Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen 9783748602095

Mit dem Ziel ein grundlegendes Verständnis für Dispergierprozesse zu vermitteln, befasst sich Jochen Winkler mit Themen

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Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen
 9783748602095

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Jochen Winkler

Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen

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Umschlagbild: Evonik Degussa GmbH, Essen

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Jochen Winkler Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen Hannover: Vincentz Network, 2010 Farbe und Lack edition ISBN 978-3-7486-0209-5 © 2010 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover Vincentz Network, P.O. Box 6247, 30062 Hannover, Germany Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern: Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029 E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de Satz: Vincentz Network, Hannover ISBN 978-3-7486-0209-5

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Farbe und Lack Edition

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Auf ein Wort Seit jeher haben Werkstoffe das Leben der Menschen bestimmt. Und das in solchem Ausmaß, dass sogar geschichtliche Epochen, wie Steinzeit, Eisenzeit und Bronzezeit nach ihnen benannt sind. Unser Zeitalter wird seit etwa hundert Jahren von polymeren Werkstoffen geprägtSo ermöglicht erst der Autoreifen die Mobilität, ohne die eine moderne Gesellschaft nicht denkbar wäre. Polymere Werkstoffe werden immer mehr als Ersatz von Metallen herangezogen oder tragen, wie im Fall von Beschichtungssystemen, wesentlich zum Erhalt wertvoller Ressourcen bei. Fast allen Werkstoffen ist gemeinsam, dass sie ihre Eigenschaften erst durch Pigmente und Füllstoffe erhalten. In der Regel stellt man fest, dass diese ihren segensreichen Einfluss nur dann entfalten können, wenn sie im Werkstoff homogen verteilt vorliegen. Die meisten Pigmente und Füllstoffe fallen bei ihrer Herstellung als trockene Pulver an, die aufgrund von Anziehungskräften „agglomeriert“ sind, d.h. zu größeren, annähernd kugelförmigen Gebilden assoziiert vorliegen. Die mechanische Zerstörung dieser Kügelchen in flüssigen Polymersystemen (Lösungen oder Schmelzen) unter Freisetzung der einzelnen Pigment- oder Füllstoffteilchen und die Verteilung dieser Teilchen in der Polymermatrix nennt man „Dispergieren“. Das Dispergieren ist also der elementare Schritt bei der Herstellung von Verbundwerkstoffen aller Art, insbesondere von Beschichtungsstoffen. Trotz der fundamentalen Bedeutung des Dispergierprozesses in der Verbundwerkstofftechnik wird das Dispergieren vielerorts eher als Kunst verstanden und nicht als fundierte, wissenschaftlich belegte Technik. Ursache hierfür ist die Tatsache, dass beim Dispergieren mehrere Teilschritte, nämlich die Benetzung der Feststoffoberfläche, die mechanische Zerteilung der Pigmentagglomerate und die Stabilisierung der entstehenden Teilchen gegen Flockung nebeneinander her laufen. Diese Zusammenhänge erscheinen kompliziert und unübersichtlich. Keiner der drei Einzelschritte ist ohne weiteres quantitativ zu erfassen. Es gibt durchaus fundiertes Wissen zu den physikalisch chemischen Hintergründen der drei Einzelschritte. Und wenn auch quantitative Vorhersagen sehr schwierig sind, so liefern diese Erkenntnisse und Theorien doch ein sehr gutes Verständnis der Einflussparameter. Mithilfe dieses Verständnisses lassen sich Modelle entwickeln, die es dem

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Auf ein Wort

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kundigen Anwender ermöglichen, von Fall zu Fall die Ursachen für Störungen gezielt aufzuspüren und schnell Abhilfe zu schaffen. Dabei geht es nicht ohne die Hilfe mathematischer Formeln, sie machen die Zusammenhänge auf einem Blick verständlich. Eine Formel besagt im einfachsten Fall, welche Einflussgrößen einen Prozess beschleunigen oder unterstützen, und welche Einflussgrößen einen Prozess behindern oder verzögern. Um dem Ziel, ein grundlegendes Verständnis für Dispergierprozesse zu vermitteln, gerecht zu werden, werden zunächst einmal die Wechselwirkungen von Atomen und Molekülen prinzipiell behandelt. So erhalten manche Vokabeln ihren Sinn, die bei kolloidchemischen Wechselwirkungen in den eigentlich interessierenden Verbundwerkstoffen eine Rolle spielen. Danach folgen Kapitel, die sich mit den einzelnen Teilschritten der Dispergierung beschäftigen. Es sind dies: – die Benetzung der Pigment (Füllstoff-) Oberfläche durch flüssige Bestandteile des Dispergieransatzes – die mechanische Zerteilung der Pigmentagglomerate – die Stabilisierung der entstehenden Primärteilchen und kleineren Agglomerate gegen Flockung. Der Anspruch des Buches ist im Titel zusammengefasst: „Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen“. Es soll sowohl dem erfahrenen Praktiker als auch dem Neuling als Lehrbuch und als Informationsquelle dienen. Klingenberg, im Juli 2010 Jochen Winkler

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.3 1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5 1.3.6 1.4 1.5 1.6

Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen.............. Periodensystem der Elemente......................................................... Kovalente und ionische Bindungen................................................. Elektronegativitäten........................................................................ Ionischer Anteil einer Bindung....................................................... Physikalische Wechselwirkungen .................................................. Dielektrika im Kondensator............................................................ Verschiebungspolarisation.............................................................. Orientierungs- und Molpolarisation................................................ Anziehungsenergien und -kräfte..................................................... Dipol/Dipol-Wechselwirkung ........................................................ Induzierte Dipol-Wechselwirkung.................................................. London-Wechselwirkung ............................................................... Born-Wechselwirkung..................................................................... Gesamtwechselwirkungsenergie..................................................... Lennard Jones-Potenzial................................................................. Wasserstoffbrückenbindungen........................................................ Größenordnung physikalischer Wechselwirkungsenergien............ Zwischenmolekulare Wechselwirkungen an Grenzflächen............ Literaturhinweise............................................................................

9 9 11 12 14 15 15 18 19 21 21 22 22 24 24 25 26 27 29 31

2 Pigment- und Füllstoff-Oberflächen........................................... 2.1 Dispergieren und Mahlen................................................................ 2.2 Teilchengrößenbestimmung von Pigmenten................................... 2.3 Wechselwirkungen zwischen Pigmentteilchen....................................... 2.4 Van der Waals-Anziehungsenergie zwischen Teilchen................... 2.5 Oberflächenbehandlungen von Pigmenten...................................... 2.6 Einatz von organischen und anorganischen Pigmente.................... Literaturhinweise............................................................................

32 32 34 40 41 45 53 57

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Inhaltsverzeichnis

3 Benetzung von Pigmentoberflächen............................................ 3.1 Bedeutung der Benetzung für den Dispergierprozess.................... 3.2 Oberflächenspannung . ................................................................... 3.3 Young-Gleichung............................................................................ 3.3.1 Kritische Oberflächenspannung nach Zisman ............................... 3.3.2 Ansatz nach Good und Girifalco.................................................... 3.3.3 Ansatz nach Fowkes . ..................................................................... 3.3.4 Ansatz nach Owens und Wendt....................................................... 3.3.5 Ansatz nach Wu.............................................................................. 3.3.6 Grenzflächenspannung im Spreitungsfall....................................... 3.4 Benetzung von Pigmentagglomeraten............................................. 3.4.1 Messung der freien Oberflächenenergie von Pigmenten ............... 3.4.2 Kinetik und Thermodynamik der Pigmentbenetzung.......................... 3.4.3 Benetzungsvolumen ....................................................................... 3.5 Mahlpastenrheologie und Mahlpasten­optimierung........................ 3.5.1 Mahlpastenrheologie . .................................................................... 3.5.2 Mahlgutoptimierung für Perlmühlen und Bestimmen der Bindemittelbedarfszahl .................................................................. Literaturhinweise ...........................................................................

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58 58 59 63 66 67 67 70 71 74 74 78 84 85 88 93 96 97

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.4.1 4.5

Dispergiergeräte............................................................................ Dissolver.......................................................................................... Walzenstühle (Dreiwalzen)............................................................. Kneter und Extruder....................................................................... Rührwerkskugelmühlen.................................................................. Mahlperlen...................................................................................... Bestimmung der Dispergierdauer................................................... Literaturhinweise............................................................................

101 101 105 106 109 112 117 120

5 5.1 5.2 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4

Mechanisches Zerteilen von Agglomeraten................................ Dispergierzustandsbestimmung...................................................... Prinzip des mechanischen Zerteilens: Hammer-Walnuss-Prinzip.... Wahrscheinlichkeitsgleichung der mechanischen Zerteilung......... Stresswahrscheinlichkeit................................................................. Bruchwahrscheinlichkeit................................................................. Gesamtwahrscheinlichkeit.............................................................. Bestimmung der Energiedichte.......................................................

121 121 125 128 128 130 131 134

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Inhaltsverzeichnis

5.3.5 Farbstärkeentwicklungsformel . ..................................................... 5.3.6 Experimentelle Befunde und Anwenden der Dispergiergleichung... 5.3.6.1 Dispergierexperiment: Variieren des Mahlperlenfüllgrads............ 5.3.6.2 Dispergierexperiment: Variatiieren der Dispergierdauer bei unterschiedlichen Leistungen ........................................................ 5.3.6.3 Dispergieren von Nanoteilchen ...................................................... 5.4 Rührleistung und Dispergiererfolg bei Perlmühlen........................ Literaturhinweise............................................................................

136 139 139

6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.2 6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.4.5 6.5 6.5.1 6.5.2 6.6 6.7 6.8 6.9

Flockungsstabilisierung . ............................................................. Flockungskinetik............................................................................. Kinetik der Flockung ohne Verzögerung........................................ Messung der Flockungsgeschwindigkeit......................................... Verzögerte Flockung....................................................................... Sedimentation................................................................................. Potenzialkurven ............................................................................. Elektrostatische Stabilisierung........................................................ Ursachen für elektrostatische Aufladungen von Pigmenten .......... Grundlagen der Elektrostatik.......................................................... Potenzialverlauf an einem elektrostatisch geladenen Teilchen ...... Zetapotenzial................................................................................... Elektrostatische Abstoßungsenergie .............................................. Sterische Stabilisierung................................................................... Makromoleküle in Lösung.............................................................. Makromoleküle an Pigmentoberflächen......................................... Lösemittelparameter....................................................................... Adsorption von Polymeren an Pigmentoberflächen........................ Auflacken........................................................................................ Flockungsstabilisierung durch Rheologiesteuerung....................... Literaturhinweise............................................................................

146 146 146 149 149 150 152 155 155 161 162 165 167 170 173 178 183 189 192 193 194

Anhang 1.......................................................................................................

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Lebenslauf.....................................................................................................

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Index . .......................................................................................................

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Marktübersicht............................................................................................

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Periodensystem der Elemente

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1 Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen Das Periodensystem gliedert die Elemente in übersichtlicher Weise und bildet u.a. die Grundlage zum Verständnis der Ursache von chemischen Bindungen. Man unterscheidet kovalente und ionische Bindungen voneinander. Je nach Ausmaß des ionischen Anteils an einer chemischen Bindung weisen die Moleküle ein unterschiedliches Dipolmoment auf, und in Abhängigkeit von der Größe der Atome sind ihre Elektronenhüllen unterschiedlich polarisierbar. In diesem Kapitel wird gezeigt, wie sich die Dipolmomente und Polarisierbarkeiten von dielektrischen Stoffen bestimmen lassen und wie aus diesen beiden Größen die verschiedenen physikalischen Wechselwirkungsenergien und -kräfte annähernd berechnet werden können. Um ein Gefühl für die relative Bedeutung der einzelnen Wechselwirkungsarten zu vermitteln, wird an einigen niedermolekularen Substanzen beispielhaft gezeigt, wie sich die Siedepunkte (als Maß für die Wechselwirkungen) in Abhängigkeit vom Dipolmoment und von der Polarisierbarkeit ändern. Dieses Kapitel bildet die Grundlage für die Ausführungen in den späteren Kapiteln, in denen es um die physikalischen Wechselwirkungen nicht von niedermolekularen Substanzen, sondern von kolloidalen Teilchen geht.

1.1

Periodensystem der Elemente

Die chemischen Elemente sind im so genannten Periodensystem in geordneter Weise zusammengefasst (Abbildung 1.1). Jedes Element besteht aus einem Atomkern mit positive geladenen Protonen und einer wechselnden Anzahl an nicht geladenen („elektroneutralen“) Neutronen. Die Atomkerne, welche fast die gesamte Masse eines Elements ausmachen, sind umgeben von den negativ geladenen Elektronen. Weil in einem Element immer gleich viele Elektronen wie Protonen vorhanden sind, kompensieren sich die positiven und negativen Ladungen und das gesamte Atom (= Atomkern plus Elektronen) ist nach außen hin ungeladen. Die Elektronen befinden sich in den so genannten „Orbitalen“. Orbitale unterscheiden sich in ihrer Gestalt und in ihrer Ausdehnung von einander. In jedem Orbital ist Platz für zwei Elektronen. Nach der so genannten „Heisenberg’schen Unschärferelation“ ist es nicht möglich, sowohl den Aufenthaltsort eines Elektrons, als auch Jochen Winkler: Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen © Copyright 2010 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

Abbildung 1.1: Periodensystem der Elemente mit Ordnungszahlen und Elektronegativitäten

seinen Impuls (= Masse · Geschwindigkeit) zur gleichen Zeit zu kennen1. Deswegen sind die Orbitale als wahrscheinliche Aufenthaltsräume der Elektronen zu verstehen. Bildliche Darstellungen von Orbitalen zeigen genau das. (Abbildung 1.2). Das Periodensystem besteht aus Zeilen und Spalten. Geht man, ausgehend vom Wasserstoff (Symbol H) Zeile für Zeile von links nach rechts von einem Element zum nächsten, so unterscheidet sich jedes Element von seinem linken Nachbarn dadurch, dass es jeweils ein Proton und ein Elektron mehr hat. Zusätzlich kommen noch unterschiedliche Anzahlen an Neutronen hinzu. Gelangt man ans rechte Ende einer Zeile, so geht es hinsichtlich der weiteren Auffüllung mit Protonen und Elektronen in der darunterliegenden Zeile mit dem links stehenden Element weiter. Die Anzahl der Protonen bzw. Elektronen eines Elements lässt sich im Periodensystem deswegen direkt an der „Ordnungszahl“, einer einfachen Durchnummerierung, ablesen. Eine weitere Eigenschaft der chemischen Elemente ist, dass sie unterschiedliches Bestreben haben, in einer chemischen Verbindung die Bindungselektronen an sich zu ziehen. Je größer die elektronenziehende Wirkung eines Elementes ist, umso „elektronegativer“ ist es. Die „Elektronegativität“ nimmt innerhalb einer Zeile des Periodensystems von links nach rechts zu und innerhalb einer Spalte von oben nach unten ab. Die höchsten Elektronegativitäten haben die „Halogenide“ Fluor, Chlor, Brom, Jod und Astat, die in der siebten Spalte der „Hauptgruppenelemente“ des Periodensystems stehen. In der Spalte rechts neben den Halogeniden stehen die „Edelgase“, Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon und Radon. Der Name „Edelgas“ bringt einerseits den gasförmigen Zustand dieser Elemente zum 1 Das ist nicht einfach zu verstehen. Mathematisch ergibt sich die Unschärferelation aus quantenmechanischen Berechnungen. Danach ist die Messung der Position eines Quantenobjekts zwangsläufig mit einer Störung seines Impulses verbunden.

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Periodensystem der Elemente

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Abbildung 1.2: Bildliche Darstellung der Orbitale 1s, 2s, 2px, 2py und 2pz als Räume bestimmter Aufenthaltswahrscheinlichkeiten der Elektronen um einen Atomkern herum. (Bildquelle Wikipedia; Stichwort „Orbitale“; public domain)

Ausdruck, andererseits, dass diese Elemente i.d.R. keine chemischen Bindungen eingehen. Das rührt daher, dass die Elektronen bei ihnen in einem besonders bevorzugten, „niedrigen“ energetischen Zustand sind, der so genannten „Edelgaskonfiguration“. Diese Konfiguration ist energetisch bevorzugt, so dass die anderen Elemente ebenfalls die Tendenz aufweisen, diesen Zustand zu erreichen. Sie tun dies, indem sie sich entweder Elektronen untereinander teilen, indem sie Elektronen an einen Reaktionspartner abgeben, oder indem sie Elektronen von einem Reaktionspartner aufnehmen. Somit erklärt sich die treibende Kraft für die Entstehung von chemischen Bindungen dadurch, dass die Elemente durch Teilen von Bindungselektronen, durch Aufnahme von Elektronen von einen Bindungspartner oder aber durch Abgabe an einen Bindungspartner selber die Edelgaskonfiguration erlangen, d.h. acht Elektronen in der äußersten Schale zu haben („Oktettregel“). Dabei ist es für ein Elemente aus der ersten (zweiten) Spalte des Periodensystems günstiger, diesen Zustand durch die Abgabe von einem (zwei) Elektronen zu erreichen, während ein Element der siebten (sechsten) Spalte eher ein (zwei) Elektronen aufnimmt. Die Elektronen, welche die chemische Bindung bewirken, werden „Bindungselektronen“ genannt.

1.1.1 Kovalente und ionische Bindungen Wenn sich chemische Elemente (=Atome) miteinander verbinden, dann entstehen Moleküle. Je nachdem, wie groß die Elektronegativitätsdifferenz von Bindungspartnern ist, sind die Bindungselektronen mehr oder weniger gleich verteilt. Man unterscheidet deswegen kovalente und ionische Bindungen. Kovalente Bindungen

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

entstehen, wenn Bindungspartner mit gleichem Bestreben, Elektronen an sich zu ziehen, miteinander reagieren. Das ist vor allem dann der Fall, wenn zwei gleiche Elemente, z.B. zwei Wasserstoffatome, miteinander reagieren. Kovalente Bindungen entstehen dadurch, dass sich zwei, mit jeweils einem Elektron besetzte Orbitale der beiden Reaktionspartner überlappen, wodurch ein Bindungsorbital entsteht, welches mit zwei Elektronen besetzt ist. Man kann sagen, dass sich die beiden Reaktionspartner in diesem Fall die Bindungselektronen „teilen“. Die zweite Möglichkeit ist, dass ein Bindungspartner ein oder mehrere Elektronen an den oder die anderen Bindungspartner abgibt. Dadurch entstehen ionische Bindungen, bei der ein Reaktionspartner positiv geladen wird (Kation) und der andere eine negative Ladung erhält (Anion). Die beiden gegensätzlich geladenen Ionen ziehen sich gegenseitig elektrostatisch an, wodurch die Elemente chemisch miteinander gebunden werden. Ein Beispiel hierfür ist die Reaktion von Lithium mit Fluor zu dem „Salz“ Lithiumfluorid (LiF). Durch Abgabe eines Elektrons bekommt in diesem Fall das Lithiumkation die Elektronenkonfiguration des Edelgases Helium (He) und das Fluoranion die des Neons (Ne). Gibt man das Salz in Wasser, so löst sich das Salz in Form von Lithium-Kationen Li+ und – Fluorid-Anionen F . Es ergeben sich folgende Grenzfälle, wobei in der Symbolsprache der Chemiker ein Punkt das potentielle Bindungselektron eines Elements darstellt und ein Strich ein mit zwei Elektronen besetztes (Bindung-) Orbital anzeigt: A · + ·A → A – A

(kovalente Bindung)

und A · + ·A → A+ A –

(ionische Bindung)

Gewöhnlich sind die Bindungen in Molekülen nicht rein ionisch, sondern lassen sich am besten als kovalente Bindungen mit einem mehr oder weniger ausgeprägten ionischen Anteil beschreiben. Das Ausmaß an ionischem Bindungsanteil hängt von den Elektronegativitätsdifferenzen der Bindungspartner ab.

1.1.2 Elektronegativitäten Die Elektronegativität beschreibt das Bestreben eines Elements, in einer chemischen Verbindung die Bindungselektronen an sich zu ziehen. In einem Molekül halten sich die Bindungselektronen im Zeitmittel mehr bei dem elektronegativeren Bindungspartner, als bei dem weniger elektronegativen (elektropositiveren) Bindungspartner auf. Dadurch bekommen die Bindungen einen ionischen Anteil und die Moleküle selbst weisen ein Dipolmoment auf. Nach einem halbempirischen Konzept von Pauling2 lässt sich die Elektronegativität X der Elemente bestimmen und daraus der ionische Anteil einer Bindung A-B

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Periodensystem der Elemente

abschätzen. Dazu bildet man den geometrischen Mittelwert der Bindungsenergien D der Moleküle A-A und B-B und zieht den von der gemessenen Bindungsenergie von A-B ab3. Der Gedanke, der hinter diesen Überlegungen steht, ist, dass die Bindungsenergien DA-A und DB-B der Verbindungen A-A und B-B nur kovalente Bestandteile enthalten, während DA-B sowohl aus kovalenten, als auch aus ionischen Bestandteilen zusammengesetzt ist. Die Bindungsenergien lassen sich durch Elektronenspektren im Sichtbaren oder im UV bestimmen und sind in Nachschlagewerken wie dem „Handbook of Chemistry and Physics“ (CRC Press) aufgeführt. Die Differenz ∆ ist: Gleichung 1.1

∆ = D (A–B) – [D (A–A) · D (B–B)]½

Nach Pauling ist die Wurzel aus ∆ ein Maß für die Elektronegativitätsdifferenz der Atome A und B. – √∆ Gleichung 1.2 = |X B – X A| In der Gleichung 1.2 ist A das weniger elektronegative Element. ∆ wird gewöhnlich auch heute noch in Elektronenvolt (1eV = 1,602 x 10 -19 Joule) angegeben. Dem Wasserstoff wurde eine Elektronegativität von X H = 2,2 eV1/2 zugeordnet4. Die Tabelle 1.1 zeigt die Energien einiger Bindungen aus gleichen Atomen. Aus diesen Bindungsenergien und tabellierten Werten für Bindungsenergien der Verbindungen der Elemente untereinander lassen sich nach Gleichungen Tabelle 1.1: Bindungsenergien einiger – 1.1 und 1.2 √∆-Werte berechnen. Verbindungen aus gleichartigen Atomen Dies ist in Tabelle 1.2 für die VerBindungsenergie bindungen der Halogene mit WasBindung kJ/mol eV serstoff aufgezeigt. Im Falle der H-H 435 4,51 Verbindung H-F, beispielsweise, – N-N 945 9,79 errechnet sich aus √∆ und X H = 2,2 eV1/2 die Elektronegativität des EleF-F 159 1,65 ments Fluor zu 3,96. Analog lassen sich die Elektronegativitäten anderer Elemente bestimmen. Unter der Voraussetzung, dass die Bindungsenergien genau genug bestimmt werden können, sind die ermittelten Elektronegativitäten unabhängig vom Rechenweg

Cl-Cl

245

2,54

Br-Br

194

2,01

J-J

153

1,59

O-O

498

5,16

S-S

425

4,40

C-C

618

6,40

2 Linus Carl Pauling, 1901 – 1994, Nobelpreis für Chemie 1954 für seine Arbeiten zur Erforschung der Natur der chemischen Bindungen. Friedensnobelpreis 1964 für seinen Einsatz gegen Atomwaffentests. 3 Die Bindungsenergie ist die Energie, die aufgebracht werden muss, um eine chemische Bindung zu trennen. 4 Manche Quellen geben an, dass dem Element Fluor der Wert 3,98 zugeordnet wurde.

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

Tabelle1.2: Elektronegativitätsberechnungen am Beispiel der Halogensäuren Verbindung

√ D A · DB

– √∆ = XA – XB



DAB kJ/mol

kJ/mol

eV

H–F

263

570

307

3,18

1,8

H – Cl

326

431

105

1,09

1,0

H – Br

290

366

76

0,79

0,9

H–J

258

298

40

0,41

0,6

gleich. In der Praxis unterscheiden sich die Angaben der Bindungsenergien aber von Quelle zu Quelle. Dies liegt auch daran, dass in Verbindungen mit mehr als zwei Atomen die Bindungsenergien sehr unterschiedlich sein können. So ist z.B. die Bindungsenergie der O-H Bindung in der Verbindung H-O-H (Wasser) 497 kJ/ mol und in der Verbindung CH3-O-H (Methanol) nur 440 kJ/mol. Die Elektronegativitäten der Elemente sind im Periodensystem (Abbildung 1.1) mit aufgeführt.

1.1.3 Ionischer Anteil einer Bindung Moleküle oder Teile von Molekülen, die eine ungleichmäßige Ladungsverteilung aufweisen, besitzen ein Dipolmoment. Das Dipolmoment ist eine gerichtete Größe, d.h., sie ist als Vektor beschreibbar. Bei linearen Molekülen ist das Dipolmoment entlang der Bindungsachse ausgelegt. →

Das Dipolmoment 5 μ ist das Produkt aus der Ladung e und dem Abstand der → Ladungen r Gleichung 1.3



μ→ = e · r

Bei gewinkelten Molekülen addieren sich die einzelnen Dipolmomente der chemischen Bindungen vektoriell, wie in Abbildung 1.3 gezeigt ist. Ein Dipol, bestehend aus einer positiven e+ und einer negativen e- Elementarladung von je 1,60219 10-19 C im Abstand von einem Angström (10-10 m) hat ein Dipolmoment von 1,60219 10-29 C · m. In der älteren Literatur ist das Dipolmoment in der Einheit Debye D angegeben. (1 C · m = 2,988 1029 D; Abbildung 1.3: Vektorielle Addition der Dipol­ 1 D = 0,33467 · 10-29 C · m). momente entlang verschiedener Bindungen in einem Molekül zu einem resultierenden Gesamt­ dipolmoment

In der Praxis ist die Ladungsverteilung in einem Molekül

5 Zur Bestimmung des Dipolmoments, siehe weiter im Text.

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Physikalische Wechselwirkungen

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zunächst einmal nicht bekannt. Man kann aber mit Hilfe der gemessenen Dipolmomente auf die Ladungsverteilung zurück schließen und den ionischen Anteil einer Bindung abschätzen. Dies geschieht beispielsweise für ein zweiatomiges Molekül, indem man die formalen Ladungen seiner Bindung mit dem Bindungsabstand von Atomkernmittelpunkt zu Atomkernmittelpunkt multipliziert. Auf diese Weise berechnet man das Dipolmoment, das bei einer hundertprozentigen Ionenbindung zu erwarten wäre. Das gemessene Dipolmoment lässt sich als Prozentzahl des so errechneten Wertes ausdrücken und gibt den ionischen Bindungsanteil wieder. Beispiel Salzsäure, HCl: Bindungsabstand: 1,275 · 10 -10 m. Gemäß Gleichung 1.3 errechnet sich das Dipolmoment zu µ = 1,275 · 10 -10 m · 1,602 · 10 -19 C = 20,4 · 10 -30 Cm. Das gemessene Dipolmoment beträgt 3,44 · 10 -30 Cm. Dies entspricht einem ionischen Bindungsanteil von ca. 17 %. Die Kenntnis der Ladungsverteilungen in Molekülen ist hilfreich, wenn es darum geht, Wechselwirkungen zwischen Molekülen zu verstehen oder vorherzusagen. In der Kolloidchemie stellt sich diese Frage z.B. bei Adsorptionsprozessen, wenn es darum geht, Annahmen darüber zu machen, mit welchem Teil sich ein Molekül an eine Oberfläche anlagert.

1.2

Physikalische Wechselwirkungen

Physikalische Wechselwirkungen von Molekülen und Atomen untereinander beruhen darauf, dass sie entweder ein Dipolmoment besitzen (nur Moleküle), oder aber polarisierbar sind, d.h., dass sich die Elektronen relativ zu den Atomkernen bewegen lassen, wodurch sie dipolar werden (Moleküle und Atome). Stoffe, die von sich aus dipolar sind, oder aber in elektrischen Feldern dipolar werden, aber nicht leitfähig sind, nennt man Dielektrika. Die dielektrischen Eigenschaften einer Substanz werden durch das Messen der Kapazität eines Kondensators mit (C) und ohne (C 0) Dielektrikum bestimmt.

1.2.1 Dielektrika im Kondensator Ein Kondensator (siehe Abbildung 1.4) besteht im einfachsten Fall aus zwei Metallplatten, die sich gegenüberstehen, ohne sich zu berühren. Man kann die beiden Platten entgegengesetzt aufladen, indem man eine Gleichspannung der Stärke U anlegt. Die Kapazität des Kondensators gibt an, wie viele Ladungen Q auf jeweils einem der beiden Metallplatten dabei entstehen. Die Kapazität C eines Kondensators ist größer, je mehr Ladungen bei gegebener Spannung auf den Kondensatorplatten entstehen.

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

Abbildung 1.4: Kondensator ohne (links) und mit (rechts) einem Dielektrikum

Q Gleichung 1.4 C= U Zwischen den beiden Platten bildet sich dabei ein elektrisches Feld der Feldstärke E aus. Die Feldstärke ist definiert als der Spannungsabfall U zwischen den Platten im Abstand d. U Gleichung 1.5 E= d Für den Fall, dass Vakuum zwischen den Kondensatorplatten ist, ist die Feldstärke E direkt proportional zur Zahl der Ladungen Q pro Fläche A einer Kondensatorplatte. Die Proportionalitätskonstante ɛ 0 nennt man die „elektrische Feldkonstante“. Gleichung 1.6

Q = ɛ 0E A

ε0 hat den Wert 8,854 · 10 -12 C ·V-1 · m-1. Ist an Stelle von Vakuum eine dielektrische Substanz zwischen den Kondensatorplatten, so stellt man stets fest, dass die Zahl der Ladungen pro Kondensatorfläche um einen für jedes Dielektrikum charakteristischen Betrag erhöht wird. Dies berücksichtigt man durch die Einführung der relativen Dielektrizitätskonstanten εr als Erweiterung in Gleichung 1.6. Gleichung 1.7

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Q = εr ε 0 E A

oder

E=

Q Aεr ε 0

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Physikalische Wechselwirkungen

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Ersetzt man in Gleichung 1.4 die Spannung U durch E · d (nach Gleichung 1.5) und ersetzt dann weiter E durch Q/A εr ε 0 (nach Gleichung 1.7), dann erhält man einen neuen Ausdruck für die Kapazität des Kondensators mit Dielektrikum. A Gleichung 1.8 C = εr ε 0 d Weil für Vakuum εr definitionsgemäß eins ist, lässt sich εr folglich Abbildung 1.5: Entstehung der Verschiebungspolarisation in einem Kondensator durch aus dem Verhältnis der Kapazitä- Verschiebung der Elektronenhülle relativ zum ten eines Kondensators mit (C) und Atomkern (oben) und der Orientierungspolariohne (C0) Dielektrikum bestimmen. sation durch Ausrichtung dipolarer Moleküle im „Ohne Dielektrikum“ heißt für den elektrischen Feld eines Kondensators (unten) Physiker, dass er die Messung im Vakuum vornimmt oder (hinreichend genau, weil Luft eine geringe Dichte hat und sich zudem die Moleküle der Luft schlecht polarisieren lassen) an der Luft. C E0 = Gleichung 1.9 εr = C 0 E Das Dielektrikum führt also nach Gleichung 1.8 stets zu einer Erhöhung der Kapazität, bzw., nach Gleichung 1.7, zu einer Erniedrigung der Feldstärke in einem Kondensator. Die Ursache hierfür liegt in der „Polarisation“ P des Dielektrikums. Damit ist gemeint, dass sich in dem Kondensator ein dem angelegten elektrischen Feld entgegen gesetztes elektrisches Feld bildet, welches das angelegte Feld schwächt. Der Gesamteffekt setzt sich zusammen aus einer Verschiebung der Elektronenhülle relativ zu den Atomkernen (Verschiebungs- oder Elektronenpolarisation Pi) und einer Ausrichtung dipolarer Moleküle (Orientierungspolarisation P0). Gleichung 1.10

P = Pi + P0

Beide Polarisationsarten sind in der Abbildung 1.5 schematisch dargestellt. Die Verschiebungspolarisation erfolgt sehr schnell und ist temperaturunabhängig, weil sie nur von der Bewegung der Elektronen in einem Molekül oder in einem Atom abhängt. Elektronen sind sehr beweglich und folgen jeder Feldänderung sehr schnell, weil sie kaum Masse besitzen. Elektronen lassen sich typischerweise von elektromagnetischen Wellen der Frequenz von ca. 1014 Hertz anregen. Dies entspricht dem Bereich des sichtbaren Lichtes (ca. 4 bis 7 · 1014 Hz).

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

Anders ist es mit der Orientierungspolarisation. Sie erfolgt langsamer und nimmt mit steigender Temperatur ab. Im Gegensatz zu Elektronen haben Moleküle und Atome eine Massenträgheit, so dass sie sich erst nach einer gewissen Verzögerungszeit in einem elektrischen Feld ausrichten. Wenn man also ein elektrisches Wechselfeld an Stelle einer Gleichspannung an den Kondensator anlegt, dann hängt es von der Frequenz der Feldänderung ab, ob dipolare Moleküle genügend Zeit haben, sich auszurichten oder nicht. Niedermolekulare Verbindungen, wie z.B. die meisten Lösemittel, benötigen etwa 10 -12 s Zeit, um sich ausrichten zu können. Man misst deswegen gewöhnlich bei elektrischen Feldfrequenzen von ca. 105 Hz, wenn man den Beitrag der Orientierungspolarisation zur relativen Dielektrizitätskonstanten mit erfassen möchte. Die Temperaturabhängigkeit der Orientierungspolarisation ist auf die thermische Eigenbewegung der Atome und Moleküle zurückzuführen, der so genannten „Brown’schen Bewegung“. Diese Eigenbewegung wirkt einer Ausrichtung („Orientierung“) der Moleküle entgegen. Durch die Verschiebungs- und Orientierungspolarisation entsteht ein elektrisches Feld der Größe P/(3 · ε 0), dass dem angelegten Feld entgegenwirkt, wobei P die Dimension einer Ladungsdichte (C · m-2) oder eines volumenbezogenen Dipolmoments (C · m · m-3) hat.

1.2.2 Verschiebungspolarisation Die Verschiebungspolarisation wird durch die „Clausius-Mosotti“ Gleichung (Gleichung 1.16) beschrieben. Der Ausgangspunkt zu deren Herleitung [1] ist, dass man sich ein Dielektrikum als einen einzigen, aus vielen Dipolen mit dem Dipolmoment µi zusammengesetzten Dipol vorstellt. N Lρ µ Gleichung 1.11 P = µ = i V i M i N = Zahl der Moleküle im Volumen V mit dem Dipolmoment µ i L = Lohschmidt’sche Zahl M = Molekulargewicht ρ = Molvolumen Das induzierte Dipolmoment ist proportional zur effektiven Feldstärke F. Die Proportionalitätskonstante ist die molare Polarisierbarkeit α Gleichung 1.12 μi = α · F α hat die Dimension eines reziproken Volumens (m-3). Die effektive, d.h. im Dielektrikum wirksame Feldstärke ist P Gleichung 1.13 F=E+ 3ɛ 0

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Physikalische Wechselwirkungen

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Aus Gleichungen 1.12 und 1.13 folgt für das induzierte Dipolmoment P Gleichung 1.14 μi = α (E + ) 3ɛ 0 Die Polarisation ist gegeben durch Gleichung 1.15

P = (ɛr – 1) · ɛ 0 · E

Löst man die Gleichung 1.11 nach µ i und die Gleichung 1.15 nach E auf und setzt diese beiden Ausdrücke an Stelle von µi und E in Gleichung 1.14 ein, so erhält man nach Umformung die Clausius-Mosotti-Gleichung6. Gleichung 1.16

ɛr – 1 M Lα = ɛr + 2 ρ 3ɛ 0

Die Clausius-Mosotti-Gleichung ermöglicht es, durch Messung der relativen Dielektrizitätskonstanten die Polarisierbarkeiten von Substanzen zu bestimmen. Wie im Vorwort zu diesem Kapitel geschildert, lassen sich aus den Polarisierbarkeiten die dispersiven Wechselwirkungen von Substanzen berechnen. Alternativ zu Kapazitätsmessungen am Kondensator lässt sich die Dielektrizitätskonstante auch aus der Brechzahl n des Dielektrikums bestimmen. Es gilt (Maxwell’sche Theorie der elektromagnetischen Strahlung): Gleichung 1.17

ɛr = n 2

1.2.3 Orientierungs- und Molpolarisation Die Clausius-Mosotti-Gleichung berücksichtigt allerdings nur den Beitrag der Verschiebung der Elektronen an der Molpolarisation PM. Weil das gesamte Dipolmoment auch einen Anteil aus der Orientierungspolarisation haben kann, muss dieser Anteil hinzuaddiert werden. Die Ausrichtung („Orientierung“) der Dipole nimmt, wie schon gesagt, mit zunehmender Temperatur ab. Unter Zuhilfenahme der Bolzmann-Gleichung und verschiedenen vereinfachenden Annahmen kommt man zu einem Ausdruck für den Orientierungsanteil der Molpolarisation [1]. Gleichung 1.18

ɛr – 1 M L μ2 = ɛr + 2 ρ 3ɛ 0 3kT

Die gesamte Polarisation setzt sich nach Gleichung 1.10 aus dem induzierten Anteil und dem Orientierungsanteil zusammen. Folglich ergibt sich durch Zusammenfassung der Gleichungen 1.16 und 1.18 die „Debye-Gleichung“: 6 Die Clausius-Mosotti-Gleichung wird auch Lorentz-Lorenz-Gleichung oder Maxwell-Gleichung genannt.

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Gleichung 1.19

Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

ɛr – 1 M L μ2 = PM = (α + ) ɛr + 2 ρ 3ɛ 0 3kT

Zur Ermittlung der Polarisierbarkeit α und des Dipolmoments µ lassen sich zwei Wege beschreiten. Entweder wird die relative Dielelektrizitätskonstante εr bei verschiedenen Temperaturen gemessen und PM gegen den Kehrwert der Temperatur 1/T, aufgetragen. Dann ergibt sich eine Gerade mit der Steigung µ2 /3k und einem Achsenabschnitt bei Lα/3 ε 0. Aus der Steigung lässt sich also das Dipolmoment und aus dem Schnittpunkt mit der y-Achse die Polarisierbarkeit bestimmen. Alternativ lässt sich εr nach Gleichung 1.17 aus der Brechzahl ermitteln und dann die Polarisierbarkeit α mit Hilfe der Gleichung 1.16 errechnen. Anschließend kann das Dipolmoment mittels Gleichung 1.19 bestimmt werden, indem die relative Dielektrizitätskonstante εr, die in einer Kondensatoranordnung gemessen wird, und der aus der Brechzahl gewonnene Wert für α in diese Gleichung eingesetzt wird. Die Tabelle 1.3 zeigt eine Übersicht der relativen Dielektrizitätskonstanten verschiedener Lacklösemittel. Die Dielektrizitätskonstanten von Flüssigkeiten sind Tabelle 1.3: Relative Dielektrizitätskonstanten einiger organischer Lösemittel Substanz

rel. DK

Cyloaliphatische Kohlenwasserstoffe

Substanz

rel. DK

Ether und Glykolether

Dekalin

2,20

Ethylglykol

13,70

Cyclohexan

2,00

Butyldiglykol

11,00

Aromatische Kohlenwasserstoffe

Butylglykol

9,20 7,60

ortho-Xylol

2,57

Tetrahydrofuran

meta-Xylol

2,37

Ester

para-Xylol

2,30

Butyldiglykolacetat

7,00

Ethylbenzol

2,30

Ethylacetat

5,60

n-Butylacetat

4,50

Alkohole Iso-Propanol

26,00

Ketone

Ethanol

22,40

Cyclohexanon

18,30

n-Propanol

22,20

Methyl-n-Propylketon

15,40

Iso-Butanol

18,40

Methylisobutylketon

13,11

n-Butanol

18,20

Glykole

Cyclohexanol

15,00

Ethylenglykol

41,20

Tert.-Butanol

10,90

Diethylenglykol

32,00

Iso-Oktylalkohol

10,00

Triethylenglykol

24,00

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Anziehungsenergien und -kräfte

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auch ein Maß dafür, wie gut sie Ionen durch Solvatation stabilisieren können. Je höher sie ist, umso besser sind sie in der Lage, Salze zu lösen. Die relative Dielektrizitätskonstante von Wasser liegt bei etwa 80.

1.3

Anziehungsenergien und -kräfte

Sind die Polarisierbarkeiten und die Dipolmomente dielektrischer Substanzen bekannt, dann lassen sich mittels relativ einfacher Gleichungen die Anziehungsenergien zwischen zwei gleichartigen oder auch verschiedenen Molekülen berechnen. Man unterscheidet: • Wechselwirkungen zwischen zwei Dipolen (Dipol/Dipol-Wechselwirkungen oder „Keesom“-Wechselwirkungen) • Wechselwirkungen zwischen eine Dipol und einer polarisierbaren Substanz (induzierte Dipol-Wechselwirkungen oder „Debye“-Wechselwirkungen) • Wechselwirkungen zwischen zwei polarisierbaren Substanzen (Dispersive Wechselwirkungen, „London-van der Waals“-Wechselwirkungen). Alle Wechselwirkungsarten sind sehr abstandsabhängig, und zwar sind die Wechselwirkungsenergien umgekehrt proportional zur sechsten Potenz des Abstands der Moleküle oder Atome untereinander. Energie ist generell die Fähigkeit, Arbeit zu verrichten. Energie und Arbeit sind zwei Begriffe für ein und dasselbe. Befinden sich zwei Moleküle oder Atome in einem Abstand r zueinander, und haben sie in diesem Abstand die Wechselwirkungsenergie E r, dann ist Er die Arbeit, die man aufwenden muss, um sie so weit voneinander zu trennen, dass sie keine Anziehungskraft mehr untereinander ausüben. Theoretisch ist das erst in „unendlicher“ Entfernung der Fall. Praktisch, wegen der großen Abstandsabhängigkeit, natürlich bei sehr viel kleineren Entfernungen. Weil E proportional zu 1/r 6 ist, lässt eine Verdoppelung des Abstands der Moleküle die Wechselwirkungsenergie auf 1,5 % des Ausgangswertes schrumpfen. Anziehende Wechselwirkungsenergien bekommen ein negatives Vorzeichen, während abstoßende Wechselwirkungsenergien am positiven Vorzeichen erkennbar sind. Eine noch anschaulichere Größe als Energie ist die Kraft. Energie ist definiert als das Produkt aus Kraft und Weg. Durch Differenzierung (mathematische Ableitung) der Energie nach dem Weg erhält man deswegen die Anziehungskraft.

1.3.1 Dipol/Dipol-Wechselwirkung Die Dipol/Dipol-Wechselwirkung (Keesom-Wechselwirkungen) entsteht dadurch, dass sich zwei permanente Dipole bei der Annäherung so aneinander ausrichten, dass der negativ polarisierte Teil des einen Moleküls zu dem positiv polarisier-

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

ten Teil des zweiten Moleküls zeigt und dadurch entlang Ihrer Dipolachsen eine anziehende Kraft wirkt. Dipol/Dipol-Wechselwirkungen kann es nur zwischen Molekülen und nicht zwischen Atomen geben, weil Atome kein permanentes Dipolmoment besitzen können. Die Dipol/Dipol-Wechselwirkungsenergie zwischen den Molekülen A und B ist: 1 1 2 · μ 2A · μ 2B Gleichung 1.20 EDD = – (4πε 0)2 r6 3kT Die Dipol/Dipol-Wechselwirkungsenergie ist nach Gleichung 1.20 proportional zum Quadrat der Dipolmomente der beiden Moleküle der Sorten A und B. Handelt es sich um die Dipol/Dipol-Wechselwirkung zwischen Molekülen gleicher Sorte, so ist die Wechselwirkungsenergie proportional zur vierten Potenz des Dipolmoments, also proportional zu µ4. Die reziproke (d.h. umgekehrt proportionale) Abhängigkeit von der sechsten Potenz des Abstands r der Moleküle wurde schon angesprochen. Der Faktor 1/(4π ε 0)2 kommt bei der Herleitung von Gleichung 1.20 aus geometrischen Überlegungen bezüglich der Wechselwirkungen von Punktladungen im dreidimensionalen Raum zustande. Der Faktor 1/kT ergibt sich während der Herleitung durch die Berücksichtigung der thermischen Bewegung der Moleküle, die der Ausrichtung entgegenwirkt.

1.3.2 Induzierte Dipol-Wechselwirkung Die induzierte Dipol-Wechselwirkung (Debye-Wechselwirkung) entsteht dadurch, dass ein dipolares Molekül die Elektronenverteilung eines Nachbarmoleküls oder eines Nachbaratoms relativ zu den Kernladungen verändert. Debye-Wechselwirkungen können daher zwischen Molekülen untereinander oder zwischen Molekülen und Atomen stattfinden, nicht aber zwischen Atomen allein. Die Wechselwirkungsenergie ist in diesem Fall proportional zur Summe der Produkte aus der Polarisierbarkeit und dem Quadrat der Dipolmomente der Molekülsorten A und B: 1 1 2 Gleichung 1.21 Eind = – (μ A · α B + μ2B · α A) (4πε 0)2 r 6 Für den Fall, dass es sich um die Wechselwirkung unter gleichartigen Molekülen handelt, steht in Gleichung 1.21 an Stelle des Ausdrucks in der Klammer der Wert 2 · µ 2α. Das im vorigen Abschnitt zu den Faktoren vor dem Klammerausdruck Gesagte trifft auch hier zu.

1.3.3 London-Wechselwirkung Die dispersive Wechselwirkung (oder auch London-van der Waals-)Wechselwirkung entsteht dadurch, dass Schwingungen der Elektronen in einem Molekül oder einem

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Anziehungsenergien und -kräfte

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Atom mit den Schwingungen der Elektronen in einem anderen Molekül oder Atom koppeln. Wenn die Elektronendichteverteilungen mit der Frequenz ν 0 in Phase schwingen, so führt dies zu einer kurzzeitigen Anziehung der Atome oder Moleküle untereinander. Daraus folgt die Anziehungsenergie, die proportional zum Produkt der Polarisierbarkeiten der beteiligten Moleküle oder Atome ist. Die Proportionalitätskonstante ist die Planck Konstante h (h = 6,626 · 10 -34 J · s). 1 1 3 hν0 α A αB Gleichung 1.22 EL = (4πε 0)2 r 6 4 Im Falle gleichartiger Moleküle oder Atome (z.B. der Sorte A) steht in Gleichung 1.22 an Stelle von α Aα B der Wert α 2. Die charakteristische Frequenz v0 lässt sich mit Hilfe der Cauchy’schen-Dispersionsformel bestimmen, indem die Brechzahl n der chemischen Substanz in Abhängigkeit von der Frequenz ν des Lichts gemessen wird: Gleichung 1.23

n2 + 2 = Const. · ν 02 – Const. · ν2 n2 – 1

Gleichung 1.23 ist eine Geradengleichung mit der Steigung Const. und dem Achsenabschnitt Const. · ν02. Durch Auftrag des linken Teils der Gleichung, (n2 + 2) / (n2 – 1), gegen das Quadrat der Frequenz des Lichtes v lässt sich die charakteristische Frequenz daher bestimmen. Aufgrund der Frequenzabhängigkeit der Brechzahl oder auch jeder anderen physikalischen Eigenschaft einer Materie, die unter dem Begriff „Dispersion“ fällt, wird die London-Wechselwirkung auch „dispersive“ Wechselwirkung genannt. Wenn man die dispersiven Wechselwirkungen zwischen verschiedenartigen Molekülen oder Atomen berechnen wollte, dann müsste man theoretisch berücksichtigen, dass die Spezies auch unterschiedliche charakteristische Frequenzen aufweisen. Manche Autoren schlagen vor, für h ν 0 generell den Wert von 1 MJ/mol einzusetzen. In dem Fall wäre die charakteristische Frequenz im ultravioletten Teil des Spektrums bei einer Frequenz um die 2,5 · 1015 Hertz, entsprechend einer festen Wellenlänge von ca. 120 nm. Sofern die charakteristischen Frequenzen bekannt sind, könnte man wahlweise auch mit einem Mittelwert rechnen. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, den Term h v0 mit Hilfe der Ionisierungsenergien IA und IB der Molekülsorten A und B auszudrücken. Das hilft allerdings nur dann weiter, wenn tabellierte Werte der Ionisierungsenergien verfügbar sind. 1 1 3IA IB α ·α Gleichung 1.24 E = L (4πε 0)2 r 6 2(IA + IB) A B Ionisierungsenergien sind die Energien, die notwendig sind, um die äußersten Elektronen einem Moleküls oder Atoms zu entfernen. Sie liegen für organische Substanzen in der Größenordnung von etwa 6 · 105 J/mol, bzw. 10 -18 J für ein einzelnes Elektron.

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

1.3.4 Born-Wechselwirkung Bisher betrachteten wir lediglich die anziehenden Energien zwischen Atomen und Molekülen. Es gibt allerdings auch eine abstoßende Energie. Bei der Annäherung der Moleküle zu sehr kleinen Abständen müssten sich die Elektronenhüllen durchdringen, womit sich die Zahl der Elektronen in den Orbitalen erhöhen würde und Elektronen mit gleichen Quantenzahlen in einem Orbital anzutreffen wären. Dies widerspricht dem „Pauli-Prinzip“. (Das Pauli-Prinzip erklärt also, warum sich Materie nicht durchdringt.) Eine Möglichkeit, dies zu berücksichtigen, ist, ab einem bestimmten Minimalabstand eine unendliche Abstoßungsenergie anzunehmen. Nach Born lässt sich die Abstoßungsenergie E B auch als eine höher potente Funktion des Abstands r ausdrücken: B Gleichung 1.25 E = B r m In Gleichung 1.25 hat m eine Größenordnung zwischen 9 und 12. Üblicherweise wird aber der Wert 12 für m angesetzt. B ist eine Konstante.

1.3.5 Gesamtwechselwirkungsenergie Die Gesamtwechselwirkungsenergie EWW in einem bestimmten Abstand r der Moleküle oder Atome ist die Summe aller anziehenden und abstoßenden Energien in diesem Abstand. Aus Gleichungen 1.20 bis 1.22, 1.24 und 1.25 ergibt sich daher: Gleichung 1.26

EWW = E DD + Eind + E L + E B

Beziehungsweise, durch einsetzen der vollständigen Ausdrücke der Wechselwirkungsenergiebeiträge: Gleichung 1.27 1 μ 2A μ 2B 3 B + μ 2A · α B + μ2B · α A + hν 0 α Aα B] + 12 EWW = – 2 6 [ (4πε 0) r 3kT 4 r Energie ist das Produkt aus Kraft und Weg. Zu der Wechselwirkungskraft im Abstand r gelangt man deswegen durch Ableiten von Gleichung 1.27 nach dr Gleichung 1.28 dE 6 μ 2A μ 2B 3 B + μ2A · α B + μ2B · α A + hν 0 α Aα B ] – 12 13 FWW = WW = 2 7 [ dr (4πε 0) r 3kT 4 r Die Anziehungskraft ist also noch abstandsabhängiger als die Anzeihungsenergie. Durch die mathematische Operation der Ableitung erhält die Anziehungskraft ein positives Vorzeichen, was der Tatsache Rechnung schuldet, dass es negative Kräfte nicht gibt7. 7 ….zumindest in der Technik nicht.

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Anziehungsenergien und -kräfte

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1.3.6 Lennard Jones-Potenzial Die Gleichung 1.27 ist allerdings nicht ohne Weiteres anzuwenden, weil B nicht bekannt ist. Von John Lennard-Jones [2] stammt daher der Vorschlag, die Gleichung 1.27 in der allgemeinen Form A + B Gleichung 1.29 E = – 6 12 WW r r zu schreiben, wobei A und B von σ, dem Abstand der Mittelpunkte der beiden Atome oder Moleküle, bei dem die Anziehungsenergie Null ist, also weder anziehende noch abstoßende Kräfte überwiegen, und ε, der höchsten Anziehungsenergie, abhängen. Gleichung 1.30

A = 4 · ɛ · σ6

Gleichung 1.31

B = 4 · ɛ · σ12

Durch Einsetzen von Gleichungen 1.30 und 1.31 in 1.29, Differenzierung nach dr und zu Null Setzen erhält man den Abstand rm, bei dem die höchste Anziehungsenergie vorherrscht: – Gleichung 1.32 rm = 6√2 · σ In der Abbildung 1.6 ist der prinzipielle Verlauf der Wechselwirkungsenergie in Abhängigkeit vom Abstand der Atome oder Moleküle gezeigt. Die Abbildung gibt daher auch qualitativ den Verlauf der Wechselwirkungsenergie vom Abstand der

Abbildung 1.6: Lennard Jones-Potenzial zweier Atome. Vabst = Abstoßungsenergie, Vanz = Anziehungsenergie, Lennard Jones = Summe aus Vabst und Vanz.

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

Atome bzw. Moleküle nach Gleichung 1.27 wieder. Bei weiten Abständen der Atome oder Moleküle besteht kaum eine Wechselwirkung. Nähern sie sich jedoch einander, so nimmt die anziehende Wirkung immer mehr zu, d.h., die Wechselwirkungsenergie nimmt zunehmend höhere, negative Werte ein. Im Abstand rm durchläuft die Wechselwirkungsenergie ein Minimum, so dass dort die Anziehungseneergie am größten ist. Bei weiterer Annäherung nimmt die Anziehung ab und wird bei noch weiterer Annäherung zu einer Abstoßung. Das führt dazu, dass die beiden Atome oder Moleküle, die miteinander in Wechselwirkung treten, um den Abstand rm herum oszillieren. Das Lennard Jones-Potenzial wurde vor allem zur Beschreibung der Wechselwirkung realer Gase verwendet. Für das Edelgas Argon wurde beispielsweise σ = 3,405 ·10 -10 m als Abstand, bei denen die Edelgasatome sich weder anziehen, noch abstoßen, und eine maximale Anziehungsenergie von ε = 165,3 · 10 -21 J in einem Abstand von rm = 3,822 ·10 -10 m gefunden [3]. Im weiteren Verlauf wird gezeigt werden, dass kolloidale Teilchen prinzipiell ähnliche Wechselwirkungsenergiekurven aufweisen, wie einfache Atome oder Moleküle, sofern auf sie sowohl anziehende als auch abstoßende Kräfte wirken.

1.4

Wasserstoffbrückenbindungen

Eine weitere physikalische Wechselwirkung, die aber nur zwischen bestimmten Molekülen auftreten kann, ist die Wasserstoffbrückenbindung. Wasserstoffbrückenbindungen sind dadurch charakterisiert, dass ein Molekül als Protonendonor für einen Protonenakzeptor wirkt. Im Protonendonor muss ein Wasserstoffatom an ein Atom mit hoher Elektronegativität gebunden sein. Der Protonenakzeptor andererseits sollte freie Elektronenpaare haben. Die Abbildung 1.7 zeigt am Beispiel von Wassermolekülen, wie die einzelnen Teilnehmer an der Wasserstoffbrückenbindung polarisiert sind. Die Moleküle ordnen sich räumlich so an, dass es zu einer möglichst großen Überlappung zwischen den Protonen und den freien Elektronenpaaren des Protonenakzeptors kommt. In Wasser liegen jeweils Cluster von etwa neun Wassermolekülen vor. Die hohe Protonenleitfähigkeit von Wasser wird auf das „Umklappen“ der Wasserstoffbrückenbindung zurückgeführt.

Abbildung 1.7: Polarisierung der Elektronen in einer Wasserstoffbrückenbindung

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In Verbindungen mit starken Wasserstoffbrücken des Typs X-H----Y (Vergleiche Abbildung 1.7) kommen als Elemente X vor allem Sauerstoff, Stickstoff und die Halogene (Fluor, Brom und Jod) in Frage. Als Elemente Y treten Sauerstoff,

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Größenordnung physikalischer Wechselwirkungsenergien

Stickstoff, Schwefel und die Halogene in Erscheinung. Wasserstoffbrückenbindungen spielen in vielen Prozessen in der belebten und unbelebten Natur eine bedeutende Rolle. Auch in der Kolloidchemie sind Wasserstoffbrückenbindungen wegen ihrer Stärke und aufgrund ihrer Gerichtetheit oftmals eine bedeutende Einflussgröße. Bislang gibt es noch keine schlüssigen Berechnungen der Wechselwirkungen von Molekülen durch Wasserstoffbrückenbindungen. Sie liegen gewöhnlich bei Werten zwischen 10 und 50 KJ/mol. Die F-H------F Bindung ist die stärkste Wasserstoffbrückenbindung. Ihr wird allerdings eine Bindungsenergie von 160 bis 170 KJ/mol zugeschrieben.

1.5 Größenordnung physikalischer Wechselwirkungsenergien In der Tabelle 1.4 sind Polarisierbarkeiten, Dipolmomente und Werte für h · v0 einiger Verbindungen aufgeführt, sowie die daraus errechneten Anteile der Anziehungsenergien. Daraus geht hervor, dass die Dispersionskräfte in jedem Fall eine große Rolle bei der zwischenmolekularen Anziehung spielen. Hingegen kommen erst ab Dipolmomenten von mehr als 1,3 Debye ( = 4,3 · 10 -30 C · m) nennenswerte Beiträge von der Dipol Wechselwirkung her. Induzierte Dipol Wechselwirkungen sind hingegen sehr schwach. Die Edelgase zeigen naturgemäß nur dispersive Wechselwirkung. Demgegenüber hat Wasser einen hohen Beitrag an Dipol Wechselwirkung. Zusätzlich wirkt beim Wasser aber noch die Anziehung durch Wasserstoffbrückenbindungen. Tabelle 1.4: Beiträge von Dipol-Dipol, induzierter Dipol-Dipol und dispersiver Wechselwirkungen zur Anziehungsenergie einiger niedermolekularer Verbindungen (nach J. A. V. Butler, Ann. Rep. Chem. Soc. (London), 34 (1937) 77) Molekül

Dipolmoment μ (10-30 Cm)

Polarisierbarkeit α (10-30 m3)

Energie

Induktion

hv0 (eV)

Orientierung 2 /3 μ4/kT

CO

0,4

1,99

14,3

0,0034

0,057

67,5

HJ

1,27

5,40

12,0

0,35

1,68

382

HBr

2,61

3,58

13,3

6,2

4,05

176

HCI

3,45

2,63

13,7

18,6

5,4

105

NH 3

5,02

2,21

16,0

84

10

93

H 2O

6,16

1,48

18,0

190

10

47

He

0

0,20

24,5

0

0

1,2

Ar

0

1,63

15,4

0

0

52

Xe

0

4,00

11,5

0

0

217

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2µ2 α

Dispersion /4 α2 hv0

3

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

Ein Maß für die Wechselwirkung von Molekülen sind ihre Siedetemperaturen. Die Tabelle 1.5 zeigt die Polarisierbarkeiten, die Dipolmomente und die Siedetemperaturen einiger ausgewählter Elemente und Verbindungen. Die Edelgase, (He, Ne, Ar, Kr, Xe) haben alle kein Dipolmoment, jedoch eine mit der Molekülmasse ansteigende Polarisierbarkeit. Mit zunehmender Polarisierbarkeit steigen die Siedetemperaturen sehr stark an. Methan, welches auch kein Dipolmoment besitzt, ist hinsichtlich seiner Polarisierbarkeit mit 25,9 · 10 -31 m3 vergleichbar mit dem Edelgas Krypton, welches eine Polarisierbarkeit von 24,6 · 10 -31 m3 hat. Mit 111,7 K bzw. 119,9 K sind deren Siedepunkte auch sehr ähnlich. In der Reihe Isobutan, Isobutylen zu Trimethylamin steigen bei vergleichbarer Polarisierbarkeit die Dipolmomente von 0,44 ·10 -30 Cm bis zu 2,23 ·10 -30 Cm an. Die Siedetemperaturen sind mit Werten zwischen 263 K und 278 K jedoch fast unverändert. Das zeigt, dass die polaren Wechselwirkungen einen sehr geringen Beitrag zur Wechselwirkung dieser Moleküle untereinander ausüben. (Der Einfluss polarer Wechselwirkungen wird darüber hinaus kleiner, je größer die Moleküle sind.) Tabelle 1.5: Polarisierbarkeiten, Dipolmomente und Siedepunkte einiger Atome und Moleküle Verbindung

Chemische Formel

Molekular gewicht [g/mol]

Polarisier Dipolmoment Siedepunkt barkeit K α [m³] · 1031 μ [Cm] · 1030

Helium

He

2

2,03

0,00

4,2

Neon

Ne

10

3,92

0,00

27,3

Argon

Ar

18

16,30

0,00

87,3

Krypton

Kr

36

24,60

0,00

119,9

Xenon

Xe

54

40,10

0,00

165,1

Methan

CH4

16

25,90

0,00

111,7

Ammoniak

NH3

15

23,40

4,90

240,0

Wasser

H 2O

18

15,30

6,20

373,0

Methylfluorid

CH3F

34

38,40

6,04

195,0

Methanol

CH3OH

32

29,70

5,67

338,0

Isobutan

(CH 3 ) 3CH

58

83,60

0,44

263,0

Isobutylen

(CH3 ) 2 = CH2

56

83,60

1,63

267,0

Triethylamin

(CH3 ) 3N

59

80,90

2,23

278,0

Chlorbenzol

C 6H5Cl

112

53,50

5,42

248,9

n-Hexan

C6H14

86

119,00

0,00

341,7

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Zwischenmolekulare Wechselwirkungen an Grenzflächen

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Abbildung 1.8: Vergleich typischer Energiegehalte für ein Mol (6,0231 x 1023) physikalischer bzw. chemischer Bindungen.

Abweichungen im Siedeverhalten ergeben sich aber bei Molekülen, die zu Wasserstoffbrückenbindungen befähigt sind. In der Tabelle 1.5 sind das die Verbindungen Ammoniak, Wasser und Methanol. Ammoniak und Krypton haben ähnliche Polarisierbarkeiten. Das Dipolmoment des Ammoniaks von 4,9 ·10 -30 Cm vermag in Anbetracht des vorher gesagten nicht, die unterschiedlichen Siedetemperaturen von 240 K(Ammoniak) bzw. 119,9 K (Krypton) zu erklären. Dasselbe gilt für den Vergleich von Wasser (Siedepunkt 373 K) mit Argon (Siedepunkt 87,3 K). Sehr deutlich wird der Einfluss der Wasserstoffbrücken auch beim Vergleich von Methylfluorid mit Methanol. Die Befähigung zur Ausbildung von Wasserstoffbrücken führt im Fall des Methanols zu einer Erhöhung der Siedetemperatur um 143 K bei vergleichbaren Polarisierbarkeiten und Dipolmomenten. Die Abbildung 1.8 zeigt eine Übersicht über die typischen Größenordnungen der unterschiedlichen chemischen und physikalischen Bindungsarten. Als Faustformel lässt sich ableiten, dass chemische Bindungen etwa zehnmal stärker sind, als physikalische Bindungen. Bei den physikalischen Bindungen fallen die Bindungsenergien von dispersen- über Dipol/Dipol- zu induzierten Dipol/DipolWechselwirkungen ab. Wasserstoffbrückenbindungen liegen meistens in der Größenordnung von dispersen Wechselwirkungen, wenn auch mit dem Potenzial zu deutlich höheren Werten.

1.6 Zwischenmolekulare Wechselwirkungen an Grenzflächen Auch an Grenzflächen fest/flüssig treten die oben genannten zwischenmolekularen Wechselwirkungen auf. J. Schröder [4] hat durch Immersionswärmebestimmungen von anorganischen und organischen Pigmenten in den Flüssigkeiten Hexan,

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Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen

Chlorbenzol und Methanol Dipolmomente und Polarisierbarkeiten von Pigmentoberflächen bestimmt und daraus die Anteile der Wechselwirkungsarten berechnet. Die Pigmente waren Titandioxid, γ-Eisenoxidrot, γ-Chinacridon, β-Kupferphthalocyanin (isometrisch), chloriertes Kupferphthalocyanin (Cl16CuPc), und ein stäbchenförmiges β-Kupferphthalocyanin. Am Ende der Tabelle 1.5 sind die Polarisierbarkeiten und die Dipolmomente von n-Hexan und Chlorbenzol ebenfalls mit aufgeführt. Er fand (siehe Abbildung 1.9), dass alle Pigmente mit Hexan nur dispersive Wechselwirkungen in der Größenordnung zwischen 125 und 200 mJ/m2 Pigmentoberfläche eingingen. Die dispersive Wechselwirkung mit den anorganischen Pigmenten war größer, als die mit den organischen Pigmenten. Mit Chlorbenzol waren die Abbildung 1.9: Beiträge dispersiver (Vierecke) dispersiven Wechselwirkunund polarer (Rauten) Wechselwirkungen bei der gen aller Pigmente gleich, wie Benetzung der Pigmente 1: TiO2 , 2: γ-Fe2 O3 , in n-Hexan. Allein die beiden 3: γ-Chinacridon, 4: β-Kupferphthalocyanin anorganischen Pigmente zeig(isometrisch) 5: chloriertes Kupferphthalocyanin Cl16 CuPc, 6: β-Kupferphthalocyanin (stäbchenten zusätzlich polare Wechförmig) mit; nachgezeichnet aus [4] selwirkungsanteile von ca. a) n-Hexan 100  mJ/m2. Die organischen b) Chlorbenzol Pigmente hingegen hatten nur c) Methanol andeutungsweise polare Wechselwirkungen mit Chlorbenzol. Im Fall von Methanol gingen die dispersiven Wechselwirkungen auf Werte zwischen 90 und 140 mJ/m2 zurück. Während die anorganischen Pigmente zusätzlich polare Wechselwirkungen in Höhe von

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Literaturhinweise

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250 mJ/m2 aufwiesen, lagen die entsprechenden Werte für die organischen Pigmente nur zwischen 20 und 30 mJ/m2. Daraus ist zu folgern, dass dispersive Wechselwirkungen einen hohen Anteil an der Gesamtwechselwirkung haben. Außerdem, dass Dipol/Dipol-Wechselwirkungen auf polare Pigmentoberflächen beschränkt sind, und das naturgemäß nur dann, wenn die Flüssigkeiten selber ein hohes Dipolmoment haben (vergleiche Gleichung 1.20), oder, wie im Falle von Methanol, zur Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen fähig sind. Wasserstoffbrücken führen dabei zu Wechselwirkungen, sofern die Pigmente über oberflächenständige Hydroxylgruppen verfügen. Dies ist bei anorganisch oxidischen Pigmenten, oder aber auch bei Pigmenten mit oxidischen Oberflächenbehandlungen der Fall. Literaturhinweise [1] G. Wedler, Lehrbuch der Physikalischen Chemie, Wiley-VCH, 5. Auflage, Weinheim 2004 [2] J. Lennard-Jones, Proc. Royal Soc. 106, (1924) 463 [3] A. Michels, H. Wijker, H. K. Wijker, Physica 15 (1949) 627 [4] J. Schröder, J. Colloid Interface Sci. 72, No.2 (1979) 279

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

2 Pigment- und Füllstoff-Oberflächen Beim Dispergieren werden Pigmentagglomerate bzw. Füllstoffagglomerate in die Primärteilchen überführt. Hierbei müssen die Anziehungskräfte der Pigment­ partikel überwunden werden. Pigmente werden durch dispersive London-van der Waals-Wechselwirkungen zusammengehalten. Anorganische und organische Oberflächenbehandlungen verändern die Anziehungskräfte der Pigmentpartikel untereinander, so dass bereits der Agglomerataufbau durch sie beeinflusst wird. Der Zusammenhang zwischen der Hamakerkonstanten der Oberflächenbehandlung, der Agglomeratstruktur und der Dispergierbarkeit der Pigmentagglomerate werden in diesem Kapitel erklärt, dabei gelten folgende wichtige Aussagen: 1. Im vorliegenden Buch wird zwischen Pigmenten und Füllstoffen kein Unterschied gemacht. Nach DIN EN ISO 4618 unterscheiden sich Pigmente und Füllstoffe lediglich dadurch, dass Pigmente aufgrund ihrer „optischen, schützenden und/oder dekorativen Eigenschaften“ eingesetzt werden, während Füllstoffe verwendet werden, um „bestimmte physikalische Eigenschaften zu erreichen oder zu beeinflussen“. Ansonsten sind beide aus Teilchen bestehende Stoffe, die in dem Anwendungsmedium unlöslich sind. Allein das ist aus kolloidchemischer Sicht von Interesse. 2. Es muss strikt unterschieden werden zwischen Dispergierprozessen, bei denen lediglich physikalische Wechselwirkungen von Teilchen untereinander überwunden werden müssen, bzw. eine Rolle spielen, und Mahlprozessen. Bei letzteren werden chemische Bindungen gebrochen, was ganz andere mechanische Leistungseinträge erfordert, als Dispergierprozesse. Man muss mindestens etwa das Zehnfache an Arbeit aufbringen, um chemische Bindungen zu brechen.

2.1

Dispergieren und Mahlen

Bei der Herstellung von polymeren Verbundwerkstoffen wie Lacken und Farben, Kunststoffen, Elastomeren und Synthesefasern werden fast immer Pigmente und Füllstoffe eingesetzt, so dass das Dispergieren nötig wird. Pigmente und Füllstoffe bestehen zumeist aus submikroskopischen Teilchen mit mittleren Durchmessern („Größen“) zwischen wenigen Nanometern bis hin zu einigen Mikrometern. Jochen Winkler: Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen © Copyright 2010 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Dispergieren und Mahlen

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Bei der Herstellung fallen sie gewöhnlich als trockene, pulverförmige Materialien an. Im kolloidchemischen Sinne unterscheiden sie sich eigentlich nicht. Während man Pigmente einsetzt, um den Werkstoffen Farbe zu verleihen oder um bestimmte Eigenschaften, wie z.B. Korrosionsschutz, zu erzielen, werden Füllstoffe verwendet, um Applikationseigenschaften oder mechanische Werkstoffeigenschaften zu verbessern, oder, schlicht, nur um den Preis der Werkstoffe zu verringern. Letzteres ist natürlich nur möglich, wenn der auf das Volumen bezogene Preis des Füllstoffs geringer ist, als die Kosten für das gleiche Volumen an Bindemittelfestkörper. Nach der Norm DIN 53206 unterscheidet man zwischen Primärpartikeln, Agglomeraten und Aggregaten (Abbildung 2.1). Primärpartikel sind die kleinsten, vereinzelbaren Bestandteile von Pigmenten und Füllstoffen. Sie können aus mehreren Kristalliten bestehen, z.B. wenn ein Pigment durch Glühen eines Fällproduktes entsteht. Dies ist beispielweise bei Titandioxid-Pigmenten der Fall. Aus einem Titanoxidhydrat (TiO(OH)2) wird durch Glühen bei Temperaturen von mehr als 800 °C Titandioxid (TiO2). Wenn die Kristallisation zugleich von unterschiedlichen Stellen des Vorprodukts ausgeht, dann besteht das resultierende Titandioxid Primärpartikel aus mehreren Bereichen mit unterschiedlicher Ausrichtung der Kristallgitter. Dies sind die Kristallite. Beim Glühen können durch Sinterprozesse auch einzelne Primärpartikel zusammenwachsen, so dass sie durch chemische Bindungen zusammengehalten werden. Diese Gebilde werden als Aggregate bezeichnet. Im Gegensatz dazu sind Agglomerate Ansammlungen von Partikeln, die nicht durch chemische Bindungen, sondern nur durch physikalische Wechselwirkungen zusammengehalten werden. Agglomerate haben eine Oberfläche, die so groß ist, wie die Summe der Oberflächen der einzelnen Primärteilchen, aus denen sie bestehen. Aggregate hingegen haben eine niedrigere Oberfläche, weil die Primärteilchen in ihnen flächig miteinander verwachsen sind. Außer bei Glühprozessen, was für anorganische Pigmente meistens ein wesentlicher Herstellschritt ist, können auch bei Kristallisationsprozessen, die eher für organische Pigmente typisch sind, Aggregate entstehen. Beim Dispergieren werden Agglomerate in Primärteilchen und kleinere Agglomerate zerteilt. Dabei werden nur physikalische Bindungen gebrochen. In Kapitel 1.5 wurde dargelegt, dass diese in der Größenordnung von maximal bis zu 40 oder 50 KJ/mol liegen. Das heißt, dass ein Mol (= 6,02 · 1023) Bindungen einen Energieinhalt von 40.000 bis 50.000 Joule haben, bzw., dass man diese Menge an Energie aufbringen muss, um die genannte Anzahl an Bindungen zu trennen. Werden Aggregate zerkleinert, werden also chemische Bindungen gebrochen, dann ist ein Energieaufwand von ca. 500 bis 1000 KJ/mol erforderlich, also mehr als das Zehnfache. In diesem Fall spricht man aber von „Mahlen“.

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

2.2 Teilchengrößenbestimmung von Pigmenten Wie die Abbildung 2.1 nahelegt, sind Pigment- und Füllstoffpartikel in der Regel nicht kugelsymmetrisch, sondern weisen einen „Formfaktor“ auf. Das bedeutet, sie sind irregulär geformt und können z.B. auch stäbchen- oder plättchenförmig sein. Trotzdem hat es sich eingebürgert, den Pigmenten eine „mittlere Teilchengröße“ zuzusprechen. Man spricht oft auch von einem „Äquivalentdurchmesser“ und meint damit den Durchmesser einer Kugel, die dasselbe Volumen hat, bzw. dieselben Eigenschaften (etwa die Sedimentationsgeschwindigkeit), wie das „typische“ Pigmentteilchen. Selbstverständlich sind die Primärpartikel eines Pigments hinsichtlich ihrer Größe nicht einheitlich, sondern weisen eine Größenverteilung auf. PigmentGrößenverteilungen lassen sich auf verschiedene Weisen erfassen. Die früher üblichen Verfahren der Sedimentationsanalyse, entweder im Schwerefeld der Erde oder im Zentrifugalfeld, sind im Alltag weitgehend abgelöst worden durch Laser-Lichtstreuverfahren und Laser-Lichtbeugungsverfahren. Lichtstreuverfahren eignen sich besonders für sehr kleine Teilchen mit mittleren Teilchendurchmessern von weniger als 200 nm, während Beugungsverfahren eher für gröbere Partikel geeignet sind. Der Vorteil beider Verfahren ist die Schnelligkeit der Messung. Nachteilig ist hingegen, dass sie speziell im Falle breiter Durchmesserverteilungen oder, wenn die mittlere Teilchengröße außerhalb des Optimums des Messverfahrens liegt, wenig genau sind. Alternative Messtechniken beruhen auf der Bestimmung der Massenträgheit

Abbildung 2.1: Pigmentmodell nach DIN 53 206

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Teilchengrößenbestimmung von Pigmenten

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der Teilchen (elektroakustische Verfahren), der Verdrängung von Elektrolytlösung beim Passieren eines elektrischen Feldes („Electronic Zone Sensing“ beim „Coulter Counter“) oder einer Berechnung der mittleren Teilchengröße aus der spezifischen Oberfläche der Teilchen. Die spezifische Oberfläche der Teilchen lässt sich durch Stickstoff-Adsorptionsmessungen nach der Einpunktmethode von Abbildung 2.2: Röntgenbeugungsspektrum eines Haul und Dümbgen [1] bestim- Titandioxidpigments in der Rutilmodifikation men („BET-Bestimmung“). Unter der Annahme von kugelförmigen, nicht porösen Teilchen ist der mittlere Durchmesser d nach Gleichung 2.1 aus der spezifischen Oberfläche Aspez und der Dichte ρ der Teilchen leicht zu errechnen. 6 Gleichung 2.1 d= Aspez · ρ Im Falle nanoskaliger Pigmente und Füllstoffe, die aufgrund ihrer Feinheit aus nur einem Kristalliten bestehen, ist die Bestimmung der Kristallitgröße mit Hilfe der Röntgendiffraktometrie eine sehr günstige Methode. Nach der ScherrerGleichung (Gleichung 2.2) errechnet sich die mittlere Kristallitgröße τ aus der Wellenlänge λ des Röntgenstrahls, dem Streuwinkel Θ und der Breite des Röntgenpeaks in halber Peakhöhe, der so genannten „Halbwertsbreite“ β. 0,89 · λ Gleichung 2.2 τ= β · cosθ Die Abbildung 2.2 zeigt als Beispiel das Röntgenbeugungsspektrum eines Titandioxidpigments in der Rutilmodifikation. Die Scherrer-Auswertung erfolgt meistens automatisch durch die Software des Messgerätes. Zur Auswertung wird ein möglichst gut ausgeprägter Peak bei kleinen Streuwinkeln herangezogen. Bei der Berechnung der Teilchengröße aus der spezifischen Oberfläche oder mithilfe der Scherrer-Gleichung fällt nur ein Mittelwert der Teilchendurchmesser an, und keine Teilchengrößenverteilung. Dafür sind die Messwerte unabhängig vom Verteilungszustand der Pigmente in einem Prüfmedium, weil die Messungen am reinen Pulver erfolgen. Gleichartige Pigmente oder unterschiedliche Herstellchargen ein und desselben Pigments können sich sowohl in ihrer mittleren Teilchengröße, als auch in ihrer

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

Teilchengrößenverteilung unterscheiden. Sind die Partikel stark „anisotrop“1, d.h., dass sie nicht rundlich, sondern stäbchenförmig oder plättchenförmig sind, dann müsste man zu ihrer Charakterisierung die Verteilungen ihrer Längen, ihrer Durchmesser, ihrer Höhen etc. bestimmen. Das geht nur sehr aufwendig durch Auswertung elektronenmikroskopischer oder lichtmikroskopischer Aufnahmen. Bei „isotropen“ Pigmenten oder Füllstoffen lassen sich TeilchendurchmesserVerteilungen mit Hilfe einer logarithmischen Normalverteilung beschreiben. Logarithmische Normalverteilungen sind typisch für Merkmale, die nach unten hin durch den Wert Null begrenzt sind, und bei denen die Zufallsgrößen, die zu der Verteilung führen, multiplikativ zusammenwirken. Damit ist gemeint, dass die Änderung einer Größe jeweils proportional zu der zuvor bestehenden Größe ist. Dies ist offensichtlich für viele Pigmente der Fall [2]. Die „Summenkurve“ der logarithmische Normalverteilung hat die allgemeine Form: Gleichung 2.3



Hierin sind H(d) die kumulierte Häufigkeit der Eigenschaft d, µ der Medianwert und σ die Standardabweichung der Verteilung. Der Medianwert ist ein auf das Gewicht bezogener Mittelwert; in diesem Zusammenhang der Medianwert der Durchmesser der Pigmentteilchen. Die Summe aller Teilchen einer Verteilung, die kleiner sind, als der Medianwert, und die Summe aller Teilchen, die größer sind, als der Medianwert, haben dieselbe Masse. Weil größere Teilchen mehr Masse haben als kleinere, ist der Medianwert größer als der arithmetische Mittelwert, den man durch Teilen der Gesamtmasse der Pigmentteilchen durch ihre Anzahl erhält. Weil bei den üblichen Teilchengrößen-Bestimmungsmethoden das Messsignal von der Masse der einzelnen Teilchen abhängt, fällt der Medianwert in diesen Fällen automatisch an. (Wäre das Messsignal von der Anzahl der Teilchen abhängig, so erhielte man den Mittelwert.) Die Verteilungsfunktion 2.3 wird „Summenkurve“ genannt, denn bei ihr trägt man für zunehmende Größen d die Summen der Häufigkeiten H(d) aller Merkmale auf. Sie hat also die generelle Form Gleichung 2.4 und gibt für jede Teilchengröße d den Massenanteil aller Teilchen an, die kleiner sind, als d. 1 Anisotropie bezeichnet die Richtungsabhängigkeit einer Eigenschaft

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Teilchengrößenbestimmung von Pigmenten

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Eine andere Darstellung der logarithmischen Normalverteilung entsteht durch Differenzieren der Gleichung 2.3, wobei die so genannte „Häufigkeitsverteilung“ entsteht: Gleichung 2.5 Trägt man h (d), die Häufigkeit des Durchmessers d, gegen ln d auf, so entsteht eine Glockenkurve, die den Scheitelpunkt bei ln µ, und ihre Wendepunkte bei µ/σ (= ln µ - ln σ) bzw. µ · σ (= ln µ + ln σ) hat. Ob sich eine Teilchendurchmesser-Verteilung nach Gleichung 2.3 als logarithmische Normalverteilung beschreiben lässt, kann leicht festgestellt werden, indem die Werte H(d) gegen d in ein „logarithmisches Wahrscheinlichkeitsnetz“ eingetragen werden. Bei diesem Netz ist die Abszisse logarithmisch geteilt, während die Ordinate nach dem „Gauß’schen Integral“ geteilt ist. Für den Fall, dass es sich bei der Größenverteilung um eine logarithmische Normalverteilung handelt, ergibt der graphische Auftrag eine Gerade. Der Schnittpunkt mit der 50  % Linie zeigt den Medianwert an, während die Schnittpunkte mit der 84,13 % Linie bzw. der 15,87  % Linie die Wendepunkte der Häufigkeitsverteilung (Glockenkurve) angeben. 68  % aller Durchmesser liegen innerhalb des Bereichs zwischen den beiden Wendepunkten, vorausgesetzt, es handelt sich um eine logarithmische Normalverteilung. Die Abbildung 2.3 verdeutlicht den Abbildung 2.3: Logarithmische Normalverteilung, Zusammenhang zwischen der a) Linearisierung der Summenkurve der HäufigSummenkurve der Häufigkeits- keitsverteilung einer Eigenschaft im logarithmiverteilung im logarithmischen schen Wahrscheinlichkeitsnetz, b) Häufigkeitsverteilung der logarithmischen Wahrscheinlichkeitsnetz und Normalverteilung im halblogarithmischen der Häufigkeitsverteilung selber Auftrag, c) Häufigkeitsverteilung der logarithmi(Glockenkurve). Weiterhin zeigt schen Normalverteilung im linearen Auftrag

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

Abbildung 2.3, welche Form die Häufigkeitsverteilung hat, wenn die Durchmesserhäufigkeit nicht gegen den Logarithmus des Durchmessers, sondern gegen den Durchmesser selber („linear“) aufgetragen wird. Man sieht, dass dabei aus der Glockenkurve der Häufigkeitsverteilung eine „linksseitig schiefe“ Verteilung entsteht. Liegt eine logarithmische Normalverteilung vor und sind der Medianwert und die Standardabweichung bekannt, so lassen sich der mittlere Durchmesser χ̅ und das Dichtemittel D (der häufigste Durchmesser bei einer linearen Auftragung) mit den Gleichungen 2.6 bzw. 2.7 berechnen. Gleichung 2.6

̅χ = anti lg (μ + 1,1513 · σ2)

Gleichung 2.7

D = anti lg (μ – 2,3026 · σ2)

Bei gleichem Medianwert wächst mit zunehmender Standardabweichung die Differenz zwischen dem Dichtemittel und dem Medianwert doppelt so schnell wie die Differenz zwischen dem Mittelwert und dem Medianwert. Die Verteilung wird immer breiter und immer „schiefer“. Meistens ist eine möglichst enge Verteilung der Durchmesser von Pigmenten erwünscht. Einerseits sind Pigmente mit enger Teilchengrößenverteilung in der Regel leichter dispergierbar, sie neigen zu weniger dicht gepacktem Agglomerataufbau. Andererseits rühren breite Teilchendurchmesser-Verteilungen oft von Grobkornanteilen her, die in häufigen Fällen schwer oder gar nicht zu dispergieren sind (dies wird auch als „Grit“ bezeichnet). Deswegen bietet es sich an, Teilchengrößenverteilungen von Pigmenten durch Kennzahlen zu beschreiben, die sowohl den Medianwert des Durchmessers als auch die Breite der Teilchendurchmesser-Verteilung berücksichtigen. Die Schiefe S [3] ist ein solches Maß: Gleichung 2.8 S=

3 (̅χ – μ) σ

Tabelle 2.1: Eigenschaften der untersuchten Pigmente (Vergleiche Tabelle 2.2 und Abbildung 2.4) Pigment

Herstellung

Oberflächenbehandlung

TiO2Gehalt

Relatives Streuvermögen

BET Oberfläche

1

Sulfatverfahren

Al2O3 /SiO2

92 %

105 %

9,4 m²/g

2

Sulfatverfahren

Al2O3 /SiO2

95 %

112 %

12,9 m²/g

3

Sulfatverfahren

Al2O3 /org.

94 %

108 %

13,4 m²/g

4

Sulfatverfahren

Al2O3 /ZnO/org.

95 %

109 %

13,8 m²/g

5

Chloridverfahren

Al2O3 /SiO2 /org.

95 %

110 %

9,4 m²/g

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Teilchengrößenbestimmung von Pigmenten

Sie lässt sich in vielen Fällen mit anwendungstechnischen Lackeigenschaften, die von der Pigmentpartikelverteilung abhängen, in Verbindung bringen [4]. In der Tabelle 2.1 sind fünf Titandioxidpigmente in der Rutilmodifikation aufgeführt, die in vier unterschiedlichen Bindemitteln dispergiert wurden. Mit einem automatischen Auswerteverfahren wurden die TeilchendurchmesserVerteilungen der Pigmentpartikel in den gehärteten Lackfilmen bestimmt und mit Hilfe des logarithmischen Wahrscheinlichkeitsnetzes die Medianwerte und die Standardabweichungen der Durchmesserverteilungen ermittelt. Daraus wurden nach Gleichung 2.8 die Schiefen der Durchmes- Tabelle 2.2: Schiefen der Pigmentpartikelverteilungen serverteilungen errech- in Lacken und zugehörige Deckvermögenswerte (vergl. net. Parallel dazu wurden Abbildung 2.4) nach DIN 55 987 als Maß BindePigmentSchiefe Schichtdicke für das Deckvermögen der mittel Nummer für ΔL = 2 in µm Beschichtungen die Schichtdicken bestimmt, bei denen A 1 0,1 50,6 die Lacke auf schwarz-weiß A 2 0,0656 51,6 Kontrastkartons eine HelligA 3 0,0653 45,6 keitsdifferenz ∆L* von 2 hatten. Das Deckvermögen der A 4 0,0531 42 Beschichtungen ist geringer, A 5 0,0698 44 je größer der SchichtdickenB 1 0,077 55,3 wert ist. Die Ergebnisse sind in Tabelle 2.2 zusammengeB 2 0,0684 47,6 fasst. Man erkennt z.B., dass B 3 0,0811 47,6 das Pigment 1 nicht nur aufB 4 0,0557 46 grund des vergleichsweise B 5 0,0609 46 geringeren Titandioxidgehalts, sondern auch aufC 1 0,112 65,6 grund einer vergleichsweise C 2 0,1112 62 schlechteren TeilchengröC 3 0,0812 51 ßenverteilung in den Lacken schlechtere DeckvermöC 4 n.b. n.b genswerte aufweist. In der Abbildung 2.4 sind die Schichtdicken gegen die Schiefen aufgetragen. Es zeigt sich eindeutig, dass die Pigmentpartikelverteilung einen großen Einfluss auf die erzielten Deckver-

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C

5

0,0807

55,3

D

1

0,1658

91

D

2

0,126

77,6

D

3

0,1357

71,3

D

4

n.b.

n.b

D

5

0,1776

83,3

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

mögenswerte hat. Dabei spielt nicht nur das Pigment selbst, sondern auch das verwendete Bindemittelsystem eine große Rolle. Dies ist sowohl auf die Benetzungseigenschaften der Bindemittel, als auch auf deren flockungsstabilisierende Eigenschaften zurückzuführen. Eine weitere Aussage, die für diesen Fall getroffen werden kann, Abbildung 2.4: Deckvermögen von Beschichtungen ist demzufolge, dass sich mit unterschiedlichen Titandioxid Pigmenten in vier unterschiedlichen Bindemitteln (A bis D) als Funktion bei schlechterem Verteider Schiefen der Pigmentdurchmesser-Verteilungen lungszustand der Pigmentim Lack partikel durch ungenügende Dispergierung oder durch Flockung (= ungenügende Stabilisierung gegen erneute Zusammenlagerung der Pigmentpartikel nach der Dispergierung) die Durchmesserverteilungen immer noch als logarithmisch normal verteilt beschrieben werden können.

2.3

Wechselwirkungen zwischen Pigmentteilchen

Prinzipiell sind zwischen kleinen Feststoffteilchen alle Arten physikalischer Wechselwirkungen denkbar, die auch bei Atomen und Molekülen eine Rolle spielen. Diese Wechselwirkungsarten sind: – Dipol-DipolWechselwirkungen – Induzierte Dipol-Wechselwirkungen und – London-van der Waals-Wechselwirkungen (dispersive Wechselwirkungen) Sie sind im Kapitel 1 erklärt. Dort zeigt sich auch eine große Abstandsabhängigkeit der Wechselwirkungen: Die Wechselwirkungsenergien zwischen Atomen und Molekülen nehmen mit der sechsten Potenz ihres Abstands zueinander ab und die Wechselwirkungskräfte sogar mit der siebten Potenz. Daher kann man annehmen, dass bei Agglomeraten die Wechselwirkungen nur von den oberflächenständigen, d.h. sich an der Oberfläche der Teilchen befindenden, Atomen herrühren. Für Dipol-Dipol-Wechselwirkungen und für induzierte Dipol-Wechselwirkungen trifft diese Annahme auch zu, nicht aber für die dispersiven London-van der Waals-Wechselwirkung. Im Falle der dispersiven Wechselwirkungen ist zu beachten, dass jedes Atom in einem kolloidalen Teilchen mit jedem Atom in einem anderen Teilchen van der Waals-Wechselwirkungen eingeht. Durch

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Van der Waals-Anziehungsenergie zwischen Teilchen

41

diese Summierung über an sich sehr kleine Wechselwirkungskräfte entsteht eine beachtliche dispersive Wechselwirkung zwischen den Pigmentteilchen.

2.4 Van der Waals-Anziehungsenergie zwischen Teilchen Die dispersiven Wechselwirkungen von kolloidalen Teilchen wurde von dem Physiker Hugo Christiaan Hamaker (1905 bis 1993) mathematisch beschrieben [5]. Hamaker hat u.a. die Formeln hergeleitet für den Fall zweier ungleich großer Kügelchen mit den Durchmessern d1 und d2, die sich in einem Oberflächenabstand a befinden. Diese Situation ist in der Abbildung 2.5 dargestellt. Hamaker kam zu dem Ergebnis, dass sich die Anziehungsenergie VAnz als das Produkt aus einem „energetischen Term“ A und einem „geometrischen Term“ H(d1,d2,a), der von den beiden Durchmessern und dem Oberflächenabstand abhängt, ausdrücken lässt. A Gleichung 2.9 V =– · H(d1,d2 ,a) Anz 12 Der energetische Term A der Gleichung ist als „Hamakerkonstante“ bekannt. Die Hamakerkonstante, und damit die Teilchen-Teilchen-Wechselwirkung, wird größer je größer die die Zahl der Atome oder Moleküle pro Volumen im Teilchen sind („Moleküldichte“ q) und je größer die Polarisierbarkeit α sowie die charakteristische Frequenz v0 der Elektronenbeweglichkeit ist. 3 Gleichung 2.10 A = π2 · q2 · hν 0 α 2 4 Die Moleküldichte ergibt sich aus der Lohschmidt Zahl NL , dem Molekulargewicht M und dem spezifischen Gewicht ρ der Teilchen. N ·ρ Gleichung 2.11 q= L M Der Term

3 hν α 2 4 0

in Gleichung 2.10 ist die im Kapitel 1 für die Berechnung der dispersiven Wechselwirkungen von einfachen Molekülen herangezogene „London-van der Waals-Konstante“. Daraus ist zu erkennen, dass die Formalismen zur Beschreibung

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Abbildung 2.5: Prinzipskizze zu Gleichung 2.12

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

Abbildung 2.6: Graphischer Auftrag von Gleichung 2.12 (=Abstandsterm in Gleichung 2.13) mit d1 = d2 = 1 µm

dispersiver Wechselwirkungen zwischen kolloidalen Teilchen und zwischen einfachen Atomen und Molekülen ähnlich sind. Der geometrische Term H(d1,d2,a) in Gleichung 2.9 sieht ein wenig komplizierter aus. Nach Hamaker ist Gleichung 2.12 y y x2 + xy + x + + 21n 2 H(d1,d2 ,a) = 2 x + xy + x x2 + xy + x + y x +xy + x + y a d wobei x = und y = 2 d 1 d1 Die Abbildung 2.6 zeigt einen Auftrag des geometrischen Terms H(d1,d2 ,a) für zwei gleichgroße Teilchen mit einem Durchmesser von 1 µm in Abhängigkeit vom Oberflächenabstand a. Ausgehend von sehr hohen Werten fällt der Abstandsterm mit zunehmendem Oberflächenabstand sehr rasch ab. Bei einem Oberflächenabstand von 0,2 µm, also bei etwa 20 % des Durchmessers der Teilchen, ist der Abstandsterm praktisch schon auf den Wert Null gefallen. Setzt man Gleichung 2.12, den Ausdruck für H(d1,d2 ,a), in die Gleichung 2.9 ein, so erhält man die Anziehungsenergiegleichung für zwei runde Partikel mit gleicher

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Van der Waals-Anziehungsenergie zwischen Teilchen

chemischer Zusammensetzung und damit einheitlicher Hamakerkonstanten im Vakuum bzw. (hinreichend genau) in Luft. Gleichung 2.13 A · y y x2 + xy + x + 2 + 21n 2 Vanz = – 2 12 x + xy + x x + xy + x + y x +xy + x + y

[

]

Mit anderen Worten: die Anziehungsenergie als Funktion des Oberflächenabstands der Teilchen ist lediglich der um den Faktor -A/12 erweiterte Abstandsterm. Genauso, wie es auch bei den Atomen und Molekülen der Fall war, beschreibt das negative Vorzeichen die Wechselwirkungsenergie als eine Anziehungsenergie. Weil die Anziehungsenergie durch Aufsummierung der dispersiven Wechselwirkungen eines jeden Atoms in dem einen Teilchen mit jedem Atom im zweiten Teilchen und umgekehrt verursacht wird, ist klar, dass die Anziehungsenergie mit zunehmenden Teilchengrößen zunimmt. Größere kolloidale Teilchen ziehen sich stärker an, als kleinere, wie sich durch Einsetzen von Werten für d1 und d2 in Gleichung 2.13 überprüfen lässt2. In Agglomeraten haben die Teilchen sehr kleine Oberflächenabstände. In dem Fall ist der Beitrag der letzten beiden Terme in Gleichung 2.12 im Vergleich zu dem Beitrag des ersten Terms vernachlässigbar. Zu diesem Ergebnis kommt man entweder durch eine Grenzwertbetrachtung, oder, indem man Werte, z.B. x = 0,01 und y = 2 und in Gleichung 4 einsetzt und die Terme separat ausrechnet. Ebenso ist im ersten Term x2 im Vergleich zu x, xy und y vernachlässigbar. Dadurch vereinfacht sich Gleichung 2.13 zu A y Gleichung 2.14 V = – · anz 12 x(y + 1) Für zwei gleich große Teilchen ist y = 1, und weil x = a/d, wird aus Gleichung 2.14: A d Gleichung 2.15 V =– · anz 24 a Durch Ableitung von Vanz nach dem Oberflächenabstand a erhält man die Anziehungskraft Fanz: A · d Gleichung 2.16 F = anz 24 a2 Die Anziehungskraft hat aufgrund des mathematischen Formalismus ein positives Vorzeichen. Die Gleichung 2.16 besagt, dass die Anziehungskraft der Teilchen bei einem gegebenen Abstand proportional zum Durchmesser der Teilchen ansteigt, 2 Deswegen ist die Behauptung, dass nanoskalige Teilchen höhere Anziehungskräfte untereinander haben, wie man bisweilen hört, nicht zutreffend.

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

bzw. mit sinkenden Durchmessern abfällt. Im Gegensatz dazu ist die Erdanziehungskraft Fgrav der Teilchen proportional zur dritten Potenz des Durchmessers. Mit der Gravitationskonstanten g und der Dichte ρ lässt sich die Erdanziehungskraft auf ein Teilchen berechnen: Gleichung 2.17

F

grav

=

1 π · ρ · g d3 6

Die unterschiedliche Abhängigkeit der van der Waals-Anziehungskraft und der Gravitationskraft von der Teilchengröße hat zur Folge, dass bei sehr kleinen Teilchen wie Pigmenten, die Anziehungskräfte untereinander größer sind als die Erdanziehungskraft auf die Teilchen. Aus diesem Grunde vereinigen sie sich zu festen Agglomeraten. Wäre das nicht der Fall, so wäre kein Leben auf der Erde möglich, weil Staub die Sonne verdunkelte und Lebewesen nicht atmen könnten. In der Abbildung 2.7 sind die van der Waals-Anziehungskräfte für Titandioxidteilchen [6] (A = 2,68 · 10 -19 J, ρ = 4,0 g/cm3) in einem Abstand von 10 nm den jeweiligen Erdanziehungskräften gegenübergestellt. In der doppelt logarithmischen Auftragung linearisieren sich beide Kraftkurven, so dass man Ausgleichsgeraden hineinlegen kann. Man erkennt, dass unter den gewählten Voraussetzungen bei runden Titandioxidteilchen von weniger als etwa 100 µm Durchmesser die Anziehungskräfte untereinander überwiegen. Bei einer Teilchengröße von 0,3 µm, einem charakteristischen Wert der mittleren Teilchengröße von handelsüblichen Titandioxidpigmenten [7], ist die Anziehungskraft der Teilchen untereinander sogar etwa fünf Zehnerpotenzen höher als die Erdanziehungskraft auf Teilchen dieser Größe. Dies wird im Allgemeinen als Erklärung dafür herangezogen, dass Pigmente nicht nur agglomerieren, sondern dass Pigmentpulver in agglomerierter Form, also als Agglomerate, fließen. Erfahrungsgemäß fließen Schüttgüter erst leicht, wenn sie sich dabei als isolierte, einzelne Teilchen bewegen. In manchen Fällen lässt sich durch die Zugabe von sehr viel kleineren Teilchen zu gröberen Schüttgütern, die eine Teilchengröße aufweiAbbildung 2.7: Vergleich der Teilchengrößenabhänsen, die gerade noch die gigkeit der Erdanziehungskraft und der van der Anziehung untereinander Waals-Anziehungskraft auf Titandioxidpartikel in im Vergleich zur ErdanzieAbhängigkeit von ihrer Teilchengröße

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Oberflächenbehandlungen von Pigmenten

45

hung begünstigt, ein verbessertes Fließverhalten erzielen [8]. Das ist allein darauf zurückzuführen, dass die kleineren Teilchen zwischen die Schüttgutteilchen gelangen und so deren Abstand untereinander vergrößern. Die Abstandsvergrößerung führt nach Gleichung 2.16 zu einer Parallelverschiebung der Fanz -Geraden in der Abbildung 2.7 nach unten, zu kleineren Anziehungskräften hin, so dass sich der Schnittpunkt mit der Fgrav -Geraden nach links, zu kleineren Teilchengrößen hin verlagert. Eine weiter Möglichkeit, die Anziehung zwischen Teilchen durch eine physikalische Maßnahme zu verringern, ist, ihre Oberflächen rau zu gestalten. In dem Fall wirken die Erhebungen an der Oberfläche der Teilchen als Abstandshalter. So führt die Oberflächenbehandlung (siehe auch Kapitel 2.5) von Titandioxidpigmenten mit Kieselsäure aus diesem Grund zu stärker staubenden und leichter fließenden Pigmenten. Zu Messverfahren zur Bestimmung des Fließverhaltens kohäsiver Schüttgüter sei auf die Literatur verwiesen [9].

2.5

Oberflächenbehandlungen von Pigmenten

Das Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen erweist sich mitunter als ein langwieriger und energieverzehrender Prozess. Deshalb bemühen sich die Pigmenthersteller, leicht dispergierbare Produkte auf den Markt zu bringen. Im Fall anorganischer Pigmente werden hierzu anorganische Oberflächenbehandlungen durchgeführt. Dazu werden die Pigmente zunächst einer Mahlung unterzogen, um zu gewährleisten, dass möglichst nur Primärpartikel vorliegen. Anschließend werden zu wässrigen Suspensionen der Pigmente gelösten Oxide anderer Elemente, wie Aluminium, Zirkon oder Silizium, zugegeben und durch Einstellen des pH-Werts in die Nähe des Neutralpunkts (pH 7) die Ausfällung dieser Elemente als Oxide oder Hydroxide bewirkt. Je nach Reaktionsführung können auch gemischte Oxide, wie z.B. Aluminiumsilikat, ausfallen. Andere Salze für die Oberflächenbehandlung („Nachbehandlung“) sind z.B. auch schwerlösliche Phosphate des Aluminiums oder Titans. Wiederum durch London-van der Waals-Anziehungskräfte ziehen die Fällprodukte auf die Pigmentoberflächen auf und umhüllen damit die Primärteilchen [10]. Anschließend wird noch einmal „mikronisiert“, beispielsweise im Fall der Titandioxidpigmente mit einer Dampfstrahlmühle, bei denen das Mahlgut mit Heißdampf tangential in eine Ringkammer eingedüst wird, wobei die Pigmentagglomerate und -aggregate aufeinandertreffen und dabei zerkleinert werden. Diese anorganischen Oberflächenbehandlungen können die Dispergierbarkeit verbessern, z.B. indem sie die Pigmentoberfläche aufrauen, so dass die Primärpartikel sich nicht flächig aneinander anlagern können oder, indem sie die wirksame Hamakerkonstante verringern (siehe im Folgenden). Solche Pigmente, z.B. Titandioxid mit mehreren Gewichtsprozent einer SiO2-Belegung, fließen sehr leicht. Außer dem dispergierbarkeitsverbessernden Einfluss bestimmen anorganische Oberflächenbehandlungen die

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

kolloidchemischen Eigenschaften der Pigmente. Bei Titandioxid-Pigmenten wird durch anorganische Oberflächenbehandlungen auch die Fotoaktivität verringert [11]. Eine weitere Möglichkeit, die Dispergierbarkeit von Pigmenten zu verbessern, ist die Aufbringung organischer Oberflächenbehandlungen. Die Belegung erfolgt meistens durch einfaches Aufsprühen und ggf. einer Mischung vor einem Mahlschritt, z.B. mit einer Dampfstrahlmühle. Die Menge organischer Oberflächenbehandlungen, die aufgebracht werden, hängt sowohl von der spezifischen Oberfläche der Pigmente ab als auch von deren Anwendungszweck. Üblicherweise werden heute einerseits glykolische Substanzen, wie Trimethylolpropan oder Neopentylglykol, aufgebracht. Im Fall von Pigmenten für den Einsatz in Kunststoffen können auch Silikonöle eingesetzt werden. Die Oberflächenbehandlung mit Silikonölen führt zu sehr leicht dispergierbaren Agglomeraten, was in Anbetracht der fehlenden Stabilisierung gegen Flockung bei thermoplastischen Kunststoffschmelzen hilfreich ist (siehe Kapitel 6.5.2). Die Anziehungskräfte bei Pigmentteilchen kommen aufgrund der London-van der Waals-Wechselwirkungen zustande. Deswegen ist es naheliegend, dass organische Oberflächenbehandlungen die Dispergierbarkeit von Pigmentagglomeraten verbessern, indem sie die van der Waals-Wechselwirkung der Teilchen untereinander erniedrigen. Dies wurde unabhängig voneinander durch Vervoorn [12] und Winkler [13] untersucht. Beide Autoren benutzten eine Erweiterung der Hamakergleichung von Vold [14] zur Beschreibung des Einflusses einer adsorbierten Schicht auf die Anziehungsenergie. In der Abbildung 2.8 ist das zu Grunde liegende Modell gezeigt. Zwei kugelförmige, gleich große Partikel mit dem Radius R und einer Hamakerkonstanten Ap haben eine adsorbierte Schicht der Dicke δ einer Substanz mit der Hamakerkonstanten As. Die Partikel befinden sich in einem Oberflächenabstand ∆ in einem Medium mit der Hamakerkonstanten Am. In diesem Fall besteht nach Vold die Anziehungsenergiegleichung aus der Summe dreier Produkte von Hamakerkonstanten und Abstandsthermen H. Gleichung 2.18 – 12V = (Am1/2 – As1/2) · Hs + (As1/2 – Ap1/2) · Hp + 2 · (Am1/2 – As1/2)(As1/2 – Ap1/2) · Hps Dabei sind die Abstandsterme gegeben durch: Gleichung 2.19 y y x2 + xy + x + 2 + 21n 2 H(x, y) = 2 x + xy + x x + xy + x + y x +xy + x + y ∆ x= wobei für Hs 2(R + δ)

und

y=1

∆ + 2 δ 2R

und

y=1

x= für Hp

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Oberflächenbehandlungen von Pigmenten

für Hps x=

∆ + δ 2R

und

y=

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R+δ R

Vervoorn [12] interpretierte die Abnahme der Druckfestigkeit von Agglomeraten von Titandioxid-Pigmenten mit zunehmendem Feuchtigkeitsgehalt durch den Einfluss der Wassermoleküle auf die van der Waals-Wechselwirkung. Winkler [13] belegte eine nicht Abbildung 2.8: Prinzipskizze zu Gleichung 2.18 anorganisch oberflächenbehandeltes Titandioxid-Pigment mit insgesamt 27 unterschiedlichen organischen Oberflächenbehandlungen, wobei sowohl niedermolekulare, als auch polymere Oberflächenbehandlungen eingesetzt wurden. Dazu mussten die Hamakerkonstanten der Oberflächenbehandlungen (Gleichung 2.10) bestimmt werden, wozu die Polarisierbarkeiten mit Hilfe der Clausius Mosotti-Gleichung (Gleichung 1.16) und die charakteristischen Frequenzen mit Hilfe der Cauchy’schen-Dispersionsformel (Gleichung 1.23) bestimmt wurden. Die Schichtdicken der organischen Oberflächenbehandlungen wurden mit Hilfe von Kohlenstoffanalysen abgeschätzt und lagen zwischen 0,1 und ca. 5,3 Ångström (1 Ångström = 10 -10 m. Eine Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung in einem Kohlenwasserstoff ist etwa 1 Ångström „lang“), wobei die Flüchtigkeit der Substanzen bei der Strahlmahlung eine Rolle spielte. Polymere Oberflächenbehandlungen führten deswegen naturgemäß zu höheren Belegungsmengen. Die mittleren Teilchenabstände wurden aus den Schüttdichten abgeschätzt und auf die der unbelegten Nullprobe normiert. Auf diese Weise konnten für die jeweiligen Proben nach Gleichung 2.18 Anziehungsenergien der Teilchen untereinander errechnet werden, wobei für die Nullprobe ein Oberflächenabstand der Pigmentteilchen von einem Nanometer zu Grunde gelegt wird. Es wurde eine Apparatur entwickelt, mit der die Agglomeratdurchmesser mit einer Genauigkeit von ± 2 µm bestimmt werden konnten, und mit der die Arbeit gemessen werden konnte, die zum Zerdrücken der Agglomerate erforderlich war. Als Druckfestigkeitsmaß dient der Quotient aus der Zerdrückungsarbeit und dem Volumen der Agglomerate. Es wurden Siebfraktionen der belegten Pigmente hergestellt und jeweils 60 Agglomerate mit ca. 100 µm (0,1 mm) Durchmesser zerdrückt. Aus den Einzelwerten der Druckfestigkeiten lassen sich Druckfestigkeitsverteilungen ableiten, die mit Hilfe der logarithmischen Normalverteilung (Gleichungen 2.3 und 2.5) beschreibbar sind. Die Tabelle 2.3 zeigt die verwendeten organischen Substanzen, ihre Belegungsmenge auf dem Pigment, die Medianwerte der Agglomerat-Druckfestigkeiten sowie deren Komprimierbarkeiten.

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

Tabelle 2.3: Liste der verwendeten organischen Oberflächenbehandlungen sowie den ~ geometrischen Mittelwerten der Druckfestigkeiten Dg und den Komprimierbarkeiten χ Substanz-Nr.

Belegmenge in Gew.-%

Bezeichnung

0-Probe

˜g D N · cm-2

χ

0,97

0,55

1

0,47

Tinuvin 1130*

0,95

0,53

2

0,41

Tinuvin 292*

0,75

0,56

3

0,18

Dioctylphtalat

1,5

0,48

4

0,06

N-(3-Disobutylamin-propylmorpholin)

0,71

0,54

5

0,17

3-(2-ethyl-hexoxi)-propylamin-(1)

0,52

0,5

6

0,02

1,3-Dimethyl-5-tert.butyl Benzol (5-tert.butyl-metaxylol)

0,77

0,66

7

0,01

2,4-Dimethyl-3-dimethylamino pentan

0,77

0,63

8

0,09

3-Isobutoxi-propylamin-(1)

0,77

0,57

9

0,09

3-n-Butoxi-propylamin-(1)

0,85

0,61

10

0,31

Triethanolamin

0,31

0,73

11

0,01

2,4-Dimethyl-pentanol-(3)

1,08

0,62

12

0,05

3-Ethoxi-propylamin-(1)

0,88

0,56

13

0,02

5-Methyl-isoxazol

0,58

0,62

14

0,01

1,3-Dioxolan (Glykolmethylen-ether)

0,8

0,61

15

0,33

Polyethylenoxid, Molekulargewicht ca. 200

0,45

0,65

16

0,41

Polydimethylsiloxan

0,02

0,91

17

0,33

leicht verzweigtes Siliconöl mit alkylhydroxigruppenhaltigen Kettenenden

0,19

0,65

18

0,33

polyestermodifiziertes Polysiloxan

0,65

0,71

19

0,39

polyestermodifiziertes Polysiloxan

0,09

0,79

20

0,54

polyestermodifiziertes Polysiloxan mit 20 mol % Restreaktivität

1,53

0,62

21

0,41

polyestermodifiziertes Polysiloxan mit 20 mol% Restreaktivität

1,35

0,62

* Für Strukturformeln und chemisch korrekte Bezeichnungen siehe www.chemblink.com.

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Oberflächenbehandlungen von Pigmenten

Tabelle 2.3: (Fortsetzung) ˜g D N · cm-2

χ

polyestermodifiziertes Polysiloxan mit 20 mol % Restreaktivität

1,47

0,57

0,44

polyestermodifiziertes Polysiloxan

0,44

0,65

24

0,16

Polydimethylsiloxan

0,45

0,69

25

0,32

Polydimethylsiloxan

0,46

0,7

26

0,4

Polydimethylsiloxan

0,65

0,75

27

0,41

Polydimethylsiloxan

0,38

0,78

Substanz-Nr.

Belegmenge in Gew.-%

22

0,52

23

Bezeichnung

Die Komprimierbarkeit gibt das Ausmaß der Verformung der Agglomerate beim Bruch wieder3. Bei den Substanzen 20 bis 22 handelt es sich um polyestermodifizierte Polysiloxane mit Si-H-Gruppen. Zunächst einmal kann festgestellt werden, dass die organischen Oberflächenbehandlungen einen sehr großen Einfluss auf die Agglomeratfestigkeiten haben. Die Druckfestigkeiten reichen von 1,35 N/cm2 (unbelegte Nullprobe) bis zu 0,02 N/cm2 im Falle einer reinen Polydimethylsiloxan-Belegung (Probe Nr. 16). Die Proben 20 bis 22 haben sogar noch höhere Druckfestigkeiten als die Nullprobe, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass unter den Applikationsbedingungen (Wasserdampf) die Si-H-Gruppen hydrolysierten und die gebildeten Si-OH-Gruppen mit den Ti-OH-Gruppen der Titandioxid-Pigmentteilchen zu Ti-O-Si-Gruppen reagierten. Wenn ein reaktives Polysiloxanmolekül auf diese Weise mit zwei Pigmentteilchen reagiert, so könnte das eine verfestigenden Einfluss auf die Agglomerate haben. Jedenfalls fallen diese Proben in einigen Eigenschaften aus dem Trend der Übrigen heraus. In der Abbildung 2.9 ist die Komprimierbarkeit der Agglomerate gegen ihre Druckfestigkeiten

Abbildung 2.9: Komprimierbarkeit von Titandioxid Pigmentagglomeraten in Abhängigkeit von ihrer Festigkeit

3 Die genaue Definition ist in der Originalliteratur (J. Winkler, farbe + lack 94 (1988) 108) aufgeführt.

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

aufgetragen. Die Komprimierbarkeiten nehmen tendenziell mit zunehmender Agglomeratfestigkeit ab. Je höher die Komprimierbarkeit der Agglomerate ist, umso weniger dicht sind sie gepackt. Die Abbildung 2.10 zeigt die Grindometerfeinheit (DIN EN 21 524 bzw. ISO 1524) der Pigmente bei der Dispergierung in einer Alkydharzrezeptur in Abhängigkeit von der Druckfestigkeit der Proben. Ein höherer Feinheitswert weist auf eine schlechtere Abbildung 2.10: Dispergierfeinheiten von TitandiDispergierung hin. Erwartungsoxidpigmenten (Grindometer Ablesung) in einem Standard-Dispergierbarkeitstest in Abhängigkeit gemäß sind festere Agglomerate von der Druckfestigkeit der Pigmentagglomerate weniger leicht zu dispergieren, und der Vergleich mit der Abbildung 2.8 besagt, dass weniger komprimierbare Agglomerate auch schlechter zu dispergieren sind. Das ist vernünftig, weil dichter gepackte Agglomerate über mehr Kontaktstellen der Pigmentteilchen untereinander verfügen, von denen Haftkräfte ausgehen. Die reaktiven Silane verhalten sich hinsichtlich der Dispergierfeinheit nicht so, wie Abbildung 2.11: Zusammenhang zwischen der das von ihrer Druckfestigkeiten Druckfestigkeit von Titandioxid Pigmentagglomeraten und berechneten Anziehungsenergien her vielleicht zu erwarten wäre. zwischen Teilchen der Größe 0,3 µm Dies ist dadurch erklärlich, dass nur jeweils zwei Pigmentpartikel chemisch miteinander verbunden sein können, was bei einer mittleren Pigmentteilchengröße von 0,3 µm nicht zu einem schlechteren Grindometerwert führen wird. Andererseits könnten die chemischen Bindungen einen zusätzlichen Fließwiderstand der Pigmentteilchen bewirken, was die Druckfestigkeit erhöhen würde. Die Nullprobe zeigt erwartungsgemäß eine schlechte Dispergierfeinheit. In der Abbildung 2.11 sind die Druckfestigkeiten gegen die nach Gleichung 2.18 errechneten Anziehungsenergien der Teilchen aufgetragen. Dabei sind die Anzie-

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Oberflächenbehandlungen von Pigmenten

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hungsenergien als Vielfaches von k · T (k = Boltzmannkonstante, T = 293 K) angegeben. Mit Ausnahme der Silikonöle mit Restreaktivität gibt es eine Korrelation zwischen der errechneten Anziehungsenergie und den gemessenen Druckfestigkeiten. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass die dispergierbarkeitsverbessernde Wirkung der organischen Oberflächenbehandlungen in erster Linie auf die Beeinflussung der dispersiven Wechselwirkungen der Teilchen untereinander beruht. Je geringer die Hama- Abbildung 2.12: Dispergierfeinheiten von kerkonstante der organischen Titandioxid-Pigmenten (Grindometer-Ablesung) in einem Standard-Dispergierbarkeitstest in Oberflächenbehandlung ist, Abhängigkeit von berechneten Anziehungsenerumso geringer sind die Anzie- gien zwischen Teilchen der Größe 0,3 µm hungskräfte der zwischen den Teilchen zum Zeitpunkt der Agglomeratentstehung. Dies führt zu weniger dicht gepackten Agglomeraten, die weniger Kontaktstellen der Teilchen untereinander haben, und bei denen die mittlere Haftkraft pro Kontaktstelle außerdem noch geringer ist. Die Abbildung 2.12 zeigt den Zusammenhang zwischen der Dispergierbarkeit und den errechneten Anziehungsenergien, der sich auch aus den Abbildungen 2.10 und 2.11 erschließt. Während eine gute Dispergierbarkeit der Pigmente meistens erwünscht ist, haben kleinere dispersive Wechselwirkungen der Pigmentpartikel untereinander zur Folge, dass die Pigmente leichter stauben. Die Voraussetzung für Staubentwicklung ist schließlich, dass sich einzelne Pigmentpartikel von den Agglomeraten trennen und aufgrund ihres geringen Gewichts mehr oder weniger lange in der Luft verbleiben. Die Staubneigung lässt sich z.B. messen, indem man eine bestimmte Menge Pigment mit Hilfe einer Fallklappe in einen Glaszylinder fallen lässt und anschließend einen Luftstrom quer zum Glaszylinder anlegt. Dabei wird der Pigmentstaub ausgetragen, in einem Filter aufgefangen und zurückgewogen. Die Abbildung 2.13 zeigt eine solche Apparatur. Als Maß für die Staubentwicklung kann der prozentuale Staubanteil bezogen auf die eingesetzte Probenmenge herangezogen werden. Die Abbildung 2.14 bestätigt, dass Pigmente mit weniger dispersiven Wechselwirkungen mehr stauben.

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

Organische Oberflächenbehandlungen mit niedriger Hamakerkonstante senken zwar die Agglomeratfestigkeit und verbessern damit deren mechanische Zerteilbarkeit. Nachteilig ist jedoch, dass sie nur wenig Wechselwirkungen mit anderen Molekülen eingehen. Die Substanz Nr. 16, das Polydimethylsiloxan, welches zu der geringsten Agglomeratfestigkeit, der besten Dispergierbarkeit (und der höchsten Staubentwicklung) führt, wird wegen seiner niedrigen Hamakerkonstanten z.B. als Trennmittel im Kunststoff-Spritzguss verwendet. Damit lassen sich die gegossenen Kunststoffteile leichter aus der Spritzform lösen. Ein solches Silikonöl auf einer Pigmentoberfläche verhindert in den Anwendungssystemen jedoch, dass flockungsstabilisierende Abbildung 2.13: Bindemittel- oder Dispergierhilfsmittelmoleküle an Apparatur zur Bestimmung des Staubens von die Pigmentoberfläche gehen4. Das Pigment ist dann Pigmenten, zwar mechanisch leicht zu dispergieren, aber es flockt Quelle: Sachtleben Chemie GmbH in den Anwendungsmedien vollständig aus. Das Titandioxid-Pigment Nr. 16 zeigt deswegen in der Prüfrezeptur, in der die Dispergierfeinheit bestimmt wird (Abbildung 2.10 und 2.12) bei Weitem das schlechteste Streuvermögen! Soll eine gute Dispergierbarkeit mit guten kolloidchemischen Eigenschaften kombiniert werden, so bietet sich an, eine organische Oberflächenbehandlung mit höherer Hamakerkonstanten, jedoch in größeren Mengen einzusetzen. Verwendet man die erwähnten glykolischen Substanzen, so ist gewährleistet, dass sie sowohl in wässrigen als auch in lösemittelhaltigen Systemen sich von der Pigmentoberfläche lösen, und sie somit für die Adsorption von höhermolekularen Rezeptbestandteilen freimachen. Dies lässt sich leicht prüfen, indem aus dem Pigment (notfalls unter Zugabe von wenig Gips) DünnschichtAbbildung 2.14: Zusammenhang zwischen ch romatograph ieplättchen berechneten Anziehungsenergien zwischen hergestellt werden. Die orgaTitandioxid-Pigmentpartikeln der Größe 0,3 µm und der Staubentwicklung nischen Oberflächenbehand4 In wässrigen Medien würde ein Polydimethylsiloxan an der Pigmentoberfläche eine „freiwillige“ Benetzung mit Wasser sogar vollständig verhindern!

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Einsatz von organischen und anorganischen Pigmenten

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lungen lassen sich auftüpfeln und mit den infrage kommenden Lösemitteln als Laufmittel dünnschichtchromatographisch untersuchen. Wandert bei der Dünnschichtchromatographie die Oberflächenbehandlung, so ist (sogar qantitativ) der Beweis erbracht, dass die Oberflächenbehandlung bei dem Lösemittel oder Lösemittelgemisch ein Adsorptions-/Desorptionsgleichgewicht eingeht.

2.6 Einsatz von organischen und anorganischen Pigmenten In polymeren Verbundwerkstoffen werden, neben Füllstoffen, sowohl anorganische, als auch organische Pigmente eingesetzt. Dabei werden anorganische Pigmente sowohl aufgrund ihrer färbenden Wirkung als auch aufgrund anderer Eigenschaften wie Leitfähigkeit, Korrosionsschutz, Steinschlagschutz etc. eingesetzt. Organische Pigmente hingegen werden ausschließlich wegen ihres Färbevermögens verwendet. Pigmente wirken im farbmetrischen Sinn durch ein Zusammenspiel von Lichtabsorption und Lichtstreuung, die durch den Absorptionskoeffizienten, bzw. dem Streukoeffizienten gekennzeichnet werden. Der Absorptionskoeffizient steigt mit zunehmender Pigmentfeinheit an und ist direkt proportional zur eingesetzten Pigmentmenge. Der Streukoeffizient ist am größten für Pigmente, deren Durchmesser etwa die Hälfte der Wellenlänge des eingestrahlten Lichtes entspricht. Sowohl kleinere als auch größere Pigmentpartikel streuen das Licht schlechter. Außerdem ist die Lichtstreuung besser, je größer der Brechzahlunterschied zwischen dem Pigment und dem umgebenden Medium ist. Mit zunehmender Konzentration an Pigment steigt der Streukoeffizient an, durchläuft dann ein Maximum und fällt wieder ab (siehe Abbildung 2.15). Anorganische Pigmente haben gewöhnlich eine größere Brechzahl und streuen das Licht deswegen besser. Man spricht hier von „deckenden Pigmenten“. Diese Pigmente benötigen kein zusätzliches Weißpigment, um einem Werkstoff eine Farbe zu verleihen. Organische Pigmente sind eher feinteiliger und daher transparenter. Sie sind in den meisten Fällen im Vergleich zu anorganischen Pigmenten recht intensiv gefärbt. Nachteilig an ihnen ist ihre geringere Temperaturbeständigkeit, sowie ihre zumeist schlechtere Abbildung 2.15: Abhängigkeit des LichtabLichtechtheit und Wetterbestän- sorbtionskoeffizienten K (gestrichelte Kurve) digkeit. Organische Pigmente nei- und des Lichtstreukoeffizienten S von der gen dazu, sich im Werkstoff unter Pigmentpartikelgröße (Prinzipskizze)

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Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

Einfluss von diffundierender Feuchtigkeit aufzulösen. Sie „migrieren“ und „kreiden“. Zu den anorganischen Pigmenten [15] zählen oxidische Verbindungen wie Titandioxid (TiO2) in der Anatas- und Rutilstruktur, die verschiedensten Eisenoxide in unterschiedlichen Oxidationsstufen, z.B. α-FeOOH (Goethit), γ-FeOOH (Lepidocrit), α-Fe2O3 (Hematit), γ-Fe2O3 (Maghemit) und Fe3O4 (Magnetit), Chromoxid (Cr2O3), aber auch oxidische Mischphasenpigmente, wie verschiedene Titanate etc. Pigmentruße zählen ebenso zu den anorganischen Pigmenten wie die Sulfide und Selenide einiger Metalle wie Zink (ZnS) und Cadmium (CdS, CdSe). Zu den organischen Pigmenten [16] zählen Azopigmente, polycyclische Pigmente und Anthrachinonpigmente. In der Tabelle 2.4 sind die verschiedenen Typen mit ihren wichtigsten Eigenschaften zusammengefasst. Aufgrund ihrer Feinteiligkeit sind organische Pigmente meistens schlechter zu dispergieren als anorganische Pigmente, die gröber sind. Das liegt in erster Linie nur an der Feinteiligkeit, denn sowohl transparente anorganische Pigmente als auch Pigmentruße sind vergleichbar schwer zu dispergieren5. Weil die meisten anorganischen Pigmente polarere Oberflächen haben, werden sie gewöhnlich leichter und besser benetzt. Das liegt auch an dem zumeist niedrigeren Hohlraumvolumen innerhalb der Agglomerate anorganischer Pigmente, was die Benetzung zusätzlich fördert (siehe Kapitel 3.3). Die meisten organischen Pigmente sind deutlich teurer als anorganische Pigmente und je höherwertiger sie sind, umso teurer werden sie. Aufgrund des oft deutlich höheren Preises ist es aus ökonomischen Gründen sehr wichtig, dass sie gut dispergiert werden. Bei schlechter Dispergierung oder Verringerung des Absorptionskoeffizienten durch Flockung kann man schnell 30 % bis 50 % des Färbevermögens verlieren. Zu den Füllstoffen, die in Beschichtungsstoffen eingesetzt werden und zu deren Eigenschaften sei abermals auf die Literatur verwiesen [17].

5 Im Kapitel 5 wird ausgeführt werden, dass dies an der geringeren Stresswahrscheinlichkeit beim Dispergieren liegt. Kleinere Agglomerate sind schwieriger zu stressen.

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gut gut

Metallkomplex-Pigmente

Isoindolin- und Isoindolinon-Pigmente

Thioindigo-Pigmente

gut

sehr gut

gut

Chinacridon-Pigmente

Perylen- und Perinon-Pigmente

gut

Phthalocyanin-Pigmente

Polycyclische Pigmente

gut

mäßig

schlecht

Verlackte Azopigmente

Disazokondensations-Pigmente

gut

gut

Naphthol AS-Pigmente

gut

gut

sehr gut

sehr gut

gut

gut

gut

sehr gut

gut

gut

Beta-Naphtholpigmente

gut

mäßig

mäßig

Disazopigmente

Benzimidazolon-Pigmente

gut

Lichtechtheit

mäßig

Wetterechtheit

Monoazogelb- und -orangepigmente

Azopigmente

Tabelle 2.4: Organische Pigmente

gut

gut

gut

sehr gut

gut

gut

gut

sehr gut

mäßig

schlecht

schlecht

mäßig

schlecht

Lösemittelechtheit

gut

gut

sehr gut

sehr gut

gut

gut

gut

sehr gut

mäßig

schlecht

schlecht

mäßig

schlecht

Migrationsbeständigkeit

Industrielacke, Autoreparaturlacke

Industrielacke, Autolacke, Spezialdruckfarben

Industrielacke, Autolacke, Kunststoffe

Industrielacke, Autolacke, Kunststoffe

Kunststoffe, hochwertige Lacke

Industrielacke, z.T. Autolacke

Kunststoff, Spinnfärbung

Autolacke, Druckfarben, Kunststoffe

Druckfarben

Druckfarben, Lacke

Lacke

Druckfarben, Kunststoffe

Lacke, Farben, Druckfarben

Anwendung

Einsatz von organischen und anorganischen Pigmenten 55

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mäßig

Chinophthalon-Pigmente

sehr gut sehr gut gut sehr gut

Anthrapyrimidin-Pigmente

Flavanthron-Pigmente

Pyranthron-Pigmente

Anthranthron-Pigmente

Anthrachinon-Pigmente

mäßig

gut

sehr gut

Wetterechtheit

Triarylcarbonium-Pigmente

Dioxazin-Pigmente

Diketopyrrolopyrrol-Pigmente

Polycyclische Pigmente (Fortsetzung

Tabelle 2.4: (Fortsetzung)

sehr gut

gut

sehr gut

sehr gut

mäßig

mäßig

gut

sehr gut

Lichtechtheit

gut

gut

gut

gut

mäßig

mäßig

sehr gut

sehr gut

Lösemittelechtheit

gut

gut

gut

gut

mäßig

mäßig

sehr gut

sehr gut

Migrationsbeständigkeit

Industrielacke, Metallics für Automobil

Industrielacke, Autoreparaturlacke

Autolacke

Industrielacke, Autoreparaturlacke

Kunststoffe, Lacke

Druckfarben

Lacke, Druckfarben, Spinnfärbung, Kunststoffe

Autolacke

Anwendung

56 Pigment- und Füllstoff-Oberflächen

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Literaturhinweise

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Literaturhinweise [1] DIN 66 132 [2] G. Kämpf, W. Liehr, H. G. Völz, farbe + lack 76 (1970) 1105; F. Kindervater, farbe + lack 71 (1965) 445; G. Kämpf, farbe + lack 71 (1965) 353 [3] L. Sachs, „Angewandte Statistik“, 6. Auflage, Springer Verlag, Berlin 1984, Seite 81 [4] J. Winkler, farbe + lack, 89, (1983) 332 [5] H. C. Hamaker, Physica 4 (1937) 1058 [6] J. Winkler, farbe + lack, 94 (1988) 263–270 [7] J. Winkler „Titandioxid“, U. Zorll Hrsg., Vincentz Verlag (2003), S. 55 [8] H. Rumpf, Chemie-Ing.-Techn., 46 (1974) 1 [9] D. Schulze, Chem. Ing. Techn. 67 (1995) 60–68 [10] J. Winkler, „Titandioxid“, U. Zorll Hrsg., Vincentz Verlag, Hannover (2003), S. 38 [11] J. Winkler, Titandioxid, U. Zorll Hrsg., Vincentz Verlag, Hannover 2003, S. 71–78] [12] P.M.M. Vervoorn, Colloids and Surfaces, 25 (1987) 145–154 [13] J. Winkler, farbe + lack, 94 (1988)S. 108–114 und S. 263–269 [14] M. Vold, J. Colloid Sci., 16 (1961) 1–12 [15] Industrial Inorganic Pigments, G. Buxbaum Ed., VCH, Weinheim, 1993 [16] W. Herbst, K. Hunger, Industrielle Organische Pigmente, VCH, Weinheim, 1987 [17] D. Gysau, Füllstoffe: Grundlagen und Anwendungen, Vincentz Verlag, Hannover 2005

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Benetzung von Pigmentoberflächen

3 Benetzung von Pigmentoberflächen Typische Werte der spezifischen Oberflächen von Pigmenten und Füllstoffen liegen zwischen von < 1 m2/g bis hin zu 300 m2/g. Bei der Einarbeitung der Pigmente in flüssige Medien muss diese Oberfläche vollständig benetzt werden. In diesem Kapitel werden die physikalischen Grundlagen von Benetzungsvorgängen zunächst an ebenen Feststoffoberflächen behandelt. Anschließend wird auf die Besonderheiten der Benetzung von Pigmenten und Füllstoffen eingegangen.

3.1 Bedeutung der Benetzung für den Dispergierprozess Im Kapitel 2 wird erklärt, dass trockene Pigmentpulver aufgrund der van der Waals-Wechselwirkung immer als Agglomerate vorliegen. Beim Dispergieren werden diese Agglomerate durch mechanische Beanspruchung in die einzelnen Primärteilchen zerlegt. Die dafür erforderliche Kraft ist deutlich geringer, wenn die Agglomerate durchfeuchtet sind. Das liegt daran, dass die effektive, d.h. wirksame, Hamakerkonstante Aeff, die für die Anziehungsenergie von Teilchen untereinander eine wesentliche Rolle spielt (siehe Gleichung 2.13), in einem Medium verringert wird. Für ein Partikel mit der Hamakerkonstanten A P in einem Medium mit der Hamakerkonstanten A M ist die effektive Hamakerkonstante Gleichung 3.1

Aeff = (A P1/2 – A M1/2)2

Die Gleichung 3.1 zeigt, dass die effektive Hamakerkonstante und damit die dispersive Wechselwirkung zwischen den Pigmentteilchen kleiner wird je ähnlicher A P und A M werden. Das heißt nichts anderes, als dass die Wechselwirkungen dann zunehmend zwischen Pigment und Medium erfolgen und weniger zwischen den Pigmentteilchen untereinander. Ein Titandioxidpigment in der Rutilmodifikation hat eine Hamakerkonstante von etwa 2,7 · 10 -19 J [1]. Luft hat eine Hamakerkonstante von lediglich 3,8 · 10 -25 J, während Wasser bei 8 · 10 -20 J und organische Flüssigkeiten zwischen 5 · 10 -20 J und 8 · 10 -20 J liegen. In einem vollständig von Wasser durchfeuchteten Agglomerat ist die van der Waals-Anziehung der Titandioxid-Partikel gemäß Gleichung 3.1 Jochen Winkler: Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen © Copyright 2010 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Oberflächenspannung

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also lediglich etwa 20 % des Wertes im trockenen Agglomerat. Aus diesem Grund erleichtert die Pigmentbenetzung die Dispergierbarkeit von Pigmentagglomeraten erheblich. Vor der Entwicklung geschlossener Rührwerkskugelmühlen, als Dispergiermaschinen noch nicht so hohe Leistungseinträge ermöglichten, war es üblich, Pigmente vor der Dispergierung „einzusumpfen“. Darunter verstand man, dass die Pigmente in die flüssige Phase der „Mahlpasten“1 eingebracht wurden und diese Ansätze wenigstens für einige Stunden, meistens über Nacht, ruhen gelassen wurden. Dispergiert wurde erst, wenn die Luft aus den Agglomeraten verschwunden war, d.h. wenn keine oder nur noch wenige Gasblasen aus der Mahlpaste aufstiegen. Heute nimmt man sich diese Zeit gewöhnlich nicht. Das kann dazu führen, dass nach erfolgter Dispergierung in den noch vorhandenen Agglomeraten nicht benetzte Pigmentoberfläche vorliegt. Die dann stattfindende „Nachbenetzung“ ist dann für Viskositätsanstiege bis hin zum Eindicken der Mahlpasten verantwortlich. Benetzungsvorgänge werden, im thermodynamischen Sinn, von dem Zusammenwirken der Oberflächenspannungen von Flüssigkeiten, Oberflächenenergien der Feststoffe und Grenzflächenspannungen zwischen den flüssigen und festen Phasen bestimmt. Bei der Kinetik (Geschwindigkeit) von Benetzungsvorgängen spielt darüber hinaus auch die Viskosität (Zähigkeit) der Flüssigkeit eine Rolle. Je höher die Viskosität ist, umso langsamer erfolgt die Benetzung.

3.2

Oberflächenspannung

Bei der Benetzung wird eine Phasengrenzfläche fest/gasförmig (oder fest/ Vakuum) gegen eine Grenzfläche fest-flüssig ausgetauscht. Bringt man Tropfen jeweils verschiedener Flüssigkeiten auf eine glatte Feststoffoberfläche, so lässt sich beobachten, dass die Tropfen unterschiedlich verlaufen je nach Flüssigkeit und verwendetem Untergrund. Ein Tropfen Quecksilber auf einer Glasplatte sieht fast wie eine Kugel aus und rollt wie ein Ball, wenn man die Glasplatte neigt. Ein Tropfen Wasser bildet eine Kalotte, die aussieht wie eine halbe Linse. Ein Tropfen Ethanol verläuft spontan und vollständig mit einer regelrechten „Bugwelle“ am äußeren Rand des verlaufenden Tropfens. Man spricht im letzteren Fall vom „Spreiten“ der Flüssigkeit. Die Ursache für das unterschiedliche Verhalten liegt in den unterschiedlichen Wechselwirkungen der beteiligten Substanzen: Untergrund, Flüssigkeit und Gasraum. 1 Eigentlich müsste es „Dispergierpaste“ heißen, weil die Pigmente nicht gemahlen, sondern dispergiert werden. Im Sprachgebrauch hat sich allerdings, unabhängig davon, die Vokabel „Mahlen“ durchgesetzt.

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Benetzung von Pigmentoberflächen

Abbildung 3.1: Definition der freien Oberflächenenergie

Eine wichtige physikalische Größe, mit der man das unterschiedliche Verhalten der drei Flüssigkeiten in dem Experiment erklären kann, ist die „freie Oberflächenenergie“. Darunter versteht man die isotherme, reversible Arbeit, die erforderlich ist, um eine Oberfläche (bzw. Grenzfläche, im Falle der Grenzflächenenergie) entstehen zu lassen. Isotherm bedeutet, dass die Entstehung der Oberfläche ohne eine Veränderung der Temperatur stattfindet. Reversibel bedeutet, dass die Veränderungen in einem thermodynamischen Gleichgewicht stattfinden. Damit ist ausgesagt, dass durch Veränderung der Einflussgrößen die entstehende Flüssigkeitsoberfläche und die Grenzfläche zwischen Flüssigkeit und Feststoff sowohl größer als auch kleiner werden können. Die Abbildung 3.1 verdeutlicht den Begriff der freien Oberflächenenergie am Beispiel des Entstehens zweier Oberflächen einer Substanz. Die Substanz wird geteilt, wobei die Arbeit W aufgebracht werden muss, um zwei Oberflächen jeweils der Größe O entstehen zu lassen. Die freie Oberflächenenergie γ ist der Quotient aus der Arbeit W und der gebildeten Fläche 2 · O. W Gleichung 3.2 γ= 2·O Aus Gleichung 3.2 lässt sich (nach Umformung) die Arbeit berechnen, die benötigt wird, um eine beliebige Oberfläche einer Substanz zu Luft zu generieren, vorausgesetzt, dass die freie Oberflächenenergie γ bekannt ist. Die freie Oberflächenenergie hat die physikalische Dimension Arbeit/Fläche, also Joule/Quadratmeter (J/m2) bzw. Newton · Meter/Quadratmeter (Nm/m2). Durch Kürzen der Dimension Meter kommt man auf die Dimension Newton/Meter (N/m). Im Falle von Flüssigkeiten wird die freie Oberflächenenergie auch als Oberflächenspannung bezeichnet. Aus Praktikabilitätsgründen werden Oberflächenspannungen meist in Milli-Newton pro Meter angegeben, also tausendstel Newton pro Meter, was zu der möglicherweise irreführenden Angabe der physikalischen Dimension als „mN/m“ führt2. 2 In der älteren Literatur wird die Oberflächenspannung in dyn/cm angegeben (cgs-System), was zahlenmäßig mN/m entspricht.

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Oberflächenspannung

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Die Ursache für das Auftreten der freien Oberflächenenergie bzw. der Oberflächenspannung liegt darin begründet, dass die Moleküle im Inneren einer Flüssigkeit vollständig von anderen Flüssigkeitsmolekülen umgeben sind, während das für die Moleküle an der Oberfläche nicht gilt. Die Moleküle gehen die in Kapitel 1 vorgestellten Wechselwirkungen untereinander ein. Innerhalb der Flüssigkeit bilden sich diese physikalischen Wechselwirkungen für ein Molekül in alle Raumrichtungen aus. Oberflächenständige Flüssigkeitsmoleküle hin- Abbildung 3.2: Alternative Definition der gegen haben nur „neben“ sich und freien Oberflächenenergie „unter“ sich direkte Partner, mit denen sie Wechselwirkungen eingehen können, während sie „nach oben“, d.h. zur Dampfphase hin, kaum Wechselwirkungen haben. Das allein schon, weil in der Dampfphase die Konzentration an Molekülen so gering ist. Deswegen verhalten sich Flüssigkeitsoberflächen wie gespannte, elastische Membranen. Die Moleküle an der Oberfläche werden also in die Flüssigkeit hineingezogen. Physikalisch nicht ganz korrekt3, aber dafür anschaulich, lässt sich die Oberflächenspannung also auch als die Kraft verstehen, mit der eine Molekülreihe der Länge l in die Flüssigkeit hineingezogen wird. Die Abbildung 3.2 visualisiert dieses Bild. Die Oberflächenspannung des Wassers ist beispielsweise der Grund dafür, dass Nebeltröpfchen kugelförmig sind. Die Kugel ist das geometrische Gebilde mit dem kleinsten Verhältnis von Oberfläche zu Volumen. Mit Hilfe der Oberflächenspannung lässt sich auch erklären, warum kleinere Nebeltröpfchen einen höheren Dampfdruck als größere haben. Je kleiner die Tröpfchen sind, d.h. je gekrümmter die Oberfläche ist, umso weniger Nachbarn haben die oberflächenständigen Moleküle, die sie in die Flüssigkeit hineinziehen. Deswegen treten sie leichter in die Gasphase über als Flüssigkeitsmoleküle an einer weniger gekrümmten Flüssigkeitsoberfläche4. Zur Messung der Oberflächenspannung von Flüssigkeiten gibt es eine Reihe von Verfahren. Gebräuchlich sind z.B. die Wilhelmy-Plattenmethode, die Du-Nouy3 Auch eine Molekülreihe ist nicht eindimensional, sondern hat eine räumliche Ausdehnung 4 Auch die Ostwaldreifung, d.h. die Vergröberung kolloiddisperser Systeme bei der Lagerung, ist so erklärbar.

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Benetzung von Pigmentoberflächen

Ringmethode und die Steighöhenmethode mit Hilfe einer Kapillare um „statische Oberflächenspannungen“ zu bestimmen. Daneben gibt es die Blasentensiometermethode zur Bestimmung der „dynamischen Oberflächenspannung“, mit der man bevorzugt die Oberflächenspannungen wässriger Lösungen von Tensiden untersucht. Mit dieser Methode lässt sich feststellen, wie schnell die Tensidmoleküle an frisch entstandene Flüssigkeitsoberflächen hin diffundieren. All diese Verfahren und weitere sind in allgemeinen Lehrbüchern der physikalischen Chemie beschrieben, z.B. in [2], oder im Internet aufzufinden. Oberflächenspannungen von Flüssigkeiten nehmen mit zunehmender Temperatur ab, weil die Brown’sche Molekularbewegung, die mit zunehmender Temperatur größer wird, der einwärts gerichteten Anziehungskraft auf die oberflächenständigen Moleküle entgegenwirkt. Am kritischen Punkt, also bei der Temperatur Tc, ab der sich ein Gas durch Druck nicht mehr verflüssigen lässt, wird gemäß der Eötvös-Gleichung 3.3 die Oberflächenspannung schließlich Null. k(Tc – T) Gleichung 3. 3 γ= 3 — —— 2 √Vmol In Gleichung 3.3 ist k eine von der Flüssigkeit unabhängige, universelle Konstante. Sie hat den Wert 2,1 · 10 -7 J/K · mol-2/3. Vmol ist das Molvolumen und T die Temperatur in Kelvin. Im Fall zweier nicht miteinander mischbarer Flüssigkeiten (z.B. Öl und Wasser) bilden sich in Mischungen zwei separate „Phasen“, d.h., es bilden sich Grenzflächen zwischen den beiden Flüssigkeiten aus. Die Entstehung der beiden Phasen (Entmischung) aus einem Gemisch der beiden Flüssigkeiten ist darauf zurückzuführen, dass die beiden Flüssigkeitsmolekülsorten jeweils sehr viel mehr physikalische Wechselwirkungen untereinander als mit den Molekülen der anderen Flüssigkeitssorte eingehen. An der sich bildenden Grenzfläche herrscht dann an Stelle einer Oberflächenspannung eine „Grenzflächenspannung“ vor. Die Grenzflächenspannung ist, analog zur Oberflächenspannung, die isotherme, reversible Arbeit, die erforderlich ist, um die Grenzfläche zu schaffen. Sie ist der Grund dafür, dass bei einer Vinaigrette, also einer Salatsoße bestehend aus Essig und Öl, die Öltröpfchen mit der Zeit immer größer werden und das Öl schließlich auf dem Essig schwimmt: Während der gesamten Entmischung wird die Essig/ÖlGrenzfläche immer kleiner. Auch Feststoffe haben eine Oberflächenspannung. Gewöhnlich wird sie (korrekterweise) allerdings als Oberflächenenergie bezeichnet. Fügt man einer Flüssigkeit Substanzen zu, die schlecht in der Flüssigkeit löslich sind, so reichern sich diese Zugaben in der Regel an der Oberfläche der Flüssigkeit an. Weil an der Flüssigkeitsoberfläche dann Moleküle vorliegen, die weniger Wechselwirkungen mit der Flüssigkeit eingehen, werden sie weniger stark in das

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Young-Gleichung

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Medium hineingezogen. Deswegen sinkt die messbare Oberflächenspannung unter den Wert, den die reine Flüssigkeit hat. So lässt sich beispielsweise die Erniedrigung der Oberflächenspannung von Wasser bei der Zugabe von Seifen und auch der Abfall der Oberflächenspannung von Mischungen aus Wasser und organischen Flüssigkeiten erklären [3]. Die für Benetzungsvorgänge so wichtigen Eigenschaften Oberflächenspannung, Grenzflächenspannung und Oberflächenenergie beruhen also auf den physikalischen Wechselwirkungen, welche die Moleküle untereinander eingehen.

3.3

Young-Gleichung

Das zu Beginn des Kapitels 3.1 beschriebene Verhalten von Flüssigkeitstropfen auf einem ebenen Untergrund wurde im Jahre 1805 von Thomas Young beschrieben [4]. Er berichtete, dass einigermaßen reines („moderately clean“) Quecksilber bei Raumtemperatur auf Glas einen Randwinkel von etwa 140° ausbildet, während der Randwinkel von Wasser verschwindend gering sei. Der Randwinkel („Kontaktwinkel“) einer Flüssigkeit auf einem Untergrund ist in der Abbildung 3.3 dargestellt. Der Randwinkel lässt sich bei seitlicher Betrachtung eines Tropfens bestimmen, indem man am Fußpunkt des Tropfens eine Tangente an die Krümmung des Flüssigkeitstropfens legt. Dieser Winkel ergibt sich durch das Zusammenspiel von Energien (Arbeiten)5, die aufgebracht werden müssen, bzw. frei werden, wenn die Flüssigkeit in Kontakt zu der Feststoffoberfläche gelangt. Es ist die freie Oberflächenenergie γS des Feststoffs, die den Tropfen auseinanderzieht, während die Projektion des Vektors der Oberflächenspannung γL der Flüssigkeit auf die Feststoffoberfläche und die Grenzflächenspannung γSL zwischen der Flüssigkeit und der Feststoffoberfläche versuchen, das Verlaufen des Tropfens zu verhindern. Im thermodynamischen Gleichgewicht gilt: Gleichung 3.4

γS = γSL + γL cosθ

Die Gleichung 3.4 wird die Young-Gleichung bzw. Young-Dupré-Gleichung genannt. Die Abbildung 3.4 zeigt die Zusammenhänge schematisch am Beispiel eines frisch auf eine Oberfläche aufgebrachten Flüssigkeitstropfens. Zu Beginn (Abbildung 3.4a) ist die freie

Abbildung 3.3: Messung von Randwinkeln

5 Energie und Arbeit sind identische Größen. Energie ist definiert als die Fähigkeit, Arbeit zu leisten.

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Benetzung von Pigmentoberflächen

Abbildung 3.4: Kräfteverhältnisse beim Verfließen eines Tropfens einer Flüssigkeit auf einem ebenen Untergrund a: Zustand direkt nach Aufbringung eines Tropfens, b: Zustand beim Verfließen, c: Zustand im Gleichgewicht

Oberflächenenergie des Feststoffs weit größer als die Summe aus der Grenzflächenspannung und der Projektion der Oberflächenspannung auf den Untergrund. Deswegen verfließt der Tropfen. Dabei nimmt mit flacher werdendem Randwinkel der Flüssigkeit der Beitrag der Oberflächenspannung der Flüssigkeit immer mehr zu (Abbildung 3.4b). Im Gleichgewicht (Abbildung 3.4c) ist die Gleichung 3.4 erfüllt. Die Oberflächenenergien von Feststoffen in Kontakt zu Vakuum sind im Vergleich zu Oberflächenenergien von Feststoffen in Kontakt mit Luft, welches verdunstete Flüssigkeitsmoleküle enthält, weit höher. Durch die Adsorption der Flüssigkeitsmoleküle wird nicht nur die Oberflächenenergie herabgesetzt. Auch die Grenzflächenspannung ist verkleinert, wenn bereits Flüssigkeitsmoleküle auf der Oberfläche adsorbiert sind. Aus der Luft adsorbierte Wassermoleküle senken die freie Oberflächenenergie herab. Deswegen wird in Gleichung 3.4 noch ein Korrekturterm eingeführt, der so genannte Filmdruck π. Der Filmdruck ist die Differenz der freien Oberflächenenergie eines Feststoffs im Vakuum γSV und seiner freien Oberflächenenergie γS mit adsorbierten Molekülen. Gleichung 3.5

γSV – γS = π

Durch Einsetzen von Gleichung 3.5 in die Young-Gleichung 3.4 erhält man Gleichung 3.6

γS – π = γSL + γL cosθ

Der Filmdruck (Englisch: „spreading pressure“) lässt sich aus Adsorptionsisothermen berechnen, sofern bekannt ist, welche Moleküle zu welchem Ausmaß an der

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Young-Gleichung

Oberfläche des Feststoffs adsorbiert sind [5]. Weil man das in der Praxis nicht genau weiß, und weil die Belegung einer Feststoffoberfläche z.B. mit Feuchtigkeit aus der Luft täglich anders sein kann, je nach Temperatur und relativer Luftfeuchtigkeit, ist es sehr schwierig, den Einfluss des Filmdrucks quantitativ vorherzusagen. Der Filmdruck kann einen erheblichen Einfluss haben. Bei Pigmentrußen, beispielsweise, werden die freien Oberflächenenergien, die zwischen 43 und 115 mN/m liegen, durch die Adsorption von Hexan um 27 bis 53 mN/m verkleinert [6]. Im Falle von Kalk-Natron-Glas (Flachglas, Normalglas) wird bei mit Wasser gesättigter Luft eine freie Oberflächenenergie von etwa 30 mN/m gemessen, während bei einem Verhältnis von Wasserpartialdruck zu Sättigungsdampfdruck von 10 -5 die Oberflächenenergie bei 75 mN/m liegt [7]. In derselben Veröffentlichung heißt es, dass α-Al2O3 (Saphir) bei 1500 °C und 10 -5 Torr (1,3332 · 10 -5 hPa), also bei sehr trockenen Bedingungen, eine freie Oberflächenenergie von 1050 mN/m hat, während bei 0,6 % relativer Luftfeuchte und 20 °C eine Oberflächenenergie von 45 mN/m messbar ist. Bei einer weiteren Erhöhung der relativen Luftfeuchte auf 95 % fällt die freie Oberflächenenergie bei gleicher Temperatur auf 36 mN/m ab. Daraus ist ersichtlich, dass die gewöhnlich gemessenen, freien Oberflächenenergien im Falle anorganischer Feststoffoberflächen nicht viel mit den eigentlichen Oberflächen zu tun haben, sondern allein durch adsorbierte Atmosphärilien (sprich: Wasser) bzw. Moleküle der Testflüssigkeiten bestimmt werden. Bei Polymeroberflächen ist dieser Einfluss nicht so sehr ausgeprägt, weil sie von Haus aus nicht so hohe Oberflächenenergien haben. Typische Werte der freien Oberflächenenergien liegen hier zwischen 15 mN/m (Polytetrafluorethylen) und 42 mN/m (Polyethylenterephthalat) [8] (siehe Tabelle 3.1). Generell wird die Oberflächenen- Tabelle 3.1: Oberflächenenergie einiger ergie eines niedrigenergetischen Polymerer Feststoffs durch die Adsorption Polymer Oberflächeneiner Substanz mit hoher Oberfläenergie [mN/m] chenenergie nicht herabgesetzt. Soll die Young-Gleichung überhaupt in irgendeiner Weise genutzt werden, so müssen Randwinkel gemessen werden. Im Falle ebener Untergründe wird ein Flüssigkeitstropfen, in der Regel mit Hilfe einer Spritze über eine Kanüle, vorsichtig auf den Untergrund aufgesetzt. Der sich ausbildende Randwinkel wird oft mit einer speziellen Optik, die es erlaubt, mit einem Mikroskop eine Tangente an

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Polytetrafluorethylen

18,5

Polyvinylfluorid

30,3

Polyethylen

33,1

Polypropylen

31,2

Polystyrol

47

Polyvinylchlorid

41,5

Poylamid 66

43,2

Polyethylenterephthalat

37,4

Polycarbonat

38,8

Polyacrylnitril

44

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Benetzung von Pigmentoberflächen

den Fußpunkt des Tropfens anzulegen, gemessen. Der Tropfen lässt sich auch digital fotografieren und der Randwinkel mithilfe eines Bildauswertesystems ausmessen (Abbildung 3.3). Oft werden die Randwinkel sowohl an sich bildenden, d.h. voranrückenden Tropfen, indem schrittweise immer mehr Flüssigkeit aufgebracht wird, gemessen, und anschließend die „Rückzugswinkel“, indem die Flüssigkeitsmenge wiederum mit der Kanüle schrittweise aus den Tropfen entnommen wird. Die Rückzugswinkel sind immer kleiner als die Vorrückwinkel, weil beim sich zurückziehenden Tropfen bereits Flüssigkeitsmoleküle auf der Feststoffoberfläche sind, was die Grenzflächenspannung erniedrigt. Die Differenz zwischen Vorrückwinkel und Rückzugswinkel wird „Hysterese“ genannt. Mehr zu diesem Thema, auch im Hinblick auf unterschiedliche Arten von Feststoffen, findet sich bei [9].

3.3.1 Kritische Oberflächenspannung nach Zisman Häufig interessiert es, die Oberflächenspannung einer Flüssigkeit zu kennen, die gerade noch „spreitet“, d.h. den Rankwinkel Null ausbildet. Zisman [10] machte den Vorschlag, diese „kritische Oberflächenspannung“ zu bestimmen, indem für „homologe Reihen“ von Flüssigkeiten die Randwinkel auf einer Feststoffoberfläche gemessen werden und der Cosinus der Randwinkel gegen die Oberflächenspannungen der Flüssigkeiten graphisch aufgetragen werden. Homologe Reihen sind chemisch ähnliche Moleküle, die sich jedoch in der Oberflächenspannung unterscheiden. Beispiele hierfür sind die Reihe der Alkane oder die Reihe der Alkohole. Oftmals ergibt sich bei diesem Auftrag eine Gerade, in jedem Fall aber ein Kurvenverlauf, der sich zu einem Schnittpunkt mit dem Wert cos Θ = 1 extrapolieren lässt, wo der Randwinkel Null ist. Die auf der Abszisse abzulesende Oberflächenspannung ist die kritische Oberflächenspannung (siehe Abbildung 3.5). Die kritische Oberflächenspannung ist mehr oder weniger von der Art der verwendeten homologen Reihe abhängig. In der Werkstofftechnik werden oft Testtinten mit abgestuften Oberflächenspannungen verwendet, um vor Ort, beispielsweise in einer Automobil-Lackierkabine, die kritischen Oberflächenspannungen abzuschätzen. Dabei handelt es sich um wässrige, gefärbte Tinten, bei denen die Oberflächenspannungen durch organischen Lösemittelanteile abgestuft herabAbbildung 3.5: Bestimmung der kritischen gesetzt sind. Oberflächenspannung nach Zisman

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Young-Gleichung

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Aus Gleichung 3.4 folgt, dass bei der kritischen Oberflächenspannung Gleichung 3. 7

γS = γSL + γL

ist. Spreiten findet dann statt, wenn γS ≥ γSL + γL . Die Differenz: Gleichung 3.8

γS – (γSL + γL)

wird Spreitungskoeffizient genannt [11]. Die Spreitungsgeschwindigkeit hängt, außer von dieser Differenz, vor allem von der Viskosität der Flüssigkeit und von der Rauigkeit der zu benetzenden Oberfläche ab. Rauere Oberflächen fördern die Benetzungsgeschwindigkeit aufgrund von Kapillareffekten. Wie bereits ausgeführt, ist die Messung der Oberflächenspannung der Flüssigkeit γL unproblematisch und, zumindest an ebenen Oberflächen, gilt das im Prinzip auch für Randwinkel Θ. Das entscheidende Problem der Young-Gleichung 3.4 ist, dass sie zwei unbekannte Größen enthält, nämlich γS und γSL . Dieser Umstand hat es lange Zeit unmöglich gemacht, Oberflächenenergien von Feststoffen zu bestimmen. Deswegen wurden verschiedene Versuche unternommen, die Grenzflächenspannung γSL aus bekannten Größen abzuschätzen.

3.3.2 Ansatz nach Good und Girifalco Good und Girifalco schlagen vor [12], die Grenzflächenspannung γSL aus den Oberflächenspannungen des Feststoffs und der Flüssigkeit auszudrücken, wobei sie einen Wechselwirkungsparameter Φ einführen. Gleichung 3.9

γSL = γS + γL – 2 · Φ (γS · γL)1/2

Der Wechselwirkungsparameter ergibt sich aus den Molvolumen VS und VL der beiden Stoffe. 4VS1/3 · VL1/3 Gleichung 3.10 Φ = 1/3 VS + VL1/3 Durch Einsetzen von Gleichung 3.9 in die Young-Gleichung 3.4 und Umformen erhält man einen Ausdruck, der es ermöglicht, die freie Oberflächenenergie des Feststoffs aus der Oberflächenspannung der Flüssigkeit und einem gemessenen Randwinkel zu bestimmen. 2

√͞ γL (1 + cos Θ)  Gleichung 3.11 γ = S  2 Φ 

3.3.3 Ansatz nach Fowkes Ein grundlegend anderer Ansatz stammt von Fowkes [13]. Er geht davon aus, dass sich die freien Oberflächenenergien additiv aus Bestandteilen zusammensetzen, die von dispersiven und polaren Wechselwirkungen herrühren. Dispersive Wech-

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Benetzung von Pigmentoberflächen

selwirkungen werden von allen Stoffen eingegangen, während polare Wechselwirkungen nur von Stoffen ausgehen, die ein permanentes Dipolmoment haben oder Wasserstoffbrückenbindungen bilden können (siehe Kapitel 1). Gleichung 3.12

γ = γd + γp

Durch zerlegen der Oberflächenspannung in einen polaren (Index p) und einen dispersiven (Index d) Abbildung 3.6: Herleiten der GrenzflächenAnteil eröffnet sich z.B. die Mögspannung nach Fowkes lichkeit, den polaren Anteil der Oberflächenspannung einer Flüssigkeit oder eines Feststoffs aus der gesamten Oberflächenspannung und dem dispersiven Anteil zu errechnen, sofern dieser separat bestimmt werden kann. Dass ein solcher Ansatz sehr viel Sinn macht, zeigt allein schon folgende Beobachtung: Wird Polstyrol, ein unpolarer Kunststoff, durch UV-Lichteinwirkung in Gegenwart von Luftsauerstoff oxidiert, so ändert sich der Randwinkel von 1-Bromnaphtalin, einer unpolaren Flüssigkeit, mit zunehmender Bestrahlungsdauer nicht, während Wassertropfen einen immer kleineren Randwinkel bilden [14]. Das lässt sich nur so deuten, dass bei der Oxidation an der Polymeroberfläche polare Gruppen entstehen, die nur mit polaren Molekülen zusätzliche Wechselwirkungen eingehen können, während unpolare das nicht tun6. Folglich wird der Randwinkel unpolarer Flüssigkeiten nur von dispersiven Wechselwirkungsanteilen bestimmt, unabhängig davon, ob sie auf polare, oder unpolare Feststoffe aufgebracht werden. Fowkes hat sich in erster Linie mit unpolaren Feststoffoberflächen beschäftigt, bzw. auch mit der Wechselwirkung unpolarer Flüssigkeiten mit Quecksilber. Da Quecksilber bei Raumtemperatur eine Flüssigkeit ist, lässt sich dessen Oberflächenspannung wie die jeder anderen Flüssigkeit messen. Anderseits ist Quecksilber mit unpolaren, organischen Flüssigkeiten nicht mischbar und es lassen sich Randwinkel messen. Quecksilber geht, wie jede Materie, dispersive Wechselwirkungen ein. Darüber hinaus kann es metallische Bindungen bilden, aber natürlich nicht zu den erwähnten Flüssigkeiten. Fowkes geht von folgender Vorstellung der Grenzfläche aus (siehe Abbildung 3.6). Die Kugeln in der Abbildung 3.6 mögen die Molekülsorten Quecksilber und Alkan (z.B. Hexan) darstellen. Weil sie nicht miteinander mischbar sind, bilden 6 Die Oxidation von unpolaren Untergründen wird technisch genutzt zur Verbesserung der Haftung von Druckfarben und anderen Beschichtungen.

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69

Young-Gleichung

sie eine Grenzfläche zueinander aus. Die Grenzflächenspannung wird durch das Kraftfeld auf die beiden Molekülsorten der Grenzfläche bestimmt. Indiziert man das Quecksilber mit 1 und die Alkane mit 2, so werden die Quecksilberatome von der eigenen Oberflächenspannung γ1 zum Quecksilber hin gezogen. Andererseits gehen sie aber auch dispersive Wechselwirkungen mit den Alkanmolekülen auf der anderen Seite der Grenzfläche ein. Aus verschiedenen Überlegungen heraus nahm Fowkes [13], ebenso wie Good und Girifalco [12], an, dass dieser Wechselwirkungsbeitrag durch das geometrische Mittel der dispersiven Anteile der Oberflächenspannungen ausgedrückt werden kann. Weil beide Beiträge in entgegen gesetzte Richtung wirken, sind sie voneinander abzuziehen. Der Beitrag der grenzflächenständigen Quecksilberatome an der Grenzflächenspannung ist also —d — — d . Für die Alkanmoleküle in der Grenzfläche gilt analog: γ – √γ d γ1 – √γ—d1— · γ— 2 2 1· γ 2. Die Grenzflächenspannung ist die Summe beider Beiträge. ——— Gleichung 3.13 γ12 = γ1 + γ2 – 2√γ d1· γ d2 Bei Kenntnis der Polarisierbarkeiten α, der Ionisierungsenergien I, der mittleren Entfernung r11 der Moleküle zueinander sowie der Zahl der Moleküle pro Volumeneinheit N lässt sich nach Fowkes [13] der dispersive Anteil der Oberflächenspannung abschätzen. Gleichung 3.14 γd

= π · N2 · α 2 · I 8r12

Für Wasser, z.B., (α = 1,48 Å3; I = 12,6 V; N = 3,34 · 1022/cm3; r11 = 2,76 Å) ergibt sich nach Fowkes für den dispersiven Anteil der Oberflächenspannung ein Wert von 25,4 mJ/m2. Bei Kenntnis des dispersiven Anteils der Oberflächenspannung und der Oberflächenspannung selber lässt sich nach Gleichung 3.12 der polare Anteil der freien Oberflächenenergie ausrechnen. Tabelle 3.2 zeigt die entsprechenden Werte für eine Reihe von Flüssigkeiten. Die Angaben können sich von Quelle zu Quelle unterscheiden, je nachdem, welche Methode zur Tabelle 3.2: Disperse und polare Anteile der Oberflächenspannungen einiger Flüssigkeiten Bestimmung genutzt wurde. Durch Einsetzen von Gleichung 3.13 in die Young-Gleichung 3.4 und Umformen ergibt sich: Gleichung 3.15

√γ—dL  cos Θ = – 1 + 2√γ—ds  γ L  Gleichung 3.15 stellt eine Gerade dar, wenn man den Cosinus des Randwinkels von Flüssigkeiten auf

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Flüssigkeit

γ

γd

Wasser

72,8

21,8

51

Glyzerin

63,4

37

26,4

Dijodomethan

50,8

44,1

6,7

Ethylenglykol

47,7

30,9

16,8

1-Bromnaphthalin

44,6

44,6

0

1-Oktanol

27,6

21,3

6,3

n-Dodekan

25,4

25,4

0

γp

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70

Benetzung von Pigmentoberflächen

d /γ aufträgt. Aus der Steigung lässt sich einem Feststoff gegen den Quotienten √γ— L L der dispersive Anteil der freien Oberflächenenergie des Feststoffs bestimmen. Theoretisch reicht eine einzige Randwinkelmessung, um γ dS ausrechnen zu können. Wegen der inhärenten Ungenauigkeit von Randwinkelmessungen empfiehlt sich aber, verschiedene Flüssigkeiten zu verwenden und die γ dS Werte miteinander zu vergleichen.

Nach Gleichung 3.13 lässt sich bei bekannter Grenzflächenspannung zwischen zwei Flüssigkeiten der dispersive Anteil der Oberflächenspannung auch von polaren Flüssigkeiten bestimmen, sofern der dispersive Anteil der Oberflächenspannung der zweiten Flüssigkeit bekannt ist. Grenzflächenspannungen zwischen nicht mischbaren Flüssigkeiten können recht einfach mit der Methode des rotierenden Tropfens ermittelt werden („spinning drop“ Methode). In der Praxis kann es ein Problem darstellen, Flüssigkeitspaare zu finden, die wirklich nicht miteinander mischbar sind.

3.3.4 Ansatz nach Owens und Wendt Für den Fall, dass die eine Grenzfläche bildenden Substanzen nicht nur dispersive Wechselwirkungen, sondern auch polare Wechselwirkungen eingehen, sind auch diese Anteile der Oberflächenspannungen zu berücksichtigen. Analog zu den Gedanken und dem Vorgehen, welches zur Gleichung 3.13 (siehe auch Abbildung 3.6) geführt hat, ergibt sich die Grenzflächenspannung zu: —p — d – 2√γ p Gleichung 3.16 γ = γ + γ – 2√γ—d — · γ— · γ— 12

1

2

1

2

2

1

Einfügen von 3.16 in die Young-Gleichung 3.4 ergibt: —p — p d + 2√γ Gleichung 3.17 γ (1 + cos Θ) = 2(√γ—d — · γ— · γ— ) L

S

S

L

L

Durch messen der Randwinkel zweier unterschiedlicher Flüssigkeiten, deren dispersive und polare Anteile der Oberflächenspannung bekannt sind, lässt sich der dispersive und der polare Anteil der Oberflächenenergie eines Feststoffs errechnen. [15]. Zur Steigerung der Genauigkeit wird allerdings in der Regel eine graphische Methode verwendet, um die freien Oberflächenenergien der Feststoffoberflächen zu bestimmen [16]. Hierzu wird Gleichung 3.17 durch 2 · √γ—dL geteilt. Dabei ergibt sich die Gleichung einer Geraden. — γL (1 + cos Θ) —d + √γ—p · √γ pL Gleichung 3.18 = √ γ — S S 2√γ d √γ—d L

L

Gleichung 3.18 ist als Owens, Wendt, Rabel, Kälble (OWRK)-Gleichung bekannt. Misst man die Randwinkel verschiedener Flüssigkeiten und trägt den linken Term der Gleichung gegen den Quotienten aus den Wurzeln des polaren und dispersiven Anteils der Oberflächenspannung der Prüfflüssigkeiten auf, so ergibt

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Young-Gleichung

71

sich eine Gerade mit dem Achsenabschnitt √γ—dS und der Steigung √γ—pS. Die Abbildung 3.7 zeigt einen solchen Auftrag am Beispiel der Bestimmung der freien Oberflächenenergie einer Automobil-Serienlackierung (Hydrofüller) beim Verwenden der Prüfflüssigkeiten Wasser, Glyzerin, Ethylenglykol, 1-Oktanol und n-Dodekan. Die Oberflächenenergie ergibt sich zu 27,6 · 10 -3 N/m bei einem Abbildung 3.7: Bestimmen der dispersen und dispersen Anteil von 22,4 · polaren Anteile der freien Oberflächenenergie eines Automobilfüllers gemäß der OWRK-Glei10 -3  N/m und einem polaren chung mit Hilfe einer Graphik Anteil von 5,2 · 10 -3 N/m. Die Verlässlichkeit der Messungen lässt sich danach beurteilen, wie gut die Punkte auf einer Geraden liegen. Es muss darauf geachtet werden, dass die Prüfflüssigkeiten die Feststoffoberfläche nicht anquellen, weil ansonsten falsche Werte generiert werden. Anquellen kann bei polymeren Untergründen leicht stattfinden.

3.3.5 Ansatz nach Wu Wu [17] untersucht Polymere, die außer dispersiven Wechselwirkungen auch DipolDipol-Wechselwirkungen eingehen können. Im Gegensatz zu Owens und Wendt wählt er das harmonische Mittel der dispersen und polaren Anteile der Oberflächenspannungen, um die Grenzflächenenergie zu beschreiben. Das harmonische Mittel zweier Zahlen a und b ist 2ab/(a+b). Es ist also der Quotient aus dem Quadrat des geometrischen Mittelwerts √a—·— b und dem arithmetischen Mittelwert (a+b)/2. Derselbe Formalismus wie zum Herleiten der Gleichungen 3.13 und 3.16 ergibt nach Wu: Gleichung 3.19

γSL = γL + γS –



4 γdL · γdS 4 γpL · γpS – γdL + γdS γpL + γpS

Einsetzen von Gleichung 3.19 in Gleichung 3.4 und Umformung ergibt analog zu Gleichung 3.17 Gleichung 3.20

γL (1 + cos Θ) =



4 γdL · γdS 4 γpL · γpS + γdL + γdS γpL + γpS

Leider lässt sich die Gleichung 3.20 nicht in eine Form überführen, die eine graphische Auswertung ermöglicht. Wu hat deswegen nur zwei Flüssigkeiten, nämlich Wasser und Methylenjodid verwendet, um die dispersiven und polaren Anteile der

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72

Benetzung von Pigmentoberflächen

Oberflächenenergien von „polaren“ Polymeren zu bestimmen. Durch Umformen der Gleichung 3.20 gelangt man zu einer Gleichung, die ohne Bruchstriche ist. Sie verknüpft ebenfalls die dispersiven und polaren Anteile der freien Oberflächenenergie der Untergründe mit den jeweiligen Werten der Testflüssigkeiten. Die Werte für Wasser und für Methylenjodid sind: γdH 20 = 22,1 mN/m; γpH 20  = 50,7 mN/m; γdCH 2J2  = 44,1 mN/m; γpCH 2J2  = 6,7 mN/m. Für die Testflüssigkeit 1 (Index 1) und die Testflüssigkeit 2 (Index 2) ergeben sich folgende Gleichungen: Gleichung 3.21 (b1 + c1 – a1) · γdS γpS + c1 (b1 – a1) · γdS + b1 (c1 – a1) · γpS – a1 · b1 · c1 = 0 (b2 + c2 – a2) · γdS γpS + c2 (b2 – a2) · γdS + b2 (c2 – a2) · γpS – a2 · b2 · c2 = 0 In der Gleichung 3.21 bedeuten 1 a1 = γ1 (1 +cos Θ1 ) 4 1 a = γ (1 +cos Θ2 ) 2 4 2

b1 = γd1 c1 = γp1 Θ1 = Randwinkel der Flüssigkeit 1 b2 = γd2 c2 = γp2 Θ2 = Randwinkel der Flüssigkeit 2

Da alle Werte außer γdS und γpS bekannt sind, stellt die Gleichung 3.21 ein System zweier Gleichungen mit zwei Unbekannten dar. Weil es aber sowohl einfache, als auch gemischte Terme in der Gleichung 3.21 gibt, ist die Subtraktionsmethode zur Lösung nicht geeignet. Man muss daher eine Gleichung nach γpS oder γdS auflösen und in die andere Gleichung einsetzen. Man erhält dann eine quadratische Gleichung, die einfach zu lösen ist. Weil das in der Originalliteratur nicht beschrieben ist, wird der Lösungsweg im Anhang 1 aufgezeigt. In Tabelle 3.3 sind im Vergleich die nach Wu und nach Owens und Wendt ermittelten Oberflächenenergien einiger Kunststoffe gegenübergestellt. Zusätzlich sind kritische Oberflächenspannungen nach Zisman mit aufgeführt. Im Allgemeinen ist eine gute Übereinstimmung der freien Oberflächenenergien nach Wu und nach Owens und Wendt festzustellen. Jedoch ist der polare Anteil der Oberflächenspannung bei der Auswertung nach Owens und Wendt durchgängig niedriger, als bei der Auswertung nach Wu. In der Tabelle 3.3 sind auch einige Daten, die aus Messungen der Grenzflächenspannungen von geschmolzenem Polyethylen mit Schmelzen der angeführten Polymeren erhalten wurden. Die Methode hierzu ist in der Literatur [18] beschrieben. Diese Werte korrelieren mit den Werten aus der Auswertung nach Wu deutlich besser, als nach der Methode von Owens und Wendt. Bemerkenswert ist die gute Korrelation der kritischen Oberflächenspannung nach Zisman mit den freien Oberflächenenergien, die bei der Auswertungen nach Wu sowie Owens und Wendt zu finden sind. Deutlich Abweichungen gibt es eigentlich nur bei Polystyrol und bei den Polyvinyl-Polymeren, wo die kritischen Oberflächenspannungen niedriger sind, als die Oberflächenenergien. Die Zisman-Auswertung liefert allerdings nur die Gesamtenergie und nicht die Aufteilung in disperse und polare Anteile.

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Winkler_Dispergieren.indb 73

91 90 82 80 80 87 81 72

Polychlorotrifluoroethylen

Poly (vinylidenfluorid)

Poly (vinylfluorid)

Poly (vinylidenchlorid)

Poly (vinylchlorid)

Poly (ethyleneterephthalat)

Poly (hexamethyleneadipamid)

80

Poly (methylmethacrylat)

Poly (n-butylmethacrylat)

91

108

Polytetrafluorethylen

Polystyrol

102

θ H2O

28

38

36

29

49

63

64

52

41

35

77

53

CH2J2

Randwinkel bei 20 °C

Polyethylen

Polymere

47,9

42,1

41,9

45,4

38,4

33,2

30,1

34,6

41,2

42,6

22,5

36,1

γ

0,73

0,78

0,85

0,80

0,71

0,62

0,72

0,82

0,75

0,90

0,91

0,98

γd/γ

47,0

41,3

41,5

45,0

36,7

30,3

27,5

33,3

40,2

42,0

19,1

33,2

γ

0,87

0,92

0,96

0,93

0,85

0,77

0,87

0,94

0,89

0,98

0,97

1,00

γd/γ

Berechnete Oberflächenenergie mN/m Wu Owens and Wendtb

31,1

31,2

41,1

40,7

26,5

35,7

0,84

0,72

0,83

1,00

46

43

39

40

28

25

31

32

40

33

19

31

Experimentell ermittelte Oberflächenenergien mN/m Extrapoliert aus Kritische OberMessungen an flächenspannunga geschmolzenen Polymeren γ γd/γ γc

Tabelle 3.3: Berechnete und experimentell ermittelte Oberflächenenergien von Polymeren [17]

Young-Gleichung 73

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Benetzung von Pigmentoberflächen

3.3.6 Grenzflächenspannung im Spreitungsfall Es wird kontrovers diskutiert, ob im Falle des Spreitens, also wenn der Randwinkel Null wird, die Grenzflächenspannung ebenfalls Null wird, oder nicht. Falls ja, so wäre im Fall des Spreitens gemäß der Young-Gleichung (Gleichung 3.4) γS = γL . Neumann und Sell [19] befürworten diese Annahme, nämlich, dass „die Grenzflächenspannung zwischen einem Feststoff und einer Flüssigkeit zusammen mit dem Randwinkel gegen Null geht“. Das bedeutet, dass die kritische Oberflächenspannung nach Zisman mit der freien Oberflächenenergie des Feststoffs identisch wäre. Mit Hilfe des so gewonnenen Wertes für γS ließe sich folglich aus dem Randwinkel Θ und der Oberflächenspannung γL jeder Prüfflüssigkeit die zugehörige Grenzflächenspannung γ SL leicht nach Gleichung 3.4 errechnen. Demgegenüber haben Owens und Wendt [15] ausgeführt, dass diese Annahme nur dann zutrifft, wenn sowohl die Flüssigkeit als auch der Feststoff unpolar sind. Wird eine polare Flüssigkeit in Kontakt mit einem unpolaren Feststoff oder umgekehrt eine polare Flüssigkeit in Kontakt mit einem unpolaren Feststoff gebracht, dann ist die kritische Oberflächenspannung kleiner als die freie Oberflächenenergie des Feststoffs. Mit anderen Worten: γSL ≠ 0. Die Tabelle 3.3 zeigt, dass die kritischen Oberflächenspannungen tatsächlich alle etwas niedriger sind als die Oberflächenenergien. Allerdings gilt das auch für unpolare Polymere, wie Polyethylen. Die Tabelle 3.3 wurde aus unterschiedlichen Quellen zusammengestellt, so dass bereits die Vergleichbarkeit der Substrate nicht zu einhundert Prozent gegeben ist. Aber selbst wenn die Unterschiede systematisch sind, so zeigen die geringen Unterschiede zwischen den kritischen Oberflächenspannungen und den berechneten Oberflächenenergien, dass die Bestimmung der kritischen Oberflächenspannung als Indiz für die Oberflächenenergie von Feststoffen eine praktikable und einigermaßen aussagefähige Methode ist.

3.4

Benetzung von Pigmentagglomeraten

Im Abschnitt 3.1 wird auf die Bedeutung der Benetzung von Agglomeraten in Hinblick auf ihre Dispergierbarkeit hingewiesen. Die Festigkeitsverringernde Wirkung von Flüssigkeiten stellt sich nur dort ein, wo das Hohlraumvolumen der Agglomerate von Flüssigkeit ausgefüllt ist. Eine geringere Durchfeuchtung führt sogar zu einer Verfestigung der Agglomerate. Dieses Phänomen ist allen noch aus dem Sandkasten her vertraut. Um mit dem Förmchen Kuchen backen zu können, muss der Sand ein wenig feucht sein. Allzu trockener Sand lässt sich ebenso wenig formen, wie allzu feuchter Sand, denn ein Schlammkuchen ist ebenso wenig beständig, wie ein Kuchen aus trockenem Pulver. Beide verfließen bereits unter dem Einfluss der Erdanziehung. Schubert [20] hat den Einfluss von Feuchtigkeit auf die Festigkeit von Pulvern untersucht, indem er Pulver mit definierten Feuchtigkeitsgehalten zu Tabletten verpresste und diese dann im Zugversuch scherte. Die

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Benetzung von Pigmentagglomeraten

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Abbildung 3.8: Verlauf der Agglomeratfestigkeit mit zunehmendem Flüssigkeitsgehalt in den Hohlräumen der Agglomerate. Zu den Bereichen A: die Flüssigkeit bildet keine durchgehende Phase, sondern die Flüssigkeitsmoleküle lassen sich als adsorbiertes Gas auffassen, B: Flüssigkeitsbrücken bilden sich zwischen den Partikeln aus und C: das gesamte Hohlraumvolumen ist zwischen den Pigmentpartikeln im Agglomerat mit Flüssigkeit ausgefüllt

Abbildung 3.8 zeigt qualitativ den Verlauf der Festigkeit von Agglomeraten in Abhängigkeit von dem Grad der Durchfeuchtung des Hohlraumvolumens („Sättigung“). Es lassen sich verschiedene Bereiche unterscheiden. Im ersten Bereich A bildet die Flüssigkeit keine durchgehende Phase, sondern die Flüssigkeitsmoleküle lassen sich als adsorbiertes Gas auffassen. In diesem Bereich wirkt die Flüssigkeit wie eine adsorbierte Oberflächenbehandlung eines Pigments. Deswegen nimmt die Agglomeratfestigkeit mit zunehmender Belegung ab. (Schubert postuliert einen Anstieg der Festigkeit in diesem Bereich. Dies wird jedoch von Winkler [1] in Frage gestellt und von Vervoorn [21] experimentell widerlegt.). Im sich daran anschließenden Bereich B bilden sich Flüssigkeitsbrücken zwischen den Partikeln aus. Die Flüssigkeitsbrücken verfestigen aufgrund ihrer Oberflächenspannung die Agglomerate, denn beim Separieren der Teilchen wird die Oberfläche der Flüssigkeitsbrücke vergrößert, so dass Arbeit gegen die Oberflächenspannung der Flüssigkeit aufgebracht werden muss [22]. Pigmententwickler nutzen diese Tatsache übrigens, indem sie nasse Pigmentmuster im Labor mit Methanol spülen und dann erst trocknen. Weil Methanol eine Oberflächenspannung von lediglich 22,6 mN/m anstatt 72 mN/m, wie Wasser, hat, ist das getrocknete Pigment viel lockerer gepackt und kann gegebenenfalls ohne einen zusätzlichen Mahlschritt

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76

Benetzung von Pigmentoberflächen

in einen polymeren Werkstoff zur Evaluierung eingesetzt werden. Im Bereich C schließlich ist das gesamte Hohlraumvolumen zwischen den Pigmentpartikeln im Agglomerat mit Flüssigkeit ausgefüllt. Dadurch sinkt die Festigkeit auf sehr kleine Werte ab (siehe Abschnitt 3.1). Wenn trockene Pigmentagglomerate in eine Flüssigkeit eingebracht werden, dann dringt aufgrund des Kapillardrucks die Flüssigkeit von allen Seiten in die Hohlräume ein. Dadurch wird die in den Agglomeraten eingeschlossene Luft verdichtet. Das Vorrücken der Flüssigkeitsfront in die Agglomerate kommt zum Stillstand, Abbildung 3.9: Flüssigkeit in einer Kapillare sobald der Druck der eingeschlossenen, komprimierten Luft so groß ist wie die Summe aus dem Atmosphärendruck und dem Kapillardruck. Wenn das Agglomerat unter diesem Druck nicht zerfällt, dann stoppt die Benetzung und weitere Flüssigkeit kann lediglich in dem Maße weiter eindringen, wie die eingeschlossene Luft im flüssigen Medium gelöst wird. An einer runden Kapillare (siehe Abbildung 3.9) mit dem Radius r bildet sich ein Kapillardruck PK von Gleichung 3.22 P = K aus.

2 · γL · cos Θ r

In der Abbildung 3.10 wird qualitativ gezeigt, welchen Einfluss die Porosität und der Benetzungswinkel der Flüssigkeit an der Pigmentoberfläche auf die Durchfeuchtung eines Agglomerats haben. Hierzu wurde mittels des idealen Gasgesetzes: Gleichung 3.23

P1 · V1 = P2 · V2

Die relative Volumenänderung V1 /V2 beim Erhöhen des äußeren Drucks von P1 auf P2 = P1 + PK errechnet und nach der Beziehung Gleichung 3.24

d2 3 V̅ ̅2 = d 1 V1



der relative Durchmesser d2 /d1 des nicht durch die Flüssigkeit durchfeuchteten Agglomerats abgeschätzt. Bei der Herleitung von 3.24 wird angenommen, dass

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Benetzung von Pigmentagglomeraten

77

Abbildung 3.10: Einfluss des Kapillarradius und des Randwinkels auf das Eindringen von Flüssigkeit (Wasser) in Agglomerate a) cos θ = 1; θ = 0° b) cos θ = 0,5 ; θ = 60° c) cos θ = 0,1; θ = 84,3° d1= Durchmesser des Agglomerats; d2 = Durchmesser des trockenen Agglomeratkerns

die Agglomerate an jeder Stelle dieselbe Porosität haben und, natürlich auch, dass die Hohlräume in den Agglomeraten wie eine Vielzahl kleiner, runder Kapillaren wirken. Als Oberflächenspannung wurde 72 mN/m, d.h. die Oberflächenspannung von Wasser, eingesetzt. Aus Abbildung 3.10 ist zu erkennen, dass vor allen Dingen mit abnehmendem Kapillarenradius, also mit abnehmender Porosität der Agglomerate, die Benetzung verbessert wird, weil der trockene Kern der Agglomerate zunehmend kleiner wird. Auch ist ersichtlich, dass spreitende Flüssigkeiten (cos Θ = 1) am besten benetzen, während die Benetzung mit zunehmend größeren Randwinkeln abnimmt. Benetzbarkeit und mechanische Zerteilbarkeit von Agglomeraten sind hinsichtlich des Einflusses der Porosität der Agglomerate also gegenläufig. Ein lose gepacktes Agglomerat mit großem Hohlraumvolumen hat wenige Kontaktstellen unter den Primärteilchen und i.d.R. weniger Haftkraft pro Kontaktstelle. In Kapitel 2 wird erklärt , dass lose gepackte Agglomerate entstehen, wenn

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Benetzung von Pigmentoberflächen

die Anziehungskraft zwischen den Teilchen geringer ist. Welcher der beiden Einflüsse, Benetzbarkeit oder Zerteilbarkeit, in der Praxis die größere Rolle spielen, ist von Fall zu Fall verschieden. Generell gilt: Auch das härteste Agglomerat wird dispergiert, wenn es genügend stark mechanisch beansprucht wird und jeder Benetzungsvorgang läuft quantitativ ab, sofern der Kontaktwinkel kleiner als 90° ist und sofern der Flüssigkeit genügend Zeit dafür zur Verfügung steht.

3.4.1 Messung der freien Oberflächenenergie von Pigmenten Bis heute ist die Messung der freien Oberflächenenergie von Pigmenten und Füllstoffen eher eine akademische, als eine praktische Übung. Trotzdem sind die dabei gewonnenen Erkenntnisse für das Verständnis von Benetzungsprozessen von genereller Bedeutung. Im Gegensatz zu Kunststoffen oder anderen Werkstoffen fallen Pigmentpartikel als sehr kleine, meistens submikroskopische Teilchen an. Deswegen sind sie als ebene Untergründe im Allgemeinen nicht verfügbar. Eines der ersten Verfahren zur Bestimmung von Randwinkeln an Pulvern stammte von Bartell und Osterhoff [23]. Die Autoren konstruierten eine zylindrische Messzelle, in die die zu prüfenden Pulver definiert eingepresst werden. Zu beiden Seiten schließt die Messzelle mit einer Fritte ab, die für die Flüssigkeit durchströmbar ist, aber die Pulverschüttung in ihrer Form hält. Die eine Seite der Messzelle wird mit Flüssigkeit in Kontakt gebracht. Dadurch bildet sich analog der Gleichung 3.22 ein Kapillardruck aus, der dazu führt, dass Flüssigkeit in die Messzelle eingesogen wird. Durch Anlegen eines Gegendrucks wird das Eindringen der Flüssigkeit in die Messzelle gestoppt. Der dazu erforderliche Gegendruck ist identisch mit dem Kapillardruck. Dies lässt sich zunächst mit einer Reihe von Flüssigkeiten mit sehr niedriger Oberflächenspannung durchführen, von denen deswegen angenommen werden darf, dass sie spreiten. Weil in diesem Fall cos Θ = 1 ist, lässt sich r nach Gleichung 3.22 bestimmen. Der Wert r ist dann allerdings nicht mehr der Radius einer Kapillare, sondern ist als Kapillaritätsterm aufzufassen, der den Einfluss der Pulverschüttung wiedergibt. Daraufhin wird PK für nicht spreitende Flüssigkeiten gemessen und mit Hilfe des vorher gewonnenen Kapillaritätsterms r die Randwinkel bestimmt. Mit so ermittelten Randwinkeln lässt sich mit der Zisman-Methode die kritische Oberflächenspannung bestimmen. Das Verfahren setzt natürlich voraus, dass die Pressung der Pulver immer wieder reproduzierbar zu einer einheitlichen Porosität der Pulverschüttung führt. Eine ähnliche Methode geht auf Washburn zurück [24]. Washburn verknüpft die Kapillardruckgleichung 3.22 mit der Hagen-Poiseuille’schen Gleichung 3.25 für die Eindringgeschwindigkeit einer Flüssigkeit in eine Kapillare. Nach dem Hagen-Poisseuille’schen Gesetz ist die Eindringgeschwindigkeit ∆l/∆t einer Flüs-

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Benetzung von Pigmentagglomeraten

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sigkeit in eine Kapillare proportional zum Differenzdruck ∆P und zum Quadrat des Kapillarradius r, und umgekehrt proportional sowohl zur Länge l der Kapillare, als auch zur Viskosität der Flüssigkeit: Gleichung 3.25

∆l r2 · ∆P = ∆t 8 · η l

Durch Einsetzen von Gleichung 3.22 in 3.25 (mit ∆P = PK) ergibt sich ein Ausdruck für die Eindringgeschwindigkeit einer Flüssigkeit in eine Kapillare. Für n Kapillaren ergibt sich: Gleichung 3.26

∆l n · r · γL · cos Θ = ∆t 4·η·l

Das von einer runden Kapillare aufgenommene Flüssigkeitsvolumen VL ist: Gleichung 3.27

VL = 2π · r2 · ∆l

Durch Erweitern der Gleichung um den Faktor 2π · r2 und Einsetzen von VL /(2nπ · r2) für l (aus Gleichung 3.27) sowie Umformen entsteht Gleichung 3.28 V2 = L

π2n2r5γL cos Θ ·t 2η

Genauer und einfacher als eine Volumenaufnahme ist es, die Massenaufnahme mit Hilfe einer einfachen Wägung zu bestimmen. Ersetzt man also VL durch den Quotienten aus Flüssigkeitsmasse mL und der Dichte der Flüssigkeit ρL und bildet die Wurzel, so ergibt sich die Washburn-Gleichung: Gleichung 3.29



Dabei stellt der erste Wurzelausdruck auf der rechten Seite von 3.29 den Kapillaritätsterm K dar, der sich, wie bei der Bartell-Methode, durch eine Messung der Eindringgeschwindigkeit einer oder mehrerer spreitender Flüssigkeiten (cos Θ = 1) bestimmen lässt. Bei nachfolgenden Messungen mit nicht spreitenden Flüssigkeiten wird mit diesem Kapillaritätsterm gerechnet. Nach Gleichung 3.29 ergibt sich beim Auftrag der Massenaufnahmen der Flüssigkeiten gegen die Wurzel aus der Zeit eine Gerade, aus deren Steigung, bei bekanntem Kapillaritätsterm und bekannten Flüssigkeitseigenschaften: Oberflächenspannung, Viskosität und Dichte, sich der Randwinkel bestimmen lässt. Dies ist in der Abbildung 3.11 schematisch gezeigt. Wie bei der Bartell-Methode ist auch bei der Washburn-Methode eine reproduzierbare Herstellung der Pigmentpackung die wichtigste Voraussetzung für zuverlässige Messungen. Obwohl das nicht immer einfach ist, hat sich zumindest die Washburn-Methode als praktizierte Methode durchgesetzt und kommerzielle Messgeräte sind verfügbar.

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Benetzung von Pigmentoberflächen

Abbildung 3.11: Bestimmen des Randwinkels an Pigmentoberflächen mit Hilfe der Washburn-Gleichung

Die Tabelle 3.4 zeigt die freien Oberflächenenergien einiger Füllstoffe, die aus Randwinkelmessungen nach der Washburn-Methode bestimmt wurden, wobei zugrunde gelegt wird, dass die kritischen Oberflächenspannungen nach Zisman die freien Oberflächenenergien wiedergeben7 [25]. Eine weitere Methode zur Bestimmung freier Oberflächenenergien von Pigmenten beruht auf der direkten Messung von Randwinkeln an Pulverpresslingen. Wu und Brzozowski [26] haben organische Pigmente unter Verwendung von Drücken zwischen 345 bar und 965 bar verpresst. Dabei enstehen aus den Pigmenten Tabelle 3.4: Freie Oberflächenenergien einiger Füllstoffe Füllstoff

Freie Oberflächenenergie in mN/m

Calziumkarbonat (Millicarb)

39

Kieselsäure, amorph (Silbond FW 12)

52

Quarz, kantengerundet (Novacite 200)

65

Quarz, splittrig gemahlen (Silbond W12)

49

Aluminiumhydroxid (behandelt mit Epoxisilan)

53

7 Vergleiche Tabelle 3.3

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Benetzung von Pigmentagglomeraten

Tabletten mit spiegelnden Oberflächen. An ihnen werden nach der Methode von Wu (Gleichung 3.20) die dispersiven und polaren Anteile der Oberflächenenergien bestimmt. Als Prüfflüssigkeiten verwenden sie auch in diesem Fall Wasser und Methylenjodid. Die Tabelle 3.5 zeigt die Ergebnisse für die verschiedenen organischen Pigmente. Es überwiegen die dispersen Anteile der freien Oberflächenenergien bei Gesamtenergien zwischen 40 und 65 mN/m, was mit den Oberflächenenergien von Kunststoffen (Tabelle 3.1 und Tabelle 3.3) korreliert. Auch anorganische Pigmente, wie Titandioxid, lassen sich durch hohe Drücke zu spiegelnden Tabletten verpressen. Sie sind allerdings mechanisch nicht übermäßig beständig und zudem saugen sie aufgebrachte Flüssigkeitstropfen mehr oder weniger schnell auf. Im Falle der organischen Pigmente könnte es daher sein, dass bei diesen Drücken die Pigmentkristalle durch kaltes Fließen aggregieren, wodurch erst für solche Messungen geeignete Oberflächen entstehen. Eine weitere Methode zur Bestimmung freier Oberflächenenergien von Feststoffpulvern stammt von Kossen und Heertjes [27]. Sie wird die „h-ε-Methode“ genannt. Dabei wird wiederum das Pulver zu einem Pressling verdichtet. An Stelle eines Tropfens wird aber so viel Flüssigkeit auf den Pulverpressling aufgebracht, bis sich ein „See“ bildet, dessen Höhe h sich durch weitere Flüssigkeitszugabe nicht mehr verändert. Aus der Höhe h, der Porosität des Presslings ε, der Oberflächenspannung γL und der Dichte ρL der Flüssigkeit und der Erdbeschleunigung g wird der Randwinkel nach Gleichung 3.30 bestimmt. Gleichung 3.30 cos Θ = 1 – wobei B durch ρg Gleichung 3.31 B= L 2γL



Bh2 3(1 – ε)(1 – Bh2/2)



gegeben ist.

Tabelle 3.5: Disperse und polare Anteile der freien Oberflächenenergien einiger organischer Pigmente (Quelle [26]) Pigment

γd

γp

γ

γp/γ

Indanthron

33,2

30

63,2

0,48

Thioindigorot

35,1

16,3

51,4

0,32

Isoindolinon

32,2

15

47,2

0,32

γ-Chinacridon

35,7

13,4

49,1

0,27

Toluidinrot

39,7

13,3

53

0,25

Phthalocyanin (metallfrei)

40,1

12,7

52,8

0,24

Chloriertes Cu-Phthalocyanin

35,8

6,2

42

0,15

Cu-Phthalocyanin

40

6,9

46,9

0,15

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Die so errechneten Randwinkel verschiedener Alkohole und Anilin auf Natriumchlorid-Pulvern bzw. von Wasser auf gepresstem Talkum-Pulver korrelierte mit den direkt an ebenen Flächen dieser Feststoffe gemessenen Randwinkeln [28]. Im Falle pharmazeutischer Pulver findet Buckton [29] eine rasch einsetzende Abnahme der Randwinkel mit zunehmenden Drücken beim Verpressen der Tabletten und führt dies auf die Entstehung frischer Oberflächen durch Brechen der Partikel zurück. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Bröckel und Löffler [30]. Sie schlagen deswegen vor, die Partikel auf Glasplatten aufzukleben und daran Randwinkel zu messen. Die Auswertung bringt die zusätzliche Schwierigkeit mit sich, Porositäten der aufgeklebten Partikelschichten bestimmen zu müssen. Da sie in die Auswertungen mit eingehen, müssen sie separat mit Bildauswertetechniken ermittelt werden. Die Beständigkeit der Kleberschichten gegenüber den Prüfflüssigkeiten stellt eine weitere Einschränkung der Messmethode dar. Lerk und Lagas [31] umgehen die Probleme der Veränderung der Oberflächeneigenschaften pharmazeutisch verwendeter Pulver, indem sie die Pulver in eine Matrize einbringen und mit nur leichtem Druck zu einer porösen Platte verpressen. Vor der Aufbringung der Prüfflüssigkeitstropfen (Wasser) werden die Tabletten mit Wasser besprüht, bis sie getränkt sind. Daraufhin wird nach der Methode von Kossen und Heertjes die Randwinkel bestimmt. Die Autoren korrelieren die Freisetzung des Wirkstoffs bei der Anwendung im Körper mit den Benetzbarkeiten, so dass anzunehmen ist, dass die Methode der Probenvorbereitung auch für Pigmente tauglich sein könnte, sofern die Presslinge wenigstens so stabil sind, dass die Partikel nicht schon durch die Wechselwirkung mit den Prüfflüssigkeiten ihre Lage verändern8. Fuerstenau und Williams bestimmen über eine Immersionsmethode die Oberflächenenergieverteilungen von Kohlenstaub [32]. In einem Scheidetrichter mit einem oberen Durchmesser von 75 mm werden Methanol/Wasser-Mischungen vorgelegt und so viel Kohlepulver aufgebracht, wie für das Erreichen einer Monolage an Partikeln notwendig ist (0,06 g bis 0,3 g, je nach Probe). Diejenigen Partikel, die einen Randwinkel von 0° mit der Flüssigkeit ausbilden, sinken in die Flüssigkeit hinein, während die, welche einen Randwinkel von > 0° haben, an der Oberfläche schwimmen.. Durch Variation der Zusammensetzung der Alkohollösungen lassen sich Oberflächenspannungen zwischen 22,5 mN/m und 72,8 mN/m einstellen. In Intervallen von wenigen mN/m Flüssigkeitsoberflächenspannung lässt sich mit Hilfe des Scheidetrichters der sedimentierte Anteil vom schwimmenden Anteil abtrennen und bestimmen. Der Auftrag des schwimmenden (lyophoben) Anteils gegen die Oberflächenspannung der Prüfflüssigkeit ergibt eine S-förmige Summenkurve, wie in der Abbildung 3.12 schematisch gezeigt ist. Unter der Annahme, dass die kritische Oberflächenspannung mit 8 Der Autor hat z.B. an Tabletten mit Silikonölen oberflächenbehandelten Titandioxidpigmenten beobachtet, dass sie beim Befeuchten mit lautem Knall zerplatzten.

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der freien Oberflächenenergie der Teilchen identisch ist, lässt sich durch Differenzierung der Summenkurve die Häufigkeitsverteilung der freien Oberflächenenergie der Partikel bestimmen (Balkenkurve in Abbildung 3.12). Das Verfahren ist nur für Partikel anwendbar, deren Oberflächenenergien innerhalb des einstellbaren Oberflächenspannungsbereichs Abbildung 3.12: Bestimmung der Verteilung der der Prüfflüssigkeiten liegen, was freien Oberflächenenergie von Pigmenten mit in der Praxis gewöhnlich keine Hilfe der Immersionsmethode Einschränkung darstellt. Obwohl die Verwendung von Flüssigkeitsgemischen wegen der möglichen Vorzugsadsorption einer Komponente Fragen aufwerfen kann9, liefert die Methode doch gute Hinweise auf die Benetzbarkeiten von Teilchen und ist zudem sehr einfach, da fast ohne apparativen Aufwand, durchführbar. Eine weitere Methode zur Bestimmung von Oberflächenenergien besteht in der inversen Gaschromatographie [33–36]. Bei dieser Methode wird das zu untersuchende Pulver in eine Wide Bore-Gaschromatographiesäule eingebracht. Aus der Retention von eingespritzten homologen Reihen von Alkanen lässt sich der dispersive Anteil der Oberflächenenergie der Pulver bestimmen. Die Werte tendieren dazu, sehr hoch zu sein. Es werden z.B. für Ruße Oberflächenenergien von bis zu 500 mN/m mit dieser Methode gefunden [33]. Dies wird einerseits darauf zurückzuführen sein, dass unter den üblichen Bedingungen der Gaschromatographie (T = 175 bis 250 °C) die Oberflächen frei von adsorbierten Stoffen sind, die die Oberflächenenergie herabsetzen können (vergleiche Gleichung 3.5; „Filmdruck“). Andererseits weisen die Partikel eine Verteilung der Oberflächenenergie auf. An den Ecken und Kanten eines Pigmentkristalls wird sie größer sein, als an den Flächen. Da die Retention bei der Gaschromatographie bevorzugt an den hochenergetischen Stellen erfolgt, werden diese in besonderem Maße zur Retention beitragen. Diese Annahme wird gestützt durch den Befund von Winkler [37], der bei der Untersuchung von kommerziellen Eisenoxidpigmenten und Titandioxidpigmenten mit Hilfe inverser Gaschromatographie feststellte, dass die Retentionszeit mit abnehmender Einspritzmenge stetig zunahm. Der Autor erklärt dies mit dem Vorhandensein einer Verteilung der Oberflächenenergien. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die freien Oberflächenenergien von Feststoffen deren Benetzungsverhalten bestimmen. Allerdings ist die Bestimmung 9 Im Falle einer Vorzugsadsorption wird die Grenzflächenspannung „verfälscht“.

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der Oberflächenenergien von Pigmenten nicht ganz einfach. Trotzdem stehen eine Reihe von Methoden zur Verfügung, um Pigmente zu charakterisieren und sie untereinander zu vergleichen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Oberflächenenergien, je nach relativer Luftfeuchte und je nach Exposition gegenüber Lösemitteldämpfen, stark ändern können. Organische Oberflächenbehandlungen, die gezielt eingesetzt werden, um den Pigmenten hydrophile oder organophile Eigenschaften zu verleihen, spielen in diesem Zusammenhang auch eine Rolle. In vielen Fällen ist es so, dass sich diese Hilfssubstanzen im Anwendungssystem ablösen, so dass die Wechselwirkungen zwischen der flüssigen Phase und der Pigmentoberfläche nach Einstellung von Adsorptions-Desorptionsgleichgewichten in der Formulierung anders sein können, als bei der ersten Benetzung.

3.4.2 Kinetik und Thermodynamik der Pigmentbenetzung Wie die Washburn-Gleichung (Gleichung 3.29) zeigt, macht es Sinn, zwischen der Thermodynamik und der Kinetik von Benetzungsvorgängen zu unterscheiden. In dünnflüssigen Systemen sind die Flüssigkeitsmoleküle schnell genug, um rasch in die Hohlräume der Agglomerate einzudringen, sofern die thermodynamischen Voraussetzungen günstig sind (d.h., große freie Oberflächenenergie der Pigmente, geringe Oberflächenspannung der Flüssigkeit, geringe Grenzflächenspannung zwischen Pigment und Flüssigkeit und – in der Folge – kleine Randwinkel). In jedem Fall wird man deswegen versuchen, die Benetzung in einem möglichst niedrigviskosen Medium stattfinden zu lassen. Beispiele für niedrigviskose Systeme sind die meisten Lackformulierungen. Da sie auf Untergründen verlaufen müssen, besitzen sie ohnehin tendenziell niedrige Oberflächenspannungen. Zudem können Lösemittel auch alleine, ohne gelöstes Bindemittel, in die Agglomerate eindringen. Lacke mit organischen Lösemitteln haben von Haus aus niedrige Oberflächenspannungen. Wässrige Formulierungen hingegen enthalten Additive, die die Oberflächenspannung herabsetzen. Hochviskose Systeme trifft man bei Kunststoffschmelzen an, beispielsweise bei der Pulverlackproduktion oder bei thermoplastischen Kunststoffen. In der Regel sind die Pigmente in solchen Systemen auch schlechter dispergiert. Das Streuvermögen von Titandioxidpigmenten in Pulverlacken, zum Beispiel, ist viel schlechter als in lösemittelhaltigen Lacksystemen, was sicher auch mit der Kinetik der Benetzung zusammenhängt, denn die Polymerschmelzen selber haben gewöhnlich Oberflächenspannungen, die unter den kritischen Oberflächenspannungen der erstarrten Kunststoffe liegen. Man misst üblicherweise Werte zwischen 30 und 50 mN/m, je nach Polymer und Temperatur (Tabellen 3.1 und 3.3). Flüssige Lacke haben meistens Oberflächenspannungen von 25 bis 35 mN/m. Damit sollen diese Systeme zumindest auf allen rein oxidischen Pigmentoberflächen spreiten, sofern diese nicht durch organische Zusätze in einer für die Benetzung ungünsti-

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gen Weise verändert wurden. Beispiele für oxidische Pigmente sind Titandioxid, Eisenoxid, Chromoxid, Zinkoxid, Talkum, Glimmer etc. Aber adsorbierte Silikonöle als Oberflächenmodifizierungen, beispielsweise, senken die Oberflächenenergien von Pigmenten soweit herab, dass sie sehr schlecht benetzt werden. Bei den organischen Pigmenten zeigt die Tabelle 3.5, dass es welche gibt, die besser und andere, die schlechter benetzt werden. Man setzt in diesen Fällen „Netzmittel“ ein, welche die Oberflächenspannung der Flüssigkeit absenken, aber vermutlich mehr noch wirken, indem sie die Grenzflächenspannung zwischen dem Pigment und der flüssigen Phase herabsetzen.

3.4.3 Benetzungsvolumen Bringt man eine Pigmentpulverschüttung mit einer Flüssigkeit in Kontakt, so saugt die Schüttung die Flüssigkeit in sich auf. Dabei fällt die Pigmentschüttung mehr oder weniger in sich zusammen. Die Flüssigkeitsaufnahme der Schüttung erfolgt „freiwillig“, also ohne jedes Zutun, bis zu einer bestimmten Menge und hört dann auf. Von Stackelberg und Frangen [38] haben dieses Phänomen untersucht und den Quotienten aus aufgenommenem Flüssigkeitsvolumen und der Pulvereinwaage benutzt, um das Verhalten der Pulver zu beschreiben. Das so genannte „Benetzungsvolumen“ BV hat die physikalische Dimension ml/g. Abbildung 3.13 zeigt eine Apparatur zur Bestimmung des Benetzungsvolumens. Dazu wird das Pigment mit Hilfe eines Feststofftrichters auf eine Glasfritte aufgebracht, die von unten mit einer Prüfflüssigkeit in Verbindung steht (siehe

Abbildung 3.13: Apparatur zur Bestimmung des Benetzungsvolumens

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Abbildung 3.14: Bestimmung des Benetzungsvolumens für eine besser und eine schlechter benetzende Flüssigkeit

Abbildung 3.13). Durch öffnen des Hahns unterhalb der Fritte kann die Flüssigkeit nachzuströmen, so dass, bei ebenfalls geöffneten Hahn zur Messkapillaren und geschlossenem Hahn zum Vorratsbehälter, die Pigmentbenetzung erfolgen kann. An der Messkapillare lässt sich die Aufnahme der Flüssigkeit ablesen, beispielsweise, indem eine Millimeterskala hinter die Messkapillare angebracht wird. In der Abbildung 3.13 sind zum besseren Verständnis einer solchen Apparatur die ungefähren Maße mit angegeben. Experimentell zeigt sich, dass unterschiedliche Flüssigkeiten sowohl unterschiedlich lange Zeit benötigen, um in die Pulver einzudringen, als auch, dass unterschiedliche Mengen erforderlich sind, um die Schüttung vollständig zu benetzen (Abbildung 3.14). Die Vorgänge bei der Benetzung lassen sich wie folgt analysieren: Ausgelöst durch die schon oft beschriebene Kapillarwirkung der Hohlräume innerhalb der Pulverschüttung strömen Flüssigkeiten von unten in die Pigmentschüttungen ein. Im Gegensatz zu einem Agglomerat, welches in eine Flüssigkeit hineingeworfen wird, vermag in diesem Fall die in den Pigmentagglomeraten enthaltene Luft nach oben zu entweichen. Die Flüssigkeit kann also ungehindert von unten einströmen. Die voranschreitende Flüssigkeitsfront versucht aufgrund ihrer Oberflächenspannung eine möglichst kleine Grenzfläche zur Luft einzunehmen. Deswegen zieht sie als „halbseitige Flüssigkeitsbrücke“ beim Eindringen die Pigmentpartikel zusammen, wodurch das von der Schüttung eingenommene Volumen bei der Benetzung abnimmt. Das Benetzungsvolumen wird daher mit zunehmender Oberflächenspannung γL der Flüssigkeit kleiner. Die kontrahierende Wirkung der Flüssigkeit wird auch stärker, je kleiner der Randwinkel Θ zwischen der Flüssigkeit und dem Pigment ist. Weil das Benetzungsvolumen definitionsgemäß

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auf die eingesetzte Pigmentmasse bezogen ist, fällt es notwendigerweise mit zunehmender Pigmentdichte ρP ab10. Eine genauere Analyse ergibt [39, 40], dass das Benetzungsvolumen eine Funktion ist, die in erster Näherung in der in Gleichung 3.32 angegebenen Weise von der Oberflächenspannung der Flüssigkeit, vom Randwinkel, von der Dichte der Pigmente bzw. Füllstoffe abhängt. Gleichung 3.32

 1 1 1  ; ;P BV = f 2 ; γ L cos2 Θ ρP 

Dabei ist P eine für das verwendete Pigment charakteristische Größe, die auch von der Teilchengrößenverteilung abhängt. Man findet, dass kleinere Teilchen das Benetzungsvolumen i.d.R. vergrößern, vermutlich weil mehr Flüssigkeit nötig ist, um die Oberflächen zu benetzen. Die ersten Lagen einer adsorbierten Flüssigkeit sind immobilisiert und können nicht zum Fließgeschehen beitragen. Im anwendungstechnischen Sinn benetzt die Flüssigkeit besser, die schneller in das Haufwerk eindringt und die weniger Volumen dazu benötigt. Die Logik hinter dieser Aussage ist, soweit sie die Eindringgeschwindigkeit betrifft, leicht verständlich. Bezüglich der benötigten Flüssigkeitsmenge ist zu berücksichtigen, dass man mehr Pigment in eine Flüssigkeit einbringen kann, die ein geringeres Benetzungsvolumen mit diesem Pigment zeigt. Eine Paste, bestehend aus dem Pigment und der Flüssigkeit mit einem geringeren Benetzungsvolumen, enthält einen höheren Pigmentanteil. Benetzungsvolumenmessungen sind sehr reproduzierbar, leicht durchzuführen und aussagekräftig. So lässt sich z.B. mit Hilfe solcher Messungen der Einfluss anorganischer und organischer Oberflächenbehandlungen auf Titandioxidpigmenten einwandfrei bestimmen (Abbildung 3.15). Durch

A: Pigment A ohne organische Oberflächenbehandlung A+OB1: Pigment A plus 0,2 Gew.% Trimethylolpropan + 0,3 Gew.% Polyethylenglykol, MG 200 A+OB2: Pigment A plus 0,5 Gew% ethoxyliertes Trimethylolpropan, 90–100 % Ethoxylierungsgrad A+OB3: Pigment A plus 0,5 Gew% Trimethylolpropan B: Pigment B ohne organische Oberflächenbehandlung

Abbildung 3.15: Benetzungsvolumenbestimmungen an zwei Titandioxidpigmenten

10 Dies lässt sich vermeiden, indem man das Benetzungsvolumen auf eingesetztes Feststoffvolumen bezieht. Es hat dann die Dimension: ml Flüssigkeit/ml Feststoff.

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Verwendung von Flüssigkeiten wie Wasser, Alkohole, Ester, aliphatische und aromatische Kohlenwasserstoffe kann ein „kolloidchemischer Fingerabruck“ eines Pigments erstellt werden, wodurch sich Ähnlichkeiten und Unterschiede verschiedener Pigmentsorten erfassen lassen. Bei den Pigmenten in der Abbildung 3.15 handelt es sich um zwei Titandioxid-Rutilpigmente. Pigment A hat eine anorganische Oberflächenbehandlung mit Aluminiumoxid in der obersten Lage, während Pigment B etwas Kieselsäure trägt. Es ist zu erkennen, dass beide Pigmente in etwa dieselbe Abstufung hinsichtlich der Benetzbarkeit durch die verschiedenen Lösemittel haben. Bei den organischen Oberflächenbehandlungen handelt es sich um übliche Substanzen (siehe Unterschrift zu Abbildung 3.15), die allesamt die Benetzbarkeit des Pigments A verbessern. Mit der Methode zum Bestimmen des Benetzungsvolumens lässt sich auch der Einfluss von Additiven auf die Benetzungseigenschaften der Flüssigkeiten überprüfen. Außerdem lassen sich Bindemittellösungen direkt als flüssige Komponenten einsetzen, sofern die Viskositäten nicht zu hoch sind, um die Fritten zu penetrieren. Es hat sich gezeigt [40], dass die durchfeuchteten Pigmentpulver im Falle niedrigerer Benetzungsvolumen einen geringeren Eindringwiderstand für einen Prüfkörper aufweisen (Penetrometermessungen), und dass die Pasten besser fließen. Im Fall anorganischer Weißpigmente (Rutil, Anatas, Zinksulfid, Zinkoxid) fällt das Benetzungsvolumen gegenüber reinem Toluol als Flüssigkeit bei der Zugabe von 0,1 mol an polaren Molekülen (z.B. Aminen) stark ab. Dabei zeigt sich, dass die Abnahme umso stärker ist, je kleiner die polaren Moleküle sind, d.h., je geringer ihr Platzbedarf auf der Pigmentoberfläche ist.

3.5 Mahlpastenrheologie und Mahlpasten­optimierung Das Fließverhalten von Mahlpasten ist eine außerordentlich wichtige Eigenschaft bei der Lackherstellung. Nicht nur der Dispergiererfolg, sondern auch die Handhabung der Mahlpaste, wie z.B. Gießen oder Pumpen, bis hin zum Reinigen der Gebinde wird davon berührt. Aufgrund ihrer Zusammensetzung aus gelösten Polymeren sowie Pigmenten und Füllstoffen weisen Mahlpasten und fertige Lackformulierungen mitunter ein recht kompliziertes Fließverhalten auf. In diesem Abschnitt sollen kurz die Grundbegriffe der Rheologie erläutert werden, um dann auf das Fließverhalten von Lacken und Mahlpasten einzugehen. Die Abbildung 3.16 zeigt das Modell, mit dessen Hilfe sich der Begriff der „Viskosität“ definieren lässt. In einem Abstand y sind zwei Platten mit der Fläche A parallel zueinander angeordnet. Zwischen den Platten befindet sich eine Flüssigkeit mit einem normalen, d.h. „Newton’schen“ Fließverhalten, wie beispielsweise

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Wasser. Die obere Platte wird mit einer Kraft K gezogen, so dass sie sich relativ zu der unteren mit einer Geschwindigkeit v bewegt. Dadurch bildet sich ein Geschwindigkeitsgradient dv/dy aus. Die Kraft, mit der die Platte gezogen wird, geteilt durch deren Fläche A ist pro- Abbildung 3.16: Modell für die Viskosität portional zu dem Geschwindigkeitsgradienten. Der Geschwindigkeitsgradient wird „Schergeschwindigkeit“ D genannt. Die Kraft pro Fläche nennt man „Schubspannung“ τ. Die Proportionalitätskonstante ist die dynamische Viskosität η. Sie ist ein Maß für die innere Reibung in der Flüssigkeit, d.h. für ihre Zähigkeit. Gleichung 3.33 τ = η · D

oder

η=

τ D

Die Schergeschwindigkeit hat die Dimension m/sm = 1/s. Die Schubspannung hat die Dimension N/m 2. Folglich hat die dynamische Viskosität die Dimension N · s/m2 = Pa · s (Pa = Pascal). Den Kehrwert der Viskosität nennt man „Fluidität“. Wenn die Viskosität unabhängig von der Schergeschwindigkeit ist, d.h., wenn Gleichung 3.33 für jede Schergeschwindigkeit dieselbe Viskosität ergibt, dann handelt es sich um eine so genannte „Newton’sche“ Flüssigkeit ( siehe 3.17).

Abbildung 3.17: Newton’sches und Bingham’sches Fließverhalten

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Manche Flüssigkeiten bekommen, wenn sie eine Zeit lang ruhen, eine (Gel-) Struktur. Diese Struktur muss dann überwunden werden, ehe die Probe fließen kann. Die dafür notwendige Schubspannung wird „Fließgrenze“ genannt. Wenn eine Probe mit einer Fließgrenze sich ansonsten wie eine Newton’sche Flüssigkeit verhält, so spricht man von einer Bingham-Flüssigkeit. Beispiel hierfür sind Zahnpasta, Mayonnaise und Ketchup. Das Rheogramm einer Bingham-Flüssigkeit ist ebenfalls in der Abbildung 3.17 gezeigt. Die Schubspannung kann allerdings auch in nicht linearer Weise von der Schergeschwindigkeit abhängen. Es gibt scherverdünnende und scherverdickende Systeme, je nachdem, ob die Schubspannung mit steigender Schergeschwindigkeit weniger als proportional, oder stärker als proportional anwächst. Entsprechend fällt oder steigt dann die Viskosität mit zunehmender Schergeschwindigkeit. Scherverdünnende Systeme werden „strukturviskos“ oder „pseudoplastisch“ genannt, weil ihre Zähigkeit von einer inneren Struktur herrührt, die im Verlauf der Scherung abgebaut wird. Ursachen für die Strukturviskosität können in der Verhakung von gelösten Polymermolekülen liegen oder von sich berührenden, suspendierten Pigmentpartikeln kommen. Umgekehrt baut sich bei scherverdickenden Systemen eine Struktur beim Fließen auf. In dem Fall spricht man von Dilatanz. Beispiele für Dilatanz findet man bei Stärkelösungen oder bei Kochkäse. Hochgefüllte Feststoffsuspensionen wie Brotteig, Sandaufschlämmungen oder hochgefüllte Pigmentpasten fließen ebenfalls scherverdickend. Der Grund dafür ist, dass sich die Partikel beim Fließen voneinander separieren und das dabei entstehende, vergrößerte Hohlraumvolumen einen

Abbildung 3.18: Strukturviskoses und dilatantes Fließverhalten

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Abbildung 3.19: Thixotropes Fließverhalten (Pfeile zeigen den zeitlichen Ablauf des Experiments an)

erhöhten Flüssigkeitsbedarf hat. Die Suspension wird „trockener“. Anschaulich lässt sich das Phänomen beobachten, wenn man am Strand durch Sand läuft, der von der Dünung benetzt wird. Bei frischen Fußspuren erscheint der Sand trockener, als nebendran. Die Abbildung 3.18 zeigt die Rheogramme für strukturviskoses und für dilatantes Fließen. Bei Newtons’schen und Bingham’schen Flüssigkeiten sowie beim Vorliegen einfacher Strukturviskosität und Dilatanz (Abbildungen 3.17 und 3.18) ist die Schubspannung jeweils eine eindeutige Funktion der Schergeschwindigkeit. Beim Hochscheren wie beim Abscheren ergibt sich dasselbe Rheogramm. Bei Systemen, die strukturviskoses oder dilatantes Fließverhalten zeigen, kann die Viskosität zudem noch von der Dauer der Scherbelastung abhängen. Im Fall zeitabhängiger Scherverdünnung spricht man von Thixotropie. In der Abbildung 3.19 ist ein typisches Rheogramm einer thixotropen Flüssigkeit schematisch dargestellt. Solche Rheogramme werden ermittelt, indem die Flüssigkeit zunächst hochgeschert wird. Bei der höchsten Schergeschwindigkeit wird die Probe eine Zeit lang gehalten. Durch den Strukturabbau nimmt die Schubspannung ab, d.h., die Viskosität sinkt weiter ab. Anschließend wird abgeschert. Ein Maß für die Thixotropie ist die Fläche, die von der Fließkurve umhüllt wird. Sie hängt natürlich vom Ablauf des rheologischen Experiments ab. Bei zeitabhängiger Scherverdickung spricht man von Rheopexie. Die Abbildung 3.20 zeigt die charakteristische Fließkurve einer rheopexen Flüssigkeit. Auch hierbei wird erst hochgeschert, bei der höchsten Schergeschwindigkeit eine Zeit lang weitergeschert und anschließend abgeschert.

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Abbildung 3.20: Rheopexes Fließverhalten (Pfeile zeigen den zeitlichen Ablauf des Experiments an)

Sämtliche nicht-Newton’sche Flüssigkeiten können zudem eine Fließgrenze τ0 aufweisen. Eine allgemeine Fließfunktion ist Gleichung 3.34

τ = η · Dn + τ0

In der Tabelle 3.6 sind die verschiedenen Möglichkeiten systematisch aufgeführt. Dynamische Viskositäten werden mit Hilfe von Rheometern bestimmt. Die Flüssigkeit wird entweder in den Spalt zwischen einem Probengefäß und einem Drehkörper gebracht (Searle Typ-Rheometer), oder es wird eine Kegel-Platte- oder Platte-PlatteMessanordnung gewählt. Man unterscheidet „Controlled Shear Rheometer“ und „Controlled Stress Rheometer“. Bei ersteren wird die Schwergeschwindigkeit vorTabelle 3.6: Fallunterscheidungen gemäß der allgemeinen Fließformel (Gleichung 3.24) n=1

τ0 = 0

Newton’sche Flüssigkeit

n=1

τ0 > 0

Bingham’sche Flüssigkeit

n1

τ0 = 0

dilatantes Fließen ohne Fließgrenze

n>1

τ0 > 0

dilatantes Fließen mit Fließgrenze

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gegeben und die sich ausbildende Schubspannung gemessen. Bei Controlle Stress Rheometern ist das genau anders herum. Bei ihnen lässt sich der Drehkörper mit einem definierten Drehmoment beaufschlagen und es wird die Schergeschwindigkeit gemessen, die sich dabei einstellt. Zur Vertiefung sei auf die weiterführende Literatur verwiesen [41].

3.5.1 Mahlpastenrheologie Beim Formulieren von Mahlpasten werden generell zwei alternative Strategien verfolgt. Entweder werden die Pigmente nur in einem Lösemittel unter Zugabe eines Dispergierhilfsmittels dispergiert, oder es wird dem Dispergieransatz auch ein Bindemittel zugegeben. Im ersten Fall lassen sich gewöhnlich höhere Pigmentkonzentrationen erzielen, jedoch sind die Mahlpasten dann meistens abrasiver und, wegen der vergleichsweise hohen Kosten der Dispergieradditive, möglicherweise weniger wirtschaftlich. Andererseits haben Pastenharze oftmals zwar gute Eigenschaften fürs Dispergieren und für die Pigmentstabilisierung, aber verschlechtern die Eigenschaften fertiger, gehärteter Lackfilme. Sowohl die Zusammensetzung der flüssigen Bestandteile, als auch die Temperatur bestimmen das Fließverhalten von Mahlpasten. Je kleiner das hydrodynamische Volumen (d.h. räumliche Ausdehnung) der eingesetzten Bindemittelmoleküle und je höher die Temperatur ist, umso niedriger ist im Allgemeinen die Viskosität. Außerdem spielen auch die eingesetzten Pigmente eine Rolle. Prinzipiell steigt die Viskosität mit zunehmendem Pigmentgehalt an. Dieser Anstieg ist bei hohen Pigmentfüllgraden ϕ sehr ausgeprägt. Je feinteiliger das Pigment ist, umso früher setzt der Viskositätsanstieg ein und umso höher ist die Viskosität. Dies ist schematisch in Abbildung 3.21 gezeigt. Im Prinzip wären Mahlpasten erwünscht, die angenähert Newton’sches Fließverhalten haben. Starke Strukturviskosität oder Thixotropie ist ebenso schädlich wie erst recht Dilatanz oder Rheopexie. Im Fall von Strukturviskosität verhindert die niedrige Viskosität die Übertragung der Scherkräfte auf die Pigmentagglomerate beim Dispergieren. Im Fall von Dilatanz können die Dispergiermaschinen stehen bleiben, wenn sich im Extremfall der

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Abbildung 3.21: Schematische Darstellung der Viskosität von Mahlpasten in Abhängigkeit vom Volumenanteil an Pigment A: Pigment mit kleinerem Teilchendurchmesser B: Pigment mit größerem Teilchendurchmesser

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Dispergieransatz in einen Festkörper verwandelt. Der einzige Fall, wo leichte Dilatanz förderlich für die Dispergierung ist, ist bei der Verwendung eines Dissolvers. Auf die geforderten Fließeigenschaften wird jeweils bei den einzelnen Dispergiergeräten (siehe Kapitel 4) hingewiesen. In der Praxis werden allerdings so hohe Pigmentmengen in den Mahlpasten eingeAbbildung 3.22: Schematische Darstellung des setzt, dass sich Fließanomalien Viskositätsverlaufs im Verlauf einer Dispergierung. Gestrichelte Linien grenzen Bereiche ab: wo ganz von alleine einstellen. vorwiegend Agglomerate das Fließen bestimmen, Meistens haben die vordisperwo Agglomerate neben Primärpartikeln vorliegen gierten Mahlpasten eine höhere und wo vorwiegend Primärpartikel vorhanden sind. Viskosität, weil Bindemittellösung von den Agglomeraten aufgesogen wird, die dann in der durchgehenden flüssigen Phase fehlt. Wenn die Mahlpaste dispergiert wird, brechen die Agglomerate und setzen die Bindemittellösung wieder frei, so dass die Viskosität abfällt. Bei weiterem Dispergieren liegen die Pigmente als Primärpartikel vor, die aufgrund ihrer Feinteiligkeit und der hohen Konzentration nur sehr kleine Oberflächenabstände zueinander haben. Dadurch steigt die Viskosität wieder an (siehe Abbildung 3.22). Ohne oberflächenaktive Substanzen wie Netzmittel, Dispergierhilfsmittel und/ oder Bindemittel lassen sich jedoch gar keine hochgefüllten Pigmentpasten herstellen und oftmals kann man einem Viskositätsanstieg bei Mahlpasten oder gar in den fertigen Beschichtungen durch die Zugabe von Dispergierhilfsmitteln begegnen. Die Viskositäten von Mahlpasten sind bei gleicher Pigmentierungshöhe größer, je feinteiliger die Pigmente sind. Deswegen lassen sich anorganische Pigmente und Füllstoffe zu höheren Konzentrationen einsetzen, als organische Pigmente oder Pigmentruße. Mahlpasten von Pigmenten sind gewöhnlich strukturviskos, wenn nicht thixotrop;, deshalb ist die Viskosität bei hohen Schergeschwindigkeiten meistens niedriger als bei niedrigeren Schergeschwindigkeiten. Dies ist in der Abbildung 3.23 schematisch dargestellt. Hier zeigt sich darüber hinaus der Einfluss der Teilchengröße auf das Fließverhalten. Je kleiner die Teilchengröße des Pigments ist, umso höher ist gewöhnlich die Viskosität bei niedrigen Schergeschwindigkeiten. Die Dispergierung selber findet typischerweise bei Schergeschwindigkeiten zwischen 1000 bis 1000.000 1/s statt [42]. In diesem Schergeschwindigkeitsbereich brechen die Strukturen durch Partikel-Partikel-Berührung zusammen. Das Fließverhalten ist nicht mehr so sehr von der Konzentration an Feststoffteilchen abhän-

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gig. Allerdings bilden sich bei zu hohen Konzentrationen und evtl. fehlendem Netzmittel in den fertig dispergierten Pasten Fließgrenzen aus, was die Füllhöhe an Pigmenten einschränkt. Die Abbildung 3.24 zeigt schematisch, dass sich umso höhere Fließgrenzen ausbilden, je feinteiliger die Pigmente sind. Abbildung 3.24 zeigt die Abhängigkeit der Fließgrenze von der Teilchengröße im Fall eines chlorierten Kupferphthalocyanin-Pigments bei einer Pigmentvolumenkonzentration von 13 %.

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Abbildung 3.23: Schematische Darstellung des Fließverhaltens strukturviskoser Mahlpasten in Abhängigkeit von der Pigmentpartikelgröße: d1>d 2>d3

Bei Lacken und Mahlpasten wird oftmals an Stelle der dynamischen Viskosität die Zeit gemessen, die die Flüssigkeiten brauchen, um aus einem Fließbecher zu laufen. Ein Fließbecher („Auslaufbecher“) ist ein Gefäß mit einem konischen Boden, in dem ein Loch definierter Größe eingebohrt ist. Das Gefäß wird mit dem zu prüfenden Medium gefüllt und dann das Loch freigeben. Mit Abbildung 3.24: Fließgrenzen von Cl15/16-KupfHilfe einer Stoppuhr wird die erphthalocyanin Pigment bei einer Pigmentvolumenkonzentration von 13 %. (Nachgezeichnet aus [38]) Auslaufzeit erfasst. In der DIN EN ISO 2431 aus dem Jahr 1996 werden Becher mit Düsendurchmessern von 3 mm, 4 mm, 5 mm und 6 mm beschrieben. Die Bestimmung der Auslaufzeit ist nur sinnvoll, wenn die Medien nicht allzu sehr von Newton’schem Fließverhalten abweichen. Um reproduzierbare Messungen durchzuführen, soll der Becher so ausgewählt werden, dass die Auslaufzeit zwischen 30 und 100 Sekunden ist, und es muss sichergestellt sein, dass das Abreißen des Flüssigkeitsfadens zum Ende der Messung deutlich erkennbar ist. Die Auslaufzeit steht für Newton’sche Flüssigkeiten in Beziehung zur kinematischen Viskosität. Die kinematische Viskosität ist die dynamische Viskosität geteilt durch die Dichte der Flüssigkeit. Die Algorithmen zur Umrechnung von Auslaufzeiten auf die kinematische Viskosität

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Benetzung von Pigmentoberflächen

sind für die verschiedenen Auslaufbecher in der DIN EN ISO 2431 angegeben. Laut der Norm sollen die kinematischen Viskositäten dafür jedoch nicht höher als 700 mm2/s sein.

3.5.2 Mahlgutoptimierung für Perlmühlen und Bestimmen der Bindemittelbedarfszahl Eine Methode zum Ermitteln der Benetzungseigenschaften von Flüssigkeiten wird zur Mahlgutoptimierung herangezogen. Es ist die Bestimmung der Bindemittelbedarfszahl nach Daniel [43], die im weitesten Sinn als Analogon zur Ölzahl zu verstehen ist. Die Ölzahl-Bestimmung ist ein Relikt aus Tagen, in denen es so gut wie ausschließlich Alkyd- und Polyesterbindemittel gegeben hat. Diese Harze waren mit unterschiedlichen Fettsäuren (Ölen) modifiziert („verkocht“), weswegen das Benetzungsverhalten der Pigmente gegenüber z.B. Leinöl eine aussagefähige Größe darstellte. Alle Länder hatten in ihren nationalen Normenwerken eine Ölzahl-Bestimmung spezifiziert. Gemäß der DIN ISO 787, Teil 5, wird das Pigment auf einer Glasplatte vorgelegt und Leinöl mit einer spezifizierten Säurezahl mit Hilfe einer Bürette hinzu getropft. Mit einem Lackspatel wird das Gemisch aus Pigment und Leinöl angeteigt, bis sich eine zusammenhängende, kittartigsteife Paste ergibt. Die Menge an Leinöl, die erforderlich ist, um 100 g Pigment zu benetzen, ist die Ölzahl. Davon unterschieden wird der Ölbedarf zum Erreichen einer fließfähigen Paste, die man z.B. in einem Dispergiergerät einsetzen könnte. Die dazu notwendige Ölmenge wird der „Fließpunkt“ genannt. Er stellt sich in den meisten Fällen bei der Leinölzugabe relativ plötzlich ein. Sowohl Ölzahl, als auch der Fließpunkt, hängen stark von der beim Mischen aufgewendeten Kraft ab, weil die Dispergierwirkung beim Kneten die aufgeschlossene Pigmentoberfläche bestimmt. Sowohl die Ölzahl, als auch der Fließpunkt, geben allerdings nur Auskunft über das spezielle System Feststoff-Flüssigkeit. Analog einer Ölzahl-Bestimmung oder einer Bestimmung des Fließpunkts lassen sich auch Bestimmungen mit Bindemittellösungen machen. Unter einer „Bindemittelbedarfszahl“ versteht man das Volumen an Bindemittellösung, die erforderlich ist, um zum Fließpunkt zu gelangen. Wird die Bindemittelbedarfszahl für unterschiedlich konzentrierte Bindemittellösungen bestimmt, so wird man unterschiedliche Fließpunkte finden. Der graphische Auftrag der Fließpunkte gegen die Bindemittelkonzentration ergibt – systemabhängig – in vielen Fällen eine parabelähnliche Kurve, mit einem mehr oder weniger ausgeprägten Minimum bei irgendeiner Bindemittelkonzentration [44]. Das Minimum gibt die Bindemittelzusammensetzung an, die die besten Benetzungseigenschaften aufweist. Der zugehörige Ordinatenwert gibt die dafür erforderliche Menge an Bindemittellösung an (siehe Abbildung 3.25). Die Fließpunktmethode eignet sich vor allem für das Optimieren der Mahlpastenzusammensetzung für schnell laufende Rührwerkskugelmühlen („Perlmüh-

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Literaturhinweise

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Abbildung 3.25: Mahlpastenoptimierung mit Hilfe von Fließpunktbestimmungen

len“), die mit Mahlperlen betrieben werden. Dabei ist es allerdings ratsam, für erste Versuche den Bindemittelgehalt der Mahlpaste etwa 10% bis 20 % größer zu wählen, als aus der Fließpunktkurve herauszulesen ist. Anderenfalls kann es passieren, dass wegen der guten Dispergierwirkung dieser Maschinen mehr Pigmentoberfläche aufgeschlossen wird, als bei der Ermittlung der Fließpunktkurve und es deswegen zum Festwerden der Mahlpaste in der Mühle kommt. Literaturhinweise [1] J. Winkler, farbe + lack 94 (1988) 263–269 [2] G. Wedler, Lehrbuch der Physikalischen Chemie, Wiley-VCH, 5. Auflage, Weinheim, 2004, S. 415 ff [3] Handbook of Chemistry and Physics, CRC Press, 88th Edition, 2007–2008, Seite 6–147 [4] T. Young, Philosophical Transactions of the Royal Society of London, The Royal Society, London, 95 (1805) 65–87 [5] M. E. Schrader, J. Adhesion Sci. Technol. 6 , No. 9 (1992) 969–981 [6] J. B. Donnet, C.M. Lansinger, Kautschuk + Gummi Kunststoffe, 45, Nr. 6 (1992) 459–468 [7] W. A. Zisman, Journal of Paint Technology, 44, No. 564 (1972) 42–57 [8] H.-J. Jakobasch, „Oberflächenchemie faserbildender Polymerer“, Akademie Verlag, Berlin 1984, Seite 85–87 [9] A. Horsthemke, J. J. Schröder, Chem. Eng. Process. 19 (1985) 277–285

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Benetzung von Pigmentoberflächen

[10] W. A. Zisman, Advances in Chemistry, Series 43, (1964) 1–51 [11] D. M. Gans, J. Paint Technology, 41, No. 536 (1969) 515–522 [12] L. A. Girifalco, R. J. Good, J. Phys. Chem. 61 (1957)904; ibid. 64 (1960) 561 [13] F. M. Fowkes, Ind. Eng. Chem. 56 (1964) 40–52 [14] F. van Voorst Vader, Chem. Ing. Techn. 49, Nr. 6 (1977) 488–493 [15] D. K. Owens, R. C. Wendt, Journal of Applied Polymer Science 13 (1969) 1741–1747 [16] D. K. Owens, R. C. Wendt, W. Rabel, farbe + lack 77 (10) (1971) 997–1005 [17] S. Wu, J. Polymer Sci., Part C, No. 34 (1971) 19 [18] S. Wu, J. Phys. Chem., 74 (1979) 632 [19] A. W. Neumann, P.-J. Sell, Z. Phys. Chemie, Bd. 227, Heft 3/4 (1964) 187–193 [20] H. Schubert, Chemie Ing. Techn. 41 (19969) 1276 [21] P. M. M. Vervoorn, Colloids and Surfaces, 25 (1987) 145 [22] H. Schubert, Chem.- Ing.- Tech. 40, Nr. 15 (1968) 745–747 [23] F. E. Bartell, H. J. Osterhoff, Ind. Chem. Phys. 19 (11) (1927) 1277 [24] E. W. Washburn, Phys. Review 17 (1921) 273 [25] B. Etmanski, A. K. Bledzki, U. Fuhrmann, Kunststoffe 84 (1994) 46–50 [26] S. Wu, K. J. Brzozowski, Journal of Colloid and Interface Science, 37, No. 4 (1971) 686–690 [27] N. W. F. Kossen, P. M Heertjes, Chemical Engineering Science 20 (1965) 593–599 [28] J. T. Fell, E. Efentakis, Int. J. Pharm. 4 (1979) 153 [29] G. Buckton, Powder Technol. 46 (1986) 201–208 [30] U. Bröckel, F. Löffler, Part. Part. Syst. Charact. 8 (1991) 215–221 [31] C. F. Lerk, M. Lagas, Acta Pharmaceutica Technologica, 23 (1971) 21–27 [32] D. W. Fuerstenau, M. C. Williams, Part. Charact., 4 (1987) 7–13 [33] J. B. Donnet, C. M. Lansinger, Kautschuk +Gummi Kunststoffe, 45, Nr. 6 (1992) 459–468 [34] S. Wolff, E.-H. Tan, J. B. Donnet, Kautschuk + Gummi Kunststoffe, 47, Nr. 7 (1994) 485–492 [35] G. M. Dorris, D. G. Gray, Coll. Int. Sci. 77 (1980) 353 [36] G. M. Dorris, D. G. Gray, Journal of Colloid and Interface Science 71 (1979) 93 [37] J. Winkler, „Gaschromatographie an Pigmentoberflächen“, Diplomarbeit, Universität Stuttgart, 1980 [38] M. v. Stackelberg, K. H. Frangen, Forschungsberichte Wirtschafts- und Verkehrsministerium Nordrhein-Westfalen, 166 (1955) 47–49 [39] F. Kindervater, Deutsche Farben Zeitschrift 14 (1960) 49–53 [40] F. Kindervater, Farbe u. Lack 69 (1963) 21–26 [41] T. Mezger, Das Rheologie Handbuch, 3. Auflage, Vincentz Network GmbH, Hannover, 2010 [42] J. Schröder, Rheologie 92 (1992) 40–48 [43] F. K. Daniel, Official Digest 28, No 381 (1956) 837–857 [44] H. Rohrer, farbe und lack 69 (1963) 591

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Dissolver

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Dispergiergeräte

Die mechanische Zerteilung von Pigmentagglomeraten erfolgt mit Hilfe von Dispergiergeräten. Je nach Viskosität der Mahlpasten und je nach Anforderungen an den zu erreichenden Dispergierzustand bieten sich dazu unterschiedliche Maschinen an. Darüber hinaus können auch andere Aspekte, wie beispielsweise Abrieb oder entlüftende Wirkung, die Wahl des verwendeten Dispergiergeräts beeinflussen. Manchmal werden verschiedene Dispergiergeräte nacheinander eingesetzt, z.B. ein Dissolver zu einer Vordispergierung gefolgt von einer Feindispergierung mit einer Rührwerkskugelmühle. In Kapitel 4 sollen die wesentlichen Eigenschaften von • • • •

Dissolvern Dreiwalzen Kneter und Extrudern und schnell laufenden Rührwerkskugelmühlen („Perlmühlen“)

erläutert werden und Hinweise zu den optimalen Betriebsparametern gegeben werden.

4.1

Dissolver

Bei Dissolvern handelt es sich um diskontinuierlich betriebene Dispergiereinrichtungen, bei denen das Mahlgut in einem (im Falle von Labordissolvern temperierbaren) Gefäß vorgelegt wird und in der eine an einer Rührwelle angebrachte Zahnscheibe dreht (vergleiche Abbildung 4.1). Die Zähne am Rande der Mahlscheibe sind abwechselnd nach oben und nach unten gebogen und haben eine Neigung relativ zu ihrer Laufrichtung in der Weise, dass die Mahlpaste einerseits ringförmig um

Abbildung 4.1: Zahnscheibe an der Rührwelle eines Dissolvers (Quelle: VMA Getzmann GmbH, Reichshof-Heienbach)

Jochen Winkler: Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen © Copyright 2010 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Dispergiergeräte

Abbildung 4.2: Dimensionen eines Dissolvers und Prinzipzeichnung des Strömungsbildes (Quelle: VMA Getzmann GmbH, Reichshof-Heienbach)

die Rührwelle und andererseits tangential nach außen gefördert wird. Die Neigung der Zähne relativ zu ihrer Laufrichtung soll zwischen 11° und 30° liegen [1]. Beim Betrieb entsteht eine Strömung im Dispergiergefäß, wie schematisch in Abbildung 4.2 gezeigt ist. An der Behälterwand angelangt, teilt sich die Mahlpaste in einen unteren und einen oberen, ringförmigen Strom. Die Abbildung 4.2 enthält noch einige Größenverhältnisse, die sich in der Praxis als vorteilhaft erwiesen haben. Die Größen sind dabei auf den Durchmesser D der Mahlscheibe bezogen. Die Einfüllhöhe der Mahlpaste soll irgendwo zwischen dem anderthalbfachen und dem doppelten Zahnscheibendurchmesser liegen. Die Drehzahl soll so eingestellt werden, dass die Zahnscheibe von oben sichtbar ist, und dass auch an der Behälterwand keine ruhenden Zonen ausgebildet werden. Die ringförmige Strömung, die sich ausbildet, wird in Anlehnung an das bekannte amerikanische Gebäck als „Doughnut-Effekt“ bezeichnet (siehe Abbildung 4.3).

Abbildung 4.3: Doughnut Effekt

Die Dispergierwirkung entfaltet sich einerseits zu einem geringeren Anteil, am gezähnten Rand der Mahlscheibe, beispielsweise dadurch, dass Agglomerate direkt von den Zähnen der Mahlscheibe getroffen werden. Andererseits bildet sich eine Scherströmung innerhalb der Mahlpaste aus, wodurch die Flüssigkeit auf der einen Seite der Agglomerate eine höhere Geschwindigkeit hat, als auf der anderen Seite. Wie in Kapitel 5 ausgeführt, ist die Dispergierwirkung durch Scherung größer, je höher die Schergeschwindigkeit und je höher die (Quelle: VMA Getzmann GmbH, Reichshof-Heienbach)

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Dissolver

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Abbildung 4.4: Rheogramm einer Mahlpaste mit einer Dilatanzstufe bei sonst thixotropem Fließverhalten (synthetisches Bariumsulfat der Teilchengröße 0,7 µm)

Schubspannung in der Lösung ist. Deswegen sollen Dissolverdispergierungen bei möglichst hohen Viskositäten erfolgen. Dies deckt sich mit den Ausführungen vieler Autoren [2–5] die hohe Viskositäten, bis hin zu leicht dilatantem Fließverhalten der Mahlpasten, empfehlen. Im Rheogramm zeigen hoch mit Pigment gefüllte Mahlpasten oftmals nur in einem bestimmten Schergeschwindigkeitsintervall eine Dilatanzstufe. Als Dilatanz bezeichnet man ein Fließverhalten, bei dem die Schubspannung überproportional zur Schergeschwindigkeit anwächst, so dass auch die Viskosität überproportional ansteigt. Als Beispiel ist in der Abbildung 4.4 das Rheogramm einer Mahlpaste eines synthetischen Bariumsulfat-Füllstoffs mit einer mittleren Teilchengröße von 0,7 µm aufgezeigt. In der Schubspanng versus Schwergeschwindigkeitskurve erkennt man beim Aufscheren eine Dilatanzstufe im Schergeschwindigkeitsbereich zwischen 200 s-1 und 300 s-1. Beim Abscheren tritt die Dilatanzstufe zwischen 350 s-1 und 450 s-1 auf. Der vorteilhafte Einfluss der Dilatanz wird darin liegen, dass das Agglomerat in seiner Drehbewegung abgebremst wird, wodurch sich eine Scherwirkung entfaltet. Die fertig dispergierte Mahlpaste weist die Dilatanzstufen nicht mehr auf. Einigkeit besteht auch darin, dass die Bindemittellösung im Dispergieransatz nicht allzu hohe Viskosität haben soll. Nach Ensminger [5] soll die Bindemittellösung der Mahlpaste eine Viskosität zwischen 50 und 100 mPas (milli Pascal Sekunden) aufweisen. Hierzu soll Pigment zugegeben werden, bis dass eine Viskosität zwischen etwa 3000 mPas und 4000 mPas erreicht sind. Zu beachten ist noch, dass die Bindemittellösung nicht allzu mager sein soll, d.h. wenigstens etwa

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Dispergiergeräte

15  Gew.% Bindemittelanteil haben soll, weil anderenfalls mit Problemen bei der „Auflackung“ (siehe Kapitel 6.8) zu rechnen ist.

Abbildung 4.5: Umfangsgeschwindigkeiten von Dissolverscheiben in Abhängigkeit von der Drehzahl und dem Scheibendurchmesser

Abbildung 4.6: Perlmühleinsatz (Quelle: VMA Getzmann GmbH, Reichshof-Heienbach)

Bei zu niedriger Viskosität spritzt der Dispergieransatz, es wird Luft eingetragen und die Dispergierwirkung ist wegen fehlender Scherströmungen ungenügend. Die Abbildung 4.3 zeigt das Fließbild, welches sich bei richtig zusammengesetzter Mahlpastenrezeptur einstellt. Dissolver werden gewöhnlich über den Aspekt einer definierten Umfangsgeschwindigkeit der Peripherie der Zahnscheibe betrieben. Diese soll im Bereich zwischen 18 und 25 m/s liegen. Speziell bei der Dispergierung mit Labordissolvern, bei dem kleine Mahlscheiben eingesetzt werden, erfordert dies hohe Drehzahlen von bis zu ca. 20.000 Umdrehungen pro Minute. Die Abbildung 4.5 zeigt die erforderlichen Drehzahlen bei der Verwendung unterschiedlich großer Zahnscheiben, um die gewünschten Umfangsgeschwindigkeiten zu erreichen.

Außer für das Vordispergieren oder das Dispergieren von Lacken werden Dissolver häufig zur Produktion sehr pastöser Medien, wie SMCs (Sheet Molding Compunds) oder Klebstoffen, eingesetzt. Speziell bei hochviskosen Medien ist oft die Entlüftung der Systeme ein großes Problem, weil die besonders störenden, kleinen Luftblasen nicht genügend Auftrieb haben, um an die Oberfläche zu gelangen und dadurch zu entlüften. Deswegen werden Vakuumdissolver eingesetzt, bei denen das Dispergiergefäß unter Vakuum gesetzt werden kann. Dadurch entweicht die Luft aus den Agglo-

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Walzenstühle (Dreiwalzen)

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meraten und gelangt an die Flüssigkeitsoberfläche, wo die Luftbläschen zerplatzen können. Andererseits wird beim Dispergieren keine weitere Luft eingetragen, weil sie schlichtweg fehlt. Beim Betreiben von Vakuumdissolvern muss darauf geachtet werden, dass sich die Lösemittel durch den Unterdruck nicht verflüchtigen. Im Labor ist es auch möglich, Dissolver als offene, diskontinuierlich betriebene Perlmühlen zu nutzen. An Stelle der Zahnscheibe werden in dem Fall Scheiben aus Keramik, Metall oder einem zähen Kunststoff angebracht (siehe Abbildung 4.6). Die Mahlperlen werden in dem Dispergiergefäß vorgelegt und so viel Mahlpaste zugegeben, dass die Perlen gerade bedeckt sind.

4.2

Walzenstühle (Dreiwalzen)

Dreiwalzen (siehe Abbildung 4.7) sind Dispergiergeräte, die ihre Dispergierwirkung allein durch Scherbeanspruchung der Pigmentagglomerate entfalten. Es handelt sich um eine Anordnung von drei zylindrischen Walzen, einer Aufgabewalze, einer Mitnahmewalze und einer Abnahmewalze, die in dieser Reihenfolge mit abgestuft höheren Drehzahlen rotieren. Zwischen der Aufgabewalze und der Mitnahmewalze wird die Mahlpaste aufgegeben und durch die Drehung der Walzen gelangt sie in den ersten Spalt, wo sie geschert wird. Agglomerate mit einem Durchmesser, der größer ist, als die Spaltbreite, werden dabei gepresst. Wegen der höheren Drehzahl der Mitnahmewalze trennt sich die Mahlpaste nicht so gut von ihr, wie von der Aufgabewalze. Deswegen wird sie von der Mitnahmewalze weitergegeben und passiert den zweiten Scherspalt zwischen der Mitnahmewalze und der Abnahmewalze. Mit einem Messer wird die dispergierte Mahlpaste schließlich von der Abnahmewalze abgestreift und aufgefangen. Gewöhnlich lässt sich bei Dreiwalzen der Anpressdruck („Liniendruck“) der Walzen einstellen. Dadurch ist ohne Mahlpastenzugabe ein Scherspalt nicht vorhanden. Die Mahlpaste selbst erzeugt einen Spalt, indem sie eingezogen wird. Die Spaltgröße wird natürlich kleiner, je größer der Liniendruck ist. Man spricht in dem Fall von einer „schwimmenden“ Walze. Es werden aber auch Geräte angeboten, bei denen sich die Spaltgröße direkt und sehr genau einstellen lässt.

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Abbildung 4.7: Dreiwalzenstuhl Quelle: Exakt Advanced Technologies GmbH, Norderstedt

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Dispergiergeräte

Der Schergradient ergibt sich aus der Spaltweite und der Relativgeschwindigkeit der Walzen zueinander. Dreiwalzen werden vornehmlich zum Herstellen von Druckfarben verwendet. Von Vorteil sind, neben einem guten, einheitlichen Dispergierzustand, dass die Farben entlüftet werden, so dass sie bei der Applikation keine durch Luftblasen verursachte Störungen wie Krater aufweisen. Da die Mahlpaste offen gehandhabt wird, ist aus arbeitshygienischen Gründen auf die Lösemittelemission zu achten. Zudem bestehen hohe Anforderungen an die Maßgenauigkeit der Walzen, weil sonst kein einheitlicher Scherspalt entsteht. Hinsichtlich der Dispergierwirkung sind hohe Mahlpastenviskositäten vorteilhaft. Es muss gewährleistet sein, dass die Farbe auf den Walzen einen durchgehenden Film bildet, und dass sie sich vom Abstreifmesser abtrennen lässt und auch abläuft. Nähere Ergebnisse zu dem Zusammenhang zwischen Walzendurchmessern, deren Drehzahlen, der Viskosität der Mahlpasten und dem Spaltabstand auf die geförderten Mengen und dem Arbeitsbedarf der Geräte sowie das Ermitteln der günstigen Walzendrehzahlverhältnisse für eine optimale Dispergierwirkung sind in der älteren Literatur beschrieben [6].

4.3

Kneter und Extruder

Sowohl Kneter als auch Extruder (Abbildung 4.8) sind Dispergiermaschinen, bei denen die Mahlpasten an einer feststehenden Fläche geschert werden. Sie werden für das Herstellen sehr pastöser Medien eingesetzt. Bei Knetern werden Knetwerkzeuge in einem Dispergiergefäß bewegt. Typische Produkte, die in Knetern hergestellt werden, sind Spachtelmassen. Bei Extrudern laufen eine oder mehrere Rührschnecken in einem Rohr, die im Prinzip wie ein Fleischwolf funktionieren. Extruder sind entlang der Schneckenanordnung beheizbar, so dass damit Pigmente und Füllstoffe in Kunststoffschmelzen eingearbeitet werden können. Man unterscheidet verschiedene Zonen im Extruder. In der Einzugszone werden die pulverförmigen Edukte, Kunststoff und Pigmente sowie Füllstoffe, in das Gerät eingezogen, gemischt und erwärmt. Darauf folgt die Plastifizierzone, in der der Kunststoff aufgeschmolzen wird. Im Falle der Herstellung von Pulverlacken soll dabei eine Temperatur von 80 bis 100 °C nicht überschritten werden, weil ansonsten die Härtungsreaktion schon einsetzen kann. Durch ein abnehmendes Gangvolumen wird die Masse verdichtet und Luft wird daran gehindert, weiter gefördert zu werden. Sie verlässt den Extruder nach hinten, zum Eintrag hin. Die Schnecken fördern die Schmelze von dort aus weiter in die Homogenisierungszone. Hier wird weiter dispergiert und homogenisiert. Wegen der Schneckengeometrie erfolgt eine abwechselnde Kompression und Expansion der Mahlpaste, wodurch eine Scherwirkung erzeugt

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Kneter und Extruder

Abbildung 4.8: Extruder

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(Quelle: Leistritz AG, Nürnberg)

wird. Es lassen sich durch Anlegen von Vakuum auch freigesetzte, flüchtige Bestandteile wie Wasser, Restmonomer oder Spaltprodukte abziehen. Die extrudierte Kunststoffschmelze wird in Stränge oder flache Bahnen geformt, die man abkühlen lässt, so dass sie fest werden. In einem weiteren Schritt werden aus den Strängen bzw. Bahnen durch Schneiden oder Brechen Granulate hergestellt. In der Kunststoffindustrie werden „Masterbatches“ damit produziert. Darunter versteht man Granulate mit höheren Konzentrationen an Pigmenten, die später, im Spritzgussprozess, mit den reinen Kunststoffgranulaten gemischt werden. Nadelförmige Pigmente können bei der Dispergierung im Extruder brechen. Die meisten Geräte erlauben die Messung des Drehmoments der Schnecken, so dass sich die eingebrachte mechanische Rührleistung bestimmen lässt1. Es ist aber darauf zu achten, dass man beim Erhöhen der Drehzahl, um mehr Rührleistung einzubringen, gleichzeitig die mittlere Verweilzeit, d.h. die Dispergierdauer, verkürzt, weil die Schnecken dann schneller fördern. Wenn der Dispergiererfolg dadurch schlechter wird, oder nicht in dem erwarteten Maß verbessert wird, dann macht es mehr Sinn, den Leistungseintrag zu erhöhen, indem der Extruder bei einer tieferen Temperatur betrieben wird, so dass bei gleicher Drehzahl das Drehmoment erhöht wird und demzufolge mehr mechanische Rührleistung eingebracht wird, ohne die Verweildauer zu reduzieren. 1 Die mechanische Rührleistung ist das Produkt aus der Drehzahl und dem Drehmoment der Schnecke, multipliziert mit dem Faktor 2π. Sie hat die Dimension Watt.

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Dispergiergeräte

In Extrudern können Agglomerate während des Scherens durch Erosion dispergiert werden, oder die Agglomerate können spontan als Ganzes unter der Scherbelastung zerfallen. Unter Erosion versteht man einen Abtrag von Primärpartikeln von der Agglomeratoberfläche aus, ähnlich, wie ein Schneeball, der über eine Straße rollt. Beide Dispergiermechanismen wurden untersucht und mathematisch beschrieben [7]. Sie unterscheiden sich dadurch, dass bei der Erosion geringere Leistungen ausreichen, als beim spontanen Zerfall eines Agglomerats, weil zeitgleich immer nur wenige (im Idealfall nur eine) physikalische Bindungen zwischen den Teilchen gelöst werden müssen. Unterhalb einer kritischen Leistung, die für den spontanen Zerfall erforderlich ist, kann bestenfalls nur Erosion stattfinden. Die Agglomeratgrößenabnahmen pro Zeiteinheit sind bei der Erosion deutlich geringer als beim spontanen Zerfall [7]. In beiden Fällen ist die Abnahme der Agglomeratgröße direkt proportional zum Produkt aus der Schubspannung τL in der Mahlpaste und der Schwergeschwindigkeit D sowie zur mittleren Agglomeratgröße dA, und umgekehrt proportional zur Agglomeratfestigkeit ϭA. Im Falle der Erosion ist die Abnahme der Agglomeratgröße allerdings auch von der mittleren Porosität εA der Agglomerate abhängig. Die Porosität ist der Anteil des Hohlraumvolumens in einem Agglomerat, also der Quotient aus Hohlraumvolumen und Agglomeratvolumen. Für ϑd/ϑt, die Abnahme der Teilchengröße pro Zeiteinheit, lässt sich im Falle des spontanen Zerfalls schreiben: Gleichung 4.1

ϑd 5 τ ·D · dA = · L ϑt 128 · π ϭA

während sich im Fall von Erosion die Agglomeratgrößenabnahme sich durch Gleichung 4.2

ϑd 5 τ · D ·d = · L ϑt 256 · π ϭA · (1 – εA) A

ausdrücken lässt. Die Agglomerate werden also schneller dispergiert, je größer sie sind, je höher die Schergeschwindigkeit und die Schubspannung in der Mahlpaste sind und je geringer die die Agglomeratfestigkeit ist. Im Fall der Erosion ist es von Vorteil, wenn die Agglomerate ein großes Porenvolumen haben. Weil einerseits die mittleren Hohlraumvolumen in der Größenordnung von 0,5 liegen, andererseits in Gleichung 4.2 der Faktor 5/256 an Stelle von 5/128 steht, wäre zu erwarten, dass die Teilchengrößenabnahme nach beiden Dispergiermechanismen in etwa gleich schnell verlaufen. Es sind verschiedene Fälle zu berücksichtigen: 1. Im Fall, dass die eingetragene Leistung geringer ist, als für Erosion erforderlich wäre, findet keine Dispergierwirkung statt. Im Gegenteil, es kommt zu einem Agglomerataufbau durch Adhäsion der sich treffenden Agglomerate untereinander. 2. Ist die eingebrachte Leistung höher, als die für Erosion erforderliche kritische Leistung, jedoch geringer als die kritische Leistung für spontanen Zerfall, so findet nur Erosion nach Gleichung 4.2 statt.

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Rührwerkskugelmühlen

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3. Ist die Leistung höher als die für spontanen Zerfall erforderliche Leistung, so findet sowohl Erosion, als auch spontaner Zerfall statt. Die resultierende Abnahme der mittleren Agglomeratgröße ist dann durch die Summe von Gleichung 4.1 und 4.2 gegeben. Sie ist also etwa doppelt so schnell, wie im Fall, dass nur Erosion stattfindet.

4.4

Rührwerkskugelmühlen

Rührwerkskugelmühlen sind kontinuierlich betriebene Dispergiermaschinen, bei denen die Mahlpaste durch ein Gefäß („Mahl“-kammer, „Mahl“-raum) gepumpt wird, welche mit „Mahl“-perlen gefüllt ist, die von einer Rührwelle in Bewegung gehalten werden. Die Dispergierwirkung erfolgt an den aneinander vorbeigleitenden Mahlperlen. Die Abbildung 4.9 zeigt den Querschnitt durch eine Rührwerkskugelmühle. Rührwerkskugelmühlen leiten sich indirekt von den (heute als historisch zu betrachtenden) Kugelmühlen ab, bei denen eine sich drehende, zylindrische Kammer mit Mahlpaste und Mahlkugeln gefüllt wurde. In solchen Anlagen werden die Mahlkugeln an der sich drehenden Innenwand des Zylinders emporgehoben und fallen dann kaskadierend auf das Mahlgut herab. Solche Kugelmühlen werden heute nicht mehr zur Lackproduktion genutzt, sondern höchstens noch für Schnelltests im Labor oder, im technischen Maßstab, für echte Mahlvorgänge in

Abbildung 4.9: Querschnitt durch eine Rührwerkskugelmühle (Quelle: VMA Getzmann GmbH, Reichshof-Heienbach)

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Dispergiergeräte

flüssigen Medien oder zur Trockenmahlung von Erzen. Der Nachteil der Kugelmühlen liegt in ihrem eingeschränkten Drehzahlbereich und der Möglichkeit, dass sich die Mahlkugeln aufgrund der Fliehkraft gar nicht von der Behälterwand lösen, sondern einfach mitschleudern. Ebenso überholt, zumindest was die Lackherstellung betrifft, sind Sandmühlen. Darunter versteht man offene Gefäße, in die als Mahlperlen feinteiliger Sand eingefüllt wird. Eine Rührwelle hält die Sandschüttung in leichter Bewegung, während die Mahlpaste von unten nach oben durchgepumpt wird. Als Sand wurde früher oft Ottawasand (aus einer Lagerstätte in der Nähe von Ottawa in den USA, im Bundesstaat Illinois) verwendet. Es handelte sich um ein reines SiO2 mit sehr runden Körnern. Mit solchen Geräten ließen sich sehr gute Dispergierergebnisse erzielen, wenn auch eine gute Vorbenetzung („Einsumpfen“) sehr zum Erfolg beigetragen hat. Allerdings sind aufgrund der offenen Bauart der Durchfluss der Mahlpasten und auch die Viskosität stark eingeschränkt, weil bei zu hohem Durchfluss bzw. zu hoher Viskosität der Sand nach oben aus den Anlagen ausgetragen wird. Zum Beispiel bei der Pigmentproduktion, wo anorganische Pigmente nach einem Temperungsschritt in ziemlich niedrigviskosen Slurries aufgemahlen werden müssen, spielen Sandmühlen durchaus noch eine Rolle. Lediglich wird kein Sand mehr benutzt, sondern üblicherweise Zirkonsilikat-Mahlperlen. Schelllaufende Rührwerkskugelmühlen heutiger Bauart, die zum Dispergieren eingesetzt werden, sind geschlossene Systeme, bei denen die Mahlperlen unabhängig vom Mahlpastendurchsatz von Abtrennvorrichtungen in der Mahlkammer zurückgehalten werden. Dadurch ist ein fast beliebiger, jedenfalls sehr hoher Leistungseintrag in die Mahlkammer möglich und der Viskositätsbereich ist sehr weit gesteckt. Deswegen lassen sich Rührwerkskugelmühlen im Falle weicher Füllstoffe wie z.B. Calciumcarbonat auch zum Mahlen, also zu einer „Echtzerkleinerung“, verwenden. Hierzu gibt es eine große Auswahl an verfahrenstechnischer Literatur2 [8–10]. Zum Abtrennen der Mahlperlen gibt es unterschiedliche technische Lösungen. Reibspalttrennungen stellen einen schmalen Zwischenraum zwischen der sich drehenden Rührwelle und einem Teil des Mahlbehälters dar. Siebtrennungen sind weniger kompliziert, da sie starr sind. Sie können an einem Teil des Mahlbehälters, oder an der Rührwelle angebracht sein, so dass die dispergierte Mahlpaste über die Rührwelle selbst ausgetragen wird. In dem Fall kann es deswegen weniger zu einem Perlenstau am Mahlgutauslass kommen, weil die Mahlperlen durch die Fliehkraft von der Rührwelle weggetrieben werden. An der Rührwelle sind Mahlscheiben unterschiedlicher Art angebracht. In Laborgeräten befinden sich meistens einfache Scheiben an der Rührwelle, während 2 Auf die Tatsache, dass bei Dispergier- und Mahlvorgängen grundsätzlich andere Verfahrensweisen zielführend sind, wurde schon hingewiesen. Mehr dazu im Kapitel 5.

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Rührwerkskugelmühlen

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bei Produktionsmaschinen und bei Maschinen für Technikumsansätze oft Scheiben verwendet werden, die das Mahlgut und die Mahlperlen vom Mahlpastenauslass der Mühle weg fördern, um Perlenstau zu vermeiden. Je nach Dispergieraufgabe werden unterschiedliche Werkstoffe für Mahlkammern und Rührorgane verwendet. Vornehmlich geht es dabei darum, eine Verfärbung empfindlicher Mahlgüter zu vermeiden. Die Abbildung 4.10 zeigt ein Beispiel für den Einfluss von Abrieb auf eine weiße Mahlpaste in Abhängigkeit von der Drehzahl der Rührwelle bei ansonsten gleichen Dispergierbedingungen. Produktions-Rührwerksskugelmühlen älterer Bauart haben eine vertikale Anordnung des Mahlbehälters, während bei neueren Abbildung 4.10: Verfärbung einer Mahlpaste mit Titandioxid durch den Abrieb von der Maschinen die Mahlkammern Rührwelle und der Wandung des Mahlgefäßes eher horizontal angeordnet sind. Auf die Dispergierwirkung hat dies keinen Einfluss, jedoch ist beim Anfahren der horizontal angeordneten Maschinen das Anfahrdrehmoment geringer, weil die Mitnahmeorgane (z.B. Mahlscheiben) nicht gänzlich in die Perlenschüttung eintauchen. Zudem sind die Teile beim Öffnen der Mahlkammer, beispielsweise zu Reinigungs- oder Wartungszwecken, zugänglicher. Aufgrund der bisweilen recht hohen mechanischen Rührleistungseinträge können sich die Mahlpasten stark erwärmen. In jedem Fall, also auch bei Produktionsmaschinen, ist deswegen die Mahlkammer von einem Mantel umgeben, durch das Kühlwasser geleitet wird. Je nach Bauart wird auch noch die Rührwelle mit Wasser gekühlt, um sicher zu gehen, dass sich das Mahlgut nicht zu stark erhitzt. Lacke und Farben vertragen in den meisten Fällen Temperaturen von bis zu ca. 50 °C, sofern die thermische Belastung nicht zu lange andauert. Oberhalb dieser Temperatur kann es zum Gelieren der Bindemittel kommen. Ein Molekulargewichtsabbau durch Scherung der Bindemittel ist zwar theoretisch möglich, stellt jedoch in der Praxis kein Problem dar.

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4.4.1 Mahlperlen Die Art der verwendeten Mahlperlen hat einen großen Einfluss auf das Dispergierergebnis. Es gibt sie auf der Grundlage verschiedener Werkstoffe, von einfachen Glasperlen über verschiedene keramische Mahlkugeln bis hin zu Stahlkugeln. Die wichtigsten Qualitätskriterien sind hierbei die Dichte der Mahlperlen, ihre Größenverteilung, ihre Form und ihre Abriebbeständigkeit. Die Dispergierwirkung steigt mit zunehmender Dichte bei gleicher Teilchengröße an, weil sich die kinetische Energie der Mahlperlen erhöht, die proportional zur Masse ist. Die Tabelle 4.1 zeigt eine Auflistung der wesentlichen Eigenschaften: Dichte, Schüttdichte (einer Mahlperlenschüttung mit Perlen zwischen 1,4 und 1,6 mm Durchmesser) und der Vickers-Härte der Materialien, die aus Prospektmaterialien verschiedener Mahlperlenhersteller zusammengestellt ist. Die Mahlperlen sind nach steigender Dichte geordnet. Glasperlen haben eine nur geringe Dichte von etwas mehr als 2 g/cm3, während Wolframcarbid eine Dichte von 15 g/cm3 aufweist. Zirkonoxidmahlperlen werden zum Stabilisieren mit unterschiedlichen Dotierkomponenten versetzt. Reines Zirkonoxid liegt bei Raumtemperatur als monokliner Kristall Tabelle 4.1: Eigenschaften einiger Mahlperlensorten Art

Dichte g/cm³

Farbe

Schüttdichte 1,4 bis 1,6 mm

Vickers-Härte N/mm²

Borosilikatglas

2,20

transparent

1,30

450

Kalknatronglas

2,50

transparent

1,47

400

Siliziumcarbid

3,10

schwarz

1,78

2300

Siliziumnitrid

3,20

grau

1,85

1400

Aluminiumoxid

3,50

weiß

2,00

1600

Zirkonsilikat

4,55

weiß

2,30

700

Zirkonoxid, kieselsäurestabilisiert

4,60

weiß

2,70

870

Zirkonoxid, magnesiumstabilisiert

5,73

weiß

3,30

1000

Zirkonoxid, yttriumstabilisiert

6,05

weiß

3,70

1300

Zirkonoxid, cerstabilisiert

6,20

braun

4,00

1250

Stahl

7,80

metallisch

4,80

200



1500

Wolframcarbid, cobaltstabilisiert

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15,00

grau

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mit einer Dichte von 5,556 g/cm3 vor. Beim Erhitzen wandelt sich der Kristall in Abhängigkeit von der Teilchengröße bei Temperaturen zwischen 950 und 1200 °C in tetragonales Zirkonoxid der Dichte 6,1 g/cm3 und bei weiterem Erhitzen auf 2370 °C in kubisches Zirkonoxid der Dichte 5,83 g/cm3 um. Bei 2600 °C schmilzt Zirkonoxid. Lässt man aus der Schmelze Zirkonoxid im Beisein von MgO, CaO, Y2O3 oder CeO2 erstarren, so werden die kubischen und tetragonalen Kristalle höherer Dichte stabilisiert.

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Abbildung 4.11: Einfluss des Mahlperlenfüllgrads auf die erzielte Farbstärke beim Dispergieren in Abhängigkeit von der mechanischen Rührleistung

Erfahrungsgemäß verschleißen beispielsweise Glasperlen etwa 300-mal schneller, als Zirkonoxidperlen. Mahlperlenverschleiß wird insofern nicht gern gesehen, weil man den Abrieb, bzw. noch schlechter, Bruchstücke, die kleiner sind als die Austragstrennvorrichtungen, im Produkt wiederfindet. Andererseits verlieren die Mahlperlen auch ihre Wirkung, wenn sie z.B. linsenförmig verschlissen sind. Bei verschlissenen Mahlperlen ist bei schlechteren Qualitäten auch erkennbar, dass zumindest teilweise Hohlkugeln vorlagen, die zum einen mechanisch weniger belastbar sind, als solide Kugeln, und die darüber hinaus eine geringere Dichte als die des Werkstoffs haben. Mahlperlen sind im frisch gelieferten Zustand meistens, unabhängig von ihrer Farbe, glänzend. Durch eine Aufrauung der Oberfläche werden sie im Gebrauch matt, was ihre Dispergierwirkung allerdings nicht schmälert. Mahlperlen werden in allen mittleren Teilchengrößen bis runter zu 0,05 mm (50 µm) angeboten. Sehr feine Mahlperlen sind erforderlich, wenn nanoskalige Agglomerate dispergiert werden sollen, weil sie ein dichtes Mahlperlenbett bilden, in dem die Agglomerate trotz geringer Trägheitskräfte geschert werden. Der durchschnittliche Oberflächenabstand der Mahlperlen einer gerührten Schüttung ist direkt proportional zu deren Durchmesser. Das Mahlperlenbett soll zwischen 80 und 90 % des freien Mahlkammervolumens ausfüllen. Geringere Werte führen zu stark verschlechtertem Dispergierergebnis, wie in Abbildung 4.11 zu sehen ist, während höhere Füllgrade sowohl den Verschleiß der Mahlperlen als auch den der Mahlkammer fördern. Zudem behindern sehr hohe Füllgrade die Bewegung der Mahlperlen, so dass es zu keinen zusätzlichen Verbesserungen der Dispergierwirkung kommt (vergleiche Kapitel 5.1 zur Bedeutung der Farbstärke K/S).

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Rührwerkskugelmühlen sind in der Regel „ideale Mischer“. Das bedeutet, dass die Mahlpaste sich nicht in einem Pfropfenstrom durch die Mahlkammer bewegt. Aufgrund der hohen Rührleistungen kommt es vielmehr zu einer sehr starken axialen Durchmischung in der Mahlkammer. Die neu zugeflossene Mahlpaste wird spontan in der gesamten Mahlkammer durchmischt und wird dann sukzessive durch neu hinzutretende Mahlpaste verdrängt. Dies hat zur Folge, Abbildung 4.12: Experiment zur Bestimmung der dass die häufigste Verweilzeit Verweilzeitverteilung in einer Stiftscheiben Rührwerkskugelmühle mit 1,4 Litern Mahlkammerweit kürzer als die errechenvolumen. Errechnete mittlere Verweilzeit: 10,1 min. bare mittlere Verweilzeit ist. Die Abbildung 4.12 verdeutlicht diesen Effekt. In einer 1,4 l Stiftscheibenrührwerkskugelmühle (PM STS 1, Draiswerke, Mannheim) wurde ein Weißlack mit ausdispergiertem Titandioxidpigment bei laufender Rührwerkskugelmühle hindurch gepumpt. Zum Zeitpunkt Null wurde eine geringe Menge einer ausdispergierten Buntpigmentpaste mit Hilfe von einer Spritze in den Zuführungsschlauch der Mühle gegeben. Dann wurden in bestimmten Zeitabständen Lackproben genommen und deren Farbstärke mit der Kubelka Munk Formel (siehe Kapitel 5.1) bestimmt. Bei einer theoretischen mittleren Verweilzeit von 10,1 min zeigte sich bereits nach weniger als einer Minute die höchste Farbstärke. Das beweist, dass manche Agglomerate nur wenige Sekunden in der Mahlkammer verbleiben. Eine weitere Schlussfolgerung aus diesem Experiment ist, dass es keinen Temperaturgradienten innerhalb der Rührwerkskugelmühle gibt. Die Temperatur am Auslauf der Mühle entspricht der Temperatur des gesamten Mahlguts in der Mahlkammer. Erst bei größeren Mühlen oder bei Mühlen, bei denen die Mahlscheiben den Mahlraum aufgrund ihres großen Durchmessers in mehrere Kammern auftrennen und somit die axiale Durchmischung verringern, ist mit einem Temperaturgradienten innerhalb der Mühle zu rechnen. Der allgemeinen verfahrenstechnischen Literatur ist zu entnehmen, dass erst nach etwa zehn aufeinanderfolgenden Passagen eine angenähert Gauß’sche Verweilzeitverteilung zu erwarten wäre [11]. Das ist so, weil die Wahrscheinlichkeit, dass ein Agglomerat bei jeder Passage dieselbe Aufenthaltsdauer in der Mahlkammer

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Abbildung 4.13: Verweilzeitverteilung bei der Hintereinanderschaltung von n idealen Mischern

hat, mit der Anzahl der Passagen sinkt. Die Häufigkeit H(t) der Verweilzeit t hängt von der theoretischen mittleren Verweilzeit tm und der Anzahl der Passagen n nach folgender Beziehung ab. n · t · n  n · t  Gleichung 4.3 H(t) = · exp – (n –1)!  tm   tm  n–1

Die theoretische, mittlere Verweilzeit, wiederum, errechnet sich aus dem Quotienten des freien, d.h. nicht von Mahlperlen ausgefüllten Volumens im Mahlbehälter Vfrei und dem Volumenstrom V·L der Mahlpaste. V Gleichung 4.4 t = frei m V·L Die Abbildung 4.13 zeigt die nach Gleichung 4.3 errechneten mittleren Verweilzeiten der Mahlpasten in idealen Mischern nach 1, 2, 3, 4, 5, 10 und 20 aufeinanderfolgenden Passagen. In Abbildung 4.13 ist zur besseren Übersichtlichkeit die Abszisse als t/tm gewählt, so dass die theoretische mittlere Verweilzeit beim Wert 1 liegt. Die Bilanzierung der Wärmeströme in einer schnelllaufenden Rührwerkskugelmühle bringt das Ergebnis, dass innerhalb der Fehlergenauigkeit der Messung

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Dispergiergeräte

Abbildung 4.14: Betreiben einer Siebkorbmühle (Quelle: VMA Getzmann GmbH, Reichshof-Heienbach)

sämtliche eingebrachte mechanische Rührleistung in Joule’sche Wärme überführt wird [12–13]. Rührwerkskugelmühlen sind, so gesehen, Energievernichter. Durch sie wird Energie in die Mahlpasten eingebracht, was zu deren Erwärmung führt und, als Folge, den Einsatz von Kühlwasser erfordert. Deswegen kann es sich lohnen, die Abwärme von Rührwerkskugelmühlen zu nutzen. Die Abwärme von 20 Dispergiergeräten einer Lackfabrik reicht aus, um 4500 m2 Fabrikationsfläche bei gleichzeitiger Belüftung ganzjährig zu beheizen [14]. Ein Nachteil der Rührwerkskugelmühlen ist der relativ hohe Verlust an Mahlgut, der dadurch bedingt ist, dass nach der Dispergierung immer ein Rest in der Mahlkammer verbleibt, der nicht abgepumpt werden kann. Ein weiterer Nachteil ist die bei einem Produktwechsel erforderliche Reinigung der Mahlkammer mitsamt der Mahlperlenschüttung. Diese Nachteile sind bei den so genannten Tauchmühlen oder (Sieb-) Korbmühlen verringert. Siebkorbmühlen bestehen aus einem Siebkorb, in dem die Mahlperlen eingebracht werden. Die Abbildung 4.14 zeigt schematisch die Wirkungsweise und Bedienung einer solchen Mühle. Der mit Mahlperlen gefüllte Siebkorb wird in das vordispergierte Mahlgut eingetaucht (Abbildung 4.14-1). Die Rührwelle wird angefahren. Sie treibt eine Pumpvorrichtung für die Mahlpaste an und hält die Perlenschüttung in dem Korb in Bewegung. Dabei steht der Siebkorb selber still. Zur besseren Durchmischung kann z.B. auch noch eine Dissolverscheibe am Ende der Rührwelle angebracht sein. Durch die Produktumwälzung wird die Mahlpaste kontinuierlich durch den Siebkorb geführt, in dem dispergiert wird. Die Mahlperlen werden z.B. durch ein Sieb am Boden vom Austreten gehindert (siehe Abbildung 4.14-2). Nach erfolgter Dispergierung wird der Korb aus dem Mahlgut herausgehoben und durch kurzes Anlaufen der Rührwelle wird die sich im Siebkorb befindliche Mahlpaste weitgehend herausgeschleudert (Abbildung 4.14-3). Der Siebkorb lässt sich dann in einem separaten Schritt reinigen (Abbildung 4.14-4). Korbmühlen

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Bestimmung der Dispergierdauer

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werden allerdings nur diskontinuierlich betrieben, so dass nur Chargengrößen bis maximal mehrere Tonnen möglich sind. Allerdings ist das kein sonderlicher Nachteil, weil bei größeren Mengen sich die Mahlgutverluste beim Einsatz von kontinuierlich betriebenen Rührwerkskugelmühlen relativieren, so dass sich deren Einsatz wiederum lohnt.

4.5

Bestimmung der Dispergierdauer

Es ist leicht verständlich, dass die Dispergierdauer einen Einfluss auf den Dispergiererfolg hat. Im Falle diskontinuierlich betriebener Dispergiermaschinen, bei denen die Mahlpaste in Gänze in einem Gefäß vorgelegt wird, in dem auch die Dispergierung stattfindet, ist die Dispergierdauer t identisch mit der Maschinenlaufzeit tLaufz.. Die lässt sich einfach mit einer Uhr erfassen. Bei kontinuierlich betriebenen Dispergiergeräten, wie Rührwerkskugelmühlen, sind die Dinge ein wenig komplizierter. Zum einen, wie im Vorangegangenen beschrieben, stellt die mit Gleichung 4.4 bestimmte mittlere Verweilzeit, die bei einer Passsage identisch ist mit der Dispergierdauer, lediglich ein Mittelwertdar. Je nach Intensität der axialen Durchmischung in der Mahlkammer ist die Verweilzeit eine verteilte Größe. Zum anderen muss bei kontinuierlichen Dispergierverfahren weiter unterschieden werden zwischen der Passagenfahrweise und der Kreislauffahrweise. Bei der Passagenfahrweise (siehe Abbildung 4.15) wird das Mahlgut von einem Vorlagebehälter zur Rührwerkskugelmühle gepumpt. Das Mahlgut passiert die Mahlkammer und wird von dort in einen Auffangbehälter geführt. Die mittlere Dispergierdauer wird in dem Fall durch die Gleichung 4.4 ausgedrückt. Für den Fall von n Passagen ist die mittlere Dispergierdauer: V Gleichung 4.5 t = n · ·frei m VL wobei zu beachten ist, dass eine zunehmende Anzahl an einzelnen Passagen auch noch Vorteile im Hinblick auf die Verweilzeitverteilung hat. An Stelle einer langsamen Passage sind also mehrere, schnellere Passagen vorteilhafter, was die Einheitlichkeit der Verweilzeitverteilung betrifft. Der Nachteil der Passagenfahrweise ist, dass sie mehr Personalaufwand mit sich zieht, weil die Mühlen bei jeder neuen Passage an- und abgefahren werden und die Anschlüsse ausgetauscht wer- Abbildung 4.15: Betreiben einer Rührwerkskugelden müssen. mühle in der Passagenfahrweise

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Bei der Kreislauffahrweise (Abbildung 4.16) sind Vorlageund Auffangbehälter identisch. Die Mahlpaste wird durch die Mühle gegeben und wieder zum Vorlagebehälter zurückgeführt. Manchmal wird die Mahlpaste im Vorlagebehälter noch mit einem Rührer gemischt. Es müssen während des Dispergierens keinerlei Eingriffe Abbildung 4.16: Betreiben einer Rührwerkskugelerfolgen. Diese Erleichterung mühle im Kreislaufverfahren wird allerdings damit erkauft, dass die Prozesskontrolle geringer ist und die Dispergierung deswegen in der Regel länger dauert. Selbst bei langen Maschinenlaufzeiten kann es sein, dass ein Teil der Mahlpaste gar nicht dispergiert wird. Zur Abschätzung der mittleren Dispergierdauer ist es deswegen erforderlich, sich über die Anzahl der theoretischen Passagen ntheor. bei der Kreislauffahrweise Gedanken zu machen. Darunter versteht sich, wie oft die Mahlpaste mit dem Volumen VL nach der Maschinenlaufzeit tLaufz. umgewälzt wird. Weitere Überlegungen führen zu: V· Gleichung 4.6 ntheor. = L · tLaufz. VL Wenn die Zahl der theoretischen Passagen kleiner als eins ist, dann hat die Maschinenlaufzeit nicht ausgereicht, um sämtliche Mahlpaste wenigstens einmal durch die Perlmühle zu schicken. In Abhängigkeit von der Intensität der Durchmischung von dispergierter und nicht dispergierter Mahlpaste im Vorlagebehälter lässt sich abschätzen, ab wie vielen theoretischen Passagen die Annahme berechtigt ist, dass sämtliche Teile der Mahlpaste wenigstens einmal die Mahlkammer passiert haben. Je besser die Durchmischung im Vorlagebehälter ist, umso mehr theoretische Passagen sind erforderlich. Die mittlere Dispergierdauer errechnet sich bei der Kreislauffahrweise aus dem freien Volumen in der Mahlkammer, dem Volumen an Lack, das zur Dispergierung ansteht, und der Maschinenlaufzeit. Weil immer nur der Bruchteil Vfrei /VL der Mahlpaste zeitgleich in der Mahlkammer sein kann, errechnet sich die mittlere Verweilzeit zu: V Gleichung 4.7 t = frei · tLaufz. m VL Ein Praxisbeispiel soll die Zusammenhänge verdeutlichen. Es sollte nanoskalige Kieselsäure möglichst fein in einem Lackharz eindispergiert werden. Dies

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Bestimmung der Dispergierdauer

Tabelle 4.2: Bestimmung der (mittleren) Dispergierdauer für diskontinuierliche Dispergierungen und Dispergierungen im Passagen- und Kreislaufverfahren Dispergierverfahren

Anzahl der Passagen

(mittlere) Dispergierdauer

Diskontinuierlich

l

t = tLaufz.

Kontinuierlich im Passagenverfahren

n

Vfrei t¯ = n · · VL

Kontinuierlich im Kreislaufverfahren

· VL · tLaufz. VL

Vfrei t¯ = n · · ·tLaufz. VL

geschah mit Hilfe einer Perlmühle mit vier Liter Mahlraum. Die Mahlkammer war zu 85 % (Schüttvolumen) mit Mahlperlen gefüllt, so dass sich ein freies Volumen Vfrei von 2,3 Litern ergibt. 100 Liter Mahlpaste wurden 8 Stunden lang mit einer Durchflussrate von 300 Litern pro Stunde durch die Rührwerkskugelmühle gepumpt. Nach Gleichung 4.6 beträgt die Anzahl der theoretischen Passagen 300/100 · 8 = 24. Es ist also davon auszugehen, dass alle Teile der Mahlpaste mehrfach die Mahlkammer passiert haben. Unter diesen Voraussetzungen macht es Sinn, die mittlere Dispergierdauer nach Gleichung 4.7 auszurechnen. Das ergibt 8 · 2,3/100 = 0,184 Stunden, also ca. 11 Minuten, was, verglichen mit üblichen Dispergierdauern bei diskontinuierlichen Dispergierungen und in Anbetracht der Aufgabe, nicht zu lang ist. Entsprechend war der erzielte Dispergiererfolg auch nicht übermäßig gut. Eine Abschätzung der Verhältnisse vor der Dispergierung hätte sicher dazu geführt, dass von vorn herein eine längere Maschinenlaufzeit gewählt worden wäre. Die Tabelle 4.2 ist eine Übersicht über die Bestimmung der Zahl der Passagen und die Berechnung der mittleren Dispergierdauer für die verschiedenen Fahrweisen.

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Literaturhinweise [1] [2] [3] [4] [5] [6]

B. Schwegmann, Farbe und Lack 80 (1974) 311 B. Schwegmann, T. C. Patton, Journal of Paint Technology 42, No. 550 (1970) 626 H. E. Weisberg, Official Digest 36, No. 478 (1964) 1261 F. K. Danial, Journal of Paint Technology 38, No. 500 (1966) 534 R. I. Ensminger, Official Digest 35, No. 456 (1963) 71 W. Bueche, Dissertation, „Der Zerkleinerungsvorgang auf Reibwalzenstühlen“, Karlsruhe (1932) [7] H. Potente, K. Kretschmer, J. Flecke, Polymer Engineering Science, 42, No. 1 (2002) 19–32 [8] A. Kamptner, P. Koch, Aufbereitungs-Technik 32 (1991) 159–164 [9] K. Schönert, K. Steier, Chem.-Ing.-Techn. 43 (1971) 773–777 [10] H. Rumpf, „Zerkleinern“ in Ullmanns Enzyklopädie der Technischen Chemie, 2 (1972) 1-23 [11] H. Nonnenmacher, „Ullmann’s Enzyklopädie der Technischen Chemie“, Band 1, Foerst Hrsg., Urban und Schwarzenberg, München (1951), S. 923 [12] J. Winkler, farbe+lack 90 (1984) 244–250 [13] K. Engels, farbe + lack 71 (1965) 464 [14] K. Halsch, Journal für Oberflächentechnik 20 (1980) 486

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Dispergierzustandsbestimmung

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5 Mechanisches Zerteilen von Agglomeraten Das mechanische Zerteilen der Pigmentagglomerate ist die Grundvoraussetzung des Dispergierung. Trotz seiner elementaren Bedeutung wird dieser Teilschritt häufig am wenigsten verstanden. Dabei gibt es ein einfaches Modell, welches die Voraussetzungen für eine mechanische Zerteilung beschreibt. Das Modell wird in Kapitel 5 qualitativ und quantitativ dargestellt. Außerdem werden die Besonderheiten beim Betreiben der technisch wichtigen Rührwerkskugelmühlen behandelt. Auch die Besonderheiten beim Dispergieren von nanoskaligen Pigmenten und Füllstoffen werden erklärt.

5.1

Dispergierzustandsbestimmung

Will man die mechanische Zerteilung der Agglomerate beim Dispergierprozess untersuchen, so ist es erforderlich, den Zerteilungszustand mit einer anwendungstechnischen Änderung der Mahlpasten in Verbindung zu bringen. Partikelgrößenbestimmungen fallen, zumindest bei Lackuntersuchungen, aus messtechnischen Gründen aus. Sehr aufwendig sind die Bestimmungen von Partikelgrößenverteilungen aus elektronenmikroskopischen Aufnahmen [1]. Bewährt haben sich farbmetrische Verfahren wie die Bestimmung der Farbstärke oder des Streuvermögens nach der Kubelka-Munk-Funktion. Der Quotient aus dem Absorptionskoeffizienten K und dem Streukoeffizienten S, die so genannte Farbstärke F einer optisch deckenden Schicht, lässt sich aus der Remission βy des Farbfilters (rot, grün oder blau) mit der höchsten Absorption nach Gleichung 5.1 berechnen. Sie stellt die Kubelka Munk Funktion dar. Gleichung 5.1

F=

K (1 – βy)2 = S 2βy

βy kann nur Werte zwischen 0 (0 % Remission) und 1 (100 % Remission) annehmen. Die Abbildung 5.1 zeigt die Farbstärke K/S als Funktion der Remission βy. Weil es üblich ist, die Farbstärke im Remissionsbereich zwischen 0,25 und 0,8 zu bestimmen, ist nur dieser Bereich der Funktion aufgetragen. Zu kleineren Remissionswerten hin steigt die Funktion sehr stark an. Jochen Winkler: Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen © Copyright 2010 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Mechanisches Zerteilen von Agglomeraten

Abbildung 5.1: Die Kubelka-Munk-Funktion (Gleichung 5.1)

Abbildung 5.2: Vergleich der Untergrundabdeckung größerer und kleinerer Teilchen bei gleicher Gesamtmasse

Das Bestimmen der Farbstärke als Maß für den Dispergiererfolg bietet sich vor allem beim Dispergieren von Buntpigmenten in Kombination mit Titandioxid an. In dem Fall kommt der Beitrag des Absorptionskoeffizienten zur Farbstärke vom Buntpigment her, während der Streukoeffizient vom Verteilungszustand des Weißpigments dominiert wird. Mit zunehmend besserer Verteilung (Dispergierung) der Buntpigmentpartikel steigt der Absorptionskoeffizient an. Das ist darauf zurückzuführen, dass kleine Teilchen sich homogener in einem Medium verteilen können und damit mehr Lichtquanten absorbieren können. Das ist schematisch in der Abbildung 5.2 gezeigt. Die elf Teilchen auf der rechten Seite haben zusammen genommen dasselbe Volumen, wie die zwei Teilchen auf der linken Seite, weil ihre Durchmesser lediglich 57 % das der großen Teilchen beträgt. Licht, welches von oben auf die Teilchen fällt, erfährt deswegen mehr

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Dispergierzustandsbestimmung

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Abbildung 5.3: Abhängigkeit des Absorptionskoeffizienten K und des Streukoeffizienten S vom Pigmentteilchendurchmesser (schematisch)

Absorption. Die Abbildung 5.3 zeigt schematisch die Abhängigkeit des Absorptionskoeffizienten von der Teilchengröße der Pigmentteilchen. Agglomerate verhalten sich gemäß der Abbildung 5.2 wie große Teilchen. Der Streukoeffizient ist ebenfalls von der Teilchengröße abhängig und besitzt ein Maximum in etwa bei der Teilchengröße, die halb so groß ist, wie die Wellenlänge des einfallenden Lichts, mit dem die Teilchen wechselwirken [2] (siehe Abbildung 5.3). Eine weitere Eigenschaft, die von der erzielten Teilchengrößenverteilung der Dispergierung abhängt, ist der Glanz von Beschichtungen. Messgeräte zur Glanzbestimmung sowie deren Handhabung sind in der Norm DIN 67 530 (Analog ASTM D 523-78 und ISO 2813) beschrieben. Ein kreisrunder Lichtstrahl vorgegebener Größe wird im Einfallswinkel α auf die zu messende Oberfläche gerichtet. Im Ausfallswinkel wird mit dem in DIN 67 530 beschriebenen „Reflektometer“ bei vorgegebenen Aperturen1 die Intensität des reflektierten Strahls bestimmt. Die Abbildung 5.4a zeigt das Messprinzip an einer ideal glänzenden („spiegelnden“) Oberfläche. Im Fall rauer Oberflächen wird das reflektierte Licht nicht nur im Ausfallswinkel gespiegelt, sondern teilweise diffus gestreut (Abbildung 5.4b). 1 Eine Apertur ist eine Blende, welche Randstrahlen ausblendet.

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124 a)

Mechanisches Zerteilen von Agglomeraten b)

Abbildung 5.4a: Bestimmung des Glanzes an einer ideal spiegelnden Oberflächen 5.4b: Bestimmung des Glanzes an einer nicht spiegelnden Oberfläche

Entsprechend wird ein Teil des reflektierten Lichts durch die Apertur ausgeblendet und es wird ein geringerer Glanz gemessen. In der DIN 67 530 wird zwischen Hochglanz, Mittelglanz und Mattglanz unterschieden, die bei Einfalls- und Ausfallswinkeln von 20°, 60° und 85° gemessen werden. (Mit zunehmendem Einfallswinkel steigt der Glanz von Oberflächen an.) Schlecht dispergierte Pigmente haben mehr und größere Agglomerate, die die Lackoberfläche rau machen und damit zu schlechterem Glanz führen. Soll der Glanz als Indiz für die Partikelverteilung herangezogen werden, so muss allerdings darauf geachtet werden, dass die Schichtdicken der verglichenen Beschichtungen identisch sind. Höhere Schichtdicken führen zu besserem Glanz und umgekehrt. Glanzmessungen eignen sich zur Dispergierzustandsbestimmung vor allem bei physikalisch trocknenden Mahlpasten und bei Mahlpasten mit hohen Pigmentgehalten. Auch Viskositäten von Mahlpasten sind von der Partikelverteilung abhängig. Mit zunehmend besserem Dispergierzustand sinkt der Fließwiderstand durch die Pigmentteilchen ab, so dass die Viskosität sinkt. Bei hohen Füllgraden kann die Viskosität allerdings wieder ansteigen (siehe Kapitel 3.5.1). Mahlpasten mit starken Fließanomalien (Strukturviskosität, Dilatanz, Thixotropie oder Rheopexie) sind schwieriger zu messen, weil bei ihnen das Fließverhalten meistens sehr von der Probenbehandlung, d.h. Lagerdauer und Temperatur, abhängt. Allgemein üblich, aber weniger genau, ist die Beurteilung der Kornfeinheit mit dem Grindometer nach DIN EN ISO 1524 (ASTM D333, ASTM D1210, ASTM D1316). Das Grindometer besteht aus einem Stahlblock, in welches eine flache, keilförmige Rinne eingefräst ist. Am Rand des Blocks ist eine Skala angebracht, die die Rinnentiefe angibt. In den tiefen Teil der Rinne wird ein Tropfen der flüssigen Mahlpaste aufgegeben und mit einem Schaber (Abziehlineal) zur anderen, flachen Seite der Rinne ausgezogen. Bei seitlicher Betrachtung unter einem schrägen Winkel wird sichtbar, ab welcher Rinnentiefe Pigmentagglomerate aus der Mahlpaste herausragen. Dieser Wert stellt die Körnigkeit bzw. Grindometer-Feinheit dar. Bei vergleichenden Grindometer-Messungen müssen die untersuchten Proben

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immer dieselbe Zusammensetzung haben, um wirklich vergleichbare Werte zu generieren. Durch Verdünnen der Proben vor dem Messen werden z.B. kleinere, d.h. bessere Feinheiten gemessen. Schließlich sollten die Messungen immer von ein und derselben Person ausgeführt werden, weil es auch subjektive Abweichungen bei der Bestimmung der Mahlfeinheit gibt. Die DIN EN ISO 1524 gibt an, dass eine Person bei einer Wiederholungsmessung mit 95 % Wahrscheinlichkeit innerhalb einer zehnprozentigen Streuung des Messwerts kommen wird. Bei zwei unterschiedlichen Personen verdoppelt sich der Wert auf +/- 20 %. Bei Dispergierungen können sich alle genannten Eigenschaften in unterschiedlicher Weise entwickeln. Unter der Voraussetzung prinzipieller Eignung der Systeme gehen Farbstärke- und Glanzentwicklungen einigermaßen konform. Dies ist darauf zurückzuführen, dass einerseits die Absorptionskoeffizienten von Buntpigmenten sich bei kleineren Teilchen nicht mehr stark verändern (Abbildung 5.3) und andererseits, dass die Teilchen ab einer bestimmten Feinheit nicht mehr aus den Lackaufzügen herausragen, so dass sich der Glanz nicht mehr verändert. Hingegen können sich Viskositätswerte noch verändern, wenn Farbstärke und Glanz ihre Endwerte erreicht haben. Grindometer-Feinheiten dagegen sind einerseits nur grobe Indikatoren für den erzielten Dispergierzustand und andererseits nur ungenau zu bestimmen. In der Praxis wird man zur Untersuchung des Dispergierzustands zu der Methode greifen, die sowohl die Qualität des Produkts verlässlich aufzeigt, als auch im Hinblick auf den Aufwand zum Bestimmen vorteilhaft ist. Das wird für Bautenfarben beispielsweise anders sein als für Automobildecklacke oder Buntpigmentpasten zum Tönen. Letztere können sehr teure Pigmente enthalten, so dass optimales Dispergieren von ökonomischer Bedeutung ist. Bei solchen Tönpasten können auch technische Gründe für die Anforderung einer optimalen und reproduzierbaren Dispergierung vorliegen, beispielweise wenn sie in Farbrezeptiersysteme eingesetzt werden, wo unterschiedliche Farbstärken jedes Mal zu anderen Farbtönen der Fertigprodukte führen würden.

5.2 Prinzip des mechanischen Zerteilens: Hammer-Walnuss-Prinzip Um das Prinzip der mechanischen Zerteilungswirkung von Dispergiermaschinen zu verstehen, eignet sich ein Versuch, wie er in der Abbildung 5.5 skizziert ist. Ein Titandioxid-Weißpigment wird mit Hilfe einer Rührwerkskugelmühle in einer Bindemittellösung dispergiert, so dass man davon ausgehen kann, dass Primärpartikel vorliegen. Diese ausdispergierte Weißpaste wird in das Dispergiergefäß eines Dissolvers eingebracht und trockenes Buntpigmentpulver unter leichtem Rühren der Zahnscheibe hinzugegeben. Sodann wird der Dissolver mit einer festen Drehzahl gestartet. Die

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Abbildung 5.5: Dispergierversuch zur Trennung des Einflusses der Dispergierdauer und der Drehzahl der Rührwelle beim Betreiben eines Dissolvers

Buntpigmenteinwaage sollte so gewählt werden, dass der Dispergierzustand mit Hilfe der Farbstärkemessung nach Gleichung 5.1 ohne weitere Zugaben von Buntoder Weißpigmenten erfolgen kann, d.h., die Remissionen der dispergierten Mahlpasten sollten zwischen 0,25 und 0,8 liegen. Die Farbstärke lässt sich am besten am flüssigen Lack messen. Selbstverständlich sollen die Pigmente in der Mahlpaste gegen Flockung stabil sein. Hierfür sollen, falls nötig, anhand von Vorversuchen geeignete Dispergieradditive gefunden und eingesetzt werden. Bei laufendem Dissolver wird von Zeit zu Zeit eine kleine Lackprobe entnommen, deren Farbstärke gemessen wird. Wenn sich die Farbstärke der Mahlpaste nicht mehr ändert, dann wird das Dispergieren abgebrochen und eine neue, identische Mahlpaste wird frisch angesetzt und bei einer höheren Drehzahl dispergiert, wobei wieder Lackproben gezogen und farbmetrisch vermessen werden. Weil das Weißpigment in diesem Fall vordispergiert eingesetzt wird, sind Änderungen der Farbstärke allein auf das Dispergieren der Buntpigmentagglomerate zurückzuführen. Die Abbildung 5.6 zeigt das Ergebnis eines solchen Versuchs in einem grafischen Auftrag der Farbstärke als Funktion der Dispergierdauer bei den verschiedenen verwendeten Drehzahlen. Bei jeder fest eingestellten Drehzahl entwickelt sich die Farbstärke zunächst schneller und dann mit kontinuierlich abflachender Steigung bis zum Erreichen einer Endfarbstärke. Zu jeder Drehzahl gehört eine andere Endfarbstärke, wobei die erzielten Endfarbstärken mit steigender Drehzahl zunehmen. Die Farbstärkeentwicklungskurven kreuzen sich nicht. Mit steigender Drehzahl steigt nicht nur die Endfarbstärke an, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Farbstärke entwickelt.

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Abbildung 5.6: Zeitabhängige Farbstärkeentwicklung beim Dispergieren eines Buntpigments in einer Weißpaste bei unterschiedlichen Drehzahlen (Ups = Umdrehungen pro Sekunde)

Diese Ergebnisse lassen sich nur so erklären: Damit Agglomerate dispergiert werden, ist es erforderlich, dass sie an eine Stelle hintransportiert werden, in der sie mechanisch belastet werden. Ob sie an einem solchen Ort zerteilt werden, hängt davon ab, wie hoch ihre mechanische Festigkeit ist. Das Experiment sagt aus, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis dass alle Agglomerate mal an den Stellen mit der höchsten Belastung für die Agglomerate gelangen, und dass es Agglomerate gibt, die so fest sind, dass sie dort nicht zerteilt werden. Offenbar lassen sich Agglomerate, die bei einer bestimmten Drehzahl nicht dispergiert werden, bei einer höheren Drehzahl doch zerteilen. In dem gezeigten Experiment erfolgt das Dispergieren der Pigmentagglomerate durch Scherung. Zu Beginn der Dispergierung reichen die Scherbedingungen an vielen Stellen im Mahlgefäß aus, um Agglomerate zu zerteilen. Deswegen steigen die Farbstärken anfänglich schneller an. Mit zunehmender Dispergierdauer verarmt der Dispergieransatz jedoch an mechanisch weniger festen Agglomeraten, und die Orte, in denen ausreichende Scherbedingungen für einen Dispergierschritt vorherrschen, werden weniger. Die stärkste Beanspruchung wird z.B. direkt an der Dissolverscheibe erfolgen, wo die höchste Schergeschwindigkeit2 herrscht. Es dauert eine gewisse Zeit, bis jedes Agglomerat mal an die Stellen mit der höchsten Scherbelastung hingelangt ist. Diejenigen Agglomerate, die so fest 2 Unter Schergeschwindigkeit versteht man einen räumlichen Gradienten der Fließgeschwindigkeit in einer Flüssigkeit. Zwischen zwei Orten in einer Flüssigkeit mit einer Differenz der Fließgeschwindigkeiten von ∆v in einem Abstand a herrscht eine Schergeschwindigkeit von ∆v/a, siehe Kapitel 3.5.

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sind, dass sie auch dort nicht dispergiert werden, bleiben auch bei der zweiten, dritten und jeder weiteren Passage durch diese Stellen unversehrt. Durch ein Erhöhen der Drehzahl wird einerseits die Transportgeschwindigkeit der Agglomerate erhöht, andererseits erhöht sich sowohl die „durchschnittliche“ als auch die maximale Scherbelastung der Agglomerate. Dies führt zum einen zu schnellerer Farbstärkeentwicklung und zum anderen zu einem höheren Endwert. Anschaulich lässt sich der Schritt der mechanischen Zerteilung beim Dispergieren damit vergleichen, dass man Walnüsse (Agglomerate) auf einer Tischplatte (Dispergiergefäß) wahllos verteilt, einen Hammer (Mahlperlen, Zahnscheibe etc.) zur Hand nimmt und dann, mit geschlossenen Augen, auf der Tischplatte rumhämmert. Dabei wird man im Laufe der Zeit alle Walnüsse mindestens einmal getroffen haben. Die weniger festen werden geknackt (dispergiert) sein. Die allzu festen nicht. Um die auch noch zu knacken, muss ein größerer Hammer verwendet, d.h. es muss fester zugeschlagen werden. Das Hammer-Walnuss-Analogon gilt universell für jede Dispergiermaschine und für jedes Dispergier- oder Mahlproblem. Immer gilt: es muss getroffen werden, und es muss fest genug getroffen werden. Die Stresswahrscheinlichkeit hängt bei sonst vorgegebenen Parametern von der Zeitdauer des Dispergier- oder Mahlvorgangs ab, während die Bruchwahrscheinlichkeit von dem Verhältnis zwischen Belastungsintensität und Festigkeit der Agglomerate oder Partikel bestimmt wird. Dieses erfreulich simple Gedankenmodell reicht deswegen aus, um in der Praxis alle Dispergier- und Mahlergebnisse zu untersuchen, zu verstehen und zu optimieren.

5.3 Wahrscheinlichkeitsgleichung der mechanischen Zerteilung Sofern die Trefferwahrscheinlichkeit (im folgenden Stresswahrscheinlichkeit genannt) und die Bruchwahrscheinlichkeit für Dispergierungen mathematisch beschrieben wäre, ließe sich gemäß allgemeiner Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung die Gesamtwahrscheinlichkeit für eine mechanische Zerteilung aus dem Produkt der beiden Einzelwahrscheinlichkeiten errechnen. Dass dies möglich ist, soll in Kapitel 5.3 gezeigt werden.

5.3.1 Stresswahrscheinlichkeit Zur Ableitung eines Ausdrucks für die von der Dispergierdauer abhängigen Stresswahrscheinlichkeit pt ist der Ausgangspunkt in der Abbildung 5.7 dargestellt.

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Dort ist ein Dispergiergefäß mit dem Volumen VT gezeigt. Innerhalb dieses Gefäßes gibt es Volumenelemente, in denen Agglomerate beansprucht werden. Zusammen genommen ergeben diese Volumenelemente das effektive Volumen Veff. Wenn die Agglomerate in dem Dispergiergefäß gleichmäßig verteilt sind, dann ergibt deren Anzahl multipliziert mit dem Quotienten Veff /VT die Zahl der Agglomerate wieder, die sich in den effektiven Volumenelementen befinden. Abbildung 5.7: Veranschaulichung der Zum Herleiten einer Wahrschein- Herleitung eines Ausdrucks für die Stresslichkeitsgleichung für die Stress- wahrscheinlichkeit wahrscheinlichkeit lässt sich dann formulieren, dass die Abnahme der Zahl der nicht gestressten Agglomerate, also derjenigen Agglomerate, die noch nicht in einem effektiven Volumenelement waren, zu jeder Zeit proportional zur Zahl der Agglomerate ist, die sich in den effektiven Volumenelementen befinden. dN V Gleichung 5.2 – n = k · Nn · eff dt VT mit – dNn = Abnahme der Zahl der noch nicht gestressten Pigmentagglomerate dt Nn = Zahl der noch nicht gestressten Pigmentagglomerate k = Proportionalitätskonstante mit der Dimension s-1 Durch Umstellen von Gleichung 5.2 und anschließender Integration zwischen den Grenzen t=0 und t erhält man die Gleichung 5.3. N V Gleichung 5.3 ln n,t = – k · eff t Nn,t = 0 VT Nn,t ist die Zahl der Agglomerate, die zum Zeitpunkt t noch nicht in effektiven Volumenelementen gewesen sind, während Nn,t=0 die anfänglich, also zum Zeitpunkt t=0, vorhandene Anzahl an Agglomeraten wiedergibt. Die Eliminierung des Logarithmus in Gleichung 5.3 führt zur Gleichung 5.4. Gleichung 5.4

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Nn,t  V  = exp – k · eff · t Nn,t = 0  VT 

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Zu jedem Zeitpunkt der Dispergierung gilt, dass die Summe aus gestressten Nd,t und nicht gestressten Agglomeraten Nn,t identisch ist mit der Zahl aller anfänglich vorhandenen Agglomerate, also: Gleichung 5.5

Nn,t =0 = Nn,t + Nd,t

Einsetzen von Nn,t aus Gleichung 5.5 in die Gleichung 5.4 ergibt die Stresswahrscheinlichkeit pt: Veff t

–k N Gleichung 5.6 p = d,t = 1 – e V t Nn,t = 0

T

Wegen der Vielzahl der Agglomerate ist der Bruchteil der gestressten Agglomerate bezogen auf die ursprünglich vorhandene Anzahl an Agglomeraten identisch mit der Wahrscheinlichkeit für einen Treffer3. Aus Gleichung 5.2 geht hervor, dass die Proportionalitätskonstante k die Dimension einer reziproken Zeit hat. k stellt eine Geschwindigkeitskonstante dar und k · Veff ist deswegen das pro Zeiteinheit effektive Volumen in einer Dispergiermaschine. k ist größer, d.h. die Dispergierung wird schneller, je schneller der Transport der Agglomerate in die effektiven Volumenelemente erfolgt, d.h., je schneller die Mahlpasten bewegt werden, und je gleichmäßiger die effektiven Volumenelemente verteilt sind.

5.3.2 Bruchwahrscheinlichkeit Im Abschnitt 2.5 wurde bereits gezeigt, dass die Festigkeiten von Agglomeraten einen Einfluss auf ihre Dispergierbarkeit haben (Vergleiche Abbildung 2.9). Weniger feste Agglomerate lassen sich leichter dispergieren als festere. In erster Näherung lässt sich annehmen, dass die Bruchwahrscheinlichkeit umgekehrt proportional zur Agglomeratfestigkeit sein wird (siehe auch Gleichungen 4.1 und 4.2). Die Agglomeratfestigkeit hat die physikalische Dimension Arbeit pro Volumen. Aus prinzipiellen Gründen kann als Ursache für ein Brechen der Agglomerate nur eine physikalische Größe verantwortlich sein, welche dieselbe physikalische Dimension hat, also eine Energiedichte. Wenn man davon ausgeht, dass die Dispergierung der Agglomerate in einem Scherfeld erfolgt, so handelt es sich um eine kinetische Energie. Die kinetische Energie in einem Dispergiergerät ist sicher eine verteilte Größe. Es gibt Stellen mit schneller und Stellen mit weniger schneller Strömungsgeschwindigkeit. Dies ist in der Abbildung 5.8 schematische dargestellt. Ein Agglomerat mit einer Festigkeit σ kann nur an einer Stelle zerteilt werden, wo die Energiedichte größer ist, als seiner Festigkeit entspricht. Außerdem wird es natürlich darauf ankommen, 3 Wenn z.B. von ursprünglich 1000 Agglomeraten zum Zeitpunkt t 200 davon in effektiven Volumenelementen waren, dann wäre die Wahrscheinlichkeit dafür 200/1000 = 0,2, oder 20 %.

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mit welcher Effizienz die Energiedichte auf das Agglomerat übertragen wird. Weil die in ein Dispergiergefäß eingebrachte Energie nur in der flüssigen Mahlgutphase wirken kann, die sich in VT befindet, können wir also schreiben, dass die Abnahme der Zahl der nicht gebrochenen Agglomerate Nn mit der Erhöhung der Energiedichte E/VT proportional zur Zahl der vorhandenen Agglomerate und umgekehrt proportional zu ihrer Festigkeit σ ist.

Abbildung 5.8: Energiedichteverteilung in einem Dispergiergefäß in Beziehung zu einer Agglomeratfestigkeit

dNn 1 Gleichung 5.7 – = a · · Nn d(E/VT) σ Aus Gleichung 5.7 geht hervor, dass die Proportionalitätskonstante a dimensionslos ist. Sie hat die Bedeutung einer Übertragungskonstanten und sagt aus, mit welcher Effizienz die Energiedichte zur Zerteilung von Agglomeraten genutzt wird. Die Integration der Gleichung 5.7 zwischen den Grenzen E/VT = 0 bis E/VT führt zu Gleichung 5.8

Nn,ε  a · E  = exp – Nn,ε = 0  σ · VT 

Wiederum ist die Zahl der ursprünglich vorhandenen Agglomerate Nn,ε=0 die Summe aus den bei der mechanischen Belastung gebrochenen Nd,ε und nicht gebrochenen Agglomeraten Nn,ε. Gleichung 5.9

Nn, ε = 0 = Nn, ε + Nd, ε

Einsetzen von Nn,ε aus Gleichung 5.9 in Gleichung 5.8 führt zu der Bruchwahrscheinlichkeit pε. aE

– N Gleichung 5.10 P = d,ε = 1 – e σV Nn,ε = 0

T

5.3.3 Gesamtwahrscheinlichkeit An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass die beiden Einzelwahrscheinlichkeitsterme völlig unabhängig voneinander sind. pt gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der Agglomerate in einem Dispergiergefäß mechanisch belastet werden. Das hängt von dem Abstand der Beanspruchungsorte und von der Transportge-

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Abbildung 5.9: Prinzipieller Verlauf der Funktion y = 1 – e-const x. Als const. wird der Wert 0,25 für die Berechnung eingesetzt

schwindigkeit der Agglomerate in der Mahlpaste sowie von der Dispergierdauer ab (Siehe Gleichung 5.6). pε gibt die Wahrscheinlichkeit an, mit der zum Zeitpunkt der Beanspruchung das Agglomerat zerteilt wird. Sie hängt ab von dem Verhältnis der Energiedichte zur Agglomeratfestigkeit sowie von einer Übertragungskonstanten, welche die Effizienz der Energieübertragung wiedergibt (siehe Gleichung 5.10). Damit die Agglomerate dispergiert werden, müssen beide Voraussetzungen zeitgleich erfüllt werden, d.h., die Agglomerate müssen getroffen werden und auch fest genug getroffen werden (Hammer-Walnuss, siehe Kapitel 5.2). Unter diesen Voraussetzungen wird die Gesamtwahrscheinlichkeit pT durch das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten beschrieben (Dispergiergleichung). – kV Nd  = 1 – e V Gleichung 5.11 pT = pt · p ε = Nn,t = 0 

eff

T

· 1 – e – σ a · VE    

· t

T

wobei Nd die Zahl der dispergierten Agglomerate darstellt. Die beiden Einzelwahrscheinlichkeiten in der Gleichung 5.11 haben die allgemeine Form Gleichung 5.12

y = 1 – e –const · x

Die Funktion ist in der Abbildung 5.9 dargestellt. Mit zunehmendem x steigt y erst schnell und dann langsam an, bis sich y asymptotisch dem Wert y = 1 nähert. In der Abbildung 5.10 ist die Gesamtwahrscheinlichkeit pT der Gleichung 5.11 für unterschiedliche Bruchwahrscheinlichkeiten bzw. Energiedichten gegen die Dispergierdauer aufgetragen, wobei k · Veff /VT willkürlich ein Wert 0,2 s-1 zugeordnet wurde.

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Die Abbildung 5.10 gibt die Versuchsbedingungen des Dispergierexperiments aus Abschnitt 5.2 (siehe Abbildung 5.6) wieder. Die Abbildungen 5.10 und 5.6 werden miteinander vergleichbar, wenn man gemäß Gleichung 5.11 voraussetzt, dass die Farbstärke (y-Achse der Abbildung 5.6) in dem Dispergierexperiment direkt proportional zum Bruchteil der dispergierten Agglomerate (y-Achse der Abbildung 5.9) ist. Die prinzipielle Übereinstimmung in den Kurvenverläufen weist darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeitsgleichung (Dispergiergleichung), und damit auch die Überlegungen, die zu ihr geführt haben, die Realität gut beschreibt. Eine wesentliche Erkenntnis daraus ist, dass fehlende Energiedichte nicht durch längeres Dispergieren kompensiert werden kann.

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Abbildung 5.10: Zeitabhängiger Dispergiererfolg bei unterschiedlichen Bruchwahrscheinlichkeiten

Abbildung 5.11: Energiedichteabhängiger Dispergiererfolg bei unterschiedlichen Stresswahrscheinlichkeiten

Die Abbildung 5.11 stellt den anderen Fall dar, dass bei unterschiedlichen Stresswahrscheinlichkeiten bzw. Dispergierdauern der Dis- Abbildung 5.12: Farbstärkeentwicklung in Abhängigkeit von der mittleren Verweilzeit (Einpassagenverfahren) pergiererfolg als Funktion bei Rührleistungen von 50 W, 100 W und 300 W der beim der Dispergieren aufgewendeten Energiedichten aufgetragen wird. Dieser Auftrag zeigt, dass fehlende Dispergierdauer ebenso wenig durch höhere Energiedichte kompensiert werden kann. Die Abbildungen 5.12 und 5.13 zeigen Dispergierungen eines Kupferphthalocyanin Blaupigments in einer ausdispergierten Weißpaste mit einer Laborrührwerkskugelmühle. In der Abbildung 5.12 ist die Farbstärkeentwicklung in Abhängigkeit

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Abbildung 5.13: Farbstärkeentwicklung in Abhängigkeit von der Rührleistung (Einpassagenverfahren) bei mittleren Verweilzeiten von 1,65, 2,81, 3,94 und 5,57 min

von der Dispergierdauer bei unterschiedlichen mechanischen Rührleistungen4 P aufgetragen. Dieses Experiment stellt die Situation von Abbildung 5.10 dar. In der Abbildung 5.13 ist hingegen, analog zur Abbildung 5.11, die Farbstärke in Abhängigkeit von der mechanischen Rührleistung bei unterschiedlichen Mahldauern (mittlere Verweilzeit der Mahlpasten in der Mühle) aufgetragen. Das nach der Dispergiergleichung 5.11 zu erwartende Verhalten wird also im Experiment gänzlich wiedergefunden.

5.3.4 Bestimmung der Energiedichte Die Dispergiergleichung 5.11 hat zwei unabhängige Variable: die Dispergierdauer und die Energiedichte. Im Kapitel 4.5 wird aufgezeigt, wie sich die Dispergierdauer bei kontinuierlichem Betrieb von Dispergiermaschinen bestimmen bzw. abschätzen lässt. Zur Bestimmung der Energiedichte wurde hingegen noch nichts gesagt. Beim Dispergieren wird eine mechanische Leistung in das Mahlgut eingebracht. Leistung hat die physikalische Dimension Arbeit pro Zeit, also Joule/Sekunde = Watt. Im Fall des Leistungseintrags durch eine sich drehende Welle lässt sich die mechanische Rührleistung aus der Drehzahl n und dem Drehmoment M der Rührwelle bestimmen. Gleichung 5.13

P = 2π · n · M

Der Leistungseintrag in das Dispergiergefäß führt dazu, dass sich das Mahlgut erwärmt. Um das Mahlgut jedoch vor einer Schädigung durch Wärmeeinwirkung zu schützen, werden die Mühlen mit Hilfe von Kühlwasserströmen gekühlt. Unabhängig davon, ob das Dispergiergerät kontinuierlich oder diskontinuierlich betrieben wird, stellt sich irgendwann ein Leistungsgleichgewicht ein, bei dem sich weder die Mahlpastentemperatur noch die Kühlwassertemperaturen ändern. In diesem Zustand des thermischen Gleichgewichts strömen ständig genauso viele Joule pro Zeiteinheit in die Mühle wie wieder aus ihr herausfließen. Es sind 4 E/V T ist direkt proportional zur mechanischen Rührleistung

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dann immer genau so viele Joule in dem Dispergiergefäß wirksam. Dispergiert man beispielsweise bei einem Leistungseintrag von 1000 Watt, so sind im thermischen Gleichgewicht immer 1000 Joule wirksam. Dies ist die Energie, die durch das freie Volumen VT geteilt werden muss, um zur Energiedichte zu kommen, mit der in Gleichung 5.11 operiert wird.

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Abbildung 5.14: Verlauf der Mahlguttemperatur, Drehmoment und Rührleistung im Fall einer Dispergierung bei konstanter Drehzahl

Gewöhnlich weisen die Mahlpasten ein sehr temperaturabhängiges Fließverhalten auf, deshalb ändert sich meistens die mechanische Rührleistung im Verlauf der Dispergierung. Bei kontinuierlicher Dispergierung ist das im Hinblick auf die Auswertung beispielsweise einer Farbstärkeentwicklung nach Gleichung 5.11 nicht weiter tragisch, obwohl die Mahlpaste zu Beginn mit höherer Rührleistung dispergiert wird. Man wartet in diesem Fall bei konstantem Lack- und Kühlwasserdurchfluss eben mit dem Ziehen einer Probe so lange, bis das Gleichgewicht erreicht wird. Diese Probe ist dann charakteristisch für die gewählten Dispergierbedingungen, inklusive der Energiedichte. Bei diskontinuierlichen Dispergierungen, die oftmals auch zur Qualitätskontrolle von Pigmenten durchgeführt werden, ist aufgrund des höheren Drehmoments bei niedrigerer Temperatur der Rührleistungseintrag zu Beginn der Dispergierung ebenfalls höher, was zu anfänglich höheren Rührleistungen führt, als beim Erreichen des Leistungsgleichgewichts. Je nach Ausmaß dieses Effekts und je nach der Aussage, die durch die Untersuchungen gewonnen werden soll, muss man sich überlegen, ob dieser Einfluss vernachlässigt werden kann, oder nicht. Anderenfalls muss man mit einem Dispergiergerät arbeiten, bei dem die mechanische Rührleistung vorgegeben werden kann, bei der dispergiert werden soll. Diese Maschinen messen zu jeder Zeit das aktuelle Drehmoment und regeln die Drehzahl gemäß der Gleichung 5.13 so nach, dass die vorgegebene Rührleistung jederzeit eingehalten wird. Auch bei kontinuierlich betriebenen Dispergiergeräten macht das Sinn, speziell wenn es darum geht, reproduzierbar dispergieren zu müssen, beispielsweise bei der Qualitätskontrolle, denn im Sommer kann das Kühlwasser beispielsweise zehn Grad Celsius oder mehr wärmer sein als im Winter. Die Abbildungen 5.14 und 5.15 stellen den Verlauf von Mahlpastentemperatur, Drehzahl, Drehmoment und mechanischer Rührleistung bei einer Dispergierung mit konstanter Drehzahl (Abbildung 5.14) bzw. einer Dispergierung bei konstanter mechanischer Rührleistung (Abbildung 5.15) dar.

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Es ist sehr wichtig, die aus der Leistung errechnete Energie nicht mit der Energie zu verwechseln, die sich aus dem Produkt aus Leistung und Zeit ergibt! Gleichung 5.14

E=P·t

Die Energie nach Gleichung 5.14 ist nicht das energetische Übertragungskriterium für Dispergierprozesse, denn Abbildung 5.15: Verlauf der Mahlguttemperatur, Drehmoment und Drehzahl im Fall einer Dispergieansonsten müsste man durch rung bei konstanter mechanischer Rührleistung ganz leichtes Rühren eines Mahlguts zu hervorragenden Dispergierergebnissen gelangen, vorausgesetzt, man macht dies lange genug. Das Dispergierexperiment (vergleiche Abbildungen 5.6, 5.11 und 5.12) besagt genau das Gegenteil: fehlende Dispergierdauer kann prinzipiell nicht durch höhere Leistung kompensiert werden. Umgekehrt gilt, sofern entweder die Bruchwahrscheinlichkeit oder die Stresswahrscheinlichkeit bereits 100 % sind. In der Literatur wird leider oft von Dispergierexperimenten berichtet, in denen die „Dispergierenergie“ gemäß Gleichung 5.14 verändert wird und mit dem Dispergierzustand der Pigmentpartikel in Verbindung gebracht wird. Beim genauen Hinsehen stellt sich dann heraus, dass lediglich die Dispergierdauer verändert wurde, während die Drehzahl, und damit im Wesentlichen auch die mechanische Rührleistung, konstant gehalten wird. Aus solchen Experimenten lässt sich natürlich nicht ableiten, dass die Energie nach Gleichung 5.14 ein Übertragungskriterium darstellt.

5.3.5 Farbstärkeentwicklungsformel Eine zeitabhängige Farbstärkeentwicklungsformel stammt von von Pigenot [3].Von Pigenot dispergiert Farbpasten auf einer Dreiwalze und bestimmt die Farbstärke als Funktion der Anzahl der Passagen, welche er „Energie“ nennt. Hier wurde nicht die Energie, sondern die Dispergierdauer verändert. Seine Farbstärkeentwicklungsformel beruht auf einer „Kinetik zweiter Ordnung“, nach der die Abnahme der Zahl der Agglomerate vom Quadrat der Anzahl der vorhandenen Agglomerate abhängt. dN Gleichung 5.15 – n = k h · Nn 2 dt wobei kh die Proportionalitätskonstante ist. Gleichung 5.15 führt zu einer „hyperbolischen“ Farbstärkeentwicklungsformel der Art:

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Gleichung 5.16

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1 1 1 1 = + · Ft FE kh · FE2 t

Durch den graphischen Auftrag der reziproken Farbstärke Ft gegen die reziproke Dispergierdauer t erhält man eine Gerade, aus deren Achsenabschnitt die Endfarbstärke FE , und aus deren Steigung die Proportionalitätskonstante bestimmt werden kann. Die Anfangsfarbstärke FA zu Beginn der Dispergierung ist nach von Pigenot immer Null. In der Gleichung 5.15 steckt implizit die Annahme, dass sich die Agglomerate gegenseitig aufreiben. Experimentell wird das jedoch nicht bestätigt, so dass dieser Ansatz kritisiert wird [4]. Schmitz und Mitarbeiter schlagen alternativ eine Farbstärkeentwicklungsformel vor, die auf einer Kinetik erster Ordnung beruht [5]. Sie gehen analog zu Gleichung 5.2 von dem Ansatz aus: dNn = k s · Nn Gleichung 5.17 dt Dieselben mathematischen Schritte, die zu Gleichung 5.4 führen, ergeben von Gleichung 5.17 ausgehend die Gleichung 5.18. Gleichung 5.18

dNn,t = exp (–ks · t) Nn,t = 0

Weil die Anfangsfarbstärken der Farbstärkeentwicklungskurven größer als Null sind, sind vor der Dispergierung bereits NA Agglomerate dispergiert. Am Ende des Dispergierens, wenn alle zerteilbaren Agglomerate dispergiert sind und die Endfarbstärke erreicht wird, liegen NE Agglomerate zerteilt vor. Nn,t, die Anzahl der zur Zeit t noch nicht dispergierten Agglomerate, lässt sich dann ausdrücken als die Differenz zwischen der Zahl der dispergierbaren Agglomerate NE und den bereits dispergierten Agglomeraten Nd,t. Gleichung 5.19

Nn,t = NE – Nd,t

Außerdem ist Nn,t = 0, die Zahl der nicht dispergierten Agglomerate vor Beginn der Dispergierung, gegeben durch Gleichung 5.20

Nn,t = 0 = NE – NA

Durch Einsetzen der Gleichung 5.19 und 5.20 in die Gleichung 5.18 ergibt sich Gleichung 5.21

Nd,t = NE – (NE – NA) · e–ks · t

Unter der Annahme, dass die Farbstärke F (siehe Gleichung 5.1) immer proportional zur Anzahl der dispergierten Agglomerate ist, ergibt sich daraus die zeitabhängige Farbstärkeentwicklungsformel nach Schmitz.

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Gleichung 5.22

Mechanisches Zerteilen von Agglomeraten

Ft = FE – (FE – FA) · e–ks · t

Mit Hilfe der Gleichung 5.22 lässt sich durch Messen der Farbstärke Ft als Funktion der Dispergierdauer t die Endfarbstärke FE , die Anfangsfarbstärke FA und die Geschwindigkeitskonstante kS bestimmen. Dies geht am besten durch eine Kurvenanpassung an die Messpunkte nach der geringsten Fehlerquadrat Methode5 [6]. Anderenfalls besteht auch die Möglichkeit, die Gleichung 5.22 in eine Form zu bringen, dass eine graphische Auswertung möglich ist.

 F   F  Gleichung 5.23 – ln 1 – t = – ln 1 – A + ks · t  FE   FE  Ein Auftrag der linken Seite der Gleichung 5.23 gegen die Dispergierdauer ergibt eine Gerade mit der Steigung k S und dem Schnittpunkt mit der y-Achse bei –ln(1 – FA /FE). Nachteilig an diesem graphischen Verfahren ist jedoch, dass die Endfarbstärke FE aus dem Kurvenverlauf abgeschätzt werden muss, um den linken Teil der Gleichung überhaupt errechnen zu können. Mit etwas mehr Mühe ist es möglich [7], auch die Endfarbstärke graphisch zu bestimmen, indem Gleichung 5.22 nach der Zeit abgeleitet wird. dFt Gleichung 5.24 = ks (FE – FA) · e–ks · t dt Durch Logarithmieren erhält man eine Geradengleichung. ∆Ft Gleichung 5.25 ln = ln {(FE – FA) · ks} – ks · t ∆t Ein graphischer Auftrag des Logarithmus der Änderung der Farbstärke ln(∆Ft /∆t) gegen die Dispergierdauer ergibt eine Gerade, aus deren Steigung kS bestimmt wird und aus deren Achsenabschnitt dann die Differenz aus der Endfarbstärke und der Anfangsfarbstärke errechnet werden kann. Mit diesen Werten lässt sich die Endfarbstärke mit Hilfe der Gleichung 5.22 ermitteln. Der Vergleich der Gleichungen 5.2 und 5.17 zeigt, dass der Exponent der Stresswahrscheinlichkeit k · Veff /VT und kS, der Exponent der Farbstärkeentwicklungsformel nach Schmitz, identisch sind, was die Möglichkeit eröffnet, k · Veff /VT aus zeitabhängigen Farbstärkeentwicklungskurven zu bestimmen. Weil sich das freie Volumen VT im Mahlgefäß separat bestimmen lässt, kann auf diese Weise k · Veff, das effektive Volumen pro Zeiteinheit, experimentell ermittelt werden. Wird die Farbstärke als Funktion der der mechanischen Rührleistung bestimmt, so lässt sich analog zur zeitabhängigen Farbstärkeentwicklung (Gleichung 5.22) eine leistungsabhängige Farbstärkeentwicklungsformel mit einer Entwicklungskonstanten kP herleiten. 5 Auch Tabellenkalkulationsprogramme wie „Excel“ ermöglichen solche Kurvenanpassungen.

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Wahrscheinlichkeitsgleichung der mechanischen Zerteilung

Gleichung 5.26

FP = FE – (FE – FA) · e–kp · P

In dem Fall sind a/(σ · VT) und kP identisch, so dass der Quotient aus der Übertragungskonstanten a und der Agglomeratfestigkeit σ bestimmt werden kann. Gemäß den Ausführungen in Abschnitt 5.1 bietet es sich an, pragmatisch vorzugehen und zeit- oder leistungseintragsabhängig die Entwicklung derjenigen Eigenschaft zu messen, die sich am einfachsten oder genauesten bestimmen lässt, oder die für die Qualität der Dispergierung von besonderer Bedeutung ist.

5.3.6 Experimentelle Befunde und Anwenden der Dispergiergleichung In diesem Kapitel werden einige Beispiele für das Anwenden der Dispergiergleichung auf eine rührleistungsabhängige und eine zeitabhängige Farbstärkeentwicklungskurve vorgestellt. 5.3.6.1 Dispergierexperiment: Variieren des Mahlperlenfüllgrads Im Kapitel 4.4.1 wird darauf hingewiesen, dass der Mahlperlenfüllgrad (Schüttvolumen der Mahlperlen) zwischen 80 und 90 % des freien Volumens in der Mahlkammer betragen soll, um einerseits den Verschleiß in Grenzen zu halten und andererseits gute Dispergierergebnisse zu erzielen. Abbildung 4.11 (siehe Kapitel 4.4.1) zeigt die Farbstärkeentwicklungskurven für Dispergierungen in einer 1,4 l Stiftscheiben-Rührwerkskugelmühle (PM STS 1, Firma Drais, Mannheim) mit verschiedenen Mahlperlenmengen in Abhängigkeit von der mechanischen Rührleistung bei gleicher mittlerer Verweilzeit. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich aus der Konstanten kS der Farbstärkeentwicklungsformel nach Schmitz (Gleichung 5.22) das Verhältnis von Übertragungskonstanten zur Agglomeratfestigkeit bestimmen. In der Tabelle 5.1 sind die Ergebnisse aufgeführt. Mit zunehmender Mahlperlenmenge steigt der Wert der Übertragungskonstanten an. Das Verhältnis a/σ, Tabelle 5.1: Farbstärkeentwicklung bei unterschiedlicher Mahlperlenfüllmenge in Abhängigkeit von der mechanischen Rührleistung. Mittlere Verweilzeit 16,9 min. Menge 2 mm Mahlperlen in g

Endfarbstärke FE

Mahlperlenvolumen Vb in cm³

VT = 1400-Vb

a/(VT · σ) in kJ-1

500

0,600

176,4

1000

0,870

1250

10-6 m2/N

1223

0,923

1,13

353,0

1047

1,285

1,35

0,950

453,6

946

2,066

1,96

1575

1,050

555,8

844

2,143

1,81

1860

1,086

657,0

743

2,989

2,22

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a/ σ

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Mechanisches Zerteilen von Agglomeraten

und, weil die mittlere Agglomeratfestigkeit konstant ist, damit auch a, verdoppelt sich zwischen Mahlperlenfüllmengen zwischen 500 g (26 % Mahlperlenfüllgrad) und 1860 g (98 % Mahlperlenfüllgrad). Somit wird die Energieausbeute mit zunehmender Mahlperlenmenge besser, obwohl sie – absolut gesehen – immer noch nur verschwindend gering ist. Nimmt man eine mittlere Agglomeratfestigkeit von 1 N/cm2 an, so liegt die Übertragungskonstante bei Werten zwischen 0,01 und 0,02. Das bedeutet, dass ca. 1 bis 2 % Abbildung 5.16: Abhängigkeit des Exponenten des Rührleistungseintrags zum der Bruchwahrscheinlichkeitsgleichung vom Dispergieren genutzt wird. Ein Perlenfüllgrad Auftrag des Exponenten der Bruchwahrscheinlichkeitsgleichung a/(VT · σ) gegen das freien Volumen in der Mahlkammer der 1,4 l Mühle ist in der Abbildung 5.16 dargestellt. Es ergibt sich eine Gerade, deren Extrapolation zu VT = 0 den Wert Null für die Übertragungskonstante ergibt. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Farbstärkeentwicklungsformel nach von Pigenot (Gleichung 5.16) auf einer falschen Annahme beruht. Die Agglomerate mahlen sich definitiv nicht gegenseitig auf, sondern werden in Scherfeldern dispergiert. Die Endfarbstärke wird gemäß der Dispergiergleichung 5.11 unter diesen experimentellen Bedingungen von der Stresswahrscheinlichkeit bestimmt. Diese steigt ebenso wie die Geschwindigkeit der Desagglomeration mit zunehmenden Mahlperlenfüllgraden an. Die Zunahme der Dispergiergeschwindigkeit ist darauf zurückzuführen, dass die effektiven Volumenelemente näher beieinander sind und die Agglomerate deswegen schneller dorthin gelangen. Die Agglomerate werden deswegen häufiger gestresst. Im Abschnitt 5.3.6.1 wird begründet, weswegen der Dispergierzustand bei dichterer Mahlperlenschüttung generell verbessert wird. 5.3.6.2 Dispergierexperiment: Variatiieren der Dispergierdauer bei unterschiedlichen Leistungen Die Abbildung 5.6 im Abschnitt 5.2 zeigt Ergebnisse diskontinuierlicher Dispergierungen mit einem Dissolver. Die Details des Experiments werden dort beschrieben. In diesem Fall, nämlich der Bestimmung der Farbstärke in Abhängigkeit von

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Wahrscheinlichkeitsgleichung der mechanischen Zerteilung

Tabelle 5.2: Auswertung der Dispergierung aus Abbildung 5.6 n [Hz]

Pmech [W]

FE

k*Veff/VT [1/h]

k*Veff [cm³/s]

0,0

0,0



0,00

0,00

10,3

0,2

0,3655

0,17

0,01

20,5

4,2

0,4019

1,15

0,07

30,7

8,0

0,4278

1,86

0,11

40,5

14,0

0,4373

1,96

0,11

60,0

26,1

0,4486

5,56

0,32

70,4

31,0

0,5035

8,16

0,47

80,0

36,7

0,5415

7,09

0,41

90,0

43,6

0,5478

10,39

0,60

110,0

56,9

0,5570

11,67

0,67

140,0

78,8

0,5787

13,69

0,79

der Dispergierdauer bei unterschiedlichen mechanischen Rührleistungen, gibt die Konstante der Farbstärkeentwicklungsformel (Gleichung 5.22) den Exponenten des Stresswahrscheinlichkeitsterms wieder, während die Endfarbstärke von der mechanischen Rührleistung, also der Bruchwahrscheinlichkeit, bestimmt wird. In der Tabelle 5.2 sind die Ergebnisse der Auswertung zusammengefasst. Mit zunehmender Drehzahl entwickelt sich die zeitabhängige Farbstärkeentwicklung schneller. Das effektive Volumen steigt von 0,01 cm3 s-1 bis 0,79 cm3 s-1 bei Drehzahlen zwischen 10 s-1 bis 140 s-1 weil die Mahlpaste mit zunehmender Drehzahl schneller umgewälzt wird, so dass die Agglomerate häufiger in die Nähe der Dissolverscheibe gelangen. 0,79 cm3 s-1 entsprechen im vorliegenden Fall etwa 0,4 % des Mahlpastenvolumens. Vergleichbare Experimente an einer Rührwerkskugelmühle ergeben bei der Verwendung von 1 mm Glasperlen effektive Volumen von etwa einem Prozent von VT. Die Endfarbstärken entwickeln sich aufgrund der größeren Bruchwahrscheinlichkeit zwischen Werten von 0,3655 und 0,5787. Diese und weitere Beispiele für die quantitative Anwendung der Dispergiergleichung sind veröffentlicht in [8]. 5.3.6.3 Dispergieren von Nanoteilchen Im Abschnitt 2.4 wird darauf hingewiesen, dass nanoskalige Pigmente und Füllstoffe aufgrund ihrer geringen Masse nur wenig dispersive Wechselwirkungen

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Mechanisches Zerteilen von Agglomeraten

eingehen und dass sie aus diesem Grund sehr locker gepackte Agglomerate ausbilden. Dies führt zu den niedrigen Schüttdichten, wie man sie bei nanoskaligen Teilchen typischerweise findet. Zwar werden wenig dicht gepackte Agglomerate wesentlich schlechter benetzt als dicht gepackte Agglomerate, wie im Kapitel 3.3 ausgeführt wird. Weil sie weniger Kontaktstellen und weniger Haftkraft pro Kontaktstelle haben, sollte man deswegen davon ausgehen, dass sie leicht zu dispergieren wären. Experimentell stellt man fest, dass es schwierig ist, nanoskalige Pigmente bis herunter zur Primärteilchengröße zu dispergieren. Im Fall nanoskaliger Titandioxide, die als UV-Absorber eingesetzt werden, ist es meistens erwünscht, dass sie im Anwendungsmedium transparent sind. Die Transparenz ist besser, je besser die Agglomerate dispergiert sind. Zum Dispergieren von Nanoteilchen benötigt man Rührwerkskugelmühlen. Erfahrungsgemäß wird die Transparenz nanoskaliger Titandioxide dabei besser, je kleiner die verwendeten Mahlperlen sind. Die Abbildung 5.17 zeigt die Transmission von Mahlpasten eines nanoskaligen Titandioxids bei einer Wellenlänge von 520 nm, also im Bereich des sichtbaren Spektrums, beim Dispergieren mit verschieden großen Mahlperlen. Bei gegebener Lichtwellenlänge verbessert sich die Transmission mit abnehmender Mahlperlengröße, ausgehend von 2 mm Durchmesser (Mittelwert aus dem Bereich von 1,6 bis 2,4 mm), über 0,5 mm, 0,3 mm bis hin zu 0,1 mm. Eine Verdoppelung der Dispergierdauer (Maschinenlaufzeit 120 min an Stelle von 60 min) im Falle der 0,1 mm Mahlperlen führt zu einer, wenn auch nur geringen, weiteren Steigerung der Transparenz. Nach der Dispergiergleichung 5.11 kann eine verbesserte Dispergierung entweder an einer verbesserten Stresswahrscheinlichkeit oder an einer erhöhten Bruchwahrscheinlichkeit liegen. Hätten die Mahlperlen einen Einfluss auf die

Abbildung 5.17: Transmissionen nanoskaliger TiO2 -Pasten beim Dispergieren mit unterschiedlich großen Mahlperlen, TiO2 Konzentration jeweils 31,2 Gew.%

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Wahrscheinlichkeitsgleichung der mechanischen Zerteilung

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Abbildung 5.18: Drehzahlabhängigkeit der mechanischen Rührleistung bei Verwendung unterschiedlich großer Mahlperlen

Bruchwahrscheinlichkeit, dann wäre allerdings zu erwarten, dass größere Mahlperlen besser wirkten. Es ist bekannt, dass harte Agglomerate eine Mindestgröße der Mahlperlen erfordern, was sich auf deren kinetische Energie zurückführen lässt, die proportional zur Masse der Mahlperlen ist. Die Abbildung 5.18 zeigt die mechanische Rührleistung bei einer kontinuierlich betriebenen Rührwerkskugelmühle (Dispermat SL, VMA-Getzmann, Reichshof) in Abhängigkeit von der Drehzahl unter Verwendung verschieden großer Mahlperlen. Es zeigt sich, dass feinere Mahlperlen bei gegebener Drehzahl zu geringeren Leistungseinträgen in die Mahlkammer führen, als gröbere Mahlperlen. Somit ist die Bruchwahrscheinlichkeit (siehe Dispergiergleichung 5.11) sogar kleiner. Wenn trotzdem bessere Dispergierergebnisse mit ihnen erzielt werden, dann kann das nur an einer erhöhten Stresswahrscheinlichkeit liegen. Wie ist das zu verstehen? Bei nanoskaligen Pigmenten sind nicht nur die Primärpartikel sehr klein, sondern es sollen auch sehr kleine Agglomerate dispergiert werden. Dies wird einerseits schwieriger, weil bei einer vorgegebenen Scherströmung die Schergeschwindigkeitsdifferenz der Flüssigkeitslamellen an gegenüberliegenden Seiten der Agglomerate geringer ist, je kleiner die Agglomerate werden. Dadurch wird das effektive Volumen pro Zeiteinheit kleiner. Andererseits haben kleinere Agglomerate nicht nur eine kleinere Masse, sondern auch weniger Massenträgheit als größere Agglomerate. Das führt dazu, dass sie allzu leicht aus den effektiven Volumenelementen heraus gespült werden. Zwei Mahlperlen auf Kollisionskurs verdrängen die sich

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Mechanisches Zerteilen von Agglomeraten

zwischen ihnen befindliche Flüssigkeit, noch ehe es zu einer wirklichen mechanischen Belastung kommt. Die Agglomerate fließen dann einfach mit der verdrängten Mahlpaste mit, ohne überhaupt gestresst zu werden. Abhilfe schafft in diesem Fall eine dichte Mahlperlenschüttung, die den Agglomeraten mehr Beanspruchungssituationen beschert, aus denen sie nicht heraus gespült werden. Das ist auch der Grund, weswegen das erzielbare Dispergierergebnis mit zunehmendem Mahlperlenfüllgrad ansteigt. (siehe Abbildung 5.16).

5.4 Rührleistung und Dispergiererfolg bei Perlmühlen Gemäß der Gleichung 5.13 ist die mechanische Rührleistung durch das Produkt aus der Drehzahl n und dem Drehmoment M der Rührwelle gegeben. Dieselbe Rührleistung lässt sich deswegen entweder mit höherer Drehzahl und niedrigerem Drehmoment, oder umgekehrt erreichen (2 · 4 = 4 · 2). Während die Drehzahl ein reiner Maschinenparameter ist, ist das Drehmoment u.a. vom Fließverhalten der Mahlpaste abhängig. Mahlpasten haben oft auch ein sehr temperaturabhängiges Fließverhalten. Auf diesen Umstand wird im Abschnitt 5.3.4 sowie im Abschnitt 3.5.1 eingegangen. Bei schnell laufenden Rührwerkskugelmühlen hat sich herausgestellt [9], dass die Bruchwahrscheinlichkeit eine eindeutige Funktion des Betrags der mechanischen Rührleistung ist, unabhängig von der Zusammensetzung aus Drehzahl und Drehmoment. In der Abbildung 5.19 sind Glanzentwicklungskurven beim Dispergieren einer Mahlpaste für eine Korrosionsschutzfarbe in Abhängigkeit von der Drehzahl der Rührwelle einer Stiftscheiben Rührwerkskugelmühle (PM STS1, Draiswerke, Mannheim) dargestellt.

Abbildung 5.19: Glanz einer Mahlpaste in Abhängigkeit von der Drehzahl. DAT027 bis DAT040: Versuche zur Wiederholbarkeit. DAT055: Verdreifachung des Kühlwasserdurchflusses

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Bei den Dispergierungen wurde versucht, alle Parameter des Dispergierens gleichzuhalten, mit Ausnahme der Dispergierung, die mit Dat055 bezeichnet ist. Bei ihr wurde, im Vergleich zu den anderen Dispergierungen, der Kühlwasserdurchfluss verdreifacht. Die Abbildung 5.20 zeigt, dass dabei der Dispergiererfolg im unteren Drehzahlbereich im Vergleich deutlich ver-

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Literaturhinweise

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bessert wird. Der Auftrag derselben Glanzwerte gegen die mechanische Rührleistung ist in der Abbildung 5.20 gezeigt. Bei dieser Darstellung fallen alle Glanzwerte auf eine gemeinsame Kurve. Die zu der niedrigsten Drehzahl von 1020 Upm korrespondierende mechanische Rührleistung liegt aufgrund des höheren Drehmoments im Abbildung 5.20: Glanz einer Mahlpaste in AbhängigFalle der stärkeren Kühlung keit von der mechanischen Rührleistung. bei 1400  W an Stelle von DAT027 bis DAT040: Versuche zur Wiederholbarkeit. ca. 700  W. Gegenüber den DAT055: Verdreifachung des Kühlwasserdurchflusses. Die roten Pfeile zeigen Dispergierungen bei anderen Dispergierungen gleicher Drehzahl von 17,1 Ups an führt das wegen der besseren mechanischen Zerteilung der Agglomerate zu einer Glanzerhöhung um fast 20 Einheiten im 85° Glanz. Für die Farbstärke ergibt sich derselbe Zusammenhang [9]. Die Eindeutigkeit des Zusammenhangs zwischen dem Betrag der mechanischen Rührleistung und dem Dispergiererfolg ist sehr wichtig in Bezug auf die Beherrschung des Dispergierprozesses. Sie ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass der Zerfall von Agglomeraten in einem Scherfeld gemäß den Gleichungen 4.1 und 4.2 vom Produkt aus der Schergeschwindigkeit und der Schubspannung in der Mahlpaste ist. Die Schwergeschwindigkeit ist in erster Näherung proportional zur Drehzahl der Rührwelle einer Rührwerkskugelmühle, während die Schubspannung proportional zum Drehmoment der Rührwelle ist. Bei niedriger Viskosität und hoher Drehzahl erfolgt die Beanspruchung der Agglomerate mehr durch die Schwergeschwindigkeit. Bei niedriger Drehzahl und höherem Drehmoment dagegen durch die Schubspannung. Literaturhinweise [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]

J. Winkler, farbe + lack 89 (1983) 332–336 J. Winkler, „Titandioxid“, Vincentz Network (2003) Seite 52 ff. D. v. Pigenot, VII Fatipec Kongress, Vichy (1964) Kongressbuch, Seite 249 M. J. Smith, J. Oil and Colour Chemists’ Assoc. 56 (1973) 165 O. J. Schmitz, R. Kroker, P. Pluhar, Farbe und Lack 79 (1973) 733 A. Klaeren, H. G. Völz, Farbe und Lack 81 (1975) 709 U. Zorll, Farbe und Lack 80 (1974) 17 J. Winkler, E. Klinke, L. Dulog, J. Coatings Technology, 59, No. 754 (1987) 35–70 J. Winkler, Dissertation, Universität Stuttgart, 1983

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6

Flockungsstabilisierung

Flockungsstabilisierung

Neben der Benetzung der Pigmente und Füllstoffe und der mechanischen Zerteilung ist das Stabilisieren der erzielten Pigmentverteilung gegen Flockung der dritte, essenzielle Teilschritt beim Dispergieren. Sofern in den Mahlpasten bzw. den fertigen, aufgelackten Rezepturen keine Fließgrenzen vorliegen, sind die dispergierten Pigmentpartikel aufgrund der Brown’schen Molekularbewegung in der Flüssigkeit beweglich. Selbst ohne anziehende Kräfte unter den Teilchen würden sie sich irgendwann zufällig treffen. Da sie anziehende Kräfte untereinander haben (siehe Kapitel 2.3), würde jede Begegnung der Partikel dazu führen, dass sie sich wieder aneinanderlagern. Diese erneute Reagglomeration aus der bereits dispergierten flüssigen Phase nennt man „Flockung“1. Ob Flockung stattfindet oder nicht, hängt in vielfältiger Weise von physikalisch chemischen Vorgängen an der Grenzfläche Pigment zur flüssigen Phase ab. Diese Wechselwirkungen und ihre Folgen, nämlich die Flockung oder die Stabilisierung kolloidaler Suspensionen, ist die Kerndisziplin der Kolloidchemie. Sie untersucht das Wesen und die Abstandsabhängigkeit der anziehenden und abstoßenden Kräfte der Teilchen untereinander. Bei jedem Teilchen-Teilchen-Abstand bestimmt die Summe aus Anziehung und Abstoßung, ob sich die Teilchen insgesamt anziehen oder abstoßen, d.h. flocken oder stabil sind. Kapitel 6 befasst sich mit diesem Zusammenspiel.

6.1

Flockungskinetik

6.1.1 Kinetik der Flockung ohne Verzögerung Zur Beschreibung der Geschwindigkeit, mit der die Flockung beim Fehlen einer Pigmentstabilisierung stattfindet, wird meistens der Ansatz von von Smoluchowski herangezogen [1]. Von Smoluchowski schlägt in seinem Artikel „Versuch einer mathematischen Theorie zur Koagulationskinetik kolloider Lösungen“ eine Kinetik zweiter Ordnung vor, um das diffusionskontrollierte („perikinetische“) Flockungsgeschehen zu beschreiben. Der mathematische Ansatz lautet, dass die Abnahme der Zahl der Teilchen pro Zeit t proportional zum Quadrat der zu 1 Englisch:“flocculation“ wird manchmal eingedeutscht zu „Flockulation“. Jochen Winkler: Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen © Copyright 2010 by Vincentz Network, Hannover, Germany

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Flockungskinetik

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jedem Augenblick vorliegenden Zahl N der Teilchen ist. Die Proportionalitätskonstante ist kF. Gleichung 6.1 dN – = k F · N2 dt Die Gleichung 6.1 gibt also die Kollisionsfrequenz der kolloidalen Teilchen wieder. Ihr liegen folgende, vereinfachende Annahmen bzw. Voraussetzungen zu Grunde: 1) Alle Primärteilchen sind kugelförmig und haben dieselbe Größe; 2) Jede Kollision führt zur Bildung eines Flockulats; 3) Es sind immer nur zwei Teilchen an einer Kollision beteiligt; 4) Die gebildeten Flockulate brechen nicht wieder auf. Die Integration von Gleichung 6.1 zwischen den Zeiten t = 0, bei der N0 Teilchen vorhanden sind, bis t, bei der Nt Teilchen noch nicht geflockt sind, liefert Gleichung 6.2

1 1 – = kF · t N t N 0

Die Konstante kF steigt nach Smoluchowski proportional zur Summe der Radien der an der Flockung beteiligten Partikel R sowie mit zunehmender Diffusionskonstanten D an. Gleichung 6.3

kF = 4π · R · D

Für runde Partikel ist die Diffusionskonstante kT Gleichung 6.4 D= 6π · η · r mit k = Boltzmannkonstante T = absolute Temperatur η = dynamische Viskosität r = Partikelradius Die Boltzmannkonstante verbindet die Größen Energie und Temperatur auf molekularer Ebene miteinander. Sie gib an, um wie viele Joule die Energie eines Moleküls bei der Temperaturerhöhung um ein Grad ansteigt2 und hat somit einen Bezug zur Brown’schen Molekularbewegung, die die Ursache für die Diffusion kolloidaler Partikel in Suspensionen ist. Der Term im Nenner der Gleichung 6.4 beschreibt die Reibung eines sich bewegenden Partikels in einer Flüssigkeit. Insgesamt wird die Diffusion also durch das Verhältnis eines Beweglichkeitsterms 2 Nämlich 1,38 · 10 -23 J/K

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Flockungsstabilisierung

(im Zähler von Gleichung 6.4) und einem Reibungsterm (im Nenner von Gleichung 6.4) bestimmt. Durch Einsetzen der Gleichung 6.4 in 6.3 und der Gleichung 6.3 in 6.2 und unter der Annahme einer monodispersen Partikelgrößenverteilung (R = 2r) ergibt sich: Gleichung 6.5

1 1 4 kT – = · ·t Nt N0 3 η

Zur Zeit t0,5, bei der die Hälfte der Partikel geflockt wäre, ist Nt = N0 /2. Aus Gleichung 6.5 ergibt sich zu dieser Zeit die Beziehung 3η Gleichung 6.6 t = 0,5 4 · kT · N0 Beim Fehlen jeglicher Flockungsstabilisierung findet die Flockung sehr schnell statt. Im Fall einer 10 Gew.%igen Suspension von Titandioxid Pigment in Wasser, zum Beispiel, errechnet sich mit Gleichung 6.6 eine Halbwertszeit der Flockung von nur 0,1 s (Dichte des Pigments = 4 g/cm3; Partikeldurchmesser 0,3 µm). Die Gleichung 6.6 stellt allerdings nur eine „Momentaufnahme“ dar, denn die aus jeweils zwei Pigmentpartikeln bestehenden Flockulate wachsen ihrerseits durch Zusammenstöße mit anderen Primärpartikeln und mit bereits gebildeten Flockulaten weiter an. Im Zuge der Flockung steigt der Kollisionsradius R zwar an, aber die Teilchenkonzentration N nimmt ab. Untersuchungen haben ergeben, dass die Smoluchowski-Theorie das Verhalten hydrophober Kolloide sehr gut beschreibt [2]. Die perikinetische Flockung findet so lange statt, bis dass die gebildeten Flockulate etwa 5 µm groß sind. Ein Flockulat aus Titandioxid-Pigmentpartikeln mit einem Durchmesser von 5 µm besteht (geschätzt) aus mehr als 1000 Primärpartikeln. Ab dieser Teilchengröße diffundieren die Teilchen nicht mehr, sondern sedimentieren nur noch3. Dabei kommt es allerdings zu weiteren Teilchenbegegnungen, weil größere Teilchen schneller sedimentieren als kleinere. Auch beim Rühren der Suspensionen können sich noch größere Flockulate bilden, die mit zunehmender Größe weniger scherstabil sind und deswegen leichter redispergiert werden. Die durch Rühren der Suspension ausgelöste Flockung (die vor allem in der Abwasserreinigung eine große Rolle spielt) wird „orthokinetische“ Flockung genannt. Das Zusammenspiel der verschiedenen Einflussfaktoren, nämlich perikinetische Flockung, orthokinetische Flockung, Flockung durch Sedimentation und gegebenenfalls Redispergierung durch Rühren, ist insgesamt sehr kompliziert, so dass eine mathematische Modellierung nicht einfach ist. Es bleibt festzuhalten, dass Pigmentsuspensionen, die nicht durch irgendwelche Mechanismen gegen Flockung stabilisert sind, sehr schnell ausflocken. Dies hat in 3 Sedimentation: siehe Kapitel 6.3

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Flockungskinetik

149

der Regel sehr negative Auswirkungen auf die Qualität der Werkstoffe zur Folge. So wird die Farbstärke, der Glanz sowie die Glanzhaltung von Beschichtungen bei der Bewitterung verschlechtert. Zudem leiden mechanische Eigenschaften von Werkstoffen, wenn die Pigmentpartikel geflockt vorliegen.

6.1.2 Messung der Flockungsgeschwindigkeit Zur Messung der Flockungsgeschwindigkeit bieten sich eine Reihe von Möglichkeiten an. So lässt sich z.B. mit Hilfe einer Sedimentationswaage die Massenzunahme des Sediments bestimmen und die relative Massenzunahme mt /mmax gegen die Zeit t auftragen. Man erhält S-förmige Kurven. Als Maß für die mittlere Flockungsgeschwindigkeit lässt sich die Zeit heranziehen, nach der die Sedimentation zu einem bestimmten Prozentsatz, z.B. 40 %, erfolgt (mt /mmax = 0,4) [3]. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Sedimentationsgeschwindigkeit als die Geschwindigkeit anzusehen, mit der sich beim Sedimentieren eine pigmentfreie Zone an der Oberfläche der Suspension entsteht [4]. Vornehmlich in verdünnten Systemen lässt sich die Trübung der Suspension in Abhängigkeit von der Zeit bestimmen. Die Tangente an die Messkurve bei kleinen Zeitdauern ist ein Maß für die Flockungsgeschwindigkeit [5]. Mit Teilchengrößenmessgeräten, welche auf der Laserlichtstreuung beruhen, können auch in sehr kurzer Zeit die Partikelgrößenverteilung bestimmt werden. Dabei lässt sich die Änderung der mittleren Teilchengröße in Abhängigkeit von der Zeit direkt bestimmen [6].

6.1.3 Verzögerte Flockung Sofern die Pigmentpartikel nicht ungehindert flocken, sondern irgendwelche Mechanismen wirksam werden, die zu einer Stabilisierung führen, wird man dies bei Messungen der Flockungsgeschwindigkeit feststellen. Bezieht man in diesem Fall die Flockungsgeschwindigkeit der Teilchen mit Stabilisierungsbeiträgen auf die Flockungsgeschwindigkeit der Teilchen bei ungehinderter Flockung, so bekommt man ein relatives Maß für die Wirksamkeit der Kollisionen der Teilchen für die Flockung. Dieser Kollisionswirksamkeitsfaktor α gibt den Bruchteil der Kollisionen an, die zur Bildung größerer Gebilde geführt hat. Formal lässt sich deswegen an Stelle von Gleichung 6.1 im Fall gehinderter Flockung schreiben: dN Gleichung 6.7 – = α · k F · N2 dt Der Kollisionswirksamkeitsfaktor steht somit in den Gleichungen 6.2 und 6.5 als Faktor im Nenner und in Gleichung 6.6 im Zähler und kann Werte zwischen Null und Eins annehmen. Der Kehrwert von α wird nach Fuchs [7] als „Stabilitätsverhältnis“ (stability ratio) bezeichnet. Der Zusammenhang des Stabilitätsverhältnisses mit

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150

Flockungsstabilisierung

der Stabilisierungsenergie wird im Kapitel 6.3 behandelt.

Abbildung 6.1: Bestimmung der kritischen Koagulationskonzentration

6.2

Oft interessiert, wie sich die Flockungsgeschwindigkeit mit der Zugabe beispielsweise eines Flockmittels verändert, und ab welcher Konzentration der Übergang von verhinderter zu ungehinderter, schneller Flockung erfolgt. Dazu wird der Logarithmus des Stabilitätsverhältnisses gegen den Logartihmus der Flockmittelkonzentration graphisch aufgetragen. Es ergeben sich Punkteschare, die zu zwei Geraden gehören. Der Schnittpunkt der beiden Geraden zeigt die kritische Koaggulationskonzentration an (siehe Abbildung 6.1). Das ist die Konzentration an Flockmittel, ab der eine ungehinderte, rasche Flockung einsetzt.

Sedimentation

Sofern die Pigmentpartikel in einem flüssigen Medium beweglich sind, d.h., wenn keine Fließgrenze vorliegt, dann sedimentieren sie aufgrund der Schwerkraft früher oder später zu Boden. Ausgenommen sind nur Partikel von wenigen Nanometern Größe, die, je nach Dichte, so wenig Masse haben, so dass sie durch die Brown’sche Molekularbewegung in der Schwebe gehalten werden. Die Geschwindigkeit, mit der runde Teilchen sedimentieren, wird durch die StokesGleichung beschrieben. Auf die Teilchen wirken einerseits die Gewichtskraft FG und andererseits die Auftriebskraft FA, die durch die unterschiedlichen Dichten von Feststoff und Flüssigkeit hervorgerufen wird. Haben die Teilchen eine größere Dichte als die Flüssigkeit, so sedimentieren sie aufgrund der resultierenden Kraft, wobei sie durch eine Reibungskraft FR abgebremst werden. Die Teilchen mit einem Durchmesser d sedimentieren mit einer konstanten Sinkgeschwindigkeit v, sobald die Reibungskraft gleich groß ist, wie die um den Auftrieb verminderte Gewichtskraft. Gleichung 6.8

FR = FG – FA

Die Reibungskraft ist nach Stokes: Gleichung 6.9

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FR = 3 · π · η · d v

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Sedimentation

151

Die Gewichtskraft auf ein Teilchen mit dem Volumen VP und der Dichte ρP ist durch Gleichung 6.10

FG = ρP · VP · g

gegeben, wobei g die Erdbeschleunigung (= 9,806 m/s2) ist. Die Auftriebskraft auf ein Teilchen in einer Flüssigkeit der Dichte ρF ist Gleichung 6.11

FA = ρF · VP · g

Aus den Gleichungen 6.8 sowie 6.9 bis 6.11 ergibt sich die Sinkgeschwindigkeit: Gleichung 6.12 v=

VP · g (ρP – ρF) 3·π·η·d

Unter der Annahme kugelförmiger Teilchen (VP = 1/6 · π · d3) wird aus Gleichung 6.12: d2 · g · (ρP – ρF) Gleichung 6.13 v= 18 · η Gleichung 6.13 gilt für langsame Sedimentationsgeschwindigkeiten, bei denen die Reynoldszahlen kleiner als 1 sind. Außerdem darf die Viskosität nicht zu hoch sein, wenn das Sedimentationsgeschehen mit Hilfe der Stokes-Gleichung wiedergegeben werden soll. Größere Teilchen sedimentieren langsamer, als sich nach Gleichung 6.13 berechnen lässt [8–10]. Die Abbildung 6.2 zeigt in einem doppelt logarithmischen Auftrag die nach einer Formel von Soulsby errechneten Sedimentationsgeschwindigkeiten für Sandkörnchen der Dichte 2,65 g/cm3 in Wasser. Ebenfalls in die Abbildung eingetragen sind die für solche Teilchen nach Gleichung 6.13 errechneten Sinkgeschwindigkeiten. Bis zu Teilchengrößen von ca. 0,1 mm (100 µm) stimmt die Berechnung nach Stokes mit dem verfeinerten Modell überein. Deswegen reicht das StokesModell aus, um die Sedimentation von Pigmenten zu beschreiben, zumal Teilchen mit Größen um 100 µm bereits sehr schnell sedimentieren, wie aus Abbildung 6.2 hervorgeht.

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Abbildung 6.2: Sedimentationsgeschwindigkeit Ws eines Sandkorns (Durchmesser d, Dichte 2,65 g/cm3) in Wasser bei 20 °C, berechnet nach der Formel von Soulsby [8]. Originalabbildung aus Wikipedia, Stichwort „Sedimentationsgeschwindigkeit“. Die Auftragung der Sedimentationsgeschwindigkeit nach Stokes wurde ergänzt

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Flockungsstabilisierung

Das Ausmaß an Flockung hat einen sehr großen Einfluss auf die Höhe und die Dichte des gebildeten Sediments. Erfolgt die Sedimentation aus einem Zustand guter Stabilisierung, d.h., sedimentieren die Teilchen einzeln, so dauert die Sedimentation zwar lange, aber es bildet sich ein sehr fester Bodensatz mit niedriger Höhe bzw. hoher Dichte, der sich schlecht wieder aufrühren lässt. Findet hingegen Flockung statt, so sedimentieren die Pigmentpartikel schnell, jedoch zu einem voluminösen, gut aufrührbaren Bodensatz. Der Grund dafür ist, dass bei der Flockung Flockulate entstehen, die locker gepackt sind und innerhalb ihrer Struktur viel flüssige Phase enthalten. Je voluminöser ein Flockulat ist, umso leichter lässt es sich wieder durch Aufrühren in die Primärpartikel redispergieren. Die Sedimente lassen sich messtechnisch charakterisieren, indem man die Arbeit misst, die erforderlich ist, um einen Prüfkörper, z.B. einen dünnen Metallstab, in das Sediment hineinzudrücken. Dazu misst man die Eindringkraft des Stabs als Funktion der Eindringtiefe und integriert über die gesamt Höhe des Sediments. Aus anwendungstechnischer Sicht sind beide Extreme, sowohl langsame Flockung in Kombination mit allzu festem Bodensatz, als auch sehr rasche Flockung, nicht erstrebenswert. Ideal ist ein System, das durch Rühren wieder dispergiert werden kann, jedoch deutlich länger flockungsstabil ist als die Zeit, die zu seiner Verarbeitung benötigt wird. Es gibt polymere Additive, die durch eine „Überbrückungsflockung“ die Pigmente kontrolliert zum Flocken bringen.

6.3

Potenzialkurven

Wie im Kapitel 2.4 und 2.5 dargestellt, ziehen sich Pigmentpartikel aufgrund der London-van der Waals-Wechselwirkung in jedem Fall gegenseitig an. Die Anziehungskraft ist abstandsabhängig und reicht im Fall von Pigmentpartikeln je nach Umständen einige zig Nanometer bis zu einer Größenordnung, die ihrem Durchmesser entspricht. Nähern sich zwei Pigmentpartikel zufällig auf einen solchen Abstand, dann findet eine Flockung, bzw. in Luft eine Agglomeration, statt. Um Pigmentpartikel zu stabilisieren, müssen dieser anziehenden Kraft eine oder mehrere abstoßende Kräfte entgegengesetzt werden, die eine ähnliche Reichweite haben. Der sich einstellende Pigmentpartikel-Verteilungszustand hängt davon ab, wie in jedem Abstand die Summe aus Anziehung und Abstoßung ist. Üblicherweise werden die Anziehungsenergien und die Abstoßungsenergien verglichen. Aus historischen Gründen hat es sich eingebürgert, von Potenzialkurven zu sprechen. Die vom Oberflächenabstand der Teilchen abhängige Gesamtpotenzialkurve Vges ist die Summe aus der Anziehungsenergie Vanz und der Abstoßungsenergie Vabs bei jedem Oberflächenabstand. Gleichung 6.14

Vges = Vanz + Vabs

Die Abbildung 6.3 zeigt einen Verlauf, wie er oft dargestellt wird. Auf der x-Achse ist der Oberflächenabstand der Teilchen aufgetragen, und auf der y-Achse

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Potenzialkurven

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die Anziehungsenergie und die Abstoßungsenergie, sowie die resultierende Gesamtenergiekurve. Die Anziehungsenergie bekommt ein negatives Vorzeichen und die Abstoßungsenergie ein positives Vorzeichen. In diesem Beispiel ist die Anziehungsenergie der Teilchen weitreichender als die Abstoßungsenergie. Deswegen überwiegt bei großen Oberflächenabständen zunächst die Anziehung. Steigt mit zunehmender Annäherung der Teilchen die abstoßende Wirkung Abbildung 6.3: Addition der Anziehungsenergie stärker an als die Anziehung, so (Vanz) und der Abstoßungsenergie (Vabs) zur überwiegt ab einem bestimmten Gesamtenergie (Vges) Abstand die Abstoßung und das Gesamtpotenzial wird positiv. Bei weiterer Annäherung wird wieder die Anziehung größer und deswegen durchläuft die Gesamtenergiekurve ein Maximum, um dann steil abzufallen. Der Teil der Gesamtpotenzialkurve zwischen dem (merklichen) Einsetzen der Anziehung bei großen Teilchenabständen bis zu dem Abstand, wo Vges zum ersten Mal positiv wird, nennt man das „sekundäre Minimum“. Es handelt sich um einen flachen „Potenzialtopf“, in dem die Pigmentpartikel sehr lose geflockt sind. Die Teilchen benötigen nur wenig kinetische Energie, um sich wieder voneinander zu separieren, so dass sich die Teilchen durch wenig Scherwirkung, also durch einfaches Aufrühren, wieder dispergieren lassen. Je nach der Höhe der Energiebarriere Vmax, welche sich daran anschließt, sind die Teilchen besser oder weniger gut gegen eine weitere Annäherung aneinander geschützt. Sofern sie genügend Bewegungsenergie (kinetische Energie) haben, um den Potenzialberg zu überwinden, gelangen sie in das tiefere „primäre Minimum“, wo die Anziehungsenergie stark überwiegt. In dem Fall ist durch einfaches Aufrühren keine Redispergierung zu erzielen. Deswegen lässt sich die Prüfung der Lagerstabilität von Lacken und Farben beschleunigen, indem die Lagerung bei höherer Temperatur vorgenommen wird. Der Anteil der Pigmentpartikel mit erhöhter kinetischer Energie (Maxwell-Boltzmann-Verteilung) wird dabei größer, so dass in kürzerer Zeit eine Aussage getroffen werden kann, ob es im Zuge einer längeren Lagerung zu einer starken Flockung kommen kann. Wegen der Verteilung der kinetischen Energie der Teilchen gibt es keine scharfe Trennung zwischen flockenden und nicht flockenden Systemen. Es gibt lediglich

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Flockungsstabilisierung

Formulierungen, in denen die Pigmente rascher oder weniger rasch flocken. Es sei deswegen bemerkt, dass die Potenzialkurven jeden erdenklichen Verlauf haben können. Ohne einen Abstoßungsmechanismus, bzw. mit nur wenig Abstoßungsenergie, kann die Gesamtpotenzialkurve anziehend sein. Es kann auch das primäre Minimum gänzlich fehlen oder weniger tief sein. Der Verlauf der Gesamtpotenzialkurve lässt sich nach Fuchs [7] in Beziehung zu dem Kollisionswirksamkeitsfaktor α der verzögerten Flockung in Verbindung setzen (Gleichung 6.7). Das bereits erwähnte Stabilitätsverhältnis W der Teilchen ist durch den Quotienten der Geschwindigkeitskonstanten schneller und verzögerter Flockung gegeben (siehe Gleichung 6.1 und 6.7). k 1 Gleichung 6.15 W= F = α · k F α Weil α kleiner wird, je flockungsstabiler die Pigmente in einem System sind, ist W für flockungsstabile Systeme größer als für solche, die flocken. Nach Fuchs ist Gleichung 6.16 wobei r der Partikelradius und R der Abstand der Mittelpunkte der (kugelförmigen) Teilchen ist. In der Gleichung 6.16 ist im Exponenten die Gesamtenergie als Vielfaches von kT ausgedrückt. Damit eine kolloidale Suspension einigermaßen stabil ist, sollte die Energiebarriere der Vges Kurve das zehn- bis fünfzehnfache von kT sein [11–12]. Nach Verwey und Overbeek [11] bewirkt eine Energiebarriere von 15 kT eine Verlangsamung der Flockung um den Faktor 105. Andere Autoren [13] halten sogar Werte zwischen 5 kT und 10 kT für ausreichend. Der Grund für die Unsicherheit liegt darin begründet, dass sich die Gesamtpotenzialkurve Vges und damit Vmax der Abbildung 6.3 nicht direkt bestimmen lässt, ebenso wenig wie Vanz oder Vabs. Es ist lediglich möglich, unter Nutzung der Ergebnisse der Theorie der Anziehung kolloidaler Partikel nach Hamaker (Kapitel 2.4 und 2.5), der DLVO-Theorie zur Stabilisierung der Partikel durch elektrostatische Ladungen (ab Kapitel 6.4.1) und den Theorien zur Stabilisierung der Teilchen durch adsorbierte Polymere (ab Kapitel 6.5) Vanz und Vabs abzuschätzen und daraus Vges zu errechnen. Der Wert der genannten Theorien ist nicht, absolute Vorhersagen über die Stabilität kolloidaler Suspensionen generieren zu können, sondern eher, die Einflüsse unterschiedlicher Faktoren prinzipiell verständlich zu machen.

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Elektrostatische Stabilisierung

6.4

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Elektrostatische Stabilisierung

Die Grundlagen der Stabilisierung kolloidaler Teilchen durch elektrostatische Kräfte wurden in den 40iger Jahren des vorigen Jahrhunderts unabhängig voneinander durch die Wissenschaftler Derjaguin und Landau [14, 15] aus Russland sowie Verwey und Overbeek [11] aus den Niederlanden erarbeitet. Ihnen zu Ehren wird in diesem Zusammenhang heute von der „DLVO-Theorie“ gesprochen. Die DLVO-Theorie beschreibt einerseits die Einflüsse auf die abstoßenden Wechselwirkungen zwischen gleichnamig aufgeladenen, kolloidalen Teilchen in einer Suspension, und andererseits setzt sie diese Wechselwirkungen in Beziehung zu den anziehenden Kräften der Teilchen untereinander.

6.4.1 Ursachen für elektrostatische Aufladungen von Pigmenten Die elektrostatische Stabilisierung kolloidaler Partikel beruht darauf, dass die Teilchen in der Suspension ionische Ladungen tragen. Sind die Teilchen gleichnamig geladen, so stoßen sie sich gegenseitig ab, während sich entgegengesetzt geladene Teilchen anziehen. Prinzipiell kommen drei verschiedene Ursachen für die Aufladung in Frage: a) Adsorption von Ionen aus der Lösung b) Säure-Base-Wechselwirkungen mit flüssigen Bestandteilen der Suspension c) Adsorption von Polyelektrolyten d) Adsorption bzw. Wechselwirkung mit anderen, elektrostatisch geladenen Teilchen in der Suspension e) Spezielle Fälle in organischen Systemen a) Adsorption von Ionen aus der Lösung Ionen in Lösungen kommen durch Dissoziation zu Stande. Dabei entstehen genauso viele negative Ladungen wie positive. Innerhalb der Lösung gilt deswegen die „Elektroneutralitätsbedingung“. Positiv geladene Ionen werden Kationen und negativ geladene Ionen Anionen genannt. Ist eine der Ionensorten schlechter löslich als die andere, oder hat ein Pigmentpartikel eine besondere Affinität zu einem der Ionen, so reichert sich diese Ionensorte an der Pigmentoberfläche an und wird „potenzialbestimmend“. Die Gegenionen sind zwar noch in der Suspension vorhanden, aber nicht räumlich aufkonzentriert. Die Abbildung 6.4 zeigt diesen Fall schematisch. Auch organische Ionen, wie die Anionen von Tensiden, können an Pigmentoberflächen adsorbieren und potenzialbestimmend werden. Beispiele hierfür sind die Salze der Alkylbenzolsulfonsäuren oder auch die Salze von Fettsäuren. In beiden Fällen scheint es zunächst zu einer Anlagerung der Anionen durch die „Kopfgruppe“, das ist die hydrophile, ionische Gruppe, zu kommen. Bei weiterer

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Flockungsstabilisierung

Adsorption ragen dann die ionischen Teile der Adsorbate4 in die Lösung rein. Im Fall der der Adsorption von Alkylbenzolsulfonaten aus wässriger Lösung an Titandioxidteilchen lassen sich verschiedene Bereiche der Adsorptionsisothermen unterscheiden, in denen die Adsorption jeweils anders gerichtet ist [16]. Bei der Adsorption von Fettsäureanionen an Ba r iumsulfat-Ober f lächen kommt es zunächst zu einer Hydrophobierung der Partikel, Abbildung 6.4: Aufladung eines Silbersulfid weil die Carboxylat-Gruppen Kristalls durch die Vorzugsadsorption von zur Teilchenoberfläche hin zeiSulfidionen gen und die Alkylketten in die Lösung ragen. Wenn die Oberfläche gänzlich mit einer monomolekularen Schicht belegt ist, erfolgt die weitere Adsorption in der Weise, dass die unpolaren Teile der ersten Adsorptionsschicht mit den unpolaren Teilen der zweiten Adsorptionsschicht Wechselwirkungen eingehen, so dass die ionischen Gruppen nunmehr nach außen gerichtet sind, und die Teilchen wieder hydrophil werden [17]. Abbildung 6.5 Abbildung 6.5: Aufladung von Pigmentoberfläzeigt dies schematisch. Weil in chen durch die Adsorption von Tensiden. der Regel jedoch die Teile eines Links: monomolekulare Bedeckung zu hydrophoamphiphilen Moleküls sich zu ben Partikeln. Rechts: bimolekulare Bedeckung Oberflächen hin orientieren, die zu hydrophilen Partikeln schlechter in der flüssigen Phase löslich sind, wird der primäre Schritt in diesen Fällen eine Chemisorption5 der Adsorbate sein. 4 Ein „Adsorbat“ ist der Stoff, der an ein „Adsorbens“ adsorbiert wird. 5 Unter „Chemisorption“ versteht man eine Adsorption, die mit der Ausbildung einer chemischen Bindung einhergeht.

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Elektrostatische Stabilisierung

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b) Säure-Base-Wechselwirkungen mit flüssigen Bestandteilen der Suspension Säure-Base-Wechselwirkungen sind beschränkt auf amphotere Pigmente. Amphotere Pigmente können sowohl mit Säuren als basische Reaktionspartner und mit Basen als saure Reaktionspartner reagieren. Alle oxidischen und sulfidischen Pigmente, sowie nitridische Pigmente sind amphoter, denn sie enthalten -OH, -SH bzw. =NH Gruppen auf ihren Oberflächen. Diese Gruppen sind vorhanden, weil auch in einem Ionenkristall die Elektroneutralitätsbedingung erfüllt sein muss. Anderenfalls wäre der Kristall ionisch geladen. In einem oxidischen Pigmentkristall, z.B., stammen die negativen Ladungen von O2--Ionen und die positiven Ladungen von Men+-Ionen (Me = Metall). Weil der Sauerstoffionen dabei immer mit zwei Metallionen koordinieren, wechseln sich in einem oxidischen Kristall immer Sauerstoffanionen und Metallkationen ab. Hört die Oberfläche des Kristalls mit einer Me-O--Gruppe auf, so wird die negative Ladung von einem Proton H+ kompensiert. Wenn die Oberfläche hingegen mit einem Me+ oder einem Men+ terminiert, dann werden die Ladungen durch ein oder mehrere OH--Ionen kompensiert. In beiden Fällen sind Me-OHGruppen vorhanden. Werden die Pigmente aus wässriger Lösung hergestellt, so sind die Protonen und Hydroxylionen im Wasser anwesend. Bei Gasphasenreaktionen genügt die Luftfeuchtigkeit, um die Reaktionen ablaufen zu lassen. Die Konzentration der -OH-Gruppen hängt von der Kristallstruktur ab. Titandioxid in der Rutilmodifikation hat etwa sechs -OH-Gruppen pro nm 2, während Anatas sieben bis acht OH-Gruppen pro nm 2 aufweist [18]. Pyrogene Kieselsäuren, zum Vergleich, haben etwa zwei -OH-Gruppen pro nm 2 [19], während gefällte Aluminiumoxide etwa acht bis neun -OH-Gruppen pro nm 2 aufweisen [20]. Die -OH, -SH und =NH-Gruppen sind in der Lage, sowohl mit Säuren, als auch mit Basen zu reagieren. Die Abbildung 6.6 zeigt das Prinzip am Beispiel eines oxidischen Pigments. Gibt man zu einer wässrigen Suspension der Pigmente eine Säure, z.B. Salzsäure (HCl, oberes Bild in Abbildung 6.6), hinzu, so bildet sich ein Gleichgewicht aus zwischen Protonen, die in der Lösung sind, und Protonen, die an die oberflächenständigen OH-Gruppen des Pigments über Wasserstoffbrückenbindungen angelagert sind. Das adsorbierte

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Abbildung 6.6: Reaktion oberflächenständiger OH-Gruppen amphoterer Oxide mit Säuren und Basen

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Flockungsstabilisierung

Proton lädt das Pigment elektrostatisch positiv auf. Bei der Zugabe einer Base, z.B. Natronlauge (NaOH, unteres Bild) kann die oberflächenständige OH-Gruppe ein Proton abspalten und mit dem Hydroxylion der Natronlauge zu Wasser reagieren. Dabei bekommt das Pigment eine negative Aufladung. Abgesehen von der Aufladung amphoterer Pigmente bei der Reaktion mit Säuren und Basen zeigt die Abbildung 6.6 auch, dass die Pigmente selbst wie feste Säuren bzw. feste Basen wirken. Im Grunde sind die dargestellten Reaktionen Neutralisationsreaktionen. Amphotere Pigmente haben also eine pH-puffernde Wirkung. Dies ist in der Abbildung 6.7 schematisch dargestellt. Abbildung 6.7: pH-Kurve von reinem Wasser im Vergleich zum pH-Verlauf im Beisein amphoterer Pigmente

Die mit „H 2O“ gekennzeichnete pH-Titrationskurve sei die des reinen Wassers. Ausgehend von einem pH-Wert von 7 steigt der pH-Wert6 bei der Zugabe von Base sehr rasch an. Bei Säurezugabe fällt der pH-Wert ebenso schnell. Die in der Abbildung 6.7 mit „Teilchensuspension“ gekennzeichnete Kurve zeigt beispielhaft den Verlauf in Gegenwart amphoterer Pigmente. Bei der Zugabe von Basen steigt der pH-Wert viel weniger stark an. Bei Säurezugabe fällt der pH-Wert ebenfalls weniger rasch ab. Mit Hilfe von pH-Titrationen lässt sich die Adsorption von Protonen und von Hydroxylionen messen [21]. c) Adsorption von Polyelektrolyten Sofern Makromoleküle Gruppen aufweisen, die Säure-Base-Reaktionen eingehen können, nennt man sie „Polyelektrolyte“. Die Polyacrylsäure ist ein Beispiel für ein Polyelektrolyt. Sie trägt -COOH-Gruppen, die mit Basen zu Salzen reagieren. Bei der Zugabe von Ammoniak zu einer Mischung aus Polymer und Wasser, beispielsweise, verseift die Carboxylgruppe zu -COO - und NH4+, welches sich in Wasser löst. Weil die negativ geladene Carboxylgruppe ein Teil des Polymermoleküls ist, wird das Polymermolekül negativ aufgeladen. (Nebenbei bemerkt, wird das Polymer dadurch erst wasserlöslich.) Wenn das Polymer an eine Pigmentoberfläche adsorbiert, prägt es dem Pigmentteilchen seine Ladung auf. 6 Der pH-Wert ist der negative dekadische Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration und hängt mit dem Dissoziationsprodukt des Wassers zusammen. Bei einem pH-Wert von 7 sind 10 -7 Protonen in einem Liter einer Lösung.

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Neben Carboxylgruppen können auch Sulfonsäuregruppen, Sulfatgruppen, Phosphonatgruppen oder Phosphatgruppen in Polymeren in ähnlicher Weise wirken. Auch anorganische Salze wie NatriumHexametaphosphat („Calgon“) oder Kaliumtripolyphosphat („KTPP“) sind Polyelektrolyte und laden Pigmente negativ auf. Positiv geladene Polyelektrolyte werden seltener zur Pigmentsta- Abbildung 6.8: Lichtmikroskopische Aufnahme bilisierung herangezogen. Poly- des Zusammenfließens einer geflockten Suspenacrylsäureamide werden im sion von CI Pigment Violett 19 mit einer Paste aus Gegenteil in der Wasseraufbe- nanoskaligem Bariumsulfat („Sachtoperse", Sachtleben Chemie“) in einer Bindemittellösung reitung als Flockmittel genutzt, mit polaren Lösemittelbestandteilen um durch eine Überbrückungsflockung7 negativ geladenen Schwebstoffe aus dem Wasser zu holen. Beispiele für kationische Poylelektrolyte mit stabilisierender Wirkung sind Polymere mit Amin- oder Amidgruppen, die entlang der gesamten Makromolekülkette verteilt sind. Kationische Elektrotauchlacke, wie sie viel in der Automobil- und deren Zulieferindustrie benutzt werden, enthalten Amingruppen, die durch organische Säuren, wie Ameisensäure, neutralisiert werden. d) Adsorption bzw. Wechselwirkung mit anderen, elektrostatisch geladenen Teilchen in der Suspension Unter bestimmten Voraussetzungen können nanoskalige Pigmente und Füllstoffe in organischen Systemen elektrostatische Ladungen tragen. In dem Fall können sie sich an andere, gröbere Pigmente anlagern und ihnen dabei ihre Ladung aufprägen. Dadurch werden die gröberen Pigmentpartikel gegen Flockung stabilisiert [22]. Die Abbildung 6.8 zeigt, wie unter dem Mikroskop eine Paste eines nanoskaligen Bariumsulfats in einem Alkyd-Melamin-System (linke Seite) mit einer geflockten Paste gleicher Bindemittelzusammensetzung von geflocktem Colour Index8 Pigment Violett 19 (Chinacridon Pigment) zusammenfließt. An der Grenzfläche findet, ohne jede mechanische Einwirkung, eine Stabilisierung der Buntpig7 Von „Überbrückungsflockung“ spricht man, wenn ein wasserlösliches Polymer an mehr als einer Oberfläche zugleich adsorbiert. Dann werden die Teilchen einerseits zusammengeführt, andererseits aber auch auf einem bestimmten Abstand zueinander gehalten. 8 Das Colour Index System ist ein Nachschlagewerk der „British Society of Dyers and Colourists“ und der „American Association of Textile Chemists and Colorists” , in dem die Pigmente nach ihrer chemischen Zusammensetzung klassifiziert sind.

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Flockungsstabilisierung

mentpartikel statt, was an der Farbstärkeerhöhung zu erkennen ist. Die Abbildung 6.9 zeigt den Partikelverteilungszustand desselben Lacks im gehärteten Zustand. Es ist zu erkennen, dass die (helleren) Buntpigmentteilchen jeweils umgeben sind von den (dunklen und kleineren) Bariumsulfatteilchen. In demselben Abbildung 6.9: Verteilung der Pigmentpartikel in System zeigten sowohl nanoder gehärteten Polyester-Melamin-Beschichtung. skalige Titandioxide, als auch Hellgrau: C.I. Pigment Violett 19, Dunkel: nanoskalige Bariumsulfatpartikel nanoskalige Aluminiumoxide dasselbe Verhalten. Die Nano­ partikel hatten in diesem System eine positive elektrostatische Ladung. Im Fall der Bariumsulfatpartikel konnte nachgewiesen werden, dass die Ladung von den Kationen aus anhaftendem Natriumsulfat herrührten, das aus dem Herstellprozess kam. Das Elektrolytsalz dissoziiert zum Teil in dem System [Na2 SO4 ↔ Na+ + NaSO4–], und während das Natriumsulfatanion wegen seiner im Vergleich zum Natriumkation geringeren Ladungsdichte in dem weitestgehend unpolaren Medium zumindest teilweise löslich ist, verbleiben die Na+-Kationen an der Oberfläche der Pigmente und bestimmen die Ladung. Elektrolytfrei gewaschene Nanopartikel stabilisierten die Buntpigmente nicht. Umgekehrt ist es möglich, durch die Zugabe von ethanolischer Kalilauge zu den Systemen positive Ladungen auf den Nanopartikeln zu erzeugen. Nanoskalige Bariumsulfate werden in einigen Farbpastensystemen mit Erfolg als Stabilisatoren eingesetzt. Ein ähnlicher Stabilisierungsmechanismus wird im Fall der Adsorption von negativ geladenen Polystyrollatices an positiv geladenen Titandioxidpigmenten gefunden [23]. In Abhängigkeit von der zugegebenen Menge an Latexteilchen flockt das zunächst aufgrund seiner eigenen positiven Ladung stabile Titandioxid erst aus, und ist bei höheren Konzentrationen wieder flockungsstabil. Dies wird damit erklärt, dass die Latexteilchen die Ladung des Titandioxids erst kompensierten und dann, bei weiterer Adsorption, die aus Latex und TiO2 bestehenden Gebilde alle eine negative Ladung aufweisen, wodurch sie stabilisiert werden. e) Spezielle Fälle in organischen Systemen Die Voraussetzung für das Auftreten elektrostatischer Ladungen an Pigmentoberflächen in organischen Systemen ist ein gewisser Anteil an polaren Lösemitteln, wie beispielsweise mehrwertigen Alkoholen (Glykole), weil die Ionen solubilisiert,

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d.h. gelöst und stabilisiert werden müssen. Weitere Möglichkeiten, in organischen Systemen Oberflächenladungen zu erzeugen, bestehen darin, Salze von Fettsäuren zuzugeben. Die bei der Dissoziation dieser Verbindungen auftretenden Ionen haben eine geringe Ladungsdichte, was ihre Löslichkeit erhöht. Das Ion mit der höheren Ladungsdichte wird dann potenzialbestimmend, weil es schlechter löslich ist. Calziumoctoat, z.B. (Oct-Ca-Oct) dissoziiert in ein Oct--Ion und ein Ca-Oct+-Ion. Da das Octoatanion die höhere Ladungsdichte9 hat, wird es bevorzugt adsorbiert. Ist die Löslichkeit beider Ionen allzu gut, dann dissoziieren die Substanzen zwar und bilden Ionen, aber keiner der beiden geht an die Pigmentoberfläche. Das Ladungsgeschehen in organischen Systemen ist daher von delikaten Gleichgewichten gekennzeichnet. Schon das Vorhandensein oder Fehlen von Spuren von Feuchtigkeit kann einen Einfluss auf entstehende Ladungen haben [22]. Fast alle nasschemisch, also durch Fällung hergestellte, oder anorganisch nachbehandelte Pigmente haben Natriumsulfat an ihrer Oberfläche, weil in der Regel im Verlauf der Prozesse pH-Werte eingestellt werden müssen. Das geschieht mit Hilfe von Natronlauge und Schwefelsäure als preiswerteste Reagenzien. Gibt man zu organischen Suspensionen solcher Pigmente in organischen Lösemitteln einen Kronenether hinzu, so laden sich die Pigmentpartikel negativ auf, weil der Kronenether die Kationen komplexiert und in die Lösung bringt, die Anionen jedoch an der Pigmentoberfläche verbleiben [24]. Obwohl dieser Mechanismus auch in den unpolarsten Systemen funktioniert, ist er aufgrund der hohen Preise für Kronenether leider nicht wirtschaftlich genug für eine technische Nutzung und daher nur von akademischem Interesse.

6.4.2 Grundlagen der Elektrostatik Elektrische Ladungen sind immer ein Vielfaches der Ladung eines Elektrons. Die Einheit der Ladung ist Coulomb C. Eine Elementarladung beträgt 1,6021765 · 10-19 Coulomb, bzw., 1 Coulomb entspricht der Ladung von 6,24 · 1018 Elementarladungen. Zwei entgegengesetzt geladene Elementarladungen e+ und e– , die sich im Vakuum in einem Abstand r zueinander befinden, ziehen sich mit einer Kraft F an. e ·e Gleichung 6.17 F= + – 4πε 0 r2 Dabei ist ε 0 die „Permittivität des Vakuums“, oder auch „elektrische Feldkonstante“ genannt. e0 = 8,854 · 10 -12 C2 · N-1 · m2 = 8,854 · 10 -12 A · s · V-1 · m-1. Sie ist die Dielektrizitätskonstante des Vakuums (siehe Kapitel 1.2.1). F hat die Einheit Newton N. Eine weitere, wichtige Größe im Zusammenhang mit dem Ladungsgeschehen in kolloidalen Suspensionen ist der Begriff der elektrischen Feldstärke. Die elektrische 9 Die Ladungsdichte ist der Quotient aus der Ladungszahl und dem Volumen eines Ions.

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Flockungsstabilisierung

Feldstärke E ist definiert als die Kraft, die in einem elektrischen Feld auf eine positive Elementarladung ausgeübt wird. Aus Gleichung 6.17 folgt: F = e– Gleichung 6.18 E= e+ 4πε 0 r2 E hat die Dimension Newton pro Coulomb oder Volt pro Meter, N · C-1 = V · m-1. Der nächste Begriff, der eine Rolle spielt, ist das elektrische Potenzial. Das elektrische Potenzial Ψ ist die Arbeit, die aufgebraucht werden muss, um eine Elementarladung von einem Punkt wo die Feldstärke Null ist, in die Nähe einer anderen, gleichnamigen Ladung zu bringen. Weil E die Kraft auf eine Ladung im elektrischen Feld ist, ist das elektrische Potenzial Gleichung 6.19 Aus der Gleichung 6.19 geht hervor, dass das elektrische Potenzial Ψ die Dimension Volt hat.

6.4.3 Potenzialverlauf an einem elektrostatisch geladenen Teilchen Die Abbildung 6.10 zeigt schematisch die Ladungsverteilung und den Potenzialverlauf an einer Pigmentteilchenoberfläche, die eine positive Oberflächenladung trägt.

Abbildung 6.10: Potenzialverlauf um ein positiv geladenes Teilchen in einer Elektrolytlösung (=Salzlösung)

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Die positive Oberflächenladung könnte beispielsweise durch die Protonierung oberflächenständiger Hydroxylgruppen oder durch die Chemisorption von Kationen aus der Lösung herrühren. Die positive Teilladung wird als Teil des Partikels aufgefasst und wird nicht weiter durch ein Pluszeichen symbolisiert. Das Teilchen hat deswegen das Oberflächenpotenzial Ψ0, auch NernstPotenzial genannt. In der Lösung sei irgendein Salz gelöst, welches in Kationen und Anionen dissoziiert. Direkt an der Teilchenoberfläche werden aufgrund der elektrostatischen Wechselwirkungskräfte (Gleichung 6.12) die

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Kationen abgestoßen, während die Anionen angezogen werden. Dadurch bildet sich eine Schicht negativer Ladungsträger aus. Diese erste Adsorptionsschicht wird die Sternschicht genannt. Innerhalb der Sternschicht fällt das Potenzial linear bis zu dem Sternpotenzial ΨS ab, weil (fast) ausschließlich eine Ionensorte vorliegt, nämlich bei positiver Aufladung der Teilchen Anionen und bei negativer Aufladung der Teilchen Kationen. Die Konzentration der Ladungsträger in dieser Schicht stellt sich durch das Zusammenspiel von elektrostati- Abbildung 6.11: Ionenwolke um ein positiv scher Anziehung zur Oberfläche, geladenes Teilchen herum dem Ausmaß der Solvatation10 und der elektrostatischen Abstoßung der Anionen untereinander ein. Deswegen wird nicht die gesamte Ladung des Teilchens durch die Sternschicht kompensiert, sondern es schließt sich eine weitere Schicht an, in der die Ionen nicht fest adsorbiert sind und deshalb diffundieren können. In diesem diffusen Teil der Ladungsverteilung überwiegt zunächst auch der Anteil der Gegenionen, aber in weiter Entfernung, theoretisch in unendlicher Entfernung von der Teilchenoberfläche, ist die Zahl der Kationen und Anionen gleich, so dass das elektrische Potenzial dort Null ist. Beide Schichten, die Sternschicht und die diffuse Schicht, bilden zusammen die „elektrostatische Doppelschicht“. Abbildung 6.11 zeigt die elektrostatische Doppelschicht um ein Teilchen in einer zweidimensionalen Darstellung. Das Teilchen ist von einer „Ionenwolke“ umgeben. Nach Guoy [25] lässt sich der Verlauf des Potenzials in dem diffusen Teil der Doppelschicht durch eine einfache Exponentialgleichung beschreiben, sofern die Potenziale nicht sehr groß sind [26]. Gleichung 6.20

Ψd = Ψs · e –κd

Ψd ist das Potenzial im Abstand d von der Teilchenoberfläche. κ wird „DebyeHückel-Parameter“, oder die „inverse Debye-Länge“ (siehe Kapitel 6.4.4) genannt und ist gegeben durch Gleichung 6.21 κ=



 4π · εe ε · ·∑kTc · z 2

i

i

2

r 0

10 Solvation ist die Wechselwirkung der Ionen mit dem Lösemittel. Im Fall von Wasser als Lösemittel spricht man von Hydratation.

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Flockungsstabilisierung

Abbildung 6.12: Potenzialverlauf um ein Teilchen mit einem Oberflächenpotenzial von 10 mV. a) 1:1 Elektrolyt, 10 -5 mol/l b) 2:2 Elektrolyt, 10 -5 mol/l c) 1:1 Elektrolyt, 10 -4 mol/l d) 1:1 Elektrolyt, 10 -3 mol/l

In der Gleichung 6.21 ist εr die relative Dielektrizitätskonstante des flüssigen Mediums und ∑ci · zi2 die so genannte „Ionenstärke“. Die Ionenstärke ist die Summe aus den Produkten aus der Konzentration c und dem Quadrat der Ladungszahlen z für jede Ionensorte i. Die anderen Größen in der Gleichung 6.21 haben die üblichen Bedeutungen.

Nach den Gleichungen 6.20 und 6.21 hängt der Potenzialverlauf im Wesentlichen von der Konzentration und der Wertigkeit (dem Ladungszustand) der Ionen in der Lösung ab. Die Abbildung 6.12 zeigt den Verlauf des Potenzials in Abhängigkeit vom Abstand von der Teilchenoberfläche für verschiedene Konzentrationen an 1:1 bzw. 2:2 Elektrolyten11. Deutlich erkennbar ist, wie mit zunehmend höherer Ionenstärke die Potenziale weniger weit in die Lösung hineinreichen. Dies hat zur Folge, dass bei Annäherung zweier Teilchen in einem Medium mit höherer Ionenkonzentration die elektrostatische Abstoßung erst bei geringerem Teilchen-Teilchen-Oberflächenabstand einsetzt, wo die van der Waals-Anziehung bereits hohe Werte einnimmt. Auf diesem Zusammenhang beruht das Ausfällen von Schwebstoffen aus wässrigen Medien durch die Zugabe höherwertiger Salze. Bekannte Flockmittel sind „Grünsalz“ (Eisen(II)-Sulfat-Heptahydrat, welches als Nebenstoff bei der Herstellung von Titandioxid-Pigmenten anfällt), Eisen(III)-Chlorid oder Polyaluminiumchlorid ((AlCl3)n), welches extra dafür hergestellt wird. Nach der Schulze-Hardy-Regel benötigt man zur raschen Ausflockung von Kolloiden unterschiedliche Mengen 1-wertiger, 2-wertiger oder 3-wertiger Ionen. Und zwar sind die erforderlichen Mengen umgekehrt proportional zur sechsten Potenz der Wertigkeiten, so dass das Verhältnis in etwa 1 : 0,015 : 0,0013 beträgt. Auch in wässrigen Lacksystemen spielt die Ionenstärke im Hinblick auf die Flockungsstabilisierung von Pigmenten und Füllstoffen eine wichtige Rolle. Deswegen werden wässrige Lacke mit vollentsalztem, wenigstens aber teilentsalztem Wasser hergestellt. Die Leitfähigkeit sollte unter 20 µS · cm-1 betragen. Auch die Pigmente und Füllstoffe selber sollten keine nennenswerte Salzfracht mit sich bringen. Für Pigmente hat sich deswegen 11 Ein 1:1 Elektrolyt ist ein Salz mit einfach positiv geladenem Kation und einfach negativ geladenem Anion. Bei einem 2:2 Elektrolyten sind Anion und Kation beide zweifach geladen.

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eingebürgert, dass die Leitfähigkeit einer 10-%igen Suspension in VE-Wasser weniger als 100  µS · cm-1 aufweisen soll. Die Ablösung von Zink als Dotierungsmittel von Titandioxid-Rutilpigmenten zur Verbesserung der Wetterbeständigkeit durch Aluminium wurde beispielsweise durch die Ausweitung der Wasserlacke begünstigt. Die Löslichkeit des Abbildung 6.13: Potenzialverlauf an einer Zinks aus dem Pigment führte Teilchenoberfläche mit einem Oberflächenpoten-3 zu Aussalzeffekten. Selbst wenn zial von 10 mV in einer 10 molaren Lösung eines 1:1 Elektrolyten in die Ionenstärke in einer wässri- a) Butylacetat gen Beschichtung noch höher b) Glykol sein dürfte, ohne Probleme zu c) Wasser verursachen, so ist zu berücksichtigen, dass beim Abdunsten des Wassers nach der Applikation die Konzentration der gelösten Salze ansteigt. Wenn die Pigmente in dieser Phase noch beweglich sind, dann kann es zu diesem Zeitpunkt zur Pigmentflockung kommen. Nach Gleichungen 6.20 und 6.21 hat auch die Dielektrizitätskonstante des Mediums einen Einfluss auf den Potenzialverlauf. Weil εr im Nenner des Debye-Hückel-Parameters (Gleichung 6.21) steht, wäre das Potenzial in organischen Medien weniger weitreichend als beispielsweise in Wasser. Dies ist in der Abbildung 6.13 für die Fälle Wasser (εr = 80), Glykol (εr = 37) und Butylacetat (εr = 5) bei einer Konzentration von 10-3 mol pro Liter an 1:1 Elektrolyten dargestellt. Aufgrund der geringeren Solvatation bzw. wegen der geringeren Abschirmung von Ladungen in Medien mit geringerer Dielektrizitätskonstanten werden in organischen Lösemitteln aber weit weniger Ionen vorhanden sein. Dies gilt allerdings sowohl für die das Oberflächenpotenzial bestimmenden Ionen als auch für Ionen in der Lösung. Wenn also elektrostatische Ladungen in organischen Systemen auftreten, dann genügen bereits wenige Ladungen, um sehr weitreichende Oberflächenpotenziale auszubilden.

6.4.4 Zetapotenzial Das Oberflächenpotenzial kolloidaler Partikel lässt sich nicht auf direktem Weg bestimmen. Stattdessen wird durch elektrophoretische Messungen das so genannte Zetapotenzial12 bestimmt. Bei der Elektrophorese wird die Wanderungsgeschwindigkeit von Teilchen in einem elektrischen Feld gemessen. Die Wanderungsgeschwindigkeit pro 12 Nach dem griechischen Buchstaben Zeta ζ benannt.

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Feldstärkeeinheit wird als „elektrophoretische Beweglichkeit“ bezeichnet. Sie wird üblicherweise in der Dimension µm · s-1/V · cm-1 angegeben, wobei Geschwindigkeiten im einstelligen µm · s-1 gemessen werden. Wenn elektrostatisch geladene Teilchen in einem elektrischen Feld wandern, so nehmen sie ein Teil der Ionenwolke mit sich. Die am nächsten zur Teilchenoberfläche sich befindlichen Ionen haben die stärkste Wechselwirkung mit den Teilchen. Je weiter die Entfernung von der Teilchenoberfläche ist, desto geringer werden die Wechselwirkungen jedoch. Irgendwo ist also eine „Scherebene“, die dadurch gekennzeichnet ist, dass alle sich die Ionen, die sich zwischen Teilchenoberfläche und Scherebene befinden, mit dem Teilchen wandern, während die Ionen, die außerhalb dieses Raumes liegen, zurückbleiben. Die beobachtete elektrophoretische Beweglichkeit rührt deswegen nicht direkt von dem Oberflächenpotenzial her, sondern von dem Potenzial an der Scherebene. Dieses Potenzial wird Zetapotenzial ζ genannt. Wie der Zusammenhang zwischen dem Zetapotenzial und dem Oberflächenpotenzial Ψ0 der Teilchen ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Je nach der Art und der Höhe der Wechselwirkungen der Ionen untereinander und mit der Teilchenoberfläche und je nachdem, ob die Ladung beispielsweise von Säure-Base-Wechselwirkungen, durch Ionenadsorption oder von der Adsorption von Polyelektrolyten herrührt, wird die Scherebene in näherem oder weiterem Abstand von der Pigmentoberfläche sein. Auch die Höhe der angelegten Feldstärke kann eine Rolle spielen13. In der Regel wird das Zetapotenzial irgendwo zwischen dem Sternpotenzial ΨS und dem e-ten Teil (e = Euler’sche Zahl = 2,71828…) des Sternpotenzials liegen. Gemäß der Gleichung 6.20 ist ζ = ΨS /e wenn κ · d = 1 ist. Dies ist dann der Fall, wenn κ = 1/d ist14. In der Abbildung 6.10 ist das Zetapotenzial in der Nähe des Sternpotenzials eingezeichnet. Zur Beschreibung des Zusammenhangs zwischen dem Zetapotenzial ζ und der elektrophoretischen Beweglichkeit µ werden zwei Fälle unterschieden. Wenn die Teilchendurchmesser weit größer sind, als die Ausdehnung der Doppelschicht, so wird die Herlmholtz-Smoluchowski-Gleichung (Gleichung 6.22) herangezogen. Dies ist gewöhnlich in wässrigen Medien der Fall. η Gleichung 6.22 ζ= ·μ εr · ε 0 Wenn hingegen das Verhältnis von Partikelgröße zur Ausdehnung der Doppelschicht klein ist, so gilt die Debye-Hückel-Gleichung 6.23. 3η Gleichung 6.23 ζ= ·μ 2εr · ε 0 13 Aussagekräftige Messungen lassen sich nur in einem Feldstärkebereich durchführen, in dem die Wanderungsgeschwindigkeit linear mit der Feldstärke anwächst. 14 Deswegen wird der Kehrwert von κ, welches durch Gleichung 6.21 bestimmt ist, auch als „inverse Debye-Länge“ oder „Debye-Hückel-Länge“ bezeichnet

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Bei den Gleichungen 6.22 und 6.23 ist der „Retardationseffekt“ berücksichtigt. Darunter versteht man den Einfluss der in die Gegenrichtung wandernden Ionen auf die Wanderungsgeschwindigkeit der Teilchen. Nicht berücksichtigt ist hingegen der ständige Auf- und Abbau des äußeren Teils der diffusen Ionenwolke („Relaxationseffekt“), was zur Folge hat, dass die beiden Gleichungen für Zetapotenziale bis ca. 25 mV anwendbar sind. Aus den Gleichungen 6.22 und 6.23 geht hervor, dass die Wanderungsgeschwindigkeit der Teilchen durch die Viskosität der flüssigen Phase gehemmt wird, während die beobachtete Wanderungsgeschwindigkeit direkt proportional zur Dielektrizitätskonstanten des Mediums ist. Bei gleichem Zetapotenzial würde ein Teilchen In Wasser (εr = 80) sechzehn Mal so schnell wandern, wie in Butylacetat (εr = 5). Aufgrund der geringen Wanderungsgeschwindigkeiten ist es in organischen Medien daher kaum möglich, mikroelektrophoretische Messungen durchzuführen. Aus Sicht des Autors hat das dazu geführt, dass die Bedeutung der elektrostatischen Stabilisierung in organischen Systemen im Allgemeinen unterschätzt wird. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch wegen der Einfachheit der Messungen werden heute vermehrt elektroakustische Methoden [27] zur Bestimmung von Wanderungsgeschwindigkeiten eingesetzt. Hierbei wird an Stelle eines Gleichspannungsfeldes ein elektrisches Wechselfeld mit einer Frequenz in der Größenordnung von einem Megahertz angelegt. Tragen die Pigmentpartikel eine elektrostatische Ladung, so oszillieren sie in dem elektrischen Wechselfeld und senden dabei Druckwellen aus. Die Amplitude Pmax der Druckwelle ist direkt proportional zur elektrophoretischen Hochfrequenzbeweglichkeit µW, dem Volumenbruch der Teilchen in der Lösung φ, der Schallgeschwindigkeit in der Lösung cS , der Dichtedifferenz zwischen den Teilchen und der flüssigen Phase ∆ρ und der elektrischen Feldstärke EW. Die Proportionalitätskonstante K wird durch eine Messung mit einer Eichlösung (z.B. Silicapartikel oder aber Salze) ermittelt. Gleichung 6.24

Pmax = K · cs · φ · ∆ρ · EW · μW

Eine der beiden Elektroden der Messzelle ist auf einem piezokeramischen Aufnehmer angebracht, so dass die Messung in Echtzeit erfolgt. Mit dieser Methode ist es nicht nur möglich, auch in organischen Systemen Zetapotenziale von Pigmenten zu bestimmen, sondern es lassen sich außerdem Adsorptionsisothermen ionischer Netz- und Dispergierhilfsmittel aufnehmen [28, 29]. Aus der Phasenverschiebung zwischen dem elektrischen Feld und dem Drucksignal lässt sich zudem die Teilchengrößenverteilung bestimmen.

6.4.5 Elektrostatische Abstoßungsenergie Nähern sich zwei Teilchen mit einer elektrostatischen Oberflächenladung einander, so überlagern sich die Potenzialkurven und es entsteht eine abstoßende

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Kraft, weil Ansammlungen gleichsinnig geladener Ionen aufeinander zu bewegt werden. Leider gibt es keine eindeutige, geschlossene Berechnung dieser Kraft oder der Arbeit, die bei der Annäherung der Teilchen aufgebracht werden muss. Der Grund hierfür ist, dass es zum einen unterschiedliche Ursachen für die Entstehung von Oberflächenladungen gibt (vergleiche Abschnitt 6.3.1). Je nach Art der Oberflächenladung gelten andere Zusammenhänge bzw. Randbedingungen. Zudem spielt die Höhe des Potenzials eine Rolle. Im Folgenden soll das Oberflächenpotenzial Ψ0 die Bedeutung eines nach außen wirksamen Potenzials eines Teilchens sein, so dass an Stelle von Ψ0 auch ΨS gemeint sein kann. Rührt die Oberflächenladung von adsorbierten Ionen her, so ist zu berücksichtigen, dass die Ionen im Umfeld der Teilchen („Ionenwolke“) beweglich sind und entsprechend ihrer Ladung von anderen Ionen an- oder abgestoßen werden. Bei der Annäherung zweier Teilchen, deren Oberflächen elektrostatisch aufgeladen sind, vergrößert sich zunächst einmal die Konzentration gleichsinnig geladener Ionen in dem Spalt zwischen den Teilchen. Die Potenzialkurven überlappen sich, so dass das die Oberflächenpotenziale der Teilchen ansteigen. Der Zusammenhang zwischen dem Oberflächenpotenzial Ψ0 (bzw. dem Sternpotenzial ΨS) und der Ladungsdichte σ 0 (=Zahl der Ladungen pro Oberflächeneinheit der Teilchen) ist nicht linear [30, 31], sondern, im Falle eines 1:1 Elektrolyten, gegeben durch [32]. Abbildung 6.14: Änderung der Ionenkonzentration in der elektrostatischen Doppelschicht zweier elektrostatisch geladener Teilchen bei der Annäherung

Gleichung 6.25 σ = 0



e·Ψ  2 · ε ε π · c · kT · sinh z ·2kT  r 0

0

In Gleichung 6.25 ist c die Konzentration der Ionen im diffusen Teil der Doppelschicht. Es lassen sich die beiden Fälle unterschieden, dass entweder die Oberflächenladungsdichte, oder aber das Oberflächenpotenzial während der Annäherung

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der Teilchen untereinander konstant bleibt. Die Abbildung 6.14 zeigt zwei elektrostatisch stabilisierte Teilchen, die sich einander nähern. Dabei durchdringen sich die elektrostatischen Doppelschichten, wodurch die Konzentration der Ionen c im Überlappungsbereich ansteigt. Nach Gleichung 6.22 führt dies zu einem Anstieg des Wertes des Wurzelausdrucks. Wenn das Oberflächenpotenzial bei der Annäherung der Teilchen konstant bleibt, muss die Oberflächenladungsdichte zunehmen. Im Fall, dass die Oberflächenladungsdichte konstant bleibt, muss nach Gleichung 6.25 das Oberflächenpotenzial abnehmen, was zu einer geringeren Abstoßungsenergie führt. Die Abstoßungsenergie zwischen gleichnamig geladenen Pigmentteilchen ist nicht einfach zu berechnen. Die mathematischen Ansätze führen zu Gleichungen, die nicht analytisch gelöst werden können. Je nach Umständen lassen sich aber Näherungslösungen angeben. Bei niedrigeren Oberflächenpotenzialen von bis zu 50 oder 60 mV ist die Abstoßungsenergie proportional zum Quadrat des Oberflächenpotenzials. Man unterscheidet die Fälle, dass das Produkt aus dem DebyeHückel-Parameter und dem Teilchenradius r entweder sehr viel größer, oder sehr viel kleiner als 1 ist. Der Fall κ · r >>1 tritt in wässrigen Systemen auf, wo die Ionenkonzentration höhere Werte einnehmen kann und κ demzufolge größer ist. Dann lässt sich die elektrostatische Abstoßungsenergie ausdrücken als 1 Gleichung 6.26 V = · ε ε · r · Ψ02 · ln(l + e –κd) el 2 r 0 Der Fall, dass κ · r 109,3°; χ < 0,5 b) Theta Zustand; C-C-C-Bindungswinkel > 109,3°; χ = 0,5 c) < Theta Zustand; C-C-C-Bindungswinkel > 109,3°; χ > 0,5

Bei einem Makromolekül in Lösung ist der Hohlraum durch Lösemittelmoleküle ausgefüllt. Ist die Wechselwirkung der Lösemittelmoleküle mit den einzelnen Segmenten (Monomereinheiten) des Polymers genauso groß wie die Wechselwirkung der Polymersegmente untereinander, so sind die Polymerketten „spannungsfrei“ in Lösung, d.h., innerhalb der Kohlenstoffkette haben alle C-C-C-Bindungen den Winkel 109,28° (Abbildung 6.19, mittleres Bild). In diesem Fall spricht man vom θ-(„Theta“) Zustand. Ist die Wechselwirkung der Polymersegmente mit dem Lösemittel stärker, so ist die Kette aufgeknäuelt. Der C-C-C-Bindungswinkel ist dann größer als der Tetraederwinkel und das Polymerknäuel beansprucht ein größeres Volumen (Abbildung 6.19, linkes Bild). Ist die Wechselwirkung des Polymeren mit dem Lösemittel hingegen geringer als mit sich selbst, so ziehen sich die Polymersegmete untereinander an und das Makromolekül nimmt einen geringeren Raum ein. Der C-C-C-Bindungswinkel ist kleiner als 109,28°. Dies ist im rechten Bild der Abbildung 6.19 dargestellt. Gibt man, ausgehend von dem Fall eines sehr guten Lösemittels (Abbildung 6.19. linkes Bild) ein thermodynamisch schlechteres Lösemittel zu der Lösung hinzu, so wird die Lösemittel-Polymer-Wechselwirkung geringer und die Polymerlösung wird in Richtung θ−Zustand hin verändert. Das Gleiche lässt sich prinzipiell auch durch eine Veränderung der Temperatur (meistens durch Temperaturerniedrigung) bewirken. Wenn der θ-Zustand erreicht ist, dann konkurriert die Wechselwirkung der Lösemittelmoleküle mit den Polymersegmenten mit der Wechselwirkung der Polymere untereinander. Unter θ-Bedingungen sind die Polymermoleküle gerade noch gelöst. Sobald aber Bedingungen erreicht werden, die schlechter sind, als der θ-Zustand, so überwiegt die Wechselwirkung der Polymersegmente untereinander. Makromoleküle, die sich aufgrund der Brown’schen Molekularbewegung in der Lösung treffen, koagulieren und fallen aus. Die Wechselwirkung zwischen Lösemitteln und Makromolekülen lässt sich mit Hilfe der Osmometrie bestimmen. Bei der Osmometrie wird die Lösung eines Polymeren

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durch eine Membran von dem reinen Lösemittel getrennt. Die Membran darf nur für die Lösemittelmoleküle durchlässig sein. Man nennt sie daher „semipermeabel“. Wenn die Lösemittelmoleküle mehr Wechselwirkung mit den Polymersegmenten eingehen, als untereinander, dann bildet sich ein „osmotischer Druck“ aus, der dazu führt, dass Abbildung 6.20: Prinzip der Osmometrie I: Kammer gefüllt mit reinem Lösemittel die Lösemittelmoleküle durch II: Kammer gefüllt mit Polymerlösung die semipermeable Membran ∆h: Höhendifferenz der Menisken nach Einstelhindurch in die Kammer fließt, lung des Gleichgewichts in der sich die Polymerlösung befindet15. Die Abbildung 6.20 zeigt das Prinzip. Der Massetransport führt zu einer Differenz der Flüssigkeitshöhen in den beiden Kammern, die einem hydrostatischen Druck Π entsprechen. Im Fall eines θ-Lösemittels gilt die van’t Hoff-Gleichung (6.31), wonach der Quotient aus Π und der Polymerkonzentration c zu Beginn der Messung umgekehrt proportional zum Zahlenmittel des Molekulargewichts Mn ist. Π 1 Gleichung 6.31 = RT · c Mn Misst man Π für verschiedene Polymerkonzentrationen und trägt Π/(cRT) gegen c auf, so erhält man eine Gerade mit der Steigung Null und dem Schnittpunkt mit der y-Achse bei 1/Mn. Wenn die Polymer-Lösemittelkombination nicht im θ-Zustand ist, dann ergibt sich entweder eine steigende (besser als θ-Zustand) oder fallende (schlechter als θ-Zustand) Gerade, oder aber eine gekrümmte Kurve. In dem Fall gilt die erweiterte van’t Hoff-Gleichung.  Π  1 + B · c + B3 ·c2 + ..... Gleichung 6.32 = RT c Mn 2  B2 und B3 werden zweiter bzw. dritter Virialkoeffizient genannt. Sie lassen sich durch eine Kurvenanpassung an gemessene Werte von Π/c bestimmen. Im Fall, dass B3 Null ist, entsteht beim Auftrag des reduzierten Drucks gegen die Polymerkonzentration eine Gerade mit der Steigung B2. Die Abbildung 6.21 zeigt die verschiedenen Möglichkeiten auf. Ein Beispiel für ein Theta-System ist Nitrocellulose bei Raumtemperatur in Nitrobenzol, während Methanol und Aceton 15 Bei der Osmometrie verhält sich das Polymer-Lösemittelsystem genau so wie bei dem beschriebenen Versuch der Zugabe eines Polymerblocks zu einem Lösemittel, nur dass die semipermeable Membran die beiden voneinander trennt.

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bei Raumtemperatur thermodynamisch sehr gute Lösemittel für Nitrocellulose sind und zu besseren als Theta-Zuständen führen. Nach der Flory-HugginsTheorie [44–49] hängt der zweite Virialkoeffizient von V1, dem Molvolumen des Lösemittels und V2, dem Molvolumen des Abbildung 6.21: Osmometrische Messkurven Polymers, sowie von ihrem Molekulargewicht und einem Wechselwirkungsparameter χ (Griechischer Buchstabe „Chi“) ab. χ wird der Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter genannt. Π  1 + v22  Gleichung 6.33 = RT · (0,5 – χ) · c + .....  c Mn V1 v2, das partielle spezifische Volumen des Polymeren, ist der Quotient aus dem Molvolumen und dem Molekulargewicht des Polymeren (v2 = V2 /Mn). Der Vergleich von Gleichung 6.33 mit der Gleichung 6.32 ergibt für den zweiten Virialkoeffizienten v 2 Gleichung 6.34 B2 = 2 (0,5 – χ) V1 Je kleiner der Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter ist, umso mehr Wechselwirkung findet zwischen den Lösemittelmolekülen und dem Polymer statt (siehe Abbildung 6.22). Ist χ 0,5 ist, dann wird das Vorzeichen des zweiten Virialkoeffizienten negativ. Das Polymer löst sich nicht in dem Lösemittel bzw. fällt aus der Lösung aus. Im Englischen wird der Wechselwirkungsparameter auch „solvent power“ genannt16. Der FloryHuggins-Wechselwirkungsparameter bestimmt entsprechend der Abbildung 6.22 auch die Konformation, d.h. die Gestalt und das hydrodynamische Volumen der Polymerknäuel. Die Löslichkeit von Polymeren in Lösemitteln ist auch von der Temperatur abhängig, was aus der Gleichung 6.33 allerdings nicht hervorgeht. Gewöhnlich steigt die Löslich16 In gewisser Weise sind beide Bezeichnungen leider irreführend, weil die Wechselwirkung zwischen Polymer und Lösemittel dann größer wird, wenn der Zahlenwert des Wechselwirkungsparameters abnimmt.

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keit mit zunehmender Temperatur an. Flory und Krigbaum [50] erweiterten die Flory-Huggins-Theorie der Löslichkeit von Polymeren um diesen Aspekt, indem sie den Wechselwirkungsparameter χ als Summe aus einem enthalpischen (Index H) und einem entropischen (Index S) Beitrag (χH und χS auffassen, wobei der enthalpische Beitrag temperaturabhängig ist. Gleichung 6.35

χ = χ S + χH

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Abbildung 6.22: Zusammenhang zwischen dem Quellverhalten von Lösemitteln und deren Lösevermögen

Sie betrachten den Fall, dass sich zwei gelöste Polymermoleküle (Index l und m) in der Lösung treffen und sich gegenseitig durchdringen. Die Abbildung 6.23 zeigt das zu Grunde liegende Modell. Um die Änderungen der Enthalpie ∂∆H und der Entropie ∂∆S zu beschreiben, führten sie einen Entropieparameter Ψ1 und einen Enthalpieparameter κ1 ein. Gleichung 6.36 v ∂∆S = –2kT · Ψ1 · 2 · ρl ρm · ∂V V1 2

Abbildung 6.23: Überlappungsvolumen bei der gegenseitigen Durchdringung zweier gelöster Polymermoleküle

v2 Gleichung 6.37 ∂∆H = –2kT · κ1 · 2 · ρl ρm · ∂V V1 In den Gleichungen 6.36 und 6.37 sind ρl und ρm die Polymersegmentdichten der Polymere in dem Überlappungsvolumen ∂V. Wegen der negativen Vorzeichen in den Gleichungen 6.36 und 6.37 korrelieren negative Werte des Entropieparameters und des Enthalpieparameters mit einer Zunahme an Entropie bzw. Enthalpie bei der Durchdringung der Polymerknäuel. Nach Flory und Krigbaum gilt: Gleichung 6.38

 θ  (0,5 – χ) ≡ (0,5 – χS – χH) ≡ Ψ1 – κ1 ≡ Ψ1 1 –  T 

wobei Ψ1 = 0,5 - χS und κ1 = χS.

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Einsetzen von Ψ1 (1 - θ/T) an Stelle von (0,5 - χS) in Gleichung 6.30 ergibt Π  1 v22  θ   Gleichung 6.39 = RT + ·Ψ · 1– · c + ..... c Mn V1 1  T   In Gleichung 6.39 ist θ ist die Temperatur, bei dem der Theta-Zustand erreicht wird. Man spricht daher auch von der Theta-Temperatur. Aus Gleichung 6.38 (durch Vergleich des ersten und letzten Terms) ist ersichtlich, dass θ = T wenn χ = 0,5 ist. Beide Seiten der Gleichung werden dann zu Null. Der Entropieparameter lässt sich durch osmometrische Messungen bei unterschiedlichen Temperaturen bestimmen, wenn die Theta-Temperatur bekannt ist, bzw. ebenfalls bestimmt wird. Dazu trägt man den Wert des zweiten Virialkoeffizienten gegen die Temperatur auf und extrapoliert gegen den Wert B2 von Null. Die zugehörige Temperatur ist θ. Anschließend lässt sich der Entropieparameter aus der Steigung einer Π/c gegen c-Geraden bestimmen. Aus dem dritten und vierten Term der Gleichung lässt sich dann auch der Enthalpieparameter κ1 ausrechnen κ1 = Ψ1 · θ/T. Die Bedeutung der Flory-Huggins- und der Flory-Krigbaum-Theorie liegen darin, dass sie eine in sich schlüssige Beschreibung der Einflussgrößen auf die Löslichkeit von Polymeren bieten und dass die Einflussgrößen sich durch osmometrische Messungen erschließen lassen. Darüber hinaus vermögen diese Theorien die flockungsstabilisierende Wirkung adsorbierter Makromoleküle auf Pigmentteilchen erklären, wie bereits im Abschnitt 6.5 angedeutet wurde und im folgenden Abschnitt ausgeführt wird.

6.5.2 Makromoleküle an Pigmentoberflächen Die Voraussetzung für eine sterische Stabilisierung von Pigmenten und Füllstoffen in Polymerlösungen ist zunächst, dass Polymermoleküle an die Oberfläche der Teilchen gehen. Dabei gilt grundsätzlich, dass die Teile eines Makromoleküls, welche die schlechteste Löslichkeit in der Lösung haben, am stärksten adsorbiert werden. Dieser Umstand bildet bekanntlich die Grundlage für alle flüssigchromatographischen Verfahren und ist von daher bekannt. Ausnahmen dazu gibt es in den Fällen, in denen die gelösten Makromoleküle an der Feststoffoberfläche chemisorbieren können. In dem Fall wird eine möglicherweise gute Löslichkeit eines Moleküls durch die Reaktionswärme bei der Reaktion mit der Feststoffoberfläche überkompensiert. Chemisorption tritt beispielsweise bei der Adsorption von Molekülen mit Carbonsäure-Gruppen (-COOH) an Titandioxid-Pigmenten auf. Phosphate chemisorbieren ebenso an Aluminiumoxid-Oberflächen wie an Titandioxid. Wenn ein gelöstes, lineares Polymermolekül an eine Pigmentoberfläche stößt, dann können einzelne Polymersegmente adsorbieren. Weil das Polymer in

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Lösung seine Konformation ständig ändert, gelangen sukzessive auch andere Teile des Makromoleküls an die Pigmentoberfläche. Im Laufe der Zeit (Sekunden bis Stunden) hat sich die Konformation der Polymeren dahingehend geändert, wie die Abbildung 6.24 schematisch zeigt. Neben Zügen (englisch: trains), mit denen die Polymere über „Haftgruppen“ an der Pigmentoberfläche verankert sind, ragen Schlaufen (englisch: loops) und Enden (englisch: tails) in die Lösung Abbildung 6.24: Konformation adsorbierte, hinein. Ein verzweigtes oder lineare Polymere an Pigmentoberflächen vernetztes Makromolekül, welches die Freiheiten zur Umorientierung nicht oder weniger ausgeprägt hat, wird entsprechend seiner eingeschränkten Möglichkeiten die Konformation weniger ändern. Das Modell der Adsorption wie in Abbildung 6.24 gezeigt, stammt ursprünglich von Jenckel und Rumbach [51], die eine Adsorption in Form von „Schlaufen und Borsten“ postulierten. Die Stimmigkeit dieses Konzepts wurde durch viele Studien bestätigt, u.a. durch IR-spektroskopische Untersuchungen [52, 53]. Im Allgemeinen sind adsorbierte Polymermoleküle einigermaßen desorptionsstabil. Um von der Pigmentoberfläche wegzukommen, müssen sich alle Haftgruppen in den Zügen lösen. Dies wird unwahrscheinlicher, je größer das Molekulargewicht ist. Deswegen kommen viele Autoren experimentell zu dem Ergebnis, dass im Gleichgewicht die Polymeren mit dem höheren Molekulargewicht bevorzugt adsorbieren [54–58]. Die Änderungen der Molekulargewichtsverteilungen vor und nach der Adsorption lassen sich beispielsweise gelpermeationschromatographisch leicht bestimmen. Die Abbildung 6.24 soll auch zeigen, dass sich die Segmentdichteverteilung des adsorbierten Polymermoleküls mit zunehmendem Abstand von der Pigmentoberfläche verändert. Die höchste Segmentdichte ist direkt an der Pigmentoberfläche und fällt bis zu einem Wert von Null in der Entfernung, wo die Polymerschlaufen aufhören. Nach Fischer [39] und Napper [40–42] lässt sich die flockungsstabilisierende Wirkung adsorbierter Polymerer analog zur Flory-Huggins-Theorie der Löslichkeit von Polymeren durch die Aufkonzentrierung von adsorbierten Bindemittelmolekülen beim Flocken erklären. In der Abbildung 6.25 sind Ausschnitte

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zweier Pigmentoberflächen schematisch dargestellt, an denen jeweils Polymere adsorbiert sind. Wenn sich die beiden Partikel einander nähern, so durchdringen sich die die Adsorptionsschichten, so dass die Polymerkonzentration in dem Überlappungsbereich steigt. Die gesamte Abstoßungsenergie VR ergibt sich dann dadurch, dass die Abstoßungsenergien aller Polymermoleküle aufsummiert werden, die sich bei der Flockung überlappen.

Abbildung 6.25: Erhöhung der Polymerkonzentration bei der Annäherung zweier Pigmentoberflächen mit adsorbierten Polymeren und dessen Einfluss auf die Abstoßungsenergie

Das Überlappungsintegral S a der Polymermoleküle, wenn die Teilchen in einem Abstand a voneinander getrennt sind, ist Gleichung 6.40 S a = ∫ ρi · ρk · dV V

Die Überlappung führt zu einem osmotischen Druck des Lösemittels, so dass es in diesen höher konzentrierten Bereich einfließt, was eine Separierung der Teilchen untereinander zur Folge hat. Die Abstoßungsenergie ist daher v2 Gleichung 6.41 VR = 2kT · 2 · (0,5 – χ) · S a V1 bzw. gemäß der Gleichung 6.35 v2  θ  Gleichung 6.42 VR = 2kT · 2 · Ψ1 1 – · S a V1  T  Für zwei kugelförmige Pigmentpartikel mit dem Radius r und einer adsorbierten Polymerschicht der Dicke d mit einer Polymersegmentdichte von ρl = ρm = ρ wird das Überlappungsintegral (Gleichung 6.40) zu [39] 2 2  a   a  3r + 2d + Gleichung 6.43 S a = ρ2 · π · d – 3  2   2 

Durch Einsetzen von Gleichung 6.43 in 6.41 bzw. 6.42 ergeben sich handhabbare Ausdrücke für die Abstoßungsenergie der sterischen Stabilisierung von Pigmentpartikeln.

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4 v2  a  3r + 2d + a  Gleichung 6.44 VR = π · kT · 2 (0,5 – χ) · ρ2 · d – 3 V1  2   2  2

beziehungsweise 4  θ   a  3r +2d + a  Gleichung 6.45 V = π · kT · Ψ1 1 – · ρ2 · d – R 3  T   2   2  2

Wie schon im Falle der elektrostatischen Stabilisierung ist es kaum möglich, quantitative Vorhersagen über die Stabilisierung von Pigmentpartikeln durch sterische Mechanismen zu treffen. Eine grundlegende Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Polymermoleküle an die Pigmentoberflächen adsorbieren. Damit dies eintritt, darf deren Löslichkeit nicht allzu gut sein. Außerdem soll der Bedeckungsgrad 100 % sein, d.h., die gesamte Pigmentoberfläche soll geschützt sein. Was die Adsorptionsschicht betrifft, zeigen die Gleichungen 6.44 und 6.45 einige grundlegende Zusammenhänge auf. Eine Abstoßung findet nur dann statt, wenn der Entropieparameter ψ1 ein positives Vorzeichen hat, bzw. wenn der Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter χ kleiner als 0,5 ist. Ein positives ψ1 bedeutet, dass die Entropie bei der Flockung abnimmt. In dem Fall nimmt die Abstoßungsenergie in einem gegebenen Abstand mit steigender Temperatur zu. Ist ψ1 jedoch negativ, so wird die Flockung begünstigt. Je größer die Segmentdichte der Polymere in der Adsorptionsschicht ist, umso höher ist die Abstoßungsenergie, sofern ψ1 positiv ist bzw. χ kleiner als 0,5 ist. Je stärker, d.h. je ausgedehnter die Adsorptionsschichtdicke ist, umso früher setzt die abstoßende Wirkung ein. Je größer die Teilchen sind, umso größer ist das Überlappungsvolumen bei der Annäherung der Teilchen und umso stärker ist die Abstoßung (siehe Abbildung 6.26). Ohne Lösemittel kann keine entropische Stabilisierung stattfinden. Die letzte Aussage ist in gewisser Weise trivial, aber folgenschwer. Sie gibt die Erklärung dafür, warum die Pigmentwirksamkeit, beispielsweise das Färbevermögen von Buntpigmenten oder das Aufhellvermögen von Weißpigmenten, in Pulverlacken oder auch in ther-

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Abbildung 6.26: Überlappungsintegral S a (Gleichung 6.43) zweier Teilchen mit Durchmessern von 50 nm bzw. 150 nm und einer adsorbierten Polymerschicht von 10 nm Dicke

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182

Flockungsstabilisierung

moplastischen Kunststoffen in der Regel sehr viel schlechter ist als in löslichen Lackharzen. Sie erklärt beispielsweise auch, weswegen Oberflächenbehandlungen von Pigmenten für Kunststoffe mit Polydimethylsiloxanen vorteilhaft sind. Diese Oberflächenbehandlungen verringern einerseits die mechanischen Festigkeiten der Pigmente, verhindern andererseits die Adsorption sterisch stabilisierender Polymerer. Weil jedoch eine Flockungsstabilisierung wegen des Fehlens von Lösemitteln gar nicht einsetzen kann, bleibt in diesen Systemen im Endeffekt nur der Vorteil einer leichteren Zerteilbarkeit der Agglomerate. Eine weitere Eigenschaft von Polymerlösungen, die stark vom zweiten Virialkoeffizienten abhängt, ist das Fließverhalten von Lacken. Aus ökologischen und auch aus wirtschaftlichen Gründen wird man stets bemüht sein, den Festkörpergehalt (= Gehalt an nichtflüchtigen Anteilen) von Beschichtungen möglichst hoch zu halten. Deswegen werden z.B. „medium solids“ und „high solids“ (= festkörperreiche Lackbindemittel) entwickelt. Die Fließfähigkeit solcher Systeme wird dadurch gewährleistet, dass einerseits niedrige Molekulargewichte realisiert werden, andererseits thermodynamisch schlechte Lösemittel eingesetzt werden, damit das hydrodynamische Volumen der gelösten Makromoleküle möglichst gering ist. Beide Maßnahmen führen zu weniger Fließwiderstand und damit geringerer Viskosität bei höherem Festkörpergehalt. Für die Pigmentstabilisierung sind dies jedoch keine guten Voraussetzungen, weil zwar genügend Bindemittel an die Oberfläche adsorbiert, aber die Adsorptionsschichtdicken klein sind und, wegen großer χ-Werte, die Adsorptionsschichten komprimiert sind. Deswegen ist der osmotische Druck bei der Flockung nicht hoch. Das führt zu den in diesen Systemen bekannten Pigmentstabilisierungsproblemen. Bei einem Vergleich verschiedener medium und high solid Bindemittel mit Molekulargewichten bis runter zu 1000 Dalton und zweite Virialkoeffizienten bis hinunter zu 10 -4 mol · cm3/g wurde theoriekonform gefunden, dass mit abnehmendem Molekulargewicht und fallendem zweiten Virialkoeffizienten die Pigmentstabilisierung schlechter wird [59]. Meistens helfen in diesen Fällen nur hochmolekulare Dispergieradditive. Gute Dispergieradditive zur sterischen Stabilisierung besitzen einerseits schwerlösliche Segmente, die als Haftgruppen („Ankergruppen“) dienen, andererseits auch Bestandteile, die relativ viel Wechselwirkung mit organischen Lösemitteln eingehen. Die ersten Gruppen bilden vorwiegend die Züge, während die zweiten als Schlaufen und Enden in die Lösung hineinragen (siehe Abbildung 6.24) und die Stabilisierung bewirken. Die Molekülarchitektur ist sehr vielseitig und beschränkt sich keineswegs nur auf lineare Copolymere bzw. Block-Copolymere. Viele solcher Produkte sind kammartig aufgebaut mit einem pigmentaffinen Rückgrat und einer stabilisierenden Seitenkette. In der Regel ist bei Verbundwerkstoffen eine gute Verteilung der Pigmentpartikel erwünscht. Eine Ausnahme bilden Beschichtungen, die mit antistatischen Pigmenten ausgerüstet sind. Beispiele hierfür sind Beschichtungen für Kunststoffteile, die

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Lösemittelparameter

183

anschließend weitere, elektrostatisch applizierte Lackschichten bekommen oder auch Fußbodenbeschichtungen für ex-geschützte Räumlichkeiten. In diesen Systemen müssen die Antistatik-Pigmente sich im gehärteten Lack berühren, damit elektrostatische Ladungen abfließen können. Die dafür notwendige Pigmentvolumenkonzentration wird die „Perkolations-PVK“ genannt. Für den Fall entropischer Pigmentstabilisierung lässt sich mit Hilfe thermodynamisch schlechter Lösemittel eine Pigmentflockung herbeiführen. Dabei entstehen Bereiche, die stark an Pigment verarmt sind sowie weitere mit netz- und bandartigen Pigmentansammlungen, die als Leiterbahnen dienen. Die PVK an teuren Antistatik-Pigmenten lässt sich auf diese Weise um bis zu ca. 40 % herabsetzen [60]. Der beschriebene Fall zeigt auch, wie theoretisches Wissen gezielt nutzbringend angewendet werden kann. Die sterische Stabilisierung von Pigmenten und Füllstoffen kann sowohl in lösemittelbasierenden als auch in wässrigen Systemen erfolgen. Sie ist, im Gegensatz zur elektrostatischen Stabilisierung, unabhängig von der Ionenstärke in der Lösung. Bei der Adsorption von polymeren Salzen wie Polyacrylaten erfolgt die Pigmentstabilisierung sowohl aufgrund der elektrostatischen Abstoßung als auch durch einen sterischen Mechanismus.

6.6

Lösemittelparameter

Der Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter beschreibt das Lösevermögen von Lösemitteln jeweils für ein bestimmtes Polymer. Ein anderer Ansatz besteht darin, den Lösemitteln Maßzahlen für ihr Löseverhalten zuzuordnen, den so genannten „Lösemittelparametern“. Lösevorgänge lassen sich als Mischvorgänge auffassen. Auch für das Mischen lässt sich die Gibbs-Gleichung aufstellen, wonach die freie Energie ∆Gm der Mischung von der Mischungsenthalpie ∆Hm und einer Mischungsentropie ∆Sm abhängt. Gleichung 6.46

∆Gm = ∆Hm – T∆S m

Die Mischung zweier Substanzen findet dann statt, wenn die freie Mischungsenergie negativ ist. Weil die Entropie bei Mischvorgängen generell zunimmt, begünstigt der Entropieterm das Mischen. Folglich hängt es wesentlich von der Mischungsenthalpie ab, ob eine Durchmischung stattfindet, oder nicht. Wird bei der Mischung Wärme frei, handelt es sich um einen exothermen Vorgang, so begünstigt auch die Mischungsenthalpie die Durchmischung. Bei endothermen Mischungsenthalpien kann die Mischung ausbleiben, bzw. sie läuft nur ab, wenn Wärme zugeführt wird. Beim Mischen zweier Flüssigkeiten A und B werden die Wechselwirkungsenergien EA-A und E B-B der reinen Flüssigkeitsmoleküle gegen die Wechselwirkungsenergie EA-B der Molekülsorten miteinander ausgetauscht.

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EA–A + E B–B → 2EA–B

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184

Flockungsstabilisierung

Sofern EA-A sehr viel größer oder sehr viel kleiner ist als EB-B, wird die Durchmischung nicht stattfinden. Im ersten Fall muss zu viel Energie aufgebracht werden, um die Wechselwirkungen der Molekülsorte A zu überwinden. Im zweiten Fall behindert die Wechselwirkungsenergie der Molekülsorte B eine Durchmischung. Diese einfache Betrachtung erklärt den Satz der mittelalterlichen Alchemisten, dass „Ähnliches von Ähnlichem gelöst wird“ (Lateinisch: Similia similibus solvuntur.). Ein Maß für die Wechselwirkungsenergie von Substanzen ist ihre Verdampfungsenthalpie ∆HVerd. Bei der Verdampfung von Flüssigkeiten wird ein Teil der Verdampfungsenthalpie gebraucht, um die Moleküle voneinander zu separieren. Dieser Anteil ist die Verdampfungsenergie ∆EVerd. Ein anderer Teil wird benötigt, um Volumenarbeit zu leisten, d.h., die Moleküle im Raum zu verteilen. Die Volumenarbeit ist das Produkt aus dem Druck P und dem Volumen V, was nach dem idealen Gasgesetz das Produkt aus der allgemeinen Gaskonstanten R und der absoluten Temperatur T in Grad Kelvin ist (Gleichung 6.47 gilt für ein Mol eines Gases). Gleichung 6.47

P·V=R·T

Also ist Gleichung 6.48

∆HVerd = ∆EVerd + RT

oder Gleichung 6.49

∆EVerd = ∆HVerd – RT

Bezieht man der Verdampfungenergie auf das Volumen V der Flüssigkeit, so gelangt man zu der volumenbezogenen Verdampfungsenergie, auch „kohäsive Energiedichte“ genannt. Die Wurzel aus der kohäsiven Energiedichte schließlich wird „Lösemittelparameter“ δ genannt. Der Lösemittelparameter einer Flüssigkeit ist also ∆HVerd – RT  ∆EVerd  = Gleichung 6.50 δ=  V   V  1/2

1/2

δ wird „Hildebrand’scher Lösemittelparameter“ genannt. Handhabbare Zahlenwerte ergeben sich, wenn man die Lösemittelparameter in der Einheit (J/cm3)1/2 angibt17. Nach Hildebrand und Scott [61] sowie Scatchard [62] ist die Mischungsenthalpie für zwei Flüssigkeiten 1 und 2 mit dem Gesamtvolumen V gegeben durch: Gleichung 6.51

∆Hm = V(δ1 – δ2)2 · ϕ1ϕ2

wobei ϕ1 und ϕ2 die Volumenanteile der beiden Flüssigkeiten ist. Der Term ϕ1 · ϕ2 ist in der Abbildung 6.27 dargestellt. Er ist Null, wenn ϕ1 oder ϕ2 Null ist und 17 (J/cm3 )1/2 = 106 (J/m3 )1/2 = 0,4887 (cal/cm3 )1/2 =(MPa)1/2. In der älteren Literatur sind Lösemittelparameter in den Einheiten (cal/cm3 )1/2 angegeben.

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Lösemittelparameter

185

hat ein Maximum von 0,25 bei ϕ1 = ϕ2 . (δ1 – δ2)2 ist eine nach oben geöffnete Parabel mit dem Wert Null im Minimum bei δ1 – δ 2 = 0. In der Regel sind zwei Flüssigkeiten dann noch gut miteinander mischbar, wenn die Differenz ihrer Wechselwirkungsparameter ∆δ ≤ 4 – 6 (J/cm3)1/2 ist. Der Hildebrand’sche Lösemit- Abbildung 6.27: Auftragung des Produkts aus telparameter δ ist für Moleküle, zwei Volumenbrüchen gegen den Volumenbruch die nur dispersive Wechsel- der Substanz 1. ϕ1 + ϕ2 = 1 wirkungen eingehen, ein gutes Maß für die Mischbarkeit. Wenn allerdings polare Wechselwirkungen und Wasserstoffbrückenbindungen als Wechselwirkungsarten hinzukommen, so reicht der Hildebrand’sche Lösemittelparameter als alleiniges Kriterium nicht mehr aus. Es wurden verschiedene Vorschläge gemacht, um auch polare Wechselwirkungen zu berücksichtigen. Eine davon stammt von Hansen [63–65], der den Wechselwirkungsparameter in verschiedene Anteile von dispersiver Wechselwirkung (Index d), DipolDipol (Index p) und Wasserstoffbrücken (Index h) aufteilte, und zwar so, dass Gleichung 6. 52

δ2 = δd2 + δp2 + δh2

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die einzelnen Komponenten zu bestimmen, Hansen nutzte nach [66] die Verdampfungsenthalpien „homomorpher“ Moleküle, welche nur dispersive Wechselwirkungen eingehen, für die Bestimmung von δd. Homomorph bezeichnet ein, mit Ausnahme der polaren Struktureinheit, gleich aufgebautes Molekül. Das Homomorph beispielsweise von Butanol wäre Butan. Die Differenz zwischen dem Quadrat des Hildebrand`schen Lösemittelparameters und dem Quadrat des dispersiven Anteils des Lösemittelparameters gibt den polaren Anteil des Lösemittelparameters δa. Gleichung 6.53

δa2 = δ2 – δd2 = δp2 + δh2

Hansen hat durch recht aufwändige Löseversuche von Polymeren in einer Vielzahl von Lösemitteln auf halbempirische Weise δa in die beiden Einzelbeiträge aufgespalten. Später hat er die Parameter durch Berechnungen verfeinert und verschiedene Korrekturen für bestimmte funktionelle Gruppen in den Lösemittelmolekülen berücksichtigt. Es existieren eine Reihe von halbempirischen Beziehungen zwischen den dreidimensionalen Lösemittelparametern und anderen Größen. Der dispersive Anteil δd lässt sich nach [67–68] auch aus der Brechzahl nD der Flüssigkeiten bestimmen.

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186

Gleichung 6.54

Flockungsstabilisierung

δd = 9,5 · nD – 5,55

Für den polaren Anteil haben Hansen und Skaarup [65] eine Beziehung von Böttcher [69] herangezogen, in die das Dipolmoment µ, die (statische) relative Dielek­ trizitätskonstante εr und das Molvolumen Vm eingeht. Gleichung 6.55 δ 2= p

50694 εr – 1 · · (nD2 + 2) µ2 Vm2 2εr + nD2

δP geht bei dieser Berechnung mit der Einheit (J/cm3)1/2 hervor. Eine einfachere Formel, die ebenfalls verlässliche Ergebnisse generieren soll [70] stammt von Beerbower [71]. µ Gleichung 6.56 δ 2 = 9,5 · √Vm p Zur Abschätzung des Wasserstoffbrückenbindungsanteils eines Moleküls mit N OH-Gruppen schlugen Hansen und Skaarup [65] die Beziehung



20934 · N Gleichung 6.57 δ = h Vm vor. Auch hierbei wird δh mit der Einheit (J/cm3)1/2 erhalten. Die Gleichung 6.52 stellt dar, dass sich der Hildebrand’sche Lösemittelparameter als ein Vektor der Länge δ im dreidimensionalem Raum vorstellen lässt, der von den senkrecht aufeinander stehenden (orthogonalen) Vektoren δd, δp und δh aufgespannt wird. Dies ist in der Abbildung 6.28 bildlich dargestellt. Um miteinander mischbar zu sein, genügt es nicht, dass die Hildebrand’schen Lösemittelparameter zweier Flüssigkeiten annähernd gleich sind (d.h. gleiche Länge das Vektors δ), sondern auch die Einzelbeiträge sollten ähnlich sein. Im Lösemittelparameterraum sollten die Vektoren also nahe beieinander liegen.

Abbildung 6.28: Dreidimensionale Darstellung der Lösemittelparameter nach Hansen

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In ihren Experimenten zur Löslichkeit von Polymeren fanden Hansen und Skaarup, dass die Lösemittel die Polymere dann lösten, wenn der Abstand der Vektoren eine bestimmte Größe nicht überschreitet. Außerdem stellten sie fest, dass sich die Löslichkeitsgrenze als kugelförmiger

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Lösemittelparameter

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Raum darstellen lässt, wenn die δd-Achse in doppelt so großem Maßstab, wie δh und δp aufgetragen wird. Die Löslichkeitsgrenze ist dann durch den Radius R0 der Kugel bestimmt, deren Mittelpunkt durch die Lösemittelparameter des Polymers gegeben ist (siehe Abbildung 6.28). Bei der Löslichkeitsgrenze ist die freie Mischungsenergie ∆Gm Null. Wenn ∆δd, ∆δp und ∆δh die Differenzen der Lösemittelparameter zwischen Polymer und Lösemittel sind, dann ist deren Abstand R im Lösemittelparameterraum Gleichung 6.58

R = √4 · ∆δd2 + ∆δp2 + ∆δh2

Nach dem oben Gesagten wird das Polymer gelöst, wenn R < R0 ist. Von großer Bedeutung ist, dass sich bei Mischungen die Einzelkomponenten der Lösemittelparameter nach dem Schwerpunktssatz zusammensetzen. Der wirksame Lösemittelparameter errechnet sich aus der Summe der Produkte der Volumenbrüche der Lösemittel mit ihren Einzellösemittelparameterbeiträgen. Gleichung 6.59 (1)

δd = ∑ δd,i · ϕi

Gleichung 6.59 (2)

δp = ∑ δp,i · ϕi

Gleichung 6.59 (3)

δh = ∑ δh,i · ϕi

i

i

i

Dies hat zur Folge, dass beispielsweise zwei Lösemittel, die jeweils außerhalb der Löslichkeitskugel liegen, aber deren Verbindungslinie durch die Löslichkeitskugel geht, zusammen ein Lösemittelgemisch ergeben, in dem sich das Polymer löst. Mit Hilfe dieser Regel lassen sich die Lösemittelparameter von Polymeren durch Löseversuche in Lösemitteln mit bekannten Lösemittelparametern bestimmen. Eine weitere Methode besteht in der Anwendung inverser Gaschromatographie [72, 73]. Auf diese Methode soll hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Sind die Lösemittelparameter eines Bindemittels bekannt, so lässt sich durch eine geeignete Lösemittelauswahl seine pigmentstabilisierende Wirkung gezielt einstellen. Durch Zugabe von Lösemitteln, die außerhalb der Löslichkeitskugel liegen, wird die Adsorption der Polymere an die Pigmentoberfläche erhöht. Dabei ist irrelevant, in welche Richtung man sich bewegt, ob zu weniger disperser, weniger polarer oder weniger Wechselwirkung durch Wasserstoffbrückenbindung. Durch die Zugabe von Lösemitteln, die die Löslichkeit verbessern, wird die Adsorptionsschicht stärker aufgeknäult. Auf die Anwendungen dieser Konzepte wurde in Kapitel 6.5.2 hingewiesen. Die Tabellen 6.1 und 6.2 zeigen die Löslichkeitsparameter einiger Lösemittel und Bindemittel. Häufig flocken Pigmente erst während der Ablüftphase der applizierten Beschichtungen. Je nach Verdunstungszahlen18 der unterschiedlichen eingesetzten Lösemittel verändert sich während des Ablüftens nicht nur die insgesamt in der 18 Die Verdunstungszahl sagt aus, wie viel länger ein Lösemittel benötigt, um sich bei Raumtemperatur und Normaldruck zu verflüchtigen, als Diethylether. DIN 53170.

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188

Flockungsstabilisierung

Beschichtung enthaltenden Lösemittelmenge, sondern auch deren Zusammensetzung. Wenn zu einem Zeitpunkt, in dem die Pigmente noch in Bewegung sind, weniger thermodynamisch gute Lösemittel vorliegen, dann versagt der sterische Stabilisierungsmechanismus. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Hildebrand’schen Lösemittelparametern δ und dem enthalpischen Teil des Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameters χH (siehe Gleichung 6.35.) [74]. Im Fall, dass die Löslichkeitsparameter von Polymer und Lösemittel (Index 1) ähnlich sind, ist V Gleichung 6.60 χ = 1 · (δ1 – δ2)2 H RT Der entropische Term des Wechselwirkungsparameters χS liegt üblicherweise zwischen 0,3 und 0,4. Häufig wird ein Wert von 0,34 angenommen. Dann ist der Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter χ. V Gleichung 6.61 χ = 0,34 + 1 (δ1 – δ2)2 RT Tabelle 6.1: Löslichkeitsparameter einiger Lösemittel nach Hansen [Shell Chemie Broschüre „Löslichkeitsparameter“, LA-08] Lösemittelklasse

Verbindung

δd

δp

δh

Aliphatische Kohlenwasserstoffe

n-Hexan

7,3

0,0

0,0

Cyclohexan

8,2

0,0

0,0

Toluol

8,8

0,7

1,0

Aromatische Kohlenwasserstoffe

Ketone

Ester

Alkohole

Glycolether

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o-Xylol

8,7

0,5

1,5

Ethylbenzol

8,7

0,3

0,7

Methylethylketon

7,8

4,4

2,5

Methylisobutylketon

7,5

3,0

2,0

Isophoron

8,1

4,0

3,6

Ethylacetat

7,7

2,6

3,5

n-Butylacetat

7,7

1,8

3,1

Ethylglycolacetat

7,8

2,3

5,2

Ethanol

7,7

4,3

9,5

iso-Propanol

7,7

3,0

8,0

n-Butanol

7,8

2,8

7,7

Ethylglycol

7,9

4,5

7,0

Butylglycol

7,8

2,5

6,0

Butyldiglykol

7,8

3,4

5,2

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189

Adsorption von Polymeren an Pigmentoberflächen

Tabelle 6.2: Löslichkeitsparameter und Löslichkeitsgrenzen R A0 einiger handelsüblicher Lackbindemittel [Shell Chemie Broschüre „Löslickeitsparameter“, LA-08] Polymertype

Handelsname

Hersteller

δd

δp

δh

RAo

Polymethylmethacrylat

Elvacite 2042

Lucite

8,60

4,72

1,94

4,20

Epoxidharz

Epicote 1001

Shell Chemie

9,95

5,88

5,61

6,00

Langöliges Alkydharz

Plexal P65

Polyplex

9,98

1,68

2,23

6,70

Kurzöliges Alkydharz

Plexal C 34

Polyplex

9,04

4,50

2,40

5,20

Polyvinylacetat

Mowilith 50

Celanese

10,23

5,51

4,72

6,70

Celluloseacetat

Cellidora A

Bayer

9,08

6,22

5,38

3,70

Gesättigte Polyester

Desmophen 850

Bayer

10,53

7,30

6,00

8,20

Hexamethoxymethylmelamin

Cymel 300

Cytec

9,95

4,17

5,20

7,20

Sind auch polare Wechselwirkungen und Wasserstoffbrückenbindungen zu berücksichtigen, so lässt sich χ nach Gleichung 6.62 berechnen. V Gleichung 6.62 χ = 0,34 + 1 (δd,1 – δd,2)2 + (δp,1 – δp,2)2 + (δh,1 – δh,2)2 RT  

6.7 Adsorption von Polymeren an Pigmentoberflächen Zur Beschreibung der Adsorption von Molekülen an Feststoffoberflächen werden üblicherweise „Adsorptionsisothermen“ verwendet. Bei Adsorptionsisothermen handelt es sich um den graphischen Auftrag der adsorbierten Menge eines Adsorbats an ein Adsorbens als Funktion der Ausgangskonzentration oder, bei Gasen, des Partialdrucks des Adsorbats. Von „Isothermen“ spricht man, weil die Messwerte für diesen Auftrag bei einer konstanten Temperatur erfasst werden. Bekannte Arten von Adsorptionsisothermen sind die nach Henry, Langmuir, Freundlich sowie auch die Adsorptionsisotherme nach Brunauer, Emmet und Teller (BET). Diese Adsorptionsisothermen beschreiben die Adsorption jeweils einer Molekülsorte an eine Feststoffoberfläche. Die Adsorption von Polymermolekülen aus einer Lösung an eine Pigmentoberfläche ist insofern anders, als dass mindestens zwei verschiedene Molekülsorten, ein Lösemittel und ein Polymer,

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190

Flockungsstabilisierung

Abbildung 6.29: Konkurrenzadsorptionsisotherme

um die Adsorptionsstellen konkurrieren. Deswegen spricht man von einer Konkurrenzadsorption. Eine andere Art der Betrachtung ist, dass man sich ein gelöstes Polymermolekül als ein Gebilde vorstellt, welches eine gewisse Menge an Lösemittel an sich gebunden hat, die es „mit sich bringt“.

Zur Aufnahme von Konkurrenzadsorptionsisothermen geht man so vor, dass man eine Polymerlösung der Konzentration c1 (in g Polymer pro 100 g Lösung) in einem Gewichtsverhältnis M1 (in g Bindemittellösung zu g Pigment) mit dem Pigment zusammenbringt. Nach Einstellung des Adsorptionsgleichgewichts wird das Pigment abzentrifugiert und die Konzentration c2 des Polymeren in der überstehenden Lösung bestimmt. Dies macht man für steigende Ausgangskonzentrationen c1 und errechnet jeweils die scheinbar adsorbierte Menge an Polymer A mit Hilfe der Gleichung Gleichung 6.63

A = M1 · (c1 – c2)

A hat die Dimension g Polymer pro g Pigment (wird zweckmäßig in mg Polymer pro g Pigment angegeben). Trägt man die scheinbar adsorbierten Mengen A gegen c2, die Konzentration an Polymer in der Lösung nach erfolgter Adsorption, auf, so ergeben sich Adsorptionsisothermen, die, von Null ausgehend, ansteigen, ein Maximum durchlaufen und dann in einen linear abfallenden Teil übergehen, der die Konzentrationsachse schneidet. Weil höher konzentrierte Polymerlösungen gewöhnlich so hochviskos sind, dass die Pigmentabtrennung nicht mehr gelingt, lässt sich der gesamte Verlauf der Adsorptionsisotherme nicht bestimmen. Wenn jedoch zwei Lösemittel, z.B. Toluol und Butanol, in einer Konkurrenzadsorption an ein Pigment eingesetzt werden19, dann lässt sich der gesamte Verlauf der Isothermen leicht erfassen. Nach dem Kreuzen der x-Achse ist die Isotherme weiterhin linear, durchläuft anschließend ein Minimum, um dann wiederum zu Null zu werden. Dies ist in der Abbildung 6.29 schematisch gezeigt. Nach Rehacek und Schütte [75] lässt sich ein solcher Verlauf der Adsorptionsisotherme erklären, wenn man annimmt, dass sich die Zusammensetzung der Adsorptionssicht in dem linearen Teil der Isotherme nicht verändert. Dies ist in der Abbildung 6.30 schematisch dargestellt. Die gestrichelte Linie in Abbildung 6.30 soll die Ausdehnung der Adsorptionsschicht symbolisieren. Wenn Ma das Gewichtsverhältnis der Bindemittellösung in der Adsorptionsschicht zur eingesetzten Pig19 Persönliche Mitteilung O. J. Schmitz

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191

Adsorption von Polymeren an Pigmentoberflächen

mentmasse ist, dann gilt nach der Adsorption (Index 2) für die Bindemittellösungen Gleichung 6.64 M2 = M1 – Ma und mit ca, der Konzentration des Polymeren in der Adsorptionsschicht, ergibt sich die Polymerbilanz Gleichung 6.65 M1 · c1 = Ma · ca + M2 · c2 Einsetzen von M2 aus Gleichung 6.64 in die Gleichung 6.65 und Umformen ergibt Gleichung 6.66 c –c = 1 2

Abbildung 6.30: Prinzipskizze zeigt den linearen Teil der Konkurrenzadsorptionsisotherme bei gleichbleibender Zusammensetzung der Adsorptionsschicht

Ma c a – Ma c 2 M1

Durch Einsetzen von Gleichung 6.66 in die Gleichung 6.63 erhält man Gleichung 6.67

A = Ma · c a – Ma · c 2

Ein graphischer Auftrag der scheinbar adsorbierten Menge gegen die Konzentration der überstehenden Bindemittellösung nach der Adsorption ergibt eine Gerade, aus deren Steigung die Menge an adsorbierter Bindemittellösung hervorgeht. Mit diesem Wert lässt sich aus dem Achsenabschnitt der der Geraden mit der y-Achse dann die Konzentration des Bindemittels in der Adsorptionsschicht ermitteln. Rehacek hat die Adsorption von Alkydharzen an verschiedenen anorganischen Pigmenten untersucht [76]. Eine Untersuchung des Einflusses von Tabelle 6.3: Typische Zusammensetzung der Haftgruppen bei der Adsorption Adsorptionsschicht bei der Adsorption von Bindemittelmolekülen an Pigmentoberflächen von Polymeren auf unterschiedlich Adsorbierte Bindemittelca. 3 mg oberflächenbehandelten Titandilösung pro m² Pigmentoberoxidpigmenten wurde von Idogawa fläche et al. veröffentlicht [77]. Typische Zusammensetzungen der Adsorptionsschicht sind in der Tabelle 6.3 zusammengefasst.

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Konzentration der Adsorptionsschicht

25 bis 40 %

Adsorptionsschichtdicke

7 bis 15 nm

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192

6.8

Flockungsstabilisierung

Auflacken

Um möglichst effizient zu dispergieren, sind Mahlpasten tunlichst mit einer größeren Pigmentkonzentration zu versehen, als in den fertigen Formulierungen vorgesehen ist. Im Anschluss an die Dispergierung müssen die Mahlpasten daher mit den übrigen Formulierungsbestandteilen versetzt werden, um zu der gewünschten Lackzusammensetzung zu gelangen. Man spricht vom „Auflacken“. Dabei muss sehr vorsichtig vorgegangen werden, damit das erreichte Dispergierergebnis nicht durch Flockung wieder zu Nichte gemacht wird. Beim Auflacken kann es örtlich zu hohen Konzentrationsunterschieden kommen, wodurch sich die flockungsstabilisierende Adsorptionsschicht verändern kann. Ist das Auflackmedium zu Bindemittelreich, so kann es (aufgrund des osmotischen Drucks) Lösemittel aus der Adsorptionsschicht ziehen. Die Adsorptionsschicht wird dadurch weniger ausgedehnt, so dass die abstoßende Wirkung der sterischen Stabilisierung erst bei kürzeren Pigmentabständen einsetzen kann, wo die van der Waals-Anziehung der Pigmentpartikel bereits groß ist. Wenn die Adsorptionsschicht durch Lösemittelentzug kollabiert, dann entsteht bei der Durchdringung der Adsorptionsschichten auch kein osmotischer Druck der Lösemittel, so dass der Mechanismus der sterischen Stabilisierung gar nicht stattfinden kann. In diesem Fall spricht man vom „Pigmentschock“. Der „Bindemittelschock“ setzt ein, wenn beim Auflacken zu viel thermodynamisch ungünstiges Lösemittel eingetragen wird. Dadurch wird die Adsorptionsschicht ebenfalls zusammengedrückt, weil die Schlaufen und Enden schlechter gelöst sind. Es kommt im Ergebnis zu demselben Zustand, wie beim Pigmentschock. Nebenbei koaguliert auch das gelöste Bindemittel. Von einem „Lösemittelschock“ spricht man, wenn beim Auflacken zu viel thermodynamisch gutes Lösemittel zugesetzt wird. Im Extremfall kann es dazu kommen, dass die Adsorptionsschichten abgelöst werden. Dann sind die Pigmente gänzlich ungeschützt und flocken aus. Die Tabelle 6.4 fasst die verschiedenen Fehlermöglichkeiten zusammen [78]. Tabelle 6.4: Fehlermöglichkeiten beim Auflacken von Mahlpasten Auflackpaste

Ursache Bindemittellösung der Auflackpaste zieht Lösemittel aus der Mahlpaste

Pigmentschock

Bindemittelschock

mit thermodynamisch schlechtem Lösemittel

Koagulation des Bindemittels in der Mahlpaste

Lösemittelschock

reines Lösemittel oder sehr verdünnte Bindemittellösung

Ablösung der adsorbierten Polymerschichten

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Flockungsstabilisierung durch Rheologiesteuerung

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Um alle diese Phänomene zu vermeiden, soll einerseits von der Rezeptphilosophie her vorgesorgt werden. Die Mahlpastenrezeptur muss daher die wesentlichen Rezepturbestandteile zu einem gewissen Anteil schon enthalten. Vor allem muss die Lösemittelzusammensetzung im Wesentlichen schon so sein wie in der fertigen Rezeptur. Andererseits sollen beim Auflacken die Bestandteile nur unter gutem Rühren zugegeben werden, um größere Konzentrationsdifferenzen schnell aufzuheben. Oftmals spielt auch die Reihenfolge der Zugaben beim Auflacken eine Rolle, was durch veränderte Konzentrationsverhältnisse erklärt werden kann. Außerdem kommt es vor, dass sich Unterschiede ergeben, wenn die Komponente A in die Komponente B eingerührt wird, oder umgekehrt. Bei der Entwicklung der Rezepturen muss daher die Verfahrenstechnik der Herstellung mit einbezogen werden.

6.9 Flockungsstabilisierung durch Rheologiesteuerung Eine weitere Methode, Pigmentflockung zu verhindern, ist es, eine Fließgrenze in die Formulierungen einzubauen (siehe auch Kapitel 3.5). Unter einer Fließgrenze versteht man den Umstand, dass in dem ruhenden Lack der elastische Anteil der Verformung gegenüber dem viskosen Anteil überwiegt. Man benötigt eine Mindestschubspannung, damit das System überhaupt fließt. Ein Beispiel für ein System mit einer ausgeprägten Fließgrenze ist Zahnpasta. Wird sie aus der Tube gedrückt, so fließt sie wie eine Flüssigkeit. Jedoch bleibt sie auf der Zahnbürste wie ein Feststoff stehen, ohne zu verfließen. In einem System mit einer Fließgrenze ist die Brown’sche Bewegung der Moleküle unterbunden. Ist in einem Lack die Fließgrenze groß genug, so können die Pigmentteilchen weder flocken, noch können sie sedimentieren. In wässrigen Formulierungen haben sich für die Ausbildung von Fließgrenzen so genannte „anorganische Verdicker“ bewährt. Es handelt sich um Schichtsilikate wie Bentonit, einem natürlich vorkommenden Aluminiumsilikat, oder Laponit, einem synthetisch hergestellten Magnesiumsilikat. Sie bestehen aus Silikat-Anionen, die sich abwechseln mit Schichten der jeweiligen Kationen. In Wasser laden sich die Kanten der plättchenförmigen Partikel wegen der Kationen positiv auf, während die Flächen negativ geladen sind. Es bildet sich des- Abbildung 6.31: Stabilisierung von Pigmentteilwegen eine Kartenhausstruktur chen gegen Flockung durch Schichtsilikate, die auf (Abbildung 6.31), indem die durch Assoziation zu einer Fließgrenze führen

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Flockungsstabilisierung

Kanten eines Partikels mit den Flächen eines anderen Partikels flocken. Daraus resultiert ein Fließwiderstand. Die Pigmentpartikel befinden sich dazwischen. Für wässrige Systeme werden auch Celluloseether und Polyacrylate eingesetzt. Hauptsächlich polyurethanbasiert sind die Assoziativverdicker, die hydrophile und hydrophobe Bestandteile in ihrer Molekülarchitektur haben und entweder mit sich selber, oder mit anderen Lackbestandteilen assoziieren und zu einer Fließgrenze führen. Für lösemittelhaltige Systeme werden polymere Verdicker (organische Verdicker) unterschiedlichster Zusammensetzung angeboten. Literaturhinweise [1] [2] [3] [4]

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Literaturhinweise

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Flockungsstabilisierung

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Anhang 1

Anhang 1 Berechnung der polaren und dispersiven Anteile der freien Oberflächenenergie von Feststoffen nach der Methode von Wu:

Das Gleichungssystem 3.21 lautet: (b1 + c1 – a1) · γsd γsp + c1 (b1 – a1) · γsd + b1(c1 – a1) · γsp – a1 · b1 · c1 = 0 (b2 + c2 – a2) · γsd γsp + c2 (b2 – a2) · γsd + b2 (c2 – a2) · γsp – a2 · b2 · c2 = 0 In der Gleichung 3.21 bedeuten 1 a = γ (1 + cosθ1) 1 4 1

b1 = γ1d

c1 = γ1p

θ1 = Randwinkel der Flüssigkeit 1

1 a2 = γ2 (1 + cosθ2) 4

b 2 = γ 2 d

c 2 = γ 2 p

θ2 = Randwinkel der Flüssigkeit 2

Man benötigt also immer die Randwinkel zweier Prüfflüssigkeiten, deren dispersive und polare Anteile der Oberflächenspannung bekannt sein müssen. Zur Berechnung der polaren und dispersiven Anteile der freien Oberflächenenergien von Feststoffen aus Randwinkelmessungen mit unterschiedlichen Prüfflüssigkeiten führt man am besten zunächst die folgenden Substitutionen in Gleichung 3.21 durch, um die Übersicht zu erleichtern: k1 = (b1 + c1 – a1)

l1 = c1 (b1 – a1)

m1 = b1 (c1 –a1)

n1 = a1b1c1

k2 = (b2 + c2 – a2)

l2 = c2 (b2 – a2)

m 2 = b2 (c2 –a2)

n2 = a 2 b2 c2

Dann wird aus Gleichung 3.21: I.

k1 · γsd · γsp + l1 · γsd + m1γsp – n1 = 0

II.

k 2 · γs d · γs p + l 2 · γs d + m 2 γs p – n 2 = 0

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 

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Anhang 1

Durch Umformen von II. wird der polare Anteil der freien Oberflächenenergie des Feststoffs isoliert: III. γsp =

n 2 – l 2 · γs d m 2 + k 2 · γs d

Durch Einsetzen von III. in II. erhält man: k1 · γs d ·

n 2 – l 2 · γ s d n – l · γ d + l1 · γsd + m1 · 2 2 s d – n1 = 0 d m 2 + k 2 · γs m 2 + k 2 · γs

k1 · γsd(n2 – l2 · γsd) + l1 · γsd(m 2 + k2γsd) + m1 (n2 – l2 · γsd) – n1 (m 2 + k2γsd) = 0

n2 k1γsd – l2 k1 (γsd)2 + m 2 l1γsd + l1k2 (γsd)2 + m1n2 – m1l2γsd – n1m – n1k2γsd = 0

    

            

      

IV. (γsd)2(l1 · k2 – l2 · k1) + γsd(n2 · k1 + m 2 · l1 – m1 · l2 – n1k2) + (m1n2 – n1m 2) = 0 o p q Die Gleichung IV. ist eine quadratische Gleichung mit den Lösungen: V.

γs,1,2d =

– p ± √p2 – 4 · o · q 2·o

Die Rücksubstitution aller Variablen ergibt für die Variablen o, p und q o = c1 (b1 – a1) · (b2 + c2 – a2) – c2 (b2 – a2) · (b1 + c1 – a1) p = a2b2c2 (b1 + c1 – a1) + b2c1(c2 – a2)(b1 – a1) – b1c2 (c1 – a1)(b2 – a2) – a1b1c1(b2 + c2 – a2) q = a1b12c1 (c1 – a1) – a2 b22c2 (c2 – a2) Durch Einsetzen des nach Gleichung V. ermittelten Werts für γsd in Gleichung I. oder II. lässt sich γsd ausrechnen.

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Lebenslauf

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Lebenslauf Dr. Jochen Winkler studierte Chemie an der Universität Stuttgart. Von 1980 bis 1985 war er am Forschungsinstitut für Pigmente und Lacke e.V. (FPL) tätig, wo er Arbeiten zur Untersuchung der Pigmentflockung und Energiebilanzierung von Dispergiermaschinen durchführte. Ab 1985 bis 2008 war er bei Sachtleben Chemie in Duisburg als Leiter der Forschung und Entwicklung beschäftigt. Seit November 2009 ist er Leiter der Lackentwicklung bei der Lackentwicklung Hemmelrath in Klingenberg.

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Index

Index A Absorptionskoeffizient 121, 123 Abstoßungsenergie bei elektrostatischer Stabilisierung 169 Abstoßungsenergie bei sterischer Stabilisierung 180 Abstoßungsenergie zwischen Pigment­ partikeln 152 Adsorptionsisothermen 167 Adsorptionsisothermen von Polymeren aus Lösungen 189 Adsorption von Polymermolekülen 170 Agglomerataufbau 38, 51 Agglomerate 33, 43 Agglomerate, dispergieren nanoskaliger Teilchen 113 Agglomerate, Hohlraumvolumen 108 Agglomerate, Komprimierbarkeit 47 Agglomerate, Massenträgheit der 143 Agglomerate, Porosität 108 Agglomeratfestigkeit, Einfluss adsorbierter Substanzen 47 Agglomeratfestigkeit, Einfluss auf die Dispergierbarkeit 128, 130 Agglomeratfestigkeit, Einfluss der Hamakerkonstanten von Medien 58, 74 Agglomeratfestigkeit, Einfluss der Ober­flächenspannung 77 Agglomeratfestigkeit, Einfluss der Porosität 76 Agglomeratfestigkeit, Einfluss des Randwinkels 77 Agglomeratfestigkeit, Einfluss von Flüssigkeitsbrücken 75 Agglomeratstruktur, Hohlraumvolumen 54 Aggregate 33

Alkydharze 96 amphotere Pigmente 157 amphotere Pigmente, pH-Wert puffernde Wirkung 158 Anisotropie 36 anorganische Oberflächenbehandlung 88 anorganische Verdicker 193 Anthrachinonpigmente 54 Anziehungsenergie zwischen Pigment­ teilchen, Einfluss der Oberflächen­ behandlung 46 Anziehungsenergie zwischen Pigment­ teilchen 41, 51, 152 Anziehungskraft, Atome bzw. Moleküle 21 Anziehungskraft, Pigmentteilchen 43, 51 Äquivalentdurchmesser 34 Assoziativverdicker 194 Auflacken 104, 192 Auslaufzeit 95 Azopigmente 54

B Bartell-Methode 78 Benetzung 63 Benetzungsvolumen 85 Benetzung, Thermodynamik und Kinetik 84 Benetzung von Pigmenten 74 BET, siehe „spezifische Oberfläche von Pigmenten“ Bindemittelbedarfszahl nach Daniel 96 Bindemittelschock 192 Bindungsenergie zwischen Atomen 13 Bingham’sche Flüssigkeit 90 Bodensatzbildung, siehe „Sedimentation“ Bolzmann-Konstante 147 Born-Wechselwirkung 24

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Index

Brown’sche Molekularbewegung 62, 147, 150, 174, 193 Bruchwahrscheinlichkeit eines Agglo­ merats 128, 130

C Calgon 159 Cauchy’sche Dispersionsformel 23, 47 charakteristische Frequenz 23, 41 Chemisorption 156, 178 Clausius-Mosotti-Gleichung 19, 47 Coulomb’sches Gesetz 161 Coulter Counter 35

D Dampfstrahlmühle 45 Debye-Hückel-Gleichung 166 Debye-Hückel-Parameter 163, 166 Debye-Wechselwirkung 21, 22 Deckvermögen 39 Dielektrikum 15 Dielektrizitätskonstante des Vakuums 16, 161 Dielektrizitätskonstante, Einfluss auf den Potenzialverlauf 165 Diffusion kolloidaler Partikel 147 Dilatanz 90, 103, 124 Dipol/Dipol-Wechselwirkung 21, 40 Dipolmoment 9, 14 diskontinuierliche Dispergierung 134 Dispergieradditive 93, 94, 126 Dispergierdauer, Bestimmung der 117 Dispergieren, energetisches Übertragungskriterium 136 Dispergieren, Qualitätskontrolle 135 Dispergieren und Mahlen, Unterschiede 32 Dispergierergebnis 136 Dispergiergleichung 132, 142 Dispergiergleichung, Anwendung 139 Dispergiermechanismus, Erosion 108 Dispergiermechanismus, spontaner Zerfall 108 Dispergierverfahren, kontinuierlich und diskontinuierlich 117

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Dispergierzustandsbestimmung 121, 125 dispersive Wechselwirkung zwischen Atomen und Molekülen 22 dispersive Wechselwirkung zwischen Pigmentteilchen 40 ff Dissolver 101, 125 Dissolverscheibe 127 DLVO-Theorie 155 Doughnut-Effekt 102 Dreiwalzwerke 105 Druckfarben 106

E Echtzerkleinern, siehe „Mahlen“ Edelgaskonfiguration 11 effektives Volumen beim Dispergieren 129 Einsumpfen 59, 110 elektrische Feldkonstante, siehe „Dielektrizitätskonstante des Vakuums“ elektrische Feldstärke 16, 161 elektrisches Potenzial 162 Elektronegativität 10, 12, 26 Elektronenpolarisation 17, 18 Elektroneutralitätsbedingung 155 Elektrophorese 165 elektrophoretische Beweglichkeit 166, 167 elektrophoretische Hochfrequenzbeweglichkeit 167 Elektrostatik 161 elektrostatisch applizierte Lacke 183 elektrostatische Abstoßungsenergie 167 elektrostatische Aufladung von Pigmenten, Ursachen 155 elektrostatische Doppelschicht 163 elektrostatische Stabilisierung 155 Elektrotauchlacke, kationische 159 Elementarladung 161 Energiebarriere der Potenzialkurve 153, 154 Energiedichte beim Dispergieren 131, 134 enthalpisch-entropische Stabilisierung 171 enthalpische Stabilisierung 171 entropische Stabilisierung 170 Eötvös-Gleichung 62 Erdanziehungskraft auf Pigmentteilchen 44 Extruder 106

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Index

F

G

Farbpastensysteme 160 Farbrezeptiersysteme 125 Farbstärke 121, 125, 149 Farbstärkeentwicklung 126, 136 Feldstärke, siehe „elektrische Feldstärke“ festkörperreiche Bindemittel 182 Filmdruck 64 Fließgrenze, Definition 90 Fließgrenze, Einfluss der Pigmente 95 Fließpunktmethode, siehe „Bindemittel­ bedarfszahl nach Daniel“ Flockmittel 164 Flockung 40 Flockung, freie Energie 170 Flockung, Halbwertszeit 148 Flockung, Kollisionswirksamkeitsfaktor 149 Flockung, orthokinetische 148 Flockung, perikinetische 146 Flockungsgeschwindigkeit, Bestimmung 149 Flockungskinetik 146 Flockungsstabilisierung 52 Flockungsstabilisierung bei fehlendem Lösemittel 182 Flockungsstabilisierung durch Nano­ partikel 159 Flockungsstabilisierung durch Rheologiesteuerung 193 Flockung, ungehinderte 148 Flockung, verzögerte 149 Flory-Huggins-Theorie zur Löslichkeit von Polymeren 172, 176, 179 Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter 176, 183 Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter, enthalpischer und entropischer Beitrag 177 Flory-Huggins-Wechselwirkungsparameter, Zusammenhang mit Lösemittel­ parametern 188 Flory-Krigbaum-Theorie 177

Gesamtwahrscheinlichkeit der Dispergiergleichung 131 Gesamtwahrscheinlichkeit einer Dispergierung 128 Gesamtwechselwirkungsenergie, Moleküle bzw. Atome 24 Geschwindigkeitskonstante der Dispergiergleichung 130 Glanz 149 Glanz, Abhängigkeit vom Dispergier­ zustand 123 Glanzhaltung von Beschichtungen 149 Grenzflächenenergie, freie 60 Grenzflächenspannung beim Spreiten 74 Grenzflächenspannung nach Fowkes 67 Grenzflächenspannung nach Good und Girifalco 67 Grenzflächenspannung nach Owens und Wendt 70 Grenzflächenspannung nach Wu 71 Grindometer 50, 124

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H Haftgruppen 182, 191 Hagen-Poisseuille’sches Gesetz 78 Hamakerkonstante 41, 45, 46, 51 Hamakerkonstante, effektive 58 Hammer-Walnuss-Prinzip 125, 128 Häufigkeitsverteilung 37 Helmholtz-Smoluchowski-Gleichung 166 high solid Bindemittel 182 Hochglanz 124 homologe Reihen 66 homomorphe Moleküle 185

I idealer Mischer 114 Immersionswärme 29 induzierte Dipol/Dipol-Wechselwirkung 21, 22, 40 inverse Debye-Länge, siehe „Debye-HückelParameter“

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Index

inverse Gaschromatographie 83 inverse Gaschromatographie, Bestimmung von Lösemittelparametern 187 Ionenstärke 164 Ionenwolke 168 ionische Bindung 9, 11 ionischer Anteil einer chemischen Bindung 15 Ionisierungsenergie 69 Irrflugstatistik 173

K Kapazität eines Kondensators 15, 17 Kapillardruck 76 Kartenhausstruktur 193 kationische Elektrotauchlacke 159 Keesom-Wechselwirkungen 21 kinematische Viskosität 96 Kneter 106 kohäsive Energiedichte 184 Konformation adsorbierter Polymere 179 Konkurrenzadsorption 189 Kontaktwinkel, siehe „Randwinkel“ kontinuierliche Dispergierung 134 Kopfgruppe eines Tensids 155 Kornfeinheit 124 kovalente Bindung 9, 11 Kreiden 54 Kreislaufverfahren beim Dispergieren 117 Kristallite 33, 35 kritische Koagulationskonzentration 150 kritische Oberflächenspannung 72, 80, 84 kritische Temperatur 62 Kronenether, Pigmentstabilisierung 161 KTPP 159 Kubelka-Munk-Funktion 121 Kugelmühlen 109

L Leistungsgleichgewicht beim Dispergieren 134, 135 Lennard Jones-Potenzial 25 Liniendruck einer Walze 105 logarithmische Normalverteilung 36

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London-van der Waals-Wechselwirkungen, Atome und Moleküle 21, 22 London-van der Waals-Wechselwirkungen, Pigmentteilchen 40, 152 Lösemittelparameter 183 Lösemittelparameter nach Hansen 185 Lösemittelparameter nach Hildebrand 184 Lösemittelparameterraum 187 Lösemittelparameter von Bindemitteln 187 Lösemittelschock 192 Löslichkeit von Polymeren 178, 186, 187

M Mahlen 32 ff, 110 Mahlfeinheit 125 Mahlgutoptimierung 96 Mahlkammer 109 Mahlkammer, Temperaturgradient 114 Mahlpaste, Dilatanzstufe 103 Mahlpasten 59 Mahlpasten, Fließverhalten, Einfluss auf Leistungseintrag 135 Mahlpasten, Fließverhalten 88, 93 Mahlpastenviskosität 124 Mahlperlen 109, 112 Mahlperlenfüllgrad, Einfluss auf Dispergiererfolg 139 Mahlperlenschüttung 113 Mahlscheiben 110 Makromoleküle, Konformation in Lösung 173 Masterbatch 107 Mattglanz 124 Maxwell-Boltzmann-Verteilung 153 mechanische Rührleistung 110, 134 mechanische Rührleistung, Dreiwalzwerke 107 Medianwert 36 medium solids 182 Mischung, freie Energie 183 Mischungsenthalpie zweier Flüssigkeiten 184 Mittelglanz 124 Monte-Carlo-Statistik 172

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N Nanopartikel, flockungsstabilisierende Wirkung 159 nanoskaliges Bariumsulfat in Farbpasten 160 Nanoteilchen, Dispergieren 141 Nernst-Potenzial 162 Netzmittel 85, 94 Newton’sche Flüssigkeiten 89

O Oberflächenbehandlung, organische 182 Oberflächenbehandlung von Pigmenten, anorganisch und organisch 45, 46 Oberflächenenergie, freie, Definition 60 Oberflächenenergie, Pigmente 80 Oberflächenenergie, anorganische Substanzen 65 Oberflächenenergie, Polymere 65 Oberflächenenergien, Vergleich Wu, Owens, Wendt, Zisman 72 Oberflächenenergie, Bartell-Methode 79 Oberflächenenergie, Einfluss organischer Oberflächenbehandlungen 84 Oberflächenenergie, inverse Gaschromatographie 83 Oberflächenenergie, Methode nach Wu 80 Oberflächenenergie, Washburn-Methode 78 Oberflächenenergie, Einfluss adsorbierter Moleküle 65 Oberflächenenergie, Methode nach Fuerstenau und Williams 82 Oberflächenladungsdichte 168 Oberflächenpotenzial 162, 166 Oberflächenspannung 59 Oberflächenspannung, Bestimmung 61 Oberflächenspannung, dispersiver Anteil 68 Oberflächenspannung, Einfluss von organischen Flüssigkeiten in Wasser 63 Oberflächenspannung, Einfluss von Tensiden 63 Oberflächenspannung, kritische 66 Oberflächenspannung, physikalische Dimension 60 Oberflächenspannung, polarer Anteil 68

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Oktettregel 11 Ölzahl 96 Orbital 9 Ordnungszahl 10 Ordnungszahl im Periodensystem 10 organische Oberflächenbehandlungen, dünnschichtchromatographische Untersuchung 52 organische Oberflächenbehandlungen, Einfluss auf Oberflächenenergie 84 organische Oberflächenbehandlungen, Einfluss auf Dispergierbarkeit 45 ff organische Verdicker 194 Orientierungspolarisation 17, 19 orthinetische Flockung 148 Osmometrie 174 osmotischer Druck 175 Ostwaldreifung 61 Ottawasand 110 OWRK-Gleichung 70

P Partikelgrößenverteilung 121 Passagenverfahren 117 Pauli-Prinzip 24 Penetrometer 88 perikinetische Flockung 146 Periodensystem 9 Perlenstau 110 Permittivität des Vakuums, siehe „Dielektrizitätskonstante des Vakuums“ Phasentrennung 62 pH-Titration amphoterer Pigmente 158 Pigmentbenetzung 59 Pigmente, Absorptionskoeffizient 53 Pigmente, anorganische 53 Pigmente, Benetzung 54 Pigmente, Brechzahl 53 Pigmente, Lichtabsorption 53 Pigmente, Lichtstreuung 53 Pigmente, organische 54 Pigmente, Streukoeffizient 53 Pigmente, transparente Typen 53 Pigmente und Füllstoffe, Unterschiede 32

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Pigmentflockung durch thermodynamisch schlechte Lösemittel 183 Pigmentflockung, siehe Flockung 165 Pigmentschock 192 Pigmentstabilisierung 93 Pigmentstabilisierung durch Kronenether 161 Pigmentteilchengröße, Einfluss auf Fließverhalten 94 Polarisation des Dielektrikums 17 Polarisierbarkeit 9, 41, 69 Polyacrylsäure 158 polycyclische Pigmente 54 Polyelektrolyte 158 Polyesterharze 96 Polymermoleküle, adsorbierte 179 potenzialbestimmende Ionen 155 Potenzialkurven 152 Potenzialtopf 153 Potenzialverlauf an einer Pigmentober­ fläche 162 Potenzialverlauf nach Guoy 163 primäres Minimum der Potenzialkurve 153 Primärpartikel 33, 45, 152 pseudoplastisches Fließverhalten 90 Pulverlacke 106

R Randwinkel 63, 68, 74 Randwinkel, Bestimmung 65 Randwinkel, Einfluss auf die Agglomeratbenetzung 77 Randwinkel, Einfluss der Oberflächenrauigkeit 67 Randwinkel, Methode nach Kossen und Heertjes 81 Randwinkel, Methode nach Lerk und Lagas 82 Randwinkel, Rückzugswinkel 66 Randwinkel, Vorrückwinkel 66 Reibspalt 110 relative Dielektrizitätskonstante 16 Relaxationseffekt 167 Retardationseffekt 167 Rheogramm einer Mahlpaste 103

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Rheometer 92 Rheopexie 124 Rheopexie, Definition 91 Röntgendiffraktion 35 Rückzugswinkel 66 Rührwerkskugelmühlen 59, 109 Rührwerkskugelmühlen, Dispergiererfolg 144

S Sandmühlen 110 Säure-Base-Wechselwirkungen 157 Scherebene 166 Schergeschwindigkeit, Definition 89 Scherrer-Gleichung 35 Schiefe einer Häufigkeitsverteilung 38 Schubspannung, Definition 89 Schulze-Hardy-Regel 164 Schüttgüter, Fließverhalten 44 Schwerpunktsatz zur Löslichkeit von Polymeren 187 Sedimentation 152 Sedimentation, Flockung 148 sekundäres Minimum der Potenzialkurve 153 Sheet Molding Compounds 104 Siebkorbmühle 116 Siebtrennung 110 Siedetemperaturen 28 Sintern 33 SMC, siehe „Sheet Molding Compounds“ Smoluchowski-Gleichung 147 Solvatation 163 solvent power, siehe „Flory-HugginsWechselwirkungsparameter“ spezifische Oberfläche von Pigmenten 35, 46 spreading pressure 64 Spreiten einer Flüssigkeit 59 Spreitungskoeffizient 67 Stäbchenmodell der entropischen Stabilisierung 171 Stabilisierung, elektrostatische 155 Stabilitätsverhältnis, siehe „stability ratio“ stability ratio 149 Stauben von Pigmenten 51

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sterische Stabilisierung, Teilchengrößenuntergrenze 172 sterische Stabilisierung von Pigmenten 170, 171, 178 Sternpotenzial 166 Sternschicht 163 Stokes’sches Gesetz 150 Stresswahrscheinlichkeit eines Agglomerats 128 Streukoeffizient 121, 123 Strukturviskosität 90, 124 Summenkurve 36

T Tauchmühle 116 Teilchengröße 34 Teilchengrößenbestimmung, Kristallitgröße 35 Teilchengrößenbestimmung, Laserlichtbeugung 34 Teilchengrößenbestimmung, Laserlichtstreuverfahren 34 Teilchengrößenbestimmung, Sedimentationsanalyse 34 Teilchengrößenbestimmung, Spezifische Oberfläche 35 Teilchengrößenverteilung 38 Tetraederwinkel 173 theoretische Passagenanzahl 118 Theta-System 172 Theta-Temperatur 174 Theta-Zustand 174, 175 Thixotropie 124 Thixotropie, Definition 91 Thixotropiefläche 91 Tönpasten 125 Trefferwahrscheinlichkeit, siehe „Stresswahrscheinlichkeit eines Agglomerats“

U Überbrückungsflockung 152, 159 Übertragungskonstante der Dispergier­ gleichung 131

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Index

V Vakuumdissolver 104 van’t Hoff-Gleichung 175 Verdampfungsenergie 184 Verdampfungsenthalpie 184 Verdunstungszahl 187 Verschiebungspolarisation 17, 18 Verweilzeit, mittlere 117 Verweilzeitverteilung 114, 117 Vickers-Härte 112 Virialkoeffizient 175 Viskosität, Definition 88 Viskosität, Einfluss auf die elektro­ phoretische Beweglichkeit 167 Viskosität, Einfluss von Pigmenten 93 Vorbenetzen 110 Vordispergieren 101, 104 Vorrückwinkel 66

W Walze, schwimmende 105 Wanderungsgeschwindigkeit elektro­ statisch geladener Teilchen 167 Wärmestrom, Bilanzierung 115 Washburn-Methode 78 Wasserstoffbrückenbindung 26 Wechselwirkungsenergie von Molekülen 9, 183 Wechselwirkungsparameter nach Good und Girifalco 67

Y Young-Gleichung 63

Z Zahnscheibe 101 Zahnscheibe, Umfangsgeschwindigkeit 104 Zetapotenzial 165 Zetapotenzial, Bestimmung in organischen Medien 167 Zetapotenzial, Bestimmung mittels elektroakustischer Methoden 167 Zisman Plot 66

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Marktübersicht

MARKTÜBERSICHT

Labor- und Produktionstechnik

Prüf- und Messtechnik Farbtonkarten

Dissolver

RAL-Farbkarten Perlmühlen

Rührwerkskugelmühlen

Vakuum-Dissolver

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