Doing Generation: Zur Inszenierung von generationeller Gemeinschaft in deutschsprachigen Schriftmedien [1. Aufl.] 9783839418369

Generation Golf, Generation Praktikum, 89er-Generation, Generation Ally, Generation Doof - überall ist die Rede von Gene

174 57 2MB

German Pages 316 Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Doing Generation: Zur Inszenierung von generationeller Gemeinschaft in deutschsprachigen Schriftmedien [1. Aufl.]
 9783839418369

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Playing the Generation Card
2. Generation Studies
3. Generationelle Ordnungen
Genealogien
Historische Phänomene
Differenzierung
Popularisierung
4. Generationelle Beziehungen
Identität: Generationalität
Differenz: Generationelle Verhältnisse
Prozess: Generativität
5. Generationelle Gattungen
Generationen lesen, Generationen schreiben
(Auto)Generatiographien
ZeitgeistZeitschriften
Schwärme in Netzen
6. Generation Building
Intern: Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein
Extern: Die Nachfahren der Gegengegenkultur
7. GenerationenÖkonomik
8. KrisenGenerationen – GenerationenKrise
Literatur

Citation preview

Björn Bohnenkamp Doing Generation

Für Johanna

Björn Bohnenkamp (Dr. phil.) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Marketing Center Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind Generationendiskurse, Fernsehästhetik, Consumer Culture Theory und Medienmarketing.

Björn Bohnenkamp

Doing Generation Zur Inszenierung von generationeller Gemeinschaft in deutschsprachigen Schriftmedien

Zugl. unter dem Titel »Playing the Generation Card. Schreiben und Lesen von Generationen um 2000« Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln (2010)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Johanna Maria Lammert Umschlagabbildung: air immobile (Urheber und Copyright) Satz: Björn Bohnenkamp Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1836-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7 1.

Playing the Generation Card | 9

2.

Generation Studies | 19

3.

Generationelle Ordnungen | 27

Genealogien | 29 Historische Phänomene | 31 Differenzierung | 36 Popularisierung | 40 4.

Generationelle Beziehungen | 47

Identität: Generationalität | 48 Differenz: Generationelle Verhältnisse | 54 Prozess: Generativität | 66 5.

Generationelle Gattungen | 79

Generationen lesen, Generationen schreiben | 81 (Auto)Generatiographien | 101 ZeitgeistZeitschriften | 129 Schwärme in Netzen | 157 6.

Generation Building | 195

Intern: Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein | 205 Extern: Die Nachfahren der Gegengegenkultur | 234 7.

GenerationenÖkonomik | 261

8.

KrisenGenerationen – GenerationenKrise | 275 Literatur | 287

Vorwort

Auch an der Erstellung dieses Buch sind verschiedene Generationen beteiligt. Nicht zuletzt hat es meine Generation an Stipendiaten am DFG-Graduiertenkolleg »Generationengeschichte« einer anderen Generation an Forschern zu verdanken, dass unsere Förderung erst möglich gemacht wurde. Da sei zu allererst und immer wieder Professor Bernd Weisbrod genannt, dessen Engagement zu verdanken ist, dass sich an der Georg-August-Universität ein solch inspirierender Forscherkreis zur Generationenforschung etablieren konnte. Seine Anregungen zu Generationen haben sich vermutlich in alle unsere Arbeiten eingeschrieben. Besonders hat er durch seine Kommentare bei allen Kolloquien, Workshops und Konferenzen zum Weiterdenken gezwungen, aber auch im besten Sinne des wissenschaftlichen Arbeitens zum Widerspruch angeregt. Vermutlich gehört auch der generationelle Konflikt in der Diskussion zwischen etablierten und kenntnisreichen Forschern und ihren jungen Herausforderern im Wissenschaftsbetrieb zu einem der wichtigsten Treiber des Wandels. Ich war während meiner Promotionszeit in der glücklichen Lage, von der Inspiration nicht nur einer Universität zu profitieren. An der Universität zu Köln, an der ich mit dieser Arbeit promoviert wurde, hat mich vor allem Professor Irmela Schneider über Jahre hinweg in meiner wissenschaftlichen Entwicklung begleitet und meinen medienkulturwissenschaftlichen Blick auf die Welt geschärft. In der Zeit der Doktorarbeit war ihre Betreuung nicht nur sorgfältig, sondern auch immer wieder inspirierend. Neben ihr möchte ich auch Professor Günter Blamberger für die Übernahme des Zweitgutachtens danken. Nicht zuletzt bin ich sehr dankbar über die vielen Jahre, in denen ich für Professor Wilhelm Voßkamp arbeiten durfte und in denen ich viel über Literatur, Medien

8

| DOING GENERATION

und die Wissenschaft gelernt habe. Besonders genossen habe ich meine Zeit am German Department an der Princeton University, in der ich mit Professor Nikolaus Wegmann das Thema Medien und Generationen aus den unterschiedlichsten Perspektiven diskutieren durfte. Viele seiner Ratschläge klingen noch heute bei mir nach. An der Universität Göttingen richtet sich mein Dank auch an Professor Carola Lipp und Professor Gerhard Lauer, die gerade durch ihre transdisziplinären Ratschläge meine Annäherung an das Thema sehr bereichert haben. Schließlich gebührt mein Dank auch Professor Thorsten HennigThurau, der mir am Lehrstuhl für Marketing und Medien zuerst in Weimar, dann in Münster die Möglichkeit eingeräumt hat, meine ›fachfremde‹ Forschung zu Ende zu führen. Nicht zuletzt ihm ist zu verdanken, dass ich das Thema der Generationen auch aus einer Markenperspektive neu durchdacht habe. Doch nicht nur den vorherigen Generationen, sondern auch den Mitstreitern meiner eigenen Generation möchte ich danken. In den Kolloquien von Professor Lauer, Professor Schneider, Professor Voßkamp und Prof. Weisbrod durfte ich meine Überlegungen zur Diskussion stellen und habe immer wieder hilfreiches Feedback erhalten. In Göttingen geht mein Dank besonders an Lars Klein, Christina May, Markus Neuschäfer, Eva-Maria Silies, Kai Sina, Nadine WagenerBöck und Gudrun Weiland; in Köln vor allem an Thomas Bourry, Jasmina Haskic, Professor Isabell Otto und Silke Rösler; an verschiedensten Orten immer wieder auch an Laura Frahm. Ein besonderer Dank gebührt auch karteileiche, messypulp, spitzmaus, sputniksweetheart, telerakete und vielen anderen, die mich im jetzt-Kosmos begleitet haben und mir dort zu mancher Einsicht verholfen haben. Zum Erfolg einer Doktorarbeit tragen jedoch auch diejenigen bei, die nicht in erster Linie eine fachliche, sondern eher eine persönliche Unterstützung waren. Zuallererst danke ich meinen Eltern Marita und Horst-Dieter und meinen Schwestern Berit und Lena, die auf allen Umwegen meiner universitären Entwicklung stets ein großer Rückhalt für mich waren. Aber auch meinen Freunden bin ich zu Dank verpflichtet; auch wenn ich gerade in den letzten Monaten der Promotion so manche Einladung absagen musste und so manche Email unbeantwortet ließ, waren sie stets für mich da. Doch mein größter Dank gebührt Johanna Lammert, ohne die nichts wäre, wie es ist.

1. Playing the Generation Card

Generation Golf, Generation Golf II, Generation Golfkrieg, Generation Golfschläger, Generation Minigolf, Generation Gold, Generation Tristesse, Generation Zuversicht, Generation Wunderbar, Generation Geil, Generation Rastlos, Generation Ratlos, Generation Hoffnungslos, Generation ohne Bindung, Generation Flex, Generation Emotion, Mitgenommene Generation, Skeptische Generation, Flakhelfer-Generation, Aufbau-Generation, Generation der misstrauischen Patriarchen, Generation der Intellektuellen, Generation Sportlehrer, Generation Praktikum, Generation Bachelor, Generation Gründerzeit, 64erGeneration,

68er-Generation,

77er-Generation,

78er-Generation,

80er-

Generation, 89er-Generation, 94er-Generation, 99er-Generation, Generation 2000, Generation A, Generation N, Generation X, Generation Y, Generation Nix, Generation XTC, Generation @, Generation.de, Generation Jamaika, Generation Zertifikate, Generation Berlin, Generation Reform Generation Lounge, Generation Soap, Generation Ally, Generation Doof, Generation Nora, Generation NEON, Generation LAN, Generation Klingelton, Generation Jamba, Generation Upload, Digitale Generation, generation-kick.de, Sophisticated Generation, Generation Pissnelke, Beat Generation, Generation Plus, Generation des Unbedingten, Generation des Bedingten, Generation der Widersprüche, Generation der Wende, Generation Ost, Vereinigte Generation, Deukische Generation, Generation Terror, Generation IKEA, Generation Umhängetasche, Generation Wickeltasche, Generation jetzt.

Kann man Generationen noch ernst nehmen? Fast täglich findet man in Zeitungsartikeln, in Buchtiteln oder auch in den vielfältigen Äußerungsformen des Internets neue Generationen oder neue Thesen zu bekannten Generationen. Es scheint ein populäres Spiel zu sein, sich neue Begriffe auszudenken, Vermutungen, Behauptungen oder Theorien zu Generationen in den Raum zu stellen.

10

| DOING GENERATION

Es muss eine Aura geben, die das Reden über Generationen begleitet, einen Zauber, dem mancher nicht widerstehen kann. Generationen, nein, das Reden über Generationen gibt Versprechen ab, Versprechen auf neue Meinungen, auf neue Thesen, auf neue Erkenntnisse; der Generationenbegriff verspricht spontane Evidenz. Er trägt das Versprechen in sich, etwas über Zeit zu sagen, und häufig: etwas über eine neue Zeit zu sagen. Man muss diese Thesen wohl etwas einschränken: Ich spreche über die Situation im deutschsprachigen Bereich. Andere Kulturen mögen andere Zauberwörter haben, an denen sich im Nu Debatten entzünden können. Stellt man sich in den Vereinigten Staaten als Generationenforscher vor, erntet man weder einen skeptischen, noch einen begeisterten Blick, sondern schaut in ein leeres, teilnahmsloses Gesicht. Generationendebatten sind in den USA weit weniger verbreitet als in Deutschland. Andere gesellschaftliche Identitäten und Differenzen spielen eine viel größere Rolle, so beispielsweise das Thema Rasse: Die Kulturwissenschaftlerin Linda Williams spricht davon, dass in den Vereinigten Staaten der Begriff der Rasse ein »frequently invoked mantra«1 ist. Sie untersucht diese These in ihrem berühmten Buch Playing the Race Card. Jeder weiß in Amerika, wie das Ausspielen der Rassenkarte funktioniert. In Deutschland wird hingegen besonders häufig die Generationenkarte gespielt, hier kennen viele die Spielregeln. Daher ist es auch schwierig, harm- und arglos über Generationen zu sprechen. Stellt man sich in Deutschland als Generationenforscher vor, lauten die Fragen: »Und, was hältst du von dieser und jener Generation ABC?« oder »Wie lautet denn Ihre Einschätzung der aktuellen Generation?« Es werden sofort Thesen, Meinungen, Erkenntnisse zum Stand der Dinge eingefordert: Was ist die Lage der Generationen? Was sind die Brüche zwischen den Generationen, die wirklich relevant sind? Umso überraschender vielleicht, wenn sich diese Studie an dieser Stelle gleich von einigen Lesern verabschieden muss. Die Wahrheit über die neue Generation steht hier nicht. Hier kann man nicht lesen, was Generationen prägt, was sie bewirken, wie sie funktionieren, denken, fühlen, wie sie das Land, das Denken, die Kultur verändern. Hier wird nicht erzählt, was sie von anderen Generationen abhebt, was der

1

Williams, Linda: Playing the Race Card. Melodramas of Black and White from Uncle Tom to O. J. Simpson, Princeton/Oxford 2002, S. 5.

P LAYING THE G ENERATION C ARD | 11

eine Unterschied ist, der sie vor anderen Generationen auszeichnet. Hier wird man vermutlich auch nicht entdecken, warum welche Generation eigentlich die beste ist. Auf dieses populäre Spiel möchte ich mich nicht einlassen. Stattdessen geht es darum, eine so populäre Semantik wie die der Generation ernsthaft zu untersuchen und die Frage zu stellen, wie dieses Generationenspiel abläuft.2 Denn auch in der Wissenschaft hat diese ›ernste‹ Perspektive auf Generationen Konjunktur: Tagungen und Sammelbände häufen sich in den Feldern der Geschichts-, Sozial und Kulturwissenschaften. So zirkuliert die Semantik von Generationen zugleich in Wissenschaften und Populärkultur. Doch auch die vermeintlich ernsthafte Wissenschaft bedient sich nicht immer eines ausgefeilten theoretischen Konzepts, sondern verlässt sich mitunter auf das alltagsintuitive Verständnis des Generationsbegriff, verwendet den Begriff nicht immer ohne ein aufmerksamkeitshaschendes Kalkül. Warum zieht der Generationenbegriff stets eine solche Aufmerksamkeit auf sich, warum entzünden sich an ihm im Nu komplexe Kontroversen und wie verdichten sich in der Nennung von Generationen ganze Erzählungen? Jüngste Sammelbände haben ihren Blick darauf gelenkt, wie Generationen als Erzählung funktionieren und damit die Perspektive auf das kommunikative Prozessieren von Generationen verschoben.3 Damit wird die Generation zu einer genuinen Problemstellung der Medienkulturwissenschaft, gehören doch zu ihren Gegenständen diejenigen »medialen Verfahren, in denen etwas zum Vorschein gebracht wird oder vorgezeigt und auf diese Weise zuallererst zu einem Phänomen wird, das kommunikative Aufmerksamkeit bindet und soziale Handlungsmacht aktiviert.«4 Anhand des überschäumenden Generationendiskurses in den Massenmedien lässt sich ablesen, wie sehr Generationen kommunikative Aufmerksamkeit binden – und

2

Vgl. zu einer ›ernsten‹ Perspektive auf populäre Semantik: Stäheli, Urs: »Exorcising the ›Popular‹ Seriously: Luhmann’s Concept of Semantic«, in: International Review of Sociology 1 (1997), S. 127-144.

3

Vgl. z.B. Kraft, Andreas/Weißhaupt, Mark (Hg.): Generationen: Erfahrung – Erzählung – Identität, Konstanz 2009; oder Bohnenkamp, Björn/Manning, Till/Silies, Eva-Maria(Hg.): Generation als Erzählung, Göttingen 2009.

4

Balke, Friedrich: »Medien und Verfahren der Sichtbarmachung: Positionen eines Forschungsprojekts«, in: Transkriptionen 5 (2005), S. 2-4, hier S. 2.

12

| DOING GENERATION

in immer schärfer werdenden Debatten zum Schlagwort der Generationengerechtigkeit lässt sich auch die Mobilisierung sozialer Handlungsmacht beobachten. Beispielhaft hierfür ist die Gründung der ›Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen‹, die sich als politische Lobby-Institution versteht.5 Schon Reinhold Sackmann hat vom Deutungsmuster Generation gesprochen, das nicht nur Realität konserviert, sondern auch Realität schafft.6 Generationen sind also immer auch Effekte von Medien und Kommunikation. Mark Roseman beschreibt so konsequenterweise Generationen als »Imagined Communities«7 und lehnt sich damit an Benedict Andersons Überlegungen zur Nation an. Andersons Beschreibungen der Semantik der Nation lassen sich verblüffend leicht auch auf die Semantik der Generation übertragen: Once created, they became ›modular‹, capable of being transplanted, with varying degrees of self-consciousness, to a great variety of social terrains, to merge and be merged with a correspondingly wide variety of political and ideological constellations.8

Ist der Begriff der Generation einmal in der Welt, wandelt er sich, verändert er seine Tragweite, wird mal zu einem wissenschaftlichen Grundbegriff, mal zu einer Floskel im Alltagsgespräch, wird in den verschiedensten Zusammenhängen verwendet, modularisiert sich, zerlegt sich in Teilbedeutungen, verbindet sich mit anderen Vorstellungen

5

www.generationen Vgl. hierzu beispielsweise die Homepage gerechtigkeit.de und die regelmäßige Publikation der Zeitschrift

6

Vgl. Sackmann, Reinhold: »Das Deutungsmuster ›Generation‹«, in: Mi-

»Generationengerechtigkeit«. chael Meuser/ders. (Hg.): Analyse sozialer Deutungsmuster. Beiträge zur empirischen Wissenssoziologie, Pfaffenweiler 1992, S. 199-215, hier S. 199. 7

Roseman, Mark: »Generationen als ›Imagined Communities‹. Mythen, generationelle Identitäten und Generationenkonflikte in Deutschland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert«, in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, S. 180-199.

8

Anderson, Benedict: Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1996, S. 4.

P LAYING THE G ENERATION C ARD | 13

von Wandel, von Konflikt, von Eliten, von Familie, von Gesellschaft und vielem mehr. Generation entwickelt sich zu einem universalen Begriff – wenn Anderson schreibt »Everyone can, should, will ›have‹ a nationality«, dann lässt sich mittlerweile ergänzen: »Jeder kann, sollte, wird eine Generation haben.«9 Eine kulturwissenschaftliche Generationenforschung kann sich daher von den Erkenntnissen zu anderen kulturellen Formationen wie Nation, aber auch wie Rasse, Geschlecht oder Klasse inspirieren lassen. Schon Karl Mannheim leitete über den Klassenbegriff den Generationenbegriff her.10 Die Geschlechterforschung schließlich hat grundlegend damit aufgeräumt, dass es sich bei Geschlechtern um etwas schlicht Natürliches handelt. Spricht man von »Doing Gender«, so geht man davon aus, dass Geschlechter nicht immer schon präsent sind, sondern performativ immer wieder erst hervorgebracht werden müssen.11 Ebenso – das ist zumindest die These dieses Buches – sind auch Generationen nichts Natürliches, sondern werden stets in Inszenierungen erst hervorgebracht. Es soll nicht darum gehen, Generationen als etwas sozial Konstruiertes zu ›entlarven‹. Wie Ian Hacking herausgestellt hat, folgen aus der wissenschaftlichen These, etwas sei »sozial konstruiert«, in den meisten Fällen gleich noch weitere Argumentationsschritte.12 Das sozial Konstruierte wird nicht nur als Konstruktion offen gelegt, sondern in einem zweiten Schritt gleich als schlecht gebrandmarkt. In einem dritten Schritt, den Hacking als rebellisch einstuft, werde eine Welt gefordert ohne das bisher Konstruierte. Nicht wenige gehen allerdings noch über die Rebellion hinaus und versuchen, diese Welt tatsächlich durchzusetzen – sie bezeichnet Hacking als Revolutionäre. Ich werde mich jedoch nicht auf die Straße begeben, um die Abschaffung von

9

Ebd., S. 5.

10 Vgl. Mannheim, Karl: »Das Problem der Generationen«, in: ders., Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, Berlin/Neuwied 1984, S. 509565. [ursprünglich: Mannheim, Karl: »Das Problem der Generationen«, in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie, 2 (1928).], hier S. 525ff. 11 Vgl. West, Candace/Zimmerman, Don H.: »Doing Gender«, in: Gender & Society 1 (1987), S. 125-151. 12 Vgl. Hacking, Ian: Was heißt »soziale Konstruktion«?, Frankfurt/M. 1999, S. 39ff.

14

| DOING GENERATION

Generationen zu fordern, sondern mich hier auf die Diagnose einer sozialen Konstruktion beschränken: X, von dem wir glaubten, es sei ein unvermeidlicher Teil der Welt oder unseres Begriffsgerüsts, hätte ganz anders sein können. Dennoch sind wir an X gebunden, denn es bildet einen Teil unserer Denkweise, der sich vielleicht eigenständig weiterentwickeln wird, an dem wir aber augenblicklich nicht viel ändern können.13

In dieser Haltung kann ich mich Hacking anschließen und »im Hinblick darauf, ob X gut oder schlecht ist, völlig unverbindlich bleiben«14 – und in diesem Falle setze man für X die Generation ein. Deswegen trägt dieses Buch im Untertitel auch nicht den Begriff der Konstruktion, sondern den der Inszenierung. Inszenierung bedeutet, dass etwas als gegenwärtig in Erscheinung tritt.15 Der Begriff der Inszenierung erinnert an die Situation des Spielerischen im Theater. Nach der Inszenierung von Generationen zu fragen, richtet die Perspektive auf die Schauplätze von Generationen, ihre Erscheinungsformen und die Regeln und Praktiken, die für ihre Erscheinung notwendig sind. Die Szenen, in denen Generationen inszeniert werden, sind vielfältig. In verschiedenen, in ihrem Umfang und ihrer Perspektive variierenden Abschnitten wird ein jeweils anderer Blick auf diese Inszenierungen erprobt. Im nächsten Kapitel geht es in einem kurzen Forschungsaufriss um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Generationen. Unter dem Label der Generation Studies werden Generationen etabliert und zum Gegenstand insbesondere geschichts-, sozialund kulturwissenschaftlicher Untersuchungen. Die Historikerin und Generationenforscherin Ulrike Jureit baut ihre Einführung in die Generationenforschung in drei Schritten auf. Auf eine Auseinandersetzung mit den Klassikern der Generationentheorie folgen zwei weitere Kapitel: Zunächst erläutert sie Generation als statischen Ordnungs- und Beziehungsbegriff, anschließend diskutiert sie

13 Ebd., S. 39. 14 Ebd. 15 Vgl. Fischer-Lichte, Erika: »Theatralität und Inszenierung«, in: dies. et. al. (Hg.), Inszenierung von Authentizität, 2te Auflage, Tübingen 2007, S. 9-28, vor allem S. 20ff.

P LAYING THE G ENERATION C ARD | 15

das kommunikative Prozessieren von Generationen im Rahmen eines Generation Building. Ich möchte im dritten und vierten Kapitel diese anregende Doppelperspektive aufgreifen und zunächst Generation als Begriff diskutieren. Das Reden von Generationen etabliert einerseits Ordnungen, indem es Plätze in Genealogien oder Geschichte zuweist; es verschafft mal einer ganzen Gesellschaft eine zeitliche Ordnung, mal ordnet es nur einzelne Funktionsbereiche wie die Wissenschaft oder die Kunst. Während im dritten Kapitel diese Ordnungsleistung des Begriffs diskutiert wird, geht es im vierten Kapitel um dessen Beziehungsfunktion: Generationen organisieren Relationen von Individuen und Kollektiv, sie organisieren eine kollektive Identität und schaffen damit eine überindividuelle soziale Adresse. Doch Generationen schaffen nicht nur Identität, sie schaffen auch Differenzen: Einmal Differenzen in der Zeit, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, einmal Differenzen zwischen Generationen, zwischen Älteren und Jüngeren. Neben Identität und Differenz stiftet der Generationenbegriff auch prozessuale Beziehungen: Wer von Generationen spricht, möchte mitunter auf eine ganze besondere Art der Prägung zu sprechen kommen, eine spezielle Wirkung einer Generation unterstellen oder eine These zum gesellschaftlichen Wandel ausdrücken. Im fünften und sechsten Kapitel soll etwas eingelöst werden, was Ulrike Jureit als Wunsch an die Generationenforschung richtet: »Es erweist sich als ergiebiger, die kommunikativen Bedingungen, unter denen generationelle Selbstverortungen vorgenommen werden, stärker in den Blick zu nehmen.«16 Sie prägt hierfür den Begriff des »Generation Building«, um einen überwiegend im öffentlichen Raum lokalisierten Vergemeinschaftungsprozess zu bezeichnen, der zugleich Gegenstand und Ergebnis kollektiver Verständigungen ist.17 Für diesen Prozess nehmen Medien eine entscheidende Rolle ein: Es sind Kommunikationen in Medien, mittels derer Gemeinschaften formiert sind. Damit kommt der Medienkulturwissenschaft eine entscheidende Rolle für die Untersuchung von Generationen zu: Sie ist die genuine Perspektive darauf, wie Generationen erzeugt werden. Es ist vor allem die Rede von der 68er-Generation, die in den letzten Jahren auch auf ihre medienwissenschaftlichen Implikationen untersucht

16 Jureit, Ulrike: Generationenforschung, Göttingen 2006, S. 17. 17 Vgl. ebd.

16

| DOING GENERATION

worden ist. Die 68er-Generation gilt längst als eine Mediengeneration, denn die Prozesse ihrer Erzeugung und Tradierung sind bereits ausführlich untersucht worden.18 Es haben sich hegemoniale Lesarten und kollektive Erinnerungen etabliert. Hingegen sind Generationenzuschreibungen um 2000 – noch! – wesentlich prekärer. Sie sind erst vor kurzem ins Spiel gebracht worden, sie konkurrieren um Aufmerksamkeit, es ist kaum gewiss, von welchem Label noch in Jahrzehnten die Rede sein wird. Es ist dieser prekäre Status, der Generationen um 2000 so interessant macht. Der Zeitabstand zwischen Beobachtung und beobachteten Prozessen ist minimal, die Prekarität der Generationenzuschreibungen maximal. Dies ermöglicht, die Vielgestaltigkeit der Prozesse, der medialen Formen, der diskursiven Wendungen zu diskutieren, ohne eine Erfolgsgeschichte vor Augen zu haben; so wird der Blick dafür geschärft, wie Generationen in einem medial formierten Raum erscheinen können. Aus der Fülle der Medien werden zunächst im fünften Kapitel drei herausgegriffen, die daraufhin untersucht werden, wie sie Generationen erscheinen lassen: Bücher, Zeitschriften und Projekte der Netzkultur. In diesen drei Schriftmedien geht es jeweils darum, wie sich Kommunikation so verdichtet, Konventionen herausbildet und Erwartungen stabilisiert, dass man von der Erzeugung von Generationen durch Prozesse des Lesens und Schreibens sprechen kann. Bücher wie Generation Golf und Generation Ally, Zeitschriften wie Tempo oder NEON, Internetprojekte wie Vodafones Generation Upload und die Social Community jetzt.de, sie alle werden danach befragt, wie sie Generationen in Szene setzen, indem sie bestimmte Arten der Kommunikation ermöglichen. Im sechsten Kapitel wird schließlich das Generation Building als Prozess der kommunikativen Erzeugung von Generationen diskutiert. Dabei wird zunächst davon ausgegangen, dass Generationen etwas zutiefst unwahrscheinliches sind. Wie können Generationen überhaupt wahrscheinlicher werden, indem sich Individuen über gemeinsame

18 Vgl. u. a. Steiner, Uwe: »›68 – 89‹. Literarische und mediale Wendungen der Wende«, in: Jochen Hörisch (Hg.), Mediengeneration, Frankfurt/M. 1997, S. 16-59; oder auch die Beiträge in Rosenberg, Rainer/MünzCoenen, Inge/Boden, Petra (Hg.): Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich. Wissenschaft – Literatur – Medien, Berlin 2000.

P LAYING THE G ENERATION C ARD | 17

prägende Erfahrungen verständigen? Wie werden sie durch populäre Generationenbegriffe und prominente Repräsentanten nach außen hin sichtbar und erzeugen somit ein Bild davon, was als Generation normal ist? Wie müssen sich solche Generationenbeschreibungen aber auch immer ins Verhältnis dazu setzen, was von Generationen erwartet wird? Wie positionieren sich Generationen gegenüber Vorgänger- und Nachfolgergenerationen? Im siebten Kapitel wird schließlich die ökonomische Logik von Generationen untersucht. Hier wird mit der Vorstellung von nur kulturell bedingten Operationen der Generationensemantik gebrochen, sondern danach gefragt, was es bedeutet, von Generationen als einer ganz besonderen Form von Marken, von Zeitmarken auszugehen. Die Frage, warum manche diese Zeitmarken eine besonders große Überzeugungskraft haben und mache weniger, ist auch auf die Regeln von Dikurs- und Aufmerksamkeitsökonomien zurückzuführen, auf denen Angebot und Nachfrage von Deutungsangeboten und Medienprodukten stets miteinander zusammenhängen. Versucht man, die Komplexität des Generationenbegriffs zu erfassen und damit auch seiner Faszination auf den Grund zu gehen, so kommt man um diese Vielschichtigkeit der Perspektiven nicht umhin. Denn im Generationenbegriff schwingen immer alle Aspekte gleichzeitig mit, die ›ernsten‹ Konzeptualisierungen innerhalb der Generation Studies, die ordnenden und beziehungsstiftenden Dimensionen des Begriffs, aber auch seine Operationen im Rahmen eines Generation Building sowie seine Möglichkeit, Konfigurationen und Zeitmarken herauszubilden. Diese Vielschichtigkeit ist es, die die Fülle an Generationsbegriffen hervorbringt und die zugleich auch die Skepsis befeuert, ob diese Begriffe noch ernst genommen werden können. Die Vielgestaltigkeit ist gleichzeitig Chance als auch Gefahr für den Generationenbegriff: Die Frage, ob sich der Generationenbegriff in einer Krise befindet, ist daher Ausgangspunkt des letzten und abschließenden Kapitels.

2. Generation Studies

In der Wissenschaft wird die Popularität des Generationenbegriffs zu einem ernsten Problem. Um Generation als Konzept einzuführen, muss gerade der Vorwurf des inhaltsleeren Schlagworts ausgeräumt werden.1 Valorisiert und legitimiert wird dieses Konzept zumeist mit dem Rückgriff auf Karl Mannheims »Problem der Generationen« von 1928.2 Mag es an den verschiedenen Zugriffen der Disziplinen liegen oder an der textuellen Offenheit von Mannheims Aufsatz, über diesen gemeinsamen Rückgriff hinaus gibt es wenig Konsens über einen Generationenbegriff. So äußert sich auch Heinz Bude zum Stand der Generationenforschung: Allerdings ist die methodische Verwendung des Begriffs vergleichsweise unterentwickelt. Über Fragen, wie sich Generationen bilden, wie sie zu identifizieren sind und welche sozialisierende Wirkung sie über die Lebenszeit ihrer Angehörigen entfalten, besteht trotz der klassischen Referenz auf den Aufsatz von Karl Mannheim keine Einigkeit.3

Auch Bernd Weisbrod spricht von einem »unvermittelten Diskussionsstand«, weil »die soziologische und historische, literatur- und kultur-

1

Vgl. Schulz, Bert: »Schick und trivial. Schlagwort Generation«, in: Das

2

Vgl. Mannheim: Problem.

3

Bude, Heinz: »Qualitative Generationenforschung«, in: Uwe Flick/Ernst

Parlament vom 14./22.04.2003, S. 16-17.

von Kardoff/Ines Steinke (Hg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek 2000, S. 187-194, hier S. 188.

20

| DOING GENERATION

wissenschaftliche Literatur von einem oftmals ungeklärten und konträren Generationen-Verständnis ausgeht«4. Gerade um in einem steten Dialog der Disziplinen voneinander zu lernen und den jeweiligen Blick auf Generationen zu präzisieren, kommt es in den letzten Jahren vermehrt zu Versuchen, die heterogenen Strömungen unter dem Dach der Generation Studies zu bündeln. Bude selbst hat durch seinen Aufsatz »Qualitative Generationenforschung«5 in einem sozialwissenschaftlichen Methodenhandbuch die Auseinandersetzung mit Generationen in einen Kanon der soziologischen Fragestellungen eingeordnet. Im Folgenden kann dieses breite Spektrum nur in wenigen Schlaglichtern angedeutet werden, um die Breite der Forschung vorzustellen und en Boden für die Begriffsdiskussion im kommenden Kapitel zu bereiten. Gerade auch in den Geschichtswissenschaften nimmt die Generationenforschung einen immer prominenteren Platz ein. Ute Daniel ordnet die »Generationengeschichte« in ihrem Kompendium Kulturgeschichte als Teil der Kulturgeschichte ein.6 Sie identifiziert Konjunkturzyklen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Generationen. Parallel zu Karl Mannheim finden sich beispielsweise auch Ansätze in anderen Disziplinen, so Richard Alewyns geschichtswissenschaftlicher Entwurf, die literaturwissenschaftliche Perspektive von Julius Petersen oder der kunsthistorische Ansatz Wilhelm Pinders.7 Mittlerweile ist mit Ulrike Jureits Einführung Generationenforschung bereits die erste Monographie zu dieser Forschungsrichtung erschienen, in der sie sich ebenfalls vor allem an Karl Mannheim abar-

4

Weisbrod, Bernd: »Generation und Generationalität in der Neueren Ge-

5

Vgl. H. Bude: Generationenforschung.

6

Vgl. Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis,

schichte«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8 (2005), S. 3-9, hier S. 4.

Schlüsselwörter, Frankfurt/M. 2002, S. 330-345. 7

Vgl. Alewyn, Richard: »Das Problem der Generation in der Geschichte«, in: Zeitschrift für Deutsche Bildung, 5 (1929), S. 519-527; Petersen, Julius: »Die literarischen Generationen«, in: Emil Ermatinger (Hg.), Philosophie der Literaturwissenschaft, Berlin 1930, S. 130-187; sowie Pinder, Wilhelm: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, München 1961 [1926].

G ENERATION S TUDIES

| 21

beitet, aber auch den aktuellen Forschungsstand der Geschichtswissenschaft auf verschiedene Kernkonzepte hin bündelt.8 Zwar findet man mittlerweile auch eine reichhaltige Forschungsperspektive zum Generationsbegriff in der Vormoderne9, aber besonders populär ist der Generationenkonzept im Kontext der Geschichtsschreibung moderner Nationalstaaten.10 Man findet ihn beispielsweise in der französischen Geschichtsschreibung,11 aber die neuere deutsche Geschichte scheint mit ihren Systembrüchen und Kriegen in spezifischen Abständen besonders anfällig für dieses historische Narrativ zu sein.12 Daniels These von den Konjunkturen des Konzeptes – die zumeist mit der Erfahrung geschichtlicher Brüche zusammenhängen – bestätigt sich auch hier.13 In den späten 40er Jahren, um 1957 mit Helmut Schelskys skeptischer Generation und in den späten 1970er Jahren lebt der Generationenbegriff in der Geschichte auf. Nicht verwunderlich, dass seit dem Systemwechsel in Ostdeutschland auch die DDR generationengeschichtlich betrachtet wird.14

8

Vgl. U. Jureit: Generationenforschung.

9

Vgl. Brandt, Hartwin/Schuh, Maximilian/Siewert, Ulrike (Hg.): Familie – Generation – Institution. Generationenkonzepte in der Vormoderne, Bamberg 2008.

10 Zum Verhältnis von Generationen- und Nationenbegriff, vor allem in Bezug auf Mannheim, vgl. U. Jureit: Generationenforschung, S. 35ff. 11 Vgl. Nora, Pierre: »La génération«, in: ders. (Hg.), Les Lieux de Mémoire, Band 3, Paris 1992, S. 931-971; Sirinelli, Jean-François (Hg.): »Générations intellectuelles. Effets d’âge et phénomènes de génération dans le milieu intellectuel français«, in: Cahiers de l’histoire du temps présent 6 (1987), S. 5-18. 12 Diesem Aspekt gehen die u. a. generationenspezifischen Untersuchungen des SFB »Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung« nach, vgl. Schmidt, Rudi (Hg.): Systemumbruch und Generationswechsel, Jena 2002. 13 Vgl. U. Daniel: Kompendium, S. 335. 14 Vgl. z.B. Lindner, Bernd: »›Bau auf, Freie Deutsche Jugend!‹ – und was dann? Kriterien für ein Modell der Jugendgeneration der DDR«, in: Jürgen Reulecke (Hg.), Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 187-216; und Wierling, Dorothee: »Wie (er)findet man eine Generation? Das Beispiel des Geburtsjahrgangs 1949 in der DDR«, in: Reulecke, Generationalität (2003), S. 217-228.

22

| DOING GENERATION

Viele Ansätze in der deutschen Geschichtsschreibung lassen sich einem kollektivbiographischen Ansatz zuordnen, der eine Altersgemeinschaft in ihrer Entwicklung mit Hilfe des Generationenbegriffs beschreibt, so zum Beispiel die Skeptische Generation15, die Flakhelfer-Generation16 oder die Generation des Unbedingten17. Dabei variieren die Ansätze hinsichtlich der Quantität der untersuchten Personen. Zum Teil wird ein Fokus auf die Generation als Massenphänomen, zum Teil als ein elitäres Phänomen gelegt, wie beispielsweise in der Intellektuellengeschichte.18 Ebenfalls in einer solchen elitären Perspektive operieren Versuche in Anlehnung an Pinder, die Geschichte von Kunst und Kultur als beispielsweise künstlerische oder literarische Generationengeschichte zu schreiben. Beate Fietzes aktuelle Generationentheorie besinnt sich gerade auf die kulturtheoretischen Implikationen der Theorie Karl Mannheims, um die Frage aufzugreifen, wie Kulturträger den Zeitgeist tradieren.19 Andere Konzepte rücken die Frage nach der Identität einer Gruppe in den Hintergrund und verwenden viel stärker einen vergleichenden Ansatz. Sie fragen nach den Unterschieden zwischen Generationen, ihren Konflikten und dem Zusammenhang mit sozialem Wandel.20 Ant-

15 Hier vgl. grundlegend Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf 1957. 16 Vgl. beispielsweise Bude, Heinz: Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Flakhelfer-Generation, Frankfurt/M. 1987. 17 Vgl. Wildt, Michael: Generation des Unbedingten. Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002. Man könnte weitere Beispiele ergänzen, die sich beispielsweise im von Jürgen Reulecke herausgegebenen Band Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert (München 2003) finden lassen. 18 Vgl. zu den Verhältnissen von Intellektuellengeschichte und Generationengeschichte Morat, Daniel: »Generation der Intellektuellen. Intellektuellenkultur und Generationendiskurs in Deutschland und Frankreich 19001930«, in: Bernd Weisbrod (Hg.), Historische Beiträge zur Generationsforschung, Göttingen 2009, S. 39-76. 19 Vgl. Fietze, Beate: Historische Generation. Über einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels und kollektiver Kreativität, Bielefeld 2009. 20 Beiträge dieser Art lassen sich zum Beispiel in folgenden Sammelbänden finden: Schmidt, Systemumbruch (2002); Roseman, Mark (Hg.): Generations in Conflict. Youth Revolt and Generation Formation in Germany

G ENERATION S TUDIES

| 23

worten auf die Frage nach historischem Wandel scheinen, wie auch Weisbrod notiert, eine der zentralen geschichtswissenschaftlichen Hoffnungen an den Generationenbegriff zu sein.21 Dabei steht vor allem das Verhältnis von Wandel und Generation zur Diskussion: Sind Generationen Akteure, die einen Wandel betreiben, oder formiert der Wandel Generationen? Bereits in den 70er Jahren äußert allerdings Hans Jäger Bedenken an der Tragfähigkeit des Generationenkonzepts,22 in jüngster Zeit reiht sich auch Rainer Lepsius in die Reihe der Skeptiker ein.23 In den Sozialwissenschaften zählt beispielsweise Wolfgang Knöbl zu den Skeptikern: Der Generationenbegriff ist eine Notlösung, und vermutlich eine immer wiederkehrende, zumindest dann, wenn sich die festen Begrifflichkeiten der Soziologie auflösen. Und der doch relativ schwer fassbare Generationenbegriff wird immer wieder dann in der Versenkung verschwinden, wenn andere Begriffe sich als stärker erweisen.24

Nichtsdestotrotz gibt es auch in sozialwissenschaftlichen Disziplinen mittlerweile eine breite Generationenforschung, wie bereits das Beispiel Heinz Bude zeigt. In den sozialwissenschaftlichen Perspektiven tritt der Aspekt des Wandels zuweilen in den Hintergrund. In manchen Studien wird stärker die Identität von Generationen in den Blick ge-

1770-1968, Cambridge 1995; und Schulz, Andreas/Grebner, Gundula (Hg.): Generationswechsel und historischer Wandel (= Historische Zeitschrift, Beiheft 36), München 2003. 21 Vgl. B. Weisbrod: Generation. 22 Vgl. Jaeger, Hans: »Generationen in der Geschichte. Überlegungen zu einer umstrittenen Konzeption«, in: Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), S. 429-452. 23 Vgl. Lepsius, M. Rainer: »Kritische Anmerkungen zur Generationsforschung«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2003), S. 45-52. 24 Knöbl, Wolfgang: »Eine Geschichte des soziologischen Nachdenkens über Generationen«, Download unter http://www.generationengeschichte .uni-goettingen.de/kngen.pdf.

24

| DOING GENERATION

nommen, während andere Differenzen zwischen Generationen untersuchen.25 Wenn Generationendifferenzen und Generationenbeziehungen untersucht werden, spielt für sozialwissenschaftliche Studien der Bezugsrahmen, der die Generationen scheidet und ihre Beziehungen organisiert, eine wichtige Rolle. Auf der Mikro-Ebene ist dies zumeist die Familie,26 auf der Makro-Ebene die Gesellschaft. Vor allem psychologische und pädagogische Konzepte nehmen ihren Ausgangspunkt im familiären, biologischen Verhältnis von Eltern und Kindern.27 Untersuchungen, die zunächst die gesellschaftliche Ebene in den Blick nehmen, stellen nicht auf ein Geburtsverhältnis ab, sondern auf den Bezugsrahmen des Wohlfahrtsstaates, der Generationen voneinander scheidet.28 Vor allem finanzielle Transferleistungen stehen hierbei im

25 Als Beispiel für die identitätsorientierte Forschung gilt vor allem die Jugendforschung, vgl. hier exemplarisch Zinnecker, Jürgen: »Das Deutungsmuster Jugendgeneration. Fragen an Karl Mannheim«, in: Jahrbuch Jugendforschung, 2 (2002), S. 61-98. Als Beispiele für die beziehungsorientierten Studien vgl. u.a. Hareven, Tamara (Hg.): Aging and Generational Relations Over the Life Course. A Historical and Cross-Cultural Perspective, Berlin/New York 1995; und auch Mansel, Jürgen/Rosenthal, Gabriele/Tölke, Angelika (Hg.): Generationen-Beziehungen. Austausch und Tradierung, Opladen 1997. Programmatisch zur Verwendung des Generationenkonzepts in generationenvergleichender Hinsicht: Matthes, Joachim: »Karl Mannheims ›Das Problem der Generationen‹, neu gelesen. Generationen›gruppen‹ oder ›gesellschaftliche Regelung von Zeitlichkeit‹?«, in: Zeitschrift für Soziologie 14 (1985), S. 363-372. 26 Höpflinger, François: Generationenbeziehungen in Familien. Trends und neue Probleme, Zürich 1998. 27 Pädagogische Ansätze sind unter anderem zu finden in Liebau, Eckart/Wulf, Christoph (Hg.): Generation. Versuche über eine pädagogischanthropologische Grundbedingung, Weinheim 1996. 28 Vgl. Szydlik, Marc (Hg.), Generationen und Ungleichheit (= Sozialstrukturanalyse Bd. 19), Wiesbaden 2004; Thomson, David: Selfish generations? How Welfare States Grow Old, Cambridge 1996; und Walker, Alan (Hg.): The new generational contract. Intergenerational Relations, Old Age and Welfare, London 1996.

G ENERATION S TUDIES

| 25

Mittelpunkt der Untersuchungen.29 In welchem Zusammenhang die Bezugsrahmen von Familie und Gesellschaft stehen, wird mittlerweile auch systematisch erforscht.30 Jüngst haben Harald Künemund und Marc Szydlik in einem Sammelband die Generation Studies interdisziplinär geöffnet und versammeln Beiträge aus Ägyptologie und Afrikanistik sowie Psychologie, Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften.31 Doch neben dieser Erweiterung kommt es in den Generation Studies vor allem auch zu einer Verschiebung der Perspektive. Vor allem der Forschergruppe um Sigrid Weigel ist diese Neuausrichtung zu verdanken: »Nicht die Frage, ob es so etwas wie Generation und Generationen gibt, gilt es also zu analysieren, sondern in welcher Weise und mit welchem Interesse ihr Vorhandensein jeweils deklariert oder konstruiert wird.«32 Ohad Parnes, Ulrike Vedder und Stefan Willer gehen in ihrer Wissensschafts- und Kulturgeschichte den vielfältigen Spuren der Semantik der Generation in den verschiedensten Diskursen nach. Generationen sind spätestens seit dieser Untersuchung nicht mehr »ge-

29

Besonders prägnant: Kotlikoff, Laurence J.: Generational Accounting. Knowing Who Pays, and When, for What We Spend, New York 1992.

30 Vgl. Kohli, Martin/Szydlik, Marc (Hg.): Generationen in Familie und Gesellschaft. Opladen 2000; hier unter anderem die Aufsätze von Gabriele Rosenthal »Historische und familiale Generationenabfolge«, S. 162-179; und Claudine Attias-Donfut, »Familiärer Austausch, soziale Sicherheit«, S. 222-238. Vgl. darüber hinaus Lüscher, Kurt/Liegle, Ludwig (Hg.): Generationenbeziehungen in Familie und Gesellschaft, Konstanz 2003. 31 Vgl. Künemund, Harald/Szydlik, Marc (Hg.): Generationen. Multidisziplinäre Perspektiven, Wiesbaden 2009. 32 Parnes, Ohad/Vedder, Ulrike/Willer, Stefan: Das Konzept der Generation, Frankfurt/M. 2008, S. 20. Ergänzend zu dieser Perspektive vgl. auch Weigel, Sigrid: »Generation, Genealogie, Geschlecht. Zur Geschichte des Generationskonzepts und seiner wissenschaftlichen Konzeptualisierung seit Ende des 18. Jahrhunderts«, in: Lutz Musner/ Gotthard Wunberg (Hg.), Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen, Wien 2002, S. 161-190; sowie den Sammelband Weigel, Sigrid/Parnes, Ohad/Vedder, Ulrike/Willer, Stefan (Hg.), Generation. Zur Genealogie eines Konzepts – Konzepte von Genealogie, München 2005.

26

| DOING GENERATION

gebene Einheiten der historischen Entwicklung«33, sondern eher »Deutungsmuster«.34 Im nächsten Kapitel geht es daher um die Frage, warum in welcher Weise um 2000 Generationen deklariert werden und welche Deutungen jeweils nahegelegt werden sollen.

33 Weisbrod, Bernd: »Einleitung«, in: ders. (Hg.), Beiträge (2009), S. 7-12, hier S. 7. 34 R. Sackmann: Deutungsmuster, S. 199.

3. Generationelle Ordnungen

Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in den Massenmedien kursieren die unterschiedlichsten Generationenbegriffe, wenn ein Journalist von einer neuen »Generation Sportlehrer«1 schreibt, die Bundesliga-Mannschaften trainieren oder wenn ein Politikwissenschaftler mit »Generation Reform«2 ein politisches Programm entwirft, wenn ein Publizist die Schilderung seiner Jugendjahre »Generation Golf«3 nennt und damit die Bestsellerlisten stürmt oder wenn im Manager Magazin der steigende Einfluss von arabischen Investmentfonds als »Generation Golf II«4 betitelt wird. Spätestens seit der umfangreichen Studie von Ohad Parnes, Ulrike Vedder und Stefan Willer zum »Konzept der Generation« ist bekannt, wie vielfältig und wandelbar die Semantik der Generation im Verlauf der Zeit ist, wie sie sich verändert beim Wechsel von einem Diskurs in einen anderen. Die Autoren der Studie beginnen mit einer Darstellung der Wort-, Begriffs- und Metapherngeschichte der Generation in der deutschen Sprache und ziehen eine Linie über so unterschiedliche Stationen wie das genealogische Denken der Vormoderne, physiologische, staatstheoretische oder ästhetische Diskurse vom 17. bis 19. Jahrhundert bis hin zu generationellen Argumenten zu Überlebenden

1

Kneer, Christof: »Generation Sportlehrer«, in: Süddeutsche Zeitung vom 12.02.2007.

2

Nolte, Paul: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, Mün-

3

Illies, Florian: Generation Golf, Berlin 1995.

4

Müller, Henrik/Student, Dietmar: »Generation Golf II«, in: Manager Ma-

chen 2004.

gazin von Juni 2007, S. 118-130.

28

| DOING GENERATION

des Holocausts im 20. Jahrhundert. All diesen Generationenbegriffen ist allerdings eines gemeinsam: Sie sind Ordnungsbegriffe und schaffen zeitliche Ordnungen.5 In diesem Kapitel sollen vier verschiedene Ordnungen erläutern werden, innerhalb derer Generationen Plätze zuweisen. Allen vier Ordnungen ist gemein, dass Generationen Inklusionen und Exklusionen organisieren: Sie ordnen, wer dazu gehört und wer nicht, wer welchen Platz einnehmen darf und wer nicht. Die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion ist eine der zentralen Unterscheidungen in der Beschreibung von Gesellschaft: Sie meint die Form der Bezeichnung oder der Adressierung von Personen im Gesellschaftssystem und in anderen Sozialsystemen. Eine solche Bezeichnung oder Adressierung findet entweder statt und dann handelt es sich um Inklusion, oder es ist kein Vorgang dieser Art erkennbar, und das bedeutet, daß wir es mit einer Exklusion zu tun haben.6

Ist von der Generation Reform die Rede, so wird damit Inklusion und Exklusion reguliert. Wer der Programmatik der Reformen zustimmt, mag beispielsweise dazuzugehören, wer sie ablehnt, gehört nicht dazu. Auch die Generation Klingelton operiert auf diese Weise, indem sie Individuen inkludiert – zumeist junge Menschen, die der Faszination dieser neuen technischen Applikation erlegen sind – und andere klar exkludiert. Genealogien als erste dieser vier Ordnungen bilden eine Kette von Generationen, innerhalb derer jede Generation einen klaren Platz bekommt. Wer Teil der Generation ist, wird in die Generation und damit gleichzeitig in die Genealogie inkludiert. Historisch-phänomenologische Generationen wiederum sind nicht Teil einer genealogischen Ordnung der Abfolge, sondern bilden einen Ort in der Geschichte, vor dem Hintergrund eines besonderen Phänomens wie eines historischen Ereignisses. Neben dieser Vorstellung, gemäß der Generationen auf Orte in der gesamtgesellschaftlichen Geschichte verweisen, lassen sich Generatio-

5

Vgl. U. Jureit: Generationenforschung, S. 7 bzw. S. 12.

6

Stichweh, Rudolf: »Inklusion und Exklusion: Logik und Entwicklungsstand einer gesellschaftstheoretischen Unterscheidung«, in: ders. (Hg.), Inklusion und Exklusion, Bielefeld 2005, S. 179-196, S. 179.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 29

nen auch in den verschiedenen Systemen einer differenzierten Gesellschaft finden. Hier stiften sie keine gesamtgesellschaftliche Ordnung, sondern geben der Wissenschaft, der Literatur oder der Kunst eine zeitliche Ordnung. Es ist nicht immer eindeutig, auf welche Zeitordnung ein Generationenbegriff verweist; mitunter wirken verschiedene Assoziationen ineinander, werden gleichzeitig beispielsweise die genealogische und die historische Dimension mit aufgerufen. Besonders zentral für die Frage dieser Untersuchung ist schließlich die vierte Dimension des Generationenbegriffs: Generation ist mittlerweile auch ein populärer Begriff. Welche besonderen Funktionen der Generationenbegriff in der Populärkultur übernehmen kann und welche Inklusionsleistungen er übernehmen kann, das wird schließlich am Ende diskutiert.

3.1 G ENEALOGIEN Eine der ältesten Ordnungen, die die Generation aufruft, ist ihre Genealogie: »Begründet im Tatbestand von Alterung, Sterblichkeit und sexueller Reproduktion, ist die Generation eine Größe, die den Fortgang der Geschichte, in der Figur der Entstehung von neuen Geschlechtern, garantiert und derart die Genealogie als Abkunft und Abfolge organisiert.«7 Jede Generation gründet sich in ihrer Abkunft und Abfolge von einer anderen Generation. Jedes Element einer Genealogie ist zugleich unweigerlich generationell, muss zumindest über eine Abkunft verfügen, wenn es nicht sogar selbst eine spätere Generation von sich abstammen lässt. Genealogien bilden eine Kette, die weit in die Vergangenheit reicht, aber auch in die Zukunft fortgesetzt werden kann.

7

S. Weigel: Generation, Genealogie, Geschlecht, S. 163. Vgl. darüber hinaus: Heck, Kilian/Jahn, Bernhard (Hg.): Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 80), Tübingen 2000; Kellner, Beate: Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissens im Mittelalter, München 2004; Melville, Gert: »Vorfahren und Vorgänger. Die Genealogie als Legitimation dynastischer Herrschaft im Spätmittelalter«, in: Peter J. Schuler (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband, Sigmaringen 1987, S. 203-309; sowie Weigel, Sigrid (Hg.): Genealogie und Genetik. Schnittstellen zwischen Biologie und Kulturgeschichte, Berlin 2002.

30

| DOING GENERATION

Parnes, Vedder und Willer stellen in ihrer Diskursgeschichte der Generation verschiedene historische Stationen vor, in denen das genealogische Denken eine besondere Virulenz entfaltet hat. So hatten im Mittelalter Genealogien vor allem die Funktion, Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren.8 Durch Genealogien kann ein Adelshaus seine Macht aus möglichst weit zurückliegender Autorität legitimieren. Fluchtpunkt dieser Genealogien ist der Spitzenahn als Begründer der Genealogie. Modell für dieses genealogische Denken ist dabei stets das heilsgeschichtliche Modell der Herkunftserzählung in der Genealogie Jesu. Über seinen Adoptivvater Josef wird hier die Abstammung zunächst von David, weiter zurückliegend von Abraham oder sogar Gott selbst hergestellt. Dabei kann genealogisches Denken immer entweder aus der Perspektive der Abstammung rückwärtig operieren oder aus der Perspektive der Zeugung in die Zukunft gerichtet sein. Eine Genealogie bildet die Langform, in die sich die Familie in ihrer Kurzform einträgt. Können sich Genealogien in einer prinzipiell unbeschränkten Anzahl von Generationen entfalten, bilden Familien kleinere Einheiten. Es sind häufig genealogische Verhältnisse zwischen Eltern und Kindern, die die organisatorische Keimzelle der Familie bildet. Damit wird die Generation auch als Zeitheimat in der Familie zum Thema, in der Position zu den vorhergehenden und nachfolgenden Generationen der Genealogie.9 Allerdings, so stellen Parnes und seine Mitautoren klar, ist die Genealogie kein Konzept, das natürliche Verwandtschaft ausdrückt, »vielmehr dienen Genealogien der Naturalisierung von Verwandtschaft«.10 Die Genealogie zeichnet sich eben dadurch aus, Ableitungen und Zusammenhänge zu stiften. Ihr Inszenierungscharakter lässt sich

8

Vgl. Parnes, Ohad/Vedder, Ulrike/Willer, Stefan: Das Konzept der Gene-

9

Vgl. hierzu beispielsweise Attias-Donfut, Claudine (Hg.): Les solidarités

ration, Frankfurt 2008, S. 40ff. entre générations. Vieillesse, familles, état, Paris 1995; Bertaux, Daniel/Thompson, Paul: »Introduction«, in: dies. (Hg.), Between Generations. Family Models, Myths and Memories, Oxford 1993, S. 1-12; Höpflinger, François: Generationenbeziehungen in Familien. Trends und neue Probleme, Zürich 1998. 10 Vgl. O. Parnes/U. Vedder/S. Willer: Konzept, S. 48.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 31

besonders in den Fällen aufzeigen, in denen die Legitimität einer Genealogie in Frage steht.11 Die Semantik der Genealogie entwickelt im Laufe der Jahrhunderte einen modularen Charakter, wandelt sich in den vielfältigsten Diskursen. So gewinnt beispielsweise im 16. Jahrhundert, in Auseinandersetzung mit aristotelischen Schriften, auch die biologische Komponente des Generationenbegriffs an Kontur.12 Die epigenetische Generationstheorie, die auch heute noch unser Verständnis von Geburt und Abstammung prägt und hier das Wort Generation in den Vordergrund stellt, entwickelt schließlich Caspar Friedrich Wolff in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Hier wendet sich die Genealogie zu einer naturtheoretischen und biologischen Denkfigur. Auch Karl Mannheim entwickelt ein genealogisches Denken, doch dieses orientiert sich nicht an den Abstammungsregeln einer Familie, sondern an den kulturellen Traditionen einer Gesellschaft. Wie die Familie, so ist auch der Fortgang der Gesellschaft und ihrer Kultur durch den Tod der Individuen bedroht. Wie die Familie muss sich auch die Gesellschaft ihr Weiterleben durch immer neue Jahrgänge sichern. Gesellschaft charakterisiert sich nach Mannheim durch den Abgang früherer Kulturträger und durch das Neueinsetzen neuer Kulturträger.13 Es ist daher notwendig, die akkumulierten Kulturgüter zu tradieren, da die Kulturträger einer jeden Zeit nur ein begrenztes Leben haben. Mannheims Vorstellung setzt das Konzept einer die einzelne Familie überschreitenden Gesellschaft voraus und verortet die Generation als Zeitheimat in der Gesellschaft.

3.2 H ISTORISCHE P HÄNOMENE Aber es gibt noch weitere Bedeutungsdimensionen des Generationenbegriffs, die sich bis heute in der Semantik niederschlagen. Sigrid

11 Vgl. hierzu Gestrich, Constanze/Monicke, Thomas (Hg.): Faszination des Illegitimen. Alterität in Konstruktionen von Genealogie, Herkunft und Ursprünglichkeit, Würzburg 2007; Hagn, Hans: Illegitimität und Thronfolge. Zur Thronfolgeproblematik illegitimer Merowinger, Karolinger und Ottonen, Neuried 2006. 12 Vgl. O. Parnes/U. Vedder/S. Willer: Konzept, S. 68ff. 13 Vgl. K. Mannheim: Problem, S. 530.

32

| DOING GENERATION

Weigel betont, dass es eine doppelte Semantik ist, »die die kontroversen Generationstheorien in der Wissenschaftsgeschichte bis heute prägen sollte: die Generation als Genealogie und/oder als Einheit einer Art oder Gruppe«14. Diese zweite Bedeutungsebene, das Verständnis der Generation als einer synchronen Einheit im Gegensatz zu ihrer diachronen Ableitung aus Vorgängern und Nachfolgern, hat vor allem um 1800 Konjunktur. Hier setzt eine Semantik ein, die mit dem Kontinuitätsgedanken der genealogischen Generation radikal bricht und die die Generation stattdessen als Zukunftsmodell sieht, als eine historische Zäsur, die für etwas anderes steht. Erstmals wird hier die Generation – wie später auch bei Mannheim – als »gesamtgesellschaftliches Phänomen«15 verstanden. Es geht nicht mehr um eine Zurückrechnung auf einen Urahnen, sondern nur noch um das Verhältnis zum direkten Vorgänger, dem Ancien Regime. Keine möglichst lange Kette von Generationen, sondern ein Konfrontationsmodell einer Generation mit ihrer Vorgeschichte drückt sich in diesem Begriff aus. Die Generation zielt hier nicht nur auf eine Ablösung der alten Generation, sie ist als eine Figur von Innovation und Revolution auch ganz explizit an einen historischen Moment geknüpft, der sich in seiner Einzigartigkeit von allen anderen historischen Momenten unterscheidet. Michael Hofmann beschreibt diese Art, Generationen zu verstehen, als »phänomenologischen Ansatz«16 – Generationen sind hier einzelne Phänomene, Sonderfälle der Geschichte, die keiner Gesetzmäßigkeit unterliegen und in ihrer Einzigartigkeit betrachtet werden müssen. Es ist die historische Einmaligkeit und nicht etwa die familiäre Regelmäßigkeit, in der sich die Generation gründet. So geht beispielsweise Claus Leggewie davon aus, es gäbe einen »üblichen« Mechanismus der Entstehung von neuen Generationen: Denn so entsteht üblicherweise eine neue Generation: Anläßlich eines markanten und bewegenden Ereignisses tritt eine spezielle Kommunikation unter Gleichgesinnten ein, die sich zu einem eigensinnigen Sondermillieu verdichten, mit den Älteren Verteilungs- und Anerkennungskämpfe um das kulturelle

14 S. Weigel: Generation, Genealogie, Geschlecht, S. 175. 15 O. Parnes/U. Vedder/S. Willer: Konzept, S. 82. 16 Hofmann, Michael: »Generation als Sinnhorizont und/oder Struktureinheit«, in: Schmidt, Systemumbruch (2002), S. 99-101.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 33

Kapital führen und den ablaufenden Geschehnissen eine spezielle politische Wahrnehmung verleihen.17

Damit eine Generation entstehen kann, ist sie somit darauf angewiesen, dass sich etwas Markantes und Bewegendes ereignet. Leggewie identifiziert in der Bundesrepublik Deutschland verschiedene Ereignisse, die jeweils Zeitheimaten für Generationen schufen, beispielsweise die Kriegserfahrung der Flakhelfer oder den Zusammenbruch des Ostblocks und die Wiedervereinigung als Begründung der 89er. Generationen sind damit zunächst nur etwas Mögliches, keine Ordnung, die jedem einen Platz gibt. Schon Mannheim diskutiert die Option, dass sich keine Generationen bilden. Er geht von einer historischen Dynamik aus, die in einem spezifischen Tempo verläuft. Überschreitet dieses Tempo einen bestimmten Schwellenwert, dann ist die gesellschaftliche Dynamik zu schnell für einen allmählichen Wandel und es bilden sich jeweils Brüche heraus, die zu Generationen führen.18 Wird das Tempo allerdings weiter beschleunigt, dann überlagen sich neue Impulse so stark, dass sich auch wieder keine Generationen herausbilden können. Daraus folgert Mannheim, dass biologische Rhythmik und (kultur-)historische Rhythmik sich nicht entsprechen: »Ob alle Jahre, alle 30 Jahre, alle 100 Jahre, ob überhaupt rhythmisch ein neuer Generationsstil zustande kommt, das hängt von der auslösenden Kraft des gesellschaftlich-geistigen Prozesses ab.«19 Heinz D. Kittsteiner entwickelt einen Begriff von »herausgehobenen Generationen«.20 Im Rückgriff auf die Generationentheorie Diltheys widerspricht er dessen These, dass jede Generation etwa die gleichen Möglichkeiten der kulturellen Entfaltung habe.21 Im Gegenzug behauptet er, dass es Generationen gebe, die einen Knotenpunkt in der geschichtlichen Entwicklung erleben und bezeichnet diese als Ausnahmen, als »herausgehobene Generationen«. Er versucht schließ-

17 Leggewie, Claus: Die 89er. Porträt einer Generation, Hamburg 1995, hier S. 27. 18 Vgl. K. Mannheim: Problem, S. 550f. 19 Ebd., S. 553. 20 Kittsteiner, Heinz D.: »Die Generationen der ›Heroischen Moderne‹. Zur kollektiven Verständigung über eine Grundaufgabe«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 200-219. 21 Vgl. ebd., S. 202.

34

| DOING GENERATION

lich, Generationen zu identifizieren, bei denen das »Bewußtsein existierte, in einer ›großen‹ oder in einer ›neuen‹ Zeit zu leben«22, und die sich bestimmten historischen »Grundaufgaben« verpflichtet fühlten.23 Es gibt zumeist zwei verschiedene Argumente, die die Herausgehobenheit einer Generation begründen können: zum einen, dass sie in einer historischen Sondersituation hervorgebracht wurden, zum anderen, dass sie eine besondere historische Leistung erbracht haben. Diese Argumente werden verknüpft in der Denkfigur, einer historischen Aufgabe als Herausforderung ausgesetzt zu sein, die sie anschließend ›heroisch‹ gemeistert haben. Dies setzt beispielsweise Rainer Lepsius voraus, um von Generationen sprechen zu können – und daher glaubt er, im Wohlfahrtsstaat der Bundesrepublik Deutschland keine Generationen mehr erkennen zu können: »Und die Trivialität dieses Lebens, das wir unter den Bedingungen des Wohlfahrtsstaat führen, ist ja unglaublich. Da gibt es nichts, was einen existentiell fordert, keinen einzigen heroischen Moment.«24 Zwei Generationen, für die diese Herausgehobenheit immer wieder ins Feld geführt werden, sind die Flakhelfer-Generation und die Generation der 68er. Anlässlich des Nobelpreises für Günter Grass würdigt Heinz Bude noch einmal die ›Leistungen‹ der Flakhelfer-Generation: Sie bilden immer noch das Fundament der Republik: Die zwischen 1926 und 1929 geborenen Angehörigen der Flakhelfer-Generation. Sie haben die gesellschaftliche Nullstellung von 1945 als biografische Chance ergriffen und als kollektive Kondition begriffen und aus diesem Lebensgefühl heraus die Ausdrucksmittel für die Kontingenz des Ganzen gefunden.25

Es sind demnach nicht nur Grass, sondern auch seine Altersgenossen wie Hans Magnus Enzensberger, Jürgen Habermas und Joseph Ratzinger, die die Herausforderung des Umbruchs von 1945 genutzt und die Bundesrepublik gestaltet haben. Auch den 68ern wird mitunter dieser besondere Status zugeschrieben, wenn beispielsweise Jürgen Zinnecker davon spricht, dass »nur wenige Leute das Glück oder

22 Ebd., S. 203. 23 Vgl. ebd., S. 204. 24 M. R. Lepsius: Anmerkungen, S. 50. 25 Bude, Heinz: »Die Überlegenheit des Schülersoldaten«, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.08.2006.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 35

Schicksal [teilen], einer identitätsstiftenden ›Jahrhundertgeneration‹ wie den 68ern anzugehören.«26 Diese Generationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie als Ausnahme einer Gesellschaftsgeschichte geschildert werden. Doch es gibt auch Versuche, die Regelhaftigkeit der familiären Genealogie und die gesamtgesellschaftliche Gültigkeit der phänomenologischen Generationen zu kombinieren. Generationengeschichten sind ein historiographisches Narrativ, das die Ausnahme der phänomenologischen Generation zur Regel macht. So stellen Thomas Ahbe und Rainer Gries beispielsweise eine Generationengeschichte der DDR auf, in der sie eine ganze Reihe von historischen Generationen identifizieren.27 So bildete sich die »Generation der mißtrauischen Patriarchen«, zu denen sie beispielsweise Walter Ulbricht oder Otto Grotewohl zählen. Ihre Geburtsjahrgänge reichen von den 1890er Jahren bis hinein in den Ersten Weltkrieg und sie verbindet die gemeinsame »Erfahrung von Illegalität, Widerstand, Konzentrationslager, Flucht, Exil und stalinistischer Repression«28. Auf die anschließend geborene »Aufbau-Generation«29, die im Krieg aufwuchs und die DDR mit aufbaute, folgen schließlich noch vier weitere Generationen bis zum Ende der DDR, bis schließlich jeder DDR-Bürger in dieser historischen Genealogie erfasst ist. Eine noch radikalere Deutung der Gesellschaft als eine Folge regelmäßig auf einander folgender Generationen findet sich für die USamerikanische Gesellschaft. William Strauss und Neil Howe stellen die These auf, dass nicht nur Geschichte Generationen ›produziert‹,

26 Zinnecker, Jürgen: »›Das Problem der Generationen‹. Überlegungen zu Karl Mannheims kanonischen Text«, in: Reulecke, Generationalität und Lebensgeschichte (2003), S. 33-58. Die Analyse von Michael Wildt zur Generation des Unbedingten verbindet wiederum die historische Sondersituation einer Generation mit einer historischen Wirkung, die in diesem Fall aus einer Verfehlung der Herausforderung ihrer Zeit besteht. Vgl. Wildt: Generation. 27 Vgl. Ahbe, Thomas/Gries, Rainer: »Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte«, in: Annegret Schüler/Thomas Ahbe/Rainer Gries (Hg.), Die DDR aus generationengeschichtlicher Perspektive, Leipzig 2006, S. 475-571. 28 Ebd., S. 493. 29 Ebd., S. 502ff.

36

| DOING GENERATION

sondern auch Generationen ›Geschichte‹.30 Dies führt zu einer Zirkelstruktur der amerikanischen Gesellschaftsgeschichte, in der sich immer wieder Archetypen von Generationen ablösen. Auf eine idealistische Generation folgen eine reaktive, anschließend eine bürgerliche Generation und schließlich eine anpassungsfähige. Howe und Strauss unterstellen der amerikanischen Geschichte damit auch eine Regelmäßigkeit.31 So ereignen sich im Rhythmus von vier Generationen stets große Krisenereignisse wie die Glorious Revolution von 1689, die Amerikanische Revolution von 1776, der Bürgerkrieg in den 1860er Jahren und schließlich der Komplex aus Weltwirtschaftskrise und zweitem Weltkrieg in den1930er Jahren. Diese Ereignisse ereignen sich – so die Autoren – stets an der Scheidemarke zwischen einer idealistischen Generation, die langsam älter wird, und einer reaktiven Generation, die gerade erwachsen wird. Insgesamt deckt so jede einzelne Generation ungefähr 22 Geburtsjahrgänge ab, ein Zyklus umfasst somit knappe hundert Jahre und die gesamte Geschichte der USA somit 18 Generationen. Howe und Strauss versuchen mit ihrer Theorie, jedem US-Amerikaner eine einzigartige Zeitheimat bereitzustellen, die ihn in der amerikanischen Geschichte verortet.

3.3 D IFFERENZIERUNG Wenn man genauer hinschaut, geht es in vielen der bisher genannten Fälle um politische Generationen, so auch bei der Generation Golf und der Generation Berlin – die eine porträtiert vom Soziologen Heinz Bude, die andere vom Historiker Paul Nolte.32 Noltes Buch fordert die Rückkehr einer »Bürgergesellschaft«, diskutiert in seinem Buch unter anderem das Problem der Werte unter dem Schlagwort »Konservatismus« und entwickelt konkrete Vorstellungen zum Aufbau des Sozialstaats.33

30 Vgl. Strauss, William/Howe, Neil: Generations. The History of America’s Future, 1584 to 2069, New York 1991, S. 35. 31 Vgl. ebd., S. 33. 32 Vgl. Nolte, Paul: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, München 2004; Bude, Heinz: Generation Berlin, Berlin 2001. 33 Vgl. P. Nolte: Generation, Klappentext.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 37

Noltes Buch wird dabei nicht als Einzelmeinung, sondern als politisches Projekt einer ganzen Generation positioniert und damit von anderen politischen Generationen abgesetzt: »Das ist das Projekt der Generation Reform, die lange geschwiegen hat und sich endlich zu Wort meldet: um jenseits der Angebote der alternden 68er, aber auch jenseits der Nicht-Angebote jüngerer Spaßgenerationen die Zukunft zu gestalten.«34 Heinz Bude hingegen geht von einem Dreigenerationenmodell aus, das das politische System strukturiert: »Bei den Vorgängen der generationsmäßig sich erneuernden Gesellschaft sind immer drei Parteien im Spiel: die, die auftreten, die, die abtreten, und diejenigen, die noch im Hintergrund stehen, aber die Möglichkeit haben, das Skript zu ändern.«35 1998 identifiziert er Helmut Kohl als Mitglied der abtretenden Generation, Gerhard Schröder als Teil der auftretenden Generation und die Generation Berlin als eben diejenigen, die die Hinterbühnen der Politik bespielen. Bei beiden Modellen handelt es sich um dezidiert politische Generationen – es geht in beiden Fällen um die Frage, wie und welche kollektiv bindenden Entscheidungen getroffen werden sollen.36 Weder Nolte noch Bude thematisiert jedoch, inwieweit die geschilderten Generationen literarisch, wirtschaftlich oder wissenschaftlich agieren. Doch schon bei Karl Mannheim, der zumeist zitiert wird, wenn ein solch politisch-gesellschaftlicher Generationenbegriff ins Feld geführt wird, lässt sich der Hinweis auf eine größere Vielstimmigkeit des Generationenbegriffs finden. Mannheim spricht davon, dass es sein kann, »daß die neudurchbrechende Generationsentelechie nicht in allen Gebieten, in allen Sphären des Geistigen, dieselbe Möglichkeit hat durchzubrechen.«37 Mannheim geht also bereits davon aus, dass es verschiedene »Sphären« gibt, in denen Generationen jeweils »durchbrechen« können. Er identifiziert an anderer Stelle einige dieser Sphären: »Politik, Wissenschaft, Recht,

34 Ebd. 35 H. Bude: Generation Berlin, S. 23. 36 Zur Funktion des politischen Systems, kollektiv bindende Entscheidungen zu ermöglichen, vgl. Luhmann, Niklas: Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt/M. 2000. 37 K. Mannheim: Problem, S. 564.

38

| DOING GENERATION

Kunst, Ökonomie«38. Damit trägt Mannheim an dieser Stelle schon dem Gedanken der funktionalen Differenzierung Rechnung. Denn es gibt auch Generationen, die gerade keinen politischen Index tragen. Schon Julius Petersen skizziert die Generationenforschung als eine Disziplinen übergreifende Perspektive, an der folgende Disziplinen beteiligt sind: Universalgeschichte, Geschichte der politischen Ideen, Kulturgeschichte, Geschichtsphilosophie, Soziologie, Ethnologie, Anthropologie, Entwicklungsund Vererbungslehre, Biologie, Psychologie und Pädagogik, Sprach- und Stilgeschichte, Geschmacksgeschichte, Geschichte aller Künste und Wissenschaften.39

Petersen selbst problematisiert literarische Generationengeschichten. Schriftsteller werden hierbei in einer Epochensystematik so gruppiert, dass jeweils 29 bis 37 Jahrgänge zu einer Epoche gehören. So ergibt sich beispielsweise eine Generationenzählung, die das Frühbarock und das Hochbarock als erste zwei Generationen umfasst, darauf folgen drei Generationen des Spätbarock und der Aufklärung, als Nummer sechs firmieren zusammengenommen Rokoko, Sturm und Drang und Klassizismus, während die Romantik als siebte Generation einer Generation vorausgeht, die als »Zerfall und Nachblüte« bezeichnet wird.40 Es gibt also Generationssemantiken, die nur innerhalb eines bestimmten Systems operieren. Befragt man die Systemtheorie Niklas Luhmanns als eine der zentralen Theorien gesellschaftlicher Differenzierung, so findet man keinerlei Hinweise auf einen Begriff der Generation. Wohl aber finden sich Hinweise auf das Verhältnis einzelner Systeme zur Zeit. Nach Luhmann spaltet gesellschaftliche Differenzierung »die Zeitorientierungen in den einzelnen Systemen und nimmt hin, daß es in einem System drängt, während das andere sich Zeit lassen kann.«41 In jedem System kann eine »systemeigene Zeit«42 entste-

38 Ebd., S. 513. 39 J. Petersen: Generationen, S. 130. 40 Vgl. ebd., S. 146. 41 Luhmann, Niklas: »Gleichzeitigkeit und Synchronisation«, in: ders. (Hg.), Soziologische Aufklärung (= Konstruktivistische Perspektiven Bd. 5), Opladen 1990, S. 95-130, hier S. 128. 42 Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Frankfurt/M. 1984, hier S. 253.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 39

hen oder zumindest eine Semantik, die die Zeitordnung dieses – und nur dieses! – Systems beschreibt. Auch Nolte Entwurf einer Generation Reform beschränkt sich lediglich auf das politische System. Dabei können sich Generationensemantiken sowohl auf systemspezifische Leistungs- und Publikumsrollen beziehen.43 So kann sich eine Selbstbeschreibung eines Systems entwickeln, die die Träger ihrer Leistungsrollen in einer generationellen Abfolge denkt. In Budes Dreigenerationenmodell einer abtretenden Generation, einer auftretenden Generation und einer Generation auf der Hinterbühne thematisiert er lediglich die Leistungsrollen des politischen Systems, die Personen, die bestimmte Ämter einnehmen. Die Publikumsrollen der Wähler spielen bei ihm keine Rolle. So etwas geschieht häufig auch im Wissenschaftssystem, so beispielsweise in disziplinären Einzelentwürfen für die Geschichte44 oder die Soziologie45. In den Sozialwissenschaften folgen auf »Großväter« wie Ferdinand Tönnies Väter, Söhne und Enkel. Die späteren Generationen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie Schüler von vorhergehenden Generationen waren, so beispielsweise Erich Rothacker von Ferdinand Tönnies und Max Scheler.46 Vermutlich die vollständigste Generationenfolge wurde für Mathematiker entwickelt: Das Mathematics Genealogy Project stellt sich dem Anspruch, eine vollständige genealogische Ordnung ihrer Disziplin zu entwickeln, in der alle wesentlichen Mathematiker im Verhältnis zu ihren Doktorvätern erfasst sind.47 Im Wirtschaftssystem finden sich hingegen interessanterweise Generationengeschichten, die nicht auf die Leistungsrollen der Produzenten, sondern auf die Publikumsrollen der Konsumenten abstellen. Im

43 Vgl. R. Stichweh: Inklusion. 44 Vgl. Lambert, Peter: »Generations of German historians: patronage, censorship and the containment of generation conflict, 1918-1945«, in: Roseman, Generations in Conflict (1995), S. 164-183. 45 Vgl. Käsler, Dirk: Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre Entstehungsmilieus, Opladen 1984, S. 446ff. 46 Vgl. ebd., S. 475. 47 Vgl. Jackson, Allyn: »A Labor of Love: The Mathematics Genealogy Project«, in: Notices of the AMS 8 (2007), S. 1002-1003. Auf der Website www.genealogy.ams.org/index.php lassen sich die wissenschaftlichen ›Verwandtschaftsbeziehungen‹ nachrecherchieren.

40

| DOING GENERATION

populären Diskurs48, auf Fachtagungen49, aber auch in der Marketingforschung50 findet man solche Deutungen von Konsumgenerationen.

3.4 P OPULARISIERUNG Längst nicht alle aktuell kursierenden Generationenbeschreibungen lassen sich einem System zuordnen, noch weniger nehmen für sich in Anspruch, als heroisch-politische Generation zu gelten. Kaspar Maase hat daher den Begriff der postheroischen Generation eingeführt. Er bezieht sich damit auf in den Massenmedien kursierende Generationenbezeichnungen, die gerade um 2000 breit diskutiert werden.51 Maase äußert sich skeptisch, ob es diese Generationen tatsächlich »gibt« und grenzt sie schon in seiner Begriffsbestimmung von den heroischen Generationen ab, die nicht nur sichtbare Akteure hervorbringen, sondern sich auch sozialwissenschaftlich nachweisen lassen. Die letzte heroische Generation ist nach Maase die 68er-Generation gewesen. In dieser Gegenüberstellung schwingt weniger der Wunsch nach einem präzisen analytischen Konzept für die Untersuchung der sogenannten postheroischen Generationen mit. Stattdessen wird Generationen wie der Generation Golf abgesprochen, dass es sich bei ihnen um eine ernsthafte Semantik handelt.

48 Vgl. Pate, Kelly: »Not ›X‹, but ›Y‹ marks the spot. Young generation a marketing target«, in: Denver Post vom 17.08.2003; oder Horovitz, Bruce: »Gen Y: A tough crowd to sell«, in: USA Today vom 22.04.2002. 49 Zum Beispiel der 1. Europäische Konsumententag »Generation Gold: Konsumtrends einer alternden Gesellschaft« am Gottlieb Duttweiler Institut am 17.06.2005 in Zürich oder die Konferenz »Zwischen ›Pimp my Fahrrad‹ und Neuer Ernsthaftigkeit – Was bewegt die Generation Klingelton & Co.?« der Akademie des Deutschen Buchhandels im Literaturhaus München, stattgefunden am 25.11.2005. 50 Vgl. Kumar, Archana/Lim, Heejin: »Age differences in mobile service perceptions: comparison of Generation Y and baby boomers«, in: Journal of Services Marketing 7 (2008), S. 568-577. 51 Vgl. Maase, Kaspar: »Farbige Bescheidenheit. Anmerkungen zum postheroischen Generationsverständnis«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 220-242.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 41

Die Unterscheidung der heroischen von den postheroischen Generationen trägt eine verfallsgeschichtliche Wendung in sich, dass es in der Gegenwart keine Generationen mehr gebe. Um sich durch eine solche Vorannahme nicht den Blick zu verstellen auf das Funktionieren der Generationenrede, soll hier nicht die Rede von postheroischen, sondern von populären Generationen sein. Bereits seit Jahrzehnten wird das Populäre oder auch die Populärkultur in einer Reihe von Disziplinen betrachtet, doch selbst die Cultural Studies wissen nicht recht, wie sie das Populäre zu definieren haben, es bleibt für sie »very hard to specify an easily agreed object of study«.52 Über Populärkultur wird selten ohne eine Bewertung gesprochen. Eine positive Wertung empfindet Populärkultur selten, zumeist nur im Zusammenhängen des Pop-Diskurses. Pop hat sich als eine Genrebezeichnung für Musik und Kunst etabliert und mittlerweile schon eigene Theorieanstrengungen nach sich gezogen. Vor allem im Umfeld der Musikzeitschrift Spex und unter dem Einfluss von Diedrich Diederichsen entstand eine Poptheorie, die verschiedene Konzepte der Cultural Studies rezipierte.53 Diese Schule enthielt immer die Notwendigkeit von subjektiver Beurteilung und Empathie, oftmals wurde auch eine politische Zielrichtung normativ gesetzt. Viel häufiger wird Populärkultur jedoch negativ eingeordnet. Ernsthafte politische Argumentation werde diskreditiert durch Populismus, ernsthafte Kunst durch populäre Unterhaltung bedroht, ernsthafte Wissenschaft durch populäre Pseudo-Wissenschaft unterlaufen. Wenn nach einem Gegenbegriff für Populärkultur gesucht wird, ist es die Ernsthaftigkeit der Semantik, ihre unbestreitbare Rückbindung an das System, vom dem gerade die Rede ist.54 Ähnlich geht es der Generation: Spricht man von einer Generation als Bestandteil der Populärkultur, ist dies zunächst eine Abwertung des Generationenbegriff: Po-

52 O’Sullivan, Tim: Key concepts in communication and cultural studies, London 1996, S. 232. Vgl. auch im Rahmen der britischen Cultural Studies McGuigan, Jim: Cultural populism, London 1992; und Fiske, John: Reading the Popular, London 1989. 53 Vgl. beispielsweise Diederichsen, Diedrich: »Pop – deskriptiv, normativ, emphatisch«, in: Marcel Hartges/Martin Lütges/Delf Schmidt (Hg.), Pop Technik Poesie. Die nächste Generation (= LiteraturMagazin, Band 37), Reinbek 1996, S. 36-44. 54 Vgl. U. Stäheli: Exorcising the Popular Seriously.

42

| DOING GENERATION

puläre Generationen-Semantiken werden zumeist als defizitär beschrieben, sie verfehlen es, eine echte Generation zu beschreiben. Ein solch normativ-diskreditierender Begriff des Populären kann wenig hilfreich sein, sich der Präsenz des Generationenbegriffs zu stellen. Urs Stäheli hat versucht, einen operativeren Begriff des Populären zu entwickeln und dafür das Populäre an die Systemtheorie angebunden. Anders herum gesagt hat er die Systemtheorie dafür geöffnet, auch Phänomene populärer Kommunikation zu betrachten. Im Gegensatz zu anderen Vorschlägen55 geht er davon aus, dass das Populäre kein eigenes System bildet. Es ist zudem weder eine positive, kritische Position gegen eine kulturelle Hegemonie, noch eine Kulturindustrie, die selbst kulturelle Dominanz ausübt.56 Stäheli verzichtet auf eine substantialistische Bestimmung des Populären, er sagt nicht, was Populärkultur ist, sondern erläutert ihre Operationsweise. In Anlehnung an die Cultural Studies betont Stäheli zwei entscheidende Charakteristika populärer Kommunikation: Allgemeinverständlichkeit auf der einen Seite, Affektivität auf der anderen Seite.57 Diese Kommunikationsformen zeichnen sich dadurch aus, dass leicht an sie angeschlossen werden kann. Nehme man als Beispiel die Semantik einer »Generation Klingelton«: Hier wird die Beschreibung einer Generation nicht an eine komplexe Beschreibung von Erfahrungsstrukturen oder politischen Programmatiken gekoppelt. Stattdessen wird sie durch den Verweis auf das Spezifikum eines medialen Apparats gebunden, das allgemein bekannt ist. Mobiltelefone sind weit verbreitet und die Möglichkeit, verschiedene Klingeltöne zu verwenden, ist damit weithin bekannt. Zugleich setzt diese Semantik spontane, zumeist bildliche Assoziationen frei: Man denkt zum einen an Werbung für Klingeltöne, die in manchen Fernsehkanälen dauerpräsent ist, zum anderen an Teenager, die in der Öffentlichkeit neue Klingeltöne ausprobieren und sich

55 Vgl. hierzu beispielsweise den Entwurf von Fuchs und Heidingsfelder; vgl. Fuchs, Peter/Heidingsfelder, Martin: »Music no Music Music. Zur Unhörbarkeit von Pop«, in: Soziale Systeme 2 (2004), S. 292-324. 56 Dieses Argument lässt sich auch finden bei Stäheli, Urs: »Das Populäre in der Systemtheorie«, in: Günter Burkart/Gunter Runkel (Hg.), Luhmann und die Kulturtheorie, Frankfurt/M. 2004, S. 169-188, hier S. 169. 57 Vgl. Stäheli, Urs: »Das Populäre als Unterscheidung – eine theoretische Skizze«, in: Gereon Blaseio/Hedwig Pompe/Jens Ruchatz (Hg.), Popularisierung und Popularität, Köln 2005, S. 146-167, hier S. 159ff.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 43

gegenseitig vorführen. Die akustische Dauerpräsenz dieser Geräusche setzt zudem auch noch affektive Assoziationen frei – zumeist den Eindruck akustischer Belästigung. Spricht man von einer »Generation Klingelton«, so stellen sich diese affektiven Assoziationen sofort ein und die Semantik wird verstanden. Die Generationensemantik verheißt nicht nur Inklusion in Generationen, sondern eben auch – und das ist das inklusionstheoretische Potential, das Stäheli der populären Semantik zuschreibt – eine Inklusion in Funktionssysteme.58 Jedes Funktionssystem etabliert sich selbst als universell, das heißt, es ist grundsätzlich allen zugänglich. Prinzipiell können alle am Wirtschaftssystem, am politischen System oder am Kunstsystem teilnehmen. Jedes System entwirft dabei ein eigenes Publikum und Konstruktionen ihrer Akteure, beispielsweise den Konsumenten oder den Wähler. Stäheli spricht bei dieser Herstellung von Publikumsfiktionen von einem Prozess des »Audience Making«.59 Allerdings organisiert jede Beschreibung eines Publikums zugleich dessen Grenzen. Auf der einen Seite wird eine Fiktion entworfen, die möglichst viele Individuen inkludieren lässt, auf der anderen Seite schließt es andere wieder aus. Das Populäre wiederum setzt nach Stäheli gerade auf dieser Grenzziehung ein und problematisiert sie. Er bestimmt das Populäre als das »kommunikative Prozessieren der Unterscheidung zwischen dem Publikum und seiner Außenseite«60. Wenn Paul Nolte von der Generation Reform spricht, so reguliert er damit Inklusion und Exklusion auf zweierlei Weise. Wer Noltes Ideen zustimmt, kann sich in einem ersten Schritt zunächst selbst als Teil der Generation Reform beschreiben. In einem zweiten Schritt wird damit auch eine Inklusion in das politische System erleichtert, indem Ziele und politische Maßnahmen präsentiert werden, die das Individuum als Maßstab seiner Wahlentscheidung oder gar eines darüber hinausgehenden politischen Engagements auswählen kann. Mit der Generation Klingelton hingegen wird eine Semantik bereitgestellt, mit der junge Menschen als Konsumenten in das Wirtschaftssystem inkludiert werden. Stäheli unterscheidet zwei Formen dieses Bezugs auf ein Außen des Systems, zum einen als »Bedro-

58 Vgl. ebd., S. 156ff. 59 Ebd., S. 157. 60 Ebd., S. 158.

44

| DOING GENERATION

hungsszenario« und zum anderen als »Inklusionspotenzial«.61 Wer sich beispielsweise um die Generation Klingelton sorgt, weil sich Jugendliche früh an Praktiken des schrankenlosen Konsums gewöhnen können oder sich für ihr Telefonverhalten verschulden, der kann zugleich erfreut sein, dass eine Generation Reform scheinbar notwendige Umbauten des gesellschaftlichen Systems vornimmt. Stäheli fragt nicht nur nach Kommunikationsformen des Populären und deren inklusionstheoretischen Optionen, sondern auch nach deren Verhältnis zur Differenzierung selbst. Er erläutert an Begriffen wie Klasse, Ethnie und Geschlecht, die aus dem Arsenal der stratifikatorischen Gesellschaft stammen, dass diese Begriffe in Luhmanns Beschreibung der funktional differenzierten Gesellschaft »keine Heimat«62 mehr haben. Ein solcher theoretischer »Fremdkörper«63 ist auch die Generation. Während in segmentären und stratifikatorischen Gesellschaften auch durch Genealogien den Individuen ihre Plätze in Ordnungen zugewiesen werden, ist dies in der funktional differenzierten Gesellschaft nicht mehr möglich. Stäheli stellt fest, dass die Systemtheorie keine Möglichkeit entwickelt hat, soziale und kulturelle Identitäten in der funktional differenzierten Gesellschaft zu beschreiben. Seine These ist, dass das Populäre als Gegenbegriff der »ernsthaften, bewahrenswerten Semantik«64 genau hier einsetzt. Das Populäre fungiert unter der Bedingung funktionaler Differenzierung zugleich als »Gegenbild«65 zu genau dieser funktionalen Differenzierung. Die Generationensemantik leistet genau ein solches Gegenbild, indem sie Individuen affektiv verankert. Dabei zitiert sie Semantiken vergangener Gesellschaftsordnungen, die ihre sozialstrukturelle Bedeutung verloren haben. Um diese affektive Verankerung zu beschreiben, verweist Stäheli unter anderem auf die Theorien von Lawrence Grossberg und Andrew Ross. Grossbergs »Economy of Belonging« funktioniert wie folgt:

61 Vgl. ebd. 62 Stäheli, Urs: »Das Populäre zwischen Cultural Studies und Systemtheorie«, in: Udo Göttlich/Rainer Winter (Hg.), Politik des Vergnügens, Köln 1999, S. 321-336, hier S. 323. 63 U. Stäheli: Das Populäre zwischen Cultural Studies und Systemtheorie, S. 324. 64 Ebd., S. 330. 65 Ebd.

G ENERATIONELLE O RDNUNGEN | 45

»Das Populäre setzt voraus, daß das, womit man sich identifiziert, eine Rolle spielt (matters) und daß das, was eine Rolle spielt, die geeignete Grundlage für Identifikationsprozesse darstellt.«66 Nach Ross wiederum besteht das Vergnügen des Populären im Wiedererkennen, im »knowing one’s place«67. Stäheli selbst formuliert es wie folgt: »Das Populäre verspricht ein imaginäres Zuhause in der unübersichtlichen Polykontexturalität funktional differenzierter Systeme.«68 Auch Generationensemantiken ermöglichen diese Art eines imaginären Zuhauses, in dem sie in funktionalen Gesellschaften Zeitheimaten bereitstellen. Dabei greift sie im populären Kommunikationsmodus auf Semantiken zurück, die Generation gerade eben als nichtdifferenziert verstehen. Die Generationensemantik bedient zum einen die naturtheoretische Traditionslinie einer familiären, natürlichen Abstammung; zum anderen verweist sie in ihrer phänomenologischen Traditionslinie auf ihren gesamtgesellschaftlichen Geltungsbereich. Populäre Generationensemantiken können damit das Ganze einer Gesellschaft wieder ins Feld führen, um in einzelnen Teilsystemen Selbst- und Fremdbeschreibungen zu organisieren. So kann ein politischer Wandel popularisiert werden, indem Personen, die zur Wahl stehen, als Teile einer bestimmten Generation aufgerufen werden – einer Generation, die eben nicht genuin politisch ist, sondern als ein Beheimatungsmodell jenseits der Systeme funktioniert. Generation als ein Phänomen populärer Kommunikation löst also nicht genealogische, phänomenologisch-historische oder differenzierungstheoretische Semantiken ab. Stattdessen greift die Populärkultur auf diese Semantiken zurück, gerade weil sie allgemeinverständliche und affektive Assoziationen auslösen. Sie trotzdem als populäre Semantik zu untersuchen, verschiebt allerdings die Perspektive auf ihr Funktionieren als Verfahren der Identifikation und der Inklusion.

66 Grossberg, Lawrence: We Gotta Get Out of This Place: Popular Conservatism

and

Postmodernism

in

Contemporary

America,

New

York/London 1992, S. 84. 67 Ross, Andrew: No Respect – Intellectuals and Popular Culture. New York/London 1989, S. 4. 68 U. Stäheli: Das Populäre zwischen Cultural Studies und Systemtheorie, S. 332.

4. Generationelle Beziehungen

Es ist vor allem an der populären Dimension des Generationenbegriffs bereits deutlich geworden, welche Bedeutung die Generationensemantik als Identifikationskonzept hat. Generation ermöglicht das, was funktionelle Differenzierung nicht ermöglicht: Die Bereitstellung von Identitäten. Identität ist eines von verschiedenen übergeordneten Konstruktionsprinzipien, so Ulrike Jureit, die das Bedeutungsfeld des Generationenbegriffs abstecken.1 Nach Jureit beschreibt Generation ein »Beziehungsmuster«, das ein »spezifisches Verhältnis zwischen Individuum und Kollektiv« markiert,2 das an dieser Stelle als Generationalität bezeichnet werden soll. Damit nimmt dieses Kapitel eine spiegelbildliche Perspektive zum vorangegangenen Kapitel ein. Ging es bisher um die zeitlichen Ordnungen, innerhalb derer Generationen für Individuen Zeitheimaten bereitstellen, geht es nun um die Individuen selbst, wie sie durch den Generationenbegriff in Beziehungen eingebettet werden. Neben der Generation als Identitätsbegriff gibt es noch zwei weitere Beziehungsmuster, die der Generationenbegriff herstellen kann. Er kann zweitens auch als Differenzbegriff operieren. Wenn man beispielsweise innerhalb einer Genealogie zwei Generationen beschreibt, dann stellt hier die Generation einen Unterschied dar, zeigt etwas darüber an, was zunächst auf die eine Art galt, und anschließend auf die andere. Wer von Generationen spricht, kann nicht nur das eigene thematisieren, sondern stets auch das fremde. Generationen können viele

1

Vgl. U. Jureit: Generationenforschung, S. 10.

2

Ebd., S. 12.

48

| DOING GENERATION

Arten von Differenzen beschreiben, sie können einen Einblick geben in Generationelle Verhältnisse. Neben Generationalität und Generationellen Verhältnissen gibt es aber noch ein drittes, ein prozessuales, Beziehungsmuster, die Generativität. Nicht nur Identitäten und Differenzen, sondern auch Prozesse beleuchtet die Semantik der Generation – sie lenkt den Blick darauf, wie etwas geprägt wird, wie sich eine Generation herausbildet, wie eine Generation schließlich zurückwirkt auf ihre Umgebung. Alle drei Begriffe, die Generationalität, die Generationellen Verhältnisse und die Generativität lassen sich bereits in der Generationenforschung finden – mal als definiertes Konzept, mal ohne weitere Erläuterung. An dieser Stelle wird vorgeschlagen, diese drei Begriffe neu zu konturieren und ihrer Dreiheit als verschiedene Beziehungsmöglichkeiten durch Generationensemantiken zu fassen. Angefangen mit der Generationalität werden daher im Folgenden alle drei Begriffe an Beispielen aus den Generation Studies, aber auch aus der populären Kommunikation diskutiert.

4.1 I DENTITÄT : G ENERATIONALITÄT Eine basale Operation ist es, Generationen eine Identität zuzuschreiben. Identität ist zunächst nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Behauptung, etwas bleibe gleich: Eine Möglichkeit, Erwartungen relativ zeitfest zu etablieren, besteht darin, sie auf etwas zu beziehen, was selbst kein Ereignis, also im strengen Sinne nicht selbst erwartbar ist. Es werden Identitäten projektiert, an denen man Erwartungen festmachen kann, und durch solche Zuweisung an identisch Bleibendes werden Erwartungen sachlich geordnet.3

Ist die Rede von einer »Generation Minigolf«, die das Ziel hat, »Minigolfen vom Mief der frühen Jahre zu befreien«, indem sie zerlatschte Turnschuhen und Clubklamotten tragen und sich von »DJs sanft berie-

3

N. Luhmann: Systeme, S. 426.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 49

seln« lassen,4 so ist damit zunächst nur gemeint, dass man bei den beschriebenen jungen Menschen genau dies zu erwarten hat. Es geht zunächst darum, Erwartungen zu etablieren und zu stabilisieren. In der Generationenforschung hat sich mittlerweile Generationalität als ein Begriff für generationelle Identität etabliert, so schreibt beispielsweise als einer der ersten Jürgen Reulecke: Der in der Diskussion über Generationenverhältnisse eher ungebräuchliche Begriff »Generationalität« geht – wie alle Begriffe mit der Endsilbe »-tät« wie Identität, Urbanität, Nationalität usw. – auf einen genitivus qualitatis (ähnlich wie z. B. auctoritas, auctoritatis) zurück und bezeichnet eine einer Sache oder einem Wesen zugeschriebene oder erst unter bestimmten Umständen hervortretende Qualität.5

Ob es ihre skeptische Grundhaltung ist oder ihre Neigung zu Minigolf, Generationen wird eine spezifische Qualität zugeschrieben und damit eine Generationalität. Generationalität wiederum kann als Selbst- und Fremdbeschreibung erzeugt werden und verschränkt mitunter beide miteinander.6 Auch Ute Daniel entwirft einen Begriff von Generationalität: »Generationalität bezeichnet demnach ein Ensemble von altersspezifischen inhaltlichen Zuschreibungen, mittels derer sich Menschen in ihrer jeweiligen Epoche verorten und die teils mehr, teils weniger zugespitzt formuliert werden.«7 Zentral ist, dass es sich dabei stets um mehrere Menschen handelt, nicht um eine individuelle, sondern um eine kollektive Identität.8 Es geht nicht nur um eine rein individuelle Selbst- und

4

Jeweils Bullion, Constanze von: »Generation Minigolf. Neue Bahnen der Erkenntnis für die Berliner Szene«, in: Süddeutsche Zeitung vom 25.04.2005.

5

Reulecke, Jürgen: Einführung: Lebensgeschichten des 20. Jahrhunderts – im »Generationencontainer«?, in: ders., Generationalität und Lebensgeschichte (2003), S. VII-XV, hier S. VIII.

6

Vgl. U. Daniel: Kompendium, S. 331.

7

Ebd.

8

Zum Begriff der Kollektiven Identität vgl. Giesen, Bernhard: »Voraussetzung und Konstruktion. Überlegungen zum Begriff der kollektiven Identität«, in: Cornelia Bohn/Herbert Willems (Hg.), Sinngeneratoren: Fremd-

50

| DOING GENERATION

Fremdbeschreibung, sondern um eine »partizipative Identität«, bei der ein Individuum durch Zugehörigkeit – oder Abgrenzung! – zu einer Gruppe bestimmt wird.9 Dabei kann es stets zu einer Pluralität von in Anspruch genommenen Kollektiven kommen, die jeweils nur stärker oder schwächer in den Vordergrund der Aufmerksamkeit rücken. Generationalität kennzeichnet somit Zuschreibungen, keine biologischen Kennzeichen einer natürlichen Existenz. Diese Unterscheidung zwischen einer ›diskursiven‹ Generationalität und einer ›natürlichen‹ Generation10 erinnert an die prominente Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht (sex) und kultureller Geschlechtsidentität (gender). Das Sprechen von ›Generationalität‹ anstelle von ›Generation‹ markiert damit eine ähnliche Wendung, wie sie in der Geschlechterforschung bereits vollzogen wurde. Generationalität verweist auf die Unmöglichkeit, Generationen als natürliche Gegebenheit vordiskursiv zu betrachten. Generationalität kann als eine zugeschriebene generationelle Qualität ähnlich wie eine geschlechtliche Qualität nicht als »Ursprung oder Ursache bezeichnet werden«, sondern ist vielmehr »Effekt[e] von Institutionen, Verfahrensweisen und Diskursen mit vielfältigen und diffusen Ursprungsorten«.11 Generationalität ist gemacht und wirft die Frage auf, wann und wie sie entsteht. Kommunikative Adressen In der Generationalität erhalten Generationen zunächst eine kommunikative Adresse. Massenmediale Adressenordnungen haben »die Funktion, Kommunikation wahrscheinlicher zu machen, Adressaten erreichbar und zugleich die Kommunikation auf einen Adressanten zu-

und Selbstthematisierung in soziologisch-historischer Perspektive, Konstanz 2001, S. 91-110. 9

Zu diesem Begriff vgl. Bohn, Cornelia/Hahn, Alois: »Selbstbeschreibung und Selbstthematisierung: Facetten der Identität in der modernen Gesellschaft«, in: Bohn/Willems: Sinngeneratoren (2001), S. 33-61, hier insbesondere S. 37f.

10 Vgl. hierzu B. Weisbrod: Generation, oder U. Daniel: Kompendium. 11 Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991, S. 9.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 51

rückrechenbar zu machen.«12 Erst eine kommunikative Adresse macht es möglich, dass über etwas gesprochen oder geschrieben werden kann. Damit wird die Adresse zu einem sozialwissenschaftlichen Grundbegriff, wie Peter Fuchs herausarbeitet: »Es käme kein sozialer Tatbestand zustande, wenn ihm nicht die Folie der Adressen unterläge.«13 Generationen stellen nicht Adressen von einzelnen Personen, sondern von Kollektiven bereit. Systemtheoretisch lässt sich in diesem Fall von einem Programm sprechen. Programme identifizieren ebenso wie Personen Erwartungen.14 Ein Programm bezeichnet ganz allgemein einen »Komplex von Bedingungen der Richtigkeit (und das heißt: der sozialen Abnehmbarkeit) des Verhaltens«.15 Dabei grenzt sich der Programmbegriff von dem Begriff der Person oder einer Rolle dadurch ab, dass er nicht mehr auf einzelne begrenzt ist.16 Sie ermöglichen eine Adressierung über die einzelne Person hinaus, auf kleinere Kollektive oder ganze Geburtskohorten. Der Geltungsbereich von Generationen variiert dabei erheblich. So präsentiert das Magazin duz in seiner Titelgeschichte »Die Generation Bachelor: engagiert, weltoffen, selbstbewusst« die ersten Deutschen, die im Zuge der Bologna-Reformen einen Bachelor-Studiengang absolvieren.17 Damit ist nur der Teil der Populationskohorte gemeint, der studiert. Die ›Deukische Generation‹ ist der Name eines Vereins, den eine Berliner Abiturientin 2007 gründete, um die Chancen von jungen Deutschtürken in Bildung und Arbeitsmarkt zu verbessern.18 Mit ihrer Generation sind auch hier wieder nur Deutsche mit türkischem Migra-

12 Jäger, Ludwig: »Die Verfahren der Medien: Transkribieren – Adressieren – Lokalisieren«, in: Jürgen Fohrmann/Erhard Schüttpelz (Hg.), Die Kommunikation der Medien, Tübingen 2004, S. 69-79, hier S. 74f. 13 Fuchs, Peter, »Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie«, in: Soziale Systeme 1 (1997), S. 56-79. 14 Vgl. N. Luhmann: Systeme, S. 429. 15 Ebd., S. 432f. 16 Vgl. ebd., S. 432. 17 Vgl. »Studium duz. Das Magazin für Studienstarter«, Wintersemester 07/08; hrsg. u.a. von der Hochschulrektorenkonferenz und dem deutschen Studentenwerk. 18 Vgl. Krüger, Paul-Anton: »Die ›deukische Generation‹«, in: Süddeutsche Zeitung vom 16.04.2007.

52

| DOING GENERATION

tionshintergrund gemeint, erneut eine Teilgruppe der Populationskohorte. Auch Generationen, die sich auf verschiedene gesellschaftliche Teilsysteme beziehen – wie im vorangegangenen Kapitel besprochen – haben mitunter einen wesentlich kleineren Geltungsbereich, wenn sie, wie beispielsweise im Wissenschaftssystem, viel weniger Individuen inkludieren. Es gibt darüber hinaus eine Reihe von Generationenbegriffen, die wesentlich kleine Kollektive adressieren. So schreibt Hans Leyendecker in der Süddeutschen Zeitung von einer »Generation Terror«19 als einer Gruppe islamistischer Schläfer in Deutschland; Christoph Kneer beschreibt als »Generation Sportlehrer«20 eine Gruppe von jüngeren Trainern der Fußballbundesliga. Schon Karl Mannheim unterscheidet eine ganze Reihe von Generationenbegriffen, die sich jeweils in ihrem Geltungsbereich unterscheiden. Während sich eine Generationslagerung über eine gesamte Populationskohorte erstreckt, nehmen Generationszusammenhänge jeweils am gleichen Schicksal einer »historisch-sozialen Einheit«21 teil. Interessiert ist Mannheim aber vor allem an den noch kleineren »Generationseinheiten«, die alle umfassen, die »innerhalb desselben Generationszusammenhanges in jeweils verschiedener Weise diese Erlebnisse verarbeiten«.22 Generationenbewusstsein Doch zu diesem hegemonialen Geist gehört nach Mannheim noch weit mehr als eine bloße kommunikative Zuschreibung von Identität. Jede soziale Adresse – genau so definiert sich dieser Begriff – unterstellt auch ein eigenes Bewusstsein,23 aber ob die Mitglieder der Generation Terror, der Generation Sportlehrer oder der Generation Bachelor sich tatsächlich auch in ihrem eigenen Bewusstsein als Generation verstehen, sich ihrer Generationalität bewusst sind, ist ungewiss. Generatio-

19 Leyendecker, Hans: »Netzwerk des Wirrwarrs«, in: Süddeutsche Zeitung vom 21.08.2006. 20 C. Kneer: Generation. 21 K. Mannheim: Problem, S. 542. 22 Ebd., S. 544. 23 Vgl. P. Fuchs: Adressabilität.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 53

nen sind dabei – wie Nationen – auch in der Weise modular, dass sie in ganz unterschiedlichen Graden selbstbewusst sein können.24 Schon Karl Mannheim ist für diese Differenzierung sensibel. Er operiert zwar einerseits mit dem Begriff der Lage als einem analytischen Konzept für Generationen, aber andererseits auch mit dem Begriff des Bewusstseins.25 Wer von Generationalität spricht, meint damit nicht immer nur eine zeitstabile kommunikative Adresse, sondern zumeist auch ein generationelles Bewusstsein. So übersetzt beispielsweise Bernd Weisbrod Generationalität konsequent mit »generational consciousness«,26 ein Begriff, den auch Eyerman und Turner in ihrer soziologischen Theorie entwickeln.27 Auch für Andreas Schulz ist die Bildung einer generationellen Identität immer verbunden mit einem Generationenbewusstsein.28 Er nennt Übereinstimmungen der Ausdrucksformen, des Lebensgefühls und des Habitus als Merkmale eines Generationsbewusstseins und orientiert sich dabei an politischen Generationen des 19. und 20. Jahrhunderts. Innerhalb der Psychoanalyse versucht Christopher Bollas eine Theorie des Generationenbewusstseins zu entwerfen, das sich in einem mehrstufigen Prozess in jedem Leben in unterschiedlichem Maße ausprägt und in dem gerade Objekte eine besonders wichtige Rolle spielen.29 Den Ausgangspunkt zur Erforschung dieses Generationenbewusstseins nimmt er bei Schriftstellern, denen er mitunter ein besonderes Gespür für ihre eigene Generation zuschreibt; »denn die Schriftsteller, Filmschaffenden und Künstler unserer Zeit tragen wesentlich zur grundlegenden und intensiven Transformation der unbewußten

24 Vgl. in Anlehnung an Anderson: Communities, S. 4. 25 Vgl. K. Mannheim: Problem, S. 526. 26 Weisbrod, Bernd: »Cultures of Change. Generations in the Politics and Memory of Modern Germany«, in: Lovell, Stephen (Hg.), Generations in Twentieth Century Europe, Basingstoke 2007, S. 19-35. 27 Vgl. Eyerman, Ron/Turner Bryan S.: »Outline of a Theory of Generations«, in: European Journal of Social Theory 1 (1998), S. 91-106, hier S. 103. 28 Vgl. Schulz, Andreas: »Individuum und Generation. Identitätsbildung im 19. und 20. Jahrhundert«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (= GWU) 52 (2001), S. 406-414. 29 Vgl. Bollas, Christopher: Genese der Persönlichkeit. Psychoanalyse und Selbsterfahrung, Stuttgart 2000.

54

| DOING GENERATION

Identität einer Generation in bewußte Identität bei.«30 Christoph Amend fragt sich angesichts der Generation Golfkrieg, wie ein Generationsgefühl entsteht, und zitiert in diesem Sinne Martin Walser: »Eine Zugehörigkeit muss man erleben, nicht definieren. Auch die Zugehörigkeit zu einem Geschichtlichen hat man nicht erst als Erkenntnis parat, sondern als Empfindung, als Gefühl.«31

4.2 D IFFERENZ : G ENERATIONELLE V ERHÄLTNISSE Heinz Bude gibt ebenfalls eine Antwort auf die Frage, woher ein solches Generationenbewusstsein als eines Wir-Begriffs des Einzelnen stammt.32 Er beruft sich dabei auf Pierre Nora, nach dem sich diese Identität vor allem im gemeinsamen Verweis auf die Vergangenheit konstituiert: »Die Erfahrungs- und Erinnerungsgemeinschaft einer Generation behauptet eine horizontale Identität der Weltauffassung und Weltbewältigung jenseits der vertikalen Solidaritäten von Herkunftsgefühlen und Assoziationsbereitschaften.«33 Es gibt einen ganzen Strang der Generationenforschung, der gemeinsame Erinnerungen und ein kollektiv geteiltes Gedächtnis als konstitutiv für die Bildung von Generationen erachtet.34

30 Ebd., S. 235. 31 Amend, Christoph: »Junge Welt. Sind die demonstrierenden Teenager die Hippies des 21. Jahrhunderts?«, in: Süddeutsche Zeitung vom 05./06.04.2003. 32 Vgl. H. Bude: Generationenforschung, S. 187. 33 Ebd. 34 Vgl. hierzu beispielsweise Assmann, Jan: »Erinnern, um dazuzugehören«, in: Kristin Platt/Mihran Dabag (Hg.), Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, Opladen 1995, S. 51-75; Wischermann, Clemens: »Kollektive, Generationen oder das Individuum als Grundlage von Sinnkonstruktionen durch Geschichte: Einleitende Überlegungen«, in: ders. (Hg.), Vom kollektiven Gedächtnis zur Individualisierung der Erinnerung, Stuttgart 2002, S. 9-23; von Engelhardt, Michael: »Generation, Gedächtnis und Erzählen. Zur Bedeutung des lebensgeschichtlichen Erzählens im Generationsverhältnis«, in: Liebau: Generationsverhältnis (1997), S. 53-76.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 55

Das Verdienst, den Zusammenhang zwischen persönlicher Identität und Zeit theoretisch beleuchtet zu haben, kommt vor allem Thomas Luckmann zu.35 Luckmann betont, dass sich persönliche Identität wie jede Form von Identität nur in ihrer Dauer konstruieren lässt. Personen können daher nur über den erinnernden Rückgriff auf alte Erfahrungen ihre persönliche Identität bestimmen. Dabei sind »biographische Schemata« besonders wichtig als »Bausteine der bewußten und expliziten Dimensionen persönlicher Identität«36. Diese Art der Biographieforschung konstituiert Generationen qua Differenz, als Verhältnis von Gegenwart und Erinnerung – als Generationelles Verhältnis.37 Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen: Erinnerung und Prognose Vor allem Heinz Bude hat diese generationenspezifische Biographieforschung nicht nur theoretisch weiterentwickelt,38 sondern auch eine Reihe von empirischen Studien durchgeführt.39 So interpretiert er eine ganze Reihe von qualitativen Interviews der 68er-Generation; nicht etwa, um herauszufinden, »wie es damals wirklich gewesen ist«, sondern um zu untersuchen, »wie diese gezielt ausgesuchten Vertreter der Jahrgangsgruppe 1938 bis 1948 heute ihre Vergangenheit sehen und ihre Zukunft beurteilen. Die Gegenwart sollte den Ausgangspunkt für

35 Vgl. Luckmann, Thomas: »Zeit und Identität: Innere, soziale und historische Zeit«, in: Friedrich Fürstenberg/Ingo Mörth (Hg.), Zeit als Strukturelement von Lebenswelt und Gesellschaft, Linz 1986, S. 135-174. 36 Ebd., S. 170. 37 Vgl. hierzu Beate Fietze zum Verhältnis von Biographie und Generation als narrativer Identitätskonstruktion; vgl. B. Fietze: Generation, S. 113ff.; aber auch Corsten, Michael: »Biographie, Lebenslauf und das »Problem der Generationen«, in: Bios 2 (2001), S. 32-59; T. Hareven: Aging. 38 Vgl. Bude, Heinz: »Rekonstruktion von Lebenskonstruktionen – eine Antwort auf die Frage, was die Biographieforschung bringt«, in: Martin Kohli/Günther Robert (Hg.), Biographie und soziale Wirklichkeit, Stuttgart 1984, S. 7-28. 39 Vgl. Bude, Heinz: »Die biographische Relevanz der Generation«, in: Martin Kohli (Hg.), Generationen in Familie und Gesellschaft (= Lebenslauf – Alter – Generation, Band 3), Opladen 2000, S. 19-35.

56

| DOING GENERATION

die Konstruktion der Vergangenheit bilden.«40 Generation wird hier sichtbar gemacht, indem vor allem Gegenwart und Vergangenheit der Generation miteinander in Beziehung gesetzt werden, aber auch Gegenwart und Zukunft. Es gibt eine ganze Reihe von solchen Generationenbiographien, die weniger empirisch, sondern eher persönlich gehalten sind. Prominentes Beispiel ist Jürgen Busches Die 68er, das den Untertitel Biographie einer Generation trägt. Busche blickt zunächst zurück, schreibt vom Aufwachsen seiner Generation, ihrer ›Revolution‹ und ihrem ›langem Marsch durch die Institutionen‹. Doch er thematisiert auch die Gegenperspektive: »Heute besetzen die 68er die Schaltstellen des Staates, der Wirtschaft und der Universitäten, aber hat diese Generation die Kraft und die Überzeugung, einer Ära ihren Stempel aufzudrücken? Wird sie Bleibendes hinterlassen?«41 Generationen sind nicht nur ein zeitpolitisches Instrument, um eine Differenz von Gegenwart und Vergangenheit zu setzen, sondern auch, um die Differenz zwischen Gegenwart und Zukunft zu problematisieren. Ute Daniel bringt dies besonders gut auf den Punkt: »Es [das generationelle Deutungsmuster] organisiert Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen und deutet für jede Gegenwart Zukunftsprognosen an, die […] aus der jeweiligen Generationenkonstellation folgen.«42 Schon Bude thematisiert dies, wenn er die 68er danach befragt, wie sie ihre Zukunft beurteilen. Sigrid Weigel konstatiert sogar eine generelle Tendenz des Generationenkonzepts in der »Umstellung von Genealogie auf Zukünftiges«43. Auch Niklas Luhmann erläutert die uralte Neigung von Gesellschaft, die Zukunft beschreiben zu wollen, gerade weil die Zukunft stets ungewiss bleibe.44 Dabei steht vor allem eine Frage im Vordergrund – und hier spricht Luhmann doch einmal ausnahmsweise, allerdings in Anführungszeichen, von Generationen:

40 Bude, Heinz: Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1938 bis 1948, Frankfurt 1995, S. 37. 41 Busche, Jürgen: Die 68er. Biographie einer Generation, Berlin 2003, Klappentext. 42 U. Daniel: Kompendium, S. 331. 43 S. Weigel: Generation, Genealogie, Geschlecht, S. 186. 44 Vgl. Luhmann, Niklas: »Die Beschreibung der Zukunft«, in: ders. (Hg.), Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S. 129-147.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 57

Welche Lebensbedingungen werden die »zukünftigen Generationen« vorfinden, von denen man jetzt so viel spricht – gesetzt den Fall, daß es sich dabei überhaupt noch um mit uns vergleichbare Menschen handeln wird und nicht um gentechnologisch veränderte, genormte und nach Programmen differenzierte humanoide Lebewesen?45

Erinnerungen und Prognosen sind dabei jeweils Beobachtungen, die sich der Unterscheidung von Aktualität und Inaktualität bedienen.46 Während Aktualität Gleichzeitigkeit konstituiert, kann Inaktualität nach Luhmann in Vergangenheit und Zukunft unterschieden werden. Operativ können diese Zeitdimensionen durch die Unterscheidung dreier Systemzeiten gehandhabt werden, erstens gegenwärtige Vergangenheit als Erinnerung, zweitens gegenwärtige Gegenwart als Erleben und drittens gegenwärtige Zukunft als Erwartung oder Prognose.47 Damit wird Zeit zur »Einheit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«48 und zur »Identität des Nicht-mehr und Noch-nicht.«49 Diese Zeitverhältnisse können als Folie dienen für die Etablierung eines Beziehungsmusters, das nicht primär über Identität, sondern über Differenz operiert, eines Generationellen Verhältnisses. Die »Differenzerfahrung« einer Generation kann sich in der Erinnerung an die gemeinsamen Erlebnisse, oder in der Prognose auf künftige Zustände ausdrücken. Die Einheit dieser Differenz ist der gemeinsame Lebenslauf, die gemeinsame Biographie der Generation.50 Nicht umsonst war

45 Ebd., S. 135f. 46 Vgl. N. Luhmann: Gleichzeitigkeit, S. 116. 47 Vgl. hierzu »History-TV«, Vortrag von Andreas Ziemann, gehalten an der Bauhaus-Universität Weimar, 8. Juli 2008, in Anlehnung an Esposito, Elena: »Zeitmodi«, in: Soziale Systeme 2 (2006), S. 328-344; sowie Nik las Luhmann: Organisation und Entscheidung, Opladen/Wiesbaden 2000, S. 152ff. 48 Ebd. 49 Ebd. 50 Der Unterscheidung zwischen »realem« Lebenslauf und »konstruierter« Biographie durch Hahn und Willems soll an dieser Stelle nicht gefolgt werden; stattdessen wird davon ausgegangen, dass jede Art der Lebenserzählung auf ihre Weise inszeniert wird. Vgl. Hahn, Alois/Willems, Herbert: »Zivilisation, Modernität, Theatralität: Identitäten und Identitätsdar-

58

| DOING GENERATION

Karl Mannheims Generationentheorie einer der Schlüsseltexte für die Etablierung der Soziologie des Lebenslaufs.51 Im Lebenslauf als der generationellen Einheit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen kann – in der Gegenwart – eine Vergangenheit erinnert werden oder auch eine Zukunft prognostiziert werden. Je nachdem, ob der Vergleichspunkt der Generation im Bereich der Vergangenheit oder der Zukunft liegen, je nachdem, »ob noch Einflußmöglichkeiten in Aussicht stehen oder nicht«52. Reinhard Mohn versucht sich gleich zweimal an einer solchen Schilderung des Lebenslaufs seiner Generation, der von ihm so genannten 78er oder der Generation Z. Zunächst legt er 1992 in Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam einen Schwerpunkt auf der Vergangenheit, auf die Frage, wie seine Generation so wurde, wie sie ist;53 elf Jahre später richtet er seinen Blick stärker in die Zukunft und schildert in Generation Z von der »Zumutung, älter zu werden.54 Die noch bestehenden Einflussmöglichkeiten auf die Zukunft bedeuten zweierlei. So können einerseits Ansprüche auf die Zukunft formuliert werden, andererseits auch Befürchtungen für die Zukunft ausgesprochen werden. Beides findet man beispielsweise in einer Sonderausgabe des Spiegel mit dem Titel »Was wird aus mir? Wir Krisenkinder: Das Selbstporträt einer Generation«55. Urs Stäheli schreibt gerade populärer Kommunikation eine besondere Rolle in der Thematisierung von Zukunft zu. Als populäre Kommunikation versteht Stäheli »Semantiken zur Bezeichnung eines Noch-Nicht-Publikums […], eines Inklusionspotentials«56 von Funktionssystemen. Die populäre Rede von zukünftigen Generationen im po-

stellungen«, in: Herbert Willems (Hg.), Inszenierungsgesellschaft, Wiesbaden 1998, S. 193-213. 51 Vgl. hierzu grundlegend Kohli, Martin (Hg.): Soziologie des Lebenslaufs. Darmstadt/Neuwied 1978. 52 N. Luhmann: Gleichzeitigkeit, S. 116. 53 Vgl. Reinhard Mohr: Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam, Frankfurt/M. 1992. 54 Vgl. Reinhard Mohr: Generation Z. Von der Zumutung, älter zu werden, Berlin 2003. 55 Vgl. Der Spiegel Special 1 (2009). 56 U. Stäheli: Das Populäre in der Systemtheorie, S. 181.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 59

litischen System beispielsweise umfasst auch immer die Rede von zukünftigen Wählern – und auch die Veränderungen, die durch die neue Zusammensetzung der Wählerschaft entstehen: »Diese Massen sind nicht nur zukünftiges Publikum, sondern auch die Bedrohung bestehender Publikumsstrukturen.«57 Ein solches – politisches – Beispiel ist Christoph Amends Beschreibung einer Generation Golfkrieg, die in den 80ern geborene Jugendliche umfasst: Wie entsteht ein Generationsgefühl? […] [D]ann erleben wir gerade auf den Straßen überall in Deutschland, auf den mehr als 50 Friedensdemonstrationen, die seit Beginn des Irak-Kriegs stattgefunden haben, den ersten großen Auftritt einer neuen Generation, der Generation Golfkrieg. […] Was sind ihre Motive, was ihre Erfahrungen? Worin unterscheiden sich diese Jungen von den Älteren? Und vor allem: Werden sie dauerhaft politisiert – oder wenden sie sich nach einem Ende des Krieges wieder ihren Gameboys zu?58

Welche komplexen Optiken von zukünftigen Generationen die Literatur entwerfen kann, hat vor allem Jörg Richter zusammengestellt.59 Nach Richter erhält die Zukunft in der Moderne die Zuschreibung als Risiko, das es zu bewältigen gilt. Das Generationenparadigma erhält dabei die doppelte Funktion als Narrativ und als normativer Anspruch, Generationengerechtigkeit zu erzeugen. Vor allem der moderne amerikanische Familienroman entwerfe dabei Optiken der zukünftigen Generation, so zum Beispiel die Perspektive der Präpostmortalität, in der sich Generationen fragen, wie sie von späteren Generationen einmal gelesen werden. Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen: Jüngere und Ältere Im Gegensatz zur Perspektive von Reinhard Mohn und den SpiegelAutoren beziehen sich die Prognosen von Amend und Richter nicht

57 Ebd. 58 C. Amend: Welt. 59 Vgl. Richter, Jörg Thomas: »Generationenzukunft zwischen Norm und Narrativ«, in: Bohnenkamp/Manning/Silies, Generation (2009), S. 185200.

60

| DOING GENERATION

auf Selbstbeschreibungen, sondern auf Fremdbeschreibungen. Es geht nicht primär um die Entwicklung der eigenen Generation, sondern um die Frage nach der Zukunft im Lichte einer zukünftigen, anderen Generation. Damit schreibt sich hier neben der zeitlichen Differenz innerhalb einer Generation eine weitere Differenz ein, die der Differenz zwischen verschiedenen, einander fremden Generationen. Bei Claus Leggewie findet man eine grundlegende Beobachtung von Generationen als Fremdes: »Die nächste Generation tritt den Erwachsenen jeweils fremd entgegen.«60 Er sortiert diese Einschätzung der Fremdheit als ein gesellschaftliches »Leitmotiv« ein: »Die nächste Generation als Fremde – dieses Leitmotiv ist der Gesellschaft der Fremden entnommen, zu der sich die multikulturelle Weltgesellschaft entwickelt.«61 Das Fremde, so argumentiert Leggewie weiter, muss allerdings zunächst sichtbar oder lesbar gemacht werden – und in dieser Hinsicht entwickelt er seine Thesen zur Generation 89. Das zu Grunde liegende Problem ist hierbei allerdings nicht nur die Fremdheit der anderen, jüngeren Generation zur gleichen Zeit, sondern auch die Zukunft selbst, die von den jüngeren gestaltet wird. Hier werden Zuschreibungen für Wähler in der Zukunft verhandelt, die Sorge um die Entpolitisierung steht der Hoffnung auf eine generationell prägende Erfahrung entgegen. Nicht nur hinsichtlich der Prognose von Politik, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht sollen Generationen Zukunft lesbar machen. Zur Generierung von Produktinnovationen, Vertriebs- und Marketingmöglichkeiten wird zum Beispiel die Notwendigkeit beschrieben, eine »Generation Klingelton« lesbar zu machen. Mit diesem Label zumindest wirbt eine Konferenz der Akademie des Deutschen Buchhandels62, die ihre Prognosen unter folgenden Titel stellt: »Zwischen ›Pimp my Fahrrad‹ und Neuer Ernsthaftigkeit – Was bewegt die Generation Klingelton & Co.?«

60 C. Leggewie: 89er, S. 30. 61 Ebd., S. 31. 62 Sie hat stattgefunden am 25.11.2005 im Literaturhaus München. Einige Monate zuvor, am 17.06.2005 fand im Gottlieb-Duttweiler-Institut der 1. Europäische Konsumententag statt, der unter dem Schlagwort »Generation Gold« Konsumtrends einer alternden Gesellschaft untersucht hat; vgl. hierzu Frick, Karin: Generation Gold (= GDI Studie Nr. 18), Download unter http://www.gdi.ch/de/publikationen/generation-gold.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 61

Wie entscheidend sich nicht nur der Lebenslauf in seiner Einheit von Erinnerung und Prognose, sondern auch das Verhältnis von Alt und Jung auf die Positionierung des einzelnen auswirkt, stellt Ute Daniel in ihrer grundsätzlichen Überlegungen zur Generationengeschichte heraus: »Von besonders existentieller Bedeutung ist dabei wohl die biographische Verortung in Zeit und Geschichte, d.h. als Zeitgenosse, als Altersgenosse und als Mensch in einem bestimmten Lebensalter mit Blick auf die anderen – jüngeren oder älteren – Altersgruppen.«63 Die Unterscheidung von Jüngeren und Älteren wird vor allem in einer wissenschaftlichen Disziplin prominent verhandelt, der Pädagogik. Nach Friedrich Schleiermacher, einem der ›Gründerväter‹ der Erziehungswissenschaft, ist es gerade diese Differenz, die die Pädagogik als Wissenschaft konstituiert. Er geht von einer zweiwertigen Unterscheidung der Generationen aus und stellt fest, dass alle Menschen, »welche gleichzeitig einem Zyklus angehören, immer geteilt werden können in die ältere und die jüngere Generation, von denen die erste immer eher von der Erde scheidet.«64 Auch heute noch wird das Generationenverhältnis als eine »pädagogisch-anthropologische Grundbedingung«65 verstanden. Die Erziehungswissenschaft bezieht sich auch heute noch, so Wolfgang Sünkel, auf das Verhältnis von Erzieher und Zögling, die sich jeweils gesamtgesellschaftlich zu Generationen, zu Erziehergeneration und Zöglingsgeneration, aggregieren lassen.66 Damit reformuliert Sünkel Schleiermachers Unterscheidung von Generationen, wobei er allerdings nicht mehr auf das Alter, sondern die Tätigkeit des Erziehens abstellt, »denn es ist zufällig, ob der Zögling jünger oder eben älter ist als der Erzieher.«67 Nicht nur in Anthropologie und Pädagogik, auch in anderen Disziplinen spielt das Generationenverhältnis eine große Rolle. So nehmen Verhältnisse der Patienten zu ihren Eltern beispielsweise in der

63 U. Daniel: Kompendium, S. 331. 64 Schleiermacher, Friedrich: »Grundzüge der Erziehungskunst«, in: ders.: Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Band 2, Frankfurt/M. 2000, S. 9. 65 So der Untertitel von Liebau/Wulf, Generation. 66 Vgl. Sünkel, Wolfgang: »Der pädagogische Generationenbegriff. Schleiermacher und die Folgen«, in: ebd., S. 280-285. 67 Ebd., S. 284.

62

| DOING GENERATION

Psychoanalyse einen zentralen Raum ein.68 In der Wissenschaft wird das Schüler-Lehrer-Verhältnis ebenfalls zur Selbstbeschreibung verwendet, wie sich auch in Wendungen wie ›Doktorvater‹ niederschlägt. Es gibt darüber hinaus noch eine ganze Reihe von Semantiken, mit denen vor allem gesellschaftliche Generationenverhältnisse beschrieben werden. Lothar Krappmann und Anette Lepenies stellen ihrem Sammelband Alt und Jung den Untertitel Spannung und Solidarität zwischen Generationen an die Seite und zeigen damit bereits die beiden zentralen Pole der Semantisierung von Generationellen Verhältnissen auf.69 Johannes Bilstein identifiziert fünf verschiedene Typen einer Metaphorik von Generationellen Verhältnissen.70 Zwei dieser Typen sollen an dieser Stelle kurz vorgestellt werden, weil sie die entscheidenden Pole wieder aufnehmen. Auf der einen Seite schildert Bilstein das Prinzip des Bruchs, das sich in Fremdheit und Distanz, aber auch in Spannung und Konflikt äußern kann, auf der anderen Seite das Prinzip des Generationenvertrags.71 Leggewie stellt die These auf, dass in einem entstehenden Generationenverhältnis das Moment der Fremde stets ein konfliktauslösendes Potential hat: »Die nächste Generation tritt den Erwachsenen jeweils fremd entgegen. Auf Fremde reagieren die einheimischen Bewohner der Welt gewöhnlich entweder mit Protektion oder mit Anpassungsdruck.«72 Das Verhältnis der gegenseitigen Fremdheit der Generationen ist dabei stets – wie Leggewie treffend anmerkt – asymmetrisch

68 Zum Generationenbegriff in der Psychoanalyse vgl. u.a. Krejci, Erika: »Innere Objekte. Über Generationenfolge und Subjektwerdung. Ein psychoanalytischer Beitrag«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 80107; vgl. Schneider, Christian: »Der Holocaust als Generationsobjekt«, in: Mittelweg 36 4 (2004), S. 56-73. Den Zusammenhang zwischen Generation und Trauma untersucht Giesen, Bernhard: »Generation und Trauma«, in: Reulecke, Generationalität (2003), S. 59-72. 69 Vgl. Krappmann, Lothar/Lepenies, Annette (Hg.): Alt und Jung, Spannung und Solidarität zwischen den Generationen, Frankfurt/New York 1997. 70 Vgl. Bilstein, Joachim: »Zur Metaphorik des Generationenverhältnisses« in: Liebau/Wulf, Generation (1996), S. 157-189, hier S. 185. 71 Vgl. ebd., S. 188. 72 C. Leggewie: 89er, S. 30.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 63

strukturiert, indem eine der beiden Generationen immer vor der anderen bereits präsent war. Vor allem Judith Butler hat die Augen dafür geöffnet, dass auch die Geschlechter in einem asymmetrischen Verhältnis zueinander stehen, in dem eine männliche »Bedeutungs-Ökonomie«73 eine absolutierende Tendenz ausübt. Geht man davon aus, dass der älteren Generation primär eine größere Menge an Ressourcen zur Verfügung steht, so stellt sich jeweils die Frage, inwieweit sie es schafft, ebenfalls eine solche Bedeutungsökonomie zu etablieren. Analog zur Rolle des Feminismus steht auf dem Spiel, ob es der jüngeren Generation gelingt, in »totalisierenden Gesten« darauf zu reagieren und eine Art »Umkehr-Diskurs«74 zu etablieren. Bilstein beschreibt, wie sich gerade seit dem 19. Jahrhundert eine eigenständige Semantik herausgebildet hat, die die anfängliche Fremdheit in eine Logik der Kampf-Rhetorik überführt, bei der die Alten stets die defensive Position einnehmen, während die Jungen eine offensive »konventionalisierte und kommerzialisierte RevoltenOrnamentik«75 verwenden. Dieses Schema von Angriff und Verteidigung, von Revolte und Bewahrung hat sich im Laufe der Zeit so etabliert, dass gar keine realen Interessenkonflikte mehr nötig sind, damit jeweils Ältere oder Jüngere als Teil einer anderen Generation wahrgenommen und negativ attribuiert werden.76 So wird der Generationenkonflikt zu einem entscheidenden Treiber der Kulturentwicklung, so die These von Max Liedtke. Generationenkonflikte sind demnach unverzichtbar und nicht ersetzbar: »Das Spiel der Generationenkonflikte, das Spiel von Klage, Mahnung und Vorwurf, muß weitergespielt werden.«77

73 Vgl. J. Butler: Unbehagen, hier S. 33. 74 Ebd. 75 J. Bilstein: Metaphorik, S. 188f. 76 Vgl. Kruse, Lenelis/Thimm, Caja: »Das Gespräch zwischen den Generationen«, in: Krappmann/Lepenies, Alt (1997), S. 112-136. Mark Roseman zeigt in seinem Sammelband auf, wie sich die Dynamik von Jugendrevolte und Generationskonflikt über die Jahrhunderte immer wieder in die deutsche Geschichte einschreibt; vgl. Roseman, Generations in Conflict. 77 Liedtke, Max: »Über die Funktion der Generationenkonflikte«, in: Liebau/Wulff, Generation (1996), S. 139-154. Ein Versuch, diese Generationenkonflikte hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Rolle zu typologisieren,

64

| DOING GENERATION

Joachim Bilstein stellt neben diese Semantik des Bruchs jedoch auch eine Semantik der Verbindung, die zumeist in das Bild eines Generationenvertrags gefasst wird.78 Vor allem Sozialwissenschaftler versuchen, Generationelle Verhältnisse in dieser Hinsicht als analytischen Begriff fruchtbar zu machen. Nach Olaf Struck sind Generationenbeziehungen und -verhältnisse »das Ergebnis unablässiger Aushandlungen zwischen Gesellschafts- oder Organisationsgruppen, die sich hinsichtlich ihrer Mitgliedschaftsdauer und damit verbundenen Ressourcen und Werten unterscheiden.«79 So ist beispielsweise der Wohlfahrtsstaat ein beliebtes Forschungsfeld, um die in diesem Rahmen strukturierten Generationellen Verhältnisse, ihre jeweiligen Wertstrukturen, ihre Ressourcenverhältnisse und auch die daraus resultierenden Transferleistungen zu untersuchen.80 Ausgangspunkt ist dabei die Semantik des Generationenvertrags als eine gegenseitige Verpflichtung der Generationen untereinander, die sich beispielsweise in gegenseitigen Transferleistungen im Rahmen der umlagefinanzierten Rentenversicherung äußert. Auf der Grundlage dieses Konstrukts werden wiederum politische Konflikte ausgetragen. So ist beispielsweise die Rede von der SandwichGeneration, die ihre eigenen Kinder aufziehen und ihnen eine Ausbildung ermöglichen soll, und gleichzeitig sich auch um die Pflege und Versorgung ihrer Eltern kümmern muss. Mit diesem Begriff werden

findet sich bei Buchhofer, Friedrichs und Lüdtke, vgl. Buchhofer, Bernd/Friedrichs, Jürgen/Lüdtke, Hartmut: »Alter, Generationsdynamik und soziale Differenzierung«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 22 (1970), S. 300-334. 78 Vgl. J. Bilstein: Metaphorik, S. 186f. 79 Struck, Olaf: »Generation als zeitdynamische Strukturierung«, in: Schmidt, Systemumbruch (2002), S. 41-57, hier S. 41. 80 Vgl. Dallinger, Ursula/Liebig, Stefan: »Gerechtigkeit zwischen den Generationen in der wohlfahrtsstaatlichen Alterssicherung«, in: Stefan Liebig/Holger Lengfeld/Steffen Mau (Hg.), Verteilungsprobleme und Gerechtigkeit in modernen Gesellschaften, Frankfurt/M. 2004, S. 97-131; vgl. Gronemeyer, Reimer: Kampf der Generationen, München 2004; vgl. Klundt, Michael: Von der sozialen zur Generationengerechtigkeit? Polarisierte Lebenslagen und ihre Deutung in Wissenschaft, Politik und Medien, Wiesbaden 2008; vgl. Leisering, Lutz: »Wohlfahrtsstaatliche Generationen«, in: Kohli/Szydlik, Generationen (2000), S. 59-76.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 65

mitunter die 35-49jährigen, die 25-55jährigen oder die 26-46jährigen bezeichnet, die sich selbst als »Reformverlierer« fühlen.81 Diese Konflikte werden in der sozialwissenschaftlichen Forschung mittlerweile durch das sogenannte Generational Accounting begleitet, das versucht, die Transferleistungen gegeneinander aufzurechnen, um für jede Generation eine Bilanz erstellen zu können.82 Zu einem sozialwissenschaftlichen Problemfeld wird vor allem das soziale Nebeneinander verschiedener Lebensläufe und damit auch verschiedener Beobachtungsrelationen. Nach Jürgen Matthes ist dies die Kernproblematik der Generationenforschung: Nicht um »Generationen« als wie auch immer gestaltete und bestimmbare Gruppen geht es, sondern um generationelle Verhältnisse, in denen sich die Zeitlichkeitsstruktur des gesellschaftlichen Geschehens »polyphon organisiert« […] geregelt, – kurzum: die mit der lebenszeitlichen Abständigkeit der Menschen bei ständiger gesellschaftlicher Gleichzeitigkeit immer erneut entstehende und erzeugte wechselseitige Fremdheitsrelation identifizierbar und bearbeitbar gemacht wird.83

Matthes geht es damit nicht um einzelne Generationen, sondern darum, wie die Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen organisiert wird. Damit ruft er zum einen die Frage auf, wie sich Generationelle Verhältnisse als Differenzen zwischen den Generationen organisieren. Zum anderen problematisiert er, welches Bild die Gesellschaft als polyphones Ganzes von sich auswählt, in dem sie sich als Einheit der Differenz der Generationen perspektiviert. Die synchrone Gesellschaft ist damit als Einheit der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen das Komplement zum synchronen Lebenslauf einer Generation als Einheit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen.

81 Vgl. beispielsweise Kegel, Sandra: »›Sandwich-Generation‹ klingt netter als ›Reformverlierer‹«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. 03. 2006; vgl. Graupner, Heidrun: »Kinder, Eltern und die Rente. 3549jährige unter Druck«, in: Süddeutsche Zeitung vom 08. 06. 2005. 82 Vgl. Bonin, Holger: Generational Accounting. Theory and Application, Berlin 2001; ebenso vgl. Kotlikoff, Accounting; und grundlegend vgl. D. Thomson: Selfish generations. 83 J. Matthes: Karl, S. 369, Zitate verweisen auf K. Mannheim, Problem.

66

| DOING GENERATION

Damit sind Generationen nicht nur die Möglichkeit, Gesellschaft zeitlich zu strukturieren, sondern sie ermöglichen auch eine Abbildung der Gesellschaft als Ganzes. Die generationelle Gesellschaft bildet somit eine »Metapher der Gesellschaft«, um einen Terminus von Susanne Lüdemann aufzugreifen.84 So bezeichnet Heinz Bude Deutschland als das »Land der Generationen« und er unterscheidet es damit von anderen europäischen Nationen: »jedenfalls im Unterschied zu Großbritannien, das bis heute ein Land der Klassen ist, oder zu Frankreich, das sich nach wie vor mit der Idee der Republik krönt«.85 Auch Howe und Strauss entwerfen in ihrer Generationengeschichte ein Bild der Vereinigten Staaten, das von einer spezifisch generationellen Art der Krisenbewältigung und des Fortschritts geprägt ist.

4.3 P ROZESS : G ENERATIVITÄT Ihre besondere Kraft entfaltet die Generation allerdings nicht nur, weil sie Identitäten und Differenzen sichtbar machen kann. Beide Dimensionen von Generation als Beziehungsmuster sind letztlich statisch. Auch der Unterscheidung zweier Generationen liegt letztlich lediglich die Zeitsemantik von Vorher und Nachher zu Grunde – und keine dynamische Komponente wie »Bewegung« oder »Veränderung«.86 Doch in Generation steckt eben auch »generatio«87, mithin die Vorstellung von Hervorbringung, von Generativität. Ulrike Jureit, die von Generationen als Beziehungsmuster gesprochen hat, nennt selbst auch verschiedene Momente, die einen dynami-

84 Vgl. Lüdemann, Susanne: Metaphern der Gesellschaft, München 2004. Vgl. hierzu auch die Überlegung, Generationenverhältnisse als gesellschaftliches Imaginäres zu verstehen bei Bohnenkamp, Björn: »Vom Zählen und Erzählen. Generationen als Effekt von Kulturtechniken«; in: ders./Manning/Silies, Generation als Erzählung (2009), S. 72-88. 85 Bude, Heinz: »›Generation‹ im Kontext. Von den Kriegs- zu den Wohlfahrtsstaatsgenerationen«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 28-44, hier S. 31. 86 Zur Abgrenzung dieser Begrifflichkeiten vgl. N. Luhmann: Gleichzeitigkeit, S. 110. 87 Zur Begriffsgeschichte der »generatio« vgl. O. Parnes/U. Vedder/S. Willer: Konzept, S. 68ff.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 67

schen Charakter von Generationen implizieren: Erfahrung, Verarbeitung und Handlung.88 Der erste Begriff beschreibt einen Prozess der Einwirkung auf Generationen, der letzte einen Prozess der Auswirkung von Generationen; der mittlere hingegen spielt sich vor allem innerhalb der Generation ab und ist damit eine Art Transformator von Einwirkungen auf Auswirkungen. Auf den nächsten Seiten geht es zunächst um die Vorstellung, auf Generationen einzuwirken und sie damit zu prägen, um wiederum einen mannheimschen Begriff zu verwenden.89 Anschließend stellt sich die Frage nach der Wirkung von Generationen, bevor schließlich die Vorstellung von Wandel als Einheit von Prägung und Wirkung erläutert wird. Prägung Die Vorstellung von der Notwendigkeit eines »markanten und bewegenden Ereignisses«90 für die Bildung von Generationen geht unter anderem zurück auf die mannheimsche Vorstellung, dass Generationen vor allem durch Prägung im jugendlichen Alter entstehen.91 Mannheim setzt diese Prägungshypothese der Pulsschlaghypothese entgegen, einer Vorstellung, dass sich Generationen naturgesetzlich in einem bestimmten Rhythmus immer wieder ereignen. Er entwickelt eine Art Ökonomie des jugendlichen Geistes. Generationen würden vor allem dann entstehen, »wenn reale soziale und geistige Gehalte gerade in jenem Gebiete des Aufgelockerten und werdenden Neuen eine reale Verbindung zwischen den in derselben Generationslagerung befindlichen Individuen stiften.«92 Diese Vorstellung der Generativität ist eine entscheidende Anregung für die Entwicklung der Adoleszenzforschung.93 So identifiziert Helmut Schelsky zunächst drei verschiedene »Schichten sozialer Faktoren«94, die eine Jugend prägen können: die

88 Vgl. U. Jureit: Generationenforschung, S. 12-14. 89 Vgl. K. Mannheim: Problem, S. 543. 90 C. Leggewie: 89er, S. 27. 91 Vgl. K. Mannheim: Problem. 92 Ebd., S. 543. 93 Vgl. hierzu King, Vera: Die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz. Individuation, Generativität und Geschlecht in modernisierten Gesellschaften, Opladen 2002. 94 H. Schelsky: Generation, S. 20ff.

68

| DOING GENERATION

»Schicht der sozialen Grundgebilde oder Grundstrukturen«, die »epochale Sozialstruktur« und die »zeitgeschichtlich-politische Situation einer Gesellschaft«. Es ist eben dieser letzte Faktor, der besonders zeitabhängig ist und Generationen zu ihrem unterschiedlichen Gepräge verhilft. Der Soziologe Norman Ryder öffnet diese Vorstellung einer Prägung theoretisch in seiner Theorie zum sozialen Wandel. Er wehrt sich gerade gegen eine verkürzte ›generationistische‹ Interpretation von sozialem Wandel, die einen Automatismus von Generationenkonflikten annimmt: The fact that social change produces intercohort differentiation and thus contributes to inter-generational conflict cannot justify a theory that social change is produced by that conflict. Generationists have leaped from inaccurate demographic observation to inaccurate social conclusion without supplying an intervening causality. All these works suggest arithmetical mysticism, and the worst of them, as Troeltsch said, are »reine Kabbala«.95

Um sich von dieser Strömung abzugrenzen, verwendet Ryder den Begriff der Kohorte statt den der Generation. Er definiert eine Kohorte als aggregate of individuals (within some population definition) who experienced the same event within the same time interval. In almost all cohort research to date the defining event has been birth, but this is only a special case of the more general approach.96

Auch wenn die Geburt nur ein möglicher Typus von Ereignis ist, der Kohorten definieren kann, so untersucht Ryder Geburtskohorten. Geburtskohorten lassen sich dadurch voneinander differenzieren, dass sie verschiedene Erziehung erfahren, eine andere Sozialisation durch ihre Altersgenossen erleben, aber auch, dass sie unterschiedliche historische Erfahrungen machen. Ryder zählt hier fünf Typen von Ereignissen auf, die besonders relevant für prägende Erfahrungen sind: Krieg,

95 Ryder, Norman B.: »The Cohort as a Concept in the Study of Social Change«, in: American Sociological Review 6 (1965), S. 843-861, hier S. 853. 96 Ebd., S. 845f.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 69

Revolution, Immigration, Urbanisierung und technologischer Wandel.97 Unter Generationenbegriffen sind oftmals diejenigen am stärksten, die sich auf eine Prägephase im Krieg beziehen: So bezieht sich sowohl die Deutung der Generation des Unbedingten, aber auch die der Skeptischen Generation auf die prägende Relevanz der Kriegserfahrung, im ersten Fall des Ersten Weltkriegs, im zweiten Fall des Zweiten Weltkriegs. Die Bedeutung von Revolutionen für Vorstellungen von Generativität ist ebenfalls nicht zu leugnen, angefangen von der Französischen Revolution, im Zuge derer die Generationensemantik eine erste Konjunktur erleben konnte. Dieses Narrativ ist so etabliert, dass es nach der 89er-Revolution zu einer ganzen Fülle von Generationsdeutungen kam, so als ob eine Revolution nicht vorstellbar sei, die keine Generation präge. Aber auch die Rede von den Einwanderergenerationen98 und Technikgenerationen99 ist immer noch virulent; mal ist es der Migrationshintergrund, der Generationen prägt und voneinander scheidet, mal der technologische Fortschritt. Auch Mediengenerationen100 lassen sich als Spezialfall von Technikgenerationen auffassen: Sie sind die erste Generation, die das Schreiben per Lehrplan-Beschluss auf den Tasten von Keyboards lernt, noch bevor sie einen Bleistift oder einen Kuli in die Hand nahmen; sie sind die erste Generation, welche sich wohl einsam und hilflos fühlen müsste in einer Welt ohne Elektronik, weil sie die Gegenwart der Elektronik nicht mehr als Privileg erleben, sondern als unvordenklich.101

97 Vgl. ebd., S. 848ff. 98 Vgl. Gaitanides, Stefan: Sozialstruktur und »Ausländerproblem«. Sozialstrukturelle Aspekte der Marginalisierung von Ausländern der ersten und zweiten Generation, München 1983. 99 Vgl. hierzu Weymann, Ansgar: »Sozialer Wandel, Generationsverhältnisse und Technikgenerationen«, in: Kohli/Szydlik, Generationen (2000), S. 36-58. 100 Vgl. hier vor allem die Überlegungen in Kapitel 4.1 und die dort angegebenen Literaturhinweise. 101 Gumbrecht, Hans Ulrich: »Die Jugend von morgen«, in: Süddeutsche Zeitung Magazin vom 04.04.2008, S. 13.

70

| DOING GENERATION

So deutet Hans Ulrich Gumbrecht eine Jugend, die kurz nach der Jahrtausendwende die Universitäten bevölkert – seine eigenen Studenten. Eine Reihe von Labels fußen auf der Vermutung, dass technologische Medienumbrüche Generationen voneinander scheiden, so die »Digital Natives«102, die »Netzwerkkinder«103 oder die »Generation @«104. Wie die Generation @ von einer veränderten Medienlandschaft geprägt wurde, deutet der Erziehungswissenschaftler Horst W. Opaschowski. Er spricht vom »Aufwachsen in einer reizüberfluteten Welt«105, das psychosoziale Folgen wie Entwicklungsdefizite oder Konzentrationsmängel nach sich gezogen habe. Neben diesen Typen historischer Prägeereignisse ist es um 2000 vor allem ein Kontext, der für eine generative Prägewirkung von gesellschaftlichen Generationen aktiviert wird: der Wohlfahrtsstaat. Bude stellt die These auf, dass in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Generationen im wesentlichen Kriegs- und Nachkriegsgenerationen waren, während in der zweiten Hälfte »der Wohlfahrtsstaat als generationsbildender Zusammenhang«106 aufkommt. Der Wohlfahrtsstaat entlastet die Familie als Versorgungsinstitution für junge und alte Generationen und prägt durch seine geleisteten oder geforderten Transferzahlungen Generationen in Friedenszeiten. Nicht mehr Gewaltregimen, sondern wirtschaftlichen Ressourcen wird damit die Prägekraft von Generationen zugeschrieben. So untersucht Christina May die Frage, inwieweit soziale Sicherungssysteme Generationen prägen können,107 und in den Medien kursiert die These,

102 Palfrey, John/Gasser, Urs: Born Digital. The First Generation of Digital Natives, New York 2008. 103 Wippermann Peter/Steinle, Andreas: Die neue Moral der Netzwerkkinder, München/Zürich 2003. 104 Opaschowski, Horst W: Generation @. Die Medienrevolution entläßt ihre Kinder, Hamburg 1999. 105 Ebd. 106 H. Bude, Generation im Kontext, S. 42. 107 Vgl. May, Christina: Generation als Argument, Frankfurt/M./New York 2010. Die Arbeit wurde zugleich an der Universität Göttingen als Dissertation eingereicht und trägt hier den in diesem Kontext noch aussagekräftigeren Titel: »Soziale Sicherheit als Generationserfahrung. Der Einfluss europäischer Rentenversicherungssystem auf die Prägung wohlfahrtsstaatlicher Kohorten«.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 71

dass Wirtschaftskrisen eine ähnliche Prägekraft haben für »Krisenkinder« und »Trümmergenerationen« wie Kriegserfahrungen für vorherige Generationen.108 Der Spiegel nimmt beispielsweise die weltweite Wirtschaftskrise 2009 zum Anlass, nicht nur in einer Titelgeschichte »Wir Krisenkinder. Wie junge Deutsche ihre Zukunft« die prägende Kraft der Krise auf die Jugend zu untersuchen, sondern gleich noch zusätzlich ein Spiegel Special zum gleichen Thema herauszugeben.109 Es sind aber nicht nur die großen, gesellschaftsübergreifenden Entwürfe, die ganze Populationen adressieren, die sich einer Prägesemantik bedienen. Auch kleinere Kollektive, die beispielsweise in Institutionen wie Parteien als Generation sichtbar werden, werden in generativen Vorstellungen beschrieben. Eine ganze Reihe von FDPPolitikern um Christian Lindner und Philipp Rösler wird beispielsweise mittlerweile als »94er-Generation« bezeichnet. Diese Generation wird als durch ein FDP-spezifisches Trauma geprägt beschrieben: »Zu tief sitzt das Trauma von 1994, als der 15-jährige Gymnasiast« – gemeint ist Lindner – »in der nasskalten Fußgängerzone von Wermelskirchen im Bergischen Land für die Liberalen Wahlkampf machte, neben sich das Plakat ›FDP wählen, damit Kohl Kanzler bleibt‹«110. Die Erfahrung, dass die FDP zum Mehrheitsbeschaffer der CDU reduziert wird und nicht als eigenständige Kraft wahrgenommen wird, prägt, so die These, Lindner und seine Generation. Wirkung Fünfzehn Jahre später veröffentlichen Lindner und Rösler die Essaysammlung Freiheit: gefühlt – gedacht – gelebt.111 In den Worten Bernd Weisbrods lässt sich hier ihr »shared pattern of lasting political orientation« ablesen, in das ihre Prägeerlebnisse transformiert wurden. Beide Politiker sind seit der Regierungsübernahme der schwarzgelben Koalition 2009 in hohen Ämtern als FDP-Generalsekretär und Bun-

108 Vgl. Diez, Georg: »Die neue Trümmergeneration«, in: Süddeutsche Zeitung Magazin vom 09.04.2009. 109 Vgl. Der Spiegel Special 1 (2009). 110 Graalmann, Dirk: »Bambi, Herrscher des Waldes«, in: Süddeutsche Zeitung, vom 15.12.2009. 111 Vgl. Rösler, Philipp/Lindner, Christian: Freiheit: gefühlt – gedacht – gelebt, Wiesbaden 2009.

72

| DOING GENERATION

desminister, Rösler übernahm 2011 gar den Bundesvorsitz der FDP. Es bleibt abzuwarten, ob es ihnen gelingt, diese geteilten politischen Orientierungen auch in politische Entscheidungen umzusetzen. Einer Generation schreibt man nicht nur zu, von etwas geprägt zu sein, sondern auch, dass sie wiederum selbst wirken kann – beispielsweise durch ein politisches Programm wie Lindner und Rösler. Sowohl bei der Prägung als auch bei der Wirkung handelt es sich jeweils um generative Semantiken. Während Karl Mannheims Begriff des Generationszusammenhangs die generationelle Gemeinschaft auszeichnet, die durch das gleiche Ereignis geprägt wird, ist es die Generationseinheit, die »einfach und unbewußt aus einem neuen durch sie geschaffenen Impuls heraus ihre Werke und Taten gestaltet«112 – damit also selbst aktiv wird und in einer Gestalt oder einem »Generationsstil«113 sichtbar wird. Eyerman und Turner entwickeln in ihrer Generationentheorie die Idee, dass aus einem Generationenbewusstsein eine machtvolle, solidarische Kraft entsteht. Auch in Bollas‫ ތ‬Theorie entwickelt sich nach der Prägung einer Generation in der Kindheit und Jugend eine Phase, in der sie in einen generationstypischen Narzissmus verfällt. Jede Generation habe »mehr oder weniger genau ihr Jahrzehnt, das sie nutzen kann«.114 Schon in den Dreißigern ihres Lebens sei diese Phase vorbei, da erkenne jede Generation ihre eigenen Grenzen und sehe die nächste Generation am Horizont. Für den Zeitpunkt der Wirkung einer Generation nennt Mannheim kein typisches Alter. Generationenbegriffe wie die »Generation Gold«115 oder die »Generation Gründerzeit«116 sind damit sogar mit der Generationentheorie Mannheims vereinbar. Beide Generationen werden im Wirtschaftssystem angesiedelt: Während die Generation Gold eine Generation von Konsumenten darstellt, die im Alter über große Budgets verfügen, beschreibt die Generation Gründerzeit eine Gruppe von Rentnern, die noch einmal zu Unternehmern werden. Sie wirken auf unterschiedliche Art und Weise innerhalb ihres Systems:

112 K. Mannheim: Problem, S. 550. 113 Ebd. 114 Bollas: Genese, S. 237. 115 Frick: Generation. 116 Willenbrock, Harald: »Generation Gründerzeit«, in: Brand Eins 2 (2007), S. 76-77.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 73

Die einen strukturieren als Nachfrager Präferenzen neu und bilden eine neue Zielgruppe, die anderen nutzen ihre Erfahrung, um neue Produkte anzubieten und Arbeitsplätze zu schaffen. Im politischen System macht beispielsweise Michael Wildt auf die katastrophale Wirkung der Generation des Unbedingten im Nationalsozialismus aufmerksam. Helmut Schelsky wiederum identifiziert im Jahr 1981 vier »Generationsgestalten«, »die an der Gestaltung der Bundesrepublik seit 1948 tätig teilgenommen haben«:117 die Generation der Jugendbewegung, die politische Jugend der Zwischenkriegszeit, die skeptische Generation nach dem letzten Krieg und die Generation des Jugendprotestes des vergangenen Jahrzehnts. 1957 hatte er selbst die Skeptische Generation als Jugendgeneration beschrieben und konnte nur ihre Prägung durch die politischen Verhältnisse beschreiben, 24 Jahre später kann er schon erläutern, wie diese Generation die Bundesrepublik wiederum prägte. Auch andere Autoren beziehen sich auf Schelsky Generationendeutung, wenn sie die ganze Bandbreite von verschiedenen Wirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland beschreiben wollen. So vergleicht beispielsweise Jörg Lau Helmut Kohl und Hans Magnus Enzensberger »als kontrastreiche Erfolgsgeschichten derselben Generation«: Zwei Wege der skeptischen Generation: tüchtig sein, funktionieren und gestalten in den Apparaten, reformieren, ein pragmatischer ›Macher‹ sein, das ist die eine Möglichkeit. Erst wenn man die Revolte gegen dieses Muster dazu nimmt, ergibt sich das volle Bild der Modernität der Bonner Republik.118

Wandel Die Vorstellung von Prägungen und Wirkungen dynamisieren das Verständnis von Generationen. Sie bilden nicht nur Beziehungen zu sich selbst als Identität heraus, sondern auch Beziehungen zu ihrem

117 Schelsky, Helmut: »Die Generationen der Bundesrepublik«, in: Walter Scheel (Hg.), Die andere deutsche Frage: Kultur und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nach 30 Jahren, Stuttgart 1981, S. 178-198, hier S. 179. 118 Lau, Jörg: »Auf der Suche nach der verlorenen Normalität«, in: Klaus Naumann (Hg.), Nachkrieg in Deutschland, Hamburg 2001, S. 498-521, S. 514.

74

| DOING GENERATION

Außen, in das sie in ein interdependentes Wechselverhältnis treten. Es kommt zu drei parallel laufenden Prozessen zwischen Generationen und ihrem Außen: Erstens entwickeln sich individuelle Generationen in ihrer Auseinandersetzung mit einem Außen. Zweitens führt allein das Fortschreiten der Zeit zu einer Herausbildung neuer Generationen. Im Gegensatz zu den Gegensätzen zwischen Geschlechtern oder Rassen ist der Gegensatz zwischen Generationen ein Beziehungsmuster, das genuin dynamisch ist. Durch das Fortschreiten der Zeit, das Ableben der Älteren und die Geburten der Jüngeren wird das Generationelle Verhältnis transformiert. Wer zunächst auf der Seite der Jüngeren steht, wird unweigerlich in der Logik der Unterscheidung auf die Seite der Älteren gezogen. Schon Koselleck betrachtet diese Form von Generativität als die Grundlegung der Verhältnisbestimmung von Generationen: Der Generativität als einer gleichsam transzendentalen Bestimmung entspricht empirisch gesehen die menschliche Geschlechtlichkeit wie auch die Wirklichkeit und Wirksamkeit von Generationen in ihrer diachronen Sukzession.119

Koselleck bezieht sich hiermit auf die Vorstellung, dass Generationen immer wieder andere Generationen hervorbringen. Neben der Vorstellung von Generationenkonflikt und Generationenvertrag zählt Bilstein diese Semantik der Hervorbringung zu den fünf wichtigsten Metaphernfeldern des Generationenbegriffs.120 Er zählt darüber hinaus noch zwei weitere Semantiken auf, die man auch als Varianten dieser Art von Generativität verstehen kann: Generativität kann entweder zyklisch oder linear verstanden werden, entweder als ewiger Kreis des immer gleichen Wechsels von Jung und Alt, oder als eine Geschichte der Veränderung, des Wandels.121 Vor allem diese dritte prozessuale Vorstellung der Generation als Treiber des Wandels ist es, die Historiker an Generationen fasziniert. Schon Koselleck betrachtet diese Form von Generativität als die Grundlegung der Verhältnisbestimmung von Generationen:

119 Koselleck, Reinhart: Zeitschichten, Frankfurt 2000, S. 107. 120 Vgl. J. Bilstein: Metaphorik, S. 185. 121 Zur Meliorations- und Zyklusmetaphorik des Generationenbegriffs vgl. ebd.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 75

In der Generativität liegt jene Endlichkeit beschlossen, die zu den endlichen Voraussetzungen gehört, immer neue mögliche Geschichten aus sich hervorzutreiben. Die zwangsläufige Abfolge von Generationen in ihrer sich fortzeugenden faktischen und zeitlichen Überlappung führt zu immer neuen Ausschließungen, zu diachronen Innen- und Außenbestimmungen, zum Früher oder Später der jeweils generationsspezifischen Erfahrungseinheiten. Ohne diese Ausschließungen ist keine Geschichte denkbar.122

Diese Vorstellung von Wandel ist es, die viele Bilder von Generationellen Gesellschaften stimuliert. So versuchen Howe und Strauss in ihrem Entwurf einer Generationengeschichte der USA gerade, die Dynamik der amerikanischen Geschichte nachzuvollziehen und auf ihre verborgenen Kräfte hin zu untersuchen. Beate Fietze entwirft ihren Generationenbegriff explizit als einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels.123 Schon die Generationentheorie Mannheims wird von vielen vor allem als eine Theorie des sozialen Wandels gelesen. Nach Jürgen Zinnecker ist es beispielsweise Hauptziel von Mannheim, sozialen Wandel erklären zu können. Allerdings seien Generationen nur einer der wirksamen Faktoren, den Mannheim nur dann hinzuzieht, wenn andere Faktoren Wandel nicht hinreichend erklären.124 Auch Bernd Weisbrod identifiziert ein Deutungsmuster von Generationen als »explanation for the dramatic shifts in and after major catastrophe or crisis in modern German history.«125 Das entscheidende Moment ist die Vorstellung eines erklärenden Faktors: Von Generationen verspricht man sich, Veränderungen auf Ursachen zurechnen zu können. In dieser Semantik fließen Vorstellungen der Generation als unabhängige, aber auch als abhängige Variable mit ein. Weisbrod fasst dieses Konzept von Generationen im Rahmen eines politischen Generationenkonzepts wie folgt zusammen: They [generations] were all […] confronted in their politically formative period with major impression of dramatic events and consequently managed to

122 Koselleck: Zeitschichten, S. 107. 123 Vgl. B. Fietze: Generationen, S. 69ff. 124 Vgl. J. Zinnecker: Problem, S. 37. 125 B. Weisbrod: Cultures, S. 19.

76

| DOING GENERATION

transform their experience in a shared pattern of lasting political orientation in life.126

Generationen werden zunächst durch dramatische Ereignisse formiert, die sich anschließend zu einer langfristigen Orientierung wandeln und damit auf die Geschichte zurückwirken können. Damit kommt ihnen die Rolle eines Katalysators zu, der Impressionen von außen in Expressionen verwandelt und damit sozialen Wandel beschleunigt. Zinnecker vermutet in diesem Moment des Generationenbegriffs auch als auch die Begründung dafür, dass ein solches Augenmerk auf technologische Generationen gelegt wird. Wandel und Fortschritt werden nicht mehr von den Menschen erwartet, sondern von den Technologien: Diese technologischen Generationen sind noch – anders als die humane jüngere Generation – wirkliche Hoffnungsträger: Wir erwarten von ihnen Fortschritt. ›Die nächste Generation‹, das ist ein starkes Werbeargument geworden. Die Verbesserungen sind absehbar. ›The next generation‹ besitzt mehr Power, mehr Komfort, mehr Sicherheit, mehr Kompetenz.127

In der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen vollzieht sich der Wandel innerhalb des Lebenslaufs einer Generation. Die 68er-Generation formierte sich beispielsweise – so Heinz Bude – nicht erst in der Revolution 1968 selbst, sondern durch ihre Erfahrungen als Trümmerkinder.128 Gustav Seibt spricht von einer »Zweistufigkeit bei der Generationenbildung« aus früher Erfahrung und späterer Objektivierung.129 In der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen vollzieht sich der Wandel wiederum von Generation zu Generation, von der Generation der ›Täter‹ im Nationalsozialismus zur Generation der 68er. Letztlich wirken beide Vorstellungen von Wandel ineinander. Der Wandel von Generation zu Generation ereignet sich gerade dadurch, dass jede einzelne Generation sich in ihrem Lebenslauf anders transformiert, auf andere Weise beeinflusst wird und damit anders auf die

126 Ebd., S. 20. 127 J. Zinnecker: Problem, S. 51. 128 Vgl. Bude: Altern. 129 Vgl. Seibt, Gustav: »Geschichte. Eine Kolumne. Generationen«, in: Merkur 3 (2001), S. 241-246.

G ENERATIONELLE B EZIEHUNGEN | 77

Gesellschaft, die Politik oder eine andere Zeitheimat zurückwirkt. Die generative Vorstellung des Wandels ist damit die Einheit der Unterscheidung zweier Transformationsprozesse, der Prägung einer Generation und ihrer Wirkung.

5. Generationelle Gattungen

Die Frage nach der Rolle der Medien für die Generationenbildung wurde bisher vor allem unter dem Schlagwort der ›Mediengenerationen‹ diskutiert. Zum einen lässt sich hiermit eine erziehungswissenschaftliche Debatte kennzeichnen, die sich mit der generationenspezifischen Medienkompetenz und einer daraus resultierenden eventuellen Umkehrung von Lernprozessen auseinandersetzt.1 Dieser pädagogische Diskurs knüpft damit an ein Denken der Generation an, das vor allem Generationelle Verhältnisse und den Gedanken der generativen Prägung in den Blick nimmt, um auf diese beiden Beziehungsbegriffe des letzten Kapitels zurück zu kommen. Zum anderen haben sich vor

1

Vgl. hierzu u. a. Gogolin, Ingrid/Lenzen, Dieter: Medien-Generation. Opladen 1999. Darüber hinaus ist anschließend vor allem die empirische Arbeit von Schäffer zu nennen; vgl. Schäffer, Burkhard: Generationen – Medien – Bildung. Medienpraxiskulturen im Generationenvergleich, Opladen 2003; sowie Hans-Dieter Kübler: »Mediengenerationen oder Medien für ›Generationen‹, heuristische Überprüfung eines neuen Paradigmas«, in: medien praktisch. Zeitschrift für Medienpädagogik 2 (1998), S. 10-16; Hug, Theo: »Medien – Generationen – Wissen. Überlegungen zur medienpädagogischen Forschung. Dargestellt am Beispiel der Frage nach dem Weltwissen globaler Mediengenerationen«, in: Ben Bachmair/Peter Diepold /Claudia de Witt (Hg.), Jahrbuch Medienpädagogik (Band 3), Opladen 2003, S. 13-26 und Bohnsack, Ralf/Schäffer, Burkhard: »Generationen als konjunktiver Erfahrungsraum. Eine empirische Analyse generationsspezifischer Medienpraxiskulturen«, in: Günter Burkart /Jürgen Wolf (Hg.), Lebenszeiten. Erkundungen zur Soziologie der Generationen, Opladen 2002, S. 249-273.

80

| DOING GENERATION

allem Literaturwissenschaftler damit auseinandergesetzt, inwieweit eine gemeinsame Nutzung von (bestimmten) Medien für die Formierung von Generationen entscheidend ist oder diese ausschließt.2 Über diese zumeist funktionalen und damit vergleichsweise engen Medienbegriffe wird im Folgenden hinausgegangen. Stattdessen soll ein Medienbegriff zu Grunde gelegt werden, wie ihn beispielsweise Friedrich Balke als Forschungsprogramm vorgeschlagen hat. Demnach formieren [Medien] einen Raum, in dem ›etwas‹ zur Erscheinung kommen kann – gemeinsam mit den Beobachtungs- und Zugriffsmöglichkeiten, denen es sich anbietet, also den Subjektpositionen und den mit ihnen verbundenen 3

Beobachtungschancen und Handlungsoptionen.

Daran anknüpfend stellt sich im Folgenden die Frage, wie Medien einen Raum formieren, in dem Generationen zur Erscheinung kommen können. Welche Subjektpositionen, also beispielsweise welche Möglichkeiten der generationellen Identität und Differenz ergeben sich dadurch? Dass Medien für die Formierung von Generationen eine zentrale Rolle spielen, darauf hat bereits Bernd Weisbrod hingewiesen. Er stellt dar, wie sehr die Erzeugung von Generationen an ihre Erzählbarkeit gekoppelt ist und hat hierfür den Begriff der Generationalisierung geprägt.4

2

Vgl. vor allem Steiner: ›68 – 89‹; und Jochen Hörisch »Was generiert Generationen: Literatur oder Medien? Zur Querelle allemande zwischen Achtundsechzigern und Neunundachtzigern«, in: Hörisch, Mediengeneration (1997), S. 7-15.

3

F. Balke: Medien, S. 2.

4

Vgl. hierzu B. Weisbrod: Generation und Generationalität, S. 7. Habbo Knoch hat am Beispiel des Mediums Bild mediale Generationalisierungseffekte diskutiert: Vgl. Knoch, Habbo: »Gefühlte Gemeinschaften. Bild und Generation in der Moderne«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 295–319.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 81

5.1 G ENERATIONEN L ESEN , G ENERATIONEN S CHREIBEN In diesem Kapitel wird der Fokus auf die Erzeugung von Generationen in Schriftmedien gelegt. Dass Lesen und Schreiben in der Lage sind, Gemeinschaften zu imaginieren, ist bereits bekannt, man denke hier zum Beispiel an Michael Gampers Masse lesen, Masse schreiben.5 Gamper stellt in seinem umfangreichen Werk die Frage, wie mit Hilfe des Schreibens und des Lesens »Masse« sichtbar gemacht wird. Diese schriftliche Form(ul)ierung der Masse bleibt zudem nicht folgenlos, sondern ist in der Lage, soziale Prozesse zu formieren.6 Lesen und Schreiben, insbesondere Literatur, können dabei nach Gamper fünf Funktionen einnehmen,7 sie kann erstens als Nachrichtenmedium Informationen über alle Arten von Gegenständen übermitteln, zweitens hat sie eine Reflexionsfunktion. Drittens operiert Literatur als Laboratorium für Darstellungsproblematiken, viertens kann sie als Erfahrungsmedium verwendet werden, die einen ansonsten »unfassbaren« Gegenstand erlebbar macht.8 Fünftens hat Literatur die Rolle eines Regulationsmediums, das durch »seine pädagogischen Effekte lose Kollektive zu festen Gemeinschaften formen könne.«9 Auch Generationen können somit in Schrift reflektiert und dargestellt werden; generationenspezifische Erfahrungen können in Schrifttexten verarbeitet werden und darüber hinaus Kollektive reguliert und vielleicht zu festen generationellen Gemeinschaften geformt werden. In den letzten Jahren gab es eine zunehmende Konjunktur des Generationenkonzeptes in der Literaturwissenschaft.10 Es gibt vor allem zwei Traditionslinien, innerhalb derer Generationen ›erschrieben‹

5

Vgl. Gamper, Michael: Masse lesen, Masse schreiben. Eine Diskurs- und

6

Vgl. ebd., S. 30.

7

Vgl. ebd., S. 31.

8

Vgl. ebd., S. 33.

9

Ebd.

Imaginationsgeschichte der Menschenmenge 1765-1930, München 2007.

10 Vgl. hierzu beispielsweise die Sonderhefte der Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) mit der Ausgabe 120/2000 und die neue deutsche literatur, Ausgabe 4/2000. Erstere versammelt vor allem linguistisch-wortgeschichtliche und wissenschaftsgeschichtliche Ansätze zur Verknüpfung von Literatur und Generation.

82

| DOING GENERATION

werden. Zum einen funktioniert Literatur oftmals als Erfahrungsmedium, das vor allem Gewalterfahrungen bestimmter historischer Generationen beschreibt, zumeist vor dem Hintergrund des Dritten Reichs.11 Zum anderen gibt es eine ganze Reihe von Ansätzen, die die transhistorische Dimension der Generation als Teil einer Genealogie betrachten. Genealogisches Erzählen hat immer zwei Seiten, es besteht zum einen aus dem Erzählen der Herkunft, zum anderen aus dem Erzählen der Zukunft.12 Dieses genealogische Erzählen ist eine Strategie, um Zuordnungen zu treffen, Legitimation zu stiften, Wandlungsprozesse zu erklären, Herkunft zu deuten und Aufträge an zukünftige Generationen zu formulieren, man findet es in der Literatur vor allem in Familienromanen.13 Gerade die Frage nach der spezifischen Zeitlichkeit von Familienromanen und Generationen wird hier zum zentralen Thema.14 Neben diesen beiden literaturwissenschaftlichen Dauerbrennern ist in den letzten Jahren eine weitere Diskussion um die Bedeutung von Generationen für die Gegenwartsliteratur entbrannt.15 Die Zeitschrift

11 Vgl. exemplarisch Ostheimer, Michael: »Die Sprachlosigkeit der Kriegskinder. Zur Symptomatik der traumatischen Geschichtserfahrung in der zeitgenössischen Erinnerungsliteratur«, in: Bohnenkamp/Manning/Silies, Generation (2009), S. 203-225; sowie Wallner, Thomas: »›Geschichtsverlust – Gesichtsverlust‹. Generationsbeziehungen im Familienroman deutsch-jüdischer Autoren der ›zweiten Generation‹«, in: Bohnenkamp/Manning/Silies, Generation (2009), S. 243-258; sowie Schnell, Ralf: »›Holocaust-Literatur‹ als Generationen-Problem«, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) 120 (2000), S. 108-129. 12 Vgl. Bohnenkamp, Björn/Manning, Till/Silies, Eva-Maria: »Argument, Mythos, Auftrag und Konstrukt. Generationelle Erzählungen in interdisziplinärer Perspektive«, in: dies., Generation (2009), S. 9-29, S. 23. 13 Vgl. hierzu beispielsweise die Perspektive von Max, Katrin: »Erbangelegenheiten. Medizinische und philosophische Aspekte der Generationenfolge in Thomas Manns Roman ›Buddenbrooks‹«, in: Bohnenkamp/Manning/Silies, Generation (2009), S. 129-150. 14 Vgl. hierzu Hagel, Ulrike: »Die Zeitlichkeit (des Erzählens) von Generationen. Ein Blick auf neuere Familienromane«, in: Wirkendes Wort 3 (2008), S. 373-393. 15 Vgl. hierzu beispielsweise die These von Andreas Erb, dass in den 90ern der Generation um Alexander Kluge eine neue Schriftstellergeneration

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 83

ndl diskutiert diese Frage kontrovers: Friedrich Diekmann geht mit Heinz Bude von einer generationellen Verfasstheit Deutschlands aus und stellt heraus, dass Literatur stets davon profitiere, dass junge Generationen sich selbst hervorbringen wollen.16 Martin Hielscher und Richard Herziger hingegen stehen der aktuellen Generationendebatte in der Literatur skeptisch gegenüber.17 Während Hielscher die Erklärungskraft des Begriffs anzweifelt, kritisiert Herzinger Generationen als Etiketten zur Vermarktung von Büchern. In beiden Fällen dient der Generationenbegriff als Vehikel, einmal zur Aufschlüsselung von Literatur zu einer spezifischen historischen Thematik, im anderen Fall zur qualitativen Vermessung von Gegenwartsliteratur. An dieser Stelle soll eine etwas andere Perspektive eingeschlagen werden. Es geht darum, welche Rolle Medien, in diesem Falle Medien des Schreibens und des Lesens, für die Bildung von Generationen spielen. Im nächsten Abschnitt wird daher vorgeschlagen, ganz besondere Medientexte auf diese Frage hin zu untersuchen: Gibt es bestimmte Gattungen, die besonders gut geeignet sind, Generationen wahrscheinlicher zu machen? Die Anregung dazu liefert wieder einmal ein Ansatz aus dem Bereich der Forschungen zu Class, Gender und Race. Mit der Formulierung ›Playing the Generation Card‹ wurde gleich im ersten Kapitel die Frage eingeleitet, wie es in Deutschland zu den intensiven Debatten um Generationen kommt. Die Formulierung spielte auf Linda Williams an, die in ihrem Buch »Playing the Race Card« untersucht hat, wie die Rassenkarte in den Vereinigten Staaten ein zentraler Modus der populären Kultur wurde.18 Sie zeigt dies anhand einer filmischen

nachfolge. Vgl. Erb, Andreas (Hg.): Baustelle Gegenwartsliteratur. Die Neunziger Jahre, Opladen 1998. 16 Vgl. Diekmann, Friedrich: »Literatur und Generation: Vom Jungsein und Älterwerden der Dichter«, in: neue deutsche literatur (ndl) 48 (2000), S. 129-135. 17 Vgl. Herzinger, Richard: »Mythos, Stil und Simulation. ›Generation‹ als kultureller Kampfbegriff und literarische Selbsterfindung«, in: neue deutsche literatur (ndl) 48 (2000), S. 144-164; sowie Hielscher, Martin: »Generation und Mentalität. Aspekte eines Wandels«, in: neue deutsche literatur (ndl) 48 (2000), S. 174-189. 18 Vgl. Williams: Race, S. XIV.

84

| DOING GENERATION

Gattung, des Melodrams. Das Melodram spielt für Williams eine besondere Rolle in der amerikanischen populären Kultur: Melodrama will be understood in these pages not as an aberration, archaism, or excess, but as the fundamental mode by which American mass culture has ›talked to itself‹ about the enduring moral dilemma of race.19

Williams‫ ތ‬Kontext ist ein ganz anderer: Sie untersucht ein anderes Medium, eine andere Kultur und einen anderen Modus zur Organisation von gesellschaftlichen Identitäten und Differenzen. Doch ihre Grundidee bleibt spannend: Gibt es auch in der deutschen Schreibkultur vielleicht auch Gattungen, die wiederum eine besondere Rolle für die Etablierung und Inszenierung von Generationen spielen? Generationen und Gattungen Generationen und Gattungen scheinen verwandt zu sein; nicht zuletzt dadurch, dass sie eine gemeinsame Wortgeschichte haben, wie Sigrid Weigel herausstellt. Nach Weigel ist das Auftauchen des Begriffs der Generation in Deutschland vor allem ein Übersetzungsphänomen.20 Neben der Bedeutung von Generation als Zeugung wird der Begriff verwendet, »um jene Funktion oder Position zu bezeichnen, die die genealogische Konstitution des Gattungsbegriffs beschreibt – so beispielsweise in Übersetzungen der griechischen Philosophie«. Aristoteles definiere, so Weigel weiter, Gattungen als »Kontinuum von Generationen des Gleichen«, als »zusammenhängende Erzeugung von solchen, welche dieselbe Form haben«.21 Gattung ist damit ein Begriff, der überzeitliche Gleichförmigkeit darstellt – er kann sich auf Menschen, aber auch auf nicht-menschliche Formen beziehen. Mittlerweile ist der Begriff der Gattung als Oberbegriff von ›Menschheit‹ weniger üblich, aber als literatur- und medienwissenschaftliches Konzept zur Lektüre von Formen ist er trotz all seiner Problematik nicht wegzudenken. Seine Problematik rührt daher, dass in ihm stets die Behauptung von Naturförmigkeit mitschwingt. So orientierte sich der Germanist

19 Ebd. 20 Vgl. Weigel: Generation, Genealogie, Geschlecht, S. 172ff. 21 Jeweils ebd., S. 172.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 85

Emil Staiger an den goetheschen Naturformen, als er die ›Qualitäten‹ des Lyrischen, Epischen und Dramatischen beschrieb.22 Diese normative Vorstellung nannte häufig Aristoteles als ihren Kronzeugen – allerdings ging auch er ursprünglich von einem deskriptiven Begriff aus.23 Beide Begriffe, Gattung und Generation, lassen sich umstellen von Verwandtschafts- auf Ähnlichkeitsbegriffe. Die Bezeichnung von Gattungen ist Resultat eines Vergleichs von Texten, nicht Feststellung ihrer naturgegebenen Verwandtschaft. Erst ein Beobachter identifiziert bei verschiedenen Texten ähnliche Eigenschaften und abstrahiert dabei von den Eigenschaften, die sie unterscheiden. Eine ähnliche Operation verläuft im Übrigen bei der Diagnose von Generationen: Eine Fülle von Individuen werden daraufhin beobachtet, welche Eigenschaften sich bei ihnen gleichen und in welchen sie sich wiederum unterscheiden. Die Zugehörigkeit zu Gattungen und Generationen werden durch eine Beobachtung der Ähnlichkeiten und ein Absehen von den Differenzen erzeugt. Wenn in dieser Arbeit die Rede von Gattungen ist, geht es daher immer um einen schwachen Begriff. Es geht darum, dass Texte Ähnlichkeiten aufweisen – und, das ist das Spezifikum dieses Ansatzes, dass diese Ähnlichkeiten generationell begründet sind. Wenn Texte miteinander ähnlich sind, dann weisen sie nicht einen gemeinsamen Naturzustand auf, sondern sie erzeugen die gleichen Erwartungen. Gattung ist in diesem Zusammenhang kein Naturbegriff, sondern ein Ähnlichkeitsbegriff. Zugleich gehen Gattungen den einzelnen Texten nicht als essentialistische Kategorie voraus; stattdessen realisieren sich Gattungen in Texten immer wieder aufs Neue.24 Wilhelm Voßkamp schlägt aus der Sicht der Literaturwissenschaft vor, Gattungen »als geschichtliche Bedürfnissynthesen [zu] bezeichnen, in denen bestimmte historische Problemstellungen bzw. Prob-

22 Vgl. Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik, Zürich 1946. 23 Vgl. Hempfer, Klaus: »Gattung«, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Band 1, Berlin/New York 1997, S. 651-655, hier S. 654. 24 Vgl. hierzu Blaseio, Gereon: »Genre und Gender. Zur Interdependenz zweier Leitkonzepte der Filmwissenschaft«, in: Claudia Liebrand/Ines Steiner (Hg.), Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film, Marburg 2004, S. 29-44, hier S. 36.

86

| DOING GENERATION

lemlösungen oder gesellschaftliche Widersprüche artikuliert und aufbewahrt sind.«25 Dabei fällt eines auf: In Voßkamps Bestimmung haben Gattungen einen viel stärker zeitpunktbezogenen – und damit nicht transhistorischen – Charakter. Voßkamp problematisiert, dass es eben auch historisch einmalige Konstellationen geben könne, auf die bestimmte Gattungen reagieren. Genau diese Doppelbedeutung ist zentral für das Gattungskonzept und ist ein Grund dafür, warum Gattungsdefinitionen so umstritten sind. Zum einen können Gattungen, ganz in der aristotelischen Konzeption, etwas sein, was durch die Geschichte hindurch Kontinuität beweist. Zum anderen können sie aber auch historisch einmalig entstehen, eine Konjunktur entwickeln und wieder aussterben.26 Generationelle Gattungen können daher ebenfalls beide Rollen übernehmen. Sie können sich transhistorisch etablieren und immer wieder aufs Neue aktualisiert werden, um Generationen lesbar zu machen. Es kann sich allerdings auch in einer historisch einmaligen Situation eine Gattung etablieren, die nur für diese eine Generation einen Kommunikationszusammenhang bereitstellt, in dem sich generationelle Kommunikation ereignen kann. Der Gattungsbegriff ist – wie der Generationenbegriff – also kein Antwortbegriff, der ein klares Konzept für die Funktionsweise von Generationen entwirft. Er bleibt ein Fragebegriff, der eine ganze Reihe von Unsicherheiten aufwirft: Wie können Texte historische Konstellationen artikulieren und archivieren? Wie funktioniert diese doppelte Generativität, einerseits als Erzeugen der Gattungen und andererseits als Erzeugen der Generationen? Wie etablieren Gattungen generationelle Kommunikation immer wieder neu, wie interagieren sie wiederum mit der Neuheit der einzelnen Generationen?

25 Voßkamp, Wilhelm: »Gattungen«, in: Helmut Brackert/Jörn Stückrath (Hg.), Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, Rowohlt 1992, S. 253-269, hier S. 259. 26 Zu dieser Diskussion um den Status der Gattung zwischen transhistorischer Invariante oder historischer Variable vgl. K. Hempfer: Gattung, S. 653.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 87

ZeitSchreiben: PopProjekte Sucht man um 2000 nach einem Begriff, der Texte zusammenfasst, denen eine ›generationalisierende‹ Funktion zugeschrieben wird, der stößt sehr schnell auf den Begriff der ›Popliteratur‹.27 Hiermit wird Literatur beschrieben, die wie Popmusik Jugendliche bewegt, die sie zueinander führt, die zugleich andere Lesergruppen abstößt. Doch welche Texte werden überhaupt als Pop bezeichnet – und was sind die Eigenschaften, in denen sie sich ähnlich sind? In diesem Abschnitt geht es daher um eine Art Beobachtung dritter Ordnung: Verschiedene Texte, somit Beobachtungen erster Ordnung, werden literaturwissenschaftlich analysiert, unter einem Sammelbegriff subsummiert und damit einer Beobachtung zweiter Ordnung unterzogen. In der Beobachtung dritter Ordnung, die dieser Text einnimmt, geht es nun darum, zu schauen, welche Beobachtungen zweiter Ordnung entworfen werden: Welche – generationellen – Eigenschaften verbinden Poptexte? Janina Meyer beschreibt als zentrales Merkmal von Popromanen eine Polarität zwischen individueller Selbststilisierung und generationeller Identifikation, die den Figuren inhärent ist.28 Ausdruck der eigenen Individualität und Ausdruck der Zugehörigkeit zu einer Generation zeichnen die Figuren des Popromans aus, Generationalität wird zum bestimmenden Motiv. Auch Thomas André verbindet Generation und Pop: »Die Figuren der Popliteratur, die sich implizit mit dem Generationenkonflikt auseinandersetzen, spüren den Blick der Eltern.«29 André legt damit den Schwerpunkt eher auf ein generationelles Verhältnis, den Unterschied einer Generation zur vorhergehenden. Er geht von einer Problemkonstellation aus, die das Schreiben antreibt und die

27 Vgl. hierzu beispielsweise die historische Einordnung von Jost Hernand: »Pop-Literatur«, in: Klaus von See (Hg.), Neues Handbuch der Literaturwissenschaft (Band 5), Wiesbaden 1979, S. 279-310. Eine gute Einführung bietet zudem der einschlägige Text-und-Kritik-Band, vgl. Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Popliteratur (= Text und Kritik, Band X), München 2003. 28 Vgl. Meyer, Janina: Der popliterarische Erzähler zwischen Generationszugehörigkeit und individueller Inszenierung, Oldenburg 2005. 29 André, Thomas: Der Generationenkonflikt in der deutschen Popliteratur (= Materialien und Ergebnisse aus Forschungsprojekten des Instituts, Heft 18), Bremen 2006, S. 11.

88

| DOING GENERATION

nur im Generationenverhältnis aufgelöst werden kann: »Eine Antwort für die so artikulierte Hoffnungslosigkeit findet sich nur in der Klärung des Verhältnisses zur Elterngeneration.« 30 André bezieht sich in seiner Lektüre unter anderem auf das Buch Generation Golf und damit auch auf das gleichnamige Generationenkonzept: »›Generation Golf‹ ist ein Kompendium für zwischen 1965 und 1975 Geborene. Es untersucht die Herkunft einer Generation, genauer: die der ›68‹er-Kinder.«31 Meyer und André halten sich beide zurück, ihre Begriffe von Pop und von Generation näher zu spezifizieren. Sie gehen davon aus, dass sowohl der Pop- als auch der Generationenbegriff selbstevident sind. Die Beziehung von Pop und Generation bedarf einer gründlicheren Untersuchung. Daher sollen an dieser Stelle zunächst etablierte Entwürfe zur Frage: »Was ist Pop?« daraufhin untersucht werden, inwieweit sie Popliteratur Aspekte zuschreiben, die generationenspezifisch sind. Schreibweisen der Gegenwart In diesem Kapitel werden vor allem fünf Literaturwissenschaftler ausgewählt, die popliterarische Texte beobachtet haben. Eckhard Schumacher, Moritz Baßler und Katharina Rutschky haben jeweils nicht nur Textlektüren vorgenommen, sondern auch versucht, eine Gruppe von Texten über ihre Gemeinsamkeiten zu bestimmen und einen Definitionsversuch vorgenommen. Vor allem die Monographien von Baßler und Schumacher sind in der Literaturwissenschaft einschlägig. Rutschky setzt hier einen anregenden Kontrapunkt, indem sie gerade nicht auf eine historische Etappe der Popliteratur abstellt, sondern den Poproman als überzeitliche Gattung entwirft. Ergänzt werden diese Positionen durch zwei Perspektiven von Jörg Magenau und Dirk Frank, die in ihren Überlegungen explizit auf den Zusammenhang von popliterarischen Texten und Generationen eingehen. Einen systematischen Entwurf zu den Eigenschaften von Popliteratur hat Eckhard Schumacher vorgelegt. Er konzentriert sich in seiner Lektüre vor allem auf die Autoren Rolf-Dieter Brinkmann, Rainald Goetz und Hubert Fichte.32 Seine Definition von Popliteratur zielt da-

30 Ebd. 31 Ebd., S. 9. 32 Vgl. Schumacher, Eckhard: Gerade, Eben, Jetzt, Frankfurt 2003.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 89

rauf ab, dass die Klammer um diese drei Autoren nicht nur ein allgemeiner Bezug auf Popmusik oder eine große Popularität sei, sondern es sich hier um Schreibweisen der Gegenwart handelt.33 Seinen Kernbegriff ›Gegenwart‹ fasst Schumacher auf eine komplexe Art. Er unterscheidet drei Verwendungen des Begriffs: Gegenwart wird im physischen oder metaphysischen Sinn von Präsenz als räumliche oder spirituelle ›Anwesenheit‹ begriffen, Gegenwart bezeichnet eine ›Zeitform, die ein gegenwärtiges Geschehen ausdrückt‹, das ›Präsens‹, und schließlich wird Gegenwart begriffen als ›Zeitpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft‹, als ›Zeit, in der man gerade lebt‹, als ›Jetztzeit‹.34

Die Schreibweisen des Pop rechnet er mit Thomas Meinecke einer transmedialen »Methode Pop« zu. Diese »Methode« umfasst eine Reihe von Verfahren, die das Arsenal der Gegenwart prozessieren, hierzu zählen »Zitieren, Protokollieren, Kopieren, Inventarisieren«35. Die Methode Pop umfasst alle drei Ebenen des Gegenwartsbegriffs und wird nicht nur auf der Ebene der Aktualität von Gegenständen virulent. Sie steht auch für die Produktion eines »latenten, oftmals instabilen Zustand[s] der Unübersehbarkeit und Unkontrollierbarkeit, der häufig nicht als Problem, sondern als produktives Moment, als Möglichkeitsraum des Schreibens begriffen wird«36, weil ihm – so Schumacher – »die historische Distanz fehlt.«37 Für diese literarischen Schreibweisen beschreibt Schumacher musikalische Verfahren als Vorbilder, die auf ihre »nur temporäre Haltbarkeit verweisen«.38 Nicht nur die Gegenwart als Thema steht im Vordergrund, sondern auch die Problematik, als Schreibender einen Ausdruck für die Gegenwart zu finden. Das Erlebnis von Musik steht hier im Zentrum der

33 Vgl. ebd., S. 12. 34 Ebd., S. 16, mit Bezug auf Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Band 3. Mannheim u. a. 1999, S. 1419. 35 Ebd., S. 13. 36 Thomas Meinecke zitiert nach Schumacher, Eckhard: »Pop, Literatur. Ein Interview mit Thomas Meinecke«, in: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik und Literatur 1 (2000), S. 19-20, hier S. 19. 37 E. Schumacher: Gerade, S. 17. 38 Ebd., S. 19.

90

| DOING GENERATION

Texte, die damit die Funktion eines Erfahrungsmediums einnehmen.39 Als »die Sinneskräfte übersteigenden, unfassbaren Gegenstand«40 stellt Popliteratur diese Erlebnisse in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit. Archive einer Generation Jörg Magenau skizziert eine andere Traditionslinie von Popliteratur, die mit dem Jahr 1990 in Deutschland beginnt.41 Ausgehend von der Wende nennt er es ein populäres Ritual im Nach-Mauer-Berlin, sich gegenseitig die Biographien erzählen.42 Er beschreibt eine historische Umbruchsituation, die den Kontext bildet für eine Reihe von biographisch orientierten Romanen ost- und westdeutscher Autoren, um die unterschiedlichen Möglichkeiten von Lebenswegen in den beiden deutschen Staaten aufzuzeigen. Diese Bücher, zu denen Magenau unter anderem Icks von Ralf Bönts, Stadt Land Fluß von Christoph Peters, Meine nachtblaue Hose von David Wagner oder Weiberroman von Matthias Politycki zählt, erheben allerdings nicht nur Anspruch auf Gültigkeit für einzelne Biographien, sondern auch für Generationserfahrungen. Mehr noch, sie treiben erst einen Kommunikationsprozess voran – wie es der Titel seines Aufsatzes thesenhaft fasst: »Literature as a Generation’s Medium for Self-understanding«. Erzähler schreiben nicht nur aus einer Ich-Perspektive, sondern auch aus einer Wir-Perspektive, um dem Erzähler einen exemplarischen Status zu verleihen: What was told was always the life of the storyteller. Because self-absorption is tiring in the long run, another concept made an astonishing career for itself alongside the ›I‹ at the center of literature. This is the concept of ›generation‹, through which the individual can be elevated to exemplary status.43

Auch Moritz Baßler hebt eine solche die Vergangenheit archivierende Perspektive hervor, wenn er die Schreibweisen von Popliteraten wie

39 Vgl. ebd., S. 18ff. 40 Ebd. 41 Vgl. Magenau, Jörg: »Literature as a Generation’s Medium for Selfunderstanding«, in: New German Critique 88 (2003), S. 97-106. 42 Vgl. ebd., S. 98. 43 Ebd., S. 100.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 91

Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht beschreibt, führt sogar den Begriff der »Neuen Archivisten« als Gattungsbezeichnung ein.44 Vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung hebt er vor allem den ostdeutschen Autor Thomas Brussig hervor. Mit seinem Roman »Helden wie wir« habe er nicht nur qua Titel Identifikationsangebote für in der DDR aufgewachsene Menschen einer bestimmten Altersgruppe geschaffen.45 Als das herausstechende Kennzeichen der Archivisten nennt er das »quasi-ethnologische Sammeln verschiedener fragmentarischer Wahrnehmungen«46. Dem Programm der Archivisten stellt Baßler vor allem das Programm der Realisten gegenüber, für die unter Judith Hermanns Sommerhaus, später steht. Die mit diesem Buch verknüpfte Rehabilitation von klassischen Erzählformen ist für Baßler schlicht uninteressant. Baßler schätzt die Archivisten gerade für die Gedächtnis-Funktion ihrer Texte, die Schumacher noch abgelehnt hat. Als einen ersten Vertreter liest er Andreas Mands Grover‫ތ‬s Erfindung: »Das Grover-Projekt besteht in der möglichst kompletten Aufzeichnung der Welt eines Pubertierenden in den 70er Jahren.«47 Mand nimmt hier also den Blick auf die Vergangenheit ein, beobachtet Vergangenes und erinnert sich an die eigene Sozialisationszeit, nämlich an eine »intersubjektiv abrufbare Rezeptionserfahrung«48. Mands Schreibweise charakterisiert Baßler folgendermaßen: Es handelt sich um ein kumulatives Verfahren, das eine Situation nicht als individuelle, sondern als Essenz zahlreicher ähnlich erlebter Situationen aufzeichnet (›Meistens ist man zu früh‹ – aber nicht immer). Zwar wird im Präsens erzählt (›wir tun, als wenn wir rauchen‹), was der bildlichen Vorstellungskraft sehr entgegenkommt, dennoch wird nicht (oder nur selten einmal) eine Situation erzählt (auch nicht pars pro toto), sondern immer schon die kumulative Essenz vieler.49

44 Vgl. Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten, München 2002. 45 Vgl. ebd., S. 66f. 46 Ebd., S. 94. 47 Ebd., S. 22. 48 Ebd., S. 23. 49 Ebd., S. 23f.

92

| DOING GENERATION

Es geht hier also nicht um Exemplarität von einzelnen Erfahrungen, sondern um eine Erfahrungsstruktur. Diese prägende Erfahrungsstruktur soll dabei in ihrer Totalität erfasst werden: »Schon die Kapitelüberschriften […] weisen auf das Vollständigkeits- und Generalisierungsbestreben hin, mit dem hier das Archiv des Heranwachsenden ausgeschrieben wird.«50 Dieses Archiv bleibt trotz seiner Totalität aber stets ein vom subjektiven Blick geprägtes Archiv, in das die Erzählinstanz stets eingeschrieben bleibt.51 Mit Mands Roman vergleicht Baßler im nächsten Schritt Weiberroman von Matthias Politycki.52 Er erkennt hier ähnliche archivarische Verfahren, wenngleich eine andere Erzählstruktur. Baßler spricht am Beispiel Polityckis explizit von einer »Generations-Etappen-Erzählung«.53 Neben diesen Archiven, die die Vergangenheit archivieren, konzentriert sich Baßler in seiner Lektüre von Büchern Max Goldts und Stuckrad-Barres auf deren archivarischen Eifer hinsichtlich der Gegenwart. Er schreibt – zunächst Goldt, später auch Stuckrad-Barre – dieser Literatur eine spezielle Qualität zu. Beide stellen Archive der eigenen Alltagskultur her, indem sie in Bereichen des NichtLiterarisierten sammeln und so literarische Texte generieren, vor allem mit Hilfe serieller Techniken. Kataloge des Alltags – wie eine Serie von unterschiedlichen Haltbarkeitsaufdrucken auf Lebensmitteln – werden auf diese Weise Teil von Literatur.54 Damit nimmt die Literatur hier die Funktion eines Reflexionsmediums ein, das auf bisher marginalisierte, nicht-literarische Wirklichkeitsformen zurückgreift. Bei Goldt und vor allem bei Stuckrad-Barre finden sich Reflexionen von Kommunikationen aller Art, sowohl der Alltagskommunikation als auch spezifischer Formulierungen aus dem Kontext der Massenmedien. Neben Verfahren des Sammelns und Katalogisierens und spezieller literarischer Routinen lobt Baßler Stuckrad-Barres Gespür für »Paradigmen«:

50 Ebd., S. 24. 51 Vgl. ebd. 52 Vgl. Politycki, Matthias: Weiberroman, München 1997. 53 M. Baßler: Archivisten, S. 44. 54 Vgl. ebd.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 93

Paradigmen dieser Art, so meine These, sind das Herzstück aller popliterarischen Verfahren zwischen Sammeln und Generieren: Alle seine rubrizierten Elemente sind Fundstücke aus vorliegenden Texten (›Ich sammel‹), aber mit dem Anwachsen der Sammlung zeigen sich Regelmäßigkeiten, es schält sich heraus, worin die Äquivalenz der Elemente eigentlich besteht.55

Auch hier beobachtet Baßler also – wie bei Mand – eine spezifische Eigenheit des Archivars. Die Listen und Beschreibungen haben nicht nur exemplarischen Charakter, sondern verweisen auf die Regelsysteme, die hinter diesen Beobachtungen wirken. Die Erkenntnis dieser Regelsysteme ist dabei erneut immer beobachtergebunden. Einerseits erfordert sie einen präzisen Autor-Erzähler, andererseits auch einen Leser, der dessen Position bestätigt: Enzyklopädische Zusammenhänge der vorgeführten Art sind keine Tatsachen, deren Einsicht sich erzwingen ließe; man kann sie den Lesern nur anmuten – und wenn eine ausreichende Anzahl darin ihre Kultur wiedererkennt, wenn das Generieren des Autors als erfolgreiches Sammeln durchgeht, dann hat‫ތ‬s geklappt. 56

Das Archiv erhält also seine Qualität erst durch den Leser, der die dahinter stehenden Regelsysteme bestätigt. Die Beschreibungen setzen also stets auf einen vor-informierten Leser. Die gemeinsame und im Archiv gespeicherte Erinnerung erzeugt damit ein generationelles Verhältnis der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Der generationelle Charakter der Archivisten besteht so darin, dass sie eine Erinnerungsgemeinschaft schaffen. Generation Tristesse Dirk Franks Ausgangspunkt zur Beschreibung von Autoren wie Stuckrad-Barre ist hingegen die Einordnung zwischen journalistischem und literarischem Schreiben.57 Dieses Pendeln zwischen den Polen nimmt

55 Ebd., S. 102. 56 Vgl. ebd. 57 Vgl. Frank, Dirk: »Generation Tristesse. Zum Verhältnis von Literatur und Journalismus in der jüngeren Popliteratur«, in: Joan Kristin Blei-

94

| DOING GENERATION

er als Klammer für eine spezifische Autorengruppe, die er – im Gegensatz zu Baßler – ganz konkret mit dem Generationenbegriff bezeichnet: Die hier ›Generation Tristesse‹ genannte Autorengruppe, die man je nach Beobachtungsperspektive auch als ›Generation X‹ oder auch mit dem weitaus positiveren Begriff ›Generation Golf‹ (Illies 2000) bezeichnen könnte, kam über das journalistische Schreiben für Magazine, Musikzeitschriften und Tageszeitungen in den Literaturbetrieb.58

Den Begriff der Generation Tristesse leitet Frank von der 1999 erschienenen Publikation Tristesse Royale ab.59 Das Buch gibt vor, Protokoll eines Treffens von fünf jungen Männern im Berliner AdlonHotel zu sein: der Autoren Kracht und Stuckrad-Barre, des Gesellschaftsjournalisten Alexander von Schönburg-Glauchau, des Autors Eckhart Nickel und des Kolumnisten Joachim Bessing. Für Franks Verknüpfung von ›Tristesse‹ und ›Generation‹ lassen sich zwei Argumente finden. Zum einen sind es die Buchautoren selbst, die davon sprechen, das »Sittenbild einer Generation«60 entwerfen zu wollen. Zum anderen entwirft auch Frank eine generationelle Deutung des Entwurfs unter dem Zeichen des Pop. In Tristesse Royale treffen nach Frank verschiedene Pop-Schreibweisen aufeinander, beispielsweise die »Diskurskritik«61 von Benjamin von Stuckrad-Barre und das »Mehrdeutigkeitskalkül«62 Christian Krachts. Beide Autoren seien sich in gewisser Weise ähnlich, beide seien als Journalisten etabliert, hätten aber ihren Erfolg jeweils durch einen Roman erzielt.63 Auch die Inszenierungsweisen beider sind sich ähnlich, indem beide einerseits die Grenzen zwischen journalistischem und literarischem Schreiben

cher/Bernhard Pörksen (Hg.), Grenzgänger. Formen des New Journalism, Wiesbaden 2003, S. 267-306, hier S. 268. 58 Ebd., S. 299. 59 Vgl. Bessing, Joachim/Kracht, Christian/Nickel, Eckhart/von Schönburg, Alexander/von Stuckrad-Barre, Benjamin: Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett, Berlin 1999. 60 Ebd., S. 11. 61 D. Frank: Generation, S. 291. 62 Ebd., S. 291. 63 Vgl. ebd., S. 268.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 95

durchkreuzen und andererseits paratextuelle Instanzen wie kritische Rezensionen und ihr eigenes Image als Autoren in das persönliche Schreiben integrieren. Gerade in diesen Eigenschaften sieht Frank die Begründung dafür, beide als Popautoren einzuordnen. Popliteratur ist nach Frank ein »umbrella term für unterschiedliche Textarten und Verfahren […], die sich einer eindeutigen Zuordnung als literarisch oder nicht-literarisch entziehen.«64 Es ist Franks zentrale These, dass beide Autoren zwar als PopAutoren einzeln funktionieren können, aber es eben zu keiner generationsspezifischen Schreibweise kommen kann. Tristesse Royale führt nicht nur jede der integrierten Schreibweisen ad absurdum, sondern stellt auch heraus, dass eine weitere Eigenschaft des Pop nicht erfüllt ist. Pop ist zwar – gerade in Tristesse Royale – omnipräsent, aber nicht mehr subversiv.65 Frank resümiert schließlich den Begriff der Generation Tristesse: ›Generation Tristesse‹ hat als Begriff auch seine Berechtigung, wenn man sich die Beschreibung der bereits unaufhaltsam nachfolgenden Generation der ›Netzwerkkinder‹ anschaut. Will man dem Hamburger Trendbüro Glauben schenken, so setzen die Netzwerkkinder dem Zynismus, Pessimismus und der Skepsis ihrer Vorgängergeneration Werte wie Pragmatismus, Kooperation und Vertrauen entgegen. Ob diese Generation einmal zu einer eigenen, möglicherweise an andere Publikations- und Vertriebswege gebundenen Form des literarischen oder journalistischen Pop finden wird, bleibt abzuwarten.66

Frank legt hier implizit einige Überlegungen zum Zusammenhang von Generationen und Gattungen zu Grunde. Er definiert den – literarischen oder journalistischen – Pop als die generationelle Gattung, in der Generationen immer wieder aufs Neue lesbar werden. Damit versteht er Pop als eine transhistorische Gattung, die von jeder Generation immer wieder aufs Neue aktualisiert wird. Um als generationelle Ausdrucksform lesbar zu werden, ist es allerdings notwendig, dass sich eben nicht nur individuelle Schreibweisen addieren lassen, sondern sich eine Schreibweise entwickelt, die überindividuell beobachtbar ist und die Generation damit beschreibbar macht.

64 Ebd., S. 270. 65 Vgl. ebd., S. 269. 66 Ebd., S. 299f.

96

| DOING GENERATION

Gemeinsam im Unaussprechlichen Katharina Rutschky argumentiert anders, wenn sie Stuckrad-Barres Debütroman als Popliteratur charakterisiert. Im Gegensatz zu den bisherigen Analysen konzentriert sie sich auf die Romanhaftigkeit von Soloalbum. Sie eröffnet ihre Überlegungen zum Poproman mit dem Untertitel »Merkmale eines unerkannten Genres« und stellt damit die These auf, es gäbe hier eine Gattung, die in ihrer Gattungshaftigkeit bisher unerkannt blieb.67 Sie fasst ihren Begriff von Popliteratur zunächst transhistorisch. Sie stellt Stuckrad-Barres Erstling Soloalbum in eine Reihe mit historischen Vorgängern, nicht zuletzt Goethes Leiden des jungen Werthers. 68 In ihrer Argumentation erwähnt sie eine ganze Reihe von Romanen, in denen die Konventionen des Popromans im Laufe der Zeit immer wieder neu aktualisiert werden.69 Als stilistische Gemeinsamkeiten führt sie auf, dass es zur »nicht erklärten Programmatik des Popromans« gehöre, die »Bereiche des allen Bekannten, ja Trivialen nicht zu verlassen.«70 Zugleich beobachtet sie eine »Verpflichtung« des Popromans »auf Coolness« und zugleich einen »Verzicht auf Prätention«.71 Mit dieser Beschreibung wendet sie die ästhetische Kritik, die gerade Stuckrad-Barres Buch immer wieder entgegengebracht wird, in eine positive Eigenschaft des Popromans: Konventionell betrachtet wäre ein Text, den man ohne Verlust an Kontinuität, Verständnis, ja auch Klang zusammenstreichen kann, ein sehr schlechter. Wo allerdings, wie in der Popliteratur, im Prinzip addiert statt konstruiert, evoziert statt argumentiert wird, gilt diese ewige Einsicht nicht. Im besten Fall wird im Poproman Kontinuität durch ein Mixtum Compositum von realem Autor-

67 Vgl. Rutschky, Katharina: »Wertherzeit. Der Poproman – Merkmale eines unerkannten Genres«, in: Merkur 2 (2003), S. 106-117. 68 Vgl. ebd., S. 108. 69 Unter anderem Der große Kamerad von Alain-Fournier (1913), Der fromme Tanz von Klaus Mann (1926), Der Fänger im Roggen von J. D. Salinger (1951) oder Bonjour Tristesse von Francoise Sagan (1954). Vgl. ebd., S. 108ff. 70 Ebd., S. 107. 71 Ebd., S. 108.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 97

Menschen, Ich-Erzähler und einem Leser erzeugt, der in dessen Fußstapfen tritt, als wären es die seinen.72

Auch Rutschky nennt damit spezifische Schreiber- und LeserAdressen als konstitutive Merkmale des Popromans. Zum einen erzeugen Popromane Autorpositionen, durch eine »Kombination von Sujet, Buch und Autor (Dichter, Genie und Star mit dem Werk in der Hand)«73. Bei Schumacher und Baßler verweisen Schreibweisen der Gegenwart und archivarische Verfahren nicht nur auf einen Erzähler, sondern stets auf einen Autor als Schreibenden und Archivierenden, als Erlebenden und zugleich Ausdrückenden. Auch in Rutschkys Charakterisierung bleibt der Erzähler stets an den Autor rückgebunden. Die Ich-Emphase im Schreiben verweist auf den poetologischen Vorsatz, die ganze »Subjektivität des Schreibens«74 auszuschöpfen. Popromane werden dadurch stets als eine Selbstbeobachtung codiert. Eng verknüpft ist damit die solitäre Rolle dieser Romangattung. Ihr Versuch, eine »Sprache für den Abschied von der Kindheit zu finden«75 kann immer nur einmal in der Biographie eines Autors erfolgen. Selbst wenn Autoren von Popromanen im Anschluss in weiteren literarischen Werken reüssieren – oftmals sei dies aber historisch bisher nicht der Fall gewesen, so Rutschky – so seien diese Bücher unabdingbar anderen Gattungen zuzuordnen.76 Wenn auch zur Gattungsstruktur diese ganz spezielle Konfiguration der Autorschaft und dessen biographische Bezüge gehören, so müssen diese innerhalb des Romans immer noch über eine Figur vermittelt werden: Wer andererseits seinen Helden – und es gibt immer nur einen einzigen – dem Pelikan gleich mit dem Blut seines eigenen Herzens füttert, verwischt zwangsläufig unsere gewohnte Unterscheidung von Fiktion und Leben, vom Autor als Urheber und vom Held als einer Kunstfigur. Der Leser wird zu einer ganz besonderen Teilnahme verführt: Die Grenzen zwischen Goethe, Werther und dem Ich des Lesers verschwinden im Werthererlebnis. Der moderne Poproman fordert die Lesehaltung des Mitlebens schon durch die strikt präsentische, oft pro-

72 Ebd., S. 112. 73 Ebd., S. 108. 74 Ebd., S. 110. 75 Ebd., S. 109. 76 Vgl. ebd., S. 108.

98

| DOING GENERATION

tokollartige Erzählweise. Auch im Werther gibt es keine Vergangenheit und keine Zukunft, keine Zeit- und keine Handlungsperspektive.77

Das Mitleben, die gemeinsame Beobachtungsposition von Autor und Leser wird hierbei als eine Form von Generationalität codiert. »Der Poproman ist nicht nostalgisch, sondern reine Gegenwart«78, präziser gesagt: gemeinsame Gegenwart von Autor und Leser. Die Nähe zwischen Autor- und Leserposition beschreibt Rutschky als eine Überwindung von Einsamkeit, sodass das Gefühl erzeugt würde, man sei »nicht so allein, wie man es seit langem empfunden und für lebenslang gefürchtet«79 hat. Autorposition und Leserposition fühlen sich somit »mit der Liebsten oder den Freunden zusammen im Unaussprechlichen«80. Wenn Rutschky hier von der Bedeutung der Literatur als »Mittel der Vergesellschaftung«81 spricht, geht es um ihre Funktion als Regulationsmedium, das sozialisierende, mithin sogar generationalisierende Effekte hat. Die proklamierte gemeinsame Identität von Autor und Leser lässt sich als eine Form von Generationalität beschreiben. Damit erhält die Gattung des Popromans selbst eine generative Funktion: Sie bringt eine Erfahrungsstruktur zum Ausdruck und macht damit eine Generation lesbar: [D]enn taugen Liebesglück und Liebesleid heute nicht mehr in der Weise zum Politikum wie beim Urbild des Popromans, nämlich Goethes Die Leiden des jungen Werthers, so muß doch die Gewöhnlichkeit solcher Vorkommnisse gleichzeitig mit ihren im Einzelfall umstürzenden Schmerzen und Erfahrungen sichtbar und sprechbar gemacht werden.82

Hier kann gelesen werden, was Autoren und Leser zur gemeinsamen Generation macht. Wenn Rutschky schreibt: »Das Selbstbewußtsein jedes einzelnen Heranwachsenden ist nicht mehr klassengebunden«83 dann könnte man ergänzen: Stattdessen ist es generationsgebunden.

77 Ebd., S. 110. 78 K. Rutschky: Wertherzeit, S. 109. 79 Ebd., S. 113. 80 Ebd. 81 Ebd., S. 114f. 82 Ebd., S. 108. 83 Ebd., S. 117.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 99

Katharina Rutschkys Gattungskonzept unterscheidet sich in einem Kriterium zentral von den meisten anderen Konzeptionen. Während ihre Kollegen Popliteratur als historisches Phänomen betrachten, definiert Rutschky den Poproman transhistorisch. Damit wird hier die ganze Bandbreite aufgezeigt, wie Gattungen generationell stabilisiert werden können. Sie können zum einen generationelle Kommunikation allgemein konventionalisieren und sich immer wieder historisch aktualisieren – die transhistorische Invariante besteht hier gerade im generationellen Kommunikationsmodus. Auch Frank argumentiert in diese Richtung, wenn er postuliert, dass jede Generation ihren eigenen Pop zu schreiben hat. Zum anderen können Gattungen sich auch etablieren, indem sie gerade Kommunikation einer spezifischen Generation in einer Form stabilisieren – hier zeichnet sich die Generation wiederum dadurch aus, dass sie in dieser einen Form kommuniziert. Ein Gattungsbegriff, der für diese Perspektive verwendet werden kann, muss zwei Eigenschaften besitzen: Er muss einerseits nicht nur auf ein Medium wie beispielsweise das Medium Buch, sondern auf alle Medien anwendbar sein, und er muss zweitens ein heuristisches Raster bereitstellen, um Gattungen beschreibbar zu machen. Hierfür eignet sich beispielsweise der Gattungsbegriff von Siegfried J. Schmidt. Nach Schmidt sind Mediengattungen »symbolische Formen, die in Form kollektiven Wissens Kommunikationen organisieren und die Spezifik von Beiträgen zu thematischen Räumen bestimmen.«84 Gattungsbezeichnungen regeln nach Schmidt dreierlei: die Gesamtstrategie des Wirklichkeitsbezugs einer Mediengattung (Referenzmodalität), den thematisierten Wirklichkeitsbereich (kommunikative Semantik) und die Gestaltung und Darbietung eines Medienangebots (Ästhetik, Stilistik).85

Gattungen nach Schmidt kann man also daraufhin analysieren, inwieweit sich Texte hinsichtlich Referenzmodalität, kommunikativer Semantik und Stilistik ähneln. Die diskutierten Autoren geben hier jeweils unterschiedliche Antworten. So grenzt beispielsweise Schumacher Popliteratur gerade dadurch von anderen Schreibweisen ab, dass Ge-

84 Schmidt, Siegfried J.: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung, Frankfurt/M. 1996, S. 164. 85 Ebd., S. 180.

100

| DOING GENERATION

genwart hier nicht nur Thema der kommunikativen Semantik ist, sondern ein stilistisches Problem. Einig sind sich alle, dass eine Gattung nur dann als generationsspezifisch lesbar wird, wenn sie eine Referenzmodalität entwickelt, die über die fiktive Ebene hinausweist. Schumacher spricht hier davon, dass Popliteratur ein Ausdruck für außerliterarische Erlebnisse ist, Baßler davon, dass sie spezifische Regelsysteme der Erfahrung archiviert. Katharina Rutschky wiederum schildert eine Verschmelzung von Leser, Erzähler und Autor – mithin einen Rückschluss von der fiktiven Erzählebene auf den außerliterarischen Autor. Generation kann sich somit nur in Gattungen ereignen, wenn die Texte eine Referenz auf eine außerliterarische Realität etablieren können. Zusammenfassend kann man diese verschiedenen Entwürfe auch noch einmal auf Gampers Funktionen von Literatur beziehen. Es lassen sich insgesamt mindestens drei generationalisierende Funktionen beschreiben, die die Gattung Popliteratur einnehmen kann. Popliteratur kann erstens mit Schuhmacher ein Erfahrungsmedium sein, das zeitgebundene Erlebnisse erneut erfahrbar werden lässt. Zweitens kann Popliteratur nach Baßler ein Reflexionsmedium sein, das spezifische generationsrelevante Diskurse im literarischen Kanon archiviert. Drittens stellt Katharina Rutschky vor, wie Popliteratur als Regulationsmedium vergemeinschaftende Effekte haben kann. Bei Schumacher ist es das Schreiben von Gegenwart, das Popliteratur ausmacht – somit ein Verfahren, das Prägung, Erleben, Gestalten von Zeit in Schrift umsetzt. Verschriftlicht ist diese Zeiterfahrung zugleich lesbar – wer sie liest, nimmt wieder teil an der Gegenwart, folgt dem Ringen um die Gegenwart in der Sprache. So werden Schreiber und Leser Teil einer gemeinsamen Gegenwart und damit – zunächst einmal völlig altersunabhängig – Teile einer Generation, die Zeiterfahrung teilt. Bei Baßler ist es weniger die Gegenwart des Schreibens, sondern die Vergangenheit der Erzähler oder der Figuren, das Popliteratur ausmacht. Die Archivisten erzeugen ein generationelles Verhältnis der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen – sie schaffen die Möglichkeit zur Erinnerung. Wenn diese Erinnerung durch den Leser geteilt wird, lässt sich hier der generationelle Charakter der Popliteratur durch die Schaffung einer Erinnerungsgemeinschaft kennzeichnen. Magenau schafft den Generationenbezug noch expliziter, indem er Popliteratur als Medium der Selbstverständigung von Generationen bezeichnet.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 101

In den Kapiteln 5.2, 5.3 und 5.4 wird an drei Fallstudien diskutiert, wie generationenspezifische Kommunikation sich in bestimmten Gattungen stabilisiert. Die Auswahl dieser Beispiele soll auch der Frage Rechnung tragen, wie Medialität generationelle Gattungen strukturiert. Die Beispiele der Fallstudien operieren zwar alle im Symbolsystem der Sprache, sie unterscheiden sich aber in ihren Apparaten, Buch, Zeitschrift und Internetprojekt, und sie operieren in unterschiedlichen Dispositiven86: Nach einer Analyse von Büchern in Kapitel 5.2 werden in Kapitel 5.3 Zeitschriften betrachtet und in Kapitel 5.4 Internetkommunikation. In den einzelnen Kapiteln wird nun jeweils untersucht, welche generationalisierenden Formen diese unterschiedlichen Medien ermöglichen, wie sie jeweils Generation auf andere Weise lesbar machen.

5.2 (A UTO )G ENERATIOGRAPHIEN Dem deutschen Boom der Generationenbücher ging ein internationaler Bestseller voran. 1991 erschien Douglas Couplands Roman Generation X und löste internationale Resonanz aus.87 Auch wenn es nicht Coupland war, der den Begriff der »Gen X« – wie sie häufig im USamerikanischen Diskurs abgekürzt wird – erfand, sondern bereits Billy Idol 1976 eine Punkband so benannte, war es sein Roman, der einer breiten Generationendebatte ihren Namen gab. Guido Jablonski beschreibt treffend, dass es nicht nur Couplands Roman war, sondern noch zwei andere medienkulturelle Phänomene, deren Stile und Deutungsangebote aufeinander bezogen wurden: zum einen der große Erfolg der Grunge-Band Nirvana und Richard Linklaters Episodenfilm

86 Zur Unterscheidung von symbolischer Ebene, Apparaten und Dispositiven als Bestandteile eines dreigliedrigen Medienbegriffs vgl. Debray, Régis: »Für eine Mediologie«, in: Claus Pias/Joseph Vogl/Lorenz Engell/Oliver Fahle/Britta Neitzel (Hg.), Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Stuttgart 1999, S. 67-75. 87 Vgl. Coupland, Douglas: Generation X. Tales For An Accelerated Culture, New York 1991.

102

| DOING GENERATION

Slackers.88 Während Coupland die Generationenbezeichnung einbrachte, skizzierte Linklater mit dem Slacker ein prototypisches Mitglied dieser Generation: den »twentysomething«, der sich den Zwängen einer illusionslosen Arbeitswelt verweigert und stattdessen lieber »abhängt«. Den dazu passenden Sound lieferte Nirvana, wie Jablonski argumentiert: »Grunge reduzierte den Heavy Metal auf seine Ursprünge aus dem Blues und übernahm zugleich die wütend-provokante Doit-yourself-Attitude des Punk, dessen ekstatische Intensität und sprach 89 von Dissidenz, Purismus und Antikommerzialismus.« Während Nirvana eine Generation hörbar und Linklater sie sichtbar machte, verlieh ihr Coupland eine Lesbarkeit. Coupland operiert dabei in einem populären Modus, um es mit Stäheli zu beschreiben: Er bietet mit der Generation X eine Identifikationsfigur an, die Inklusionen für junge Menschen organisiert und eine Zeitheimat jenseits der funktionalen Differenzierung beschreibt. Dabei nimmt er seinen Ausgangspunkt nicht nur in der Beschreibung einer generationalen Identität, der Generationalität der Generation X, sondern auch eines generationellen Verhältnisses. Es ist vor allem der Konflikt der Xer mit der vorhergehenden Generation der Babyboomer, die die Wut der Slacker befeuert.90 Identifikation wird hierbei auch über populäre Kommunikationsformen hergestellt. Nach Stäheli zeichnet sich das Populäre vor allem durch affektive und allgemeinverständliche Kommunikation aus: Es sind die Affekte, die Nirvana populär machen, es sind die Alltagserfahrungen der Slacker, die ihre Generationsgenossen sofort nachvollziehen können. Prototyping: Generation Golf Auch in Deutschland kommt es zu einem Boom der Generationenbücher, der mit Florian Illies Generation Golf einen ersten Höhepunkt erreicht.91 In diesem Kapitel geht es um die konkreten kommunikativen

88 Vgl. Jablonski, Guido: Generation X: Selbst- und Fremdbeschreibungen einer Generation. Eine literaturwissenschaftliche Studie, 2002. Download unter http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=969090536, S. 6ff. 89 Ebd. 90 Vgl. ebd., S. 60ff. 91 Vgl. F. Illies: Generation. Zitate nach der Originalausgabe im ArgonVerlag. Im Folgenden GG abgekürzt.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 103

Formen, die Bücher, ihre Struktur, ihre Redeweise, ihr Aufbau, ihre Vermarktung. Illies‫ ތ‬Buch verkauft sich gut und hält sich vom 20. März 2000 bis zum 9. Juli 2001 auf der Spiegel-Bestsellerliste. Das Buch wird breit diskutiert und erreicht damit eine weite Bekanntheit. Ein gutes Indiz für diese Bekanntheit ist, dass Generation Golf es immer noch zu mehr Google Hits (88.600) bringt als Generationenbücher wie Generation Ally (4860), Generation Soap (5540), Generation Berlin (8590) oder Generation Reform (10200).92 Generation Golf etablierte sich so sehr als Generationenbezeichnung, dass Sozialwissenschaftler die Notwendigkeit sehen, ihre Existenz empirisch zu überprüfen,93 mittlerweile existiert sogar schon ein Wikipedia-Artikel zur Generation Golf und es gibt Studien, die Illies‫ތ‬ Bestseller als herausgehobenes Beispiel zur Erzeugung von Plausibilitäten untersuchen.94 Eine solche Etablierung im populären Begriffskanon können andere durch Generationenbücher entstandene Generationenkonzepte nicht vorweisen. Was macht Generation Golf zu einem Generationenbuch, ja sogar zu einem Prototyp von Generationenbüchern, der dieser Gattung in der Folge zu großer Popularität verhalf? Dabei kann man den Begriff des Prototyps sowohl literaturwissenschaftlich, als auch medienökonomisch verstehen. Einerseits beziehen sich literarische Gattungskonjunkturen zumeist auf einen Prototyp, wie Wilhelm Voßkamp am Beispiel von Wilhelm Meisters Lehrjahren und dessen Bedeutung für die Geschichte des Bildungsromans diskutiert.95 Andererseits übernehmen auch im Konsum bestimmte Produkte eine Prototypenfunktion, sie strukturieren damit die Kundenerwartungen in einer bestimmten Produktkategorie, indem alle weiteren Produkte an diesem Prototyp gemessen werden.96 Dabei muss dieser Prototyp – weder in literaturwis-

92 Abruf im März 2009. 93 Vgl. Klein, Markus: »Gibt es die Generation Golf«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55 (2003), S. 99-115. 94 Vgl. Karasek, Tom: Generation Golf: Die Diagnose als Symptom, Bielefeld 2008. 95 Vgl. W. Voßkamp: Gattungen, S. 260. 96 Vgl. z. B. Trommsdorff, Volker/Steinhoff, Fee: Innovationsmarketing, München 2007, S. 189ff.; sowie grundlegend Rosch, Eleanor/Mervis, Carolyn B./Gray, Wayne D./Johnson, David M./Braem, Penny B.: »Basic

104

| DOING GENERATION

senschaftlicher, noch in medienökonomischer Hinsicht – zeitlich nicht das erste Buch sein; es kann immer auch Vorgänger geben, die auf Grund ihres geringeren Erfolgs keinen prototypischen Charakter entfaltet hatten. Generatiographien »Generation Golf« und »Generation Ally«

Quelle: Illies, Florian: Generation Golf, Berlin 1995 (links); Kullmann, Katja: Generation Ally, Frankfurt 2002 (rechts).

Generation Golf ist keineswegs das erste Generationenbuch, aber es löste eine neue Konjunktur dieser Form aus.97 Dies hängt auch damit zusammen, dass es eine erfolgsversprechende Strategie im Medienmarkt ist, aktuelle Erfolge zu kopieren. Man versucht, beim Käufer eine ähnliche Qualität wie bei Illies‫ ތ‬Buch zu suggerieren, indem neue Bücher ähnlich vermarktet werden. Reinhard Mohr, der schon 1992 ein Buch über seine Generation geschrieben hat und unter dem Titel

Objects in Natural Categories«, in: Cognitive Psychology 8 (1976), S. 382-439. 97 Zu einem historischen Beispiel vgl. beispielsweise Bohnenkamp, Björn. »›Die Jugend vor 25 Jahren‹. Carl Immermanns Memorabilia als Generatiographie«, in: Gerhard Lauer (Hg.), Literaturwissenschaftliche Beiträge zur Generationsforschung, Göttingen 2010.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 105

Zaungäste veröffentlich hat,98 überschreibt seine Fortsetzung im Jahr 2003 mit Generation Z – damit übernimmt er nicht nur die erfolgsversprechende Betitelung von Illies und Coupland, sondern deutet mit der Verknappung auf einen Buchstaben sogar eine Analogie zu Couplands Schilderung an.99 Generation Golf reflektiert die angestoßene Generationendebatte selbst auf dem Einband. Nachdem das Buch zunächst im Argon Verlag erschienen war, brachte der Fischer Verlag bald darauf eine Lizenzausgabe im Taschenbuch heraus. Hier wurde das Hamburger Abendblatt mit »Ein Skandal« (GG Rückseite) zitiert, die Welt am Sonntag mit den Worten »Illies ist ein Erinnerungsjunkie und Geschichtsverdreher« (GG Rückseite), während die Süddeutsche Zeitung lediglich mit einem neutralen Statement zum ausgelösten Buzz zitiert wird: »Kein Wunder, daß über kaum ein Buch mehr geredet wird.« (GG Rückseite). Als Zeuge der Wahrhaftigkeit des Buches wird hier der Schlitzer Bote, eine Regionalausgabe der Fuldaer Zeitung zitiert: »Dieses Buch ist wahr.« (GG Rückseite). Dieser Zeuge ist einerseits ironisch, wenn er neben renommierten überregionalen Zeitungen präsentiert wird, andererseits besonders glaubwürdig, da Schlitz das Heimatdorf von Illies ist, somit der Schauplatz seines Buches. Texte und Bilder auf den Umschlagseiten spielen eine entscheidende Rolle für die Wahrnehmung von Büchern, die Erwartungshaltung und nicht zuletzt die Kaufentscheidung der Leser.100 Schon die Umschlaggestaltung von Generation Golf unterstreicht den Versuch, mit diesem Buch eine Generation zu (be)schreiben. Unter dem Titel »Generation Golf« ist der Untertitel »Eine Inspektion« platziert. Inspiziert wird in diesem Buch nicht nur der Golf, sondern eben auch die Generation Golf. Klappentext und Umschlagtext führen bereits stilistisch in Illies‫ ތ‬Buch ein: Mir geht es gut. Ich sitze in der warmen Badewanne und zwischen meinen Knien schwimmt das braune Seeräuberschiff von Playmobil. Nachher schaue ich »Wetten Dass…?« mit Frank Elstner, dazu gibt es Erdnussflips. Niemals

98 Vgl. R. Mohr: Zaungäste. 99 Vgl. R. Mohr: Generation Z. 100 Zur Bedeutung von Paratexten für die Rahmung von Literatur vgl. grundlegend Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt/M./New York 1992.

106

| DOING GENERATION

wieder hatte ich in späteren Jahren solch ein sicheres Gefühl, zu einem bestimmten Zeitpunkt genau das Richtige zu tun. (GG, Klappentext)

Diese Textstelle – die gekürzte und abgewandelte Anfangspassage des Buches – führt bereits einige Rahmungen des Buches ein und gibt einen Vorgeschmack auf den glossenartigen, ironisch-nostalgischen Tonfall. Die erzählte Passage spielt an einem Samstagabend zwischen den Jahren 1981 und 1987 im deutschsprachigen Raum, nur in diesen Jahren und nur am Samstagabend moderierte Frank Elstner die ZDFSendung Wetten Dass…? Der Ich-Erzähler wird ebenfalls mit wenigen Worten charakterisiert, er ist in diesen Jahren noch ein Kind, das mit Playmobil spielt. Gleichzeitig deutet der letzte Satz mit der Formulierung »in späteren Jahren« schon an, dass das Buch nicht nur bis zu diesem Zeitpunkt erzählt, sondern in der Biographie viel weiter fortschreitet, so dass die Kindheit als Rückblick aus einer späteren Zeit erzählt wird. Die Erzählperspektive wird damit als Erinnerung, als Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen markiert, wie sie in Kapitel 4.2 diskutiert wurde. Zudem spielt in der erzählten Situation die Zeit ebenfalls eine große Rolle, denn der Erzähler schildert sein Gefühl, »genau das Richtige« zu einem bestimmten Zeitpunkt zu spielen. Es geht also darum, zu einem Zeitpunkt eins mit der Zeit zu sein, das der Zeit gemäße zu tun. Das Zeitgemäße spielt sich in einer bestimmten kommunikativen Semantik ab. Die Begriffe »Playmobil«, »Wetten Dass…?« und »Erdnussflips« beziehen sich auf das Thema Konsum, es geht um die Auswahl bestimmter Spielzeuge, bestimmter Snacks und bestimmter Fernsehsendungen. Die große Samstagabendshow verweist zudem auch auf noch auf einen speziellen Bereich des Konsums, den Medienkonsum. Es geht beim Medienkonsum nicht nur um das Problem, die zeitgemäßen Medien zu konsumieren und damit die richtige Konsumentscheidung zu treffen, darüber hinaus stellen die gelesenen, geschauten und gehörten Medien auch Vorstellungswelten zur Auseinandersetzung bereit. Der Umschlagstext charakterisiert das Buch noch genauer. Es reiht den rückwärtigen Samstagabend in einen weiteren zeitlichen Kontext ein: »Die achtziger Jahre waren das langweiligste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Nicole sang von ein bisschen Frieden, Helmut Kohl nahm ein bisschen ab und wieder ein bisschen zu, Kaffee hieß plötz-

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 107

lich Cappuccino und Raider Twix. Aber sonst änderte sich nix.« (GG, Klappentext) Der enge Fokus des Umschlagtextes wird hier geweitet. Es geht nicht nur um die Schilderung eines Samstagabends, es geht um die gesamten 80er Jahre, für die der einzelne Samstagabend exemplarische Funktion einnimmt. Dieses Jahrzehnt wird weiterhin durch Konsumartikel wie Kaffee oder Schokoriegel und Medienkonsum charakterisiert, wie zum Beispiel den Auftritt der Schlagersängerin Nicole beim Fernsehereignis des Grand Prix Eurovision de la Chanson. Selbst die politische Referenz auf Helmut Kohl wird entpolitisiert: Nicht die politischen Entscheidungen Kohls werden thematisiert, sondern sein physisches Erscheinungsbild. Sein Regierungsstil wird einerseits durch die Formulierung »sonst änderte sich nix« als konstant charakterisiert, andererseits auch durch die Betonung seines Erscheinungsbildes ins Irrelevante abgeschoben. Im nächsten Satz hebt Illies dann auf die Generationenthematik ab: Noch ahnte man nicht, dass man einer Generation angehörte, für die sich leider das ganze Leben, selbst an Montagen, anfühlte wie die träge Bewegungslosigkeit eines Sonntagnachmittags. Ja, noch ahnte man nicht einmal, dass man einer Generation angehörte. (GG, Klappentext)

Diese Passage zeigt zweierlei auf. Es charakterisiert zum einen die Generation Golf mit dem Lebensgefühl der Trägheit. Diese Trägheit wird noch dadurch verstärkt, dass Illies das Empfinden der Zeit an bestimmte Wochentage koppelt und damit an einen zyklischen Rhythmus der ereignislosen Monotonie: Jeder Samstag fühlt sich gleich an. Der Ortsrahmen bleibt währenddessen stets die Sphäre des Privaten. Die Badewanne, die auf der hinteren Umschlagseite präsentiert wird und als Schauplatz der Eingangsszene fungiert, steigert diese Privatheit im Rahmen einer Heterotopie:101 Es handelt sich um einen Rückzugsraum, der vor allem allein genutzt wird, abgeschlossen von den funktionsbestimmten Bereichen der Wohnung, losgelöst von Zeit-

101 Vgl. zum Begriff der Heterotopie Foucault, Michel: »Andere Räume«, in: Karlheinz Barck/Peter Gente/Heidi Paris/Stefan Richter (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34-46.

108

| DOING GENERATION

rhythmen; ein Raum, der einen kompletten Rückzug aus allen sozialen Zusammenhängen ermöglicht. Zum anderen beschreibt Illies auch das Verhältnis einer Generation zu ihrer eigenen generationellen Identität. Generationalität spielt für Mitglieder der Generation Golf während der 80er Jahre überhaupt keine Rolle. Das generationenstiftende Ereignis beschreibt Illies im Folgenden: Irgendwann fuhr dann plötzlich auch über die Straßen unserer Provinz ein erstes dunkelblaues Golf Cabrio. In diesem Auto saß schon damals eine junge blonde Frau mit Sonnenbrille und Barbour-Jacke. Dieses dunkelblaue Cabrio wies uns den Weg, heraus aus der Ödnis der 80er Jahre, hin zum »Weil ich es mir wert bin« der Neunziger. Dem Jahrzehnt, in dem wir, die zwischen den Baujahren 1965 und 1975 geborenen, dann endlich selbst ans Steuer durften. So wurden wir ganz automatisch zur »Generation Golf«. Was eigentlich als Definition eines automobilen Lebensgefühls gedacht war, wurde zum passenden Polsterüberzug für eine ganze Generation. (GG, Klappentext)

Illies definiert die Generation Golf genauer, sie umfasst die Jahrgänge 1965 bis 1975 – allerdings, so scheint es, nur diejenigen, die nicht in Metropolen aufwachsen, sondern in der »Provinz«. Entscheiden ist ein besonderes Ereignis, nämlich die Fahrt eines Cabrios durch das jeweilige Dorf. Das Cabrio hat hierbei allerdings eine doppelte Bedeutung: Es fungiert zum einen als wahrgenommenes Ereignis, als prägendes und damit generatives Erlebnis. Zum anderen ist es auch eine zeitpolitische Metapher. Die in den 80er Jahren aufgewachsenen dürfen schließlich »selbst ans Steuer«. Dies ist die automobile Reformulierung des Topos von der Generation, die endlich ›dran‹ ist und damit in der Abfolge der Generationen den Platz einnimmt, selbst bestimmen zu dürfen und wieder auf die Gesellschaft zurückwirken zu dürfen. Entscheidend ist allerdings, dass die Generationenzugehörigkeit nicht durch politische Erfahrungen, Selbstfindungsprozesse oder ähnliches aktiv gestaltet wird, sondern sich »ganz automatisch« ereignet. Im Rahmen der Schilderung dieses Schlüsselereignisses wechselt Illies von der Ich- zur Wir-Perspektive. Diese Erzählperspektive behält er schließlich im gesamten Buch bei. Hin und wieder gibt es Nebenfiguren, deren Hintergründe wenig eingeführt werden, die aber als Bei-

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 109

spiele für eine bestimmte Haltung oder Verhaltensweise herhalten. So spielt beispielsweise die »Rüdigerfraktion« (GG 20) lieber mit PlayBig als mit Playmobil, Katja ist die »Zweitschönste unseres Ortes« (GG 66), die sich in der Jugend genau wie Tanja und Sonja an einer Dauerwelle versucht hat (GG 26). Die Erzählperspektive der ersten Person Plural schließt dabei nicht nur Katja, Tanja und Sonja ein, sondern ermöglicht auch dem Leser, sich eingeschlossen zu fühlen. Das Medium Buch bietet damit eine besondere Chance, diese generationelle Nähe zwischen Autor und Leser zu inszenieren. All diese Figuren und vor allem das abstrakte »Wir« befinden sich in der gleichen Lebensphase. Schon im Klappentext werden Lebensphase und Charakterisierung eines Jahrzehnts aneinander gekoppelt – die Trägheit der 80er Jahre prägt zunächst die Kinder- und Jugendphase, der Hedonismus der 90er Jahre später die ersten Jahre nach dem Auszug aus dem Elternhaus. Allerdings weist der Polsterüberzug darauf hin, dass diese Generation ihre Bequemlichkeit bewahrt und sich immer noch gern in Äußerlichkeiten inszeniert: So zeichnet sich die Cabriofahrerin durch ihre Sonnenbrille, eine Markenjacke und natürlich ihre Automarke aus. Nicht zuletzt entspringt die Formulierung der Generation Golf einem Werbeslogan von Volkswagen. Auch die interne Struktur ist an eine Werbekampagne von Volkswagen angelehnt. Illies gibt selbst im Inhaltsverzeichnis an: »Die Zitate der Kapitelüberschriften stammen aus der Werbekampagne für den Golf IV.« Jedes einzelne Kapitel beginnt mit einem Slogan-Zitat, das Illies anschließend inhaltlich näher bestimmt. Das erste Kapitel »›Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und warum weiß mein Golf die Antwort?‹« diskutiert »Kindheit. Schulzeit. Playmobil.« Die schon im Umschlagtext genannten Playmobilfiguren nehmen einen zentralen Stellenwert in Generation Golf ein. Jedes Kapitel wird durch ein Vorblatt eingeleitet, in dem unter dem Titel eine Szene von Playmobilfiguren arrangiert ist. Das Spielen mit Playmobilfiguren beschreibt Illies als prägende Kindheitserfahrung (GG 19f.). Die Spielzeugwelt von Playmobil wird dabei Legosteinen gegenüber gestellt: »Wer jemals ein Plastikhaus von Playmobil geschenkt bekam, für den war es albern, sich je wieder die Mühe zu machen, dasselbe mühsam und weniger schön mit Legosteinen zusammenzubauen.« Das Spielen mit Playmobil zeichnet sich dadurch aus, dass es keinerlei eigene Kreativität erfordert – die Spielwelten sind vom Hersteller vorgeprägt. Es gibt »Fachwerkhäuser, Ritter-

110

| DOING GENERATION

burgen, Bauernhöfe«, allerdings keinerlei zukunfts- oder technologieorientierte Modelle. Dies führt Illies zu der Analyse, man »kaufte Traditionsbewußtsein, Geschichtspflege, Konservativismus« (GG 20). Er geht noch weiter: »Die völlige Gleichgültigkeit der Generation Golf gegen Theoriegebäude jeder Art, ihr Hang zur praktischen Philosophie sind sicherlich ganz maßgeblich geprägt durch das Ende des LegoZeitalters.« Playmobil vermittele zudem das Gefühl, Erwachsensein »zumindest spielen zu können« (GG 20) und führe zur Vermutung, »daß auch die weiteren Geheimnisse des Lebens vor allem etwas mit der Kleidung zu tun hatten« (GG 21) – die einzige Variable, in der sich Playmobilfiguren unterscheiden. Diesen Hang zur Oberfläche diskutiert Illies vor allem in den Kapiteln »›Zwölf Jahre Garantie gegen Durchrostung? Hätte ich auch gerne.‹ Sport. Körperkult. Wohnung. Essen.« und »›Ätsch, wir haben mehr Golf als ihr.‹ Zeigen, was man hat. Markenkult. Das Ende der Bescheidenheit.« Nach Illies investieren Mitglieder der Generation Golf wesentlich mehr Energie in ihren Lebens- und Konsumstil denn beispielsweise in die Politik. Hier zeigt sich bereits eine Abgrenzung zu den heroischen Generationen, wie sie in den letzten Jahrzehnten oftmals beschworen wurden: Wie in Kapitel 3.3 beschrieben, war es vor allem der Funktionsbereich der Politik, mit dem diese Generationen charakterisiert wurden. Im Kapitel »›Früher war alles schlechter. Zumindest, was den Verbrauch angeht.‹ Politik. Sex. Geschichte.« beschreibt Illies die »Ablösung der Moral durch die Ästhetik« (GG 168). Im Schlusskapitel »›Die Suche nach dem Ziel hat sich somit erledigt.‹ Glaube, Liebe, Hoffnung.« erläutert Illies schließlich die aus dieser Haltung erwachsende Interessenlosigkeit seiner Generation an der Zukunft: »Die Suche nach dem Ziel hat sich erledigt. Veränderungen wird die Zukunft kaum bringen.« Stattdessen richtet sich das Interesse der Golfer in die Vergangenheit: Wir haben, obwohl kaum erwachsen, schon jetzt einen merkwürdigen Hang zur Retrospektive, und manche von uns schreiben schon mit 28 Jahren ein Buch über ihre eigene Kindheit, im eitlen Glauben, daran lasse sich die Geschichte einer ganzen Generation erzählen. (GG 197)

Das Buchschreiben selbst wird damit zum Merkmal einer Generation. Es spiegelt ihre Neigung wider, die eigene Vergangenheit in der Buch-

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 111

form einer Generatiographie zu archivieren. Illies betont in seinen Worten nicht nur seine eigene Zugehörigkeit zur geschilderten Generation, oder, anders gesagt, den Generationsanspruch seiner eigenen Biographie. Er charakterisiert auch die Form dieser Generationenbeschreibung als Folge des typischen Generationencharakters. Diese Ausstellung des Autors, nicht nur des Erzählers, als Beispiel seiner Generationenbeschreibung taucht auch auf der rückwärtigen Klappenseite auf. Hier wird Illies sofort als Mitglied der Generation ausgewiesen: »Florian Illies, geboren 1971, Golffahrer.« Illies erfüllt nicht nur das formale Kriterium des passenden Altersjahrgangs, er wird zudem noch als Golffahrer charakterisiert. Diese Personalisierung durch den Autor wird noch durch zwei externe Bürgen ergänzt, Benjamin von Stuckrad-Barre und Heike Makatsch. Beide empfehlen das Buch auf der Rückseite, zunächst Makatsch mit den Worten: »Lieber Florian Illies, ich habe dein Buch gelesen. Am Anfang habe ich sehr gelacht und am Schluss war ich sehr traurig, weil so viel Wahres darin steht.« Makatsch, als Moderatorin und auch bereits als Schauspielerin erfolgreich, ist Jahrgang 1971 und damit nach Illies‫ ތ‬Einstufung auch Mitglied der Generation Golf. Sie bezeugt mit ihrem Statement nicht nur die unterhaltsame Qualität des Buches, sondern sogar dessen Wahrheit. Es geht nicht nur um ein unterhaltsames Buch, nein, Illies‫ތ‬ Buch wird mit diesen Worten sogar als richtige Schilderung beschrieben. Hinsichtlich der Referenzmodalität dieser Gattung, um auf den Begriff S. J. Schmitts zurück zu kommen, wird hier die Faktizität gegenüber der Fiktion betont. Der Schriftsteller Stuckrad-Barre, Jahrgang 1975, und damit gerade noch Golfer, reiht sich ebenfalls ein: »Bücher über Generationen gehören eigentlich verboten. Dieses jedoch soll, darf und muss sein. Florian Illies hat alles begriffen und kennt angenehmerweise auch keinen Ausweg. Sondern viele.« Es ist kein Zufall, dass hier Benjamin von Stuckrad-Barre aufgeführt wird. Illies beschreibt seinerseits eine Lektüreerfahrung mit Stuckrad-Barres Debütroman Soloalbum: »Wir jedoch lasen das Buch mit gierigen, Ice-Tea-verklebten Fingern durch, weil es mustergültig abrechnete mit der Latzhosen-Moral der siebziger Jahre und ihrer verlogenen Sprache« (GG 155). Einige Jahre vor Stuckrad-Barre ist es vor allem Christian Krachts Roman Faserland, dessen Lektüre Illies als generationenspezifisch beschreibt. Das Thema Medienkonsum zieht sich denn auch durch das ganze Buch von Illies. Neben den

112

| DOING GENERATION

schon erwähnten Fernsehsendungen und Werken der Popliteratur sind es vor allem Zeitschriften wie Men’s Health, Allegra oder Fit for Fun, die einen Kommunikationsraum für die Generation Golf bereitstellen (GG 92ff.) Ein anderer Blick: Generation Ally Ein anderes Buch bezieht seine Generationendefinition direkt aus einer Medienerfahrung: Katja Kullmanns Generation Ally, benannt nach der Figur Ally McBeal aus der gleichnamigen Serie.102 Kullmann schafft es, Florian Illies Erfolg zu wiederholen. Ihr Generation Ally hält sich 2002 wochenlang in der Bestsellerliste, wird 2003 mit dem Deutschen Bücherpreis ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt. Ihre Idee ist, das Leben der zwischen 1965 und 1975 geborenen – Kullmann ist selbst Jahrgang 1970 – in den 90ern fortzuschreiben und dabei eine dezidiert weibliche Perspektive einzunehmen. Damit beschränkt sich Katja Kullmann nicht nur auf einen Teil der Kohorte, nämlich auf Frauen, sie thematisiert diese auch gerade als Frauen. Es werden hier vor allem geschlechterrelevante Funktionsbereiche in ihrer Generationalität diskutiert. Kullmann beginnt mit einem Kapitel zu Kindheit und Jugend, dem Aufwachsen bei den Eltern und vor allem einer Auseinandersetzung mit der Rolle ihrer Mütter im Kapitel »Makramee-Mütter im Eigenheim-Idyll«. Es folgt ein Abschnitt zum Auszug aus dem elterlichen Haus mit dem Titel »Praktis, Hiwis, Asis und die Latzhosen-Fraktion«. Die folgenden fünf Kapitel problematisieren die Bereiche Mode, Beruf, Sex, Ehe und Körper, bevor die Autorin mit einem Kapitel abschließt, das den Blick auf die Zukunft richtet. Das zeitliche Setting ähnelt dabei stark dem von Florian Illies. Allerdings geht Generation Ally nicht von einer idealtypischen Situation in der Vergangenheit aus, um von daher die Entwicklung der Generation bis zur Gegenwart aufzurollen, sondern sondiert zunächst den IstZustand:

102 Kullmann, Katja: Generation Ally, Frankfurt 2002. Im Folgenden mit GA abgekürzt; die Serie Ally McBeal wurde von 1997 bis 2002 auf FOX in den USA erstausgestrahlt.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 113

Stellen Sie sich einfach vor, es ist Dienstag, 19.45 Uhr, und Sie sitzen im Büro. Sie sind Sachbearbeiterin oder Werbekauffrau, nennen sich Office Managerin oder Team Assistant und arbeiten für eine Agentur-für-Irgendwas, nicht gerade sechzehn, aber immerhin zehn Stunden am Tag. (GA 7)

Mit dieser Einleitung werden nicht nur Ort und Zeit der Handlung beschrieben, sondern es wird auch die Zielgruppe des Buches präzise bestimmt. Die Leserinnen werden direkt adressiert und noch weiter eingegrenzt: »Sie leben in einer Stadt mit mehr als 100.000 Einwohnern« und schließlich: »Sie sind Single« (GA 7). Der Rückblick auf die Kindheit wird paradigmatisch in der Eigenheimsiedlung einer Vorstadt räumlich platziert. Es geht auch hier in erster Linie um bürgerliche Haushalte der Mittelschicht, die zwar nicht explizit in der Provinz wie bei Illies, aber auch nicht in urbanen Zentren angesiedelt werden. Im Rückblick auf die Ausbildungsjahre beschreibt Kullmann einen akademischen Lebensweg. Sie malt das Studium aus als eine Dreifachbelastung aus Universität, Nebenjobs – zum Beispiel »als Zigaretten-Promoterin oder Kneipenbedienung, denn das Bafög wurde in den 90ern knapp gehalten« – und Praktika in den Semesterferien (GA 51f.). Vor allem letzteres wird in Generation Ally ausführlich beschrieben, während die Inhalte des Studiums eine geringere Rolle einnehmen. Schon der Titel des zweiten Kapitels »Praktis, Hiwis, Assis« weist auf diese Phase des Arbeitens in uneigentlichen Berufen hin – diese Jobs sind vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie unter dem Signum des Noch-Nicht stehen. Diese Noch-Nicht-Jobs gehören schließlich zu dem für die Konstitution der Generation entscheidenden Erfahrungsschatz: »Neben lächerlicher oder gar fehlender Entlohnung bringt der Praktikantenstatus noch weit prägendere Erfahrungen mit sich: Unterforderung, Überforderung und Überflüssigkeit« (GA 52). Neben diesen Erfahrungen aus dem Sektor der Arbeit sind es erneut Medienerfahrungen, die generationsformierend wirken, wenngleich Kullmann hier nicht so deterministisch argumentiert, wie ihr Buchtitel nahelegen könnte: Wir sind die letzte Generation, die ihre Kindheit ohne das Privat-TV aus dem Kabelnetz verbrachte. Das klingt so, als würde es etwas bedeuten. Tut es aber nicht. Kaum waren Ende der 80er RTL, SAT1 und Tele 5 auf Sendung gegangen, hingen wir am Haken beziehungsweise vor der Glotze […]. (GA 66)

114

| DOING GENERATION

So ist es allerdings vor allem die Serie Ally McBeal, deren gemeinsamen Konsum Kullmann zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen macht. Sie fragt direkt auf der ersten Seite: »Gehören Sie auch zu der Million Frauen, die dienstagabends zwischen 22 und 23 Uhr bei Vox Ally McBeal einschalten, die amerikanische Fernsehserie um eine neurotische Anwältin?« (GA 7). Es geht hierbei allerdings nicht darum, die Figur McBeal als Vorbild der Generation in Szene zu setzen, sondern vielmehr die Serie als Schauplatz zu porträtieren, in der relevante Fragen diskutiert werden. So beginnt jedes Kapitel aus Generation Ally – ähnlich den VW-Slogans bei Illies – mit einem vorangestellten Ally McBeal-Zitat. Vor allem McBeals Auseinandersetzung mit Karriereplänen einerseits und klassischen Partnerschaftsmodellen andererseits wird zum Ausgangspunkt der Kapitel genommen. Ergänzt werden die Auseinandersetzungen mit Medienbildern noch durch Filmbeispiele. Gerade Komödien oder Dramen des Hollywoodkinos schließen oft mit dem Szenario inniger Liebe oder gar der Heirat ab, wobei nach Kullmann die entscheidende Frage unbeantwortet bleibt: Wie ist eine Liebesbeziehung im Alltag umzusetzen? Es gebe eben keine Fortsetzung von Notting Hill mit dem Titel »Notting Hill 2 – Der Alltag beginnt« (GA 137). An dieser Stelle wird deutlich, welch hohen Stellenwert Kullmann dem Abgleich realer weiblicher Lebensläufe mit medialen Modellen einräumt. Neben diesen Verweisen auf als bekannt vorausgesetzte populäre Figuren entwirft Kullmann auch selbst Figuren in ihrem Buch. Diese bleiben aber ähnlich wie bei Illies skizzenhaft. Als Beispiel dient zum einen die Ich-Erzählerin selbst, mitunter werden aber auch Varianten des generationenspezifischen Lebenslaufs unter anderen Namen präsentiert. So führt Kullmann beispielsweise, um verschiedene Strategien für den Umgang mit dem Thema Elternschaft zu präsentieren, eine »Nachbarin Silke« (GA 180) ein. Kullmann baut allerdings auch eine gleichaltrige Gegenfigur zur Ich-Erzählerin namens Ramona auf. Mit 13 Jahren sei Ramona bereits frühreif, »betonte jetzt ihren Hintern mit weiten Sasch-Hosen« und »hatte offensichtlich einen Freund, sie ging mit ihm, während meine Schulfreundinnen und ich die Jungs im Zweifelsfall einfach blöd fanden.« (GA 19) Ramona ist dabei eine ebenfalls exemplarische Gegenfigur: »Wir benutzten den Ausdruck ›asi‹ und meinten damit die Kombination aus schlechten Noten, billiger Kleidung und frühreifem Ge-

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 115

schlechtsverkehr« (GA 19). Mit Genugtuung stellt die Ich-Erzählerin während des Abiturs fest, dass Ramona Mutter geworden ist, was ihre Einstufung als ›asi‹ bestätigt. Kullmann kommt auch nicht umhin, in ihrem Buch Männer auftauchen zu lassen. So wird beispielsweise Ingo als Junge aus der Nachbarklasse eingeführt, mit dem die IchErzählerin erste Kuss-Erfahrungen austauscht (GA 120ff.). Im Folgenden spricht Kullmann immer von »Ingos«. Damit wird deutlich, dass das Verhalten von Ingo jeweils nur als exemplarisch für das aller Jungs geschildert wird. Neben diesen Normalfällen der Generation werden (Medien)Vorbilder, herausgehobene Ideal-Beispiele der Generation dargestellt. Kullmann nennt beispielsweise Geena Davis und Susan Sarandon in ihren Rollen in Thelma & Louise, aber auch Katja Riemann als »deutsche Geena Davis«, darüber hinaus auch die »Humorlesbe« Hella von Sinnen. Aber eine Person spielt eine noch weit größere Rolle: Vor allem aber gab es Heike Makatsch. Sie ging Ende 1993 bei Viva auf den Sender, und sie hatte ähnliche Qualitäten, wie wir sie heute an unserer Lieblingsfernsehfigur Ally schätzen: Sie war attraktiv, aber für uns Frauen ungefährlich. [...] Ein Puddingplunder an der Tankstelle, und danach ein paar Videos ansagen und ein paar Popstars interviewen – das hatte was, wie man in der Zeit gerne sagte. Heike war stets so fröhlich, so unkompliziert, so natürlich, so unbekümmert, so Duffy-Duck-mäßig, so gesund und trotzdem verwegen. [...] Es gab eine Zeit, da wären wir alle gern Heike Makatsch gewesen.« (GA 8of.)

Kullmann führt aus, dass der Girlism, als deren Ikone Makatsch lange galt, die Erfindung eines »Lifestyle-Redakteurs« gewesen sei und dieser Trend vor allem eine Melange aus Elementen des Films Tank Girl, einigen modischen Accessoires und dem Lucilectric-Song »Weil ich ein Mädchen bin« sei. Trotzdem gesteht sie diesem Trend eine gewisse Treffsicherheit zu: »Pippi Langstrumpf hatte sich die Welt gebaut, wie es ihr gefällt, genau wie Heike Makatsch in ihrem bunten VivaUniversum, und genau dasselbe hatte die gesamte Generation Ally in ihren besseren Tagen auch vor.« (GA 82) Neben der Struktur, anhand von Exempla einen kollektiven Bildungsroman zu erzählen, und vielen formalen Merkmalen wie der Kapitelstruktur ähneln Illies und Kullmanns Generationenbücher sich auch in der Charakterisierung der beschriebenen Generationen. Die

116

| DOING GENERATION

unpolitische Haltung bei Illies findet sich bei Kullmann vor allem in einem individualistisch-hedonistischem Ehrgeiz: Die Mehrheit der Generation Ally war nicht an kritischer Lehre oder befreitem Herumspinnen oder ziellosem Ausprobieren interessiert, sondern wollte möglichst schnell das Diplom- oder Examenszeugnis in der Tasche haben, das Ticket für die Zukunft, die Eintrittskarte ins Paradies der professionellen Welt, Perspektive: weit oben. (GA 55)

Der zentrale Wert der Freiheit (GA 82) wird vor allem auf individueller Ebene angestrebt und dabei auf den Schlachtfeldern des Lebensstils und der Körperpolitik. Auf politischer Ebene lasse die Generation Ally die Auseinandersetzungen mit globalen Bedrohungen wie Atomkraft oder Kalter Krieg in den 80er Jahren erstaunlich kalt (GA 31). Die einzige politisch-gesellschaftliche Relevanz erlange die Generation Ally ebenfalls ex negativo aus ihrer verweigernden Haltung zum Generationenvertrag: Die Generation Ally streikt. Niemand hat den Streik öffentlich ausgerufen. [...] Die Generation Ally streikt im Privaten, macht es wieder einmal alles mit sich alleine aus. Und trotzdem ist die ganze Gesellschaft betroffen, vor allem die Rentenkassen. Denn die Generation Ally verweigert sich der Fortpflanzung. (GA 185)

Kullmann selbst behauptet, aus dem Generationenvertrag bereits ausgeschlossen worden zu sein, da sie zu einer Generation gehöre, »die gar keine staatliche Rente mehr kriegen wird« (GA 182). Auch in der Erzählperspektive verquickt Kullmann wie Illies Ich- und WirPerspektive. So leitet sie beispielsweise einen Absatz zum Thema Lifestyle-Trends mit einer persönlichen Lebenslaufstation ein: Einer meiner ersten bezahlten Jobs bestand in der freien Mitarbeit als SzeneReporterin der Frankfurter Prinz-Redaktion. Der Redaktionsschluss rückte näher, und ich hatte einfach kein Thema für die Szene-Gastro-Seiten. Dann fiel mir ein, dass kurz zuvor zwei australische Restaurants in der Stadt eröffnet hatten, dort gab es Didgeridoos zu hören, Daiquiries zu trinken und Dornhai zu essen. In meiner Themennot schrieb ich ein bisschen um den heißen Brei herum und erklärte kurzerhand die Exoten-Gastro-Welle für ausgebrochen. (GA 77)

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 117

Kullmann schildert, wie sich im Anschluss tatsächlich einige australische Restaurants in Frankfurt niederlassen und weitere Journalisten über diesen Trend schreiben. Sie sei sich nicht sicher, ob sie jenen Trend tatsächlich mit verursacht hat oder nur einen richtigen Riecher dafür hatte, aber dies spiele auch keine wichtige Rolle. Ihr Resümee dieser Anekdote ist vielmehr: Die Lifestyle-Redakteure von damals, einige von ihnen arbeiten heute für die Süddeutsche Zeitung oder die Zeit, konnten die Welt mit jeder Ausgabe neu erfinden – und meist funktionierte es. Sie schrieben voneinander ab, und sie meinten es nicht böse. Es war einfach ein Riesenspaß. (GA 77)

Nach der Schilderung dieses Booms im Lifestyle-Journalismus schaltet sie von der Ich- auf die Wir-Perspektive um: »Als Leser und Konsumenten waren wir sofort Feuer und Flamme« (GA 78). Hier lässt sich zweierlei ablesen. Zum einen beglaubigt sie eine These mit einer persönlichen Erfahrung und hebt diese Erfahrung anschließend per Verallgemeinerung auf eine generationenspezifische Ebene. Zum zweiten führt sie an dieser Stelle aus, dass es innerhalb der Generation Ally eine Kerngruppe gibt, die eine Führungsrolle innerhalb der Generation einnimmt, indem sie die generationenrelevanten Themen zirkulieren lässt. Darüber hinaus zählt sie sich selbst zu dieser Kerngruppe der Lifestyle-Journalisten, die die Macht hat, immer wieder neue Welten zu erfinden. Dies ist nicht der einzige Unterschied zu Illies‫ ތ‬Generation Golf. Die entscheidende Differenz ist der als spezifisch weiblich ausgewiesene Blick, den Kullmann einnimmt. Sie argumentiert jeweils aus der Perspektive von jungen Frauen. Nur an einer Stelle versetzt sie sich in die Rolle von Männern und räsoniert darüber, ob sich TeenagerJungen ähnlich viele Gedanken wie ihre gleichaltrigen Mädchen über die Anbahnung von Beziehungen machen. Hier werden allerdings alle Schilderungen als Vermutungen gekennzeichnet: »In Wirklichkeiten dachten die Jungs vermutlich keine Sekunde über all diese komplizierten Verstrickungen nach« (GA 122). Auch im Folgenden wird diese Perspektive durch Wendungen wie »ich vermute« oder »vielleicht« als Möglichkeit gekennzeichnet. Während sie also für die männliche Perspektive nur Vermutungen äußern kann, beansprucht sie allerdings Repräsentativität für die weibliche Perspektive ihrer ganzen Generation.

118

| DOING GENERATION

Es geht Kullmann nicht nur darum, eine weibliche Perspektive einzunehmen, sondern diese auch in die Geschichte der Frauenbilder und der Frauenbewegung einzuordnen. An einer Stelle spricht sie von der Generation Ally als den »professionalisierten Töchter[n] der Emanzipationsbewegung« (GA 202). Sie schildert also Generationelle Verhältnisse. Allerdings beklagt sie dabei, dass sie – wie die Vorgängergeneration – an ihrem Anspruch gescheitert seien: »Unsere Mütter waren Makramee-Mütter, wir sind Lifestyle-Luschen, eine schlimmer als die andere« (GA 213). Besonders skeptisch stimmt sie allerdings die folgende Frauengeneration: »Aber nun sind Ramonas Töchter da. Sie haben die Balz zum Business gemacht. […] Man nennt sie Boxenluder, Tittenwunder, Miss Schörmenie oder Mädchen-von-Seite-drei. (GA 201)« Sie räumt ein, dass Frauen ihrer eigenen Generation ihren Teil dazu beigesteuert hätten, dass die folgende Luder-Generation sich herausbilden konnte (GA 205). In diesem bedauernden Tonfall resümiert Kullmann auch den Standort ihrer Generation. Sie beginnt ihr abschließendes Kapitel mit »Die Blüte unserer Jahre, sie geschieht jetzt« (197) und meint damit den Lebensabschnitt zwischen dem 30. und dem 40. Geburtstag. Sie fühle sich »nervös«, weil sie bisher »nichts Greifbares« erreicht habe (200). Weiterhin zitiert sie die Band Fehlfarben mit den Worten »Es geht voran. Geschichte wird gemacht. Es geht voran.« Und bedauert: »Ich habe in den vergangenen 31 Jahren keine Geschichte gemacht, obwohl ich stets vorangegangen bin.« (GA 200) In den anschließenden Seiten zieht sie Bilanz. Beginnend mit dem Alter, subsummiert sie ihren beruflichen Werdegang, nennt Reisen, Sprachkenntnisse, zählt die Anzahl ihrer Männer, Körpergröße, Gewicht auf, charakterisiert ihren Körper und ihre Fitness; sie listet ihre Musik- und Literaturvorlieben auf und beschreibt den Wandel in ihrem Flirtverhalten. Resigniert schließt sie: »Ich weiß nicht, ob ich eine richtige Frau bin. Ich weiß nicht, ob ich später einsam bin. Ich habe Angst, Angst zu haben. Und ich hasse Ally McBeal.« (GA 217) In Kullmanns Resümee wird eine zentrale Motivation zur Reflexion dargestellt. Nach Kullmann ist ihre Generation an einem kritischen Punkt angekommen, an dem die hohen Ansprüche an sich selbst und die Gesellschaft zum einen an dem Erreichten gemessen werden, zum anderen als Ansprüche selbst auf dem Prüfstand stehen. Aus dieser lebenslaufspezifischen Situation der ›Angst vor der Angst‹ betrachtet Kullmann Vergangenheit und Zukunft ihrer Generation. Diese Ausei-

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 119

nandersetzung mit dem eigenen Lebenslauf, gerade auch im Vergleich mit Alters- und Geschlechtsgenossinnen, führt Kullmann aber an anderer Stelle – ähnlich wie Illies – auf eine generationenspezifische Disposition zurück. Im Gegensatz zu manch anderen Generationen unterstellt Kullmann damit ein sehr hohes Generationenbewusstsein. Zugleich geht es in der Generation Ally »in Wahrheit […] vermutlich viel eher um das Spiel als solches, das Gezocke mit dem eigenen Lebenslauf« (54). Kullmann nennt als zentrales Kennzeichen ihrer Generation nicht die Vergangenheitsversessenheit auf Grund einer Zukunftsmüdigkeit, sondern die früh eingeübte Haltung, Lebenslaufstationen jeglicher Art, seien es Praktika oder Projekte, nicht als klassischen Bildungsroman zu einer stabilisierten Existenz zu inszenieren, sondern als Lifestyle-Accessoires zu sammeln und wieder abzustoßen. Katja Kullmanns Erfolg wird schließlich 2003 noch ergänzt durch Generation Ally – Lifestyleguide. Birgit Hamm verfasst dieses als Lexikon aufgebaute Kompendium von Phänomenen der 90er Jahre und lässt Katja Kullmann das Vorwort schreiben. Kullmann bringt hier noch einmal die Eckdaten der Generation Ally auf den Punkt: Geboren zwischen 1965 und 1975, Abitur rund um das Jahr 1989 – denn bei den Allys handelt es sich um »die gut und besser ausgebildeten Töchter der Emanzipation«.103 Im Vorwort nennt sie auch den Zweck von Hamms Lifestyleguide. Sie berichtet von den Jugenderzählungen ihrer Eltern und Großeltern und schließt an: »Jetzt sind wir bald dran, die 1965 bis 1975 Geborenen. Nur sind die heute Dreißigjährigen noch nicht ganz sicher, auf welchen Mythos sie sich letztlich werden einigen können, so unübersichtlich ist es geworden in der Politik, der Wirtschaft, der Liebe und der Mode.«104 Es gehe darum, mittels ihres Buches diesen Einigungsprozess voranzubringen, das Arsenal der Anekdoten zu bündeln und zu archivieren, um eine eigene kollektive Erinnerung zu schaffen – ganz im Sinne von Baßlers »Neuen Archivisten«. Kullmann geht in ihrem Buch – und auch im Lifestyleguide – nicht nur davon aus, dass es möglich ist, generationelle Identitäten zu schreiben. Sie weist sogar darauf hin, dass es einen Bedarf gebe, sich generationell zu verorten. Ihre Prämisse ist, dass jeder Mensch, mit

103 Katja Kullmann in Hamm, Birgit: Generation Ally. Der Lifestyleguide, Frankfurt 2003, S. 8. 104 Ebd.

120

| DOING GENERATION

dem 30ten Lebensjahr eine Schwelle erreiche, an der er für seine generationelle Identität Beschreibungsformen entwickelt haben muss. Dabei entwickelt Kullmann diese Beschreibungsformen schreibend und hofft auf Käufer, die wiederum lesend diese Form auch als adäquat für die eigene generationelle Identität akzeptieren. Die Setzung der Notwendigkeit einer generationellen Identität nimmt sie in Generation Ally vor – und liest wiederum den Erfolg an den Kassen als Beleg für ihre eigene Setzung. Gattungsbegründung und Ausdifferenzierung Auch Illies veröffentlicht 2003 schließlich einen zweiten Band, in dem er »von den neuesten Fahrtzielen, Boxenstopp und Umwegen seiner Generation, die nun endlich kapiert hat, dass es für das Leben kein Navigationssystem gibt«, erzählt – wie es auf der Umschlagsseite heißt. Im Klappentext formuliert er, was in den letzten Jahren passiert ist und wie die Generation Golf mit diesen Herausforderungen umgeht: Die Generation Golf muss zum TÜV. Wir sind ins Schlingern geraten – durch die Wirtschaftskrise, den 11. September, die ersten Kinder und die ersten Falten. Generation Golf zwei liefert einen aktuellen Verkehrsbericht über die glamourösen Neunziger und die Crashtests der vergangenen drei Jahre. Doch keine Angst. Das Buch stimmt nicht ein in das ewige Krisengejammer. Die Dreißig- bis Vierzigjährigen, denen Joschka Fischer vorwirft, eine HeiapopeiaGeneration zu sein, wissen, dass es gerade in ernsten Zeiten besonderen Spaß macht, über sich selbst zu lachen.

Nach neuen Ereignissen, neuen Konflikten steht die von ihm porträtierte Generation an einem neuen Punkt in ihrem Lebenslauf: Wir suchen […] nach einem neuen Lebensgefühl, und bis wir es gefunden haben, erklären wir erst einmal: ›Ich könnte mir vorstellen, auch mal was ganz anderes zu machen.‹

Dieses neue Lebensgefühl verkauft Florian Illies in seinem zweiten Buch. Illies und Kullmann haben in ihren Büchern eine paradigmatische Form gefunden, die sich durch verschiedene Stilmerkmale auszeichnet und für Generatiographien insgesamt prägend sind: glossenhafter Stil,

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 121

Struktur, Erzähl-Perspektive, Figurenentwicklung, thematisierte Wirklichkeitsbereiche und paratextuelle Rahmung. Beide Bücher beginnen chronologisch mit einer Darstellung der Prägephase, also mit Kindheit, Jugend, wobei die Mediensozialisation jeweils eine prominente Rolle spielt. Es geht hierbei aber nicht um einen klassischen, über Generationen hinweg tradierten kulturellen Kanon, der noch im klassischen Bildungsroman die Grundlage der Lektüreerfahrung bildet. Stattdessen wird der Kanon aus einer Assemblage populärer Medienformen, aus Musik, Filmen, Fernsehserien, Romanen, gebildet. Diese Konstellation entfaltet allerdings ex-post ihre Wirkung als Kanon, indem sie als Teil einer eine bestimmte Generation verbindenden Erinnerungskultur zelebriert werden. Diese Kapitel werden als Rückblick erzählt, während die anschließenden Kapitel den Status Quo beschreiben. Hier werden in thematischen Kapiteln unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche beschrieben. Der Ich-Erzähler oder Ich-Erzählerin behauptet damit stets, auch für andere sprechen zu können, so ist die Erzählperspektive jeweils die erste Person Plural, man könnte fast von einem Wir-Erzähler oder eine Wir-Erzählerin. Damit lassen sich diese Generatiographien sogar als Autogeneratiographien beschreiben.105 Um diesem Eindruck mehr Evidenz zu verschaffen, werden jeweils neben dem Erzähler noch weitere Figuren eingeführt. Figuren bestimmt Fotis Jannidis als personale Adressen innerhalb der fiktionalen Welt eines Buches.106 Sie zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie als Referenzpunkt für Merkmalszuordnungen dienen. Illies und Kullmann ordnen diese Figuren jeweils generationstypischen Merkmalen zu – oder eben generations-untypischen Merkmalen, wenn die Figur nicht Teil der beschriebenen Generation sein soll. Ihr fiktionaler Charakter wird nicht näher bestimmt, im Gegensatz zum Fall des Autor-Erzählers wird hier kein Beleg für eine außerfiktionale Existenz angeführt. Trotzdem übernehmen sie als Beispiele die klare Funktion, die Evidenz der Generation aufrechtzuerhalten – sie sind Beweis dafür,

105 Und damit ist nicht die Generatiographie eines Autos gemeint, auch wenn diese Zweitbedeutung in diesem Fall naheliegend wäre. Zur Einordnung von Generation Golf in die Genealogie der Gattung Autobiographie vgl. T. Karasek: Generation, S. 155-160; zum historischen Einsatzpunkt von Biographien als Generatiographien vgl. B. Bohnenkamp: Jugend. 106 Vgl. Jannidis, Fotis: Figur und Person, Berlin 2004.

122

| DOING GENERATION

dass der Erzähler nicht allein ist. Zusätzlich werden diese textuellen Strukturen noch mit paratextuellen Hinweisen ergänzt – das Buch wird durch Klappentext und Bürgen schon von außen als Generationenbuch sichtbar gemacht. Zur Erzeugung von Glaubwürdigkeit bedient sich die Gattung der Generatiographie einer Topik der Referenz. Gabriele Schabacher argumentiert, dass es zur Zurechnung zur Gattung der Autobiographie ausreicht, wenn bestimmte ›Kriterien‹ des Autobiographischen erkennbar sind – so beispielsweise die Kategorien von »Aufrichtigkeit, Wahrheit, Ganzheit, Vollständigkeit, Identität, Selbstreflexion, Herkunft, Kindheit, Entwicklung, Bildung, Vergangenheit«107. Autobiographien – und auch Generatiographien – müssen und können keinen historischen Wahrheitsanspruch erfüllen. Vielmehr müssen Generatiographien den Topos der Referenz bedienen und die entscheidenden Kategorien adressieren. Damit ist die Referenzmodalität dieser Gattung, um auf den Begriff S. J. Schmidts zurückzukommen, genau auf der Grenzlinie zwischen Fakt und Fiktion angesiedelt. Entscheidend für den faktischen Anspruch einer Generatiographie ist nicht nur die individuelle Glaubwürdigkeit, also die Möglichkeit des Abgleichs von geschilderten prägenden Ereignissen und wirkenden Sichtbarkeiten mit außer-fiktionalen Informationen. Darüber hinaus ist es wesentlich, dass die Generation auch in »Ganzheit« und in »Vollständigkeit« dargestellt wird – dass das geschilderte Einzelschicksal tatsächlich exemplarisch für eine größere Gruppe gelten kann. Neben der Repräsentativität behauptenden Wir-Stimme, die stets eine latent bleibende Gruppe als Erzählstimme mit einbezieht, ist eine wesentliche Strategie hierzu die Inszenierung von Figuren, wie bereits im vorhergehenden Kapitel beschrieben. Der Boom von Illies und Kullmanns Büchern lässt noch eine ganze Reihe von Generationenbüchern folgen, die zumindest das Generationen-Wort im Titel tragen. Nicht alle von ihnen folgen dem Schreibprogramm von Illies und Kullmann. Greift man sich nahezu willkürlich beispielsweise die drei Bücher Generation Soap, Die InternetGeneration und Web 2.0 – Die nächste Generation Internet – drei Bücher, in denen sowohl das Buch Generation als auch ein Medienbezug

107 Schabacher, Gabriele: Topik der Referenz: Theorie der Autobiographie, die Funktion ›Gattung‹ und Roland Barthes‘ Über mich selbst, Würzburg 2007, S. 352 f.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 123

auftaucht – so wird deutlich, dass häufig das Wort Generation nur verwendet wird, weil es sich aktuell so gut verkauft.108 Nach Kaspar Maase sind es um 2000 pro Jahr immerhin 112 Buchtitel, die das Wort Generation im Titel tragen.109 So thematisiert Generation Soap an keiner Stelle die Generationenproblematik. Es lässt sich spekulieren, dass der Titel anzeigen möchte, dass das Buch nicht nur von Soaps handelt – sondern von den Menschen, die mit ihnen aufwachsen, die mit ihnen Zeit verbringen und es gerichtet ist an Menschen, die in ihrer Vergangenheit Soaps geschaut haben und auch noch heute in ihrer Gegenwart sich an Personen, Konflikte und Schauerlebnisse erinnern möchten. Diese Assoziationen weckt zumindest der Titel. Und es lässt sich spekulieren, dass der Begriff der Generation auf eine Zäsur hindeutet und sozusagen die Erfahrungen einer ersten Generation aufzählt, die mit Soaps aufwuchs. Das Buch selbst verrät nichts über das G-Wort in seinem Titel.110 Aber warum Generation Soap? Das verrät dieser Text nicht. Die Internet-Generation handelt – wie der Untertitel verrät – ab, »Wie wir von unseren Computern gefressen werden«.111 Das genannte »Wir« wird allerdings wenig spezifiziert – wer sind diese »wir«, wer gehört zur Internet-Generation? Darauf gibt das Buch kaum Antworten. Allerdings handelt der Verfasser eine Reihe von pädagogischen Fragestellungen ab, Verständnis- und Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Eltern und Kindern im Umgang mit neuen Technologien, Veränderungen der Jugendkultur und der Bildung durch das Internet. Feibels Untersuchungsgegenstände sind im Bereich der Familie ange-

108 Vgl. Landbeck, Hanne: Generation Soap. Mit den deutschen Seifenopern auf den Weg ins Glück, Berlin 2002; Feibel, Thomas: Die InternetGeneration, München 2001; sowie Meckel, Miriam/Stanoevaska-Slabeva, Katarina (Hg.): Web 2.0. Die nächste Generation Internet, Baden-Baden 2008. 109 Vgl. K. Maase: Bescheidenheit, S. 222. 110 Lediglich in der Beschreibung der Autorin taucht es einmal auf: »Hanna Landbeck wurde 1958 in Ludwigshafen am Rhein geboren und gehört zur ersten Generation der Nutznießer der deutsch-französischen Aussöhnung«. Dieser Satz dient als Aufhänger für die deutsch-französische Medienkarriere der Autorin. 111 T. Feibel: Internet-Generation.

124

| DOING GENERATION

siedelt – implizit werden hier Thesen über unterschiedlich sozialisierte Mediengenerationen innerhalb von Familien vorausgesetzt. Unvermutet, ohne den Generationsbegriff vorher zu spezifizieren, schreibt Feibel im Fazit seiner Untersuchung: »›Die InternetGeneration‹ beleuchtet weniger das Internet als die Generation.«112 Weiter geht es mit: »Und nichts polarisiert die deutsche Gesellschaft so sehr wie der Computer und seine Ausläufer.«113 Diskutiert wird hier wenig, wer zur Generation gehört. Vermutlich sind hier »die Jugendlichen« gemeint, die Feibel häufig anspricht. Zwei Seiten später lässt er seine Studie schließen mit den Sätzen: Doch wer bringt uns das [»Technologiekritik mit Hilfe des gesunden Menschverstandes«, Anm. BB] bei? Die Jugendlichen. Seitdem wir sie in der modernen Welt alleine lassen, leben sie uns ihre große Selbstständigkeit vor. Die heutige Jugend ist schwer in Ordnung. Das ergaben nicht nur Umfragen dieses Buches, auch die ›Shell-Studie‹ belegt dies. Trotzdem braucht uns die Jugend. Das ergibt zwar keine gute Schlagzeile, aber ein schönes Lebensmodell.114

Dieser Absatz lässt Feibels Buch eben auch als Versuch der Lesbarmachung einer Jugend-Generation lesen. Mit Hilfe von Umfragen analysiert er »die Jugend« als »schwer in Ordnung«. Wenn »weniger das Internet als die Generation« Thema seines Buches ist, dann wird hier der Begriff der Generation verwendet als Konzept, um die Folgen von Technik, ihre Prägungen und damit ihre generative Qualität zu beschreiben. Noch knapper ist das Auftreten der Generation Internet in Miriam Meckels Sammelband zum Thema Web 2.0. Zwar dient auch hier der Generationen-Begriff als Untertitel, aber es geht keinesfalls um personale Generationen. Lediglich ein weiteres Mal taucht der Begriff auf, so bezeichnet Meckel – ohne jede weitere Erläuterung – das Web 2.0 selbst als »Next Generation« des Internet.115 Sie nimmt also eine Genealogie unterschiedlicher Formen des Internet an, oder, noch trivialer, verwendet die Formulierung einer »Next Generation« als Synonym für »Neu«.

112 Ebd. 113 Ebd. 114 Ebd. 115 M. Meckel/K. Stanoevaska-Slabeva: Web.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 125

Ebenfalls ein Bestseller wie die Bücher von Illies und Kullmann, macht sich Generation Doof immerhin mehr Mühe mit der Einbettung in die Generationendebatten.116 Schon auf dem Cover ist – wie bei Generation Golf – ein Goldfischglas zu sehen. Allerdings hat der Fisch hier kaum genug Platz zum Schwimmen. Einerseits bestätigen die Autoren Stefan Bonner und Anne Weiss durch ihren Verweis auf Generation Golf dessen prototypischen Charakter. Andererseits wird so auch sofort ausgestellt, wie sich die Doofheit ihrer Generation zeigen kann: Sie ist zu doof, um einen Fisch ordnungsgemäß zu halten. Generatiographien »Generation Doof« und »Wenn ich mal groß bin«

Quellen: Bonner, Stefan/Weiss, Anne: Generation Doof: Wie blöd sind wir eigentlich?, Köln 2008 (links); Reichert, Martin: Wenn ich mal groß bin: Das Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche, Frankfurt/M. 2008 (rechts).

Im Buch selbst beginnen Bonner und Weiss mit einem kurzen Abriss der kursierenden Generationenlabels. Als erstes erwähnen sie die Generation X, sprechen dann Florian Illies zu, mit seinem Buch »ein kuscheliges Gefühl der Gemeinsamkeit zu verkaufen«117. Sie erwähnen

116 Vgl. Bonner, Stefan/Weiss, Anne: Generation Doof: Wie blöd sind wir eigentlich?, Köln 2008. 117 Ebd., S. 12.

126

| DOING GENERATION

die Generation Ally, die Generation Praktikum, erwähnen kurz die Generationen MTV und Internet, bevor sie resümieren: »Die Generation Doof besteht aus all diesen Generationen und doch ist sie mehr.«118 Die Generation Doof wird damit als eine Meta-Generation konzipiert. Wie allerdings die Relationen der bestehenden Generationenkonzepte mit dem neuen Begriff vorstellbar sind, wird nicht thematisiert. Anschließend wird auf das bewährte Mittel der Geburtsjahrgänge abgestellt: »Eine Generation umfasst in Jahren das Mittel aus dem Altersabstand von Kindern und Eltern.«119 Daraus folgern Bonner und Weiss eine Spannweite von dreißig Jahren für eine Generation und begrenzen ihre Generation mit den Altersangaben 15 und 45. Zurückgerechnet auf das Erscheinungsjahr 2008 umfasst diese Generation die Geburtsjahrgänge 1963 bis 1993. Ihr Buch bauen Bonner und Weiss durch eine Sammlung von Fundstücken, Anekdoten und fiktiven Fallgeschichten auf; sie ergänzen diese durch eingestreute Informationskästchen und andere typographische Spielereien. Die Themenbereiche, die hier kapitelweise diskutiert werden, sind Bildung, Beruf, Unterhaltung, Liebe und Erziehung. Die Autoren setzen sich in ein ambivalentes Verhältnis zur dargestellten Generation. Sie folgen einer Strategie der gleichzeitigen Selbstidentifikation und -distanzierung. Auf der einen Seite geben sie vor, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen und bekennen sich als Mitglieder der Generation Doof. Mehr noch gilt ihre Zugehörigkeit als Beleg für ihren Expertenstatus. So wird auf dem Klappentext vermerkt: »Geschrieben haben es zwei Autoren, die mit der Generation Doof per Du sind. Denn es ist ihre eigene.«120 Gleichzeitig setzen sie sich als Kritiker davon ab. Die von ihnen diagnostizierte allgemeine Doofheit legen die Autoren zwar durchaus mit Sympathie dar, warnen aber gleichzeitig vor den gesellschaftlichen Folgen einer breiten Lebensuntüchtigkeit. Indem sie diese Mängel aufdecken, etablieren sie sich automatisch als Wissende, die in der Lage sind, Doofheit überhaupt zu diagnostizieren.

118 Ebd., S. 13. 119 Ebd., S. 14. 120 Ebd. Klappentext.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 127

Das Buch in der Umhängetasche Generation Doof lässt sich also tatsächlich noch als eine Generatiographie beschreiben, wenn auch längst nicht alle Stilmerkmale von Illies und Kullmann hier wieder aktualisiert werden. Generatiographien können allerdings auch andere Formen annehmen. Am Beispiel der verwandten Gattung der Autobiographie lässt sich bereits erkennen, welche Formenvielfalt eine solche transhistorische Gattung annehmen kann. Es hängt nicht nur vom zu schreibenden Bios, von der zu schreibenden Generation, sondern auch von ihren historischen Zusammenhängen, ihrem geschichtlichen Kontext ab, welche Form gewählt wird. Schon bei den Büchern von Paul Nolte und Heinz Bude lässt sich sehen, wie sehr eine andere Akzentuierung der beobachteten Generation, in beiden Fällen als politische Generation, sich auf die jeweiligen Formen der Generatiographie auswirkt, die einen wesentlich geringeren Anteil an belletristischen Schreibweisen aufweisen. So kann man beispielsweise auch Tristesse Royale als eine ganze eigene Form der Generatiographie beschreiben, die verschiedene Repräsentanten einer Generatiographie in einem theatralen Szenario gruppiert und diese relevante Themen selektieren und kommentieren lässt.121 Geht man von einem solchen offenen Begriff der Generatiographie aus, so lassen sich beispielsweise Matthias Kalles Verzichten auf, Nikola Richters Wir Lebenspraktikanten über die Generation Praktikum Martin Rupps Wir Babyboomer über die Babyboomer-Generation, sowie die beiden OstGeneratiographien Wir Zonenkinder von Jana Hensel und DJ Westradio von Sascha Lange dazurechnen.122 Im Jahr 2008 veröffentlicht Martin Reichert schließlich »Wenn ich mal groß bin. Das Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche«.123 Der Titel folgt nicht dem üblichen Zwei-Wort-Schema eines Generationen-Kompositums. Er prägt zwar selbst auch einen Generationenbegriff, hebt aber in seiner Titelgebung vor allem auf die

121 Vgl. D. Frank: Generation, S. 293. 122 Vgl. Kalle, Matthias: Verzichten auf, Köln 2003; Richter, Nikola: Die Lebenspraktikanten, Frankfurt/Main 2006; Lange, Sascha: DJ Westradio, Berlin 2007; Hensel, Jana: Wir Zonenkinder, Reinbek 2002 und Rupps, Martin: Wir Babyboomer, Freiburg 2008. 123 Reichert, Martin: Wenn ich mal groß bin: Das Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche, Frankfurt/M. 2008.

128

| DOING GENERATION

Funktion des Buches als Kompendium ab, das selbst in einer Umhängetasche transportiert werden kann und alle wichtigen Fakten über die tragende Generation enthält. Sein Klappentext nennt auch gleich einen »Wahlspruch der Generation Umhängetasche«: »Eigentlich sollten wir erwachsen werden«. Das Buch wird dabei als »Hilfe zur Selbsthilfe« bezeichnet und als Ratgeberliteratur eingeordnet. Reichert beschreibt eine Generation in einem bestimmten Lebensstadium – seine Generation zeichne sich dadurch aus, nicht erwachsen werden zu wollen. Die Generation Umhängetasche zögere davor, endgültig sesshaft zu werden. Ihr stetes Nomadentum materialisiere sich vor allem in ihrer Umhängetasche, in der sie alle wesentlichen Dinge mit sich herumtragen, die sie benötigen. Das Spielfeld dieser Generation sei eine Welt der Dinge und Produkte, dazu zählt Reichert unter anderem einen Schlüsselbund, einen Pop-Roman, ein weißes MacBook, einen iPod, Zigaretten, Kondome, eine Heimfahrkarte der Deutschen Bahn AG, Zeitschriften und vieles mehr. Damit spielt Reicherts Text schon in seiner Makrostruktur auf die Form des Archivs ein, der sein Text – ähnlich dem eines ›Neuen Archivisten‹ – nachgeht. Trotz dieser von Illies abweichenden Form adressiert Reichert ähnliche Funktionsstellen. So wird auch der Bereich der Mediensozialisation diskutiert: Es finden sich in der Umhängetasche Zeitschriften wie NEON und BUNTE, aber auch Pop-Romane und Harry-Potter-Bände. Auch hier werden sowohl die Perspektiven auf Vergangenheit als auch auf die Zukunft eingenommen; das Verhältnis zu den Eltern wird im Kapitel »Eine Heimfahrkarte der Deutschen Bahn AG« diskutiert. Die Sehnsucht nach der Vergangenheit und damit das Verdrängen von Zukunftsentscheidungen ist zentrales Motiv des ganzen Buches. Sowohl die Generationellen Verhältnisse zu den Eltern als auch die Generationellen Verhältnisse im eigenen Lebenslauf sind zentrales Thema des Buches. Reichert versucht wie Illies zu erklären, wie man so wurde, wie man ist – und wie man sich zu welchen Themen verhält. Allerdings verwendet er keine Perspektive des Wir, sondern spricht stets von seinen eigenen Erfahrungen und stellt die gemeinsame generationelle Identität mit den Lesern viel stärker durch die direkte Anrede »Sie« her. Er beginnt, ähnlich wie Kullmann, mit einer direkten Anrede: »Sie sind 34, tragen Drei-Tage-Bart am ganzen Kopf, ein verwaschenes American-Apparel Sweat-Shirt, Acne Jeans….«; er adressiert seine

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 129

Generationsgenossen durch eine Zuschreibung, die nach Möglichkeit direkt mit einem »Ja, so bin ich!« beantwortet werden kann. Streng genommen ist die Generation Umhängetasche allerdings keine neue Generation, sondern lediglich wieder die Generation Golf – bloß ein gutes Jahrzehnt später. Reichert thematisiert diesen Umstand wie folgt: »Tragisch auch der Umstand, dass Sie sich nicht einmal das Fahrzeug leisten können, das Ihrer Generation seinen Namen geliehen hat: Ein neuer VW-Golf kostet wesentlich mehr, als Sie mit ihrem digital-bohemistischen Kleinunternehmen im Jahr erwirtschaften.« (GU 7) Dieser Tatsache ist auch das Kapitel »Türschlossenteiser« gewidmet. Konsequenterweise hat der Verlag jedem Auszubildenden im Buchhandel das Leseexemplar in der auf dem Cover abgebildeten Umhängetasche geliefert und das beigelegte Werbeschreiben spricht sie direkt an: »Vielleicht wollen Sie ausprobieren, wie das ist, wenn man zur Generation Umhängetasche gehört«. Nicht zuletzt kann man in seiner Umhängetasche auch das Buch zur Generation Umhängetasche herumtragen – denn auch das Buch ist nicht nur eine Verschriftlichung, sondern auch ein Ding-Werden der Generation. Sein Titel bringt nicht nur eine bisher lose Formation auf eine Bezeichnung, sondern verspricht auch, deren Wirken und Gewordensein zu durchschauen. Das Buch gibt jedem Autor Zeit, diese These zu entwickeln, es inszeniert eine Kommunikationssituation, in der sich Autor und Leser nahe sind. Das Buch ist ein Medium, das die Einheit zelebriert. In ihm fallen Autor und Leser zusammen, Produkt und Werk, Einmaligkeit und Abgeschlossenheit, Text und Ding.

5.3 Z EITGEIST Z EITSCHRIFTEN Zeitschriften zeichnen sich hingegen durch Vielheit aus. Diese Vielheit drückt sich zum einen in der Vielzahl der Autorenadressen aus, zum anderen in der Erscheinungsweise. Bücher werden in der Regel nur mit einer auktorialen Adresse versehen, auf die auch auf dem Buchtitel verwiesen wird. Das System des Journalismus stellt darüber hinaus noch die Organisationsform der Redaktion zur Verfügung, der ebenfalls eine kollek-

130

| DOING GENERATION

tive Autorschaft zugeschrieben wird.124 Wer in Zeitschriften schreibt, ist in der Regel entweder Autor oder Redakteur. Vor allem letztere befinden sich in der Organisation der Redaktion in institutionellem Austausch; je nach Art dieses Austausch und der paratextuellen Adressierung können schreibende Redakteure eher als individuelle Schreiber oder Teile eines Kollektivs wahrgenommen werden. Ob der Redakteur in einem Beitrag seiner eigenen Linie folgt, der Mehrheitsmeinung der Redaktion oder einer Vorgabe des Chefredakteurs ist im Einzelfall für den Leser nicht nachzuvollziehen. Autorschaft kann damit vielen unterschiedlichen Adressen zugeschrieben werden. Darüber hinaus zeichnen sich Zeitschriften im Gegensatz zum Buch durch Serialität aus. Serialität bedeutet dabei immer eine Mischung aus kontinuierlichen und diskontinuierlichen Elementen. Vor allem zwei Ebenen sind hier relevant, zum einen eine sukzessive Serialität, die man üblicherweise auch als Periodizität bezeichnet, zum anderen eine simultane Serialität.125 Es handelt sich bei Zeitschriften um ein sukzessiv-serielles Medium, weil sie regelmäßig verkauft werden. Die einzelnen Exemplare einer Zeitschrift sind als Zeitschrift zu erkennen, indem sie dieselben kontinuierlichen Elemente teilen. Oftmals sind diese Elemente ein gleicher Titel, ein ähnliches Layout, verwandte Rubrikeneinteilungen, der gleiche Stamm einer Redaktion. Doch jede einzelne Ausgabe zeichnet sich durch ihre diskontinuierlichen Elemente aus – durch ihre spezifischen Artikel, durch ihre spezifischen Bilder. Jedes einzelne Element der Serie ist unverwechselbar und gehört doch zur Serie. Schon dadurch entsteht ein ganz anderes Verhältnis der Zeitschrift zur Zeit. Das Buch erscheint als einmaliges Ereignis – der Verweis auf die Gegenwart oder einen ganz spezifischen anderen Zeitpunkt in der Vergangenheit oder Zukunft. Die Zeitschrift bringt hingegen das Prozesshafte in die Zeit. Schon durch ihr regelmäßiges Erscheinen strukturiert sie die Zeit in einzelne Einheiten, in Monate, Wochen oder Tage.

124 Vgl. beispielsweise Blöbaum, Bernd: Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung, Opladen 1994, S. 194ff. 125 Vgl. Blättler, Christine: »Überlegungen zu Serialität als ästhetischem Begriff«, in: Weimarer Beiträge 49 (2003), S. 502-516.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 131

Das Besondere an Serien ist, dass sie nicht nur die Zeit begleiten, sondern währenddessen auch immer mit Hilfe ihrer kontinuierlichen Elemente einen Raum aufspannen, innerhalb dessen sich die Ereignisse der Zeitschrift abspielen. Durch ihre stete Wiederholung bleibt das Kontinuierliche einer Zeitschrift präsent, es verschwindet nicht im einmaligen Ereignis wie das Buch. Zum anderen sind Zeitschriften auch simultane Serien, gleichsam Montagen unterschiedlicher Texte. Sie bestehen aus unterschiedlichen Einheiten, die schließlich zu einer Gesamtheit zusammengefügt werden. Zeitschriften können allerdings eine übergeordnete Ordnungsstruktur wie eine Gliederung in Rubriken etablieren, die als Rahmen ein kontinuierliches Element in ihrer Serialität darstellt. Die Erzählforschung kommt zu dem Ergebnis, dass Serien »Welten schaffen«:126 Welten, in denen bestimmte Themen zirkulieren, in denen Autoren als Figuren auftreten und Positionen vertreten, in denen vertraute grafische und optische Elemente eine Landschaft bilden. Zeitschriften können bei der Schaffung dieser Welten auf ein ausdifferenziertes System an etablierten journalistischen Darstellungsprogrammen zurückgreifen, wie Nachrichten, Berichte, Kommentare, Reportagen oder Interviews.127 Darüber hinaus können sie ganz eigene Darstellungsprogramme entwickeln im Austausch mit anderen kulturellen Formen wie der Fotographie oder der Literatur. Versucht man, die drei Zeitschriften, die im Folgenden dargestellt werden, durch einen Gattungsbegriff zu subsummieren, der ihre Darstellungsprogramme am besten beschreibt, so wird an dieser Stelle der Begriff der Zeitgeistzeitschrift vorgeschlagen – und später am Beispiel der Zeitschrift TEMPO kurz diskutiert, wie sich dieser Begriff begründet. Es sind vor allem zwei journalistische Traditionslinien, auf die diese Zeitschriften zurückzuführen sind, zum einen das Feuilleton, zum andere die Bewegung des New Journalism. Das Feuilleton ist einerseits Sammelplatz für Rezensionen der unterschiedlichen Künste, von

126 Oltean, Tudor: »Series and Seriality in Media Culture«, in: European Journal of Communication 8 (1993), S. 5-31, hier S. 11; Schneider, Irmela: Serien-Welten. Strukturen US-amerikanischer Serien aus vier Jahrzehnten, Opladen 1995. 127 Vgl. hierzu beispielsweise B. Blöbaum: Journalismus, S. 220ff.

132

| DOING GENERATION

Musik, Literatur oder Theater,128 andererseits auch »eine journalistische Haltung, die Einzelheiten und Zufälligkeiten des Tages in menschlich persönlicher Betrachtung so treffend sieht und darstellt, dass Wesentliches und Allgemeingültiges anklingen und geistig wirksam werden.«129 Im Gegensatz zu anderen Teilbereichen des Journalismus erhalten hier die Autoren eine herausgehobene Funktion;130 es gibt sogar eine ganze Reihe von Autoren, die gleichzeitig als Schriftsteller und als Feuilleton-Journalisten arbeiten, sodass Erhard Schütz von »Journailliteraten«131 spricht. Eine zweite relevante Strömung ist der New Journalism. Diese Bewegung entwickelte sich vor allem im US-amerikanischen Journalismus. Junge Journalisten wie der Reporter Tom Wolfe lehnten den etablierten rationalen und distanzierten Journalismus ab.132 In Magazinen wie Esquire, New York Herald Tribune und New Yorker veröffentlichten sie ihre »nichtfiktionale Literatur«.133 Eine Definition auf den »ersten Blick«, so Bernhard Pörksen, könnte lauten: »New Journalism ist […] eine Symbiose aus klassischer journalistischer Recherche und literarischen Schreibtechniken in Kombination mit einem spezifischen Themen- und Autorenprofil; es handelt sich um einen Gegenentwurf zu einem (einst) allmächtigen Informationsjournalismus.«134 Die Refe-

128 Vgl. Roß, Dieter: »Fakten und/oder Fiktionen. Zur Geschichte der Beziehungen zwischen Journalismus und Literatur in Deutschland«, in: J. K. Bleicher/B. Pörksen, Grenzgänger (2003), S. 74-99. 129 Dovifat, Emil/Wilke, Jürgen: Zeitungslehre II, Berlin/New York 1976, S. 111. 130 Vgl. Todorov, Almut: »›...die Welt zu gewinnen‹: Feuilletonrhetorik und Massenkommunikation«, in: Jörg Döring/Christian Jäger/Thomas Wegmann (Hg.), Verkehrsformen und Schreibverhältnisse, Opladen 1996, S. 167-177, hier S. 167. 131 Schütz, Erhard: »Journailliteraten. Autoren zwischen Journalismus und Belletristik«, in: Andreas Erb (Hg.), Baustelle Gegenwartsliteratur. Die neunziger Jahre, Opladen/Wiesbaden 1998, S. 97-106. 132 Vgl. Wallisch, Gianluca: »Gehetzte Erben, hektische Epigonen«, in: Bleicher/Pörksen, Grenzgänger (2003), S. 361- 394. 133 Ebd., S. 362. 134 Pörksen, Bernhard: »Das Problem der Grenze«, in: Bleicher/ders., Grenzgänger (2003), S. 15-28.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 133

renzmodalität changiert damit zwischen den Polen von Fakt und Fiktion. Vor allem die Zeitschrift TEMPO ist von 1986 bis 1996 »das Zentralorgan des deutschsprachigen New Journalism«135, so Pörksen, selbst ehemaliger TEMPO-Autor. In ihrer Ausrichtung versteht sich TEMPO aber auch gleichzeitig als Generationenzeitschrift und begründet damit eine Tradition, die später vom jetzt-Magazin und von der Zeitschrift NEON weitergeführt wird. Diese drei Zeitschriften werden für die folgenden Fallstudien ausgewählt, weil sie zudem noch keine inhaltliche Einschränkung vornehmen. Im Gegensatz zur Musikzeitschrift Spex oder zur Kunstzeitschrift Texte zur Kunst sind TEMPO, jetzt-Magazin und NEON für alle Themen ihrer Generation offen. TEMPO: A New Journalism Eine »Tempo«-Geschichte mußte etwas über die Generation sagen. »Tempo« war ein Generationen-Blatt und hat so funktioniert. Wir haben gefragt: Wer sind wir? In welcher Zeit leben wir? Was war vor uns? Was wollen wir? Was können wir überhaupt noch wollen? In einer Zeit, wo vorher alles gewollt wurde und nichts erreicht. Das war ja das, was die 68er ausgemacht hat. Und wie gehen wir damit um? Wie gehen wir mit diesem Journalismus um, der daraus erwachsen ist? Im Prinzip ging es immer um unsere Musik, unsere Filme, unseres Bilder, unsere Mode, unsere Themen. Es war immer ›unsere‹ Generation.136

So äußert sich Markus Peichl rückblickend zur Zeitschrift TEMPO, dessen erster Chefredakteur er von 1986 bis Ende 1989 war.137 Ihm folgen Lucas Koch und Jürgen Fischer, bevor Michael Jürgs die Zeitschrift 1992 als Chefredakteur übernimmt. Jürgs führt einen radikalen Relaunch durch und positioniert TEMPO nicht mehr als Generationen-

135 Pörksen, Bernhard: »Die Tempojahre. Merkmale des deutschsprachigen New Journalism am Beispiel der Zeitschrift Tempo«, in: Bleicher/ders., Grenzgänger (2003), S. 307-336. 136 Hentschel, Andreas: »Interview mit Markus Peichl am 19.4.2000 in Hamburg«, in: ders.: Tempo (1986-1996) – Eine Dekade aus der Perspektive eines populären ZeitgeistMagazins. München 2000, Anhang M2, S. 1-20, hier S. 15. 137 Vgl. B. Pörksen: Tempojahre, S. 311f.

134

| DOING GENERATION

heft, sondern als »deutsche Variante von Vanity Fair.«138 1994 wird Jürgs schließlich noch einmal abgelöst und Walter Mayer übernimmt. Er versucht, an Peichls ursprüngliches Konzept wieder anzuknüpfen – sein erstes Coverbild ist nicht zufällig Nirvana-Sänger Kurt Cobain, vielfach gerühmte Stimme einer Generation. TempoMacher Pörksen bezeichnet den generationellen Anspruch von TEMPO als erfolgreich, denn schließlich habe die Zeitschrift über viele Jahre hinweg eine »Generation von jungen Schreibern«139 angezogen. Erfolgsrezept sei gewesen, dass Peichl selbst in der Auswahl und »Pflege«140 seiner Autoren Widersprüchlichkeiten zuließ, »die diese Generation ausgemacht haben«141. Seine Programmatik versteht er nicht primär politisch oder ästhetisch, auf bestimmte Themen bezogen, stattdessen gibt er an: »Dieses Heft will alle Themen aufgreifen, aber alle Themen aus dem Blickwinkel dieser Altersschicht, dieser Generation.«142 Bevor er TEMPO leitete, war Peichl zusammen mit Michael Hopp und dem Artdirector Lo Breier Chefredakteur des Stadt- und SzeneMagazin Wiener.143 Sein Verleger Hans Schmid wollte ursprünglich in Kooperation mit Thomas Ganske vom Jahreszeiten-Verlag eine bundesdeutsche Variante herausbringen. Schmid und Ganske überwarfen sich jedoch, was dazu führte, dass Schmid den Wiener allein in Deutschland einführte und Ganske eine neue Zeitschrift am Markt platzierte: TEMPO. Es gelang Ganske, das ursprüngliche WienerTeam um Peichl für sein Projekt zu gewinnen. Ganske, der von sich sagt, dass er sein Herz an dieses Projekt gehängt habe, versucht mit TEMPO eine weitere Nische zu besetzen, um sein Portfolio an Titeln zu ergänzen144.

138 Ebd., S. 311. 139 A. Hentschel: Interview mit Markus Peichl, S. 15. 140 Ebd. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Hier und im Folgenden vgl. B. Pörksen: Tempojahre, S. 308ff. 144 Thomas Ganske in: o. A.: »Herr Ganske, welche Entwicklung soll ihr Haus nehmen?«, in: Merian Sonderausgabe von Oktober 1991, S. 34-37.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 135

Im ständigen Konkurrenzdruck wurde ohne große Marktforschung Ende Januar 1986 eine schnell produzierte Ausgabe auf den Markt geworfen. Pörksen schildert als bemerkenswert, »dass hier ein Magazin nicht, wie heute gängig, primär vom Anzeigenmarkt her entwickelt wurde, sondern auf der Grundlage einer Zeitdiagnose des zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 28 Jahre alten Chefredakteurs«145. Zwei Ausgaben von »TEMPO«: Erstausgabe unter Markus Peichl (links) und Generationenheft unter Walter Mayer (rechts)

Quelle: TEMPO von Januar 1986 (links); TEMPO von Juni 1994 (rechts).

Es ist allerdings nicht eine zeitpunktbezogene Zeitdiagnose, die zum Kern von TEMPO wird. Schon der Titel der Zeitschrift steht für Geschwindigkeit und damit für eine sich bewegende Zeit. Oder, wie es die Redaktion in ihrem ersten Editorial selbst formuliert »Ach so. Warum Tempo jetzt Tempo heiß? Weil’s ein klassischer Zeitschriftentitel ist und weil es Programm ist. Der Duden übersetzt Tempo mit ›Zeitmaß‹.«146 TEMPO setzt sich als Programm, in jeder Ausgabe die Zeit immer wieder neu zu vermessen. Anders als Bücher erscheinen Zeitschriften eben regelmäßig, können auf den Lauf der Zeit reagieren.

145 B. Pörksen: Tempojahre, S. 310. 146 O. A.: »Editorial«, in: TEMPO von Februar 1986, S. 3.

136

| DOING GENERATION

Diese Programmatik schlägt sich vor allem in der Bezeichnung als Zeitgeist-Magazin nieder. Anfangs als Selbstbeschreibung verwendet, wird der Begriff im Laufe der Jahre immer stärker zur Fremdbeschreibung der Zeitschrift, die die TEMPO-Macher ablehnen. Matthias Horx bedauert 1991, das Wort Zeitgeist sei vor allem denunziatorisch verwendet: »Alles, was nicht ins eigene Weltbild paßt, bekommt dieses Etikett aufgeklebt.«147 Dabei habe es ursprünglich eine positive Bedeutung gehabt, bedeute beispielsweise auch im Französischen eher eine Fähigkeit von Medienleuten, »Zeitstimmungen zu erfassen und auszudrücken, also schlichtweg, ihr Handwerk zu beherrschen.«148 Allerdings bezieht sich diese Ablehnung vor allem auf das Wort selbst, nicht auf die damit gemeinte Charakterisierung des Heftes als Magazin für »Trends und Tendenzen«149. So schreibt Peichl beispielsweise 1988 in einem Editorial: Es gibt ein furchtbar dummes Wort, das man Tempo gern um die Ohren haut: ›Zeitgeist‹. Macht nichts. Schneebälle aus Schnee von gestern tun nicht weh. ›Zeitgeist‹, das war einmal. Ein Synonym für das Lebensgefühl Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Wer das jetzt erst mitkriegt, ist selber schuld.150

Damit wird der Begriff des Zeitgeistes selbst zum Phänomen des Zeitgeistes, dessen Haltbarkeitsdatum längst abgelaufen ist, denn: »Wir sind längst weiter«. TEMPO selbst verwendet den Begriff nach den ersten Ausgaben nicht mehr. Peichl schreibt im gleichen Editorial, wie es zum Begriff Zeitgeist kam. Als Redakteur des Wiener wollte er der Konkurrenzzeitung Basta eine Idee klauen. Um Basta zuvor zu kommen, die einen Heftteil Zeitgeist nennen wollte, versieht Peichl gleich den ganzen Wiener mit dem Untertitel »Zeitschrift für Zeitgeist«. Der Begriff des Zeitgeistes wird damit auf eine uneigentliche Art und Weise eingeführt, die für den ganzen Stil von TEMPO typisch ist. Peichl resümiert: »Es war alles nur ein Witz, ein Klau, eine Schimäre«. In einem ähnlichen Modus der

147 Horx, Matthias: »Journalistisches Fegefeuer« , in: TEMPO von Juni 1991, S. 3. 148 Ebd. 149 B. Pörksen: Tempojahre, S. 315. 150 Peichl, Markus: »Editorial«, in: TEMPO von Februar 1988, S. 3.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 137

uneigentlichen Selbstzuschreibung verfährt TEMPO auch in Sachen Generation. So äußert sich beispielsweise Matthias Horx in einer Titelgeschichte zum Thema Generation. Horx, der sich später als sogenannter Trendforscher selbstständig macht, ist einer der ersten wichtigen Autoren von TEMPO, schreibt häufig das Editorial. 1991 schreibt er an dieser Stelle, TEMPO sei kein »Spezialistenblatt, auch kein Organ irgendeiner Generation«151. Trotzdem kündigt Horx im gleichen Text die Titelgeschichte an, eine Vermessung der »Generation der Widersprüche«, und gesteht ein, dass »vieles die Zeitschrift Tempo mit dieser Generation verbindet.«152 Man könnte vermuten, dass sich Horx nicht der Bezeichnung als Teil einer Generation verwehrt, sondern lediglich darauf besteht, dass diese Generation nicht verengt wahrgenommen wird. TEMPO und Generation verbinden nach Horx »(scheinbare) Unberechenbarkeit, der Unwille, die Welt über einen einzigen ästhetischen, politischen, philosophischen, stilistischen Kamm zu scheren«153. Noch viel entscheidender ist allerdings, dass er anderen Journalisten die Kompetenz als Beobachter einer Generation abspricht: »Andererseits kann man sich als Journalist oder Meinungsforscher leicht die Zähne ausbeißen: Niemals war eine Alterskohorte […] derart heterogen, widersprüchlich, unfaßbar, störrisch.«154 Chefredakteur Peichl schreibt 1987 in einem ironisch gehaltenen Editorial, er sei zu einer Talkshow eingeladen als Sprachrohr einer »orientierungslosen Jugend.«155 In einer Sonderausgabe von Merian schildert Peichl in einem Artikel, wie ihn eine Redakteurin vom Spiegel interviewt. Sein Text wird unterschrieben mit der Anmerkung »Dieses Gespräch hat genauso stattgefunden, ist aber frei erfunden. Zeitgeist eben.«156 Der Text schildert die Bemühungen der SpiegelRedakteurin, TEMPO und damit Peichl selbst festzulegen, entweder auf eine oberflächliche und revisionistische politische Einstellung, unprofessionelle Arbeitsweise der Redaktion und eine journalistisch zu

151 Horx, Matthias: »Editorial«, in: TEMPO von März 2001, S. 3. 152 Ebd. 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Peichl, Markus: »Editorial«, in: TEMPO von Mai 1987, S. 3. 156 Peichl, Markus: »Die Dame vom Spiegel oder Warum ich Tempo mache«, in: Merian Sonderausgabe von Oktober 1991, S. 56-63, hier S. 63.

138

| DOING GENERATION

subjektive Haltung. Peichl entzieht sich diesen Zuschreibungen, bekennt sich aber an anderer Stelle zu Zeitgeist und Generation, indem er gegen die 68er wettert: Womit hatten wir es denn zu tun, als wir unser Zeitschriftenkonzept auszubrüten begannen? Was und wer bestimmte denn damals den Kulturbetrieb, die Medien, die Universitäten, die Schulen – kurz: das Denken? Es waren die verkrusteten Überreste der 68er. Sie hatten sich fest- und fettgefressen. Sie saßen an allen Schalthebeln, aber sie bewegten nichts mehr. Sie waren zu einer Status-Quo-Gemeinschaft verkommen, und mit ihnen erstarrten ihre Ideale. Solidarität, Engagement, Authentizität, Innerlichkeit, Idealismus, Moral – alles diente nur noch zur Absicherung der eigenen Position und wurde deshalb hohl und hohler. Unsere Generation, die Zeitgeist-Generation, konnte mit diesen Begriffen nichts mehr anfangen, weil die 68er sie zerstört hatten.157

In seinem Furor gegen 68 bedient sich Peichl der Begriffe ›Zeitgeist‹ und ›Generation‹, um aus ihnen heraus eine Programmatik von TEMPO zu entwerfen. Er bekennt sich in Folge zu rigoroser Sprachlosigkeit, bewusstem Anti-Intellektualismus und exzessivem Formalismus, also einer Hinwendung zu Konsum, Mode, Luxus und Körperbewußtsein. Unter Zeitgeist versteht er hier vor allem Hedonismus, Ästhetizismus und Individualismus.158 Gleich mit dem ersten Titel »Man trägt wieder Adel« provoziert TEMPO: Kaum einer versteht Peichls österreichische Ironie; das Blatt wird als konservativ und oberflächlich wahrgenommen. Rubriken Provokation und Irritation bleiben in den Folgejahren Kennzeichen der TEMPO-Ausgaben, verbunden mit einer radikalen Subjektivität.159 Neben dem Editorial, das bei TEMPO nicht immer der Chefredakteur schreibt, sondern auch Redakteure wie Matthias Horx, Jochen Siemens, Michael Hopp oder Peter Glaser, ist es in Zeitschriften vor allem die Form der Kolumne, die einen sehr subjektiven Stil erlaubt. Neben der Kolumne Ethik und Ästhetik, die von wechselnden Autoren

157 Ebd., S. 60. 158 Vgl. ebd. 159 B. Pörksen: Tempojahre.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 139

geschrieben werden, etablieren sich rasch zwei Autoren, die eine eigene Kolumne schreiben dürfen. Zum einen Peter Glaser Glasers Heile Welt und Maxim Billers 100 Zeilen Haß. Im Nachhinein versteht sich Glaser vor allem als Alltagsethnologe: »Eigentlich war ›Tempo‹ ein ethnologisches Fachblatt. Der Gegenwartsforschung verschrieben, versuchte die Redaktion jene Dinge dingfest zu machen, auf die man in zehn oder 20 Jahren hochvergnügt mit dem Finger zeigt, weil sie Inbilder der Zeit geworden sind.«160 Der Titel von Maxim Billers Kolumne gibt ihren Inhalt ziemlich treffsicher wieder: In diesen 100 Zeilen Haß sucht sich Biller ein stets wechselndes Feindbild, mit dem er abrechnet, gerne Personen aus dem Umkreis der 68er, aber auch Superstars wie beispielsweise Mickey Rourke.161 Dabei verfällt Biller nicht zufällig in den Wir-Tonfall und setzt damit auf eine latente Gruppe von Zustimmenden, der sich der Leser als Teil der TEMPO-Gemeinde gerne anschließen kann: »Aber unser Haß gebührt zuallererst jenem Mann, der diese hübsche Hohlheit verkörpert: Mickey Arschfisch eben.«162 Am Ende geht Biller aber über Rourke hinaus und deutet ihn als Phänomen seiner Zeit, der 80er Jahre – und damit schließt er sich und seine Wir-Genossen als Objekt der Beschimpfung mit ein: »In den 70ern ist man ehrlich verlottert. Wir aber haben keine Ehre mehr im Leib. Genauso wie Mickey Rourke. Wir legen uns Sachen an, an die wir nicht glauben. Wie er.«163 Mit dieser Argumentationsfigur schließt er in dem typischen TEMPO-Jargon der Uneigentlichkeit, bei dem der Leser trotz der Härte der Argumentation nicht mehr unterscheiden kann, wann das Gesagte auch das Gemeinte ist. Diese Kolumne und andere stets wiederkehrende, meinungsstarke Rubriken werden bei TEMPO unter dem Oberbegriff Sektionen im Inhaltsverzeichnis zusammengefasst, so auch der sogenannte Rundruf. Hier antworten ein gutes Dutzend Prominenter, Nicht-Prominenter und Semi-Prominenter in wenigen Sätzen auf eine Frage der Redaktion.

160 Glaser, Peter: »Man muß absolut modern sein«, in: Werben und Verkaufen 17 (1996), S. 135. 161 Vgl. Biller, Maxim: »100 Zeilen Haß. Mickey Rourke, der Arschfisch«, in: TEMPO von Dezember 1987, S. 110. 162 Ebd. 163 Ebd.

140

| DOING GENERATION

In den übrigen Artikeln findet sich eine reichhaltige Themenpalette wieder, beispielsweise spielen gesellschaftliche Debatten zu AIDS, Drogen und sozialen Missständen eine Rolle, auch die ganze Breite der Kultur von Musik über Kino zu Literatur und Mode wird diskutiert.164 Sogar investigativer Journalismus findet in TEMPO seinen Platz.165 Peichl begründet diese thematische Breite nicht etwa durch Wahllosigkeit, sondern sieht gerade darin das Profil von TEMPO: Deswegen hat diese Leerformel »Zeitgeist« oder »Zeitschrift für Zeitgeist« absolut ihre Berechtigung und ihren Sinn – und damit auch wieder ihre Inhaltlichkeit. Es ist eigentlich eine Leerformel, die aber als Leerformel Inhaltlichkeit vermittelt. [...] Wir hatten die Schnauze von Festlegungen voll. Deswegen war uns alles recht. Inhaltlich – die gesamte Themenpalette. Von der Herangehensweise – subjektiv. Vom Gefühl – subjektiv, das Generationen- und WirGefühl.166

Die Klammer ist also nicht thematischer Art, sondern eine Generationenklammer: Alles, was die Generation der TempoMacher interessiert, darf Teil des Blattes werden. Hin und wieder lassen sich Texte finden, die einen expliziten Generationenbezug haben. Neben Horx‫ ތ‬Artikel über die »Generation der Widersprüche« geht es in der AugustAusgabe 1988 um das Erwachsen-Werden und den frühen Auszug aus dem Elternhaus.167 In der September-Ausgabe 1989 werden »99 Kids, die Sie kennen müssen« vorgestellt, und damit ein ›Who is Who‹ einer bestimmten Generation präsentiert.168 Eine völlige Neuausrichtung erhält das Blatt 1992 unter der Chefredaktion von Michael Jürgs. Jürgs kam ausgerechnet vom Stern, dem

164 Vgl. die Inhaltsanalyse von Andreas Hentschel, vgl. A. Hentschel, Tempo. 165 Von Pörksen wird die spezifische Herangehensweise von TEMPO als Intervenierender Journalismus bezeichnet, vgl. B. Pörksen: Tempojahre, S. 321. 166 Vgl. A. Hentschel: Interview mit Markus Peichl, S. 18. 167 Röhl, Bettina: »Die Kunst, erwachsen zu werden«, in: TEMPO von August 1988, S. 80-85. 168 Siemens, Jochen/Kracht, Christian/von Uslar, Moritz: »Die 99 schärfsten Teenager«, in: TEMPO von September 1989, S. 73-82.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 141

verhassten Konkurrenzblatt und führte andere Strukturen bei TEMPO ein. Er verabschiedete sich nun nicht nur nominell vom Zeitgeist, sondern versuchte, die subjektive und generationenorientierte Perspektive des Blattes zugunsten einer breiteren Ausrichtung zu wenden. Im ersten Editorial kündigt er seine Wende zum neuen Mantra der »Qualität« an und spricht polemisch vom »Zweitgeist«: In diesem Sinne verabschieden wir uns mit dem aktuellen Heft vom Zweitgeist, betrachten die Jagd nach Marktlücken wie ein längst abgepfiffenes Spiel bodygebildeter Smarties, die glauben, ein Dreitagebart mache sie zum starken Max und unverwechselbar – und konzentrieren uns auf das Wesentliche: Qualität.169

Zurück zur Generation Doch auch Jürgs kann die wirtschaftlichen Probleme von TEMPO nicht lösen. Mit der ersten Titelstory seines Nachfolgers Walter Mayer zu Kurt Cobain kehrt der Generationenbezug von TEMPO zurück und wird expliziter als je zuvor. Das Editorial wird bald mit »Wir, TEMPO« überschrieben und damit kehrt die erste Person Plural programmatisch zurück ins Heft. Im März 1995 erfolgt erneut eine Rubrikenumstellung. Neben dem altgedienten Tempodrom gibt es stets eine Rubrik Menschen und jeweils ein großes Interview, die den stark personenbezogenen Stil von TEMPO weiterhin prägen sollen. Es ist nicht zuletzt wieder Heike Makatsch, die hier als generationelles Beispiel herhalten muss. Im Juni 1994 ist sie eine von »Tempos acht liebsten Fernsehfrauen«170, im Juni 1995 ziert sie mit der Unterschrift »Heike Makatsch ist eine sehr Schlaue« sogar das Cover.171 Auch die TEMPO-internen Kolumnisten erhalten unter Mayer wieder einen hohen Stellenwert. Unter den ersten Chefredakteuren wurden sie noch unter ihren Kolumnentiteln wie »100 Zeilen Haß« vermarktet, während bei Jürgs im Inhaltsverzeichnis immer ein thematischer Bezug auftaucht: Maxim Biller über Tierschützer 100

169 Jürgs, Michael: »Editorial«, in: TEMPO von Januar 1992, S. 3. 170 TEMPO vom Juni 1994, S. 55. 171 Vgl. TEMPO vom Juni 1995, Titelbild.

142

| DOING GENERATION

Peter Glaser über die Ware Schönheit 112 Uwe Kopf über den Worpswede-Guru Gerd Gerken 114172

Jürgs lässt stets mit den Themen der Kolumne werben, während im Inhaltsverzeichnis von Mayer lediglich steht: »71 Kopf, 101 Glaser, 117 Biller«.173 Mayer rechnet damit, dass die Leser diese Kolumnen nicht lesen, weil sie auf ein interessantes Thema hoffen – nein, sie möchten »Kopf«, »Glaser« oder »Biller« als Personenmarken lesen, sie interessieren sich für ihre monatliche Portion Maxim Biller. Als weitere Rubriken gibt es seit 1995 noch den Super-Report als »die Marke für das besondere info-intensive Thema.«174 Sind es im März 1995 noch Fernsehschaffende, die porträtiert werden, geht es im nächsten Monat bereits wieder um eine Generation: »Wie schlimm wird die nächste Generation?« steht auf diesem TEMPO-Cover. Was ist denn das für ein Gestus? Haben wir etwa Angst? Vor Teenagern? [...] Wir sind ganz gelassen. Wir haben wunderbare Verträge. Wir trödeln nicht auf dem Weg zur Arbeit. Die Teenager haben Pickel. Wir haben manches Land bereist, die kiffen unter der Brücke. Wir haben Know-how, die haben Gefühle. […] Die Wahrheit ist: Wir sind zerfressen von Eifersucht. Die Wahrheit ist: Es tobt wie immer ein Krieg zwischen den Generationen – ein mörderischer Krieg […] Am Ende geht es um Macht, Geld und Eros. Der Schiedsrichter ist die Zeit. Die »TEMPO-Generation« (natürlich ein untauglicher Begriff) ist Partei, zu befangen, die nächste Generation zu interpretieren. Wer das tut, macht sich zum Affen, zum Horx oder Leggewie. TEMPO macht keine Analyse, TEMPO macht Platz. Auf den Seiten 36 bis 43 beschreiben sich deutsche Oberschüler, es geht um Sex, Drogen, Gewalt, Markentreue, Träume, Haß.175

Die TEMPO-Macher und ihre Leser sind mit ihrer Zeitung älter geworden und sind damit konfrontiert, dass mittlerweile eine jüngere Generation sichtbar wird. Im Generationellen Verhältnis zu dieser Ge-

172 Vgl. beispielsweise TEMPO von Mai 1992, S. 5. 173 Vgl. beispielsweise TEMPO von März 1995, S. 3. 174 Mayer, Walter: »Wir, TEMPO: Es ist März. Spleens, Seilschaften, Strategien«, in: TEMPO von März 1995, S. 5. 175 Mayer, Walter: »Wir, TEMPO: Haltung gegen Pose«, in: TEMPO von April 1995, S. 5.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 143

neration grenzen sie sich wiederum als ältere Generation ab und stellt damit für sich eine generationelle Selbstbeschreibung bereit. Gleichzeitig wehrt sich die Redaktion gegen jede Interpretation als Form unangemessener Fremdbeschreibung, bezichtigt sogar indirekt Claus Leggewie als Autor von Die 89er und Matthias Horx, den ehemaligen TEMPO-Redakteur und selbsternannten Trendforscher,176 als Affen. Den »Super-Reports« folgt stets »der Tempo-typische Themenmix: Reportagen, Essays, Fotogeschichten, Tests etc. etc.«177, bevor das Heft mit Das Beste beschließt. Diese Rubrik umfasst alle Arten von Kritiken und hat eine klare Funktion: »Wer es liest, kennt sich aus.«178 TEMPO schreibt sich selbst hier erneut eine Ratgeber-Funktion zu, will seiner Generation helfen, um sich im Dschungel der Meinungen, Haltungen und Konsumstile zu orientieren. Diese Orientierungsfunktion wird sogar einleitend thematisiert. Mit der Rubrikenumstellung möchte TEMPO seiner neuen alten Programmatik Rechnung tragen: Alle Fragen der Generation 2000 (Hey, TEMPO-Leser, das seid Ihr; die phantastischen Macher von heute und souveränen Entscheider von morgen) versuchen wir jeden Monat zu beantworten. TEMPO hilft, die besseren Filme zu gucken, die besseren Anziehsachen zu finden, den besseren Körper zu kriegen, den besseren Sex zu haben, den besseren Philosophen zuzuhören etc.179

Wie diese – erneut im halbironischen Gestus vorgetragene – Obsession in einen wirtschaftlichen Konsumkreislauf mündet, thematisiert das Editorial von Dezember 1994: Zu den beeindruckendsten Ereignissen des Monats zählt die starke Achselbehaarung von Juliette Lewis als Mallory in »Natural Born Killers«. Ob die Büschel für einen neuen Trend stehen? Ob sie uns etwas über die Verfassung der Generation X erzählen? Ob sie Marketingkonzepte beeinflussen?

176 Horx hatte mittlerweile zusammen mit Peter Wippermann das Hamburger Trendbüro gegründet. 177 Ebd., S. 5. 178 Ebd. 179 Ebd.

144

| DOING GENERATION

Auch jede einzelne TEMPO-Ausgabe wird von den Trendforschern detailliert ausgewertet, »gescanned«, wie das in ihrer Sprache heißt. Die Farbgestaltung der Überschriften, die Körperhaltung der fotografierten Personen, die besprochenen Filme und Platten, die abgebildeten Pullover etc. könnten Hinweise auf das Konsumverhalten der Zielgruppe geben. Die Lifestyle-Stasi meldet alle Veränderungen blitzschnell an die Marketingabteilungen der Zigaretten-/Turnschuh-/Jeans-Firmen. Die ganz Schlauen buchen dann Anzeigen in TEMPO. Die Redakteure von TEMPO (allen voran: Peter Glaser) wiederum überlegten sich, ob diese Anzeigen gut oder böse sind (Seite 99). So ist, das muß man sagen, das Leben ein einziger Reigen.180

TEMPO ist sich bewusst, dass sie als Zeitschrift in diesem Reigen mitspielt – das zeigt sich beispielsweise darin, dass die Redaktion ihre eigenen Rubriken als Marken ausweist. Doch ihr Spiel ist zu wenig erfolgreich, der wirtschaftliche Erfolg bleibt schließlich aus. 1996 wird TEMPO plötzlich eingestellt. In welchen Jahren TEMPO überhaupt schwarze Zahlen schrieb, lässt sich aus den veröffentlichten Zahlen nicht herauslesen. Zu vermuten ist, dass Adolf Theobald Recht hat, wenn er resümiert: Tempo konnte sein Ziel nie erreichen: nämlich den fünfzehn Millionen 20- bis 35jährigen, ›in einer Zeit, in der ein Trend den anderen jagt, den Überblick zu bewahren‹. So der Verlag zum Erscheinen 1986. Selbst in seiner Blütezeit hielten nur ein Prozent der Altersgruppe, zuletzt nur noch ein halbes, ihr Tempo. Das war zu wenig.181

Angesichts dieser Zahlen stellt sich viel eher die Frage, warum sich TEMPO so lange hielt. Theobald beruft sich auf Jürgs und schlägt eine generationenspezifische Erklärung vor. Der noch junge Verleger Thomas Ganske – nur ungefähr zehn Jahre älter als Peichl selbst – habe TEMPO gemacht, da sich die Verluste stets in Grenzen hielten, er sich mit diesem Heft aber von seinem »eher holzschnitthaften Vater

180 Mayer, Walter: »Wir, TEMPO: Es ist Dezember. Was für Pullover tragen TEMPO-Leser«, in: TEMPO von Dezember 1994, S. 5. 181 Theobald, Adolf: »Das ZeitgeistMagazin ›Tempo‹ wurde eingestellt«; in: Die ZEIT vom 19.04.1996.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 145

(Hauptwerk: der Lesezirkel »Daheim«) befreien«182 konnte. Dieser Generationenkonflikt habe mittlerweile seinen Reiz verloren: Der Vater sei gestorben und Ganske selbst fast 50 Jahre alt. jetzt: Die Kinder der Süddeutschen Die Standards, die TEMPO gesetzt hat, bleiben der deutschen Zeitschriftenlandschaft allerdings erhalten, wie Peichl zugibt: Im Prinzip ist dieses Heft damit schon wieder der Prototyp für diese ganzen schrecklichen ›SZ-Magazine‹ […] und ›jetzt‹-Magazine […] und für all‫ ތ‬das, was sonst danach so gekommen ist. Weil die auch genau das alles jetzt haben. Die junge Literatur und was da so alles im Gange ist. Ich habe das zwar immer abgestritten und gesagt: ›Wir waren das nicht!‹ Aber in Wirklichkeit waren wir das.183

Das jetzt-Magazin trägt wieder einen Zeitindex im Titel – es ist das Magazin für den Zeitpunkt, für die reine Gegenwart. Im Mai 1993 erscheint es zum ersten Mal als montägliche Jugend-Beilage der Münchener Regionalausgabe der Süddeutschen Zeitung, im September 1994 zum ersten Mal bundesweit. Von Anfang an setzt das jetztMagazin weniger auf die Profilierung seiner Autoren – es gibt kein meinungsstarkes, mit Autornamen gekennzeichnetes Editorial, keine personalisierten Kolumnen, kein kollektives WIR der Redaktion. Generationelle Programmatik wird nicht mehr von einem kleinen Kollektiv betrieben, stattdessen werden die Leser von Anfang an stark eingebunden. Das Wort Generation taucht ironischerweise weit eher im Anzeigenteil auf – mal ist es eine Anzeige von Web.de mit dem Slogan »Wenn die Generation @ Schlange steht, dann wegen kostenloser EMail mit gewissen Extras :-)«184, mal eine Anzeige der Commerzbank, überschrieben mit »Young Generation. Der neue ADIG-Aktienfonds mit den Erfolgsmarken von heute«185, mal eine Anzeige, die mit dem

182 Ebd. 183 A. Hentschel: Interview mit Markus Peichl, S. 16. 184 jetzt-Magazin vom 24.01.2000, Rückseite. 185 jetzt-Magazin vom 08.05.2000, Rückseite.

146

| DOING GENERATION

Claim »du bist die neue generation«186 für Fortbildungsangebote wirbt. Zumindest die Werbekunden nehmen das jetzt-Magazin damit als explizites GenerationenMagazin wahr, sie platzieren hier ihre Anzeigen, um eine bestimmte Generation als Zielgruppe zu adressieren. Leser-Listen Im Stil einer In/Out-Liste, die man auch schon von TEMPO kennt, schließt das jetzt-Magazin stets mit einer Lebenswert-Liste. Jede Woche werden Leser gefragt: »Was ist Euch diese Woche besonders wichtig?« In der folgenden Woche werden 25 Lebenswert-Punkte aus den Zusendungen ausgewählt und vorgestellt unter der Überschrift: »Die Hitliste der Gründe, warum es sich diese Woche zu leben lohnt. Sie ist zusammengestellt aus Statements, Kommentaren und Listen von Leserinnen und Lesern.«187 Die erste dieser Listen beginnt mit »Snowboarden«, es folgen »Protest gegen die BAföG-Verschärfung«, »Beavis und Butt-head«, »ohne Markenklamotten leben« und »daß Mädchen öfters Jungs ansprechen«.188 Daneben werden in Kästchen längere Kommentare zum häufig genannten Thema Ausschlafen präsentiert wie »Wenn ich am Samstag die ganze Nacht durchmache, stehe ich am Sonntag erst nachmittags auf. Dann sehe ich mir am liebsten eine SpielfilmSchnulze an.« oder »Ausschlaf-Fans aller Länder, vereinigt euch!«.189 Diese Lesenswert-Liste soll – wöchentlich aktualisiert – abbilden, was der jetzt-Leserschaft durch den Kopf geht. Statt der journalistischen Ansätze, Trends und Zeitgeist aus der Perspektive einer Redaktion aufzuspüren und in eigener Sprache wiederzugeben, spricht hier ihre Leserschaft selbst, die Redaktion übernimmt lediglich Koordinierungsaufgaben. Die generationelle Kommunikation erhält hier erste Möglichkeiten des Feedbacks, der Rückbindung von Äußerungen des Publikums in die Medien. Andere Rubriken verstärken diesen Effekt und lassen Leser in der Zeitschrift zu Wort kommen. So werden beispielsweise junge Men-

186 jetzt-Magazin vom 23.08.1999, S. 3. 187 Vgl. beispielsweise o. A.: »Lebenswert«, in: jetzt-Magazin von 12.09. 1994, S. 30. 188 Jeweils ebd. 189 Jeweils ebd.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 147

schen ohne Prominenz nach ihrer Woche befragt. In der ersten Ausgabe 1996 werden »Claudia, Moritz, Sonja und Christoph« vorgestellt und angekündigt, dass in den zukünftigen Ausgaben immer wieder von ihnen zu hören sein wird.190 In der Rubrik »Warten auf« werden jeweils einer Person zwei Seiten eingeräumt, die von etwas erzählt, auf das sie wartet. So wartet beispielsweise der 21jährige Sven auf »Muskeln« und erzählt von seinen Erlebnissen im Fitness-Studio.191 Das jetzt-Magazin etabliert damit einen Stil, der das Magazin als Ort etabliert, an dem von Erfahrungen und Erlebnissen der – generationellen – Leserschaft erzählt wird. Die Kommunikation wird damit als zweiseitig ausgestellt: Es werden nicht nur Texte für die Generation geschrieben, sondern Mitgliedern der Generation auch die Möglichkeit gegeben, von sich selbst zu erzählen. Das jetzt-Magazin ist damit der Ort des Austauschs über Erfahrungen, die die Generation prägen. Nur für Generationen In der Ausgabe 13/1999 wird das Heft ganz neu strukturiert.192 Vor allem drei neue Rubriken sind interessant für die Frage, wie das jetztMagazin generationenspezifische Kommunikation ermöglicht: »Nur für Jungs/Nur für Mädchen«, »Lernen von den Alten« und die »Gute Frage«. Die Leserbriefe werden mittlerweile auf der Seite drei platziert – an der prominentesten Stelle, direkt neben dem Inhaltsverzeichnis. TEMPO hingegen hatte an dieser Stelle noch das Editorial platziert, in dem Redakteure stets mit meinungsstarken Texten das Heft einleiten konnten. Im jetzt-Magazin erhält nicht mehr die Selbstdarstellung der bekannten Redakteure, sondern die Rückmeldung der Leser diesen prominenten Platz. In »Nur für Jungs/Nur für Mädchen« werden zu einem Thema jeweils ein Statement von einem Jungen und einem Mädchen gegenüber gestellt. Mal geht es um ein Thema wie »Die kleine Schwester«193, zu

190 Vgl. O. A.: »Wochenshow«, in: jetzt-Magazin vom 01.01.1996, S. 4-5. 191 Vgl. Deckert, Marc: »Warten auf… Muskeln«, in: jetzt-Magazin vom 29.08.1994, S. 16-17. 192 Vgl. jetzt-Magazin vom 29.03.1999. 193 Vgl. Stein, Manuel/Farmbauer, Martina: »Nur für Jungs/Nur für Mädchen: Die kleine Schwester,«, in: jetzt-Magazin vom 08.07.2002, S. 1213.

148

| DOING GENERATION

dem beide Seiten ihre jeweilige Meinung äußern, manchmal um spezifisch männliche und weibliche Situationen, die gegenübergestellt werden – beispielsweise der Besuch beim Frauenarzt und die Musterung.194 Damit positioniert sich das jetzt-Magazin als Magazin, das sowohl männliche als auch weibliche Jugendliche anspricht, mehr noch, die Kommunikation zwischen ihnen ermöglicht – und die Kommunikation darüber, was typisch männlich, was typisch weiblich sei. »Lernen von den Altern« hingegen ermöglicht transgenerationale Kommunikation. Hier wird eine Person in Interviewform vorgestellt, die älter als die anvisierte Zielgruppe ist, von der man aber etwas lernen könne; mal sind es Superstars wie Dennis Hopper, 195 aber auch Wissenschaftler wie Ian Kershaw.196 Schließlich erweitert die »Gute Frage« das Lebenswert-Prinzip: Die Redaktion wählt aus Leserzuschriften jeweils eine Frage aus, auf die wiederum Leser antworten können. Genau genommen handelt es sich dabei gar nicht um eine Frage, sondern um ein Statement, dem die Fragefloskel »Du auch?« folgt. Frage und Antworten werden auf der letzten Seite veröffentlicht. Die Einsendungen reichen von »Gute Frage: Ich bin heilfroh, in den Neunzigern aufgewachsen zu sein. Du auch?«197 über »Gute Frage: Ich will nicht mehr bei meinem Spitznamen genannt werden. Du auch nicht?«198 bis hin zu »Gute Frage: Im Museum schaue ich am liebsten aus dem Fenster. Du auch?«199

194 Vgl. Harzer, Verena/Kober, Henning: »Nur für Jungs/Nur für Mädchen: Frauenarzt/Musterung«, in: jetzt-Magazin vom 10.06.2002, S. 12-13. 195 Vgl. Deckert, Marc: »Lernen von den Alten: Dennis Hopper«, in: jetztMagazin vom 30.10.2000, S. 28-29. 196 Vgl. Schönlebe, Dirk: »Lernen von den Alten: Ian Kershaw«, in: jetztMagazin vom 04.12.2000, S. 29-30. 197 O. A.: »Gute Frage: Ich bin heilfroh, in den Neunzigern aufgewachsen zu sein. Du auch?«, in: jetzt-Magazin vom 30.04.2001, S. 62. 198 O. A.: »Gute Frage: Ich will nicht mehr bei meinem Spitznamen genannt werden. Du auch nicht?«, in: jetzt-Magazin vom 28.05.2001, S. 22. 199 O. A.: »Gute Frage: Im Museum schaue ich am liebsten aus dem Fenster. Du auch?«, in: jetzt-Magazin vom 07.05.2001, S. 30; eingesandt von Max Goldt, Berlin.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 149

Die Generation schreibt, wird abgesetzt und protestiert Ein weiteres Stil-Merkmal des jetzt-Magazins sind seine Sonderhefte. Mal ein Kalenderheft als erste Ausgabe im Januar 1999,200 mit der Ausgabe 12/98 erscheint zum ersten Mal ein Mode-Heft.201 1999 reagiert das jetzt-Magazin auf den Erfolg des Films Blair Witch Project mit einem Sonderheft, die auf dessen Story anspielt: Angeblich sei Material über ein geheimnisvolles »Hänsel-und-Gretel-Projekt« aufgetaucht, dass in diesem Heft erstmalig präsentiert werde.202 »jetzt«-Sonderhefte: »Ausbildungsheft« und »Tagebuchheft«

Quelle: jetzt-Magazin vom 30.04.2001 (links); jetzt-Magazin vom 11.10.1999 (rechts).

Seit 1996 erscheint jeden Herbst ein Tagebuchheft. Die Tagebuchschreiber setzen sich zusammen aus jetzt-Autoren, jungen Schriftstellern, einer Reihe von Personen, die als einer Art jetzt-Freundeskreis immer wieder im Heft auftauchen, aber auch unbekannten Lesern. Im Herbst 1999 sind als Prominente unter anderem Stuckrad-Barre und Max Goldt,203 Benjamin Lebert und Christian Ulmen Tagebuchschrei-

200 Vgl. jetzt-Magazin vom 04.01.1999. 201 Vgl. jetzt-Magazin vom 16.03.1998. 202 Vgl. jetzt-Magazin vom 13.12.1999. 203 Vgl. jetzt-Magazin vom 11.10.1999.

150

| DOING GENERATION

ber, im Herbst 2000 sind Julia Hummer und Charlotte Roche aktiv, aber auch Rainald Goetz.204 Die Tagebuchhefte nehmen eine ganz besondere Rolle für die Lesbarkeit des jetzt-Magazins als GenerationenMagazin ein. Tagebücher sind eine Gattung, die nicht nur Ereignisse einzelner Tage aufzeichnet und damit ein Gespür für die Gegenwart entwickelt. Tagebücher implantieren darüber hinaus auch – so Andreas Reckwitz – im schreibenden Subjekt ein autobiographisches Selbstbewusstsein.205 In den kollektiven Tagebüchern des jetzt-Magazins, in denen prominente und unbekannte Mitglieder der Generation schreiben, Inhaber von Leistungs- und Publikumsrollen, kann sich damit ein generatiographisches Selbstbewusstsein entwickeln. Schreiben ist im jetzt-Magazin nicht mehr ein elitäres Verfahren einiger weniger Autoren, die dann von der Masse ihrer Generation gelesen werden; Leistungs- und Publikumsrollen werden stattdessen in einem wechselhaften Verhältnis konzipiert. Die parallele Entwicklung auf dem Buchmarkt, in der Verlage wie Kiepenheuer & Witsch ganz gezielt junge und neue Autoren verlegen, wird im jetzt-Magazin von Johanna Adorján reflektiert. Sie schreibt: »Wer heutzutage jünger ist als 30 und einen Computer besitzt, arbeitet an seinem ersten Roman. Vielleicht auch schon am zweiten. Alle machen das jetzt. Das heißt: fast alle…«206 Adorján stellt die These auf, dass es Christian Krachts Faserland war, der »vielen die Angst vorm ersten eigenen Buch nahm.«207 und schreibt Autoren auch ganz explizit die Rolle als Identifikationsfigur von Generationen zu. Schließlich kommt es im Juli 2002 zu einem plötzlichen Ende des jetzt-Magazins. In der Ausgabe vom 15. Juli kündigt die Redaktion ab, dass die Gesellschafterversammlung des Süddeutschen Verlags auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Lage die Jugendbeilage einstellt. Die jetzt-Redaktion ruft noch ein letztes Mal dazu auf, dass ihre Leser ihnen Lesenswert-Punkte zusenden können und kündigt an, dass es weiterhin jetzt.de im Internet geben werde.

204 Vgl. jetzt-Magazin vom 09.10.2000. 205 Vgl. Reckwitz, Andreas: Das hybride Subjekt. Weilerswist 2006, S. 167ff. 206 Adorján, Johanna: »Nichts zu schreiben«, in: jetzt-Magazin vom 10.07.2000, S. 6-12, hier S. 7. 207 Ebd., S. 9.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 151

Das jetzt-Magazin verabschiedet sich: Links vom Lieblingssender VIVA Zwei und rechts von seinen eigenen Lesern

Quelle: jetzt-Magazin vom 09.04.2001 (links); jetzt-Magazin vom 22.07.2002 (rechts).

Das letzte Heft trägt schließlich den Titel: »Lebenswert: 3657 Gründe, warum es sich zu leben lohnt« und nicht wenige nennen tatsächlich »jetzt«, oder »jetzt.de« als lebenswert, oder »Dass an meinem Geburtstag jetzt noch nicht Geschichte ist.«208 Auch die Werbekunden verabschieden sich: Eurocard bedankt sich mit den Zeilen »9 Jahre gute Berichte: Unbezahlbar. 9 Jahre gute Fotos: Unbezahlbar. 2 Jahre gute Zusammenarbeit: Unbezahlbar«, der Verlag Kiepenheuer & Witsch schaltet eine Anzeige mit den jetzt-Büchern der vergangenen Jahre und drückt sein Bedauern aus. Auch der Art Directors Club weist in einer ganzseitigen Anzeige noch einmal auf die 31 Auszeichnungen der letzten drei Jahre hin; die Werbeagentur Avenue Advertising spielt nur lakonisch auf den ehemaligen Erscheinungstermin des Magazins an: »I don’t like Mondays.« Auch auf den Straßen Münchens kommt es zum Protest: 400 Leser versammeln sich vor dem Sendlinger Tor, präsentieren 8000 gesammelte Unterschriften und demonstrieren gegen das Ende des jetzt-Magazins.209 Doch ein Heft Nr. 31 erscheint nicht mehr.

208 jetzt-Magazin vom 22.07.2002. 209 Vgl. A. Frank: Endgültig.

152

| DOING GENERATION

Neon: Eigentlich sollten wir erwachsen werden… Der Protest beeindruckt vor allem eine Firma: Gruner & Jahr, besser gesagt, die Redaktion des Stern. Sie bitten Timm Klotzek und Michael Ebert, ein neues monatliches Heft zu entwickeln. 2003 erscheint schließlich die Pilotausgabe von NEON, auch Tobias Kniebe und Matthias Kalle sind als Redakteure wieder dabei. Nachdem NEON die Zielmarke von 70000 verkauften Heften schafft, geht es in Serie.210 Damit muss das Heft gleich auch anderen wirtschaftlichen Kriterien genügen. Klotzek stuft das jetzt-Magazin als »oft selbstverliebter, radikaler und auch isolierter«211 ein, während sich NEON auf dem freien Markt behaupten müsse. Die Zielgruppe liegt allerdings nicht mehr bei den jetzt-Lesern, die noch bei ihren Eltern wohnen und das gleiche Heft lesen, sie sind älter geworden und liegt jetzt bei 25 bis 35, so die Welt am Sonntag,212 zwischen 20 und 30, so Klotzek selbst.213 NEON ist damit nach TEMPO und dem jetzt-Magazin erneut ein Heft, das im Titel auf Zeitlichkeit anspielt; NEON verschreibt sich dem Neuen, es soll die Assoziationen »modern, hell, nicht verschnarcht«214 auslösen. Ergänzt wird der Titel noch durch einen Untertitel: »Eigentlich sollten wir erwachsen werden.« Klotzek spricht von einen Claim: »Jede Zeit hat ihren Claim, in den Siebzigern war es ›HoHo-Ho-Tschi-Minh‹, in den Achtzigern war es ›Atomkraft, nein danke‹, in den Neunzigern waren es Sprüche wie ›Eure Armut kotzt mich an‹ und heute sagen wir »Eigentlich sollten wir erwachsen werden.«215 Dieser Claim ist zunächst einmal eine klare Zielgruppenadressierung, er zielt ab auf einen Leser, der sich zwischen Jugend und Erwachsensein befindet. Über diese altersbezogene Beschreibung hinaus drückt er aber auch eine inhaltliche Charakterisierung dieser Altersgruppe aus; wer NEON liest, so vermuten die Redaktionsleiter, der befindet sich in keiner gradlinigen Entwicklung ins Erwachsensein, sondern

210 Vgl. Liebig, Sigrid: »Unisex, nicht zwangship«, in: Welt am Sonntag vom 22.06.2003. 211 Ebd. 212 Vgl. ebd. 213 Interview mit Timm Klotzek; vgl. von Gehlen; Dirk: »Eigentlich sollten wir erwachsen werden«, auf jetzt.de, Eintrag vom 10.06.2003. 214 Ebd. 215 Ebd.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 153

hängt noch sehr an den Empfindungen der Kindheit. Damit schließt NEON an den Geist von Generation Golf und anderen Büchern an, die eine Haltung skizzieren, die die Verantwortung für die Zukunft scheut, und die Erinnerung an Kindheit und Jugend zelebrieren. In Martin Reicherts Buch über die Generation Umhängetasche wird der Claim konsequenterweise auch auf dem Umschlagtext zitiert: ›Eigentlich sollten wir erwachsen werden‹ – so lautet der Wahlspruch der Generation Umhängetasche. Aber warum tun wir uns so schwer damit? Warum ist es so kompliziert, spießig oder schrecklich, Verantwortung zu übernehmen, sich eine feste Anstellung zu suchen oder sogar eine Familie zu gründen?216

Der Claim lässt sich auf doppelte Weise betonen. Einerseits heißt es, eigentlich sollten wir erwachsen werden – wie im jetzt-Magazin wird hier die Einheit von Autoren und Lesern in einem gemeinsamen Wir inszeniert, in einer gemeinsamen Generationalität. Zugleich drückt sich aber auch ein Generationelles Verhältnis in diesem Claim aus, ein Verhältnis von Selbst- und Fremdbeobachtung. Der Claim lässt sich auch anders betonen: Eigentlich sollten wir erwachsen werden. Diese gemeinsame generationelle Einheit ist sich bewusst, dass sie von außen beobachtet wird und dass von ihnen erwartet wird, dass sie eben doch erwachsen werden. Klotzek konstatiert zugleich einen Mangel an Magazinen, die sich an Männer und Frauen in seinem Alter gleichermaßen richtet. Er möchte nicht ein Geschlecht, sondern eine Generation adressieren: »Am tollsten wäre natürlich, wenn die Leute sagen würden: ›Endlich ein Magazin, das für unsere Generation spricht.‹«217 Gleich mit der ersten Titelgeschichte positioniert sich NEON als Generationenheft. Unter dem Titel »Es gibt noch Hoffnung! Die 100 wichtigsten jungen Deutschen« präsentiert NEON eine Fotostrecke mit jungen Deutschen zwischen 18 und 36 Jahren218. Auch TEMPO hatte schon ähnliche Fotostrecken, bei NEON allerdings ist manches neu. Als Kriterium für die Aufnahme in diese Liste wird das Kriterium der Wichtigkeit angegeben und das Ergebnis als hoffnungsvoll bezeichnet.

216 M. Reichert: Lebensabschnittsbuch. 217 Interview mit Timm Klotzek; vgl. D. v. Gehlen: Eigentlich. 218 Vgl. NEON von Januar 2003.

154

| DOING GENERATION

NEON präsentiert damit seine Generation und stellt sich zugleich hinter sie. In ihrer Zusammenstellung finden sich beispielsweise Benjamin von Stuckrad-Barre, Florian Illies oder Heike Makatsch. NEON führt diese Gruppe nicht nur in einer langen Liste auf, sondern in Photographien. Diese sind jeweils als Tableau mit jeweils zehn bis 15 Generationenmitgliedern arrangiert. So wird die Generation auch optisch als Kollektiv sichtbargemacht. »NEON«: Erste und zweite Ausgabe

Quelle: NEON vom Januar 2003 (links), NEON von Dezember 2003 (rechts).

Strukturell erinnert NEON in Teilen an das jetzt-Magazin, auch die Themenpalette ist ähnlich breit. Zwar werden jetzt für die 180 Seiten neue Teilbereiche wie Cover, Wilde Welt, der Rezensionsteil Freie Zeit und Immer eingeführt, die mit dem viel dünneren jetzt-Magazin wenig zu tun haben. Jeder Teilbereich wird durch eine Kolumne eingeleitet – Matthias Kalle schreibt über den politischen Teil Sehen, Theresa Bäuerlein über Fühlen und damit über Gefühle, Liebe und Sex. Den Bereich Wissen eröffnet Friederike Knüpling mit Kolumnen zu organisatorischen Themen zur Arbeitswelt, zu Umzügen oder zur Gesundheit, während MTV-Moderatorin Charlotte Roche den Bereich Kaufen mit Texten zu Produkten, Moden und Reisen einleitet. Damit räumt NEON ihren Autoren Raum ein, selbst zu Marken zu werden – jede Kolumne wird an prominenter Stelle präsentiert, immer vom gleichen Autor geschrieben und mit einem Foto eingeleitet.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 155

Die Nähe zum jetzt-Magazin lässt sich allerdings in einer ganzen Reihe von Einzelrubriken wieder finden. Im Bereich Wilde Welt erscheint der Artikel »Das war mein Sommer. Von einem Besuch bei Frank Sinatra bis zu Eisküssen: zwanzig NEON-Leser schreiben, was sie sich für die kommenden Wochen vorgenommen haben«219. Damit wird das alte Lebenswert-Prinzip im neuen Magazin fortgeschrieben, jeder Leser hat hier Raum, in wenigen Sätzen von seinem aktuellen Leben zu erzählen. Unter diesen 20 Lesern findet sich auch Markus Kavka, MTV-Moderator. Sein Statement »Beim Autofahren alle vier Fenster öffnen, dabei flächigen Minimal-Techno oder Tomte hören. Steine von der Klippe schmeißen. Nach dem Regen an der Luft riechen. Nackig schlafen. Das alles gerne zusammen mit einem Mädchen, wenn’s recht ist.«220 wird ohne besondere Hervorhebung zwischen den übrigen eingestreut. Damit wird einerseits suggeriert, dass auch Prominente wie Kavka NEON lesen, aber andererseits auch deutlich gemacht, dass in der Leserschaft alle gleich behandelt werden. Leser kann jeder sein, ob prominent oder normal. Die intergenerationelle Rubrik Lernen von den Alten heißt bei NEON Na, wie war ich?221 – und hier interviewt Matthias Kalle Alice Schwarzer, die »auch mal jung« war und von ihren Erfahrungen von 1968 erzählt. Während im jetzt-Magazin in der Rubrik Nur für Jungs/Nur für Mädchen« der Dialog zwischen den Geschlechtern adressiert wurde, gibt es bei NEON immer eine Rubrik Geschlechter-Unterschiede222. Im Dezember 2003 erscheint das zweite NEON-Magazin. Im Editorial bedankt sich die Redaktion – unter dem Signum eines großen rosa Herz – für mehr als tausend Briefe und E-Mails. Mit dieser Ausgabe erscheint NEON regelmäßig. Manche Rubriken haben sich leicht verändert, die Kolumnen verlieren ihren prominenten Platz, Heike Makatsch ersetzt Charlotte Roche, es gibt erneut die Rubrik »Nur eine Frage«, bei der Leser auf eine Frage antworten können. In dieser Ausgabe begibt sich NEON erneut in die Rolle des Sprachrohrs einer Generation. Unter der Überschrift »Generationen-Gejammer: Warum so viele Forderungen an junge Menschen Unsinn sind« wehrt sich Marc

219 O. A.: »Das war mein Sommer«, in: NEON von Januar 2003, S. 12-13. 220 Ebd., S. 13. 221 Kalle, Matthias: »Na, wie war ich?«, in: NEON von Januar 2003, S. 26. 222 Vgl. Hagel, Katharina/Donner, Falk: »Wie fühlt sich das an… ein Orgasmus?«, in: NEON von Januar 2003, S. 78-79.

156

| DOING GENERATION

Deckert im Namen seiner Generation gegen Anspruchshaltungen, die von ihm und gleichaltrigen gleichzeitig Karriere, Kinder, Konsum, eine frühzeitige Altersvorsorge und politisches Engagement erwarten.223 Zugleich richtet er einen Appell an die eigene Generation: Das Imageproblem der ›Heiapopeia‹-Generation kommt auch von innen: Das Bild, das in den Medien und in populären Generationenbüchern wie den beiden ›Generation Golf‹-Bestsellern von Florian Illies gezeichnet wird, ist das einer zaudernden Jugend, die sich um die wichtigsten Lebensentscheidungen drückt, oder – im Fall der ›Golfer‹ – das von müden 30-jährigen, die nach einer kurzen Hochphase im Leben bereits wieder abgeschlafft sind. Aber ›Wir‹ sind in Wirklichkeit gar nicht ›Wir‹. Entscheidungen werden von Menschen getroffen und nicht von Generationen. Deswegen muss das ›Wir‹ aus ›Generation Golf 2‹ niemals erwachsen werden. Du und ich müssen das aber schon.224

Hier zeichnet sich ein hochgradig individualisiertes Generationenbild ab. Zwar wird im Namen der Generation argumentiert und den übrigen Generationen damit entgegengetreten. Aber es kommt nicht zu einem kollektiven Appell. Statt der Aufforderung, sich kollektiv entweder für mehr Familie oder mehr Karriere zu entscheiden, wird die biographische Entscheidung an den einzelnen zurückgegeben. Vier Jahre später bezeichnet Christoph Koch seine Generation bereits als »Generation Neon«. Zwei Lesarten sind dazu möglich: Entweder geht Koch davon aus, dass NEON schlicht die Zeitung ist, die diese Generation als Zielgruppe adressiert – oder er bezeichnet eine Generation als diejenige, die sich durch NEON erst gebildet hat.225 Auch wenn sie sich nicht oft explizit als generationelle Gattung bezeichnen, können ZeitgeistZeitschriften wie TEMPO, das jetztMagazin oder NEON eine generationelle Kommunikation organisieren. Sie decken eine ganze Bandbreite von Themen ab; schränken sich nicht thematisch, sondern in ihrer Zielgruppe von anderen Magazinen ab. Sie etablieren dabei eine Reihe von Rubriken, die eine spezifische

223 Vgl. Deckert, Marc: »Generationen-Gejammer: Warum so viele Forderungen an junge Menschen Unsinn sind«, in: NEON von Dezember 2003, S. 38-42. 224 Ebd., S. 42. 225 Vgl. Koch, Christoph: »Ganz entschlossen unentschlossen«, in: NEON von Mai 2007, S. 24-28, hier S. 25.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 157

generationelle Kommunikation ermöglichen, die Etablierung von generationellen Sprachrohren oder auch die Rückbindung von Lesermeinungen ins Magazin. Im Gegenzug zum Buch kann sich hier generationelle Kommunikation über die Zeit entwickeln.

5.4 S CHWÄRME

IN

N ETZEN

Während Christoph Koch noch versucht hat, eine Generation anhand einer einzelnen Zeitschrift zu deuten,226 geht Jochen Hörisch einen Schritt weiter und deutet Generationen im Hinblick auf eine ganze Medienkonstellation.227 Für Hörisch zeichnet die Nachfolger der 68er dadurch aus, dass sie anders sozialisiert worden seien: Während die 68er noch alle den gleichen Bücherkanon gekannt hätten, seien ihre Nachfolger mit verschiedenen Fernsehsendern und der Vielfalt des Internets aufgewachsen. Seine These ist allerdings, dass durch diese mediale Zersplitterung gerade keine Generation entstehen könnte, die 89er seien vielmehr die »erste Nichtgeneration«.228 Andere hingegen vermuten, dass gerade das Internet eine neue Generation sichtbar macht. So schreibt Douglas Coupland, Autor von Generation X, 2009 erneut einen Generationen-Roman mit dem Titel Generation A, der – so zumindest der Klappentext – den Vorgänger zu spiegeln versucht, indem er seine Geschichte im digitalen Zeitalter ansiedelt. Born Digital 2008 veröffentlichen John Palfrey und Urs Gasser ihre qualitative Studie Born Digital. The First Generation of Digital Natives.229 Schon im Titel vertreten sie die These, dass die nach 1980 geborenen einen Unterschied machen, indem sie die erste Generation sind, die mit dem Internet bereits aufgewachsen ist.

226 Vgl. C. Koch: Entschlossen. 227 Vgl. Hörisch: Generationen. 228 Ebd., S. 14. 229 Vgl. hierzu Palfrey/Gasser: Born Digital.

158

| DOING GENERATION

Die Terminologie des Digital Native stammt von Marc Prensky.230 Ältere Jahrgänge konnten sich, so Prenskys These, erst im Laufe ihres Lebens mit dem Internet und anderen digitalen Medien auseinandersetzen. Damit sind sie digitale Immigranten – während die neue Generation aus digitalen Ureinwohnern besteht. Ihr Leben fand schon immer in einer digitalen Gesellschaft statt. Prensky thematisiert diese Generation vor einem pädagogischen Hintergrund und fragt, ob das Bildungssystem der Hochschulen dieser Generation noch gerecht werde. Er beobachtet dabei, dass sich vorhergehende Studenten immer ›inkrementell‹ verändert hätten, dieser Medienumbruch aber eine große Diskontinuität nach sich gezogen habe. Prensky stellt die These auf, dass diese Generation anders als ihre Vorgänger denke, und zieht in seinem zweiten Aufsatz neurobiologische und sozialpsychologische Forschungsergebnisse für diese These heran. Palfrey und Gasser greifen diesen Gedanken auf und diskutieren in ihrem Buch so verschiedene Phänomene wie Identitätsbildung, Privatsphäre, Lernen oder Aggression in einem Vergleich von Digital Natives und Digital Immigrants. Dabei schreiben sie stets im Modus der Fremdbeschreibung; es ist ein Buch von Digitalen Immigranten an Digitale Immigranten über Digitale Ureinwohner. Es handelt sich also hierbei – ähnlich wie bei Autogeneratiographien – um eine Adressierung, die Generationsgrenzen nicht überschreitet. Sind Autogeneratiographien von Mitgliedern einer Generation an Generationsgenossen gerichtet, ist das Buch von Palfrey und Gasser eben von NichtGenerationsgenossen für Nicht-Generationsgenossen geschrieben.231 Dies lässt sich bereits am Untertitel ablesen, der stets danach fragt, wie »sie« leben, denken und arbeiten. Statt der ersten Person Plural dominiert hier die dritte Person Plural. In Deutschland äußern sich vor allem sogenannte Trendforscher zu Mediengenerationen. Horst W. Opaschowski, »Zukunftswissenschaft-

230 Vgl. hierzu Prensky, Marc: »Digital Natives, Digital Immigrants«, in: On The Horizon 5 (2001); sowie Prensky, Marc: »Digital Natives, Digital Immigrants, Part II: Do They Really Think Differently?«, in: On The Horizon 6 (2001). 231 Die gleiche Perspektive nimmt aktuell auch Hannah Pilarczyk ein, vgl. Pilarczyk, Hannah: Sie nennen es Leben: Werden wir von der digitalen Generation abgehängt?, München 2011.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 159

ler und Politikberater«232, diagnostiziert pünktlich zum Jahr 2000 nicht nur einen Jahrtausendwechsel, sondern auch einen Paradigmenwechsel und einen Generationenwechsel.233 Im Auftrag der British-American Tobacco schreibt er ein Buch über eine Generation @. Er beginnt mit der Beschreibung der Kindheit dieser Generation in einer mediatisierten und »reizüberfluteten« Welt und deren »psychosoziale Folgen«234. In der Gegenwart angelangt, beschreibt Opaschowski mit verschiedenen Labels die Generation @, einmal als inszenierte Lebenskünstler, die sich anders geben, als sie wirklich sind, oder aber als vernetzte Nomaden, die stets überall und nirgendwo sind. Im Vorwort skizziert er als Ziel seines Buches: Die vorliegende Grundlagenstudie will ein sozialer Seismograph sein, der wissenschaftlich abgesicherte Antworten auf die Fragen gibt: Was kommt nach der Medienrevolution? Wie sieht die Lebenswelt der Generation von morgen aus?235

Opaschowski möchte also nicht nur eine neue Generation sichtbarmachen, sondern dies auch gleichzeitig als Prognose nutzen, um in die Zukunft zu schauen, gegenwärtige und zukünftige Trends zu erfassen. Dies ist auch das Selbstverständnis des Hamburger Trendbüros, ursprünglich von TEMPO-Autor und Trendforscher Matthias Horx gegründet. Drei Jahre nach Opaschowski veröffentlicht das Trendbüro sein ›Trendbuch‹ zum Thema Die neue Moral der Netzwerkkinder.236 Horx‫ ތ‬ehemaliger Partner und Mitgründer Peter Wippermann sowie Andreas Steinle versuchen sich an einer qualitativen Studie zur »erste[n] Generation, die mit Privatfernsehen und Computern aufwächst«237. Sie behaupten, dass es unter der Oberflächenstruktur verschiedener »Jugendszenen und Randgruppen«238 eine veränderte »Grundstruktur«

232 So die Beschreibung auf seinem Buch Der Generationenpakt, Darmstadt 2004. 233 Vgl. H. Opaschowski: Generation @, S. 14. 234 Ebd., 76ff. 235 Ebd., S. 11. 236 P. Wippermann/A. Steinle: Moral. 237 Ebd., S. 12. 238 Ebd., S. 18.

160

| DOING GENERATION

und einen »Wandel im Denken« gebe, der die heranwachsende Generation eine, weil sie durch »andere Erfahrungen als die Generationen vor ihnen«239 geprägt sei. Steinle und Wippermann geben an, dass diese Trends den meisten Soziologen verborgen blieben, weil deren »wissenschaftlich differenziertes Weltbild keine Verallgemeinerungen zulässt.«240 Wippermann und Steinle interessieren sich vor allem für die »Moralvorstellungen«241 ihrer »Netzwerkkinder«. Ihre Ausgangsthese ist: Von einem Werteverfall kann dabei nicht die Rede sein, höchstens von einem Verfall der Allgemeingültigkeit von Werten. An die Stelle gesellschaftlicher Moral setzt die nächste Generation individuelle Absprachen. Egal, ob es sich um Arbeitsverträge oder sexuelle Vorlieben handelt: Alles wird frei ausgehandelt.242

Die Grundidee ist, dass diese neue Generation so freiheitsliebend ist, dass sie stets nach Rahmen sucht, die ihnen in einer globalen und vernetzten Welt diese Freiheit garantieren kann. Wippermann und Steinle ordnen ihre Beobachtungen zunächst im US-amerikanischen Generationennarrativ der Baby Boomer und der Generation X. Während sich die Babyboomer heute noch eine »Rebellionsromantik«243 leisten, zeichne sich auch die Generation X vor allem in der Grunge-Kultur mit ihrem prominentesten Exponenten Kurt Cobain als Protestgeneration aus. Die Netzwerkkinder sähen hingegen keine Notwendigkeit zum Protest. Wippermann und Steinle sehen auch die Hegemonie dieser ersten zwei Generationen in den meinungsmachenden Medien als Ursache eines negativen Bilds der dritten und jüngsten Generation als Spaßgeneration. Wippermann und Steinle versuchen sich hingegen in einer Verteidigung der Netzwerkkinder. Aus dieser Verteidigungshaltung beginnen sie ihre Studie mit einem Kapitel »Irrtümer: Ende der Spaßgesellschaft« und gehen dann zum Thema Werte über. Anschließend diskutieren sie in ihren Kapiteln verschiedene Lebensbereiche der Generati-

239 Ebd., S. 12. 240 Ebd., S. 18. 241 Ebd., S. 13. 242 Ebd. 243 Ebd., S. 23.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 161

on: Beziehungen als »Management der Triebe«, das körperliche Aussehen als »Inszenierung des Selbst«, den Konsum als »Supermarkt der Gefühle«, Medien als »Macht der Netzwerke«, die Arbeit als »Ausbildung zum Flexisten«, die Zukunft mit dem Motto »Schicksal als Designaufgabe« und schließlich Träume als »Macht der Liebe«. Insgesamt möchten Wippermann und Steinle die untersuchten Jugendlichen nicht auf einen Generationenbegriff bringen. Sie gehen davon aus, dass sich eine Generation etwa 15 bis 20 Jahre nach ihrem ersten Geburtsjahrgang zeige und erst weitere zehn Jahre später die Kultur durchdrungen habe. Damit bedienen sie den Topos der Generation als einer Wirkkraft auf Gesellschaften. Erst in einem solchen späten Zeitpunkt könne sich die Generation auch selbst auf einen Begriff bringen. So sei es beispielsweise bei der Generation X gewesen, aber auch bei der deutschen Variante der Generation Golf. Vom Magazin zum Kosmos: www.jetzt.de Sowohl Palfrey und Gasser, Opaschowski als auch Wippermann und Steinle formulieren ihre Hypothesen zu Mediengenerationen im Medium Buch. Sie bedienen sich dabei sogar gattungstheoretischer Konventionen, die sich in Generatiographien wie der von Florian Illies finden lassen. So folgt Opaschowski wie Illies einer narrativen Sukzession, indem er mit einem Jugendkapitel als Rückblick beginnt und schließlich die Gegenwart der Generation schildert. Wippermann und Steinle hingegen diskutieren von Kapitel zu Kapitel die Gestalt ihrer Generation in verschiedenen Systemen, angefangen vom Intimsystem, über die Konsumentenrollen hin zu den Produzentenrollen im Wirtschaftssystem, zu Körper- und Lebenslaufpolitik. Diese Struktur ähnelt der von Illies, aber auch der von Katja Kullmanns Generation Ally. Damit wird eine Internetgeneration erneut buchförmig dargestellt. Doch bleibt es die Frage, ob Generationen auch in durch das Internet bereitgestellten Formen lesbar werden können, ob sie auch durch Internetkommunikation hervorgebracht werden. Diese Frage soll verhandelt werden am Beispiel des Netzforums jetzt.de. Das jetztMagazin begleitet seine Lesergeneration bereits früh durch einen WebAuftritt ins neue Medium. Das jetzt-Magazin hat bereits 1994 einen Online-Auftritt und baut diesen immer weiter aus. So stellt die Redaktion 1996 im Heft den Debütroman Die Quotenmaschine des Schriftstellers Norman Ohler vor und ermutigt ihre Leser, diesen Roman im

162

| DOING GENERATION

Netz www.wildpark.com/jetzt weiterzuschreiben.244 Im Juli 2001 wird jetzt.de völlig umgestaltet. In der Print-Ausgabe kündigt die Redaktion ihre neue Internet-Programmatik an: Diese Ausgabe des jetzt-Magazins ist ein wenig anders. Einige der vertrauten Inhalte werdet ihr vergeblich suchen, denn die Themen in diesem Heft haben alle mit unserer Internetseite zu tun. Die haben wir völlig neu gestaltet und mit vielen neuen Ideen gefüllt. Im gedruckten jetzt und auf jetzt.de schreiben in Zukunft die gleichen Autoren – einige haben sogar eigene Kolumnen, die wir in diesem Heft vorstellen und die man in Zukunft online lesen kann.245

Bereits vorher kam es zu Kooperationen zwischen Print- und OnlineVersion. So wurde beispielsweise das Tagebuch-Heft stets im Internet mit zusätzlichen Autoren ergänzt. Im Jahr 2001 geht die Redaktion erstmals anders vor. Anlässlich der Anschläge auf das World Trade Center schreiben nicht mehr die üblichen 12 Autoren Tagebuch, statt dessen sammelt die Redaktion Einträge ihrer Internetleser aus deren Online-Tagebüchern, die sie in der Print-Ausgabe abdrucken.246 Hier ist nicht mehr das Internet der Ort der Zusatzinformation, sondern das Heft wird zur Zweitverwertung der eigentlichen Kommunikation im Internet. Eine dieser Kolumnen, die in Zukunft auf jetzt.de zu lesen sind, schreibt Matthias Kalle. Sie erscheint in Zukunft jeden Freitag und trägt den Titel »Verzichten Auf«, genau wie seine später erscheinende Generatiographie. Damit wird die Aktualität des jetzt-Magazins durch die Online-Ausgabe noch gesteigert. Jetzt erscheint nicht mehr nur jeden Montag ein neues Magazin, sondern jeden Tag zumindest eine neue Kolumne. Jeweils dienstags schlüpft Ingo Mocek in seiner Kolumne »Being« in die Haut einer anderen Person, mittwochs erscheint immer die »Sexkritik« und donnerstags »Wählt«. Diese Kolumne kündigt Roland Schulz im Magazin an: »Wählen kann man nicht nur alle vier Jahre. Wir wählen auf jetzt.de jede Woche jemanden, den wir gut

244 Vgl. Ohlers, Norman: »Die Quotenmaschine«, in: jetzt-Magazin vom 12.02.1996, S. 10-11. 245 jetzt-Magazin vom 30.07.2001, S. 3. 246 Vgl. jetzt-Magazin vom 24.09.2001.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 163

finden. Diesmal geht’s um den Bundesligastart«247. Hier wird wieder das kollektive »Wir« von Redaktion und Lesern beschworen – weniger emphatisch als die Rhetorik der TEMPO-Macher, aber auf ein stillschweigendes Einverständnis setzend. Im Laufe der Jahre ändern sich die Kolumnen, aber das Prinzip des täglichen Rhythmus bleibt erhalten. Doch das jetzt-Magazin möchte noch weiter gehen, als nur die redaktionellen Beiträge zusätzlich im Internet anzubieten und damit das Rollenschema von Redaktion als Produzenten und Lesern als Konsumenten technisch zu verdoppeln. Eine erste Möglichkeit der Feedback-Schleife ist, dass alle Beiträge von Nutzern kommentiert werden können. Damit wird die bisherige Möglichkeit, durch Leserbriefe, Lebenswert-Punkte oder Gute Fragen die Meinungen und Stimmungen der Leser ins Blatt zu integrieren, radikalisiert. Jetzt.de wird in Zukunft ihre Leser nicht nur täglich begleiten, sondern auch einen täglichen Austausch ermöglichen. In ihrer Juli-Ausgabe des Jahres 2001 hat das jetzt-Magazin auch in seiner Rubrik »Was für eine Woche« eine besondere Form. Gewöhnlich werden hier die Termine in der kommenden Woche angekündigt, aber in dieser Ausgabe werden auch viele Termine auf jetzt.de angekündigt, wie zum Beispiel »Die große Diskussion« zum Thema Bundesliga »Tagesticker auf dem neuen jetzt.de!«248 Im Tagesticker, anfangs immer um 15 Uhr startend, später sogar um 9 Uhr morgens, können von nun an die jetzt.de-User täglich miteinander diskutieren. Die Redaktion gibt ein Thema vor, aber es ist die tagesaktuelle Meinung der User, um die es geht. In der Programmatik zu ihrer neuen Online-Umgebung von 2001 greift die jetzt-Redaktion den Ansatz wieder auf, Leser zu Schreibern zu machen: Das Wichtigste am neuen jetzt.de aber seid ihr: Ihr könnt dort auch selbst Geschichten erzählen, Platten-, Buch- oder Filmkritiken schreiben, mit den Redakteuren diskutieren und Tagebuch führen. Oder das jetzt-Radio im Internet hören. Das neue jetzt.de soll wie ein guter Club sein, wo man hingeht, um Neuigkeiten zu bereden, Freunde zu treffen, neue Freunde kennen zu lernen oder

247 Schulz, Roland: »Wählt: die A-Jugend des SV Waldperlach«, in: jetztMagazin vom 30.07.2001, S. 28-29, hier S. 28. 248 O. A.: »Was für eine Woche«, in: jetzt-Magazin vom 30.07.2001, S. 3-4, hier S. 4.

164

| DOING GENERATION

einfach nur Musik zu hören. Du willst deine Geschichte erzählen? Dein Publikum wartet!249

Neben den Kolumnen von Kalle und anderen taucht in diesem Heft auch ein Beitrag von Ingo Mocek auf, der seinen »schönsten Tag« schildert, anschließend beschreibt Peter Wagner seinen »schlimmsten Tag« – und am Ende der Seite kündigt die Redaktion an: »Dein schönster und dein schlimmster Tag – auf jetzt.de kannst du in der Rubrik ›Tagebuch‹ Geschichten dazu lesen und selbst schreiben. Oder einfach erzählen, was dir sonst so passiert.«250 Leser können in Zukunft der Redaktion Erlebnisse vorschlagen, um in dieser Rubrik aufgenommen zu werden. Die Tagebuchrubrik im Internet nimmt in ihrer Überschrift den Slogan des Magazin wieder auf: »Ausgewählte Schreiber berichten aus ihrem Leben. Hast du auch Lust? Dein Publikum wartet!« Jeder Leser kann zum Tagebuchschreiber werden und damit von einer Publikums- in eine Leistungsrolle wechseln. Er muss sich zunächst bei jetzt.de als Nutzer anmelden. Als angemeldeter Nutzer kann er sich wiederum bei der Redaktion mit drei Vorschlagstexten bewerben. Ist er einmal freigeschaltet, kann er Texte veröffentlichen und diese kategorisieren; zum einen mit einer Themenbezeichnung wie »Liebe und Sex«, »Sport und Gesundheit« oder »Familie und Freunde«, zum anderen mit einer von sechs Gattungsbezeichnungen.251 Damit sind sowohl hinsichtlich der kommunikativen Semantik und hinsichtlich der möglichen ästhetischen Stile, um auf die Aufteilung von S. J. Schmitt zurückzukommen, eine ganze Bandbreite angeboten. Zur Wahl stehen beispielsweise die literarischen Gattungen »Kurzgeschichte« und »Gedicht«, aber auch vier jetzt-spezifische Gattungsbezeichnungen, »Der Moment, der bleibt«, »Perfekter Tag«, »Sie So. Er So« und »Alltag«. Die ersten beiden Markierungen stellen Formen bereit, Zeit zu schreiben und tragen damit dem Titel jetzt Rechnung: »Sie So. Er So« spielt auf die alte Magazin-Rubrik »Nur für

249 Ebd., S. 3. 250 Mocek, Ingo: »Der schönste Tag«, in: jetzt-Magazin vom 30.07.2001, S. 8-9; Wagner, Peter: »Der schönste Tag«, in: jetzt-Magazin vom 30.07.2001, S. 10-11. 251 Vgl. www.jetzt.de. Diese Lektüre bezieht sich auf den Aufbau der Internetseite im Herbst 2005, vor dem Relaunch am 06.12.2005.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 165

Jungs, nur für Mädchen« an, die geschlechterspezifische Perspektiven gegenüberstellt. Mit »Alltag« stellt die Redaktion eine Art SonstigesKategorie zur Verfügung, damit auch andere Texte, die nicht auf die jetzt-spezifischen Besonderheiten abstellen, einen Platz erhalten können. Das Einstellen von Tagebucheinträgen ist nicht die einzige Möglichkeit der Kommunikation im »jetzt-Kosmos« – so die Selbstbeschreibung. Jeder angemeldete Nutzer erhält einen persönlichen Nickname und eine persönliche jetzt-page. Innerhalb des Kosmos können die Nutzer wiederum Relationen zueinander ausbilden, indem sie sich als Freunde miteinander verknüpfen. Diese Seite ist mit einem Gästebuch ausgestattet, auf dem andere Nutzer Einträge hinterlassen können, die wiederum für alle Besucher der Seite sichtbar sind. Man kann aber auch anderen Nutzern Nachrichten schicken. Damit erfüllt jetzt.de die Kriterien für ein soziales Netzwerk. Boyd und Ellison definieren soziale Netzwerke als webbasierte Services, die es Individuen ermöglichen, sich ein Profil in einem geschlossenen System zu errichten, sich mit einer Liste von anderen Benutzern zu verbinden und mit ihnen zu kommunizieren.252 Soziale Netzwerke sind damit eine technische Ausdifferenzierung der schon seit den 80ern bekannten Virtuellen Gemeinschaften.253 Sie bilden eine ganz besondere Art der Referenzmodalität heraus: Zwar melden sich reale Personen als Nutzer bei jetzt.de an und knüpfen damit eine Verbindung zur außertextuellen Realität. Aber schon die Nutzernamen sind im jetztKosmos frei wählbar und zeigen damit auf, dass der Grad der Fiktionalität in der Selbstpräsentation von Außenstehenden nicht einzuschätzen ist. Damit ermöglicht der jetzt-Kosmos eine ganze Bandbreite von Kommunikationswegen, die jeweils durch ein unterschiedliches Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit gekennzeichnet sind. Die eigene Seite gibt jedem Mitglied des Kosmos eine Adresse, auf der verschiedene Möglichkeiten der Selbstpräsentation gegeben sind. Unter

252 Vgl. Boyd, Danah M./Ellison, Nicole B.: »Social Network Sites: Definition, History, and Scholarship«, in: Journal of Computer-Mediated Communication 13 (2008), S. 210-230. 253 Vgl. hierzu den grundlegenden Beitrag von Howard Rheingold: The Virtual Community: Homesteading at the Electronic Frontier, Addison-Wesley 1993.

166

| DOING GENERATION

anderem kann jeder Nutzer neben Namen und dem Zeitpunkt der Anmeldung auf seiner Seite hinterlassen, was er für lebenswert hält. Das alte Prinzip der Lebenswert-Punkte wird damit ins Netz transformiert, ergänzt um die Rubriken sehenswert, hörenswert, bookwert und lesenswert. Für jeden dieser Punkte gibt es wiederum ein entsprechendes Forum, in dem diskutiert werden kann, was lebenswert ist, welche Musik hörenswert oder welches Buch lesenswert. Die Redaktion wählt aus diesen Vorschlägen wiederum Punkte aus, die dann in einer Liste zusammengetragen werden. Die Lebenswert-Liste ist damit eine täglich aktualisierte Liste dessen, was den Kosmos interessiert, sie bildet einen Querschnitt aus Vorlieben in Musik, Literatur oder Internet, wenn man so will, einen stets aktuellen generationellen Trend. Vergleicht man den jetzt-Kosmos mit Büchern wie Generation Golf oder Zeitschriften wie TEMPO, so zeigt sich, dass hier eine viel komplexere generationelle Kommunikation stattfinden kann. Beide Print-Medien sind beschränkt auf eine unidirektionale Kommunikation, die mal von einer Person ausgeht, mal von einem Kollektiv – und es gibt nur beschränkte Möglichkeiten des Feedbacks. Der jetztKosmos hingegen integriert eine ganze Reihe von Kommunikationswegen, ein privat-postalisches System der Nachrichten, eine halböffentliche Kommunikation über Gästebucheinträge und öffentliche Kommunikationsorte. Letztere lassen sich wiederum differenzieren in Tagebucheinträge, bei denen ein Autor einen Text seinem Publikum präsentiert und Foren, in denen gemeinschaftlich diskutiert wird. Das Generationenforum Gerade in Tagebüchern und Foren kann »Generation« selbst zum Thema werden. Nutzerin amilia reagiert auf einen bestehenden Generationendiskurs mit einem Eintrag im Top5-Forum: wie nennt ihr unsere generation ...ich habe keine lust mehr... gestern erst sagte wieder jemand zu mir ...wir könnten ja nichts dafür wir sind doch die generation depression... was solldas?natürlich ist alles ganz furchtbar kompliziert.aber das war immer so und das wird immer so sein.bin ich die einzige die unsere generation garnicht so schlimm findet.bitte bitte nennen wir sie doch anders.... generation der wegfinder...oder so habt ihr einen vorschlag? (oder 5 ...um dem

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 167

forum treu zu bleiben) oder lassen wir diese ganze generationsscheiße einfach ganz weG?254

Die Aufforderung bringt eine ganze Reihe von Vorschlägen hervor: von »Generation Konsum Total« über »Generation Wunderbar«, »Generation Rastlos?« und »Generation Ratlos?« hin zu »Generation Jamba«. Dabei lässt sich erkennen, dass viele Nutzer bereits mit den Techniken der Generationenmarkierung vertraut sind. Jettaman meint: »Und wenn ich die Generation nach einem Produkt benennen müsste wär ich ganz klar für Generation Homezone«255 und verwendet damit den Topos der Konsumgenerationen. Kaetae und Johes bedienen sich sogar jeweils komplexerer Argumentationsfiguren. Kaetae identifiziert »zwei parallel-generationen: die jamba-eske und die kreativen, null-zoffler, universal-individuellen«256. Damit geht er oder sie von der Koexistenz zweier Generationseinheiten innerhalb des gleichen Generationszusammenhangs aus. Auf der einen Seite steht eine kreative und aktive Generationseinheit, auf der anderen Seite eine Generationseinheit, die sich vor allem im Konsum auslebt, namentlich im Herunterladen von Klingeltönen der Firma Jamba. Johes geht hingegen von einer Generation aus, die gar nicht »mit einem nenner klassifizierbar!«257 sei und sich daher nur ex negativo definieren könne: »generation nicht-generation.«258 In einem anderen Thread, im Politik-Forum, reformuliert der Nutzer 4felix die These von den Mediengenerationen: Vielleicht kennt Ihr das Szenario: Bockstolz erklären Euch Tanten, Onkels oder die eigenen Eltern (alle knapp unter 60 Jahre alt wie Schröder oder Fischer), dass sie mittlerweile bereits Mails verschicken können und sogar schon ein Handy haben.... Doch wenn man dann ein Attachement schickt vom Mallorca-Urlaub oder einen Link zum Theaterkartenvorverkauf der Salzburger

254 Eintrag auf jetzt.de im Top5-Forum vom 08. Juli 2005 um 16:00:52. Die Einträge der Internetnutzer werden hier stets mit allen orthographischen Fehlern zitiert – auf die Angabe eines »sic!« wird der Lesbarkeit halber verzichtet. 255 Ebd., Kommentar am 09.07.2005 um 17:00:27. 256 Ebd., Kommentar am 09.07.2005 um 09:53:32. 257 Ebd., Kommentar am 09.07.2005 um 10:48:26. 258 Ebd., Kommentar am 09.07.2005 um 10:48:26.

168

| DOING GENERATION

Festspiele, dann is auch schon Schluss mit dem technischen Verständnis.....[…] ....die Generationen teilt ein Bruch im Computerverständnis.[...] Glaubst Du, dass der Computer, die globale Vernetzung und das Denken in technischen Geräten die Generation Schröder längst abgehängt hat? Läuft‫ތ‬s deswegen in Deutschland so schief, weil hier genau diese Generation der Fotoecken und Leitz-Ordner das Sagen hat? Können die einfach nicht mehr führen im virtuellen Zeitalter? Oder ist es umgekehrt? WIR sind zu schnell, zu oberflächlich, zu immateriell? Ist jetzt.de das Synonym für den gesellschaftlichen Erfolg oder das Scheitern unserer Generation?259

Die Reaktionen sind allerdings eher skeptisch – die meisten Nutzer, die antworten, vermuten, dass sich auch Politiker der neuen Medien bedienen und beispielsweise Videokonferenzen durchführen. Und Propellergirl wehrt sich sogar gegen das Denken in Generationen: »Das Schubladendenken offenbart sich eher in dem Ausdruck »Generation Schröder«, wie ich auch die anderen Generationenbegriffe (X, Y, Golf etc.) dämlich finde.«260 Es gibt aber auch generationelle Selbstbeschreibungen, die auf positivere Resonanz stoßen. Gerade in Tagebüchern finden sich einige essayartige Beschreibungen der eigenen Selbstverortung in Generationennarrativen. Lil_kad beschreibt ihre Altersgenossen als eine Gruppe von »Schwachmaten und Loser«, von »Dummen und Einfallspinsel« als »Generation Pissnelke«261, Wüstenrose diskutiert unter dem Schlagwort »Generation Hoffnungslos« die Situation am Arbeitsmarkt.262 Nutzer Alcofribas stellt am 2. Dezember 2005 einen Text mit dem Titel »Generation…?« ein. Er reagiert damit auf den Tagesticker zum Thema Jugendkultur: Der Ticker tickert über Jugendkulturen und alcofribas versucht sich zu verorten. Bitte nicht noch ein Generationentext! schreit das Publikum. Doch! sage ich

259 Eintrag auf jetzt.de im Politik-Forum vom 30.09.2003 um 16:20:49. 260 Ebd., Kommentar am 01.10.2003 um 14:45:23. 261 Jetzt.de, Tagebuch-Eintrag von »Lil_kad« unter dem Titel »Generation Pissnelke«, am 01.10.2004. 262 Jetzt.de, Tagebuch-Eintrag von »Wüstenrose« unter dem Titel »Generation Hoffnungslos«, am 06.06.2003.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 169

Vor ein paar Tagen 30 geworden. Gestartet in den Siebzigern, gelandet im Jahrzehnt ohne Namen (Nullern?) Keiner Alterskohorte wurden mehr Label angeheftet: Generation X, Generation @, Generation Golf, Generation 1989, Generation P.263

Im Anschluss diskutiert er, aus welchen Gründen diese Label jeweils auf ihn und seine Generationsgenossen zutreffen: Golf waren wir nur in den Achtzigern, auf der elterlichen Rückbank bis zur Fahrschule oder dem ersten Auto. X waren wir von »Smells Like Teen Spirit« und »Reality Bites« bis zu dem Zeitpunkt als ein Ladung Schrot den Kopf von Kurt Cobain traf. @ waren wir schnell und bereitwillig und sind wir immer noch, aus Nerdtum, aus Interesse oder aus schlichter Notwendigkeit, weil RyanAir und amazon.com nur online verkaufen.264

Alcofribas postuliert den gemeinsamen Wunsch, im Spiel dieser Abgrenzungen und Eingrenzungen mitspielen zu können, bleibt aber unzufrieden mit den bereits bereitgestellten Generationenbegriffen: Uns verbindet das Bedürfnis nach sozialer und popkultureller Distinktion, bloß nicht Generation Arschgeweih oder Generation AlcoPops. Wir wollen inzwischen doch wieder werden, was unsere Eltern sind und gleichzeitig doch bitte ein bisschen forever Punk. Wir sind 30 und durch.265

Er schließt mit der Sehnsucht nach einem Generationenbegriff, der endlich in Worte fasst, was ihn mit den Gleichaltrigen verbindet: »Findet ein Label für uns, das nicht last century ist und ich verleihe euch den goldenen @-X-1989-P-Golf am Gängelband.«266 Natürlich gibt es auch auf Alcofribas ironische Antworten, so entgegnet Flamboyant: »außerdem ist generationen labeln sowas von last century...«267. Doch die anderen Nutzer äußern sich überwiegend positiv, loben den Text, stimmen ihm zu, finden sich in der Selbstbeschreibung

263 Jetzt.de, Tagebuch-Eintrag von »Alcofribas« unter dem Titel »Generation…?«, am 02.12.2005. 264 Ebd. 265 Ebd. 266 Ebd. 267 Ebd., Kommentar von Nutzer »Flamboyant« am 03.12.2005 um 09:59.

170

| DOING GENERATION

wieder. Bugsy_malone wird sogar melancholisch: »Träne im Augenwinkel. Man, jetzt weiss ich warum ich mich manchmal alt fühle und trotzdem am liebsten jeden 15-jährigen am liebsten erwürgen würde, der mich sietzt.«268 Kosmosökonomie Auch Instant_human ist begeistert von Alcofribas‫ ތ‬Generationentext: »sehr schön auf den punkt gebracht. klarer punkt.«269 Mit der Formulierung »klarer Punkt« spielt er darauf an, dass der Text einen Lesenswert-Punkt verdient habe. Neben der Möglichkeit, Texte zu kommentieren, können Nutzer Texten im jetzt-Kosmos auch noch auf andere Arten ihre Wertschätzung zukommen lassen: Sie können den Beitrag als ›lesenswert‹ markieren, sie können ihn anderen Nutzern empfehlen und sie können alle Beiträge des Autors abonnieren, sowohl über die jetzt-Plattform als auch als RSS-Feed. Mit diesen Mechanismen etabliert der jetzt-Kosmos eine eigene Ökonomie der Aufmerksamkeit.270 Wer beliebte Texte schreibt, wird weiterempfohlen und so von weiteren Lesern gelesen – er vergrößert sein Publikum und kann selbst zur Personenmarke werden. Wer einen Autor schätzt, kann ihn abonnieren und wird so immer informiert, wenn dieser einen neuen Text geschrieben hat. Erhält ein Text hingegen an einem Tag mehr Lesenswert-Punkte als die übrigen Texte des Tages, so wird er auf der Startseite des jetzt-Kosmos angekündigt. Damit erhält er nicht nur kosmosinterne Popularität, sondern auch die Wahrscheinlichkeit, dass der Text angeklickt wird, erhöht sich. Wie bei Medienprodukten üblich, erfüllt sich hier die aufmerksamkeitsökonomische Regel des Successbreeds-Success: Ein erfolgreiches Produkt lässt Leute von sich reden; andere Kunden lassen sich gerade durch den Erfolg des Produkts ebenfalls vom Konsum überzeugen.271 Die Startseite eines Web-Auftritts wie die des jetzt-Kosmos hat eine entscheidende Bedeutung für die Lektüreaktivitäten ihrer Besucher. Sie ist einerseits vergleichbar mit dem Inhaltsverzeichnis eines Buches

268 Ebd., Kommentar von Nutzer »Bugsy_malone« am 02.12.2005 um 15:31. 269 Ebd., Kommentar von Nutzer »Instant_human« am 02.12.2005 um 21:13. 270 Vgl. zu diesem Konzept Franck, Georg: Ökonomie der Aufmerksamkeit, Wien 1998. 271 Vgl. de Vany, Arthur: Hollywood Economics, New York 2004, S. 48ff.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 171

oder einer Zeitschrift. Auch bei Generation Golf oder in einer TEMPO-Ausgabe kann sich der Leser an dieser Stelle informieren, an welcher Stelle welcher Beitrag zu finden ist. Das Inhaltsverzeichnis kartographiert den Inhalt des Mediums. Es ist aber im Fall der PrintMedien verzichtbar, weil dem Leser statt einer selektiven Lektüre stets noch die Möglichkeit besteht, das Medium in toto zu lesen, indem er es von der ersten Seite bis hin zur letzten Seite durchblättert. Was sich als Generation in diesen Medien lesen lässt, hat damit immer eine lineare Struktur – im Fall des Buches noch durch eine lineare Erzählstruktur begünstigt. Die Startseite des »jetzt-Kosmos«

Quelle: www.jetzt.de [Stand 03.12.2005]

Die Seiten des jetzt-Kosmos sind hingegen durch Links netzförmig miteinander verbunden. Jede Seite ist damit ein Knoten, jeder Link ein

172

| DOING GENERATION

Faden, der diese verbindet.272 Die Startseite kartographiert diesen Kosmos und bringt wie jede Karte dessen räumliche Struktur erst hervor. Sie hierarchisiert die zugehörigen Texte und macht einzelne Verbindungen wahrscheinlicher als andere. Sieht man von einer Statuszeile ab, die den Nutzer während seiner Navigation stets begleitet und anzeigt, wie viele Freunde online sind und ob neue Nachrichten eingetragen sind, lässt sich die Makrostruktur der Startseite in vier Bereiche unterteilen, die eine fixe Struktur ergeben. Zunächst ist auf der linken Seite eine Spalte, die zu verschiedenen organisatorischen Seiten führt. Hier kann der Nutzer sich über den Kosmos oder die Süddeutsche Zeitung informieren, die Redaktion kontaktieren und sich als Tagebuchschreiber bewerben. Über die Seite hinweg ist eine Kopfzeile angeordnet, die im engeren Sinne die Rolle eines Inhaltsverzeichnisses übernimmt. Sie unterteilt den Kosmos in fünf Sektionen, jede Sektion mit einer Überschrift, einem Bild und einer Gruppe von Rubriken versehen. Unter dem Titel »Wissen Sammeln« kann der Nutzer Informationen zu verschiedenen Berufen oder zu Reisezielen abrufen. Nutzer können hier selbst – durch die Redaktion gefiltert – Informationen bereitstellen über die Städte, in denen sie wohnen oder die Berufe, die sie ausüben. Wer eine Laufbahn in einem bestimmten Beruf anstrebt oder demnächst zum Studium umziehen muss, kann sich hier informieren. Dieses Wissen ist nicht nur besonders altersgemäß und damit für die Nutzer des jetztKosmos sehr relevant, sondern erhält auch noch eine hohe Glaubwürdigkeit, weil es von Nutzern selbst bereitgestellt wird. Von links nach rechts folgen zunächst die Sektionen »Dran Bleiben« und »Star Sein«. Die Sektion »Dran Bleiben« verspricht den Nutzern, mittels des jetzt-Kosmos am Ball der Zeit zu sein, der aktuellen Diskussion zu folgen, zu wissen, was die Gemeinschaft denkt und fühlt. Im Redaktionsblog findet man hier aktuelle Beiträge der Redaktion, dazu gibt es aktuelle Interviews und natürlich den Tagesticker. Im Ticker wird jeweils ein Thema vorgestellt und Nutzer diskutieren über dieses Thema – oder auch über etwas ganz anderes, je nach Verlauf der Diskussion. Der Ticker ist damit neben all den spezifischen Foren und Tagebucheinträgen der Hauptdiskussionsfaden am Tag, der aktu-

272 Vgl. hierzu als Netzwerktheorie, die Begriffe von Knoten und Fäden entwickelt: Weber, Stefan: Medien – Systeme – Netze. Elemente einer Theorie der Cyber-Netzwerke, Bielefeld 2001.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 173

elle Ereignisse jederzeit aufgreifen kann. Nutzer können hier über den ganzen Tag hinweg – parallel zu ihrer Arbeit im Büro oder am heimischen Schreibtisch – teilnehmen. »Star Sein« überschreibt programmatisch den literarischen Teil des Kosmos. Als Leser kann man in die Rubrik der Tagebücher einsteigen und sich dort über die verschiedenen Gattungs- und Themenbezeichnungen von Text zu Text weiter hangeln. Als Autor kann jeder zum Star werden, indem seine Tagebuchtexte Leser gewinnen. Während in Generatiographien nur der Autor des Buches zum Star werden kann oder fiktive Exempla Popularität erlangen können, sind es in ZeitgeistZeitschriften eine ganze Reihe von herausgehobenen Autoren, vor allem Chefredakteure, Kolumnisten oder Verantwortliche für besonders beliebte Rubriken. Im jetzt-Kosmos kann jeder zum Sprachrohr seiner Generation werden, wenn er das Publikum erobert, gute Texte schreibt, denen viele zustimmen können. Neben diesem Mechanismus gibt es im Kosmos noch einen weiteren Mechanismus, um Personen zu popularisieren. Unter dem Sektionstitel »Freunde treffen« gelangt man beispielsweise zur Rubrik »jetztOriginal«. Hier werden jeden Tag jetzt-Nutzer vorgestellt, die ›besonders‹ sind. Die Teilnahme wird offiziell ausgeschrieben: Gibt es etwas in deinem Leben, das dich zum Original macht? Dann fülle den Fragebogen aus und erzähle den anderen jetzt.de-Usern von dir. Lade anschließend noch ein Bild von dir hoch (150x150 Pixel) und vielleicht bist du schon das nächste jetzt.de-Original.

Unter den Bewerbern entscheidet sich die Redaktion jeweils für ein Original. Jedes Original kann darüber hinaus noch weitere Originale vorschlagen. Freunde-Treffen kann man aber auch In-Echt – unter dieser Rubrik werden auf jetzt.de reale Nutzertreffen organisiert. Neben den Sektionen zu Wissen, zum Dran-Bleiben, zum Star-Sein und zum Freunde-Treffen findet man noch eine fünfte Sektion ganz rechts, in der man »Zeit vergeuden« kann, indem man an Gewinnspielen teilnimmt oder versucht, bei Rätseln den Highscore zu knacken. Unterhalb der Inhaltsleiste mit den fünf Sektionen finden sich in der Mitte der Seite Teaser zu verschiedenen Texten des Kosmos. Diese Seite wird jeden Tag aktualisiert. Nicht nur redaktionelle Texte, sondern auch Beiträge aus Foren oder Tagebüchern werden hier mit einem Satz und manchmal einem Bild von der Redaktion kurz vorgestellt und

174

| DOING GENERATION

verlinkt. Links locken den User unabhängig von Sektionen, Rubriken, Menüs und Katalogen direkt auf gut 15 Texte. Neben diesen Teasern findet sich noch rechts eine Spalte, die minuten-aktuell Links auf Texte und jetzt-Pages bereitstellt. Sie ist in drei Teile unterteilt. Zuoberst finden sich Links zu abonnierten Beiträgen, die sofort aktualisiert werden, sobald ein abonnierter Autor etwas Neues veröffentlicht. Unter diesem Block »Deine Abos« findet sich der Bereich »Der jetzt-Kosmos«, der vor allem Aktualität reflektiert. Die jeweils als letztes aktualisierte Seite, der jeweils neueste Tagestickerbeitrag, der aktuelle Highscore im Rätsel oder aber die neuesten Mitglieder werden hier mit Links abgebildet. Als Nutzer – aber auch als Gast – kann man hier verfolgen, wer gerade im Kosmos aktiv ist oder eine »Zufallsbekanntschaft« machen – wer auf diesen Link klickt, der wird in einem randomisierten Verfahren auf die Seite irgendeines Nutzers geleitet, der gerade online ist. Der unterste Block an Links aktualisiert sich auch regelmäßig, spiegelt aber nicht nur Neuheit, sondern vor allem Popularität wieder. Unter der Überschrift »Die Beliebtesten« finden sich hier Tagebuchschreiber und Tagebuchtexte, die häufig gelesen werden oder viele Lesenswert-Punkte erhalten haben, aber auch jetzt-Pages und Foren, die häufig besucht werden. Durch dieses Punktevergabesystem und die Algorithmen, die diese Punkte wiederum prominent platzieren, erzeugt jetzt.de innere Auswahlmechanismen. Repräsentativitätsrechte für den Kosmos erhalten damit nicht nur die Texte der Redaktion, sondern auch die beliebtesten Tagebuchtexte der Leser. Generation jetzt Die Gesamtheit dieser textuellen Angebote, die Sammlung von generationsspezifischem Wissen, die Bereitstellung von Diskussionsorten für relevante Themen, aber auch die Mechanismen von Angebot und Nachfrage, die kosmosintern Autoren als populäre Sprachrohre positionieren und diesen Aufmerksamkeit ermöglichen, sind es, die aus jetzt.de eine besondere Art generationeller Gattung machen. Diese Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert aber nach ganz anderen Gesetzmäßigkeiten als Bücher oder Zeitschriften. Hier ist die Trennung zwischen Autoren und Lesern nicht dispositiv vorstrukturiert, sondern wird immer wieder neu etabliert. Die Unterscheidung, wer als generationelles Sprachrohr stellvertretend für welchen Leser schreibt, wird immer neu ausgehandelt. Man könnte diskutieren, ob die Verfahren

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 175

der generationellen Kommunikation und die Herausbildung einer internen Konfiguration einer Generation im Netz viel stärker nach den Logiken des Schwarms funktionieren.273 Wie jetzt.de selbst eine Generation konfiguriert, wird auch von seinen Nutzern reflektiert. So veröffentlicht beispielsweise im Juni 2002, als schon die ersten Gerüchte über das bevorstehende Ende des jetzt-Magazins im Umlauf sind, der Nutzer Rockstar einen Tagebucheintrag unter dem Titel »Generation jetzt«: Im vergangenen Herbst fragte mich ein liebe Freundin, ob ich wisse, dass wir Teil einer Jugendbewegung sind. […] Nach den Meldungen über die mögliche Einstellung von jetzt in der vergangenen und dieser Woche erinnerte ich mich an ihre Frage zurück. Ich glaube, sie hatte damals recht, wir sind Teil einer Jugendbewegung. […] Immer und immer wieder wenn Journalisten oder Autoren nichts besseres einfällt, versuchen sie eine Generation zu definieren. Andere lassen sich darüber aus, dass wir eine nicht zu definierende Generation sind, eine KeineGeneration sozusagen. Ich finde das ist falsch, denn wir (hier) haben einen gemeinsamen Nenner, wir haben eine Internetplattform, auf der wir uns treffen können und ein Heft, das wichtige Geschichten für unser Leben bringt. Diese Geschichten lassen uns manchmal lachen, manchmal traurig sein und manchmal kontrovers diskutieren (etwa als es über die Arbeitsbedingungen der Mädchen auf den Phillippinen ging). Und weil manche da anderer Meinung waren, als der Autort, durfte man ihm das direkt sagen. Im Chat. Unser gemeinsamer Nenner ist die Verschiedenheit im Denken und die Akzeptanz anderer Meinungen. Daraus folgt natürlich, dass wir nicht gemeinsam in den Krieg ziehen gegen die dominierenden Weltfirmen und die Supermacht USA, dass wir nicht alle pro-Israel oder pro-Palaestina eintreten, dass wir nicht alle Charlotte Roche oder Markus Kavka ganz doll lieb haben. […] Und gerade das macht uns zu alles anderem als einer Keine-Generation und wenn Namen wie Generation Vielfalt saublöd und Generation bunt stock-

273 Vgl. hierzu vor allem die Beiträge in Brandstetter, Gabriele/Brandl-Risi, Bettina/Eikels, Kai van (Hg.): Schwarm(E)Motion. Bewegung zwischen Affekt und Masse, Freiburg 2008; und Horn, Eva/Gisi, Lucas Marco (Hg.): Schwärme – Kollektive ohne Zentrum. Eine Wissensgeschichte zwischen Leben und Information, Bielefeld 2009.

176

| DOING GENERATION

schwul klingen, warum dann nicht nach einen weiteren gemeinsamen Nenner suchen und der ist doch zweifelsohne jetzt. »Generation jetzt« klingt gut und das Magazin ist richtig und wichtig und deshalb muss es bleiben. Schönen Tag euch allen.274

Auch Rockstar nimmt die kursierenden Generationenbegriffe als Fremdbeschreibungen zur Kenntnis und sieht sich davon veranlasst, mit einer Selbstbeschreibung zu reagieren. Dabei votiert er gerade nicht für einen bestehenden Begriff, sondern plädiert für eine Generation, die sich durch eine gemeinsame Internet-Plattform konstituiert. Es sind nicht in erster Linie gemeinsame politische Programme, Konsumstile oder konsensuell verehrte generationelle Stars, auf die sich seine Generationenrede stützt. Ihm reicht allerdings auch nicht eine All-Inklusions-Formel wie Generation Vielfalt aus, die ähnlich wie die Generation der Widersprüche die Unvereinbarkeit unter einem Label zum Programm macht. Stattdessen ist das vergemeinschaftende Element seiner generationellen Selbstbeschreibung ein Kommunikationsstil, der durch die Medien von jetzt-Magazin und jetzt-Kosmos ihr Möglichkeitsgefüge erhält. Dieser Kommunikationsstil wird vom Wert der Toleranz getragen und stabilisiert sich gerade dadurch, dass nicht wenige Autoren ihre Programmatik über Bücher als meinungsaggregierende Medien an viele Leser verkaufen, sondern der Kommentar, mal als Zustimmung, mal als Einspruch, dispositiv stets möglich bleibt. Die Einstellung des jetzt-Magazins bleibt allerdings nicht der einzige Schock, der die jetzt-Community bewegt. Zum 12. Dezember 2005 wird die Website komplett relauncht und erhält nicht nur ein neues Design, sondern auch neue Funktionen und Strukturen. Eine Welle des Protests überspült den Kosmos und seine mittlerweile 100.000 Nutzer275. So erinnert sich Vern während des Relaunchs an seinen Protest gegen die Einstellung des Magazins: protest-demo gegen die einstellung der print-version mitgemacht. die fahne im wind aufrecht gehalten. das schreibe ich mir alles gut. und gerne. ich tats aus

274 Jetzt.de, Tagebuch-Eintrag von »Rockstar« unter dem Titel »Generation jetzt« am 06.06.2002. 275 Vgl. Bauer, Patrick: »Klick als Köder«, in: tageszeitung vom 13.12.2005.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 177

aus liebe zu ›meinem‹ jetzt-Magazin. unvergessen die protest-welle, die von FM4 aus wien ausging. supported, ja klar.«276

Vern ist einer der Nutzer, die um Mitternacht am 12.12. online gehen, um sich die neue Seite anzuschauen und registriert bereits dann überhitzte Gemüter. Vern äußert zunächst Verständnis für die Redakteure, will dem neuen Kosmos Zeit geben, sich zu entwickeln. Doch nach einem Tag ist auch er wütend und enttäuscht: »ihr habt mir wehgetan«277. Die hohe Emotionalität der Proteste lässt darauf schließen, dass der jetzt-Kosmos für viele Nutzer mehr war als ein bloßer Zeitvertreib. Vern mahnt: aber bitte vergesst niemals, für wen ihr all dies macht. für uns user. für leute, die diesen laden LIEBEN. nennt mir eine ähnliche community, die das über ihren host sagt. nur eine! eine einzige. kinners, wir LIEBEN euch. Aber wir möchten alle, dass ihr das auch bemerkt und respektiert.278

Doch was ist passiert? Die Startseite wird neu aufgeteilt, Foren heißen auf einmal Clubs, der Tagesticker entfällt zunächst und statt der eingeführten Rubriken und Themenbereiche gibt es jetzt frei wählbare Labels, mit denen Texte bezeichnet werden können. Damit werden die bisherigen Regeln der Sichtbarkeit auf den Kopf gestellt. So identifiziert Siegstyle, einer der aktivsten Nutzer bisher, eine Zweiteilung der Community in einen prominent platzierten Redaktionsbereich und einen »Chaosbereich für die User«.279 Damit spielt er auf die zwei Argumentationslinien an, die zum Jahreswechsel 2005/2006 im jetzt-Kosmos kursieren. Der eine Vorwurf operiert kapitalismuskritisch und stellt den Relaunch in eine Reihe mit der Einstellung des Magazins. Die Zielrichtung richtet sich gegen den Herausgeber, der seine Leser, in diesem Fall seine Nutzer, verraten habe und aus Gründen des Profits ein Kulturgut aufgebe.

276 Jetzt.de, Tagebuch-Eintrag von »Vern« unter dem Titel »Mein leben mit jetzt« am 06.12.2005 um 03:44. 277 Ebd. 278 Ebd. 279 Jetzt.de, Tagebuch-Eintrag von »Siegstyle« unter dem Titel »Nicht jetzt ist das neue jetzt« am 04.01.2006 um 10:40.

178

| DOING GENERATION

So wird die Seite tatsächlich viel stärker mit den anderen OnlineAngeboten des Süddeutschen Verlags, allen voran der Süddeutschen Zeitung verlinkt. Dirk von Gehlen, Chefredakteur von jetzt.de, gibt zu, dass man die Nutzer mit diesem Relaunch näher an die Zeitung führen will.280 So urteilt Siegstyle, einer der aktivsten Nutzer bisher: Aber wenn jetzt,de im Grunde nur noch eine Art Light-Ausgabe von sueddeutsche.de ist – warum gibt es die Seite überhaupt noch? Man müsste sich mal vorstellen zu Zeiten vom jetzt-Magazin wäre es irgendwann mal soweit gekommen, dass da die halbe Zeitschrift voll gewesen wäre mit Artikeln aus der SZ. ›Damit wollen wir die jungen Leser an die Süddeutsche Zeitung heran führen‹, so Peter Schnabel Marktingleiter des Süddeutschen Verlages. Wer hätte sich denn so einen journalistischen Bastard schon anngetan? Nicht mehr viele.281

Vielleicht kam es dem Süddeutschen Verlag aber auch gar nicht mehr auf die Meinung von Usern wie Vern und Siegstyle an. MarketingStrategien werden häufig nicht offen gelegt, aber es lässt sich zumindest vermuten, dass das kostenintensive Pflegen einer generationsspezifischen Community für den Verlag wenig lohnenswert ist. Durch den Einbruch des Anzeigenmarktes ließ sich eine Community nicht mehr nur durch Online-Werbung refinanzieren. Es musste ein Zusatznutzen entstehen, und dieser kann beispielsweise darin bestehen, mit jetzt.de junge Leser an das Angebot des Verlags heranzuführen. Die wahre Zielgruppe von jetzt.de wäre damit aber altersspezifisch, nicht generationenspezifisch, sie ließe sich beispielsweise als die Gruppe der 15- bis 25jährigen definieren. Diejenigen Leser, die schon seit den 90ern dabei sind, die das Magazin noch gekannt haben, sind naturgemäß bereits am äußersten Rand der Zielgruppe oder bereits wesentlich älter. Soll die Marketing-Strategie Erfolg haben, so muss eine Community so offen gehalten werden, dass jederzeit neue Mitglieder eines bestimmten Alters Zugang finden, sie muss allerdings nicht mehr notwendigerweise die Mitglieder oberhalb einer Altersgrenze halten. Es wäre sogar kontraproduktiv, mit einer Genera-

280 Vgl. P. Bauer: Klick, S. 18. 281 Jetzt.de, Tagebuch-Eintrag von »siegstyle« unter dem Titel »Nicht jetzt ist das neue jetzt« am 04.01.2006 um 10:40.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 179

tion mitzuwachsen und damit jüngere Nutzer von der Teilnahme abzuschrecken. Auf diese Weise verschiebt sich auch die Metapher von den ›Schwärmen im Netz‹, die vorhin noch verwendet wurde, um die Funktion von jetzt.de als selbstorganisiertes Netzwerk zu perspektivieren, indem sich eine generationelle Konfiguration herausbildet. Ein Netzwerk wie jetzt.de ist eben nicht nur selbst organisiert, sondern auch durch ein Wirtschaftsunternehmen bereitgestellt und Teil einer Marketingstrategie – ähnlich wie Generation Golf als Buch oder NEON als Zeitschrift. Die User können sich auch wie Fischschwärme in Fischernetzen verfangen, indem ihre Kommunikation stets auf die dispositiven Vorgaben eines Unternehmens angewiesen ist. Mit dem Relaunch und der Verschiebung der Strategie des Süddeutschen Verlags wird nämlich zugleich auch eine andere Sichtbarkeit der Generation erzeugt. Im alten jetzt.de – vom Zeitpunkt des Relaunch kosmosintern nur noch jetzt1 genannt – dominierten vor allem die langjährigen Nutzer den Tagesticker, sie definierten die relevanten Foren und bauten ihren eigenen Prominenzstatus weiter aus. In jetzt2 hingegen war zunächst das Punktesystem außer Kraft gesetzt, zudem muss man sich nun nicht mehr als Tagebuchschreiber bewerben, sondern kann sofort loslegen – eine redaktionelle ›Qualitätssicherung‹ entfällt. Was einerseits redaktionelle Ressourcen freisetzt und damit kostengünstiger wird, wirkt sich andererseits auch auf die interne Aufmerksamkeitsökonomie aus. Tagebuchschreiber zu sein, ist nicht mehr Auszeichnung, sondern Recht von jedem. Aus diese neue Sichtbarkeitsregulation reagiert Siegstyle, etablierter jetzt-User mit seinem zweiten Vorwurf: Jetzt.de hat einfach immens viel Charme eingebüsst. Und Spaß. Man bekommt das Gefühl, dass die eigentlich auf die User gut verzichten könnten. Denn die tolle Freiheit der Labels ist im Grunde eine vollkommene Beliebigkeit.282

Generation 2.0 und ihre digitale Bohème Damit trägt der Relaunch jetzt.de auch den mittlerweile etablierten technischen und aufmerksamkeitsökonomischen Standards des Web 2.0 Rechnung. Tim O’Reilly versucht sich 2005 an einer Antwort auf

282 Ebd.

180

| DOING GENERATION

die Frage, was Web 2.0 als »Next Generation of Software« eigentlich sei.283 Bezeichnenderweise orientiert er sich dabei an »Design Patterns« und »Business Models«, also optischen Gestaltungsparametern und ökonomischen Geschäftsmodellen, nicht an sozialen Praktiken. Er versucht sich nicht so sehr an einer Definition, sondern stellt eine Gruppe von Paradigmen, Geschäftsmodellen, Tools von Web 1.0 und Web 2.0 gegenüber. An einigen dieser Dichotomien lässt sich auch das jetzt2 beschreiben, so an der Umstellung von Homepages auf Blogs, von Publishing auf Participation, von Kategorien auf Folksonomien. Zunächst ist das Paradigma der Selbstpräsentation im Web 2.0 nicht mehr die Homepage, sondern der Blog. Auch im jetzt-Kosmos ähneln die jetzt-Pages mehr und mehr klassischen Blogs, es lassen sich hier mittlerweile auch andere Medien durch Mash-Ups integrieren. Die völlige Offenheit des Tagebuchschreibens trägt der Umstellung von »Publishing« auf »Participation« Rechnung, die niemand mehr einer Qualitätssicherung unterwirft, sondern jedem ein Rederecht einräumt. Schließlich werden die Verzeichnisse, die im jetzt1 noch den Inhalt zu katalogisieren versucht haben, durch eine Folksonomy ersetzt. Dieser Begriff bedeutet ursprünglich »folk taxonomies« und ist das Resultat des sogenannten »social tagging.« Damit ist ein Verfahren gemeint, dass Texte und andere Medieninhalte mit frei gewählten Stichwörtern versehen werden können. So auch bei jetzt.de: Hier kann jeder User nicht mehr unter vorgegebenen Gattungen oder Themen wählen, sondern seinen Text mit freien Labeln versehen. So bilden sich häufig gebrauchte und selten gebrauchte Labels heraus, Texte werden miteinander in Verbindung gesetzt, wenn sie gleiche Labels benutzen. Statt eines vordefinierten hierarchischen Katalogs werden hier Texte durch eine Folksonomy strukturiert. Eine Folksonomy lässt sich wiederum in einer Tag Cloud sichtbar machen lassen. Hier werden die häufig verwendeten Labels in einem Kasten angeordnet, die am häufigsten verwendeten Labels dabei durch Größe herausgestellt. So wird die Relevanz bestimmter Themen oder Rubriken visualisiert, und dies im Zeitablauf immer wieder aktualisiert.

283 Vgl. O’Reilly, Tim: »What is Web 2.0? Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software«, Download unter http://www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/what-isweb-20.html.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 181

Doch das Web 2.0 wie in jetzt.de bedeutet nicht nur die Etablierung neuer Technologien, neuer Software und neuer Geschäftsmodelle. Es etablieren sich auch neue Formen des Selbstmanagement, der Wissenstechniken und der kulturellen Formationen, wie Ramón Reichert diskutiert.284 Es etabliert sich die Figur des Medienamateurs, der sich vom Consumer zum Prosumer entwickelt, also an der Verfertigung von Medienprodukten mitwirkt. Die Differenzierung von Leistungs- und Publikumsrollen wie Produzent/Konsument oder Autor/Leser konfiguriert sich damit neu. Damit werden auch interne Konfigurationen von Generationen neu herausgefordert. Bücher und Zeitschriften sind objekthafte Belege einer generationellen Bindung zwischen Autoren, die ein Deutungsangebot anbieten und Lesern, die dieses annehmen. Doch auch im Internet kommt es zu Elitenbildungen, zu Hierarchien von populären und weniger populären Schreibern. So gründen Holm Friebe, Kathrin Passig und andere beispielsweise 2001 die Zentrale Intelligenz Agentur als Netzwerk von Schriftstellern, Journalisten und Webdesignern. 2006 werden beide selbst auch in der Offline-Welt zu Prominenten: Kathrin Passig gewinnt den IngeborgBachmann-Preis, Friebe veröffentlicht 2006 mit Sascha Lobo zusammen Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung285; zudem erhalten alle drei zusammen für ihren Blog Riesenmaschine den Grimme Online Award – den jetzt.de im gleichen Jahr erhält. Zwar wird Wir nennen es Arbeit nicht als Generationenbuch gelabelt, aber mitunter genauso gelesen. Schließlich sind beide Autoren knapp über 30 Jahre alt, verwenden das kollektive »Wir« schon im Titel und bedienen mit ihrer KlappentextFormulierung der Formierung einer neuen Avantgarde die Semantik der Generation. Martin Reichert setzt beispielsweise die Lektüre des Buches bereits voraus, wenn er von seiner Generation Umhängetasche schreibt und adressiert seine Leser als Digitale Bohème: »Tragisch auch der Umstand, dass Sie sich nicht einmal das Fahrzeug leisten könne, das Ihrer

284 Vgl. Reichert, Ramón: Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0, Bielefeld 2008, S. 7. 285 Vgl. Friebe, Holm/Lobo, Sascha: Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung, München 2006.

182

| DOING GENERATION

Generation seinen Namen geliehen hat: Ein neuer VW-Golf kostet wesentlich mehr, als Sie mit Ihrem digital-bohemistischen Kleinunternehmen im Jahr erwirtschaften.«286 Die FAZ schreibt Lobo und Friebe zu, ein Hoffnungsbuch für eine Generation geschrieben zu haben: »Wann hat ein Buch der Jugend so viel Hoffnung auf gutes Gelingen gemacht? Im Grunde ist das ein Hesse-Buch fürs digitale Zeitalter. Ein digitaler ›Steppenwolf‹.«287 Die FAZ spekuliert darüber hinaus über die Zukunft der digitalen Bohème und mutmaßt, dass man von ihr nicht viel erwarten dürfe. Generation Upload Die NEON adelt schließlich Passig und Friebe: In einer Neuauflage ihrer 100 wichtigsten jungen Deutschen tauchen schließlich 2006 auch die beiden Blogger erstmals als »Hoffnungsträger«288 auf. Auch Lobo wird als Stimme seiner Generation wahrgenommen. So wird er beispielsweise in der Talksendung Anne Will zum Thema »Rentner machen Kasse – wann ist Zahltag für die Jungen?« befragt, um Perspektiven der jüngeren Generation zu präsentieren,289 gut zwei Monate später wird er bei Maybritt Illner zur Frage »Kann man die Rente garantieren?« eingeladen.290 Es gelingt ihm, seine Meinung zu politisieren und vom politischen System als Sprachrohr einer bestimmten Gruppe wahrgenommen zu werden. So wird er vom SPD-Parteivorstand in einen Online-Beirat berufen, der am 29. November 2007 zum ersten Mal tagt und die SPD in Online-Fragen beraten soll.291 Im Juni 2009 protestieren neun Mit-

286 M. Reichert: Lebensabschnittsbuch, S. 7. 287 Rathgeb, Eberhard: »Sie nennen es Arbeit«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.12.2006. 288 O. A.: »100 für Deutschland«, in: NEON vom Dezember 2006, S. 22-46. 289 Vgl. Anne Will, Sendung zum Titel »Rentner machen Kasse – wann ist Zahltag für die Jungen?« vom 21.06.2009, 21.45 Uhr, Das Erste. 290 Vgl. Maybritt Illner, Sendung zum Titel »Kann man die Rente garantieren?« vom 20.08.2009; 23:00 Uhr, ZDF. 291 So erläutert beispielsweise Nico Lumma, ebenfalls Mitglied des Beirats, in einem Blog-Beitrag; vgl. Lumma, Nico: »Online-Beirat der SPD«, auf: Lummaland. Politik, Social Media, Leben und anderes Gedöns, Eintrag

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 183

glieder des Online-Beirats, unter ihnen Lobo, gegen die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion zum »Gesetz zur Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen.«292 Die Mitglieder erinnern daran, dass sie in ihrer Funktion in den letzten Monaten sehr stark in den Medien präsent waren, kündigen aber an, in Zukunft ihre Beirats- und Repräsentationstätigkeit ruhen zu lassen, sollte die Fraktion dem Gesetz zustimmen. Sie berufen sich dabei auf eine »Digitale Generation«: Die SPD ist dabei, sich für die Digitale Generation unwählbar zu machen. Das wird sich bereits bei der Bundestagswahl niederschlagen, weil mit der Entscheidung für die Netzsperren jeder Internet-Wahlkampf ad absurdum geführt wird – erst recht, weil der Online-Wahlkampf 2009 unter der besonderen Aufmerksamkeit aller Medien steht. Eben die Klientel, die Barack Obama zum mächtigsten Mann der Welt gemacht hat, die Multiplikatoren im Netz nämlich, sehen in den Netzsperren einen Verrat an allen Werten, die die SPD ausmachen: Demokratie, Fortschritt, Teilhabe. Es gibt eine handvoll lauter Stellvertreter dieser Generation; hinter ihnen stehen die 130.000 Mitzeichner der erfolgreichsten Petition aller Zeiten – aber auch die vielen Millionen jungen Menschen, die zum Teil schon wählen können und für die das Netz nicht einfach ein weiterer Medienkanal ist. Sondern der Ort, wo die Gesellschaft, ihre Gesellschaft stattfindet. Unwählbarkeit bedeutet hier für eine Partei also, sich jede Zukunftschance zu vernichten.293

Lobo und seine Kollegen führen hier die Generation als gestaffelte Ordnung von Sichtbarkeiten ins Feld. Sie selbst artikulieren die Programmatik der Generation in den Gremien der SPD und sprechen von weiteren lauten Stellvertretern der Generation, die hohe Aufmerksamkeit im politischen Diskurs generieren können und damit Meinungsmacht aufweisen. Hinter diesen stehen wiederum jene 130.000 Individuen, die am politischen System teilnehmen, indem sie die Petition un-

vom

30.

November

2007,

Download

unter

http://lumma.de/

2007/11/30/online-beirat-der-spd/. 292 SPD-Online-Beirat: »Online-Beirat der SPD nimmt Stellung zum geplanten ›Zensur- Gesetz‹«, Download unter http://www.websozis.de/index.php? nr=421&menu=1. 293 Ebd.

184

| DOING GENERATION

terzeichnen. Darüber hinaus behaupten die Unterzeichner noch eine unsichtbare Masse, die aus Millionen von jungen Menschen besteht, die als potentielle Wähler relevant für die SPD sein könnten, und die als Teil der digitalen Generation dem Gesetz ebenso kritisch gegenüber stehen. Sascha Lobo inszeniert sich so über die Generationensemantik als Repräsentant von Millionen. Doch Lobo gelingt es nicht nur, im publizistischen und im politischen System zu reüssieren, er wird darüber hinaus als Testimonial für einen Werbespot gebucht. Der Telefonanbieter Vodafone startet im Juli 2009 eine neue Werbekampagne. Vodafone führt damit die schon vorher im Mobilfunkmarkt platzierte Marke Vodafone und die Festnetz- und Internetmarke Arcor zusammen. Unter dem Claim »Es ist deine Zeit« adressiert das Unternehmen die Zielgruppe der »Generation Upload«.294 In einem eigenen Corporate Blog grenzen sie diese Generation von der Generation Download ab: Passiv vor dem Rechner sitzen, sich berieseln lassen und lediglich konsumieren – die ›Generation Download‹ – war gestern. Die ›Generation Upload‹ ist jetzt und ihr gehört das ›Morgen‹. Sie steht mitten im Leben, ist voller Energie und lässt sich von Konventionen nicht begrenzen.295

Sie wollen Kunden ansprechen, »die ihr Leben mit den Möglichkeiten der digitalen Kommunikation selbst aktiv und kreativ gestalten und so zu Helden des Alltags werden.«296 Da sie diese Zielgruppe gerade in den sozialen Communities des Web 2.0 vermuten, platzieren sie ihre Werbung vor allem auf Facebook, Youtube, im StudiVZ oder auf MySpace. Im Corporate Blog sprechen sie die Zielgruppe selbst an und duzen sie gleich: »Du bist die ›Generation Upload‹.« Das Markenversprechen für diese Zielgruppe ist, dass Vodafone für ›Prosumer‹ Dienste bereitstellt, mit denen diese ihre vielfältigen Aktivitäten im Netz jederzeit und überall durchführen können. Der Claim »Es ist dei-

294 Vgl. Vodafone D2 GmbH: »Vodafone Deutschland mit neuem Markenversprechen – Kunden werden zu Helden des Alltags« (= Pressemitteilung vom

08.07.2009),

unter

http://www.vodafone.de/unternehmen/pres-

se/97964 _149914.html. 295 Vodafone

D2

GmbH:

Das

Vodafone

Blog,

Download

http://blog.vodafone.de/2009/07/08/wer-ist-die-generation-upload/. 296 Vgl. Vodafone D2 GmbH: Vodafone Deutschland.

unter

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 185

ne Zeit« soll den Kunden ermuntern, seine Zeit aktiv zu nutzen – und so zu einem Helden des Alltags zu werden. In ihrem Fernsehwerbespot setzt Vodafone dann eine ganze Reihe von prominenten Exempla dieser Generation Upload ein. Dem Spot unterliegt der Song Heroes von David Bowie, den der isländische Sänger Ragnar Sólberg singt, dessen Karriere in sozialen Netzwerken begann.297 Aber auch andere »Helden des Alltags« treten auf und sprechen jeweils eine kurze Zeile des Songs, unter anderem Ute Hamelmann, die den Blog Schnutinger.de führt, und eben Sascha Lobo. Auf dem Corporate Blog von Vodafone meldet sich Ute Hamelmann ebenfalls zu Wort. Am 20. Juli schreibt sie unter dem Titel »Twittermom« einen Eintrag, in dem sie von Mütternetzwerken im Internet spricht, bei denen sie sich nach der Geburt ihres Sohns angemeldet hat und wie abwegig sie manchmal deren Diskussionen einschätzt.298 Und doch bewertet sie die Existenz der Netzwerke positiv: Trotzdem: Ich liebe Netzwerke! Etwas Praktischeres, um trotz Kind auf dem Laufenden zu bleiben und mit Leuten Kontakt zu halten, gibt es kaum, außer Kegelclubs vielleicht. Aber Kegeln ist nicht so sehr mein Ding, Facebook dagegen schon.299

Sie schildert weiterhin ihr Leben in diesen Netzwerken und erfüllt dabei alle Eigenschaften, die Vodafone der Generation Upload zuspricht. Ein paar Absätze später wird sie noch konkreter: Seit drei Monaten habe ich ein neues Handy, das HTC Magic mit Internetanschluss. Tolles Ding, mit wenig Knöpfen dran, das ist äußerst praktisch.300

297 Zumindest findet sich diese Information auf dem Internetmusikforum musiktipps.com; vgl. o. A.: »Ragnar Sólberg: Der sexy Star aus der aktuellen Vodafone Kampagne mit der neuen Single ›Heroes‹«, Download unter http://musiktipps24.com/ragnar-solberg-der-sexy-star-aus-der-aktuellenvodafone-kampagne-mit-der-neuen-single-heroes/. 298 Vgl. Vodafone D2 GmbH: Das Vodafone Blog, Eintrag von »Ute Hamelmann« unter dem Titel »Twittermom« am 20.07.2009, Download unter http://blog.vodafone.de/2009/07/20/twittermom/. 299 Ebd. 300 Ebd.

186

| DOING GENERATION

Blog des Mobilfunkunternehmens Vodafone

Quelle: http://blog.vodafone.de/2009/07/08/wer-ist-die-generation-upload/ [Stand 01.05.2011]

Sie beschreibt, wie sie mit dem Handy an ihrem Blog arbeitet und Fotos bei Flickr hochlädt. Gleich der erste Kommentar auf Hamelmanns Blog-Eintrag reagiert abfällig: »Was ist denn das für ein Bullshit? Wollt ihr uns verarschen?«301 Auch im Weiteren kritisieren die Kommentare, dass Hamelmann so eindeutig Werbung für ein Produkt macht. Eine Stunde später reagiert schließlich eine Nutzerin mit Namen Elisabeth Seeger so, wie sich Vodafone die Resonanz vermutlich vorstellt: Vielen Dank, dass du diese Erlebnisse mit uns und anderen teilst. Du bist wie wir, und wer noch nicht so ist, ist herzlich eingeladen, so wie wir zu werden. Jeder und jede ist willkommen, seinen bzw. ihren Beitrag zur Community zu leisten!

301 Ebd., Kommentar von Nutzer »Vodafail« am 20.07.2009 um 18:13.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 187

Mich interessiert, mit welchen Telefonen meine Freunde telefonieren und welche Erfahrungen sie mit anderen Communities gemacht haben! Ich freue mich, wenn ich den Kontakt zu Bekannten halten kann. Das Internet ermöglicht mir, mich selbst zu verwirklichen und meine Wünsche in realisierbare Konzepte zu übersetzen – gemeinsam mit anderen. So bilden wir eine starke Gemeinschaft. Wir sind sympathisch und doch intelligent. Das HTC Magic mit Internetanschluss werde ich sicher einmal ausprobieren. Es ist sehr praktisch und genau auf meine Bedürfnisse zugeschnitten.302

Seeger nimmt nicht nur die von Vodafone angebotenen Muster der Selbstbeschreibung auf, wenn sie schreibt, sich selbst verwirklichen zu wollen, intelligent zu sein und das Internet häufig zu nutzen. Sie suggeriert auch, Teil einer Community zu sein, spricht in der Wir-Form und lädt sowohl Hamelmann als auch alle weiteren Nutzer ein, Teil dieser Community zu sein. Worauf sie konkret anspielt, ist ungewiss – sie könnte tatsächlich auf Vodafones Gemeinschaftsversprechen der Generation Upload eingehen. Es ist sicher nicht zuletzt Seegers demonstratives Interesse am angebotenen Mobiltelefon, die die weiteren Kommentatoren an ihrer Authentizität zweifeln lässt. Viele vermuten, dass auch Seegers, die ohne Foto ihren Kommentar postet, nicht etwa Teil einer Community von aktiven Bloggern ist, die sich gerne aus freien Stücken für bestimmte technische Produkte interessieren, sondern schlicht ein Aliasname, unter dem Werbung für Vodafone gemacht werden soll. Nico Lumma, als Werber von Scholz & Friends für die Kampagne von Vodafone mitverantwortlich, bestreitet zwar noch in der gleichen Nacht, dass Seegers und weitere ähnlich klingende Kommentare durch Vodafone selbst gepostet wurden.303 Ob als zu auffällige Werbung oder ironischer Kommentar, die Bemerkung von Elisabeth Seegers hat letztlich nur freigelegt, wie unattraktiv und unglaubwürdig das generationelle Inklusionsangebot von Vodafone für Blogger war. Letztlich lässt sich von außen nicht nachprüfen, ob die unglaubwürdigen Statements von Vodafone selbst gepostet wurden, ob der

302 Ebd., Kommentar von Nutzer »Elisabeth Seeger« am 20.07.2009 um 19:06. 303 Vgl. ebd., Kommentar von Nutzer »Nico Lumma« am 20.07.2009 um 22:31,

Download

mom/?cp=7.

unter

http://blog.vodafone.de/2009/07/20/twitter-

188

| DOING GENERATION

Kommentar eine plumpe Werbung, eine ironische Satire oder gar eine Reaktion der Konkurrenz war. Letzteres wäre gar nicht so unwahrscheinlich, denn für Vodafone wurde die Debatte zu einem PRDesaster. Aber nicht nur dieser Blog, sondern die ganze Kampagne wird heftig kritisiert und auf vielfältige Weise im Internet veralbert.304 Hamelmann und Lobo werden mit Kritik überschüttet, so beispielsweise von Don Alphonso, dem Autor von blogbar.de, in der FAZ.305 Vor allem die Glaubwürdigkeit beider Blogger wird dabei in Zweifel gezogen. Hamelmann reagiert daraufhin mit der Schließung ihres Blogs,306 während sich Lobo von den Reaktionen nicht überrascht zeigt.307 Dabei wird gerade Lobo der Widerspruch zwischen seinen Engagements vorgeworfen. Während er einerseits im Namen einer »digitalen Generation« die Bundesregierung für ihr Vorhaben von Netzsperren scharf kritisiert, lässt er sich andererseits von der »Generation Upload« vereinnahmen und damit von einem Unternehmen bezahlen, das bereits Monate zuvor zusicherte, dem Wunsch der Bundesregierung nach Netzsperren entgegen zu kommen.308 Der Versuch, die Generation Upload als glaubwürdiges und überzeugendes Deutungsangebot aufzubauen, ist damit gescheitert. Im Gegensatz zu jetzt.de hat die Kampagne von Vodafone nicht dazu geführt, dass sich eine lebendige Gemeinschaft über ihre Erfahrungen austauscht und zu einem Generationszusammenhang entwickelt. Die Texte von Vodafone hatten gerade keine regulierende Funktion, die eine Gemeinschaft gebildet hat. Selbst wenn viele Nutzer sich selbst

304 So ein Satire-Video auf Youtube: »Vodafone Werbung Heroes Satire«, Download unter http://www.youtube.com/watch?v=Yd8VPnutIbQ; und eine Applikation auf Facebook: »Bist du Generation Upload?«, Download unter http://www.facebook.com/apps/application.php?id=107205907203 &ref=mf. 305 Vgl. Alphonso, Don: »›Generation Upload‹. Vodafone lädt auf und eckt an«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.07.2009. 306 Vgl. Fritz, Christiane: »Hamelmann zieht den Stecker«, in: Süddeutsche Zeitung vom 21.07.2009. 307 Vgl. Sagatz, Kurt: »Dürfen Irokesen werben?«, in: Der Tagesspiegel vom 14.07.2009. 308 Vgl. o. A. »Stoppschilder für Kinderpornos«, Download unter http:// www.tagesschau.de/inland/kinderpornografie136.html.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 189

ebenfalls als im Internet aktiv beschreiben würden, sie würden sich gerade nicht der Marke Vodafone verschreiben und deren Produkte oder politischen Positionen als Teil der eigenen kollektiven Identität annehmen. Medien, Gattungen und Generationen Zieht man noch ein kurzes Resümee der hier diskutierten generationellen Gattungen und bezieht sie erneut auf die von S. J. Schmidt vorgeschlagenen Kategorien von Referenzmodalität, kommunikativer Semantik und Stilistik, so wird deutlich welch große Rolle eine spezifische Referenzmodalität spielt. Generationelle Gattungen sind nie gänzlich fiktiv, sie müssen stets den Verweis auf eine außertextuelle Erfahrungswelt der Schreiber und Leser mit sich tragen. Eine Generation Upload, gänzlich losgelöst von individuellen Erfahrungen, ist kaum anschlussfähig und damit kommunikativ nicht erfolgreich. Im Falle der Zeitschriften und Internetangebote ist diese Beobachtung fast schon trivial, schließlich sind hier die Traditionen ihrer journalistischen Gattungen bereits eher an Fakten orientiert. Aber auch die buchförmigen Deutungsangebote der Generatiographien von Florian Illies, Katja Kullmann, aber auch von Anne Bonner und Stefan Weiss oder von Martin Reichert, sie alle bringen nicht im Rahmen einer fiktionalen Geschlossenheit generationelle Deutungsangebote erfolgreich ins Spiel. Sie verweisen auf Erlebnisse und Erfahrungen der außertextuellen Welt, schildern beispielsweise politische Konstellationen, Arbeitswelten oder Medienerfahrungen und etablieren Figuren, die niemals ganz fiktiv sind, sondern stets als Beispiele fungieren. Die Figuren sind dabei so offen gehalten, dass sie den Leser einladen, abzugleichen, ob ähnliche Figuren in ihrer eigenen Lebensrealität existieren. Hinsichtlich der kommunikativen Semantik sind die hier diskutierten generationellen Gattungen zumeist sehr offen. Auf jetzt.de, aber auch in der NEON oder in TEMPO wird stets eine große Bandbreite von Themen angesprochen. Es wird kein Wirklichkeitsbereich ausgeschlossen, die einzige Bedingung ist, dass jeder Text sich an die gewünschte Zielgruppe der Generation wenden muss. Die kommunikative Semantik konzentriert sich also nicht auf politische, wirtschaftliche oder sportorientierte Themen wie in anderen Zeitschriften, sondern auf generationenspezifische Themen. Generatiographien fungieren ähn-

190

| DOING GENERATION

lich: Ganz typisch für sie ist, in einer Art Katalog verschiedene Lebensbereiche nacheinander zu diskutieren, wobei es jeweils darum geht, welche generationenspezifische Färbung die Erfahrungen in diesem Lebensbereich haben. Darüber hinaus betonen gerade Generatiographien die Themenbereiche Gedächtnis und Prognose, sie entwickeln generationelle Verhältnisse zur Vergangenheit und zur Zukunft. Die Verbindungen der Jetzt-Zeit zur Vergangenheit – wie wurden wir, wie wir sind – und zur Zukunft – wie werden wir einmal sein – sind stilprägend für viele dieser Bücher. In ihrer Ästhetik und Stilistik unterscheiden sich viele der genannten Gattungen. Es lassen sich aber Tendenzen feststellen, dass zumindest innerhalb eines generationellen Deutungsangebots auch bestimmte stilistische Ähnlichkeiten bestehen. Um dies tiefer zu analysieren, wäre eine breitere Lektüre beispielsweise der ZeitgeistZeitschriften notwendig, um tatsächlich über die Jahre hinweg die Ähnlichkeiten und Unterschiede der einzelnen Autoren zu diskutieren. Aber auf einen ersten Blick lassen sich jeweils stilistische Merkmale ausmachen, die nicht nur für einzelne generationelle Gattungen typisch sind, sondern jeweils auch als Beschreibungsmerkmal für das induzierte generationelle Deutungsangebot verwendet werden: In Florian Illies‫ ތ‬Buch ist es der nostalgische Tonfall, der mit der Generation Golf in Verbindung gebracht wird, in der Zeitschrift Tempo ist es eher die Verbindung des ironisch-uneigentlichen New Journalismus mit einem hedonistischprovokanten Auftreten, die typisch für die TEMPO-Redakteure und damit auch die angesprochene generationelle Zielgruppe ist. NEON hingegen etabliert schon in ihrem Claim »Eigentlich sollten wir erwachsen werden« eine zögerlich-unentschlossene Haltung des Sowohl-Als-Auch, des Schwebens zwischen Vergangenheit und Zukunft und der Offenheit für die verschiedensten Wege in die Zukunft, aus der in den seltensten Fällen Texte resultieren, die klare Standpunkte markieren. Kritiker beschreiben diesen Stil wie folgt: »Noch lieber aber stellt Neon Fragen in den Raum, ohne sie wirklich zu beantworten«309 – dies überlässt die Redaktion jedem einzelnen Leser. Doch welche Funktionen erfüllen diese verschiedenen Merkmale der Texte? Orientiert man sich an den fünf Funktionen, die Michael Gamper Texten zugeschrieben hat, so deutet die stilistische Vielheit

309 Höbel, Wolfgang: »Lebe lieber ungefähr«, in Der Spiegel vom 15.06.2009.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 191

vor allem auf die Möglichkeit von Texten hin, Stimmungen wiederzugeben, die sich auf andere Weise der Vermittlung verschließen. Texte fungieren als Erfahrungsmedium, wenn sie es schaffen, stilistisch auch eine Art des gemeinsamen Mitschwingens lesbar zu machen, die sich eben nicht mit politischen Standpunkten oder wirtschaftlichen Forderungen ausdrücken lässt, sondern sich beispielsweise eher in einer nostalgischen oder hedonistischen Perspektive auf die Welt niederschlägt. Solcherlei literarische Verfahren machen das, was als Erfahrung oder Haltung eigentlich unbeschreibbar ist, schließlich lesbar. Doch auch die Reflexions- und die Informationsfunktion bedienen generationelle Gattungen. ZeitgeistZeitschriften und Internetforen bringen stets neue Informationen zu generationenspezifischen Themen und stellen damit ein Wissen parat, an das sich generationelle Kommunikation anschließen lässt. Generatiographien wie Generation Golf oder Generation Ally haben dabei eher eine reflexive Funktion; sie sind weniger aktualitätsbezogen und enthalten wenig neue Informationen. Stattdessen nehmen sie sich die Zeit, wie es nur in den Langformen des Buchs möglich ist, um das Gewordensein von Generationen ausführlich zu erforschen. Diese Beobachtungen verweisen noch einmal auf die Ebene im Vergleich der diskutierten Texte, die in Schmidts Dreischritt von Referenzmodalität, kommunikativer Semantik und Stilistik fehlt: die Ebene der Technik. Bücher, Zeitschriften und Internetangebote ermöglichen eben durch ihre Technik auch ganz andere Zugriffe auf Generation. Bücher schaffen es, eine komplexe Erzählung aufzubauen, wie eine Generation so wurde, wie sie ist. Sie haben die Zeit, Prägungen und Wirkungen zu beschreiben, Argumentationen für generative Prozesse aufzubauen und überzeugende Figuren als Beispiele einzuführen. In ihnen kann ein einzelner oder eine kleine Gruppe von Autoren sich auf ein Deutungsangebot einigen und dieses zu stabilisieren versuchen. In ZeitgeistZeitschriften findet sich selten eine so ausgefeilte Generationenerzählung. Manchmal wird der generationelle Anspruch eines Magazins auch nur in seinen Paratexten wie Interviews seiner Redakteure explizit kommuniziert. Sie bringen Generationen nicht so sehr auf einen (Zeit)Punkt, sondern begleiten sie vielmehr über eine Zeitspanne. Sie organisieren innerhalb dieser Zeitspanne generationelle Kommunikation, können dabei auch zeitgebundene Erfahrungen als generationenspezifisch markieren, sie können den Geist der Zeit – den Zeitgeist? – in ihren Texten ausdrücken. Die Vielheit ihrer Autoren

192

| DOING GENERATION

verhindert zwar einerseits die Eindeutigkeit der Generationenbeschreibung, macht aber andererseits den kollektiven Anspruch der Generation authentischer. Generationen ergeben sich gerade aus der Vielheit der Individuen, aus dem Austausch zwischen individuellen Erfahrungen und der Herausbildung des Gemeinschaftlichen, wie er in Magazinen zu beobachten ist. Sie sind glaubwürdiger, weil eben nicht ein Einzelner eine Generation behauptet, sondern eine ganze Gruppe. Florian Illies und Katja Kullmann müssen durch Bürgen und Beispiele den kollektiven Anspruch ihrer Generationsdeutungen zu belegen versuchen, ZeitgeistZeitschriften können bereits über die Vielheit ihrer Autoren argumentieren. Internetforen wie jetzt.de erfüllen diesen Anspruch noch in stärkerem Maße, da in ihnen die Trennung zwischen Autoren und Lesern nicht nur wie in Zeitschriften brüchig wird, sondern ganz und gar hinfällig. Im jetzt-Kosmos kann jeder von seinen Erfahrungen schreiben und diese mit den Erfahrungen anderer abgleichen. Hier ergibt sich ein gemeinsames Mitschwingen nicht nur durch die filternde Funktion einer Redaktion, sondern durch schwarmartige Prozesse des gegenseitigen Kommentierens und Bewertens, der Aushandlung von Erfahrungen, Haltungen, Meinungen und Stile. Interessant, wenn auch letztlich ungeklärt bleibt abschließend die Frage, ob generationelle Gattungen sich jeweils historisch je einmal ereignen oder transhistorische Konstanten sind. Es lässt sich spätestens vom 19. Jahrhundert an immer wieder ein Auftreten von Generatiographien feststellen.310 Auch wenn sich durch die Jahrhunderte die Schreibweisen immer wieder wandelten und auch heute noch verschiedene Möglichkeiten der Organisation eines solchen Textes bestehen, so gibt es doch Konstanten im Schreibprogramm. Stets geht es darum, die generativen Prozesse zu beschreiben, wie Generationen geprägt wurden und wie sie wiederum auf die Gesellschaft zurückwirken, geht es darum, ihre innere ›Ökonomie des Geistes‹ zu schildern und gleichzeitig ihren Platz in Gesellschaft und Geschichte – gerade auch in Abgrenzung zu anderen – zu markieren. Zeitschriften hingegen bestehen jeweils über einen gewissen Zeitraum, erscheinen immer wieder aufs Neue. Trotzdem lässt sich schon bei den hier beobachteten Beispielen feststellen, dass sie selten über Jahrzehnte hinweg erscheinen und damit immer wieder neuen Genera-

310 Vgl. hierzu Bohnenkamp: Jugend.

G ENERATIONELLE G ATTUNGEN

| 193

tionen die Möglichkeit geben, sich selbst zu schreiben, sondern eher der Schreibweise nur jeweils einer Generation verpflichtet sind. Allerdings gibt es auch hier eine lange Traditionslinie von Zeitschriften, in denen sich Generationen auszudrücken versuchten. Beide Gattungen, ZeitgeistZeitschriften wie Generatiographien aktualisieren sich somit von Generation zu Generation immer wieder aufs Neue. Wie es sich mit der neuen Gattung der Social Communities einmal verhalten wird, bleibt abzuwarten. Derzeit lässt sich nur sagen, dass sich hier eine Form gefunden hat, in der generationelle Kommunikation auf eine ganz neue Weise geschrieben wird und in der sich vielleicht auch eine historisch neue Möglichkeit ergibt, zeitgebundene Erfahrungen in kollektiven Prozessen auszutauschen. Inwieweit sich diese neue Form der generationellen Kommunikation stabilisiert und immer wieder aufs Neue Generationen etabliert, bleibt abzuwarten.

6. Generation Building

Imagined Communities – so könnte der Titel eines Buches über Generationen heißen. Dieser Titel ist allerdings bereits vergeben, Benedict Anderson hat so seine bahnbrechende Studie über die Entstehung der Nation genannt. Er hat herausgearbeitet, wie Nationen und Nationalismen historisch entstanden sind, dass die Nation eben kein universelles Konzept ist, etwas, das jedem Menschen problemlos zuzuordnen ist. Es lässt sich vermuten, dass das Denken über nation auch einige Anregungen liefert, Generationen neu zu reflektieren – ähnlich wie im vorherigen Abschnitt dieser Studie schon Spuren gefolgt wurde, die das Denken über race und gender legte, beispielsweise in den Überlegungen Linda Williams‫ ތ‬oder Judith Butler. Anderson beschreibt genau, warum er von der Nation als einer imaginären Gemeinschaft ausgeht: »It is imagined because the members of even the smallest nation will never know most of their fellowmembers, meet them, or even hear of them, yet in the minds of each lives the image or their communion.«1 Später erläutert er, warum Nationen imaginäre Gemeinschaften sind: »Finally, it is imagined as a community, because […] the nation is always conceived as a deep, horizontal comradeship.«2 So viel lässt sich auch zu Generationen sagen; sie bestehen nur in der Imagination, weil sich niemals alle Mitglieder einer Generation kennen können – und zugleich wird ihnen eine tiefe Gemeinschaftlichkeit zugeschrieben. Anderson stellt die Frage, wie solche imaginären Gemeinschaften entstehen, wie Prozesse des Nation Building in neugebildeten Staaten

1

B. Anderson: Communities, S. 6.

2

Ebd., S. 7.

196

| DOING GENERATION

ablaufen. Doch wie entstehen Generationen, wie laufen Prozesse des Generation Building ab? Schon Karl Mannheim hat betont, wie zentral es ist, Generationen in ihrer Dynamik zu untersuchen: Während die Formalsoziologie bisher zumeist die Gruppenexistenz der Menschen überhaupt in der Statik untersucht hatte, scheint dieses Problem zu einer Gruppe von Fragestellungen zu gehören, die gerade die dynamikstiftenden Kräfte und die Wirksamkeitsordnung der dynamischen Komponenten im gesellschaftlichen Geschehen herauszuarbeiten hat.3

Ulrike Jureit hat in ihrer Einführung zur Generationsforschung dem Generation Building einen ganzen Abschnitt gewidmet.4 Sie beschreibt Generation Building als »ein im privaten und im öffentlichen Raum stattfindendes Kommunikationsgeschehen [...], das den Gesetzen, Techniken und Mechanismen moderner Mediengesellschaften unterliegt«5. Wie im letzten Kapitel gezeigt wurde, schaffen Medien Raum für generationelle Kommunikation. In Medien können sich Gattungen etablieren, die generationelle Kommunikation wahrscheinlicher machen können. Denn bei all den kursierenden Generationenbegriffen wird vergessen, dass Generationen zunächst etwas zutiefst unwahrscheinliches sind. So formuliert Ulrike Jureit als Forschungsfrage, »wann und unter welchen Bedingungen gemeinschaftsbildende Potentiale zur Imagination generationeller Einheiten führen, und vor allem, wann und aus welchen Gründen eine solche Entwicklung ausbleibt.«6 Damit dreht Jureit die etablierte Perspektive um. Für sie ist nicht bemerkenswert, dass es viele Generationen gibt, sondern dass es auch in vielen Fällen dazu kommt, dass Imaginationen generationeller Einheiten ausbleiben. Generationen werden so zu etwas, dessen Selbstverständlichkeit in Frage gestellt wird. Jureit lenkt den Blick darauf, dass jede Imagination von Generation mit einem hohen Maß von Unwahrscheinlichkeit verbunden ist. Als Experte für Unwahrscheinlichkeiten kann man mit Fug und Recht Niklas Luhmann bezeichnen. Luhmann spricht sogar von einer

3

K. Mannheim: Problem, S. 523.

4

Vgl. U. Jureit: Generationenforschung, S. 86ff.

5

Ebd., S. 87.

6

Vgl. U. Jureit: Generationenforschung, S. 12.

G ENERATION B UILDING

| 197

spezifischen Art der Theoriebildung, die davon ausgeht, dass etwas unwahrscheinlich ist. Sie löse »Routineerwartungen und die Sicherheiten des täglichen Lebens auf und nimmt sich vor zu erklären, wie Zusammenhänge, die an sich unwahrscheinlich sind, dennoch möglich«7 werden. In diesen Theorien stelle sich die zu Grunde liegende Forschungsfrage »Wie kann eine Ordnung sich aufbauen, die Unmögliches in Mögliches, Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches transformiert?«8 Diese Perspektive wird im Folgenden auf den Generationenbegriff bezogen. Dabei geht es um keine Analogiebildung von Kommunikation und Generation, sondern darum, Luhmanns Denkfigur der Unwahrscheinlichkeit zu übertragen, ohne dass eine Integration von »Generation« in das Arsenal systemtheoretischer Grundbegriffe behauptet werden soll. Trotz Mannheims ontologischer Grundierung des Generationenbegriffs lohnt es sich, seinen Text erneut zu lesen, diesmal unter den Vorzeichen einer Theorie der Unwahrscheinlichkeit. Eliminiert man den Fluchtpunkt der entelechischen Bestimmung der Generation, lassen sich bei Mannheim tatsächlich schon eine Reihe von Transformationen von Wahrscheinlichkeiten in Unwahrscheinlichkeiten erkennen, die zum Erfolg von Generationen beitragen können. So entwickelt Mannheim beispielsweise seine legendäre Trias von Generationslagerung, Generationszusammenhang und Generationseinheit. Alle drei Begriffe zielen auf die Herstellung von Identität ab, indem sie jeweils eine spezielle Konfiguration von Individuen adressieren. Zum anderen entwirft Mannheim in seiner Theorie auch einen generationalisierenden Prozess, der sich in der Transformation dieser verschiedenen Konfigurationen ineinander ausdrückt. Wie bei Luhmann lassen sich auch in Mannheims Konzept Schwellen identifizieren, die überwunden werden müssen, um Erfolg sicherzustellen. Schwellen der Generationalisierung So ist einer von Mannheims argumentativen Ausgangspunkten das marxistische Konzept der Klassenlage als »schicksalsmäßig verwandte

7

Luhmann, Niklas: Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, in:

8

Ebd.

ders. (Hg.), Aufsätze und Reden, Stuttgart 2001, S. 77.

198

| DOING GENERATION

Lagerung bestimmter Individuen im ökonomisch-machtmäßigen Gefüge der jeweiligen Gesellschaft.«9 In Analogie zur Klassenlage entwickelt Mannheim den Begriff der Generationslage; beiden ist gemein, dass sie eine »verwandte Lagerung der Menschen im sozialen Raum« (PG 526) bezeichnen. Während die Klasse sich auf die ökonomische Lage des Individuums bezieht, impliziert die Generationslage eine »Zugehörigkeit zueinander verwandter Geburtsjahrgänge« (PG 528). Die Lagerung jedes Individuums ist etwas, was es auf Grund seiner Position im sozialen Gefüge auszeichnet, in diesem Fall seiner Position durch seinen Geburtsjahrgang, so Mannheim. Die Lagerung ist nicht kündbar und jederzeit präsent (PG 525). Sie beeinflusst das Individuum in doppelter Hinsicht, zum einen schließt sie negativ bestimmte Arten und Weisen des Erlebens, Denken, Fühlens und Handelns aus. Zum anderen verleiht sie dem Individuum eine »Tendenz auf bestimmte Verhaltungs-, Gefühls- und Denkweisen, die aus dem eigenen Schwergewicht der Lagerung heraus vom Soziologen aus verstehend erfaßbar ist« (PG 528). Eine gemeinsame Lagerung reicht nicht aus, um eine erfolgreiche Generation zu bilden. Sie konstituiert lediglich die »Möglichkeit an denselben Ereignissen, Lebensgehalten usw. zu partizipieren und noch mehr, von derselben Art der Bewußtseinsschichtung aus dies zu tun« (PG 536). Die Erfahrungen, die das Individuum prägen, so Mannheim, strukturieren ihn – Mannheim spricht von einer »Erlebnisschichtung« (PG 536). Wer an denselben Ereignissen teilnimmt und die gleichen Erfahrungen macht, der gehört zum gleichen Generationszusammenhang. Mit dem Begriff des Generationszusammenhangs löst sich Mannheim von einer biologisch-naturalistischen Generationentheorie. Der Zusammenhang ist zwar »fundiert durch das Faktum des biologischen Rhythmus der Geburten und des Todes« (PG 527, Hervorhebung durch KM), aber es gebe keinerlei Determinismus. Zusätzlich notwendige Bedingungen für einen Generationszusammenhang sind das »gesellschaftliche Miteinander der Menschen«, eine »bestimmt geartete Struktur der Gesellschaft« und »die auf spezifisch gearteten Kontinuitäten beruhende Geschichte« (PG 528).

9

K. Mannheim: Problem, S. 525. In diesem Kapitel der Lesbarkeit halber PG abgekürzt.

G ENERATION B UILDING

| 199

Mannheim wählt hier das Beispiel der preußischen Jugend um 1800 (PG 542). Diese Jugend unterscheidet sich zum einen von der chinesischen Jugend der gleichen Zeit. Beide sind in unterschiedlichen historisch-sozialen Kontexten verortet und hätten damit nicht einmal die Möglichkeit, an denselben Ereignissen teilzunehmen. Allerdings kann man auch nicht davon sprechen, dass sich die gesamte preußische Jugend in einem Generationszusammenhang befinde. So befindet sich die bäuerliche Jugend in der Provinz zwar in der gleichen Lagerung, ist aber tatsächlich durch andere Erlebnisse und Erfahrungen geprägt. Ein Generationszusammenhang zeichnet sich hingegen aus durch eine »Partizipation an den gemeinsamen Schicksalen dieser historischsozialen Einheit« (PG 542). Entscheidend ist eine gemeinsame Teilhabe an »jenen sozialen und geistigen Strömungen«, »die eben den betreffenden historischen Augenblick konstituieren, und insofern sie an denjenigen Wechselwirkungen aktiv und passiv beteiligt sind, die die neue Situation formen« (PG 543). Allerdings stiftet der Generationszusammenhang noch keine konkrete Gruppe im Sinne einer Gemeinschaft – es handelt sich um keine gesellschaftliche Formation, die stiftbar und kündbar ist (PG 525). Generationenspezifische Erfahrungen müssen nach Mannheim also zwei Eigenschaften erfüllen. Sie müssen zum einen eine gewisse qualitative Reichweite haben – sie müssen so prägend sein, dass sie in die Erlebnisschichtung des Einzelnen entscheidend eingreifen. Zugleich müssen sie eine quantitative Reichweite haben, dass ein ganzer Generationszusammenhang diese Erfahrung macht. Erst wenn diese Schwelle überschritten wird und tatsächlich Erfahrungen dieser Qualität und Quantität gemacht würden, so Mannheim, werde die Unwahrscheinlichkeit eines Generationszusammenhangs wahrscheinlicher. Mannheim räumt ein, dass auch ein Generationszusammenhang nicht ausreiche, um eine Generation zu konstituieren: Wenn wir nunmehr von allen jenen sozialen Schichten absehen, die am werdenden Neuen nicht teilnehmen, so ist noch immer fraglich, ob wir denn alle Gruppen, die an diesem werdenden Neuen wirklich teilnehmen, zur selben Generation zu rechnen haben. (PG 543)

Die Unwahrscheinlichkeit, dass alle Mitglieder eines Generationszusammenhangs ihre Erfahrungen auf eine einheitliche Weise verarbei-

200

| DOING GENERATION

ten, müsse also ebenso in eine Wahrscheinlichkeit transformiert werden. Überwindet eine Generation diese Schwelle, so spricht Mannheim von Generationseinheiten: Dieselbe Jugend, die an derselben historisch-aktuellen Problematik orientiert ist, lebt in einem ›Generationszusammenhang‹, diejenigen Gruppen, die innerhalb desselben Generationszusammenhanges in jeweils verschiedener Weise diese Erlebnisse verarbeiten, bilden jeweils verschiedene ›Generationseinheiten‹ im Rahmen desselben Generationszusammenhangs. (PG 544)

Generationseinheiten zeichnen sich so nicht nur dadurch aus, dass alle Mitglieder zu »Schicksalsgemeinschaften« (PG 547) gehören. Neben der Teilnahme am Gemeinsamen zeichne sie auch noch ein gemeinsames »Mitschwingen« aus. Damit meint Mannheim ein »einheitliches Reagieren, ein im verwandten Sinne geformtes Mitschwingen und Gestalten der gerade insofern verbundenen Individuen einer bestimmten Generationslagerung« (PG 547). Auf diese Art und Weise können sich innerhalb eines Generationszusammenhangs eben auch verschiedene Generationseinheiten bilden. Nach Karl Mannheim ist es sogar typisch, dass sich zwei Generationseinheiten bilden, die auf polar entgegengesetzte Weise auf die gemeinsamen Erlebnisse reagieren (PG 544). Als Beispiel nennt er hier erneut die preußische Jugend um 1800, die auf ihre historische Situation in zwei polaren Formen reagierte, zum einen romantisch-konservativ, zum anderen rationalistisch-liberal (PG 543). Auch Generationseinheiten müssen keine konkreten Gruppen bilden, was sie verbindet, ist nach Mannheim vielmehr eine der Innerlichkeit zugeschriebene Variable, es sind »Gehalte, die das Bewußtsein der einzelnen erfüllen« (PG 544). So können eben auch gerade räumlich getrennte Individuen zu einer Einheit verbunden werden. Damit Generationen sich tatsächlich zu konkreten Gruppen verbinden, muss eine weitere Schwelle überwunden werden: Die Einheit einer Generation ist zunächst gar keine auf konkrete Gruppenbildung hinstrebende soziale Verbundenheit, wenn es gelegentlich auch dazu kommen mag, daß das Faktum der Generationseinheit zur bewußten einheitsstiftenden Unterlage konkreter Gruppenbildungen wird (z.B. die Jugendbewegung in der Moderne). (PG 524)

G ENERATION B UILDING

| 201

Diese Gruppen wirken wiederum zurück auf die Generationseinheiten, wie Mannheim erläutert. Konkrete Gruppen beförderten die Abstimmung über gemeinsame Grundintentionen: In der Tat entstehen auch ursprünglich solche neuen, geprägten, parteilich auch stellungnehmenden, generationsmäßigen Grundintentionen zumeist nicht freischwebend, ohne persönlichen Kontakt, sondern in konkreten Gruppen, wo sich Individuen in vitaler Nähe treffen, sich seelisch-geistig gegenseitig steigern und in dieser Lebensgemeinschaft die (der neuen Lagerung entsprechenden) Grundintentionen aus sich herausstellen. (PG 547)

In Mannheims Beispiel der Jugend um 1800 erwähnt er die Christlich deutsche Tischgesellschaft als konkrete Gruppe innerhalb der konservativen Jugend, die als »werbende und verbindende Gewalt« (PG 548) auf die Generationseinheit zurückwirke. Mannheim verwendet die Bilder von Kern und Keim, um das Verhältnis von Gruppe und Einheit zu beschreiben. Damit wird die übrige Generationseinheit nicht nur als um einen Kern herum organisiert gedacht, sondern stets auch auf ihn bezogen, da in ihr die Keime der konkreten Gruppe weiterwirken können (PG 547). Zusammenfassend lässt sich von drei Unwahrscheinlichkeiten sprechen, die im Rahmen von Generationalisierungsprozessen in Wahrscheinlichkeiten transformiert werden. Erstens müssen Individuen sich auf gemeinsame Erfahrungen berufen. So werden Generationslagerungen in Generationszusammenhänge transformiert. Zweitens müssen Individuen eines Generationszusammenhangs diese Erfahrung zu einer gemeinsamen Haltung, einem gemeinsamen »Mitschwingen« entwickeln. Die gemachte Erfahrung wird auf eine spezifische, vereinheitliche Weise kodiert. Nur auf diese Weise können Generationszusammenhänge in Generationseinheiten transformiert werden. Drittens müssen Generationseinheiten Kerngruppen herausbilden, die in reale Interaktion und Kommunikation treten und als Generation damit sichtbar werden. Erst wenn diese dritte Schwelle überschritten wird, kann die Generation schließlich »Gestalt« annehmen (PG 546) und damit von der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit hinübertreten. Das Kennzeichen dieser geschlossenen Gruppen ist, dass sie der generationsspezifischen »Erlebnis-Schichtung« »Ausdruck« verleiht (PG 548). Mit dem Konzept des »Ausdrucks« ist so das entscheidende

202

| DOING GENERATION

Erfolgskriterium benannt: Erst wenn eine Generation es schafft, in Form eines Ausdrucks – beispielsweise einer Generatiographie oder einer ZeitgeistZeitschrift – wahrnehmbar dann ist sie eine erfolgreiche Generation. Allerdings finden alle drei Transformationsprozesse nicht zeitlich nachgeordnet, sondern vielmehr gleichzeitig statt. Mehr noch, jeder Transformations- und damit Sichtbarmachungsprozess wirkt sofort zurück auf die anderen Prozesse. Gelangt eine Generation zu ihren spezifischen Ausdrucksformen, so entfalten diese wiederum eine »werbende und verbindende Gewalt« auf die »in verwandter Lagerung sich befindenden Individuen« (PG 548). Liest man Karl Mannheims auf diese Art und Weise gegen den (essentialistischen) Strich, so erkennt man, dass schon bei Mannheim der Gedanke angelegt war, dass Generationen nichts Natürliches oder auch nur Wahrscheinliches sind. Stattdessen benötigen Generationen verschiedene Transformationsschritte, müssen verschiedene Schwellen überschritten werden, damit aus einer gemeinsamen Generationslagerung eine konkrete Generationsgruppe werden kann. Aus Generationslagerungen müssen Generationszusammenhänge werden, aus Generationszusammenhängen müssen Generationseinheiten werden und Generationseinheiten müssen sich zu konkreten Gruppen finden. Auf den Beobachtungen der letzten Kapitel aufbauend wird gefragt, wie eigentlich generationelle Kommunikation dazu führt, dass Generationen wahrscheinlicher werden. Dazu sei noch einmal an Claus Leggewie erinnert, der die kommunikative Erzeugung von Generationen in zwei Schritten denkt: Denn so entsteht üblicherweise eine neue Generation: Anläßlich eines markanten und bewegenden Ereignisses tritt eine spezielle Kommunikation unter Gleichgesinnten ein, die sich zu einem eigensinnigen Sondermillieu verdichten, mit den Älteren Verteilungs- und Anerkennungskämpfe um das kulturelle Kapital führen und den ablaufenden Geschehnissen eine spezielle politische Wahrnehmung verleihen.10

Leggewie unterscheidet dabei zwei miteinander verwobene Phasen des Generation Building, zum einen die spezielle Kommunikation innerhalb der Generation und zum anderen die Kämpfe um Verteilung und

10 C. Leggewie: 89er, S. 27.

G ENERATION B UILDING

| 203

Anerkennung mit anderen Generationen. Diese Unterscheidung findet sich auch bei Beate Fietze im Hinblick auf die Frage, wie Generationen Repräsentationen und Repräsentanten von sich herausbilden. Beate Fietze entwickelt Mannheims Theorie weiter, indem sie sein Konzept von Zeitgeist für aktuelle Diskurstheorien weiterentwickelt.11 Der Rahmen, in dem Generationen operieren, ist nach Fietze kein diffuser Zeitgeist, sondern Öffentlichkeit. Um innerhalb der Öffentlichkeit als Generation wahrgenommen zu werden – und damit als Adresse der Kommunikation – muss Generation als relevanter Akteur konstituiert werden. Von besonderer Bedeutung sind hier Repräsentanten: Fietze spricht in diesem Zusammenhang von Eliten und reformuliert damit Mannheims Überlegung zu konkreten Gruppen. Sie erläutert die Notwendigkeit einer doppelten Repräsentation: »Nach außen, intergenerationell, grenzt die Generationselite ihre Situationsdeutung über anderen Situationsdeutungen ab [...] Nach innen, intragenerationell, dominiert die Generationselite den Generationszusammenhang. «12 Dabei geht es Fietze nicht darum, dass alle Mitglieder einer Generation alle Äußerungen der Elite stets teilen, sondern schlicht darum, dass diese Repräsentanten eine besondere Sichtbarkeit innerhalb der Öffentlichkeit erreicht haben. Es gibt also sowohl intragenerationell wie intergenerationell Auseinandersetzungen darum, welche Repräsentationen und Deutungen sich durchsetzen. Die nächsten beiden Kapitel sollen diesen Auseinandersetzungen nachgehen. Im Kapitel 6.1 geht es um die Frage danach, wie sich intern ein ›eigensinniges Sondermillieu‹ herausbilden kann. Wie einigen sich ›Gleichgesinnte‹ dabei auf gemeinsame Erfahrungen, auf Generativitätsmythen? Und wie laufen interne Konflikte um Hegemonie und Repräsentation ab, sodass sich schließlich Repräsentanten der Generationen herausbilden? Wie lassen sich die Prozesse des innergenerationellen Abgleichs von Erfahrung und Eigensinn als Prozesse der Normalisierung beschreiben? In Kapitel 6.2 geht es wiederum um die Kommunikation nach außen, um die »Verteilungs- und Anerkennungskämpfe« mit Älteren und später schließlich auch mit Jüngeren. Dabei geht es vor allem auch immer um einen argumentativen Konflikt, bei dem die eigene Generation gegenüber anderen positioniert wird. Es stellen sich Fragen wie:

11 Vgl. B. Fietze: Generationen, S. 99-112. 12 Ebd., S. 107.

204

| DOING GENERATION

Wie schreibt die Generationen zum einen eine gemeinsame Geschichte der Generationen fort und bildet so eine Genealogie heraus? Wie nimmt sie aber auch sie einen anderen Platz ein als alles Vorhergehende und beharrt damit auf der Entstehung von etwas Neuem? Wie werden komplexe zwei- oder dreistellige Generationengeschichten erzählt und wie werden innerhalb dieser Geschichten die Rollen verteilt, wie wird hier gut gegen böse positioniert? Während im zweiten Kapitel vor allem wissenschaftliche Konzepte von Generationen diskutiert wurden, standen im dritten und vierten Kapitel darüber hinaus auch populäre Deutungen im Fokus. Im fünften Kapitel bildeten wiederum die drei genannten Mediengattungen die Grundlage für die Beobachtung des Generation Building. Die in diesem Kapitel interessanten Konfigurationen werden unter anderen anhand der im letzten Kapitel diskutierten Medien beschrieben. Darüber hinaus werden aber auch weitere Quellen hinzugezogen, um die Vielfalt der generationellen Deutungsangebote zumindest exemplarisch abzudecken. So wird beispielsweise die Website von Bernd Kittlaus diskutiert, der sich daran versucht, in einer akribischen Quellenzusammenstellung die Generationendebatten der vergangenen Jahre zu archivieren und zu kartographieren.13 Aber auch der Textgattung der Essays wird in diesem Kapitel Raum gegeben. Essays ermöglichen den Aufbau einer weit komplexeren Argumentation als kurze Zeitungsartikel, sie sind ein bevorzugtes Genre, um – auch generationelle! – Beobachterpositionen in Stellung zu bringen. Ein wichtiger Ort für Essays in der deutschen Kulturlandschaft ist das Kursbuch, das von Hans Magnus Enzensberger 1965 gegründete KulturMagazin. Trotz zahlreicher Verlagswechsel hielt sich das Kursbuch bis 2008 und pochte stets darauf, eine der führenden intellektuellen Stimmen in Deutschland zu sein. Um 2000 äußert es sich vor allem in zwei Ausgaben zur Generationenrede: Im September 1995 erscheint die Ausgabe 121 unter dem Titel »Der Generationenbruch«; acht Jahre später greift der Band mit der Überschrift »Die Dreißigjährigen« erneut die Generationendebatte auf.

13 Vgl. Kittlaus, Bernd: »Streit um die Nachfolge der 68er«, Download unter http://www.single-generation.de/debatte/einfuehrung.htm.

G ENERATION B UILDING

6.1 I NTERN : I CH MÖCHTE T EIL J UGENDBEWEGUNG SEIN

| 205

EINER

»Seit Jahren begleitet uns Musik von Tocotronic, zuerst mit dem Lied Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein.«14 In diesem Satz drückt sich nicht nur der persönliche Musikgeschmack von Matthias Kalle, Chefredakteur des Berliner StadtMagazins zitty, aus. Kalle teilt darüber hinaus auch noch die Sehnsucht, zu einer Jugendbewegung zu gehören und damit zu einer Generation in ihrem emphatischsten Sinne. Und schließlich verbirgt sich hinter Kalles »uns« auch, dass er glaubt, nicht nur für sich zu sprechen, sondern gerade eben für seine ganze Generation. Diese Rolle als Fürsprecher radikalisiert Kalle schließlich, indem er sich entschließt, in Form einer Generatiographie für ›seine‹ Generation zu sprechen: Ich war gerade 27, kündigte Wohnung und Job in Berlin und kehrte zurück in das Haus in der ostwestfälischen Provinz, in dem ich aufgewachsen bin. Dort schrieb ich das Buch Verzichten auf, in dem es darum ging, wie man sich so fühlt – und was man glaubt, wie sich die eigene Generation fühlt, was sie denkt und macht. […] Jetzt bin ich 32 und schreibe diesen Text, in dem es darum geht, wie ich mich so fühle – und was ich glaube, wie sich meine Generation fühlt, was sie denkt und macht.15

In Kalles Sätzen verschwinden die Grenzen zwischen dem, was »man« fühlt und dem, was »ich« fühlt. Viel wesentlicher und aufschreibenswerter ist für ihn allerdings das, was seine Generation »fühlt«, »denkt« und »macht«. Sein eigenes Ich schreibt er damit in ein Wir ein und er glaubt, diese Generation genau zu kennen: In Deutschland lebten, als die Statistik sie zum letzten Mal erfasst hat, 11 188 006 Menschen zwischen 30 und 40 Jahren, das sind 13,6 Prozent der Gesamtbevölkerung. Zum Vergleich: 16,7 Prozent der Deutschen sind zwischen 40 und 50 Jahren alt, 2 555 847 Menschen mehr. Mein Jahrgang, 1975, besteht

14 Kalle, Matthias: »Wann nehmen wir endlich den Finger von der Pausetaste?«, in: ZEIT Magazin vom 17.04.2008, S. 22-29, S. 26. 15 Ebd., S. 24.

206

| DOING GENERATION

aus 921 312 Männern und Frauen – 1,1 Prozent. Das verstärkt das Gefühl, dass man jeden in dieser Generation persönlich kennt.16

Es bleibt damit seltsam unscharf, ob Kalle sich nun in die knapp 14 Prozent einschreibt, die in seiner Dekade geboren wurden, oder in das gut eine Prozent seines Jahrgangs. In dieser unscharfen Gemeinschaft der Gleichzeitigen orientiert sich Kalle, mit ihnen gleicht er sein Fühlen, Denken und Handeln ab, hier erkennt er Regelmäßigkeiten. Er ringt nicht um gemeinsame Positionen oder Handlungsweisen mit seinen Geschlechtsgenossen, seinem sozialen Milieu, seiner Nationalität, nein, er besteht auf einem generationellen Wir. Andere sind da skeptischer, tun sich schwerer, von einem generationellen Wir zu schreiben, benennen zumindest die Bedingungen, die dafür notwendig sind. So beispielsweise Malin Schwerdtfeger: Die Erinnerungen einer ganzen Generation sind niemals kleine Räume. Sie sind riesige Säle, mit den wenigen Ausstellungsstücken darin, auf die sich alle einigen konnten. Der Eintritt ist fast frei. Einzige Bedingung: Man muß bereit sein, sich selbst bei einem Namen zu nennen, den man mit allen anderen Besuchen dieser Ausstellung teilt. Gestatten: ›Wir‹.17

Die erste Bedingung, um Generation zu sein, bringt Malin Schwerdtfeger auf den Punkt: Der einzelne muss »Wir« sagen. In ihrem Essay »Wir Nutellakinder«, der 2003 in der Kursbuch-Ausgabe zum Thema »Die Dreißigjährigen« erscheint, nimmt sie die ausufernde Rede von den Generationen zur Kenntnis und stellt sich zögerlich die Frage, wie sie selbst von einem Ich zum Wir kommen kann. Sie versucht zu vermessen, wie die Dreißigjährigen sind. Was macht ihre generationelle Identität aus, wie verhalten sie sich in generationellen Verhältnissen zu ihren Eltern oder ihren Großeltern? Wie kommt es überhaupt dazu, dass man sich auf Gemeinsamkeiten einigen kann – wie wird aus dem Blick auf die eigene Lage der Blick auf die gemeinsame Lage, was muss dafür aufgegeben werden? Dieses gemeinsame Wir einer Generation verflüchtige sich gerade dann, wenn man darauf schaut, wer als Vertreter einer Generation

16 Ebd., S. 29. 17 Schwerdtfeger, Malin: »Wir Nutellakinder«, in: Kursbuch 154 (2003), S. 42- 48.

G ENERATION B UILDING

| 207

sichtbar werde, so Schwerdtfeger.18 Nicht umsonst setzt sie die Wendung »Vertreter einer Generation« in Anführungszeichen – es seien oftmals die Vertreter selbst, die sich der Vereinnahmung durch die Generation entziehen: »Die konsequentesten, die radikalsten, die vorausdenkenden Angehörigen einer Generation würden diesen Begriff ohnehin nicht für sich gelten lassen, weil sie bereits einen Schritt weiter sind.«19 Als Beispiel nennt Schwerdtfeger den Schriftsteller Yukio Mishima, der selbst oft als Vertreter einer Generation bezeichnet wird, der aber selbst die Generation als etwas Massenhaftes verachte. Ähnlich wie Mishima argumentierend leitet Marko Martin acht Jahre vorher seinen Beitrag »Wir sind alle anders« ein.20 Martin eröffnet damit programmatisch die Kursbuch-Ausgabe zum Generationenbruch – und leugnet schon in seiner Überschrift die Kollektivität des Wir. Sein Beitrag besteht aus vier einzelnen Porträts statt aus einer kollektiven Vermessung, eingeleitet durch eine Selbstbefragung. Hier antwortet er auf die Frage, warum er ausgerechnet über Generationen schreibe, mit den Worten »Weil ich schon immer einmal im Kursbuch stehen wollte.«21 Auf die weiterführende Frage »Was versprechen Sie sich davon?« entgegnet er lapidar: »Kulturelle Hegemonie«.22 Er stellt seine »heiße Abneigung gegen Wir-Wörter«23 zur Schau, zu denen er insbesondere den Generationenbegriff zählt. Martin hält den Generationenbegriff für die »letzte Zuflucht der Homogenitätssüchtigen«, wehrt sich gegen generationelle Beschreibungen, weil sie Homogenität suggerieren, wo keine ist. Wer von einer Generation spreche, mache die Generation als Kollektiv adressierbar, aber auch beherrschbar. Martin verweigert sich der Identifizierung seiner Generation, er verweigert sich zudem Schwerdtfegers Schritt, das Ich aufzugeben, um im gemeinsamen Wir aufzugehen. Als erstem Beiträger des Kursbuchs, das sich selbst als wesentliche Stimme versteht und Deutungshoheit beansprucht, wird ihm ein prominenter Sprechort ermöglicht, um sich selbst in der Generationenrede einen Platz zuzu-

18 Vgl. ebd., S. 47. 19 Vgl. ebd., S. 47. 20 Vgl. Martin, Marko: »Wir sind alle anders«, in: Kursbuch 121 (1995), S. 1-19. 21 Ebd., S. 1. 22 Ebd. 23 Ebd.

208

| DOING GENERATION

weisen. Doch er nimmt diesen Platz nicht ein – um eben nicht als Teil des Kollektivs, sondern als Individuum adressierbar zu bleiben. Das Wir zu schreiben ist nach Julia Kristeva immer mit einem Paradox verbunden – ein Ich muss einerseits leidenschaftlich ins Felde geführt werden, andererseits zu einem Teil aufgeben werden, damit das Wir ermöglicht wird.24 Generativitätsmythen Generationenbücher inszenieren vor allem Mythen, wie Katja Kullmann für ihr Buch selbst eingesteht: Jetzt sind wir bald dran, die 1965 bis 1975 Geborenen. Nur sind die heute Dreißigjährigen noch nicht ganz sicher, auf welchen Mythos sie sich letztlich werden einigen können, so unübersichtlich ist es geworden in der Politik, der Wirtschaft, der Liebe und der Mode.25

Sie katalysieren eine Diskussion darüber, wie es sich äußert, dass eine Generation »dran« ist – und wie sie so wurde, wie sie ist. Diese Einigungsleistung bezieht sich damit vor allem auf die Erzeugung von Generativitätsmythen: Wie wurde diese Generation generiert und wie generiert sie selbst wiederum eine Lebenswirklichkeit? Generationenbücher schlagen bestimmte Erfahrungen als Auslöser einer spezifischen Erlebnisschichtung vor. Matthias Kalle erläutert in seiner Generatiographie Verzichten Auf die Komplexität dieser gattungsspezifischen Aufgabe: Kennen, hören, sehen bedeutet aber noch lange nicht erleben und erst recht nicht verstehen – und so war die Welt, in die ich hineingeworfen wurde, nicht meine, sie hatte nichts mit mir zu tun: weil sie von mir weder erlebt noch von mir begriffen wurde, sondern nur staunend betrachtet. Und das führte dazu, dass meine Freunde und ich noch keine gemeinsamen Erinnerungen hatten, da gab es nichts, was uns verband, und nichts, was uns hätte trennen können. Wir erlebten ja auch nichts, jedenfalls nichts Eigenes.26

24 Kristeva, Julia: »Eine Erinnerung«, in: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur 26 (1985), S. 134-143, hier S. 134. 25 Katja Kullmann in B. Hamm: Generation, S. 8. 26 M. Kalle: Verzichten, S. 29.

G ENERATION B UILDING

| 209

Kalle bietet in seinem Buch Generativitätsmythen an, die schließlich überzeugen. Damit schreibt er sich in das mannheimsche Programm der Generation ein und versucht, eine Einigung über gemeinsame Erfahrungen herzustellen. So könnten seine Geburtsjahrgänge eine erste Schwelle zur Sichtbarkeit überschreiten und zumindest als Generationszusammenhang lesbar werden. Damit die Erfahrung aber eine generationenkonstitutive Wucht einnehmen kann und die Generation zugleich in anderem Maße prägt als andere Generationen, muss etwas »Eigenes« erlebt werden. Kalle teilt damit Mannheims Prämisse, es käme nicht nur auf die Erlebnisse an, sondern auch auf den Zeitpunkt, zu dem Individuen diese Erlebnisse haben und die Art, wie sie diese verarbeiten. Diese Perspektive richtet auch Baßler schon auf die Romane von Andreas Mand. Je nach Alter schlagen sich Erlebnisse in einer unterschiedlichen Erlebnisschichtung der Individuen nieder: Kommen diese Erfahrungen zu früh, so haben sie – in den Worten Kalles – noch nichts mit den Individuen zu tun, kommen sie zu spät, so verlieren sie ihre prägende Wirkung. Als »erstes gemeinsames Erlebnis, im Rückblick eine Art kollektiver Erinnerung« bezeichnet Kalle im Anschluss den Sieg Boris Beckers in Wimbledon 1985, als zweites Erlebnis die Katastrophe von Tschernobyl 1986. Doch als prägende Erfahrung führt Kalle ein anderes Ereignis an: Den Fall der Mauer am 9. November 1989.27 Er entwickelt hieraus die Argumentationsfigur, dass seine Generation an diesem Tag gelernt habe, dass sie auf Gewissheiten verzichten müsse, vor allem auf die Gewissheit, dass schon alles gut werde. Er führt diese Überlegung weiter aus, dass es zum zentralen Merkmal seiner Generation gehöre, dass sie lernen müsse, zu verzichten. Auch bei Illies werden prägende Erfahrung und Generationsbezeichnung kurzgeschlossen: Hier ist es die Einfahrt des ersten Golf Cabrios durch sein Heimatdorf, die zugleich als prägendes Ereignis und als Leitmetapher der Generation inszeniert wird. Die Mitglieder der Generation XTC im gleichnamigen Buch erleben ihre Initiationserlebnisse auf einer Party: »Die erste Party war eine Erfahrung, die niemand vergessen konnte. Die Jugendlichen fühlten sich befreit und sahen eine Zukunft vor sich, die keine Kompromisse

27 Vgl. ebd. S. 41ff.

210

| DOING GENERATION

und durchaus einen eher dekadenten Charakter hatte.«28 Dieses Erlebnis beeinflusste schließlich den gesamten Lebenslauf der Generation: »Es bedurfte nur einer Party, um ihr Leben zu verändern.«29 Neben den auslösenden Ereignissen beschreiben Generatiographien allerdings auch die Auseinandersetzung mit medialen Lebenswelten. Bei Kullmann ist es die Auseinandersetzung mit weiblichen Role Models in Film und Fernsehen, bei Illies die Lektüre der Romane Faserland von Christian Kracht und Soloalbum von Benjamin von Stuckrad-Barre, bei Kalle ist es vor allem Musik. Damit beschreiben sie das, was Mannheim als Fortsetzungseffekte theoretisch einführt: Nicht nur das Ereignis selbst ist nötig, damit sich die Generation zu einem Generationszusammenhang konfiguriert, sondern auch eine anschließende Kommunikation, die bestimmte prägende Erfahrungen weiter trägt und damit eine katalytische Funktion übernimmt. Medien können diese katalytische Funktion übernehmen. Identifikationseffekte Wie gerade schriftliche Medien eine Technologie bereitstellen, mit Hilfe derer Innenwelt und Außenwelt der Leser in Beziehung gesetzt werden können, diskutiert Andreas Reckwitz. Er spricht von einer »bürgerlichen Technologie des Selbst«30, die die Schrift übernehmen kann, indem in ihr die Innenwelt eines Subjekts produziert werde: »Das bürgerliche ›Selbst‹ als Gegenstand seiner Selbstbeobachtung differenziert sich im Medium der Schriftlichkeit aus, und seine Selbsthermeneutik speist sich aus der ›Selbstbildung‹, die in diesen Aktivitäten wahrgenommen wird.«31 In dieser bürgerlichen Schriftkultur etabliert sich ein »RealismusEffekt«32 für Texte und eine Lektürepraxis als »lautlose, solitäre, körperlich immobile, extensiv-kursorische, an Neuem orientierte und ›hermeneutische‹ Aktivität.«33 In einem »privaten, der Beobachtung

28 Böpple, Friedhelm/Knüfer, Ralf: Generation XTC, München 1998, S. 33. 29 Ebd., S. 34. 30 Vgl. A. Reckwitz: Subjekt, S. 155ff. 31 Ebd., S. 156. 32 Ebd., S. 158. 33 Ebd., S. 160.

G ENERATION B UILDING

| 211

durch andere entzogenen Raum«34 sucht der Leser nach »übergreifenden Erzähl- und Argumentationsstrukturen«35 – in diesem Fall die Erzählung einer Generation, wie sie sich aus ihrer spezifischen Prägungssituation heraus entwickelt und schließlich Gestalt annimmt. Als besonders effektreich stellt Reckwitz Texte dar, die »lebenspraktische Exemplarität beanspruchen«36 und gleichzeitig »einen Sinn für biographische Temporalität und die subjektive Zurechenbarkeit von Entscheidungen heranziehen«37; als Beispiele nennt er Autobiographien, Biographien oder bürgerliche Romane. Wie bestimmte Romane die Schilderung subjektiver Entscheidungen so darstellen, dass sie von Lesern als exemplarisch wahrgenommen werden und damit eine Lesart für das eigene Selbst bereitstellen, die in diesem Fall generationenspezifisch codiert ist, beschreibt Florian Illies selbst am Beispiel der Lektüreerfahrung der Bücher von Kracht und Stuckrad-Barre. Er beschreibt, dass der Stil seiner Generation eine ganze Zeitlang unlesbar gewesen sei, schlicht, weil es an Role Models gefehlt habe: »Der Snobismus unserer Generation wurde aber relativ lange unter den Teppich gekehrt, wahrscheinlich auch, weil es an Identifikationsfiguren fehlte.«38 Den entscheidenden Einschnitt setzt er 1995 mit dem Erscheinen von Krachts Roman Faserland.39 Illies schildert, dass Kracht für eine Generation eine Sprache entwickelt, mit der bestimmte Erfahrungen und Einstellungen formuliert werden können: [D]ie Ernsthaftigkeit, mit der Kracht Markenprodukte einführte und als Fundamente des Lebens Anfang der neunziger Jahre vor Augen führte, wirkte befreiend. Nicht nur ich, so durfte man endlich sagen, finde die Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke schwieriger als die zwischen CDU und SPD. Es wirkte befreiend, daß man endlich den gesamten Bestand an Werten und Worten der 68er-Generation, den man immer als albern empfand, auch öffentlich albern nennen konnte.40

34 Ebd. 35 Ebd., S. 162. 36 Ebd., S. 156. 37 Ebd. 38 F. Illies: Generation, S. 152f. 39 Ebd., S. 153. 40 Ebd.

212

| DOING GENERATION

Indem ein Buch eine spezifische Sprache über Markenprodukte einführt, wird diese als sagbar legitimiert. Es geht dabei nicht nur um die Präferenzen zwischen einzelnen Marken, sondern vor allem darum, dass ein bestimmtes Thema in die kommunikative Semantik eingeführt wird. Ein ähnliches Lese-Erlebnis schildert Illies später bei der Lektüre der Romane von Stuckrad-Barre: Seine Fortsetzung fand Faserland drei Jahre später in den Romanen Soloalbum und Livealbum von Benjamin von Stuckrad-Barre. Der Spiegel, ganz irritiertes Zentralorgan der 68er, faßte Soloalbum mit spitzen Fingern an und schrieb etwas vom ›Amoklauf eines Geschmacksterroristen‹. Wir jedoch lasen das Buch mit gierigen, Ice-Tea-verklebten Fingern durch, weil es so mustergültig abrechnete mit der Latzhosen-Moral der siebziger Jahre und ihrer verlogenen Sprache.41

Auch hier geht es vor allem um die Etablierung einer Kommunikation, die Anschlussfähigkeit nicht nur ermöglicht, sondern in diesem Fall sogar beschleunigt. In der Lese-Erfahrung ›erkennt‹ Illies Kracht und Stuckrad-Barre schließlich als »Generationsgenossen«.42 Katharina Rutschky beschreibt genau dies als Spezifikum des Popromans. Mit seinem Buch zielt Illies wiederum selbst auf den Effekt ab, für seine Generation eine Sprache zu etablieren, die dann wiederum zu ähnlichen Lese-Erlebnissen führt. Zumindest Heike Makatsch – und wiederum Stuckrad-Barre selbst – verbürgen durch ihr Statement auf der Buchrückseite eine ähnlich gelagerte Erfahrung. So schafft die Generatiographie die Möglichkeit, ein Generationsangebot anzunehmen und sich als Teil einer Generation zu verstehen, indem man die Bezeichnung »Generation Golf« auf sich selbst bezieht. Einem Leser wird mit der Schilderung der Generativitätsmythen angeboten, zu sagen: ›Ja, das habe ich auch erlebt!‹ und sich damit dem gleichen Generationszusammenhang zuzuschreiben. Diesen Identifikations-Effekt hat Katharina Rutschky als Verschwinden der Grenzen von Autor, Figur und Leser beschrieben.43 Es handelt sich damit um eine popularisierende Kommunikationsform nach Stäheli, die – wenn sie in großer Breite erfolgreich ist – tatsächlich zu einem gemein-

41 Ebd. 42 Ebd. 43 Vgl. K. Rutschky: Wertherzeit, S. 110.

G ENERATION B UILDING

| 213

schaftsfördernden Effekt führen kann, ganz im Sinne der von Gamper beschriebenen Funktion der Literatur als Regulationsmedium.44 Adressierungen Damit aber eine Kommunikation über generationelle Deutungsangebote stattfinden kann, müssen diese adressierbar sein und zuallererst auf einen Begriff gebracht werden. Bernd Kittlaus diskutiert in seiner ausführlichen Dokumentation des Generationendiskurses im Internet verschiedene Generativitätsmythen, so beispielsweise politische Ereignisse, ästhetische Stile oder technische Innovationen.45 Mit diesen drei Generativitätsmythen verbindet Kittlaus auch jeweils einen Generationenbegriff. Aus einer politischen Konstellation sei die Generation Berlin entstanden, aus einem ästhetischen Stil die Generation Golf und schließlich aus technischen Innovationen die Generation @. Um eine Generation wirksam zu popularisieren, ist es nicht nur entscheidend, die generativen Prozesse zu beleuchten, sondern vor allem, eine entschiedene Identitätspolitik zu betreiben, also die komplexen Prozesse von Prägung und Wirkung auf einen Begriff zu bringen. Nicht selten werden hierfür Kollektivsymbole verwendet. Unter Kollektivsymbolen werden nach Jürgen Link bildliche, »›topisch‹ reproduzierte Symbole mit kollektivem Träger«46 verstanden. Ein solches Kollektivsymbol ist beispielsweise Florian Illies‫ ތ‬Golf – ein Symbol, das er auf ein ganzes Kollektiv bezieht, nämlich die Generation Golf. Im Falle von Illies ist der Golf zugleich auch noch als visuelles Kollektivsymbol auf den Buchtiteln präsent. Die Funktion von Kollektivsymbolen bestimmt Link als »Konzentrat, Kristallisation und Basis kultureller Interdiskursivität: Wenn moderne Kulturen durch hohe funktionale Differenzierung und Wissensspezialisierung (mittels Spezialdiskursen) gekennzeichnet sind, dann sind interdiskursive Reintegrationen sowohl für die einzelnen Subjekte wie für die Gesamtkultur unverzichtbar«47. Damit haben Links Kollek-

44 Vgl. M. Gamper: Masse, S. 33. 45 Vgl. B. Kittlaus: Streit. 46 Becker Franz /Ute Gerhard/Jürgen Link: »Moderne Kollektivsymbolik«, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur (IASL) 1 (1997), S. 70-154, hier S. 71. 47 Ebd., S. 73.

214

| DOING GENERATION

tivsymbole eine ähnliche Funktion wie Stähelis Konzept des Populären. Tom Karasek deutet den Golf als Kollektivsymbol für die Generation Golf so, als dass dieses Auto ein ganz besonders durchschnittliches Modell ist, das sich damit besonders gut für eine Generation eignet, die sich vor allem als normal zu beschreiben versucht.48 Zudem steht es natürlich für den Illies beschriebenen ›Ausbruchsmoment‹ seiner Generation – der Golf ist die Möglichkeit, das Elternhaus zu verlassen und in die Welt hinaus zu fahren. Doch nicht nur Generationenbegriffe, auch die Adressen der Autoren von generationellen Deutungsangeboten werden genutzt, um Generationen zu popularisieren. Im Zusammenhang mit generationeller Kommunikation können Autoren so den Ausleseprozess voran treiben, indem sie generationelle Deutungen vorselektieren und den Lesern Deutungsangebote präsentieren, die diese annehmen können. Diese Rolle lässt sich allerdings noch weiter ausdifferenzieren. Schreibende können sich zum einen als ›Beobachter‹ positionieren, die Generationalitäten, Generationelle Verhältnisse und Generativitäten durchschauen. Der Schreibende kann dabei in Anspruch nehmen, über besondere Beobachtungsfertigkeiten zu verfügen, die ihm diese Diagnose ermöglichen. Eine solche Position nimmt beispielsweise Claus Leggewie in seinem Porträt der 89er-Generation ein.49 Sein Buch ist gerade keine Autogeneratiographie, da er sich selbst nicht als Teil der Generation beschreibt. Anders als Leggewie nehmen Illies, Kullmann und viele andere darüber hinaus noch die Position des ›Sprachrohrs‹ ein und beanspruchen mit ihrem Buch, für eine Generation zu sprechen. Die Formulierung, jemand sei ›Sprachrohr seiner/ihrer Generation‹ ist mittlerweile zu einem stehenden Begriff geworden. Ein Spezifikum des Kunstsystems kann dabei genutzt werden, um überzeugende Sprecherrollen zu etablieren: »Das Kunstsystem muss sich Personen (Kommunikationsadressen, Erwartungscollagen) konstruieren, die mit der Befähigung ausgestattet sind und über Beobachtungsfertigkeiten verfügen, die in der Gesellschaft nicht beliebig verbreitet sind.«50 Gerade für Schriftsteller hat es historisch immer wieder

48 T. Karasek: Generation, S. 233. 49 Vgl. C. Leggewie: 89er. 50 Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation. Zur Theorie des operativen Displacement, Frankfurt 1993, S. 165f.

G ENERATION B UILDING

| 215

andere Möglichkeiten gegeben, bestimmte Rollen einzunehmen, wie die als Genie, als Stimme des Volkes, als Generator einer écriture automatique oder als Provokateur.51 So werden Schriftsteller eben auch häufig als Sprachrohre ihrer Generation bezeichnet. Vor allem als Fremdbeschreibung findet man diese Zuschreibung, so im Rückblick auf den »ersten deutschen Popliteraten Rolf Dieter Brinkmann«52 oder auch als Prognose für neu entdeckte Schriftsteller, wie beispielsweise Sabine Neumann, die mit ihrem Erzählband Streit »gute Chancen [hätte], zum neuen literarischen Sprachrohr ihrer Generation ausgerufen zu werden«53. Andrian Kreye vertritt sogar die These, es seien nie die Schriftsteller selbst (und Rockstars) selbst gewesen, die sich zur Stimme ihrer Generation erklärt hätten.54 Als Beispiele nennt er die J. D. Salinger, Jack Kerouac, Bob Dylan und Kurt Cobain, die es alle als lästig empfunden hätten. An dieser These hingegen sind Zweifel angebracht. Häufig genug gibt es unter Schriftstellern und Publizisten auch Auseinandersetzungen um generationeninterne Legitimation. Richard Herzinger spricht beispielsweise von einer Konkurrenz um die Sprecherrollen für »die« neue Generation – und fragt sich, was diese gemeinsam haben und ob diese tatsächlich eine Generation repräsentieren.55 In den Fällen von Paul Nolte und Heinz Bude ist diese Zuordnung zu den Rollen der Beobachter und der Sprachrohre nicht ganz klar. Beide setzen sich mit ihren Büchern als Intellektuelle in Szene, als Grenzgänger zwischen Geisteskultur und Politik, als unabhängige Beobachter ohne politisches Amt auf der einen Seite und im politischen Diskurs relevante Sprachrohre auf der anderen Seite.

51 Vgl. hierzu Lauer, Gerhard: »Offene und geschlossene Autorschaft. Medien, Recht und der Topos von der Geburt des Autors im 18. Jahrhundert«, in: Detering, Heinrich (Hg.), Autorschaft: Positionen und Revisionen, Stuttgart/Weimar 2002, S. 461-478. 52 Rühle, Alex: »Die Welt als Rohmaterial«, in: Süddeutsche Zeitung vom 15.04.2000. 53 Reichart, Manuela: »Putzmann gegen Schlampe«, in: Süddeutsche Zeitung vom 13.02.2001. 54 Vgl. Kreye, Andrian: »Die Beseelung einer Vorstadt durch den Schrecken«, in: Süddeutsche Zeitung vom 13./14./15.08.2005. 55 Vgl. R. Herzinger: Mythos, S. 147.

216

| DOING GENERATION

Bernd Kittlaus versucht sich auf seiner Generationen-Website an einer Katalogisierung dieser Sprachrohre. Jeder kursierenden Generationenmarke ordnet er eine Liste mit dazugehörigen Autoren zu. Im Verzeichnis der »Autoren der Generation Golf« finden sich über 100 Namen, die er in die Rubriken »Schriftsteller«, »Sachbuchautoren«, »Journalisten« und »Wissenschaftler« unterteilt.56 Die beiden – im Verständnis von Kittlaus – konkurrierenden Generationenmarken verfügen nur über kürzere Liste von Mitgliedern. Zu den »Autoren der Generation @« zählt Kittlaus vier »Schriftsteller«, Xaver Bayer, Benjamin Lebert, Franziska Gerstenberg und Henrik Hieronimus; darüber hinaus fünf »Sachbuchautoren«, nämlich Jana Hensel, Philipp Mißfelder, Rupprecht Podszun, Marie Pohl und Maja Roedenbeck.57 Im Verzeichnis der Autoren der Generation Berlin katalogisiert Kittlaus keine »Schriftsteller«, nur »Autoren«, und zwar Hans-Peter Bartels, Heinz Bude, Susanne Gaschke, Wolfgang Kraushaar und Claus Leggewie.58 Exemplarität Darin zeigt sich, dass Generationen, um sichtbar zu werden, auf Personen angewiesen sind. Der Begriff der Person wird in der Systemtheorie als Begriff zur Identifikation von individuellen Erwartungen definiert.59 Damit ist der Begriff auch einer der theoretischen Optionen, die Systemtheorie anschlussfähig zu halten für Erwartungsbündel, die sich mit Begriffen wie Geschlecht, Rasse, Klasse oder eben Generation fassen lassen.60

56 Vgl. Kittlaus, Bernd: »Die Autoren der Generation Golf: Von der Kleinfamilie zur Normalfamilie der Neuen Mitte«, Download unter http://www.single-generation.de/kohorten/golf.htm. 57 Vgl. Kittlaus, Bernd: »Die Autoren der Generation @: Erwachsenwerden im Zeichen der Demographiepolitik«, Download unter http://www.singlegeneration.de/kohorten/internet.htm. 58 Vgl. Kittlaus, Bernd: »Die Autoren der Generation Berlin: Der Bruch mit der Bonner Republik«, Download unter http://www.single-generation.de/kohorten/generation_berlin.htm. 59 Vgl. N. Luhmann: Systeme, S. 429. 60 Hellmann, Kai-Uwe: »1988 – und was nun? Eine Zwischenbilanz zum Verhältnis von Systemtheorie und Gender Studies«, in: Sabine Kampmann/Alexander Karentzos/Thomas Küpper (Hg.), Gender Studies und

G ENERATION B UILDING

| 217

Das Verhältnis der Person zur Generation ist das eines Beispiels oder Exemplums. Beispiele verweisen »auf etwas Allgemeines, auf ein Wesen, auf eine Regel«61 und veranschaulichen damit diese Regel. Paul Noltes Generation Reform wäre nicht sichtbar, wenn er nicht selbst als Autor aufträte, oder, wie es der Klappentext seines Buches bezeichnet, wenn sich »die wache intellektuelle Stimme einer Generation Reform« nicht artikulieren würde. Er etabliert sich selbst als Beispiel der Generation Reform. Ebenfalls mit Beispielen operieren die »Generation Zuversicht«62 und die »Generation Flex«63, zwei Titelgeschichten deutscher NachrichtenMagazine. Wie werden hier Generationen lesbar gemacht? Beide Magazine haben jeweils eine repräsentative Studie in Auftrag gegeben: Für den Focus befragte Data Concept im Rahmen der »JugendTrends 2000« 1824 Jugendliche zwischen 14 und 29, für den Stern und NEON befragte Forsa rund 2000 Menschen zwischen 18 und 30. Die Berichte bauen zum einen auf den statistischen Ergebnissen auf, um eine spezifische Geburtskohorte zu beschreiben, hierzu gehören Fragen zu Werten, Sexualität, Politik, Zukunftsvorstellungen. Zum anderen werden sie mit zum Teil prominenten Fallbeispielen illustriert, wie der Schauspielerin Mavie Hörbiger, den Sängern der Band Echt oder der VIVA-Moderatorin Kim Geraldine. Das Verhältnis von Generation und Exempel kann dabei wechselseitig sein. Im Fall der Titelgeschichten verschränken sich die zwei Operationen eines Belegbeispiels und eines Ausgangsbeispiels.64 Einerseits wird versucht, die Regelhaftigkeit der Generation durch die Fallbeispiele jeweils zu belegen; gleichzeitig sind es die Fallbeispiele, von denen mitunter ein Verständnis der Generation überhaupt erst

Systemtheorie. Studien zu einem Theorietransfer, Bielefeld 2004, S. 1646, hier S. 38. 61 Schützeichel, Rainer: »Annäherungen an eine Wissenssoziologie des Exemplarischen«, in: Willer, Stefan/Ruchatz, Jens/Pethes, Nicolas (Hg.), Das Beispiel. Epistemologie des Exemplarischen, Berlin 2007, S. 357373, hier S. 361. 62 Vgl. Stern vom 18. 08. 2005, Titelbild. 63 Vgl. Focus vom 20. 03. 2000, Titelbild. 64 Vgl. Willer, Stefan/Ruchatz, Jens/Pethes, Nicolas: »Zur Systematik des Beispiels« in: dies. (Hg.), Das Beispiel. Epistemologie des Exemplarischen, Berlin 2007, S. 7-59.

218

| DOING GENERATION

ausgeht. Sind es die prominenten Beispiele, anhand derer sich die Redaktionen induktiv um eine präzise Formulierung der Generationendiagnose bemühten, oder stand diese Diagnose fest, und die Beispiele wurden deduktiv ausgewählt, um die Regelhaftigkeit anschließend zu belegen? TEMPO und NEON operieren beispielsweise in ihren Deutungsangeboten unterschiedlich. Wie beschrieben, porträtiert NEON in ihrer ersten Ausgabe eine ganze Reihe von ›wichtigen jungen Deutschen‹, so zum Beispiel Benjamin von Stuckrad-Barre, Florian Illies, Heike Makatsch, Nora Tschirner, Judith Hermann, Christian Ulmen, Judith Holofernes, Benjamin Lebert, Julia Hummer, Jana Hensel, Malin Schwerdtfeger und Philip Rösler.65 Im Vergleich zu TEMPO wird hier von einer Rhetorik der Belegbeispiele auf die von Ausgangsbeispielen umgeschaltet. Während TEMPO mit einer »Generation der Widersprüche«66 ein Deutungsangebot vorschlug, das mit Beispielen belegt wurde, zeigt NEON nur die einzelnen Beispiele auf. Sie können für den Leser als Ausgangspunkt dienen, um sich gleichsam induktiv eine Generationalität zu erschließen. Sascha Lehnartz entwirft in der FASZ ebenfalls in Anlehnung an Nora Tschirner eine »Generation Nora«67: Weil einige Leute bemerkt haben, daß Nora Tschirner häufiger als andere flotte schlaue Dinge sagt, ist sie schwuppdiwupp zu so einer Art Vorzeigefigur der popkultivierten Post-Wiedervereinigungs-Jugend geworden. Nora, das Zonenkind, geboren 1981 in Berlin, damals noch Hauptstadt der DDR, ein MTVMädchen mit Hirn, eine berlinernde Göre (»rotzfrech« nicht vergessen), aus Pankow, role model einer Teenie- und Twen-Generation, für die Ost-WestGegensätze nicht mehr so wahnsinnig wichtig sind, die Seichtigkeiten hemmungslos preisen kann, ohne dabei zu übersehen, daß es Wichtigeres gibt. […] Wenn die in der Generation Nora jetzt wirklich alle so sind, müßte man sich um die Zukunft des Vaterlandes echt weniger Sorgen machen.68

65 Vgl. NEON von Januar 2003. 66 Horx: Generation. 67 Lehnartz, Sascha: »Die schöne, leichte Schwere«, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 01.05.2005, S. 55. 68 Ebd.

G ENERATION B UILDING

| 219

Wenn Nora Tschirner hier als Vorzeigefigur oder Role Model bezeichnet wird, verschränken sich nicht nur Beleg und Ausgangspunkt ineinander, Nora Tschirner übernimmt zugleich auch noch die Rolle als normatives Beispiel. Sie ist nicht nur der Normalfall ihrer Generation, sondern zugleich auch noch das Ideal, an dem sich nach Einschätzung des Autors alle anderen orientieren sollten. Wer sonst noch zur »popkultivierten Post-WiedervereinigungsJugend« um Nora Tschirner herum gehört – das lässt dieser Text offen. Eine ähnliche Lücke lässt Noltes Beschreibung der Generation Reform: Sie erinnert ein wenig an Budes Modell der PolitikerGeneration, die in den Hinterzimmern wirkt. Sein Generationenkonzept weckt die Vorstellung einer Gruppe von Staatssekretären, Landesvorsitzenden, fachpolitischen Sprechern der Fraktionen und vielen anderen Politikern in Ämtern der zweiten Reihe, die allesamt einer Generation angehören. Diese Politiker streben Nolte gemäß nach Reformen – doch sie werden in Noltes Buch nicht mit Namen genannt. Das von ihm geschilderte politische Programm unterschreibt niemand außer Nolte selbst, der wiederum kein Politiker ist, sondern als Historiker nur außenstehender Beobachter. Die Generation Reform wird von Nolte nur behauptet – sie verharrt in der Latenz. Generationen adressieren eben nicht nur wenige populäre Personen, sondern zumeist auch eine unsichtbare Masse, die eben diesen Personen in generationenspezifischen Eigenheiten gleicht. Wenn Sascha Lobo und seine Mitstreiter der SPD vorwerfen, für die Generation unwählbar zu sein, dann verweisen sie nicht nur auf ihre eigene Meinung, sondern auf die »vielen Millionen jungen Menschen«69, die angeblich hinter ihnen stehen. Mit der Generationensemantik können dabei zwei unterschiedliche Aspekte einer latenten Masse beschrieben werden: Auf der einen Seite die imaginären Bilder einer massenhaften neuen Generation als Bedrohung, auf der anderen Seite als in das Generationenschema integrierbar, sofern »sie zum Gegenstand entsprechender Subjektivierungstechniken«70 werden. Latente Masse und sichtbare Exempla bilden so zwei Seiten einer Unterscheidung, deren Einheit die Generation bildet. Statistiken und Fallgeschichten sollen so in den Titelgeschichten von Stern und Focus

69 SPD-Online-Beirat: Online-Beirat. 70 Ebd., S. 184.

220

| DOING GENERATION

einer unsichtbaren und unlesbaren Masse einer Geburtskohorte Gesichter und Gestalt geben. Sie machen aus jungen Menschen, die den gleichen Geburtsjahrgängen angehören, eine Generation, die sich als »flexibel« oder »zuversichtlich« beschreiben lässt, aber vor allem überhaupt beschreiben lässt – eben als »Generation Flex«71 oder die »Generation Zuversicht«72. Die von Data Concept ausgewählten 1824 Jugendlichen und die von Forsa befragten 2000 Menschen sind jeweils Samples, die repräsentativ für eine weit größere Population stehen – im Fall des Focus die Jugendlichen zwischen 14 und 29 Jahren, im Stern Deutsche zwischen 18 und 30. Nicht selten werden bei Generationendeutungen Exempla beschrieben, die generationenspezifische Leistungsrollen einnehmen, sowie im Beispiel von Bernd Kittlaus‫ ތ‬Katalog. Wie bereits im dritten Kapitel dieser Studie diskutiert, können Generationen Inklusion sowohl in Leistungsrollen als auch in Publikumsrollen ermöglichen. Im Literatursystem nimmt ein Autor eine Leistungsrolle ein, während Leser zu den Publikumsrollen zu rechnen sind. Florian Illies beispielsweise wechselt in seinem Buch die Rollen, mal ist er als Schreiber seines eigenen Buches in einer Leistungsrolle, mal ist er als Leser von Kracht und Stuckrad-Barre in einer Publikumsrolle Generationen können auch ein Verhältnis von generationsspezifischen Leistungs- und Publikumsrollen entwickeln, wie beispielsweise die Generation XTC, die die spezielle Leistungsrolle des DJ herausbildet. Friedhelm Böpple und Ralf Knüfer beschreiben DJs als Schamanen, die die sozialpsychologische Funktion haben, einen Ausnahmezustand in Form einer Ekstase herbeizuführen und auf das kollektive Unbewusste ihrer Gemeinde zu wirken.73 Gleichzeitig etabliert die Generation XTC die Publikumsrolle des Tanzenden, der vom DJ in Ekstase gebracht wird. Die Inklusion in diese Rollen ist damit das zentrale Initiationsritual für die Generation XTC: Denn Vereinzelung haben die Jugendlichen wohl in allen Industrieländern am eigenen Leib erfahren. Die Generation um Techno teilt dieses Gefühl und reagiert darauf. Ursprüngliche Natürlichkeit soll erfahrbar gemacht werden. Der Club dient der Ausübung des Rituals und schweißt die Teilnehmer für eine

71 Vgl. Focus, Nr. 12/2000, Titelbild. 72 Vgl. Stern, Nr. 34/2005, Titelbild. 73 F. Böpple/R. Knüfer: Generation, S. 83.

G ENERATION B UILDING

| 221

Nacht zu einer idealistisch-schwärmerischen Gefühlsgemeinschaft zusammen. Alle Elemente, die eine ästhetisch-suggestive Emotionalisierung fördern, werden verwendet.74

Generationenstars Holm Friebe diskutiert in seinem Kursbuch-Essay Leistungs- und Publikumsrollen seiner Generation unter dem Begriff des Stars. Spitzensportler fielen als moralische Instanz ohnehin aus, Wirtschaftsführer der New Economy seien ihnen von Anfang an suspekt gewesen und auch Politiker kämen nicht in Frage, die einzigen würdigen Repräsentanten seiner Generation seien Stars.75 Um diese zu ermitteln, versucht Friebe zunächst, generationsspezifische Stars von »alters- und generationenübergreifenden Stars«76 zu unterscheiden. Er stellt er eine Sympathie für Madonna, Brad Pitt in Fight Club oder Harald Schmidt fest – allerdings handele es sich hierbei stets eben nicht um Generationsgenossen. Stattdessen interessiert er sich für Generationenstars: Reden wir von den Stars, die wir aus unseren Reihen freigestellt haben, an unserer Statt […] das Startum zu erkunden. Oder die sich selbst qua Talent und guter Taktik dazu freigestellt haben. Greifen wir gezielt, aber wahllos vier Typen heraus, die man als unsere Stars bezeichnen könnte – »zum Anfassen«, wenn man so will – und die vielleicht sogar als generationsspezifische Prototypen taugen.77

Friebes Stars sind explizit in den eigenen Reihen verortet, sie sind trotz ihrer individuellen Besonderheit stets der Generationseinheit zuzurechnen. Jede Generationseinheit muss nach Mannheim notwendig Gruppen konstruieren, die spezifische Leistungen erbringen, um als Generation lesbar zu werden. Gleichzeitig wird aus Friebes Formulierung auch noch eine Doppelperspektive sichtbar. Einerseits spricht er davon, dass Generationen sich auf Repräsentanten einigen, die sie selbst freistellen, also aktiv als

74 Ebd., S. 84. 75 Vgl. Friebe, Holm: »Stars ›r‹ us«, in: Kursbuch 154 (2003), S. 172-177, S. 173. 76 Ebd. 77 Ebd.

222

| DOING GENERATION

Stars konstruieren. Andererseits erwähnt er aber auch die Möglichkeit, dass sich einzelne selbst in die Position eines Generations-Stars begeben haben. Genau letzteres ist damit gemeint, wenn Herzinger davon spricht, dass junge Menschen um die Rolle als Sprachrohr miteinander ringen oder wenn Martin ironisch seinen Generationentext damit begründet, durch diesen Text kulturelle Hegemonie anzustreben.78 Die Bottom-Up-Perspektive aus der Generation heraus und die Top-DownPerspektive der einzelnen Repräsentanten sind dabei stets aufeinander angewiesen, der kommunikative Erfolg der Herausbildung von Sprachrohren einer Generation ist oftmals gegründet auf ein komplexes Geflecht ans Selbst- und Fremdbeschreibungen. Jens Ruchatz beschreibt Stars als populäre Kommunikation im Sinne Stähelis.79 Sie bieten affektive und hyperkonnektive Kommunikationsformen an, mit Hilfe Identifikationseffekte ermöglicht werden können und Inklusion in Funktionssysteme gesichert werden kann. Auch generationelle Gattungen popularisieren sich häufig über den Bezug auf Stars. So beschreibt Katja Kullmann prominente Vorbilder ihrer Generation oder nennt Florian Illies Bürgen für seine Generation auf der Umschlagseite. Auch das jetzt-Magazin profiliert sich über seine Stars. So ziert Heike Makatsch einmal das Titelblatt,80 aber auch VIVA2-Moderatorin Charlotte Roche.81 Als VIVA2 und damit auch Ro-

78 M. Martin: Wir, S. 1. 79 Vgl. Ruchatz, Jens: »Geschichte der Individualität. Eine medienwissenschaftliche Perspektive«, in: Crivellari, Fabio/Kirchmann, Kay/Sandl, Marcus/Schlögl, Rudolf (Hg.), Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004, S. 163192, hier S. 176; vgl. hierzu ebenso Ruchatz, Jens: »Personenkult. Elemente einer Mediengeschichte des Stars«, in: Keck, Annette/Pethes, Nicolas (Hg.), Mediale Anatomien, Bielefeld 2001, S. 331-349. Stellvertretend für die lange filmwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Stars sei hier auf den semiotischen Ansatz Richard Dyers verwiesen, der Stars als Zeichen in einem Kommunikationsprozess auffasst, dadurch ist es möglich, Stars wie andere Medientexte eben auch zu »lesen«. Vgl. Dyer, Richard: Stars, London 1979. Auch außerhalb des Films werden Stars mittlerweile Gegenstand von Analysen: Vgl. Ullrich, Wolfgang/Schirdewahn, Sabine: Stars: Annäherungen an ein Phänomen, Frankfurt/M. 2002. 80 Vgl. jetzt-Magazin vom 29.06.1996. 81 Vgl. jetzt-Magazin vom 09.04.2001.

G ENERATION B UILDING

| 223

ches Sendung Fast Forward abgeschaltet wird, titelt das jetztMagazin: »Warum unser Lieblingssender Viva Zwei aufhören muss« und stellt auch hier wieder mit dem Personalpronomen »unser« einen kollektiven Bezug her.82 Mit Julia Hummer macht das jetzt-Magazin auch seinen eigenen Star: 1998 wird sie auf der Straße entdeckt und ziert das Titelbild des Magazins. Der Regisseur Sebastian Schipper, begeistert von diesem Titelbild, castet Hummer anschließend für seinen Film Absolute Giganten. Damit beginnt Hummers Kinofilmkarriere, die 2001 in der Nominierung für den Deutschen Filmpreis für Die innere Sicherheit gipfelt. Während ihrer Karriere taucht Hummer immer wieder als Interviewgast oder Autorin im jetzt-Magazin auf. Im jetzt-Kosmos hingegen kann jeder zum Star werden: Die Überschrift »Star Sein« überschreibt programmatisch den literarischen Teil des Kosmos, indem jeder seine Texte veröffentlichen kann; in der Rubrik »jetzt-Original« werden regelmäßig jetzt-Nutzer prominent ausgestellt. Holm Friebe zählt in seinem Essay schließlich vier Stars seiner Generation auf, Christian Paul, Christian Ulmen, Judith Holofernes und Rafael Horzon, die alle auf unterschiedliche Art und Weise zu Prototypen seiner Generation wurden. So ist die Schauspielerin Paul bekannt geworden durch den Film Das Leben ist eine Baustelle, was Friebe zu der Vermutung veranlasst, seine Generation habe eine Liebe zu solchen Slogans entwickelt. Was Paul auszeichnet, sind vor allem ihre Natürlichkeit und ihr Charme, sowie ihre Hartnäckigkeit, ihre Tätigkeit als Ärztin weiterzuführen: »Es ist dieser unglaubliche Pragmatismus, nur weil man es gerade mal zum Star gebracht hat, die bürgerliche Karriere trotzdem nicht sausenzulassen, der einem den Stecker rauszieht.«83 Während die ehrgeizige Christiane Paul den Typus »perfekte Schwiegertochter«84 verkörpere, sei MTV-Moderator Christian Ulmen »der sympathisch unambitionierte Slacker, der zielstrebig und idiosynkratisch seinen eigenen Film fährt.«85 Nach Friebe ist Ehrgeiz dabei kein Kennzeichen seiner Generation, vielmehr sei es möglich, dass

82 Vgl. ebd. 83 H. Friebe: Stars, S. 174. 84 Ebd. 85 Ebd.

224

| DOING GENERATION

sich in dieser Generation eben auch völlig unterschiedliche Typen entwickeln. Ulmen zeichne sich dadurch aus, dass er in seiner Sendung Unter Ulmen ein großes humoristisches Talent bewiesen habe, so dass er vermutlich der einzige sei, der das ›Erbe‹ von Harald Schmidt antreten könne. Die jüngste der vier ist Judith Holofernes, Sängerin der Band Wir sind Helden. Ihr schreibt Friebe zu, mit ihren Liedern eine »Breitseite gegen den Kapitalismus«86 zu feuern. Friebe beschreibt anhand der Reaktion auf deren Single Müssen nur wollen, wie die IndependentBand eine Starfunktion in ihrer Generation einnimmt: Was gemeint war als eine Bartlebysche Absage an das Wollenmüssen, wurde rezipiert als Fanal zum Aufbruch der jungen Generation, als Soundtrack zum Ruck, der endlich durch Deutschland gehen müsste. Über Nacht war Judith Holofernes zur Klassensprecherin der Dreißigjährigen (und Jüngeren) geworden und wurde von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zum Interviewtermin mit Sigmar Gabriel gebeten, dem neu installierten ›Beauftragten für Popdiskurs und Popkultur‹ der SPD.87

Zum einen lässt sich hieran ablesen, wie gerade auch über Missverständnisse kommunikative Sprachrohr-Positionen zugewiesen werden können. Zum anderen zeigt Friebes Beispiel auch auf, wie eine solche Position kommunikativ stabilisiert werden kann. Wenn die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung als eine der wichtigsten überregionalen Zeitungen Deutschlands Gabriel und Holofernes zu einem solchen Doppelinterview einlädt, dann werden beide nicht nur als Individuen miteinander ins Gespräch gebracht. Es geht hier vielmehr darum, dass die Zeitung ein offizielles Forum bereitstellt, auf dem Gabriel als Vertreter der Politik und Holofernes als Vertreterin der Kultur die Lage der Jugend diskutieren können. Damit bestätigt die FAS eine Legitimation beider Figuren, für ihr jeweiliges Lager repräsentativ sprechen zu können. Friebe erläutert, warum sich in diesem Interview Holofernes gut geschlagen habe: Sie habe sich einerseits einem Dialog mit der Politik nicht verschlossen, sich andererseits aber nicht vereinnahmen las-

86 Ebd., S. 175. 87 Ebd., S. 176.

G ENERATION B UILDING

| 225

sen. Friebe bringt diese Einstellung mal wieder auf einen Slogan: »vergnügt sein und trotzdem nicht einverstanden.«88 Als vierten Star stellt Friebe Rafael Horzon mit folgender Begründung vor: »Wir brauchen ihn an dieser Stelle, um den Altersdurchschnitt zu heben und um die Felder Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft abzudecken, die Horzon in seiner Person bündelt wie kein zweiter.«89 Implizit formuliert Friebe damit einen Geltungsanspruch seiner Generation für alle relevanten gesellschaftlichen Systeme, indem er behauptet, es ließen sich in jedem System Vertreter seiner Generation finden, die Leistungsrollen einnehmen. Horzon habe, um eine Tarnung für einen halblegalen Club zu fingieren, eine Galerie mit Installationen begründet, die von einem angeblichen japanischen Künstler stammen. Eine unverhoffte Einladung zur Documenta habe ihn daraufhin als Künstler etabliert. Im System der Wissenschaft habe sich Horzon durch die Gründung einer »Wissenschaftsakademie« in Berlin positioniert, an der man in einem Studium Generale einen Abschluss erwerben konnte; schließlich habe er ein komplexes Firmenkonglomerat gegründet, zu dem eine Möbelproduktion, ein Modelabel, ein Betrieb zur Fassadendekoration und eine Partnertrennungsagentur gehören. Generationenstars Trotz ihrer völlig unterschiedlichen Positionierungen verbindet Friebes vier Prototypen einiges. Alle vier leben in Berlin, und das geschieht nicht zufällig: »Reden wir also von uns und unserer urbanen Eisscholle. Reden wir von Berlin. Reden wir von den Stars, die wir aus unseren Reihen freigestellt haben, an unserer Statt (und in unserer Stadt) das Startum zu erkunden.«90 Alle vier sind zudem »bourgeoise[n] Bohemiens«91, kurz Bobos – das kulturelle Programm seiner Generationseinheit, auf das Friebe verweist. Stilprogramme sind eine überindividuelle Adressierungsform. Sie sind eine Möglichkeit, verschiedene Beispiele einer Generation mittels stilistischer Ähnlichkeiten zusammenzufassen und beschreibbar zu machen. So stehen beispielsweise Heike Makatsch und Benjamin von

88 Ebd. 89 Ebd. 90 Ebd., S. 173. 91 Ebd., S. 172.

226

| DOING GENERATION

Stuckrad-Barre, Illies‫ ތ‬Bürgen für die Generation Golf, jeweils für ein solches kulturelles Programm, einmal für das Programm der ›Girlies‹, einmal für das Programm der ›Dandys‹. Makatsch nahm nicht nur als VIVA-Moderatorin eine Leistungsrolle gegenüber ihrem Fernsehpublikum ein, sondern sie galt auch lange Zeit als Inbegriff des Girlies. So mutmaßt beispielsweise die tageszeitung zu ihrer neuen Heike Show auf VIVA, sie sei bei Gründung des Musikfernsehsenders besetzt worden, da der Sender generationsspezifische Prototypen gesucht habe, die sich nicht unbedingt durch besondere Eigenschaften auszeichnen müssten: So wurde Heike Makatsch sozusagen das für Eltern akzeptable Antlitz der ›Generation X‹: Ihr schmales, leergeräumtes, aber irgendwie doch niedliches Gesicht, umrahmt von jeweiligen Haarschnitt der Saison, bietet den gängigen Zuschreibungen, die die Medien ihrer Generation gerne anhängen, keinen Widerstand. Sie ist das deutsche Girlie, das man offenbar nur in Paradoxa beschreiben kann: Emanzipiert, aber doch Frau, sexuell unverklemmt, aber kein Vamp, abgebrüht und ein bisschen rotzig, aber auch verletzlich, hedonistisches Wohlstandskind, aber trotzdem irgendwie konsumkritisch und so weiter und so fort.92

Neben Makatsch gab es noch eine ganze Reihe weiterer Prototypen dieses Programms. So präsentiert die Zeitschrift Bunte im gleichen Jahr in einer Fotostrecke unter dem Titel »Trendwesen Girlies – Die Mädchen von heute« auch noch die DJane Marusha, die Moderatorin Katharina Schwarz, die Sängerin Lucilectric und die Schauspielerin Rebecca Siemoneit-Barum.93 Im gleichen Artikel werden die Girlies auch mit Attributen versehen: Sie läsen gerne Couplands Generation X, aber auch Ute Gerhardts Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin; sie würden gerne das mexikanische Bier Corona oder Red Bull trinken sowie Taxi fahren – denn sie könnten es sich leisten und wären nachts gern allein unterwegs.

92 Baumgaertel, Tilman: »Eine Frau will nach oben«, in: tageszeitung vom 17.10.1995. 93 O. A.: »Trendwesen: Girlies. Die Mädchen von heute«, in: Bunte vom 19. 01.1995.

G ENERATION B UILDING

| 227

Ein männliches Stilprogramm zur selben Zeit ist der Dandy – ein Image, mit dem sich gerade die Popliteraten um Stuckrad-Barre gerne schmücken: Jungdichter-Star Benjamin von Stuckrad-Barre erscheint in einem engen, mit Bodybuildern bedruckten T-Shirt, hat sein Gesicht mit Glitterpünktchen besprenkelt und trägt Bluejeans mit Bügelfalten. Moritz von Uslar sieht so vital aus, als ginge es gleich auf Brettern die famosen Hänge des von ihm so geliebten mondänen Davoser Skigebiets hinunter. Christian Kracht trägt tadellos frisierte Haare, einen tadellos sitzenden Anzug mit passender Krawatte und Stecktuch und tupft sich hin und wieder die Stirn mit sündhaft teuren englischen Stofftaschentüchern. Lorenz Schröter trägt ein blasiertes Gesicht zur Schau und ruckelt am seidenen Schlips, wenn er über seine Reiselust befragt wird.94

Der Lebensstil des Dandys, der nicht zuletzt auf Oscar Wilde oder Charles Baudelaire zurückgeht, wurde vor allem durch Tom Wolfe im New Journalism wieder populär. Vor allem in Tristesse Royale zelebrieren Stuckrad-Barre, Kracht und Kollegen diese Art der Selbststilisierung, für die Geld keine Rolle spielt und die den Stil über alles stellt. Während in Generativitätsmythen generationelle Eindrücke kommuniziert werden, wird in Stilprogrammen ein generationeller Ausdruck sichtbar. Bobos, Girlies und Dandys sind Programme, in denen nicht nur äußerliche Erscheinungsweisen, sondern auch Haltungen und ein gemeinsamer Habitus zum Ausdruck kommen. Selten lassen sich ganze Generationszusammenhänge mit Hilfe von Stilprogrammen beschreiben, eher einzelne Generationseinheiten, da in ihnen das Reagieren auf eine spezifische Erfahrungskonstellation zum Ausdruck gebracht wird. So kann es innerhalb eines Generationszusammenhangs durchaus verschiedene, mitunter konkurrierende Stilprogramme geben. Im literarischen System stellt Moritz Baßler beispielsweise zwei rivalisierende Programme gegenüber, die in ihren Ausdrucksformen konkurrieren, zum einen die Neuen Archivisten, zum anderen die Rea-

94 Mischke, Roland: »Ein fein gekleidetes Reptil. Eine extravagantes Spezies vermehrt sich wieder: Der Dandy«, in: Berliner Zeitung vom 04.12.1999.

228

| DOING GENERATION

listen gegenüber.95 Zu den Realisten zählt Baßler vor allem Judith Hermann dazu, von Hellmuth Karasek auf dem Klappentext ihres Debütbandes Sommerhaus, später als »Sound ihrer Generation« geadelt.96 Baßlers Rehabilitation von Stuckrad-Barre geht einher mit einer Problematisierung dieser vermeintlich realistischen Erzählweise. Diese beiden – im literarischen System – polaren Erzählweisen deuten darauf hin, wie innerhalb eines Generationszusammenhangs verschiedene Einheiten um das ›richtige‹ Programm rivalisieren können. Stilprogramme gehen über einzelne Beispiele hinaus, da sie überindividuelle Adressierungen sind. Sie sind häufig so ausgestaltet, dass sie auch nicht nur Träger generationeller Leistungsrollen offen stehen, sondern auch dem generationellen Publikum. Wer sich selbst zur Gruppe zählen möchte und sich mit der Haltung von Makatsch oder Stuckrad-Barre identifiziert, der kann sich wie ein Girlie oder ein Dandy geben. Eingeschlossene Ausgeschlossene Doch längst nicht alle Mitglieder eines Geburtsjahrgangs sind Bobos, Girlies oder Dandys. Auch Friebes Stars stehen als Prototypen nicht für eine ganze Generation. Zu Beginn seines Essays problematisiert er dazu zunächst den Umfang seiner Generation: Vielleicht sollten wir, bevor wir über die Stars unserer Generation reden, erst einmal klären, wovon wir reden, wenn wir von ›uns‹ reden. Das meiste, was über unsere Generation und ihre Stars in Umlauf gebracht wird, stammt von denjenigen, die im Kulturbetrieb und den Feuilletons der Metropolen angekommen sind. Sie schreiben über sich und wie sie die Welt sehen. Sie markieren die sichtbare Spitze des Eisbergs. Aber sieben Achtel unserer Generation befinden sich unter Wasser.97

Friebe thematisiert genau das Problem der Lesbarkeit von Generation: Konkrete Gruppen, die den Stil einer Generation lesbar machen, stellen zumeist nur einen geringen Teil der Generation darf. Der übrige Teil verharrt in der Latenz, wird allenfalls als Konsument bestimmter

95 M. Baßler: Pop-Roman, S. 61ff. 96 Hermann, Judith: Sommerhaus, später, Frankfurt/M. 1998. 97 H. Friebe: Stars, S. 172.

G ENERATION B UILDING

| 229

Produkte oder als Leser bestimmter Bücher erfassbar. Friebe behauptet sogar, ein Großteil seiner Altersgenossen lebe einen gänzlich generationsunspezifischen Lebensstil. Diese könne man also vollkommen ignorieren, wenn man seine Generation beschreiben möchte. Durch diesen Trick reduziert er die Grundgesamtheit an Individuen, die überhaupt zu einer Generation gehören können. Bobos sind damit nicht mehr nicht nur eine kleine Minderheit ihrer Generation, sondern die generationsspezifische Avantgarde, die als einzige überhaupt eine Sichtbarkeit als Generation für sich beanspruchen kann. Schon Kalle behauptet zwar, für seine Generation sprechen zu können, meint aber eigentlich auch nur eine hauptstädtische Spitze des Eisbergs: »Das verstärkt das Gefühl, dass man jeden in dieser Generation persönlich kennt – vor allem wenn man in Berlin wohnt.«98 Hier schreibt sich der uralte Topos von Zentrum und Peripherie wieder ein, der schon bei Mannheims Unterscheidung der Jugend von 1800 virulent war: Zur sichtbaren Generation wird nur gezählt, wer im Zentrum lebt. Auch bei Katja Kullmann schließt das gemeinschaftliche Wir längst nicht alle Altersgenossen ein. Nicht nur sind per definitionem Männer ausgeschlossen, es gibt auch noch die ›anderen Frauen‹ in ihrem Buch: »Zudem geraten wir langsam in ein Alter, in dem alle möglichen Frauen um uns herum Kinder kriegen, und wir wissen sehr genau, dass es für uns, rein biologisch gesehen, auch an der Zeit wäre, wenn wir diese Sache noch ›mitnehmen‹ wollen.«99 Es bleibt an dieser Stelle unscharf, wer diese anderen Frauen sind, warum sie eben nicht zu Kullmanns Generationseinheit gehören – sind sie Teil einer anderen Generationseinheit oder eines ganz anderen Generationszusammenhangs? Haben sie die gleichen Erfahrungen gemacht und berufen sich auf die gleichen Mythen oder nicht? In der Figur der Ramona wird der Exklusionsmechanismus deutlicher. Wenn Ramona durch »die Kombination aus schlechten Noten, billiger Kleidung und frühreifem Geschlechtsverkehr«100 charakterisiert wird, kann der Leser vermuten, dass Ramona aus einem ressourcenärmeren Haushalt stammt. Kullmann geht von weiblichen Lebensläufen aus, die zumindest der Mittelschicht zuzuordnen sind – und

98 M. Kalle: Verzichten, S. 29. 99 K. Kullmann: Generation, S. 177. 100 Ebd., S. 19.

230

| DOING GENERATION

schließt damit alles als generationell irrelevant aus, was diesen Ansprüchen nicht genügt. Sie beschränkt sich auf einen ganz spezifischen Generationszusammenhang, denn nur diejenigen ihrer Jahrgänge, die studieren konnten, hatten die Möglichkeit, an den gleichen prägenden Erlebnissen teilzunehmen. Kullmann nimmt damit eine komplexe Verschaltung von Inklusion und Exklusion vor. Ihre Figur der Ramona wird zwar aus der Beschreibung ihrer Generation ausgeschlossen, ist aber als Ausgeschlossene dringend notwendig zur Konstitution der Generation. Damit nimmt Kullmann eine Denkfigur ein, die von Giorgio Agamben als Logik der Ausnahme beschrieben wird: »Was auf keinen Fall eingeschlossen werden kann, wird in der Form der Ausnahme eingeschlossen.«101 Agamben betont gerade die Möglichkeit der Grenzfigur zwischen der Ausschließung und der Einschließung als »radikale Krise jeglicher Möglichkeit, deutlich zwischen Zugehörigkeit und Einschließung, zwischen dem, was draußen, und dem, was drinnen ist, zwischen Ausnahme und Norm zu unterscheiden.«102 Der Schwierigkeit einer klaren Grenzziehung zwischen ihrer Generation und denen, die nicht zur Generation gehören, begegnet Kullmann, indem sie die Figur der Ramona einführt – als Ausnahme, die damit die Regel und die Norm bestätigt.103 Damit bildet Ramona sozusagen das logische Gegenstück zu Kullmann selbst, die als Beispiel ebenfalls aus der Menge ihrer Generationsgenossen ausgeschlossen ist: Während das Beispiel von der Menge insofern ausgeschlossen wird, als es dazugehört, ist die Ausnahme gerade deswegen in den Normalfall eingeschlossen, weil sie nicht dazugehört. Und so wie die Zugehörigkeit zu einer Klasse nur durch ein Beispiel erwiesen werden kann, das heißt außerhalb der Klasse, so kann die Nichtzugehörigkeit nur in ihrem Innern erwiesen werden, das heißt mit einer Ausnahme.104

Die Frauen, die Kullmann in ihrem Buch schildert und zugleich als Leserinnen adressiert, sind dringend auf die gleichzeitige Anwesenheit einer Masse angewiesen, um ihren Elitestatus in der eigenen Generati-

101 Agamben, Giorgio: Homo Sacer, Frankfurt/M. 2002, S. 34. 102 Ebd., S. 35. 103 Ebd. 104 Vgl. ebd. S. 32.

G ENERATION B UILDING

| 231

on halten zu können. Hier schreibt sich Mannheims Unterscheidung von Zentrum und Peripherie wieder ein. In seiner Terminologie ist es gerade der Unterschied zwischen Generationslagerung und Generationszusammenhang, dass zwar alle Mitglieder des gleichen preußischen Geburtsjahrgangs potentiell an den gleichen historisch-sozialen Problemstellungen orientiert sein könnten und damit als Teil der Lagerung einschließen, aber der Generationszusammenhang die Bauern der Peripherie wiederum ausschließe. Auch eine weitere Gruppe wird aus vielerlei Generatiographien ausgeschlossen, weil sie sich sogar in einer ganz anderen Lagerung befindet. Zitiert Marko Martin 1995 im Kursbuch noch ironisch den Vorwurf, der Osten sei auch in seiner Generationenbeschreibung nicht vorhanden,105 thematisiert er 2003 selbst den Osten.106 So beschreiben sowohl Kullmann als auch Illies eine Kindheit in Westdeutschland. Für diejenigen, die in den 80ern in der DDR aufwuchsen, können ihre Bücher keine Identifikationsmöglichkeit bieten. Es sind hier viel stärker die Bücher DJ Westradio von Sascha Lange oder Zonenkinder von Jana Hensel, die Versuche unternehmen, kollektive Ostbiographien zu erzählen. Normalisierungen Die Taktiken des Generation Buildings, die Inszenierung von Generativitätsmythen, der Aufbau von Generationsadressen mit Hilfe von Kollektivsymbolen und die Etablierung von Generationenstars und Stilprogrammen, lassen sich – was an dieser Stelle nur angedeutet werden kann – zugleich auch als Strategien der Normalisierung im Sinne Jürgen Links beschreiben. Normalität ist nach Link ein diskursives Ereignis, das kollektiv-subjektiv konstituiert wird, das aber auch einer Dynamik unterliegt: »Was gestern normal war, kann heute anormal werden«107.

105 Vgl. M. Martin: Wir, S. 1. 106 Vgl. Martin, Marko: »Coming Out – (k)eine Ostgeschichte«, in: Kursbuch 154 (2003), S. 11-23. 107 Link, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Opladen 1997, S. 23.

232

| DOING GENERATION

Tom Karasek beschreibt beispielsweise Illies‫ ތ‬Generation Golf als »Dokument des Normalismus«108, das Buch beschreibe »das Normalwerden, Normalsein und Normalbleiben«109. Karasek beschreibt den Normalisierungsprozess wie folgt: Basis ist der Blick auf eine zunächst chaotisch erscheinende Gesamtmenge, die durch Abstraktion und Ausblendung atomistischer Normalnomaden definiert wird. Die einzelnen Atome dieser Gesamtmenge werden durch das Zugrundelegen von Kategorien bzw. Merkmalen [...] vergleichbar gemacht, d.h. verdatet und so zu einem Kollektiv-Gegenstand konstruiert.110

Nichts anderes passiert in der Regel durch Prozesse des Generation Building. Bisher disparat erscheinende Individuen werden miteinander verglichen und vermessen. Während von allen trennenden Eigenschaften abstrahiert wird, werden die Gemeinsamkeiten als Mythos stabilisiert und als Grundlage für eine Generationendeutung angenommen. Normalisierung ist damit auch ein Prozess, der die Unwahrscheinlichkeit, dass eine Fülle von Individuen sich unter einer gemeinsamen sozialen Adresse beschreiben lässt, in Wahrscheinlichkeit transformiert. Was Karasek für die Generation Golf diagnostiziert, gilt für eine Vielzahl von Generationalisierungen: »Zur Generation zu gehören, das bedeutet, trotz hervorgehobenem Individualismus und allgemeiner Distinktionssehnsucht, durchschnittlich zu sein.«111 Mit Hilfe der in diesem Kapitel beschriebenen Taktiken wird Generation als »Normalfeld« etabliert. Ein Normalfeld wiederum »homogenisiert und kontinuiert eine bestimmte Menge von Erscheinungen«,112 indem die Heterogenität einer Altersgruppe als normale Generation beschrieben wird. Sichtbar werden nur die Gemeinsamkeiten, gemeinsamen Erfahrungen und Haltungen, nur sie werden als Normalfeld der Generation etabliert. Dabei kann man wie Friebe gerade Heterogenität als Normalität verkaufen und eine Vielzahl von unterschiedlichen Stars als Erscheinungen desselben Zusammenhangs ausgeben – oder man versucht wie

108 T. Karasek: Generation, S. 228. 109 Ebd., S. 235. 110 Ebd., S. 230. 111 Ebd., S. 239. 112 J. Link: Versuch, S.. 75.

G ENERATION B UILDING

| 233

Katja Kullmann die Ränder des Normalfeldes als eingeschlossenes Ausgeschlossenes zu beschreiben, um damit das Zentrum des Normalfeldes wiederum zu bestätigen. Doch nicht nur die beschriebene Generation Golf, sondern auch die Form der Generatiographie kann als Verfahren der Normalisierung verstanden werden. Verräterisch ist bereits der Untertitel von Illies‫ ތ‬Buch »Eine Inspektion«, mit dem das normale Funktionieren fest- und sichergestellt wird.113 Tom Karasek beschreibt präzise die Kommunikationssituation, die durch Generatiographien geschaffen wird: Durch die Applikation und Durchschleusung besonders attraktiver, zirkulationsfähiger und zustimmungspflichtiger semantischer Bestände wird dem Rezipienten ein Normalbereich mit Orientierungsmarkern demonstriert, in dem er sich selbst verorten kann und in dem ihm ein attraktives Identitätsangebot unterbreitet wird. Generation Golf reiht sich so in die Gesamtmenge identitätsregulierender Texte ein, mit denen der Bereich legitimer, konsensualer Identitätsbilder definiert wird.114

Folgt man dieser Deutung Karasek über Jürgen Link schließlich zu Michel Foucault, der Links Überlegungen maßgeblich beeinflusste, so findet man bei ihm auch mögliche Gründe für die zahlreichen Versuche, sich auf Generativitätsmythen mit anderen zu verständigen, die Kommunikation mit Gleichgesinnten zu suchen, sich mit herausgehobenen Vorbildern zu vergleichen. Es ist Foucault, der den Zwang zur Selbstthematisierung und -analyse in einer Bekenntniskultur diagnostiziert und der schließlich vermutet, dass sich Subjekte auf diese Weise »ihrer Normalität vergewissern, vor deren Verlust sie sich fürchten«115. So wird bei Katja Kullmann beispielsweise deutlich, welch hoher Stellenwert der Abgleich realer weiblicher Lebensläufe mit medialen Modellen einnimmt. In Generation Ally geht es permanent darum, sich zu vergewissern, dass das eigene Leben insofern normal ist, als dass es nicht nur medialen Vorbildern, sondern eben auch dem der Generationsgenossen entspricht. Die Leserinnen werden beruhigt, dass sie mit ihren Sorgen und ihrem Gefühl der fehlenden Perfektion und der Ori-

113 Vgl. T. Karasek: Generation, S. 233. 114 Ebd., S. 235. 115 Ebd., S. 238.

234

| DOING GENERATION

entierungslosigkeit nicht allein sind, sondern immer noch Teil ihrer Generation. Marko Martin sieht in seinem Kursbuch-Essay diese Prozesse kritisch.116 Nach Martin sind Generationen die »letzte Zuflucht der Homogenitätssüchtigen«, sie erzeugen Homogenität, wo keine sei. Auf diese Weise werden Individuen nicht nur adressierbar, sondern auch kontrollierbar. Auch die Zeitschrift TEMPO schreibt sich eine solche Rolle bei der Normalisierung zu. Die Redakteure beschreiben sich selbst als Ratgeber, der seiner Generation helfen will, sich im Dschungel der Meinungen, Haltungen und Konsumstile zu orientieren. So wird TEMPO gleichzeitig auch Teil einer generationellen Normalisierung. Mit dem Re-Relaunch 1995 wird diese Funktion sogar thematisiert: Alle Fragen der Generation 2000 (Hey, TEMPO-Leser, das seid Ihr; die phantastischen Macher von heute und souveränen Entscheider von morgen) versuchen wir jeden Monat zu beantworten. TEMPO hilft, die besseren Filme zu gucken, die besseren Anziehsachen zu finden, den besseren Körper zu kriegen, den besseren Sex zu haben, den besseren Philosophen zuzuhören etc.117

Wer TEMPO liest, der kann sich informieren, was er innerhalb seiner Generation zu tun hat, um als normal zu gelten. Auch das ist eine Funktion, die das Schreiben und Lesen von Generationen erfüllt: In einer Welt von disparaten Identitäten können in generationellen Gattungen Menschen von sich selbst und anderen schreiben und lesen und sich damit gegenseitig von ihrer Normalität in der Zeit überzeugen.

6.2 E XTERN : D IE N ACHFAHREN G EGENGEGENKULTUR

DER

Keine Generation schreibt sich ins Nichts hinein. Geschichten von Generationen kursieren bereits seit Generationen und jede Generation, die sich erschreibt, muss sich an diesen abarbeiten. Es gibt immer vorherige Erzählungen von Generationen, an denen man sich messen muss.

116 M. Martin: Wir, S. 1. 117 W. Mayer: Wir, Tempo: Haltung gegen Pose.

G ENERATION B UILDING

| 235

Im Kursbuch vergleicht Stephan Schlak 2003 die Generation Golf mit lang zurückliegenden Generationen, der Generation des Unbedingten und der Skeptischen Generation, die erste durch Michael Wildt, die zweite durch Helmut Schelsky erforscht.118 Beiden Generationen gemein ist, dass es sich um Kriegsjugendgenerationen handelt. Die Angehörigen der Generation des Unbedingten wurden zwischen 1900 und 1910 geboren, die Skeptische Generation um das Jahr 1929 herum. Nach Schlak war die erste Kriegsjugendgeneration vom Krieg begeistert und für eine Friedensgesellschaft nicht mehr bereit, die zweite erlebte den Krieg als totale Zerstörung und Desillusionierung. So wurde die erste kriegerisch, die zweite zivil; so machte sich die erste schuldig, die zweite wollte unschuldig bleiben; so trieb die erste den Nationalsozialismus voran, während die zweite die Bundesrepublik politisch und intellektuell prägte. Schlak liest nun die Generation Golf vor dem Hintergrund solch etablierter heroischer Generationen, und konstatiert, dass die »einzige Klammer der westdeutschen Dreißigjährigen die gemeinsame Erfahrung [sei], nichts erlebt zu haben.«119 Im Vergleich mit anderen Generationen lässt sich über die Generation nichts erzählen, was an diese Fallhöhe heranreicht, an ihre Schicksale, ihre Leistungen oder Verfehlungen. Was den Golfern bleibt, ist nur noch die Pose: »Der Dreißigjährige von heute ist maßlos im Persönlichen und auch in seinen Projektionen. Unlängst hat er entdeckt, daß ihn in seinem momentanen flexiblen Leiden etwas mit der unbedingten Kriegsjugendgeneration von einst verbindet.«120 Er spielt damit auf Tristesse Royale an, in dem eine der Figuren behauptet, die Autorengruppe würde vermutlich zu den ersten gehören, die sich für den Krieg melden, wäre es wieder 1914. Schlak nimmt diese Pose nicht ernst. Im Anschluss an das Buch von Bessing und seinen Mitstreitern diskutiert er ein Buch von Christoph Amend. Auch Amend behauptet, seine Generation – gemeint sind wieder die Golfer – stände vor einer ähnlichen Situation wie die Jugend, die nach der Jahrhundertwende geboren wurde, sie sei »aufgewachsen in einer Eu-

118 Vgl. Schlak, Stephan: »Bedingte und Unbedingte«, in: Kursbuch 154 (2003), S. 62-68. 119 Ebd., S. 65. 120 Ebd., S. 68.

236

| DOING GENERATION

phorie, der eine gewaltige Krise folgte«121. Darauf kontert Schlak: »Schön zeigt dieser beliebige Satz, daß der Dreißigjährige heute keine eigene Geschichte hat, sondern eine geschichtsgefühlte Pose immer nur bedient.«122 Die Geschichte (im Singular) stellt viele Geschichten (im Plural) von Generationen bereit, die historische Vorlagen bereitstellen, um die eigene Geschichte zu erzählen – oder eben auch, um im Vergleich dazu feststellen zu müssen, welche narrativen Defizite die eigene Generation begleiten. Die von Matthias Horx in TEMPO erforschte »Generation der Widersprüche« scheint sich vor allem an dem Vergleich mit der Generation von 68 abzuarbeiten.123 Horx nimmt die Jahrgänge 1961-1971 in den Blick und damit eine ähnliche Generation wie die Generation Golf, die nach Illies die Jahrgänge 1965-1975 umfasst. Horx zitiert unter anderem den Jugendforscher Wolfgang Gaiser, der konstatiert, dass sich frühere Jugendgenerationen noch als Teil einer Bewegung fühlen konnten, auf Grund einer allgemeinen Beschleunigung dies allerdings mittlerweile nicht mehr möglich sei.124 »Teil einer Jugendbewegung« zu sein wird in diesen Zeiten nur noch als romantisches Motiv von Tocotronic besungen, aber in der Realität schmerzlich vermisst. TEMPO zitiert darüber hinaus noch das amerikanische Time Magazine mit der These, dass den Jugendlichen der Gegenwart von 1991 bewusst sei, dass sie in Stilfragen völlig versagt hätten und keine »eigene, unverwechselbare Jugendkultur«125 geschaffen hätten. Die Generation der Widersprüche, so Horx, sei »ohne die 68erLegende gar nicht zu verstehen.« Es ist also die Legende einer anderen Generation, an der die Generation der Widersprüche gemessen wird. Horx spricht sogar von einer »Norm«, die gesetzt wurde, »nach deren Pfeife heute immer noch getanzt werden soll.«126

121 Amend, Christoph, zitiert nach ebd. 122 S. Schlak: Bedingte, S. 68. 123 Vgl. Horx, Matthias: »Generation der Widersprüche«, in: TEMPO von März 1991, S.44-52. 124 Vgl. hierzu schon Mannheim: Problem, S. 550f. 125 Ebd., S.44. 126 Ebd.

G ENERATION B UILDING

| 237

Wer folgt auf 68? Versucht man, die Generation von TEMPO doch auf eine Charakterisierung zuzuspitzen, die ihre Widersprüche zusammenbindet, dann ist es: TEMPO ist nicht 68. Peichls Programmatik war vor allem Widerstand gegen die »verkrusteten Überreste der 68er«127. Auf publizistischer Ebene richtete sich die Rivalität vor allem gegen den Stern, die »Illustrierte unserer Eltern«128 und ihren Chefredakteur Michael Jürgs, ironischerweise Peichls Nach-Nach-Nachfolger. Es geht dabei also nicht nur darum, dass das Narrativ einer Generation an einer beliebigen Generation vorher gemessen wird, sondern sogar um das Verhältnis zu einer noch bestehenden Generation. 68er und TEMPO leben gleichzeitig, in einer Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Die Sprache von TEMPO, ihre Coolness, ihre Orientierung an Oberflächenphänomenen und Marken, sie dient gerade als Absetzbewegung gegenüber dem als hohl empfundenen moralischen Pathos der 68er. Auch in ihren Artikeln richtet sich TEMPO oft gegen die 68er; mal rechnet Maxim Biller mit den Hippies ab,129 mal geben gleich eine ganze Reihe Redakteure unter dem Titel »Wir und 68« Statements zu ihrem persönlichen Verhältnis zur Vorgängergeneration ab.130 Viele Generationenentwürfe der letzten Jahrzehnte versuchen sich an einer Profilierung ihrer selbst als Gegenentwurf und Differenzsetzung zu einer Legende namens 68. Bernd Kittlaus, der Kartograph aktueller Generationendebatten, versucht sich an einer Sortierung von Generationenentwürfen nach der Frage, in welcher Form sie sich von 1968 absetzen. Wie bereits erwähnt, diskutiert er den Kampf um die Nachfolge der 68er und stellt in dieser Einführung drei Generationenkonzepte vor: Budes Generation Berlin, Illies‫ ތ‬Generation Golf und dazu noch den Entwurf einer Generation @.131 Alle drei Generationenentwürfe reagieren jeweils auf unterschiedliche Art und Weise auf 68. Während Bude einen politischen Gegenentwurf versucht, argumentiert

127 M. Peichl: Dame, S. 60 128 O. A.: »Rundruf«, in: TEMPO von Oktober 1986, S. 8. 129 Vgl. Biller, Maxim: »Der ewige Hippie«, in: TEMPO von März 1987, S. 10. 130 Vgl. Timmerberg, Helge et.al.: »Wir und 68«, in: TEMPO von April 1988, S. 48-56. 131 Vgl. B. Kittlaus: Streit.

238

| DOING GENERATION

Illies auf der ästhetischen Ebene und die Schöpfer der Generation @ auf einer technischen Ebene. Es wird jeweils eine spezifische Tradition inszeniert, in der die neue Generation einen Unterschied macht. Und damit wird nicht nur die Frage ins Feld geführt, was die würdige Nachfolge der 68er-Generation sein kann, sondern auch, auf welchem Felde sich diese Nachfolgediskussion austragen sollte. Uwe C. Steiner diskutiert diese Entwicklung vor dem Hintergrund des Symbols 89.132 Die 89 ist schon aus optischen Gründen eine Wendung der Zahl 68 und eignet sich damit als Projektionsfläche für die Geschichte zweier sich ablösender Generationen. Dazu kommt die Entwicklung in Osteuropa, die gerade in Deutschland stets mit dem Symbol des Mauerfalls, der 89, in Verbindung gebracht wird. Schon die schiere Wucht der historischen Ereignisse scheinen es zu erfordern, dass dem Symbol 89 auch die Geschichte von Generationen zu folgen habe. Dieser Evidenz verfällt auch Matthias Kalle, der in seiner Generatiographie Verzichten Auf auch auf diese historische Zäsur verweist. Im Klappentext behauptet er den Umbruch in Ostdeutschland als Generativitätsmythos seiner Generation. Jeder potentielle Leser, der in einer Buchhandlung steht und überlegt, ob er sich das Buch kaufen soll, erhält dadurch ein entscheidendes Kaufargument: Dieses Buch verspricht, die Auswirkungen dieser historischen Zäsur zu erläutern. Anders gesprochen: Die im Buch geschilderte Generation erhält sofort größere Plausibilität, wenn ihr Generativitätsmythos als prägendes Ereignis überzeugt. Der Verweis auf den 9. November 1989 ist damit auch ein Vermarktungsargument für jede Generation. Leider kann Kalle diese Behauptung in seinem Buch selbst nicht einlösen – hier ist eine ganze Verkettung von Ereignissen entscheidend für die Prägung von Kalles Generation, die Wende selbst spielt nur eine untergeordnete Rolle. Steiner wiederum geht nicht nur davon aus, dass es eine 68erGeneration gegeben habe. Er behauptet überdies, es sei die letzte Generation gewesen, die selbst »das Ihrige zum Ende der Generationen beigetragen habe«.133 Mittlerweile beobachtet er die Erfahrung, »daß es zwar durchaus Geburtsjahrgänge unterschiedlicher Prägungen, aber keine Generationen mehr gibt«.134 So muss er auch Claus Leggewies

132 Vgl. U. Steiner: Wendungen. 133 Ebd., S. 18. 134 Ebd.

G ENERATION B UILDING

| 239

Die 89er bescheinigen, »daß eine ganze Reihe durchaus anregender jugendsoziologischer Beobachtungen durch das Etikett ›89er‹ nur notdürftig zusammengehalten wird.«135 Warum Steiner allerdings bei den 89ern keine »distinkte Generationenidentität«136 feststellen kann, bei den 68ern aber schon, wird nicht weiter entfaltet; er hofft, dass die Tatsache für den Leser selbst evident ist. Eine weitere Argumentationslinie zur Diagnose der 89er interessiert Steiner weit mehr. Er analysiert, wie sich in den Jahren 1993/94 in verschiedenen Diskussionszusammenhängen ein »Reflexionsschema« 68/89 herausgebildet habe, das schließlich in einer literaturkritischen Debatte um Botho Strauß‫ ތ‬Essay »Anschwellender Bocksgesang«137 mündete. Dieses Reflexionsschema bezöge sich zu Anfang lediglich auf die Gegenüberstellung dieser beiden historischen Zäsuren. Nach einer Zeit wurden diese Zäsuren schließlich auf das Deutungsmuster der Generation bezogen und so das ursprüngliche Reflexionsschema in ein Generationelles Verhältnis eingebettet. Ulrich Greiner ›entlarvt‹ anlässlich von Strauß‫ ތ‬nächstem Buch die literaturkritische Debatte als einen Machtkampf der Generationen.138 Iris Radisch, Gustav Seibt und Thomas Assheuer, die sich kritisch gegenüber Strauß geäußert hatten, nennt er »der Kürze halber« die Neunundachtziger. Greiner versucht, Strauß vor seinen Kritikern in Schutz zu nehmen und wechselt dabei geschickt die Ebenen, indem er gar nicht auf die literaturkritische Argumentation eingeht, sondern den Kritikern eine ›hidden agenda‹ eines Generationskonfliktes unterstellt. Hier kommen zwei Dinge zusammen. Einerseits braucht die »neue Generation, die sich da allmählich formiert, […] natürlich einen Namen«; andererseits »war ja zu erwarten, daß die epochale Wende von 1989, das Ende der alten Bundesrepublik und der Zusammenbruch des Sozialismus auch einen Generationenbruch verursachen würde«. Eine symbolträchtige zeitliche Markierung auf der einen Seite, ein Phänomen, das mit einem Begriff besetzt werden muss auf der anderen Seite

135 Ebd., S. 25. 136 Ebd. 137 Strauß, Botho: »Anschwellender Bocksgesang«, in: Der Spiegel vom 08.02.1993, S. 202-208. 138 Vgl. Greiner, Ulrich: »Die Neunundachtziger«, 16.09.1994.

in: Die ZEIT vom

240

| DOING GENERATION

– aus dieser Kombination entstehen bei Greiner die 89er. Mit dem Schlusssatz »Was haben die Neunundachtziger? Heraus damit, laßt sehen.« drückt er nur vordergründig Offenheit für deren – unterstellte – Programmatik aus. Es lässt sich zugleich die Behauptung herauslesen, bisher hätten die Neunundachtziger noch nichts geboten. Generationengeschichte: Tradierung und Erneuerung Steiner bringt dieses Verhältnis von 68 und 89 analytisch auf den Punkt: Beobachtungen der Gegenwart, akademisch oder feuilletonistisch, sind, um die eigene Zeit, wie verspätet auch immer, in Gedanken zu fassen, zwangsläufig auf Zäsuren angewiesen. Information läßt sich nur über Differenz gewinnen. Insofern gibt es einen endogenen Neuigkeits-Bedarf. Weil die Welt sich ändert, wächst aber auch der Bedarf nach kontrafaktischen Stabilitäten und Invarianzen. [...] Auch die Generationendebatte ist ein Medium, das die Diagnose des Wechsels auf bekannte Muster zu beziehen und damit die Veränderung implizit zu leugnen weiß.139

Nach Steiner ist die Generationendebatte immer etwas, das Neues thematisiert – allerdings in einem bekannten Rahmen. Der Wandel der Generationen, die Geschichten von auf einander folgenden Generationen und damit die Erzählung von Generationengeschichte lässt sich in vielen bekannten Mustern erzählen. Was als neue Generation beobachtet wird, muss also stets von einer alten Generation abweichen und neu sein. Dieser ›Imperativ des Neuen‹ kann auf ganz verschiedenen Ebenen angesiedelt sein: Eine Generation kann mit einem neuen Konsumstil, einer Gegen-Poetik zu bestehenden ästhetischen Programmen oder mit politischem Widerstand gegen etablierte Konventionen verbunden werden. Generationen werden in Generationengeschichten hinsichtlich mindestens einer Eigenschaft miteinander verglichen. Dadurch kann jede Generation in einem Vergleich zu anderen ihre Neuartigkeit thematisieren. Darüber hinaus kann sich ein Beobachter innerhalb dieser Unterscheidung auf die eine oder andere Seite schlagen, eine Bewertung vornehmen, die Innovation akzeptieren oder ablehnen. Der gene-

139 U. Steiner: Wendungen.

G ENERATION B UILDING

| 241

rationelle Vergleich ermöglicht »Konflikt-, Verteilungs- und Tradie140 rungskonstellationen« , innerhalb derer verschiedene Redepositionen besetzt werden können. Im Kursbuch 121 thematisieren vor allem Hans-Georg Behr und Eckart Britsch diese Konstellationen. Britsch bringt schon in seinem Titel »Jede Jugend ist die dümmste« eine Redeposition auf den Punkt: So sei es von Generation zu Generation ein immer wieder aufs Neue eingesetztes Argument der Älteren, die Jüngeren der Dummheit zu beschuldigen141 – im Übrigen ein Argument, warum sich Bonner/Weis‫ތ‬ Buch Generation Doof so gut verkaufen könnte. Im Gegenzug – und hier beruft sich Britsch auf Ingeborg Bachmann – würden die Jüngeren die Älteren stets der Schuld bezichtigen. Allerdings sei diese wechselseitige Beschimpfung nur noch eine harmlose Variante des Generationenkonflikts, so Britsch: Doch seit die Alten nicht mehr – wie in traditionellen Gesellschaften üblich – die Jungen in den Krieg schicken, ist aus dem Generationenkonflikt die Luft raus. Am deutlichsten läßt sich dieses Defizit am Mangel an Appellen an die deutsche Jugend ablesen. Schließlich dienten Appelle fast immer der Kriegsvorbereitung.142

Generationenkonflikte entsprangen also in Kriegszeiten noch einem bevölkerungspolitischen Kalkül, während sie in Friedenszeiten nur noch dann beachtet würden, »wenn sie existentiell sichtbar wird«143. Hingegen sei die deutsche Jugend eher zahm geraten und damit nur noch als »dumm« beobachtbar. Auch Hans-Georg Behr beginnt mit der Erzählung einer Kriegserfahrung. Er schildert, wie er nicht nur zu jung war, um als Soldat im Zweiten Weltkrieg eingezogen zu werden, sondern auch, wie er als Schriftsteller im jungen Nachkriegsdeutschland erneut »zu spät« war:

140 So Bernd Weisbrod in seiner Skizze des Forschungsprogramms des DFGGraduiertenkollegs ›Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert‹, Download unter http://www.generationengeschichte.uni-goettingen.de/projekte.html. 141 Vgl. Britsch, Eckart: »Jede Jugend ist die dümmste«, in: Kursbuch 121 (1995), S. 159-165, hier S. 160f. 142 Ebd., S. 160. 143 Ebd..

242

| DOING GENERATION

Vom Schreiben zu leben habe keine Zukunft mehr, sagten mir alle, die es geschafft hatten und deshalb von mir angegangen wurden. Der nachkriegsbedingte Bedarf an Literatur habe sich schon längst wieder gelegt, alle Regale in den Buchläden seien schon besetzt, und ich sei eben eine unglückliche Zwischengeneration.144

Behr thematisiert hier also eine schriftstellerische Konkurrenz und einen Konflikt um Aufmerksamkeit, um Buchverkäufe, um literarische Hegemonie. In diesem Verteilungskonflikt stehen sich zwei rhetorische Positionen gegenüber: Während die Jungen die Alten »angehen«, belehren die Alten die Jungen und versuchen, diesen die Möglichkeit des Nachrückens zu verstellen. Wie sehr es sich bei dieser Konstellation um eine etablierte Narration handelt, um Wandel in einem bekannten Muster zu erzählen, stellt Behr anschließend selbst heraus: Soweit ich das mitbekommen habe, sagen die Älteren derlei stets den Jungen, um sie sich ein wenig vom Leibe zu halten. Die Jüngeren sehen zwar die verheißene Zukunft auch stets verschwinden, halten sich aber selten daran.145

Nach Behr spezifiziert sich die Selbstbeobachtung der Jüngeren im Spannungsfeld zwischen einer vorenthaltenen Zukunft und zugleich einem Anspruch auf eben diese Zukunft: »Jede Generation will schließlich der ihren die Welt verklickern.«146 Im Folgenden relativiert Behr diesen Konflikt zunächst etwas. Er fragt danach, was passiert, »wenn sie [die junge Generation] es geschafft hat und die nächsten Jungen kommen?«147 und gibt selbst die Antwort: Auch wenn die Jungen das lieber anders sähen […]: Die Älteren rücken eher zusammen, um etwas Platz zu machen. […] Der ›Kampf der Generationen‹, der seit dem Sturm und Drang durch die Lande tobt, ist, solange ich ihn kenne, höchstens ein kaltes Krieglein.148

144 Behr, Hans-Georg: »Schnell fertig ist die Jugend. Wanderungen im Generationenbruch«, in: Kursbuch 121 (1995), S. 111-120, hier S. 111. 145 Ebd. 146 Ebd. 147 Ebd. 148 Ebd.

G ENERATION B UILDING

| 243

Dieser Relativierung folgt allerdings eine Abrechnung mit der Zeitschrift TEMPO: »Das ist jetzt knapp eine halbe Generation her, und niemand erinnert sich mehr daran. Ausgehorxt, -gemaiert, -gepeichlt und gebillert.«149 Behr selbst, unschwer den 68ern zuzuordnen und damit erklärtes Feindbild von TEMPO, reagiert hier auf die Ausdrucksversuche der Jungen genauso, wie es der traditionelle Generationenkonflikt erfordert: Mit Spott, der zwischen Verachtung und Desinteresse schwankt, die Zeitschrift nicht ernst nimmt und als Marketing-Strategie diskreditiert. Generationelle Vergleiche bringen nicht nur Unterschiede zwischen Generationen hervor, sondern auch Gemeinsamkeiten. So lassen sich beispielsweise bei Katja Kullmann Generationen der Frauenbewegung vergleichen, die sich einerseits in ihrer Ausprägung unterscheiden, andererseits aber stets an der gleichen Problemstellung orientiert sind. Generationen stehen nicht nur für Erneuerung, sondern auch für die Fortführung bestimmter Traditionen. In Generation XTC wird die Geschichte von Musik-Generationen erzählt, bei der auf eine Beatnik-Generation zunächst die Hippies folgen, dann die Generation X und schließlich die Generation XTC, die Techno-Musik favorisiert.150 Auch wenn sich diese Generationen jeweils in ihrem Musikstil voneinander unterscheiden, sie tradieren trotzdem bestimmte kulturelle Einstellungen, sie »reagieren auf eine ähnliche Gefühlslage«151. So knüpfen die Hippies an die Beatniks an, denn auch sie »spielten nicht mit«152 im gesellschaftlichen Konsens. Und so kommt es schließlich zu einer Wiederkehr von ähnlichen Motiven in späteren Generationen: »X war ein moderner Beatnik und XTC bedeutet immer auch die Wiederkehr des Hippie-Lebensgefühls von LOVE.«153 Es ist vor allem der Konsum von Drogen, der die Kontinuität sichert, so schon der Titel des Kapitels in Generation XTC: »Du hast Drogen genommen. Von Beatniks über Hippies zur Generation XTC«. Erneuerung und Tradition sind stets nur zwei Seiten der gleichen Unterscheidung. Die Generation entsteht hierbei zunächst

149 Ebd. 150 Vgl. F. Böpple/R. Knüfer: Generation, S. 52ff. 151 Ebd., S. 56. 152 Ebd. 153 Ebd. S. 58.

244

| DOING GENERATION

dadurch, dass selektiert wird, welche Elemente des genealogischen Erbes sie tradiert, welche sie verwirft. Von ersten, zweiten und dritten Generationen Erzählt man aber wie in Generation XTC nicht nur die Geschichte zweier Generationen, sondern tritt mindestens noch eine dritte Generation auf, so lassen sich weit komplexere Vergleichs- und Positionierungsoperationen durchführen. So argumentiert beispielsweise Christoph Koch in seiner Selbstbeschreibung der Generation NEON in einem Dreigenerationenmodell.154 Er stellt seine Deutung als Reaktion auf die Fremdzuschreibung älterer Generationen aus: Was haben wir uns nicht schon alles anhören müssen. Dass wir zu wenig Kinder kriegen. Dass wir Wohlstandskinder sind. Doch die neueste Anschuldigung ist ein Stachel, der tiefer steckt. Sie greift unser Weltbild an: Immer häufiger wird unsere Generation mit dem Vorwurf konfrontiert, sich nicht entscheiden zu können. Sich nicht festlegen zu wollen. Wankelmütig und unentschlossen zu sein.155

Es sind die Shell-Jugendstudie, »eine große deutsche Zeitung«156, aber auch das kürzlich erschienene Comeback-Heft von TEMPO, 10 Jahre nach ihrem Ableben, die diese Vorwürfe äußern. Indem er sich gegen diese Vorwürfe wehrt, bestätigt Koch allerdings indirekt die Existenz einer entscheidungsunfähigen Generation – nur nimmt er genau eine entgegengesetzte Wertung vor: Es geht ja nicht nur um die Berufswahl, sondern um die gute alte Frage: »Wie will ich leben?« Die Extreme haben dabei die Generationen vor uns bereits ausgelotet, sei es in Form der durchpolitisierten 60er Jahre oder in der hedonistischen Variante der 80er. Aus beiden haben wir gelernt. Wir haben verstanden, dass auf ein paar zusammengeschobenen Holzpaletten eben unerträgliche Idioten schlafen können wie auf feinstem Damast. Aber auf beidem eben auch

154 Vgl. C. Koch: Entschlossen. 155 Ebd., S. 25. 156 Ebd.

G ENERATION B UILDING

| 245

kluge und liebeswerte Geschöpfe. Wir haben gelernt, die Extreme zu meiden – oder spielerisch mit ihnen umzugehen.157

Hier lässt sich ablesen, wie Koch seine Generation entwirft: Er entwirft das kollektive »Weltbild« nicht nur aus kollektiv gemachten Erfahrungen heraus. Stattdessen entwirft er es gerade in Differenz zu anderen Generationen. Während TEMPO sich vor allem im wütenden Furor gegen ältere Generationen gefiel, positioniert Koch NEON wesentlich defensiver. Er reagiert in seinem Artikel auf Angriffe älterer Generationen. Trotz der jeweils unterschiedlich verteilten Rollen ist es ein Generationelles Verhältnis, das die Positionierung der Zeitung und der Generation ihrer Schreiber und Leser bestimmt. Christoph Koch schreibt sich mit seinem Artikel über die Generation NEON auch in eine Generationengeschichte ein: Die NEONGeneration wird hier als das dritte Glied in einer Kette dargestellt, die aus einem politischen und einem hedonistischen Vorgänger besteht, beide jeweils mit ungefähr 20 Jahren Abstand. In dieser Dreierstruktur konstruiert er einen primären Gegensatz zwischen den ersten zwei Generationen, die jeweils Extreme einnehmen. Die Generation NEON ist in dieser Erzählung die dritte Generation, die aus beiden lernt und damit beiden überlegen ist. Malin Schwerdtfeger erzählt die Geschichte ihrer Generation, der »Nutellakinder«, als eine Geschichte von drei Generationen. Sie beginnt dabei mit der Schilderung einer Ursituation: »Auch in diesem Land gab es eine Zeit, da erbte man von seinen Eltern. Man nahm das Erbe an, brachte es entweder durch oder vermehrte es.«158 In jeder Generation würde man es »anders machen« als in der vorherigen, aber »nur ein wenig«159. Selbst der Zweite Weltkrieg habe dieser Kette nichts anhaben können: »Unsere Großeltern hatten wie durch ein Wunder – auch durch ein Wirtschaftswunder – wieder etwas zu vererben.« Die Kette sei aber durch die Generation der Eltern gerissen. Sie hätten die Großeltern kritisiert, ihr privates und gesellschaftliches Leben, und daher das Erbe ausgeschlagen:

157 Ebd. 158 M. Schwerdtfeger: Nutellakinder, S. 44. 159 Ebd.

246

| DOING GENERATION

Und da war noch eine Scheu; die Scheu, Erwartungen in die eigenen Kinder zu setzen, denn gegen diese Art von Erwartungen hatten sie sich doch gerade erst bis aufs Blut gewehrt. Sie hatten ihre Alten sogar angeschrien! Das hatte in diesem Ausmaß bisher noch niemand gewagt. Die einzige Erwartung, die sie sich folglich gestatteten, war die, daß ihre Kinder nun wiederum sie anschreien würden – und verübeln würden sie es ihnen nicht können, schließlich hatten sie dasselbe getan.160

Schwerdtfeger erzählt parallel zwei Generationengeschichten. Die eine Geschichte wiederholt sich als naturgesetzlicher Zyklus immer wieder, indem ältere Generationen ihren Nachfolgern ein Erbe vermachen. Mit dem Erbe verbunden waren stets auch Erwartungen, die in dieser Kette auch erfüllt wurden. Die zweite Geschichte konzentriert sich auf einen spezifischen historischen Ausschnitt und umfasst nur drei Generationen. In dieser Abfolge kann sie selbst ihre Generation an der dritten Stelle platzieren und sich als »Enkel« attribuieren. In einer unendlichen Folge von Generationen ist jede einzelne Generation zugleich Großelterngeneration, Elterngeneration, Kindergeneration und Enkelgeneration, in Schwerdtfegers Narrativ werden hingegen drei Rollen stabilisiert. In dieser zweiten Geschichte wird das Erbe gerade nicht angenommen und die Erwartungen nicht erfüllt. Es spielt sich zwischen beiden Generationen ein Generationenkonflikt ab. Dadurch wird aber nicht nur ein Generationenverhältnis gestört, sondern gleich die ganze generationelle Logik. Die zweite Generation selbst vererbt der dritten Generation nichts mehr und hat ihr gegenüber keine Erwartungen mehr. Damit wird allerdings nicht das Generationenverhältnis aufgelöst, sondern vielmehr anders aufgeladen. Die Erwartungshaltung der älteren an die jüngere ist nicht mehr die der Annahme eines Erbes, sondern die Erwartung, »angeschrien« zu werden. Hieß der alte Generationenvertrag noch »Ihr sollt für die Vergangenheit (eure Eltern) und für die Zukunft (eure Kinder) leben, nicht aber für eure Gegenwart!«161, so lebt nun jede Generation in ihrer Gegenwart. Aus dieser Konstellation heraus kann sie nun die Standortbeschreibung ihrer eigenen Generation ableiten: Ihre Sehnsucht nach Traditionalismus, wie sie im alten Generationenmodell noch mitschwang,

160 Ebd., S. 45. 161 Ebd.

G ENERATION B UILDING

| 247

können sie eben nicht ausleben, da sie auf alle Traditionen verzichten mussten. Sie wende sich daher zur einzigen ›unschuldigen‹ Tradition hin, über die sie verfügt, zu ihrer eigenen Kindheit. Zugleich fehlt der dritten Generation die Möglichkeit, ihre Ablehnung des Modells der Eltern im Kampf mit diesen auszufechten – »genau dies würden die Eltern erwarten, es würde sie nicht einmal stören« 162. So schafft Schwerdtfeger nicht nur ein Begründungsmodell für literarische Formen wie Illies‫ ތ‬Generation Golf als »ironische Sentimentalität«163, nein, sie operiert auch im bachmannschen Modus, der älteren Generation dabei die Schuld zuzuschreiben. Zugleich deutet sie an, dass dritte Generationen eine versöhnende Beziehung zur ersten Generation aufbauen können, in ihrer gemeinsamen Skepsis gegenüber der mittleren Generation, eine Art intergenerationaler Koalition. Eine ähnliche Figur findet sich beispielsweise in der Annäherung der Schriftsteller Walter Kempowski und Benjamin von StuckradBarre.164 Stuckrad-Barre lädt Kempowski in seine Show Lesezirkel ein, lobt sein Buch Alkor im Spiegel.165 Kempowski äußert sich zu diesem Dialog in einem generationellen Narrativ. Auf die Frage, was ihn mit Stuckrad-Barre verbindet, sagt er: Ich habe den Kontakt zur 68er-Generation nie gefunden. Die Überflutung der Schulen durch Böll und andere Graumänner war mir immer unverständlich. Zu meinem großen Erstaunen gibt es jetzt ein Gespräch mit der nächsten Generation. Das war für mich ein neues Erlebnis, dass das Politische gar keine Rolle spielt.166

Die Einbettung von dyadischen Generationenverhältnissen in eine triadische Metastruktur und die Verhandlung von Wertungen der einzelnen Generationen lässt sich auch in der Popkultur beobachten. So bezeichnet beispielsweise Dirk Frank die Autoren von Tristesse Royale

162 Ebd. 163 Ebd. 164 Vgl. zu diesem Dialog das Doppel-Interview mit Kempowski und Stuckrad-Barre Sack, Adriano: »Wahrheit als Dichtung«, in: Welt am Sonntag vom 27.01.2002. 165 Vgl. Stuckrad-Barre, Benjamin von: »Was das nun wieder soll«, in: Der Spiegel vom 23.10.2001. 166 Ebd.

248

| DOING GENERATION

als »Nachfahren der Gegengegenkultur«167. In dieser Formulierung finden sich gleich mehrere ineinander geschachtelte Nachfolge- und Konfliktstrukturen. Mit »Gegengegenkultur« bezieht sich Frank dabei auf eine Kohorte der zwischen 1955 und 1965 geborenen, die auch als 78er tituliert wurden; seinen Begriff entlehnt er von Diedrich Diederichsen. Diederichsen, gleichzeitig Teilnehmer und Beobachter, stellt die Embleme 68 und 77 als Gegenkultur und Gegengegenkultur gegenüber. Zunächst skizziert er 68 als »große bürgerliche Lockerungs- und Entdisziplinierungsrevolution.«168 Das Dilemma von 68 sei allerdings: »Nur gegen Kapitalismus war 68 denkbar, nur im Kapitalismus ließ es sich verwirklichen.«169 Aus dieser Konstellation habe sich schließlich 77 ergeben: »Als aber klar war, dass eine andere Welt erst einmal nicht zu haben war, entstand eine Gegenbewegung zu 68, nennen wir sie, nach ihrem auffälligsten Datum, 77: das Jahr von Punk und Stammheim. Dies war die Korrektur von 68.« Damit wiederhole sich in dieser Gegenüberstellung ein anderes prominentes Epochenschema: »77 war die Romantik zur Aufklärung von 68.«170 Auch wenn Diederichsen hier eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen beschreibt, geht er nicht von einem generationellen Schema aus, sondern von einer Wählbarkeit zwischen beiden Bewegungen. Er skizziert nun den Fortgang beider Bewegungen. Es sei niemals zu einer Ablösung gekommen, stattdessen hätten beide Bewegungen stets nebenher existiert – und 77 sei im Gegensatz zu 68 niemals hegemonial geworden. Dirk Frank orientiert sich zwar an diesem Schema von Gegenkultur und Gegengegenkultur, überführt dieses allerdings in ein Generationelles Verhältnis. Er schlägt selbst ein popspezifisches Generationenschema vor:

167 Vgl. Frank, Dirk: »Die Nachfahren der ›Gegengegenkultur‹. Die Geburt der Tristesse Royale aus dem Geiste der achtziger Jahre«, in: Arnold, Popliteratur, S. 218-233. 168 Diederichsen, Diedrich: »Die Gegengegenkultur. 68 war Revolte, 77 war Punk – warum nur 68 zum Mythos wurde«, in: Süddeutsche Zeitung vom 24.02.2001, S. 20. 169 Ebd. 170 Ebd.

G ENERATION B UILDING

| 249

Ab den Achtzigern dient Affirmation vor allem der Abgrenzung von der orthodoxen Protestkultur. Wer fortan emphatisch Ja! sagt, sagt gleichzeitig vehement Nein!, nämlich zur Protestkultur der Generation vor ihm. Ein dominanter Strang innerhalb der neuesten Pop-Literatur, das wäre die im Folgenden zu belegende Hypothese, verdankt der so genannten Punk- und New-WaveGeneration eine bestimmte Grundhaltung: Man verweigert sich der Kommunikation mit der Vorgängergeneration, greift auf Protestformen zurück, die vor allem von denen nicht verstanden werden, die Kritik und Aufklärung institutionalisiert haben.171

So wie Generation XTC eine Genealogie der Musikkulturen skizzierte, schildert Frank hier eine Genealogie der Protestkulturen. Jede einzelne Generation äußere sich zwar als Protestkultur zur vorherigen, versuche sich dabei aber jeweils in neuen Formen des Protests. Dabei geht es gerade darum, im Protest nicht verstanden zu werden. Franks Genealogie hat ihren Startpunkt in der 68er-Generation. Den Platz der abweichenden zweiten Generation nimmt hier die »Punk- und New-Wave-Generation« oder auch die »78er«172 ein. Mit diesem Begriff bezieht er sich auf die von Reinhard Mohr eingeführte Generationenmarkierung für die Geburtenjahrgänge 1955 bis 1965, die auch als Generation Z bezeichnet werden. Diese zweite Generation habe eine Protestkultur eingeführt, die sich des emphatischen Ja! bediene und zugleich einen nihilistischen Geist pflege. Als Kronzeugen für diese Protestkultur führt Frank einerseits Diederichsen selbst als Journalist, Musiker und Zeitzeugen auf, aber auch Maxim Biller. Für den Vergleich dieser Gegengegenkultur mit der nachfolgenden Protestkultur, der in dieser Rechenweise dritten Generation, lassen sich zwei unterschiedliche Lesarten finden, die unterschiedliche generationengeschichtliche Narrative bedienen. Als Beispiel für diese dritte Protestkultur orientieren sich sowohl Eckhard Schumacher als auch Dirk Frank an Tristesse Royale, jenem vermeintlichen Transkript einer Gesprächsrunde des »popkulturellen Quintetts«173 der Autoren und Journalisten Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg und Benjamin von Stuckrad-Barre im Berliner Hotel Adlon. An dieser Stelle werden im Folgenden kurz die generati-

171 D. Frank: Nachfahren, S. 219. 172 Ebd. Vgl. auch R. Mohr: Zaungäste. 173 J. Bessing et. al.: Tristesse.

250

| DOING GENERATION

onenspezifischen Argumente beider Lektüren zugespitzt und vereinfacht gegenübergestellt. Schumacher deutet zunächst Tristesse Royale als: signifikant verschobene Neuauflage jenes Pop-Hedonismus, über den Anfang der 1980er Jahre Autoren wie Diedrich Diederichsen oder Thomas Meinecke von verschiedenen Positionen aus die Affirmation von Stil, Künstlichkeit, Zitathaftigkeit und Oberflächlichkeit als eine Form von linker Kritik entdeckt […] haben.174

Tristesse Royale lege also die Protestkultur der pophedonistischen Vorgängergeneration einfach wieder auf. Eben jene zweite Generation deutet Schumacher positiv, beschreibt sie als »Formen des Widerstands durch Affirmation«175. Ziel dieser Kritik ist nach Schumacher »ein späthippieskes Zerfließen in Authentizität, Sinnsuche und Problembewußtsein«176 und damit eine Art von Degenerationsform der 68er-Protestkultur, mithin der ersten Generation. Diese positive Wertung lässt er aber für Tristesse Royale und die weiteren Bücher der beteiligten Autoren nicht mehr gelten. In Tristesse Royale sei bereits jegliches kritische Potential verschwunden, die Strategien seien »normalisiert und dekontextualisiert.«177 Schließlich hätten sich die Autoren um Diederichsen zu diesem historischen Zeitpunkt auch bereits wieder von ihren pophedonistisch-affirmativen Ausdrucksweisen verabschiedet. Schumachers Resümee zu Tristesse Royale ist ein Bedauern über dessen »tendenziell öde, kunsthandwerklich normalisierte Proliferation von Selbstgefälligkeit«178. Schumacher geht zwar in seiner Lektüre sehr sparsam mit dem Generationenbegriff um, bedient aber ein generationengeschichtliches Narrativ der zeitlichen Abfolge von sich abgrenzenden Stilen. Die zweite Generation um Diederichsen und Meinecke – die Diederichsen

174 Schumacher, Eckhard: »›Tristesse Royale‹. Sinnsuche als Kitsch«, in: Braungart, Wolfgang (Hg.), Kitsch. Faszination und Herausforderung des Banalen und Trivialen, Tübingen 2002, S. 197-211, hier S. 203. 175 Ebd. 176 Ebd. 177 Ebd. 178 Ebd., S. 210

G ENERATION B UILDING

| 251

an anderer Stelle als Pop I bezeichnet179 – ist hier positiv besetzt, weil sie sich durch Originalität, ihre historische Neuheit und damit durch Zeitangemessenheit auszeichne. Hingegen operiert der Vorwurf an die Autoren um Stuckrad-Barre in der Zuschreibung von Epigonentum.180 Mit Epigonentum ist eine Form des künstlerischen Unvermögens gemeint, die sich auf eine reine Nachahmung künstlerischer Formen bezieht. In vielen Fällen wird Epigonentum auch generationenspezifisch codiert, so beispielsweise historisch als Selbst- und Fremdbeschreibungsmuster für die literarische Praxis der Nachfolgegenerationen Goethes. So findet sich beispielsweise bei Carl Leberecht Immermann das Bedauern, nach Goethe keinerlei Neuheit, keinerlei individuelle Einzigartigkeit mehr hervorbringen zu können.181 Mit der Konfliktlinie Stuckrad-Barre/Diederichsen wird eine etablierte Variante des Generationenverhältnisses erneut stabilisiert. Während die Tristesse-Autoren sich explizit gegen »das von Diedrich Diederichsen und anderen diktierte Verlangen nach einer alles und jeden durchdringenden Politisierung«182 wenden und damit einen geistigen Führungsanspruch einer Vorgängergeneration zurückweisen, wehrt sich Diederichsen mit einer Verteidigung der eigenen Haltung und mit einer Diskreditierung des Neuen. Die Pointe ist, dass die junge Generation nicht als Versager diskreditiert wird, weil sie gegen die Älteren protestieren, sondern im Gegenteil, weil sie keine überzeugende Protestkultur etabliert haben. Dirk Frank hingegen versucht, die Schreibweisen von StuckradBarre und Kracht zu verteidigen. Abschließend resümiert er die generationenspezifischen Relationen zwischen 68, 77 und 99, wobei die letzte Jahreszahl als Symbol für das Erscheinungsjahr von Tristesse Royale fungiert. Die Tristesse-Autoren als Vertreter der dritten Generation haben sich eben nicht an ihrer Vorgängergeneration abgearbeitet, sondern an der ersten Generation: »Doch der Affekt gegen 68, also

179 Vgl. Diederichsen, Diedrich: Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt, Köln 1999, S. 272-286. 180 Vgl. Meyer-Sickendiek, Burkhard: Ästhetik der Epigonalität: Theorie und Praxis wiederholenden Schreibens im 19. Jahrhundert, Tübingen/Basel 2001, S. 23. 181 Vgl. beispielsweise Bohnenkamp: Jugend. 182 J. Bessing et. al.: Tristesse, S. 98.

252

| DOING GENERATION

gegen die Gründergeneration des Anderssein, ist nach wie vor Kennzeichen eines bestimmten jugend- und popkulturellen Diskurses, obwohl nach der Logik der Zehner-Schritte die auf 68 folgende Generation eigentlich die Kontrastfolie bilden sollte.«183 Frank erinnert mit seiner Wendung von der »Gründergeneration« eher an die Traditionen von Familienunternehmen oder anderer Institutionen, die sich stets auf eine erste Generation berufen. Als Grund für die Stärke der Frontlinie von 99 und 68 führt er ein generationsspezifisches ›Versagen‹ der 77er ein, weil der von ihnen »kultivierte Geist der Verweigerung« niemals den Rang eines Mythos erhalten habe.184 Die 77er, so Frank, hätten es niemals geschafft, einen Generationsmythos zu etablieren und seien damit eine erfolglose Generation. Die von Diederichsen und Schumacher so gelobte mittlere Protestgeneration erhält in Franks Genealogie eine viel schwächere Position, wird schon fast zu Epigonen der 68er herabgestuft. Im Gegensatz zu ihr erhielten dadurch die 99er eine viel radikalere Stellung und damit unter der Annahme einer protestkulturellen Genealogie eine positivere. Frank führt hierfür an anderer Stelle ein sozialisationstheoretisches Argument an. Bei Kracht und seinen annähernd gleichaltrigen Schriftstellerkollegen »findet sich eine Generation wieder, die ihre Sozialisation mit Pop als normal und durchschnittlich erlebt hat, der es daher nicht in den Sinn kommen würde, Pop per se als gegenkulturellen 185 Entwurf anzusehen.« Der Generationenbruch findet hier also vor allem zwischen 77 und 99 statt, weil die dritte Generation durch ihre Sozialisation eine ganz andere Erfahrungsstruktur habe. Sie ist die Generation, die tatsächlich Neuheit beanspruchen kann. Im Vergleich dieser beiden Generationengeschichten von Frank und Schumacher lässt sich bereits sehen, wie sich durch eine geschickte Diskursivierung von Tradition, Originalität, Neuheit, Epigonalität oder Zeitangemessenheit Generationengeschichten erzählen lassen, in denen erste, zweite und dritte Generationen immer wieder unterschiedliche Plätze einnehmen und jeweils positiv oder negativ zu ihren Vorgängern und Nachfolgern positioniert werden können.

183 D. Frank: Nachfahren, S. 231. 184 Ebd. 185 Frank, Dirk: Popliteratur. Arbeitstexte für den Unterricht, Stuttgart 2003, S. 22.

G ENERATION B UILDING

| 253

Geschwindigkeiten, Abstände, Zahlen An diesen Beispielen lässt sich bereits ablesen, wie problematisch die Vorstellung einer naturgesetzlichen Sukzession von Generationen ist, bei denen jeweils nachfolgende Glieder der Kette in einem spezifischen Generationenkonflikt bestehen. Dies beginnt bei der Frage, in welchen Abständen man die Zäsuren setzt, die Generationen voneinander scheiden. Das Schema 68/89 geht implizit von 21 Jahren Differenz aus, während Dirk Frank sich auf eine viel diskutierte ›Logik der Zehner-Schritte‹ beruft. Auch andere wie Illies und Kullmann berufen sich explizit auf ein Intervall von zehn Geburtsjahrgängen. Allerdings folgt Frank selbst nicht präzise dieser Logik: Seine Generationen kristallisieren sich um die symbolischen Jahreszahlen 1968, 1977 und 1999 heraus und lassen die Achtziger Jahre damit unter den Tisch fallen. Mit dieser Dekadenlogik wird eine zweite Logik neben der Annahme von Eltern-Kind-Verhältnissen etabliert. Frontstellungen zwischen Generationen lassen sich sowohl im Zehnerrhythmus als auch in Zyklen von 25-30 Jahren konfigurieren. Seine Verblüffung über diese neue, weil viel kürzer denkende Konfrontationslogik, äußert Michael Jürgs im Interview: Also bei »Tempo« war sicher, daß wir für die die Alten waren. Wir, die 68er. Bei »Twen« waren wir die Jungen. Bei »Tempo« waren die Alt-68er die Feindbilder und nicht mehr die Väter der Redaktion, wie es bei uns war. [...] Als ich dann zu »Tempo« kam, das war ‫ތ‬92, kam ich zu diesen Jungen oder Jüngeren. Also gut, die waren zwischen 25 und 30, im Prinzip war ich der Älteste.186

Jürgs beschreibt, wie er in seiner Zeit beim Stern als 68er einen Generationenkonflikt mit der Generation seiner Eltern austrug. Als TEMPO auf den Markt kam, positionierten sich deren Macher allerdings gegen den Stern und eben gerade nicht gegen ihre eigenen Eltern. Der generationelle Bruch wird also nicht im Eltern-Kind-Verhältnis angesiedelt, sondern in der Dynamik des journalistischen Systems.

186 Hentschel, Andreas: »Interview mit Michael Jürgs am 19.4.2000 in Hamburg«, in: ders. Tempo (2000), Anhang M3, S. 1-12, hier S. 2.

254

| DOING GENERATION

Nicht nur in der Literatur, sondern auch im Journalismus und den vielen Zwischenregionen lassen sich komplexe institutionelle und stilistische Dynamiken erkennen. Diese werden neben ihrer Eigendynamik auch durch äußere Effekte wie Veränderungen der Aufmerksamkeitsökonomie, der Marktstrukturen, der Arbeitsverhältnisse gesteuert.187 Allerdings scheiden diese Differenzierungen – wie die Abgrenzung von Stern und TEMPO als zwei unterschiedlichen Ausrichtungen von Journalismus – viel knapper gefasste Generationenkohorten voneinander als das klassische Muster von Eltern und Kindern, das von einem ungefähr 30jährigen Zyklus ausgeht. Geht man von familialen Generationenkonflikten aus, so legt man eine ganz andere zeitliche Messlatte an als bei einer Abfolge von kulturellen Stilgenerationen, Jugendkulturen oder von politischen Generationen. Generation XTC beschreibt nicht nur die Verortung von Techno in einer Genealogie musikalischer Stile, sondern auch die Absetzungsbewegung der Techno-Jünger gegenüber ihren Eltern: »In der Nacht kann man sein, was man will. Nur die Nacht setzte die Regeln der Erwachsenenwelt außer Kraft – abgesehen von dem kleinen Manko, daß man für seine Getränke bezahlen mußte.«188 Es gibt also zwei Generationen, von denen sich die Generation XTC abgrenzt: Von der Generation X als ihrer musikalischen Vorgängergeneration und von der eigenen Elterngeneration, die vermutlich noch älter ist. Neben den familialen Eltern gibt es eine weitere prominente Gruppe, die sich als generationeller Vorläufer und damit als Folie der Absetzung eignet: Lehrer. Doch Frontstellungen gegenüber Lehrern und Eltern operieren in anderen systembedingten zeitlichen Rhythmen. Dazu ein Zahlenbeispiel: Wer 1968 als Student revoltierte und zwischen 20 und 30 Jahren alt war, kam zwischen 1938 und 1948 zur Welt. Geht man davon aus, dass diese Revolutionäre im Intervall von 20 bis 40 Jahren Kinder bekommen könnten, dann umfasst die Kindergeneration ungefähr die Jahrgänge 1958 bis 1988, ein Durchschnitts-68er-Kind hätte nach diesem Zahlbeispiel den Geburtsjahrgang 1973 – und gehörte qua definitionem tatsächlich in Florian Illies‫ތ‬ Generation Golf. Nehmen 68er anschließend eine Leistungsrolle im pädagogischen System ein und unterrichten als Lehrer von 25 bis 65 Jahren Schüler,

187 Vgl. E. Schütz: Journailliteraten. 188 F. Böpple/R. Knüfer: Generation, S. 109.

G ENERATION B UILDING

| 255

so kann man davon ausgehen, dass man von 1968 bis 2013 68erLehrer an den Schulen findet. Wenn man sich nun das Konstrukt ›Schüler von 68er-Lehrern‹ näher anschaut, kann man annehmen, dass die Schüler etwa im Alter von 12 bis 17 Jahren sich mit ihrer Lehrergeneration auseinander setzen können. Dann müssten diese ›Schüler von 68er-Lehrern‹ zwischen 1951 und 2001 geboren werden. Die Möglichkeit, sich als Nachfolge-Generation der 68er zu positionieren, eröffnet sich daher verschiedenen Jahrgängen in unterschiedlichem Maße. Es gibt einen viel kleineren Zeitpunkt von Geburtsjahrgängen, der typischerweise Kinder von 68ern umfasst als den Zeitraum, der Schüler von 68ern umfasst. Andere Systeme, wie beispielsweise die Politik, haben noch andere Dynamiken, da hier gewöhnlich erst in einem höheren Alter relevante Leistungsrollen eingenommen werden können. Dazu kommt, dass die Unterstellung von Regelmäßigkeit, von sich in bestimmten Zyklen ablösenden Hegemonien selten tatsächlich so erfolgen. Politische Regierungskoalitionen, kulturelle Stile, literarische Trends haben unterschiedliche und vor allem unregelmäßige Zeiten der Präsenz. In den scheinbar so evidenten Generationenlogiken in ihren 10oder 30-Jahreszyklen lassen sich eine ganze Reihe von Figuren finden, die quer zur regelmäßigen Abfolge der Generationen stehen. So lassen sich narrativ auch Zwischenfiguren entwerfen, wie beispielsweise die Figur des Nachzüglers oder jüngeren Bruders. Dieser jüngere Bruder steht zwar in der Logik der Familie in der gleichen Generationsstufe wie seine Geschwister. Er mag aber kulturell ganz anders geprägt sein und kann dadurch gegenüber den Kindern seiner Geschwister eine ganz andere Rolle einnehmen als diese selbst. Da er sich auch der Zuschreibung als ›Vater‹ entziehen kann, hat er die Chance zu einer ganz besonderen generationenüberschreitenden Kommunikation mit der Generation seiner Nichten und Neffen. Ein Beispiel für diese Beobachterposition liefert Joachim Lottmann in seinem Roman Die Jugend von heute.189 Lottmann entwirft hier die Erzählerfigur des Onkel Jolo, der durchaus wohlwollend die Jugend seiner Neffen begleitet und beschreibt. Nicht zu Unrecht tituliert Generationenarchivar Bernd Kittlaus diesen Roman als »Onkelliteratur«.190

189 Vgl. Lottmann, Joachim: Die Jugend von heute, Köln 2004. 190 Kittlaus, Bernd: »Die neue deutsche Onkelliteratur - Die Kreuzzügler des Pop«, Download unter http://www.single-generation.de/kritik/debatte_

256

| DOING GENERATION

Ähnlich argumentiert Jürgen Busche, wenn er die Generationenkonflikte der 68er beschreibt. Er schreibt, dass die 68er nicht nur im Konflikt zu ihren Eltern, sondern auch zu ihren großen Brüdern gestanden hätten, die »fast schon zu den Großen in der Familie gezählt werden.«191 Er entwirft hier die Zwischenfigur des älteren Bruders, der genealogisch zur jüngeren Generation gehört, kulturell aber zur älteren Generation gezählt wird192. Darüber hinaus gibt es in der Logik der Zehnerschritte auch Jahrgänge, die genau auf der Grenze zwischen den Generationen geboren werden. In der viel zitierten Logik, dass die Jahrgänge 1955 bis 1965 der Generation Z angehören, die Jahrgänge 1965 bis 1975 der Generation Golf, und damit die Jahrgänge 1975 bis 1985 folgerichtig einer dritten Generation, erscheinen die Jahrgänge 1965 und 1975 jeweils als ›Zwitterjahrgänge‹. Wer in diesen Jahrgängen geboren ist, kann sich wahlweise der früheren oder späteren Generation zuordnen. So ist beispielsweise einer der Protagonisten der Generation Golf, Benjamin von Stuckrad-Barre, einer dieser Grenzgänger, der im Zwitterjahr 1975 geboren wurde. Christian Kracht, Generationsgenosse, ist hingegen schon neun Jahre älter und damit fast Teil der Generation Z. In diesen Beispielen zeigt sich bereits, dass Generationengeschichten nicht auf eine naturgesetzliche Logik zurückzuführen sind. Es gibt keine natürlichen Abstände der Generationen, die sich in Jahren messen lassen. Stattdessen werden Generationenerzählungen auf verschiedene etablierte Muster der Zählweise bezogen. Besonders beliebt sind entweder Analogien zur Eltern/Kind-Dynamik, also Abstände zwischen 20 und 30 Jahren, oder eine Dekadensystematik, die Generationen im Abstand von zehn Jahren voneinander scheidet. In beiden Fällen lässt sich die strenge numerische Logik kaum durchhalten, da immer wieder Grenzgänger zwischen den Generationen zu beobachten sind. In der ersten Logik kann hier ebenfalls die familiäre Semantik bemüht und von der Figur eines älteren Bruders oder jüngeren Onkels erzählt werden. Um die zweite Logik zu stabilisieren, darf nicht hinter-

lottmann_jugend_von_heute.htm. Genauso ließe sich natürlich auch eine Tantenposition entwerfen. 191 J. Busche: 68er, S. 35. 192 Bezeichnend ist, dass sich auch hier wieder keine geschlechtsneutrale Formulierung findet, sondern die Generation stets nur auf Männer bezogen wird.

G ENERATION B UILDING

| 257

fragt werden, wie sich Menschen einordnen lassen, die in den Jahrgängen geboren werden, in denen sich zwei Generationen voneinander scheiden sollen. Zwischengenerationen Ein immer wieder kehrendes Argument ist zudem die Rede von den Zwischengenerationen – damit sind Jahrgänge gemeint, die sich keiner Generation zuordnen lassen, gerade weil sie zwischen zwei erfolgreichen Generationen ›eingekeilt‹ werden. So ordnet sich die Nutzerin Majia in den Generationendebatten auf jetzt.de wie folgt ein: »irgendwie häng ich dazwischen, zwischen der @X1989PGolf- und der Aschgeweihgeneration....«193 Die Lesart der 77er bei Frank und Diederichsen lässt sich vor dem Hintergrund eines angenommenen 30-Jahre-Zyklus als eine solche Zwischengeneration lesen, als eine Generation, die eben nicht hegemonial werden und ihren eigenen Mythos etablieren konnte. Mathias Mertens behauptet sogar, diese Generation leide unter einer narzisstischen Kränkung – sie sei zwischen den zwei »kantischen Geschichtszeichen«194 von 68 und 89 geboren und hätte damit niemals die Chance auf eine politische Prägung gehabt. Reinhard Mohr etabliert in seiner Generatiographie Zaungäste – Die Generation, die nach der Revolte kam genau dieses Narrativ einer Zwischengeneration. Seine Generation, abgekürzt als Generation Z für Zaungäste, erstreckt sich auf die Jahrgänge 1952 bis 1958. Während die »Alt-68er« und die »Neonkids« jeweils eine »politisch oder kulturell griffige Symbolik«195 entwickelt hätten, bliebe seine Generation nicht erkennbar, mehr noch, bloße »Zaungäste der Geschichte«196. Zugleich etabliert er aber gerade durch seine Behauptung, seine Genera-

193 Jetzt.de, Tagebuch-Eintrag von »Alcofribas« unter dem Titel »Generation…?«, am 02.12.2005, Kommentar von Nutzer »Majia« am 02.12.2005 um 14:55. 194 Mertens, Mathias: »Die Leiden des Klassensprechers«, in: jungle-world von November 2000. 195 Jeweils R. Mohr: Zaungäste, S. 10. 196 Ebd., S. 9.

258

| DOING GENERATION

tion sei nicht sichtbar, eine neue Sichtbarkeit, oder präziser: eine Lesbarkeit, indem er gleich zwei Bücher über seine Generation verfasst.197 Eine ähnliche Strategie verwendet der Schriftsteller Matthias Politycki, der an Mohrs Beschreibung der 78er anknüpft. Allerdings kritisiert er gleichzeitig Mohrs Benennung dieser Generation: Müßig zu sagen, daß ich Mohrs Einschätzung für mittlerweile überholt halte und, wie ja bereits seine Benennung der 78er als 78er zeigt, für viel zu sehr an den 68ern ausgerichtet. Was wären denn 1978 gewesen, daß man – analog zu 1968 bzw. 1989 – von einem generationsspezifischen, generationsprägenden Ereignis sprechen könnte?198

Politycki schreibt also, dass es 1978 kein Ereignis gegeben hätte, dem er eine prägende Funktion für eine Generation zuschreiben könnte. Aber nennt auch kein anderes Ereignis eines anderen Jahrs, das diese Funktion haben könnte. Damit wird deutlich, dass er Schwierigkeiten hat, seine Generationenerzählung aus einem Generationsmythos heraus zu erklären. Er verlegt sich daher von einer internen Begründung der Generation aus sich heraus auf eine externe Begründung in der Abgrenzung zu anderen Generationen. In einem Vortrag vor einem germanistischen Seminar, der später als Aufsatz erscheint, skizziert Politycki die Lage der deutschen Gegenwartsliteratur als »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen«.199 Damit meint er eine Vielzahl unterschiedlicher literarischer Stile, die allerdings nicht in Widersprüchen zueinander stehen, sondern sich vielmehr in ihrem Nebeneinander dadurch auszeichnen, dass große Debatten völlig fehlen. Politycki bemüht sich im Folgenden, eine solche Debatte entlang einer Generationenerzählung zu strukturieren. Die verschiedenen Stile sortiert er mit Hilfe von generationellen Zuschreibungen; auf der einen Seite steht die »E-Literatur« der 68er, auf der anderen die »U-Literatur« der 89er, zu denen er beispielsweise Christian Kracht zählt. Beide diskreditiert er, die älteren als zu formverliebt und leservergessen, die jüngeren als zu stark an erzählerischen Routinen

197 Elf Jahre später folgt noch R. Mohr: Generation Z. 198 Politycki, Matthias: »Kalbfleisch mit Reis! Die literarische Ästhetik der 78er-Generation«, in: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur 50 (1997), S. 39, hier S. 5. 199 Ebd., S. 3.

G ENERATION B UILDING

| 259

und schnellen Pointen orientiert. Die Pointe von Polityckis eigener Erzählung ist der Bezug auf die 78er-Generation: Unser Bekenntnis zur Literatur, habe ich soeben gesagt, doch wer sind »wir« überhaupt? Diese 78er-Generation, von der niemand spricht, die [...] zunehmend ihre Plätze im Kulturbetrieb einzunehmen vermag, Plätze, die weiß-gott lange von einer [...] Alt-68er-Riege besetzt waren: diese Generation tut sich wahrlich schwer mit sich selbst, ja mehr noch, sie zweifelt ernsthaft daran, ob es sie überhaupt gibt.200

Politycki nutzt den gleichen rhetorischen Kniff wie Mohr; aus einer fehlenden Sichtbarkeit einer Generation folgt nicht etwa, dass diese nicht vorhanden oder literaturhistorisch unerheblich sei, sondern dass sie noch unterrepräsentiert sei und eine höhere Aufmerksamkeit verdiene. Er bedient sich ebenfalls eines Dreigenerationenmodells, wobei hier nicht die dritte Generation eine Mittelposition zwischen beiden vorhergehenden Generationen einnimmt, sondern die mittlere Generation – die allerdings in der erzählten Geschichte wiederum diejenige ist, die als letzte sichtbar wird. Politycki spricht daher auch nicht von einer Generation als »Erscheinung«, sondern nur als »Idee«201, deren Realisierung noch aussteht. Dieser vermittelnden, aber bisher nicht in Erscheinung getretenen Zwischengeneration kommt nun Polityckis Forderung zu, eine zeitgemäße literarische Programmatik zu erfüllen und die guten Seiten beider anderen generationellen Positionen miteinander zu versöhnen. Ähnlich wie in einem Manifest fordert er in sieben Punkten eine neue literarische Ästhetik. Man ahnt, dass Politycki vor allem einem Schriftsteller zugestehen würde, diese Ästhetik tatsächlich in seinen Romanen umzusetzen: Matthias Politycki selbst. Nicht umsonst bietet er, um Moritz Baßler noch einmal zu zitieren, in seinem Weiberroman eine »Generations-Etappen-Erzählung«202 an und buhlt damit selbst um Leser, die seine Generatiographie teilen mögen. An Polityckis Generationenerzählung wird am deutlichsten, welche Funktion diese Konfigurationen mitunter haben können. Das Generationenschema dient zu einer scheinbar evidenten Kategorisierung

200 Ebd., S. 5. 201 Ebd., S. 4. 202 M. Baßler: Pop-Roman, S. 24.

260

| DOING GENERATION

von einzelnen Positionen. Geschickt werden an diese generationellen Differenzen schließlich Geschichten von Tradierung und Erneuerung, von Konflikt, Protest, Verrat oder Versöhnung angebunden, um die eigene Position auf besondere Art und Weise hervorzuheben. Damit wird die Generationendebatte zu einem Verfahren, um beispielsweise Aufmerksamkeit zu generieren, literarische Distinktionsgewinne einzufahren und manchmal auch mehr Bücher zu verkaufen.

7. GenerationenÖkonomik

Schon an der Diskussion von Matthias Polityckis Generationenerzählung wird deutlich, dass die Generationenrede nicht frei von einer ökonomischen Dimension ist. Gerade wenn man sich anschaut, dass viele der diskutierten Bücher zu Bestsellern wurden und gerade auch Zeitschriften und Internetauftritte zumeist einem Gewinninteresse folgen. Es scheint in manchen Fällen schlicht lukrativ zu sein, von Generationen zu reden. Während das letzte Kapitel Beobachtungen zur Generationenrede auf Konfigurationen und Erzählweisen, mithin auf letztlich kulturelle Formen hin untersuchte, soll dieses Kapitel der ökonomischen Logik von Generationen auf die Spur gehen. Dabei geht es nicht darum, Verfallsformen der ehemals heroischen Generationen nachzugehen, sondern schlicht um einen Perspektivwechsel. Dieser Perspektivwechsel erfolgt in drei Schritten. Zunächst soll einer Generationendeutung nachgegangen werden, die sich bereits durch ihren Namen als ökonomische Generation charakterisieren lässt, der Generation Praktikum. Die Grundidee dieses Generationenbegriffs ist, dass es eine Generation gebe, der der Zugang zum Wirtschaftssystem versperrt werde, indem ihnen keine regulären Jobs, sondern eben nur Praktika angeboten werden. In einem zweiten Schritt werden noch einmal die in der Arbeit herausgearbeiteten Überlegungen zur Rolle der Medien und zur Denkfigur der Unwahrscheinlichkeit daraufhin zugespitzt, wie sich Generationen in einer Diskurs- und Aufmerksamkeitsökonomie ereignen. Es werden die Fragen diskutiert, wie unter der Oberfläche eines Generationendiskurs andere diskursive Strategien verfolgt werden oder Rederechte erstritten werden, die später monetarisiert werden können. In einem dritten Schritt werden schließlich die Diskussionen in die These

262

| DOING GENERATION

überführt, dass es sich bei Generationen um eine besondere Form der Marken, um Zeitmarken, handelt. Gibt es die Generation Praktikum? 2005 diagnostizierte die Zeit eine neue Generation, die große Resonanz erhielt: die »Generation Praktikum«.1 Der Autor Matthias Stolz schreibt davon, dass in Zeiten von hoher Arbeitslosigkeit unter Akademikern diesen immer häufiger jahrelang kein festes Arbeitsverhältnis angeboten wird. Stattdessen müssten sie sich mit einer jahrelangen Dauerpraktikantenschaft abfinden – und ohne jemals in einem Beschäftigungsverhältnis gewesen zu sein, haben sie auch kein Anrecht auf Arbeitslosengeld. Dabei seien die Praktika zugleich immer länger, anspruchsvoller und schlechter bezahlt; oftmals könne man noch nicht einmal die Erfahrungen machen, die einem anfangs versprochen würden. Das Praktikantenleben führe zugleich auch zu einem unnötigen Generationskonflikt mit den Eltern, die immer länger etwas zum Lebensunterhalt beitragen müssten: Noch schlimmer ist es, wenn nach dem ersten Tag eines neuen Praktikums der Vater anruft, um sich in fürsorglichstem Ton zu erkundigen, wie es gelaufen sei. Solche Gespräche enden fast immer in einem Streit, der einem hinterher leid tut, weil man ja verstehen kann, dass der Vater sich kümmert; einem Streit, der aber unvermeidbar ist, weil man ja nicht will, dass der Vater sich immer noch kümmert. Gespräche mit den Eltern über das Praktikantendasein sind so gut wie unmöglich, weil Eltern noch immer glauben, dass, wer gut ist, auch einen Job bekommt.2

Auch der Spiegel titelt ein Jahr später »Generation Praktikum. Jung, gut ausgebildet, fleißig – und ein fester Job in weiter Ferne«.3 Auf dem Titelbild versammelt die Zeitschrift 15 junge Menschen in einem Tableau und schildert im Beitrag dann die Fallgeschichten dieser Genera-

1

Vgl. Stolz, Matthias: »Generation Praktikum«, in: Die ZEIT vom 31.03.2005.

2

Ebd.

3

Vgl. Der Spiegel vom 31.07.2006.

G ENERATIONEN Ö KONOMIK | 263

tionsgenossen, angereichert mit den Einschätzungen von Experten wie Ulrich Beck und untermauerndem Zahlenmaterial.4 Ihre Generation Praktikum umfasst alle Akademiker, die sich als Praktikanten, Mehrfachjobber oder Honorarkräfte durch die Arbeitswelt hangeln, »mit befristeten Verträgen oder ganz ohne, mit schlechter oder gar keiner Bezahlung, zeitlich stets flexibel und immer mobil.«5 In diesem Zusammenhang greift der Spiegel auch die These von Friebe und Lobo auf, das System fester Arbeitsverträge sei »völlig überbewertet«6, nicht ohne süffisant anzumerken, dass es gerade diese buchgewordene These sei, die Friebe und Lobo derzeit den Lebensunterhalt ermögliche. Spätestens durch die breite Resonanz auf die Berichte von Zeit und Spiegel und die damit verbundene Implikation, dass es Jüngeren schlechter gehe als Älteren und die Generationengerechtigkeit verletzt sei, wird die Generation Praktikum zum politischen Thema. Schon in der Zeit erschien neben Stolz‫ ތ‬Artikel ein Plädoyer des Lobbyisten Jörg Tremmel für mehr »Generationengerechtigkeit«.7 Der Spiegel berichtet weiterhin von zahlreichen Demonstrationen in europäischen Ländern, unter anderem von einer Aktion in Berlin, wo Jugendliche mit gesichtslosen Masken auftraten, um auf ihre Austauschbarkeit hinzuweisen. Doch zeitgleich zum Ausrufen dieser neuen Generation gibt es auch Protest, der die Existenz dieser Generation leugnet. Auch dabei handelt es sich um ein etabliertes Diskursmuster: Je mehr von Generationen gesprochen wird, desto unsicherer scheint zu werden, ob es sie gibt – ob es sie jemals gab, ob es sie noch gibt, ob es sie wieder geben kann. Jede neue Generation steht unter Verdacht, es gäbe sie nicht. In der Soziologie reagierte man schon auf Florian Illies‫ ތ‬Generation Golf mit einer empirischen Untersuchung, ob es diese Generation tatsächlich gebe – mit positivem Ergebnis.

4

Vgl. Bonstein, Julia/Theile, Merlind: »Auf Nummer unsicher«, in: ebd., S.

5

Ebd., S. 44.

6

Ebd., S. 55.

7

Vgl. Tremmel, Jörg: »Die fetten Jahre sind vorbei«, in: Die ZEIT vom

44-55.

31.03.2005.

264

| DOING GENERATION

Markus Klein konstatiert, es gebe die Generation Golf »im Sinne einer klar abgegrenzten Geburtskohorte mit einem spezifischen Werteprofil, das sie von anderen Generationseinheiten deutlich abhebt, und sie zeichnet sich in der Tat dadurch aus, dass mit ihr die Abwendung von postmaterialistischen Werten beginnt.«8 Zu diesem Argument, dass die Generation sich von anderen Generationen unterscheidet, kommt noch eine Unterscheidung während des Lebenslaufs der Generation: »Das zentrale Charakteristikum der Generation Golf scheint darin zu bestehen, dass sie – obgleich zunächst in hohem Maße für die Übernahme postmaterialistischer Wertorientierungen prädisponiert – sich von diesen Werten im Lebenslauf immer stärker abwendet.«9 Es ist nicht verblüffend, dass auf die Rede von der Generation Praktikum ähnlich reagiert wurde – mit Versuchen, diese Generation sichtbar zu machen und ihren Status zwischen Fiktion und Fakt endgültig bestätigen oder verwerfen zu können. So reagieren gleich zwei empirische Studien in Deutschland auf den Diskurs, die mit jeweils unterschiedlichen Methoden zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Während der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Arbeitsbereich Absolventenforschung an der Freien Universität Berlin und die Hans-Böckler-Stiftung in ihrer Studie eine Entwicklung hin zu mehr prekären Beschäftigungsverhältnissen ausmachen und damit die Generation Praktikum indirekt bestätigen,10 kommt die Studie der gemeinnützigen Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) zu einem anderen Ergebnis.11 Die HIS-Autoren vermuten, dass das Thema deswegen eine so hohe Resonanz erhalte, weil vor allem die Medienberufe von prekären Beschäftigungsverhältnissen betroffen seien, andere Berufe allerdings weit weniger. Sie kommen zum Ergebnis, die Generation Praktikum sei kein Massenphänomen, nur ein Mythos. Auch der Spiegel stellt Jahre später die These von einer Generation Y auf. Mit anderem Namen werden hier die gleichen Jahrgänge um-

8

M. Klein: Generation, S. 113.

9

Ebd., S. 113.

10 Vgl. Grühn, Dieter/Heidemarie Hecht: Generation Praktikum? Prekäre Beschäftigungsformen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen, Berlin 2006. Herausgegeben vom DGB-Bundesvorstand, Bereich Jugend. 11 Vgl. Briedis, Kolja/Minks, Karl-Heinz: Generation Praktikum. Mythos oder Massenphänomen (= HIS-Projektbericht), April 2007.

G ENERATIONEN Ö KONOMIK | 265

schrieben, wenngleich sie als »Gewinner des Arbeitsmarkts«12 bezeichnet werden. Wenn untersucht wird, wie viele junge Menschen sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen befinden, so ist dies einerseits nachvollziehbar. Um die politische Frage zu klären, welche staatlichen Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt werden, braucht die politische Administration diese Art von Daten über Gehälter, Arbeitsverträge und Lebensläufe. Andererseits verfehlt diese Art von Untersuchung die Frage, ob und warum es eine Generation Praktikum gibt – denn der Mythos der Generation hat sich als ein wirkmächtiges Muster für Selbst- und Fremdbeschreibungen erwiesen. Er schlägt sich in Büchern nieder wie in Nikola Richters Die Lebenspraktikanten, aber auch in einer regelrechten Praktikantenliteratur: »Der Praktikantenroman ist – neben seiner expliziten Bezeichnung im Untertitel – an seiner Broschierung erkennbar, seiner Länge von rund 200 Seiten, und dem Cover, geziert von einem Praktikanten in Jeans und Turnschuhen nebst Büroutensilien.«13 Der Praktikant – oder die Praktikantin, wie ein Roman von Yannik Mahr heißt14 – wird so zum kollektiv-imaginären Role Model. Im März 2007 beginnt in der NEON eine regelmäßige Kolumne »aus der Welt der Praktikanten«.15 Michael Ebmeyer schreibt in der Rubrik »Arbeitsmaterial« und nimmt damit ironisch aufs Korn, dass Praktikanten eben vielfach als arbeitendes Material angesehen werden, nicht als eigenständige Mitarbeiter. Auch jetzt.de und NEON.de schreiben über Praktikanten: Petra Bäumer, selbst Praktikantin bei jetzt.de, widmet dem Thema einen Tagesticker;16 NEON-Autor Jan Brandt stellt einen Text zur Diskussion, in dem er schreibt, dass er sich zum ersten Mal einer Generation zugehörig gefühlt habe, als der Artikel in der Zeit erschienen war – und erntet zahlreiche und ausführliche Antworten, in denen Nutzer ihre eigenen Erfahrungen schildern.17 Da-

12 Buchhorn, Eva/Werle, Klaus: »Gewinner des Arbeitsmarkts«, in: Spiegel Online vom 07.06.2011, Download unter http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/0,1518,766883,00.html. 13 Kutter, Inge: »Die Literaturpraktikanten«, in: Die ZEIT vom 16.12.2009. 14 Vgl. Mahr, Yannik: Die Praktikantin, Berlin 2009. 15 Ebmeyer, Michael: »Der Andere«, in: NEON von März 2007, S. 102. 16 Jetzt.de, Tagesticker vom 10.11.2005. 17 Brand, Jan: »Die Praktikantenelite«, Eintrag auf Neon.de am 11.04.2005.

266

| DOING GENERATION

bei setzen Bäumer und Brandt mit ihren Texten Normalisierungsprozesse in Gang: Jeder Nutzer der Internetforen kann sich selbst mit dem Programm der Generation Praktikum abgleichen, in Kommentaren zustimmen oder ablehnen. Aber durch diesen Aushandlungsprozess wird diskursiv wiederum ein Normalfall konstruiert und so existiert die Generation Praktikum eben doch: als Modell der Selbstbeschreibung. Dabei ist die Generation Praktikum zunächst eine paradoxe Figur. Hier zeichnet sich die Generation eben dadurch aus, dass sie nicht lesbar ist – die Mitglieder dieser Generation kommen eben nicht zum Zug, können nicht in Leistungsrollen der Gesellschaft vorstoßen, weil sie über Jahre hinweg in Praktika und prekären Beschäftigungsverhältnissen von der Arbeitswelt ferngehalten werden. Die Generation wird sichtbar gemacht als etwas, was eben noch kein Gesicht hat. Diskursökonomie und Aufmerksamkeitsökonomie Die Frage, ob es die Generation Praktikum tatsächlich gibt, wird nicht vor dem Hintergrund so relevant, ob dieser Begriff sich dazu eignet, als Selbstbeschreibungsmodell für junge Menschen geeignet zu werden. Er wird vor allem dadurch zu einem heiß diskutierten Problem, weil unterhalb der Generationendebatte ein politisches Verteilungsproblem diskutiert wird. Der Generationendiskurs wird damit an einen anderen Diskurs gekoppelt und dient dazu, für diesen Diskurs Sprecherpositionen zu legitimieren. Wie im vorherigen Kapitel diskutiert, funktioniert der Generationendiskurs normalisierend und damit konventionalisierend: Nachdem die Schwellen der Generationalisierung überwunden wurden, also Generativitätsmythen etabliert wurden, Sprachrohre akzeptiert wurden und Narrationen die Verhältnisse zu anderen Generationen organisieren, wird die Frage, ob eine Generation existiert, nicht mehr gestellt. Es ist eine der Regeln der Diskursökonomie, dass »Konventionalisierung immer durch eine spezifische Blindheit gekennzeichnet ist«18, so Hartmut Winkler. Winkler diskutiert diese Art der diskursiven Konventionalisierung wie folgt: Diese Blindheit beinhaltet das Paradox, dass gerade das, was diskursiv besonders präsent, dominant und häufig ist, und damit, wie man denken sollte, be-

18 Winkler, Hartmut: Diskursökonomie, Frankfurt/M. 2004, S. 192.

G ENERATIONEN Ö KONOMIK | 267

sonders sichtbar, unter die Schwelle der Wahrnehmung gerät. Als selbstverständlich vorausgesetzt können solche Inhalte von der textuellen Oberfläche der Diskurse sogar ganz verschwinden; sie gehen in das Reservoir jener stummen Vorerwartungen ein, die den Diskurs strukturieren; jenseits und unterhalb seiner Oberfläche, und nur noch mit den Mitteln einer neuerlichen Anstrengung für die bewusste Reflexion überhaupt zurückzugewinnen.19

Das Generation Building ist auch eine Art dieser Konventionalisierung: Je länger über die Generation Golf beispielsweise diskutiert wird, desto weniger bleibt im Diskurs die Frage präsent, welche Vorannahmen diesem Deutungsmuster zu Grunde liegen. Das Generationennarrativ kann also auch eine Erzählung sein, mit Hilfe derer politische Ansprüche gerechtfertigt werden.20 Viele der im letzten Kapitel diskutierten Erzählungen funktionieren auf diese Art als Doppeldiskurse. Gerade im literarischen Feld werden stilistische Auseinandersetzungen an den Generationendiskurs gekoppelt. So ›entlarvt‹ beispielsweise Ulrich Greiner wie im letzten Kapitel geschildert die literaturkritische Debatte in Folge von Botho Strauß‫ ތ‬Buch als einen Machtkampf der Generationen.21 Die Kritiker Iris Radisch, Gustav Seibt und Thomas Assheuer nennt er »der Kürze halber« die Neunundachtziger. Greiner versucht, Strauß vor seinen Kritikern in Schutz zu nehmen und wechselt dabei geschickt die Ebenen, indem er gar nicht auf die literaturkritische Argumentation eingeht, sondern den Kritikern eine ›hidden agenda‹ eines Generationskonfliktes unterstellt. Während Greiner also unterstellt, unter der Oberfläche einer literarischen Auseinandersetzung gebe es ›in Wirklichkeit‹ einen Generationenkonflikt, kann man Greiners Argumentation das Gegenteil vorwerfen: Indem er die Debatte als einen Generationenkonflikt deutet, ist er nicht mehr genötigt, auf die literarischen Argumente einzugehen. Auch im literarischen Feld gibt es eine ökonomische Dimension: Schriftsteller befinden sich in einem Konkurrenzkampf, in dem sich nicht zuletzt aus einem ökonomischen Kalkül Parteien bilden können. So hat es schon Hans-Georg Behr für die Nachkriegssituation beschrieben:

19 Ebd. 20 Hierzu ausführlicher vgl. May: Generation. 21 Vgl. Greiner: Neunundachtziger.

268

| DOING GENERATION

Vom Schreiben zu leben habe keine Zukunft mehr, sagten mir alle, die es geschafft hatten und deshalb von mir angegangen wurden. Der nachkriegsbedingte Bedarf an Literatur habe sich schon längst wieder gelegt, alle Regale in den Buchläden seien schon besetzt, und ich sei eben eine unglückliche Zwischengeneration.22

Behr thematisiert hier also eine schriftstellerische Konkurrenz und einen Konflikt um Aufmerksamkeit, um Buchverkäufe, um literarische Hegemonie. In diesem Verteilungskonflikt stehen sich zwei rhetorische Positionen gegenüber: Während die Jungen die Alten »angehen«, belehren die Alten die Jungen und versuchen, diesen die Möglichkeit des Nachrückens zu verstellen. Auch in die Generationellen Gattungen, die im fünften Kapitel diskutiert wurden, schreiben sich solche ökonomischen Konstellationen ein. Diese Gattungen sind als Produkte den Regeln des Wirtschaftssystems unterworfen. Wie sehr Mediengattungen auch immer als Produkte zu funktionieren haben, lässt sich einem positiven Sinne bei den Erfolgen der Bestseller von Illies oder Kullmann sehen, aber auch in einem negativen Sinne bei der Einstellung verschiedener Generationenprojekte wie TEMPO, dem jetzt-Magazin oder jetzt1 im Internet. Diese medialen Formen mussten jeweils finanziert werden und wenn diese Finanzierung nicht mehr gesichert war, entfällt auch der Kommunikationsraum der Generation. So sind Zeitschriften zumeist auf dualen Märkten präsent, das heißt, sie refinanzieren sich einerseits durch die Kaufpreise der einzelnen Ausgaben und andererseits durch Anzeigen von Werbekunden.23 Sie müssen dadurch für beide Märkte attraktiv sein – und zwar langfristig: Nur wer so zufrieden mit einer Ausgabe ist, dass er auch die nächste Ausgabe kauft oder in der nächsten Ausgabe inseriert, ist ein guter Kunde für den Verlag. Das entscheidende Ziel einer Zeitschrift ist damit die langfristige Kundenbindung, im Falle der Leser vor allem durch Abonnements. Damit ist Generation auch immer eine Frage der Zielgruppe und des Geschäftsmodells: Ihre Kommunikation kann nur dann sichergestellt werden, wenn sie als Zielgruppe interessant und adressierbar

22 Behr: Jugend, S. 111. 23 Vgl. Heinrich, Jürgen: Medienökonomie (Band 1), Opladen 2001, S. 312ff.

G ENERATIONEN Ö KONOMIK | 269

bleibt, wenn sie einen Verlag oder Host findet, der sie als Zielgruppe einem Werbe- oder Käufermarkt vermitteln kann. Doch nicht nur Verlage, sondern auch Autoren von Generatiographien, Essays oder anderen generationellen Deutungsangeboten unterliegen oftmals einem ökonomischen Kalkül. Greift man auf die Unterscheidung zwischen ›Beobachtern‹ und ›Sprachrohren‹ aus dem letzten Kapitel zurück, so lassen sich beiden Sprecherpositionen unterschiedliche Kalküle zuordnen. Geht man wie Kittlaus davon aus, dass es eine Konkurrenz um die »Marktführerschaft«24 zwischen verschiedenen Generationenbegriffen gibt, so gibt es ebenfalls eine Konkurrenz zwischen denen, die diese Generationen – beispielsweise in Generatiographien – beobachten und mit diesen Beobachtungen Geld verdienen wollen. Ihr Deutungsangebot muss überzeugender als andere sein. Wenn beispielsweise Paul Nolte und Heinz Bude innerhalb weniger Jahre Generationsdeutungen im politischen System herausgeben, so sind beide Bücher nicht zuletzt auch Konkurrenten auf dem Buchmarkt; nicht jeder Käufer wird sich dazu entschließend, beide Bücher zu kaufen. Manch einer wird nur einem der beiden zutrauen, ein guter Beobachter zu sein und eben darum dessen Buch kaufen. Ein anderes Kalkül haben hingegen Sprachrohre. Sie müssen Generationenbegriffe – und die ihnen damit zustehenden Repräsentationsrechte – langfristig etablieren. So gewinnt ihr eigene Stimme an Wert, da sie in jedem Kontext nicht für sich, sondern als Stimme ihrer Generation wahrgenommen wird. Eine solche Strategie verfolgt nicht nur der Lobbyist und Stiftungsgründer Jörg Tremmel, sondern auch Sascha Lobo, der in vielen Kontexten als der Sprecher einer digitalen Generation wahrgenommen wird und aus dieser Position heraus Einnahmen generieren kann. Dieses Kalkül ironisiert Marko Martin, wenn er behauptet, dass er sich von seinem Essay über Generationen im Kursbuch »kulturelle Hegemonie«25 verspricht. Er verweigert sich der Adressierung von Individuen als Teil einer Generation, weil es sie eben nicht nur adressierbar, sondern auch beherrschbar macht. Ist die Rede von einer Generation erst einmal im Diskurs glaubwürdig durchgesetzt, dann wird

24 Kittlaus: Streit. 25 M. Martin: Wir, S. 1.

270

| DOING GENERATION

mitunter Repräsentanten das Recht eingeräumt, für die ganze Generation zu sprechen. Zeitmarken Eine der besten Strategien, um nicht nur kurzfristig erfolgreich zu sein, sondern seine Zielgruppe langfristig an sich zu binden, ist im Wirtschaftssystem der Aufbau einer Marke. So vermarktet Sascha Lobo sich selbst als Marke und Florian Illies hat mit der Generation Golf eine Buchmarke geschaffen. Doch was sind eigentlich Marken? Marken oder Brands dienen ursprünglich dazu, Produkte eines Herstellers von denen eines anderen zu unterscheiden.26 Längst ist im Marketing diese enge Definition von Markierung erweitert worden, mittlerweile geht man davon aus, dass nicht nur physische Güter, sondern auch Dienstleistungen, Personen, Organisationen, Orte oder Ideen markiert werden können. Kai-Uwe Hellmann hat diese Erweiterung mit dem Schlagwort der »Ausweitung der Markenzone«27 beschrieben. So ist beispielsweise im politischen System längst die Rede von Marken.28 Was eine Marke unterscheidet und ihr einen Wert verleiht, ist die Summe aller Wahrnehmungen und Gefühle über ihre Eigenschaften, über ihren Markennamen, wofür er steht und über den Akteur, mit dem die Marke assoziiert wird, so Kevin Lane Keller, einer der renommiertesten Vertreter der internationalen Markenforschung.29

26 Keller, Kevin Lane: Strategic Brand Management, Upper Sattle River 2003. 27 Vgl. Hellmann, Kai-Uwe/Pichler, Rüdiger: Ausweitung der Markenzone: Interdisziplinäre Zugänge zur Erforschung des Markenwesens, Wiesbaden 2005. 28 Helmut Schneider: Marken in der Politik, Erscheinungsformen, Relevanz, identitätsorientierte Führung und demokratietheoretische Reflektion, Wiesbaden 2004. Aber auch in den Massenmedien findet sich diese Vorstellung. So wird beispielsweise der Emnid-Geschäftsführer Klaus-Peter Schöppner zitiert, CDU und SPD fehle ihr Markenkern; vgl. o. A.: »Emnid-Geschäftsführer: CDU und SPD fehlt ein Markenkern«, in: Neue Osnabrücker Zeitung vom 08.09.2009. 29 Vgl. K. L. Keller: Brand, S. 4.

G ENERATIONEN Ö KONOMIK | 271

Die Marke jedes Produktes, jeder Person, jeder Idee ist das Assoziationsbündel, das sie von anderen Produkten, Personen, Ideen unterscheidet. Entscheidend ist dabei die Perspektive des Kunden, wie die führenden deutschen Markenforscher Esch, Hermann und Sattler in ihrer Einführung schreiben: »Marken sind Vorstellungsbilder in den Köpfen der Anspruchsgruppen, die eine Identifikations- und Differenzierungsfunktion übernehmen und das Wahlverhalten prägen.«30 Statt von Kauf und Kunden ist hier von »Wahlverhalten« und »Anspruchsgruppen« die Rede, um zu verdeutlichen, dass prinzipiell in allen Wahlsituationen Personen angesprochen werden können. Politikmarken können so dazu dienen, das Wahlverhalten von Wählern bei politischen Wahlen zu prägen. In dieser weiten Perspektive können Marken als »affektiv besetzte Beziehungsangebote«31 verstanden werden und bilden so eine besondere populäre Kommunikationsform. Nach Zurstiege sind Marke und Kunde – oder im weiteren Sinne Anspruchsgruppe – »komplementäre operative Fiktionen«32; jeder Kunde soll sich in seiner Marke wieder finden. Beide Fiktionen bildeten sich heraus, »weil es mit der Umstellung auf anonyme Marktverhältnisse persönliche Beziehungen zwischen Anbietern und Nachfragern nicht mehr gibt und eben deswegen in symbolisch generalisierter Weise wieder eingeführt werden müssen.«33 Wenn hier von Generationen im Sinne von Marken die Rede ist, so liegt dem eben nicht die Hypothese zu Grunde, dass es reale, heroische, politische Generationen nicht mehr gebe, sondern eben nur noch Marken – als eine Art Verfallsform einer Generation, die es einmal gegeben hat. Stattdessen geht es darum, mit Hilfe des oben knapp umrissenen Konzepts weiter Aufschluss darüber zu gewinnen, wie die Rede von Generationen funktioniert. Wenn über Generationen kommuniziert wird, dann ist jenseits aller kulturellen und sozialen Bedeutungen eben auch oft eine Logik der Marken am Werk.

30 Vgl. Esch, Frank-Rudolf/Herrmann, Andreas/Sattler, Henrik: Marketing. Eine managementorientierte Einführung, München 2008, S. 194. 31 Vgl. hierzu Zurstiege, Guido: »Die Marken-Persönlichkeit als operative Fiktion im Geschäftsverkehr«, in: Blaseio/Pompe/Ruchatz, Popularisierung und Popularität (2005), S. 168-178, hier S. 175. 32 Ebd., S. 174. 33 Ebd.

272

| DOING GENERATION

Generationen als Marken zu verstehen lenkt den Blick darauf, zu fragen, wie Generationenmarken das Wahlverhalten organisieren. Generationenmarken sind höchst affektiv besetzte Beziehungsangebote, um mit Zurstieges Begriff zu argumentieren, sie bieten zuallererst Publika an, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Generationenmarken funktionieren über Mythen, über Erfahrungen, über Identifikationen – kurzum, um sehr affektive und emotionale Zuschreibungen. Publika wie beispielsweise Leser haben die Wahl zwischen einer Fülle von kollektiven Deutungsangeboten und sie können wählen, welches dieser Beziehungsangebote sie annehmen wollen. Darüber hinaus sind Generationenmarken auch in vielen Fällen mit Produkten verknüpft, für die eine Bezahlung fällig wird – gerade Medienangebote wie ZeitgeistZeitschriften und Generatiographien generieren Erträge dadurch, dass Menschen sich zu einer Generation zugehörig fühlen. Die Bücher von Florian Illies und Katja Kullmann haben durch ihre Kongruenz von Buchtitel und Generationenbezeichnung beides gleichzeitig popularisiert, das konkrete Produkt des Buches und das kulturelle Deutungsangebot der Generation. Manche Marken wie das jetzt-Magazin schaffen durch die Gründung von Social Communities im Netz sogar Brand Communities, in denen sich Leser treffen und sich über ihren gemeinsamen Konsum des Produktes auszutauschen.34 Generationen sind dabei eine ganz besondere Art der Marke: Sie lassen sich als ›Zeitmarken‹ entwerfen. Dabei setzen Generationen auf etwas viel Unverdächtigeres als Nation, Religion, Hautfarbe, Geschlecht oder Klasse, sondern auf die Zeit. Sie markieren Zeitgenossenschaft, Zugehörigkeit zu einer Zeit. Häufig bestehen diese Marken aus zwei Wörtern, von denen eines ›Generation‹ selbst ist. Damit ist eine Generationenmarke ähnlich aufgebaut wie eine Konsumgütermarke: In der Marke »Superweiß Feinwaschmittel« ist »Feinwaschmittel« ein Deskriptor, der die Produktklasse angibt, während »Superweiß« dieses eine Feinwaschmittel von anderen unterscheidet. Häufig bestehen auch Generationenmarken einerseits aus dem Deskriptor, dem Wort Generation, der darauf hinweist, dass es sich hier um eine Marke für eine Generation handelt.

34 Vgl. zum Konzept der Brand Community Muniz, Albert M./O’Guinn, Thomas C.: »Brand Community«, in: Journal of Consumer Research 27 (2001), S. 412-432.

G ENERATIONEN Ö KONOMIK | 273

Heinz Bude widmet der Stadt Berlin als Deskriptor seiner Generation ein ganzes Kapitel seiner Generation Berlin. Nach Bude hat Berlin mit dem Hauptstadtbeschluss des Deutschen Bundestages 1991 den Namen verloren, unter dem es sich bisher eingerichtet hatte. Die Teilung und ihr markantestes Zeichen, die Mauer, waren verschwunden. Bude versucht zu beschreiben, was die Stadt nach der Wiedervereinigung ausmacht, ihren ersten »Großstadtoptimismus«35, ihre Anziehungskraft für »energische und hungrige oder für müde und verlorene Typen«36. Bude nutzt diese Neuformierung des Namens Berlin, diese Veränderung eines städtischen Images, um seine Generationsbeschreibung zu benennen. Paul Nolte popularisiert sein politisches Programm wiederum mit der Marke der Generation Reform – damit gibt er seinem Katalog an Werten und daraus abgeleiteten Maßnahmen nicht nur einen Namen, sondern versucht auch, diesen Katalog mit zwei Image-Dimensionen zu besetzen: Erstens soll es sich bei seinem Programm nicht nur um sein eigenes handeln, sondern um das einer ganzen Generation, zweitens bezeichnet er diese Generation auch noch als Generation Reform, also als eine, die aktiv ist und Verbesserungen anstrebt. Generationenmarken werden mitunter zu einem ganzen Markenuniversum ausgebaut. Man spricht von Markenerweiterungen, wenn eine etablierte Marke auf ein weiteres Produkt übertragen wird. Ist ein Generationenbuch erfolgreich, so folgt ihm oftmals ein zweites, auf Generation Golf folgte Generation Golf Zwei, auf Generation Ally dann Generation Ally – Der Lifestyle-Guide, auf Generation Doof schließlich Doof it yourself: Erste Hilfe für die Generation Doof. Teil dieser Markenuniversen sind nicht zuletzt auch wiederum Autoren. Wenn Florian Illies seine Generation Golf schreibt und sich Sascha Lobo als Sprecher einer digitalen Generation inszeniert, dann findet ein Imagetransfer statt: Die Vorstellungsbilder von ›ihren‹ Generationen werden transferiert auf die Autoren und prominentesten Beispiel. Wenn Florian Illies seine Generation als träge und hedonistisch beschreibt, dann wird dieses Image auch auf ihn appliziert, wenn Lobo die digitale Generation als flexibel und kreativ beschreibt, dann wird dieses Image nicht zuletzt auch mit Sascha Lobo selbst in Verbindung gebracht. So werden auch Illies und Lobo selbst zu Marken und gene-

35 Bude, Generation Berlin, S. 79. 36 Ebd., S. 80f.

274

| DOING GENERATION

rieren einen Markenwert, den sie immer wieder mit publizistischen Produkten abschöpfen können, mit anderen Worten: zu Geld machen können.

8. KrisenGenerationen – GenerationenKrise

»Das Verblüffende an dieser Generation ist, wie unsichtbar sie ist.«1 So schreibt Der Spiegel 2009 und füllt doch 17 Seiten mit einer Reportage über die Generation der Krisenkinder. Die Krise bestimmt die Generation gleich doppelt: Zum einen gibt sie dem Spiegel den Anlass, ihre Deutungsangebot nach einer Krise zu benennen. Zum anderen scheint es, so der Spiegel, als sei auch die Generation an sich in einer Krise. Ist eine unsichtbare Generation noch eine Generation? Zeichnet sich eine Generation nicht gerade dadurch aus, dass sie zuallererst einmal sichtbar ist? Diese angebliche Unsichtbarkeit gibt dem Spiegel allerdings den Anlass, eben gerade auf 17 Seiten diese Krisenkinder zu beschreiben. Wäre diese Generation in all ihren Facetten sichtbar und stets jedem präsent – wozu dann noch ein Spiegel-Artikel? Zugleich lässt sich auch feststellen: Der Artikel beschreibt nicht etwa nur eine bestehende Generation, er lässt sie auch erst entstehen. Die Spiegel-Redakteure inszenieren mit einer Fülle von generationellen Topoi, etablierten Schreibweisen und Argumentationen eine Generation, wie sie in dieser Form vorher niemand lesen konnte. Damit zeigt sich an jenem Beispiel erneut, wovon in diesem Buch die Rede war: Generationen können in Texten lesbar gemacht werden. Trotzdem kann man nicht behaupten, die Generation, von der die Spiegel-Redakteure schreiben, sei komplett erfunden und unwahr. Generationen sind keine Ordnungsmuster, die unsere Gesellschaften in

1

Oehmke, Philipp/von Rohr, Mathieu/Schulz, Sandra: »Die Krisenprofis«, in: Der Spiegel vom 15.06.2009, S. 48-64, S. 52.

276

| DOING GENERATION

einer naturgesetzlichen Weise organisieren – sie werden immer in Kommunikationen ausgehandelt. Somit sind Generationen nicht etwa naturgesetzlich wahr oder falsch, sondern eben nur mehr oder weniger glaubwürdig und kommunikativ anschlussfähig. Bei Generationen handelt es sich um Deutungsangebote, die kommuniziert und popularisiert werden können und letztlich angenommen oder abgelehnt werden. Viel stärker als die Frage, ob es Generationen wie die Krisenkinder gibt oder nicht, hat in diesem Buch die Frage interessiert, wie Generationen nicht zuletzt in Texten zur Geltung gebracht werden. An diesem letzten Beispiel der Krisenkinder sollen daher noch einmal ein paar zusammenfassende Gedanken veranschaulicht werden. Begonnen wird dabei mit der grundlegen Frage: Welche Art von Deutung schlägt der Generationenbegriff überhaupt vor? Generationen organisieren, wie im vierten Kapitel diskutiert, drei verschiedene Arten von Beziehungen: Erstens Identitätsvorstellungen in der Form der Generationalität, zweitens Generationelle Verhältnisse als Verfahren der Differenzsetzung und drittens Prozesse der Generativität. Vor allem versucht der Spiegel, der Generation der Krisenkinder eine Identität zu verleihen – nicht zuletzt, indem er ihnen einen Begriff zuweist, aber auch, indem er ihr eigenes Generationenbewusstsein mittels repräsentativer Umfragen erforscht. Doch er bemüht sich auch um die Beschreibung Generationeller Verhältnisse. Zum einen leben die Krisenkinder in einer Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen. Sie leben in der Gegenwart und erforschen in der Spiegel-Geschichte ihre Vergangenheit, sinnieren über ihre Schulzeit, ihre ersten Beziehungserfahrungen und den Einstieg ins Erwachsenenalter. Noch mehr als die Erinnerung spielt die Prognose eine Rolle: Sie wollen wissen, was aus ihnen wird. Generation ist ein Deutungsmuster, das Erinnerung und Prognose des individuellen Lebenslaufs in einem gemeinschaftlichen Rahmen ins Spiel bringt. Zum anderen leben die Krisenkinder auch in der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Sie sind nicht allein in der Welt, sondern teilen ihre Gegenwart mit anderen Generationen – mit Menschen, die zu anderen Zeiten aufwuchsen, die mit ihnen Zeit teilen und ihnen doch fremd sind. Der Spiegel zählt sie auf: Die 68er, die Generation X, die Generation Golf.2 Und auch die Krisenkinder selbst beschreiben sich

2

Vgl. ebd., S. 53.

K RISEN G ENERATIONEN – G ENERATIONEN K RISE | 277

im Verhältnis zu Älteren und Jüngeren, die Jüngeren haben andere Sexualgewohnheiten,3 die Älteren ein anderes Verständnis von Freiheit.4 Doch es sind nicht nur Identitäten und Differenzen, für die sich der Spiegel interessiert, es sind auch Prozesse. Schon der Begriff der Krisenkinder spiegelt es wider; das, was diese jungen Menschen verbindet, ist ihr Umgang mit Krisen: » Sie sind geprägt durch Krisen, den 11. September, die Bildungskrise, die Globalisierungskrise, die Umweltkrise.« Wer von Generationen spricht, der spricht von Ursachen und Wirkung, der spricht davon, wie Generationen geprägt werden und wie sie selbst den Wandel voranbringen. Wer – wie der Spiegel – behauptet, den Generationen auf der Spur zu sein, der verspricht auch, zu wissen, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Denn es geht eben nicht nur um eine von vielen Generationen im Hier und Jetzt, zuallererst geht es dem Spiegel um »die Deutschen von morgen«.5 Nimmt man an, dass sich gesellschaftlicher Wandel immer weiter beschleunigt, dann lässt sich bereits bei Karl Mannheim ein Argument finden, warum Generationen unweigerlich in die Krise geraten müssen. Überschreitet das Tempo der gesellschaftlichen Entwicklung einen bestimmten Schwellenwert, dann ist diese Dynamik zu schnell für einen allmählichen Wandel und es bilden sich jeweils Brüche heraus, die zu Generationen führen.6 Wird das Tempo allerdings weiter beschleunigt, dann überlagen sich neue Impulse so stark, dass sich auch wieder keine Generationen herausbilden können. Es kristallisiert sich keine Generationseinheit mehr heraus, bevor sich nicht der nächste Wandel ereignet. Der Spiegel versucht sich trotzdem, noch einmal am prägenden Moment der Krise eine Generation zu beschreiben. Um die Krisenkinder sichbarzumachen, kombinieren die Redakteure eine ganze Reihe von etablierten Techniken. Einerseits recherchieren sie verschiedene Fallbeispiele der Generation und lassen diese in kurzen Selbstbeschreibungen sogar selbst zu Wort kommen, andererseits geben sie eine repräsentative Umfrage in Auftrag. Die Firma TNS Forschung befragt 500 junge Deutsche zwischen 20 und 35 Jahren nach ihren Ge-

3

Vgl. ebd., S. 55.

4

Vgl. ebd., S. 62.

5

Ebd., S. 48.

6

K. Mannheim: Problem, S. 550f.

278

| DOING GENERATION

danken, Wünschen und Meinungen.7 In der Kombination von Fallgeschichten und Statistik lassen sie die Generation gleichzeitig anschaulich und repräsentativ wirken. Aus der amorphen Masse einiger Geburtsjahrgänge entsteht eine Generation. In diesem Prozess der Sichtbarmachung wird auch so etwas wie Normalität der Generation erzeugt: Was den statistische ermittelten Mehrheitsmeinungen und den einzelnen Fallgeschichten entspricht, wird als Normalzustand der Generation deklariert. Zugleich bettet der Spiegel diese Sichtbarmachung in seine Kontext ein und versucht, die Konfiguration der Krisenkinder zu entschlüsseln. Wie im sechsten Kapitel dieses Buchs diskutiert, liegt diesem ein doppeltes Generation Building zu Grunde. Einerseits bildet sich eine Konfiguration aus Generationszusammenhängen und Generationseinheiten heraus, andererseits schreibt sich eine Generation in eine Generationengeschichte ein. Nur wenn sich auf beiden Ebenen ein stimmiges und evidentes Bild ergibt, dann wirkt die Kommunikation über Generationen glaubwürdig und anschlussfähig. Die Tatsache, dass Generationen erfolgreich sind, dass sie als Kommunikationsform angenommen werden und an dieses Deutungsmuster weiterhin angeschlossen wird, ist daher schon aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Es muss sich eine interne Konfiguration herausbilden, bei dem sich ihre Mitglieder auf kollektiv geteilt Erfahrungen, auf daraus resultierende Zusammenhänge, kulturelle Programme, aber auch auf prominente Vertreter, auf Sprachrohre oder auf Stars einigen. So macht der Spiegel trotz aller verschiedenen Ausgangssituationen eine kollektiv geteilte Erfahrung »in allen Milieus«8 aus: Die Krise. Es ist diese vielfältige Krisenerfahrung und damit verbunden die Sorge um die Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft, die nach dem Spiegel alle verbindet. Durch die Erfahrung einer Krise wird aus einer nur potentiellen Generationslagerung ein Generationszusammenhang, wenn die Krisenkinder sich im Anschluss auch ein ähnliches Verhalten und ähnliche Werte herausbilden, dann sogar eine gemeinsame Generationseinheit. Die Krise als Topos der Kommunikation lässt sich aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive als ein Kollektivsymbol beschreiben

7

Vgl. ebd. S. 60-64.

8

Ebd., S. 51.

K RISEN G ENERATIONEN – G ENERATIONEN K RISE | 279

– wie im sechsten Kapitel diskutiert – oder sie lässt sich aus der Perspektive einer Diskurs- und Aufmerksamkeitsökonomie als Teil einer Generationenmarke charakterisieren, wie anschließend im siebten Kapitel diskutiert. Ganz gleich, welche Perspektive man anwendet: Es geht jeweils darum, eine kollektive Konfiguration auf einen Begriff zu bringen, der vereinheitlicht und eine Popularisierung ermöglicht. Prominente Sprachrohre zu finden, so der Spiegel, ist hingegen in diesem Fall nicht so einfach: »Es gibt keine Köpfe, an die man denken kann, wenn man an sie denkt, es gibt niemanden, der für sie spricht. Keine Intellektuellen, keine Schriftsteller, keine Künstler, keine Musiker. Sie sprechen alle immer nur für sich selbst.«9 Gleich auf der ersten Seite seiner Titelgeschichte widerspricht sich der Spiegel jedoch selbst und betitelt die Autoren Sascha Lobo und Holm Friebe als »Generationssprecher«, verspricht sich darüber hinaus repräsentativen Aufschluss von Interviews mit den Autoren Dana Boenisch, Sarah Kuttner und Jakob Schrenk, vom Journalisten Timm Klotzek und vom Politiker Wolfgang Gründinger. Neben dieser Art der internen Konfiguration kann sich eine Generation auch nach außen in eine Generationengeschichte einschreiben, um sichtbar zu werden. Es gibt ein Vorwissen davon, wie Generationen sein können. Auf dieses Vorwissen müssen sich erfolgreiche Generationendeutungen stets beziehen. In Deutschland ist dieses Maß aller Generationen zumeist 68. Der Spiegel schreibt in diesem Sinne: »Sie wurden zum Prototyp einer jungen Generation, zum Modell dafür, wie Generation zu sein hat, wild, rebellisch, sexuell freizügig, zugedröhnt, idealistisch.« Jede weitere Generation steht nicht nur der Erwartungshaltung entgegen, selbst auch möglichst rebellisch und idealistisch zu sein, um überhaupt als Generation wahrgenommen zu werden. Sie wird auch in ihren Verhältnissen zu den Vorgängergenerationen, nicht zuletzt zu den 68ern gemessen. Neben dem Vergleich mit 68 zieht sich der Vergleich mit der Generation Golf durch den Spiegel-Artikel, die bevorzugt als hedonistisch, träge und zugleich sorglos beschrieben werden. Während die 68er die Welt in ein politisches Gut und Böse aufgeteilt hätten und die Popliteraten der Generation Golf mit Vorliebe Stile und Marken in Richtig und Falsch einsortiert hätten, gibt es diese ideologischen Zutei-

9

Ebd., S. 52.

280

| DOING GENERATION

lungsoperationen innerhalb der Krisenkinder nicht mehr.10 Gerade daraus resultiert allerdings auch wiederum die Unsichtbarkeit der Krisenkinder, so der Spiegel. Wollen sie nicht als sogenannte Zwischengenerationen in der Unsichtbarkeit verschwinden, dann müssen sich Generationen gegenüber Vorgänger- und Nachfolgergenerationen positionieren. Das Image einer Generation hängt ganz entscheidend von der Abgrenzung zu anderen Generationen ab und davon, welche Rollenverteilung sich in zweioder dreigliedrigen Generationenfolgen etabliert. So wird beispielsweise der ZEIT-Feuilletonchef Jens Jessen im Spiegel damit zitiert, dass er die Krisenkinder »traurige Streber«11 nannte, weil sie schlicht alles mit sich machen ließen. Der Spiegel stellt daraufhin fest, dass Jessen diese Beschreibung nur tätigt, weil er selbst einer Generation angehört, für die Geld und Sicherheit immer selbstverständlich waren. Der Spiegel urteilt noch weiter: »Und komisch ist es ja allemal, wenn ausgerechnet jene, die es auf die Spitzenplätze im System geschafft haben, den Nachfolgenden vorwerfen, dass sie genau dies anstreben.«12 Sind die Krisenkinder nun schlechtere Rebellen als die 68er, passive und traurige Praktikanten oder die von Vorgängergenerationen ausgebeuteten Verlierer der Krise? Entschieden werden soll diese Frage an dieser Stelle nicht, sondern nur festgehalten werden: Generationengeschichten sind nicht nur bloße Abfolgen von Generationen, sie verteilen auch stets Positionen von Gut und Böse, von erfolgreich und gescheitert. Dabei entstehen Generationen erst in einem komplexen Wechselspiel von transgenerationellen Selbst- und Fremdbeschreibungsrelationen. Doch warum war die Generation Golf so stark im öffentlichen Bewusstsein, die Krisenkinder hingegen nicht? Der Grund ist ein Buch. Florian Illies hat in seinem Bestseller eine prototypische Form zur Beschreibung seiner Generation gefunden, die man als Generatiographie bezeichnen kann. Um sich selbst intern und extern zu konfigurieren, sind Generationen unabdingbar auf Medien angewiesen. Bücher spielen eine zentrale Rolle in diesem kommunikativen Prozess des Generation Building.

10 Vgl. ebd., S. 55. 11 Ebd., S. 53. 12 Ebd., S. 54.

K RISEN G ENERATIONEN – G ENERATIONEN K RISE | 281

Die Generation wird im Buch zumeist auf einen Begriff gebracht und mit einem prominenten Sprachrohr verbunden. Der Autor muss sich verschiedener Techniken bedienen, damit seine Generationsdeutung Erfolg hat und von Lesern angenommen wird. So werden zum Beispiel durch die Gattungstradition von Bildungsroman und Autobiographie Formen bereitgestellt, die die Evidenzeffekte von Generationen befördern. Aber um über die Ebene des individuellen hinaus auch einen kollektiven Geltungsanspruch einzulösen, benötigt der Autor Zeugen, andere Figuren, die ebenso Teil seiner Generation sind. Er kann hier nur beispielhafte Figuren in seinem Buch auftreten lassen oder sich auf prominente Figuren berufen, die als Bürgen für seine Deutung fungieren. Für die Krisenkinder finden die Spiegel-Redakteure hingegen keinerlei repräsentative Generatiographie. Doch in einem anderen Medium werden sie fündig: »Das Einzige, wodurch sie in der Öffentlichkeit überhaupt kenntlich wird, ist ›Neon‹, das inoffizielle Generationsorgan. Eine Zeitschrift, die von normalen Menschen erzählt, die über Gefühle nachdenken und über Karriere.«13 Auch Zeitschriften können Generationen hervorbringen und generationelle Kommunikation organisieren. Doch Medien sind nicht nur teilnahmslose Arenen der Zirkulation dieser diskursiven Verhandlungen. Ihre technische Struktur und ihre Gattungstraditionen wiederum bringt Generationen immer erst hervor – und in den Unterschieden der technischen Dispositive liegen auch die Möglichkeiten und Grenzen, Generationen hervorzubringen, wie im fünften Kapitel diskutiert. Nicht nur, dass historisch spezifische Medienkonstellationen, unterschiedliche technologische Errungenschaften und variierende Leitmedien Individuen und damit auch Generationen anders sozialisieren können. Darüber hinaus ermöglichen verschiedene Medien auch andere Möglichkeiten der kollektiven Auseinandersetzung und damit der Generationalisierung von Individuen. Bücher organisieren eine streng hierarchische Art der Kommunikation, bei der Autoren ihrem Publikum ein einmaliges Deutungsangebot präsentieren. Ein Buch privilegiert immer noch automatisch eine Sprecherrolle und damit eine hegemoniale Deutungsleistung der Generation – diese Deutung wird im Erscheinen des Buches stillgestellt. Zeitschriften hingegen erscheinen

13 Ebd., S. 52.

282

| DOING GENERATION

über einen längeren Zeitraum, ermöglichen es damit, ein ständiges Forum für generationelle Kommunikation aufzubauen, zudem lassen sie nicht nur ein Sprachrohr zu Wort kommen, sondern organisieren eine Vielfalt von generationellen Sprecherrollen, die nebeneinander stehen können. Damit haben Medien nicht nur eine rein instrumentelle Rolle im Prozess des Generation Building, sondern sie stellen zugleich auch die Bedingungen, was als Generation sichtbar werden kann. Durch Bücher kann etwas anderes als Generation sichtbar werden als durch Zeitschriften oder durch Internetprojekte. Generationen in Zeitschriften wie NEON, aber auch in TEMPO oder im jetzt-Magazin, in dem schon Dana Boenisch und Timm Klotzek geschrieben haben, sind vielstimmiger. Zwar können hier in einzelnen Beiträgen auch literarische Formen zitiert werden, aber für den Leser setzt sich das Bild der Generation heterogen zusammen. Verschiedene Autoren können sich gleichzeitig als Schreiber einer Generation lesbar machen. Darüber hinaus erscheinen Zeitschriften in einem regelmäßigen Turnus, sie können damit auf die Außenwelt, auf Reaktionen wiederum Bezug nehmen und damit eine zirkuläre Kommunikation etablieren, die einem Buchautor nur durch ein weiteres – ebenfalls einmaliges – Buch möglich wäre. Zeitschriften können dadurch im Kontakt mit dem Geist der Zeit bleiben und ihn nicht nur einmalig abbilden. Internetprojekte eliminieren die Verzögerung zwischen verschiedenen Ausgaben, sie benötigen auch keine institutionellen Unterscheidungen zwischen Lesern und Autoren. In Social Communities und in der Blogosphäre kann jeder die Generation weiterschreiben, jeder ist als Beispiel seiner Generation lesbar. Zugleich werden allerdings andere kommunikative Risiken eingegangen. Generationen sind weniger auf eine eindeutige Marke zu bringen – in einer Kommunikationskultur, die noch auf einzelne Personen, aber auch auf diesen zurechenbare Bücher abstellt, sind »Netsurfer als Generation nicht sichtbar.«14 In jedem technischen Dispositiv bilden sich zugleich feste Gattungen wie die Generatiographie, ZeitgeistZeitschriften oder InternetCommunities. Damit werden Strukturen konventionalisiert, in denen sich Generationen herausbilden können. Jeder Autor eines Generationenbuches kann sich an den Evidenzeffekten bestehender Vorgänger

14 U. Steiner: Wendungen, S. 27.

K RISEN G ENERATIONEN – G ENERATIONEN K RISE | 283

orientieren und sich damit auf ein Vorwissen seiner Leser beziehen, um Konfigurationen und Geschichten einer Generation zu etablieren. Doch Zeitschriften wie NEON sind nicht nur ein textuelles Spielfeld zur Inszenierung von Generationen, sie sind zudem ein wirtschaftliches Produkt, wie im siebten Kapitel diskutiert. Auch Generationen generieren Geld, stellt der Spiegel fest, beispielsweise für Timm Klotzek, den NEON-Chefredakteur: »Er ist der Mann, der die Generation verstehen muss, weil er mit ihr Geld verdienen will.«15 Es ist allerdings nicht nur Klotzek, der mit Generationen Geld verdient, es sind auch die Buchautoren Lobo, Friebe und Illies und nicht zuletzt der Spiegel selbst, der mit dieser Titelgeschichte hofft, viele Hefte zu verkaufen. Es wird den drei Buchautoren nicht geschadet haben, als Sprachrohre ihrer Generation wahrgenommen zu werden und damit die eigenen Beobachtungen als repräsentativ verkaufen zu können. Auch Wolfgang Gründiger startet seine politische Karriere als Sprachrohr seiner Generation. Er engagiert sich in der SPD und außerhalb der Parteienpolitik für Generationengerechtigkeit, arbeitet als Publizist und arbeitet an Ideen zur Umgestaltung der Rentensysteme. Es ist anzunehmen, dass seine Forderungen umso mehr Gehör erhalten, als er als repräsentativer Vertreter einer relevanten gesellschaftlichen Gruppe – wie beispielsweise der Generation der Krisenkinder – anerkannt wird. Für den Spiegel, der sich nicht als Teil einer Generation beschreibt, gilt hingegen das Kalkül des Beobachters. Beobachtungen unterliegen einer Aufmerksamkeitsökonomie. Zunächst einmal scheint ein Bedarf da zu sein, der mit der Rede von Generationen gedeckt wird. Es muss sich lohnen, von Generationen zu sprechen – es muss einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil geben, wenn man von Generationen spricht – und nicht von etwas anderem. Die Generation muss den Unterschied machen gegenüber anderen Redeformen. Doch die unsichtbare Hand der Märkte regiert auch die Aufmerksamkeitsökonomie. In dem Moment, in dem eine Redeform gewinnträchtig ist, indem der Sprecher Aufmerksamkeit generiert, indem er von Generationen spricht, ziehen andere Sprecher nach. Ursprünglich war das Angebot knapp und die Nachfrage groß, wenige redeten von Generation und viele wollten es hören. Generationen waren einfach –

15 Oehmke/von Rohr/Schulz, Krisenprofis, S. 52.

284

| DOING GENERATION

im Vergleich zu Geschlechtern, Klassen oder Nationen – ein attraktiveres Deutungsangebot im öffentlichen Raum. Doch mittlerweile ziehen viele nach – das Angebot der Generationenrede erhöht sich. Zugleich sinkt die Nachfrage: Generationenargumente sind weniger originell, es gibt einen geringeren Bedarf in der Aufmerksamkeitsökonomie. Der Preis sinkt: Generationenrede wird inflationär verwendet, doch kaum einer hört mehr aufmerksam zu. Die Generationenbegriffe häufen sich im Diskurs und der Verdacht besteht: Keiner der Begriffe macht mehr einen Unterschied. Dies könnte die Zyklen in der Verwendung des Generationenbegriffs erklären, die Folge von interessanter Neuheit und Übersättigung von generationellen Deutungsangeboten. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass manche beklagen, es würden sich in diesen Tagen zu viele Generationenbegriffe in der Öffentlichkeit tummeln, die dazu führen, dass das Sprechen über Generationen überhaupt unglaubwürdig würde. Aber sind tatsächlich mehr Generationendeutungen im Umlauf als zu früheren Zeiten – und was bedeutet das? Diese Beobachtung wird oftmals damit begründet, dass in der bundesdeutschen Geschichte in den letzten Jahrzehnten kollektive Gewalterfahrungen ausgeblieben sind und damit auch Generativitätsmythen, auf die sich Generationen schnell einigen könnten. Durch die Entwicklung medialer Technologien sind schlicht und einfach auch mehr Deutungsangebote überhaupt in der Welt und damit auch mehr Vorschläge zu einem Generationendiskurs. Nicht zuletzt ist allerdings auch der Vergleich der heterogenen und unübersichtlichen Generationenlandschaft von heute mit einem vermeintlichen klaren Generationsbild von 68 ein falscher: Welche Generationenerzählung sich schließlich durchsetzt, welche im Diskurs überzeugend wird und kommunikative Anschlüsse generiert, das lässt sich eben erst viele Jahre später sagen. 1968 war genauso wenig klar, dass sich diese Jahreszahl einmal zu der fast unumstrittenen Markierung einer Generation entwickelt würde. Vielleicht wird man sich in 30 Jahren auf plötzlich einig sein, welcher der vielen kursierenden Generationenbegriffe für die 30jährigen des Jahres 2010 angemessen ist? Nur eine Prognose möchte ich zum Abschluss wagen: Selbst wenn nach einer Phase der Übersättigung die Diskussionen um Generationen wieder etwas aus der Öffentlichkeit geraten werden, die Rede von den Generationen wird nicht enden, noch in Jahrzehnten wird ein ›Doing Generation‹ zu beobachten sein. Dafür ist das Deutungsangebot, Teil

K RISEN G ENERATIONEN – G ENERATIONEN K RISE | 285

einer Generation zu sein, zu attraktiv. Denn, wie Bernd Weisbrod treffend festgestellt hat, »Ohne Generation zu sein, gilt inzwischen schon fast als ein Makel.«16 Abseits aller diskursstrategischen Optionen steckt im Generationenbegriff etwas zutiefst irrationales: Die Verheißung einer »Zeitheimat«17. Die Reise zur einem Ort, an dem man sich zugehörig fühlt, an dem man sich auch nicht allein, sondern in einer harmonischen Gemeinschaft fühlt, diese Reise wird immer wieder auch zur Zeit führen. Je wechselvoller die Lebenslagen sind, in denen man sich sieht, desto häufiger wird man auf das schauen, was einen unüberwindbar das ganze Leben begleitet und begleiten wird, das Leben in der Zeit. So ist die Zeit das einzige, was immer bleiben wird und einem stets einen Rückzugsort erhält, an dem man über sich selbst und andere nachdenken kann; und dieser sehnsuchtsvolle Ort ist die Zeitheimat. Zeit ist eine Heimat, die einem niemand mehr nehmen kann, im Gegensatz zu Raum, Arbeitsplatz oder Familie, die alle ständigen Wechseln unterworfen sind. Die Zeitheimat bleibt.

16 B. Weisbrod: Generation, S. 5. 17 Im Interview mit Volker Hage; vgl. Hage, Volker: Zeugen der Zerstörung, Frankfurt/M. 2003, S. 261.

Literatur

Adorjan, Johanna: »Nichts zu schreiben«, in: jetzt-Magazin vom 10. 07.2000, S. 6-12. Agamben, Giorgio: Homo Sacer, Frankfurt/M. 2002. Ahbe, Thomas/Gries, Rainer: »Gesellschaftsgeschichte als Generationengeschichte«, in: Annegret Schüler/Thomas Ahbe/Rainer Gries (Hg.), Die DDR aus generationengeschichtlicher Perspektive, Leipzig 2006, S. 475-571. Alewyn, Richard: »Das Problem der Generation in der Geschichte«, in: Zeitschrift für Deutsche Bildung, 5 (1929), S. 519-527. Ally McBeal (USA, 1997-2002). Alphonso, Don: »›Generation Upload‹. Vodafone lädt auf und eckt an«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.07.2009. Amend, Christoph: »Junge Welt. Sind die demonstrierenden Teenager die Hippies des 21. Jahrhunderts?«, in: Süddeutsche Zeitung vom 05./06.04.2003. Anderson, Benedict: Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1996. André, Thomas: Der Generationenkonflikt in der deutschen Popliteratur (= Materialien und Ergebnisse aus Forschungsprojekten des Instituts, Heft 18), Bremen 2006. Anne Will, Sendung zum Titel »Rentner machen Kasse – wann ist Zahltag für die Jungen?« vom 21.06.2009, 21.45 Uhr, Das Erste. Arnold, Heinz Ludwig (Hg.): Popliteratur (= Text und Kritik, Band X), München 2003. Assmann, Jan: »Erinnern, um dazuzugehören«, in: Kristin Platt/Mihran Dabag (Hg.), Generation und Gedächtnis. Erinnerungen und kollektive Identitäten, Opladen 1995, S. 51-75 Attias-Donfut, Claudine (Hg.): Les solidarités entre générations. Vieillesse, familles, état, Paris 1995; Bertaux, Daniel/Thompson, Paul:

288

| DOING GENERATION

»Introduction«, in: dies. (Hg.), Between Generations. Family Models, Myths and Memories, Oxford 1993, S. 1-12 Attias-Donfut, Claudine: »Familiärer Austausch, soziale Sicherheit«, in: Kohli/Szydlik, Generationen in Familie und Gesellschaft (2000), S. 222-238. Balke, Friedrich: »Medien und Verfahren der Sichtbarmachung: Positionen eines Forschungsprojekts«, in: Transkriptionen 5 (2005), S. 2-4. Baßler, Moritz: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten, München 2002. Bauer, Patrick: »Klick als Köder«, in: tageszeitung vom 13.12.2005. Baumgaertel, Tilman: »Eine Frau will nach oben«, in: tageszeitung vom 17.10.1995. Becker Franz /Ute Gerhard/Jürgen Link: »Moderne Kollektivsymbolik«, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der Literatur (IASL) 1 (1997), S. 70-154. Behr, Hans-Georg: »Schnell fertig ist die Jugend. Wanderungen im Generationenbruch«, in: Kursbuch 121 (1995), S. 111-120. Bessing, Joachim/Kracht, Christian/Nickel, Eckhart/von Schönburg, Alexander/von Stuckrad-Barre, Benjamin: Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett, Berlin 1999. Bilstein, Joachim: »Zur Metaphorik des Generationenverhältnisses«, in: Liebau/Wulf, Generation (1996), S. 157-189. Biller, Maxim: »100 Zeilen Haß. Mickey Rourke, der Arschfisch«, in: TEMPO von Dezember 1987, S. 110. Biller, Maxim: »Der ewige Hippie«, in: TEMPO von März 1987, S. 10. Blaseio, Gereon: »Genre und Gender. Zur Interdependenz zweier Leitkonzepte der Filmwissenschaft«, in: Claudia Liebrand/Ines Steiner (Hg.), Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film, Marburg 2004, S. 29-44. Blättler, Christine: »Überlegungen zu Serialität als ästhetischem Begriff«, in: Weimarer Beiträge 49 (2003), S. 502-516. Bleicher, Joan Kristin/Pörksen, Bernhard (Hg.): Grenzgänger. Formen des New Journalism, Wiesbaden 2003. Blöbaum, Bernd: Journalismus als soziales System. Geschichte, Ausdifferenzierung und Verselbständigung, Opladen 1994, S. 194ff. Böpple, Friedhelm/Knüfer, Ralf: Generation XTC, München 1998.

L ITERATUR | 289

Bohn, Cornelia/Hahn, Alois: »Selbstbeschreibung und Selbstthematisierung: Facetten der Identität in der modernen Gesellschaft«, in: Bohn/Willems: Sinngeneratoren (2001), S. 33-61. Bohn, Cornelia/Willems, Herbert (Hg.): Sinngeneratoren: Fremd- und Selbstthematisierung in soziologisch-historischer Perspektive, Konstanz 2001. Bohnenkamp, Björn: »›Die Jugend vor 25 Jahren‹. Carl Immermanns Memorabilia als Generatiographie«, in: Gerhard Lauer (Hg.), Literaturwissenschaftliche Beiträge zur Generationsforschung, Göttingen 2010. Bohnenkamp, Björn: »Vom Zählen und Erzählen. Generationen als Effekt von Kulturtechniken«; in: ders./Manning/Silies, Generation (2009), S. 72-88. Bohnenkamp, Björn/Manning, Till/Silies, Eva-Maria: »Argument, Mythos, Auftrag und Konstrukt. Generationelle Erzählungen in interdisziplinärer Perspektive«, in: dies., Generation (2009), S. 9-29. Bohnenkamp, Björn/Manning, Till/Silies, Eva-Maria (Hg.): Generation als Erzählung, Göttingen 2009. Bohnsack, Ralf/Schäffer, Burkhard: »Generationen als konjunktiver Erfahrungsraum. Eine empirische Analyse generationsspezifischer Medienpraxiskulturen«, in: Günter Burkart/Jürgen Wolf (Hg.), Lebenszeiten. Erkundungen zur Soziologie der Generationen, Opladen 2002, S. 249-273. Bollas, Christopher: Genese der Persönlichkeit. Psychoanalyse und Selbsterfahrung, Stuttgart 2000. Bonin, Holger: Generational Accounting. Theory and Application, Berlin 2001. Bonner, Stefan/Weiss, Anne: Generation Doof: Wie blöd sind wir eigentlich?, Köln 2008. Bonstein, Julia/Theile, Merlind: »Auf Nummer unsicher«, in: Der Spiegel vom 31.07.2006. Boyd, Danah M./Ellison, Nicole B.: »Social Network Sites: Definition, History, and Scholarship«, in: Journal of Computer-Mediated Communication 13 (2008), S. 210-230. Brand, Jan: »Die Praktikantenelite«, Eintrag auf Neon.de am 11.04. 2005. Brandstetter, Gabriele/Brandl-Risi, Bettina/Eikels, Kai van (Hg.): Schwarm(E)Motion. Bewegung zwischen Affekt und Masse, Freiburg 2008.

290

| DOING GENERATION

Brandt, Hartwin/Schuh, Maximilian/Siewert, Ulrike (Hg.): Familie – Generation – Institution. Generationenkonzepte in der Vormoderne, Bamberg 2008. Briedis, Kolja/Minks, Karl-Heinz: Generation Praktikum. Mythos oder Massenphänomen (= HIS-Projektbericht), April 2007. Britsch, Eckart: »Jede Jugend ist die dümmste«, in: Kursbuch 121 (1995), S. 159-165. Buchhofer, Friedrichs und Lüdtke, vgl. Buchhofer, Bernd/Friedrichs, Jürgen/Lüdtke, Hartmut: »Alter, Generationsdynamik und soziale Differenzierung«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 22 (1970), S. 300-334. Buchhorn, Eva/Werle, Klaus: »Gewinner des Arbeitsmarkts«, in: Spiegel Online vom 07.06.2011, Download unter http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/0,1518,766883,00.html. Bude, Heinz: Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1938 bis 1948, Frankfurt 1995. Bude, Heinz: Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger aus der Flakhelfer-Generation, Frankfurt/M. 1987. Bude, Heinz: »Die biographische Relevanz der Generation«, in: Martin Kohli (Hg.), Generationen in Familie und Gesellschaft (= Lebenslauf – Alter – Generation, Band 3), Opladen 2000, S. 19-35. Bude, Heinz: »Die Überlegenheit des Schülersoldaten«, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.08.2006. Bude, Heinz: Generation Berlin, Berlin 2001. Bude, Heinz: »›Generation‹ im Kontext. Von den Kriegs- zu den Wohlfahrtsstaatsgenerationen«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 28-44. Bude, Heinz: »Qualitative Generationenforschung«, in: Uwe Flick/Ernst von Kardoff/Ines Steinke (Hg.), Qualitative Forschung. Ein Handbuch, Reinbek 2000, S. 187-194. Bude, Heinz: »Rekonstruktion von Lebenskonstruktionen – eine Antwort auf die Frage, was die Biographieforschung bringt«, in: Martin Kohli/Günther Robert (Hg.), Biographie und soziale Wirklichkeit, Stuttgart 1984, S. 7-28. Bullion, Constanze von: »Generation Minigolf. Neue Bahnen der Erkenntnis für die Berliner Szene«, in: Süddeutsche Zeitung vom 25.04.2005. Busche, Jürgen: Die 68er. Biographie einer Generation, Berlin 2003. Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991.

L ITERATUR | 291

Corsten, Michael: »Biographie, Lebenslauf und das »Problem der Generationen«, in: Bios 2 (2001), S. 32-59. Coupland, Douglas: Generation X. Tales For An Accelerated Culture, New York 1991. Dallinger, Ursula/Liebig, Stefan: »Gerechtigkeit zwischen den Generationen in der wohlfahrtsstaatlichen Alterssicherung«, in: Stefan Liebig/Holger Lengfeld/Steffen Mau (Hg.), Verteilungsprobleme und Gerechtigkeit in modernen Gesellschaften, Frankfurt/M. 2004, S. 97-131. Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt/M. 2002, S. 330-345. De Vany, Arthur: Hollywood Economics, New York 2004. Debray, Régis: »Für eine Mediologie«, in: Claus Pias/Joseph Vogl/ Lorenz Engell/Oliver Fahle/Britta Neitzel (Hg.), Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Stuttgart 1999, S. 67-75. Deckert, Marc: »Lernen von den Alten: Dennis Hopper«, in: jetztMagazin vom 30.10.2000, S. 28-29. Deckert, Marc: »Warten auf… Muskeln«, in: jetzt-Magazin vom 29. 08.1994, S. 16-17. Deckert, Marc: »Generationen-Gejammer: Warum so viele Forderungen an junge Menschen Unsinn sind«, in: NEON von Dezember 2003, S. 38-42. Der Spiegel vom 31.07.2006. Der Spiegel Special 1 (2009). Diederichsen, Diedrich: »Die Gegengegenkultur. 68 war Revolte, 77 war Punk – warum nur 68 zum Mythos wurde«, in: Süddeutsche Zeitung vom 24.02.2001, S. 20. Diederichsen, Diedrich: Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt, Köln 1999, S. 272-286. Diederichsen, Diedrich: »Pop – deskriptiv, normativ, emphatisch«, in: Marcel Hartges/Martin Lütges/Delf Schmidt (Hg.), Pop Technik Poesie. Die nächste Generation (= LiteraturMagazin, Band 37), Reinbek 1996, S. 36-44. Diekmann, Friedrich: »Literatur und Generation: Vom Jungsein und Älterwerden der Dichter«, in: neue deutsche literatur (ndl) 48 (2000), S. 129-135. Diez, Georg: »Die neue Trümmergeneration«, in: Süddeutsche Zeitung Magazin vom 09.04.2009.

292

| DOING GENERATION

Dovifat, Emil/Wilke, Jürgen: Zeitungslehre II, Berlin/New York 1976. Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Band 3. Mannheim u. a. 1999. Dyer, Richard: Stars, London 1979. Ebmeyer, Michael: »Der Andere«, in: NEON von März 2007, S. 102. Erb, Andreas (Hg.): Baustelle Gegenwartsliteratur. Die Neunziger Jahre, Opladen 1998. Esch, Frank-Rudolf/Herrmann, Andreas/Sattler, Henrik: Marketing. Eine managementorientierte Einführung, München 2008. Esposito, Elena: »Zeitmodi«, in: Soziale Systeme 2 (2006), S. 328344. Eyerman, Ron/Turner Bryan S.: »Outline of a Theory of Generations«, in: European Journal of Social Theory 1 (1998), S. 91-106. Feibel, Thomas: Die Internet-Generation, München 2001. Fietze, Beate: Historische Generation. Über einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels und kollektiver Kreativität, Bielefeld 2009. Fischer-Lichte, Erika: »Theatralität und Inszenierung«, in: dies. et. al. (Hg.), Inszenierung von Authentizität, 2te Auflage, Tübingen 2007, S. 9-28. Fiske, John: Reading the Popular, London 1989. Focus vom 20.03.2000. Foucault, Michel: »Andere Räume«, in: Karlheinz Barck/Peter Gente/Heidi Paris/Stefan Richter (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig 1992, S. 34-46. Franck, Georg: Ökonomie der Aufmerksamkeit, Wien 1998. Frank, Arno: »Endgültig: Das war’s jetzt«, in: tageszeitung vom 22. 07.2002. Frank, Dirk: »Die Nachfahren der ›Gegengegenkultur‹. Die Geburt der Tristesse Royale aus dem Geiste der achtziger Jahre«, in: Arnold, Popliteratur, S. 218-233. Frank, Dirk: »Generation Tristesse. Zum Verhältnis von Literatur und Journalismus in der jüngeren Popliteratur«, in: Bleicher/Pörksen, Grenzgänger, S. 267-306. Frank, Dirk: Popliteratur. Arbeitstexte für den Unterricht, Stuttgart 2003. Friebe, Holm: »Stars ›r‹ us«, in: Kursbuch 154 (2003), S. 172-177.

L ITERATUR | 293

Friebe, Holm/Lobo, Sascha: Wir nennen es Arbeit. Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung, München 2006. Frick, Karin: Generation Gold (= GDI Studie Nr. 18), Download unter http://www.gdi.ch/de/publikationen/generation-gold. Fritz, Christiane: »Hamelmann zieht den Stecker«, in: Süddeutsche Zeitung vom 21.07.2009. Fuchs, Peter: Moderne Kommunikation. Zur Theorie des operativen Displacement, Frankfurt 1993. Fuchs, Peter/Heidingsfelder, Martin: »Music no Music Music. Zur Unhörbarkeit von Pop«, in: Soziale Systeme 2 (2004), S. 292-324. Fuchs, Peter: »Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie«, in: Soziale Systeme 1 (1997), S. 56-79. Gaitanides, Stefan: Sozialstruktur und »Ausländerproblem«. Sozialstrukturelle Aspekte der Marginalisierung von Ausländern der ersten und zweiten Generation, München 1983. Gamper, Michael: Masse lesen, Masse schreiben. Eine Diskurs- und Imaginationsgeschichte der Menschenmenge 1765-1930, München 2007. Genette, Gérard: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches, Frankfurt/M./New York 1992. Gestrich, Constanze/Monicke, Thomas (Hg.): Faszination des Illegitimen. Alterität in Konstruktionen von Genealogie, Herkunft und Ursprünglichkeit, Würzburg 2007. Giesen, Bernhard: »Voraussetzung und Konstruktion. Überlegungen zum Begriff der kollektiven Identität«, in: Bohn/Willems, Sinngeneratoren (2001), S. 91-110. Giesen, Bernhard: »Generation und Trauma«, in: Reulecke, Generationalität (2003), S. 59-72. Glaser, Peter: »Man muß absolut modern sein«, in: Werben und Verkaufen 17 (1996), S. 135. Gogolin, Ingrid/Lenzen, Dieter: Medien-Generation. Opladen 1999. Graalmann, Dirk: »Bambi, Herrscher des Waldes«, in: Süddeutsche Zeitung, vom 15.12.2009. Graupner, Heidrun: »Kinder, Eltern und die Rente. 35-49jährige unter Druck«, in: Süddeutsche Zeitung vom 08. 06. 2005. Greiner, Ulrich: »Die Neunundachtziger«, in: Die ZEIT vom 16.09. 1994. Gronemeyer, Reimer: Kampf der Generationen, München 2004.

294

| DOING GENERATION

Grossberg, Lawrence: We Gotta Get Out of This Place: Popular Conservatism and Postmodernism in Contemporary America, New York/London 1992, S. 84. Grühn Dieter/Heidemarie Hecht: Generation Praktikum? Prekäre Beschäftigungsformen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen, Berlin 2006. Herausgegeben vom DGB-Bundesvorstand, Bereich Jugend. Gumbrecht, Hans Ulrich: »Die Jugend von morgen«, in: Süddeutsche Zeitung Magazin vom 04.04.2008, S. 13. Hacking, Ian: Was heißt »soziale Konstruktion«?, Frankfurt/M. 1999, S. 39ff. Hage, Volker: Zeugen der Zerstörung, Frankfurt/M. 2003. Hagel, Katharina/Donner, Falk: »Wie fühlt sich das an… ein Orgasmus?«, in: NEON von Januar 2003, S. 78-79. Hagel, Ulrike: »Die Zeitlichkeit (des Erzählens) von Generationen. Ein Blick auf neuere Familienromane«, in: Wirkendes Wort 3 (2008), S. 373-393. Hagn, Hans: Illegitimität und Thronfolge. Zur Thronfolgeproblematik illegitimer Merowinger, Karolinger und Ottonen, Neuried 2006. Hahn, Alois/Willems, Herbert: »Zivilisation, Modernität, Theatralität: Identitäten und Identitätsdarstellungen«, in: Herbert Willems (Hg.), Inszenierungsgesellschaft, Wiesbaden 1998, S. 193-213. Hamm, Birgit: Generation Ally. Der Lifestyleguide, Frankfurt 2003, S. 8. Hareven, Tamara (Hg.): Aging and Generational Relations Over the Life Course. A Historical and Cross-Cultural Perspective, Berlin/ New York 1995 Harzer, Verena/Kober, Henning: »Nur für Jungs/Nur für Mädchen: Frauenarzt/Musterung«, in: jetzt-Magazin vom 10.06.2002, S. 12f. Heck, Kilian/Jahn, Bernhard (Hg.): Genealogie als Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 80), Tübingen 2000 Hellmann, Kai-Uwe/Pichler, Rüdiger: Ausweitung der Markenzone: Interdisziplinäre Zugänge zur Erforschung des Markenwesens, Wiesbaden 2005. Hellmann, Kai-Uwe: »1988 – und was nun? Eine Zwischenbilanz zum Verhältnis von Systemtheorie und Gender Studies«, in: Sabine Kampmann/Alexander Karentzos/Thomas Küpper (Hg.), Gen-

L ITERATUR | 295

der Studies und Systemtheorie. Studien zu einem Theorietransfer, Bielefeld 2004, S. 16-46. Heinrich, Jürgen: Medienökonomie (Band 1), Opladen 2001. Hempfer, Klaus: »Gattung«, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Band 1, Berlin/New York 1997, S. 651-655, hier S. 654. Hensel, Jana: Wir Zonenkinder, Reinbek 2002 Hentschel, Andreas vgl. Hentschel, Andreas: Tempo (1986-1996) – Eine Dekade aus der Perspektive eines populären ZeitgeistMagazins, München 2000. Hentschel, Andreas: »Interview mit Markus Peichl am 19.4.2000 in Hamburg«, in: ders.: Tempo (2000), Anhang M2, S. 1-20. Hentschel, Andreas: »Interview mit Michael Jürgs am 19.4.2000 in Hamburg«, in: ders. Tempo (2000), Anhang M3, S. 1-12. Hermann, Judith: Sommerhaus, später, Frankfurt/M. 1998. Hernand, Jost: »Pop-Literatur«, in: Klaus von See (Hg.), Neues Handbuch der Literaturwissenschaft (Band 5), Wiesbaden 1979, S. 279310. Herzinger, Richard: »Mythos, Stil und Simulation. ›Generation‹ als kultureller Kampfbegriff und literarische Selbsterfindung«, in: neue deutsche literatur (ndl) 48 (2000), S. 144-164 Hielscher, Martin: »Generation und Mentalität. Aspekte eines Wandels«, in: neue deutsche literatur (ndl) 48 (2000), S. 174-189. Höbel, Wolfgang: »Lebe lieber ungefähr«, in: Der Spiegel vom 15.06. 2009. Hörisch, Jochen: »Was generiert Generationen: Literatur oder Medien? Zur Querelle allemande zwischen Achtundsechzigern und Neunundachtzigern«, in: Hörisch, Mediengeneration (1997), S. 7-15. Hörisch, Jochen (Hg.): Mediengeneration, Frankfurt/M. 1997. Höpflinger, François: Generationenbeziehungen in Familien. Trends und neue Probleme, Zürich 1998. Hofmann, Michael: »Generation als Sinnhorizont und/oder Struktureinheit«, in: Schmidt, Systemumbruch (2002), S. 99-101. Horn, Eva/Gisi, Lucas Marco (Hg.): Schwärme – Kollektive ohne Zentrum. Eine Wissensgeschichte zwischen Leben und Information, Bielefeld 2009. Horovitz, Bruce: »Gen Y: A tough crowd to sell«, in: USA Today vom 22.04.2002.

296

| DOING GENERATION

Horx, Matthias: »Generation der Widersprüche«, in: TEMPO von März 1991, S.44-52. Horx, Matthias: »Journalistisches Fegefeuer« , in: TEMPO von Juni 1991, S. 3. Hug, Theo: »Medien – Generationen – Wissen. Überlegungen zur medienpädagogischen Forschung. Dargestellt am Beispiel der Frage nach dem Weltwissen globaler Mediengenerationen«, in: Ben Bachmair/Peter Diepold /Claudia de Witt (Hg.), Jahrbuch Medienpädagogik (Band 3), Opladen 2003, S. 13-26 Illies, Florian: Generation Golf, Berlin 1995. Jablonski, Guido: Generation X: Selbst- und Fremdbeschreibungen einer Generation. Eine literaturwissenschaftliche Studie, 2002. Download unter http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=96909 0536. Jackson, Allyn: »A Labor of Love: The Mathematics Genealogy Project«, in: Notices of the AMS 8 (2007), S. 1002-1003. Jaeger, Hans: »Generationen in der Geschichte. Überlegungen zu einer umstrittenen Konzeption«, in: Geschichte und Gesellschaft 3 (1977), S. 429-452. Jäger, Ludwig: »Die Verfahren der Medien: Transkribieren – Adressieren – Lokalisieren«, in: Jürgen Fohrmann/Erhard Schüttpelz (Hg.), Die Kommunikation der Medien, Tübingen 2004, S. 69-79. Jannidis, Fotis: Figur und Person, Berlin 2004. Jetzt-Magazin vom 16.03.1998. Jetzt-Magazin vom 04.01.1999. Jetzt-Magazin vom 11.10.1999. Jetzt-Magazin vom 23.08.1999. Jetzt-Magazin vom 29.06.1996. Jetzt-Magazin vom 29.03.1999. Jetzt-Magazin vom 13.12.1999. Jetzt-Magazin vom 24.01.2000. Jetzt-Magazin vom 08.05.2000. Jetzt-Magazin vom 09.10.2000. Jetzt-Magazin vom 09.04.2001. Jetzt-Magazin vom 30.07.2001. Jetzt-Magazin vom 24.09.2001. Jetzt-Magazin vom 22.07.2002. Jürgs, Michael: »Editorial«, in: TEMPO von Januar 1992, S. 3. Jureit, Ulrike: Generationenforschung, Göttingen 2006.

L ITERATUR | 297

Jureit, Ulrike/Wildt, Michael (Hg.): Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005. Käsler, Dirk: Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre Entstehungsmilieus, Opladen 1984. Kampmann, Sabine: »Was heißt eigentlich Post-Feminismus?«, in: dies./Karentzos, Alexander/Küpper, Thomas (Hg.), Gender Studies und Systemtheorie. Studien zu einem Theorietransfer, Bielefeld 2004, S. 179-206. Kalle, Matthias: »Na, wie war ich?«, in: NEON von Januar 2003, S. 26. Kalle, Matthias: Verzichten auf, Köln 2003. Kalle, Matthias: »Wann nehmen wir endlich den Finger von der Pausetaste?«, in: ZEIT Magazin vom 17.04.2008, S. 22-29. Karasek, Tom: Generation Golf: Die Diagnose als Symptom, Bielefeld 2008. Kegel, Sandra: »›Sandwich-Generation‹ klingt netter als ›Reformverlierer‹«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. 03. 2006 Keller, Kevin Lane: Strategic Brand Management, Upper Sattle River 2003. Kellner, Beate: Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissens im Mittelalter, München 2004 King, Vera: Die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz. Individuation, Generativität und Geschlecht in modernisierten Gesellschaften, Opladen 2002. Kittlaus, Bernd: »Streit um die Nachfolge der 68er«, Download unter http://www.single-generation.de/debatte/einfuehrung.htm. Kittlaus, Bernd: »Die Autoren der Generation Golf: Von der Kleinfamilie zur Normalfamilie der Neuen Mitte«, Download unter http:// www.single-generation.de/kohorten/golf.htm. Kittlaus, Bernd: »Die Autoren der Generation @: Erwachsenwerden im Zeichen der Demographiepolitik«, Download unter http:// www.single-generation.de/kohorten/internet.htm. Kittlaus, Bernd: »Die Autoren der Generation Berlin: Der Bruch mit der Bonner Republik«, Download unter http://www.singlegeneration.de/kohorten/generation_berlin.htm. Kittlaus, Bernd: »Die neue deutsche Onkelliteratur - Die Kreuzzügler des Pop«, Download unter http://www.single-generation.de/kritik /debatte_lottmann_jugend_von_heute.htm.

298

| DOING GENERATION

Kittsteiner, Heinz D.: »Die Generationen der ›Heroischen Moderne‹. Zur kollektiven Verständigung über eine Grundaufgabe«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 200-219. Klein, Markus: »Gibt es die Generation Golf«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 55 (2003), S. 99-115. Klundt, Michael: Von der sozialen zur Generationengerechtigkeit? Polarisierte Lebenslagen und ihre Deutung in Wissenschaft, Politik und Medien, Wiesbaden 2008. Kneer, Christof: »Generation Sportlehrer«, in: Süddeutsche Zeitung vom 12.02.2007. Knoch, Habbo: »Gefühlte Gemeinschaften. Bild und Generation in der Moderne«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 295–319. Knöbl, Wolfgang: »Eine Geschichte des soziologischen Nachdenkens über Generationen«, Download unter http://www.generationengeschichte.uni-goettingen.de/kngen.pdf. Koch, Christoph: »Ganz entschlossen unentschlossen«, in: NEON von Mai 2007, S. 24-28. Kohli, Martin/Szydlik, Marc (Hg.): Generationen in Familie und Gesellschaft. Opladen 2000; Kohli, Martin (Hg.): Soziologie des Lebenslaufs. Darmstadt/Neuwied 1978. Koselleck, Reinhart: Zeitschichten, Frankfurt 2000. Kotlikoff, Laurence J.: Generational Accounting. Knowing Who Pays, and When, for What We Spend, New York 1992. Kraft, Andreas/Weißhaupt, Mark (Hg.): Generationen: Erfahrung – Erzählung – Identität, Konstanz 2009. Krappmann, Lothar /Lepenies, Annette (Hg.): Alt und Jung, Spannung und Solidarität zwischen den Generationen, Frankfurt/New York 1997. Krejci, Erika: »Innere Objekte. Über Generationenfolge und Subjektwerdung. Ein psychoanalytischer Beitrag«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 80-107 Kreye, Andrian: »Die Beseelung einer Vorstadt durch den Schrecken«, in: Süddeutsche Zeitung vom 13./14./15.08.2005. Kristeva, Julia: »Eine Erinnerung«, in: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur 26 (1985), S. 134-143. Krüger, Paul-Anton: »Die ›deukische Generation‹«, in: Süddeutsche Zeitung vom 16.04.2007.

L ITERATUR | 299

Kruse, Lenelis/Thimm, Caja: »Das Gespräch zwischen den Generationen«, in: Krappmann/Lepenies, Alt (1997), S. 112-136. Kübler, Hans-Dieter: »Mediengenerationen oder Medien für ›Generationen‹, heuristische Überprüfung eines neuen Paradigmas«, in: medien praktisch. Zeitschrift für Medienpädagogik 2 (1998), S. 1016 Künemund, Harald/Szydlik, Mars (Hg.): Generationen. Multidisziplinäre Perspektiven, Wiesbaden 2009. Kullmann, Katja: Generation Ally, Frankfurt 2002. Kumar, Archana/Lim, Heejin: »Age differences in mobile service perceptions: comparison of Generation Y and baby boomers«, in: Journal of Services Marketing 7 (2008), S. 568-577. Kutter, Inge: »Die Literaturpraktikanten«, in: Die ZEIT vom 16.12. 2009. Lambert, Peter: »Generations of German historians: patronage, censorship and the containment of generation conflict, 1918-1945«, in: Roseman, Generations in Conflict (1995), S. 164-183. Landbeck, Hanne: Generation Soap. Mit den deutschen Seifenopern auf den Weg ins Glück, Berlin 2002. Lange, Sascha: DJ Westradio, Berlin 2007. Lau, Jörg: »Auf der Suche nach der verlorenen Normalität«, in: Klaus Naumann (Hg.), Nachkrieg in Deutschland, Hamburg 2001, S. 498-521. Lauer, Gerhard: »Offene und geschlossene Autorschaft. Medien, Recht und der Topos von der Geburt des Autors im 18. Jahrhundert«, in: Detering, Heinrich (Hg.), Autorschaft: Positionen und Revisionen, Stuttgart, Weimar 2002, S. 461-478. Leggewie, Claus: Die 89er. Porträt einer Generation, Hamburg 1995. Lehnartz, Sascha: »Die schöne, leichte Schwere«, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 01.05.2005. Leisering, Lutz: »Wohlfahrtsstaatliche Generationen«, in: Kohli/Szydlik, Generationen (2000), S. 59-76. Lepsius, M. Rainer: »Kritische Anmerkungen zur Generationsforschung«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2003), S. 45-52. Leyendecker, Hans: »Netzwerk des Wirrwarrs«, in: Süddeutsche Zeitung vom 21.08.2006. Liebau, Eckart/Wulf, Christoph (Hg.): Generation. Versuche über eine pädagogisch-anthropologische Grundbedingung, Weinheim 1996.

300

| DOING GENERATION

Liebig, Sigrid: »Unisex, nicht zwangship«, in: Welt am Sonntag vom 22.06.2003. Liedtke, Max: »Über die Funktion der Generationenkonflikte«, in: Liebau/Wulff, Generation (1996), S. 139-154. Lindner, Bernd: »›Bau auf, Freie Deutsche Jugend!‹ – und was dann? Kriterien für ein Modell der Jugendgeneration der DDR«, in: Reulecke, Generationalität (2003), S. 187-216 Link, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Opladen 1997. Lottmann, Joachim: Die Jugend von heute, Köln 2004. Lüscher, Kurt/Liegle, Ludwig (Hg.): Generationenbeziehungen in Familie und Gesellschaft, Konstanz 2003. Luckmann, Thomas: »Zeit und Identität: Innere, soziale und historische Zeit«, in: Friedrich Fürstenberg/Ingo Mörth (Hg.), Zeit als Strukturelement von Lebenswelt und Gesellschaft, Linz 1986, S. 135-174. Lüdemann, Susanne: Metaphern der Gesellschaft, München 2004. Luhmann, Niklas: »Die Beschreibung der Zukunft«, in: ders. (Hg.), Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992, S. 129-147. Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1997. Luhmann, Niklas: Die Politik der Gesellschaft, Frankfurt/M. 2000. Luhmann, Niklas: Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, in: ders. (Hg.), Aufsätze und Reden, Stuttgart 2001. Luhmann, Niklas, »Gleichzeitigkeit und Synchronisation«, in: ders. (Hg.), Soziologische Aufklärung (= Konstruktivistische Perspektiven Bd. 5), Opladen 1990, S. 95-130. Luhmann, Niklas: Organisation und Entscheidung, Opladen/Wiesbaden 2000, S. 152ff. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, Frankfurt/M. 1984. Lumma, Nico: »Online-Beirat der SPD«, auf: Lummaland. Politik, Social Media, Leben und anderes Gedöns, Eintrag vom 30. November 2007, Download unter http://lumma.de/2007/11/30/onlinebeirat-der-spd/. Maase, Kaspar: »Farbige Bescheidenheit. Anmerkungen zum postheroischen Generationsverständnis«, in: Jureit/Wildt, Generationen (2005), S. 220-242. Magenau, Jörg: »Literature as a Generation’s Medium for Self-understanding«, in: New German Critique 88 (2003), S. 97-106.

L ITERATUR | 301

Mahr, Yannik: Die Praktikantin, Berlin 2009. Mannheim, Karl: »Das Problem der Generationen«, in: ders., Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, Berlin/Neuwied 1984, S. 509565. [ursprünglich: Mannheim, Karl: »Das Problem der Generationen«, in: Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie, 2 (1928).] Mansel, Jürgen/Rosenthal, Gabriele/Tölke, Angelika (Hg.): Generationen-Beziehungen. Austausch und Tradierung, Opladen 1997. Martin, Marko: »Coming Out – (k)eine Ostgeschichte«, in: Kursbuch 154 (2003), S. 11-23. Martin, Marko: »Wir sind alle anders«, in: Kursbuch 121 (1995), S. 119. Matthes, Joachim: »Karl Mannheims ›Das Problem der Generationen‹, neu gelesen. Generationen›gruppen‹ oder ›gesellschaftliche Regelung von Zeitlichkeit‹?«, in: Zeitschrift für Soziologie 14 (1985), S. 363-372. Max, Katrin: »Erbangelegenheiten. Medizinische und philosophische Aspekte der Generationenfolge in Thomas Manns Roman ›Buddenbrooks‹«, in: Bohnenkamp/Manning/Silies, Generation (2009), S. 129-150. May, Christina: Generation als Argument, Frankfurt/M./New York 2010. Maybritt Illner, Sendung zum Titel »Kann man die Rente garantieren?« vom 20.08.2009; 23:00 Uhr, ZDF. Mayer, Walter: »Wir, TEMPO: Es ist März. Spleens, Seilschaften, Strategien«, in: TEMPO von März 1995, S. 5. Mayer, Walter: »Wir, TEMPO: Haltung gegen Pose«, in: TEMPO von April 1995, S. 5. Mayer, Walter: »Wir, TEMPO: Es ist Dezember. Was für Pullover tragen TEMPO-Leser«, in: TEMPO von Dezember 1994, S. 5. McGuigan, Jim: Cultural populism, London 1992. Meckel, Miriam/Stanoevaska-Slabeva, Katarina (Hg.): Web 2.0. Die nächste Generation Internet, Baden-Baden 2008. Melville, Gert: »Vorfahren und Vorgänger. Die Genealogie als Legitimation dynastischer Herrschaft im Spätmittelalter«, in: Peter J. Schuler (Hg.), Die Familie als sozialer und historischer Verband, Sigmaringen 1987, S. 203-309 Mertens, Mathias: »Die Leiden des Klassensprechers«, in: jungleworld von November 2000.

302

| DOING GENERATION

Meyer, Janina: Der popliterarische Erzähler zwischen Generationszugehörigkeit und individueller Inszenierung, Oldenburg 2005. Meyer-Sickendiek, Burkhard: Ästhetik der Epigonalität: Theorie und Praxis wiederholenden Schreibens im 19. Jahrhundert, Tübingen/Basel 2001. Mischke, Roland: »Ein fein gekleidetes Reptil. Eine extravagantes Spezies vermehrt sich wieder: Der Dandy«, in: Berliner Zeitung vom 04.12.1999. Mocek, Ingo: »Der schönste Tag«, in: jetzt-Magazin vom 30.07.2001, S. 8-9. Mohr, Reinhard: Zaungäste. Die Generation, die nach der Revolte kam, Frankfurt/M. 1992. Mohr, Reinhard: Generation Z. Von der Zumutung, älter zu werden, Berlin 2003. Morat, Daniel: »Generation der Intellektuellen. Intellektuellenkultur und Generationendiskurs in Deutschland und Frankreich 19001930«, in: Weisbrod, Beiträge (2009), S. 39-76. Müller, Henrik/Student, Dietmar: »Generation Golf II«, in: Manager Magazin von Juni 2007, S. 118-130. Muniz, Albert M./O’Guinn, Thomas C.: »Brand Community«, in: Journal of Consumer Research 27 (2001), S. 412-432. NEON von Januar 2003. Nolte, Paul: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, München 2004. Nora, Pierre: »La génération«, in: ders. (Hg.), Les Lieux de Mémoire, Band 3, Paris 1992, S. 931-971. O. A.: »100 für Deutschland«, in: NEON vom Dezember 2006, S. 2246. O. A.: »Das war mein Sommer«, in: NEON von Januar 2003, S. 12-13. O. A.: »Editorial«, in: TEMPO von Februar 1986, S. 3. O. A.: »Emnid-Geschäftsführer: CDU und SPD fehlt ein Markenkern«, in: Neue Osnabrücker Zeitung vom 08.09.2009. O. A.: »Herr Ganske, welche Entwicklung soll ihr Haus nehmen?«, in: Merian Sonderausgabe von Oktober 1991, S. 34-37. O. A.: »Gute Frage: Ich bin heilfroh, in den Neunzigern aufgewachsen zu sein. Du auch?«, in: jetzt-Magazin vom 30.04.2001, S. 62. O. A.: »Gute Frage: Ich will nicht mehr bei meinem Spitznamen genannt werden. Du auch nicht?«, in: jetzt-Magazin vom 28.05.2001, S. 22.

L ITERATUR | 303

O. A.: »Gute Frage: Im Museum schaue ich am liebsten aus dem Fenster. Du auch?«, in: jetzt-Magazin vom 07.05.2001, S. 30; eingesandt von Max Goldt, Berlin. O. A.: »Lebenswert«, in: jetzt-Magazin von 12.09.1994, S. 30. O. A.: »Ragnar Sólberg: Der sexy Star aus der aktuellen Vodafone Kampagne mit der neuen Single ›Heroes‹«, Download unter http://musiktipps24.com/ragnar-solberg-der-sexy-star-aus-deraktuellen-vodafone-kampagne-mit-der-neuen-single-heroes/. O. A. »Stoppschilder für Kinderpornos«, Download unter http://www. tagesschau.de/inland/kinderpornografie136.html. O. A.: »Trendwesen: Girlies. Die Mädchen von heute«, in: Bunte vom 19.01.1995. O. A.: »Was für eine Woche«, in: jetzt-Magazin vom 30.07.2001, S. 34. O. A.: »Wochenshow«, in: jetzt-Magazin vom 01.01.1996, S. 4-5. O’Reilly, Tim: »What is Web 2.0? Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software«, Download unter http://www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/what -is-web-20.html. O’Sullivan, Tim: Key concepts in communication and cultural studies, London 1996. Oehmke, Philipp/von Rohr, Mathieu/Schulz, Sandra: »Die Krisenprofis«, in: Der Spiegel vom 15.06.2009, S. 48-64. Ohlers, Norman: »Die Quotenmaschine«, in: jetzt-Magazin vom 12.02. 1996, S. 10-11. Oltean, Tudor: »Series and Seriality in Media Culture«, in: European Journal of Communication 8 (1993), S. 5-31. Opaschowski, Horst W.: Der Generationenpakt, Darmstadt 2004. Opaschowski, Horst W: Generation @. Die Medienrevolution entläßt ihre Kinder, Hamburg 1999. Ostheimer, Michael: »Die Sprachlosigkeit der Kriegskinder. Zur Symptomatik der traumatischen Geschichtserfahrung in der zeitgenössischen Erinnerungsliteratur«, in: Bohnenkamp/Manning/Silies, Generation (2009), S. 203-225. Palfrey, John/Gasser, Urs: Born Digital. The First Generation of Digital Natives, New York 2008. Parnes, Ohad/Vedder, Ulrike/Willer, Stefan: Das Konzept der Generation, Frankfurt/M. 2008.

304

| DOING GENERATION

Pate, Kelly: »Not ›X‹, but ›Y‹ marks the spot. Young generation a marketing target«, in: Denver Post vom 17.08.2003. Peichl, Markus: »Die Dame vom Spiegel oder Warum ich Tempo mache«, in: Merian Sonderausgabe von Oktober 1991, S. 56-63, hier S. 60. Peichl, Markus: »Editorial«, in: TEMPO von Februar 1988, S. 3. Peichl, Markus: »Editorial«, in: TEMPO von Mai 1987, S. 3. Petersen, Julius: »Die literarischen Generationen«, in: Emil Ermatinger (Hg.), Philosophie der Literaturwissenschaft, Berlin 1930, S. 130-187 Pilarczyk, Hannah: Sie nennen es Leben: Werden wir von der digitalen Generation abgehängt?, München 2011. Pinder, Wilhelm: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas, München 1961 [1926]. Pörksen, Bernhard: »Das Problem der Grenze«, in: Bleicher/ders., Grenzgänger (2003), S. 15-28. Pörksen, Bernhard: »Die Tempojahre. Merkmale des deutschsprachigen New Journalism am Beispiel der Zeitschrift Tempo«, in: Bleicher/ders., Grenzgänger (2003), S. 307-336. Politycki, Matthias: »Kalbfleisch mit Reis! Die literarische Ästhetik der 78er-Generation«, in: Schreibheft. Zeitschrift für Literatur 50 (1997), S. 3-9. Politycki, Matthias: Weiberroman, München 1997. Prensky, Marc: »Digital Natives, Digital Immigrants«, in: On The Horizon 5 (2001). Prensky, Marc: »Digital Natives, Digital Immigrants, Part II: Do They Really Think Differently?«, in: On The Horizon 6 (2001). Rathgeb, Eberhard: »Sie nennen es Arbeit«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.12.2006. Reckwitz, Andreas: Das hybride Subjekt. Weilerswist 2006. Reichart, Manuela: »Putzmann gegen Schlampe«, in: Süddeutsche Zeitung vom 13.02.2001. Reichert, Martin: Wenn ich mal groß bin: Das Lebensabschnittsbuch für die Generation Umhängetasche, Frankfurt/M. 2008. Reichert, Ramón: Amateure im Netz. Selbstmanagement und Wissenstechnik im Web 2.0, Bielefeld 2008. Reulecke, Jürgen: Einführung: Lebensgeschichten des 20. Jahrhunderts – im »Generationencontainer«?, in: ders., Generationalität und Lebensgeschichte (2003), S. VII-XV.

L ITERATUR | 305

Reulecke, Jürgen (Hg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003. Rheingold, Howard: The Virtual Community: Homesteading at the Electronic Frontier, Addison-Wesley 1993. Richter, Jörg Thomas: »Generationenzukunft zwischen Norm und Narrativ«, in: Bohnenkamp/Manning/Silies, Generation (2009), S. 185-200. Richter, Nikola: Die Lebenspraktikanten, Frankfurt/Main 2006 Röhl, Bettina: »Die Kunst, erwachsen zu werden«, in: TEMPO von August 1988, S. 80-85. Rösler, Philipp/Lindner, Christian: Freiheit: gefühlt – gedacht – gelebt, Wiesbaden 2009. Rosch, Eleanor/Mervis, Carolyn B./Gray, Wayne D./Johnson, David M./Braem, Penny B.: »Basic Objects in Natural Categories«, in: Cognitive Psychology 8 (1976), S. 382-439. Roseman, Mark: »Generationen als ›Imagined Communities‹. Mythen, generationelle Identitäten und Generationenkonflikte in Deutschland vom 18. bis zum 20. Jahrhundert«, in: Ulrike Jureit/Michael Wildt (Hg.), Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs, Hamburg 2005, S. 180-199. Roseman, Mark (Hg.): Generations in Conflict. Youth Revolt and Generation Formation in Germany 1770-1968, Cambridge 1995. Rosenthal, Gabriele »Historische und familiale Generationenabfolge«, in:. Kohli, Martin/Szydlik, Marc (Hg.): Generationen in Familie und Gesellschaft, Opladen 2000, S. 162-179. Rosenberg, Rainer/Münz-Coenen, Inge/Boden, Petra (Hg.): Der Geist der Unruhe. 1968 im Vergleich. Wissenschaft – Literatur – Medien, Berlin 2000. Roß, Dieter: »Fakten und/oder Fiktionen. Zur Geschichte der Beziehungen zwischen Journalismus und Literatur in Deutschland«, in: J. K. Bleicher/B. Pörksen, Grenzgänger (2003), S. 74-99. Ross, Andrew: No Respect – Intellectuals and Popular Culture. New York/London 1989, S. 4. Ruchatz, Jens: »Personenkult. Elemente einer Mediengeschichte des Stars«, in: Keck, Annette/Pethes, Nicolas (Hg.), Mediale Anatomien, Bielefeld 2001, S. 331-349. Ruchatz, Jens: »Geschichte der Individualität. Eine medienwissenschaftliche Perspektive«, in: Crivellari, Fabio/Kirchmann, Kay/ Sandl, Marcus/Schlögl, Rudolf (Hg.), Die Medien der Geschichte.

306

| DOING GENERATION

Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004, S. 163-192. Rupps, Martin: Wir Babyboomer, Freiburg 2008. Rühle, Alex: »Die Welt als Rohmaterial«, in: Süddeutsche Zeitung vom 15.04.2000. Rutschky, Katharina: »Wertherzeit. Der Poproman – Merkmale eines unerkannten Genres«, in: Merkur 2 (2003), S. 106-117. Ryder, Norman B.: »The Cohort as a Concept in the Study of Social Change«, in: American Sociological Review 6 (1965), S. 843-861. Sack, Adriano: »Wahrheit als Dichtung«, in: Welt am Sonntag vom 27.01.2002. Sackmann, Reinhold: »Das Deutungsmuster ›Generation‹«, in: Michael Meuser/ders. (Hg.): Analyse sozialer Deutungsmuster. Beiträge zur empirischen Wissenssoziologie, Pfaffenweiler 1992, S. 199215. Sagatz, Kurt: »Dürfen Irokesen werben?«, in: Der Tagesspiegel vom 14.07.2009. Schabacher, Gabriele: Topik der Referenz: Theorie der Autobiographie, die Funktion ›Gattung‹ und Roland Barthes‫ ތ‬Über mich selbst, Würzburg 2007. Schäffer, Burkhard: Generationen – Medien – Bildung. Medienpraxiskulturen im Generationenvergleich, Opladen 2003. Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend, Düsseldorf 1957. Schelsky, Helmut: »Die Generationen der Bundesrepublik«, in: Walter Scheel (Hg.), Die andere deutsche Frage: Kultur und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nach 30 Jahren, Stuttgart 1981, S. 178-198. Schleiermacher, Friedrich: »Grundzüge der Erziehungskunst«, in: ders.: Texte zur Pädagogik. Kommentierte Studienausgabe, Band 2, Frankfurt/M. 2000. Schmidt, Rudi (Hg.): Systemumbruch und Generationswechsel, Jena 2002. Schmidt, Siegfried J.: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung, Frankfurt/M. 1996. Schneider, Christian: »Der Holocaust als Generationsobjekt«, in: Mittelweg 36 4 (2004), S. 56-73.

L ITERATUR | 307

Schneider, Helmut: Marken in der Politik, Erscheinungsformen, Relevanz, identitätsorientierte Führung und demokratietheoretische Reflektion, Wiesbaden 2004. Schneider, Irmela: Serien-Welten. Strukturen US-amerikanischer Serien aus vier Jahrzehnten, Opladen 1995. Schnell, Ralf: »›Holocaust-Literatur‹ als Generationen-Problem«, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) 120 (2000), S. 108-129. Schönlebe, Dirk: »Lernen von den Alten: Ian Kershaw«, in: jetztMagazin vom 04.12.2000, S. 29-30. Schütz, Erhard: »Journailliteraten. Autoren zwischen Journalismus und Belletristik«, in: Andreas Erb (Hg.), Baustelle Gegenwartsliteratur. Die neunziger Jahre, Opladen/Wiesbaden 1998, S. 97-106. Schützeichel, Rainer: »Annäherungen an eine Wissenssoziologie des Exemplarischen«, in: Willer, Stefan/Ruchatz, Jens/Pethes, Nicolas (Hg.), Das Beispiel. Epistemologie des Exemplarischen, Berlin 2007, S. 357-373. Schulz, Andreas/Grebner, Gundula (Hg.): Generationswechsel und historischer Wandel (= Historische Zeitschrift, Beiheft 36), München 2003. Schulz, Andreas: »Individuum und Generation. Identitätsbildung im 19. und 20. Jahrhundert«, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (= GWU) 52 (2001), S. 406-414. Schulz, Bert: »Schick und trivial. Schlagwort Generation«, in: Das Parlament vom 14./22.04.2003, S. 16-17. Schulz, Roland: »Wählt: die A-Jugend des SV Waldperlach«, in: jetztMagazin vom 30.07.2001, S. 28-29. Schumacher, Eckhard: Gerade, Eben, Jetzt, Frankfurt 2003. Schumacher, Eckhard: »Pop, Literatur. Ein Interview mit Thomas Meinecke«, in: Kritische Ausgabe. Zeitschrift für Germanistik und Literatur 1 (2000), S. 19-20. Schumacher, Eckhard: »›Tristesse Royale‹. Sinnsuche als Kitsch«, in: Braungart, Wolfgang (Hg.), Kitsch. Faszination und Herausforderung des Banalen und Trivialen, Tübingen 2002, S. 197-211. Schwerdtfeger, Malin: »Wir Nutellakinder«, in: Kursbuch 154 (2003), S. 42-48. Seibt, Gustav: »Geschichte. Eine Kolumne. Generationen«, in: Merkur 3 (2001), S. 241-246.

308

| DOING GENERATION

Siemens, Jochen/Kracht, Christian/von Uslar, Moritz: »Die 99 schärfsten Teenager«, in: TEMPO von September 1989, S. 73-82. Sirinelli, Jean-François (Hg.): »Générations intellectuelles. Effets d’âge et phénomènes de génération dans le milieu intellectuel français«, in: Cahiers de l’histoire du temps présent 6 (1987), S. 5-18. SPD-Online-Beirat: »Online- Beirat der SPD nimmt Stellung zum geplanten ›Zensur-Gesetz‹«, Download unter http://www.websozis. de/index.php?nr=421&menu=1 oder http://www.netzpolitik.org/ 2009/online-beirat-der-spd-gegen-zensurgesetz/. Stäheli, Urs: »Exorcising the Popular Seriously: Luhmann’s Concept of Semantics«, in: International Review of Sociology 1 (1997), S. 127-145. Stäheli, Urs: »Das Populäre als Unterscheidung – eine theoretische Skizze«, in: Gereon Blaseio/Hedwig Pompe/Jens Ruchatz (Hg.), Popularisierung und Popularität, Köln 2005, S. 146-167. Stäheli, Urs: »Das Populäre in der Systemtheorie«, in: Günter Burkart/Gunter Runkel (Hg.), Luhmann und die Kulturtheorie, Frankfurt/M. 2004, S. 169-188. Stäheli, Urs: »Das Populäre zwischen Cultural Studies und Systemtheorie«, in: Udo Göttlich/Rainer Winter (Hg.), Politik des Vergnügens, Köln 1999, S. 321-336. Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik, Zürich 1946. Stein, Manuel/Farmbauer, Martina: »Nur für Jungs/Nur für Mädchen: Die kleine Schwester,«, in: jetzt-Magazin vom 08.07.2002, S. 1213. Steiner, Uwe: »›68 – 89‹. Literarische und mediale Wendungen der Wende«, in: Jochen Hörisch (Hg.), Mediengeneration, Frankfurt/M. 1997. Stern vom 18.08.2005. Stichweh, Rudolf: »Inklusion und Exklusion: Logik und Entwicklungsstand einer gesellschaftstheoretischen Unterscheidung«, in: ders. (Hg.), Inklusion und Exklusion, Bielefeld 2005, S. 179-196. Stolz, Matthias: »Generation Praktikum«, in: Die ZEIT vom 31.03. 2005. Strauß, Botho: »Anschwellender Bocksgesang«, in: Der Spiegel vom 08.02.1993, S. 202-208. Strauss, William/Howe, Neil: Generations. The History of America’s Future, 1584 to 2069, New York 1991.

L ITERATUR | 309

Stuckrad-Barre, Benjamin von: »Was das nun wieder soll«, in: Der Spiegel vom 23.10.2001. »Studium duz. Das Magazin für Studienstarter«, Wintersemester 07/08; hrsg. u.a. von der Hochschulrektorenkonferenz und dem deutschen Studentenwerk. Struck, Olaf: »Generation als zeitdynamische Strukturierung«, in: Schmidt, Systemumbruch (2002), S. 41-57, hier S. 41. Sünkel, Wolfgang: »Der pädagogische Generationenbegriff. Schleiermacher und die Folgen«, in: ebd., S. 280-285. Szydlik, Marc (Hg.): Generationen und Ungleichheit (= Sozialstrukturanalyse Bd. 19), Wiesbaden 2004 TEMPO von März 1995. TEMPO von Mai 1992. TEMPO vom Juni 1994. TEMPO vom Juni 1995. Theobald, Adolf: »Das ZeitgeistMagazin ›Tempo‹ wurde eingestellt«; in: Die ZEIT vom 19.04.1996. Thomson, David: Selfish generations? How Welfare States Grow Old, Cambridge 1996. Timmerberg, Helge et.al.: »Wir und 68«, in: TEMPO von April 1988, S. 48-56. Todorov, Almut: »›...die Welt zu gewinnen‹: Feuilletonrhetorik und Massenkommunikation«, in: Jörg Döring/Christian Jäger/Thomas Wegmann (Hg.), Verkehrsformen und Schreibverhältnisse, Opladen 1996, S. 167-177. Tremmel, Jörg: »Die fetten Jahre sind vorbei«, in: Die ZEIT vom 31. 03.2005. Trommsdorff, Volker/Steinhoff, Fee: Innovationsmarketing. München 2007. Ullrich, Wolfgang/Schirdewahn, Sabine: Stars: Annäherungen an ein Phänomen, Frankfurt/M. 2002. Vodafone D2 GmbH: »Vodafone Deutschland mit neuem Markenversprechen – Kunden werden zu Helden des Alltags« (= Pressemitteilung vom 08.07.2009), unter http://www.vodafone.de/unternehmen/presse/97964 _149914.html. Vodafone D2 GmbH: Das Vodafone Blog, Download unter http://blog. vodafone.de.

310

| DOING GENERATION

Voßkamp, Wilhelm: »Gattungen«, in: Helmut Brackert/Jörn Stückrath (Hg.), Literaturwissenschaft. Ein Grundkurs, Rowohlt 1992, S. 253-269. von Gehlen; Dirk: »Eigentlich sollten wir erwachsen werden«, auf jetzt.de, Eintrag vom 10.06.2003. von Engelhardt, Michael: »Generation, Gedächtnis und Erzählen. Zur Bedeutung des lebensgeschichtlichen Erzählens im Generationsverhältnis«, in: Liebau: Generationsverhältnis (1997), S. 53-76. Wagner, Peter: »Der schönste Tag«, in: jetzt-Magazin vom 30.07. 2001, S. 10-11. Walker, Alan (Hg.): The New Generational Contract. Intergenerational Relations, Old Age and Welfare, London 1996. Wallisch, Gianluca: »Gehetzte Erben, hektische Epigonen«, in: Bleicher/Pörksen, Grenzgänger (2003), S. 361-394. Wallner, Thomas: »›Geschichtsverlust – Gesichtsverlust‹. Generationsbeziehungen im Familienroman deutsch-jüdischer Autoren der ›zweiten Generation‹«, in: Bohnenkamp/Manning/Silies, Generation (2009), S. 243-258. Weber, Stefan: Medien – Systeme – Netze. Elemente einer Theorie der Cyber-Netzwerke, Bielefeld 2001. Weigel, Sigrid (Hg.): Genealogie und Genetik. Schnittstellen zwischen Biologie und Kulturgeschichte, Berlin 2002. Weigel, Sigrid: »Generation, Genealogie, Geschlecht. Zur Geschichte des Generationskonzepts und seiner wissenschaftlichen Konzeptualisierung seit Ende des 18. Jahrhunderts«, in: Lutz Musner/ Gotthard Wunberg (Hg.), Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen, Wien 2002, S. 161-190. Weigel, Sigrid/Parnes, Ohad/Vedder, Ulrike/Willer, Stefan (Hg.), Generation. Zur Genealogie eines Konzepts – Konzepte von Genealogie, München 2005. Weisbrod, Bernd: »Cultures of Change. Generations in the Politics and Memory of Modern Germany«, in: Lovell, Stephen (Hg.), Generations in Twentieth Century Europe, Basingstoke 2007, S. 19-35. Weisbrod, Bernd: »Einleitung«, in: ders., Beiträge (2009), S. 7-12. Weisbrod, Bernd: »Forschungsprogramm des DFG-Graduiertenkollegs ›Generationengeschichte. Generationelle Dynamik und historischer Wandel im 19. und 20. Jahrhundert‹«, Download unter http://www. generationengeschichte.uni-goettingen.de/projekte.html.

L ITERATUR | 311

Weisbrod, Bernd: »Generation und Generationalität in der Neueren Geschichte«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 8 (2005), S. 3-9. Weisbrod, Bernd (Hg.): Historische Beiträge zur Generationsforschung, Göttingen 2009. West, Candace/Zimmerman, Don H.: »Doing Gender«, in: Gender & Society 1 (1987), S. 125-151. Weymann, Ansgar: »Sozialer Wandel, Generationsverhältnisse und Technikgenerationen«, in: Kohli/Szydlik, Generationen (2000), S. 36-58. Wierling, Dorothee: »Wie (er)findet man eine Generation? Das Beispiel des Geburtsjahrgangs 1949 in der DDR«, in: Reulecke, Generationalität (2003), S. 217-228. Wildt, Michael: Generation des Unbedingten. Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002. Willer, Stefan/Ruchatz, Jens/Pethes, Nicolas: »Zur Systematik des Beispiels« in: dies. (Hg.), Das Beispiel. Epistemologie des Exemplarischen, Berlin 2007, S. 7-59. Willenbrock, Harald: »Generation Gründerzeit«, in: Brand Eins 2 (2007), S. 76-77. Williams, Linda: Playing the Race Card. Melodramas of Black and White from Uncle Tom to O. J. Simpson, Princeton/Oxford 2002. Winkler, Hartmut: Diskursökonomie, Frankfurt/M. 2004. Wippermann Peter/Steinle, Andreas: Die neue Moral der Netzwerkkinder, München/Zürich 2003. Wischermann, Clemens: »Kollektive, Generationen oder das Individuum als Grundlage von Sinnkonstruktionen durch Geschichte: Einleitende Überlegungen«, in: ders. (Hg.), Vom kollektiven Gedächtnis zur Individualisierung der Erinnerung, Stuttgart 2002, S. 9-23. www.jetzt.de. Youtube: »Vodafone Werbung Heroes Satire«, Download unter http:// www.youtube.com/watch?v=Yd8VPnutIbQ; und eine Applikation auf Facebook: »Bist du Generation Upload?«, Download unter http://www.facebook.com/apps/application.php?id=107205907203 &ref=mf. Zinnecker, Jürgen: »Das Deutungsmuster Jugendgeneration. Fragen an Karl Mannheim«, in: Jahrbuch Jugendforschung, 2 (2002), S. 6198.

312

| DOING GENERATION

Zinnecker, Jürgen: »›Das Problem der Generationen‹. Überlegungen zu Karl Mannheims kanonischen Text«, in: Reulecke, Generationalität und Lebensgeschichte (2003), S. 33-58. Zurstiege, Guido: »Die Marken-Persönlichkeit als operative Fiktion im Geschäftsverkehr«, in: Blaseio/Pompe/Ruchatz, Popularisierung und Popularität (2005), S. 168-178.

Kultur- und Medientheorie Erika Fischer-Lichte, Kristiane Hasselmann, Alma-Elisa Kittner (Hg.) Kampf der Künste! Kultur im Zeichen von Medienkonkurrenz und Eventstrategien Dezember 2011, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-89942-873-5

Sven Grampp, Jens Ruchatz Die Fernsehserie Eine medienwissenschaftliche Einführung Mai 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN 978-3-8376-1755-9

Sebastian Hackenschmidt, Klaus Engelhorn (Hg.) Möbel als Medien Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Dinge Juni 2011, 316 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1477-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur- und Medientheorie Annette Jael Lehmann, Philip Ursprung (Hg.) Bild und Raum Klassische Texte zu Spatial Turn und Visual Culture Dezember 2011, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1431-2

Oliver Leistert, Theo Röhle (Hg.) Generation Facebook Über das Leben im Social Net Oktober 2011, 288 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1859-4

Roberto Simanowski Textmaschinen – Kinetische Poesie – Interaktive Installation Zum Verstehen digitaler Kunst Februar 2012, ca. 320 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-89942-976-3

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Kultur- und Medientheorie Clemens Apprich, Felix Stalder (Hg.) Vergessene Zukunft Radikale Netzkulturen in Europa Januar 2012, ca. 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1906-5

Rainer C. Becker Blackbox Computer? Zur Wissensgeschichte einer universellen kybernetischen Maschine Dezember 2011, ca. 394 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1555-5

Vittoria Borsò (Hg.) Die Kunst, das Leben zu »bewirtschaften« Biós zwischen Politik, Ökonomie und Ästhetik Januar 2012, ca. 400 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1756-6

Barbara Eder, Elisabeth Klar, Ramón Reichert (Hg.) Theorien des Comics Ein Reader September 2011, 464 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1147-2

Lutz Hieber, Stephan Moebius (Hg.) Ästhetisierung des Sozialen Reklame, Kunst und Politik im Zeitalter visueller Medien Oktober 2011, 352 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1591-3

Henry Keazor, Thorsten Wübbena Video thrills the Radio Star Musikvideos: Geschichte, Themen, Analysen September 2011, 494 Seiten, kart., 250 Abb., 39,80 €, ISBN 978-3-89942-728-8

Dorothee Kimmich, Schamma Schahadat (Hg.) Kulturen in Bewegung Beiträge zur Theorie und Praxis der Transkulturalität Januar 2012, ca. 260 Seiten, kart., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1729-0

Albert Kümmel-Schnur, Christian Kassung (Hg.) Bildtelegraphie Eine Mediengeschichte in Patenten (1840-1930) März 2012, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1225-7

Peter Moormann, Albrecht Riethmüller, Rebecca Wolf (Hg.) Paradestück Militärmusik Beiträge zum Wandel staatlicher Repräsentation durch Musik Januar 2012, ca. 368 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1655-2

Dorit Müller, Sebastian Scholz (Hg.) Raum Wissen Medien Zur raumtheoretischen Reformulierung des Medienbegriffs Dezember 2011, ca. 366 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1558-6

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

:F+ :EITSCHRIFTFàR+ULTURWISSENSCHAFTEN DYj]fÛD+`jaf_•Û]f]jYlagfÛafl]j\akrahdafj]jÛGagfa]j]Ûfg[`Ûo]fa_Û]jk[`dgkk]f @fÛ\a]k]jÛJalmYlagfÛkgddÛ\a]ÛQ]alk[`ja^lÛ^1jÛBmdlmjoakk]fk[`Y^l]fÛ]af]ÛGdYll^gjeÛ^1jÛ ;akcmkkagfÛmf\ÛBgfljgn]jk]Û1Z]j۟Bmdlmj Ûmf\Û\a]ÛBmdlmjoakk]fk[`Y^l]fÛZa]l]fÛ ;a]Û>]_]foYjlÛZjYm[`lÛe]`jÛ\]ffÛb]Ûj]^d]cla]jl]ÛBmdlmj•Û`aklgjak[`Ûkalma]jl]kÛmf\Û kgraYdÛn]jYflogjl]l]kÛNakk]fÛ8mkÛ\]fÛ]¤Û k[`a[`l]Ûmf\Û>]\[`lfak•ÛngfÛ