita Euthymii berichtet über die Taufe des Kindes, aber offenbar mit Absicht nicht über die Verheiratung Leons mit Zoe. 98 Vita Euthymii (BHG 651), XVII, S. 109, 29–32. Vgl. Garland, Byzantine Empresses, S. 117. 99 Leon VI. ließ durch Patriarch Euthymios Konstantin VII. Porphyrogennetos zum Mitkaiser krönen: Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 29, S. 375, 9–10. Symeon Magistros, Chronikon, 133, 59, S. 292, 401–402. Georgios Monachos Continuatus, 41, S. 868, 21–22. 100 Vita Euthymii (BHG 651), XVII, S. 111, 9–10.

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Mutter eines gekrönten Mitkaisers sei. Er solle sie aus Liebe zum Kaiser und zu seinem Täufling zur Augusta erklären. Der Senat habe so gehandelt, und wenn er nicht dasselbe täte, würde er es bereuen.101 Euthymios seinerseits erinnerte sie an ihre Vergangenheit, weshalb sie nicht unverschämt sein solle. Immerhin möge sie dankbar sein, dass ihr Sohn Kaiser werde.102 Die Vita konstruiert hier einen klaren Gegensatz zwischen den Machtansprüchen Zoes, die sich durch emotionalen Druck und Manipulation durchzusetzen versucht, und dem Patriarchen, der auf den Grundsätzen des kirchlichen Rechts beharrt. Den Zuhörern wird verdeutlicht, dass Euthymios Zoe zwar als Mutter des Thronfolgers, keineswegs aber als Kaiserin tolerieren könne. Dementsprechend wird Zoe sowohl in der Vita als auch in zwei Briefen des Patriarchen Nikolaos an Papst Anastasius III.103 in bewusst erniedrigender Absicht stets nur als Frau (ἡ γυνή) und deren Ehe als Prostitution bezeichnet.104 Jeder Anspruch auf eine offizielle Stellung am Kaiserhof ist ihr dadurch vonseiten der Kirchenführung deutlich verwehrt.105 Die die offizielle Geschichtsschreibung der makedonischen Dynastie repräsentierende Theophanes Continuatus-Gruppe hingegen bezeichnet Zoe als Augusta.106 Nach dem Tod Leons VI. verlor Zoe zunächst ihren Einfluss, weil Alexandros, der Bruder Leons, als Vormund des sechsjährigen Konstantin VII. nach dem Wunsch des verstorbenen Kaisers regierte und sie aus dem Palast vertrieb.107 Nach dem Tod des Kaisers Alexandros fiel sie endgültig in Ungnade, da Nikolaos Mystikos die Leitung in der Vormundschaft Konstantins übernahm.108 Der Patriarch ließ Senatoren und Bischöfe schwören, sie nicht als Kaiserin anzuerkennen. Nach vier Monaten ließ er sie zur Nonne scheren und unterstellte sie seiner persönlichen Kontrolle, indem er ihr als seiner geistlichen Tochter die

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Vita Euthymii (BHG 651), XVII, S. 111, 14–22. Vita Euthymii (BHG 651), XVII, S. 111, 34–35 – S. 113, 1–5. PmbZ #20342. Vita Euthymii (BHG 651), XIV, S. 93, 24. Nicholas I. Patriarch of Constantinople, Letters, Nr. 32 (an Papst Anastasius III., zweite Hälfte des Jahres 912), S. 218, 50, 59. S. 222, 114. S. 230, 281.284: Auch S. 228, 242, 247. S. 230: Nikolaos vergleicht diese Ehe mit der „Prostitution“; Nr. 183 (an den Parakoimomenos Konstantin), S. 514–516. Vita Euthymii (BHG 651), XVII, S. 113, 6–10. Symeon Magistros, Chronikon, 133, 60, S. 292, 404–407. Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 29, S. 375, 12, 15. Georgios Monachos Continuatus, S. 869, 3–5. Theophanes Continuatus, Chronographia, VI. 32, S. 377, 12–13. Symeon Magistros, Chronikon, 133, 63, S. 297, 436–444. Georgios Monachos Continuatus, 44, S. 870–871, 18–21, 1–7. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 34, S. 191–192, 9f. Vgl. Garland, Byzantine Empresses, S. 118– 119. Alexander plante angeblich Konstantin VII. zu kastrieren: Theophanes Continuatus, Chronographia, 3, S. 379, 6–8. Symeon Magistros, Chronikon, 134, 4, S. 295, 21–23. Theophanes Continuatus, Chronographia, 1, S. 381, 9–13. Symeon Magistros, Chronikon, 134, 9, S. 297, 47–52.

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Beichte abnahm.109 Die Chroniken berichten, dass sie auf Wunsch ihres Sohnes, der als Kind seine Mutter bei sich haben wollte, wieder in den Palast zurückgekehrt sei.110 Johannes Skylitzes teilt mit, dass dies gegen den Wunsch der Vormünder geschehen sei. Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen gelang es Zoe, im Februar/März 914 in einem hofinternen Umsturz die Zügel der Regierung in die Hände zu nehmen. Die Geschichtsschreiber machen kaum genauere Angaben über die Art und Weise ihrer Machtergreifung. Aus den wenigen Andeutungen wird jedoch deutlich, dass sie es verstand, eine Koalition unter den Gegnern des verstorbenen Alexandros und des Patriarchen aufzubauen und diese auf ihre Seite zu ziehen. Durch Versprechungen gewann sie zunächst die Unterstützung des Magistros Ioannes Heladas,111 eines der Mitglieder der Regentschaft für den jungen Konstantin, die laut den Quellen aus fünf oder sieben Personen bestand und von Kaiser Alexandros vor seinem Tod ernannt worden war.112 Heladas wollte dort den ersten Platz anstelle des Patriarchen Nikolaos einnehmen. Seine persönlichen Ambitionen, die im Rahmen der Regierung nicht erfüllt wurden, brachten ihn offenbar dazu, mit Zoe zu kooperieren. Nach einhelliger Meinung aller Quellen wurden auf den Rat von Ioannes Heladas die alten Anhänger des Kaisers Alexandros entmachtet. Daraufhin berief Zoe ihren Vertrauten, den Parakoimomenos Konstantin, und die beiden Brüder Konstantin und Anastasios Gongylios in den Palast und entmachtete die Vertrauten des alten Regimes. Sie setzte den Patriarchen Nikolaos als Mitglied der Vormundschaftsregierung zusammen mit seinem Anhang ab und übernahm selbst die erste Stelle in der

109 Vita Euthymii (BHG 651), XX, S. 126, 33 (Nikolaos nennt Zoe pallakis) und XX, S. 129, 1–4; XXI, S. 133, 3–14. 110 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 6, S. 386, 1–3. Symeon Magistros, Chronikon, 135, 12, S. 301, 85–88: Τοῦ βασιλέως οὖν Κωνσταντίνου ἅτε παιδὸς ὄντος καὶ τὴν ι᾿δίαν μητέρα ἐπιζητοῦντος (ἤδη γὰρ ταύτην κατήγαγεν Ἀλέξανδρος ὁ βασιλεύς) ἀναβιβάζουσιν πάλιν αὐτὴν. Georgios Monachos Continuatus, 8, S. 878, 10–13. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 4, S. 201, 30– 32: Τοῦ βασιλέως Κωνσταντίνου διὰ παντὸς ὀδυρομένου καὶ τὴν ἑαυτοῦ ἀνακαλουμένου μητέρα (ἤδη γὰρ αὐτὴν κατήγαγε τοῦ παλατίου Ἀλέξανδρος) ἀναβιβάζουσι καὶ ἄκοντες πάλιν αὐτὴν. 111 PmbZ #22909. 112 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 6, S. 386, 3–9. Symeon Magistros, Chronikon, 135, 12, S. 301, 88 –S. 302, 89–93: Αὐτὴ οὖν περικρατὴς γενομένη τῆς βασιλείας ἀναβιβάζει ει᾿ς τὸ παλάτιον Κωνσταντῖνον παρακοιμώμενον καὶ Κωνσταντῖνον καὶ Ἀναστάσιον αὐταδέλφους τοὺς Γογγυλίους λεγομένους, καὶ τῇ βουλῇ Ἰωάννου τοῦ Ἐλαδᾶ καταβιβάζουσι τοὺς οι᾿κείους τοῦ Ἀλεξάνδρου βασιλέως, Ἰωάννην τὸν ῥαίκτωρα καὶ τὸν λεγόμενον Γαβριλόπουλον καὶ Βασιλίτζην καὶ τοὺς λοιπούς. Georgios Monachos Continuatus (Bonn), 8, S. 878, 13–18. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 4, S. 201, 32–37: Ἀνελθοῦσα οὖν καὶ ἐγκρατὴς γενομένη τῆς βασιλείας προσλαμβάνεται τὸν παρακοιμώμενον Κωνσταντῖνον καὶ Ἀναστάσιον καὶ Κωνσταντῖνον τοὺς αὐταδέλφους τοὺς τὴν ἐπωνυμίαν Γογγυλίους. Συμβουλεύσαντος δὲ καὶ Ἰωάννου τοῦ Ἐλαδᾶ καταβιβάζουσι τοὺς οι᾿κείους Ἀλεξάνδρου, Ἰωάννην τὸν ῥαίκτωρα, τὸν Γαβριηλόπουλον, τὸν Βασιλίτζην καὶ τοὺς λοιπούς.

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Regierung.113 Laut der Vita Euthymii begann Zoe auf Nikolaos psychologischen Druck auszuüben. Gleichzeitig verhandelte sie mit dem entthronten Euthymios, der es jedoch ablehnte, das Amt des Patriarchen erneut zu übernehmen.114 Durch eine Mischung von Drohungen und Sicherheitsversprechen, gelang es Zoe schließlich, Nikolaos zum Einlenken zu bringen: er versprach ihr schriftlich, seine politischen Ambitionen aufzugeben und sie in der Hagia Sophia zusammen mit ihrem Sohn zur Kaiserin zu proklamieren und ihr den Titel der Augusta zuzugestehen.115 Die Chroniken berichten von ihren außenpolitischen Aktivitäten, besonders gegenüber den Bulgaren und den Arabern, die nicht erfolgreich waren.116 Infolge dessen schaffte es Konstantin VII. Porphyrogennetos mit der Unterstützung seiner Vormünder, Nikolaos I. Mystikos und Magistros Stephanos,117 die Macht an sich zu reißen. Zoe sollte aus dem Palast entfernt werden, jedoch überzeugte sie ihren Sohn unter Tränen, sie als seine Mutter im Palast bleiben zu lassen.118 Romanos Lakapenos schickte sie später ins Euphemiakloster beim Petrion in Konstantinopel,weil sie versucht hatte, ihn zu vergiften.119 Zoe regierte als Mitkaiserin ihres Sohnes Konstantin VII. von 913 bis 920, wie es sowohl die von ihr getroffenen politischen Entscheidungen als auch numismatisches Material dokumentieren.120 Sie repräsentiert somit den Frauentyp der Aufsteigerin am Kaiserhof. Trotz des heftigen Widerstands der Kirche und vieler Mitglieder des makedonischen Establishments schaffte sie es, sich ein Netzwerk an Unterstützern aufzubauen, mit deren Hilfe sie den Patriarchen neutralisieren konnte. Durch ihren Sohn überwand sie rechtliche Hindernisse, die ihren Ansprüchen auf den Augusta-Titel im Weg standen, und konnte sich, solange der Konflikt mit den Bulgaren unter Symeon unter Kontrolle blieb und der Einfluss 113 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 6, S. 386, 13–22. Symeon Magistros, Chronikon, 135, 13, S. 302, 97–106. Georgios Monachos Continuatus, 8, S. 879, 18–22, S. 880, 1–3; 9, S. 880, 6–11. Ioannes Skylitzes, Synopsis, 4, S. 201, 40–48. 114 Vita Euthymii (BHG 651), XXI, S. 133, 31–135, 1–20. 115 Vita Euthymii (BHG 651), XXII, S. 137, 11–13. 116 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 7–10, S. 386–390. Symeon Magistros, Chronikon, 135, 14–23, S. 302–306. Georgios Monachos Continuatus, 10–19, S. 879–883. Zoe bereitete einen Angriff gegen den bulgarischen Herrscher Symeon vor und schickte zu diesem Zweck eine Gesandtschaft an die Araber, um mit deren Hilfe die Bulgaren angreifen zu können. Byzanz hatte dabei eine schwere Niederlage erlitten. 117 PmbZ # 27224. 118 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 11, S. 392, 10–14. Symeon Magistros, Chronikon, 135, 26–27, S. 308, 213–220. Georgios Monachos Continuatus, 22, S. 884, 20–23–885, 1–5. 119 Theophanes Continuatus, Chronographia, VI 16, S. 397, 11–18. Symeon Magistros, Chronikon, 136, 9, S. 313, 66–70. Georgios Monachos Continuatus, 33, S. 889, 23–890, 1–4. 120 Grierson, Byzantine Coins, 3.1., 12: Ein Follis von Konstantin VII. Porphyrogennetos und Zoe geprägt in Konstantinopel in den Jahren 914–919. Siehe dazu Christophilopoulou, Ἡ ἀντιβασιλεία, S. 55–57. Für die kaiserlichen Siegel siehe Zacos / Veglery, Byzantine Lead Seals, vol. 1.1, nos. 62–4.

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der Militärführer nicht überhandnahm, auf dem Thron behaupten. Das Fehlen eines volljährigen Kaisers ermöglichte es ihr, auf der Grundlage dynastischer Legitimität ein Machtvakuum zu füllen, das der Patriarch trotz aller rechtlichen und moralischen Bedenken hinsichtlich Zoes Position seinerseits nicht füllen konnte. Fassen wir zusammen: Drei Frauen, die langjährige Mätressen von Kaisern waren, erreichten unter unterschiedlichen Umständen den Aufstieg zu Kaisergemahlinnen und gekrönten Augustae, die das politische Geschehen beeinflussten und durch ihre Rolle als Mütter künftiger Kaiser die Fortsetzung der Dynastie sicherten. Die Existenz von Mätressen am Hof erscheint als keineswegs ungewöhnlich. Das Image des Kaisers wurde dadurch nicht beeinträchtigt, allerdings wurde die Geliebte mit Verachtung und Kritik bedacht. Eudokia wurde von Michaels Familie gehasst, Zoe Zautzina blieb als Ehebrecherin und Mörderin in Erinnerung, und Zoe Karbonopsina sollte dem Patriarchen Euthymios zufolge ihre Stellung als Mätresse nicht vergessen. Die Realität des Hoflebens eröffnete jedoch auch viele neue Möglichkeiten: Eudokia, Zoe Zautzina und Zoe Korbonopsina gewannen nicht nur die Gunst, sondern auch das Vertrauen des Kaisers. Sie lernten die inneren Zusammenhänge der Machtelite, Intrigen und Machtpraktiken kennen. Dieses wertvolle Wissen nutzten sie bei entsprechenden Gelegenheiten zu ihrem Vorteil. Das ergab sich für Eudokia durch die Verheiratung mit dem ehrgeizigen Basileios, der bereit war, alles zu tun, um auf den Kaiserthron zu kommen. Eudokia brachte es dadurch zur legitimen Kaiserin und trug wesentlich zur Stabilisierung der Dynastie bei. Die Ermordung ihres eigenen Mannes bedeutete für Zoe Zautzina die Befreiung aus einer erzwungenen Ehe und schenkte ihr Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit Leon als Kaiserin. Dynastische Interessen, die durch die Geburt Konstantins VII. entstanden, brachten Leon VI. dazu, seine Mätresse Zoe Karbonopsina zu heiraten und zur Kaiserin zu proklamieren, um die Stellung seines Sohnes als Thronfolger zu sichern. Zoe übernahm dadurch eine neue Rolle als Ehefrau und Augusta und entwickelte nach dem Tod ihres Mannes politische Ambitionen. Auch ihr gelang es, trotz aller Widerstände Mitkaiserin ihres minderjährigen Sohnes zu werden. Es ist nicht das erste Mal in Byzanz, dass die Mutter eines Kind-Kaisers nach dem Tod ihres Mannes zusammen mit ihrem Sohn als Mitkaiserin regierte. Eirene (797–802) teilte den Thron mit ihrem unmündigen Sohn Konstantin VI. (780–797) nach dem Tod ihres Ehemannes Leon IV. (775–780). Sie übernahm die Regentschaft, die sie zunächst gegen die Usurpatoren Nikephoros und Elpidios behaupten musste.121 Theodora (843–856) wurde ebenfalls nach dem Tod ihres Mannes zur Regentin für ihren dreijährigen Sohn Michael III. (842–867) ernannt. Zusammen mit dem Eunuchen Theoktistos führte sie die Regierung mit fester 121 Herrin, Women in Purple, S. 51–129; Garland, Byzantine Empresses, S. 73–94.

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Hand.122 Der große Unterschied zwischen Eirene und Theodora einerseits und Zoe Karbonopsina andererseits war, dass beide von Senat und Kirche als Ehefrauen und Augustae eines Kaisers bzw. Mütter eines Thronfolgers anerkannt wurden und daher rechtliche Ansprüche auf den Thron hatten. Zoe musste sich diese Position erst erkämpfen, nachdem sie nach dem Tod ihres Mannes und dessen Bruders Alexandros ohne Unterstützung blieb und verbannt wurde. Ihre besondere Leistung bestand darin, dass sie durch Ausnützung interner Rivalitäten den Makel der Illegitimität überwinden und sich sogar gegen die spirituelle Autorität des Patriarchen durchsetzen konnte. Angesichts der vorangegangenen Dispute des Tetragamiestreites, der wesentlich auch ein Konflikt zwischen kaiserlichen und kirchlichen Machtansprüchen war, ist dies eine einzigartige Leistung. Die zeitgenössischen Chroniken sind oft in geschlechtsspezifischen Klischees und dynastisch motivierter Idealisierung verfangen und geben kaum Einblicke in die Persönlichkeitsstrukturen und politischen Aktivitäten der zum Kaiserthron aufgestiegenen Frauen. Immerhin lassen sich Netzwerke und Machtgruppen erkennen, die unter dem Einfluss des Frauengemachs am Hof standen. Wenn auch oft negativ dargestellt und heftig kritisiert, kommen auch Ambitionen, Verhaltensweisen und politische Absichten zur Sprache. Fragen der Legitimität sind dabei oft vom Standpunkt der jeweiligen Fraktionen und Intentionen der Autoren abhängig. Dessen ungeachtet wird deutlich, dass sowohl Eudokia als auch Zoe Karbonopsina bei der Sicherung und Stärkung der makedonischen Dynastie eine entscheidende Rolle spielten: Erstere vor allem durch die Unterstützung ihres Mannes auf seinem Weg zur Macht und durch ihre Söhne; letztere durch den Aufbau einer tragfähigen Regentschaft in einer kritischen Phase dynastischer Schwäche.

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122 Herrin, Women in Purple, S. 185–239; Garland, Byzantine Empresses, S. 95–108; Markopoulos, The Rehabilitation of the Emperor Theophilos, S. 37–49. Zum engen Verhältnis zwischen Theodora und Theoktistos siehe: Nikolaou, Θεοδώρα και Θεόκτιστος.

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Petra Melichar

Historians and Their Victims: Apprehensive Men and Powerful Women in Late Byzantium For Vladimír Vavrˇínek on his 90th birthday

While recent research has covered considerable ground regarding noble and imperial women,1 the reasons behind the negative judgments pronounced in the sources against the Byzantine princesses have not yet received systematic consideration. Other than the obvious explanation, that of a vicious author whose biased presentation is due to a personal grudge, it is accepted that such criticism hinges on the opinion (so prevalent in the Middle Ages) that women should not hold political power.2 While this view is correct, it does not expose the root of the problem. The impetus behind most of the negative statements of the period was the authors’ fear of women in positions of power not being able to fulfill their roles or, even worse, changing accepted laws, institutions, and traditions, thereby weakening the empire and harming its people. From the perspective of a male author, a “wayward” female ruler represented a threat. This perceived threat produced fear, and fear, in turn, manifested itself in the writer’s work in the form of angry, inimical or critical statements as illustrated by the examples from late Byzantium presented below.

1 It is impossible to include a complete list of these works. See, for example, Laiou, The role of women, pp. 233–260; Connor, Women of Byzantium; Laiou, Observations, pp. 60–102; Brooks, Sculpture, pp. 95–103; Brooks, Poetry and Female Patronage, pp. 223–248; Effenberger, Die Klöster, pp. 255–293: Gerstel / Talbot, The Culture of Lay Piety, pp. 79–100; Kalopissi-Verti, Dedicatory Inscriptions; Kianka, The Letters of Demetrios Kydones, pp. 155–164: Kotzabassi, Scholarly Friendship, pp. 115–170; Kyrris, Le rôle de la femme, pp. 463–472; Nicol, The Byzantine Lady; Talbot, Bluestocking Nuns, pp. 604–618; Eadem, Byzantine Women, pp. 105–122; Eadem, Building Activity, pp. 329–342. 2 For the opinion of the late medieval writers see Doukas, p. 47 (VI,1) and other sources cited below. For modern scholarship dealing with women and power (and reflecting the medieval perception that the latter two were not easily compatible) see, for example, Hill, Imperial Women in Byzantium 1025–1204, p. 207; Garland, Byzantine Empresses, p. 1; Nicol, The Byzantine Lady, p. 86.

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Before examining the texts, a few words should, perhaps, be said about the emotion that shaped them. The fact that fear3 strongly influences culture is well established. It has left its mark on philosophy (Kierkegaard, Heidegger, Sartre) and psychology (Freud) as well as art (the statue Laocoön and His Sons) and music (Bernstein, The Age of Anxiety). Fear also represents an important motive in literary productions, whether they be plays, poetries, or novels,4 and is a primary ingredient in many famous films, such as the works of Alfred Hitchcock. In addition to literary works, fear also plays an important role in historical texts, especially those in which the author writes about contemporary events and personalities. In such cases, writers often have to deal with their own emotions as they relate to the events they are describing. The connection between fear, anger, and aggression, as described by modern psychological research, offers valuable insight into how fear impacts people’s actions: In the coexistence of human beings, there is an important relationship between fear, vexation, rage and hostile actions, which is also connected with how we experience our identity. Living in constant anticipation of some sort of loss also triggers fear. We then feel inhibited in our intentions, in our actions, and we experience a sense of helplessness. This, in turn, damages our sense of self-worth, which also means that, for a moment, we lose a solid sense of our identity, leading to identity diffusion. Our identity can then only be regained through a different ego activity, an attack. The more our sense of self-worth is distorted by helplessness, the more likely we are to react with fierce aggression or even violence.5

Recognizing fear as the driving force behind the critical statements enables us to better understand the late Byzantine sources, to create a more balanced image of the princesses’ personalities, and to appreciate the dangers (at least from the authors’ perspective) that powerful women posed to the Palaiologan6 world.

3 Fear as an emotion has come under the frequent scrutiny of the modern psychological sciences, which have described its causes, manifestations, and accompanying biochemical processes. For details, see, for example, LeDoux, Angst; Kast, Vom Sinn der Angst. 4 LeDoux, Angst, pp. 21–27. 5 Kast, Vom Sinn der Angst, pp. 57f.: “Es gibt für das menschliche Zusammenleben wichtige Beziehung zwischen Angst, Ärger, Wut und feinseligem Handeln, die auch mit unserem Identitätserleben zusammenhängt. Einen wie auch immer gearteten Verlust zu antizipieren, löst Angst aus. Wir fühlen uns dann gebremst in unserer Intention, in unserer Aktivität, und erleben zunächst Ohnmacht. Unser Selbstwertgefühl ist beeinträchtigt, das heisst aber auch, wir verlieren für einen Moment das sichere Gefühl unserer Identität, es entsteht eine Identitätsdiffusion. Diese Identität kann nun wieder hergestellt werden durch eine andere IchAktivität als die, die gerade beeinträchtigt wurde, durch einen Angriff. Je mehr das Selbstwertgefühl durch die Hilfslosigkeit beeinterächtigt ist, um so eher werden wir mit heftiger Aggression oder gar mit Gewalt reagieren.” 6 The Palaiologan dynasty ruled Byzantium throughout its final phase of existence (1261–1453), and the term is used to describe the period of late Byzantine history.

Apprehensive Men and Powerful Women in Late Byzantium

1.

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The woman who wanted to divide the Empire

The role of an imperial mother sometimes clashed with that of an empress of the Byzantine people as imperial consorts, especially those of foreign origin, tended to place the interests of their children above those of their subjects.7 Eirene, also known as Yolanda of Montferrat (d. 1317),8 was the second wife of Andronikos II, who had two sons from his previous marriage to Anna of Hungary.9 While these children had hierarchical precedence over their younger stepsiblings, Eirene was an ambitious mother and wanted her children to inherit the throne or at least acquire independent principalities carved from the Byzantine territories. These plans clearly startled Nikephoros Gregoras, who described them in detail in his chronicle: She also wanted something unheard of; the imperial rule was no longer to be a monarchy, as is customary for the Romans. No, she wanted to divide the cities and the territories of the Romans according to the Latin custom, and every territory was to be ruled by one of her sons as his personal inheritance and possession. Each of them would receive a territory from his father, just as riches and possessions pass from father to son among the common people, and the son would, in turn, give it to his children and heirs.10

While the above passage from Byzantina Historia reflects antipathy towards the empress, the author is not taking revenge for a personal offense. The historian was not a direct enemy of the empress, whom he had probably never met (since by the time Gregoras came to the Byzantine court, Eirene of Montferrat had already removed to Thessalonike). Neither is his displeasure directed against women in general; in the same work, Gregoras devotes a number of pages to the praise of the princess-abbess Eirene-Eulogia Palaiologina Choumnaina11 as well as to Empress Eirene Kantakouzene.12 Based on the wording of the passage, the 7 Melichar, Female Incompetence, pp. 64f. 8 I described the biography of this empress (and the other empresses mentioned later) in my study on late Byzantine empresses. For details, primary sources, and literature, please refer to Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 117–146. 9 For a biography and further sources on Anna of Hungary, see Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 105–116. 10 Nikephoros Gregoras, Byzantina Historia, I, pp. 233f., (VII,5): τὸ δὲ καινότερον, ὅτι οὐ μοναρχίας τρόπῳ κατὰ τὴν ἐπικρατήσασαν Ῥωμαίοις ἀρχῆθεν συνήθειαν, ἀλλὰ τρόπον Λατινικὸν διανειμαμένους τὰς Ῥωμαίων πόλεις καὶ χώρας ἄρχειν κατὰ μέρη τῶν υἱέων ἕκαστων, ὡς οι᾿κείου κλήρου καὶ κτήματος τοῦ λαχόντος, ἐκ πατρῶν μὲν ἐς αὐτοὺς κατὰ τὸν ἐπικρατήσαντα νόμον ταῖς περιουσίαις καὶ κτήσεσι τῶν βαναύσων ἀνθρώπων κατιόντος · παραπεμπομένου δ΄ἔπειθ΄ὁμοίως ἐς τοὺς ἐφεξῆς παῖδας καὶ διαδόχους. 11 For literature and sources, see Trapp, Prosopographisches Lexikon der Palaiologenzeit (PLP), no. 30936. For Gregoras’s eulogy of the princess, see Nikephoros Gregoras, Historia Byzantina, III, pp. 238–240, (XXIX, 22f.). (Translation mine.) 12 Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 209–228. For Gregoras’s praise of Eirene Kantakouzene, see Nikephoros Gregoras, Historia Byzantina, II, pp. 693f., (XIV, 1).

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historian was concerned for both the traditions and the future of the Empire. The words “unheard of”, “no longer”, “divide”, “according to the Latin custom”, “personal inheritance and possession”, and “among the common people” reveal a fear of change in the known order, which threatened to throw the Empire into chaos and could possibly lead to its destruction.

2.

The woman who caused war and desecration

Even more alarming to the same historian were the actions of another foreign princess named Anna of Savoy (d. 1365),13 who was left in the position of regent due to the minority of her son, John V, by the premature death of her husband, Andronikos III, in 1341. Despite her husband’s death-bed recommendation that she collaborate with his close friend and courtier, John Kantakouzenos, Anna was persuaded by her advisors that Kantakouzenos was plotting to murder her family and usurp the crown. Determined to protect the life and throne of her son, she allowed the country to be dragged into a prolonged civil war,14 which caused immense losses for the empire and its people. As in the case of Eirene of Montferrat, the historian’s fears regarding the female ruler surfaced in a series of unfavorable comments not only on the actions but also on the character of Anna of Savoy.15 In his work, Nikephoros Gregoras describes how the empress took desperate measures to continue her war efforts as the Civil War dragged on for over five years, bringing many families to destitution: Empress Anna was neither able nor willing to undertake something useful for the government of the state. Without restraint, she despoiled the holy icons of their decorations (…) allegedly for the use of the state but mainly in fact for her own good. While she was doing this, she continuously abused the nobility and the rich. Many of these therefore fled to the great and famous shrine of Hagia Sophia, which had once possessed the privilege to offer asylum to those who sought it. But, behold, they were mercilessly dragged out and with both hands thrown into prison (…).16 13 Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 171–208. 14 Also known as the Second Civil War, 1341–1347. 15 For further details on Gregoras’s perception of Anna, see Melichar, Female Incompetence, pp. 66–68. 16 Nikephoros Gregoras, Byzantina Historia, II, p. 748 (XV,3): τῆς βασιλίδος Ἀννης καίριον οὐδὲν περὶ τὴν τῶν πραγμάτων μελετᾷν οὔτ’ει᾿δυίας οὔτ’ ἐθελούσης διοίκησιν · ἀλλὰ ἀφαιρουμένης μὲν τὸν τὼν ἱερῶν ει᾿κόνων κόσμον ἀνέδην, (…) προφάσει μὲν διὰ τὴν ἐς τὰ κοινὰ χρείαν, τὸ δὲ πλεῖστον ει᾿ς ἑαυτῆς ἴδιον κέρδος. Ταῦτα δ’ἐργαζομένη οὐδὲ τοῦ κακουργεῖν ἀπέσχετο τοὺς ἐνδόξους, καὶ ὅσοι χρημάτων οι᾿κείων περιουσίᾳ προὔχειν ἐδόκουν. δι’ἅ δὴ καὶ ἐς τὸ μέγα καὶ περιβόητον ἱερὸν τῆς τοῦ θεοῦ Σοφίας, ἀσύλου πάλαι καταφυγῆς κεκτημένον προνόμια, κατεφεύγοντας ἀπέσπων φεῦ ἀπηνῶς, καὶ πάσαις ἀπεώθουν χερσὶν ει᾿ς εἱρκτὴν καὶ λήθης ἅπαν φάναι φρούριον (…).

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Anna’s actions as a widowed mother eager to protect the rights and the position of a minor heir were not unusual. Notably, Gregoras does not complain about the war itself or the lack of food and other necessities. Once again, his fear centers on Anna’s disrespect for tradition and precious pieces of devotional art because her actions, informed by her attitude, forever changed the spiritual landscape of the Empire, the framework of Gregoras’s life, world, and work. In response to this loss and fear, Gregoras retaliates (possibly subconsciously) by using devaluation, charging Anna not only with inability and unwillingness to prosper the Byzantine state but also with ruthless avarice and selfish disdain for Byzantine nobility and customs. His rhetoric reveals his emotions inasmuch as using devaluation is a wellknown technique of dealing with fear. In her aforementioned study, Verena Kast noted: “Devaluation is a very common strategy used to cope with fear; it is useful to observe our devaluation strategies in order to discover how often we devaluate something out of fear. Not because we are evil but because we are fearful and find it difficult to face our fears. ”17 A further confirmation of this interpretation of Gregoras’s emotional state can be found in the fact that his comments were made in the midst of the horrors of the Second Civil War. According to Gary Collins, “a war … can threaten individuals and create anxiety. This apprehension comes because the person is uncertain about what to expect and feels helpless to prevent or reduce the threat.”18 Interestingly, the historian does not express similar doubts about Anna’s adversary, John Kantakouzenos, who certainly had his share of responsibility for the catastrophes of the Second Civil War. This silence is probably due not only to Kantakouzenos’s being an astute politician, an excellent military leader, and (for a time) the historian’s friend but also to the fact that he was a Byzantine-born man and thus trustworthy in matters of state. Filled with regret by the changes in the Empire he loved and replete with anxiety over its future, Gregoras reveals in his writing how he distrusted and feared the empress of foreign origin who governed Byzantium.

17 Kast, Vom Sinn der Angst, pp. 18f.: “Entwerten ist eine sehr oft verwendete Angstabwehr; es ist heilsam, einmal den eigenen Entwertungsstrategien nachzugehen und herauszufinden, wie oft wir etwas aus Angst entwerten. Nicht etwa, weil man ein so boshafter Mensch wäre, sondern ein ängstlicher Mensch, der Schwierigkeiten hat, zur Angst zu stehen.” (Translation mine.) 18 Collins, Christian Counselling, p. 80.

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3.

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The empress who shunned Orthodoxy

On their arrival in the Byzantine Empire, non-Orthodox imperial brides traditionally converted to Orthodoxy prior to being united in marriage to the emperor or heir to the throne. Nevertheless, one late Byzantine empress failed to comply with this convention. Her name was Sophia of Montferrat (d. 1434)19 and her continued adherence to Catholicism was guaranteed by a written document, signed by Emperor Manuel II at the request of the pope. This document may have allowed Sophia to maintain her confession; however, according to the metropolitan of Thessalonike Symeon, the empress’s Catholic faith was the cause of divine wrath, which manifested itself in the Ottoman siege of Constantinople in 1422, the ensuing famine, and further trouble with the Republic of Genoa: Now this [siege and famine], I think, was a disciplinary chastisement inflicted on it [Constantinople] by God for other reasons, but also to teach us not to have communion of any kind at all with those who are excommunicated by the Church. For you know what things happened at that time: how that woman of Italian race, who had neither submitted to the Church nor become its daughter, nor publicly recognized the Church’s hierarchs as her fathers, nor confessed the Symbol of Faith of the Fathers in the right form in which it was drawn up, was simply received and proclaimed Empress of the Orthodox together with the faithful Emperor in violation of the sacred canons.20

As the Catholic and, later, the Islamic pressure on Byzantium increased, the majority of the Byzantine people clung uncompromisingly to Orthodoxy, which they perceived as the only means of reconciling themselves to God and restoring stability to an insecure empire. Under such circumstances, an empress who did not change her confession was necessarily perceived as a serious threat to both the beliefs and the security of the empire and its people, who felt that their church and their traditions were endangered. By devaluating Sophia as “that woman of Italian race”, the worthy metropolitan reveals his fears. A foreign woman who had refused to receive the Orthodox creed had nevertheless become the wife of the ruler of the Orthodox Empire and must therefore have been the cause of its present misfortunes. If she were to remain in that position, worse would be yet to come. 19 Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 311–318. 20 Symeon of Thessalonike, Λόγος, p. 53, lines 12–20: “Ὅμως δὲ καὶ μετὰ τὴν ἀπαλλαγὴν τῆς πολλῆς ἐκείνης πολιορκίας ἔτι τὰς πύλας ἐγκεκλεισμένας ἔχει καὶ λιμῷ τήκεται, παιδείαν, ὡς οἶμαι, τοῦτο ταύτῃ ποιησαμένου Θεοῦ καὶ δι’ ἕτερα μέν, καὶ ὡς ἂν γνῶμεν μὴ τοῖς ἀκοινωνήτοις τῆς ἐκκλησίας κατά τι κοινωνεῖν ὅλως. Ἴστε γάρ, ὅσον τὸ τότε γέγονε, καὶ τὴν ἐξ Ἰταλῶν οὖσαν τῇ ἐκκλησίᾳ μὴ ὑποκύψασαν, μηδὲ θυγατέρα γεγενημένην, μηδὲ τοὺς ἱεράρχας τῆς ἐκκλησίας πατέρας ἀνειποῦσαν, μηδὲ τῶν πατέρων τὸ τῆς πίστεως σύμβολον, ὡς παρ’ ἐκείνων ὀρθῶς ἐξετέθη, καθομολογήσασαν, ἁπλῶς ὑποδεδεγμένην καὶ βασιλίδα τῶν ὀρθοδόξων μετὰ τοῦ πιστοῦ βασιλέως ἀναγορευθεῖσαν παρὰ τοὺς ὅρους τοὺς ἱερούς.”

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4.

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A parvenu on the throne

A late Byzantine empress was not expected to come from a common inn or a circus (as was the case with two important early Byzantine empresses, Theodora, the wife of Justinian, and Theophano, the wife of Romanos II).21 The members of the Palaiologan dynasty mostly married women of eligible European noble houses. Eirene Kantakouzene was esteemed for her connection with the dynasty of the Bulgarian tsars, Theodora Palaiologina22 for her close relationship with the Nicene emperors, and Anna of Hungary for being the offspring of a Nicene imperial princess. Even as Byzantium began its slow decline, a variety of texts testify to the fact that its inhabitants remained conscious of its former glory and cultural superiority. Describing the marriage of Andronikos II and Eirene of Montferrat, Georgios Pachymeres points out that Emperor Michael VIII “was unable to secure an alliance of great kings”23 for his widowed son. Despite being beautiful and well-bred, Eirene had a serious flaw: she was the daughter of a mere marquis. This remark on the part of Pachymeres demonstrates that the Byzantines were prone to interpret the union with Montferrat as a further sign of the decreasing significance of their country. The historian’s careful explanation may have been motivated by fear since “we feel threatened by anything that might harm our selfimage or imply (to others or ourselves) that we are not competent.”24 Afraid that the new empress could be marked by the stigma of low birth and thus undermine the Byzantines’ trust in the freshly re-created empire25 and in themselves, the historian was eager to explain that the emperor could not offer an alliance to the greater rulers of Europe when he could not promise that they would see a grandson on the Byzantine throne.

5.

The empress who could not grace the imperial audiences

While empresses in early Byzantium were often selected for their beauty and personal charms, in the final centuries, connections and alliances acquired priority over the appearance of a prospective bride. The importance of having at least a passable visage can be seen in the case of the unfortunate Sophia of

21 22 23 24 25

For Theodora see the contribution of Thomas Pratsch in this volume. Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 71–104. Georgios Pachymeres, Relations historiques, III, p. 99. Collins, Christian Counselling, p. 80. The Byzantine Empire was re-established in 1261; the marriage of Andronikos II and Eirene of Montferrat took place in 1283.

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Montferrat,26 the only empress whose physical description was detailed by a late Byzantine source: The young woman was extremely well proportioned in body. Her neck was shapely, her hair blondish with braids flowing down to her ankles like glimmering golden streams. Her shoulders were broad and her arms, bosom, and hands well proportioned. Her fingers were transparent. She was tall in stature and stood very straight – her face and lips, the condition of her nose, and the arrangement of her eyes and eyebrows, however, were extremely unprepossessing.27

To make matters worse, Sophia’s husband, John VIII, was exceptionally goodlooking, with attractive features, luxurious hair, and a handsome figure. He married the Italian princess out of respect for his father, Manuel II, as well as to further the latter’s political goals, but he never consummated the marriage. Soon after Manuel’s death, he allowed Sophia to ‘escape’ back to Italy.28 If today’s royal brides are anything like the empresses of old, then the empresses may have attracted even more attention than the emperors themselves despite being mentioned less frequently in the sources. The empresses’ domain was representation: dressed in their imperial finery, they were expected to attend ceremonies, receive the wives of court officials in private audiences, and play the role of graceful hostesses for imperial receptions.29 The importance of appearance is further confirmed by the fact that Byzantine culture had difficulty tolerating disfigured emperors (those deprived of their noses or eyesight), and its rulers and important noblemen would hide their daughters away in monasteries if their faces were pockmarked.30 The historian who described Sophia was not her enemy; he carefully noted all the beauty she did possess. Nevertheless, his meticulous description, so unusual in late Byzantine literature, reveals that her visage was a source of concern to him. 26 For further information on Sophia, Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 311–318. Also see Melichar, A Heretic with a Distorted Face, pp. 24–39. 27 Doukas, Istoria Turco-Bizantina, p. 137, (XX, 6): ἡ κόρη γὰρ τὸ μὲν σώματι καὶ μάλα εὐάρμοστος· τράχηλος εὐειδής, θρίξ ὑποξανθίζουσα καὶ τοὺς πλοκάμους ὡς ῥύακας χρυσαυγίζοντας μέχρι τῶν ἀστραγάλων καταρεομένους ἔχουσα, ὤμους πλατεῖς καὶ βραχίονας καὶ στέρνα καὶ χεῖρας ἐμμέτρους καὶ δακτύλους κρυσταλλοειδεῖς καὶ τὴν πᾶσαν ἡλικίαν τοῦ σῶματος ἀνωῤῥεπῆ καὶ πολὺ ει᾿ς τὸ ὄρθιον ἱσταμένη· ὄψις δὲ καὶ χείλη καὶ ῥινὸς κατάστασις καὶ ὀφθαλμῶν καὶ ὀφρύων σύνθεσις ἀειδεστάτη (…). (Transl.) Doukas, Decline and Fall of Byzantium, p. 113, (XX, 6). For the passage describing Sophia’s physical disadvantages, I used the translation of Diana Wright, in Wright, The Brides of 1420, p. 135. 28 Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 311–318, see especially pp. 314–317. 29 For further details, see Melichar, Empresses of Late Byzantium, pp. 357–375. 30 There are a number of emperors or imperial sons who were disfigured in order to prevent their succession to the rule or return to power including Justinian II, the sons of Heraclios or Constantine VI. As for daughters who entered monasteries in order to hide their esthetic defects, they are seldom mentioned in the sources. The eldest daughter of Nikephoros Choumnos and, possibly, also the eldest daughter of Constantine VIII represent this group.

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While he does not mention any particular difficulties, he may have worried that her deformed features would disqualify her from being a representative of the imperial family and a gracious consort of the emperor, one capable of adding glamour to the imperial audiences. Also, naturally, an imperial wife who was wife in name only (as the historian mentions elsewhere31) could not give birth to an heir, which boded political unrest after the death of the emperor.

6.

Conclusion

It has long been assumed that male authors heaped negative comments on female rulers simply because, from the writers’ perspective, women were not supposed to hold political power; however, a closer consideration of the critical texts reveals that, at a deeper level, the authors were actually afraid of elite women who did not meet society’s expectations regarding behavior, status, creed or appearance. They believed that such women were liable to throw the Byzantine world into chaos, divide it, plunder it, destroy its nobility, break its people’s faith in the future of the Empire, or diminish the glory of the Byzantine court by an ungracious appearance or a lowly birth. It is, however, a paradox that the gender so often depicted as weak by medieval authors managed to cause them so much anxiety.

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31 Doukas, p. 137, (XX,6).

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Anja Klöckner, Medeia und Iason. Geschlechterstereotype und ihre Inversion in der griechischen Klassik Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3

Abb. 4 Abb. 5

Abb. 6

Abb. 7

Abb. 8

Abb. 9

Abb. 10

Att. rf. Hydria des Kopenhagen-Malers aus Vulci, London, BM 1843,1103.76 (E 163), Bildausschnitt, © The Trustees of the British Museum (Bildausschnitt). Att. rf. Kylix des Douris, Vatikan, Museo Gregoriano 16545, Bildausschnitt, © Vatican Museums, All Rights Reserved (Bildausschnitt). Att. rf. Kolonettenkrater des Obstgarten-Malers, New York, MM 34.11.7, Bildausschnitt, © The Metropolitan Museum of Art, New York, Harris Brisbane Dick Fund, 1934, www.metmuseum.org (Bildausschnitt). Att. rf. Kolonettenkrater der Polygnotgruppe aus Montesarchio, Benevent, Museo del Sannio, Bildausschnitt, nach Schefold / Jung, Sagen, S. 35 Abb. 18. Apul. rf. Volutenkrater des Sisyphos-Malers aus Ruvo, München, Antikensammlungen 3268, Bildausschnitt, © Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München, fotografiert von Renate Kühling. Paestan. rf. Volutenkrater, Neapel, NM 82126 (H 3248), © su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli – foto di Luigi Spina (Bildausschnitt). Paestan. rf. Bauchlekythos des Asteas, Bochum, Kunstsammlungen der RuhrUniversität S 1080, Bildausschnitt, © Kunstsammlungen Antike der RuhrUniversität Bochum, Foto: Michael Benecke (Bildausschnitt). Apul. rf. Glockenkrater aus dem Umkreis der Eumenidengruppe, Neapel, NM 81415 (H 2413), Bildausschnitt, © su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli – foto di Giorgio Albano. Apulischer Glockenkrater des Malers von Neapel 2865, Neapel, NM SANC 81410, Bildausschnitt, © su concessione del Ministero per i Beni e le Attività Culturali e per il Turismo – Museo Archeologico Nazionale di Napoli – foto tratta dall’archivio Mann (Bildausschnitt). Att. rf. Glockenkrater des Malers von München 2335, Madrid, MAN 32679, Bildausschnitt, © Museo Arqueológico Nacional, Madrid, Inv. 32679. Foto: Antonio Trigo Arnal (Bildausschnitt).

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Abbbildungsnachweise

Dominic Bärsch, Die christusliebende Isebel – Zur ambivalenten Darstellung der Kaiserin Aelia Eudoxia Abb 1

Aureus Solidus, 403–408 n. Chr. RIC X 32 (Courtesy of the American Numismatic Society 1968.131.496)