Diskurs als Spiel: Poststrukturalistische Impulse für die Musikdidaktik 9783839469583

Diversität prägt den gegenwärtigen Musikunterricht - was unterrichtet werden kann, darf oder soll, entzieht sich allerdi

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Diskurs als Spiel: Poststrukturalistische Impulse für die Musikdidaktik
 9783839469583

Table of contents :
Inhalt
Danksagungen
Formales
Einleitung
1. Bildung als Diskurs
Poststrukturalistische Implikationen in Bildungstheorie und Musikpädagogik
1.1 Grundzüge des Poststrukturalismus
1.2 Das Andere. Dezentralisierung des Objekts: zur ästhetischen Dimension der Dekonstruktion
1.3 Die Andere(n). Dezentralisierung des Subjekts: zur ethischen Dimension der Dekonstruktion
1.4 Kritische Perspektiven auf den Poststrukturalismus
1.5 Poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung
1.6 Zum Niederschlag poststrukturalistischer Denkfiguren in ausgewählten bildungstheoretischen Ansätzen
1.7 Zusammenfassung
1.8 Poststrukturalistische Einflüsse auf Musikpädagogik und Musikdidaktik
2. Das Spiel als »Spiel«
Theorien des Spiels und poststrukturalistische Explikationen
2.1 Spieltheorien vs. Theorien des Spiels
2.2 Methodischer Zugriff auf die Theorien des Spiels
2.3 Implizites Spielwissen poststrukturalistischer Spielbegriffe
2.4 Machtspiel, Sprachspiel und das Spiel der Differenz. Poststrukturalistische Spielbegriffe
2.5 Implizite und explizite poststrukturalistische Paradoxalität des Spiels
2.6 Das Spiel als didaktischer Meta- Diskurs des Musikunterrichts
3. Diskurs als Spiel
Das Spiel als ästhetische Form und Funktion bildender Diskurse
3.1 Diskursbegriffe. Systematisierende Synopse
3.2 Bildende Diskurse. Systematisierende Synopse
3.3 Anforderungen an eine dekonstruktive Didaktik
3.4 Systematik des Spiels in poststrukturalistischer Perspektive
3.5 Das Spiel als Form und Funktion bildender Diskurse. Synthese
3.6 Kriterien für die Inszenierung von Unterricht als Spiel
4. Musikunterricht und Spiel
Einleitung
4.1 Darstellung und Kritik ausgewählter musikpädagogischer Konzeptionen in poststrukturalistischer Perspektive
4.2 Das Spiel in der Musikdidaktik vs. Unterricht als Spiel. Impulse für eine dekonstruktive Musikdidaktik
5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel
Einleitung
5.1 Zur Unvernunft [unterrichts]praktischer Konkretion im wissenschaftlichen Diskurs. Das Paradox der Metaphysikkritik
5.2 Grundsätze einer dekonstruktiven Musikdidaktik
5.3 Unterricht in und durch Dekonstruktion. Methodische Anregungen aus der theatralen Bildung
5.4 Inszenierung der Spielsphäre im Musikunterricht
5.5 Inszenierung des Regelsystems
5.6 Spielende und ihre Handlungen im Unterricht. Gestaltung und Performativität der (Inter-)Aktionen Spielender
5.7 Auf den Kopf. Konsequenzen einer dekonstruktiven Didaktik für die Unterrichtsstruktur
6. Fazit
Bildungstheoretische Impulse für die Musikdidaktik in poststrukturalistischer Perspektive
6.1 Methodische Reflexion
6.2 Ausblick
6.3 Johns Frage
Literaturverzeichnis

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Susanne Naumann Diskurs als Spiel

Pädagogik

Editorial Bildung und Erziehung sind – trotz wechselnder Problemlagen – ein konstantes Thema in Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Erziehungswissenschaft erweist sich in dieser Situation zugleich als Adressat, Stimulanz und Sensorium verschiedenster Debatten, die ins Zentrum sozialwissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Fragen zielen. Die Reihe Pädagogik stellt einen editorischen Ort zur Verfügung, an dem innovative Perspektiven auf aktuelle Fragen zu Bildung und Erziehung verhandelt werden.

Susanne Naumann, geb. 1976, lehrt Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Europa-Universität Flensburg sowie die Fächer Musik und Darstellendes Spiel an einer Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein. Die Schul- und Kirchenmusikerin promovierte an der Technischen Universität Braunschweig.

Susanne Naumann

Diskurs als Spiel Poststrukturalistische Impulse für die Musikdidaktik

Von der Fakultät für Geistes- und Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig zur Erlangung des Grades Doktorin der Philosophie (Dr. phil.) genehmigte Dissertation.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Friedrich Elias Naumann Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839469583 Print-ISBN: 978-3-8376-6958-9 PDF-ISBN: 978-3-8394-6958-3 Buchreihen-ISSN: 2703-1047 Buchreihen-eISSN: 2703-1055 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhalt

Einleitung ................................................................................ 15 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

1.8

Bildung als Diskurs Poststrukturalistische Implikationen in Bildungstheorie und Musikpädagogik ......... 33 Grundzüge des Poststrukturalismus .................................................. 34 Das Andere Dezentralisierung des Objekts: zur ästhetischen Dimension der Dekonstruktion ....... 63 Die Andere(n) Dezentralisierung des Subjekts: zur ethischen Dimension der Dekonstruktion ..........77 Kritische Perspektiven auf den Poststrukturalismus .................................. 90 Poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung ...................................... 97 Zum Niederschlag poststrukturalistischer Denkfiguren in ausgewählten bildungstheoretischen Ansätzen.....................................104 Zusammenfassung Bildungstheoretische Grundlagen und Problematisierung der didaktischen Anschlussfähigkeit .............................................. ..131 Poststrukturalistische Einflüsse auf Musikpädagogik und Musikdidaktik ...............137

2. Das Spiel als »Spiel« Theorien des Spiels und poststrukturalistische Explikationen........................ 155 2.1 Spieltheorien vs. Theorien des Spiels.................................................158 2.2 Methodischer Zugriff auf die Theorien des Spiels .................................... 163 2.3 Implizites Spielwissen poststrukturalistischer Spielbegriffe ...........................165 2.4 Machtspiel, Sprachspiel und das Spiel der Differenz Poststrukturalistische Spielbegriffe .................................................. 181 2.5 Implizite und explizite poststrukturalistische Paradoxalität des Spiels.................190 2.6 Das Spiel als didaktischer Meta- Diskurs des Musikunterrichts ........................198

3. Diskurs als Spiel Das Spiel als ästhetische Form und Funktion bildender Diskurse......................201 3.1 Diskursbegriffe Systematisierende Synopse ......................................................... 202 3.2 Bildende Diskurse Systematisierende Synopse ......................................................... 204 3.3 Anforderungen an eine dekonstruktive Didaktik ..................................... 205 3.4 Systematik des Spiels in poststrukturalistischer Perspektive......................... 209 3.5 Das Spiel als Form und Funktion bildender Diskurse Synthese ............................................................................ 211 3.6 Kriterien für die Inszenierung von Unterricht als Spiel ............................... 225 4. Musikunterricht und Spiel ..........................................................231 4.1 Darstellung und Kritik ausgewählter musikpädagogischer Konzeptionen in poststrukturalistischer Perspektive ................................................. 233 4.2 Das Spiel in der Musikdidaktik vs. Unterricht als Spiel Impulse für eine dekonstruktive Musikdidaktik ...................................... 255 5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel ........................................................................... 259 5.1 Zur Unvernunft [unterrichts]praktischer Konkretion im wissenschaftlichen Diskurs Das Paradox der Metaphysikkritik ....................................................261 5.2 Grundsätze einer dekonstruktiven Musikdidaktik..................................... 262 5.3 Unterricht in und durch Dekonstruktion Methodische Anregungen aus der theatralen Bildung ................................ 263 5.4 Inszenierung der Spielsphäre im Musikunterricht .................................... 266 5.5 Inszenierung des Regelsystems ..................................................... 273 5.6 Spielende und ihre Handlungen im Unterricht Gestaltung und Performativität der (Inter-)Aktionen Spielender ...................... 279 5.7 Auf den Kopf Konsequenzen einer dekonstruktiven Didaktik für die Unterrichtsstruktur ............ 282 6. Fazit Bildungstheoretische Impulse für die Musikdidaktik in poststrukturalistischer Perspektive .............................................. 285 6.1 Methodische Reflexion .............................................................. 290 6.2 Ausblick.............................................................................291 6.3 Johns Frage ........................................................................ 293 Literaturverzeichnis ................................................................... 297

Danksagungen »Alle Anfänge liegen immer in der Unordnung.«1

Ich liebe Anfänge. Das unbeschriebene Blatt. Einschulung. Frühstück. Das Hochfahren des Rechners. Den Moment nach einer Entscheidung. Dann empfinde ich gleichermaßen Aufregung, Ungewissheit – Glück und Dankbarkeit. Die Freude, mit der ich diese Arbeit beschließe, ist mit der Freude über das Anfangen verwandt. Beide, Anfangen und Beenden, öffnen meinen Horizont ins Ungewisse. In beiden Momenten standen – und stehen – mir Menschen zur Seite, denen ich von Herzen danken möchte. Ich erinnere mich an den Impuls des Anfangs. Es war die Idee von der Differenz, mit der alles anfängt: Sehen, Hören, Spüren – Verstehen, die in einem der Seminare von Prof. Weber aufkeimte, die ich an der Musikhochschule Lübeck wahrnehmen durfte. Meine Neugier war geweckt – und meine Lust, in die Gefilde des poststrukturalistischen Denkens einzutauchen. Die Entdeckung dieser Philosophie empfand ich oftmals als schlüssige Beheimatung meines eigenen Denkens. Jetzt durfte ich paradox, kreativ, poetisch, abstrakt, komplex…. Was für eine Freude, den Sinn im Un-Sinn zu entdecken und was für ein beruhigender Gedanke, dass sich Entwicklung und Fortschritt nicht (zwingend) aus überkommener Vernunft oder Hierarchie ableiten muss. Ich möchte mich deshalb herzlichst bedanken: bei Prof. Bernhard Weber, der mir den Zugang zu dieser Philosophie eröffnete, der über die lange Dauer meiner nebenberuflichen Forschung stets als sehr geduldiger Impulsgeber fungierte und

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John Galsworthy (1867 – 1933), englischer Erzähler, realistischer Sozialkritiker und Dramatiker, Nobelpreis für Literatur 1932. https://www.aphorismen.de/zitat/173715 [zuletzt aufgerufen am 22.09.2021.]

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

dafür Sorge trug, den überbordenden Ideenexplosionen immer wieder Fußbodenorientierung zu verordnen. Ein weiterer Dank gilt meiner Zweitkorrektorin Prof. Martina Krause-Benz, die mich durch ihre Klarheit und der Konstruktivität der Kritik gewinnbringend erschütterte und Prof. Susanne Dreßler, die mir oft den Rücken stärkte und diesen immer wieder freihielt, damit ich diesem Projekt Raum bieten konnte. Dank gilt auch meinem verlorenen Gefährten Stephan, der die neue Welt, die ich mit dieser Arbeit eröffnete, annahm und mich auch durch das technische Upgrade meiner häuslichen Arbeitssituation sehr unterstützte. Auch meinen Kindern Rebekka, Elias, Benjamin und Jonas möchte ich für ihre Geduld und Nachsicht danken – war ich doch bisweilen kein Vorbild hinsichtlich gesunder Work-Life-Balance. Zudem bleibe ich ihnen den Nachweis der Nützlichkeit meines Tuns wohl auf Dauer schuldig. Vielen Menschen, die mir ihr Ohr, ihr Auge, ihre Geduld schenkten, möchte ich meinen herzlichen Dank zusprechen: meiner lebensklugen Freundin DiGo und meinem lieben Vertrauten Johannes, der mich nicht nur bei der Formatierung und dem Layout tatkräftig unterstützte. Ihr Verstehen und Verständnis trug und trägt mich oft und über viele Hürden. Ein ganz besonderer Dank gilt dem Sprechkundigen Sven Hemprich, der dafür sorgte, dass in Zeiten der Zerrissenheit, Körper und Geist wirksam verbunden werden konnten – in ResonanzRaum und SprechZeit. Er half mir, Wege zu finden, in EchtZeit DA zu sein. Es tat dermaßen gut zu wissen, dass da wer ist, der daran glaubt. Ich bin dankbar, angefangen zu haben und wieder anfangen zu können. Lübeck, Januar 2023

Peter Handke (1980/81) Über die Dörfer   Spiele das Spiel. Gefährde die Arbeit noch mehr. Sei nicht die Hauptperson. Such die Gegenüberstellung. Aber sei absichtslos. Vermeide die Hintergedanken. Verschweige nichts. Sei weich und stark. Sei schlau, laß dich ein und verachte den Sieg. Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen. Sei erschütterbar. Zeig deine Augen, wink die anderen ins Tiefe, sorge für den Raum und betrachte einen jeden in seinem Bild. Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig. Vor allem hab Zeit und nimm Umwege. Laß dich ablenken. Mach sozusagen Urlaub. Überhör keinen Baum und kein Wasser. Vergiß die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen, weich aus in die Menschenleere, pfeif auf das Schicksalsdrama, mißachte das Unglück, zerlach den Konflikt. Bewege Dich in deinen Eigenfarben; bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird. Geh über die Dörfer. Ich komme dir nach.

Handke, Peter (1984): »Über die Dörfer.« In: Langsame Heimkehr. Gedichtzyklus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp

Formales

Zum »Gendern« »Die Wirklichkeit wird durch Denken und Sprache konstituiert. Das Problem bei dieser Art Konstruktivismus besteht darin, dass die Wirklichkeit sich irgendwann in den Perspektiven der Einzelnen auflöst. Die postmoderne Beliebigkeit endet mit einer gewissen Konsequenz im Konzept der alternativen Fakten.«1 Sprache schaffe Wirklichkeit2  – so kann in der Folge des Einflusses poststrukturalistischen Denkens behauptet werden. Die sprachlich erzeugte Wirklichkeit zeigt sich hinsichtlich des Widerspruchs von Absicht und Wirkung jedoch ambivalent. Eugen Ruge zeigt dies am Beispiel der grammatischen Unterscheidung von Bürgern und Bürgerinnen, die seit Abschaffung des generischen Maskulinums durch die DudenRedaktion legitimiert ist.3 Konnten sich mit der Einführung der Weimarer Verfassung 1919 nun auch Frauen auf Bürgerrechte berufen und inkludierte der Begriff »Bürger« endlich Männer und Frauen – erzeugt die aktuelle sprachliche Unterscheidung von Bürgern und Bürgerinnen die Diskriminierung – Absonderung – die sie eigentlich zu nivellieren sucht. Die Debatte wirkt paradox: Wer sich in gendergerechter Sprache übt, betont deren diskriminierende Wirkung. Wer sich um sprachliche Kreativität bemüht, riskiert Missverständnis, Unverständnis und die Verschiebung des eigentlich intendierten Bedeutungskontextes. Wer sich heraushalten will, negiert, nivelliert, ignoriert – und provoziert dadurch wiederum die Debatte. Die Genderdebatte ist zugleich Bedingung und Effekt eines Diskurses, dessen Grenzen unklar verlaufen. Schwierig, im Streitfall zu entscheiden, welche Perspektive Gültigkeit erlangen kann – eine historische, linguistische, politische oder auch pädagogische? Die diskursive Kraft der Genderdiskussion droht in diesen anderen Diskursen zu versickern – oder ihnen Sprechverbote zu erteilen. Für diese Arbeit

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Ruge, Eugen (2021): Eine Frage der Endung. In Zeit-Online, 21.1.21., S. 61. Ebd., S. 61. Ebd., S. 61.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

musste eine Entscheidung getroffen werden: für den Umgang mit Identifikationen und Inklusionen derer, die bezeichnet werden sollen. Es wird grundsätzlich versucht, Diskriminierung zu vermeiden, wenn der intendierte Sinn auf diese Vermeidung angewiesen ist. Dafür werden PartizipI-Konstruktionen verwendet, um über die Tätigkeit, die die Tätigen verbindet, Inklusion zu artikulieren. Dies soll verhindern, die Anzahl der Diskriminierungen zu vergrößern, welche durch eine explodierende Quantität an Identifikationen zwangsläufig evoziert wird. Zudem soll auf geschlechtsidentifizierende Grammatik verzichtet werden, wenn und weil die Zuordnung keine Rolle spielt. Der Verfasserin ist es ein Anliegen, diskursive Referenzen bestehen zu lassen. So werden begriffliche Anwendungen, die historischen, feministischen, grammatischen oder anderen Diskursen angehören, nicht im Diskurs des Genderns aufgelöst, sondern der Widerstreit der Diskurse willkommen geheißen. Der Gebrauch der Grammatik in dieser Arbeit folgt daher der historischen Quelle und dem jeweiligen Diskurs. So wird beispielsweise im Verweis auf Derrida, Foucault und Lyotard usw. von Autoren gesprochen und eine überkommene männliche Grammatik benutzt, die sich auf die Quellenlage stützt. Wenn es jedoch um die Gesamtheit derer geht, die aus poststrukturalistischer Haltung lesen, schreiben, publizieren, so wird der Begriff der Autorschaft eingeführt – da für geistige Hervorbringungen, die Zuordnung zu biologischen oder sozialen Geschlechtskategorien irrelevant ist. Diskursive Widersprüche werden als produktiv angesehen, denn der Diskurs, der sich mit gerechter Sprache befasst, ist (noch) offenzuhalten. Er sollte nicht dadurch übergangen werden, dass lebenspraktisch oder gesellschaftlich »anerkanntere« Ungerechtigkeiten, wie z.B. die Ungleichbezahlung von Frauen, der potentiellen Benachteiligung von Jungen in der Primarstufe, Vorrang eingeräumt werden sollte. Es sind verschiedene Diskurse. Ihr Widerstreit ist fruchtbar und keiner der Diskurse sollte von übergreifenden – übergriffigen – Priorisierungen ausgelöscht werden. Im Sinne des Verständnisses der poststrukturalistischen Idee der Abweisung totalisierenden Denkens soll der Gefahr einer Richtig-/Falsch-Kategorisierung im Kontext einer Bestimmung gerechter Sprache entgegengetreten werden. Sprache ist ungerecht. Jedes Sagen sublimiert das Nichtgesagte. Nicht die Sprache hat jedoch die Aufgabe, Gerechtigkeit zu erzeugen, sondern dies obliegt denen, die die Sprache gebrauchen und deren Sätze Macht und Raum beanspruchen. Einem Bewusstsein für diese Ungerechtigkeit und der ethisch gebotenen Übernahme von Verantwortung für den Sprachgebrauch wird deshalb große Bedeutung beigemessen. Suggeriert die Debatte, dass es möglich wäre, qua Gesetz sprachliche Gerechtigkeit zu erwirken, so lädt sie ihre Teilnehmenden ein, sich dieser Fiktion zu unterwerfen. Einer solchen Unterwerfung: Dem Drucksen, Stolpern und Stochern im Nebel sprachlicher Ausweichmanöver, wird eine entschiedene Absage erteilt, denn sie bremst nach Meinung der Verfasserin die fruchtbare Reflexivität gegenüber der Unbeherrschbarkeit der Sprache und des eigenen sprachlichen

Formales

(Un-)Vermögens und verhindert die Entwicklung neuen sprachlichen Sinns. Gerechtigkeit in der Sprache kann nur in der Offenheit des Diskurses und im Gebrauch der Sprache intendiert werden. Daher stellt sich die Verfasserin der legitimen sprachlichen Verunsicherung, etwas möglicherweise nicht genderkonform auszudrücken oder den genderkorrekten Ton zu verfehlen – indem sie die Sprache gebraucht: Widerspruch provoziert – Differenzen produziert und damit die Fortschreibung des Diskurses begrüßt.

Zu den Hervorhebungen Hervorhebungen im Text, die eine Betonung evozieren sollen, werden kursiv geschrieben, originale Hervorhebungen als solche gekennzeichnet.

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Einleitung

»Wozu brauchen wir das, Frau Naumann?«, fragt John, Schüler der 7. Klasse einer Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein. Eine schlichte, zudem alltägliche Frage, die mich dennoch empfindlich trifft. Sie eröffnet eine Vielfalt von Begründungsmöglichkeiten, die den Sinn oder Zweck, das ästhetische Potential des gewählten Inhalts, seinen Kunstwert – oder auch grundlegender: musikalische Bildung als Kernanliegen musikpädagogischen Tuns – in den Blick nehmen lassen. Längst ist die bildungstheoretische und konzeptionelle Diversität im musikpädagogischen Diskurs angekommen – viele Antworten sind denkbar.1 Ich kann bzw. muss mich entscheiden. »Na, weil das zur musikalischen Bildung gehört und die ein unersetzlicher Teil deiner allgemeinen Bildung ist«, will ich entgegnen. Ein reflexiver Impuls verhindert, dass ich diesen Gedanken ausspreche. Welchem Begründungsmuster folge ich, welchem Paradigma spreche ich Plausibilität und Geltung zu? Es ist mir in diesem Moment unmöglich, eine Antwort zu geben, die zugleich John und mich selbst überzeugen würde. Für mich, die ich meine didaktischen Entscheidungen gegenüber den Lernenden verantworten sollte, ist das nicht nur blamabel, sondern in inhaltlicher und ethischer Perspektive problematisch. Es koexistieren vielfältigste Begründungszusammenhänge, warum Musik gelernt und gelehrt werden sollte. Kaiser benennt dazu vier Grundvorstellungen2 oder auch »Typologien der Rechtfertigungen musikpädagogischen Handelns3 «. 1

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Blanchard, Olivier (2019): Hegemonie im Musikunterricht. Die Befremdung der eigenen Kultur als Bedingung für den verständigen Umgang mit kultureller Diversität (Perspektiven musikpädagogischer Forschung). Münster/New York: Waxmann Verlag; vgl. auch Vogt, Jürgen (2018): Musikalische Bildung. In: Dartsch, Michael/Knigge, Jens/Niessen, Anne/Platz, Friedrich/Stöger, Christine (Hg.) (2018): Handbuch Musikpädagogik. Grundlagen – Forschung – Diskurse. Münster, New York: Waxmann, S. 36f. Vgl. Kaiser, Hermann J. (2011): Verständige Musikpraxis – Eine Antwort auf Legitimationsdefizite des Klassenmusizierens. In: Kaiser, Hermann J. (2018)/Heß, Frauke/Oberhaus, Lars/Rolle, Christian/Vogt, Jürgen unter der Mitarbeit von Rogg, Stefanie (Hg.): Gesammelte Aufsätze, Berlin: LIT Verlag, S. 257f. Vgl. Kaiser, Hermann J. (2018): Legitimationen musikpädagogischen Handelns in Deutschland. In: Dartsch/Knigge/Niessen/Platz/Stöger (Hg.) (2018), S. 39f.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

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Das Erziehungs-/Therapieparadigma, nach welchem Musik und Musikerziehung ihren Einfluss auf die Menschen- und Charakterbildung geltend macht. Das anthropologische Paradigma, das die Unentbehrlichkeit von Musik für das Menschsein an sich zum Ausdruck bringt und darauf hinweist, dass Musik »schon immer« in Verbindung mit dem Menschen zu sehen sei. Das kulturtheoretische Paradigma, das innerhalb eines bestimmten Kulturbegriffs Musik als Kulturgut und kulturelle Ausformung beschreibt, an der alle Menschen teilhaben können und sollen: Nach diesem Paradigma bildet sich menschliche Kultur auch durch Musik und den Umgang mit ihr im sozialen Kontext4 heraus. Das ästhetische Paradigma, das davon ausgeht, dass Musik einen unersetzbaren Modus ästhetischer Erfahrung bietet und auf dessen Grundlage Musik die Sinne auf einzigartige Weise angeht und hilft, die Wahrnehmung zu sensibilisieren und zu differenzieren. In dieser Perspektive verhilft Musik dem Menschen zu Erkenntnissen, die aus keinem anderen Modus von Welt-Erfahrung zu extrahieren sind.

Hinzuzufügen seien auch Perspektiven, die den »Eigenwert des Musikalischen«5 , die »Stiftung des Sozialen durch Musik«6 oder auch den besonderen Status von »Musik als Kunst«7 in den Blick nehmen. Aktuelle musikdidaktische Begründungen orientieren sich im Spektrum dieser Paradigmen, auf die sich die heterogenen Musikbegriffe, Vorstellungen zu musikalischer Bildung und Vermittlungskonzepte zurückführen lassen. Die Schwierigkeiten, musikpädagogisches Tun im Kontext

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Vgl. Kaiser (2011) in: Kaiser, Hermann J; Heß/Oberhaus/Rolle/Vogt (Hg.) (2018), unter der Mitarbeit von Rogg, S. 257f. Vgl. Varkøy, Øivind Robert (2016): Warum Musik? Zur Begründung des Musikunterrichts von Platon bis heute. Unter Mitarbeit von Hanne Fossum. Innsbruck, Esslingen am Neckar, Bern-Belp: Helbling Verlag. Vgl. Orgass, Stefan (2007): Musikalische Bildung in europäischer Perspektive. Entwurf einer kommunikativen Musikdidaktik. Hildesheim: Olms (FolkwangStudien, Bd. 6). Vgl. Vogt, Jürgen (2004): Das Allgemeine des Besonderen. Einiges zu Aufgaben und Möglichkeiten einer allgemeinen Musikpädagogik. In: Musikpädagogische Forschung in Deutschland: Dimensionen und Strategien; [Tagung des Arbeitskreises Musikpädagogische Forschung im Jahre 2002 … vom 25. bis zum 27. Oktober in Peseckendorf]. Essen: Verl. Die Blaue Eule, S. 85–104; Vogt, Jürgen (2019): Der musikalische Bildungskanon – ein bürgerliches Trauerspiel? Zum Funktionswandel musikalischer Kanonisierungen in der Schule. https://www.zfkm.org/19-vogt.pdf [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]; vgl. Heß, Frauke (2004): Stollen, Stollen, Abgesang … Die Spannung zwischen Besonderem und Allgemeinem im ästhetischen Erleben. Martin Seels Ästhetik des Erscheinens in musikpädagogischer Absicht gelesen. https://www.zfkm.org/04-hess.pdf. [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]; vgl. Wallbaum, Christopher (2013): Das Exemplarische in musikalischer Bildung. Ästhetische Praxen, Urphänomene, Kulturen – ein Versuch. http://www.zfkm.org/13-wallbaum.p df [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021].

Einleitung

allgemeinbildenden Musikunterrichts Lernenden gegenüber zu begründen, lassen sich einerseits auf die Diversifizierung der Begründungsmuster und andererseits auf das Erfordernis zurückführen, die fachdidaktische Vielfalt sowie die Fachspezifik des Musikalischen allgemeindidaktischen Prämissen unterzuordnen.8 Dass Musik an allgemeinbildenden Schulen unterrichtet werden soll und dafür der Legitimation seiner Inhalte und auch seiner Ziele bedarf, sei hier vorausgesetzt.9 Was jedoch unterrichtet werden kann, darf oder soll, entzieht sich der Möglichkeit allgemeingültiger Legitimation. In der Musikdidaktik tritt diese Widersprüchlichkeit mit zunehmender Prägnanz hervor, denn diese vertritt nicht nur die Anerkennung und Förderung vielfäl-

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Vgl. Lehmann-Wermser, Andreas (Hg.) (2016): Musikdidaktische Konzeptionen. Ein Studienbuch. Augsburg: Wißner-Verlag, S. 16; vgl. dazu auch Diskurse der Auseinandersetzung zur Kompetenzorientierung im Musikunterricht. U. a. Niessen, Anne (2008): Wider den bildungspolitischen Zeitgeist. Rezension von: Geuen, Heinz; Orgass, Stefan: Partizipation – Relevanz – Kontinuität. Musikalische Bildung und Kompetenzentwicklung in musikdidaktischer Perspektive (Aachen: Shaker 2007). http://www.zfkm.org/08-niessen.pdf [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]; vgl. Rolle, Christian (2008): Musikalische Bildung durch Kompetenzerwerb? Überlegungen im Anschluss an den Entwurf eines Kompetenzmodells »Musik wahrnehmen und kontextualisieren«. http://www.zfkm.org/sonder08-rolle.pdf. [zuletzt aufgerufen 22.12.2020, 9.40 Uhr]; vgl. Vogt, Jürgen (2008): Musikbezogene Bildungskompetenz – ein hölzernes Eisen? Anmerkungen zu den theoretischen Überlegungen zu einem Kompetenzmodell für das Fach Musik. http://www.zfkm.org/sonder08-vogt.pdf. [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]; vgl. Vogt, Jürgen (2010): Kein »Zurück zu Humboldt« – Nietzsches Ekel-Didaktik und die Zukunft unserer Lehranstalten. In: Karl-Josef Pazzini/Marianne Schuller/Michael Wimmer (Hg.): Lehren bildet? Vom Rätsel unserer Lehranstalten. Bielefeld: Transkript-Verlag, S. 175–197. https://www.acade mia.edu/418659/Kein_Zurück_zu_Humboldt_Nietzsches_Ekel_Didaktik_und_die_Zukunft _unserer_Lehranstalten?email_work_card=view-paper. [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]; vgl. Brenk, Markus (2014): Nur noch Etüden? – Kritisch-konstruktive Anmerkungen zur Kompetenzorientierung im Musikunterricht. http://www.zfkm.org/14-brenk.pdf [zuletzt aufgerufen am 22.12.2020, 9.40 Uhr]; vgl. Knigge, Jens (2014): Der Kompetenzbegriff in der Musikpädagogik: Verwendung, Kritik, Perspektiven. http://www.jensknigge.info/site/Publications_files/Knigg e%202014%20-%20Kompetenzbegriff.pdf [zuletzt aufgerufen am 22.12.2020, 9.40 Uhr]; Vogt, Jürgen (2019). Vgl. Nimczik, Ortwin (2013): Musik in formalen Bildungsinstitutionen. In: Kulturelle Bildung Online: https://www.kubi-online.de/artikel/musik-formalen-bildungsinstitutionen [zuletzt aufgerufen am 18.06.2019]. Für die bildungstheoretische Perspektive dieser Arbeit wird angenommen, dass ein »Korrespondenzverhältnis von Bildungstheorie und Didaktik« existiert. Es gelte außerdem die grundsätzliche Annahme, dass die diverse und heterogene Verfasstheit von Gesellschaft allgemeine Anerkennung erfährt und dass diese Vielfalt förderlich ist. Vgl. dazu Klafki in: Wolfgang in Friedrich W. Kron, Eiko Jürgens, Jutta Standop (2014): Grundwissen Didaktik. München: Ernst Reinhardt Verlag UTB, S. 38f. und Klafki, W.: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. Weinheim/Basel: Beltz Verlag.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

tigster heterogener Musikkulturen,10 sondern auch die Pluralität ihrer didaktischen Begründungsmuster.11 Der Umgang mit Heterogenität und Diversität findet seinen Ausdruck beispielsweise in trans-, inter- und multikultureller Musikvermittlung und besetzt inzwischen eine bedeutende Position im musikpädagogischen Diskurs.12 Wegweisende Arbeiten von Wolfgang Martin Stroh, Irmgard Merkt, Reinhard C. Böhle oder auch Volker Schütz bieten eine Grundlegung für potentielle Reaktionen auf den gesellschaftlichen Wandel bezüglich der wachsenden Aufmerksamkeit für Prozesse der fortschreitenden Diversifizierung und den Umgang damit.13 Die Verknüpfung dieser Ansätze zu musikdidaktischen – inhaltlichen – Fragestellungen beschreibt Clausen jedoch als noch unzureichend.14 Nach Auffassung der Verfasserin tendiert die Musikdidaktik dazu, die Heterogenität an sich zum Unterrichtsgehalt zu stilisieren. Angesichts der Erwartungen an einen interkulturellen Musikunterricht, der vorurteilsfreie, offene Begegnungen mit diversen Musiken ermöglichen soll, wandelt sich Heterogenität zur Norm.15 Es lässt sich beobachten, dass die Substitution inhaltlicher Positionierungen durch den Fokus auf »Heterogenität-an-sich« eine fachspezifische Inhaltsleere geradezu provoziert. Inhaltliche Positionierungen im Musikunterricht weichen zunehmend einer formalen Ausrichtung des Musikunterrichts, die zur Austauschbarkeit ästhetischer bzw. musikalischer Inhalte führt.16 »Man kann hier zunächst

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Vgl. Jank, Werner (Hg.) (2009): Musik-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. 3. Aufl. Berlin: Cornelsen Scriptor, S. 92, 125. Vgl. ebd., S. 13–15. Vgl. Clausen, Bernd (2013): Responses to Diversity: Musikunterricht und – vermittlung im Spannungsfeld globaler und lokaler Veränderungen. In: Knigge, Jens/Mautner-Obst, Hendrikje (2013) (Hg.): Responses to Diversity. Musikunterricht und -vermittlung im Spannungsfeld globaler und lokaler Veränderungen. Stuttgart. https://www.pedocs.de/volltexte/2013/8117/pdf/Knigge_Mau tner_2013_Responses_to_Diversity.pdf. [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021] S.: S. 9. Vgl. ebd., S. 9; vgl. dazu: Niessen, Anne/Lehmann-Wermser, Andreas (2012) (Hg.): Aspekte interkultureller Musikpädagogik. Ein Studienbuch. Augsburg: Wißner (Musikpädagogik im Fokus, 2). Vgl. Clausen, Bernd (2013): Responses to Diversity: Musikunterricht und – vermittlung im Spannungsfeld globaler und lokaler Veränderungen. In: Knigge/Mautner (2013), S. 9. Vgl. Kautny, Oliver (2012): Für eine Entlastung des interkulturellen Musikunterrichts. Diskussion Musikpädagogik 55/12, S. 17. Vgl. Vogt, Jürgen (2010): Vom Nicht-Verschwinden der Inhalte aus dem Musikunterricht. In: Vogt, Jürgen/Heß, Frauke/Rolle, Christian (Hg.) Inhalte des Musikunterrichts. Sitzungsbericht 2009 der Wissenschaftlichen Sozietät Musikpädagogik. Münster LIT Verlag, S. 7–12. Vgl. auch Vogt, Jürgen/Heß, Frauke/Rolle, Christian (Hg.) (2012): Musikpädagogik und Heterogenität. Sitzungsbericht 2011 der Wissenschaftlichen Sozietät Musikpädagogik. Münster: LIT-Verlag, S. 15.

Einleitung

ganz zu Recht von einem Verschwinden der Inhalte in einem extremen Konzept formaler Bildung sprechen.«17 Zwischen der Freiheit, aus dem Vollen schöpfen zu können und einem eklektizistischen Zugriff auf musikalische Inhalte im Kontext einer sich fortschreitend vervielfältigenden musikdidaktischen Situation verläuft ein schmaler Grat. Didaktische Entscheidungen artikulieren einen unausweichlich normativen Zugriff auf potentielle Unterrichtsgehalte. Mit dem Anspruch, der Vielfalt und Gleichwertigkeit gerecht werden zu können – und zu sollen – und der Stilisierung von Heterogenität-an-sich als Inhalt des Musikunterrichts gerät die Musikdidaktik jedoch in ein Dilemma. Eine didaktische – inhaltliche – Entscheidung, die diesen Anspruch zu verwirklichen sucht, destruiert sich selbst, wenn sie ihn einlöst. Es entsteht eine paradoxe Situation zwischen der Normativität der Entscheidung und der Prämisse der Anerkennung inkommensurabler Heterogenität und der damit verbundenen inhaltlichen Unentscheidbarkeit. Aktuelle Ansätze bieten diametrale Impulse zum Umgang mit dieser Problematik und empfehlen einerseits eine intentional de-homogenisierende Perspektive auf kulturelle Phänomene und Hervorbringungen (Ott 2012)18 und die konsequente Exploration von Vielfalt (Weber 2014/2020)19 . Kautny argumentiert andererseits im Verweis auf Luhmann kommunikations- und wahrnehmungstheoretisch und spricht sich für eine naturgemäße und sinnvolle Reduktion von Heterogenität aus.20 »Zunächst ist festzuhalten, dass jegliche Wahrnehmung und Kommunikation auf die Reduktion von Komplexität angewiesen ist. Hierfür bildet unsere Vorstellung Gestalten und Kategorien, dafür treffen wir z.B. Unterscheidungen in hoch versus tief, hell versus dunkel, Mann versus Frau, Migrant versus Nicht-Migrant usw. Wir ordnen durch diese Kategorien die uns sonst chaotisch anmutende Welt, um Sinn

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Vogt (2009), S. 7. Vgl. Ott, Thomas (2012): Heterogenität und Dialog. Lernen am und vom Anderen als wechselseitiges Zuerkennen von Eigensinn. In: Diskussion Musikpädagogik, H. 55/12, S. 4–10. Vgl. Weber, Bernhard (2014): »Think different!« Poststrukturale Impulse für eine Musikalische Bildung der Differenz. In: Brunner/Fröhlich (2014): Impulse zur Musikdidaktik. Festschrift für Mechthild Fuchs. Wien: Helbling, S. 39–59; vgl. auch Weber, Bernhard (2020): Ein didaktisches Denken im Plural: Differenzen aufdecken und Verborgenes offenlegen. Impulse für eine zeitgemäße Musikpädagogik. In: Buchborn, Thade/Thralle, Eva-Maria/Völker, Jonas (Hg.) (2020): Interkulturalität-Musik-Pädagogik. Hildesheim: Olms, S. 105–118; vgl. dazu auch Markert, Malte (2018): »Musikverstehen« zwischen Hermeneutik und Posthermeneutik. Würzburg: Königshausen&Neumann. Vgl. Kautny (2012), S. 17.

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herzustellen. Vielfalt muss beschränkt werden, sonst würden wir an ihrer schieren Menge und Möglichkeiten irre.«21 Entgegen dem fordert Ott eine »Heterogenitätsbrille«22 , um die »Dinge in eine ambivalente, komplexe, mitunter dialektische Beziehung zu bringen, zwischen schwarz und weiß z.B. diverse Graustufen zu entdecken, […].«23 Eine intentionale Abkehr von vereinfachendem, homogenisierendem Denken fordert auch Weber. Er beschreibt anhand von Unterrichtsprinzipien eine dekonstruktive – dekontextualisierende – didaktische Haltung gegenüber musikalischen Unterrichtsgehalten. Durch Dekontextualisierung musikalischer Inhalte soll ein bedeutungs- und wertoffener Blick bewirkt, engführende Sinnzuschreibung vermieden und (musikalisches) Denken in Alternativen ermöglicht werden.24 Aktuelle musikpädagogische Ansätze artikulieren ihr Unbehagen gegenüber normativen Setzungen und Zuschreibungen und intendieren die Vermeidung von Sinnreduktionen oder willkürlichen Ausklammerungen. Dies zeigt sich in den jüngeren Ausführungen zur Diversität von Musikbildungs-oder Kulturbegriffen.25 Offenkundig kann jedoch die Normativität didaktischer Entscheidungen weder in der Unterrichtspraxis negiert, noch in der Unterrichtstheorie aufgelöst werden. Auf diese Problematik weist Blanchard im Kontext seiner Untersuchung von Hegemonien im Musikunterricht hin.26 Nach Blanchard zielt auch die Intention der Abweisung kulturessentialistischer Hegemonien im Kontext musikdidaktischer Diversität ins Leere. Blanchard zeigt, dass hegemonialen Wissensordnungen nicht zu entrinnen ist – dass sie sogar als Grundlage interkultureller Diskursivität gelten können.27 »Die musikpädagogische Diskussion zum Umgang mit kultureller Diversität befindet sich in einer Sackgasse. Neue rezipierte Theorien werden seit jeher in die alten essenzialistischen Konzeptionen assimiliert. Denen zufolge ist kulturelle Vielfalt eine Realität und existierende Kulturen können objektiv bestimmt werden. Ebenso wird Musik als Objekt verstanden, in das sich Kulturen einschreiben, was 21

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Kautny (2012): S. 17. Kautny verweist auf Luhmann, Niklas (1999): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. 7. Auflage. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (1. Ausgabe 1984). Vgl. Niklas Luhmann 1999 (S. 92ff., S. 135ff., S. 193ff.) über Komplexitätsreduktion und Selektionsprozesse innerhalb von Wahrnehmung und Kommunikation. Vgl. Ott (2012), S. 5. Vgl. Ott (2012) in: Kautny (2012), S. 17. Vgl. Weber (2014), S. 54f. Vgl. Dartsch, Michael; Knigge, Jens; Niessen, Anne; Platz, Friedrich; Stöger, Christine (Hg.) (2018): Handbuch Musikpädagogik. Grundlagen – Forschung – Diskurse. Münster-New York: Waxmann. Vgl. Blanchard (2019). Ebd., S. 325.

Einleitung

wiederum vermeintlich objektiv analysierbar ist und eine Grundlage der interkulturellen Kommunikation darstellen kann.«28 Blanchard lenkt den Blick auf jene Praxen, die Wissensordnungen als Sinnüberschuss – über das Tun hinaus – produzieren. Jene Prozesse, die kulturelle Wissensordnungen hervorbringen und jene, die diese Wissensordnungen infrage stellen, stehen im Fokus aktueller musikpädagogischer Untersuchungen, die die Frage nach dem Was gegenüber dem Wie zurückstellen.29 »Praxen stellen somit immer auch Wissensordnungen her. Diese wiederum sind zum einen die Grundlage für die Wahrnehmung und damit die Herstellung kultureller Diversität, zum anderen verunmöglichen sie aber auch »wirkliche« kulturelle Diversität, da sie nur zu erfassen mögen, was in ihnen erfass- und erklärbar ist.«30 Nach Blanchard sollten in einem Musikunterricht, der die »multikulturelle Diversität berücksichtigen und thematisieren soll, wie dies wissenschaftlich-didaktische Überlegungen und Lehrpläne fordern, […] die vermittelten Inhalte, Praxen, Normen etc. als kulturelle konstruiert sichtbar gemacht, d.h. dekonstruiert werden.«31 Konstruktion und Dekonstruktion sollten nicht mit großem zeitlichem Abstand, sondern simultan erfolgen.32 Die Gleichzeitigkeit inhaltlicher Entscheidungen und ihre Delegitimierung führt jedoch in die Ambivalenz von Entscheidungen der Unentscheidbarkeit und damit zur Gleich-Gültigkeit von Inhalten. Dementsprechend zeigt sich im aktuellen musikpädagogischen Diskurs eine Tendenz zur Koexistenz heterogener Vermittlungsperspektiven. »Es wird ein Plädoyer für ein heteronomes Nebeneinander erhoben, wobei das Nebeneinander das Interesse füreinander zeigen und die konstruktive Verschränkung suchen sollte.«33

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Ebd., S. 325. Vgl. Campos, Samuel (2019): Praktiken und Subjektivierung im Musikunterricht. Zur musikpädagogischen Relevanz praktiken-und subjekttheoretischer Ansätze. Wiesbaden: Springer Verlag. Blanchard (2019), S. 325. Blanchard (2019), S. 326. Vgl. ebd., S. 326. Vgl. Schläbitz, Norbert (2004): Sprachspiele in der Musikpädagogik: – modern!? https://www.p edocs.de/frontdoor.php?source_opus=10145, S. 183.[zuletzt aufgerufen am 03.09.2021] Originalveröffentlichung Kaiser, Hermann J. [Hg.]: Musikpädagogische Forschung in Deutschland. Dimensionen und Strategien. Essen: Die Blaue Eule 2004, S. 183–211.

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Das Bekenntnis zur gleich-gültigen Koexistenz von Inhalten und Vermittlungsperspektiven hat Folgen für die Inszenierung von Musikunterricht – auch hinsichtlich der Wechselseitigkeit diskursiver Tätigkeiten Lehrender und Lernender. Das Bestreben, inhaltliche Hegemonien aufzulösen, ist nicht trennbar von jenen Instanzen, die die Inhaltlichkeit und die Gestaltung der Lehr-Lern-Diskurse verantworten. Didaktische Entscheidungen, deren Auswirkungen den Lehr-LernDiskurs initiieren und sowohl Lernende als auch Lehrende in ihren spezifischen Rollen hervorbringen, haben Konsequenzen in ästhetischer und ethischer Dimension. Aktuelle Untersuchungen im musikpädagogischen Diskurs nehmen daher Prozesse der Subjektivierung34 und die hegemonialen Verhältnisse im Lehr-Lern-Gefüge in den Blick.35 Das aus der klassischen Bildung überkommene neuhumanistisch überformte Menschenbild gerät in die Kritik.36 »Die Autonomie des modernen Subjekts löst sich […] in einem Geflecht aus Diskursen auf, welches seine Autonomie als illusionär erscheinen lässt.«37 Campos weist darauf hin, dass Subjekte ihre soziale Wirklichkeit und sich selbst durch ihre Praxis – wechselseitig – hervorbringen.38 Lernende gehören, so Campos im Verweis auf Foucault, dem Lehr-Lern-Diskurs an, bevor sie sich in ihn einschreiben. Das tradierte Bild vom selbstbestimmten Subjekt verfällt, denn es kann diesen Diskurs weder beginnen noch kontrollieren.39

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Vgl. Campos (2019). Vgl. Blanchard (2019). Vgl. Wimmer, Michael (2019): Posthumanistische Pädagogik. Unterwegs zu einer poststrukturalistischen Erziehungswissenschaft. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag; vgl. dazu auch Schläbitz, Norbert (2016): Als Musik und Kunst dem Bildungstraum(a) erlagen. Vom Neuhumanismus als Leitkultur, von der »Wissenschaft« der Musik und von anderen Missverständnissen. 1. Aufl. Göttingen: V&R Unipress. Campos (2019), S. 81; vgl. dazu auch Koller, Hans-Christoph (2012): Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer (Pädagogik), S. 90; vgl. dazu auch Lyotard, Jean-François; Vogl, Joseph; Clausjürgens, Reinhold (1989): Der Widerstreit. 2., korrigierte Aufl. München : Fink (Supplemente, 6), S. 108f. Vgl. Campos (2019), S. 236. Campos (2019), S. 81.

Einleitung

Didaktische Entscheidungen, die Lernenden Probleme bereiten,40 sie ent-orten, sie in ihrer Identität aufstören41 oder »aus dem Anzug« stoßen,42 können weder von Lehrenden noch Lernenden geplant und kontrolliert werden.43 Dennoch müssen im Kontext institutionalisierter musikalischer Bildung Entscheidungen getroffen und verantwortet werden.44 Im Anschluss an den aktuellen musikpädagogischen und musikdidaktischen Diskurs ergeben sich folgende Problemlagen: •







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Im Zuge der Diversifizierung steht das Allgemeine an sich und daher auch die Möglichkeit der Ver-Allgemeinerung von Musiken und Menschen als Projektionsfläche von Allgemeiner Bildung zur Disposition. Der Eigensinn des Musikalischen – als auch der des Individuums – kann sich nicht zur legitimierenden Instanz aufschwingen. Das Außerkraftsetzen der legitimierenden Instanz im Zuge des Bekenntnisses zum heteronomen Nebeneinander hält die Prozesse der Diversifizierung offen und betreibt die Abweisung hegemonialer, normativer Zugriffe. Lehrende, die Lehr-Lern-Diskurse im Raum institutionalisierter (musikalischer) Bildung verantworten, müssen infolgedessen unentscheidbare didaktische Entscheidungen treffen und nicht legitimierbare Entscheidungen legitimieren. Die Substitution inhaltlicher Positionierungen durch Heterogenität an-sich, bzw. formaler Gehalte birgt die Gefahr der inhaltlichen Beliebigkeit und sogar Inhaltsleere. »Es gibt […] keinen Bildungsbegriff mehr, aus dem Inhalte einfach abgeleitet werden könnten.«45 Können didaktische Entscheidungen nicht legitimiert werden, weil legitimierende Instanzen, wie beispielsweise ein übergeordneter Musik-oder Kunstbegriff zur Disposition stehen, entsteht im Raum institutionalisierter musikali-

Vgl. Dreßler, Jens: Problem und Bildung. Überlegungen zur Aktualität Martin Wagenscheins. In: Dreßler, Susanne (Hg.) (2016): Zwischen Irritation und Erkenntnis. Zum Problemlösen im Fachunterricht. Problem – Aufgabe – Kompetenz – Widerfährnis? Perspektiven zum Problemlösen im (Musik-)Unterricht – eine Interdisziplinäre Arbeitstagung; Arbeitstagung zum problemorientierten Unterricht; Universität Siegen. Münster, New York: Waxmann (Beiträge zur Lehrerbildung und Bildungsforschung, Band 1), S. 60. Vgl. Heß, Frauke/Gies, Stefan (Hg.) (2014): Kulturelle Identität und soziale Distinktion. Herausforderungen für Konzepte musikalischer Bildung. Esslingen: Helbling Verlag. Vgl. Dreßler, Susanne: Ästhetische Erfahrung im Musikunterricht oder Begegnung mit Klingendem, die uns »aus dem Anzug stößt«. In: Lehmann-Wermser (Hg.) (2016), S. 45. Vgl. dazu Oberhaus, Lars (2016): Das Ereignis des Anderen. Zum Umgang mit Alterität im Musikunterricht unter Berücksichtigung der Sozialphänomenologie von Emmanuel Lévinas. In: Hirsch, Markus (Hg.) (2016): Musik(unterricht) angesichts von Ereignissen. Münster: Waxmann Verlag. Vgl. Oberhaus (2016), S. 57f. Vogt (2009), S. 12.

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scher Bildung nicht nur ein inhaltliches Vakuum, sondern auch ein ethisches Problem. Die Anerkennung des gleichzeitig Verschiedenen erfordert einen bildungstheoretischen Perspektivwechsel, auf dessen Basis sich didaktische Entscheidungen begründen lassen: in inhaltlicher – ästhetischer und in ethischer Hinsicht. Diese notwendig gewordene Veränderung des bildungstheoretischen und musikpädagogischen Blickwinkels zeigt sich in aktuellen Explikationen, die die Auseinandersetzung mit der Inkommensurabilität, Heterogenität und Unbestimmbarkeit des Objektiven und Subjektiven artikulieren und anregen, im Kontext eines wachsenden Einflusses durch poststrukturalistische Denkmodelle. Die philosophische Strömung des Poststrukturalismus intendiert die Anerkennung und die Hervorbringung von Heterogenität. Es provoziert die Exploration des Neuen, Sinn-Anderen durch den konsequenten Zweifel an Totalitäten und entfaltet ein postmodernes46 Verständnis von Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft in ästhetischer und ethischer Dimension.47 Poststrukturalistisches Denken findet seinen Niederschlag nicht nur in bildungsphilosophischen Diskursen, sondern beeinflusst auch Disziplinen, die mit der Musikpädagogik Schnittmengen oder Berührungspunkte aufweisen und die für musikpädagogisches Nachdenken deshalb relevant sind. Als besonders ergiebig können Arbeiten aus den Bereichen Ästhetische und Theatrale Bildung erachtet werden.48 Terminologien, wie z.B. Inszenierung, performative Akte oder Spiel weisen auf potentielle Brückenschläge und Querverbindungen hin, die für die Darstellung und Gestaltung von Musikunterricht fruchtbar gemacht werden können.49 So setzen sich auch kulturwissenschaftliche oder soziologische Reflexionen mit poststrukturalistischen Implikationen auseinander und üben auf diese Weise Einfluss auf den musikpädagogischen Diskurs aus.50 Nicht zuletzt aktuelle Arbeiten 46 47

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Vgl. Lyotard, Jean-François/Engelmann, Peter (Hg.) (2015): Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. 8., unveränd. Aufl. Wien: Passagen (Passagen Forum). Vgl. Lyotard (2015), S 53–59. Vgl. dazu auch Kogler, Susanne (2014) Adorno versus Lyotard. Moderne und postmoderne Ästhetik. Orig.-Ausg. Freiburg i.Br.: Verlag Karl Alber (MusikPhilosophie, 6), S. 280. Vgl. Fischer-Lichte, Erika (2004): Ästhetik des Performativen. 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag; vgl. Liebau, Eckart; Klepacki, Leopold; Zirfas, Jörg (2009): Theatrale Bildung. Theaterpädagogische Grundlagen und kulturpädagogische Perspektiven für die Schule. Weinheim: JuventaVerl. (Beiträge zur pädagogischen Grundlagenforschung); vgl. Zirfas, Jörg: Das Spiel mit der Welt. Über das Theaterspielen. In: Liebau, Eckart; Zirfas, Jörg (2008): Die Sinne und die Künste. Perspektiven ästhetischer Bildung. s.l.: transcript (Ästhetik und Bildung, 2). Vgl. Kapitel 5: Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel. Vgl. Strätling, Regine (Hg.) (2012): Spielformen des Selbst. Das Spiel zwischen Subjektivität, Kunst und Alltagspraxis. Bielefeld: transcript; vgl. Wittig, Steffen (2018): Die Ludifizierung des Sozialen.

Einleitung

der Ethik, der Pädagogik und der pädagogischen Ethik zählen zum theoretischen Kontext dieser Untersuchung.51 Im musikpädagogischen Diskurs existieren unterschiedliche Perspektiven auf die bildende und musikalische Auseinandersetzung von Individuen mit Musik, die entweder inhaltliche Aspekte (Schläbitz 2004/2007/2016, Blanchard 2019, Weber 2014/2020), die Herausbildung von Subjekten im Lehr-Lern-Diskurs (Oberhaus 2013, Campos 2019, Hepp 2021) untersuchen oder sich auf der Ebene des didaktischen Meta-Diskurses verorten lassen (Weber 2014). Neben einer überschaubaren Anzahl deskriptiv-theoretischer Arbeiten (Schläbitz 2016, Bugiel 2021, Blanchard 2019, Hepp 2021), finden sich darunter auch empirische Einlassungen (Blanchard 2021, Campos 2019) – jedoch nur eine verschwindend geringe Zahl von Publikationen, die poststrukturalistische Einflüsse auf musikdidaktischer Ebene konkretisieren (Weber 2014, Markert 2018).52 Poststrukturalistische Implikationen ermöglichen die Darstellung der heterogenen und pluralen Verfasstheit von Gesellschaft und Kultur und bieten zudem Erklärungsmuster für die Koexistenz diverser inkommensurabler musikpädagogischer Diskurse.53 Sie manifestieren jedoch durch die Feststellung der Unentscheidbarkeit bzw. Unbestimmbarkeit subjektiver Dispositionen und objektiver Sinnhorizonte das didaktische Dilemma. Didaktische Entscheidungen, im Kontext institutionalisierter Bildung als notwendig erachtet,54 bedürfen der Rückbindung an eine Instanz, die dieser Entscheidung überindividuelle Gültigkeit zuspricht.55 Poststrukturalistische Theorien widersprechen der Existenz einer solchen Instanz nun grundsätzlich: Einen überindividuellen Musikbegriff oder abschließende Identifikation des lernenden Subjektes und demzufolge eine legitimierte [musik]pädagogische Absicht kann es nicht geben. Poststrukturalistisches Denken pointiert

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Differenztheoretische Bruchstücke des Als-Ob. Paderborn: Ferdinand Schöningh (Theorieforum Pädagogik, Band 10); vgl. Wimmer, Michael (2019): Posthumanistische Pädagogik. Unterwegs zu einer poststrukturalistischen Erziehungswissenschaft. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag. Vgl. Vock, Sara/Wartmann, Robert (Hg.) (2017): Ver-antwortung im Anschluss an poststrukturalistische Einschnitte. Paderborn: Verlag Ferdninand Schöningh; vgl. Fritzsche, Bettina/ Hartmann, Jutta/Schmidt, Andreas/Tervooren, Anja (Hg.) (2001): Dekonstruktive Pädagogik. Opladen: Leske und Budrich. Vgl. Kapitel 1.9: Poststrukturalistische Einflüsse auf Musikpädagogik und Musikdidaktik. Vgl. Schläbitz, Norbert (2004). Vgl. Lehmann-Wermser (Hg.) (2016), S. 16. Vgl. Kaiser (2018) in: Dartsch, Michael; Knigge, Jens; Niessen, Anne; Platz, Friedrich; Stöger, Christine (Hg.) (2018): Handbuch Musikpädagogik. Grundlagen – Forschung – Diskurse. S. 40–42. Nach Kaiser erfolgt die Rechtfertigung musikpädagogischen Handelns über sogenannte »letzte« Instanzen, wie bspw. Subjekte, Gruppen von Subjekten, Begriffen oder Institutionen, die Sachverhalte und Personen verknüpfen. Am Beispiel des Musikbegriffs, des Subjektbegriffs und des Programms »Jeki« als institutioneller Verknüpfung von Sachverhalt und Person führt er aus, wie sich der legitimatorische Zugriff vollzieht.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

somit die Ambivalenz des (musikdidaktischen) Umgangs mit der wachsenden Diversifizierung und führt in die resignative Erkenntnis, dass die Entscheidung für konkrete Unterrichtsinhalte letztlich unbegründet bleibt – sogar bleiben muss. In poststrukturalistischer Perspektive entfällt die Option, musikpädagogisches Handeln allgemeingültig zu legitimieren. Dadurch wird alles möglich und nichts letztgültig begründbar. Mit der Substituierung der »Heterogenität« als neue legitimierende Instanz führt das Alles geht unserer Zeitgenossenschaft zum Nichts muss und verstärkt auf diese Weise den Legitimationsdruck auf [Musik]Lehrende.56 Das Dilemma zwischen der Anerkennung des heteronomen Nebeneinanders musikalischer und musikdidaktischer Vielfalt und der Unmöglichkeit legitimierter didaktischer – inhaltlicher – Entscheidungen bleibt im musikpädagogischen Diskurs bislang ungelöst. Diese Arbeit versucht, einen Bogen zu schlagen: von der deskriptiven und theoriebildenden Auseinandersetzung mit poststrukturalistischen Denkfiguren und deren Niederschlag in bildungstheoretischen Ansätzen zur unterrichtspraktischen Konkretion auf musikdidaktischer Ebene. Es wird der Versuch unternommen, in poststrukturalistischer Lesart an die Feststellung der Unbestimmbarkeiten subjektiver und objektiver Sinnhorizonte unter Anerkennung der Notwendigkeit normativer didaktischer Entscheidungen anzuschließen. Dies geschieht mit der Zielsetzung, bildungstheoretische Impulse für die Modellierung einer dekonstruktiven Musikdidaktik zu generieren. Die Fragestellung, die diese Arbeit leitet, lässt sich wie folgt konkretisieren: Wie können in poststrukturalistischer Perspektive [musik]didaktische Entscheidungen als bildungstheoretischer Meta-Diskurs zugleich legitimiert und zur Disposition gestellt werden? Inwiefern eignet sich das Spiel als Form und Funktion für die Gestaltung und Inszenierung bildender Diskurse im Kontext einer dekonstruktiven Musikdidaktik? »Alles kann schließlich die Form des Diskurses annehmen, es läßt sich alles sagen und der Diskurs läßt sich zu allem sagen, weil alle Dinge ihren Sinn manifestiert und ausgetauscht haben und wieder in die stille Innerlichkeit des Selbstbewußtseins zurückkehren können.«57

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Vgl. Vogt, Jürgen (2015): Gibt es eine »ontologische Wende« in der Musikpädagogik? Rezension von: Frederik Pio & Øivind Varkøy (Hg.): Philosophy of Music Education Challenged: Heideggerian Inspirations (= Landscapes: theArts, Aesthetics, and Education 15). Dordrecht: Springer 2015. http://www.zfkm.org/15-vogt.pdf, S. 3. [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]. Foucault, Michel; Konersmann, Ralf; Seitter, Walter (1991): Die Ordnung des Diskurses. Erw. Ausg. Frankfurt a.M.: Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer-Taschenbücher Fischer-Wissenschaft, 10083), S. 31.

Einleitung

Die vorliegende Untersuchung folgt einem systematischen Forschungsansatz und verortet sich im bildungsphilosophischen Diskurs. Den theoretischen Bezugsrahmen bildet – wie eingangs begründet – die Strömung des Poststrukturalismus. Der methodische Zugriff auf poststrukturalistische Explikationen und Terminologien entfaltet sich – dem theoretischen Bezugsrahmen entsprechend – in der Schnittstelle von hermeneutischer und hermeneutikkritischer Auseinandersetzung, die sich zudem um eine ideologiekritische Verstehenshaltung bemüht:58 »Hermeneutik muß hinter den manifesten Sinn zurückgehen, um dasjenige, was in ihm zu Wort kommt, zu deuten; und sie muß dazu der Selbstauslegung jenes Wortes widersprechen, die Verknüpfungen des Bedeutungsnetzes auflösen und neu flechten, das Bewußtsein von seinem Befangensein in Illusion und Verzerrung befreien.«59 Der hermeneutische Zugriff auf hermeneutikkritische Texte poststrukturalistischer Prägung und Intention erfordert einen »weiteren Begriff von Hermeneutik«60 . Im Anschluss an Angehrn kann die Dekonstruktion als »bestimmte Weise des Philosophierens, des Lesens und Schreibens«61 als Spielart der Hermeneutik verstanden werden als deren grundlegende Interessen das Verstehen, das Erschließen und die Konstruktion von Sinnbezügen gelten können. Unter dem Dach der hermeneutischen Intention verbinden sich ideologiekritischer Anspruch und dekonstruktive Lesart und richten sich auf die Dekonstruktion selbst. »Eine ›Dekonstruktion‹ der Dekonstruktion bedeutet in diesem Sinne ihre Selbstreflexion, wohl wissend, dass sie als solche allein ihre theoretischen Bestimmungen trifft, nicht ihre Praxis.«62

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Vgl. Angehrn, Emil (2010/2015): Hermeneutik als Arbeit an den Grenzen des Sinns. http://edoc .unibas.ch/dok/A5839805 [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]; vgl. dazu auch Angehrn, Emil (2009): Hermeneutik und Kritik. https://edoc.unibas.ch/14756/1/BAU_1_005251705; S. 3/320 [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]. Angehrn verweist auf Ricœurs Konzept einer Hermeneutik des Verdachts, das für das Anliegen der Arbeit eine hilfreiche Perspektive bietet, um die dekonstruktive Geste des Ideologieverdachts auch im Zugriff auf hermeneutikkritische Texte wirksam werden zu lassen. Im Anschluss an Ricœur beschreibt Angehrn eine Verstehenshaltung, die »vom Vorbehalt gegen Selbstauslegung der uns begegnenden Sinngebilde getragen ist.«; vgl. dazu auch Angehrn, Emil (2004): Interpretation und Dekonstruktion. Untersuchungen zur Hermeneutik. 2. Aufl. Weilerswist: Velbrück-Wiss; S. 98. Angehrn (2004), S. 98. Ebd., S. 57; vgl. dazu auch Markert (2018), S. 9. Angehrn (2004), S. 57. Mersch, Dieter (2010): Posthermeneutik. Berlin: Akad.-Verl. (Deutsche Zeitschrift für Philosophie Sonderband, 26), S. 51.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Die bildungsphilosophische Untersuchung poststrukturalistischer Implikationen erfolgt in hermeneutisch-dekonstruktiver Perspektive und erzeugt dadurch paradoxe Verhältnisse zwischen Kritik und Hyperkritik. »[…] tatsächlich ist eine ›Dekonstruktion‹ der Dekonstruktion eine contradiction in adjecto, genauso wie eine ›Kritik‹ der Kritik, die zu kritisieren vorgibt, was sie selber betreibt.«63 Dieses Vorgehen erweist sich einerseits als unausweichlich, da sich eine dekonstruktive Intention ihren Beweggründen kritisch stellen muss und andererseits als geeignet, um den Kern didaktischen Denkens, überkommene Bildungsideale – auch poststrukturalistische – dekonstruieren zu können. Die Synthese der essentiellen Terminologien Diskurs und Spiel, sowie der Übertrag der gewonnenen bildungstheoretischen Impulse in die Musikdidaktik artikuliert sich in [musik]pädagogischer-dekonstruktiver Lesart: Erkenntnisse und Impulse werden präsentiert und zugleich kritisch zur Disposition gestellt. Da sich poststrukturalistisches Denken genuin einer homogenen Begriffsbildung oder verallgemeinerbarer Verwendungszusammenhänge verweigert, erweisen sich auch im Niederschlag poststrukturalistischen Denkens in der Bildungstheorie und in der Musikpädagogik terminologische Differenzen in Bezug auf den Diskurs, diskursive Tätigkeiten und Ereignisse. Die systematisierende Darstellung unterschiedlicher Fassungen poststrukturalistischer Diskurs- und Spielbegriffe wird daher als relevant erachtet, um die Implikation dieses Denkens in der Bildungstheorie nachvollziehen zu können. Dabei kann die Textauswahl weder auf das Kriterium der Exemplarizität noch der Vollständigkeit verweisen. In poststrukturalistischer Perspektive ist die Identifizierung eines Exempels im Hinblick auf eine Allgemeinheit unmöglich. Ebenso kann keine Vollständigkeit einer Wissensordnung behauptet werden, da die dekonstruktive Operation immer neue Differenzen aufscheinen lässt und Prozesse der Bedeutungszuschreibung daher unvollendet bleiben. Dieses Dilemma wird im Kontext der Untersuchung nicht aufgelöst, sondern der Versuch unternommen, die Ambivalenz im Sinne einer sinnstiftenden Differenzbildung produktiv zu nutzen und zu reflektieren.64 Die Fragestellung der Arbeit und der Versuch ihrer Beantwortung sind dem musikdidaktischen Diskurs zuzuordnen. Kern und Hauptanteil bilden jedoch die Aufarbeitung der Einflüsse poststrukturalistischen Denkens auf die allgemeine Bildungstheorie als theoretischer Basis für die Entwicklung von Kriterien, mithilfe derer sich eine dekonstruktive didaktische Haltung artikulieren lässt. Die Erarbeitung einer allgemeindidaktischen Orientierung wird als Grundlage für die fachspezifische Konkretion erachtet. Kapitel 1 dient der Darstellung der Grundzüge poststrukturalistischen Denkens auf der Basis ausgewählter Beiträge poststrukturalistisch verorteter Autoren: Jacques 63 64

Ebd., S. 51. Vgl. Kapitel 6.1: Methodische Reflexion.

Einleitung

Derridas, François Lyotards Michel Foucaults und für die ethische Dimension poststrukturalistischer Theoriebildung Emmanuel Lévinas, dessen Einfluss auf das Denken Derridas als bedeutsam erachtet werden kann.65 Deren Denkgebäude bilden die Bezugspunkte der bildungstheoretischen Explikationen, die im 2. Teil des Kapitels analysiert werden. Dafür werden Bildungsbegriffe und -konzepte von Hans-Christoph Koller (1999,2012), Norbert Meder (2004) und Christiane Thompson (2009) herangezogen. Im 3. Teil des Kapitels erfolgt die kritische Aufarbeitung der Implementierung poststrukturalistischer Ideen und Motive in den musikpädagogischen Diskurs. Die poststrukturalistisch beeinflussten bildungstheoretischen und musikpädagogischen Explikationen sollen jeweils hinsichtlich ihrer didaktischen Anschlussfähigkeit befragt werden. Die Prämisse der kritischen Abweisung totalisierender Meta-Diskurse lässt zunächst die Schlussfolgerung zu, dass das Ansinnen, eine Didaktik des Poststrukturalismus zu entwerfen, scheitern muss. Es finden sich jedoch Anknüpfungspunkte in der poststrukturalistischen Theorie, deren Paradoxie nicht im Widerspruch zum Anliegen dieser Arbeit steht, sondern die sich für die Problemstellung dieser Arbeit als konstruktiv und sinnstiftend erweisen. Kapitel 2 bietet eine Einführung in das Kaleidoskop des Spiels: seiner Merkmale, Eigenschaften und Bedeutungen. Spiel fungiert in den poststrukturalistischen Theorien als Analogie bzw. Metapher für den Diskurs und beschreibt ein dekonstruktives Movens, das dem Diskurs inhärent ist und die poststrukturalistische Intention der Abweisung totalisierender Tendenzen einlöst. Kapitel 3 führt »Diskurs« und »Spiel« zusammen. Es werden Kriterien für eine dekonstruktive didaktische Haltung erarbeitet, die die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel in Aussicht stellen. Der Übertrag der Kriterien in die Sphäre der Musikdidaktik geschieht in zwei Schritten. Zunächst erfolgt in Kapitel 4 die Erörterung und kritische Analyse von Spielkonzeptionen der Musikdidaktik in poststrukturalistischer Perspektive, für deren Darstellung die Kriterien nun als Referenz dienen. Herausgearbeitet werden Differenzen zwischen den didaktischen Implikationen des Spiels und den Kriterien einer dekonstruktiven didaktischen Haltung, um die dekonstruktive didaktische Perspektive zu schärfen. Im Anschluss daran werden im Kapitel 5 die Impulse für eine poststrukturalistisch orientierte didaktische Perspektive anhand unterrichtspraktischer Beispiele inhaltlich konkretisiert und veranschaulicht.

65

Münker, Stefan/Roesler, Alexander (2012): Poststrukturalismus. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Stuttgart, Weimar: Verlag J. B. Metzler (Sammlung Metzler, Band 322); vgl. auch Bilstein, Johannes; Winzen, Matthias; Wulf, Christoph (Hg.) (2005): Anthropologie und Pädagogik des Spiels. Weinheim: Beltz (Beltz Pädagogik, 15), S. 87–90; vgl. dazu Derrida, Jacques (1993); Übersetzung: Knop, Andreas/Wetzel, Michael: Falschgeld. Zeit geben I. München: Wilhelm Fink Verlag.

29

30

Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Ein potentieller Ertrag für den musikpädagogischen – bzw. musikdidaktischen Diskurs – wird in drei Perspektiven anvisiert. Der Übertrag poststrukturalistischer bildungstheoretischer Implikationen in die Musikpädagogik kann als bildungsphilosophischer Beitrag erachtet werden, aus dem Impulse sowohl für eine dekonstruktive allgemeine Didaktik als auch für eine dekonstruktive Musikdidaktik hervorgehen können. Eine dekonstruktive musikdidaktische Lesart wird bezüglich bestehender bildungsphilosophischer Ansätze und aktueller musikpädagogischer Problematisierungen, wie z.B. im Feld der Praxistheorie, der Subjektbildung, der Hegemoniekritik und in Bezug auf Umgangsweisen mit Heterogenität als potentiell produktiv und fruchtbar erachtet. Nicht zuletzt hinsichtlich der Spezifik des Musikunterrichtes erscheint eine poststrukturalistische Perspektive sinnstiftend. Obwohl Musikunterricht ebenso ästhetisch und anästhetisch gestaltet oder strukturiert sein kann,66 wie alle anderen Unterrichtsfächer auch, hebt sich sein Gegenstand: die Musik und sein Anspruch an die Potentiale ästhetischer Wahrnehmung, Erfahrung oder auch kreative Umgangsweisen mit ihm, von Fächern ohne diese Spezifik, ab. Diese Ansprüche und Verhältnisse in der institutionalisierten musikalischen Bildung erweisen sich – analog zum Verhältnis von Bildung und Didaktik – als paradox. Sollen Lernenden einerseits kreativ und künstlerisch tätig werden, was aus überkommener Vernunft hinausführt und neue Sinnhorizonte stiftet, werden sie andererseits der Rationalität der Kompetenzorientierung verpflichtet oder Wissensordnungen tradierter Kunstbegriffe und musikalischer Werke unterstellt.67 Die Paradoxien der Erziehung, die den unauflöslichen Widerspruch der »Freiheit bei dem Zwange« kolportieren, entzünden sich im Musikunterricht bereits an seinem diffusen Gegenstand: der Musik. In der spezifischen Sphäre einer Inszenierung von Musikunterricht als Spiel können diese Paradoxien in ästhetischer und ethischer Dimension sinnstiftend und produktiv entfaltet werden. Eine dekonstruktive didaktische Haltung artikuliert sich im Bekenntnis zur Inhaltlichkeit des Unterrichts und zur gleichzeitigen Reflexivität in Bezug auf den Grund inhaltlicher Entscheidungen. Sie überschreitet überkommene Vernunft68  – 66 67

68

Zur Differenzierung und Definition von Ästhetik und Anästhetik, vgl. Welsch (2010), S. 9–12. Vgl. Nationale Bildungsstandards. https://www.kmk.org/themen/qualitaetssicherung-in-schu len/bildungsstandards.html. [zuletzt aufgerufen am 18.10.2022.11.44 Uhr]; vgl. dazu Fachanforderungen Musik Schleswig-Holstein. https://fachportal.lernnetz.de/sh/faecher/musik/facha nforderungen.html. [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]. Der Begriff der »Vernunft« rekurriert in dieser Arbeit auf die Terminologie Meders, der im Anschluss an Wittgenstein und Lyotard »Vernunft« als ein Sprachspiel auffasst, das neben anderen inkommensurablen Sprachspielen existiert. Vernunft muss aus dieser Perspektive im Plural gedacht werden. Dadurch entfällt die Möglichkeit, »Vernunft« als hierarchisch übergeordneten Bezugspunkt des Allgemeinen anzuerkennen. Meder verweist auf die Tradition abendländischer Philosophie, nach der »Vernunft« – trotz unterschiedlicher Interpretatio-

Einleitung

so auch Bildungsziele und Erwartungshorizonte – und erlaubt die Exploration von Sinn. Lehrende und Lernende riskieren in einem Musikunterricht als Spiel den Verlust vorgängiger Dispositionen und Erfahrungen. Die Verantwortung, die Lehrende für die Lernenden und den Lehr-Lern-Diskurs übernehmen, ist dabei radikal und asymmetrisch, denn Lehrende agieren als Gastgebende der Bildung,69 in Hingabe an die Sache, ohne Gegengaben erwarten zu können. So widerspricht eine dekonstruktive Musikdidaktik auch »bildungsökonomischer« Didaktik, denn ihr Anliegen – ihre Bedingungen und ihr Gewinn – sind unvernünftig.

69

nen – bislang als ein Prinzip des Allgemeinen verstanden worden ist. Es zeigt sich nun ein paradoxes Verhältnis zwischen Legitimation und Delegitimation der »Vernunft«: »[…] Vernunft kann heute nicht mehr als letztbegründend gedacht werden, unbegründet faktisch Letztes kann aber auch nicht unter Ausschluss von Vernunft gedacht werden, wenn wir nicht unsere ganze Kultur und Denktradition über Bord werfen wollen.« (Meder (2004), S. 197.) Das Prinzip des Allgemeinen erlangt zwar als Referenz für das Besondere Gültigkeit, muss sich jedoch angesichts des Besonderen kritisch befragen lassen. Mit der Aussetzung des Prinzips des Allgemeinen durch die Geste der Dekonstruktion fügt sich dieser Wechselseitigkeit, die im Rahmen des allgemeinen Prinzips verbleibt, nun das Vernunft-Andere hinzu. In diesem Sinn impliziert die Begriffsverwendung »Vernunft« zugleich Darstellung und kritische Reflexion einer tradierten Rationalität und verweist darüber hinaus auf den Widerstreit der Vernunft mit Vernunft-Anderem: z.B. Unvernunft, Paralogie. Vgl. Meder, Norbert (2004): Der Sprachspieler. Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien. 2. wesentlich erw. Aufl. Würzburg: Königshausen & Neumann (Schriften zur wissenschaftlichen Pädagogik, 2), S. 197. Vgl. Wulf, Christoph/Göhlich, Michael/Zirfas, Jörg (Hg.) (2001): Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln. Weinheim und München: Juventa Verlag, S. 92f.

31

1. Bildung als Diskurs Poststrukturalistische Implikationen in Bildungstheorie und Musikpädagogik

Diskurs kann im Kontext poststrukturalistischen Denkens als zentraler Terminus gelten. Dessen divergente begriffliche Entfaltung entspricht der konstitutiven Verschiedenheit poststrukturalistischer Ansätze und Theorien. Die exemplarische und mehrperspektivische Erörterung wesentlicher Motive und Termini poststrukturalistischen Denkens stiftet daher die Substanz des Anfangs der folgenden Untersuchung. Die hierfür ausgewählten Autoren Derrida, Lyotard und Foucault betrachten den Diskurs auf semiotischer, strukturaler und materialer Ebene. Im Kaleidoskop dieser Theorien kann gezeigt werden, unter welchen Bedingungen und mit welchen ästhetischen und ethischen Konsequenzen sich Diskurse oder auch dekonstruktive Ereignisse vollziehen bzw. widerfahren. Bildung kolportiert die Idee der »Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung.«1 Die Dekonstruktion nach Derrida wird als spezifisch diskursives Verfahren eingeführt, um mehrperspektivische Auseinandersetzungen mit der Welt – Anderem und Anderen – darzustellen und zu ermöglichen. Aus dekonstruktiven Begegnungen mit Anderem und Anderen geht das Neue hervor, zeigt sich das Apriori des Sinns und ändern sich (inter)subjektive Verhältnisse und Verantwortlichkeiten. Die Dekonstruktion dient als Verfahren, um die poststrukturalistische Kernidee der Abweisung totalisierender Meta-Diskurse, einzulösen. In der synoptischen Darlegung der ausgewählten poststrukturalistischen Terminologien und Theorien und unter Einbeziehung des sozialethischen Konzeptes des »Antlitz« nach Lévinas können die Folgen dekonstruktiver Begegnungen und Tätigkeiten ebenso für bildende Vollzüge und sich bildende Subjekte mehrperspektivisch beleuchtet werden. Poststrukturalistisches Denken schlägt sich in aktuellen bildungstheoretischen Ansätzen und im musikpädagogischen Diskurs nieder. Die Ausführung

1

Humboldt, W.v. in Koller, Hans-Christoph (2012): Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungprozesse. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, S. 11.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

ausgewählter bildungstheoretischer Überlegungen soll aufzeigen, welche Voraussetzungen für diskursive, bzw. dekonstruktive Tätigkeiten und Vollzüge im Kontext von Bildung notwendig werden und welche Konsequenzen sie für Lehrende und Lernende zeitigen. Es folgt die Aufarbeitung poststrukturalistischer Einflüsse in aktuellen musikpädagogischen und musikdidaktischen Ansätzen. Hier zeigen sich Widersprüche und Dilemmata hinsichtlich der Implikation poststrukturalistischer Motive in die jeweiligen Intentionen musikalischer Bildung. Die Beschreibung, Erläuterung und Kritik der ausgewählten Ansätze zu bildender Diskursivität führt in die Problematisierung potentieller dekonstruktiver [musik]didaktischer Meta-Diskurse. Poststrukturalistische Theorien provozieren Widerspruch und Kritik, die in ihrer genuinen Paradoxalität wurzeln und hinsichtlich sozialer und gesellschaftlicher Verantwortlichkeiten – auch bezüglich institutioneller Bildung – Fragen aufwerfen. Es wird versucht, strittige Positionen und die Paradoxalität poststrukturalistischer Motive produktiv in das Anliegen einzubeziehen und einen Meta-Diskurs in Aussicht zu stellen, der sowohl der Dekonstruktion als auch der notwendigen normativen Artikulation von Bildungsintentionen gerecht werden kann. In dieser Absicht wird das Spiel als ästhetische Form und dekonstruktive Funktion für bildende Diskurse eingeführt.

1.1 Grundzüge des Poststrukturalismus »Über den Poststrukturalismus schreiben heißt, ihn zu erfinden.«2 Ein Versuch, den Poststrukturalismus zu definieren, wird dadurch eingelöst, dass er fehlgeht. Ob Poststrukturalismus als philosophische Strömung oder Theorie gefasst, als Haltung oder gar als Bewegung beschrieben werden kann, lässt sich nicht abschließend festlegen, denn die Ansätze und Ausführungen poststrukturalistischen Denkens erweisen sich als vielfältig und sogar unverhohlen widersprüchlich. Verbindend wirkt ein mitunter paradoxal-poetischer Sprachstil, der sich dem Verstehen nicht gerade anbiedert, sondern eher widersetzt. Nicht zuletzt diesem pointiert intellektuellen Stil verdankt der Poststrukturalismus seine Popularität über die Grenzen des philosophischen Fachpublikums hinaus.3 Ebenfalls von immenser Bedeutung für die Verbreitung poststrukturalistischer Ideen sind deren anarchische und antitotalitäre Tendenzen, die sich infolge der Aufarbeitung der katastrophalen Auswirkungen der ideologisch gesteuerten Despotien des 20. Jahrhunderts ausweiten und besonders seit den 1960er Jahren wachsender

2 3

Münker/Roesler (2012), S. IX. Vgl. ebd., S. VIII.

1. Bildung als Diskurs

Popularität erfreuen. Die Heterogenität poststrukturalistischen Denkens gründet in der Flexibilität und Übertragbarkeit der Idee, die Sprache als Paradigma zur Darstellung und Erklärung von Wirklichkeit heranzuziehen. Die »Hinwendung zur Sprache als grundlegendem Erklärungsmodell«4 steht im Zusammenhang mit der Bewegung des »linguistic turn«5 , die zunächst in den angelsächsischen Ländern Verbreitung findet und in deren Folge verschiedene »cultural turns«6 ausgelöst werden.7 Sie findet ihren Niederschlag ebenso im französischen Strukturalismus, jener philosophischen Strömung des 20. Jahrhunderts, die weniger als Philosophie oder Theorie, sondern eher als Methode und Tätigkeit beschrieben werden kann.8 Die strukturalistische Perspektive stellt sich in die Tradition der sprachphilosophischen Metaphysikkritik,9 denn sie befasst sich weniger mit den Effekten der Sinnzuschreibung als mit ihren sprachimmanenten Bedingungen. Die poststrukturalistische kritische Auseinandersetzung mit der strukturalistischen Methode hält deshalb Einzug in die verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen. Es gibt folglich keine einheitliche Theorie des Poststrukturalismus, sondern Charakteristika, die sich in verschiedenen theoretischen Programmen aufzeigen lassen.10 Es erweist sich zudem als schwierig, Autorschaften eindeutig dem Poststrukturalismus zuzuschreiben. Poststrukturalistisches Denken bezieht sich

4 5 6

7 8 9

10

Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 28. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. Bachmann-Medick, Doris (2010): Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften. Orig.-Ausg., neu bearb. Aufl., 4. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-TaschenbuchVerl. (Rororo Rowohlts Enzyklopädie, 55675), S. 7–13. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 28. Vgl. ebd., S. 28. Vgl. Engelmann, Peter (2004) in: Derrida, Jacques; Engelmann, Peter (Hg.) (2004): Die différance. Ausgewählte Texte. Stuttgart: Philipp Reclam jun (Universal-Bibliothek, Nr. 18338), S. 13, 23; vgl. auch Münker/Roesler (2012), S. 34; vgl. auch Derrida, Jacques; Gasché, Rodolphe (1972): Die Schrift und die Differenz. 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 426 und 441. Nach Engelmann kann Karl Marx’ Theorie als letztes Ideengebäude betrachtet werden, das seine metaphysische Befangenheit nicht selbst thematisiert. Mit Nietzsche lässt sich ein Beginn jener Meta-Problematisierung feststellen, die in der poststrukturalistischen Bewegung noch immer widerhallt. Als weitere unmittelbare Wegbereiter können auch Adorno – sein Plädoyer für die Differenz und die Abweisung identifizierenden Denkens, sowie Heidegger, der die Differenz ontologisch – unter Einbeziehung der Zeit – entfaltet, gesehen werden. (Vgl. Heidegger, Martin (2014): Identität und Differenz. 14.Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 37–40) Wie auch Heidegger kritisieren poststrukturalistische Autoren phänomenologische Thesen und versuchen, die absoluten Ansprüche Hegels spekulativer Dialektik zu entlarven (vgl. Heidegger (2014), S. 32; vgl. auch Münker/Roesler, S. XI). Die Bewegung des Poststrukturalismus sieht sich im Widerstand gegen die »Arroganz« abendländischer, neuzeitlicher Philosophie, die die Welt »restlos zu rationalisieren« versuchte (vgl. Münker/Roesler, S. XI). Vgl. Münker/Roesler (2012), S. IX.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

primär auf die Methode bzw. »Tätigkeit«11 des Strukturalismus, der die Deutung menschlichen Denkens und Handelns auf der Basis von Strukturen unternimmt.12 Inwiefern sich eine Autorschaft jedoch der kritischen Überwindung oder der Fortsetzung des Strukturalismus widmet, bleibt auch aus Perspektive der Autorschaften unfixierbar. So konstatieren Münker und Roesler: »Wohl keiner, den man ihm zurechnen kann – und somit niemand, den wir im Folgenden als Poststrukturalisten behandeln werden – würde sich selbst Poststrukturalist nennen.«13

1.1.1

Genese

Als wesentlicher Ausgangspunkt für die Anwendung der strukturalistischen Methode gelten die Vorlesungen des Schweizer Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure.14 Saussure beabsichtigte nichts weniger als die Neubegründung der Sprachwissenschaft. Er intendierte die Untersuchung der Bedeutungskonstitution durch die Sprache – unabhängig von Zugriffen seitens Psychologie, Theologie oder Philosophie, indem er die Strukturelemente und deren funktionale Beziehungen selbst zum Gegenstand der Untersuchung erklärte. Während traditionell das Vorhandensein eines Signifikats vorausgesetzt wird, das von den Prozessen der Bedeutungskonstitution unabhängig existiert und von der Sprache lediglich zu repräsentieren ist, trennt Saussure die bedeutungskonstituierenden Prozesse von den übergreifenden Teildisziplinen, die zwar Bedeutung beizusteuern meinen, aber nichts über die Funktionsweise sprachlicher Strukturen aussagen bzw. sich der Reflexion des Zustandekommens der Bedeutungsebene entziehen.15 Saussure unterscheidet drei Ebenen der Verwirklichung des Sprachlichen: »langage« als die menschliche Fähigkeit zu sprechen, »parole«, also den Akt des Sprechens als »konkrete Aktualisierung des virtuellen sprachlichen Codes«16 und »langue«, die Sprache an sich, die Saussure als den Gegenstand der Sprachwissenschaft betrachtet.17 Im Kern seiner Analysen steht das Zeichen als kleinstes Element der Sprache und Funktionsträger im Prozess der Sinnstiftung. Im Zeichen vereinen sich Signifikant und Signifikat – das Lautbild als »intrapsychische Vergegenwärtigung« und die inhaltliche Vorstellung, die damit verknüpft ist. Die Verbindung von Signifikant und Signifikat folge überkommenen Konventionen, sie sei nicht beliebig, sondern

11 12 13 14 15 16 17

Barthes, Roland in Münker/Roesler (2012), S. 28. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 28. Vgl. ebd., S. IX. Vgl. ebd., S. 1. Vgl. Engelmann (2004) in: Derrida/ Engelmann (Hg.) (2004), S. 22f; vgl. auch Münker/Roesler (2012), S. 4f. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 2. Vgl. ebd., S. 2. und vgl. dazu Engelmann (2004) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 23.

1. Bildung als Diskurs

gewachsene Konstitution sprachlichen Sinns – innerhalb einer gewählten sprachlichen Struktur. Es existiere jedoch keine externe Kausalität für die Zuordnung von Lautbild und Vorstellung. Der Grundsatz der »Arbitrarität des Zeichens« sagt aus, dass auf keinen außersprachlichen Grund verwiesen werden könne, der die Zuordnung von Zeichen und Bedeutung regelt. Folglich müsse sich die Bedeutungskonstitution sprachintern klären lassen.18 Sinn, so Saussure, entstehe nicht in Referenz auf Außersprachliches, sondern sei ein Effekt von Differenzen in der Relation der Elemente eines Systems zueinander.19 Um dem Bann metaphysischer Verknüpfung der Zeichen mit Außersprachlichem zu entrinnen, versucht Saussure eine Trennung der Zeichen von dem, was sie nicht sind, und untersucht die Beziehungen der Zeichen zueinander. Sprache konstituiert sich als relationales Gefüge von Signifikanten, die sich wechselseitig bestimmen, ohne auf ein transzendentales Signifikat zurückzugreifen. Bedeutung lässt sich nur aus den Differenzen sprachlicher Zeichen gewinnen – aus dem, was die Zeichen selbst nicht sind – und nur in Relation zu anderen Zeichen, deren Gehalte ebenso nicht absolut bestimmbar sind. Der Sinn selbst wird auf diese Weise uneinholbar. Die Sprache und ihre Struktur erscheint als unabschließbares offenes Feld unendlicher Möglichkeiten an Bedeutung. Das hat zur Folge, dass keine Instanz – vor oder außerhalb der Struktur der Sprache – anerkannt werden kann, die den Sinn zu kontrollieren oder die Bedeutungskonstitution zu regulieren versucht. Außersprachliche Referenzen werden methodisch ausgeschlossen. Mit dieser These wird das Subjekt als sinnzuschreibende außersprachliche Instanz verabschiedet. Für Saussure ist dies eine logische Konsequenz aus der Trennung der Sprache von bewusstseinsphilosophischen Übergriffen in Bezug auf den Prozess der Bedeutungskonstitution20 . Sprache konstituiert sich nun als System von Differenzen, als prinzipiell »unhintergehbare« Struktur, deren Gehalte austauschbar sind. Dies ist der Grund, warum die strukturalistische Methode auf verschiedene wissenschaftliche und ästhetische Disziplinen übertragen worden ist.21 Strukturalisten und Poststrukturalisten bleiben in ihrer Kritik an der metaphysischen Gebundenheit der Sprache und ihrem Bekenntnis zur Sprache als unhintergehbare Struktur verbunden. Poststrukturalistische Ansätze unterscheiden sich jedoch von strukturalistischen in ihrer Problematisierung des (fehlenden) Zentrums und der Grenzen der Struktur bzw. der Grenze des Sprachlichen. So führt die strukturalistische Methode unmittelbar zurück in die metaphysische Verstrickung, denn dem Denken an eine Struktur ist die Frage nach deren Verfasstheit und damit nach dem Ursprung als dem Zentrum dieser Struktur inhärent.

18 19 20 21

Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 4. Vgl. ebd., S. 4; vgl. auch Engelmann (2004) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 24. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 5. Vgl. ebd., S. 19f.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Der Struktur muss ein Prinzip zugrunde liegen, dessen Gesetz die Struktur als solche begründet. Ein solches Prinzip kann jedoch nur außerhalb der Struktur verortet sein, damit es für die Struktur Geltung – Herrschaft – erlangen kann. In der Frage nach dem Zentrum der Struktur entzündet sich die Kritik am Strukturalismus. Während sich Strukturalisten und Poststrukturalisten einig darüber sind, dass die Struktur der Sprache auf eine außersprachliche Referenz verzichten kann, radikalisieren die Poststrukturalisten diese Idee. »Alles […] ist Struktur – und nirgends hat sie ein Zentrum.«22 Ebenso radikal wird die Dezentralisierung des Subjektes weitergedacht. Die strukturalistische Methode erwirkt die Substitution der subjektiven Instanz durch die Struktur an sich. Die poststrukturalistische Bewegung radikalisiert die Entthronung des Subjekts, da es diesem infolgedessen unmöglich sein müsse, etwas außerhalb der Struktur zu denken. Nach der Substitution des Subjekts als Ausgangs- und Mittelpunkt sinnzuschreibender Prozesse durch die Struktur wird nun die Möglichkeit eines erkenntnisstiftenden Subjekts grundsätzlich in Zweifel gezogen, da die subjektive Instanz an sich ebenso unabgeschlossen und unbegreiflich konstituiert sei wie die Sprache, aus der das Subjekt hervorgeht. Strukturalismus und Poststrukturalismus eint die Tendenz zur kritischen Selbstreflexion modernen Erkenntnisgewinns. Poststrukturalistische Denker richten ihre Kritik darüber hinaus auch auf die strukturalistische Methode – den kritisierenden Prozess.23 »Während die Strukturalisten durch die Brille ihres Verständnisses der Strukturen auf die Welt schauen, richtet sich der kritische Blick der Poststrukturalisten auf die Brille selbst.«24 Der strukturalistischen Methode als Verfahren zur Entlarvung metaphysischer Gebundenheit folgt das Verfahren der Dekonstruktion nach Derrida25 , welche den Prozess der Bedeutungskonstitution als »Spiel der Differenzen« und unendlichen differenziellen Verweisungsprozess initiiert. An die Stelle der Negation einer letztgültigen Wahrheit als Ursprung des Sinns tritt mit Derrida die Exploration von Sinn und Wahrheit im Plural. Die Dekonstruktion radikalisiert und brüskiert die strukturalistische Methode, indem sie sich als hyperkritisches, jedoch selbst nicht kritisierbares Verfahren über die einfache strukturalistische Metaphysikkritik erhebt. »Es ist in der Tat keine Kritik an dem, was ich mache, möglich. […] Was man kritisieren kann […], das ist die Art und Weise, wie die Dekonstruktion in einem gegebenen Kompetenzgebiet interveniert. […] Aber der Typus dekonstruktiver Fragen, 22 23 24 25

Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 29. Vgl. ebd., S. 34. Vgl. ebd., S. 31. Vgl. Derrida (2004c): Signatur, Ereignis, Kontext. In: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 105; vgl. dazu auch Engelmann (Hg.) (1990/2010): Einleitung zu »Postmoderne und Dekonstruktion«, S. 18–20.

1. Bildung als Diskurs

den ich letzten Endes stellen will und der die Grenzen des Gebietes betrifft, kann nicht der immanenten Kritik des Gebietes unterworfen werden. Deshalb sage ich, dass die Dekonstruktion nicht kritisierbar ist.«26 Während die strukturalistische Kritik in der metaphysischen Gefangenschaft verebbt, initiiert das Verfahren der Dekonstruktion ein unendliches Spiel der Differenzen als unabschließbaren, produktiven und paradoxalen Prozess der Abweisung von Totalität. Die Paradoxalität der Intentionen und Verfahren ist den poststrukturalistischen Theorien inhärent und wird daher in diesen nicht aufgelöst. Die Kritik an der metaphysischen Gebundenheit der Sprache kann nur mithilfe sprachlicher Werkzeuge vollzogen werden. Die Möglichkeit, Totalität abzuweisen, besteht nur dann, wenn Totalität als solche anerkannt wird. Ein endgültiges Entkommen aus dieser Befangenheit ist in poststrukturalistischer Perspektive nicht denkbar. In dieser stabilen Instabilität paradoxaler Widersprüchlichkeit bleibt die Frage nach dem dekonstruierenden Subjekt und dem Ursprung des Spiels der Differenzen noch offen. Darüber hinaus ist festzustellen, dass poststrukturalistisches Denken in den Bereich des Ästhetischen vordringt. So zeigt sich auch in der Versprachlichung poststrukturalistischen Denkens ein bisweilen anarchischer, bisweilen kreativpoetischer Stil, der die »Unkontrollierbarkeit des Zeichens«27 und die Unendlichkeit der Möglichkeiten des Sinns performiert. Die Inaussichtstellung von Sinnstiftung im Plural und der Abweisung abschließender Sinnzuschreibung entfaltet sich im Poststrukturalismus in ästhetischer und ethischer Dimension, denn die Unverfügbarkeit des Sinns betrifft jedes Zeichen und jedes Zeichensystem – als Anderes und Andere(r).

1.1.2 Poststrukturalistische Begriffsbildungen Poststrukturalistisches Denken verortet die Prozesse der Bedeutungskonstitution im Raum der Sprache – und in Analogie zur Sprache – auf der Basis der divergenten Erscheinung und Beziehung ihrer Elemente. Verbindender Ausgangspunkt poststrukturalistischer Ansätze ist die kritische Abweisung von Totalität: die Negation transzendentaler Signifikate. Da sich jedoch die theoretischen Bezugsrahmen und Motive der Autorschaften unterscheiden, findet diese kritische Negation innerhalb unterschiedlicher inhaltlicher Sphären und bezüglich verschiedener Dimensionen des Zeichens statt. Dies führt dazu, dass die poststrukturalistische Ambition der

26 27

»Derrida im Gespräch mit Florian Rötzer«, in: Mersch, Dieter (2010): Posthermeneutik. Berlin: Akademie Verlag, S. 55. Vgl. ebd., S. 35.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Befreiung von metaphysischer Verstrickung zwar auf ein grundlegend gemeinsames Interesse verweisen kann, die Ausprägungen und die Konsequenzen dieser Bewegung jedoch verschiedene Begriffsbildungen und Schlussfolgerungen nach sich ziehen. So lassen sich in den ausgewählten Texten der Autorschaften verbindende Charakteristika nachweisen, die immer auf das Grundmotiv der Abweisung von Totalität zurückzuführen sind. Die Effekte, die sich aus der Implementierung dieser poststrukturalistischen Kernidee für die jeweiligen Sinnhorizonte, Wissenssysteme und Intentionen ergeben, sind jedoch keinesfalls kongruent oder austauschbar.28 Der poststrukturalistischen Überzeugung folgend, dass aus Differenzen Sinn hervorgeht und Widersprüche eine Tiefe des Nachdenkens und damit sinnstiftende Mehrdimensionalität und Plastizität provozieren, soll im Folgenden die poststrukturalistische Idee der kritischen Abweisung von Meta-Diskursen im Verweis auf die Autoren Derrida, Lyotard und Foucault entfaltet werden. Deren Gedankengänge und Begriffsbildungen schlagen sich in jenen Bildungstheorien nieder, die für die Untersuchung didaktischer Anschlussmöglichkeiten im Rahmen dieser Arbeit herangezogen werden. Derrida, Lyotard und Foucault problematisieren in ihren Ausführungen die Verabschiedung der metaphysischen Gebundenheit der Sprache und bekennen sich zu einem Denken von der Differenz her, welche als Effekt aus der Relation von Zeichen hervorgeht.29 Die differentiellen Effekte berühren in den genannten Ansätzen verschiedene Dimensionen sprachlicher Zeichen: die Dimension der Skripturalität, der Struktur und der ästhetischen Materialität der Zeichen. Diese Differenzierung kann auf die unterschiedlichen Schlussfolgerungen der Autorschaften zurückgeführt werden, die sich aus deren jeweiliger kritischer Auseinandersetzung mit den Widersprüchen einer Sprachphilosophie ergeben, die einerseits die Arbitrarität und Relationalität des sprachlichen Zeichens bezeugt, andererseits jedoch die Geschichtlichkeit und Veränderlichkeit der Grammatik, von der sowohl Position als auch Relation der Zeichen abhängt, nicht in den Blick nimmt. Diese für den Strukturalismus symptomatischen Widersprüche resultieren aus der momenthaften Betrachtung der Sprachstruktur im Anschluss an Saussure. Für eine konsequent linguistische Perspektive muss Saussure von einem unveränderlichen Zeichen ausgehen, um dessen Position und Funktion in seinem sprachlichen Kontext unabhängig von historischen, philosophischen, theologischen o.a. Bedeutungszuschreibungen untersuchen zu können. Dabei ist Saussure durchaus bewusst, dass Sprache und damit auch die sprachlichen Zeichen der vergehenden Zeit und damit ihrer Veränderlichkeit durch ihren Gebrauch unterworfen sind und dass das Verhältnis zwischen Signifikat und Signifikant aus zweierlei Perspektiven – synchron und diachron – zu untersuchen wären.30 Seine strukturalistische 28 29 30

Vgl. Münker/Roesler (2012), S. IX. Vgl. ebd., S. X. Vgl. ebd., S. 5.

1. Bildung als Diskurs

Linguistik bleibt jedoch intentional auf die synchrone Sprachanalyse beschränkt und schließt die Zeit als Einflussfaktor der Bedeutungskonstitution aus. Dies ändert sich im Zuge der poststrukturalistischen Kritik bzw. Fortschreibung der strukturalistischen Tätigkeit bei Derrida, Lyotard und Foucault. Die Einbeziehung von Zeit und Raum in den Prozess der Exploration von Sinn bewirkt eine Ausweitung des differenziellen Geschehens von der rein skripturalen Ebene über die strukturale Ebene bis in die Sphäre des Materiellen und Ästhetischen – bis in die Sphäre der Macht der Diskurse. Diese sprachlichen Sphären, die sprachlichen Strukturen und deren Widerstreit artikulieren sich im Diskurs, der im Folgenden als Kernbegriff poststrukturalistischen Denkens aus den genannten Perspektiven beleuchtet werden soll. Daher werden die ausgewählten Aspekte der theoretischen Entfaltung und Begriffsbildung der genannten Autoren weder gegeneinander ausgespielt noch argumentativ bewertet, sondern dienen zum einen der Entfaltung einer mehrdimensionalen und vielgestaltigen Perspektive auf die Idee des Poststrukturalismus und zum anderen als Grundlage für das Verständnis poststrukturalistisch beeinflusster Bildungstheorien, in denen sich sowohl die verbindenden poststrukturalistischen Charakteristika als auch die differentiellen Terminologien in ethischer und ästhetischer Konsequenz niederschlagen.

1.1.3 Der »Diskurs« – Terminologische Traditionslinien und Kontextualisierung Diskurs kann sowohl auf alltagssprachlicher als auch wissenschaftlicher Ebene inzwischen als Allerweltsbegriff und Modewort wahrgenommen werden.31 Aus dem Lateinischen stammend (discursus) und vom Französischen übermittelt (discours), umfasst der Begriff Bedeutungen wie z.B. Verkehr, Umgang oder Gespräch.32 Ferner wurzeln im davon abgeleiteten lateinischen Verb discurerre (auseinanderlaufen, umherlaufen oder sich ausbreiten) bedeutsame inhaltliche Erweiterungen,33 die den Diskurs auch im allgemeinen Sprachgebrauch als etwas erscheinen lassen, das erst durch die Beziehungen seiner Elemente zueinander Wirksamkeit und Geltung er-

31

32 33

Schalk, H. (1997): Diskurs: Zwischen Allerweltswort und philosophischem Begriff. Archiv für Begriffsgeschichte, 40, 56–104. www.jstor.org/stable/44805676 [zuletzt aufgerufen am 26.05.2022/11.27]; vgl. auch Ruoff (2013), S. 100. Pfeifer, Wolfgang (Hg.) (2000): Etymologisches Wörterbuch. München: dtv. (5. Aufl.), S. 230. Schmidt, Heinrich (1982): Philosophisches Wörterbuch, 21. Aufl., neu bearbeitet von Prof. Dr. Georgi Schischoff. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, S. 133; F. A. Brockhaus, Lexikonredaktion des Verlages (Hg.) (2004): Der Brockhaus-Philosophie. Mannheim, S. 264; Pfeifer, Wolfgang (Hg.) (2000), S. 230.

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langt.34 Alltagsterminologisch beschreibt der Diskurs eine Redesituation, die von der Wechselseitigkeit der Redebeiträge gekennzeichnet ist und die sich über einen zusammenhanglosen Austausch hinausgehend, der Argumentation verpflichtet.35 Im Kontext wissenschaftlicher Theoriebildung verhandeln Diskurse unterschiedlichste philosophie-, literatur-, sprach- und gesellschaftstheoretische Aspekte.36 Innerhalb der Geisteswissenschaften kann die Bezeichnung Diskurs einerseits die Termini Rede, Vortrag oder Aufsatz ersetzen, so diese genannten sprachlichen Konstrukte einer bestimmten Methodik der Ausarbeitung folgen. Andererseits umfasst Diskurs die Gesamtheit aller Beiträge eines Gesprächs, einer Unterhaltung oder Diskussion.37 Zwei Traditionslinien unterschiedlicher Interpretation und Verwendung des Diskursbegriffes lassen sich im Einflussbereich poststrukturalistischen Denkens ausmachen. Foucault, in der Traditionslinie von Gaston Bachelard und Georges Canguilhem, beschreibt mit Diskurs zunächst grundsätzlich den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken.38 Einen anderen Ansatz verfolgen Jacques Derrida und Jacques Lacan, die den Diskurs und Diskursivität aus linguistischer Perspektive betrachten, um die Funktionalität sprachlicher Elemente zu untersuchen und die Instabilität der Sprache und ihrer Bedeutsamkeit nachzuweisen. Konträr zum französischen Verständnis vom Diskurs, der Differenzen produziert und Dissens provoziert, steht die Position der Kritischen Theorie, wie sie von Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas vertreten wird.39 Wie Lyotard erleben diese Denker das Scheitern des Projektes der Aufklärung, welches das 20. Jahrhundert durch Totalität und Terror brandmarkte. Sie versuchen, ein neues Bild von Gesellschaft zu entwerfen – eines, das sich trotz der Mannigfaltigkeit gesellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Interessen als praktikabel für die Errichtung einer Demokratie erweisen würde. Apel und Habermas, die sich am amerikanischen Pragmatismus des 20. Jh. und damit an Denkern wie John Dewey, William James, Charles Peirce und George H. Mead orientieren, entwickeln einen progressiven Vernunftbegriff als dessen Fundament der Diskurs gilt. Während zu Zeiten diktatorischer Herrschaft, Vernunft noch als übergreifende, allem vorgängige Instanz gesetzt werden konnte, soll nun die Vernunft aus den jeweiligen Normen und Interessen der Gesellschaft (bei Habermas, die Lebenswelt) diskursiv, d.h. argumenta34 35 36 37 38 39

Sandkuhler, Hans Jörg (Hg.): Enzyklopädie Philosophie, Felix Meiner Verlag Hamburg 1999, S. 264ff. Ebd., S. 264ff. Schalk, H. (1997). S. 100. Ebd., S. 264ff. Ruoff, Michael (2013): Foucault-Lexikon. Entwicklung – Kernbegriffe – Zusammenhänge. 3., aktualisierte und erweiterte Aufl. Paderborn: Wilhelm Fink (UTB Philosophie, 2896), S. 99. Kammler, Clemens/Parr, Rolf/Schneider, Ulrich Johannes/Reinhardt-Becker, Elke (Hg.) (2014): Foucault Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Stuttgart, Weimar: Metzler Verlag. S. 207–210.

1. Bildung als Diskurs

tiv – logisch rekonstruiert werden.40 Dieser Diskurs soll zum Konsens führen, der für die Realität einer Gesellschaft als konstitutiv erachtet wird. Die Übereinstimmung kann jedoch nur momenthaft geltend gemacht werden, denn sobald hinterfragt würde, setzte sich der Diskurs fort und generierte wiederum Widersprüche und Differenzen. Wesentlich für den Prozess des Diskurses sind Regeln, die über die Teilnahme am Diskurs und den Fortgang des Diskurses bestimmen. So sollen die Teilnehmer des Diskurses gleichberechtigt und deren Redesituation herrschaftsfrei sein.41 Als problematisch erweist sich jedoch die Begründung dieser Regeln. Habermas führt die Konstitution dieser Regeln auf eine Vernunft zurück, die im Diskurs erst hervorgebracht werden soll.42 Habermas entwickelt in Folge der Krise der Moderne einen neuen Rationalismus, der den Diskurs zum Kommunikationsprinzip bestimmt. Die Aufgabe des Diskurses ist die Herstellung eines universalen Konsenses, der sich zu einem Normativen Telos43 bekennt. Somit rückt Habermas von der Möglichkeit eines ästhetischen Diskurses ab, da in solchem Diskurs kein Konsens erreicht werden kann.44 Der Diskursbegriff im Kontext dieser Untersuchung folgt den terminologischen Entfaltungen des Poststrukturalismus. Die im Folgenden vorgestellten Fassungen vom Diskurs gründen in der Idee, dass jede sprachliche Bedeutungskonstitution ein Effekt von Differenzen ist. Die Autoren Foucault, Lyotard und Derrida entwickeln ihr Verständnis vom Diskurs jedoch in unterschiedlichen Sphären des Sprachlichen und auf der Basis verschiedener Qualitäten der Differenz. Während Derrida auf der Ebene sprachlicher Zeichen und der Schrift verbleibt, beschreibt Lyotard Differenzen zwischen den Modi der Satzverkettung und den daraus resultierenden differenten Sprachspielen und Diskursarten. Foucault, auf den die Popularisierung des Diskursbegriffes und dessen zentrale Position im poststrukturalistischen Denken maßgeblich zurückgeht, untersucht die Entstehung, die Ausdehnung und Mechanismen der Beschränkung der Diskurse im Zusammenhang jener Machtverhältnisse, die zwischen dem Diskurs und dessen Außen bestehen. Entsprechend der Perspektive verweisen die Denkmodelle auf semiotische, strukturale und materiale Differenzen. Im Kontext der ausgewählten Ansätze wirkt der Diskursbegriff wie ein Prisma, welches die konstitutive Mehrperspektivität poststrukturalistischen Denkens sichtbar macht. In dieser Untersuchung soll der Versuch unternommen werden, die Beziehungen der Diskurselemente und der diskursiven Vollzüge ent-

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Horster, Detlef (2010): Jürgen Habermas – Eine Einführung, Darmstadt: WBG Verlag. S. 22. Ebd., S. 36. Ebd., S. 37ff. Ebd., S. 13. Geisenhanlüke, Achim (2020): Narben des Geistes. Zur Kritik der ästhetischen Erfahrung der Moderne. München: Wilhelm Fink Verlag, S. 113.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

sprechend in ihrer Differenz mehrperspektivisch-prismatisch darzustellen, ohne diese Differenzen in einem neuen Diskursbegriff aufzulösen. Poststrukturalistisches Denken intendiert die Befreiung des Sprachlichen von externen oder übergreifenden Bedeutungszuschreibungen durch Meta-Diskurse, wie beispielsweise der Gesellschaftspolitik, der Ökonomie, der Ethik oder der Theologie. Eine Untersuchung des Diskursbegriffes, seiner Elemente und Vollzüge in poststrukturalistischer Perspektive muss sich daher – im Unterschied zur Diskurstheorie und Diskursethik nach Habermas und Apel – von Intentionen abgrenzen, die ihm diese Meta-Diskurse sublim verordnen. Der Diskursbegriff des Poststrukturalismus entzieht sich intentional Prämissen übergreifender Rationalität – auch der Möglichkeit eines Konsenses unter dem Dach einer Vernunft, denn eine poststrukturalistische Blickrichtung verweist durch das terminologische Prisma ihrer Diskursbegriffe in die Mehrdeutigkeit und Mehrperspektivität – auch der Vernunft. Berücksichtigung finden dagegen nichtdiskursive Motive und Aspekte, die diskursive Ereignisse und Vollzüge evozieren oder beschränken.

1.1.4 Vom Ereignen der Differenz – Semiotische, strukturale und materiale Perspektiven auf den Diskurs Die Differenz bildet in den Denkfiguren poststrukturalistischer Autorschaften ein Kernmotiv. Sie verschiebt, irritiert, provoziert, generiert neuen sprachlichen Sinn und gemahnt zugleich an noch Ungedachtes und Ungesagtes. In komprimierter Form sollen Diskursbegriffe der Autoren Derrida, Lyotard und Foucault vorgestellt werden, deren Entfaltung von Differenzen auf semiotischer, strukturaler und materialer Ebene zu entsprechend differenten Diskursbegriffen führt. Im Folgenden sollen wesentliche Terminologien innerhalb der Denkmodelle der Autoren erläutert und damit einerseits die Voraussetzung für das Verständnis poststrukturalistischer Denkfiguren und andererseits für deren Implikation in aktuelle Bildungstheorien herausgearbeitet werden. Auf dieser Basis können die poststrukturalistischen Perspektiven auf sich bildende Subjekte und die [de]konstruktiven Prozesse der Auseinandersetzung des Selbst mit Anderem und Anderen gleichsam nachvollzogen und für die Entwicklung eines (de)konstruktiven didaktischen Diskurses fruchtbar werden.

1.1.4.1

Die Ambivalenz von Abwesenheit – zum Diskursbegriff nach Jacques Derrida

Derrida verwendet den Diskursbegriff als Ausdruck für den Prozess der Exploration und der Zuschreibung von Sinn, welcher als Effekt der Relation und somit in der Differenz der Zeichen entsteht. Der Diskurs formalisiert sich in Sprache, Schrift und

1. Bildung als Diskurs

Text.45 Diskurs beschreibt nach Derrida zudem eine Kette unendlich fortschreitender Substitutionen sprachlicher Zeichen. Der Sinn (Signifikat), der selbst abwesend ist, wird durch einen Signifikanten (Zeichen) ersetzt. Nach Derrida ist jedoch bereits das Signifikat »nur« ein Signifikant – ein sprachliches Zeichen, welches dem Denken bereits zur Verfügung steht und die eigentliche Präsenz, den Ursprung des Sinns, substituiert.46 Sprachliche Zeichen sind nach Derrida paradoxal konstituiert. Sie sind material anwesend, verweisen jedoch auf die Abwesenheit des wahren Sinns und die (Un)Möglichkeit, den Ursprung eines Sinnhorizontes zu identifizieren. Die Paradoxalität des Zeichens bildet in der Theorie Derridas ein Kernmotiv und ist verknüpft mit der Problematisierung des Verhältnisses von Sprache und Schrift hinsichtlich deren Ursprünglichkeit. Derrida kritisiert und entlarvt das logozentrische Denken des Abendlandes aristotelischer Tradition hinsichtlich der Annahme, dass mit dem gesprochenen Wort Seelenzustände und wahrer Logos bekundet würden, weil dieses Denken eine Präsenz des Logos im Zeichen voraussetze.47 Deshalb kehrt Derrida das Verhältnis von Schrift und Sprache um und spricht sich für einen Vorrang der Schrift gegenüber der Sprache aus, um die Signifikation aus der metaphysischen Gefangenschaft zu befreien.48 Der Begriff »Sprache« umfasst – traditionell – Vieles: »Kommunikation, Relation, Ausdruck, Bezeichnung oder Konstitution von Sinn«.49 Als Grund für die Überdehnung des Begriffes »Sprache« durch metaphysische Ein- und Überschreibungen sieht Derrida die Unterstellung, dass die Schrift als bloßes »Supplement der Sprache« gehandelt würde und dass das gesprochene Wort der Schrift zuvorkomme.50 Die metaphysische »Extension« und Vereinnahmung reduziere jedoch das differentielle Potential der sprachlichen Zeichen. Es gelte, dem Auslöschen der Sprache an sich entgegenzuwirken und der Sprachwissenschaft die Sprache zurückzugeben – durch die Selektion dessen, was ihr nicht angehört. In seiner Konzeption der »différance«51 sucht Derrida, den Nachweis zu erbringen, dass die Schrift als ein von

45 46 47 48

49 50 51

Vgl. Kapitel 1.2.1.3: Dekonstruktion. Vgl. Kapitel 1.2.1: Die Differenz vom Eigenen her – Zur Signifikation und Bedeutungskonstitution nach Derrida. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 42. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 119; vgl. Derrida (2004b): Das Ende des Buches und der Anfang der Schrift.In:Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 31–51; vgl. auch Münker/Roesler (2012), S. 41f. Vgl. Derrida (2004b) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 32. Vgl. ebd., S. 32f. und S. 39. Derrida speist seinen Neologismus »différance« aus den Wörtern »différer«, »différence« und dem Partizip Präsens »différant«. Vgl. Derrida (2004): Die différance., S. 117–119. Mit dieser Wortschöpfung vereinigt er unterschiedliche Bedeutungen und Bewegungen, die den ur-

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

metaphysischer Gefangenschaft zu bereinigendes System von Zeichen dem gesprochenen Wort vorausgeht. »Schrift« ist nach Derrida dasjenige Zeichensystem, welches aus Signifikanten besteht, die wiederum auf Signifikanten verweisen, weil das Signifikat zum einen abwesend ist und zum anderen, weil ein Signifikat nicht identisch mit seinem Zeichen sein kann und daher nicht vollständig durch ein Zeichen ersetzt werden kann. Die Schrift ist sinnlich wahrnehmbar und endlich. Ihre Äußerlichkeit – Exteriorität – des entspricht der des Zeichens.52 Sie repräsentiert den funktionalen Bezug ihrer Elemente, die eine Abweisung metaphysischer Übersteigung ermöglicht: »Schrift ist Bedingung der episteme, ehe sie ihr Gegenstand sein kann.«53 Die Schrift findet als Zeichengewebe ihre Form im Text.54 Die Frage nach dem Ursprung – der Präsenz – stellt Derrida deshalb konsequent aus der Perspektive der Schrift. Dies erklärt nicht nur seine paradoxe Ausdrucksweise, sondern auch die Einführung der Konstrukte »Ur-Schrift«55 und »Spur«, mit denen Derrida auszudrücken beabsichtigt, was in der Schrift zugleich abwesend und anwesend sein kann. Die Ur-Schrift nimmt nicht den Platz einer ersten Schrift ein, sondern sie ist gleichzusetzen mit der Funktion, Möglichkeiten des Sinns bereitzustellen, indem Zeichen mit Inhalt verbunden werden können. Sie ist Ausdruck der Ermöglichung der Substitutionsbewegung56 der Signifikanten. »Die Urschrift wäre aber in der Form und in der Substanz nicht nur des graphischen, sondern auch des nicht-graphischen Ausdrucks am Werk. Sie soll nicht

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sprünglichen Begriffen zuzuordnen sind. Da die besondere Schreibweise – der Austausch des »e« gegen ein »a« im Französischen unhörbar ist, dient die »différance« zugleich der Veranschaulichung der These, dass eine Vorrangstellung des gesprochenen Wortes gegenüber dem geschriebenen anzuzweifeln ist. Vgl. Kapitel 1.2.1.2: »supplementaritè« und Sinnüberschuss. Vgl. Derrida (2004b) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 45. Vgl. Derrida, Jacques (1974): Grammatologie. https://monoskop.org/images/3/34/Derrida_Ja cques_Grammatologie_1974.pdf [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021], S. 50.(49.) Hervorhebung im Original. Vgl. Derrida (2004b) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 45. Münker/Roesler verwenden im Verweis auf die Grammatologie die Schreibweise »UrSchrift«, aus den übersetzten Zitaten geht jedoch die Schreibweise »Urschrift« hervor. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 44f. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 115. Zeichen substituieren Abwesendes. Nach Derrida stellt das, was substituiert wird, ein weiteres Zeichen – einen Signifikanten – dar. Da eine Instanz negiert wird, die für die Identifikation eines Signifikates, d.h., der Festschreibung eines Sinns sorgen und damit den Verweisungsprozess unterbrechen kann, geht Derrida von einem unendlichen Substitutionsprozess aus. Vgl. dazu Kapitel 1.2.1: Die Differenz vom Eigenen her – Zur Signifikation und Bedeutungskonstitution nach Derrida.

1. Bildung als Diskurs

nur das Schema liefern, das die Form mit jeder graphischen oder anderen Substanz verbindet, sondern auch die Bewegung der sign-function, die den Inhalt an einen – graphischen oder nicht-graphischen – Ausdruck bindet.«57 Derrida provoziert und generiert semiotische Ambivalenzen und Widersprüche, indem er die Grenze seiner skripturalen Perspektive auf das Zeichen überschreitet und strukturale und materiale Qualitäten des Zeichens einbezieht. Dies vollzieht Derrida – ohne die Perspektive der Schrift zu verlassen – durch die Unterscheidung des Zeichens in »signe« und »marque« unter Einbeziehung der Dimension der Zeit.58 »Signe« beschreibt ein allgemeines Zeichen, welches in jeder Sprache – auch der der Gebärden und der artikulierten Sprache – die Abwesenheit eines Signifikats voraussetzt. Die »signe« der Schrift ist zudem von der Abwesenheit des Empfängers geprägt, welche Derrida in der Ansicht bestärkt, die Zeichen und die Funktionalität der Sprache vom metaphysischen Schrift-Außen zu trennen. Der Raum des geschriebenen Zeichens »signe« markiert keine Lücke, kein Nicht, sondern in ihm erscheint die Spur des Vergangenen als »marque«, welche ein Bedeuten in Zukunft ermöglicht. Das Zeichen als »marque« hebt es aus der Zeitlosigkeit der Schrift heraus, denn als Teil der Struktur der Schrift trägt es Spuren als Merkmale des Vergangenen in sich.59 Das paradoxe Konstrukt der »Spur«,60 dessen Anwesenheit die Abwesenheit des Signifikats bedingt, bildet eine Brücke zwischen der Anwesenheit des Zeichens und Abwesenheit des Sinns. »Der Ursprung ist, wie das Tier, das eine Spur hinterlassen hat, immer schon nicht mehr da, wenn wir die Spur wahrnehmen.«61 Deutlich wird hier der zeitliche Verzug: Das Erscheinen der Spur löst einen nachträglichen Prozess des Bezeichnens aus. »Und doch ist uns bewußt, daß dieser Begriff seinen eigenen Namen zerstört und daß es, selbst wenn alles mit der Spur beginnt, eine ursprüngliche Spur nicht geben kann.«62 In der Spur findet sich das »Gedächtnis des Zeichens«,63 in ihr schwingt, was die »Wahrheit des Seins überschreitet«.64 Die Explikation der »Spur« als paradoxes Aufscheinen des bereits Vergangenen erlaubt es Derrida, die Vorgängigkeit der Schrift gegenüber der Sprache zu be-

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Derrida in Münker/Roesler (2012), S 45. [Hervorhebung im Original]. Vgl. Mersch (2010), S. 56. Derrida (2004a): Die différance. In: Derrida, Jacques; Engelmann, Peter (Hg.) (2004), S. 125. Vgl. Derrida, Jacques (1974): Grammatologie, S. 107f.; vgl. auch Münker/Roesler (2012), S. 45; Vgl. auch Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 125. Münker/Roesler (2012), S. 45. Vgl. Derrida (1974), S. 107f. Vgl. Mersch (2010), S. 57. Vgl. Derrida (2004c): Signatur, Ereignis, Kontext. In: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 105.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

haupten.65 Das, was als Zeichen erkannt werden kann, muss zuvor »gezeichnet«66 worden sein. Die grundsätzliche Möglichkeit – und Notwendigkeit – Zeichen zu wiederholen und zu kontextualisieren betont dessen paradoxe Beschaffenheit. So bilden Iteration und Alteration sowie Geschichtlichkeit und Zeitvergessenheit voneinander untrennbare Bedingungen des Zeichens.67 Mit dem Ausdruck »graphem« gesteht Derrida dem Zeichen auf struktureller Ebene Raum zu. Es erhält materielle Qualität.68 Diese strukturelle Möglichkeit, des Signifikats beraubt zu werden, macht aus jedem Zeichen ein graphem (marque différentielle).«69 Das Graphem besetzt einen Raum im zeitlichen Verlauf der Bedeutungskonstitution als unendlichem differenziellen Prozess der Substitution von Signifikanten.70 Das System, welches diese Substitutionsbewegung organisiert, definiert Derrida mit »Diskurs«: »Es ist dies der Augenblick, da infolge der Abwesenheit eines Zentrums oder eines Ursprungs alles zum Diskurs wird – vorausgesetzt, man kann sich auf dieses Wort verständigen –, d.h. zum System, in dem das zentrale, originäre oder transzendentale Signifikat niemals absolut, außerhalb eines Systems von Differenzen, präsent ist.«71 Das Verfahren, das die Exploration von Spuren vorantreibt – d.h., dass die Abweisung einer letzten Wahrheit, einer fixierbaren Erkenntnis bejaht –, beschreibt Derrida mit »Dekonstruktion«.72 Dekonstruktion hält den Substitutionsprozess, das »Spiel der Differenzen«, in Bewegung, weist ein totalisierendes Zentrum zurück und ermöglicht wiederum die Hervorbringung von Differenzen und damit Sinnstiftung. Der Kern der Ausführungen von Derrida und gleichzeitig der Gewinn für die folgende Untersuchung besteht in seiner Überschreitung der Ebene der Skripturalität des Zeichens zur Strukturalität. Derrida erweitert seine semiotische Perspektive um die »ontologische Differenz«.73 Durch die Einbeziehung der Zeit in die Prozesse der Bedeutungskonstitution erfahren Differenzbildung und Sinnstiftung eine Materialisierung. Prozesse der Sinnstiftung und Sinnzuschreibung vollziehen sich nun in Dimensionen des Menschseins: in Zeit und Raum. Derrida

65 66 67 68 69 70 71 72 73

Vgl. Mersch (2010), S. 56f. Vgl. ebd., S. 56f. Vgl. ebd., S. 56f. Vgl. ebd., S. 57. Vgl. Derrida (2004c) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 85. Vgl. Kapitel 1.2.1: Die Differenz vom Eigenen her – Zur Signifikation und Bedeutungskonstitution nach Derrida. Vgl. Derrida (1990/2010a): In: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 117. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 20f. Vgl. Mersch (2010), S. 41.

1. Bildung als Diskurs

beschreibt diese Prozesse als paradoxale Vollzüge, denn sie beziehen sich auf eine Präsenz des Sinns – eine letzte Wahrheit –, die im Zeichen niemals anwesend sein kann bzw. im Sinn der Negation von Totalität abgewiesen werden soll. Wesentlich für das Verstehen dieses Ansatzes ist, dass Derrida die Provokation durch die Paradoxalität seiner Denkgebäude bereits thematisiert. Sie ist Teil seines Konzeptes und konstitutiv für die Hervorbringung von Sinn im Zusammenhang des Verfahrens der Dekonstruktion.

1.1.4.2 Sprachspiele und die Paralogie der Erfindung – zum Diskursbegriff nach François Lyotard François Lyotard entwickelt seinen Diskursbegriff in Anlehnung an Wittgensteins Sprachspieltheorie74 und unternimmt auf dieser Basis eine Systematisierung und Hierarchisierung sprachlicher Äußerungen.75 Nach Lyotard wird jede Aussage, jeder Satz nach einem Regelsystem – dem Sprachspiel – gebildet. Ein Satz fungiert im Sprachspiel als Spielzug.76 Die Sätze werden von vier Instanzen bestimmt: dem Referenten (»was«), der Bedeutung (»wovon«), dem Empfänger (»für wen«) und dem Sender (»durch wen«).77 Diese Instanzen können explizit benannt, aber auch im Verborgenen bleiben oder mehrdeutig sein. Jeder Satz präsentiert die Instanzen in funktionaler Relation zueinander und unterscheidet sich darin grundlegend von anderen Sätzen.78 Es zeigen sich aber »Familienähnlichkeiten« zwischen Sprachspielen.79 So lassen sich bestimmte Darstellungsmodi oder Formationsregeln80 verallgemeinern, wie z.B.: Fragen, Argumentieren, Erkennen, Beschreiben oder Zeigen.81 Sprachspiele werden durch ihre Regeln, Eigenschaften und den Gebrauch bestimmt und die Sätze nach diesen Regeln miteinander verkettet82 . Modifikationen von Regeln bewirken eine Veränderung der Kategorie des Sprachspiels. Der Verkettung kann sich kein Satz entziehen, denn auch Schweigen wäre ein Folge-oder Gegenzug. 74 75 76 77

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Vgl. Reese-Schäfer, Walter (1995): Lyotard zur Einführung, Junius Verlag Hamburg (3. Aufl.), S. 26. Vgl. ebd., S. 63. Zur Verwendung der Analogie »Sprachspiel-Spiel« bei Lyotard, vgl. Kapitel 2.4.1: Die Inkommensurabilität der Sprachspiele. Vgl. Lyotard, Jean-François; Vogl, Joseph; Clausjürgens, Reinhold (1989): Der Widerstreit. 2., korrigierte Aufl. München: Fink (Supplemente, 6), S 125; vgl. dazu Koller, Hans-Christoph (1999): Bildung und Widerstreit. Zur Struktur biographischer Bildungsprozesse in der (Post-)Moderne. Zugl.: Hamburg, Univ., FB Erziehungswiss., Habil.-Schr., 1997. München: Fink, S. 34. Vgl. Koller (1999), S. 34. Lyotard übernimmt von Wittgenstein den Begriff der »Familienähnlichkeit«. Vgl. Wittgenstein, Ludwig (202211 ): Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Vgl. Koller (1999), S. 35. Vgl. ebd., S. 35. Vgl. Lyotard et al. (1989), S. 10.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Sätze verschiedener Regelsysteme können miteinander verkettet, jedoch nicht ineinander übersetzt werden.83 Die Legitimation dieser Regeln wird zwischen den Spielern explizit oder implizit ausgehandelt. Die Einhaltung der Regeln determiniert die Zugehörigkeit zum jeweiligen Sprachspiel als Regelsystem. »Es geschieht ein Satz.«84 Instanzen, wie z.B. das Subjekt, dessen Botschaft oder Intention dem Sich-Ereignen der Sätze zuvorkommen, bestreitet Lyotard. Den Sätzen gehen jedoch deren Regelsysteme voraus – diese aktualisieren sich im Moment der Artikulation des Satzes. Das bedeutet, dass kein Satz der Erste sein könne.85 Ein Satzuniversum sieht sich durch die Vorgängigkeit von Regelsystemen von Vereinnahmung bedroht.86 Der Moment seiner Artikulation ist ein Moment der Entscheidung über die Zugehörigkeit oder Inkommensurabilität des Satzes in Bezug auf ein Regelsystem. Ein Satz, der geschieht, löst an der Grenze zwischen Diskursarten einen Konflikt aus: »[…] Kein Satz ist der erste. Das bedeutet nicht nur, daß andere ihm vorausgehen, sondern auch, daß sich Verkettungsmodi, die in den vorhergehenden Sätzen impliziert und folglich möglich sind, anschicken, diesen Satz zu vereinnahmen und ihn in die Verfolgung eines Spieleinsatzes einzuschreiben, sich mittels seiner zu aktualisieren. In diesem Sinne wird ein Satz, der geschieht, innerhalb eines Konflikts zwischen Diskursarten ins Spiel gebracht.«87 Der Diskurs stellt somit nach Lyotard ein Sprachspiel höherer Ordnung dar, denn aus der Unterscheidung von Diskursarten lassen sich Regeln ableiten, die die Verkettung ungleichartiger Sätze ermöglichen.88 Das, was zudem ein Sprachspiel vom Diskurs unterscheidet und diesen einer höheren Sinnordnung zuweist, ist Lyotards Unterstellung eines Zwecks.89 Da Lyotard jedoch – poststrukturalistisch konsequent – die Abweisung der Möglichkeit eines Meta-Diskurses verfolgt und damit auch die Normativität anthropozentrischer Kausalität kritisiert, muss der Begriff des Zwecks anders gedeutet werden. Mit ihm verbinden sich nach Lyotard keine Intentionen von Subjekten, die einer höheren Bedeutung eingeschrieben sind, sondern der Zweck berührt die Funktionalität des Sprachspiels und implizite Strategien, die die Zugehörigkeit zum Diskurs zu erwirken suchen.90 Der

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Vgl. ebd., S. 10. Ebd., S. 227. Vgl. ebd., S. 227. Vgl. ebd., S. 227. Ebd., S. 227. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 10 und S. 246. Vgl. ebd., S. 10 und S. 246.

1. Bildung als Diskurs

Konflikt, der durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Diskurse – Regelsysteme, Sprachspiele – verursacht wird, lässt sich als Rechtsstreit auflösen oder als Widerstreit produktiv offenhalten. Ein Widerstreit entbrennt sowohl an der Nahtstelle zwischen zwei Sätzen als auch zwischen Diskursarten als Streit um den im Sinne der jeweiligen Diskursart plausiblen Verkettungsmodus.91 Jeder Satz, der geschieht, schließt die Gleichzeitigkeit anderer Sätze aus, die anstelle des Gesagten hätten artikuliert werden können. Dem Ungesagten widerfährt im Moment des Sagens Unrecht. Nach Lyotard muss jedoch »Jedes Unrecht […] in Sätze gebracht werden.«92 Damit das Ungesagte Geltung erfährt, muss verhindert werden, dass ein Diskurs den anderen vereinnahmt und in sich auflöst. Während der Konflikt im »Rechtsstreit« innerhalb einer der Diskursarten verhandelt und (auf)gelöst werden kann,93 beschreibt »Widerstreit« einen offenen, »instabilen Zustand«, der die Möglichkeit in Aussicht stellt, das Ungesagte zu sagen. Dem Widerstreit gerecht werden heißt, dass neue Verkettungsregeln gefunden werden müssen, um dem Anderen und dem Nicht-in-Betracht-Gezogenen Ausdrucksmöglichkeit zu verschaffen. Dies erfordert den Einsatz neuer Referenten, Sender, Empfänger und Bedeutungen. Neue Satzfamilien entstehen, neue Diskursarten – und neue »Klugheit«.94 Im Widerstreit verketten sich Sätze inkommensurabler Diskursarten – was zu einem Paradoxon führt, denn dem Widerstreit müsste ein Regelsystem vorausgehen, welches die Verkettung ordnet und damit das Sprachspiel »Widerstreit« artikuliert und aktualisiert. Das Paradoxon besteht darin, dass die Beschaffenheit des Universums des Widerstreites gleichzeitig Bedingung und Ergebnis des Widerstreites ist. Konstitutiv für einen produktiven Widerstreit ist der Erhalt des paradoxen Verhältnisses von Bedingung und Konsequenz und damit die Anerkennung des Zustandes der Offenheit und Unentschiedenheit. Die Abweisung der totalitären Herrschaft einer Diskursart über die andere als Rechtsstreit ermöglicht die Offenhaltung des Widerstreits und die grundsätzliche Anerkennung der Heterogenität der Bedeutungen und der mit ihnen verbundenen Diskurse. Lyotard verbindet mit dieser Anerkennung die Forderung, neue Verkettungsmodi und damit neue Spielzüge und neue Diskursarten zu erfinden.95 Dem Bekenntnis zur Mannigfaltigkeit von Sätzen, Sprachspielen und Diskursarten folgt die Abweisung der Voraussetzung einer universellen Vernunft.96

91 92 93 94 95 96

Vgl. Koller (1999), S. 37. Lyotard (1989) et al., S. 33. Vgl. Koller (1999), S. 50. Vgl. Lyotard (1989) et al., S. 33. Vgl. ebd., S. 33f. Vgl. ebd., S. 33.,

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Nur aus der Unentschiedenheit und Unentscheidbarkeit kann das neue Sprachspiel, die neue Diskursart hervorgehen. Die Originalität dessen, was aus dem Widerstreit hervorgeht, ermöglicht eine neue – andere Form der Legitimation des Wissens: die Paralogie.97 Der Widerstreit setzt sich für die Anerkennung heterogener und inkommensurabler Rationalitäten ein. Das Neue, das aus dem Widerstreit hervorgeht, entbehrt der Referenz auf überkommene Regeln, Strukturen, Wissenssysteme oder andere rationale Ordnungen. Während Innovationen die Effizienz tradierter Systeme ermöglichen, stellt die Paralogie eine andere Vernunft, auch produktive Unvernunft in Aussicht.98 Das Neue entsteht, ohne dass es der Bindung an das Alte oder einer Subsumtion überlassen wird. Lyotard entwickelt die Konzepte des Widerstreites und der Paralogie auf der Basis der Abweisung legitimierender Meta-Diskurse und eröffnet mit ihnen neue Perspektiven der Gesellschaftsanalyse, die die plurale und heterogene Konstitution der Gesellschaft nicht nur erklären, sondern ihnen diesbezüglich Produktivität zuerkennt. Die Konzeptionen des Widerstreites und der Legitimation durch Paralogie kolportieren den ethischen Anspruch, mit der Neuschöpfung von Diskursarten und Spielregeln dem Zerfall der Gesellschaft und der Auflösung des sozialen Bandes entgegenzuwirken.99 Die Abweisung von Meta-Diskursen erfolgt nach Lyotard aus Gründen der Gerechtigkeit und der Einsicht, dass nur neues Wissen legitimiert sein kann. Damit etabliert Lyotard eine ethische Perspektive, die den Widerspruch, selbst Meta-Diskurs zu sein, bereits in sich trägt.100 Mit der Anerkennung der Heterogenität der Diskurse verknüpft Lyotard die »Forderung nach einer entsprechenden diskursiven Praxis.«101 Lyotard zeigt das Dilemma auf, ohne es aufzulösen. Die Sätze der Ethik geraten in einen Widerstreit mit den Sätzen der Unhintergehbarkeit der Pluralität aller Diskurse. Innerhalb des Widerstreites bleibt die Unentscheidbarkeit oder Gleichrangigkeit der Sätze erhalten. Lyotards Konzeption bietet keine Perspektive, die den ethischen Meta-Diskurs außerhalb der Sätze und Diskursarten verorten würde. Der Gewinn aus Lyotards poststrukturalistischem Ansatz wird zum einen im Motiv des offenen Widerstreites gesehen.102 Des Weiteren ergibt sich aus dem Konzept der Legitimation durch Paralogie ein wertvoller Anknüpfungspunkt hinsichtlich der Legitimationsproblematik der [Musik]Didaktik, und zwar vor allem deshalb, weil paralogisches Denken der Sphäre des Ästhetischen zugeordnet und Vgl. Lyotard in Lyotard, Jean-François/Engelmann, Peter (Hg.) (2015): Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. 8., unveränd. Aufl. Wien: Passagen (Passagen Forum), S. 143. 98 Vgl. ebd., S. 144. 99 Vgl. ebd., S. 55 und Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 11. 100 Vgl. Koller (1999), S. 40; vgl. auch Koller, Hans-Christoph (2012): Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Stuttgart: Kohlhammer (Pädagogik), S. 94. 101 Vgl. Koller (2012), S. 94. 102 Vgl. ebd., S. 87 – 97. vgl. dazu Kapitel 1.7.2: Bildung als offener Widerstreit. 97

1. Bildung als Diskurs

ihm kreative Intentionen und Offenheit unterstellt werden kann.103 Als besonders bedeutsam wird jedoch die Widersprüchlichkeit erachtet, die Lyotard zwischen Abweisung von Meta-Diskursen und der Formulierung ethischer Prämissen selbst etabliert. Sie lässt Folgerungen zu, die einen Umgang mit dem Normativitätsproblem der Didaktik im Widerstreit mit Bildungstheorien und -begriffen in Aussicht stellen.

1.1.4.3 Die Macht der Diskurse – zum Diskursbegriff nach Michel Foucault Foucaults Diskursbegriff unterscheidet sich von dem Derridas darin, dass er dem Diskurs material-empirischen Gehalt zuerkennt. Der Diskurs vollzieht sich in Zeit und Raum als unerschöpfliches Spiel des (Aus-)Tauschs von Zeichen. Im Diskurs nach Foucault verbinden sich Denken und Sprechen zu materieller, d.h. sinnlich erfahrbarer Wirklichkeit.104 Foucaults Kritik richtet sich gegen die Tradition abendländischer Philosophie, die dem Diskurs den Raum abspricht, den dieser natürlicherweise zwischen dem Denken und der Sprache einnimmt.105 »Seitdem die Spiele und die Geschäfte der Sophisten verbannt worden sind, seitdem man ihren Paradoxen mit mehr oder weniger Gewißheit einen Maulkorb angelegt hat, scheint das abendländische Denken darüber zu wachen, daß der Diskurs so wenig Raum wie möglich zwischen dem Denken und der Sprache einnehme; es scheint darüber zu wachen, daß der Diskurs lediglich als Kontaktglied zwischen dem Denken und dem Sprechen erscheine; daß er nichts anderes sei als ein Denken, das mit seinen Zeichen bekleidet und von Wörtern sichtbar gemacht wird, oder als die Strukturen der Sprache, die einen Sinneffekt herbeiführen können.«106 Das begründende Subjekt nutzt »Zeichen, Male, Spuren, Buchstaben«, um seine Beziehung zum Sinn zu offenbaren. Es erzeugt damit eine Oberfläche, die den Sinn in seiner Tiefe nur spiegelt, jedoch nicht in seiner Gänze präsentiert. Der Diskurs verliert seine volle Realität, indem er sich der Ordnung des Signifikanten unterwirft und seinen eigentlichen Bedeutungshorizont, der sich in Zeit und Raum erstreckt, verfehlt. Er repräsentiert ein Erzählen vom Logos. Der Logos und die Dinge 103 Vgl. Meder, Norbert (2004): Der Sprachspieler. Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien. 2. wesentlich erw. Aufl. Würzburg: Königshausen & Neumann (Schriften zur wissenschaftlichen Pädagogik, 2), S. 10. und 59–66; vgl. dazu Kapitel 1.7.3: Bildung als Dekonstruktion – die Figur des »Sprachspielers«. 104 Ruoff, Michael (2013): Foucault-Lexikon. Entwicklung – Kernbegriffe – Zusammenhänge. 3., aktualisierte und erweiterte Aufl. Paderborn: Wilhelm Fink (UTB Philosophie, 2896), S. 99. 105 Vgl. Foucault, Michel; Konersmann, Ralf; Seitter, Walter (1991): Die Ordnung des Diskurses. Erw. Ausg. Frankfurt a.M.: Fischer-Taschenbuch-Verl. (Fischer-Taschenbücher Fischer-Wissenschaft, 10083), S. 31. 106 Foucault (1991), S. 31.

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selbst – so Foucault – seien »ein bereits gehaltener Diskurs.«107 Alles könne die Form des Diskurses annehmen. Der Diskurs sei immer nur ein Spiel des Lesens, Schreibens oder Tauschens – ein Spiel der Zeichen.108 Die Vielfalt diskursiver Spiegelungen des Logos führen zum »Wuchern« der Diskurse.109 Diskurse tragen den Wildwuchs sprachlicher Unerschöpflichkeit in sich. Sie lassen sich durch die Macht, die Bändigung des Zufalls und die Selektion der sprechenden Subjekte begrenzen.110 Nach Foucault existieren drei große Ausschließungssysteme, die den Diskurs im Sinne seiner Disziplin reglementieren: das »verbotene Wort«, welches über die Regeln wacht, die die Zugehörigkeit zum Diskurs bescheiden, das Wissen, welches die Grenzen zum »Wahnsinn« markiert und das innerhalb dieser Grenzen die Wahrheit zu garantieren sucht, und den »Willen zur Wahrheit« als Begehren, den falschen Diskurs auszuschließen.111 Das Kontrollprinzip für die Produktion von Diskursen ist die »Disziplin«. Sie stellt die Zeichen zur Verfügung, mit denen die diskursive Tätigkeit ihre Spielregeln reaktualisiert.112 Die Genese des Foucaultschen Diskursbegriff kann als Chronologie veränderlicher Verhältnisse zum Diskurs-Außen betrachtet werden. In Wahnsinn und Gesellschaft (1961) und Geburt der Klinik (1963) tritt der Diskurs zunächst in Beziehung zu seinen nicht-diskursiven Bedingungen und Praktiken, die jedoch keine eigenständigen Instanzen bilden.113 Foucault bezieht in Die Geburt der Klinik (1963) dann auch Visuelles ein und thematisiert das Verhältnis von Sichtbarem und Sagbarem.114 Ihren Zenit erreicht die Diskurstheorie Foucaults in Die Ordnung der Dinge (1966) und Archäologie des Wissens (1969).115 Der Diskurs gewinnt nun zunehmend an Eigenständigkeit, während die nicht-diskursiven Elemente vom Diskurs abhängig bleiben.116 Zu diesen Elementen gehört die Macht, deren Qualität sich ebenfalls im Verlauf der Werkgeschichte Foucaults wandelt. Der Diskurs erscheint im Anschluss an die Explikationen in der Archäologie des Wissens (1969) und Die Ordnung des Diskurses (1972) als regulierte und regelhafte Praxis, der aufgrund seiner Unberechenbarkeit das Subjekt als denkende, erkennende und sprechende Instanz des Diskurses dezentriert.117 Diskurs beschreibt eine Men-

107 108 109 110 111 112 113 114 115 116 117

Vgl. ebd., S. 32 Vgl. ebd., S. 32; vgl. Kapitel 2.4.2: Das Wechselspiel der Macht. Vgl. Foucault (1991), S. 10. und 33. Vgl. ebd., S. 26. Vgl. ebd., S 16. Vgl. ebd., S. 25 Vgl. Ruoff (2013), S. 101. Vgl. ebd., S. 104. Vgl. ebd., S 104. Vgl. ebd., S. 104; vgl. Foucault, Michel (20133 ): Die Hauptwerke. Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. S. 545. Vgl. Ruoff (2013), S. 105; vgl. Foucault (20133 ), S. 82, 116.

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ge von Aussagen – »Zeichenfolgen« – die einem Denksystem angehören.118 Er beschreibt zudem die Gesamtheit der Bedingungen, nach denen sich eine bestimmte Praxis vollzieht.119 Foucault überschreitet in seinem Diskursverständnis die linguistisch-semiotische Sphäre und erweitert diese um eine materiale und performative Dimension. Sprache und Sprechen bildet die Welt nicht nur ab, sondern erzeugen sie durch performative Akte des Sprachgebrauchs.120 Parr rekapituliert im Verweis auf die Archäologie des Wissens, dass der Diskurs eine »Praxis des Denkens, Schreibens, Sprechens, Handelns [sei], die diejenigen Gegenstände, von denen sie handelt, zugleich selbst systematisch hervorbringt.«121 Diskurse treten in »interdiskursive« Wechselwirkungen mit anderen Diskursen, sowie »extradiskursiv« mit den nicht-diskursiven Elementen sozialer Praxis.122 Der Schwierigkeit, diese Relation zwischen Sprachlichem und Nicht-Sprachlichem theoretisch fassen zu können, begegnet Foucault mit dem Konstrukt des »Dispositivs«,123 welches den Diskurs mit allem Ungesagten seines Kontextes und seinen Machteffekten in sich aufnimmt. Der Diskursbegriff nach Foucault impliziert daher neben der Bestimmung der Grenzen und Außenverhältnisse der Diskurse eine Genealogie der Funktion der Macht.124 Macht als »Disziplinarmacht« reglementiert im juridischen Sinne die Grenzen der Diskurse.125 Foucault modifiziert und ergänzt jedoch seinen Machtbegriff im Laufe seines Schaffens und betont zunehmend deren produktive und strategische Kraft.126 Während die Macht in Die Ordnung des Diskurses (1972) dem Diskurs noch angehört und restriktiv und einseitig beschränkend wirkt, ändert sich das Verhältnis von Macht und Diskurs bis 1975 (Überwachen und Strafen). Der Diskurs verliert seinen Vorrang gegenüber der Macht und ordnet sich mit nichtdiskursiven Elementen auf einer Hierarchieebene im Dispositiv ein.127 Die Macht gewinnt als konstitutives Gegenüber des Diskurses produktive Züge. Macht artikuliert sich dann nicht mehr durch eine herrschende Instanz als Gesetz oder politischer Wille, sondern beschreibt ein Kraftfeld, das sich aus paradoxal aufeinander bezogenen Elementen, Wechselseitigkeiten und Widerständigkeiten

118 119 120 121 122 123 124 125 126 127

Vgl. Ruoff (2013), S. 105; vgl. Kammler/Parr/Schneider (Hg.) (2014), S. 234. Vgl. Foucault (20133 ), S. 297. Vgl. Kammler/Parr/Schneider (Hg.) (2014), S. 234. Vgl. ebd., S. 233; vgl. Foucault (1981), S. 74. Vgl. Kammler/Parr/Schneider (Hg.) (2014), S. 235. Vgl. ebd., S. 235. Vgl. Ruoff (2013), S. 101. Vgl. ebd., S. 155. Vgl. ebd., S. 158–160. Vgl. ebd., S. 107. Vgl. dazu Foucault (20133 ): Die Hauptwerke. Überwachen und Strafen. S. 701.

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speist.128 »Die Macht ist nicht so sehr etwas, was jemand besitzt, sondern vielmehr etwas, was sich entfaltet«.129 Macht fungiert nicht als Metainstanz, sondern artikuliert veränderliche Kräfteverhältnisse zwischen dem Expansionsstreben des Diskurses, das aus der Unendlichkeit der sprachlichen Möglichkeiten hervorgeht und dem Willen, diese unkontrollierbare Wucherung zu beschränken.130 Die Macht wirkt nicht nur innerhalb des Diskurses, sondern auch an dessen Grenzen. Diese bleiben stets instabil, da erst ein Diskurs, der sich Geltung verschafft, über Zugehörigkeiten und Grenzen wachen kann. Die Möglichkeit der sprachlichen Expansion bildet daher gleichermaßen die Voraussetzung und den Effekt des Reglements durch die Ausschließungssysteme. Das paradoxale Wechselspiel zwischen der Unbegrenztheit des Sprachlichen und der Macht eines Diskurses, der sich aus jener unendlichen Fülle speist, im Willen, diese zu beherrschen, vollzieht sich ebenso diskursiv. Der Diskurs, als Effekt – diskursiver und nichtdiskursiver – Ereignisse, entsteht daher nicht im Schatten einer reglementierenden Macht, sondern in der Relation von Kraftfeldern und aufeinander folgenden Diskursereignissen. In Foucaults diachroner Betrachtungsweise des Diskurses zeigt sich seine Kritik am Strukturalismus, der die zeitliche Dimension ausklammert.131 Der Diskurs, der sich als geschichtliche Abfolge des Denkens vollzieht und sich aus unverfügbaren Ereignissen speist, bleibt unabschließbar und verläuft diskontinuierlich.132 Als Ereignis beschreibt Foucault die Konfrontation des Diskurses mit seinem Außen: »Ein Ereignis ist kein Zeitausschnitt, sondern im Grunde der Schnittpunkt zwischen zwei Beständigkeiten.«133 Ein Diskurs grenzt an das, was ihm (noch) nicht angehört – etwas innerhalb dieses Diskurses Ungesagtes, Nichtsprachliches, Visuelles.134 Die Begegnung von Diskursereignissen findet deshalb nicht innerhalb von Diskursen oder Texten statt, sondern zwischen »Institutionen, Gesetzen, politischen Siegen und Niederlagen, Forderungen, Verhaltensweisen, Revolten und Reaktionen.«135 Das Diskursereignis zerstreut, vervielfältigt Differenzen und bleibt auf diese Weise unverfügbar. Darin erweist es sich als machtvoll und widerständig. Foucault differenziert die Aktivität an den Diskursgrenzen als diskursive und nichtdiskursive Praxen, die über Zugehörigkeiten und Abweisungen entscheiden. Dadurch wird der Diskurs selbst zu einem Ereignis unter Ereignissen.136 Um 128 129 130 131 132 133 134 135 136

Vgl. Ruoff (2013), S. 155–161. Vgl. ebd., S. 155. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 99. Vgl. Kapitel 1.1.1: Genese. Münker/Roesler (2012), S. 24. Ruoff (2013), S. 117f. Vgl. ebd., S. 104 Vgl. ebd., S. 118. Vgl. ebd., S. 107.

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die Mechanismen der Produktion und Reduktion der Diskurse zu analysieren, hinterfragt Foucault die widerstreitenden Kräfte und die äußeren Möglichkeitsbedingungen des Diskurses.137 Von zentraler Bedeutung für die folgenden Überlegungen erweist sich neben der Materialität und Ereignishaftigkeit des Diskurses die Paradoxalität der Verhältnisse seiner konstitutierenden Elemente. Der Diskurs ist zugleich die Voraussetzung und der Effekt der Hervorbringung und des Erhaltes von Denksystemen. Die Ereignishaftigkeit und Diskontinuität der Sprache gründet nach Foucault in der Paradoxalität der diskursiven Formation.138 »Denn der Diskurs […] ist nicht einfach das, was das Begehren offenbart (oder verbirgt): er ist auch der Gegenstand des Begehrens; […] er ist die Macht, deren [sic!] man sich zu bemächtigen sucht.«139 Eine Konsequenz aus der These der Diskontinuität und Unverfügbarkeit der Grenzen der Diskurse artikuliert sich in Foucaults Verabschiedung des Subjekts. Die Sprache geht als Regelwerk und Struktur dem Subjekt voraus, welches sich im unbegrenzten Raum sprachlicher Möglichkeiten verliert. Ein Diskurs begrenzt die Möglichkeiten der Sprache durch seine Werte und Darstellungsformen. Doch nicht jeder Diskurs ist dem Subjekt zugänglich; sein Zutritt zum Diskurs nicht ohne Voraussetzung.140 Die Regularien des Diskurses unterwerfen das Subjekt. Die Diskursgemeinschaft begehrt, den Diskurs zu kontrollieren. Wenn nun nach Foucault der Diskurs als diskontinuierliche Folge von Ereignissen gesehen werden muss, dann kann das Subjekt über seine Position im Diskurs nicht mehr verfügen. Es behält seine Funktion als Movens der diskursiven Tätigkeit nur im Moment dieses Verlustes. »Es handelt sich um Zäsuren, die den Augenblick zersplittern und das Subjekt in eine Vielzahl möglicher Positionen und Funktionen zerreißen. Eine solche Diskontinuität trifft und zersetzt auch noch die kleinsten Einheiten […]: den Augenblick und das Subjekt.«141 Das Subjekt verliert seine Position in dem Moment, da es durch den Diskurs, in den es sich einschreibt, hervorgebracht wird. Foucault zieht deshalb in Zweifel, ob ein Subjekt, das als Ergebnis einer diskursiven Tätigkeit in Erscheinung tritt, zugleich 137 138

Vgl. Foucault (1991), S. 35. Kammler/Parr/Schneider (Hg.) (2014), S. 234; vgl. Foucault, Michel (20133 ): Die Hauptwerke. Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. S. 482. 139 Foucault (1991), S. 11. 140 Vgl. ebd., S. 26. 141 Vgl. ebd., S. 37.

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Autor dieses Diskurses sein könne.142 Unbestritten bleibt die Notwendigkeit eines Anfangs oder Ursprungs: »Damit eine Folge von Zeichen existiert, braucht man nach dem Kausalitätsprinzip einen ›Autor‹ oder eine produktive Instanz.«143 Foucault trennt das sich äußernde Subjekt von dem, was es äußert. Das Subjekt nutzt einerseits einen bestehenden Diskurs und greift auf sprachliche Konventionen zurück, um sich überhaupt äußern zu können. Andererseits tritt zu seiner Aussage in eine Beziehung, die von der Aussageabsicht und möglichen Zielen geprägt ist. Das Subjekt kann daher nicht identisch sein mit seiner Aussage oder seiner Funktion für den Diskurs. »Man darf sich also das Subjekt der Aussage nicht als mit dem Autor der Formulierung identisch vorstellen, weder substantiell noch funktional. Es ist tatsächlich nicht Ursache, Ursprung oder Ausgangspunkt jenes Phänomens, das die schriftliche oder mündliche Artikulation eines Satzes darstellt; sie ist ebenfalls nicht jenes bedeutungsvolle Zielen, das, indem es schweigend die Worte antizipiert, sie als den sichtbaren Körper seiner Intuition ordnet. Sie ist nicht der konstante, unbewegliche und mit sich selbst identische Herd einer Folge von Operationen, die die Aussagen abwechselnd an der Oberfläche des Diskurses manifestieren würden. Sie ist ein determinierter leerer Platz, der wirklich von verschiedenen Individuen ausgefüllt werden kann; anstatt aber ein für allemal definiert zu werden […].«144 Mit der Ausstreichung einer Autorschaft als Anfangspunkt eines Diskurses schließt Foucault an Nietzsches Frage »Wer spricht?« an. Diese Frage wirkt zugleich als zentrales Movens der Diskursanalyse, die sich mit der Untersuchung der Regel- und Denksysteme von Aussagen als Elemente des Diskurses befasst.145 Da jedes Individuum die Möglichkeit hat, verschiedene Diskurse zu unterhalten, sich ihrer zu bedienen oder sich durch diese als Subjekt hervorzubringen zu lassen, sucht die Diskursanalyse nach einer individuellen Entsprechung einer Sprechweise mit der Regelhaftigkeit eines Diskurses. Es kann damit keine singuläre Autorschaft eines Diskurses geben, sondern nur zeitweise Mitwirkende und Produzenten von Regel- und Denksystemen. Diskurse sind an ihre nicht-diskursiven Bedingungen und Praktiken – Machtverhältnisse, Intentionen, Soziales – unauflöslich geknüpft. Daher befindet sich die

142 Vgl. Foucault, Michel (20133 ): Die Hauptwerke. Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 571. 143 Vgl. ebd., S. 571. 144 Vgl. ebd., S. 574 145 Vgl. Sarasin, Philipp (2005): Michel Foucault zur Einführung. 1. Aufl. Hamburg: Junius (Zur Einführung, 306), S. 117.

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sprechende Instanz in einer Schnittstelle zwischen diskursiver und außerdiskursiver Macht: zwischen Sprechabsichten und dem konstitutiven Widerstand durch deren Beschränkung. Um die diskursive Praxis, als produktives Gegenüber von Begehren und Einschränkung zu verstehen, muss nach Foucault dem Diskurs der Ereignischarakter zurückgegeben und damit »die Souveränität der Signifikanten aufgehoben werden«.146 Foucault fordert deshalb auch für einen Diskurs über den Diskurs den kritisch-produktiven Bezug zu den genannten Ausschließungssystemen: die Infragestellung des Willens zur Wahrheit und die intentionale Abweisung des transzendentalen Signifikats. Der Gewinn der theoretischen Perspektive von Foucault liegt in dessen Methode, jedem Konstrukt ein produktives Gegenüber zuzuordnen. Die Beziehung von Part und Widerpart ist paradoxal, denn ihre Wechselseitigkeit ist zugleich Bedingung und Folge ihres Verhältnisses. Foucaults Verständnis von der diskursiven Praxis erlaubt, die Expansion der Diskurse und die Mechanismen seiner Begrenzung, in Beziehung zu setzen, und als sich bedingende Kräfte zu verstehen. Foucault beschreibt »eine stumme Angst vor jenen Ereignissen, vor jener Masse von gesagten Dingen, […] vor allem, was es da Gewalttätiges, Plötzliches, Kämpferisches, Ordnungsloses und Gefährliches gibt […]«.147 Dem diskursiven Begehren steht die Angst vor diesem Begehren, vor der Unerschöpflichkeit der Diskurse als Geste der Restriktion und Kontrolle, entgegen. Foucaults Werkgeschichte beschreibt eine Genealogie der Kräfteverhältnisse von Diskursen als einem Wechselspiel von Macht und Ohnmacht der konstitutiven Elemente der Diskurse.148 Diskursivität ist mit Foucault nur im Widerstand der Systeme ihrer Beschränkung zu verstehen.149 Die Herkunft der widerstreitenden Kräfte – Macht und Willen – bleibt jedoch ungeklärt. Damit provoziert Foucault im Kontext seiner Machttheorie und seines Subjektverständnisses Widersprüche, ohne diese aufzulösen.150 Der Diskursbegiff nach Foucault ist zudem von Ambivalenzen, Wandelbarkeit und Prozesshaftigkeit geprägt. Foucault artikuliert seine Abwehr gegen jede Fixierung von Sinn, einer Feststellung eines Ausgangspunktes oder Ergebniserwartung.151 Foucault grenzt seinen Diskursbegriff deshalb klar von der Idealisierung von Kommunikationsbedingungen und vom Ziel der Verständigung ab. 146 147 148 149 150 151

Vgl. Foucault (1991), S. 33. Ebd., S. 33. Vgl. ebd., S. 33. Vgl. ebd., S. 25. Vgl. Kapitel 1.5: Kritische Perspektiven auf den Poststrukturalismus; vgl. Münker/Roesler (2012), S. 165. Vgl. Foucault (1991), S. 1.

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»Man wird also darauf verzichten, im Diskurs ein Phänomen des Ausdrucks zu sehen – die wörtliche Übersetzung einer woanders vorgenommenen Synthese; man wird darin eher ein Feld von Regelmäßigkeiten für verschiedene Positionen der Subjektivität sehen.«152

1.1.5 Zusammenfassung und Synopse: Die Grundzüge des Poststrukturalismus am Exempel der Ansätze von Derrida, Lyotard und Foucault Poststrukturalistische Theorien rekurrieren in kritischer Auseinandersetzung und Fortschreibung der strukturalistischen Methode auf die Sprache als Erklärungsmodell für die Darstellung und Hervorbringung von Wirklichkeit. Die poststrukturalistische Haltung ist geprägt von der Abweisung der Totalität eines transzendentalen Signifikats als letztgültiger Wahrheit. Es besteht eine grundsätzliche Übereinkunft darin, dass Bedeutungskonstitution als Sinnzuschreibung und Sinnstiftung auf Differenzen zurückzuführen ist, die sich in der Relation von Zeichen innerhalb der sprachlichen Struktur erweisen. Differenzen ereignen sich und widerfahren. Sie wirken daher ästhetisch, als Apriori des Sinns. Der synchronen – strukturalistischen – Betrachtung folgt die diachrone – poststrukturalistische – Erweiterung, welche den Prozessen differenzieller Verweisung in Zeit und Raum Geltung verschafft. Die genannten Theorien thematisieren die Qualitäten der Differenz auf skripturaler, strukturaler und materialer Ebene. Sie sind deshalb nicht substituierbar, sondern verleihen den Prozessen der Bedeutungskonstitution je eigene Konturen im Blick auf das Subjekt und seiner bildenden Auseinandersetzung mit der Außenwelt – in ästhetischer und ethischer Hinsicht. Ein zentraler Begriff poststrukturalistischer Theorien ist der Diskurs. Die Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten der Darstellung des Diskursbegriffes sind auf die jeweiligen Konsequenzen der Explikation der verschiedenen Dimensionen sinnprovozierender Differenzen zurückzuführen, die nach Derrida im Raum der Schrift, bei Lyotard auf der Ebene der Struktur von Sprachspielen und Diskursarten, bei Foucault im Raum von paradoxalen Machtverhältnissen beschrieben werden. Unterschiede zwischen den Diskursbegriffen erweisen sich deshalb hinsichtlich seiner Materialität und der Beschreibung seiner Grenzen. Auf der Ebene der Schrift beschreibt Derrida den Diskurs als Substitutionsbewegung als einen unendlichen Tausch von Signifikanten gegen Signifikanten. Diese Bewegung folgt einer Spurenlage in Richtung eines Signifikats, das nicht eingeholt werden kann. Da sich diese Verweisungsbewegung in der Zeit vollzieht, bewirkt dieser Prozess eine fortschreitende Differenzierung und führt zum Überschuss an Si-

152

Foucault, Michel (1981): Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. S. 82.

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gnifikanten und damit zum potentiellen Sinnüberschuss.153 Die Sprache als Struktur eines funktionalen und relationalen Zusammenhangs von Zeichen bietet unendliche Möglichkeiten des Sinns – innerhalb der Endlichkeit der Zugehörigkeit zur sprachlichen Struktur.154 Ebenso auf der Strukturebene der Sprache werden nach Lyotard Aussagetypen (Sprachspiele) zu Diskursarten verkettet.155 Über die Zugehörigkeit zu Sprachspiel und Diskursart wacht ein Reglement als Spielregel oder Gesetz.156 So fungiert – nach Foucault – der Diskurs im Sinne seiner Disziplin als Kontrollinstanz bezüglich sprachlicher Expansionen, scheitert jedoch – produktiv – an der Unerschöpflichkeit der Möglichkeiten des Sinns157 . Es entstehen Schnittstellen zwischen Diskursen oder Diskursarten, die durch ihre Unentscheidbarkeit und Unverfügbarkeit zum Ereignis werden.158 Im Widerstreit inkommensurabler Diskurse entstehen neue Sprachspiele und Diskursarten.159

1.1.6 Zur Problematik der Grenze des Diskurses Um didaktisch denken, d.h. Diskurse über bildende Diskurse führen zu können, wird es notwendig, die Begrenzung der Diskurse zu problematisieren. Der Grenze zwischen Diskursen werden durch die genannten Autoren verschiedene Qualitäten zugeschrieben. Derrida beschreibt die Grenze zwischen Diskursen als »Ereignis eines Bruches«, den Einbruch des Denkens in die Strukturalität. »Strukturalität denken« heißt, sie zu wiederholen.160 Im Augenblick des Ereignens der Differenz entsteht eine Kluft zwischen Strukturalität und »Denken-der-Strukturalität«.161 Nach Lyotard können die Grenzen zwischen Diskursarten nicht festgelegt oder bezeichnet werden, denn sonst träte ein Meta-Diskurs in Kraft, erhöbe sich eine Instanz, die über Zuordnung und Unterscheidung zu befinden sich anmaßt:162 »Die Gebiete der Legitimität werden von den Übergängen umrissen, nicht umgekehrt: daß die Gebiete bereits vor den Übergängen existierten und diese duldeten. Was machen wir hier anderes, als zwischen den Inseln zu navigieren, um

153

Vgl. Derrida (1990/2010a), in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 116f. und S. 132f; vgl. Derrida (2004a) in Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 120f. 154 Vgl. Derrida (1990/2010a), in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 132f. 155 Vgl. Lyotard et al. (1989), S. 10. 156 Vgl. ebd., S. 10. 157 Vgl. Foucault (1991), S. 10. und 33. 158 Vgl. ebd., S. 33. 159 Vgl. Lyotard (1989) et al., S. 33f. 160 Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), 116f. 161 Vgl. ebd., S. 116f. 162 Vgl. Lyotard (1989) et al., S. 219–225.

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paradoxerweise erklären zu können, daß ihre Regelsysteme oder Diskursarten inkommensurabel sind?«163 Die Unterscheidung der Diskurse oder Diskursarten voneinander vollzieht sich im Niemandsland oder Nicht-Ort.164 Im potentiell konflikthaften Bereich des Aufeinandertreffens von Diskursen werden Sätze ins Spiel gebracht. Es ist der instabile Ort des Widerstreites, der Entscheidung oder Unentscheidbarkeit über Zugehörigkeiten und somit ein »Ort«, an dem ein Denken an und über die »äußeren Möglichkeitsbedingungen« des Diskurses als das Diskurs-Außen möglich ist.165 Es ist jedoch zugleich ein »Ort« der Nichtdiskursivität und Nichtsprachlichkeit. Die Grenze zwischen den Diskursen übernimmt darüber hinaus die Funktion, die Geltungsbereiche der Macht zu artikulieren. Als Funktion sorgt sie für die Offenheit der Struktur zum Diskurs-Außen hin und ermöglicht die diskursive Praxis an den Grenzen.166 Es wirken Kräfte, die die Entfaltung des Diskurses reglementieren – und es existieren Grenzen, die diese Kräfte gleichermaßen zur Geltung bringen und den Geltungsbereich umreißen. Der Frage, ob der Diskurs als (Substitutions-)Prozess oder (begrenzte) Form zu fassen ist, kann sich unter Einbeziehung des Text-Begriffes nach Derrida genähert werden, der beide Deutungsräume vereint. Der Text bindet den Diskurs in einer Form, die eine bestimmte Schreibweise artikuliert und differente Leseweisen einfordern kann.167 Derrida entwickelt das Verfahren der Dekonstruktion als eine Leseweise, als deren Bedingung er die Verallgemeinerung des Textbegriffes erachtet. »Die Rede ist ein Text, die Geste ist ein Text, die Realität ist ein Text in diesem neuen Sinne.«168 Die Ausweitung dessen, was Text ist, führt Derrida auf Spuren zurück, die wiederum auf eine Substitutionsbewegung von Signifikanten – auf diskursive Tätigkeit – hinweisen: »Das, was ich also als Text nenne, ist alles praktisch alles. Es ist alles, das heißt, es gibt einen Text, sobald es eine Spur gibt, eine differentielle Verweisung von einer Spur auf die andere. […] – ich habe deshalb gesagt, auch als scherzhafte Bemerkung, es gäbe kein Außerhalb des Textes – […]«.169

163 164 165 166 167

Ebd., S. 225. Vgl. auch Münker/Roesler (2012), S. 43. Vgl. Foucault (1991), S. 35 und Ruoff (2013), S. 104. Vgl. dazu Ruoff (2013), S. 101–104. Vgl. Derrida (1990/2010a): Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen. In: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 53. 168 Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 20f. 169 Derrida in Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 21.

1. Bildung als Diskurs

Text ist Form – doch sobald sich der Einbruch des Denkens in dessen Strukturalität ereignet und der differentielle Austausch von Zeichen begonnen hat, ist ein TextAußen nicht mehr denkbar, denn Lesende, Schreibende, Denkende sind in das Spiel eingewoben. Der Diskurs bleibt Form, solange er vom Grenzort bzw. Grenzmoment aus durch Bezeichnung bestätigt wird und (noch) keine diskursive Aktivität stattfindet. Diskurs beschreibt einen Prozess, solange seine Form zur Disposition steht. Die Paradoxalität, die dem Diskurs und der diskursiven Praxis innewohnt, findet bei Derrida, Lyotard und Foucault ihren Ausdruck in der Analogie zum Spiel.170 Nachdem ein Einblick in die Grundzüge poststrukturalistischer Perspektiven geboten wurde, sollen nun Aspekte vertieft werden, die für die Explikation poststrukturalistisch beeinflusster Bildungstheorien relevant ist. Da in den für diese Untersuchung ausgewählten Bildungstheorien bildende Prozesse – nach klassischem Vorbild – als Prozesse der Auseinandersetzung eines Individuums mit der Welt, dem Selbst und Anderen gefasst werden,171 richtet sich der Blick in die Theorien des Poststrukturalismus dementsprechend auf das Objekt, auf das Subjekt und auf die Beziehung zwischen Subjekten und Objekten.

1.2 Das Andere Dezentralisierung des Objekts: zur ästhetischen Dimension der Dekonstruktion »Die letzte Aufgabe unseres Daseyns: dem Begriff des Menschseins in unsrer Person […] einen so grossen Inhalt, als möglich, zu verschaffen, diese Aufgabe löst sich allein durch die Verknüpfung unseres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung.«172 Anderes erweist sich als Differenz zum Eigenen. Es zeigt sich als skripturales, strukturelles oder materielles Zeichen. Die Betrachtung der Auseinandersetzung des Selbst mit dem Anderen bedarf daher zweier diametraler Perspektiven. Zum einen widmet es sich in Verfahren der Bedeutungskonstitution den Zeichen durch Signifikation. Zum anderen widerfahren ihm die Zeichen – ästhetisch und ereignishaft – und führen zu seiner Dezentralisierung und Dislokation.

170 Vgl. Kapitel 2.4: Machtspiel, Sprachspiel und das Spiel der Differenz: poststrukturalistische Spielbegriffe. 171 Humboldt, Wilhelm von; Flitner, Andreas/Giel, Klaus (Hg.) (1963): Schriften zur Sprachphilosophie. Werke in fünf Bänden. Band I. Stuttgart: J. G. Cotta, S. 64. In: Koller (2012), S. 11. Humboldt, Wilhelm von (1963), in: Koller (2012), S. 11. 172 Humboldt, Wilhelm von (1963) in: Koller (2012), S. 11.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Um sich zu bilden – so Koller im Verweis auf Humboldt173  – bedürfe der Mensch eines Widerparts: einer »Welt ausser sich«.174 Die Entfaltung individuellen Entwicklungspotentials vollziehe sich in Auseinandersetzung mit »materiellen und ideellen Gegenständen« und anderen Menschen, d.h. mit Inhalten, die nicht im Individuum selbst begründet sind, sondern etwas Anderes175 sind. Das Selbst setzt sich diskursiv mit der Welt außer sich auseinander, in dem es die Welt bezeichnet, die ihm widerfährt. Die folgenden Ausführungen verweisen auf die diskursiven Tätigkeiten an den Grenzen der Diskurse, auf die Produktivität der Signifikation und die Exploration von Sinn durch das ereignishafte Potential der Differenz.

1.2.1 Die Differenz vom Eigenen her – zur Signifikation und Bedeutungskonstitution nach Derrida Nach klassischer semiologischer Tradition steht ein Zeichen für etwas, das selbst nicht anwesend ist.176 Derrida stellt zwei Weisen des Bezeichnens gegenüber. Einerseits ist es möglich, die Differenz zwischen Signifikat und Signifikant zu tilgen, indem das Zeichen dem Denken – oder bereits Gedachten – untergeordnet und das unerschöpfliche Potential des Sinns mit seiner Identifizierung aufgegeben wird.177 Die Signifikation oder Bedeutungskonstitution durch Reduktion entspricht dem von Derrida kritisierten logozentrischen Denken. Andererseits kann das System, das diese Reduktion vollzieht, infrage gestellt und damit der Substitutionsprozess offen und unabschließbar gehalten werden. Für diese Haltung und Absicht, Sinn zu entdecken, indem seine Identifizierung ausgesetzt wird, führt Derrida das

173 174 175

176 177

Humboldt, W.v. (1963) in: Koller (2012), S. 11. Vgl. Humboldt, W.v. (1963) in: Koller (2012), S. 11. Die Großschreibung des »Anderen« ist der Schreibweise nach Lévinas entlehnt, mit der dies Andere als ein »total Anderes« dargestellt werden soll, das nicht vom Eigenen stammt oder auf dieses zurückzuführen ist. Lévinas schreibt dazu: »Das Andere des metaphysischen Begehrens ist nicht »anders« wie das Brot, das ich esse, das Land, das ich bewohne, die Landschaft, die ich betrachte; es ist nicht anders, wie ich mir selbst manchmal anders bin, das »ich«, dieser »Andere«. An diesen Dingen kann ich mich »weisen«, an ihnen kann ich mich in einem sehr hohen Maße sättigen, so als ob sie mir nur gefehlt hätten. Gerade dadurch geht ihre Andersheit in meiner Identität, der Identität des Denkenden und Besitzenden, auf. Das metaphysische Begehren strebt nach ganz Anderem, nach dem absolut Anderen.« Lévinas, Emmanuel; Krewani, Wolfgang Nikolaus (2014): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. 5. Aufl. (4. Aufl. der Studienausg.). Freiburg i.Br.: Alber (Alber-Studienausgabe), S. 35. Das Andere beschreibt demzufolge etwas, das dem Diskurs (noch) nicht angehört. Die bei Lévinas verwendete männliche Form »der Andere« wird in Zitaten und Verweisen beibehalten. Maset, Pierangelo (1995): Ästhetische Bildung der Differenz. Kunst und Pädagogik im technischen Zeitalter. Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1995. Stuttgart: Radius-Verl., S. 135. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann, Peter (Hg.) (1990/2010), S. 119.

1. Bildung als Diskurs

Verfahren der Dekonstruktion ein, mit welchem er auf die paradoxale Struktur des Zeichens und, daraus resultierend, auf die paradoxale Struktur der Diskursivität reagiert.

1.2.1.1

»supplementarité« und Sinnüberschuss

Derrida folgt Saussure darin, dass Sinn als Effekt von Differenzen hervortritt, und präzisiert nach Abweisung eines transzendentalen Signifikats: Sinn sei auf einzig auf die Differenzierung von Signifikanten zurückzuführen – auch das Signifikat fungiere als Signifikant. Ein letztgültiges Signifikat wäre nicht als Effekt von Differenzen beschreibbar und könne daher nicht der Schrift angehören.178 Die Anwesenheit – Präsenz – eines fixierbaren Zentrums der Struktur muss nach Derrida deshalb bestritten werden. Die Abwesenheit eines transzendentalen Signifikats bewirkt, dass das »einzige Zentrum in einer Struktur genau dasjenige ist, das der Strukturalität sich entzieht, weil es sie beherrscht.«179 Es komme ihr daher kein »natürlicher Ort« zu, sondern der Stellenwert einer Funktion, die den unendlichen Austausch von Zeichen als Kette von Substitutionen vorantreibt: »Die Abwesenheit eines transzendentalen Signifikats erweitert das Feld und das Spiel des Bezeichnens ins Unendliche.«180 Für die Unabschließbarkeit dieser Substitutionsbewegung wählt Derrida den Begriff der »Supplementarität« (supplémentarité), um auszudrücken, dass der Einsatz eines Zeichens, sich selbst zum Sinn hinzufügt. An die Stelle des Signifikats – des Logos als reiner Sinn – setzt sich ein Zeichen, das sinnlich wahrnehmbar ist und eigene Spuren in sich trägt, welche wiederum auf Spuren verweisen. »Die Bewegung des Bezeichnens fügt etwas hinzu, so daß immer ein Mehr vorhanden ist; diese Zutat aber bleibt flottierend, weil sie die Funktion der Stellvertretung, der Supplementierung eines Mangels auf Seiten des Signifikats erfüllt.«181 Die Konsequenz ist die Feststellung, dass jedem Signifikat ein Überschuss an Bezeichnungen zugeordnet werden kann und jede Bezeichnung – jeder Signifikant – wiederum auf ein unbestimmbares Mehr an Bedeutung verweist.

178

Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 43f; vgl. dazu auch Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 117. 179 Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 115. 180 Ebd., S. 117. 181 Ebd., S. 133.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

1.2.1.2 Das Konzept der »différance« Mit der »différance« konkretisiert Derrida seine Kritik an jener reduzierenden Signifikation, die der metaphysischen Gefangenschaft nicht zu entrinnen sucht.182 Das Wort »différance« – mit »a« anstelle des »e« – erschüttert die Grammatik bzw. die Regelhaftigkeit der Sprache. Derrida stört mit diesem Neologismus die Harmonie des Systems, um seine Kritik am tradierten logozentrischen Denken zu artikulieren und nachzuweisen, dass dem gesprochenen Wort kein Vorrang vor der Schrift einzuräumen ist. Mit der »différance« werden die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Denn ohne den expliziten Hinweis auf den Austausch der Vokale wäre dieser den Hörern entgangen, da er im Französischen unhörbar ist und somit nur durch die Schrift an die Oberfläche gelangt. Derrida zeigt mit der »différance« jene Eigenschaften der differentiellen Bewegungen, die zur Exploration von Sinn führen können: Temporisation und Iterabilität. Beide Prozesseigenschaften verbindet Derrida mit Entgegensetzungen, die die paradoxale Struktur des Zeichens betonen. Semantisch ist dem Begriff der »différance« kaum beizukommen, da er keine Einheit bildet, sondern auf unterschiedliche Wurzeln verweist. Die »différance« geht sowohl auf »diapherein« (griech.) als auch auf das lateinische »differre« (lat.) zurück. Beide begrifflichen Anteile implizieren Bedeutungen wie, »Nichtidentisch-Sein« und »Verschieden-Sein«, das lateinische Wort lässt sich jedoch auch mit »Umweg, Aufschub, Verzögerung, etwas auf später verschieben« übersetzen.183 Die »différance« folgt zudem einer uneinheitlichen Bedeutungszuweisung, die sich aus der Zusammenführung von »différer« als aktivem und beweglichem Anteil und der zwischen Aktivität und Passivität unentschiedenen Endung »-ance« ergibt. Der Tausch von a und e bewirkt zugleich die Unmöglichkeit, die Bedeutung des Begriffes als Einheit zu fixieren und die Unentscheidbarkeit bzw. bzw. eine Neutralisierung der Bewegung des Aufschiebens, Verzögerns.184 Auf künstliche Weise wird ein Exempel statuiert und die Bedeutungsvielfalt jenseits der begriffsgeschichtlichen Verweisung wieder hergestellt. »Was sich différance schreibt, wäre also jene Spielbewegung, welche diese Differenzen, diese Effekte der Differenz, durch das ›produziert‹, was nicht einfach Tätigkeit ist. Die différance, die diese Differenzen hervorbringt, geht ihnen nicht etwa in einer einfachen und an sich unmodifizierten, indifferenten Gegenwart voraus. Die différance ist der nicht-volle, nicht-einfache Ursprung der Differenzen. Folglich kommt ihr der Name ›Ursprung‹ nicht mehr zu.«185

182 183 184 185

Münker, Roesler (2012), S. 46f. Vgl. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 117. Vgl. ebd., S. 117. Ebd., S. 123.

1. Bildung als Diskurs

Die »différance« trägt – so Derrida – kein transzendentales Signifikat in sich, da es bereits in sich selbst auf uneindeutige Spuren verweist, die sich entgegenstehen, sich widersprechen und auf diese Weise die Zeitlichkeit des Bedeutens als Verweisungsbewegung verbildlichen. Wenn ein Zeichen erscheint – hier als »différance« – bezieht es sich auf etwas anderes als es selbst, es verweist auf Vergangenes. Seine Gegenwart bezeugt eine Beziehung zu dem, was es nicht ist – und dieses Bezeugen produziert ein Intervall, welches die Gegenwart wie ein doppelseitiger Spiegel in sich trennt. Auf der einen Seite bildet sich die Spur des Zeichens als Wiederkunft des Vergangenen ab, auf der anderen Seite richtet sich seine Projektion in eine Zukunft, die jedoch nicht einzuholen ist. Die Trennung der Gegenwart in ein Nichtmehr und Noch-nicht lässt den Schluss zu, dass es unmöglich ist, die Präsenz zu denken – als Substanz, als Seiendes oder als Subjekt.186 Die »différance« zeigt: Es gibt nur Signifikanten als Zeichen von etwas, die die Gegenwart in sich selbst teilen und »verräumlichen«. »Dieses dynamisch sich konstituierende, sich teilende Intervall ist es, was man Verräumlichung nennen kann, Raum-Werden der Zeit oder Zeit-Werden des Raumes (Temporisation).«187 Ein Zeichen muss, um als solches zu gelten, grundsätzlich wiederholbar sein. Konventionen ermöglichen seinen Gebrauch – dennoch erfährt es erst im originären Kontext seine eigentliche Bestimmung. Durch seine Wieder-holung188 im anderen Kontext, bzw. im wiederholten Kontext, verändert es sein Potential an Möglichkeiten des Sinns. Ein wiederholtes Zeichen wird durch das, was sein empirisches Ereignen ihm hinzufügt, deformiert.189 Es differiert und verändert die Struktur, die es soeben selbst konstituiert hat.190 Die Iterabilität des Zeichens beruft sich somit gleichzeitig auf Identität und Differenz zu sich selbst, die darin begründet ist, dass sich die sinnlich-materiale Struktur des Zeichens der Intelligibilität des Logos nicht nur entgegensetzt, sondern diese in seinem Bedeutungspotential stets übersteigt. Die »différance« – Derrida erklärt und bezieht sich auf sie als Zeichen, gramma, Schrift, Struktur, systematisches Spiel der Differenzen191  – generiert daher funktional und prinzipiell ein Übermaß an Bedeutung – auch wenn zugleich die Abweisung solchen Prinzips ihrer dekonstruktiven Geste bereits entspricht. 186 187 188 189 190 191

Vgl. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 126. Ebd., S. 126. Vgl. Mersch (2010), S. 57. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 47. Vgl. Derrida, Jacques (2004c) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 85; vgl. auch Mersch (2010), S. 57. Vgl. Derrida/Engelmann (Hg.) (1986): Positionen. Wien: Edition Passagen; S. 66; vgl. Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 21.

67

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

1.2.1.3 Dekonstruktion Dekonstruktion beschreibt eine Tätigkeit, die eine vertikale, hierarchische Verordnung metaphysischer Reduktion von Bedeutung vermeidet und die Produktivität der »différance« horizontal ins Unendliche ermöglicht – ein Verfahren des dekontextualisierenden, sinnzuschreibenden und sinnproduzierenden Lesens von Texten.192 Derrida führt die Dekonstruktion als Verfahren der Metaphysikkritik ein, um den differenten Spurenlagen gerecht werden und der Substitutionsbewegung der Signifikanten Unabgeschlossenheit gewähren zu können. Derrida bestimmt die Dekonstruktion auf der Basis ihrer einzigen Voraussetzung, nämlich: »daß die beste Definition, die ich der Dekonstruktion geben könnte, […] wäre, daß sie mindestens voraussetzt, daß sie die Vielzahl von Sprachen voraussetzt […], daß sie voraussetzt, daß es Sprachen gibt.«193 Derrida dekonstruiert konsequenterweise auch den Begriff der Voraussetzung: »Unter welchen Bedingungen ist die Dekonstruktion (nun) möglich? Unter der Bedingung zum Beispiel, dass sie neue Textbegriffe ausarbeitet.«194 Um die kritische Bewegung der Dekonstruktion – so absolut – einlösen zu können, erweitert Derrida seinen Textbegriff – alles ist Text –195 , um keine Spuren ausschließen zu müssen. Die Dekonstruktion betreibt als Geste der Auseinandersetzung mit Texten diskursive Vollzüge der Signifikation, die zugleich Zeichen setzen und deuten, dadurch Differenzen generieren und die Exploration von Sinn evozieren. Sie kann daher als spezifische diskursive Praxis bestimmt werden. Das dekonstruktive Verfahren intendiert ein konsequentes und permanentes Auflösen hierarchisierender und totalisierender Tendenzen und Paradigmen, indem es sich der Reduktion des Sinns widersetzt. Dekonstruktion unterläuft den metaphysischen Zugriff als »différance« – als Konfrontation mit dem »Anderen und Ungesagten«,196 dem Uneinholbaren und Unvollständigen. Die »Dekonstruktion« – ein Begriff, den Derrida »niemals

192

Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 118. Dekonstruktion nach Derrida erlaubt eine relative und vieldeutige Sinnzuschreibung, indem sie die Gleichzeitigkeit des Lesens, Sprechens und Produzierens von Texturen, bzw. Sprachen propagiert. Mittels vielfacher Kontextuierung präsentiert sich der Sinn ebenso als Vielfaches. Vgl. dazu auch Bilstein/ Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 65. 193 Vgl. Derrida in Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 25. 194 Derrida in Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 22. 195 Vgl. ebd., S. 20f. 196 Ebd., S. 50.

1. Bildung als Diskurs

gemocht« habe,197 beinhaltet Strategien, die nicht weniger als den »Umsturz des abendländischen Denkens im Ganzen« in Aussicht stellen.198 Die Dekonstruktion richtet sich konsequenterweise stets auch gegen sich selbst, sodass Derridas Aversion gegen eine begriffliche Fixierung der »Dekonstruktion« nicht verwundert. Die hyperkritische Tendenz der Dekonstruktion initiiert das immer neue Außerkraftsetzen von Fixierungen und Identifikationen.199 Die Dekonstruktion kann deshalb als unabschließbares Verfahren beschrieben werden, dass sich einem paradoxen Zirkel unterstellt, da es sich gegen die Bedingungen seiner Möglichkeiten richtet. Die Dekonstruktion eignet sich daher für die Darstellung des paradoxen Verhältnisses von bildenden Diskursen und deren normativer Meta-Diskurse.

1.2.1.4 Das Paradox der Metaphysikkritik Das Paradoxon bzw. die Paradoxalität kann als elementarer Wesenszug und verbindendes Merkmal im Kontext poststrukturalistischer Terminologien gelten. Ein Paradoxon lässt sich abgrenzen vom Irrtum als unbeabsichtigtem Fehlschluss, vom Sophismus, einem beabsichtigten Fehlschluss, und der Paralogie, die auf eine inkorrekte und alogische Herleitung zurückzuführen ist.200 Eine Paradoxie ist kein Fehler oder Ergebnis unlogischer Schlussfolgerungen, sondern sie bietet eine »überraschende, unerwartete, aber wahre Aussage, die der naiven Auffassung entgegensteht oder scheinbar Unvereinbares miteinander vereint.«201 »Die drei deskriptiven Merkmale (bzw. Bedingungen), mit denen das Vorliegen eines logischen Paradoxons am häufigsten gekennzeichnet wird, sind Selbstbezüglichkeit, Widersprüchlichkeit und Zirkelhaftigkeit.«202 Die Dekonstruktion nach Derrida folgt einer paradoxalen Intention, denn ihr Effekt ist die kritische Abweisung ihrer Voraussetzung. Derridas Ansinnen, mithilfe der »différance« dem logozentrischen Denken zu entkommen, impliziert bereits den Verweis darauf, dass dieser Versuch scheitern muss. Derrida zeigt, dass Kritik an der metaphysischen Gefangenschaft und der Reduktion von Bedeutung, die in jener metaphysischen Verstrickung gründet – nur mit den Mitteln der Metaphysik zu vollziehen ist. Die dekonstruktive Tätigkeit verschreibt sich daher intentional und in vollem Bewusstsein diesem paradoxen Zirkel: 197 198 199 200

Vgl. Mersch (2010), S. 50. Vgl. ebd., S. 50. Vgl. ebd., S. 118. Wimmer, Michael (2006): Dekonstruktion und Erziehung. Studien zum Paradoxieproblem in der Pädagogik. s.l.: transcript (Theorie Bilden, 6), S. 71. 201 Suchotin, A.K. (1983): Kuriositäten in der Wissenschaft? Leipzig. In: Wimmer (2006) S. 71. 202 Wimmer (2006), S. 71.

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»Dieser Zirkel ist einzigartig; er beschreibt die Form des Verhältnisses zwischen der Geschichte der Metaphysik und ihrer Destruktion: es ist sinnlos, auf die Begriffe der Metaphysik zu verzichten, wenn man die Metaphysik erschüttern will. Wir verfügen über keine Sprache – keine Syntax und keine Lexik –, die nicht an dieser Geschichte beteiligt wäre. Wir können keinen einzigen destruktiven Satz bilden, der nicht schon der Form, der Logik, den impliziten Erfordernissen dessen sich gefügt hätte, was er gerade in Frage stellen wollte.«203 Die Texte Derridas artikulieren das Wissen darum in einem charakteristischen paradoxalen Stil, der sich dem Spiel der »différance« konsequent verpflichtet:204 »Denn das Paradox dabei ist, daß die metaphysische Reduktion des Zeichens der Entgegensetzung bedurfte, die sie reduzierte. Die Entgegensetzung steht in einem systematischen Zusammenhang mit der Reduktion.«205 Die dekonstruktive Tätigkeit provoziert paradoxale Entgegensetzungen und sie ereignet sich paradoxal entgegensetzend. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, die Qualitäten möglicher Entgegensetzungen zu systematisieren. Dabei soll in Konsequenz einer poststrukturalistischen Perspektive dem dekonstruktiven Verhältnis von Kritik und Hyperkritik Rechnung getragen und auf eine Hierarchisierung von Primärquellen und Sekundärbezügen verzichtet werden.206 Dekonstruktion und Hyperkritik bedingen einander und bleiben daher aufeinander bezogen.207

1.2.2 Differenz vom Anderen her: zur Ambivalenz ästhetischer Präsenz der Zeichen Das, was sich dem Subjekt ereignet, setzt jenes in Differenz zu sich selbst. Die ästhetische Erscheinung des Zeichens betrifft das Subjekt als materiale Erfahrung und verändert dessen Disposition und Selbstverständnis und damit die Voraussetzung aller Sinnzuschreibungen unhintergehbar. Die Abwesenheit der Präsenz im Sinne eines uneinholbaren Signifikates hinterlässt bei Derrida Spuren, die dem Zeichen eine Ambivalenz bezüglich seiner materialen Erfahrbarkeit zugestehen. Um die ästhetische Extension der sprachlichen Zeichen einzubeziehen, wird auf das Konzept der »ästhetischen Negativität« nach Derrida verwiesen. Während Derrida die ästhetische und materiale Überdehnung der Schriftlichkeit und des Zeichens terminologisch zu verbergen sucht, um seine skripturale Perspektive nicht preisgeben zu 203 204 205 206 207

Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 118. Münker/Roesler (2012), S. 49. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 119. Vgl. Weber (2020), S. 110. Vgl. Mersch (2010), S. 50–55.

1. Bildung als Diskurs

müssen, erkennt Gumbrecht in der Präsenz das Apriori und Andere des Sinns.208 Dieser Ansatz der Betrachtung bietet Erklärungsansätze für die ambivalente »Präsenz« des Zeichens und sein paradoxes Ereignen. Zudem soll mit der ergänzenden Einführung des Präsenzbegriffes nach Gumbrecht ein konstitutives Gegenüber für die Abwesenheit des metaphysischen Sinns etabliert werden.

1.2.2.1 Entgegensetzung I: ästhetische Negativität des Zeichens Das Zeichen verweist im Moment seines Erscheinens auf das Abwesende und sich selbst. »Nicht nur repräsentiert oder substituiert sie [die Negativität] etwas, sondern mit ihr kommt die Sache selbst in dem [sic!] Blick – nicht die ›Sache‹ der ›Referenz‹, sondern die Wirklichkeit der Darstellung selbst, ihre spezifische Materialität und ›Wirksamkeit‹«.209 Mersch erörtert, dass Zeichen als Darstellungen ihrer selbst, ihr Dargestelltes performieren.210 Während der Sinn abwesend bleibt, fügt sich die Anwesenheit eines sinnlichen Zeichens hinzu, welches neben der Substitution des Sinns auch den Akt des Zeigens auf den Sinn und sich selbst impliziert: »Sinn ist nämlich dieses wunderbare Wort, welches selber in zwei entgegengesetzten Bedeutungen gebraucht wird […] und […] (sich) einerseits auf das unmittelbar Äußerliche der Existenz (bezieht), andererseits auf das innere Wesen derselben.«211 Entscheidend ist jedoch, dass die Negation des Sinns sich nicht im Substitut des Zeichens auflösen lässt. Die Entgegensetzung von Zeichen und Sinn verläuft inkommensurabel, denn die materiale Wirklichkeit des Zeichens fügt sich hinzu. Auf diese asymmetrische Entgegensetzung des Sinns und seiner sinnlichen Erscheinung als Zeichen verweist Derrida bereits in seinem Konzept der supplémentarité.212 Derrida erachtet deshalb den Prozess der Sinnbildung als »genuin ästhetisch«213 Sinn ist ein Effekt von Differenzen, die sich nur in der Relation von Zeichen, in einem Kontext ergeben. Ein einzelnes Zeichen ist sinnlos und das Moment seines Erscheinens

208 Vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich (2004): Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Dt. Erstausg., 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 2364), S. 33. 209 Vgl. Mersch (2010), S. 134. 210 Vgl. ebd., S. 134. 211 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1970): Vorlesungen über die Ästhetik, in: Werke Bd. 13. Frankfurt a.M, S. 173, 20, 52. In: Mersch (2010), S. 135. [Ergänzungen in Klammern im Original]. 212 Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann, Peter (Hg.) (1990/2010), S. 133. 213 Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 119.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

ein »Moment der Negativität des Sinns.«214 Dem folgt die Einsicht, dass ein Verstehen von Zeichen und ihrer kontextuellen Zusammenhänge nie restlos, nie vollständig eingelöst werden kann. Die Zeitlichkeit der Verweisungsprozesse – die Temporisation der Substitutionsbewegung – führt zum unaufhörlichen Aufschieben des Sinns, denn »es gibt am Grunde allen Verstehens ein Zusammenspiel von Sinn und Nicht-Sinn […], das jeder Sinnbildung noch vorausgeht.«215 Mit der Dekonstruktion versucht Derrida, der Negativität des Sinns Geltung zu verschaffen – sogar, das Nonverbale im Verbalen erscheinen zu lassen.216 Derridas Versuch, die Sprache mit sprachlichen Mitteln zu überschreiten, impliziert bereits die Kritik an diesem Versuch – denn das dekonstruktive Unterfangen muss scheitern, wenn seine Dekonstruktion gelingt. Mit dem Verfahren der Dekonstruktion soll die Negativität des Sinns – die nackte »Materialität des Zeichens«217  – sichtbar gemacht werden. Das, was sich dem sinnlich wahrnehmbaren Zeichen inkommensurabel entgegensetzt, ist, was sich ihm systematisch entzieht: der volle Sinn, der Ursprung. Derrida bezeichnet die Negativität des Sinns als Abwesenheit der Präsenz.

1.2.2.2 Entgegensetzung II: Präsenz und Sinn Die Abwesenheit dieser Präsenz ist jedoch mit der materialen Anwesenheit des Zeichens nicht nur untrennbar verbunden. Sie bedingen einander und stehen in einem paradoxen Verhältnis zueinander. Das Gegenüber von Sinn und Präsenz beschreibt Gumbrecht wie folgt: »Präsenz und Sinn treten jedoch stets zusammen auf und stehen immer in einem Spannungsverhältnis zueinander. Es gibt keine Möglichkeit, sie kompatibel zu machen oder sie im Rahmen einer ›ausgewogenen‹ phänomenalen Struktur zusammenzubringen.«218 Das Verhältnis von Präsenz und Absenz ist nicht symmetrisch, da sie sich nicht entsprechen – wie Derrida bereits in der supplémentarité ankündigt. Gumbrecht veranschaulicht dies in seinem Beispiel von der Erscheinung eines Blitzes oder hellen Sonnenstrahls. Ein solches Ereignis ist nicht gleichzusetzen mit seinem Gegenpart, einem »weniger hellen Tag«.219 Ein Ton, der erklingt, trägt mehr in sich als das Gegenteil von Stille. Die Anwesenheit eines Zeichens birgt noch ein Anderes. Das Zei214 215 216 217 218 219

Ebd., S. 119. Münker/Roesler (2012), S. 120. Vgl. ebd., S. 123. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 120. Gumbrecht, Hans Ulrich (2004): Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Dt. Erstausg., 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 2364), S. 126. Gumbrecht (2004), S. 126.

1. Bildung als Diskurs

chen, das erscheint, übertrifft sein Dargestelltes, weil es sich selbst hinzufügt – als Ereignis, als Gabe, als »Mehr-als«.220 Deshalb lässt sich mit Mersch behaupten: »Signifikation und Mediation, gleichwie Darstellung und Verkörperung erweisen sich als in sich selbst paradoxal konstituiert.«221 Der systematische Zusammenhang zwischen Part und Widerpart ist der einer paradoxen Beziehung, wie sich bereits an der paradoxalen Struktur des Zeichens zeigen lässt. Nach Mersch trägt das Zeichen an sich Paradoxien in sich, welche für alle Prozesse des Umgangs, der Konfrontation und der Auseinandersetzung bestimmend werden.222 Er erörtert drei Serien von Paradoxa: • • •

das Paradox der Referenz, das Paradox der Materialität und in engem Zusammenhang damit: das Paradox der Performanz.

Mersch stellt zum einen fest, dass durch eine Bezeichnung keine Identität mit dem Bezeichneten hergestellt werden könne, denn in der relationalen Logik der Struktur der Sprache könne kein Substitut das Substituierte ersetzen. Zum anderen bekunde ein Zeichen eine eigene Anwesenheit und Materialität. Es impliziere daher im wittgensteinschen Sinne »Zeigen und Sagen«.223 Es »zeigt« auf Spuren artikuliert sich »sagend« selbst. Dem Zeichen wohnt eine performative Kraft inne, die sinnlich wirkt und anspricht. »Denn das Performative gründet nicht in Negationen, es wurzelt in keiner Relation oder Differenz, sondern in der affirmativen Kraft des Faktischen. Es ist nicht Setzung – »als«, sondern Setzung – »dass«.224 Das Paradox der Performanz besteht darin, dass der Akt der Setzung, der für das Zeichen Bedingung seiner Existenz ist, selbst nicht dargestellt werden kann: »Der Akt einer Inszenierung verweigert sich ebenso seiner Inszenierbarkeit wie die Konstruktion ihrer Konstruierbarkeit.«225

220 221 222 223

Mersch (2010), S. 133. Vgl. ebd., S. 133. Vgl. ebd., S. 135–144. Im »Tractatus« unterscheidet Wittgenstein zwischen Sagen und Zeigen. Dies bedeutet, »dass ein Satz, indem er über etwas spricht, nicht mitspricht, wie er spricht.« Mersch nach Wittgenstein in: Mersch (2010), S. 141.; vgl. dazu: Wittgenstein (1918): Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 42f./4.12-4.1212.) Jedes Zeichen, jeder Satz vermittelt, symbolisiert, bezeichnet etwas – kann aber im Moment seines (Aus)Sagens nicht das Wesen seiner eigenen Medialität berühren. Mit der »différance« unternimmt Derrida den Versuch, diese Logik – bzw. den Logozentrismus – zu unterlaufen – denn sie will zeigen, was sie sagt und sagen, was sie zeigt, indem sie sich der grammatischen Vernunft widersetzt. 224 Vgl. Mersch (2010), S. 143. 225 Ebd., S. 143.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Dies ist für die Formulierung von didaktischen Überlegungen zu bildenden Diskursen von höchster Brisanz, denn es zeigt, dass das Zeichen – aufgrund seiner beschriebenen paradoxalen Struktur – nicht restlos kontrolliert werden kann. Wie Mersch nun folgert, »gehört zur Performativität ihre Unverfügbarkeit; sie hat den Charakter eines Ereignens.«226

1.2.2.3 Entgegensetzung III: Präsenz als Präsenz – zur Versöhnung der Präsenzbegriffe Mit Präsenz bezeichnet Derrida den abwesenden Ursprung des Sinns, seine uneinholbare Transzendenz. Die Präsenz nach Gumbrecht und Mersch beschreibt ebenso Unverfügbarkeit – sie meint jedoch die produktive Gegenseite der Absenz.227 Beide »Präsenzen« bedingen einander in ihrer und durch ihre Entgegensetzung. Derrida verweist bereits mit der »différance« auf die Notwendigkeit, die paradoxale Struktur des Zeichens einzubinden, denn »sie setzt voraus, daß das Zeichen, welche die Präsenz aufschiebt […], nur von der Präsenz, die es aufschiebt, ausgehend und im Hinblick auf die aufgeschobene Präsenz, nach deren Wiederaneignung man strebt, gedacht werden kann.«228 Die Implementierung des Paradoxons der Metaphysikkritik wird daher als für das Unterfangen notwendig erachtet, diskursive Prozesse und dekonstruktive Tätigkeiten zu beschreiben.

1.2.3 Die doppelte Geste der Dekonstruktion Die Dekonstruktion nach Derrida fungiert als Verfahren, dass diese Entgegensetzungen entdeckt und sie – gleichermaßen entgegensetzend – diskursiv produziert. Die dekonstruktive Tätigkeit demaskiert die Unverfügbarkeit des Sinns und setzt ihr die Unendlichkeit an Möglichkeiten des Sinns entgegen. Die Frage nach dem Ursprung der dekonstruktiven Tätigkeit kann deshalb nicht von der Frage nach den Bedingungen ihrer Möglichkeiten getrennt werden, denn in diesen findet die Dekonstruktion ihr konstitutives Gegenüber.

226 Vgl. ebd., S. 143. 227 Vgl. Gumbrecht (2004), S. 11. Nach Gumbrecht bezeichnet »Präsenz« das Potential der »Dinge der Welt« unmittelbar auf menschliche Körper zu wirken. Die »Produktion von Präsenz« verweist auf Ereignisse und Prozesse, die diese Auswirkungen initiieren oder steigern. Die Präsenz stellt sich dem Sinn bzw. der Sinnzuschreibung entgegen – sobald ein Sinn zugeschrieben oder eine Vorstellung vom Objekt generiert wird, entzieht sich die Sinnlichkeit und verflüchtigt sich die ästhetische Affizierung. 228 Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 120.

1. Bildung als Diskurs

Die Dekonstruktion bewirkt den Entzug der Präsenz als transzendentales Signifikat und das Aufscheinen der Präsenz als ästhetische Negativität des Signifikanten. Der Dekonstruktion wohnt eine doppelte Bewegung inne, die gleichermaßen ent-birgt und ver-birgt.229 Sie richtet sich auf etwas – nämlich die Abweisung transzendentalen reinen Sinns, was seine Existenz notwendigerweise bestätigt. So demonstriert Derrida mit der »différance«, dass die Bedingungen sprachlicher Möglichkeiten in paradox anmutenden Entgegensetzungen begründet sind: »SensiblesIntelligibles, Signifikant-Signifikat, Ausdruck-Inhalt«230  – und nicht zuletzt im Gegenüber von Zeit und Raum.231 Dabei strebt die Dekonstruktion nicht nur die Neutralisation der metaphysischen Gefangenschaft als dialektische Umkehr an.232 Sie sucht nicht den Austausch oder die Umdeutung von Zeichen innerhalb eines Systems, sondern stellt das System grundsätzlich zur Disposition und damit die Möglichkeit anderer Systeme in Aussicht. Die dekonstruktive Abweisung der Transzendenz erfolgt nicht als dialektische Entgegensetzungen, wie z.B. Ursache und Wirkung, Bestimmtheit und Unbestimmtheit, sondern durch die Bewegung der »différance«. Die »différance« fungiert in doppelter Weise: als Zeichen, als Text – aber ebenso als Ausdruck der Präsenz einer Gabe oder eines Ereignisses.233 Derridas Umdeutung der ontologischen Differenz in semiologische Differenzen lässt es nicht zu, von einem Ereignis, »das geschieht« zu sprechen, wie es Lyotard in seinen Überlegungen zur Ästhetik und zur Kunst einräumt.234 Was Lyotard als Entgegenkommen, als »es geschieht« und Erfahrung des Undarstellbaren beschreibt, verspätet sich bei Derrida durch die Bezeichnung. Das Sein kann der BeZeichnung und dem Bewusst-Sein nicht entrinnen. Derrida präsentiert die »différance« als »Movens der Dekonstruktion«:235 »Mit dem Gedanken der ›différance‹ wird die Bestimmung des Seins als Anwesenheit oder als Seiendheit erfragt. Eine solche Frage könnte hier nicht aufkommen und verständlich sein, ohne daß irgendwo der Unterschied des Seins zum Seienden sich auftäte. Erste Konsequenz: die ›différance‹ ist nicht. Sie ist kein gegenwärtig Seiendes […]. Nicht nur gibt es kein Reich der ›différance‹, sondern diese stiftet zur Subversion eines jeden Reiches an.«236

229 230 231 232 233 234 235 236

Gumbrecht (2004), S. 88. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 46. Vgl. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 117. Vgl. Derrida: (2004c) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 105. Vgl. Mersch (2010), S. 69 und 76. Ebd., S. 68 Vgl. ebd., S. 77. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 138.

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Die »différance« als Zeichen oder Text erfüllt die Funktion des Ursprungs dekonstruktiver Tätigkeit – sie stellt dar, was sie auszulösen beabsichtigt. Sie fungiert für die dekonstruierende Instanz als Movens zur Dekonstruktion und zugleich dafür, sich selbst dekonstruieren zu lassen. Diese doppelte Wirksamkeit führt zur Vervielfältigung der Voraussetzungen sich anschließender Dekonstruktionen. Die dekonstruktive Tätigkeit vollzieht sich intentional, während die Intention selbst zugleich ihr Objekt ist. »Es ist diese doppelte Bewegung von Unbestimmbarkeit und Unverneinbarkeit, die im Zentrum aller folgenden Überlegungen steht.«237 Ebenso erweist sich die doppelseitige Wirksamkeit der Differenz der Zeichen als relevant für die Untersuchung bildender Vollzüge und Ereignisse und der Möglichkeiten, diese zu initiieren und zu gestalten. Die Signifikation nach Derrida geht über das Deuten von Vorhandenem hinaus und betont ihr produktives und exploratives Potential im Kontext der bildenden Auseinandersetzung des Selbst mit etwas außerhalb des Selbst. Sie evoziert einen Mehrwert und die Neuwertigkeit des Sinns. Sie provoziert eine bildende De-Konstruktion subjektiver Dispositionen und ermöglicht den sich bildenden Subjekten, das kreative und subversive Potential des Bedeutens freizusetzen.

1.2.4 Zusammenfassung: Das Andere – Dezentralisierung des Objekts Auf der Grundlage der klassischen These, dass Bildung Veränderungen der Verhältnisse des Individuums zu sich selbst und zu dessen Außenwelt provozieren, erfordern bildende Prozesse konstruktive und produktive Begegnungen des sich bildenden Individuums mit Anderem und Anderen.238 Eine poststrukturalistische Perspektive des Verstehens, des Bedeutens und der Erfahrung von Objekten unterstellt die Wahrnehmung bzw. Erfahrung und die Produktion von Differenzen. Differenzen als Effekt der Relation von Zeichen zeigen sich einerseits in Prozessen der Signifikation und Bedeutungskonstitution. Andererseits ereignen sie sich aufgrund der materialen und paradoxen Struktur des Zeichens. Derrida führt mit der Dekonstruktion ein Verfahren ein, das die Idee der Abweisung von Totalität einlöst, indem die Substitutionsbewegung der Signifikanten – das Spiel der Differenzen – aufrechterhalten wird. Da Zeichen neben ihrer Substitutionsfunktion auch eine eigene materiale – sinnliche – Struktur aufweisen, fügt jedes Zeichen seinem Substitut etwas hinzu. Die »supplémentarité« der Zeichen produziert Differenzen und führt zu einem Sinnüberschuss, der sich wiederum differenziell ereignen kann. Das Zeichen, welches nur durch seine Wiederholung überhaupt als Zeichen erkannt werden kann, ereignet sich so gleichermaßen als Anderes 237 Vgl. Mersch (2010), S. 14. Vgl. dazu auch Forster/Zirfas (2005) in: Bilstein/Winzen/Wulf (2005), S. 89. 238 Vgl. Koller (2012), S. 9.

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und verweist so auf eine ästhetische Dimension. Die Dekonstruktion hat daher eine doppelte Perspektive, die in der Gegenüberstellung und der gleichzeitigen Bedingtheit der Präsenz als Ursprung (Derrida) und der Präsenz als ästhetische Gegenwart (Gumbrecht, Mersch) gründet. Die doppelte Geste der Dekonstruktion verweist auf diese Ambivalenz der Präsenz. Derrida provoziert mit der »différance« eine doppelte Wirksamkeit der Dekonstruktion – als Ereignis, das eine Bedeutungskonstitution im Plural initiiert. Während mit dem Aufscheinen eines Zeichens eine Präsenz uneinholbar aufgeschoben wird, ereignet sich die »différance« vom Anderen her. Sie »enthüllt die ›Tätigkeit‹ des Denkens [Hervorhebung im Original], des Be-Zeichnens oder Be-Deutens im Sinne eines fortwährenden Unter-Scheidens«.239 An ihr und mit ihr kann das Andere erfahren und das Differente produziert werden. Wesentlich für Derridas Verständnis von der Dekonstruktion ist die Einbeziehung des Paradoxes der Metaphysikkritik. Die Dekonstruktion, die sich der Reduktion des Sinns widersetzt, indem sie eine kausale Verknüpfung mit einem Ursprung ablehnt, bleibt auf jenen Ursprung als Präsenz bezogen. Die dekonstruktive Tätigkeit basiert auf produktiven Entgegensetzungen und der Anerkennung des Paradoxes der Metaphysikkritik. Da der »différance« als möglicher Beweg-Grund für die Aufnahme einer dekonstruktiven Tätigkeit bzw. eine Gerichtetheit und Bestimmung notwendigerweise abgesprochen werden muss, stellt sich die Frage nach der Autorenschaft der Dekonstruktion und der Instanz, die die »bewussten und d.h. auch intentionalen Eingriffe«240 verantwortet.

1.3 Die Andere(n) Dezentralisierung des Subjekts: zur ethischen Dimension der Dekonstruktion Das Denken an das Subjekt in poststrukturalistischer Perspektive problematisiert die Bedingungen der Möglichkeit der Subjektbildung und subjektive Handlungs- und Erkenntnismöglichkeiten.241 Es kann gezeigt werden, dass das grundlegende Bekenntnis zur Unmöglichkeit, das Subjekt restlos identifizieren und ihm einen bestimmbaren Ort zuweisen zu können, die Voraussetzung für die Übernahme der Verantwortung im und für den Lehr-Lern-Diskurs ist.

239 Vgl. Mersch (2010), S. 71. 240 Vgl. ebd., S. 43. 241 Vgl. Münker/Roesler (2012), S. XIII., vgl. Ruoff (2013), S. 205f; vgl. Butler, Judith (2015): Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. 8. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Edition Suhrkamp, 1744 = Neue Folge, Band 744), S. 81f.

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Das Subjekt verdankt bereits der Strömung des Strukturalismus seine Ablösung als Mittelpunkt und Garant von Sinnstiftung und Erkenntnisgewinn.242 An die Stelle der Instanz des »Subjekts« tritt im strukturalistischen Denken die Struktur. Die Subjektkritik des Strukturalismus trifft zunächst nur das Verhältnis von Sprache und Subjekt. Das Subjekt verliert seine zentrale Position im Prozess des Bedeutens, behält jedoch noch seinen Blick auf die Struktur. Poststrukturalistisches Denken weitet die strukturalistische Methode auf Strukturen aus, von denen anzunehmen ist, dass sie der der Sprache gleichen wie die der Geschichte, der Macht und des Begehrens.243 Die Ausdehnung der strukturalistischen Methode auf alle denkbaren Strukturen, auch jene, die sich dem Diskurs (noch) entziehen, bedingt und erzeugt paradoxale Verhältnisse. Die poststrukturalistische Subjektbildung – Subjektivierung – beruht auf Motiven paradoxaler Entgegensetzungen. Im Folgenden sollen Subjektbegriffe dargestellt werden, die für das Verständnis poststrukturalistischer bildungstheoretischer Ansätze relevant werden. Der bereits gebotene Einblick in die Ansätze von Derrida, Lyotard und Foucault wird vertieft, indem deren differenten Ansätzen gefolgt und sich daraus ergebende Konsequenzen für die Fassung subjektiver Instanzen herausgearbeitet wird. Zudem sollen Aspekte der von Emmanuel Lévinas erarbeiteten Subjektkonzeption ergänzend einbezogen werden, da diese zum einen für ein poststrukturalistisches Subjektverständnis als bedeutsam erachtet werden und zum anderen, da ihr Einfluss auf die ethische Perspektive Derridas nachweislich ist.244

1.3.1 Das Subjekt vor dem Gesetz »Subjekt-sein heißt vor dem Gesetz sein, denn das Subjekt ist dem Gesetz unterworfen und zugleich verantwortlich.245 « Die dekonstruktive Abweisung von Totalität richtet sich gegen das Ordnungsprinzip der Struktur – auf der Grundlage ebendieses Ordnungsprinzips. Das Prinzip des paradoxen Verhältnisses von Bedingung und Effekt, welches der dekonstruktiven Tätigkeit implizit ist, kann daher auch auf den Subjektbegriff nach Derrida übertragen werden. Es besteht offenkundig eine

242 Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 30. 243 Ebd., S. 30. 244 Vgl. Derrida, Jacques (1993); vgl. dazu Flatscher, Matthias: Derridas »coup de don« und Heideggers »Es gibt«. Bemerkungen zur Un-Möglichkeit der Gabe. https://homepage.univie.ac.at/matthi as.flatscher/gabe.pdf [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021], S. 36. So gründet Derridas Konzept der »Gabe« auf den Überlegungen Lévinas’ und untermauert die Verkehrung traditioneller Hierarchien, wie sie Derrida bereits durch seine Kritik am Logozentrismus und seiner Konzeption der »différance« einführt. Von Bedeutung für diese Arbeit ist Lévinas’ ›Konzeption des Antlitz‹ und seine Ausführungen zur Asymmetrie der Verantwortung. Vgl. dazu Kapitel 3.5.2.5: Eröffnung bildender Diskurse als Spiel: ethische Perspektive. 245 Vgl. Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 81. [Schreibweise im Original].

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Analogie der Verhältnisse von Selbst und Subjekt zur Strukturalität und einem Denken an die Strukturalität bzw. an das Zentrum der Struktur. Derridas Kritik richtet sich gegen die Annahme eines vorausgesetzten Zentrums als Organisationsprinzips der Struktur, denn in ihm artikuliert sich die metaphysische Gefangenschaft, die das Bedeutungspotential der Struktur reduziert. Ein Ordnungsprinzip stelle einen metaphysischen Übergriff dar, der abgewiesen werden müsse, um das Spiel des Bedeutens zu befreien. Das Zentrum, so Derrida, sei der »Punkt, an dem die Substitution der Inhalte, der Elemente, der Terme nicht mehr möglich ist.«246 Damit generiert Derrida ein konstitutives Paradoxon. »Indem das Zentrum einer Struktur die Kohärenz des Systems orientiert und organisiert, erlaubt es das Spiel der Elemente im Inneren der Formtotalität. Und noch heute stellt eine Struktur, der jegliches Zentrum fehlt, das Undenkbare selbst dar.«247 Eine Struktur wird erst als solche erfasst, wenn ihre Strukturalität denkbar ist. »Was wir hier über das Zeichen sagen, läßt sich auf alle Begriffe und auf alle Sätze der Metaphysik, insbesondere auf die Rede über ›Struktur‹ ausdehnen.«248 Dem Denken an die Struktur ist das Verlangen, ihr Strukturalität zu unterstellen und ihr damit ein Zentrum zu geben, bereits implizit. Derridas dekonstruktive Tätigkeit richtet sich gegen das Zentrum und kann nicht umhin, es dadurch als eine Bedingung und einen Effekt dieser Tätigkeit anzuerkennen. Nach Derrida kommen dem Zentrum in der Geschichte der Metaphysik und des Abendlandes viele Formen und Namen zu. »Man könnte zeigen, daß alle Namen für Begründung, Prinzip oder Zentrum immer nur die Invariante einer Präsenz (eidos, arche, telos, energia, ousia [Essenz, Existenz, Substanz, Subjekt], aletheia, Transzendentalität, Bewusstsein, Gott, Mensch usw.) bezeichnet haben.«249 Daher ist mit Derrida zu konstatieren: Es gibt ein Zentrum – als Präsenz oder Subjekt, denn eine Struktur ohne Zentrum ist undenkbar. Das Zentrum ermöglicht erst die Freiheit des Bedeutens im Inneren der Struktur. Bedingung dafür ist jedoch wiederum die einschränkende, reduzierende Funktion des Zentrums. Folgerichtig verortet Derrida das Zentrum »sowohl innerhalb der Struktur als auch außerhalb der Struktur«.250 Ein Zentrum kann der Strukturalität nicht angehören, weil es sie be246 247 248 249

Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 115. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 115. Vgl. ebd., S. 119. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 116. [Klammergestaltung im Original]. 250 Ebd., S. 115.

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herrscht, es ist aber auch nicht von ihr zu trennen, denn ihm obliegt die Funktion und das Movens, den Verweisungsprozess anzutreiben.251 Die Figur des Subjekts kann als Analogie zum Denken an die Struktur gefasst werden. Es kann niemals gegenwärtig sein, sondern kann nur nachträglich als solches erkannt oder bezeichnet werden – dies legt Derrida anhand seines Konzepts der »différance« dar.252 Das Denken an die Struktur als Bewusst-Sein vom Gesetz bzw. der Strukturalität, der (eigenen) Präsenz oder auch vom Zentrum – schließt das Subjekt davon aus oder entlässt es. »Subjekte sind vor, unter, aufgrund des Gesetzes – sie begehren es.«253 Nur im Umgang mit Sprache erlebt sich ein Subjekt sprechend – nur indem es sich einschreibt in das System der Differenzen, wird es bedeutend.254 Vor dem Zeichen – der »différance« – kann kein Bewusstsein greifen. Die VerGegenwärtigung des Subjekts erfolgt im Moment des Ereignens des Zeichens als »différance«: in dem Augenblick, da sich das Zeichen durch Wiederholung bestätigt und iteriert. Es ist der Moment der Entortung des Subjekts, denn es kann selbst nicht gegenwärtig sein.255 Derrida verabschiedet das »Subjekt« zugunsten der »Singularität«. »Die Singularität des ›Wer‹ ist nicht die Individualität von etwas mit sich selbst Identischen, sie ist kein Atom.«256 Die Singularität wird nicht durch Abhängigkeiten oder Relationen bestimmt. Sie bezeichnet keine Einzigartigkeit und Individualität. Vielmehr bildet sie »ein Geflecht von symbolischen Verweisungszusammenhängen, eine Sammlung, die in sich durch den Ruf des Anderen auseinanderbricht und/oder das, was sich unseren Symbolisierungsversuchen systematisch entzieht, das Widerständige der Erfahrung.«257 Singularität entspricht einem Selbst-Sein, bevor ein Bewusst-Sein oder In-BeziehungSein greift.258 Sie besteht bis zum Moment der Erfahrung, bis zum Moment der Aufnahme einer intersubjektiven Beziehungstätigkeit – ihr Verlust geht mit der Konstitution des Selbst in Beziehung zum Anderen einher. Dem Subjekt als Zentrum oder Präsenz kommt nach Derrida weder ein bestimmbarer Ort noch eine Identität mit sich selbst zu. Die subjektive Instanz entsteht und vergeht mit der

251 252 253 254 255

Vgl. ebd., S. 115. Vgl. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 130. Derrida in Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 82. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 130. [Hervorhebung im Original] Vgl. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 131. Derrida verweist hier auf die onto-theologische Bestimmung des Seins nach Heidegger. 256 Derrida in Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 83. 257 Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 82f. 258 Vgl. ebd., S. 82.

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differentiellen Verweisungsbewegung. Der Spielzug seiner Ver-Ortung und der Ent-Zug dieses Ortes gehören in-eins zur Bewegung unendlicher Substitutionen.

1.3.2 Das Subjekt vor dem Satz Auch Lyotard bestreitet die Existenz einer subjektiven Instanz, die der Sprache – den Sätzen – zuvorkommen kann. Die Sprache jedoch geht dem Subjekt voraus. Sätze, die geschehen, weisen dem Subjekt eine Position als Subjekt erst zu. »Sender und Empfänger werden im Universum, das der Satz darstellt, situiert, genauso wie dessen Referent und dessen Sinn«.259 Die Zuordnung der Satzinstanz erfolgt in Abhängigkeit des Satzregelsystems, der Diskursart – je nachdem, ob die Aussage denotativer oder performativer oder anderer Diskursart ist.260 Nach Lyotard ist die Sprache die Voraussetzung für Subjektivität. Durch sie kann die subjektive Instanz erst zu einem Namen kommen. »Aus dem Satz: Ich zweifle, folgt nicht, daß ich bin, es folgt vielmehr, daß es einen Satz gab.«261 Das Subjekt ist den Satzregelsystemen und Diskursarten unterworfen. Der Inhalt seiner Aussagen gründet demzufolge nicht in seiner Intention oder seinem bewussten Willen. »Unsere ›Absichten‹ sind die Spannungen bei gewissen Verkettungsweisen, die die Diskursarten auf die Empfänger und Sender von Sätzen, auf deren Referenten und Bedeutungen übertragen. Wir glauben, daß wir überreden, verführen, überzeugen […] – doch zwingt nur eine dialektische, erotische, didaktische, ethische, rhetorische, ›ironische‹ Diskursart ›unseren‹ Satz und ›uns‹ selbst ihren Verkettungsmodus auf. Es gibt keinen Grund, diese Spannungen Absichten und Willen zu nennen.«262 Das, was inhaltlich ausgesagt wird, rührt nicht vom Bewusstsein oder den Intentionen Sprechender her, sondern entspringt überkommenen Verkettungsregeln, die den Sprechenden vorgängig und ihm verfügbar sind. Das Subjekt beschreibt daher nur eine Position im Satz. Die Sprache ist somit Voraussetzung von Subjektivität und nicht umgekehrt.263 Das Bestreiten der Möglichkeit intentionalen Sprechens ist eine logische Konsequenz aus Lyotards proklamierter Abweisung von Meta-Diskursen. Hier verfängt

259 Lyotard (1989) et al., S. 30. 260 Vgl. Lyotard (2015), S. 43f. 261 Lyotard (1989) et al., S. 108. Zur Problematik des Anfangs, bzw. der (Un-)Möglichkeit, aus subjektiver Perspektive einen Diskurs zu beginnen, vgl. Kapitel 3.5.2.3: Zur Problematik des Anfangs im poststrukturalistischen Denken. 262 Vgl. ebd., S. 226. 263 Vgl. ebd., S. 9f und 108f.

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sich diese Haltung jedoch im Widerspruch, der auch im Zusammenhang seines paralogischen Legitimationsverfahrens264 nicht aufgelöst wird. Lyotard unterstellt sich – intentional – einem ethischen Meta-Diskurs der Gerechtigkeit,265 der zwar auf der Offenhaltung des Widerstreites, also der Abweisung von Meta-Diskursen beruht, aber genau dadurch auf einen Meta-Diskurs verweist.

1.3.3 Das Subjekt vor der Macht Foucault bestreitet die Möglichkeit einer subjektiven Instanz nicht. Obwohl seine Philosophie oftmals der Subjektlosigkeit bezichtigt wird,266 entfaltet er in seiner späten Phase drei Subjektkonzeptionen: »das Subjekt der Wissenssysteme, das Subjekt der Macht und das Subjekt der Ethik des Selbst.«267 Er beschreibt ein Subjekt, das der Sprache unterworfen, dessen Körper von Disziplin geformt und dessen Wesen von der Wissenschaft bestimmt ist.268 Die foucaultschen Subjektkonzeptionen vollziehen eine Abkehr von der Autonomie des Subjekts der Aufklärung. Seine Verabschiedung des Subjekts in »Les mots et les choses« (Die Ordnung der Dinge, 1966/74) – »der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand«269  – erscheint zunächst radikal. Die These dieses Verschwindens kann jedoch bei Foucault als radikales Bekenntnis zum Menschen verstanden werden. Unter dem Einfluss der strukturalistisch-sprachphilosophischen Methoden soll das Menschliche von dem befreit werden, was der Humanismus und die Aufklärung ihm mit der Identifizierung als Zentrum des Wissens und der Erkenntnis verschrieben haben.270 Das bedeutet, »dass die Sprache aus der Verdrängung in ihre eigenständige, auf die SubjektObjektseite nicht reduzierbare mediale Position und Funktion zurückkehrt und dem Menschen als Subjekt und zugleich Objekt seines Wissens seine souveräne transzendentale Subjektposition streitig macht.«271

264 265 266 267 268 269

Vgl. Koller (1999), S. 28–30; vgl. auch Lyotard (2015), S. 143. Vgl. ebd., S. 28–30. Vgl. Ruoff (2013), S. 205. Ebd., S. 205. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 103. Foucault in Wimmer, Michael (2019) Posthumanistische Pädagogik. Unterwegs zu einer poststrukturalistischen Erziehungswissenschaft. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag, S. 24. 270 Vgl. Wimmer (2019), S. 12f. 271 Ebd., S. 24.

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Subjekte konstituieren sich nach Foucault in diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken, in denen sich wiederum Machtverhältnisse artikulieren.272 Macht kann in diesem Sinne nicht als »Gegenstandsbegriff« gehandhabt werden. Sie beschreibt ein relationales Gefüge, in dem sich die soziale Wirklichkeit und ihre Subjekte wechselseitig hervorbringen.273 Die Machtverhältnisse, die den Diskurs regulieren, sind dieselben, die auch das Subjekt hervorbringen oder unterwerfen. »Subjektivierung« – oder auch »Subjektivation«274 beruht daher auf Machttechniken.275 »Subjektivation ist buchstäblich die Erschaffung des Subjekts, das Reglementierungsprinzip, nach dem ein Subjekt ausformuliert oder hervorgebracht wird. Subjektivation ist eine Art von Macht, die nicht nur einseitig beherrschend auf ein gegebenes Individuum einwirkt, sondern das Subjekt auch aktiviert und formt. Subjektivation ist also weder einfach Beherrschung noch einfach Erzeugung eines Subjekts, sondern bezeichnet eine gewisse Beschränkung in der Erzeugung, eine Restriktion, ohne die das Subjekt gar nicht erst hervorgebracht werden kann.«276 Subjekte konstituieren sich im Widerstand zur Macht. Nach Foucault gehört das Subjekt nicht zur Welt, »sondern sei Grenze der Welt«.277 Ihm obliegt die Funktion der Grenze des Diskurses – die Möglichkeit, in einen Diskurs einzutreten oder ihn zu beginnen.278 Die subjektive Instanz konstituiert sich im Widerstand der materiellen Wirklichkeit des Diskurses – es begehrt, ihm bereits anzugehören – es begehrt das Gesetz, was dem Diskurs Ordnung und seinen Praktiken ein Kontinuum verheiße. Das sprechende Subjekt bricht jedoch in diese Ordnung ein und riskiert einen Anfang, der den Diskurs wiederum ermächtigt. Der Diskurs impliziert daher Machtstrukturen, die sich dem Subjekt entgegenstellen und dem es sich entge-

272 Vgl. Campos (2019), S. 94f. vgl. auch Ruoff (2013), S. 206. 273 Vgl. Campos (2019), S. 94f. 274 Es existieren zwei Begriffe für die Subjektbildung in den Traditionen nach Foucault/Butler/ Althusserl: Subjektivierung und Subjektivation. Zur Problematisierung dieser Differenzierung vgl. z.B. Campos (2019), Ricken (2013), Fritzsche (2012), Alkemeyer (2013). Im Anschluss an Alkemeyer und Campos wird in dieser Arbeit der Begriff der Subjektivierung gewählt und nur im Falle der Zitation der Begriff der »Subjektivation« verwendet. Vgl. dazu Campos (2019), S. 97f. 275 Bruder, Klaus-Jürgen (1995): Das postmoderne Subjekt.http://web.fu-berlin.de/postmodernepsych/berichte1/bruder_pomo_subjekt.htm. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021]. 276 Butler, Judith (2015), S. 82. 277 Konersmann, Ralf (1974) in Foucault, Michel (1970): Die Ordnung des Diskurses. http://yanko .lib.ru/books/lit/deutsch/foucault-die_ordnung_des_diskurses.htm. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021], S. 65. 278 Foucault (1991), S. 9; vgl. auch Ruoff (2013), S. 87.

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genstellt. Das sich konstituierende Subjekt ist auf die Entgegensetzung durch die Macht, die es unterwirft, angewiesen. Wesentliches Element der Beschreibung der Machtverhältnisse, in denen sich das Subjekt konstituiert, ist die Betonung des Materiellen und Körperlichen in der Hervorbringung und Unterwerfung der subjektiven Instanz. »Dem Leib prägen sich die Ereignisse ein (während die Sprache sie notiert und die Ideen sie auflösen). Am Leib löst sich das Ich auf (das sich eine substantielle Einheit vorgaukeln möchte): Er ist die Masse, die ständig abbröckelt.«279 In dem Moment, da ein Subjekt sich formiert und als solches erkannt werden kann – sublimiert es seine Körperlichkeit. Seine Körperlichkeit bietet jedoch produktiven Widerstand, der in eigener diskursiver Komplexität die vormalige Subversion überschreitet.280 Ein durch Unterwerfung konstituiertes Subjekt wird nicht »in einem einzigen Moment in Gänze hervorgebracht« oder vollständig in Unterwerfung konstituiert.281 Seine Unterwerfung erfolgt als Wiederholung, indem ihm ein Bedeutungshorizont zugeschrieben wird. Aus dieser Wiederholung schöpft es jedoch auch einen Machtgewinn, denn jede Wiederholung formiert Grenzen als das »konstitutive Außen«.282 Grenzen gehören zum Unsagbaren, daher obliegt dem Subjekt die Sublimierung seiner Grenzen.283 Die Konstituierung des Subjekts als Sub-jekt 284 widersetzt sich seiner Identifikation durch die Ermöglichung eines Mehr-als oder Anders-als285  – als produktive Unwucht der Bewegung der Ver- und Entortung des Subjekts, die sowohl Unterwerfung als auch Machtgewinn impliziert. Während in [neu]humanistischer Perspektive die Autonomie des Subjekts als dessen Potential zur Individualisierung stets auf der Basis der Identifikation des Subjekts mit sich selbst verstanden wird, kann nach Foucault die Autonomie des Subjekts nur auf dessen Unverfügbarkeit für sich selbst und andere beruhen.

279 280 281 282 283 284

Foucault in Butler (2015), S. 89. Vgl. Butler (2015), S. 89. Vgl. ebd., S. 89f. Ebd., S. 91. Vgl. ebd., S 90. Der Begriff »Subjekt« geht auf die lateinische Wurzel »subjectum« – Unterwerfung zurück. Während Butler mit »subjection« sowohl den Unterwerfungsaspekt als auch die Subjektwerdung bezeichnet, verzichtet die Übersetzung (Reiner Ansén) auf die Darstellung des Doppelsinns »Unterwerfung/Subjektwerdung« und verwendet anstelle dessen »Subjektivation«. Vgl. dazu Butler (2015), S. 187. 285 Vgl. Butler (2015), S. 90f.

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1.3.4 Das Subjekt vor dem Anderen »Die beste Art, dem Anderen zu begegnen ist, nicht einmal seine Augenfarbe zu bemerken.«286 Lévinas Fassung des Subjekts und dessen Subjektivität beruht auf dem Motiv der Unverfügbarkeit – als einer Unverfügbarkeit des Anderen. Seine Konzeption vom »Antlitz« trägt wesentlich dazu bei, die ethische Dimension poststrukturalistischen Denkens zu entfalten und die Verantwortung als »wesentliche […], primäre […] und grundlegende […] Struktur der Subjektivität« zu begreifen.«287 Subjektsein bedeutet, dem Anderen unterworfen und gleichzeitig für ihn verantwortlich zu sein: sogar für die Verantwortlichkeit des Anderen verantwortlich sein.288 Lévinas fasst seinen Begriff des Subjekts und dessen Subjektivität mithilfe ethischer Begriffe. In der Beziehung zum Anderen sieht er den Kristallisationskeim des Subjektiven. Wesentlich ist, dass auch das eigene Sein vom Bewusst-Sein nicht in Besitz genommen werden kann – es bleibt auf das Gegenüber des Anderen angewiesen: »Menschlich sein (être humain), das bedeutet: so zu leben, als wäre man nicht ein Seiendes unter Seienden. Als würden sich durch die menschliche Geistigkeit die Kategorien Sein in ein ›Anders-als-Sein‹ (autrement qu’être) umkehren. Nicht nur in ein ›Anders-sein‹ (être-autrement); anders sein ist immer noch Sein. ›Das Anders-als-Sein‹ hat in Wahrheit kein Verb, welches das Ereignis seiner Un-Ruhe, seiner Selbstlosigkeit (dés-inter-essement), des Infragestellens dieses Seins (être) – oder dieser Seinsweise (essement) – des Seienden bezeichnen würde.«289 Die Abweisung des Seins als fixierbare Größe unter anderen Größen verweist auf das poststrukturalistische Motiv der Abweisung des transzendentalen Grundes. Da diese Abweisung als Tätigkeit von Bedeutung ist – und nicht die Identifikation des Abgewiesenen als ihr Ergebnis, folgert Lévinas, dass das Bewusst-Sein keine einfache Verkehrung des Seins vom Eigenen her erzeugt, sondern sich tatsächlich vom Sein abtrennt. Ein Nicht-Sein oder ein Anders-Sein ließe sich noch vom Sein her bestimmen. Anders-als-Sein verweist auf die Inkommensurabilität und Unverfügbarkeit des Seins. »Das Sein ist Exteriorität, und in ihrer Wahrheit ereignet sich die

286 Lévinas, Emmanuel (1986): Ethik und Unendliches, Gespräche mit Philippe Nemo. Hg. von Peter Engelmann. Aus dem Französischen von Dorothea Schmidt. Graz und Wien: Edition Passagen, S. 64. 287 Ebd.,S. 72. 288 Vgl. ebd., S. 72–79. 289 Ebd., S. 78. [Schreibweise im Original].

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Exteriorität in einem subjektiven Feld.«290 Ein Subjekt konstituiert sich in der Trennung des Seins vom Bewusstsein, in dem es sich aus dieser Trennung heraus auf sich selbst und auf den Anderen bezieht.291 In diesem Vorgang sieht Lévinas den »eigentlichen Akt der Individuation«, der dem Subjekt nicht zur Bestimmung seines »Platzes im System« verhilft, sondern im Gegensatz dazu, von diesem auszugehen.292 Der Ausgang von sich selbst stiftet zweierlei: das metaphysische Feld der Subjektivität und die Beziehung zum Anderen. So erscheint das Subjekt – das Bewusst-Sein – als Gastgeber, der das Sein als Anderes empfängt.293 Die Struktur der Subjektivität und die Beziehung zum Anderen sind bei Lévinas nicht nur verwoben, sondern bedingen sich wechselseitig: »Die Subjektivität ist nicht ein Für-sich, sie ist […] ursprünglich ein Für-einen-Anderen.«294 Der Andere, als menschliches Gegenüber, begegnet als »Antlitz« und stellt ein Drittes in Aussicht: eine Beziehung in Form des Wir. Lévinas nimmt den Anderen nicht aus phänomenologischer Perspektive in den Blick, sondern untersucht die Begegnung mit dem Anderen als unmittelbare Konfrontation – als »Epiphanie des Antlitz[es]«.295 Das Antlitz ist mehr als ein Gesicht, das sich dem Augenschein zeigt. »Das Antlitz ist Bedeutung, und zwar Bedeutung ohne Kontext.«296 Während Sinnbildung und Bedeutung auf eine Struktur oder System angewiesen sind, innerhalb derer sich eine Beziehung der Elemente ergibt, ist »das Antlitz für sich allein Sinn.«297 Das Antlitz ist nicht mit einer Person oder einer Rolle in sozialem Kontext gleichzusetzen. »Es ist das, was nicht ein Inhalt werden kann, den unser Denken umfassen könnte; es ist das Unenthaltbare.«298 Ein Antlitz erblicken, heißt, sich vom Mensch-Sein selbst anschauen und ansprechen zu lassen. »Das Antlitz spricht.«299 Es ermöglicht und beginnt ein Gespräch. Sein Ansprechen – oder »Sagen« – übersteigt die Möglichkeit, das Gesagte denkend zu identifizieren,300 denn die Anrufung verändert die Situation des Angerufenen uneinholbar.

290 Lévinas, Emmanuel; Krewani, Wolfgang Nikolaus (2014): Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität. 5. Aufl. (4. Aufl. der Studienausg.). Freiburg i.Br.: Alber (Alber-Studienausgabe), S. 434. Ebd., S. 434. 291 Vgl. ebd., S. 434. 292 Vgl. ebd., S. 435. 293 Ebd., S. 434. 294 Lévinas (1986), S. 73. 295 Vgl. Lévinas (2014), S. 283–289. 296 Lévinas (1986), S. 65. 297 Ebd., S. 65. 298 Ebd., S. 65. 299 Ebd., S. 66. 300 Vgl. ebd., S. 69.

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In der Konzeption des Antlitzes findet sich bei Lévinas die Begründung für die Notwendigkeit der Abweisung identifizierenden Denkens. In Analogie zum Motiv des sich ereignenden materialen Zeichens lässt sich das Antlitz aufgrund seiner ästhetischen Negativität nicht auf (s)ein Substitut oder Gedachtes reduzieren. Die Performativität des Antlitzes, sein Sich-Ereignen als Anderes, übersteigt die Möglichkeit, es in seiner Gänze zu erfassen. Die Beziehung zum Anderen als Antlitz entspricht nach Lévinas deshalb einer Beziehung zum Unendlichen und damit einem unerfüllbaren Begehren als einem Denken, »das mehr denkt, als es denkt«.301 Er verweist auf die paradoxe Struktur der Begegnung des Anderen als Antlitz – als einer »Präsenz des Unendlichen in einem endlichen Akt.«302 Die Anrufung, die durch das Antlitz widerfährt, bindet die entstehende Subjektivität an den Anderen durch die Verantwortung, derer sie sich nicht entledigen kann. Sie muss übernommen und getragen werden, ohne dass Gegenseitigkeit erwartet werden kann. »Positiv können wir sagen, daß vom Moment an, in dem der Andere mich anblickt, ich für ihn verantwortlich bin, ohne daß ich diese Verantwortung für ihn überhaupt übernehmen müßte; seine Verantwortung obliegt mir. Es ist eine Verantwortlichkeit, die über das hinausgeht, was ich tue.«303 Die Radikalität der Haltung des Autors offenbart sich darin, dass er eine Gegenseitigkeit der Verantwortung sogar ablehnt und die Asymmetrie der Verantwortlichkeit betont: »Die Gegenseitigkeit, das ist seine Sache. Gerade in dem Maße, indem die Beziehung zwischen dem Anderen und mir nicht gegenseitig ist, bin ich dem Anderen gegenüber unterworfen (je suis sueton á autrui); und vor allem in diesem Sinn bin ich »Subjekt« (sujet).«304 Die Darstellung des Subjekts nach Lévinas verschränkt das sich konstituierende Selbst-Bewusstsein mit der Anerkennung der Verantwortung für den Anderen. Im Medium dieser Verantwortlichkeit bringt sich das Subjekt in seiner Subjektivität hervor. Die Anrufung durch das Antlitz initiiert die Trennung des Seienden vom Sein: dem Ausgang des Subjekts von sich selbst. Die entstehende Subjektivität ist deshalb mit der Beziehung zum Anderen verwoben und nicht substituierbar. »Ich, nicht auswechselbar, ich bin ich einzig in dem Maße, in dem ich verantwortlich bin. Ich kann mich allen substituieren, aber niemand kann sich mir substituieren. 301 302 303 304

Ebd., S. 71. Ebd., S. 71. Ebd., S. 73. [Hervorhebungen im Original.] Ebd., S. 75.

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Das ist meine nicht entfremdbare Identität als Subjekt.«305 Nach Lévinas ist die Konfiguration der subjektiven Instanz auf die Entgegensetzung des Antlitzes angewiesen. Das Begehren, das Antlitz durch den endlichen Akt des Denkens in seiner Unendlichkeit zu erfassen, erfüllt sich paradoxerweise in seiner Unerfüllbarkeit.

1.3.5 Zusammenfassung: die Andere(n) – Dezentralisierung des Subjekts Poststrukturalistische Subjektbegriffe sind ebenfalls von Strategien paradoxaler Entgegensetzungen geprägt. In Analogie zur Verortung des Zentrums einer Struktur bleibt auch die Bestimmung des Subjekts ambivalent und flüchtig. Derrida fasst das Subjekt als abwesende Präsenz. Wie bereits der Begriff der VerGegenwärtigung veranschaulicht, ist es dem Subjekt nicht möglich, sein Sein zu denken oder bezeichnen, ohne dass der Moment seiner Gegenwart bereits verstrichen wäre. Die Vergegenwärtigung des Subjektes geschieht – analog zur Bedeutungskonstitution oder Signifikation – unvollständig, unabschließbar und nachträglich. Die subjektive Instanz nach Derrida entspricht der Präsenz, die sich entzieht und die entzogen wird. Derrida ersetzt die subjektive Instanz durch Singularität, welche als elementares Dass (noch) über keine Intentionalität verfügt. Derrida trennt die Intentionalität des Subjektes – das Sagen-Wollen – vom Bewusstseinsakt der Bezeichnung.306 Wenn mit Derrida Ereignisse der »différance« und die Möglichkeit der Dekonstruktion einbezogen werden, dann entsteht ein Subjekt nachträglich in der paradoxalen Entgegensetzung der Abweisung seiner eigenen Intentionalität. Nachträglichkeit prägt auch Lyotards Subjektbegriff. Er bestreitet die Existenz des Subjekts nicht – jedoch dessen Möglichkeit, einen Diskurs zu beginnen. Das Subjekt entsteht als Effekt seiner Position im Satz eines Diskurses, der ihm vorgängig ist. Die kritische Sicht auf die Rolle, die ihm der Diskurs zuweist, ermöglicht ihm, neue Spielzüge und Sprachspiele zu erfinden. Lyotard unterstellt die Dezentralisierung der subjektiven Instanz – intentional (?) – einem ethischen Meta-Diskurs. Foucaults Entwicklung einer Konzeption der Macht erlaubt, das Subjekt nicht nur als Effekt einer Unterwerfung unter sprachliche Strukturen zu verstehen. Das Subjekt konstituiert sich im Widerstand zur Macht, die es unterwirft. Machtverhältnisse bedingen einander und wirken wechselseitig. Das Subjekt bemächtigt sich des Diskurses, dem es sich gleichzeitig unterordnet. Wesentlich für die Entfaltung der ethischen Dimension poststrukturalistischen Denkens hinsichtlich der Subjektbildung und der Beziehung des Subjektes zu an-

305 Ebd., S. 79. 306 Derrida (2004c) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 81; vgl. dazu auch Mersch (2010), S. 46. Da die Schrift unabhängig vom Empfänger existiert, kann die Mitteilungsabsicht aus dem Prozess der Bedeutungskonstitution ausgeschlossen werden.

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deren ist die Konzeption des »Antlitzes« und der Asymmetrie der Verantwortung nach Lévinas. Lévinas’ Subjektbegriff speist sich aus dem Motiv der konstitutiven Trennung des Seins vom Bewusstsein im Moment der Anrufung durch einen Anderen. Das Subjekt verliert – und gewinnt – sich selbst am Anderen, für den es radikal verantwortlich ist. Das Begehren des Selbst, sich durch eine Beziehung zum Antlitz des Anderen als Subjekt zu begründen, erfüllt sich in dessen Unverfügbarkeit. Die poststrukturalistische Intention, dem Subjekt den sicheren Ort zu entziehen, hat produktive Konsequenzen, denn das Subjekt geht als solches aus diesem Entzug hervor. Es entsteht im Widerstand zur Macht, die es hinterfragt. Damit weder die Macht noch Ohnmacht einer subjektiven Instanz, weder seine Existenz noch der Ent-Zug seiner Existenz als Bedingung dieser Existenz geleugnet werden,307 auch wenn seine Be-Zeichnung oder Ver-Ortung als Subjekt sich stets verspäten muss. Mit Derrida – und in dessen Rezeption Mersch – lässt sich aussagen, dass intentionale Gesten der Signifikation und Sinnstiftung möglich sind, die entweder im Sinne eines Ordnungsprinzips metaphysisch reduzieren oder sich dekonstruktiv gegen die übergreifende Ordnung stellen.308 Ebenso kann auf der Basis der vorgestellten Konzepte festgestellt werden: Es gibt ein Begehren, das sich auf das Zentrum der Struktur oder seine Dekonstruktion richtet: einen »Gestus, der der Struktur ein Zentrum geben und sie auf einen Punkt der Präsenz, auf einen festen Ursprung beziehen wollte.«309 Die Frage nach der Instanz, die das Begehren erzeugt, in sich trägt und sich zu entscheiden vermag – für die dekonstruktive Tätigkeit oder die Reduktion – ist die Frage nach der »Bedingung der Kreativität der Dekonstruktion selbst.«310 »Sie allein dem Ereignen zuzuschreiben, wäre zu wenig; sie hingegen einem Subjekt dekonstruktiver Arbeit zu überlassen, hieße, sie erneut dem zu überantworten, was bereits der gesamte Strukturalismus zu dekonstruieren suchte: dem Sprechen, das zuletzt seine Autorität von einem Sprechen-Wollen, einem Ich-spreche empfängt.«311 Dekonstruktive Prozesse, die von einem Selbst ausgehen und die diskursive Auseinandersetzung mit der Welt außerhalb seiner selbst intendieren, basieren auf paradoxalen Entgegensetzungen, die für die Exploration von Sinn, für die Herausbildung subjektiver Instanzen konstitutiv sind. Die Frage nach der Bedingung für die Aufnahme kreativer, dekonstruktiver Tätigkeit – die Frage nach dem Wer und seinem Ort – berührt das Paradox der Metaphysikkritik. Dieses greift bereits in

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Vgl. Mersch (2010), S. 43. Vgl. ebd., S. 43. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (2010), S. 114. Mersch (2010), S. 43. Ebd., S. 43.

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dem Moment, da sich eine Instanz zu dekonstruktiver Tätigkeit entscheidet. Dekonstruktive Tätigkeit geht von einem Selbst aus und richtet sich auf ein Anderes, dessen Antwort wiederum zur Ent-Ortung dieses Selbst führt. Eine Entscheidung zu dekonstruktiver Tätigkeit bestätigt einerseits die Notwendigkeit einer (subjektiven) Intention als konstitutives Gegenüber dekonstruktiver Tätigkeit. Eine Entscheidung muss getroffen, die dekonstruktive Tätigkeit willentlich aufgenommen werden – auch wenn die Dekonstruktion ihren Beweg-Grund auszustreichen beabsichtigte. Dieses Dilemma findet sich nicht nur in den Paradoxa der Erziehung312 oder im Verhältnis von Bildung und Didaktik wieder.313 Es erfährt auch in aktuellen poststrukturalistischen Bildungstheorien keine Auflösung.

1.4 Kritische Perspektiven auf den Poststrukturalismus Poststrukturalistische Grundannahmen und Denkmodelle provozieren Widerspruch und Kritik in verschiedenen Diskursen und Perspektiven. Die Kritik bezieht sich zum einen auf Widersprüche und Paradoxien innerhalb der poststrukturalistischen Denkfiguren. Zum anderen verweist die Kritik auf die Konsequenzen der Auflösung von Hegemonien für Politik und Gesellschaft. Die Negation übergreifender Meta-Diskurse stellt überkommene Vernunftbegriffe und auch demokratische Legitimationen zur Disposition. Werden tradierte Strukturen, Wert- und Moralvorstellungen konsequent getilgt, führt das zur totalen Inkommensurabilität gesellschaftlicher und sozialer Diskurse und damit zur Unmöglichkeit gesellschaftlichen Konsens’. Ein Fehlen legitimierender Meta-Diskurse, Wissenssysteme oder Kategorisierungen bewirkte potentiell die Gleich-Gültigkeit des Inkommensurablen, was kritische Einwände bezüglich relativistischer und ahistorischer Tendenzen durchaus plausibel erscheinen lässt.314 Beabsichtigt poststrukturalistisches

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Vgl. Wimmer (2006), S. 35–46. Wimmer verweist auf die bereits seit der Antike problematisierte Widersprüchlichkeit bezüglich der erzieherischen Tätigkeit zu dem, was sie zu bewirken beabsichtigt. So soll Erziehung dazu führen, Menschen Autonomie und Korrespondenz mit sich selbst zu ermöglichen. Für die erzieherische Tätigkeit müssen – in Analogie zur dekonstruktiven Tätigkeit – Intentionen formuliert und geltend gemacht werden. Vgl. Jank (Hg.) (2009), S. 13f., vgl. dazu auch Zirfas, Jörg (2001): Dem Anderen gerecht werden. Das Performative und die Dekonstruktion bei Jacques Derrida. In: Wulf, Christoph/Göhlich, Michael/Zirfas, Jörg (Hg.) (2001): Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln. Weinheim und München: Juventa Verlag, S. 100. Vgl. Ellis, John M. (1993): Against Deconstruction. Princton. Univ. Press; vgl. Boghossian, Paul (2013): Angst vor der Wahrheit. Ein Plädoyer gegen Relativismus und Konstruktivismus. Frankfurt/ M; vgl. Wendel, Hans J. (1990): Moderner Relativismus: Zur Kritik antirealistischer Sichtweisen des Erkenntnisproblems. Tübingen; vgl. Gabriel, Markus (Hg.) (2014): Der Neue Realismus. Berlin;

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Denken den Menschen aus den Zwängen überkommener Hegemonien zu befreien, erzeugt die Dekonstruktion möglicherweise neue Zwänge: neue Totalitäten der Gleich-Gültigkeit und der Unentscheidbarkeit als neue Normalität. Poststrukturalistische Denkmodelle müssen sich deshalb dem Vorwurf einer totalisierenden Vernunftkritik stellen.315 Diese führt – so sich die Maximen des Poststrukturalismus verwirklichen – zu anarchischen, inhumanen gesellschaftlichen und politischen Zuständen.316 Der poststrukturalistische Anspruch, mittels kritischer Verfahren einer dialektischen Verkehrung der Vernunftkritik entfliehen zu können, wird von Kritikern als genuin widersprüchlich entlarvt.317 Die Kritik weist außerdem auf die Folgen der Erschütterung eines Subjektverständnisses hin, welche dem Subjekt die Fähigkeit zur Autonomie und Eigenverantwortlichkeit aberkennt. Aus der Verabschiedung des Subjekts folge der Abschied vom Humanismus – so die Schlussfolgerung.318 Die Unmöglichkeit, Bedeutungszuschreibungen und Sinnstiftung auf ein Erkenntnissubjekt zurückzuführen, folgert Foucault aus der Umkehr des tradierten Verhältnisses zwischen Subjekt und Macht. Diese wird u.a. von Habermas heftig kritisiert, da sich Foucault zwar gegen

315

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Vgl. Reese-Schäfer, Walter (2001): Jürgen Habermas. Campus Verlag. Frankfurt a.M, S. 137; vgl. Münker/Roesler (2012), S. 155–170; vgl. Habermas, Jürgen (1985): Der philosophische Diskurs der Moderne. 12 Vorlesungen. 2. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Vgl. Searle, John R.: Reiterating the_Differences: a Reply to Derrida. https://www.academia.e du/15932757/Reiterating_the_Differences_A_Reply_to_Derrida_by_John_R_Searle [zuletzt aufgerufen am 19.08.2022/11.01 Uhr]; vgl. Dews, Peter (1987): Logics of Disintegration. PostStructuralist Thought and the Claims of Critical Theory. London/New York; vgl. Frank, Manfred (1991): Was ist Neostrukturalismus? 4. Aufl., Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag; vgl. Eagleton, Terry (1997): Die Illusionen der Postmoderne. Ein Essay. Stuttgart/Weimar: Metzler Verlag. vgl. Zima, Peter V. (2016): Die Dekonstruktion. UTB Francke; vgl. Zima, Peter (2016): Moderne/ Postmoderne. Gesellschaft, Philosophie, Literatur. 4. Korr. Aufl. Tübingen; vgl. Wendel, Hans J. (1990): Moderner Relativismus: Zur Kritik antirealistischer Sichtweisen des Erkenntnisproblems. Tübingen; vgl. Hauck, Gerhard (1992): Die ›Postmoderne‹, der Moderne mißratene Schwester. In: Ders.: Einführung in die Ideologiekritik. Berlin; vgl. Honneth, Axel (1994): Kritik der Macht. Reflexionsstufen einer kritischen Gesellschaftstheorie. 2. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkampm Verlag, vgl. Gabriel, Markus (Hg.) (2014): Der Neue Realismus. Berlin, vgl. Gruber, Alex/Lenhard, Philipp (Hg.)(2011): Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft. Freiburg: ça-ira-Verlag. vgl. Krämer, Hans (2007): Kritik der Hermeneutik. Interpretationsphilosophie und Realismus. München. vgl. Schweppenhäuser, Gerhard (2005): Postmoderne Ethik I/II. In: Ders.: Die Antinomie des Universalismus. Zum moralphilosophischen Diskurs der Moderne. Würzburg. vgl. Benhabib, Seyla (1995): Feminismus und Postmoderne. Ein prekäres Bündnis. In: Dies. U. a.: Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag. Vgl. Frank (1991); vgl. Habermas (1985); vgl. Münker/Roesler, S. 163. Vgl. Wimmer (2019): Posthumanistische Pädagogik. Unterwegs zu einer poststrukturalistischen Erziehungswissenschaft. Paderborn: Ferdinand Schöningh Verlag.

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subjektphilosophische Traditionen positioniere, sich aber zugleich derer Terminologien und Wissensordnungen bediene. »Foucault kann nicht alle jene Aporien, die er der Subjektphilosophie vorrechnet, in einem der Subjektphilosophie entlehnten Begriff der Macht zum Verschwinden bringen.«319 Die poststrukturalistische Metaphysikkritik entkommt der Metaphysik nicht. Und obwohl dieser Umstand bereits Teil der poststrukturalistischen Kritik ist,320 produzieren Aussagen, Thesen und theoretische Ausführungen zwangsläufig Widersprüche, die nicht aufgelöst werden können. Die konstitutive – genuine – Paradoxalität dieses Denkens bietet daher hinreichend Anlass, auf diese Widersprüche und metaphysische Verstrickungen hinzuweisen. Die Vorwürfe zielen nicht zuletzt auf die offenkundige Alogik der Argumentationsverfahren, eine daher als unwissenschaftlich erachtete Qualität der Texte und die artifizielle Attitüde, die Grenzen zwischen Literatur und Philosophie zu verwischen.321 Unverständlich, so Sokals und Bricmont aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive, sei der Stil poststrukturalistischer Texte und deren Gehalt »eleganter Unsinn«.322 Im Folgenden sollen einige Ansätze der Kritik an poststrukturalistischen Ansätzen dargelegt werden. Dies geschieht einerseits, um sinnstiftendes Potential der differentiellen Perspektiven auf poststrukturalistisches Denken freizulegen und andererseits, um die potentielle Anschlussfähigkeit oder gegebenenfalls auch das Scheitern poststrukturalistischer Denkmodelle für die Explikation bildungstheoretischer Impulse zu hinterfragen. Die reflexive Integration der kritischen Perspektiven und Vorwürfe eröffnet die Möglichkeit des produktiven – dekonstruktiven – Widerspruchs gegen die eine dialektische Verkehrung der poststrukturalistischen Idee als neue Totalität der Unentscheidbarkeit im Kontext von Bildung und Didaktik. Eine systematische Kritik an der Tendenz zur totalisierenden Vernunftkritik erfolgt durch Habermas, vor allem in Auseinandersetzung mit Foucault. Habermas argumentiert aus der Perspektive einer Gesellschaft, die auf das Band des Gemeinsinns und einer verbindenden Vernunft angewiesen ist, um als solche existieren zu können, und stellt der Dekonstruktion sein Konzept einer kommunikativen Vernunft entgegen.323

319 320 321 322 323

Habermas in Münker/Roesler (2012), S. 165. Vgl. Derrida (1990/2010a), S. 118. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 164. Vgl. Laermann, 1986, Ferry/Renauts 1987, in: Münker/Roesler 2012, S. 155. Vgl. Habermas (1985); vgl. Habermas, Jürgen (1981): Theorie des kommunikativen Handelns. Vgl. dazu Münker/Roesler (2012), S. 163–169.

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Foucault – so Habermas – zerschneide das Band zwischen Wahnsinn und »vernünftig gebildeter Totalität des öffentlichen Lebenszusammenhangs«.324 Dadurch werden beide Anteile einer »nur noch subjektiven Vernunft« unterworfen, sodass der Wahnsinn dann nicht mehr als unvernünftig und die öffentliche Vernunft nicht als vernünftig identifiziert werden kann. Foucault unterliege außerdem einer romantischen Verklärung des Wahnsinns als Ausdruck eines Authentischen und ursprünglich Wahren, denn er impliziere das noch Ungesagte, Sinnlose.325 Foucault erhoffe sich, durch den Einsatz der Diskursanalyse im Gesprochenen das Ungesagte dechiffrieren zu können. Damit verfängt er sich, so Habermas, in den Ausläufern der Negativen Dialektik, da er den Versuch unternimmt, mit den Mitteln des identifizierenden Denkens aus ihm ausbrechen.326 Habermas’ Kritik richtet sich zudem gegen Zirkelschlüsse im Kontext der foucaultschen Diskurs-bzw. Machttheorie. So verknüpfe der Diskurs seine Bedingungen zu einem Netzwerk an Praktiken, die den Diskurs wiederum als solchen hervorbringen. Der Diskurs regelt die ihm zugehörigen Praktiken. Die Diskursregeln »können aber einen Diskurs nur in den Bedingungen seiner Möglichkeit verständlich machen; sie reichen nicht hin, um die Diskurspraxis in ihrem tatsächlichen Funktionieren zu erklären. Es gibt ja keine Regeln, die ihre eigene Anwendung regeln könnten.«327 Habermas verweist auf die Paradoxie als Indiz für die »konzeptionelle Schwierigkeit«328 des Ansatzes und sieht in den machttheoretischen Ausführungen Foucaults lediglich einen Versuch der Ausflucht aus den Paradoxien der Diskursbegriffes, des Subjektverständnisses und der genealogischen Geschichtsschreibung.329 So bemühe sich Foucault nicht um die Suche nach tatsächlichen Ursprüngen, sondern um die Herauslösung des Wissens aus einem »metaphysikgeschichtlichen Kontext«. Foucault intendiere eine subjektunabhängige Rekonstruktion von historischen Machtverhältnissen und Spannungsfeldern. »Die neue Historie muß alle jene Voraussetzungen negieren, die für das historische Bewußtsein der Moderne, das geschichtsphilosophische Denken und die historische Aufklärung seit dem Ende des 18. Jahrhunderts konstitutiv gewesen sind.«330

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Vgl. Habermas (1985), S. 281. Vgl. ebd., S. 281f. Ebd., S. 282. Ebd., S. 315; vgl. auch Honneth (1985), S. 133ff. Habermas (1985), S. 315. Ebd., S. 315. Ebd., S. 293.

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Habermas kritisiert, dass Foucault die Problematik seines Subjektverständnisses in einen schwer fasslichen Machtbegriff verlagere und dadurch die Aporien im Kontext der Geschichtsschreibung und der Diskursivität nur vernebele.331 »Die vorgebliche Objektivität der Erkenntnis siehst sich dann nämlich in Frage gestellt (1) durch den unfreiwilligen Präsentismus einer Geschichtsschreibung, die ihrer Ausgangssituation verhaftet bleibt; (2) durch den unvermeidlichen Relativismus einer gegenwartsbezogenen Analyse, die sich selbst nur noch als kontextabhängiges praktisches Unternehmen verstehen kann; und (3) durch die willkürliche Parteilichkeit einer Kritik, die ihre normativen Grundlagen nicht ausweisen kann. Foucault ist unbestechlich genug, um diese Inkonsequenzen einzugestehen – freilich zieht er daraus keine Konsequenzen.«332 Die Dekontextualisierung diskursiver Ereignisse evoziert nicht nur eine extrem ahistorische Position, sondern birgt riskante Ambivalenzen, die die Gefahr ideologischer Verzerrungen in sich tragen, auf die auch David Lehmann und J. M. Ellis hinweisen.333 Eindrücklich erweist sich deren Problematisierung einer dekonstruktiven Lektüre von Adolf Hitler »Mein Kampf«, welche potentiell die Darstellung Hitlers als »verhinderten Demokraten und einen Freund der Juden« ermöglichen könnte. Dass dieser Interpretationsspielraum Beunruhigung und Entsetzen auszulösen vermag, kann ohne Schwierigkeiten nachvollzogen werden. Der Dekonstruktion der Geschichtsschreibung folgt der Abschied von der Hermeneutik und der »Stifterfunktion« des erkennenden Subjekts.334 »Die Analyse der Herkunft führt zur Auflösung des Ich und läßt an den Orten und Plätzen seiner leeren Synthese tausend verlorene Ereignisse wimmeln.«335 Habermas kritisiert die Negation von sprach- und handlungsfähigen Subjekten, wie sie die metaphysikkritischen Darlegungen Foucaults und Derridas zunächst nahelegen. Dass »das leibgebundene, sprechende und handelnde Subjekt nicht Herr im eigenen Hause ist«, läuft Habermas’ Theorie einer kommunikativen Vernunft zuwider, die nur durch sich verständigende, selbstbestimmte Subjekte erzeugt werden könne.336 Habermas weist jedoch darauf hin, dass sowohl Foucault als auch Derrida der »fundamentalistischen Beharrlichkeit der Subjektphilosophie« nicht entkommen.337 Manfred Frank, der sich neben Habermas intensiv und umfassend mit poststrukturalistischen Theorien auseinandersetzt, extrahiert ebenfalls die Themen-

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Ebd., S. 293, S. 317. Ebd., S. 325. Vgl. Zima (2016), S. 204. Vgl. Habermas (1985), S 294–296. Foucault (1974), S. 89, in: Habermas (1985), S. 294. Vgl. Habermas (1985), S. 345. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 163.

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felder der Geschichtsschreibung, der Deutung von Sinn und des Subjektverständnisses als zentrale Probleme des poststrukturalistischen Denkens.338 Frank widerspricht der Verabschiedung des Subjekts, da es in allen genannten Bereichen Funktionen erfüllt, die nicht ohne Weiteres negiert werden können.339 Auch Frank bemängelt die Widersprüchlichkeit der Argumentationen bei Foucault. »[…] andererseits wäre es aufgrund der sprachtheoretischen Prämissen von Foucaults Arbeit, absurd zu glauben, man könne den Diskurs auf einen Zustand hin überschreiten, der nicht weder Diskurs wäre.«340 Die poststrukturalistische Intention, sich meta-kritisch auf eigene Verfahren und Modelle zu beziehen, ist, Kritikern zufolge, problematisch und sogar uneinlösbar. Der Versuch, sich meta-kritisch über die Kritik anderer Diskurse zu stellen, behauptet, es gäbe einen Ort jenseits des Diskurses, um jenen zu kritisierenden Diskurs in den Blick nehmen zu können. Eine solche imaginäre Position außerhalb des Diskurses einnehmen zu wollen, macht es notwendig, diesen Ort zu bestimmen, was in poststrukturalistischer Perspektive ein Dilemma erzeugt. Die Voraus-Setzung des Ortes kann nicht negiert werden, zugleich ist der Nachweis, dass diese Voraus-Setzung bereits der Dekonstruktion unterworfen wurde im Diskurs nur dann einzulösen, wenn die différance als Zugang zur Sinnzuschreibung bereits legitimiert wäre. Eine solche, der Schrift zuvorkommende und verallgemeinernde Anerkennung kann es jedoch in poststrukturalistischer Perspektive nicht geben. Die Dekonstruktion erlösche in dem Moment, da sie zum Einsatz käme.341 »Die Dekonstruktion mag eine neue Art sein, das Spiel der Philosophen zu spielen; die Spielregeln und das Spiel als solches stellt sie nicht in Frage.«342 Eine dekonstruktive Auflösung aller vorgängigen Wissensysteme, Institutionen, institutionalisierter Philosophie, Semiotik, Psychologie, Soziologie u.a. wird daher von der Kritik als gescheitert verurteilt, weil ein Verabschieden aller metaphysischen Verstrickungen weder möglich noch konstruktiv erscheint. Zudem wendet sich die dekonstruktive Kritik gegen etwas, was durch diese Zuwendung erst bestätigt wird. »Die Dekonstruktion lebt von dem herrschenden konservativen Denken, das sie marginalisiert und zu einem heroischen Kampf gegen die Institutionen verurteilt hat.«343 Es sei die Ohnmacht der Dekonstruktion als kritische Theorie der Gesellschaft, die ihr eine Attitüde des Radikalismus anhaften lasse – so

338 339 340 341 342 343

Vgl. ebd., S. 158. Frank in Münker/Roesler (2012), S. 158. Frank (1991), S. 240. Vgl. Zima (2016), 204f. Ebd., S. 197. Ebd., S. 205.

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Zima.344 Radikal und konsequent müsse die Anwendung der Dekonstruktion auf sich selbst sein, fordert John M. Ellis, der sich gegen Derridas These wendet, alle Texte seien dekonstruierbar und jede Sprache zersetze insgeheim, was sie behaupte.345 Ellis argumentiert, dass die Prämisse, jeder Text verweise auf verschiedenen Bedeutungsebenen, der traditionellen Philologie angehöre. Die Dekonstruktion sei demnach gezwungen, sich selbst zu dekonstruieren, um sich von der traditionellen Disziplin zu unterscheiden. Die Kritik an poststrukturalistischen Denkfiguren soll in diese Untersuchung produktiv einfließen, indem ihr Raum zur [de]konstruktiven Auseinandersetzung geboten wird und die Kritikpunkte als Impuls aufgegriffen werden, um der Dekonstruktion dekonstruktiv – d.h. hyperkritisch – zu begegnen. Damit wird die Möglichkeit anderer und mehrperspektivischer Rationalität oder Vernunft grundsätzlich anerkannt. Eine dekonstruktive Haltung wirkt nicht nur ergiebig im Umgang mit kritischen Aussagen zur Dekonstruktion, sondern kann im Kontext ästhetischer bzw. musikalischer Bildung in spezifischer Weise gewinnbringend zum Einsatz kommen. Das dekonstruktive Ausstreichen der einen Vernunft zugunsten von Mehrperspektivität und Mehrdeutigkeit trägt dazu bei, Potential an ästhetischer Negativität freizusetzen, das für die Exploration von (ästhetischem) Sinn im Kontext musikalischer Bildung fruchtbar gemacht werden soll. Neben dem spezifisch ästhetischen Gewinn einer dekonstruktiven Perspektive – auch auf die kritischen Positionen, ist es nicht zuletzt die ethische Dimension der Dekonstruktion, die im [musik]didaktischen Diskurs sinnstiftend wirken und Argumente zur Legitimation didaktischer Entscheidungen beisteuern kann. Den Vorwürfen, die der Dekonstruktion eine drohende Anarchie-oder Ideologiegefahr unterstellen, kann mit der Aussicht auf die dekonstruktive Hyperkritik begegnet werden, die genuin zum Verfahren der Dekonstruktion gehört und deren Intention es ist, den Prozess der Sinnzuschreibung und Differenzbildung dergestalt offenzuhalten, sodass neue, substituierende Totalisierungen vermieden werden sollen. Die Dekonstruktion bezieht sich stets auf etwas, was ihr zuvorkommt – auf eine Präsenz, einen Ursprung, eine Substanz, einen Sinn, auf die sie gerichtet werden kann. Somit besteht ein symbiotisches Verhältnis zum identifizierenden Denken oder Konservatismus, welche der Dekonstruktion Nahrung bieten. Im Kontext von Werk- und Kunstbetrachtung ließen sich wechselseitige Beziehung zwischen Konstruktion und Dekonstruktion inszenieren, die zugleich die Werk- und Kunstbegriffe zur Disposition stellten.346

344 Ebd., S. 197. 345 Zima (2016) im Verweis auf Ellis, S. 203. 346 Vgl. Kapitel 5: Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel.

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Die daraus folgende potentiell relativistische Tendenz, die auch die Geschichtlichkeit sowohl der Artefakte selbst als auch der der kulturellen und gesellschaftlichen Kontexte aufzulösen intendiert, bietet einen alternativen Zugang zu historischen oder chronologischen Kontexten. Der Abschied von strukturellen Voraussetzungen lässt einen möglicherweise unbefangene(re)n Blick auf die inhaltliche Sphäre musikalischer Wertschöpfungen oder ästhetische Artefakte zu. Die bewusste Negation überkommener Logik, tradierter Systemgrenzen und Denkmodelle kann im Kontext des Musikunterrichts als Impuls für Kreativität, im Sinne eines Denkens in Alternativen erschlossen werden. Eine dekonstruktive Haltung gegenüber Subjekten und Objekten im Kontext der Inszenierung von Musikunterricht eröffnet die Möglichkeit einer dekonstruktiven Ethik. Lehrende können sich nicht mehr selbst oder im Verweis auf ihre genuin hierarchisch übergeordnete Position, tradierte Wissenssysteme oder Wertkonstrukte legitimieren, sondern sie müssen ihre Entscheidungen gegenüber den Lernenden ver-antworten. Verantwortung ersetzt in ethischer Hinsicht die Legitimation didaktischer Entscheidungen. Lehrende und lernende Subjekte bringen sich in einem verantworteten, wechselseitig bewirkten Gefüge aus Macht und Widerstand hervor und begründen ein verändertes und veränderliches Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden.

1.5 Poststrukturalistische Perspektiven auf Bildung Poststrukturalistisches Denken hinterfragt, dekonstruiert und reflektiert Diskurse, Machtverhältnisse und Praktiken: jene Prozesse, in denen Wissenssysteme generiert werden und aus denen Subjekte als solche hervorgehen. Poststrukturalistisches Denken erschüttert sowohl bildungstheoretische als auch sozial- und erziehungswissenschaftliche Positionen in Diskursen des Gesellschaftlichen, der Bildungspolitik oder Kultur.347 Die zuvor verbindenden – in der Tendenz verbind-

347 Vgl. Fritzsche, Bettina; Hartmann, Jutta; Schmidt, Andrea; Tervooren, Anja (Hg.) (2001): Dekonstruktive Pädagogik. Erziehungswissenschaftliche Debatten unter poststrukturalistischen Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 26–30; vgl. auch Zirfas, Jörg (1999): Die Lehre der Ethik. Zur moralischen Begründung pädagogischen Denkens und Handelns. Weinheim: Dt. Studienverlag; vgl. auch Koller, Hans-Christoph (1990): Die Liebe zum Kind und das Begehren des Erziehers. Weinheim: Dt. Studienverlag; vgl. auch Lenzen, Dieter (1987a): Mythos, Metapher und Simulation. Zu den Aussichten systematischer Pädagogik in der Postmoderne. Zeitschrift für Pädagogik 33 (1987) 1, S. 41–60. Vgl. Fritzsche/Hartmann/Schmidt/Tervooren (Hg.) (2001), S. 26–30; vgl. auch Maset, Pierangelo (1995): Ästhetische Bildung der Differenz. Kunst und Pädagogik im technischen Zeitalter. Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1995. Stuttgart: Radius-Verl; Becker, H. (1993): Ästhetik und Bildung. Kritische Analysen zur Debatte um Pädagogik und Postmoderne. Münster: Springer Verlaghttps://www.pedocs.de/volltexte/2018/14

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lichen – Termini, wie beispielsweise Subjekt, Handlungsfähigkeit oder Autonomie verlieren ihre Allgemeingültigkeit, die für die Begründung einer Allgemeinen Bildung notwendig wäre. Die Erosion der bislang geltenden Termini und Leitkategorien in der Pädagogik und der Erziehungswissenschaft löste in den 80er Jahren noch überwiegend Abwehr und Ignoranz gegenüber den neuen theoretischen Impulsen aus.348 Das »Ende der Erziehung« wurde prophezeit und ein Angriff auf die Fundamente der Erziehungswissenschaft befürchtet.349 Während eine produktive bildungstheoretische Auseinandersetzung mit den Ideen des Poststrukturalismus in den 80er Jahren noch eher verhalten ausfiel,350 entwickelte sich ab den 90ern eine vielfältige und umfangreiche theoretische Debatte.351 Die theoretischen Auseinandersetzungen untersuchen die Konsequenzen, die sich aus der Auflösung und Negation jener Leitkategorien und Meta-Diskursen ergeben, die zuvor den Kern bildungstheoretischer Überlegungen gebildet hatten und auf deren Basis sich Bildungsangebote legitimieren ließen. Im Zuge der Anerkennung der Unbestimmbarkeit der Dispositionen Lernender und Lehrender diskutieren aktuelle Ansätze die Anlässe, Prozesse und Intentionen der Subjektbildung und den Gehalt und die Bedeutung des Bildungsbegriffes an sich. Bildungstheoretische Ansätze poststrukturalistischer Prägung greifen das Motiv der Dezentralisierung subjektiver Instanzen auf. Sie problematisieren die unbestimmbaren Positionen und Potentiale sich bildender Subjekte im Hinblick auf

424/pdf/ZfPaed_1987_1_Lenzen_Mythos_Metapher_und_Simulation.pdf. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021]. 348 Vgl. Ehrenspeck, Yvonne (2001): Strukturalismus und Poststrukturalismus in der Erziehungswissenschaft. Thematische, theoretische und methodische Implikationen einer Rezeption. In: Fritzsche/ Hartmann/Schmidt/Tervooren (Hg.) (2001), S. 21. Vgl. dazu Krüger, Heinz-Hermann (Hg.) (1990): Abschied von der Aufklärung? Wiesbaden: Leske&Budrich, S. 8.; vgl. auch Fromme, Johannes (1997): Pädagogik als Sprachspiel. Neuwied, S. 159. 349 Vgl. Ehrenspeck (2001), S. 21; vgl. dazu Giesecke, Hermann (1985): Das Ende der Erziehung. Stuttgart. 350 Vgl. dazu Meder, Norbert (1985): Bildung im Zeitalter der neuen Technologien oder der Sprachspieler als Selbstkonzept des postmodernen Menschen. In: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik, 61. Jg., S. 325–339; vgl. Lenzen, Dieter (1987a), S. 41-60; vgl. Lenzen, Dieter (1987b): Heilige Identität — Identität des Heiligen. In: Kamper, D./Wulf, C. (Hg.): Das Heilige. Frankfurt a.M., S. 318–327; vgl. Wimmer, Klaus-Michael (1988): Der Andere und die Sprache. Berlin; Koller, Hans-Christoph (1990): Die Liebe zum Kind und das Begehren des Erziehers. Weinheim; vgl. Meyer-Drawe, Käte (1990a): Illusionen von Autonomie. Diesseits von Ohnmacht und Alltag des Ich. München; vgl. Meyer-Drawe, Käte (1990b): Provokationen eingespielter Aufklärungsgewohnheiten durch »postmodernes Denken«. In: Krüger, Heinz-Hermann (Hg.) (1990), S. 81–90. 351 Vgl. Ehrenspeck, Yvonne (2001): Strukturalismus und Poststrukturalismus in der Erziehungswissenschaft. Thematische, theoretische und methodische Implikationen einer Rezeption. In: Fritzsche, Bettina/Hartmann, Jutta/Schmidt, Andrea/Tervooren, Anja (Hg.) (2001), S. 21.

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deren (Un-)Fähigkeit zur Autonomie352 und die Unmöglichkeit einer Verortung inmitten heterogener und inkommensurabler gesellschaftlicher und kultureller Diskurse.353 Der Abweisung identifizierenden Denkens folgt die Anerkennung unhintergehbarer Heterogenität,354 die die Verortung subjektiver Instanzen und die Sinnhorizonte objektiver Gegebenheiten gleichermaßen zur Disposition stellen und die Frage nach kreativen und selektiven Strategien hörbar werden lassen.355 Aus der Unbestimmbarkeit und Unverfügbarkeit des Subjekts, seines individuellen Standpunktes, seiner Intentionen und seiner Verortung in der Welt rekurriert die Unmöglichkeit der Antizipation von Bildung als Verwirklichung individueller Selbstbestimmung und der Formulierung einer »Endbestimmung« des Menschen.356 Mit der Entwicklung der Neuzeit erodiert die Gewissheit, die Berufung des Menschen und die Möglichkeiten seiner Entfaltung ausgehend von der Herkunft des Individuums bestimmen zu können.357 »Statt die Zukunft des Kindes ausgehend von derjenigen der Gesellschaft zu bestimmen, wird umgekehrt die Zukunft dieser von der des Kindes abhängig gemacht.«358 Damit wird Oelkers zufolge pädagogische Theoriebildung »progressiv unwahrscheinlich und verliert den Kontakt zur Realität.«359 Oelkers hält sie aus genau diesem Grund für erfolgreich, da von der Erziehung alles Zukünftige erwartet wird.360 Das pädagogische Denken entfalte sich nach Rousseau zugleich »neuzeitlich, also abstrakt und progressiv.«361 Dem Individuum soll nun ermöglicht werden, sich mit seinen gesellschaftlichen

352 Vgl. Koller (2001) in: Fritzsche/Hartmann/Schmidt/Tervooren (Hg.) (2001), S. 35. 353 Vgl. Fritzsche/Hartmann/Schmidt/Tervooren (Hg.) (2001), S. 30 und 35. Die Autoren verweisen auf die Bezugnahme zur Subjektkritik nach Lyotard, Foucault und Lacan, die sich in den Erziehungswissenschaften relativ spät ausprägt. Der proklamierte »Tod des Subjekts«, wie er der Theorie Foucaults unterstellt wurde, schien mit erziehungswissenschaftlichen Intentionen nicht vereinbar. Diese verkürzende Rezeption poststrukturalistischer Subjektbegriffe wird durch Meyer-Drawe aufgegriffen. Vgl. hierzu auch Meyer-Drawe, Käte (1990). In der Bildungsforschung werden poststrukturalistische Subjekttheorien seit den 90/2000er Jahren verstärkt diskutiert. In Folge der Befreiung der Subjekttheorie von der bewusstseinsphilosophischen Orientierung wird im Kontext von Erziehung und Bildung die Entradikalisierung der poststrukturalistischen Subjektbegriffe problematisiert. Vgl. hierzu Ehrenspeck, Yvonne: Philosophische Bildungsforschung: Bildungstheorie. In: Tippelt, Rudolf/Schmidt, Bernhard (Hg.) (2010): Handbuch Bildungsforschung. Münster Springer Verlag. 354 Koller (1999), S. 124f. 355 Vgl. Meder (2004), S. 10f. 356 Vgl. Wimmer (2006), S. 10. 357 Vgl. ebd., S. 9f. 358 Oelkers, Jürgen (1987): Die Wiederkehr der Postmoderne. Pädagogische Reflexionen zum neuen Fin de siècle, Zeitschrift für Pädagogik 33 (1987), in: Wimmer (2006), S. 10. 359 Oelkers (1983) in: Wimmer (2006), S. 10. 360 Ebd., S. 10. 361 Ebd., S. 12.

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und sozialen Kontexten vertraut zu machen – und gleichzeitig diese vertrauten Kontexte aufzubrechen. Dies aufgreifend stellt Wimmer zwei grundlegende Paradoxa der Erziehung heraus und verweist mit Benner auf die »doppelte Unbestimmtheitsproblematik« des Menschen, die »der unbestimmten Bildsamkeit des Einzelnen und der Unbestimmtheit des Telos von Bildung und Geschichte« entspricht.362 Bildung und Erziehung sollen die Suche nach Identität begünstigen und verwirklichen – gleichzeitig bemühen sie sich um die Veränderlichkeit der Selbstkonzepte und damit um die Verschiebung der Identitäten. Insofern muss »Erziehung […] sich selbst verleugnen«,363 um pädagogisch wirksam zu sein. Von diesem Standpunkt aus scheint die Legitimation eines jeden Bildungs-oder Erziehungsansatzes zu scheitern. Im Kontext der »realistischen Wende«364 , d.h., der Formierung der Erziehungswissenschaft als »moderne[n] Sozialwissenschaft« radikalisiert sich die Kritik am Bildungsbegriff seit den 60er/70er Jahren.365 Zum einen mehren sich Zweifel und Ratlosigkeit angesichts einer empfundenen ideologischen Vorbelastung des Bildungsbegriffes366 . Zum anderen verstärkt sich das Legitimationsdilemma bildungstheoretischer Positionierungen sowie erziehungswissenschaftlicher Intentionen nun im Zusammenhang der Pluralisierung von Begründungsmustern und Bedeutungshorizonten sowie der Abkehr von überkommenen Verstehensbegriffen im Zusammenhang »postmoderner Gegenwartsdiagnose« unter dem Einfluss poststrukturalistischen Denkens.367 Poststrukturalistisch beeinflusste Bildungstheorien kolportieren daher eine dekonstruktive Haltung gegenüber jenen Meta-Diskursen, die als »große Erzählungen«368 der klassischen Idee von Bildung inhärent gelten können: »die Erzählung der Emanzipation« und die »spekulative Erzählung der Bildung des Geistes als Erkenntnissubjekt«.369 Der poststruktura362 Benner, Dietrich. (1991): Zur theoriegeschichtlichen und systematischen Relevanz nichtaffirmativer Erziehungs-und Bildungstheorie. In: Benner, D./Lenzen, D. (Hg.): Erziehung, Bildung, Normativität. Weinheim/München, S. 11–28, in: Wimmer (2006), S. 36. 363 Vgl. Wimmer (2006), S. 38. 364 Vgl. Koller (1999), S. 12. 365 Vgl. ebd., S. 12f. 366 Vgl. ebd., S. 12. 367 Vgl. ebd., S. 14f. 368 Vgl. Lyotard (2015), S. 23. 369 Vgl. ebd., S. 23–27; vgl. auch Koller (1999), S. 25. Lyotard beschreibt den Übertritt von Moderne zu Postmoderne als das Ende »großer Erzählungen«. Als Erzählungen werden narrative Konstruktionen bezeichnet, die verschiedenes Wissen einer Zeit einem Prinzip zuordnen. Jenes Prinzip stellt die Elemente des Wissens auf eine gemeinsame Basis, die gleichermaßen die Funktion einer legitimierenden Instanz erfüllt. Genannt werden hier zum einen die »Erzählung der Emanzipation« und zum anderen die »Erzählung der Idee der Bildung des Geistes«. Die Erzählung von der Emanzipation berichtet vom Streben des Menschen nach

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listische Zweifel richtet sich nicht nur auf die Metaerzählungen selbst, sondern dekonstruiert auch Begriffe und Kategorien, auf die die »großen Erzählungen« verweisen. So konstatiert Koller im Anschluss an Luhmann und Schorr370 , dass der Bildungsbegriff sich einer wachsenden Sinnentleerung zu stellen habe.371 Die Unbestimmbarkeit von Bildung könne aber nicht nur als Verlust, sondern als konstitutiv für ein Bildungsverständnis angesehen werden, dass sich genuin von den Reduktionen identifizierenden Denkens abkehrt.372 Der Bildungsbegriff erscheint als »leerer Signifikant«373 , dessen Bezeichnetes unbestimmt bleiben muss, um die Utopie seines Gehaltes zu erfüllen. Bildung erfährt eine grundlegende Modulation, die von einer Bildungserwartung weg- und zur Betrachtung von subjektbildenden Prozessen und Praxen hinführt. So beschreibt Ricken Bildung als Macht, die solche Subjektivierungsprozesse bewirkt. In Anlehnung an die Machttheorie Foucault begründet Ricken eine »machttheoretische Dekonstruktion der Bildung«.374 Subjektivität ist Effekt der Macht, die auch das Selbstverhältnis beeinflusst.375 Auch dieser Ansatz zeigt, dass es in poststrukturalistischer Perspektive unmöglich ist, Bildung auf das Subjekt zurückzuführen und ebenso Bildung vom Subjekt ausgehend zu bestimmen.376 Subjektivierungen, d.h. Prozesse, in denen sich das Subjekt

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Selbstbestimmung. Die Entfaltung und Anhäufung wissenschaftlichen Wissens erscheint in Bezug auf diese übergreifende These sinnvoll und erfährt Legitimation, denn Bildung in diesem Sinne dient dem Fortschritt und der Überwindung von allen Hindernissen auf dem Weg zur Autonomie. Die zweite Erzählung vom »Zu-sich-selbst-kommen« des Geistes berichtet als spekulative Erzählung des Idealismus von den Möglichkeiten des Subjektes Erkenntnisse zu gewinnen – im wissenschaftlichen, ethischen und politischen Bereich. Alle Erkenntnis, die durch das Subjekt generiert wird, dient der Entfaltung des individuellen Geistes: seiner Bildung. Luhmann, Niklas/Schorr, Karl-Eberhard (1979/1988): Reflexionsprobleme im Erziehungssystem. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, S. 83. In: Koller (1999), S. 11. Vgl. Koller (1999), S. 11. Vgl. dazu Thompson, Christiane (2009): Bildung und die Grenzen der Erfahrung. Randgänge der Bildungsphilosophie. Zugl.: Halle (Saale), Univ., Habil.-Schr., 2008. Paderborn: Schöningh (Theorieforum Pädagogik, 1), S. 21., S. 83–101. Ehrenspeck/Rustemeyer 1996, S. 384f. In: Thompson (2009) Ricken, Norbert (2006a): Die Ordnung der Bildung. Beiträge zu einer Genealogie der Bildung, Wiesbaden: VS. Schäfer, Alfred (2008): Rezension zu Ricken, Norbert (2006a): Die Ordnung der Bildung. Beiträge zu einer Genealogie der Bildung, Wiesbaden: VS.in: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 54/2, S. 280–284. S. 280., vgl. dazu Ricken, Norbert (2006a): Die Ordnung der Bildung. Beiträge zu einer Genealogie der Bildung, Wiesbaden: VS. Vgl. Ricken (2006a); vgl. Ricken, Norbert (2006b): Erziehung und Anerkennung. In: Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik 82, S. 215–230; vgl. dazu Schäfer, Alfred (2008): Rezension zu Ricken, Norbert (2006a): Die Ordnung der Bildung. Beiträge zu einer Genealogie der Bildung, Wiesbaden: VS.in: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 54/2, S. 280–284.

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hervorbringt, sind in poststrukturalistischer Perspektive paradoxal strukturiert: sie führen über den tradierten Zirkelschluss der »Freiheit bei dem Zwange«377 hinaus und können zugleich als Voraus-Setzung und Effekt bildender Diskursivität erachtet werden. Poststrukturalistisch beeinflusste Bildungstheorien verweisen auf Widersprüche und Unentscheidbarkeiten, die es unmöglich erscheinen lassen, didaktische Entscheidungen auf poststrukturalistischem Grund zu legitimieren. Nach Wimmer könnte jedoch der »Einsatz der Dekonstruktion«378 einen produktiven Umgang mit den Paradoxien in Aussicht stellen. Mithilfe des Vergleichs von systemtheoretischer Affirmation nach Luhmann und praktischer Dekonstruktion nach Derrida379 eröffnet Wimmer einen überraschenden Blick auf das sinnstiftende Potential paradoxer Spannungen. Im Verweis auf das Verfahren der Dekonstruktion nach Derrida erkennt Wimmer das Paradoxon als Paradoxon an und sorgt dafür, dass die von ihm erzeugte Unmöglichkeit und Widersprüchlichkeit erhalten bleiben kann. Damit distanziert er sich von Luhmanns Verständnis des Paradoxons als »produktives Prinzip autopoietischer Konstruktionen«.380 Dieses kann Luhmann zufolge durch Erhöhung der Komplexität eines Systems und in Verbindung mit dem Wechsel der Abstraktionsebene durch den Beobachter identifiziert werden. Die Paradoxierung hilft hier, die Systemfunktionalität zu steigern, indem sie durch Irritation die kreative Entparadoxierung anregt.381 Durch die Identifizierung des Paradoxons in Folge fortschreitender Differenzierung oder Komplexifizierung des Systems, erlischt es jedoch. Das Paradoxon stellt ebenso wie die Unentscheidbarkeit eine Bedingung der Möglichkeit der Dekonstruktion dar. Paradoxalität – als Schwebezustand – ermöglicht, an das Ungesagte des Anderen zu erinnern.382 Diesen Zustand im Kontext von Erziehung und Bildung zu erhalten, kann deshalb als sinnstiftend erachtet werden – in ästhetischer Hinsicht als Exploration von Sinn und in ethischer Intention der Anerkennung der Unbestimmbarkeit des Anderen. »Dekonstruktion ist deshalb auch als eine Erfahrung zu verstehen, eine Erfahrung des Unmöglichen und dem ›es gibt‹ eine Erfahrung des Paradoxen und Unentscheidbaren als einer ›ethischen Erfahrung‹, denn in der Spannung des Para-

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Vogt, Theodor (Hg.) (1901): Immanuel Kant – Über Pädagogik. Langensalza: Hermann Beyer & Söhne. (§ 18) S. 81. Vgl. Wimmer (2006), S. 375–380. Vgl. ebd., S. 353. Luhmann nach Baraldi, Claudio/Corsi, Giancarlo/Esposito, Elena (1997): GLU. Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. In: Wimmer (2006), S. 355. Vgl. Wimmer (2006), S. 356. Vgl. ebd., S. 357.

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doxen, in der Situation der Unentscheidbarkeit, ist es möglich, die Antwort des Anderen zu hören.«383 Die in den unterschiedlichen bildungstheoretischen Ansätzen herausgearbeiteten Dimensionen der Differenz zeitigen verschiedene Konsequenzen für sich bildende Subjekte und deren Auseinandersetzung mit der Welt außer sich384 hinsichtlich des Nachdenkens über bildende Diskurse, d.h. für potentielle didaktische Meta-Diskurse, in denen sich bildungstheoretische Intentionen artikulieren. Das tradierte Normproblem der Didaktik erweitert seinen Problemgehalt bezüglich der Unbestimmbarkeit der didaktischen Ausgangssituation, d.h. der Unmöglichkeit, Unterrichtsinhalte (Objekten) und der subjektive Dispositionen Lehrender und Lernender zu identifizieren. Das didaktische Legitimationsproblem betrifft nicht mehr nur die Entscheidungen zum Unterrichtsinhalt, sondern auch die Bestimmung der subjektiven und objektiven Unterrichtsvoraussetzungen. Zunächst muss eingestanden werden: eine [Bildungs-]Theorie, die sich gegen die Möglichkeit von Meta-Diskursen wendet, die Sinnhorizonte von Objekten und Dispositionen bzw. Intentionen von Subjekten identifizieren, kann sich nicht zur legitimierenden Instanz einer bildungstheoretischen Didaktik erheben. Gleichwohl bestünde in der Abweisung dieser Meta-Diskurse der dekonstruktive Sinn einer solchen Didaktik. Die folgenden Ausführungen stellen ausgewählte bildungstheoretische Ansätze dar, die poststrukturalistische Denkfiguren und Charakteristika in sich tragen und befragen sie hinsichtlich ihrer didaktischen Anschlussfähigkeit. Unter Anerkennung, dass bildungstheoretisch fundierte didaktische Entscheidungen im Kontext institutionalisierter Bildung getroffen werden müssen, soll untersucht werden, inwieweit sich poststrukturalistische bildungstheoretische Impulse als didaktischer Meta-Diskurs artikulieren lassen. Hierfür soll das als genuin und konstitutiv anerkannte paradoxe Verhältnis von [Bildungs-]Theorie und Didaktik nicht aufgelöst werden. Der Nachweis einer potentiellen didaktischen Anschlussfähigkeit im Sinne der poststrukturalistischen Intentionen zielt auf die Darstellung und Artikulation einer dekonstruktiven Haltung als Effekt und Bedingung für bildende Prozesse. Da der musikpädagogische Diskurs zwar poststrukturalistische Einflüsse geltend macht, jedoch auf keine spezifische poststrukturalistische Konzeption musikalischer Bildung verweisen kann, soll die didaktische Anschlussfähigkeit zunächst im Raum allgemeiner Bildung herausgestellt werden, die im Kontext institutionalisierter Bildung als grundlegend für alle dort verhandelten Disziplinen erachtet wer-

383 Ebd., S. 359. Wimmer verweist auf Derridas Konstrukt der »Gabe«. Vgl. Derrida (1998): Vergessen wir nicht die Psychoanalyse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 58; vgl. dazu Kapitel 3.5.2.5: Eröffnung bildender Diskurse als Spiel: ethische Perspektive. 384 Vgl. Koller nach Humboldt, in: Koller (2012), S. 11.

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den kann und daher auch zur Musikdidaktik keinen strukturellen Widerspruch erzeugen sollte.

1.6 Zum Niederschlag poststrukturalistischer Denkfiguren in ausgewählten bildungstheoretischen Ansätzen Die folgenden Darstellungen bildungstheoretischer Implikationen poststrukturalistischen Denkens beziehen sich im Wesentlichen auf die Autoren Thompson385 , Koller386 und Meder387 . Diese Konzeptionen wurden ausgewählt, da sie verschiedene Perspektiven poststrukturalistischen Denkens entfalten und daraus je eigene Fassungen des Bildungsbegriffes entwickeln, die sich mit tradierten Bildungsbegriffen kritisch auseinandersetzen. Die Auswahl der Ansätze erfolgt zugleich »exemplarisch« für die zu Anfang ausgewählten Denkfiguren nach Derrida, Foucault und Lyotard und im Bewusstsein ihrer differentiellen Singularität. Methodisch führt die poststrukturalistische Perspektive auf die Auswahl von Texten in ein Dilemma. Es ist unmöglich, Sinnhorizonte vollständig zu erfassen, da der Sinn als letztgültige Begründung und finales Verstehen entzogen bleiben muss. Es kann daher auch keine legitimierten Exempel geben, die einen Sinnhorizont substituieren. Jedes Beispiel, das kritisch-hermeneutisch betrachtet wird, evoziert Sinnzuschreibungen, die Differenzen produzieren und Signifikanten substituieren. Somit entfacht jeder sinnzuschreibende Zugriff auf Texte, neue diskursive Ereignisse. Dennoch wird exemplarisch ausgewählt – beispielgebend für etwas, was als strukturelle Voraussetzung oder inhaltliche Präsenz der dekonstruktiven Perspektive ausgesetzt werden soll.388 Auf eine Diskussion bezüglich des Niederschlags poststrukturalistischer Denkfiguren einer Autorschaft in verschiedenen Rezeptionen wird verzichtet, um Exempel für die Entfaltung des Differenzdenkens auf semiotischer, strukturaler und materialer Ebene einbeziehen zu können. Im Fokus der Untersuchung steht nicht die Absicht, einen neuen Bildungsbegriff zu modulieren, sondern die Darlegung differentieller Explikationen diskursiver und dekonstruktiver Prozesse der Auseinandersetzung des Individuums mit sich und der Welt außer sich. Die Grundlage der ausgewählten bildungstheoretischen Ansätze bilden jeweils tradierte, klassische Bildungstheorien – und die Kritik an den impliziten Bildungs-

385 Thompson (2009). 386 Koller (1999,2012). 387 Meder, Norbert (2004): Der Sprachspieler. Der postmoderne Mensch oder das Bildungsideal im Zeitalter der neuen Technologien. 2. wesentlich erw. Aufl. Würzburg: Königshausen & Neumann (Schriften zur wissenschaftlichen Pädagogik, 2). 388 Vgl. Kapitel 6.1: Methodische Reflexion.

1. Bildung als Diskurs

begriffen –, die noch heute Einfluss haben auf zeitgenössische bildungstheoretische Didaktiken.389 Koller knüpft an Humboldt und Adorno an und unternimmt und eine Reformulierung des Bildungsbegriffes.390 Thompson bezieht sich auf Kant, Hegel, Humboldt, Dewey (et al.) und nicht zuletzt Adorno und kommt zu dem Schluss, dass der Begriff Bildung ein Zeichen ist, das seine Bedeutungskonstitution unterlaufen muss, um sein Zukunftsversprechen aufrechterhalten zu können.391 Auch Meder entwickelt einen Bildungsbegriff, der – im Fundament klassisch – Bedingungen und Möglichkeiten der Auseinandersetzung von Individuen mit der Welt und Anderen in den Fokus seiner Untersuchung stellt. Ein weiteres Argument für die Auswahl dieser Konzeptionen sind die unterschiedlichen Blickwinkel der Autorschaften auf die Bildung des Subjekts, die differenziellen Qualitäten der Objekte der Auseinandersetzung und die Einblicke in die Auseinandersetzung der Subjekte mit jenen Objekten. Thompson eröffnet in ihrem Ansatz eine poststrukturalistische Perspektive auf Prozesse der Subjektivierung, deren Bedingungen und Effekte sie im Zusammenhang der Negativität ästhetischer Erfahrungen untersucht.392 Koller extrahiert zunächst Elemente klassischer Bildungsbegriffe und untersucht sie hinsichtlich ihres Potentials für eine Reformulierung des Bildungsbegriffs für die Postmoderne.393 Für sein Konzept transformatorischer Bildungsprozesse entwickelt er eine Collage, die an Lyotards Überlegungen zur postmodernen Wissensgesellschaft anknüpft, darüber hinaus aber sehr unterschiedliche Konzeptionen einbezieht, um die Transformationen von Selbst- und Weltverhältnissen mehrperspektivisch zu beleuchten.394 Den Abschluss dieser Darstellungen bildet das von Meder erarbeitete Konzept des »Sprachspielers«395 , das gleichzeitig zwei Ebenen bedient. Während Meder auf erster Ebene den »Sprachspieler« hinsichtlich seiner Gründe, Ambitionen, ästhetischen und ethischen Zweckbestimmungen sowie seiner prozessualen Gestalt erörtert, brüskiert er den eigenen theoretischen Bezugsrahmen

389 Vgl. Koch-Priewe, Barbara/Köker, Anne/Störtländer, Jan Christoph (2016): Die bildungstheoretische Didaktik und die kritisch-konstruktive Didaktik. In: Porsch, Raphaela (Hg.) (2016): Einführung in die Allgemeine Didaktik. Waxmann Verlag, S. 128f. 390 Vgl. Koller (1999), S. 16f. und (2012), S. 97. 391 Vgl. Thompson (2009), S. 7. 392 Vgl. ebd., S. 130f., S. 140f., S. 211. 393 Vgl. Koller (1999), S. 51–59. 394 Vgl. Koller (2012), S. 15–19. 395 Vgl. Meder (2004). Mit der Titelgebung »Der Sprachspieler« verwendet Meder das generische Maskulinum für ein Konstrukt, das ausdrücklich keine subjektive Instanz – keine Person – bezeichnet. Diese Ausdrucksweise kann daher im Sinne des Originals und seiner intendierten Bedeutung im Folgenden von den Bemühungen um Sprachgerechtigkeit ausgenommen werden.

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auf zweiter Ebene durch die Darstellung des »Sprachspielers« als Bildungsideal.396 Die Setzung eines Ideals provoziert die poststrukturalistische Intention der Abweisung von übergreifenden Meta-Diskursen in produktiver Weise. Scheint sie zunächst der poststrukturalistischen Idee zuwiderzulaufen, wirkt diese Setzung jedoch konstitutiv: Sie stellt sich der dekonstruktiven Tätigkeit als Präsenz, als normativer Beweggrund entgegen und provoziert dadurch deren Dekonstruktion. Die Provokation, die dem Bildungsbegriff durch den Einsatz des Paradoxes der Metaphysikkritik widerfährt, wird für das Anliegen dieser Arbeit – Impulse für eine dekonstruktive Didaktik zu setzen – als fruchtbar erachtet. In allen drei Ansätzen zeigt sich die doppelte Geste der Dekonstruktion: Bildende Prozesse wirken dekonstruktiv und erfordern eine dekonstruktive Haltung sich Bildender. Die Chronologie der Darstellung der ausgewählten Konzepte ist an der Progression der Komplexität der jeweiligen Bildungsbegriffe und damit der Anschlussmöglichkeiten für das Anliegen vorliegender Arbeit orientiert.

1.6.1 Bildung als Ent- Subjektivierung Thompson unternimmt in ihrer Habilitationsschrift eine »kategoriale Neubestimmung des Bildungsbegriffes«.397 Die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit von Bildung als ein »durch Grenzen konstituierter Erfahrungsprozess« ist Thompson zufolge, ihr entscheidendes Merkmal.398 Den Bezugspunkt ihrer Bildungstheorie bildet kein autonomes Subjekt, sondern eine machtanalytische Untersuchung der subjektivierenden Prozesse im Verweis auf Foucault. Unter Einbeziehung verschiedener Erfahrungsbegriffe bildet die Unbestimmbarkeit von Selbst und Welt – die »doppelte Differenz […] von Ich und der Welt«399 nach Thompson kein Defizit, sondern stellt die konstituierende Voraussetzung einer bildenden Erfahrung dar. Im Rückgriff Adornos Bildungsphilosophische Überlegungen und Gedanken zur Ästhetischen Negativität der Erfahrung arbeitet Thompson die Verhältnisse zwischen bildenden Erfahrungen und sich bildenden Subjekten heraus. Als fruchtbar erweist sich die sehr weit gefasste Einbindung [bildungs]philosophischer Ansätze zum Differenzdenken und zur ästhetischen Erfahrung, wenngleich dadurch möglicherweise die Entfaltung der eigenen Position zu den bildungstheoretischen Konsequenzen ihrer Überlegungen, bzw. zur potentiellen didaktischen Anschlussfähigkeit weitgehend unberücksichtigt bleibt.

396 Vgl. Meder (2004), S. 10. 397 Markus, Reiner (2015): Thompson, Christiane: Bildung und die Grenzen der Erfahrung. Randgänge der Bildungsphilosophie. Paderborn: Schöningh 2009. [Rezension]. 398 Vgl. Thompson (2009), S. 16. 399 Vgl. ebd., S. 31, im Verweis auf Kant und Hegel.

1. Bildung als Diskurs

1.6.1.1

Der Bildungsbegriff als leerer Signifikant

Thompson erklärt »Bildung« unter Verweis auf Laclau zum »leeren Signifikanten400 als ein Zeichen, das kein Signifikat hat. Die »Leere« des Signifikanten zeugt jedoch nicht von Sinnlosigkeit, sondern beschreibt einen Moment der strukturellen Unmöglichkeit der Signifikation. Die Voraussetzung jeder Signifikation ist ein System, auf das die Relationen von Zeichen und deren Differenzen rekurrieren.401 Dass ein System überhaupt als solches beschrieben, d.h. existent sein kann, erfordert die Anerkennung seiner Grenzen. In Anknüpfung an Derridas Überzeugung: »Ein Text-Äußeres gibt es nicht«402 kann aus dem Inneren eines Diskurses das DiskursAußen – einschließlich seiner Grenzen – aber nicht bezeichnet werden, ohne diese dem System zu unterstellen. Das Denken der Grenzen überschreitet bereits das Jenseits des Diskurses, denn es bezeichnet das, was als Diskurs-Außen erfahren wird. Es ist unmöglich, die Grenze des Diskurses zu denken, ohne den Diskurs um diesen Grenzbezirk zu erweitern und gleichzeitig dessen diskursive Tätigkeit durch die Identifizierung der Grenze zu unterbrechen. Ein System oder – synonym – ein Diskurs bleibt darauf angewiesen, dass Grenzen es von dem scheiden, was es selbst nicht ist. Dies ist die Paradoxie der Diskursgrenze, die besagt, dass das System-Außen die Existenz des Systems bestätigt und gleichzeitig die Unmöglichkeit des Systems beinhaltet. Die Grenzen des Systems gehören nicht zum System – sie bilden seinen konstitutiven Antagonismus.403 Die radikale Ausschließung des System-Außens, der Verweis auf seine Grenzen, generiert und begründet das System als solches und entleert mit diesem Akt jedoch seine Signifikanten. Die Differenzen der Signifikanten unterwerfen sich dem Akt der Ausschließung, was zu ihrer Auslöschung führt, denn die Relationen der Signifikanten entsprechen nun der systemischen Verortung der Signifikanten. Leere Signifikanten entstehen durch die Auslöschung der Differenzen im Inneren des Systems. Mit der Produktion leerer Signifikanten wird die Bedeutungskonstitution unterlaufen und unterbrochen. Es entsteht eine paradoxe Situation: die Bestätigung der Bedingung der Möglichkeit der Bezeichnung, die gleichermaßen die Bestätigung ihrer Unmöglichkeit ist. Der Bildungsbegriff kann nach Thompson als ein solcher leerer Signifikant betrachtet werden, denn die Begrenzung des Bezeichnungs400 Laclau, Ernesto; Marchart, Oliver (2002): Emanzipation und Differenz. Wien: Turia + Kant, S. 67–70; vgl. auch Thompson (2009), S. 75. 401 Vgl. Laclau (2002), S. 65. Ein leerer Signifikant ist nicht an eine Bedeutung geknüpft, d.h., er verweist auf kein Signifikat, weil es keines gibt. Laclau veranschaulicht diesen Zustand durch das Beispiel einer losen Folge von Tönen. Diese bleiben auch im Rahmen einer Komposition Zeichen, die Bedeutung substituieren oder supplementieren können. Fehlt jedoch eine kompositorische Idee oder funktionale Beziehung, so fehlt die differenzzeitigende, sinnstiftende Relation zwischen den Tönen. 402 Derrida in Engelmann, Peter (Hg.) (1990/2010), S. 21. 403 Laclau (2002), S. 67; vgl. Butler (2015), S. 90f; vgl. Blanchard (2019), S. 133f.

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systems »Bildung« wirkt als produktiver Antagonismus, als konstitutives SystemAußen, das seine Bedeutung in dem Moment einbüßt, da die Grenzen dessen bezeichnet werden, was Bildung (nicht) ist. »Die produktive Bedeutung des Wortes liege in der Projektion einer menschlichen Selbstbestimmung, die gesellschaftlichen Vereinnahmungen entzogen sei und eine kritische Distanz zu den gegenwärtigen Verhältnissen einzunehmen erlaube.«404 Das, was Bildung allgemein bedeutet, ist ein Versprechen und dieses überschreitet stets die Möglichkeit dessen, was er bezeichnet. Bildung impliziert Ideale und Intentionen – daher Uneinlösbarkeiten und Unmögliches. Der Zweifel an ihren Beweggründen ist der Bildung ebenso inhärent und daher konstitutiv. Es ist unmöglich, zu bestimmen, was Bildung (nicht) ist, ohne Bildung zu identifizieren und damit um ihr Versprechen zu reduzieren. Der Unmöglichkeit, den Bildungsbegriff zu bestimmen, kommt daher nach Thompson eine wichtige Funktion zu. In Prozessen der Negation des Signifikats kann sich jene sinnevozierende Kraft entfalten, die bildenden Prozessen zugeschrieben werden kann. Thompson entfaltet den offenen Bedeutungshorizont des Begriffes »Bildung« durch den nicht minder prismatischen Begriff der Erfahrung. Die Kategorie der »Erfahrung«, so Thompson, beschreibt eine Beziehung von Ich und Welt, »deren Brisanz durch eine Differenz angegeben ist.«405 Diese Differenz bildet die Grenze der Erfahrung, und zwar als Moment und Ort der paradoxen Entgegensetzung von Selbstbestimmung und Selbstentfremdung, Selbstfindung und Selbstverlust.406 Das Subjekt kann sich dieser Differenz als dialektischem Spannungsfeld407 nicht bemächtigen. Es vermag zwar Ich zu sagen – jedoch nicht, sich selbst auf den Grund zu kommen. Erfahrungen führen zur Trennung von Sein und Bewusstsein, »das Ich ist nur ein Vermitteltes über das, was es nicht ist: die Welt.«408 Es sei das Wesen moderner Erfahrung, auf die Unmöglichkeit der Einheit und Verortung des Subjektes hinzuweisen. Erfahrungen setzen das Subjekt in Differenz zu sich selbst409 und eröffnen ihm dadurch einen noch ungeschriebenen Kosmos möglicher Weltsichten.

1.6.1.2 Ästhetische und nicht- ästhetische Erfahrungen Thompson wählt für ihre systematische Entfaltung der Verbindung von Bildung und Erfahrung verschiedene theoretische Ansätze aus, die die Verschiebung der subjek404 405 406 407 408 409

Ehrenspeck/Rustemeyer in Thompson (2009), S. 7. Thompson (2009), S. 14. Vgl. ebd., S. 13f., 39., 140f., 211. Vgl. ebd., S. 14. Thompson (2009), S. 13. Vgl. ebd., S. 13.

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tiven Position als Ausgangspunkt und Ergebnis bildender Prozesse erörtern. So eröffnet die Autorin ihre Synopse mit Deweys pragmatischer Bildungstheorie, nach der die Erfahrung die Überschreitung bisherigen Denkens, Handelns und Wissens in Aussicht stellt und den subjektiven Ausgangspunkt für alle weiteren Erfahrungen verschiebt.410 Thompson ergänzt den analytischen Blick auf Entstehung und Wirkung der Erfahrung aus hermeneutischer und phänomenologischer Perspektive. Die Erfahrung sei krisenhaft – so Meyer-Drawe411  – sie erschüttere das Vorverständnis und erfordere die Umstrukturierung des Vorwissens.412 Die Produktivität der Erfahrung speist sich aus dem Verlust einer vorgängigen Fassung der Welt. Thompson unterscheidet mit Menke zwei Erfahrungsweisen: die nicht-ästhetische und die ästhetische Erfahrung.413 Die erste Qualität stellt ein Ende des Verstehensvollzugs in Aussicht, die zweite verhindert genau das. »Die ästhetische Erfahrung ist ein wesentlich negatives Geschehen, indem sie nichts anderes als ein solcher Vollzug der unser nicht-ästhetisches Erfahren definierenden automatischen Wiederholung ist, der in ihr selbst das sie Negierende freisetzt.«414 Die ästhetische Erfahrung widersetzt sich der verstehenden Identifikation,415 denn sie vermag im Moment der Erfahrung nur zu konstatieren, was nicht ist. Für das Ereignis ästhetischer Erfahrung fehlen die Regeln für die Signifikation und Identifikation.416 Erfahrungen in diesem Sinne sind Widerfahrnisse ästhetischer Negativität. Allerdings rekurrieren ästhetische Erfahrungsprozesse auf nicht-ästhetische bzw. außerästhetische Bedingungen. »Jeder Prozeß ästhetischer Erfahrung ist initiativ gerade durch nicht genuin ästhetische Erfahrungsakte definiert. Die Differenz des Ästhetischen kann deshalb nur als das Resultat desjenigen Geschehens bestimmt werden, das diese initiativen nicht-ästhetischen Bestimmungen aufnimmt und negativ transformiert.«417

410 Vgl. ebd., S. 51f. 411 Vgl. Meyer-Drawe, Käthe (1996): Vom anderen lernen. Phänomenologische Betrachtungen in der Pädagogik. Klaus Schaller zum siebzigsten Geburtstag. In: Borelle, Michele/Ruhloff, Jörg (Hg.) (1996): Deutsche Gegenwartspädagogik. Bd. II. Baltmannsweiler, S. 85–98. 412 Vgl. Thompson (2009), S. 59. 413 Menke, Christoph (1991): Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 958), in: Thompson (2009), S. 130f. 414 Menke, Christoph (1991), S. 47. 415 Vgl. Menke (1991) in: Thompson (2009), S. 131. 416 Vgl. Menke (1991), S. 53. 417 Ebd., S. 31.

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Während im Zuge nicht-ästhetischer Erfahrungen Verstehensprozesse initiiert werden und zu einem Abschluss kommen,418 lösen ästhetische Erfahrungen genau das Gegenteil aus. Die Erfahrung als ästhetische verschiebt die Perspektive des Subjekts und erschüttert die Position und die Disposition des Subjektes im vertrauten Kontext. Die Qualität der ästhetischen Erfahrung besteht daher in ihrer Produktivität, die sich aus der Negation dessen ergibt, was ist bzw. was war. Menke erklärt dies in Bezug auf die doppelte Struktur der Zeichen, denen er zum einen »dingliche Realität« und zum anderen den Bezug zur »Dimension der Bedeutung« zuspricht.419 »Der Signifikant erzittert zwischen beiden Polen, die er als automatisch gebildeter zusammenhält: dem Material und der Bedeutung«.420 Ästhetische Erfahrungen führen deshalb zu einem spezifischen Reflexionsverhalten. Sie eröffnen Wahrheits-, Möglichkeits- und Artikulationsräume,421 indem identifizierendes Verstehen unterlaufen wird und Bildung in Aussicht stellt. »Bildung meint dann keine Kategorie der Aneignung und Bereicherung mehr, sondern die Erfahrung des Scheiterns unserer verstehensmäßigen Zugriffe auf die Welt.«422 Bildende Erfahrung – Bildung – beruht auch bei Thompson auf paradoxalen Entgegensetzungen: Der ästhetischen Negativität der Erfahrung entspricht der produktive Entzug von Sinn und Subjektivität. Bildende Erfahrung beschreibt somit nicht eine »objektiv identifizierbare Realität, sondern […] ein destruierendes, wie Möglichkeitsräume eröffnendes Geschehen.«423

1.6.1.3 Erfahrung und Subjektivierung Dem Subjekt widerfährt der Entzug seiner selbst und seines vertrauten Weltverhältnisses. Dennoch kann von Bildung nicht als Enteignung oder Fremdbestimmung gesprochen werden.424 Vielmehr sieht sich das Subjekt mit einem unschätzbaren Gewinn an Möglichkeiten und Sinnvarianten konfrontiert. Es bringt sich im Widerstand zur ästhetischen Negativität seiner Erfahrungen hervor. Thompson bestimmt die Subjektivität im Anschluss an Foucaults Verständnis von produktiven Machtbeziehungen und an Butlers Fortschreibung in Bezug auf Prozesse der Subjektivierung.425 Selbstentzug und Subjektivierung bilden jedoch keine symmetrische Ent418 419 420 421 422 423 424 425

Vgl. Menke (1991) in: Thompson, S. 130. Menke (1991) in: Thompson (1991), S. 131. Menke (1991) in: Thompson (1991), S. 131. Vgl. Thompson (2009), S. 138. Ebd., S. 141. Ebd., S. 205. Vgl. ebd., S. 57, S. 141. Vgl. ebd., S. 211.

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sprechung. Den Grenzerfahrungen, der ästhetischen Negativität leerer Signifikanten, steht ein Überangebot an Möglichkeiten des Bedeutens gegenüber. Sinnentzug und Exploration von Sinn bilden die beiden Anteile der doppelten Geste der Dekonstruktion, die auch bildenden Erfahrungen eine produktive Unwucht 426 in Aussicht stellt.

1.6.1.4 Das Subjekt in der Krise I: Erfahrung als Anlass für Verlust und Konstitution des Selbst Den Ausgangspunkt für Prozesse, denen Thompson bildendes Potential zuschreibt, stellen »bildende Erfahrungen« dar, deren ästhetische Qualität und Wirksamkeit zur Selbstbestimmung durch Selbstverlust führen kann. Wesentliche Elemente der Untersuchung Thompsons, die Aufschlüsse über Bildungsanlässe geben können, bieten Adornos Konzeption der Negativen Dialektik und ästhetischen Erfahrung sowie Foucaults machtanalytische Überlegungen zur Subjektbildung. In Kritik an der traditionellen – kantischen – Philosophie, die das Verstehen auf ein Erkenntnissubjekt zurückführt, welches das Denken auf Kategorien und Begriffe reduziert, fordert Adorno philosophisches Denken, das sich öffnet für das, »was dem Geist an Erfahrung sich darbietet.«427 Die Einsicht Adornos, dass die Gegenstände des Denkens und der Anschauung in ihrem Bedeutungspotential über das hinausgehen, was ihr Begriff ihnen verheißt, bietet dem Verständnis möglicherweise weniger Widerstand als seine Forderung, Erfahrungen in einer Offenheit geltend zu machen, die über die begriffliche Identifizierung durch das Subjekt hinausgeht.428 Adorno konfrontiert philosophisches Denken mit der unerfüllbaren Aufgabe, das Denken selbst zu überschreiten. Die Intention, ein »konsequentes Bewusstsein der Nichtidentität« denkend zu erzeugen, kann mit Adorno als »Utopie der Erkenntnis«429 beschrieben werden. Adorno selbst thematisiert die Fehlbarkeit seines Ansatzes und die unmögliche »Anstrengung des Begriffs«, die sich gegen sich selbst richtet. Im Versuch »das Begriffslose mit Begriffen auftun, ohne es ihnen gleichzumachen« klingt das Paradox der Metaphysikkritik bereits an.430 Logische Konsequenz einer Erkenntnishaltung, die von der Überschreitung des subjektiven Horizontes des Subjekts in Begegnung mit einem Gegenstand der Erkenntnis ausgeht, ist ein verändertes Verständnis der Perspektive auf Subjekt-Objekt-Konstellation. Die »Erfahrung« kann nun als nicht mehr subjektzentriert, sondern »objektgeleitet«

426 Vgl. Kapitel 1.3.3: Das Subjekt vor der Macht. 427 Adorno, Theodor W; Tiedemann, Rolf (Hg.) (2003b): Vorlesung über Negative Dialektik. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. In: Thompson (2009), S. 105. [Hervorhebung im Original] 428 Thompson (2009), S. 106f. 429 Adorno (2003b) in: Thompson (2009), S. 107. 430 Thompson (2009), S. 107.

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betrachtet werden.431 Wie eingangs erörtert, unterscheidet Thompson mit Menke ästhetische und nicht-ästhetische Erfahrungen. Konfrontiert mit einer Erfahrung muss entschieden werden, ob identifizierendes Verstehen unternommen oder einem produktiven Scheitern des Verstehens stattgegeben wird. Ein tragendes Element der Darstellung der Konsequenzen von Erfahrung stellt bei Adorno die »bestimmte Negation« im Anschluss an Hegel dar. Während bei Hegel das Negierte dem Bewusstsein als positive Inhaltlichkeit verfügbar macht, besteht Adorno auf der Negativität des Negierten. Die Hoffnung, diese Enthaltung einer identifizierenden Sinnzuschreibung ließe das bisher Ungedachte und Ungesagte zur Geltung kommen, verbindet Adorno mit Nietzsche und Wittgenstein.432 Das Subjekt muss und kann sich nach Adorno dem Verstehen als identifizierendem Denken intentional und aus eigener Position verweigern.433 Anders wirkt sich die ästhetische Erfahrung aus, wie sie Menke definiert. Er beschreibt sie als negatives Geschehen und Vollzug, indem Negierendes freigesetzt wird.434 Menke betont damit die Widerfahrnis und die unwiderrufliche Ent-Ortung ästhetisch erfahrener Subjekte. Thompson schließt aus diesen Ansätzen, »dass ästhetische Erfahrungen die Prozessualität identifizierenden Denkens stören.«435 Die Negativität ästhetischer Erfahrungen erschüttert das Ich durch eine Störung vom Anderen her. Dies ist der Moment, in dem es in eine Differenz zu sich selbst gerät und sich als Subjekt im Widerstand zur Macht der ästhetischen Erfahrung neu hervorbringt.436

1.6.2 Bildung als offener Widerstreit Verschiedene Versuche, den Bildungsbegriff vor der Ausmusterung zu bewahren, setzen darauf, »Bildung« im Kontext veränderter gesellschaftlicher Bedingungen neu zu verorten.437 Dieser Intention folgend, untersucht Koller zunächst Lyotards Diagnosen zu aktuellen – postmodernen – gesellschaftlichen Verhältnissen. Aus der Perspektive Lyotards extrahiert er anschlussfähige Elemente in der klassischen

431 Vgl. ebd., S. 118. 432 Ebd., S. 109. 433 Vgl. Thompson (2009), S. 126; vgl. Menke (1991), S. 9. Die ästhetische Erfahrung ist bei Adorno verbunden mit dem Rätselcharakter des Kunstwerks und einer grundsätzlichen Widerständigkeit gegen den Zugriff des Verstehens. 434 Vgl. Menke (1991), S. 47. 435 Thompson (2009), S. 133. 436 Ebd., S. 147f; Thompson verweist mit Foucault auf das Motiv der Subjektivierung im Widerstand zur Macht, welches ebenso Anknüpfungspunkte für mögliche Bildungsanlässe bietet. 437 Koller verweist auf die bildungstheoretischen Arbeiten von Klafki (1985, 1986 und 1990) und Peukert (1984 und 1987), vgl. Koller (1999), S. 13.

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Bildungstheorie Humboldts, insbesondere dessen sprachphilosophischen Überlegungen sowie bildungstheoretischer Schriften Adornos. Koller gibt zu bedenken, dass »Bildung« als gesellschaftlich übergreifender Meta-Diskurs an Legitimation einbüßt und deshalb zur Disposition steht. Koller gibt den »Bildungsbegriff« jedoch nicht auf, sondern betreibt seine Fortschreibung. Er formuliert einen Bildungsbegriff, der einerseits noch mit der klassischen Bildungstheorie verbunden ist, andererseits die Gegenwartsdiagnose und sprachphilosophische Theorie Lyotards einbezieht. In »Bildung anders denken« entfaltet er seine Theorie transformatorischer Bildungsprozesse, die er auf veränderte und veränderliche Strukturen der Welt- und Selbstverhältnisse gründet. Die wesentlichen Kennzeichen der Gesellschaft, der Kultur, die das Individuum und seine sozialen Kontexte prägen, sind radikale Heterogenität und Pluralität. Der daraus hervorgehende Widerstreit der Diskurse bildet den Ausgangspunkt für Kollers Theorie »transformatorischer Bildungsprozesse«.438

1.6.2.1 Klassische Bildungstheorie als Fundament der Reformulierung des Bildungs­begriffes Koller untersucht zunächst das Verhältnis der bildungstheoretischen Überlegungen Humboldts und Adornos zu den »großen Erzählungen« subjektiver Emanzipation und Erkenntismöglichkeiten hinsichtlich potentieller Anschlussmöglichkeiten für eine Fortschreibung des Bildungsbegriffes in postmoderner Perspektive. Humboldts Bildungstheorie fungiert als Beispiel einer »Spekulativen Erzählung«.439 »Bildung« steht – nach Humboldt – für die Möglichkeit der Entfaltung des Individuums hinsichtlich seiner vielfältigen Potentiale in der Auseinandersetzung mit der Welt, anderen Menschen und seinem Selbst. Sich bildend, strebe der Mensch danach, Ganzheit zu erlangen. Die Mannigfaltigkeit menschlicher Vermögen vervollkommnet sich in der Einheit des Menschseins und der Menschheit. Humboldt betrachtet Bildung analog zur menschlichen Fähigkeit des Spracherwerbs. »Durch die Mannigfaltigkeit der Sprachen wächst unmittelbar für uns der Reichthum der Welt und die Mannigfaltigkeit dessen, was wir in ihr erkennen«.440 Durch die Vielfalt vorhandener Sprachen vermehren sich die Gegenstände der Erkenntnis in doppelter Hinsicht, denn zum einen konstituiert jede Sprache die Wirklichkeit auf je eigene Weise und zum anderen bietet diese sprachlich konstituierte Vielfalt dem Individuum wiederum Anlass, Neues zu erfahren und Neues zu denken. Humboldt betont die konstruktive Kraft der Sprache und ihr paradoxes Verhältnis zur Wirklichkeit: Sprache bringt die Gegenstände des Denkens und damit sich selbst hervor.441 Die

438 439 440 441

Vgl. Koller (2012), S. 9. Vgl. Koller (1999), S. 95. Ebd., S. 90. Ebd., S. 90.

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Entfaltung des Individuums im Kontext der Vielfalt der Sprachen befähigt es, seine Wirklichkeit vielfältig zu verstehen und in Vielfalt zu erzeugen. Humboldts Anerkennung der Vielfalt und Heterogenität bleibt jedoch in die übergreifende Prämisse eingebettet, dass alles Individuelle in die Einheit der Menschheit und die Vervollkommnung des Menschen zu überführen sei.442 Koller zufolge gelten Adornos bildungstheoretische Überlegungen als Ausdruck der Auseinandersetzung mit der »großen Erzählung« der Emanzipation – bzw. der Autonomie des Erkenntnissubjekts.443 Adornos Bildungstheorie bleibt dieser Erzählung trotzdem verbunden, da er sich zwar dialektisch-negierend von Überkommenheiten abkehrt, diese dadurch aber auch in ihrer Existenz bestätigt. Adorno versucht, mithilfe der Dialektik über die Aufklärungsprogrammatik hinauszugelangen. Dies gelingt in einem Prozess der Abweisung identifizierenden Denkens. Dieses Motiv erweist sich für Koller als anschlussfähiges Moment für seine Reformulierung des Bildungsbegriffes. Sowohl in Humboldts als auch Adornos Schriften lassen sich nach Koller Momente aufzeigen, die das Verständnis von Bildung und die sich bildenden Subjekte aus dem Verfangensein in intentionalen Meta-Diskursen befreien könnten. So ist sich bereits Humboldt über die Widersprüchlichkeit im Klaren, die das Oszillieren zwischen Einheit der Menschheit und Entfaltung des Individuums, die Anerkennung von Vielfalt und das Festhalten an jener Einheit der Sprache in sich birgt. Humboldt und Adorno verweisen auf Bildung als Prozess, der sich aus heteronomen und – nach Möglichkeit – unreduzierten Erfahrungen speist und aus dem Bedeutung in Vielfalt hervorgeht. Während Humboldt dem Streben nach Vollkommenheit und Ganzheit verhaftet bleibt, löst sich Adorno davon und stellt ein Verständnis von Bildung zur Disposition, das sich konsequent kritisch zu überkommenen Vollkommenheitsidealen und Erfüllungsutopien verhält. Bildung, so Adorno in seiner Theorie der Halbbildung, verfehle sich selbst, wenn sie sich erfüllt. Koller unterstellt diesen Überlegungen differenztheoretisches Potential und schlussfolgert, dass sich in Humboldts und Adornos bildungstheoretischen Überlegungen Elemente extrahieren lassen, die eine Fortschreibung des Bildungsbegriffes in poststrukturalistischer Perspektive in Aussicht stellen.444 Koller formuliert einen vorläufigen Begriff von Bildung: »Bildung wäre in dieser Perspektive als ein sprachlicher Prozeß zu begreifen, in dem die Welt-(und ich ergänze: die Selbst-)Ansichten eines Subjekts durch das Erlernen neuer Sprachen und Sprechweisen erweitert und vervielfältigt werden.

442 Vgl. Koller (1999), S. 57f. 443 Vgl. Ebd., S. 95. 444 Vgl. ebd., S. 149.

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Adornos Philosophie aber erlaubt es, diesen Prozeß nicht als harmonische Entwicklung zu einer immer vollständigeren Welt- und Selbstsicht zu verstehen, sondern als hartnäckigen Einspruch gegen die Verfestigung der Kategorien, mit denen die Subjekte ihr Verhältnis zur Welt und zu sich selbst zu fassen suchen, als Offenhalten dieser Ansichten für Neues, Anderes, dem bisher Gedachten Widersprechendes.«445

1.6.2.2 Lyotard und die Legitimation des Wissens: bildungstheoretische Konsequenzen Der Untersuchung der bildungstheoretischen Ausführungen Humboldts und Adornos folgt Kollers Relektüre und Interpretation der bildungstheoretischen Perspektive Lyotards, die sich aus den benannten Traditionen speist. Lyotards Werk bietet selbst kaum explizite Anknüpfungspunkte an den bildungstheoretischen Diskurs.446 Daher folgt Koller den Spuren Humboldts und Adornos in Lyotards Analysen zu Sprache, Wissenschaft und Gesellschaft. Lyotard postuliert in seinen Ausführungen zum »Postmodernen Wissen«447 nicht nur das Ende der »großen Erzählungen«, sondern leitet daraus den grundsätzlichen Zweifel an der Legitimität des Wissens und tradierter Wissenssysteme ab:448 »Man kann […] auf eine starke Veräußerlichung des Wissens gegenüber dem ›Wissenden‹ gefasst sein, an welchem Punkt des Erkenntnisprozesses sich dieser auch immer befinden möge. Das alte Prinzip, wonach der Wissenserwerb unauflösbar mit der Bildung* des Geistes und selbst der Person verbunden ist, verfällt immer mehr und mehr.«449 Lyotard plädiert für eine Gesellschaft des offenen Widerstreites und des diskursiven Nebeneinanders inkommensurabler Diskursarten. Wissen oder Wissenssysteme können sich nicht auf Meta-Diskurse berufen. Eine Hegemonie übergreifender Diskurse kann im Widerstreit nicht legitim sein und muss deshalb bestritten werden. Lyotard erörtert zwei Möglichkeiten der Legitimation: die Legitimation durch Performativität und die Legitimation durch Paralogie. Nach Lyotard kann Wissen oder auch Wissenschaft durch seine bzw. ihre »Performativität« Geltung erlangen. Diese ist als Ausdruck für »Realisierung« zu verstehen, die dem Wissen durch die Macht der Äußerung Gestalt verleiht. Die Wissenschaft verfügt über diese Macht und die Möglichkeit, durch bestimmte Techniken

445 446 447 448 449

Ebd., S. 145. Ebd., S. 16. Vgl. Lyotard (2015). Vgl. ebd., S. 37–41; vgl. Koller (1999), S. 23–30. Lyotard (2015), S. 31. [»Bildung*« im Original in deutscher Sprache].

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der Verifizierung und der Effizienz, das Ausmaß an Informationen – über Produktion, Speicherung, Zugänglichkeit und Operationalität – zu vergrößern und sich damit selbst zu legitimieren.450 Lyotard kritisiert diese Form der Legitimation jedoch, da sie nicht der der tatsächlichen wissenschaftlichen Entwicklung, sondern eher der ökonomischen Macht zur Autorisierung verhelfe und außerdem dem kritischen Potential des Wissens auf diese Weise nicht gerecht werden kann. Deshalb schlägt er die »Paralogie« als Möglichkeit der Legitimation vor, die ihm als Einzige hinsichtlich postmoderner Verhältnisse plausibel erscheint. »Paralogie« meint den bewussten Verstoß gegen etablierte Regeln wissenschaftlicher Sprachspiele: mit dem Ziel, neue Spielzüge zu erfinden und neue Regeln vorzuschlagen. Das einzige Kriterium für die Legitimität solcher Regelverletzungen besteht darin, »daß dies Ideen, das heißt, neue Aussagen hervorbringen wird.«451 Aus der Beobachtung, »daß immer jemand kommt, um die Ordnung der Vernunft zu stören«452 , folgert Lyotard, dass nicht der Konsens das Ziel (wissenschaftlicher) Entwicklung sein könne. »Die Forschungen, die unter der Vorherrschaft eines Paradigmas gemacht werden, streben danach, sie zu stabilisieren; sie sind wie die Ausbeutung einer technologischen, ökonomischen und künstlerischen ›Idee‹«.453 Die Legitimierung des Wissens könne allenfalls als eine »Praxis der Gerechtigkeit«454 vollzogen werden, die den Konsens nur als »vorübergehenden Zustand von Diskussionen«455 anerkennt und den Widerstreit offenhält.456 In Auseinandersetzung mit Luhmann und Habermas stellt Lyotard die Vorteile gegenüber deren Konsensmodellen dar. So spricht sich das Konzept der Legitimation durch Paralogie gegen die Geschlossenheit wissenschaftlicher Wissenssysteme aus und konstatiert deren Unabhängigkeit von Effizienz. Somit erhält die wissenschaftliche Forschung ihre Freiheit zurück, indem sie paralogisch die Unterordnung unter die Vernunft der Ökonomie oder Effizienz ablehnt. Lyotard überträgt sein Konzept der Paralogie auch auf die gesellschaftliche Ordnung. Gesellschaftlicher Konsens kann nach Lyotard nur ein vorübergehender Zustand sein. Gerechtigkeit bedeutet nach Lyotard die Anerkennung und das Geltendmachen des bisher Ungesagten und Sublimierten. Der Diskurs muss als produktiver Widerstreit offengehalten und die Inkommensurabilität der Sprachspiele anerkennen.

450 451 452 453 454 455 456

Vgl. Koller (1999), S. 27. Vgl. Lyotard (2015), S. 87; vgl. auch Koller (1999), S. 27. Vgl. Koller (1999), S. 27. Koller (1999), S. 27. Koller nach Lyotard in: Koller (1999), S. 27. Ebd., S. 27. Koller (2012), S. 97.

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Vor allem Lyotards Konzeption des Widerstreits457 und damit dessen ethischer Perspektive folgend, bestimmt Koller die Voraussetzungen und Prozesse von Bildung als »Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen.«458 Koller verweist auf zwei Dimensionen des Bildungsbegriffes: zum einen die kritische Komponente, die auf die Differenzen zwischen den Diskursarten verweist und sich der Totalität eines übergreifenden Diskurses verweigert und zum anderen die »innovative Dimension«, deren Potential auf die Hervorbringung neuen Wissens gerichtet ist – mit dem Ziel, auch dem Ungesagten, Zurückgedrängten im Sinne der Gerechtigkeit Ausdruck zu verleihen.459 Die Aussicht, neues Wissen nur durch den Verstoß gegen gängige »Spielregeln« hervorbringen zu können und dass der Zweifel an etwas die einzige Möglichkeit sei, etwas überhaupt anerkennen zu können, wird bereits in den 1980er-Jahren nicht unkritisch aufgenommen. Lyotards Argumentation für die Paralogie wurde als »politisch naiv«, »zweischneidig« und »vage liberal« missbilligt.460 Zudem lasse das Zurückweisen überkommener Strukturen und Systeme ein Nachdenken über strukturelle Ursachen von Ungleichheit kaum zu. Toleranz und Liberalität führten dann zur Bestätigung überkommener Machtverhältnisse. Habermas verweist auf mögliche »antimoderne Affekte« bzw. »neuen Konservatismus«.461 Dies steht im Widerspruch zur Intention Lyotards, die Heterogenität der Sprachspiele und Diskurse durch ihre uneingeschränkte Anerkennung vom Zugriff der Struktur zu befreien und Gerechtigkeit durch Unentschiedenheit zu ermöglichen.462 Die Kritik entzündet sich an den wahrgenommenen Tendenzen der Gleichschaltung und übergriffig verallgemeinernden Begründungsansätzen, die jedoch als eine logische Folge dieser intendierten Unentschiedenheit zu betrachten sind. Lyotard gehe – so Kollers zusammenfassender Verweis auf die Kritiken463  – von einer Gesellschaft aus, die umfassend informiert ist und in freier, fruchtbarer Auseinandersetzung neues Wissen generiert. Nach Lyotard müssten alle Individuen die gleichen Voraussetzungen haben, um sich ebenbürtig entfalten und zum Ausdruck bringen zu können und um Mechanismen abzuwehren, die die Gesellschaft zu uniformieren drohen und um das

457 Der Begriff »Widerstreit« weist auf die Konfrontation von Diskursarten hin, die als heterogen zueinander beschrieben werden. Der Konflikt zwischen unvereinbaren Diskursarten kann nicht aufgelöst werden, allenfalls kann dieser in einen »Rechtsstreit« übergehen, bei dem der Konflikt in ein und derselben Diskursart ausgetragen wird. Rechtsstreite führen zur Unterordnung des einen unter den anderen Diskurs. 458 Koller (2012), S. 96. 459 Vgl. ebd., S. 96f. 460 Vgl. Koller (1999), S. 29. 461 Vgl. ebd., S. 28. 462 Vgl. Lyotard (2015), S. 152–155. 463 Vgl. Koller (1999) S. 30.

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Potential ihrer Heterogenität betrügen könnten.464 Dies stelle aber – so die Kritik – nicht nur die Gesellschaft vor unerfüllbare Herausforderungen, sondern ersetze zudem die »Erzählung« von Bildung und Emanzipation durch eine neue »große Erzählung« von Gerechtigkeit und einem allgemeinen Interesse an der Hervorbringung neuen Wissens. Honneth pointiert diesen Rückfall in universalistische Tendenzen im Titel seiner Auseinandersetzung mit Lyotards Konzept zur Postmoderne als irrationalen »Affekt gegen das Allgemeine.«465 Die Zurückweisung der Meta-Diskurse der »Spekulativen Erzählung« und der »Erzählung von der Autonomie des Subjekts« führen in unauflösliche Widersprüche, auf die Koller hinweist.466 Sobald Prämissen konstatiert und Regeln gesetzt werden, ist ein Meta-Diskurs vorhanden. Jede Grenze, die beschrieben, jede Diskursart, die identifiziert wird, verallgemeinert die Vielfalt und setzt ein Prinzip an die Stelle der Heterogenität. Lyotard löst diese Aporie nicht auf, sondern artikuliert eine ethische Prämisse, die Gerechtigkeit und ein Geltendmachen des Ungesagten fordert. Lyotard provoziert dadurch einen Widerspruch zwischen der formulierten Prämisse und gleichzeitig intendierter Abweisung von übergreifenden Prämissen, um Tendenzen der Gleichschaltung und der Manifestation von Machtverhältnissen zu verhindern. Die Offenheit des Widerstreites, deren Bedingung und Effekt eine prozessuale Unentschiedenheit ist, birgt jedoch die Gefahr der Beliebigkeit und der Isolation der nebeneinander existierenden Diskurse – und damit möglicherweise die Gefahr des Endes des Zusammenhalts menschlicher Gemeinschaft – in sich. Koller deutet in diesem Zusammenhang auf das Konzept der Transversalität bzw. der »transversalen Vernunft« nach Welsch hin, mit dem Übergänge und Vernetzung zwischen Diskursarten ermöglicht werden könnten, ohne die Heterogenität gesellschaftlich relevanter Sprachspielen zu negieren.467 Die Neufassung des Bildungsbegriffes als »Theorie der Struktur jener Welt- und Selbstverhältnisse […], die den Gegenstand transformatorischer Bildungsprozesse darstellen« unterfüttert Koller in »Bildung anders denken« Koller mit Elementen weiterer Konzepte, denn seine Konzeption der Reformulierung des Bildungsbegriffs bezieht auch das sich bildende Selbst, Fragen der Subjektbildung und Anlässe, die bildende Prozesse auslösen, in seine Untersuchung ein. Zunächst untersucht er die Struktur von Welt- und Selbstverhältnissen an Konzepten, wie z.B. Bourdieus Erörterungen zu Habitus, kulturellem

464 Vgl. ebd., S. 30. 465 Koller (1999), S. 30; vgl. dazu Honneth 1984. Der Affekt gegen das Allgemeine. Zu Lyotards Konzept der Postmoderne. In: Merkur 38/8 (1985), S. 893–902. [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021]. 466 Vgl. Koller (1999), S. 28–30. 467 Vgl. ebd., S. 42; vgl. dazu Welsch, Wolfgang (2003): Ästhetisches Denken. 6. erw. Aufl. Stuttgart: Reclam (Universal-Bibliothek, 8681), S. 71.

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Kapital und dem Begriff der narrativen Identität.468 Er folgt den Spuren des Subjekts und seiner Ich-Werdung mit Lacan469 und J. Butler470 und stellt im zweiten Teil verschiedene Ansätze dar, die sich mit möglichen Anlässen transformativer Bildungsprozesse beschäftigen, wie beispielsweise Bucks Konzept der »negativen Erfahrung«471 und Waldenfels’ »Konzept der Erfahrung des Fremden«472 .

1.6.2.3 Das Subjekt in der Krise II: Anlässe für Bildung und den Eintritt in den Widerstreit Mit der Formulierung einer Bildungstheorie, die die Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen beschreibt, sieht sich Koller in der Pflicht, mögliche Auslöser zu benennen, die diskursive bildende Prozesse initiieren und diese Transformationen bewirken.473 Er verortet im Anschluss an Kokemohr474 den Ausgang bildender Prozesse in Krisenerfahrungen, die Menschen mit Problemen konfrontieren, die ihr bisheriges Welt- und Selbstbild als nicht ausreichend erscheinen lassen.475 Dass ein Selbstbild nicht ohne Weiteres zu erschüttern sei, legt Koller anhand der Konzepte von Bourdieu, Butler und Lacan dar,476 die auf ein relativ stabiles WeltSelbstverhältnis verweisen. Die für bildende Prozesse notwendige Destabilisierung der Verhältnisse kann daher nicht vom Eigenen her, sondern muss vom Anderen herrühren. Die Krise des Selbst erweist sich dann als ein Zustand, in dem »die relative Stabilität etablierter Welt-Selbstverhältnisse in Frage gestellt wird«.477 Bucks Rekonstruktion der »negativen Erfahrung«478 nach Husserl kritisiert Koller als nicht zureichend. Buck äußert Skepsis gegenüber der Möglichkeit, wirklich absolut Neues zu erfahren. Das, was sich der Erfahrung preisgibt, kann unbekannt sein, dennoch nur in Verknüpfung und Abhängigkeit von vorgängigen Wissensstrukturen erfahren und erkannt werden. »Immer steht das Unbekannte im ›Horizont‹ einer Vorbekanntheit, d.h., es ist Unbekanntes in gewisser Hinsicht, es ist relativ Unbekanntes und darum auch immer schon relativ Bekanntes.«479 468 469 470 471 472 473 474

475 476 477 478 479

Vgl. Koller (2012), S. 34–44. Vgl. ebd., S. 45–54. Vgl. ebd., S. 55–68. Vgl. ebd., S. 71–74. Vgl. ebd., S. 79–86. Koller (2012), S. 9. Vgl. Kokemohr, Rainer (2007): Bildung als Welt-und Selbstentwurf im Fremden. Annäherungen an eine Bildungsprozesstheorie. In: Koller, Hans-Christoph/Marotzki, Winfried/Sanders, Olaf (Hg.) (2007): Bildungsprozesse und Fremdheitserfahrung. Beiträge zu einer Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Bielefeld: transcript. Vgl. ebd., S. 71. Vgl. Koller (2012), S. 23, 45, 55 und 71. Ebd., S. 71. Ebd., S. 76. Buck in Koller (2012), S. 76.

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Eine radikale Andersheit oder Fremdheit dessen, was erfahren werden kann, ist aus Bucks Konzeption nicht abzuleiten. Für Koller, der mit Lyotard der These der Inkommensurabilität von Diskursarten und Sprachspielen verhaftet ist, bleibt die »bestimmte Negation« eines Erfahrungshorizontes, der den »alten« nur wandelt, erweitert oder überschreibt, hinter der notwendigen grundlegenden Erschütterung von Welt- und Selbstverhältnissen zurück. Eine produktive Kraft der Krise entfaltet sich nach Koller in der Begegnung mit dem radikal Anderen und der Erfahrung der Fremdheit, die er mit Waldenfels’ Konzeption der Fremderfahrung in seine Theorie einbettet.480 Nach Waldenfels erfährt das Individuum Fremdheit nicht als einfache Negation des bestehenden Erfahrungshorizontes. Die Konfrontation mit dem Fremden setzt eine bestehende Ordnung außer Kraft. Während die Negation des vorgängigen Wissenshorizontes auf jenen Horizont verwiesen und bezogen bleibt, schafft das Außerkraftsetzen eines bisher gültigen Prinzips Raum für noch unbestimmte Horizonte. Die Erfahrung von Fremdheit impliziert ein Paradox: »Das Fremde zeigt sich uns, indem es sich uns entzieht.«481 In dem Moment, in dem das Fremde in der Erfahrung zugänglich wird, verweist es auf seine originäre Unzugänglichkeit.482 Die Ereignishaftigkeit des Fremden führt zur Beunruhigung – zur »paradoxen Irritation«.483 Fremdem zu begegnen, kann verschiedene Konsequenzen zeitigen. Wird es gleichzeitig als Bedrohung erfahren, sieht sich das Individuum genötigt, es von sich fernzuhalten und sich von ihm abzugrenzen. Sich das Fremde zu eigen machen, wäre eine Variation dieses Verhaltens: Auf der Basis der Normierung des Eigenen wird das Fremde um seine Fremdheit beraubt und dem Eigenen unterstellt. Als weitere Möglichkeit der Reaktion auf Fremdheit nach Waldenfels besteht in der »Antwort auf den Anspruch des Fremden«,484 die die Beunruhigung als Herausforderung und das Eigene nicht als normierende Instanz erkennt. Basis einer produktiven und kreativen Antwort auf den Anspruch durch das Fremde ist die Beunruhigung selbst – als ein Ort zwischen Individuum und Fremdheit. Aus diesem lässt sich jener Sinn schöpfen, der vom Eigenen her nicht aufzubringen ist und auffordert »zu geben, was wir nicht haben.«485 Die Erfahrung des Fremden als Anspruch durch ein Anderes bewirkt eine produktive Krise des Subjekts durch den Entzug einer vorgängigen Ordnung als Totalität. Für die Antwort auf die Frage, wie auf das Fremde produktiv und konstruktiv reagiert werden kann, verweist Koller wiederum auf Lyotards Konzeption des Wider-

480 481 482 483 484 485

Vgl. Koller (2012), S. 79. Waldenfels in Koller (2012), S. 83. Vgl. Koller (2012), S. 82. Waldenfels in Koller (2012), S. 85. Ebd., S. 85. Kleist in Koller (2012), S. 85.

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streits und der paralogischen Verkettung von Sätzen zu neuen Sprachspielen. Der Ver-Antwortung kann sich nicht entzogen werden.486 Antworten, die an den Grenzen widerstreitender Diskurse hervorgebracht werden, enthalten das Neue – neue Spielzüge, neue Spielregeln, neue Sätze. Koller beschreibt Bildung als einen Prozess, der notwendig ist, um dem Widerstreit der Diskurse in einer Weise Geltung zu verschaffen, die ihn offen und unlösbar erhält.487 Koller folgt der ethischen Prämisse Lyotards, dem Ungehörten und Ungesagten gleichermaßen Raum zuzubilligen wie jenen Diskursen, deren Machtfülle das Andere des Sinns zu absorbieren droht. Dem folgt, dass bildende Prozesse, die die Welt- und Selbstverhältnisse transformieren, ethisch geboten und auf dieser Basis ästhetisch sinnstiftend sind. Koller definiert: »Meine bildungstheoretische Schlussfolgerung aus diesen Überlegungen läuft nun auf den Vorschlag hinaus, die ethische Dimension bei Lyotard als Ausgangspunkt für die Neufassung des Bildungsbegriffs zu nehmen und Bildung als jenen Prozess der Entstehung neuer Sätze und Diskursarten zu begreifen, der zur Anerkennung und zum Offenhalten des Widerstreites erforderlich ist. Auf eine Formel gebracht lässt sich die Transformation von Welt- und Selbstverhältnissen im Anschluss an Lyotard mithin als innovatorisches bzw. paralogisches Sprachgeschehen beschreiben, bei dem neue sprachliche Möglichkeiten ge- und erfunden werden, um dem Widerstreit der Diskursarten gerecht zu werden.«488

1.6.3 Bildung als Dekonstruktion – die Figur des »Sprachspielers« Meders bildungstheoretische Konzeption des »Sprachspielers« basiert auf den philosophischen Diskursen nach Kant, Hönigwald, Lyotard, Plessner und Piaget. Das Zentrum seiner Bildungstheorie des Sprachspielers bildet Wittgensteins Sprachspieltheorie.489 Die Darstellung der kreativen Tätigkeit des Sprachspielers stützt Meder auf das Verfahren der Dekonstruktion nach Derrida.490 Meder erkennt im gegenwärtigen Strukturwandel eine Entwicklung von der industriellen zur informationellen Produktion. Neue Technologien steuern auf der Basis von Programmiersprachen die Produktion und Vervielfältigung des Wissens. Unsere gegenwärtige Welt – nach und in Strukturwandel – konfrontiert die Menschen mit der Pluralisierung der Sprachen. Die Explosion des Wissens einschließlich seiner synchronen Verfügbarkeit stellt Zeitgenossen vor zwei Probleme. Das Individuum ist sich einerseits der Unübersichtlichkeit und Unfassbarkeit der Fülle des Wissens

486 Vgl. Kapitel 1.3.2: Das Subjekt vor dem Satz (zu Lyotard); vgl. Kapitel 1.3.4: Das Subjekt vor dem Anderen (zu Lévinas). 487 Vgl. Koller (2012), S. 97. 488 Koller (2012), S. 97. 489 Vgl. Meder (2004), S. 22. 490 Vgl. ebd., S. 14, S. 249–251.

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bewusst. Zum anderen ist die Fülle der Informationen der Allgemeinheit zwar zugänglich, bleibt aber für das Individuum letztlich unverfügbar. Die Gesamtheit der verfügbaren Informationen kann nicht durch nur eine Sprache dekodiert werden. Der Diversität des Wissens entspricht die Diversität der Sprachen, durch die das Wissen zum Ausdruck und zur Bedeutung gelangen kann.491 Die ständige Produktion neuer Sprachen führt daher zur Destruktion von Öffentlichkeit und auch zur Erosion von Verbindlichkeit.492 Mediale und technologische Möglichkeiten und Gegebenheiten machen es notwendig, neue Handlungsstrategien für das In-der-Welt-Sein zu entwerfen. Meder setzt an die Stelle des Subjektes, das über Wissen verfügt, und an die Stelle von Bildung, die den Anspruch erhebt, Zugang zum Wissen erlangen zu können, den »Sprachspieler«493 als Bildungsideal. Mit dem »Sprachspieler« formuliert Meder eine normative »postmoderne dogmatische Bildungstheorie.«494 Im bewussten Bekenntnis zur Intentionalität seiner Bildungstheorie verweist Meder auf zweierlei Konsequenzen. Zunächst ergeht ein Imperativ an das Individuum: »Du sollst Sprachspieler sein!«495 Darin artikuliert sich das pädagogische Ziel, Individuen zu sprachlicher Kompetenz zu befähigen. Die Adressaten von Erziehung und Bildung sollen in der Lage sein, an Sprachspielen zu partizipieren und neue Sprachspiele zu erfinden, indem bestehende Sprachspiele verlassen werden.496 Der »Sprachspieler« als Bildungsideal impliziert keine Handlungsanweisung, wie die Figur des Sprachspielers zu verwirklichen sei, sondern er verweist auf etwas, was (noch) nicht ist.497 Des Weiteren beschreibt und bewertet Meder die Beweggründe, Verfahren und Ziele des »Sprachspielers« als »gut, treffend, angemessen oder sogar schön«.498 Die Darstellung des Bildungsideals des »Sprachspielers« entspricht Meder zufolge einer »fiktionale(n) Konstruktion, so wie jedes Kunstwerk eine fiktionale Konstruktion ist« – und damit einem »ästhetischen Unterfangen«.499

491 Vgl. ebd., S. 120. 492 Vgl. ebd., S. 119 und 129. 493 Meder nennt seine Konzeption der »Sprachspieler«, ohne auf Implikationen des Weiblichen oder Diversen hinzuweisen. Die Verfasserin übernimmt die grammatische Form aus Gründen der Originalität, aber auch aus inhaltlichen Gründen: Der Sprachspieler ist ein Bildungsideal und keine Person. Der Begriff »Sprachspieler« entzieht sich durch diese Erklärung der überkommenen Grammatik, um seine Bedeutung zu erlangen. Vgl. dazu Meder (2004), S. 149. 494 Vgl. Meder (2004), S. 22f. 495 Vgl. ebd., S. 10. 496 Vgl. ebd., S. 148. 497 Vgl. ebd., S. 10. 498 Vgl. ebd., S. 10. 499 Ebd., S. 10.

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1.6.3.1 Der »Sprachspieler« als mediale Instanz »Der Sprachspieler ist […] kein Subjekt, keine Person, kein Individuum, er hat kein Selbst und auch keine personale Identität, sondern ist ein figurales Gebilde im medialen Raum der Codierung und Decodierung von Zeichen.«500 Das Subjekt kann nach Meder nicht als Ausgangspunkt von Bildung hinsichtlich der Decodierung von Wissen fungieren, denn dem Subjekt entzieht sich der Zugriff auf vollständige Informationen und damit die Möglichkeit vollständig wahrnehmen, begreifen oder verstehen zu können. Meder setzt an die Stelle der Relation von Subjekt und Objekt den »Sprachspieler« als dritte Instanz: »Das Mittlere, das Vermittelnde, die Mitte, das, was zwischen den Polen liegt, ist der Raum der Darstellung und Kommunikation, Raum der Zeichen, das Spiel mit eben diesen Zeichen.«501 Das Subjekt stellt im Sprachspiel keine fixierbare Instanz dar, sondern einen Spielzug. »Subjekt-Sein, Person-Sein, Individuum-Sein, Selbst und Identität sind ›Schachzüge‹ im offenen Feld wechselnder Sprachspiele.«502 Der Umgang und die produktive Auseinandersetzung mit der Fülle des Wissens vollziehen sich medial. Die Hierarchie zwischen Subjekt und Objekt hebt sich im Spiel auf. Meder beschreibt den »Sprachspieler« als mediale Instanz zwischen Individuum und Welt als »Hyperzeichen« für Spielzüge,503 deren wesentliches Merkmal Kontingenz und Unendlichkeit der Zeichenkombinatorik ist. Dennoch zerfließt der »Sprachspieler« als »figurales Gebilde im Verweisungsraum der Sprachspiele« nicht in der Unendlichkeit, sondern wird zum einen durch die Zeit und zum anderen durch »Stopp-Regeln« limitiert, die sich für Meder aus der einschränkenden Wirkung des metaphysischen Bedeutungsgehalts von Begriffen ergeben.504 Der Moment der Bezeichnung als z.B. »Ich«, »Subjekt«, »Selbst«, Identität« unterbricht die Prozedur der Hervorbringung dieser Seins-Formen. Sie erscheinen nur als momenthafte »Substantialisierungen der Prozeduren [der Spielzüge]«.505 Die Spielzüge des »Sprachspielers«, die sich um die Hervorbringung der »Substantialisierungen« bemühen, implizieren konstitutive Entgegensetzungen, denn jeder metaphysischen Substanz entspricht eine »Stoppregel«,506 die das Spiel abbrechen 500 501 502 503 504 505 506

Ebd., S. 179. Ebd., S. 192. Ebd., S. 149. Vgl. ebd., S. 149. Vgl. ebd., S. 149f. Vgl. ebd., S. 150. Vgl. ebd., S. 150.

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oder beginnen kann.507 »Die Stopp-Prozeduren stehen nicht für die unendlichen Möglichkeiten eines ›Subjektes‹. Stattdessen zeigt sich in ihnen die Vielfältigkeit des Begrenzten.«508 Das Subjekt ist als Spielzug bereits Teil des Sprachspiels und bringt sich im Moment der Erfahrung seiner Begrenztheit hervor. Insofern liegt nicht das Subjekt dem Spiel zugrunde, sondern die Qualität seines Verhältnisses zu sich selbst. Das Subjekt verdankt seine flüchtige Existenz der Entgegensetzung von (Spiel-)Zug und Entzug der Substanz. Dennoch verbleibt es nicht im Schwebezustand der Unentschiedenheit unterworfen: Es agiert intentional – aber zweifelnd am Beweggrund.509

1.6.3.2 Zum Verhältnis von Bildung und Dekonstruktion Der »Sprachspieler« bleibt auf die Sprache gerichtet, entdeckt und zeigt an den Zeichen sprachlich Bestimmbares und Unbestimmtes. Die Entgegensetzungen der Dekonstruktion510 werden im »Sprachspieler« wirksam: die Paradoxa des Zeichens, Zug und Entzug der subjektiven Instanz. Die dekonstruktive Tätigkeit bewirkt, dass die Spielregeln durch Spielzüge auch gegen sich selbst gerichtet werden können. »Spielzüge sind dabei erstens Reflexion und Rückkopplung, das ist die Selbstanwendung von Regeln, wie wir es aus der Chaostheorie kennen, und die zu Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit führt, und zweitens die Anwendung von Regeln in Kontexten, für die sie nicht vorgesehen sind, um zu Irritationen zu führen.«511 Der »Sprachspieler« dekontextualisiert die Zeichen und entzieht ihnen und ihren Bedeutungen dadurch den Ort.512 Bildungsprozesse folgen daher einem doppelten Zug. Dem Entzug von überkommener Bedeutung entspricht ein Spielzug, der neue Zeichen hervorbringt. Für die Produktivität des »Sprachspielers« ist die Einsicht, dass jedes Zeichen die Spur seines Ursprungs zwar in sich trägt, dieser letzte Sinn jedoch unbegreiflich und unerschöpflich bleibt, wesentlich. »Die eigentliche Bedeutung eines Zeichens ist also die Performanz seiner Genesis, die Spur, die dieser Prozess der Genesis, der Konstitution eines Zeichens zieht.

507 Vgl. ebd., S. 150. Meder verwendet die metaphysischen Begriffe synonym mit ihren entsprechenden Stoppregeln. So entspricht beispielsweise »Ich = ich« der Stoppregel für den Erkenntnisprozess und das »Individuum« der »Stoppregel« für den sozialen Differenzierungsprozess. 508 Vgl. ebd., S. 150. 509 Ebd., S. 266. 510 Vgl. Kapitel 1.2.3: Die doppelte Geste der Dekonstruktion. 511 Meder (2004), S. 264. 512 Vgl. ebd., S. 264.

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Unter Performanz versteht man die Aktualität einer Konstitution – dies, dass die Konstitution eine bestimmte einmalige Raum-Zeit-Stelle besetzt hat.«513 Mit »Dekonstruktion als Bildung« beschreibt Meder den dekontextualisierenden, selektiven und kreativen Umgang mit Zeichen. Der »Sprachspieler« sei ein »Meister der Dekonstruktion«.514 . Aus Meders Grundsätzen einer dekonstruktiven pädagogischen Dogmatik des »Sprachspielers« geht hervor, dass die »Dekonstruktion Bildung als performativer Prozess ist.«515 Dies zieht eine Transformation des Bildungsbegriffes nach sich. »Bildung« ist seit der Neuzeit an das Ideal oder die Illusion der Aufklärung geknüpft. Sie trägt deshalb seit jeher ein kritisches Moment in sich. Aufklärung ist nun ein Sprachspiel unter vielen, aus denen das Individuum auswählt und eigene Modelle seiner Wirklichkeit entwirft.516 Meder beschreibt Bildung als dreifaches Verhältnis des Individuums – zu Gegenständen und Sachverhalten, zu Anderen und in Gemeinschaften und zu sich selbst »im offenen und unbestimmten Horizont seiner Vorfindlichkeit.«517 Dieses Dreifach-Verhältnis ist noch nicht »Bildung«, sondern nur deren Struktur bzw. Grammatik,518 die die sinnstiftende Wechselbeziehung zwischen Zeichen und Bedeutungen ermöglicht. Zeichen werden durch ihren wiederholten Gebrauch zum Stellvertreter für Dinge oder Sachverhalte oder Superzeichen für komplexere Zusammenhänge. Sie werden zwar wiederholt gebraucht – jedoch ändern sich die Kontexte und Beziehungen, innerhalb derer sie zur Darstellung gelangen. Jede Signifikation ist zugleich Resignifikation und bewirkt eine Verschiebung von Bedeutung.519 Dies ermöglicht sich durch die Voraussetzung, dass es ein »egozentrisches« Ich gibt, welches von den Zeichen Gebrauch macht – im Hier und Jetzt seiner Bedeutungszuweisung: »Die Dynamik von Bildung ist die Konstitution und Verschiebung von Bedeutung im Zeichengebrauch.«520 Meder unterstellt sowohl der Bildung als auch der Dekonstruktion Aufklärungsabsicht in Bezug auf bestehende Herrschafts- und Machtverhältnisse.521 . Die Dekonstruktion – so Meder – »versucht, aus dem Gebrauch von Zeichen und Symbolen, aus der Struktur von Diskursen die Macht- und Herrschaftsverhältnisse aufzuklären, die den Diskursen zugrunde liegen oder vielleicht besser: die sich in den Diskursen

513 514 515 516 517 518 519 520 521

Ebd., S. 257. Ebd., S. 255. Ebd., S. 267. Vgl. ebd., S. 130. Vgl. ebd., S. 249. Vgl. ebd., S. 250. Vgl. ebd., S. 256. Ebd., S. 257. Vgl. ebd., S. 255.

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ausprägen.«522 Schlüssig erscheint daher Meders Darstellung des Verhältnisses von Bildung und Aufklärung: »Aufklärung ist vielleicht das einzige Motiv, das dem Bildungsbegriff treu geblieben ist.«523 Damit kehrt er die Abhängigkeit um. Bildung wird nicht der Intention der Aufklärung zugeordnet, sondern Aufklärung ist dem dekonstruktiven Bildungsbegriff genuin inhärent. Bildung als dekonstruktiver Prozess beansprucht eine Bedeutung im Sinne einer konkreten »Raum-Zeit-Stelle«.524 Der »Sprachspieler« entwirft unabschließbare Weltbilder als Möglichkeitsraum, als den Ort, an dem der Streit über die Geltung und Gültigkeit ausgetragen werden kann.525 Sie verweist auf einen Ort des »Streites um Definitionsmacht« und eröffnet den »Kampf mit Zeichen und Symbolen«.526

1.6.3.3 Zur Kreativität des »Sprachspielers« Der »Sprachspieler« ist zugleich Implikation und Ausdruck, Intention und Zweifel an der dekonstruktiven Tätigkeit. Er produziert Differenzen und weist auf diese hin. Der »Sprachspieler« »kultiviert die Sensibilität für Unterschiede.«527 Bildung als dekonstruktiver Akt führt zur Differenzierung: zur Produktion von Differenzen, die die Erfindung neuer Sprachspiele, die Vervielfältigung der Sprachen, begünstigen. Die kontinuierliche Entwicklung neuer Technologien befeuert diesen Prozess der Hervorbringung neuer Sprachen und damit die Möglichkeiten sprachlicher Simulation von Wirklichkeit, die die menschlichen Kapazitäten bereits überschreiten.528 »Der Sprachspieler versteht sich als Erfinder von Sprachen, in denen er mögliche Welten simuliert. Er konstruiert Wortbedeutungen und ganze Semantiken und spielt damit die Möglichkeiten durch, die das 0-1-Alphabet des Automaten bietet. […] Der Sprachspieler, der Programme nutzt, d.h. der sogenannte SoftwareAnwender, spielt nicht nur mit den Möglichkeiten einer Sprache, sondern bewegt sich frei in mehreren Sprachen und Programmen«.529 Solche Simulationen können nach Meder als Variationen verstanden werden, die innerhalb eines Sprachspiel-Modells sprachliche Ereignisse hervorbringen.530 Durch

522 523 524 525 526 527 528 529 530

Vgl. ebd., S. 249. Ebd., S. 249. Hönigswald in Meder (2004), S. 257. Vgl. Meder (2004), S. 263. nach Hönigswald ist Bildung der Ort der Verhandlungen, »des Streites um die Sachen und Sachverhalte, die für unser gutes Leben aktual wichtig sind.« Vgl. Meder (2004), S. 263. Ebd., S. 266. Vgl. ebd., S. 59. Ebd., S. 54. Vgl. ebd., S. 59.

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die dekonstruktive Tätigkeit kann es zu Variationen kommen, die von einem Sprachspiel zum anderen oder neuen führt und die Grammatik des Spiels selbst variiert. In diesem Fall tritt der »Sprachspieler« von außen an das Modell heran, um darüber hinauszugehen. Für das Überschreiten der Grenzen, die Erfindung von Sprachspielen des Übergangs gibt es jedoch noch keine Regeln. Der »Sprachspieler« erfindet neue Spielzüge und Spielregeln und erweist darin seine Kreativität.531 Die Widersprüchlichkeiten und Unvollständigkeiten des einen Sprachspiels können in einem neuen Sprachspiel aufgelöst werden. Die Kreativität, die der dekonstruktiven Tätigkeit des »Sprachspielers« innewohnt, beschreibt die Kompetenz, die es erlaubt, im Spannungsfeld der Übergänge oder Unentschiedenheiten über Abbruch oder Neubeginn des Spiels das Spiel fortzusetzen. Die »divergente Produktion des Neuen [hat] […] ihren ästhetisch-ethischen Sinn im Weiterspielen […]«.532 Das kreative Potential des »Sprachspielers« gründet in der Fähigkeit, überkommene Sprachspielgrenzen zu überschreiten – bedingt durch die »Unzulänglichkeit« der Individuen, die Gesamtheit verfügbarer Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten und der daraus resultierenden Notwendigkeit, aus diesen Informationen individuell und situativ Relevantes auszuwählen. Die sprachlichen Simulationen der Welt rekurrieren auf der individuellen Selektion von Information. Technologisch steht dem Individuum alles Wissen zur Verfügung. Es kann jedoch nur auf eine Auswahl von Informationen zurückgreifen, um seine Wirklichkeit zur Sprache zu bringen. Somit bleibt es ihm unmöglich, konsistente oder abschließende Explikationen von Wirklichkeit zu generieren, sondern es muss sich damit begnügen, Ableitungen – Transduktionen –533 zu bilden, die immer auch auf die Wahrscheinlichkeit anderer Möglichkeiten verweisen. Die Unverfügbarkeit der Gesamtheit der Informationen führt unweigerlich zu dem Schluss, dass die Auswahl der Informationen nicht vernünftig sein kann. Vernunft als Prinzip des Allgemeinen534 wird nun selbst zur Fiktion. Der kreative »Sprachspieler« erzeugt »unvernünftige« Begründungszusammenhänge als neue Sprachspiele und vernetzt die Sprachspiele durch Mehrfachkodierung transversal.535 Kreativität beruht daher einerseits auf der Einsicht des Individuums in die Unvollständigkeit seines Wissens und andererseits in der Anerkennung der Widersprüche zwischen individuellen Simulationen. In diesen Widersprüchen gründet 531

Vgl. ebd., S. 61f. Nach Meder kennzeichnet Kreativität »eine Tätigkeit, die ungeregelt ist und deshalb als spontan, ursprünglich und schöpferisch erscheint.« 532 Ebd., S. 150. 533 Ebd., S. 61. 534 Ebd., S. 197. 535 Vgl. ebd., S. 204. Meder kritisiert das Konstrukt der transversalen Vernunft nach Welsch, auf der Basis des verallgemeinernden Prinzips der Vernunft. Wird nun eine Vernunft als neues Sprachspiel paralogisch legitimiert, kann es Vernunft nur noch im Plural geben. Die Vernunft wird nun selbst zur Geburtsstätte des Widerspruchs und neuen Sinns.

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das potentiell Neue im Als-ob des Medialen. Diese produktiven Widersprüche lassen die Grenzen zwischen den Wirklichkeiten sowie zwischen Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen. »Dies ist die Kraft des Irrationalen.«536 Die Gestalt, die das Individuum seiner Wirklichkeit verleiht, simuliert das Andere der Vernunft.537 Der »Mensch ist ein Möglichkeitsmensch.«538 »Du mußt bedenken, daß das Sprachspiel – sozusagen etwas Unvorhersehbares ist. Ich meine: Es ist nicht begründet. Nicht vernünftig (oder unvernünftig). Es steht da – wie unser Leben.«539 Die didaktische Anschlussfähigkeit an diese bildungstheoretischen Ausführungen scheint nun offenkundig gefährdet. Bildende Prozesse verweisen auf unvollständiges Wissen, fördern zwar kreative Strategien, führen jedoch zum Abschied überkommener Ordnung – und damit zur Abweisung des Diskurses, der den bildenden Prozess initiiert und verantwortet. Das Bildungsideal des »Sprachspielers« widersetzt sich der Logik der Unverfügbarkeit und Unvollständigkeit des Wissens. Die Logik – z.B. der Ökonomie, der Abhängigkeit oder der Ohnmacht des Individuums – ist jedoch das metaphysische Fundament, dem sich der »Sprachspieler« widersetzt und dadurch erst »Sprachspieler« sein kann. Für den didaktischen Anschluss an Meders Konzeption muss deshalb in Betracht gezogen werden, dass das Ideal des »Sprachspielers« und der Imperativ, »Sprachspieler« zu sein, eine Norm setzt, die der »Sprachspieler« nicht erfüllen kann, wenn er sie erfüllt.

1.6.3.4 Das Subjekt in der Krise III: Anlässe für Bildung und der Eintritt in das Sprachspiel Meders Konzept des »Sprachspielers« als »Bildungsideal der Informationsgesellschaft« distanziert sich vom tradierten Subjektbegriff der Neuzeit.540 Meder negiert den subjektiven, individuellen Anteil nicht, sondern konstatiert den Wandel des Selbstbildes des Menschen im Zeitalter neuer Technologien. »Es kommt plötzlich nicht mehr darauf an, ein in sich ›abgeschlossenes Ich‹ mit all dem dazu notwendigen Wissen zu sein […]«.541 Der »Sprachspieler«, der weder Subjekt noch Objekt ist, subsumiert mögliche Interessen, Motivationen und Intentionen eines subjektiven Anteils im Raum des Spannungsgefüges zwischen Ich und Welt.542 Die Ex536 537 538 539

Ebd., S. 55. Vgl. ebd., S. 192. Ebd., S. 63. Wittgenstein, Ludwig (1970): Über Gewißheit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, Punkt 559. In: Meder (2004), S. 56. 540 Vgl. Meder (2004), S. 19. 541 Haefner in Meder (2004), S. 45. 542 Vgl. Meder (2004), S. 64.

1. Bildung als Diskurs

pansion des Wissens und die stetig wachsende Unübersichtlichkeit der Sprachen schwächt die Identität des Individuums, stärkt jedoch seine »Identitätstoleranz«.543 Im Verzicht darauf, einen Standort oder Ausgangspunkt des Individuums bestimmen zu wollen, untersucht Meder daher Anlässe und Intentionen, die das Individuum bewegen, sich in die Struktur des »Sprachspielers« einzuschreiben – sich in der sich wandelnden Welt orientieren und individuelle Wirklichkeiten konstruieren zu wollen.544 Der Möglichkeitsmensch ergreift die sich ihm im Medialen eröffnenden Chancen, um auf der Basis individueller Selektion Weltbilder und Realitäten zu simulieren.545 Die Selektion erfolgt jedoch nicht medial oder digital – sondern analog.546 Meder unterstellt der »Tiefenstruktur des Sprachspielers« eine emotionale Intensität, die das Individuum leitet.547 »Intensität ist ein analoger Prozess des Entstehens und Vergehens, des selektiven Heraushebens und verdrängenden Abdunkelns. Intensität beschreibt das vorsprachliche Grundmuster der Polarisierung von Ich und Welt, von der Individualität auf der einen und leitbildhaften Realität auf der anderen Seite.«548 Der Verzicht auf überkommene Vernunft erlaubt dem »Sprachspieler« andere Formen des Erlebnisvollzuges und divergentes Denken.549 Die Frage nach dem Eintritt in ein neues Sprachspiel oder dem Übertritt von einem zum anderen untersucht Meder im Zusammenhang der paradoxalen Figur der Grenze zwischen den Sprachspielen. »Denk noch einmal nach« oder »Reflektiere jetzt«550  – anhand dieser Beispiele aus dem (pädagogischen) Alltag zeigt Meder, welche Schwierigkeiten sich für Lernende ergeben, in einen reflexiven Diskurs überzuwechseln bzw. über sich selbst hinaus zu gelangen zu wollen. Er verweist auf die Inkommensurabilität von Diskursarten und die Abweisung von Meta-Diskursen nach Lyotard und leitet daraus ab, dass es deshalb keine übergeordnete (Spiel-)Regel, keine Brückenfunktion geben kann, die einen solchen Übergang organisiert. Die Explikation der Grenzen des Sprachspiels und demzufolge auch die Bezeichnung oder Erläuterung des Übergangs zwischen Sprachspielen, ist problematisch. Zwar ermöglichen Grenzen die Unterscheidung von Sprachspielen, können selbst aber nicht bestimmt

543 Vgl. ebd., im Verweis auf Wollschläger, S. 64. 544 Vgl. ebd., S. 10. Die Darstellung des »Sprachspielers« als Bildungsideal lässt es zu, einen grundsätzlichen Willen des Individuums zum In-der-Welt-sein vorauszusetzen. Ein Bildungsideal kommt einer Werttheorie gleich und ist daher fiktional. Es beschreibt, was nicht ist, aber sein soll. Dem »Sprachspieler« ist eine subjektive Intentionalität daher inhärent. 545 Vgl. Meder (2004), S. 64. 546 Vgl. ebd., S. 64. 547 Vgl. ebd., S. 64. 548 Vgl. ebd., S. 64. 549 Vgl. ebd., S. 64. 550 Ebd., S. 203.

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werden. »An der Grenze ist etwas und ist zugleich nichts.«551 Grenzen bezeugen ihre eigene Unverfügbarkeit – dies ist ihre Funktion. »Wenn es keine Brückenfunktionen gibt, dann fallen sie vom Himmel, wie bei jedem Aha-Erlebnis […] Oder sie ergeben sich an der Grenze von selbst – gleichsam als Funktion der Grenze, die überschritten wird.«552

1.6.3.5 Der Sprachspieler und das Paradox der Metaphysikkritik »Der Übergang vom Nichts ins Sein kann eben schlechterdings nicht gedacht, sondern nur gemacht werden.«553 Der »Sprachspieler« versteht sich als Antwort auf eine sich diskontinuierlich wandelnde, sprachlich verfasste Gesellschaft. Seine Tätigkeit vollzieht sich als ästhetische, dekonstruktive diskursive Praxis. Der »Sprachspieler« gründet in einer unbestimmten und unbestimmbaren Subjekt-Objekt-Relation, die es erlaubt, die Intentionalität der Bildung als Inter-esse zu artikulieren. Mit der Formulierung des »Sprachspielers« als Bildungsideal setzt Meder seine dekonstruktive Theorie wiederum der Dekonstruktion aus, indem er das Paradox der Metaphysikkritik nicht nur sublim anerkennt, sondern demonstriert und thematisiert. Dies zeigt sich in der Problematisierung des Anfangs des Sprachspiels.554 Die Kritik der Metaphysik äußert: Es kann keinen Anfang geben. Cramer argumentiert, dass nur Naturhaftes beginnen könne, denn ihm gehe etwas voraus, was es begründet:555 »Ereignisse wie das Denken (Cramer) oder das Spielen in der Sprache fangen nicht an, weil ihnen nichts vorausgehen kann, was sie kausal hervorbringen kann. Denken kann nur aus Denken, Sprache nur aus Sprache erklärt werden.«556 Dem Denken kann daher nichts zuvorkommen, was nicht nur innerhalb des Denkens bestimmt werden könnte. »Jede mögliche Bestimmtheit ist Metaphy-

551 552 553 554 555

Ebd., S. 202. Ebd., S. 203. Ebd., S. 211. Vgl. Kapitel 3.5.2.3: Zur Problematik des Anfangs im poststrukturalistischen Denken. Meder nach Cramer, Wolfgang (1957): Grundlegung einer Theorie des Geistes. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. In: Meder (2004), S. 21. 556 Ebd., S. 21.

1. Bildung als Diskurs

sik.«557 Daher sei es nicht sinnvoll, den Anfang eines Sprachspiels zu fixieren – dies bedeute Unterbrechung und Ende des Spiels. Die Paradoxalität der Grenze des Sprachspiels erfordert jedoch die Unterscheidung der Sprachspiele, die sich aufeinander beziehen und produktive Differenzen hervorbringen.558 Das bedeutet, dass der Sprachspieler auf Grenzen angewiesen ist, auf die er paradoxal bezogen ist. Das Paradox der Metaphysikkritik verheißt deshalb: Mach einen Anfang!

1.7 Zusammenfassung Bildungstheoretische Grundlagen und Problematisierung der didaktischen Anschlussfähigkeit Im Folgenden soll das Substrat des jeweiligen bildungstheoretischen Ansatzes hinsichtlich dessen didaktischer Anschlussfähigkeit diskutiert werden. Diese ergibt sich aus der zusammenfassenden Erörterung der Bildungsbegriffe und Denkfiguren. Die ausgewählten Ansätze zeigen, dass bildenden Erfahrungen, Vollzügen und Prozessen Diskursivität und eine dekonstruktive Wirksamkeit unterstellt werden kann. Die Konsequenzen, die sich daraus für sich bildende Subjekte und deren Perspektive auf Objekte bildender Auseinandersetzung ergeben, werden hinsichtlich eines potentiellen didaktischen Meta-Diskurses problematisiert. Es lässt sich nachweisen, dass die bildungstheoretischen Ansätze nach Thompson und Koller grundlegend in eine inhaltliche Unbestimmbarkeit und Unentscheidbarkeit führen. Meder bietet dem gegenüber einem anderen Blickwinkel. Er präsentiert den Sprachspieler als Bildungsideal. Diese Denkfigur impliziert sowohl die Normativität seiner Selektionen als auch die Dekonstruktion seiner Entscheidungen. Die Ambivalenz des Sprachspielers und seine Präsenz werden als potentielle Bezugspunkte für eine dekonstruktive didaktische Haltung in Betracht gezogen.

1.7.1

Zum bildungstheoretischen Beitrag Thompsons

Als didaktisch bedeutsam kann Thompsons Bestimmung von Bildung als »leerem Signifikanten« erachtet werden. Zum einen geht aus der Leere des Signifikanten »Bildung« die produktive Kraft der positiven Unmöglichkeit der Bestimmung ihrer Gehalte hervor. Zum anderen erlaubt die (unmögliche) Grenzziehung zu dem, was als der Bildung nicht zugehörig betrachtet wird, grundsätzlich einen Diskurs über Bildung, denn die diskursive Beschränkung wirkt für diesen konstitutiv. In dieser Perspektive unterläuft bzw. überschreitet Bildung die gesetzten Bildungsziele oder Maßstäbe, nach denen das Subjekt als gebildet identifiziert oder be557 Ebd., S. 202. 558 Vgl. ebd., S. 210–212.

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wertet werden kann. Bildung darf deshalb in Opposition zu all dem treten, was ihr als zugehörig unterstellt wird. Thompson beschreibt Bildung als Prozess, der durch Erfahrung ausgelöst und eingelöst wird. Bildende Erfahrungen sind nach Thompson Grenzerfahrungen und Differenzerfahrungen. Das Individuum erfährt bildende Prozesse als Überschreitung seines bisherigen Horizontes und als Entortung seines Selbst. Das Subjekt entsteht im Moment der Differenzerfahrung – im Moment der paradoxalen Entgegensetzung von Selbstentzug und Selbstbestimmung. Bildende Erfahrungen sind ästhetische Erfahrungen. Während nicht-ästhetische Erfahrungen in vorgängige Kontexte, vorhandenes Wissen eingebettet bleiben, bewirken ästhetische Erfahrungen die Exploration von Sinn – im Zuge der doppelten Geste der Dekonstruktion. Ästhetische Erfahrungen gehören keinem Diskurs an, denn sie sind sprachlich oder diskursiv noch nicht erfasst. Mit Adorno und Menke konstatiert Thompson die Negativität der ästhetischen Erfahrung. Erfahrungen dieser Qualität wirken dann produktiv, wenn ihnen die negierende Abweisung identifizierenden Verstehens vorausgeht.559 Diese Negation vollzieht sich intentional, denn das Bewusstsein ist in dieser Weise auf die Dinge der Welt gerichtet.560 Nur in der bewussten Beziehung zur Welt entsteht die Differenz zwischen Sein und Subjekt. Bildend wirken dessen Erfahrungen dann, wenn es gegenüber dem Scheitern seines Verstehens offenbleibt.

1.7.2 Problematisierung der potentiellen didaktischen Anschlussfähigkeit bei Thompson Thompsons Entfaltung bildender Erfahrungen bietet fruchtbare Anknüpfungspunkte für [musik]didaktisches Nachdenken in poststrukturalistischer Perspektive. Die Negativität ästhetischer Erfahrungen stellt Sinnstiftung und Kreativität in Aussicht und lässt daher Möglichkeiten der Legitimation ästhetischen Unterrichts aufscheinen. Dennoch können aufgrund dieser Überlegungen keine inhaltlichen Entscheidungen legitimiert werden – wesentlich ist, dass Erfahrungen mit dem Anderen gemacht werden; jedoch nicht, was ihr Gehalt sein kann, darf oder soll. Die Tendenz der Austauschbarkeit von (musikalischen) Inhalten bleibt bestehen.

1.7.3 Zum bildungstheoretischen Beitrag Kollers Koller schreibt mit seiner Konzeption die Idee klassischer Bildung fort. Seine Reformulierung des Bildungsbegriffes basiert auf Lyotards Analyse der postmodernen

559 Vgl. Thompson (2009), S. 126–137. 560 Vgl. ebd., S. 57. Im Verweis auf Husserl beschreibt Thompson die Beziehung des Bewusstseins zur Welt als intentional, distanziert sich jedoch mit Buck von der teleologischen Ausrichtung von Bildung.

1. Bildung als Diskurs

Wissensgesellschaft und rekurriert auf radikaler Abweisung von Meta-Diskursen. Mit Bildung bezeichnet Koller jene Prozesse, die notwendig sind, um diese Abweisung zu vollziehen. In Anerkennung der Heterogenität der Diskurse soll Bildung die Offenhaltung des Widerstreits der Diskursarten bewirken. Kollers Bildungskonzeption entfaltet sich in ästhetischer und – im Anschluss an Lyotards ethische Diktion – in ethischer Dimension. Bildende Prozesse transformieren Selbst- und Weltverhältnisse innovativ und paralogisch. Das heißt, dass die diskursive Auseinandersetzung des Selbst mit der Außenwelt neues Wissen hervorbringt. Die Erfindung neuer Spielzüge, die Suche nach neuen Formatierungs- und Verkettungsregeln nimmt das Andere der Vernunft in den Blick.561 Kollers Theorie transformatorischer Bildungsprozesse basieren auf produktiven Entgegensetzungen, wie •



dem Widerstreit inkommensurabler Diskursarten: Neues Wissen entsteht in der Offenheit gegenüber dem Anderen, durch stete Abweisung der Totalisierung durch identifizierendes Denken. Die Anerkennung des Anderen und die produktive Auseinandersetzung mit ihm vollziehen sich im konstruktiven Dissens als tragendem Element der Bildungskonzeption; dem Widerstand gegen überkommene Vernunft: Neue Diskursarten können auf der Basis der Paralogie legitimiert werden, weil sie sich überkommener Rationalität widersetzen.

Koller thematisiert die Widersprüchlichkeit der Ausführungen Lyotards, der einerseits die Abweisung totalitärer Meta-Diskurse fordert, andererseits aber auf der Grundlage einer ethischen Prämisse argumentiert – ohne diese aufzulösen. Die intentionale Offenhaltung des Widerstreites steht der Anerkennung eines ethischen Grundes dafür entgegen. Mit der Erklärung des Endes der »großen Erzählungen« durch Lyotard, der Koller folgt, muss konsequenterweise der Funktionalisierung von Bildung und sogar der Intentionalität von Bildung eine Absage erteilt werden. Die Bindung bildender Prozesse an einen äußeren Zweck und die Absicht, Bildung auf eine Idee oder Prämisse auszurichten, bestätigt die Geltung von Meta-Diskursen – die aus poststrukturalistischer Sicht nun ihren Geltungsanspruch einbüßen. Koller bezieht in »Bildung anders denken« verschiedene Konzeptionen ein, um einen Bildungsbegriff zu formulieren, der den Verzicht auf einen Meta-Diskurs propagiert – bzw. der den Verzicht als den eigentlichen bildenden Prozess ausweist.

561

Koller (2012), S. 97.

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1.7.4 Problematisierung der potentiellen didaktischen Anschlussfähigkeit bei Koller Der von Koller formulierte Bildungsbegriff, der die Abweisung von Meta-Diskursen impliziert, lässt sich zwar als bildungstheoretische Haltung der Postmoderne begründen und entfalten. Jedoch bliebe eine Didaktik, die darauf basierte, Antworten schuldig. Didaktisches Denken identifiziert pädagogische Intentionen und pädagogisches Handeln und unterstellt sie bildungstheoretischen Prämissen. Demzufolge kommt keine Didaktik ohne einen legitimierenden bildungstheoretischen MetaDiskurs aus. Lehren und Lernen beschreiben aufeinandertreffende Diskursarten, deren Auseinandersetzungen – bisher – kaum zum Offenhalten eines Widerstreites bzw. zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten führen konnten. Der Rechtsstreit des Diskurses des Lehrens löst den Diskurs des Lernens gewöhnlich in sich auf. Wird die Hegemonie des Diskurses des Lehrens gegenüber dem Diskurs des Lernens zurückgewiesen, bleibt ihre diskursive Auseinandersetzung unentschieden. Im »friedlichen« Nebeneinander der Diskurse käme die Produktivität der Differenz zum Erliegen. Dies hätte und hat (!) weitreichende Folgen für die Legitimation pädagogischer Intentionen: Didaktische Entscheidungen wären nach Lyotard bzw. Koller immer Unrechtsentscheidungen. Nach Koller ist der Widerstreit der Diskursarten offenzuhalten, um die Legitimation durch Paralogie zu ermöglichen. Die Offenhaltung des Widerstreites kann nicht auf Unentscheidbarkeit als fixierten Grund zurückgeführt werden. Auch dieser Grund muss abgewiesen werden. Widerstreiten beschreibt eine diskursive Tätigkeit, aus dem Neues hervorgehen kann, weil sich ihm Gründe bieten, die den Widerstreit nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Erfindung neuer – auch nicht-rationaler, widervernünftiger – Spielzüge könnte eine solche Offenhaltung den Widerstreit des didaktischen Diskurses des Lehrens und Lernens gewährleisten. Um eine dergestalte diskursive Auseinandersetzung zu ermöglichen, muss die doppelte Geste der Dekonstruktion als Bedingung und Effekt anerkannt werden.562 Die dekonstruktive Tätigkeit muss sich stets auf einen Grund beziehen, der dann durch im Zuge des Widerstreits kritisch abgewiesen werden kann. Dieser Grund kann nicht übergangen oder negiert werden, denn er bietet jene produktive Entgegensetzung, die die Unabschließbarkeit der Sinnzuschreibung und -produktion garantiert und für die dekonstruktive Tätigkeit konstitutiv ist.

562 Vgl. Kapitel 1.2.3: Die doppelte Geste der Dekonstruktion.

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1.7.5 Zum bildungstheoretischen Beitrag Meders Sowohl Koller als auch Meder sieht in der Produktion neuen Wissens einen Ausweg aus diesem Dilemma. Koller verweist auf das Konzept der Paralogie563 als Möglichkeit der Legitimierung des Wissens, Meder auf die Figur des kreativen Sprachspielers. Anders als Koller, der den Widerspruch darstellt, jedoch ungelöst lässt, stellt sich Meder der Paradoxie der Metaphysikkritik, indem er seine Bildungstheorie offensiv als Bildungsideal formuliert. Damit vollzieht er einen dekonstruktiven Spielzug, der sich gegen die Dekonstruktion selbst richtet. Mit der Formulierung eines Ideals als normative Setzung bricht er mit der poststrukturalistischen Prämisse, die Geltung übergreifender Ideale in Zweifel zu ziehen. Der Sprachspieler als Bildungsideal impliziert Intentionen und Motivationen. Ihm ist sogar hinsichtlich der Möglichkeiten des Umgangs mit der heterogenen Verfasstheit der gegenwärtigen Gesellschaft und neuer Technologien eine Funktionalität eingeschrieben. Der Sprachspieler agiert nicht als subjektive Instanz, sondern ersetzt als ästhetische Figur den Bildungsbegriff und ebenso die Subjekt-ObjektRelation. Dem Sprachspieler obliegt die dekonstruktive Produktion neuen Wissens. Bildung entfaltet sich – auch bei Meder – in ästhetischer und ethischer Dimension. Bildung bringt neues Wissen, neue Spielzüge hervor – der Sprachspieler wirkt kreativ und innovativ. Das, was er produziert, ereignet sich Anderen als Anderes. Da kein Individuum über die Gesamtheit des vorhandenen Wissens verfügen kann, obliegt ihm die Selektionder Informationen und die Konstruktion neuen Wissens auf der Basis seiner Auswahl. Spielzüge können deshalb – produktiv – irritieren.

1.7.6 Problematisierung der potentiellen didaktischen Anschlussfähigkeit bei Meder Meder postuliert mit dem Bildungsideal des Sprachspielers einen normativen Begriff von Bildung. Dies beinhaltet ein Paradoxon, welches in der Anwendung des dekonstruktiven Verfahrens gegen sich selbst begründet ist: Es ist vernünftig, unvernünftig zu sein. Der Sprachspieler ist ein Dekonstrukteur, der sich mit der Welt, dem Subjekt-Sein und dem Selbst-Sein auseinandersetzt, um die Wirklichkeit simulativ und produktiv zu überschreiten. Das dekonstruktive Potential des Sprachspielers entzündet sich in dem, was sich ihm entgegenstellt. Zudem ist es das Ideal selbst, das sich zur Disposition stellt. Die Legitimation des Sprachspielers kann daher nur mit der dekonstruktiven De-Legitimierung einhergehen und ist auf eine reflexive Vermittlung des Bildungsideals angewiesen.

563 Vgl. Lyotard (2015), S. 143; vgl. dazu auch Koller (2012), S. 95–97.

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»Die Kultur des Sprachspiels ist eine Frage der Lebensform. Sie ist die Praxis, die für sich selbst sorgen muss. Sie kann vor dem Hintergrund der theoretischen Dekonstruktion nur angestoßen und reflexiv didaktisch vermittelt werden.«564 Die Möglichkeit zur Bildung rekurriert daher nicht auf Vernunft und Rationalität, sondern speist sich aus der Fähigkeit zur Dekonstruktion.565 Meder erklärt deshalb die Entwicklung von Sprachkompetenz zum Ziel der Vermittlung. Die Adressaten von Erziehung und Bildung sollen dazu befähigt werden, im »Inneren von Sprachspielen und an den Rändern mitspielen zu können.«566 Meder zufolge ist es nun Aufgabe der Pädagogik, Lernende an die Grenzen zu bringen – der Anfang des neuen Sprachspiels würde sich dann von selbst ergeben. Das pädagogische Tun könne jedoch keine »rationale oder semantische Brücke« bereitstellen, sondern allenfalls »diskursive Praxis«.567 Für die didaktische Inszenierung von Unterricht ist die grundsätzliche »Erläuterbarkeit« des Sprachspiels, die Meder postuliert, von immenser Bedeutung. Sprachspiele entstehen als Effekt ihrer Spielzüge als Objekte – als das »Andere der Spielzüge.«568 Spielzüge, die sich in Objekten formalisieren, sind erinnerbar. Entstünde dieses Andere nicht, lösten sich die Spielzüge in sich selber auf.569 Aufgrund der Erinnerbarkeit der Spielzüge ist es möglich, diese nachträglich zu erläutern. Während die Erinnerung das Spiel nur abbildet, formalisiert sich der erläuterte Gebrauch als »Anderes vom Anderen«. Die Erinnerung an das Spiel ist nicht identisch mit dem Gebrauch der Spielzüge, denn die Erläuterung übergeht die verstrichene Zeit, die Materialität des Spiels und die faktische Kontingenz des Spiels.

564 Meder (2004), S. 266. 565 Vgl. Meder (2004), S. 52–55. Meder unterscheidet Rationalität und Vernunft. Rationalität beschreibt eine Tendenz, der Ökonomisierung und des analytischen Zugriffs im Zusammenhang der Informationsverarbeitung. Wenn sprachliche Zeichen an sich keinerlei Bedeutung haben, dann liegt die Vermutung nahe, dass Bedeutungskonstitution immer auch Rekonstruktion ist. An dieser Stelle setzt Meders Bildungsideal an. Der »Sprachspieler« fungiert als Instanz, die nicht einem Decodierungssystem unterworfen ist, sondern als Meta-Instanz neue Decodierungssysteme ermöglicht. Rationalität ist bei Meder mit der Technologisierung bzw. Digitalisierung verknüpft. »Der neuzeitliche Mensch, der sich so lange mit ihr identifiziert hat, veräußert Rationalität an einen Automaten.« (Meder, S. 52) Mit »Vernunft« beschreibt Meder einen überkommenen Glauben an eine »Einheit von Mensch und Welt« (Meder, S. 55) Die Gesamtheit aller Informationen steht dem »Sprachspieler« rational zur Verfügung – sie bietet jedoch weder Einheitlichkeit noch Weltbezug, denn »Rationalität« stellt nach Meder nur eines von vielen möglichen Sprachspielen dar. (Meder (2004), S. 52 und 54.) 566 Ebd., S. 150. 567 Ebd., S. 203. 568 Vgl. Meder (2004), S. 202. 569 Vgl. ebd., S. 202.

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»Das Spiel, der Gebrauch der Spielzüge, kann zwar einerseits in irgendeiner Weise erläuterbar sein, aber das Spiel als solches in seiner puren Präsenz – d.h. in seiner präsentiellen Kontingenz – muss andererseits auch gegen Erläuterung geschützt werden. Denn Erläuterung ist immer auch eine Art der Entfremdung, die die Endlichkeit der Limitation erzeugt und anzeigt.«570 Meder zufolge ist eine erläuternde Beschreibung von Spielzügen, die dem kreativen Potential der Dekonstruktion nicht zuwiderläuft, möglich. Damit erlaubt Meders bildungstheoretisches Konzept eine didaktische Formalisierung, die dekonstruktive Spielzüge beschreiben und damit in Aussicht stellen kann. Die Erläuterung des Gebrauchs von Spielzügen erfordert Reflexivität, um die Einschränkung der Kontingenz des Spiels in der nachträglichen Erläuterung zu unterlaufen. Eine solche didaktische Formalisierung müsste im Anschluss an Meder das Dilemma der MetaDiskursivität der Erläuterung stets thematisieren.

1.8 Poststrukturalistische Einflüsse auf Musikpädagogik und Musikdidaktik Der Einfluss poststrukturalistischer Gedanken und Haltungen auf die Musikpädagogik artikuliert sich in bildungstheoretischen Entfaltungen, welche die gesellschaftliche und kulturelle Diversität571 und die sich daraus ergebenden Folgen

570 Ebd., S. 202. 571 Vgl. Weber, Bernhard (2014, 2020); Blanchard, Olivier (2019); Schläbitz, Norbert: (2004, 2016); vgl. Knigge, Jens (Hg.)/Mautner-Obst, Hendrikje (Hg.) (2013): Responses to Diversity. Musikunterricht und -vermittlung im Spannungsfeld globaler und lokaler Veränderungen. Stuttgart. https://www.pedocs.de/volltexte/2013/8117/pdf/Knigge_Mautner_2013_Response s_to_Diversity.pdf. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021]; vgl. Graf, Peter (2013): Musik als Raum für interkulturelles Lernen – die Entdeckung des Eigenen in der Begegnung mit dem Fremden. https://www.pedocs.de/voltexte/2013/8197/pdf/Knigge_Mautner_Obst_Responses_201 3_Graf_Musik_als_Raum.pdf. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021]; vgl. auch Millig, (2013): Differenz und Notwendigkeit. In: Musik-Texte: Zeitschrift für neue Musik 138 (2013), S. 14–16; vgl. auch Giegel, Hans-Joachim (2012): Kultur – Identität und Differenz. In: Altenburg, Detlef/ Bayreuther, Rainer (Hg.): Musik und kulturelle Identität. Kassel: Bärenreiter, S. 78–83.

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für das lernende Subjekt,572 mögliche Bildungsinhalte573 sowie die Kontingenz und Unverfügbarkeit bildender Ereignisse, Erfahrungen und Prozesse574 in den Fokus der Untersuchungen rücken. Der aktuelle musikpädagogische Diskurs beschreibt die Koexistenz einer heterogenen Vielfalt von Ansätzen, die unterschiedlichen Bildungsbegriffen und -theorien zuzuordnen sind.575 Die aktuelle Musikdidaktik tritt für einen pluralistischen Diskurs und transkulturell orientierte Zugriffe auf Begriffe und Motive dieser Ansätze und deren bildungstheoretische Fundamente ein.576 Die Entscheidung für einen bestimmten bildungstheoretischen oder didaktischen Zugriff kann aus poststrukturalistischer Sicht nicht durch Legitimation, sondern nur durch Aberkennung eines übergreifenden Diskurses, der Abweisung der Identifikation von Bildungszielen oder den Einsatz anderer paralogischer, dekonstruktiver Strategien gelingen. Im Folgenden soll ein Einblick in den Niederschlag poststrukturalistischer Ideen und Motive in den musikpädagogischen Diskurs gegeben werden. Dafür soll zunächst Schläbitz’ Vorschlag eines transhumanistischen Bildungsbegriffes vorgestellt werden, mit dem er den tradierten neuhumanistischen Bildungsbegriff kritisiert. Schläbitz entwickelt auf der Grundlage seiner Überlegungen zu transhumanistischer Bildung inhaltliche Fragestellungen und Perspektiven bezüglich musikalischer Bildung und der sich bildenden Subjekte.577 Die heterogene und 572 Vgl. Campos (2019); vgl. Schläbitz (2016); vgl. Heß/Gies (Hg.) (2014): Kulturelle Identität und soziale Distinktion. Herausforderungen für Konzepte musikalischer Bildung. Vgl. Oberhaus, Lars (2016), S. 51–68; vgl. Heß/Rolle (Hg.) (2017/2018) Zwischen Praxis und Performanz. Zur Theorie musikalischen Handelns in musikpädagogischer Perspektive. Sitzungsbericht 2017 der Wissenschaftlichen Sozietät Musikpädagogik, Münster: Lit 2018; vgl. Oelkers, Jürgen: Die Wiederkehr der Postmoderne. Pädagogische Reflexionen zum neuen Fin de siècle, Zeitschrift für Pädagogik 33 (1987) 1, S. 21–40. 573 Vgl. Krause-Benz, Martina (2009): Performative Akte der Inhaltskonstitution im Musikunterricht. In: Vogt/Rolle/Heß (Hg.) (2009), S. 88–97. Vgl. Schläbitz (2016); vgl. Blanchard (2019). 574 Vgl. hierzu Bugiel, Lukas (2021): Musikalische Bildung als Transformationsprozess. Zur Grundlegung einer Theorie. transcript Verlag Bielefeld 2021; vgl. Bugiel, Lukas (2017): Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, Ereignisse zu machen. Kommentar mit Rezensionsabsicht zu Markus Hirsch (Hg.): Musik(unterricht) angesichts von Ereignissen. Münster: Waxmann 2016. https://w ww.zfkm.org/17-bugiel.pdf. [zuletzt aufgerufen am 07.09.2021]; vgl. Markert, Malte (2018); vgl. Schläbitz, Norbert (2007): Interkulturelle Begegnungen. Oder Vom konstruktiven Befremden. In: Norbert Schläbitz (Hg.) (2007): Interkulturalität als Gegenstand der Musikpädagogik. Essen (Blaue Eule). https://www.academia.edu/3535964/Interkulturelle_Begegnungen_Oder_ Vom_konstruktiven_Befremden_In_Norbert_Schl%C3%A4bitz_Hg_Interkulturalit%C3 %A4t_als_Gegenstand_der_Musikp% C 3%A4dagogik_Essen_Blaue_Eule_2007. [zuletzt aufgerufen am 07.09.2021]. 575 Vgl. Schläbitz, (2004); vgl. Blanchard (2019). 576 Vgl. Jank, Werner; Meyer, Hilbert (2002): Didaktische Modelle. 5., völlig überarb. Aufl. Berlin: Cornelsen-Scriptor, S. 120. 577 Schläbitz (2016).

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pluralistische Verfasstheit der sich bildenden Subjekte und deren intersubjektive Verhältnisse erfordern, Schläbitz zufolge, konstruktive und produktive Modelle und Strategien für eine musikalische Bildung im Anschluss an die [neu]humanistische Tradition. Musikpädagogische und -didaktische Ansätze, die diese Problemlagen aufgreifen, sollen vorgestellt und die Implementierung poststrukturalistischer Motive kritisch diskutiert werden.

1.8.1 Musikalische Bildung nach der Verabschiedung (neu-)humanistischer Bildung Schläbitz kritisiert das (neu-)humanistische578 Bildungsverständnis als fehlleitend, obsolet und in Bezug auf das Mensch-Sein sogar übergriffig. Er entlarvt das neuhumanistische Bildungsideal als »Lebenslüge«,579 weil es gefangen in transzendentalen Überfrachtungen ihr eigenen Versprechen verrät. »Darin ist der (Neu-)Humanismus der Religion nicht unähnlich mit ihrer Hoffnung auf Transzendenz.«580 Während sich der humanistische Aufbruch gegen totalisierende Ordnungen, Inhumanität und damit gegen die herrschende Vernunft der Zeit wendeten, bestätigt das neuhumanistische Bildungsideal eine »Bildungsherrschaft«, die in der totalisierenden Struktur des Ideals und der Fixierung von Funktionen – beispielsweise der der Selbstbildung oder der Zweckfreiheit und spezifischen Gehalten begründet ist.581 Ob nun eine [neu]humanistische Bildung auf kanonisierte Bildungsinhalte verweist oder eine bildende Wirkung der bewussten Abweisung einer kanonischen Festlegung von Bildungsinhalten zugeschrieben wird – beide Perspektiven unterstellen sich laut Schläbitz einem totalisierenden Ideal, welches angesichts der Pluralisierung der Gegenwart und Verschiebungen durch die Möglichkeiten des Medialen zur Disposition steht.582 Der Autor zeigt die Deplatzierung des überkommenen klassischen Bildungsgedankens im zeitgenössischen Gefüge am Beispiel einer Gegenüberstellung humanistischer Intentionen auch aus inhaltlicher Perspektive:

578 [Schreibweise im Original]. Schläbitz (2016) S. 65. Schläbitz verweist mit seiner Schreibweise der »(neu-)humanistischen« Bildung auf die historischen Wurzeln des Humanismus und die sich auf diesen berufenden Interpretationen und Transformationen, die sich in Modellen klassischer Bildung niederschlagen und die Gegenwart prägen. Zunächst wird der Begriff im Zusammenhang W. v. Humboldts Bildungstheorie eingeführt, veranschaulicht aber im Folgenden die Inkongruenzen der Transformationen und Intentionen der humanistischen Überzeugungen in den verschiedenen (historischen) Kontexten. 579 Vgl. Schläbitz (2016), S. 358. 580 Vgl. ebd., S. 358. 581 Vgl. ebd., S. 359. 582 Vgl. ebd., S. 270f., S. 276f.

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»Ist der Humanismus der Renaissance ein in Bewegung setzender, so ist der (Neu-)Humanismus der Gegenwart ein zur Erstarrung neigender, denn um den rechten Umgang mit Werken und um ästhetische Werturteile schon wissend, ist ihm die unbekümmerte Be-Nutzung kultureller Werke oder ihr schlichtes Ignorieren fremd, ja beinahe Frevel und Zeugnis von Unbildung zugleich.«583 (Neu-)humanistische Bildung ist geprägt von einem Bild von Bildung, das sich, eng mit Kultur und Kunst verwoben, Menschen und Sachverhalte gleichermaßen untergeordnet. »Die Kultur ist das goldene Kalb, um das der (Neu-)Humanismus der Gegenwart tanzt.«584 Eine Erfüllung des überkommenen Bildungsideals anzustreben, verfehlt deshalb das eigentliche Bildungsversprechen. Nicht nur aus inhaltlichen Erwägungen, sondern auch aus ethischen Gründen, bemüht sich Schläbitz um einen Perspektivenwechsel »Gerade durch die erworbene Überlegenheit suggerierende Bildung wird […] der Keim des Inhumanen [begünstigt].585 « Im Versprechen, welches (neu-)humanistische Bildung einzulösen sucht, gründet deren Unmenschlichkeit. So bezweifelt Schläbitz, dass Bildung im (neu-)humanistischen Sinne tatsächlich Selbstbildung sein könne. »Sich selbst zu bilden, setzt eine gewisse Freiheit voraus, indem in einem Selbstbildungsprozess die Richtung, wohin sich Bildung und Werte wenden, nicht vorgegeben ist.«586 Da jedoch im Kanon der Bildung – oder in seiner Abweisung – »Weltanschauung und Interpretation« bereits eingeschrieben sind, kann sich der externen Intention im institutionellen Kontext nicht entzogen werden. Diese Vorgängigkeiten verdrängen die Individuen aus dem Blickfeld in eine Nachrangigkeit587 gegenüber den Objekten der Bildung. Sie grenzen die »Gebildeten von den Ungebildeten«588 und uniformieren Ausrichtung sowie Art und Weise der Auseinandersetzung der Individuen mit den Dingen der Welt.589 Nach Schläbitz wirkt die konservierte – oder auch konservierende – Bildsamkeit in (neu-)humanistischem Gewand daher dem Menschen gegenüber abwertend, unterwerfend und dem Menschsein gegenüber intolerant.590 Schläbitz schlägt deshalb eine »transhumanistische Bildung« vor, die von einem zeitgemäßen Verständnis vom Menschen und seiner Auseinandersetzung mit der Außenwelt ausgeht.591 583 Vgl. ebd., S. 361. 584 Vgl. ebd., S. 359. [Schreibweise im Original]. 585 Vgl. ebd., S. 117. Schläbitz verwendet »erworbene Überlegenheit« in Bezug auf »erworbene Bildungsgüter«, denen das Versprechen der Überlegenheit inhärent ist. Der Mensch bleibt nach Schläbitz diesem Versprechen unterworfen, seine Individualität damit einem manifesten (neu-)humanistischen Menschenbild unterstellt. 586 Vgl. ebd., S. 356. 587 Vgl. ebd., S. 357. 588 Vgl. ebd., S. 86f. und S. 100. 589 Vgl. ebd., S. 93f. 590 Vgl. ebd., S. 100 und S. 359. 591 Vgl. ebd., S. 367.

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1.8.2 Dekonstruktive Perspektiven auf ästhetische Objekte des Musikunterrichts Die bildende Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Welt ist heute von der Medialität der Objekte bestimmt. Die Medialisierung und Digitalisierung der Objekte der Auseinandersetzung übersteigen die menschlichen Aufnahme- und Verarbeitungsmöglichkeiten und erlegen den Individuen einerseits weitreichendere Entscheidungsräume auf und ermöglichen andererseits persönlichere Entfaltungsräume.592 Auch wenn sich die Dinge nicht (mehr) in der Tiefe ihrer Präsenz, sondern als Oberflächenphänomen offenbaren, konkretisiert das Individuum sich selbst im Medium der Erscheinung der Dinge. Die Medialität – nicht zuletzt heutiger Kommunikationstechnik – ermöglicht die Kontingenz der objektiven Erscheinung. »Auf den Weg gebracht ist ein aus Mediengründen entworfenes und so ein medienkompatibles Kontingenzbewusstsein, das den umstehenden Dingen produktiv begegnet, also die Seinsweise durch konkretisierende Veränderung infrage stellt.«593 Die Präsenz der Dinge erfüllt sich in deren vermittelter Idealität und imaginären Identität als »objektive Invariante der Präsenz«.594 Heutige Medialität affiziert nicht mehr den Sinn, sondern die Sinne; berührt weniger die Metaphysik, denn die Physis.595 Individuen sehen sich dem »gleichberechtigten Nebeneinander einer Datenflut« ausgesetzt, die durch ihre Unübersehbarkeit verunsichernd wirkt und jeder Orientierung Vorläufigkeit attestiert.596 Die Begegnung mit den Dingen der Welt vollzieht sich daher – so Schläbitz – prinzipiell dynamisch. Die Medialität der Gegenwart macht eine Selektion der Informationen unumgänglich. Eine Legitimation der Auswahl – die Begründung ihrer Notwendigkeit – kann es nicht geben, weil die dafür notwendigen Informationen keine Vollständigkeit aufweisen können. Die Kontingenz bildender Prozesse stellt jedoch kein Dilemma dar, sondern kann für eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit der Welt als konstitutiv erachtet werden. Die Unvollständigkeit der zugänglichen Informationen und die Unübersehbarkeit spezifischer Konkretionen prägen die gegenwärtige Weltbegegnung, in der das Allgemeine an Boden verliert. Dies hat Konsequenzen für eine Bildung, die auf diese Veränderungen zu reagieren beabsichtigt. Bildende Prozesse entsprechen der Vorläufigkeit und Kontingenz der fragmentarischen Auseinandersetzung mit sich 592 593 594 595

Vgl. Schläbitz (2016), S. 366. Ebd., S. 366. Vgl. ebd., S. 366. Hörisch, Jochen (2003): Einleitung zu Ludes, Peter: Einführung in die Medienwissenschaft. Berlin: Erich Schmid, S. 26. In: Schläbitz (2016), S. 367. 596 Vgl. ebd., S. 367.

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selbst und den Dingen der Welt. Idealisierungen und metaphysische Überhöhungen haben daher keinen Bestand. Schläbitz räumt der »konkreten Realisierung vor der abstrakten Idealisierung« deshalb einen Vorrang ein.597 Folgerichtig verweist er auf die Unmöglichkeit objektiver Bestimmungen und subjektiver Verortungen und leitet daraus auch einen Vorzug des Relativen vor dem Absoluten ab. Die Einsicht in die Unbestimmbarkeit subjektiver Positionen und objektiver Reichweiten und nicht zuletzt in die notwendige Kontingenz bildender Prozesse beeinflusst auch Schläbitz’ Perspektive auf den Umgang mit musikalisch Fremdem.598 »Das Territorium der klaren Unterscheidungen wird durch das nicht-identifizierbare Andere somit in Frage gestellt. Es operiert auf der Folie des ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur), da es als grenzauflösende Spur – als ortbarer Nicht-Ort erscheint. Nicht zu wissen, woran man ist, erzeugt bisweilen Misstrauen und Unbehagen. Eine Unschärfe im heisenbergschen Sinn umgibt das Fremde. Mit Freunden vermag man umzugehen, mit Feinden sind wenigstens gelegentlich noch klare Abkommen zu treffen, und das Risiko des Umgehens ist so auf Zeit zu kalkulieren[…].«599 Das Fremde als unbestimmbares Drittes bietet dem Individuum gleichsam Irritation und Anlass, um zu lernen. Seine Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit gehen jedoch mit der inhaltlichen Unbestimmtheit des Bildungsanlasses einher. Schläbitz spricht sich dafür aus, Offenheit zu zeigen, sich irritieren und »konstruktiv befremden zu lassen.«600 Das Interesse am Fremden verleite nicht zu »gefährlicher Selbstzufriedenheit« oder dem Gefühl »kultureller Überlegenheit«, sondern ermögliche »kulturelle und individuelle Bereicherung«.601 Dies ist pädagogisch nachvollziehbar und ethisch plausibel – jedoch ohne Rückgriff auf einen übergreifenden ethischen oder bildungstheoretischen Diskurs nicht zu legitimieren. Auch mit dieser Forderung verfängt sich Schläbitz im Paradox der Metaphysikkritik, ohne dies jedoch zu thematisieren. Im kritischen Gegenzug, der auf das (neu-)humanistische Bildungsideal zielt, hierarchisiert er Aspekte und Elemente und formuliert damit selbst ein Bildungsideal, welches sich – weil es Ideal ist – einer Erfüllung durch Unterrichtsplanung und didaktische Entscheidungen zwangsläufig entziehen muss. Auch dieses Bildungsideal und dessen potentielle didaktische Konkretion verhielten sich zueinander paradox, denn es fixierte eine Bedeutung von Bildung, die durch die Planung von Unterricht nur verschoben, aber niemals eingelöst werden kann.602 597 598 599 600 601 602

Vgl. Schläbitz (2016), S. 376. Schläbitz, (2007). S. 7. Ebd., S. 7. Ebd., S. 11. Ebd., S. 11. Vgl. dazu auch Meder (2004), S. 10; vgl. Adorno in Hastedt (2012), S. 196–211.

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Der Widerspruch zwischen der Notwendigkeit, bildungstheoretische Intentionen zu formulieren,603 und der gleichzeitigen Forderung, idealisierende Bedeutungszuschreibung abzuweisen, bleibt daher auch bei Schläbitz bestehen.

1.8.3 Exploration vs. Reduktion von musikalischem Sinn Im weiteren musikpädagogischen Diskurs finden sich poststrukturalistische Motive im Umgang mit dem Fremden und Anderen im Zusammenhang des Nachdenkens über Kultur, Interkulturalität bzw. Transkulturalität.604 »Transkulturelle musikalische Identität besteht vielmehr in der Fähigkeit, mit einem nicht verfügbaren dritten Raum, mit dessen situativer und kontextabhängiger Herstellung verständig umzugehen.«605 Die bildende – diskursive – Auseinandersetzung erzeugt einen Raum der Ambivalenz. Während Kremer Ratlosigkeit hinsichtlich der Substanz von Begriffen wie musikalische »Bildung« oder »Musik« konstatiert,606 verweist Knigge auf »vernetzte Vielfalt«.607 Der neuen Unübersichtlichkeit wird unter der Prämisse der Vermeidung von Sinnreduktion begegnet. In »think different« entfaltet Weber einen poststrukturalistischen Vermittlungsansatz, der Hermeneutik und Dekonstruktion als Antagonismen voneinander scheidet. Weber zufolge suchen hermeneutisch fundierte Konzepte wie die didaktische Interpretation nach Ehrenforth und Richter und deren Fortschreibung als Toposdidaktik nach konsenshaften Schnittstellen, während eine poststrukturalistische – dekonstruktive – Perspektive auf dem Dissens gründet und diesen auch hervorbringt.608 Weber formuliert Prinzipien für eine »Musikdidaktik der Differenz«, die die Mehrdeutigkeit von »Lesarten«, auch die Widersprüchlichkeit von Interpretationen nicht nur anerkennt, sondern ausdrücklich fordert. Im Wechselspiel von Produktion und Rezeption sollen Konstruktionsangebote geschaffen werden, die auf Vielfalt – auch der der jeweiligen Kontexte – ausgerichtet sind.609 603 Vogt konstatiert »Mit anderen Worten: Ohne intentionale Vorstellungen von musikalischer Bildung (sofern diese eine Nähe zum ›guten Leben‹ haben) und ohne damit zusammenhängende Entscheidungen inhaltlicher und thematischer Art kann kein Kerncurriculum für das Schulfach Musik erstellt werden[…]«. Vogt, Jürgen (2019): Der musikalische Bildungskanon – ein bürgerliches Trauerspiel? Zum Funktionswandel musikalischer Kanonisierungen in der Schule (S. 1–26). https://www.zfkm.org/19-vogt.pdf. [zuletzt aufgerufen am 03.09.2021], S. 15. 604 Vgl. Knigge, Jens (Hg.)/Mautner-Obst, Hendrikje (Hg.) et al. (2013), S. 78. 605 Vgl. Klingmann (2012) in: Krause-Benz (2013): (Trans-)Kulturelle Identität und Musikpädagogik – Dimensionen konstruktivistischen Denkens für Kultur und Identität in musikpädagogischer Perspektive. In: Knigge, Jens (Hg.)/Mautner-Obst, Hendrikje (Hg.) (2013), S. 78; vgl. dazu Kaiser (2018), S. 251. 606 Vgl. Knigge, Jens (Hg.)/Mautner-Obst, Hendrikje (Hg.) (2013), S. 133f. 607 Vgl. ebd., S. 148. 608 Weber (2014), S. 50f. 609 Vgl. Weber (2014), S. 52f.

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Um eine Reduktion des Sinnpotentials zu vermeiden, müssen die verschiedenen Kontexte und in deren Horizont auch das Verborgene und Verdeckte zur Geltung kommen.610 Weber spricht sich deshalb für die Aufhebung der Hierarchie von Primär- und Sekundärtexten aus und verweist auf das Verfahren der Dekonstruktion nach Kersten Reich: »Dekonstruktionen sind […] Zertrümmerungen von harmonischen Symbolwelten, von Aussagen und symbolgeladenen Begriffen, die durch Situierung in ihrer konstruktiven Umgebung mit neuen Perspektiven [angeschaut] werden und deren vermeintliche Klarheit und Eindeutigkeit damit verwirrt wird«.611 Die intentionale »Zertrümmerung« – Außerkraftsetzung – vorgängiger Wissens-, Deutungs- und Symbolsysteme der Lernenden erfordert im didaktischen Diskurs eine ethische Positionierung, welche sich bei Weber durch das Gebot des Aushaltens von Unterschieden artikuliert.612 Webers Ansatz erfüllt sich im Abweisen von vorgängigen Identifikationen, um durch Dekontextualisierung Mehrdeutigkeit zu erzeugen und anzuerkennen. Weber plädiert für eine poststrukturalistische Referenz zum Umgang mit Heterogenität und Pluralität und verweist auf Denkfiguren Derridas und dessen Verfahren der Dekonstruktion.613 Dies sei geeignet, das »Verborgene offenzulegen«614 . Weber überführt die Dekonstruktion in ein didaktisches Verfahren »permanenter Perspektivwechsel«615 zwischen differenten Sinnhorizonten, die sich aus jenen didaktisch evozierten Dekontextualisierungen ergeben. Den Lernenden sollen damit subjektive Lesarten ermöglicht und damit der Interpretationsspielraum erweitert werden. Dieses Ansinnen verfängt sich jedoch in der dialektischen Falle der Metaphysikkritik: Mit dem Abweisen der einen Totalität wird bereits eine neue etabliert: Weber formuliert didaktische Prinzipien, die einen Begründungszusammenhang zwischen der Forderung nach Vielfalt, Abweisung von Normativität und dem Verfahren der Dekonstruktion herstellen.616 Die Einführung von Prinzipien, die überkommene Totalitäten – in diesem Sinne eben auch Prinzipien – abweisen sollen, erscheint jedoch widersprüchlich. Prinzipien fungieren als Grund oder Ursprung eines Bedeutungskontextes. Das Prinzip stiftet zudem einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Bedeutung und deren

610 Vgl. ebd., S. 52. 611 Reich, Kersten (1998): »Thesen zur konstruktivistischen Didaktik«, in: Pädagogik 7–8, S. 43–46. In: Weber (2014), S. 53. 612 Weber (2014), S. 53. 613 Weber (2020), S. 105–118. 614 Ebd., S. 108. 615 Ebd., S. 109. 616 Weber (2020), S. 54f.

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Ursprung. Das didaktische Prinzip, mit dem Weber das Verfahren der Dekonstruktion für den Musikunterricht auszulösen sucht, stellt in dieser Weise einen solchen Grund dar, auf den unterrichtliche Entscheidungen zurückgeführt und auf dessen Basis didaktische Prozesse vollzogen werden sollen. Webers didaktisches Prinzip erfordert Dekontextualisierung, d.h. eine Pluralisierung von (musikalischen) Kontexten, die eine Vervielfachung der Bedeutungen im Unterrichtsgeschehen bzw. in Bezug auf den ausgewählten Unterrichtsgegenstand ermöglichen soll. Diese Kontexte müssen im Zuge der Unterrichtsgestaltung vor-bereitet und damit voraus-gesetzt werden. Eine Didaktik, die verschiedene Kontexte voraussetzt, vervielfacht jedoch »nur« ihre normativen Setzungen. Eine poststrukturalistische Haltung findet ihren Ausdruck in der dekonstruktiven Abweisung von Totalität, welche die Negation von Prinzipien bedingt und ermöglicht. Das Prinzip der didaktischen Dekontextualisierung löst daher das Verfahren der Dekonstruktion nicht ein: Die didaktisch evozierte Dekontextualisierung bleibt ein metaphysikkritischer Akt und damit der Sphäre einfacher Metaphysikkritik verhaftet, weil dem didaktischen Prinzip alle [vor]bereiteten Kontexte bereits unterstellt werden – es verhilft nicht zur dekonstruktiven »Zertrümmerung« vorgängiger Bedeutungen und Prinzipien. So lassen sich beispielsweise auch Aufgabenstellungen, wie das »Herausarbeiten unterschiedlicher Interpretationen«617 auf ein solches Prinzip zurückführen. Mit der Identifikation der Unterschiede bzw. ihres Inhalts, ihrer Bedeutung, die kausal mit ihrem Prinzip als Ursprung verknüpft werden, endet jedoch das Spiel der Differenz und erlischt ihr bedeutungsstiftendes Potential. Die Definition von Mehrdeutigkeit steht der Definition von Eindeutigkeit in ihrer einschränkenden Wirkung in nichts nach. Definitionen und Identifikationen ermöglichen die Antinomie von Richtig und Falsch – jedoch noch kein Anderes. Auch Albert Kaul plädiert für die Einführung eines poststrukturalistischen Differenzdenkens in die Musikpädagogik.618 Er kritisiert Pierangelo Masets Ansatz, der sich für eine »differentielle Mannigfaltigkeit« im Umgang mit Kunst ausspricht, als »radikal offen«619 und gar »intentionslos«620 und führt den Begriff des »Spielraums« ein. Das Spiel fungiert bei Kaul als methodisches Element zur Förderung der Selbsttätigkeit. Er entwickelt ein Praxisbeispiel, das den Improvisationsunterricht am Instrument fokussiert und daher Heterogenität und Vieldeutigkeit im semantischen Sinne als Problemfeld nicht einbezieht. Kaul formuliert Thesen, die eine Entfaltung des Differenzdenkens als einen Prozess der Differenzierung darstellen.621 Mit der di-

617 618 619 620 621

Weber (2014), S. 53. Kaul, Albert (2008): Musikalische Bildung der Differenz. Köln: Verlag Dohr. Ebd., S. 20. Ebd., S. 83. Ebd., S. 131.

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daktischen Modellierung eines »fortschreitenden Differenzierungsprozesses«622 als linearem Vollzug, entfernt sich Kaul jedoch vom Differenzdenken des Poststrukturalismus, insbesondere der Philosophie Derridas, die er zur Grundlage wählt.623 Um das Dilemma des didaktischen Prinzips zu veranschaulichen, soll der Verweis auf die Formulierung eines Bildungsideals durch Meder einen möglichen Gegenentwurf vor Augen führen. Im Gegensatz zu einem didaktischen Prinzip, das den Lehr-Lern-Diskurs unterwirft, stellt Meder mit der Thematisierung eines Bildungsideals eine metaphysische Überhöhung zur Disposition.624 Das Bildungsideal steht in keinem kausalen Zusammenhang zur dekonstruktiven Tätigkeit des »Sprachspielers«. Der normativen Aufforderung, dass jemand »Sprachspieler« sein soll, folgen potentiell paralogische Entgegensetzungen durch den Sprachspieler, die sich auch gegen das Ideal richten können.625 Der »Sprachspieler« ist daher ein »Superzeichen«626  – bzw. ein Metakonstrukt. Seine Eigenschaften sind keine Prinzipien, sondern Präsenz und reine Metaphysik. Das von Meder formulierte Bildungsideal entspricht der metaphysischen Überhöhung als Präsenz. Diese setzt sich der dekonstruktiven Tätigkeit des »Sprachspielers« paradoxal-konstitutiv entgegen. Ohne eine Bezugnahme auf Präsenz kann der »Sprachspieler« seine Tätigkeit nicht aufnehmen, die zur Vervielfältigung von Prinzipien führen und auch deren Anderes geltend machen kann. Den didaktischen Prinzipien nach Weber fehlt die provokative Kraft einer Präsenz, die sich entgegenstellt. Prinzipien, auch jene, die versuchen, die Dekonstruktion zu unterwerfen, können zwar verschiedene Kontexte repräsentieren, verfehlen jedoch das explorative Potential der Dekonstruktion. Die Explikation von didaktischen Prinzipien vollzieht deshalb die Fortschreibung bzw. Manifestation der metaphysischen Befangenheit. Während die Formulierung von Unterrichtsprinzipien die dekonstruktive Tätigkeit unterbricht, initiiert die Provokation der Formulierung eines normativen Ideals den potentiellen Beginn des Spiels der Differenz. So sorgt auch Prinzip des »Aushaltens« von Unterschieden bei Weber für eine intentionale Unterbrechung der diskursiven Tätigkeit an den Diskursgrenzen.627 Das Andere – oder den Anderen – aushalten, ohne ihm sinnstiftend Antwort zu geben, verweigert die Ver-Antwortung für den Anderen und das soziale Band. Meder definiert den »Sprachspieler« in ästhetischer (sinnstiftender) und ethischer Dimension als eine utopische Instanz zwischen Subjekt und Objekt. Er beschreibt sein Wirken, seine Spielräume, Bedingungen und Effekte – als normatives

622 623 624 625 626 627

Ebd., S. 131. Ebd., S. 68–71. Meder (2004), S. 10. Ebd., S. 250. Ebd., S. 269. Vgl. Weber (2004), S. 53.

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Ideal.628 Meder verpflichtet dieses Ideal der Dekonstruktion. Dies kann nur deshalb plausibel erscheinen, weil sich Ideal und Dekonstruktion konstitutiv und produktiv entgegenstehen. Die Formulierung als Bildungsideal provoziert das Paradox der Metaphysikkritik, indem sie sich der Gefahr einer Ideologisierung bereits reflexiv widersetzt. Zudem thematisiert Meder das Paradox der Metaphysikkritik, indem er das Bildungsideal dem »Sprachspieler« anvertraut und auf diese Weise bereits dekonstruktiver Tätigkeit aussetzt. Der »Sprachspieler« wirkt dekonstruktiv und ermöglicht Dekonstruktion.

1.8.4 Dekonstruktive Perspektiven auf das Subjekt im Musikunterricht Im musikpädagogischen Diskurs artikulieren sich poststrukturalistische Einflüsse in Bezug auf das Subjektverständnis vor allem im Verweis auf Foucault und Butler. Das Subjekt erscheint als negierte Instanz und entsteht durch Negation seiner selbst in diskursiver Praxis.629 In Anlehnung an das Konzept der Subjektivierung630 muss ein autonom agierendes Subjekt bezweifelt werden. Die Autonomie des modernen Subjekts »löst sich […] in einem Geflecht aus Diskursen auf.«631 Die diskursive Tätigkeit des Subjekts vollzieht sich als Folge von Ereignissen, die ein Oszillieren zwischen Macht und Ohnmacht, Unterwerfung und Ermächtigung als paradoxale Gegenüber evozieren. Lernen und Lehren bedingen sich im Diskurs. Campos weist darauf hin, dass in Anerkennung der diskursiven Wechselseitigkeit der Subjektbildung in gleicher Weise nach Lehrenden und Lernenden gefragt werden müsse.632 Im Anschluss an Campos kann deshalb der konstitutive Widerstand des Lehrens nicht ignoriert werden. Das, was sich lernenden Individuen entgegenstellt, trägt einen wesentlichen Anteil an deren Subjektbildung. Subjektivierung in diskursiver Praxis beschreibt diskontinuierliche Prozesse der Ver- und Entortung subjektiver Instanzen. Der oder die Andere als Subjekt bleibt stets unverfügbar.633 Dies hat Konsequenzen für didaktische Entscheidungen, die einen Anschluss an die Lerndispositionen und Lernvoraussetzungen der Lernenden zu knüpfen suchen, sowie den Umgang mit Störungen im Lehr-LernDiskurs. 628 629 630 631 632 633

Vgl. ebd., S. 263–267. Vgl. Campos (2019), S. 75f. und S. 236. Vgl. Butler (2015), S. 81; vgl. Campos (2019), S. 97. Vgl. Campos (2019), S. 81. Vgl. ebd., S. 236. Vgl. Friedel, Sabrina (2015): Widerstand des Anderen. Warum Unterricht sich nicht planen lässt. In: Üben & Musizieren 32 (2015), H. 1, S. 18–21. In: Oberhaus, Lars (2016): Das Ereignis des Anderen. Zum Umgang mit Alterität im Musikunterricht unter Berücksichtigung der Sozialphänomenologie von Emmanuel Lévinas. In: Hirsch, Markus (Hg.) (2016): Musik(unterricht) angesichts von Ereignissen. Münster: Waxmann Verlag, S. 61f.

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Oberhaus diskutiert die radikale Position Friedels, die »Unterrichtsplanung« für eine »Überlistung des Lernenden« hält, da sie deren Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit manipuliert.634 Friedel – so Oberhaus – kritisiere, dass Unterrichtsplanung die Lernenden kontrolliert und potentielle Störungen zu vermeiden sucht.635 Störungen seien Momente des Ausbrechens aus der aufoktroyierten Ordnung. Sie fordere deshalb einen »bewussten Umgang mit unplanbaren Ereignissen«, »denn nur wenn der Andere sich einer normierten Ordnung widersetzt, ist die Bewahrung seiner Singularität möglich.«636 Lehrende werden [auf]gefordert, sich auf das Unbekannte einzulassen und mit »Enttäuschungen und Überraschungen zu rechnen.«637 Es müsse im Verweis auf Lévinas vermieden werden, den Anderen auf »das Selbe« zu reduzieren.638 Friedel verweise auf die produktiven Aspekte von Störungen und sieht in einer wertschätzenden Kommunikation über die Widerstände eine Grundlage für die Übernahme von Verantwortung durch die Lernenden. »Der wertschätzende Diskurs über Widerstände ist eine Grundlage zur Erhebung, Begründung und Bestreitung von musikbezogenen Geltungsansprüchen und führt somit zur Eigenverantwortlichkeit der Schülerinnen und Schüler.«639 Störungen sind jedoch – wie Friedel selbst feststellt – Ereignisse und als solche unplanbar und unkontrollierbar.640 Ein bewusster Umgang mit Störungen und Störungspotential kann jedoch nur planvoll sein. Störungen als Widerfahrnis und Ereignis geschehen vom Anderen her – der Umgang mit Störungen ist immer Reaktion auf die Störung und deshalb stets reflexiv, aber nicht planvoll möglich. Eine poststrukturalistische Perspektive bzw. eine dekonstruktive Haltung zu Subjekten und Objekten erkennt die Produktivität der Störung als Differenzerfahrung oder ästhetische Erfahrung unbedingt an. Diese Haltung impliziert die Anerkennung der Paradoxalität der doppelten Geste der Dekonstruktion: Die Bedingungen der Möglichkeit einer Störung müssen gleichzeitig anerkannt und durch die Störung infrage gestellt werden. Es muss also Etwas – als Lernatmosphäre oder Unterrichtsplanung – existieren und identifiziert werden, was (noch) ungestört ist – sonst wäre Störung bzw. Differenzerfahrung unmöglich. Erst die Referenz einer ungestörten Lernatmosphäre verhilft der Störung zu Produktivität. Unterricht nicht zu planen, wäre demzufolge ebenso verantwortungslos wie eine Planung, die keine Reflexivität in Aussicht stellte. Um die Bedingungen der Möglichkeit, mit Störungen produktiv umzugehen,

634 635 636 637 638 639 640

Friedel (2015) in: Oberhaus (2016) in: Hirsch (2016), S. 61f. Vgl. Oberhaus (2016) in: Hirsch (2016), S. 62. Friedel (2015) in: Oberhaus (2016) in Hirsch (2016), S. 61f. Vgl. Oberhaus (2016) in: Hirsch (2016), S. 63. Vgl. ebd., S. 62. Friedel in: Oberhaus (2016) in Hirsch (2016), S. 63. Die Unplanbarkeit muss hier unterschieden werden von Nicht-Inszenierbarkeit; vgl. dazu Oberhaus (2016) in: Hirsch (2016), und Bugiel (2017).

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zu berücksichtigen, könnte eine Unterrichtsplanung als Inszenierung eines Ausschließungssystems641 erfolgen. Eine solche Planung böte Präsenz als eine (noch) ungestörte Basis, die Reflexivität in Aussicht stellt. Friedels Radikalität, die den Diskurs des Lernens durch die »Entmachtung« des Diskurses des Lehrens zu befreien sucht, bewirkt zudem eine Disbalance der Machtverhältnisse, die letztlich die Lernenden behindert. Die einseitige Berücksichtigung der Macht des Lerndiskurses (und seiner daran beteiligten Subjekte) und gleichzeitige Entmachtung des Lehrdiskurses führt zur Stagnation, denn der Widerstand, in dem sich das lernende Subjekt erst konstituiert, fehlt. Ein Diskurs des Lehrens, der den Störungen unterläge, begünstigte die dialektische Verkehrung der Abweisung von Totalität und gewährte der Störung eine Position als neuer Totalität. Unterricht, der auf Planung von Unterricht (als ungestörte Referenz) verzichtete, um die Vereinnahmung Lernender auszuschließen, böte keinerlei Raum für die Produktivität von Störungen als Differenzerfahrung. Nach Friedel sollen sich Lehrende einlassen, ihr Scheitern riskieren, mit Überraschungen rechnen – sie sind gefordert, sich selbst als Subjekt der Ent-Ortung anheimzustellen, ohne gegenseitige (Ver-)Antwortung erhoffen zu können. Oberhaus kritisiert Friedels radikale Sicht und den einseitigen Imperativ zur Ohnmacht als Entmachtung des Diskurses des Lehrens zu Recht, denn dies führte im Gegenzug wiederum zur Aufhebung der diskursiven Tätigkeit des Lernens. Oberhaus bietet einen Lösungsansatz in Unterrichtsplanung, in die die Lernenden einbezogen werden, deutet jedoch selbstkritisch auf eine gewisse »intellektuelle Fallhöhe« von der Philosophie zur Unterrichtstheorie.642 Auch wenn Lernende an der Unterrichtsplanung – z.B. im offenen Unterricht – beteiligt würden, beschriebe diese Teilhabe am Planungsprozess nur ein weiteres Element, das in den übergreifenden didaktischen und pädagogischen Diskurs eingebettet ist, auf den die Lernenden keinen Einfluss haben können. Thomas Ott verdeutlicht anhand der Begriffe »symbolisch inszenierte Homogenität« bzw. »projektive Homogenisierung«, dass der didaktische Diskurs als Meta-Diskurs des Lehrens und Lernens eine »Als-obWelt« schafft, in der versucht wird, die Tatsache, dass Festschreibungen und Identifikationen nicht vermeidbar sind, vor dem Lehr-Lern-Diskurs selbst verborgen zu halten. Sein Vorschlag des »wechselseitigen Zuerkennens von Eigensinn«643 stellt dies jedoch bereits in Aussicht. »Es liegt bei mir, was ich von mir preisgebe – und wann ich den Dialog unterbreche oder abbreche […] Dabei muss ich aber auch meine Verantwortlichkeit für den Anderen wahrnehmen – indem ich dafür sorge, dass er all dies weiß. Dieses

641 Vgl. Foucault (1991), S. 12f. 642 Vgl. Oberhaus (2016) in: Hirsch (2016), S. 65. 643 Ott (2012) in: Vogt, Jürgen/Heß, Frauke/Rolle, Christian (Hg.) (2012): Musikpädagogik und Heterogenität. Münster: Lit 2012, S. 20–33. In: Oberhaus (2016), S. 64f.

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Element von Freiheit ist vielleicht die Essenz der Grundidee eines wechselseitigen Zuerkennens von Eigensinn.«644 Wechselseitigkeit – auch der Verantwortung – bezieht Lehren und Lernen aufeinander und verschränkt die jeweiligen Interessen und Intentionen diskursiv miteinander.

1.8.5 Zur Problematik der Vielfalt der musikpädagogischen Diskurse Der poststrukturalistische Einfluss artikuliert sich in der Musikpädagogik im Bekenntnis zur Anerkennung des Nebeneinanders heteronomer, bisweilen auch widersprüchlicher Diskurse. Schläbitz postuliert im Verweis auf die Verabschiedung der Meta-Diskurse nach Lyotard, »dass die Differenz und auch zum Teil die Widersprüchlichkeit zwischen verschiedenen Forschungsansätzen der Musikpädagogik zum Vorteil gereichen und der Pluralismus der Gefahr einer verengten, allzu selbstgewissen Sicht entgegenarbeitet. […] Kurz: Es wird ein Plädoyer für ein heteronomes Nebeneinander erhoben […]«.645 Akzeptanz und Toleranz des heterogen Verschiedenen im Nebeneinander lassen jedoch zunächst ein Aussetzen der Diskursivität erahnen. Schläbitz relativiert diese Attitüde und fordert, dass »das Nebeneinander das Interesse füreinander zeigen und die konstruktive Verschränkung suchen sollte.«646 Es liegt nahe, diese Intention einer ethischen Prämisse zuzuordnen, denn Schläbitz äußert sich nicht zur Inhaltlichkeit oder Struktur der von ihm angemahnten Verschränkung. Die Anerkennung von Diversität steht in poststrukturalistisch beeinflussten Ansätzen in Verbindung mit der intendierten Abweisung musikpädagogischer oder -didaktischer Meta-Diskurse. Akzeptanz und Toleranz des Unvereinbaren und Heteronomen entwickeln sich zur Maxime der Zeitgenossenschaft. Es besteht deshalb die »Gefahr«, dass dieser neue Meta-Diskurs einen Zerfall ins Nebeneinander bewirkt. Wenn alle Diskurse in gleicher Weise Geltung und Anerkennung einfordern, dann nivelliert sich deren diskursive Macht – die Selektion der Sprachspiele verläuft beliebig, denn die Differenzen im Inneren des Diskurses werden getilgt. Dies führte jedoch zum Stillstand, zum Erliegen einer diskursiv-dekonstruktiven Tätigkeit. Ein musikpädagogischer Diskurs der Heterogenität, der auf Wechselspiele der Macht verzichtete, entblößte sich als leerer Signifikant.

644 Ott (2012) in Oberhaus (2016) in Hirsch (2016), S. 65. 645 Vgl. Schläbitz (2004), S. 183. 646 Vgl. ebd., S. 183.

1. Bildung als Diskurs

1.8.6 Das Paradox der Metaphysikkritik in der Musikpädagogik Musikpädagogische Diskurse entkommen – glücklicherweise – der metaphysischen Verstrickung nicht. Dies stellt Blanchard eindrücklich heraus, indem er unterrichtliche Praxen im Umgang mit Zuschreibungen – »Knotenpunkten« – reflektiert und nachweist, wie der Musikunterricht selbst Hegemonien konstituiert und gleichzeitig auf sie angewiesen ist.647 Blanchard stellt fest: »Die musikpädagogische Diskussion zum Umgang mit kultureller Diversität befindet sich in einer Sackgasse«.648 Der Diskurs der Musikpädagogik nimmt – so Blanchard – im Wesentlichen Inhalte in den Blick, mit denen im Musikunterricht (kulturelle) Diversität thematisiert wird. Die Praxen jedoch, die diese Inhalte erst erzeugen, bleiben weitgehend unberücksichtigt. Für Blanchard stellen diese Praxen Wissensordnungen dar, die als Grundlage für die Wahrnehmung von Diversität und deren Erzeugung fungieren. Das Dilemma der Musikpädagogik – und letztlich der Musikdidaktik – entzündet sich wiederum in der Grenzregion, in der sich die eine diskursive Praxis von der Anderen scheidet. Ein Diskurs, als Wissensordnung oder diskursive Praxis, kann sich nur im Ausschluss des Anderen konstituieren. Dies macht ein Denken einer »wirklichen« Diversität unmöglich, denn das Andere kann nicht vom Eigenen her erfasst werden. Ein Text-Äußeres kann es nicht geben.649 Das wirklich Andere kann nicht erfasst, begriffen oder konstruiert werden – somit erscheint es unmöglich, der Diversität der musikpädagogischen Diskurse (intentional) gerecht zu werden.

1.8.7 Konsequenzen einer poststrukturalistischen Perspektive für den musikdidaktischen Diskurs Der poststrukturalistische Einfluss artikuliert sich im musikpädagogischen Diskurs als intentionale Abweisung von Totalität, die sich beispielsweise in der Unterrichtsplanung, im Subjektbegriff, in der Determinierung objektiver Inhaltlichkeit zeigt. Dieser kritischen Abweisung folgt die Feststellung, dass die Disposition der Subjekte unbestimmbar und die Bedeutungshorizonte der Lerngegenstände nicht vollständig verstehbar sind. Poststrukturalistisch beeinflusste Ansätze der Musikpädagogik führen zur Begründung der Unmöglichkeit einer Musikdidaktik – wenn diese Abweisung der Tradition der Metaphysikkritik folgt und in ihr verharrt. Die totale Abweisung von Totalität erzeugt neue Totalität. Die Abweisung musikpädagogischer oder -didaktischer Meta-Diskurse, die ein friedliches Nebeneinander vielfäl-

647 Vgl. Blanchard (2019), S. 131. 648 Vgl. ebd. S 325. 649 Derrida in Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 21; vgl. Kapitel 1.1.6: Zur Problematik der Grenze des Diskurses.

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tigster Diskurse bejaht, kann zum Verlöschen der diskursiven Tätigkeit führen. Das Bekenntnis zur Heterogenität als neuer Meta-Diskurs tilgt produktive Differenzen und birgt die Gefahr der Beliebigkeit und der Nivellierung des Diskurses. Der Wunsch, dass die Auflösung hegemonialer Verhältnisse im Unterricht – beispielsweise durch Einbeziehung der Lernenden in die Unterrichtplanung – gelingen kann oder die wechselseitige Übernahme von Verantwortlichkeit zwischen Lehrenden und Lernenden initiiert werden könnte, wird enttäuscht werden, solange die Musikdidaktik das institutionell legitimierte Machtgefälle – und die produktive Seite der Macht – ignoriert. Um eine auf den Musikunterricht bezogene poststrukturalistische Perspektive zu vervollständigen, soll nun mit dem »Spiel« eine Form vorgeschlagen werden, die das Paradox der Metaphysikkritik einbezieht.

1.8.8 Argumentation für die Einführung des Spiels als Form und Funktion von Musikunterricht Bildende Prozesse – so lässt sich auf Basis der herangezogenen bildungstheoretischen Ansätze behaupten – wirken dekonstruktiv und sind paradoxal strukturiert. Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, dass dem Spiel ebenfalls eine paradoxale Struktur zugeschrieben und diese für eine dekonstruktive Musikdidaktik fruchtbar entfaltet werden kann. Das Spiel birgt paradoxe Widersprüche hinsichtlich seiner Realität als Als-ob-Wirklichkeit, Intentionalität und Selbstbezüglichkeit, Zweckhaftigkeit und Zwecklosigkeit, Sinnhaftigkeit und Unvernunft. Auch [bildungs]philosophische Perspektiven verweisen auf Analogien – sogar strukturelle Verwandtschaft – zwischen den Konstrukten Spiel, Kunst, Kultur und Bildung.650 »Als Spielplatz einer transhumanistischen Bildung wird die Kunst in all ihren Ausformungen vorgeschlagen, weil das Spielen mit ihr, so zweckfrei bzw. nutzlos sie jenseits des ›interesselosen Wohlgefallens‹ (Kant) sie im Grunde ja ist oder sein soll, einerseits völlig ungefährlich ist, aus der Kunst heraus entworfene Ergebnisse aber anschaulich und weiterführend sein könne.«651 Das Spiel lässt sich in ästhetischer und ethischer Dimension entfalten. Aufgabe einer Musikdidaktik ist es, unterrichtliche – insbesondere inhaltliche – Entscheidungen zu legitimieren, d.h. die Intentionalität und Normativität dieser Entscheidungen gegenüber den Lernenden und der Gesellschaft auf bildungstheoretische Über650 Vgl. Winzen/Bilstein/Wulf (Hg.) (2005); vgl. Klager, Christian (2016): Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht. 1. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa; vgl. Schäfer, Alfred; Thompson, Christiane (Hg.) (2014): Spiel. Paderborn: Ferdinand Schöningh; vgl. Strätling, Regine (Hg.) (2012): Spielformen des Selbst. Das Spiel zwischen Subjektivität, Kunst und Alltagspraxis. Bielefeld: transcript. 651 Vgl. Schläbitz (2016), S. 367. [Schreibweise und Grammatik im Original].

1. Bildung als Diskurs

zeugungen zu gründen. Einer Musikdidaktik kommt die Position eines Meta-Diskurses hinsichtlich des Diskurses des konkreten Musikunterrichts zu. In poststrukturalistischer Perspektive müsste jede Didaktik als Meta-Diskurs (eigentlich) abgewiesen werden. Daher bestätigen poststrukturalistisch geprägte musikpädagogische Ansätze die Unmöglichkeit einer poststrukturalistisch-dekonstruktiven Musikdidaktik. Die Kritik an hegemonialen Verhältnissen, begrifflichen Vereinnahmungen, normativen Engführungen und Reduktion des Sinnpotentials führt nicht – wie intendiert – zur Linderung der Legitimationsproblematik des Faches, sondern stellt lediglich die Unmöglichkeit der Legitimation fest. Mit dem Spiel kann eine Form für den Musikunterricht entwickelt werden, die selbst paradoxal und dekonstruktiv strukturiert ist – sich dennoch aber als beschreibbar und erläuterbar erweist, ohne zwangsläufig eine neue Totalität zu etablieren. Eine Anschlussmöglichkeit findet sich in Meders Darstellung der grundsätzlichen »Erläuterbarkeit des Spiels«.652 Von Spiel kann gesprochen werden, wenn und weil seine Spielzüge erinnerbar sind, denn Spielzüge können nachträglich beschrieben und erläutert werden. Das Konstrukt des Spiels ermöglicht, das Paradox der Metaphysikkritik in den didaktischen Diskurs – in die Beschreibung, die Planung und die Inszenierung von Musikunterricht – einzubeziehen. Dies wird als theoretisch notwendig und praktisch möglich erachtet. Im Anschluss an Derrida ist es unumgänglich, Kritik an Begriffen der Metaphysik mithilfe dieser Begriffe zu unternehmen. Demzufolge ist es sinnlos, Kritik an Entscheidungen, Darstellungen oder (ästhetischen) Präsentationen zu üben, ohne sich auf zu beziehen. Die Bedingung der Möglichkeit der Dekonstruktion ist zugleich die Bedingung ihrer Unmöglichkeit: Das Abweisen von Totalität als dekonstruktiver Zug gegen ihre Voraussetzung ist die Voraus-Setzung. Mit dem Spiel als Form und Funktion für Musikunterricht soll nun eine Möglichkeit musikdidaktischer Legitimation aus poststrukturalistischer Perspektive in Aussicht gestellt werden. Das Spiel bietet als ästhetische Form Anfang und Ende und damit einen Ausgangspunkt für die produktiven Prozesse der Dekonstruktion, in denen sich das Spiel realisiert. Das Spiel, als Formgestalt dekonstruktiver Tätigkeiten, eröffnet zudem eine Dimension »ethischer Erfahrung«653 . »Dekonstruktion ist deshalb auch als eine Erfahrung zu verstehen, eine Erfahrung des Unmöglichen und dem ›es gibt‹, eine Erfahrung des Paradoxen und Unentscheidbaren als einer ›ethischen Erfahrung‹, denn in der Spannung des Para-

652 Vgl. Meder (2004), S 201; vgl. Kapitel 1.7.3: Bildung als Dekonstruktion – Die Figur des »Sprachspielers« und Kapitel 1.8.5: Zum bildungstheoretischen Beitrag Meders. 653 Wimmer (2006), S. 359; vgl. dazu Derrida (1998): Vergessen wir nicht die Psychoanalyse. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. In: Wimmer (2006), S. 359.

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doxen, in der Situation der Unentscheidbarkeit, ist es möglich, die Antwort des Anderen zu hören.«654 Die Antagonismen der Dekonstruktion – Subjekt, Präsenz, Substanz, Diskursregeln – ermöglichen die doppelte Geste der Dekonstruktion. Im Spiel werden die paradoxalen Verhältnisse nicht aufgelöst, sondern erhalten. »Die These wird sein, dass diese Paradoxien die Zeichen und ihre Medien in Unruhe halten und ihre systematische Unerfülltheit bezeugen. Sie entspricht einer Unerfülltheit oder besser Unbegreiflichkeit des Bedeutens. […]«.655

654 Wimmer (2006), S. 359. 655 Mersch (2010), S. 136.

2. Das Spiel als »Spiel« Theorien des Spiels und poststrukturalistische Explikationen »Wie Liebe, Freundschaft und Phantasie gehört das Spiel zu den menschlichen Phänomenen, die uns einerseits faszinieren, andererseits mit den Grenzen unseres Handelns und Erkennens konfrontieren.«1 Spiel bezeichnet ein Kaleidoskop an Bedeutungen und Phänomenen, die sich in ihrem Abstraktionsgrad, ihrer inhaltlichen Spezifik und oder auch nach ihrem metaphorischen Gehalt deutlich voneinander abgrenzen lassen. Das deutsche Wort »Spiel« leitet sich vom althochdeutschen »spil« (Substantiv) bzw. »spilon« (Verb) ab. Diese Begriffe beinhalten Bedeutungen wie Tanz, Zeitvertreib, Scherz, Unterhaltung, Vergnügen, Wettkampf, Musik, Waffen- und Kampfspiel.2 Etymologisch geht »Spiel« vor allem auf das gotische »laikan«, »lac« oder »lacan« zurück, welches auf Bedeutungen, wie »Springen« und »rhythmische Bewegung« verweist.3 Das lateinische Wort »ludus« beschreibt das Sichtummeln der Fische, das Herumflattern der Vögel, aber auch das Kinderspiel, die Erholung, den Wettstreit, die liturgische und szenische Darstellung.4 »Ludus«, auch »Lusus« ist jedoch nicht in die romanischen Sprachen als Begriff für »Spiel« übergegangen, bildet jedoch die Wurzel für die Begriffe, die den Schein, das Unwesentliche und Betrügerische ausdrücken. Dem gegenüber konnten »iocan« und »iocari« – Scherz und Spaß – ihren Bedeutungsumfang ausdehnen und wurden zur Grundlage für beispielsweise das französische Wort »jouer« und »jeu« und das italienische »giuoco«

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Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 7. Vgl. Pfeifer, Wolfgang (Hg.) (2000): Etymologisches Wörtebuch des Deutschen. München: dtv Verlag, S. 1324. Vgl. Zirfas (2008) in: Liebau/Zirfas (Hg.) (2008), S. 129f. Vgl. Huizinga, Johan; Nachod, H; Flitner, Andreas (2011): Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 22. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt-Taschenbuch-Verl. (Rororo Rowohlts Enzyklopädie, 55435), S. 46.

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und »giuocare«. Ein weiteres Beispiel für die Divergenz der Etymologie und der semantischen Vielfalt von »Spiel« ist das englische »play«, welches vom angelsächsischen »plega«, bzw. »plegan« abgeleitet wurde und neben Spaß und Spiel, Scherz, Aktivität, Zeitvertreib, Saitenspiel, Würfelspiel und Wette auch noch Bedeutungen wie aufspielen, handhaben, begleiten, sein Spiel treiben, tändeln, flirten und etwas freien Lauf lassen oder in Gang bringen beinhaltet.5 »Play« wird für das freie Spiel gebraucht. Daneben bietet das Englische noch »game« (institutionalisiertes Spiel), »match« (Wettkampfspiel) und »gamble« (Glücksspiel),6 was die Bedeutungen des »Spiels« um Inhalte, wie Kniff, Schliche, Risiko oder Spielstand erweitert.7 Der Diversität der terminologischen Wurzeln und Bedeutungshorizonte folgt die Inkommensurabilität dessen, was mit »Spiel« bezeichnet wird. Ob als Tätigkeit, die regelhaft und ohne bewussten Zweck zum bloßen Vergnügen ausgeübt wird, ob als Darbietung und Interpretation von Musikstücken, als Bühnenstück oder Bund von Stricknadeln oder als metaphorische Assoziation für das Spiel der Wellen, ihrer Augen oder seiner Hände:8 Spiel beschreibt eine Vielfalt von Formen und Erscheinungen, die mit menschlichem Tun und Sein verknüpft werden. Im Grunde findet sich in allem, was vom Menschen gedacht und gemacht wurde, eine konstitutive Verbindung zum Spiel, die sich aus anthropologischer, kulturwissenschaftlicher oder -philosophischer, entwicklungspsychologischer und auch pädagogischer Perspektive betrachten lässt.9 Die Bedeutung des Spiels kann daher nicht erschöpfend dargestellt werden.10 Die Heterogenität der Sinnhorizonte des Spiels führt zum »begrifflichem Rauschen«11 und zeigt zugleich die umfassende Verwobenheit des Spiels mit unterschiedlichsten elementaren und spezifischen Lebens- und Ausdrucksformen des Menschseins. Dies lässt es berechtigt erscheinen, das Spiel als eine primäre Lebenskategorie des Menschen anzuerkennen.12 Umso erstaunlicher ist daher, dass das Spiel »als unwichtige Begleiterscheinung der Kulturleistungen der Menschheit« traditionell Entwertung erfährt.13 Formulierungen, wie z.B. »es ist ja nur Spiel«, »er spielt nur mit dir«, »bloße Spielerei« beto-

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Vgl. Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) 2005, S. 65. Vgl. ebd., S. 8. Vgl. ebd., S. 65. Vgl. Klager, Christian (2016): Spiel als Weltzugang. Philosophische Dimensionen des Spiels in methodischer Absicht. 1. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa., S. 23; vgl. https://www.duden.de/rechts chreibung/Spiel [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021] Vgl. Klager (2016), S. 16. Vgl. ebd., S. 7. Vgl. Fritz, Jürgen (2004): Das Spiel verstehen. Eine Einführung in Theorie und Bedeutung. Weinheim: Juventa-Verl., S. 11. Vgl. Huizinga (2011), S. 11. Vgl. ebd., S. 9.

2. Das Spiel als »Spiel«

nen die Nebensächlichkeit, den Unernst des Spiels. Obwohl dem Spiel einerseits das Potential zugeschrieben wird, »Methode und Weg zur Weltaneignung«14 zu sein, wird andererseits die substanzielle Verwobenheit des Spiels mit dem Menschwerden und Menschsein nivelliert und seine Bedeutung unterschätzt.15 Es scheint, als sei das Wissen um das Spiel allem Menschlichen in einer Weise implizit, die es unmöglich macht, seine Bedeutung explizit darzustellen: »Die Beschreibung der Verwendung des Zeichens ›Spiel‹ erfolgt unter dem Bewusstsein, was Spiel eigentlich ist – und die muss erst noch erarbeitet werden.«16 Gegenstand der Annäherung an die Wissensordnungen und Konstrukte impliziten Spielwissens bilden diverse Theorien des Spiels, deren Untersuchung eine überblicksartige Kategorisierung der Dimensionen und Eigenschaften des Spiels ermöglicht und eine verallgemeinernde Bestimmung dessen, was Spiel ist, erlaubt. Nach der Bestimmung dieser Merkmale folgt die inhaltliche Aufarbeitung des Spiels im Kontext ausgewählter Theorien. Das »implizite Spielwissen«, das sich in den Dimensionen und Eigenschaften des Spiels artikuliert, bildet die Grundlage der poststrukturalistischen Spielbegriffe. Die Aufarbeitung dieser Spielbegriffe erfolgt unter Bezugnahme auf die verschiedenen Aspekte impliziten Spielwissens. Hierdurch wird die Abstraktionsebene des Spiels im Diskurs geklärt und ermöglicht, das Spiel als dekonstruktives Movens des Diskurses zu fassen. Ziel dieser Ausführungen ist der Nachweis, dass sich mithilfe der Form und Funktionalität des Spiels die Ambivalenz von Diskursgrenzen beschreiben und erläutern lässt. Es kann zudem gezeigt werden, dass sich Form und Funktionalität des Spiels eignen, um eine produktive und poietische Auseinandersetzung des Selbst mit der Welt – in reflexivem Bezug zur Welt – zu initiieren. Das Spiel wirkt dabei dekonstruktiv und vermag, den Spielenden dekonstruktives Tun in Aussicht zu stellen. Die Paradoxalität des Spiels bildet dabei das Schlüsselmotiv für die poststrukturalistische Explikation dekonstruktiver Abweisung von Totalität in diskursiven Vollzügen und nicht zuletzt im Zusammenhang der Hervorbringung des Subjekts und des Sozialen. Dieses Verständnis vom Spielbegriff erlaubt, »dem Subjekt trotz Vorgängigkeit sozialer Strukturen die Grundlage für ethisches Handeln und damit für Verantwortung zu bewahren«17 , da die Existenzbedingungen des Subjektes und seiner sozialen Kontexte in poststrukturalistischer Perspektive analog zu denen des Spiels auch seinen Existenzeffekten entsprechen. Zudem bietet die Paradoxalität des Spiels einen Ansatz zur Klärung der Legitimationsproblematik in Bezug auf die Ambivalenz normativer Entscheidungen, die die Auswahl der Objekte des Spiels –

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Vgl. ebd., S. 10. Vgl. ebd., S. 10. Vgl. Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 24. Strätling (Hg.) (2012), S. 11.

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die Inhaltlichkeit bildender Diskurse – betreffen. Die ästhetische und ethische Dimension des Spiels führt analog zur ästhetischen und ethischen Dimension der Dekonstruktion in den Kern des Anliegens dieser Arbeit.

2.1 Spieltheorien vs. Theorien des Spiels Untersuchungen des Spiels unterscheiden sich zunächst grundlegend in ihrer methodischen Perspektive auf das Spiel. So beschäftigen sich Philosophen, Mathematiker, Soziologen, Politik- und Wirtschaftswissenschaftler sowie Psychologen mit Aspekten der Spieltheorie, d.h. mit Entscheidungssituationen in mathematischer und logischer Perspektive.18 Dagegen untersuchen »Theoriker des Spiels«19 aus unterschiedlichem Forschungsinteresse Phänomene und Eigenarten des Spiels in vielfältigsten Bezugsdisziplinen. Sie befassen sich mit den Wesensmerkmalen und Funktionen im und für den jeweiligen Fachbereich. Dem Spiel selbst wird zumeist wenig Gewicht beigemessen, vielmehr gewinnt es seine Bedeutung über seine Funktionalität oder sein Verhältnis zu etwas.20 Theorien des Spiels nehmen mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung das Spiel, die Tätigkeit des Spielens, das spielerische Prinzip oder die Spielenden in den Blick.21 Die folgende Untersuchung verzichtet auf die Einbeziehung expliziter Spieltheorien der Mathematik oder Ökonomie zugunsten ausgewählter Theorien des Spiels, weil sich hinsichtlich ihrer Bezugsdisziplinen, wie z.B. der Philosophie oder der Kulturwissenschaft und in Bezug auf die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen die Extraktion verbindender Elemente, Merkmale und Eigenschaften erhofft werden kann. Ein Kernmotiv für das Aufgreifen des Spielbegriffs besteht in dessen ambivalentem, unentscheidbarem Verhältnis zur Realität. »Unbestritten ist Spielen eine einzigartige und eigenartige Tätigkeit. Einzigartig ist sie in ihren Eigenschaften als Handeln im Als-ob, das dem Ernst und der Wirklichkeit stets mit einem Augenzwinkern gegenübertritt und Menschen jeden Alters zu fesseln vermag.«22 Theorien des Spiels setzen auf mannigfaltige Weise und bisweilen antithetischer Konsequenz auf die Unterscheidung des Spiels von der Realität, äußern sich jedoch

18 19 20 21 22

Vgl. Klager (2016), S. 16. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 12; vgl. auch Strätling, Regine (Hg.) (2012): Spielformen des Selbst. Das Spiel zwischen Subjektivität, Kunst und Alltagspraxis. Bielefeld: transcript, S. 9–13. Vgl. Klager (2016), S. 9.

2. Das Spiel als »Spiel«

kaum explizit zu diesem Phänomen.23 Die Theorien des Spiels greifen eher auf implizites Wissen über das Spiel zu – sie nutzen Phänomene des Spiels und metaphorisches Wissen für ihre spezifischen Forschungsinteressen im Verweis auf das Spiel, ohne das Spiel explizit zu definieren. Dies vereinfacht im Zusammenhang dieses Vorhabens die Bestimmung dessen, was Spiel sei nicht, sondern betont die Diversität der Explikationen des Spiels, die benötigt wird, um strukturelle und funktionale Gemeinsamkeiten des Spiels herausarbeiten zu können. Das Spiel ist »ein undefinierbarer Begriff, weil es seine Antonyme supplementiert.«24 Die Vielfalt der Theorien des Spiels gründet in den unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen, den diversen inhaltlichen Sphären, für die das Spiel eine Funktion übernimmt,25 sowie der die Ambivalenz der Spiel-Wirklichkeit betreffenden Artikulation und Transformation des impliziten Wissens.26 In den Theorien des Spiels lassen sich zwei Bestimmungen aufzeigen, auf die die Bedeutung des Spiels ausgerichtet scheint. Das Spiel wird zum einen als formale Ordnung, auch ästhetische Formalisierung,27 und zum anderen als Funktion für eine inhaltliche Sphäre beschrieben.

2.1.1 Spiel als formale Ordnung Spiel wird von dem unterschieden, was es nicht ist. Die Struktur des Spiels sowie die Ästhetik des Spiels heben sich von der realen Welt ab. Welt und Spielwelt sind unterscheidbar und zugleich untrennbar. In der Ambivalenz der Grenzziehung und Bezogenheit beider Sphären zueinander gründet die (ästhetische) Form des Spiels als Spiel und seine spezifische Bedeutung. Diese Ambivalenz ist gleichzeitig Bedingung und Effekt des Spiels. Eine Explikation des Spiels als (ästhetische) Form findet sich in Theorien, die den Eigenwert und die Selbstständigkeit des Spiels betonen,

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Vgl. ebd., S. 16. Im Anschluss an Wittgenstein folgern Forster/Zirfas dass, wenn alles Kulturelle, Menschengemachte im Spiel wurzelt, diesem im Grunde kaum ein Phänomen nicht zugeschrieben werden könne und es deshalb unmöglich sei, das Spiel als solches zu bestimmen, weil es bereits allem inhärent sei. Vgl. Forster/Zirfas (2005): Endspiele. Dekonstruktive Einsätze in der pädagogischen Anthopologie. In: Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 65. Klager verweist auf die Ludologie als interdisziplinärem Forschungszweig zwischen Kulturund Geisteswissenschaften und die Game Studies, deren Interesse überwiegend ökonomisch orientiert ist. Vgl. Klager (2016), S. 16 und S. 21. Beispiele für systematisierende Untersuchungen zum Spiel: Johan Huizinga (1938), Karl Groos (1907/1922), Frederik Buytendijk (1933), Ludwig Wittgenstein (1953), Roger Caillois (1958), Eugen Fink (1960), Jean Piaget (1969), Bernard Suits (1978), Hans Scheuerl (1973), Brian Sutton-Smith (1978), Wolfgang Einsiedler (1999), Alexander Aichele (2000), Jörg Neuenfeld (2005) oder Eva Marsal/Takara Dobashi (Hg) (2005). Vgl. hierzu Klager (2016), S. 17f. Vgl. Klager (2016), S. 21.; vgl. auch Casale, Rita: Das Spiel als ästhetische Formalisierung. In: Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 23.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

z.B. bei Schiller,28 der das Spiel als vermittelnde Sphäre zwischen Gestaltungswillen (Formtrieb) und natürlichen Trieben (Stofftrieb) beschreibt, oder Gadamer,29 für den sich im Spiel das Wesen des Kunstwerks vollendet.

2.1.2 Spiel als Funktion Andere Theorien des Spiels – insbesondere pädagogische, psychologische und soziologische – verweisen auf das Verhältnis des Spiels zur Realität und bestimmen seine Funktionen für etwas außer seiner selbst. So konstatieren Schäfer und Thompson, dass das Spiel keinerlei eigenen pädagogischen Wert aufweise, sondern ihm in der Sphäre des Pädagogischen eine Funktion zuerkannt werde – beispielsweise für Prozesse der Identitätsbildung.30 Das Verständnis vom Spiel hinsichtlich der Ambivalenz der Trennung von Welt und Spielwelt sowie der Dichotomie von Form und Funktion ändert sich mit dem Untersuchungsziel der jeweiligen Bezugsdisziplin.31

2.1.3 Versuch der Extraktion von Merkmalen und Eigenschaften des Spiels Das Spiel ist – unabhängig von der Vielfalt seiner Bedeutungen und Ausprägungen – von einem Bündel an Merkmalen und Eigenschaften gekennzeichnet, die unbedingt eingelöst sein müssen, um von Spiel sprechen zu können. Theorien des Spiels aus dem Bereich der Pädagogik, Erziehungswissenschaft, Philosophie und Anthropologie verweisen vordergründig auf die Ausführungen von Huizinga und Scheuerl. Letzterer beschreibt die Eigenschaften des Spiels als Momente der Freiheit, der inneren Unendlichkeit, der Scheinhaftigkeit, der Ambivalenz und der Geschlossenheit, der Gegenwärtigkeit.32 Scheuerl untermauert das jeweilige Moment mit Aussagen verschiedener Bezugsdisziplinen unterschiedlicher historisch-geisteswissenschaftlicher Kontexte.33 Diese Eigenschaften entsprechen grundsätzlich auch den »formalen Eigenschaften« des Spiels, die Huizinga zuvor

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Vgl. Schiller, Friedrich (1795): Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in einer Reihe von Briefen. http://docplayer.org/26351235-Ueber-die-aesthetische-erziehung-des-menschen-in-ein er-reihe-von-briefen-1.html. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021]. Vgl. Gadamer, Hans-Georg (1960/2010 – 7. Aufl.): Hermeneutik I. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. http://docplayer.org/25065303-1-spiel-als-leitfaden-d er-ontologischen-explikation.html. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021]. Vgl. Schäfer, Alfred; Thompson, Christiane (Hg.) (2014), S. 9. Vgl. Klager (2016), S. 21. Vgl. Scheuerl, Hans (1954/1965 – 4./5. Aufl.): Das Spiel. Untersuchungen über sein Wesen, seine pädagogischen Möglichkeiten und Grenzen. Weinheim: Beltz, S. 68–105. Vgl. ebd., S. 68–105.

2. Das Spiel als »Spiel«

herausstellt.34 Klager extrahiert vor allem im Rückgriff auf Huizinga zusammenfassend sechs notwendige formale Eigenschaften des Spiels:35 • • • • • •

Regelhaftigkeit, Andersartigkeit gegenüber einer abgrenzbaren Wirklichkeit, Abgeschlossenheit, Wiederholbarkeit, Spannung und Ambivalenz, Freiheit und damit einhergehende Zwecklosigkeit.

Diese Zusammenstellung offenbart die immanente Widersprüchlichkeit des Spiels: • • • •

Andersartigkeit – Wiederholbarkeit? Spannung – Wiederholbarkeit? Freiheit – Regelhaftigkeit? Abgeschlossenheit – Freiheit?

Es ist jenes Moment der Ambivalenz, das allen Merkmalen und Eigenschaften des Spiels eingeschrieben ist, wie bereits Scheuerl feststellt.36 Das Spiel ist genuin doppelseitig und unentscheidbar konstituiert. Es ist »zugleich vertraut und fremd, bekannt und unbekannt.«37 Da sich jedoch die widersprechenden Eigenschaften gegenseitig bedingen und deshalb jede Eigenschaft gleichzeitig Bedingung der Möglichkeit des Spiels und seiner Unmöglichkeit ist, kann die Widersprüchlichkeit als Paradoxalität des Spiels ausgewiesen werden. So besteht ein notwendig paradoxes Verhältnis zwischen Welt und Spielwelt, Freiheit und Regelhaftigkeit, Endlichkeit und Unendlichkeit, Zweck und Zwecklosigkeit sowie Sinn und Unsinn. Die Paradoxalität des Spiels ist daher nicht nur eine Eigenschaft unter anderen. Sie bildet den Kern der Bedeutung des Spiels, der in den ausgewählten Theorien des Spiels sogar den eigentlichen Anlass bietet, auf das Spiel als Form, Funktion – aber auch als Metapher oder Analogie zurückzugreifen.38 Das Spiel setzt sich über die eigentliche39 Rationalität hinweg und ermöglicht so die Exploration neuen Sinns: »Spiele erzeugen Welten und Menschen. Sie sind produktiv und bringen etwas hervor, das 34 35 36 37 38 39

Vgl. Huizinga (2011), S. 15–20. Vgl. Klager (2016), S. 52. Vgl. Scheuerl (1954/1965), S. 88. Vgl. ebd., S. 92. Vgl. Klager (2016), S. 134–140. Vgl. Huizinga (2011), S. 16. Huizinga formuliert: »Spiel ist nicht das ›gewöhnliche‹ oder das ›eigentliche‹ Leben.« Die Verwendung des Adverbs »eigentlich« im weiteren Verlauf der Arbeit bezieht sich auf diesen Ausdruck der Ambivalenz von Spielwirklichkeit und realer Lebenswelt.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

vor ihnen und außerhalb ihrer nicht existiert, d.h., sie machen nicht nur Unsichtbares sichtbar, sondern erzeugen Neues.40 « Dem Spiel eigen ist demzufolge ein performatives, exploratives Moment, was dazu führt, dass überkommene Diskurse und die Grenzen dieser Diskurse zur Disposition stehen: »Im Spiel wird mit Grenzen gespielt; Unterscheidungen in Entweder-Oder werden unterlaufen; ein Raum des Offenen und der Möglichkeiten der Entgrenzungen und Entdifferenzierungen entsteht.«41 Die Produktivität des Spiels betrifft die entstehende Spielwelt sowie die Spielhandlungen und die Spielenden selbst. Das Spiel löst die eigentliche Subjekt-ObjektHierarchie auf, denn »die Spiele erzeugen die Menschen als Spielende und bringen sie mit ihrer Spiel-, Handlungs- und Sprachkompetenz hervor.«42 Diese Darstellungen der Struktur und des Wesens des Spiels lassen offenkundig Bedeutungen des Spielbegriffs anklingen, die ihn aus poststrukturalistischer Perspektive – im Sinne der Dekonstruktion – attraktiv erscheinen lassen, um dekonstruktive Tätigkeiten und Prozesse darzustellen und zu veranschaulichen.

2.1.4 Dimensionen des Spiels Um das Spiel beschreiben und erklären zu können, wird auf in den verschiedenen Explikationen auf vergleichbare Dimensionen verwiesen, in denen sich das Spiel als ästhetische Form entfaltet. So spricht beispielsweise Fritz von Dimensionen der Rahmung, der Konstruktion und des Verhaltens,43 Deines von der Dimension der Spielform, der Akteure und der Spielsphäre.44 Ähnliche Perspektiven werden in der Anthropologie des Spiels von Forster et al.45 und bei Weiß46 entworfen, sodass sich drei grundlegende Dimensionen abstrahieren lassen: •

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Dimension der Sphäre: die Rahmung eines Spielfeldes, z.B. ein Kunstwerk, die Sprache, ein Text, ein Hörereignis;

Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 7. Ebd., S. 9. Ebd., S. 7. Vgl. Fritz, Jürgen (2004): Das Spiel verstehen. Eine Einführung in Theorie und Bedeutung. Weinheim: Juventa-Verl. (Grundlagentexte soziale Berufe), S. 16f. Vgl. Deines, Stefan (2012): Formen und Funktionen des Spielbegriffs in der Philosophie. In: Strätling (Hg.) (2012), S. 25. Vgl. Forster/Zirfas (2005) in Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) 2005, S. 63–97. Vgl. Weiß, Gabriele (2012): Sich verausgabende Spieler und andere vereinnahmende Falschspieler. Das Spiel zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit in ästhetischen Lebensformen. In: Schäfer, Alfred; Thompson, Christiane (Hg.) (2014): Spiel. Paderborn: Ferdinand Schöningh (Pädagogik – Perspektiven), S. 35–61.

2. Das Spiel als »Spiel«

• •

Dimension des Regelsystems: d.h. die Spielregeln, Ausschließungssysteme oder Kriterien;47 Dimension der Spielhandlung und der Spielenden: d.h. (Inter-)Aktionen, Spielverhalten der Spielenden.

Im Folgenden soll das Spiel als ästhetische Form und/oder Funktion in verschiedenen inhaltlichen Sphären beschrieben und hinsichtlich seiner Kerneigenschaft – der Paradoxalität – untersucht werden. Die Funktionalität des Spiels für eine inhaltliche Sphäre induziert den Sinn des Spiels. Das Spiel an sich bleibt selbst ohne Sinn – bzw. es verweist als Metakonstrukt auf sich selbst: »Der Sinn ist eine Funktion des Spiels, er ist an einem Ort in die Konfiguration eines Spiels, das keinen Sinn hat, eingeschrieben.«48 Die paradoxale Struktur des Spiels, die sich in den verschiedenen Theorien nachweisen lässt, mündet in diese Einsicht Derridas, mit der sich gleichzeitig begründen lässt, warum Spiel so grundlegend mit dem Menschsein verwoben sein kann, ohne selbst inhaltlich bestimmt werden zu können. Das Spiel als Funktion scheint sinn-los – es wirkt jedoch in den verschiedensten Sphären sinnstiftend. Daher kann ein Spielbegriff gleichzeitig unbestimmbar, seine Bedeutung als fundamentales Lebenselement des Menschen jedoch nicht überschätzt werden. Das Spiel kann als eigenständige und eigenartige Kategorie gelten, die sich keiner übergreifenden Kategorie unterordnen lässt. Dennoch gewinnt es seine Eigenart nur im Kontext dessen, was nicht Spiel ist. Die Frage nach der Grenze zwischen Spiel und Nicht-Spiel, die Frage nach seiner Realität bleibt in allen inhaltlichen Sphären, in denen Spiel beschrieben wird, tragend. Mit dieser Frage wird nicht nur auf Widersprüchliches einer Sphäre hingewiesen, sondern durch sie wird die paradoxale Qualität von Verhältnissen, die in einer Sphäre konstitutiv wirken, artikuliert.

2.2 Methodischer Zugriff auf die Theorien des Spiels Der methodische Zugriff auf den Spielbegriff orientiert sich bereits am Motiv der Ambivalenz bzw. Paradoxalität des Spiels und seiner Dichotomie von Form und Funktion. Die Auswahl der Theorien stützt sich auf die Relevanz der jeweiligen Theorie für die Erhellung der produktiven, sinnstiftenden Auseinandersetzung

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48

Vgl. Duden: »unterscheidendes Merkmal als Bedingung für einen Sachverhalt, ein Urteil, eine Entscheidung« https://www.duden.de/rechtschreibung/Kriterium. Da vor allem im didaktischen Kontext Kriterien zur Reduktion und Identifizierung von Merkmalen, Bedeutungshorizonten verwendet wird, wird dem Kriterium als Ausschließungssystem und diskursregulierendes Element, Spielregelfunktion und -qualität beigemessen. Derrida (1972), S. 394.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Spielender mit der Welt, Anderen und sich selbst. Unter Berücksichtigung der Spielenden sowie der Objekte des Spiels und deren Beziehung zueinander sollen verbindende Merkmale und Eigenschaften des Spiels gewonnen werden, die es erlauben, einerseits das Spiel als ästhetische Form zu beschreiben und andererseits seine potentiell bildende Funktion nachzuweisen. Der im folgenden gebotenen Einblick in ausgewählte Theorien des Spiels eröffnet ein »Kaleidoskop« an Sinnhorizonten, in welchen die Eigenschaften, insbesondere die Paradoxa des Spiels, in verschiedenen inhaltlichen Sphären kenntlich werden. Es lassen sich jedoch übergreifende Kategorien, Elemente und Wesensmerkmale im Sinne von Familienähnlichkeiten49 herauszustellen, die das Spiel als solches kennzeichnen und konstituieren. Diese finden sich entsprechend ebenso in den poststrukturalistischen Theorien des Spiels. Poststrukturalistische Spielbegriffe dienen der Explikation von Verfahren und Prozessen, die zur Abweisung identifizierenden Denkens und zur Dezentralisierung von Subjekten und Objekten führen. Die für diese Arbeit herangezogenen Autoren Derrida, Lyotard und Foucault greifen den Spielbegriff auf, klären ihn jedoch nicht im Sinne einer Definition, sondern verwenden ihn sinnbildlich – als Analogie zu einer (Spiel-)Bewegung, zu bestehenden Verhältnissen Spielender zum Spiel oder zu ihren »Spielzeugen«. Sie rekurrieren auf implizites Spielwissen, das in der Analogie aufscheint, jedoch nicht explizit bestimmt wird.50 Auch Theorien 49

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Vgl. Koller (1999), S. 35; vgl. Meder (2004), S. 133f.; vgl. dazu Lyotard et al. (1989), S. 10, S. 149. Mit »Familienähnlichkeit« beschreibt Lyotard in Anlehnung an Wittgenstein Universen ähnlicher Sätze, z.B. deskriptive, präskriptive, evaluative, interrogative und ostentative Sätze. Vgl. Baumgarten, Hans (2007): Compendicum Rhetoricum.Vandenhoeck&Ruprecht, S. 20. Die Analogiebildung Spiel – Diskurs, bzw. der metaphorische Zugriff auf den Spielbegriff bei Lyotard, Foucault und Derrida verweist auf die Entsprechung verschiedener Strukturmerkmale, wie z.B. das Vorhandensein der drei Dimensionen des Spiels: einer begrenzten Spielsphäre, einem Regelsystem und Akteuren des Spiels sowie deren konstitutives Verhältnis zueinander. Darüber hinaus zeigen sich metaphorische Zugriffe auf den Spielbegriff, in der Verwendung sprachlicher Bilder, die Einzelaspekte impliziten Spielwissens veranschaulichen. So verweist Meder auf Wittgensteins Darstellung der Wandelbarkeit der Sprache und ihrer Sprachspiele durch den Sprachgebrauch, die er mit der erodierenden Bewegung des Wassers im Flussbett und der dadurch evozierten Verschiebung des Flussbettes vergleicht. (Vgl. Wittgenstein: Über Gewissheit. § 97, in Meder (2004), S. 32.). Auch Foucault verwendet einen Spielbegriff, der seine wörtliche Aussage um das erweitert, was dem Spiel als Funktion implizit ist. Wenn er beklagt, dass »die Spiele […] der Sophisten verbannt wurden, seitdem man ihren Paradoxen […] einen Maulkorb angelegt hat […]«, dann deutet er durch diese Parallelführung auf die dem Spiel traditionell zugeschriebene Paradoxalität hin. Er beschreibt den Diskurs als Spiel des Schreibens, des Lesens und des Tauschs von Zeichen (vgl. Foucault 1991, S. 31): als eine Bewegung, die ihre kreative Kraft aus der Unentschiedenheit und Doppeldeutigkeit – bei Foucault (1991, S. 27) das »zweideutige Spiel von Geheimhaltung und Verbreitung« – speist. Als metaphorisch erweist sich ebenso der begriffliche Zugriff Derridas, der seinen Spielbegriff im Wesentlichen im paradoxen Verhältnis zwischen der Endlichkeit des

2. Das Spiel als »Spiel«

des Spiels, die im Anschluss an Derrida, Lyotard und Foucault poststrukturalistischen Einfluss geltend machen, verweisen auf implizites Spielwissen, um Prozesse und Möglichkeiten der Auseinandersetzung Spielender mit der Welt außer sich zu erklären.51 Dem Spiel kann im Raum der Philosophie, Ästhetik, Anthropologie und auch Soziologie bereits der Status eines Modebegriffs unterstellt werden.52

2.3 Implizites Spielwissen poststrukturalistischer Spielbegriffe »Spiele erzeugen Welten und Menschen«.53 Die Auswahl der Theorien des Spiels gründet in deren potentiellem Beitrag zu einem Verständnis subjektbildender und sinnstiftender Prozesse, die dem Spiel zugeschrieben werden. Dabei liegt das Augenmerk auf der paradoxalen Struktur dieser Prozesse, die auch in den poststrukturalistischen Theorien für Prozesse der Subjektbildung und Sinnstiftung als charakteristisch erachtet werden kann. Die Genese des philosophischen Spielbegriffs kann von Kant ausgehend über Schiller, Huizinga, Gadamer und Wittgenstein als ineinandergreifende Kette der kritischen Auseinandersetzung und Begriffsbildung gesehen werden,54 die sich in poststrukturalistisch und auch posthermeneutisch orientierten Diskursen – im Verweis auf jenes implizite Spielwissen – weiter fortschreibt.55

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Spielfeldes der Sprache und der Unendlichkeit der Bedeutungsmöglichkeiten verankert (vgl. Derrida (2010a), in Engelmann (1990/2010), S. 118). Vgl. u.a. Neuenfeld, Jörg (2005): Alles ist Spiel. Zur Geschichte der Auseinandersetzung mit einer Utopie der Moderne. Würzburg: Königshausen & Neumann; Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), Strätling (Hg.) (2012); Zirfas, Jörg: Das Spiel mit der Welt. Über das Theaterspielen. In: Liebau, Eckart; Zirfas, Jörg (2008): Die Sinne und die Künste. Perspektiven ästhetischer Bildung. s.l.: transcript (Ästhetik und Bildung, 2), S. 129; Liebau, Eckart; Zirfas, Jörg (Hg.) (2013): Lust, Rausch und Ekstase. Grenzgänge der Ästhetischen Bildung. 1. Aufl. Bielefeld: transcript (Ästhetik und Bildung, Bd. 7); Klager (2016); Wittig, Steffen (2018): Die Ludifizierung des Sozialen. Differenztheoretische Bruchstücke des Als-Ob. Paderborn: Ferdinand Schöningh (Theorieforum Pädagogik, Band 10). Vgl. Strätling (Hg.) (2012), S. 9. Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 7. Vgl. Casale in Bilstein/Winzen/Wulf (2005), S. 23.und 27., vgl. auch Deines in Strätling (Hg.) (2012), S. 32., vgl. Kant, Immanuel (1923): Über Pädagogik. Akademieausgabe. Bd. 9. Berlin und Leipzig, S. 470. In: Klager (2016), S 43. Vgl. z.B: Bilstein/Winzen/Wulf (2005); Schäfer/Thompson (2014); Strätling (Hg.) (2012); Klager (2016); vgl. Sonderegger, Ruth (2000): Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst. Originalausgabe, 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1493); vgl. Hentschel, Ulrike (2010): Theaterspielen als

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

2.3.1 Spiel und Mensch Beginnend mit der Entfaltung von Aspekten des Spielverständnisses von Kant und Schiller werden Paradoxa des Spiels enthüllt, die Konsequenzen für das (poststrukturalistische) Verständnis vom Subjekt einschließlich dessen verstehenden und gestaltenden Zugriff auf die Außenwelt haben.

2.3.1.1 Spiel und die (Un)Möglichkeit der Erkenntnis Kant beschreibt mit dem Begriff des Spiels das Prinzip der paradoxen Entgegensetzung von Einbildungskraft und Verstand und begründet damit das Subjekt als Ausgangspunkt von Erkenntnis.56 Angesichts der Vorstellung eines gegebenen Objektes der Anschauung verbinden sich Erkenntnisvermögen und Einbildungskraft des Individuums im freien Spiel. »Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntnis werde, Einbildungskraft für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung, und Verstand für die Einheit des Begriffes, der die Vorstellungen vereinigt. Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen, bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, muß sich allgemein mitteilen lassen: weil Erkenntnis als Bestimmung des Objekts, womit gegebene Vorstellungen (in welchem Subjekte es auch sei) zusammen stimmen sollen, die einzige Vorstellungsart ist, die für jedermann gilt.«57 Im Spiel gewinnt das Individuum Erkenntnis, die es befähigt und ermächtigt, reflektierend zu urteilen. Die Sphäre, innerhalb derer Kant das Spiel beschreibt, ist die des Schönen und der ästhetischen Lust.58 Das Spiel unterliegt den Regeln und Strukturen des Denkens und Urteilens. Das Subjekt scheint jedoch nicht Akteur des Spiels zu sein. Vielmehr verbinden sich lediglich die besagten menschlichen Erkenntnisvermögen im Spiel, während das Subjekt selbst im Vollzug der ästhetischen Erfahrung eher rezeptiv-passiv bleibt. Das Menschsein im Spiel als übertragbares und allgemeingültiges Verhältnis der Erkenntniskräfte prägt sich nach Kant in der Subjektivität der Erkenntnis bzw. des Geschmacksurteils aus.59

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ästhetische Bildung. Über einen Beitrag produktiven künstlerischen Gestaltens zur Selbstbildung. [3. Aufl.]. Berlin: Schibri-Verl. Kant, Immanuel (2014 – 8. Aufl.); Weischedel, Wilhelm (Hg.): Kritik der Urteilskraft. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 132. Kant (20148 ), S. 132. Vgl. Deines (2012) in: Strätling (2012), S. 32, Casale (2005), S. 27f., Kant (2014–8. Aufl.), S. 133. Kant (2014), S. 132.

2. Das Spiel als »Spiel«

Das erste Paradox, das sich zeigt, handelt von der (Un)Möglichkeit der Erkenntnis des Neuen. Der Ausgangspunkt für Kants Untersuchung des Verhältnisses von Spiel und Erkenntnis liegt in der Fragestellung, ob und wie Subjekte Neues zu erkennen in der Lage sind. Erkenntnis solle mehr sein als »bloße Reproduktion des Gegebenen«, als reduzierende Registrierung von Wahrnehmungen auf der Basis vorgängig etablierter Kategorien.60 Die Möglichkeit der Erweiterung des Denkens und Urteilens und der Tatsache, dass Kategorien intersubjektiv geteilt werden können, weist darauf hin, dass der Erkenntnisprozess synthetisch strukturiert ist – dass es Mechanismen gibt, die das Subjekt in produktive Krisen stürzen. Julia Christ definiert im Anschluss daran das Spielverständnis unter Einbeziehung des Begriffs der Krise nach Oevermann (2008): »Spiel beschreibt ein krisenhaftes Moment im Prozess der Erkenntnis, durch das ein Subjekt in die Lage versetzt wird, Neues überhaupt erst einmal wahrzunehmen«.61 Diese Krise befällt nicht die Möglichkeit der Erkenntnis, sondern die Denkkategorien, die das Subjekt konstituieren. Das Subjekt kann die Kategorien seines Denkens nicht verlassen, die es als solches hervorbringen. Die Krise, die ihm durch die ästhetische Erfahrung widerfährt und durch die es genötigt wird, seine konstitutiven Kategorien zu befragen, wirkt wiederum konstitutiv. Ein zweites Paradox in diesem Kontext erweist sich daher in Bezug auf die konstitutive Krise des Subjekts. »Bedeutet einerseits die Wahrnehmung des Unbekannten wesentlich eine Krise aus der Sicht des bestimmenden Subjekts, kann es andererseits ohne diese Krise aber gar nichts bestimmen, weil ihm kein Material zur Verfügung stünde.«62 Die Materialität der ästhetischen Erfahrung sprengt die Stabilität, die vorgängige Denkkategorien dem Subjekt bieten können. Für eine erkenntnisstiftende Auseinandersetzung mit Gegenständen außerhalb seiner selbst bzw. ästhetischen Erfahrungen muss das Subjekt seinen Standort verlassen. Es muss die Erschütterung als solche wirksam werden lassen, ohne ihr ein Prinzip zuzuweisen, das in den eigenen, vorgängigen Denkkategorien aufzulösen ist. »Die reflektierende Urteilskraft, die von dem Besonderen in der Natur zum Allgemeinen aufzusteigen die Obliegenheit hat, bedarf also eines Prinzips, welches sie nicht von der Erfahrung entlehnen kann, weil es eben die Einheit aller empirischen Prinzipien unter gleichfalls empirischen, aber höheren Prinzipien und 60 61

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Christ, Julia (2012): Die Möglichkeit des Anderen – Zur Dezentrierung des Subjekts im Spiel bei Kant und Winnicott. In: Strätling, Regine (Hg.) (2012), S. 107–116. Christ (2012) in: Strätling, Regine (Hg.) (2012), S. 106. Christ verweist auf die Abschiedvorlesung Ulrich Oevermanns; vgl. Oevermann, Ulrich (2016): »Krise und Routine« als analytisches Paradigma in den Sozialwissenschaften. In: Becker-Lenz, Roland/Franzmann, Andreas/Jansen, Axel/Jung, Matthias (Hg.) (2016): Die Methodenschule der Objektiven Hermeneutik. Eine Bestandsaufnahme. Wiesbaden: Springer VS., S. 43–114. Vgl. Christ (2012) in: Strätling (Hg.) (2012), S. 110.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

also die Möglichkeit der systematischen Unterordnung derselben untereinander begründen soll.«63 Die Überschreitung der eigenen Wirklichkeit als Bedingung und Effekt der Subjektbildung verweist auf ein weiteres Paradox. Das Subjekt begründet sich (neu) in dem Moment, da es seine (Vor)Bestimmung verlassen muss. In einer Sphäre des Überschreitens der subjektiven Wirklichkeit, die sich jedoch auf real gegebene Gegenstände bezieht, vollzieht sich das freie Spiel der Erkenntniskräfte ausschließlich zum Zweck der Erkenntnis. Nach kantischer Definition – so Christ64  – ist das Spiel ohne Zweck, der auf etwas außerhalb des freien »Spiels der Erkenntnis«65 verweist.66 Die Unterstellung eines konstitutiven Desinteresses des Spiels an etwas außer ihm widerspricht jedoch der Darstellung, dass die Erkenntniskräfte stets intentional auf etwas gerichtet seien. Bereits bei Kant kann die Autonomie des erkennenden Subjekts in Zweifel gezogen werden.67 »Allein, daß die Einbildungskraft frei und doch von selbst gesetzmäßig sei, d. i. daß sie eine Autonomie bei sich führe, ist ein Widerspruch.«68 Dieser Widerspruch – als Entgegensetzung von Freiheit und Gesetzmäßigkeit – kann als movens und auch als Zweck des freien Spiels der Erkenntniskräfte bestimmt werden, das allein der Erkenntnis im Sinne der Überschreitung von Wirklichkeit verpflichtet bleibt. Obgleich dem Spiel deshalb eine Nützlichkeit hinsichtlich überkommener Denkmuster und Kategorien abgesprochen werden muss, kommt ihm bei Kant eine »Zweckmäßigkeit ohne Zweck« zu:69 »Die Zweckmäßigkeit kann also ohne Zweck sein, sofern wir die Ursachen dieser Form nicht in einem Willen setzen, aber doch die Erklärung ihrer Möglichkeit, nur indem wir sie von einem Willen ableiten, uns begreiflich machen können. […] Also können wir eine Zweckmäßigkeit der Form nach, auch ohne daß wir ihr einen Zweck […] zum Grunde legen, wenigstens beobachten, und an Gegenständen, wiewohl nicht anders als durch Reflexion, bemerken.«70

2.3.1.2 Spiel und die (Un)Möglichkeit ästhetischer Erziehung Das Spiel erfüllt bei Schiller eine Funktion für das Menschsein an sich: »[…] der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur

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Kant (2014), S. 226 und 241 in: Christ (2012), S 111. Christ (2012), S. 106. Kant (2014), S. 132. Vgl. Kant (2014), S. 144–149, 161; vgl. dazu: Christ (2012), S. 106. Kant (2014), S. 160f. Ebd., S. 160. Vgl. Kant (2014), S. 144–149, 161; vgl. Christ (2012), S. 106. Kant (2014), S. 135. [Schreibweise im Original].

2. Das Spiel als »Spiel«

da ganz Mensch, wo er spielt.«71 Im Spiel verbinden sich entgegengesetzte Triebe des Menschen: der Stofftrieb, der dessen natürliche Bedürfnisse artikuliert, und der Formtrieb der Vernunft, des Geistes und auch der Kunst, der sich den Gesetzen der Natur nicht ohne Einspruch unterwerfen will, zum Spieltrieb. Der Spieltrieb entfaltet sich in der Sphäre des Kulturellen, Zivilisatorischen – einer Ebene der Auseinandersetzung, die zwischen Natur und Kunst entsteht: »Spiel ist die transzendentale Bedingung der moralischen und ästhetischen Zivilisierung des Menschen.«72 Schiller nimmt in seinen Briefen »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« von 1793/95 kritisch Bezug zu Kants These, Schönheit und Geschmacksurteile seien Errungenschaften subjektiver Rationalität und rührten allein vom Erkenntnis-Subjekt her.73 Er übernimmt von Kant zwar die Entgegensetzungen Vernunft – Sinnlichkeit, Notwendigkeit – Freiheit, Natur – Kultur, protestiert jedoch gegen ein einseitiges Diktat der Vernunft ebenso wie gegen die Unterwerfung unter die Gesetze der Natur. »Der Mensch, wissen wir, ist weder ausschließend Materie, noch ist er ausschließend Geist. Die Schönheit, als Konsummation einer Menschheit, kann also weder ausschließend bloßes Leben sein, wie von scharfsinnigen Beobachtern, die sich zu genau an die Zeugnisse der Erfahrung hielten, behauptet worden ist, und wozu der Geschmack der Zeit sie gern herabziehen möchte; noch kann sie ausschließend bloße Gestalt sein, wie von spekulativen Weltweisen, die sich zu weit von der Erfahrung entfernten, und von philosophierenden Künstlern, die sich in Erklärung derselben allzu sehr durch das Bedürfnis der Kunst leiten ließen, geurteilt worden ist. Sie ist das gemeinschaftliche Objekt beider Triebe, das heißt des Spieltriebs.«74 Schiller sieht in der Verbindung von Stofftrieb und Formtrieb im Spieltrieb die Möglichkeit für bildende Vervollkommnung des Menschen. Eine einseitige Ausprägung von Stoff-oder Formtrieb führte zur Verheerung: »Aus dem Natursohn wird, wenn er ausschweift, ein Rasender; aus dem Zögling der Kunst ein Nichtswürdiger.«75 Die wechselseitige Verbindung von Formtrieb und Stofftrieb im Spiel konstituiert als eine Ebene ästhetischer Objektivität einen Raum der Vermittlung. »Das Gemüt geht also von der Empfindung zum Gedanken durch eine mittlere Stimmung über, in welcher Sinnlichkeit und Vernunft zugleich tätig sind, eben deswegen aber ihre bestimmende Gewalt gegenseitig aufheben und durch eine

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Vgl. Schiller (1795), S. 2 (1. Brief). Casale (2005, S. 24) weist darauf hin, dass Schiller Kultur und Zivilisation nicht klar trennt. Vgl. Hentschel (2010), S. 33; Casale (2005), S. 27. Schiller (1795), S. 29. Ebd.; S. 7.

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Entgegensetzung eine Negation bewirken. Diese mittlere Stimmung, in welcher das Gemüt weder physisch noch moralisch genötigt und doch auf beide Weise tätig ist, verdient vorzugsweise eine freie Stimmung zu heißen, und wenn man den Zustand sinnlicher Bestimmung den physischen, den Zustand vernünftiger Bestimmung aber den logischen und moralischen nennt, so muß man diesen Zustand der realen und aktiven Bestimmbarkeit den ästhetischen heißen.«76 Ein paradoxes Verhältnis ergibt sich bei Schiller im Verhältnis von Realität und der »ästhetischer Scheinwelt«77 , in der sich das Spiel vollzieht. Um zu spielen, soll sich der Mensch von der Realität lossagen, denn nur in dieser bewussten Abkehr von der Wirklichkeit der Notwendigkeiten und Bedürfnisse gelangt der Mensch auf die Spielebene des Ästhetischen und Schönen, wodurch er erst Selbstständigkeit erlangt.78 Schiller verstrickt sich – so Neuenfeld – dadurch in ein Dilemma. Er entzieht dem Spiel jene Realität, die sich im Spiel eigentlich vermitteln müsste, um der Idee der Verschränkung der beiden Triebe, die Schiller postuliert, gerecht zu werden.79 Schiller stellt in seinen Briefen ein Bildungsideal heraus, mit dem er durchaus gesellschaftliche und politische Neuorientierung initiieren und in Aussicht stellen möchte. Indem er aber einen Realitätsentzug als Voraussetzung für das Spiel feststellt, unterläuft er das eigene Postulat der realen Möglichkeit von Bildung, denn das Spiel ist auf ideale Voraussetzungen angewiesen, die es erzeugen soll.80 Das Spiel vollzieht sich in Freiheit von Realität und Vernunft. Es generiert und bezieht sich auf die Sphäre des »Schönen«, welche Schiller vom »Angenehmen, Guten und Vollkommenen« unterscheidet.81 die er dem Ernst überkommener Werthaltung verpflichtet sieht. »Ich würde also vielmehr gerade umgekehrt sagen: Mit dem Angenehmen, mit dem Guten, mit dem Vollkommenen ist es dem Menschen nur ernst; aber mit der Schönheit spielt er.«82 Der Mensch vervollkommnet sich im Spiel, welches jedoch nur dann stattfindet, wenn ein instrumentalisierender Zugriff auf das Spiel ausgeschlossen bleibt, d.h., wenn eine extern organisierte Ausrichtung des Spiels auf einen bestimmten Gegenstand oder ein Ziel hin unterbleibt. Bildungsideal und Spielbegriff werden von Schiller synonym verwendet, treten jedoch in ein paradoxes Verhältnis.

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Schiller (1795) in: Hentschel (2010), S. 38. Neuenfeld (2005), S. 47. Ebd., S. 47f. Vgl. ebd., S. 47–49. Ebd., S. 49. Ebd., S. 48; vgl. auch Schiller (1795), S. 29. Schiller (1795), S. 29.

2. Das Spiel als »Spiel«

Der ästhetische Zustand, in welchem sich Spielende befinden, ist geprägt von »aktiver Bestimmbarkeit«,83 einer grundsätzlichen Offenheit als Folge der Aufhebung der beiden Grundtriebe. Dieser Zustand impliziert eine Freiheit, die zugleich beschränkende Vorbestimmungen abweist und das Individuum anregt, sich selbst zu bestimmen. Schiller beschreibt diesen Zustand als »Nullzustand« und zugleich als »Zustand höchster Realität«84  – als einen Moment, in dem der Mensch nicht frei von jeder Bestimmung ist, aber eine Freiheit zu jeder Bestimmung erlangt.85 Die paradoxe Entgegensetzung der Abweisung einer Vorbestimmung als Bedingung und Effekt von Freiheit zu jeder Bestimmung prägt die Vorstellung von (ästhetischer) Bildung, wie Schiller sie zum Ausdruck bringt.86 Im Zustand des Ästhetischen – so Schiller – entfalte sich das Potential ästhetischer Bildung.87 Da die bildende und emanzipatorische Wirkung des Ästhetischen aus der Sphäre des Spiels hervorgeht, wird auf inhaltliche Bestimmungen verzichtet. »Der ästhetische Gegenstand dient demnach weder der Erkenntnis noch der Moral, er verhält sich jeder Fremdbestimmung gegenüber völlig ›indifferent und unbrauchbar‹.«88 Schiller stellt deshalb ästhetische Bildung im Medium von Kunst infrage. Kunst, so Schiller, wirkt nicht intentional auf ein bestimmtes erzieherisches Ziel hin, sondern entzieht dem Menschen ebenjenes Ziel, indem sie ihm den Zustand der »Bestimmungsfreiheit«, der »Eigenschaftslosigkeit« in Aussicht stellt.89 »[…] nichts streitet mehr dem Begriff der Schönheit, als dem Gemüt eine bestimmte Tendenz zu geben«90 Ästhetische Erziehung könne nicht auf Kunst beruhen, die lehrend oder bessernd einwirke,91 weil auf diese Weise der ästhetische Zustand der Bestimmungsfreiheit pervertiert würde. Das ideale Kunstwerk dient nur sich selbst – und erfüllt erst darin seine Funktion im bildenden Prozess. Diese auf das Kunstwerk bezogene Perspektive lässt sich mit Schiller analog für den spielenden Menschen einnehmen. Auch der Mensch erfüllt sich nach Schiller selbst, in dem er sich von überkommenen Bestimmungen befreit:

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Schiller (1795) in: Hentschel (2010), S. 38. Schiller (1795), S. 42. Vgl. Hentschel (2010), S. 38. Vgl. ebd., S. 38. Vgl. ebd., S. 38. Vgl. Hentschel (2010), S. 38. Ebd., S. 43. Schiller (1795) in: Hentschel (2010), S. 38. Hentschel (2010), S. 38.

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»Sobald er anfängt, mit dem Auge zu genießen, und das Sehen für ihn einen selbständigen Wert erlangt, so ist er auch schon ästhetisch frei, und der Spieltrieb hat sich entfaltet.«92 Ästhetische Erziehung zu außerästhetischen Zwecken verriete sich selbst.93 Der Spieltrieb übernimmt bei Schiller eine Funktion im bildenden Prozess, ist aber nicht funktionalisierbar. Der Spielbegriff nach Schiller ist daher ebenso paradoxal strukturiert wie der Kantische, auf den er sich bezieht. Spielend bezieht sich der Mensch auf seine Wirklichkeit, muss sich jedoch intentional von der Realität lossagen, um spielen zu können. Die Bestimmung des Spieltriebs liegt in der Verwirklichung von Unbestimmtheit. Das Spiel ist daher der Sphäre des Ästhetischen verbunden. In der Kunst als Manifestation des Ästhetischen entzündet sich der Kern der Paradoxie: Kunst befreit das Individuum zum selbstständigen Spiel, indem es sich einer potentiellen Bestimmung des Kunstwerkes – und im Idealzustand seiner eigenen Intentionalität – entzieht. Um zu spielen, ist der Mensch auf den Ernst, die Vernunft, Zwänge und Notwendigkeiten der physischen Existenz und überkommener rationaler Bestimmungen angewiesen, um sich in konstitutivem Bezug darauf und in Abkopplung davon als Mensch und Individuum zu entfalten. »Die Vernunft stellt aus transzendentalen Gründen die Forderung auf: Es soll eine Gemeinschaft zwischen Formtrieb und Stofftrieb, das heißt, ein Spieltrieb sein, weil nur die Einheit der Realität mit der Form, der Zufälligkeit mit der Notwendigkeit, des Leidens mit der Freiheit den Begriff der Menschheit vollendet. Sie muss diese Forderung aufstellen, weil sie Vernunft ist – ihrem Wesen nach auf Vollendung und auf Wegräumung aller Schranken dringt, jede ausschließende Tätigkeit des einen oder des andern Triebes aber die menschliche Natur unvollendet lässt und eine Schranke in derselben begründet.«94 Nach Neuenfeld bleibt Schillers Spielbegriff daher eine »metaphorische Umschreibung für ein ganzheitliches Menschenbild, das zu seiner praktischen Umsetzung selbst idealer Lebensumstände bedarf.«95

2.3.2 Spiel und Welt: zur Ambivalenz der Spielwirklichkeit Im Folgenden steht die Untersuchung des Spiels als Spielwelt im Fokus, deren Verhältnis zur Wirklichkeit, zu den Spielregeln und zu den Spielenden in den Theorien

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Schiller (1795) in: Hentschel (2010), S. 39. Hentschel (2010), S. 43. Schiller (1795), S. 28. Vgl. Neuenfeld (2005), S. 49.

2. Das Spiel als »Spiel«

des Spiels unterschiedlichen Ausdruck finden, jedoch im Kern dem Motiv der Paradoxalität verbunden bleiben. Die Problematisierung der Grenzziehung zwischen Spiel und Welt – dem Verhältnis zwischen Spielwelt und Wirklichkeit – stellt in den Theorien des Spiels ein wiederkehrendes Motiv dar. So unterstellt beispielsweise die Theoriebildung nach Buytendijk (1933), Huizinga (1938) oder Fink (1960) dem Spiel eine notwendige Abkopplung »von den Zwängen der Lebenswelt«.96 Theorien dieser Tradition gehen von einer »Als-ob«-Qualität des Spiels aus. Spiel beschreibt in dieser Tradition eine Scheinwelt bzw. eine Symbolwelt oder fungiert nach Winnicott als »intermediärer Raum«.97 Theorien des Spiels, die sich Wittgensteins Theorie des Sprachspiels anschließen, betonen dagegen die produktive, wirklichkeitsstiftende Kraft des Spiels. Spiel regelt und erzeugt in dieser Perspektive die Welt des Sozialen.98 Spielhandlungen beziehen sich mimetisch auf die eigentliche Welt. Aus ihnen treten Handelnde und die gesellschaftliche Welt, die sich in diesen Handlungen konstituiert, wirklich hervor.99 Dem schließt sich eine Annäherung an die Frage nach der Bestimmung des Spiels in Differenz zum Nicht-Spiel an. Es soll gezeigt werden, dass die Grenzen des Spiels ebenso paradoxal strukturiert sind wie das Verhältnis zwischen dem Spiel und der eigentlichen Welt. Spiele sind nur durch Grenzziehung vom NichtSpiel zu unterscheiden, dennoch erlischt die Möglichkeit zu spielen im Moment der Grenzziehung. Abschließend soll deshalb dargestellt werden, welches Verständnis ausgewählte Autoren zum Verhältnis Spielender zum Spiel haben, denn der Blick Spielender auf das Spiel ist für die Konstitution der Spielwelt ebenso bedeutsam wie deren Erleben einer Grenzenlosigkeit im Spiel.

2.3.2.1 Zum produktiven Verhältnis von Welt und »Als- ob- Welt« Das Spiel sei älter als Kultur und damit als der Mensch, so beginnt Huizinga seine kulturphilosophischen Ausführungen zu Wesen und Darstellungsformen des Spiels.100 Da auch Tiere spielten, sei das Spiel dem Menschlichen und damit allen menschlichen Hervorbringungen vorgängig. Jedoch geht aus menschlichem 96 97

Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 16. Vgl. Donald W. Winnicott, Donald W. (2006): Vom Spiel zur Kreativität, Stuttgart: Klett-Cotta 2006 (11. Aufl.) Donald W. Winnicott (1969): Übergangsobjekte und Übergangsphänomene. Eine Studie über den ersten, nicht zum Selbst gehörenden Besitz, zuerst als Vortrag 1951, dann engl. 1953; dt. in: Psyche Nr. 23, 1969. 98 Vgl. Wulf (2005) in: Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 16; Wulf verweist hier auf Gebauer, G. (1997): Spiel. In: Wulf, Christoph (1992): Mimesis. Kultur-Kunst-Gesellschaft. Reinbek: Rowohlt; vgl. Wittgenstein, Ludwig (1960): Philosophische Untersuchungen. In: Wittgenstein, L.: Schriften, Bd. 1, Frankfurt/M: Suhrkamp. 99 Wulf (2005) in: Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 16. 100 Huizinga (2011), S. 9.

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Spielen wiederum Kultur hervor. Spiel tritt als »Form von Aktivität, als sinnvolle Form und als soziale Funktion«101 in Erscheinung und wirkt als »Kulturfaktor«102 . Menschliches Zusammenleben, Sprache, Mythos und Kult können nach Huizinga als »Triebkräfte« für alles erdenkliche Kulturelle gelten: »Recht und Ordnung, Verkehr, Erwerb, Handwerk und Kunst, Dichtung, Gelehrsamkeit und Wissenschaft« können als Emanationen menschlichen Spiels und Spiele an sich betrachtet werden.103 Huizinga führt die Schwierigkeit, das Spiel zu bestimmen, auf diese doppelte Erscheinung des Spiels und das Paradox seines Grundes zurück. Es ist unmöglich, das Spiel in der kulturellen Welt zu verorten – denn es ist ihr bereits vorgängig. Das Spiel ist zugleich kulturelle Erscheinung und der Grund für die Erzeugung des Kulturellen. Es zeigt sich in vielfältiger Form und Funktion für die Sphäre des Kulturellen.104 Huizinga bestimmt das Spiel als Bedingung und Effekt menschlicher Kultur und verweist auf Eigenschaften, die seine paradoxe Struktur begründen.105 Die Abgrenzung des Spiels von dem, was es nicht ist, unternimmt Huizinga durch die Gegenüberstellung von Spiel und Ernst. Dabei stellt er fest, dass mit der Grenzziehung ein »Minderwertigkeitsbewusstsein« für die Sphäre des Spiels verknüpft ist. Spiel ist »bloß Spiel«, »nur Spaß« und ist paradoxerweise auf ernsthafte Hingabe angewiesen. »Die Minderwertigkeit des Spiels hat ihre Grenze im Mehrwert des Ernsts.«106 Nur wer das Spiel wirklich ernst nimmt, kann spielen. Obwohl Huizinga das kulturstiftende – und damit wirklichkeitsbildende – Potential des Spiels herausstellt, betont er doch dessen Abgehobenheit vom »gewöhnlichen«, »eigentlichen« Leben.107 Das Spiel hebt sich vom Alltäglichen ab, indem es die Gesetze der Lebenswelt unterläuft und die Wirklichkeit an Bedeutungsmöglichkeiten überschreitet. Es entfaltet sich jenseits von Notwendigkeiten und Pflichten,108 menschlicher »Notdurft und Nutzen109 «. Huizinga beschreibt die»tief im Ästhetischen verankerte Eigenart des Spiels«110 und sein überlogisches, unvernünftiges Wesen. Daher sei das Spiel im vollen Sinne ein »Superabundans« – Überfülle und Überflüssiges.111

101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111

Ebd., S. 12. Ebd., S. 12. Ebd., S. 13. Ebd., S. 12f. Vgl. ebd., 15–20. Ebd., S. 17. Ebd., S. 16. Vgl. Huizinga (2011), S. 16. Ebd., S. 173. Ebd., S. 9f. Ebd., S. 10.

2. Das Spiel als »Spiel«

2.3.2.2 Das Spiel als Kunst Nach Gadamer formalisiert sich im Spiel das Kunstwerkerleben und das Kunstwerk selbst als dritte Instanz zwischen dem Individuum und dem Objekt seiner Anschauung. Das Kunstwerk vollendet sich im Spiel – als Spiel.112 Gadamer kritisiert jedoch die Trennung der Welt der Betrachtenden von der Spiel-Welt der Betrachtung. Im Spiel verschwimmen die Grenzen zwischen den Kategorien Subjekt und Objekt der Anschauung. Gadamer unterscheidet zunächst die Kunst(werk)erfahrung von »ästhetischem Bewusstsein«. »Ästhetisches Bewusstsein« verweist nach Gadamer auf ein subjektives Gewahrwerden des Kunstwerkes als solches. Im Zustand ästhetischen Bewusstseins vollziehe sich eine Trennung vom Subjekt und dem Objekt seiner Betrachtung. Gadamer kritisiert nun diese Trennung, weil sie das Kunstwerk zum Gegenstand degradiert und sein eigentliches Potential, seine Seinsweise nicht erfasst. »Wenn wir im Zusammenhang der Erfahrung der Kunst von Spiel sprechen, so meint Spiel nicht das Verhältnis oder gar die Gemütsverfassung einer Subjektivität, die sich im Spiel betätigt, sondern die Seinsweise des Kunstwerkes selbst.«113 Dieses konstituiert sich in der Erfahrung, die mit ihm gemacht wird. Die Struktur dieses Vollzuges der Erfahrung beschreibt Gadamer als Spiel. Obwohl sich in dieser Formalisierung ästhetischer Erfahrung das Spiel als eigenständige Sphäre und Spielwirklichkeit beschreiben lässt, ist Gadamers Zugriff auf das Spiel metaphorisch. Mit Bildern wie dem »Spiel des Lichtes, vom Spiel der Wellen, vom Spiel des Maschinenteils in einem Kugellager, vom Zusammenspiel der Glieder, vom Spiel der Kräfte, vom Spiel der Mücken, ja sogar vom Wortspiel«114 veranschaulicht er jene charakteristischen Bewegungen des »Hin und Her«, die er auch dem Erfahrungsvollzug des Spiels zuschreibt.115 Die Spielbewegung, der Vollzug der Erfahrung als ein »Hin und Her« hat selbst kein »Substrat«. Ihr eingeschrieben ist ein medialer Sinn.116 Die Idealität des Kunstwerks realisiert sich im Moment der Auflösung der Kategorien Kunstwerk-Objekt und Rezipient-Subjekt als »höchste Möglichkeit des Spiels«.117 Das Kunstwerk verliert somit seinen Status als Objekt und das Subjekt seine Position als Auslöser oder Motor der Erkenntnis, denn das Spiel fungiert als Instanz der Auflösung der Dialektik von Objekt und Subjekt. Für Gadamer ist es deshalb unerheblich, wer oder was die Spielbewegung ausführt:118

112 113 114 115 116 117 118

Casale (2005) nach Gadamer, S. 26f. Gadamer (2010), S. 97. Ebd., S. 111. Ebd., S. 109. Ebd., S. 111. Casale (2005), S. 26. Gadamer (2010), S. 109.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

»Alles Spielen ist ein Gespieltwerden. […] Das eigentliche Subjekt des Spieles (das machen gerade solche Erfahrungen evident, in denen es nur einen einzelnen Spielenden gibt) ist nicht der Spieler, sondern das Spiel selbst.«119 Gadamer löst die Seinsweise des Kunstwerks als Spiel daher vom »darstellenden Tun« der Spielenden. Die »ästhetische Formalisierung«120 des Kunstwerks als Spiel bzw. die »Verwandlung ins Gebilde«121 vollzieht sich unabhängig von den Spielenden. Form und Struktur des Gebildes ist deshalb nach Gadamer grundsätzlich wiederholbar, auch wenn sich die Spielenden im Spiel irreversibel verwandeln lassen. Die Spielbewegung »erneuert sich in beständiger Wiederholung«122 ohne Zweck und Absicht.123 Der Tätigkeit des Spielens widmen sich Spielende mit Leichtigkeit. Spielen gelinge »wie von selbst«.124 Es erfordere »lediglich« Hingabe an das Spiel. Gadamer versteht dies als Imperativ an den Menschen, der vom Spiel selbst ausgeht und Spielende einlädt, die eigene Subjektivität der Freiheit des Spiels anheimzustellen: »Jedes Spiel stellt dem Menschen, der es spielt, eine Aufgabe. Er kann sich gleichsam nicht anders in die Freiheit des Sichausspielens entlassen, als durch die Verwandlung der Zwecke seines Verhaltens in bloße Aufgaben des Spiels.«125 Die Aufgabe des Spiels ist seine Selbstdarstellung. Darstellung der Spielaufgabe entspricht bereits der Darstellung ihrer Lösung.126 Die Forderung des Spiels nach Hingabe impliziert den Abschied des Subjekts von Absichten und Zweckbestimmungen, die sich auf das Werk richten. Gadamers Auflösung der Instanzen des Subjekts und des Kunstwerks als Objekt nivelliert jedoch nicht die Hierarchie zwischen den Instanzen, sondern installiert zunächst eine neue durch die Verabsolutierung der Wahrheit des Spiels. »Der Begriff der Verwandlung soll also die selbständige und überlegene Seinsart dessen, was wir Gebilde nannten, charakterisieren. Von ihm her bestimmt sich die sogenannte Wirklichkeit als das Unverwandelte und die Kunst als die Aufhebung dieser Wirklichkeit in die Wahrheit.«127

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Ebd., S. 112. [Hervorhebungen im Original] Casale (2005), S. 26. Gadamer (2010), S. 116. Ebd., S. 109. Ebd., S. 110. Ebd., S. 110. Ebd., S. 113. Vgl. ebd., S. 113. Ebd., S. 118.

2. Das Spiel als »Spiel«

Dieser Verabsolutierung entgegenwirkend, betont Gadamer die Prozesshaftigkeit dieses Gebildes als Vollzug des »Gespieltwerdens« und Spielens.128 Da Gadamer dem Spiel einen Vorrang gegenüber dem Bewusstsein der Spielenden einräumt,129 vollzieht sich das Spiel vor dem Zugriff des ästhetischen Bewusstseins, das Subjekt und Objekt in einer Bewegung »ästhetischer Nichtunterscheidung« entzweit.130

2.3.3 Zur Ambivalenz von Spielgrenzen und Spielregeln »Die Regeln des Spiels sind unbedingt bindend und dulden keinen Zweifel.«131 Jedes Spiel ist geregelt. Die Grenzen des Spiels lassen sich im Zusammenhang eines Geltungsbereichs von Regeln beschreiben, die das Spiel als solches begründen und seine Endlichkeit in Zeit und Raum bezeugen. Die Endlichkeit des Spiels, seine Abgeschlossenheit und Begrenztheit rekurriert auf eine innere Ordnung – auf ein Regelsystem, das in der eigentlichen Welt keine Geltung haben. Die Regelhaftigkeit des Spiels ist der Schlüssel zu seiner grundsätzlichen Wiederholbarkeit – gleichzeitig aber auch der Unverwechselbarkeit und Ereignishaftigkeit – des Spiels.132 Gründe für diesen Widerspruch liegen zum einen in der paradoxalen Struktur der Grenze des Spiels und zum anderen in der wechselseitigen Beziehung der Welt zum Spiel. Werden, um im Spiel sein zu können, die (Spiel-)Regeln des Lebens außer Kraft gesetzt, gelingt dies nur im Spiel. Spielhandlungen artikulieren die Als-ob-Welt des Spiels und beziehen sich deshalb immer auch auf die eigentliche Welt, wobei sich das Spiel der Welt nicht verordnen lässt, sondern es geht aus den Handlungen hervor, die sich von dem trennen müssen, auf das sie sich beziehen, um Spiel zu sein: »Nur im Spiel lässt sich bestimmen, was ein Spiel ist« – nicht durch Definition, sondern durch die Spielhandlung und die handelnde Aufführung des Spiels.133 Spielhandlungen beziehen sich auf Handlungen der eigentlichen Welt, dabei verweisen sie formal auf die reale Welt, verweigern sich aber dem eigentlichen Zweck.134 Das Aussetzen des Normalen eröffnet die Möglichkeit mehrfachen Bedeutens, die eine eindeutige Dekodierung, die der Rationalität des Eigentlichen folgt, zuwiderläuft.

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134

Ebd., S. 122. Vgl. ebd., S. 111. Ebd., S. 122. Huizinga (2011), S. 20. Vgl. ebd., S. 19. Wulf, Christoph (2005): Spiel. Mimesis und Imagination, Gesellschaft und Performativität. In: Bilstein, Johannes; Winzen, Matthias; Wulf, Christoph (Hg.) (2005): Anthropologie und Pädagogik des Spiels. Weinheim: Beltz (Beltz Pädagogik, 15), S. 19. Menke, Christoph (2005): Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 124.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

»Die Trennung zwischen Wirklichkeit und fiktionaler, illusorischer oder imaginärer Möglichkeit soll nicht negiert, sondern auf ihr muss bestanden werden. Es wäre eine ›Illusion des Spiels‹ bzw. des Spielenden, wenn er glaubte, die freie und autonome Haltung im Spiel könne problemlos auf die Lebenspraxis übertragen werden.«135 Für Menke ist das Spiel »das Andere der Praxis«.136 Daher besteht er auf der Anerkennung der Differenz zwischen »Lebenspraxis und Spiel«,137 da diese Differenz eine Bezugnahme zur eigentlichen Welt erst zulässt. Damit im Spiel als ästhetischem Prozess die Grenzen eigentlicher Bedeutungen unterlaufen oder überschritten werden können, müssen sie existieren.138 Die paradoxe Struktur der Grenze zeigt sich zudem im Moment der Bezeichnung des Spiels als Spiel. Die Aussage »Das ist Spiel«139 wirkt entweder störend oder befreiend, denn sie unterbricht den Spielprozess. Das Regelwerk des Spiels bleibt dem Handeln und der Kommunikation implizit eingeschrieben – wird es explizit zum Ausdruck gebracht, ist das Spiel vorbei. Das bedeutet nicht, dass Regeln nicht explizit artikuliert werden können, sondern dass im Moment der expliziten Darlegung, Präsentation oder Verhandlung von Spielregeln noch nicht bzw. nicht mehr gespielt wird. Die paradoxale Grenze des Spiels entspricht dem paradoxen Verhältnis von Gebrauch und Erzeugung von Spielregeln. Spielregeln artikulieren den Übergang von Vorstellungen in eine »performative, körpergebundene, expressive und ostentative« Aufführung des Spiels.140 . Es entsteht eine »wirkliche Unwirklichkeit«, die die Alltagswelt überschreitet und überkommene Grenzen der Vernunft sprengen – die aber eine mimetische Bezugnahme auf Wirklichkeit und Vernunft voraussetzt.141 Daraus folgt, dass die Trennung von Welt und Spielwelt nicht nur die Äußerlichkeit des Spiels beschreibt oder seine Grenze und damit das Spiel selbst anerkennt, sondern konstitutiv für Spielwelt und Welt ist. Schäfer und Thompson verdichten verschiedene Perspektiven der Trennschärfe zwischen Welt und Spielwelt, Wirklichkeit

135 136 137 138 139

Menke (2005) in: Weiß (2014) in: Schäfer/Thompson (Hg.) (2014), S. 37. Menke (2005), S. 153. Menke (2005) in: Weiß (2014) in: Schäfer/Thompson (Hg.) (2014), S. 37. Vgl. Menke (2005) in: Weiß (2014) in: Schäfer/Thompson (Hg.) (2014), S. 39. Baatz, Ursula (1993): Das Spiel ist ernst, der Ernst ist Spiel. In: Baatz, Ursula; Müller-Funk, Wolfgang (Hg.) (1993): Vom Ernst des Spiels. Über Spiel und Spieltheorie. Berlin: Reimer (Reihe historische Anthropologie, 19), S. 13; vgl. dazu Bateson, Gregory (1981): Ökologie des Geistes. Anthropologische, psychologische, biologische und epistemologische Perspektiven. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 244. 140 Wulf (2005) in: Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 18. 141 Ebd., S. 18f.

2. Das Spiel als »Spiel«

und Spiel-Wirklichkeit zu der These: »Spiele sind Wirklichkeiten, in denen es – bei aller inhaltlichen Verschiedenheit – um die Wirklichkeit der Wirklichkeit geht.«142

2.3.4 Zur Ambivalenz des Verhältnisses Spielender zum Spiel Das Spiel verdankt sich der Bereitschaft Spielender, die eigene subjektive Position aufzugeben und sich vom Spiel in den Bann ziehen zu lassen. Die Hingabe an das Spiel bedingt eine Bezauberung durch das Spiel.«143 Dem Spiel eigen ist ein Spannungsmoment, das der Ungewissheit über den Spielverlauf entspringt und Chancen verspricht.144 Spielende akzeptieren Ungewissheit und das Risiko der Hingabe an das Spiel, weil es Möglichkeiten in Aussicht stellt, die das Vorgängige übersteigen.145 Das Risiko ist für die Spielenden tragbar, weil das Spiel als solches zeitlich und räumlich begrenzt ist – und die Spielenden im Bewusstsein dieser Endlichkeit und gleichzeitig im Zustand des Vergessens dieser Begrenzung spielen. »Spielen ist so nur in einer paradoxen Situation möglich. Einerseits setzt es voraus, daß zwischen dem, was Spiel ist, und dem, was Nicht-Spiel ist, unterschieden werden kann. Andererseits ist Spiel erst wirklich Spiel, wenn der Spieler davon völlig ergriffen wird, wenn er ›ernsthaft‹ spielt. Dies ist aber nur der Fall, wenn die Unterscheidung zwischen Spiel und Ernst mindestens für den Moment aufgehoben wird.«146 Entscheidend für die Exploration des Sinnpotentials des Spiels ist das Verhältnis Spielender zum Spiel. Das Interesse Spielender im Spiel und am Spiel wird in den Theorien des Spiels verschieden artikuliert. Für Huizinga bewirkt der »ästhetische Faktor« des Spiels den »Drang, eine geordnete Form zu schaffen.«147 Huizinga betont die Wirkungen der Schönheit im Spiel. Es sei voll von »edelsten Eigenschaften« und »erfüllt von Rhythmus und Harmonie.«148 »Das Spiel bindet und löst. Es fesselt.«149 Nach Gadamer besteht der Reiz des Spiels in dem Risiko, das einerseits Entscheidungsfreiheit bedeutet und andererseits gleichzeitig im Verlust derselben besteht:

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Schäfer/Thompson (Hg.) (2014), S. 10. Huizinga (2011), S. 17. Vgl. ebd., S. 19. Vgl. auch Gadamer (2010), S. 111. Baatz (1993) in: Baatz/Funk (Hg.) (1993), S. 12. Vgl. Huizinga (2011), S. 19. Vgl. ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 19.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

»Der Reiz des Spieles, die Faszination, die es ausübt, besteht eben darin, daß das Spiel über den Spielenden Herr wird. Auch wenn es sich um Spiele handelt, in denen man selbstgestellte Aufgaben zu erfüllen sucht, ist es das Risiko, ob es ›geht‹, ob es ›gelingt‹ und ob es ›wieder gelingt‹, was den Reiz des Spieles ausübt. Wer so versucht, ist in Wahrheit der Versuchte. […] Das Spiel ist es, was den Spieler in seinen Bann schlägt, was ihn ins Spiel verstrickt, im Spiele hält.«150 Spielende befinden sich in paradoxer Gefangenschaft des Spiels – sie unterstellen die eigene Subjektivität dem Bann des Spiels, um frei spielen zu können. Das Interesse der Spielenden bleibt auf die Sphäre der Spielwelt beschränkt und muss sich äußeren Gründen und Zweckbestimmungen verweigern, um das Spiel zu erhalten.151 Spielen ist freies Handeln – es kann nicht Zwecken unterstellt werden, die außerhalb seiner selbst liegen, es kann nicht befohlen werden.152 Weiß differenziert in Anlehnung an Dostojewski das Interesse Spielender am Spiel in zwei Kategorien.153 Trachten Spielende danach, im Spiel Gewinn zu erzielen, wird es ernst, denn ihm wird ein äußerer – materieller – Grund unterstellt. Spielende dieser Kategorie verlieren ihre Distanz zum Spiel als Spiel, denn ihr Gewinnstreben gehört zur Wirklichkeit ihrer Lebenswelt. Im anderen Fall entzündet sich das Interesse am Spiel in »Wissbegierde und Amüsement« und negiert ein materielles Interesse. Hier zeigt sich ein Interesse am Spiel als Spiel – solange nicht Wissbegierde die Qualität materiellen Interesses bekommt. Spielende, die spielen um des Spielens willen,154 agieren in Distanz zum Spiel, die ihnen ein Bewusstsein von der Spielwirklichkeit ermöglicht. Diese Distanz darf nicht zu groß werden, damit die Spielenden sich nicht selbst zum Spielverderber werden.155 Ein Bewusstsein über die Spielwirklichkeit als Spiel oder als Wirklichkeit ist für die Bestimmung des Spiels entscheidend. Die durch das Subjekt selbst eingenommene Distanz zum Spiel bzw. sein bewusstes Sich-Einlassen, Sich-Überlassen erzeugt nicht nur das Spiel, sondern auch die Rolle des Subjekts im Spiel als Spieler, Falschspieler oder Spielverderber, der im Gegensatz zum Falschspieler seine Distanz zum Spiel offenlegt. Die Bestätigung der Spielregeln, die Anerkennung von Spiel als Wirklichkeit oder Spiel als Spiel, geht daher von einer Subjektposition aus, die sich gleichzei-

150 Gadamer (2010), S. 112. 151 Huizinga (2011), S. 18. Das Merkmal der Interesselosigkeit des Spiels findet sich bereits bei Kant. Vgl. dazu Neuenfeld (2005), S. 18; vgl. auch Klager (2016), S. 43. 152 Huizinga (2011), S. 16. 153 Weiß (2012) in: Strätling (Hg.) (2012), S. 41. Weiß bezieht sich auf Dostojewski (1866) »Der Spieler«. 154 Dostojewski in Weiß (2012) in: Strätling (Hg.) (2012), S 42. 155 Weiß (2012) in: Strätling (Hg.) (2012), S. 41–45.

2. Das Spiel als »Spiel«

tig zur Disposition stellt und durch die spielende Tätigkeit in ihrer Rolle hervorbringt:156 »So wird nun deutlich, wie im ›heiligen Ernst‹ des Spiels als doppeltes Verhältnis des Subjekts zum Spiel, als Ernstnehmen und reflexives Nichternstnehmen des Nicht-Ernstes, gerade das Spiel als Sinnzusammenhang entsteht: Ihm wird gerade in einer Operation der wissenden Distanzierung zum Spiel ein Sinn gegeben, indem dieses als Unwirklichkeit wirklich gemacht wird. Mit dieser unwirklichen Wirklichkeit wird etwas als ›suspendierte Illusion‹ hervorgebracht, das den Spieler unfreiwillig in einen Bann zieht, in dem er nicht mehr zwischen Ernst und Nicht-Ernst unterscheiden kann […] Gerade aber jenes sinnkonstitutive Bannen des Subjekts im Spiel bleibt in seiner Letztbegründung grundlos.«157 Das Interesse der Spielenden am Spiel ist für den Erhalt der Spielsituation notwendig, die Spielsituation muss auf das Spiel bezogen bleiben, d.h. äußere Gründe und Zwecke müssen als Teil der Alltagswelt abgewiesen werden. Das Spiel stellt Gewinn in Aussicht, solange es unbegründet bleibt.

2.4 Machtspiel, Sprachspiel und das Spiel der Differenz Poststrukturalistische Spielbegriffe Auch die Spielbegriffe von Lyotard, Foucault und Derrida begründen keine eigenständigen Spieltheorien, sondern gehören deren theoretischen Explikationen poststrukturalistischen Denkens an. Sie dienen der Beschreibung von Strukturen, Verhältnissen und Bewegungen, sind analogisch oder auch metaphorisch158 angelegt und daher auf implizites Spielwissen angewiesen. Mit dem Gebrauch des Spielbegriffs stellen poststrukturalistische Autoren Analogien zum Diskurs und diskursiver Praxis her und veranschaulichen ihr jeweiliges Verständnis für Prozesse der Sinnstiftung, Subjektbildung und des Verstehens bzw. Nicht-Verstehens. Die Analogiebildung zwischen diskursiver Tätigkeit oder Diskursivität und Spiel verweist auf jenes »immaterielle Element« des Spiels,159 mit dem die Darstellung von Diskurs als Text, Verbindung von Sprachspielen und Macht explorativ überschritten werden kann. Der Begriff des Diskurses ist daher trotz Analogiebildung nicht kongruent mit dem Begriff des Spiels, denn dem Spiel inhärent ist die poststrukturalistische

156 157 158 159

Vgl. Weiß (2012) in: Strätling (Hg.) (2012), S. 41; vgl. auch Wittig, Steffen (2012): Kultur-SpielSubjekt. Zur Konstitution von Kultur in und als Spiel. In: Strätling (Hg.) (2012), S. 176f. Vgl. Wittig (2012) in: Strätling (Hg.) (2012), S. 176. Vgl. Kapitel 2.2: Methodischer Zugriff auf die Theorien des Spiels. Vgl. Wittig (2018), S. 29.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Idee der Subversion überkommener Strukturen und Bedeutungshorizonte, die jedoch im Diskurs noch nicht enthalten sein kann, weil dieser der Subversion bereits vorgängig ist. Das Spiel sprengt daher die diskursiven Voraussetzungen und den Diskurs. Darauf, dass dies auch die Idee und die Bewegung der Subversion – die Dekonstruktion – auch selbst trifft, verweist Derrida, der das Paradox der Metaphysikkritik nicht ausschließt, sondern konstitutiv in seine Spielkonzeption einbezieht. Poststrukturalistische Spielbegriffe sind utopisch und beziehen ihr dekonstruktives und exploratives Potential aus einer grundsätzlich oppositionellen Haltung gegenüber metaphysischen Überkommenheiten160 und aus der Entgegensetzung ästhetischer Präsenz. Die folgende Explikation der Spielbegriffe nach Lyotard, Foucault in den drei Dimensionen des Spiels, also der Spielsphäre, des Regelsystems und der jeweiligen Darstellung der Position Spielender soll einen Einblick in den Niederschlag impliziten Spielwissens in den poststrukturalistischen Verwendungen des Spielbegriffs bieten. Den Fokus der Betrachtung bilden die paradoxale Struktur und das metaphysikkritische Anliegen des Spiels. Von besonderer Bedeutung kommt dem Spielbegriff Derridas zu, der als Metakonstrukt der Dekonstruktion eingeführt werden kann. In ihm artikuliert sich Derridas Verständnis des Paradoxes der Metaphysikkritik, was entscheidende Anknüpfungspunkte für die Formulierung dekonstruktiv-didaktischer Impulse bietet. Die Entfaltung der Analogiebildung Spiel-Diskurs in den Dimensionen des Spiels dient zunächst der Vorbereitung der Synthese »Diskurs als Spiel« im Kapitel 6. Der Aufarbeitung impliziten und expliziten poststrukturalistischen Spielwissens folgt die Begründung der Möglichkeit der Darstellung bildender Diskurse als Spiel.

2.4.1 Die Inkommensurabilität der Sprachspiele Lyotards Spielbegriff verhält sich zu seinem Diskursverständnis nicht nur analog, sondern entspricht ihm aufgrund der Terminologie Wittgensteins, an dessen Sprachspielkonzeption und Metaphorik Lyotard anschließt.161 Die Aspekte des lyotardschen Diskursbegriffes sollen an dieser Stelle deshalb nicht wiederholt werden,162 sondern solche Spuren beleuchtet werden, die auf einen Niederschlag impliziten Spielwissens hinweisen. Das Spiel übernimmt im Diskursbegriff nach Lyotard eine Funktion für die Exploration von Sinn und die paralogische Verkettung von Sätzen.163 Es kann daher als Bedingung und Effekt der ethischen und

160 Neuenfeld (2005), S. 178. 161 Vgl. Meder (2004), S. 31f. 162 Vgl. Kapitel 1.1.4.2: Sprachspiele und die Paralogie der Erfindung – zum Diskursbegriff nach François Lyotard. 163 Vgl. Neuenfeld (2005), S. 160f.

2. Das Spiel als »Spiel«

ästhetischen Dimension des Widerstreits gelten. Lyotard untersucht Regelsysteme in der Sphäre der Sprache und die Position der Spielenden und deren Verhältnisse in inkommensurablen Sprachspielen. Lyotard betrachtet sprachliches Handeln als Wettstreit. »Sprechen ist Kämpfen im Sinne des Spielens (agon).«164 Der Mensch spielt nicht unbedingt, um zu gewinnen, sondern aus Freude an der Erfindung von Spielzügen. Lyotard unternimmt auf der Basis der vermuteten Entsprechung zwischen sprachlichem und gesellschaftlichem Band den Versuch, die Produktion und Legitimation von Wissenssystemen in den Dienst des sozialen Miteinanders und der Gerechtigkeit zu stellen.165 Im Spielfeld der Sprache weist er nach, dass durch die Erfindung neuer Spielzüge und Spielregeln sprachlicher bzw. gesellschaftlicher Wandel herbeigeführt werden kann. Nach Lyotard ist jede Aussage ein Spielzug im Diskurs als offenem Verbund von Sätzen und Sprachspielen. Jeder Satz wird nach einem Regelsystem gebildet und der Diskursart entsprechend verkettet.166 Ohne Regeln kann es kein Spiel geben.167 Zwischen den Spielenden existieren explizite oder implizite Verträge, die diese Regeln legitimieren.168 Nach Lyotard besteht ein »beobachtbarer sozialer Zusammenhang aus sprachlichen ›Spielzügen‹«.169 Die Sätze geschehen – das Subjekt hat nur eine mittelbare Position. Das Selbst ist wenig,170 weil es den sprachlichen Relationen unterliegt. Spielende gehen aus dem Spiel, Sprechende aus dem Diskurs durch den Gebrauch der Sprache erst hervor. Jeder Spielzug weist den Spielenden eine »Rolle« im Satz zu und provoziert deren Gegenzüge.171 Spielen stellt Gewinn in Aussicht, verlangt daher Risikobereitschaft und Einsatz172 für den Widerstreit und die Prozesse der Delegitimierung.173 Im Spiel wird traditionelles Wissen und werden Metaerzählungen zur Disposition gestellt, um

164 Lyotard (2015), S. 46. 165 Vgl. ebd., S 53–59. 166 Vgl. ebd., S. 43; Lyotard (1989), S. 10 und 149. Lyotard differenziert im Widerstreit deskriptive, präskriptive, evaluative, interrogative und ostensive Satz-Regelsysteme. Vgl. dazu auch Koller (1999), S. 35. 167 Vgl. Lyotard (2015), S. 45. 168 Vgl. ebd., S. 45. 169 Vgl. ebd., S. 46. 170 Vgl. ebd., S. 54. Lyotard verweist hier auf Robert Musil (»Mann ohne Eigenschaften« (Hamburg 1952)), der die Krise des Selbst in Analogie zur Krise der Wissenschaft am Anfang des 20. Jh. thematisiert. 171 Ebd., S. 66. 172 Vgl. Kogler, Susanne (2014): Adorno versus Lyotard. Moderne und postmoderne Ästhetik. Orig.Ausg. Freiburg i.Br.: Alber (MusikPhilosophie, 6), S. 123. 173 Lyotard (2015), S. 102.

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Neues hervorzubringen. Tradiertes Wissen verliert so seinen Selbstzweck, denn es fungiert als Spieleinsatz. Spielen im Sinne der paralogischen Verkettung von Sprachspielen bzw. Diskursarten führt zur Abweisung von Meta-Diskursen, so auch von Zweckbestimmungen, die den Widerstreit aussetzen und in einen Rechtsstreit zu wandeln drohen. Im Widerspruch dazu unterstellt Lyotard das Spiel ethischen Prämissen, die dem Zerfall der Gesellschaft und dem Zerreißen des sozialen Bandes entgegenwirken sollen. Die Theorie der paralogischen Legitimierung zeitigt auch in ästhetischer Hinsicht Konsequenzen. Ausgehend von der Inkommensurabilität der Sprachspiele und dem daraus folgenden konstitutiven Dissens, erzeugen die Widerstreitenden im Spiel Neues und Unbekanntes. Die Erfindung überschreitet die Erkenntnis, da sich in der »Belebung« und »Beseelung« der subjektiven Erkenntniskräfte – so Lyotard mit Kant – das Vermögen artikuliert, das »Unnennbare auszudrücken.«174 . Das Unsagbare und Ungesagte ist Teil der Sprache und Teil des Sprechens. Lyotard spricht hier von einer Differenz als »unauflösliche, normalerweise verdrängte Heterogenität des Gesichtsfeldes«.175 Sie findet sich »nicht in der Sprache als System, sondern im gesprochenen Satz, in der jeweils angegebenen Phrase, in deren Materialität.«176 Im Anschluss an Adorno spricht auch Lyotard von der ästhetischen Erfahrung als Grenzerfahrung, innerhalb derer sich das freie Spiel der Erkenntniskräfte unter Ausschluss von Interessen der Vernunft vollzieht.177 In der frei spielenden Bewegung artikuliere sich die spielerische Beziehung des Künstlers zur Materie. Lyotard übt deshalb Kritik an der Unterordnung der Imagination unter die Vernunft, wie sie Kant vertritt, und räumt der Ästhetik eine Vorrangstellung gegenüber der Erkenntnis ein. In seiner Auseinandersetzung mit Kant und Adorno im Zusammenhang seiner Überlegungen zur ästhetischen Erfahrung als Kunsterfahrung ergeben sich Hinweise darauf, dass der Sprache Materialität zuzuerkennen und das Sprachspiel als »Kräftespiel« aufzufassen ist, dessen Dynamik für den Erhalt der Autonomie der Einbildungskraft gegenüber der Vernunft sorgt. Lyotard überschreitet Kants Beschreibung der Dynamik des freien Spiels der Erkenntniskräfte durch das Außerkraftsetzen der Zeitlichkeit, die Kogler als »Musikalisierung« charakterisiert.178 Der Prozess der Imagination als »Animation des Gemüts« unterliegt einer Zeiterfahrung, die sich der Diachronie des Alltäglichen nicht nur entgegensetzt, sondern sie auflöst.179 Die kritische Veränderung von Sprache und Form vollzieht

174 175 176 177 178 179

Kogler (2014), S. 263. Ebd., S. 133. Ebd., S. 133. Vgl. ebd., S. 261f. Vgl. ebd., S. 263. Vgl. ebd., S. 263.

2. Das Spiel als »Spiel«

sich – so Kogler – nach Lyotard in der Sphäre des Ästhetischen. Eine ästhetische Erfahrung gefährdet demzufolge die Konstitution des Subjekts als Einheit. Der Kern der Diskurstheorie Lyotards und gleichzeitig der Punkt, in dem sich Spiel und Diskurs begegnen, ist die Idee der Paralogie als Effekt der Diskursivität im Spiel.

2.4.2 Das Wechselspiel der Macht Foucault beschreibt mit dem Spiel die Wechselseitigkeit von Machtverhältnissen, die der Diskursivität Zeit und Raum und damit Materialität und Ereignishaftigkeit zugestehen. Der Spielbegriff tritt bei Foucault in verschiedenen Phasen seiner Arbeit und unterschiedlichen inhaltlichen Sphären zutage,180 und zwar als »Spiel der Sprache«, »Spiel der Repräsentation«, »Spiel der Identität«, »Spiel der Regelmäßigkeiten« sowie auch als »Machtspiele« oder »Wahrheitsspiele«. Foucault greift auf das metaphorische Potential des Spielbegriffs zurück, um jene paradoxen Verhältnisse zu beschreiben, die nach seiner Auffassung für Diskurs und Spiel in gleicher Weise gelten und somit Analogiebildungen zwischen den Terminologien legitimieren. Dies betrifft das Verhältnis zwischen Materialität des Diskurses und dem Als-ob seiner sprachlichen Verfasstheit, außerdem das Verhältnis zwischen der Diskursmacht und der Notwendigkeit ihrer Begrenzung. Letzteres besteht analog zwischen Spielregeln und der Freiheit im Spiel. Ersteres bildet die Grundlage für Foucaults Verständnis vom Subjekt und seiner Autorschaft bzw. sein Verhältnis zum Anfang des Diskurses. Foucault nutzt die ästhetische und ambivalente Form des Spiels, um die Grenzen des Diskurses zu beschreiben bzw. zu problematisieren.181 Die Macht des Diskurses – die Macht der Sprache – wird diskursiv – also durch den Gebrauch der Sprache, durch Bezeichnung der Dinge – begrenzt. Der Widerstand, der sich der Macht der Diskurse entgegenstellt, formiert sich durch Ausschließungssysteme. Ein Diskurs erschafft einen Möglichkeitsraum als »Als-Ob« dessen, was er verhandelt. Gleichzeitig ist der Diskurs Bedingung und Effekt.182 Der Diskurs

180 Vgl. Wittig (2018), S. 201–273. Focaults Verwendungen des Spielbegriffs sind mehrdeutig und uneinheitlich. So spricht er vom »Spiel der Sprache«, vgl. Foucault, M. (2013a): Die Ordnung der Dinge. In: ders.: Die Hauptwerke, Frankfurt a.M., S. 372./vom »Spiel der Repräsentationen«: vgl. ebd., S. 373./vom »Spiel der Regelmäßigkeiten«: vgl. Foucault, M (2013b).: Archäologie des Wissens. In: ders.: Die Hauptwerke, Frankfurt a.M., S. 506./vom »Spiel der Identität«, vgl. Foucault, M (1991).: Die Ordnung des Diskurses, München./vom »Machtspiel«, vgl. Foucault, M (1994).: Überwachen und Strafen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp./vom »Wahrheitsspiel«, vgl. Foucault, M (1983).: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I, Frankfurt a.M.: Suhrkamp und vgl. Foucault, M. (Hg.) (1987): Von der Subversion des Wissens, Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 181 Vgl. Wittig (2018), S. 261. 182 Vgl. ebd., S. 261.

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spiegelt das, was ihm vorausgeht, um es in Materialität zu (re)aktualisieren.183 »Die Vernunft bringt sich somit gleichsam als Voraussetzung im Moment des Als-Ob, wie als Effekt des Diskurses hervor, als etwas, das diesem Als-Ob eine diskursive Verortung in Form jener Ausschlüsse gibt, die in der Referenz auf sie verlaufen, die aber andersherum nicht das empirisch fassen, was dieses Als-Ob der Vernunft ausmacht.«184 Die Grenzziehung zwischen Spiel und Wirklichkeit entspricht der Ambivalenz der Diskursgrenze. Der Diskurs – wie auch das Spiel – beruft sich auf eine nichtdiskursive Grenze: das »konstitutive Außen«.185 Der Geltungsbereich des Spiels erstreckt sich in einer spezifischen Raum-Zeit, die sich vom Außen abgrenzt und innerhalb derer die Spielregeln gelten. Die Verhandlungen über die Diskursgrenzen, d.h., den Geltungsbereich der Spielregeln finden auf Ebene der Subjektivierung statt: Spielende Subjekte bringen sich in diesen Verhandlungen als Subjekte hervor, indem sie sich den Regeln scheinbar bedingungslos unterwerfen.186 »Diese Subjektivierung kann man zugleich auch als eine irreflexive Beschlagnahme des Subjektes auffassen. Schaut man sich diese Subjektivierung konkreter an, so wird deutlich, dass es hier um nichts anderes als die Hervorbringung eines spezifischen Selbst- und Weltverhältnisses geht.«187 Das Subjekt antwortet auf die Entgegensetzung durch die Diskursmacht handelnd und aktualisiert dadurch den Diskurs. In seiner Diskurs-bzw. Spielhandlung artikulieren sich also neben der eigentlichen Handlung auch das, was diese Handlung begrenzt: »Es [das Subjekt] verstrickt sich also mit seiner Unterwerfung immer noch weiter in den Unterwerfungszusammenhang der Macht und bringt in seinen – wie auch immer gearteten – Verhaltensweisen zur Anrufung diese Anrufung immer wieder auf andere Weise hervor.«188 Die Existenz einer Autorschaft wird von Foucault dennoch nicht geleugnet. Aber Autor meint hier nicht das schreibende oder sprechende Individuum, sondern »den Autor als Prinzip der Gruppierung von Diskursen, als Einheit und Ursprung ihrer Bedeutungen.«189 Der Autor ist der Mittelpunkt des Zusammenhalts der Diskurse.

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Vgl. Foucault (1991), S. 31f. Wittig (2018), S. 263. Vgl. ebd., S. 205f., 210f; vgl. Butler (2015), S. 91. Vgl. Wittig (2018), S. 262. Vgl. ebd., S. 269; vgl. dazu Butler, S. 82f. Vgl. Wittig (2018), S. 269. Foucault (1991), S. 20f.

2. Das Spiel als »Spiel«

Er ist der Mensch, »der in all die abgenutzten Wörter eingebrochen ist, und sein Genie oder seine Unordnung in sie hineingetragen hat.«190 Ein begründendes Subjekt, also eine Instanz des Bewusstseins, bezieht sich auf den Diskurs, indem es seine Bedeutungen in Sprache fasst. Es hält dadurch den Diskurs selbst auf Abstand. Allerdings zielt sein Begehren paradoxerweise darauf, dem Diskurs in einer Weise anzugehören, die ihn aus der Verantwortung für den Diskurs entlässt. »Das Begehren sagt: »Ich selbst möchte nicht in jene gefährliche Ordnung des Diskurses eintreten müssen; ich möchte nichts zu tun haben mit dem, was es Einschneidendes und Entscheidendes in ihm gibt; ich möchte, daß er um mich herum eine ruhige, tiefe und unendlich offene Transparenz bilde, in der die anderen meinem Erwarten antworten und aus der die Wahrheiten eine nach der anderen hervorgehen […]«.191 Der Diskurs als Spiel des Lesens, Schreibens und Tauschens von Zeichen192 ist zugleich Objekt und Medium des Begehrens. Dieses Begehren treibt die Spielenden an, dem Spiel angehören zu wollen und im Inneren des Regelsystems geborgen zu sein. Dennoch muss es ein Eintreten in den Diskurs geben. Die Stimme muss erhoben, Zeichen gesetzt und getauscht werden. Mit dem Spielbegriff beschreibt Foucault das paradoxe Verhältnis von Unterwerfung und Hervorbringung der Subjekte und der Diskurse.

2.4.3 Das Spiel der Differenz Als besonders fruchtbar für das Anliegen dieser Arbeit erweist sich das Aufgreifen des Spielbegriffes durch Derrida, der mit dem »Spiel der Differenzen« die Substitutions- und Subversionsbewegung der Zeichen beschreibt. Da sich die Signifikation – der Akt der Bezeichnung – in Bezug auf das Bezeichnete immer verspätet, kann ein Subjekt sich niemals selbst vergegenwärtigen: die Konstitution des Subjekts verfehlt die Präsenz des Seins. Das Selbst bleibt sich selbst fremd. Dieser Zustand ist aber kein Mangel, sondern konstitutiv für die Subjektbildung. Wurde bislang das Spiel als einzige Struktur angesehen, die hinsichtlich der »Subjektkonstitution oder gar des Weltgefüges gegen Entfremdungserfahrungen jedweder Art« Erfolg versprach, entspricht nach Derrida diese Ent-Fremdung dem eigentlichen Modus des Daseins des Menschen.193 Spiel kommt mit Derrida nicht mehr gegen die 190 Ebd., S. 21. [Grammatik im Original]. 191 Ebd., S. 10. 192 Ebd., S. 32, vgl. dazu Kapitel 1.1.4.3: Die Macht der Diskurse – zum Diskursbegriff nach Michel Foucault. 193 Vgl. Neuenfeld (2005), S. 190f.

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Entfremdung zum Einsatz, sondern thematisiert ihre paradoxe Struktur, eine Subjektbildung, die auf die Fremdheit des Subjekts gegenüber dem Selbst rekurriert. Die Spielbewegung richtet sich gegen identifizierende Zuschreibungen, die diesen Prozess der Entfremdung als Substitutions- und Subversionsprozess unterbrechen oder zum Erliegen bringen. Derridas Spielbegriff geht daher über das metaphysikkritische Anliegen traditioneller Spielbegriffe hinaus, denn er setzt das dekonstruktive Anliegen mithilfe des Spielbegriffs bereits der Dekonstruktion aus. Derrida bleibt dennoch dem utopischen und subversiven Potential des traditionellen Spielbegriffs verbunden,194 denn die Erwartung von Sinnstiftung im Plural als Potential der Dekonstruktion bildet auch die transzendentale Bezugsgröße des Spiels der Differenz. Das Subjekt soll sich nach der Infragestellung geltender Wertvorstellungen rückhaltlos dem Spiel der Signifikanten anvertrauen »[…], denen man aber nicht trauen darf.«195 Derridas radikale Anerkennung des Paradoxes des Spiels – und damit der Metaphysikkritik – ermöglicht eine dekonstruktive Tätigkeit, die sich auch gegen sich selbst richtet.196 Derridas Analogie zum Spiel basiert auf der Sprache als Spielfeld.197 Die Sprache, grammatisch geregelt, fungiert als Begrenzung des Spiels und bietet ein unendliches Potential an Spielweisen und Spielmöglichkeiten. Die Unendlichkeit an Bedeutungsmöglichkeiten findet in der Begrenztheit des Spielfeldes der Sprache ihr konstitutives Gegenüber. Was der Sprache angehört, ist unterscheidbar von dem, was nicht sprachlich ist. Sprachliches und Nichtsprachliches beziehen sich nicht nur aufeinander – sie bedingen sich auch. Dass es Sprache gibt, bildet die Trennlinie zu all dem, was der Sprache nicht angehört, aber durch Sprache Bezeichnung finden kann. Erst die abwesende Präsenz als Möglichkeit, die Leerstelle zu substituieren, hält den Überschuss an Bedeutung bereit, die sich über die fortschreitende Bewegung der Substitutionen ins Unendliche aufschwingt.198 Das paradoxe Moment des Diskurses in Analogie zum Spiel beruft sich also auf die Endlichkeit der Sprache als Voraussetzung für die Unendlichkeit an Bedeutungen, die ihr innewohnen. Die Negation des Signifikats ist daher kein Verlust, sondern kann als Gewinn des Spiels betrachtet werden. »Der verlorenen oder unmöglichen Präsenz des abwesenden Ursprungs zugewandt, ist diese strukturalistische Thematik der zerbrochenen Unmittelbarkeit,

194 Vgl. ebd., S. 190. 195 Vgl. ebd., S. 190. 196 Mersch verweist im Anschluss an Derrida auf die Unmöglichkeit, die Dekonstruktion zu kritisieren. Vgl. Mersch (2010), S. 54f. 197 Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 132. 198 Vgl. Kapitel 1.2.1: Die Differenz vom Eigenen her – zur Signifikation und Bedeutungskonstitution nach Derrida.

2. Das Spiel als »Spiel«

also die traurige, negative, nostalgische, schuldige und rousseauistische Kehrseite jenes Denken des Spiels, dessen andere Seite Nietzsches Bejahung darstellt, die fröhliche Bejahung des Spiels der Welt und der Unschuld der Zukunft, die Bejahung einer Welt aus Zeichen ohne Fehl, ohne Wahrheit, ohne Ursprung, die einer tätigen Deutung offen ist.«199 Die Unendlichkeit der Möglichkeiten des Sinns findet ihr Movens in der Bejahung des »Spiels der Welt« in der Entscheidung, auf einen transzendenten Grund verzichten zu wollen. »Das Spiel ist Zerreißen der Präsenz. Die Präsenz eines Elementes ist stets eine bezeichnende und stellvertretende Referenz, die in einem System von Differenzen und in der Bewegung einer Kette eingeschrieben ist.«200 Dieses Spiel bleibt jedoch immer auf die Präsenz bezogen, die es zu zerreißen gilt. Derrida spricht vom Nicht-Zentrum, welches Platz macht für sein Anderes. Die Existenz eines Zentrums und das Begehren, das sich auf das Zentrum ausrichtet, findet paradoxerweise darin seine Anerkennung. Desgleichen kann auch die Intention, sich auf ein Zentrum beziehen bzw. den Spuren folgen zu wollen, nicht geleugnet werden. Diese entzieht sich dem Text-an-sich, denn dieser kann kein Inter-esse an seiner Dekonstruktion haben. Folglich erfordern Diskurs und Spiel konstitutive Antagonismen,201 die dem Diskurs bzw. dem Spiel selbst nicht angehören. Auch wenn Derridas neuer Textbegriff voraussetzt, »daß man in keinem Moment etwas außerhalb des Bereiches der differentiellen Verweisungen fixieren kann, das ein Wirkliches, eine Anwesenheit oder eine Abwesenheit wäre, etwas, das nicht es selbst wäre …«202 , ist ein intentionaler Bezug zur Präsenz unhintergehbar. Grenzen findet die Analogie zum Spiel bei Derrida deshalb hinsichtlich des Verhältnisses der Spielenden und des Spiels zu den Spielregeln. Sobald das Einbrechen des Bewusstseins – der Moment des Zerreißens der Präsenz – das Spiel in Gang setzt, existiert ein Blick des Spielenden zum Text hin. Sein Begehren, der Strukturalität einen Grund zuzuschreiben oder zu entziehen, verweist immer wieder auf diesen Grund. Dies steht der impliziten Funktion des Spiels, die Hierarchie der Subjekt-Objekt-Beziehung aufzulösen, entgegen. Auch Derrida setzt ein Begehren, die Präsenz zu verabschieden, das ein »Prinzip von Autorschaft203 « und Objektbezug unterstellen muss, voraus. Derrida ist sich der Widersprüchlichkeit dessen bewusst und weist auf das Paradox der Metaphysikkritik hin.204 Mit der Ein199 200 201 202 203 204

Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (2010), S. 137. Vgl. ebd., S. 137. Blanchard (2019), S. 127f. Derrida in Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 21. Vgl. Mersch (2010), S. 43. Vgl. Derrida (2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 118; Siehe zur Problematik des spielenden Subjektes und seinem Verhältnis zu den spielkonstituierenden Gesetzen: vgl. Forster/ Zirfas (2005) in: Bilstein/Winzen/Wulf (2005), S. 83.

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beziehung eines Metakonstruktes »Spiel« richtet sich das dekonstruktive Potential der Substitutionsbewegung auf die Dekonstruktion bzw. das Spiel selbst, was die doppelte Geste der Dekonstruktion in Bewegung hält.

2.5 Implizite und explizite poststrukturalistische Paradoxalität des Spiels In den exemplarisch ausgewählten Spielsphären zeigt sich das Spiel als ästhetische Form und Funktion. Dies gilt auch für die Analogiebildungen »Diskurs als Spiel«, mit denen poststrukturalistische Autoren paradoxe Verhältnisse im Diskurs und im Zusammenhang diskursiver Praxis veranschaulichen. Die paradoxe Struktur des Spiels offenbart sich in fünf unterschiedlichen Ausprägungen, und zwar im • • • • •

ambivalenten Verhältnis von Wirklichkeit und Spielwirklichkeit, Verhältnis von Freiheit und notwendiger Regelhaftigkeit des Spiels, Verhältnis der Endlichkeit des Spielfeldes und der Unendlichkeit von Spielmöglichkeiten, Verhältnis der Selbstzweckhaftigkeit des Spiels und der Bestimmung von Spielzielen sowie der Absicht Spielender, spielen zu wollen, Verhältnis von gleichzeitiger Rationalität und Unvernunft des Spiels.

2.5.1 Wirklichkeit und Spielwirklichkeit Die Bestimmung des Spiels steht im Zusammenhang der Problematisierung der Grenze zwischen Spiel und Nicht-Spiel. Aus den Theorien des Spiels lassen sich mehrere Perspektiven für die Bestimmung der Wirklichkeit des Spiels gewinnen. Spiel ist ästhetischer Schein und ästhetische Form. Das Spiel evoziert Vorstellungskräfte und birgt utopisches Potential in sich.205 Das Spiel unterläuft die Gesetzmäßigkeiten der Lebenswelt und überschreitet den Sinn- und Vernunfthorizont des Alltäglichen, Gewöhnlichen.206 Spiele sind als solche wirklich, sie bilden im Verhältnis zur eigentlichen Welt ein Metakonstrukt, das die Wirklichkeit – in inhaltlich unterschiedlichsten Sphären – thematisiert. Die Anerkennung einer Grenze zwischen Spiel und Nicht-Spiel ist daher nicht nur für die Hervorbringung von Spielwelten von Bedeutung. Eine Grenzziehung zeigt gleichermaßen auf die Wirklichkeit und auf das Spiel, das sich mimetisch auf die Wirklichkeit bezieht.207 In der

205 Vgl. Neuenfeld (2005), S. 15 und S. 178. Vgl. dazu Kapitel 2.3.1: Spiel und Mensch. 206 Vgl. Kapitel 2.3.2.1: Zum produktiven Verhältnis von Welt und »Als-ob-Welt«. 207 Vgl. Schäfer/Thompson (2014), S. 10.

2. Das Spiel als »Spiel«

Ambivalenz der Grenze gründet die Eigenart des Spiels – sie ist gleichzeitig Bedingung und Effekt des Spiels. Die Trennung von Welt und Spielwelt beschreibt daher nicht nur die Äußerlichkeit des Spiels oder seiner Grenze, sondern wirkt konstitutiv für Spielwelt und Welt. Entscheidend für die Konstitution der Spielwelt ist das Verhältnis der Spielenden zum Spiel. Die Art und Weise, wie Spielende ihre Beziehung zum Spiel reflektieren, sich ihrer Absichten bewusst sind oder sich seinem Bann überlassen, bestimmt das Spiel. Spiel ist auf das Paradox des Abweisens von Absichten und gleichzeitigem rückhaltlosem Spielinteresse angewiesen – auf ein unbewusstes Spielbewusstsein Spielender.208 »Im Spiel bildet sich der Sinn des Handelns, bevor es die Spieler merken.«209 Spielende verbleiben im Spiel, solange die Grenzen des Spiels nicht benannt werden. Spielverderbende treten in Distanz zum Spiel, in dem sie auf seine Grenzen zeigen. Falschspieler behalten ihre Distanz für sich. Sobald die Trennung von Spiel und Spielwelt ausgesprochen ist, gibt es kein Zurück mehr: Das Spiel ist unterbrochen und seine Grenzen sind totalisiert oder aufgelöst.210 Poststrukturalistische Theorien greifen auf den Spielbegriff zurück, um die Idee der Freisetzung heterogener Sinnhorizonte durch Abweisung eines Zentrums des Sinns, das den Sinn reduziert, zu veranschaulichen und zu verwirklichen. Spiel vollzieht sich in der semiologischen, skripturalen, strukturalen und materiellen Wirklichkeit der Sprache und ihrer Zeichen. Aus ihm geht Neues, Sinnhaftes als wirkliche Wirklichkeit hervor. Lyotards Spielkonzeption verweist auf den Widerstreit inkommensurabler Sprachspiele, der die Erfindung neuer Spiel-oder Verkettungsregeln und sogar Diskursarten provoziert. Foucault konstatiert die produktive und performative Kraft des Spiels der Zeichen, die sich im Wechselspiel der Machtverhältnisse zu Diskursen formieren. Das Spiel der Differenz nach Derrida überschreitet durch die supplementarité, d. h den Überschuss an Signifikanten die Wirklichkeit und ermöglicht die Vervielfältigung der Möglichkeiten des Sinns.

2.5.2 Freiheit und Regelhaftigkeit des Spiels Dass es Regeln geben muss, um das Spiel als solches bestimmen zu können, bestätigen alle in diesem Kontext aufgeführten Theorien des Spiels. Spielregeln müssen von den Spielenden anerkannt werden, an ihnen darf kein Zweifel bestehen.211 Ebenso gilt jedoch das Kriterium der Freiheit als eine grundlegende Eigenschaft

208 Vgl. Weiß (2014) in: Schäfer/Thompson (Hg.) (2014), S. 41f.; vgl. Wittig (2014) in: Schäfer/ Thompson (2014), S. 176f. 209 Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 8. 210 Vgl. Weiß (2014) in: Schäfer/Thompson (Hg.) (2014), S. 41–47. 211 Vgl. Huizinga (2011), S. 20.

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des Spiels.212 Das Verhältnis der Freiheit des Spiels zu seinen Regeln wird in den Theorien des Spiels als paradox beschrieben. Spiel vollzieht sich im Geltungsbereich seiner Regeln, die sich in diesem Vollzug reaktualisieren. Die Ordnung der Spielbewegung ist gleichsam Voraussetzung und Effekt des Spiels. Das Spiel überlässt den Spielenden die Entscheidung, sich zum Spiel oder innerhalb des Spiels zu positionieren – sich den Regeln freiwillig zu unterwerfen. Spielregeln setzen die Regeln des eigentlichen Lebens außer Kraft. Sie befreien das Handeln vom Alltäglichen und Gewöhnlichen sowie der Reduktion durch eine Vernunft, die über die Lebenswelt herrscht. So gründet die Freiheit des Handelns in der freiwilliger Unterwerfung Spielender unter die Spielregeln, die sein Handeln einschränken. Spielende sind deshalb auf der einen Seite frei, »sich so oder so, für die eine oder andere Möglichkeit zu entscheiden. Auf der anderen Seite ist diese Freiheit nicht ungefährdet. Vielmehr ist das Spiel selbst ein Risiko für den Spieler. Nur mit ernstlichen Möglichkeiten kann man spielen. Das bedeutet offenbar, daß man sich so weit auf sie einläßt, daß sie einen überspielen und sich durchsetzen können. Der Reiz des Spieles, den es auf den Spieler ausübt, liegt eben in diesem Risiko. Man genießt damit eine Entscheidungsfreiheit, die doch zugleich gefährdet ist und unwiderruflich eingeengt wird.«213 Die Spielregeln ermöglichen die grundsätzliche Wiederholbarkeit des Spiels. Diese gilt im Wesentlichen seiner formalen inneren Struktur.214 Zudem zeichnet sich das Regelsystem für die Geschlossenheit seines Geltungsbereichs und damit für die Eigenständigkeit des Spiels als ästhetische Form verantwortlich.215 In den poststrukturalistischen Explikationen des Spiels ersetzen die Spielregeln für die Spielenden den metaphysischen Grund. Gäbe es keine Regeln, liefe »ein solcher Möglichkeitsraum Gefahr, sich als eigenständige Sphäre des Als-ob aufzulösen.«216 Regeln grenzen die Möglichkeiten ein, im Spiel zu handeln, d.h., sie reduzieren das Material um eine gewisse Anzahl an Zeichen, was jedoch der Unendlichkeit der Bedeutungsmöglichkeiten der verfügbaren Zeichen nichts anhaben kann. Im Gegenteil: Die Determinierung des verfügbaren Materials erzeugt differentielle Reibung zwischen der Wirklichkeit und dem zur Disposition stehenden Wirklichkeitsausschnitt und provoziert bereits dadurch das Spiel der Differenz. Spielregeln entsprechen im Spielfeld der Sprache der Gesetzmäßigkeiten der Grammatik. Diese ist den Diskursen vorgängig, wird jedoch in diskursiver Praxis erst erzeugt. Grammatik kann als Ge-

212 Vgl. Klager (2016), S. 41–41. 213 Gadamer (2010), S. 112. 214 Vgl. Huizinga (2011), S. 18; vgl. dazu Klager (2016), S. 48. 215 Vgl. Huizinga (2011), S. 20f.; vgl. dazu Klager (2016), S. 39. 216 Wittig (2018), S. 56.

2. Das Spiel als »Spiel«

setzmäßigkeit betrachtet werden.217 Sie garantiert als Referenz die grundsätzliche Wiederholbarkeit der Zeichen, um im Zuge der (De)Konstruktion von Bedeutung Spielraum und Veränderlichkeit – auch der Grammatik – zu ermöglichen.218 Die Voraussetzung der Regulierung der sprachlichen Spielbewegungen durch eine vorgängige Gesetzmäßigkeit bzw. Grammatik – als Bedingung und Effekt – bestätigt die grundsätzliche Wiederholbarkeit und Erläuterbarkeit des (sprachlichen) Spiels.

2.5.3 Endlichkeit und Unendlichkeit im Spiel Diese Paradoxie ist mit der Paradoxie von Begrenzung und Freiheit des Spiels verwandt, jedoch nicht identisch. Mit dem Gegenüber von Endlichkeit und Unendlichkeit beschreiben Theorien das paradoxe Verhältnis der unendlichen Möglichkeiten des Sinns im Verhältnis zur endlichen Sphäre des Spielfelds in Bezug auf die inhaltliche Sphäre des Spiels, ohne auf ein Regelwerk als funktionale Instanz für diese Inhaltlichkeit zu rekurrieren. Poststrukturalistische Spielbegriffe beziehen sich auf das endliche Spielfeld der Sprache.219

2.5.4 Ziel, Zweck und Zwecklosigkeit des Spiels Die zuvor erläuterten Theorien des Spiels berichten einhellig von einer grundsätzlichen Selbstbezüglichkeit des Spiels. Spiel weist einen äußeren Grund zurück und schließt auch eine Funktionalisierung durch eine äußere Instanz aus. Spielende haben Interesse am Spiel. Sie unterwerfen sich freiwillig den Spielregeln, um spielen zu können. Spielen vollzieht sich intentional, denn es richtet sich auf etwas, das aufs Spiel gesetzt wird. Das Spiel bietet als ästhetische Form eine inhaltliche Sphäre und stiftet funktional Möglichkeiten, um in dieser Sphäre spielend zu (inter)agieren. Spielende haben Interesse am Spiel, beziehen ihre Motivation jedoch aus dem Spiel selbst. Daher sind Zweck des Spiels und Intentionalität des Spielens zu unterscheiden. Spielende richten ihr Bewusstsein auf das Spiel, zeigen im Moment des Involviertseins in das Spiel ihr Interesse im Spiel. In Bezug auf das Spiel kann eine Interessenbekundung des Subjektes am Objekt »Spiel« beobachtet und nachgewiesen werden. Innerhalb des Spiels ist diese Beobachtung nicht möglich, ohne das Spiel zu unterbrechen. Als Konsequenz der Auflösung der Subjekt-Objekt-Hierarchie im Spiel kann deshalb innerhalb des Spiels kein äußerer Zweck verfolgt werden. Zweck des Spiels ist ausschließlich die Ermöglichung des Spiels und der Erhalt der paradoxalen Beziehung zwischen Subjekt und Objekt, die die Auflösung der Hierarchie im zeitlichen und räumlichen Rahmen des Spiels garantiert. Sinn und Zweck

217 218 219

Vgl. Bilstein/Winzen/Wulf (2005), S. 81. Vgl. Kapitel 1.2.1.2: Das Konzept der »différance«. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 132.

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des Spiels gilt der Erzeugung des paradoxen Schwebezustands des Subjekts, das gleichzeitig für das Spiel Initiative ergreifen und in dieses Spiel bereits verwoben sein muss, um überhaupt spielen zu können. So kann mit Kant ein Erkenntnisinteresse des Subjekts, gleichzeitig jedoch ein Desinteresse des Spiels selbst behauptet werden.220 Auch bei Gadamer bleibt die Spielbewegung ohne äußeren Zweck und Absicht.221 Erst mit der Formulierung des Spiels als Bildungsideal bei Schiller wird dem Spiel ein Zweck unterstellt, der jedoch die Abweisung dieses Zwecks bereits impliziert.222 Als Zweck des Spiels kann daher das Überschreiten vorgängiger Rationalität als Exploration von Sinn gelten, der sich aber eben auch gegen die eigene Zweckhaftigkeit richtet. Dieser reflexive Umgang mit dem Widerspruch von Zweckhaftigkeit und Selbstbezüglichkeit findet sich in Ansätzen, die auf die produktive Dimension des Spiels verweisen.223 Den Zweck des Spiels bezieht sich auf das Spiel selbst, die Intentionalität ist dem Spiel eingeschrieben. Das Spiel als Form und Funktion der Möglichkeit der Dekonstruktion initiiert und erwirkt die Dezentralisierung subjektiver und objektiver Instanzen. Subjekte und Objekte gehen jedoch in der Perspektive poststrukturalistischen Denkens aus den Diskursen erst hervor. Daher betonen die Analogien des Spiels zum Diskurs die Performativität der dekonstruktiven Tätigkeit, die auf eine subjektive Instanz gern verzichten möchte.224 Die für diese Analogiebildung herangezogenen Autoren können jedoch die Intentionalität der Dekonstruktion, die von einer subjektiven Instanz als Autorschaft herrührt, nicht leugnen.225 Die Analogiebildung zwischen Spiel und Diskurs verweist auf die grundlegende Intention, Totalität außer Kraft zu setzen. Der Zweck diskursiver Praxis – des Spielens – kann daher nur sein, dieser Intention zu folgen, d.h. das Spiel zu verwirklichen. Dem Interesse Spielender am Spiel kann auf der Basis der Theorien des Spiels bildendes Potential zugeschrieben werden. Es sei auf eine weitere Analogie hingewiesen, die im Anschluss an Schiller226 und Adorno227

220 221 222 223

224 225 226 227

Christ (2012) in: Strätling (2012), S. 106. Vgl. Gadamer (2010), S. 110. Vgl. dazu Schiller (1795), S. 29; vgl. auch Hentschel (2010), S. 38., 43. Vgl. Caillois (1960), S. 16. Während Caillois dem Spiel Unproduktivität unterstellt, weil der Gewinn aus dem Spiel, der eigentlichen Lebenswelt nichts hinzufügt. Verweisen Kant, Schiller, Huizinga, Gadamer u.a. auf die sinnstiftende Überschreitung der eigentlichen Welt im Spiel, als Spiel und durch das Spiel. Vgl. Kapitel 1.3: Die Andere(n) – Dezentralisierung des Subjekts: zur ethischen Dimension der Dekonstruktion. Vgl. Foucault (1991), S. 9; vgl. Mersch (2010), S. 43. Vgl. Schiller (1795). Vgl. Adorno, Theodor W. (1972): Theorie der Halbbildung. In: Adorno, Theodor W; Tiedemann, Rolf (Hg.): Gesammelte Schriften, Bd. 8: Soziologische Schriften 1. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. In: Hastedt, Heiner (Hg.) (2012): Was ist Bildung? Eine Textanthologie. Stuttgart: Reclam, S. 195–211.

2. Das Spiel als »Spiel«

ein entsprechendes Verhältnis zwischen Bildung und Spiel vermuten lässt und die Inszenierung bildender Diskurse als Spiel in Aussicht stellt. Ziel und Zweck von Bildung ist es, die totalitäre Determination dessen, was sie beinhaltet, zu überschreiten bzw. sie zu verfehlen, damit sie sich erfüllt. Dies gilt in gleicher Weise für das Spiel. Damit Spiel seinen Zweck erfüllt und Spielen möglich ist, muss die Identifikation dessen, was sein Inhalt und seine Bedeutung ist, überschritten oder verfehlt werden. Die Unendlichkeit der Möglichkeiten des Sinns als Indiz für die Freiheit des Spiels kann nur garantiert werden, wenn sein Zweck abgewiesen wird. Intentionalität ist daher konstitutiv – für Spiel und Bildung. Sie artikuliert sich in der Absicht, die Inhaltlichkeit des Spiels in Bewegung zu setzen. Die erklärte Absicht zu spielen – oder sich zu bilden – kann das Spiel zerstören und Bildung als »Halbbildung«228 der Lächerlichkeit preisgeben. Zirfas formuliert dies für das Paradox der Erziehung: »Selbst ein Erzieher mit den besten Absichten muss erkennen, dass die Absicht zu erziehen als Störung der Erziehung auftreten kann.«229 Es wäre jedoch weder Spiel noch Diskurs noch Bildung in poststrukturalistischer Perspektive, wenn der Abweisung einer übergreifenden Meta-Intentionalität keine Intention entgegenstünde. Den Akten des Spielhandelns und Bildungsprozessen ist Intentionalität eingeschrieben. Sie artikuliert sich in ihnen, um die übergreifenden Absichten und Zielformulierungen kritisieren zu können. Zirfas konstatiert dazu mit Derrida, »dass man von einer irreduziblen Abwesenheit der Intention im performativ, im pädagogischen Akt, selbst ausgehen muss.«230 Formulierungen von Bildungszielen behaupten einen Zweck, der durch die Intentionalität des Spielens infrage gestellt werden kann. Die Absicht, produktiv zu sein und sinnstiftend zu wirken, könnte einem Zweck folgen. Die Absicht zu spielen, sich spielen zu lassen, artikuliert eine Intention, deren Zweck implizit ist und der inhaltlichen Sphäre des Spiels eine »Verzweckung« vorenthält.

2.5.5 Sinn und Un- Sinn des Spiels Mit dem Außerkraftsetzen übergreifender Sinnstrukturen sieht sich das Spiel mit dem Vorwurf der »Sinnlosigkeit« konfrontiert. Etwas kann als sinnvoll erachtet werden, wenn es in einem bestimmten Kontext als logisch empfunden oder der Rationalität des Kontextes entsprechend verstanden oder begründet werden kann. Sinn

228 Vgl. Adorno (1972) in Hastedt (2012), S. 204. 229 Zirfas im Verweis auf Diederich (1992), vgl. Zirfas, Jörg (2001) Dem Anderen gerecht werden. Das Performative und die Dekonstruktion bei Jacques Derrida. In: Wulf, Christoph/Göhlich, Michael/ Zirfas, Jörg (Hg.) (2001): Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln. Weinheim und München: Juventa Verlag, S. 81f. 230 Zirfas (2001) in Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 82. [Hervorhebung und Schreibweise im Original].

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

konstituiert sich in Relation zu seinem Kontext. Das Spiel setzt nun diesen Kontext außer Kraft. Es kann daher keine sinnvolle Relation zu den Regeln der Vernunft (des gewöhnlichen Lebens) herstellen. Der Sinn des Spiels ergibt sich in Opposition zur Vernunft, wider identifizierendes Denken, um das Andere des Sinns geltend zu machen. In den Theorien des Spiels nach Kant, Schiller, Huizinga und Gadamer vollzieht sich deshalb das Spiel in der Sphäre des Ästhetischen und Vorbegrifflichen, da diese sich der Identifikation und der Reduktion des Sinns (noch) widersetzt. Auch in den poststrukturalistischen Theorien gehört das Spiel der Dimension des Ästhetischen an.231 Die dekonstruktive Geste des Spiels verkehrt den Sinn nicht einfach – dialektisch – in Un-Sinn. Die verstehende Identifikation eines Sinnhorizontes wird nicht der Abweisung des Sinns als Nicht-Verstehen entgegengesetzt. Vielmehr betont die dekonstruktive Haltung die Vielfältigkeit des Anders-Verstehens. So entdeckt Sonderegger im Spiel das Potential, auch den Horizont der Dekonstruktion selbst noch zu überschreiten.232

2.5.6 Das Spiel und das Paradox der Metaphysikkritik Poststrukturalistische Theorien nutzen die dem Spielbegriff inhärente subversive Kraft, sein utopisches Potential im Verweis auf die paradoxale Struktur des Spiels.233 Spielen ist dekonstruktive Tätigkeit. Im Spiel artikuliert sich eine dekonstruktive Haltung, die das Außerkraftsetzen des Übergreifenden und Geltendmachen des Anderen bewirken kann. Während Lyotards und Foucaults Spielbegriff dem Diskurs diese dekonstruktive Haltung einschreibt und damit an die Tradition der Metaphysikkritik anknüpft, setzt Derrida dieser Tradition die Anerkennung ihrer Paradoxie entgegen. Das »Spiel« als ästhetische Form geht im Spiel der Differenz nicht als Syn-

231

Münker/Roesler verweisen auf die enge Beziehung poststrukturalistischen Denkens zum Bereich der Ästhetik. In der Analogiebildung Diskurs und Spiel ist die ästhetische Dimension der Dekonstruktion daher bereits inhärent. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 116–138. 232 Vgl. Sonderegger, Ruth (2000): Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst. Originalausgabe, 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 1493), S. 274f. Die hermeneutische Perspektive stellt das Verstehen – die dekonstruktive Perspektive hingegen das Scheitern des Verstehens in Aussicht. Das Spiel findet nach Sonderegger jenseits von Hermeneutik und Dekonstruktion als doppelt reflexiver Vollzug ästhetischer Erfahrung statt. Das Spiel stellt zugleich das Produkt und den Prozess des Produzierens dar: als sich gegenseitig und wechselseitig kritisierende und affirmierende Reflexionsvollzüge – auch als »Gegenprodukt« zum Kunstwerk. Spielen intendiert die kritische Reflexion der ästhetischen Erfahrung und verweist auf die reflexiven Differenzbildungen der Hin-und Her-Bewegungen im Spiel. Es findet somit eine Entgegensetzung statt – zwischen verschiedenen Reflexionsebenen, die sich bei Sonderegger vor allem auf die Differenzierung des Prinzips der Darstellung zurückzuführen sind. 233 Vgl. Neuenfeld (2005), S. 15 und S. 178.

2. Das Spiel als »Spiel«

onym in »Dekonstruktion« auf, sondern stellt als dekonstruktives Metakonstrukt Dekonstruktion in Aussicht. Die graduelle Verschiedenheit der poststrukturalistischen Spielbegriffe lassen sich in Analogie zu Wittgensteins Unterscheidung von »Sagen und Zeigen« veranschaulichen, denn: »Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden.«234 Lyotard zeigt – veranschaulicht – im Verweis auf Struktur und Elemente des Spiels das Einlösen der poststrukturalistischen Idee der Abweisung von Totalität als Verbannung eines Sinnzentrums, z.B. als vorgängiges Subjekt. Er schafft jedoch mit der Formulierung ethischer Prämissen ein neues Zentrum, mit dem er die Abweisung anderer Zentren legitimiert. Foucault formuliert sein Bedauern, aus der metaphysischen Befangenheit nicht entrinnen zu können, und zeigt in der Perspektive notwendigen Scheiterns dieses Ansinnens aus Beobachterposition auf die Wechselspiele der Macht und die diskursive Praxis. Das Spiel fungiert in beiden Terminologien als Analogie zu Beschaffenheit, Funktionalität und Gebrauch der Sprache. Die veranschaulichende Darstellung diskursiver Praxis übersteigt Derrida zum einen mit der Feststellung, dass die Kritik der Metaphysik nicht ohne deren Begriffe einzulösen sei.235 Damit zeigt er auf seine eigene metaphysische Gefangenschaft und schlussfolgert, dass sich die Dekonstruktion deshalb auch gegen sich selbst richten müsse,236 da die Intention zur Dekonstruktion dieser Gefangenschaft verhaftet sei. Zum anderen richtet er die Dekonstruktion auf etwas, das bestritten werden soll: die Präsenz als Ursprung oder letzte Wahrheit, sowie auf die subjektive Instanz und die von ihm ausgehende Intentionalität. Das Spiel ist auch bei Derrida Ausdruck für diskursive Prozesse, die Totalität abweisen. Spielen ist dekonstruktive Tätigkeit, die, die sich der Paradoxalität der Zeichen verpflichtet. Seine Konzeption der »différance« zeigt nicht nur, dass das Spiel der Differenz dekonstruktive Prozesse provoziert und ermöglicht, sondern dass das Spiel selbst dekonstruktiv wirkt. Die »différance« ist Zeichen und zugleich Ereignis. Es hält uneindeutige Spurenlagen bereit, die in die Mehrdeutigkeit führen. Derrida produziert anhand der »différance« eine Präsenz, mit der er zum Spiel herausfordert und behauptet, es gibt kein Zentrum, aber es gibt ein Begehren, das sich auf das Zentrum richtet. Seine Theorie zeigt nicht nur auf paradoxe Verhältnisse, sondern sie ist paradox. Derridas Spielbegriff bildet nicht ab oder zeigt vergleichend auf den Diskurs, sondern er verwirklicht – »sagt« – Dekonstruktion. Dadurch

234 Vgl. Mersch (2010), S. 82f. Nach Wittgenstein kann das, was ausgedrückt werden soll, nicht zeigen, wie dies geschieht. »Der Satz kann die logische Form nicht darstellen, sie spiegelt sich in ihm. Was sich in der Sprache spiegelt, kann sie nicht darstellen. Was sich in der Sprache ausdrückt, können wir nicht durch sie ausdrücken. Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf.« Wittgenstein (1918), 4.1212. 235 Vgl. Derrida (1990/2010a), S. 118. 236 Vgl. Mersch (2010), S. 53f; Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 18–25.

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unterläuft Derrida die Tradition der Metaphysikkritik und geht zugleich über sie hinaus. Das Paradox der Metaphysikkritik, das Derrida nicht leugnet, bedauert oder durch andere Prämissen substituiert, bildet den Kern einer dekonstruktiven Haltung, die sich selbst nicht ausnimmt. Mit der Einbeziehung des Paradoxes der Metaphysikkritik, das in sein Spiel der Differenz eingeschrieben ist, erweitert Derrida die Diskursivität um eine reflexive Ebene,237 die immer wieder zur Grundlosigkeit des Grundes zurückkehrt: »Diesem Abgrund des Nicht-Sinns gilt es mit einem ›mündigen Lachen‹ zu begegnen, einem unerschrockenen Blick, der vor der Bodenlosigkeit des Spiels der Zeichen nicht die Augen verschließt.«238 Die Anerkennung der metaphysischen Fessel verstärkt den »radikalen Freiheitsgestus« der dekonstruktiven Tätigkeit, die sich bei Derrida im Spiel verwirklicht.239 Derridas Spielbegriff verzichtet daher nicht auf das implizite Wissen und das – metaphysische – utopische Potential des Spiels,240 sondern verpflichtet es einer konsequent dekonstruktiven Haltung, die die metaphysische Präsenz anerkennt, indem sie sich ihr entgegenstellt.

2.6 Das Spiel als didaktischer Meta- Diskurs des Musikunterrichts Das »Spiel der Differenz« bietet im endlichen Raum der Sprache unendliche Möglichkeiten, Sinn zu erschließen und zu stiften. Mit der Einbeziehung des Paradoxes der Metaphysikkritik erfüllt das Spiel die doppelte Geste der Dekonstruktion, sodass die Ambivalenzen der Spielsituation erhalten bleiben. Die Spielbewegungen, mit denen die Signifikanten substituiert werden, oszillieren zwischen Sinn und Präsenz. Das Spiel besteht, solange die paradoxale Spielsituation besteht und diese nicht durch die Identifikation der Grenzen des Spiels aufgelöst wird. Das Spiel kann als ästhetische Form und dekonstruktive Funktion beschrieben werden, die das Paradox der Metaphysik zur Aufführung bringt. Im Spiel erfüllt sich die poststrukturalistische Idee der Abweisung von Totalität im Diskurs, diskursiver Praxis bzw. dekonstruktiver Tätigkeit. Es kann geklärt werden, dass das Spiel nicht der Diskurs an sich ist, sondern dessen dekonstruktives Movens artikuliert. In Entsprechung zur Verwendung des Spielbegriffes bei Derrida, Lyotard und Foucault 237 Auf die Reflexivität der Dekonstruktion nach Derrida verweisen Mersch (2010), S. 50–53; sowie Sonderegger (2000), S. 274f. 238 Neuenfeld (2005), S. 191f. Das »mündige Lachen« verweist auf Hegels Ausdruck der »abstrakten Negation« in Derrida (1972), S. 388. Es beschreibt menschliche Souveränität angesichts des »absoluten Verzicht auf den Sinn« und dem daran geknüpften »absoluten Wagnis des Todes«. 239 Vgl. Neuenfeld (2005), S. 190. 240 Vgl. ebd., S. 179.

2. Das Spiel als »Spiel«

kann das Spiel als paradoxaler Meta-Diskurs eines spezifisch dekonstruktiven Diskurses verstanden und artikuliert werden. Das implizite utopische Potential des Spiels überschreitet dabei die Wirklichkeit des Diskurses explorativ und hält die paradoxalen Verhältnisse seiner Elemente in (Spiel-)Bewegung. Mit dem Spielbegriff als Metakonstrukt der Dekonstruktion lassen sich diskursive Praxen beschreiben und initiieren, weil das Spiel auch die Dekonstruktion selbst zur Disposition zu stellen vermag. Die Problemstellung der vorliegenden Arbeit entzündet sich in der Diskrepanz, die sich zwischen der poststrukturalistischen Idee, Totalität in unendlicher Spielbewegung abzuweisen, und dem Niederschlag dieser Idee in der Bildungstheorie und in den musikpädagogischen Ansätzen ergibt. Jene bildungstheoretischen Ausführungen postulieren die Abweisung von Meta-Diskursen im Sinne der poststrukturalistischen Idee. Sie bleiben jedoch einer einfachen metaphysikkritischen Prämisse verhaftet, ohne die Paradoxie dieses Unterfangens einzubeziehen. Die Abweisung von Meta-Diskursen – auch didaktischen Begründungen – führt unweigerlich in die Unmöglichkeit der Legitimation von Entscheidungen. Alles ist möglich – anything goes241  – alles gilt gleichzeitig. Damit verkommt die Vielfalt zur Beliebigkeit – didaktische Willkür wandelt sich in Ohnmacht. Rückt der Meta-Diskurs einer verabsolutierten Heterogenität an die Stelle der Produktion von Präsenz, kommt das Spiel der Differenzen zum Erliegen. Das Paradox der Metaphysikkritik muss in das Spiel der Differenz einbezogen werden, um die Spielbewegung aus- und einlösen zu können. Im Folgenden werden bildende Diskurse in Form des Spiels beschrieben und Kriterien herausgearbeitet, nach denen die Gestaltung und Aufführung bildender Diskurse als Spiel eingelöst werden kann, ohne die poststrukturalistische Idee der Abweisung von Totalität zu verabsolutieren, sondern ihre Gründe konsequent zur Disposition zu stellen.

241 Vgl. Feyerabend, Paul in Welsch, Wolfgang (2017): Ästhetisches Denken. 8., durchgesehene und ergänzte Aufl. Ditzingen: Reclam (Reclams Universal-Bibliothek, 19472), S. 162. Feyerabend prägte den Ausspruch »anything goes« durch seine Veröffentlichungen »Wider den Methodenzwang«. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (1986) und »Erkenntnis für freie Menschen« Frankfurt a.M.: Suhrkamp (1980).

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3. Diskurs als Spiel Das Spiel als ästhetische Form und Funktion bildender Diskurse

Das Ziel der folgenden Überlegungen ist das Herausstellen von Kriterien, in denen sich eine dekonstruktive didaktische Haltung artikuliert, aus denen sich Impulse für eine Musikdidaktik in poststrukturalistischer Perspektive gewinnen lassen. Dazu werden die bisherigen Erkenntnisse zum poststrukturalistischen Denken und dessen Niederschlag in Ansätzen der Bildungstheorie noch einmal systematisch zusammengefasst. Der Diskurs kann als zentraler Begriff poststrukturalistischen Denkens gelten. In den verschiedenen Fassungen des Diskurses vollziehen sich diejenigen Prozesse, welche die Idee der Abweisung der Totalität einlösen. Das Motiv der Abweisung von übergreifenden Meta-Diskursen und letzten Wahrheiten hat zur Folge, dass weder die Position des Subjektes noch der Objekte seiner Erfahrung, seiner Anschauung oder seines Verstehens zu fixieren sind. Daher bleiben Ziele und Inhalte von Bildung als Prozess der Auseinandersetzung des Individuums mit der Welt, mit Anderen und dem Selbst unbestimmt. Die Unbestimmbarkeit bildender Diskurse der poststrukturalistisch beeinflussten Ansätze spiegeln daher nicht nur »traditionelle« Paradoxa der Bildung – wie beispielsweise den Widerspruch zwischen Erziehung und Selbstbestimmtheit oder der Unbestimmtheit von Zukunft bei gleichzeitiger Bestimmung von Bildungszielen –, sondern sie erwirken durch die Abweisung der Totalität diese Unbestimmtheiten und vor allem das Offenhalten der Unbestimmbarkeit intentional. Poststrukturalistische Bildungstheorie verweigert sich daher dem didaktischen Meta-Diskurs, wie die Zusammenfassung der bildungstheoretischen Ausführungen darlegt. Aus den systematisierenden Zusammenfassungen zu Diskurs und dem Niederschlag poststrukturalistischen Denkens in bildungstheoretischen Ansätzen werden Kriterien abgeleitet, die poststrukturalistisches Denken in eine dekonstruktive didaktische Haltung überführen, jedoch die Paradoxie des Vorhabens berücksichtigen. Es zeigt sich, dass dieses Unterfangen eines Metakonstruktes bedarf, mit dem die Paradoxalität dekonstruktiver Prozesse nicht nur beschrieben, sondern auch eingelöst werden kann. Diese Funktion kommt im poststrukturalistischen Denken

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

dem Begriff des Spiels zu. Mit dem Spiel veranschaulichen poststrukturalistische Autorschaften dekonstruktive Prozesse und Auswirkungen dekonstruktiver Verfahren. Das Spiel eignet sich als Metakonstrukt für dekonstruktive Tätigkeiten und die Explikation der dekonstruktiven Auswirkungen auf Subjekte und Objekte bildender Diskurse. Im Anschluss an den Gebrauch der Terminologie des Spiels im poststrukturalistischen Denken soll die Inszenierung bildender Diskurse in der Form des Spiels dargelegt werden. Zu diesem Zweck werden die Kriterien für eine dekonstruktive didaktische Haltung mit den impliziten und expliziten Merkmalen des Spiels in einer Synthese zusammengeführt und im Anschluss daran die Gestaltung und Aufführung bildender Diskurse in den Dimensionen des Spiels – Sphäre, Regelsystem und Spielhandlungen – entfaltet.

3.1 Diskursbegriffe Systematisierende Synopse Der Begriff des Diskurses wurde eingangs in drei poststrukturalistischen Perspektiven entfaltet: 1. Nach Derrida beschreibt »Diskurs« die Substitutionsbewegung der Signifikanten, die in der Folge der Abweisung und Abwesenheit eines transzendentalen Signifikats den Prozess der Bedeutungskonstitution ins Unendliche treibt. Mit der »Dekonstruktion« führt Derrida ein Verfahren ein, das diese Abweisung ermöglicht. Ein wesentliches Merkmal der Dekonstruktion nach Derrida ist deren paradoxale Struktur, denn ihre Voraussetzung als Bedingung ihrer Möglichkeit ist zugleich Bedingung ihrer Unmöglichkeit: das Begehren der Präsenz. Obwohl die dekonstruktive Abweisung transzendentaler Übergriffe auch das Subjekt trifft, beschreibt die Dekonstruktion absichtsvolles und zielgerichtetes Lesen – einen kritischen Umgang mit Texten,1 dem eine subjektive Intentionalität nicht abzusprechen ist. Neben der metaphysischen Überfrachtung weist die Dekonstruktion begriffliche Fixierungen zurück, die auf ein metaphysisches Zentrum des Sinns zurückgehen und die Prozesse der Sinnkonstitution um potentielle Spurenlagen reduzieren. Derrida bezieht die metaphysische Verstrickung jedoch in sein Spiel der Differenz ein. Das Paradox der Metaphysikkritik, das Derrida weder bedauert noch ignoriert, sondern in seine Theorie einbezieht, sagt aus, dass es unmöglich ist, Kritik an Begriffen zu üben, ohne diese Begriffe zu gebrauchen.2 Es erweist sich daher für dekonstruktive Prozesse als konstitutiv. Eine dekonstruktive Abweisung der Totalität, die das Paradox berücksichtigt, impliziert die Anerkennung der Existenz dessen, 1 2

Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 27. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 118.

3. Diskurs als Spiel

auf das sie sich kritisch richtet. Im Gegensatz zu dialektischen Verfahren beabsichtigt die Dekonstruktion, das Andere der Bedeutung als Vielfalt und (noch) Ungesagtes zu erschließen und hervorzubringen. 2. Vielfalt und Heterogenität sprachlicher Äußerungen bilden die Motive des Diskursbegriffes nach Lyotard, der seine Theorie an die Sprachspieltheorie Wittgensteins anschließt. Diskurse bilden Verkettungsmodi von Sprachspielen ab. Sie unterliegen bestimmten Diskursregeln, denen auch die sprechenden Subjekte unterworfen sind. Durch die Erfindung neuer »Spielzüge«, Sprachspiele und Verkettungsmodi entstehen neue Diskursarten. Der Diskurs kann nach Lyotard als sprachliches Konstrukt verstanden werden, in dem sich die Verbindung inkommensurabler Sprachspiele als Rechtsstreit oder Widerstreit vollzieht. Lyotards Diskurstheorie ist von der ethischen Prämisse überformt, dass für die Gewährleistung des sozialen Zusammenhalts der Gesellschaft dem Widerstreit Vorrang einzuräumen ist, da er als Medium gelten kann, das auch dem Ungesagten und Ungedachten Geltung verschaffen kann. Um den Widerstreit offenhalten zu können, gilt auch bei Lyotard die Abweisung überkommener Meta-Diskurse als unumgänglich. Aus der diskursiven Tätigkeit, die eine übergreifende Vernunft ablehnt, gehen neue Sprachspiele, neue Diskursarten hervor, deren Legitimität von Lyotard einerseits aus ihrer paralogischen Qualität und andererseits aus der sich daraus ergebenden Neuartigkeit abgeleitet wird. 3. Foucaults Diskursbegriff hebt sich von den zuvor genannten Autoren durch die Betonung der empirisch-materialen Dimension ab. Foucault versteht den Diskurs als Folge von Ereignissen. Er weist auf produktive Machtstrukturen hin, die sich aus der diskursiven Tätigkeit im Widerstand zu jenen Ausschließungssystemen ergeben, die die Macht der Diskurse zu begrenzen suchen. Diskursivität nach Foucault ist vom Motiv der produktiven Entgegensetzung geprägt. Das, was den Diskurs von seinem Außen abgrenzt, wirkt konstitutiv. Diese Paradoxie betrifft sowohl das Subjekt, das sich durch seine Dislokation erst selbst bestimmen kann, als auch den Diskurs selbst. Nach der Synopse dieser Perspektiven auf den Diskursbegriff können Diskurse als sprachlich gefasste Ereignisse beschrieben werden, die in semiotischer, strukturaler und materialer Dimension Wirklichkeit hervorbringen. Um die Prozesse der Bedeutungszuschreibung und Bedeutungskonstruktion – diese Wirklichkeit betreffend – offenzuhalten und um zu verhindern, dass das Bedeuten überkommenen Totalitäten unterstellt wird, setzt Derrida das Verfahren der Dekonstruktion ein, um der Identifikation des Sinns konsequent zu widersprechen.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

3.2 Bildende Diskurse Systematisierende Synopse Die konstituierenden Motive der Diskursbegriffe nach Derrida, Lyotard und Foucault lassen sich in den poststrukturalistisch beeinflussten Theorien und Ansätzen zur (musikalischen) Bildung nachweisen. Koller entfaltet seine Bildungstheorie im Anschluss an Lyotards Konzeption des Widerstreits und auf der Basis von dessen ethischem Meta-Diskurs.3 Bildung verweigert die Totalität übergreifender Diskurse – bis auf den ethischen. Ihre wesentliche Essenz ist ihr innovatives und paralogisches Potential, das ermöglicht wird, wenn das sich bildende Subjekt in eine produktive Krise gerät. Nach Thompson manifestiert sich der Gehalt des Bildungsbegriffes durch die Unmöglichkeit, diesen Gehalt zu bestimmen.4 Bildung kann als leerer Signifkant erachtet werden. Das, was er als Bedeutung in Aussicht stellt, verweigert sich durch eine Grenzziehung zu dem, was nicht der Bildung angehört. Bildung erfüllt sich, in dem ihr Bedeutungshorizont unerfüllt bleibt. Thompson erschließt ihren Bildungsbegriff im Anschluss an Foucault und dessen Motivik der produktiven Entgegensetzung. Sie verweist auf das bildende Potential ästhetischer Erfahrungen. Diese unterlaufen den identifizierenden Zugriff auf die Welt. Das Scheitern des Verstehens entzieht dem Subjekt den sicheren Ort und ermöglicht genau dadurch die (Er-)Findung seiner selbst. Bildung rekurriert auf die Negativität ästhetischer Erfahrung – sie destruiert überkommene Wissenssysteme und eröffnet die Möglichkeit zur Konstruktion des Neuen. Meder platziert Bildung als relationale Form und Funktion der diskursiven Auseinandersetzung zwischen Subjekt und Objekt.5 Bildung artikuliert sich daher als Inter-esse – intentional und kreativ. Der Autor greift die Rezeption der Sprachspieltheorie nach Wittgenstein durch Lyotard auf, lässt aber auch andere poststrukturalistische Denkmodelle, wie beispielsweise das Verfahren der Dekonstruktion nach Derrida und die Explikation der Dynamik der Macht nach Foucault, einfließen.6 Mit dem »Sprachspieler« formuliert Meder ein Bildungsideal und thematisiert das Paradox der Metaphysikkritik. Die Explikation des Bildungsideals lässt offen, ob aus ihm »Sollenssätze« oder »Werturteile« abgeleitet werden.7 Die Idealgestalt des »Sprachspielers« impliziert bereits die Provokation der Dekonstruktion, die sich auch gegen sich selbst richtet. Meder bietet Anlässe und potentielle Ziele des »Sprachspielers«, die mit dem Umgang und der Hervorbringung von Vielfalt in ästhetischer und

3 4 5 6 7

Vgl. Koller (2012), S. 97. Vgl. Thompson (2009), S. 7, S. 138f., S. 212. Vgl. Meder (2004), S. 149f. Vgl. ebd., S. 261. Ebd., S. 10.

3. Diskurs als Spiel

ethischer Perspektive im Zusammenhang stehen. Durch seine Darstellung als Idealgestalt widerfährt dem »Sprachspieler« eine ästhetische Formalisierung, die es ermöglicht, über ihn zu sprechen – d.h. ihn zu erläutern: seine Prozesse zu beschreiben, zu gestalten und einen Anfang zu machen. Auch Schläbitz formuliert ein Bildungsideal.8 Hermeneutisch-kritisch setzt er sich mit überkommenen Idealen eines [neu]humanistischen Bildungsbegriffes auseinander und leitet aus der Problematisierung – insbesondere des Menschenbildes bzw. Subjektverständnisses – einen relationalen Bildungsbegriff ab. So fließt in seine Argumentation auch der Hinweis auf die Kritik des Logo-oder Eurozentrismus nach Derrida und der Diskursbegriff Foucaults ein. Es ergibt sich jedoch aus dieser bildungstheoretischen Diskussion keine spezifisch poststrukturalistischdekonstruktive Haltung. In der Synopse jener ausgewählten Bildungsbegriffe lässt sich zum Bildungsbegriff, der diese Arbeit trägt, Folgendes zusammenfassen: Bildung vollzieht sich diskursiv, dekonstruktiv und explorativ in der Auseinandersetzung sich bildender Subjekte mit der Welt außerhalb ihrer selbst. Aus bildenden Diskursen gehen neue Diskurse und Diskursarten hervor. Bildung erweist sich als leerer Signifikant, der offenhält, was er an Bedeutungen in sich trägt und tragen könnte, um seine Bedeutsamkeit zu erfüllen. Bildung widerfährt Subjekten als produktive Krise, die sie zugleich in ihren vorgängigen Dispositionen erschüttert, ihnen jedoch das Subjekt-Werden und Subjekt-Sein erst ermöglicht.

3.3 Anforderungen an eine dekonstruktive Didaktik Eine bildungstheoretische Didaktik findet ihre Bezugspunkte in jenen bildungstheoretischen Intentionen und Prämissen, die sie im Blick auf ihre Adressaten zunächst artikuliert und dann begründet und legitimiert. Dies trifft auf tradierte bildungstheoretische Didaktiken zu, wie auch auf die hier in Aussicht gestellte dekonstruktive Musikdidaktik. Im Folgenden soll ein kurzer Einblick in die bildungstheoretische Didaktik nach Klafki geboten werden, die als Beispiel für eine tradierte, aber noch aktuelle didaktische Referenz gelten kann, um deren Beweggründe denen einer dekonstruktiven Didaktik gegenüberstellen zu können. Die bildungstheoretische Didaktik nach Klafki kolportiert ein Verständnis vom Allgemeinen, das in poststrukturalistischer Perspektive zur Disposition stehen muss, da das Allgemeine als Totalität und das Denken über das Allgemeine einem überkommenen Meta-Diskurs entspricht. Während jene tradierte Didaktik Kontexte und Kausalitäten einer begründenden 8

Vgl. Kapitel 1.9.1: Musikalische Bildung nach der Verabschiedung (neu-)humanistischer Bildung.

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Legitimation aufzeigt, provoziert eine dekonstruktive Didaktik die (De)Legitimation ihrer Begründungen. Damit artikuliert eine dekonstruktive didaktische Haltung sowohl ihre notwendige Intentionalität und Normativität als auch die dekonstruktive Auflösung und Abweisung ihres totalitären Grundes. Für dieses widerständige Moment einer Legitimation durch gleichzeitige Delegitimierung, das für eine dekonstruktive didaktische Haltung entscheidend ist, wird der Terminus Reflexive Positionierung eingeführt.

3.3.1 Zum bildungstheoretischen Grund der Didaktik Wolfgang Klafki entwickelte in den 1950er-Jahren eine Theorie, die als »bildungstheoretische Didaktik« seit dieser Zeit nachhaltigen Einfluss auf die Lehramtsstudierenden und die Unterrichtsplanung hat.9 Die 1985 erschienenen »Neuen Studien zu Bildungstheorie und Didaktik« knüpfen daran an und haben noch heute in vielen Bundesländern Einfluss auf Schulgesetze, Lehrpläne und Fachanforderungen. Klafki erörtert die Bedeutung klassischer Bildungskonzepte hinsichtlich aktueller gesellschaftlicher Anforderungen und leitet bildungstheoretische Überzeugungen ab, aus denen wiederum didaktische Leitprinzipien resultieren. Seine als »zukunftsweisend« hochgeschätzte »kritisch-konstruktive« Didaktik, die dem Konzept der »kategorialen Bildung« als Integrationsversuch von materialer und formaler Bildung folgt, fordert die Rückbindung allgemeiner Bildungsbemühungen an gesellschaftliche Interessen und Probleme. Er propagiert ein Verständnis von Allgemeiner Bildung, die alle Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten umfassen zudem, allen Mitgliedern der Gesellschaft ermöglicht werden und im Medium des Allgemeinen stattfinden solle.10 Mit diesen Maximen artikuliert Klafki Ziele – Intentionen – der Bildung, die – entgegen dem klassischen Vorbild nach Humboldt – außerhalb der Bildung selbst liegen. Klafkis bildungstheoretische Didaktik folgt identifizierten gesellschaftlich-politischen Notwendigkeiten11 und daraus abgeleiteten Prämissen: »Allgemeinbildung bedeutet in dieser Hinsicht, ein geschichtlich vermitteltes Bewußtsein von zentralen Problemen der Gegenwart und – soweit voraussehbar – der Zukunft zu gewinnen, Einsicht in die Mitverantwortlichkeit aller angesichts solcher Probleme und Bereitschaft, an ihrer Bewältigung mitzuwirken.«12 9

10 11 12

Vgl. Porsch, Raphaela (Hg.) (2016): Einführung in die Allgemeine Didaktik. Ein Lehr-und Arbeitsbuch für Lehramtsstudierende. Waxmann Verlag. Münster, New York: Waxmann (UTB Schulpädagogik, 4565)., S. 101. Vgl. Klafki, Wolfgang (2007): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. s.l.: Beltz Verlagsgruppe, S. 52–54. Vgl. Klafki (2007), S. 50. Vgl. ebd., S. 56.

3. Diskurs als Spiel

Didaktische Entscheidungen, die sich in Unterrichtsgestaltungen artikulieren, können mit Klafki auf jene übergreifenden Prämissen zurückgeführt werden. Die gesetzten bildungstheoretischen Prämissen können somit als Grund für didaktische Entscheidungen erachtet werden. Auf diese Weise begründete didaktische Entscheidungen können als legitimiert gelten. Kriterien, die im Sinne der kritischkonstruktiven Didaktik nach Klafki aus den gesellschaftlich-politischen Interessen gewonnen werden können, sind z.B. die Nennung und Aufbereitung von Schlüsselproblemen, die Lernenden Einsichten ermöglichen sollen.13 Neben kognitiven, intellektuellen Anforderungen soll der Unterricht auch emotionale Erfahrungen und Betroffenheit ermöglichen, um den Lernenden einerseits den Horizont ihrer moralischen und politischen Verantwortlichkeit zu eröffnen, und andererseits die dafür notwendige Handlungs- und Entscheidungsfreiheit aufzuzeigen.14 Ziel eines kritisch-konstruktiven Unterrichts ist die Bildung der Lernenden zu Autonomie im Geiste einer zeitgenössischen Aufklärung – in moralischer und selbstverantwortlicher Rückbindung an die Allgemeinheit.15 Auch poststrukturalistisch beeinflusste Bildungstheorien folgen Intentionen und Zielen, die über die Ermöglichung von Bildungsprozessen an sich hinausgehen, und Prämissen, die die poststrukturalistischen Ideen zu verwirklichen suchen. Wie eingangs bereits dargelegt wurde, kann sich keine Bildungstheorie ihrer Intentionalität entziehen.16 Poststrukturalistische Intentionalität impliziert jedoch zugleich die paradoxe Abweisung von und Kritik an jenen Meta-Diskursen, aus denen sich diese Intention speist.

3.3.2 Motive und Kriterien für eine dekonstruktive didaktische Perspektive Es gilt nun, für poststrukturalistische Motive, die sich in den verschiedenen Bildungstheorien artikulieren, didaktische Kriterien abzuleiten, mit denen diese Motive im bildenden Diskurs – im konkreten Unterricht – einzulösen wären, ohne neue Totalitäten zu etablieren, die sich dem Spiel der Differenz entziehen. Dafür sollen zum einen aus dem Nachweis poststrukturalistischer Motive in den bildungstheoretischen Ansätzen entsprechende bildungstheoretische Intentionen gefolgert werden. Zum anderen sollen für diese Motive paradoxale Entgegensetzungen entwickelt werden, die als didaktische Kriterien gelten können, um die Totalität didaktischer Meta-Diskurse abweisen zu können. Begriffe (Werte, Normen, Meta-Diskurse) können nur dekonstruiert werden, wenn sie intentional ins Spiel gebracht – d.h. deren semiotische, strukturale, materiale Präsenzen aner-

13 14 15 16

Vgl. ebd., S. 56f. Vgl. ebd., S. 54–60. Vgl. ebd., S. 56. Vgl. Vogt (2019), S 14f.

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kannt werden. Damit wird das Paradox der Metaphysikkritik, das für das Verfahren der Dekonstruktion als konstitutiv erachtet werden kann, einbezogen. Folgende Motive poststrukturalistischen Denkens lassen sich als bildungstheoretische Intentionen und Implikationen in poststrukturalistisch beeinflussten Bildungstheorien und bildungstheoretischen Ansätzen in der Musikpädagogik aufweisen. Aus der Idee der Abweisung von Totalitäten und Meta-Diskurses folgt die bildungstheoretische Intention zur Dezentralisierung bzw. Dislozierung von Subjektpositionen und Bedeutungshorizonten von Objekten.17 Die Dezentralisierung bzw. Dislozierung von Subjekten und Objekten führt zur Intention, Pluralität und Heterogenität anzuerkennen, mit Pluralität und Heterogenität kreativ umzugehen und heterogene Bedeutungssysteme darzustellen und zu erzeugen.18 Daraus folgt nun die ethische Prämisse der Anerkennung des Anderen und der Grenzen des Verstehens und der Imperativ zur innovativen und paralogischen Auseinandersetzung mit überkommenen Diskursarten.19 Bildende Diskurse müssen – um die Idee der Abweisung von Totalität einzulösen – dekonstruktiv wirken und Dekonstruktion ermöglichen. Sie müssen dem Subjekt als produktive und dekonstruktive Befremdung widerfahren. Bildende Diskurse entziehen dem Subjekt den sicheren Ort und ermöglichen, dass es sich neu hervorbringt. Im Unterschied zur begründenden Legitimation didaktischer Entscheidungen, wie sie seit Klafki Gültigkeit beansprucht, muss eine poststrukturalistische – dekonstruktive Didaktik – ihre Gründe zur Disposition stellen. Das Verfahren der Dekonstruktion muss sich auch gegen sich selbst und damit gegen die Bedingungen seiner Möglichkeiten richten – denn es bedarf der Anwendung der Begriffe der Metaphysik, um Kritik an den Begriffen der Metaphysik zu üben.20 Eine poststrukturalistische Didaktik kann nur als Meta-Diskurs legitimiert werden, wenn diese zugleich die eigene Dekonstruktion – als reflexive Delegitimierung – in Aussicht stellt.21 Nur, wenn diese Ambivalenz erhalten bleibt, kann die doppelte Geste der Dekonstruktion eingelöst werden.

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18 19 20 21

Vgl. Kapitel 1.7.1.4: Das Subjekt in der Krise I: Erfahrung als Anlass für Verlust und Konstitution des Selbst; Kapitel 1.7.2.3: Das Subjekt in der Krise II: Anlässe für Bildung und den Eintritt in den Widerstreit; Kapitel 1.7.3.4: Das Subjekt in der Krise III: Anlässe für Bildung und der Eintritt in das Sprachspiel. Vgl. dazu auch Oberhaus (2016), Schläbitz (2007). In diesem Zusammenhang verweisen die Autoren auf die Notwendigkeit ästhetischer Erfahrungen, Krisenerfahrungen und Erfahrung ästhetischer Negativität, in denen der Verlust der Subjektposition und die damit gleichzeitig evozierte Neubegründung verbunden wird. Vgl. dazu Koller (2012), Meder (2004), Weber (2014 und 2020), Schläbitz (2004, 2007, 2016). Vgl. Wimmer (2006), Koller (2012), Meder (2004), Oberhaus (2016). Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 118. Vgl. Lyotard (2015), S. 102.

3. Diskurs als Spiel

Bildende Diskurse, die ihre Gründe nicht verbergen, sondern offen in Zweifel ziehen lassen, verweigern sich zum einen inhaltlicher Willkür und zum anderen einer reduzierenden Dialektik, die nur eine Verkehrung der Totalität mit sich brächte. Notwendig, um eine solche – dekonstruktive – Didaktik zu entwickeln und fachspezifisch zu konkretisieren, ist die Entwicklung einer reflexiven didaktischen Haltung – eine Haltung, die das Bekenntnis zur Präsenz und gleichermaßen die Ermöglichung der Dekonstruktion dieses Bekenntnisses mit sich führt. Diese Haltung soll im Folgenden als Reflexive Positionierung bezeichnet werden.

3.4 Systematik des Spiels in poststrukturalistischer Perspektive Das Spiel soll als dekonstruktives Metakonstrukt für bildende Prozesse eingeführt und seine Merkmale beschrieben werden. Es erscheint als geeignet, eine potentiell dekonstruktive Auseinandersetzung des Individuums mit der Welt, Anderen und seinem Selbst darstellen und bewirken zu können. Das Spiel geht aus dem Beziehungsgefüge aus Spielsphäre, Regelsystem und den Spielhandlungen bzw. der (Inter-)Aktion Spielender als ästhetische Form hervor und übernimmt für den Erhalt der paradoxalen Verhältnisse eine Funktion. Kernmotiv der Einführung des Spiels als didaktisches Metakonstrukt ist zudem seine grundlegende Ambivalenz hinsichtlich metaphysikkritischer Intentionen. Das Paradox der Metaphysikkritik ist dem Spiel inhärent. Somit kann die Präsenz zugleich als Voraussetzung und produktive Entgegensetzung der Dekonstruktion anerkannt werden. Das Spielfeld poststrukturalistischer Spiele entfaltet sich in der Sphäre der Sprache. Mit der Erweiterung des Textbegriffes nach Derrida22 kann auch Nichtsprachliches, Ästhetisches der Sphäre des Spiels angehören und in ihr bedeutsam werden. Das Spiel ist wirklich und handelt von der Wirklichkeit – sogar als Wirklichkeit.23 Das Spiel führt zur Subversion und »supplementarité«,24 d.h., es unterläuft und überschreitet die Vernunft, die Rationalität und den Sinnhorizont der Wirklichkeit. Das Spiel ist daher paralogisch und unvernünftig. Spielregeln sind dem Spiel und den Spielenden als Gesetzmäßigkeit – in Analogie der Grammatik zur Sprache – vorgängig. Das Verhältnis von Spielregel und Spiel entspricht dem Verhältnis Grammatik und Sprache und verweist auf die paradoxalen Verhältnisse, die sich daraus ergeben. So ermöglicht erst die Regelhaftigkeit der Grammatik sprachliche Innovation – in der Endlichkeit der Sprache gründet dementsprechend die Unendlichkeit der Möglichkeiten der Bedeutung. Sinn entsteht in

22 23 24

Vgl. Engelmann (Hg.) (2010), S. 21. Vgl. Schäfer/Thompson (Hg.) (2014), S. 10. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 133.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

der Relation der Zeichen – in Sprache und Spiel, solange die Spielregel die dekonstruktive Tätigkeit provoziert. Die Spielregel löst die Hierarchie zwischen Subjekt und Objekt in Zeit und Raum des Spiels auf, denn weder dem Subjekt noch dem Objekt bleibt im Spiel ein sicherer Ort, ein Zentrum vorbehalten, von dem eine Herrschaft über den Sinn ausgeübt werden kann. Das Spiel kann nur bestehen, solange die Spielbewegung für beide Instanzen dislozierend wirkt und Sicherheit nur hinsichtlich der Unbestimmtheit besteht. Spielregeln wachen über das Spiel entsprechend dem Verhältnis der Ausschließungssysteme zum Diskurs. Das Oszillieren zwischen der Freiheit des Bedeutens und der Einschränkung durch die Regel erwirkt einen beweglichen Geltungsbereich, der die Grenze zum Nicht-Spiel, bzw. der Diskursgrenze markiert. Diese Grenze muss anerkannt, darf jedoch weder berührt noch bezeichnet werden. Die Paradoxie der Grenze besagt, dass das Spiel endet, sobald seine Grenze bezeichnet wird, denn die Grenze des Spiels gehört nicht zum Spiel. Dennoch ist ihre Existenz als »konstitutives Außen«25 unabdingbar. Die Spielgrenze erfüllt eine Funktion und beschreibt einen Nicht-Ort und den Moment der Gegenwärtigkeit, der das Ereignen der Zeichen teilt – in seine Wiederholung und sein Potential zur Veränderlichkeit.26 Die Spielregeln sind für alle Spielenden in gleicher Weise zugänglich und verbindlich. Es kann nur gespielt werden, wenn sich alle Spielenden zum geltenden Regelsystem verhalten, sich selbst aufs Spiel setzen und die spielerische Interaktion bejahen. Das Spiel fordert Einsatz und Risikobereitschaft der Spielenden. Spielende unterwerfen sich der Spielregel freiwillig und stellen ihre Subjektivität zur Disposition. Verliert das Subjekt im Spiel den sicheren Ort, gewinnt es im Spiel neuen, mehrdeutigen und ästhetischen Sinn und bringt sich dadurch als subjektive Instanz hervor. »Spiele erzeugen Welten und Menschen«27  – und aus der Auseinandersetzung der Menschen mit den Welten gehen die Spiele hervor. Mit der Einbeziehung des Paradoxes der Metaphysikkritik kann das Spiel im Anschluss Derrida als paradoxales Metakonstrukt erachtet werden, das die Explikation der Dekonstruktion und dekonstruktiver Tätigkeiten in Aussicht stellt.28 Das Spiel setzt sich identifizierendem Denken entgegen. Es wendet sich jedoch auch gegen eine Totalisierung der Dekonstruktion, die Grundlosigkeit, Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit – sowie auch Heterogenität als neuen Meta-Diskurs fixieren würde. Eine solche Feststellung bedeutete »Präsenzlosigkeit«, entzöge der dekonstruktiven Tätigkeit das konstitutive Gegenüber und dem Spiel Inhaltlichkeit und Anfang. Das Spiel ist reflexiv strukturiert. Die Bewegung des Spiels oszilliert zwischen Anerkennung und Zweifel an seinem transzendentalen Grund. Der Zweifel am

25 26 27 28

Butler (2015), S. 91. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 125f. Vgl. Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 7. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 132.

3. Diskurs als Spiel

Grund des Spiels entspricht einem Zweifel an der Kausalität zwischen dem Grund, der Spielregel und den daraus hervorgehenden Sinnstiftungen. Nur dann kann eine dialektische Verkehrung der Abweisung des Grundes verhindert werden. So ist die Fixierung – und Reduktion – von Bedeutung »Das ist der Sinn!« nur ein Äquivalent zur Bestimmung »Das ist der Unsinn!«. Beide Feststellungen beziehen sich auf eine transzendentale Wahrheit und stellen ihren Grund (noch) nicht zur Disposition. Erst die unmittelbare, noch unbestimmte Begegnung mit dem Sinn oder Unsinn im Spiel ermöglicht ein Anders-Verstehen. Es braucht die Zumutung durch Präsenz im Spiel, um den den Schwebezustand der Ambivalenzen und Spielbewegungen zu erzeugen und zu erhalten. Das Spiel setzt der dekonstruktiven Tätigkeit – wider inhaltliche Beliebigkeit und Willkür der Entscheidungen – mit einem Bekenntnis zur Präsenz einen bestimmten Anfang. Spielen kann daher als spezifische diskursive Praxis erachtet werden: intentional und performativ. Die grundlegende Wiederholbarkeit29 und Erläuterbarkeit des Spiels30 ermöglicht sowohl seine Beschreibung als auch seine Inszenierung31 .

3.5 Das Spiel als Form und Funktion bildender Diskurse Synthese Um die Forschungsfrage nach der Möglichkeit didaktischer Entscheidungen in poststrukturalistischer Perspektive beantworten zu können, soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, bildende Diskurse als Spiel in einer Form der Verbindung von Sphäre-Regelsystem und Akteuren bzw. von Handlungen zu beschreiben. Eine Explikation bildender Diskurse als Spiel erfordert die funktionale Verknüpfung didaktischer Prämissen und Entscheidungen mit reflexiven und dekonstruktiven Prozessen. Die folgende Synthese von Diskurs und Spiel wird zunächst aus allgemeindidaktischer Perspektive geleistet, um entsprechende Kriterien herauszustellen, die in Kapitel 7 musikdidaktisch konkretisiert werden sollen. Das Herausarbeiten der Kriterien mündet in die Entfaltung eines allgemeindidaktischen Zugriffs auf bildende Diskurse als Spiel, die die Grundlage für die Entwicklung von Impulsen für die didaktische Inszenierung von (Musik-)Unterricht als Spiel im entsprechenden Kapitelbildet. Der didaktische Zugriff erfolgt in den beiden Perspektiven didaktischer

29 30 31

Vgl. Kapitel 1.2.1.2: Das Konzept der »différance«. Zur Iteration und Alteration der »différance«. Vgl. Meder (2004), S. 202. Zur Begriffserklärung »Inszenierung«, siehe Kapitel 3.5.1, S. 212. Vgl. auch Wolfgang Sting (2013/2012): Inszenierung. In: Kulturelle Bildung Online. https://www.kubi-online.de/artikel/in szenierung (letzter Zugriff am 30.10.2020).

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Inszenierung: der Gestaltung und der Aufführung von Unterricht. Für die folgenden Ausführungen wird daher die Formulierung »bildende Diskurse« konkretisiert und durch »Unterricht« ersetzt.

3.5.1 Terminologie der »didaktischen Inszenierung« Didaktische Entscheidungen artikulieren sich einerseits in Unterrichtsentwürfen, d.h. in Planung, Strukturierung oder Modellierung andererseits in der konkreten Unterrichtssituation – in der didaktischen Inszenierung. »Didaktische Inszenierungen bilden nicht bloß die Wirklichkeit ab, sondern leisten eine symbolische Darstellung der Wirklichkeit der Welt. Sie schaffen Lern-, Sinn- und Deutungsangebote, an denen sich die Schüler abarbeiten können.«32 Die Rede über das Spiel als Form von (Musik-)Unterricht verhält sich zum bildenden Diskurs als dekonstruktiver Meta-Diskurs; das Spiel zum Lehr-Lern-Gefüge als dekonstruktives Metakonstrukt. Eine dekonstruktive Didaktik stellt die eigene Delegitimierung in Aussicht, ermöglicht paradoxale Entgegensetzungen. Daher soll der didaktische Zugriff auf Unterricht als Spiel nicht nur deskriptiv erfolgen, sondern auch die performative Kraft paradoxaler Entgegensetzungen berücksichtigen, die sich durch die Eröffnung und den Vollzug bildender Diskurse als Spiel artikuliert. Im Zuge der Explikation von (Musik-)Unterricht als Spiel muss der Inszenierungsbegriff von Jank um performative – wirklichkeitsbildende – Dimensionen erweitert werden. Daher wird im Folgenden ein Begriff für Inszenierung aus dem Bereich der theatralen Bildung bzw. Theaterwissenschaften eingeführt, der beide Dimensionen der Didaktik impliziert: die Gestaltung und den performativen Akt der Aufführung von Unterricht. So definiert Sting: »Unter Inszenierung versteht man den intentionalen Prozess der Gestaltung, Erprobung und Ordnung ausgewählter Stoffe, Materialien, Handlungen in Raum und Zeit, also allgemein etwas ›zur Erscheinung zu bringen‹, das im performativen Akt der Aufführung öffentlich wahrnehmbar wird.«33 Die Unterscheidung von schriftlichem Entwurf und seiner ästhetischen Materialisierung ist notwendig, weil die Beschreibung eines potentiellen Spielablaufs niemals identisch mit seiner Aufführung sein kann. Die Inszenierung bringt als performativer Akt zur Erscheinung, was selbst nicht gegenwärtig sein kann. Fischer-

32 33

Jank in Zusammenarbeit mit Meyer (2009) in: Jank (Hg.) (2009), S. 12. Sting, Wolfgang (2013/2012): Inszenierung. In: Kulturelle Bildung Online. https://www.kubi-on line.de/artikel/inszenierung (letzter Zugriff am 30.10.2020)

3. Diskurs als Spiel

Lichte stellt heraus, dass der Inszenierung stets etwas »vorausliegen muss«.34 Der Entwurf geht nicht in seiner Aufführung auf. »Dieses Vorausliegende vermag niemals vollkommen in Inszenierung einzugehen, weil sonst dieses selbst das ihr Vorausliegende wäre. Anders gewendet ließe sich sagen, daß jede Inszenierung aus dem lebt, was sie nicht ist. Denn alles, was sich in ihr materialisiert, steht in den Diensten eines Abwesenden, das durch Anwesendes zwar vergegenwärtigt wird, nicht aber selbst zur Gegenwart kommen darf.«35 Der Begriff der Inszenierung – bei Fischer-Lichte an die Aufführung geknüpft – betont die Kontingenz des Spiels im Gegenüber seiner vorausliegenden Planung. Die Aufführung überschreitet die Planung in ihrer Ereignishaftigkeit und ästhetischen Materialität und verweist damit auf das sinnstiftende Verhältnis von Planung und Aufführung.

3.5.2 Didaktische Zugriffe – Gestaltung und performativer Akt der Aufführung von Unterricht als Spiel Die Darstellung des didaktischen Zugriffs auf (Musik-)Unterricht als Spiel erfolgt in Anlehnung an die theatralen Inszenierungsbegriffe nach Sting und Fischer-Lichte in zwei Schritten: •



Didaktischer Zugriff 1: Herausstellen von Kriterien/Arbeitsprinzipien für den intentionalen Prozess der Gestaltung von bildenden Diskursen als Spiel, damit verbunden die Ordnung ausgewählter Inhalte, Materialien, Handlungen in Raum und Zeit. Didaktischer Zugriff 2: Herausstellen von Kriterien/Arbeitsprinzipien für den performativen Akt der Aufführung des Spiels.

3.5.2.1 Didaktischer Zugriff 1: Gestaltung von Unterricht als Spiel Kernkriterium für die Gestaltung bildender Diskurse als Spiel, in der sich eine dekonstruktive didaktische Haltung artikulieren soll, ist die Einbeziehung produktiver bzw. reflexiver Entgegensetzungen. Der Absicht, einen Diskurs als Spiel eröffnen zu wollen, ist die kritische Haltung – die Reflexion eben dieser Intention – bereits eingeschrieben. Eine selbstkritische Haltung gilt Lehrenden genuin als selbst34

35

Iser, Wolfgang (1991): Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven einer literarischen Anthropologie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S. 505 und 511. In: Fischer-Lichte, Erika (2004): Ästhetik des Performativen. Hier auch später erschienene, unveränderte Nachdrucke. Orig.-Ausg., 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Edition Suhrkamp, 2373, S. 324. Iser (1991) in Fischer-Lichte (2004), S. 324f.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

verständlich –36 sie stellt im Zusammenhang der Entwicklung eines poststrukturalistisch begründeten didaktischen Ansatzes nichts Neues dar. Das Neue wird in der Notwendigkeit gesehen, sich zur Eröffnung des Spiels und zur Materialauswahl – d.h. zur normativen Festlegung der Spielsphäre und des Regelsystems – reflexiv zu positionieren. Die Produktion von Präsenz entspricht einer inhaltlichen Positionierung. Sie ermöglicht den performativen Akt der Spieleröffnung und ist zwingend, um Lernende produktiv zu stören und Prozesse der Dekonstruktion zu ermöglichen – und daher didaktisch legitimiert. Die für eine dekonstruktive Didaktik konstitutive Haltung ist nicht die der Entschuldigung für Normativität, Exemplarizität, Subjektivität oder auch Unvollständigkeit bezüglich der inhaltlichen Entscheidungen, sondern die Präsentation – die Aufführung und Darstellung – von Inhalten als Spielzug der Verantwortung gegenüber den Lernenden, der die Reflexivität bezüglich dieser Positionierungen bereits impliziert. Eine dekonstruktive Haltung im Zuge der Gestaltung von Unterricht erfordert die Übernahme von Verantwortung für den Anderen als Anderen. Diese umfasst die Ermöglichung der Dekonstruktion durch die Lernenden und Lehrenden und die Anerkennung und Reflexion der dekonstruktiven Wirkung der didaktischen Entscheidungen auf Lehrende und Lernende. Die doppelte Geste der Dekonstruktion erfasst Lernende und Lehrkräfte gleichermaßen – in der Phase der Gestaltung von Unterricht muss berücksichtigt werden, dass sowohl Spielende als auch Spielleitung Teil des Spiels sind und die subjektiven Verortungen beiderseitig und wechselseitig zur Disposition stehen. Eine dekonstruktive Haltung erfordert dementsprechend hinsichtlich der institutionell begründeten Hierarchie zwischen Lehrkräften und Lernenden ebenfalls Anerkennung und kritische Reflexion.37 Lehrkräfte, die Unterricht als Spiel gestalten, verantworten die normative Bestimmung einer Spielsphäre und eines Regelsystems, das Spielhandlungen in Aussicht stellt.

36

37

Vgl. Albert, Sabine (2016): Die Bedeutung der reflexiven Selbstforschung für die Professionalisierung von Lehrpersonen. Haushalt in Bildung& Forschung 5 (2016) 4, S. 35–46; vgl. dazu auch Altrichter, H. & Feindt, A. (2011). Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht: Aktionsforschung. In: E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hg.) (2011). Handbuch der Forschung zum Lehrerberuf, (S. 214–231). Münster/New York/München/Berlin: Waxmann; vgl. dazu auch Fichten, W. & Meyer, H. (2014). Skizze einer Theorie forschenden Lernens in der Lehrer_innenbildung. In E. Feyerer, K. Hirschenhauser & K. Soukup-Altrichter (Hg.). (2014). Last oder Lust? Forschung und Lehrer_innenbildung, (S. 11–42). Münster: Waxmann. Hattie, John (2015). Lernen sichtbar machen. Beywl, W. & Zierer, K. (2015). Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von »Visible Learning«. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Die institutionelle Gegebenheit allgemeinbildender Schulen wurde für diese Arbeit vorausgesetzt, die daraus hervorgehende institutionelle Hierarchie zwischen Lehrenden und Lernenden steht im Raum dieser Arbeit nicht zur Disposition.

3. Diskurs als Spiel

Die normative inhaltliche Bestimmung der Sphäre sowie die Auswahl des Materials kann als Voraus-Setzung38 dekonstruktiver Tätigkeit erachtet werden. Die Gestaltung eines Regelsystems als Struktur des Spiels entspricht der Einführung einer »Grammatik« in die inhaltliche Sphäre des Spiels. Die Spielregel ist – wie auch die Grammatik – selbst ohne Sinn. Sie übernimmt für die Relation der Zeichen eine Funktion.39 Daher darf die Spielregel – wie die Grammatik – nicht selbst als präsenter Ursprung, als letzte Wahrheit oder übergreifender Sinn unterstellt werden. Die Spielregel bildet nicht den Anfang einer Kausalkette, die Rückschlüsse auf einen Grund – oder Zweck – des Spiels zulässt. Sie trägt als funktionales Moment der Spielbewegung das Movens der Dekonstruktion in sich. Das Verhältnis der Spielregel zum Spiel – und die Sinn-losigkeit von Spielregeln an sich – lassen sich am Beispiel des Gesellschaftsspiels »Tabu« veranschaulichen. Die Regel des Gesellschaftsspiels »Tabu« besagt, dass bestimmte Worte vom Gebrauch ausgeschlossen werden. Dieser Ausschluss »nötigt« die Spielenden, neue und andere Umschreibungen für bestimmte Begriffe zu finden. Die Ausstreichung einzelner Wörter ist Teil der Spielregel und wirkt für das Spiel funktional. Das, was das Spiel jedoch inhaltlich an neuem Sinn hervorbringt – alternative Formulierungen und Beschreibungen –, lässt sich nicht kausal auf die Regel der Ausstreichung als solche zurückführen. Dieses Verhältnis zwischen Spielregel und Exploration von Sinn im Spiel findet sich auch in Brettspielen. Bestimmte Zugmöglichkeiten werden festgelegt und damit andere ausgeschlossen. Dies führt zur Erfindung neuer, kreativer Bewegungsmöglichkeiten, die den Sinnhorizont des Spieles erfüllen. Der Grund des Spiels ist die Suche nach Neuem. Die Ausschließungen artikulieren zunächst nur die Absicht, das Material und die Handlungsoptionen zu reduzieren, auch um offensichtliche und erwartbare Lösungen zu vermeiden. Eine Reduktion der Möglichkeiten setzt sich der Erwartung eines produktiven Spielverlaufs eigentlich entgegen – kann aber genau deshalb als konstitutiv für einen sinnstiftenden Spielverlauf angesehen werden. Die Exploration des Sinns im Spiel lässt sich nicht aus der Reduktion des Materials folgern, sondern entfaltet sich diametral als das Andere der Reduktion. So ließe sich auch zeigen, dass eine Spielregel, die Kreativität einforderte oder gar Beispiele für kreative Spielzüge darlegte, kaum motivierendes Potential beinhaltete, um Spielende zu wirklicher Kreativität aufzustören. Die Spielregel ermöglicht es, durch Determination als Ausschließung oder Identifikation das Andere, noch Ungedachte freizusetzen. Spielregeln setzen sich dem 38

39

Siehe Kapitel 3.5.2: Didaktische Zugriffe – Gestaltung und performativer Akt der Aufführung von Unterricht als Spiel. Zur Terminologie der »Setzung«; vgl. Mersch, Dieter (2002): Ereignis und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen. Orig.-Ausg., 1. Aufl. Frankfurt a.M.: Suhrkamp (Edition Suhrkamp Aesthetica, 2219), S. 9. Vgl. Derrida (1972), S. 394.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Grund des Spiels dekonstruktiv entgegen, solange sie diesem Grund nicht kausal unterworfen werden, d.h. eine dem Grund des Spiels entsprechende Ableitung oder Schlussfolgerung darstellen. Im Fall der paradoxalen Entgegensetzung der Spielregel gegen den Grund des Spiels kann es zur kreativen Sinnstiftung kommen, weil sich zwischen dem Grund des Spiels und der Spielregel produktive Differenzen ergeben: als Problem, als Mangel, als Leerstelle, die die Qualität ästhetischer Negativität aufweisen. Spielregeln zu erfinden, bedeutet das Denken der Strukturalität40 des Spiels und impliziert ein reflexives Moment, das einerseits die Gewissheit der Verlässlichkeit und andererseits die Spannung hinsichtlich der Ungewissheit des Spielverlaufs in sich trägt. Über die Spielregeln muss während der Spielzeit für alle Spielenden Transparenz bestehen. Ansonsten zerfällt das Spiel in unterschiedliche (Sprach-)Spiele. Der Rolle der Spielleitung als Instanz der Gestaltung muss im didaktischen Kontext besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden, denn aus der Anerkennung der institutionell begründeten Hierarchie zwischen Lehrkräften und Lernenden folgt die Determination verschiedener Qualitäten der Verantwortung für die Bestimmung der Spielregeln und für das Interesse an deren Einhaltung.41 Die Position der Spielleitung ist ambivalent, denn als Instanz der Urheberschaft der Spielregel verhält sie sich zur Strukturalität des Spiels als ein Zentrum. Da sich die Spielleitung jedoch ebenfalls den Spielregeln unterwirft, verortet sie sich gleichzeitig innerhalb und außerhalb der Struktur des Spiels.42 Die Spielleitung bewirkt die Totalität des Regelsystems, die sich jedoch dekonstruktiv gegen ihren Grund richtet. Derrida erklärt das Verhältnis von der Totalität der Spielregel zur Spielbewegung wie folgt: »Der Begriff der zentrierten Struktur ist in der Tat der Begriff eines begründeten Spiels, das von einer begründenden Unbeweglichkeit und einer versichernden Gewißheit, die selber dem Spiel entzogen sind, ausgeht.«43 Die Spielleitung schreibt sich mit der Erfindung von Spielregeln in die Spielbewegung des Paradoxes der Metaphysikkritik ein. Eine dekonstruktive didaktische Haltung der Spielleitung artikuliert sich im Bewusstsein und Reflexion der notwendigen totalitären Geste der Erfindung von Spielregeln.

40 41 42 43

Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 116. Das daraus erwachsene Dilemma bezüglich der Handlungsfreiheit im Spiel kann im Zuge dieser Arbeit nur thematisiert, jedoch nicht gelöst werden. Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 115. Vgl. ebd., S. 132.

3. Diskurs als Spiel

3.5.2.2 Didaktischer Zugriff 2: Aufführung von Unterricht als performativer Akt Die performative44 Dimension didaktischer Entscheidungen materialisiert nicht nur den Unterrichtsentwurf als Unterrichtspraxis. Johns Frage: Warum brauchen wir das? und ihre Beantwortung gehören dieser Dimension an und sind Teil der didaktischen Konkretion. Die Antwort artikuliert die didaktische Entscheidung, die sich einerseits in der entworfenen Unterrichtsgestaltung und andererseits in der praktischen Konkretion des Entwurfs – und eben auch in der Beantwortung der Frage des Schülers – niederschlägt. Die Antwort erzeugt die Wirklichkeit, von der sie spricht – daher wird in der Performativität didaktischer Entscheidungen ein wesentliches Merkmal gesehen, welches auch eine dekonstruktive didaktische Haltung prägt. Im Merkmal der Performativität sprachlicher Äußerungen kulminiert die widersprüchliche, gar selbstentlarvende Haltung poststrukturalistischer Autoren bezüglich der Möglichkeit, einen Diskurs eröffnen, eine Rede beginnen oder sich der eigenen Subjektivität versichern zu können. Dieser Widerspruch kann als Kristallisationskeim vorliegender Arbeit gelten, denn in ihm entfaltet sich die konstitutive Kraft der paradoxalen Entgegensetzungen: Totalität und Dekonstruktion, Präsenz und Sinn und nicht zuletzt die Hervorbringung und der gleichzeitige Verlust der Subjektivität. Die Performativität didaktischer Entscheidungen soll zunächst im Zusammenhang des Anfangs des Diskurses im poststrukturalistischen Denken problematisiert werden.

3.5.2.3 Zur Problematik des Anfangs im poststrukturalistischen Denken Poststrukturalistisches Denken negiert und leugnet den Anfang des Diskurses bzw. die Möglichkeit, einen Anfang zu machen, kann jedoch nicht darauf verzichten. Die folgenden Ausführungen vertiefen Foucaults, Lyotards, Lévinas’ und Derridas Überlegungen zu dieser Problematik. Diese bieten, veranschaulicht an konkreten, unterrichtspraktischen Beispielen Anknüpfungspunkte für die performative Dimen-

44

Der Begriff der Performativität, auf den sich die folgenden Ausführungen stützen, geht auf die Sprachphilosophie Austins zurück und bringt die Verknüpfung von Handlungsvollzug und sprachlichen Äußerungen zum Ausdruck. Performative Aussagen sind im Unterschied zu konstativen oder repräsentativen konstitutiv: sie verwirklichen, was sie aussagen. (Vgl. Wulf/Göhlich/Zirfas (2001), S. 12f.). Performatives Handeln stiftet soziale Konstrukte: Gemeinschaft und Kultur und performatives – praktisches Wissen. »Praktisches Wissen ist performativ; es ist körperlich, ludisch, rituell und zugleich historisch, kulturell; performatives Wissen bildet sich in face-to-face Situationen und ist semantisch nicht eindeutig; es ist ästhetisch und entsteht in mimetischen Prozessen; performatives Wissen hat imaginäre Komponenten, enthält einen Bedeutungsüberschuss und lässt sich nicht auf Intentionalität reduzieren Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 13. [Hervorhebung im Original]; vgl. auch FischerLichte (2004), S. 31.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

sion didaktischer Entscheidungen – und damit für die Eröffnung von Unterricht als Spiel. »In den Diskurs, den ich heute zu halten habe, und in die Diskurse, die ich vielleicht durch Jahre hindurch hier werde halten müssen, hätte ich mich gern verstohlen eingeschlichen. Anstatt das Wort zu ergreifen, wäre ich von ihm lieber umgarnt worden, um jedes Anfangens enthoben zu sein.«45 3.5.2.3.1 Die Ambivalenz der Diskursgrenze bei Foucault Das Wort ergreifend, artikuliert Foucault seinen Wunsch, das Wort nicht ergreifen zu müssen. In der Gleichzeitigkeit von Rede von der Unmöglichkeit des Anfangs und einer vernehmbaren »Metarede«, die den Anfang macht, bringt Foucault die Ambivalenz der Grenze des Diskurses – hier in Abgrenzung zu einem Meta-Diskurs – als konstitutives Außen zum Ausdruck und bezeugt zudem seine ambivalente Position als Subjekt oder Autor des Diskurses zu dieser Diskursgrenze.46 Das Dargestellte seiner Rede widerspricht der Darstellung, denn die Darstellung überschreitet das Dargestellte.47 Das entstehende Spannungsgefüge wirkt widersprüchlich und verunsichernd und wirft Fragen hinsichtlich der Existenz und der Verortung der Autorschaft auf. Ein Beispiel zur Eröffnung eines (Meta-)Diskurses im Unterricht soll helfen, Foucaults Perspektive bzgl. des Diskursbeginns zu veranschaulichen. Eine Lehrperson formuliert im Unterricht eine Aufgabenstellung und stößt auf von den Lernenden geäußertes und auch spürbares Desinteresse. Die Lehrperson eröffnet nun eine Rede über diese Situation und problematisiert damit ihre Gefangenschaft in dem Dilemma, einerseits dem Lehrplan folgen, andererseits die Interessen der Lernenden berücksichtigen zu wollen. Mit dieser Rede über den Diskurs gibt die Lehrperson den Lernenden Einblick in die Machtverhältnisse im Diskursfeld des Lehrens und Lernens und in die Ausschließungssysteme, die diese Diskursmächte jeweils begrenzen – verschiedene Interessen, verschiedene Artikulationsmöglichkeiten der Macht. Die Eröffnung der Meta-Rede durch die Lehrperson kann von der Ambivalenz zeugen, gleichzeitig im Unterricht und außerhalb des Unterrichts zu sein. Die Rede kann außerdem zum Spiel einladen: zum Austausch, zur Wechselseitigkeit diskursiver Tätigkeit, die die Grenzen der jeweiligen Diskurse bezeichnet und dadurch als Lehr- und Lerndiskurs konstituiert. Die Ambivalenz der Darstellung gewinnt dann eine performative Kraft, wenn ihr Dargestelltes – nämlich das Dilemma – Geltung erlangt, indem die Eröffnung der Rede durch die Lehrperson ihre eigene subjektive En-

45 46 47

Foucault (1991), S. 9. Ebd., S. 9. Vgl. dazu Mersch (2010), S. 82f., der sich auf Wittgenstein/Lyotard bezieht und in seinen posthermeneutischen Überlegungen die Konsequenzen der Differenz zwischen Darstellung und Dargestelltem ausführt. Vgl. dazu auch Sonderegger (2000), S. 250–259.

3. Diskurs als Spiel

tortung im Lehr-Lern-Diskurs anbietet und auf diese Weise auch die Dislozierung der Lernenden provoziert. Mit Foucault ist zu zeigen, dass es unmöglich ist, von der Unmöglichkeit des Anfangs zu sprechen, ohne einen Anfang machen. Der Anfang, aber auch die Negation des Anfangs folgt dem Begehren, sich des Diskurses zu bemächtigen.48 3.5.2.3.2 Die Negation der Intention bei Lyotard Lyotards Subjektverständnis lässt einen absichtsvoll herbeigeführten Anfang des Diskurses unmöglich erscheinen.49 Kein Satz ist der erste, jeder Satz ist zugleich Folgesatz und »Operationsforms des Übergangs« von einem Satz zum anderen.50 Entscheidend für Lyotards Sicht, dass ein Diskurs keinen Anfang haben könne, ist zudem, »[…] daß nämlich der Satz, der die allgemeine Operationsform des Übergangs von einem Satz zum anderen formuliert, selbst dieser Operationsform des Übergangs unterliegt. Kantisch gesprochen: daß die Synthese der Reihe selbst Bestandteil der Reihe ist[…]«.51 Die »Spielregel« für die Verkettung von Sätzen ist dem Satz vorgängig und wird durch den Satz reaktualisiert. Es ist also nicht möglich, durch einen Satz einen neuen Diskurs zu eröffnen. Nicht nur die Sätze, auch die aussagenden Subjekte bleiben den Operationsformen, die die Verkettung der Sätze regeln, unterworfen: »Wir glauben, daß wir überreden, verführen, überzeugen […] – doch zwingt nur eine dialektische, erotische, didaktische, ethische, rhetorische, ›ironische‹ Diskursart ›unseren‹ Satz und ›uns‹ selbst ihren Verkettungsmodus auf. Es gibt keinen Grund, diese Spannungen Absichten […] zu nennen.«52 Die Inhalte des Ausgesagten haben ihren Ursprung nicht im Bewusstsein bzw. der Intention von Sprecher-Subjekten, sondern seien abhängig von den zur Verfügung stehenden, kulturell anerkannten Sprachstrukturen. Der Logik seines Subjektbegriffes folgend, kann die Bewusstseinsebene nicht jene Ebene sein, von der aus Diskurse eröffnet werden, denn die Gegenwärtigkeit eines aussagenden Ich wird vom Subjektbegriff nicht erfasst. Das sprechende Ich kann nicht in der Rede über das Ich – als Subjekt – enthalten sein. Es bleibt im Sinne Lyotards unbewusst und absichtslos. 48 49 50 51 52

Vgl. Foucault (1991), S. 11. Vgl. Kapitel 1.3.2: Das Subjekt vor dem Satz. Vgl. Lyotard (1989), S. 109f. Vgl. ebd., S. 109. Ebd., S. 226.

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Ein Subjekt befindet sich immer in nachträglicher Distanz zu den Spielregeln, zu denen es Position bezieht – ob affirmativ oder provokativ. Lyotards Rede vom Subjekt entspricht der Rede über das Ich und impliziert die Verweigerung einer Intentionalität. Dennoch lässt Lyotard die Möglichkeit offen, dass Sätze geschehen können, die den vorgängigen Regeln nicht entsprechen, verweist das paralogische, kreative, provokante Potential aber in den Raum der Sprache selbst. Lyotard bestreitet, dass das Subjekt als Instanz des Bewusst-Seins solche sprachlichen Divergenzen absichtsvoll erzeugen kann. Da kein übergreifender Diskurs über die Entscheidung zur regelwidrigen oder regelkonformen Verkettung – auch nicht über die Bewertung der Verkettung als regelwidrig oder regelkonform – wachen kann, erscheint im Folgesatz Neuwertigkeit – etwas, was sich von überkommenen Bewertungsmaßstäben absetzt bzw. aus ethischer Prämisse abgewiesen werden soll. Die Verkettung, der neue Spielzug, performiert daher ästhetische Negativität als Präsenz – sie kann als Beginn erfahren werden, wenn sie eine kausale Verknüpfung und eine Verkettungsabsicht negiert. Lyotards dekonstruktive Haltung artikuliert sich in der Verweigerung der Anerkennung, dass die absichtsvolle Erfindung von Diskursen durch subjektive Instanzen möglich wird. Allerdings kann der performative Akt der Eröffnung des Diskurses als didaktische Inszenierung als regelkonforme oder regelwidrige Fortsetzung bestehender Diskurse verstanden werden. Für diese Einbettung der lyotardschen Perspektive sei ein Beispiel zur Veranschaulichung geboten. Eine Lehrperson betritt ein Klassenzimmer. Unruhe, Stimmengewirr, Lärm schlägt ihr entgegen. Die Lehrperson bittet vernehmbar um Ruhe – damit verkettet sie den vorgängigen Diskurs regelkonform und für alle erwartbar. Es wäre aber auch denkbar, dass die Lehrperson den Raum betritt und z.B. ein Lied anstimmt oder schweigend stehenbleibt. Auch mit dieser Antwort schreibt sie sich in den bestehenden Diskurs ein, findet aber möglicherweise einen Spielzug, der paralogisch ist und dem MetaDiskurs – eine Lehrperson sollte in unruhiger Situation für Stille sorgen– eigentlich widerspricht. Die paralogische Verkettung provoziert nun Spielzüge für neue, noch ungeschriebene Diskurse der Lehr-Lern-Beziehung. Der Anfang des Diskurses stellt nach Lyotard die Verweigerung dar, diesen Anfang einer subjektiven Instanz zuzuschreiben. Neuwertigkeit und Paralogie der Verkettung bieten Argumente, die Unverfügbarkeit des Diskurses für das Subjekt zu behaupten.53 53

Hier sei an die Ver-Antwortung für den Anderen als Antlitz erinnert, die Lévinas im Zusammenhang der unumgänglichen Beantwortung der Anrufung durch das Antlitz einfordert. Vgl. dazu Kapitel 1.3.4: Das Subjekt vor dem Anderen.

3. Diskurs als Spiel

3.5.2.3.3 Die paradoxe Ereignishaftigkeit des Zeichens bei Derrida Derrida beginnt seine Rede54 von der »différance« mit dem Hinweis auf die Unvernehmbarkeit des Phänomens, über das er spricht. »Ich werde also von einem Buchstaben sprechen.«55 Die Spezifik der »différance« ist in der Rede selbst nicht vernehmbar – die Rede über sie jedoch stellt das eigentliche Ereignis dar. Sie bringt das, von dem sie spricht, zur Aufführung. Derrida findet im Neologismus der »différance« eine Form für die Darstellung der Spielbewegung der Differenzen, die sich intentional abweisend und gleichzeitig »begehrend« auf ihren Ursprung (Präsenz) bezieht. Die Problematik des Anfangs steht bei Derrida im Zusammenhang mit der Verkehrung der Logozentrik, die mit der »Destruktion des Begriffs ›Zeichen‹ und seiner ganzen Logik« einhergeht:56 Die »différance« beschreibt das Phänomen der Ambivalenz des Ereignisses, das den Moment des Ereignisses teilt: in Wiederholung und Iteration,57 und das Gelingen von Be-Zeichnung grundsätzlich infrage stellt.58 Die Rede von der »différance« bewirkt die Produktion von Zeichen und damit einen Sinnüberschuss, der wiederum Präsenz als ästhetische Negativität produziert, die einen Anfang für das Spiel des Bedeutens macht. Das Ereignis der »différance« erzeugt, was sie aussagt. Anknüpfend an die vorangegangenen Beispiele soll auch Derridas dekonstruktive Perspektive des unmöglichen Ereignisses des Anfangs entworfen werden. Die Lehrperson, die in die unruhige Atmosphäre eines Klassenzimmers eintritt, ist sich der übergreifenden Meta-Diskurse bewusst, die sie die situativ erlebte Unruhe auf Gründe zurückführen lassen, die ihre Vermutungen und Zuschreibungen belegen – z.B. Disziplinlosigkeit, Müdigkeit, Langeweile oder ein Desinteresse der Lernenden an einer Aufgabenstellung. In dekonstruktiver Haltung dekontextualisiert die Lehrperson diese Gründe und lässt – auch sich selbst gegenüber – die Zeichen des Lärms zunächst unbewertet. Die Lehrperson hat nun die Möglichkeit, die Situation zu dekonstruieren, in dem sie ein Spiel eröffnet, dessen Spielregeln nicht kausal auf den abgewiesenen Grund bezogen werden. Es wäre kein Spiel, wenn die Lehrperson die Lernenden einem Pseudo-Wettstreit: »Wer am längsten still ist, der/die…« oder andere Fortschreibungen des pädagogischen Meta-Diskurses unterwirft. Ein Spiel – als »différance« – bräche mit der Kausalität und Rationalität der Situation. So löste beispielsweise die Aufforderung, die Augen zu schließen und die Dauer einer Minute

54 55 56 57 58

Am 27.1.1968 hielt J. Derrida vor der Société francaise de philosophie die Rede von der »différance«. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 46f. Derrida (2004a) in: Derrida/Engelmann (Hg.) (2004), S. 110. Vgl. Kapitel 1.2.1.2: Das Konzept der »différance«; vgl. dazu auch Derrida, Jacques (2004b) in: Engelmann (Hg) (2004), S. 33. Vgl. Kapitel 1.2.1.2: Das Konzept der »différance«. Vgl. Zirfas, Jörg (2001): Dem Anderen gerecht werden. Das Performative und die Dekonstruktion bei Jacques Derrida. In: Wulf, /Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 77.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

abzuschätzen, um dann die Augen wieder zu öffnen, die Spielregel und das Spiel aus den Kategorien richtiges/falsches Verhalten heraus und ermöglichte das individuelle Anders der Wahrnehmung. Eine solche Spielsituation weist den unterstellten Grund des Desinteresses oder Widerwillens der Lernenden zurück und erlaubt die produktive Dekonstruktion der Positionen Lernender und auch der Lehrperson. Poststrukturalistische Autoren eröffnen den Diskurs im Verweis auf die Problematik und die Ambivalenz des Anfangs • • •

im Moment der Rede von der Unmöglichkeit des Ursprungs, im Moment paralogischer Verkettung, im Moment des Sich-Ereignens des Zeichens als »différance«.

Diese Motive können durch die reflexive »Produktion von Präsenz«,59 die die Verantwortung für die Unverfügbarkeit diskursiver Ereignisse impliziert, in den performativen Akt der Eröffnung von Unterricht aufgenommen werden. Ein Anfang »kann nicht gedacht, sondern nur gemacht werden.«60

3.5.2.4 Eröffnung bildender Diskurse als Spiel: ästhetische Konsequenzen Im Folgenden sollen Handlungsperspektiven als performative Akte diskutiert werden, die Dekonstruktion bewirken und diese Lernenden in Aussicht stellen. Didaktische Inszenierung von Unterricht evoziert die doppelte Geste der Dekonstruktion,61 denn sie wirkt als Ereignis dekonstruktiv auf Lernende und Lehrkräfte und ermöglicht intentional dekonstruktive Akte, die wiederum Ereignisse hervorbringen. Darin erweist sich die Wechselseitigkeit dekonstruktiver Prozesse: Ein Ereignis geschieht – der performative Akt initiiert das Geschehen. Mersch unterscheidet die Performativität des »Ereignisses der Setzung«62 bzw. der »Ästhetik des Ereignens« und den intentionalen Akt der Handlung, die jene Präsenz produziert.63 »Setzungen gründen nicht vorrangig in Handlungen, sondern in Ereignissen. Handlungen sind durchweg intentional bestimmt; sie werden mit Zielen, Plänen und Motiven verbunden. Dagegen geschehen Ereignisse nichtintentional.«64 Die »Ästhetik des Ereignisses« bietet die Negativität des Sinns und berührt

59 60 61 62 63

64

Vgl. Gumbrecht (2004), S. 33. Meder (2004), S. 211. Vgl. Kapitel 1.2.1.4: Das Paradox der Metaphysikkritik. Mersch (2010), S. 46. Ebd., S. 33; vgl. dazu Forster/Zirfas (2005) in Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 74. Forster und Zirfas verstehen die »Figur der Setzung« als den »Spieleinsatz der Dekonstruktion«. Vgl. dazu auch Gumbrecht (2004), S. 11. Mersch (2011), S. 9.

3. Diskurs als Spiel

daher unmittelbar die Sphäre der Bedeutungskonstitution. Die Performativität der Setzung des Ereignisses erfasst jedoch darüber hinaus die »Faktizität des Praktischen, die Singularität des Vollzugs«,65 Dem Akt der Setzung ist eine Intentionalität inhärent.66 Es besteht daher eine konstitutive Beziehung zwischen Ereignis und dem intentionalen Akt, der das Ereignis hervorruft. »Der Akt muss instantiiert werden […]; er muss materialiter ›in die Welt‹ ›eingesetzt‹ und aus-gesetzt‹ werden. Dann gehört zum Vollzug einer Handlung oder einer Kunstaktion oder Ähnlichem in erster Linie dies: Etwas taucht auf, erhält eine Stellung, einen Ort. Praktiken bezeichnen nicht nur etwas Symbolisches, sie müssen auch ›aufgeführt‹ werden. Sie gewinnen dadurch ihre Aktualität, aber auch ihre Einzigartigkeit, ihre unverwechselbare Präsenz.«67 Einer (didaktischen) Handlung ist die Intention, dass etwas geschehen soll, inhärent und deshalb gleichsam die Bedingung für die Ereignishaftigkeit der Setzung. Handlung und die Folge, dass etwas geschieht, sind kausal verknüpft. Die Intention kann sich jedoch von evozierten Sinnhorizonten, was geschieht, unterscheiden. Die »Ästhetik des Performativen« als Ereignisästhetik erschüttert das Erleben der Lernenden als Widerfahrnis68  – unabhängig von der Intention, die den Akt der Setzung des Ereignisses initiiert und vollzieht. Intentionale Akte der Setzung ästhetischer Ereignisse riskieren daher notwendigerweise den Verlust der Kontrolle über das Intendierte, denn Performativität produziert Präsenz.69 Im Lehr-Lern-Gefüge muss daher für jeden intentionalen Akt der Produktion von Präsenz die Unverfügbarkeit seiner Auswirkungen berücksichtigt werden: in ästhetischer Dimension, hinsichtlich der differierenden Explorationen des Sinns sowie in ethischer Dimension, die die Erschütterungen und Dislozierungen der Lernenden und Lehrenden berücksichtigt.

3.5.2.5 Eröffnung bildender Diskurse als Spiel: ethische Konsequenzen Dass die Unbestimmbarkeit und Unverfügbarkeit der Folgen performativer Akte verantwortet werden muss – und kann, wurde bereits erläutert und begründet.70 Ebenso konnte dargelegt werden, dass dafür die Produktion von Präsenz durch die

65 66 67 68

69 70

Ebd., S. 46. Vgl. ebd., S. 46. Mersch (2011), S. 46. Mersch (2010), S. 33; vgl. Oberhaus (2016); vgl. dazu auch Bugiel, Lukas (2017): Eine gewisse unmögliche Möglichkeit, Ereignisse zu machen. Kommentar mit Rezensionsabsicht zu Markus Hirsch (Hg.): Musik(unterricht) angesichts von Ereignissen. Münster: Waxmann 2016. https://w ww.zfkm.org/17-bugiel.pdf. [zuletzt aufgerufen am 07.09.2021]. Vgl. Mersch (2010), S. 46. Vgl. Kapitel 1.3.4: Das Subjekt vor dem Anderen.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Setzung ästhetischer Ereignisse legitimiert ist. Mit dem Akt der Setzung kann das Unterrichtsereignis als inszenierte Widerfahrnis beschrieben werden, die sich den Lernenden ereignet. Intentionale und performative Akte initiieren Bewegung und Kontingenz, was auch Folgen für die Positionierung und Verortung von Lehrkräften als konstitutiv widerständige Gegenüber der Lernenden im Lehr-Lern-Diskurs hat. Die Inszenierung didaktischer Entscheidungen, die eine dekonstruktive Haltung artikulieren, hält die wechselseitige Dislozierung Lehrender und Lernender im Unterricht in schwebender Unbestimmtheit. Die ethische Dimension dieser Haltung lässt sich mithilfe des paradoxalen Konzeptes der »Gabe«71 nach Derrida darlegen und für den performativen Akt der Setzung im Unterrichtskontext fruchtbar machen: »Gabe und Ereignis sind reziprok verschränkte Bedingungen, die nichts anderem gehorchen ›außer Prinzipien der Unordnung, das heißt Prinzipien ohne Prinzip‹«.72 »Die Gabe ›verabschiedet‹73 sich vom Prinzipiellen, indem sie ihre Bedingungen zugleich preisgibt und verhüllt, zeigt und entzieht, gibt – und nicht gibt.«74 Als Bedingung der Gabe kann ihre dreiteilige Struktur der Instanzen der Gebenden, der Empfangenden und der Gabe selbstangesehen werden. Die Intention, etwas geben zu wollen, darf kein Entgegenkommen und kein Empfangen erwarten. Die Einlösung jener dreiteiligen Struktur, die sich mit der Inempfangnahme schließt, entspricht der Erwartung eines Geschenkes, was den Moment des Schenkens zerstört. Die Gabe darf keine Antwort, keinen Tausch erwarten – sonst verfehlt sie ihre Intention. Der Sinn des Gebens liegt bereits in der Intention des Gebens – er übersteigt das, worauf er sich bezieht – die Gabe selbst. Der Akt des Gebens muss sich aber vollständig von der Präsenz der Gabe und von ihrem Prinzip lösen, um wirklich Gabe zu sein. Somit entspricht die Bedingung der Möglichkeit gleichzeitig der Bedingung ihrer Unmöglichkeit. »Die Präsenz der Gabe meint dagegen – und hier gibt uns Derrida Kierkegaard als Anhaltspunkt […] – den paradoxen Augenblick, der als Gegenwart zwar in der Zeit situiert ist und doch als Widerschein der Ewigkeit Zeitlosigkeit besitzt […] Als Einschlag der Ewigkeit in die Zeit bedingt er der Fülle und Intensität der Gabe: Die Gabe ist ein Ereignis […] und zwar ein transitives: Die Gabe gibt sich […]«.75

71

72 73 74 75

Vgl. Derrida, Jacques (1993); vgl. Flatscher, Matthias: Derridas »coup de don« und Heideggers »Es gibt«. Bemerkungen zur Un-Möglichkeit der Gabe. In: Zeilinger, Peter/Flatscher, Matthias (Hg.) (2004): Kreuzungen Derridas. Geistergespräche zwischen Philosophie und Theologie. Wien: Turia und Kant, S. 36–54. Derrida (1993), S. 160. Marquardt, Odo (1981): Abschied vom Prinzipiellen. Stuttgart: Reclam. In: Zirfas (2001) in: Wulf/ Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 91. Zirfas (2001) in: Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 91. Ebd., S. 91. [Schreibweise und Grammatik im Original].

3. Diskurs als Spiel

Während mit dem intentionalen Akt der Setzung eine einseitige Erschütterung der Lernenden verantwortet werden muss, verkehrt die Gabe die pädagogische sowie die didaktische Handlung paradoxal: Die Gabe der Erziehung und der Bildung darf nichts zurückverlangen. Sie muss selbstlos und entpflichtend sein.76 Was zunächst irritierend anmutet, kann sich für eine dekonstruktive didaktische Haltung als konsistent erweisen. »Wenn es die Gabe der Bildung gibt, dann nur so, wenn der Erzieher als ›Geisel‹ (Lévinas) des Zu-Erziehenden verstanden werden kann. Der Erzieher ist für den Zögling radikal verantwortlich. Er erscheint insofern als ein Gastgeber der Bildung, der seinen Status dem Gast verdankt bzw. dem Haus der Gastlichkeit, in dem er den Zögling empfängt. Auch der Erzieher als Gastgeber ist also ein Gast, der in seinem Haus (der Bildung) empfangen wird und der sich dort in Frage gestellt sieht.«77 Die Gabe ermöglicht Akte der Setzung im bildenden Diskurs als Spiel, die – zunächst einseitig – durch Lehrende initiiert werden, jedoch die Wechselseitigkeit der dekonstruktiven Gesten gewährleistet. Die Gabe impliziert Spielzüge, die einander paradoxal entgegengesetzt sind: Sie gibt sich intentional, gleichzeitig reflexiv. Sie wirkt performativ, um im selben Moment den Grund, die Absicht und die Erwartungshaltung abzuweisen. Die Gabe entzieht sich der Logik ökonomischer Vernunft – und eignet sich auch aus diesem Grund für die Darstellung der Paradoxa von Erziehung und Bildung. »Die Gabe wäre etwas, das nicht dem Vernunftprinzip gehorchen würde: Sie ist ohne Vernunft, sie muß ohne Vernunft sein und sie hat ohne Vernunft zu sein, ohne warum und ohne Grund.«78

3.6 Kriterien für die Inszenierung von Unterricht als Spiel Im Anschluss an die Entfaltung der Problematik des Anfangs in poststrukturalistischen Denkmodellen und von Anhaltspunkten für die Gestaltung des Anfangs bzw. der Eröffnung bildender Diskurse sollen nun – zunächst allgemeindidaktische – Kriterien für die Inszenierung von Unterricht als Spiel zusammengetragen werden, die

76 77 78

Zirfas (2001) in: Wulf/Göhlich/Zirfas, (Hg.) (2001), S. 93. Ebd., S. 93. Derrida (1993), S. 200; vgl. dazu Flatscher, Matthias (2004) in: Zeilinger, Peter/Flatscher, Matthias (Hg.) (2004), S. 41. Die Gabe als Akt der Setzung im Lehr-Lern-Gefüge entspräche somit auch einem Akt der Liebe als der höchsten und tiefsten aller vernünftigen Unvernünfte – auch im pädagogisch-didaktischen Kontext.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

die ästhetischen und ethischen Konsequenzen der Eröffnung von [Musik]Unterricht als Spiel berücksichtigen.

3.6.1 Anfangen! – Die Sphäre des Spiels Bildende Diskurse als Spiel zu eröffnen, bedeutet, einen Anfang zu machen. Didaktische Entscheidungen, die sich im performativen Akt konkretisieren, stellen die Sphäre, das Regelwerk und Handlungsspielräume für die Spielenden in Aussicht. Die Spielwelt wird als Als-ob-Welt eröffnet. In jedem Moment des Spiels gilt die Ambivalenz des Spiels hinsichtlich seiner Wirklichkeit, die sich als Spielwelt auf die Wirklichkeit bezieht. An der Erhebung des Spiels über das Alltägliche hinaus, die gleichsam als Aufhebung des Eigentlichen für alle Spielenden jederzeit verwirklicht sein muss, darf kein Zweifel bestehen. Ein Beispiel für die performative Eröffnung einer Unterrichtssphäre als Spiel stellt der – vornehmlich im kompetenzorientierten Unterricht – propagierte Einsatz von Operatoren in der Ansprache Lernender im Unterrichtskontext dar.79 Hier entsteht eine Sphäre der Sprachlichkeit, die unmissverständlich zum Unterricht gehört und sowohl Lehrpersonen als auch Lernenden eine Rolle im Spiel zuweist. Die Ambivalenz der Wirklichkeit erweist sich im Sprachgebrauch, die einerseits eine Unterrichtswirklichkeit erzeugt, sich aber andererseits von der gewöhnlichen Lebenswelt abkoppelt. Dies kann nur gelingen, wenn das, was die Operatoren funktional erwirken, der ästhetischen Form des Unterrichts angehört und sich gleichzeitig auf die Wirklichkeit der Lebenswelt der Lernenden bezieht. Lernenden widerfährt die Eröffnung des Unterrichts in ästhetischer und ethischer Perspektive als Ereignis. Im Zuge der Anerkennung und Reflexion des institutionell begründeten Machtgefälles zwischen Lehrkräften und Lernenden muss die Ereignishaftigkeit und Unverfügbarkeit der Folgen von den Lehrenden verantwortet werden. Akte der Setzung können in dieser Perspektive im pädagogisch-didaktischen Kontext als Gaben verstanden werden, denen die Paradoxalität der Geste bereits eingeschrieben ist.

79

Vgl. Brüggemeier, Mathias (2016): Operatoren – so gehen Prüfungsfragen heute. https://www.m agazin-schule.de/magazin/operatoren-so-gehen-pruefungsfragen-heute. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021]; vgl. Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz. https://www.km k.org/themen/qualitaetssicherung-in-schulen/bildungsstandards.html. [zuletzt aufgerufen am 06.09.2021].

3. Diskurs als Spiel

3.6.2 Anfangen! – Die Spielregeln Die Eröffnung des Spiels fällt mit der (Re-)Aktualisierung von Spielregeln zusammen. Die Spielregeln entsprechen einem Gesetz, denen alle Spielenden – Lehrkräfte und Lernende – in ihren jeweiligen Rollen für die Dauer und im Raum des Spiels unterworfen sind. Die Spielregeln müssen daher implizit oder explizit kommuniziert werden und für alle Spielenden verfügbar und transparent sein. Wesentlich ist die ambivalente Position der Spielleitung – bzw. der Lehrkräfte, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der Regelstruktur des Spiels verortet sind. Lehrende reflektieren, dass bildende Prozesse unverfügbar bleiben und dass im Diskurs als Spiel Bedeutungskonstitutionen durch die Lernenden unabschließbar sind. Die Präsenz als Ursprung und letzte Wahrheit steht nach Derrida im Spiel zur Disposition. Lehrende als Spieleautorschaften beziehen daher intentional eine Position in der Kette differenter Substitutionsbewegungen. Sie bilden selbst ein Signifikat, das weitere Signifikate produziert. Im Unterschied zu den Diskursanfängen poststrukturalistischer Autoren müssen sie jedoch den Anfang des Spiels nicht leugnen. Die Eröffnung des bildenden Diskurses als Spiel ermöglicht die Produktion von Präsenz als produktive Zumutung für die Lernenden. Diese kann als notwendige Bedingung einer dekonstruktiven didaktischen Konkretion gelten, denn das Spiel übernimmt als ästhetische Form für die dekonstruktiven Prozesse die Funktion eines dekonstruktiven Metakonstruktes. Die Eröffnung bildender Diskurse als Spiel ermöglicht auf diese Weise Spielbewegungen in reflexiver Distanz zum Grund des Spiels, der als Grund des didaktischen Tuns gelten kann. So müssen, um eine dekonstruktive didaktische Haltung zu artikulieren, Spielregeln erfunden werden, mit denen die Gründe der didaktischen Entscheidungen dekonstruiert werden können. Dabei muss die Affirmation des Grundes wie auch seine dialektische Verkehrung vermieden und stattdessen eine Situation der Offenheit evoziert werden, die das Andere in Aussicht stellt. Ein Beispiel für eine Dekonstruktion des Grundes, die zum Anderen führt, bietet die Problematik der Darstellung und Realisierung von Lehrpersönlichkeit. Zur Veranschaulichung des Verhältnisses Lehrender gegenüber den Lernenden dienen die Begriffe »Hochstatus« und »Tiefstatus« aus der Theaterpädagogik.80 »Hochstatus« zeigt Überlegenheit – »Tiefstatus« zeigt Unterlegenheit. Beide Status verweisen auf äußere Zeichen, die mit einer inneren Überzeugung nichts gemein haben müssen. Sie bilden kein dialektisches Gegenüber, sondern verweisen auf unterschiedliche Facetten menschlicher Persönlichkeit. Plath formuliert nun für die Unterrichtssituation folgende paradoxale These: »Je höher Ihr Status ist, desto tiefer können Sie spielen. Je tiefer Sie spielen können, desto höher wird der Respekt, den die Jugendlichen Ihnen entgegenbringen.«81 Lehrende, die ihren Status als Lehrpersönlichkeit zu legi-

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

timieren und sichern suchen, setzen diesen Status bewusst auf Spiel. Sie üben beispielsweise im Beisein der Lernenden Selbstkritik oder geben sich selbstironisch.82 Sie (de)konstruieren die Zeichen des Hochstatus und eröffnen dadurch ein mehrperspektivisches Bild ihrer Lehrpersönlichkeit. Die Rolle Lehrender erfüllt sich in der vermeintlichen Enttäuschung einer Erwartung an das Rollenbild – und kann aber dadurch aus der Perspektive Lernender Bestätigung erfahren. Die paradoxe (De-)Legitimation kann eingelöst werden, wenn überkommene Glaubenssätze, wie z.B. an konsequente Überlegenheit oder Allwissenheit Lehrender reflexiv und mit vollem Risiko aufs Spiel gesetzt werden.

3.6.3 Anfangen! Spielende – Lehrende und Lernende Die Eröffnung bildender Diskurse als Spiel erfordert Mut: den Mut der Lehrkräfte, sich selbst zur Disposition zu stellen, den Mut zum Risiko, dass auch ein Scheitern ein möglicher Spielverlauf sein kann,83 und den Mut, die Ungewissheit des Spiels anzuerkennen und die Verantwortung für die Lernenden zu tragen. Die Gabe der didaktischen Situation geht von den Lehrenden aus. Deren Verantwortung für die Lernenden ist radikal.84 Die Eröffnung des Spiels kommt einer Einladung gleich, die Lernenden widerfährt85 . Sie kann ausgeschlagen werden, ihre Beantwortung enttäuschend ausfallen. Die Einladung zum Spiel erfolgt in Anerkennung des Anderen als Anderen. Spielleitungen bzw. Lehrkräfte positionieren sich reflexiv zu den Lernenden, zum Spiel und zu sich selbst. Sie verantworten den Erhalt der Paradoxalität des Spiels bzw. der paradoxalen Verhältnisse im Spiel, indem sie die Dekonstruktion von übergreifenden Sinnsystemen, ökonomischen Prämissen, Gesetzen der Logik und der Vernunft sowie der eigenen Intentionen und Gründe in Aussicht stellen. 80

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85

Vgl. Plath, Maike (2010): »Spielend« unterrichten und Kommunikation gestalten. Mit schauspielerischen Mitteln für Unterricht begeistern. Weinheim und Basel: Beltz-Verlag., S. 14f., vgl. Schmitt, Toni/Esser, Michael (2016–9. Aufl.): Status-Spiele. Wie ich in jeder Situation die Oberhand behalte. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch, S. 22–30. Vgl. ebd., S. 125. Vgl. ebd., S. 123f. Zirfas, Jörg (2001): Dem Anderen gerecht werden. Das Performative und die Dekonstruktion bei Jacques Derrida. In: Wulf/Göhlich/Zirfas, (Hg.) (2001), S. 100. Vgl. Szemerédy, Susanne (2013): Vom Gastgeber zur Geisel des Anderen. Religiöse Erfahrung bei Exerzitien auf der Straße. Münster: Lit Verlag; vgl. Oberhaus (2016), S. 58. Der Anteil an Verantwortung Lernender für die Unterrichtssituation bleibt darüber hinaus unbestritten. Die Differenzierung und Explikation der Qualitäten und Rahmen im Anschluss an poststrukturalistisches Denken, kann hier nur als Anknüpfungspunkt benannt, jedoch nicht ausgeführt werden. Vgl. Oberhaus (2016) in: Hirsch (2016), S. 53.

3. Diskurs als Spiel

Eine dekonstruktive didaktische Haltung verknüpft die ethische Prämisse der Abweisung von Totalität mit Affirmation ästhetischer Effekte. Eine solche Haltung, die die Lehrkräfte gleichermaßen zu Gästen und Gastgebern stilisiert, geht von der Wechselseitigkeit von Prozessen der Subjektivierung im Lehr-Lern-Gefüge aus.

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4. Musikunterricht und Spiel »Das Thema ›Spielen mit Musik‹ eröffnet ein unabsehbares Feld von Möglichkeiten.«1 Die produktive, kreative und sinnstiftende Verbindung von Spiel und Musik[Unterricht] findet ihren Niederschlag in einer Vielzahl [musik]pädagogischer, musikpraktischer, musikwissenschaftlicher und auch in musikdidaktischen Publikationen. Das Spiel fungiert als pädagogisches Medium, welches eingesetzt bzw. untersucht wird, um bestimmte Erziehungsziele oder Bildungsintentionen zu artikulieren und zu reflektieren.2 Das Spiel ist ebenso Gegenstand von Untersuchungen, die

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Richter, Christoph (1991): »Musik ein Spiel – Spielen mit Musik«. In: Musik & Bildung. Mainz: Schott. Bd. 1/1991, S. 5. Vgl. u.a. Erlach, Thomas; Sauerwald, Burkhard (Hg.) (2014): Rollenspiele. Musikpädagogik zwischen Bühne, Popkultur und Wissenschaft; Festschrift für Mechthild von Schoenebeck zum 65. Geburtstag. Unter Mitarbeit von Mechthild von Schoenebeck. Frankfurt, M.: Suhrkamp Verlag. Vgl.: Lang-Ed; Hust, Christoph (Hg.) (2018): Digitale Spiele. Interdisziplinäre Perspektiven zu Diskursfeldern, Inszenierung und Musik. [1. Auflage]. Bielefeld: transcript (Edition Kulturwissenschaft, Band 145); Vgl. Kaul, Albert (2008): Musikalische Bildung der Differenz. Zugl.: Köln, Hochsch. für Musik, Diss. 2008. Vgl. Dohr, Köln; Martin, Kai (2008): Ästhetische Erfahrung und die Bestimmung des Menschen. Über Kants, Schillers und Humboldts Theorien ästhetischer Bildung und ihre Relevanz für die Musikpädagogik. Zugl.: Hannover, Hochsch. für Musik und Theater, Diss., 2006. Hannover: Inst. für musikpädag. Forschung (Ifmpf-Forschungsbericht, 20); Vgl. Moormann, Peter (Hg.) (2013): Music and game. Perspectives on a popular alliance. Wiesbaden: Springer VS (Musik und Medien); Vgl. Obermayer, Klaus (Hg.) (1990): Musik und Körper. Spielhaltungen und Spielbewegungen vom 28. April bis 1. Mai 1990 in Passau. Verband Deutscher Musikerzieher und Konzertierender Künstler. München: VDMK (Dokumentation über die deutsch-österreichisch-schweizerische Studientagung/VDMK – Verband Deutscher Musikerzieher und Konzertierender, 1990). Vgl. Schmitt, Rainer E. (1983): Musik und Spiel in Religionsunterricht und Jugendarbeit. Praktische Anleitungen, Beispiele und Modelle. Stuttgart: Calwer Verl; Vgl. Stadler Elmer, Stefanie (2000): Spiel und Nachahmung. Über die Entwicklung der elementaren musikalischen Aktivitäten. Wiesbaden, Leipzig, Paris, Aarau: Breitkopf & Härtel; Schneider (Wege, Bd. 12); vgl. Terhag, Jürgen (Hg.) (2011): Musizieren mit Schulklassen. Praxis,

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

entwicklungspsychologische und musikpsychologische Aspekte in den Blick nehmen.3 Auch aus musikwissenschaftlicher Perspektive werden Implikationen des Spiels in der Geschichte des Menschen, seiner Kultur und seiner Kunst entfaltet.4 Einen großen Anteil der Ausführungen bilden Handbücher und Sammelbände, die praktische Spielideen und Spielanleitungen enthalten und für den Gebrauch im Bereich institutionalisierter, wie informeller musikalischer Bildung bestimmt sind.5

3

4

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Konzepte, Perspektiven. Arbeitskreis für Schulmusik; Bundeskongress für Musikpädagogik. Hamburg: Junker (Diskussion Musikpädagogik: […], Sonderheft, S 3) Vgl. u.a. Kowal-Summek, Ludger (2006): Spiel und Musik in der musikalischen Früherziehung unter besonderer Berücksichtigung psychoanalytischer Erkenntnisse. Herbolzheim: Centaurus-Verl; Vgl. Lutz Hochreutener, Sandra (2009): Spiel – Musik – Therapie. Methoden der Musiktherapie mit Kindern und Jugendlichen. Göttingen, Bern, Wien, Paris, Oxford, Prag, Toronto, Cambridge, Mass, Amsterdam, Kopenhagen, Stockholm: Hogrefe (Praxis der Musiktherapie, Bd. 1). Vgl. u.a. Heister, Hanns-Werner (Hg.) (2007): Mimetische Zeremonien. Musik als Spiel, Ritual, Kunst. Berlin: Weidler (Musik und, N. F., Bd. 7); Vgl. Hofmann, Gabriele (Hg.) (2016): Musik – ein Spiel mit Grenzen und Entgrenzung. Wißner-Verlag. Augsburg: Wißner Musikbuch (Augsburger Schriften, Band 131. Augsburger Schriften); Vgl. Saxer, Marion (Hg.) (2016): Spiel (mit) der Maschine. Musikalische Medienpraxis in der Frühzeit von Phonographie, Selbstspielklavier, Film und Radio. Bielefeld: transcript (Musik und Klangkultur, 11); Vgl. Saxer, Marion; Dietrich, Karin; Kämper, Julian (Hg.) (2021): Musik als Spiel – Spiel als Musik. Die Integration von Spielkonzepten in zeitgenössischer Musik, Musiktheater und Klangkunst. Bielefeld: transcript (Musik und Klangkultur, Band 40). Vgl. u.a. Bryner-Kronjäger, Brigitte (2017): Mein Sprung ins Spiel. Über die Wechselwirkung von Vorspielen/Vorsingen und Üben. Unter Mitarbeit von Heinrich Baumgartner. [1. Auflage]. Fernwald: Musikverlag Burkhard Muth Musikautorenverlag; Vgl. Grohé, Micaëla; Junge, Wolfgang; Müller, Karin (2011): Musikspiele. 99 Spiele rund um den Musikunterricht [Hören, Bewegen, Singen und Musizieren]; [bekannt aus der Fortbildung unter dem Titel Shortcuts.] 1. Aufl., [Nachdr.]. Rum/Innsbruck: Helbling; Vgl. Hirler, Sabine (2006): Musik und Spiel für Kleinkinder. Ein Praxisbuch für die musikalische Früherziehung in Krippe, Tagespflege und Eltern-Kind-Gruppen. 1. Aufl. Weinheim, Basel: Beltz;: Vgl. La Motte, Diether de; LaMotte, Diether de (1989): Musik ist im Spiel. Geschichten, Spiele, Zaubereien, Improvisationen. Leipzig: Dt. Verl. für Musik; vgl. Meusel, Waltraud (2000): Rundadinella. Tänze und Spiele zu neuen Kinderliedern für Kindergärten, Vorschulklassen, Grund-und Sonderschulen sowie Einrichtungen für Psychomotorik und Sozialpädagogik. Unter Mitarbeit von Philipp Atzenbeck. Boppard/Rhein: Fidula-Verl; vgl. Müllich, Hermann (1988): Spiel, Spaß, Spannung. Erfolgreicher Musikunterricht durch originelle Projekte. Bosse musik paperback. 1 Tonkassette. Regensburg: Bosse; Musik als Spiel (2004). Kissing: WEKA-Media (WEKA-Praxislösungen, 3); vgl. Polman Tuin, Petra; Glathe, Brita (1988): Spiel mit Musik und Material. Seelze: Kallmeyer; vgl. Schüly, Julia (2018): Musikalische Geschichten. Von der Spielidee zum gelungenen Auftritt. Unter Mitarbeit von Alexa Riemann. Mainz, Berlin: Schott (Materialkiste Musik, Spiel und Tanz); vgl. Schwabe, Matthias (1992): Musik spielend erfinden. Improvisieren in der Gruppe für Anfänger und Fortgeschrittene. Kassel: Bärenreiter; vgl. Tischler, Björn (2013): Musik spielend erleben. Grundlagen und Praxismaterialien für Schule und Therapie. Mainz: Schott; vgl. Widmer, Mauela (2004): Spring ins Spiel. Elementares Musiktheater mit schulischen und außerschulischen Gruppen; ein Handbuch. Boppard am Rhein: Fidula-Verl;

4. Musikunterricht und Spiel

Eine vergleichsweise geringe Auswahl bieten dagegen musikdidaktische Konzeptionen, in denen das Spiel an sich als Form oder Funktion des Musikunterrichts bzw. unterrichtlicher Inszenierung dargestellt oder entwickelt wird.6

4.1 Darstellung und Kritik ausgewählter musikpädagogischer Konzeptionen in poststrukturalistischer Perspektive Die folgende Analyse widmet sich den Konzeptionen von Richter, Rora und MeyerDenkmann, die der letztgenannten Kategorie zuzuordnen sind. Die terminologische Basis und das implizite Spielverständnis dieser Konzeptionen lassen eine Gegenüberstellung mit den gewonnenen Kriterien und Positionen einer dekonstruktiven allgemeindidaktischen Haltung aufschlussreich erscheinen. Das Spiel nimmt in den Konzeptionen Form und Funktion für musikalisches und musikdidaktischen Handelns an. Da die für poststrukturalistischen Denken spezifische Verknüpfung von bildendem Diskurs und Spiel untersucht werden soll, werden für die Analyse keine Spielkonzeptionen einbezogen, in denen das Spiel aus pädagogischen Erwägungen, z.B. zur Motivation oder zur Lernerleichterung, eingebettet wird. Ebenso ausgeschlossen werden Spielmodelle oder -ideen, deren Anleitungen oder Erläuterungen bildungstheoretische Begründungen oder spieltheoretische Reflexionen vermissen lassen, welche jedoch für ein dekonstruktive Perspektive auf Sinnzuschreibungen und normative Setzungen notwendig wären. Die ausgewählten musikdidaktischen Konzeptionen verweisen auf bildungstheoretische Prämissen und Erläuterungen zu den didaktischen Entscheidungen, auf die sich die dekonstruktive Perspektive der Analyse richten kann. Es erfolgt kein Vergleich der Konzeptionen untereinander, sondern eine kritische Untersuchung der didaktischen Ansätze aus der Perspektive der in Kapitel 5 erarbeiteten Kriterien für eine dekonstruktive didaktische Explikation des Spiels. Obwohl die terminologischen Implikationen des Spiels Entsprechungen finden und auch die Erwartungshaltungen an das kreative, subversive Potential des Spiels aus

6

vgl. Wieblitz, Christiane (2007): Lebendiger Kinderchor. Kreativ, spielerisch, tänzerisch Anregungen und Modelle. Boppard am Rhein: Fidula-Verl. Schmid, Silke (2018): Unterrichten als gemeinsames Spiel: zur Professionalisierung didaktischer Handlungen im Instrumentalunterricht. In: Diskussion Musikpädagogik, Bd. 77 (2018), S. 47–56; vgl. Meyer-Denkmann, Gertrud (1972): Struktur und Praxis neuer Musik im Unterricht. Experiment und Methode. Wien: Universal Edition; vgl. Richter, Christoph (1973): Unterrichtsmodell zum Thema »Musik als Spiel«. In: Musik & Bildung. Mainz: Schott. Bd. 5 (1973), S. 132–137; vgl. auch Richter (1991); S. 5–10; vgl. Rora, Constanze (2001): Ästhetische Bildung im musikalischen Gestaltungsspiel. Zugl.: Berlin, Hochsch. der Künste, Diss., 2000. Augsburg: Wißner (Forum Musikpädagogik, Bd. 46).

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

den Darstellungen vergleichbar erscheinen, kann gezeigt werden, dass eine dekonstruktive [musik]didaktische Haltung nicht eingelöst wird. Die aufscheinende Diskrepanz zu den zuvor entfalteten dekonstruktiven didaktischen Kriterien hilft, die dekonstruktive didaktische Perspektive zu pointieren und konkrete Anknüpfungspunkte für eine musikdidaktische Konkretion aufzuzeigen. Christoph Richters Unterrichtsmodell »Musik als Spiel«, sowie die Konzeption »Musik ein Spiel – Spielen mit Musik«7 basieren im Wesentlichen auf Theorien des Spiels von Huizinga, Fink, Gadamer.8 Der Autor stellt den Spielcharakter musikalischer Kunstwerke heraus und entwickelt anhand konkreter musikalischer Beispiele Spielvorschläge, mit denen einerseits musikalische Werke verstanden und nachvollzogen, andererseits der Bedeutungshorizont diese Werke als Kunst geltend gemacht werden soll. Das »musikalische Gestaltungsspiel« nach Constanze Rora9 steht dem Kunstwerkanspruch des Spiels nach Richter entgegen. Rora setzt auf die Eigenständigkeit des Spiels. Sie gesteht Spielenden die Möglichkeit der Kunsterfahrung zu, lehnt einen Werkbegriff im Zusammenhang mit dem Spiel im Unterricht jedoch ab. Gertrud Meyer-Denkmann definiert das Spiel in ihren Ausführungen zu »Struktur und Praxis neuer Musik im Unterricht«10 nicht explizit. Sie beschreibt Spielfunktionen und Spielhandlungen, die Spielprinzipien artikulieren, ohne auf die Implikationen ihres Spielbegriffes zu einzugehen. Die Auswahl der Konzeptionen basiert zum einen auf der Behauptung ihrer Vergleichbarkeit hinsichtlich der Darstellung des Spiels als ästhetische Form und Funktion in einer bestimmten inhaltlichen Sphäre. Die genannten Spiele werden als produktive, performative Verbindungen der Dimensionen Spielsphäre, Regelsystem und Handlungen Spielender beschrieben. Zum anderen verbindet die konzeptionellen Ausführungen eine spezifische Erwartungshaltung an das Spiel. So wie das Kunstwerk als solches den Sinnhorizont seiner Einzelaspekte übersteigt, kann im Spiel und spielend Sinn gestiftet und Bedeutung evoziert werden.11 Spiel solle im geschützten Rahmen seiner Regeln Lernenden ermöglichen, frei und kreativ zu musizieren und Musik zu gestalten.12 Spielen biete hinsichtlich sowohl überkommener Kunst- und Musikbegriffe als auch ge7 8

9 10 11 12

Vgl. Richter, Christoph (1973): Unterrichtsmodell zum Thema »Musik als Spiel«. In: Musik & Bildung. Mainz: Schott. Bd. 5 (1973), S. 132–137; vgl. auch Richter (1991); S. 5–10. Richter verweist 1973 zudem auf Terminologie H.v. Hentigs, die auf Schiller und Huizinga zurückgeht und das Motiv der Trennung von Spiel und Arbeit nach Herbert Marcuse. Vgl. dazu Richter (1973), S. 133. Vgl. Rora, Constanze (2001): Ästhetische Bildung im musikalischen Gestaltungsspiel. Zugl.: Berlin, Hochsch. der Künste, Diss., 2000. Augsburg: Wißner (Forum Musikpädagogik, Bd. 46). Vgl. Meyer-Denkmann, Gertrud (1972): Struktur und Praxis neuer Musik im Unterricht. Experiment und Methode. Wien: Universal Edition. Vgl. Richter (1973), S. 134. Vgl. Rora (2001), S. 121.

4. Musikunterricht und Spiel

sellschaftlicher und sozialer Strukturen subversives und utopisches Potential und enthalte damit ein Zukunftsversprechen, sodass ihm bildende und ästhetisch bildende Bedeutung zuerkannt werden könne.13 Der Gewinn aus der Darstellung der Konzeptionen und der Kritik in der Perspektive einer dekonstruktiven didaktischen Haltung erweist sich hinsichtlich des jeweiligen Umganges mit der Paradoxalität des Spiels sowie der daraus folgenden (Un)Möglichkeit, das Spiel als paradoxales Metakonstrukt didaktischer Inszenierung einzusetzen. Für die Inszenierung von [Musik]Unterricht als Spiel müssen – so die Position dieser Arbeit – bestimmte Bedingungen gelten: • • • • •

Spiel soll Dekonstruktion ermöglichen und dekonstruktiv wirken. Spiel soll die (De-)Legitimierung von Intentionen und Beweggründen in Aussicht stellen. Für die Zeit und den Raum des Spiels müssen die paradoxalen Verhältnisse der Elemente des Spiels erhalten bleiben. Spiel gründet in paradoxalen Entgegensetzungen. Die Eröffnung des Spiels wird durch die verantwortete Produktion von Präsenz evoziert und die Kontingenz seines Vollzugs von Lehrenden und Lernenden riskiert.

4.1.1 Musik ist Kunst ist Spiel Richter, der sich über viele Jahre mit dem Spiel und seinen Verbindungen zu musikalischer Bildung und Musikvermittlung beschäftigt hat,14 publiziert 1973 ein Unterrichtsmodell zum Thema »Musik als Spiel«, das der Frage nachgeht, inwiefern 13 14

Vgl. Meyer-Denkmann (1972), S. 27f. Vgl. z.B. Richter, Christoph (1975): Musik als Spiel. Orientierung d. Musikunterrichts an e. fachübergreifenden Begriff. Ein didaktisches Modell. Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 1974. Wolfenbüttel: Möseler (Schriften zur Musikpädagogik. 1); Richter, Christoph (1984): Musik als Spiel [erweitertes Konzept]. In: Karl Joseph Kreutzer (Hg.): Handbuch der Spielpädagogik. Band 3. Düsseldorf 1984. S. 253 – 263; vgl. Richter, Christoph (1986): Spielräume in der Musik. Versuch einer Anwendung des Spielbegriffs auf die Umgangsweise mit Musik [A. Berg, Violinkonzert]. In: Luis Erler u.a. (Hg.): Spiel. Spiel und Spielmittel im Blickpunkt verschiedener Wissenschaften und Fächer. Bamberg 1986. S. 110–126; vgl. Richter, Christoph (1992): Sprachspiele zum Verstehen von Musik. In: Musik und Unterricht 15/1992. S. 26–30; vgl. Richter, Christoph (1993): Musik und Musizieren: Spielfeld und Spielgeist des Menschen. In: Üben & Musizieren 6/1993. S. 10–16; vgl. Richter, Christoph (1994): Stichwörter: Kunstwerk; Spiel/Musik als Spiel; Sprache, Musik und. In: Siegmund Helms/ Reinhard Schneider/Rudolf Weber (Hg.): Neues Lexikon der Musikpädagogik. Sachteil. Kassel 1994. S. 145–149; S. 261–262; S. 262–264; vgl. Richter, Christoph (2000): Unterricht – Ein Spiel zwischen Festlegung und Freiheit. In: Hanns-Werner Heister (Hg.): Festschrift Hermann Rauhe. Hamburg 2000. S. 479–500. Nachgedruckt in: Musik und Unterricht 70/2003. S. 44–55.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Musik als Spiel verstanden und erfahren werden kann. Unter der Prämisse, Musik als Spiel verstehen zu wollen, grenzt sich Richter explizit von einer Rehabilitation des Begriffes der »Spielmusik« ab. Es geht ihm nicht um die Entdeckung des Spielerischen in Musik oder beim Musizieren, was suggerieren würde, dass es Musik ohne Spielcharakter geben kann, sondern um eine spieltheoretische Reflexion, aus der er Unterrichtsmöglichkeiten ableitet.15 Der Autor beleuchtet die kulturtheoretische spielbezogene Perspektive von Huizinga und Gadamer als Vollendung des Kunstwerks. Mit Gadamer verbindet Richter die grundsätzliche Auffassung, dass das Spiel in seiner Darstellung aufgeht. Das Kunstwerk vollendet sich als Spiel in einem Prozess der Auflösung des hierarchischen Verhältnisses zwischen dem Subjekt und dem Objekt seiner Anschauung. Im Spiel wird das Kunstwerk zur Erfahrung. Richters Unterrichtsmodell rekurriert auf implizites Spielwissen, das er aus kultur-bzw. kunstphilosophischen Theorien des Spiels gewinnt.16 Auf dieser Basis erörtert er Spielideen und Methoden für einen didaktischen Umgang mit Musik als Spiel.17 In fünf Beispielen entfaltet Richter konkrete musikalische Spielsphären, Spielregeln und Handlungsoptionen für Musiklernende als Spielende.18 •

Entwicklung eines Spielverlaufs von einer »gesetzten« Figur aus: Richter setzt zwei Spielsphären in Beziehung – zum einen ein musikalisches Werk und zum anderen die Sphäre der mathematischen Mengenlehre.19 Während die Musik auf Veränderlichkeit ihrer Elemente setzt, geht die Mathematik vom Erhalt ihrer Elemente aus. In der Gegenüberstellung beider Sphären zeigt sich das Werk als Spiel, da es sich als solches nicht in der Aneinanderreihung von beliebigen Kombinationen erschöpft, sondern als »Gebilde« seine Kompositionsweise und Struktur im Kunstwerk überschreitet. Den Lernenden obliegt es, die Anordnung der Elemente im Werk nachzuvollziehen und durch ein Legespiel den Bauplan zu rekonstruieren. Es gilt, die Spielregel herauszuarbeiten, die der Komposition zugrunde liegt. Für Richters Konzept ist wesentlich, dass mehrere Lösungsmöglichkeiten herausgestellt werden und der Spielcharakter des Werks im kreativen Umgang damit ins Bewusstsein gerückt wird. Das spielerische Moment erweist

15 16 17

Richter (1973), S. 132. Vgl. Richter (1991), S. 6f. Vgl. Richter (1973), S. 133. Richter nennt das Kompositionsspiel des Komponisten, das Spiel der Reproduktion für die Ausführenden und für Hörende als Hör-und Erlebnis-oder auch als Reflexionsspiel. Vgl. ebd., S. 132–136. Der folgende Abschnitt widmet sich der paraphrasierenden Schilderung der Grundzüge des Konzepts nach Richter. Richter schlägt für dieses Spiel eine zweistimmige Invention J. S. Bachs oder die chromatische Invention aus dem Mikrokosmos von B. Bartok vor. Vgl. Richter (1973), S. 134.

18 19

4. Musikunterricht und Spiel









sich im Spannungsfeld zwischen Regelhaftigkeit und Freiheit. Die Lernenden sollen motiviert werden, selbst eine Invention zu produzieren.20 Für Musik als »Strukturspiel« schlägt Richter die Haydn-Variationen von Brahms oder Klaviervariationen von Webern vor. Auch hier erfolgt der Zugang zur Musik analytisch und mündet in die Fragestellung, »welche neuen anderen Spiele aus seinen Figuren gebildet werden können.«21 In ähnlicher Weise legt Richter sein »Spiel mit vorgegebenen Mustern« an. Im Unterschied zu den beiden vorausgegangenen Spieloptionen dient hier jedoch ein grundlegendes Schema, wie z.B. die Sonatenform als Referenz der Spielregel, die über Struktur und Handlungsrahmen Aussagen trifft und dadurch Spielräume preisgibt.22 Mit »Musik als Bedeutungsspiel« verlässt Richter die Ebene der Formspiele und Kombinatorik für ein Spiel auf semantischer Ebene.23 Im Themenkreis »Musik als Bedeutungsspiel« unterstellt er musikalischen Verläufen semantische Sinnstrukturen, die sich assoziativ erschließen und sprachlich artikulieren und reflektieren lässt. Dieses Spiel bezieht sich nicht vordergründig auf die Form der Komposition, sondern auf das Empfindungsvermögen der Hörenden. Lernenden eröffnet sich die Möglichkeit, wechselnde musikalische Haltungen und Aussagen mit Bedeutungen aus der realen Welt in Verbindung zu bringen. In der Semantik bzw. der Semantisierung findet sich nach Richter ein Nachweis für die Verwobenheit des Spiels mit dem Nichtspiel – der Wirklichkeit mit der SpielWirklichkeit.24 Als letztes Beispiel für das Verstehen von Musik als Spiel führt Richter das »Spiel im Spiel« an. Am Beispiel des Finales des 2. Aktes von Mozarts Figaro beschreibt dieses Spiel das Bewusstwerden des Spiels, welches selbst Teil des Spiels ist. Analog zur gegenseitigen Entdeckung und Vorführung der Rollen bei Mozart sollen Lernende erfahren, wie das Leben als Spiel entlarvt werden kann.

Auch Richter beschäftigt die Frage nach der Unterscheidung von Spiel und NichtSpiel. Wesentliches Kriterium für das Spiel ist nach Richter ein Spannungsfeld, das sich zwischen Freiheit und Beschränkung, Willkür und Ordnung eröffnet.25 Spielende befinden sich – so Richter – nicht nur in diesem Spannungsfeld, sondern spielen auch mit ihm.26 Eine Störung der Balance würde das Spiel beenden. Richter 20 21 22 23 24 25 26

Vgl. ebd., S. 134f. Ebd., S. 135. Vgl. ebd., S. 134f. Als Musikbeispiele schlägt Richter konkret das Klavierkonzert C-Dur von W. A. Mozart oder Bartoks Streichquartette 1 oder 6 vor. Vgl. Richter (1991), S. 7f; vgl. Richter (1973), S. 132f. Vgl. Richter (1991), S. 7f.; vgl. Richter (1973), S. 136. Vgl. ebd., S. 136.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

benennt auch andere spielverhindernde Faktoren, wie z.B. eine Arbeitshaltung, die sich in der lähmenden Routine von Orchestermusikern oder analyseunwilligen Lernenden äußert.27 Zudem sieht Richter in erstarrenden oder zu ernst genommenen Spielregeln eine Gefahr für das Spiel.28 Störend kann außerdem die Erwartung oder Forderung wirken, dass das Spiel Probleme lösen solle, die außerhalb seines Spielfeldes liegen.29 Richter formuliert abschließend konkrete Lernziele: •







»Der Schüler soll erkennen, erproben und reflektieren, inwiefern das Musikwerk, die Tätigkeit des Komponierens, das Hören, Auslegen, Verstehen als »Spiel« zu verstehen sind. Der Schüler soll seine Erfahrungen mit dem ›Spiel‹-Charakter von Musik an spieltheoretischen Denkmodellen messen. Er soll dazu Texte interpretieren und sie als Denkspiele und -versuche verstehen. Der Schüler soll erkennen, daß und wie im Laufe der Musikgeschichte Musik von Momenten beeinflusst wird, die außerhalb der ›Spiel‹-Sphäre liegen und deren Ausgeglichenheit stören. Er soll versuchen, den ›Spiel‹-Charakter von Musik als Qualitätskriterium zu gebrauchen. Der Schüler soll erkennen, daß seine eigenen Versuche zu diesem Thema – die Reflexion, die Analyse, die Produktion und die Kritik – selbst ›Spiel‹-Charakter haben.«30

1991 greift er den Ansatz »Musik ein Spiel – Spielen mit Musik«31 auf und postuliert erneut die musikalische und pädagogische Bedeutung des Spielens mit Musik. Es gilt, den Spielcharakter der Musik hervorzuheben, zu entdecken und zu verwirklichen. Spieltheoretisch rekurriert Richter wiederum auf Huizinga, Gadamer und Fink32 und überträgt die extrahierten Eigenschaften des Spiels33 in die Musik. Rich27 28 29 30 31 32

33

Vgl. ebd., S. 136. Vgl. ebd., S. 136. Vgl. ebd., S. 137. Vgl. ebd., S. 137. Vgl. Richter (1991). Neben Huizingas »Homo ludens«, Gadamers Ausführungen zum Spiel in »Wahrheit und Methode« bezieht Richter Eugen Fink »Spiel als Weltsymbol« ein. Fink trennt das Spiel sehr scharf von der Wirklichkeit. Spiel bewirkt nach Fink eine vorübergehende Aufhebung der realen Existenz, das Spiel symbolisiert die Freiheit des Menschen und ermöglicht die Verwirklichung des Lebens in Unwirklichkeit. Vgl. Richter (1991), S. 6; vgl. dazu auch Bilstein/Winzen/ Wulf (Hg.) (2005), S. 16. Vgl. Richter (1991), S. 7f.: Richter nennt in diesem Zusammenhang die »Ambivalenz« des Spiels, bezogen auf die Spannungsverhältnisse zwischen Ernst und Spiel, Realität und Schein, Wirklichkeit und Möglichkeit, Leichtigkeit und Mühe, Freiheit und Zwang. Weitere

4. Musikunterricht und Spiel

ter formuliert auf der Basis der Theorien des Spiels Themen und Ziele für die Musikpädagogik. Ausgehend davon, dass Kompositionen selbst Spielcharakter aufweisen, weist Richter auf die Musiklehre als Strukturgebäude hin, das jene Spielregeln bereithält, mit denen musikalisches Material ins Spiel gebracht oder durch Systematisierung geordnet werden kann. Der Spielgeist, den es bei Lernenden zu wecken gilt, bewirkt die Exploration des Musikalischen auf der Basis der Spielregeln – er muss demzufolge selbst veränderlich und beweglich sein.34 Als wichtige Kriterien für die Angemessenheit von Unterrichtsmethoden in Spielform erachtet Richter, inwiefern entweder der Spielcharakter der Komposition entdeckt werden kann bzw. der Umgang mit der Komposition spielerische Züge trägt. Lernende sollen eine Spielhaltung einnehmen, die von Selbstständigkeit und Kreativität geprägt ist und experimentelles Tun ermöglicht. Richter kritisiert Unterrichtsspiele, die sich vom Musikalischen entfernen, indem sie eine spielerische Haltung ausschließen. Er bezieht sich exemplarisch auf de la Mottes Ideensammlung »Musik ist im Spiel«35 , in der Musikalisches ins Spiel gebracht wird, beispielsweise beliebte Wettkampfspiele, in denen Intervalle bestimmt oder Rhythmen zugeordnet werden, sowie auf »Spiele«, die zur Überprüfung von Wissen initiiert werden. Richter spricht sich dafür aus, dass es wünschenswert wäre, wenn Lernende selbst Spiele erfänden, und formuliert Beispielimpulse:36 • • •

»Erfindet ein Spiel, in welchem Begleitungen Melodien zugeordnet werden sollen.« »Erfindet ein Spiel, in dem Musikbeispiele Stilkriterien zugeordnet werden sollen.« »Formuliere Spielregeln zu bestimmten Musikstücken.«

4.1.2 Kritische Perspektive auf die Konzeptionen »Musik als Spiel« bzw. »Musik, ein Spiel – Spielen mit Musik« Richters Ausgangspunkt und Prämisse ist der Spielcharakter des musikalischen Kunstwerks. Musik als Kunst trägt die Eigenschaften des Spiels in sich. Auch der Umgang mit Musik als Kunst kann spielerisch sein. Der Spielbegriff, den Richter einführt und an Unterrichtsbeispielen konkretisiert, unterscheidet sich jedoch von

34 35 36

Kennzeichen seien nach Richter: die »relative Freiheit des Spiels«, die »Geschlossenheit des Spiels – seine »Eigenwelt«, sein experimenteller Charakter, »Stilisierung, Symbolisierung, Inszenierung des »Lebens« im Spiel«, »seine innere Spannung und Bezauberung«, das »Uneigentliche«, die »Gegenwärtigkeit« oder die »vorübergehende Zeitenthobenheit«. Vgl. Richter (1991), S. 8f. Vgl. ebd., S. 9. vgl. dazu Motte, Dieter de la (1989): Musik ist im Spiel. Kassel: Bärenreiter Verlag. Vgl. Richter (1991), S. 10.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

dem Spielbegriff, der als Form und Funktion für dekonstruktiven Musikunterricht in dieser Arbeit tragen soll.37 Richter entwirft Spiele, die der Feststellung: Dies ist Kunst und der Identifizierung von Kompositionsprinzipien als Spielprinzipien unterworfen sind. Seine Spielvorschläge bieten Möglichkeiten für die Rekonstruktion der »Architektur« ausgewählter Musikwerke mit dem Ziel, deren Spielregeln zu extrahieren und auf dieser Wissensbasis eigene Regeln zu konzipieren. Die Struktur der Komposition hat die Funktion eines Geländers, das den Lernenden Halt geben soll. Daher muss die Struktur des Spiels als geschlossen und seine Grenzen als determiniert gelten. Den Lernenden obliegt es, die identifizierte Struktur mit musikalischem Material zu (er)füllen. Richters Konzeption bietet daher keinen Ansatz, einen poststrukturalistisch-dekonstruktiven Umgang mit Musik didaktisch zu artikulieren, der die Abweisung der Prämisse und Raum für paralogische Erfindung in Aussicht stellt. Richter deutet des Weiteren darauf hin, dass das Erfinden von Spielen durch die Lernenden eigentliches Ziel seines Ansatzes ist. Auf der Basis seines von ihm kolportierten Kunstwerkbegriffes und Kunstwerkanspruches muss erwogen werden, ob dieses Ansinnen nicht eine strukturelle Überforderung der Lernenden beinhaltet. Richter setzt das Verstehen der Komposition als Gefüge und das Erfassen der das Gefüge überschreitenden Bedeutung als Kunstwerk voraus. Spielen im Sinne Richters bedeutet, diesem Anspruch spielend gerecht zu werden. Die lässt den Schluss zu, dass nach Richter eigene Spiele nur auf der Basis des Verstehens des Kunstwerks als Spiel erfunden bzw. vom Kompositionsprinzip abgeleitet werden können. In dieser Interpretation des Ansatzes übernimmt das Spiel bei Richter die Rolle der Transzendenz der Transzendenz von Musik als Kunstwerk. Diese Voraus-Setzung steht jedoch – der Konzeption folgend – nicht zur Disposition. Mit der Zementierung eines transzendentalen Meta-Diskurses wird jedoch das Spiel der Differenz unterbrochen. Das Spiel verliert seine schwebende, unentscheidbare Ambivalenz und unterstellt sich der Unterrichtsrealität. Auch wenn Spielregeln und Spielziele unter der Prämisse des Kunstanspruchs variabel bleiben, ist die Freiheit des Spiels aus zweierlei Gründen fraglich. Zum einen verweist eine identifizierte geschlossene Struktur des Kunstwerks auf Grenzen, die didaktisch nachvollziehbar Orientierung bieten, jedoch die Möglichkeiten musikalischen Sinns reduzieren. Die Erfüllung des Spiels als eine inhaltliche Ausstaffierung der gesetzten strukturellen Grenzen lässt zwar die Schöpfung von Exempeln, Kopien und Abbildungen des Werks zu, ermöglicht aber keine kritische Auseinandersetzung mit der Totalität des Kunstwerkbegriffs und -anspruchs. Zum anderen gibt Richter keine Auskunft darüber, wie das Spiel im Unterricht initiiert werden kann – ohne verordnet zu werden. Richter formuliert Lernziele und Lehrziele, die die Bestätigung des Kunstwerkcharakters bzw. des Spielcharakters intendieren. Die Selbstbezüglichkeit des Spiels wird gestört, da ein äußeres Interesse das Spiel 37

Vgl. Kapitel 3.6: Kriterien für die Inszenierung von Unterricht als Spiel.

4. Musikunterricht und Spiel

vereinnahmt. Obwohl Richters Spielansätze Produktivität ermöglichen, bleibt die ästhetische Essenz dessen, was hervorgebracht wird, fraglich. Aufgrund des fixierten Meta-Diskurses kann keine Dekonstruktion stattfinden, die dekonstruktive Wirksamkeit der Musik wird in den Ansätzen nicht thematisiert. Das Spiel der Lernenden wirkt nicht performativ, weil ihr Spielen das Kunstwerk bestätigt und im Idealfall identifiziert, aber nicht überschreitet. Das Spiel nimmt die Form des musikalischen Kunstwerkes an. Der spielerische Umgang, den Richter auszulösen sucht, beschreibt eine Unterrichtsmethode, die den Weg des Nachvollzugs bahnt. Das Spiel übernimmt jedoch keine dekonstruktive Funktion für den Inhalt der gegebenen Struktur. Subjekte und Objekte des Spiels bleiben hierarchisch aufeinander bezogen – die doppelte Geste der Dekonstruktion kann nicht eingelöst und deren Wechselseitigkeit daher nicht wirksam werden. Ästhetische Erfahrung, die von einem Kunstwerk herrührt, das bereits als solches identifiziert wurde und diese Identifikation nicht zur Disposition stellt, büßt ihre Negativität und ihr produktives Störpotential ein. Richter bietet mit »Musik als Spiel – Spielen mit Musik« einen methodischen Zugriff auf Musik als Kunstwerk. Wie herausgestellt wurde, kann aber ein solcher – metaphysischer – Musikbegriff nicht den Status einer legitimierenden Instanz einnehmen.

4.1.3 Das musikalische Gestaltungsspiel Constanze Rora beschreibt mit ihrer Konzeption des musikalischen Gestaltungsspiels das Spiel als ästhetische Form das Zusammenwirkens von Spielregeln, Material und der Tätigkeit des Spielens als Interaktionsstruktur.38 Sie definiert das »musikalische Gestaltungsspiel« als »Verständigungsvorgang«, der auf die Spielsituation beschränkt bleibt, und unterscheidet diese Verständigung von der intersubjektiven Kommunikation zwischen Interpret und Komponist, die sich im musikalischen Ausdrucksverhalten artikuliert.39 Das musikalische Gestaltungsspiel ist nur für den Augenblick bestimmt und bezieht sich nur auf die anwesenden Mitspielenden – die allerdings Zuhörende sein können.40 Die Trennung des musikalischen Gestaltungsspiels vom eigentlichen Unterricht ist für Roras Ansatz essentiell. Die Planung des Spiels muss außerhalb des Spiels verortet werden, damit das Spielen frei bleiben kann. Rora konstatiert eine Nähe des musikalischen Gestaltungsspiels zur Improvisation, da Entwurf und Realisierung des musikalischen Gestaltungsspiels – so auch der Improvisation – als ein und derselbe Vorgang betrachtet werden. Für die Improvisation und das musikalische Gestaltungsspiel ist die musikalische Interaktion in gleicher Weise von wesentlicher 38 39 40

Vgl. Rora (2001), S. 49. Vgl. ebd., S. 121. Vgl. ebd., S. 121.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Bedeutung.41 Die Akte der Verständigung wirken performativ, denn ihrer Unmittelbarkeit gehen Informationen zur Erzeugung der musikalischen Gestalten und die Gestalt selbst hervor. Eine Notwendigkeit der begrifflichen Bestimmung der musikalischen Gestalten sieht Rora auch bei der Improvisation nicht. Unterschiede erweisen sich nach Rora im Zusammenhang der Regelung der Rollenverteilung, der Spezifik der Vorabsprachen und der Intentionen, die die Realisierung der Spiele tragen. Während in der freien Improvisation die Rollenverteilung für das Spiel nach »Gutdünken der Musiker« erfolgt, wird diese im musikalischen Gestaltungsspiel vorab geregelt. Laut Rora gehören auch Spiele zu den musikalischen Gestaltungsspielen, die eine längere Planungsphase erfordern, was eine sprachliche Verständigung über Wesen und Struktur des Spiels unumgänglich macht, die nicht auf assoziative bildhafte Determinationen oder Affektbeschreibungen beschränkt sein muss. Determinationen und Absprachen werden auf der Metaebene in der Sphäre des Pädagogischen vollzogen – sie gehören nicht zum Spiel. Die Intentionen, die die Spielprozesse tragen, werden im Raum der pädagogischen Situation erzeugt. Auch hier findet sich ein Unterschied zur freien Improvisation. Die Absicht, improvisieren zu wollen, kann als (professionelle) Voraussetzung gelten, dass das Spiel überhaupt zustande kommt – sie muss nicht wie die Intention, ein musikalisches Gestaltungsspiel zu entwerfen, in einer pädagogischen Sphäre erzeugt werden. Die spielerischen Momente des musikalischen Gestaltungsspiels beschränken sich auf das rein Musikalische und die musikalische Interaktion, während das Konstrukt der Improvisation – wie auch das der Komposition und der Reproduktion – den Verständigungskontext des »Hier und Jetzt« übersteigt.42 Daraus lässt sich schließen, dass Rora das musikalische Gestaltungsspiel von Musik als (Kunst-)Werk unterscheidet. So definiert Rora: »Das musikalische Gestaltungsspiel ist eine Spielform, in der musikalische Gestalten entworfen oder nachvollzogen werden, die als Vorbild für Äußerungen in unterschiedlichen Medien dienen.«43 Die Abgrenzung zwischen Spiel und Kunstwerk gründet gemäß Rora in der unterschiedlichen Verortung des musikalischen Gestaltungsspiels zwischen Prozessorientierung und Produktorientierung. Die Autorin bezieht diese Überlegung auf Untersuchungen des kindlichen Spiels durch Rüssel und Sutton-Smith, die eine entsprechende Unterscheidung im werkenden und spielenden Verhalten von Kindern beobachten und darlegen.44 Spielendes Verhalten ist grundsätzlich planlos, zufällig. Erst ältere Kinder spielen und gestalten in Darstellungsabsicht und streben nach Vollständigkeit bzw. nach

41 42 43 44

Vgl. ebd., S. 121. Vgl. ebd., S. 121. Vgl. ebd., S. 122. Sutton-Smith, Brian (1978): Die Dialektik des Spiels. Schorndorf. In: Rora (2001), S. 93.

4. Musikunterricht und Spiel

konventionellen Lösungen.45 Nach Rora kann das musikalische Gestaltungsspiel deshalb als Entgegensetzung zum Werkgestalten begriffen werden, denn es wird absichtslos und unabhängig von Konventionen vollzogen. Daher wird auch die Verständigung zwischen Akteuren und Zuhörenden im musikalischen Gestaltungsspiel alltagssprachlich organisiert. Fachvokabular ist nicht notwendig und sogar hinderlich – denn durch assoziative, synästhetische Versprachlichung bleibt der offene und unkonventionelle Charakter der Spielgestaltung erhalten.46 Das musikalische Gestaltungsspiel orientiert sich an der subjektiven Disposition und Auffassung.47 Rora trägt in ihrer Untersuchung unterschiedlichste Musikspiele zusammen und kategorisiert sie hinsichtlich ihrer Tendenz, durch ihre Regelhaftigkeit ordnend zu wirken oder Spielende zur Unordnung zu befreien. Spiele, deren Regeln darauf abzielen, Ordnung zu erzeugen bezeichnet Rora als »Spiele der Ordnung«.48 Musikspiele weisen eine starke Affinität zur Kategorie der Ordnung auf. Als »Spiel der Unordnung« gelten Spiele, deren Reiz darin besteht, Unordnung zu schaffen. In Bezug auf Musik kann die Kategorie der Ordnung selbst zur Zielscheibe des Spielens werden – kann der Spaß »am Aus- und Einbrechen unausgesprochen mitenthalten sein.«49 Als beispielgebend für musikalische Spiele der Unordnung führt Rora einen Spielvorschlag von Meyer-Denkmann auf, der durch seine Struktur »Imitieren – störend eingreifen – opponieren – Ausbruch« das Herbeiführen von Unordnung eindeutig zum Spielziel erklärt.50 Im Rückgriff auf Cassirers Modell der drei Sinnebenen – Ausdruck, Darstellung und reiner Begriff – verortet Rora das Spiel wie auch die Kunst – nicht das Kunstwerk – als symbolische Form zwischen Ausdruck und Darstellung. Die charakteristische »Fluidität« der Wirklichkeit von Kunst und Spiel zeugt einerseits von deren ästhetischer Beschaffenheit und begründet anderseits die Schwierigkeit, im didaktischen Kontext Verbindlichkeit und Objektivität des Spiels nachzuweisen.

45 46 47 48 49 50

Rüssel in Rora (2001), S. 93f. Vgl. Rora (2001), S. 122. Vgl. ebd., S. 94. Vgl. Rora (2001), S. 52f. Als Beispiele für Spiele der Ordnung nennt Rora im Verweis auf Sutton-Smith (1978) Nachahmungs-, Geschicklichkeits-, oder Wettkampfspiele. Vgl. Rora (2001), S. 54. Vgl. Meyer-Denkmann, Gertud (1970): Klangexperimente und Gestaltungsversuche im Kindesalter. Wien. (Rote Reihe 11). In: Rora (2001), S. 54. Der beschriebene Spielablauf sieht zunächst die Teilung der Lerngruppe in Untergruppen vor. Die Gruppe der Vokalisten, der Bewegung und eine Gruppe, die sich mit Materialaktionen beschäftigt, agieren zunächst unabhängig voneinander. In jeder Gruppe existiert eine führende Figur, deren Handlungen von der jeweiligen Gruppe imitiert werden. In den Gruppen soll dann nach und nach das Schema der Imitation gestört werden und das oppositionelle Verhalten Einzelner in einen »allgemeinen turbulenten Ausbruch« führen.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Durch mögliche Rollenwechsel von Akteuren und Zuhörenden kann das Spiel als Objekt – auch der Kunst – wahrgenommen werden. Der Sinn des Spiels kann erst in Distanz zum eigentlichen Spielgeschehen interpretativ erschlossen werden.51 »Spiel ist immer Spiel mit etwas«52  – in Buytendijks Sinn betont Rora die essentielle Bedeutung des Materials. Der ästhetische Gehalt der Spiele sowie deren Anforderungsniveau hängen nach Rora maßgeblich von der Funktion, der Struktur der Spielmittel und des Materials sowie dem »unterschiedlichen Verschmelzungsbzw. Distanzierungsgrad zwischen Spieler und Spielobjekt«53 ab. Dabei bilden die Gegenstände nicht selbst die Substanz, sondern die Spieltätigkeit, die sie zur Geltung bringen. Musikalische Gestaltungsspiele entstehen erst im Verhältnis der realen Unterrichtssituation zur Inhaltlichkeit des Spiels, die sich in der Sphäre des Ästhetischen artikuliert.54 Rora zufolge bedeutet spielorientierte Musikpädagogik nicht, dass der Unterricht Spiel ist, sondern das im Unterricht oft Gestaltungsspiele eingesetzt werden.55 Sie versteht das musikalische Gestaltungsspiel als eine unterrichtliche Tätigkeit neben anderen. Der eigentliche Unterricht – wie auch der Aufbau von Wissen oder handwerklichen Fähigkeiten, Training – ist vom Spiel ausgenommen. Spiele weisen unterschiedliche Anforderungsniveaus auf. In ihnen kommen die verschiedenen musikalischen Fähigkeiten zur Geltung, die außerhalb des Spiels erworben werden müssen. Die Autorin führt exemplarisch die »Unterscheidungsfähigkeit für musikalische Merkmale, eine Sensibilität für Interaktionsabläufe, Konzentration, Reaktionsfähigkeit, klanglicher Gestaltungs- und Ausdruckswille, differenzierter Umgang mit Instrumenten« an.56 Die strukturelle und inhaltliche Trennung der Unterrichtsebene von der Spielebene ist für Rora zwingend, um die Freiheit und Spielhaftigkeit des Gestaltungsspiels nicht zu gefährden. »Das musikalische Gestaltungsspiel ist eine zeitlich und formal vom übrigen Unterrichtsgeschehen abgrenzbare situative Einheit.«57 Alle Elemente der Spielsituation – Spielregeln, Material und Interaktionen – müssen spielhaft sein, um den Begriff des Gestaltungsspiels einzulösen. Bereits die Vorbereitung und Planung

51

52 53 54

55 56 57

Vgl. Rora (2001), S. 192. Die Möglichkeit, zum musikalischen Gestaltungsspiel in Distanz zu treten, bildet bei Rora ein entscheidendes Kriterium für die Verwirklichung des Spiels im Musikunterricht. Buytendijk, F.J.J. (1933): Wesen und Sinn des Spiels. Das Spielen des Menschen und der Tiere als Erscheinungsform der Lebenstriebe. Berlin. In: Rora (2001), S. 58. Vgl. Rora (2001), S. 185. Vgl. Rora (2001), S. 104. Rora unterscheidet das musikalische Gestaltungsspiel vom Musizieren als Spiel. Anders als im musikalischen Gestaltungsspiel unterliegt das Musizieren Regeln, die übergreifend für das Musizieren gelten – unabhängig von der ausgewählten Musik. Vgl. ebd., S. 195. Ebd., S. 195. Ebd., S. 195.

4. Musikunterricht und Spiel

einer Aufführung des Spiels würden die Situativität des Gestaltungsspiels übersteigen und ließe sich nicht mehr als spielhaft legitimieren.58 Trotz Berücksichtigung und Anwendung musikalischer Fertigkeiten beziehen sich die Spielziele auf das Spielen selbst. Rora versteht das Lernen im Spiel als ein Spielen-Lernen und als Form der Ermöglichung von Musik-Lernen.

4.1.4 Kritische Perspektive auf die Konzeption des musikalischen Gestaltungsspiels Das musikalische Gestaltungsspiel entsteht als geschlossene Form, als Erfahrung, die das kreative Potential der Lernenden gegenüber der realen Welt »nur« symbolisiert. Die Symbolqualität ergibt sich aus der Trennung des musikalischen Gestaltungsspiels von der pädagogischen Situation, aus der das Spiel hervorgeht. Das musikalische Gestaltungsspiel verzichtet bewusst auf eine mimetische Beziehung oder ein diskursives Verhältnis zwischen Welt und Spielwelt. Mit Cassirer konstatiert Rora: »Die symbolischen Formen der ästhetischen Erfahrungen sind anschaulich, nicht diskursiv.«59 Rora betont mit der Unterscheidung anschaulich vs. diskursiv die Geschlossenheit des Spiels und die Bestimmung seiner Grenzen, die im musikalischen Gestaltungsspiel nicht zur Disposition stehen. Spiel entsteht und vollzieht sich auf der Basis seiner paradoxalen Struktur, die im Spiel erhalten bleiben muss, solange das Spiel andauert. Da das musikalische Gestaltungsspiel von einem Zentrum aus geregelt wird, das selbst nicht zur Disposition steht, sind die Felder der Wirklichkeit und Spielwirklichkeit auch bezüglich des Verhältnisses zwischen Freiheit und Regelhaftigkeit klar determiniert. Rora weist lediglich auf den paradoxen Zirkel der Intentionalität in Bezug auf ästhetische Erfahrungen hin: »Denn Erfahrung setzt Intention voraus. Die physische Präsenz eines Kunstobjekts führt nur dann zu einer ästhetischen Erfahrung, wenn der Betrachter eine intentionale Haltung ihm gegenüber entwickelt. Um zu einer ästhetischen Erfahrung zu gelangen, muss der Betrachter diese wollen, seine Zielausrichtung ist Bestandteil dieser Erfahrung.«60 Dieses paradoxale Verhältnis dient Rora als Argument für die Integration von Gestaltungsspielen in den Musikunterricht, denn sie schreibt dem Gestaltungsspiel einen voraussetzungslosen Ertrag an ästhetischen Erfahrungen zu, die sie in der »voraussetzungslose[n] Form

58 59

60

Vgl. ebd., S. 195. Vgl. ebd., S. 164. Roras zeichentheoretische Unterscheidung von präsentativen und diskursiven Symbolen basiert auf den Überlegungen Ernst Cassirers. Vgl. dazu Cassirer, Ernst (2010): Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil. Phänomenologie der Erkenntnis. Hamburg: Felix Meiner Verlag Gmbh; vgl. dazu auch Langer, Susanne (1984): Philosophie auf neuem Wege. Das Symbol im Denken, im Ritus und in der Kunst. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Rora (2001), S. 182.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

musikalischer Eigentätigkeit des Gestaltungsspiels«61 begründet sieht. Das musikalische Gestaltungsspiel bietet eine Form, die ästhetische Erfahrungen und ästhetische Differenz ermöglicht und dem Individuum zur Produktion von symbolischer Wirklichkeit verhilft. Rora weist auf die Qualität ästhetischer Erfahrungen im Spiel hin, die sie mit Dewey in die Nähe der Kunsterfahrung rückt. Ihre Schlussfolgerung ergibt sich aus der These Deweys, dass im Moment der Erfahrung noch kein Bedeutungsgehalt wirksam geworden sein kann. Dewey fasst Kunst als Akt des Ausdrucks und der Kommunikation. In diesem Sinne thematisiert Kunst die Erfahrung der Erfahrung.62 »Das Kunstwerk bildet einen Anstoß zu einem Perzeptionsvorgang, in dem der Betrachter zum Schöpfer seiner eigenen Erfahrung wird.«63 Musik bietet wie auch als Kunst das ästhetische Bezugsmaterial, das Lernende anregt, in produktiver Weise das Bewusstsein auf die Erfahrung zu richten. »Eine Gestaltungsaufgabe, die Transformation verlangt, bietet dem gestaltenden Kind den Widerstand, den jedes Individuum braucht, um eine (Gestaltungs-)Intention zu entwickeln.«64 . Roras Musikbegriff löst sich klar vom Kunstwerkbegriff und Kunstansprüchen. Musik artikuliert sich nach Rora in Klängen, Tönen und Geräuschen. Dies sei die »Ebene der gemeinsamen Substanz« auf der Lernende ästhetischen Objekten voraussetzungslos, auch vorbehaltlos begegnen können.65 Im musikalischen Gestaltungsspiel kann sich die Voraussetzungslosigkeit der musikalischen Tätigkeit auch in der Auseinandersetzung mit musikalischen Erscheinungen als Kunst frei entfalten. Das Spiel erlaubt einen produktiven Zugriff auf Musik – bietet und ermöglicht ästhetische Erfahrungen.66 Spielende erfahren sich als »Schöpfer« des Spiels, aber ausschließlich in der Sphäre der Spielwelt. In poststrukturalistischer Perspektive verhindert die Prämisse der Voraussetzungslosigkeit und Bedeutungslosigkeit von Kunst einen dekonstruktiven Zugriff. Im musikalischen Gestaltungsspiel nach Rora erfolgt keine diskursive Auseinandersetzung, keine dekonstruktive Abweisung von überkommenen Bedeutungen und begrifflichen Engführungen. Die Feststellung, dass das musikalische Material im Moment der ästhetischen Erfahrung keine überkommene Bedeutung bereitstellt, die absichtsvoll sinnleere Präsentation von Musik geht mit einer pädagogisch verordneten Leugnung von Präsenz als Sinn einher. Lernenden wird eine überkommene Bedeutung – didaktisch begründet – intentional vorenthalten. Dieser Vorgang widerspricht einem dekonstruktiven Einsatz des Spiels. Dekonstruktive Tätigkeit

61 62 63 64 65 66

Ebd., S. 182. Vgl. Rora (2001), S. 173f. Ebd., S. 173. Vgl. ebd., S. 182. Vgl. ebd., S. 180. Vgl. ebd., S. 182.

4. Musikunterricht und Spiel

vollzöge sich in diskursiver Auseinandersetzung mit der Präsenz, mit überkommenen Bedeutungen und im Modus der Auflösung der Hierarchie zwischen spielenden Subjekten und ästhetischen Objekten. Das musikalische Gestaltungsspiel verzichtet auf eine diskursive Auseinandersetzung und bleibt auf die Anschaulichkeit und sinnliche Quelle des musikalischen Materials beschränkt. Rora räumt dem Tun und sinnlichen Erleben einen Vorrang vor dem Verstehen und der Bedeutungskonstitution ein:67 »Sinnliches interessiert nicht wegen des Bedeutungsgehalts, sondern ein Bedeutungsgehalt erweckt Interesse, weil er sinnlich fundiert ist.«68 Das Gestaltungsspiel kann nach Rora als Form und Methode eingesetzt werden, um sich über Voraussetzungen wie Musikbegriffe, überkommene Kunstansprüche oder die Notwendigkeit für musikalisches Wissen und Können hinwegzusetzen. Rora lenkt die Intentionalität der Spielenden auf das Spiel selbst, ohne durch Begriffliches abzulenken. Die Abkopplung der Spielwelt vom Realen, das Ausblenden von Begrifflichem und Voraus-Setzungen betrügen das Spiel jedoch um sein Potential, die Wirklichkeit subversiv und explorativ zu überschreiten. Rora bestreitet eine Funktionalisierung oder Pädagogisierung des musikalischen Gestaltungsspiels für den Unterricht. »Spiele, die Musiklernen in diesem Sinn ermöglichen, sind nicht Spiele, die Lernziele in eine Spielform einkleiden, sondern Spiele, deren Durchführung Musik hervorbringt. Ausdrücklich sind unter solchen Spielen auch die zu verstehen, in denen ausgehend von einem Musikstück oder einem Lied Gestaltungen in einem anderen Medium hervorgebracht werden.«69 Das Spiel kann Lernenden ästhetische Erfahrungen bereiten und dadurch für den Musikunterricht eine Bildungsfunktion übernehmen.70 Da es jedoch nicht der unendlichen Verweisungsstruktur einer dekonstruktiven Diskursivität folgt, wirkt das Spiel nicht unbedingt funktional für die Exploration des ästhetischen Gehalts des Spiels – die Musik –, sondern für die eigentliche Sphäre des Spiels: das Pädagogische. Die spielorientierte Pädagogik, die Rora vorschlägt, sieht vor, mit dem Spiel ein Unterrichtsangebot neben anderen anzubieten, aus dem Lernende die Intention schöpfen, sich mit Musik spielerisch, d.h. frei von äußerer Absicht und Bedeutung auseinandersetzen – mit (selbst)bildender Wirkung.71 Analog zu Künstlern, die mit ihren Artefakten eine Erfahrungssituation ihrer Rezipienten umreißen, bestimmen Musikpädagogen jedoch mit ihren Spielvorschlägen die Erfahrungssituation des Kindes.72 Die Trennung von Unterricht und Spiel soll das Spiel vom Zugriff des Pädagogischen befreien. Eine Auflösung der

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Rora verweist auf Dewey, Plessner, Merleau-Ponty; vgl. Rora (2001), S. S. 168. Vgl. ebd., S. 168. Ebd., S. 195. Vgl. ebd., S. 192. Vgl. ebd., S. 182. Vgl. ebd., S. 182f.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Hierarchie sowohl zwischen Lehrenden und Lernenden als auch der Sphäre des Pädagogischen und der des Spiels ist aber genau dadurch nicht möglich. Die Trennung des Spiels vom Nichtspiel, die die Verzweckung des Spiels verhindern soll, ist Teil des Diskurses, der das Spiel in sich auflöst. Wird das Spiel jedoch didaktisch verordnet, verkehrt es die Normativität der Didaktik nur dialektisch und obliegt infolgedessen ebenso der eingangs erörterten Legitimationsproblematik. In dekonstruktiver didaktischer Perspektive ist es nicht von Bedeutung, ob der didaktische Meta-Diskurs einen bestimmten Kunstanspruch oder die Befreiung davon, die Festlegung von Bildungszielen oder Ziellosigkeit verordnet.

4.1.5 Das Spiel als Kompositionsprinzip Meyer-Denkmann legt in »Struktur und Praxis neuer Musik im Unterricht« einen didaktischen Ansatz vor, dass das Spiel als Funktion bzw. Strukturprinzip musikalischer Kompositionen herausarbeitet und experimentellen, kreativen Gestaltungsprozessen – Spielhandlungen und Klanghandlungen – zugrunde legt. Meyer-Denkmann bietet keine explizite Definition des »Spiels«. Ihr Verständnis vom Spiel artikuliert sich in der Entdeckung des Spielerischen in der (Neuen) Musik, das sich im Zusammentreffen von Komposition, Interpretation und Rezeption zeigt.73 Meyer-Denkmann positioniert sich mit ihrer Konzeption zum musikpädagogischen Diskurs ihrer Zeitgenossenschaft und zu Funktion und Gehalt einer Unterrichtswirklichkeit, deren Legitimationsproblematik Analogien zur heutigen aufweist. So stellt die Autorin fest, dass die didaktische Unsicherheit in dem Maße ansteigt, in dem sich die Erwartungshaltung gegenüber einer potentiellen gesellschaftlichen Relevanz verringert. Die Musikpädagogik verabschiedet sich in den 1960er Jahren von den Resten neomusischer Bildung und wendet sich der Wissenschaftlichkeit zu. Meyer-Denkmann erkennt die Notwendigkeit des Abbaus des tradierten Bildungsideals, der »musischen Ganzheitsideologie« und des »pädagogischen Funktionalismus« an,74 kritisiert jedoch die einseitige Hinwendung zur Wissenschaft, die, um eine Stärkung des Faches bemüht, doch nur »Pseudosachlichkeit«75 erlange. Der Gegenstand des Faches sei Musik – nicht Wissenschaft – so postuliert Meyer-Denkmann76 und spricht sich gegen die ästhetische, künstlerische Entleerung des Faches aus. Analog zur Einbettung der Musikpädagogik in einen Kontext von Wissenschaften sei auch die Musik angewiesen auf einen gesellschaftlichen, kulturellen Kontext. Meyer-Denkmann spricht sich gegen eine

73 74 75 76

Vgl. Meyer-Denkmann (1972), S. 14. Vgl. ebd., S. 15. Vgl. ebd., S. 15. Vgl. ebd., S. 15f.

4. Musikunterricht und Spiel

isolierte Betrachtung von Musik und Musikpädagogik aus und befragt deren Relation zu Gesellschaft und Kultur. In diesem Sinne betont sie das kritische Potential von Bildung und verwehrt sich gegen Vereinnahmung von Musik und Musikunterricht als »Statussymbol für Bildungskonsumenten.«77 Die Musikpädagogik sei auf der Flucht vor dem Musischen, klammere sich an große Werke, in denen sich vermeintlich unverbrüchliche Werte transportierten – hoffend auf einen »moralischen Wert musikalischer Bildung«.78 Musik und Kunst seien gesellschaftlich vermittelte Vorgänge – demzufolge hat der Musikunterricht die Aufgabe, Lernenden kritische Einsicht in die Verflechtungen »institutioneller und kommerzieller kultureller Vorgänge« zu bieten. Meyer-Denkmann beobachtet den Verlust an Relevanz und Aktualität eines Musikunterrichts, der sich zwischen der Anbiederung an Jugendkultur und -musik und dem »gezähmtem Konzert- und Theaterverständnis«, welches von der Schulmusik kolportiert wird, zerreibt und der Bedeutungslosigkeit anheimzufallen droht: »Ein Unterricht, dem es um Kontakte zum Verhalten Jugendlicher geht, der öffnen, neugierig, kritisch machen möchte und Aktivitäten freisetzen will, verriete dann Musikpädagogik ans Unwissenschaftliche, wenn Aktivität allein um ihrer selbst willen veranstaltet würde. Dorthin zielt jene ›neumusische‹ Bewegung, die meint, im Trend eines neuen Pluralismus sei alles erlaubt und möglich, wenn’s nur der Spontaneität und dem ganzen Menschen dienlich sei. Statt wie bisher Melodisches und Rhythmisches zu klöppeln, wird Avantgardistisches anhand hübscher graphischer Muster erbastelt, was in seiner Primitivität Orffscher Spielbetulichkeit in nichts nachsteht. Sinnvoll – und über bloße Selbstbefriedigung hinausreichend – wird die objektive Möglichkeit kreativer Aktivität erst dann, wenn sie im Widerspruch zur Totalität der Reproduktion und deren institutioneller Betätigung mobilisiert wird.«79 Meyer-Denkmann stellt nun die Frage nach der Anknüpfung an die Interessen und Bedürfnisse Jugendlicher und die Frage nach Möglichkeiten des Musikunterrichts, der zu experimentellen, unkonventionellen Aktionen befreit: »Erst durch […] die Aufhebung normierter Vorstellungen vermag ein Mensch Neues wahrzunehmen, ist er bereit, sich ästhetischen Phänomenen zu öffnen.«80 Das Zentrum des Ansatzes bilden produktive Vorgänge und das Experiment mit eigens zusammengestellten Materialien. Lernenden sollen das Machbare als Veränderbares begreifen.81 Als Voraussetzung und Effekt des Konzeptes be-

77 78 79 80 81

Vgl. ebd., S. 16. Vgl. ebd., S. 16f. Vgl. ebd., S. 13f. Vgl. ebd., S. 19. Vgl. ebd., S. 19.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

schreibt Meyer-Denkmann ein »neues Denken«, dass Theorie und Praxis in ein dialektisches Verhältnis überführt und heterogene Wissenssysteme miteinander vernetzt.82 Meyer-Denkmann verabschiedet Faktendenken zugunsten von Prozessualität sowie lineares Denken zugunsten von strukturellem Denken.83 Die Fähigkeit und Bereitschaft, Strukturen und Strukturprinzipien zu erfassen, zu extrahieren und in andere Kontexte zu übertragen, bildet das Fundament des musikpädagogischen Ansatzes und die Voraussetzung für musikdidaktische Konkretion im Unterricht.84 Meyer-Denkmann beschränkt diesen analytischen Ansatz nicht auf den musikpädagogischen Diskurs. Ihr Interesse und ihr Anliegen richten sich auf die strukturelle, institutionelle und inhaltliche Verwobenheit von Musik und Gesellschaft. Daher unternimmt sie den Versuch, aus dem Innovationpotential Neuer Musik als Kunst und dem Umgang damit Schlüsse zu ziehen, die im Raum der Kultur und der Gesellschaft ihre Fortsetzung erfahren.85 Die Extraktion von Strukturprinzipien soll nicht der Fixierung musikalischer bzw. gesellschaftlicher Systeme dienen, sondern die Vielfalt und Eigenheit der Musiken inhaltlich geltend und im Experiment produktiv wirksam werden lassen. Die »Vielschichtigkeit« und »Vieldeutigkeit« ästhetischer, künstlerischer Äußerungen der Zeitgenossenschaft fordert von dieser in besonderer Weise Vorstellungskraft und Kreativität, die Einschränkungen der sinnlichen Erfahrung durch überkommene Rationalität verhindern.86 Meyer-Denkmann warnt im Zuge der Diversifizierung sowohl des Musikalisch-Künstlerischen als auch der Gesellschaft vor einem Pluralismus, der zur Beliebigkeit und Inhaltsleere führt. »Relativität musikalischer Systeme meint nicht die Beliebigkeit von Meinungen und Negieren hergebrachter Regeln nicht Willkür.«87 Um der Beliebigkeit entgegenzuwirken, müsse Neue Musik einer objektiven Beurteilung standhalten, die jedoch nur auf der Basis intensiver Auseinandersetzung gewährleistet werden. Meyer-Denkmann wählt das Spiel und das Experiment als Modus eines Unterrichts, der in der produktiven, kreativen Auseinandersetzung mit Strukturprinzipien von Musik als Kunst und vielfältigsten Materialien Sinn zu stiften sucht. »Gerade heute vermag jene Kunst und Musik, die zählt, zur Erkenntnis beizutragen, da sie ein neues Verhältnis zum Menschen, zur Gesellschaft und zur Wirklichkeit offenbar werden läßt, indem sie deren Verdinglichung bricht.«88 Musikunterricht – so Meyer-Denkmann – hat die Funktion, das kritische

82 83 84 85 86 87 88

Vgl. ebd., S. 20. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 27f. Vgl. ebd., S. 27f. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 23.[Grammatik im Original]. Vgl. ebd., S. 25.

4. Musikunterricht und Spiel

Bewusstsein von Lernenden zu wecken. Nicht nur, um musikalisch-ästhetische Bildung zu ermöglichen, sondern auch für Gesellschaft und Kultur sei es notwendig, zur Auflösung schematischer Lernziele und zur Wegbereitung eines produktiven musikalischen Denkens beizutragen.89 Auf Basis der Analyse der Strukturen und Strukturprinzipien Neuer Musik entwickelt Meyer-Denkmann Modelle für experimentelle Verfahren, die Lernenden einerseits einen Zugang zu Neuer Musik bieten und ihnen andererseits eigenes kreatives Tun ermöglichen. Grundlage der Modelle, Handlungs- und Musizierweisen bildet die Erarbeitung der Strukturprinzipien von Exempeln Neuer Musik, die den Klangexperimenten zugrunde gelegt werden. Meyer-Denkmann spiegelt und kategorisiert die vielfältigen Erscheinungsformen Neuer Musik, um nicht nur oberflächliche Verschiedenheit, sondern prinzipielle Heterogenität Neuer Musik als Kunst entfalten zu können. Sie plädiert für eine sorgsame, »strenge[n] und disziplinierte[n]« Arbeit an den Werken selbst, um die Basis der strukturellen Verbindung von Material-, Struktur- und Aktionsprinzipien Neuer Musik jenseits fixierter Schemata herauszustellen.90 Meyer-Denkmann unterscheidet Klangfunktionen91 und Spielfunktionen, die sich in Gestaltung und Experiment jedoch wechselseitig durchdringen.92 Klangfunktionen artikulieren die tatsächliche Klanghandlung als Musik, geben jedoch noch keine Information zur Organisation des Zusammenhangs von Plan, Material und Aktion preis. Dieser Zusammenhang obliegt den Spielfunktionen, die die Klanghandlungen, den Aktionszusammenhang und die spezielle Spielsituation verbinden. Meyer-Denkmann definiert Spiel nicht explizit. Ihre Verwendung der Begriffe »Spielfunktion«, »Spielsituation« und »Spielhandlung« lassen aber Rückschlüsse auf ihr implizites Spielverständnis zu: Sie beschreibt das Spiel als einen performativen Funktionszusammenhang auf der Basis ordnender Kompositionsprinzipien. •

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Die Spielfunktion überschreitet das Klangmaterial und bringt die Musik als Spiel und die Spieler als Spielhandelnde hervor. »Das Spiel wird zur Selbstdarstellung des Spielers, aber zur »Selbstdarstellung als Musik.«93 Spielende erfahren eine subjektive »Dissoziation«, da sie sich in der Musik ent-äußern. Die Spielfunktion bewirkt eine paradoxe Situation: Spielende entfremden sich als Subjekt und artikulieren sich gleichzeitig als Selbst.

Vgl. ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 24f. Die Klangfunktionen umfassen Ausprägungen musikalischer Parameter, wie z.B. Relative Klangdauernverhältnisse, Tonhöhenverhältnisse, Lautstärkeverhältnisse, Klangfarben usw. Vgl. Meyer-Denkmann (1972), S. 141. Vgl. ebd., S. 75. Vgl. ebd., S. 93.

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Die Spielwirklichkeit als klingende Musik und musikalischer Vollzug entsteht in ambivalenter Beziehung zur Wirklichkeit als Ebene der Organisation und der Strukturprinzipien. Die Wirklichkeit artikuliert sich im Spiel – das Spiel gründet in der Wirklichkeit, aber übersteigt ihren Sinnhorizont. Die Spielfunktion unterläuft und überschreitet die Strukturprinzipien und die Ordnung des Materials als »instrumentelles Theater«94 durch situatives Agieren, Reagieren, Auffordern, Opponieren, Absondern, Sich-Angleichen, Provozieren95 Spielender. Die Spielsituation wird als ästhetische Manifestation in Musik in determinierten zeitlichen und räumlichen Dimensionen gefasst,96 die sich paradox zueinander verhalten. Musik vollzieht sich in der Zeit und bildet darin einen »unbegrenzten Klangraum« als »geöffnetes Gefüge.«97 Beschrieben wird die besondere Form der Musik als Prozess.98 Kreative Lernprozesse im Spiel vollziehen sich prozessorientiert und nicht lösungsorientiert.99 Erläutert wird die Analogie zwischen dem Spielprinzip und der Musik der Gegenwart als Ausdruck der Entgegensetzung von Gesetz und Zufall.100

Sowohl die Spielfunktion als auch die ästhetische Formalisierung als Musik und Kunst trägt daher auch bei Meyer-Denkmann paradoxe Züge. Meyer-Denkmann entwirft Modelle und konkrete Vorschläge für musikalische Experimente und Gestaltungsaktionen, auch als Anregung für die Entwicklung weiterer Spielsituationen. Analog zur pluralistischen Erscheinung Neuer Musik soll im Musikunterricht das »spielerische Möglichkeitsprinzip«101 wirksam werden. Meyer-Denkmann argumentiert für die Implementierung der Spielfunktion in den Musikunterricht in einem [musik]pädagogischen Verständnis, das von einer dialektischen Beziehung von Kunst und Gesellschaft ausgeht. Das Spiel im Unterricht artikuliert sich im freien Denken und im musikalischen Experiment innerhalb der Spiel-oder auch Schutzräume, in denen die Ordnungsprinzipien des Spiels gelten. Um die Gefahr von Oberflächlichkeit und Beliebigkeit zu bannen, fordert Meyer-Denkmann für die Organisation der kreativen Prozesse ein hohes Maß an Bewusstheit

94 95 96 97 98 99 100 101

Ebd., S. 92f. Vgl. ebd., S. 93. Vgl. ebd., S. 28–38. Vgl. ebd., S. 29. Vgl. ebd., S. 56. Vgl. ebd., S. 21. Vgl. ebd., S. 73. Vgl. ebd., S. 73.

4. Musikunterricht und Spiel

und verbindlicher Struktur, die sich auch aus den Kompositionen selbst102 oder extrahierten Strukturprinzipien ergeben kann. Meyer-Denkmann wendet ihre kategorisierenden, strukturierenden und differenzierenden Werkzeuge gegen ein Verständnis von Pluralismus, der alles erlaubt, und gegen ein Verständnis von Experiment und kreativem Gestalten, das in pädagogischer Attitüde »Kunst zum Gebrauchsmuster« erklärt.103 Im Fokus ihrer Folgerungen für die Prämissen musikpädagogischen Handelns steht neben der »Intensivierung von Wahrnehmungsfähigkeit und der künstlerischen Sensibilität« und der »Förderung kreativen und produktiven Denkens« immer die Verbindung von Musikunterricht und gesellschaftlichem Auftrag. Der Einsatz von Spielfunktionen und Spielaktionen im Unterricht dient der Kultur- und Gesellschaftskritik: Mit musikalischen Mitteln und Aktionen sollen Konventionen entlarvt und den Lernenden Raum und die Möglichkeit zur konstruktiven Kritik geboten werden.

4.1.6 Kritische Perspektive auf die Spielkonzeption »Struktur und Praxis Neuer Musik« Die Voraussetzung für die Organisation von Spielvorgängen nach Meyer-Denkmann ist die Analyse eines beispielgebenden Werkes Neuer Musik, in der das Strukturprinzip der Musik extrahiert, abstrahiert und in ein Spielprinzip bzw. eine Spielanweisung überführt wird. Neben Modellen für Materialaktionen, in denen tatsächliche Kompositionen im Unterricht zur Aufführung kommen können,104 werden hauptsächlich Spielmodelle entwickelt, die zur Originalkomposition in ausgewählten Aspekten Analogien bilden. In poststrukturalistischer Perspektive soll nun die Position des Strukturprinzips reflektiert werden, die sie im kreativen Prozess der Spielaktionen erhält. Es gilt herauszustellen, inwiefern Meyer-Denkmanns Konzeption dekonstruktives Potential entfaltet und im Spiel paradoxale Verhältnisse wirksam und erhalten bleiben. Die Konzeption stellt bereits durch die Identifikation, Extraktion und Transposition von Strukturprinzipien einen Widerspruch zur poststrukturalistischen Prämisse der Aberkennung von Prinzipien als Ursprung eines Bedeutungskontextes dar. Nach Derrida sind Prinzipien als Ursprünge von Sinnsystemen aufzufassen, die den Anfangspunkt einer Kausalkette bilden. Mittels des Verfahrens der Dekonstruktion soll das Prinzip als Ursprung abgewiesen und damit die hierarchische Folge der Kausalkette aufgelöst werden. Durch die differentielle Verweisung entfällt die Hierarchie zwischen Signifikat und Signifikant und eröffnet ein unbegrenztes Feld an Spurenlagen, die andere

102 Meyer-Denkmann bezieht sich auf Zitate Schnebels, der auf Kagel, M. Kompositionstechnik, Nachtprogramm des WDR, (28.10.1965) verweist; vgl. Meyer-Denkmann (1972), S. 92. 103 Ebd., S. 14. 104 Vgl. Meyer-Denkmann (1972), S. 106.

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Ursprünge und Sinnzentren in Aussicht stellen. Derrida verwendet »Prinzip« synonym mit »Präsenz«,105 , die er außerhalb des Sprachlichen verortet und die sich als metaphysisches Zentrum der sprachlichen Struktur bemächtigt, um ihre Bedeutungsmöglichkeiten zu reduzieren. Das Strukturprinzip bei Meyer-Denkmann hat jedoch grammatische Funktion, die die Relation von Materialien, Aktionen und Spielsphäre regelt. Es gehört der Musik an und begrenzt sie als Spielregel oder Ausschließungssystem. Es verweist nicht auf einen übergreifenden Meta-Diskurs oder sinnreduzierende Totalität, die von außerhalb die Geschicke des Spiels zu determinieren suchen. Die Identifikation von Strukturprinzipien in Werken Neuer Musik führt zur Explikation grammatischer Funktionen innerhalb Musik, die die Relation musikalischer Zeichen erklären, jedoch nicht zur Sublimierung möglicher Bedeutungen. Eine Transposition von Strukturprinzipien (Spielregeln) auf andere Materialen und Spielsphären kann jedoch nicht als dekonstruktiver Prozess gefasst werden. Transpositionen führen zur Analogiebildung und nicht zur Exploration neuer Texte bzw. Spielsituationen. Eine Exploration von Sinn, paralogische Kreativität kann aus diesen Vollzügen nicht hervorgehen. Meyer-Denkmann leitet aus Originalkompositionen Modelle ab, nach denen wiederum musikalische Artefakte als analoge Transformation von Musik in Musik bzw. Spiel in Spiel entstehen können. Auch die Bewegungs- und Darstellungsaktionen fallen unter die Funktion der Analogiebildung, denn diese sollen mit Klängen assoziiert werden.106 Die Dekontextualisierung der Strukturprinzipien in den Spielvorgängen bezieht sich nur auf die Material- und Aktionsebene, erfasst jedoch nicht den transzendentalen Werkgedanken oder die übergreifende Intention der Kultur- und Gesellschaftskritik, die für Meyer-Denkmann unauflöslich mit dem Ansatz des experimentellen Entdeckens Neuer Musik verwoben ist.107 Problematisch wirkt der Meyer-Denkmanns Werkbegriff, der sich konventionellen Werkbegriffen dialektisch entgegensetzt und daher wiederum totalisierendes Potential in sich birgt. Die verallgemeinernde Abstraktion einer spezifischen Spielregel und ihre Transposition in eine andere Materialsphäre führen nicht zur Freiheit von Konvention, sondern malen die vorgängige Struktur lediglich mit anderen Farben aus. Der dekonstruktive Angriff auf überkommene Konventionen bindet sich – dialektisch verkehrt – an den Werkgedanken und damit zurück an die Konvention und erzeugt möglicherweise eine Tendenz zum »normativen Innovationsdruck«. Ästhetische Negativität kann innerhalb der dialektischen Fessel nicht erzeugt werden. Bereits durch das Vorhaben, Strukturprinzipien zu übertragen, wird die ästhetische Präsenz und das Potential der ästhetischen Differenz negiert, das zum Anderen führen könnte. 105 Vgl. Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 116. 106 Vgl. Meyer-Denkmann (1972), S. 113–118. 107 Vgl. ebd., S. 25f.

4. Musikunterricht und Spiel

Das Spiel weist bei Meyer-Denkmann paradoxale Züge auf, denn es kann gleichzeitig als Effekt und Voraussetzung musikalischer Artefakte erachtet werden. Dabei wird nicht die Musik an sich, sondern nur ihr Strukturprinzip als Spiel betrachtet. Demzufolge artikuliert sich das Spiel nicht in eigenständiger Form, sondern in der Form einer musikalischen Referenz. Dem Spielprinzip als »Möglichkeitsprinzip« folgt ein performativer, produktiver – auch ästhetisch wirksamer Handlungsvollzug, der sich in musikalischen Transpositionen jedoch nicht explorativ oder paralogisch entfaltet. Als ambivalent beschreibt Meyer-Denkmann die Situation des spielenden Individuums, welches sich – analog zur Teilhabe im Ensemble – weder dem Spiel fügt noch seine Position zuungunsten anderer behauptet. Es unterwirft sich dem Spielprinzip, um als Spielendes Geltung zu erlangen. Die notwendige Balance zwischen Selbstverwirklichung und sozialem Verhalten fungiert bei MeyerDenkmann als zentrales Argument für das Spiel im Musikunterricht.108 Allerdings bleibt die individuelle Freiheit stets den didaktischen Prämissen und Werthaltungen sowie dem inhärenten Kunst-bzw. Werkbegriff unterworfen. Eine dialektische Abkehr von diesen Begriffen läuft einer dekonstruktiven Haltung zuwider, denn die überkommenen Prämissen und Werthaltungen stehen selbst nicht zur Disposition.

4.2 Das Spiel in der Musikdidaktik vs. Unterricht als Spiel Impulse für eine dekonstruktive Musikdidaktik Die Spielbegriffe, die in den zuvor erörterten Konzeptionen zur Geltung kommen, beruhen auf implizitem Spielwissen, das von der paradoxalen Struktur des Spiels, seiner Produktivität sowie seinem kreativen, subversiven und utopischen Potential109 ausgeht. Dennoch artikuliert sich in den vorliegenden Konzeptionen und Modellen keine dekonstruktive didaktische Haltung. Die liegt zum einen in der partiellen Auflösung der paradoxen Verhältnisse der Elemente des Spiels begründet. Zum anderen zeigt sich, dass die dekonstruktive Geste fehlt, die sich gegen die didaktische Totalität selbst richtet und die (De-)Legitimierung didaktischer Entscheidungen in das Spiel einbezieht. Die Konzeptionen beschreiben Möglichkeiten der Gestaltung von Unterricht und bieten inhaltliche Vorschläge, die sich auf das Spiel als Form oder Funktion berufen. Es fehlen jedoch Hinweise zur Inszenierung des Unterrichts als performativer Akt – zum Anfang des bildenden Diskurses, der darüber entscheidet, ob das Spiel verordnet oder eröffnet wird. Auch im Unterrichtsmodell »Musik als Spiel«/»Spielen mit Musik« nach Richter kann die Idee der Dekonstruktion nicht eingelöst werden. So bleibt bei Richter der Kunstwerkbegriff als

108 Vgl. ebd., S. 68f. 109 Vgl. dazu Neuenfeld (2005), S. 15., 178f., 199.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Prämisse und Meta-Diskurs unberührt. Richter transzendiert den Kunstwerkbegriff und verbindet damit eine hohe Anforderung an die Lernenden. Nicht nur, dass diese ihm in der Transzendierung der Musik folgen sollen, sondern Richter erwartet darüber hinaus, dass die Lernenden die Strukturidee des Kunstwerks abstrahieren und den Spielcharakter in ihm identifizieren und verstehend nachvollziehen. Da Richter Prämissen artikuliert, die nicht zur Disposition stehen, wird die paradoxale Entgegensetzung Freiheit vs. Regelhaftigkeit sowie Wirklichkeit vs. Spielwirklichkeit unterbrochen. Richters Konzeption eröffnet die Spielsphäre – das reale Kunstwerk – als Wirklichkeit, aber nicht als Als-ob-Welt, als ästhetisch erhabene Spielwelt. Der dem Konzept inhärente Kunstwerkanspruch erhebt seine Geltungsansprüche auch auf die Kreationen und Transformationen der Lernenden, sodass eine ästhetische Negativität bereits von Prämissen gezeichnet und Sinnzuschreibungen besetzt wird. Bei Rora erlischt die Ambivalenz der Spielsituation im Moment der Fixierung der Grenze zwischen Spiel und Unterricht. Die Abgrenzung unterbricht die paradoxale Beziehung und den Schwebezustand zwischen Spielwelt und Welt. So wird das Spiel vom Zentrum des Pädagogischen aus verordnet und für den unterrichtlichen Kontext funktionalisiert. Das musikalische Gestaltungsspiel bietet Freiheit, Selbstbezüglichkeit und das kreative Potential Lernender – in der Spielwelt. Diese Spielmerkmale haben für den Raum der Unterrichtswirklichkeit bzw. Lebenswelt jedoch nur eine symbolische Bedeutung. Eine wesentliche Eigenschaft des musikalischen Gestaltungsspiels und Folge der intentionalen Trennung von Spielwelt und Unterricht ist die Behauptung seiner Voraussetzungslosigkeit in Bezug auf (Begriffs-)Wissen und Können oder Erfahrungen. Ohne (reflexiven) Bezug zu überkommenen Bedeutungshorizonten bleibt das Musikalische Gestaltungsspiel zwar selbstbezüglich und ästhetisch-anschaulich – entzieht sich jedoch einem dekonstruktiven Zugriff. Meyer-Denkmanns Spielkonzeption enthält Anregungen und Anleitungen zur kreativen Übertragung von Kompositionsprinzipien neuer Musik auf andere materiale Kontexte. Diese Transpositionen bieten jedoch keinen Anlass zur Dekonstruktion, die sich gegen das Spielprinzip selbst richten müsste. Die Konzeption verpflichtet sich der Kultur- und Gesellschaftskritik und verfolgt das Anliegen, überkommene Werk- und Kunstbegriffe aufzulösen. So verfängt sich das Ansinnen in einer dialektischen Falle und begründet mit der Abwehr der Tradition und nicht zuletzt im Anspruch an die Werkanalyse und dessen pädagogische Aufbereitung neue totalitäre Strukturen, auch wenn diese im besten Sinn der Erziehung der Lernenden zu Freiheit, Mündigkeit und Kritikfähigkeit gewidmet sind. Richter und – in dialektischer Version – Meyer-Denkmann entwickeln Spielkonzeptionen, in denen die Wirklichkeit als Wirklichkeit zur Aufführung kommt. Rora bemüht sich mit der Trennung von Spiel und Unterricht um die Inszenierung des Spiels als Spiel. Eine dekonstruktive Musikdidaktik, die bildende Diskurse als Spiel inszeniert,

4. Musikunterricht und Spiel

intendiert jedoch die Eröffnung einer Spielwelt als Wirklichkeit.110 Sowohl in der Welt als Wirklichkeit als auch in der Spielwelt, die nur Spiel sein will, unterbricht die Auflösung der paradoxen Situation des Spiels das Spiel der Differenz. Damit erlischt sein exploratives, paralogisches Potential. Das folgende Kapitel bietet Impulse für eine dekonstruktive Musikdidaktik, die den Musikunterricht als Spiel inszeniert. Diese Impulse greifen die in Kapitel 3.6 beschriebenen Kriterien für eine dekonstruktive didaktische Haltung wieder auf und konkretisieren sie mit musikalischen und musikbezogenen Inhalten.

110

Vgl. Schäfer/Thompson (Hg.) (2014), S. 10; vgl. dazu Kapitel 3.6: Kriterien für die Inszenierung von Unterricht als Spiel.

257

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

Im folgenden Kapitel werden auf konkreter didaktischer Ebene inhaltliche Konkretionen der gewonnenen bildungstheoretischen Impulse präsentiert. Dies geschieht in dekonstruktiver didaktischer Perspektive, denn die inhaltliche Positionierung bietet zugleich ästhetischen Anlass zur kritischen und produktiven Auseinandersetzung. Die Darstellung der Beispiele orientiert sich an den Dimensionen des Spiels und den didaktischen Zugriffen der Inszenierung als Gestaltung und Eröffnung von Unterricht. Es entsteht eine Materialsammlung und unterrichtspraktische Artikulationen der zuvor herausgestellten Dimensionen und Kriterien einer dekonstruktiven Musikdidaktik. Eine inhaltliche Konkretion der dekonstruktiven didaktischen Perspektive bedarf einer spezifischen Methodik. Hierfür werden Anregungen aus der Methodik der Theatralen Bildung bzw. des Darstellenden Spiels einbezogen. Dies erscheint aus folgenden Gründen plausibel: •

• •

1

2 3

Die Legitimation des Faches Darstellendes Spiel beruht – analog zur musikalischen Bildung – auf anthropologischen, kulturpädagogischen, sozialtheoretischen Perspektiven und Paradigmen.1 Die Theatrale Bildung bzw. das Darstellende Spiel begreifen sich als Spielarten der Ästhetischen Bildung.2 Theatrale Bildung verortet sich analog zur Musikpädagogik im Spannungsfeld von Kunst (als Theater bzw. Musik) und Pädagogik und bedarf der Methoden, um seine Verortung in diesem Spannungsfeld und transzendentale Kunstbegriffe zu problematisieren.3

Vgl. Liebau, Eckart; Klepacki, Leopold; Zirfas, Jörg (2009): Theatrale Bildung. Theaterpädagogische Grundlagen und kulturpädagogische Perspektiven für die Schule. Weinheim: Juventa-Verl., S. 133; vgl. dazu auch Hentschel (2010), S. 123. Vgl. Hentschel (2010), S. 244., vgl. dazu auch Liebau/Klepacki/Zirfas (2009). Vgl. Baacke, Dieter (1988): Theater und Pädagogik= Theaterpädagogik. In: Bohn, E./Schröder, S. (Hg.), Theater des Zorns und der Zärtlichkeit. Bielefeld, S. 269. In: Hentschel (2010), S. 116.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel









Es existieren terminologische Verbindungen, wie z.B. »Inszenierung« oder »Performativität«,4 die sich für eine musikdidaktische Konkretion als fruchtbar erweisen können. Die Verhältnisse von Wirklichkeit und Möglichkeit, die sich im theatralen und im musikalischen Spielraum ergeben, entsprechen sich hinsichtlich der Offenheit, der Medialität, der Responsivität und der Ambivalenz der Subjekt-ObjektKonstellationen.5 Sinnstiftung basiert in poststrukturalistischer Perspektive auf Differenz- und Fremderfahrung, der auch in der theatralen Bildung ein hoher Stellenwert eingeräumt wird.6 Musikunterricht ist ein soziales Geschehen. Rollenbilder, Identitätsbildung und die Inszenierung des Sozialen im Musikunterricht können auf der Basis theatraler Terminologie dargestellt werden.7

Auch die Auswahl der Musik erfolgt in poststrukturalistischer Perspektive, d.h., es wird davon ausgegangen, dass (musikalische) Zeichen zu ihrer potentiellen Bedeutung arbiträr zugeordnet sind. Es kann daraus geschlossen werden, dass die Musik an sich beliebig ausgewählt werden kann – es jedoch keine Beliebigkeit in den Relationen von der Musik zum Grund der Auswahl geben könne. Für die konkrete Unterrichtssituation bedeutet das, dass sich jede Musik grundsätzlich eignet, um als ästhetisches Ereignis bzw. Zeichen Differenzen zu produzieren und Sinn zu stiften. Tradierte Kategorien, wie z.B. klassische Musik, populäre Musik, Alte Musik oder Neue Musik müssen in dekonstruktiver didaktischer Haltung zur Disposition stehen. Erst der Kontext der Spurenlagen, Fragestellungen, die überkommenen Wissensordnungen auf den Grund gehen, lassen jene inhaltliche Referenz aufscheinen, die eine differentielle Exploration erst ermöglicht. Den Fokus der Auswahl der

4 5 6 7

Vgl. Fischer-Lichte (2004), Sting (2012/2013); Wulf/Göhlich/Zirfas (2001); vgl. dazu Kapitel 3.5: Das Spiel als Form und Funktion bildender Diskurse – Synthese. Vgl. Westphal, Kristin (2005): Möglichkeitsräume des theatralen Spiels und ihre Bedeutung für Sinnstiftungsprozesse, in: Bilstein/Winzen/Wulf (2005), S. 106. Vgl. Westphal (2005) in: Bilstein/Winzen/Wulf (2005), S. 119; vgl. Hentschel (2010), S. 134f. Vgl. Bausch, Constanze (2001): Die Inszenierung des Sozialen. Erving Goffman und das Performative. In: Wulf, Christoph; Zirfas, Jörg (Hg.) (2007): Pädagogik des Performativen. Theorien, Methoden, Perspektiven. Weinheim: Beltz (Beltz-Bibliothek), S. 203–219; vgl. Wulf (2014): Spiel, Mimesis, Performativität. In: Schäfer, Alfred; Thompson, Christiane (Hg.) (2014): Spiel. Paderborn: Ferdinand Schöningh (Pädagogik – Perspektiven), S. 99–128; vgl. dazu Holze, Jens/ Verständig, Dan (2014): Die Ludifizierung des Sozialen durch Digitale Räume. In: Schäfer, Alfred; Thompson, Christiane (Hg.) (2014): Spiel. Paderborn: Ferdinand Schöningh (Pädagogik – Perspektiven), S. 129f; vgl. dazu Wittig, Steffen (2014): Kultur-Spiel-Subjekt. In: Schäfer, Alfred; Thompson, Christiane (Hg.) (2014): Spiel. Paderborn: Ferdinand Schöningh (Pädagogik – Perspektiven), S. 157–180.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

Musikbeispiele für diese Untersuchung bilden die jeweiligen Begründungszusammenhänge als Voraus-Setzung für die dekonstruktive Tätigkeit im Spiel.

5.1 Zur Unvernunft [unterrichts]praktischer Konkretion im wissenschaftlichen Diskurs Das Paradox der Metaphysikkritik Die inhaltliche Konkretion anhand unterrichtspraktischer Beispiele überschreitet den vernünftigen wissenschaftlichen Diskurs, denn sie führt in ein Dilemma. Die Konkretion didaktischer Überzeugungen produziert Präsenz in doppeltem Sinn:8 als ästhetische Präsenz, aber auch als normative Geste der Identifikation. Mit dieser Geste fixiert die Ausführung unterrichtspraktischer Beispiele die intendierten Rahmenbedingungen einer dekonstruktiven Didaktik und berührt damit zwangsläufig die Grenzen des Spiels der Dekonstruktion – was dieses Spiel zwangsläufig unterbricht. Es kann jedoch nicht auf die unterrichtspraktische Konkretion verzichtet werden, denn die Inszenierung von Unterricht als Spiel verlangt Inhaltlichkeit – Präsenz in doppelter Hinsicht – auf die sich eine dekonstruktive Tätigkeit beziehen kann. Das Spiel an sich – auch als didaktisches Metakonstrukt – ist sinnlos, denn es wirkt als Funktion in der inhaltlichen Sphäre des Spiels.9 . Ein dekonstruktiver didaktischer Meta-Diskurs trägt eine Positionierung zur präsenten Inhaltlichkeit daher notwendigerweise in sich. Der Inhalt soll zum Ausdruck gebracht, eine didaktische Präsenz produziert werden. Die Verfasserin gerät dadurch in das Dilemma des Paradoxes der Metaphysikkritik, denn es ist unmöglich, eine dekonstruktive didaktische Haltung zur Disposition zu stellen, ohne sie zu artikulieren. Daher riskiert sie, mit der inhaltlichen Konkretion ihres Anliegens die eigene dekonstruktive Intention zu unterlaufen, indem sie sie einlöst. Sie hofft darauf, dass das Risiko dieser Subversion einen produktiven Anfang für die Exploration neuen musikdidaktischen Sinns macht. Die Zusammenstellung der Beispiele der Unterrichtspraxis soll Anlass zur Dekonstruktion dessen bieten, was als didaktischer Meta-Diskurs mit dekonstruktiver Attitüde die unterrichtspraktischen Exempel bereits unterworfen hat.

8 9

Vgl. Kapitel 1.2.2.3: Entgegensetzung III: Präsenz als Präsenz – zur Versöhnung der Präsenzbegriffe. Vgl. Derrida (1972), S. 394.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

5.2 Grundsätze einer dekonstruktiven Musikdidaktik Die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel ermöglicht Lehrkräften und Lernenden Dekonstruktion und wirkt dekonstruktiv. Zur Inszenierung gehören die Gestaltung des Unterrichts als Entwurf und seine Aufführung als performativer Akt. Das Spiel als didaktisches Metakonstrukt entfaltet sich in verschiedenen inhaltlichen Sphären musikalischen und musikbezogenen Handelns, basiert auf verbindlichen Regeln und artikuliert sich durch die (Inter-)Aktionen Spielender. Die Gestaltung des Unterrichts durch die Lehrkräfte erfolgt durch deren dekonstruktiven Zugriff auf Inhalte und Material. Im performativen Akt der Spieleröffnung produziert die Lehrkraft ästhetische bzw. musikalische Präsenz als Setzung bzw. Gabe. Der Vollzug des Spiels garantiert aufgrund des Wirkens der doppelten Geste der Dekonstruktion, die zur explorativen Sinnstiftung führt, einen kontingenten Verlauf. Der performative Akt der Eröffnung und das Oszillieren dekonstruktiver Tätigkeiten im Verlauf des Spiels provozieren die Dislozierung und produktive Krisen der Lernenden und der Lehrenden. Die Eröffnung des Unterrichts als Spiel wird von den Lehrenden gegenüber den Lernenden radikal verantwortet. Die dekonstruktive Tätigkeit Lernender wird möglich, wenn sich die didaktischen Entscheidungen inhaltlich auf der Als-ob-Ebene des Spiels als normative ästhetische Setzungen bzw. Präsenz konkretisieren. Das Spiel wird als Wirklichkeit inszeniert – es geht wirklicher Spielsinn aus ihm hervor. Eine dekonstruktive didaktische Haltung der Lehrkräfte bezieht das Paradox der Metaphysikkritik reflexiv ein. Der Erhalt der Paradoxa und Ambivalenzen des Spiels und seine Unentscheidbarkeit gelten als Bedingung und Effekt der Inszenierung. Dekonstruktive Musikdidaktik stellt ihre eigene (De-)Legitimierung in Aussicht. Zur Disposition stehen didaktische Beweggründe, Werthaltungen, Bildungs- und Erziehungsziele sowie transzendierende Musikoder Kunst(werk)begriffe. Musiklehrende bekennen sich in Präsenz zu ihren Beweggründen und Werthaltungen – sie positionieren sich reflexiv, denn die Inszenierung des Unterrichts als Spiel richtet sich dekonstruktiv auf diese Gründe. Im Folgenden sollen diese didaktischen Positionen anhand verschiedener Spielideen inhaltlich konkretisiert werden.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

5.3 Unterricht in und durch Dekonstruktion Methodische Anregungen aus der theatralen Bildung Die Relevanz theatraler Bildung10 für die aktuelle ästhetische Bildung lässt sich im Zusammenhang und auch in Folge des »linguistic turn«,11 insbesondere des »performative turn«12 diskutieren, deren [post]strukturalistische Motive sich zunehmend in Diskursen allgemeiner und ästhetischer Bildung niederschlagen. Seit den »performative turns« in den Sozialwissenschaften zeigt sich eine auffällige Übertragung von Terminologie der Theaterwissenschaften auf gesellschaftliche Strukturen und Phänomene. Beispielsweise wird die Entstehung und Erzeugung des Sozialen mit der Performativität sozialen und kommunikativen Handelns oder auch »Inszenierungen von Lebensstilen«13 verknüpft.14 Das Spiel erfährt durch die Theorien des Poststrukturalismus Konjunktur und erfüllt zunehmend auch eine allgemeinbildende Funktion für kreative Prozesse z.B. des Verstehens und der Identitätsbildung.15 Das Theater erfüllt im Laufe seiner Geschichte neben seiner Unterhaltsamkeit immer schon bildende, aufklärende, erzieherische Funktionen.16 Es repräsentierte soziale und gesellschaftliche Lebenswirklichkeiten und bot Anlass zu Reflexion und Kritik. Die linguistische Wende eröffnet eine auf Wirklichkeit und Gesellschaft bezogene Perspektive, die deren Verfasstheit als Einheit oder Allgemeinheit sowie »kollektive Erfahrungshintergründe«17 für obsolet erklärt. Das Theater verliert seine ausschließlich repräsentative Funktion und gewinnt die performative Kraft der (Selbst-)Präsentation.18 Theatrale Bildung intendiert den Vollzug und die Reflexion von Prozessen performativer Konstitution des Gesellschaftlichen und Sozialen. Sie ermöglicht die kreative – paralogische – Überschreitung der Rollenzuschreibungen des Alltags:

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11 12 13 14

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Der Begriff »theatrale Bildung« inkludiert in dieser Untersuchung alle Formen institutionalisierter theatraler Bildung, wie das schulische Laienspiel, das Darstellende Spiel oder die theaterpädagogische Arbeit. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 6; vgl. auch Bachmann-Medick (2010), S. 7., S. 104–111. Vgl. Bachmann-Medick (2010), S. 7., S. 104–111. Liebau/Klepacki/Zirfas (2009), S. 105. Vgl. Zirfas, Jörg (2008) Das Spiel mit der Welt. In: Liebau, Eckart/Zirfas, Jörg (Hg.) (2008): Die Sinne und die Künste. Perspektiven ästhetischer Bildung. Bielefeld: transcript. S. 129–131; vgl. Wulf, Christoph (2001): Mimesis und performatives Handeln. In: Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 253–272. Vgl. Liebau/Klepacki/Zirfas (2009), S. 133f; vgl. Westphal, Kristin (2005): Möglichkeitsräume des theatralen Spiels und ihre Bedeutung für Sinnstiftungsprozesse. In: Bilstein/Winzen/Wulf, S. 118. Vgl. Zirfas (2001) in: Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 44. Vgl. ebd., S. 44. Vgl. Fischer-Lichte (2004), S. 162. Vgl. Zirfas (2001) in: Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 44f.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

»Denn das konsequenzverminderte Spiel kann den Spielern Gestaltungs- und Erprobungsmöglichkeiten in Handlungs- und Erfahrungsräume eröffnen, die ihnen im Alltag notwendig verschlossen bleiben.«19 Die Legitimation theatraler Bildung beruht auf anthropologischen, kulturpädagogischen, sozialtheoretischen Perspektiven und Paradigmen, die mit den Grundmustern der Begründung musikalischer Bildung nach Kaiser durchaus vergleichbar sind.20 Es zeigt sich, dass Inhalte und Didaktiken sowohl in der theatralen als auch der musikalischen Bildung im Spannungsfeld von Kunstanspruch (Werkanspruch) des Theaters bzw. der Komposition und pädagogischer Intention oszillieren.21 Aktuelle theatrale Bildung zielt auf Theater als Kunst.22 Dabei verfolgt theatrale Bildung keine außerästhetischen Zwecke, sondern grenzt sich von materialen und formalen Bildungstendenzen ab, die ästhetische Erfahrungen für pädagogischgesellschaftliche Zwecke funktionalisieren.23 Zirfas, Liebau und Klepacki heben die Selbstzweckhaftigkeit ästhetischer Bildung im Zusammenhang theatraler Bildung hervor: »Es ist nichts lebenspraktisch zweckmäßiger als die spielerische ästhetische Bildung, als die Freiheit der zwecklosen Zweckmäßigkeit im Schultheater.«24 Der wachsende Einfluss des postdramatischen Theaters auf die theatrale Bildung, die Theaterpädagogik und das Darstellende Spiel25 fördert in ästhetischer und ethischer Hinsicht die Herausbildung einer dekonstruktiven Ausrichtung der Didaktik. So wirkt theatraler Unterricht dekonstruktiv hinsichtlich überkommener Wahrheiten sozialer und gesellschaftlicher Ordnungen. Aktuelle theatrale Bildung setzt auf Mehrdeutigkeit, Verschiebung und Gleichzeitigkeit von Sinnhorizonten.26 Dennoch bleibt das Darstellende Spiel wie auch die Theaterpädagogik übergreifenden ethischen Prämissen verpflichtet und betont die Notwendigkeit der

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Liebau/Klepacki/Zirfas (2009), S. 111. Vgl. Liebau/Klepacki/Zirfas (2009), S. 133.; vgl.Hentschel (2010), S. 123. Baacke schreibt dazu: »Die Funktion von Kunst ist Dysfunktionalität, das meint: Funktionen« kann man ihr nicht nachweisen. Sie weist sie allenfalls selbst zu, und das so pluralistisch, ja heterogen wie es keine pädagogische Theorie oder Praxis, die immer auf Vereinheitlichung drängen, sich je erlauben könnten. Pointiert: Die Pädagogik hat, wie oben angegeben, im Grund ein Ziel. Die Kunst hat Ziele, die sie selbst nur in seltenen Fällen absichtsvoll produziert, die sich vielmehr häufig erst aus ihren Wirkungen ergeben – während die Pädagogik Wirkungen aus ihren Zielen ableitet (und sie zu kontrollieren sucht)«. Baacke (1988), S. 269. In Hentschel (2010), S. 116. Vgl. Hentschel (2010), S. 123 und S. 132; vgl. Liebau/Klepacki/Zirfas (2009), S. 157f. Vgl. Hentschel (2010), S. 132. Liebau/Klepacki/Zirfas (2009), S. 157f. Vgl. Haase, Martina (2013): Postdramatisches Theater (p.Th.) http://meta.narr.de/97838233677 03/F11_postdramat_theater.pdf. [zuletzt aufgerufen am 09.09.2021]. Vgl. Haase (2013), S. 3f.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

Anerkennung des Anderen und der Stärkung des sozialen Bandes27 als Effekt einer dekonstruktiven Arbeit, die sich mit überkommenen Normen und Rollenbildern auseinandersetzt: »Auf diese Weise ist Voraussetzung und Ergebnis des theatralen Spiels eine Wirklichkeit, die als ›antistrukturell‹ beschrieben werden kann, als eine Aufhebung der normativen Sozialstruktur, des Systems sozialer Rollen und Statuspositionen«28 . Theaterspiel bewirkt die Auflösung von Hierarchien im Spiel und entleert die Position eines zentralen, spielauslösenden Subjekts. Aktuellen Methoden theatraler Bildung ist daher eine dekonstruktive didaktische Einstellung genuin inhärent. Theatrale Bildung intendiert die Brechung der Alltagslogik und überkommener Rollenbilder und -strukturen, die in Übungen und Spielen evoziert werden.29 Im (szenischen) Spiel entstehen paradoxale Verhältnisse zwischen Exploration von Sinn und der Einschränkung dieser Exploration durch die Spielregel, zwischen notwendiger Selbstzweckhaftigkeit des Spiels und dem Telos der Inszenierung, zwischen Sinn und Unvernunft des Spiels und nicht zuletzt in der Beziehung von Welt zur Spielwelt. Die Effekte der dekonstruktiven Tätigkeit erweisen sich in der theatralen Bildung in ästhetischer und ethischer Dimension. So erlaubt die produktive und kreative Abweisung überkommener Logik die Substitution der Kategorien Richtig/Falsch durch qualitative Differenzierungen als »anders«30 und stiftet ästhetischen Sinn. Zudem muss der Erhalt der ambivalenten Spielsituation von der Spielgemeinschaft wechselseitig verantwortet und getragen werden. Ausgewählte Methoden, Übungen und Spielideen aus den Bereichen der theatralen Bildung werden in den folgenden musikdidaktischen Konkretionen in der Inszenierung des Unterrichtseinstiegs, der Spielregeln und der auf die Spielenden bezogenen ethischen Perspektive wirksam.

27 28

29 30

Liebau/Klepacki/Zirfas (2009), S. 162–164. Vgl: Pinkert, Ute/Meyer, Tanja (2006): Transformatorische Praktiken in der Ästhetischen Bildung/ Theaterpädagogik. In: Korrespondenzen. Zeitschrift für Theaterpädagogik, Heft 48, S. 43. In: Wrentschur (2012), S. 5. Vgl. Liebau/Klepacki/Zirfas (2009), S. 135–143. Vgl. dazu Westphal (2005) in Bilstein/Winzen/Wulf (Hg.) (2005), S. 119., vgl. dazu Hentschel (2010), S. 66f. Hentschel verweist auf die Überlegungen zu »Ästhetischem Denken« nach Welsch; vgl. Welsch, Wolfgang (2003): Ästhetisches Denken. 6. erw. Aufl. Stuttgart: Reclam (Universal-Bibliothek, 8681), S. 38f.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

5.4 Inszenierung der Spielsphäre im Musikunterricht »Er [der Diskurs] muss die Form dessen haben, worüber er spricht.«31 Das Spiel ist nicht Teil des Musikunterrichts, sondern fungiert als Form und Funktion für die Inszenierung des Unterrichts selbst. Der Erhalt der ambivalenten Beziehung zwischen der Spielebene als Unterrichtsebene und Nicht-Spiel als Diskursaußen ist daher konstitutiv. Musikdidaktische Inszenierungen, die eine Spielwelt erzeugen, müssen den Erhalt der Ambivalenz intendieren.

5.4.1 Didaktischer Zugriff 1: Gestaltung der Spielsphäre Für die Gestaltung des Unterrichts als Spiel wird eine inhaltliche Sphäre bestimmt, innerhalb derer das Spiel als dekonstruktive Funktion wirkt. Die Inszenierung der Spielsphäre impliziert sowohl eine normative Positionierung zum Inhalt als auch die Reflexion des Beweggrundes der Auswahl – z.B. fachspezifische, musikalische, didaktische, pädagogische oder ethische Prämissen – als reflexive Positionierung. Die Diversität des Faches Musik hinsichtlich seiner Musikbegriffe, Vorstellungen von musikalischer Bildung, die sich in einer Vielfalt von Konzepten, Modellen und Ansätzen niederschlägt, bietet nicht nur Anlass, sondern erfordert eine begründete Selektion. Die individuellen oder institutionellen Gründe für die Auswahl von Inhalten bilden den jeweiligen normativen Meta-Diskurs, den das Spiel zur Disposition stellt. Es folgen drei Beispiele überkommener didaktischer Begründungszusammenhänge, welche in dekonstruktiver Perspektive kritisch abgewiesen – (de)legitimiert – werden können. Beispiel 1 – Allgemeinbildung nach Klafki: Die didaktische Analyse nach Klafki verweist auf fünf Möglichkeiten des legitimierenden Zugriffes32 : Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung, exemplarische Bedeutung, thematische Struktur und Zugänglichkeit. Diese Elemente der Analyse beziehen sich auf Klafkis Theorie Allgemeiner Bildung, die sich an die klassischen Metaerzählungen der Selbstbestimmung, bzw. der Emanzipation und der »Spekulativen Erzählung« der Bildung anschließt.33 Klafki propagiert die Rückbindung von Bildung an die Gesellschaft. Bildung solle »Bildung für alle sein« und sich deshalb im »Medium des Allgemeinen« vollziehen.34 Klafkis Erzählung von der Verfasstheit der Gesellschaft als Allgemeinheit bildet den Meta-Diskurs als Grund und Prinzip didaktischer Entscheidungen. Eine dekonstruktive Haltung setzte hier an und hinterfragte den Grund, die Bedeutung und den Sinn des All-

31

Derrida (1990/2010a) in: Engelmann (Hg.) (1990/2010), S. 128.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

gemeinen. In Konsequenz poststrukturalistischer Abweisung übergreifender Prinzipien muss auch ein Prinzip des Allgemeinen abgewiesen werden, denn bereits die gezielte Selektion eines Unterrichtsinhalts enthöbe den Inhalt aus der Sphäre des Allgemeinen. Ein Inhalt – als Text oder Zeichen – ereignete sich als »différance35 «. Ihm käme dadurch der Stellenwert des Singulären, Besonderen zu.

Beispiel 2 – Kunstwerkanspruch als Meta-Diskurs: Richters Auswahl von Inhalten für den Musikunterricht gründet in seiner Identifikation der Musiken als Kunstwerk und einem analytischen Zugang, der diese Bestimmungen bestätigt. Eine dekonstruktivdidaktische Haltung ermöglichte Spielzüge, die die analytische Bestätigung der Bestimmung als Kunstwerk dekonstruieren, d.h. andere Perspektiven einnehmen, andere Spurenlagen verfolgen, andere – neue Begriffshorizonte von Kunst und Bedeutungshorizonte der Musik entdecken lassen. Beispiel 3 – Destruktion überkommener Kunstwerkansprüche oder Musikbegriffe als MetaDiskurs: Rora integriert Gestaltungsspiele in den Unterricht, die sich »inselhaft« vom eigentlichen Unterricht abheben. Der Grund für die Auswahl des Unterrichtsinhalts liegt in der bewussten Ablösung des Gestaltungsspiels von Zweck- und Nutzvereinnahmungen oder auch überkommenen Musikbegriffen und Kunstwerkansprüchen. Eine dekonstruktive didaktische Perspektive schlösse diese Abweisungen als MetaDiskurs nicht dialektisch aus, sondern ermöglichte – analog zur Antwort auf Richters Affirmation des Kunstwerkbegriffs – andere Deutungsmöglichkeiten. Wie eingangs dargestellt wurde, verweist der aktuelle musikpädagogische Diskurs auf den Pluralismus didaktischer Entscheidungsmöglichkeiten. Die poststrukturalistische Theorie verstärkt diesen Eindruck der Offenheit, Inkommensurabilität und Unentscheidbarkeit. Eine dekonstruktive Didaktik widerspricht diesen Darstellungen nicht, sie erzeugt auch keine Auflösung der unentscheidbaren Situation, indem sie sich zum Zentrum didaktischer Entscheidungen stilisiert, sondern setzt genau an dieser Stelle an und schreibt die begonnene Substitutionsbewegung – das Spiel der Differenzen – fort. Während die Feststellung der Unmöglichkeit didaktischer Entscheidungen zur Unterbrechung des Spiels führt, setzt der performative Einsatz des Spiels das Spiel erst in Gang. Daher verweigert sich eine dekonstruktive Haltung dem Vorwurf der Beliebigkeit, weil die Notwendigkeit sowohl der didaktischen Entscheidung als auch deren 32 33 34 35

Jank/Meyer (2002), S. 236. Vgl. Klafki (2007), S. 53f.; vgl. dazu auch Koller (1999), S. 13. Vgl. Klafki (2007), S. 53. Vgl. dazu Kapitel 1.2.1.2: Das Konzept der »différance«.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Normativität anerkannt wird. Der dekonstruktive Zugriff auf Inhalte erfolgt durch bewusste Selektion (Meder) im Bewusstsein über die Unvollständigkeit der Information (Meder) und in der Bereitschaft zur Erfindung von Spielzügen (Meder, Lyotard). Unterrichtsvoraus-Setzungen sind ereignishafte Setzungen des Diskurses des Lehrens, nicht des Lernens. Die Frage lautet nicht, was eine Lehrkraft vorfindet, sondern welche Informationen sie voraus-setzt. Die Voraus-Setzungen müssen von den Lehrenden gegenüber den Lernenden verantwortet werden, da sie sich den Lernenden als Krise und Widerfahrnis36 ereignen.

5.4.1.1 Beispiele für den dekonstruktiven Zugriff auf Inhalte im Musikunterricht Die im Folgenden zusammengestellten Beispiele sollen das Bekenntnis zu pluralen Zugängen zu Musik und die grundlegenden Dimensionen »Musik erleben« und »Musik reflektieren« exemplarisch spiegeln. Anhand von konkreten Inhalten werden Kriterien veranschaulicht, durch die sich eine dekonstruktive didaktische Haltung artikuliert. Beispiel 1 – Klassische Sinfonie Die Lehrkraft wählt eine klassische Sinfonie – beispielsweise von Mozart – als Exempel für ein bedeutsames Werk der Musikgeschichte. Grund der Auswahl könnte der Wunsch oder die Überzeugung sein, dass dieses Werk einen berechtigten Platz unter jenen Werken einnimmt, die Heranwachsende kennenlernen sollten – also die Idee eines Bildungskanons. Ein dekonstruktiver Zugriff richtete sich nun beispielsweise auf die Idee des Bildungskanons, die Bedeutungsgeschichte jener Sinfonie, die spezifische Bedeutung der ausgewählten Musik, auf die Bedeutung klassischer Musik in Beziehung zu zeitgenössischer Musik, auf den Begriff »Klassik« oder weitere Beweggründe, die die Auswahl eben dieser Sinfonie begründen. Die Lehrkraft inszeniert Differenzen, die sich innerhalb der aufgeführten Bedeutungshorizonte zwischen dem musikalischen Exempel und der überkommenen Prämisse erweisen und bringt dadurch die Widersprüche performativ zur Geltung. Lernende erleben und entdecken beispielsweise die differentielle Kluft zwischen der Regelhaftigkeit der Sonatensatzform und Abweichungen davon im musikalischen [Kunst-]Werk als sinnstiftend. Sie erfahren die paradoxale Differenz zwischen Kunstwerkbegriff, Kunstwerkanspruch und Kunst als Moment der produktiven – bildenden – Erschütterung des Vorwissens, der Vorerfahrung und ihrer subjektiven Dispositionen.

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Vgl. Oberhaus (2016).

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

Beispiel 2 – Vorbereitung eines Arrangements oder Klassenmusizieren eines Popsongs: Die Lehrkraft wählt einen Song mit der Begründung, an den Musikgeschmack möglichst vieler Lernender anknüpfen zu können. Die dekonstruktive Haltung der Lehrkraft artikuliert sich darin, dass sie die Dekonstruktion der Idee des Mainstreams in Aussicht stellt. In diesem Setting können Differenzen zwischen den Geschmacksurteilen thematisiert und als treibendes Moment der Bedeutungskonstitution wirksam werden. Beispiel 3 – Musikgeschichte/Arnold Schönberg: Die Auswahl von Kompositionen Arnold Schönbergs lässt sich (u.a.) in dessen Exemplarizität für die Musik der Avantgarde bzw. der Neuen Musik begründen. Ein dekonstruktiver Zugriff bezieht sich beispielsweise auf den Begriff »Neue Musik« oder ermöglicht die Entdeckung des Traditionellen und Konservativen in Schönbergs Musik.

5.4.1.2 Beispiele für dekonstruktiv wirkende und Dekonstruktion ermöglichende Spielideen Musikunterricht als Spiel soll dekonstruktiv wirken und Dekonstruktion ermöglichen. Dekonstruktive Wirksamkeit kann auf ästhetische Negativität und Erfahrung zurückgeführt werden, demzufolge muss die Gestaltung des Musikunterrichts Differenzerleben, Präsenzerfahrung realisieren. Es gilt, ein Spiel zu erfinden, das Lernenden Musik widerfahren lässt. Eine dekonstruktive didaktische Perspektive erfordert eine paradoxale Entgegensetzung als Bedingung für die Möglichkeit – und gleichzeitig Unmöglichkeit – dieser Intention. Dabei sollten Möglichkeit und Unmöglichkeit in ambivalentem, jedoch nicht sich gegenseitig tilgendem Verhältnis stehen. Beispiel 1  – Planung eines Konzertbesuchs: Ein mögliches Setting könnte in der Einführung in den (Un-)Sinn der Konzertetikette bestehen. Das Konzert ließe sich mit einem Beobachtungswettkampf, bei dem Eindrücke zu bestimmten Aspekten gesammelt werden sollen, oder einem Rollenspiel, in dem die Lernenden in fremde Rollen wie Eltern, Mitlernende oder prominente Figuren schlüpfen, verbinden. Diese Fokusverschiebung dekonstruiert nicht nur die subjektiven Perspektiven der Lernenden, sondern damit möglicherweise auch eine vorgängige, »unliebsame« Aussicht auf den Genuss klassischer Musik.

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Beispiel 2  – Höraufgabe: Lernenden wird die Aufgabe gestellt, bestimmte Aspekte der Musik wahrzunehmen – im sinnlichen Widerstand gegen eine (moderate) akustische oder optische Störung im Raum. Die Störung als einschränkende Spielregel verschiebt vorgängige Hörgewohnheiten und auch das individuelle Wahrnehmungsspektrum. Dem Grund des Spiels – differenzierendes Hören – steht die einschränkende Wirkung der Störung entgegen. Die Störung bewirkt die Substitution des eigentlichen Grundes. Der Aufgabe kann nicht mehr durch richtiges oder falsches Hören entsprochen oder nicht entsprochen werden. Von Interesse sind nach der dekonstruktiven Verschiebung des Grundes die individuellen Weisen und Differenzen des Hörerlebens der Lernenden. Beispiel 3  – Musikalische Gestaltungsaufgabe: Lernenden wird die Aufgabe gestellt, einer semantischen Vorlage oder Formidee folgend ein Musikstück zu entwickeln. Als Bedingung der (Un-)Möglichkeit dieser kreativen Tätigkeit werden die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten reduziert. Die Aufgabe ist beispielsweise ohne Stimme/ohne Instrumente oder mit reduziertem Tonmaterial von 3 bis 5 Tönen zu bewerkstelligen. Diese Entgegensetzung befreit zur wirklichen – paralogischen – Kreativität, weil sich die Spielregel dem Grund des Spiels nicht unterwirft und daher individuelle Substitutionen des Grundes ermöglicht. Ebenso sollen musikalische und musikbezogene Tätigkeiten arrangiert werden, die die Lernenden in die Lage versetzen, selbst dekonstruktiv auf Inhalte zuzugreifen. Um Lernenden einen dekonstruktiven Zugriff zu ermöglichen, darf dieser nicht vorweggenommen werden. Präsenzerfahrung stiftet Differenzerfahrung. Widersprüche sollen erscheinen und sich zeigen – sie dürfen jedoch von den Lehrkräften nicht bereits identifiziert und benannt werden. Eine dekonstruktive Didaktik sorgt für die Präsenz der Inhalte und die Bereitstellung von Werkzeugen für dekonstruktive Tätigkeiten. Das Spiel der Differenzen bleibt dadurch frei von Identifizierungen. Lernende sollen sich im Unterrichtsgeschehen nicht als bereits bezeichneten Widersprüchen unterworfen erleben, sondern die Widersprüchlichkeit der Inhalte soll von den Lehrkräften in Ver-Antwortung präsentiert und von den Lernenden erfahren werden. Beispiel 4 – John Cage – »3.44« 37 : Eine Lehrkraft wählt dieses Stück, um den Musikbegriff bzw. Kunstwerkbegriff zu diskutieren. Lernenden würde die dekonstruktive Tätigkeit erschwert, wenn vor

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

der Rezeption eine Einführung angeboten würde, die darauf hinwiese, dass das besonders oder bemerkenswert sei, weil es bereits für Kritik gesorgt hätte. Ein mögliches Setting, das Dekonstruktion ermöglichte, wäre der Entwurf eines Rollenspiels,38 bei dem die Spielleitung als »Konzertmoderation« das Werk ankündigt.39 Die Ernsthaftigkeit der Spielsituation darf weder von Lernenden noch Lehrkräften in Zweifel gezogen werden. Das Werk kommt in dieser Inszenierung zur Aufführung und darf (ver)störend wirken. Eine in der Folge angeregte Podiumsdiskussion mit verteilten Rollen kann das musikalische Geschehen und den Vollzug der Spielsituation reflexiv beleuchten.

5.4.2 Didaktischer Zugriff 2: Eröffnung des Unterrichts als performativer Akt Eine dekonstruktive didaktische Inszenierung benennt das Spiel nicht, sondern beginnt es. Beispiel für die performative Eröffnung des Musikunterrichts als Spiel: Zunächst eine Gegendarstellung: Ein möglicher Einstieg in einen »traditionellen« Unterricht erfolgt über den »informierenden« Unterrichtseinstieg.40 Die Lehrkraft beginnt beispielsweise: »Wir wollen uns heute mit Notenwerten beschäftigen.« Sie gibt eine Einführung, stellt Material bereit, das den Lernenden einen Problemhorizont aufzeigt oder ihnen Anwendungen in Bezug auf das bereitgestellte Wissen abfordert. Nach der Durchführung bzw. Ableistung des Erarbeitungsprozesses werden die Ergebnisse verglichen, die richtigen Ergebnisse identifiziert und Fehler ausgeräumt. Eine performative Eröffnung eines Unterrichts als Spiel impliziert zum einen die Setzung der Spielregeln und zum anderen Hin-Gabe der Lehrkraft an das Spiel als Spiel. Der Moment der Eröffnung erzeugt eine verbindliche Gewissheit bezüglich der Als-ob-Situation des Spiels und bindet Lehrende und Lernende gleichermaßen an die Spielregeln. Zur Veranschaulichung dieses Kriteriums soll ein Beispiel in entsprechender inhaltlicher Sphäre geboten werden. Die Spielregel, die die Lehrperson setzt, sagt

37 38 39

Vgl. Dermann, Stefanie (2007): EinFach Musik Unterrichtsmodell. Neue Musik. Braunschweig: Schöningh/Westermann GmbH & Co. KG, S. 92–99. Vgl. ebd., S. 92–99. Dosierter Schalk und sublimes Augenzwinkern weisen die Spielsituation als solche aus und helfen, die Ambivalenz der Spielwirklichkeit zu etablieren.

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aus: Es darf nicht gesprochen werden.41 Diese Regel gilt auch für die Lehrkraft. Sie etabliert die Spielregel und die folgenden Aufgabenstellungen gestisch und nutzt kreative Möglichkeiten der Verständigung, die von der Spielregel nicht ausgenommen werden. Die Lehrkraft demonstriert zunächst pantomimisch, dass nicht gesprochen werden darf, und erstellt ein Tafelbild. Die entstehende besondere Atmosphäre, die sich eindeutig vom Alltagsgeschehen abhebt, wird – so die Intention und das Risiko – die Lernenden irritieren, aber zugleich herausfordern. Da die Regeln für alle gelten, finden sie sich gemeinsam mit der Lehrkraft auf der Ebene des Spiels wieder. Das Spiel bietet nun gleichzeitig Schutz- und Spannungsraum. Das Tafelbild zeigt paarweise angeordnete Viertel- und Achtelnoten. Die Lehrperson lässt mithilfe der Lernenden einen Grundschlag erklingen – vom Metronom, Audiogerät oder Smartphone. Dann klatscht oder klopft sie Viertelnoten zum Grundschlag, zeigt auf die entsprechende Abbildung im Tafelbild und lässt die Lernenden den Rhythmus imitieren. Nachdem diese Form der Imitation von den Lernenden nachvollzogen werden kann, wird die Imitation auf die Achtelnoten erweitert. Nun können mit Wechseln zwischen den Notenwerten und Abwechslung von Lernenden und Lehrkraft Kombinationen der Notenwerte gespielt werden. Zu vermuten ist, dass das freie, hierarchielose Miteinanderspielen schnell zu Unruhe führen wird. In Momenten, da das Spiel zu »wuchern« droht, entgegnet die Lehrkraft mit einem Ausschließungssystem, das die Spielregel neu bestätigt, indem sie gestisch unterbricht und beispielsweise ein Ruhezeichen etabliert. Das Spiel währt so lange, bis ein neues eröffnet oder das Regelsystem – für alle Spielenden transparent – modifiziert wird. So kann beispielsweise die Formulierung eines Gestaltungsauftrages eine neue Spielordnung zur Darstellung bringen. Auch abschließende Reflexionsphasen können die Form eines Spiels im Spiel des Unterrichts annehmen. Die Herausforderung der Eröffnung eines Musikunterrichts als Spiel besteht darin, dass für die Lernenden sowohl an der Ernsthaftigkeit und der Wirklichkeit der Alsob-Welt des Spiels zu keinem Zeitpunkt ein Zweifel bestehen darf. Als praktikable Möglichkeit für die performative Eröffnung einer Als-ob-Welt des Unterrichts können jene Operatoren gesehen werden, die bisher im Zusammenhang mit kompetenzorientiertem Unterricht Verwendung finden.42 Art und Weise der Verwendung sowie ihre Zeichenhaftigkeit helfen dabei, die Unterrichtssituation von der Alltagssituation zu unterscheiden und ästhetisch abzuheben.

40 41 42

Vgl. z.B.: Meyer, Hilbert (2011–14. Aufl.): Unterrichtsmethoden. Theorieband I.Berlin: Cornelsen Scriptor, S. 159. Die Spielregel ist dem Grund des Spiels: demKennenlernen von Notenwerten und dem produktiven Umgang mit diesen Notenwerten , nicht kausal unterworfen. Vgl. Kapitel 3.6: Kriterien für die Inszenierung von Unterricht als Spiel.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

5.5 Inszenierung des Regelsystems Im Musikunterricht als Spiel gelten die Spielregeln – die Grammatik des Spiels – für alle Spielenden. Die Spielregeln sind dem Grund des Spiels nicht kausal unterworfen.

5.5.1 Didaktischer Zugriff 1: Gestaltung des Regelsystems Beispiel 1 – Gestaltungsaufgabe Als Grund des Spiels reflektiert die Lehrkraft die Intention, den Lernenden den gestaltenden Umgang mit musikalischen Parametern zu ermöglichen. Die Spielregel sollte, um sich dem Grund nicht zu unterwerfen, nicht alle Möglichkeiten zur Disposition stellen und dadurch die Aufgabe durch Verabsolutierung von Freiheit nivellieren. Ebenso schlägt das Ansinnen fehl, eine bestimmte Semantisierung des Musikalischen für alle verständlich einlösen – oder vermeiden – zu können. Eine mögliche dekonstruktive Aufgabe könnte lauten: (a) Artikuliere Dich musikalisch zur Vorlage X! (b) Verwende ein Triangel, eine Pauke, ein Xylophon mit dem Tonumfang c´-g´! oder (b´) Verwende einen Tisch, Papier und eine PET-Flasche! Im Aufgabenteil (a) setzt der Operator Anforderung und Beschreibung der Tätigkeit, ohne ein Bedeutungsspektrum oder eine Interpretation vorwegzunehmen oder zu determinieren. Die musikalische Artikulation kann dementsprechend analog, im Kontrast oder assoziativ zur Vorlage verlaufen, was eine totalisierende Lösung in den Kategorien wahr/unwahr oder richtig/falsch abweist. Das Regelsystem reduziert Material und Möglichkeiten und provoziert aber genau dadurch Kreativität.

Beispiel 2 – Musikalischer Witz Die Lehrkraft beabsichtigt, den Lernenden Einblicke in musikalische Formprinzipien/Prinzipien der Harmonik, z.B. Kadenzwirkungen in klassischer Musik zu geben. Sie wählt Beispiele für musikalische Irritationen dieser Prinzipien, die witzig wirken, um durch die Differenzen zwischen Erwartung und Enttäuschung, Phänomen und Übertreibung, die musikalischen Prinzipien herauszustellen. Die Spielregel sollte nicht fordern: Analysiere/Erkläre den musikalischen Witz! Dies führte zur Entsprechung bzw. Unterwerfung der Spielregel hinsichtlich des

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Grundes des Spiels. Eine dekonstruktive Perspektive ließe sich beispielsweise so artikulieren: (a) Störe die musikalische Ordnung! (b) Störe die Erwartungshaltung potentieller Rezipienten! Der Aufgabeteil (a) setzt die Existenz einer Ordnung voraus. Lernende sind dann gehalten, zunächst zu bestimmen, was im Folgenden zu stören ist. Die notwendige Folge dieser Spielzüge löst die Prämisse der Entgegensetzung ein. Der Grund wird anerkannt und substituiert. Teil (b) ist ähnlich gelagert: zunächst müssen Erwartungshaltungen konstruiert werden, um sie dann musikalisch enttäuschen zu können. Beispiel 3 – Interpretation von Wort-Ton-Verhältnissen Die Gründe und Intentionen für die Interpretationen von Wort-Ton-Verhältnissen können vielfältig sein. Für dieses Beispiel sei als Grund der Auswahl des Inhalts die Einordnung des Artefakts in die Zeitgeschichte bestimmt. Spielregeln, die die Auseinandersetzung mit dem Material in diesem Sinne intendieren, sollten nicht fordern, die Deutung der Zeitgeschichte zu unterwerfen, sondern versuchen, überkommene Verknüpfungen zwischen Geschichte und aktuellem Verständnis aufzubrechen. Dazu beitragen könnten Aufgabenstellungen, wie: (a) Finde zu einem musikalischen Moment des Werks Fragen, die du dem Komponisten stellen würdest. (b) Finde Widersprüche zu… (c) Lies die Interpretation von XY zum Werk Z, finde eine Passage in der Musik/der Partitur, für die eine andere Interpretation gelten kann. Beispiel 4 – Flirt oder Streit? Die Lernenden werden paarweise aufgefordert, sich instrumental (non-verbal!) miteinander zu verständigen. Sie dürfen wählen, ob sie einen Streit zu entfachen oder einen Flirt anzubahnen beabsichtigen. Als Spielmaterial stehen ihnen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Als mögliche Gründe zum Spiel reflektiert die Lehrkraft beispielsweise die beabsichtigte Problematisierung der Semantik in der Musik bzw. die Verständlichkeit musikalischer Gesten. Die Spielregel fordert nicht die »Übersetzung« einer Semantik, sondern schafft Rahmenbedingungen für musikalische Interaktionen, die eine Bedeutungskonstitution über das Gegebene hinaus ermöglichen. Die Reduktion der Bedeutungsspektren – Flirt oder Streit – bietet den Anreiz, innerhalb der Spektren verschiedenen Spuren zu folgen. Die Spielregel kann

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

über Dauer und Instrumentenauswahl befinden, sie kann ein Spielziel festlegen. Beispielsweise können Mitspielende im Wettstreit erraten, welche Kommunikationsweise gewählt wurde und Mutmaßungen über den Ausgang anstellen. Dass die Regel dem Spielgrund nicht unterworfen ist, erweist sich, wenn das Spielziel – das richtige Erraten – sich nicht kongruent zum Spielgrund (Exploration musikalischen Sinns/Kontingenz der musikalischen Kommunikation und des Verlaufs der Gestaltung) verhält. Die Spielregel legt außerdem den Rahmen der Aufführung fest: Stille vor Beginn, Stille am Ende – um für die Hörenden hinsichtlich des Anfangs und des Endes des Spiels Transparenz zu bieten und um die Als-ob-Ebene des Spiels im Spiel – klar ambivalent – abzugrenzen. Die Spielregeln für einen (Musik-)Unterricht als Spiel gelten für alle – sind aber nicht für alle gleich. Lehren und Lernen vollzieht sich in unterschiedlichen Verantwortungshorizonten. Dies kann am Beispiel von Kriterien gezeigt werden, für deren Anerkennung sich Lehrende und Lernende auf verschiedene Weise in der Pflicht sehen müssen. Kriterien, die Bedeutungs- und Handlungsoptionen möglichst transparent reduzieren und auf diese Weise Spielräume für alle Spielenden – Lehrende und Lernende – erzeugen, müssen von den Lehrenden zunächst gesetzt werden. Auf Kriterien kann im Musikunterricht als Spiel nicht verzichtet werden – sie sind ethisch geboten! Die Exploration von Sinn im Unterricht verhält sich wie ein wuchernder Diskurs43 , der auf Ausschließungssysteme angewiesen ist, um als Diskurs Geltung zu erlangen. Kriterien, die Bedeutung reduzieren, müssen daher als konstitutive Entgegensetzung betrachtet werden, ohne die kein diskursives Geschehen möglich werden kann. Fehlende oder intransparente Kriterien führen paradoxerweise zur Hegemonie des Lehrens gegenüber dem Lernen, denn ein Wuchern des Diskurses überließe die Lernenden einer unbestimmbaren, unbegrenzten Fülle an Möglichkeiten, die sich in Beliebigkeit und inhaltlicher Leere verflüchtigt. Infolgedessen sperrt ein auf diese Weise übergriffiger Lehrdiskurs das konstitutive Moment des Widerstands der Geltungsansprüche Lernender aus. Die wuchernde Fülle des Lehrdiskurses verschlingt die Geltungsansprüche des Lernens, wenn Lernende nicht die Möglichkeit haben, sich zu den Kriterien verhalten bzw. ihre Kreativität an der Entgegensetzung zu entfalten. Die einschränkende Wirkung von Kriterien – besonders im Zusammenhang explorativen musikalischen Tuns – wirken der Gefahr der Willkür und der Beliebigkeit dekonstruktiver Aufgabenstellungen entgegen. Die Konkretheit einer Aufgabenstellung als Spielregel wirkt eben nicht negierend auf kreative Prozesse, sondern förderlich – wenn sich die Konkretheit auf die Formulierung der Kriterien bezieht, aber die diskursiven Prozesse der Exploration an sich inhaltlich unbestimmt und frei lässt.

43

Vgl. Foucault (1991), S. 33.

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Beispiel 5 – Übertrag einer graphischen Notation/oder Aleatorik in klingende Musik. Um die Art und Weise der Ausführung der musikalischen Idee entsprechend freizulassen, müssen im unterrichtlichen Setting Spielregeln als Kriterien geschaffen werden, die für alle Beteiligten gelten. Diese können konkrete Angaben zur Aufführung beinhalten: die Dauer der Ausführung, die Dauer der Beteiligung der Mitspielenden, Angaben zum Spektrum des Klangmaterials, des Tempos, der Dynamik o. ä.

5.5.2 Didaktischer Zugriff 2 – Setzung von Regeln als performativer Akt Die Eröffnung des Spiels fällt mit dem Einsatz der Spielregeln untrennbar zusammen. Spielregeln können explizit oder implizit kommuniziert werden, sollten sich jedoch auf die Spielwirklichkeit und nicht auf andere Wirklichkeiten, wie z.B. den Schulalltag beziehen. Beispiel 1 – Konzeption »Kunst der Stunde« nach Stöger/Niermann44 et al. Ein anschlussfähiges Beispiel für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel findet sich in der Konzeption »Die Kunst der Stunde« nach Niermann, Stöger et.al. (1997) Grundlage des Konzeptes bilden die sorgfältige Gestaltung und Vorbereitung von Spielräumen, die sogar sprachlich minutiös geplant, dem Spielverlauf keine Zufälligkeit oder Beliebigkeit zubilligen. Die kreative Freiheit, die sich diametral aus der Enge der Spielregeln ergibt, entfaltet sich nicht nur im Umgang mit dem bereitgestellten Material, sondern bewirkt eine tiefgreifende Änderung der subjektiven Dispositionen. Die explorative Kraft der Gestaltungräume bündelt sich in der gemeinsamen Reflexion des im Spiel Erlebten. Die Spielregeln werden vor dem Betreten des Spielraums explizit angekündigt und im Spielraum implizit inszeniert. Es entsteht Transparenz und Bewusstsein hinsichtlich der Grenzen des Spiels. Die Inszenierung der Grenzen – die Einführung in das Spiel, die Entlassung – gehört zum Spiel. Die Inszenierung selbst wird jedoch im Spiel nicht bezeichnet oder reflektiert.

44

Vgl. Niermann, Franz/Stöger, Christine (Hg.) (1997): Aktionsräume – Künstlerische Tätigkeiten in der Begegnung mit Musik. Modelle-Methoden-Materialien aus »Die Kunst der Stunde«. Wien: Universal Edition.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

Beispiel 2 – Einführungsstunde Gregorianik Die Lehrkraft erzeugt durch Gestik, Verhalten und Requisiten die Imagination eines großen Kirchenraumes. Die Lernenden stehen im Kreis. Die Spielregel fordert nun, die Atemlängen und Tonhöhen mit Handzeichen zu koordinieren. Die Lernenden sollen durch ihre Gestik, den melismatischen Gesang der Mitspielenden anleiten. Sie sollen der Ruhe des Einatemstromes – des eigenen und denen der anderen – Achtsamkeit schenken. Durch den personellen Wechsel der Anleitung schwingt die Achtsamkeit zwischen dem Selbst und der Gruppe hin und her. Die Spielregel sollte durch Vorbildwirkung implizit etabliert werden, damit sie sich auf das Spiel selbst bezieht und keine Nebenschauplätze eröffnet. Jede Bitte um Ruhe oder Achtsamkeit, jeder Hinweis auf die Position Spielender im Raum, das Ersuchen, doch die Jacke abzulegen, zerstörte das Spiel. Die Imagination kann nur als Wirklichkeit aufrechterhalten werden, wenn alles, was zu regeln ist, innerhalb der Imagination geregelt wird.

Beispiel 3 – Einführungsstunde Barock Die Lernenden werden gebeten, bis zum Unterrichtsbeginn vor der Tür zu warten. Die Lehrkraft bereitet den Raum den Raum vor, räumt alle Tische und Stühle beiseite, verhängt das technische Equipment und projiziert auf eine möglichst große Leinwand das Bild eines barocken Ballsaals. Die Lehrkraft bittet die Lernenden herein. Im Moment des Eintretens der Lernenden erklingt eine französische Ouvertüre. Die Lernenden tauchen in eine eröffnete Spielwelt ein. Das Verhalten der Lehrkraft – in der Rolle eines Ballettmeisters – erhält diese Imagination aufrecht. Die Einladung zu diesem Rollenspiel impliziert die Spielregel, auf diese Eröffnung »adäquat« zu reagieren.

Die Aufrechterhaltung der Spielwelt und der konstitutiven paradoxalen Verhältnisse ist an die Risikobereitschaft – zunächst – der Lehrenden geknüpft. Deren HinGabe an das Spiel entscheidet über die Qualität des Unterrichtsereignisses und das Potential, Antwort der Lernenden zu evozieren. Hin-Gabe bedeutet Risiko. Die Hingabe, die der didaktischen Entscheidung innewohnt, erfordert die Einschreibung der eigenen Subjektivität in das Spiel – jedoch nicht als Aufopferung und Selbstaufgabe der Lehrenden gegenüber den Lernenden, welche die Paradoxalität der Gabe auflösen und sie damit nichten würde. Die pädagogische Hin-Gabe performiert die Bereitschaft, den eigenen Standpunkt zu verlassen: in jeder Aufgabenstellung, jeder Ansprache, in jedem Spielzug und der sich darin ereignenden Entgegensetzung der Gabe als Präsenz.

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Hin-Gabe wirkt als Ereignis. »An der Gabe lässt sich die Singularität und die Brüchigkeit des Ereignisses, die sich jeder Voraussage, Bestimmung oder Berechnung entzieht, ablesen; in ihr ist aber auch die Aufforderung mitgegeben, es zu wagen, die Gabe zu geben: »Es gibt kein ereignishafteres Ereignis als eine Gabe […] sie ist das Unmögliche selbst.«45 Ein solcher Spielzug bietet Lehrenden keine Sicherheit, sondern nur gesicherte Unsicherheit bezüglich der Empfangnahme. »Die von einem ›Stoß‹ der Gabe evozierte Öffnung ist keine einfache oder abgeschlossene, die in die Präsenz überführt werden könnte, sondern sie verbleibt stets in der Scheidung zwischen Gelingen und Scheitern, Fiktion und Kontingenz, Möglichkeit und Unmöglichkeit. Diese Un-Möglichkeit, das drohende Misslingen und das eventuelle Gelingen, bleibt stets im ›Kommen‹, sodass aber im Hier und Jetzt dezidiert die Aufforderung mitgegeben ist, dieses unbestimmt Unmögliche zu wagen, diesem einen Ort einzuräumen, ohne Rückgriff auf eine (transzendentale) Sicherheit oder (metaphysische) Vorbestimmtheit.«46 Hin-Gabe bedeutet Verantwortung. Die Setzung von Spielregeln als Gabe verzichtet auf die Erwartungshaltung, Empfangende in die Pflicht nehmen zu können. Lehrende sprechen für das Spiel Einladungen aus – es darf kein Zwang bestehen, es zu spielen. Darin besteht die Verantwortung der Lehrenden für das Spiel: sich zu geben, etwas zu geben und damit Antwort zu geben – aber keine Antwort erwarten zu dürfen. Lernende können für das Spiel nur Verantwortung übernehmen, wenn sie nicht erwartet oder gar gefordert wird. Um die Paradoxie der Gabe einzulösen, muss den Lernenden Entscheidungs- und Handlungsfreiheit – als paradoxale Entgegensetzung zur Notwendigkeit ihrer Verantwortlichkeit – gewährt werden. Für den Akt der Hin-Gabe an das Spiel schlägt Derrida den Begriff der Souveränität vor: »die Souveränität […] das Spiel zu spielen – und dabei zu riskieren, es zu verlieren, den Sinn zu verfehlen.«47 Im Anschluss an Zirfas kann nun gefragt werden, ob das Verfehlen des Sinns, das Scheitern von Bildung nicht auch als Gewinn gesehen werden kann.

45 46 47

Zeilinger/Flatscher (Hg.) (2004), S. 53. Ebd., S. 53. Vgl. Münker/Roesler (2012), S. 120.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

»Lässt sich Bildung nicht auch als Spur denken, in der die ›différance‹ als Differenz und Differenzierungsprozess von Perspektivitäten nicht nur als Polygonie, sondern ebenso als Dissemination scheitern kann?«48 Das Verfehlen des Sinns der Gabe eröffnet neue Pfade der Spurensuche. Das Scheitern des Bildungsanliegens kann für bildende Prozesse auch als konstitutiv erachtet werden49 .

5.6 Spielende und ihre Handlungen im Unterricht Gestaltung und Performativität der (Inter-)Aktionen Spielender Lehrende sind im Musikunterricht als Spiel Gäste und Gastgebende zugleich.50 Als Gastgebende eröffnen sie das Spiel, setzen Spielregeln – formulieren Kriterien und Aufgabenstellungen. Als Gäste unterstellen sie sich dem Spiel und den Spielregeln und der Notwendigkeit, die Kriterien zu verantworten. Die Ambivalenz der Positionierung Lehrender als Gäste und Gastgebende zugleich bildet zur Aussage, dass das Zentrum sich gleichzeitig innerhalb und außerhalb der Struktur befinde, eine ethische Entsprechung, die sich vor allem in Reflexionsphasen verwirklichen kann. In diesen Phasen äußern sich Lehrkräfte und Lernende auf Augenhöhe zum eben vollzogenen Spiel im Rahmen eines weiteren Spiels, dessen Regeln es ermöglichen, die Erträge der dekonstruktiven Tätigkeit zu beleuchten und Schlüsse zu ziehen, die sich der Spielidee, dem Spielgrund widersetzen und Fragen aufwerfen. Die Hervorbringung neuer Fragehorizonte kann als der Gewinn des Spiels bildender Diskurse erachtet werden. Fragen dienen als Voraus-Setzung für die Gestaltung von Folgestunden. In den Fragehorizonten der Lernenden sind Lehrende stets zu Gast und verantworten die »Einladung« zum nächsten Spiel. In Spielhandlungen – Spielzügen – vollziehen sich dekonstruktive Zugriffe auf unterrichtliche Voraus-Setzungen. Für Lehrende gilt es, Lernende in die Lage zu

48 49

50

Zirfas (2001) in: Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 100. Vgl. Adorno in Hastedt (2012), S. 198., S. 202., S. 211., vgl. dazu auch Schläbitz (2016), S. 374f. Schläbitz verweist auf die dialektische Verkehrung der Absicht, durch Bildung Orientierung zu ermöglichen. »Orientierung mit prominentem Blick auf das eigene kulturelle Erbe oder einer exklusiv verfochtenen Musik betreibt eher Des-Orientierung, Orientierung und Horizonterweiterung dagegen bietet der raumgreifende Blick: die Auseinandersetzung mit der Vielfalt von Erscheinungen, der Zuwendung dem Fremden gegenüber, das nah heranrückt und sich nicht allein in fremden Kulturen, sondern schon in nicht der Norm entsprechenden musikalischen Ausformungen sich ausdrückt. Vom Fremden sich irritieren zu lassen heißt immer auch, vom Fremden zu lernen.« Vgl. Zirfas (2001) in: Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 92f.

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versetzen, sich aus ihren vorgängigen Dispositionen zu lösen und dabei selbst offen für eigene Entortungen zu sein. Impulse Lehrender, die das Übergreifen des (Schul-)Alltäglichen nur bestätigen, z.B. durch Aufforderungen wie: »Konzentriert Euch bitte, seid still!« oder Reaktionen, die diese Bestätigungen durch eine Feststellung, wie z.B.: »weil Ihr so müde erscheint/seid, dürft Ihr jetzt 10 Minuten malen oder euch still beschäftigen«, dialektisch verkehren, wirken nicht dekonstruktiv-explorativ hinsichtlich des Grundes des (Schul-)Alltäglichen, sondern identifizieren ihn. Lehrende können eine dekonstruktive didaktische Haltung artikulieren, indem sie Regeln für Handlungsoptionen setzen, die der ursächlichen Struktur »Schule« und ihren vermeintlichen Prämissen weder diametral entgegenstehen noch ihnen unterworfen sind. Im Darstellenden Spiel und der Theaterpädagogik werden insbesondere zu Stundenbeginn performative Spielhandlungen (Warm-ups) initiiert, die unabhängig von Stundenthema oder Stundenziel auf die Dispositionen der Lernenden dekonstruktiv wirken und dekonstruktive Tätigkeit im Unterrichtsverlauf begünstigen.51 Auch im Musikunterricht lassen sich dekonstruktive (Warm-up-)Spiele einsetzen. Spiele, die die Musik einbeziehen, können selbst musikalisch sein und musikalischen Sinn stiften. Dekonstruktive Musikspiele erzeugen ästhetischen Sinn und bieten Anlass zu ästhetischem Denken.52 Beispiel 1 – Gehen im Raum (zu Musik): Die Spielenden werden aufgefordert, sich im Raum gehend zu bewegen. Dieser sehr elementaren, weiten Aufgabenstellung werden stark eingrenzende Instruktionen entgegengesetzt, die Gehtempo, Körperhaltung, Körperspannung und Optionen der Interaktion determinieren. Der vermeintlich enge Spielraum verhilft den Lernenden zur Fokussierung und Differenzerfahrungen in Bezug auf Felder der Wahrnehmung, die im Alltäglichen gewöhnlich keine Beachtung finden. In diesen Feldern vollziehen sich die individuellen Spiele der Differenz, während die Spielregeln, die alle Agierenden miteinander verbinden, für produktive Störungen sorgen und immer wieder den Grund des Spiels – die Ermöglichung individueller Geh-Erfahrungen im Raum – perturbieren.

51

52

Die Fülle vorhandener Spielsammlungen kann an dieser Stelle nicht repräsentiert werden. Exemplarisch seien erwähnt: z.B. Mangold, Christiane (Hg.) (2014) Bausteine Darstellendes Spiel. Ein Arbeitsbuch für die Sekundarstufe 1. Braunschweig: Westermann, Schroedel, Diesterweg, Schöningh, Winklers Gmbh, vgl. auch Aufwärmspiele: https://improwiki.com/de/aufw aermspiele. [zuletzt aufgerufen am 09.09.2021]. Vgl. Welsch (2003), S. 46–53.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

Beispiel 2: Gehen im Raum – »falsche« Umsetzung von Signalen: Es ertönen Signale durch die Spielleitung, wie z.B. »Stopp« oder »Freeze«, die immer wieder den Erfahrungsprozess unterbrechen und die Erneuerung des individuellen Bewusstseins für Reaktion und Körperlichkeit erfordern. Spielerweiternd können weitere Signale gesetzt werden, wie z.B. »Spring«, »Klatsch«, »Stopp«, »Go« – die dann vertauscht werden. Die Lernenden sind gehalten, bei »Stopp« zu gehen und bei »Klatsch« zu springen. Spiele, bei denen gewohnte Muster bewusst gestört werden, befreien zur Kreativität – wenn die Spielregel einen Schutzraum erzeugt und die Lernenden nicht durch zu große Komplexität überfordert sind. Der Sinn des Spiels liegt nicht in der Bewältigung des Komplexen, sondern erwächst in der Befreiung zur Kreativität in den Spielräumen, die durch Spielregeln entstehen, unabhängig, wie simpel oder eng sie gestaltet sind. Beispiel 3 – Bewegung/Szene zu Musik: Die Spielregel stellt verschiedene Stichworte bereit, die in der Gestaltung vorkommen müssen und die naheliegende oder tradierte Interpretationen bzw. Transpositionen erschweren. Es erfolgen Instruktionen zu Kombinationen und Interaktionen Spielender, die das Intuitive oder Naheliegende produktiv »stören«. Beispielsweise können den Spielende Zahlen zugeordnet und eine Reihenfolge für die Aktionen festgelegt werden. Möglich ist auch die Festlegung einer Chronologie der zu verwendenden Spielmittel (Töne, Gegenstände, Instrumente). Die Enge der Instruktion sollte der Weite der Aufgabenstellung paradoxal entgegengesetzt werden.53

Beispiel 4 – Spiel mit Sprachmelodie und Sprechausdruck: Im Spiel »Liebling, ich hab’ neue Schuhe«54 werden verschiedene Aussagesätze mit zunächst entsprechenden Emotionen – Freude, Wut, Trauer, Mitleid usw. – verknüpft. Diese Entsprechung wird im Laufe des Spiels aufgebrochen und die Sätze mit anderen – »falschen« – Emotionen verbunden. Dadurch dekonstruieren die Spielenden die vorgängigen Sinnhorizonte der Aussagesätze. Ein wesentliches Element 53

Vgl. Materialien des Darstellenden Spiels und aus dem Bereich des Improtheaters bieten eine Fülle an Spielvorschlägen, die Körper und Raum in »ver-rückte« Beziehung setzen und gewohnte Erfahrungen dekonstruieren. Vgl. dazu Vlcek, Radim (2013 – 8. Aufl.): Workshop Improvisationstheater. Übungs-und Spielesammlung für Theaterarbeit, Ausdrucksfindung und Gruppendynamik. Donauwörth: Auer Verlag.

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ist die Gestaltung – Überzeichnung – der Sprachmelodie und des Sprechausdrucks als musikalisches nonverbales Moment der Bedeutungskonstitution. Spielleitende nehmen an diesen Spielhandlungen teil und gleichzeitig nicht teil. Sie befinden sich zugleich innerhalb und außerhalb des Zentrums, d.h., sie treten in das Spiel ein und distanzieren sich jederzeit reflexiv von der Spielhandlung – je nachdem, für welchen Aspekt des Spiels sie ihrer Verantwortung gerecht werden müssen: für den Energiefluss, für eine zeitweise Dekonstruktion des eigenen Status, für eine temporäre Übernahme einer Kontrollfunktion – oder auch Aussetzen dieser Funktion, für eine inhaltliche Affizierung oder Begleitung. Diese Aufgabenspektren der Spielleitung können situativ widersprüchlich sein.

5.7 Auf den Kopf Konsequenzen einer dekonstruktiven Didaktik für die Unterrichtsstruktur Dekonstruktiver Musikunterricht geht von Voraus-Setzungen aus, die einerseits dekonstruktiv auf die beteiligten Individuen wirken und andererseits Dekonstruktion ermöglichen. Dies lässt es ausblickend notwendig erscheinen, die Chronologie der Unterrichtsphasen neu zu fassen. Die Struktur »traditionellen« (Musik-)Unterrichts basiert auf der Abfolge der elementaren Phasen: Einstieg, Erarbeitung, Ergebnissicherung.55 Die didaktischen und methodischen Schritte innerhalb dieser Phasen können variieren – je nach gewählter Unterrichtsform.56 Die Einstiegsphase herkömmlichen Unterrichts dient der Anknüpfung an die Lernvoraussetzungen Lernender, der Motivation und der Weckung ihres Problembewusstseins.57 Eine dekonstruktive didaktische Perspektive hingegen erkennt an, dass eine Anknüpfung an die Verstehenshorizonte und Dispositionen Lernender nicht möglich ist, sondern die Eröffnung des Unterrichts als »Widerfahrnis« und ästhetisches Ereignis erlebt wird, welches die Lernenden im positiven Fall produktiv stört. Dies verändert Anspruch und Erwartungshaltung Lernender und Lehrender in ethischer und ästhetischer Hinsicht.

54 55 56 57

Quelle/Mündliche Überlieferung: Albert, Sven (Referent): Funktion und Klang von Musik im Darstellenden Spiel/Aufbaukurs IQSH »Bausteine des Darstellenden Spiels«, Februar 2018. Vgl. Meyer, Hilbert (2011–14.Aufl.): Unterrichtsmethoden. Theorieband I. Berlin: Cornelsen Scriptor, S. 129. Vgl. Meyer, Hilbert (1980 – 11. Aufl.): Leitfaden zur Unterrichtsvorbereitung. Berlin: Cornelsen Scriptor, S. 337. Meyer (2011), S. 190.

5. Unterrichtspraktische Beispiele für die Inszenierung von Musikunterricht als Spiel

Unterrichtsplanung und somit auch die Planung von Erarbeitungsphasen implizieren – so Meyer – die Kontingenz des unterrichtlichen Geschehens.58 Aus dieser Perspektive wird die Unplanbarkeit jedoch resignativ geduldet.59 Um dennoch die Handlungsfähigkeit der Lehrenden zu gewährleisten, dient die Didaktik der »Reduzierung der Komplexität des Unterrichtsprozesses«.60 Daraus folgt, dass auf Basis eines solchen Verständnisses von Inszenierung Lernende lediglich zum Nachvollzug oder zur Erfüllung von Aufgaben angehalten werden können, die die Intention von Kreativität, Subversion und Sinnstiftung jedoch verfehlen. Eine dekonstruktive Haltung ermöglicht jedoch die Exploration von Sinn, die Produktion von Differenz, die Subversion bzw. die Überschreitung dessen, was ist, und bejaht die Kontingenz der unterrichtlichen Inszenierung und erkennt ihre konstitutive Funktion für den Unterricht als Spiel an. Dekonstruktive Erarbeitungsphasen führen zur Diversifizierung und Heterogenisierung von Sinnbezügen. In der Schlussphase eines Unterrichts, der dem tradierten Schema folgt, werden Ergebnisse gebündelt, veranschaulicht und verallgemeinert, die als identifizierbares Wissen und kontrollierbare Antworten allen Lernenden zur Verfügung stehen sollen. Ein dekonstruktiver Unterricht setzt den Unterrichtsgehalt in ein Prisma der Mehrperspektivität und Mehrdeutigkeit und erzeugt dadurch erst ein Problembewusstsein und Fragestellungen bei Lernenden und Lehrenden. Daher stellt eine dekonstruktive didaktische Haltung traditionelle Stufen- und Phasenschemata auf den Kopf.61 Das ästhetische Moment, die Setzung als Ereignis und Gabe erfolgt in einem dekonstruktiven Unterricht in dessen Eröffnung als Spiel und stellt vorgängige Antworten zur Disposition. Der Ertrag dekonstruktiver Tätigkeiten und Prozesse im Vollzug des Unterrichts zeigt sich in der Ermöglichung von Sinnstiftung im Plural, der Exploration des SinnAnderen und Vernunft-Anderen und der Produktion von (ästhetischer) Präsenz. Diese Vollzüge kommen an kein Ende – auch wenn das Spiel endet. Sie führen in die Anerkennung der subjektiven und objektiven Unbestimmbarkeiten und erzeugen wie-

58 59 60 61

Ebd., S. 191. Ebd., S. 191. Ebd., S. 192. Meyer verweist auf die ambivalente Funktion und Wirksamkeit von Unterricht hin. So führt die schematische Struktur zur »gewaltsamen Stilisierung des methodischen Ganges« und zur »rabiaten Vereinfachung der tatsächlich gegebenen Vielschichtigkeit der Unterrichtsprozesse«. Unterricht – so Meyer – sei wie auch die Motivation der Lernenden letztlich nicht programmierbar. Dennoch leiste die Stufen-und Phasengliederung eine »Komplexitätsreduktion« und ermögliche so die Handlungsfähigkeit Lehrender. Meyer konstatiert, dass Lehrende unterrichtliches Handeln gleichzeitig »zielstrebig und offen« gestaltet sein müsse. Vgl. Meyer (2011), S. 190–193.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

derum jene (dekonstruktive) Fragehaltung, die als paralogischer und zeitgemäßer62 Gewinn von Bildung gesehen wird.

62

Vgl. Meder (2004), S. 66.

6. Fazit Bildungstheoretische Impulse für die Musikdidaktik in poststrukturalistischer Perspektive

Die vorliegende Arbeit versucht, eine Antwort auf die Frage nach Möglichkeiten und Legitimation didaktischer Entscheidungen in poststrukturalistischer Perspektive zu geben. Die vorliegende Untersuchung setzt voraus, dass Musikunterricht als Teil institutionalisierter allgemeiner Bildung stattfinden und zur musikalischen Bildung beitragen soll. Was jedoch unterrichtet werden kann bzw. sollte und wie diese inhaltlichen Entscheidungen angesichts der Anerkennung der Heterogenität und Pluralität kultureller, gesellschaftlicher und auch [musik]pädagogischer Diskurse begründet werden können, bildet die musikdidaktische Kernfrage der vorliegenden Arbeit. Die Theorien des Poststrukturalismus bieten Perspektiven, die der heterogenen Verfasstheit der Gesellschaft und Kultur zur Darstellung verhilft. Dennoch scheint eine poststrukturalistische Bildungstheorie didaktische Anschlussmöglichkeiten auszuschließen, da sich Normativität und Intentionalität didaktischer Entscheidungen nicht nur der klassischen Bildungsidee hinsichtlich der Selbstzweckhaftigkeit entgegensetzen, sondern in grundsätzlichem Widerspruch zum poststrukturalistischen Denken stehen, das sich um die Abweisung von bedeutungszentrierenden Meta-Diskursen bemüht. Poststrukturalistisch beeinflusste Bildungstheorien konstatieren die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit subjektiver und objektiver Positionen. Daraus folgt die Unmöglichkeit der Legitimation didaktischer Entscheidungen, die für die Auseinandersetzung des Individuums mit der Welt, mit anderen und mit sich selbst gelten sollen. Die Forschungsfrage zielt auf die Form und Funktion einer dekonstruktiven Musikdidaktik, die dem Paradoxon der Didaktik als Paradox der Metaphysikkritik gerecht wird. Mit dem Spiel kann ein Konstrukt eingeführt werden, das dem poststrukturalistischen Denken bereits angehört und diejenigen dekonstruktiven Prozesse veranschaulicht, welche zur Abweisung von Totalität führen und zur Exploration von Sinn führen. Kapitel 1 stellt die Genese und die grundlegenden Positionen des Poststrukturalismus dar. Dies geschieht anhand der Ansätze der Autoren Derrida, Lyotard und Foucault, deren unterschiedliche Entfaltungen der Idee der Abweisung von Totalität sich

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

in den poststrukturalistisch beeinflussten Bildungstheorien nachweislich niederschlägt. Ein wesentliches Element poststrukturalistischen Denkens, das sich in allen genannten Theorien findet, ist das Moment der (paradoxalen) Entgegensetzung, das für Subjektbildung sowie Sinnstiftung und -zuschreibung konstitutiv wirkt. Die genannten Autoren verbindet nicht nur das Motiv der kritischen Abweisung überkommener Meta-Diskurse oder die daraus resultierende Dezentralisierung von Subjekten und Objekten, sondern auch die terminologische Verbindung von Diskurs und Spiel. Das Spiel fungiert als Movens, durch welches die Idee des Poststrukturalismus eingelöst und Totalitäten bzw. Meta-Diskurse abgewiesen werden können. Derrida führt mit der Dekonstruktion ein Verfahren ein, um das Spiel der Differenz zu eröffnen. Das Spiel dient in diesem Verfahren der intentionalen Kritik an Begriffen der Metaphysik – mithilfe der Begriffe der Metaphysik. Analog zur Dekonstruktion ist das Spiel paradoxal strukturiert und fungiert als Metakonstrukt für dekonstruktive Prozesse und Tätigkeiten. Die Dekonstruktion bzw. die dekonstruktive Tätigkeit wirkt einerseits in ästhetischer und andererseits in ethischer Dimension. So führt sie zur Produktion von Differenzen, ästhetischer Negativität und damit zur Exploration von Sinn und Sinn-Anderem. Andererseits sorgt sie dadurch für die Unabschließbarkeit der Prozesse des Verstehens und der Bedeutungskonstitution und fordert die Anerkennung des Anderen als Anderen. Der Explikation der Grundzüge poststrukturalistischen Denkens folgt die Untersuchung des Niederschlags dieser Denkfiguren in den Bildungstheorien. Die für diese Arbeit ausgewählten Ansätze der Bildungstheorie verweisen auf die poststrukturalistischen Motive der Abweisung von Totalität und rekurrieren auf Subjekt- und Diskursbegriffe der Denkmodelle nach Derrida, Lyotard und Foucault. Sie kommen notwendigerweise zu dem Schluss, dass bildende Prozesse, die Dispositionen von Lernenden und Lehrenden und auch die Objekte der bildenden Auseinandersetzung unbestimmt und unbestimmbar bleiben – sogar bleiben müssen. So kann nach Koller von Bildung gesprochen werden, wenn ihr Vollzug die Offenhaltung des Widerstreites einlöst und die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit der Situation aufrechterhält. Thompson erklärt Bildung zum leeren Signifikanten, dessen Bedeutung durch die Abgrenzung von dem, was er nicht ist, zugleich erzeugt und ausgelöscht wird. Bildung erfüllt sich, wenn sie sich nicht erfüllt. Meder thematisiert mit der Setzung eines Bildungsideals das Paradox der Metaphysikkritik nach Derrida. Er beginnt das Spiel der Differenzen, indem er den kritischen Bezug zur Präsenz der Normativität erst ermöglicht. Anders als Koller und Thompson bleibt Meder nicht in der Feststellung der notwendigen Unbestimmtheit stecken, denn jede Feststellung führt zur Unterbrechung des Prozesses der Sinnstiftung bzw. der dekonstruktiven Tätigkeit. Meder bietet in diesem Zusammenhang wertvolle Anschlussmöglichkeiten. Er formuliert ein normatives Bildungsideal und stellt es zur Disposition. Auch musikpädagogische Ansätze, die sich auf poststrukturalistische Denkmodelle beziehen, verbleiben auf der Ebene der Metaphysikkritik und führen in die

6. Fazit

Unbestimmbarkeit, d.h. zur didaktischen Unentscheidbarkeit. Neben der Kritik am neuhumanistischen Bildungsgedanken und dessen übergreifendem – übergriffigem – Menschenbild wird auf die Relationalität und Unbestimmbarkeit von musikalischen Artefakten als Kunst und Bildungsinhalt hingewiesen. Musikalische Bildung, die auf ein »konstruktives Befremden« setzt, bezieht die Ereignishaftigkeit des Musikalisch-Ästhetischen ein und fordert die Konfrontation mit dem musikalisch Anderen. Eine Musikdidaktik, die dieses Andere didaktisch zu inszenieren sucht, unterläuft jedoch dieses Anliegen. Die Inszenierung kann der didaktischen Normativitätsfalle nicht entkommen, auch nicht, wenn sie die inkommensurablen Bedeutungshorizonte von Musiken und Menschen intentional einzubeziehen versucht. Mit der Erzeugung gleichzeitig geltender, auf einen musikalischen Inhalt bezogener verschiedener Perspektiven durch inszenierte Dekontextualisierung werden lediglich Identifikationen vervielfacht. Die bisherigen Ansätze setzen die poststrukturalistische Idee der Abweisung von Totalität nicht um, da sie das der Dekonstruktion inhärente Paradox der Metaphysik nicht berücksichtigen. Der Hegemonie der Didaktik ist auch im Gewand anerkannter Mehrperspektivität oder Diversität nicht zu entkommen, da sie das »Spiel der Differenzen« unterbricht. So stellt Blanchard fest: »Die musikpädagogische Diskussion zum Umgang mit kultureller Diversität befindet sich in einer Sackgasse.«1 Eine dekonstruktive didaktische Haltung artikuliert sich nicht in der Feststellung, etwas sei vielfältig, inkommensurabel oder nicht bestimmbar. Eine solche Didaktik verliefe sich in Beliebigkeit und Willkür und würde ihrer Verantwortung gegenüber Lernenden nicht gerecht. Eine (Musik-)Didaktik in poststrukturalistischer Perspektive fragt nach einem Metakonstrukt für ihre Anliegen und Intentionen, mit welchem das Spiel der Differenzen beginnen und aufrechterhalten werden kann. Ein solcher dekonstruktiver didaktischer Meta-Diskurs muss selbst paradoxal strukturiert sein und als Movens der Dekonstruktion fungieren. Kapitel 2 erörtert und bestimmt das Spiel als ein solches paradoxales Metakonstrukt. Das Spiel kann als »primäre Lebenskategorie« des Menschen aufgefasst werden. Seine Bedeutung als ästhetische Form und Funktion reicht in alle Lebensäußerungen, Lebensformen und Lebensweisen hinein. Es kann daher keine Definition dessen geben, was Spiel ist – sondern nur eine Untersuchung dessen, was Spiel in seiner jeweiligen inhaltlichen Sphäre bedeutet. Der Spielbegriff wird von poststrukturalistischen Autoren als Analogie zum Diskurs und zu diskursiver Tätigkeit gebraucht. Dabei artikulieren sie kein explizit poststrukturalistisches Verständnis vom Spiel, sondern rekurrieren auf implizites Spielwissen, das ihren Analogiebildungen zugrunde liegt. Die Verbindung von Diskurs und Spiel sowie Dekonstruktion und Spiel bietet die Möglichkeit, einen dekonstruktiven didaktischen Zugriff

1

Blanchard (2019), S. 325.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

zu gestalten. Das Spiel impliziert die dafür notwendigen paradoxalen Entgegensetzungen, wie z.B. Sinn und Präsenz, Bedeutung und Dekonstruktion, Subjekt und Verlust der subjektiven Verortung, mit denen sich dekonstruktive Tätigkeiten einerseits beschreiben lassen und die andererseits selbst dekonstruktiv wirken. Im Spiel verbinden sich Spielsphäre, Regelsystem und die Handlungsebene der Spielenden zu einer ästhetischen Form. Das Spiel hat – im Unterschied zum Diskurs – einen Anfang und beruft sich auf ein Regelsystem, dem sich alle Spielenden freiwillig unterwerfen. Es wirkt in der inhaltlichen Sphäre des Spiels funktional und sorgt für den Erhalt der paradoxen Spielsituation. Um bildende Prozesse initiieren und diese auslösenden Ereignisse legitimieren zu können, sollen bildende Diskurse – [Musik]Unterricht – in der ästhetischen Form des Spiels inszeniert – d.h. gestaltet und zur Aufführung gebracht werden. Kapitel 3 widmet sich der Synthese von Diskurs und Spiel. Die Darstellung bildender Diskurse bzw. [Musik]Unterricht erfolgt in den Dimensionen des Spiels: der Spielsphäre, des Regelsystems und der Ebene der Spielhandlungen bzw. der Spielenden und der Spielleitung. Es werden Merkmale und Kriterien herausgestellt, die sich aus der Explikation bildender Diskurse als Spiel ergeben. Die Inszenierung von Unterricht als Spiel erfolgt zunächst als didaktische Gestaltung bzw. Unterrichtsentwurf, der sich anschließend im performativen Akt als kontingente Unterrichtswirklichkeit konkretisiert. Die Erfindung eines Spiels verbindet die inhaltliche Sphäre mit einem Regelwerk und stellt Spielhandlungen in Aussicht. Die Als-ob-Welt des Spiels wir in einem performativen Akt eröffnet. Es gilt, das Spiel zu beginnen – nicht, es zu benennen. Das Kernkriterium eines Musikunterrichts als Spiel ist es daher, einen Anfang zu machen, der Präsenz produziert: als klingende Musik, als Aufgabenstellung oder auch als Schweigen. Die Eröffnung des Unterrichts ereignet sich Lernenden als ereignishafte Setzung, als Widerfahrnis. Die Eröffnung des Spiels fällt mit der (Re-)Aktualisierung von Spielregeln zusammen, die implizit oder explizit kommuniziert werden und für alle Spielenden verfügbar und transparent sein müssen. An der ästhetischen Erhebung des Spiels über das Alltägliche hinaus bzw. als Subversion des Eigentlichen darf kein Zweifel bestehen. Lehrende besetzen für das Spiel eine ambivalente Position, die sie gleichermaßen innerhalb und außerhalb der Regelstruktur des Spiels verortet. Lehrende reflektieren, dass das Spiel und damit die bildenden Prozesse unverfügbar bleiben. Es bedarf des Mutes der Lehrkräfte, sich selbst zur Disposition zu stellen, den Mut zum Risiko, dass auch Scheitern ein möglicher Spielverlauf sein kann und den Mut, die Ungewissheit des Spiels anzuerkennen und die Verantwortung für die Lernenden radikal zu tragen.2 Die Gleichzeitigkeit und Ambivalenz von Positionierung 2

Vgl. Zirfas (2001) in: Wulf/Göhlich/Zirfas (Hg.) (2001), S. 100. Der Anteil an Verantwortung Lernender für die Unterrichtssituation ist unbestritten. Die Erörterung dieser Verantwortlichkeit kann hier nur als Anknüpfungspunkt benannt, jedoch nicht ausgeführt werden.

6. Fazit

und Reflexion als Dislokation des Rollensubjekts wird als »reflexive Positionierung« bezeichnet. Eine solche Haltung stilisiert Lehrkräfte gleichermaßen als Gäste und Gastgeber des Unterrichts und geht von der Wechselseitigkeit von Prozessen der Subjektivierung im Lehr-Lern-Gefüge aus.3 Lehrende zeichnen sich verantwortlich für den Erhalt der Paradoxalität des Spiels, bzw. der paradoxalen Verhältnisse im Spiel, indem sie die Dekonstruktion von übergreifenden Sinnsystemen, ökonomischen Prämissen, Gesetzen der Logik und der Vernunft sowie der eigenen Intentionen und Gründe im Unterricht als Spiel in Aussicht stellen. Das Interesse am subversiven und utopischen Potential4 des Spiels artikuliert sich im musikpädagogischen Diskurs bereits in verschiedenen Konzepten und Modellen. Diese lösen jedoch eine poststrukturalistische musikdidaktische Perspektive nicht ein. Um einerseits die Kriterien und Merkmale einer dekonstruktiven didaktischen Haltung zu schärfen und um andererseits die didaktische Implementation des Spiels in den Musikunterricht inhaltlich diskutieren zu können, werden musikpädagogische Spielkonzeptionen in poststrukturalistischer Perspektive analysiert. Für diese Arbeit werden im Kapitel 4 drei musikdidaktische Konzepte ausgewählt, um die Verbindung von Musikunterricht und Spiel zu beleuchten. Das Spiel wird in diesen Konzepten sehr unterschiedlich in den Unterricht einbezogen. So versteht Richter das Spiel als Sinnbild und Analogie zum musikalischen Kunstwerk. Rora hingegen verweigert dem »musikalischen Gestaltungsspiel« Kunstwerkansprüche. Meyer-Denkmann extrahiert Spielprinzipien, um überkommene Kunstwerkbegriffe zu kritisieren. Das Verfahren der Dekonstruktion, das sich gegen eine Begründung des Spiels richtet, die außerhalb des Spiels an sich liegt, kann in den Modellen nicht eingelöst werden. So behindern handlungsleitende Prämissen, die selbst nicht zur Disposition stehen, die dekonstruktive Wirkung bzw. dekonstruktive Tätigkeiten, da sie die Paradoxalität des Spiels in verschiedener Hinsicht auflösen und so das Spiel unterbrechen. Diese Auflösungserscheinungen zeigen sich in der Trennung von Spiel und Spielwelt, der Nivellierung der Ambivalenz zwischen Welt und Spielwelt oder in der Unterwerfung der Spielregel unter den Grund des Spiels. Anschließend wurde der Versuch unternommen, aus diesen Kritikpunkten Anknüpfungsmöglichkeiten zu gewinnen, die die doppelte Geste der Dekonstruktion einlösen und die Eröffnung des Musikunterrichts als Spiel legitimieren. Unter Einbeziehung methodischer Impulse der Theatralen Bildung werden im Kapitel 5 die Merkmale und Kriterien der Inszenierung bildender Diskurse als Spiel an konkreten musikdidaktischen Beispielen veranschaulicht.

3 4

Hier kann auf einen möglichen Anschluss an Campos verwiesen werden, der die Frage nach der Subjektposition Musiklehrender in Aussicht stellt. Vgl. Campos (2019), S. 236. Vgl. Neuenfeld (2005), S. 15, S. 178.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

6.1 Methodische Reflexion Das Spannungsfeld zwischen hermeneutischem und dekonstruktivem Zugriff auf die ausgewählten Texte erzeugt verschiedene Dilemmata, die sich in dieser Untersuchung bezüglich der strukturellen Hierarchien, der Systematik der Begründungszusammenhänge und einer Tendenz zur Ahistorizität zeigen. Diese Tendenzen finden ihre Begründung in der gewählten poststrukturalistischen Perspektive. Sie lösen sich daher vom traditionellen methodischen Zugriff auf Texte. Dies schwächt teilweise die Stringenz der Systematik und birgt Widersprüche in Bezug auf die Plausibilität der Textauswahl. Diskutabel bleibt die Trennschärfe zwischen hermeneutischem und diskursanalytischem Zugriff. Die Auswahl der Texte zum poststrukturalistischen Denken und bildungstheoretischem Niederschlag geschah exemplarisch und intendierte die prismatische Entfaltung poststrukturalistischer Denkmodelle und Terminologien. In poststrukturalistischer Perspektive kann es jedoch ein Exempel nicht geben. Das Zeichen – das Exempel – stellt sich für etwas Abwesendes zur Verfügung. Es kann jedoch nicht mit diesem Abwesenden identifiziert werden, denn es verfehlt dessen vollen Sinn. Das Abwesende sei beispielsweise jener Meta-Diskurs der ›poststrukturalistischen Idee‹. Das Zeichen ereignet sich im Diskurs über die poststrukturalistische Idee und fügt sich als supplementarité zu diesem Diskurs hinzu.5 Dies löst eine ästhetische und differentielle Erschütterung im Diskurs aus und provoziert – potentiell – die Dekonstruktion seiner vorgängigen Bedeutungszusammenhänge und Relationen. Der Ursprung – das Signifikat – des Exempels ist daher uneinholbar. Es kann keine Identität des Zeichens für die ›poststrukturalistische Idee‹ mit dem vollen Sinn der ›poststrukturalistischen Idee‹ geben. Mit dem Zweifel an Plausibilität und Funktionalität des Exempels als Exempel ist die Uneinlösbarkeit einer vollständigen Darstellung ebenso verknüpft, wie die Möglichkeit der Begründung einer Unvollständigkeit. Dies zeigt sich vor allem in den Zirkelschlüssen der Textauswahl zu poststrukturalistischen Bildungstheorien und der Darstellung der musikpädagogischen Implikationen des Spiels. Ausgewählte Texte verweisen auf ausgewählte Implikationen poststrukturalistischen Denkens bzw. impliziten Spielwissens – und umgekehrt. Ein weiterer Ansatzpunkt der kritischen Reflexion der Methodik ergibt sich aus den terminologischen Transformationen philosophischer Diskurse in pädagogische und didaktische oder auch poststrukturalistische in posthermeneutische. Es ergeben sich Irritationen, die in poststrukturalistischer Lesart als produktiv und konsequent angesehen werden können. Folgt man dem Verständnis zeichen- und differenztheoretischer Argumentation, erzeugt jedes Zeichen differente Spuren, entzieht sich jedem Zeichen der Grund einer Monokausalität. Daher kann in poststrukturalistischer Perspektive keine Hierarchie oder Chronologie der Begriffe, kei5

Vgl. Kapitel 1.2.1.1: »supplementarité« und Sinnüberschuss.

6. Fazit

ne identifizierte Diskursgrenze Gültigkeit behaupten. Um die Verschiebungen und terminologischen Brüche zu thematisieren, könnten begriffliche Entfaltungen und Anwendungen mithilfe des Konstruktes des »Dispositivs«6 reflexiv geklärt werden. Die methodischen Entscheidungen sind in Abhängigkeit von der Fragestellung und der Intention getroffen worden, sowohl bildungstheoretische Impulse als auch eine didaktische Transformation zu generieren. Die Problematik der Exempelbildung bleibt im Kontext dieser Untersuchung noch offen. Die genuin poststrukturalistische Problematik einer Begründung von Textauswahl und Transformationen von Terminologien legt eine zumindest ergänzende diskursanalytische Betrachtung nahe.

6.2 Ausblick Die Inszenierung (musikalisch) bildender Diskurse als Spiel verweist auf einen dekonstruktiven Umgang mit didaktischer Normativität und der Problematik inhaltlicher Entscheidungen im Kontext von Heterogenität und kultureller Diversifizierung. Die im Kontext dieses Ansatzes entfalteten Aspekte lassen potentielle Anknüpfungspunkte und offene Fragestellungen hinsichtlich der bildenden Auseinandersetzung mit (musikalischen) Inhalten, mit Anderen und der Herausbildung des subjektiven Selbst im Musikunterricht als Spiel aufscheinen. Mit der Anerkennung der Produktivität paradoxaler Verhältnisse von LehrLern-Diskursen als Spiel ließe sich beispielsweise nach den Erwartungen an musikalische oder ästhetische Bildung fragen, welche für die Formulierung von Zielperspektiven von Musikunterricht diskutiert werden könnten.7 Dies hätte zur Folge, dass Ambivalenzen, wie z.B. im Verhältnis zwischen artikulierten Bildungszielen und der notwendigen Selbstbezüglichkeit von Bildung, die nun nicht mehr aufgelöst, sondern erhalten blieben, die Standardisierung von musikalischer Bildung und damit die mehr oder weniger sublime Substituierung von Bildung durch Kompetenzorientierung mithilfe dekonstruktiven und produktiven Zweifelns aufgestört würden. Eine dekonstruktive Perspektive auf die Intentionalität von Bildung erfordert die Fähigkeit und Bereitschaft zur Meta-Reflexion und verändert möglicherweise auch die Sicht auf die Anforderungen an Musikvermittelnde. Poststrukturalistische Implikationen im musikpädagogischen Diskurs bieten Anknüpfungspunkte hinsichtlich der Prozesse der Subjektbildung und der Auseinandersetzung der Lernenden miteinander. Im Musikunterricht als Spiel erschaffen Spielende eine real erscheinende Als-ob-Welt. Noch offen bleibt die Untersuchung 6 7

Vgl. Ruoff (2013), S. 109; vgl. auch Kammler/Parr/Schneider (Hg.) (2014), S. 237–242. Vgl. zur Paradoxie der Bildung: Wimmer (2014,2016), Ahrens (2017) in: Vock/Wartmann (2017).

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

der Wechselseitigkeit der Subjektivierung und das Verhältnis der Lernenden und Lehrenden in Hinsicht auf unterschiedliche Rollenfunktionen als Spielleitende, Mitspielende – aber auch Falschspielende oder Spielverderbende. Dies wirft neben den Fragen nach den Machtkonstellationen im Raum des Pädagogischen und Ästhetischen auch ethische Fragen, z.B. nach Form und Funktion von Einladungen zum Spiel oder der notwendigen Freiheit, Einladungen zum Spiel auch ausschlagen zu dürfen, auf. Die performative Geste, mit der ein Diskurs als Spiel eröffnet wird, bewirkt die Konstitution der Unterrichtswirklichkeit und des sozialen Kontextes – und zugleich deren Erschütterung. Die Ereignishaftigkeit der performativen Geste erzeugt nach Krause-Benz die inhaltliche Sphäre des Unterrichts – als Musik und musikbezogenes Tun.8 Sie trägt daher ästhetisches und subversives Potential von (musikalischer) Bildung in sich. Im Kontext der Performativität eines Musikunterrichtes als Spiel und der damit evozierten Auflösung von Subjekt-Objekt-Hierarchien wäre zu untersuchen, wie die Wechselwirkung von dekonstruktiver Wirkung und dekonstruktivem Tun beschrieben und inszeniert werden kann. Dies zöge die Frage nach dem Verhältnis von dekonstruktiver Tätigkeit und Kreativität im Musikunterricht nach sich. Die wechselseitige Hervorbringung von Lehrenden und Lernenden im Musikunterricht als Spiel und deren dekonstruktives Tun und Wirken, bewirkt fortschreitende Dezentralisierungen: musikalischer Objekte, der Subjektpositionen sowie der Objekt-Subjekt-Konstellationen. Interessant für die Musikpädagogik wäre infolgedessen die Untersuchung der Spurenlagen zentraler Terminologien des aktuellen musikpädagogischen Diskurses, z.B. »Aneignung«9 , »Interkulturalität«10 oder auch Unterrichtsprinzipien, wie z.B. »Schülerorientierung«11  – auch die Prämissen der Inklusion und der Differenzierung gerieten im Anschluss an eine dekonstruktive Didaktik in eine reflexive Sphäre produktiven, (de)legitimierenden Zweifels.12 Als notwendig kann sich die Revision didaktischer Fundierung – der »Didaktischen Analyse« erweisen. Im Anschluss an die Darstellung einer dekonstruktiven didaktischen Haltung, die die Paradoxie bildungstheoretischer Intentionen als konstitutiv anerkennt, muss die Entwicklung eines dekonstruktiven didaktischen Analysewerkzeugs für die Inszenierung – bzw. Darstellung – des didaktischen Zugriffs

8 9 10 11 12

Krause (2009) in: Vogt et al. (2009), S. 93. Vgl. Dreßler (Hg.) (2016), S. 21, vgl. Elflein, Dieter/Weber, Bernhard (Hg.) (2017): Aneignungsformen populärer Musik. Klänge, Netzwerke, Geschichte(n) und wildes Lernen. Bielefeld: transcript. Vgl. Lehmann-Wermser, Andreas/Niessen, Anne (2012): Aspekte Interkultureller Musikpädagogik. Augsburg: Wißner. Vgl. Jank/Meyer (2002), S. 50, 126, 158f, 310. Vgl. Fachanforderungen Musik. Schleswig-Holstein.

6. Fazit

für Musikvermittelnde folgen. Eine didaktische Analyse, die sich auf die Identifizierung von Gegenwartsbedeutung, Zukunftsbedeutung oder auch Exemplarizität stützt,13 kann in poststrukturalistischer Perspektive nicht mehr begründet, sondern nur de-legitimiert werden. Der Formulierung eines dekonstruktiven musikdidaktischen Ansatzes muss zudem die Ausarbeitung dekonstruktiver Methoden folgen, mit denen Spielräume verwirklicht, Spielzeit gerahmt und verbindliche Spielregeln in Aussicht gestellt werden können. An diese Überlegung anschließend, ließe sich die Motivation und Volition Lernender (und Lehrender!) problematisieren, sich dekonstruktiv zu betätigen oder sich ent-orten zu lassen.

6.3 Johns Frage Das Verhältnis von Bildung und Didaktik ist widersprüchlich, was auf ein grundsätzliches Dilemma hinweist. Bildung erfüllt sich nicht, wenn sich die Bildungsintention erfüllt. In dieser Hinsicht bedeutet Didaktik immer eine normative Reduktion der (Un-)Möglichkeit von Bildung. Die poststrukturalistische Perspektive verschärft die Problematik der Normativität, denn es ist ihre genuine Intention, sich von Meta-Diskursen der Bildung zu verabschieden. Die Abweisung dieser überkommenen didaktischen Legitimationen stellen inhaltliche Entscheidungen jedoch der Beliebigkeit und Willkür anheim. Mit der Einführung des Spiels als paradoxales Metakonstrukt sowie als mögliche Form und Funktion für bildende Diskurse wurde ein Vorschlag unterbreitet, wie dieser Problematik in poststrukturalistischer Perspektive begegnet werden kann. Die Inszenierung eines Musikunterrichts als Spiel eröffnet die Möglichkeit der (De-)Legitimierung inhaltlicher Entscheidungen als Bedingung und Effekt des Unterrichts. Die dekonstruktiv-didaktische Inszenierung von Musikunterricht als Spiel impliziert eine ästhetische und eine ethische Dimension.

6.3.1 Ästhetische Dimension einer dekonstruktiven Musikdidaktik Die vorliegende Arbeit versucht, Anschluss an die Feststellungen derjenigen bildungstheoretischen Ansätze zu erzeugen, welche die Unbestimmbarkeit und Unbestimmtheit der Inhalte von (Musik-)Unterricht konstatieren. Schlussfolgernd wird festgestellt, dass es nicht »unvermeidlich«, sondern aus ästhetischer und ethischer Sicht sogar notwendig ist, normative Entscheidungen für die Inszenierung von Unterricht zu treffen. Die Formulierung von Idealen, Positionierungen zu

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Jank/Meyer (2002), S. 205.

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Susanne Naumann: Diskurs als Spiel

Werthaltungen und Begriffsbildungen sind – auch angesichts der Unabschließbarkeit ihrer inhaltlichen Determination und gerade deswegen – legitim und können als produktive Entgegensetzung und Voraus-Setzung dekonstruktiver Tätigkeit erachtet werden. Somit können die hier gesetzten Impulse für eine dekonstruktive (Musik-)Didaktik als Fortschreibung solcher bildungstheoretischen Ansätze gesehen werden, die sich um die Kritik an metaphysischen Verstrickungen bemühen. Eine dekonstruktive didaktische Haltung knüpft an die Tradition der Metaphysikkritik und der Ideologiekritik an und ermöglicht die Dekonstruktion der Begriffe der Metaphysik, indem sie diese zur Disposition stellt. Sie provoziert eine bewusste Ambivalenz zwischen Normativität und Reflexion der notwendigen, aber in jedem Fall »ungerechten« didaktischen Entscheidung. Dies kann auf der ästhetisch erhabenen14 Als-obEbene des Spiels gelingen, die sich als wirkliche Spielwelt paradoxal zur eigentlichen Wirklichkeit verhält.

6.3.2 Ethische Dimension einer dekonstruktiven Musikdidaktik Bedingung und Effekt des Spiels ist die Transparenz bezüglich der Ungerechtigkeit didaktischer Entscheidungen, der Unbestimmbarkeit seiner Elemente und der Kontingenz des Spielverlaufs, die mit der freiwilligen Unterwerfung Lehrender und Lernender unter die Spielregeln bewirkt werden kann. Ebenfalls als Bedingung und Effekt eines solchen Unterrichts kann die Anerkennung des Anderen als Anderen und damit auch der unterschiedlichen Volumina der Verantwortung Lehrender und Lernender für das Spiel gelten. Es obliegt den Lehrenden, die Eröffnung des Spiels als Gabe zu verstehen: »Die Gabe wäre etwas, das nicht dem Vernunftprinzip gehorchen würde: Sie ist ohne Vernunft, sie muß ohne Vernunft sein und sie hat ohne Vernunft zu sein, ohne warum und ohne Grund.«15 »Wozu brauchen wir das?«, fragt John. Die Frage des Schülers geht mich an, sie verschiebt meine Perspektive, entzieht mir den Ort, den ich mir durch meine didaktische Entscheidung geschaffen habe. Ich eröffne meinen Unterricht als Spiel, das eine (De-)Legitimierung meiner didaktischen Entscheidungen zulässt. Meine Inszenierung stellt verschiedene Möglichkeiten der Beantwortung in Aussicht. Sie präsentiert sich als das, was sie ist – ein endliches Spiel, Auswahl, Einblick und Reduktion. Sie erhebt keinen Anspruch auf Voll-

14 15

Vgl. Kogler (2014), S. 203. Derrida (1993), S. 200.

6. Fazit

ständigkeit oder Erhabenheit eines Wissenssystems. Damit dekonstruiere ich den Grund der Schülerfrage: Es kann keine eindeutige Antwort geben, sondern nur unendlich viele mögliche Antworten – und Gründe. Wenn John meiner Einladung folgt und sich auf das Spiel einlässt, beantwortet er bereits seine Frage selbst oder stellt seine Frage neu. Da John und ich unsere Positionen verlassen haben, werden resultierende Fragen und Antworten nicht dieselben sein, denn wir beide sind nicht mehr dieselben. Was gewesen ist und was ist, was sich zeigt und was gesagt wird, verändert Positionen, Spurenlagen und Verortungen. Alle folgenden Inszenierungen werden sicher geglaubte Antworten zur Disposition stellen, um Johns Frage offenzuhalten. Sein Fragen ist Effekt und Bedingung meiner dekonstruktiven didaktischen Haltung. Mein Unterricht – meine Antwort – positioniert sich inhaltlich und setzt meine didaktische Entscheidung, den intendierten Gehalt meines Unterrichts zugleich aufs Spiel. Die Klarheit meiner inhaltlichen Positionierung setzt sich Johns Widerstand entgegen – so wie dieser Widerstand meine Position schärft, indem ich sie hinterfragen lasse. Das Bekenntnis zur Inhaltlichkeit eines dekonstruktiven Musikunterrichts als Quelle ästhetischer Präsenz kann als Einladung verstanden werden, sich diesem Bekenntnis wiederum zu widersetzen. Einladung und Bekenntnis sind Gaben. Sie bergen in sich sowohl das Risiko des Scheiterns als auch den Imperativ, Verantwortung für den Anderen zu übernehmen. Und sie stiften die Aussicht auf den unschätzbaren Gewinn und das beunruhigende Glück, auch letzte Fragen offenhalten zu können – jenseits von Verstehen, Wissen oder Vernunft.

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Literaturverzeichnis

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WISSEN. GEMEINSAM. PUBLIZIEREN. transcript pflegt ein mehrsprachiges transdisziplinäres Programm mit Schwerpunkt in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Aktuelle Beträge zu Forschungsdebatten werden durch einen Fokus auf Gegenwartsdiagnosen und Zukunftsthemen sowie durch innovative Bildungsmedien ergänzt. Wir ermöglichen eine Veröffentlichung in diesem Programm in modernen digitalen und offenen Publikationsformaten, die passgenau auf die individuellen Bedürfnisse unserer Publikationspartner*innen zugeschnitten werden können.

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