Das soziale Umfeld des Neuen Testaments
 9783666513763, 3525513763, 9783525513767

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Grundrisse zum Neuen Testament 9

VÔR

Grundrisse zum Neuen Testament Das Neue Testament Deutsch · Ergänzungsreihe Herausgegeben von Jürgen Roloff

Band 9 Das soziale Umfeld des Neuen Testaments

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1992

Das soziale Umfeld des Neuen Testaments

von John E. Stambaugh und David L. Balch Ubersetzt von Gerd Lüdemann

Göttingen · Vandenhoeck & Ruprecht · 1992

Berechtigte Übersetzung aus dem Amerikanischen von Gerd Lüdemann. Titel des Originals: The N e w Testament in Its Social Environment. © Westminster Press, Philadelphia 1986.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stamhaugh, John £.: Das soziale Umfeld des Neuen Testaments / von John E. Stambaugh und David L. Balch. [Aus dem Amerikan. von Gerd Lüdemann]. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1991 (Grundrisse zum Neuen Testament ; Bd. 9) ISBN 3-525-51376-3 NE: Balch, David L.:; GT

© Deutsche Übersetzung: Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1992. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Herstellung: Hubert & Co., Göttingen

Inhalt

Einleitung

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1. Historischer Hintergrund

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D i e griechische W e l t von Alexander bis zu H a d r i a n Die Organisation der Provinzen Palästina Römisches u n d lokales Recht

2. Mobilität und Mission Verkehrswege Die E n t w i c k l u n g der Religionen Die jüdische Diaspora Soziale M e r k m a l e der christlichen Mission

3. Die antike Wirtschaft Die O r d n u n g der sozialen Beziehungen Private Geldwirtschaft D i e städtischen Finanzen Die kaiserlichen Finanzen

4. Die gesellschaftliche Situation in Palästina Z u r Bevölkerungsstruktur Die Lebensweise Die Sprachen D i e hellenistische Kultur und die Städte Die Bauern Galiläa J u d ä a u n d Jerusalem: Die Heilige Stadt und der Tempel Die Ökologie der Jesusbewegung

5. Das Leben in der Stadt D i e baulichen Verhältnisse Schichtenzugehörigkeit u n d gesellschaftliches Ansehen Arbeit Unterhaltung Bildung Familie u n d Haushalt Vereine Kulte

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33 33 37 42 48

59 59 61 70 72

78 78 79 83 84 87 88 91 98

103 103 106 112 114 117 119 121 123

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Inhalt

6. Das Christentum in den Städten des römischen Reiches Die Übernahme städtischer sozialer Gesellschaftsformen durch die Christen Die wichtigsten Zentren

134 . . . .

134 141

Anmerkungen

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Lektürehinweise

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Verzeichnis der neutestamentlichen Stellen

174

Verzeichnis der Namen und Orte

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Einleitung Die christliche Botschaft, die zuerst in den Dörfern Galiläas und Judäas und dann in der Tempelstadt Jerusalem gepredigt worden war, breitete sich zu der Zeit aus, als die Bücher des Neuen Testaments in der griechisch-römischen Welt verfaßt wurden. Dieses Buch erörtert die politischen, religiösen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Palästinas und der Städte im römischen Reich und faßt die Resultate moderner wissenschaftlicher Arbeit zusammen, um zu einem Verständnis des Zusammenhanges zwischen den frühen Christen und ihrer Umwelt anzuleiten. Sie lebten in jener römischen Welt, und sie teilten viele ihrer Vorstellungen. Sie verwarfen einige ihrer Traditionen, doch war dies eine bewußte Zurückweisung von nur bestimmten Aspekten der Welt, in der sie aufgewachsen waren. Kapitel 1 erörtert den Hintergrund der Geschichte des Nahen Ostens vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zur Regierung Hadrians, als das Judentum seine gesonderte Identität im Heiligen Land verlor und die Schriften des Neuen Testaments vorlagen. Es gibt ferner einen Uberblick über die politischen und rechtlichen Einrichtungen des römischen Reiches, soweit sie Palästina und das Reich als ganzes betrafen. Kapitel 2 beschäftigt sich mit dem Hintergrund der Ausbreitung des Christentums im römischen Reich und untersucht, wie die damaligen Kommunikationsmittel die geographische und geistige Ausbreitung religiöser und philosophischer Sekten, des Judentums und des Christentums erleichterten. Dies liefert den Hintergrund für einen vorläufigen Überblick über die missionarische Aktivität der neutestamentlichen Kirche. Kapitel 3 behandelt die wirtschaftliche Tätigkeit in der antiken Welt, um das in heidnischen und christlichen Kreisen übliche Verhältnis zum Geld und seinen Gebrauch zu illustrieren. Kapitel 4 befaßt sich mit der palästinischen Welt der Jesusbewegung. Es geht hauptsächlich auf die Urbanisierung Galiläas ein — ein Prozeß, der Spannungen mit den ländlichen jüdischen Bauern stimulierte. Es behandelt die Frage des sozialen Kontextes der Predigt Jesu und seiner Auseinandersetzungen mit den Pharisäern. In Kapitel 5 rücken die griechischen und römischen Städte des Reiches in den Mittelpunkt, wo die ersten Generationen von Christen lebten. Es bietet einen Überblick über die natürliche Umgebung, die Bevölkerung und die Felder sozialer Interaktion: Arbeit, Spiel, Familie, Vereinigungen und religiöse Kulte. Kapitel 6 zieht die verschiedenen Faktoren des sozialen Umfeldes des Neuen Testaments zusammen, indem es die Organisation der frühen christ-

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Einleitung

lichen Gemeinden mit analogen Phänomenen der heidnischen Welt vergleicht. Es bietet anschließend einen Uberblick über diejenigen städtischen Zentren der christlichen Wirksamkeit, die im Neuen Testament wichtig sind. Kapitel 1 - 3 wurden von John Stambaugh, Kap. 4 von David Balch verfaßt, Kap. 5 und 6 von beiden. John Stambaugh bedankt sich für die hilfreichen Kommentare von Paula Carew, Meredith Hoppin, Maureen Dietze, Norman Petersen und Victor Hill. David Balch dankt der Texas Christian University und Brite Divinity School für ihre Zuwendungen für die Erarbeitung und Niederschrift des Manuskripts. Wir beide sind Wayne Meeks tief verbunden, nicht nur, weil er uns aufgefordert hat, dieses Buch zu erarbeiten, und uns großzügige detaillierte Hilfe bei der Niederschrift und Herausgabe gewährt hat, sondern auch dafür, daß er unser Interesse an der sozialen Welt des frühen Christentums erst geweckt hat. J . E . S . und D . L. B.

I. KAPITEL

Historischer Hintergrund Als „Jesus in Bethlehem in Judäa in den Tagen des Königs Herodes geboren wurde" (Mt 2,1), wurde er in ein jüdisches Königreich hineingeboren, das ein idumäischer König mit einem griechischen Namen regierte, der von den Römern eingesetzt worden war und unterstützt wurde. Jesus wuchs in Galiläa auf, in der Nähe griechischer Städte, in denen die griechische Sprache genauso üblich war wie seine aramäische Muttersprache. Und als seine Jünger nach seinem Tod seine Geschichte anderen erzählten, sprachen und schrieben sie hauptsächlich auf griechisch, um ihre Botschaft in die weite Welt zu tragen, die von den Römern regiert wurde. In diesem ersten Kapitel sollen die Gründe für die Vorrangstellung der griechischen Kultur und der römischen Institutionen im sozialen Umfeld des Neuen Testaments betrachtet werden.

Die griechische

Welt von Alexander bis zu Hadrian

Alexanders Eroberung des Ostens Zur Zeit der Geburt Jesu standen die Griechen seit fast acht Jahrhunderten in ununterbrochenem Kontakt mit den Völkern des Nahen Ostens: Sie gründeten Städte an der Küste Kleinasiens, errichteten Handelsposten an der Küste Syriens, trieben Handel mit den Phönikern, übernahmen ihre Schrift und fuhren als Händler, Touristen und Söldner nach Ägypten. Aber erst König Alexander von Makedonien führte ein Heer von Griechen und Makedoniern in einer Reihe von Feldzügen zwischen 332 und 323 v. Chr. von Kleinasien und Ägypten ostwärts bis zu den Grenzen Indiens, was die Eroberung des persischen Reiches zur Folge hatte. Bezüglich des Umfangs und der Vielfalt der Länder, die er unter seine Gewalt brachte, waren die Eroberungen Alexanders ohne Vorbild in der griechischen Geschichte und trugen ihm daher das Prädikat „der Große" ein. Er starb zu früh, um eine zufriedenstellende Verwaltung für sein riesiges Königreich ausbilden zu können, aber zwei seiner Maßnahmen hatten einen tiefen Einfluß auf die Geschichte der Region. Die erste war die Gründung griechischer Städte an strategischen Punkten, die als Verwaltungszentren dienen sowie eine Keimzelle und eine Leuchte griechischer Kultur in den fremden Ländern des

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I. KAPITEL: Historischer Hintergrund

Orients schaffen sollten. Die zweite seiner Maßnahmen war, Offenheit und Toleranz gegenüber den einheimischen Kulturen zu zeigen. Das Resultat bestand darin, daß die griechische Kultur einen umfassenden Einfluß auf die Kulturen des Osten ausübte (und sogar selbst von ihnen beeinflußt wurde), Kulturen, die bis zu jener Zeit mit dem Adjektiv „barbarisch" belegt wurden, was im klassischen Griechisch ebenso wie im modernen Deutsch gleichermaßen abwertend ist. Die hellenistischen Königreiche Nach Alexanders Tod 323 v. Chr. waren seine Generäle nicht imstande, eine einheitliche Politik für sein Reich zu entwickeln, und ihre Streitereien und Kämpfe führten zu dessen Auflösung. Als ihre Kriege um 301 v. Chr. ein Ende fanden, kontrollierte Antigonus das alte Heimatland Makedonien und übte eine allgemeine Oberherrschaft über die griechischen Staaten des Festlandes und der ägäischen Inseln aus. Ptolemäus sicherte sich Ägypten, wo er eine Dynastie gründete, die bis zum Tod der berühmten Kleopatra VII. im Jahre 31 v. Chr. bestand. Seleukus etablierte sich als König von Syrien sowie der östlichen Teile des Reiches, obwohl dessen entfernteste Gebiete in Baktrien und Persien bald wegfallen sollten. Während des dritten Jahrhunderts v. Chr. entstand ein weiteres wichtiges Königreich, das der Attaliden mit der Hauptstand Pergamon im westlichen Kleinasien. In allen diesen Königreichen regierten griechische Dynastien über eine gemischte Bevölkerung von Griechen und Einheimischen, und sie förderten das Zusammenwachsen zu einer griechischen Kultur, indem sie Städte nach dem alten Vorbild bauten, genauso wie Alexander es getan hatte. Der charakteristische griechische Typ einer Stadt war die polis, eine Gemeinschaft von relativ geringer Größe, mit Tempeln für die traditionellen griechischen Götter und einer agora unter freiem Himmel für den öffentlichen Handel. Sie wurde mit einem gewissen Grad von Autonomie durch hohe Amtspersonen und einen Rat verwaltet, der sich entweder aus einer erblichen oligarchischen Elite zusammensetzte oder in demokratischer Wahl durch vermögende Bürger gewählt wurde. Bisweilen ersetzte eine Polis ein ursprüngliches Handels- oder Kultzentrum, bisweilen war sie eine Neugründung, die neben kleineren ursprünglichen Dörfern bestand. Die Einheimischen lebten außerhalb in der Umgebung, bisweilen auch innerhalb dieser griechischen Städte und übten einen kulturellen Einfluß auf sie aus, doch waren diejenigen Städter, die griechisch sprachen, sich eher des gemeinsamen Erbes bewußt, das sie miteinander und mit den alten Städten des griechischen Festlandes teilten. Schließlich ersetzte eine gemeinsame Sprache, die koinè („gemeinsam"), die alten regionalen Dialekte des Griechischen. Sie war eine etwas vereinfachte Form des Attischen, des Dialektes Athens - Heimat der meisten klassischen Stücke der griechischen Literatur und das hervorragendste Beispiel griechischer Kultur. Dieser gemeinsame Dialekt stellte das Kommuni-

Die griechische Welt von Alexander bis zu Hadrian

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kationsmittel innerhalb der großen von Griechen bewohnten Welt bereit, welche gl oikoumene („bewohnte Welt") oder einfach oikoumene genannt wurde (vgl. im Deutschen das Adjektiv „ökumenisch"). Die Römer im Osten Die hellenistische Welt kam am Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. in direkten Kontakt mit dem römischen Reich, als Philipp V., ein Angehöriger der Dynastie der Antigoniden, mit Karthago, dem Feind Roms, ein Bündnis abschloß. Das rief bei den Römern ein direktes Interesse an der Politik des griechischen Festlandes hervor, und bald waren sie Teil des politischen Kräftespiels der Städte und Fürsten im Osten: Pergamon und Rhodes überzeugten den römischen Senat, im Jahre 201 v. Chr. gegen Philipp V. einzuschreiten, Pergamon bat 196 v. Chr. um seine Hilfe gegen Antiochus III. von Syrien. Ptolemäus VI. bekam 168 v. Chr. Unterstützung bei der Vertreibung des Antiochus IV. aus Ägypten, Ptolemäus VI. und sein Bruder Ptolemäus VII. brachten ihre rivalisierenden Ansprüche auf den Thron von Ägypten vor den römischen Senat, und der jüdische Hasmonäerkönig Judas Makkabäus Schloß 161 v. Chr. einen Vertrag mit den Römern als Teil seines Feldzuges gegen Demetrius I. von Syrien. Seit der Mitte des 2. Jahrhunderts nahm die seleukidische Monarchie Syriens derart stark an politischem Einfluß ab, daß die Römer keine Bedrohung mehr in ihr sahen. Doch führte dieser Verfall dazu, daß verschiedene Fürsten an den Grenzen Syriens ihren Einflußbereich ausdehnen wollten und so die Stabilität am östlichen Rand der römischen Einflußsphäre bedrohten. Das Resultat war eine noch tiefere römische Verwicklung in die dortigen politischen Verhältnisse. Kriege gegen König Mithridates von Pontus und König Tigranes von Armenien zogen sich von 96 bis 63 v. Chr. hin. Die Piraterie wurde zu einer ständigen Bedrohung für die Schiffahrt und damit auch für die Investitionen römischer Geschäftsleute. Der erfolgreichste römische General war Pompeius, der die Piraten besiegte und sich den Ruhm für die Siege über Mithridates und Tigranes sicherte. Danach wandte er sich gen Osten und Süden, wo die Streitereien der Könige und Fürsten zwar Rom nicht direkt bedrohten, aber die allgemeine Stabilität der Region erschütterten. Um mit dieser instabilen Lage fertigzuwerden, besetzte Pompeius 64 v. Chr. das seleukidische Gebiet, schaffte die Monarchie ab und errichtete unter einem römischen Statthalter eine neue Provinz Syrien. Zum Schutz der östlichen und südlichen Flanke dieser Provinz verhandelte bzw. erzwang er in den folgenden Jahren Ubereinkünfte mit einer Reihe von Vasallenkönigreichen: Im Süden gab er Judäa an Antipater, einen Fürsten der Edomiter oder Idumäer, eines arabischen Stammes. Ostlich des Jordans handelte er die Vasallenschaft der nabatäischen Araber aus und im Nordosten Syriens Schloß er, um die Grenze gegenüber dem Euphrat zu sichern, mit den Vasallenkönigen von Kommagene und Armenien ähnliche Verträge. All dies veränderte

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I. KAPITEL: Historischer Hintergrund

die politischen Realitäten der Gegend: Kleine Reiche verfolgten keine eigenen politischen Ziele mehr, um sich an anderen kleinen Reichen zu bereichern. Jetzt waren sie die östlichen Vorposten der römischen Einflußsphäre, denen eine Rolle als Puffer gegen das große Königreich der Parther zugewiesen war, die das Gebiet des persischen Reiches im Iran und Mesopotamien geerbt hatten. Als Teil der römischen Welt wurden die Völker des hellenistischen Ostens bald in die Großmachtpolitik römischer Politiker verwickelt. Mehrere wichtige Schlachten zwischen Pompeius und seinem Rivalen Iulius Cäsar wurden im Osten ausgefochten, und Cäsar gewann die Loyalität der Juden, indem er ihnen Steuerfreiheit zuerkannte. Als er im Jahre 44 v. Chr. ermordet wurde, kamen Scharen von jüdischen Anhängern, um ihn bei seiner Beerdigung zu ehren. In den folgenden Jahren verfolgten die Rächer Iulius Cäsars, angeführt von Octavian, seinem offiziellen Erben, und von Marcus Antonius, dem Vollstrecker seines Willens, jene, welche die alten, von Cäsar bekämpften republikanischen Formen begünstigten. Danach wurden Octavian und Antonius Rivalen: Antonius beanspruchte den Osten für sich und versuchte, von Kleopatra VII. unterstützt, ihn als eine orientalische Monarchie zu verwalten. Als Octavian Antonius und Kleopatra im Jahre 31 v. Chr. besiegte, machte er sich daran, im gesamten Reich seine Macht zu konsolidieren. Er schaltete schnell den verbliebenen Widerstand aus und erlangte Kontrolle über die Verwaltung der römischen Welt, tat dies jedoch unter genauer Beachtung der traditionellen Formen der römischen republikanischen Praxis. Er hatte den Namen Cäsar bei der Adoption durch Iulius Cäsar empfangen und erhielt im Jahre 27 v. Chr. zusätzlich den Ehrentitel Augustus. Moderne Historiker beziehen sich gewöhnlich auf ihn als den ersten römischen Kaiser, aber sein eigener Titel war der eher bescheidenere eines princeps („erster Mann"). Mit ihm bewegt sich die römische Geschichte von der Periode der Republik zu der des Prinzipats, der Regierung einer Reihe von solchen „ersten Männern". Im Osten beschäftigte die parthische Bedrohung weiter die strategischen Überlegungen Roms für mehrere Jahrhunderte. Nach einer Serie von vernichtenden Niederlagen handelte Augustus im Jahre 20 v. Chr. eine diplomatische Einigung aus. Während des ersten Jahrhunderts des Prinzipats war die östliche Grenze fast stabil, wenn nicht sogar völlig ruhig. Das gilt tatsächlich sogar für den größten Teil des Reiches. Einer der wenigen Orte, wo wirklich Unfriede herrschte, war Palästina, das im Jahre 6 n. Chr. aufgehört hatte, Vasallenkönigreich zu sein, und zur römischen Provinz Judäa geworden war (Kapitel 4). Nationalistische Gefühle entluden sich in einer Revolte, die erst mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels und der Beseitigung der jüdischen Priesterschaft im Jahr 70 endete. Danach reorganisierte Kaiser Vespasian die östliche Grenze des Reiches, hob die Königreiche Armenien und Kommagene auf und verschmolz sie mit der Provinz Galatien. Im Verhältnis zu den Parthern erwies sich die Diplomatie weiterhin als erfolgreich, während die Grenze am Euphrat durch neue Festungswerke und eine neue Straße durch Syrien gesichert wurde.

D i e Organisation der Provinzen

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Kaiser Trajan ( 9 8 - 1 1 7 n.Chr.) entfaltete ausgedehnte militärische Aktivitäten im Osten. Um die östliche Grenze zu sichern, annektierte er im Jahr 106 das Königreich der Nabatäer als Provinz Arabien. Anschließend nutzte er die Gunst einer parthischen Schwäche, um das Reich bis zum Persischen Golf hin auszudehnen, wo die neuen Provinzen Armenien, Assyrien und Mesopotamien entstanden. Diese neuen Eroberungen erwiesen sich jedoch als zu starke Belastung des Reiches, und sobald Hadrian Kaiser Trajan im Jahr 117 nachfolgte, gab er die drei neuen Provinzen auf und festigte die neuen Grenzen näher am Mittelmeer. Für den größten Teil des römischen Reiches bedeutete die Regierung Hadrians eine Zeit des Friedens und des Wohlstandes, in der es eine erfahrene Verwaltung und einen Kaiser gab, der an Kultur interessiert und gegenüber Neuem aufgeschlossen war. Besonders im griechischen Osten gab Hadrian riesige Summen aus, errichtete neue Gebäude, erneuerte alte Städte und vermittelte ein Gefühl des Stolzes für die traditionelle griechische Zivilisation. Aufgrund seiner Wertschätzung der griechischen Kultur und seines Wunsches, die Einheit und Universalität des Reiches zu betonen, aber auch aus sicherheitspolitischen Überlegungen (jüdische Bewohner Afrikas, Ägyptens und Zyperns waren zwischen 115—117 gegen ihre heidnischen Nachbarn und die Behörden gewalttätig geworden) versuchte Hadrian, die semitischen Bewohner des Ostens an die vorherrschende Kultur zu assimilieren. Er erweiterte ein Gesetz, welches Kastration nun — einschließlich der Beschneidung — als todeswürdiges Verbrechen verbot. Das betraf Ägypter ebenso wie Nabatäer und Juden, doch waren es palästinische Juden, die zwischen 131 und 134 einen Aufstand organisierten. Nachdem dieser niedergeschlagen worden war, blieb die römische Macht im Osten ein weiteres Jahrhundert konkurrenzlos.

Die Organisation der Provinzen Die Verwaltung zur Zeit der römischen Republik Durch die Eroberungen des Pompeius im Osten wurden dem römischen Reich in den Jahren nach 64 v. Chr. sieben neue Provinzen hinzugefügt. Jede neuerrichtete Provinz wurde auf der Basis bereits vorhandener Städte organisiert. Einige von ihnen mögen dabei schon einen Vertrag mit den Römern gehabt haben, was betont zu werden pflegte, indem sie von einigen Pflichten des Provinzstatus befreit wurden. In Provinzen, die keine starke städtische Tradition besaßen, wurde die Lokalverwaltung oft den Stämmen übertragen. Die normalen und besonderen Vereinbarungen wurden in einem Provinzvertrag niedergelegt, der von da an das grundlegende verfassungsmäßige Dokument blieb. Jede Provinz war auf Dauer von römischen Legionen besetzt, die unter

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I. KAPITEL: Historischer Hintergrund

dem Befehl eines Statthalters, eines Prokonsuls, standen, der die öffentliche Ordnung überwachte. Bis zum ersten Jahrhundert v. Chr. wurden die Statthalter durch Losentscheid aus der Reihe der Senatoren gewählt, unmittelbar nachdem sie in Rom das Amt des Konsuls oder Prätors bekleidet hatten, d. h. an der Spitze der Verwaltung ein Jahr lang Beamte gewesen waren, die die offizielle Befehlsgewalt über die römischen Armeen innehatten. Es war nur natürlich, daß solche Statthalter tief in die Politik der Stadt Rom verwickelt waren — die Sorge um das Volk, das in der Provinz lebte, stand selten an der Spitze ihrer Prioritäten — und oft in Versuchung gerieten, bei günstigen Gelegenheiten sich selbst und die politisch einflußreichen römischen Geschäftsleute zu bereichern, die in alle Provinzen strömten. Der Statthalter kommandierte alle Legionärstruppen, die in der Provinz stationiert waren, mit Hilfe eines ihm untergeordneten Legaten, der jede zusätzliche Legion befehligte. Zum Stab des Statthalters gehörte auch ein Quästor, der für die Finanzen und die Eintreibung von Steuern verantwortlich war, und mehrere Präfekten; letztere kommandierten alle nichtrömischen Einheiten der Hilfstruppen und ebenso alle Truppeneinheiten, die sich aus Einheimischen rekrutierten.

Die Verwaltung zur Zeit des Prinzipats Bei der Errichtung des Prinzipats ging es Augustus darum, die Qualität der Verwaltung in den Provinzen zu verbessern. Nur die sichersten Provinzen, die „öffentliche" oder „Senatsprovinzen" hießen, wurden in der alten Weise verwaltet, und zwar durch einen Prokonsul, der aus jenen Mitgliedern des Senats gewählt wurde, die zuvor ein bedeutendes Verwaltungsamt innegehabt hatten. Das übrige Reich samt allen Legionen wurde Augustus selbst unterstellt. Die tatsächliche Verwaltung wurde auf die einzelnen „kaiserlichen" Provinzen verteilt, die den Legaten des Kaisers zugewiesen wurden — Männer aus dem senatorischen Stand, die vom Kaiser wegen ihrer Loyalität und ihres Verwaltungsgeschicks besonders ausgewählt wurden. Jeder Legat kommandierte als Repräsentant des Kaisers die wichtigste Legion in seiner Provinz. Syrien gehörte zu den kaiserlichen Provinzen und wurde auf diese Weise durch einen Legaten, etwa Quirinius im Jahre 6 n. Chr. (Lk 2 , 2 ) regiert. Weniger wichtige Provinzen wie Judäa wurden von einem Präfekten verwaltet, der aus dem Ritterstand stammte, und dessen Sozialprestige geringer war als das der Senatoren (vgl. Kapitel 6). Nach 44 n. Chr. wurde der Titel dieser Präfekten in „Prokuratoren" geändert, doch blieben sie ziemlich niedrigstehende Gesandte des Kaisers. Der Statthalter — ob Prokonsul, Legat oder Präfekt — übte anstelle Roms die Macht in den Provinzen aus. Er war durch den Provinzvertrag gebunden, besondere Abmachungen bezüglich der Steuerbefreiung und anderer Vorrechte einzuhalten. Zwar konnten sich die Bewohner der Provinz über seine Verwaltung beim Senat oder beim Kaiser beschweren, doch war seine Macht-

Die Organisation der Provinzen

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befugnis fast absolut. Er setzte sich mit den lokalen Behörden in den Städten oder Stämmen auseinander. Er übte Polizeigewalt durch sein Kommando über die Legionen aus, falls welche in der Provinz stationiert waren, oder über eine kleinere Militäreinheit, die sich aus Hilfstruppen nichtrömischer Bürger zusammensetzte. Er verhandelte Rechtsfälle und sprach kraft seiner Gewalt Todesurteile aus, er reiste regelmäßig durch die Provinz und hielt Verhandlungen in bestimmten wichtigen Gerichtsorten ab. Die Eintreibung der Steuern wurde normalerweise an die Städte delegiert. Die örtliche Verwaltung wurde von den Städten ausgeübt, wobei diese der Kontrolle durch den Statthalter unterstanden. Innerhalb des Reiches gab es drei Hauptformen von Gemeinden. Während der längsten Zeit des Prinzipats war die angesehenste Siedlungsform die der römischen Kolonie. Ihre ursprünglichen Siedler waren römische Bürger, die aus Italien oder aus römischen Legionen stammten, Nichtrömern, die in der Kolonie oder ihrer Umgebung wohnten, wurde häufig das römische Bürgerrecht verliehen. Die Kolonien waren wegen ihres römischen Bürgerrechts vom Tribut und von den meisten Formen der Besteuerung befreit und ihre Regierung wurde nach römischem Vorbild eingerichtet. Wie der Verfasser der Apostelgeschichte erzählt (16,12), war Philippi eine solche Kolonie; ebenso Korinth, wo römische Kolonisten zusammen mit Juden und Griechen lebten, die kein Bürgerrecht besaßen (Apg 18,4—8). Andere Städte trugen die Bezeichnung municipio.. Dieser Titel bezog sich ursprünglich auf freie Städte, die besondere, zumindest eine Teilautonomie garantierende Vertragsprivilegien genossen. Während des Prinzipats bezeichnete der Name municipia Gemeinden, die das römische Bürgerrecht vollständig erhalten hatten. Andere Städte behielten ihre alte Konstitution, besonders im griechischen Osten, wo eine demokratische Form der Regierung überlebte. Diese Städte hatten eine Bürgerversammlung, einen kleinen Rat und einen Magistrat, dessen Mitglieder oft die Titel behielten, die sie zur Zeit der vergangenen griechischen Freiheit besessen hatten, und die oft durch die Versammlung gewählt wurden. Eine solch lebendige öffentliche Versammlung befindet sich in Ephesus (Apg 19,24-40), wenngleich sich der Sekretär der Versammlung darüber Sorgen machte, daß unbotmäßiges Verhalten die römischen Behörden bewegen könnte, die Macht der Versammlung einzuschränken. Und natürlich machte sich auch der römische Einfluß geltend: Viele Städte setzten einen neuen Verwaltungsbeamten ein, der als Priester des Kaiserkults fungierte, denn die römische Politik bevorzugte im allgemeinen einen oligarchischen Verwaltungsstil. Auch wenn demokratische Institutionen beibehalten wurden, wurden sie organisiert, so daß das wirkliche Gewicht beim Rat blieb, der sich zunehmend aus solchen Männern zusammensetzte, die reich genug waren, ein Magistratsamt innezuhaben, oder konservativ genug, um zuverlässige Unterstützer Roms zu sein. Diese Oberschichtsmitglieder der Lokalaristokratie waren auf ihre Mitgliedschaft im römischen Reich stolz und damit zufrieden. Während des

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I. KAPITEL: Historischer Hintergrund

Prinzipats hielt die Lokalaristokratie an ihrer Loyalität gegenüber Rom fest. Wie zu zeigen ist, war Judäa eine Ausnahme, doch im Grunde genommen die einzige, und selbst hier wollten die regierenden Sadduzäer anscheinend mit den römischen Autoritäten zusammenarbeiten.

Palästina Unter den Ptolemäern und Seleukiden 320—142 v. Chr. Wegen seiner geographischen Lage war Palästina immer in die Großmachtpolitik des antiken Nahen Ostens verwickelt. Im Bronzezeitalter drangen hierher Kanaaniter, Amoriter und Israeliten aus der arabischen Wüste ein, Akkader aus Mesopotamien, Ägypter aus Ägypten, Hettiter aus Kleinasien, Hyksos und Philister aus unbekannten Regionen. Ein Vakuum zwischen den Großmächten um 1000 v. Chr. erlaubte es David und Salomo, in Palästina ein unabhängiges Königreich mit der Hauptstadt Jerusalem zu errichten. Nachdem es im folgenden Jahrhundert auseinandergebrochen war, erlagen seine beiden Teile, Israel und Juda, schließlich den anhaltenden Angriffen von Assyrern und Babyloniern. 587 v. Chr. wurde Jerusalem erobert, Salomos Tempel zerstört und die Bevölkerung Jerusalems nach Babylonien in die Gefangenschaft geführt. Die Juden kehrten erst zurück, als der persische König Darius im Jahre 519 v. Chr. Babylon erobert und den Exulanten erlaubt hatte, in ihre Heimat zurückzukehren. In Judäa entstand ein Sakralstaat, dessen Herrscher gegenüber dem persischen Thron einen Vasallenstatus innehatte, und in Jerusalem wurde mit dem Bau eines zweiten Tempels begonnen. Dieser jüdische Staat kam im Jahre 332 v. Chr. unter die Kontrolle Alexanders des Großen und wurde nach dessen Tod allmählich von Ptolemäus übernommen, als dieser seine Herrschaft in Ägypten errichtet hatte. Im 3. Jahrhundert v. Chr. betrachteten die ptolemäischen Könige Ägyptens Palästina als Pufferzone gegenüber der rivalisierenden Seleukiden-Dynastie im Norden Syriens. Sie errichteten mehrere Kolonien als Vorposten ptolemäischer Kultur in Palästina, nämlich in Gaza, Ptolemäis und Philadelphia — sämtlich wichtige Verbindungszentren. Sie mischten sich in die innere Verwaltung der verschiedenen Distrikte nicht ein und betrachteten den kleinen Staat um Jerusalem herum als Tempelland, was für ägyptische Verhältnisse bedeutete, daß er eine beträchtliche Autonomie besaß, solange er dem König jährlich die ihm auferlegte Steuer bezahlte. Die seleukidische Dynastie in Syrien war in verschiedener Hinsicht aggressiver als diejenige der Ptolemäer. Unter Antiochus III. (223-187 v. Chr.) umfaßte ihr Königreich bisweilen Armenien, Parthien und sogar Teile Indiens. Im Jahr 200 v. Chr. gipfelte die Rivalität mit den Ptolemäern in einer Schlacht bei Paneas im Norden Palästinas, was die Region unter seleukidische Vorherrschaft brachte. Zuerst bedeutete das für den jüdischen Staat zu Jerusalem nur wenig

Palästina

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Veränderungen. Doch schürte Antiochus weitere Intrigen in Kleinasien, in deren Verlauf er mit den Römern in Konflikt kam. Diese waren imstande, enorme Reparationsleistungen von ihm zu fordern, und beim Versuch, diese Schulden zu bezahlen, beabsichtigte Antiochus' Sohn, Seleukus IV., den Tempelschatz in Jerusalem einzuziehen. Bevor er das tun konnte, starb er jedoch, und sein Nachfolger, Antiochus IV., gab sich einer Beschwichtigungs- und Versöhnungspolitik gegenüber den Römern hin. Die Verlockungen der hellenistischen Kultur waren für die Juden Palästinas offensichtlich. Einige von ihnen, hauptsächlich der Adel der Jerusalemer Oberschicht, waren versucht, sich zu assimilieren, d.h., die griechische Lebensweise und die sozialen und wirtschaftlichen Errungenschaften der griechischen Gesellschaft zu übernehmen. Andere — die Mitglieder der alten Priesterfamilien, angeführt von den Oniaden, und mit ihnen Bauern des Landes — widerstanden diesem Versuch und betonten als Reaktion darauf die traditionellen Erkennungszeichen des Judentums, wie sie in den Büchern der Thora verankert sind. Das Geldbedürfnis des Antiochus und seine allgemeine Absicht, ein durch Kultur geeinigtes Königreich zu regieren, lieferten den jüdischen Hellenisten die politische Gelegenheit, die Macht zu ergreifen. Zwischen 175 und 163 v. Chr. wandten sich die Hellenisten, deren Interessen durch die Einzelbestimmungen der Thora behindert wurden, von den traditionellen Institutionen ab. Von Antiochus ermutigt, errichteten sie in Jerusalem eine Polis griechischen Stils, samt Gymnasium und einem Rat, der vom nichtpriesterlichen Adel der Familie der Tobiaden beherrscht wurde. Diese Bemühungen erreichten ihren Höhepunkt im Jahre 167, als Antiochus die Stadtwälle von Jerusalem niederriß und für eine syrische Einheit eine neue Burg (Akra) baute. Im Tempel selbst wurde ein Kult für den griechischen Gott Zeus eingerichtet, und Antiochus verbot offiziell die Ausübung der jüdischen Religion in Judäa. 1 Die Traditionalisten antworteten mit einem bewaffneten Aufstand. Unter der Führung einer Familie reicher Landpriester, üblicherweise Makkabäer genannt, setzte sich der Krieg gegen die Seleukiden zwanzig Jahre lang fort. 164 v. Chr. vernichtete Judas Makkabäus den Zeuskult, der als „Greuel der Verwüstung" bekannt wurde, und stellte den traditionellen jüdischen Kult wieder her — ein Ereignis, das bis heute am Chanukka-Fest gefeiert wird. Die Römer, daran interessiert, die Seleukiden schwach zu halten, unterstützten die Makkabäer. Letztere schlossen mit den Seleukiden im Jahr 152 v.Chr. ein Abkommen, als Jonathan zum Hohenpriester ernannt wurde. Tatsächlich wurde er Statthalter einer syrischen Provinz und bezahlte Tribut an einen der zahlreichen Anwärter auf den seleukidischen Thron.

Die hasmonäische Dynastie (142-63 v. Chr.) 143 v. Chr. wurde Simon Nachfolger seines Bruders Jonathan als Führer des Volkes und als Hoherpriester. Indem er die Rivalität der verschiedenen

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I. KAPITEL: Historischer Hintergrund

seleukidischen Thronanwärter ausnutzte, gelang es ihm 142 n.Chr., für Judäa die Befreiung von Steuer und Tribut zu erreichen. Das war ein Wendepunkt, da Judäa so zum unabhängigen Staat wurde. Simon wurde zum Hohenpriester auf Lebenszeit, zum General und Ethnarchen („Führer der Nation") proklamiert. Auf diese Weise wurde eine Dynastie, die sogenannten Hasmonäer — genannt nach ihren legendären Vorfahren Hasmon — begründet. In ihrer Außenpolitik nahmen die ersten Hasmonäer oft die Macht Roms gegen die syrischen Nachbarn in Anspruch. Durch die Allianz mit den Römern, die Schwachheit der Syrer und ihren eigenen nationalen Eifer ermutigt, dehnten die Hasmonäer ihr Territorium fortwährend aus. Ausgehend von ihrer Machtbasis in Judäa, eroberten sie zuerst das Gebiet der Samaritaner, indem sie 128 v. Chr. deren Tempel auf dem Berg Garizim und 109 v. Chr. deren Hauptstadt Samaria zerstörten. Nach Süden hin annektierten die Hasmonäer das Territorium des arabischen Stammes der Idumäer und bekehrten sie mit Gewalt zum Judentum. Sie eroberten auch die meisten griechischen Städte entlang der Mittelmeerküste und die in der Dekapolis („das Land der zehn Städte") auf der Ostseite des Jordans. Sie griffen die grundlegende Sozialstruktur der griechischen Städte an, indem sie ihre typischen Institutionen wie das Gymnasium und die heidnischen Tempel zerstörten, die den Abscheu der hasmonäischen Regierenden erregt hatten. Sie zwangen die Bewohner, entweder das Judentum anzunehmen oder das Land zu verlassen. Viele nahmen es an, obwohl diese Akzeptanz in stärker hellenisierten Gebieten ohne Zweifel oberflächlich war. In Galiläa (das Aristobul 104 v.Chr. erobert hatte) verließen jedoch die Griechen und die lokale hellenisierte Aristokratie anscheinend mehrheitlich das Land, während der Rest der einheimischen Bevölkerung, die das Aramäische ihrer Vorfahren sprach, zur jüdischen Religion übertrat und ihr treu blieb. Bis zur Zeit des Jannäus, der mit dem Titel eines Königs 103-76 v. Chr. regierte, war dieser jüdische Staat etwa genauso groß wie der Davids 900 Jahre vorher. Als Jannäus starb, entstand ein Streit über seine Nachfolge, der zu einem Bürgerkrieg führte. Die daraus resultierende Instabilität forderte die Römer zum Eingreifen heraus.

Die römische Herrschaft (63 v. Chr. - 66 n. Chr.) Diese Intervention geschah am Vorabend der römischen Eroberung Syriens und der Zerstörung der seleukidischen Monarchie. Wie beschrieben, hatte Pompeius die südlichen und östlichen Grenzen des Imperiums mit Hilfe von Vasallenkönigreichen geschützt. Seine Politik bestand darin, diese klein zu halten, so daß auch das hasmonäische Königreich an Umfang und Macht beschnitten wurde. Den griechischen Städten entlang der Mittelmeerküste und in der Dekapolis, wo die Hasmonäer das Judentum mit Gewalt eingeführt hatten, wurde Autonomie gegeben, und die griechische Bevölkerung kehrte dorthin zurück. Die Städte Stratons-Turm (Cäsarea), Sepphoris und

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Skythopolis erhielten ebenfalls ihre Autonomie zurück, um eine wirkungsvolle Barriere zwischen den jüdischen Territorien zu schaffen — Galiläa im Norden sowie Judäa und Idumäa im Süden. Vom römischen Standpunkt aus gesehen, wurde das Gebiet damit lediglich seinen früheren Bewohnern zurückgegeben, von denen dafür Loyalität gegenüber ihren römischen Schutzherren erwartet wurde. Für die jüdischen Nationalisten war das jedoch ein ungerechter Ubergriff auf die rechtmäßigen Besitztümer des hasmonäischen Königreichs. Außerdem verloren viele Juden, die aus den Städten Galiläas, der Dekapolis und entlang der Küste vertrieben wurden, ihr Gewerbe und ihren Besitz, als sie im verkleinerten Territorium Judäas zusammenströmten. Doch beschäftigten sich die hasmonäischen Fürsten eher mit dem Krieg untereinander, so daß Judäa als Vasallen-Staat der Römer eine Schachfigur im Kalkül der führenden Politiker Roms wurde. 55 v. Chr. wurde von den Römern ein neuer Herrscher eingesetzt, der Judäa mit dem Titel eines „Prokurators" regieren sollte. Es handelte sich um Antipater, einen Prinzen aus dem Idumäerstamm (letzterer wurde bekanntlich von den Hasmonäern gewaltsam zum Judentum bekehrt), der von Traditionalisten als Außenseiter angesehen wurde. Antipaters Sohn Herodes übernahm die römischen Methoden noch geschickter als sein Vater, und es gelang ihm 43 v. Chr., als König eines Judäa anerkannt zu werden, das Galiläa, Peräa und Samaria einschloß. Das Hohepriesteramt wurde von der weltlichen Herrschaft getrennt, und es gab beträchtlichen religiösen Widerstand gegen das Königtum des Herodes. So brauchte Herodes z. B. mehrere Jahre, um Jerusalem einzunehmen, und als ihm dies im Jahre 37 v. Chr. endlich gelungen war, benötigte er eine römische Garnison, um seine Herrschaft durchzusetzen. 27 v. Chr. erhielt er von Kaiser Augustus die Herrschaft über eine Anzahl alter griechischer Städte an der Küste sowie im Inneren, und später empfing er ein großes Territorium östlich und nördlich von Galiläa einschließlich der Gaulanitis (den heutigen Golanhöhen). Da dieses Territorium kaum bewohnt war, ergriff Herodes die Gelegenheit, dort neue Städte zu gründen, um die Uberbevölkerung im judäischen Mutterland zu mildern. Die Juden, die sich in diesen Städten niederließen, waren ihm gegenüber loyaler als diejenigen in Judäa, die ihn immer als Fremden ansahen, weil er dem Hellenismus treuer ergeben war als dem Judentum. Tatsächlich spielte er auf vielerlei Weise die Rolle eines heidnischen hellenistischen Monarchen. In Samaria gründete er eine neue Stadt, Sebaste, und in Stratons-Turm an der Küste gründete er die neue Stadt Cäsarea. Es ist bezeichnend, daß beide Städte nach Angehörigen der kaiserlichen Familie benannt und für sie auch Tempel in ihnen errichtet wurden. In Jerusalem entstanden ein griechisches Theater und ein Hippodrom. Griechisch war die offizielle Sprache der Verwaltung. Griechische Erzieher unterrichteten im königlichen Haushalt. Andererseits investierte Herodes Mittel in den sorgfältigen Neubau des Tempels in Jerusalem, um die jüdische Antipathie zu besänftigen. Enorme Mauern, von denen eine als Westliche Mauer bzw. Klagemauer überlebt hat, stützten eine riesige Terrasse, auf der

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der neue Tempel gebaut wurde, ein Bau von noch nie dagewesener Ausstattung. Die Arbeiten daran wurden im Jahr 23 v. Chr. begonnen und waren 64 n. Chr. noch immer nicht abgeschlossen. In der Erinnerung der beiden folgenden Generationen war Herodes ein Außenseiter, der die Juden geringschätzte, die gläubigen Pharisäer quälte, weil sie seiner Hellenisierung widerstanden, und sogar drei seiner Söhne ermordete. Bei seinem Tode wandelte sich der Widerwille gegen ihn zu aktivem Widerstand in seinem ganzen Königreich. In Jerusalem, im ländlichen Gebiet Judäas, in Peräa und Galiläa sammelten sich Guerillatruppen um charismatische Führer, die in den Augen ihrer Anhänger den lang ersehnten Messias verkörperten. Heute würde man sie — je nach persönlicher Einstellung - Freiheitskämpfer oder Terroristen nennen. Die Unruhen veranlaßten den römischen Statthalter von Syrien, Quintilius Varus, im Jahr 4 v. Chr. bei zwei verschiedenen Gelegenheiten militärisch einzugreifen. Seine Feldzüge endeten in Jerusalem mit der Kreuzigung von 2000 jüdischen Häftlingen, wodurch das allgemeine Vermächtnis des Widerwillens und des Widerstandes, das Herodes' Nachfolger erbten, noch vergrößert wurde. Nach den Evangelien wurde Jesus kurz vor Herodes' Tod im Jahre 4 v. Chr. geboren. In seinem Testament vermachte Herodes sein Königreich seinen drei überlebenden erwachsenen Söhnen, und nach langen Erörterungen in Rom (bei denen fast alle Mitglieder der Herodes-Familie anwesend waren, um ihre eigenen Interessen zu vertreten) bestätigte Kaiser Augustus offiziell die Ubereinkunft. (Dieses Ereignis hat sich möglicherweise in der Geschichte vom König niedergeschlagen, der auf eine große Reise ging: Parabel von den Talenten Lk 19,12—27). Der südliche Teil, Judäa und Samaria, sollte von Archelaus regiert werden, dem der Titel „Ethnarch" verliehen wurde. Galiläa und Peräa wurden an Archelaus' Bruder, Herodes Antipas, gegeben, der in den Evangelien oft einfach Herodes genannt wird. Archelaus' Halbbruder Philipp behielt den nordöstlichen Teil des Königreiches, die neuen Gebiete, die Herodes zwischen 23 und 20 v. Chr. bekommen hatte. Beide, Antipas und Philipp, erhielten den Titel Tetrarch („Herrscher eines Viertels"). Zu Philipps Tetrarchie, die dieser bis zu seinem Tode 34 n. Chr. regierte, gehörten viele griechische Städte, und sogar die Juden, die dort lebten, waren mit der Familie des Herodes recht zufrieden. Philipps Herrschaft war deswegen ruhig. Er baute das Fischerdorf Bethsaida am nordöstlichen Ende des Sees Genezareth (Mk 6,45; Lk 9,10) als hellenistische Stadt wieder auf und nannte sie, zu Ehren der Tochter des Augustus, Julias; weiter nördlich ersetzte er Paneas durch die neue hellenistische Stadt Cäsarea Philippi (Mt 16,13 parr.). Herodes Antipas regierte Galiläa als Tetrarch, bis Kaiser Gaius ihn im Jahr 39 n. Chr. absetzte. Zu seinen Untertanen gehörten sowohl Jesus von Nazareth als auch Johannes der Täufer. Antipas findet in den Evangelien lebhafte Aufmerksamkeit, weil er Johannes hinrichten ließ, der Antipas' Heirat mit Herodias zu einer öffentlichen Angelegenheit gemacht hatte, eine Heirat, die

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zwei jüdische Gesetze brach (Mt 14,1-11; Lk 3,19-20). Die markinische Version (Mk 6,17—24) gibt uns Einblick in das Leben am Hof des Antipas, an dem Höflinge, Militäroffiziere, führende Männer, eine verschwörerische Königin und sogar eine königliche Tänzerin (Salome, die Tochter der Herodias und Frau des Tetrarchen Philipp) verkehrten. Die Nachlässigkeit, mit der Antipas jüdische Verhaltensformen betrachtete, wird auch beim Bau der neuen Hauptstadt am See Genezareth deutlich. Obwohl zu Ehren des Kaisers, der von 14-37 n. Chr. regierte, Tiberias genannt, sollte diese Stadt eher einen jüdischen als einen heidnischen Charakter tragen. Jedoch wurde während des Baus ein alter Friedhof innerhalb der Stadtgrenzen entdeckt, der die Stadt in den Augen der Orthodoxen als zur Bewohnung ungeeignet auswies. Trotzdem setzte Herodes den Bau fort, konnte jedoch nur eine kleine Anzahl von Juden überzeugen, dort zu leben. Der glückloseste Nachfolger des Herodes war Archelaus (Mt 2,22), der sich seit Beginn seiner Regierung mit politischer Opposition auseinanderzusetzen hatte. Obwohl die Einzelheiten nicht bekannt sind, verbanden sich im Jahre 6 n. Chr. Samaritaner und Juden zu einer Gesandtschaft nach Rom, die Augustus erfolgreich davon überzeugte, Archelaus abzusetzen und ins Exil nach Gallien zu schicken. Das Gebiet des Archelaus wurde dem römischen Reich als kaiserliche Provinz unter einem Präfekten aus dem Ritterstand einverleibt. Der Statthalter der viel wichtigeren Provinz Syriens übte die Oberaufsicht aus und griff gelegentlich in die judäischen Angelegenheiten ein. Als z. B. die Provinz Judäa eingerichtet wurde, führte Quirinius, der Statthalter Syriens, einen allgemeinen Zensus in der neuen Provinz durch, der wahrscheinlich identisch ist mit dem, der in der lukanischen Kindheitsgeschichte Jesu erwähnt wird (Lk 2,2). 2 Er führte zur Auferlegung einer Kopfsteuer, die Mt 2 2 , 1 5 22 und Mk 12,14-17 mit dem lateinischen Wort census bezeichnen, während Lk 20,21—26 das griechische Wort für Tribut gebraucht. Verwaltungszentrum der Provinz Judäa war die an der Mittelmeerküste gelegene herodianisch-hellenistische Stadt Cäsarea, von der aus der Statthalter kleine Truppenkontingente kommandierte. In Jerusalem fungierte das Synhedrium als Senat der Provinz, dessen Mitglieder sich aus den führenden Familien zusammensetzten, wie es übliche Praxis in den Provinzen war. Leitender Beamter war der Hohepriester, der zunächst (6—15 n.Chr.) Hannas war. Auch als das Amt anderen übertragen wurde, blieb der Hohepriester nach dem Statthalter die wichtigste politische Figur in Judäa (Mt 26,3; Lk 3,2; Joh 18,24; A p g 4 , 5 - 6 f ) . Die offizielle Politik der Römer war gewissenhaft darauf bedacht, die religiöse Autonomie der Juden aufrechtzuerhalten und den Juden in aller Welt zu erlauben, die jährliche Steuer von einem halben Schekel für die Erhaltung des Jerusalemer Tempels zu bezahlen. Die Juden waren von der üblichen Pflicht befreit, am Kaiserkult teilzunehmen. Statt dessen wurden jeden Tag im Tempel Opfer (zwei Lämmer und ein Bulle) zugunsten des Kaisers dargebracht.

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In vielerlei Hinsicht war die römische Herrschaft milde, doch gewisse Vorkommnisse reizten die jüdischen Traditionalisten, die sich an die große unabhängige Macht der Hasmonäer erinnerten und die so viele Undurchsichtigkeiten in den Verwaltungsanordnungen erlebt hatten. Ζ. B. waren die Kleider, die der Hohepriester an hohen Festtagen trug, nicht in seinem Gewahrsam, sondern wurden auf der Burg Antonia aufbewahrt und von römischen Soldaten bewacht. Auch der Zensus des Quirinius gab Anlaß zu großem Verdruß, der in einem Charismatiker aus Galiläa, namens Judas (Apg 5,37), Gestalt gewann, dessen Anhänger in den folgenden Jahren als Zeloten bekannt wurden. Keiner der römischen Statthalter von Judäa zwischen 6 und 66 n. Chr. ist für seinen besonderen Takt bekannt. Die meisten Informationen liegen über Pontius Pilatus vor, Statthalter von 26—36 n.Chr; der Natur der Quellen entsprechend wird nur von seinen Auseinandersetzungen mit den Gegnern der römischen Herrschaft berichtet. Ζ. B. richtete er zu Beginn seiner Herrschaft eine neue Garnison auf der Burg Antonia in Jerusalem ein. Diese neue Einheit konnte man, anders als alle ihre Vorgänger, an den Standarten erkennen, die das Bild des Kaisers in Form eines Medaillons trugen — anscheinend ein absichtlicher Affront gegen das jüdische Bilderverbot. Um eine neue Wasserleitung in Jerusalem zu finanzieren, beschlagnahmte Pilatus später Geld aus dem Tempelschatz, eine Maßnahme, die sowohl römisches als auch jüdisches Gesetz verletzte. Bei anderer Gelegenheit stellte er Schilder mit seinem und dem Namen des Kaisers Tiberius auf dem Wall des Herodespalastes auf, seiner eigenen Residenz in Jerusalem. In all diesen Fällen mußte Pilatus gewöhnlich wegen angedrohtem oder faktischem jüdischem Widerstand nachgeben. Auch diplomatische Manöver spielten eine Rolle. Seianus, graue Eminenz des Kaisers Tiberius (14—37 η. Chr.), dürfte ein antijüdisches Verhalten im ganzen Reich begünstigt haben. Nachdem Seianus 31 n.Chr. wegen Verrats verurteilt worden war, scheint Tiberius gegenüber den Wünschen der lokalen jüdischen Autoritäten des Synhedriums aufgeschlossener gewesen zu sein. In Verteidigung seiner Position dürfte Pilatus deshalb bei seinen Verhandlungen mit dem Hohenpriester und dessen Parteigängern eher vorsichtig gewesen sein. Das mag sein Verhalten beim Prozeß Jesu erklären. Das mag auch die Rolle des Barabbas erklären, der vielleicht zu den Zeloten gehörte. In diesem Fall dürften dessen terroristische Aktivitäten zu seiner Gefangennahme geführt haben (Mk 15,7). 36 n. Chr. wurde Pilatus abgelöst, und der Statthalter von Syrien, Vitellius, versuchte, die Juden durch eine Reihe von Maßnahmen, einschließlich der Rückgabe der Festgewänder in die Obhut des Hohenpriesters, zu versöhnen. Die Regierung des Kaisers Gaius ( 3 7 - 4 1 n.Chr.), mit dem Spitznamen Caligula, zeichnete sich durch dessen Versuche aus, den jüdischen Kult in Jerusalem abzuschaffen und stattdessen auf dem Tempelberg eine Statue von ihm selbst zur Verehrung aufzurichten. Das geschah aus Rache für ein Ereignis in Jamnia, wo die Juden einen neuen Altar, der von den in der Stadt

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lebenden Griechen zu Ehren des Kaiserkultes gestiftet worden war, angegriffen und verwüstet hatten. Doch wurde der Kaiser ermordet, bevor er seinen Plan verwirklichen konnte. Zu denen, dessen Argumente und Einwände den Plan verzögert hatten, gehörte Agrippa I., Enkel Herodes' des Großen. Er war in Rom aufgewachsen und ein guter Freund des Gaius und auch des Claudius, der dem Gaius als Kaiser nachfolgte und 41—54 n. Chr. regierte. Um die Spannungen in Judäa zu reduzieren, ernannte Claudius Agrippa zum König. Dieser regierte von 41 bis zu seinem Tode im Jahre 44, und zwar über Galiläa, Peräa und Judäa. Damit bestand nochmals ein unabhängiges Königreich unter dem herodianischen Königshaus, das in jüdischen Augen zumindest eine gewisse Legitimität beanspruchen konnte. Innerhalb seines Königreiches stellte sich Agrippa, dessen Großmutter Mitglied der hasmonäischen Dynastie war, als ein ergebener und frommer Jude hin. Er beachtete die Feste, opferte täglich und verteidigte die Vorherrschaft des pharisäischen Judentums über abweichende Sekten, indem er die Führer der christlichen Gemeinde Jerusalems hinrichten oder ins Gefängnis werfen ließ (Apg 12,1— 19). Andererseits hatte ihm seine Erziehung in Rom entschieden prorömische Sympathien und hellenistischen Geschmack vermittelt. Er zog es vor, in der griechischen Stadt Cäsarea statt in Jerusalem zu leben, seine Münzen trugen sein Bild, und er feierte gerade ein Fest des Kaiserkults, als er an einer Blinddarmentzündung erkrankte und unter großen Schmerzen starb — die Frommen sagten, als Opfer göttlicher Vergeltung dafür, daß er dem Volk erlaubt hatte, ihn in einer Weise zu huldigen, die dem Herrscherkult hellenistischer Könige entsprach (vgl. Apg 12,20—23). Als Agrippa I. starb, machte der Kaiser Judäa abermals zur römischen Provinz und festigte damit die römische Kontrolle, enttäuschte aber gleichzeitig die nationalen Hoffnungen der Juden. Zum dritten Mal in kurzer Zeit war ein jüdisches Königreich durch eine römische Verwaltung ersetzt worden - 63 v. Chr., 6 n. Chr. und nunmehr im Jahr 44 n. Chr. Die Vorfälle römischer Taktlosigkeit vermischten sich mit dem Gefühl von Enttäuschung: Der erste römische Statthalter — nun Prokurator genannt — versuchte sich der hohenpriesterlichen Gewänder zu bemächtigen; unter Cumanus, Prokurator von 48—52, entblößte sich am Passafest ein Wachsoldat vor der Menge, und als eine Gruppe jüdischer Pilger aus Galiläa von samaritanischen Wegelagern überfallen wurde, reagierten die Behörden nicht. Die zelotische Bewegung erhöhte die Zahl und Effektivität ihrer terroristischen Attacken und bedrohte jeden Juden, der mit den römischen Machthabern zusammenarbeitete, mit dem Tod. Bei einem Stoßangriff aus der Wüste wurde Jerusalem beinahe eingenommen. Der Angriff wurde von einem Zeloten, „der Ägypter" genannt, angeführt, über den die Machthaber noch zur Zeit der Gefangennahme des Paulus sprachen (Apg 21,38). Die religiösen und politischen Führer des Synhedriums nutzten die Unruhe für ihre eigenen Zwecke; sie schwächten ihre Gegner bei jeder sich bietenden Gelegenheit und verfolgten Dissidenten wie ζ. B. die Christen. Charismatische Führer traten in vielen Teilen

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der Provinz auf und Hoffnungen auf eine schnelle Befreiung von der römischen Vorherrschaft wurden durch prophetische Reden und apokalyptische Literatur genährt, die vorhersagten, daß die Juden den Sieg davontragen würden — unter einem Messias, der bald kommen werde. Die Römer reagierten mit Gegenmaßnahmen, exekutierten die Terroristen und nahmen die Menschen gefangen, die zu den Predigten der Propheten und Messiasse strömten. Zwei Prokuratoren dieser Periode erscheinen in neutestamentlichen Erzählungen: Felix (52—60 n. Chr.), verheiratet mit Drusilla, der Tochter Agrippas I. (Apg 24,24), unter dem Paulus' Prozeß sich zwei Jahre lang hinzog (Apg 2 4 , 2 7 ) , sowie Porcius Festus (60—62 n.Chr.), der über Paulus brieflich informiert wurde (Apg 2 3 , 2 6 - 3 0 ) und nach Beratungen mit Agrippa II., Drusillas Bruder und Herrscher eines kleinen Vasallenkönigreiches entsprechend Philipps alter Tetrarchie, dem Verlangen des Paulus nachgab und ihn zum Prozeß nach Rom sandte (Apg 2 4 , 2 7 - 2 6 , 3 2 ) .

Die jüdischen Kriege und ihre Folgen Der zunehmende Zusammenbruch von Gesetz und Ordnung in der Provinz Judäa führte 66 n. Chr. zu einer umfassenden Revolte gegen die römische Herrschaft. Ein Streit zwischen Griechen und Juden in Cäsarea veranlaßte den Prokurator Gessius Florus zu einer unsensiblen Gewaltdemonstration. Die Zeloten reagierten durch die Besetzung der Burg, die Herodes in Massada errichtet hatte, und die Ermordung seiner römischen Garnison. Die priesterliche Führungsschicht in Jerusalem schloß sich der Revolte an, indem sie die Opfer für den Kaiser aussetzte, eine Tat, die mit einer Kriegserklärung gegen das römische Reich gleichbedeutend war. Die römische Regierung reagierte und entsandte Vespasian und dessen Sohn Titus gegen die aufständische Provinz. Bis zur Mitte des Jahres 68 n. Chr. hatten ihre Armeen die Kontrolle über das gesamte Land mit Ausnahme von Ostjudäa wiedergewonnen. Der Tod von Kaiser Nero unterbrach den römischen Feldzug, und es entspann sich ein römischer Bürgerkrieg, der ein Jahr lang dauerte. Vespasian selbst, der neue Kaiser, ging als Sieger daraus hervor. Titus setzte den Krieg fort. Er belagerte Jerusalem ein volles Jahr und stürmte schließlich Mitte des Jahres 70 n. Chr. den Tempelberg. Er betrat das Allerheiligste, schaffte die heiligen Geräte fort, um seinen Triumph in Rom zu dokumentieren, und setzte anschließend den Tempel in Brand. Nach einem weiteren Monat war der letzte Widerstand innerhalb der Stadt gebrochen; danach befahl Titus die Zerstörung der Stadtmauern und der Tempelanlage. Nachfolgende Aktionen richteten sich gegen die Befestigungen, die von den Zeloten eingenommen worden waren. Die letzte, Massada, fiel im Jahre 73 n. Chr. Nach 70 n. Chr. ergriffen die Römer harte Maßnahmen, um die Ruhe in Judäa aufrechtzuerhalten. Der Posten des Statthalters wurde in den Rang eines kaiserlichen Legaten erhoben und an sehr qualifizierte Personen verge-

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ben, die Erfahrung in der Provinzialverwaltung hatten. Die Militärgarnison wurde ebenfalls verstärkt und eine ganze Legion in Jerusalem stationiert, wo künftig am ehesten eine Erhebung zu erwarten war. Sorgfältig wurde darauf geachtet, mögliche Messiasse auszuschalten, bevor sie Anhänger gewinnen konnten; namentlich die Abkömmlinge des Hauses David wurden besonders überwacht und verfolgt.^ Die Zerstörung des Tempels und die Zerschlagung des Priestertums und des Synhedriums stellten einen verhängnisvollen Wendepunkt in der jüdischen Geschichte dar. Die Opfer, die in den Büchern des Gesetzes angeordnet waren, konnten nicht mehr durchgeführt, sondern nur in der Erinnerung des jüdischen Volkes aufrechterhalten werden. Die alte, von den Römern tolerierte Sitte, einen halben Schekel Steuer pro Jahr für den Unterhalt des Jerusalemer Tempelkultes zu entrichten, war nun gegenstandslos geworden. Doch verlangten die Römer von allen Juden im Reich, den entsprechenden Betrag von zwei Drachmen an den Staat zu bezahlen — angeblich zum Unterhalt des Kultes des Jupiter, der Jahwe und sein Volk besiegt hatte. Um das Geschehene zu verarbeiten, strebten manche Juden, etwa die Pharisäer, danach, die Erinnerung an die alten Traditionen aufrechtzuerhalten und sie den neuen Umständen anzupassen. Andere, etwa die Zeloten, trösteten sich mit der Erwartung eines Messias, der den Juden wieder zur Macht verhelfen würde. Beide Gruppen erwarteten und erhofften die Wiederherstellung des vollen priesterlichen Kultes in Jerusalem. Für die Zeit zwischen 115 und 117 n. Chr. berichten sowohl römische als auch jüdische Quellen von verbreiteten jüdischen Unruhen in Kyrene, Ägypten und Zypern. In Reaktion auf die Verheißungen der selbstproklamierten Messiasse erhoben sich diese Juden gewalttätig gegen ihre heidnischen Nachbarn und die Behörden. Auch in Palästina mag es damals zu ähnlichen Aufständen gekommen sein, doch gibt es keinen direkten Beleg dafür. 4 Statt dessen wird von einer Revolte berichtet, die im Jahre 132 n. Chr. ausbrach und von Simon bar Kosiba angeführt wurde, einer messianischen Gestalt, die von seinen Anhängern und auch später Bar Kochba („Sohn der Sterne") genannt wurde, von verbitterten Rabbinen dagegen Bar-Kozeba, „Sohn der Lügen". Dessen Ausbruch kann durchaus durch das Beschneidungsverbot Kaiser Hadrians ausgelöst worden sein, was einem Verbot der jüdischen Religion gleichkam, auch wenn das nicht Hadrians Absicht war. Die palästinischen Christen dürften Bar Kochbas Anspruch auf die Messiaswürde widersprochen und sich auch dem Aufstand wahrscheinlich nicht angeschlossen haben. Neue Dokumente, die kürzlich in den Höhlen entdeckt wurden, die den Rebellen als Verstecke dienten, scheinen jedoch zu belegen, daß sich einige Heiden dem Widerstand der Juden angeschlossen haben und daß Bar Kochba zum „nasi (Fürst) Israels" ausgerufen wurde. 5 Die Römer entsandten einige ihrer besten Befehlshaber mit acht Legionen. 135 n.Chr. war der Aufstand niedergeschlagen - die Rebellen waren durch Hunger in den Höhlen der judäischen Berge zur Aufgabe gezwungen und die Überlebenden unter ihnen wurden zu Hunderten gekreuzigt. Die Hoffnung, daß

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der Messias bald kommen werde, war damit zerstört. Die Stadt Jerusalem wurde als hellenistische Stadt wiederaufgebaut und zu Ehren der kaiserlichen Familie Aelia Capitolina genannt. Ein Zeustempel krönte den Tempelberg, und den Juden wurde verboten, die Stadt auch nur zu betreten.

Römisches und lokales Recht Bürgerrecht Als das römische Reich wuchs und seine Macht sich im gesamten Mittelmeerraum durchsetzte, war die Verleihung des römischen Bürgerrechts eins der Mittel, mit dem die Römer die Loyalität der von ihnen beherrschten Völker belohnten und gewannen. Römisches Bürgerrecht Schloß zwar die Verpflichtung zum Dienst in den Legionen der Armee ein, eröffnete aber auch die Privilegien des Stimmrechts in den römischen Volksversammlungen, des vollen Schutzes durch das römische Gesetz, sowie der Befreiung von den meisten Steuern. Das römisches Bürgerrecht konnte auf verschiedene Weise erlangt werden. Die einfachste Form war natürlich, als Kind eines römischen Vaters in rechtmäßiger Ehe geboren zu werden. Eine andere Möglichkeit bestand darin, Bürger einer fremden Stadt zu werden, der die bürgerlichen Rechte Roms vollständig zuerkannt worden waren. Manchmal wurde das Bürgerrecht der herrschenden aristokratischen Schicht einer Provinzstadt verliehen, doch konnten es auch einzelne Personen vom Kaiser, vom Senat oder von einem General im Feld als Belohnung für treue Dienste erhalten. Dieser Status als römischer Bürger wurde auf die Kinder vererbt. Die regulären Legionen der Armee waren den Bürgern vorbehalten. Soldaten ohne Bürgerrecht dienten als „Hilfstruppe"; wenn sie in Ehren entlassen wurden (gewöhnlich nach etwa 25jährigem Dienst), erhielten sie das römische Bürgerrecht, das auch auf ihre Kinder übergehen konnte. Schließlich erhielten auch Sklaven, die von Bürgern freigelassen wurden, begrenzte Bürgerrechte. Ihre Kinder, die nach der Freilassung geboren wurden, besaßen die volle Anerkennung als römische Bürger. Obwohl Rechtsgelehrte wie Cicero noch im ersten Jahrhundert v. Chr. darum besorgt gewesen waren, daß es nicht möglich sei, zugleich römischer Bürger und Bürger eines anderen Gemeinwesens zu sein, waren diese Bedenken bis zur Zeit des Prinzipats überwunden. Paulus z. B. konnte geltend machen, sowohl Bürger von Tarsus zu sein, „einer nicht unbedeutenden Stadt" (Apg 21,39), als auch von Rom (Apg 2 2 , 2 5 - 2 8 ) . Innerhalb des römischen Reiches standen alle unter der Administration der römischen Behörden. Die einzige Ausnahme waren Städte mit besonderen Verträgen, die ihre Autonomie in der Rechtsprechung festlegten. Je nach Art des Abkommens waren römische Bürger den Lokalbehörden solcher

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autonomen Städte untergeben oder nicht; gewöhnlich waren sie es nicht. Einheimische, die das römische Bürgerrecht erworben hatten, besaßen denselben Status wie alle anderen römischen Bürger, obwohl sie nach einem Erlaß des Augustus dazu verpflichtet waren, selbst dann noch Beiträge zur Wohlfahrt und Erhaltung ihrer Heimatstadt zu zahlen, wenn sie das römische Bürgerrecht erlangt hatten. Römische Bürger konnten ebenso wie Bürger freier Städte wählen, ob sie von örtlichen oder von römischen Gerichten - entweder dem des Statthalters oder dem des Kaisers — abgeurteilt werden wollten. Einwohner des griechischen Ostens, die das römische Bürgerrecht nicht besaßen, waren normalerweise den jeweiligen örtlichen Gesetzen unterworfen. In Rom unterstanden die Bürger den alten republikanischen Gesetzen und Gerichten und den von ihnen angedrohten Strafen. Rechtsfälle, die Römer und Ausländer betrafen, wurden vor einem besonderen Magistrat verhandelt. Römische Bürger hatten stets das Recht, gegen ein Todesurteil Revision einzulegen: In der Republik konnten sie über den Kopf eines jeden Magistrats hinweg an die freie Versammlung der Bürger appellieren; im Prinzipat konnten sie den Kaiser anrufen. Wir wissen nicht, ob diese Appellationen von den Provinzstatthaltern immer gebilligt wurden, obwohl das am besten bezeugte Beispiel das des Paulus vor Festus ist, der seine Berufung an den Kaiser richtete, bevor der Fall überhaupt verhandelt worden war. Festus gab seiner Berufung statt, doch ist unklar, ob er dazu gezwungen war; womöglich wollte er sich nur eines schwierigen Falles entledigen. 6 Gesetzgebung und Rechtsprechung Gemäß den Gepflogenheiten der römischen Republik, die zumindest der gesetzlichen Theorie nach im ersten, vielleicht auch noch im zweiten Jahrhundert des Prinzipats gültig blieben, konnte ein Gesetz, das diesen Namen verdiente (lex), nur durch die Volksversammlung der Bürger in Rom erlassen werden. Zu Beginn des Prinzipats bestand diese Form der Gesetzgebung weiter. Ob vom Kaiser oder vom Senat eingebracht — formal wurde jedes Gesetz durch eine der Bürgerversammlungen in Rom beschlossen. Doch wurden die Versammlungen der Bürger im Laufe des ersten Jahrhunderts n. Chr. zunehmend vernachlässigt, so daß die Dekrete des Senats (die mit den Wünschen des Kaisers stets übereinstimmten) Gesetzeskraft erhielten. Dasselbe galt für direkte Erlasse des Kaisers ab dem zweiten Jahrhundert. Durch die Strafgesetzgebung waren getrennte Gerichtshöfe eingerichtet worden, die jeweils bestimmte Fälle verhandelten: Ehebruch, Betrug, Mord, Bestechung und Verrat. Diese Verbrechen wurden meist von wohlhabenden und mächtigen Bürgern begangen. Daneben gab es andere Verhaltensweisen, die ebenfalls rechtlich geregelt werden mußten, obwohl sie nicht unter eine der üblichen Kategorien des Strafrechts fielen. Bei ihrer Behandlung hatte der zuständige Beamte die Befugnis zu bestimmen, was gesetzliches und was

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ungesetzliches Verhalten war und was, entsprechend der Auffassung eines Beratergremiums, eine angemessene Strafe dafür war. In der Stadt R o m war der zuständige Beamte der Präfekt der Stadt, der zu Beginn seiner Amtszeit einen Erlaß mit den Prinzipien ausgab, nach denen er und sein Rat solche „außergewöhnlichen" Fälle entscheiden würden — ein Verfahren, das als cognitio extraordinaria bekannt war. Auch der Kaiser selbst verhandelte, unterstützt durch seinen eigenen Rat, solche Fälle in letzter Instanz oder, in so gravierenden Fällen wie Verrat, sogar in erster Instanz. In den Provinzen war der zuständige Beamte der Statthalter. D a es kein geschriebenes Gesetz gab, das die Anklagepunkte in solchen Prozessen festlegte und die Strafen bestimmte, hatte der Beamte, der eine cognitio extraordinaria verhandelte, große Freiheit im U m g a n g mit einem solchen Fall. Zunächst hatte er zu entscheiden, ob er die Klage überhaupt annehmen und das vorgeworfene Verhalten als Verbrechen ansehen wollte oder nicht. Dies läßt sich in Korinth beobachten, als Paulus vor Annius Gallio geschleppt wurde, den Prokonsul der Provinz Achaia (Apg 18,12—17). D i e jüdischen Anführer beschuldigten Paulus, „Menschen zu überreden, G o t t entgegen dem Gesetz zu verehren." Der Prokonsul entschied, daß dies ein Konflikt innerhalb der jüdischen Gemeinde war, und weigerte sich, den Fall zu verhandeln. Dasselbe Problem stellte sich dem jüngeren Plinius, als er zu Beginn des 2. Jahrhunderts Statthalter von Bithynien war. In seiner Korrespondenz mit Kaiser Trajan (X 96) drückt er große Unsicherheit darüber aus, worin eigentlich das Verbrechen besteht: im schlichten Bekenntnis des N a mens Christi oder in den begleitenden subversiven Handlungen der Weigerung, dem Bild des Kaisers Weihrauch zu spenden — oder in den verschiedenen unmoralischen Handlungen, deren die Christen in Bithynien bezichtigt wurden. Das zeigt, daß es keine spezifische Gesetzgebung gab, die das Christentum verbot, sondern daß die Richter im ganzen Reich mit den Christen weithin nach persönlichem Ermessen umgingen. Das erklärt auch, warum die Christen nicht permanent verfolgt wurden, sondern nur sporadisch zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Gebieten. Trajan, dem Hadrian hierin folgte, gab eher verwirrende Richtlinien: Christen sollten nicht anonym angeklagt oder ausgespäht werden; wenn sie aber angeklagt und des Christentums überführt würden, sollten sie bestraft werden. 7 Innerhalb einer Provinz pflegte sich der Statthalter nur mit gewichtigeren Fällen, die die öffentliche Ordnung betrafen, zu befassen. Kleinere Rechtsangelegenheiten blieben in der Zuständigkeit lokaler Beamter, die an den alten Rechtssystemen der einzelnen Städte der Königreiche festhielten. In Judäa kümmerten sich daher das Synhedrium und der Hohepriester weiterhin u m die Befolgung und Durchsetzung der in der T h o r a aufgezeichneten Gesetze des Moses. Sie konnten von den römischen Machthabern erwarten, daß diese das Recht dazu anerkannten. In den griechischen Städten war der Geltungsbereich der Gesetze einer Stadt auf ihr eigenes Territorium beschränkt, eine Tatsache, die sich Paulus und Barnabas so zunutze machten, indem sie sich nirgends niederließen. Als sie vor den Magistrat einer Stadt

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wie Thessalonich gestellt wurden, bezahlten sie eine Kaution und begaben sich in eine andere Stadt wie Beröa, wo ihre Ankläger vor anderen Magistraten und Gesetzen von neuem antreten müssen (Apg 17,5—10). In manchen Fällen ist das Verfahren der Rechtsprechung unklar und dürfte auch den damals Beteiligten nicht sehr deutlich gewesen sein. So ist man sich in der Forschung bis heute uneins, ob die jüdischen Machthaber in Jerusalem die Vollmacht hatten, verurteilte Kriminelle hinzurichten. Sie taten es in den Fällen des Jakobus und des Stephanus, woraus Paul Winter, E. Mary Smallwood und andere die Behauptung abgeleitet haben, das Synhedrium habe Todesurteile verhängen und ausführen können. 8 In diesem Falle hätten die Evangelien Unrecht mit ihrer Behauptung, daß die Juden die eigentlich Verantwortlichen für den Tod Jesu seien, denn die Tatsache, daß Pilatus Jesus hinrichten ließ, würde bedeuten, daß es sich bei dem Prozeß um ein Verfahren nach römischem Recht gehandelt hätte, das auf einer Anklage wegen Aufruhrs basierte. Andererseits meint Α. N. Sherwin-White, alle anderen Belege im römischen Reich zeigten, daß lokale Gerichte nicht das Recht besessen hätten, Kriminelle hinzurichten; vielmehr hätten sich die Römer diese Aufgabe vorbehalten. 9 Seiner Meinung nach können die jüdischen Machthaber sehr wohl festgestellt haben: „Uns ist es nicht erlaubt, jemanden zu töten" (Joh 18,31), so daß die Hinrichtungen des Stephanus und Jakobus eher auf Lynchjustiz als auf rechtmäßige Todesurteile zurückgehen. Dasselbe mag für die Frau gelten, die beim Ehebruch ertappt wurde Qoh 8 , 1 - 1 1 ) . Alle Prozesse, von denen im Neuen Testament berichtet wird, illustrieren ein gemeinsames Prinzip der Verfahrensweise im griechischen und römischen Gesetz: das Fehlen eines öffentlichen Anklägers. So wie in Zivilfällen diejenige Partei, die einen Schaden erlitten hatte, von sich aus gegen den Angeklagten vorgehen mußte, so hatte in Strafverfahren eine Einzelperson die Klage gegen den Beschuldigten vorzubringen. Die öffentliche Polizei befaßte sich normalerweise nicht mit Detektivarbeit.

Die Polizei In den einzelnen Städten des Reiches übten die Behörden im allgemeinen durch eine Gruppe von Aufsehern aus der jeweiligen Gemeinde ihre Polizeigewalt aus, die freilich nie besonders wirksam war, von Antiochien und Philippi, zwei römischen Kolonien, einmal abgesehen. Spätestens im 2. Jahrhundert ernannten die Statthalter örtliche „Friedenswächter", um mit schwerer Kriminalität fertig zu werden und das Land zu überwachen. In Jerusalem hatte der Hohepriester seine eigene Polizeitruppe, die Tempelgarde, die unter dem Befehl des Tempelaufsehers stand. Diese Einheit nahm Jesus (Joh 1 8 , 3 . 1 2 ) und die Apostel (Apg 5 , 2 4 - 2 6 ) fest und wurde abkommandiert, um das Grab Jesu zu bewachen (Mt 2 7 , 6 5 ) . Auch der römische Statthalter erhielt mit Hilfe der Truppen, die unter

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I. KAPITEL: Historischer Hintergrund

seinem Befehl standen, die öffentliche Ordnung aufrecht. In den kaiserlichen Provinzen gehörten dazu eine oder mehrere Legionen von je 5000 Mann. In Judäa mußte der Statthalter diese Aufgabe bis zum Jahre 66 n. Chr. mit nur sechs Kohorten meistern (wohl einschließlich der „italischen Kohorte", die in Apg 10,1 genannt wird). Jede Kohorte zählte zwischen 500 und 600 Mann; ein Tribun aus dem angesehenen Ritterstand hatte die Befehlsgewalt (Joh 18,12; Apg 21, 31-40; 25, 23). Zenturien waren Unteroffiziere, die für jeweils 100 Soldaten verantwortlich waren (Mk 15,39; Lk 23,47; Apg 10,1). Sie stiegen normalerweise auf; einige von ihnen erreichten einen besonderen Rang, der ihnen bei der Entlassung den Status eines Ritters einbrachte. Zu den Pflichten der Soldaten gehörten die Kontrolle von Menschenansammlungen und der Vollzug von Hinrichtungen (Joh 19,1—37). Besondere Aufträge wurden im frühen Prinzipat manchmal einer Militärpolizei, den speculatores, anvertraut; eine davon führte die Hinrichtung Johannes des Täufers durch (Mk 6,27). Polizeiaufgaben wie die Eskortierung von Gefangenen wurden ebenfalls Soldaten übertragen: So hatte Iulius, ein Hauptmann der „kaiserlichen Kohorte" (Apg 27,1), Befehl über eine kleine Gruppe von Gefangenen. Viele Soldaten besserten sicherlich ihren Sold durch weniger amtliche Aktivitäten, einschließlich Erpressung, auf. Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß die Soldaten vom einfachen Volk sonderlich geschätzt wurden, namentlich in einer widerspenstigen Provinz wie Judäa.

Strafen Im alten römischen Zivilgesetz war ein überführtet Angeklagter verpflichtet, Geldzahlungen zu leisten oder eine vergeltende Strafe bis hin zum eigenen Tod zu erleiden. Geldbußen und der Tod gehörten auch zu den häufigsten Betrafungen, die von den Strafgesetzen vorgeschrieben wurden, obwohl deren Vollstreckung bis zum Ende der Republik routinemäßig so lax war, daß eine überführte Person Zeit hatte, ins freiwillige Exil außerhalb Italiens zu gehen, um der Hinrichtung zu entgehen. Im Prinzipat hatten die mit der Rechtsprechung befaßten Beamten, wie gezeigt, einen großen Spielraum, über Bestrafungen zu entscheiden, und so kam eine breite, meist besonders konsequente Vielfalt von Strafen zur Anwendung. Schon vor Prozeßbeginn wurden die Verdächtigten ins Gefängnis geworfen und als Teil der coercitio, der vorläufigen Untersuchung der Fakten, mit Peitschen oder Knüppeln geschlagen. Die Strafen, die nach der Verurteilung verhängt wurden, hingen von der Laune und dem Scharfsinn des Beamten und seines Rates ab; von der Natur des Verbrechens und von etwaigen erleichternden oder erschwerenden Umständen. Eine relativ milde Strafe war die Geldbuße. Die Inhaftierung war keine Strafe an sich, sondern einfach ein Arrest vor dem Prozeß oder vor der Ausführung des Urteils. Einer langen Kerkerhaft entsprach die Exilierung, bei der die verurteilte Person,

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die gewöhnlich zur Oberschicht gehörte, für unbestimmte Zeit, oft lebenslang, auf eine Insel oder in eine entfernte Stadt verbannt wurde. In noch schlimmeren Fällen oder falls die verurteilte Person von niederem Rang war, konnte sie ihrer Freiheit beraubt, als Sklave verkauft oder zu lebenslanger Arbeit in den Minen bzw. in der Arena der Gladiatoren verurteilt werden. Bevor das geschah, wurde ein solcher Strafgefangener hart mit einem flagellarti geschlagen, einem Dreschflegel, der mit Knochenstücken oder Metall beschlagen war. Derartige Prügel gingen auch den meisten Formen der Todesstrafe voraus. Einige Todesstrafen entsprachen speziellen Verbrechen: So wurde in Rom ein Vatermörder in einen Sack eingenäht und in den Fluß geworfen, eine vestalische Jungfrau, die ihren Keuschheitseid gebrochen hatte, lebendig begraben und solche, die bestimmter anderer Verbrechen überführt worden waren, vom Tarpejischen Felsen gestürzt. Vornehme Römer und Kriegsgefangene wurden im Gefängnis erdrosselt oder erhielten einfach den kaiserlichen Befehl zum Selbstmord. Oder aber der verurteilte Gefangene wurde nackt an einen Pfahl gebunden und mit Ruten geschlagen, dann wurden ihm die Augen verbunden, er mußte sich hinknien und wurde anschließend mit einer Axt (während der Republik) oder mit einem Schwert (während des Prinzipats) enthauptet. Brutalere und sadistischere Hinrichtungen kamen ebenfalls vor. Die Kreuzigungsstrafe war gewöhnlich den Sklaven vorbehalten und besonders gefährlichen Kriegsgefangenen, wenngleich sie von Zeit zu Zeit auch an römischen Bürgern vollzogen wurde. Der Tod am Kreuz war langsam, da das Gewicht des Verurteilten an seinen Armen hing; Muskelspasmen, Krämpfe und Insekten erhöhten die Qual, und der Tod erfolgte gewöhnlich durch langsames Ersticken. Das Brechen der Beine erhöhte das Gewicht und führte so schneller zum Tode. Das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen war ursprünglich eine alte römische Vergeltungsstrafe für Giftmörder. Die von Nero angeordnete Verbrennung der Christen, die er angeklagt hatte, Rom im Jahr 64 n.Chr. in Brand gesteckt zu haben, war daher schrecklich und unangebracht. Es war eine so ungewöhnliche Strafe, daß sie zu weit verbreiteter Mißbilligung in der Stadt führte. Auf geringeren Abscheu stieß es, wenn man Gefangene „zu den Tieren" bei den Gladiatorenspielen verurteilte. Die Verurteilten wurden an Pfähle gebunden und daraufhin Löwen und Raubtiere in die Arena gelassen, um sie langsam oder schnell zu töten, je nachdem, wie es das Schicksal wollte. Das jüdische Gesetz war hinsichtlich der Bestrafungen sehr differenziert. Das Gesetz des Moses bestimmte die Geißelung für bestimmte Sexualdelikte und erlaubte ihre Anwendungen auch bei anderen Übertretungen bis zum Maximum von 40 Schlägen (Dtn 25,2—4). Um die Möglichkeit der Ubertretung jenes Gebotes auszuschließen, wurde „vierzig Schläge minus einen" eine übliche Strafe, die jüdische Gerichte verhängten (2Kor 11,24). Die traditionelle Form der Todesstrafe war die Steinigung, die für Götzendienst, Hexerei und Ehebruch vorgeschrieben war. Wie erwähnt, ist unklar, ob die Römer den jüdischen Machthabern gestatteten, Todesurteile zu vollstrecken,

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I. K A P I T E L : Historischer Hintergrund

obwohl in einem Fall eine Art legalisierter Lynchjustiz erlaubt worden war: Eine Tempelinschrift schärfte deutlich ein, daß jeder Heide - auch ein römischer Bürger —, der den heiligen Platz betreten würde, unverzüglich durch Steinigung sterben müsse.

II. KAPITEL

Mobilität und Mission Überall im Neuen Testament befinden sich Menschen auf Wanderschaft. Im Lukasevangelium etwa reist Maria innerhalb eines einzigen, freilich ereignisreichen Jahres dreimal zwischen Galiläa und Judäa hin und her (Lk 1,39—56; 2,1-5.22—39). Im Johannesevangelium ziehen Jesus und seine Jünger mehrere Male von Galiläa nach Jerusalem (z.B. Joh 2 , 1 3 ; 5 , 1 ; 7 , 1 - 1 0 ) . In der Zeit nach der Auferstehung wird über die Reisen des Philippus nach Samaria, Gaza und Cäsarea berichtet (Apg 8, 5.26.40) sowie über Besuche des Petrus in Samaria, Lydda, Joppe, Cäsarea, Antiochien und vielleicht sogar Korinth (Apg 8 , 1 4 ; 9 , 3 5 - 3 9 ; 1 0 , 1 - 2 4 ; Gal 2 , 1 1 ; IKor 1,12). Am bekanntesten sind die Reisen des Paulus nach Antiochien, Zypern, Pamphylien, Pisidien (Apg 13—14), nach Troas, Makedonien, Achaia, Ephesus (Apg 15,41— 2 1 , 1 7 ) ; nach Rom (Apg 2 7 , 1 - 2 8 , 1 6 ) , nach Arabien (Gal 1,17), nach Kreta (Tit 1,5), und wiederholt nach Jerusalem (Apg 9 , 2 6 ; 1 1 , 2 9 - 3 0 ; 1 5 , 1 - 2 9 ; 21,17).

Verkehrswege Straßen Das römische Reich zeichnete sich im 1. Jahrhundert durch ein hohes M a ß an Mobilität aus; es war eine Zeit, da das Reisen in großen Teilen des Landes einfacher war als je zuvor. Straßen verbanden alle Provinzen und Städte des Reiches. Militärstreifen minderten die Gefahr vor Straßenräubern, römische Macht hielt das Meer von Piraten frei. Eine Standardwährung wurde überall akzeptiert, und die hellenistisch-römische Kultureinheit ermöglichte es den Reisenden, die Griechisch und Latein verstanden, sich überall verständlich zu machen. Die römischen Straßen waren so gepflastert, daß sie dem Verschleiß durch genagelte Stiefel und schwer beladene Wagen standhalten konnten. In Tälern pflegten die Straßen eng an der Bergseite entlangzuführen. Zu Bergpässen stiegen sie in einer Reihe von steilen Serpentinen auf und überwanden Flüsse mit Hilfe von Furten, Fähren oder Brücken aus Holz oder Stein. Die meisten Leute wanderten, doch wer es sich leisten konnte, ritt einen Esel, ein Pferd oder sogar ein Kamel. Die Wohlhabenden wie der äthiopische Eunuch

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II. KAPITEL: Mobilität und Mission

(Apg 8,26-31) reisten in Wagen oder Kutschen, die von Maultieren oder Pferden gezogen wurden. Für eine weite Reise nahm man einen Sack mit Kleidung mit, die zum ein- oder zweimaligen Umkleiden ausreichte, und trug Geld in einer Börse bei sich, die am Gürtel festgebunden war oder an einem Band um den Hals. Unterwegs konnte man Bauern treffen, die am Wegrand warteten, um landwirtschaftliche Produkte oder selbstgemachten Schmuck zu verkaufen, doch waren die wichtigsten Plätze zwischen den Städten die Gasthäuser und Wegstationen, die für die Boten der kaiserlichen Bürokratie errichtet worden waren. Mansiones („Gasthäuser") befanden sich an den Straßen ungefähr im Abstand einer guten Tagesreise, d. h. je nach Landschaft 25 bis 30 Meilen. Sie besaßen eine Reihe von Schlaf- und Eßräumen und leidlich gute Möglichkeiten, um Tiere unterzustellen und zu versorgen. Alle 10 Meilen befanden sich mutationes, kleinere Stationen, wo offizielle Kuriere die Pferde wechseln und normale Reisende etwas zu essen und ein Bett finden konnten. Städte entlang der Straße boten noch mehr Gastlichkeit — verschiedene Eßlokale, geheizte Badeanstalten und Unterkünfte verschiedener Art — von Luxusvillen (die zu bequemen Hotels gemacht worden waren) bis zu sehr billigen Absteigen, deren Wände mit Graffiti bedeckt waren und deren Betten von Ungeziefer wimmelten. Solche Reisen brachten Unbequemlichkeiten und Gefahren mit sich. Paulus, der dergleichen aus eigener Erfahrung kannte, führt Hochwasser, Räuber, Schiffbruch, Schlaflosigkeit, Hunger, Durst und Kälte auf (2Kor 11,25—27). Im 1. Jahrhundert waren die Hauptstraßen von Straßenräubern relativ frei, aber auf kleineren Straßen in politisch unsicheren Provinzen konnte ein Reisender durchaus sehr schnell von Dieben überfallen werden, wie das Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeigt (Lk 10,2937). Die sicherste Art zu reisen war die, sich auf die Gastlichkeit von Freunden oder andere persönliche Beziehungen zu verlassen. Eine alte Tradition unterstrich die Bedeutung der Gastfreundschaft, die darin bestand, den Besuchern Nahrung und Schutz zu gewähren — im Vertrauen darauf, daß die Gäste dem Gastgeber dieselbe Freundschaft erweisen würden, wenn er in die Nähe ihres Hauses gelangte. Die Angehörigen höherer Schichten stiegen in den Villen von Verwandten oder Kollegen ab oder unterhielten selbst Gastwirtschaften an Strecken, auf denen sie oft reisten. Auch das einfachere Volk machte sich Freundschaften und Bekanntschaften zunutze, wenn es reiste. Paulus z. B. wohnte, wenn immer möglich, in Privathäusern (Apg 16,12-15; 17,5; 21,16; 28,7.14; vgl. Phlm 22). Seefahrt Weil sie schneller und oft angenehmer als eine Landreise war, zogen viele die Schiffsreise vor. Im 1. und 2. Jahrhundert bestand die beste Verbindung

Verkehrswege

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zwischen Alexandrien und Rom als Route der großen Schiffe, die Getreide aus Ägypten transportierten. Wenn die günstigen Nordwinde einsetzten, benötigte man für die Reise vom Hafen Roms bis Alexandrien manchmal nur zehn Tage, obwohl die Rückfahrt bis zu zwei Monaten dauern konnte. Als Paulus von Palästina nach Rom segelte, wechselte er das Schiff in Myra an der Südküste Kleinasiens. Das Schiff, auf dem er weiterreiste, war von Alexandrien aus genau nach Norden gefahren und hatte damit eine Route nach Rom eingeschlagen, die die offene See vermied. Die Jahreszeit zum Reisen war offensichtlich nicht mehr die günstigste, trotzdem hatte das große Getreideschiff noch 276 Passagiere an Bord (Apg 27,37). Da alle Schiffe hauptsächlich dem Frachttransport dienten, brachten die Passagiere Matratzen, Decken, Kleidung, Waschzeug, Nahrung und Geschirr selbst mit. Der genaue Abfahrtstermin hing von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt von guten Vorzeichen, da die antiken Seeleute abergläubisch waren. Wegen der sehr konkreten Gefahren des Unternehmens konnte eine Seefahrt oft eine emotional erschöpfende, intensive Erfahrung sein. Piraterie — verbunden mit Raub, Vergewaltigung, Kindesentführung und Mord — war in klassischer und hellenistischer Zeit eine große Gefahr gewesen, die Pompeius jedoch im Jahr 67 v.Chr. gebannt hatte. Im 1. und 2.Jahrhundert bot die kaiserliche Flotte weiterhin Schutz gegen Piratenüberfälle. Das größte und unvermeidbare Risiko war Schiffbruch aufgrund von gefährlichen Untiefen oder Sturm. Die sicherste Zeit zu segeln war zwischen Mai und Oktober, doch konnte selbst dann schlechtes Wetter ein Schiff in schwere Gefahr bringen. Wann immer das geschah, wurden fieberhaft Gebete an die Meeresgötter gerichtet, und alle Schiffsinsassen, Besatzung wie Passagiere, wurden in die Arbeit einbezogen (Apg 27,19-38).

Briefe Ein einfacherer Weg, sich über Entfernungen hinweg zu verständigen, war der Brief. Eine Standardform wurde entwickelt, die in offiziellen Verlautbarungen von Königen, Erlassen von Stadträten, Geschäftsbriefen, Weisungen von Orakeln und Beratern und in Privatbriefen zwischen Freunden, Liebenden und Verwandten Verwendung fand. Rhetoren schrieben sogar Handbücher, in denen sie die Regeln für besondere Briefformen aufstellten. Briefe dienten zur Einführung und Empfehlung (2Kor 3,1—3; 3Joh), um Neuigkeiten mitzuteilen (2Kor 8,1—7), einen Gefallen zu erbitten (Rom 16,1—2; Phlm), Dank auszudrücken (Phil 1,3—7; 4,10—14) und Ermutigung (IThess) oder Rat (Gal; IKor 7; 2Kor 8) zu geben. 1 Die Angehörigen der Oberschicht diktierten ihre Briefe Sekretären (Sklaven oder Freigelassenen). Gewöhnliche Leute fanden Schreiber auf öffentlichen Plätzen, die für ein kleines Honorar einen Brief in der richtigen Form abfaßten. Die Schreiber der neutestamentlichen Briefe zogen Sekretäre heran (Rom 16,22; lPetr 5,12), obwohl Paulus normalerweise am Ende eine Notiz

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II. KAPITEL: Mobilität und Mission

von eigener Hand hinzufügte (IKor 16,21; Gal 6,11; Kol 4,18; 2Thess 3,17). Römische Beamte bedienten sich des cursus publicus, d. h. der Reiter, die entlang des Straßensystems stationiert waren, um offizielle Mitteilungen zu befördern. Reiche Privatleute schickten ihre eigenen Sklaven, wie aus der umfangreichen Korrespondenz Ciceros hervorgeht. Andere griffen auf Freunde zurück (Rom 16,2) oder vertrauten ihren Brief einem Fremden an, der zufällig in die richtige Richtung zog. Das reisende Publikum Diejenigen, die die Einrichtungen des römischen Straßensystems und die Schiffsflotte zuerst beanspruchen konnten, standen im Dienst der Regierung: Einzelabgesandte, die offizielle Noten überbrachten, Gesandte von Städten oder Vasallenkönigreichen, die Petitionen übermittelten, Provinzstatthalter, die in ihre Provinzen fuhren oder in ihnen herumreisten, um Recht zu sprechen, schließlich Soldaten, die von einer Garnison zur anderen marschierten. Von einem riesigen Stab umgeben, begab sich gelegentlich auch der Kaiser auf eine Reise oder führte das Heer in die Schlacht. Eine andere wichtige Gruppe von Reisenden waren Geschäftsleute, d. h. Suspenditeure, Unternehmer und deren Agenten, die herumreisten, um Verträge abzuschließen und die Verschiffung von Gütern zu überwachen. In geringerem Umfang pendelten wandernde Kleinhändler hin und her, kauften Waren an einem Ort und verkauften sie in Städten und Plätzen jenseits des Meeres. Manche Sklaven waren damit betraut, Botschaften für ihre Herren zu überbringen oder ein Geschäftsvorhaben in ihrem Namen zu überwachen. Vermutlich war es kein ungewohnter Anblick, daß ein fremder Sklave, allein oder gemeinsam mit anderen, in Geschäften seines Herren unterwegs war. Ein entflohener Sklave wie Onesimus (Phlm 10—18) wäre daher nicht unbedingt besonders aufgefallen. Zu den Reisenden gehörten ferner die umherziehenden Schauspieltruppen, die als dionysische Künstler bekannt waren, außerdem Athleten oder Pilger, die sich zu einem wichtigen Fest nach Delphi, Olympia oder Jerusalem begaben oder zu einem Asklepiusheiligtum, um Heilung zu finden, oder auch nur zu einem lokalen Jahrmarkt; schließlich wandernde Philosophen, Kyniker, Lehrer und Wundertäter oder einfach Touristen, die herumreisten, um sich bestimmte Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Bevölkerungswanderung Nicht alle Reisen waren zeitlich begrenzt. Manche Menschen gingen weg, um anderswo zu bleiben. Ein Musterbeispiel beständiger Wanderung war die

Die Entwicklung der Religionen

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Gründung einer Kolonie. Dazu mußte eine Gruppe von Bürgern ihre Stadt verlassen, um eine neue zu gründen, dort den Kern einer neuen Bürgerelite bilden und sich mit allen landwirtschaflichen, kaufmännischen und üblicherweise auch politischen Aktivitäten einer unabhängigen Stadt befassen. Eine andere Form der Bevölkerungswanderung bestand darin, daß Männer und Frauen ihren Wohnort verließen, um sich in einer bestimmten anderen Stadt (normalerweise als fremde Nichtbürger) niederzulassen. Solche Migranten waren oft Händler und Handwerker, ζ. B. die Zeltmacher Priskilla und Aquila, deren Reisen sich im Neuen Testament verfolgen lassen. Aquila, der Ehemann, war ein Jude aus Pontus im nördlichen Kleinasien, doch waren er und Priskilla bereits zur Regierungszeit des Claudius nach Rom gereist, da sie zu den Juden gehörten, die dieser aus der Stadt vertrieb. Sie reisten nach Korinth, wo sich Paulus — ebenfalls ein Zeltmacher — bei ihnen niederließ. Als der Apostel Korinth in Richtung Syrien verließ, reisten Priskilla und Aquila mit ihm bis nach Ephesus, wo sie alsbald Leiter der christlichen Gemeinde wurden und vermutlich weiterhin ihr Handwerk ausübten (Apg 18,1-3.18-28; Rom 16,3; IKor 16,19). Als Paulus später der Gemeinde in Rom schrieb, lebten sie wieder dort und waren wie zuvor in Ephesus Gastgeber einer Hauskirche (Rom 16,5). In der Regel lebten solche Handwerker und Händler nach den Gesetzen und Bräuchen der jeweiligen Stadt und hatten besondere Verpflichtungen und Privilegien entsprechend den örtlichen Verhältnissen. Sie organisierten sich selbst und trafen sich regelmäßig zu Geschäften oder um ihr gemeinsames Schicksal zu begießen. In einigen Fällen hielten es die politischen Machthaber für opportun, eine solche Gemeinschaft von Fremden als autonome Größe, im Griechischen als politeuma bezeichnet (vgl. Phil 3,20), anzuerkennen. Solche Gruppen erfreuten sich eines gewissen Maßes an sozialer Unabhängigkeit, obwohl sie natürlich immer der politischen Kontrolle des Staates unterworfen waren. 2

Die Entwicklung der

Religionen

Die Rezeption neuer Kulte Gegen Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. kaufte sich auf Delos, Apollos heiliger Insel mitten im ägäischen Meer, ein Mann namens Apollonius, der Enkel eines ägyptischen Einwanderes, ein Grundstück in einer vornehmen Wohngegend. Er säuberte es vom Abfall, der dort im Laufe der Jahre hingeworfen worden war, und begann, einen Tempel für Serapis zu errichten, einen ägyptischen Gott, der unter den Griechen Alexandriens populär war. Die Statue des Gottes war zwei Generationen vorher, und zwar von Apollonius' Großvater, nach Delos gebracht worden, der in Ägypten zu einer Priesterfamilie von niedrigem Rang gehörte. In dieser ersten Generation war die Statue

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II. KAPITEL: Mobilität und Mission

in einem Privatheiligtum in der vom Priester gemieteten Wohnung aufgestellt. Als er starb, übernahm sein Sohn die priesterlichen Pflichten und fügte eine Statue von sich selbst zur religiösen Ausstattung der kleinen Weihestätte hinzu. Nach dessen Tod empfing Apollonius eine Traumvision des Gottes, der ihm befahl, einen passenden Platz zur Errichtung eines Tempels zu beschaffen. Die Bemühungen des Apollonius stießen auf den Widerstand einiger Mitglieder der delischen Gesellschaft — vielleicht aus dem Grund, weil er keine fremden öffentlichen Kulte auf Apollos heiliger Insel einführen sollte, oder weil er nicht berechtigt war, Eigentum zu erwerben, oder durch den Bau des Tempels die Bestimmungen des Kaufvertrages verletzte. Jedenfalls wurde eine Anhörung einberufen, die Ankläger waren sprachlos, der Gott und sein Priester gerechtfertigt, und der Tempel wurde gebaut. Apollonius ließ eine Säule errichten, in die er einen Prosabericht über die Geschehnisse und ein Gelegenheitsgedicht einmeißeln ließ, das in angemessenen feierlichen Versen den Gott Serapis preist. Innerhalb einer Generation nach Errichtung dieses Tempels wurden noch zwei weitere Kultvereinigungen zu Ehren der ägyptischen Götter ins Leben gerufen. Seit 180 v.Chr. wurde deren Verehrung vom delischen Staat als offizieller Kult anerkannt. Der Serapiskult auf Delos ist besonders gut dokumentiert, weil alle drei Tempel samt einer großen Anzahl von Inschriften ausgegraben wurden. Dies ist zwar nur ein Einzelfall, doch ist vieles daran typisch für die Art, wie sich heidnische Kulte in der antiken Welt ausbreiteten. Wenn Kaufleute oder andere Emigranten aus dem Osten in den Städten der alten griechischen Welt ankamen, brachten sie ihre einheimischen Götter und Zeremonien mit. Sie verehrten dann ihre Götter allein oder zusammen mit Landsleuten, die am selben Ort lebten. Andere Kulte wurden durch Kolonisten oder Soldaten verbreitet, die Altäre für die offiziellen Staatsgötter errichteten oder für fremde Götter, die sie unterwegs kennengelernt hatten. 3 Auch in der klassischen Literatur begegnen heilige Männer, die von einem Ort zum anderen wanderten und neue Kulte einführten. Die Quellen charakterisieren sie normalerweise als Scharlatane, die ihre Religion verhökerten und die Gutgläubigkeit ihrer Zuhörerschaft ausnutzten, um sie um Geld und Verpflegung zu betrügen. Ein äußerst ungeschminktes Beispiel dieser Art ist in einem Werk Lukians aus dem 2.Jahrhundert n.Chr. festgehalten: Beschrieben wird Alexander von Abonuteichus, der im gesamten westlichen Kleinasien die Wohltaten des Asklepius predigte und den eigenen Anspruch, ein Wundertäter zu sein, durch den Bau eines fahrbaren Orakels untermauerte, das auf vorgetäuschte Wunder spezialisiert war. So behauptete er ζ. B., daß sein Gott „Voraussagen machte, flüchtige Sklaven entdeckte, Diebe und Räuber auffand, vergrabene Schätze ausfindig machte, Kranke heilte und in einigen Fällen sogar die Toten auferweckte" (Lukian, Alexander, der falsche Prophet 24). Heilungswunder waren typisch für den Asklepius-Kult und charakteristisch für einen bestimmten Typus heiliger Männer einschließlich des Kaisers

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Vespasian, der einen Blinden heilte, als er Alexandria besuchte. Die Nachricht von solchen Wundern wurde durch persönliche Kontakte verbreitet, aber auch durch schriftliche und mündliche Aufzeichnungen über die Wohltaten des betreffenden Gottes (Aretalogien). Die Taten neuer und alter Götter wurden auch durch farbenfrohe Zeremonien wie Prozessionen und Opfer publik gemacht, die in den Straßen der Stadt Aufmerksamkeit erregten. Die Kerngemeinde der meisten importierten Kulte bildeten Immigranten oder deren Abkömmlinge, die neue Mitglieder durch verschiedene Mittel religiöser Propaganda zu werben suchten. Doch war die Propaganda nur sehr selten aggressiv. Mögliche Anhänger konnten herbeikommen und die beglaubigten Zeugnisse lesen oder die Prozessionen beobachten, aber der Entschluß, sich dem Kult anzuschließen, lag bei jedem einzelnen selbst. Wenn jemand beitrat, nahm er normalerweise an den Riten und Zeremonien teil und leistete einen finanziellen Beitrag; eine vollständige Bekehrung im Sinne der ausschließlichen Hingabe an den Kultgott wurde jedoch im allgemeinen nicht erwartet. Die Götter des Heidentums waren keine eifersüchtigen Götter. Versammlungsorte Im Fall des delischen Serapis wurde die Statue des Gottes in einem Privathaus aufgestellt und fast wie ein Einzel- oder Familienkult gehütet. In ähnlicher Weise errichteten auch Kaufleute aus Zypern, die im Hafen von Athen zusammentrafen, oder Seespediteure aus Berytus, die im italienischen Hafenort Puteoli zum Zwecke der Förderung ihrer gemeinsamen Interessen zusammenkamen, in gemieteten oder gekauften Wohnungen Weihestätten für ihre angestammten Götter. 4 Diese Weihestätten dienten oft dazu, die Verehrer an zu Hause zu erinnern. Die traditionellen Riten wurden gepflegt, vielleicht ein Priester aus dem Heimatland geholt, die architektonische Gestaltung und die Statuen ahmten die besonderen kulturellen Traditionen nach. Auch wenn es dafür offenbar keine strengen Regeln gab, besaß doch jede Kultgemeinde eine große Autonomie. Bisweilen wurden im Kult hierarchische Titel verwendet, die ihre Parallele im Kult desselben Gottes an anderen Orten hatten; oft waren diese Titel jedoch auf die lokale Gemeinde beschränkt. Es bestand die Tendenz, daß solche Weihestätten im Laufe von ein bis zwei Generationen allmählich die übliche Form der griechischen oder römischen Tempel annahmen, je nach dem, in welcher Stadt sie standen. Wie bei jeder Gruppe innerhalb einer griechisch-römischen Stadt spielte der Patron — ein wohlhabendes Mitglied, vielleicht der Gründer oder einer seiner Nachkommen — eine wichtige Rolle. Die Treue zu einem solchen Kult konnte eine zentrale Rolle im Leben des einzelnen spielen, ihm konnte er Zeit, Aufmerksamkeit und Geld widmen.

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II. KAPITEL: Mobilität und Mission

Da sich die meisten Mitglieder in regelmäßigen Abständen trafen, um ihren Gott mit Opfern und einem gemeinsamen Mahl zu feiern, entwickelten sie einen Sinn für individuelle Zusammengehörigkeit innerhalb einer großen und unpersönlichen Welt. Einige dieser Kulte verhießen ihren Anhängern ein besonderes, ja sogar geheimes Wissen und sicherten ihnen die Errettung von bestimmten Übeln der Welt zu. Obwohl damit Schranken zwischen ihnen und der übrigen Gesellschaft errichtet wurden, waren diese nicht absolut, da die heidnischen Kulte mit der heidnischen Gesellschaft der Städte und des Reiches durch ein gemeinsames Wert- und Glaubenssystem verbunden waren.

Synkretismus Der verstärkte Kontakt zwischen Völkern und Kulturen führte zu einer wechselseitigen Beeinflussung und Vermischung, die von Historikern „Synkretismus" genannt wird. Synkretismus kann entweder als allgemeines kulturelles Phänomen betrachtet werden (als Übernahme von bestimmten Gebräuchen und Denkweisen einer sozialen Gruppe durch eine andere) oder als ein spezifisch religiöses Phänomen. Die Menschen neigten zu der Annahme, daß die Götter anderer Nationen denen gleich oder ähnlich waren, die sie bereits von Haus aus kannten. So hielten etwa die Griechen den ägyptischen Gott Osiris mit ihrem eigenen Gott Dionysos für identisch. Im römischen Reich brachten bestimmte Eingeborene Nordafrikas ihrem traditionellen Gott Baal Weihegeschenke dar, benutzten aber den Namen des römischen Gottes Saturn, weil das ein allgemein anerkanntes Äquivalent und in einer auf Latein verfaßten Inschrift eher angemessen war. (Diese Entwicklung zeigte sich sogar in Jerusalem, als während der Hellenisierungsbewegung unter Antiochos IV. Jahwe mit Zeus identifiziert wurde.) In Verbindung damit meint Synkretismus die Tendenz, einem Gott die Attribute anderer Götter zuzuweisen; Isis etwa wurde nach und nach als Verkörperung der göttlichen Eigenschaften von Aphrodite, Demeter, Athene und vielen anderen verstanden, wodurch sie als eine einzige allumfassende Gottheit erschien. In Ägypten neigten die Theologen jahrtausendelang dazu, die verschiedenen Einzelgötter als Erscheinungen eines einzigen Gottes zu verstehen; auch griechisch-römische Theologen, die sich auf orientalische Quellen stützten, identifizierten verschiedene Götter als einen einzigen Gott, wie es in volkstümlichen Ausrufen wie „Zeus Hades Helius Dionysos ist einer" oder „Zeus Serapis ist einer" zum Ausdruck kam. 5 Die Formen dieses heidnischen Synkretismus lassen erkennen, in welchem Ausmaß die Teilnehmer(innen) an diesen Kulten in die Gesellschaft der griechisch-römischen Stadt integriert waren. Mit der sie umgebenden Kultur teilten sie das Gefühl, daß die ganze Welt göttlichen Mächten unterworfen war, die sich in vielfältiger Weise offenbarten, aber gemeinsame Eigenschaften und Wesenszüge besaßen.

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Die Einstellung der politischen Machthaber Normalerweise bedeuteten solche Kulte keine Gefahr für die Ordnung einer griechischen Stadt, eines Königreiches oder des gesamten Reiches. Entsprechend billigte das herrschende System ihre Praktizierung, ja begünstigte sie sogar. Es war im allgemeinen gut, dafür zu sorgen, daß alle Götter geneigt und dem Staat gegenüber günstig gesonnen blieben. Das schloß sogar merkwürdige und ausländische Götter ein. So dienten der Großen Mutter von Phrygien Priester, die sich selbst kastriert hatten, weshalb die römische Republik ihren Bürgern die Einweihung in diesen Kult verbot. Andererseits hieß die Republik diese Göttin 204 v. Chr. in Rom willkommen, gab ihr an herausragender Stelle einen Tempel und beging ihr Fest als offiziellen Feiertag. Als die römischen Behörden die Praxis bestimmter fremder Kulte (etwa den des Dionysos im 2. Jahrhundert v. Chr. oder den der Druiden) ächtete bzw. einschränkte, geschah dies nur deshalb, weil sie eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung darstellten.

Philosophische Sekten Definiert man „Bekehrung" in dem Sinn, daß darunter eine Veränderung des Lebens und der inneren Einstellung sowie ein Bekenntnis zu einem Glaubenssystem verstanden wird, das von den in der betreffenden Gesellschaft vorhandenen Systemen entscheidend abweicht, dann finden sich im griechischen Heidentum nur wenige Beispiele dafür. Bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. waren orphische Prediger in Griechenland umhergezogen, hatten aus heiliger Literatur vorgetragen, Reinigungen angeboten und an sich selbst ein asketisches Lebensideal veranschaulicht. Zu ungefähr derselben Zeit organisierten sich pythagoräische Gemeinschaften, die durch ein kosmologisches Geheimwissen und ein besonders diszipliniertes Leben miteinander verbunden waren. Pythagoräische Lehren, in kleinen Gruppen unterrichtet, scheinen im 1. Jahrhundert vor und nach Christus besonders populär gewesen zu sein.1' Die Philosophen traten in ihren Lehren oft für eine Neuorientierung des moralischen und geistlichen Lebens ein. Die Grundsätze der Kyniker, Stoiker und Epikuräer waren in der ganzen griechisch-römischen Welt zumindest in Grundzügen gut bekannt. Die Kyniker hielten ihre charakteristischen Ansprachen an Straßenecken und auf Marktplätzen. Sie bemühten sich ernsthaft darum, andere von der Überlegenheit ihrer Lebensführung zu überzeugen, indem sie sich alter Konventionen entledigten und einfach in Ubereinstimmung mit den Forderungen der Natur lebten. Das Vorbild ihrer Armut begeisterte viele der herumwandernden stoischen Lehrer, die (ebenso wie die Nachfolger Piatos in der Akademie und die des Aristoteles im Lykeion) auch in Hörsälen und öffentlichen Gymnasien lehrten. Diese Stoiker predigten eine Gemeinschaft all jener Menschen, die ihre heimatli-

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chen oder ethnischen Bindungen überwanden, und eine Lebensführung, in der die Vernunft die Leidenschaften zum Gehorsam gegenüber einer gesetzmäßigen und wohltätigen Natur zähmte. Die Lehre der Epikuräer betonte die Notwendigkeit, das Glück in stiller Zufriedenheit und Zurückgezogenheit von der Welt zu finden, so daß ihre Anwerbungspraktiken weniger direkt waren. Sie hielten das persönliche Beispiel Epikurs hoch, der in Statuen verewigt wurde, und schrieben Texte, die veröffentlicht oder an öffentlichen Plätzen eingemeißelt wurden. Sie betonten die Freundschaft und die enge Zusammengehörigkeit innerhalb der Gruppe. 7 Die Philosophie zog Konvertiten in anderer Weise als die heidnischen Religionen an. Normalerweise erwartete man von den Anhängern dieser philosophischen Sekten, daß sie bedeutsame Veränderungen in ihrer Haltung und ihrem Lebensstil durchmachten. Manchmal forderten sie die traditionellen Denkweisen heraus und wurden bisweilen deswegen verfolgt. Es wird berichtet, daß die Naturphilosophen Anaxagoras, Protagoras und Diagoras im 5.Jahrhundert v.Chr. in Athen wegen Gottlosigkeit angeklagt wurden; Atheismus gehörte auch zu den Anklagepunkten, um deretwillen Sokrates schuldig gesprochen und 399 v. Chr. hingerichtet wurde. In Rom wurden Fremde, die sich zu bestimmten philosophischen Sekten bekannten, in den Jahren 173 und 161 v. Chr. aus der Stadt ausgewiesen. Auch während des Prinzipats wurden gelegentlich bestimmte Philosophen ins Exil geschickt und mehrere stoische Lehrer wegen verräterischer Umtriebe gegen den Kaiser verurteilt. 8 In ihrer überwiegenden Zahl aber blieben die Philosophen ein Teil der Gesamtgesellschaft und haben sich anscheinend nie geweigert, an den offiziellen Staatskulten teilzunehmen. Daher waren Angriffe seitens der etablierten Machthaber gegen sie selten.

Die jüdische Diaspora Die Juden in der heidnischen Welt Die Stadt Sardes im westlichen Kleinasien mögen jüdische Immigranten schon im 6. Jahrhundert v. Chr. erreicht haben, als Jerusalem von Nebukadnezar zerstört wurde. Mit Sicherheit gab es dort im späten 3. Jahrhundert v.Chr. eine ständige jüdische Gemeinde. Nach Auskunft des jüdischen Historikers Josephus erließ der römische Statthalter von Kleinasien im 1.Jahrhundert v.Chr. einen Erlaß, der den Juden von Sardes das Recht bestätigte, ein gemeindliches Leben zu führen, ihre Feste zu feiern, Rechtsstreitigkeiten unter sich klären und eine Synagoge zur gemeindlichen Nutzung zu errichten (Josephus, A n t X I V 235. 259-262). Eine spätere Synagoge aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., die in Sardes ausgegraben wurde, zeigt, daß die jüdische Gemeinde dort dauerhaft Bedeutung und Macht besaß. Das große Gebäude mit Säulen und farbigen Mosaiken befand sich an einer

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wichtigen Straßenkreuzung, wobei der H o f für die Blicke der Menge, die die Straße entlangging oder das benachbarte öffentliche Gymnasium betrat, offenlag.^ In einigen Orten — dazu gehörte Sardes — nahmen die jüdischen Bewohner aktiv am Stadtleben teil, genossen Privilegien und Einfluß. In anderen Orten gab es wenige Juden, eine verborgene Minorität unter anderen, die sich nur durch ihre besonderen Sitten unterschied. Doch lebten sie praktisch über das gesamte als Diaspora („Zerstreuung") bekannte Gebiet verstreut. Am Anfang des christlichen Zeitalters konnte man Juden überall im römischen Reich und jenseits seiner östlichen Grenzen, in der Stadt wie auf dem Land, antreffen. Sie waren in fast jeder sozialen Klasse vertreten. Jüdische Soldaten dienten in den Armeen der hellenistischen Könige; einige stiegen bis in die höchsten Dienstgrade auf. Juden dienten besonders in Ägypten als Regierungsbedienstete. Die Papyri erwähnen Polizisten, Beamte, Schreiber, Steuereintreiber und Getreideverkäufer. Es gab jüdische Grundbesitzer, Bauern und Landarbeiter (sowohl freie als auch Sklaven), Handwerker, Kaufleute, Seespediteure und Geldverleiher. Eine Schätzung geht dahin, daß nicht weniger als ein Fünftel der Bevölkerung des östlichen Reiches Juden waren. Das mag vielleicht zu hoch gegriffen sein, aber sicherlich waren die Juden in allen Städten der griechisch-römischen Welt anzutreffen, ihre Bräuche waren weithin bekannt, wenngleich man sie nicht immer genau verstand. 10 Angezogen von der monotheistischen Strenge, den hohen moralischen Normen und der Offenheit der Juden sowie aufgrund ihres klar umrissenen Selbstverständnisses, entwickelten Sympathisanten unterschiedlich enge Beziehungen zum Judentum. Josephus (Ant X X 17—48) gibt ein Beispiel dafür in seinem Bericht über jüdische Symphatisanten in den Königshäusern kleiner östlicher Königreiche im ¡.Jahrhundert v. Chr.: Bei den Missionaren handelte es sich um reisende jüdische Kaufleute und es entsteht der Eindruck, als habe es sie überall in der Welt gegeben. Allein in diesem Bericht bekehrt einer jener Kaufleute die Königsmutter in ihrem Haus in Adiabene am oberen Tigris; ein anderer überzeugt in einem kleinen Fürstentum an der Südspitze Mesopotamiens die weiblichen Mitglieder des Königshauses davon, die jüdische Religion anzunehmen. Durch sie bekehrt er auch Izates, einen Prinzen von Adiabene, der sich dort zu Besuch aufhält. Izates, der sich in Begleitung seines jüdischen Ratgebers befindet, wird bald nach Adiabene zurückgerufen, um König zu werden. Hier sind seine Mutter und sein Ratgeber übereinstimmend der Meinung, daß er sich nicht beschneiden lassen solle, weil es die Untertanen verletzen würde, wenn er einem fremden Gott eine solch vollkommene Treue erwiese. Bald darauf kommt noch ein weiterer jüdischer Reisender, ein strikter Befolger des Gesetzes aus Galiläa, in Adiabene an und überzeugt Izates, sich im Gehorsam gegenüber dem jüdischen Gesetz beschneiden zu lassen. Obwohl solche Bekehrungen auf höchster Ebene kaum sehr häufig gewesen sind, belegt doch die Geschichte die aktive Rolle reisender jüdischer Kaufleute bei der Gewinnung von Kon-

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vertiten und darüber hinaus eine gewisse Meinungsverschiedenheit über die Notwendigkeit der Beschneidung.11 Ein Heide, der sich der jüdischen Gemeinde als Vollmitglied anschloß, wurde „Proselyt" genannt. Er oder sie hatte die Speisegebote und die Vorschriften der Thora treu zu erfüllen. Neue Proselyten empfingen bei der Aufnahme oft eine förmliche Reinigungstaufe, und männliche Konvertiten wurden normalerweise beschnitten.12 Angesichts der Strenge dieser Vorschriften gab es nur relativ wenige Proselyten (Mt 23,15; Apg 6,5). In der Diaspora wurden mehr Frauen als Männer bekehrt und mehr Menschen aus den niederen sozialen Schichten als aus den höheren. Gelegentlich wird jedoch auch von der Bekehrung von Frauen aus der Oberschicht berichtet, etwa von derjenigen Fulvias während der Regierungszeit des Tiberius (Josephus, Ant XVIII 81—84). Andere Männer und Frauen übernahmen bestimmte Teile der jüdischen Praxis und wirkten, soweit sie konnten, am Synagogenleben mit, ohne Vollmitglieder zu werden. Dazu gehörten Einzelpersonen aus der obersten Schicht der römischen Gesellschaft wie Flavia Domitilla, die Nichte des Kaisers Domitian (Dio Cassius LXVII 14,1—3). Auf diese Weise konnte man mit der jüdischen Lebensweise sympathisieren, ohne den Polytheismus oder öffentliche Pflichten wie das Opfer für die offiziellen Götter aufgeben zu müssen. Reiche Sympathisanten drückten ihren religiösen Eifer oft dadurch aus, daß sie der Synagoge Geld oder Räumlichkeiten schenkten. Sie wurden mit Titeln wie „Vater" oder „Mutter" der Synagoge als Patrone der jüdischen Gemeinde geehrt. Wenn man dem feindseligen Zeugnis des Juvenal (Satiren XIV 99) Glauben schenken darf, wurden die Kinder solcher Sympathisanten oft vollständige Konvertiten und beschnitten. Synagogen Der griechische Begriff synagoge („Vereinigung") bezog sich im allgemeinen auf eine Gruppe von Menschen, eine Gemeinde oder eine Versammlung. War die Gruppe klein, fanden ihre Treffen oft in Privathäusern statt. Normalerweise ist jedoch anzunehmen, daß die ortsansässigen Juden ebenso wie die Angehörigen heidnischer Kulte nach Möglichkeit ein Haus oder eine andere Stätte für ihre gemeindlichen Aktivitäten kauften. Diese wurde dann Synagoge oder proseuche („Gebetsstelle") genannt; ihre Architektur hing von der Größe und den Mitteln der Gemeinde ab. Eine kleine Synagoge auf der Insel Delos, die vom 1.Jahrhundert v.Chr. bis zum 2.Jahrhundert n.Chr. benutzt wurde, bestand aus einem kleinen Raum mit Bänken. Man betrat sie von einem Hof durch drei Turen, die ostwärts nach Jerusalem ausgerichtet waren. Die Juden in Sardes waren hingegen in der Lage, eine erheblich eindrucksvollere Synagoge zu bauen. Aus den Inschriften und anderen überlieferten Berichten läßt sich eine Vorstellung von der Organisation dieser Synagogengemeinden gewinnen.

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Geistlicher Führer und Hauptlehrer war der archisynagogos {Apg 13,15; 18,17). Ein Leitungsgremium befaßte sich mit den weltlichen Fragen der Gemeinde; seine Mitglieder wurden Alteste oder, wie die Hauptbeamten einer griechischen Stadt, Archonten genannt. Die Inschriften verweisen auch auf einen Sekretär, der Urkunden aufbewahrte und den Schriftverkehr erledigte. Ein Wärter (griechisch: hyperetes, Lk 4,20, vgl. Joh 7,32) war für das Gebäude verantwortlich, sorgte für Ordnung während des Gottesdienstes, verbreitete Bekanntmachungen, leitete, wenn nötig, die Gebete und wachte darüber, daß körperliche Bestrafungen in Einklang mit dem Gesetz standen. In größeren Städten gab es mehrere Synagogen (Rom ζ. B. hatte mindestens elf; vgl. Kapitel 6). Sie scheinen bedeutende Autonomie besessen zu haben, obwohl es Belege dafür gibt, daß in einigen Städten eine Dachorganisation ihre Aktivitäten koordinierte und ζ. B. gemeinsame Friedhöfe unterhielt.13 Die Synagoge war ein Gebetsort, an dem die Gemeinde am Sabbat und an Feiertagen zusammenkam. Sie war zugleich eine Schule, an der die Thora studiert wurde; einige der ausgegrabenen Synagogen hatten besondere Unterrichtsräume. Ferner war die Synagoge ein Gemeindezentrum, wo die Mitglieder zu besonderen Zwecken, wie dem Backen von ungesäuertem Brot, oder zur Geselligkeit zusammenkommen konnten. Eine wichtige soziale Funktion der Synagoge bestand darin, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen und Kontakte zu erleichtern. Eine alte rabbinische Überlieferung beschreibt die große Hauptsynagoge im ägyptischen Alexandrien im 3.Jahrhundert n.Chr. Unter ihren Säulenreihen befanden sich besondere Orte, wo die Goldschmiede, die Silberschmiede, die Grobschmiede, die Teppichmacher und die Weber zusammensaßen. Wenn daher „ein Bedürftiger kam, erkannte er seine Berufsleute und wandte sich zu ihnen; und dadurch erzielte er den Unterhalt für sich und seine Hausleute."14 Für reisende Kaufleute und Handwerker pflegte dies sehr wichtig zu sein, denn es war für einen Juden eine gute Gelegenheit, Kontakt mit anderen Juden aufzunehmen, sobald er in einer fremden Stadt anlangte. Deshalb ging auch der Zeltmacher Paulus nach seiner Ankunft in einer fremden Stadt in die Synagoge, wo er Kontakt mit anderen Zeltmachern haben konnte. Die Synagoge verstärkte daher in verschiedener Hinsicht das jüdische Selbstverständnis, etwas Besonderes und von der übrigen Welt Abgesondertes zu sein. Die Gemeinde bot einen Ort, wo die Regeln der Thora - die Beschneidung, der Sabbat, die Feste, die Speisegesetze — beachtet und bekräftigt wurden. Die Bindung des einzelnen an die Gruppe wurde bestärkt durch ein Gefühl der Absonderung an einem Ort, der von der Außenwelt abgeschnitten war, wenngleich er deren Einflüssen offenstand.

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Hellenisierung Es war unvermeidbar, daß die heidnische Kultur der griechisch-römischen Welt Einfluß auf die in ihr lebenden Juden nahm. Den stärksten Einfluß hatte die Sprache. In der griechischen Welt sprachen die Juden wie alle anderen Griechisch. Im 2. Jahrhundert v. Chr. dürfte eine beachtliche Anzahl von ihnen nur Griechisch und kein Hebräisch gesprochen haben, weil die jüdische Gemeinde in Alexandrien es für nötig befand, eine Ubersetzung der traditionellen hebräischen Schriften ins Griechische in Auftrag zu geben, die als Septuaginta bekannt ist. In Ägypten gefundene Papyri und jüdische Inschriften, die über das ganze Reich hinweg entdeckt wurden, machen ebenfalls deutlich, daß die Diasporajuden für fast alle privaten und offiziellen Mitteilungen die griechische Sprache verwendeten. Die griechische Lebensweise wurde für die Diasporajuden in vielen Bereichen ihres Lebens immer mehr zur Normalität. Synagogenversammlungen erließen Anordnungen, die in Aufmachung und Wortlaut offiziellen Erlassen der griechischen Städte entsprachen, und die Titel ihrer Amter imitierten die Titel der griechische Beamten. Sogar bei der Regelung ihres Privatlebens dürften die jüdischen Familien den herrschenden Sitten ihrer Nachbarn gefolgt sein. Zumindest scheint das aus den Berichten hervorzugehen, die in Papyri des ptolemäischen und römischen Ägypten gefunden wurden, wonach für jüdische Frauen griechische statt jüdische Vormundschaftsgesetze galten. 15 Auch die griechische Erziehung blieb nicht ohne Einfluß, da viele Juden in der Diaspora das Gymnasium besuchten und dort an den athletischen und rhetorischen Übungen teilnahmen. Solche Juden erlernten griechische Denkweisen, wie sich an einem Synkretismus aus griechischer Form und jüdischem Inhalt beobachten läßt. So beschreibt z.B. der Aristeasbrief, der im 2.Jahrhundert v.Chr. in Alexandrien geschrieben wurde, das Judentum in einer Begrifflichkeit, die normalerweise der griechischen Philosophie vorbehalten war. Er setzt sogar Zeus, das Oberhaupt des griechischen Pantheons, mit dem Gott Israels gleich. Auch gibt es einen — freilich nicht von allen Forschern anerkannten — Beleg dafür, daß im 2.Jahrhundert v.Chr. römische Juden beim Werben von Proselyten den Namen des Jupiter Sabazios für ihren Gott übernommen haben.^ Diese Tendenz ist am stärksten in den Werken Philos ausgeprägt, der im ¡.Jahrhundert n.Chr. ebenfalls in Alexandrien schrieb. Viele seiner Arbeiten sind in Wahrheit eine Übertragung jüdischen Glaubens und jüdischer Praxis in Begriffe, die ein Heide verstand, der in den Prinzipien griechischer Philosophie unterrichtet worden war. Im allgemeinen paßten sich die Diasporajuden an die heidnische Welt an, in der sie lebten. Sie waren für ihre Reize und Annehmlichkeiten durchaus nicht unempfänglich, so daß manche von ihnen das jüdische Leben vollständig aufgaben, um ohne Einschränkung Mitglied der heidnischen Gesellschaft zu werden. Es sind sogar einige wenige Fälle bekannt, daß Leute mit eindeutig jüdischem Namen die Weihegaben an heidnische Götter übereig-

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neten oder an irgendeinen unbekannten Gott, dessen Bild in einem heidnischen Tempel aufgestellt worden war. 17 Die Institution der Synagoge, die besonderen Bräuche des jüdischen Gesetzes sowie ihr beständiger Kontakt mit Jerusalem erinnerten die Juden jedoch an ihre besondere Position, die auf vielfältige Weise Konflikte mit ihrer Umwelt heraufbeschwor. Die Einstellung der politischen Machthaber gegenüber den Juden Die Vereine in der griechisch-römischen Welt erwarteten von ihren Mitgliedern die Beachtung bestimmter Verhaltensgrundsätze. Ob frei oder Sklave, männlich oder weiblich, Bürger oder Nichtbürger — von allen wurde erwartet, daß sie den Herrscher (sei es König, Kaiser oder das Gesetz) respektierten, Dienstleistungen entsprechend den eigenen Möglichkeiten erbrachten (das konnten Militärdienst, Zwangsarbeit oder finanzielle Beiträge zur Bezahlung einer öffentlichen Arbeit sein) und an den gemeinsamen Kulten der Gesellschaft mitwirkten. Vielen dieser Erwartungen konnten jedoch Juden, die gemäß der Thora lebten, nicht in der üblichen Weise entsprechen. Sie mochten den Herrscher respektieren und für ihn beten, konnten aber keinen Weihrauch vor seinem Bild opfern oder an einem der Opfer des Staatskultes teilnehmen. Auch war für sie der Dienst in der Armee nicht einfach, weil sie dadurch in Konflikt mit ihrer Sabbatobservanz gerieten und weil man von Soldaten die Teilnahme an Opfern erwartete. (Gelegentlich scheinen besondere jüdische Kompanien gebildet worden zu sein, obwohl die Belege hierfür nicht über jeden Zweifel erhaben sind.) Bei öffentlichen Festlichkeiten schließlich konnten Juden nicht wie alle anderen Fleisch verzehren, das den heidnischen Göttern geopfert worden war, denn diese Praxis verletzte das jüdische Gewissen in mehrfacher Hinsicht. Religiöse Juden mußten sich daher notwendigerweise von vielen Dingen fernhalten, die gemeinhin als akzeptiert galten und von allen erwartet wurden. Um Schwierigkeiten zu vermeiden, ersuchten sie die Behörden oft um Ausnahmegenehmigungen und legten dar, daß sie, obwohl ihr Gesetz bestimmte Bräuche verbot, loyale Mitglieder der Gesellschaft seien und entsprechend der Sitte ihrer Väter für den Herrscher beteten. Aus der Hochachtung gegenüber anderen Göttern und lokalen Traditionen, die in der Antike üblich war, und vielleicht auch in Anerkennung erwiesener Treue wurde die erbetene Befreiung oft gewährt — vom persischen König im 6. Jahrhundert v. Chr. ebenso wie von einzelnen Städten, von den hellenistischen Ptolemäern und Seleukiden sowie von den römischen Statthaltern und Kaisern. Zu den besonderen Privilegien, die den Juden gewährt wurden, gehörten das Recht zur Sabbatobservanz und das Recht, jedes Jahr die Steuer für den Unterhalt des Tempels (einen halben Schekel) nach Jerusalem zu schicken. Erteilt wurde ferner die Befreiung von der Teilnahme an städtischen Kulten und von den üblichen Beiträgen für deren Zelebrierung. Schließlich wurde

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ihnen Autonomie in der Rechtsprechung innerhalb ihrer Gemeinde gewährt, die, wie oben erwähnt, ein politeuma bildete. In den Städten, in denen sie lebten, beanspruchten die Juden beinahe gleiches Bürgerrecht. Daran nahm man natürlich Anstoß: Die Juden schienen den Reichtum und die Annehmlichkeiten der Stadt genossen zu haben, wurden aber gleichzeitig von den meisten beschwerlichen Pflichten freigestellt. Im späten 1. Jahrhundert v. Chr. und im 1. Jahrhundert n. Chr. gingen mehrere griechische Städte daran, solche jüdischen Sonderprivilegien zu beschneiden. Schon seit den Tagen der Makkabäer waren die Juden mit den Römern gegen verschiedene hellenistische Königreiche verbündet gewesen, so daß die Feindschaft der Griechen in den Städten der Diaspora sowohl die einstige Treue der Juden gegenüber Rom widerspiegelte als auch den Fortbestand dieser jüdisch-römischen Verbundenheit bestätigte. Die Haltung der römischen Kaiser gegenüber den Juden änderte sich von Person zu Person, war aber im allgemeinen positiv. Als sich z.B. die Feindschaft gegen die Juden in Alexandrien im Jahr 38 n. Chr. zu einem fürchterlicher Pogrom entwickelte, zeigte Kaiser Gaius wenig Mitgefühl. 4l n. Chr. sprach Kaiser Claudius eine ernste Warnung an Griechen und Juden aus, doch bestätigte er die Rechte der Juden sowohl in Alexandrien als auch in anderen Städten des Reiches. Dieser Schutz blieb sogar noch in der Folgezeit nach der Eroberung Judäas durch Titus 70 n. Chr. bestehen.18 Andererseits breitete sich in Reaktion auf die Zerstörung des Tempels und auf die Forderung, daß die Juden die alte Halb-Schekel-Steuer an den römischen Staat statt an die priesterliche Aristokratie in Jerusalem bezahlen sollten, unter einigen Juden mehrerer Diasporazentren Groll gegen die Römer aus. Jüdische „Guerillakämpfer", die als sicarii bekannt wurden, flohen aus dem römisch besetzten Judäa und drängten die Diasporajuden in Ägypten und Kyrene, sich gegen die Römer aufzulehnen. Viele jüdische Schriften nahmen einen militanten antirömischen Ton an. Die apokalyptische Vision, daß der Messias kommen werde, breitete sich aus und konzentrierte sich auf Rom als den Feind Israels.19

Soziale Merkmale der christlichen

Mission

Soziale Veränderungen Die Bekehrung zum Christentum hatte wesentlichen Einfluß sowohl auf das Selbstbewußtsein des einzelnen als auch auf sein soziales Umfeld im Rahmen einer neuen Gemeinschaft. Die christliche Gemeinschaft selbst erfuhr in der Generation nach Jesu Tod und Auferstehung einschneidende Veränderungen. Besonders deutlich wird dies daran sichtbar, daß sie aus einer jüdischen Bewegung zu einer heidnischen wurde und aus einem ländlichen Milieu in ein städtisches überwechselte.

Soziale Merkmale der christlichen Mission

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Der Übergang von einer jüdischen zu einer heidnischen Bewegung ist vom Verfasser der Apostelgeschichte, der eine oder zwei Generationen nach den Ereignissen schrieb, in höchst gradliniger und schematischer Form dargestellt worden. Die Apostelgeschichte beschreibt einen frühen Gegensatz zwischen hellenistischen und eher traditionellen Juden (6,1); die Rede des Stephanus, eines Repräsentanten der Hellenisten, setzt voraus, daß diese die Bedeutung einer strikten Einhaltung des Gesetzes abschwächte (7,44-53). 2 0 Nachdem einige Heiden bekehrt worden waren, entstand ein Streit darüber, ob sie jüdische Proselyten werden und beschnitten werden müßten. Die Geschichte vom Hauptmann Kornelius, der in der römischen Hauptstadt Cäsarea stationiert war (Apg 10), illustriert die Streitfrage, die noch dringlicher wurde, als Judenchristen in Antiochien (11,19—26) und an anderen Orten (13,44-14,7) Nichtjuden das Evangelium predigten. Eine Konferenz führender Christen in Jerusalem erreichte schließlich einen Kompromiß zwischen der judaistischen und der hellenistischen Fraktion (15,1—29; 21,25). Doch weigerten sich nach wie vor viele Juden, das Evangelium anzunehmen. Prediger wurden von der jüdischen Zuhörerschaft im Tempel und in den Synagogen zurückgewiesen, was Paulus schließlich zu der Entscheidung bewog, nur noch zu den Heiden zu gehen (Apg 13; 18; 28). Andererseits läßt Paulus selbst erkennen, daß er seine Mission von Anfang an an die Heiden richtete und daß sich die Spannungen zwischen Judaisten und Hellenisten lange Zeit fortsetzten (Gal 2; vgl. Rom 15). Nirgends erwähnt er, daß er zu den Juden in ihren Synagogen gepredigt habe; statt dessen spielt er auf andauernde Streitigkeiten bezüglich der Tischgemeinschaft an. Er kritisiert Petrus, der zwar die Gültigkeit der Heidenmission anerkannte, sich aber dann nach Ankunft der Jakobusleute geweigert hatte, mit nichtjüdischen Christen in Antiochien weiter Tischgemeinschaft zu halten (Gal 2,11—13). Ohne auf Einzelheiten einzugehen, ist jedoch klar, daß der Ubergang des Christentums von einer jüdischen zu einer heidnischen Bewegung hauptsächlich darauf zurückgeht, daß Heiden in die Kirche aufgenommen wurden, ohne daß man von ihnen erwartete, zunächst Juden zu werden. Parallel zu diesem Übergang von den Juden zu den Heiden vollzog sich ein anderer, nämlich der vom Land in die Stadt. Die dominierende Bilderwelt der Evangelien und die Berufe der Zwölf sind vorwiegend ländlicher Art. Die Städte erscheinen oft etwas bedrohlich, Jerusalem am bedrohlichsten von allen. Die, die „herauskamen, um Jesus zu hören", kamen jedoch meist aus den Städten. Die Diasporajuden, die zu Pfingsten in Jerusalem waren, trugen die Botschaft in die Städte der griechisch-römischen Welt (Apg 2). Die ländliche Bilderwelt der Evangelien ist in der Apostelgeschichte durch Szenen ersetzt, die in städtischen Synagogen und auf den Straßen der Stadt, in Häfen, staatlichen Gerichtssälen und in Gefängnissen spielen. Das Land wurde jedoch nicht völlig als Missionsfeld aufgegeben: Nachdem sie aus Ikonium im südlichen Kleinasien verjagt worden waren, gingen Paulus und Barnabas in das umliegende Land Lykaoniens, um dort zu predigen (Apg 14,5-7), und Ende des 1. Jahrhunderts berichtet eine christenfeindli-

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che römische Quelle, daß viele Landbewohner Bithyniens im nordwestlichen Kleinasien Christen geworden waren (Plinius, Briefe X 96). Dennoch hat die Evangeliumsverkündigung in den Städten die größten Fortschritte gemacht — eine Tatsache mit erheblichen Auswirkungen auf den kulturellen Horizont des Christentums, das aus einem Reformimpuls innerhalb des palästinischen Judentums zu einer griechischsprachigen Bewegung wurde, die ihre Basis in den kosmopolitischen Städten der griechisch-römischen Welt hatte. In der ersten Generation waren die maßgeblichen Persönlichkeiten der christlichen Bewegung natürlich Juden. Die Apostelgeschichte ( 1 8 , 1 7 ) läßt vermuten, daß einige Synagogenvorsteher der christlichen Botschaft aufgeschlossen gegenüberstanden, ebenso wohlhabende Frauen und Männer wie Priskilla und Aquila. Die einflußreichsten Mitglieder, namentlich die Missionare und die wichtigsten Förderer, stammten aus den höheren sozialen Schichten des hellenistischen Judentums. 2 1 Die frühen Christen stammten gleichermaßen aus allen Schichten der heidnischen Gesellschaft mit Ausnahme der allerhöchsten. Frauen aus den höheren Schichten waren zahlreicher als vergleichbare Männer, und zwar deswegen, weil Frauen in der Öffentlichkeit weniger beachtet wurden und innerhalb der christlichen Gruppe höheres Ansehen genossen als in der griechisch-römischen Gesellschaft. Wohlhabende Männer und Frauen dienten als Patrone, und bisweilen folgten ganze Haushalte ihren Herren und Herrinnen in die christliche Gemeinde (Apg 11,14; 16,15; 18,8). Freigelassene Männer und Frauen, deren Position in der Gesellschaft ambivalent war (ihr offizieller Status war gering, doch waren sie nicht selten reich und einflußreich) schlossen sich ebenfalls der Gemeinde an. Sklaven wurden durch die Zusage geistlicher, wenn nicht sogar rechtlicher Gleichstellung angezogen; sie wurden als Mitglieder eines Haushaltes, manchmal auch als Einzelpersonen bekehrt. Die Armen wurden durch die Verheißung eines Heils nach dem Tode angezogen und ebenfalls durch die Praxis der Christen, sich um diejenigen zu kümmern, die in diesem Leben der Hilfe bedurften.

Die christliche Gemeinde Die christliche Botschaft wurde in die Städte des römischen Reiches von gewöhnlichen Juden getragen, wie sie am Pfingstfest anwesend waren, und von „Aposteln", zu denen die ursprünglichen Jünger Jesu, aber auch Paulus sowie andere Männer und wahrscheinlich Frauen gehörten, die auf ihren Wanderungen predigten und christliche Kerngruppen gründeten, wobei sie direkte charismatische Autorität von Gott erflehten (Rom 16,7; lKor 1 5 , 5 9; Gal 1,1.17.19). Nach dem Bericht der Apostelgeschichte nahm ein Apostel, der in einer neuen Stadt ankam, zunächst Kontakt mit der Synagoge auf (wie in Thessalonich, Apg 17,1—2) oder im jüdischen Wohnviertel oder unter seinen Be-

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rufsgenossen, deren Gewerbe er kannte (wie bei Priskilla und Aquila in Korinth, Apg 18,2-4). Die Mission des Paulus wandte sich laut eigener Aussage (Rom 1,5.13-15; 1 1 , 1 3 - 1 4 ; 1 5 , 1 5 - 2 1 ; Gal 1,16; 2 , 7 - 9 ) hauptsächlich an die Heiden. Seine ersten Konvertiten nannte er „Erstlingsfrüchte". Es scheint sich dabei oft um reiche Heiden gehandelt zu haben, die, obwohl keine Vollmitglieder der Synagoge, der jüdischen Gemeinde nahestanden (Apg 13,43), und dort wegen ihrer Unterstützung geschätzt wurden. Der Verlust ihrer Treue zur Synagoge mag einen Teil des bitteren Widerstandes der Synagogenvorsteher gegen die Apostel erklären. 22 Ein Apostel pflegte oft bei seinen Erstkonvertiten zu wohnen und über deren Bekanntenkreis zu Hause oder bei der Arbeit weitere Kontakte zu knüpfen. Nach der Apostelgeschichte mietete Paulus in Ephesus (19,9) und in Rom (28,16.30) Räumlichkeiten, wo er wohnen und missionieren konnte. In Athen ( 1 7 , 1 7 - 3 4 ) und andernorts ( 1 4 , 8 - 1 8 ; 1 6 , 1 6 - 3 9 ; 1 9 , 1 1 - 2 0 ) sprach er öffentlich und nutzte auch Prozesse und Verhöre vor Regierungsbeamten als Gelegenheit, um die christliche Botschaft weiterzugeben (13,7— 12; 1 6 , 2 5 - 3 4 ; 2 1 , 3 7 - 2 2 , 2 4 ; 2 2 , 3 0 - 2 3 , 1 0 ; 24; 2 5 , 6 - 2 6 , 2 9 ) . In den meisten Fällen hörten die Konvertiten die christliche Botschaft jedoch zuerst im engeren persönlichen Kreis durch Freunde und Bekannte, die sie anschließend zu den wöchentlichen Versammlungen der Gruppe mitnahmen. Die typische christliche Kerngemeinde war normalerweise klein, was schon durch das Fassungsvermögen des Hauses, in dem man sich traf, bedingt war. Der Hausbesitzer fungierte als Gastgeber oder Patron, sein Name diente oft zur Identifizierung der Christen (Apg 18,7—8; Rom 16,23; IKor 1,16; Kol 4 , 1 5 ) . Die Gruppe war entschieden nach den Grundsätzen der Gleichheit organisiert. Die frühen Christen in Jerusalem übten den gemeinschaftlichen Besitz von Eigentum (Apg 2 , 4 4 - 4 7 ) . Frauen spielten eine ebenso bedeutende Rolle wie Männer. Sklaven und Freigelassene teilten alle Dinge mit den Freigeborenen. Innerhalb der Gruppe gab es, zumindest in den ersten Jahrzehnten, eine bewußte Zurückweisung von statusbetonenden Normen der Gesellschaft, eine Zurückweisung, die sich zusammengefaßt in der Ermahnung findet, daß es innerhalb der Gemeinde von Getauften „keinen Juden oder Griechen . . . keinen Sklaven oder Freien . . . nichts Männliches oder Weibliches" gab (Gal 3 , 2 8 ; vgl. Jak 2, 2—12). 23 Andere Abschnitte des Neuen Testaments - besonders die Ermahnungen, ein geordnetes Familienleben zu führen, die als „Haustafeln" bekannt sind (Kol 3 , 1 8 - 4 , 4 ; Eph 5 , 2 1 - 3 3 ; l T i m 2 , 9 - 1 5 ; IPetr 3 , 1 - 7 ) - gehen hingegen auf den Versuch der nächsten Generation führender Christen zurück, eine eher patriarchalische Ordnung durchzusetzen, die sich stärker nach dem Vorbild der traditionellen griechisch-römischen (und jüdischen) Familie richtete. Diese Texte spiegeln die Bildung christlicher Kerngemeinden wider, die man sich als Haushalte vorstellte (Kap. 6). 2 4 Die führenden Christen hoben den universalen Anspruch ihrer Mission hervor. Die stoische Philosophie betonte die kosmopolitische Natur des

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Menschen, die die alten ethnischen Grenzen der Städte und Königreiche sprengte. Die römische Konsolidierung des Reiches Alexanders des Großen bedeutete die faktische Verwirklichung dieses Gedankens. Häufige Besuche und briefliche Korrespondenz banden die verschiedenen Gemeinden zusammen. Das Neue Testament steckt voller Hinweise auf die untereinander bestehenden Verbindungen und ist seinerseits ein Produkt dieser wechselseitigen Abhängigkeit und gegenseitigen Gastfreundschaft. Der Hebräerbrief (Kap. 12-13) z.B. empfiehlt, wandernde christliche Lehrer in aufrichtiger Großzügigkeit aufzunehmen (vgl. IPetr 4,9). Allerdings entstanden bald Probleme, darüber zu entscheiden, welche Missionare die reine Lehre vertraten, so daß Anhänger verschiedener Gruppen manchem die Gastfreundschaft verweigerten, der meinte, einen Anspruch darauf zu haben (2Joh 4-10; 3Joh 5-10; vgl. Mk 6,10-11; Lk 10,4-11; im 2. Jahrhundert Did 11-12; Lukian, Der Tod des Peregrinus II). 2 5 Das vielleicht herausstechendste Merkmal der Christen war ihre Wohltätigkeit und Großzügigkeit gegenüber den Armen. Das Matthäusevangelium betont vor allem die Notwendigkeit, die Nackten zu kleiden und die Kranken zu besuchen (5,42-6,4; 19,16-22 parr; 25,31-46), und in der Apostelgeschichte wird von einzelnen Akten der Wohltätigkeit (3,1-10; 9,36; 10,2—4) ebenso berichtet wie von einer stärker institutionalisierten Armenfürsorge - der Verteilung an die Witwen in Jerusalem (6,1) und der Sammlung für die Opfer der Hungersnot (11,27-30; 24,17). Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ermahnungen zu Wohltätigkeit (Apg 20,33—35; Rom 12,13; Eph 4,28; lTim 5,3; Hebr 13,1-3; Jak 2,14-17; ljoh 3,17-23), die in den folgenden Generationen von Außenstehenden als eines der charakteristischsten Merkmale der christlichen Gemeinde angesehen wurde (Lukian, Der Tod des Peregrinus 12—13; Julian, Misopogon 363a—b; Briefe 430d, ed. Spannheim). 26

Die Verkündigung der Botschaft: Predigt und Ritual Die christliche Botschaft übte große Anziehungskraft auf Konvertiten aus und bewahrte deren Enthusiasmus trotz Feindschaft, Ablehnung und Verfolgung. Die Freude und Glaubensstärke der Christen kommen im Neuen Testament und in den Berichten über das Zeugnis christlicher Märtyrer unmittelbar vor deren Hinrichtung deutlich zum Ausdruck (Justin, Dial 110; 2Apol 12). In ihrer Verkündigung predigten sie den einen Gott. Darin unterschieden sie sich deutlich von der Mehrheit ihrer Zeitgenossen, obwohl sie in dieser den Juden ähnelten, von denen sie diesen Glauben übernommen hatten. Doch glaubten sie auch und predigten, daß der Messias wahrhaftig gekommen, an einem Holz gestorben und ins Leben zurückgekehrt sei, daß sein gegenwärtiger Geist es allen Glaubenden erlaube, von den Gefährdungen ihres alten Lebens befreit zu werden und ein neues Leben zu erfahren und

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daß er zur Erde zurückkommen werde. Um dieser neuen Lehre — neues Leben und neue Gemeinde - Ausdruck zu geben, schafften die Christen innerhalb einer Generation nach Jesu Tod die Zeremonialbestimmungen des jüdischen Gesetzes ab und entwickelten stattdessen neue. Die ersten Christen verbreiteten ihre Botschaft durch persönliches Engagement, Zeugnis und Beispiel, durch Predigten, die sich an kleine oder große Gruppen wandten, durch Empfehlungsbriefe und Ermahnungen. Dieselben Techniken wurden auch innerhalb der christlichen Gruppe gebraucht, um den persönlichen Einsatz zu stärken und den Glauben zu festigen. In der inneren Dynamik der christlichen Gruppen fanden diese Techniken ihren Ausdruck in mehr oder minder förmlichen Ritualen. Die Rede von der Einheit des lebendigen und wahren Gottes diente dazu, die Besonderheit der christlichen Gemeinde hervorzuheben. Sie unterschied die Christen von den polytheistischen Heiden, aus deren Reihen die heidnischen Konvertiten stammten (IKor 8 , 4 - 6 ; 1 2 , 2 - 3 ; lThess 1,9). Paulus und dessen Nachfolger betonten diese Einheit auch, um den inneren Zusammenhang der christlichen Gemeinde auszudrücken: Die Einheit Gottes verlangte, daß auch der Leib der Kirche nur einer sei, daß es keine inneren Trennungslinien zwischen den Mitgliedern gebe (IKor 12; Gal 3 , 2 8 ; Eph 4 , 1 - 1 6 ; Kol 2)P Die Einheit Gottes und die Abschaffung des jüdischen Gesetzes verbanden sich in der paulinischen Predigt auch mit der Lehre vom gekreuzigten Messias, der Juden und Heiden „in einem Leib durch das Kreuz" (Eph 2 , 1 6 ) mit Gott versöhnt habe. Die Vorstellung, daß der Messias als gewöhnlicher Krimineller hingerichtet worden und dann ins Leben zurückgekehrt sei, stand in diametralem Gegensatz zu den gängigen jüdischen Erwartungen (Dtn 21,23; IKor 1 , 1 8 - 2 5 ; Gal 3,13). Sobald dies jedoch als Wahrheit anerkannt war, wurde es zur zentralen Vorstellung, um die Abschaffung der traditionellen jüdischen Gesetzesforderungen zu rechtfertigen und eine Reihe neuer Symbole an ihre Stelle zu setzen, die Christen von Nichtchristen unterschieden. Das Bild des gekreuzigten und auferstandenen Messias half den christlichen Lehrern und Predigern, verfolgte Christen zu ermutigen, daß sie hoffen dürften, zu einem neuen Leben aufzuerstehen, ebenso wie ihr Herr auferstanden war (lThess 3 , 2 - 4 ; 4 , 1 3 - 1 8 ; IPetr 1 , 3 - 2 1 ) . Als Leib Christi Schloß der weltweite Organismus einzelner christlicher Zellen die beständige Gegenwart Gottes ein. Diese Gegenwart wird durch vertraute Begriffe ausgedrückt, die aus dem Bereich der Familie stammen: Gott ist der Vater, die Christen sind Kinder und Erben (Rom 8; Gal 3 , 2 6 4 , 7 ) . Gott handelt direkt und persönlich und nimmt am intimsten Leben der örtlichen Hausgemeinde teil. Die neuen Gemeinden waren von einem Gefühl der Neuheit und Veränderung geprägt. Ihre neue Ordnung verlangte eine einzigartige neue Lebensform, und ein großer Teil der frühchristlichen Lehre im Neuen Testament ermahnt die Gläubigen, in angemessener Weise zu leben. Sie werden ermahnt, sexuell rein zu bleiben, wobei die fleischliche Unreinheit als Merkmal der äußeren Welt hervorgehoben wird (IKor 6,9—

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11; Gal 5,19-21; Eph 4 , 2 2 - 5 , 2 0 ; Kol 3 , 5 - 1 4 ; IPetr 4 , 3 - 5 ; Apk 2 2 , 1 4 15). Sie werden angehalten, ihre Angelegenheiten in Ruhe und Frieden zu besorgen, um ihre Einheit in Christus auszudrücken und einen guten Eindruck auf ihre Umwelt zu machen (Eph 5 , 2 2 - 6 , 9 ; Kol 3 , 1 8 - 4 , 1 ; IPetr 2,16—3,9). Den Gläubigen dürfte dies dazu verholfen haben, sich selbst als christliche Gemeinde zu begreifen und ihre Treue gegenüber Gott zu vertiefen. Ein abschließendes Thema, das am deutlichsten in der Offenbarung des Johannes, aber auch in der paulinischen Literatur und in den Evangelien zur Sprache kommt, ist die Apokalyptik, nämlich die Erwartung, daß Jesus in einem letzten Siegeszug inmitten von Zerstörung und Gericht wiederkommen werde. In diesem kommenden Zorn, der als drängend und unmittelbar bevorstehend erwartet wurde, werde Jesus die Glaubenden retten und erlösen (lThess 4 , 1 3 - 5 , 1 1 ) . Die endgültige Weltordnung, die dem anormalen sozialen Status der Christen Sinn verleihen und sie unter die Erwählten versetzen würde, stand noch aus. Wenn die christlichen Gemeinden in ihren Hauskirchen zusammenkamen (IKor 11,17-34), wurden sie an ihre Sonderstellung erinnert. Sie trafen sich in Privathäusern, die zu den Straßen hin diskret abgeschlossen waren. Was bei jenen Zusammenkünften geschah, bestärkte sie in ihrer Überzeugung, daß ihre wirkliche Bindung hier lag und nicht bei dem, was in der Welt draußen vor sich ging. Sie trafen sich regelmäßig, offensichtlich am Sonntag (Apg 20,7; IKor 16,2; Apk 1,10). Sie sangen Psalmen und Hymnen in der Absicht, Gott zu preisen und die Gemeinde zu erbauen (Eph 5,18-20; Kol 3,16-17); Zitate oder Paraphrasen einiger dieser Hymnen sind anscheinend im Neuen Testament bewahrt (IKor 13; Phil 2,6—11; Kol 1,15-20; Apk 4,11; 11,17-18). Freies Gebet und Zeugnis gehörten zum Gottesdienst; Paulus' Beschreibung der Zusammenkünfte der korinthischen Christen (IKor 14) zeigt, wenn nicht ein allgemeines Palaver, so doch ein dynamisches, aufregendes Ritual, das es jedem einzelnen erlaubte, sich mit „einem Psalm, einer Lehre, einer Offenbarung, einer Zungenrede, einer Auslegung" zu beteiligen. Das Zungenreden war eine charismatische Kundgebung des Geistes, die Paulus anerkannte, aber in eher rationale, erbauende Kanäle zu lenken versuchte. Wahrscheinlich hatte auch die Lesung der jüdischen Schriften einen Platz im Ritual, da die Autoren des Neuen Testaments annehmen, daß sogar heidnische Konvertiten Inhalte des Alten Testaments kannten. In Ergänzung der Zeugnisse und der Lehre, die von einzelnen vorgetragen wurden, bestand möglicherweise Gelegenheit zur Predigt durch einen führenden Christen am Ort oder einen besuchsweise anwesenden Apostel oder zur Lesung eines der Briefe, die im Umlauf waren. 28 Die Gebete wurden mit erhobenen Händen (lTim 2,8) stehend gesprochen, sowohl „mit dem Geist" als auch „mit dem Verstand" (IKor 14,15), also wahrscheinlich sowohl spontan als auch in eher festgelegter Form. Das als „Vaterunser" bekannte Gebet (Mt 6,9-15; Lk 11,2-4) ist ein Beispiel dafür. Andere Gebete wurden nach Vorbildern des jüdischen Gottesdienstes über-

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nommcn (IKor 15,57; 2Kor 1 , 3 - 4 ; Eph 3 , 2 1 ) , die die Gemeinde mit .Amen" Schloß (IKor 14,16; 2Kor 1,20; Apk 5 , 1 4 ) . Das Herrenmahl, bei dem zur Erinnerung an Christi Tod und Auferstehung Brot gebrochen und aus einem gemeinsamen Kelch Wein getrunken wurde, bildete einen regelmäßigen Bestandteil dieser Zusammenkünfte (Apg 2 , 4 2 ; IKor 1 0 , 1 4 - 2 2 ; 1 1 , 1 7 - 3 4 ) . Viele Gruppen in der griechischrömischen Gesellschaft trafen sich regelmäßig zu rituellen Mahlzeiten, doch unterschied sich das Herrenmahl der Christen davon. Ihr strikter Monotheismus trennte die Christen von der heidnischen Welt, und diese Trennung wurde in ihrer Ausschließlichkeit betont und bekräftigt: „Ihr könnt nicht den Kelch des Herrn trinken und den Kelch der Dämonen" (IKor 10,21). Dieses Beharren auf Reinheit bei der Tischgemeinschaft war für jüdische Gruppen, besonders für die Pharisäer und Essener, charakteristisch. Mit der Weiterentwicklung der christlichen Praxis veränderten sich jedoch die Grenzen jener Tischgemeinschaft; die zeremonielle Strenge wurde gelockert, so daß die ganze christliche Gemeinde, Juden und Heiden, Sklaven und Freie, Männer und Frauen, gleichermaßen am Tisch des Herrn teilnahm (Gal 2,12—14). Die Einheit des christlichen Leibes fand ihren Ausdruck im Teilen eines einzigen Brotlaibes bei der Eucharistie (IKor 10,17). In der Eucharistie drückte sich für die Teilnehmer auch die Wirklichkeit des Todes und der Auferstehung des Messias aus. Das Brechen des Brotes und das Trinken des Weines war ein Erinnerungsmahl, eine Darstellung von Christi Tod ( I K o r 11,23—26). Das Essen und Trinken zur Erinnerung an einen gestorbenen Verwandten oder Kameraden war unter Juden und Heiden übliche Praxis, doch beim Herrenmahl erinnerten sich die Christen Woche für Woche an den Tod des Herrn. Laut Paulus war es ein Erinnerungsmahl, aber auch noch mehr: Es war Gemeinschaft oder Teilhabe am Leib und Blut Christi (IKor 10,16), eine Feier der beständigen Gegenwart Christi und seines Geistes unter den Christen. Das eucharistische Ritual formte auch das neue Leben in Christus und die apokalyptische Erwartung seiner Wiederkunft. Als einzelne Christen versuchten, ihr Herrenmahl in eine abendliche Mahlzeit im Stil der statusbewußten heidnischen Gesellschaft Korinths umzufunktionieren, tadelte Paulus sie wegen ihres Versagens, die egalitären sozialen Forderungen ihres neuen Lebensweges zu erfüllen ( I K o r 1 1 , 1 8 - 2 2 ; vgl. J u d 12-13). Er bestand darauf, daß diejenigen, die das Brot und den Kelch empfangen, dies auf eine Weise tun sollten, die ihrem neuen Leben in Christus angemessen sei. Im selben Zusammenhang verbindet Paulus die Eucharistie mit dem apokalyptischen Thema von Christi Wiederkehr: Die Feier verkündige Christi Tod, „bis er kommt", und das Gericht erwarte bei seinem Kommen diejenigen, die unwürdig essen und trinken (IKor 1 1 , 2 6 - 3 2 ) . Das andere wichtige Ritual war die Taufe, durch die die neuen Konvertiten in die christliche Gemeinschaft eingeführt wurden. Zuerst konnte die Taufe offensichtlich direkt auf die Begegnung mit der christlichen Botschaft folgen (Apg 8,26—39); später wurde der vorangehende Unterricht ausführ-

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II. KAPITEL: Mobilität und Mission

licher. Der Ritus wurde nach Möglichkeit im fließenden Wasser eines Flusses vollzogen, aber auch in einer Synagoge, einem öffentlichen Bad oder im privaten Bad einer Hauskirche. Die Konvertiten legten ihre Kleidung ab und wurden untergetaucht, oder sie standen im Wasser, während etwas davon über ihren Kopf gegossen wurde. Einige Belege deuten an, daß die Zeremonie mit dem Bekenntnis des Neugetauften schloß, daß „Jesus der Herr" sei (Apg 2 2 , 1 6 ; Rom 10,9), und daß er sich dabei auf einen Thron setzte (Eph 2 , 6 ) . Rituelle Waschungen wurden sowohl von Heiden, als auch von Juden als Teil anderer Zeremonien geübt, die physische oder spirituelle Reinheit verlangten. Davon unterschied sich die christliche Taufe, weil sie der zentrale Initiationsritus, dem sich jeder einzelne nur einmal unterziehen durfte, und eine nicht wiederholbare Handlung war. Die Tatsache, daß die Taufe ein für allemal galt, bedeutete, daß die Barriere zwischen denen, die rein, und denen, die unrein waren, dauerhaft und nicht nur vorübergehend war wie bei den rituellen Reinigungen der Heiden und Pharisäer. Die reiche Symbolik des Taufrituals erlaubte es den frühchristlichen Theologen, es auf die unterschiedlichen Bereiche des christlichen Soziallebens zu beziehen. Der einzigartige Taufakt wurde in Beziehung gesetzt zur Einzigkeit Gottes (Eph 4 , 4 - 6 ) sowie zur Einheit und Verbundenheit der glaubenden Christen, wodurch die alten Statuskategorien Jude, Grieche, Sklave, Freier, männlich und weiblich zu bestehen aufgehört hatten (Kol 3,10—11). Tod und Auferstehung wurden für den einzelnen dadurch versinnbildlicht, daß er im physischen Akt des Untertauchens getauft, d. h. „mit Christus begraben wurde", und aus dem Wasser heraus auferstand (Rom 6,3—4; Eph 2,1—5; Kol 2 , 1 2 - 1 3 ) . Die Taufe symbolisierte die Teilhabe der Gläubigen am Geist und damit immerwährende Gegenwart Gottes in ihren Herzen (Apg 10.44— 48). Im Ritual selbst wurde das Thema von Tod und Leben symbolisiert. Der Tod des alten Lebens wurde im Untertauchen ausgedrückt und das Abwerfen alter Gewohnheiten im Ablegen der Kleidung (Kol 3,9—10). In Wort und Schrift wurden die Gläubigen beständig an die Verwandlung ihres Lebens durch die Taufe erinnert, als sie „den elementaren Geistern des Kosmos starben" (Kol 2,20), und ermutigt, diesem bedeutsamen Ereignis entsprechend zu leben. Nach einem Abschnitt des Hebräerbriefs (10,21—31) war dies wichtig, weil jemand, der nach seiner Reinigung durch den Sohn Gottes vorsätzlich sündigt, am Tag des Jüngsten Gerichts mit schwerer Strafe rechnen muß.

Die Haltung der Behörden gegenüber den Christen Der Aufruhr, der durch die Predigt des Stephanus und seinen anschließenden Tod hervorgerufen wurde (Apg 6,8—8,3), war die erste offene Feindseligkeit seitens der jüdischen Machthaber gegenüber den Nachfolgern Jesu, die mit dem Verlassen Jerusalems darauf reagierten. Als sie neue Konvertiten in Gaza, Samaria, Damaskus, Antiochien, Cäsarea und Zypern gewannen (Apg 8 , 1 4 -

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11,30), nahmen sie auch Heiden in ihre Gemeinschaft auf. Das veranlaßte Herodes Agrippa, der darauf bedacht war, als Verfechter des jüdischen Gesetzes aufzutreten, im Jahr 41 n. Chr. zu einer länger anhaltenden Verfolgung (Apg 12,1—19). In den folgenden Jahren brachten der Glaube, daß Jesus der Messias sei, sowie der Streit über die Rolle des Gesetzes in der christlichen Praxis die Christen in Konflikt mit den etablierten jüdischen Machthabern. Als die Christen immer weiter ins römische Reich vordrangen, wiederholte sich dieser Streit in fast jeder Stadt, da die Missionare zuerst in die Synagogen gingen und hier einigen Erfolg hatten, ehe sie sich dann einem breiteren heidnischen Publikum zuwandten. So jedenfalls entspricht es dem wiederholten Schema der Apostelgeschichte (14,19; 17,5-7). Nicht selten zerrten die Synagogenvorsteher Paulus vor die römischen Behörden, doch betrachteten diese die Angelegenheit gewöhnlich als innerjüdischen Streit und weigerten sich, den Fall zu verhandeln. In den ersten drei Jahrzehnten erschien die christliche Bewegung den Heiden nur als eine andere Spielart des Judentums, so daß sie eher Nutznießerin als Opfer der römischen Justiz wurde. Erstmals wurden die Christen im Jahr 64 n. Chr. von römischen Beamten zum Gegenstand einer besonderen Anklage gemacht, als ihnen Kaiser Nero die Schuld an einem vernichtenden Brand in Rom gab. Sie wurden deshalb als Brandstifter verurteilt und lebendig verbrannt. (Apokalyptische Reden der Christen über den unmittelbar bevorstehenden Weltenbrand dürften den Beschuldigungen Glaubwürdigkeit verliehen haben.) Zwar gibt es keinen Beleg dafür, daß die christliche Religion damals verboten wurde, doch kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Christen Verhaftungen, Prozessen und Hinrichtungen ausgesetzt waren. Ebenso wie die Juden weigerten sie sich, den Staatsgöttern Opfer zu bringen, und machten ihre Treue gegenüber einer höheren Macht geltend. Anders als die Juden konnten die Christen jedoch nicht für sich beanspruchen, eine alte, traditionelle Volksreligion zu sein, und ihre beharrlichen Versuche, Nichtjuden zu ihrer neuen Religion zu bekehren, drohten in den Augen der Römer die Aufmerksamkeit und das Opfer von jenen Göttern abzuwenden, die den Staat beschützten. Oben wurde bereits angedeutet, wie allgemein die römischen Vorwürfe gegen die Christen waren. Solange alles ruhig blieb und die lokalen Behörden wegen der Christen nicht beunruhigt waren, konnte das Leben in relativer Ruhe seinen Fortgang nehmen. Doch bestand immer ein Gefühl potentieller Gefährdung, und wenn Feindseligkeiten gegen die Christen ausbrachen, waren sie gefährlich und vom Staat unterstützt: 64, 127 und 165 n. Chr. in Rom; 164—168 und 176-178 in Kleinasien, 177 in Lyon. Diese Bedrohung ist in vielen Passagen des Neuen Testaments spürbar. Eine Reaktion darauf, die sich besonders in den späten paulinischen Briefen findet, bestand darin, zur Loyalität gegenüber dem Staat zu ermuntern und seine Autorität als Bollwerk gegen die Anarchie anzuerkennen, die der Antichrist aufzurichten trachtete (Rom 1 3 , 1 - 7 ; 2Thess 2 , 3 ; l T i m 2 , 2 ; Tit 3 , 1 ; vgl. IPetr 2 , 1 3 - 1 4 . 1 7 ) . Apologetische Schriften versuchten zu

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II. KAPITEL: Mobilität und Mission

zeigen, daß die Christen mit der Gesellschaft harmonisierten und keine politische oder soziale Gefahr darstellten. 29 Die Ermahnungen zu innerer Ruhe (lTim 2,1—3) verraten das Bemühen, konventionelle Sitten nicht zu verletzen. Der innere Aufbau der christlichen Gemeinden nahm eine eher konventionelle, patriarchalische Ordnung an. Der wilde Ton apokalyptischer Rhetorik milderte sich. Im lukanischen Doppelwerk besteht keine Feindschaft zwischen Christus und Cäsar: Josef läßt sich pflichtschuldigst für den Zensus eintragen (Lk 2,1—5); Steuereinnehmer erscheinen in günstigem Licht (Luk 18,10-13; 19,1-10); Pilatus befindet Jesus als der politischen Agitation unschuldig (Lk 23,1-4); die römischen Behörden behandeln Paulus fair (Apg 13,7-12; 16,35-39; 18,12-17; 21,37-40; 23,16-31; 2 5 , 1 12). Im Matthäusevangelium (22,15-22) erkennt Jesus sogar die Machtbefugnis der bestehenden Regierung an. /lEin kämpferischer Ansatz rechtfertigte die Gefahren der Gegenwart, indem er auf die Verheißung eines letzten Gerichtes verwies, an dem der teuflisthe Gegner — zweifellos das römische Reich - bestraft werden würde (2Thess 2,6-12; IPetr 5,8-11; Apk 18). Die Leiden Jesu waren das Vorbild, dem die Christen folgen sollten, und die Evangelien enthielten Prophezeiungen der Nöte, die seinen Nachfolgern bevorstanden, zusammen mit der Verheißung eines endgültigen Sieges (z.B. Mt 16,24-28; Lk 21,12-28; Joh 15,20; Hebr 12).

III. KAPITEL

Die antike Wirtschaft Die Kulturen der antiken Welt fußten auf einer Tradition, die älter als das Geld war. Griechen, Römer und Hebräer blickten auf eine Zeit zurück, als Reichtum und Status nach dem Land- oder Viehbesitz und Macht nach der Größe des Familienverbandes bemessen wurden. Zur Zeit des Neuen Testaments hatten Geld und beweglicher Reichtum erheblich größere Bedeutung gewonnen. Doch basierte das soziale Gefüge dieser Zivilisationen noch immer auf persönlichen Beziehungen: auf Gefälligkeiten, den dafür erwarteten Gegenleistungen und auf der Verpflichtung zur Treue.

Die Ordnung der sozialen

Beziehungen

In der Gesellschaft des frühen Griechenlands halfen die Aristokraten einander auf der Basis gegenseitiger Unterstützung. Sie waren gastfrei zu Freunden, die aus anderen Gegenden zu Besuch kamen, tauschten Geschenke aus und schlossen Bündnisse mit anderen wichtigen Familien desselben Gebietes. Sie ersuchten ihre ärmeren Verwandten und Nachbarn um politische Unterstützung, Hilfe bei der Ernte und bei Streitigkeiten mit Aristokraten, und diese ärmeren Verwandten und Nachbarn suchten ihrerseits um physischen Schutz, Darlehen oder Geschenke in Zeiten der Not bei ihnen nach. Auch in der römischen Tradition hatten die Aristokraten wechselseitige Freundschaftsbeziehungen entwickelt. Auf Freunde von vergleichbarer sozialer Stellung war Verlaß, wenn es um Gastfreundschaft, um ein Darlehen im Notfall oder um politische Unterstützung ging. Die Beziehungen zwischen sozial Höhergestellten und ihren Untergeordneten bildeten sich in der Institution der clientela ab, in der der einflußreiche „Patron" abhängigen „Klienten" (Vasallen) Schutz und Hilfe bot. Die Klienten ihrerseits verschafften ihm bei Wahlterminen Wählerstimmen und demonstrierten durch die Vermehrung seines Gefolges vor aller Welt, wie wichtig ihr Patron war. Dieses System funktionierte auf verschiedenen Ebenen, so daß eine bestimmte Person — z. B. ein einigermaßen wichtiges Mitglied des aristokratischen Rates einer Provinzstadt — sehr wohl eine große Anzahl persönlicher Klienten haben und zugleich selbst der Klient eines oder mehrerer höherrangiger Provinzaristokraten bzw. römischer Ritter oder Senatoren sein konnte. Zur Zeit der späten Republik waren mächtige Politiker durch ihre Erfolge in

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

überseeischen Kriegen zu Patronen ganzer Städte und Vasallenkönigreichen aufgestiegen. Herodes der Große ζ. B. war zunächst Klient von Marcus Antonius, später von Augustus. Die Evangelien setzen voraus, daß die Beziehungen zwischen den Schichten in Palästina von einem ähnlichen System bestimmt wurden. Die Parabel von den bösen Winzern (Mt 2 1 , 3 3 - 4 1 ; M k 1 2 , 1 - 9 ; Lk 2 0 , 9 - 1 6 ) zeigt die untergeordnete Position der Pächter gegenüber dem reichen Landbesitzer. Das Lukasevangelium enthält mehrere Geschichten (12,35—38; 14,12—24; 17,7—10) über das Verhältnis zwischen Reichen und Armen bei Gastmählern. Es erzählt ferner die Geschichte einer aufdringlichen Frau, die sich hilfesuchend an ihren Patron wendet ( 1 8 , 2 - 5 ) . Das wichtigste Ausgleichselement, das diese persönlichen und sozialen Beziehungen bestimmte, war das der Gegenseitigkeit. Die Vergünstigungen der Patrone für ihre Klienten schlossen die Erwartung einer Gegenleistung ein. Sozial Höherstehende gaben ihren Untergebenen Speise oder Geld. Patrone von Städten übertrugen ihnen Gebäude und Stiftungen, Fürsten schenkten Wasserleitungen und Tempel an Vasallenkönigreiche. Aber alle taten dies, weil sie Treue, Ehrerbietung oder militärische Unterstützung dafür erwarteten — nicht jedoch, um finanziellen Gewinn zu erzielen. Damit korrespondiert das wichtigste Phänomen, nämlich daß zumindest im griechisch-römischen Teil der antiken Welt Wohltätigkeit im modernen Sinne praktisch unbekannt war. Wenn ein Politiker Almosen in Form von Getreide, Ol oder Geld verteilte, was oft geschah, tat er dies in der Erwartung, daß ihm die Empfänger Dankbarkeit erweisen würden, und zwar so, daß es die Welt ermessen und er selbst davon profitieren konnte - ζ. B. durch öffentliche Ehrenbezeugungen, Errichtung von Denkmälern, politische Unterstützung oder militärische Hilfe. Wohltätigkeit an Armen und Mittellosen, die im Gegenzug nichts bieten konnten, war praktisch unbekannt. Selbst wenn von Nahrungs- oder Geldspenden berichtet wird, ging deren Hauptanteil immer an die reicheren Mitglieder der Empfängergruppe, an diejenigen, die sich am meisten erkenntlich zeigen konnten. Wenn die Bedürftigen überhaupt etwas erhielten, so scheint das eher der Nebeneffekt einer anderen Zwecken dienenden Gabe gewesen zu sein. 1 Unter den Juden bestand hingegen die Tradition, Armen umfangreiche Hilfe und Barmherzigkeit zu erweisen. Dennoch wird dies oft in einer Weise formuliert, die dem griechisch-römischen Anliegen der Gegenseitigkeit entspricht. Die Gabe für die Armen trug dem Geber Sühnung ein, so daß der himmlische Lohn durchaus als reale, wenngleich langfristige Belohnung angesehen werden konnte. 2

Private Geldwirtschaft

Private

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Geldwirtschafi

Die Reichen Der materielle Reichtum der griechisch-römischen Welt war sehr ungleich verteilt. Ein winziger Teil der Bevölkerung besaß einen Großteil des Landes und der Produktionsmittel, während die Masse des Volkes sich mit bescheidenen Mitteln abfinden oder sich mühsam durchschlagen mußte. Nicht alle Reichen hatten einen entsprechend hohen sozialen Status, doch besaßen alle Mitglieder der führenden Gesellschaftsschicht erhebliche Geldmittel. Die Aristokraten protzten mit ihrem Geld bei Wahlkampagnen und während ihrer anschließenden Amtszeit. Verschwendungssucht war Teil des vorgeschriebenen Lebensstils der höheren Klassen; Reichtum diente zum Nachweis des sozialen und politischen Status. Auffällige Geldausgaben schienen charakteristischerweise wichtiger zu sein, als zu sparen und zu investieren. Ein derart verschwenderisches Leben setzte natürlich Güter voraus, von denen man leben, Geld, das man ausgeben, und Produktionsmittel, die man ausbeuten konnte. Da das Land Nahrungsmittel hervorbrachte — das einzige unverzichtbare Verbrauchsgut im Altertum — war deren Produktion immer eine lohnende Geldanlage, besonders für diejenigen, die reich genug waren, auch einige magere Jahre zu überstehen. Daher beruhte der Reichtum der Elite auf Landbesitz, sei es, daß er ererbt oder von insolventen Nachbarn, Schuldnern oder als Kriegsbeute erworben worden war. So verdanken auch in der galiläischen Welt der Evangelien alle Reichen, deren Einkommensquelle genannt wird, ihren Wohlstand der Landwirtschaft (Mt 13,3—4; 2 1 , 2 8 ; 25,14—30; Lk 19,11-27) — von zwei Ausnahmen abgesehen: Die eine ist jener Kaufmann, der die wertvolle Perle findet (Mt 13,45-46), die andere Zachäus, der Zolleinnehmer, der für die unübliche Quelle seines Reichtums mit einem niedrigen sozialen Status bezahlen muß (Lk 19,1—10). Das regelmäßige Einkommen aus landwirtschaftlichem Besitz reichte nicht immer aus, um die Bedürfnisse der Elite zu befriedigen. Der Werbefeldzug für das Amt eines Wahlbeamten und die Beiträge für öffentliche Spiele oder Bauten waren hoch, und die Aufwendungen im höheren Regierungsdienst überstiegen die Einkünfte aus einem solchen Amt bei weitem. Altere römische Beamte konnten sich jedoch auf eine mehrjährige Dienstzeit als Provinzstatthalter freuen, was die Möglichkeit eröffnete, durch Nebeneinkünfte, Geschäftskontakte und Erpressung weitaus mehr zurückzugewinnen als nur die Kosten ihrer Bewerbung und Amtsführung. Außerdem gab es zusätzliche Einkommensquellen. Gelegentlich erhielten Günstlinge des Kaisers Geschenke. Militärische Beute bot reiche Entschädigung für Armeekommandanten. Städtischer Grundbesitz konnte ebenso lukrativ sein wie Agrarland: So zeigt einer der Briefe Ciceros aus dem 1.Jahrhundert v.Chr., wie sich dieses führende Mitglied des Senatorenstandes darüber Gedanken machte, wie er auf billigste Art und Weise ein Besitztum in einem Elendsviertel in einen Mindestanforderungen genügenden Zustand versetzen kön-

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

ne (Attikus-Briefe XIV 9,1). Die höheren Schichten fanden zudem Wege, ihr Geld in Handelsunternehmungen anzulegen. Normalerweise verfuhren sie dabei so, daß sie Klienten und Freigelassene als Agenten benutzten, die sich an großen genossenschaftlichen Gesellschaften beteiligten, die wiederum in verschiedene Vorhaben investierten. Ein solch indirektes Vorgehen war geboten, weil es das Risiko verminderte und weil die offizielle Moral der Oberschicht auf wirtschaftliche Transaktionen mit großer Verachtung herabblickte. 3 Plinius der Jüngere, Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. Statthalter von Bithynien, ist das Musterbeispiel eines römischen Senators an der Spitze der Finanzpyramide. Er hatte riesige landwirtschaftliche Flächen im nördlichen und mittleren Italien geerbt, die er als seine hauptsächliche Finanzquelle ansah; schon eine einzige dieser Farmen in der Toskana trug ihm jährlich 400000 Sesterzen ein — dies entspricht 100000 Denaren, einer Summe, die ausreichte, um der wirtschaftlichen Elite des Reiches anzugehören. Darüberhinaus erhielt er durch die Testamente von Freunden und Bekannten große Hinterlassenschaften. Teile seiner liquiden Rücklagen wurden mit Zinsen verliehen. Sein weiteres Vermögen erstreckte sich auf mehrere Stadthäuser und Landvillen sowie auf Hunderte von Sklaven. Plinius ging, was wohl unüblich war, mit seinem Reichtum großzügig um. Seiner Heimatstadt Comum machte er freigebig Geschenke: Er stiftete eine Bibliothek, eine Schule, ein Bad, einen Fond zum Unterhalt von Kindern sowie einen weiteren für ein jährliches Bankett zugunsten der einfachen Bürger. Auch einer Stadt in der Nähe seines toskanischen Besitzes stiftete er einen Tempel und gab einer großen Anzahl von Freunden Geschenke und zinsfreie Darlehen. 4 Die eigentliche Arbeit zur Erhaltung und Vermehrung des Privatvermögens wurde normalerweise begabten Buchhaltern überlassen, d. h. Verwaltern und Aufsehern, die entweder Freigelasse oder Sklaven waren. Doch existieren genügend Einblicke in die Privatgeschäfte wichtiger Personen wie Cicero und Plinius, um zu wissen, daß sie sich für ihre Finanzgeschäfte und Einzelheiten ihrer Geldanlagen persönlich interessierten. Der reiche Mann, der nach Jesu Beschreibung von dem Wunsch besessen war, sein Vermögen zu vermehren (Lk 1 2 , 1 6 - 2 1 ) , hat Ebenbilder auf der höchsten Ebene der griechisch-römischen Gesellschaft. In jener Gesellschaft war Reichtum unentbehrlich für ein „tugendhaftes" Leben, d. h. ein Leben in aristokratischer Muße. Arme, die mit ihren Händen arbeiten und sich auf Geheiß eines anderen selbst vermieten mußten, wurden eher mit Widerwillen als mit Mitleid betrachtet, wie Passagen aus allen Teilen der klassischen Literatur verdeutlichen. Die Vorstellung, daß die Armen in irgendeiner Weise „selig" seien (Mt 5,3; Lk 6,20), wäre jedem, der in den aristokratischen Zirkeln der griechisch-römischen Gesellschaft aufgezogen worden war, lächerlich erscheinen. Dieser Gedanke hat jedoch Parallelen in Schriften des antiken Vorderen Orients und in der Begriffswelt der jüdischen Psalmen und Propheten. 5 Freilich gab es in den griechischen und römischen Städten auch Men-

Private Geldwirtschaft

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sehen, die keine großen Ländereien geerbt hatten und die sich gegenüber den praktischen Fragen des Lebensunterhalts keine derart hochmütige Einstellung leisten konnten. Einigen von ihnen gelang es, sehr reich zu werden. Solche Neureichen erscheinen mit einiger Regelmäßigkeit in der klassischen Literatur, die aufgrund ihrer allgemeinen Voreingenommenheit zugunsten der höheren Klasse dazu neigt, sie mit offener Verachtung zu behandeln. Der Sarkasmus wird dann noch beißender, wenn der Emporkömmling - wie so oft — ein ehemaliger Sklave ist. Das berühmteste Beispiel ist der freigelassene Trimalchio, dessen Person und Karriere von Petronius (Satiricon 76) ausführlich behandelt wird. Trimalchio ist eine fiktive Gestalt, die vor anmaßenden Taktlosigkeiten nur so strotzt; doch konnte die Satire über ihn nur deshalb wirksam sein, weil in ihm, wie übertrieben auch immer, ein Typ erscheint, der dem aristokratischen Publikum im Rom Neros im 1. Jahrhundert bekannt war. Bei der Beschreibung der Karriere Trimalchios läßt ihn Petronius sagen, daß er ursprünglich als Sklave aus Asien gekommen sei und dann als Finanzberater seines Herrn gearbeitet habe. Als dieser starb, sei er freigelassen worden und habe ein riesiges Vermögen geerbt, von dem er einen Großteil in die Schiffahrt investiert und bald wieder verloren habe. Doch habe er noch genug zusammenkratzen können, um ein anderes Schiff auszurüsten, und der Profit daraus habe es ihm erlaubt, den Besitz seines früheren Herrn aufzukaufen. Diese Form der Geldanlage in Land war, wie oben beschrieben, die einzig wirklich sichere und solide Investition. Trotzdem legte Trimalchio sein Geld auch weiter in Geschäftsunternehmungen an — zuerst handelte er mit Sklaven und Vieh, dann verlieh er Geld an andere emporkommende Freigelassene.6 Sowohl Trimalchio als auch die Aristokraten erwarben ihren Reichtum zunächst durch eine Erbschaft, doch gab es auch bestimmte Einzelpersonen, die durch ungewöhnliches Geschick, Glück oder Fleiß ungeheuer reich wurden. Es sind Bildhauer und Maler bekannt, die für Einzelwerke außerordentlich hohe Löhne erhielten, oder Ärzte, die ungeheure Honorare einstrichen, weil sie die höchsten Kreise der Gesellschaft behandelten, oder Lehrer, die die Einkünfte aus großzügigen Stiftungen vereinnahmten, oder Prostituierte, die von der Freigebigkeit eines ihnen ergebenen Patrons profitierten, oder Seespediteure, die wie Trimalchio in kurzer Zeit große Profite einsteckten. In den kleineren römischen Städten Nordafrikas berichten Grabinschriften von Männern, die aus bescheidensten Anfängen heraus große Summen in der Landwirtschaft verdienten. Ein Beispiel ist ein Bauer in Mactaris im nördlichen Afrika, der anfangs als Mitglied zu einer Gruppe wandernder Schnitter gehörte. Er wurde Vorarbeiter dieser Schar, konnte seine eigene Farm kaufen und erwarb so viel Reichtum, daß er zum Mitglied der lokalen Aristokratie aufstieg. Er diente sogar als Zensor und hatte damit einen der hervorragendsten Magistratsposten der Stadt inne. 7

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

Die Landwirtschaft Die Bedeutung des Reichtums an Landbesitz spiegelte die Tatsache wider, daß die antike Gesellschaft wie jede andere auch von Nahrungsmitteln abhängig war. Letzten Endes mußte jeder sein tägliches Brot durch eigenen Schweiß oder den seines Sklaven verdienen. Der größte Teil der Arbeitskraft des römischen Reiches war in Ackerbau und Viehzucht eingesetzt, und die Schriften des Neuen Testaments sind sich der oft harten Realitäten der wirtschaftlichen Existenzsicherung stärker bewußt als die meisten Werke der griechisch-römischen Literatur. Die synoptischen Evangelien widmen den Vorgängen der Aussaat, der Ernte und des Mahlens von Getreide sowie des Brotverzehrs große Aufmerksamkeit. Manchmal gab es einen Uberschuß an Korn, der in den Scheunen gesammelt werden konnte, manchmal ging es um das nackte Uberleben. Als den Jüngern kein Fisch mehr ins Netz ging, mußten sie mit Hunger rechnen (Lk 5,1—11; Joh 21,3—5). Agrarland wurde in unterschiedlicher Weise genutzt. Einige kleine Bauernhöfe in Privatbesitz wurden von ihren Eigentümern mit Hilfe ihrer Familien und womöglich einiger Sklaven bewirtschaftet. Gemüse und Getreide konnten in einer Zeit, die keinen landwirtschaftlichen Maschinenpark kannte, auf solch kleinen, von Einzelbesitzern betriebenen Höfen wirtschaftlich angebaut werden, und einige wenige Herden genügten, um ausreichend Milch, Wolle und Fleisch zu liefern. Mancherorts wurden die Flächen reicher Landbesitzer in kleine Parzellen aufgeteilt, die man in einer Art Mietvertrag an Pächter vergab (Mt 2 1 , 3 3 - 4 2 ; Mk 1 2 , 1 - 9 ; Lk 2 0 , 9 - 1 6 ; vgl. Varrò, Über Landwirtschaft I 1 7 , 2 - 3 ; Columella, Über Landwirtschaft I 7; Plinius der Jüngere, Briefe III 19; IX 37). Andernorts wurden große Flächen direkt durch Trupps von Sklaven unter der Aufsicht eines oder mehrerer Verwalter bearbeitet. Diese Verwalter waren auch ihrerseits oft Sklaven, die sich bei ihrer Tätigkeit durch Treue und Geschick ausgezeichnet hatten. Für den Anbau schnell zu verkaufender Feldfrüchte wie Oliven und Trauben ebenso wie für die Haltung großer Herden von Schafen, Ziegen und Schweinen dürften solche großen Unternehmen wirtschaftlicher gewesen sein. In beschäftigungsreichen Jahreszeiten halfen sich Bauern bei schweren Arbeiten untereinander oder stellten zusätzliche Tagelöhner ein. Als Hilfsarbeiter standen solche Personen zur Verfügung, die auf dem Marktplatz herumlungerten und darauf warten, eingestellt zu werden (Mt 2 0 , 1 - 1 6 ) , oder solche Arbeitstrupps, wie sie auf dem Grabstein des Schnitters aus Mactaris erwähnt werden. Eine römische Quelle nennt einen Unternehmer aus dem 1.Jahrhundert v.Chr., der Trupps von Landarbeitern zusammenstellte (wahrscheinlich, aber nicht unbedingt Sklaven), die auf den Bergbauernhöfen Zentralitaliens arbeiten sollten (Sueton, Caes. Vespasian 1,4.; vgl. Jak 5,4). Der Mensch lebt nicht allein von Getreide und Gemüse. Bienen lieferten Honig, Vögel Fleisch und Eier, Schafe, Ziegen und Vieh sorgten für Milch, Wolle, Fleisch und Häute. Die Figur des Hirten erscheint auch in den

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Evangelien (Mt 12,11-12; 18,12-13; Lk 14,5; 1 5 , 4 - 6 ; Joh 2 1 , 1 5 - 1 6 ) , in den Bildern vom guten Hirten (Joh 10), von den Schafhirten auf den Hängen bei der Geburt Jesu (Lk 2,8—20) und von den Schweinehirten aus Gadara im heidnischen Gebiet der Dekapolis (Mt 8 , 2 8 - 3 4 ; M k 5 , 1 1 - 1 7 ; Lk 8 , 3 2 - 3 6 ) . Der Fischfang konnte wahrscheinlich von einzelnen ausgeübt werden, doch waren die Kosten für die Grundausstattung hoch, und deren Instandhaltung erforderte viele Arbeitsstunden. Die Evangelien setzen voraus, daß Fischer am See Genezareth wie Simon und die Söhne des Zebedäus kleine Genossenschaften bildeten (Lk 5,1—11), die in der Lage waren, zusätzliche Hilfskräfte anzuheuern (Mk 1,20). Ein Grabstein aus Jaffa weist auf ähnliche Vereinbarungen an der Küste Palästinas hin: Er nennt zwei Mitglieder einer Fischergenossenschaft, die offensichtlich von einem gewissen Lysas organisiert wurde. 8 Die überschüssigen Erzeugnisse kleiner Bauernhöfe wurden gewöhnlich von den Landwirten selbst auf den Markt gebracht. Einige von ihnen dürften eigene Esel, Maultiere und Wagen besessen haben. Auf den Märkten, die auf den Plätzen der Städte sowie außerhalb der Stadttore abgehalten wurden, kamen am Ort produziertes Getreide, Früchte, Wein, Ol und Wolle zum Verkauf. Schlachter erwarben das Fleisch, das bei Opfern übriggeblieben war, und verkauften es ihrer Kundschaft. (Plinius der Jüngere, Briefe X 96,9—10, zeigt, daß Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. die Bekehrungen zum Christentum den Markt für diese Art von Fleisch mancherorts ernsthaft beeinträchtigt hatten.) Bäckereien mahlten das Korn und lieferten gebackenes Brot in die römischen Städte, doch scheint in der ländlichen Wirtschaft der Evangelien die Brotherstellung auf den einzelnen Haushalt beschränkt gewesen zu sein (Mt 13,33; 24,41). Verkauf und Transport von Getreide lagen normalerweise in den Händen von Privatkunden, doch übernahmen die Städte gewöhnlich die Verantwortung für die Sicherung einer ausreichenden Versorgung der städtischen Bevölkerung. Mehrjährige Trockenheit oder andere Naturkatastrophen konnten zu hoffnungsloser Verknappung des Getreides führen: Die antiken Quellen erwähnen zu verschiedensten Zeiten viele große Hungersnöte in allen Teilen der römischen Welt. Es war unüblich, Nahrungsmittel sehr weit zu transportieren, doch mußten wirklich große Städte wie Athen und Alexandria dafür Sorge tragen, Schiffsladungen mit Getreide aus Ubersee zu erhalten. Die einzigen Lebensmittel, die sonst regelmäßig über weite Entfernungen hinweg per Schiff befördert wurden, waren besondere Weine, exotische Trockenfrüchte und Luxusgewürze.

Gewerbe und Handel Personen mit Investitionsmitteln und einem Instinkt, sich auf Risiken einzulassen, konnten beim Handel großen Reichtum erwerben. Der Seehandel

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

brachte viele Gefahren durch Schiffbruch und Piraterie mit sich, doch konnte er sich im wirklichen Leben ebenso in der fiktiven Situation eines Trimalchio auch hervorragend auszahlen. Einige verdienten ihr Geld als Regierungslieferanten bei öffentlichen Aufgaben: Sie bauten Straßen, Wasserleitungen und große Gebäude, lieferten Nachschub für das Militär oder produzierten Brot für die öffentlichen Verteilungen. Viel häufiger beschäftigte man sich mit Produktion, Verteilung, und Dienstleistungen in kleinerem Umfang, um die örtlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Solcher Handel fand sich zumeist in kleineren und größeren Städten, wo es einen Markt für eine Vielzahl von Gütern gab (Jak 4 , 1 3 ) . Töpfer fertigten Schüsseln und Vasen für den täglichen Gebrauch, Walker und Weber produzierten Kleidung, Lederarbeiter nähten Schuhe und Planen, Schmiede stellten landwirtschaftliche Geräte und die Werkzeuge von Handwerkern her, Zimmerleute fertigten Möbel und Wagen, Bildhauer Statuen und dekorative Reliefs. Sie benutzten normalerweise Rohmaterial, das in der Nähe gewonnen wurde, und verkauften ihre fertigen Waren in eigenen Läden, entweder auf dem freien Markt oder zwecks Erfüllung eines bestimmten Vertrages. Oft betrieben Sklaven und Freigelassene derartige Kleingeschäfte im Auftrag ihrer Herren und Patrone. Doch ob frei, freigelassen oder Sklave — die Männer und Frauen, die diese Geschäfte betrieben, mußten die meiste Arbeit selbst tun, wobei sie von Angehörigen und Kindern sowie von einigen Sklaven oder Gehilfen unterstützt wurden. Bei solchen angeworbenen Arbeitern handelte es sich um gelernte Handwerker, die aufgrund eines mündlichen oder schriftlichen Vertrages beschäftigt wurden, oder um ungelernte Arbeiter, die eher formlos für einen Tag angestellt wurden, oder um Sklaven mit oder ohne besondere Kenntnisse, die von deren Besitzern gemietet wurden. Diese Struktur wird in einer Vielzahl von Dokumenten aus der antiken Welt sichtbar. Für das 4. Jahrhundert v. Chr. wird sie durch Berichte für den Bau des Tempels in Tegea im südlichen Griechenland bezeugt, wo einzelne Vertragspartner Trupps von fünf bis zehn Arbeitern bereitstellten. Im S.Jahrhundert v. Chr. erscheint diese Struktur in den Papyrusberichten eines ägyptischen Unternehmers, der freie Tagelöhner anstellte, um Ton für Mauersteine auf dem östlichen Jordanufer abzubauen. Die Arbeiter scheinen nicht besonders erfahren gewesen zu sein, doch mögen sie bei anderer Gelegenheit direkte Verträge mit einer Stadt oder einem Tempel geschlossen haben, um ihrerseits Ziegelsteine zu liefern. Für die Zeit des frühen Prinzipats läßt sich erkennen, auf welche Weise die Topferwarenindustrie im italienischen Arretium - einem wichtigen Herkunftsort für Geschirr von hoher Qualität, organisiert war. Einzeluntersuchungen zeigen, daß Töpferwaren in fast 100 Kleinbetrieben hergestellt wurden. Eine kleine Zahl gelernter Sklavenhandwerker (weniger als zehn in den meisten Betrieben, ungefähr sechzig in den drei größten Firmen) produzierten die Schalen, wobei ihnen eine größere, allerdings unbekannte Zahl anderer Sklaven half, die nach Ton gruben und ihn säuberten, Engobe auftrugen und sich um die Brennöfen kümmerten.

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Da sich der Markt für diese Waren vergrößerte, wurden in anderen Reichsteilen Betriebe errichtet, zunächst offenbar durch Vertreter einzelner Familien aus Arretium, die aus der Sklavenschaft entlassen worden waren. Kleine Werkstätten wie diese schufen den wirtschaftlichen Rahmen für die Arbeit der Goldschmiede, wie sie in der „Kriegsrolle" der Qumranschriften anzutreffen sind (1QM V 6 , 9 - 1 1 ) , oder der Silberschmiede in Ephesus, deren Einkünfte von den Touristen abhängig waren, die zum Besuch des Artemistempels kamen (Apg 19,24—27), oder anderer Handwerker wie dem Zimmermann Josef (Mt 13,55; M k 6 , 3 ) oder den Zeltmachern Priskilla, Aquila und Paulus (Apg 1 8 , 2 - 3 ) . 9 Die normale Lebenshaltung bewegte sich auf einem zu niedrigen Niveau, zu nahe am Existenzminimum, als daß sie dem Absatz von Luxusgütern, von den Oberschichten größerer Städte einmal abgesehen, hätte förderlich sein können. Um die beschränkte Nachfrage in weiter entlegenen Gebieten zu befriedigen, machten wandernde Kaufleute mit kleinen Luxusartikeln Rundreisen zu den jährlichen Märkten, die bei den Festen für die Götter im ganzen Reich abgehalten wurden. Auf diese Weise gelangten feine Seidenstoffe, die aus dem Orient importiert wurden, oder das Leinen, für das Tarsus im 2.Jahrhundert n.Chr. berühmt war, zu ihren Abnehmern. Echte Farben wurden auch über große Entfernungen transportiert, da mit ihrem Verkauf beträchtliche Einkünfte erzielt werden konnten. In der Apostelgeschichte begegnet Lydia, eine Kauffrau solcher Farbstoffe (16,14.40). Diese „Purpurhändlerin" kam aus Thyatira in Kleinasien und war eine reiche Einwohnerin Philippis mit Kontakten zur dortigen Synagoge. Ihr Name deutet an, daß sie eine Freigelassene gewesen sein mag. Bei den Edelpurpurhändlern in Rom handelte es sich um Freigelassene und oft um Frauen. Etliche von ihnen — ihre Namen sind aus Grabinschriften bekannt — scheinen früher Sklaven derselben Familie gewesen zu sein, die ihnen einen wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht haben mag. Eine große Zahl anderer Berufe leistete der vielschichtigen Gesellschaft wichtige Dienste. Rechtsanwälte und Ärzte boten ihren jeweiligen Sachverstand an. Gastwirte und Barbiere waren entweder unabhängige Geschäftsleute oder Diener reicher Patrone. Für das einfache Volk der Unterschichten hatte der Barbier in der Nachbarschaft die gängigen und erschwinglichen Heilmittel zur Hand. Die ungelernten Armen mußten ihre Arbeitskraft auf dem offenen Markt billig verkaufen, um auf Bauernhöfen oder in Weingärten, auf dem Bau oder als Träger in den Häfen, als Matrosen auf Schiffen oder als Aufseher in den Bädern beschäftigt zu werden. Im übrigen konnten sie bisweilen durch öffentliche Almosen Unterstützung finden — vorausgesetzt, sie lebten in einer Stadt, wo es dies gab, und die Bedingungen dafür, Bürgerschaft, Alter, Geschlecht usw., waren erfüllt. Manche, die daran scheiterten, gingen in ihrer Verzweiflung unter die Räuber (Lk 10,30). Aus dem Sklavenhandel konnten Händler und Vermittler Gewinn ziehen, besonders dann, wenn Kriege ein großes Angebot an Gefangenen zur Folge hatten. (Im allgemeinen war der Sklavenhandel in den friedvollen Jahren des

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

Prinzipats weniger rege, so daß die Mehrzahl neuer Sklaven in Gefangenschaft geboren und aufgezogen wurde.) Die Sklaven wurden je nach ihren Fähigkeiten und den Bedürfnissen ihrer Herren für gelernte Berufe wie Lehrer, Koch, Arzt oder Verwalter, für den normalen Dienst im Haushalt bzw. für harte körperliche Arbeit in Mühlen, Bädern, Bergwerken oder auf dem Feld herangezogen. In mancher Hinsicht waren sie nützlicher als frei angeworbene Arbeiter, da sie ihren Besitzern stets zur Verfügung standen — entweder zur persönlichen Verwendung oder zum Verleih an Vertragspartner. Andererseits waren sie oft lästiger, weil sie auch dann untergebracht und ernährt werden mußten, wenn kein Bedarf an ihrer Arbeitskraft bestand. Sklaven traten daher in Konkurrenz mit dem freien Arbeitsmarkt, ersetzten aber die angeworbenen Arbeiter nicht, denn je nach Zeit, Ort und Umständen fanden sowohl Sklaven oder in Schuldknechtschaft geratene Arbeiter als auch freie Mietlinge Verwendung. Einige Forscher wie G. Ε. M. de Ste. Croix betonen das Faktum der Sklaverei, um im marxistischen Sinne zu behaupten, daß die antike Wirtschaft von der Ausbeutung der Produktivkraft einer unfreien, unterdrückten Arbeiterschaft durch die besitzenden Klassen abhängig war. Andere wie Moses Finley unterstreichen das Phänomen der angeworbenen Arbeiter und schließen daraus, daß die Sklaverei von geringerer Bedeutung als die Tätigkeit mehr oder minder freier Arbeitskräfte war. 10 Der Quellenbefund ist unsicher und erlaubt keine zahlenmäßige Entscheidung darüber, ob tatsächlich irgendwann freie Arbeit oder diejenige von Sklaven überwog. Daher sind beide Seiten unter Betonung bestimmter Einzelnachrichten in der Lage, überzeugende Argumente vorzubringen. Die Sklaverei war jedoch ohne Zweifel ein wichtiges Element in der antiken Wirtschaft.

Geldverleih und Steuereintreibung Bankgeschäfte waren oft Bestandteil gesellschaftlicher Beziehungen. Innerhalb der höheren Schichten lieh man sich bei Bedarf Geld von Freunden oder verlieh es an Freunde, wenn diese es benötigten. Mitglieder höherer Schichten wurden auch von ihren Untergebenen und Klienten oft um Darlehen gebeten, und zwar als Bestandteil des zwischen ihnen bestehenden Treueverhältnisses. Sofern sie, wie die bedeutenden römischen Generäle des 1.Jahrhunderts v.Chr., großen politischen Einfluß hatten, zählten zu ihren Klienten ganze Städte und Königreiche, und es ist bekannt, daß sie in solchen Städten und Königreichen Darlehen in gewaltigem Umfang gewährten. In einer skandalösen Transaktion lieh Brutus („der edelste Römer von allen") der Stadt Salamis auf Zypern einen ungeheuren Betrag zu einem ebenso ungeheuren Zinssatz von 48%; die betreffende Nachricht stammt von Cicero (Attikus-Briefe V 2 1 , 1 0 - 1 3 ; VI 1, 3 - 7 ) , der sein Mißfallen darüber äußerte. Cicero selbst lieh sich bei Bedarf große Summen von professionellen Geldverleihern (An seine Freunde V 6,2), aber auch von Freunden und Verbündeten (Attikus-Briefe V 4 , 3 ; VII 3 , 1 1 ; VII 8,5), um

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scine persönlichen und politischen Vorhaben zu finanzieren. Eine andere Möglichkeit, schnell zu Geld zu kommen, bestand für die Reichen darin, von ihren Schuldnern die Bezahlung ausstehender Darlehen zu verlangen (Plinius der Jüngere, Briefe III 19). 11 Alle, die ihr Geld förmlich oder formlos verliehen, waren gegen Rückzahlungsverzüge gut gesichert. Nach griechischem, römischem und orientalischem Recht waren Gläubiger offenbar in der Lage, jene Schuldner, die nicht bezahlten oder nicht bezahlten konnten, für immer zu Sklaven zu machen oder sie in zeitweilige Schuldknechtschaft zu legen. Die Parabel vom ungerechten Haushalter (Mt 18,23-35) illustriert diese Möglichkeiten. Wenn der König Zahlung verlangt - vielleicht wie Plinius, um etliche eigene Ausgaben bestreiten zu können — und der Bedienstete nicht zahlen kann, droht er, ihn für immer in die Sklaverei zu verkaufen. Wenn es dieser Bedienstete seinerseits mit einem säumigen Schuldner zu tun hat, droht er ihm zeitweilige Schuldknechtschaft an. Andere Stellen (Mt 5,25-26; Lk 12,58-59) machen deutlich, daß auch die Gerichte diese Form befristeter Schuldknechtschaft zu verhängen pflegten. Anscheinend bedienten sich später einige Christen dieses Verfahrens, indem sie sich selbst in Schuldknechtschaft begaben, um andere freizukaufen, oder sich selbst in Sklaverei verkauften, um für die Gemeinden in Rom Geld aufzubringen. 12 Das Geldverleihen war ein Beruf, der zunehmend von Rittern und kleineren Geschäftsleuten ausgeübt wurde. In der römischen Literatur, in Rechtsurkunden sowie in den Evangelien (Mt 21,12; Mk 11,15—17) treten sie als Geldwechsler in Erscheinung, die dit wichtige Aufgabe hatten, kleine Bronzemünzen in größere Silber- oder Goldstücke oder die Münzen einer Stadt in gleichwertige einer anderen Stadt umzutauschen. Sie dienten auch als Banken, die Geld zu bestimmten Zinssätzen aufnahmen und es an Kreditnehmer verliehen (Mt 25,27; Lk 19,23). Auch Einzelpersonen verliehen Geld, um es in Geschäftsunternehmungen zu investieren und so Gewinn zu erzielen (Mt 25,14-30; Lk 19,12-27). Andererseits fanden solche Einlagen und Investitionen nicht dasselbe allgemeine Vertrauen wie ein Sparkonto bei einer staatlich abgesicherten Bank in heutiger Zeit. Um ihr Erspartes in Sicherheit zu bringen, deponierten es manche in den Tempeln, in der Hoffnung, daß die Götter es beschützen würden (Juvenal, Satiren XIV 261—262). Andere schlossen Wertgegenstände und Barreserven in Geldschränken am sichersten Ort ihres Hauses ein - trotz der nagenden Angst, daß Motten und Rost sie durchaus zerstören oder Diebe einbrechen und sie stehlen könnten (Mt 6,19; 12,29; 13,52; 24,43; Mk 3,27; Lk 11,21-22; 12,39; Jak 5,1-6). In einigen der größten Häuser Pompeiis wurde bescheidenes Vermögen im Wert von 1000 oder 2000 Denaren in Stahlkassetten gefunden, während die Kontobücher der Bankiers aus demselben Ort Einlagen bis zum Zehnfachen jenes Betrages aufweisen. Das bedeutet, daß viele Reiche einen kleinen Teil ihrer liquiden Mittel zu Hause behielten, das meiste jedoch für Zinsen bei den Geldverleihern hinterlegten. 13

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

Einige mögen ihre Schätze auch in Äckern vergraben haben — auf die Gefahr hin, daß diese für andere zur Quelle plötzlichen Reichtums wurden (Mt 13,44).

Die städtischen

Finanzen

Ausgaben Die Grundlage der antiken Wirtschaft war landwirtschaftlich, die Grundlage der griechischen und römischen Zivilisation hingegen städtisch geprägt. Die Gesellschaft entwickelte sich im Umfeld der Städte, die kulturelle Annehmlichkeiten und Handelsmöglichkeiten boten. Bauern und Hirten aus dem Umland kamen in die Städte, um auf Tages- oder Wochenmärkten oder auf jährlich an bestimmten Feiertagen stattfindenden Messen ihre Erzeugnisse zu verkaufen und Fertigwaren und Spezialartikel zu erwerben. Die Stadt schuf auch ein materielles Umfeld in Gestalt der öffentlichen Gebäude, die sie errichtete und unterhielt. Sie sorgte für Tempel, Altäre, Tiere und Weihrauch für das Opfer. Sie verfügte Gesetze und Anordnungen. Sie stellte Versammlungsstätten und Archive für die Verwaltung bereit, Ol und Brennstoff für die Gymnasien und öffentlichen Bäder, Siegespreise und (in römischer Zeit) wilde Tiere für die Spiele, eine angemessene Versorgung mit Getreide sowie Wasserleitungen, um die öffentlichen Brunnen mit gutem Wasser zu versorgen. Ferner gab es in vielen großen Städten öffentlich unterstützte Professoren und Doktoren, und sogar kleinere griechische Städte im Osten trugen die Kosten für Lehrer und Trainer in den Gymnasien. Die Magistrate wurden durch einen Stab von Dienern und öffentlichen Sklaven unterstützt, deren Löhne aus der Stadtkasse flössen. Wächter wurden bezahlt, um Polizei- und Feuerwehraufgaben zu erfüllen; öffentliche Sklaven dienten in den Bädern und halfen bei der Unterhaltung der öffentlichen Gebäude, Wasserleitungen und Straßen.

Einkommensquellen Die wichtigste Einnahmequelle für die meisten Städte im römischen Reich war ihr Grundbesitz. Öffentliches Land wurde an Bauern verpachtet, selbst wenn es zu Tempeln gehörte. Das Land lag oft — wenn auch nicht notwendigerweise — innerhalb des von der Stadt kontrollierten Hoheitsgebietes. Auch errichteten die Städte normalerweise öffentliche Marktplätze und verlangten von den Kaufleuten Miete für die Standfläche, die sie belegten. Wohngrundstücke konnten ebenfalls in städtischem Besitz sein und wurden verpachtet, und die Bareinkünfte der Städte konnten als Kurzdarlehen ausgeliehen werden, um Zinsen zu erwirtschaften.

D i e städtischen Finanzen

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Manchmal trieben die Städte direkte Steuern ein, doch taten sie dies auch im Auftrag der kaiserlichen Verwaltung und leiteten das Geld an die römischen Behörden weiter. Zölle und Gebühren kamen hingegen der Stadtkasse zugute. Sie waren normalerweise recht niedrig, etwa zwei oder zweieinhalb Prozent auf importierte und exportierte Waren, doch waren große Geschäftsstädte als Handelszentren sehr darauf angewiesen. In den meisten Städten waren die Pachterträge für öffentliches Land und die Zölle auf Importe und Exporte viel geringer als die Ausgaben. Es gibt keinen wirklichen Beleg dafür, daß je eine antike Stadt einen richtigen Jahreshaushalt aufgestellt hätte. Bekannt ist jedoch, daß bestimmte Städte Kleinasiens sich in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. finanziell übernommen hatten und sich an den Provinzstatthalter um Hilfe wandten, die nicht immer gewährt wurde (Plinius der Jüngere, Briefe X 3 9 - 4 0 . 7 7 - 7 8 . 9 8 99.108-109). Städtische Wohltäter Um ihre Konten ausgleichen und für die Annehmlichkeiten des städtischen Lebens aufkommen zu können, nutzten die griechischen und römischen Städte die Funktionsweise der Sozialbeziehungen ihrer Bürger aus. Von Mitgliedern der herrschenden Schichten, die die finanziellen Mittel und die Ehre eines städtischen Amtes hatten, wurde erwartet, daß sie aus ihrem eigenen Vermögen etwas zum Wohl der ganzen Gemeinschaft beisteuerten. In griechischen Städten wurden die Reichen mit bestimmten leitourgiai („Liturgien", wörtlich „Dienstleistungen") besteuert. Dazu gehörten Verpflichtungen, für die Kosten eines Festes oder einer Theateraufführung aufzukommen oder für die Erhaltung oder Errichtung eines öffentlichen Gebäudes, für die jährliche Instandsetzung eines Schiffes oder für die Versorgung eines Gymnasiums mit Ol. In einigen römischen Gemeinden verlangten die Gesetze von denjenigen, die die Würde eines Magistratsamtes oder eines Sitzes im Stadtrat erhalten hatten, bestimmte Gebühren in die Stadtkasse zu entrichten und einen Beitrag zu den Ausgaben für die Spiele zu leisten. Darüberhinaus taten sich Männer und Frauen der herrschenden Schicht, durch Gemeinsinn oder politischen Ehrgeiz angespornt, oft durch verschwenderische zusätzliche Leistungen hervor und rühmten sich der herrlichen Gebäude, die sie geschenkt, der großartigen Spiele, die sie finanziert hatten, oder der Stiftungen, durch die eine Schule oder Universität gegründet werden konnte, oder sie stellten Ol für die Gymnasien, Brennstoff für die Bäder oder Friedhofsplätze für alle Bürger zur Verfügung. Auch Kaiser und Senatoren traten als Wohltäter der Städte auf, indem sie Geld für neue Tempel gaben oder Stiftungen errichteten. Die Gemeinden erwiesen ihre Dankbarkeit durch die Errichtung von Statuen oder durch Verleihung von Ehrenbürgerrechten, goldenen Kronen, Ehrenplätzen im Theater, durch kostenlose Mahlzeiten im Rathaus und Steuerbefreiungen oder durch die Ver-

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

öffentlichung von Dankschreiben, die den guten Charakter des Wohltäters, seinen Enthusiasmus, Eifer und Edelmut priesen. Die Beziehung zwischen dem städtischen Wohltäter, seinen bzw. ihren Gaben und deren Nutznießern war in der griechisch-römischen Gesellschaft so fest verankert, daß das entsprechende Vokabular häufig im Neuen Testament erscheint, besonders im lukanischen Doppelwerk und in den Paulusbriefen. So verweist Jesus (Lk 22,25) auf die Art und Weise, in der „solche Machthaber" die Ehre erwarteten, die mit dem Titel euergetes („Wohltäter") verbunden war. Begriffe, die sich auf „Liturgien" beziehen, werden für die Glaubenspflichten der Christen verwendet (Phil 2,17.25-30). Andere Termini, die die Darbietung von Chören bei Theaterfesten bezeichnen, werden auf die Art und Weise bezogen, in der Gott den Gläubigen geistliche Wohltaten gewährt (Gal 3,5; Phil 1,19; IPetr 4,11) und die materiellen Bedürfnisse der Armen stillt (2Kor 9,9-10). 1 4

Die kaiserlichen

Finanzen

Strukturen der Wirtschaftstätigkeit Auf das gesamte Reich bezogen, waren die Hauptrouten wirtschaftlicher Tätigkeit, ob Land- oder (wegen der hohen Kosten des Straßentransportes überwiegend) Seeverbindungen, jene sprichwörtlichen Wege, die nach Rom führten. Die wichtigsten Produkte des Fernhandels waren Lebensmittel und Baumaterialien; diese Art des Handels lag in privater Hand, obwohl die kaiserliche Regierung in der Regel der einzige Großabnehmer war. Die herrschende Auffassung in der Erforschung der antiken Wirtschaft geht dahin, daß geschäftliche Abmachungen sehr detailliert und umfassende systematische Reflexionen über Wirtschaftsstrukturen unbekannt waren. Auf diese Weise erklärt Finley den Mangel an Wirtschaftstheorie in der klassischen Literatur und das Fehlen von größeren Gesellschaften, die — analog dem modernen Kapitalismus — alles daran setzten, „Geld zu verdienen".15 Dies erklärt auch, warum keine Regierung im römischen Kaiserreich je einen längerfristigen Finanzplan aufgestellt hat und warum Hungersnöte mit solch verheerender Wucht zuschlagen konnten, weil es eben dafür keine Notpläne gab. Das heißt natürlich nicht, daß die Menschen in der antiken Welt keine Vorstellung davon hatten, wie man investieren mußte, um Geld zu verdienen. Die Parabel von den Talenten (Mt 25,14-30; Lk 19,12-27) zeigt deutlich, daß sie es wußten. Doch blieben solche Kapitalanlagen auf einen relativ geringen Umfang beschränkt. Dem entspricht, daß die wirtschaftlichen Aktivitäten im römischen Reich meist lokal begrenzt waren. Bauernhöfe im Umkreis der Städte versorgten diese mit Lebensmitteln und den meisten Rohstoffen. Die Fabrikation für den lokalen Verbrauch erfolgte in kleinen Werkstätten. Zwar gab es bei

Die kaiserlichen Finanzen

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exotischen Nahrungsmitteln oder Luxustextilien gelegentlich auch einen Fernhandel, doch scheint dieser in den Händen einzelner Kaufleute oder Gruppen davon gelegen zu haben, die mit sehr speziellen Produkten handelten.

Öffentliche Ausgaben Aus dem öffentlichen aerarium, dem Staatsschatz der alten römischen Republik, wurden auch während des Prinzipats die Ausgaben für die öffentlichen Dienste der Stadt R o m und die Verwaltungskosten jener Provinzen bezahlt, die nominell der Kontrolle des Senats unterstanden. Die erheblich größeren Aufwendungen für die Verwaltung der „kaiserlichen" Provinzen wurden durch den fiscus bestritten, d. h. durch Geldmittel in der Verfügungsgewalt des Kaisers, der so durch persönliche Freigebigkeit als Patron des ganzen Reiches fungierte. Der Kaiser stellte das Geld zur Verfügung, mit dem die Aufgaben seiner Präfekten in den Provinzen bezahlt wurden. Er beschäftigte einen enorm großen Hofstaat aus Sklaven und Freigelassenen und bezahlte die Gehälter der Soldaten im ganzen Reich ebenso wie Prämien, um Truppen für Siege zu belohnen oder u m sich ihrer Loyalität zu versichern. Ein besonderer Fonds stand für Abfindungsgelder zur Verfügung, wenn Soldaten ehrenvoll aus der Armee entlassen wurden. Der größte Teil des Geldes für die Errichtung und den Unterhalt der öffentlichen Gebäude in den Provinzen wurde, wie oben gezeigt, von den Städten aufgebracht, doch zahlte die kaiserliche Kasse für besondere Projekte wie Hafenarbeiten, Straßen und Militärlager. O f t erwiesen die Kaiser ihre Wohltaten in Gestalt großartiger Spiele und Darbietungen oder in Form besonderer Geschenke an alle Bürger (größere für die Reichen, kleinere für die Armen) oder eines außergewöhnlichen Bauwerkes. Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. richtete Trajan einen besonderen Fonds ein, um alle Kinder der Bürger Italiens mit einer bestimmten Getreidemenge versorgen zu können.

Einnahmequellen D e m antiken Wirtschaftssystem entsprechend, lieferte das Land die bedeutendsten Einkünfte. Der Ertrag aus dem öffentlichen Land flöß in das aerarium, während die Einnahmen aus der steigenden Zahl von Grundstücken im kaiserlichen Besitz dem fiscus zugutekamen. Natürlich waren auch die Steuern eine bedeutende Einkommensquelle. Zur Zeit der Republik wurden von römischen Bürgern keine direkten Steuern erhoben, wohl aber in den eroberten Territorien der Provinzen. Der Verwaltungsapparat in den Provinzen war jedoch nicht hinreichend entwickelt, um Steuern wirksam eintreiben zu können. Daher Schloß der Senat

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

Verträge mit römischen Geschäftsieuten, die die betreffende Steuerschuld bezahlten und dann relativ frei waren, unter Einsatz geeigneter Mittel Geld einzutreiben, um sich damit selbst schadlos zu halten — und noch einen Gewinn zu erzielen. Da sich diese Männer mit einer öffentlichen Aufgabe befaßten, wurden sie publicani genannt. In den einzelnen Kleinstädten und Dörfern wurden die Steuern durch Vertreter der mächtigen Geschäftsleute eingezogen; der lokalen Bevölkerung waren sie als „Zöllner" bekannt. Am Ende der Republik wurden die großen Gilden der publicani abgeschafft, und die einzelnen Städte übernahmen die Aufgabe des Steuereinzugs. Sie bedienten sich weiterhin derselben Gruppe örtlicher Steuereintreiber, nämlich kleinerer, manchmal durchaus wohlhabenderer Geschäftsleute, deren niedriger sozialer Status durch ihr Erscheinungsbild in den Evangelien gut illustriert wird (Mt 9,9-13; Mk 2,14-17; Lk 3,12-13; 19,1-10). Während des Prinzipats gab es zwei Hauptformen von Steuern oder Tributen: das tributum soli und das tributum capitis. Ersteres war eine Vermögenssteuer, die innerhalb einer Provinz nach einem bestimmten Hebesatz für Landbesitz, Häuser, Sklaven und Schiffe festgesetzt wurde. Der Satz in der Provinz Syrien beispielsweise betrug jährlich ein Prozent. Die andere Abgabeform war eine Kopfsteuer, die von allen Erwachsenen zwischen zwölf oder vierzehn und fünfundsechzig Jahren nach einem Einheitssatz erhoben wurde — anscheinend ein Denar pro Person und Jahr (Mt 22,15—22; Mk 12,14—17; Lk 20,21-26); in einigen Provinzen wurde sie nur Männern, in Syrien und andernorts jedoch allen auferlegt. Da für diese Steuern ein Einheitsbetrag festgelegt worden war, fiel ihre Entrichtung einem Reichen immer leichter als einem Armen, was die Kluft zwischen Arm und Reich nur noch vertiefen konnte. Eines Zensus bedurfte es, um die Steuerpflichtigen zu zählen und die Steuerforderung durchzusetzen; während der Herrschaft des Augustus wurden solche Erfassungen in allen Provinzen durchgeführt. Lukas benutzt einen solchen Zensus als Anlaß für die Reise von Maria und Josef nach Bethlehem. Entgegen seiner Feststellung ist es aber unwahrscheinlich, daß es sich dabei um einen allgemeinen Zensus gehandelt hat. Ein Zensus wurde innerhalb einer einzelnen Provinz abgehalten, um über die Pflicht zur Entrichtung der Kopfsteuer zu entscheiden, und es ist bekannt, daß in Judäa im Jahr 6 n. Chr. ein solcher durchgeführt wurde (vgl. Kapitel 1). Auch Zollgebühren lieferten eine wichtige Einnahmequelle (Mt 9,9; Mk 2,14; Lk 5,29). Jericho, wo Jesus den Zöllner Zachäus traf (Lk 19,1— 10), war ein Grenzposten zwischen der römischen Provinz Judäa und Peräa, einem Teil der Tetrarchie des Herodes Antipas. Zu den übrigen Einkunftsquellen gehörten eine Steuer auf die Freilassung von Sklaven und verschiedene neue Steuern, die von Augustus eingeführt wurden: eine einprozentige Verkaufssteuer, eine vierprozentige Sondersteuer auf den Verkauf von Sklaven und eine fünfprozentige Steuer auf alle Erbschaften von über 100000 Sesterzen, ausgenommen solche von den nächsten Angehörigen. Nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels durch Titus im Jahr 70 n. Chr. wurde

Die kaiserlichen Finanzen

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allen Juden des Reiches eine zusätzliche jährliche Kopfsteuer in Höhe von zwei Denaren auferlegt; sie entsprach der Halb-Schekel-Steuer, dem didrachmon (Mt 17,24-27), die sie früher für den Unterhalt des Tempels bezahlt hatten. Die Bewohner der Provinzen mußten darüber hinaus nicht-finanzielle Leistungen erbringen. Von den Bessergestellten wurde die gastliche Aufnahme durchreisender römischer Würdenträger erwartet, und von jedermann konnten Tiere, Wagen und Proviant für offizielle Gesandte oder Militärtruppen requiriert werden. Viele Dokumente, besonders aus dem 2. Jahrhundert, klagen über die Art und Weise, in der namentlich Soldaten ihr Recht auf solche Leistungen mißbrauchten.

Das Münzwesen Beiläufige Anspielungen in den Evangelien und der klassischen Literatur sowie die Fülle von Münzen, die bei allen archäologischen Ausgrabungen aus römischer Zeit gefunden werden, belegen, daß die Gesellschaft des Römischen Reiches vollständig auf den Gebrauch von Münzgeld angewiesen war. Die kaiserliche Regierung benutzte Münzen zur Bezahlung ihrer Truppen und ihrer Rechnungen an Lieferanten bzw. Vertragspartner, Münzen zirkulierten in allen Schichten der Gesellschaft. Silber und Goldstücke mit hohem Nennwert wurden in den kaiserlichen Münzanstalten geprägt. Sie trugen das Bild des römischen Kaisers auf der einen und ein Ornament, das variieren konnte, auf der anderen Seite. Die gängige Silbermünze war der Denar, der im Osten durch sein griechisches Äquivalent, die drachme, bekannt war. Die Parabel von den Weingärtnern (Mt 20,1—16) setzt voraus, daß ein Denar der großzügige Lohn für das Tagewerk eines Landarbeiters war, ebenso wie im 5. Jahrhundert v. Chr. eine Drachme der übliche Lohn für gelernte Arbeiter in den Gebäuden der Akropolis in Athen gewesen ist. Solche Tagelöhner waren hinsichtlich ihrer Beschäftigungsmöglichkeiten natürlich großer Unsicherheit ausgesetzt, und es ist unwahrscheinlich, daß sie einen derartigen Lohn das ganze Jahr über verdienen konnten. Die Soldaten in den römischen Legionen erhielten im Unterschied dazu ein jährliches Gehalt: Im 1. Jahrhundert betrug ihr jährlicher Sold 225, im 2. Jahrhundert 300 Denare. Von diesem Gehalt mußten sie allerdings selbst Nahrung, Kleidung und Bewaffnung kaufen. Soldaten der Hilfstruppen erhielten deutlich weniger: in den Elitetruppen 200, in der Kavallerie 150, in der Infantrie lediglich 100 Denare. Für die täglichen Geschäftsvorgänge waren kleinere Bronzemünzen in Umlauf - im westlichen Teil des Reiches wurden sie in zentralen Münzanstalten geprägt, während im östlichen Teil die einzelnen Städte und Gebiete das Kleingeld herstellten. Die Standardmünze war das As, im Griechischen oft assarion genannt. Nach offiziellem Umrechnungskurs war ein Denar sechzehn As wert, obwohl Belege aus der Zeit des Prinzipats zeigen, daß ein

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III. KAPITEL: Die antike Wirtschaft

Denar besonders im Osten 18, 20 oder sogar 25 As kostete. Die wohl beste Erklärung dafür ist, daß die Geldwechsler zusätzliche Asse als Provision kassierten.16 Geldwechseler benötigte man aus verschiedenen Gründen: Wer heimatliche Bronzemünzen besaß und in eine andere Stadt kam, mußte sie in die lokale Bronzewährung oder in Denare umtauschen, die überall akzeptiert wurden. Wer in Silberdenaren entlohnt worden war, benötigte in der Regel dennoch kleinere Münzen, um Lebensmittel oder andere Gegenstände des täglichen Bedarfs zu kaufen. Kleine Geschäftsleute nahmen gewöhnlich Bronzemünzen ein, die sie in größere Silber- oder Goldstücke umtauschen mußten, um ihre eigenen Rechnungen zu bezahlen. Die Evangelien vermitteln uns eine Vorstellung vom damaligen Preisniveau. Für zwei As konnte man vier oder fünf kleine Sperlinge kaufen (Mt 10,29; Lk 12,6). Das Brot zur Speisung der Fünftausend wird auf 200 Denare geschätzt (Mk 6,37), woraus folgt, daß ein Denar ausreichte, um Brot für fünfundzwanzig Mahlzeiten kaufen zu können. Eine Portion hätte demnach weniger als ein As gekostet. Der gute Samariter nimmt an, daß zwei Denare für den größten Teil, aber vielleicht nicht für sämtliche Kosten mehrtägiger Kost und Logis in einem Landgasthaus ausreichen werden (Lk 10,35). Diese Preise sind ihrer Höhe nach mit denjenigen vergleichbar, die aus Italien bekannt sind, wo im 1. Jahrhundert die erforderliche Menge Mehl guter Qualität, um ein Pfund Brot zu backen, zwei As kostete und ein Maß Wein, je nach Qualität, zwischen ein und vier As. Eine detaillierte Rechnung für eine Nacht in einem Gasthof Mittelitaliens führt Wein zu einem Sechstel As, Brot für ein und ein Hauptgericht für zwei As auf; ein Mädchen für die Nacht kostete acht und Heu für das Maultier des Kunden zwei As. Eine Inschrift aus Pompeii gibt die Kosten für neun Tage für eine Gruppe von (wahrscheinlich) drei Personen mit durchschnittlich eineinhalb Denaren pro Tag an. 17 Für die Bedürfnisse des täglichen Lebens war eine größere Zahl von Münzsorten in Umlauf. Das As wurde in halbe {semis) und viertel Stücke (quadrans) unterteilt. Lokale Währungen konnten sogar noch kleinere Stücke wie das lepton in Umlauf bringen. Das Scherflein der Witwe (Mk 12,42; Lk 21,2) besteht aus zwei Lepta, was nach Markus dem Wert eines Quadrans entspricht. Die Lücke zwischen dem As und Denar wurde durch eine Reihe von Bronzemünzen geschlossen: dupondii im Wert von zwei Assen, und sestertii im Wert von vier Assen, oder einem Viertel Denar. Römische Preisangaben erfolgten normalerweise in Sesterzen statt in Denaren. Alte griechische Ausdrücke für große Geldbeträge fanden noch in neutestamentlicher Zeit Verwendung: Eine Mine (Lk 19,12-27) war 100 Drachmen wert; ein Talent (Mt 18,24) war eine riesige Summe, der 6000 Drachmen entsprachen. Bekanntlich ist es äußerst problematisch, antike Preise auf moderne Verhältnisse umrechnen zu wollen. Will man jedoch nur illustrationshalber dreißig bis vierzig Mark als täglichen Mindestlohn ansetzen, so ließe sich ein

Die kaiserlichen Finanzen

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halbes As ungefähr als Äquivalent für eine Mark bezeichnen. Ein Sperling kostete demnach ungefähr eine, ein Laib Brot etwa vier und ein Liter Wein rund zwei bis vier Mark; das Scherflein der Witwe betrug ca. 50 Pfennig. Die Mine, die der Adlige jedem seiner zehn Diener gab (Lk 19,12-20), war hundert Drachmen wert, nach dieser willkürlichen Berechnung also etwa 2000 Mark. Und als Judas vorschlug, die Salbe der Frau zu verkaufen und sie den Armen zu geben, stellte er sich vor, daß sie 300 Denare (Mk 14,5), also rund 10000 Mark einbringen würde. Dem modernen Leser, der 30 bis 40 Mark pro Tag als Existenzminimum ansieht, mögen diese Preise von Luxusgütern unverhältnismäßig hoch erscheinen. Die Annahme, daß der normale Berufstätige damals viel weniger Geld für Luxusgüter zur Verfügung hatte als sein heutiger Kollege, ist sicher nicht aus der Luft gegriffen.

IV. KAPITEL

Die gesellschaftliche Situation in Palästina Grundsätzliche Fragen zur palästinischen Gesellschaft jener Jahrhunderte bleiben unbeantwortet. Haben Juden ohne Unterbrechung in Galiläa gewohnt, relativ unberührt von den Prozessen der Urbanisierung und Hellenisierung? Wann und wo begannen Juden, Synagogen zu bauen und in ihnen die Thora zu studieren? Welche Rolle spielten die ländlichen Bauern in den sozialen Unruhen dieser Zeit? Sprachen die einfachen Menschen hauptsächlich aramäisch, oder unterhielten sich viele von ihnen auf Griechisch, was bedeuten würde, daß sie auch einige der griechischen Werte übernahmen? Wer waren die Pharisäer? In welchem sozialen Kontext predigte Jesus, und wie sind die Auseinandersetzungen zwischen ihm und den Pharisäern zu verstehen? Um diese Fragen geht es im vorliegenden Kapitel.

Zur

Bevölkerungsstruktur

Das römische Grenzsystem zur Zeit Jesu ist in Kapitel 1 beschrieben worden: Einige historische Ereignisse müssen jedoch im Rahmen einer Betrachtung der ethnischen und religiösen Struktur der Bevölkerung nochmals beleuchtet werden. Der Makkabäer Simon evakuierte einen Teil der Juden aus dem westlichen Galiläa (IMakk 5,15.23). Sein Nachfolger, Johannes Hyrkanus, besiegte die Samaritaner im Norden und die Idumäer im Süden. Von Anfang an war es makkabäische Politik, keine Heiden in ihrem Land zu dulden, so daß die Besiegten entweder konvertierten oder emigrierten. Die Idumäer zeigten sich mit der Beschneidung einverstanden und blieben sogar während des späteren Krieges gegen die Römer loyal. Aristobul regierte nur ein Jahr (104-103 v. Chr.), brachte jedoch Galiläa unter jüdische Herrschaft, indem er die Ituräer zwang, das Land zu verlassen (Josephus, Ant XIII 318), so daß Sepphoris eine jüdische Stadt wurde. Im Jahr 63 v. Chr. machte der römische General Pompeius die jüdische Expansion zum großen Teil wieder rückgängig, indem er alle griechischen Städte entlang der Mittelmeerküste sowie einige Städte im Binnenland, u. a. Samaria, Skythopolis und die Städte östlich des Jordans, befreite. Doch blieb Judäa bedeutend größer, als es in vormakkabäischer Zeit gewesen war. Teile von Idumäa, Samaria und Peräa (östlich des Jordans) waren noch immer jüdisch; Galiläa war zwar von Judäa abgetrennt, aber kulturell mit ihm

Die Lebensweise

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verbunden. Zudem revidierte Cäsar einige Maßnahmen des Pompeius, indem er Joppe und die Dörfer der Jesreel-Ebene 4 7 v. Chr. den Juden zurückgab (Josephus, Ant X I V 2 0 5 . 2 0 7 ) . Die Geographie Palästinas zur Zeit Jesu ist leichter zu bestimmen als die Bevölkerungszahl und der Umfang ethnischer und religiöser Gruppen. Die jüdische Bevölkerung in Judäa war sehr dicht und erstreckte sich auch auf die Küstengegend von Joppe und Jamnia, obwohl in Jamnia auch Heiden lebten. Einige Heiden wurden von Herodes dem Großen in Jerusalem und von Herodes Antipas in Tiberias angesiedelt. Die Bevölkerung Kapernaums war ebenfalls gemischt. Der Bar-Kochba-Krieg ( 1 3 2 - 1 3 5 n.Chr.) führte zu entscheidenden Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur Judäas. Hadrian wies alle „Beschnittenen" (einschließlich der Judenchristen) aus Jerusalem und seiner Umgebung aus. Nach diesem zweiten Krieg gegen Rom blieb nur Galiläa als Hochburg des palästinischen Judentums übrig. Die Größe der Bevölkerung Palästinas zur damaligen Zeit zu schätzen, ist sehr schwierig. Alte Quellen liefern übertriebene Zahlen und moderne Berechnungen schwanken sehr stark. Michael Avi Yonah setzt zweieinhalb Millionen Einwohner für ganz Palästina an; neuere Berechnungen kommen auf mindestens drei Millionen Einwohner. 1

Die Lebensweise Zur Zeit Jesu lebte die große Mehrheit der Juden Galiläas, Transjordaniens und Judäas in kleineren Orten, nicht in großen Städten wie Tiberias oder Jerusalem. 2 Franziskanische Ausgrabungen in Kapernaum haben Wohngebäude aus der Zeit Jesu zutage gebracht. Es fanden sich mehrere Häuserblöcke, deren Wände ungleichmäßig aus Basaltsteinen errichtet worden waren — nicht stabil genug, um ein zweites Stockwerk zu tragen. Treppen führten zum Dach, das in der Regel flach war. Die unteren Räume waren sehr klein mit unzureichender Luftzufuhr und winzigen Fenstern. Die Dachflächen ermöglichten Zurückgezogenheit und boten kühlere Temperaturen. Größere Räume in Kapernaum waren höchstens sechs Meter breit, da es schwierig gewesen wäre, längere Dachbalken zu finden. Fußböden wurden aus großen, ungleichmäßigen Basaltstücken verlegt, die nicht fugenlos zusammen paßten, so daß man leicht eine Münze verlieren konnte (Lk 1 5 , 8 ) . Die Häuserblöcke waren von Straßen oder schmalen Gassen umgeben. Jeder Block enthielt vier Wohnungen für einzelne Familien, die einen gemeinsamen H o f umschlossen. Wenn man davon ausgeht, daß jede Familie ungefähr acht Personen zählte, dürften die 32 Menschen, die auf so engem Raum lebten, wohl nie allein gewesen sein.

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IV. KAPITEL: Die gesellschaftliche Situation in Palästina

Das Familienleben In Kleinstädten lebten manche Familien in nur einem Raum; die meisten Familien besaßen jedoch mehrere Zimmer. Mit „Familie" ist oft die patriarchalische Familie gemeint, zu der auch die Frauen und Kinder verheirateter Söhne gehörten. Manche Großfamilien nächtigten in einem Schlafzimmer; gewöhnlich hatte jedoch jedes Paar für sich und seine Kinder ein eigenes. Das Bett war das wichtigste Möbelstück, obwohl meist auch Stühle und Bänke vorhanden waren. Ofen waren lebensnotwendig; dort wurde einmal pro Woche von der ganzen Familie Brot gebacken. Nur selten blieben Personen unverheiratet. Obwohl dem Mann bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. nach dem mündlichen Gesetz erlaubt war, mehr als eine Frau zu haben, sind nur wenige Fälle von Bigamie bekannt. Die Essener interpretierten Gen 1,27 als Gebot der Monogamie (Damaskusschrift IV 20-21; vgl. Mt 19,4). Die griechisch-römischen Sitten der Abtreibung und Kindesaussetzung waren jüdischer Lebenweise fremd (vgl. Did 2,2). Bei der Geburt wurden die Glieder der Kinder geradegerichtet und gewickelt (Lk 2,7), damit sie korrekt wachsen konnten. Die Söhne erhielten ihren Namen bei der Beschneidung (Lk 1,59—60; 2,21). Geburtstag feierten nur Heiden und Nichtjuden. Erstgeborene Söhne mußten ausgelöst werden (Ex 34,20), d. h. die Priester erhielten bestimmte Abgaben. Umstritten war, ob die Abgaben an einen Priester am Ort entrichtet werden konnten, oder ob das nur in Jerusalem möglich war. Lk 2,22 gibt an, daß Jesu Eltern nach Jerusalem gingen. Obwohl die Bar-Mizwa-Feier erst später entstand, konnte ein Junge nur nach seinem 13. Geburtstag Vorbeter in der Synagoge sein. Die Toten wurden unter Klängen von Flöten und den Klängen bezahlter Trauergäste (Mt 9,23) noch am selben Tag beerdigt (Apg 5,6-10). Der Leichnam wurde in Leinentücher gewickelt (Joh 11,44; 19,39—40) und in einem Holzsarg beigesetzt, selten in einem Steinsarkophag. Das Grab wurde nicht mit Erde gefüllt, sondern mit einer Steintür oder einem großen Stein verschlossen (Mt 28,2). Es war üblich, das Grab aufzusuchen und den Stein wegzuschieben, um sicherzustellen, daß der Betreffende wirklich tot war (Mt 28,1). Nachdem das Fleisch verwest war, wurden die Knochen gesammelt und in einen Kasten gelegt, der in eine Nische gestellt wurde. Archäologen haben viele solcher Ossuare gefunden. Die Rabbinen bemühten sich sehr, Witwen zur Wiederheirat zu ermutigen, doch hielten es manche Kreise für lobenswerter, daß sie unverheiratet blieben (Jdt 8,4; IKor 7,39-40). Der Ehemann vollzog die Scheidung durch die einfache Erklärung, daß seine Frau frei sei, jeden anderen Mann zu heiraten. Wahrscheinlich konnte auch die Ehefrau verlangen, daß das Gericht ihren Ehemann zwang, sie zu entlassen (Mischna Nedarim XI 12). 3

Die Lebensweise

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Die Synagoge Die Dorfbewohner trafen sich zu ihren Gottesdiensten in der Synagoge, die zugleich als Rathaus für Gemeindeangelegenheiten diente. Die Gläubigen rezitierten abwechselnd Gebete und lasen die Schrift. Die älteste von Archäologen entdeckte Synagoge (sofern die Identifizierung als Synagoge zutrifft) findet sich auf der griechischen Insel Delos und stammt aus dem 1. Jahrhundert v.Chr. 4 ; Synagogen-Inschriften sind allerdings schon aus dem S.Jahrhundert v. Chr. bekannt. 5 In Palästina sind Gebäude, die als Synagogen des ersten nachchristlichen Jahrhunderts gedeutet werden, in Massada, Herodeion, Magdala (i.e. Taricheia am Westufer des Sees Genezareth), Gamala in der Gaulanitis (den modernen Golanhöhen) und möglicherweise in Chorazin ausgegraben worden. 6 Die frühen Synagogen Palästinas waren völlig schmucklos, ohne Wandgemälde oder Mosaiken. Es gab hier keine erhöhte Plattform zur Verlesung der Thora, keinen Thora-Schrein zu ihrer Aufbewahrung, keine Bilder von Gegenständen wie der Menora. Der Raum war rein funktional und enthielt nichts, was den Beter ablenken konnte. Die Diaspora-Synagoge auf Delos scheint nicht einmal jüdische Symbole besessen zu haben. Es wurden sechzig Lampen entdeckt, die keine jüdischen Kennzeichen aufweisen, obwohl sich auf einigen heidnische Symbole — auch von Göttern - finden. Diese frühen Gebäude unterscheiden sich daher deutlich von späteren Synagogen des 3. und 4.Jahrhunderts n.Chr. mit ihren vielen Mosaiken und Malereien von Tieren und Menschen. Das Shemoneh Esreh („achtzehn Bitten") genannte Gebet erhielt seine feste Form in Jamnia, dem Zentrum rabbinischer Bildung nach dem ersten jüdischen Krieg. Vor 70 n. Chr. wurden diese Bitten in unterschiedlicher Weise vom Leiter des Gottesdienstes formuliert; selbst später, als der Wortlaut feststand, existierten noch verschiedene Versionen. Die Apokryphen erwähnen verschiedentlich Morgengebete (PsSal 6 , 4 - 5 ) , und die Qumran-Texte setzen ein zweimaliges Gebet am Tag voraus (1 Q S X 10). Sowohl Philo (LegAll II 62), als auch die Rabbinen stellen die Lesung und Auslegung der Schrift als wichtigstes Ereignis im Synagogengottesdienst dar. Anscheinend gab es für die Lesung der fünf Bücher Mose keine vorgeschriebene Reihenfolge. 7 Jesus (Lk 4 , 1 7 ) und Paulus (Apg 13,15) werden bei der Auslegung prophetischer Texte gezeigt, die verlesen worden waren. Paulus bekehrte einige angesehene Frauen in der Synagoge in Thessalonich (Apg 17,4); keine alte Quelle erwähnt ihre räumliche Trennung von den Männern. Die Apostelgeschichte (13,16; 17,17) und Josephus (Ant X I V 110) verweisen auf „Gottesfürchtige in der Synagoge, das sind Nicht-Juden, die den Gottesdienst besuchten, sich aber noch nicht dazu bekehrt hatten, Proselyten zu werden. Immigranten, die nach Jerusalem kamen, wurden von Synagogen angezogen, in denen sich Landsleute trafen (Apg 6,9). In kleineren Städten pflegte jedoch die Synagoge Eigentum der gesamten Gemeinde zu sein. Der Syn-

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IV. K A P I T E L : Die gesellschaftliche Situation in Palästina

agogenvorsteher wird oft erwähnt (Lk 13,14—15). Seit frühester Zeit beteten die Juden nach Jerusalem gewandt und bauten ihre Synagogen in Richtung auf die heilige Stadt. So waren viele Synagogen in Galiläa nach Süden ausgerichtet. Dieser Brauch scheint später sogar noch wichtiger geworden zu sein, als Konstantin das Reich christianisierte. 8

Feiertage: Der Sabbat und die jährlichen Feste Die Versammlungen in der Synagoge und die begleitende Sabbatruhe von der Arbeit waren die bekanntesten Merkmale des Judentums in jener Zeit. Die wenigen biblischen Texte über den Sabbat wurden durch Regeln erweitert, die die Ruhepause zu gewährleisten suchten. Die Rabbinen verglichen diese Regeln mit Bergen, die an einem Haar hängen. Wie bei allen zentralen Symbolen üblich, bestanden auch hier Unterschiede zwischen den einzelnen Parteien: Die Verfasser des Jubiläenbuches (2,27—28; 50,6—13), die Essener (Josephus, Bell II 147), die frühen Chasidim (IMakk 2 , 3 5 - 4 1 ) und später die Karaiten waren in der Befolgung der Sabbatgebote strikter als die Rabbinen, während die Judenchristen (Mt 1 2 , 1 - 1 4 ; 2 4 , 2 0 ) und Paulus (Rom 14, 5-6) großzügiger waren. Philos Erörterung des Problems (VitMos 209—220; vgl. 3Makk 7) offenbart den Konflikt, der durch diese mächtigen Identitätssymbole hervorgerufen wurde. Die Thora wurde am Sabbat studiert, und die Familie nahm ein gemeinsames Festmahl ein, zu dem Wein gehörte, der durch das kiddusch-Ge.bet gesegnet worden war. Der Freitag wurde als Rüsttag bezeichnet, doch gehörte dazu kein Abendgottesdienst in der Synagoge. Diese Sitte entstand erst in späterer Zeit. Am Passafest feierte man Israels Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten. Zentrales Ritual war ein gemeinsames Mahl am Vorabend des fünfzehnten Tages im Frühlingsmonat Nisan. Die notwendigen Bestandteile des Passamahls waren das Gebet, das den Tag heiligte, vier Becher Wein, die Rezitation des Hallel (Psalmen 115—118) und das Verspeisen von Bitterkraut. Fünfzig Tage später wurde das Pfingstfest (schavuot) gefeiert; anders als das Passafest bezog es sich auf den Jerusalemer Tempel und die Erstlingsgaben. Neujahr (Rosch Haschana) im Monat Tischri (September/Oktober) war der Zeitpunkt, da jegliches Lebewesen von Gott gerichtet wurde. Am zehnten Tag desselben Monats war Yom Kippur, der Versöhnungstag. Dieser Tag wurde selbst von denjenigen beachtet, die andere übliche Rituale nicht genau einhielten (Philo, SpecLeg I 186); es war der Tag der Buße für begangene Sünden. Das Laubhüttenfest (.nikkot) wurde am fünfzehnten Tischri gefeiert. Prozessionen mit Sträußen aus Palmzweigen, Weiden, Myrthe und einem Ethrog (eine Art Zitrone) bewegten sich an jedem der sieben Tage des Festes durch Jerusalem. Die Juden errichteten Laubhütten, in denen sie sich zur Erinnerung an Israels Zelte in der Wüste aufhielten. Reinheit und Unreinheit besaßen im Tempelbezirk sowie in der frührabbinischen Zeit einen hohen Stellenwert. Die Sadduzäer versuchten, die

Die Sprachen

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Reinheitsforderung auf die Priester zu beschränken. Die Pharisäer ermutigten hingegen alle Juden dazu, der Reinheit größte Aufmerksamkeit zu schenken. Die Schrift nannte mehrere Quellen für Unreinheit, und das mündliche Gesetz fügte noch den Kontakt mit Nichtjuden (Mischna Pesachim VIII 8; Joh 18,28; Apg 10,28), mit dem Land außerhalb Israels (b Schab 14b) sowie mit dem Götzendienst (Mischna Aboda Sara III 6; Apg 15,20.29; vgl. IKor 8 , 1 0 ) hinzu.

Die Sprachen Im Palästina des 1. Jahrhunderts n. Chr. wurden hauptsächlich vier Sprachen gesprochen: Lateinisch, Griechisch, Aramäisch und Hebräisch. Das Johannesevangelium erwähnt, daß Pilatus am Kreuz Jesu eine Inschrift „auf Hebräisch, auf Lateinisch und auf Griechisch" anbrachte (Joh 19,20). Allerdings wurde in Palästina nur wenig Latein gesprochen. Die Situation der griechischen Sprache kann anhand der von den Herrschern geprägten Münzen charakterisiert werden. Die Hasmonäer benutzten ausschließlich hebräische Prägungen bis zu Alexander Jannäus, der zusätzlich zweisprachige Münzen (Hebräisch und Griechisch) verwendete. Sein Enkel prägte als erster Jude Münzen nur mit griechischer Inschrift. Die herodianischen Prinzen und die römischen Prokuratoren brachten ebenfalls nur griechische Münzen in Umlauf. 9 In einem Brief, der vielleicht Bar Kochba zum Verfasser hat, heißt es: „Das ist auf Griechisch geschrieben worden, weil ein "Wunsch, Hebräisch zu schreiben, nicht bestand." 10 Aus dem Jerusalem des 1. Jahrhunderts stammt die berühmte griechische Synagogeninschrift Theodots, eines Priesters und Synagogenvorstehers, der die Synagoge, ein Gasthaus für auswärtige Besucher und eine Wasseranlage baute. Es sind viele Ossuarinschriften aus Palästina erhalten, davon zwei Drittel nur in Griechisch, ein Zehntel in Griechisch und Hebräisch (oder Aramäisch). 11 Da die Grabinschriften wohl am ehesten die Sprache des einfachen Volkes widerspiegeln, ist es von Bedeutung, daß die große Mehrzahl der publizierten Grabinschriften in griechischer Sprache abgefaßt ist. Von Personen aus verschiedenen sozialen Schichten und religiösen Parteien wurden im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. IMakk, Tob sowie die Zusätze zu Esther und Daniel auf Griechisch geschrieben. Viele heutige Forscher schließen daraus, daß Griechisch im Palästina des 1. Jahrhunderts von Christen ebenso wie von anderen Juden in großem Umfang gebraucht wurde. Ob in Palästina überwiegend Griechisch oder Aramäisch gesprochen wurde, wird lebhaft erörtert. Früher nahm man an, daß das Aramäische in seleukidisch-vormakkabäischer Zeit im Abnehmen begriffen war, doch ist die Zahl der Zeugnisse für das Aramäische inzwischen gewachsen. Die Funde von Qumran zeigen, daß Schriften noch im 1. Jahrhundert vor und nach

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IV. KAPITEL: Die gesellschaftliche Situation in Palästina

Christus auf Aramäisch vcrfaßt wurden. Beispiele sind das Genesis-Apokryphon, das Testament des Levi, ein Hiob-Targum sowie ein Text, der sich auf „den Sohn Gottes" und den „Sohn des Allerhöchsten" bezieht. Es existieren auch Rechtsurkunden und Briefe in aramäischer Sprache, die in der Höhle der Briefe von Wadi Habra sowie im Wadi Murabba'at gefunden wurden. Aufgrund seiner Untersuchung dieses Materials schließt Joseph Fitzmyer, daß es wenig Anhaltspunkte für einen Einfluß des Griechischen auf das Aramäische gibt, daß aber das Aramäische zweifellos das von Juden gebrauchte Griechisch beeinflußt hat. 1 2 Tatsächlich behauptet er, daß das Aramäische die gebräuchlichste Sprache Palästinas im 1. Jahrhundert n. Chr. war. Obwohl es nicht so viele Belege für das Hebräische wie für das Aramäische gibt, liegen epigraphische und literarische Hinweise darauf vor, daß Hebräisch zur Zeit Jesu geschrieben und in bestimmten Redeformen wie MidraschPredigten, halachischer Unterweisung und rechtlichen Erörterungen auch gesprochen wurde. Die hebräischen Qumrantexte sind bei weitem zahlreicher als die aramäischen, stammen allerdings aus den letzten beiden Jahrhunderten v. Chr., also aus früher Zeit. Die Pescharim (Kommentare zu biblischen Schriften) wurden in herodianischer Schrift geschrieben und stammen wahrscheinlich aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Im übrigen sind die Belege für das Hebräische in dem Jahrhundert, in dem Jesus lebte, spärlich.

Die hellenistische Kultur und die Städte Die griechische Kultur beeinflußte Palästina in mancher Hinsicht, am intensivsten womöglich im Bereich der Religionsausübung. Einheimische heidnische Kulte wurden durch griechische Elemente umgestaltet. Herodes der Große errichtete in Samaria, Paneas und Cäsarea (Josephus, Bell I 4 0 7 ) mehrere „Cäsareen" (Heiligtümer, die dem Augustus gewidmet waren); darin befanden sich Statuen des Augustus in Gestalt des Zeus sowie Statuen Roms in Gestalt der Hera. Oft waren mit diesen Kulten Festspiele verbunden. Theater und Amphitheater wurden von Herodes u. a. in Cäsarea erbaut und sogar in Jerusalem, wo verschiedene Spiele veranstaltet wurden: Turn- und Musikspiele, Wagenrennen und Tierhetzen (Josephus, Ant X V 267—291). Palästina brachte auch bedeutende Vertreter der griechischen Literatur hervor. So wurde der Stoiker Antiochus, ein einflußreicher Lehrer Ciceros, in Askalon erzogen und Nikolaus, der ein vertrauter Berater des Herodes wurde, wuchs in Damaskus auf. Der Epikuräer Philodemus von Gadara war ein bekannter Zeitgenosse Ciceros, seine Schriften wurden in der italienischen Stadt Herkulaneum gefunden. Die hellenistische Architektur öffentlicher Gebäude war in allen griechischen Städten wohlbekannt. Jede Stadt hatte Tempel, Theater, Gymnasien

Die hellenistische Kultur und die Städte

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mit Arkaden, Stoa, Agora, Wasserleitungen, Bäder, Brunnen und Kolonnaden im griechischen Stil. Herodes förderte viele solchcr Bauwerke (Josephus, Bell I 422-425) und errichtete seinen eigenen Palast in Jerusalem (Bell V 176-183). Auch große Teile des Jerusalemer Tempels waren in griechischem Stil erbaut (Josephus, Bell V 184-227). In einem Bereich der Ästhetik traten die hellenistischen Normen hinter den Forderungen des zweiten Gebotes zurück (Dtn 4,15-19; 5,8), das die Abbildung von Menschen und Tieren verbietet. Sogar Herodes der Große, der sich stark für die Hellenisierung einsetzte, vermied solche Bilder auf den Mosaiken, Wänden und Statuen seiner griechischen Gebäude — von einer oder zwei Ausnahmen abgesehen (Josephus, Ant XV 267-291; XVII 151). Das Bilderverbot scheint damals strenger als in jedem anderen Abschnitt der jüdischen Geschichte gehandhabt worden zu sein; außer Blumen und geometrischen Zeichnungen ist auf den Grabplatten, verzierten Ossuaren und Sarkophagen dieser Zeit nichts zu finden.13 Im Bereich von Handel und Gewerbe war der Einfluß des Hellenismus unübersehbar. Die politische Organisation war ein anderer wichtiger Weg, auf dem der Hellenismus Palästina beeinflußte. Viele Städte wurden gegründet, die von einem demokratisch gewählten Rat regiert oder entsprechend umgebildet wurden. Der Rat regierte nicht nur die Stadt, sondern auch alle Dörfer und Kleinstädte, die zu ihrem oft umfangreichen Gebiet gehörten. Innerhalb oder in der Nähe Palästinas gab es 33 solcher Städte, von denen einige unten beschrieben werden sollen. 14 Zuvor jedoch eine Vorsichtsmaßregel bezüglich der Evangelien: Nur wenige Gleichnisse Jesu spiegeln die Welt der hellenistisch-römischen Städte wider. Judäa und Galiläa wurden nach dem ptolemäischen Verwaltungssystem regiert, das eine Einteilung der Dörfer in Distrikte, sogenannten Toparchien, vorsah. Ein Dorfschreiber verwaltete als Beamter der Zentralregierung das Dorf, während die Toparchie von einem Kommandanten beaufsichtigt wurde. 15 Beide Beamtengruppen werden in den Evangelien nirgends erwähnt, obwohl sie in Beziehung zu den Steuereinnehmern stehen. Im Vergleich zur Größe dieses Verwaltungssystems war die Zahl rein griechischer Städte sehr klein. In Galiläa gehören nur Tiberias und vielleicht Sepphoris dazu. Selbst Jerusalem dürfte keinen Rat besessen, sondern einem königlichen strategos unterstanden haben, der ernannt und nicht gewählt wurde (Josephus, Ant XVII 156.209-210; Bell I 652; II 8). Die palästinischen Dörfer verwalteten ihr Territorium nicht selbst. Jesu Königreichsgleichnisse beschreiben die Welt jenseits des galiläischen Dorfes präzise als eine von Königen und Prinzen, deren Diener Sklaven sind. Das Gleichnis vom Hochzeitsmahl, bei dem der König seine Heere ausschickt, um ein widerspenstiges Dorf zu zerstören (Mt 22,2-14), gehört zur Welt Herodes' des Großen, des Archclaus und des Antipas (vgl. dessen Charakterisierung in Mk 6,17-27), nicht zur Welt der griechischen demokratischen Städte. Es ist eine Welt des ungeheuer Reichen und des Armen, des Königs und des Bauern, eine Welt,

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IV. KAPITEL: Die gesellschaftliche Situation in Palästina

die nur zwei soziale Klassen kennt. 1 6 In allen galiläischen Gleichnissen begegnet nur ein einziger Kaufmann (Mt 13,45—46). Fromme Schriftgelehrte und nicht etwa berufsmäßige Bankiers verzehren das Vermögen der Witwen (Lk 2 0 , 4 6 - 4 7 ) . Dieser Welt standen griechische Städte gegenüber, die für das Judentum des 1. Jahrhunderts n. Chr. von Bedeutung waren. Jamnia im Süden hatte einen eigenen Hafen und ein eigenes Territorium. Nach dem Krieg gegen die Römer wurde es unter Jochanan ben Zakkai zum Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit. Joppe, das den besten Hafen an der palästinischen Küste besaß, wurde eine jüdische Stadt, als der Makkabäer Simon dort eine Garnison aufstellte und die Heiden zur Emigration zwang (IMakk 13,11). Zwischen 21 und 9 v.Chr. baute Herodes Cäsarea aus (Josephus, Ant X V 331-337; Bell I 418-414) und im Jahre 6 n. Chr. - wenn nicht schon früher — wurde es Hauptstadt des Königreichs, was für die Hohenpriester Jerusalems einen erheblichen Verlust an politischer Macht bedeutete. Gleichwohl verschleierte Herodes seine Absichten, indem er den Jerusalemer Tempel zwischen 18 und 10 v. Chr. in verschwenderischer Weise ausbauen ließ. Die römischen Präfekten vor und nach der Herrschaft Agrippas I. lebten in Cäsarea, und Agrippa I. starb dort (Apg 12). Alle 20000 jüdischen Einwohner der Stadt wurden bei Ausbruch der Rebellion im Jahr 66 n. Chr. innerhalb einer Stunde niedergemetzelt (Josephus, Bell II 457; VII 362). Unabhängige griechische Städte gab es auch in der Dekapolis (Mt 4 , 2 5 ; Mk 5,20; 7,31). Früher nahm man an, daß diese Städte einen politischen Bund bildeten, doch gehen die meisten Forscher heute davon aus, daß „Dekapolis" nur ein unverbindlicher geographischer Ausdruck ist. Eine dieser Städte war Damaskus (Apg 9 , 2 ; 2Kor 11,32). Eine unsichere Texttradition macht Gadara zum Ort, wo Jesus aus zwei Besessenen böse Geister austrieb (Mt 8,28). Eine dritte Stadt der Dekapolis war Pella; zu Beginn des Jüdischen Krieges soll die christliche Gemeinde aus Jerusalem dorthin geflohen sein (Euseb, Kirchengeschichte III 5 , 2 - 3 ) . Herodes der Große siedelte 6000 Kolonisten, zu denen auch Soldaten gehörten, in Samaria an und gab ihnen Land. Er errichtete einen Augustustempel und nannte die Stadt zu Ehren desselben Kaisers Sebaste. Soldaten aus Samaria dienten Herodes und den Römern im Kampf gegen die Juden. Nach der Eroberung Palästinas durch Pompeius teilte Gabinius das jüdische Gebiet in fünf Distrikte mit Ratsversammlungen ein (57—55 v. Chr.); die Ratsversammlung von Galiläa trat in Sepphoris zusammen. Hier war ein Zentrum der Rebellion, die nach dem Tod Herodes' des Großen ausbrach, ein Aufstand, der vielleicht durch die Treue der Stadt zu den priesterlichen Hasmonäern erklärt werden kann. Die Stadt wurde verbrannt und ihre Bewohner als Sklaven verkauft, doch Herodes Antipas baute sie wieder auf und machte sie zu einer „Zierde von ganz Galiläa" (Josephus, Ant XVIII 27). Im Jüdischen Krieg unterstützte Sepphoris die Römer, obwohl ihre Bewohner hauptsächlich Juden waren. Josephus eroberte die Stadt, doch Vespasian belegte sie später auf Bitten ihrer jüdischen Einwohner mit einer Garnison.

Die Bauern

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Herodes Antipas gründete seine neue Hauptstadt am See Genezareth und gab ihr nach dem Kaiser Tiberius den Namen Tiberias. Die Bevölkerung war gemischt, aber mehrheitlich jüdisch. Da die Stadt eine griechische Verfassung besaß, gab es dort einen Rat mit 600 Mitgliedern, Wahlbeamte und eine Prägestätte für städtische Münzen. Tiberias gelangte zunächst unter die Herrschaft Agrippas I., dann unter die der römischen Prokuratoren Judäas, schließlich um 61 n.Chr. unter die Agrippas II. Josephus beschreibt die Parteiungen in der Stadt zu Beginn des Jüdischen Krieges (Vit 32-42). Die revolutionäre Gruppe behielt die Oberhand, leistete aber keinen Widerstand, als Vespasian anrückte (Josephus, Vit 352). Die meisten dieser Städte waren sich selbst regierende poleis mit Ratsversammlungen von mehreren hundert Bürgern, mit eigenem Stadtterritorium und eigenen Münzen, obgleich das nicht für alle Städte nachgewiesen werden kann. Die Mehrzahl war überwiegend von Heiden bewohnt, doch in Jamnia, Joppe, Sepphoris und Tiberias hatten die Juden gleiche Rechte und waren zahlreicher als die Heiden. Jerusalem ist die einzige Stadt, wo Heiden von den Bürgerrechten ausgeschlossen waren.

Die Bauern Die Bauern bearbeiteten das Land wie ihre Vorfahren. Sie führten ihr Leben in kleinen Dörfern, wo verwandtschaftliche Bindungen und Treue höchste Bedeutung besaßen. Die Hasmonäer scheinen als Entschädigung für Militärdienste in Zeiten der Gefahr erobertes Land an solche jüdischen Bauern verteilt und sie von der unter den Seleukiden üblichen Besteuerung befreit zu haben. Einen Teil des eroberten Gebietes behielten die Hasmonäer als Königsland zurück, das sie zur Kultivierung an Pächter vergaben. Die Auflösung des makkabäischen Staates durch Pompeius hatte verheerende Folgen, die zu sozialen Spannungen und damit zum ersten Jüdischen Krieg gegen die Römer beitrugen. Als der römische General die griechischen Städte in Samaria und Transjordanien von Judäa abtrennte, verlor eine beträchtliche Anzahl jüdischer Bauern ihr Land. Das geschah zu einer Zeit, als die Bevölkerung Judäas bereits einen Höchststand erreicht hatte1'7, so daß zwar einige Juden nach Judäa gingen, andere jedoch in die Diaspora rings um das Mittelmeer auswanderten (IMakk 15,16—24). Als Herodes einen Teil dieser Gebiete von Augustus zurückerhielt, machte er große Flächen davon zu Königsland und enteignete darüberhinaus die Ländereien seiner politischen Gegner. Die Entwicklung ging dahin, daß die Reichen erheblichen Besitz anhäuften und ihre Ländereien von Pächtern bewirtschaften ließen. Diese Tendenz war Ursache für eine tiefe Feindschaft zwischen Gutsherren und Pächtern, wie sie in Mt 21,33—41 und Josephus, Bell II 427 zum Ausdruck kommt. Kleinbauern und Pächter waren oft gezwungen, Darlehen aufzunehmen. Der Zwang zu solchen Darlehen war

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IV. KAPITEL: Die gesellschaftliche Situation in Palästina

unter der Herrschaft des Herodes so groß, daß Hillel einen rechtlichen Ausweg aus dem nach Dtn 15 für jedes siebte Jahr vorgeschriebenen Schuldenerlaß anstrebte. Wirtschaftliche Belastungen, die einen solch gravierenden Eingriff in die mosaische Gesetzgebung veranlaßten, mußten zu einem tiefen Gegensatz zwischen den Großgrundbesitzern und ihren Pächtern bzw. Schuldnern führen. Die Landeigentümer lebten oft in den Städten, manchmal sogar im Ausland (vgl. Josephus, Vit 422.425, als typisches Beispiel). Die Bauern hatten eine schwere Steuerlast zu tragen. Sie mußten nicht nur Tribut an die Römer zahlen, sondern auch Herodes' verschwenderische Bauten in Judäa und in verschiedenen griechischen Städten bis hin nach Antiochia finanzieren. Die Bauern zahlten Steuern, Pacht, dazu Kapital und Zinsen für Darlehen, falls sie das Glück hatten, Land zu besitzen, mit dem sie sich kümmerlich ernähren konnten. Philo (SpecLeg III 159—162) gibt einen Bericht aus den dreißiger Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. darüber, was Bauern im römischen Reich widerfuhr, wenn sie zahlungsunfähig waren. Der Kampf um das knappe Land war einer der Gründe für die revolutionären Umtriebe des Hezekia und Johannes von Gischala im oberen Galiläa, einem Randgebiet, in dem jüdische und nichtjüdische Bevölkerungen aufeinanderstießen.

Galiläa Regionale Besonderheiten Leser des Matthäusevangeliums könnten den Eindruck gewinnen, daß sich das nördliche Galiläa geographisch, sozial, religiös und politisch deutlich vom südlichen Judäa unterschied. Als etwa Josef „hörte, daß Archelaus anstatt seines Vaters Herodes über Judäa regierte, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Nachdem er aber im Traum eine Weisung empfangen hatte, zog er hinweg in das Gebiet von Galiläa" (Mt 2,22). Und als Jesus „hörte, daß Johannes gefangengesetzt worden war, zog er nach Galiläa zurück" (Mt 4,12), in ein Gebiet, das anschließend „Galiläa der Heiden" (Mt 4,15, Zitat von Jes 9,1) genannt wird. Trotz seines Leugnens verriet der Akzent des Petrus, daß er zu „Jesus, dem Galiläer" (Mt 26,69.73) gehörte. Dieses Beispiel wirft die Frage auf, ob wichtige Unterschiede zwischen Galiläa und Judäa bestanden und wie sich die Kultur dieser beiden Regionen charakterisieren läßt. Einige Forscher behaupten, Galiläa sei relativ isoliert gewesen, und die Bevölkerung habe abgesondert von den vereinzelten städtischen Gemeinden in kleinen Dörfern zusammengelebt. 18 Die Ptolemäer und Seleukiden hatten in Galiläa in hellenistischer Zeit einige wenige Städte gegründet; die Herodianer errichteten später zwei weitere griechische Städte: Sepphoris in der Nähe von Nazareth und Tiberias am See Genezareth. Sepphoris war eine

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priesterliche Stadt, die von reichen jüdischen Grundbesitzern bewohnt wurde, die während der jüdischen Kriege die Römer unterstützten. Als Josephus Sepphoris für die Aufständischen eroberte, ließ die galiläische Landbevölkerung ihre Wut an dieser Stadt aus, die sie verabscheute (Josephus, Vit 375). Tiberias war zwischen 17 und 20 n.Chr. von Herodes Antipas gegründet worden, der Siedler von überall her zuließ, Juden und Heiden, Reiche und Arme. In den Palästen befanden sich Tierabbildungen, was gegen die biblischen Gebote verstieß. Mehrfach griffen galiläische Bauern die Stadt an, und schließlich gelang es ihnen, den Palast in Brand zu setzen und die griechische Minderheit niederzumetzeln (Josephus, Vit 65-68.381.384). Anders als im Fall von Sepphoris blieben die Juden von Tiberias im Kampf gegen die Römer treu zu Jerusalem, und 2000 von ihnen flohen in die Hauptstadt, um sich vor dem heranrückenden römischen General Vespasian in Sicherheit zu bringen (Josephus, Vit 354). In beiden Fällen sind jedoch deutliche Unterschiede in Lebensweise und Einstellung zwischen der galiläischen Landbevölkerung und den reichen Grundbesitzern der Städte unverkennbar. Die naheliegende Schlußfolgerung, daß die Juden aus Sepphoris hellenisiert waren, die ländlichen jüdischen Bauern aber nicht, trifft jedoch nicht zu. In sozialer Hinsicht mag die Landbevölkerung in anderer Weise hellenisiert gewesen sein (z. B. wirtschaftlich, aber nicht geistig) oder in geringerem Umfang; beide Prozesse dürften eine dauerhafte soziale und religiöse Entfremdung zwischen Stadt und Land bewirkt haben. Galiläa war geographisch nicht isoliert. 19 Handelsstraßen verbanden die Städte des unteren Galiläa mit den griechischen Städten der Küstenebene. Tiberias und Sepphoris sind durch dasselbe Tal mit dem Mittelmeer verbunden. Zwei Täler verbinden Tarichäa am See Genezareth mit der Küste. Chorazin und Kapernaum exportierten und importierten Güter aus bzw. nach Akko-Ptolemais durch das Wadi Beth ha-Kerem. All diese Städte — nach den Evangelien hat Jesus in ihnen gewirkt - waren griechischsprachig und weltoffen, zudem an wichtigen Handelsstraßen gelegen, die zu den römischen Verwaltungszentren führten. Dasselbe gilt für Arav in der Nähe von Sepphoris, wo Jochanan ben Zakkai achtzehn Jahre verbracht haben soll; diese Stadt war in keiner Weise isoliert. Gründe für eine topographische und kulturelle Isolation können nur für das obere Galiläa vorgebracht werden, aber selbst dort wurde Handel mit der phönizischen Küste getrieben, namentlich mit Tyrus. Zwischen den Städten und der Landbevölkerung bestanden ernste kulturelle Spannungen, doch muß diese soziale Entfremdung keine geographischen Gründe haben; sie kann vielmehr durch Bekenntnisunterschiede, z. B. durch „Tierbilder" in Häusern, bzw. durch das Fehlen solcher „Götzenbilder", hervorgerufen worden sein: Beide Arten von Häusern wurden im unteren Galiläa gebaut, wo Jesus und Jochanan gelehrt haben.

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IV. K A P I T E L : Die gesellschaftliche Situation in Palästina

Die Galiläer auf der Pilgerreise „Dreimal im Jahr sollen alle deine Männer vor dem Herrn erscheinen" (Ex 2 3 , 1 7 ; vgl. 3 4 , 2 3 ; Dtn 16,16). Die Rabbinen betrachteten dies als Aufforderung, jedoch nicht als Verpflichtung, zu jedem Passa-, Pfìngst- und Laubhüttenfest nach Jerusalem zu kommen. Vielmehr wurde eine solche Reise nur einmal jährlich (Lk 2,41), nach Ablauf mehrerer Jahre (Apg 20,16) oder einmal im Leben unternommen. Philo erwähnt nur eine eigene Pilgerfahrt (Prov 64 [II 107]), obwohl er mehrmals gereist sein dürfte. Mk 10,1.32 berichtet nur von einer Jerusalemreise Jesu, Joh 2 , 1 3 ; 5,1; 7,2.10; 10,22; 12,1 dagegen von mehreren. Eine stark vereinfachte Liste von Orten, aus denen Pilger kamen, findet sich Apg 2 , 5 . 9 - 1 1 (vgl. Philo, LegAll I 69). Apg 6 , 9 führt Synagogen in Jerusalem an, die von Juden aus verschiedenen Ländern eingerichtet wurden. Die berühmte griechische Synagogeninschrift des Theodor schließlich erwähnt eine Herberge in Jerusalem für bedürftige Reisende aus fremden Ländern. Selbst Heiden pflegten die Feste in Jerusalem zu besuchen (Josephus, Ant III 318; Joh 12,20; Apg 20,4.16). Josephus erwähnt, daß die Pilger gewöhnlich in einer Dreitagereise durch Samarien zogen, und zwar auf Wegen, die die Steigungen und Gefälle der übrigen Straßen vermieden (Vit 269; Bell II 232; vgl. Joh 4). Doch kamen die Pilger auch über die Küstenebene oder durch Peräa östlich des Jordans (Mk 10,1.32). Rabbinische Quellen unterstreichen den geistlichen Aspekt des Besuchs, während Josephus seine soziale und politische Funktion namentlich für Galiläer hervorhebt, wofür der Konflikt nach dem Tode Herodes des Großen im Jahre 4 v. Chr. ein Beispiel ist (Ant XVII 149-167. 213-218). Am darauffolgenden Pfingstfest versammelten sich Tausende zur Erfüllung ihrer religiösen Pflichten, teilten sich in drei Gruppen auf und griffen die Römer an (Ant XVII 254). Die aufrührerische Haltung der Galiläer bei den Festen muß jedoch zurückhaltend interpretiert werden, da Josephus in diesem Text Galiläer, Idumäer, Transjordanier und Judäer nennt und betont, daß letztere die eifrigsten Rebellen gewesen seien. Auf die Möglichkeit, ja die Erwartung solcher Konflikte wird oft hingewiesen (Josephus, Ant X X 105—112; Mk 13,2; vgl. Lk 13,1). Die Geschichte von der Tempelreinigung Jesu, (Mk 11,15-17) und die Beschuldigung bei seinem Prozeß, daß er gegen den Tempel geredet habe (Mk 14,58), könnte in diesem sozialen Zusammenhang verstanden werden. Welche Gründe die Bauern und Aristokraten Galiläas ebenso wie Jesus zur Pilgerfahrt nach Jerusalem veranlaßt haben, ist umstritten. Einige Forscher, die sich auf Josephus stützen, nennen als Hauptgrund die politische Ideologie der Zeloten. Andere verweisen auf die rabbinischen Texte und sehen geistliche Motive. Als weitere Möglichkeit ist vorgeschlagen worden, daß die Verbundenheit der Galiläer mit Jerusalem „auf dem Glauben gründete, daß der Gott des Jerusalemer Tempels der Gott war, der sie aus dem

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Boden mit dem Lebensnotwendigen versorgte"20, wie es im mosaischen Bund verheißen worden war. Für diese Bedeutung spricht, daß sich die Galiläer intensiver mit landwirtschaftlicher Produktion befaßten (Josephus, Bell III 42-44) als die Judäer. Die Debatte über die Beweggründe dieser Pilger wird sicher anhalten, doch beweist schon die faktische soziale Bedeutung jener Pilger die religiöse und kulturelle Treue galiläischer Juden zum Jerusalemer Tempel.

Judäa undJerusalem:

Die Heilige Stadt und der Tempel

Das Jerusalem des Herodes Trotz der großen Menschenmenge, die Jesus in Galiläa nachfolgte (ζ. B. Mk 2,13; 3,7; 4,1; 5,24; 6,34) und seinen Einzug in Jerusalem bejubelte (Mk 11,8-10), starb er, von seinen Jüngern und den Menschen verlassen (Mk 14,70-71; 15,9-14.21), „außerhalb des Stadttors" Qoh 19,20; Hebr 13,12). In der Nähe der Stadtmauer nahm Jesus vermutlich sein letzes Mahl ein, wurde er vom Hohenpriester und vom römischen Präfekten Pilatus verhört und gekreuzigt. Sein Erfolg in den kleinen Städten Galiläas wandelte sich zum Mißerfolg im städtischen Jerusalem. Die Gründe für die Anziehungskraft Jerusalems waren nicht wirtschaftlicher Natur. Räuber machten die zur Stadt führenden Straßen unsicher. Eine natürliche Ost-West-Verbindung durch die Berge fehlte, nur die Nord-SüdRoute entlang der Wasserscheide bot einen natürlichen Verkehrsweg. Das umgebende Land war für landwirtschaftliche Zwecke nur beschränkt geeignet. Der hohe Bergkamm, auf dem auch Jerusalem liegt, fängt Niederschläge ab und wirkt so zugleich als Regenschranke für die östlich davon gelegenen Orte. Nur die Bautätigkeit des Herodes und der Tempel erklären den dorthin „importierten" Handel. So kam es, daß eine Stadt im Hochland mit wenig Wasser, unfruchtbarem Boden und gefährdeten Straßen blühenden Handel und Gewerbe aufwies — sämtlich am heiligen Tempel orientiert. Literarische und archäologische Quellen erlauben es, die Eigenart dieser antiken heiligen Stadt zu verdeutlichen (Josephus, Bell V 136—247; Tacitus, Hist V 11-12; Arist 83-118 und die Mischna, besonders die Traktate Middot und Tamid). Im 20. Jahrhundert wurden mehr als zwanzig wichtige Ausgrabungen in der Stadt vorgenommen. „Sie war mit einander gegenüberliegenden Teilen auf zwei Hügeln erbaut; diese trennte ein dazwischen verlaufender Einschnitt (das Tyropoeon-Tal), an dem die dicht gedrängt stehenden Häuser aufhörten" (Josephus, Bell V 136). Die Oberstadt war auf dem höheren westlichen Bergrücken errichtet worden; die Unterstadt samt Tempel lag auf dem östlichen sichelförmigen Hügel (dessen Name, Ophel, „Buckel" bedeutet). Beide Hügel waren getrennte Festungen. Als Pompeius die Oberstadt im Jahr 63 v. Chr. besetzte, mußte er danach noch den Tempel

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belagern. In seleukidischer Zeit bewohnten die syrischen Truppen und die hellenisierten Juden die Oberstadt als ein „Antiochien in Jerusalem" (2Makk 4 , 9 . 1 9 ) 2 1 , so daß beide Bezirke einander feindlich gegenüberstanden. Herodes verstärkte beide Festungen noch: Die Burg Antonia beherrschte den Tempel in der Unterstadt und der Palast des Herodes mit seinen drei hohen Türmen die Oberstadt. Herodes verdoppelte die Größe des Tempelberges, indem er im Nordwesten hohes Gestein abtragen und ihn im Südosten mit Mauern und Gewölben abstützen ließ. Die Mauern rings um die Erhebung, die den Tempelbezirk trägt, umfassen eine Fläche von über 14 Hektar und sind in der für die herodianische Zeit typischen Art behauen (Bossierungen). Die Hauptschicht von Steinblöcken unterhalb der südlichen Tore hat eine Höhe von fast zwei Metern. Der Eckstein dieser Lage mißt 7 mal 2 Meter und wiegt mehr als 100 Tonnen. Wenn man sich der Stadt von Osten über den Ölberg näherte, stieg man ins Kidron-Tal hinab und kam hinauf zum Goldenen Tor, wo man die Mauern durchschritt, die den Tempelberg stützen; vielleicht ist es identisch mit dem Schönen Tor von Apg 3 , 2 , dem Schauplatz der Geschichte, wo Petrus einen lahmen Mann heilt. Nachdem man den H o f der Heiden auf dem Tempelberg überquert hatte, betrat man den eigentlichen Tempelbezirk von Osten her durch das Korinthische Tor. Es wurde „Korinthisches Tor" genannt, weil es aus korinthischer Bronze gefertigt war, die den Wert von Gold und Silber übertraf (Josephus, Bell V 201). Überquerte man westwärts den H o f der Frauen, so gelangte man nach Durchschreiten des Nikanor-Tors in den H o f Israels. An diesen Schloß sich der H o f der Priester an, mit dem großen Altar vor dem heiligen Tempel selbst. Dessen Vorhalle war 50 Meter breit, das Allerheiligste dahinter jedoch nur 35 Meter. Natürlich durfte niemand durch den doppelten Vorhang in das Allerheiligste gehen, mit Ausnahme des Hohenpriesters, der es jährlich am Versöhnungstag betrat. Im Nordwesten befand sich die Festung Antonia, die von den Hasmonäern errichtet worden war und von ihnen Baris genannt wurde. Herodes verstärkte sie und benannte sie nach Marcus Antonius um. Nach Lk lief ein Tribun mit seinen Soldaten und Zenturionen von dort hinunter, um Paulus festzunehmen und zu beschützen, als er das Volk von den Stufen der Antonia herab ansprach (Apg 2 1 , 3 2 . 3 5 ) . In der nordwestlichen Ecke der Oberstadt baute Herodes seinen eigenen Palast mit zwei großen Festsälen und Unterkünften für hundert Gäste. Innerhalb der Palastgärten befanden sich Schwimmbecken mit sprudelnden Wasserquellen. Durch die Errichtung von drei mächtigen Türmen verstärkte er die Nordseite seines Palastes; einen der Türme benannte er nach seinem Bruder Phasael. Philo (LegGai 299) berichtet, daß Pilatus während der jüdischen Feste im Herodespalast wohnte, und Josephus erwähnt zwei Präfekten, die von der Terrasse des Herodespalastes aus zur jüdischen Menge sprachen: Pilatus im Jahr 3 0 und Florus im Jahr 6 6 n.Chr. (Bell II 1 7 5 176.301.308). Als Jesus von Pilatus verhört wurde, saß dieser wahrscheinlich

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vor dem Gebäude auf einem Richterstuhl (Mt 27,19) vor den Hohenpriestern und der Menge (Lk 23,4). Nach Joh 19,13 wurde das endgültige Urteil vom Richterstuhl an einem Ort, der „Steinpflaster" bzw. auf Hebräisch Gabbata („der erhobene Platz") genannt wurde, gefällt; dabei könnte es sich um Herodes' Palast gehandelt haben, nicht aber um die Antonia. 22 Festus dürfte die Anklagen gegen Paulus im selben Palast angehört haben (Apg 25,1-3). Nahman Avigad hat eine Straße in der Oberstadt ausgegraben, die über den Trümmern eines Hauses gebaut wurde, das zur Zeit der Herrschaft des Herodes bewohnt war. Der Ausbau der Stadt hatte zur Folge, daß die dort wohnende Familie ihr Haus zugunsten von Herodes' Umgestaltungsplänen verlassen mußte; nach dem überzeugenden Vorschlag von John Wilkinson handelt es sich daher um ein rechtwinkliges Gitternetz von Straßen, das an der Terrasse des Palastes ausgerichtet war. 23 Das von Herodes umgestaltete Jerusalem war kein Chaos enger, verwinkelter Gassen mehr, sondern eine nach Plan errichtete Stadt wie Antiochien. In der Oberstadt wohnten die Reichen. Deren Häuser waren im hellenistischen Stil mit einem Innenhof ausgestattet, um den die Zimmer lagen, sowie mit unterirdischen Zisternen und Wasserbecken. Ein Beobachter nannte das Resultat „die nicht nur in Judäa bei weitem berühmteste Stadt" (Plinius der Ältere, Naturkunde V 14). Die Unterstadt war volkstümlicher, orientalischer und von den Armen dicht bevölkert. Hier befanden sich das öffentliche Gebäude und die Archive, die zu Beginn des Jüdischen Krieges von den Rebellen verbrannt wurden, denen es so gelang, die Schuldscheine zu vernichten. Die Häuser waren aus kleinen Steinen errichtet und standen ohne viel Platz für Gärten dicht zusammengedrängt, obwohl auch sie einen durch eine Mauer geschützten Innenhof besaßen. Die Forscher vertreten unterschiedliche Ansichten darüber, ob die Straßen in der Unterstadt ohne Planung angelegt worden sind oder ebenfalls in Form eines rechtwinkligen Gitternetzes um den Tempel herum. Die Größe der Jerusalemer Bevölkerung schuf Probleme bei der Wasserversorgung, und auch Herodes benötigte für die Wasserspiele in seinem Palast zusätzliches Wasser. Er ließ daher die Wasserleitung, die die Stadt von Süden her mit Wasser versorgte, etwa auf das Dreifache verlängern (von 23 auf 68 Kilometer). Strittig ist, ob diese Maßnahme eine Verdoppelung der Bevölkerung von 35000 auf 70000 Einwohner ermöglichte oder dem verdoppelten Wasserbedarf der Neubauten diente, so daß die Einwohnerzahl bei etwa 40000 blieb. Die Sadduzäer und Priester Trotz der Macht und des Einflusses der Sadduzäer ist kein einziger sadduzäischer Text erhalten geblieben. Bekannt ist diese Gruppe allein aus den Darstellungen ihrer religiösen, sozialen und politischen Gegner (äthHen

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91-97; PsSal 4; AssMosis 7). Josephus ist, neben einigen Hinweisen im Neuen Testament und bei späteren Rabbinen, die Hauptinformationsquelle. 24 Josephus* früheste Aussage lautet, daß sie das Schicksal, die Unsterblichkeit der Seele und ewigen Lohn nach dem Tod leugnen sowie den freien Willen bejahen (vgl. Mt 22,23; Apg 23,8). In sozialer Hinsicht beschreibt er sie als solche, die sich gegenüber ihren Volksgenossen wie Fremde benehmen (Bell II 164—166: „Die Pharisäer sind einander zugetan und halten die Einigkeit zum gemeinsamen Beten hoch, bei den Sadduzäern aber ist auch untereinander das Benehmen gröber und die Verhaltensformen mit den Volksgenossen schroff wie mit den Fremden."). Bei einer Beschreibung politischer Spannungen zwischen Pharisäern und Sadduzäern unter dem Makkabäer Hyrkanus erklärt Josephus, daß die Pharisäer dem Volk gewisse Regeln auferlegen, die nicht von Mose niedergeschrieben wurden, und daß die Sadduzäer diese Regeln verwerfen (Ant XIII 297; vgl. XVIII 16-17). In diesen Debatten besitzen die Sadduzäer die Unterstützung der Reichen, nicht aber die des Volkes, das auf selten der Pharisäer steht (Ant XIII 298). Die übliche Auffassung, daß die Sadduzäer nur die fünf Bücher Mose als bindend ansahen und die Propheten verwarfen (diese Ansicht findet sich bei Orígenes, 185—254 η. Chr.), wird jedoch durch Josephus nicht bestätigt und ist wahrscheinlich unrichtig. Die Sadduzäer waren Aristokraten. Einige von ihnen waren Priester, aber nicht alle; viele gehörten zum Laienadel. 25 Ihr Name ist wahrscheinlich von Zadok abzuleiten, der ein Priesteramt unter Salomon bekleidete. Obwohl Sadduzäer und Priester nicht gleichgesetzt werden dürfen, waren sie eng miteinander verbunden; seit persischer Zeit war die Priesteraristokratie die führende politische Kraft des Judentums. Politischer und kultureller Kontakt mit ausländischen Machthabern führte zu ihrer Hellenisierung, wie aus den Makkabäerbüchern deutlich hervorgeht. Unter Hyrkan, Aristobul und Alexander Jannäus waren die Sadduzäer einflußreich. Die Periode pharisäischer Vorherrschaft unter Alexandra (76—67 v. Chr.) war nur von kurzer Dauer. In herodianischer und römischer Zeit gehörten einige der hohenpriesterlichen Familien dem sadduzäischen Adel an (Apg 5,17; Josephus Ant XX 199). Als jedoch der jüdische Staat im Jahr 70 n.Chr. unterging, verschwanden zugleich auch die Aristokraten. Die Macht der Priester beruhte auf dem Umstand, daß allein sie das Recht hatten, Opfer darzubringen (Ex 28-29; Lev 8-10; Num 16-18). Um die soziale Situation in Palästina zur Zeit Jesu zu erhellen ist es unerläßlich, die Abgaben, d. h. die Steuerleistungen, an die Priester zu erörtern. 26 Die moderne historisch-kritische Forschung hat eine zutreffende Einsicht in das Wachsen der letzten priesterlichen Schicht des Pentateuchs ermöglicht und damit zugleich in das Wachstum des priesterlichen Wohlstandes. In vorexilischer Zeit bis hin zum Deuteronomium wurden die Opfer nur anläßlich kultischer Rituale den Priestern im Tempel übergeben. Nachdem das Tier auf dem Altar verbrannt worden war, wurde es zum größten Teil von den Darbringenden und zum kleineren Teil vom Priester verzehrt. Die Priester-

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schrift jedoch führte den Zehnten (Num 18,20-32) und das Erstlingsopfer (Num 18,15—18) als Steuern ein, und bis zur Zeit Nehemias wurden diese eingefordert. Das Volk begann, ein Zehntel der Feldfrüchte und des Obstes abzugeben; ein singulärer Text verlangt sogar ein Zehntel des Viehs (Lev 27,32—33), und zwar nicht nur von geopferten, sondern von allen geschlachteten Tieren. Zu den früheren levitischen Opferabgaben wurde der Zehnte der Priesterschrift einfach als „zweiter Zehnter" hinzugefügt. Macht und Steuern wechselten so von den Königen zu den Priestern. Die „Erstlinge" von sieben Arten von Feldfrüchten (aufgeführt Dtn 8,8) wurden den Priestern als Steuern gegeben. Zusätzlich wurde das Hebeopfer terumah von allen anderen Feld- und Baumfrüchten — zu den wichtigsten gehörten Weizen, Wein und Ol — entrichtet, und zwar im Umfang von etwa einem Fünfzigstel des Jahreseinkommens. Die schwerste aller Lasten war der Zehnte, der, wie die Evangelien herausstellen, genau ausgerechnet wurde (Mt 23,23; Lk 11,42). Was der Boden auch immer hervorbrachte, es wurde gezehntet und den Leviten gegeben, die ihrerseits ein Zehntel ihrer Einkünfte an die Priester weitergaben. Ferner gab es die Halb-Schekel-Steuer, eine weitere nachexilische Abgabe (Ex 30,11-16), die auch Jesus bezahlte (Mt 17,2427; vgl. Joseph us, Bell VII 218). Nicht zuletzt erhielt der Tempel auch viele freiwillige Geschenke — angefangen vom Gold, das Alexander, der Alabarch von Alexandrien und Bruder Philos, für die Tempeltore gab, bis hin zum Scherflein armer Witwen (Mk 12,41-44). Manche der Aristokraten, die nicht notwendigerweise Sadduzäer waren, wurden „Alteste" genannt. Sie waren keine gelehrten Weisen, sondern Familienoberhäupter - reiche Personen, die einflußreiche öffentliche Stellungen bekleidet hatten. Neben den Sadduzäern stellten die Altesten eine zweite Fraktion im Synhedrium dar, obwohl ihr Anteil zu jener Zeit abnahm. Hinweise auf sie finden sich bei Josephus (Ant IV 218) und im Neuen Testament (Mt 27,1.20.41; Mk 15,1). Die Schriftgelehrten und Pharisäer Die dritte Gruppe im Synhedrium waren die Lehrer der Thora, ein Stand von berufsmäßigen Schriftgelehrten (vgl. das Buch Sir). Ihre Thorakenntnis verlieh ihnen Einfluß. Männer aus allen sozialen Schichten wurden gebildete Schriftgelehrte, z. B. der bedeutende Priester und Tempelhauptmann Rabbi Hanania (Mischna Abot III 2), der Priester und General Josephus (Vit 8—9), der Zeltmacher Paulus (Apg 18,3), der Tagelöhner Hillel und der Kaufmann Jochanan ben-Zakkai.27 Diese Schriftgelehrten unterrichteten Schüler und berieten das Synhedrium durch Auslegung der Thora in rechtlichen Fragen. Man erzählte viele Geschichten über das wachsende Ansehen, das die Schriftgelehrten beim Volk genossen. Die Stellung und die Macht des Hohenpriesters wurde im Gegensatz dazu durch die Seleukiden, Herodianer und Römer beständig untergraben, da sie willkürlich Hohepriester ernannten und ent-

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ließen. Obwohl ihre Macht im Vergleich zu den Schriftgelehrten abnahm, blieben die Priester die herrschende Gruppe in Judäa, bis der Krieg ihrer politischen und religiösen Wirksamkeit ein Ende setzte. Die zunehmende Macht der Schriftgelehrten kam den Pharisäern zugute, obwohl beide Gruppen nicht identisch waren. Die Schriftgelehrten waren berufsmäßige Kenner der Thora, die Pharisäer hingegen eine Sekte, die sich um die genaue Einhaltung des Gesetzes, namentlich der Speise- und Reinheitsgebote, bemühte. Sie galten als „die genauesten Ausleger der Gesetze" (Josephus, Bell II 162). Paulus war „nach dem Gesetz ein Pharisäer... nach der im Gesetz verlangten Gerechtigkeit untadelig" (Phil 3,5—6). „Nach der strengsten Sekte unserer Religion habe ich als Pharisäer gelebt", behauptet Paulus von sich (Apg 26,5; vgl. 22,3). Ihr Name (auf Hebräisch peruschim) bedeutet „die Abgesonderten". Sie haben sich gewiß von unreinen Dingen ferngehalten, wie es das Buch Leviticus verlangt, doch bedeutete dies auch die Absonderung von unreinen Personen, ζ. B. von Frauen nach einer Geburt, von Aussätzigen oder von Frauen und Männern mit Ausflüssen (vgl. Lev 12-14), sowie von Toten (Num 19). Der Apostel Petrus trennte sich von den (christlichen) Heiden in Antiochien (Gal 2,12), doch war diese Art der Absonderung für alle Juden charakteristisch (vgl. Tacitus, Hist V 5: „Sie sitzen bei Mahlzeiten getrennt"). Der Name der Sekte ergab sich vielmehr aus einer Absonderung, an der sich andere Juden nicht beteiligten: Ihre strengere Auffassung von der Reinheit führte dazu, daß sie sich von anderen Juden absonderten. Sie hielten sich von den Ungebildeten und vom am ha-arez fern, der die Gebote nicht so genau befolgte (Mischna, Chagiga II 7), namentlich die Gebote, die koscheres Essen und Reinheit vorschrieben. Das jüdische Volk beachtete im allgemeinen das Gesetz (Josephus, ContrAp I 42-43;II 227-228.232-235.272-273; Rom 9,30-10,4), obwohl nicht immer entsprechend der mündlichen Thora der Pharisäer. „Von den 341 Gesetzesabschnitten der Schulen (sc. Schammais und Hilleis) beziehen sich nicht weniger als 229, also etwa 67% direkt oder indirekt auf die Tischgemeinschaft."28 Die Pharisäer bewahrten ihre Identität in der hellenistischen Stadtkultur durch strikte Befolgung jener zentralen Symbole, die mit der Tischgemeinschaft zu tun haben. Laut Lev 7,20-21;15,31 (vgl. Num 19,13.20) muß jeder Israelit rein sein, wenn er im Tempel Opferfleisch ißt. Jacob Neusner betont, daß die Pharisäer die Thora neu interpretierten, um „die allseitige Einhaltung des Gesetzes zu betonen, so daß jeder Jude verpflichtet ist, all das zu tun, was normalerweise nur von der Elite, den Priestern, erwartet wird." 29 Sie verlagerten das Interesse vom Verzehr der Opfer im Jerusalemer Tempel auf die Einnahme der täglichen Mahlzeiten überall in den Häusern jüdischer Laien. Diese Auslegung der biblischen Priesterschrift zugunsten des Priestertums aller Juden ermöglichte es dem Judentum, die Zerstörung des Tempels zu überleben, der vor 70 n. Chr. das zentrale sichtbare Symbol gewesen war. Nach dem Fall des Tempels verbanden die Rabbinen drei Lehrelemente aus der Zeit vor 70:

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1. die Forderung der Pharisäer, daß jeder Jude priesterliche Reinheit zu bewahren habe, 2. die schriftgelehrte Betonung des Thorastudiums und die zentrale Stellung von ausgebildeten Lehrern, 3. die Uberzeugung, daß die Gemeinde, das Volk Israel, nunmehr an der Stelle des Tempels stehe. 30 Die Traditionen der Pharisäer sind, so wie sie von den Rabbinen nach dem Fall Jerusalems wiedergegeben werden, erstaunlich unhistorisch: Wenn wir nur auf die rabbinischen Traditionen über die Pharisäer angewiesen wären, würde sich kein einziges wichtiges öffentliches Ereignis aus der Zeit vor 7 0 rekonstruieren lassen: der Aufstieg, Erfolg und Fall der Makkabäer ebensowenig wie die römische Eroberung Palästinas oder die Herrschaft des Herodes oder die Regierung der Prokuratoren oder der wachsende Widerstand gegen Rom oder die Entwicklung von sozialer Gewalt und Unruhe in den letzten Jahrzehnten vor 6 6 n. Chr. oder der Ausbruch des Krieges gegen Rom. 3 1

Doch waren die Pharisäer entgegen den späteren rabbinischen Traditionen politisch einst sehr aktiv. Sie erscheinen erstmals im Bericht des Josephus über die makkabäische Königin Alexandra, die ihnen mit „allzu großer Ehrerbietung" zuhörte, so daß die Pharisäer schließlich „zu den wirklichen Verwaltern des Staates wurden" (Josephus, Bell I 111). Während dieser Zeit richteten sie ihre Gegner hin, was die aristokratischen Bürger in Gefahr brachte (Bell I 113-114). Davor waren die Pharisäer vielleicht die dem Alexander Jannäus feindlich gesonnene Partei, der achthundert von ihnen kreuzigen ließ (Bell I 97.113); doch erwähnt Josephus den Namen der Gegner nicht. Wohl aber nennt er die Pharisäer als Gegner Herodes' des Großen, dem sie den Treueid verweigerten. Er legte ihnen eine Geldbuße auf, die sofort von der Frau seines Brudes Pheroras bezahlt wurde. Als Dank für ihre Freundlichkeit sagte ihr ein Pharisäer voraus - „denn sie standen in dem Ruf, daß sie durch göttliche Erscheinungen Dinge im voraus wüßten - daß Herodes nach dem Ratschluß Gottes seinen Thron verlieren werde" (Josephus, Ant XVII 4 3 ; vgl. X V 4 . 3 7 0 und Apg23,8-9).

Herodes ließ diese Pharisäer und viele aus seinem Hofstaat, die ihnen Glauben schenkten, hinrichten. Die frühen Pharisäer waren eine politische Partei. Josephus nennt einen Pharisäer, Sadok, als Mitbegründer der revolutionären Partei (Ant XVIII 4.9). Die späteren Quellen, das Neue Testament und die rabbinische Literatur, erwähnen sie jedoch nicht als politische Partei. Folglich dürfte sich — bald nachdem Herodes viele von ihnen hatte hinrichten lassen und zur Zeit Hilleis — der Charakter des Pharisäismus von einer politischen Kraft zu einer weitabgewandten Sekte verändert haben, die sich eher mit Reinheit, Absonderung und Tischgemeinschaft beschäftigte, obwohl sie in städtischen Kreisen (Josephus, Ant XVIII 15), vielleicht einschließlich der Siedlungen entlang der Küste des Sees Genezareth wie Tarichäa, Chorazin und Kapernaum (Josephus,Vit 134-135-158; Ant XX 43; L k 7 , 3 6 ; 11,37), noch immer einflußreich war. Speziell über diese Eßgewohnheiten und die damit verbünde-

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IV. KAPITEL: Die gesellschaftliche Situation in Palästina

ne Neuinterpretation der Thora gerieten die Pharisäer und Jesus in Streit (Mk 2,15-17; 7,1—23). Desgleichen befand sich der ehemalige Pharisäer Paulus in schärfstem Konflikt mit den Pharisäern, als er seine eigene frühere Sitte verwarf, sich bei Tisch von den Unreinen abzusondern ( 1 Kor 10,23— 33; Gal 1,13; 2,11-18).

Gewerbe und Handel Außer den eben beschriebenen religiösen und sozialen Gruppen gab es verschiedene andere Berufsstände. „Man lasse seinen Sohn weder Eseltreiber noch Kamelführer noch Barbier noch Seemann noch Hirt noch Krämer werden" (Mischna, Qid IV 14). Eine babylonische Liste schließt es ferner aus, Schäfer, Steuer- oder Zolleintreiber zu werden (b Sanhédrin 25b). Wie die Funde aus Beth Schearim verdeutlichen, gab es seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. auch jüdische Bildhauer. Im Unterschied zu diesen „gemeinen Gewerben" gab es „notwendige Gewerbe", denen auch viele frühe Rabbinen nachgingen: Sandalenmacher, Bäcker, Parfümhersteller, Tischler, Lederarbeiter, Schreiber. 32 Die Fertigkeiten in diesen Berufen wurden oft vom Vater an den Sohn weitergegeben. Gelegentlich gingen sogar die Einwohner ganzer Dörfer einer besonderen Beschäftigung nach; so hatte z. B. Beth-saida (zu deutsch etwa „Fischhausen") seinen Namen von der Fischindustrie. Handel wurde in bestimmten Zentren getrieben, z. B. in Jerusalem, Tiberias und Tarichäa. Die Namen der Handelswaren wurden oft vom Griechischen ins Aramäische oder Hebräische transkribiert. Besonders zu Pilgerzeiten fand ein lebhafter örtlicher Handel statt. Daneben gab es, wenn auch in geringerem Maße, Handel mit dem Ausland. Wein und Vieh wurden aus der Saron-Ebene exportiert, Olivenöl aus Judäa, Weizen aus Galiläa.

Die Ökologie der Jesusbewegung

Jesus schuf in jener Gesellschaft eine Erneuerungsbewegung, die von ökologischen, politischen und kulturellen Faktoren beeinflußt wurde. „Sozioökonomische Faktoren bedingen das markanteste Phänomen der Jesusbewegung: die soziale Entwurzelung der Wandercharismatiker." 33 Petrus (Mk 10,28) und andere (Did 11,3—4) sollen diesem Schema entsprechen. Analoge Reaktionen auf die wirtschaftliche Entwurzelung finden sich bei den Widerstandskämpfern, bei Propheten wie Theudas (Apg 5,36), bei Emigranten und Räubern (Lk 10,30). Die Gründe für diese wirtschaftlichen Verwerfungen waren Überbevölkerung, die Konzentration des Besitzes sowie die konkurrierenden Steuersysteme.3'* Das Land war so stark bevölkert, daß alle Flächen bebaut waren. Durch ständig neue Kriegszüge war immer mehr Land besetzt und konfisziert worden. Die schwerste wirtschaftliche Last

Die Ökologie der Jesusbewegung

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waren jedoch die Steuern, die von den Römern und von den Priestern erKoben wurden. Der Anspruch der Priester auf diese Einkünfte wurde sowohl von der Priesterschrift (der jüngsten Schicht der mosaischen Thora), als auch von den Sadduzäern und Pharisäern bestätigt (Mt 23,23; Lk 18,12). Eine strikte Auslegung der entsprechenden Gebote stand im Eigeninteresse beider Gruppen. Ökologische Faktoren, die die Jesusbewegung beeinflußten, haben mit der Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur zu tun, namentlich mit der Beziehung zwischen Stadt und Land. Jesus reiste durch die kleinen, oft ungenannt bleibenden Städte Galiläas. Die Bürger von Sepphoris, Tiberias, der Küstenebene und der Dekapolis haben keine seiner Reden gehört. Als Jesus das Gebiet der Städte in der Dekapolis betrat, blieb er außerhalb ihrer Mauern (Mk 5,1; 7,31; 8,27). Wie oben gezeigt, spiegeln seine Gleichnisse durchweg ländliche Eindrücke wider und beziehen sich lediglich einmal auf einen städtischen Kaufmann (Mt 13,45—46). Zwei Tatsachen modifizieren jedoch dieses populäre Bild einer auf das Land beschränkten Jesusbewegung. Sie stand nämlich in Spannung zu einer anderen wichtigen jüdischen Erneuerungsbewegung, den Pharisäern, die eine städtische Gruppe waren. Josephus bemerkt (Ant XVIII 15), daß die „städtischen" Juden die Lebensweise der Pharisäer praktizierten. Sie gewannen die Vorstellung vom Primat des Gesetzes aus der Welt der Polis, wo ihnen die Verfassungen der hellenistischen Städte als Vorbild dienten 35 ; dies bedeutet eine erhebliche Akzentverschiebung gegenüber einem früheren Verständnis der Thora „als Geschichte ( m y t h o s ) mit darin verankertem Gesetz (ethos)", bzw. als Haggada mit darin eingebetteter Halacha. 36 Sie übernahmen deduktive Formen der Argumentation und Interpretation, die in der hellenistischen Bildung, nicht aber im Pentateuch zu finden waren. Die sieben Interpretationsregeln Hilleis begegnen schon vorher bei Cicero (Inv II 40,116). Im Widerspruch zum Pentateuch, nach dem Ammoniter und Moabiter von der Gemeinde Gottes ausgeschlossen waren, ließen die Pharisäer Proselyten zu (Mt 23,15). So wie Athen die Welt hellenisierte, nahmen auch die Pharisäer Bewunderer aus anderen ethnischen Gruppen in Israel auf. Die grundlegende pharisäische Unterscheidung zwischen verschiedenen Graden von Unreinheit erlaubte es städtischen Handwerkern und Krämern, ihren täglichen Geschäften weiter nachzugehen: Zwar waren sie rituell nicht rein genug, um den Tempel zu betreten, aber nicht so unrein, daß sie ihre Werkzeuge verunreinigten. 37 Die Landbevölkerung leistete diesen Reinheitsgeboten nur selten Gehorsam. Jesu Konflikt mit den Pharisäern bedarf einer Erklärung. Lassen sich die Auseinandersetzungen zwischen ihnen durch Spannungen zwischen Stadt und Land erklären? Oder trafen Jesus und die Pharisäer in den Städten rings um den See Genezareth aufeinander, z. B. in Kapernaum, Chorazin oder Tarichäa? Wie oben bemerkt, gehören die beiden letztgenannten Städte zu den wenigen, wo Synagogen aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. entdeckt worden sind - Gebäude also, die einen gewissen Wohlstand und den örtlichen Einfluß von Pharisäern nahelegen.

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IV. K A P I T E L : D i e gesellschaftliche Situation in Palästina

Was läßt sich nun über die Frauen sagen, die mit Jesus durch Galiläa zogen und ihm nach Jerusalem folgten (Mk 1 5 , 4 0 - 4 1 ; Lk 8 , 1 - 3 ; 2 4 , 1 0 ) ? Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes (Lk 8 , 3 ) , gehört der lukanischen Redaktion an (in Lk 2 4 , 1 0 wird Johanna in den Text von M k 1 6 , 1 eingefügt). Die Schlußfolgerung, eine Frau vom H o f des Tetrarchen in Tiberias habe zu Jesu Jüngerinnen gehört, ist daher problematisch. Wenn aber das Motiv, daß Jesus und seine Anhänger von solchen Frauen finanziell unterstützt wurden, kein Anachronismus ist, ergibt sich daraus, daß Jesus und seine Jünger keine schlichten Landbewohner waren. Frauen in der Nachfolge Jesu „sind ein Phänomen, das in der damaligen Zeit ohne Vorbild ist" 3 8 ; dazu gehörte auch, daß eine von ihnen, Maria Magdalena, und nicht etwa Petrus, als erste die Auferstehung Jesu von den Toten bezeugte. 3 9 Solche unkonventionellen sozialen Beziehungen provozierten ablehnende Reaktionen, die zu Jesu Tod am Kreuz führten, doch verlangt die zustimmende Reaktion von Frauen auf diese neuen sozialen Möglichkeiten nach einer entsprechenden Erklärung. Das in Palästina geschriebene apokryphe Juditbuch setzt einen sozialen Kontext voraus, in dem die Geschichten über Jesu Jüngerinnen möglich wären 4 0 , doch ist unbekannt, in welcher Sprache und in welchem Jahrhundert Jdt geschrieben wurde. Bekannt ist hingegen, daß Jesu Jüngerin Maria aus Magdala aus einer Stadt stammte, die wahrscheinlich mit Tarichäa (= Salzfischplatz) gleichzusetzen ist; der Name deutet an, daß es dort eine bedeutende hellenistische Fischverarbeitungsindustrie gab (vgl. Josephus, Bell II 635). Die frühe christliche Gemeinde Palästinas, die Q hervorbrachte (die in M t und Lk verarbeitete Spruchquelle), verstand Jesus als Propheten der himmlischen Sophia, der „Weisheit" (Lk 7 , 3 3 - 3 5 ; 1 1 , 3 1 ) . Vielleicht schon in Q (Lk 1 0 , 2 2 ) , sicher jedoch in M t wurde Jesus mit der Weisheit selbst gleichgesetzt. 41 Manche Forscher meinen, die Geschichten über die Weisheit seien nach dem Vorbild des Isismythos gestaltet und hätten daher zu sozial gleichen Beziehungen zwischen Männern und Frauen führen können. 4 2 Doch ist unbekannt, ob Jesus selbst einen Zusammenhang zwischen seinem Verständnis der Sophia und seiner Praxis, Frauen zur Nachfolge zu ermutigen, herstellte. Ein anderer Ursprung seiner Praxis könnte in der eschatologischen Aufhebung der sozialen Unterschiede zwischen Mann und Frau (Mk 1 2 , 2 5 ) zu suchen sein; doch dürften diese Passagen späteren Ursprungs sein. 4 3 Die Wurzeln der jesuanischen Praxis, weibliche ebenso wie männliche Nachfolger zu berufen, bleiben somit ein historisches Rätsel. Der rein ländliche ökologische Kontext der Jesusbewegung ist also etwas überzeichnet worden. Doch bleibt festzuhalten, daß die Juden, die in Kleinstädten wie Kapernaum und Tarichäa lebten, von den Juden der griechischen Städte von Sepphoris und Tiberias entfremdet waren und daß Jesus über den Jerusalemer Tempel sagen konnte, er sei zu einer „Räuberhöhle" (Mk 1 1 , 1 7 ; zitiert nach Jer 7 , 1 1 ) geworden. Auch etliche andere Propheten Palästinas übten Kritik an den Machthabern in Jerusalem. Die Apostelgeschichte nennt Judas den Galiläer und

Die Ökologie der Jesusbewegung

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Theudas (Apg 5,36-37; vgl. Mt 24,4-8). Sie und die Essener, die sich in die Wildnis nahe des Toten Meeres zurückgezogen hatten, forderten Haß gegenüber Außenstehenden (1 QS I 10) — eine Haltung, die von Jesus verworfen wurde (Mt 5,43-47). Mehrere Vorfälle machen deutlich, daß das Zusammenleben von Juden und Heiden in Palästina große Schwierigkeiten bereitete. Zu Beginn des Krieges gegen die Römer kam es in mehreren Stadtstaaten zur Niedermetzelung von Juden (Josephus, Bell II 456— 458.477-480.569-561); entsprechend töteten die Juden von Tiberias die heidnische Bevölkerung (Josephus, Vit 67). Das Verhalten der römischen Soldaten, die oft in hellenistischen Städten wie Samaria angeworben wurden, war während der Passafeste höchst verletzend (Josephus, Bell II 224.229). Als der den Juden wohlgesonnene König Agrippa I. starb, errichtete die heidnische Bevölkerung von Cäsarea Statuen seiner Tochter auf den Dächern der örtlichen Bordelle (Josephus, Ant XIX 357). Im Palästina des 1. Jahrhunderts n. Chr. kam es also zu keiner Integration. Die eben aufgezählten politischen Konflikte ergaben sich zumindest teilweise aus der Tatsache, daß die kulturelle Identität von Juden und Heiden in Palästina bedroht war. Die Hellenisierung des Judentums, die in Sprache, Wirtschaft, Politik und sogar in der Auslegung der Thora stattgefunden hatte, drohte sich fortzusetzen. In einer Situation, wo eine Minderheit unter starkem Druck der herrschenden Gesellschaft steht, vollzieht sich die kulturelle Anpassung zudem in unterschiedlicher Weise: Welche Normen gelokkert und welche verschärft werden, ist innerhalb der Minderheitengruppe nicht einheitlich. Diese Uneinheitlichkeit bestand auch innerhalb der jüdischen Minorität Palästinas und führte zu einer wechselseitigen Entfremdung zwischen Pharisäern, Sadduzäern, Essenern und den Jesusjüngern. Tragisches Ende war, daß der Versuch, jüdische Identität durch Verschärfung bestimmter Normen zu bewahren, in einen Identitätsverlust der ganzen Gruppe mündete, da die verschiedenen Sekten unterschiedliche Normen verschärften. 44 So war die extreme pharisäische Betonung der Reinheit im täglichen Leben samt der damit verbundenen sozialen und religiösen Trennung von den Römern und dem jüdischen am ha-arez auch eine Reaktion auf diesen möglichen Verlust der eigenen Identität. Unter denselben kulturellen Bedingungen erprobten die Nachfolger Jesu als jüdische Erneuerungsbewegung eine Gemeinschaftsform, die allen offenstand. Freilich werden die Evangelien durch die gängige „kynische Interpretation" der Jesusbewegung unter dem Motto des „Besitzverzichtes"4^ in unzutreffender Weise harmonisiert. Das Bild von den Wandercharismatikern erscheint außerhalb der Evangelien nicht — so ζ. B. nicht in der Apg, wo sich die Apostel, von Petrus abgesehen, in Jerusalem aufhalten. Paulus ist kein wandernder Bettler, sondern verdient sich seinen Lebensunterhalt. Der Verzicht auf Besitz ist ein herausragendes Element der lukanischen Redaktion (vgl. Lk 6,24-25; 16,19-31; Apg 4,36-37), aber kein historisches Merkmal der Jesusbewegung in Palästina. Die Verse Mk 10,28—30 beschäftigen sich nicht mit der zeitweiligen Unterstützung für wandernde Propheten; sie

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IV. K A P I T E L : Die gesellschaftliche Situation in Palästina

verheißen vielmehr ortsansässigen Konvertiten, die von ihren Familien verstoßen worden waren, eine soziale Ersatzfamilie. Es gab keine Ethik der Heimatlosigkeit, die von Wandercharismatikern frei gewählt wurde, sondern vielmehr eine politisch und ökonomisch begründete Entwurzelung, von der viele Menschen in Palästina betroffen waren. Auch daß eine „Frau" zu denjenigen gehört, die von Jesu Nachfolgern verlassen werden, geht auf lukanische Redaktion zurück (Lk 14,26). Die Ermahnung „sorget nicht" (Mt 6,25) offenbart, daß die Sorge der Wanderpropheten, die in Q reflektiert wird, der Sorge vieler Menschen „Wie kann man überleben?" entspricht. Um es noch einmal zu sagen: Lukas bedient sich dieser Geschichten, um reiche Christen zu kritisieren; Ziel dieser Kritik ist es, die sozialen Spannungen innerhalb ortsansässiger Gemeinden zu vermindern (Lk 5,28; 12,33; 14,33; 18,22). Diese Sätze dienten als Ratschlag für griechische Gemeinden außerhalb Palästinas und nicht zur historischen Beschreibung der palästinischen Jesusbewegung, zu der auch wohlhabende und verheiratete Personen gehörten. Dennoch war die Jesusbewegung sozial in der ländlichen Dorfkultur verankert und stand den griechisch-römischen Städten fremd gegenüber. Diese Entfremdung mag mit Jesu Ablehnung mancher Sozialstrukturen in Zusammenhang stehen, „weil er sich eine andere Zukunft und andere menschliche Beziehungen vorstellte".46 So lehrte Jesus nach Mk 10, 15 — von Bultmann als authentisch erachtet - daß jeder, „der das Himmelreich nicht wie ein Kind (Sklave) annimmt, es nicht erlangen wird". Zwei Texte verheißen dem Konvertiten neue Brüder, Schwestern und Mütter, lassen aber die Väter patriarchal-römischer Art weg (Mk 3,31-35; 10,28-30). Mt 23,9 entwickelt das zur Kritik an Leitungsansprüchen in der Gemeinde: „Ihr sollt niemand auf Erden euren Vater nennen!" Jesu Ubergehen der „Väter", seine Wertschätzung der Kinder und seine Praxis, Nachfolgerinnen zu berufen, unterscheidet sich in auffälliger Weise von den patriarchalischen Strukturen und Werten der griechisch-römischen Städte. Innerhalb von ein bis zwei Jahrzehnten nach der Kreuzigung Jesu hat jedoch die christliche Bewegung die grundlegende Trennlinie in der griechisch-römischen Gesellschaft, die Kluft zwischen Dorf und Stadt, zwischen Kapernaum und Korinth, überwunden und sich städtische Einstellungen gegenüber Vätern, Kindern und Frauen zu eigen gemacht, die sich von denen der ältesten Tradition deutlich unterscheiden.47

V. KAPITEL

Das Leben in der Stadt Die größeren Ortschaften und die Städte des Römischen Reiches lagen an Landstraßen, Flußübergängen und natürlichen Häfen. Wer auf einer Straße reiste, die zu einer Stadt führte, kam an Bauernhöfen, Obstgärten und Hütten, in denen Landarbeiter lebten, vorbei. Die auf Mauerbögen geführten Wasserleitungen lieferten der Stadt Wasser; entlang der Straße befanden sich Gräber, auch besondere Anlagen für einzelne Familien. Wenn sich die Straße einem Stadttor näherte, sah man Läden, Altäre und Brunnen.

Die baulichen

Verhältnisse

Außerhalb und innerhalb der Tore lebten die Menschen eng zusammen gedrängt: Händler, Gastwirte, Hausierer, Bettler, Sklaven, die einkauften oder Wasser holten. Das Tor selbst war groß, breit genug, um Zugtiere und Wagen durchzulassen. Es wurde normalerweise bei Sonnenaufgang geöffnet und bei Sonnenuntergang fest verschlossen. Eine der Pforten, die auf diese Weise zugesperrt wurden, barg eine kleinere Tìir in sich, die — wann immer nötig — geöffnet werden konnte, um jemanden einzulassen. Die Türen großer Häuser waren ähnlich konstruiert; vielleicht spielt Jesus hierauf an, wenn er seinen Nachfolgern einschärft, durch die enge statt durch die breite Pforte einzutreten (Lk 13,24). Innerhalb der Mauern konnte der Reisende entweder ein ungeordnetes Straßengewirr finden oder, vor allem in den neueren griechischen Städten sowie in den römischen Kolonien, ein geordnetes rechtwinklig angelegtes Straßennetz. Oft waren die Hauptstraßen mit einer besonderen Pflasterung versehen, wenngleich die meisten Straßen und Gassen voller Staub lagen, den man im Unmut abschütteln (Mt 10,14; M k 6 , 1 1 ; Lk 9 , 5 ; 10,11; Apg 13,51) oder nach Betreten eines Hauses abwaschen konnte, um die Füße anschließend sorgsam zu salben (Lk 7 , 3 8 - 4 6 ; Joh 12,3; 13, 5 - 1 5 ) .

Besondere Sehenswürdigkeiten Einige Städte, namentlich im Osten, demonstrierten ihren Reichtum und ihre Bedeutung durch den Bau von Kolonnaden entlang den Hauptstraßen,

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V. KAPITEL: Das Leben in der Stadt

wodurch überdachte Bürgersteige entstanden, die vor Sonne und Regen ebenso Schutz boten wie vor vorbeiziehenden Tieren und Fahrzeugen oder vor herumliegendem Abfall. Diese Hauptstraßen führten normalerweise vom Stadttor zu einem öffentlichen Platz, der von imposanten Gebäuden aus eindrucksvollen Baumaterialien beherrscht wurde. In orientalischen Städten waren die wichtigsten Bauwerke der Tempel der Schutzgottheit sowie der Palast des Herrschers, der im Römischen Reich normalerweise vom obersten Verwaltungsbeamten bezogen wurde. Während der Herrschaft der hellenistischen Könige und später der römischen Kaiser nahmen orientalische Städte wie Palmyra und Jerusalem einige Merkmale der griechisch-römischen Städte an. In einer griechischen Stadt diente die zentral gelegene Agora als Marktplatz und als Mittelpunkt des städtischen Lebens: Hier gab es zahlreiche Altäre und Tempel, Kolonnaden boten den Händlern und Geldwechslern Schutz, das bouleuterion („Rathaus") bot einen kleinen überdachten Raum für die Sitzungen des Rates, das prytaneion („Stadthaus") beherbergte ein zentrales heiliges Feuer sowie die Statuen von Göttern, Heroen und Staatsmännern, die an Ehrenplätzen aufgestellt waren. Die Bezirke weiterer Tempel fanden sich über die gesamte Stadt verteilt. Jede griechische Stadt hatte auch ein Gymnasium, wo die Jugendlichen zur Schule gingen und Leibesübungen machten und in das auch die Erwachsenen als Zuschauer und Teilnehmer an den Sportveranstaltungen kamen, ferner ein Theater, wo religiöse Feste mit musikalischen und dramatischen Darbietungen gefeiert wurden. In den römischen Kolonien befanden sich auf dem Forum normalerweise ein Jupitertempel (in Anlehnung an den großen Jupitertempel auf dem kapitolinischen Hügel in Rom), eine curia, wo der Stadtrat zusammentrat, eine basilica, wo unter schützendem Dach Rechtsfälle verhandelt und Geschäfte getätigt werden konnten, ein oder zwei kleinere Tempel sowie Ehrenstatuen von ausgezeichneten Bürgern, dem Kaiser und seiner Familie. Andere Tempel fanden sich im gesamten Stadtgebiet entweder an den Straßen oder an einzelnen herausragenden Punkten. Die römischen Städte besaßen normalerweise auch öffentliche Bäder, eine modifizierte Form des griechischen Theaters und meist ein großes Amphitheater für Gladiatorenspiele. Öffentliche Plätze Im heißen, trockenen Klima des östlichen Mittelmeerraumes hielten sich die Menschen natürlich oft im Freien und an öffentlichen Orten auf. Sie versammelten sich außerhalb und innerhalb der Stadtmauern, in den Straßen mit ihren Geschäften und Kolonnaden, auf kleineren Plätzen an Brunnen und Wasserspielen und in besonderen Markt- und Basarbezirken. Sie trafen sich auf der Agora zu politischen Versammlungen, zu Audienzen bei Regierungsvertretern (Apg 18,12), zu Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsverhandlungen. In den östlichen Städten versammelten sich die Stadtältesten außer-

Die baulichen Verhältnisse

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halb des Haupttores, um Vorgänge zu erörtern und lokale Entscheidungen zu treffen. Das Volk kam auf öffentlichen Plätzen und an den Tempeleingängen zusammen; dort traf man Kinder (Lk 7,32), Bettler und Krüppel (Apg 3,2). Die Menschen gingen in die Tempelbezirke, um zu beten oder einfach dort zu verweilen. Man traf sich in den öffentlichen Bädern und (in Städten mit starker griechischer Tradition) in den Gymnasien. An Feiertagen versammelte man sich im Theater, im Amphitheater oder im Zirkus. Dringliche öffentliche Zusammenkünfte konnten, wie in Ephesus (Apg 1 9 , 2 9 41), ebenfalls im Theater stattfinden.

Die Häuser Entlang der Straßen einer jeden Stadt befanden sich die Mauern der Privathäuser. Im Osten waren sie gewöhnlich aus Luftziegeln gebaut und hatten eine schlichte Fassade zur Straße hin mit nur einer Tür und vielleicht einigen schmalen Fenstern, die sich meistens in einem oberen Stockwerk befanden. Die Häuser öffneten sich nach innen, auf einen kleinen Garten an der Rückfront oder auf einen in der Mitte gelegenen Hof. Die Straßenfront des Hauses dürfte verputzt und getüncht gewesen sein — ein einprägsames Bild, das Paulus auf den Hohenpriester bezog (Apg 23,3). In Palästina und Syrien hatten die Häuser gewöhnlich nur ein Stockwerk, obwohl es in stark bevölkerten Städten wie Aradus und Tyrus (Pomponius Mela II 7 , 6 ; Strabo, Geographie XVI 2,13.23) auch große mehrstöckige Gebäude gab, die für erwähnenswert befunden wurden. Die Dächer waren flach, wodurch sich zusätzlicher Platz zum Wohnen, Schlafen oder Beten (Apg 10,9) ergab. Die reichen Einwohner der griechischen Städte lebten in großen Häusern, die durch einen Innenhof geprägt wurden. Ihre Gesellschaften gaben sie in Speiseräumen mit Mosaikfußböden, die die Kühle der Fliesen mit der Farbe komplizierter Musterteppiche verbanden. Normalerweise wurde Regenwasser in Zisternen gesammelt oder Diener zu öffentlichen Brunnen geschickt, um Wasser zu holen. Stand Wasser aus einer öffentlichen Wasserleitung zur Verfügung und besaß der Hausbesitzer Einfluß und Geld genug, um eine direkte Zuleitung herzustellen, konnte eine Wand des säulenumstandenen Innenhofes durchaus der Darbietung fließenden Wassers dienen. Einige Häuser waren ziemlich groß und in der Lage, eine erhebliche Zahl von Menschen zu beherbergen, so ζ. B. das Haus des Philemon in Kolossä, wo Christen und andere Gäste Aufnahme finden konnten (Phlm 2.22), oder das Haus des Gaius in Korinth, wo „die ganze Gemeinde" der Christen Platz fand (Rom 16,23). In dichter bewohnten Städten hatten die Häuser mehrere Wohneinheiten und mehrere Stockwerke, wie die großen Gebäudekomplexe der Oberschicht belegen, die in Ephesus ausgegraben worden sind 1 , oder das Haus in Troas, wo bei einer Predigt des Paulus ein Junge aus dem Fenster des dritten Stockwerks fiel (Apg 20,9).

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V. KAPITEL: Das Leben in der Stadt

In den alten Städten Italiens war die traditionelle Hausform der Oberschicht durch einen Innenraum, das Atrium, geprägt, der als halböffentlicher Empfangsraum diente und in dem die Büsten bedeutender Vorfahren aufgestellt waren. Gewöhnlich besaß das Atrium ein Dach mit quadratischer Öffnung in der Mitte, damit Licht hereinfallen und das Regenwasser sich in einer Vertiefung in der Mitte des Fußbodens sammeln konnte. Die Tür, die von einem Aufseher bewacht wurde, war zur Straße hin offen; die privaten Wohnräume befanden sich rings um einen offenen Hof im hinteren Teil des Hauses. Während des Prinzipats wohnte jedoch nur noch ein geringer Teil der reichen Familien in solchen traditionellen Häusern; die Mehrzahl zog das Leben in geräumigen Villen am Stadtrand oder aber in den Suiten der unteren Stockwerke von Mietshäusern vor. Wohn- und Speisezimmer, oft mit hohen Decken und Mosaikfußböden ausgestattet, lagen unmittelbar an einem Innenhof, der als Lichtquelle diente. Die Schlafzimmer und die Räume der Sklaven führten auf Korridore hinaus. Die weniger Wohlhabenden lebten in ähnlichen, aber kleineren Wohnungen, die sich gewöhnlich in den höheren Stockwerken derselben Gebäude befanden. In typischen Wohnungen Ostias, dem Hafen Roms, bekam ein Hauptraum sein Licht durch Fenster, die zur Straße oder zu einem Innenhof hinausgingen. Daneben befand sich mindestens ein Wohnzimmer; dahinter lagen, von der Lichtquelle entfernt, mehrere Schlafzimmer. Oft wurden solche Wohnungen von mehreren Menschen bewohnt, die den Hauptraum gemeinsam, die einzelnen Wohn- oder Schlafräume hingegen zum privaten Gebrauch nutzten. Andere Arme lebten in winzigen Räumen in den obersten Etagen von Mietskasernen, in Hütten mit nur einem Raum (sog. tabernaej oder in schmalen Dachkammern über ihren Werkstätten. 2

Schichtenzugehörigkeit und gesellschaftliches Ansehen Nach Macht, Einfluß, Geld und dem Urteil der damaligen Menschen läßt sich die Bevölkerung des Römischen Reiches in zwei Hauptklassen einteilen: in Menschen mit und ohne Einfluß, in „Ehrwürdige" und „Demütige", in Herrscher und Beherrschte, in Besitzende und Besitzlose. Die obere Klasse war sehr klein, die untere Klasse außerordentlich groß. Die Oberschichten An der Spitze der sozioökonomischen Pyramide stand die Person des Kaisers, der sich auf die übrigen Mitglieder des kaiserlichen Hofes und die Beamten der zentralen Behörden in Rom stützte. Darunter befand sich der Senatorenstand, der sich in republikanischer Zeit aus den früheren Magistraten zusammensetzte und die vornehmsten Familien des römischen Stadtstaates repräsentierte. Während des Prinzipats änderte sich seine Zusammenset-

Schichtenzugehörigkeit und gesellschaftliches Ansehen

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zung. Obwohl einige Kaiser versuchten, die traditionelle Aristokratie zu begünstigen, bemühten sich andere, sie abzuschaffen; fast alle Kaiser ernannten Günstlinge zu Senatoren, um sie zu belohnen und den Senat willfähriger zu machen. Seit Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. stammten einzelne Senatoren aus Familien in Gallien, Spanien und Nordafrika; diese nahmen ihre Verpflichtungen sehr ernst. Sie führten das Oberkommando über die Armeen, verwalteten einige der Provinzen, beteiligten sich an sozialen und kulturellen Vorhaben und erfüllten die zeremoniellen Aufgaben des Priesteramtes. Es gab ungefähr 600 Senatoren, die vorschriftsgemäß phantastischen Reichtum besaßen: Jeder von ihnen mußte Besitz im Wert von mindestens hundert Millionen Sesterzen haben. Eine zahlenmäßig größere Gruppe war unter dem Namen équités („Reiter" oder „Ritter") bekannt. Nach traditioneller römischer Sitte handelte es sich bei ihnen um die reichen Landbesitzer, die es sich leisten konnten, auf dem Rücken eines Pferdes in die Schlacht zu ziehen. Aus der Republik zählten hierzu die reichen römischen Bürger, die nicht ins Rampenlicht der Politik und des Militärs getreten waren. Während des Prinzipats entwickelte sich der Ritterstand zu einer mittleren Elite mit bestimmten Statussymbolen und Verantwortlichkeiten für bestimmte Aufgaben in der Verwaltung der Stadt und des Reiches. Auf einer niedrigeren Ebene hatten die lokalen Aristokratien in den Provinzen und Städten durch Erbschaften, Geschäfte oder Ernennung Reichtum und Einfluß erlangt. Als Dekurionen (d.h. Mitglieder der örtlichen Räte) übten sie in den größeren und kleineren Städten des ganzen Reiches politische Macht aus. Zu ihnen zählten die Landbesitzer, Fabrikanten, Kaufleute und Händler. Ihre Bürgerpflichten umfaßten die Eintreibung von Steuern, die Beaufsichtigung von Häfen und Märkten sowie die Übernahme von Gesandtschaften zu Statthaltern und Königen (Plutarch, Moralia 794a). Die Frauen der Oberschichten - Mütter, Ehefrauen und Tochter - sollten nach griechischer wie nach römischer Tradition bescheiden und unaufdringlich sein, um ein Leben ohne besondere Vorkommnisse und Aufregungen zu führen. 3 Ihre Ehen wurden oft so arrangiert, daß sie den politischen Zielen ihrer Familien nützten. Sie wurden oft sehr jung verheiratet (zwölf Jahre war ein übliches Alter) und blieben sogar nach der Heirat unter der Vormundschaft ihrer Väter — es sei denn, sie waren in besonderer Weise nach einem alten römischen Ritual verheiratet worden. Dennoch erzählte man sich viele schöne Geschichten von starken römischen Frauen, die hinter den Kulissen agierten und ihre Männer beeinflußten, um in bestimmter Weise öffentlich tätig zu werden. Die Worte der Frau des Pilatus an ihren Ehemann (Mt 27,19) passen in ein bestimmtes Schema von Anekdoten über aristokratische Römerinnen, die oft erfolgreicher waren als die Gattin des Pilatus. Die Frauen der römischen Oberschicht wurden oft auf exemplarische Vorbilder weiblichen Verhaltens hingewiesen, die noch als Witwen unerschütterlich treu ergeben waren; als Ideal galt die tinivira, die Frau, die nur ein einziges Mal verheiratet war. Im Widerspruch zu diesem Ideal stand jedoch

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V. KAPITEL: Das Leben in der Stadt

die Gesetzgebung des Augustus, die - als Teil eines Programms, die Oberschicht zu Fruchtbarkeit und dem Verzicht auf Ehelosigkeit zu ermuntern — von jeder Frau zwischen zwanzig und fünfzig Jahren verlangte, eine Ehe einzugehen, widrigenfalls sie die meisten ihrer Erbansprüche und viele andere Privilegien verlieren würde (dieses Gesetz wurde später vom christlichen Kaiser Konstatin aufgehoben, weil es auch der Tugend des Zölibats entgegenstand). Römischen Frauen war es gewöhnlich verboten, mehr als zehn Prozent des Vermögens ihrer Ehegatten zu erben, doch konnten einige von ihnen durch Erbschaften ihrer Väter Reichtum erlangen. Die Zahl der Mitglieder der Oberschichten war relativ klein, doch waren sie unübersehbar, weil sie den Reichtum und die politische Macht des Reiches in Händen hielten. Gelegentlich begegnen sie auch im Neuen Testament: Römische Statthalter wie Pontius Pilatus, der Präfekt von Judäa, Sergius Paulus, der Prokonsul von Zypern (Apg 13,7—12); Annaeus Gallio, der Prokonsul von Achaia (Apg 18,12—17); ferner Mitglieder örtlicher Aristokratien wie Dionysius in Athen (Apg 17,34) oder Erastus in Korinth (Rom 16,23), die beide als christliche Konvertiten vorgestellt werden.

Die unteren Schichten Unterhalb der Aristokratie fristete die große Masse der Bevölkerung ihr Dasein. Eine zahlenmäßig starke Mittelschicht setzte sich aus kleinen Landbesitzern, Handwerkern und Krämern sowie den mittleren und niederen Dienstgraden unter den römischen Armeeangehörigen zusammen — vom Zenturio bis zum einfachen Legionär und Veteranen. Diese Menschen besaßen ein gewisses Vermögen, und die meisten Christen, die im Neuen Testament erwähnt werden, scheinen dieser Schicht angehört zu haben, so z. B. die Zeltmacher Aquila und Priskilla oder Lydia, die mit Luxusstoffen handelte (vgl. Kapitel 3). Noch im 3.Jahrhundert konnte sich Celsus in seiner antichristlichen Polemik darüber lustig machen, daß die christlichen Riten in den Geschäften von Schuhmachern und Walkern begangen wurden. Unterhalb dieser Schicht der Kaufleute und Handwerker standen die wirklich Armen, die keinerlei Besitz hatten und sich mit Akkordarbeit im Hafen, auf dem Bau oder in der Landwirtschaft durchschlugen. Sofern sie römische Bürger waren und in der Hauptstadt lebten, konnten sie ihre monatliche Getreideration beanspruchen, auch in einigen anderen Städten waren besondere Vorkehrungen getroffen, um die Armen zu speisen (Strabo, Geographie XIV 2,5)· Eine Strategie, durch die ein Armer überleben konnte, bestand darin, sich einem einflußreichen Patron als Klient anzuschließen; eine andere Möglichkeit war stehlen oder betteln zu gehen. Zu den Bettlern gehörten die Kranken, die Blinden, die Lahmen sowie die Leprakranken, die in den Evangelienerzählungen über Jesus eine so wichtige Rolle spielen. In etlichen Fällen wurden Ausländer als Opfer von Vorurteilen, die eher kulturell als rassisch bedingt waren, an den Rand der Gesellschaft gedrängt.

Schichtenzugehörigkeit und gesellschaftliches Ansehen

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So betrachteten viele Römer die Griechen als unproduktiv, oberflächlich und unzuverlässig. Menschen aus dem Osten wiederum fanden die Römer grausam, geistlos und arrogant. Griechen wie Römer fanden die besonderen Sitten der Juden gleichermaßen verdächtig; gelegentlich konnte sich solche Feindschaft in Gewalttätigkeiten entladen, die, wie wir gesehen haben, oft politisch motiviert waren. In den meisten Fällen nahmen jedoch die Städte des römischen Reiches Menschen verschiedener Rassen, Kulturen und Schichten ohne größere Probleme auf. Der niedrigste rechtliche Status war der des Sklaven. Griechische Philosophen achteten einen Sklaven geringer als einen Menschen. Das römische Recht betrachtete ihn als Teil des Eigentums, und Tausende von Sklaven, die auf Schiffen, Bauernhöfen, beim Straßenbau oder in Bergwerken arbeiteten, wurden wie Verbrauchsgüter behandelt. Andererseits machte die offensichtliche Tatsache, daß viele Sklaven intelligente, findige und kluge menschliche Wesen waren, die Stellung derjenigen Sklaven ambivalent, denen die Aufsicht über einen Bauernhof oder eine städtische Werkstatt, die Unterhaltung einer Familie oder die Erziehung ihrer Kinder anvertraut war. Solche Sklaven besaßen die rechtliche Möglichkeit, Verträge abzuschließen, und einige von ihnen verfügten über eigenes Geld, das sie verwalteten und ausgaben. Manchen wurde sogar beträchtliche Verantwortung und Unabhängigkeit eingeräumt; ein Beispiel hierfür ist Onesimus im Philemonbrief, der offenbar im Auftrag seines Herrn auf Reisen war, als er sich entschloß wegzulaufen. Beim Versuch, die Psychologie eines Sklaven zu verstehen, sollte man wahrscheinlich unterscheiden zwischen einem Sklaven, der in Gefangenschaft geboren wurde und damit gewöhnlich innerhalb einer Familie, in der Sklaven bis zu einem gewissen· Grad am sozialen Leben teilnahmen, und einem frei geborenen Menschen, der gefangen und zum Sklaven erniedrigt wurde — Heimat und Familie durch Krieg, Piraten oder Sklavenjäger entrissen und von allem abgeschnitten, was gemeinhin die tragenden Säulen eines Menschen ausmacht. 4 Soziale Mobilität Die oberen Schichten erfreuten sich großer Privilegien und verteidigten sie energisch. Sie konnten von sozial tiefer Stehenden nicht verklagt werden, sie erhielten mildere Strafen, wenn sie eines Verbrechens überführt wurden, sie konnten bei Schauspielen die vorderen Sitzreihen beanspruchen, sie hatten das Recht, bestimmte Statussymbole zu tragen und zur Schau zu stellen, und wenn der Staat Geld, Lebensmittel oder Wein verteilte, hatten sie Anspruch auf einen größeren Anteil als die Armen, die viel bedürftiger waren als sie. „Wer hat, dem wird gegeben werden, und wer nicht hat, dem wird auch das genommen werden, was er hat" (Mt 13,12; M k 4 , 2 5 ; Lk 8,18), das war ein erbarmungsloses Prinzip der römischen Gesellschaft. Die „Ehrwürdigen" sahen auf die „Demütigen" mit Verachtung herab und ohne die große Kluft

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zu rechtfertigen, die zwischen ihnen bestand (Lk 16,19—31). Die klassische Literatur ist voll vom Hohn der Oberschicht über die verabscheuungswürdige Faulheit, das Elend und die Unterwürfigkeit der Armen, ohne eine Spur von Mitleid zu zeigen. Formlose, aber wirksame gesetzliche Barrieren vertieften noch die Kluft zwischen den Klassen: Mitglieder der senatorischen Aristokratie durften keine ehemaligen Sklaven heiraten, Verfahren von Angehörigen der Ober- und der Unterschichten wurden vor verschiedenen Gerichtshöfen verhandelt, unterschiedliche Strafen wurden verhängt. Peter Garnsey behauptet, daß diese Unterschiede auf Vorurteile und Bequemlichkeit und nicht auf eine Rechtstheorie 5 zurückgehen, doch machte das die Schranken in den Augen der Ober- und Unterschichten nicht weniger wirksam. Selbst bei Mahlzeiten — seien es private Abendgesellschaften, zu denen ein reicher Patron einige seiner Klienten einlud, oder öffentliche Festessen, die ein Aristokrat seinen Mitbürgern gab - hingen der zugewiesene Platz und sogar die Art der dargebotenen Speise streng vom Status des betreffenden Gastes ab. Die Aufforderung, „hinaufzurücken", d. h. in größere Nähe des Hausherrn zu kommen, pflegte niemals an jemanden zu ergehen, der einen unangemessenen Status besaß, obwohl einige römische Autoren meinten, daß bei einer Mahlzeit alle dasselbe Essen einnehmen und füreinander offen sein sollten. Nach Gerd Theißen könnte der Streit in Korinth, der Paulus Sorgen bereitete (IKor 1 1 , 1 7 - 3 4 ) , eine solche Situation reflektieren: Der Gastgeber einer christlichen Agape-Feier handelte wie ein Patron bei einer normalen Mahlzeit und traf Unterschiede zwischen den Gästen mit höherem und niederem Status. 6 Das soziale Ansehen und die Privilegien wurden sorgfältig gehütet, doch waren die Schranken zwischen den Klassen nicht völlig unüberwindlich. Es bestanden Möglichkeiten zu einem sozialen Aufstieg, und es sind viele Fälle bekannt, wo Menschen einen höheren Rang erklommen. Etliche von ihnen haben auf Inschriften stolze Berichte über ihre Karriere hinterlassen. In fast allen Fällen stand der Aufstieg mit dem Talent und der Unternehmungslust des Begünstigten in Zusammenhang, in fast allen Fällen aber auch mit Beziehungen, also mit der Unterstützung durch einen einflußreichen Gönner. So erhob etwa der Kaiser reiche oder vielversprechende Bewohner der Provinz in den Ritterstand oder machte sie sogar zu Mitgliedern des römischen Senats. In den Magistraten konnten bestimmte Mitglieder der Gemeinde in die örtliche Aristokratie aufsteigen. (In italienischen Städten wie Pompeii wählten die Bürger im 1. Jahrhundert ihre eigenen Magistrate.) Außerhalb, später auch innerhalb Italiens erfolgte eine Versetzung in die lokale Aristokratie normalerweise durch Ernennung. Auf die Empfehlung einflußreicher Bekannter hin beförderte der Kaiser oder sein Statthalter den Anwärter in den örtlichen Rat; sonst wurde er (wie im Fall des Landwirts aus Mactaris in Kapitel 3) von den Mitgliedern des örtlichen Rates in Anerkennung seiner Leistungen und Gaben zugunsten der Stadt gewählt. Ein anderer Weg, im Rahmen dieses Systems aufzusteigen, bestand im Erwerb des römischen Bürgerrechts, das vom Senat, bestimmten Generälen

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oder vom Kaiser an Einzelpersonen oder ganze Gemeinden verliehen werden konnte. Nichtrömer konnten das Bürgerrecht auch durch Dienst in der Armee erwerben; nach ihrer Militärzeit in den Hilfslegionen wurde den Soldaten zum Abschied das Bürgerrecht verliehen, das auch ihre Kinder beanspruchen konnten. Der Stolz, den das Bürgerrecht hervorrief, und der Status, den es verlieh, kommt im Gespräch zwischen Paulus und dem Tribun deutlich zum Ausdruck (Apg 22,26-29). Die alltäglichste und zugleich aufregendste Statuserhebung erfolgte durch die Freilassung von Sklaven. Die römischen Bürger entließen ihre Sklaven in bemerkenswert großer Zahl, und jeder entlassene Sklave wurde nicht nur ein libertus oder eine liberta („Freigelassener" oder „Freigelassene"), sondern zugleich auch römischer Bürger. Die Freigelassenen waren durch bestimmte gesetzliche Verpflichtungen an ihre früheren Herren (die jetzt ihre Patrone wurden) gebunden. Selbst der erfolgreichste Freigelassene war noch mit einem Makel seines sklavischen Ursprungs behaftet: Sein Name verriet seinen Status als Freigelassener. Er konnte weder ein öffentliches Amt bekleiden noch in den Stand eines Ritters aufsteigen oder ein Mitglied der senatorischen Aristokratie heiraten. Andererseits erfreuten sich alle Kinder, die nach seiner Freilassung geboren wurden, völliger sozialer Freiheit und konnten sogar in die Aristokratie aufsteigen. Schichtenzugehörigkeit und Lebensbedingungen der Sklaven waren ebenso verschieden wie diejenigen der übrigen Bevölkerung. Manche vermochten wirtschaftlich kaum auf eigenen Füßen zu stehen und waren von ihren einstigen Herren genauso abhängig wie früher. Andere erwarben sich - mit Förderung ihres Patrons oder in großer Selbständigkeit — durch harte Arbeit in Handel und Gewerbe ein auskömmliches Leben. Wieder anderen gelang es, durch Erbschaft, Glück oder Klugheit sehr reich zu werden. Solche Statuserhöhungen konnten sehr abrupt geschehen und waren oft unabhängig von anderen Statusmerkmalen. So blieb ein Freigelassener, sogar ein Freigelassener des Kaisers, ein Freigelassener mit allen Verpflichtungen seines Standes und war darüber hinaus auch-dem Hohn und Spott der sozial Bessergestellten ausgesetzt. So wird der entlassene Trimalchio (vgl. Kapitel 3) als ein hoffnungsloser Flegel beschrieben, der zu anderen als den vulgärsten und den rührseligsten Gefühlen unfähig ist. Desgleichen war eine Frau, die durch Erbschaft oder Geldanlagen Reichtum erlangt hatte, in einer einflußreichen und mächtigen Position, obwohl die Gesellschaft von Frauen eine untergeordnete Stellung erwartete. Viele der Frauen, die in der Apostelgeschichte und den paulinischen Briefen genannt werden, scheinen in einer solchen Position gewesen zu sein: die Mutter des Markus (Apg 12,12), Lydia (Apg 16,14.40), Priskilla (Apg 18,2-3; Rom 16,3-4; IKor 16,19), Phöbe (Rom 16,1—2), die Mutter des Rufus (Rom 16,13) und Chloë (IKor 1,11)7 Es gab folglich viele verschiedene Formen des sozialen Aufstiegs; mit allen jedoch belohnte das System treuen Dienst und Hingabe gegenüber den Idealen der Gesellschaft.

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Natürlich gab es nicht nur Fälle von erfolgreicher sozialer Mobilität. Senatoren oder Ritter konnten die Gunst des Kaisers verlieren und aus ihrem Stand verstoßen werden, was aufgrund der Machtbefugnis des Kaisers als Zensor (Aufseher über den Volkszensus) möglich war. (So konnte ζ. B. ein christlicher Senator, der sich in Ausübung seiner normalen Pflichten weigerte, Weihrauch vor dem Bild des Kaisers zu verbrennen, durchaus die Gunst des Kaisers verlieren.) Reiche Männer und Frauen liefen stets Gefahr, ihren Reichtum einzubüßen — durch Verlust von Schiffen, zu lange Dürreperioden oder unkluge Investitionen konnte eine Familie finanziell ruiniert werden —, was in der Regel den Abstieg in eine niedrigere Zensus-Klasse bedeutete. (Manche Kaiser halfen ihren Günstlingen bei solchen Schwierigkeiten mit dem nötigen Geld aus, um deren sozialen Status zu erhalten). Eine Verurteilung wegen krimineller Delikte zog den Verlust des Eigentums und in einigen Fällen auch den des Bürgerrechts nach sich. Eine freie Frau, die mit einem Sklaven sexuell verkehrte, konnte Sklavin von dessen Besitzer werden; von einigen Frauen ist bekannt, daß sie dies absichtlich taten, indem sie ζ. B. einen bekannten Sklaven des Kaisers heirateten oder Prostituierte wurden. Freie Männer und Frauen, gewöhnlich keine römischen Bürger, konnten zu Sklaven werden, wenn sie in einem Strafprozeß verurteilt, von Sklavenhändlern bzw. im Krieg gefangen wurden oder indem sie sich selbst in Sklaverei verkauften - wahrscheinlich, um dem noch härteren Schicksal völliger Armut zu entgehen.

Arbeit

Die Einstellung der Oberschicht Die Aristokratie der griechisch-römischen Städte verachtete eigenhändige Arbeit, namentlich solche Arbeiten, die auf Befehl eines anderen geschehen sollten. Auch hiermit betonten die Angehörigen der Oberschicht nachdrücklich den Unterschied zwischen sich und der übrigen Gesellschaft. Die Notwendigkeit zu arbeiten — so sagen es die literarischen (aus der Oberschicht hervorgegangenen) Quellen immer wieder — hält den Menschen davon ab, ein völlig befriedigendes Leben in Muße zu führen. So schreibt etwa Piaton (Staat VI 495d—e), daß das Gemüt derer, die mit ihren eigenen Händen arbeiten, im Laufe der Zeit geistig und körperlich verkümmere, und Aristoteles behauptet (Politik III 1278a), daß der Mensch, der für seinen Lebensunterhalt arbeiten muß, weder Zeit noch Neigung haben werde, Tugend zu erlangen; er werde nie selbständig sein, weil er zwangsläufig von denjenigen abhängig sei, die die Waren oder Dienstleistungen kaufen, die er anbietet. Von den römischen Autoren betrachtete Cato (Uber Landwirtschaft) den Kleinhandel als für einen Ehrenmann unwürdige, weil armselige Beschäfti-

Arbeit

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gung, und Cicero (Über Pflichten I 150) unterscheidet deutlich zwischen den „freien" Geschäften eines Ehrenmannes und der irdischen Sorge, den Lebensunterhalt durch eigener Hände Arbeit verdienen zu müssen. Das bedeutet nun allerdings nicht, daß die Mitglieder der Oberschicht faul waren. Zwar konnten sie auf ererbten Landgütern ihre Muße pflegen, doch besaßen sie ihre eigenen Aufgaben in der Politik, im Rechts- und im Kriegswesen. Cicero selbst führte im 1.Jahrhundert v.Chr. ein erfülltes Leben als Politiker. Als ehemaliger Staatsmann wirkte er später als Anwalt von Freunden und Ankläger von Feinden, er diente eine Amtszeit als Statthalter der kleinasiatischen Provinz Cilicien, er beriet politische Freunde, und er zog sich natürlich auch regelrecht in eines seiner Landhäuser zurück, um nachzudenken, zu lesen und zu schreiben und in einer Atmosphäre kultivierter Muße Gäste zu empfangen. Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. erweist sich Plinius der Jüngere in seinen Briefen als weiteres Beispiel eines gewissenhaften Mitgliedes der Aristokratie, das sich seinen Pflichten im öffentlichen Dienst hingibt (s. Kapitel 3). Die Mitglieder der Oberschicht versahen diese Dienste mit großem Stolz; auf ihren Grabsteinen waren die Ämter, die sie bekleidet, die Dienste, die sie übernommen, die öffentlichen Gebäude, die sie errichtet und die öffentlichen Spiele, die sie finanziert hatten, genau aufgeführt.

Das Kleingewerbe Alle Hauptstraßen der antiken Städte waren von Geschäften gesäumt. Einige von ihnen wurden im Auftrag reicher Unternehmer von Sklaven oder Freigelassenen geführt, viele aber auch von Menschen, die mit Verstand und Geschick einen gewissen Erfolg erzielt hatten, so daß sie selbst, eventuell mit Hilfe einiger Sklaven und angeworbener Arbeitskräfte, ein oder zwei kleine Geschäfte betrieben. Hierzu gehörten Bäcker, Fleischer, Gemüsehändler, Barbiere, Walker, Flickschuster, Auktionäre, Geldverleiher und Gastwirte. Sie bildeten ihre Söhne und Tochter so aus, daß diese in ihre Fußstapfen treten konnten, und waren hinsichtlich ihres Gewerbes viel gesprächiger, als es den sozial Höhergestellten angemessen erschien. In den Augen der Oberschicht waren sie gemein und unterwürfig, demnach waren sie auf ihre eigenen Leistungen und Erfolge stolz. So wie man heutzutage neue Bekannte nach ihrem Beruf fragt, waren auch die antiken Kleinunternehmer geneigt, sich durch ihre Tätigkeiten auszuweisen. Auf den Grabsteinen rühmten sie sich ihrer Berufe und sogar ihrer Geschäftsadressen. Im Neuen Testament spiegelt sich das in der Tendenz wider, eine Person als „Sohn des Zimmermanns" (Mt 13,55) zu bezeichnen oder als „Jesus, der Zimmermann" (Mk 6,3), „Matthäus, der Zöllner" (Mt 10,3), „Simon, ein Gerber" (Apg 9,43), „Kornelius, ein Zenturio" (Apg 10,1), „Lydia, eine Purpurhändlerin" (Apg 16,14). Die Mitglieder dieser Schicht förderten das Gemeinwesen, in dem sie

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lebten. Die Erfolgreicheren unter ihnen verstanden es sogar, in die örtliche Aristokratie aufgenommen zu werden: die Freigeborenen als Magistrate und Dekurionen, die Freigelassenen als Diener des Kaiserkults. Die Arbeitsbedingungen Der kleine unabhängige Kaufmann, der Freigelassene oder Sklave, der zugunsten eines reichen Patrons oder Eigentümers arbeitete, der Lehrling unter Vertrag bei einem Handwerker - sie alle plagten sich viele Stunden am Tag in kleinen Betrieben. Bei den Werkstätten handelte es sich im allgemeinen um Einzelräume, in denen die Arbeit getan, Vorräte aufbewahrt, Waren ausgestellt und verkauft wurden; oft schliefen und aßen der Geschäftsinhaber und seine Familie (einschließlich der Sklaven und Lehrlinge) auch hier, und zwar im rückwärtigen Teil oder auf einem eingezogenen Zwischengeschoß. Einige vereinzelte Zeugnisse scheinen vorauszusetzen, daß sich die Gewerbetreibenden in bestimmten Vierteln niederließen. So gibt es ζ. B. Hinweise auf eine Straße der Schirrmacher oder einen Platz der Fischhändler. 8 Diese Ansammlung erlaubte es den Geschäftsinhabern, gemeinsame Nachschubquellen auszunutzen und läßt darauf schließen, daß die Stimmung unter ihnen von freundschaftlicher Geselligkeit statt von mörderischem Wettbewerb geprägt war, mit vielen gegenseitigen Besuchen im Laufe des langen Arbeitstages. Dieser Tag dauerte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, wenn man das aus Lehrlingsverträgen schließen darf, die auf ägyptischen Papyri erhalten geblieben sind. In dieser Zeit ergaben sich viele Gelegenheiten für Gespräche. Etliche Geschichten über Sokrates in Athen spielen im Geschäft des Flickschusters Simon, wo sich die Leute versammelten, um über Philosophie und Politik zu diskutieren. So läßt sich auch vorstellen, daß Paulus im Ledergeschäft von Priskilla und Aquila in Korinth Gelegenheitsarbeit fand und die Zeit nutzte, um das christliche Evangelium darzulegen. 9 Die Arbeit beanspruchte oft einen Großteil der Zeit jüdischer Lehrer, die durchaus wie Paulus neben ihrer Tätigkeit unterrichtet haben können und mit ihren Jüngern auch in der Nacht, am Sabbat und an Feiertagen zusammenkamen.

Unterhaltung

Die Freizeit Den Nachbarn städtischer Juden erschien es als närrische und verschwenderische Gewohnheit, jeden siebten Wochentag eine verordnete Ruhepause einzuhalten. Obwohl sie selbst keinen regelmäßigen wöchentlichen Sabbat feierten, gelang es den heidnischen Stadtbewohnern trotzdem, freie Zeit

Unterhaltung

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neben der Arbeit zu finden. Reiche Jünglinge konnten es sich leisten, viele Stunden lang in den Gymnasien der griechischen Städte Übungen abzuhalten, während in den meisten römischen Städten das öffentliche Bad zu den charakteristischen Einrichtungen gehörte. Nach einem langen arbeitsreichen Vormittag konnten viele Römer sich die Zeit nehmen, in den Bädern Sport zu treiben, Geselligkeit zu pflegen und sich zu reinigen, zumal diese im Sommer willkommenen Schutz vor der Mittagshitze boten und im Winter gemütliche Wärme spendeten. Den ganzen Tag über bestand Gelegenheit, eine Pause einzulegen und sich zu unterhalten, dem mediterranen Bedürfnis nachzugeben und auf die Straßen zu gehen, mit anderen Menschen zu plaudern, zu sehen und gesehen zu werden. Man konnte sich aus einem Außen- oder Hoffenster hinauslehnen und mit den Nachbarn schwatzen, mit den Kunden oder Ladenbesitzern nebenan sprechen, sich zu einem veritablen Arbeitsessen mit Kollegen in ein Restaurant zurückziehen, in einer Taverne sitzen, um Wein zu trinken und mit Freunden zu reden, oder sich auf den öffentlichen Plätzen aufhalten, um die Passanten zu beobachten. Die Abendbrotszeit war mehrere Stunden vor Sonnenuntergang und bot Gelegenheit für Besuche und Unterhaltung. Die antike Literatur berichtet von zahlreichen Abendgesellschaften, die bis spät in die Nacht gingen, doch kehrten die meisten Menschen früh nach Hause zurück, weil die Straßen in den meisten Städten unsicher waren und nächtliche Fußgänger das Risiko eingingen, von Räubern überfallen oder von Polizeistreifen verprügelt zu werden. 10

Feiertage Bei besonderen Anlässen boten Feste Abwechslung von der alltäglichen Routine. Würdenträger konnten den Antritt eines neuen Amtes oder die Einweihung eines neuen öffentlichen Gebäudes feiern, indem sie alle Mitbürger zu einem Festessen einluden. Aristokratische Familien mochten die Volljährigkeit eines Sohnes, die Heirat eines Sohnes oder einer Tochter zum Anlaß nehmen, die ganze Stadt zu einem Bankett zu laden oder an alle Bewohner Geldgeschenke zu verteilen. (Diese Sitte nahm manchmal überhand; als Statthalter von Bithynien sah sich Plinius der Jüngere genötigt, beim Kaiser anzufragen, ob er diesen Brauch auf irgendeine Weise einschränken sollte [Briefe X 116]). Diese Form von Festtagen mag den armen beschäftigungslosen Menschen der Stadt willkommener gewesen sein als den reichen Bauern und Kaufleuten, die sich um ihre Geschäfte kümmern mußten (Mt 22,1-14; Lk 14,16-24). Die religiösen Feste boten zusätzliche Gelegenheit, den normalen Tagesablauf zu unterbrechen. Am Tag des Jahresfestes eines Gottes schmückten die Menschen den Tempel, öffneten seine Tore, brachten Opfer dar und hielten Prozessionen ab. Geschäftstüchtige Arbeiter schlugen Zelte und Buden auf, verkauften Eßwaren und Souvenirs, sangen Lieder und deuteten die

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Zukunft. In ländlichen Orten und kleinen Städten hatten die jährlichen Feste der örtlichen Götter oft den Charakter von Jahrmärkten, bei denen bis in die Nacht hinein gegessen, gesungen und getanzt wurde. In einigen griechischen Städten waren die sogenannten kultischen Spiele Hauptattraktion und wichtigste Einnahmequelle. Der Siegespreis in solchen Spielen war, wie Paulus hervorhebt (IKor 9,25), ein einfacher vergänglicher Blätterkranz. Trotzdem verlieh ein bei kultischen Spielen gewonnener Preis großes Prestige, so daß der Sieger bei der Rückkehr in seine Heimatstadt wie ein Held empfangen wurde. Die kultischen Spiele trugen den wenigen Städten, die sie ausrichten durften, hohes Ansehen ein, doch veranstalteten auch andere Städte Wettkämpfe. Manche davon waren nur einfache Veranstaltungen von rein örtlichem Charakter, mit Wettbewerben für die Jungen und Mädchen der Stadt. Andernorts zogen bedeutende Preise die Wettkämpfer von weither an, und die antiken Quellen (meist Inschriften, die Siegesmeldungen dokumentieren) erwecken den Eindruck, als seien dieselben Amateurwettkämpfer in einer bestimmten Tournee bei allen Veranstaltungen in Erscheinung getreten. Dabei dürfte es sich meist um Jünglinge aus der Oberschicht gehandelt haben, deren Familien es sich leisten konnten, ihre Karriere zu unterstützen. Die örtlichen religiösen Feste in Italien ähnelten denen in Griechenland, doch hatten die Römer zur Zeit der späten Republik und des Prinzipats eine eigene Form von Spielen zu Ehren der Götter entwickelt. Diese Spiele begannen mit Theateraufführungen, die neben Neuinszenierungen von griechischen und lateinischen Klassikern auch modernere Pantomimen oder Possen boten, die in Handlung und Darbietung oft sehr zweideutig waren. Die Sexualität war ein bevorzugtes Thema in Spielen und Tänzen, auf Statuen und in den Gerüchten über Exzesse im Kaiserpalast; der Protest eines Paulus dagegen entspricht dem eines heidnischen Moralisten wie Seneca (vgl. Moralische Episteln XIV 1-2; XXXV 24; Über die Kürze des Lebens XII 8; XVI 4-5). Daran schlossen sich Wagenrennen von ein- oder zweitägiger Dauer an. Beim bedeutendsten Rennen im römischen Zirkus Maximus warteten Zehntausende von Zuschauern hingerissen auf das Startsignal, um dann in tobende Begeisterung oder Mißbilligung über den Verlauf des Rennens auszubrechen. Die Aufregung steigerte sich noch durch die Anfeuerungsrufe der Anhänger einzelner Gespanne oder Wagenlenker, durch Geldwetten über den Rennausgang, durch die Möglichkeit von Zusammenstößen und die Gefahr für Pferd und Mensch. Gladiatorenspiele wurden in unregelmäßigen Abständen veranstaltet. Sie waren nie so populär wie die Wagenrennen, doch zogen sie zur Zeit des Prinzipats riesige Menschenmassen an. Selbst die griechischen Städte des Ostens errichteten neue Amphitheater oder bauten alte Theater um, damit solche Spiele abgehalten werden konnten. Erfahrene Gladiatoren waren fast immer Berufskämpfer und genauso populär wie die heutigen Rockstars; sie waren auf eine der verschiedenen Kampfarten spezialisiert. Die Menge wurde

Bildung

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durch die unterschiedlichen Künste der Gladiatoren in Begeisterung versetzt, ζ. B. wenn sie wilde Tiere jagten, die aus den entferntesten Teilen des Reiches importiert worden waren, oder wenn sie — als Höhepunkt des täglichen Schauspiels - in ebenbürtigen Paaren und meist mit verschiedenen Waffen gegeneinander kämpften. D a s Blut, die Gerüche, der drohende Tod verbanden sich zu einem einzigartigen Erlebnis, so daß die Sponsoren der Spiele — in R o m gewöhnlich der Kaiser, in den übrigen Städten die höchsten Beamten — um jeden Preis versuchten, talentierte, aggressive Kämpfer zu finden, u m den Zuschauern angenehme Unterhaltung zu bieten. 1 1 Teil des Programms konnten auch eine oder mehrere Exekutionen sein. Sofern dabei ein Gladiator oder Soldaten einfach eine Waffe empfing, mit der er den wehrlosen Verbrecher tötete, hatte dies für die Massen kaum Unterhaltungswert. Solche Exekutionen fanden daher gegen Mittag statt, während der Essenszeit. D o c h gab es auch phantasievollere Hinrichtungen: Der Verurteilte konnte unbewaffnet in die Arena geworfen werden, in der sich ein oder mehrere Raubtiere befanden, oder er wurde wie eine mythologische Figur angezogen, u m seinen schaurigen Tod in gräßlich realistischer Weise zu inszenieren. D o c h wird berichtet, daß die Blutrünstigkeit auch Grenzen hatte. So bemerkt ζ. B. Cicero (An seine Freunde VII 1), daß die Menge mitfühlende Entrüstung äußerte, als Pompeius bei der Einweihung seines neuen Theaters im Jahr 55 v. Chr. 6 0 0 Elefanten niedermetzeln ließ.

Bildung Das Gymnasium Die charakteristischste Einrichtung griechischer Städte in hellenistisch-römischer Zeit war das Gymnasium. (Wenn z. B. die Makkabäerbücher hervorheben wollen, daß die Verfechter der Hellenisierung in Jerusalem die Übernahme griechischer Sitten bis zum Extrem getrieben hätten, heißt es, daß sie ein Gymnasium bauten; v g l . l M a k k 1 , 1 4 ; 2 M a k k 4 , 9 . 1 2 . ) Es handelte sich dabei u m eine öffentliche Einrichtung, die von der Stadt unterhalten wurde. D a s Gebäude umfaßte gewöhnlich einen offenen H o f (palaestra), der von Säulengängen umgeben war. An einer Seite befanden sich Badeund Versammlungsräume. Letztere eigneten sich als Klassenräume; dort trafen sich Jungen und Mädchen gemeinsam zum Unterricht bei einem grammatistês (ein Fachlehrer für den Lese- und Schreibunterricht). In manchen Städten mußten die Eltern die Lehrer bezahlen, in anderen wurden sie auf Kosten der Öffentlichkeit durch besondere Stiftungen besoldet. Der Unterricht bestand im wesentlichen darin, Auszüge aus bestimmten Textsammlungen abzuschreiben und auswendig zu lernen. Diese Auszüge wurden im Laufe der Zeit mehr oder minder vereinheitlicht und bildeten den Grundbestand eines Lehrplans, der auf die Epen Homers, die Tragödien des Euri-

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pides, die Komödien Menanders und die Reden des Demosthenes zugeschnitten war, aber auch andere Texte von klassischen und zeitgenössischen hellenistischen Autoren enthielt. Infolgedessen waren die Lehrinhalte in allen griechischen Städten ähnlich. Alle gebildeten Menschen hatten nicht nur dieselben Mustertexte gelesen, sie hatten sie abgeschrieben, rezitiert, auswendig gelernt und so ein gemeinsames kulturelles Empfinden erworben. Alle waren mit den bekannteren mythologischen Erzählungen vertraut, alle erkannten gängige Zitate wieder, wenn sie sie im Theater, in Reden, philosophischen Ausführungen oder Briefen vernahmen. Wahrscheinlich haben die Adressaten des Paulus die Stelle aus Menander erkannt, auf die er sich IKor 15,33 bezieht, vielleicht auch die Anspielungen auf Epimenides (Tit 1,12) und Aratos (Apg 17,28). 1 2

Rhetorik und Philosophie Die weiterführende Ausbildung geschah in unterschiedlicher Weise, doch pflegten alle jungen Männer, die am öffentlichen Leben teilnehmen wollten, sich einem sophistes (Rhetoriklehrer) anzuschließen. Rhetorische Technik war der Hauptinhalt höherer Bildung und durchdrang alle Gebiete des öffentlichen Lebens. Die Rhetoriker lehrten die Bestandteile einer gut aufgebauten Rede und erarbeiteten mit Hilfe gängiger Lehrbücher Musterreden, allgemeingültige Passagen (die nach Bedarf in jede Rede eingefügt werden konnten) und Verzeichnisse möglicher Redefiguren, um zu jeglichem Gegenstand etwas sagen zu können. Die typischste Form der Unterweisung war die öffentliche Vorlesung, die der gesamten Bevölkerung einen Begriff von den Maßstäben vermittelte, nach denen eine rednerische Leistung zu beurteilen sei. Die Rhetorik bestimmte den Horizont von Erziehung und Kultur im ersten und zweiten Jahrhundert so sehr, daß selbst die Philosophen, die Rivalen und Kritiker der Sophisten waren, ihrem Reiz nicht widerstehen konnten. Die vier wichtigsten philosophischen Richtungen - Platoniker, Peripatetiker, Stoiker und Epikuräer — entstanden in Athen, einer Stadt, die noch lange Zeit nach dem Verlust ihrer politischen Macht die geistige Hauptstadt der Griechen war. Athen war folglich der richtige Ort, wo das christliche Evangelium der alten heidnischen Weisheit entgegentreten konnte (Apg 17,15-34). Im Neuen Testament finden sich Hinweise darauf, daß Paulus und andere urchristliche Autoritäten anhand ihrer rhetorischen Fähigkeiten beurteilt wurden und daß manche ihrer Zuhörer sie miteinander verglichen, als nähmen sie an einem rhetorischen Wettbewerb teil. Paulus seinerseits bezeichnete solche Ansprüche als Torheit, und zwar mit beißendem Spott, um unter Beweis zu stellen, daß auch er die Spielregeln der rhetorischen Schmährede beherrschte (2Kor 10—13). Das genaue Niveau rhetorischer Bildung unter den Mitgliedern der christlichen Gemeinden, an die Paulus seine Briefe

Familie und Haushalt

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richtete, ist heute schwer zu bestimmen. Doch verraten die überall begegnenden Anspielungen auf rhetorische und philosophische Platitüden, daß der durchschnittliche Bewohner einer griechischen Stadt ansatzweise mit den Klassikern, mythologischen Fabeln und rhetorischen Regeln vertraut war, da sie durch die Spiele, Burlesken und Rezitationen der Sänger anläßlich von Festivitäten sowie durch die Vorlesungen und Diskussionen von Rhetorikern und Philosophen auf Marktplätzen in Gymnasien und an Straßenecken immer wieder eingeprägt wurden. Die jüdische Unterrichtsform Es gibt nur äußerst wenige Nachrichten über die Bildung, die in den Synagogen der jüdischen Diaspora vermittelt wurde. Indizien dafür, daß man Hebräisch unterrichtete, fehlen, da die biblischen Schriften ins Griechische übersetzt worden waren und die jüdischen Inschriften der Diaspora gewöhnlich griechisch oder lateinisch abgefaßt sind. Andererseits wurden Kinder und Proselyten zweifellos in den Schriften unterwiesen. Die Texte des Neuen Testaments, die sich an christliche Gruppen — zu ihnen zählten auch Juden — in den griechisch-römischen Städten wandten, setzen mit Sicherheit eine Kenntnis der jüdischen Schriften voraus.

Familie

und

Haushalt

Die staatspolitischen Autoren der griechisch-römischen Zeit betrachteten den Haushalt als Keimzelle des Staates. Sie stellten fest, daß sich die Städte aus einzelnen Haushalten zusammensetzten, und schlossen daraus, daß die staatliche Verfassung die Verhältnisse im Sinne dieser kleinen Einheiten regeln müsse (Aristoteles, Politik I; Dionys von Halikarnassus, Römische Altertümer II 24-27). Einige politisch denkende Philosophen, die vielleicht auch Soziologen genannt werden können, gaben der Diskussion über den Haushalt ihr besonderes Gepräge. Aristoteliker und Neupythagoräer beschäftigten sich mit dem Verhältnis von Autorität und Unterordnung zwischen folgenden drei Paaren: Ehemännern und Ehefrauen, Vätern und Kindern (Mütter finden selten Erwähnung) sowie Herren und Sklaven. 13 Die Haushalte, die in dieser Form strukturiert waren, gehörten zur Oberschicht. Legale Eheschließungen waren nur Bürgern, einer kleinen Minorität, möglich. Kinder, die von Sklaven geboren wurden, galten nach bürgerlichem Recht als illegitim. Überdies besaßen die meisten Haushalte der Unterschicht keine Sklaven, obwohl ungefähr ein Drittel der Bevölkerung des römischen Italien und asiatischer Städte wie Pergamon Sklaven waren. 1 4

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Ehemänner und Ehefrauen Die in diesen Jahrhunderten wachsende wirtschaftliche Macht einiger Frauen trug ihnen eine größere rechtliche und häusliche Unabhängigkeit ein, ein Wandel, der in den griechisch-römischen Städten und Haushalten Spannungen erzeugte. Juvenal ärgerte sich über diese Entwicklung und spottete darüber (Satiren VI). Die Ratschläge Plutarchs waren zurückhaltender, doch besteht auch er darauf, daß der Ehemann regiere und die Frau sich unterordne (Moralia l42d—e). Anders als Kleopatra sollten römische Ehefrauen römische Götter und Göttinnen verehren, nicht hingegen solche aus Ägypten oder dem Osten. Die Römer fürchteten einen Aufstand, falls sich ihre Ehefrauen dem barbarischen Dionysos, der Königin Isis, dem .Gesetzgeber Moses oder Jesus anschlossen. Diese fremden Religionen wurden vom römischen Staat daher ζ. T. auch deswegen verfolgt, weil die Römer eine Veränderung der Strukturen des römisch- patriarchalischen Haushaltes fürchteten. " Väter, Mütter und Kinder Römische Väter besaßen ungewöhnliche Vollmacht über ihre Kinder, so daß sich viele Texte mit ihnen und nicht mit den Müttern befassen. Sie waren so streng, daß „Griechen die Römer als grausam und hart betrachteten" (Dionys von Halikarnassus, Römische Altertümer II 27,2). Ein römischer Besitzer konnte seinen Sklaven nur einmal verkaufen, aber wenn ein römischer Vater sein Kind verkaufte und das Kind später die Freiheit erlangte, konnte es der Vater erneut verkaufen. Die Anrede „Vater" hatte seinerzeit für Römer, Griechen und Juden eine kulturell höchst unterschiedliche Bedeutung. 16 Herren und Sklaven Im römischen Reich gab es mehr Sklaven als in jeder Gesellschaft zuvor. Obwohl es in den letzten beiden Jahrhunderten v. Chr. zu Sklavenaufständen gekommen war, so doch zu keinem einzigen im 1.Jahrhundert n.Chr. Moderne Menschen mag es überraschen, daß in dem Jahrhundert, in dem Jesus und Paulus lebten, zwischen Herren und Sklaven wenig politische Spannungen bestanden. Man diskutierte zwar darüber, wie Sklaven behandelt werden sollten (Seneca, Moralische Episteln XLVII), doch kaum über die Sklaverei als solche. Juden und Christen begannen, sich mit ethischen Mahnungen direkt an die Sklaven zu wenden, statt — wie es vorher üblich gewesen war — in dritter Person über sie zu reflektieren. 17 Haussklaven wurden normalerweise als Teil der Großfamilie betrachtet und nahmen an deren religiösen Gebräuchen teil. Die Römer fühlten sich

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verletzt, wenn ihre Sklaven zum Judentum oder Christentum konvertierten und die traditionellen Riten ablehnten.18

Vereine Formen, Ziele, Mitgliedschaft In den griechischen und römischen Städten des Prinzipats schlossen sich die Menschen neben der natürlichen Gruppe der Großfamilie zu vielen Formen freiwilliger Vereinigungen zusammen, die soziale Aufgaben erfüllten: ζ. B. um Opfer für einen Gott darzubringen, gelegentliche Mahlzeiten oder Symposien zu veranstalten, um unterschiedliche politische Anschauungen auszutauschen oder gemeinsame Uberzeugungen zu bestärken. In der griechischen Tradition waren solche Gruppen als orge ones, thiasotai und eranistai bekannt. In römischen Städten bezeichnete man sie oft als collegia. Die Möglichkeit, daß vielleicht sogar die Mehrzahl sozialer Vereinigungen einen politischen Anstrich gewinnen könnte, veranlaßte die Behörden während des Prinzipats dazu, solche Organisationen auf drei Haupttypen zu beschränken.19 Zur ersten Kategorie gehörten die berufsständischen Genossenschaften der Schiffer, Pförtner, Lagerverwalter, Bäcker, Viehhändler, Handwerker usw. Diese Vereine besaßen viel Geld und Einfluß, obwohl sie selten politischen oder wirtschaftlichen Druck ausübten. Die kaiserlichen Behörden erwarteten von ihnen, daß sie für die notwendigen wirtschaftlichen Dienstleistungen in ihrer Stadt sorgten, was sie offensichtlich gern taten. Inschriften von solchen Kollegien belegen die Ehrungen, die freigebigen Mitgliedern dieser Organisationen erwiesen wurden, die Dankesbezeugungen zu Ehren des regierenden Kaisers und die Aufnahme von neuen Mitgliedern; letztere wurden von der gesamten Gruppe auf Empfehlung eines Aufnahmekomitees gewählt. Jede Gruppe bestimmte selbst über ihre Größe sowie die Bedingungen für eine Mitgliedschaft und erwählte sich einen Gott, der bei ihren Versammlungen den Vorsitz führte und bei ihrer Festtafel Opfer empfing. Eine zweite Kategorie von Vereinen, die collegia sodalicia, widmete sich der Verehrung bestimmter Götter. Oft bestanden solche Gruppen aus Ausländern, die den Kult eines Gottes aus ihrem Heimatland pflegten. Die jüdischen Synagogen in den Städten waren von anderen Kollegien dieser Art wahrscheinlich kaum zu unterscheiden. Auch andere freie gesellschaftliche Gruppen wie die Walker, Wollarbeiter oder Veteranen, die keine öffentlichen Aufgaben hatten wie die Kollegien der ersten Kategorie, organisierten sich oft als collegia sodalicia. Indem sie eine Gottheit zum Patron wählten, nutzten sie eine Lücke im Gesetz aus und präsentierten sich als Vereine mit hauptsächlich religiösen Zielen, obwohl die sozialen Annehmlichkeiten der monatlichen Versammlungen für die meisten Mitglieder wahrscheinlich von größerer Bedeutung waren.

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Die dritte Kategorie, die collegia tenuiorum, bildeten Vereine, in denen sich die Armen zusammenfanden. Das Gesetz erlaubte ihnen ausdrücklich, Gemeinschaften zu bilden, um für ein angemessenes Begräbnis vorzusorgen. Die Mitglieder bezahlten eine Eintrittsgebühr und einen geringen monatlichen Mitgliedsbeitrag. (Personen, die auch dazu zu arm waren, wurden nach ihrem Tod einfach zu einem gemeinschaftlichen Armengrab gekarrt und ohne angemessene Zeremonien dort hineingeworfen.) Jedes Mitglied konnte daher mit einem ordentlichen Begräbnis rechnen, bei dem sich die überlebenden Mitglieder einfanden, um außerhalb der Stadtmauern eine würdige Prozession zu einem einfachen Grab, das zu den Grabstätten des Vereins gehörte, zu bilden. Die collegia tenuiorum verschafften ihren Mitgliedern aber nicht nur Seelenfrieden hinsichtlich der Vorkehrungen für den Todesfall, ihre hauptsächliche Wirkung lag vielmehr in den regelmäßigen Versammlungen, durch die wichtige soziale Kontakte hergestellt wurden. Urkunden solcher Vereine zeigen, daß neben Freigeborenen auch Freigelassene und Sklaven Mitglieder werden konnten und daß das allmonatliche Abendessen eine Zeit würdiger Gemeinschaft mit bestimmten Verhaltensregeln war. Organisation, Finanzen, Versammlungsorte Die Organisation eines Kollegiums, die in einem Statut niedergelegt wurde, entsprach in der Regel der Verwaltungsstruktur der Städte. Die Mitglieder verteilten sich auf kleinere Gruppen, deren Namen auf ein militärisches oder politisches Vorbild zurückgingen: In größeren Vereinigungen finden sich Hinweise auf eine Art Leitungsgremium, genannt ordo decurionum oder gerousia, das dem aristokratischen Stadtrat römischer und griechischer Gemeinden nachgebildet war. Der oberste Funktionär hieß magister oder im griechischen Raum archon. Weitere Vereinsämter bekleideten der Schatzmeister, der Sekretär, der Rechtsvertreter, der Priester und der Verwalter. Zu vielen Gruppen gehörten auch ein oder mehrere wohlhabende Mitglieder, die die Rolle von Patronen einnahmen. Von besonderer Bedeutung waren sie für collegia tenuiorum, deren Wohl und Wehe von den Beiträgen der Sponsoren abhängig war. Die Einkünfte der Vereine stammten aus Mitgliedsbeiträgen, Geldbußen von Mitgliedern, die die Statuten verletzt hatten, Geschenken von Patronen und Wohltätern sowie Erträgen aus Geldanlagen der Gruppe. Diese Einkünfte wurden zum Erwerb und Unterhalt eines Vereinshauses verwendet sowie für regelmäßige Festmähler, für Opfertiere und -geräte, für die Bestattung verstorbener Mitglieder und für Ehrenund Dankbarkeitsbezeugungen an den herrschenden Kaiser und besondere Patrone. Kleinere Gruppen trafen sich in einem bestimmten Teil eines öffentlichen Tempels, in einem gemieteten Saal oder in einem Privathaus. Gruppen, die sich dies leisten konnten, bauten jedoch ein eigenes Vereinshaus. Es enthielt

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normalcrweisc einen kleinen Tempel, der dem göttlichen Patron der Gruppe geweiht war, einen offenen Hof für Versammlungen, Speiseräume für die gemeinsamen Mahlzeiten sowie verschiedene Küchen- und Diensträume. Die offizielle Haltung gegenüber berufsständischen Vereinen hatte in Rom seit frühester Zeit bestanden; am Ende der römischen Republik wurden jene zu Zentren der politischen Tätigkeit. Verschiedene Personen des öffentlichen Lebens machten sich diese Organisationen als politische Aktionsgruppen zunutze, die oft auch vor Gewalt und Einschüchterungsversuchen nicht zurückschreckten. Als Reaktion darauf verbot der Senat zweimal im 1. Jahrhundert v. Chr. solche Gruppen, und Iulius Cäsar unterstützte zwischen 49 und 44 v. Chr. ein Gesetz, das alle Vereine auflöste. Dieses Gesetz blieb auch während des Prinzipats in Kraft, als man um die Sicherheit des Staates stets mehr besorgt war, als um das individuelle Versammlungsrecht der Untertanen. Doch war der Hang zur Vereinsbildung zu stark, um ihn dauerhaft unterdrücken zu können. Obwohl Augustus und Claudius das Gesetz bestätigten, das diese verbot, wurden einige Ausnahmen eingeführt, die etliche Vereine zuließen. Bei diesen Ausnahmen handelte es sich um die drei soeben beschriebenen Kategorien.

Kulte Die Olympischen Götter Der staatliche Kult der offiziellen Götter prägte das soziale Leben der griechischen und römischen Städte. Ihre Tempel waren die bedeutendsten Wahrzeichen, ihre Feste die hauptsächlichen Feiertage und ihre Opfer ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Viele griechische Götter waren agrarischen Ursprungs: Zeus war ein Himmelsgott, der den Regen sandte; Demeter brachte das Getreide aus der Erde hervor; Dionysos ließ die Trauben wachsen und Saft in die Bäume fließen; Aphrodite kümmerte sich um Fortpflanzung und Fruchtbarkeit; Artemis stand mit dem monatlichen Zyklus des Mondes in Verbindung; lokale Halbgötter bewohnten die Flüsse, Bäume und Wälder und beschützten diejenigen, die in deren Nähe wohnten. Manche Götter regierten eher städtische Tätigkeiten, ζ. B. Athene, die für Politik, Krieg und Gewerbe zuständig war; Hephaistos, der Schmied und Kunsthandwerker; Hermes, der Kaufmann und Bote; oder Ares, der Förderer des Krieges. Ein allgemeiner griechische Ausdruck für solche Götter oder Halbgötter war daimon (vgl. den Begriff „Dämon", der über das Mittellateinische ins Deutsche gelangt ist). Die frühen Christen räumten im allgemeinen ein, daß diese Götter, diese daimones, wirklich existierten, doch deuteten sie sie als Geister des Antichristen und nicht als Kreaturen des wahren Gottes, was die moderne Bedeutung des Begriffs (IKor 10,20-21; Jak 2,19; Apk 16,14; 18,2) erklärt.

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Die Erzählungen der griechischen Mythologie über diese Götter bildeten den Stoff der griechischen Bildung, des Theaters, der Literatur und der Kunst. Es waren schöne, aufregende Geschichten, die die Götter oft mit überwältigender Kraft ausstatteten, aber auch mit den Leidenschaften und gefühlsmäßigen Schwächen der Menschen: Täuschung, Lüge, Verführung und Raub bildeten den Gegenstand vieler Mythen, und viele Heiden erkannten, daß ihnen die Göttergeschichten äußerst ungeeignete Vorbilder für ein moralisches Verhalten an die Hand gaben. Ein Teil der Gebildeten versuchte daher, die Mythen zu entlarven, ein anderer, sie allegorisch zu interpretieren. Die frühchristlichen Apologeten versäumten es nur selten, auf die Schwäche einer Theologie hinzuweisen, die auf überlieferten Mythen gründet, und machten das Benehmen der Götter in jenen alten Erzählungen zur beständigen Zielscheibe ihres Spotts. Die Anfälligkeit der griechischen Götter für menschliche Wünsche und Leidenschaften brachte es mit sich, daß sie bisweilen die Städte der Menschen besuchten. Nach Vorstellung der Mythen suchten die Götter ihre menschlichen Liebhaber/innen oft in menschlicher (manchmal auch tierischer) Gestalt auf. Ferner gab es Geschichten von besonderen Epiphanien, in denen ein Gott einem oder mehreren Menschen erschien. Die Mythen berichten, wie Götter in Menschengestalt zu Lykaon kamen, wie dieser ihnen menschliches Fleisch vorsetzte und dafür fürchterlich bestraft wurde, oder davon» wie Baukis und Philemon Zeus und Hermes bewirteten, ohne sie zu erkennen( und dafür reich belohnt wurden (Ovid, Metam VIII 626-724). Die Römer stellten sich ihre Götter weniger anthropomorph vor als die Griechen, entdeckten aber genauso, daß das Göttliche in allen Bereichen des Lebens wirksam war. So wurden Grenzsteine der Bauern, die die Tätigkeiten der Nachbarn auf beiden Seiten kontrollierten, ebenso als göttliche Macht betrachtet wie die geheimnisvolle Majestät des Himmels, ein großer Wald oder Vorratskammern der Bauernhöfe, die für die geeignete Aufbewahrung von Nahrung und Saatgut verantwortlich waren, oder auch der Rost, der aus dem Nichts erschien und Geräte und Getreide verdarb. Als die Römer schließlich mit den Griechen in Berührung kamen und dem Zauber ihrer Kultur erlagen, wurde ihre einfache, aber reiche Religion des Erdbodens von Geschichten aus der griechischen Mythologie überlagert. Der römische Jupiter wurde mit dem griechischen Zeus gleichgesetzt, Juno mit Hera, Minerva mit Athene, Vulkan mit Hephaistos. Dennoch behielten die Gebete und Riten, die von den offiziellen Priestern des Staatskultes gesprochen bzw. vollzogen wurden, ihren spezifisch römischen Charakter. Das setzte (wie bei den meisten Formen von Polytheismus) voraus, daß im Pantheon immer Platz für einen weiteren Gott war, daß menschliches Wissen noch nicht alle göttlichen Wesen zu entdecken vermocht hatte; es setzte ferner voraus, daß das Wohl Roms und seines Reiches vom beständigen Wohlwollen der Götter abhing. Die im öffentlichen wie im privaten Bereich übliche Form der Gottesverehrung war das Opfer. Ebenso wie bestimmte Opfertiere auf dem Altar des

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jüdischen Tempels in Jerusalem dargebracht wurden, opferten die Römer auf den Altären vor den Tempeln ihrer Götter. Je nach der Eigenart der Gottheit und der Feierlichkeit des Anlasses bestand das Opfer in einem Stier oder einer Kuh, in einem Schwein, einem Schaf, einem Vogel, einem besonders gebackenen Kuchen oder Weihrauch. Wenn man ein lebendiges Opfer darbrachte, wurde es mit Gerstenmehl bestreut, mit Bändern geschmückt und dann mit einem Hammer betäubt. Sein Hals wurde durchschnitten und die Eingeweide untersucht, um sicherzustellen, daß es für die Gottheit annehmbar war; bestimmte nicht eßbare Teile wurden auf den Altar gelegt und vom Feuer verzehrt. Die restlichen Teile wurden normalerweise gekocht und bei einem Mahl zu Ehren des Gottes verzehrt. Übriggebliebenes Fleisch verkaufte man auf einem Fleischmarkt. Opfertiere waren eine Hauptbezugsquelle für diese Märkte, so daß die Frage des Verzehrs von Götzenopferfleisch für die Bewohner einer heidnischen Stadt wie Korinth mit zahlreichen Kulthandlungen ein wirkliches Problem war (IKor 10,25-31). Die Opferhandlungen wurden von Gebeten begleitet. In griechischer wie in römischer Tradition lag die Absicht des Gebetes darin, mit einer Gottheit einen Handel abzuschließen. Das Gebet begann normalerweise mit einer Anrufung — einer Erinnerung an einstige Wohltaten oder einer Anspielung auf die große Macht des Gottes, Wohltaten zu erweisen. Danach wurde der Gegenstand der Bitte vorgetragen, die fast immer mit dem Versprechen schloß, dem Gott eine Gegenleistung zu erbringen. Wenn das Gebet erfüllt wurde, war der Bittsteller verpflichtet, alles zu tun, was er oder sie versprochen hatte. Das konnte etwas einfaches sein, wie das Darbringen eines Dankopfers, die Widmung einer kleinen Gedenktafel oder der Bau eines neuen Tempels. Die Römer waren in ihrer charakteristischen Schläue und ihrem Sinn für gesetzliche Einzelheiten besonders darauf bedacht sicherzustellen, daß der Gott ihre Bitte verstand. Bestand Unsicherheit darüber, mit welchem Namen die Gottheit angeredet werden wollte, so pflegte man nach der Anrufung die rettende Formel hinzuzufügen „oder durch welchen Namen Du angerufen werden willst", und das Anliegen der Bitte und versprochene Dankopfer wurden bis in die Einzelheiten genau vorgetragen. Die offiziellen Gebete des römischen Magistrats waren niedergeschrieben und wurden ohne jede Veränderung wiederholt. Wenn irgendeine Einzelheit des Rituals nicht korrekt ausgeführt wurde, konnte das Gebet sogar ungültig sein; aus diesem Grund enthalten die Texte vieler überlieferter Gebete archaische lateinische Formen, die längst außer Gebrauch waren, als die Gebete niedergeschrieben wurden. Der Gegensatz zum frühchristlichen Gottesdienst, wo der Leiter improvisierte Gebete vortrug und die römische Form des Aufsagens (egal, ob nutzlos oder nicht) mied, dürfte vermutlich für die Christen ebenso wie für alle anderen Heiden, die bei ihren Ritualen anwesend waren 20 , offenkundig gewesen sein. Die Götter und Göttinnen des Olymps wurden hauptsächlich als die Beschützer und Verteidiger des öffentlichen Lebens verehrt. Ihre Feste und Opfer boten Gelegenheit zu allgemeinen öffentlichen Feiern, sie stärkten den

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Zusammenhalt der Stadt und den Erfolg des Reiches, und sie befriedigten das Bedürfnis nach Pomp, Feierlichkeit und religiöser Ehrfurcht. Doch standen auch dem einzelnen Möglichkeiten offen, gegenüber diesen großen Göttern persönliche Ergebenheit auszudrücken. Die Menschen hielten bei Gelegenheit am offenen Tor eines Tempels inne, um ein kurzes Gebet zu sprechen oder eine kleine Gabe darzubringen. Oder sie besaßen die Statue eines bevorzugten Gottes zu Hause bzw. ehrten ein Gottesbild auf der Straße, indem sie es mit einer Girlande schmückten oder ihre Finger an die Lippen legten und sie dann zum Bild hin ausstreckten (Minucius Felix, Octavius II). Daneben wurden die Götter auch gewohnheitsmäßig angefleht, ζ. B. wenn die Töpfer beim Herausnehmen des Geschirrs aus dem Brennofen den Namen des Vulkan anriefen (Varrò, Satiren Fragment 68, ed. Bücheler). Solche gelegentlichen Äußerungen einer traditionellen polytheistischen Frömmigkeit waren unter den üblichen kulturellen Verhältnissen der Städte des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. unvermeidlich. Sie waren ebenso verbreitet wie die Götterstatuen, die Bilder mit mythologischen Szenen, die Altäre an den Straßenecken, der Duft von Weihrauch und der Geruch verbrennenden Fleisches, der von den Tempelaltären aufstieg. Andererseits hatten die Gebildeten seit Jahrhunderten die Existenz dieser offiziellen Götter längst in Frage gestellt oder sie allegorisiert. Sie wandten sich dem Skeptizismus oder der Philosophie zu, um ihre tieferen religiösen Befürfnisse auszudrücken. Einfache Männer und Frauen neigten dazu, ihre Verehrung eher erreichbaren Göttern zuzuwenden, etwa den Beschützern ihres Haushalts, dem göttlichen Geist im Herd, den Schutzgöttern ihrer Vorratskammer oder den Geistern verstorbener Vorfahren. Die Landbewohner pflegten die traditionellen Riten für die örtlichen Gottheiten der Felder, Flüsse und Wälder; in manchen Gebieten des Mittelmeerraumes sind diese Riten noch heute zugunsten ländlicher Heiliger und Geister in Gebrauch. In Zeiten der Not wandten sich viele Menschen dem Kult des Asklepius (oder Aeskulapius) zu, dessen Tempel als Krankenhäuser dienten.

Der Herrscherkult: Die Augustales Eine Alternative zur traditionellen Götterverehrung in den ersten Jahrhunderten n. Chr. war der Kult des regierenden Kaisers. Dieser Kult erfüllte drei Aufgaben: Durch die Verehrung einer sichtbaren, unumstrittenen Macht befriedigte er religiöse Bedürfnisse, durch Betonung der Treue gegenüber dem Reich und seinem Herrscher war er von politischer Bedeutung, durch die Einbindung von reichen Freigelassenen in die Verantwortung für die Verwaltung des Kultes besaß er eine soziale Funktion. Die traditionelle Religion Roms war an unsichtbare, aber wahrnehmbare Mächte gerichtet, die sich im klaren oder stürmischen Himmel befanden, im Grenzstein, im Getreidesamen, oder im Mehltau, der sich auf die Feldfrüchte legte und sie verdarb. In ähnlicher Weise richtete sich der Kaiserkult

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an eine Macht, die die Völker durch die von ihr geführten Armeen unterwerfen, Berge durch ihre Ingenieursleistungen versetzen, über Leben und Tod von einzelnen Menschen oder ganzen Völkern mit einem einzigen Wort entscheiden konnte und die einen Schutzschild zwischen dem Volk und dem furchtbaren Gespenst des Bürgerkrieges aufrichtete. Die Zivilisationen des östlichen Mittelmeerraumes hatten ihre Herrscher seit Jahrtausenden als Götter verehrt. In Ägypten wurde der Pharao als lebendige Inkarnation des Gottes Horus betrachtet. In der griechischen Legende war Herakles zu einem der olympischen Götter geworden, und eine andere Gruppe von Halbgöttern, die „Heroen", empfing Opfer und Gebete. Solch „heroische" Ehrungen wurden im Griechenland des 5.Jahrhunderts v. Chr. auch Zeitgenossen entgegengebracht, so daß ein lebender General (Lysander von Sparta) am Ende jenes Jahrhunderts sogar Altäre für sich errichtete. Alexander der Große, der als Eroberer Ägyptens und übermenschlicher General Griechenlands beide Traditionen verkörperte, wurde von mehreren griechischen Städten als Gott verehrt - ein Beispiel, dem sich viele seiner Nachfolger anschlossen (neben der ptolemäischen Dynastie Ägyptens auch die der Seleukiden in Syrien). Der Pomp dieses hellenistischen Herrscherkults begegnet auch in der Apostelgeschichte (12,20—22), wo Herodes Agrippa in der hellenistischen Stadt Cäsarea vor dem Volk erscheint. Die römischen Generäle der republikanischen Zeit hatten sich dieser Form der Hofierung im allgemeinen entzogen, während Iulius Cäsar von ihren Möglichkeiten fasziniert war. Nach Cäsars Tod erklärte ihn sein Erbe Augustus zu einem Gott und errichtete ihm zu Ehren auf dem Forum Romanum einen Tempel und Altar. Zu seiner eigenen Verehrung gestattete Augustus jedoch nur den Bau von Altären und Tempeln in einigen Städten des griechischen Ostens, wo diese Art des Kultes bereits zu einer üblichen Form geworden war, um den Herrschern zu huldigen. In Rom und Italien ordnete er an, daß sich die Verehrung nicht auf ihn selbst richten solle, sondern auf seinen genius, den göttlichen Geist, der über sein Leben wache und aus dem seine Kraft hervorgehe. Mit dieser Anordnung handelte er wie der Vater eines normalen römischen Haushaltes, für dessen Genius die Familie regelmäßig Weihrauch opferte. Im folgenden Jahrhundert wurde der Kult des lebenden Kaisers ein normaler Bestandteil des öffentlichen Lebens. Man schwor beim Genius des Kaisers, dessen göttliche Macht dann bei der Erfüllung des Schwurs auf dem Spiel stand. Wie sich der Formulierung des Festus (Apg 25,26) entnehmen läßt, wurde der Ausdruck kyrios („Herr") als Bezeichnung für den Kaiser Nero benutzt. Vespasian wurde ebenso wie sein Sohn Titus als sôtêr („Heiland") anerkannt. Domitian, sein zweiter Sohn, erweiterte die Vorstellung der Göttlichkeit des Kaisers und verlangte, als dominus et deus („Herr und Gott") anerkannt zu werden. Dies wurde nach seinem Tod — ebenso wie frühere Versuche von Caligula und Nero — als unrömische Vermessenheit betrachtet, so daß der Herrscherkult unter den Kaisern des 2. Jahrhunderts in abgeschwächter Form als eine Art Treueerklärung für das Reich fungierte. 21

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Die Verehrung des lebenden Kaisers konnte durch die Opferung eines Stiers oder von Weihrauch vor seinem Bild bekundet werden. Normalerweise war das ein öffentliches Ritual, das von hohen Beamten oder Priestern durchgeführt wurde; allerdings ist bekannt, daß Plinius der Jüngere als Statthalter Bithyniens im frühen 2. Jahrhundert n. Chr. auch von bestimmten Einzelpersonen verlangte, dieses Ritual zu begehen — als Maßnahme zur Bekräftigung der Treue gegenüber dem Kaiser und um Christen als solche zu identifizieren, da diese eine Teilnahme an dem Ritual abzulehnen pflegten (Briefe X 96). Mit der Versehung des Kultes waren häufig kaiserliche oder städtische Beamten betraut, die zu Magistraten oder Priestern ernannt worden waren. Seit der Zeit des Augustus wurden jedoch besondere Kollegien zur Pflege des Kaiserkultes eingesetzt. Diese waren die sogenannten Augustales, die sich aus herausragenden Freigelassenen der einzelnen Städte rekrutierten. Jährlich wurden sechs von ihnen ausgewählt, um die Aufsicht über die Tätigkeit des Gremiums zu führen. Die Augustales erfüllten daher eine wichtige Funktion bei der Integrierung Freigelassener in die Gesellschaft, da es Letzteren verwehrt war, in den römischen Senat oder in die Stadträte gewählt zu werden. Da aber, wie oben gezeigt, viele von ihnen Geld und Einfluß besaßen, konnten sie durch ihren Dienst als Augustales Würde und Anerkennung erlangen. Hierdurch erhielten sie eine wichtige Aufgabe im öffentlichen Leben des Gemeinwesens und gelangten in eine Position, in der ihr Reichtum dem Wohl der Öffentlichkeit zugute kommen konnte.

Die Mysterienkulte Die Mysterien ermöglichten eine andere Form religiöser Erfahrung. Ursprünglich handelte es sich bei ihnen um lokale griechische Vegetationsfeste, die jedoch schon in klassischer Zeit einen universellen Charakter entwickelten. Anders als die staatlichen und familiären Kulte, denen man aufgrund des Bürgerrechts und der Geburt angehörte, luden diese Kulte den einzelnen dazu ein, freiwillig an ihren geheimen Zeremonien teilzunehmen. Sie stellten ein besonders enges Verhältnis zur Gottheit sowie eine sorglose Unsterblichkeit jenseits des Grabes in Aussicht; dies vermittelten sie durch ein symbolisches Ritual, in dem Essen, Trinken und Offenbarungen den Eingeweihten Heil und vertraute Gemeinschaft mit der Gottheit erfahrbar machten. Die eleusinischen Mysterien zu Ehren von Demeter und Persephone verdankten ihre Bedeutung sowohl der Tatsache, daß Eleusis ein Vorort Athens (des angesehensten griechischen Stadtstaates) war, als auch dem Schauspiel, das die Riten begleitete und dazu führte, daß sie im Laufe der Jahrhunderte von verschiedenen Eingeweihten in unterschiedlichster Weise gedeutet wurden. Die Riten gründeten auf dem Mythos der Entführung Persephones durch Pluto und erinnerten an den jährlichen Kreislauf, in dem

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das Saatgetreide in unterirdischen Speichern vergraben wird, stirbt, daraufhin in die Erde gepflanzt wird und zu neuem, wahrhaften Leben erwacht. Teile dieser Zeremonie waren eine vorbereitende Waschung im Meer, eine Prüfung, um moralische und rituelle Reinheit zu gewährleisten, eine feierliche Prozession von Athen nach Eleusis, symbolische Neuinszenierungen des Mythos, eine Zeremonie in später Nacht, bei der ein plötzlicher Strahl grellen Lichtes ein unaussprechliches Geheimnis offenbarte (moderne Forscher vermuten — meist aufgrund feindlicher Hinweise bei christlichen Kritikern des Ritus —, daß es sich um eine Weizenähre gehandelt habe), sowie die Beendigung eines langen Fastens durch den Verzehr einer besonderen Mischung aus Gerste, Wein und ungenannten „heiligen Dingen". Aristoteles (Fragmenta 15, ed. Rose) betont, daß die Anziehungskraft der Mysterien zu seiner Zeit (im 4.Jahrhundert v.Chr.) nicht in einem besonderen Wissen bestand, das vermittelt wurde, sondern im Ritual, das den Eingeweihten in einen spirituell aufnahmebereiten Geisteszustand versetzte. In römischer Zeit verkörperte der Mysterienkult in Eleusis für die eher philosophisch Interessierten einen Höhepunkt an Spiritualität, so daß er von allen Schichten der Gesellschaft, von römischen Kaisern über athenische Aristokraten bis hin zu Freigelassenen und Sklaven, aufgesucht wurde. Noch verbreiteter und einflußreicher waren die Mysterien des Dionysos oder Bacchus. Sie feierten den Gott des lebenspendenden flüssigen Elements in Pflanzen und Tieren, der nach seinem Winterschlaf im Frühling zum Leben erwachte und seinen Anhängern Segen verhieß — sowohl auf Erden (hauptsächlich durch sein Geschenk des Weines und dessen Fähigkeit, die Sorgen der Menschen zu zestreuen) als auch im Leben nach dem Tod. Zu den Zeremonien dieses Mysterienkults gehörten nächtliche Einweihungen, Essen und Trinken, ekstatische Tänze und Vorträge von Hymnen. In der klassischen Zeit Griechenlands (Euripides, Bacchae) begegnet der Kult zunächst als Enthusiasmus von Frauen, obwohl in späterer hellenistischer Zeit auch die männlichen Mitglieder der als „Künstler des Dionysos" bekannten Schauspieltruppen zu seinen Anhängern gehörten. In Italien wurde er in seiner hellenistischen Form als eine eher nüchterne Gesellschaft von Frauen aus der Oberschicht eingeführt, die sich dreimal im Jahr trafen, doch erneuerte im späten 3. oder im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. eine charismatische Frau aus Kampanien namens Paculla Annia den Kult im Sinne jener vitaleren Spiritualität, die er ursprünglich beanspruchte. Nach Livius (XXXIX 9 - 1 3 ) weihte sie Männer und junge Leute unter zwanzig Jahren ein, bestimmte die Nacht statt des Tages zur Versammlungszeit und erhöhte die Anzahl der Zusammenkünfte auf fünf im Monat. Mit diesen Maßnahmen sollte offenbar die Anziehungskraft des Kultes und seine Bedeutung für das Leben der Mitglieder gesteigert werden. 2 2 Was Livius über die Mitgliedschaft in diesen Bacchischen Kulten in Italien und sogar in Rom selbst mitteilt, setzt voraus, daß der Kult unter freigelassenen Sklaven besonders beliebt war. Vor ihrer Initiation mußten sich die Novizen zehn Tage lang sexueller Kontakte enthalten. Anschließend nahmen sie an einem Festmahl teil und wurden mit

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reinem Wasser gewaschen, ehe man sie zur Zeremonie in das Heiligtum geleitete. Beunruhigt durch das Anwachsen des Kultes und Gerüchte über Ausschweifungen und Skandale, die über ihn umgingen, schränkte der römische Senat im Jahr 186 v. Chr. seine Größe und die Anzahl der kultischen Zusammenkünfte erheblich ein. Es entsprach jedoch nicht dem Geist des Polytheismus, den Kult völlig zu verbieten. Im Zuge des wachsenden Kosmopolitismus des römischen Reiches und der Abnahme der alten römischen Traditionen wurden die dionysischen Kultgemeinden nicht nur toleriert, sondern scheinen sogar hohes Ansehen gewonnen zu haben. Aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. ist ζ. B. die Mitgliedsliste einer dionysischen Gemeinde aus einem Vorort Roms erhalten: An ihrer Spitze steht Agrippinilla, die Ehefrau eines römischen Konsuls und ihrer eigenen Herkunft nach Mitglied einer Familie von der griechischen Insel Lesbos; andere hohe Kultfunktionen, sämtlich mit griechischen Titeln bezeichnet, werden von ihren Angehörigen versehen. Die niederen Dienstgrade scheinen mit Sklaven, Freigelassenen sowie mit Frauen der Familie besetzt worden zu sein, die alle (die Liste enthielt 400 bis 500 Namen) entweder schon eingeführt oder Anwärter für die Initiation waren und an der Prozession und den Zeremonien teilnahmen. Diese und andere Inschriften aus römischer Zeit belegen eine differenzierte Hierarchie von Priestern, Priesterinnen, Trägern von Fackeln und anderen heiligen Gegenständen, Trägern von besonderen Gewändern, Lehrern, Aufsehern, Anwärtern für den Unterricht usw. Ämter und Mitgliederschaft unterschieden sich in Einzelheiten von Ort zu Ort, obwohl die Anhänger vieler Gemeinden aus unterschiedlichsten sozialen Gruppen stammten, scheinen zumindest einige von ihnen eine Art Hausgemeinschaft wie diejenige Agrippinillas gewesen zu sein, die sich aus Herren und Sklaven zusammensetzte. 23 Die traditionelle Verbindung des Dionysoskultes mit ekstatischem Tanz und Schauspiel erlaubte den Mitgliedern, öffentliche oder halböffentliche Pantomimenaufführungen zu geben. Antike heidnische Kritiker (Seneca, Naturales quaestiones VII 32.3) beklagen sich gelegentlich darüber, daß sogar adlige Männer und Frauen diese nicht selten zweideutigen und unzüchtigen Aufführungen besuchten. Auf einer anderen Ebene zeigt sich die Beliebtheit des Dionysos unter den Wohlhabenden des 2. und 3. Jahrhunderts n. Chr. an kunstvollen Sarkophagen, die mit dionysischer Symbolik verziert sind.

Die orientalischen Kulte Die Anziehungskraft der griechischen Mysterienkulte in hellenistischer und römischen Zeit findet eine Parallele in der volkstümlichen Verehrung, die verschiedenen Gruppen von Göttern aus dem Nahen Osten, namentlich aus Ägypten, Syrien, Kleinasien und Persien erwiesen wurde. Deren Kulte begünstigten zwei allgemeine religiöse Entwicklungen der frühchristlichen Zeit und befriedigten zugleich die Bedürfnisse, die durch diese Entwicklungen

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hervorgerufen worden waren. Zum einen handelte es sich um die Tendenz zum Synkretismus - einem Prozeß, in dem ähnliche Götter verschiedener Völker gleichgesetzt oder als im wesentlichen identische göttliche Wesen verstanden wurden (Kapitel 2). Eine zweite Tendenz bestand darin, eine engere gefühlsmäßige Bindung mit dem Göttlichen einzugehen; die orientalischen Kulte öffneten für solche religiösen Bedürfnisse ein exotisches Ventil. Diese Entwicklung rief jedoch auch Widerstand hervor: Für die Griechen bedeutete rechtmäßige eusebeia („Frömmigkeit") einen ziemlich nüchternen Respekt vor den Göttern sowie rationale Verhaltensmuster, während der abwertende Begriff deisidaimonia („Dämonenfurcht") leicht auf jemanden bezogen werden konnte, der nach neuen Göttern zur Verehrung Ausschau hielt. Für die Römer war die geziemende religio vor allem ausgewogen, im Gegensatz zur superstitio, die mit ihren emotionalen Reizen, die oft von fremder Unkultur geprägt waren, außer Kontrolle zu geraten drohte. 24 Im allgemeinen hatten diese orientalischen Kulte sowohl öffentlichen als auch privaten Charakter. In ihren Heimatländern waren sie offizielle Staatskulte. In griechischen und römischen Städten wurden ihre feierlichen Handlungen oft in den offiziellen religiösen Kalender aufgenommen und in ihren Tempeln öffentliche Opfer dargebracht. Ferner versammelten sich dort private Gruppen von Verehrern mit eigener Hierarchie, Einführungsriten und Zeremonien als Kollegien. Viele von ihnen besaßen strenge Regelwerke zum Verhalten und zur rituellen Reinheit ihrer Mitglieder. 25 Soweit bekannt, gab es keine religiöse Führungsgestalt, die die Lehre oder die Handlungsweise in den einzelnen Kultvereinen bestimmte, obwohl sich bei einigen von ihnen spezielle Priesterämter finden, die besondere Verpflichtungen oder besondere Kenntnisse erforderten. Wie bei den meisten Kultvereinen gewannen auch die der orientalischen Gottheiten ihre Mitglieder aus allen sozialen Klassen. Besondere Anziehungskraft übten sie jedoch auf reichere Mitglieder der Gesellschaft aus, die für Initiation und Weihe große Summen ausgaben. Im ägyptischen Kult war die Göttin Isis zusammen mit ihrem Begleiter Osiris oder Serapis die Zentralfigur. Isis war die große Mutter, die ihren Begleiter und all jene, die sich an sie wandten, beschützte. Osiris war der Gott der Unterwelt, dessen Tod und Wiederbelebung alljährlich gefeiert wurde (Plutarch, Isis und Osiris 377b—c). In Gestalt des Serapis war er eine Vaterfigur, die seinen Anhängern in Träumen erschien, sie heilte und aus Schwierigkeiten errettete. Beide Götter wurden von anderen Mitgliedern des ägyptischen Pantheons bedient, von Horus oder Harpokrates, dem göttlichen Kind, oft an Isis' Brust trinkend dargestellt, bis zu dem schakalköpfigen Anubis, der die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt geleitete. Die öffentlichen Zeremonien, die von den Ritualen der großen Tempel Ägyptens übernommen wurden, umfaßten tägliche Morgen- und Abendgottesdienste, bei denen Weihrauch verbrannt, Wasser des heiligen Nilflusses versprengt und Hymnen zu Ehren der Götter gesungen wurden. In manchen Tempeln hatten Priester aus Ägypten den Vorsitz, an ihren geschorenen

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V. KAPITEL: Das Leben in der Stadt

Köpfen und den weißen Leinenroben waren sie leicht zu erkennen. Auch fanden Prozessionen in den Straßen statt, bei denen die Verehrer Embleme trugen und Masken der Gottheiten aufsetzten. Uber diese öffentliche Verehrung hinaus wurden Einzelpersonen in verschiedene Weihestufen der Mysterien eingeführt, die sie als mystischen Besitz in Empfang nehmen. So wird ζ. B. die Hauptfigur in Apuleius' Roman „Der goldene Esel" „wiedergeboren" (XI 16,21), gewaschen und gereinigt (XI 23). Er sieht die himmlischen und höllischen Götter (XI 23), nimmt ein kultisches Mahl ein und betet (XI 24) — all das führt zu seiner Errettung vor dem Schicksal, dem Elend und der Todesfurcht (XI 1.12.15). Hinweise bei anderen lateinischen Autoren und in vielen Inschriften zeigen, daß Isis bei Frauen aus allen sozialen Schichten Anziehungskraft besaß. Sie war die Spenderin aller guten und vollkommenen Gaben, unter anderem der Heirat, der Sprache und der Zivilisation; in Hymnen wurde sie gefeiert als diejenige, die Männern und Frauen gleiche Macht verliehen hatte. 26 Inschriften belegen, daß die Anhänger der Isis oder des Serapis ebenso wie die anderer Kollegien einmal im Monat zusammenkamen. Eine charakteristische Versammlungsform war das Serapismahl, zu dem besondere Einladungen ergingen, und bei dem die Gäste fühlten, daß der Gott bei ihrer Mahlzeit geistlich anwesend war. Eine Inschrift aus Thessalonich verrät Einzelheiten einer Kultgesellschaft zu Ehren des ägyptischen Gottes Anubis. Sie traf sich in einem Haus, das von einem römischen Bürger gebaut worden war, und bei neun der vierzehn erwähnten Amtsträger handelte es sich ebenfalls um römische Bürger. Sie wurden „Tischgenossen" und „Träger der heiligen Gegenstände" genannt. Die Inschrift läßt eine Gruppe von hochrangigen Römern erkennen, die sich in der ersten Hälfte des 2.Jahrhunderts n.Chr. am öffentlichen Kult der ägyptischen Götter in Thessalonich aktiv beteiligten. 27 Isis war nicht die einzige wichtige Gottheit, die im östlichen Mittelmeerraum zu Hause war. Artemis von Ephesus mit ihren Fruchtbarkeitsfeiern ist ein anderes Beispiel, die syrische Gottheit mit ihrem Begleiter Adonis, dessen Tod und Auferstehung alljährlich betrauert und gefeiert wurde, ein weiteres. Die berühmteste von allen war jedoch Kybele oder Kubaba, die im phrygischen Pessinus als „große Mutter der Götter" verehrt wurde. Ihr heiliges Totem war ein schwarzer Stein, der von einer berufsmäßigen Priesterschaft bewacht wurde, deren Mitglieder ihr durch rituelle Kastration ewige Verehrung geschworen hatten. Darin ahmten sie die Erzählung von Attis nach, dem Gefährten der Gottheit, der sich in ekstatischer Wut und Schuld selbst kastriert hatte, nachdem er der Mutter untreu geworden war. In römischer Zeit waren Altäre der Großen Mutter in allen Städten des Reiches verbreitet. An ihnen verrichteten oft ein oder mehrere Eunuchenpriester, die Galli genannt wurden, Dienst: In auffälligen gelben Roben feierten sie ihre Gottheit mit wilden Rufen, Tänzen und Geißelungen, begleitet von Pfeifen, Schellentrommeln und klirrenden Becken. Doch war es für Gruppen von würdigen Mitgliedern der Gesellschaft ebenfalls nichts Ungewöhnliches, im Tempel zusammenzukommen, um dort Versammlungen, Opfer und Abend-

Kulte

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essen in ähnlicher Weise abzuhalten, wie andere Kollegien auch. Vom 2. bis 4.Jahrhundert n . C h r . liegen sowohl literarische Beschreibungen als auch Denkschriften vor, die ein taurobolium genanntes Ritual belegen. Es wurde nicht von den entmannten Galli zelebriert, sondern von einem wichtigen Mitglied des Kollegiums, das in eine Grube stieg, während ein Stier (in sparsamen Fällen ein Widder) in der Weise geopfert wurde, daß dessen Blut in die Grube lief und den dort befindlichen Mysten benetzte. D i e Inschriften zeigen, daß Mitglieder aus der Spitze der römischen Gesellschaft — womöglich die einzigen, die es sich leisten konnten — an diesem Ritus teilnahmen. N a c h Aussage derselben Inschriften bestand seine Wirkung darin, das Leben des Teilnehmers zu erneuern, sie oder ihn neu geboren (renatus) werden zu lassen. D i e älteren Inschriften geben an, daß die Neugeburt zwanzig Jahre anhalte, ein jüngerer Beleg, der vielleicht von der christlichen Tauflehre beeinflußt ist, behauptet, daß die Wirkung des Rituals bis in Ewigkeit anhalte. 2 8 Der Mithraskult unterschied sich von den anderen darin, daß er auf Männer beschränkt und seine Organisation genauer festgelegt war. Er besaß zudem eine höher entwickelte Theologie, nämlich das spekulative Vermächtnis der persischen Magier, das in der Tradition eines strikten Dualismus stand. In seiner Mythologie und seinem Ritual betonte der Mithraskult den Gegensatz von G u t und Böse, von Licht und Finsternis. D i e Heldenfigur des Mithras wurde aus dem Urgestein geboren; in einem gewaltigen K a m p f tötete er den Himmelsstier, dessen Kadaver die mächtigen Gewalten entließ, die erforderlich waren, um das Leben auf der Erde hervorzubringen. Dieser Mythos, in dem Mithras die Mächte des Bösen überwand, breitete sich im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. von Persien über die römische Welt aus. Seine Verehrer waren in Vereinen organisiert, und trafen sich in kleinen Kulträumen, die wie Höhlen ausgestattet waren, mit einem Mittelgang, der zu einer Skulptur führte; sie zeigte Mithras bei der Tötung des Stieres und war auf beiden Seiten von langen, niedrigen Liegen flankiert, auf denen sich die Verehrer niederlassen konnten. Z u ihren Versammlungen gehörten tägliche Gebetsgottesdienste und in regelmäßigen Abständen eher offizielle Treffen mit Kultmählern von Brot und Wein. D i e Initiation war ein langer und komplizierter Prozeß, der verschiedene Prüfungen enthalten konnte: Hitze und Kälte ausgesetzt sein, ein Brandmal erhalten, fasten und Geißelung ertragen. Die vorläufigen Weihegrade als Rabe, Bräutigam und Soldat konnten durch Einführung in die höheren Stufen des Löwen, Persers, Sonnenläufers und Vaters abgelöst werden. Diese sieben Grade der Initiation entsprechen in gewisser Weise den sieben Stufen der planetarischen Sphären und stellen offensichtlich die fortschreitenden Reinigung der Seele und ihre Reise in die jeweils nächste Welt dar. Entsprechend seiner quasi militärischen Organisation konnten sich nur Männer dem Mithraskult anschließen. Er war besonders unter Soldaten verbreitet; oft besaßen die Vorposten an den Rändern des römischen Reiches einen Mithrastempel.

VI. KAPITEL

Das Christentum in den Städten des römischen Reiches Die frühchristlichen Kirchen ähneln anderen Institutionen in den griechisch-römischen Städten. Keine dieser anderen Organisationen stellt eine genaue Parallele dar, doch sind einige ähnlich genug, um zum Verständnis der Kirchen beizutragen und einen Eindruck davon zu vermitteln, wie Griechen und Römer — und natürlich auch die Christen — die Kirche aufgefaßt haben.

Die Übernahme städtischer sozialer Gesellschaftsformen

durch die Christen

Gewiß achteten die Christen darauf, sich von den üblichen religiösen Institutionen ihrer sozialen Umwelt zu unterscheiden. Die Gruppe der Christen bezeichnete sich selbst als ekklësia (Versammlung), ein Wort, das von den politischen Versammlungen in den griechischen Städten übernommen wurde. Systematisch verwarf sie das Vokabular der heidnischen Kulte: Bei ihr gab es keinen Tempel, keinen Priester und kein Opfer außer Jesus selbst. Die Terminologie des Herrscherkultes wurde vermieden; sogar der Christustitel söter (Heiland) findet sich erst in relativ später Zeit. Desgleichen hüteten sich die Christen vor jener Begrifflichkeit, die an die verschiedenen heidnischen Mysterienkulte erinnerte.1 Der Haushalt Die meisten frühchristlichen Gemeinden trafen sich in griechisch-römischen Haushalten. So bestellte Paulus von Ephesus aus der Kirche in Korinth Grüße von „Aquila und Priskilla samt der Kirche in ihrem Haus" (IKor 16,19). Eine ähnliche Form findet sich in drei anderen Passagen (Rom 16, 5; Phlm 2; Kol 4,15). Paulus teilt mit, daß er in Korinth das Haus des Stephanas getauft habe (IKor 1,16; vgl. 16,15-16). Desgleichen mögen die Christen, die in Rom 16,14-15 genannt werden, Mitglieder dreier Hausgemeinden gewesen sein. Auch Lukas räumt dem Haushalt in seinem Bericht über das frühe Christentum eine zentrale Funktion ein. Missionarische und apologetische Predigten werden in der Öffentlichkeit gehalten, das Leben der Kirche spielt

Die Übernahme städtischer sozialer Gesellschaftsformen durch die Christen

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sich hingegen in den Häusern ab. Nach Jesu Himmelfahrt versammelten sich die Elf, die Frauen sowie Jesu Mutter und Brüder im „Obergemach" (Apg 1,13) desselben „Hauses" (2,2) wie bei der Wahl des Matthias (1,26) und am Pfingsttag (2,1). Lukas denkt dabei an das Haus der Maria, der Mutter des Johannes Markus, einem Versammlungsort der Gemeinde, zu dem auch Petrus zurückkehrte, nachdem er aus dem Gefängnis befreit worden war (12,12) - ein Haus, das ein eigenes Tor besaß (12,14). Der „Hebräer" Jakobus fand sich in diesem „hellenistischen" Haus (12,17) nicht zum Gebet ein; „viele" trafen sich dort, aber nicht die ganze Jerusalemer Gemeinde. Die Christen trafen sich vielmehr in verschiedenen Häusern zum Brotbrechen (2,46), wo sie die Lehre der Apostel gehört hatten (2,42). Einige, die „Häuser besaßen, verkauften sie" (4,34) und brachten das Geld den Aposteln, die es wiederum unter jenen verteilten, die bedürftig waren — so die Erzählung des Lukas (vgl. Lk 5,11; 18,28—29). Als Verfolger ging Saulus „von Haus zu Haus" und schleppte die Christen ins Gefängnis (Apg 8,3). Als bekehrter Missionar genoß Paulus Gastfreundschaft im Haus des Judas in Damaskus (9,11.17), im Haushalt Jasons in Thessalonich (17,5), in verschiedenen Häusern in Ephesus (20,20) und Troas (20,8), bei Philippus in Cäsarea (21,8) und in Mnasons Haushalt in Jerusalem (21,16). Die Apostelgeschichte schließt damit, daß sich Paulus in einem selbst gemieteten Haus in Rom befindet (28,30), wo er predigt und lehrt. Andere Texte erwähnen die Bekehrung ganzer Haushalte (Apg 11,14; 16,15-31-34; 18,8). Obwohl viele komplette Haushalte konvertierten, bekehrten sich in den ersten Jahrzehnten oft nur die Sklaven und Frauen, während der Patriarch (der Herr und Ehemann) diesen Schritt nicht vollzog (IPetr 2,18; 3,1). Umgekehrt bedeutete die Bekehrung des Haushaltsvorstands nicht automatisch die Bekehrung auch der Haussklaven (ζ. B. Onesimus in Phlm 10), obwohl normalerweise davon ausgegangen werden kann. Daß Paulus in christlichen Haushalten Gastfreundschaft empfing und daß sich Haushalte bekehrten, entsprach dem Auftrag in Lk 10,5—9: Der Wandermissionar soll in ein Haus gehen und dort bleiben, er soll essen und trinken, was ihm vorgesetzt wird, dabei heilen und predigen. Doch wurden auch Christen, „die einen verderbten Verstand und einen untauglichen Glauben" hatten (2Tim 3,8), in manchen Haushalten aufgenommen (3,6). Der Verfasser der Pastoralbriefe machte sich besonders über einige Frauen und Witwen Sorgen, die „von Haus zu Haus umherschweiften und sagten, was sie nicht sagen sollten" (lTim 5,13; vgl. Ignatius [nach 100 Bischof von Antiochien] Eph 7; Magn 6; Phld 4; Sm 8; Hermas, Vis II 3,1; Sim VII 1 7). Diese Texte lassen erkennen, daß die christlichen Hausgemeinden sowohl von der gesamten Kirche einer Stadt unterschieden wurden, die sich ebenfalls versammeln konnte (Rom 16,23; IKor 14,23), als auch von der einen weltumspannenden Kirche (Kol 1,18; 4,15). Diese Hausgemeinden waren zu einer Zeit, als bedeutende soziale Spannungen den Haushalt in der römischen Gesellschaft bedrohten (Kapitel 5), die Basiszellen der sich vergrößernden Kirche. Es ist daher nicht erstaunlich,

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VI. KAPITEL: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches

wenn sich ein großer Teil der frühchristlichen ethischen Ermahnungen an Haushalte richtet; sie beginnen in Kol 3 , 1 8 - 4 , 1 sowie IPetr 2 , 1 8 - 3 , 7 und setzen sich fort in Eph 5—6, in den Pastoralbriefen, in lClem 21, bei Ignatius und Polykarp, 2Phil 4 - 5 . 2 Diese christliche Mission, die auf Hausgemeinden aufbaute, mag in den jüdischen Haushalten und Synagogen der Diaspora bedeutende Vorläufer gehabt haben. Beim Passafest „ist jedes Wohnhaus mit der äußeren Erscheinung und der Würde eines Tempels versehen" (Philo, SpecLeg II 148). Auch in den heidnischen Kulten wurde der Gottesdienst bisweilen innerhalb der Haushalte gefeiert, besonders dann, wenn noch kein öffentlicher Tempel gebaut worden war. Vereine und freiwillige Organisationen Die thiasoi, die sich in den griechischen Städten versammelten, und die Kollegien ( c o l l e g i a ) der römischen Städte ähnelten den christlichen Gemeinden in verschiedenen wichtigen Einzelheiten. Alle diese Gruppen verehrten einen Gott. Die berufsständischen und sozialen Vereine erwählten sich — ebenso wie die Beerdigungsvereine — einen Gott zum Patron, dem während der zentralen Zeremonie des regulären (gewöhnlich monatlichen) Treffens ein Opfer dargebracht wurde. Entsprechend der üblichen heidnischen Praxis wurde das Fleisch eines solchen Opfers beim anschließenden gemeinsamen Festmahl unter den Mitgliedern verteilt. Bei diesen Mählern kam es häufig zu Ausschweifungen, so daß sich die Gruppen nicht selten genötigt sahen, in ihre Satzungen Bestimmungen über unangemessenes Verhalten aufzunehmen. 3 Manche dieser Bestimmungen erinnern an die Kritik, die Paulus am Gottesdienst der Korinther übte (IKor 11). Die meisten dieser Vereine waren von der Großzügigkeit eines oder mehrerer Patrone abhängig, die die eher bescheidenen Beiträge der gewöhnlichen Mitglieder ergänzten. Von diesen Patronen wurde z.B. erwartet, daß sie aufwendigere Festmähler veranstalteten oder für den Bau eines neuen Tempels aufkamen. Die Gastgeber der christlichen Hauskirchen nahmen vergleichbare Aufgaben wie diese Patrone wahr. In Korinth scheint Stephanas ein solcher Patron gewesen zu sein (IKor 16,15-18), und im nahe gelegenen Kenchreä erscheint Phöbe als diakonos und prostatis (Rom 16,1—2). Der letztgenannte Begriff bezeichnet wahrscheinlich eine Frau, die als Patronin eines Vereins fungierte. 4 Wenn die apologetischen Schriftsteller verlangten, daß die Christen nicht Opfer von Verfolgungen werden dürften, konnten sie darauf verweisen, daß sie legitime Bestattungsvereine mit einem Versammlungsrecht seien. Ende des 2. Jahrhunderts lieferte Tertullian (Apol 38-39) einen kunstvollen Beweis dafür, daß die christlichen Gruppen eher den Schutz der Behörden als deren Verfolgung verdienten. Unter seinen Argumenten findet sich die Be-

Die Übernahme städtischer sozialer Gesellschaftsformen durch die Christen

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hauptung, daß die Gruppen zu Bestattungszwecken bestünden, daß sie - wie vom Gesetz bestimmt — von jedem Mitglied einen monatlichen Beitrag verlangten und gemeinsame Mahlzeiten veranstalteten. Eine Anekdote zeigt, daß zumindest einige Kaiser die Gültigkeit solcher Behauptungen anerkannten. Einmal wurde ein öffentlicher Platz an eine Gruppe von Christen verkauft oder vermietet, doch erhob eine Gruppe von Gasthausbesitzern Anspruch auf denselben Platz; Alexander Severus entschied, daß er lieber für religiöse Zwecke genutzt werden solle, egal, welcher Gott verehrt würde (Scriptores Historiae Augustae, Severus Alexander IL 6). Andererseits bestanden wichtige Unterschiede. Die christlichen Gruppen konzentrierten sich ganz und gar auf einen Gegenstand der Verehrung wie sonst nur das Judentum; alle übrigen Verpflichtungen waren für sie sekundär. Ferner waren die christlichen Gruppen in sozialer Hinsicht offener als die freiwilligen Vereine. Zwar gehörten manchen Vereinen Sklaven und Freigeborene an — sowohl Männer als auch Frauen — doch besaßen sie in der Regel eine sozial homogene Mitgliederschaft. Schließlich waren sich die christlichen Gruppen ihrer lebendigen Verbindung zu einer weltweiten Gemeinschaft Gleichgesinnter stärker bewußt als die heidnischen Kollegien. 5 Die Synagogen Die Existenz jüdischer Synagogen in den griechisch-römischen Städten war für den Erfolg der frühchristlichen Mission in sozialer und religiöser Hinsicht von entscheidender Bedeutung. Christen übernahmen viele Tätigkeiten in der Synagoge: Verlesung und Auslegung der Schrift, Gebete und gemeinsame Mahlzeiten. Die jüdischen Gemeinden in hellenistischen Städten waren rechtlich als Kollegien konstituiert, denselben gesetzlichen Status beanspruchten auch die Christen (Kap 5). Synagoge und Kirche übten Wohltätigkeit an den Armen, Witwen und Waisen unter ihren Mitgliedern, beide Institutionen fühlten sich einer übergreifenden weltweiten Realität, dem Volk Gottes, zugehörig. Die Synagoge lockerte die jüdischen Bindungen an den Tempelkult, während die Christen ihre Unabhängigkeit von Tempeln und Priestern betonten. Ferner vergaßen die Christen nur selten ihren Ursprung als jüdische Sekte. Selbst als die christliche Sekte schon eine eigene Identität entwickelt und die Beachtung des jüdischen Gesetzes freigestellt hatte, hielten manche Christen offensichtlich an ihren traditionellen jüdischen Gebräuchen fest. So finden sich im 2. Jahrhundert Belege dafür, daß viele auf koscheres Essen achteten (Euseb, Kirchengeschichte V 1,26; 3,1—2; Minucius Felix, Octavius 30,6; Tertullian, Apol 19,13). Doch zeigt sich auch zwischen Synagoge und Kirche eine überraschende Anzahl von Differenzen: Die Verwaltungssprache des Judentums wird in der ältesten Kirche nicht gebraucht. Die Rolle der Frauen ist in einigen frühchristlichen Gemeinden gewichtiger als im zeitgenössischen Judentum. Der charakteristische Unterschied ist jedoch, daß die ethnische Gemeinschaft für

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VI. KAPITEL: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches

die meisten christlichen Kirchen keine Trennungslinie mehr bildet, obwohl in den ersten Jahrhunderten einige judenchristliche Gruppen fortbestanden. Die jüdischen Synagogen wurden vom römischen Gesetz geduldet, weil sie als Bestattungskollegien angesehen werden konnten, aber auch deshalb, weil ihnen Iulius Cäsar besondere Versammlungsrechte gewährt hatte (Josephus, Ant XIV 213—216). Zunächst scheinen die christlichen Gruppen dieselbe Billigung genossen zu haben, weil die Behörden zwischen ihnen und den jüdischen Synagogen, aus denen sie stammten, keinen Unterschied machten. Als sich aber die Behörden der Unterschiede bewußt wurden, die Juden und Christen untereinander machten, verloren die Christen diese Privilegien.

Die philosophischen Schulen Auch die philosophischen und rhetorischen Schulen dürften Vorbilder sein, die die Teile des Neuen Testaments verständlich machen. Aufgrund des Befundes, daß das Alte Testament in zehn Abschnitten des Matthäusevangeliums auf besondere Weise zitiert wird, schlug Stendahl vor, daß diese Passagen ein fortgeschrittenes Studium der biblischen Schriften in der „Schule" des Matthäus widerspiegeln. 6 Natürlich lehrten die Schriftgelehrten des Matthäusevangeliums ebenso wie Paulus nach dem Vorbild der Philosophen, obwohl Paulus umherzog. In hellenistischer Zeit propagierte jede philosophische Schule eine eigene Lebensweise. Die Ethik war von zentraler Bedeutung. Jede Schule hatte Anhänger, die als Autoritäten die einstigen Schulhäupter verehrten. Zwischen den Schulen bestanden Rivalitäten; sogar von Ubertritten wird erzählt (vgl. Diogenes Laertius IV 43 und oben Kapitel 2). In der verworrenen Welt nach dem Tod Alexanders des Großen ermutigten die Philosophieschulen den einzelnen dazu, bestimmte Werte und Lebensweisen für sich auszuwählen und andere zu verwerfen. Die Pythagoräer bildeten eine enge Gemeinschaft, die alle Dinge miteinander teilte und in der Nahrungs- und Kleidungsvorschriften genau festgelegt waren; diese Beschreibung findet enge Parallelen im Bild der ältesten Jerusalemer Kirche, das in Apg 2,4—5 gekennzeichnet wird. Die Epikuräer gründeten Gemeinschaften von Anhängern, die als Haushalt zusammen lebten und sich in gegenseitiger Liebe verbunden fühlten. (Vgl. Cicero, De Finibus I 65: „Welch große, im Zusammenklang der Liebe harmonisierende Freundesscharen hat . . . Epikur in einem einzigen, gar nicht großen Haus zusammengehalten!") Noch zu seinen Lebzeiten im 3. Jahrhundert v. Chr. setzte sich diese Lebensweise unter Epikurs Anhängern fort. Epikur rief große Anhänglichkeit unter seinen Schülern und erbitterte Gegnerschaft unter seinen Kritikern hervor. Er und sein Haushalt führten, zurückgezogen vom übrigen Athen und seiner Kultur, als Sektierer ein einfaches Leben. Wie später Paulus, schrieb Epikur Briefe an seine Gemeinden, die ihn als Gott verehrten. Kein späteres Schulhaupt gelangte zu ähn-

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licher Bedeutung wie er, was zur Folge hatte, daß sich die epikuräische Schule nur wenig veränderte. Epikur schätzte die inneren Genüsse, deren höchster die Freundschaft war. Diese Betonung der Freundschaft spiegelt die enge Verbundenheit unter den Anhängern der epikuräischen Lebensweise wider. Es ist kaum überraschend, daß Kritiker Christen und Epikuräer miteinander in Verbindung bringen konnten (Lukian, Alexander, der falsche Prophet 25; 38). Paulus und andere christliche Wandermissionare wie Apollos und Barnabas dürften in mancher Hinsicht ähnlich auf ihre Zeitgenossen gewirkt haben wie die Philosophen und Rhetoriker. Sie lehrten öffentlich und privat, in Synagogen und in Häusern; zudem gab es bereits eine Tendenz, die jüdischen Gemeinden als eine Art philosophischer Sekten anzusehen, eine Tendenz, die sich Philo in vielen seiner Schriften zunutze machte, in denen er das Judentum zum Nutzen der gebildeten heidnischen Zeitgenossen auslegte. 7

Die wandernden Sittenlehrer Zu den Reisenden auf römischen Straßen und Schiffen gehörten auch wandernde Philosophen, Kyniker, Wundertäter und Priester. Sie begegnetem dem Gefühl der Unsicherheit, das viele in der sich wandelnden römischen Welt beschlich, mit Anrufen, die an den Glauben appellierten, statt mit philosophischen Argumenten überzeugen zu wollen. Solche Wanderprediger begegnen in Gestalt der Reden des Dion von Prusa, der dem Befehl eines Orakels gehorchend herumreiste und in der Tradition des Sokrates und Diogenes über moralische Fragen lehrte (z.B. Reden 3,12—24; 4; 13,9; 72; 80); in Philostrats „Leben des Apollonius von Tyana", das das lobende Bild eines uneigennützigen, gewissenhaften Wundertäters zeichnet; in Lukians Erzählung „Alexander, der falsche Prophet", die gegen die Enthüllung falscher Orakel polemisiert (Alexander stellte Bronzetafeln in einem Apollontempel auf, die vorausssagten, daß der heilende Gott Asklepius seinen Wohnsitz in Alexanders Heimatstadt Abonuteichus nehmen werde; er heuchelte göttlichen Wahnsinn; er „entdeckte" ein Gänseei, in das er zuvor eine Schlange mit falschem menschlichem Kopf gesteckt hatte, die gegen eine Gebühr prophezeien und Fragen beantworten würde; er sandte Boten umher, die bekanntgaben, daß der Gott Orakel gebe, flüchtige Sklaven fange, die Kranken heile und selbst die Toten auferwecke); in Lukians Schrift „Des Peregrinus' Lebensende", die mit Skepsis die Laufbahn eines kynischen Predigers verfolgt, der zu verschiedenen christlichen Gemeinden Kontakt hatte und der sich auf spektakuläre Art und Weise bei den Olympischen Spielen im Jahr 165 n. Chr. opferte; sowie in Apuleius' Roman „Der Goldene Esel", der die lasterhaften Eunuchenpriester der syrischen Göttin (VIII 27) ebenso schildert wie die tugendhaften Isis-Priester, die dem Helden der Erzählung eine tiefe Beziehung zu dieser Göttin vermitteln (Buch XI).

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VI. KAPITEL: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches

Diese wandernden Moralisten zogen Jünger an und hielten öffentliche und private Diskussionen und Vorträge. Die Kyniker bevorzugten einen ärmlicheren, einfachen Lebensstil. Im Gegensatz zu den blumigen Reden der Rhetoriker kultivierten sie zusammen mit den Stoikern eine besondere Redeform, die Diatribe, eine Predigt, die einen klaren moralischen Gedanken aussprach und ihn durch Parabeln und Erzählungen erläuterte. In einigen Diatriben vermittelten satirische Berichte über soziale Schwächen den Eindruck einer dekadenten, sittenlosen Welt. Sie reflektierten und verstärkten den weitverbreiteten zeitgenössischen Eindruck, daß die Welt ein übler Ort sei. Ein zugkräftiger philosophischer Lehrer, egal ob Kyniker, Stoiker oder Epikuräer, konnte seine Hörer durchaus dafür begeistern, Dekadenz und Lastern zu entsagen und einen Lebensstil anzunehmen, der der philosophischen Sichtweise eher entsprach (Epiktet, Reden III 2 3 , 3 7 und Seneca, Episteln VI 1; CVIII 3—4). Paulus verwendete oft den Stil der stoisch-kynischen Diatribe, besonders in seinen Briefen an die Korinther und Römer. 8 Üblicherweise ließen sich solche Lehrer auf ihren Reisen von Mitarbeitern begleiten. Der kynisch-stoische Philosoph Musonius Rufus (Rede 11) schlug vor, daß junge Männer mit ihrem Lehrer auf einem Bauernhof arbeiten sollten. Dion von Prusa reiste ohne Schüler, während Apollonius von Tyana viele Jünger hatte (Philostrat, Leben des Apollonius von Tyana 4,34.36— 37.47). Sowohl Jesus als auch Paulus reisten mit zahlreichen Begleitern (vgl. z.B. Apg 2 0 , 4 ; 2Kor 8 , 1 9 ) . Frauen, die mit solchen Predigern reisten, wurden mit Argwohn betrachtet. So behauptet Lukian („Die Ausreißer" 18—19), daß Kyniker Frauen unter dem Vorwand mit sich nahmen, um Philosophinnen aus ihnen zu machen, daß sie und ihre Begleiter sie dann aber mißbrauchten, obwohl sie gleichzeitig Trunksucht, Ehebruch, Unzucht und Gier verdammten. Ein Midrasch erzählt die Geschichte von einer Frau, die ihren Mann in Zorn versetzte, weil sie gewohnheitsmäßig am Sabbat in die Synagoge ging, um Rabbi Meir predigen zu hören (Midrasch Rabba zu Lev 9 , 9 ) . Jesus und die Frauen, die ihm auf seinen Wegen durch das Land nachfolgten, wurden verleumdet (Mk 1 5 , 4 0 - 4 1 ; Lk 8 , 2 - 3 ) . Auch in Begleitung des Paulus befanden sich Frauen (Rom 1 6 , 1 - 3 . 6 - 7 ; vgl. Acta Pauli 3; 7). Finanzielle Unterstützung bezogen die Prediger aus verschiedenen Quellen: Bettelei, Honorare für Vorträge, Arbeit oder Unterstützung seitens ihrer Jüngerschaft. Das Betteln brachte den Kynikern einen schlechten R u f ein, und ebenso das Berechnen von Honoraren. Lukian macht sich über einen Prediger lustig, der für einen Vortrag über Sparsamkeit eine enorme Summe verlangte (Die Toten werden lebendig 34). Im Gegensatz dazu verdienten sich Musonius, Dion von Prusa, Paulus (lThess 2 , 9 ) und manche Rabbinen ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit. Normalerweise wurde von den religiösen Gemeinden erwartet, daß sie die christlichen Missionare unterstützten (Mt 1 0 , 1 1 ; M k 6 , 1 0 ; Lk 9 , 4 ; 1 0 , 7 ; 2 2 , 3 5 ; IKor 9 , 4 - 1 2 ; 3Joh 6; vgl. Did 1 2 , 2 ; 1 3 , 1 ) . Auf diese Weise konnten die christlichen Missionare

D i e wichtigsten Zentren

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auf einen deutlichen Unterschied zwischen sich und den kynischen Bettlern verweisen. Angesichts der vielen anderen Wandermoralisten versuchten die frühchristlichen Prediger, sich von ihnen zu distanzieren und einen besseren Eindruck zu vermitteln. Auch Dion von Prusa hob sich von anderen durch sein Auftreten ab (Rede 72), und Philostrat bemühte sich, Apollonius von betrügerischen religiösen Gestalten deutlich zu unterscheiden. Philostrat und Lukas schrieben ihre Werke, um von Apollonius bzw. Paulus einen bewundernswerten Eindruck zu vermitteln, und selbst Paulus mußte sich in lThess 2 und 2Kor 11 gezwungenermaßen mit solchen Unterscheidungen auseinandersetzen. 9

Die wichtigsten Zentren Die oben skizzierten sozialen Verhältnisse erlebten die Christen in bestimmten städtischen Zentren. Jerusalem wurde bereits in Kapitel 4 beschrieben; kurze Zeit später wurden Christen im syrischen Antiochien tätig, danach in Kleinasien, Makedonien und Achaia, sehr früh auch in Rom selbst sowie in Alexandrien. Syrien: Antiochien Die älteste Erzählung, die über die Kirche im syrischen Antiochien erhalten ist, zeigt ein Dilemma, das für die Christen dieser Stadt bezeichnend blieb: „Aber als Kephas nach Antiochien gekommen war, trat ich (Paulus) ihm öffentlich entgegen, weil er schuldig war. D e n n bevor gewisse Männer von Jakobus kamen, aß er mit den Heiden; aber als sie kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab, weil er die aus der Beschneidung fürchtete. Und mit ihm heuchelten auch die anderen Juden (d. h. Judenchristen), so daß auch Barnabas von der Heuchelei mitgerissen wurde" (Gal 2 , 1 1 - 1 3 ) .

Das vierte Makkabäerbuch, das etwa zur Zeit dieses Streites von einem jüdischen Verfasser in Antiochien geschrieben wurde, befaßt sich auch mit den Beziehungen zwischen Juden und Heiden, die durch die traditionellen jüdischen Speisegesetze versinnbildlicht werden. Das Matthäusevangelium, das wahrscheinlich in Antiochien verfaßt wurde, spielt ebenfalls auf diesen Streit an (Kap. 15); dasselbe gilt für Ignatius, den Bischof von Antiochien (Phld 5 - 9 ) . Macht und Einfluß der Juden in Antiochien werden an der großen Hauptstraße deutlich, die von Herodes dem Großen zu Ehren des Augustus mit Marmor gepflastert wurde. Diese Hauptstraße, eines der frühesten Beispiele dieser Art, war zwei römische Meilen lang und begründete u. a. den Ruhm Antiochiens in der Antike. Laut Josephus (Contr Ap II 39) hatte Antiochien von Anfang an jüdische Einwohner. Die christlichen Hellenisten, die aus Jerusalem vertrieben worden waren, predigten zuerst „das Wort ausschließ-

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VI. KAPITEL: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches

lieh Juden. Aber es gab einige unter ihnen . . . , die bei der Ankunft in Antiochien auch zu den Griechen sprachen" (Apg 11,19-20). Das Nebeneinander verschiedener Kulturen, das in diesen Texten zum Ausdruck kommt, war ζ. T. die Folge der Politik der seleukidischen Könige von Syrien. Als Seleukus I. die Stadt 300 v. Chr. gründete, ließ er für Griechen und einheimische Syrer getrennte Bezirke errichten und umgab beide mit Mauern. Die Stadt wurde von Anfang an auf der Grundlage eines genau rechtwinkligen Straßennetzes entworfen, wie es in den hellenistischen Städten dieser Zeit üblich war. Sie bedeckte einen weiten Raum zwischen dem Orontes-Fluß im Westen und einer Bergkette im Osten. Von dieser griechischen Stadt strahlten Verstädterung und Hellenisierung in alle Teile des hellenistischen Königreichs von Syrien, einschließlich Palästinas, aus. Seleukus hatte Antiochien aus guten Gründen zur Hauptstadt gemacht. Die Stadt beherrschte die Landwege, die Kleinasien, den Euphrat und Ägypten miteinander verbanden. Sie verfügte über eine einzigartige Wasserversorgung durch die Quellen im Vorort Daphne, der sechs Kilometer südlich lag, sowie über eine landwirtschaftlich fruchtbare weite Ebene. Durch ihre Entfernung zur Küste (25 km) war sie seeseitig geschützt und lag doch gleichzeitig nur eine Tagesreise von einem der besten Mittelmeerhäfen entfernt. Allerdings hatte sie unter wolkenbruchartigem Winterregen zu leiden, so daß der Orontes oft über die Ufer trat. Der Silpius-Berg schließlich, der Antiochien überragte, machte es schwer, die Stadt zu befestigen und zu verteidigen. Schutzgottheit der Stadt war die Göttin Tyche; dargestellt wurde sie in Kleidern, mit einer Krone in Gestalt einer Stadtmauer auf dem Haupt, einer Weizengarbe in der rechten Hand und auf einem Felsen sitzend, der den Silpius-Berg verkörperte; ihren Fuß stützte sie auf einen schwimmenden Knaben, der den Orontes darstellte. Tyche („Schicksal") symbolisierte das unberechenbare Schwanken des Geschicks, das die Geschichte hellenistischer Königreiche, die Fruchtbarkeit der Felder und die Sicherheit einer Stadt bestimmte, die Erdstößen, Angriffen und Überflutungen ausgesetzt war. Als der römische General Pompeius Antiochien 64 v. Chr. besetzte, gewährte er der Stadt libertas, eine Freiheit, die theoretisch bedeutete, daß sie ihre eigene Verfassung haben konnte, mit keiner Militärgarnison belegt wurde und von Tributzahlungen befreit war. Cäsar bestätigte diese Freiheit, als er im Jahr 47 v. Chr. nach Antiochien kam. Römische Kaufleute ließen sich umgehend in Antiochien nieder und sorgten für wachsenden Wohlstand. Cäsar nahm ein umfassendes Bauprogramm in Angriff, das das römische Prestige erhöhte und zugleich römischen Lebensstil in die Stadt brachte. Unter der Regierung des Augustus wurde Antiochien Hauptstadt einer kaiserlichen Provinz und damit Hauptquartier des syrischen Legaten, der drei oder vier Legionen befehligte, um die parthische Grenze und die Handelsstraßen zu verteidigen. Antiochiens Stellung als internationaler Verkehrsknotenpunkt wird durch eine Notiz über Gesandte aus Indien illustriert, die auf ihrem Weg zu Augustus durch die Stadt kamen (Strabo, Geographie XV

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1.73). Augustus selbst besuchte die Stadt zweimal, in den Jahren 31-30 und 20 v. Chr. Während des gesamten Prinzipats stand Antiochien unter dem Patronat und dem Schutz der Kaiser. Die Stadt war ein bedeutendes geistiges Zentrum und zugleich ein Mittelpunkt von Handel und Verkehr. Die jüdische Gemeinde Antiochiens war vermutlich ebenso alt wie die Stadt selbst (Josephus, Contr Ap II 39; Ant XII 119). Die ersten jüdischen Einwohner mögen Söldner aus der Armee Alexanders des Großen gewesen sein (ContrAp I 192.200). 150 Jahre später wurden die Juden der Stadt von den Ereignissen des Makkabäeraufstandes in Judäa betroffen. Bisweilen werden Märtyrer der Makkabäerzeit in Verbindung mit Antiochien genannt; einige Quellen sprechen von einer „Gefangenschaft" der Juden von Daphne unter Antiochus IV. Später werden wichtige Veränderungen in der jüdischen Gemeinde mit den häufigen Besuchen Herodes' des Großen in der Stadt in Zusammenhang gebracht. Seine Besuche und seine Bautätigkeit erhöhten das Prestige und die Bedeutung der örtlichen Juden. Ihr Reichtum wuchs. Sie sandten kostbare Opfergaben nach Jerusalem (Josephus, Bell VII 45), und die Judenchristen waren in der Lage, während einer Hungersnot unter Claudius Hilfsgüter an die judäischen Christen zu schicken (Apg 11,27—30). Eine große Zahl von „Griechen" fühlte sich von der Synagoge, den Gesetzesauslegungen und dem jüdischen Leben angezogen (Josephus, Bell VII 45), z.B. Nikolaus, der sich später den Christen anschloß (Apg 6,5). Die hellenistische Kultur beeinflußte die Kultur der Juden, wie aus dem vierten Makkabäerbuch, das in Antiochien geschrieben wurde, und dem Galaterbrief hervorgeht. Einfluß und Reichtum der Juden nahmen Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. erheblich ab. Nach der Auskunft des Kirchenhistorikers Johannes Malalas (6. Jahrhundert) ereignete sich um das Jahr 40 herum in Antiochien ein Pogrom, bei dem Heiden Juden angriffen, viele von ihnen töteten und ihre Synagogen niederbrannten. Dies mag mit dem Pogrom in Alexandrien zwei Jahre zuvor in Verbindung gestanden haben sowie mit dem Widerstand antiochenischer Juden gegen den Erlaß Caligulas im Jahr 39/40 n. Chr., wonach eine Statue des Kaisers im Jerusalemer Tempel aufgestellt werden sollte (s. Kapitel 1). Zu dieser Zeit begannen Judenchristen in Antiochien, zu den Heiden zu predigen und Tischgemeinschaft mit ihnen zu halten (Apg 11,19-20.26; Gal 2,11-13). Nach zweieinhalb Jahrzehnten relativer Ruhe entstanden durch den Aufstand Judäas gegen Rom zwischen den Juden und Nichtjuden aller syrischen Städte schwere Spannungen. In Antiochien sorgte jedoch die strenge Hand des römischen Statthalters für Ruhe, von zwei Unterbrechungen abgesehen. Im Jahr 67 n. Chr. behauptete Antiochus, ein Sohn des Archons bzw. Leiters der jüdischen Gemeinde, daß die Juden die Stadt in Brand stecken wollten. Das führte zu Angriffen auf zentrale jüdische Symbole einschließlich der Sabbatprivilegien und der Weigerung, heidnischen Gottheiten zu opfern. Diejenigen, die Antiochus als Verantwortliche beschuldigt hatte, wurden im Theater lebendig verbrannt (Josephus, Bell VII 47-53). Gegen Ende des

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VI. KAPITEL: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches

Krieges brach tatsächlich ein Feuer aus, und die Juden gerieten abermals in Gefahr. Als Titus nach der Eroberung Jerusalems in Antiochien eintraf, wurde er bestürmt, die Juden auszuweisen. Er wies jedoch dieses Ansinnen mit der Bemerkung zurück, daß Juden nirgendwo sonst hingehen könnten, da Judäa zerstört worden sei (Josephus, Bell VII 100-111). Er beließ daher den Status der Juden in Antiochien so, wie er vor dem Krieg gewesen war. Die darauffolgende Geschichte der jüdischen Gemeinde Antiochiens liegt großenteils im Dunkeln. Innerhalb der Stadtbevölkerung zählten Juden sowohl zur höfischen Oberschicht als auch zu den Ladenbesitzern, Handwerkern und Sklaven. In Daphne, dem eleganten Vorort südlich der Stadt, lag eine jüdische Siedlung; weitere Juden lebten wahrscheinlich auch in der fruchtbaren Ebene im Norden. Der entscheidende Abschnitt der Geschichte des frühen Christentums in Antiochien kann nur in Umrissen dargestellt werden. Während seines Übergangs von der jüdischen Lebensweise zu heidnischen Sitten und Ansichten ergaben sich Machtkämpfe. Ein Streit entzündete sich an der Frage der Zulassung von Heiden zur Kirche (Apg 15; Gal 2,11—13). Der Konflikt kreiste darum, ob diese Heiden die zentralen kulturell-religiösen jüdischen Symbole, namentlich Beschneidung und Speisegesetze, anzuerkennen hatten oder nicht. Die hitzige Diskussion über die Tischgemeinschaft spiegelt sich in den antiochenischen Quellen des vierten Makkabäerbuches und im Matthäusevangelium wider. Paulus bestand darauf, daß er nie irgendeinen Kompromiß zwischen seiner „Freiheit" und diesen sektiererischen Gebräuchen gebilligt habe. Moderne Forscher nehmen an, daß Paulus' Streit mit Petrus weit über persönliche Differenzen hinausging. Es handelte sich vielmehr um eine grundlegende Autoritätskrise im Verhältnis zwischen Paulus und Antiochien sowie zwischen Antiochien und Jerusalem. Paulus widersetzte sich dem Versuch „orthodoxer" Jerusalemer Christen, ihren Einfluß auf Antiochien auszudehnen, und unterlag dabei. Apg 13,1 wirft einen Blick auf die leitenden Personen der antiochenischen Kirche: Barnabas, Simeon, genannt Niger, Lukius der Kyrenäer, Manahen, ein Jugendgefährte des Herodes Antipas, und Saulus. Außer Lukius sind alle Namen semitischen Ursprungs. Apg 11,26 enthält eine weitere wichtige Information: „In Antiochien wurden die Jünger erstmals Christen genannt." Die Herkunft dieses Namens ist intensiv erörtert wurden, doch mag die einfachste Erklärung immer noch die beste sein: Die Jünger wurden von den Heiden „Christusleute" genannt, „weil sie in Antiochien zum ersten Mal als eine vom Judentum unterschiedene Sekte hervortraten." 10 Auf eine Kurzformel gebracht, begegneten sich und kollidierten in Antiochien östliche und westliche Kulturen. Das Verhältnis zwischen Juden und Heiden in der Kirche wurde diskutiert und vorläufig entschieden. Antiochien, ein städtisches Zentrum, besaß wichtige Bildungseinrichtungen und ließ durch den Evangelisten Matthäus, den Apologeten Theophilus und den Prediger Johannes Chrysostomus exegetische Schulen der frühen Kirche

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entstehen. So wie die Seleukiden den östlichen Mittelmeerraum von Antiochien aus hellenisiert und Cäsar die syrische Provinz von hier aus romanisiert hatte, so brachen Missionare wie Paulus und seine Gegner aus dieser Stadt auf, um die oikumene (die „bewohnte Welt") zu christianisieren. Augustus entwickelte Antiochien zu einem Zentrum der Macht. Jakobus und Petrus führten unter den Christen derselben Stadt neue Organisations- und Machtstrukturen ein. Matthäus erzählte die Geschichte Jesu in einer Weise weiter, die ihre Verkündigung seitdem beeinflußt hat. Schließlich dürfte auch die Idee des monarchischen Episkopats, die der antiochenische Bischof Ignatius mit theologischen Argumenten energisch verteidigte, in dieser Stadt ihren Ursprung gehabt haben. Ethnische Vielfalt, Kultur, Bildung, Macht, Handel und Religion Antiochiens ermöglichten es den Christen, dort einzigartige Beiträge zur Entwicklung des frühesten Christentums zu leisten.

Kleinasien: Ephesus und andere Städte „Gott vollbrachte ungewöhnliche Wunder durch die Hände des Paulus" in Ephesus (Apg 19,11—20). Dazu gehörte die Austreibung böser Geister aus den Kranken. Jüdische Exorzisten versuchten sich ebenfalls daran, unterlagen aber den Dämonen, so daß alle Einwohner der Stadt Furcht befiel. Die Apostelgeschichte beschreibt ausschließlich ein riesiges Freudenfeuer, in dem magische Bücher verbrannt wurden. Lukas hat diese Szene am richtigen Ort piaziert: Eine Reihe antiker Autoren nennt solche Bücher „ephesinische Geschichten" (ζ. B. Plutarch, Moralia VII 706e). Doch beschäftigt sich Apg 19 hauptsächlich mit dem Aufruhr, der ausbrach, als die Schmiede der silbernen Artemisfiguren (die zur Andacht bzw. zur Erinnerung für Touristen bestimmt waren) gegen die Missionstätigkeit des Paulus protestierten. Diese Göttin war eng mit der Stadt verbunden, in der ihr Tempel, der größte und am verschwenderischsten geschmückte in der hellenistischen Welt, eine Hauptattraktion war. Sie war eine Gestalt der Muttergottheit, die in Kleinasien heimisch war und für viel älter als die griechischen Bewohner gehalten wurde (Pausanias VII 2,6—8), die sie schließlich mit ihrer eigenen Artemis gleichsetzten. In seiner Beschreibung des Aufruhrs schildert der Verfasser der Apostelgeschichte das Interesse der Einwohner an den „Götzenbildern" der Artemis als rein wirtschaftlich. Doch welche religiöse Motivation stand hinter der Leidenschaft jener Menschen, die schrien: „Groß ist die Artemis der Epheser"? Ein Anhaltspunkt dafür mag in ihrem Standbild zu finden sein, einer steifen, aufrechten Figur, die einem Baumstamm oder einer Mumie ähnelt und mit eingemeißelten Tieren und Pflanzen sowie auf der Brust mit 24 oder mehr gewölbten Objekten bedeckt ist. Letztere pflegte man wie selbstverständlich für die verschwenderisch vermehrten Brüste dieser bedeutenden Fruchtbarkeitsgöttin zu halten, doch sind sie kürzlich von einigen Forschern als Straußeneier identifiziert worden,

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die ebenfalls Fruchtbarkeit zum Ausdruck bringen und noch heute in vielen griechischen Dorfkirchen zu finden sind. Andere vertreten die Auffassung, daß Artemis nicht eine Fruchtbarkeitsgöttin gewesen sei, sondern die Herrin des Schicksals; folglich handele es sich bei jenen Objekten um Sterne oder Planeten. 11 In einer spätantiken Lobrede auf Artemis wird sie als ewige Jungfrau gepriesen, die die Frauen liebt, ihnen bei der Jagd, bei der Gefangennahme von Männern im Krieg sowie bei der Geburt beisteht und sogar die kultivierten griechischen Stadtbewohner vor wilden Tieren bewahrt (Libanius, Rede 5). Die hellenistischen Zeugnisse über Artemis von Ephesus konzentrieren sich bezeichnenderweise auf ihre Rolle als Retterin (Strabo, Geographie XIV 1,22; Achilles Tatius VII 13-VIII 14). Zu ihren Wohltaten für die Menschen zählt auch die Fähigkeit, über kosmische Mächte zu regieren, die durch die Tierkreiszeichen auf den Artemis-Statuen symbolisiert werden (vgl. Eph 1,21; 3,10; 4 , 8 ; Kol 1,16; 2,8.15.20). Der Artemis-Tempel war gleichzeitig eine Bank, wo Menschen aus aller Herren Länder Geld deponierten. Dort war es sicher, weil es niemand gewagen hätte, diesen heiligen Ort zu entweihen. Der Tempel verlieh auch Geld und empfing Erbschaften und private Schenkungen. Er verfügte über gewinnbringenden Besitz (u. a. Tierherden, den Ertrag aus dem Verkauf heiliger Fische; s. Dion von Prusa XXXI 54; Strabo, Geographie XIV 1,29). Ferner bot er Asyl für Schuldner und Hilflose (Achilles Tatius VII 13). Missionare trugen den Kult der Gottheit in die ganze Welt; ihr erwiesen „ganz Asien und der Erdkreis Verehrung"; (Apg 19,27; vgl. Libanius, Rede 5,29). Strabo (Geographie IV 1,4) berichtet, daß die Göttin einer Frau im Traum befahl, ihr Standbild mit auf eine Kolonialexpedition zu nehmen, damit in vielen Städten Nachbildungen ihrer ephesinischen Statuen bekannt und verehrt würden. Diese Geschichte ähnelt den Erzählungen aus ägyptischen Kulten in erstaunlicher Weise und läßt sich auch mit dem Bericht von der Vision des Paulus in Troas (Apg 16,9) vergleichen. Paulus geriet nicht nur mit den Exorzisten und den Silberschmieden, die die Silberstatuen der Artemis anfertigten, in Streit, sondern auch mit Mitgliedern der Synagoge (Apg 17,17; 19,8-9.33-34). Im Jahr 14 v. Chr. hatte der römische Feldherr Agrippa in einem Brief an die Behörden und die Bewohner von Ephesus geschrieben, daß die Juden der Provinz Asien berechtigt seien, heiliges Geld zu sammeln, um es nach Jerusalem zu schicken, und daß sie nicht gezwungen werden sollten, am Sabbat vor Gericht zu erscheinen (Josephus, Ant XVI 167-168; vgl. XIV 262-264). Im Gegensatz zu anderen Städten Kleinasiens haben die Juden in Ephesus kaum sichtbare Spuren hinterlasssen: Bisher ist lediglich eine Menora, eingeritzt im Mauerstein einer Bibliothek aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., entdeckt worden. Ephesus war ein bedeutendes Handelszentrum und wachte eifersüchtig über seine Vorrechte als eine der führenden Städte der römischen Provinz Asien. Als der letzte hellenistische König Pergamons 133 v.Chr. starb, vermachte er sein Königreich, zu dem auch Ephesus gehörte, den Römern. Später schlossen sich die Ephesiner dem Aufstand Mithridates' VI. von

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Pontus gegen R o m an, und literarische Quellen berichten, daß Sulla Ephesus zerstörte. 67 v. Chr. wurde Mithridates von Pompeius besiegt; danach erfuhr die Stadt einen wirtschaftlichen Aufschwung, der mit einer umfangreichen Bautätigkeit einherging. Dennoch war Ephesus im 1. Jahrhundert v. Chr. sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht schwach. Alle Städte Kleinasiens hatten schwere Erpressungen durch römische Statthalter und Soldaten über sich ergehen lassen müssen (Appian, Römische Geschichte XII 7 , 4 8 ) , und während der Bürgerkriege nach dem Tod Iulius Cäsars bat Antonius die Provinz sogar, ihm innerhalb eines Jahres die Steuern für die nächsten zehn Jahre zu entrichten (Appian, Bürgerkriege V 5; vgl. Plutarch, Leben des Antonius 24). Der Sieg des Augustus brachte Asien und Ephesus Frieden und Wohlstand, und die damit verbundene städtische Entwicklung hinterließ Bauwerke, die selbst als Ruinen noch Bewunderung erwecken. Als sich die Empörung gegen Paulus zu einer lautstarken Versammlung im Theater der Stadt entwickelte (nach einem Umbau im Jahr 66 n. Chr. bot es rund 24000 Zuschauern Platz), erinnerte der Stadtschreiber die Menge daran, daß sie Gefahr laufe, wegen Aufruhrs angeklagt zu werden (Apg 19,40), und legte ihr nahe, alle Beschwerden vor Gericht oder vor den römischen Statthalter zu bringen. Weil sie aus dem Frieden und Wohlstand des Prinzipats Nutzen zogen, wetteiferten die Städte Kleinasiens um die Ehre, neuen Kaisern einen Tempel errichten zu dürfen. Nirgendwo im ganzen Reich war die Begeisterung für den Kaiserkult so groß wie in Kleinasien, was die Christen häufig in Konflikt mit den Behörden brachte (IPetr 2 - 4 ; Apk 2 - 3 ) . Ephesus erhielt die Erlaubnis, zwei Tempel für Augustus zu errichten, wodurch es zur Hauptstadt der Provinz wurde. Allerdings gestattete Tiberius nach erheblichem Zögern auch Smyrna, einer rivalisierenden Stadt im Norden, ihm zu Ehren einen Tempel zu bauen. Damit verlor Ephesus seine Vorrangstellung und mußte sich zudem gefallen lassen, daß dieser Kaiser die Asylrechte des Artemis-Tempels einschränkte. Gaius bevorzugte wiederum eine andere Stadt, nämlich das südlich von Ephesus gelegene Milet. Wahrend der Regierungszeit von Gaius' Nachfolger Claudius kam Paulus als Prediger nach Ephesus, in eine Stadt, die noch immer mit ihren Nachbarn um die kaiserliche Gunst im Wettstreit lag. Unter Domitian und noch einmal unter Hadrian erhielt Ephesus den Ehrentitel neokoros, Wächterin des kaiserlichen Tempels. Während des gesamten 2. Jahrhunderts n. Chr. erlebte Ephesus in Erziehung, Kunst und Architektur ein goldenes Zeitalter. In dieser Stadt kannte Paulus mehrere christliche Haushalte. Er unterrichtete im „Saal des Tyrannus" (Apg 19,9), und ein deuteropaulinischer Verfasser gedenkt des Haushalts des Onesiphorus, der Paulus in Ephesus trotz seiner Ketten gestärkt hat (2Tim 1,16—18; auch Acta Pauli 7 bezieht sich auf eine ephesinische Gefangenschaft). Nicht nur die paulinische Schule, sondern auch das johanneische Christentum ist durch alte Traditionen mit Ephesus verbunden. Euseb (Kirchengeschichte III 1,23; 5 , 8 ) zitiert Clemens, Orígenes und Irenäus bezüglich

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der Wirksamkeit des Johannes in Asien; auch das Johannesevangelium mag durchaus hier geschrieben worden sein. Apk 2 , 6 äußert Sorge über die schädlichen Einflüsse der Nikolaiten in Ephesus, die anscheinend zu denen gehörten, die „Götzenopferfleisch essen und Unzucht treiben" (Apk 2,14— 15). Die einzelnen Kirchen, die Apk 2—3 beschrieben werden, waren von Ephesus aus leicht zu erreichen. Im zweiten Jahrhundert zeichnet Ignatius (IgnEph 7 , 1 ) von manchen Christen in Ephesus ein Negativbild. Sie vertraten „eine üble Lehre", die einige Familien verdorben hat (16,1); zur Abwehr zitiert Ignatius eine triadische Formel, die sich auf den Vater, Jesus Christus und den Heiligen Geist beruft (9,1). John Knox hat auf Parallelen zwischen IgnEph 2—3 und Formulierungen in Phlm hingewiesen. Da der Name des ephesinischen Bischofs Onesimus lautet, schlägt er vor, daß es sich bei diesem um den einstigen Sklaven Philemons gehandelt habe, der auch bei der Sammlung der paulinischen Briefe tätig geworden sei. 1 2 Im selben Brief weist Ignatius ausdrücklich auf Paulus hin, „der in jedem Brief eurer in Christus Jesus gedenkt" (IgnEph 12,2). Paulus reiste mehrmals durch Ephesus (Apg 18,19; 19,1); die zentrale Lage der Stadt machte sie zu einem natürlichen Mittelpunkt christlichen Lebens in Kleinasien. Paulus berührte auch andere alte griechische Städte entlang der Westküste, die zur römischen Provinz Asien gehörten. Von Alexandria Troas aus, einem bedeutenden Hafen im nordwestlichen Teil der Provinz, setzte er nach Europa über; zuvor könnte er in Troas die christliche Gemeinde gegründet haben (Apg 16,8-11; 20,6; 2Kor 2 , 1 2 ) , die noch im frühen 2. Jahrhundert von Bedeutung war, als Ignatius auf dem Wege zum Martyrium in Rom mit ihr in Kontakt kam (IgnPhil 11,2; IgnSmyrn 12,1). Paulus ging auch in der Hafenstadt Assos, südlich von Troas (Apg 20,13— 14), an Land sowie in Milet, dem nächsten großen Hafen südlich von Ephesus (Apg 2 0 , 1 5 - 1 7 ) . Mehrere von den sieben Kirchen der Johannes-Offenbarung befinden sich an oder nahe der Küste. Ephesus (Apk 2,1—7) nimmt als bedeutendstes Zentrum des Christentums in der Region den ersten Platz ein. Smyrna (2,8—11) war eine alte griechische Stadt mit stolzer Geschichte und blühender Gegenwart, die den ephesinischen Ansprüchen auf Vorrang beständig entgegentrat. Pergamon (2,12—17) war die alte königliche Hauptstadt des attalidischen Königreichs; zu ihren zahlreichen Bauwerken gehörte der „Thron des Satans", vermutlich der berühmte Zeusaltar auf dem Burgberg. Thyatira im Norden (3,18-29), Sardes im Südwesten ( 3 , 1 - 6 ) und Philadelphia im Südosten (3,7—13) lagen auf dem Gebiet des alten Königreichs Lydien. Thyatira, das unter den hellenistischen Königen und der römischen Herrschaft anscheinend Züge seiner alten lydischen Verwaltungsstruktur bewahrt hat, war ein großes Handelszentrum am Fluß, der nach Smyrna führt. Inschriften belegen die intensive Tätigkeit vieler Handwerkerzünfte, etwa der Färber, Wollspinner und Leinweber, die an die Purpurhändlerin Lydia aus Thyatira (Apg 16,14) erinnern. Sardes war die alte lydische Haupt-

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Stadt. Sie besaß eine gute Lage und blieb auch innerhalb der römischen Provinz eine wohlhabende Metropole. Ihre zahlreichen angesehenen jüdischen Einwohner hatten am allgemeinen Reichtum Anteil (Kapitel 2). Philadelphia, von Attalus II. Philadelphus gegründet, beherrschte ein großes Agrargebiet. Apk 3 , 9 - 1 0 setzt voraus, daß dort eine beträchtliche Anzahl von Juden lebte, die in Streit mit der kleinen christlichen Gemeinde gerieten. Weiter südlich, längs des Mäanders, der bei Ephesus ins Meer mündet, zog sich eine Reihe wichtiger Städte in das zentrale Hochland Kleinasiens hinauf. Laodizea (Apk 3,14—23) beherrschte die Wollindustrie der ganzen Region; die Produkte der Stadt waren weithin bekannt. In Kol 2 , 1 ; 4 , 1 3 - 1 6 grüßt Paulus die laodizeische Kirche und hebt Nympha, die Patronin einer Hauskirche, besonders hervor; die Offenbarung des Johannes beschreibt die dortige Christengemeinde als reich und frei von Sorgen. In der Nähe Laodizeas befanden sich Hierapolis (diese Stadt hatte Anteil am erfolgreichen Wollhandel von Laodizea; ihr Name — „heilige Stadt" — belegt, daß sie ihre ursprüngliche Bedeutung dem Tempel einer der einheimischen Gottheiten verdankte) und das unbedeutendere Kolossä. Der Kolosserbrief verrät die Besorgnis des Paulus über die dortigen Angriffe einer Gruppe, die seinen Lehren feindlich gegenüberstand und deren „Engelverehrung" entweder auf „äußere" (verschiedene Forscher haben persische bzw. gnostische oder essenische Einflüsse vorgeschlagen) oder auf lokale Einwirkungen durch einen der einheimischen Kulte Kleinasiens zurückgehen mag. 1 3 Alle genannten Städte lagen innerhalb der römischen Verwaltungsprovinz Asien. Ostlich davon lag inmitten des zentralen Hochlands von Kleinasien die Provinz Galatien - ein zerklüftetes Gebiet mit kalten Wintern und schwer zu bestellenden Böden. Die Apostelgeschichte berichtet, wie Paulus das Evangelium im Südteil der Provinz verbreitete; diese Gebiete waren von Völkern bewohnt, die schon lange vor der Hellenisierung durch die Griechen dort ansässig waren. Von Zypern kommend, durchzog Paulus die Küstenregion von Pamphylien und Pisidien, wo er sowohl in den wichtigen lokalen Metropolen Antiochien, Ikonium, Lystra und Derbe predigte (Apg 1 3 , 1 4 1 4 , 2 4 ; all diese Städte waren römische Kolonien) als auch in den umgebenden ländlichen Gebieten ( 1 4 , 5 - 7 ) . Einheimische Sprachen wie das Lykaonische wurden dort noch im 1. Jahrhundert n. Chr. gesprochen ( 1 4 , 1 1 ) . Zu den Landbesitzern gehörten die Nachfahren der alten einheimischen Aristokraten, römische Bürger italischen Ursprungs, die als Kolonisten in eine der romanisierten Städte Kleinasiens gekommen waren und Land durch Verpachtung erhalten hatten, ferner reiche Römer aus dem Ritter- und Senatorenstand wie die Familien des Sergius Paulus, den Paulus als Statthalter von Zypern ( 1 3 , 7 ) kennenlernte und dessen Familie für ihren umfangreichen Landbesitz in Pisidien bekannt war. Man hat erwogen, daß womöglich Sergius Paulus selbst den Apostel mit Empfehlungsschreiben für die Aristokratie im pisidischen Antiochien ausgestattet hat, eine Stadt, die den Status einer römischen Kolonie besaß. 1 4 Der Nordteil der Provinz war die eigentliche Heimat der Galater, einem unbeugsamen, mit den „Galliern" des

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heutigen Frankreich verwandten Nomadenvolk, das im 2. Jahrhundert v. Chr. in Kleinasien eingedrungen war. Die meisten Forscher nehmen an, daß Paulus seinen Galaterbrief an die Gemeinden in dieser Gegend gerichtet habe. Hier herrschten ländliche Stammessiedlungen vor, obwohl die Römer verstreut einige Städte gegründet hatten, die innerhalb des ländlichen Hochlandes, wo Korn und Wolle produziert wurden, als Zivilisationszentren dienen sollten. An der Schwarzmeerküste im Norden Kleinasiens faßten die Römer die beiden Königreiche von Pontus und Bithynien zu einer Provinz zusammen. Paulus betrat dieses Gebiet nicht (Apg 16,7), doch ist bekannt, daß es dort zu Beginn des 2. Jahrhunderts in weiten Teilen des Landes ebenso wie in den Städten eine starke christliche Bewegung gab. Wie in Kapitel 2 erwähnt, existiert hierfür als Quelle die bekannte Beschreibung des Plinius (Briefe X 96), die sich im Rahmen seines Berichtes über die Verbreitung des Christentums in dieser Provinz an Kaiser Trajan findet. Ein charakteristischer Zug der einheimischen Religionen war die ekstatische Verehrung der großen Erdenmutter, die als Artemis der Epheser, Kybele von Phrygien oder als eine der vielen anderen lokalen Fruchtbarkeitsgöttinnen Gestalt gewann (Strabo, Geographie X 3,6—23). Die enthusiastische Besessenheit, die die lokalen Kulte prägte, findet ihre Entspechung in der prophetischen Sekte, die sich Mitte des 2.Jahrhunderts n.Chr. um Montanus sammelte. Mit ihrer Betonung ekstatischer Geisterfahrung fand sie Zulauf unter den breiten Schichten der christlichen Landbevölkerung. Kleinasien ist auch Schauplatz der Geschichte von Philemon und Baucis, die die Götter bewirteten, ohne sie zu erkennen (Ovid, Met VIII 618—724). Mit dieser Tradition dürfte die Geschichte Apg 14,8—18 in Verbindung stehen, in der die Bewohner von Lystra in Lykaonien Barnabas und Paulus als Zeus und Hermes begrüßen. Makedonien: Philippi und Thessalonich Die paulinische Mission in Makedonien ist sowohl in der Apostelgeschichte als auch im Philipperbrief ein entscheidendes Ereignis. Paulus beginnt seine „zweite Missionsreise" in Apg 15,41 und bewegte sich dann nach dem verwirrenden Stationenverzeichnis von Apg 16,6-8 weiter. Trotz der Führung durch den Heiligen Geist wird von keiner Missionarstätigkeit berichtet, obwohl die lukanische Erzählung nahelegt, daß der Übergang nach Europa und zur Heidenmission Gottes Willen entsprach. Paulus reiste von Troas ab, ging in Neapolis an Land und erreichte über die Via Egnatia die römische Kolonie Philippi. Lukas scheint die Absicht gehabt zu haben, eine römische Stadt zum ersten Missionsort auf europäischem Boden zu machen. Nach seinem Aufenthalt in Philippi setzte Paulus seinen Weg auf der Via Egnatia, der wichtigsten Ost-West-Verbindung für Handel und Politik, nach Amphipolis, Apollonia und Thessalonich fort (Apg 16,12; 17,1). Dort bog er ab und ließ sich heimlich nach Beröa bringen (Apg 17,10), anstatt weiter nach

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Westen zu reisen. Einige Jahre später (ca. 55 n. Chr.) besuchte Paulus diese Gegend erneut (lKor 16,5; Apg 19,21; 20,1-2) und mochte bei dieser Gelegenheit weiter westwärts gekommen sein. Rom 15,19 behauptet Paulus von sich, das Evangelium „bis nach Illyrien" gepredigt zu haben, eine Provinz am westlichen Ende der Via Egnatia, die sogar noch stärker latinisiert war als Philippi oder Korinth. Für Lukas und Paulus war Philippi das Tor von Asien nach Europa. Die Stadt war auf einer makedonischen Bergspitze nahe einer weiten Ebene gelegen, durch die die Hauptstraße von Europa nach Asien führte. Sie erhielt ihren Namen 356 v. Chr. zu Ehren des Königs Philipp von Makedonien, dem Vater Alexanders des Großen. Hier besiegten im Jahr 42 v. Chr. Antonius und Octavian als Rächer Iulius Cäsars dessen Mörder; anschließend verliehen sie der Stadt den Status einer römischen Kolonie und besiedelten sie mit den Veteranen der Schlacht. Als Kolonie war Philippi ein verkleinertes Abbild Roms. Die Namen, die in den erhaltenen Inschriften genannt werden, sind zur Hälfte lateinisch. Augustus gewährte Philippi das ius Italicum, was bedeutete, daß die Kolonisten je nach ihrem zivilen bürgerlichen Status dieselben Besitzrechte innehatten, als sei ihr Land Teil des italischen Bodens. Die politischen Beamten gingen aus den Nachkommen dieser römischen Kolonisten und vielleicht aus den wenigen einheimischen Familien hervor, die hinreichend mächtig und Rom treu ergeben waren, um das römische Bürgerrecht zu erhalten. Die höchsten Beamten in einer römischen Kolonie waren die beiden duumviri, die den Konsuln in Rom entsprachen; in der Apostelgeschichte werden sie mit den griechischen Ausdrücken archontes oder strategoi bezeichnet (16,19—39). Ihre offiziellen Diener waren die lictores („Rutenträger", die rabdouchoivon Apg 16,35.38), die für die Gefangennahme und Geißelung von Personen zu sorgen hatten. Als Paulus und seine Begleiter in Philippi ankamen, gingen sie an einem Sabbattag „vor das Stadttor hinaus zum Fluß, wo wir meinten, einen Gebetsort (proseuche) zu finden" (Apg 16,13). Eine Meile westlich der Stadt gab es einen Fluß, auf den sich die Apostelgeschichte beziehen mag, doch wirft dies Probleme auf, wenn man proseuche mit „Synagoge" übersetzen will. Warum befand sich ein jüdischer Gebetsort so weit von der Stadt entfernt, daß man am Sabbat lange Wege gehen mußte, und warum fand Paulus dort nur Frauen? Es gibt nur wenige unabhängige Zeugnisse für die Existenz von Juden in Philippi, so daß sich proseuche hier vielleicht gar nicht auf eine Synagoge bezieht. Lukas vermittelt einen Eindruck von der lokalen Frömmigkeit Philippis, indem er die Geschichte von „einer Sklavin, die einen Wahrsagegeist hatte und ihren Herren durch Wahrsagen großen Gewinn einbrachte", erzählt (Apg 16,16). Offizielle Religion war seit Gründung der Kolonie die römische; griechische Götter spielten nur eine untergeordnete Rolle. Hingegen bestanden örtliche thrakische Kulte fort, und auch einige orientalische Kulte gewannen Einfluß. Bekannt sind Widmungen an Jupiter, Juno, Minerva, Merkur und Mars, an Victoria Augusta und alte italische Fruchtbarkeitsgöt-

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ter wie Liber und Silvanus, an die thrakische Gottheit Bendis, die als Götter der Jagd und Unterwelt mit Unsterblichkeitssymbolen dargestellt wurde; an den thrakischen Reiter, einen göttlichen Jäger, der mit dem Titel „Heiland" geehrt wurde, und an Isis und Serapis, die in einem kleinen Privatheiligtum Anbetung fanden.15 Nachdem Paulus das Gefängnis in Philippi verlassen hatte, reiste er in westlicher Richtung nach Thessalonich, wo ihm deutliche Unterschiede aufgefallen sein dürften. Wie Philippi lag auch Thessalonich an der Peripherie Griechenlands und war relativ spät (um 315 v. Chr.) von dem makedonischen König Kassander gegründet worden. Ihren Namen erhielt die Stadt nach seiner Frau, einer Halbschwester Alexanders des Großen. Kassander hatte einen Platz gewählt, an dem sich zwei Straßen kreuzten: die Ost-WestVerbindung der Via Egnatia sowie die Straße, die von der Agais nordwärts über den Balkan zur Donau führte. Der Hafen Thessalonichs war einer der besten der Agäis. Anders als die römische Kolonie Philippi war Thessalonich eine typisch griechische Stadt mit griechischer Verwaltungsstruktur. Zu ihren Bewohnern zählten Handwerker, Händler und Redner aus Griechenland, Kleinasien und Italien, doch herrschten die Einflüsse der griechischen Kultur vor. Nach seiner Ankunft besuchte Paulus eine Synagoge (Apg 17,1), allerdings ist über die jüdischen Einwohner Thessalonichs sehr wenig bekannt. Eine jüdische Inschrift, aus der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. datiert, erwähnt „den höchsten Gott", doch ist man sich in der Forschung uneins, ob sich dies auf Jahwe bezieht.1^ Nachdem Paulus Thessalonich verlassen und über Athen Korinth erreicht hatte, schrieb er den Christen in Thessalonich einen Brief, in dem er das Evangelium, das sie angenommen hatten, zusammenfaßte: „Ihr habt euch von den Götzen weg zu Gott bekehrt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen und aus den Himmeln seinen Sohn zu erwarten, den er von den Toten auferweckt hat, Jesus, unseren Retter vor dem zukünftigen Zorn" (lThess 1,9-10). Die „Götzen", von denen sich die Thessalonicher abwandten, sind zum großen Teil bekannt: Dionysos wurde sowohl in einem öffentlichen Kult mit einem vom Staat ernannten Priester verehrt als auch in privaten Vereinen (thiasoi). Anhänger der Isis und des Serapis (zu ihnen gehörten reiche Römer von hohem Rang) trafen sich bei religiösen gesellschaftlichen Anlässen. Der Kult der Kabiren, der von der Insel Samothrake eingeführt worden war, erlangte z. Zt. des Augustus den Schutz von Mitgliedern der städtischen Oberschichten. In manchen seiner Kundgebungen vergegenwärtigte dieser Kult mit orgiastischen Tänzen und einem Gedächtnismahl den gewaltsamen Tod einer göttlichen Gestalt.17 Lukas berichtet, daß Paulus in Makedonien einige „griechische Frauen von hohem Rang" bekehrt habe (Apg 16,14; 17,4.12). Es mag von Bedeutung sein, daß Makedonien in hellenistischer Zeit dafür bekannt war, Aristokratinnen und Königinnen von ungewöhnlicher Stärke hervorgebracht zu haben, angefangen von Olympias, der Mutter Alexanders des Großen, bis

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hin zu Kleopatra VII., der letzten griechischen Herrscherin Ägyptens. Nachdem die Beamten der Stadt von Jason eine Kaution erhoben hatten verließ Paulus Thessalonich (Apg 17,9) auf der Via Egnatia südwärts und gelangte nach Beröa, einer Stadt „abseits der Hauptstraße" (Cicero, Gegen Piso 89), aus der er ebenfalls vertrieben wurde. Nach dieser Ausweisung aus drei makedonischen Städten und einem Aufenthalt in Athen (Apg 1 7 , 1 4 - 3 4 ) , kam Paulus in Korinth an, „in Schwachheit und in Furcht und großem Zittern" (IKor 2 , 3 ) .

Achaia: Korinth In älterer Zeit, vom 8. bis zum 2. Jahrhundert v. Chr., war Korinth eine der wichtigsten Städte Griechenlands gewesen. Seine Lage am Isthmus, der die Peloponnes mit Zentralgriechenland verband, verlieh Korinth immense politische und wirtschaftliche Macht, da es die Nord-Süd-Route über den Isthmus ebenso kontrollierte wie den Seehandel zwischen dem Ägäischen Meer im Osten und dem Golf von Korinth im Westen. Die Stadt hatte sich im 2. Jahrhundert führend am Widerstand gegen die römische Ausdehnung auf das griechische Festland beteiligt und war dafür 146 v. Chr. völlig zerstört worden. Nachdem er ein Jahrhundert lang wüst gelegen hatte, ließ Iulius Cäsar den strategisch wichtigen Ort im Jahr 44 v. Chr. als römische Kolonie neu besiedeln, damit sie als Hauptstadt der Provinz Achaia, die ganz Südgriechenland einschloß, dienen konnte. Bis zur Zeit des Besuchs des Paulus um 50 n. Chr. war Korinth wiederum eine wichtige Stadt geworden. Seine Stadtmauern umschlossen ein Gebiet, das zweieinhalb mal so groß war wie Athen, und seine beiden Häfen, Kenchreä im Osten und Lechäum im Westen, zogen große Mengen von Reisenden und Kaufleuten an. Korinth war das wichtigste Verwaltungs- und Geschäftszentrum in Griechenland und immer voller Menschen, die sich auf der Reise befanden. Paulus scheint den Vorrang der dortigen Kirche über die anderen Gemeinden in Achaia selbst anzuerkennen (2Kor 1,1). Als sich Paulus der Stadt näherte, dürfte er zuerst den beeindruckenden Akrokorinth-Berg erblickt haben, der sich im Süden über der Stadt erhob und mit Mauern und einem Aphrodite-Tempel befestigt worden war (Strabo, Geographie VIII 6 , 2 1 ) . Dann dürfte er durch die weit verstreuten Vororte gekommen sein und schließlich das Forum erreicht haben, auf dem alles an die römische Verwaltung erinnerte. Überall waren lateinische Inschriften zu finden. Ein Tempel am westlichen Abhang des Forums war der Familie der Julii geweiht und ein anderer der Livia, der Frau des Augustus. Am östlichen Ende beherbergte eine römische Basilika die Gerichte, und am Südrand befand sich vor einer durch Kolonnaden überdachten Ladenreihe von 150 Meter Länge (der längsten des Reiches) das bêma (der „Richterstuhl"), wo der römische Statthalter offizielle Amtsgeschäfte wahrnahm (Apg 18,12— 17).

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VI. KAPITEL: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches

Falls Paulus im Frühling des Jahres 49 oder 51 in Korinth war, könnte er sich die Isthmischen Spiele angesehen haben. Sie gehörten zu den vier wichtigsten panhellenischen Festen und wurden alle zwei Jahre vor dem Poseidon-Heiligtum auf dem Isthmus gefeiert. Siegerpreis in diesen Spielen war eine Fichten- oder Selleriekrone, was Paulus zu dem Kommentar veranlaßte, daß diese Athleten sich bemühten, „einen vergänglichen Kranz zu empfangen, wir aber einen unvergänglichen" (IKor 9,25). Auch Aphrodite wurde in dieser Hafenstadt mit großer Innigkeit verehrt. Sie erschien auf korinthischen Münzen und besaß Tempel auf dem Akrokorinth, innerhalb der Stadt und im Hafen Kenchreä. Strabo (Geographie VIII 6,20) erzählt die bekannte Geschichte, daß es in ihrem Tempel „mehr als tausend Tempelsklavinnen gab, Prostituierte, die der Gottheit von Männern und Frauen übergeben worden waren." Die meisten Griechen hielten die Prostitution keineswegs für unmoralisch (eine Ausnahme war Dion von Prusa VII 133—137); Paulus' Polemik gegen sexuelle Ausschweifungen (IKor 5—7) richtete sich daher an korinthische Christen, die das Schlagwort geprägt hatten: „Alle Dinge sind mir erlaubt" (IKor 6,12). Unter den archäologischen Zeugnissen für die in Korinth verehrten Götter finden sich Hinweise darauf, daß die Mitglieder vieler religiöser Gruppen hier wie andernorts zu gemeinsamen kultischen Mählern zusammenkamen, was an Paulus' Auseinandersetzung mit den korinthischen Christen (IKor 8— 11) erinnert. Die Anhänger des Dionysos trafen sich in unterirdischen Eßräumen, in denen um einen steinernen Tisch herum sechs Ruheplätze aus dem Fels geschlagen waren. Ahnliche Eßräume, die im Asklepius-Heiligtum in den Stein gehauen waren, konnten elf Personen samt kleinen Tischen davor aufnehmen. Am Heiligtum von Demeter und Kore waren hingegen draußen in Zelten aufgetragene Mähler wichtige Bestandteile des Rituals. Auch beim Isiskult, der in Korinth beliebt war (Apuleius, Der goldene Esel XI 8-12.16-17 beschreibt eine ihr zu Ehren abgehaltene Frühjahrsprozession von Korinth zum Hafen Kenchreä), gehörten kultische Mahlzeiten zum Ritual (Apuleius, Der goldene Esel XI 24). Isis war unter ihren Verehrern auch als die Gottheit bekannt, „die den Frauen dieselbe Macht gab wie den Männern." 18 Es ist zu fragen, ob die Macht der Frauen, die in den Lobpreisungen der Isis verkündet wurde, nicht einer der Gründe für die bemerkenswerte Freiheit der christlichen Frauen in Korinth war (IKor 1,11; 11,5; 16,19; Apg 18,2.18). In Korinth war viel Geld zu verdienen, und den Ehrgeizigen boten sich viele Gelegenheiten dafür. Ein oder zwei Jahrhunderte nach Paulus äußerte sich Alkiphron (Parasitenbriefe XXIV 3,16) über „die Schäbigkeit der Reichen und das Elend der Armen" und vermutete, daß „die Frauen Aphrodite, die Beschützerin der Stadt, als Kultgottheit haben, die Männer hingegen den Hunger." Doch besaßen einige der korinthischen Christen so viel Vermögen, daß Paulus im Gegensatz zu den Christen Makedoniens und Jerusalems auf ihren „Reichtum" (2Kor 8,14) verweisen konnte. Gerd Theißen vermutet, daß die

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Kluft zwischen den Reichen und Armen in Korinth eine der Hauptursachen für die innergemeindlichen Streitigkeiten war. 19 Paulus deutet an, daß ihre Art, das Herrenmahl zu feiern, „diejenigen beschämen wird, die nichts haben" (IKor 11,22). Und weiter schreibt er zu ihrer Warnung, daß sowohl er als auch sie beschämt würden, wenn sie den Jerusalemern nur wenig gäben (2Kor 9,4.6). Im religiösen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umfeld dieser städtischen Metropole Schloß Paulus mit einer Reihe von Juden Bekanntschaft. Dennoch ist die Zahl der Belege für den Aufenthalt von Juden in Korinth erstaunlich gering. Philo (LegGaj 282) schließt Korinth in eine Liste von Städten ein, die jüdische „Kolonien" besitzen. Eine griechische Inschrift mit den grob eingemeißelten Worten „Synagoge der Hebräer" belegt die Existenz einer organisierten jüdischen Gemeinde, auch wenn sich die Entstehungszeit der Inschrift nicht feststellen läßt. 20 Die Apostelgeschichte erwähnt die Namen zweier Synagogenvorsteher: Krispus, der zum Christentum konvertierte (18,7-8; vgl. IKor 1,14), und Sosthenes, der nicht konvertierte und von einer Volksmenge verprügelt wurde (Apg 18,17). Von Paulus heißt es, daß er die Synagoge verlassen und in einem ihr benachbarten Hause gewohnt habe, das einem heidnischen „Verehrer Gottes", Titius Justus, gehörte (Apg 18,7). Die Lederarbeiter Aquila und Priskilla waren ebenfalls Juden (18,2). Paulus arbeitete bei ihnen und nutzte ihr Geschäft vermutlich als Lokal für seinen missionarischen Unterricht. Die „Erstlinge" unter den christlichen Konvertiten Achaias waren die Mitglieder des Haushaltes des Stephanas, der offenbar der Patron einer Hauskirche gewesen ist: Die korinthischen Christen vergaßen anscheinend, ihm die schuldige Ehre zu erweisen, weshalb sich Paulus für ihn einsetzte (IKor 1,16; 16,15-18). Ein römischer Beamter, der im Zusammenhang der Paulusaufenthalte in Korinth genannt wird, ist Erastus, der Stadtkämmerer (Rom 16,23). 1927 und 1947 sind verschiedene Stücke einer lateinischen Inschrift entdeckt worden, die einen Erastus als Spender der Bepflasterung östlich des Theaters in Korinth nennen. Er schenkte diese Bepflasterung „als Dank für die Ernennung zum Adii." Der Adii war der Hauptbeamte, zu dessen Aufgaben die Organisation der öffentlichen Spiele zählte. Erastus gehörte daher zur städtischen Aristokratie, so daß dieser reiche Beamte durchaus der von Paulus genannte Christ sein mag. 21 Jene Form spontaner, emotionaler Unruhen, wie sie im Zusammenhang mit Paulus' missionarischer Tätigkeit in Apg 18,12 geschildert werden, mögen in den griechisch-römischen Städten während des Prinzipats durchaus üblich gewesen sein und ihren Grund in Arbeitslosigkeit und beständigen Spannungen zwischen Arbeitern und Unternehmern gehabt haben. Der genannte Aufruhr hatte zur Folge, daß Paulus (womöglich irgendwann zwischen Juli und Oktober 51 n. Chr.) auf das Forum vor den Richterstuhl Gallios, des Prokonsuls von Achaia, gebracht wurde. 22 Wiederholt bezieht sich Paulus auf die innerhalb der christlichen Gemeinde Korinths festgestellte Tendenz zu Zank und Fraktionsbildung (vgl.

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VI. KAPITEL: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches

IKor 1,10—17; 2Kor 1 2 , 2 0 ) , die allerdings für einen Ort, der so zentral gelegen, so geschäftstüchtig und für äußere Einflüsse so offen war wie Korinth, wenig überraschend ist.

Rom Laut Apg 2 8 , 1 6 gelangte Paulus als Gefangener nach Rom; nach wissenschaftlicher Vermutung traf er hier in den frühen sechziger Jahren ein, nach frommer Tradition wurde er während der neronischen Christenverfolgung getötet. Da er bereits früher den Brief an die Römer geschrieben hatte (zwischen 54 und 59 n. Chr.), steht fest, daß die dortige Kirche geraume Zeit vor seiner Ankunft gegründet worden war. In Rom sah sich Paulus einer gewaltigen, vielschichtigen und weltbürgerlichen Bevölkerung gegenüber. Menschen aus aller Herren Länder bevölkerten in einem Gewirr von Sprachen und in fremdartiger Kleidung die Straßen Roms. Die öffentlichen Bauwerke erinnerten die Besucher an die Macht, Tradition und Größe des römischen Reiches: die Häuser der Senatoren und die Basiliken, die Tempel der einheimischen und eingeführten Götter, die Pyramiden und Obelisken aus Ägypten, die Statuen und Bilder aus Griechenland, die Speicher für Getreide und Waren aus Afrika, Spanien und Gallien. Die Römer reagierten auf diese Mannigfaltigkeit verständlicherweise zwiespältig: Einerseits hießen sie diesen Einfluß willkommen, feierten die Vielfalt und behaupteten, daß die Einzigartigkeit und Stärke ihrer Gesellschaft in der Fähigkeit Roms bestehe, so viele Städte, Staaten und Nationen unter seiner Verwaltung zu vereinigen sowie Sitten und Ideen von Hunderten von Kulturen, auf die sie bei der Vergrößerung und Verwaltung ihres Reiches trafen, zu übernehmen und zweckentsprechend zu verändern. Zur gleichen Zeit stellte sich eine eher konservative Tendenz dieser Art von kultureller Überfremdung entgegen: Im Jahr 186 v.Chr. wurde der Bacchus-Kult unterdrückt, in den Jahren 173 und 161 wurden griechische Philosophen aus der Stadt verbannt, 58 v.Chr. ließ der Senat die Altäre der ägyptischen Götter zerstören. Wahrend des Prinzipats setzten sich Aufnahme und Zurückweisung fremder Einflüsse fort, je nachdem, wie es der Politik und den Launen der einzelnen Kaiser entsprach. Tatsächlich waren die Auswirkungen dieser individuellen Maßnahmen in Rom schneller und direkter spürbar als in allen anderen Teilen des Imperiums. Das Schicksal der Juden in Rom macht deutlich, wie stark die offizielle Politik schwanken konnte. Im Jahr 61 v.Chr. kauften reiche Juden die Gefangenen frei, die Pompeius aus dem eroberten Judäa mitgebracht hatte. 59 v. Chr. konnte Cicero bei der Verteidigung eines ehemaligen syrischen Statthalters, der der Mißwirtschaft angeklagt war, mit antijüdischen Gefühlen rechnen, als er auf ihre große Zahl, ihren Einfluß, ihr Nationalbewußtsein und ihre verdächtige Praxis anspielte, jedes Jahr nach Jerusalem Geld zu schicken (Cicero, Für Flaccus 66—69). Andererseits erließ Iulius Cäsar eine

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Anordnung, die den römischen Juden die Freiheit der Religionsausübung sowie die Erlaubnis gab, ihren jährlichen Beitrag zur Tempelsteuer nach Jerusalem zu senden; auch Augustus gewährte ihnen besondere Vorrechte. Damals muß die Zahl der Juden Roms etwa 40000 betragen haben, fast fünf Prozent der Gesamtbevölkerung der Stadt. (Diese Berechnung stützt sich auf Josephus, Ant XVII 300-301; Bell II 80-81, der berichtet, daß bei der Ankunft einer Delegation in Rom, die sich über das Verhalten des Archelaus beschweren wollte, im Jahr 4 v. Chr. 8000 Juden [wahrscheinlich erwachsene Männer] im Bezirk des Apollo auf dem palatinischen Hügel zusammenkamen, um ihre Unterstützung der Gesandtschaft auszudrücken.) Juden aus allen sozialen Schichten lebten in Rom oder hielten sich dort zu Besuch auf. So war ζ. B. Herodes der Große 40 v. Chr. dort, als er zum König von Judäa proklamiert wurde. Agrippa verbrachte viele Jahre als Prinz in Rom, wobei er ein enges Verhältnis zur kaiserlichen Familie unterhielt. Auf niedrigerer sozialer Stufe befanden sich einfache Geschäftsleute wie die Zeltmacher Aquila und Priskilla (Apg 18,2-3) oder der Schlachter und der Maler, die auf Grabinschriften begegnen. Viele Juden waren ebenso wie ein Großteil der römischen Bevölkerung des 1. und 2. Jahrhunderts arm; in heidnischen Quellen erscheinen sie als Lastenträger, Hafenarbeiter, Hausierer oder Bettler. Die Inschriften in den jüdischen Katakomben zeigen, daß etwa die Hälfte der Juden lateinische Namen trug, die viele von ihnen bei der Befreiung aus der Sklaverei erhalten haben dürften. Drei Viertel der Inschriften waren in griechischer Sprache verfaßt, ein Beweis für die Verwurzelung in den Diasporagemeinden der hellenistischen Welt. Bekannt sind elf eigenständige jüdische Gemeinden in Rom. Jede Synagoge scheint ihre eigene autonome Organisation besessen zu haben, obwohl sie drei ausschließlich jüdische Katakomben als Grabstätten unter sich teilten. Die Juden waren ihren heidnischen Nachbarn vertraut, ohne daß diese sie immer richtig verstanden. Die römischen Schriftsteller erwähnen die Weigerung der Juden, Schweinefleisch zu essen, die Beschneidungspraxis, die Sabbatlichter, die in den Fenstern ihrer Wohnungen brannten und die Arbeitsruhe am Sabbattag. Mit Verdruß registrierten sie die Bemühungen der Juden, Proselyten zu gewinnen. Einige Proselyten und Sympathisanten waren sehr bekannt, z. B. Fulvia, die Ehefrau eines Senators während der Herrschaft des Tiberius, Poppea, die Ehefrau Neros und Flavius Clemens, ein Cousin Domitians. Laut Apg 2,10 waren am Pfingsttag in Jerusalem Juden und Proselyten anwesend, was nahelegt, daß das Evangelium zunächst von einfachen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Roms in die Hauptstadt getragen wurde. Dieser Eindruck wird durch die Haltung des Paulus im Römerbrief bestärkt, da er eindeutig voraussetzt, daß die Kirche in Rom nicht von einem Apostel gegründet worden ist. Der Römerbrief setzt eine aus Juden und Nichtjuden zusammengesetzte Gemeinde voraus. Er deutet ferner an, daß es in der römischen Kirche

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mehrere Gruppen gab, die jeweils ihre eigenen Traditionen hochhielten. Wahrscheinlich begannen die ersten römischen Christen innerhalb der etablierten Synagogen zu wirken; es existieren Hinweise darauf, daß ihr Eifer zu Konflikten mit anderen Synagogenmitgliedern führte. Sueton (Claudius 25) schreibt, daß während der Regierungszeit des Claudius auf Veranlassung eines gewissen Chrestus Unruhen unter den Juden ausbrachen (umstritten ist, ob dies im Jahr 4 l oder 49 geschah) und daß infolgedessen die daran beteiligten Juden aus der Stadt gewiesen wurden. Nach der plausibelsten Erklärung dieses Vorfalls bezieht sich „Chrestus" auf eine verbreitete abweichende Schreibweise von „Christus": Offenbar gerieten die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Nachfolgern Christi und ihren jüdischen Genossen außer Kontrolle und bedrohten außerhalb der Synagogen die öffentliche Ordnung, was für die römischen Behörden stets ein Grund zur Sorge war. Nachdem die Ruhe wiederhergestellt war, verbot der Kaiser den Juden, sich zu versammeln, und wies die für die Unruhen Verantwortlichen aus. Sueton spricht zwar nur von Juden, doch könnten auch Heidenchristen darunter gewesen sein, da der römische Historiker die Christen nur für eine andere jüdische Sekte gehalten haben mag. Zwei dieser christlichen Exulanten traf Paulus bei seinem Aufenthalt in Korinth: die Zeltmacher Aquila und Priskilla, die später nach Ephesus zogen (Apg 18,2; Rom 16,3). Möglicherweise waren die Unruhen in Rom und der Verlust führender Christen und Nichtchristen der Anlaß dafür, daß die Christen die Synagogen verließen und eine eigene Organisation aufbauten, die ihre Basis in den Haushalten von Männern wie Aquila, Aristobul, Narzissus und Philologus besaß, die Paulus als Haushaltsvorstände nennt (Rom 16,3.10.11.15). Jedenfalls konnten die Verbannten nach dem Tod des Claudius 54 n. Chr. zurückkehren, so daß Paulus bei seiner Ankunft eine große jüdische Bevölkerung vorgefunden haben wird, daneben Gruppen von Christen, die entweder innerhalb der Synagoge oder als gesonderte Hauskirchen zusammenlebten. Paulus kam — von einem Zenturio begleitet — als Gefangener nach Rom, erhielt aber die Erlaubnis, in Rom eine eigene Wohnung zu mieten und sich frei zu bewegen (Apg 2 8 , 3 0 - 3 1 ) . Zu diesem Zeitpunkt scheinen die Christen mehrheitlich aus dem Osten des Reiches zu stammen. Sie sprachen Griechisch, die Sprache, in der Paulus ihnen Briefe geschrieben hatte, und sie wurden von Menschen aus dem Osten unterwiesen, inspiriert und geleitet. Gewiß war Paulus nicht der einzige christliche Prediger, der nach Rom kam. Die politische und wirtschaftliche Geographie des römischen Reiches stellte im Grunde genommen sicher, daß Besucher aller Art täglich nach Rom strömten. Ein wichtiger Traditionszweig behauptet, daß auch Petrus nach Rom kam und wie Paulus während der neronischen Christenverfolgung im Jahre 64 n. Chr. hingerichtet wurde. Zwar wird ein Romaufenthalt des Petrus weder in der Apostelgeschichte noch im Römerbrief erwähnt, doch kann die Feststellung des Petrusbriefes (IPetr 5,13), daß er „in Babylon" verfaßt wurde, als apokalyptisches Äquivalent für „in Rom" angesehen werden. Die

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Tradition von Petrus' Romaufenthalt war bereits Ende des 1. Jahrhunderts ausgeprägt, als Clemens von Rom in seinem Brief an die Korinther darauf anspielte (lClem 5; Ign, Rom 4,3); archäologische Ausgrabungen unter der Peterskirche im Vatikan haben gezeigt, daß im 2. Jahrhundert n. Chr. eine Art Denkmal errichtet wurde, um an Petri Martyrium zu erinnern. Im Jahrhundert nach Nero kamen Christen aus allen Teilen des Reiches nach Rom. Ihre Verschiedenartigkeit garantierte, daß irgendwo in Rom fast jede Form des christlichen Glaubens von einer Gruppe von Anhängern praktiziert wurde. Diese Mannigfaltigkeit machte es den einzelnen Gemeinden nicht leicht, sich als Einheit zu verstehen, so daß sich die Bischöfe Roms (eine traditionelle Namensliste geht bis zu Petrus, Linus, Cletus und Clemens zurück) oft mit dem Widerstand einzelner Gruppen gegen ihre Autorität konfrontiert sahen. Trotzdem verlieh das Ansehen Roms im ganzen Reich der römischen Kirche und ihrem Bischof besonderen Respekt. Dieses Prestige läßt sich an der Tonart ablesen, in der die römische Kirche diejenige Korinths im ersten Clemensbrief (geschrieben um 100 n.Chr.) anspricht, und es ist der Respekt erkennbar, den Ignatius, der Bischof von Antiochien, in seinem Brief an die Römer der dortigen Gemeinde zollt. Ein örtlicher Brauch der römischen Kirche, das fermentum, ist Beleg für den frühen Versuch, die verschiedenen Gemeinden zu einer Gemeinschaft zu verbinden. Wenn der Bischof die Eucharistie feierte, legte er einen Teil des geweihten Brotes beiseite und ließ es unter den verschiedenen Gemeinden in und um Rom verteilen. Wenn dann die Presbyter die Eucharistie in den Hauskirchen feierten, mischten sie das Brot vom Tisch des Bischofs mit ihrem eigenen, um alle gläubigen Hausgemeinden an einer Tafel zu versammeln, bei der ihr Bischof den Vorsitz hatte (Euseb, Kirchengeschichte V 24,14). Trotz ihrer Vielfalt blieb die römische Kirche bis zur ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts weiterhin eine hellenistisch geprägte Gemeinschaft, die Griechisch sprach und engen Kontakt mit den christlichen Kirchen des Ostens hielt. Die Belege zeigen, daß in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts manche Römer aus der Oberschicht dem Christentum zuzuneigen begannen, doch liegt es nahe, daß sie sich aufgrund ihrer Bildung und ihrer kulturellen Vorlieben in der hellenistischen Umgebung der römischen Kirche wohl fühlten. Erst ab der Mitte des 2. Jahrhunderts lassen sich zahlenmäßig größere Bekehrungen unter den Römern der niederen Schichten belegen, die nicht Griechisch sprachen und eine Ubersetzung des Neuen Testaments in das Lateinische benötigten. In Rom hatte sich die Sitte entwickelt, die Toten zu verbrennen und ihre Asche in Gemeinschaftsgräbern entlang den Straßen, die in die Stadt führten, zu begraben. Die Christen, die an die Auferstehung des Leibes glaubten, benötigten jedoch Platz, um ihre Toten unverbrannt zu bestatten. Die wohlhabenden Mitglieder der Gemeinde stellten dafür Gelände auf ihrem Grundbesitz in den Vororten zur Verfügung, und als die Zahl der lebenden wie der verstorbenen Christen weiter zunahm, gruben sie in das relativ weiche vul-

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VI. KAPITEL: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches

kanische Gestein lange von Gräbern gesäumte Gänge, die unter dem Namen Katakomben bekannt sind. Wie ihre heidnischen Nachbarn bauten die Christen oft kleine Speiseräume im Freien nahe der Eingänge zu ihren Gräbern; mit der Zeit entwickelten sich diese zu Weihestätten für Christen, die den Märtyrertod erlitten hatten. Soweit bekannt, erweckten die römischen Christen die Aufmerksamkeit der Behörden während der Herrschaft des Claudius, als die von „Chrestus" ausgelösten Unruhen den Kaiser veranlaßten, die darin verwickelten Personen auszuweisen, bei denen es sich nach römischem Verständnis offensichtlich um Juden handelte. Ihren höchsten Bekanntheitsgrad in früher Zeit erlangten die römischen Christen jedoch im Anschluß an das große Feuer im Jahr 64 n. Chr., das fast die Hälfte des gewaltigen Stadtzentrums sowie der Wohnbezirke im Geschäftsviertel in Schutt und Asche legte. Bei seiner Suche nach einem Sündenbock, der die Verantwortung für die Katastrophe tragen sollte, stürzte sich Nero auf die Christen; vielleicht griff er dabei auf die jüdische apokalyptische Literatur zurück, die mit Genugtuung die Erwartung äußerte, daß Gott die ganze Erde und all ihre Bewohner verbrennen werde (vgl. Sib II 15-19.196-213; III 54). Untersuchungen wurden durchgeführt, Bekenntnisse erzwungen und die überführten Christen den Raubtieren im Zirkus zum Fraß vorgeworfen, ans Kreuz genagelt oder lebendig verbrannt. Der römische Historiker Tacitus nannte das Christentum einen „rötlichen Aberglauben", fügte jedoch hinzu, daß die Qualen, die den Christen zugefügt wurden, so entsetzlich waren, daß die Bevölkerung Roms Mitleid mit ihnen empfand und Neros Grausamkeit mißbilligte (Tacitus, Ann XV 44).23 Eine spätere Tradition erwähnt die Herrschaft Domitians (81-96 n. Chr.) als Zeit der Verfolgung. Unter Trajan (98—117 η. Chr.) wurde Ignatius, der Bischof von Antiochien, verurteilt und zur Hinrichtung nach Rom gebracht. In seinem Brief an die Römer bat er die Christen in Rom, sich nicht für ihn einzusetzen. Im übrigen scheinen die römischen Behörden den Christen im 2. Jahrhundert jedoch nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Ihre heidnischen Nachbarn dürften den Christen mit einem gewissen Argwohn begegnet sein, der in etwa ihren Vorbehalten gegenüber den Juden oder den Verehrern der syrischen Götter entsprach. Bisweilen verband sich ihr Argwohn mit Respekt, so daß die Christen, wie erwähnt, seit der Mitte des 2. Jahrhunderts einigen Erfolg bei der Bekehrung von lateinisch sprechenden einheimischen Römern hatten. Natürlich blieben die Christen gelegentlichen Prozessen und Verurteilungen ausgesetzt; das gilt auch für jene langen Zeitabschnitte, in denen es keine allgemeine Verfolgung gab. So wurde im Jahr 165 n.Chr. Justin aus Samarien von einem kynischen Philosophen angeklagt und daraufhin zum Tode verurteilt. Er trägt seitdem den Beinamen „Märtyrer". Anschließend herrschte jedoch in Rom relative Ruhe; für die Herrschaft der Severer läßt sich feststellen, daß der kaiserliche Hof selbst ein lebhaftes und einfühlsames Interesse an den verschiedenen Religionen entwickelte, die in der Stadt ausgeübt wurden. Zu diesen Religionen gehörte

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auch das Christentum, so daß sich die Nachricht findet, Kaiser Alexander Severus ( 2 2 2 - 2 3 5 ) habe in seinem Palast einen Altar mit einem Bild Christi aufbewahrt (Scriptores Historiae Augustae, Severus Alexander X X I X 2).

Ägypten: Alexandrien Zusammen mit Jerusalem, Antiochien und Rom gehörte die Stadt Alexandrien an der Nordwestecke des Nildeltas seit Beginn des S.Jahrhunderts n. Chr. zu den vier größten Zentren des Christentums; und von hier breitete sich das Evangelium im gesamten nördlichen Teil Afrikas aus. Es fehlt jeder Hinweis darauf, wie das Christentum nach Alexandrien kam. Paulus erwähnt die Tätigkeit eines gewissen Apollos in Korinth ( I K o r 1 , 1 2 ; 3 , 4 - 6 . 2 2 ; 4 , 6 ; 1 6 , 1 2 ; vgl. Apg 19,1). Apg 1 8 , 2 4 - 2 8 berichtet von seinem Einfluß in Ephesus und fügt hinzu, daß er aus Alexandrien stammte. Er war redegewandt und in den Schriften gut bewandert, was wahrscheinlich heißt, daß er die Thora allegorisch auslegte, wie es andere alexandrinische Schriftsteller, etwa Philo und Orígenes, taten. Alexandrien war von Alexander dem Großen im Jahr 331 v. Chr. gegründet worden und wurde als Hauptstadt des ptolemäischen Königreiches zu einer der größten, reichsten und prunkvollsten Städte der Welt (Strabo, Geographie X V I I 1 , 8 - 1 0 ; Achilles Tatius V 1 - 2 ) . Nachdem Kleopatra, die letzte ptolemäische Herrscherin, im Jahre 31 v. Chr. Selbstmord begangen hatte, nahmen die Römer Alexandrien in Besitz. Augustus setzte in der Stadt einen Präfekten ein, der nur ihm selbst verantwortlich war und die neu geschaffene Provinz Ägypten von den alten ptolemäischen Palästen Alexandriens aus verwaltete. Die Ptolemäer hatten das Museion („Museum") gegründet, ein königliches Institut, in dem die führenden Wissenschaftler und Dichter der Welt versorgt und zum Studium und Schreiben ermutigt wurden. Zusammen mit der königlichen Bibliothek, der vollständigsten der Welt, verlieh das Museion Alexandrien ein intellektuelles Ansehen, mit dem sich nur Athen messen konnte. Unter der späteren Herrschaft der Ptolemäer und der Römer verloren Museion und Bibliothek allmählich ihre Bedeutung, doch blieb Alexandrien ein Hauptzentrum intellektuellen Schaffens. Die Stadt selbst war ganz und gar weltbürgerlich. Obwohl sie von einem griechischen König gegründet und als griechische Polis aufgebaut worden war, zählte auch eine große Anzahl gebürtiger Ägypter zu ihrer Bevölkerung. Hinzu kamen Immigranten aus der ganzen Welt, die ihre Götter und Göttinnen mitbrachten, die sich den bereits vorhandenen Kulten der griechischen und ägyptischen Götter hinzugesellten. Zu den alexandrinischen Göttern gehörte Serapis, eine synkretistische Gottheit, die das Wesen des ägyptischen Gottes Osiris mit den äußeren Attributen eines griechischen Vatergottes verband. Die Stadt hatte zudem einen der bedeutensten Häfen der Welt. Von hier aus stachen die Getreideschiffe in See und brachten Korn,

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ägyptisches Leinen und Luxusgüter nach Rom; auf der Rückfahrt transportierten sie dafür alle möglichen Produkte der Welt nach Alexandrien. Zur kosmopolitischen Bevölkerung der Stadt zählte eine beträchtliche Anzahl von Juden, die mehr als einen der fünf Bezirke bevölkerten, in die die Stadt eingeteilt war. Die Hauptsynagoge war enorm groß und die Juden in fast allen Berufen in der Stadt tätig. Ihre herausragende Stellung erweckte die Mißgunst ihrer heidnischen Nachbarn; diese Feindseligkeit führte im Jahr 38 n.Chr zu schweren Gewaltausbrüchen. Der römische Präfekt Flaccus ermutigte die Griechen sogar, als sie die Häuser der Juden plünderten, die Synagogen verbrannten und jüdische Ratsmitglieder verprügelten. Philo von Alexandrien erzählt diese Geschichte (Contra Flaccum und LegGai) als Teil einer Verhandlung gegen Flaccus in Gegenwart von Kaiser Gaius in Rom. In den Jahren 55 und 115 n. Chr. brachen die Konflikte zwischen Juden und Griechen erneut aus. Philo war einer der bedeutendsten Denker und Schriftsteller der jüdischen Diaspora. Er stand in der stolzen Tradition jüdischer Schriftstellerei in Alexandrien, zu der auch die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische gehörte. Philo spiegelt den synkretistischen Geist der Stadt wider, da er die jüdische Tradition in der Begrifflichkeit der griechischen Philosophie auslegte. Nach der Tradition soll der Evangelist Markus in Alexandrien gepredigt und sein Evangelium geschrieben haben; sein Grab wurde in der Stadt verehrt, bis sich venezianische Händler heimlich mit den Reliquien nach Italien davonmachten. Historische Züge gewinnt diese Tradition mit dem Auftreten des Demetrius als Bischof im Jahr 189 n. Chr. Er wirkte als Patriarch von Alexandrien und stand in einer Dauerfehde mit dem christlichen Theologen Orígenes. Letzterer führte die geistige Tradition der hellenistischen Juden wie Philo fort und stand zusammen mit Clemens von Alexandrien einer christlichen Schule vor, die unter dem Namen „Didaskaleion" bekannt ist. Diese christlichen Philosophen interpretierten das Evangelium in umfassender, synkretistischer Weise. Neben diesen „orthodoxen" Christen wirkten in Ägypten Gnostiker wie Basilides und Valentin. Die gnostisch-hermetischen Schriften wurden ebenso wie viele der erst kürzlich in Nag Hammadi entdeckten koptisch-gnostischen Texte vom 2. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. in Ägypten verfaßt. Aus Alexandrien stammte auch der Priester Arius, dessen Theorien über Gott und Christus Gegenstand aufgeregter Debatten auf dem ersten allgemeinen Kirchenkonzil waren, das Konstantin, der erste christliche Kaiser, im Jahr 325 nach Nicäa einberufen hatte. Nachdem Konstantin das Christentum 3 1 2 n. Chr. anerkannt hatte, wurden die Streitigkeiten und Kontroversen der Kirche zur Angelegenheit des Staates. Die christliche Kirche war in ein neues Stadium ihrer Geschichte eingetreten, doch ihre neuen Herausforderungen — Auseinandersetzungen über Lehre, Organisation und Kirchenzucht - begegneten ihr weiterhin vornehmlich im Umfeld der Städte, in denen die Kirche fast drei Jahrhunderte lang heimlich, aber wirksam aufgebaut worden war.

Anmerkungen Kapitel 1: Historischer Hintergrund 1 Victor Tcherikover, Hellenistic Civilization and the Jews, 2 1 9 7 0 , S. 1 2 6 - 2 0 3 ; Martin Hengel, Judentum und Hellenismus, 2 1 9 7 3 , S. 5 0 3 - 5 5 4 . 2 A.N.Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament, 1963, S. 1 6 2 - 1 7 1 ; E. Mary Smallwood, The Jews Under Roman Rule, 1976, S. 5 6 8 - 5 7 1 ; Emil Schürer, History of the Jewish People, 1978, S. 3 9 9 - 4 2 7 . 3 Smallwood, Jews Under Roman Rule, S. 3 5 1 - 3 5 2 . 4 Ibid., S. 4 2 1 - 4 2 7 . 5 Yigael Yadin, Bar Kokhba, 1971, S. 1 7 2 - 1 8 3 . 6 Peter Garnsey, T h e Lex Iulia and Appeal Under the Empire, in: Journal of Roman Studies 56 (1966), S. 1 6 7 - 1 8 9 . 7 W. H . C . Frend, Martyrdom and Persecution in the Early Church, 1966, S. 1 6 2 - 1 6 9 . 8 P. Winter, On the Trial of Jesus, 1961, S. 6 7 - 9 0 ; Smallwood, Jews Under Roman Rule, S. 1 4 9 - 1 5 0 . 9 Sherwin-White, Roman Society and Roman Law, S. 3 2 - 4 3 .

Kapitel 2: Mobilität und Mission 1 Nils A. Dahl, Letter, in: The Interpreter's Dictionary of the Bible, Ergänzungsband, 1976, S. 5 3 8 - 5 4 1 ; Stanley Κ. Stowers, Letter Writing in Greco-Roman Antiquity, 1986. 2 H . S t u a r t Jones, Claudius and the Jewish Question at Alexandria, in: Journal of Roman Studies 16 (1926), S. 2 7 - 2 8 . 3 Ramsay MacMullen, Paganism in the Roman Empire, 1981, S. 109-110; Helmut Engelmann, T h e Delian Aretalogy of Sarapis, 1975. 4 MacMullen, Paganism, S. 3 - 4 . 5 Ibid., S. 9 0 - 9 4 ; John Ferguson, The Religions of the Roman Empire, 1970, S. 2 1 1 - 2 4 3 . 6 Walter Burkert, Craft Versus Sect: The Problem of Orphies and Pythagoreans, in: Jewish and Christian Self-Definition, hg. von B. F. Meyer und E. P. Sanders, Bd. 3, 1982, S. 1 - 2 2 . 7 Abraham J. Malherbe, Self-Definition Among Epicureans and Cynics, in: Jewish and Christian Self-Definition, Bd. 3, S. 4 6 - 5 9 ; Bernard Frischer, T h e Sculpted Word: Epicureanism and Philosophical Recruitment in Ancient Greece, 1982, bes. S. 6 7 - 8 6 . 8 Ramsay MacMullen, Enemies of the Roman Order, 1966, S. 4 6 - 9 4 . 9 A. T . Kraabel, The Diaspora Synagogue: Archaeological and Epigraphic Evidence Since Sukenik, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, hrsg. von H.Temporini und W. Haase, Bd. II 19.1, 1979, S. 4 7 7 - 5 1 0 ; Social Systems of Six Diaspora Synagogues, in: Ancient Synagogues: The State of Research, hrsg. von Joseph Gutmann, 1981, S. 7 9 - 9 1 . 10 S. W. Baron, A Social and Religious History of the Jews, Bd. 1, 2 1 9 5 2 , S. 171. 11 Smallwood, Jews Under Roman Rule, S. 4 1 6 - 4 1 7 . 12 T . M. Taylor, The Beginnings of Jewish Proselyte Baptism, in: New Testament Studies 2 ( 1 9 5 5 - 5 6 ) , S. 1 9 3 - 1 9 8 ; Smallwood, Jews Under Roman Rule, S . 4 3 0 .

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Anmerkungen

13 Victor Tcherikover, Hellenistic Civilization and the Jews, S. 3 0 2 - 3 0 3 ; S. Safrai und M . S t e r n , Hgg., T h e Jewish People in the First Century, Bd. 1, 1974, S . 4 8 8 . 500. 14 bSukkah 5 l b , zitiert und erörtert von Tcherikover, Hellenistic Civilization and the Jews, S. 3 3 7 - 3 3 8 . 15 Victor Tcherikover, T h e Jews in Egypt in the Hellenistic-Roman Age in the Light of the Papyri (1963), S. 1 4 6 - 1 5 9 (Hebräisch), S.xiv-xxvi (Englisch). 16 Folker Siegert, Gottesfürchtige und Sympathisanten, in: Journal for the Study of Judaism 4 (1973), S. 1 4 4 - 1 4 5 . 17 Tcherikover, Hellenistic Civilization and the Jews, S. 352. 18 Jones, Claudius and the Jewish Question, S. 1 7 - 3 5 ; Smallwood, Jews Under R o m a n Rule, S. 2 4 6 - 2 5 0 ; R. Goldenberg, T h e Jewish Sabbath in the Roman World up to the T i m e of Constantine the Great, A N R W II 19.1, S . 4 1 8 - 4 2 1 . 19 W . H . C. Frend, Martyrdom and Persecution in the Early C h u r c h , 1967, S. 1 0 0 - 1 0 5 . 1 4 5 . 20 Robin Scroggs, T h e Earliest Hellenistic Christianity, in: Religions in Antiquity, hg. von Jacob Neusner, 1970, S. 1 7 6 - 2 0 6 . 21 E. A. Judge, T h e Social Pattern of Christian Groups in the First Century, 1960, S. 57(Deutsch: Christliche Gruppen in nichtchristlicher Gesellschaft, 1964). 22 Henneke Gülzow, Soziale Gegebenheiten der altkirchlichen Mission, in: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, Bd. I, Die Alte Kirche, hg. von Heinzgünter Frohnes u n d Uwe W. Knorr, 1974, S. 1 8 9 - 2 2 6 , hier S. 196; Wayne A. Meeks, T h e First Urban Christians, 1983, S. 2 5 - 3 0 . 2 3 Elisabeth Schüssler Fiorenza, Z u ihrem Gedächtnis, 1988, S. 2 5 8 - 2 7 2 . 24 D . L ü h r m a n n , Neutestamentliche Haustafeln und antike Ö k o n o m i e , in: New Testament Studies 27 (1980), S. 8 3 - 9 7 ; David L.Balch, Let Wives Be Submissive: T h e Domestic C o d e in 1 Peter, 1981; Fiorenza, Z u ihrem Gedächtnis. 25 D . W . Riddle, Early Christian Hospitality, a Factor in the Gospel Transmission, in: Journal of Biblical Literature 57 (1938), S. 1 4 1 - 1 5 4 ; A . J . M a l h e r b e , T h e Inhospitality of Diotrephes, in: God's Christ and His People: Studies in H o n o u r of Nils Alstrup Dahl, hg. von Jacob Jervell and Wayne A. Meeks, 1977, S. 2 2 2 - 2 3 2 ; wiederabgedruckt in: Social Aspects of Early Christianity, 2., bearb. Aufl., 1983, S. 9 2 - 1 1 2 . 26 Robert M . Grant, Christen als Bürger im Römischen Reich,1981, Kap. 6. 27 Wayne Α. Meeks, In O n e Body: T h e Unity of H u m a n k i n d in Colossians and Ephesians, in: God's Christ and his People, S. 2 0 9 - 2 2 1 . 28 Meeks, First Urban Christians, S. 147. 29 Balch, Wives.

Kapitel 3: Die antike W i r t s c h a f t 1 A. R. Hands, Charities and Social Aid in Greece and Rome, 1968. 2 L. William C o u n t r y m a n , T h e Rich Christian in the Church of the Early Empire: Contradictions and Accommodations, Kap. 3. 3 John H . D'Arms, C o m m e r c e and Social Standing in Ancient Rome, 1981. 4 Richard Duncan-Jones, T h e Economy of the Roman Empire: Quantitative Studies, 1974, Kap. 1: T h e Finances of a Senator, S. 1 7 - 3 2 . 5 G . E. M . de Ste. Croix, T h e Class Struggle in the Ancient Greek World, 1981, S. 4 2 8 - 4 3 2 . 6 P. Veyne, Vie de Trimalcion, in: Annales (Economies, Sociétés, Civilisations) 16 (1961), S. 2 1 3 - 2 4 7 . 7 Corpus Inscriptionum Latinarum, Bd. 8, Nr. 11824; Ramsay MacMullen, R o m a n Social Relations, 1974, S . 7 4 . 8 J. B.Frey, Corpus Inscriptionum Judaicarum, Bd. 1, 1936, Nr. 945.

Anmerkungen

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9 H. Kreissig, Free Labour in the Hellenistic Age, in: Non-Slave Labour in the Greco-Roman World, hrsg. von Peter Garnsey, 1980, S. 30-33. 10 Ste. Croix, Class-Struggle, bes. S. 172-173; Moses Finley, Die antike Wirtschaft, 1977, S. 65-108. 11 Finley, Antike Wirtschaft, S. 54-56. 170-171. 12 Ste. Croix, Class-Struggle, S. 164. 170. 13 Laura Breglia, Circolazione monetale ed aspetti di vita economica a Pompei, Pompeiana (Biblioteca della Parola del Passato, Nr. 4, 1950), S. 47-48. 14 Frederick W. Danker, Benefactor: Epigraphic Study of a Graeco-Roman and New Testament Semantic Field, 1982. 15 Finley, Antike Wirtschaft, S. 154-178. 16 Michael H.Crawford, Money and Exchange in the Roman World, in: Journal of Roman Studies 60 (1970), S . 4 0 ^ i 8 . 17 Plinius, Naturkunde XVIII 88-90; Corpus Inscriptionum Latinarum, Bd. 4, Nr. 1679. 5380.

Kapitel 4: Gesellschaft in Palästina 1 Michael Avi-Yonah in: The Jewish People in the First Century, 1.1, hg. von S.Safrai und M.Stern, 1974, S. 108-110. Neuere Berechnungen liefert Applebaum (Anm.2 unten). 2 S. Applebaum, in: ANRW II 8, S.376. 3 Safrai, in: Jewish People 1.2, S. 791. Dieser Abschnitt und die gesamte Sekundärliteratur sind oft von rabbinischer Literatur aus dem 2. Jahrhundert und später abhängig. Das bedeutet, daß die Erläuterungen und Schlüsse gelegentlich kein Licht auf die Zeit vor den beiden Kriegen mit Rom wirft, als die pharisäischen Sichtweisen noch nicht die Oberherrschaft hatten und noch nicht durch diese jüdischen Traumata verändert worden waren. 4 A. T. Kraabel, The Diaspora Synagogue: Archaeological and Epigraphic Evidence Since Sukenik, ANRW II 19.1 (1979), S. 477-510, hier S. 491-494. 5 Schürer/Vermes, History of the Jewish People, Bd. 2, 1979, S. 425-426. 6 James F. Strange, in: ANRW II 19.1, S. 656-657. 7 Safrai, in: Jewish People 1.2, S.927. 8 Eric M. Meyers und James F. Strange, Archaeology, the Rabbis, and Early Christianity, 1981, S. 145. 9 G.Mussies, in: Jewish People 1.2, S. 1044. 10 Joseph A. Fitzmyer, The Languages of Palestine in the First Century A. D., in: Catholic Biblical Quarterly 32 (1970), S.514 (Text und Übersetzung). 11 Strange, in: ANRW II 19.1, S. 660-661. Zur Theodot-Inschrift vgl. A.Deißmann, Licht vom Osten, 4 1923, S. 378-380 (Abb., Text, Übersetzung und Kommentar). 12 Fitzmyer, Languages, S. 523. 13 Nahman Avigad, Beth She'arim, Bd. 3: Catacombs 12-23, 1971, S. 277-278. 14 Schürer/Vermes, History of the Jewish People,· Bd. 2, §23. 15 Α. Ν. Sherwin-White, Roman Society and Roman Law in the New Testament, 1963, S. 127. 16 Ibid., S. 139. 17 Applebaum, in: ANRW II 8, S. 361. 364. 18 Sean Freyne, Galilee from Alexander the Great to Hadrian, 1980. 19 Eric M. Meyers, in: ANRW II 19.1, S. 697-698. 20 Freyne , Galilee, S. 294. 21 Zu antiochenischen Bürgern in Ptolemais s. Schürer/Vermes, History of the Jewish People, Bd. 2, S. 123. 22 John Wilkinson, Jerusalem as Jesus Knew It, 1978, S. 138-144; vgl. jedoch Jack Finegan, The Archaeology of the New Testament, 1969, S. 157.

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Anmerkungen

23 Wilkinson, Jerusalem, S. 62. 24 Schürer/Vermes, History of the Jewish People, Bd. 2, S. 384-387. 25 Joachim Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu, 3 1962, Kap. 9. 26 Schürer/Vermes, History of the Jewish People, Bd. 2, S. 257. 27 Jeremias, Jerusalem, S. 123f. 289f. 28 Jacob Neusner, From Politics to Piety, 1973, S. 86. 29 Neusner, in: ANRW II 19.2 (1979), S.22. 30 Ibid. 31 Neusner, From Politics to Piety, S.90. 32 J. Klausner, in: The World History of the Jewish People, Bd. 7: The Herodian Period, hrsg. von Michael Avi-Yonah und Zui Baras, 1975, S. 186. 33 Gerd Theißen, Soziologie der Jesusbewegung, 1977, S. 34. 34 Ibid., S. 41. 35 E. Rivkin The Internal City, in: Journal for the Scientific Study of Religion 5 (1965-66), S. 225-240, hier S. 232-233. 36 James Α. Sanders, Adaptable for Life: The Nature and Function of Canon, in: Magnalia Dei: The Mighty Acts of God, hg. von F. M. Cross et al., 1976, S. 531-560, hier S. 535. 37 Louis Finkelstein, The Pharisees: The Sociological Background of Their Faith, Bd. 1, 1946, S. 125-126; Jacob Neusner, A Life of Rabban Johanan ben Zakkai. Ca. 1 - 8 0 CE., 1962, S. 50. 38 Jeremias, Jerusalem, S. 413. 39 Martin Hengel, Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen, in: Abraham unser Vater. FS f. Otto Michel, hg. von O.Betz u.a., 1963, S.243-256. 40 Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis, S. 158-162. 41 M. Jack Suggs, Wisdom, Christology, and Law in Matthews Gospel, 1970. 42 Balch, Wives, S. 69-72, und Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis, S. 177-183. 43 Hengel, Maria Magdalena, S. 243; James M. Robinson, Jesus as Sophos and Sophia: Wisdom Tradition and the Gospels, in: Aspects of Wisdom in Judaism and Early Christianity, hg. von Robert L. Wilken, 1975, S. 1-16. 44 Theißen, Soziologie, S. 88; James A. Sanders, Torah and Paul, in: God's Christ and His People: Studies in Honour of Nils Alstrup Dahl, hg. von Jacob Jervell und Wayne A. Meeks, 1977, S. 132-140. 45 Wolfgang Stegemann, Wanderradikalismus im Urchristentum? in: Der Gott der kleinen Leute. Sozialgeschichtliche Auslegungen II, hg. von W. Schottroff und W. Stegemann, S. 94-120, hier S. 101. 106. 46 Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis, S. 191. 47 David L. Balch, Early Christian Criticism of Patriarchal Authority : 1 Peter 2:11-3:12, in: Union Seminary Quarterly Review 39 (1984), S. 161-174.

Kapitel 5: Das Leben in der Stadt 1 Α. Κ. McKay, Houses, Villas, and Places in the Roman World, 1975, S. 212-217. 2 Bruce W. Frier, Landlords and Tenants in Imperial Rome, 1980, S. 3 - 3 0 . 3 Thucydides II 45; Inscriptiones Latinae Selectae, hrsg. von H. Dessau, Nr. 8394; G. Clark, Roman Women, in: Greece and Rome, 2. Serie, 2 8 ( 1 9 8 1 ) , S . l 93-212; J. P. V. D. Balsdon, Roman Women: Their History and Habits, 1963; Sarah B. Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum, 1985. 4 Moses I. Finley, Aulus Kapreilius Timotheus, Slave Trader, in: Aspects of Antiquity: Discoveries and Controversies, 1960, S. 166. 5 Peter Garnsey, Social Status and Legal Privilege in the Roman Empire, 1970, S. 260-271. 277-280.

Anmerkungen

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6 Gerd Theißen, Soziale Integration und sakramentales Handeln. Eine Analyse von 1 Cor. XI 17-34, in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, 1979, S. 290-317. 7 Wayne A. Meeks, The First Urban Christians, 1983, S. 22-23. 59-61. 8 Ramsay McMullen, Roman Social Relations, 1974, S. 69-72. 132-135. 9 Ronald F. Hock, The Social Context of Paul's Ministry: Tentmaking and Apostleship, 1980. 10 Donald Sperber, O n Pubs and Policemen in Roman Palestine, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 120 (1970), S. 257-263. 11 Michael Grant, Gladiators, 1967; J. P.V. D. Baisdon, Life and Leisure in Ancient Rome, 1969, S. 244-329. 12 H . I. Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, 1957; Stanley F. Bonner, Education in Ancient Rome, 1977. 13 David L.Balch, Let Wives Be Submissive: The Domestic Code in 1 Peter, 1981, S. 36. 55. 74. 76. 14 David C. Verner, The Household of God: The Social World of the Pastoral Epistles, 1983, S. 60-63. 15 Balch, Wives, Kap. 5 - 6 . 16 Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis, 1988, S. 195-202. 17 Balch, Wives, S. 54.97. 18 Ibid., S. 68-69. 19 MacMullen, Roman Social Relations, S. 72-87; F. M. DeRobertis, Storia delle corporazioni e del regime associativo nel mondo romano, 1971. 20 A. D.Nock, Conversion, 1933, S.203. 21 Ibid., S. 228-229. 22 C. Golini, Protesta e integrazione nella Roma antica, 1971, Kap. 1 und 2. 23 Achille Vogliano und Franz Cumont, The Bacchic Inscription in the Métropolitain Museum, in: American Journal of Archaeology 37 (1933), S. 215-270; M. P. Nilsson, The Dionysac Mysteries of the Hellenistic and Roman Age, 1957, bes. Kap. 5. 24 J. H. W. G. Liebeschuetz, Continuity and Change in Roman Religion, 1977, S. 60. 25 Nock, Conversion, S.217. 26 Sharon Kelly Heyob, The Cult of Isis Among Women in the Graeco-Roman World, 1975; vgl. Kap. 6, Anm. 8. 27 Charles Edson, Cults of Thessalonica, in: Harvard Theological Review 41 (1948), S. 181188. 28 Robert Duthoy, The Taurobolium: Its Evolution and Terminology, 1969, S. 103-108.

Kapitel 6: Das Christentum in den Städten des römischen Reiches 1 Α. D.Nock, Early Gentile Christianity and its Hellenistic Background, 1964, S. 134-137; W.R. Wiens, Mystery Concepts in Primitive Christianity and its Environment, ANRW II 23.2 (1980), S. 1248-1284. 2 Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis, 1988, S. 205-236; Hans-Josef Klauck, Hausgemeinde und Hauskirche im frühen Christentum, 1981; David C. Verner, The Household of God: The Social World of the Pastoral Epistles, 1983. 3 Sylloge Inscriptionum Graecarum, hrsg. von Wilhelm Dittenberger, Bd. 3, 3 1920, Nr. 1109, Z. 63-95; Inscriptiones Latinae Selectae, hrsg. von Hermann Dessau, Bd. 2.2, 1906, Nr. 7212, Z. 25-28. 4 E. A. Judge, The Early Christians as a Scholastic Community, in: Journal of Religious History 1 (1960), S.4-15. 125-137 5 Wayne A. Meeks, The First Urban Christians, 1983, S. 78-80. 6 Krister Stendahl, The School of St. Matthew and Its Use of the Old Testament, 2 1968. 7 Abraham J. Malherbe, Social Aspects of Urban Christianity, 1983, S. 53—55.

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Anmerkungen

8 Malherbe, Self-Definition (Kap. 2, Anm. 7); Stanley Κ. Stowers, The Diatribe and Paul's Letter to to the Romans, 1981. 9 Walter Lewis Liefeld, The Wandering Preacher as a Social Figure in the Roman Empire, 1967. 10 Wayne A. Meeks und Robert L. Wilken, Jews and Christians in Antioch in the First Four Centuries of the Common Era, 1978, S. 16. 11 Elma Heinzel, Zum Kult der Artemis von Ephesus, in: Jahreshefte des Österreichischen Archäologischen Instituts in Wien 50 (1972-73), S.243-251; Richard Oster, The Ephesian Artemis as an Opponent of Early Christianity, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 19 (1976), S. 21-44; Robert M. Grant, Gods and the One God, 1986. 12 John Knox, Philemon, in: The Interpreter's Bible, Bd. 11 (1955), S. 557-560. 13 Sherman E. Johnson, Asia Minor and Early Christianity, in: Christianity, Judaism and other Greco-Roman Cults, hrsg. von Jacob Neusner, Bd. 4, 1975, S. 101-104. 14 Stephen Mitchell, Population and the Land in Roman Galatia, in: ANRW II 7.2 (1980), S. 1073-1075. 15 Winfried Ellinger, Paulus in Griechenland, 1978, S. 50. 16 Ibid., S. 92. 17 Charles Edson, Cults of Thessalonica, in: Harvard Theological Review 41 (1948), S. 151204. 18 The Oxyrhynchus Papyri, Teil 11, hrsg. von Bernard P. Grenfell und Arthur S. Hunt (Egypt Exploration Fund, 1915), Nr. 1380, Z. 214-216; David L. Balch, Let Wives Be Submissive, 1981, S.71. 19 Gerd Theißen, Studien zur Soziologie des Urchristentums, 1979, S. 231-317. 20 Allen Brown West, Latin Inscriptions 1896-1926 (Corinth, Bd. 8.3, 1931), Nr. 111. 21 John H. Kent, Inscriptions 1926-1960 Corinth, Bd. 8.3; American School of Classical Studies at Athens, 1966), S. 100; Meeks, First Urban Christians, S. 58-59. 22 Elliger, Paulus in Griechenland, S. 248-249; James Wiseman, Corinth and Rome I, in: ANRW II 7.1 (1979), S.504 Anm. 254; Jerome Murphy O'Connor, St. Paul's Corinth, 1983, S. 150. 23 W. H. C. Frend, The Early Church, 1966, S. 54.

Lektürehinweise Kapitel 1: Historischer Hintergrund Lexikon (illustriert): Biblisch-historisches Handwörterbuch, 1962-1979. Gängige allgemeine Darstellungen der späten Römischen Republik und der frühen Römischen Kaiserzeit (Prinzipat) sind: A.Heuß, Römische Geschichte, 4 1976, Neudruck 1987; K. Christ, Krise und Untergang der römischen Republik, 2 1984; ders., Geschichte der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zu Konstantin, 1988. J. Bleicken, Die Geschichte der Römischen Republik, 3 1988; W. Dahlheim, Geschichte der Römischen Kaiserzeit, 2 1989 (beide Bände enthalten einen Darstellungs- und einen Forschungsteil). Kürzere Darstellungen: M. Crawford, Die römische Republik, 1984; C. Wells, Das Römische Reich, 1985. Die Cambridge Ancient History, Bd. 9 - 1 1 , hg. v. S.A. Cook u. a., 1932-36, wird zur Zeit neu geschrieben. Bisher sind erschienen: Bd. 7/2, The Rise of Rome to 220 B.C., 1989 und Bd. 8, Rome and the Mediterranean to 133, 1989. Zur politischen Geschichte Palästinas: Victor Tcherikover, Hellenistic Civilization and the Jews, 1959, Neudruck 1970; E. Mary Smallwood, The Jews under Roman Rule: From Pompey to Diocletian, 2 1981 ; Emil Schürer, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B . C . - A . D . 135), Neubearbeitung Bd. 1, 197?, Bd. 2, 1978, Bd. 3, 1986; des weiteren Bo Reicke, Neutestamentliche Zeitgeschichte, 3 1982. Zur römischen Gesetzgebung siehe besonders A. N. Sherwin-White, Roman Society and Law in the New Testament, 1963; und allgemeiner J.A. Cook, Law and Life of Rome, 90 B . C . - A . D . 212, 1967. Kapitel 2: Mobilität und Mission Die technischen Voraussetzungen und sozialen Aspekte der Reisen des Altertums illustrieren sehr gut lesbar Lionel Casson, Travel in the Ancient World, 1974; ders., Die Seefahrer der Antike, 1979; H.-Chr. Schneider, Altstraßenforschung, 1982. Vgl. ferner G.Radke, Art. Viae publicae Romanae, in: RE Suppl. Vol. 13, 1973, Sp. 1417-1686. Die klassische Studie zu den Missionsmethoden der heidnischen Kulte und philosophischen Sekten ist nach wie vor A. D. Nock, Conversion: The Old and the New in Religion from Alexander the Great to Augustine of Hippo, 1933; Konversion und Mission wurden kürzlich von Ramsey MacMullen in seinen Büchern Paganism in the Roman Empire, 1981, S. 9 4 - 1 1 2 , und Christianising the Roman Empire, 1984, diskutiert. Zu drei wichtigen Untersuchungen zu den Juden der Diaspora wie auch zu den palästinensischen Juden vgl. S. Safrai und M. Stern (Hgg.), Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum Testamentum, Bd. 1: The Jewish People in the First Century, 1974; Victor Tcherikover, Hellenistic Civilization and the Jews, 1970; und E. Mary Smallwood, The Jews under Roman Rule: From Pompey to Diocletian, 1976. Das Ausmaß des Synkretismus der Juden in der Diaspora wird von Martin Hengel, Judentum und Hellenismus, 2 1973 diskutiert, der dessen Umfang und Bedeutung hervorhebt. A. T. Kraahel, Hypsistos and the Synagoge at Sardis, 1969, S. 8 1 - 9 3 , schätzt den Einfluß des Synkretismus dagegen gering ein.

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Lektürehinweise

Der Bericht über die sozialen Hintergründe der frühen Christenheit basiert hauptsächlich auf Wayne A. Meeks, T h e First Urban Christians. T h e Social World of the Apostle Paul, 1983. Weitere wichtige Beiträge liefern E. A. Judge, Christliche Gruppen in nichtchristlicher Gesellschaft, 1964; John G. Gager, Kingdom and Community: T h e Social Aspects of Early Christianity, 1975; Abraham J.Malherbe, Social Aspects of Early Christianity, 2 1983; und Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis . . . Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, 1988. Vgl. ferner Wayne Α. Meeks (Hg.), Z u r Soziologie des Urchristentums, 1979.

Kapitel 3: Die antike Wirtschaft Vgl. allgemein zur antiken Wirtschaft: Thomas Pekdry, Die Wirtschaft der griechisch-römischen Antike, 1989; H.Schneider (Hg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Römischen Kaiserzeit, 1981 (Aufsatzsammlung); R. Duncan-Jones, T h e Economy of the Roman Empire, 2 1989. Michael I. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiserreich, 2 Bde., 2 1957, Neudruck 1985, sieht die Ursprünge antiker Wirtschaftsmacht in der städtischen Mittelschicht der kleinen Kaufleute und Händler. Moses I. Finley, Die antike Wirtschaft, 1977, unterscheidet zwischen Klasse und Status und betont, daß der soziale Status der wichtigste Faktor in der antiken Gesellschaft war, der das Einkommen der wirtschaftlichen Klassen weitgehend unbedeutend werden ließ. Vgl. die Rezension von H.-P. Kohns, Göttingische Gelehrte Anzeigen 230, 1978, S. 120—132. In zwei Aufsatzsammlungen - Peter Garnsey, (Hg.), Non-Slave Labour in the Greco-Roman World (Cambridge Philological Society), 1980; und ders., Keith Hopkins und C. R. Whittacker (Hgg.), Trade in the Ancient Economy, 1983 werden typische Handelsstrukturen auf den Grundlagen von Finleys Ansatz untersucht. Siehe dazu jetzt auch zusammenfassend: P. Garnsey/Richard Salier, Das Römische Kaiserreich. Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, 1989. G.E.M.de Ste. Croix, T h e Class Struggle in the Ancient Greek World, 1981, liefert eine weitreichende marxistische Interpretation der antiken Wirtschaft bis zum Fall Roms. Ebenso von allgemeinem Interesse sind zwei Arbeiten von A. H. M.Jones, T h e Greek City from Alexander to Justinian, 1940, besonders Kap. 17: Finance, sowie T h e Roman Economy, hg. v. P.A. Brunt, 1974, besonders Kap. 1, 2, 3, 6 und 8. Das mehrbändige Werk Economic Survey of Ancient Rome, hg. v. Tenney Frank, 1933—40, Neudruck 1975, ist immer noch als detaillierte Abhandlung der Daten einzelner Teile des Reiches hilfreich.

Kapitel 4: Die Gesellschaft Palästinas Michael Avi-Yonah gibt in: T h e Jewish People in the First Century 1/1, Kap. 2, Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum Testamentum, hg. v. S.Safrai und M.Stern, 1974, einen Überblick über die historische Geographie und die Demographie Palästinas. Siehe dazu auch T h e World History of the Jewish People, Bd. 7: T h e Herodian Period, hg. v. M. Avi-Yonah und Ζ. Baras, 1975, Kap. 1 - 2 (Α. Schallt) und 4 (M.Stern). Eine wichtige Primärquelle für dieses Kapitel ist Josephus, der auch für die deutschsprachigen Benutzer in der zweisprachigen Ausgabe (griechisch-englisch) der Loeb Classical Library, hg. u. übers, v. H. St.J. Thackeray, Ralph Marcus, Allen Wikgren und L. H. Feldman, 9 Bde., 1926-65, wegen der reichhaltigen Erläuterungen mit Nutzen herangezogen werden kann. Zwei deutsche Ausgaben seien noch genannt: De bello Judaico, 3 Bde., (griechisch-deutsch), hg. v. O. Michel/O. Bauernfeind, 1959-69; Flavius Josephus, Der jüdische Krieg, übers, v. H . Endrös, 4 1987. Sean Freyne, Galilee from Alexander the Great to Hadrian: 323 Β. C. E. to 135 C. E., 1980,

Lektürehinweise

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führt Argumente für die kulturelle Isolation Galiläas an. Freynes Ansichten werden von Eric M. Meyer, T h e Cultural Setting of Galilee: T h e Case of Regionalism and Early Judaism, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 19.1, 1979, S. 6 8 6 - 7 0 2 (fortan zit. als ANRW), korrigiert. A. N. Sherwin-White, The Galilean Narrative and the Greco-Roman World, Roman Society and Roman Law in the New Testament, 1963, eröffnet viele Einblicke. Vgl. außerdem Willibald Bösen, Galiläa als Lebensraum und Wirkungsfeld Jesu, 1985. S. Safrai stellt viele Details des Alltags- und Familienlebens in T h e Jewish People in the First Century. 1/2, Kap. 14-15, in: Compendia, 1976, dar. In Kap. 18 untersucht er die Synagogen. Neue archäologische Funde von Synagogen werden von Erte M. Meyers und James F. Strange, Archaeology, the Rabbis, and Early Christianity, 1981 in Kap. 7 dargestellt. Joseph A. Fitzmyer, T h e Languages of Palestine in T h e First Century A. D., in: Catholic Biblical Quarterly 32, 1970, S.501-531, wird von James F.Strange, Archaeology and the Religion of Judaism in Palestine, in: A N R W II 19.2, 1979, S. 6 5 9 - 6 6 1 , auf den neuesten Stand gebracht. Siehe dazu auch C. Rabin und G. Mussies in: Jewish People 1/2, Kap. 21 und 22. Emil Schürer, T h e History of the Jewish People in the Age of Christ (175 B . C . - A . D . 135), neubearbeitet von G. Vermes, F. Millar und M. Black, 1978, Bd. 2, S. 2 0 - 2 8 und 7 4 - 8 0 , äußert sich nur sehr vorsichtig bezüglich des gesprochenen Griechisch. Griechische Städte werden im selben Band (Schürer/Vermes), S . 8 5 - 183, behandelt; außerdem von V. Tcherikover, Hellenistic Civilization and the Jews, 1970, S. 9 0 - 1 1 6 . Freyne, Galilee, beschäftigt sich in Kap. 4 mit den Städten Galiläas. Die Landeskunst wird von G. Foerster, Jewish People, I 2, Kap. 20, untersucht und von Nahman Avigad, Beth She'arim, Bd. 3: Catacombs 12-23, 1971, Kap. 7, hervorragend interpretiert. S. Applebaum schrieb zwei zusammenfassende Artikel zu den Bauern und der Wirtschaft Palästinas, einen in: Jewish People, 1/2, Kap. 12, und einen anderen in: A N R W II 8, 1977, S . 3 5 5 - 3 9 6 . Im allgemeinen siehe R.McMullen, Roman Social Relations, 50 B . C . to A.D. 284,21976. Das Pilgertum wird von S. Safrai in: Jewish People I / l , S. 191-201, und Bd. 2, S. 8 9 8 - 9 0 4 , beschrieben. Vgl. dazu Joachim Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu, 3 1962, Kap. 3, und Freyne, Galilee, Kap. 7. Außergewöhnlich bekannt ist in den USA John Wilkinsons Zusammenfassung, Jerusalem as Jesus knew it: Archaeology as Evidence, 1978. Zahlreiche Informationen zu der Stadt Jerusalem bieten Jack Finegan, T h e Archaeology of the New Testament, 1969; und Michael Avi-Yonah, World History, Bd.7, Kap. 6. M.Stern, Jewish People I / l , S . 3 4 0 - 3 4 6 schreibt wichtige Kommentare zu der Stellung Jerusalems; ebenso Jeremias, Jerusalem. Jacob Neusner veröffentlichte eine Zusammenfassung seiner Forschungsergebnisse über die Pharisäer in: A N R W II 19.2, 1979, S.3—42; eine frühere Zusammenfassung ist sein Werk From Politics to Piety: T h e Emergence of Pharisaic Judaism, 2 1979. Einiges dazu liegt jetzt auch auf deutsch vor: Das pharisäische und das talmudische Judentum. Neue Wege zu seinem Verständnis, 1984; Judentum in frühchristlicher Zeit, 1988. Vgl. Schürer/Vermes, History of the Jewish People, Bd. 2, § 24 und 26. Viele Fakten sind in Jeremias, Jerusalem, Kap. 8 - 1 1 ; und in Safrai, Jewish People 1/1, Kap. 7, zusammengestellt. E. Rivkin gibt in T h e Internal City: Judaism and Urbanization, in: Journal for Scientific Study of Religion, 1965-66, S. 2 2 5 - 2 4 0 , falsche Definitionen, erlaubt aber auch einige gute Einblicke. Handwerk und Berufe werden von J. Klausner, World History, Bd. 7, Kap. 5; und von Jeremias, Jerusalem, behandelt. Vgl. auch die allgemeinere Darstellung von Robert M. Grant, Christen als Bürger im Römischen Reich, 1981, Kap. 4. Zur Soziologie der Jesusbewegung vgl. Gerd Theißen, Studien zur Soziologie des Urchristentums, 3 1989; s. ferner Elisabeth Schüssler Fiorenza, Z u ihrem Gedächtnis . . . Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, 1988. Eine wichtige Kritik an Theißen findet sich bei Wolfgang Stegemann, Wanderradikalismus im Urchristentum? Historische und theologische Auseinandersetzung mit einer interessanten These, in: Der Gott der

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Lektürehinweise

kleinen Leute. Sozialgeschichtliche Bibelauslegungen, Bd. 2, Neues Testament, hg. v. L. Schott roff und W. Stegemann, 1979, S. 94-120.

Kapitel 5: Stadtleben Kurze Überblicke das Erscheinungsbild und den Bau der Städte in der Periode des Neuen Testamentes betreffend sind zugänglich in R. Ε. M. Wheeler, Roman Art and Architecture, 1964; J. B. Ward-Perkirts, Cities of Ancient Greece and Italy: Planning in Classical Antiquity, 1964; und Pierre Grimal, Roman Cities, übers, und hg. v. Michael Woloch, 1983. Zur sozialen und politischen Struktur der römischen Gesellschaft: G.Alföldy, Römische Sozialgeschichte, 3 1984; J.Bleicken, Verfassung der Römischen Republik, 5 1989 und ders., Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches, Bd. 1, 3 1989, Bd. 2, 2 1982. Vgl. ferner R.MacMullen, Roman Social Relations, 50 B.C. to A . D . 284, 1974; Peter A. Brunt, The Roman Mob, Past and Present 35, 1966, S. 1-27; und Donald C.Earl, The Moral and Political Tradition of Rome, 1967. Einen kurzen Überblick über Frauen in der Antike gibt Sarah B. Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum, 1985. Mary R. Lefkowitz und Maureen Β. Fant, Women's Life in Greece and Rome, 1982, haben eine wichtige Sammlung von ins Englische übersetzten Primärquellen herausgegeben. Weiter sind zu nennen: W. Schuller, Frauen in der griechischen Geschichte, 1985 und ders., Frauen in der römischen Geschichte, 1987 (mit guten Abbildungen); G. Scharffenorth/K. Thraede (Hgg.), Freunde in Christus werden . . . , Die Beziehungen von Mann und Frau als Frage an Theologie und Kirche, 1977, S. 31—182. Gute allgemeine Überblicke über die griechische und römische Religion finden sich bei Robert Muth, Einführung in die griechische und römische Religion, 1988; K. Latte, Römische Religionsgeschichte, 1960; H.J. Rose, Religion in Greece and Rome, 1959. Das Buch von R.M. Oglivie, The Romans and their Gods in the Age of Augustus, 1969, ist 1982 unter dem Titel „ . . . und bauten die Tempel wieder a u f " in deutscher Übersetzung erschienen. Vgl. ferner J.Ferguson, The Religions of the Roman Empire, 1970; und R.M. Grant, Gods and the one God, 1986. Franz Cumont, Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum '1931, Neudruck '1989, ist ein Klassiker, der in einzelnen Punkten von den Bänden der Etudes préliminaires aux religions orientales dans l'empire romain, (ferner zitiert als EPRO), hg. v. M.J. Vermaseren, seit 1960, auf den neuesten Stand gebracht wird. Aus der Reihe EPRO sind ferner hervorzuheben: W. Burkert, Antike Mysterien. Funktionen und Gehalt, 1990 und R. Merkelbach, Mithras, 1984.

Kapitel 6: Das Christentum in den Städten des Römischen Reiches Zu nach Sachgebieten geordneten Überblicken vgl. Adolf Harnack, Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten, 2 Bde., 4 1924; Joh. Weiß, Das Urchristentum, 1917; Helmut Köster, Einführung in das Neue Testament im Rahmen der Religionsgeschichte und Kulturgeschichte der hellenistischen und römischen Zeit, 1980 (vgl. dazu die Kritik von A.J.Malherbe und G. Lüdemann, in: Religious Studies Review 10, 1984, S. 112-120). Zu anderen Arbeiten zu den Kontakten, Verbindungen und Reaktionen zwischen den Christen und ihrer Umwelt vgl. Stephen Benko und John J. O'Rourke (Hgg.), The Catacombs and the Colosseum: The Roman Empire as the Setting of Primitive Christianity, 1971; R. A. Markus, Christianity in the Roman World, 1974; Robin Scroggs, The Earliest Christian Communities as a Sectarian Movement. Christianity, Judaism and Other Greco-Roman Cults, hg. v. J. Neusner, Bd. 2, S. 1-23; R. M. Grant, Christen als Bürger im Römischen Reich, 1981 ; Bruce Malina, The New Testament World: Insights from Cultural Anthropology, 1981; und Robert L. Wilken, Die frühen Christen. Wie die Römer sie sahen, 1986.

Lektürehinweise

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Als Nachschlagewerk eignet sich gut eine detaillierte Zusammenstellung von Informationen zu den einzelnen Städten von Α. H. M.Jones, The Cities of the Eastern Roman Provinces, 2 1971. Aufsätze in Deutsch und Englisch sowie in zahlreichen anderen Sprachen zu vielen in diesem Kapitel behandelten Themen finden sich in den Bänden Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, hg. v. Hildegard Temporini und Wolfgang Haase, ab 1972. Zu genauen archäologischen Beiträgen zu den einzelnen Städten vgl. The Princeton Encyclopedia of Classical Sites, hg. v. Richard Stillwell, 1976. Zu Antiochien vgl. Raymond Brown und John P. Meier, Antioch and Rome: New Testament Cradles of Catholic Christianity, 1983; Glanville Downey, A History of Antioch in Syria: From Seleucus to the Arab Conquest, 1961; Moses Hadas, The Third and Fourth Books of the Maccabees, 1953; Wayne A. Meeks und Robert L. Wilken (Hgg.), Jews and Christians in Antioch in the First Four Centuries of the Common Era, 1978. Zu Kleinasien vgl. David Magie, Roman Rule in Asia Minor, 1950; Merill M. Parvis, Ephesus in the Early Christian Era, in: Biblical Archaeologist 8.3, 1945, S. 6 1 - 7 3 ; Floyd V.Filson, Ephesus and the New Testament, ebd., S. 7 3 - 8 0 ; Otto F. A. Meinardus, St. Paul in Ephesus and the Cities of Galatia and Cyprus, 1979; Sherman E.Johnson, Laodicea and its Neighbors, in: Biblical Archaeologist 13.1, 1950, S. 1 - 1 8 ; und Edwin Yamauchi, The Archaeology of New Testament Cities in Western Asia Minor, 1950. Zu Makedonien vgl. F. F. Bruce, St. Paul in Macedonia, in: Bulletin of the John Rylands Library 61, 1979, S . 3 3 7 - 5 4 . Zu Korinth vgl. Oskar Broneer, The Apostle Paul and the Isthmian Games, in: Biblical Archaeologist 25.1, 1962, S. 1—31; Carl H. Kraeling, The Jewish Community at Corinth, Journal of Biblical Literature 51, 1932, S. 130-60; Jerome Murphy O'Connor, St. Paul's Corinth: Texts and Archaeology, 1983; Gerd Theißen, Studien zur Soziologie des Urchristentums, 3 1989; James Wiseman, Corinth and Rome I: 228 B . C - A . D . 267, in: ANRW II 7.1, 1979, S. 4 3 8 - 5 8 . Zu Rom vgl. G. LaPiana, The Roman Church at the End of the Second Century, in: Harvard Theological Review 18, 1925, S. 2 0 1 - 7 7 ; Harry J. Leon, The Jews of Ancient Rome, 1960; Daniel W. O'Connor, Peter in Rome, 1969; Wolfgang Wiefel, Die jüdische Gemeinschaft im antiken Rom und die Anfänge des römischen Christentums, in: Judaica 26, 1970, S. 6 5 - 8 8 ; Peter Lampe, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten, 2 1989. Vgl. dazu die Kritik von Georg Schöllgen, Probleme der frühchristlichen Sozialgeschichte. Einwände gegen Peter Lampes Buch über „Die städtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten", in: Jahrbuch für Antike und Christentum 32, 1989, S. 23—40. Zu Alexandria vgl. Peter M. Fraser, Ptolemaic Alexandria, 3 Bde., 1972; John Marlowe, The Golden Age of Alexandria, 1971; A. Kasher, The Jews in Hellenistic and Roman Egypt, 1985. Vgl. noch allgemein J.Becker u.a., Die Anfänge des Christentums, 1987; G. Lüdemann, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte, 1987; G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien. Ein Beitrag zur Geschichte der synoptischen Tradition, 1989; L. Schenke, Die Urgemeinde, 1990; L. Schottroff, Befreiungserfahrungen. Studien zur Sozialgeschichte des Neuen Testaments, 1990.

Ich danke Dr. Jürgen Wehnert M.A. für eine Revision der Übersetzung, Dr. Helga Botermann und Prof. Berndt Schaller für fachliche Beratung sowie Silke Röthke, Sabine Dreyer und Andrea Kilian für die Hilfe bei der Herstellung des Manuskriptes. G.L.

Verzeichnis der neutestamentlichen Stellen Mt 2,1 2,22 4,12 4,15 4,25 5,3 5,25f 5,42-6,4 5,43ff 6,9ff 6,19 6,25 8,28ff 9,9ff 9,23 10,3 10,11 10,14 10,29 12,1-14 12,1 lf 12,29 13,3f 13,12 13,33 13,44 13,45f 13,52 13,55 15 16,13 16,24ff 16,24-28 18,12f 18,23-35 18,24 19,4 19,16-22 20,1-16 21,12 21,28 21,33—41 22,2-14 22,15-22 22,23

9 21, 88 88 88 86 62 69 52 101 55 69 102 65 74 80 113 140 103 76 82 65 69 61 109 65 70 61, 86, 99 69 67, 113 141 20, 65 75,94 58 65 69 76 80 52 64, 75 69 61 60, 64 85, 116 58,74 94

23,9 23,15 23,23 24,4ff 24,20 24,41 24,43 25,14-30 25,31—46 26,3 26,69.73 27,1 27,19 27,20.41 27,65 28,1.2 Mk 1,20 2,13 2,l4ff 2,15ff 3,7 3,27 3,3 Iff 4,1 4,25 5,1 5,11-17 5,20 5,24 6,3 6,10f 6,17-27 6,27 6,34 6,37 6,45 7,1-23 7,31 8,27 10,1 10,28ff 10,32 11,8 ll,15ff

102 44, 99 95, 99 101 82 65 69 61, 69, 72 52 21 88 95 93, 107 95 30 80

65 91 74 98 91 69 102 91 109 99 65 86 91 67, 113 52, 103, 140 85 30 91 76 20 98 86, 99 99 90 102 90 91 69, 90

11,17 12,1-9 12,l4ff 12,4lfF 12,42 13,2 14,5 14,58 l4,70f 15,1 15,7 15,9-14.21 15,39 15,40f 16,1 Lk 1,39-56 l,59f 2, Iff 2,2 2,7 2,8-20 2,21.22 2,22-39 2,41 3,2 3,12f 4,17 4,20 5,1-11 5,11 5,28 6,20 6,24f 7,32 7,33ff 7,36 7,38-46 8, Iff 8,2f 8,18 8,32fF 9,4 9,5 9,10

100 60, 64 21, 74 95 76 90 77 90 91 95 22 91 30 100, 140 100

33 80 33, 58 14, 21 80 65 80 33 90 21 74 81 45 64, 65 135 102 62 101 105 100 97 103 100 140 109 65 140 103 20

Verzeichnis der neutestamentlichen Stellen 10,4-11 10,5ff 10,7 10,11 10,22 10,29-37 10,30 10,35 ll,2ff 1 l,21f 11,31 11,37 11,42 12,6 12,16-21 12,33 12,35ff 12,39 12,58f 13,1 13,l4f 13,24 14,5 14,12-24 14,16-24 14,26 14,33 15,4ff 15,8 16,19-31 17,7fF 18,2ff 18,1 Off 18,22 18,28f 19,1-10 19,12-27 20,9-16 20,2 Iff 20,46f 21,2 21,12-28 22,25 22,35 23,4 23,47 24,10 Joh 2,13 4 5,1 7,1-10 7,32 8,1-11

52 135 141 103 100 34 67, 98 76 55 69 100 97 95 76 62 102 60 69 69 90 82 103 65 60 115 102 102 65 79 101, 110 60 60 58 102 135 58, 62, 74 20, 69, 72 ,76 60, 64 21, 74 86 76 58 72 140 93 30 100

33, 90 90 33, 90 33, 90 45 29

10 10,22 11,44 12,1 12,3 12,20 13,5-15 15,20 18,3.12 18,24 18,28 18,31 21,3ff 21,15f APg

65 90 80 90 103 90 103 58 30 21 83 29 64 65

135 1,13.15 2 49 2,1.2 135 90 2,5.9fr 2,10 157 2,42 55, 135 2,Uff 51 2,46 136 3,1-10 52 3,2 92, 105 21 4,5f 4,34 135 4,36f 101 5,6ff 80 94 5,17 30 5,24ff 5,36 98 5,36f 101 22 5,37 6,Iff 49 44, 143 6,5 6,8-8,3 57 81, 90 6,9 7,44-53 49 8,3 135 8,5.14 33 8,14-11,30 57 8,26ff 34 56 8,26-39 8,40 33 9,2 86 9,11.17 135 9,26.35-39 33 9,36 52 114 9,43 10 49 10,1-24 30,33,104,114 10,28 83 10,44fF 56

11,14 11,19-26

175 50, 49, 143, 33, 52,

135 142, 144 143 11,27fr 12 86 23, 57 12,1-19 49 13 13-14 33 144 13,1 149 13,7 13,7-12 51, 58, 108 13,14-14,24 149 45, 81 13,15 13,16 81 13,43 51 49 13,44-14,7 I4,5ff 50, 149 14,8-18 51, 150 14,11 149 57 14,19 144 15 15,1-29 33, 49 15,20.29 83 15,41 150 15,41-21,17 33 150 16,7 148 I6,8ff 146 16,9 16,12 15, 151 34 16,12-15 151 16,13 16,14 67, 111, 114, 148, 152 50, 135 16,15 16,16 151 51 16,16-39 151 16,19-39 16,25-34 51 16,3 Iff 135 16,35.38 151 58 I6,35ff 16,40 67, 111 17,1 151, 152 17, l f 51 17,4 152 34, 135 17,5 17,5-7 57 17,5-10 29 17,9 153 17,10 151 17,12.14-34 152 17,15-34 118 81, 146 17,17 17,17-34 51 17,28 118

176

Verzeichnis der neutestamentlichen Stellen

108 17,34 18 49 18,Iff 37 18,2 154, 158 18,2f 67, 111, 157 18,2ff 51 18,3 95 18,4ff 15 18,7f 51, 155 18,8 50, 135 18,12 104, 155 18,12-17 2 8 , 5 8 , 1 0 8 , 1 5 4 45,50 18,17 18,18 154 18,18-28 37 18,24-28 161 19 145 161 19,1 19,8f 146 19,9 51 19,11-20 51, 145 19,21 151 19,24-27 67 19,24-40 15 19,29-41 105 146 19,33f 19,40 147 20, lf 151 20,4 90, 140 54 20,7 20,8 135 20,16 90 20,20 135 52 20,33ff 21,8 135 21,16 34, 135 21,17 33 21,25 49 21,31-40 30 92 21,32.35 58 21,37ff 21,37-22,24 51 21,38 24 21,39 27 96 22,3 22,16 56 22,26ff 111 22,30-23,10 51 23,3 105 23,8 94 23,8f 97 58 23,16-31 24 51 52 24,17 24 24,24.27

24,27-26,32 25,1 25,1-12 25,6-26,29 25,23 25,26 26,5 27,1 27,1-28,16 27,19-38 28 28,7.14 28,16 28,30 28,30f

24 93 58 51 30 127 96 30 33 35 49 34 51, 156 51, 135 158

Rom 1,5.13f 51 56 6,3f 8 53 9,30-10,4 96 56 10,9 1 l,13f 51 52 12,13 58 13,1-7 82 14,5f 15 49 15,15-21 51 15,19 151 16,lf 35, 136 140 16,Iff 16,3 37, 158 37 16,5 I6,6f 50, 140 16,10.11 158 111 16,13 I6,l4f 134 158 16,15 16,22 35 16,13 51,105,108,135 IKor 1,10-17 1,11 1,12 1,14 1,16 1,18-25 2,3 3,4-6.22 4,6 5-7 6,9ff 6,12 7,39f

156 111, 154 33, 161 155 51, 134, 155 53 153 161 161 154 54 154 80

8-11 8,4ff 8,10 9,4-12 9,25 10,14-22 10,16.17 10,20f 10,21 10,23-33 10,25-31 11 11,5 11,17-34 1 l,18ff 11,22 11,23-32 12 12,2f 13;14 14,15.16 14,23 15,5ff 15,33 15,57 16,2 16,5 16,12 I6,15f I6,15ff 16,19 16,21 2Kor 1,1 l,3f 1,20 2,12 3, Iff 8 8,1-7 8,14 8,19 9,4.6 9,9f 10-13 11 11,24 1 l,25ff 11,32 12,20 Gal 1,1 1,13

116,

54, 55,

137, 37, 134,

154 53 83 140 154 55 55 124 55 98 125 136 154 110 55 155 55 53 53 54 55 135 50 118 55 54 151 161 134 155 154 36

153 55 55 148 35 35 35 155 140 155 72 119 141 32 34 86 156

50 98

Verzeichnis der neutestamentlichen Stellen 1,16 1,17 1,19 2 2,7flf 2,11 2,1 Iff 2,11-18 2,12ff 3,5 3,13 3,26-4,7 3,28 5,19ff 6,11 Eph 1,21 2,1-5,6 2,16 3,10 3,21 4,1-16 4,8 4,22-5,20 4,28 5-6 5,18fr 5,21-33 5,32-6,9 Phil l,3ff 1,19 2,6-11 2,17 2,25ff 3,5f 3,20 4,10fr Kol i,i5fr 1,16 1,18 2 2,1 2,8 2,12f

51 33, 50 50 49 51 33 49, 96, 141 143, 144 98 55 72 53 53 51, 53 54 36

146 56 53 146 55 53 146 54 52 136 54 51 54

35 72 54 72 72 96 37 35

54 146 135 53 149 146 56

2,15 2,20 3,5-14 3,9ff 3,l6f 3,18-4,1 3,18-4,4 4,13fF 4,15 4,18 IThess 1,9 l,9f 2 3,2ff 4,13-18 4,13-5,11

146 56, 146 54 56 54 54 51, 146 149 51, 134, 135 36

53 152 141 53 53 54

2Thess 2,3 2,6-12 3,17

58 58 36

lTim 2, Iff 2,2 2,8 2,9-15 5,3 5,13

58 58 54 51 52 135

177

12-13 13,Iff 13,12

52 52 91

Jak 2,2-12 2,l4ff 2,19 4,13 5,1-6 5,4

51 52 124 66 69 64

IPetr 1,3-21 2—4 2,13f 2,16-3,39 2,18 3,1 3,1-7 4,3ff 4,9 4,11 5,8ff 5,12 5,13

53 147 58 54 135 135 51 54 52 72 58 35 159

ljoh 3,17-23

52

2Joh 4-10

52

2Tim i,i6fr 3,6.8

147 135

3Joh 5-10 6

52 140

Tit 1,5 1,12 3,1

33 118 58

Jud 12-13

55

Phlm 2 10 10-18 22 Hebr 10,21-31 12

105, 134 135 36 34, 105

56 58

Apk 1,10 2-3 4,11 5,14 1 l,17f 16,14 18 18,2 22,14-15

54 . 147-149 54 55 54 124 58 124 54

Verzeichnis der Namen und Orte Achaia 28, 33, 108, 154 Adiabene 4 3 Afrika 13 Agrippa I 23, 24 Ägypten 9, 12f, 37, 43, 46, 48, 82, 131f, 153, 156, 162 Alexander von Abonuteichus 3 8 , 4 1 , 139 Alexander der Große 9, 10, 16, 52, 138, 144, 15 Iff, 161 Alexandrien 35, 37, 39, 45f, 48, 141, I 6 l f Antiochien 29, 33, 49, 57, 88, 92f, 96, 141 ff, l 4 9 f , 159f Aphrodite 40, 153f Apollonius von Tyana 37f, 140 Apollos 37, 161 Aquila s. Priskilla Archelaus 2 0 , 2 1 , 8 5 , 8 8 Aristobul 1 8 , 7 8 , 9 4 , 1 5 8 Artemis 67, 123, 132, l 4 5 f , 150 Asklepius 38, 126 Athen 39, 42, 51, 99, 108, 114, 129 Augustus 12, 14, 19f, 27, 60, 74, 87, 108, 123, l 4 2 f , 147, 151, 153, 157, 161 Bar Kochba 25, 79, 8 3 Barnabas 29, 50, 141, 144, 150 Bethsaida 20, 98 Bithynien 28, 50, 115, 128, 150 Cäsarea 19f, 23f, 33, 49, 57, 84, 86, 101, 127 Cäsarea Philippi 20 Chloë 111 Cicero 26, 36, 6 I f , 68, 84, 99, 113, 117, 156 Claudius 23, 37, 48, 123, 147, 158, 160 Damaskus 57, 84, 86 Dekapolis 18f, 65, 86, 99 Delos 37f, 81 Demeter 40, 128, 154 Dionysos (Bacchus) 40, 41, 129f, 152, 156 Domitian 44, 127, 147, 157, 160 Edomiter 11 Eleusis 129

Ephesus 15, 33, 37, 51, 67, 105, 132, 134, I45f, l 4 8 f Epikuräer 4 l f , 84, 118, 138f Essener 55, 82, 101 G ai us (Caligula) 20, 22, 48, 128, 143, 147 Galatien 12, 149 Galiläa 7, 9, 18ff, 33, 4 3 , 78f, 82, 85, 88f Gallio 28, 156 Hadrian 7, 9, 13, 25, 28, 79, 148 Hasmonäer 18f, 22, 86f, 92 Herodes Agrippa 19f, 86f Herodes Antipas 19ff, 74, 79, 85, 89, 100, 144 Herodes der Große 60, 84ff, 90ff, 97, 143, 157 Hillel 88, 95, 97, 99 Idumäer 1 1 , 1 9 , 7 8 Ignatius 135, l 4 l , 145, 148, 159f Isis 40, 120, 1 3 l f , 152, 154 Iulius Cäsar 12, 58, 123, 127, 142, 147, 151, 153, 157 Jahwe 40, 152 Jakobus 29, 141, 145 Jamnia 2 3 , 7 9 , 8 1 , 8 6 Jerusalem 7, 1 6 - 2 6 , 29f, 33, 36, 40, 4 2 , 44, 47ff, 5 l f , 79ff, 84, 86f, 89ff, 100, 104, 117, 135, 141 ff, 146, 157, 161 Jesus 9, 20f, 29f, 33, 53ff, 58, 62, 65, 72, 78, 81, 88, 92, 98, lOOff, 108, 120, 134, 140, 148, 152 Johanan ben-Zakkai 86, 89, 95 Johannes der Täufer 21, 30 Joppe (Jaffa) 33, 65, 79, 86f Josef 58, 67 Josephus 42f, 81, 87, 89f, 94f, 97, 99, 141, 157 Judäa 7f, 1 lf, 1 4 - 2 4 , 29f, 33, 48, 74, 78f, 85, 87f, 91, 93, 96, 108, l 4 3 f , 156f Kapernaum 79, 97, 99f, 102 Kleinasien 9 , 3 5 , 4 9 , 5 8 , 7 1 , 1 3 1 , 1 4 1 , I49f, 152

Verzeichnis der N a m e n und O r t e Kleopatra 10, 12, 120, 153, 161 Kolossä 105, 149 Korinth 2 8 , 3 3 , 3 7 , 5 1 , 5 5 , 1 0 2 , 1 0 5 , 108, 114, 125, 136, 151, 153ff, 158f, 161 Kybele 150 Kyniker 36, 41, 139f Laodizea 149 Lykaonien 50 Makedonien 10, 33, 141, 152f, 155 Mactaris 6 3 , 1 1 0 Marcus Antonius 12, 60, 92 Maria 3 3 Matthäus 138f, l 4 4 f Mesopotamien 12f, 16, 4 3 Milet 147, 148 Mithras 133 Musonius Rufus 140 Nebukadnezar 42 Nero 24, 31, 57, 127f, 157, 159f Octavian 12, 152 Onesimus 36, 109, 148 Osiris 4 0 , 131 Palästina 7, 12, 35, 60, 65, 78ff, 83ff, 94, 97, lOOff, 105 Pamphylien 150 Paulus (Saulus) 24, 26ff, 33ff, 37, 45, 49ff, 53ff, 57f, 67, 81f, 92, 96, 98, 101, 105, l l O f , 114, 116, Π 8 , 134ff, 138, l 4 0 f , 144 ff, 150ff, 161 Peräa 2 0 , 2 3 , 7 4 , 7 8 Pergamon lOf, 120, 147 Petrus 49, 96, lOOf, 135, 158f Pharisäer 7, 16, 20, 55f, 78, 83, 94ff, 101 Philadelphia 16, l 4 8 f Philemon 105, 124, 148, 150 Philippi 15, 29, 67, 1 5 l f Philo 46, 81f, 88, 92, 95, 161 f Phöbe 136 G r o ß e Muttergöttin von Phrygien 41 Plinius der Jüngere 28, 62, 64f, 69, 113, 115, 128, 150

179

Pompeius der Große 1 lf, 18, 35, 78f, 86f, 91, 117, 142, 147, 156 Pontius Pilatus 22, 29, 58, 83, 92, 108 Pontus 37, 147, 150 Priskilla 37, 50f, 67, 108, 111, 114, 134, 155, 157f Ptolemäus 10, 11, 16 Pythagoräer 138 Quinctilius Varus 20 Quirinius 1 4 , 2 1 , 2 2 Rom 11, 14, 19, 27f, 31, 33, 35, 42, 45, 48, 51, 57f, 69, 73, 79, 84, 97, 105, 127, 130, 141, 151, 156ff Sadduzäer 16, 82, 93f, 99, 101 Samaria, Samaritaner 18, 20f, 33, 57, 76, 84, 86f, 101, 160 Sardes 42, 44, 148 See Genezareth 65, 81, 87ff, 97 Seleukus 10, 17, 142 Sepphoris 19, 78, 85, 87ff, 99ff Serapis 37ff, 131, 152 Sergius Paulus 108, 149 Severus, Alexander 137, 149 Smyrna 148 Stephanas 134, 136, 155 Stephanus 1 9 , 4 9 , 5 7 Stoiker 84, 118 Syrien 9, 1 iff, 16, 18, 21 f, 37, 74, 105, l4lf Thessalonich 29, 81, 132, 135, 1 5 l f Tiberias 21, 79, 85, 87ff, 99, 100 Tiberius 22, 44, 87, 147 Titus 2 4 , 4 8 , 7 4 , 1 2 7 , 1 4 4 Trajan 13, 28, 73, 150 Trimalchio 63, 111 Troas 33, 105, 146 Vespasian

12, 24, 39, 64, 86f, 89, 127

Zeloten 22ff, 90 Zeus 1 7 , 4 0 , 4 6 , 1 5 0

Eduard Lohse Umwelt des Neuen Testaments (Grundrisse z. Neuen Testament 1). Mit zwei Karten und zwei Ubersichten im Anhang sowie einer Skizze im Text. 8., durchgesehene und ergänzte Aufl. 1989.224 Seiten, kartoniert (ISBN 3-525-51360-7) „Bemerkenswert ist die meisterhafte Darstellungskraft des Verfassers, der sein Buch auch für Nichttheologen leicht lesbar geschrieben hat und zugleich das Interesse des Theologen wachhält. Seine Urteile sind stets historisch gut fundiert und theologisch begründet." Reformierte Kirchenzeitung

Manfred Jacobs Das Christentum in der antiken Welt Von der frühkatholischen Kirche bis zu Kaiser Konstantin. (Zugänge zur Kirchengeschichte, Band 2 / Kleine Vandenhoeck-Reihe 1510). 1987. 202 Seiten mit 4 Karten, kartoniert (ISBN 3-525-33510-5) Wie konnte aus der Jesus-Bewegung und der Jerusalemer Urgemeinde innerhalb von rund zwei Jahrhunderten eine katholische Großkirche entstehen? Ist dieser Weg ein Abfall von den Ursprüngen, oder handelt es sich um eine sachgemäße Entfaltung dieser Ursprünge? Die Frage nach der Entstehung des Papsttums ist damit genauso angeschnitten wie die nach dem Lehrkonsensus der alten Kirche, die im ökumenischen Gespräch heute eine große Rolle spielt. Der Verfasser prüft unter Heranziehung der wichtigsten Quellenstücke sorgfältig die Ereignisse und nimmt den Leser so in das Gespräch mit der alten Kirche hinein.

Gottfried Brakemeier Der ,Sozialismus" der Urchristenheit (Kleine Vandenhoeck-Reihe 1535). Experiment und neue Herausforderung. 1988. 60 Seiten, kartoniert (ISBN 3-525-33545-8) Die Gütergemeinschaft der ersten Christen in Jerusalem wird nicht selten mit Befremden registriert. Muß ein Christ ein Kommunist sein? Oder kann das Experiment der Urgemeinde als zeitbedingt und fragwürdig abgetan werden? Der brasilianische Neutestamentier und Kirchenpräsident geht diesen Fragen aus lateinamerikanischer Perspektive nach. Neben exegetischen Überlegungen stehen Untersuchungen zu den theologischen Voraussetzungen der urchristlichen Praxis. Aber das Hauptinteresse gilt der Frage nach der Relevanz des urchristlichen Beispiels für Kirche und Gesellschaft heute.

Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen und Zürich