Dienstleistungsqualität aus Kundensicht: Eine empirische und theoretische Untersuchung über den Nutzen von Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000 ff. für Verbraucher [1 ed.] 9783428495252, 9783428095254

Da die Qualität von Dienstleistungen selten bereits vor ihrer Erbringung beurteilt werden kann, fällt es Nachfragern hie

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Dienstleistungsqualität aus Kundensicht: Eine empirische und theoretische Untersuchung über den Nutzen von Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000 ff. für Verbraucher [1 ed.]
 9783428495252, 9783428095254

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Beiträge zur

Verhaltensforschung

Die von Günter Schmölders 1959 begründete Buchreihe „Beiträge zur Verhaltensforschung" hatte es sich zum Ziel gesetzt, die vorherrschende, weitgehend deduktiv operierende und den lebensweltlichen Prozessen entrückte Volkswirtschaftslehre mit erfahrungswissenschaftlicher Evidenz über das reale Verhalten der Menschen im Wirtschaftsprozeß zu konfrontieren. Inzwischen, eine Generation später, hat sich die Nationalökonomie vielen in den anderen Sozial- und Verhaltenswissenschaften heimischen Konzepten und Betrachtungsweisen gegenüber geöffnet. Die lebhafte Diskussion um die Logik des kollektiven Handelns, der rationalen Erwartungen und der Wahl zwischen privaten und kollektiven Gütern, die Konzeptionen der spieltheoretischen, der institutionenökonomischen und der produktionstheoretischen Analyse mikroökonomischer Prozesse lassen den Abbau von Berührungsängsten zwischen der Ökonomie und den benachbarten Wissenschaften erkennen. Die „splendid isolation" der Ökonomie ist von außen her durch Methodenkritik, von innen durch Reflexion aufgebrochen worden. Nach wie vor aber bedürfen politikrelevante Konzepte der ökonomischen Theorie wie Angebotsorientierung, Flexibilisierung, Konsumentensouveränität dringend der empirischen Fundierung, Differenzierung und Erprobung, damit sie nicht als pseudopräzise positive Weltbilder - mit der Autorität der Wissenschaft versehen - für Interessenpositionen herhalten müssen. Die ökonomische Verhaltensforschung muß daher die der Wirtschaftswissenschaft immanenten Welt- und Wertvorstellungen, ihre Logik und Struktur ebenso wie ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, kritisch untersuchen. Dazu wird sie weiterhin, ganz im Sinne ihres Gründers, mit erfahrungswissenschaftlichen Methoden wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Prozesse analysieren und bestrebt sein, mit diesen Analysen auch ein außerakademisches Fachpublikum zu erreichen. Wie bisher wird also das Profil der Reihe durch Arbeiten charakterisiert sein, die von dieser methodologischen Orientierung geleitet sind. Die Arbeiten werden darüber hinaus manche inhaltlichen Fragen aufnehmen, die bislang von der ökonomischen Verhaltensforschung weniger beachtet wurden. Die ersten Beiträge der neuen Folge befassen sich mit gesellschaftlichen Problemen und Politikfeldern in den sensiblen Bereichen Umweltschutz, Beschäftigung, Technologiegestaltung, Verbraucherpolitik und Produktentwicklung; sie orientieren sich an dem Triangel Produzenten - Konsumenten - Staat. Wie geht die Konsumgüterindustrie mit einer neuen Schicht unzufriedener und selbstbewußter Kunden um? Wie wirken sich gängige Leitbilder der Wissenschaft in der Praxis wirtschaftspolitischer Beratung aus? Wie werden staatliche Aufrufe und Anreize zur Beschäftigung jugendlicher Arbeitsloser in Unternehmen wahrgenommen und strategisch und organisatorisch umgesetzt? Wirken sich Deklarationen unternehmerischer Verantwortung in realen Strategien des Umwelt- und Ressourcenschutzes aus? Hat der vielbeschworene Wertewandel, die Individualisierung und Pluralisierung der Lebensverhältnisse Konsequenzen für Lebenspläne, Arbeits- und Konsumstile? Es ist das Ziel der Herausgeber, in dieser Reihe Arbeiten zusammenzufassen, die in zugleich theoriegeleiteter und theoriekritischer, politikbezogener und anwendungsorientierter Weise die Fruchtbarkeit verhaltenswissenschaftlicher Ansätze für die Ökonomie vor Augen führen.

HENDRIK HAAS

Dienstleistungsqualität aus Kundensicht

eiträge zur Verhaltensforschu Herausgegeben von Prof. Dr. Meinolf Dierkes, Berlin Prof. Dr. Gerhard Scherhorn, Hohenheim Prof. Dr. Burkhard Strümpelt, Berlin

Heft 36

Dienstleistungsqualität aus Kundensicht Eine empirische und theoretische Untersuchung über den Nutzen von Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000 ff. für Verbraucher

Von

Hendrik Haas

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Ausbildung, Fort- und Weiterbildung der Landesgirokasse Stuttgart

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Haas, Hendrik: Dienstleistungsqualität aus Kundensicht : eine empirische und theoretische Untersuchung über den Nutzen von Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000 ff. für Verbraucher / von Hendrik Haas. - Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Beiträge zur Verhaltensforschung ; H. 36) Zugl.: Hohenheim, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-428-09525-1

D 100 Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0522-7194 ISBN 3-428-09525-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Geleitwort Die Informationsasymmetrie der Konsumgütermärkte tritt bei Dienstleistungen besonders klar zutage: Die Verbraucher können die Qualität der Dienstleistung vor dem Kauf nur schwer einschätzen, sie behelfen sich mit ungeeigneten Hilfs-Indikatoren. Geeignet wären vergleichende Dienstleistungstests, die aber werden - wenn überhaupt - nur stichprobenhaft durchgeführt; sie würden sonst zu teuer. Abhilfe versprechen Gütezeichen und Zertifikate. Wieweit das Versprechen heute bereits eingelöst wird, untersucht der Autor am Beispiel der Normenfamilie ISO 9000. Er hat Dienstleistungsunternehmen, die nach diesen Normen für ihr Qualitätsmanagement zertifiziert worden sind, mit nicht zertifizierten verglichen, um festzustellen, ob das Zertifikat dem Verbraucher wirklich eine bessere Dienstleistung anzeigt. Der sorgfältig durchgeführte Vergleich ergab, daß die Qualität der zertifizierten Unternehmen nicht besser ist als die der nicht zertifizierten. Offenbar ist das Qualitätsmanagement bisher in erster Linie an der Überwachung und Standardisierung der Produktionsabläufe orientiert, an Kosten und Rendite also, und nicht an den Qualitätserwartungen der Kunden. Zugleich aber werben die Unternehmen mit dem Zertifikat, und die Verbraucher geben den zertifizierten Unternehmen bessere Noten. In der Möglichkeit, damit zu werben, liegt für die Unternehmen ein wichtiger Zweck der Zertifizierung. Umso bedenklicher ist es, daß das Qualitätsmanagement bei der Aufgabe versagt, die Qualität der Dienstleistungen an den Kundenerwartungen zu orientieren. Der Verfasser führt das auf eine Schwäche in den ISO 9000-Normen zurück. Die Erfassung der Kundenvorstellungen wird in dieser Normenfamilie nahezu vollständig ausgeblendet, offenbar weil man davon ausgegangen ist, daß die Unternehmensleitung schon weiß, was die Kunden wünschen. Das wird auch nicht durch die Erfahrungen der Mitarbeiter in Produktion und Verkauf ausgeglichen, denn den Normen liegt die Vorstellung eines hierarchisch organisierten Unternehmens zugrunde, in dem die Spitze kompetent entscheidet und die Mitarbeiter die Entscheidung getreulich ausführen. Diese Vorstellung wird den tatsächlichen Erfordernissen nicht gerecht: Die Qualität von Dienstleistungen hängt entscheidend von der Kompetenz und verantwortlichen Entscheidungsfreudigkeit der Mitarbeiter ab. Die Untersuchung zeigt, daß die Zertifizierung der Dienstleistungsqualität neu überdacht werden muß und wesentlich verbessert werden kann. Im Kern

Geleitwort

6

geht es beim Qualitätsmanagement ähnlich wie etwa beim Öko-Audit oder beim Ethischen Rating von Geldanlagen darum, die Unternehmen der moralischen Kontrolle zu unterwerfen, die der Markt erst leistet, wenn sie sich nicht nur an der Kapitalrendite orientieren müssen. Der Verfasser weist einen Weg, wie die Qualitätszertifikate dazu auf eine Weise beitragen können, die im Einklang mit den wohlverstandenen Interessen des Unternehmens steht.

Mannheim, Juli 1998

Prof. Dr. Gerhard Scherhorn

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde am 20. Mai 1998 unter dem Titel „Ein neuer Qualitätsindikator auf Dienstleistungsmärkten? Eine empirische Untersuchung über den Nutzen von Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. für Verbraucher" von der Fakultät V (Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) an der Universität Hohenheim als Dissertation angenommen. Eine der Erfahrungen, die man beim Verfassen einer solchen Arbeit macht, ist die, daß man dabei auf andere Menschen angewiesen ist. Den Personen, die zum Gelingen dieser Arbeit - jede auf ihre ganz spezielle Weise - beigetragen haben, möchte ich an dieser Stelle gerne meinen Dank aussprechen. Allen voran meiner Frau, Dipl. oec. Myriam Haas. Nicht nur, daß sie in dieser Zeit gerechtfertigte Ansprüche an mein Zeitbudget zurückgestellt hat; noch viel hilfreicher war, daß sie es auf unnachahmliche Weise verstanden hat, zugleich mein größter Fan und mein schärfster Kritiker zu sein: Mit ihrer Begeisterung hat sie mich immer wieder motiviert, mit ihrem hartnäckigen, für mich oft unbequemen Scharfsinn hat sie schonungslos Schwächen, Unausgegorenes und Ungereimtheiten aufgedeckt und auf Beseitigung bestanden. Ihr widme ich diese Arbeit. Meine Eltern haben von klein auf meine Neugier gefördert und glücklicherweise die Folgekosten nicht gescheut. Ich will dies - und alles andere was ich Ihnen verdanke - dadurch würdigen, daß ich es an meine eigenen Kinder weitergebe. Von der ersten Idee bis zum letzten Ausdruck eng begleitet hat Herr Dipl. oec. Frank Hellenthal die Arbeit; die vielen fruchtbaren Diskussionen, die wir in dieser Zeit geführt haben, werde ich in dankbarer Erinnerung behalten. In vielfältiger Weise geprägt hat mich in der Zeit unserer Zusammenarbeit Herr Prof. Dr. Gerhard Scherhorn ; als Wissenschaftler und akademischer Lehrer, vor allem aber als Mensch hat er mir bleibende Maßstäbe gesetzt. Herrn Prof. Dr. Jörn Kruse schulde ich Dank für die Übernahme des Zweitgutachtens; Herr Prof. Dr. Hans Hörschgen war freundlicherweise bereit, das Kolloquium zu leiten. Für nützliche Gespräche und kritische Hinweise danke ich Herrn Dr. oec. Dirk Bendig , Herrn Dipl.-Verw.Wiss. Markus Fabel , Herrn Prof. Heiner Imkamp , Herrn Dr. oec. Andreas Jung , Frau StRn. Kristina Ebert , Herrn Dipl.

Vorwort

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oec. Michael Neuner , Herrn Dr. oec. Ralf Pollmann sowie Frau Dipl.-Hhoek. Manuela Ranis. Mein Dank gilt schließlich der Stiftung „Ausbildung, Fort- und Weiterbildung" der Landesgirokasse Stuttgart, die einen Teil der Druckkosten übernommen hat.

Stuttgart, Juli 1998

Hendrik Haas

nsverzeichnis Α. Theoretischer Rahmen I.

Einleitung 1. Das Problem 2. Die Zielsetzung 3. Der Aufbau

17 17 17 19 21

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem 25 1. Begriff und Wesen der Dienstleistung 25 2. Besonderheiten der Dienstleistung als Ursache der Verbraucherunzufriedenheit 37 a) Immaterial ität 37 b) Integration eines externen Faktors 44 III. Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion 46 1. Freiwillige Informationserzeugung durch Anbieter hoher Qualität 47 a) Signalling 47 b) Reputation 54 2. Informationsbereitstellung unter Mitwirkung unabhängiger Dritter 58 a) Kommerzielle Informationsanbieter 58 b) Die Elemente eines Verbraucher-Informationssystems nach Thorelli & Thorelli 64 aa) Vergleichender Warentest und verwandte Konzepte 64 (1) Das Beispiel der „Stiftung Warentest" in Deutschland 64 (2) Das Washington Consumers' Checkbook 73 bb) Informative Produktkennzeichnung und Gütezeichen 78 3. Indikatorsurrogate als untaugliche Notbehelfe der Konsumenten: Preis, Marke, äußeres Erscheinungsbild 84 IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung 87 1. Von der Wareneingangskontrolle zum „third party assessment" 88 2. Zum derzeitigen Stand der Zertifizierung 91 3. Struktur und Inhalt der Normenfamilie ISO 9000 95 4. Zertifizierung und Akkreditierung 104 5. Definitorische Einordnung des Zertifikats 107

10

nsverzeichnis

Β. Die Untersuchung

111

I.

Das Zertifikat als valider Qualitätsindikator für Dienstleistungen? 1. Theoretische Begründung der Idee 2. Variablenzusammenhang und Hypothesen II. Operationalisierung des Konstrukts „Dienstleistungsqualität" 1. Verschiedene Ansätze zum Qualitätsbegriff 2. Teleologisches Qualitätsverständnis als geeignetes Konzept

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III. Instrumente und Vorgehensweise bei der empirischen Erhebung 1. Die Auswahl des Instruments zur Messung der Dienstleistungsqualität a) Der Indikator SERVQUAL von Parasuraman, Zeithami & Berry aa) Entwicklung und Funktionsweise von SERVQUAL bb) Kritik an SERVQUAL b) Ein einstellungsorientierter, direkter Zweikomponentenansatz zur Messung der Dienstleistungsqualität 2. Ergänzende Variablen 3. Die Vorgehensweise bei der empirischen Erhebung 4. Zur Validität des Untersuchungsdesigns a) Interne Validität b) Externe Validität

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C. Die Untersuchungsergebnisse I.

Ergebnisse der empirischen Erhebung (Z-Q-Hypothese) 1. Vorbereitende Analysen a) Die Ermittlung der Qualitätsmeßzahlen b) Beurteilung der Daten c) Beurteilung der Skala zur multiattributiven Messung der Dienstleistungsqualität d) Verteilung relevanter Merkmale in den zu vergleichenden Stichproben 2. Ist die Qualität bei zertifizierten Dienstleistungsunternehmen höher? II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese) 1. Die Qualitätsvorstellung der Konsumenten als Maßstab 2. Wodurch wird ein Dienstleistungsunternehmen „kundenfreundlich"? a) Zum „state of the art" in Wissenschaft und Unternehmenspraxis aa) Von der klassischen Qualitätskontrolle zum „Total Quality Management" bb) Das TQM-Konzept b) „Kundenfreundliches Dienstleistungsunternehmen" durch TQM?

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nsverzeichnis

3. „Kundenfreundliches Dienstleistungsunternehmen" durch Qualitätsmanagement nach ISO? III. Konsequenzen der Befunde für die Praxis 1. Botschaft an die Verbraucher 2. Botschaft an die Dienstleistungsunternehmen 3. Botschaft an die normschaffenden Institutionen 4. Botschaft an die Verbraucherorganisationen 5. Botschaft an die Zertifizierungsunternehmen 6. Botschaft an Wissenschaft und Forschung Anhang Musteranschreiben Musterfragebogen

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213 230 230 231 232 234 235 236 237 237 238

Internetadressen-Verzeichnis

243

Literaturverzeichnis

244

Sachregister

262

blnverzeichnis Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

1 : Umsatzwirkungen von Testurteilen 2: Informative Produktkennzeichnung und Gütezeichen 3: Motive für die Zertifizierung 4: Zentrale Normen der ISO 9000-Familie 5: Vergleich von DIN EN ISO 9001, 9002 und 9003 6: SERVQUAL-Itembatterie 7: Erhobene globale qualitätsbezogene Variablen 8: Kennwerte zu den 8 Erhebungen 9: Skalenniveau und Normalverteilungseigenschaft der Daten 10: Ergebnisse der Reliabilitätsanalyse 11: Berechnungen zur KonstruktValidität 12: Zusammenhang zwischen Q und Strukturmerkmalen 13: Verteilung des Merkmals Bildung in den zu vergleichenden Stichproben Tabelle 14: Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (Qualitätsmeßzahlen) Tabelle 15: Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (ohne Problemkunden; Qualitätsmeßzahlen) Tabelle 16: Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (Globalqualität und -Zufriedenheit)

Tabelle 17: Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (übrige Globalmaße) Tabelle 18: „Image-Effekt" des Zertifikats Tabelle 19: Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (auf Dimensionenebene) Tabelle 20: Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (bzgl. Problemquote und Problemlösungsquote) Tabelle 21: Bedeutungsrangfolge der Dimensionen Tabelle 22: Bedeutungsrangfolge der Dimensionen (einzelne Branchen) Tabelle 23: 10- und 5-dimensionale Struktur der Dienstleistungsqualität Tabelle 24: Die „geistigen Väter" des TQM

67 81 94 96 101 141 153 158 170 174 176 178 178 180 181 181

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1 : Systematik der Güterarten Abbildung 2: Systematik der Dienstleistungsdefinitionen Abbildung 3: Phasenmodell des Dienstleistungsvollzugs Abbildung 4: Beurteilbarkeit der Qualität bei Sachgütern und Dienstleistungen Abbildung 5: Wirkungen der Nicht-Rivalität bei Informationen Abbildung 6: Wirkungen der Nicht-Ausschließbarkeit bei Informationen Abbildung 7: Informationsnachfrage bei Transaktionskosten der Distribution Abbildung 8: Dynamik der Zertifikatvergabe in Deutschland Abbildung 9: Stand der Zertifizierung in Deutschland Abbildung 10: Z-Q-Hypothese Abbildung 11: ISO-Q-Hypothese Abbildung 12: Z-ISO-Bedingung Abbildung 13: ISO-Z-Bedingung Abbildung 14: Systematik der Qualitätsdefinitionen Abbildung 15: Die 10 Dimensionen der Dienstleistungsqualität Abbildung 16: Das Service Quality Model Abbildung 17: Integrative Model of Customers' Service Expectations und Service Quality Model kombiniert Abbildung 18: Das SERVQUAL-Fragebogenformat Abbildung 19: Das Format des in der Untersuchung verwendeten Fragebogens Abbildung 20: Importance-Performance-Matrix Abbildung 21: Die 10 Grundprinzipien des TQM Abbildung 22: Verbindungslinien zwischen Qualitätsdimensionen und TQM-Prinzipien

27 28 35 40 60 61 63 92 93 115 117 119 120 125 136 137 142 144 149 151 205 213

Abungsverzeichnis Abs. ADAC AGB AgV ANEC Anm. ANSI AQL ASQC Aufl. BGHZ BS CAD CEN c.p. CS/D CSS CWQC CWQI DAR D.C. DCS DGPI DGQ DIN DQS ECU EN EQNet erw. FMEA

Absatz; bei Normtexten: Abschnitt Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V. Allgemeine Geschäftsbedingungen Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V. European Association for the Co-ordination of Consumer Representation in Standardization Anmerkung American National Standards Institute Acceptable Quality Level American Society for Quality Control Auflage Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen British Standard Computer Aided Design Comité Européen de Normalisation; Europäisches Komitee für Normung ceteris paribus (unter [sonst] gleichen Umständen) Consumer Satisfaction/Dissatisfaction The Center for the Study of Services Company Wide Quality Control Company Wide Quality Improvement Deutscher Akkreditierungsrat District of Columbia DEKRA Certification Services Deutsche Gesellschaft fur Produktinformation mbH Deutsche Gesellschaft fur Qualität e.V. Deutsches Institut für Normung e.V. Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen mbH European Currency Unit Europäische Norm The European Network for Quality System Assessment and Certification erweiterte Failure Mode and Effects Analysis; Fehlermöglichkeitsund -einflußanalyse

Abkürzungsverzeichnis

ftp GWB Hervorh. Hrsg. http i.d.F. IFF HOC ISO i.S.v. i.w.S. KWG MarkenG MSA MSS Orig. PIMS POS ProdHaftG QFD QM RAL RW TÜV S. Sp. SPC TC TGA TQC TQM TU TÜV TÜV CERT Tz. überarb. URL VDA VDE Verf. vgl. www

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transfer protocol Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) Hervorhebung(en) Herausgeber hypertext transfer protocol in der Fassung Institut für Finanzdienstleistungen und Verbraucherschutz e.V. Independent International Organisation for Certification International Organization for Standardization im Sinne von im weiteren Sinne Gesetz über das Kreditwesen Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz) Measure of Service Adequacy Measure of Service Superiority Original Profit Impact of Market Strategies Point of sale Produkthaftungsgesetz Quality Function Deployment Qualitätsmanagement Deutsches Institut fur Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. (vormals Reichsausschuß für Lieferbedingungen) Rheinisch-Westfälischer TÜV e.V. Seite; bei Gesetzestexten: Satz Spalte Statistical Process Control Technical Comittee Trägergemeinschaft für Akkreditierung GmbH Total Quality Control Total Quality Management Technische Universität Technischer Überwachungs-Verein TÜV Zertifizierungsgemeinschaft e.V. Teilzahl überarbeitete Uniform Resource Locator Verband der Automobil industrie e.V. Verband deutscher Elektrotechniker e. V. Verfasser vergleiche worldwide web

15

Α. Theoretischer Rahmen I. Einleitung 1. Das Problem Die Dienstleistungsmärkte zählen seit jeher zu den Sorgenkindern der Verbraucherpolitik. Bei keiner anderen Güterart sind Konsumenten1 im nachhinein ähnlich häufig unzufrieden mit ihren Kaufentscheidungen. Dies belegen schon frühe Studien aus der CS/D-Forschung (Consumer Satisfaction/Dissatisfaction, z.B. Andreasen, 1977; Reifher, Gorges & Schmidtmann, 1980). Aber auch die neuesten Untersuchungen lassen ein niedriges Niveau der Kundenzufriedenheit im Dienstleistungsbereich erkennen (etwa Dornach & Meyer, 1996; Bänsch, 1995). In einer von Bruhn (1996, S. 6) zitierten repräsentativen Umfrage stellte sich unter anderem heraus, daß 33% der Deutschen sich „oft" oder sogar „sehr oft" über schlechten Service von Banken, Restaurants, Kaufhäusern oder Handwerkern ärgern, bei nur 13 Prozent ist dies „eigentlich nie" der Fall. Der ehemalige Leiter der Abteilung Dienstleistungen bei der Stiftung Warentest, Günther Rosenberger 2, verzeichnet gar eine „teils dramatische" Zunahme von konkreten Sorgen und Problemen der Verbraucher mit Dienstleistungen (1991, S. 394). Dabei erweisen sich bestimmte Dienstleistungsbranchen, wie etwa der Finanzdienstleistungsbereich, die Tourismusbranche oder auch sämtliche Dienstleistungen rund um das Auto, als besonders problematisch (Rosenberger, 1991, S. 395). Häufig wird die verbraucherpolitische Brisanz von Dienstleistungsmärkten auch deutlich, wenn unabhängige Institutionen die Qualität der angebotenen Leistungen auf diesen Märkten überprüfen. Beispiele hierfür aus der jüngeren Vergangenheit sind etwa die aufsehenerregenden Untersuchungen der Stiftung Warentest über Bausparkassen, Lebensversicherungen und Kfz-Werkstätten sowie die Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen und Verbraucherschutz e.V.

1

Hier und im folgenden wird bei geschlechtsunspezifischen Personenmehrheiten zur sprachlichen Vereinfachung die männliche Form verwendet (nicht: „Konsumentinnen und Konsumenten" oder „Konsumentinnen"); eine Verabsolutierung des männlichen Geschlechts soll damit nicht zum Ausdruck gebracht werden. 2 Günther Rosenberger ist inzwischen Vorstand der Stiftung Verbraucherinstitut, Berlin, Vorstandsmitglied in der Verbraucherzentrale Berlin sowie stellvertretendes Kuratoriumsmitglied in der Stiftung Warentest, Berlin.

2 Haas

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Α. Theoretischer Rahmen

(IFF) zum Thema Beratungsqualität von Banken, die allesamt wenig schmeichelhaft für die getesteten Unternehmen ausgefallen sind (Stiftung Warentest, 1994, 1996a-c, 1997; Werner, 1995). Die zunehmende Virulenz dieser Problematik wird erkennbar, wenn man sich zugleich vor Augen führt, daß der Anteil der Ausgaben für Dienstleistungen am Gesamtbudget der Konsumenten beträchtlich ist und seit Jahren kontinuierlich ansteigt; er betrug im Jahr 1960 immerhin schon 30,57% und hatte 1989 bereits 41,71% erreicht (Gundlach, 1993, S. 176)3. Setzt sich diese Entwicklung fort, so werden die Verbraucher schon bald die Hälfte ihrer verfügbaren Mittel auf Märkten ausgeben, auf denen es für sie offenbar besonders schwierig ist, Güter in der von ihnen gewünschten Qualität zu erhalten. Ohne schon an dieser Stelle auf die Ursachen für diesen Zustand im einzelnen näher einzugehen (vgl. hierzu Kap. II.2.), kann gesagt werden, daß das Problem auf eine offensichtlich unzureichende Versorgung der Konsumenten mit solchen Informationen zurückzuführen ist, die es ihnen ermöglichen würden, die Qualität einer Dienstleistung zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung zu beurteilen. Zur Überwindung der aus verbraucherpolitischer Sicht unbefriedigenden Situation auf vielen Dienstleistungsmärkten ist daher stets nach neuen Instrumenten Ausschau zu halten, die den Konsumenten rechtzeitig qualitätsbezogene Informationen zur Verfügung stellen und dadurch zu einer Verbesserung ihrer Kaufentscheidungen beitragen können. Die vorhandenen Institutionen4 vermögen dies allem Anschein nach noch nicht in ausreichendem Maße zu leisten. Damit ist die erste Begründung für die Durchführung der vorliegenden Untersuchung bereits genannt. Denn wie noch im einzelnen darzulegen sein wird (vgl. Teil B, Kap. I.I.), ist die Hoffnung nicht unberechtigt, daß Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. die Funktion eines solchen Qualitätsindikators erfüllen könnten.

3 Strittig ist hingegen, ob nicht durch die produktivitätsbedingt überproportional steigenden Preise für Dienstleistungen (Scherhorn, 1978, Tz. 476) der reale Anteil der Dienstleistungen am privaten Verbrauch im Laufe der Zeit sogar eher gesunken ist (so etwa Gershuny, 1981, S. 95). Das ist aber im hier interessierenden Zusammenhang unerheblich, da es um die wirtschaftliche Bedeutung der Ausgaben für Dienstleistungen für die Konsumenten geht. 4 Der Begriff wird hier im Sinne der „Neuen Institutionenökonomik" verwendet. Dort versteht man unter einer Institution „... ein auf ein bestimmtes Zielbündel abgestelltes System von Normen einschließlich deren Garantieinstrumente, mit dem Zweck, das individuelle Verhalten in eine bestimmte Richtung zu steuern" (Richter, 1994, S. 2). „Unternehmen, Haushalte, der Staat und seine Gliederungen, Gesetze, Rechte, Verträge und Gerichte sind Institutionen, aber auch Gütesiegel, Zulassungsregeln, Handelsbräuche, Geschäftsbeziehungen, bekannte Firmennamen und Markenartikel" (Kaas, 1995a, S. 2-3). Es handelt sich also um ein gegenüber dem umgangssprachlichen Gebrauch (Institution = öffentliche Einrichtung) erheblich erweitertes Begriffsverständnis.

I. Einleitung

19

Diese Frage zu überprüfen ist aber noch aus einem weiteren Grund dringend geboten. Viele der zertifizierten Unternehmen sind nämlich bereits dazu übergegangen, ihr Zertifikat werblich einzusetzen (Rieker, 1995, S. 203; Geiger, 1994, S. 52; Malorny & Kassebohm, 1994, S. 260; Stauss, 1994, S. 15). In Werbeanzeigen und Verkaufsräumen, auf Briefbögen und in Verkaufsgesprächen wird der Verbraucher immer häufiger mit Aussagen wie „Unser Unternehmen verfugt über ein zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9001" konfrontiert. Es muß vermutet werden, daß dies für die Kaufentscheidung vieler Konsumenten nicht ohne Wirkung bleibt, zumal auf eine neutrale und renommierte Institution, das Deutsche Institut für Normung (DIN), Bezug genommen wird. In der vorliegenden Studie hat sich diese Vermutung bestätigt: Von den 751 Konsumenten, denen die Bezeichnung „zertifiziert nach DIN EN ISO 9001" ein Begriff war, gaben fast die Hälfte (45,0%) an, das Zertifikat als Kriterium bei der Wahl eines Dienstleistungsanbieters heranzuziehen. Vor diesem Hintergrund ist es höchst unbefriedigend und wird immer wieder zu Recht beklagt, daß „der Nachweis bis heute nicht erbracht ist, daß Unternehmen, die ein QM-System nach DIN ISO 9000ff. aufgebaut haben, eine höhere Qualitätsfähigkeit besitzen als solche, die kein entsprechendes System eingeführt haben" (Malorny & Kassebohm, 1994, S. 242). Es ist daher jeder Mühe wert zu klären, ob hier tatsächlich ein valider Qualitätsindikator vorliegt oder ob von einer irreführenden Wirkung auf die Verbraucher ausgegangen werden muß. Das ist die zweite Begründung für die vorliegende Arbeit.

2. Die Zielsetzung Die zentrale Frage lautet also: Kann ein Konsument von einem zertifizierten Dienstleistungsanbieter eine höhere Qualität erwarten als von einem nicht zertifizierten? Markttheoretisch ausgedrückt: Ist ein Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. ein valider Qualitätsindikator auf Dienstleistungsmärkten? Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu dieser Frage eine eindeutige und fundierte Stellungnahme zu ermöglichen. Die genaue Analyse dieses Sachverhalts soll es erlauben, auf einer gesicherten theoretischen und empirischen Basis konkrete Handlungsempfehlungen an die Adresse der involvierten Gruppen aussprechen zu können. Allen voran an die Verbraucher: Sie sollen wissen, ob sie gut beraten sind, wenn sie sich bei der Auswahl eines Dienstleistungsunternehmens, zum Beispiel einer Bank, eines Reisebüros oder eines Pflegeheims, am Vorhandensein des Zertifikats orientieren. Aber auch für die verbraucherpolitischen Institutionen dürfte die Klärung der Frage von Interesse sein, da sie hierdurch in die Lage versetzt werden, zu dieser aktuellen Entwicklung auf gesicherter Grundlage Stellung zu nehmen und Warnungen bzw. Empfehlungen auszusprechen. Nicht zuletzt eröffnet sich ihnen so 2*

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Α. Theoretischer Rahmen

aber auch die Möglichkeit, selbst gestaltend auf das System einzuwirken. Denn die Zertifizierung von Anbietern konsumtiver Dienstleistungen steht erst in den Anfängen; ob sie sich in diesem Segment auf breiter Front durchsetzen wird, ist noch nicht endgültig abzusehen, doch deutet die bisherige Entwicklung darauf hin (näheres hierzu in Kap. IV.2.). Eine Evaluierung des Instruments in diesem frühen Stadium, in dem das System noch im Fluß ist und noch Spielräume bestehen, bietet den verbraucherpolitischen Institutionen die Chance, auf die weitere Entwicklung aktiv Einfluß zu nehmen - sei es fordernd (falls sich das Instrument als nützlich erweist) oder auch prohibitiv (im anderen Fall). Nützliche Hinweise dürften sich aus den Befunden der Untersuchung schließlich auch für die übrigen am Zertifizierungssystem Beteiligten ableiten lassen: die Dienstleistungsanbiet er, die Zertifizierungsgesellschaften und nicht zuletzt die normschaffenden Institutionen. Das Thema Zertifizierung und Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9000ff. ist bereits seit geraumer Zeit Gegenstand intensiver Diskussionen in Wissenschaft und Praxis. An einschlägigen Forschungsarbeiten herrscht daher kein Mangel. Bei genauerer Analyse des Schrifttums stellt man jedoch fest, daß die Beiträge allesamt eine unternehmenszentrierte Sichtweise einnehmen. Behandelt werden vorrangig Fragen der effizienten Einführung von Qualitätsmanagementsystemen (z.B. Glaap, 1993), die Motive und Kosten der Zertifizierung (z.B. Wilmes & Francke, 1996) sowie insbesondere ihre Auswirkungen auf betriebliche Abläufe und Ertragssituation (z.B. Homburg & Becker, 1996; Malorny & Kassebohm, 1994, S. 228-234). Eine Arbeit, die das Zertifizierungssystem konsequent aus verbraucherorientierter Perspektive betrachtet, liegt bisher nicht vor. Für die Klärung der zentralen Frage dieser Untersuchung kann somit nicht an bestehende Vorarbeiten angeknüpft werden. Die Studie betritt hier weitgehend Neuland. Dies bringt mit sich, daß zunächst einiges an grundlegender konzeptioneller Arbeit zu leisten ist, bevor der eigentliche Problemkern in Angriff genommen werden kann. Es zeichnen sich vier Teilschritte ab, die zur Erreichung des Untersuchungsziels vollzogen werden müssen: Φ Erarbeitung des theoretischen Bezugsrahmens der Problemstellung. Hierbei sind zunächst die eigentlichen Ursachen für die Probleme von Konsumenten bei der Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen näher zu untersuchen. Weiter ist eine aktuelle Bestandsaufnahme und Bewertung des bereits vorhandenen Instrumentariums zur Verminderung dieser Verbraucherprobleme erforderlich, um die Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. definitorisch einordnen sowie auf theoretischem Wege strukturelle Vorzüge und Nachteile dieses neuen Instruments gegenüber den bereits etablierten herausarbeiten zu können. Schließlich sind Entstehungsgründe, Begleitumstände und Charakteristika des Zertifizierungssystems darzustellen.

I. Einleitung

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® Entwicklung eines geeigneten Forschungsdesigns. Die Fragestellung der Untersuchung soll sowohl auf empirischem als auch auf theoretischem Wege einer Klärung zugeführt werden. Für beide Ansätze ist eine angemessene und erfolgversprechende Methodik zu entwerfen; beim empirischen Ansatz kommt dabei der Konzeption eines leistungsfähigen Instruments zur Messung der Dienstleistungsqualität eine besondere Bedeutung zu. ® Durchführung einer empirischen Erhebung. Der erarbeitete empirische Ansatz (Methodik und Meßinstrument) ist einer ersten praktischen Erprobung zu unterziehen, um durch die Befunde Anhaltspunkte zur Beantwortung der zentralen Fragestellung der Untersuchung zu gewinnen. Nicht zuletzt wird hierdurch auch - falls sich der Ansatz bewährt - die Grundlage für mögliche Replikationsstudien geschaffen. ® Durchführung einer theoretischen Untersuchung. Die theoretischen Analysen, die zu einer Klärung der Fragestellung beitragen können, sind nach der im zweiten Teilschritt festgelegten Vorgehensweise durchzuführen. Die Lösung jeder einzelnen dieser vier Teilaufgaben stellt ein Zwischenziel dieser Studie dar und leistet einen eigenständigen Beitrag zu einer wissenschaftlichen Diskussion um den Nutzen von Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. für Verbraucher. Eine grobe Zuordnung zu den Abschnitten dieser Arbeit läßt sich wie folgt vornehmen: Die Erarbeitung des theoretischen Bezugsrahmens geschieht im wesentlichen in Teil A; das Forschungsdesign und das Meßinstrument werden in Teil Β entwickelt; die Ergebnisse der empirischen Erhebung sind Gegenstand des ersten Kapitels von Teil C, während das zweite Kapitel dieses letzten Teils der theoretischen Analyse gewidmet ist. Der genaue Aufbau der Arbeit ist im folgenden Kapitel beschrieben.

3. Der Aufbau Zwar ist die Definition zentraler Termini gute akademische Übung, doch ist dies nicht der eigentliche Grund, weshalb der Teil A der Arbeit nach dieser Einleitung mit einer eingehenderen Betrachtung des Dienstleistungsbegriffs beginnt (Kap. II.l.). So besteht der Zweck dieser Überlegungen auch nicht so sehr darin, zu einer abschließenden Begriffsfestlegung zu gelangen - das wäre angesichts der Breite und Tiefe der hierum bereits geführten wissenschaftlichen Diskussion wohl auch vermessen - , sondern vielmehr darin, dem Leser durch die Auseinandersetzung mit den Hauptrichtungen einschlägiger Definitionsansätze eine Kernvorstellung vom Wesen einer Dienstleistung und damit von dem Betrachtungsgegenstand der Untersuchung zu vermitteln. Darüber hinaus lassen sich dabei zugleich Charakteristika dieser Güterart herausarbeiten, die in einem Zusammenhang mit den Verbraucherproblemen auf Dienstleistungsmärkten stehen. Wie sich bei der Darlegung dieser Zusammenhänge in Kapitel II.2. zeigen wird, kommt

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Α. Theoretischer Rahmen

der aus der Immaterialität von Dienstleistungen resultierenden Informationsasymmetrie zuungunsten der Konsumenten hierbei zentrale Bedeutung zu. Dies fuhrt zu der Frage, welche Institutionen bereits bestehen, die zu einer Verminderung dieser Informationsasymmetrie beitragen (Kap. III.). Grob strukturiert nach dem Kriterium, wem dabei eine aktive Rolle zukommt (Anbieter, Dritte, Konsument), wird eine ganze Reihe von höchst unterschiedlichen Instrumenten vorgestellt, wobei jeweils nach einer kurzen inhaltlichen Beschreibung theoretische Einwände und praktische Schwierigkeiten diskutiert werden, um abschließend der Frage nachzugehen, inwieweit das jeweilige Instrument auch im Dienstleistungsbereich Anwendung finden kann und welche zusätzlichen Probleme hierbei ggf. auftreten. Daß die vorgestellten Instrumente ihr Ziel auf Dienstleistungsmärkten nur unvollkommen erreichen, ergibt sich unmittelbar aus der nachgewiesenen Unzufriedenheit der Verbraucher in diesem Sektor (vgl. S. 17). Die Bestandsaufnahme der aktuellen verbraucherpolitischen „Toolbox" zur Verringerung von Qualitätsintransparenz geschieht folglich nicht, um den Bedarf an einem weiteren Instrument zu begründen, sondern weil es dadurch möglich wird, Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. definitorisch einzuordnen (Kap. IV.5.) sowie in Abgrenzung zu den bestehenden Ansätzen auf theoretischem Wege ihre systematischen Vorzüge und Nachteile als potentielle Qualitätsindikatoren auf Dienstleistungsmärkten herauszuarbeiten (Teil B, Kap. I.). Doch zuvor muß das Zertifizierungssystem eingeführt und erläutert werden; in Kapitel IV. erfolgt eine ausführliche Darstellung des Konzepts der DIN EN ISO 9000ff.: historische Entwicklung, aktueller Stand der Zertifizierung, Aufbau und Inhalt der Normenreihe, organisatorische Aspekte betreffend das Zertifizierungs- und Akkreditierungsverfahren sowie schließlich die bereits erwähnte definitorische Einordnung von Zertifikaten. Teil Β dokumentiert die Struktur der vorliegenden Untersuchung. Einleitend wird die Grundidee der Studie erläutert (Kap 1.1.): Auf der Grundlage der Diskussion um die bereits bestehenden Ansätze zur Verminderung von Informationsasymmetrien werden die Eigenarten der Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. herausgearbeitet, die die Hoffnung begründen, daß es sich hierbei um taugliche Qualitätsindikatoren auf Dienstleistungsmärkten handeln könnte. Diese Überlegungen werden im nachfolgenden Kapitel 1.2. operationalisiert, d.h. es werden die unabhängigen und abhängigen Variablen definiert und die Beziehungen zwischen diesen formuliert; dabei wird unterschieden zwischen Hypothesen , die materiell geprüft werden sollen, und Bedingungen , die im Rahmen der Untersuchung lediglich zu kontrollieren sind. Eine der beiden formulierten Hypothesen erfaßt die forschungsleitende Fragestellung in der Weise, wie sie sich aus der Perspektive der Konsumenten darstellt: Sie fragt unmittelbar nach dem Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein eines Zertifikats (Z) bei einem Unternehmen und der Qualität (Q) der von diesem angebotenen Dienstleistung im Vergleich zu nicht zertifizierten Unternehmen. Diese Hypothese wird als

I. Einleitung

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Z-Q-Hypothese bezeichnet und ist einer empirischen Prüfung zugänglich. Doch ist es nicht das Zertifikat als solches, das bei einem Unternehmen die (möglicherweise) höhere Qualität hervorbringt, sondern das Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9000ff., das von diesem Unternehmen implementiert worden ist. Deshalb zielt die zweite Hypothese auf den eigentlichen Kausalzusammenhang ab, nämlich den Zusammenhang zwischen einem Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9000ff. (ISO) und der Dienstleistungsqualität (Q). Diese Hypothese wird als ISO-Q-Hypothese bezeichnet und erfordert zu ihrer Klärung eine theoretische Analyse. Das Kapitel II. ist der Auseinandersetzung mit dem Qualitätsbegriff gewidmet. Daß die Definition des zweiten zentralen Terminus der Arbeit erst an dieser Stelle und nicht bereits zu Beginn erfolgt, ist beabsichtigt. Denn die Dienstleistungsqualität ist bei der hier in Rede stehenden Fragestellung die abhängige Variable und damit das zu messende Konstrukt, weshalb es sinnvoll erscheint, die Begriffsdiskussion und -operationalisierung in räumlicher Nähe zu den Überlegungen zur Auswahl bzw. Konzipierung eines geeigneten Meßinstruments (Kap. III. 1 -a)) vorzunehmen. Ähnlich wie bei der Auseinandersetzung mit dem Dienstleistungsbegriff werden zunächst die Hauptrichtungen der im Schrifttum diskutierten Definitionsansätze vorgestellt (Kap. II.l.), jedoch geschieht dies hier anders als dort mit der Absicht, eine Entscheidung zugunsten einer konkreten Definition zu treffen, die dann den weiteren Überlegungen zugrunde gelegt werden soll. Daß für die Zwecke dieser Untersuchung eine teleologische Qualitätsdefinition am geeignetsten ist, wird in Kapitel II.2. begründet. Im dritten Kapitel werden das Meßinstrument und der organisatorische Ablauf der empirischen Erhebung beschrieben. Die Grundidee der zur Prüfung der Z-Q-Hypothese durchgeführten Untersuchung ist folgende: Die Qualitätsurteile der Kunden von mehreren Dienstleistungsunternehmen werden mit einem standardisierten Meßinstrument in einer schriftlichen Befragung erhoben. Die Auswahl der beteiligten Dienstleistungsunternehmen erfolgt dabei mit dem Ziel, mehrere vergleichbare Paare bilden zu können; ein solches Paar besteht aus zwei Dienstleistungsunternehmen, die sich hinsichtlich wichtiger Strukturdaten (Branche, Größe, regionale Ansiedlung, Kundenstruktur, etc.) weitgehend ähneln, sich aber gerade darin unterscheiden, daß eines davon nach DIN EN ISO 9000ff. zertifiziert ist und das andere nicht. Zeigt sich in der Mehrzahl der Paarvergleiche, daß die Qualitätsurteile der Kunden des jeweiligen zertifizierten Unternehmens signifikant besser ausfallen als die der Kunden des entsprechenden nicht zertifizierten Unternehmens, so würde dies auf eine Eignung von Zertifikaten als Qualitätsindikatoren im Dienstlejstungsbereich hindeuten (Bestätigung der Z-QHypothese). In der vorliegenden Studie wurden 1.873 Kunden von 8 Dienstleistungsunternehmen aus 4 verschiedenen Branchen (Banken, Kfz-Betriebe, Fahrschulen und Reiseunternehmen) befragt. Den Abschluß des dritten Kapitels bilden einige Überlegungen zur Validität des Forschungsdesigns.

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Α. Theoretischer Rahmen

Wie erwähnt, erfordert die ISO-Q-Hypothese eine theoretische Analyse. Da sich bei einer solchen die Vorgehensweise naturgemäß aus der Ergebnisdarstellung vollständig erschließen läßt und eine Beschreibung der Methodik losgelöst von inhaltlichen Ausfuhrungen hier kaum möglich ist, erscheint es zur Vermeidung von Wiederholungen angebracht, den Denkansatz und die einzelnen Analyseschritte zur Prüfung der ISO-Q-Hypothese nicht schon an dieser Stelle, in einem „methodischen Teil", gesondert vorzustellen, sondern erst im Ergebnisteil in Verbindung mit der eigentlichen Hypothesenprüfung zu vermitteln. Die Untersuchungsergebnisse werden in Teil C der Arbeit präsentiert, der sich wiederum in drei Kapitel aufgliedert: Das erste enthält die Ergebnisse der empirischen Erhebung, das zweite ist der theoretischen Analyse gewidmet und im dritten werden die Erkenntnisse aus den beiden vorangegangenen zusammengefaßt und in ihren Verwertungszusammenhang (Friedrichs, 1985) gestellt. Im folgenden einige ergänzende Hinweise zu diesen drei Kapiteln. In Kapitel I. befassen sich die ersten Abschnitte mit verschiedenen vorbereitenden Analysen; so wird etwa der Frage nachgegangen, wie sich das Meßinstrument im praktischen Einsatz bewährt hat, und es wird die Qualität des erhobenen Datenmaterials untersucht. Damit wird der Boden für das Kapitel 1.2. bereitet, in dem die empirischen Befunde zusammengetragen und bewertet werden, die zu einer Klärung der Frage beitragen, ob die Qualität zertifizierter Unternehmen höher ist als die nicht zertifizierter Unternehmen (Z-Q-Hypothese). Ausgangspunkt für die im zweiten Kapitel vorgenommene theoretische Analyse ist eine genauere Erörterung der Frage, welche Kriterien für Konsumenten bei der Beurteilung der Qualität einer Dienstleistung von Bedeutung sind (Kap. II.l.), um auf diese Weise einen Maßstab für die Evaluierung des Qualitätsmanagements nach DIN EN ISO 9000ff. zu gewinnen. Hierfür werden die Erkenntnisse einer einschlägigen, im Schrifttum seit einigen Jahren intensiv diskutierten empirischen Studie herangezogen. In einem zweiten Schritt wird der aktuelle Stand der Diskussion in Wissenschaft und Praxis zum Thema Qualitätsmanagement aufgearbeitet (Kap. II.2.a)) und anschließend nachgewiesen, daß das dabei im Mittelpunkt stehende Konzept des „Total Quality Management" geeignet ist, die eingangs formulierten Vorstellungen der Konsumenten von Dienstleistungsqualität im wesentlichen zu erfüllen (Kap. II.2.b)). Damit ist der Bezugsrahmen für eine Bewertung von Qualitätsmanagementsystemen nach DIN EN ISO 9000ff. geschaffen: Die Anforderungen, die das TQM-Konzept an Unternehmen stellt, können nun - immer im Lichte der Qualitätsvorstellungen der Konsumenten interpretiert - als ein Raster dienen, mit welchem die Vollständigkeit und Zweckmäßigkeit der Normforderungen beurteilt werden kann (Kap. II.3.), wodurch eine Beantwortung der Frage möglich wird, ob Qualitätsmanagementsysteme nach DIN EN ISO 9000ff. prinzipiell in der Lage sind, eine höhere Dienstleistungsqualität hervorzubringen (ISO-Q-Hypothese).

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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Im letzten Kapitel schließlich werden die Ergebnisse der empirischen und der theoretischen Untersuchung zusammengeführt. Besonderer Wert wird dabei auf die Verdeutlichung der praktischen Bedeutung der Befunde gelegt. Aus diesem Grunde wurde eine besondere Form der Ergebnisdarstellung gewählt: Die aus der Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse werden jeweils gesondert für die einzelnen involvierten Gruppen bzw. Institutionen aufbereitet und in Form von „Botschaften" an diese adressiert. So erhalten Konsumenten, Dienstleistungsanbieter, Verbraucherorganisationen, Zertifizierungsgesellschaften, Normungsinstitutionen sowie Wissenschaft und Forschung konkrete Handlungsempfehlungen, die sich allesamt aus den Untersuchungsergebnissen ableiten und mit ihnen begründen lassen.

I I . Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem 1. Begriff und Wesen der Dienstleistung Die Betrachtung der in Wissenschaft und Praxis überreich vorhandenen Definitionsvorschläge für den Begriff „Dienstleistung" lehrt vor allem zweierlei. Zum einen wird deutlich, daß es keine absolute, kontextunabhängige und allgemein akzeptierte Begriffsfassung gibt und wohl auch niemals geben kann, zum anderen gelangt man rasch zu der Überzeugung, daß zusätzliche Definitionsversuche allenfalls noch marginale Erkenntnisfortschritte bewirken könnten. Diese Situation ist indessen im Hinblick auf die in der vorliegenden Arbeit verfolgte Zielsetzung nicht ganz so problematisch, wie es zunächst erscheinen mag. Zur empirischen Überprüfung des Informationsgehalts eines möglichen Qualitätsindikators auf Dienstleistungsmärkten ist es nicht unbedingt erforderlich, eine Begriffsdefinition zu entwerfen oder unter den vorhandenen zu ermitteln, die es ermöglicht, jedes überhaupt nur vorstellbare Gut, und sei es ein noch so skurriler Sonderfall 5, zweifelsfrei danach zu klassifizieren, ob es sich dabei um eine Dienstleistung handelt oder nicht. Bei den meisten in der Realität angebotenen Gütern ist über die Dienstleistungseigenschaft ohnehin relativ leicht Einigkeit zu erzielen. Schwierigkeiten bereiten hingegen stets einige wenige Grenzbereiche, die dafür sorgen, daß die wissenschaftliche Diskussion in diesem Punkt bis heute nicht zu einem Abschluß gelangt ist. 5 Die Diskussion um den Dienstleistungsbegriff liefert hierfür eine Fülle von Beispielen; so haben etwa Meyer (1984, S. 200) und Hilke (1989, S. 14) einen mehrjährigen Disput darüber ausgetragen, inwieweit einer Beinamputation Dienstleistungscharakter zukommt. Meyer (1992, S. 20) bemüht ferner für seine Systematisierung u.a. Beispiele wie „Hypnose" und „Kartenlegen".

Α. Theoretischer Rahmen

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Durch die folgende Auseinandersetzung mit dem Dienstleistungsbegriff und der in der Literatur um ihn geführten Diskussion sollen zwei Ziele erreicht werden. Zum einen soll sich hierdurch beim Leser eine Leitvorstellung vom Wesenskern des Wirtschaftsgutes „Dienstleistung" herausbilden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger scheint erforderlich, um zu verdeutlichen, welche Art von Gütern bzw. Märkten im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen. Des weiteren soll versucht werden, aus der Gesamtschau der vorgestellten Ansätze typische Merkmale von Dienstleistungen herauszuarbeiten. Aus den genannten Gründen wird es hier nicht erforderlich sein, daß es sich dabei um konstitutive Merkmale im Sinne einer allgemeingültigen Definition handelt, also um solche, die zwangsläufig bei allen Dienstleistungen vorkommen und sonst bei keinem anderen Gut. Mit Blick auf die hier in Rede stehende Fragestellung wäre darin eher eine störende Engführung zu sehen. Statt dessen wird vielmehr darauf zu achten sein, daß solche Merkmale identifiziert werden, bei denen ein ursächlicher Zusammenhang mit den eingangs geschilderten Verbraucherproblemen auf Dienstleistungsmärkten vermutet werden kann. Um den Zugang zu dem eigentlichen Defmitionsproblem ein wenig zu erleichtern, soll zunächst eine Einordnung der zu klärenden bzw. voneinander abzugrenzenden Begriffe in die allgemeine Gütersystematik erfolgen (Abbildung 1). Letztere ist im Schrifttum etabliert und in ihrer Grundstruktur weitgehend akzeptiert 6, so daß man sich bis zu diesem Punkt noch auf relativ unumstrittenem Terrain bewegt. Mit dem Begriff „Gut" werden im ökonomischen Sprachgebrauch alle Mittel bezeichnet, die prinzipiell dazu geeignet sind, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, anders ausgedrückt: einen Nutzen zu stiften (Herdzina, 1989, S. 2). Unter einem Bedürfnis wird dabei eine Mangelempfindung verstanden, die mit dem Bestreben des Individuums verbunden ist, diesen Mangel zu beseitigen7. Auf der ersten Ebene wird nun unterschieden zwischen solchen Gütern, die unbegrenzt zur Verfügung stehen (sog. freie Güter, z.B. die Luft zum Atmen) und solchen, die knapp sind. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, daß damit nicht absolute Größen gemeint sein können, sondern Mengenrelationen. Knapp ist ein Gut, wenn die von ihm vorhandene Menge geringer ist als die gewünschte. Die-

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Angesichts der erheblichen Abgrenzungsprobleme wird inzwischen allerdings auch ein Vorschlag von Engelhardt et al. diskutiert, der einen gänzlichen Verzicht auf die ursprüngliche Trennung der Begriffe Sach- und Dienstleistung zugunsten einer allgemeinen Typologie von Absatzobjekten anregt (Engelhardt, Kleinaltenkamp & Reckenfelderbäumer, 1993, S. 416. Diskussion in Meffert & Bruhn, 1995, S. 30-35 und Bruhn, 1996, S. 16-22). 7 So die gängige Lehrbuch-Definition; bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, daß sie das äußerst komplexe Phänomen „Bedürfnis" nur unvollkommen erfaßt. Wegweisend zu diesem Thema: Scherhorn (1959).

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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ser Sachverhalt ist der Ausgangspunkt jeglichen ökonomischen Denkens und Handelns, weshalb knappe Güter auch Wirtschaftsgüter genannt werden.

Abbildung 1 : Systematik der Güterarten

Quelle: In Anlehnung an Bruhn, 1996, S. 17; Meffert & Bruhn 1995, S. 28; Maleri, 1994, S. 50; Corsten, 1985, S. 169; ders., 1990, S. 17.

Bei den Wirtschaftsgütern sind wiederum zwei Untergruppen auszumachen. Das Abgrenzungsmerkmal der Nominalgüter ist, daß sie monetäre Größen darstellen, d.h. Geldeinheiten verkörpern. Dies ist sorgfältig zu unterscheiden von dem Preis, der für ein Wirtschaftsgut zu bezahlen ist. Bei den hier mehr interessierenden Realgütern muß wiederum unterschieden werden zwischen Gütern, die als solche einer sensorischen Wahrnehmung zugänglich sind, also den Sachgütern, und andererseits den immateriellen Gütern 8, zu denen neben Arbeitsleistun-

8 Diese Bezeichnungen sind nicht zu verwechseln mit der Begriffsverwendung, die seit einiger Zeit in der neueren Konsumtheorie zu beobachten ist und sich dort als sehr fruchtbar erweist, allerdings fur ganz andersartige Fragestellungen als die hier in Rede stehende; danach werden sämtliche Wirtschaftsgüter als materielle Güter bezeichnet, während der Gegenbegriff immaterielle Güter bzw. immaterielle Befriedigung dem aktiven Einsatz psychischer Energie, der Entfaltung innerer Kräfte und dem produktiven Handeln (i.S.v. Fromm, 1985) vorbehalten ist, wobei die immaterielle Befriedigung durchaus unter Verwendung materieller Güter zustande kommen kann, sich jedoch nicht unmittelbar aus diesen ableiten läßt (Scherhorn, 1993, 1994a, 1994b, 1995).

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Α. Theoretischer Rahmen

gen (= physische und psychische menschliche Energie; Maleri, 1994, S. 49), Informationen und Rechten auch die Dienstleistungen zählen.9 Die zahlreichen Versuche, den Dienstleistungsbegriff über diese grobe Einordnung hinaus definitorisch zu erfassen, lassen sich selbst wiederum klassifizieren. Abbildung 2 verschafft einen Überblick.

Abbildung 2: Systematik der Dienstleistungsdefinitionen

Auf der ersten Unterscheidungsebene kann zwischen drei Kategorien differenziert werden: 1. Festlegung des Dienstleistungsbegriffs durch vollständige Aufzählung (enumerative Definitionen). 2. Abgrenzung der Dienstleistungen von den Sachgütern über eine Negativdefinition. 3. Explizite Definitionen durch Bestimmung von konstitutiven

Merkmalen.

Diese häufig anzutreffende Einteilung geht zurück auf Corsten (1985, S. 173); sie hat sich unlängst bei der Bestandsaufnahme der wissenschaftlichen Diskussion um den Dienstleistungsbegriff durch die Forschergruppe 4 des vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie aufgelegten

9 Der Begriff „Produkt" läßt sich in diese Systematik nicht integrieren; er wird im folgenden als Oberbegriff für Sachgüter und Dienstleistungen verwendet.

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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Programms „Qualitätssicherung" erneut als zweckmäßig erwiesen (Niemann & Hanrieder, 1993, S. 5, mit zahlreichen Beispielen zu jeder Gruppe). Die enumerativen Definitionen, von denen die bekannteste die Einteilung der amtlichen Statistik sein dürfte, sind insofern unbefriedigend, als sie keine Kriterien an die Hand geben, mit deren Hilfe in einem konkreten Fall, etwa bei einem neu am Markt angebotenen Gut, entschieden werden kann, ob es sich um eine Dienstleistung handelt oder nicht. Diesen Definitionsansätzen wohnt also stets ein gewisses Element der Willkür inne; sie sind naturgemäß statisch und letztendlich theorielos. Am konkreten Beispiel der amtlichen Statistik zeigt Hentschel sehr überzeugend die Mängel dieses Definitionsansatzes auf (1992, S. 17-18). Daß eine Definition des Dienstleistungsbegriffs über eine Negativabgrenzung zu den Sachgütern in die Irre fuhrt, zeigt ein Blick auf die Abbildung 1, denn die Dienstleistung stellt lediglich eine (wenn auch bedeutende) Teilmenge der immateriellen Realgüter dar und kann daher nicht als logischer Gegenbegriff zu den Sachgütern behandelt werden. Zudem sind Definitionsansätze, die Residualgrößen verwenden, zwar naturgemäß stets widerspruchsfrei und erschöpfend, können zumeist aber schon deshalb nicht überzeugen, weil sie im Ergebnis oft zu sehr heterogenen Sammelsurien fuhren. Man spürt intuitiv, daß kein großer Erkenntnisfortschritt erreicht ist, wenn man Dienstleistungen als ein Sammelbecken aller Güter betrachtet, die lediglich die Gemeinsamkeit aufweisen, nicht zweifelsfrei dem Sachgüterbereich zuordenbar zu sein. Es ist daher Corsten (1990, S. 18) zuzustimmen, wenn er derartige Definitionsansätze als „wissenschaftliche Verlegenheitslösung" bezeichnet. Für den Versuch, den Wesenskern des Phänomens „Dienstleistung" zu beschreiben, kann sich daher nur die dritte der genannten Gruppen als fruchtbar erweisen, also die Begriffsdefinition über konstitutive Merkmale einer Dienstleistung. Als hilfreich für die Identifikation dieser Merkmale hat sich die Vorstellung von drei Dimensionen der Dienstleistung (Engelhardt, Kleinaltenkamp & Reckenfelderbäumer, 1993, S. 398) erwiesen: einer Potentialdimension, einer Prozeßdimension und einer Ergebnisdimension 10. Diese Triade stucture - process - outcome hat ursprünglich Donabedian (1966) in die Diskussion eingeführt und später weiter präzisiert (1980, S. 86); sie wurde aber auch in der deutschsprachigen Literatur vielfach aufgegriffen (eine Übersicht bei Hentschel, 1992, S. 96). Was inhaltlich damit gemeint ist, kann am besten anhand eines Beispiels verdeutlicht werden. Denken wir an einen Urlaubsaufenthalt in einem Hotel. Daß es sich hier um eine Dienstleistung zumindest nach allgemeinem Sprachverständnis handelt, dürfte unstrittig sein. Sie manifestiert sich dem Konsumenten gegenüber 10 Eine wichtige strukturierende Funktion entfaltet die Trichotomie auch in der Diskussion um das Wesen der Dienstleistungsgwtf//7ä/, wie sich später (Teil B, Kap. II.2.) noch zeigen wird.

Α. Theoretischer Rahmen

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in unterschiedlicher Weise. So werden ihm zum Beispiel Räumlichkeiten, ein Swimmingpool und vielleicht ein Hotelgarten zur Verfugung gestellt (Potentialdimension). Daneben fuhren die Hotelangestellten verschiedene Handlungen aus (Prozeßdimension): Das Zimmermädchen reinigt das Zimmer, der Animateur erteilt eine Aerobic-Stunde. Und schließlich zeitigt die Dienstleistung mehr oder weniger dauerhafte Resultate (Ergebnisdimension); zu denken wäre hier etwa an die während des Aufenthalts geknüpften persönlichen Kontakte oder die erlangte Melanin-Anreicherung in den oberen Hautschichten. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie vielfältig die konkreten Erscheinungsformen einer bestimmten Dienstleistung11 sein können, und daß man daher ihrem Wesen nur gerecht werden kann, wenn man bei seinen Überlegungen alle drei Dimensionen vor Augen hat. Bei der Durchsicht der in der Literatur diskutierten Dienstleistungsdefinitionen stellt man jedoch fest, daß diese die einzelnen Dimensionen in sehr unterschiedlichem Maße betonen. Die Ursache hierfür liegt weniger in einer unterschiedlichen Beurteilung der Frage, worin die eigentliche Dienstleistung zu sehen ist; es besteht weitgehend Einigkeit, daß das Realphänomen Dienstleistung stets alle drei genannten Dimensionen umfaßt. Die verschiedenen Definitionsansätze lassen sich vielmehr danach unterscheiden, ob sie bei der Suche nach eindeutigen Abgrenzungskriterien für Dienstleistungen gegenüber anderen Gütern vorwiegend auf die Potential-, die Prozeß- oder die Ergebnisdimension abstellen12 {eindimensionale Ansätze) oder ob sie - wie einige neuere Definitionsvorschläge - explizit alle drei Dimensionen erfassen (integrierende Ansätze). Im folgenden sollen die den einzelnen Gruppen zugrundeliegenden Gedanken skizziert und an einem konkreten Definitionsbeispiel aus der Literatur verdeutlicht werden. Auf diese Weise erhält man einen Querschnitt der Diskussion um den Dienstleistungsbegriff, der einen Überblick über die vorhandenen Ansätze verschafft und es so ermöglicht, die für die Problemstellung der vorliegenden Arbeit relevanten typischen Merkmale der Dienstleistung zu identifizieren. Nach den potentialorientierten Definitionen zeichnen sich Dienstleistungen dadurch aus, daß der Nachfrager zum Zeitpunkt des Kaufs kein fertiges, übergabefähiges Transferobjekt erhält, sondern zunächst nur ein Leistungsversprechen erwirbt (Meyer & Mattmüller, 1987, S. 188). Ein Dienstleistungsunternehmen

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Man könnte sich allerdings auch auf den Standpunkt stellen, daß es sich bei dem genannten Beispiel eines Urlaubsaufenthaltes nicht um eine, sondern um ein ganzes Bündel von Dienstleistungen handelt. In diese Richtung argumentieren etwa Engelhardt, Kleinaltenkamp & Reckenfelderbäumer (1993, S. 407). Damit würde man sich jedoch allzuweit vom allgemeinen Sprachgebrauch entfernen. Zudem sind keine Kriterien ersichtlich, anhand derer entschieden werden kann, bis zu welchem Punkt eine solche „Atomisierung" der Dienstleistung fortgeführt werden soll. 12 Dieses Gliederungsschema legen beispielsweise zugrunde: Niemann & Hanrieder, 1993, S. 5; Corsten, 1990, S. 17; Hilke, 1989, S. 10.

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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kann stets nur seine eigene Leistungsfähigkeit, sein Potential anbieten, mit dessen Hilfe das Leistungsversprechen nach dem Kauf erfüllt werden kann (Mengen, 1993, S. 17). Bei den angebotenen Leistungsfähigkeiten kann es sich um menschliche (z.B. Fachwissen eines Wertpapierberaters) und/oder um maschinelle (z.B. Fähigkeit eines Geldausgabeautomaten, die korrekte Summe auszubezahlen) Potentiale handeln. Die eigentliche Dienstleistung wird in diesen Ansätzen also in einem auf die eigenen Potentiale bezogenen Leistungsversprechen gesehen; als solches ist sie zwangsläufig immateriell, womit bereits ein wesentliches konstitutives Merkmal genannt wäre (Hentschel, 1992, S. 19; Corsten, 1990, S. 18). Als typischer Vertreter dieser Sichtweise ist Meyer zu nennen. Er definiert (1991, S. 198): „Dienstleistungen sind angebotene Leistungsfähigkeiten, die direkt an externen Faktoren (Menschen oder deren Objekte) mit dem Ziel erbracht werden, an ihnen gewollte Wirkungen (Veränderung oder Erhaltung bestehender Zustände) zu erreichen."

Obwohl der Autor die Leistungsfähigkeit und damit die Potentialdimension eindeutig in den Vordergrund rückt, indem er sie als Dienstleistung bezeichnet („Dienstleistungen sind angebotene Leistungsfähigkeiten 13... "), kommt er doch nicht umhin, implizit auch die anderen beiden Dimensionen zu erwähnen: Die Leistungsfähigkeiten werden an externen Faktoren „erbracht" (Prozeßdimension), und zwar mit dem Ziel, bestimmte „Wirkungen" zu erreichen (Ergebnisdimension). Mit der Erwähnung des „externen Faktors" ist bereits ein weiteres konstitutives Merkmal angesprochen, das aber eher im Zentrum der prozeßorientierten Ansätze steht und deshalb dort eingehender betrachtet werden wird. Die prozeßorientierten Definitionen setzen an der Zeitraumbezogenheit und dem Verrichtungscharakter von Dienstleistungen an. Als kennzeichnend wird dabei angesehen, daß dieser Prozeß nicht alleine in der Kombination von im Unternehmen bereits vorhandenen Produktionsfaktoren besteht, sondern darüber hinaus notwendig auf die Integration eines externen Faktors angewiesen ist. Es kann sich dabei um den Konsumenten selbst handeln (z.B. bei einer Fahrschulausbildung) oder um einen diesem zuzurechnenden (materiellen oder immateriellen) Gegenstand (z.B. das reparaturbedürftige Auto). Maleri (1994, S. 37) nimmt für sich in Anspruch, bereits im Jahre 1973 als erster auf das Erfordernis der Integration eines externen Faktors hingewiesen zu haben (Maleri, 1973, S. 77).

13 Interessanterweise erwähnt Meyer das Leistungsversprechen in seiner Definition nicht explizit; doch ist ein Käufer natürlich niemals an der Leistungsfähigkeit eines Unternehmens als solcher interessiert, sondern immer nur mit Blick auf das von diesem abgegebene Leistungsversprechen.

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Α. Theoretischer Rahmen

Da eine Verrichtung (ebenso wie eine Leistungsversprechen, s.o.) stets immateriell ist, gehen auch die Vertreter dieser Begriffsauffassung von der Immaterialität als konstitutivem Merkmal einer Dienstleistung aus. Die folgende Definition stammt von Berekoven (1983, S. 23): „Dienstleistungen im weitesten Sinne sind der Bedarfsdeckung Dritter dienende Prozesse mit materiellen und/oder immateriellen Wirkungen, deren Vollzug und deren Inanspruchnahme einen synchronen Kontakt zwischen Leistungsgeber und Leistungsnehmer bzw. deren Objekten von der Bedarfsdeckung her erfordert."

Die Betonung der ergebnisorientierten Definitionen schließlich liegt auf dem unstofflichen Charakter des Ergebnisses dienstleistender Tätigkeiten. Wiederum ist damit ein Aspekt der Immaterialität angesprochen. Der Begriff des Dienstleistungsergebnisses ist allerdings mit einigen Abgrenzungsproblemen behaftet, die immer wieder zu Fehlschlüssen verleiten. So ist das Dienstleistungsergebnis sorgfältig zu unterscheiden von einem möglicherweise vorhandenen materiellen Trägermedium (Maleri, 1994, S. 45; Corsten, 1990, S. 19): Nicht etwa der Führerschein als Dokument ist das Ergebnis einer Fahrausbildung, sondern das Recht und die Fähigkeit, als Fahrer eines Kraftfahrzeugs am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen. Von einem materiellen Ergebnis einer Dienstleistung kann auch in den Fällen nicht gesprochen werden, in denen an dem externen Faktor körperliche Veränderungen vorgenommen werden. Denn das Ergebnis beispielsweise der Dienstleistung „Autoreparatur" ist ja nicht etwa die neue Lichtmaschine, sondern die an dem Auto bewirkte Veränderung, also die Tatsache, daß es nun wieder funktionstüchtig ist (so auch Hilke, 1989, S. 14). Daher irrt Meyer (1992, S. 20), wenn er Schuheputzen und Fabriksprengungen als Dienstleistungen mit „materiellem Ergebnis" bezeichnet14. Scharf auseinandergehalten werden müssen schließlich auch das Ergebnis der Dienstleistung und das befriedigte Bedürfnis. Um eines der obigen Beispiele wieder aufzugreifen: Das Ergebnis der Dienstleistung „Fahrausbildung" ist das Recht und die Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug zu lenken. Das damit zu befriedigende Bedürfnis ist das Bedürfnis nach Mobilität. Zur Befriedigung eben dieses Bedürfnisses benötigt man neben der Dienstleistung zusätzlich aber auch noch u.a. das Sachgut Auto. Dies ruft uns in Erinnerung, daß wir auch Sachgüter nicht um ihrer körperlichen („materiellen") Existenz willen erwerben, sondern um damit Bedürfhisse zu befriedigen (Abbott, 1958, S. 51-53 u. 104-105; Scherhorn, 1980, S. 104) 15 , weshalb das letztendliche „Ergebnis" jeder konsumtiven Handlung, sei 14 Meyer geht noch weiter und spricht in diesen Fällen gar von „materiellen Leistungsprozessen", was schon auf der begrifflichen Ebene einen Widerspruch darstellt, da Prozesse abstrakt sind und selbst niemals materiell sein können. 15 Es ist ein Verdienst der Theorie der „New Home Economics" (Becker, 1965; Linder, 1970), explizit daraufhingewiesen zu haben, daß die der Bedürfnisbefriedigung unmittelbar dienenden Güter („commodities") grundsätzlich von den Konsumenten erst in einem

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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es der Konsum einer Dienstleistung oder eines Sachguts, stets immateriell ist. Überdehnt man also die Vorstellung vom Ergebnis und setzt es im Endeffekt mit dem stets immateriellen gestifteten Nutzen gleich, so verliert die Immaterialität des Ergebnisses ihren diskriminatorischen Gehalt und taugt folglich nicht mehr als Unterscheidungsmerkmal. Dies übersieht Hilke (1989, S. 14), wenn er beispielsweise das Ergebnis einer Friseurdienstleistung im anschließend gesteigerten Wohlbefinden der Kundin sieht und aus seiner Immaterialität auf das Vorliegen einer Dienstleistung schließt 16 ; denn ein gesteigertes Wohlbefinden kann auch eine neu erworbene Couchgarnitur auslösen, ohne daß jemand auf die Idee käme, deshalb von einer Dienstleistung zu sprechen. Ein typisches Beispiel einer ergebnisorientierten Definition liefert Maleri (1994, S. 40; im Orig. Hervorhebungen). Nach seiner Auffassung „handelt es sich bei Dienstleistungen um ohne den Einsatz von Rohstoffen - daher immaterielle - für den fremden Bedarf produzierte Güter."

Fassen wir an dieser Stelle kurz zusammen. Während die Anhänger der potentialorientierten Sichtweise von einer Dienstleistung stets dann sprechen, wenn nicht fertige Produkte, sondern Fähigkeiten und Bereitschaften angeboten werden, sehen die prozeßorientierten Autoren den Tatbestand der Dienstleistung als erfüllt an, wenn in den Produktionsprozeß ein Objekt des Kunden oder dieser selbst integriert ist; aus ergebnisorientierter Sicht schließlich liegt eine Dienstleistung immer dann vor, wenn das Ergebnis eines Leistungserstellungsprozesses immateriell ist. Es ist unverkennbar, daß sämtliche Definitionstypen einleuchtende Elemente enthalten und deshalb keiner von ihnen ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Andererseits lassen sich aber auch gegen jeden von ihnen Einwände vorbringen (eine Übersicht bei Engelhardt, Kleinaltenkamp & Reckenfelderbäumer, 1993, S. 398-404), so daß auch aus diesem Grund eine positive Entscheidung zugunsten einer Variante nicht sinnvoll erscheint. Es ist daher Hentschel zuzustimmen, wenn er bezweifelt, daß die drei Definitionstypen überhaupt im Sinne von Alternativen diskutiert werden können (1992, S. 21). Wie er jedoch weiter darlegt, haben die Bemühungen um einen integrierenden Ansatz noch nicht zu einem einheitlichen Ergebnis gefuhrt. Daß der Versuch, in einer Definition alle drei Dienstleistungsdimensionen simultan zu erfassen, leicht zu einem

Produktionsprozeß selbst hergestellt werden (daher auch die deutsche Bezeichnung „Produktionstheorie des Haushalts"). Die am Markt käuflich erworbenen Güter („goods") stellen in diesem Produktionsprozeß lediglich einen Produktionsfaktor neben anderen (insbes. Zeit und Sachverstand ({es Konsumenten) dar. Einige weitere Grundannahmen dieser Theorie sind allerdings nicht unwidersprochen geblieben (vgl. hierzu insbes. Scherhorn, 1986). 16 Die Schlußfolgerung ist im Ergebnis natürlich trotzdem richtig; doch ist das immaterielle Ergebnis der Friseurdienstleistung die Veränderung der Frisur.

3 Haas

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Α. Theoretischer Rahmen

recht unhandlichen Ergebnis fuhren kann, zeigt eindrucksvoll der Vorschlag von Meffert und Bruhn (1995, S. 27, im Orig. Hervorh.). „Dienstleistungen sind selbständige, marktfähige Leistungen, die mit der Bereitstellung (zum Beispiel Versicherungsleistung) und/oder dem Einsatz von Leistungsfähigkeiten (zum Beispiel Friseurleistung) verbunden sind (Potentialorientierung). Interne (zum Beispiel Geschäftsräume, Personal, Ausbildung) und externe Faktoren (also solche, die nicht im Einflußbereich des Dienstleisters liegen) werden im Rahmen des Erstellungsprozesses kombiniert (Prozeßorientierung). Die Faktorenkombination des Dienstleistungsanbieters wird mit dem Ziel eingesetzt, an den externen Faktoren, an Menschen (zum Beispiel Kunden) oder deren Objekten (zum Beispiel Auto des Kunden) nutzenstiftende Wirkungen (zum Beispiel Inspektion beim Auto) zu erzielen (Ergebnisorientierung).' 4

Auch Hilke (1989, S. 10-11) betont die Notwendigkeit der Berücksichtigung aller drei Dimensionen, ohne allerdings eine explizite Dienstleistungsdefinition zu formulieren. Statt dessen interpretiert er die drei Dimensionen als chronologische Abfolge und überführt sie so in ein Phasenmodell des Dienstleistungsvollzugs. Dieses ist in seiner Grundstruktur in Abbildung 3 wiedergegeben und kann aufgrund seiner übergreifenden Sichtweise zugleich als anschauliche Zusammenfassung des bisher Gesagten dienen. Bei der bloßen Betrachtung abstrakter Definitionen erschließt sich häufig nicht unmittelbar die ganze Vielfältigkeit der realen Phänomene, die von ihr erfaßt werden. Dies gilt in besonderem Maße für den Dienstleistungsbegriff. Um einen so heterogenen Objektbereich für analytische Zwecke besser handhaben zu können, ist daher oftmals eine weitere Untergliederung geboten. So fehlt es in der Literatur auch nicht an Systematisierungen von Dienstleistungen unter den verschiedensten Gesichtspunkten. Eine kompakte Übersicht über den Diskussionsverlauf sowie eine Bewertung der einzelnen Vorschläge findet sich bei Eversheim & Lange (1993). Einen Überblick über Typisierungsvorschläge in der englischsprachigen Literatur gibt Lovelock (1983). Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung ist es sinnvoll, nach der Stellung des Abnehmers der Dienstleistung zu unterscheiden. Hier kann differenziert werden, ob es sich bei diesem um ein Unternehmen handelt, die Dienstleistung also in einen weiteren Produktionsprozeß eingeht („investive Dienstleistung", Corsten, 1990, S. 24; z.B. wenn ein Unternehmen Rat bei einem Rechtsanwalt einholt) oder um eine Privatperson, bei der die Dienstleistung einen Letztverbrauch darstellt („konsumtive Dienstleistung", z.B. Rechtsberatung in einer Nachbarschaftsstreitigkeit). Eine weitere Unterscheidungsebene eröffnet sich, wenn man, der neueren Management-Literatur folgend, auch die innerhalb eines Unternehmens erbrachten Dienstleistungen in die Betrachtungen einbezieht (z.B. der rechtliche Rat des im Unternehmen angestellten Syndikus). Als Abnehmer lassen sich dadurch interne und externe Kunden unterscheiden (Frehr, 1994a, S. 43; Töpfer, 1993, S. 22; Zink, 1992a, S. 18; Oess, 1991, S. 92). Aufgrund der verbraucherpolitischen Sichtweise der vorliegenden Arbeit steht hier die Gruppe

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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der konsumtiven Dienstleistungen, die Privatpersonen als externe Kunden von Unternehmen nachfragen, im Zentrum des Interesses.

Potentialdimension der Dienstleistung

Prozeßdimension der Dienstleistung

Anbieter

Nachfrager

Bietet an bzw. hält bereit: eine Faktorkombination

Bringt ein: einen Faktor

Phase 2

Phase 1

Vorkombination Dienstleistung im Sinne von "Fähigkeit und Bereitschaft"

Ergebnisdimension der Dienstleistung

Endkombination Dienstleistung im Sinne von "Tätigkeit"

Phase 3

Immaterielles Gut Dienstleistung im Sinne von "Ergebnis einer Tätigkeit"

Abbildung 3: Phasenmodell des Dienstleistungsvollzugs Quelle: In Anlehnung an Hilke, 1989, S. 15.

Gelegentlich wird ferner unterschieden zwischen „reinen" und „produktbegleitenden" Dienstleistungen (z.B. Engelhardt, Kleinaltenkamp & Reckenfelderbäumer, 1993, S. 395). Im ersten Fall ist die Dienstleistung ein eigenständiges Absatzobjekt, im zweiten hingegen geht sie mit dem Erwerb eines Sachguts einher. Strenggenommen ist der Erwerb eines Sachguts stets an die Inanspruchnahme einer Dienstleistung, nämlich zumindest der Verkaufsdienstleistung, gebunden (Hilke, 1989, S. 8). Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß diese Dienstleistung von sehr unterschiedlicher Intensität sein kann: Sie reicht von der bloßen Entgegennahme des Geldes an der Kasse eines Supermarktes bis hin zur 3*

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Α. Theoretischer Rahmen

mehrstündigen Beratung beim Kauf eines komplizierten elektronischen Geräts. Unter dem hier interessierenden Aspekt der Dienstleistungsgwtf///ä/ ist diese Unterscheidung jedoch bedeutungslos, denn zwischen beiden Formen von Dienstleistungen bestehen diesbezüglich keine wesensmäßigen Unterschiede. So kann ein Konsument mit denselben Qualitätsproblemen konfrontiert sein, gleichgültig ob er selbst eine Spedition mit der Abholung eines neu erworbenen Möbelstücks beauftragt oder ob das Möbelhaus ihm dieses mit einem eigenen LKW anliefert. Dabei ist zu berücksichtigen, daß produktbegleitende Dienstleistungen keineswegs kostenlos und insofern die Qualitätsansprüche zu begrenzen sind; sie werden nur nicht separat berechnet, sondern sind bereits im Preis des Sachguts enthalten. An diesem Punkt dürfte die erste der eingangs erwähnten Zielsetzungen, die Bildung einer problemorientierten Leitvorstellung über das Gut „Dienstleistung" und damit den Gegenstandsbereich der vorliegenden Untersuchung, erreicht sein. Abschließend sollen die in den vorgestellten Definitionsansätzen bereits angeklungenen typischen Merkmale einer Dienstleistung noch etwas genauer herausgearbeitet werden. Ob und ggf. in welcher Weise sie in einem Zusammenhang zu den Verbraucherproblemen auf Dienstleistungsmärkten stehen, ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels II.2. Wie sich gezeigt hat, spielt das Element der Immaterialität in allen Definitionsvorschlägen eine zentrale Rolle. Doch ist die Einigkeit in diesem Punkt nur eine scheinbare. Denn je nach Sichtweise sprechen die Autoren entweder von der Immaterialität eines Leistungsversprechens (Potentialdimension), einer Verrichtung (Prozeßdimension) oder eines Ergebnisses (Ergebnisdimension). Bei den weiteren Ausfuhrungen zu diesem Charakteristikum der Dienstleistung ist daher stets deutlich zu machen, welche Form der Immaterialität im konkreten Fall angesprochen ist. Als Charakteristikum (wenn auch nicht in allen Fällen als konstitutives Merkmal; Engelhardt, Kleinaltenkamp & Reckenfelderbäumer, 1993, S. 402; Corsten, 1985, S. 134) weitgehend unumstritten ist schließlich das Erfordernis zur Integration eines externen Faktors. Will man die abstrakt-produktionstheoretische Ausdrucksweise vermeiden, kann man auch von der sich aus diesem Merkmal zwangsläufig ergebenden Kontaktnotwendigkeit zwischen Anbieter und Nachfrager sprechen (Hentschel, 1992, S. 23). Im konkreten Fall kann die Art und Weise des Kontakts allerdings sehr unterschiedlich ausfallen; man denke etwa an einen Krankenhausaufenthalt im Vergleich zu einer Datenbankabfrage am heimischen PC. Wie aus den Beispielen ersichtlich ist, muß es sich nicht in allen Fällen um einen unmittelbaren, persönlichen Kontakt zwischen Dienstleistungsanbieter und -nachfrager handeln. Mit den beiden Merkmalen „Immaterialität" und „Kontaktnotwendigkeit" ist man dem Kern des Begriffs Dienstleistung sehr nahe. Zwar werden in der Lite-

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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ratur auch gelegentlich umfangreichere Merkmalskataloge genannt (z.B. Bruhn, 1996, S. 11; Quartapelle & Larsen, 1996, S. 4; Zollner, 1995, S. 55), doch stellt sich dabei zumeist schnell heraus, daß sich die angeführten Begriffe nicht auf der gleichen logischen Ebene befinden, sondern in einem Ursache-Wirkungsverhältnis stehen. So wird auch ohne ausfuhrliche Diskussion einleuchten, daß es nicht sinnvoll ist, wie etwa Quartapelle & Larsen (1996, S. 4) von der „Teilnahme des Kunden ... bei der Erstellung der Dienstleistung" und der „Gleichzeitigkeit von Erstellung und Konsum" als zwei unabhängigen Merkmalen der Dienstleistung zu sprechen, da die Synchronität von Produktion und Konsumtion der Dienstleistung, häufig auch als „uno-actu-Prinzip" bezeichnet (Meyer & Mattmüller, 1987, S. 188), eine zwingende Folge der Notwendigkeit der Integration eines externen Faktors ist.

2. Besonderheiten der Dienstleistung als Ursache der Verbraucherunzufriedenheit Nachdem in der Einleitung dargelegt wurde, daß die Unzufriedenheit der Verbraucher auf Dienstleistungsmärkten besonders ausgeprägt ist (vgl. S. 17), ist es nun an der Zeit, die möglichen Ursachen fur die Probleme aufzuzeigen und einer eingehenderen Betrachtung zu unterziehen. Erst vor diesem Hintergrund kann gezeigt werden, warum es möglich erscheint, daß Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. hier eventuell zu einer Verbesserung der Situation beitragen können. Da die ausgeprägte Verbraucherunzufriedenheit eine Besonderheit der Güterart Dienstleistung zu sein scheint, ist es naheliegend, mit der Ursachensuche bei denjenigen Eigenschaften anzusetzen, die diese Güterart von den übrigen unterscheidet. a) Immaterialität Ein Konsument wird immer dann unzufrieden sein, wenn die tatsächliche Qualität des von ihm erworbenen Gutes geringer ist als die von ihm erwartete 17. Das Vorhandensein von Unzufriedenheit auf einem bestimmten Markt deutet also darauf hin, daß es den Konsumenten dort verwehrt oder zumindest erschwert ist, vor dem Kauf erwünschte und tatsächliche Qualität einander gegenüberzustellen. Es leuchtet unmittelbar ein, daß dies bei Dienstleistungen, die, wie oben erläutert, in allen Phasen wesentlich von Elementen der Immaterialität geprägt sind, be-

17

Die Vorstellung von einem Soll-Ist-Vergleich ist als das sogenannte C/D Paradigma (Confirmation/Disconfirmation) bekanntgeworden (Homburg & Rudolph, 1995, S. 31 u. 36); dieser Gedanke wird in Kapitel II.2. (Teil B) noch einmal aufgegriffen.

Α. Theoretischer Rahmen

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sonders häufig der Fall ist, denn Immaterialität bedeutet in diesem Zusammenhang ja gerade Nicht-Greifbarkeit und damit zumeist auch Nicht-Beurteilbarkeit. Mengen (1993, S. 113) spricht hier anschaulich von der „in der Immaterialität begründete[n] 'Informationsarmut' der Dienstleistung im Verhältnis zur Sachleistung". So kann der Konsument nicht vor dem Kauf beurteilen, ob eine bestimmte Werkstatt den Kundendienst an seinem Auto sorgfältig oder nachlässig durchfuhren wird, und er kann auch nicht vor der Buchung wissen, ob eine Pauschalreise so verlaufen wird, wie sie im Katalog beschrieben ist. An den Beispielen wird deutlich, was die Vertreter der potentialorientierten Sichtweise meinen, wenn sie von der Dienstleistung als Leistungsversprechen sprechen. In vielen Fällen bleibt dem Nachfrager keine andere Möglichkeit, als darauf zu vertrauen, daß der Anbieter die gemachten Zusagen erfüllen und damit sein Versprechen einhalten wird. Derartige Konstellationen bilden schon seit langem ein zentrales Thema der Informationsökonomik 18 (Bössmann, 1992, S. 334). Bereits Nelson (1970, S. 312) unterschied zwischen search goods , womit Güter bezeichnet werden, deren Qualität ein Konsument bereits vor dem Kauf beurteilen kann, und experience goods , bei denen dies erst nach dem Kauf, also während oder nach der Gebzw. Verbrauchsphase, möglich ist. Ein Beispiel fur die erste Gruppe, welches auch Nelson verwendet, wäre ein Kleidungsstück, das ja vor dem Gebrauch betrachtet, betastet und anprobiert werden kann. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, daß sich schon bei diesem einfachen Beispiel aus dem Sachgüterbereich Merkmale finden lassen, die sich einer Beurteilung vor dem Kauf verschließen. So ist es für das Qualitätsurteil des Nachfragers zweifellos von Bedeutung, wie das besagte Kleidungsstück den ersten Waschvorgang überstehen wird, was sich jedoch naturgemäß erst nach dem Erwerb herausstellen kann. Es erscheint daher angebracht, die Unterscheidung nicht nur auf das Gut als Ganzes zu beziehen, sondern bereits auf die Ebene der einzelnen Qualitätsmerkmale; demnach wäre präziser zu unterscheiden zwischen search qualities und experience qualities (so auch Nelson selbst in einer späteren Arbeit; Nelson, 1974, S. 730). Von einem search good kann dann vereinfachend gesprochen werden, wenn es sich um ein Gut handelt, dessen entscheidungsrelevante Qualitätsmerkmale überwiegend dem Typus der search qualities zuzurechnen sind (Hauser, 1979, S. 751).

18

Die Informationsökonomik ist neben der Property Rights-Theorie, dem Transaktionskostenansatz und der Prinzipal-Agenten-Theorie das vierte Teilgebiet der Neuen Institutionenökonomik (Kaas, 1995a, S. 3-4). Sie stellt eine Weiterentwicklung der neoklassischen Preis- und Markttheorie dar, wobei der Fortschritt in der Aufgabe der zentralen Annahme besteht, daß alle Marktteilnehmer vollständig informiert sind (Vahrenkamp, 1991, S. 10). Informationsökonomik ist damit mikroökonomische Analyse unter Unsicherheit (Hopf, 1983, S. 1).

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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Sucht man nach einem Beispiel für ein search good aus dem Dienstleistungsbereich, wird man nur schwer fündig. Man könnte etwa an eine Autowaschanlage denken, bei der der Kunde immerhin die Möglichkeit hätte, vom Zustand der Wagen, die vor seinem eigenen die Anlage durchlaufen haben, auf die Qualität der Dienstleistung zu schließen. Diese Qualitätsbeurteilung ist jedoch unvollkommen, denn der Konsument hat keine Gewähr, daß die Anlage nicht gerade bei seinem Wagen dennoch den Rückspiegel oder den Scheibenwischer zerstören wird; außerdem ist keineswegs sichergestellt, daß zu jeder Zeit auch ein anderer Wagen als „Testfahrzeug" vorhanden ist. Es ist die Immaterialität auf der Potentialebene, die dafür sorgt, daß unter den Dienstleistungen kaum search goods zu finden sind. Nelsons Beispiel für ein experience good ist eine Thunfischdose. Verständlicherweise würde kein Anbieter einem Konsumenten hier eine ex ante Qualitätsbeurteilung gestatten, denn diese führte zwangsläufig zur Zerstörung und damit Unverkäuflichkeit des Gutes. Um aus der Fülle der im Dienstleistungsbereich anzutreffenden experience goods nur einige wenige Beispiele zu nennen: Erst wenn der Friseur sein Werk vollendet hat, kann der Konsument es beurteilen, erst wenn die Reise vorüber ist, zeigt sich ihr Erholungswert und erst am Ende der Theateraufführung läßt sich etwas über die Leistungsfähigkeit der Schauspieler und Musiker sagen. Die von Nelson in die Diskussion eingeführte Unterscheidung zwischen search und experience goods wurde drei Jahre später von Darby & Kami erweitert. Die Autoren fügten eine dritte Kategorie hinzu, die der credence goods bzw. credence qualities (Darby & Kami, 1973, S. 68), womit Güter oder Merkmale gemeint sind, deren Qualität von einem Konsumenten überhaupt nicht, also auch zu keinem Zeitpunkt nach dem Kauf, beurteilt werden kann, sei es weil dies prinzipiell ausgeschlossen ist oder - der häufigere Fall - weil eine Evaluierung für den Konsumenten mit prohibitiv hohen Kosten verbunden ist 19 . Die Autoren führen Beispiele aus dem Dienstleistungsbereich an: So wird ein Patient unter normalen Umständen nie mit Sicherheit wissen, ob die Diagnose, die ihm sein Arzt gestellt hat, richtig war und ob der daraufhin entfernte Blinddarm tatsächlich ein Gesundheitsrisiko dargestellt hatte.20 Aus dem Bereich der Reparaturdienstleistun-

19 So ist es beispielsweise dem Konsumenten selbst nicht möglich zu beurteilen, ob seine Werkstatt die Abgaswerte des Motors korrekt eingestellt hat; er könnte allerdings einen neutralen Sachverständigen beauftragen (z.B. ein Prüflabor), was natürlich erhebliche Kosten mit sich brächte. 20 Im Zentrum der Analyse von Darby & Kami stehen die besonders problematischen Fälle, in denen derselbe Dienstleistungsanbieter ein Problem diagnostiziert, mithin also einen Bedarf erst schafft, und zugleich seine Leistung zur Lösung dieses Problems entgeltlich anbietet. Die Autoren legen dar, daß in solchen Situationen damit zu rechnen ist, daß der Anbieter den Nachfrager täuscht, indem er einen künstlichen Bedarf schafft; es

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Α. Theoretischer Rahmen

gen ließen sich hierzu ebenfalls eine ganze Reihe von Beispielen nennen. Es zeigt sich hier eine deutliche Verbindungslinie zur Immaterialität in der Ergebnisdimension der Dienstleistung. Aber auch im Sachgüterbereich sind durchaus credence qualities zu beobachten: So ist es einem Konsumenten beispielsweise kaum möglich zu beurteilen, ob ein mit „Bio-" bezeichnetes Nahrungsmittel tatsächlich aus kontrolliertem biologischen Anbau stammt.

Anteile der verschiedenen "qualities" am Gut

Abbildung 4: Beurteilbarkeit der Qualität bei Sachgütern und Dienstleistungen Quelle: In Anlehnung an Zeithami, 1981, S. 186; Mengen, 1993, S. 131; Wiswede, 1996, S. 66.

Wie die obigen Ausfuhrungen und Beispiele gezeigt haben, zeichnen sich Dienstleistungen typischerweise durch einen hohen Anteil an experience und credence qualities und einen geringen Anteil an search qualities aus. Über diesen Sachverhalt besteht auch im Schrifttum weitgehend Einigkeit (z.B. Haller, 1995, läßt sich sogar eine optimale Betrugsmenge („optimal amount of fraud") errechnen. Interessante Erkenntnisse liefern diesbezüglich jüngere Untersuchungen, die das Ausmaß, in dem Ärzte an sich selbst bestimmte Eingriffe vornehmen lassen, dem Anteil dieser Operationen in der Gesamtbevölkerung gegenüberstellen. Wedemeyer (1995) berichtet von drei entsprechenden Studien, die unter anderem ergaben, daß bei Ärzten und deren Familienangehörigen im Vergleich zur Normalbevölkerung nur gut halb so oft eine Entfernung der Gallenblase vorgenommen wird. Eine ähnlich niedrige Operationsrate findet sich außerdem bei der Berufsgruppe der Rechtsanwälte, was ebenfalls gewisse Schlüsse zuläßt.

II. Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen als Verbraucherproblem

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S. 65; Stauss, 1995, S. 3; Benkenstein, 1993, S. 1105; Meyer, 1991, S. 200; Hauser, 1979, S. 739). Mitunter wird er durch schematische Darstellungen wie in Abbildung 4 veranschaulicht. Auf Märkten, in denen experience oder credence goods gehandelt werden, ist die Nachfragerseite hinsichtlich der Versorgung mit entscheidungsrelevanten Informationen über den Vertragsgegenstand gegenüber der Anbieterseite strukturell benachteiligt. Die Anbieter erlangen die Informationen über die Qualität ihres Angebots ja in aller Regel ganz automatisch bei der Produktion des Gutes. Ökonomisch ausgedrückt: es bestehen Economies of Scope (Verbundvorteile) zwischen der Produktion der Güter und der Produktion der Qualitätsinformation 21 (Shapiro, 1983a, S. 530; für weitere Ursachen anbieterseitiger Informationsvorteile vgl. Kruse & Berger, 1996, S. 414-415). Der Zustand, daß Nachfrager und Anbieter einen in dieser Weise unterschiedlichen Informationsstand über die Qualität von Gütern haben, soll im folgenden als Informationsasymmetrie (Spremami, 1990, S. 562) bezeichnet werden und ist als eine wichtige Ursache für die erhöhte Unzufriedenheit auf diesen Märkten anzusehen. Schon diese Erkenntnis würde alle Anstrengungen rechtfertigen, die darauf gerichtet sind, die Informationsasymmetrie zu beseitigen oder wenigstens zu verringern, mit anderen Worten: die Qualitätstransparenz fur die Nachfrager zu erhöhen. Es läßt sich jedoch zeigen, daß Informationsasymmetrien über die konkreten Fälle enttäuschter Verbraucher hinaus auch negative Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit des gesamten betrachteten Marktes zeitigen können, was die Notwendigkeit wirksamer Gegenmaßnahmen noch unterstreicht. Diesen Nachweis hat Akerlof (1970) an seinem sehr bekannt gewordenen Beispiel eines privaten Gebrauchtwagenmarktes erbracht; es läßt sich aber problemlos auf alle Märkte mit vergleichbarer Informationsverteilung übertragen. Gewiß lassen sich gegen das Beispiel eine ganze Reihe von Einwänden vorbringen, die seine Allgemeingültigkeit und Praxisrelevanz in Frage stellen können; dennoch eignet es sich ausgezeichnet, um zu verdeutlichen, worin das Grundproblem von asymmetrisch verteilter Information auf Gütermärkten besteht. Ein Gebrauchtwagenmarkt, wie ihn Akerlof beschreibt, ist typischerweise von einer starken Informationsasymmetrie geprägt: Die derzeitigen Autobesitzer, also die Anbieter auf dem Markt, wissen sehr genau um die Stärken und Schwächen der von ihnen angebotenen Fahrzeuge, während die Nachfrager hierfür außer dem optischen Eindruck (und vielleicht einigen Daten wie etwa dem Baujahr) keine Anhaltspunkte haben. Da die Nachfrager deshalb auch keine Qualitätsw«terschiede zwischen den Angeboten wahrnehmen können, wird sich auf dem

21 Auch die Vorstellung von den Gütern und den zugehörigen Informationen als Kuppelprodukte (Kruse & Berger, 1996, S. 414) veranschaulicht den Sachverhalt recht gut.

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Α. Theoretischer Rahmen

Markt ein durchschnittlicher Preis für alle Wagen der gleichen Wagenklasse bilden, der sich an einer durchschnittlichen Qualität orientiert. Das bedeutet aber, daß die tatsächlich guten Wagen keinen angemessenen Preis erzielen können, was dazu führt, daß deren Besitzer von einem Verkauf absehen und ihr Auto lieber weiterhin selbst fahren werden. Durch die Marktaustritte der Anbieter guter Qualitäten (die sogenannte „ adverse Selektion Akerlof, 1970, S. 493) sinkt das Qualitätsniveau des (Rest-)Marktes und in der Folge auch die Vorstellung der Abnehmer von der durchschnittlichen Qualität auf diesem Markt. Dies wiederum senkt den Durchschnittspreis, womit die Spirale erneut in Gang kommt. Auf diese Weise kommt es zu einer kontinuierlichen Qualitätsverschlechterung auf einem permanent schrumpfenden Markt. Ein vollständiges Zusammenbrechen des Marktes markiert den theoretischen Endpunkt der Entwicklung. In Akerlofs Gebrauchtwagenmarkt-Beispiel ist die angebotene Qualität eine exogene Größe. Nimmt man dagegen an, daß die Anbieter das Qualitätsniveau ihres Angebots beeinflussen können, gelangt man jedoch zum gleichen Ergebnis, jedenfalls wenn was in der Regel der Fall ist - die Produktion höherer Qualität auch höhere Kosten verursacht. Anstatt aus dem Markt auszutreten, werden die Anbieter das Qualitätsniveau ihres Angebots soweit senken, bis die Produktionskosten unter den auf dem Markt realisierbaren Durchschnittspreis fallen, so daß ein Gewinn erzielt werden kann. In der dynamischen Betrachtung führt dies ebenfalls zu einer Qualitätssenkungsspirale, wenn auch nicht auf einem schrumpfenden Markt wie bei Akerlof. Aus dem Beispiel lassen sich zwei Erkenntnisse gewinnen. Zum einen wurde deutlich, daß Informationsasymmetrien nicht nur für den einzelnen Konsumenten eine Erschwernis der Qualitätsbeurteilung vor einer konkreten Kaufentscheidung bedeuten, sondern darüber hinaus auch bewirken können, daß das insgesamt auf diesem Markt vorzufindende Qualitätsniveau niedriger ist als es bei besserer Informationsversorgung der Nachfrager wäre. Zum anderen hat sich gezeigt, daß nicht nur die Nachfrager ein Interesse an der Beseitigung der Informationsasymmetrie haben, sondern auch eine bestimmte Gruppe von Anbietern, nämlich die Anbieter hoher Qualität. Wie sich in Kapitel III. noch zeigen wird, gehen in der Tat einige der existierenden Institutionen, die sich zur Verringerung von Informationsasymmetrien gebildet haben, maßgeblich auf die Initiative der Anbieterseite zurück. Zum Abschluß des Kapitels sind zwei ergänzende Anmerkungen erforderlich. Es wurde hier ein Problem beschrieben und mit dem Begriff Informationsasymmetrie bezeichnet, das darin besteht, daß es aufgrund der Eigenart bestimmter Güter für Verbraucher vor dem Kauf nicht möglich ist, deren Qualität zu beurteilen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß daneben noch ein weiteres, nicht auf bestimmte Güter beschränktes und insofern allgemeineres Informationsproblem existiert. Denn um eine optimale Kaufentscheidung treffen zu können, muß der Konsument ja nicht nur die Qualität eines bestimmten betrachteten Gutes

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kennen, sondern er muß über eine hinreichende Kenntnis der Struktur des gesamten Angebots verfügen, also darüber, welche prinzipiell zur Deckung seines Bedarfs in Frage kommenden Güter überhaupt angeboten werden, von welcher Qualität diese Güter sind und zu welchen Konditionen, insbesondere Preisen, sie erworben werden können. Die Kenntnis all dieser Sachverhalte wird als Marktübersicht bezeichnet (grundlegend: Scherhorn, 1964, S. 17); daß sie häufig unzureichend ist, läßt sich vor allem auf zwei Ursachen zurückfuhren. Zum einen findet das Ausmaß der Informiertheit seine absolute Grenze in der aufgrund seiner menschlichen Natur zwangsläufig beschränkten Informationsaufhahme- und -Verarbeitungskapazität des Konsumenten (Jacoby, 1977, S. 569; Kaas, 1994, S. 246). Doch markiert dies eher einen theoretischen Endpunkt; in der Praxis wird die Marktübersicht des einzelnen Konsumenten vielmehr dadurch begrenzt, daß die Beschaffung von Informationen stets mit Kosten verbunden ist (Zeit, Geld, psychische Energie, etc. Abbott, 1958, S. 72; Stigler, 1961, S. 216; Kruse & Berger, 1996, S. 398). Die Informationsnachfrage eines Konsumenten unterliegt daher dem üblichen Marginalkalkül, nach dem die Informationssuche bei Rationalverhalten dann zu beenden ist, wenn die Kosten einer weiteren Informationseinheit den zu erwartenden Nutzenzuwachs übersteigen (Stigler, 1961, S. 216; Scherhorn, 1974, S. 25; Hopf, 1983, S. 56). Erschwerend kommt hinzu, daß dabei zumeist nur die Kosten bekannt sind und sicher anfallen (z.B. der Aufwand an Zeit, Geld und psychischer Energie, der für den Erwerb und das Lesen eines Testberichts erforderlich ist), der Nutzen der neu zu gewinnenden Information hingegen ex ante nur vage bestimmt werden kann oder gänzlich ungewiß ist und daher zumeist unterschätzt wird (Scherhorn, 1992a, S. 196-197; Kuhlmann, 1990, S. 331; Silberer, 1979a, S. 101); dies fuhrt zu einer gegenüber der „ausreichenden Marktübersicht" (Scherhorn, 1964, S. 26) noch weiter verringerten Informationsaufhahme. Im Fokus der vorliegenden Untersuchung befindet sich jedoch - ausgehend von einem konkret beobachteten Problem, nämlich der Verbraucherunzufriedenheit auf Dienstleistungsmärkten - mit den Dienstleistungen eine bestimmte Güterart, weshalb hier das speziellere, mit Gütereigenschaften in Zusammenhang stehende Informationsproblem von größerem Interesse ist. Gleichwohl könnten an vielen Stellen leicht Beziehungen zum allgemeineren Informationsproblem hergestellt werden; so ließen sich etwa viele der im folgenden Kapitel dargestellten Lösungsansätze durchaus auch in diesem Kontext diskutieren. Die aus dem praktischen Untersuchungszweck begründete Fokussierung auf Dienstleistungen führt zu einer weiteren Anmerkung. Wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, ergibt sich die Informationsasymmetrie nicht unmittelbar aus der Dienstleistungseigenschaft selbst, sondern ist eine Folge des Vorliegens von experience bzw. credence qualities. Diese wiederum sind zwar für Dienstleistungen sehr typisch, aber sie finden sich eben auch häufig im Sachgüterbereich, und mit etwas Mühe lassen sich vielleicht umgekehrt auch Beispiele für Dienstleistungen

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Α. Theoretischer Rahmen

konstruieren, die vorwiegend aus search qualities bestehen (vgl. hierzu Abbildung 4 auf S. 40). Wenn im folgenden gelegentlich implizit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Dienstleistungseigenschaft und dem Auftreten von Informationsasymmetrien unterstellt wird, so geschieht dies nicht in Verkennung dieser Tatsachen, sondern dient vor allem der sprachlichen Vereinfachung und der gedanklichen Konzentration auf den abgegrenzten Objektbereich der Untersuchung. Die getroffenen Aussagen können in diesen Fällen jedoch ohne weiteres auf alle experience goods bzw. credence goods übertragen werden. b) Integration eines externen Faktors Inwiefern steht nun das zweite Charakteristikum des Gutes „Dienstleistung", die Notwendigkeit zur Integration eines externen Faktors, in einem Zusammenhang mit der empirisch zu beobachtenden Unzufriedenheit der Verbraucher? Es lassen sich hier zwei verschiedene Einflüsse nachweisen, ein unmittelbar probiemauslösender und ein anderer, der eher auf die Intensität der Problemwahrnehmung einwirkt. Zunächst zum problemauslösenden Einfluß. Die Tatsache, daß die Erstellung der Dienstleistung erst stattfinden kann, wenn der Kunde sich selbst oder ein ihm zuzurechnendes Objekt in den Erstellungsprozeß einbringt, dem Kunden also gewissermaßen eine Doppelrolle als (Co-) Produzent und Konsument zukommt (bisweilen veranschaulicht durch das Kunstwort „prosumer", Meyer & Blümelhuber, 1994, S. 9), stellt einen produktionswirtschaftlichen Sonderfall dar, der für das betreffende Unternehmen einige Schwierigkeiten mit sich bringt. Zwar ist es dem Anbieter durchaus möglich, bereits vor der eigentlichen Dienstleistungserbringung einige vorbereitende Faktorkombinationen vorzunehmen, indem z.B. ein Bankgebäude errichtet wird, Bankmitarbeiter eingestellt und geschult werden etc. (in der Produktionstheorie auch als „Faktorkombination I" oder „Vorkombination" bezeichnet, Corsten, 1985, S. 161). Doch die eigentliche Erstellung der Dienstleistung (Faktorkombination II bzw. Endkombination) kann stets erst im Augenblick der Inanspruchnahme derselben durch den Nachfrager erfolgen (uno-actu-Prinzip). Hieraus ergeben sich zwei Konsequenzen, die beide eine tendenziell höhere Schwankungsbreite der Dienstleistungsqualität bewirken. Zum einen können Dienstleistungen aufgrund des uno-actu-Prinzips nicht auf Vorrat produziert werden (Hilke, 1989, S. 11-13). Dies stellt den Dienstleistungsanbieter bei schwankender Nachfrage vor die Wahl, sich mit seiner Kapazität entweder am Spitzenbedarf auszurichten (Maleri, 1994, S. 55) - was zweifellos kostspielig ist - oder bei seinen Kunden Wartezeiten und damit Unmut auszulösen (Meyer, 1991, S. 202). Zum anderen ist es durch die Gleichzeitigkeit von Produktion und Konsumtion nicht möglich, an fertiggestellten Produkten eine Qualitätskontrolle vorzunehmen und die mißlungenen ggf. noch vor dem Absatz auszusondern; dadurch bekommen Dienstlei-

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stungskäufer die Produktion von „Ausschuß" stets unmittelbar zu spüren (Mengen, 1993, S. 38). Eine weitere Schwierigkeit für den Dienstleistungsproduzenten ergibt sich daraus, daß die Beschaffenheit des externen Faktors in der Regel stark variiert; dies gilt in besonderem Maße, wenn es sich bei dem externen Faktor um den Konsumenten selbst handelt (Hilke, 1989, S. 27). So unterscheiden sich beispielsweise die Teilnehmer eines Fahrschulkurses erheblich hinsichtlich Vorwissen, Motivation und Intelligenz oder die Kunden einer Bank bezüglich ihrer Vermögensverhältnisse und Risikobereitschaft. Dadurch sieht sich der Dienstleistungsanbieter ständig mit neuen Situationen konfrontiert, wodurch die Standardisierung des Produktionsprozesses und damit die Qualitätssteuerung erheblich erschwert wird, was wiederum eine stärkere Streuung der Dienstleistungsqualität mit sich bringt 22 (Wiswede, 1996, S. 69; Kleinaltenkamp & Marra, 1995, S. 105; Meyer & Dornach, 1995, S. 432; Zeithami, Berry & Parasuraman, 1995, S. 133; Engelhardt, Kleinaltenkamp & Reckenfelderbäumer, 1993, S. 422). In den letzten beiden Absätzen wurde dargelegt, daß das Erfordernis der Integration eines externen Faktors in den Produktionsprozeß es den Anbietern der Dienstleistung erschwert, konstant hohe Qualität zu erzeugen. Dieses Produktionsproblem ist zu trennen von dem zuvor beschriebenen Informationsproblem, daß nämlich die Immaterialität der Dienstleistung es den Konsumenten erschwert, hohe Qualität einer Dienstleistung ex ante zu erkennen. Lösungsansätze für das Produktionsproblem sind nicht von verbraucherpolitischer Seite zu erwarten, sondern müssen von der Produktionstheorie (z.B. Maleri, 1994; Corsten, 1985 und 1990) oder auch der Marketingwissenschaft (z.B. Meffert & Bruhn, 1995; Meyer, 1992; Hilke, 1989; Scheuch, 1982) erbracht werden. In der vorliegenden Untersuchung geht es dagegen um ein Instrument, das möglicherweise zu einer Verringerung des Informationsproblems beitragen kann. Eine interessante Verbindungslinie ergibt sich jedoch dadurch, daß dieses Instrument dem Konsumenten möglicherweise gerade darüber Auskunft geben kann, wie gut ein Anbieter das Produktionsproblem zu lösen imstande ist. Der Einfluß der Kontaktnotwendigkeit auf die Intensität der Problemwahrnehmung läßt sich mit wenigen Worten beschreiben. Daß der Konsument selbst oder ein ihm zuzurechnendes Objekt in den Prozeß der Dienstleistungserstellung integriert ist, impliziert, daß hier im Vergleich zum Erwerb eines Sachgutes per se eine stärkere Betroffenheit, ein unmittelbarerer Bezug, ein stärkeres Involve22 Auf der anderen Seite sind natürlich auch die Mitarbeiter des Unternehmens, die die Dienstleistung (in der Regel) im persönlichen Kontakt mit dem Kunden erbringen, individuell unterschiedlich und auch nicht jeden Tag gleichermaßen leistungsfähig; auch hierin liegt ein Grund für eine tendenziell höhere Schwankungsbreite der Dienstleistungsqualität (Meyer & Mattmüller, 1987, S. 189), der allerdings nicht mit der Integration des externen Faktors zusammenhängt und deshalb hier nur am Rande erwähnt werden soll.

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ment des Konsumenten gegeben ist. Oftmals sind dabei sehr persönliche Lebensbereiche betroffen, und nicht selten enthalten diese Konsumsituationen Elemente des Ausgeliefertseins (Hentschel, 1992, S. 62). Ärztliche oder rechtsberatende Dienstleistungen sind hierfür anschauliche Beispiele, aber auch Ferienreisen und Dienstleistungen aus den Bereichen Schulung und Ausbildung. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, daß Unzufriedenheit hier leichter auftreten und eine relevante Größenordnung erreichen kann als beispielsweise im Sachgüterbereich, wo etwaige Qualitätsmängel den Konsumenten eher peripher berühren und zudem häufig leicht durch schlichten Umtausch oder Nachbesserung aus der Welt geschafft werden können.

I I I . Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion Das nachfolgende Kapitel soll einen Überblick über die wichtigsten in der Realität existierenden Institutionen zur Verringerung von Informationsasymmetrien auf Gütermärkten geben. Die Vorstellung der verschiedenen Ansätze erfolgt getrennt in drei Kapiteln, wobei das (grobe) Trennkriterium ist, welcher Partei in dem jeweiligen Konzept die aktive Rolle zukommt. Im ersten und letzten Kapitel sind dies die unmittelbar am Austauschprozeß Beteiligten: In Kapitel III.l. werden die Möglichkeiten diskutiert, die den Dienstleistungsanbietern offenstehen, um auf ihre (hohe) Qualität aufmerksam zu machen, während es in Kapitel III.3. um Indikatoren geht, die sich die Nachfrager selbst suchen, um zu einem Qualitätsurteil zu gelangen. Im mittleren Kapitel III.2. werden Instrumente vorgestellt, die von Dritten (Verbraucherorganisationen, Staat, Unternehmen) bereitgestellt werden. Nach einer kurzen Charakterisierung des jeweiligen Instruments wird aufgezeigt, welche theoretischen Einwände dagegen vorgebracht werden und welche praktischen Schwierigkeiten bei ihm auftreten können. Weiter wird untersucht, ob das Instrument auch bei der hier interessierenden Güterart „Dienstleistung" Anwendung finden kann und welche zusätzlichen Probleme sich gegebenenfalls dabei ergeben. Im Interesse einer auf den Kern dieser Arbeit gerichteten Argumentation werden die einzelnen Konzepte nur so ausführlich diskutiert, wie es erforderlich ist, um den Boden für die in Kapitel IV.5. vorzunehmende systematische Einordnung und die in Kapitel 1.1. (Teil B) durchzuführende theoretische Bewertung von Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. zu bereiten. Dies bringt allerdings mit sich, daß einzelne Aspekte nur verkürzt behandelt werden; der Leser, der an den jeweiligen Konzepten als solchen und nicht nur im Kontext der hier behandelten Fragestellung interessiert ist, findet jedoch anhand der angegebenen Literaturstellen einen schnellen Zugang zum Verlauf der jeweiligen wissenschaftlichen Diskussion.

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Die im folgenden diskutierten Ansätze versuchen allesamt, die Informationsasymmetrie unmittelbar zu beseitigen, nämlich durch die Verfügbarmachung der fehlenden Information fur die Konsumenten. Da auch den Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. dieses Prinzip zugrunde liegt, kann im Rahmen dieser Arbeit auf eine ausführliche Darstellung eines zweiten grundsätzlich möglichen Auswegs aus dem Informationsproblem verzichtet werden. Dieser besteht darin, durch staatliche Vorschriften die Qualität als solche zu regulieren (Shapiro, 1983a, S. 528; Kruse & Berger, 1996, S. 443-446), so daß schlechte Qualitäten auf dem Markt gar nicht mehr angeboten werden dürfen. Hierdurch wird zwar nicht die Informationsasymmetrie an sich beseitigt, denn sie besteht oberhalb des zugelassenen Mindeststandards ja weiter; beseitigt werden jedoch ihre besonders nachteiligen Auswirkungen für den Konsumenten. Solche Vorschriften sind beispielsweise bei Arzneimitteln zu finden (Zulassungspflicht), aber auch bei Automobilen (Erfordernis der allgemeinen Typzulassung) und Banken (z.B. Vorschriften über Eigenkapitalausstattung im KWG). In Fällen, in denen die Qualität eines Produktes nicht direkt festgeschrieben werden kann, speziell bei freien und Handwerksberufen, findet typischerweise eine Qualifikationsregulierung statt, d.h. es werden bestimmte Anforderungen an die Personen gestellt, welche die Leistung erbringen (z.B. entsprechendes Studium für Ärzte und Juristen, Meisterprüfung für Handwerker). Die verschiedenen Formen der Qualitäts- bzw. Qualifikationsregulierung werden z.B. bei Vahrenkamp (1991, S. 102-113) ausführlicher diskutiert.

1. Freiwillige Informationserzeugung durch Anbieter hoher Qualität a) Signalling Mit der bloßen Behauptung eines Anbieters, daß die Qualität seines Angebots hoch sei, ist einem Konsumenten verständlicherweise nicht geholfen, denn nichts hindert die Anbieter niedriger Qualität daran, diese Behauptung gleichfalls aufzustellen23. Ganz anders verhält es sich, wenn es dem Anbieter hoher Qualität gelingt, ein Signal zu etablieren, das einen engen realwirtschaftlichen Zusammenhang mit der nicht direkt beobachtbaren Qualität aufweist. Dies gilt in besonderem Maße für die Fälle, in denen die mit dem Signal verbundenen Kosten mit der angebotenen Qualität negativ korrelieren, so daß die Signalkosten für die Anbieter niederer Qualität so hoch sind, daß diese von der Setzung des Signals absehen (Spremann, 1990, S. 580; Hauser, 1979, S. 742). Diese Überlegungen 23 Diese Aussage gilt jedoch nur unter der Prämisse, daß die Anbieter kein Interesse an Wiederkäufen haben (Spence, 1976, S. 593); Kapitel III. 1 .b) (Reputation) befaßt sich mit Situationen, in denen diese Prämisse nicht gilt.

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hat erstmals Spence (1973, 1976) angestellt, der auch den Begriff „Signalling" 24 geprägt und sein konstitutives Wesensmerkmal wie folgt beschrieben hat (Spence, 1976, S. 595): „ A l l signals function through a correlation between the costs of the signaling activity and quality".

Spences grundlegende Analyse bezieht sich auf den Arbeitsmarkt, das Konzept ist aber ohne weiteres auf andere, ähnlich gelagerte Marktsituationen übertragbar, worauf Spence selbst hinweist (1973, S. 356 u. 374). Ein Unternehmen, das einen neuen Mitarbeiter einstellen möchte, ist in einer durchaus ähnlichen Situation wie ein Konsument, der im Begriff ist, ein experience good zu erwerben. Beide können als schlechter informierte Marktseite die Qualität des zu „erwerbenden Objektes" nicht ex ante beurteilen. Umgekehrt haben gute Stellenbewerber ebenso wie die Anbieter überdurchschnittlicher Qualität ein Interesse daran, der schlechter informierten Marktseite ihre (hohe) Qualität zu signalisieren. Für den Stellenbewerber kann der Nachweis einer Ausbildung, etwa ein Hochschuldiplom, ein solches Signal darstellen. Damit signalisiert er dem potentiellen Arbeitgeber zum einen, daß er über die erforderlichen Fachkenntnisse verfugt, vor allem aber gibt er Auskunft über nicht direkt beobachtbare, aus Sicht des Arbeitgebers aber sehr wichtige Eigenschaften: Ausdauer, Fähigkeit zur Selbstorganisation, Disziplin, Intelligenz (Kruse & Berger, 1996, S. 420). Um ein Signal im Sinne von Spence handelt es sich deshalb, weil die Kosten zur Etablierung dieses Signals, hier die zur Erlangung des Abschlusses einzusetzenden Ressourcen wie Zeit, Geld und psychische Energie, für den Bewerber um so höher ausfallen, in je geringerem Maße er über die vorgenannten Qualitäten verfügt (Spence, 1973, S. 359). Von den Signalen zu unterscheiden sind Attribute, die nicht über einen solchen Kostenzusammenhang mit den eigentlich interessierenden Eigenschaften verbunden sind; so ist beispielsweise denkbar, daß ein Arbeitgeber auch vom Geschlecht oder der Nationalität des Bewerbers auf dessen Intelligenz zu schließen versucht. Spence bezeichnet diese Attribute als „Indices" (Spence, 1973, S. 357). Die Validität solcher „Behelfsindikatoren", die von Konsumenten bei dem Versuch, Dienstleistungsqualität zu beurteilen, herangezogen werden, ist Gegenstand des Kapitels III.3. Sucht man bei der hier mehr interessierenden Fallgruppe, den Anbietern hoher Qualität auf Dienstleistungsmärkten, nach einer unmittelbaren Entsprechung zu Spences Beispiel, so käme etwa der Nachweis des Anbieters in Betracht, daß die Mitarbeiter regelmäßig an Schulungen oder Lehrgängen teilnehmen, was bei-

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Spence selbst schreibt „Signaling". In den anschließenden Diskussionsbeiträgen anderer Autoren hat sich jedoch die Schreibweise mit doppeltem Τ durchgesetzt.

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spielsweise durch den Aushang der entsprechenden Urkunden an die Kunden kommuniziert werden könnte. Auch die häufig anzutreffende Zurschaustellung des Meisterbriefes in den Verkaufsräumen ist in diesem Zusammenhang zu sehen, wobei von einem Qualitätssignal allerdings nur in den Fällen zu sprechen ist, in denen der Meisterabschluß nicht zwingende Voraussetzung fur die Ausübung des Gewerbes ist, da anderenfalls das „Signal" keine unterscheidende Kraft hätte. 25 Von größerer praktischer Bedeutung ist indessen die Gewährung von freiwilligen 26 Garantien zur Signalisierung hoher Qualität (Spence, 1976, S. 594). Ähnlich dem Nachweis von Fachkenntnissen im obigen Arbeitsmarktbeispiel hat auch die Garantie zunächst eine unmittelbare Wirkung: Sie befreit den Käufer jedenfalls für die Dauer der zugestandenen Garantiezeit - von den (meisten27) negativen Folgen einer möglicherweise geringen Produktqualität, indem kostenlose Nachbesserung oder Kompensation versprochen werden. Darüber hinaus läßt sich aber auch hier ein Kostenzusammenhang mit der den Konsumenten eigentlich interessierenden Größe, der Produktqualität, nachweisen: Für einen Anbieter geringer Qualität ist wegen der höheren Zahl von zu erwartenden Reklamationsfällen eine Garantiezusage mit höheren Kosten verbunden als für einen Anbieter höherer Qualität, weshalb bei ihm die Wahrscheinlichkeit einer Garantiegewährung geringer ist. Mit anderen Worten: Eine Garantie signalisiert stets implizit, daß der Anbieter davon ausgeht, der Garantiefall werde nur höchst selten eintreten 28. Diese Information stellt für den Käufer einen von dem oben beschriebenen unmittelbaren Vermögenseffekt unabhängigen, eigenständigen Wert dar. So wirkt das Qualitätssignal „Garantie" auch über den Ablauf der eigentli-

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In Wahrheit liegt hier ein Fall der Qualifikationsregulierung vor; vgl. hierzu S. 47. Die gesetzlichen Gewährleistungspflichten nach §§ 459ff. BGB erfüllen dagegen nicht die Funktion eines Signals, denn sie gelten für alle Anbieter gleichermaßen. Dadurch wirken sie direkt auf die Qualität: Ein Teil der Anbieter geringer Qualität wird aus dem Markt ausscheiden, nämlich diejenigen, bei denen sich die Produktion aufgrund hoher Garantieansprüche nicht mehr lohnt, die übrigen erhöhen dagegen die Qualität, um die Anzahl der Garantiefalle zu senken. 27 So wird häufig kein Ersatz für den entgangenen Nutzen während einer Reparatur geleistet oder der Kunde muß Portogebühren für den Versand des Produktes zum Hersteller bezahlen. Diese Einschränkungen dienen unter anderem dazu, dem „moral hazard"-Problem zu begegnen (vgl. S. 50). 28 Wie Peill & Spilker ( 1995\ zeigen, kann eine Garantiezusage neben der qualitätssignalisierenden auch eine qualitätssteigernde Wirkung haben, unter anderem weil dadurch für das Unternehmen die Kosten der Nicht-Qualität zu einer rechen- und spürbaren Größe werden. Ebenso Hart (1988, S. 54): „No-quibble guarantees are self-fulfilling — they promise quality and produce it." 26

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chen Garantiezeit hinaus und auch in den Fällen, in denen der Konsument von der Einlösung der Garantie gar keinen Gebrauch machen kann oder will 2 9 . In der Praxis ist der Anwendungsbereich des Signals „Garantie" jedoch auf solche Fälle beschränkt, in denen die Folgen einer geringen Qualität reversibel oder zu nicht prohibitiv hohen Kosten kompensierbar sind. Diese Voraussetzung ist im Sachgüterbereich in der Regel gegeben, da hier fehlerhafte Produkte repariert oder umgetauscht werden können. Doch lassen sich auch Gegenbeispiele finden. So ist etwa einem Konsumenten, dessen Hochzeitsfotos aufgrund fehlerhaften Filmmaterials mißlungen sind, nicht damit gedient, wenn er einen neuen Film erhält. Im Dienstleistungsbereich sind solche Situationen eher die Regel als die Ausnahme, insbesondere dort, wo der Konsument selbst der externe Faktor der Dienstleistungserstellung ist. Beispiele hierfür wären eine mißlungene Operation, ein verlorener Prozeß, eine mißglückte Urlaubsreise oder ein mißratener Haarschnitt. Andererseits finden sich gerade im Dienstleistungsbereich einige spektakuläre Beispiele für Garantien. So berichten Peill & Spilker (1995, S. 229) unter anderem von einer niederländischen Supermarktkette, die ihren Kunden die ausgewählten Waren ohne Bezahlung überläßt, falls diese keine Kasse vorfinden, an der weniger als drei weitere Kunden warten. In anderen Fällen, vornehmlich dort, wo die qualitätsrelevanten Merkmale zahlreicher oder aus anderem Grund nicht mit wenigen Worten spezifizierbar sind, werden bisweilen „Zufriedenheitsgarantien" ausgesprochen. Bei Hart (1988, S. 54) findet sich das Beispiel einer amerikanischen Schädlingsbekämpfungsfirma, die ihren unzufriedenen Kunden das in den letzten 12 Monaten an die Firma bezahlte Geld zurückerstattet und zusätzlich ein Jahr lang die Kosten für einen Kammerjäger nach Wahl übernimmt. Allerdings bergen so weitreichende Garantien eine erhebliche Mißbrauchsgefahr in sich. Daran zeigt sich ein grundsätzliches Problem aller Garantien: Je weitreichender und großzügiger diese ausgestaltet sind, desto geringer wird für den Kunden der Anreiz, das in seinen Kräften stehende zu tun, um den Garantiefall nicht eintreten zu lassen (sog. „moral hazard"-Problem; Shapiro, 1983b, S. 662; v. Ungern-Sternberg, 1984, S. 101; Emons, 1988, S. 17; Stiglitz, 1989, S. 839). Dies kann sich etwa in einem weniger sorgsamen Umgang mit dem Gut ausdrükken oder auch - im Falle einer Zufriedenheitsgarantie - in der Vorspiegelung einer in Wahrheit gar nicht vorhandenen Unzufriedenheit, mit dem Ziel, zusätzlich

29 So wird man auch an einem Urlaubsort lieber ein Produkt mit Garantiezusage kaufen, selbst wenn man im Falle eines Mangels, den man erst zu Hause entdeckt, den Anbieter nicht zur Garantieleistung heranziehen kann. Die Signalwirkung beruht darauf, daß der Anbieter um diese Tatsache nicht weiß (Kruse & Berger, 1996, S. 421).

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zur Dienstleistung auch noch in den Genuß der Kompensationsleistung zu kom30

men. Eine weitere Einschränkung ist darin zu sehen, daß die Wirksamkeit des Qualitätssignals Garantie nur dann gegeben ist, wenn es dem Konsumenten möglich ist, den Eintritt des Garantiefalls auch zweifelsfrei festzustellen, was bedeutet, daß die Einsatzmöglichkeit von Garantien bei credence goods ihre Grenze findet. Eine den Garantien sehr ähnliche Wirkung wird erzielt, wenn die an den Anbieter zu leistende Zahlung von einem Erfolg der Leistung abhängig gemacht wird. Derartige Vertragsgestaltungen werden vorwiegend unter dem Stichwort Anreizsysteme in der Agency-Theorie diskutiert (Spremann, 1990, S. 581). Sie finden vor allem in den Fällen Anwendung, in denen das Verhalten des Anbieters nach Vertragsschluß für die Qualität der Leistung ausschlaggebend ist. Eine solche Verhaltensunsicherheit ist für Dienstleistungen durchaus typisch. So ist es zumindest in den USA nicht unüblich, daß Rechtsanwälte ein Erfolgshonorar erhalten; in Deutschland trifft dies etwa auf Immobilienmakler oder z.T. auf Vermögensverwalter zu. Der monetäre Zusammenhang mit der Qualität ist auch hier gegeben: Eine solche Konstruktion bewirkt bei Anbietern geringer Qualität einen niedrigeren Gewinn als bei Anbietern hoher Qualität, weshalb ein Anbieter um so eher eine solche Regelung anbieten bzw. akzeptieren wird, je überzeugter er von der Qualität seiner Leistung ist. 31 In diesem Zusammenhang wird gelegentlich noch weiter zwischen Signalling und Screening unterschieden, je nachdem, von welcher Marktseite die Initiative ausgeht. Während sich beim Signalling wie gezeigt die Anbieter, also die (in der Regel) besser informierte Marktseite, durch die Signalsetzung aktiv um die Beseitigung der Informationsasymmetrie bemühen, wird von Screening dann gesprochen, wenn die schlechter informierte Marktseite die Initiative ergreift und die besser informierte mit einer Situation konfrontiert, in der diese gezwungen wird, ihre Qualität zu offenbaren (Schmidt, 1996, S. 39; Kaas, 1990, S. 541; Spremann, 1990, S. 578, spricht von „Selbstwahlschemata"; ein sehr viel weiteres Begriffsverständnis findet sich beispielsweise bei Stiglitz, 1975, S. 29). Doch ist der faktische Unterschied oft nur gering: So läge etwa ein Fall von Signalling vor, wenn ein Vermögensverwalter von sich aus eine Erfolgsbeteiligung anböte, hingegen müßte von einer Screening-Aktivität gesprochen werden, wenn ein

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Emons (1988, S. 32) hat das moral hazard-Problem bei Garantien in einem spieltheoretischen Modell abgebildet und dabei Konstellationen entdeckt, in denen moral hazard verhindert, daß Garantien das Informationsproblem lösen. Allerdings sieht er sich nicht in der Lage abzuschätzen, wie praxisrelevant diese Konstellationen sind. 31 Ähnlich der qualitätssteigernden Wirkung bei Garantien (vgl. Fußnote 28 auf S. 49) sorgt das Anreizsystem natürlich auch dafür, daß der Anbieter sich in besonderem Maße bemüht, den vereinbarten Erfolg zu erreichen.

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Konsument dies in den Vertragsverhandlungen seinerseits zur Bedingung machte. 32 Der Anwendungsbereich solcher Anreizsysteme ist zumeist in doppelter Weise eingeschränkt (Kruse & Berger, 1996, S. 417-418). Zum einen ist der mit dem Entgelt verknüpfte Erfolg in vielen Fällen außer vom Verhalten des Anbieters auch noch von anderen Faktoren abhängig. So kann beispielsweise ein Vermögensverwalter nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn es aufgrund unvorhersehbarer krisenhafter Entwicklungen zu einem Börsencrash kommt. Oft liegt eine Schwierigkeit auch darin, daß der Erfolg nicht in allen seinen Einzelheiten vertraglich festgelegt (und damit ggf. gerichtlich durchgesetzt) werden kann: Ein Handwerker mag den tropfenden Wasserhahn zum Stillstand bringen, kann dabei aber verspätet erscheinen, den Teppichboden verschmutzen, die Armaturen verkratzen oder sehr viel Zeit benötigen. Nelson (1974) hat nachzuweisen versucht, daß auch Werbung ein Signal in dem vorgenannten Sinne darstellt. Er argumentiert, daß für die Anbieter hoher Qualität die Gewinnung von Neukunden profitabler ist als für die übrigen Anbieter, da die Kunden bei einem Anbieter hoher Qualität eine höhere Wiederkaufrate 33 und dadurch einen größeren Ergebnisbeitrag aufweisen. Die Investition in eine Einheit Werbung - nach Nelson das Hauptinstrument zur Gewinnung von Neukunden - ist daher für die Anbieter hoher Qualität rentabler, woraus Nelson den Schluß zieht, daß diese auch in größerem Umfang Werbung betreiben (Nelson, 1974, S. 754). Der realwirtschaftliche Zusammenhang, der die Signaleigenschaft ausmacht, besteht hier folglich nicht darin, daß das Signal bei den Anbietern hoher Qualität geringere Kosten verursacht (eine Werbeminute im Fernsehen beispielsweise kostet für alle Anbieter gleich viel), sondern darin, daß es ihnen einen höheren Nutzen verschafft. Qualitätssignal ist nach Nelson interessanterweise also lediglich die Menge der Werbung, nicht aber deren Informationsgehalt. Kihlstrom & Riordan (1984) haben Nelsons Gedanken durch ein formales Modell untermauert.

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Das Standardbeispiel für eine Screening-Aktivität stammt aus dem Bereich der Versicherungswirtschaft. Hier ist ausnahmsweise das Unternehmen die schlechter informierte Seite. Durch das Anbieten zweier unterschiedlicher Tarife, nämlich einen mit hoher Prämie und geringer Selbstbeteiligung und einen mit niedriger Prämie und hoher Selbstbeteiligung, wird bei den Konsumenten, die die Schadenseintrittswahrscheinlichkeit als besser informierte Marktseite genauer einschätzen können, ein Selbstwahl-Prozeß ausgelöst: Diejenigen, die bei sich von einer hohen Schadenseintrittswahrscheinlichkeit ausgehen (die „schlechten Risiken") wählen den Tarif mit der geringeren Selbstbeteiligung und umgekehrt. 33

Hierin liegt bereits eine Einschränkung von Nelsons Modell. Es kann nur in Wiederkauf-Situationen Gültigkeit beanspruchen.

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Selbst wenn man zugestehen würde, daß es tatsächlich einen positiven Zusammenhang zwischen Werbemenge und Qualität gäbe, könnte diesem „Signal" dennoch keine praktische Bedeutung als Qualitätsindikator für Verbraucher zukommen. Der einfache Grund ist, daß ein Konsument gar nicht beurteilen kann, in welchem Umfang die einzelnen Anbieter werben. Was er an Werbebotschaften in den verschiedenen Medien wahrnimmt, stellt einen so winzigen und zufalligen Ausschnitt aus den gesamten Werbeaktivitäten dar, daß daraus unmöglich zutreffende Rückschlüsse auf das tatsächliche Verhältnis der Werbevolumina (und damit der Qualität) der einzelnen Unternehmen getroffen werden können. Doch schon das Vorhandensein eines positiven Zusammenhangs zwischen Werbemenge und Qualität an sich muß stark bezweifelt werden. Obwohl Nelsons Argumentation auf den ersten Blick schlüssig wirkt, zeigen sich bei genauerer Betrachtung recht fragwürdige Annahmen. Allen voran ist die zu enge Sichtweise der Wirkung von Werbung zu nennen. Es erscheint unrealistisch, die Gewinnung von Neukunden als einzig mögliche Motivation zur Werbeschaltung zu betrachten; dies ist jedoch für die Argumentation notwendige Voraussetzung, denn nur in diesem einen Punkt läßt sich zwingend ein stärkerer Anreiz für Anbieter hoher Qualität begründen. Wie u.a. Verbeke (1992) gezeigt hat, wird Werbung aber auch aus ganz anderen Gründen eingesetzt34, etwa um Markteintrittsbarrieren fur neue Anbieter zu errichten, um nur ein Beispiel zu nennen, bei dem der Anreiz eher für die Anbieter geringer Qualität stärker ausgeprägt sein dürfte 35 . Selbst wenn also einem bestimmten Teil der Werbung im Prinzip eine Signalwirkung zuzubilligen wäre, bliebe dies ohne praktische Bedeutung, da die signaltragende Werbung für die Nachfrager nicht von den anders motivierten Werbeaktivitäten unterscheidbar wäre, mithin das Signal also überlagert und damit „verrauscht" wird. Diese gegenüber der Signal- bzw. Indikatorfunktion der Werbung kritische Sichtweise wird zudem von einschlägigen empirischen Befunden gestützt (z.B. Verbeke, 1992; Dedler et al., 1984; Garvin, 1984). Ein mit dieser Problematik eng verwandtes Thema, die Eignung der Marke als Qualitätsindikator, wird in Kapitel III.3. behandelt.

34 Zum gleichen Ergebnis gelangt Stiglitz (1989, S. 843): „... there are better ways of signalling than providing uninformative advertising (what sometimes called burning money) and thus it seems unlikely that that can be the only, or even primary, reason for advertising." 35 Schmalensee (1978) hat in das Modell die unterschiedlichen Stückkosten von Anbietern unterschiedlicher Qualität einbezogen und gelangt dadurch zum genau entgegengesetzten Ergebnis wie Nelson.

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b) Reputation Ein Unternehmen verfügt über Reputation, wenn der überwiegende Teil seiner potentiellen Kunden der Meinung ist, daß es sich bei ihm um einen Anbieter qualitativ hochwertiger Leistungen handelt. Häufig synonym verwendete Begriffe sind Ruf, Ansehen, Vertrauenswürdigkeit oder Goodwill (Spremann, 1988, S. 613); wie sich noch zeigen wird, sind einige dieser Begriffe in gewisser Weise irreführend. Reputation ist das Ergebnis eines Prozesses: Sie entsteht, wenn das Unternehmen über einen längeren Zeitraum hinweg tatsächlich hohe Qualität anbietet und sich in der Folge bei den Konsumenten, basierend auf insbesondere eigenen, aber auch von anderen Verbrauchern berichteten Produkterfahrungen die positive Einschätzung des Anbieters verfestigt. Die Konsumenten müssen also die Möglichkeit haben, die Qualitätsentwicklung eines bestimmten Angebots über einen längeren Zeitraum hinweg beobachten zu können, was eine eindeutige Identifizierung erforderlich macht; der Aufbau von Reputation erfordert daher in der Regel die Etablierung einer Marke 36, die durch gesetzliche Regelungen vor Nachahmung geschützt ist. Im Sachgüterbereich kann dies entweder in Form einer Firmenmarke oder einer produktbezogenen Phantasiemarke geschehen. Letztere spielen im Dienstleistungsbereich nur eine untergeordnete Rolle, da dort die Leistung als solche kaum je losgelöst vom Anbieter selbst zum eigenständigen Identifikationsobjekt gemacht werden kann (Stauss, 1995, S. 2). Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, daß die Behauptung, Reputation zeige hohe Qualität an, zunächst nur in bezug auf die Qualität in der Vergangenheit gilt. Inwiefern sind aber nun „extrapolative Erwartungen" (v. Weizsäcker, 1980, S. 72) gerechtfertigt, also der Schluß vom vergangenen Qualitätsniveau des Anbieters auf das künftige und damit auf das für eine anstehende Kaufentscheidung relevante? A priori ist kein Grund ersichtlich, warum ein Anbieter sein hohes Qualitätsniveau über längere Zeit aufrechterhalten sollte. Im Gegenteil: Senkt er unter Beibehaltung des Preises verdeckt die Qualität seines Produktes ab, so kann

36 In diesem Zusammenhang ist es zweckmäßig, die Begriffe Marke und Reputation sorgfältig zu unterscheiden. Unter Marke sollen hier im Sinne des § 3 Abs. 1 MarkenG verstanden werden „... alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen ..., die geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden"; es handelt sich dabei also um einen hinsichtlich der Qualität neutralen Begriff. Anders hingegen beim Begriff Markenartikel, dessen zentrales Merkmal neben der Markierung in einer gleichbleibend hohen bzw. sich kontinuierlich verbessernden Qualität gesehen wird (Nieschlag, Dichtl & Hörschgen, 1994, S. 1057; ebenso § 38a Abs. 2 GWB).

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er Extragewinne in Höhe der eingesparten Produktionskosten 37 realisieren, jedenfalls so lange, bis die Qualitätsverschlechterung allgemein bekannt geworden ist und die Konsumenten nicht mehr bereit sind, die Produkte zu dem ursprünglichen Preis zu kaufen. Nun zeigt die Alltagserfahrung, daß ein solches Verhalten zwar vorkommt, aber doch keineswegs an der Tagesordnung ist. Wenn also Unternehmen trotz der Gewinnaussichten, die die oben beschriebene „fly-by-night"-Strategie der verdeckten Qualitätsverschlechterung (Shapiro, 1983b, S. 660) verspricht, dennoch offensichtlich an der Aufrechterhaltung von Reputation interessiert sind, so muß es hierfür ein ökonomisches Argument geben, will man nicht in moralischen Überlegungen der Anbieter den einzigen Beweggrund sehen. Der ökonomische Grund besteht nach herrschender Auffassung darin, daß die Reputation für den Anbieter eine Wohlstandsposition darstellt, deren Verlust die potentiellen Gewinne aus der verdeckten Qualitätsverschlechterung überkompensieren kann (Stiglitz, 1989, S. 823). Um einen wirtschaftlichen Wert zu verkörpern, muß die Reputation einem Anbieter hoher Qualität ermöglichen, für seine Produkte Preise zu erzielen, die ihm über die erhöhten Produktionskosten hinaus noch einen Extraerlös verschaffen (Klein & Leffler, 1981, S. 618-625). Rechnerisch läßt sich der wirtschaftliche Wert der Reputation damit als die Summe der abdiskontierten Extraerlöse für die erwarteten künftigen Perioden ausdrücken (Kruse & Berger, 1996, S. 421); ist er größer als der aus der verdeckten Qualitätsverschlechterung zu erwartende Gewinn, hat der Anbieter einen Anreiz zur Wahl der „faithful"Strategie (Shapiro, 1983b, S. 660), also zur Aufrechterhaltung der Reputation respektive Qualität. Außer von der Existenz von Extraerlösen als Grundvoraussetzung 38 ist die Bildung von Reputation jedoch noch von weiteren Faktoren abhängig. Shapiro (1983a, S. 532) nennt vier notwendige Bedingungen, unter denen der Anreiz für den Anbieter zur Beibehaltung hoher Qualität zustande kommt (ähnlich auch Hauser, 1979, S. 756). Dies ist der Fall, wenn:

37 Hier und im folgenden sei ein positiver Zusammenhang zwischen Qualitätsniveau und Produktionskosten unterstellt, was in der Realität zweifellos nicht immer gegeben ist. Zum Zwecke der leichteren Verdeutlichung der prinzipiellen Zusammenhänge erscheint diese Vereinfachung jedoch vertretbar. 38 Unter welchen realen Verhältnissen diese Grundvoraussetzung gegeben ist, wird im Schrifttum intensiv diskutiert; dajpei geht es u.a. um die Frage, wie die Existenz von Extraerlösen, also von Preisen, die über den Grenzkosten liegen, mit dem freien Marktzugang weiterer Anbieter vereinbar ist (ausführlich: Rapold, 1988, insbes. S. 25-27 und Vahrenkamp, 1991, S. 46-49; grundlegend: Klein & Leffler, 1981; eine Literaturübersicht bei Stiglitz, 1989, S. 823).

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• zukünftige Erträge nicht zu stark abdiskontiert werden , denn je höher der angesetzte Kalkulationszinssatz, desto unattraktiver erscheint die langfristige „faithful"-Strategie gegenüber der kurzfristigen „fly-by-night"-Strategie. • die Qualität nach dem Kauf relativ leicht beurteilt werden kann , denn nach der hier zugrundegelegten Definition bildet sich Reputation aufgrund von Qualitätserfahrungen der Vergangenheit. Kann die Qualität - wie annahmegemäß bei credence-goods - auch im Gebrauch nicht beurteilt werden, kann sich folglich auch keine Reputation bilden. • die Konsumenten relativ lange in dem betreffenden Markt verbleiben. So besteht etwa für Restaurants in typischen Touristengegenden kaum ein Anreiz zum Aufbau von Reputation, worin sicher die Hauptursache für die in diesem Bereich häufig vorzufindende geringe Qualität liegen dürfte. Hauser trifft den Kernpunkt noch präziser, wenn er fordert, daß die Anbieter auf Wiederholungskäufe auch angewiesen sein müssen; dies ist in einem solchen Markt, in dem das Potential an Erstkäufern praktisch unerschöpflich ist, nicht der Fall. • es sich um ein Produkt handelt, das regelmäßig gekauft wird. Diese Bedingung ist allerdings nur zwingend, wenn man, wie Shapiro dies offenbar tut, als reputationsbildenden Faktor nur eigene, nicht aber berichtete Produkterfahrungen zuläßt. Bei einer solch engen Sichtweise wäre es in der Tat kaum möglich, daß sich bei einem Produkt, das von einem Konsumenten nur selten gekauft wird, etwa einem Auto, Reputation bildet, einfach weil hier gar keine genügend große Zahl an eigenen positiven Produkterfahrungen zusammenkommen kann. Zu einem anderen Ergebnis gelangt man jedoch, wenn man unterstellt, daß der Konsument auch die Produkterfahrungen von anderen Personen (Familienmitgliedern, Bekannten, etc.) bei seiner Qualitätseinschätzung berücksichtigt, was der Realität wohl auch näher kommt. Es zeigt sich, daß die Bedingungen zum Aufbau von Reputation oftmals nicht gegeben sind, weshalb sich Konsumenten häufig mit Kaufentscheidungen konfrontiert sehen, in denen ihnen dieses Hilfsmittel nicht zur Verfügung steht. Andererseits ist festzuhalten, daß Reputation, wenn sie denn zustande kommt, einen sehr wirksamen Beitrag zur Überwindung von Informationsasymmetrien leisten kann. Besondere Bedeutung kommt ihr in den Fällen zu, in denen ein mißglücktes Leistungsergebnis nicht mehr reversibel und eine Garantiegewährung daher wirkungslos ist (Spremann, 1988, S. 624). Ihre Wirkung kann die Reputation dabei nicht nur im Sachgüter- sondern auch im Dienstleistungsbereich entfalten: Wer seit Jahren zufriedener Kunde einer Kfz-Werkstatt oder eines Reisebüros ist, hat kein Entscheidungsproblem mehr, wenn der nächste Kundendienst bzw. Urlaub ansteht. Leider findet sich bei der Reputation außer dem nur eingeschränkten Wirkungsbereich noch ein weiterer Wermutstropfen, nämlich die ihr immanente marktverschließende und damit -konzentrierende Wirkung. Greifen wir zur Ver-

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deutlichung noch einmal das eben angeführte Beispiel auf. So angenehm es für den einzelnen Verbraucher ist, wenn er weiß, daß „seine" Werkstatt ihn nicht enttäuschen wird, so ist doch nicht zu verkennen, daß genau dieser Umstand es potentiellen neuen Werkstätten schwierig macht, auf dem Markt Fuß zu fassen, selbst wenn diese bessere Qualität und/oder niedrigere Preise bieten würden. Denn die in einer Langzeitbindung an einen Kontraktpartner entstehenden Gewöhnungseffekte erhöhen tendenziell die Wechselkosten, wodurch sich die effektive Substitutionalität zwischen Gütern vermindert (Schulenburg, 1993, S. 522). Insofern kann Reputation Marktzutrittsschranken aufbauen (Stiglitz, 1989, S. 825; zum Begriff: v. Weizsäcker, 1980, S. 13), die wettbewerbsmindernd wirken und daher wirtschaftspolitisch grundsätzlich 39 unerwünscht sind. Die im Hinblick auf die Qualitätstransparenz zweifellos vorteilhaften Wirkungen der Reputation sind also offenbar nur um den Preis eines tendenziell erhöhten Konzentrationsgrades auf dem jeweiligen Markt und damit einhergehenden monopolistischen Spielräumen für die einzelnen Anbieter zu haben (Hauser, 1979, S. 762). Dieser trade off macht eine differenzierte Betrachtung und Bewertung der Reputation erforderlich. Solange die Reputation tatsächlich das Ergebnis eines über lange Zeit hinweg durchgehaltenen hohen Qualitätsniveaus eines Unternehmens darstellt, wird man wohl eine etwas geringere Anzahl von Anbietern und damit einhergehend ein gewisses Zurückbleiben hinter der maximalen Wettbewerbsintensität als nicht zu hohen Preis erachten. Dies um so mehr, als - wie Hirschman (1974, S. 65-73) überzeugend darlegt - ein gewisses Maß an Loyalität der Kunden gegenüber einem Unternehmen in vielen Fällen einen sehr wirkungsvollen Korrekturmechanismus für den Fall einer Qualitätsverschlechterung fordert, nämlich den Widerspruch, so daß eine nur begrenzte Möglichkeit zur Abwanderung noch leichter zu verschmerzen ist. Wenn also die Markteintrittsbarriere dadurch zustande kommt, daß die Kunden mit den etablierten Unternehmen anhaltend gute Erfahrungen gemacht haben und deshalb keine Veranlassung sehen, vor jeder aktuellen Kaufentscheidung erneut alle potentiellen, also auch ganz neue Anbieter in Erwägung zu ziehen, so ist darin noch kein gravierendes Problem zu sehen. Doch darf nicht verkannt werden, daß die Anhänglichkeit eines Kunden an ein bestimmtes Unternehmen oder eine bestimmte Marke neben den genannten auch noch andere Gründe haben kann. Allen voran ist hier die Werbung zu nennen, jedenfalls in der weitverbreiteten Form der nicht-informativen Werbung (Imagewerbung), womit Werbeformen bezeichnet werden, die keine Aussagen zu gebrauchswertbezogenen Produktmerkmalen enthalten. Boyer hat bereits 1974 in einer empirischen Studie Anhaltspunkte dafür gefunden, daß nicht-informative Werbung (er spricht von 39

Für eine differenzierte Betrachtung vgl. Schmidt, 1996, insbes. S. 63-67.

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Α. Theoretischer Rahmen

„goodwill-advertising") Markteintrittsbarrieren errichtet und dadurch Extragewinne ermöglicht. Gelingt es einem Unternehmen also, alleine durch Imagewerbung „Reputation" aufzubauen und Kunden an sich zu binden, so ist die marktverschließende Wirkung sehr viel kritischer zu beurteilen, denn ihr fehlt die Rechtfertigung einer herausragenden Qualität. An dieser Stelle wird deutlich, wie wichtig eine theoretisch klare Abgrenzung der Faktoren ist, die als reputationsbildend angesehen werden. Wie bereits ausgeführt, sind dies nach der hier vertretenen Auffassung ausschließlich tatsächliche, eigene oder berichtete positive Qualitätserfahrungen in der Vergangenheit. Nur für dieses Begriffsverständnis gelten die obigen Aussagen über die positiven Wirkungen der Reputation auf die Qualitätstransparenz. Läßt man jedoch weitere Faktoren zu, und hier insbesondere werbliche Einflüsse, wie dies umgangssprachliche Begriffe wie „ R u f , „Ansehen" oder „Image" durchaus nahelegen, kommt man, wie sich gezeigt hat, zu weniger positiven Bewertungen. Das weitergefaßte, umgangssprachliche Begriffsverständnis ist nun aber nicht lediglich das Ergebnis einer undifferenzierten Betrachtungsweise, sondern gibt im Gegenteil - wie so oft - die realen Sachverhalte relativ gut wieder. Den Konsumenten fällt es in der Praxis tatsächlich schwer, eine positive Einstellung, die sie gegenüber einem Unternehmen oder einer Marke haben, exakt auf die verursachenden Faktoren zurückzuführen 40. Vielmehr vermischen und überlagern sich die verschiedensten Eindrücke in der Erinnerung schon bald und erzeugen eine eher diffuse, positive oder negative Einstellung. Dieser Umstand schränkt die praktische Bedeutung des Reputationskonzepts für die Erhöhung der Qualitätstransparenz nicht unerheblich ein.

2. Informationsbereitstellung unter Mitwirkung unabhängiger Dritter a) Kommerzielle Informationsanbieter Wie in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt wurde, besteht bei den Konsumenten ein erheblicher Bedarf an kaufentscheidungsrelevanten Informationen. Die in einem marktwirtschaftlichen System normalerweise zu erwartende Reaktion auf eine solche Situation besteht nun darin, daß sich Unternehmen finden, die die in dieser ungedeckten Nachfrage schlummernden Gewinnmöglichkeiten dadurch realisieren wollen, daß sie ihr ein entsprechendes Angebot entgegensetzen, indem sie die gewünschte Information erzeugen und zum Kauf anbieten. Mit an-

40 Das Phänomen, daß nach einiger Zeit die gedankliche Assoziation zwischen dem Inhalt und der Quelle einer Nachricht verlorengeht, ist in der Psychologie unter dem Begriff „Sleeper-Effekt" bekannt geworden (Kroeber-Riel & Weinberg, 1996, S. 494).

III. Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion

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deren Worten: Es ist mit der Entstehung eines Marktes für Information zu rechnen. In diesem Kapitel wird dargelegt, welche grundsätzlichen Probleme die Entstehung von Informationsmärkten behindern und unter welchen Voraussetzungen es dennoch zur Bildung eines kommerziellen Informationsangebots kommen kann. Wie schon in Kapitel II.l. (S. 28) kurz angedeutet wurde, sind Informationen als Wirtschaftsgüter eigener Art zu betrachten. Daß diese Sichtweise gerechtfertigt ist, zeigt sich nicht zuletzt daran, daß Informationen hinsichtlich ihrer Erzeugung eine Besonderheit aufweisen, die sie gegenüber anderen Gütern auszeichnet. Dies sei an einem Beispiel verdeutlicht: Um die Nachfrage von zwei Konsumenten nach dem Wirtschaftsgut „Auto X " zu befriedigen, müssen genau zwei dieser Autos produziert werden. Um die Nachfrage derselben Konsumenten nach dem Wirtschaftsgut „Information Y " zu befriedigen, muß diese Information nur einmal produziert werden: Um etwa die Information zu erzeugen, wie sicher ein bestimmtes Auto bei einem Auffahrunfall ist, muß man genau einen Crash-Test durchfuhren, ganz gleich, ob man mit der daraus gewonnenen Qualitätsinformation einen, zehn oder η Konsumenten versorgen will. Die Ursache liegt darin, daß bezüglich der Nutzung von Informationen Nicht-Rivalität besteht, d.h. der Nutzen eines Konsumenten wird nicht dadurch eingeschränkt, daß ein weiterer Konsument dieselbe Information ebenfalls nutzt 41 (v. Ungern-Sternberg, 1984, S. 42). Nun ist der eben beschriebene Umstand für sich genommen der Bildung von Märkten eher forderlich, denn er führt, wie sich leicht zeigen läßt, zu stark degressiven und damit niedrigen Produktionskosten. Angenommen, die Kosten der Erzeugung der Information (z.B. die Kosten des Crash-Tests) betrügen TK (vgl. Abbildung 5). Wäre nur ein einziger Konsument an dieser Information interessiert, so müßte er diese Kosten in voller Höhe aufbringen, um an die Information zu gelangen. Findet sich ein weiterer, so halbieren sich bereits die Kosten und so fort. Die Durchschnittskosten (DK) entwickeln sich also in Abhängigkeit von der Anzahl der interessierten Konsumenten (A i K ) degressiv nach: DK = TK -r A i K . Angenommen, die Information hätte für jeden einzelnen Konsumenten den Wert W. Dann wäre ab einer Anzahl von A i K 1 = (TK -s- W) Konsumenten die Erzeugung der Information wirtschaftlich sinnvoll, denn ab diesem Punkt ist DK < W und es entstehen Gewinnmöglichkeiten für ein informationsanbietendes

41 Natürlich ließen sich hier Fälle konstruieren, in denen Elemente der Rivalität auftreten. Dies wäre etwa der Fall, wenn das Angebot an dem qualitativ hochwertigen Gut unelastisch wäre und durch die Verbreitung der Qualitätsinformation die Nachfrage und damit die Preise des Gutes steigen würden.

60

Α. Theoretischer Rahmen

Unternehmen; bei beispielsweise A i K 2 interessierten Konsumenten und einem Preis Ρ wäre ein Gewinn G = A ^ i P - D K j ) erzielbar 42.

Abbildung 5: Wirkungen der Nicht-Rivalität bei Informationen Quelle: In Anlehnung an Kruse & Berger, 1996, S. 409.

Doch das bisher Gesagte gilt nur unter einer Voraussetzung, die bei den allermeisten Gütern zwar gegeben ist, bei Informationen aber gerade nicht: Die Nutzung des Gutes durch die einzelnen Konsumenten muß vom Anbieter an die Bezahlung des Preises für dieses Gut gekoppelt werden können. Bei einer Information kann es aber im Extremfall sein, daß nur ein einziger Konsument sie vom Anbieter kauft und sie dann unentgeltlich an die anderen Konsumenten weitergibt, denn dadurch erleidet er ja - wegen der Nicht-Rivalität - keine Nutzeneinbuße (Rapold, 1988, S. 11). Anhand der Abbildung 6 kann gezeigt werden, wie sich diese Nicht-Ausschließbarkeit auswirkt.

42 Müßte der Anbieter keine Markteintritte von Newcomern befürchten, würde er den Preis auf Ρ = W setzen und dadurch den Gewinn maximieren.

III. Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion

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Abbildung 6: Wirkungen der Nicht-Ausschließbarkeit bei Informationen Quelle: In Anlehnung an Kruse & Berger, 1996, S. 410.

Der Anbieter sieht sich nun nicht mehr der Nachfragefunktion N a gegenüber, denn diese entsteht nur, wenn jeder einzelne der A i K 2 Konsumenten bereit wäre, einen maximalen Preis in Höhe von W für die Information zu bezahlen. Da aber theoretisch alle interessierten Konsumenten mit der Information versorgt werden könnten, wenn nur ein einziger sie kauft, ist diese gleichmäßige Verteilung der Zahlungsbereitschaft nicht sehr wahrscheinlich. Es wird sich vielmehr eine andere Nachfragefunktion bilden, zum Beispiel in der Form von N n a . Sehr viele werden hoffen, unentgeltlich in den Genuß der Information zu gelangen; sie sind hier repräsentiert durch die Strecke ( Α ί Κ 2 - Α ί Κ 3 ) . Die übrigen ( A i K 3 ) werden - möglicherweise individuell unterschiedlich - nur niedrigere Preise akzeptieren. In den meisten Fällen wird sich eine Situation ergeben, in der gilt N n a < DK für alle A i K , was nichts anderes heißt, als daß die Information von einem kommerziellen Anbieter nicht kostendeckend verkauft werden kann. Es ist also die Nicht-Rivalität in Verbindung mit der Nicht-Ausschließbarkeit, mit einem Wort die Kollektivguteigenschaft, die die Entstehung von privaten Märkten für Qualitätsinformationen in der Regel verhindert. Dennoch lassen sich in der Praxis Beispiele finden, in denen Qualitätsinformationen von Unternehmen angeboten werden. Zu nennen sind hier etwa die Computer-, HiFi-, Foto-, Auto-,

Α. Theoretischer Rahmen

62

Motorrad- oder Boots-Tests in entsprechenden Zeitschriften, aber auch beispielsweise Gastronomie- und „Szene"-Führer zählen dazu (Thorelli & Thorelli, 1977, S. 128-129; zur Geschichte solcher kommerzieller Gütertests vgl. Silberer, 1979b, S. 61-64). Warum kommt nun in diesen Fällen eine marktliche Informationsbereitstellung zustande? Das wird leichter verständlich, wenn man eine bisher implizit unterstellte Bedingung aufgibt, nämlich daß die Verbreitung von Informationen ohne Transaktionskosten möglich ist. Tatsächlich erfordert eine verbale Informationsweitergabe zumindest Zeit, oftmals müssen zusätzlich Trägermedien der Information (Papier, Disketten, etc.) vervielfacht bzw. kopiert werden, außerdem müssen sich die Konsumenten, welche die Information bereits haben und diejenigen, die sie noch wünschen, zunächst gegenseitig identifizieren und verständigen, und so fort. Die Distribution von Qualitätsinformationen erfordert also je nach Produkt und für jeden Konsumenten unterschiedliche, mehr oder weniger hohe Transaktionskosten in Form von Zeit, Geld oder psychischer Energie 43. Sind die Transaktionskosten geringer, wenn der Konsument die Information bei dem kommerziellen Anbieter direkt kauft, so wird er bereit sein, diesem hierfür einen Preis bis in Höhe der ersparten Transaktionskosten zu bezahlen. Diese Situation ist in Abbildung 7 durch die Nachfragefunktion N t K dargestellt. Der Anbieter könnte in diesem Fall die Information zum Preis Ρ an A i K i Konsumenten verkaufen und damit einen Gewinn G = A ^ P - D K O erzielen. Das gleiche Ergebnis stellt sich ein, wenn die Qualitätsinformationen nicht isoliert angeboten werden, sondern vielmehr nur als eine „Beigabe" zu einem anderen Gut, auf das sich die Nachfrage und die Zahlungsbereitschaft vorrangig richten. So wird niemand die Mitgliedschaft im ADAC erwerben, nur um in den Genuß der in der Mitgliederzeitschrift hin und wieder veröffentlichten Werkstattoder Autotests zu gelangen. Auch werden die erwähnten „Special-Interest"Zeitschriften nicht zuletzt wegen der darin reichhaltig enthaltenen unterhaltenden Beiträge gekauft. So wünschenswert es ist, wenn sich ein Markt für Informationen bildet, so darf doch nicht übersehen werden, daß sich dabei die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Informationen stellt. Damit sind wir wieder am Ausgangspunkt unseres Problems angelangt: Denn Informationen können hier selbst von guter oder schlechter Qualität sein und haben zudem den Charakter von experience, häufig sogar von credence goods. Bei marktlichem Informationsangebot besteht also eine Informationsasymmetrie bezüglich der Qualität von Qualitätsinformationen.

43

Die aktuellen Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie lassen indessen vermuten, daß die Transaktionskosten der Informationsweitergabe bzw. -beschaffung sich schon in naher Zukunft auf breiter Front verringern werden.

III. Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion

63

TK -

W Ρ DK.,

Λκΐ

AjK2

Anzahl der Konsumenten

Abbildung 7: Informationsnachfrage bei Transaktionskosten der Distribution

In der Tat gibt es zwei Überlegungen, die Zweifel an der Qualität kommerziell angebotener Informationen begründen können. Zum einen kann davon ausgegangen werden, daß die Kosten der Informationserzeugung mit der zunehmenden Qualität der Informationen ansteigen (Ausstattung des Testlabors, Anzahl durchgeführter Versuchsreihen, Größe der Stichprobe, etc.). Der Anbieter könnte also versucht sein, die Qualität zu senken, um dadurch seinen Gewinn zu erhöhen bzw. - unter Konkurrenzbedingungen - den Preis zu senken. Das andere Problem besteht darin, daß ein Informationsnachfrager oft nicht erkennen kann, ob bzw. inwieweit der Informationsanbieter unabhängig und damit objektiv ist. Natürlich würde niemand viel auf einen Computertest geben, den der Computerhersteller selbst durchgeführt hat. Für den Nachfrager nicht ganz so offensichtlich ist es indessen, wenn der Computerhersteller einer formell unabhängigen Computerzeitschrift damit droht, im Falle unerwünschter Testergebnisse keine Anzeigenaufträge mehr zu erteilen. Auch subtilere Formen der Einflußnahme verfehlen zumeist ihre Wirkung nicht. So dürfte es den meisten Testern schwerfallen, objektiv über die Produkte eines Herstellers zu berichten, der regelmäßig zu aufwendigen Promotion-Veranstaltungen an attraktive Urlaubsorte einlädt 44 .

44 Dies praktizieren beispielsweise viele Automobilhersteller bei der Präsentation von neuen Fahrzeugmodellen (Kruse & Berger, 1996, S. 425); so kann es denn auch nicht überraschen, daß sich die daraufhin veröffentlichten „Fahrberichte" der Journalisten und

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Α. Theoretischer Rahmen

Doch auch hier wirken natürlich prinzipiell die bereits in Kapitel III. 1. beschriebenen Mechanismen zur Beseitigung der Informationsasymmetrie. Bei Informationsanbietern spielt vor allem die Reputation eine große Rolle (Hopf, 1983, S. 78), da ein einmal erschüttertes Vertrauen in die Verläßlichkeit eines Informationsanbieters kaum mehr wiederherzustellen ist. Die damit einhergehenden wirtschaftlichen Auswirkungen bilden für den Anbieter einen enormen Anreiz, die Qualität seiner Informationen auf einem hohen Niveau zu halten. b) Die Elemente eines Verbraucher-Informationssystems nach Thorelli ά Thorelli Im vorigen Kapitel wurde gezeigt, daß es in vielen Fällen nicht möglich ist, Qualitätsinformationen gewinnbringend zu verkaufen. Im folgenden werden nun Formen der Informationserzeugung vorgestellt, die nicht durch eine unmittelbare Gewinnerzielungsabsicht motiviert sind, namentlich vergleichende Warentests, Informative Produktkennzeichnung sowie Gütezeichen. Diese drei Komponenten zusammengenommen bilden nach Thorelli & Thorelli (1974, 1977) ein Verbraucher-Informationssystem, das eine informatorische „Grundversorgung" gewährleisten kann. Ein solches System muß keineswegs zentral oder gar hoheitlich betrieben werden (Scherhorn, 1983, S. 126), doch wie sich zeigen wird, spielt in der Praxis das Handeln des Staates, vor allem als Geld- oder Gesetzgeber, in diesem Bereich eine dominierende Rolle. aa) Vergleichender Warentest und verwandte Konzepte (I) Das Beispiel der „Stiftung Warentest"

in Deutschland

Das Konzept des vergleichenden Warentests soll am Beispiel der „Stiftung Warentest", Berlin, diskutiert werden, da dieser Institution in Deutschland eine überragende praktische Bedeutung auf diesem Gebiet zukommt. 1964 als Stiftung bürgerlichen Rechts gegründet, verfolgt die Stiftung Warentest seither ihre in § 2 Abs. 1 der Satzung45 festgelegten Zielsetzungen. Ausschließlicher und unmittelbarer Zweck der Stiftung ist es • die Öffentlichkeit über objektivierbare Merkmale des Nutz- und Gebrauchswertes sowie der Umweltverträglichkeit von Waren und privaten sowie individuell nutzbaren öffentlichen Leistungen zu unterrichten; Tester vielfach eher durch „ein gerütteltes Maß an trivialer Warenlyrik" (Kuhlmann. 1990, S. 347) als durch objektive Berichterstattung auszeichnen. 45 Neufassung vom August 1995.

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65

• der Öffentlichkeit Informationen zur Verfügung zu stellen, die zur Verbesserung der Marktbeurteilung beitragen; • die Verbraucher über Möglichkeiten und Techniken der optimalen privaten Haushaltsführung, über eine rationale Einkommensverwendung sowie über von ihr als fundiert erkannte wissenschaftliche Erkenntnisse des gesundheitsund umweltbewußten Verhaltens aufzuklären; • in Institutionen der Normung, der standardisierten Produktinformation und in vergleichbaren Einrichtungen mitzuwirken. Um diesen Zweck zu erreichen, soll die Stiftung Untersuchungen nach wissenschaftlichen Methoden entweder selbst vornehmen oder von geeigneten Instituten durchführen lassen und anschließend die Ergebnisse in allgemeinverständlicher Form durch Kommunikationsmittel aller Art verbreiten (§ 2 Abs. 3). Die Stiftung Warentest ist durch staatliches Handeln entstanden. Stifterin ist die Bundesrepublik Deutschland, die bis heute die Arbeit der Stiftung mit jährlichen Zuschüssen unterstützt (§ 4 Abs. 1). Die Selbstfinanzierungsquote der Stiftung Warentest hat sich seit ihrer Gründung allerdings kontinuierlich gesteigert und betrug im Jahr 1995 bereits 87% (Stiftung Warentest, 1996d, S. 94). Die Erträge stammen zum ganz überwiegenden Teil aus dem Verkaufserlös der beiden Zeitschriften „test" 46 und „FINANZtest" 47 . Um die in Kapitel III.2.a) bei den kommerziellen Informationsanbietern als problematisch erkannte Abhängigkeit von Insertionsaufträgen von vornherein auszuschließen, ist es der Stiftung untersagt, in ihren Publikationen Werbeanzeigen zu veröffentlichen (§ 11 Abs. 1). Hierin ist eine Begründung für die fortdauernde Notwendigkeit jährlicher Zuwendungen durch die Stifterin zu sehen (Piepenbrock, 1986, S. 11) 48 . Neben dem Vorstand, der für die Geschäftsführung zuständig ist, besitzt die Stiftung Warentest zwei weitere Organe, deren Mitglieder jeweils von der Stifterin berufen werden: Den Verwaltungsrat, dessen Aufgabe in der Berufung des Vorstands und der Überwachung seiner Tätigkeit besteht, sowie das Kuratorium, welches Vorstand und Verwaltungsrat in allen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung berät und sich zu je einem Drittel aus Vertretern der Verbraucher, Vertretern der Wirtschaft und neutralen Vertretern zusammensetzt. Für jede verglei-

46

Monatliche Erscheinungsweise, durchschnittlich 788.000 verkaufte Exemplare pro Ausgabe in 1995. 47 Zweimonatliche Erscheinungsweise, durchschnittlich 318.000 verkaufte Exemplare pro Ausgabe in 1995. 48 Allerdings zeigt das Beispiel der US-Verbraucherorganisation „Consumers Union", die von den Anbietern ebenso unabhängig ist wie die Stiftung Warentest, daß vergleichende Warentests auch ganz ohne staatliche Zuschüsse möglich sind (Thorelli, Becker & Engledow, 1975, S. 43 u. 60).

5 Haas

Α. Theoretischer Rahmen

66

chende Untersuchung beruft der Vorstand zudem aus Expertenkreisen ein dreibis zehnköpfiges ad-hoc-Gremium, den Fachbeirat, der das geplante Vorhaben fachlich beratend begleitet und sich - wie das Kuratorium - aus Vertretern der verschiedenen Interessengruppen zusammensetzt. Wie bereits die Zusammensetzung der verschiedenen Organe erkennen läßt und wie sich auch an vielen Punkten der später noch darzustellenden Vorgehensweise bei der Durchfuhrung von Tests zeigt, wird bei der Verfolgung des Stiftungszwecks großer Wert darauf gelegt, auch der Anbieterseite Gehör zu verschaffen. Angesichts der beachtlichen Umsatz- und damit Ertragswirkungen, die ein positives oder negatives Testurteil auslösen kann (vgl. unten Tabelle 1), erscheint dies gerechtfertigt. Allerdings kann diese Partizipation nicht verhindern, daß regelmäßig Hersteller auf dem Klagewege gegen von ihnen als unzutreffend empfundene Qualitätsurteile der Stiftung vorgehen 49. Die Arbeitsmethodik bei der Durchfuhrung von Tests ist in ihren Grundzügen bereits in der Satzung festgelegt und wurde im Laufe der Zeit durch wachsende Erfahrung und unter dem Einfluß der Rechtsprechung (Hüttenrauch, 1986a) zu einem sehr ausgefeilten, aber auch aufwendigen Verfahren entwickelt 50 . Die Kehrseite einer so elaborierten Vorgehensweise ist allerdings ein beträchtlicher Zeitbedarf. So vergehen von der Diskussion des Untersuchungsvorhabens im Kuratorium bis zur Publikation der Ergebnisse nicht selten zwei Jahre (Hüttenrauch, 1986b, S. 15). Um der damit verbundenen Gefahr einer mangelnden Aktualität der Ergebnisse entgegenzuwirken, hat die Stiftung im Jahre 1994 das Verfahren dahingehend modifiziert, daß Produkte, die erst während der Testphase auf dem Markt erscheinen, nun nachgekauft und noch in die Prüfarbeit integriert werden (Stiftung Warentest, 1995, S. 15). Die realwirtschaftlichen Implikationen der Arbeit der Stiftung Warentest sind beachtlich; Tabelle 1 zeigt die Konsequenzen positiver und negativer Testurteile für die Umsätze von Herstellern und Handel:

49

Seit ihrem Bestehen mußte die Stiftung rund 90 mal ihren Standpunkt vor deutschen Gerichten vertreten, wurde aber bisher noch nie rechtskräftig zur Zahlung eines Schadensersatzes wegen Fehlern in der Prüf- und Bewertungsmethodik verurteilt (Stiftung Warentest, 1996e, S. 15 u. 53). 50 Ein detaillierter Ablaufplan, der die Vielzahl der Bearbeitungsstufen bei der Durchführung eines vergleichenden Warentests zeigt, findet sich bei Hüttenrauch, 1986b, S. 24.

III. Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion

67

Tabelle 1

Umsatzwirkungen von Testurteilen Hersteller getesteter Fabrikate

Facheinzelhandel

Kaufhauskonzerne u. GroßVersender

Wirkungen positiver Testurteile Anteil der Anbieter, die nach einem positiven Testergebnis einen Umsatzanstieg bei dem betreffenden Produkt beobachteten Durchschn. Ausmaß der Steigerungen Durchschnittliche Dauer der Steigerungen (in Monaten)

66%

46%

91%

23%

18%

69%

6

4

3

71%

27%

82%

35%

14%

21%

7

3

3

Wirkungen negativer Testurteile Anteil der Anbieter, die nach einem negativen Testergebnis einen Umsatzrückgang bei dem betreffenden Produkt beobachteten Durchschn. Ausmaß der Rückgänge Durchschnittliche Dauer der Rückgänge (in Monaten)

Quelle: Raffée & Fritz, 1986, S. 44.

Bedenkt man, daß je nach Produktart bis zu 40% der Verbraucher vor einem Kauf Testinformationen nutzen (Silberer & Raffée, 1984, S. 69), so werden die beachtlichen Auswirkungen auf die Gesamtnachfrage verständlich. Diese bleiben nicht ohne Einfluß auf das Anbieterverhalten. So nehmen viele Hersteller die bei Tests zutage geförderten Schwachpunkte zum Anlaß fur Produktverbesserungen und gehen dazu über, die Prüfkriterien der Stiftung Warentest bei der eigenen Qualitätskontrolle und bei Produktneuentwicklungen zugrundezulegen. Dies gilt insbesondere für die Hersteller getesteter Produkte, in erstaunlich hohem Maße aber auch für die übrigen Produzenten. Der Handel reagiert auf Testergebnisse, indem er positiv bewertete Artikel verstärkt nachfragt bzw. neu in das Sortiment aufnimmt und im Falle negativer Bewertung Nachbestellungen aussetzt bzw. den Artikel aus dem Sortiment entfernt (Raffée & Fritz, 1986, S. 51). Durch diese Anbieterreaktionen verbreitert sich das Angebot qualitativ hochwertiger Produkte, so daß sich auch für solche Konsumenten, die die Testinformationen gar nicht nutzen, die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine gute Kaufentscheidung zu treffen.

*

Α. Theoretischer Rahmen

68

Man spricht in diesem Zusammenhang von den Non-use-Benefits chenden Warentests (Kuhlmann, 1990, S. 382).

51

des verglei-

Doch darf angesichts der genannten vorteilhaften Effekte nicht der Eindruck entstehen, daß vergleichende Warentests gänzlich unumstritten seien. Kritik konzentriert sich im wesentlichen auf zwei Problemfelder: die Operationalisierung des Qualitätsbegriffs und gewisse dysfunktionale Auswirkungen auf das Marktgeschehen. Wie zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlich gezeigt werden wird (vgl. Teil B, Kap. II.), ist für verbraucherpolitische Zielsetzungen sinnvollerweise ein subjektiver Qualitätsbegriff zugrundezulegen. Nach diesem ist die Einteilung eines Gutes in die Kategorien hohe bzw. niedrige Qualität unmittelbar aus den Nutzenvorstellungen der Konsumenten abzuleiten. Dieser Ansatz, dem auch die Stiftung Warentest im Prinzip folgt, birgt jedoch zwei Schwierigkeiten, die seine Handhabung erschweren. Um valide Qualitätseinstufungen vornehmen zu können, müssen nämlich die Präferenzen der Konsumenten zum einen bekannt und zum anderen relativ homogen sein. Der erste Punkt erfordert eine Klärung der Frage, welche Merkmale aus Sicht der Konsumenten für ihre Kaufentscheidung relevant sind und mit welcher Gewichtung sie in deren Entscheidungskalkül eingehen. Der zweite Punkt entscheidet darüber, ob die Bildung eines aggregierten, eindimensionalen Qualitätsurteils über ein Gut überhaupt möglich ist. Stellt sich nämlich heraus, daß die Vorstellungen der einzelnen Konsumenten über Auswahl und Gewichtung qualitätsbestimmender Merkmale stark divergieren, dann ist kein Algorithmus bestimmbar, der die einzelnen Kriterien zu einem allgemeingültigen Gesamturteil verdichten kann. Zwar sind Konsumentenpräferenzen grundsätzlich mit Methoden der empirischen Sozialforschung erhebbar, doch wäre es ganz unzweifelhaft ein zu aufwendiges Verfahren, wenn die Stiftung Warentest vor jedem der jährlich fast einhundert durchgeführten vergleichenden Warentests eine entsprechende Konsumentenbefragung durchführen würde. Statt dessen werden die zu berücksichtigenden Qualitätsmerkmale und deren Gewichtung durch ein Expertengremium festgelegt, nämlich den bereits erwähnten Fachbeirat (Hüttenrauch, 1994, S. 730-731). Die Qualitätsbeurteilung im Test geschieht dann folgendermaßen. Zunächst wird jedes Einzelmerkmal eingestuft in die Kategorien „sehr gut" (++), „gut" (+), „zufriedenstellend" (Ο), „mangelhaft" ( - ) und „sehr mangelhaft" (—). Sachlich eng zusammengehörige Merkmale werden zu Gruppen zusammengefaßt, wobei aus dem Durchschnitt der jeweiligen Einzelnoten entsprechende Gruppennoten er-

51

Ebensogut könnte man von einem positiven externen Effekt des vergleichenden Warentests sprechen.

III. Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion

69

rechnet werden. Jede dieser Merkmalsgruppen geht mit einer festgelegten Gewichtung in die Gesamtnote (das „Test-Qualitätsurteil") ein. Inwieweit die Kriterienfestlegung durch Experten die Aussagekraft der Qualitätsurteile schmälert, ist immer wieder untersucht worden. So hat Silberer (1985) festgestellt, daß sich die von der Stiftung Warentest vorgenommenen Gewichtungen in vielen Fällen von den bei Verbrauchern empirisch erhobenen unterscheiden. Allerdings zeigte sich, daß die anhand der empirisch gewonnenen Gewichtungsschemata neu berechneten Gesamtnoten kaum von denen der Stiftung Warentest abwichen, wodurch Silberer zu der Erkenntnis gelangte, „daß das Potential negativer Effekte von Gesamtnoten auf Kaufentscheidungen der Verbraucher durchaus begrenzt ist" (1985, S. 70). Hjorth-Andersen (1984) legte formal dar, daß die Gesamtnote je nach zugrundegelegtem Gewichtungsschema sehr unterschiedlich ausfallen kann. Curry & Faulds (1986) konnten jedoch zeigen, daß die Fälle, in denen dies zutrifft, in der Praxis kaum vorkommen und die Gesamtnoten gegenüber den realistischerweise zu erwartenden Gewichtungsunterschieden sehr stabil sind 52 . Insgesamt sollte das Problem der Qualitätsoperationalisierung nicht überbewertet werden. Daß Merkmale eines Gutes, die für das Qualitätsurteil einer nennenswerten Anzahl von Konsumenten relevant sind, bei der Festlegung des Prüfkatalogs durch die Experten gänzlich übersehen werden, ist nicht sehr wahrscheinlich; und da die Stiftung Warentest grundsätzlich neben allen Teilnoten auch das von ihr verwendete Gewichtungsschema angibt, kann ein interessierter Verbraucher jederzeit erkennen, ob dieses von seinen eigenen Vorstellungen abweicht und ggf. Umgewichtungen vornehmen. Doch selbst Konsumenten, die nur das Gesamturteil berücksichtigen, sind damit in aller Regel gut beraten, wie die Erkenntnisse von Silberer bzw. Curry und Faulds zeigen.53 Von den Kritikern vergleichender Warentests wird weiter angeführt, daß diese konzentrationsfördernd, innovationshemmend und produkthomogenisierend wirken können. Die jeweilige Argumentation soll im folgenden nur stichpunktartig

52

Verschiedene Gesamtnoten ergeben sich nämlich nur dann, wenn sich die Gewichtungsschemata auch in der Rangordnung der Gewichte unterscheiden (z.B. 50/30/20 vs. 20/30/50) und/oder die Teilnoten der Merkmalsgruppen sehr unterschiedlich sind (vgl. auch Curry, 1988, S. 134). Daß die Experten der Stiftung Warentest jedoch geradezu den Konsumentenpräferenzen gegenläufige Gewichtungen vornehmen, ist nicht sehr wahrscheinlich, und wie Curry & Faulds empirisch nachweisen konnten, sind die Teilnoten bei einem getesteten Gut in den allermeisten Fällen stark korreliert. 53 Wie Beier treffend anmerkt, müssen sich die Kritiker des vergleichenden Warentests in diesem Zusammenhang fragen lassen, „aufgrund welcher Informationen der Verbraucher sonst seine Kaufentscheidung begründet. Sind das nicht i.d.R. Informationen, die viel weniger die Prädikate 'sachkundig', 'neutral' und 'objektiv' verdienen als auch der am schlechtesten gelungene Testbericht?" (Beier, 1982, S. 387).

70

Α. Theoretischer Rahmen

skizziert werden (im einzelnen vgl. Hüttenrauch & Moritz, 1987, S. 282; Piepenbrock, 1986, S. 12; Raffée & Fritz, 1986, S. 41-56; Raffée & Silberer, 1984). Die konzentrationsfördernde Wirkung wird darin gesehen, daß die Stiftung Warentest aus praktischen und satzungsmäßigen Gründen lediglich die Produkte überregional agierender Anbieter bei ihren Tests berücksichtigen kann, wodurch deren Absatz - im Falle positiver Bewertungen - zu Lasten der kleineren, nur regional anbietenden Firmen gefördert würde. Die Berücksichtigung auch kleiner und mittelständischer Hersteller in den Tests könnte jedoch ebenfalls konzentrationsfördernd wirken, denn für diese nehmen die im Falle negativer Bewertungen eintretenden Umsatzeinbrüche sehr viel schneller ein existenzbedrohendes Ausmaß an als für Großunternehmen. Auch auf der Handelsebene wird ein konzentrationsfördernder Effekt gesehen. Denn während es großen Handelsunternehmen aufgrund ihrer Machtstellung zumeist gelingt, schlecht bewertete Produkte an den Hersteller zurückzugeben (Stiftung Warentest, 1996e, S. 48) und damit das finanzielle Risiko auf diesen zurückzuwälzen, bleibt kleineren Handelsbetrieben nur die Möglichkeit, die Waren mit Verlust zu verkaufen oder gar zu vernichten. Besonders von Seiten der Hersteller wird immer wieder die innovationshemmende Wirkung von Warentests kritisiert. Durch das zeitaufwendige Prüfverfahren seien Testergebnisse oft erst zu einem Zeitpunkt verfügbar, zu dem die Anbieter bereits ein Nachfolgemodell anbieten könnten. Fällt jedoch das Testurteil für das bisherige Produkt positiv aus, so werde die Innovation zurückgestellt, bis die testurteilsbedingte Nachfrage nach diesem abgeklungen ist, was bis zu einem halben Jahr dauern kann, wie Tabelle 1 (S. 67) zeigt. Dieses Argument kann indes leicht entkräftet werden. Abgesehen davon, daß die Stiftung Warentest bereits Verfahrensänderungen vorgenommen hat, die eine höhere Aktualität der Testergebnisse erwarten lassen, dürfte es in der Praxis nur ganz wenige Märkte geben, auf denen die Innovationszyklen derart kurz sind. Zwar läßt sich auf vielen Märkten beobachten, daß die Hersteller in kurzen Abständen ihre Produkte modifizieren, doch handelt es sich dabei oftmals nicht um echte Innovationen, sondern vielmehr um den Versuch, durch die Erzeugung psychologischer Obsoleszenz (Schmidt, 1971, S. 871; ders. 1996, S. 59; Hillmann, 1977; Bodenstein & Leuer, 1981 und 1982) bei den bisherigen Produkten vorzeitig Ersatzkäufe zu stimulieren, ohne daß den Konsumenten hieraus ein echter Vorteil erwächst. Umgekehrt läßt sich häufig beobachten, daß bei Tests in wirklich innovativen Bereichen, wie etwa der Informations- und Kommunikationstechnologie, die getesteten Produkte auf dem Markt gar nicht mehr erhältlich sind, was zwar den Nutzen des Tests einschränkt, andererseits aber zeigt, daß echte Innovationen nicht durch die Existenz von Warentests verzögert werden. Ähnlich konstruiert ist der Einwand, daß durch die Berücksichtigung der Prüfkriterien der Stiftung Warentest von weiten Teilen der Hersteller die Produkte einander immer ähnlicher würden. Auch dieses Argument hält einer genaueren Prüfung nicht stand. Da Verschiedenartigkeit keineswegs per se etwas Positives

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ist, muß differenziert werden. Was den Gebrauchsnutzen angeht, und nur dieser findet in die Prüfkriterien der Stiftung Warentest Eingang, so spielt sich hier Verschiedenartigkeit ausschließlich zwischen den Polen hohe und niedrige Qualität ab. Hier ist also gerade keine Verschiedenartigkeit erwünscht, sondern eine möglichst einheitliche Leistung, und zwar möglichst nahe beim positiven Pol. Wenn der vergleichende Warentest diese Art der Einheitlichkeit herstellt, dann ist dies nur zu begrüßen. Aus Verbrauchersicht problematisch wäre allenfalls eine mangelnde Vielfalt im Bereich ästhetischer Merkmale, doch sind diese nicht Gegenstand vergleichender Warentests, so daß von hier aus kein Vereinheitlichungsdruck ausgeht, der zu einem monotonen und tristen Angebot führen könnte (im Ergebnis ebenso: Thorelli & Thorelli, 1977, S. 162). Durch den vergleichenden Warentest wird dem Konsumenten gerade die Unabhängigkeit der beiden beschriebenen Ebenen vor Augen geführt: die ästhetische, die er selbst beurteilen kann, und die funktionale, die aus den Testergebnissen ablesbar ist. Dies macht ihn weniger anfallig gegen Versuche der Anbieter, diese beiden Ebenen zu verquicken, indem durch eine besondere äußerliche Gestaltung, u.U. in Verbindung mit einem hohen Preis, Qualitätsvorsprünge suggeriert werden, die in Wahrheit gar nicht vorhanden sind 54 . Wägt man nun Vor- und mögliche Nachteile des vergleichenden Warentests gegeneinander ab, so fällt eine Bewertung nicht allzu schwer. Es handelt sich hier um ein sehr wirksames, valides Instrument der Verbraucherinformation, das zu vertretbaren Kosten enormen individuellen und gesamtwirtschaftlichen Nutzen stiftet. Zu einer deutlich bescheideneren Beurteilung muß man jedoch gelangen, wenn man die Wirksamkeit des vergleichenden Warentests speziell bei der hier interessierenden Gütergruppe analysiert, nämlich den Dienstleistungen. Auch wenn die Bezeichnung möglicherweise anderes vermuten läßt, führt die „Stiftung Warentest" schon seit geraumer Zeit auch Dienstleistungstests durch. Bereits 1974 wurde für diesen Bereich eine eigene Abteilung gegründet. Seither wurde eine breite Palette an Dienstleistungen untersucht: Banken, Versicherungen, Post und Bahn, Pauschalreisen, Schönheitsfarmen, Sicherheit in Fußballstadien, Heizkostenabrechnungen, Service in Automobilclubs, Fitneßcenter, Fahrscheinautomaten im öffentlichen Nahverkehr, Grabpflege und manches mehr. Bei aller Unterschiedlichkeit ist den Dienstleistungen jedoch gemein, daß sie für den Ansatz des vergleichenden Warentests mit zwei besonderen Schwierigkeiten verbunden sind: dem regionalen Charakter vieler Dienstleistungen und der grund54 Eine extreme Form der „Heterogenisierung faktisch homogener Produkte 44 (Scherhorn, 1981, S. 9) ist der sogenannte „zweigleisige Vertrieb", bei dem die gleichen Produkte eines Herstellers einmal als hochpreisige Markenartikel über den Fachhandel vertrieben werden, gleichzeitig aber auch deutlich günstiger als „no-name"-Produkte in Supermärkten zu haben sind (Nieschlag, Dichtl & Hörschgen, 1994, S. 246; HenningBodewig & Kur, 1988, S. 37; Dedler et al., 1984, S. 10).

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sätzlich höheren Schwankungsbreite der Dienstleistungsqualität im Vergleich zur Qualität von Sachleistungen. Beide Schwierigkeiten lassen sich auf die in Kapitel II.l. herausgearbeiteten Besonderheiten des Gutes Dienstleistung zurückfuhren. So verhindert die Immaterialität, daß Dienstleistungen an einem zentralen Ort auf Vorrat produziert und von dort aus distribuiert werden können. Schon aus diesem Grund, aber auch weil zur Dienstleistungsproduktion der aus der Konsumentensphäre stammende externe Faktor integriert werden muß, ist der Anbieter zumeist gezwungen, den Ort der Dienstleistungserstellung in die Nähe der Abnehmer zu verlegen. Da diese jedoch geographisch weit verteilt sind, weisen viele Dienstleistungsmärkte einen kleinräumigen Charakter auf 5 5 (Quartapelle & Larsen, 1996, S. 7; Hartjens, 1983, S. 1); typische Beispiele sind alle handwerklichen Dienstleistungen oder auch die Leistungen der freien Berufe. Ein vergleichender Warentest muß sich aber aus Gründen des Erhebungsaufwandes und der Übersichtlichkeit der Ergebnisdarstellung zwangsläufig auf eine geringe Anzahl zu untersuchender Unternehmen beschränken. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei einer Stichprobe von 20, 50 oder 100 Unternehmen die Kapazitätsgrenze erreicht ist, fest steht, daß für sehr viele Dienstleistungsbranchen nur ein verschwindend geringer Bruchteil der Anbieter getestet werden kann. Eine praktische Umsetzung der Testergebnisse ist Konsumenten, die sich nicht im unmittelbaren Einzugsbereich der getesteten Unternehmen befinden, damit verwehrt. Die Ursachen für die tendenziell höhere Schwankungsbreite der Dienstleistungsqualität wurden schon an anderer Stelle dargelegt (vgl. Kap. II.2.b), S. 44). Auch hier stellt sich dem Testinstitut folglich ein Stichprobenproblem, jedoch nicht wie im eben beschriebenen Fall hinsichtlich der Frage, wie viele Unternehmen in die Untersuchung einbezogen werden müssen, sondern wie viele Leistungseinheiten eines jeden zu testenden Unternehmens zu untersuchen sind. Schon im Sachgüterbereich wird immer wieder angezweifelt, ob es vertretbar ist, jeweils nur ein einziges Exemplar des zu testenden Gutes zu untersuchen (z.B. Thorelli & Thorelli, 1977, S. 85 und van Weperen, 1985). Diesem Einwand wird zumeist unter Verweis auf die gleichbleibende und hohe Qualität seriengefertigter Markenartikel begegnet, auf die sich die Hersteller bei anderer Gelegenheit so gerne berufen (Hüttenrauch, 1986a, S. 27). Auch der Bundesgerichtshof hat diese Ansicht schon vertreten (BGHZ 65, 352 „Marker"). Da diese Voraussetzung bei Dienstleistungen aber gerade nicht gegeben ist, müssen mehrere Leistungseinheiten geprüft und ein Durchschnitt gebildet werden. Nur so kann ausgeschlossen 55

Umgekehrt kann im Sachgüterbereich sogar ein Einzelunternehmer seine Produkte weltweit vertreiben, wenn er nur über geeignete Distributionswege und Möglichkeiten verfügt, auf sich aufmerksam zu machen. In nahezu vollkommener Weise sind diese Bedingungen etwa bereits für Software-Programmierer gegeben, die ihre Produkte über das Internet vertreiben.

III. Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion

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werden, daß die Bewertung zu günstig oder ungünstig ausfallt, nur weil die eine ausgewählte Leistungseinheit zufällig am oberen bzw. unteren Rand der Streubreite angesiedelt war. Dieses Erfordernis bedeutet jedoch wiederum einen gesteigerten Erhebungsaufwand, wodurch die praktischen Durchfuhrungsmöglichkeiten vergleichender Dienstleistungstests für eine Institution mit begrenztem Budget weiter eingeengt werden. Um die Problematik zusammenfassend an einem konkreten Beispiel deutlich zu machen: Einem Autobesitzer in der Kleinstadt Κ ist es - abgesehen von eventuellen Non-use-Benefits - keine große Hilfe, wenn er in einem Testbericht der Stiftung Warentest liest, daß die Kfz-Werkstätten a, b und c in den Großstädten Β, HH und Μ an einem bestimmten Tag bei einem mit η Fehlern präparierten Wagen m Fehler gefunden haben (vgl. z.B. Stiftung Warentest 1996c). Nur bei einigen wenigen Dienstleistungsbranchen sind die Voraussetzungen für die Durchführung vergleichender Warentests günstiger; ein wichtiges Beispiel ist der Finanzdienstleistungsbereich. Hier ist es einigen Großunternehmen gelungen, überregionale Strukturen zu etablieren (Rosenberger, 1981, S. 329; ders. 1991, S. 404). Zudem sind dort eine ganze Reihe von Leistungsmerkmalen in einer Weise standardisiert, daß durchaus gewisse Parallelen zu einer Serienfertigung gesehen werden können. Zu nennen sind etwa die Konditionengestaltung für Lebensversicherungen oder Bausparverträge, die Laufzeit von Banküberweisungen etc. Vor diesem Hintergrund kann es dann auch nicht überraschen, daß die Dienstleistungstests der Stiftung Warentest im Finanzdienstleistungsbereich am stärksten etabliert sind und ihnen mit der Zeitschrift „FINANZtest" sogar ein eigenes Periodikum gewidmet ist. (2) Das Washington Consumers ' Checkbook Wie sich im vorigen Kapitel gezeigt hat, ist das Konzept des vergleichenden Warentests für den überwiegenden Teil der Dienstleistungen nur von eingeschränktem Nutzen. Ein interessantes Beispiel für eine Konstruktion, die den Eigenarten dieser Güterart stärker entgegenkommt, liefert das „Washington Consumers' Checkbook" (Krughoff, 1979; Hartjens, 1983; Scherhorn, 1983, S. 131132). Dabei handelt es sich um eine Publikation des „Center for the Study of Services" (CSS), einer nicht kommerziellen, unabhängigen und als gemeinnützig anerkannten Organisation, die 1974 mit finanzieller Unterstützung des US-Office of Consumer Affairs, einiger privater Stiftungen und der Verbraucherorganisation „Consumers Union" gegründet wurde (CSS, 1996a, S. 6). Das CSS hat sich zum Ziel gesetzt, Qualitätsinformationen über Dienstleistungsanbieter zu erzeugen und zu veröffentlichen. Dem regionalen Charakter vieler Dienstleistungsmärkte Rechnung tragend, konzentriert man sich dabei auf geographisch begrenzte Gebiete, nämlich zum einen den Großraum Washington D.C. und zum

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Α. Theoretischer Rahmen

anderen die Gegend um San Francisco, wo eine Zweigstelle des CSS seit 1982 das „Bay Area Consumers' Checkbook" herausgibt. Die Grundidee besteht darin, die Erfahrungen von Kunden mit bestimmten Dienstleistungsanbietern anderen Konsumenten zur Kenntnis zu bringen und nutzbar zu machen. Zu diesem Zweck versendet das CSS einmal jährlich an die 55.000 Abonnenten des Checkbook sowie an die 26.000 Washingtoner Abonnenten der Zeitschrift „Consumer Reports" 56 einen Fragebogen (in San Francisco: 38.000 Abonnenten des Bay Area Checkbook und 27.500 Abonnenten von Consumer Reports). Die Empfänger werden gebeten, falls sie in jüngerer Zeit eine oder mehrere der in dem Bogen genannten Dienstleistungen in Anspruch genommen haben, jeweils den betreffenden Anbieter der Dienstleistung zu nennen, ihn anhand einer Reihe vorgegebener Leistungsmerkmale zu beurteilen und schließlich ein Gesamturteil zu fallen. Die Befragungsergebnisse werden vom CSS im halbjährlich erscheinenden Checkbook veröffentlicht, wobei allerdings nur die Unternehmen aufgeführt werden, für die mindestens 10 Beurteilungen vorliegen. Zusätzlich versucht das CSS, weitere Qualitätsinformationen über die im Checkbook genannten Anbieter zusammenzutragen und die Umfrageergebnisse damit sinnvoll zu ergänzen. So werden etwa Inspektionsberichte staatlicher Ämter ausgewertet, Beschwerden bei lokalen Verbraucherzentralen gezählt, Experten befragt, etc. Auch direkte Begutachtungen durch Mitarbeiter des CSS werden vorgenommen. Natürlich hat dieses Verfahren seine Schwächen. Zu nennen sind etwa Verzerrungen im Rücklauf, Subjektivität der Einstufungen, etc. Auf die Schwierigkeiten bei Konsumentenbefragungen wird in Teil B, Kapitel III.3., noch ausführlich eingegangen. Doch beeinträchtigen die Schwächen die Verwertbarkeit der Ergebnisse im Endeffekt nur gering. Zum einen klärt das CSS in jedem Checkbook die Leser über die jeweils angewandte Methode im einzelnen auf und weist auf mögliche Fehlerquellen hin (CSS, 1996b, S. 88). Zum anderen muß gesehen werden, daß die Zielsetzung des Verfahrens nicht die Ermittlung einer absoluten Qualitätsmeßzahl für Dienstleistungsanbieter ist, sondern lediglich ein Vergleich zwischen verschiedenen Anbietern ermöglicht werden soll, was ein wesentlich geringerer analytischer Anspruch ist, dem Bedürfnis der Konsumenten nach Entscheidungshilfe jedoch in gleichem Maße entspricht. Der Vorteil einer nur vergleichenden Betrachtung liegt darin, daß sich viele Meßfehler gegenseitig neutralisieren, da sie auf alle Anbieter in etwa gleichmäßig verteilt sind. Die Arbeitsweise des CSS wird sich in nächster Zeit weiterentwickeln, denn inzwischen ist die Organisation auch im Internet vertreten (http://consu-

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In der Zeitschrift Consumer Reports veröffentlicht die US-Verbraucherorganisation .Consumers Union" ihre vergleichenden Warentests.

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mer.checkbook.org/consumer/) und entschlossen, die sich hieraus ergebenden Möglichkeiten zu nutzen. So werden schon in Kürze die Firmenbeurteilungen mit Hilfe von elektronischen Formularen online möglich sein (was den Vorteil hat, daß die Beurteilungen auch unmittelbar nach Inanspruchnahme der Dienstleistung abgegeben werden können, solange die Eindrücke noch frisch sind), und auch über Formen der elektronischen Publikation der Ergebnisse wird bereits nachgedacht (CSS, 1996c, S. 1). Finanziell tragen sich die beiden Checkbook-Ausgaben inzwischen vollständig selbst, d.h. man ist weder auf staatliche Hilfe noch auf die Unterstützung von Stiftungen oder gar Unternehmen angewiesen. Die einzigen Einnahmequellen sind die Verkaufserlöse der Publikationen57 sowie Spenden von Privatpersonen, insbesondere von den Abonnenten, die vom CSS regelmäßig gebeten werden, einen über die Abonnementsgebühren hinausgehenden finanziellen oder materiellen Beitrag zu leisten. Das Bemerkenswerte am Washington Consumers' Checkbook ist nicht so sehr die Erhebungsmethodik an sich. Auch die Stiftung Warentest führt unter ihren Abonnenten gelegentlich Umfragen zur Zufriedenheit mit Dienstleistungen durch, und der ADAC beispielsweise veranstaltet immer wieder Aktionen unter dem Motto „Leser testen für Leser", bei denen ebenfalls die Erfahrungen von Konsumenten nutzbar gemacht werden (vgl. z.B. Caroselli, 1995). Das Außergewöhnliche besteht vielmehr darin, daß es gelungen ist, eine Institution zu etablieren und nun schon über 20 Jahre am Leben zu erhalten, die diese Form von Dienstleistungstest systematisch und ausschließlich durchführt. Eine Einordnung dieses - soweit bekannt - bislang einzigartigen Modells fällt nicht ganz leicht. Am ehesten kann man hier wohl von einer geglückten kollektiven Aktion (Olson, 1968) sprechen, denn die Initiative zur Gründung der Organisation ging von einzelnen Konsumenten aus, insbesondere dem bis heute amtierenden Präsidenten des CSS, Robert Krughoff, und ihr Fortbestand hängt von der Mitwirkung der Konsumenten ab, die die Mühe auf sich nehmen, dem Center ihre Erfahrungen mitzuteilen. Das produzierte Gemeinschaftsgut 58 (Scherhorn, Haas, Hellenthal & Seibold, 1996, S. 91) besteht in der Verbesserung der Markttransparenz durch die erzeugte Information sowie insbesondere in den sich natürlich auch hier einstellenden Non-use-Benefits (vgl. S. 68) in Form einer allgemeinen Verbesserung des Qualitätsniveaus auf dem Markt. Die staatliche Anschubfinanzierung ändert 57 Neben dem „Checkbook" veröffentlicht das CSS zweimal jährlich unter der Bezeichnung „Bargains" Preisübersichten für teure Gebrauchsgüter (Waschmaschinen, Computer, etc.). Eine Ausgabe des „Checkbook" kostet z.Zt. S6.95, eine Ausgabe „Bargains" $4.95; für ein beide Publikationen umfassendes 2-Jahres-Abonnement sind $30.00 zu entrichten. 58 Als Gemeinschaftsgüter werden diejenigen Kollektivgüter bezeichnet, die nicht durch die öffentliche Hand bereitgestellt werden.

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an dem grundsätzlich auf Privatinitiative basierenden Prinzip kaum etwas; ebensowenig sollte aus der Tatsache, daß das Checkbook entgeltlich abgegeben wird, auf einen kommerziellen Charakter geschlossen werden 59. Durch die konsequent lokale Ausrichtung sowie die Aggregation einer ganzen Reihe von Konsumentenerfahrungen zu einem Qualitätsurteil vermeidet die Checkbook-Konstruktion die beim vergleichenden Warentest im Dienstleistungsbereich auftretende Problematik der Kleinräumigkeit und der größeren Qualitätsschwankungsbreite des Angebots. Ein Leser des Checkbook wird daher mit großer Wahrscheinlichkeit einen guten Dienstleistungsanbieter in seiner Umgebung ermitteln können und darf zudem davon ausgehen, daß die Beurteilung sich nicht nur auf eine einmalige, möglicherweise rein zufällig positive Leistung gründet. Dennoch ist dem Modell bislang eine nennenswerte praktische Bedeutung versagt geblieben. Washington bzw. Bay Area Consumers' Checkbook sind bislang die einzigen ihrer Art geblieben. Zwar ist eine abschließende Klärung der Frage, warum dies so ist und ob es so bleiben muß, im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, doch kann zumindest kurz angedeutet werden, in welcher Richtung die Antwort zu suchen wäre. Als fruchtbar könnten sich hier Olsons Überlegungen zur Logik des kollektiven Handelns erweisen. Danach kann eine kollektive Aktion dann nicht zustande kommen, wenn die drei folgenden Bedingungen kumulativ gegeben sind (Olson, 1968, S. 46-50; Scherhorn, 1983, S. 138). © Die Gesamtkosten der Organisation des Gruppenverhaltens 60 sind so hoch, daß sie von besonders motivierten einzelnen allein nicht aufgebracht werden können. Tatsächlich entstehen bei der Ingangsetzung und -haltung einer Konstruktion wie dem Checkbook gewaltige Organisationskosten. Damit das System verwertbare Ergebnisse liefert, müssen die Erfahrungen einer großen Zahl von Konsumenten vorliegen. Es muß also zu sehr vielen Konsumenten ein Kontakt hergestellt werden, es muß jedem die Idee erläutert und schließlich ein Fragebogen zugestellt werden. Da keineswegs alle angesprochenen Konsumenten in der gewünschten Weise reagieren - Krughoff (1979, S. 3) berichtet über Rücklaufquoten von ca. 15% - vergrößert sich die notwendige Anzahl an Kontakten, wodurch sich die Organisationskosten noch weiter erhöhen. Krughoff ist es im Fall des Washington Consumers' Checkbook gelungen, in der über zehnjährigen An59

Ebenso wie die Testergebnisse der Stiftung Warentest werden die CheckbookErgebnisse auch über die Medien verbreitet; darüber hinaus liegt das Checkbook in verschiedenen Beratungsstellen aus und wird zudem immer wieder in sozial schwachen Wohngebieten verteilt. 60 Diese Organisationskosten sind scharf zu trennen von den Kosten zur Erzeugung des Kollektivgutes! (Olson, 1968, S. 46). Letzere bestehen für die einzelnen Konsumenten darin, daß sie sich die Mühe machen, ihre Erfahrungen niederzuschreiben und dem CSS zu melden. Der Verkaufspreis des Checkbook ist hingegen eher als teilweise Kompensation für die Organisationskosten anzusehen.

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laufphase bis zur finanziellen Unabhängigkeit genügend Geldgeber zu motivieren, die diese Kosten getragen haben. Doch ist das hierfür notwendige Maß an Einsatz, Geschick und Durchhaltevermögen sicher nur bei sehr wenigen Menschen anzutreffen. Eine gewisse Entschärfung des Organisationskostenproblems ist jedoch durch die neueren Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien zu erwarten, so daß sich die Chancen für die Entstehung weiterer Organisationen nach dem Checkbook-Modell tendenziell verbessern. © Eine zusätzliche Motivation des einzelnen zu gruppenorientiertem Handeln durch selektive Anreize (private Güter, die allein denen zugeteilt werden, die sich an der Erstellung des Kollektivguts beteiligen) ist nicht möglich. Da eine Checkbook-Organisation ausschließlich Informationen erzeugt, also Kollektivgüter (vgl. S. 61), ist schwer vorstellbar, daß sich im Rahmen dieser Tätigkeit selektive Anreize, die ja private Güter sein müssen, erzeugen lassen61. Gänzlich ausgeschlossen scheint es indessen nicht; möglicherweise lassen sich mit etwas Einfallsreichtum dennoch selektive Anreize finden, auch wenn diese dann nicht in einem natürlichen Zusammenhang mit der Organisationstätigkeit stehen. (D Die Reaktionsverbundenheit der Gruppenangehörigen ist gering, der einzelne kann sich also ausrechnen, daß seine Nichtbeteiligung (free-rider-position) nicht ins Gewicht fällt, wenn viele andere sich beteiligen. Diese letzte Bedingung ist im hier in Rede stehenden Zusammenhang wohl stets gegeben. Das CheckbookModell ist ein typisches Beispiel für eine „Große Gruppe" im Sinne von Olson (1968, S. 43): Wenn ein einzelner Konsument seinen Beitrag zur Erstellung des Kollektivgutes nicht leistet, d.h. den Fragebogen nicht beantwortet, so hat dies zweifellos keinerlei fühlbaren Einfluß auf die Gruppe als Ganzes. Doch ist die Annahme, daß sich Personen grundsätzlich wo immer es ihnen möglich ist, als free-rider verhalten, in letzter Zeit durch zahlreiche Forschungsarbeiten in Frage gestellt worden. Die informativste Übersicht über diese Untersuchungen findet sich in einem Review-Artikel von Udéhn (1993). Bei Scherhorn, Haas, Hellenthal & Seibold (1997, S. 67) werden Bedingungen genannt, unter denen eher mit kooperativem Verhalten gerechnet werden kann.

61 Ganz anders liegt der Fall beispielsweise beim ADAC, der Interessenvertretung der Autofahrer. Hier kann eine Fülle von Dienstleistungen als selektiver Anreiz angeboten werden, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit der Organisation stehen (Pannendienst, Mitgliederzeitschrift, kostenlose Beratung, Reiseroutenplanung, ...). In diesem speziellen Fall haben die selektiven Anreize inzwischen sogar einen Umfang angenommen, daß vermutet werden kann, daß der eigentliche Organisationszweck, die Interessenvertretung der Autofahrer, für die Beitrittsentscheidung der Konsumenten nur noch von untergeordnetem Interesse ist.

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bb) Informative Produktkennzeichnung und Gütezeichen Informative Produktkennzeichnung und Gütezeichen weisen eine Reihe von Gemeinsamkeiten auf, die es sinnvoll erscheinen lassen, die beiden Instrumente im Zusammenhang darzustellen. Die Kernidee besteht in beiden Fällen darin, daß die Hersteller an ihren Produkten in einer standardisierten, vergleichbaren Form Informationen über deren Beschaffenheit anbringen, die es den Konsumenten erleichtern, vor dem Kauf eine Qualitätsbeurteilung vorzunehmen. Konstitutives Merkmal ist weiter, daß sich die Kennzeichnung innerhalb eines Systems vollzieht, das eine Überwachung der Wahrhaftigkeit der Angaben durch eine staatliche oder staatlich beaufsichtigte Instanz beinhaltet. Prinzipiell kommen auch rein private Institutionen für die Kontrolle in Frage, solange sie nur von dem einzelnen Unternehmen bzw. Unternehmensverband wirklich unabhängig sind 62 . Zur Unterscheidung von den Systemen unter hoheitlicher Aufsicht sollte hier besser von Gütezeichen bzw. Informativer Produktkennzeichnung im weiteren Sinne gesprochen werden. Die Informative Produktkennzeichnung kann auf freiwilliger Basis geschehen oder vom Gesetzgeber vorgeschrieben sein. Letzteres ist häufig in Bereichen der Fall, in denen die Unkenntnis über Produkteigenschaften beim Konsumenten unmittelbare Gefahren für Wohlbefinden und Gesundheit bedeuten kann, insbesondere also bei Medikamenten sowie Nahrungs- und Genußmitteln (Gruber, 1987, S. 1). Hierunter fallen etwa die Pflicht zur Angabe des Alkoholgehaltes von Getränken, des Nikotingehaltes von Zigaretten oder der Inhaltsstoffe von Arzneimitteln. Wie Beispiele aus den skandinavischen Ländern zeigen, kann Informative Produktkennzeichnung grundsätzlich auch auf der Basis freiwilliger Selbstverpflichtung geschehen (Volkmann, 1994, S. 707; Thorelli & Thorelli, 1974, S. 37-52), doch hat dieses Modell zumindest in Deutschland keine weite Verbreitung gefunden. Die zu diesem Zweck geschaffene „Deutsche Gesellschaft für Produktinformation (DGPI)", eine Tochter des DIN und des RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V. (vgl. S. 80), führt lediglich ein Schattendasein (vgl. RAL, 1996a, S. 27-28). Auch für sein eigenes System der Informativen Produktkennzeichnung, die sogenannten „RAL-Testate", beklagt das RAL das nur geringe Interesse der Wirtschaft 63 . Im Jahr 1995 waren an dem

62

Dies dürfte indessen selten der Fall sein, besteht doch immer wenigstens insofern eine Abhängigkeit, als die private Institution ein wirtschaftliches Interesse an der Auftragserteilung bzw. -aufrechterhaltung hat. 63 Die mangelnde Beteiligung der Wirtschaft betrachtet das RAL als Folge eines angeblich geringen Interesses der Verbraucher: „Die einkaufenden Verbraucher sind offenbar an dieser Form des Ausweises objektiv und nach gleichen Prüfmethoden festgestellter - insofern also leicht miteinander vergleichbarer Produktdaten - nur wenig interessiert. ... Konsequenterweise ist auch das Interesse der Anbieter gering, solche informativen

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System lediglich 17 Unternehmen mit 128 Produkten beteiligt (RAL, 1996a, S. 27). Wie die genannten Beispiele zeigen, werden dem Verbraucher durch die Informative Produktkennzeichnung grundsätzlich Fakteninformationen bereitgestellt, insbesondere über Bestandteile des Produkts, aber auch Leistungs- und Verbrauchsdaten etc. Die Bewertung der Fakten bleibt dabei dem Konsumenten selbst überlassen. Da alle beteiligten Anbieter die Informationen auf die gleiche Weise darzubieten haben, kann eine Qualitätsbeurteilung insbesondere durch Vergleich der verschiedenen Produkte erfolgen. Gütezeichen hingegen verkörpern bereits eine Wertung. Sie sollen eine überdurchschnittliche Qualität anzeigen und dürfen deshalb nur an Produkten angebracht werden, die bestimmte, allgemein festgelegte Anforderungen erfüllen. Zumeist ist beabsichtigt, mit den zugrundegelegten Kriterien die Gesamtqualität des Produktes zu erfassen, doch existieren auch Gütezeichen, die sich nur auf bestimmte Teilqualitäten beziehen (z.B. das „Wollsiegel"). Daß die Qualität auf diese Weise unmittelbar angezeigt wird, macht das Gütezeichen für den Konsumenten zu einem sehr bequemen Qualitätsindikator, ist er doch dadurch der Mühe enthoben, sich durch die Bewertung und Gewichtung von Fakteninformationen selbst ein Urteil zu bilden. Diese Bequemlichkeit wird jedoch durch einen doppelten Informationsverlust erkauft, denn: • Für den Konsumenten ist aus dem Gütezeichen nicht erkennbar, welche konkreten Qualitätsanforderungen ein Produkt erfüllen muß, um dieses Zeichen zu erlangen. Die durch das Gütezeichen vermittelte Qualitätsinformation ist damit relativ diffus. • Der Indikator ist nur zweiwertig (Gütezeichen vorhanden bzw. nicht vorhanden), und eine Leistungsunterscheidung innerhalb der Gruppe der zeichentragenden Produkte ist nicht möglich, da aus dem Gütezeichen selbst der Grad der (Über-)Erfüllung der Qualitätsanforderungen durch das jeweilige Produkt nicht hervorgeht.

Warenkennzeichnungen zu führen und in der Auslage einzubringen" (RAL, 1996a, S. 27). Diese Schlußfolgerung muß, solange sie nicht belegt wird, als äußerst fragwürdig bezeichnet werden. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist es, daß die Anbieter die Konsumenten gar nicht erst an Informative Produktkennzeichnung gewöhnen möchten, weil sie befürchten, daß diese objektiven Informationen kaufentscheidend werden könnten, wodurch das mittels kostspieliger Marketingmaßnahmen aufgebaute Markenimage an Bedeutung verlöre (Beier, 1982, S. 378). Um die These vom mangelnden Verbraucherinteresse plausibel erscheinen zu lassen, müßte sich zudem in der Vergangenheit wenigstens ein (gescheiterter) Versuch der Industrie nachweisen lassen, Informative Produktkennzeichnung auf breiter Front zu etablieren; ein solcher ist aber nicht ersichtlich.

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Α. Theoretischer Rahmen

Der zweite Punkt fuhrt zu einer weiteren Problematik der Gütezeichen, nämlich zur Frage einer adäquaten Grenzwertsetzung. Werden nämlich die Anforderungen an den Erwerb des Gütezeichens zu hoch angesetzt, so daß nur die Spitzenqualitäten es erlangen können, wird die evtl. große Zahl der Anbieter „nur" guter oder mittlerer Qualität diskriminiert; andererseits führen zu niedrige Anforderungen dazu, daß das Gütezeichen seine Indikatorfunktion verliert (Gruber, 1987, S. 79; Thorelli & Thorelli, 1977, S. 102). Gütezeichen werden in der Praxis durch Wirtschaftsverbände geschaffen. In Deutschland geschieht dies in aller Regel 64 unter Mitwirkung des RAL Deutsches Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V., einem rechtlich selbständigen Verein, in dessen Kontrollorgan, dem Kuratorium, u.a. zahlreiche Spitzenorganisationen der Wirtschaft, mehrere Bundesministerien, der Präsident des Patentamtes, das DIN sowie die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V. (AgV) vertreten sind. Das Verfahren zur Schaffung eines Gütezeichens ist in den „Grundsätzen für Gütezeichen" (RAL, 1996b) geregelt: Gütezeichenträger kann danach jede rechtsfähige Gemeinschaft werden. In der Regel gründet ein interessierter Verband hierzu einen rechtsfähigen Verein, in dessen Satzung als ausschließliche Zwecksetzungen die Sicherung der Güte des Produktes / der Dienstleistung sowie die Kennzeichnung des betreffenden Gutes festgelegt sind. Diese sogenannte Gütegemeinschaft muß zunächst gegenüber dem RAL den Nachweis der gesamtgesellschaftlichen Zweckmäßigkeit der geplanten Gütesicherung erbringen und weiter darlegen, welche Anforderungen an die zu kennzeichnenden Güter gestellt werden sollen. Die Gütebedingungen dürfen nur an objektiven Maßstäben meßbare Produkteigenschaften betreffen, die von den einschlägigen Fach- und Verkehrskreisen für die Beurteilung der Qualität als wesentlich angesehen werden 65 . Die Gütegemeinschaft wird Mitglied im RAL und muß sich verpflichten, durch laufende Prüfungen der gekennzeichneten Produkte die lückenlose Einhaltung der Gütebedingungen zu gewährleisten sowie dem RAL jederzeit eigene Prüfungen zu gestatten. Außerdem ist die Schutzeintragung des Zeichenbildes als Kollektivmarke (§ 97 Abs. 1 MarkenG) im Markenregister beim Deutschen Patentamt vorzunehmen. Sind alle Bedingungen erfüllt, so spricht das RAL mit Zustimmung des Bundesministers für Wirtschaft die Anerkennung des Zei-

64 In Deutschland ist der Begriff „Gütezeichen" geschützt; er darf nur für Zeichen verwendet werden, die das im folgenden beschriebene Verfahren beim RAL durchlaufen haben; diese juristisch-institutionelle Begriffsabgrenzung ist etwas enger als die hier verwendete verbraucherpolitische im Sinne von Thorelli & Thorelli (1977, S. 29), die an materiellen Eigenschaften des Zeichens anknüpft, wie sie in Tabelle 2 (vgl. S. 81) aufgeführt sind. 65 Um dies sicherzustellen, werden die Gütebedingungen den Herstellern, dem Handel, den zuständigen Behörden, den Handels- und Handwerkskammern sowie Prüfanstalten zur Stellungnahme vorgelegt.

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chens aus und trägt es in die von ihm geführte Gütezeichenliste ein, die jährlich im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Derzeit sind beim RAL 139 Zeichen registriert (Stand: Mai 1996). Eindeutige Schwerpunkte ergeben sich dabei für den Bausektor (90 Zeichen) sowie für den land- und ernährungswirtschaftlichen Bereich (17 Zeichen) (RAL, 1996c, S. 5-6). Bekannte Beispiele für Gütezeichen sind neben dem bereits erwähnten „Wollsiegel Reine Schurwolle" (RAL-RG 300/1) die Lebensmittel-Zeichen „CMA - Markenqualität aus deutschen Landen" (RAL-RG 164/x) und das „Deutsche Weinsiegel" (RAL-RG 180). Tabelle 2 faßt Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Gütezeichen und Informativer Produktkennzeichnung in einer Übersicht zusammen. Tabelle 2

Informative Produktkennzeichnung und Gütezeichen Inform. Produktkennzeichnung /. Gemeinsamkeiten:

Gütezeichen

Mehrere Anbieter am System beteiligt Information über die Beschaffenheit des Produkts Information befindet sich am Produkt selbst Information wird in standardisierter Form dargeboten Kontrolle durch unabhängige Instanz

II. Unterschiede: Fakteninformation

Bewertende Information

(prinzipiell) beliebig

zwei

Informationsgehalt

hoch

gering

Bequemlichkeit für Konsumenten

gering

hoch

„gute" und „schlechte" Produkte

nur „gute" Produkte

freiwillig oder vorgeschrieben

nur freiwillig

Informationstyp Anzahl unterscheidbarer Qualitätsstufen

Welche Produkte tragen die Kennzeichnung Anlaß

Faßt man die Vorzüge von Informativer Produktkennzeichnung und Gütezeichen zusammen, so ist an erster Stelle die leichte Verfügbarkeit für den Verbraucher zu nennen. Da die Informationen am Produkt selbst angebracht sind, kommt der Konsument zum Zeitpunkt und am Ort der Kaufentscheidung gewissermaßen „automatisch" mit ihnen in Kentakt (Beier, 1982, S. 370; Kruse, 1979, S. 167). Bezüglich der betreffenden Informationen werden die Suchkosten dadurch auf Null reduziert. Erwähnenswert ist weiter, daß diese Form der Verbraucherinformation gesamtwirtschaftlich vergleichsweise kostengünstig ist, und zwar sowohl 6 Haas

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hinsichtlich der Informationserzeugung als auch im Hinblick auf die Informationsdistribution (Kruse & Berger, 1996, S. 436). Denn in der Praxis verfugen die Hersteller in den meisten Fällen ohnehin bereits über die interessierenden Informationen (vgl. S. 41), so daß hierfür keine weiteren Ressourcen eingesetzt werden müssen. Informationsdistributionskosten (Kosten der Informationsübermittlung, -adressierung und -Selektion) entfallen durch die Anbringung der Informationen am Produkt selbst. Als weiterer Vorteil ist anzusehen, daß diese Instrumente grundsätzlich jedem Anbieter offenstehen bzw. - im Falle verbindlicher Vorschriften - alle Anbieter erfaßt werden, insbesondere auch kleine 66 und neu am Markt auftretende 67 Unternehmen. Dadurch stehen die Qualitätsinformationen - anders als etwa beim vergleichenden Warentest - prinzipiell für alle entsprechenden Produkte bereit (Kruse, 1979, S. 168). Nicht unerwähnt bleiben sollte ferner, daß auch diese Instrumente nennenswerte „Non-use-Benefits" erzeugen dürften 68 (Padberg, 1977). Das zentrale Problem beider Formen ist zweifellos die Verläßlichkeit der Angaben, womit die Frage nach der Wirksamkeit des jeweiligen Kontrollmechanismus aufgeworfen wird (kritisch z.B. Böhmer & Schnitzler, 1996). Beeinträchtigungen sind hier in mindestens zweifacher Hinsicht denkbar. Zum einen kann die kontrollierende Instanz mangels ausreichender Ressourcenausstattung mit ihrer Aufgabe schlicht überfordert sein. Zumindest bei der Informativen Produktkennzeichnung i.w.S. und den Gütezeichen i.w.S. (vgl. S. 78) ist es zudem möglich, daß keine vollständige Unabhängigkeit der Kontrollinstanz gegeben ist. Beide möglichen Einschränkungen sind für den Konsumenten nicht erkennbar. Kaum geringer einzuschätzen ist die Verwechslungsgefahr mit den vielen in der Praxis vorkommenden Kennzeichnungen, die gar keine Informative Produktkennzeichnung bzw. Gütezeichen nach der hier verwendeten Definition darstellen, insbesondere weil überhaupt kein Kontrollsystem vorhanden ist, wie z.B. bei Verbandszeichen69 (Gruber, 1987, S. 163). Immerhin besteht im Falle der Gütezei66 Gruber (1987, S. 16) berichtet, daß sogar nur 2% der zeichenführenden Unternehmen Großbetriebe sind, gegenüber 68% Klein- und 30% Mittelbetrieben. 67 § 27 Abs. 1 GWB stellt sicher, daß eine bestehende Gütegemeinschaft einem Unternehmen den Beitritt nicht verwehren darf, „wenn die Ablehnung eine sachlich nicht gerechtfertigte ungleiche Behandlung darstellt und zu einer unbilligen Benachteiligung des Unternehmens im Wettbewerb fuhrt 44. 68 Man könnte sich fragen, ob es hier überhaupt „Non-users" geben kann, weil die Information ja am Produkt selbst angebracht ist und so jeder Käufer zwangsläufig damit in Kontakt kommt. Als „Non-user 44 wären etwa die Konsumenten anzusehen, welche die Information lediglich wahrnehmen, ohne daß sie für die Kaufentscheidung eine Rolle spielt. 69 Ein anschauliches Beispiel ist etwa das Verbandszeichen „Badischer Wein - von der Sonne verwöhnt 44, das sehr leicht mit dem RAL-Gütezeichen „Badischer Qualitätswein44 verwechselt werden kann. Gruber (1987, S. 181) hat empirisch nachgewiesen, daß solche Fehleinschätzungen in der Bevölkerung weit verbreitet sind.

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chen insofern eine gewisse Sicherung, als das Patentamt Kollektivmarken (§ 97 Abs. 1 MarkenG), die den Eindruck von Gütezeichen erwecken könnten, erst dann in das Markenregister einträgt, wenn das RAL entweder bestätigt, daß eine Verwechslungsgefahr nicht vorliegt (sog. Unbedenklichkeitsbescheinigung) oder aber der beantragende Verband sich dem Verfahren des RAL zur Schaffung eines Gütezeichens unterzieht (RAL, 1996a, S. 32). Diese Sicherung greift jedoch nicht bei Zeichen, für die gar kein Schutz nach dem MarkenG beantragt wird. Insbesondere bei den Gütezeichen stellt sich zudem noch das Problem der Relevanz der einbezogenen Kriterien in bezug auf die Konsumentenpräferenzen. Das analoge Problem ist bereits im Zusammenhang mit dem vergleichenden Warentest behandelt worden, so daß an dieser Stelle auf die dortigen Ausführungen (vgl. S. 68) verwiesen werden kann. Neben den hier beschriebenen Reinformen der Informativen Produktkennzeichnung und Gütezeichen existieren in der Praxis eine ganze Reihe von Zwischenformen. So gehen beispielsweise bei den im Lebensmittelbereich verbreiteten Handelsklassen zwar mehrere Produktmerkmale zugleich in eine einzige Kenngröße ein, was die Handelsklassen in die Nähe der Gütezeichen rückt, andererseits erlauben sie eine Unterscheidung verschiedener Qualitätsstufen, was ein typisches Merkmal der Informativen Produktkennzeichnung ist. Ganz ähnliche Eigenschaften hat auch die in einem vergleichenden Warentest erzielte Gesamtnote, die von den Herstellern häufig an dem Produkt sichtbar angebracht wird. Eine gewisse Sonderstellung nehmen schließlich die sogenannten Konformitätszeichen (Volkmann, 1994, S. 700; Hentschel, 1992, S. 49) ein. Sie bescheinigen, daß das gekennzeichnete Produkt mit bestimmten Normen, etwa Normen des DIN, in Einklang steht70. Bei diesen Zeichen hängt es folglich entscheidend von Inhalt und Ausgestaltung der betreffenden Norm ab, ob im konkreten Fall von einem Gütezeichen im Sinne der hier verwendeten Definition gesprochen werden kann oder nicht. Formal handelt es sich auch bei den im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehenden Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. um Konformitätszeichen. Die genaue definitorische Einordnung der Zertifikate erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt (vgl. Kap. IV.5.), denn diese kann nur auf der Grundlage einer eingehenderen Kenntnis von Inhalt und Aufbau der Normenfamilie ISO 9000 gelingen, wie sie in Kapitel IV.3. vermittelt wird. Das Prinzip von Gütezeichen bzw. Informativer Produktkennzeichnung ist grundsätzlich auch im Dienstleistungsbereich anwendbar. Dies ergibt sich unmittelbar aus der Betrachtung der in Tabelle 2 (S. 81) aufgeführten Merkmale.

70 Beispiele sind das „DIN-Prüf- und Überwachungszeichen" oder das „VDE"-Zeichen des Verbandes Deutscher Elektrotechniker (Malorny & Kassebohm, 1994, S. 263-264; Volkmann, 1994, S. 700-701).

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Α. Theoretischer Rahmen

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Selbst das Merkmal „Information befindet sich am Produkt selbst" läßt sich auch bei Dienstleistungen sinngemäß umsetzen; zwar ist das Produkt als solches immateriell, doch findet der Dienstleistungserstellungsprozeß nahezu immer unter Verwendung körperlicher Gegenstände statt, die als Informationsträger dienen können (Kuhlmann, 1990, S. 142). Als problematisch erweist sich hingegen in vielen Fällen das Merkmal „Information über die Beschaffenheit des Produkts", insbesondere dann, wenn darunter - wie in den Grundsätzen für Gütezeichen des RAL - „nur objektiv meßbare Eigenschaften" verstanden werden (RAL, 1996b, S. 9). Wie nach den bisherigen Ausführungen zu den Besonderheiten von Dienstleistungen ohne weitere Begründung einleuchten dürfte, wird diese Sichtweise dem Wesen der meisten Dienstleistungen nicht gerecht, da bei diesen die Kernleistung einer objektiven Messung häufig gerade nicht zugänglich ist. Infolgedessen ist die praktische Bedeutung von Gütezeichen (und auch von Informativer Produktkennzeichnung) im Dienstleistungsbereich relativ gering. So können von den 139 RAL-Gütezeichen nur weniger als 10 dem Dienstleistungsbereich zugerechnet werden 71 .

3. Indikatorsurrogate als untaugliche Notbehelfe der Konsumenten: Preis, Marke, äußeres Erscheinungsbild Wie sich gezeigt hat, stehen die bisher diskutierten Instrumente nicht in jeder Kaufsituation zur Verfügung; und wenn sie denn zur Verfügung stehen, sind einige davon nur eingeschränkt wirksam oder für den Konsumenten in der Nutzung mit Aufwand verbunden (z.B. muß ein vergleichender Warentest erst beschafft und gelesen werden). In der Realität ziehen Konsumenten daher in vielen Fällen zur Qualitätsbeurteilung Hilfsindikatoren heran, namentlich Preis und Marke des Produkts sowie - speziell bei Dienstleistungen - das äußere Erscheinungsbild des Anbieters. Diese Indikatorsurrogate weisen zwei wichtige Gemeinsamkeiten auf: Sie sind sehr bequem in der Anwendung und sie sind - wie im folgenden dargelegt werden wird - für die Qualitätsbeurteilung gänzlich ungeeignet. Daß Konsumenten häufig geneigt sind, von einem hohen Preis auf eine hohe Qualität zu schließen, zeigt bereits die Alltagserfahrung und wird in der Literatur zumeist ohne weiteres unterstellt (vgl. z.B. Scitovszky, 1945, S. 100; Ölander, 1969, S. 53; Scherhorn, 1977, S. 208; ders. 1992a, S. 199; Dedler et al., 1984, S. 9; Stiglitz, 1987, S. 3; Vahrenkamp, 1991, S. 55; Hanf & v. Wersebe, 1994, S. 335); doch ist diese Verhaltensweise auch schon mehrfach empirisch untersucht und nachgewiesen worden (grundlegend: Leavitt, 1954; Übersicht bei Dil-

71

Beispiele: „Urlaub auf dem Bauernhof (RAL-RG 163/1), „Fitnesszentrum" (RALGZ 944) oder „Lederreinigung" (RAL-GZ 069).

III. Konventionelle Institutionen zur Intransparenzreduktion

85

ler, 1977, S. 222-223; eine neuere Studie von Kollmann & Huber, 1996, S. 25). Die Annahme eines positiven Zusammenhangs zwischen Preis und Qualität gründet sich zumeist auf die Vorstellung, daß die Herstellung von Produkten hoher Qualität hohe Kosten verursacht (was jedoch keineswegs zwingend ist), die sich wiederum in hohen Preisen niederschlagen 72 (Garvin, 1984, S. 34). Doch selbst wenn man diesen Gedankengang akzeptiert, ist der Umkehrschluß, daß nämlich geringe Qualität dann auch zu niedrigeren Preisen angeboten wird, gerade in den Situationen nicht zwingend, um die es hier geht, nämlich wenn die Qualität vor dem Kauf nicht beurteilbar ist; in diesen Fällen spricht im Gegenteil vieles dafür, daß auch und gerade die Anbieter geringer Qualität versuchen werden, hohe Preise zu realisieren 73. Sieht man allerdings von dem wenig wahrscheinlichen Extremfall ab, daß sich ausnahmslos alle Anbieter geringer Qualität so verhalten, könnte immer noch insofern von einem Qualitätsindikator gesprochen werden, als zwar ein hoher Preis nicht unbedingt mit hoher Qualität einhergeht, umgekehrt jedoch ein niedriger Preis stets geringe Qualität anzeigt74 (ähnlich Hanf & v. Wersebe, 1994, S. 337). Daß diese theoretischen Überlegungen zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, ist leicht zu verschmerzen, da der Zusammenhang zwischen Preis und Qualität zu den empirisch wohl am intensivsten untersuchten konsumökonomischen Fragestellungen zählt. Dies wiederum liegt - abgesehen von der hohen Relevanz des Themas - sicher auch an der methodisch sehr komfortablen Überprüfbarkeit des Sachverhalts: Es müssen hierzu nämlich keine neuen Daten erhoben werden, sondern es kann auf die Testurteile von vergleichenden Warentests zurückgegriffen werden, die dann nur noch mit den zumeist an gleicher Stelle veröffentlichten Durchschnittspreisen der jeweiligen Produkte (rang-)korreliert werden müssen75. Die am häufigsten zitierte Untersuchung dieser Art dürfte die Arbeit von Morris & Bronson (1969) sein, doch sind zwischen 1950 und 1988 mindestens 16 weitere Studien mit derselben Methodik veröffentlicht worden (Übersichten bei Hanf & v. Wersebe, 1994, S. 341 und Geistfeld, 1988, S. 145-151). Die Einheitlichkeit der Befunde ist eindrucksvoll: In allen Untersuchungen wurden zwar für einzelne Produkte, nie jedoch generell ein nennenswerter, signifikant positiver Zusammenhang zwischen Preis und Qualität gefunden. Bei jeweils etwa einem Drittel

72

Weitere, noch differenziertere Erklärungen für die preisorientierte Qualitätsbeurteilung von Konsumenten nennt Diller, 1977, S. 220-222. 73 Dies gilt jedenfalls in Situationen, in denen keine Wiederholungskäufe auftreten (Vahrenkamp, 1991, S. 55) sowie bei credence goods. 74 Dies deshalb, weil zwar niedrige Qualitäten zu einem hohen Preis angeboten werden können, bei unterstelltem positivem Kostenzusammenhang jedoch hohe Qualitäten nicht zu einem niedrigem Preis. 75 Zur Diskussion möglicher Einwände gegen diese Methodik vgl. Geistfeld, 1988, S. 153-154 und Hjorth-Andersen, 1992, S. 72-73.

86

Α. Theoretischer Rahmen

der untersuchten Produkte wurden sogar negative Korrelationen ermittelt; die durchschnittliche Korrelation über alle bei Hanf & v. Wersebe (1994) aufgeführten 17 Untersuchungen liegt bei lediglich .20 (max: .29, min: .09). Wie sich weiter gezeigt hat, betrafen die meisten Fälle, in denen sich überdurchschnittlich positive Korrelationen gezeigt haben, gerade solche Produkte, über deren Qualität die Konsumenten ohnehin im vorhinein informiert sind 76 , so daß auch hier von einer praktischen Bedeutung des Preises als Qualitätsindikator nicht die Rede sein kann. Auf diese Paradoxie der preisorientierten Qualitätsbeurteilung hat bereits Scitovszky (1945, S. 101) hingewiesen: Der Preis ist immer dann ein guter Qualitätsindikator, wenn kein Bedarf an Qualitätsindikatoren besteht, weil die Qualität auf andere Weise schon besser beurteilt werden kann. Die Ursache liegt auf der Hand: Wenn Konsumenten vor dem Kauf vollständig über die Qualität informiert sind, hat ein Anbieter, der für dieselbe Qualität einen höheren Preis verlangt als ein anderer Anbieter, keine Chance, sein Produkt abzusetzen. Er muß den Preis senken oder aus dem Markt ausscheiden. Im theoretischen Endpunkt reihen sich alle Angebote in einem gedachten Qualitäts-PreisDiagramm entlang einer monoton steigenden Kurve; Maynes (1976, S. 65) spricht von der „perfect information frontier". Der Zusammenhang zwischen Preis und Qualität ist in diesem Fall vollkommen. Je geringer jedoch die Qualitätstransparenz, desto größer werden tendenziell die Preisspielräume der Anbieter, und es werden auch Angebote oberhalb der perfect information frontier verkäuflich; der Zusammenhang zwischen Preis und Qualität wird lockerer. Soweit bekannt existieren keine Studien zur Untersuchung des Preis-QualitätsZusammenhangs speziell bei Dienstleistungen (vgl. auch Geistfeld, 1988, S. 143 u. 168), was sicher auch damit zusammenhängt, daß Dienstleistungen seltener Gegenstand von vergleichenden Warentests sind und die Datenlage infolgedessen ungünstiger ist. Doch gibt es keinen Anlaß, hier einen engeren Zusammenhang zu erwarten. Die Besonderheiten der Dienstleistung legen eher die gegenteilige Vermutung nahe. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, daß Konsumenten generell schlecht beraten sind, wenn sie sich bei der Qualitätsbeurteilung am Preis orientieren. Weit verbreitet unter Konsumenten ist ferner die Vorstellung, daß (hohe) Qualität eine Eigenschaft bestimmter Marken sei (Scherhorn, 1983, S. 129; Dedler et al., 1984, S. 9). Hier besteht eine enge Verbindung zum Kapitel III. 1 .b) („Reputation"), so daß an dieser Stelle weitgehend auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann. Nur so viel zur Erinnerung: Es kommt ent76 Dies ist insbesondere bei Gütern mit einem hohen Anteil an search-qualities (vgl. S. 38) der Fall; Hanf & v. Wersebe (1994, S. 337-338) nennen darüber hinaus noch weitere Faktoren, die das Ausmaß der Informiertheit der Konsumenten beeinflussen (z.B. die Höhe der Informationskosten und den Preis des Gutes selbst).

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

87

scheidend darauf an, worauf sich die Hoffnung, daß die Produkte einer bestimmten zu erwerbenden Marke von hoher Qualität sein werden, im Einzelfall stützt. Beruht sie auf einer Reihe tatsächlicher positiver Erfahrungen des Konsumenten in der Vergangenheit mit dem betreffenden Produkt und ist sie nicht lediglich das Ergebnis entsprechender werblicher Einflüsse, so lassen sich zumindest einige theoretische Argumente finden, die dafür sprechen, daß die Erwartung berechtigt ist. Wenig ermutigend sind allerdings die einschlägigen empirischen Befunde (z.B. Morris & Bronson, 1969; Morris, 1971; Dardis & Gieser, 1980): Fast immer wenn die Qualität der Produkte einer bestimmten Marke im Zeitablauf verfolgt wurde, zeigten sich erhebliche Schwankungen, und zwar sowohl was die absolute Qualität anbelangt als auch im Hinblick auf die relative Position gegenüber den anderen Anbietern. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Orientierung an der Marke als Qualitätsindikator wenig erfolgversprechend. Im Dienstleistungsbereich, in dem grundsätzlich ein direkterer Kontakt zwischen Konsument und dem anbietenden Unternehmen gegeben ist, liegt es für die Nachfrager nahe zu versuchen, auch aus dem äußeren Erscheinungsbild des Anbieters (Gestaltung der Geschäftsräume, Äußeres der Angestellten, etc.) auf die Qualität seiner Leistung zu schließen (Stauss, 1995, S. 4; Engelhardt, Kleinaltenkamp & Reckenfelderbäumer, 1993, S. 419; Zeithami, 1988; Meyer & Mattmüller, 1987, S. 192). Auch wenn sich hier in Einzelfällen recht plausible Überlegungen anstellen lassen (niemand würde sich etwa einem übergewichtigen Aerobic-Instructor anvertrauen), so kann doch in dieser Vorgehensweise kein wirklicher Beitrag zur Lösung des Problems asymmetrisch verteilter Qualitätsinformationen gesehen werden, der über den sogenannten „gesunden Menschenverstand" hinausginge, weshalb sich eine eingehende wissenschaftliche Erörterung erübrigt.

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung Im nachfolgenden Kapitel wird das im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehende Konzept, das Zertifizierungssystem nach DIN EN ISO 9000ff., eingeführt und erläutert. Dies soll in mehreren Schritten geschehen. Unerläßlich für das Verstehen der Thematik ist es, sich zunächst in einem kurzen historischen Abriß über die Entstehungsgründe und die Entwicklungsgeschichte der Normenreihe ISO 9000 zu informieren (Kap. IV. 1.). Einen Eindruck von der praktischen Bedeutung und der Dynamik des Systems verschafft Kapitel IV.2. Damit ist die Grundlage geschaffen, um sich genauer mit dem Aufbau und dem Inhalt der Normenreihe sowie organisatorischen Aspekten der Zertifizierung und Akkreditierung auseinanderzusetzen (&ap. IV.3. u. IV.4.). Im letzten Kapitel IV.5. kann dann die definitorische Einordnung der Zertifikate in die in den vorangegangenen Kapiteln entwickelte Systematik von Instrumenten zur Verminderung von Qualitätsintransparenzen erfolgen.

88

Α. Theoretischer Rahmen

1. Von der Wareneingangskontrolle zum „third party assessment66 Der Ausgangspunkt der Entwicklungen, die schließlich zur Schaffung der Normenfamilie ISO 9000 geführt haben, läßt sich zeitlich etwa in den sechziger Jahren und sachlich bei der Wareneingangskontrolle von Industrieunternehmen lokalisieren. Seinerzeit prüften die Unternehmen die angelieferten Teile und Materialien auf die Einhaltung des vereinbarten Qualitätsniveaus, um sie dann entweder in das Eingangslager aufzunehmen oder, bei negativem Prüfergebnis, zurückzuweisen. Abgesehen von der ins Auge springenden Tatsache, daß bei dieser Vorgehensweise der unproduktive Prüfaufwand doppelt anfällt - nämlich einmal beim ausliefernden Unternehmen als Fertigungsendkontrolle und dann erneut beim abnehmenden Unternehmen als Wareneingangskontrolle - , erwies sich diese Praxis aus weiteren Gründen zunehmend als unzweckmäßig: So stieg der Prüfaufwand in gleichem Maße, wie die zugelieferten Einheiten bereits selbst komplexe Systeme darstellten, und erreichte dadurch häufig einen Umfang, der im Rahmen einer Wareneingangskontrolle nicht mehr zu bewältigen war (Malorny & Kassebohm, 1994, S. 285; Reihlen & Petrick, 1987, S. 136). Verschärfend kam hinzu, daß für die Wareneingangskontrolle immer weniger Zeit zur Verfügung stand, da aus Kostengründen vielfach die Eingangsläger zugunsten einer „Just in time"-Lieferung abgeschafft worden waren, und die angelieferten Teile sofort für den laufenden Produktionsprozeß benötigt wurden. So ging man mehr und mehr dazu über, von einer eigenen Wareneingangskontrolle abzusehen und sich statt dessen zu vergewissern, daß der Zulieferer die Fähigkeit besitzt, die gewünschte Qualität konstant zu erbringen; mit anderen Worten: Anstatt die Qualität der Produkte zu prüfen, prüfte man nun die Qualitätsfahigkeit des Produzenten (Christian, 1989, S. 550). Dies geschah dadurch, daß man die von Seiten des Zulieferers getroffenen Maßnahmen zur Qualitätssicherung, also sein „Qualitätssicherungssystem", in regelmäßigen Abständen einer eingehenden Prüfung unterzog. Bei diesen „Audit" genannten Prüfungen entsandte das Unternehmen einen Mitarbeiter zu dem Zulieferer, wo dieser anhand einer Fragenliste und durch Inaugenscheinnahme des Betriebs festzustellen hatte, ob das vorgefundene Qualitätssicherungssystem den Anforderungen des abnehmenden Unternehmens genügte (Malorny & Kassebohm, 1994, S. 285-291; Rademacher, 1994, S. 105). So entwickelten eine ganze Reihe von Unternehmen hauseigene Prüfrichtlinien für Qualitätssicherungssysteme. Bekannt geworden ist etwa die sogenannte QQN 2000 des Versandhauses Quelle (Geiger, 1994, S. 33); ein Beispiel aus der Automobilindustrie, wo die Auditierungen besondere Verbreitung gefunden haben, ist die Ford-Richtlinie Q101. Mit der Verbreitung der Auditierungen zeigten sich jedoch auch die Nachteile des Verfahrens. Abgesehen von der Problematik der Wahrung von Betriebsge-

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

89

heimnissen77 (Bretzke, 1995, S. 412) wurde vor allem die Vielzahl der Audits fur immer mehr Zulieferer zur Belastung (Quentin, 1994, S. 183). So kam es nicht selten vor, daß ein Zulieferer fast täglich mit der zeitintensiven Betreuung von Auditoren seiner verschiedenen Abnehmer im Unternehmen beschäftigt war, die das Qualitätssicherungssystem jeder wiederum nach anderen, von ihrem jeweiligen Unternehmen festgelegten Kriterien untersuchten (Büchel, 1994, S. 16). Aber auch fur die Hersteller bedeutete die Unterhaltung eines ganzen Stabes qualifizierter Auditoren eine nennenswerte finanzielle Belastung (Facklam, 1996, S. 10). In der Folge bemühten sich viele Unternehmensverbände, dem ausufernden „Audit-Tourismus" (Wildemann, 1994, S. 1346) entgegenzuwirken, indem sie fur die eigene Branche einheitliche Auditierungsrichtlinien schafften (z.B. der VDA-Fragenkatalog) und ihre Mitgliedsunternehmen veranlaßten, die Auditergebnisse gegenseitig anzuerkennen. Dadurch reduzierte sich die Zahl der Audits zumindest bei solchen Zulieferern, die mehrere Unternehmen aus der gleichen Branche belieferten. Allerdings war damit das Problem der Geheimniswahrung nicht gelöst, und außerdem erwies sich die Koordination der Auditierungsaktivitäten als nicht einfach (Welcher Hersteller auditiert welchen Zulieferer?); so erschien es zweckmäßiger, daß eine unabhängige Stelle, die das Vertrauen beider Parteien besitzt, das Audit vornimmt (sog. „third party assessment"; Ensthaler, 1995, S. 64) und dem auditierten Unternehmen im Erfolgsfall darüber ein Zertifikat ausstellt, das dann als Nachweis gegenüber allen Abnehmern dient (Geiger, 1994, S. 37). Inzwischen hatten sich verschiedene nationale Normungsinstitute der Problematik angenommen und branchenübergreifende Normen entwickelt, die Anforderungen an Qualitätssicherungssysteme festschrieben (eine Übersicht bei Hansen, 1993, S. 154). So erlangten Normen wie etwa die britische BS 5750 oder die USNorm ANSI/ASQC Z.1.15 in den jeweiligen Ländern rasch eine große Bedeutung bei der Auditierung durch unabhängige Stellen. Das DIN war mit einem entsprechenden Normvorhaben (Entwurf DIN 55 355) Mitte der siebziger Jahre am Widerstand der Wirtschaftsverbände gescheitert 78. In dem Maße, wie die jeweiligen Beschaffer auf die Einhaltung ihrer nationalen Normen bei den Zulieferern

77 So kann beispielsweise ein Autohersteller, der einen Lieferanten von Formpressmaschinen auditiert, bei seinem Betriebsrundgang auch die Formpressmaschinen für das Konkurrenzunternehmen zu Gesicht bekommen, wodurch ihm Rückschlüsse auf die künftige Karosserieform der Konkurrenzmarke möglich werden. 78 Man befürchtete zusätzliche Kostenbelastungen bei der Errichtung normenkonformer Qualitätssicherungssysteme (Hansen, 1993, S. 155) sowie eine mögliche Verschärfung der Produkthaftung (Ensthaler, Füßler & Nuissl, 1997, S. 188; Geiger, 1994, S. 35; Reihlen & Petrick, 1987, S. 140).

90

Α. Theoretischer Rahmen

bestanden, entwickelten sich diese Normen zunehmend zu einem Hemmnis des internationalen Handels (Homburg & Becker, 1996, S. 444), was den Interessen eines exportorientierten Landes wie der Bundesrepublik zuwiderlaufen mußte (Schwickert, Beemelmann & Kargl, 1995a, S. 130). So war es denn auch das DIN, das im Jahre 1977 bei der International Organization for Standardization (ISO 79 ), der Dachorganisation der nationalen Normungsinstitute, den Antrag einbrachte, eine Vereinheitlichung der nationalen und Branchen-Normen vorzunehmen (Petrick, 1994a, S. 6). Das daraufhin bei der ISO eingesetzte Technical Comittee ISO/TC 176 erarbeitete zu diesem Zweck die Normenfamilie ISO 9000, die 1985 als Entwurf vorgestellt und zwei Jahre später als Norm verabschiedet wurde. Seither wurde die Normenreihe zweimal überarbeitet und liegt derzeit in der Fassung von 1994 vor. Die Normen sind inzwischen von über 80 Ländern zumeist wörtlich als nationale Normen übernommen worden (ISO, 1996a, S. 1). Seit 1994 haben die wichtigsten dieser Normen aufgrund der Annahme durch die europäische Normungsorganisation CEN auch den Status „Europäische Norm" (EN); die vollständige deutsche Bezeichnung lautet seither DIN EN ISO 9000 80 . In ihrem Kern formuliert die Normenfamilie ISO 9000 eine Reihe von Anforderungen, die ein wirksames Qualitätsmanagementsystem - nach Ansicht der ISO-Experten - erfüllen muß, wobei der Anspruch erhoben wird, daß diese Anforderungen universelle Gültigkeit für Unternehmen jeder Größe und aller Branchen haben. Damit ist ein Instrument geschaffen, das ein erhebliches Rationalisierungspotential zu erschließen und Handelshemmnisse zu beseitigen vermag. Denn ein Unternehmen kann sich jetzt darauf beschränken, sein Qualitätsmanagementsystem nur durch eine einzige Institution, nämlich die neutrale Zertifizierungsgesellschaft, auditieren zu lassen. Das auf diesem Wege erlangte Zertifikat kann dann gegenüber sämtlichen (aufgrund der internationalen Anerkennung der Normen auch ausländischen) Abnehmern als Nachweis der eigenen Qualitätsfähigkeit dienen und macht damit individuelle Audits seitens der Abnehmer überflüssig (Petrick & Reihlen, 1994, S. 98-99). Voraussetzung für die Entfaltung dieser positiven Effekte ist allerdings, daß der überwiegende Teil der Unternehmen die Forderungen der Normenfamilie ISO 9000 als ausreichend, d.h. den eigenen Prüfkriterien gleichwertig, empfindet (Ensthaler, Füßler & Nuissl, 1997,

79 Wie aus der Buchstabenreihenfolge ersichtlich, handelt es sich hier nicht um ein Akronym. Vielmehr möchte die ISO ihre Kurzbezeichnung vom griechischen „isos" (gleich) abgeleitet wissen (ISO, 1996b, S. 2) 80 Sind hingegen die internationalen Normen gemeint, lautet die Bezeichnung nur ISO 9000. Wenn im folgenden z.B. von „Normenfamilie ISO 9000" gesprochen wird, so dient dies jedoch vorrangig der sprachlichen Vereinfachung; diese ist um so mehr zu rechtfertigen, als die nationalen und die internationalen Normen (bis auf das Vorwort und einige Fußnoten) inhaltlich identisch sind.

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

91

S. 94). Die rasche Verbreitung der Zertifikate (vgl. folgendes Kapitel) läßt jedoch vermuten, daß diese Bedingung weitgehend gegeben ist. 2. Zum derzeitigen Stand der Zertifizierung Schon kurze Zeit nach Veröffentlichung der Normenfamilie ISO 9000 brach eine geradezu stürmische Nachfrage nach Zertifizierungen aus (Adams & Davidsohn, 1994, S. 144; Oess, 1994, S. 209; Quentin, 1994, S. 182), die bis heute unvermindert anhält. Weltweit sind mittlerweile über 127.000 Zertifikate dieser Art vergeben worden (Stand: Dezember 1995), wobei der eindeutige Schwerpunkt in Europa, und dort wiederum in Großbritannien liegt. Mit inzwischen über 12.000 Zertifikaten bei steigender Tendenz hat das System innerhalb kurzer Zeit aber auch in Deutschland eine enorme Bedeutung erlangt (Böhmer & Schnitzler, 1996, S. 31; ISO, 1996c, S. 1). Zu einer weiter steigenden Verbreitung der Zertifikate wird auch die Tatsache beitragen, daß nach EU-Recht bei öffentlichen Aufträgen ab einem Wert von 100.000 ECU nur noch Gebote von zertifizierten Unternehmen berücksichtigt werden dürfen (Schwickert, Beemelmann & Kargl, 1995a, S. 132). Als Ursache für die rasche Verbreitung der Zertifikate nicht zu unterschätzen ist auch der in der Norm „eingebaute" Verbreitungsautomatismus, der darin besteht, daß die Norm im Qualitätsmanagement-Element „Beschaffung" (vgl. hierzu Kap. IV.3.) von dem Unternehmen fordert, die Qualitätsfähigkeit aller seiner Lieferanten sicherzustellen, was letztlich auf die Forderung herausläuft, auch von diesen ein Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. zu verlangen 81. Auf diese Weise pflanzt sich die Zertifizierung gewissermaßen entlang der Wertschöpfungskette rückwärts immer weiter fort. Einen Eindruck von der Dynamik der Verbreitung von Zertifikaten in Deutschland erhält man, wenn man sich die Entwicklung der jährlichen Zertifikatvergabe der beiden marktführenden Zertifizierungsunternehmen (DQS und TÜV CERT, vgl. hierzu S. 105) seit Einführung der Normenreihe vor Augen führt (Abbildung 8; die Darstellung beruht auf Auskünften der beiden Zertifizierungsunternehmen).

81

Vgl. hierzu DIN ISO 9000-2, Abs. 4.6.2.

Α. Theoretischer Rahmen

92

4500 τ 3865

4000 — £ 3500 — J2 I 3000 % Ic ff | I
ο^ e e

Φ φ^ iΟ. fC

L· " '

CL

Abbildung 9: Stand der Zertifizierung in Deutschland

Aus der Tatsache, daß auch Anbieter von Konsumgütern die Zertifizierung bei sich vornehmen lassen, wird deutlich, daß es neben dem bisher beschriebenen noch weitere Gründe geben muß, die den Erwerb eines Zertifikates attraktiv erscheinen lassen, denn die Zertifizierung wird ja von Letztverbrauchern - im Gegensatz zu vielen gewerblichen Abnehmern - (bisher) nicht zur Bedingung für eine Geschäftsbeziehung gemacht. Klarheit verschafft hier eine Studie, die der RW TÜV und die TÜV CERT im Jahre 1993 in Zusammenarbeit mit der TU Berlin durchgeführt haben. Dort wurden Unternehmen u.a. über die Motive für ihre Zertifizierung befragt. Das Ergebnis aus 325 auswertbaren Antworten zeigt Tabelle 3 (Mehrfachnennungen waren möglich). Während die ursprünglich im Vordergrund stehende Funktion des Zertifikats, nämlich der Forderung der Abnehmer nach Darlegung der Funktionsfähigkeit des eigenen Qualitätsmanagementsystems nachzukommen, inzwischen nur noch den zweiten Platz einnimmt, zeigt sich unverkennbar, daß die Unternehmen nun vor allem das akquisitorische Potential der Zertifizierung erkannt haben (vgl. Ränge 1 und 3). Das Zertifikat wird zunehmend als ein Instrument gesehen, mit dem auf

94

Α. Theoretischer Rahmen

die eigene Leistungsfähigkeit aufmerksam gemacht werden kann und das sich folglich zur Gewinnung von Neukunden und zur Profilierung gegenüber nicht zertifizierten Wettbewerbern eignet 82 . Neben dieser marktgerichteten Funktion des Zertifikats wird aber auch gesehen, daß die Gestaltung des eigenen Qualitätsmanagementsystems nach den Anforderungen der Normenfamilie ISO 9000 zu einer Verbesserung der betrieblichen Abläufe und damit zu einer erhöhten Produktqualität fuhren kann (vgl. Rang 4). Zwischen den Zielen besteht ein enger Zusammenhang: Erst wenn durch die Zertifizierung (genaugenommen: durch das Qualitätsmanagementsystem) tatsächlich eine überdurchschnittliche Produktqualität erreicht wird, sollte das Zertifikat werblich eingesetzt werden. Zur Klärung der Frage, ob ersteres der Fall und damit letzteres gerechtfertigt ist, soll die vorliegende Arbeit beitragen. Tabelle 3 Motive für die Zertifizierung Rang

Motiv

Nennungen (%)

1.

Wettbewerbsvorsprung vor der Konkurrenz

76

2.

Der Kunde hat das Zertifikat verlangt

60 55

3.

Zur Nutzung in Marketing und Werbung

4.

Verbesserung der Produktqualität

54

5.

Absicherung gegen Produkthaftungsfälle

30

Quelle: Malorny & Kassebohm, 1994, S. 230.

Ob die Hoffnung der Unternehmen auf eine günstigere Position in Produkthaftungsfallen (vgl. Rang 5) gerechtfertigt ist, wird zur Zeit noch kontrovers diskutiert. Während einige Autoren (und auch die meisten Zertifizierungsgesellschaften) die Ansicht vertreten, das Zertifikat könne als Nachweis für die besondere Sorgfalt des Herstellers in Haftungsfällen eine Exkulpationsmöglichkeit bieten (z.B. Reihlen & Petrick, 1987, S. 149), werden von anderen die Normanforderungen als für diesen Zweck nicht weitreichend genug eingeschätzt (z.B. Rothe, 1993; vermittelnd: Ensthaler, Füßler & Nuissl, 1997, S. 194-197). Es

82

Dies gilt insbesondere für die ersten zertifizierten Unternehmen einer Branche. Mit ansteigender Verbreitung des Zertifikats hat das einzelne zertifizierte Unternehmen hingegen keinen spezifischen Vorteil mehr (Dausenau, Schmadtke & Weise, 1995, S. 1398), statt dessen bedeutet es dann aber zunehmend einen Nachteil für ein Unternehmen, nicht zertifiziert zu sein (Westkämper & Westerbusch, 1993, S. 10). Das Zertifikat wird damit gewissermaßen zur Marktzutrittsbedingung. Doch sind die meisten Märkte von diesem Zustand noch weit entfernt.

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

95

bleibt daher abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung auf diesem Gebiet entwikkeln wird. 3. Struktur und Inhalt der Normenfamilie ISO 9000 Werfen wir nun einen Blick auf den Aufbau und den Inhalt der Normenfamilie ISO 9000. Dabei gilt es zunächst, die etwas unscharf wirkende Bezeichnung zu präzisieren und die Frage zu beantworten, welche einzelnen Normen die „Normenfamilie ISO 9000" konkret umfaßt. Die Antwort findet sich - kaum überraschend - in einer Norm. DIN EN ISO 9000-1 legt in ihrem Abschnitt 3.6. fest, daß darunter „alle durch das Technische Komitee ISO/TC 176 erstellten Internationalen Normen" zu verstehen sind. Damit erstreckt sich die Normenfamilie ISO 9000 auf a) alle Internationalen Normen mit den Nummern 9000 bis 9004, eingeschlossen alle Teile von ISO 9000 und 9004, b) alle Internationalen Normen mit den Nummern 10 001 bis 10020, eingeschlossen alle Teile, sowie c) die Norm ISO 8402. Tabelle 4 verschafft einen Überblick über diejenigen Normen der ISO 9000Familie (Stand August 1996), die für die weiteren Überlegungen bedeutsam sind. Bedauerlicherweise ist der strukturelle Aufbau der ISO-9000 Familie sehr unsystematisch geraten; insbesondere läßt die Nummernvergabe kein unmittelbar nachvollziehbares Prinzip erkennen. Die folgenden Ausführungen sollen die Zusammenhänge ein wenig aufhellen. Das Kernstück dieses Normensystems bildet die Norm DIN EN ISO 9001. Sie legt fest, welche Elemente ein Qualitätsmanagementsystem zu umfassen hat und wie die einzelnen Elemente auszugestalten sind. Gleichzeitig wird jedoch in der Norm betont, daß keine Vereinheitlichung von Qualitätsmanagementsystemen angestrebt wird. Vielmehr sind bei der Umsetzung der bewußt allgemein gehaltenen Anforderungen die jeweiligen Besonderheiten des Landes, der Branche, der Betriebsgröße und des individuellen Unternehmens zu berücksichtigen (DIN EN ISO 9001, Abs. 0.). Das in der DIN EN ISO 9001 beschriebene Modell umfaßt 20 „Qualitätsmanagement-Elemente" (DIN EN ISO 9001, Abs. 4.1 bis 4.20), in denen die Anforderungen niedergelegt sind, die ein zertifizierungswilliges Unternehmen erfüllen muß. Diese Anforderungen betreffen neben aufbauorganisatorischen und Führungselementen insbesondere ablauforganisatorische Regelungen. Im folgenden wird der Kerngehalt der 20 QM-Elemente erläutert. Die Darstellung soll der ersten Orientierung dienen und einen Überblick verschaffen; im Rahmen der eingehenden Auseinandersetzung mit dem Qualitätsmanagement

Α. Theoretischer Rahmen

96

nach DIN EN ISO 9000ff. (Teil C, Kap. II.3.) wird auf einzelne Normforderungen noch detailliert eingegangen. Tabelle 4

Zentrale Normen der ISO 9000-Familie Normbezeichnung

Normtitel

(für Deutschland)

Derzeit gUIt. Fassung

DIN EN ISO 8402

Qualitätsmanagement. Begriffe.

Aug. 1995

DIN EN ISO 9000-1

Normen zum Qualitätsmanagement und zur Qualitätssicherung / QM-Darlegung. Teil 1 : Leitfaden zur Auswahl und Anwendung.

Aug. 1994

DIN ISO 9000-2 (Entwurf)

Qualitätsmanagement- und Qualitätssicherungsnormen. Allgemeiner Leitfaden zur Anwendung von ISO 9001, ISO 9002 und ISO 9003.

März 1992

DIN EN ISO 9001

Qualitätsmanagementsysteme. Modell zur Qualitätssicherung / QM-Darlegung in Design, Entwicklung, Produktion, Montage und Wartung.

Aug. 1994

DIN EN ISO 9002

Qualitätsmanagementsysteme. Modell zur Qualitätssicherung / QM-Darlegung in Produktion, Montage und Wartung.

Aug. 1994

DIN EN ISO 9003

Qualitätsmanagementsysteme. Modell zur Qualitätssicherung / QM-Darlegung bei der Endprüfung.

Aug. 1994

DIN EN ISO 9004-1

Qualitätsmanagement und Elemente eines Qualitätsmanagementsystems. Teil 1 : Leitfaden.

Aug. 1994

DIN ISO 9004-2

Qualitätsmanagement und Elemente eines Qualitätssicherungssystems. Leitfaden für Dienstleistungen.

Juni 1992

DIN ISO 10 011-1

Leitfaden für das Audit von Qualitätssicherungssystemen. Teil 1 : Auditdurchführung

Juni 1992

DIN ISO 10 013 (Entwurf)

Leitfaden für die Erstellung von QualitätsmanagementHandbüchern

Feb. 1994

1. Verantwortung

der Leitung

Die Unternehmensfuhrung muß die von ihr verfolgte Qualitätspolitik formulieren und schriftlich niederlegen. Sie hat alle Maßnahmen in die Wege zu leiten, die zur Umsetzung der Qualitätspolitik erforderlich sind, insbesondere die Verantwortung und Befugnisse der qualitätsbeeinflussenden Stellen sinnvoll zu regeln. Schließlich muß sie sich in regelmäßigen Abständen persönlich von der Umsetzung der Qualitätspolitik, d.h. von der Wirksamkeit des QM-Systems überzeugen.

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

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2. Qualitätsmanagementsystem Die Regelungen des Qualitätsmanagementsystems müssen in einer strukturierten Dokumentation schriftlich niedergelegt sein. Diese Dokumentation besteht mindestens aus einem Qualitätsmanagement-Handbuch, das die allgemeineren, auf die Normforderungen bezogenen Regelungen enthält, sowie aus Verfahrensanweisungen,, in denen die spezielleren, auf einzelne Unternehmensprozesse bezogenen Bestimmungen niedergelegt sind 83 . Hinzutreten können ferner Arbeitsanweisungen, die stellenbezogen die Ausführung bestimmter Tätigkeiten regeln. Aus der Dokumentation muß insbesondere hervorgehen, daß und wie sämtliche qualitätsrelevanten Tätigkeiten systematisch geplant werden. 3. Vertragsprüfung Es müssen Regelungen getroffen werden, die sicherstellen, daß ein Vertragsabschluß mit einem Kunden erst zustande kommt, wenn das Unternehmen geprüft hat, daß es die vereinbarten Bedingungen auch erfüllen kann und wenn zugleich ausgeschlossen ist, daß zwischen den beiden Parteien (dem Unternehmen und seinem Kunden) noch Unklarheiten über die vereinbarten Bedingungen bestehen. 4. Designlenkung Als „Design" bezeichnet die Norm die Entwicklung/Konzipierung neuer Produkte oder Dienstleistungen. Sämtliche damit in Zusammenhang stehenden Tätigkeiten sind im voraus festzulegen und in ihrem Ablauf zu protokollieren und zu kontrollieren. Dies betrifft etwa die Konzipierung des Produktes bzw. seiner Eigenschaften, die Entwicklung des Erstellungsprozesses, ferner die Regelung der organisatorischen und technischen Schnittstellen, die Berücksichtigung externer Vorgaben (z.B. von Kunden oder dem Gesetzgeber), die verschiedenen Prüfschritte zur Feststellung der Tauglichkeit und Anforderungsgerechtigkeit des Endprodukts, etc. 5. Lenkung der Dokumente und Daten Durch geeignete Regelungen ist sicherzustellen, daß sämtliche im Unternehmen in Umlauf befindlichen Dokumente (z.B. QM-Handbuch, Verfahrensanweisungen, Normen, Konstruktionszeichnungen, Prüfanweisungen, etc.) und Daten - vor ihrer Verwendungsfreigabe durch eine kompetente Stelle geprüft wurden, - an allen Stellen, wo sie benötigt werden (und nur dort), vorhanden sind und dort - nur in der jeweils aktuell gültigen Fassung verwendet werden.

83

In fast allen der 20 QM-Elemente wird die Erstellung von speziellen Verfahrensanweisungen zwingend gefordert. 7 Haas

Α. Theoretischer Rahmen

98

Hierzu ist ein entsprechendes Überwachungssystem einzurichten, das den laufenden Revisionsstatus der Dokumente identifiziert und den Änderungsdienst steuert. 6. Beschaffung Das Unternehmen muß sicherstellen, daß sämtliche von Dritten beschafften Leistungen die geforderten Qualitätsanforderungen erfüllen. Hierzu ist insbesondere ein System zur laufenden Lieferantenbeurteilung zu installieren sowie genau festzulegen, welche Angaben auf den Beschaffungsdokumenten enthalten sein müssen, damit Mißverständnisse bei dem Lieferanten ausgeschlossen sind. 7. Lenkung der vom Kunden beigestellten Produkte Wie in Kapitel II.2.b) dargelegt, ist es gerade für den Dienstleistungsbereich typisch, daß der Kunde dem Unternehmen ein „Produkt" (hier im weitesten Sinne zu verstehen) vorübergehend überläßt, damit an diesem bestimmte Veränderungen vorgenommen werden („Externer Faktor", vgl. S. 31). Das Unternehmen muß Vorkehrungen treffen, daß die beigestellten Produkte vor Beschädigung, Verlust und falscher Behandlung geschützt sowie jederzeit einem bestimmten Kunden bzw. Auftrag zuordenbar sind. 8. Kennzeichnung und RückVerfolgbarkeit

von Produkten

In manchen Fällen ist es erforderlich, daß alle Materialströme des Herstellungsprozesses vollständig zurückverfolgt werden können, so daß zu jedem Endprodukt bzw. jeder Charge angegeben werden kann, welche Einsatzmaterialien in welchem Prozeß eingegangen sind. Praktische Relevanz hat dieses QM-Element etwa in der Automobilindustrie, wo bei Bekanntwerden eines Sicherheitsmangels feststellbar sein muß, welche gelieferten Autos ebenfalls davon betroffen sind, um ggf. eine Rückrufaktion durchführen zu können. In diesen Fällen muß das Unternehmen geeignete Regelungen treffen, um die RückVerfolgbarkeit zu gewährleisten (z.B. durch Kennzeichnung der Einzelteile und Dokumentation aller Produktionsprozesse). 9. Prozeßlenkung Das Unternehmen muß den Einfluß sämtlicher Produktionsprozesse auf die Qualität der Endprodukte ermitteln und daraufhin jeden Prozeß so regeln, daß er beherrscht wird. Dies umfaßt insbesondere die schriftliche Festlegung der Vorgehensweise, die Bereitstellung und Verwendung geeigneter Arbeitsmittel in einer passenden Arbeitsumgebung sowie die laufende Überwachung und Steuerung der Prozesse anhand zweckmäßiger Prozeßparameter. 10. Prüfungen Das Unternehmen muß ein System von Prüfungen installieren, das gewährleistet, daß die Qualität in jeder Prozeßphase das geforderte Niveau erreicht. Das

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

99

System regelt Art, Ort und Umfang jeder Prüfung und legt fest, welche Aufzeichnungen über vorgenommene Prüfungen anzufertigen sind. 11. Prüfmittelüberwachung Für alle Hilfsmittel, die bei den verschiedenen Qualitätsprüfungen eingesetzt werden, müssen Verfahren eingerichtet sein, die sicherstellen, daß diese selbst regelmäßig überprüft und ggf. neu kalibriert werden. Zu jedem Prüfmittel muß die mögliche Meßungenauigkeit jederzeit anzugeben sein. 12. Prüfstatus Durch geeignete Kennzeichnungen muß erreicht werden, daß bei allen Produkten bzw. Vorprodukten jederzeit zweifelsfrei erkennbar ist, welche Prüfungen sie bereits durchlaufen haben. 13. Lenkung fehlerhafter

Produkte

Es müssen Regelungen getroffen sein, wie mit Produkten zu verfahren ist, die an einer der Qualitätsprüfungen gescheitert sind. Insbesondere ist festzulegen, wie diese Einheiten zu kennzeichnen und wo sie zu lagern sind, welche Stellen informiert werden müssen und nach welchen Kriterien über die weitere Behandlung zu entscheiden ist (Nachbearbeitung, Verschrottung, Zurückweisung, etc.). 14. Korrektur-

und Vorbeugungsmaßnahmen

Das Unternehmen muß in einem angemessenen Umfang organisatorische Maßnahmen ergreifen, um potentielle Fehler vor ihrem Auftreten zu erkennen und durch geeignete Vorbeugungsmaßnahmen beseitigen zu können; für den Fall, daß dennoch Fehler auftreten, sind Regeln für das Einleiten von Korrekturmaßnahmen festzulegen. Das System soll sämtliche Informationsquellen für die Suche nach potentiellen bzw. aufgetretenen Fehlern nutzen (z.B. Wartungsberichte, Kundenbeschwerden, etc.) und so angelegt sein, daß die Vorbeugungs- bzw. Korrekturmaßnahmen dokumentiert werden und eine planmäßige Überprüfung der Maßnahmen erfolgt. 15. Handhabung, Lagerung, Verpackung, Konservierung

und Versand

Durch dieses QM-Element soll ein einwandfreier physischer Zustand der Halb- und Fertigprodukte in allen Phasen bis zu ihrer Übergabe an den Kunden sichergestellt werden. Zu diesem Zweck sind entsprechende Regeln aufzustellen, z.B. Vorschriften, in welchen Behältern Produkte im Unternehmen transportiert werden müssen, in welchem Abstand Zustandskontrollen bei den eingelagerten Produkten vorzunehmen sind, welche Verpackungsmaterialien eingesetzt werden, etc. 16. Lenkung von Qualitätsaufzeichnungen Als Qualitätsaufzeichnungen werden zwei Gruppen von Dokumenten bezeichnet: Zum einen Aufzeichnungen, die nachweisen, daß ein Halb- oder Fertigpro7*

100

Α. Theoretischer Rahmen

dukt das geforderte Qualitätsniveau erreicht hat (z.B. Prüfbericht der Endkontrolle), und zum anderen solche, aus denen hervorgeht, daß das Qualitätsmanagementsystem wirksam arbeitet (z.B. Protokolle interner Audits, vgl. QMElement 17). Diese Dokumente, die auf den unterschiedlichsten Trägermedien vorhanden sein können, müssen in einer Weise gekennzeichnet, gesammelt und aufbewahrt werden, daß sie vor Verlust und Beschädigung geschützt und jederzeit zugänglich sind. 17. Interne Qualitäts audits Das gesamte Qualitätsmanagementsystem ist planmäßig auf seine Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Hierzu sind die einzelnen Einheiten (Abteilungen, QM-Elemente, Prozesse, etc.) daraufhin zu untersuchen, ob alle Tätigkeiten in der festgelegten Weise vorgenommen und die angestrebten Ergebnisse erreicht werden (sog. internes Qualitätsaudit). Die Audits sind von Personal vorzunehmen, das von dem auditierten Bereich unabhängig ist. Die Auditergebnisse sind schriftlich niederzulegen, festgestellte Unzulänglichkeiten sind zu beseitigen, wobei die Wirksamkeit der eingeleiteten Korrekturmaßnahmen durch ein Folgeaudit überprüft wird. Die Unternehmensleitung muß sich regelmäßig über die Auditergebnisse informieren (sog. Management-Review). 18. Schulung Es muß sichergestellt sein, daß alle Mitarbeiter, die mit qualitätsrelevanten Tätigkeiten betraut sind, die hierfür nötige Qualifikation (Ausbildung, Schulung und/oder Erfahrung) besitzen. Hierzu ist insbesondere erforderlich, daß der Schulungsbedarf aller Mitarbeiter systematisch ermittelt wird. 19. Wartung In den Fällen, in denen das Unternehmen verpflichtet ist, die Qualität des Produkts auch noch nach Auslieferung an den Kunden zu gewährleisten (Wartung; z.B. im Anlagenbau), hat es durch entsprechende Regelungen sicherzustellen, daß die Verpflichtungen erfolgreich erfüllt werden können. 20. Statistische Methoden Es muß ermittelt werden, an welchen Stellen des Unternehmensprozesses der Einsatz statistischer Methoden die Wirksamkeit des Qualitätsmanagementsystems erhöhen kann. Daraufhin müssen Art und Umfang der Methoden festgelegt und ihre Anwendung überwacht werden. Mit ihren 20 QM-Elementen beschreibt die DIN EN ISO 9001 das umfassendste Qualitätsmanagementsystem der Normenreihe. Demgegenüber sind die in den Normen DIN EN ISO 9002 und 9003 enthaltenen Modelle reduziert. Wie die folgende Tabelle 5 zeigt, sind in ihnen einige der QM-Elemente nur mit abgeschwächten Anforderungen enthalten (in der Tabelle mit Ο gekennzeichnet) oder fehlen gänzlich (O).

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

101

Tabelle 5

Vergleich von DIN EN ISO 9001, 9002 und 9003 QM-Element

Modell nach DIN EN ISO 9001

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

Verantwortung der Leitung

·

Qualitätsmanagementsystem

·

Vertragsprüfung

·

Designlenkung

·

Lenkung der Dokumente und Daten

·

Beschaffung

·

Lenkung der von Kunden beigestellten Produkte

·

Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von Prod.

·

Prozeßlenkung

·

Prüfungen

·

Prüfmittelüberwachung

·

Prüfstatus

·

Lenkung fehlerhafter Produkte

·

Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen

·

Handh., Lagerung, Verp., Kons, und Versand

·

Lenkung von Qualitätsaufzeichnungen

·

Interne Qualitätsaudits

·

Schulung

·

Wartung

·

Statistische Methoden

·

9002 • • • ο • • • • • • • • • • • • • • • •

9003 Ο Ο Ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο ο

Quelle: DIN EN ISO 9000-1, Anhang D.

Ein Unternehmen kann grundsätzlich frei wählen, nach welcher der drei Normen es sein Qualitätsmanagementsystem zertifizieren läßt. Das Modell nach 9002 unterscheidet sich von dem nach 9001 nur durch das Fehlen des QMElements 4 („Designlenkung"). Mit dem System nach 9002 sind Unternehmen angesprochen, die nicht selbst Produkte entwickeln, also beispielsweise Lizenzfertigungsbetriebe oder Hersteller von Normteilen. Gelegentlich wird die irrige Meinung vertreten, auch für Dienstleistungsunternehmen komme lediglich die DIN EN ISO 9002 in Frage (Saatweber, 1994, S. 78). Zwar ist im QM-Element Designlenkung - ebenso wie in allen anderen QM-Elementen - nicht ausdrücklich von „Dienstleistungen", sondern stets nur von „Produkten" die Rede, doch steht ganz außer Frage, daß damit auch immaterielle Produkte gemeint sind (vgl. auch DIN EN ISO 8402, Abs. 1.4. und 1.5.). Die Entwicklung neuer Produkte spielt vielmehr gerade im Dienstleistungsbereich oft eine zentrale Rolle; für diese Erkenntnis muß man sich jedoch von der Vorstellung lösen, daß Produktentwicklung ausschließlich am Reißbrett oder auf der CAD-Anlage geschieht.

102

Α. Theoretischer Rahmen

Die DIN EN ISO 9003 umfaßt nur 16 der 20 QM-Elemente des umfassenden Modells, und fast alle davon haben gegenüber diesen reduzierte Anforderungen. Die Norm hat keine praktische Bedeutung erlangt: So betreffen beispielsweise von den insgesamt 3.851 durch die DQS, einem der fuhrenden deutschen Zertifizierungsunternehmen, vergebenen Zertifikaten nur 11 (0,3%) die DIN EN ISO 9003 (Stand Aug. 1996). Nach DIN EN ISO 9002 wurden 867 Zertifikate vergeben (22,5%), mit 2.973 Zertifikaten (77,2%) hat das Modell nach DIN EN ISO 9001 mit Abstand die größte Bedeutung. Den übrigen Normen der Normenfamilie ISO 9000 kommt gegenüber den eben charakterisierten Zertifizierungsnormen DIN EN ISO 9001 bis 9003 eine unterstützende Funktion zu. Sie können allesamt nicht zur Grundlage einer Zertifizierung gemacht werden. Die DIN EN ISO 9000-1 gibt einen Überblick über die einzelnen Normen der ISO 9000-Familie und leistet Hilfestellung bei deren Auswahl und Anwendung. Ferner erläutert sie die der Normenfamilie zugrundeliegenden Konzepte (z.B. prozeßorientierte Sichtweise, qualitätsbezogene Schlüsselziele, Dokumentation, etc.). Hat sich ein Unternehmen für eines der drei Modelle entschieden, so findet es in der DIN ISO 9000-2 zu jedem QM-Element kommentierende Hinweise, die die oft sehr knapp formulierten Anforderungen der drei Basisnormen 9001-9003 erläutern. Die DIN ISO 9000-2 erleichtert also die praktische Umsetzung der Forderungen der betreffenden Zertifizierungsnorm, indem sie diese inhaltlich ausfüllt; eine Modifikation oder Ausweitung der Forderungen geschieht durch sie jedoch nicht. Die DIN EN ISO 9004-1 beschreibt ein Qualitätsmanagementsystem, das über die Forderungen der DIN EN ISO 9001 noch hinausgeht, indem sie die Forderungen bei einzelnen QM-Elemente ausweitet, wesentlich detaillierter darstellt und weitere QM-Elemente hinzufugt (z.B. Abs. 7: „Qualität im Marketing"). Wie dem Normtext zu entnehmen ist (vgl. Abs. 1), stellt dieses Modell eine Empfehlung für Unternehmen dar, die ein umfassendes Qualitätsmanagementsystem bei sich errichten wollen; es soll jedoch keine Prüfgrundlage für Zertifizierungen sein, wofür ein überzeugender Grund allerdings nicht genannt wird und auch anderweitig nicht ersichtlich ist; hierauf wird am Ende der Arbeit noch zurückzukommen sein (vgl. Teil C, Kap. II.3. und III.). Obwohl die normschaffenden Institutionen schon von Beginn an betonten, daß die in den Basisnormen 9001 bis 9003 formulierten Modelle branchenunabhängig und auf jedes Unternehmen übertragbar seien, ist doch unverkennbar, daß die Autoren bei der Konzipierung der Normen die Vorstellung des traditionellen Anlagen- und Maschinenbaus vor Augen hatten. Dadurch werden Unternehmen anderer Branchen erhebliche Auslegungsleistungen abverlangt, wenn sie die Normforderungen auf ihre Gegebenheiten zu übertragen suchen. Saatweber (1994, S. 77) ist nur schwer zu widersprechen, wenn er feststellt: „Es bedarf tatsächlich einer Portion Phantasie, die sensorischen 4 Prüfmittel ' des Meisterkochs in der Küche des zu zertifizierenden Hotels den technischen Prüfmitteln zuzu-

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

103

ordnen. Will man hier die Forderung nach Prüfmittelüberwachung durch Kalibrierung erfüllen, so wird die Problematik evident, insbesondere dann, wenn sich der Auditor mehr in der Welt des Maschinenbaus als der Nouvelle Cuisine auskennt". Das wachsende Interesse gerade von Dienstleistungsunternehmen an der Zertifizierung haben die Normungsinstitute zum Anlaß genommen, durch die Schaffung der DIN ISO 9004-2 die Problematik für diesen Bereich ein wenig zu entschärfen. Diese Norm interpretiert das umfassende Modell der DIN EN ISO 9004-1 speziell im Hinblick auf die Umsetzung in Dienstleistungsunternehmen; da das Modell nach 9004-1 auch einige Forderungen der Zertifizierungsnormen 9001, 9002 und 9003 umfaßt, wird damit indirekt auch deren Anwendung auf Dienstleistungsunternehmen erleichtert. Die letzten drei in Tabelle 4 genannten Normen sind schnell erklärt: Mit der DIN EN ISO 8402 soll durch die Definition von grundlegenden Begriffen eine einheitliche Sprachregelung im Bereich des Qualitätsmanagements erreicht werden. Die DIN ISO 10 011-1 legt fest, wie Audits von Qualitätsmanagementsystemen zu planen, durchzuführen und zu dokumentieren sind; sie ist gleichermaßen anwendbar auf interne Qualitätsaudits (vgl. QM-Element 17 auf S. 100) wie auch auf externe Audits, die durch unabhängige Institutionen zum Zwecke der Zertifizierung vorgenommen werden. Die DIN ISO 10 013 schließlich gibt Hilfestellung bei der Erstellung eines Qualitätsmanagement-Handbuchs (vgl. QMElement 2 auf S. 97). Das Technical Committee ISO/TC 176 befaßt sich derzeit mit der Langzeitrevision der Normenfamilie ISO 9000. Zwar ist mit der Vorstellung der neuen Normen nicht vor dem Jahr 1999 zu rechnen, doch lassen sich bereits einige Entwicklungstendenzen erkennen (Campbell, 1996, S. 1125-1126; Möller, 1996, S. 126-128): • Grundsätzliches Ziel ist, der Ausuferung des Normenwerkes entgegenzuwirken; hierzu sollen u.a. die drei Basisnormen 9001 bis 9003 zu einer einzigen Norm zusammengefaßt werden. • Die Struktur der 9001 soll geändert, ihr Forderungsniveau jedoch beibehalten werden. • Die 9004 wird weiter in Richtung „Total Quality Management" (vgl. hierzu Teil C, Kap. II.2.a)bb)) fortentwickelt, und ihre Rolle in der Normenfamilie gestärkt. Die Normenfamilie ISO 9000 ist alles andere als unumstritten. Seit ihrer Einführung im Jahre 1987 hat sie neben viel Zustimmung auch mannigfaltige Kritik aus Wissenschaft und Praxis erfahren. Die Kritiker bemängeln neben dem Normeninhalt vor allem die praktische Umsetzung und das Zertifizierungssystem (vgl. Kap. IV.4.). Verfolgt man den Verlauf der Diskussion, gewinnt man sogar den Eindruck, daß die kritischen Äußerungen in letzter Zeit zunehmen (Kunst-

104

Α. Theoretischer Rahmen

mann, 1996, S. 1088; Petrick, 1995a, S. 1373), allerdings ohne daß grundsätzlich neue Argumente vorgebracht werden. Eine umfassende Aufarbeitung der kritischen Stellungnahmen kann an dieser Stelle unterbleiben. In der vorliegenden Arbeit geht es nicht um eine generelle Beurteilung von Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. unter allen denkbaren Blickwinkeln, sondern um einen ganz speziellen Aspekt ihrer Leistungsfähigkeit: Es geht um die Frage, ob ein Verbraucher seine Entscheidung dadurch verbessern kann, daß er bei der Auswahl eines Unternehmens, von dem er eine Dienstleistung in Anspruch nehmen will, das Vorhandensein eines Zertifikats nach DIN EN ISO 9000ff. als Kriterium zugrundelegt. Nur ein Teil der insgesamt in der Literatur geäußerten Kritikpunkte steht mit dieser Fragestellung in Zusammenhang; so ist insbesondere die Diskussion um den Nutzen der Zertifizierung fur Unternehmen (z.B. Kostenersparnisse) hier nicht von Interesse (vgl. hierzu etwa Homburg & Becker, 1996; Malorny & Kassebohm, 1994). Die Kritik, die sich auf den Inhalt der Norm bezieht, wird ausfuhrlich in Teil C, Kapitel II.3. diskutiert. In Teil B, Kapitel I., werden einige Kritikpunkte angesprochen, die sich auf das Zertifizierungssystem beziehen. 4. Zertifizierung und Akkreditierung Will ein Unternehmen, das sein Qualitätsmanagementsystem an den Forderungen der DIN EN ISO 9001, 9002 oder 9003 ausgerichtet hat, sich dies durch ein entsprechendes Zertifikat bestätigen lassen, so muß es ein anderes Unternehmen damit beauftragen, die Konformität des Systems mit dem Normmodell zu prüfen und gegebenenfalls durch ein Zertifikat zu bestätigen. Da die Normen der ISO 9000-Familie nicht Bestandteil irgendwelcher rechtlicher Vorschriften sind, sondern ihre Anwendung vollständig auf freiwilliger Basis geschieht, muß ein Unternehmen für die Erteilung eines solchen Zertifikates nicht in besonderer Weise autorisiert sein. Prinzipiell kann also jede Organisation diese Dienstleistung anbieten. Allerdings kann ein Zertifikat seinen Zweck, nämlich Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des zertifizierten Unternehmens zu schaffen, zweifellos nur dann erreichen, wenn die zertifizierende Institution über jeglichen Zweifel hinsichtlich Kompetenz, Neutralität und Seriosität erhaben ist. Mit anderen Worten: Das Vertrauen in das Zertifikat kann immer nur so groß sein wie das Vertrauen in die zertifizierende Institution. Grundsätzlich hätte man es auch alleine dem Markt überlassen können, über den Aufbau von Reputation eine Unterscheidung zwischen vertrauenswürdigen und zweifelhaften Zertifizierungsunternehmen zu ermöglichen. Um diesen möglicherweise langwierigen und mit hohen volkswirtschaftlichen Kosten verbundenen Ausleseprozeß zu vermeiden, wurde im Jahre 1990 von nahezu allen bedeutenden deutschen Wirtschaftsverbänden die TGA - Trägergemeinschaft Akkreditierung GmbH gegründet (Ensthaler, 1995, S. 39-40; ausfuhrlich: Theuer, 1993). Diese Institution hat es sich u.a. zur Aufgabe gemacht, Organisationen zu akkre-

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

105

ditieren, d.h. ihnen die Kompetenz zur Zertifizierung von Qualitätsmanagementsystemen zu bescheinigen. Auch hierfür existiert als Prüfmaßstab eine Norm: Die Akkreditierung wird erteilt, wenn das beantragende Unternehmen nachweislich die Anforderungen der Norm DIN EN 45 012 („Allgemeine Kriterien für Stellen, die Qualitätsmanagementsysteme begutachten und zertifizieren." Entwurf Mai 1995) erfüllt. Zentrale Punkte sind dabei die Sicherstellung einer neutralen Prüfung ohne vorherige Beratung des zu zertifizierenden Unternehmens, der Einsatz qualifizierter Auditoren 84 , das Vorhandensein eines Lenkungsgremiums zur Festlegung der Grundsätze und Zertifizierungsverfahren, u.a.m. (Facklam, 1996, S. 11 ; Theuer, 1993, S. 94-95). Inzwischen haben 75 Unternehmen von der TGA die Akkreditierung erhalten (Stand November 1996). Zertifikate von nicht akkreditierten Gesellschaften spielen in der Praxis keine Rolle mehr (Bretzke, 1995, S. 413). Der deutsche Zertifizierungsmarkt wird von zwei großen Gesellschaften dominiert, die jeweils über etwa ein Drittel Marktanteil verfügen (Stand Feb. 1996; Böhmer & Schnitzler, 1996, S. 31). Dabei handelt es sich um die Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von Managementsystemen mbH (DQS) und um die TÜV-Zertifizierungsgemeinschaft e.V. (TÜV CERT). Die DQS wurde als gemeinnütziges Selbstverwaltungsorgan der deutschen Wirtschaft im Jahre 1985 von der Deutschen Gesellschaft für Qualität e.V. (DGQ) und dem DIN gegründet. In den Folgejahren sind eine Reihe von Wirtschaftsverbänden als Gesellschafter hinzugekommen (Petrick, 1994b, S. 110-111; ders. 1995b, S. 386). TÜV CERT entstand 1990 als ein Zusammenschluß aller Technischen Überwachungs-Vereine in Deutschland und Österreich. Immer wieder kommt es vor, daß Hersteller von ihren Zulieferern die Zertifizierung durch eine inländische Zertifizierungsgesellschaft verlangen. Dadurch werden für Zulieferer, die in verschiedene Länder exportieren und für solche mit mehreren internationalen Standorten kostspielige Mehrfachzertifizierungen erforderlich. Um diesen Problemen zu begegnen, haben sich viele Zertifizierungsgesellschaften auf internationaler Ebene in Organisationen zusammengeschlossen, in denen jede Mitgliedsgesellschaft sich verpflichtet, die von anderen Mitgliedsgesellschaften in deren Heimatländern erteilten Zertifikate als den eigenen gleichwertig anzuerkennen und dies gegenüber den nationalen Abnehmern auch zu vertreten. Zur Zeit existieren zwei konkurrierende Vereinigungen dieser Art: die HOC (Independent International Organisation for Certification), der sich als deutsches Mitglied TÜV CERT angeschlossen hat, und das EQNet (The European Network for Quality System Assessment and Certification), dem die DQS angehört. 84 Hierfür existiert eine gesonderte Norm: DIN ISO 10 011-2 „Leitfaden für das Audit von Qualitätssicherungssystemen. Teil 2: Qualifikationskriterien für Qualitätsauditoren."

106

Α. Theoretischer Rahmen

Die Vorgehensweise bei der Zertifizierung von Qualitätsmanagementsystemen, die bei allen Zertifizierungsgesellschaften sehr ähnlich ist (Schwickert, Beemelmann & Kargl, 1995b, S. 212), läßt sich in verschiedene Phasen einteilen. Die DQS beispielsweise unterteilt den Zertifizierungsprozeß in die folgenden vier Abschnitte (Petrick, 1994b, S. 113-114; Pärsch, 1994, S. 950-955): 1. Abschnitt: Audit-Vorbereitung. Das Unternehmen erhält von der DQS eine Liste mit Fragen zu den wichtigsten Forderungen der Normen; anhand der Antworten wird überprüft, ob bei dem Unternehmen überhaupt die grundsätzlichen Voraussetzungen für eine Zertifizierung gegeben sind. Daraufhin wird vereinbart, nach welchem Modell das QM-System zertifiziert werden soll (9001, 9002 oder 9003). 2. Abschnitt : Prüfling der Dokumentation. Das Unternehmen reicht die Unterlagen, in denen sein Qualitätsmanagementsystem dokumentiert ist (vgl. QMElement 2, S. 97: QM-Handbuch, evtl. auch Verfahrens- und Arbeitsanweisungen), bei der DQS ein, wo geprüft wird, ob die Inhalte den einzelnen Normforderungen entsprechen. Über das Prüfungsergebnis erhält das Unternehmen einen Bericht, in dem ggf. auf noch zu beseitigende Mängel hingewiesen wird. 3. Abschnitt: Auditdurchführung im Unternehmen. Ein Auditorenteam der DQS überprüft vor Ort, ob das QM-System in der Weise, wie es in der Dokumentation beschrieben ist, auch tatsächlich im Unternehmen umgesetzt und von jedem Mitarbeiter verstanden und „gelebt" wird. Je nach Unternehmensgröße dauert das Audit einen oder mehrere Tage, in denen die Auditoren verschiedene Abteilungen des Unternehmens aufsuchen und unter Benutzung eines Fragenkatalogs Gespräche mit den dort tätigen Mitabeitern fuhren. Die ermittelten Schwachstellen werden in Abweichungsberichten festgehalten und müssen, je nach Bedeutsamkeit der Abweichung, noch vor (sog. „Hauptabweichung") oder erst nach Zertifikatserteilung („Nebenabweichung") beseitigt werden. Im ersten Fall wird die Wirksamkeit der Korrekturmaßnahmen durch ein Nachaudit der DQS überprüft. Den Abschluß dieses Vertragsabschnitts bildet ein umfassender Auditbericht. 4. Abschnitt : Zertifikatserteilung und jährliche Überwachung. Sind die vorangegangenen drei Abschnitte erfolgreich durchlaufen, erteilt das Präsidium der DQS das Zertifikat. Dieses hat drei Jahre Gültigkeit, allerdings nur unter der Voraussetzung erfolgreich verlaufender jährlicher sog. Überwachungsaudits, in welchen schwerpunktmäßig überprüft wird, ob das Unternehmen die im QMElement 17 (vgl. S. 100) geforderten internen Audits ordnungsgemäß durchgeführt hat. Nach Ablauf der Gültigkeit kann das Zertifikat durch ein Wiederholungsaudit (auch: Re-Audit), das dem in Abschnitt 3 beschriebenen Zertifizierungsaudit entspricht, um weitere drei Jahre verlängert werden. Der Erwerb des Zertifikats bedeutet für das Unternehmen eine Investition von beachtlicher Größenordnung. Für den eigentlichen Zertifizierungsvorgang be-

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

107

rechnen die Zertifizierungsgesellschaften je nach Betriebsgröße zwischen 15.000 - und 50.000 - D M (Malorny & Kassebohm, 1994, S. 243; Pärsch, 1994, S. 956). Hinzuzurechnen sind die Kosten fur die Implementierung und Dokumentation des Qualitätsmanagementsystems selbst (Arbeitszeit, externe Beratung, Software, etc.), sofern es nicht bereits vorhanden ist. In einer Repräsentativumfrage unter 510 zertifizierten Unternehmen, die die Gesamthochschule Kassel in Zusammenarbeit mit einer Unternehmensberatung durchgeführt hat (Wilmes & Francke, 1996, S. 11), wurden als durchschnittliche Gesamtkosten für die Zertifizierung 236.000,- DM ermittelt. Der Zeitbedarf für die Errichtung eines zertifizierungsfahigen Qualitätsmanagementsystems beträgt der bereits zitierten Berliner Studie (S. 93) zufolge zwischen einem knappen Jahr für kleinere Betriebe (unter 100 Mitarbeiter) und bis zu zweieinhalb Jahren bei Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. 5. Definitorische Einordnung des Zertifikats Nachdem in den vorangegangen Kapiteln mit den Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. der im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehende Gegenstand vorgestellt worden ist, soll das Wesen des Instruments in diesem Kapitel noch etwas genauer herausgearbeitet werden, indem es zu den übrigen bereits diskutierten Konzepten in Beziehung gesetzt wird. Dabei geht es an dieser Stelle nur um die definitorische Einordnung bzw. Abgrenzung der Zertifikate zu den unter Kapitel III. vorgestellten Ansätzen zur Verringerung von Informationsasymmetrien; die Analyse der Vor- und Nachteile der Zertifikate gegenüber diesen Ansätzen bleibt dem Kapitel 1.1. in Teil Β vorbehalten. In Kapitel III.2.b)bb) wurde bereits festgestellt, daß Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. formal als Konformitätszeichen zu betrachten sind (vgl. S. 83). Dabei wurde einstweilen die Frage offengelassen, ob die Zertifikate zugleich auch die Merkmale eines Gütezeichens erfüllen. Nachdem die Normenfamilie ISO 9000 inzwischen ausführlich dargestellt worden ist, kann an diesem Punkt wieder angesetzt werden. In der Tat lassen sich eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen Gütezeichen und ISO-Zertifikat feststellen. Diese betreffen: 85 • Die Zweiwertigkeit des Indikators. Auch das Zertifikat erlaubt lediglich eine ΟΙ-Unterscheidung: „Zertifikat vorhanden" oder „Zertifikat nicht vorhanden". • Das Zertifikat stellt eine bewertende Information dar; allein sein Vorhandensein soll eine höhere Qualität anzeigen, Anbieter geringer Qualität sollen nicht 85

Im folgenden wird für die entsprechenden Eigenschaften der Gütezeichen auf die Tabelle 2, S. 81, Bezug genommen.

108

Α. Theoretischer Rahmen

in den Besitz eines Zertifikats gelangen. Dieser und der vorige Punkt weisen zugleich auf wichtige Unterschiede des Zertifikats zur Informativen Produktkennzeichnung hin. Die beiden nächsten genannten Merkmale treffen hingegen auch auf diese zu. • Die Beteiligung einer unabhängigen Kontrollinstanz; allerdings handelt es sich dabei im Falle des Zertifikats nicht um eine staatliche oder staatlich beaufsichtigte Stelle (wie bei den Gütezeichen im engeren Sinne, vgl. S. 78). • Die Information ist standardisiert. • Die Beteiligung des Unternehmens am System erfolgt ausschließlich auf der Basis einer freiwilligen Entscheidung. Ein ganz entscheidender Unterschied ist jedoch im Bezugspunkt von Gütezeichen und Zertifikaten zu sehen. Während erstere die überdurchschnittliche Ausprägung qualitätsrelevanter Beschaffenheitsmerkmale eines Produkts anzeigen, gibt das Zertifikat über die vorteilhafte Gestaltung von Unternehmensprozessen Auskunft. Wie sich noch zeigen wird (vgl. Teil B, Kap. I.I.), ist dieser Umstand gerade im Dienstleistungsbereich von immenser praktischer Bedeutung. Es erscheint daher nicht angemessen, die Zertifikate zu den Gütezeichen zu rechnen oder auch nur als Sonderform derselben zu betrachten 86. Gewisse Berührungspunkte lassen sich auch zwischen Zertifikaten und Signalling ausmachen. Es erscheint nicht zu weit hergeholt, das Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. mit dem von Spence unter dem Signalling-Aspekt betrachteten Bildungsabschluß zu vergleichen (Spence, 1973, S. 358; vgl. auch S. 48 dieser Arbeit). Sagt das Zertifikat neben der Tatsache, daß ein normgerechtes Qualitätsmanagementsystem vorhanden ist, nicht auch etwas über die nicht direkt beobachtbaren Qualitäten eines Unternehmens aus? Läßt nicht die freiwillige Inkaufnahme des zeit- und kostenaufwendigen Zertifizierungsprozederes Schlüsse zu auf die Ernsthaftigkeit der Absicht, ein hohes Qualitätsniveau zu erreichen? Zumindest für diejenigen Unternehmen, die das Zertifikat nicht auf Druck ihrer Abnehmer erwerben, also insbesondere für Unternehmen, deren Kunden Privatpersonen sind (und ebendiese stehen ja im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung!), ist der Gedanke nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen. Auch der für die Signaleigenschaft konstitutive Kostenzusammenhang (vgl. S. 48) läßt sich für Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. nachweisen: In der Regel dürfte nämlich der Erwerb des Zertifikats für ein Unternehmen mit einem um so geringeren Aufwand verbunden sein, je höher entwickelt sein bereits vorhandenes Qualitätsmanagementsystem ist.

86 Auch das RAL selbst legt Wert auf eine klare Unterscheidung (vgl. RAL, 1995, S. 24-27; RAL, 1996a, S. 7).

IV. Normenfamilie ISO 9000 und Zertifizierung

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Gerade an diesem letztgenannten Punkt wird jedoch ein grundlegender Unterschied zwischen beiden Konzepten deutlich. Er besteht darin, daß das Zertifikat anders als das Signal nicht nur - wie beschrieben - über eine Kostenkorrelation, sondern zusätzlich auch unmittelbar mit der Qualität verknüpft ist. Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden: Entschließt sich ein Anbieter niedriger Qualität, für seine Güter ein Garantieversprechen zu geben, also ein typisches Qualitätssignal zu setzen, so entstehen ihm daraus, wie leicht nachzuvollziehen ist und an anderer Stelle bereits dargelegt wurde (vgl. S. 49), höhere Kosten als einem Anbieter hoher Qualität. Das Entscheidende ist jedoch, daß sich durch die Signalsetzung c.p. die Qualität seiner Leistung in keiner Weise geändert hat 87 . Entschließt sich ein Anbieter niedriger Qualität hingegen, ein Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. zu erwerben, so entstehen ihm - wie im vorigen Abschnitt dargelegt - hierfür zwar auch höhere Kosten als einem Anbieter hoher Qualität, doch erhöht sich durch die zur Zertifizierung notwendige Einführung eines Qualitätsmanagementsystems zugleich die Qualität an sich. Kurz gesagt: Das Setzen eines Signals ist für einen Anbieter geringer Qualität (evtl.) zu teuer, das Erlangen eines Zertifikates nach DIN EN ISO 9000ff hingegen sachlich unmöglich. Wohlgemerkt: Daß nur Anbieter hoher Qualität das Zertifikat erhalten, ist der theoretische Anspruch der Norm; ob er in der Praxis tatsächlich eingelöst wird, soll durch diese Arbeit erst geklärt werden. Sollte das Ergebnis jedoch negativ ausfallen, handelte es sich bei den Zertifikaten natürlich erst recht nicht um Qualitätssignale, denn dann läge ja überhaupt kein Qualitätsindikator vor, und das Definitionsproblem wäre damit hinfällig. Es ist also einstweilen festzuhalten, daß aufgrund der unmittelbaren Verknüpfung der Zertifikate mit der Qualität ihre vorbehaltlose Einordnung in die Reihe der typischen Signalling-Instrumente wie Garantien etc. kaum zu rechtfertigen ist 88 . Daneben sind weitere charakteristische Unterschiede zwischen beiden Konzepten nicht zu übersehen; hinzuweisen ist dabei insbesondere auf die beim Zertifizierungssystem unabdingbare Beteiligung Dritter (Zertifizierungsgesellschaft als Kontrollinstitution, ISO/DIN als Normgeber), die dem Konzept einen eher formalen Charakter verleiht, wohingegen den Signalling-Aktivitäten typischerweise endogene, um nicht zu sagen „natürliche" Zusammenhänge zugrundeliegen.

87

Allerdings kann die Kostenkorrelation bei dem Anbieter zu gesteigerten Anstrengungen und dadurch zu einer höheren Qualität führen (vgl. S. 49); doch ist diese Qualitätssteigerung nicht Voraussetzung für die Signalsetzung, sondern nur eine mögliche Folge. 88 Insofern ist Kaas (1995b, S. 29) zu widersprechen, wenn er den Zertifikaterwerb als Beispiel für eine Signalling-Aktivität nennt.

110

Α. Theoretischer Rahmen

Im nationalen Vorwort zur DIN EN ISO 9000-1 heißt es unter anderem (Hervorh. durch den Verf.): „Die Erfüllung der Forderungen zur Qualitätssicherung / QM-Darlegung in den Normen DIN EN ISO 9001, DIN EN ISO 9002 und DIN EN ISO 9003 soll ... Vertrauen in die Fähigkeit der Organisation bzw. des Lieferanten bilden."

Mit dem Terminus „Vertrauen", der sich außer an dieser noch an zahlreichen anderen Stellen der Normenfamilie ISO 9000 findet, klingen Bezüge zum Konzept der Reputation an. Auch dieses ist gekennzeichnet durch die Bildung von Vertrauen der Abnehmer gegenüber einem Anbieter. Der Unterschied besteht in der Art und Weise, wie der Vertrauensbildungsprozeß vor sich geht. Bei der Reputation entsteht das Vertrauen durch positive eigene oder berichtete Erfahrungen mit Produkten des Anbieters (vgl. S. 54). Beim Zertifizierungskonzept ist zur Bildung von Vertrauen gegenüber einem bestimmten Unternehmen zunächst ein zweifaches „Vor-Vertrauen" beim Abnehmer erforderlich: Er muß zum einen Vertrauen in die Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit der Normregelungen aufbringen, zum anderen muß er Vertrauen in die Seriosität und Leistungsfähigkeit der Zertifizierungsgesellschaft haben. Durch den Zertifizierungsprozeß bzw. die Verleihung des Zertifikats übertragen sich diese beiden Vertrauenspositionen dann auf das zertifizierte Unternehmen. Mit etwas Phantasie ließen sich zweifellos auch noch Verbindungslinien zwischen Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. und den übrigen in Kapitel III. behandelten Ansätzen (z.B. vergleichender Warentest, etc.) herstellen. Hierauf wird jedoch verzichtet. Zum einen erscheint es kaum möglich, dieses Thema zu erschöpfen, ohne beim Leser dasselbe Ergebnis zu erzielen. Zum anderen dürfte auch ohnedies erkennbar geworden sein, daß sich das Zertifizierungskonzept aufgrund seiner mannigfachen Eigenarten keinem der bereits etablierten Instrumente zur Überwindung von Qualitätsasymmetrien widerspruchsfrei zuordnen läßt. Als Ergebnis kann daher festgehalten werden, daß es angebracht ist, ein Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. als ein Instrument sui generis zu betrachten.

Β. Die Untersuchung I. Das Zertifikat als valider Qualitätsindikator für Dienstleistungen? 1. Theoretische Begründung der Idee Bevor im weiteren Verlauf der Arbeit empirisch und theoretisch untersucht wird, ob Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. tatsächlich valide Qualitätsindikatoren für Dienstleistungen darstellen, soll zunächst dargelegt werden, welche Vorzüge bzw. Nachteile sich - die grundsätzliche Eignung vorausgesetzt - aus den Eigenarten der Zertifikatslösung gegenüber den bereits vorhandenen Qualitätsindikatoren ergeben. Das bedeutsamste Charakteristikum der Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. ist die Tatsache, daß sie Informationen über den Produktionsprozeß des Unternehmens liefern. Durch diesen grundsätzlich anderen Ansatzpunkt unterscheiden sich die Zertifikate von praktisch allen übrigen bisher genannten Instrumenten, die durchweg unmittelbar auf die Produktqualität bezogen sind. Aus dieser Besonderheit lassen sich zugleich die Argumente ableiten, die für eine gute Eignung der Zertifikate als Qualitätsindikatoren gerade bei Dienstleistungen sprechen. Wie an anderer Stelle bereits dargelegt (vgl. S. 44), sind viele Dienstleistungen durch eine verglichen mit materiellen Gütern höhere Schwankungsbreite der Qualität gekennzeichnet. Durch diesen Umstand verliert die Kenntnis über die Qualität lediglich einer einzelnen oder einiger weniger Leistungseinheiten eines Anbieters für den Konsumenten tendenziell an Aussagekraft. Diese Problematik wurde bereits als ein systematischer Nachteil des vergleichenden Warentests identifiziert (vgl. S. 72). Konstruktionen wie das Washington Consumers' Checkbook (vgl. Teil A, Kapitel III.2.b)aa)(2)) stellen demgegenüber bereits einen Fortschritt dar, denn hier gehen deutlich mehr einzelne Dienstleistungen in das Gesamturteil ein, wodurch sich die Schwierigkeit allerdings nur bis zu einem gewissen Grade entschärfen läßt. Aufgrund ihres ganz andersartigen Ansatzes stellt sich bei der Zertifikatslösung dieses Problem nicht. Das Vorhandensein eines Zertifikats zeigt an - so jedenfalls das Ziel der Norm - , daß das betreffende Unternehmen ein hohes Niveau der Qualitätsfähigkeit erreicht hat und seinen Leistungserstellungsprozeß beherrscht, systematisch überwacht sowie immer weiter verbessert. Diese Information ist für den Verbraucher bei seiner Auswahlentscheidung vermutlich

112

Β. Die Untersuchung

sehr viel nützlicher als das Wissen um die Qualität einer einzigen von diesem Unternehmen erbrachten Dienstleistung. Denn für ihn ist weniger der Einzelfall von Bedeutung, als vielmehr die durchschnittliche Qualität der Leistung. Er möchte wissen, wo die Wahrscheinlichkeit groß ist, eine gute Leistung zu bekommen. Und darauf kann er mit größerer Sicherheit schließen, wenn er etwas über die Qualität des Leistungserstellungsprozesses eines Unternehmens weiß, als wenn er die Qualität einer einzelnen Leistung dieses Unternehmens kennt. Durch seinen dezentralen Aufbau kommt das Zertifizierungssystem außerdem der Kleinräumigkeit vieler Dienstleistungsmärkte (vgl. S. 72) in besonderem Maße entgegen. Während sich die Kosten für eine flächendeckende Informationsversorgung bei einer zentralen Lösung (wie etwa dem vergleichenden Warentest) auf eine Institution konzentrieren und dadurch zwangsläufig eine für diese untragbare Größenordnung erreichen, verteilen sich bei der Zertifikatslösung die Gesamtkosten für die Informationserzeugung auf alle beteiligten Unternehmen, denn jedes einzelne trägt die Kosten für seine Zertifizierung selbst. Dies begünstigt eine flächendeckende Verbreitung enorm, zumal die Unternehmen damit rechnen können, durch die Einführung eines wirksamen Qualitätsmanagementsystems die Aufwendungen für die Zertifizierung in kurzer Zeit wieder einzusparen, z.B. durch geringere Kosten der Reklamationsbearbeitung (Schwickert, Beemelmann & Kargl, 1995a, S. 130). Außer diesem weist der mögliche Qualitätsindikator „Zertifizierung" noch weitere Vorzüge unter dem Aspekt der leichten Verfügbarkeit bzw. universellen Einsetzbarkeit auf: • Die Information über die Zertifizierung des Unternehmens kann - ähnlich wie bei einem Gütezeichen (vgl. S. 81) - problemlos am POS bereitgestellt werden (z.B. Aushang des Zertifikats in der Schalterhalle eines Reisebüros) und steht dadurch im Augenblick der Kaufentscheidung zur Verfügung. Aber auch schon in der Vorkaufphase ist ein vielfältiger Einsatz möglich (Hinweis auf die Zertifizierung in Werbeanzeigen, Geschäftsbriefbögen, etc.). • Der Indikator steht allen Unternehmen unabhängig von ihrer Größe offen. Während es beispielsweise beim vergleichenden Warentest als Nachteil erkannt wurde, daß kleinere Anbieter oftmals nicht einbezogen werden können (vgl. S. 70), ist die Zertifizierung auch für Klein- und Kleinstbetriebe möglich. • Der Indikator ist prinzipiell auch bei credence goods wirksam. Hierin liegt ein Vorzug gegenüber dem Qualitätssignal Garantie und der Reputation (vgl. S. 51 u. 56). • Anders als etwa das Reputationskonzept kann das Zertifikat auch auf Märkten als Qualitätsindikator fungieren, in denen die Anbieter nicht auf Wiederholungskäufe angewiesen sind (vgl. S. 56). Zwei Nachteile haben die Zertifikate mit den Gütezeichen gemein. Der erste ist der nur bivalente Aussagegehalt (vgl. auch S. 79 u. S. 107). Der Konsument

I. Das Zertifikat als valider Qualitätsindikator fur Dienstleistungen?

113

kann lediglich zwischen zertifizierten und nicht zertifizierten Unternehmen unterscheiden, was zweifellos nur ein sehr grobes Raster darstellt. Vergleiche innerhalb der großen Gruppe der nicht zertifizierten bzw. innerhalb der wachsenden Zahl der zertifizierten Unternehmen sind auf diese Weise nicht möglich. Zudem ist für den Laien nicht ersichtlich, wo genau auf dem Qualitätskontinuum die Trennungslinie verläuft; er kann folglich nicht ohne weiteres beurteilen, ob zertifizierte Unternehmen eine Spitzengruppe höchster Qualität darstellen oder ob die Zertifizierung lediglich einen Mindeststandard markiert, und so nur vor weit unterdurchschnittlicher Qualität schützen kann (was, nebenbei bemerkt, auf den intransparenten Dienstleistungsmärkten bereits einen nicht gering zu schätzenden Fortschritt gegenüber dem bisherigen Zustand darstellen würde). Allerdings ist dieser Nachteil keineswegs unüberwindbar. Er könnte den entsprechenden Willen der Beteiligten vorausgesetzt - durch einige Modifikationen des Systems leicht beseitigt werden. Hierzu müßte lediglich das bei der Auditierung ohnehin zustande kommende differenzierte Urteil der Zertifizierungsgesellschaft in eine allgemein akzeptierte Maßzahl übersetzt werden, die dann das Ausmaß der (Über-)Erfüllung der Normforderungen anzeigte. Ferner wäre noch verbindlich festzulegen, daß alle Hinweise des Unternehmens auf seine Zertifizierung stets auch den erreichten „score" enthalten. Der zweite Nachteil, den die Zertifikate mit den Gütezeichen gemein haben, ist die mangelnde Transparenz der zugrundeliegenden Kriterien. Ohne Kenntnis des entsprechenden Norminhaltes dürften die wenigsten Konsumenten mit dem Begriff „Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9001" eine Vorstellung verbinden. Doch sind auch hier, wie schon beim Problem des bivalenten Aussagegehalts, die Möglichkeiten zur Beseitigung des Nachteils deutlich günstiger als beim Gütezeichen. Denn während beim produktbezogenen Gütezeichen für jede gekennzeichnete Produktgruppe unterschiedliche Kriterienkataloge aufgestellt werden müssen, sind die Anforderungen beim unternehmensbezogenen Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. für alle zertifizierten Unternehmen unabhängig von Größe und Branche gleich. Es ist daher wesentlich weniger aufwendig, weiten Verbraucherkreisen eine zutreffende Vorstellung von den dem Zertifikat zugrundeliegenden Anforderungen zu vermitteln. Wie sich in der Diskussion um den vergleichenden Warentest, aber auch bei den Überlegungen zum Reputationskonzept gezeigt hat, können an sich wünschenswerte Qualitätsindikatoren mitunter ungünstige Auswirkungen auf die Marktstruktur mit sich bringen. Dies kann insbesondere in Form einer Erhöhung des Konzentrationsgrades auf dem Markt geschehen, die immer dann unerwünscht ist, wenn sie aus anderen Gründen als einem tatsächlichen Qualitätsvorsprung der wachsenden bzw. verbleibenden Unternehmen geschieht. Beim vergleichenden Warentest entsteht diese Gefahr aus der zwangsläufigen Vernachlässigung kleiner Anbieter (vgl. S. 70), die bei der Zertifikatslösung - wie soeben dargelegt - gerade nicht auftritt. In Verbindung mit der Reputation wur8 Haas

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Β. Die Untersuchung

de von unerwünschter marktverschließender Wirkung dann gesprochen, wenn diese auf Imagewerbung zurückzuführen ist (vgl. S. 57); bei Zertifikaten dagegen existiert kein vergleichbarer Zusammenhang. Denkbar ist allerdings, daß das Vorhandensein des Zertifikats mit Erreichen eines sehr hohen Verbreitungsgrades mehr und mehr zur Voraussetzung für das Verbleiben am Markt wird, weil die Zertifizierung von weiten Abnehmerkreisen als Selbstverständlichkeit angesehen wird und nur noch das Fehlen des Zertifikats (negativ) auffällt. Doch ist diese Entwicklung mittelfristig eher auf den hier weniger interessierenden Investitionsgütermärkten zu erwarten; auf Konsumgütermärkten ist das Zertifikat vorerst noch weit davon entfernt, als Normalzustand und damit Mindestvoraussetzung angesehen zu werden. Abgesehen davon wäre eine marktverschließende Wirkung der Zertifikate schon deshalb weit weniger bedenklich, weil sie nicht auf sachfremden, d.h. nicht mit hoher Qualität in Verbindung stehenden Ursachen beruhte und prinzipiell jedes (qualitätsfähige) Unternehmen die Barriere überwinden könnte. Einer genaueren Betrachtung bedarf das bei Zertifikaten möglicherweise auftretende Glaubwürdigkeitsproblem, das - vergleichbar der Problematik bei den kommerziellen Informationsanbietern (vgl. S. 62) - daraus erwachsen könnte, daß im Zertifizierungsverfahren erwerbswirtschaftliche Interessen involviert sind. In der Tat ist im deutschen System der Zertifizierung ein bemerkenswerter Interessenkonflikt angelegt. Er besteht darin, daß die zertifizierenden Organisationen gewinnorientierte Unternehmen sind, die sich einer starken Konkurrenz gegenübersehen und deshalb verständlicherweise nach Möglichkeit ihren Kunden entgegenkommen wollen, denn sie müssen - schon wegen der lukrativen Überwachungs- und Wiederholungsaudits - an langfristigen Geschäftsbeziehungen interessiert sein (Homburg & Becker, 1996, S. 448). Es besteht daher grundsätzlich die Gefahr von „Gefälligkeitsgutachten" (Kinter & Schnauber, 1996, S. 176). Andererseits dürfte jedem Zertifizierungsunternehmen klar sein, daß das allgemeine Vertrauen in die Seriosität der Vergabepraxis von Zertifikaten nicht erschüttert werden darf, denn dann wäre es nur eine Frage der Zeit, bis das Zertifikat seine Informationswirkung verlieren und damit das gesamte System mangels Akzeptanz vom Markt wieder verschwinden würde, womit die Existenzgrundlage der Zertifizierungsunternehmen natürlich erst recht zerstört wäre. Wie dieses Dilemma zwischen individuell-kurzfristiger und kollektiv-langfristiger Rationalität von den Zertifizierern gelöst wird, bleibt abzuwarten. Trotz einiger unüberhörbarer pessimistischer Stimmen (z.B. Kinter & Schnauber, 1996, S. 176; Rieker, 1995, S. 202; Malorny & Kassebohm, 1994, S. 240) sind bislang gravierende Fälle ungerechtfertigter Zertifikatvergabe noch nicht in größerem Umfang bekannt geworden; auch spricht die ungebrochen hohe Nachfrage nach Zertifikaten dafür, daß in dieses Instrument bis dato Vertrauen besteht.

I. Das Zertifikat als valider Qualitätsindikator für Dienstleistungen?

115

2. Variablenzusammenhang und Hypothesen Die grundlegende Problemsituation, auf die sich diese Untersuchung bezieht, ist die folgende: Ein Konsument hat eine Bedarfsentscheidung 1 getroffen und sich entschlossen, eine bestimmte Dienstleistung, sagen wir eine Fahrschulausbildung, zu erwerben. In seinem für die nun anstehende Kaufentscheidung zugrundegelegten „evoked set"2 befinden sich mehrere Fahrschulen, von denen mindestens eine zertifiziert ist und mindestens eine nicht. Ansonsten sind die in Frage kommenden Anbieter aus der Sicht des Konsumenten gleichartig. Die zu klärende Frage ist nun, ob der Verbraucher gut beraten ist, wenn er sich für eine zertifizierte Fahrschule entscheidet. Die entsprechende Hypothese lautet:

„Die Qualität der Dienstleistungen von Unternehmen, die ein Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. vorweisen können, ist höher als die Qualität der Dienstleistungen von ansonsten gleichartigen anderen Unternehmen".

Q

Ζ

Z-Q-Hypothese

Abbildung 10: Z-Q-Hypothese

Forschungstheoretisch betrachtet handelt es sich hier um eine gerichtete Unterschiedshypothese3 (vgl. Bortz & Döring, 1995, S. 462 u. 489); sie soll künftig als Z-Q-Hypothese bezeichnet werden und wird im Rahmen dieser Studie einer ersten empirischen Prüfling unterzogen (zur Methodik vgl. Kap. III.). 1 Zur Unterscheidung zwischen Bedarfs- und Kaufentscheidung vgl. Scherhorn, 1974, S. 18-19. 2 Als evoked set bezeichnet man die Menge der Anbieter bzw. Marken, die von einem Konsumenten vor einem Kaufakt in Erwägung gezogen wird (Nieschlag, Dichtl & Hörschgen, 1994, S. 209). 3 Unterschiedshypothese, weil zwei Stichproben (Unternehmen) verglichen werden, die sich in bezug auf eine unabhängige Variable (Zertifizierung) unterscheiden; gerichtet, weil die Richtung des erwarteten Zusammenhangs hypothetisch vorhergesagt wird: Zertifizierte Unternehmen haben eine höhere Qualität als nicht zertifizierte.

8*

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Β. Die Untersuchung

Könnte sie bestätigt werden, so hätte man einen verläßlichen und leicht verfügbaren Qualitätsindikator für Dienstleistungsmärkte gefunden, der aus verbraucherpolitischer Sicht zu begrüßen und zu fördern wäre. Die Bestätigung oder Widerlegung der Z-Q-Hypothese würde also alleine schon ausreichen, um Konsumenten eindeutige Empfehlungen für den Umgang mit Zertifikaten nach DIN EN ISO 9000ff. geben zu können. Doch ist unübersehbar, daß die Z-Q-Hypothese zwar den aus der Perspektive des Verbrauchers relevanten Zusammenhang erfaßt, gleichwohl aber nicht an der eigentlichen Kausalkette orientiert ist; denn es ist ja nicht das Zertifikat als solches, das die höhere Qualität hervorbringt. Aus zwei Gründen erscheint es geboten, auch die eigentlichen Wirkungszusammenhänge zu explizieren und in die Untersuchung einzubeziehen: • Zur Absicherung des empirischen Befundes betreffend die Z-Q-Hypothese. Die zusätzliche Untersuchung auch der anderen relevanten Aspekte mit den jeweils am besten geeigneten Methoden sichert die über die Z-Q-Hypothese getroffene Aussage besser ab, da mögliche Erhebungsfehler bei dieser Relation durch hierzu inkompatible Befunde bei den anderen aufgedeckt werden können. • Wenn alle sachlich zugehörigen Komponenten und Beziehungen in die Betrachtung einbezogen werden, wird eine tiefere Durchdringung und ein besseres Verständnis des Gesamtphänomens erreicht. Da es sich hier nicht zuletzt auch um eine politische Fragestellung handelt, wäre es nicht ausreichend, lediglich zu konstatieren, daß ein bestimmter Zusammenhang gegeben ist oder nicht, sondern es muß auch ableitbar sein, wie dieser Zusammenhang, falls er erwünscht ist, weiter gefördert bzw. überhaupt erst hergestellt werden kann. Dabei kann es sich als sinnvoll erweisen, die entsprechenden Relationen ebenfalls als Hypothese zu formulieren und gesondert zu prüfen, während es in anderen Fällen ausreichen mag, einen bestimmten Zusammenhang lediglich für die empirische Untersuchung sicherzustellen und damit als Bedingung zu kontrollieren (vgl. hierzu S. 121). Die unabhängige Variable, die kausal auf die abhängige Variable Q (die Dienstleistungsqualität) einwirkt, ist - wie bereits erwähnt - nicht das Zertifikat (Z), sondern das Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9000ff. (ISO). Die entsprechende Hypothese, im folgenden als ISO-Q-Hypothese bezeichnet, lautet:

I. Das Zertifikat als valider Qualitätsindikator f r Dienstleistungen?

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„Die Qualität der Dienstleistungen von Unternehmen, die über ein Qualitätsmanagementsystem gemäß DIN EN ISO 9000ff. verfügen, ist höher als die Qualität der Dienstleistungen von ansonsten gleichartigen anderen Unternehmen".

Q

Ζ

ISO Abbildung 11: ISO-Q-Hypothese

Voraussetzung für die Bestätigung der ISO-Q-Hypothese ist, daß ein Qualitätsmanagementsystem im Sinne der Normenfamilie ISO 9000 prinzipiell überhaupt dazu geeignet ist, eine aus Verbrauchersicht bessere Qualität hervorzubringen. Nach allem bisher über die Norm Gesagten kann wohl behauptet werden, daß es zumindest nicht widersinnig ist, dies anzunehmen. Betrachtet man die 20 QM-Elemente (vgl. S. 96-100), so ist es immerhin plausibel, davon auszugehen, daß sich ihre Realisierung positiv auf die Qualität der Dienstleistung auswirkt. Doch ist dies bislang nur ein erster Eindruck, ein Prima-facie-Beweis gewissermaßen. Es könnte sich bei genauerer Betrachtung beispielsweise herausstellen, daß sich die der Normenreihe zugrundeliegenden Vorstellungen darüber, was unter „Qualität" eigentlich zu verstehen ist, mit den entsprechenden Einschätzungen der Verbraucher nicht decken; oder man muß feststellen, daß die Norm wichtige qualitätsrelevante Elemente nicht berücksichtigt oder daß sie

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Β. Die Untersuchung

sich nicht sinnvoll auf Dienstleistungsbetriebe anwenden läßt. Diese Möglichkeiten sind im Rahmen einer theoretischen Analyse zur Prüfung der ISO-QHypothese zu untersuchen. Um die Wirkungskette vom Zertifikat zur höheren Dienstleistungsqualität logisch zu schließen, ist nun noch das Verhältnis zwischen Zertifikat und Qualitätsmanagementsystem zu klären. Damit von einer Indikatorfunktion des Zertifikats ausgegangen werden kann, müssen zwei Bedingungen gegeben sein. Zum einen muß das Vorhandensein des Zertifikats eindeutig auf das Vorhandensein eines entsprechenden Qualitätsmanagementsystems schließen lassen (Z-ISO-Bedingung).

Ein Unternehmen, das ein Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. vorweisen kann, verfügt über ein Qualitätsmanagementsystem, das den Anforderungen der genannten Normenreihe entspricht".

Daß ein Zertifikat tatsächlich immer das Vorhandensein eines wirksamen Qualitätsmanagementsystems anzeigt, ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. So ist vorstellbar, daß der Auditor beim Zertifizierungsaudit kein zutreffendes Bild über die Verhältnisse in dem begutachteten Unternehmen erhält. Der Grund hierfür kann entweder darin liegen, daß die nicht normenkonformen oder fehlenden Elemente des QM-Systems durch das Audit, das ja zwangsläufig immer nur eine Stichprobe darstellt (Mayrhofer, 1996, S. 169), zufällig nicht erfaßt worden sind, oder aber, daß es dem Unternehmen gelungen ist, den Auditor über die wirkliche Sachlage zu täuschen. Nicht zuletzt ist an dieser Stelle auch auf die im Zusammenhang mit dem Glaubwürdigkeitsproblem angesprochene Problematik der „Gefälligkeitszertifikate" hinzuweisen (vgl. S. 114). Eine weitere Ursache für einen fehlenden Zusammenhang zwischen Zertifikat und normenkonformem QM-System wäre gegeben, wenn ein Unternehmen unmittelbar nach erfolgreicher Auditierung und Zertifizierung des frisch eingeführten Qualitätsmanagementsystems den Prozeß als beendet betrachten und sich wieder vollständig anderen Themen zuwenden würde. Ein Qualitätsmanagementsystem im Sinne der Normenfamilie ISO 9000 versteht sich jedoch als ein fortdauernder Prozeß und muß täglich neu umgesetzt, „gelebt" und weiterentwickelt werden. Geschieht dies nicht, arbeitet das Qualitätsmanagementsystem des betreffenden Unternehmens nicht (mehr) wirksam im Sinne der Norm, dennoch bleibt diesem das Zertifikat zumindest bis zum ersten Wiederholungsaudit 4 erhalten.

I. Das Zertifikat als valider Qualitätsindikator f r Dienstleistungen?

Ζ

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Q

ISO Abbildung 12: Z-ISO-Bedingung

Die zweite Bedingung im Verhältnis zwischen Zertifikat und QM-System, die für eine Indikatorfunktion des Zertifikates gegeben sein muß, besteht darin, daß von denjenigen Unternehmen, die ein Qualitätsmanagementsystem eingerichtet haben, ein nennenswerter Teil auch die Zertifizierung bei sich vornehmen lassen muß. Nur wenn hier ein relativ enger Zusammenhang besteht, ist das Zertifikat ein Merkmal, das in befriedigender Weise zwischen „guten" und „schlechten" Unternehmen diskriminiert, denn im anderen Fall würde eine Vielzahl der „guten" Unternehmen von den Verbrauchern gar nicht erkannt; die Anzahl der von ihnen bei ihrer Auswahlentscheidung in Betracht gezogenen An-

4 In der Praxis sogar bis zum Auslaufen des Zertifikats, denn bisher verfügt keine Zertifizierungsgesellschaft über ein erprobtes Verfahren zum Entzug des Zertifikats während seiner dreijährigen Laufzeit (Kinter & Schnauber, 1996, S. 176).

Β. Die Untersuchung

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bieter wäre dadurch geringer, als unter Qualitätsgesichtspunkten eigentlich gerechtfertigt. Dies fuhrt zur letzten, der ISO-Z-Bedingung:

„Ein Unternehmen, das ein Qualitätsmanagementsystem bei sich verwirklicht hat, das den Anforderungen der DIN EN ISO 9000ff. genügt, ist bestrebt, sich dies durch ein entsprechendes Zertifikat bestätigen zu lassen".

Ζ

Q

ISO Abbildung 13: ISO-Z-Bedingung

Daß ein Unternehmen, das ein im Prinzip zertifizierungsfähiges Qualitätsmanagementsystem besitzt, dennoch über kein Zertifikat verfügt, kann zwei Ursachen haben. So gibt es Unternehmen, die sich zwar ganz bewußt ein System gemäß der Normenfamilie ISO 9000 aufbauen, dann aber aus Kostengründen auf die Zertifizierung selbst verzichten. Dies wird am ehesten dort der Fall sein, wo das Zertifikat von Abnehmern (noch) nicht zur Bedingung gemacht wird, also gerade etwa im Bereich konsumtiver Dienstleistungen. Daneben gibt es aber auch Unternehmen, deren gewachsene Ablauf- und Aufbauorganisation so weit entwickelt ist, daß sie die Anforderungen der Norm bereits erfüllt, ohne daß sich das betreffende Unternehmen dieser Tatsache überhaupt bewußt ist, was

I. Das Zertifikat als valider Qualitätsindikator f r Dienstleistungen?

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wiederum zur Folge hat, daß die Möglichkeit einer Zertifizierung gar nicht in Erwägung gezogen wird. Eine solche Konstellation ist durchaus vorstellbar, denn die Anforderungen der Norm sind ja keineswegs so ungewöhnlich und neuartig, als daß ein Unternehmen, das eine konsequente Qualitätspolitik verfolgt, nicht auch von alleine, also ohne Kenntnis der Norm, entsprechende Maßnahmen entwickeln und umsetzen könnte. Wie die angeführten Beispiele gezeigt haben, darf nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden, daß die beiden Bedingungen Z-ISO bzw. ISO-Z in allen Fällen gegeben sind. Für eine realistische Beurteilung der Thematik ist es daher notwendig und hilfreich, die möglichen Quellen der Beeinträchtigung dieser Zusammenhänge zu kennen. Andererseits besteht kein Grund zu der Annahme, daß die beiden Bedingungen in einem so großem Ausmaß nicht gegeben sein könnten, daß die Wirksamkeit des Zertifizierungssystems schon alleine dadurch als fraglich einzuschätzen wäre. Insofern erscheint der immense Aufwand, der zu einer abschließenden Prüfung dieser Zusammenhänge in Form zweier Hypothesen mit Allgemeingültigkeitsanspruch erforderlich wäre, nicht gerechtfertigt. Hierzu müßte u.a. festgestellt werden, wie viele nicht zertifizierte Dienstleistungsunternehmen über ein Qualitätsmanagementsystem verfugen, das den Anforderungen der Normenfamilie DIN EN ISO 9000ff. entspricht (ISO-ZBedingung); noch schwieriger dürfte zu ermitteln sein, in welchem Umfang Zertifikate ungerechtfertigterweise vergeben werden (Z-ISO-Bedingung). Um im Rahmen der Überprüfung der zentralen Untersuchungshypothese, der Z-QHypothese, nicht zu Fehlschlüssen zu gelangen, muß allerdings sichergestellt werden, daß die Bedingungen bei den an der empirischen Untersuchung beteiligten Unternehmen gegeben sind, d.h. daß die zertifizierten Unternehmen ihr Zertifikat zu Recht erhalten haben (Z-ISO-Bedingung) und andererseits die nicht zertifizierten Unternehmen über kein Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9000ff. verfügen (ISO-Z-Bedingung). Hierauf wurde bei der Auswahl der Unternehmen, die ausfuhrlich in Kapitel III.3. beschrieben ist, geachtet. Welche Implikationen hätte nun die Bestätigung bzw. Widerlegung der genannten Hypothesen? Gesetzt den (wünschenswerten) Fall, daß sich beide Hypothesen bestätigen lassen, wären die daraus zu ziehenden Konsequenzen eindeutig. Man sollte Verbrauchern bzw. den auf diese in ihren Kaufentscheidungsprozessen einwirkenden Institutionen (Verbraucherzentralen, Medien, ...) empfehlen, Zertifikate nach DIN EN ISO 9000ff. als Kennzeichen für Dienstleistungsanbieter mit hohem Qualitätsniveau zu betrachten. Des weiteren sollten Dienstleistungsanbieter über die Medien, Berufsverbände oder auch durch die Kunden selbst ermuntert werden, Qualitätsmanagementsysteme gem. DIN EN ISO 9000ff. einzuführen, das entsprechende Zertifikat zu beantragen und dieses verstärkt werblich einzusetzen. Diese Ermunterung müßte dann eigentlich auf offene Ohren treffen, denn wenn erst einmal der Nachweis erbracht ist, daß

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Β. Die Untersuchung

durch ein solches Qualitätsmanagementsystem ein für den Kunden spürbarer Qualitätsfortschritt (und damit ein Wettbewerbsvorteil gegenüber nicht zertifizierten Konkurrenzunternehmen) erzielt werden kann, dann dürfte es den Unternehmen um einiges leichter fallen, den anfänglich mit der Zertifizierung verbundenen Zeit- und Kostenaufwand auf sich zu nehmen. Die normschaffenden Institutionen schließlich sollten von dem Ergebnis ebenfalls in Kenntnis gesetzt werden; dies könnte als Ansporn dienen, das Normensystem weiterzuentwikkeln, zu vervollkommnen und seine Verbreitung voranzutreiben. Bei einem positiven Ergebnis sollte zudem verstärkt darüber nachgedacht werden, ob sich das Modell nicht auch auf andere Bereiche, die eine vergleichbare Problemstruktur aufweisen, übertragen läßt. Konkret: Immer dann, wenn eine Eigenschaft einer Organisation für Dritte von Bedeutung ist, von diesen selbst aber nicht beurteilt werden kann, schafft eine Institution öffentlichen Vertrauens dadurch Abhilfe, daß sie der Organisation die Konformität des relevanten Merkmals mit den Anforderungen eines allgemein akzeptierten Regelwerks durch Erteilung eines Zertifikats bestätigt. Tatsächlich existiert mit dem Umweltmanagement seit einiger Zeit bereits ein weiterer Anwendungsbereich, in dem sich diese Konstruktion zu bewähren scheint; so sieht die EG-ÖkoAudit-Verordnung 5 ebenfalls ein System nach dem Muster der DIN EN ISO 9000ff. vor, und auch die ISO hat mit der Normenreihe 14 000 seit kurzem die Grundlagen für ein normiertes, auditierbares Umweltmanagementsystem geschaffen (ISO, 1997, S. 1). Handlungskonsequenzen können jedoch auch dann abgeleitet werden, wenn die zentrale Z-Q-Hypothese nicht bestätigt werden kann. Vordringlich müßte in diesem Falle den Verbrauchern davon abgeraten werden, bei der Auswahl von Dienstleistungsanbietern das Vorhandensein eines Zertifikates als Kriterium zu berücksichtigen. In einem zweiten Schritt sind die Ursachen für das Scheitern der Z-Q-Hypothese zu ergründen, um Ansatzpunkte für eine Verbesserung des Systems aufzeigen zu können. Hinweise auf mögliche Ursachen können eventuell aus den Befunden zur ISO-Q-Hypothese gewonnen werden. Sollte sich dort beispielsweise herausstellen, daß der Normenfamilie ISO 9000 eine Qualitätsvorstellung zugrunde liegt, die mit derjenigen der Nachfrager zu wenig gemein hat, so sind Vorschläge zu erarbeiten, wie das Normenwerk in diese Richtung weiterentwickelt werden kann. Wie nun aber, wenn sich widersprüchliche Befunde ergeben, etwa in der Form, daß die Z-Q-Hypothese sich bestätigt, zugleich aber die ISO-Q-Hypothese abgelehnt werden muß? Für diesen Fall wären (mindestens) drei Erklä-

5

Die Verordnung wurde am 29.6.93 vom Rat der EU verabschiedet und trat zum 13.4.95 in Kraft (Dilly, 1996, S. 5).

I. Das Zertifikat als valider Qualitätsindikator f r Dienstleistungen?

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rungen möglich, die allesamt zu einer Erweiterung des Untersuchungsmodells führen würden. Ob eine davon zutrifft und ggf. welche, kann selbstverständlich erst nach Abschluß der Hypothesenprüfung in einer Gesamtabwägung aller Einzelbefiinde entschieden werden. Φ So ist denkbar, daß durch den Prozeß der Einführung eines normgerechten Qualitätsmanagementsystems im Unternehmen in der Praxis regelmäßig qualitätssteigernde Veränderungen ausgelöst werden, die über die expliziten Normanforderungen hinausgehen, z.B. schon alleine durch die intensivere Beschäftigung der Mitarbeiter mit dem Thema Qualität oder aber durch die Entstehung eines leistungssteigernden Wir-Gefühls (in diese Richtung argumentieren beispielsweise Bruhn, 1996, S. 191; Petrick & Reihlen, 1994, S. 98; Saatweber, 1994, S. 67). Auch ist festzustellen, daß Unternehmen ein Zertifizierungsprojekt oftmals als Anlaß für umfassende Umstrukturierungs- und Verbesserungsmaßnahmen nehmen, die dann ihrerseits zu einer Qualitätsverbesserung führen. Dem Verbraucher kann es im Grunde gleichgültig sein, was die letztendliche Ursache für die höhere Dienstleistungsqualität ist: die unmittelbaren Normanforderungen oder die durch die Einfuhrung des QM-Systems ausgelösten Folgeprozesse. Voraussetzung für eine Indikatoreigenschaft des Zertifikats wäre allerdings, daß jener Effekt systematisch auftritt, also regelmäßig bei allen Zertifizierungen und nicht nur bei einzelnen Unternehmen. © Das Qualitätsurteil der Konsumenten könnte zumindest in einigen Fällen durch das Zertifikat selbst beeinflußt worden sein. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß Konsumenten alleine aus dem Vorhandensein des Zertifikats unmittelbar auf höhere Qualität schließen, ohne die eigentliche Leistung zu betrachten. Man könnte in diesem Fall von einem „Image-Effekt" des Zertifikats sprechen. Dieser Effekt könnte bei Kunden von solchen Unternehmen auftreten, die die eigene Zertifizierung werblich intensiv nutzen. In der Untersuchung geht es jedoch um die Frage, ob das Zertifikat ein Indikator für hohe tatsächliche Qualität ist, und nicht darum, ob es unmittelbar die Qualitätswahrnehmung der Konsumenten beeinflußt. Die möglicherweise auftretende unmittelbare Wirkung muß als Störgröße in der Erhebung erfaßt und kontrolliert werden (vgl. hierzu Teil C, Kap. 1.2, S. 185). (D Möglich wäre schließlich auch, daß unter den Unternehmen, die sich als erste ihrer Branche zertifizieren lassen, vor allem diejenigen sind, die ohnehin zu den Qualitätsführern gehören; eine festgestellte überdurchschnittliche Dienstleistungsqualität wäre dann möglicherweise alleine hierauf und nicht auf die Zertifizierungsmaßnahme zurückzuführen. Da bis heute erst einige wenige Anbieter konsumtiver Dienstleistungen zertifiziert sind (vgl. Teil A, Kap. IV.2.), besteht die zur Prüfung der Z-Q-Hypothese ausgewählte Stichprobe zwangsläufig überwiegend aus solchen Pionieren. Damit wäre ein Selbstselektionsmechanismus entdeckt, der für verbraucherpolitische Zwecke immerhin noch einge-

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Β. Die Untersuchung

schränkt nutzbar wäre: Die Empfehlung an die Konsumenten, sich an den Zertifikaten zu orientieren, dürfte sich in diesem Fall lediglich auf die ersten zertifizierten Unternehmen einer Branche beziehen.

I I . Operationalisierung des Konstrukts „Dienstleistungsqualität99 War es für die Verdeutlichung der Gedankengänge in den vorangegangenen Kapiteln dieser Arbeit vertretbar, den Qualitätsbegriff ohne eingehende Spezifizierung zu verwenden, so ist spätestens an dieser Stelle eine intensivere Auseinandersetzung damit unumgänglich. Denn um die zentrale Untersuchungshypothese, die Z-Q-Hypothese, entscheidbar zu machen, muß die Dienstleistungsqualität verschiedener Anbieter verglichen, also auch gemessen werden. Die Auswahl eines adäquaten Meßinstruments ist jedoch nur möglich, wenn zuvor das zu messende Konstrukt hinreichend präzisiert worden ist. Aber auch die ISO-Q-Hypothese, in der qualitativ geprüft wird, ob ein normgerechtes Qualitätsmanagementsystem grundsätzlich in der Lage ist, eine höhere Dienstleistungsqualität zu bewirken, ist verständlicherweise nur auf der Basis einer eindeutigen Festlegung dieses Begriffes beurteilbar.

1. Verschiedene Ansätze zum Qualitätsbegriff Der Qualitätsbegriff hat bereits eine Vielzahl von Klärungsversuchen erfahren, die zum Teil höchst unterschiedliche Ergebnisse hervorgebracht haben. Ebenso wie schon bei der Diskussion um den Dienstleistungsbegriff scheint es zweckmäßig, sich zunächst einen Überblick über die grundsätzlichen Definitionstypen zu verschaffen. Darauf aufbauend kann dann die Auswahl des für die hier interessierende Fragestellung adäquaten Begriffsverständnisses erfolgen. Abbildung 14 systematisiert die verschiedenen Ansätze in der Weise, wie sie im folgenden vorgestellt werden, wobei der Gedankengang von oben nach unten und von links nach rechts geführt wird. Ein naheliegender und häufig eingeschlagener Weg zur Annäherung an das Wesen der Qualität führt über die etymologische Begriffsbetrachtung. Der Terminus Qualität hat seinen Ursprung im lateinischen Wort „qualitas", das mit „Beschaffenheit, Güte, Wert" übersetzt wird. Mehr als ein erster Anhaltspunkt für die grundsätzliche Richtung des Verständnisses ist durch die semantische Analyse freilich nicht gewonnen, ganz zu schweigen von einer operationalen Begriffsdefinition.

II. Operationalisierung des Konstrukts „Dienstleistungsqualität"

125

Abbildung 14: Systematik der Qualitätsdefinitionen

Eine vor allem von praxisorientierten Autoren bevorzugte Lösung des Definitionsproblems besteht im schlichten Rekurs auf die von Normungsgremien getroffenen Begriffsfestlegungen (z.B. Ensthaler, Füßler & Nuissl, 1997, S. 86; Geiger, 1996, S. 1142; Hansen, 1993, S. 152). So wird in DIN EN ISO 8402, Abs. 2.1, Qualität definiert als: „Gesamtheit von Merkmalen (und Merkmalswerten) einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen."

Abgesehen von der gespreizten und daher wenig eingängigen Formulierung und der nicht zu übersehenden Unvollständigkeit dieser Definition (wer legt die Erfordernisse fest?), ist - anders als im Bereich verbindlicher Normen - nicht ersichtlich, woraus sich eine besondere Autorität der Normungsinstitute ableiten ließe, die eine solche Verabsolutierung ihrer Definition rechtfertigen und die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Diskussion zum Qualitätsbegriff entbehrlich machen könnte. Für eine Strukturierung der Vielzahl existierender Definitionsansätze zum Qualitätsbegriff wird vielfach auf ein von Garvin (1984) vorgeschlagenes Kategoriensystem zurückgegriffen (z.B. Bruhn, 1996, S. 24; Nader, 1995, S. 23; Haller, 1993, S. 20; dies., 1995, S. 7; Dornach, 1993, S. 58; Stauss & Hentschel, 1990, S. 3; dies., 1991, S. 238). Durch die Analyse von Qualitätsdefinitionen aus unterschiedlichen Wissensdisziplinen gelangte Garvin zu dem Ergebnis, daß diese sich auf fünf übergeordnete Ansätze zurückführen lassen. Er unterscheidet zwischen transcendent, product-based, user-based, manufacturingbased und value-based approach (Garvin, 1984, S. 25). Bei Definitionen, die dem transzendenten Ansatz zuzuordnen sind, wird unter Qualität eine wesensmäßige Vorzüglichkeit („innate excellence") des Betrachtungsgegenstands verstanden. Qualität ist absolut, ist der höchste, uneingeschränkte Standard, der für jedermann spontan als solcher erkennbar ist, sich jedoch zugleich einer rationalen Analyse entzieht. Garvin verweist auf den phi-

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Β. Die Untersuchung

losophischen Ursprung dieser Sichtweise und zieht Parallelen zu Piatos Diskussion über die Schönheit: Auch diese sei nicht definierbar, sondern nur erfahrbar in dem Moment, in dem man mit ihr konfrontiert ist. Der Ansatz weist überdies eine bemerkenswerte Nähe zum umgangssprachlichen Sprachgebrauch auf, bei dem Qualität häufig ebenfalls mit Superlativen umschrieben bzw. gleichgesetzt wird (sehr verbreitet ist diese Begriffsverwendung auch in der Sprache der Werbung, vgl. hierzu Kocher, 1989, S. 23-25; Holbrook & Corfman, 1985, S. 32). Dem produktorientierten Ansatz zuzurechnende Qualitätsdefinitionen stellen auf das dem Gut inhärente Eigenschaftsbündel ab. So verstandene Qualität ist eine unmittelbare Eigenschaft des Gutes, d.h. sie ist alleine aus diesem selbst heraus ableitbar und damit objektiv bestimmbar sowie präzise meßbar. Zur Verdeutlichung führt Garvin die Definition von Abbott (1955, S. 126-127) an, die lautet: „Differences in quality amount to differences in the quantity of some desired ingredient or attribute."

Als Beispiel nennt Garvin u.a. die Qualitätseinstufung von Teppichen anhand der Knotenanzahl pro cm 2 . Durch die Einschränkung auf erwünschte („desired") Eigenschaften entspricht Abbotts Definition allerdings bereits nicht mehr der Reinform dieses Definitionstyps, denn ob eine Eigenschaft erwünscht ist, läßt sich nicht aus dem Gut selbst heraus bestimmen, sondern erfordert die wertende Entscheidung eines externen Betrachters. Passender wäre hier also etwa Lisowskys Definition von Qualität als „Summe aller objektiven Eigenschaften" (1928, S. 37) 6 . Im Gegensatz dazu liegt den abnehmerorientierten Qualitätsdefinitionen die Vorstellung zugrunde, daß Qualität alleine vor dem Hintergrund der Bedürfhisse der Nachfrager beurteilt werden kann. In sehr prägnanter Weise kommt diese Sichtweise in der Definition von Juran (1974a, S. 2-2) zum Ausdruck, der Qualität kurz als „fitness for use" umschreibt. Von den einzelnen objektiven Produkteigenschaften sind danach nur diejenigen qualitätsrelevant, die in den Augen des Konsumenten, gemessen an seinen subjektiven Maßstäben, für ihn den Nutzen des Gutes erhöhen. Qualitätsbestimmend ist also nicht die Beschaffenheit des Produkts, sondern deren Bewertung durch den Nachfrager. Dies hat einige Autoren dazu verleitet (z.B. Stauss & Hentschel, 1991, S. 238), von einer „Gleichsetzung von Qualität und Qualitätswahrnehmung" zu sprechen7. Hier6 Wenig später verwirft Lisowsky diesen „objektiven Qualitätsbegriff 4 allerdings wieder, da sich dieser seines Erachtens für ökonomische Betrachtungen nicht eignet (Lisowsky, 1928, S. 39). 7 Ähnlich Wimmer (1987, S. 507): „Qualität ist nichts Anderes als ein Qualitätsur44 teil .

II. Operationalisierung des Konstrukts „Dienstleistungsqualität"

127

durch wird jedoch der Blick auf die Tatsache verstellt, daß Qualität als solche logisch immer die Eigenschaft eines Gutes ist, auch wenn sich diese Eigenschaft, nach dem Verständnis des abnehmerorientierten Ansatzes, erst in den Augen eines Betrachters konkretisiert. Die Heranziehung des vom Nachfrager beabsichtigten Verwendungszwecks als Bestimmungsgröße der Qualität hat auch zu der Bezeichnung teleologischer 8 Qualitätsbegriff (Kawlath, 1969, S. 48) geführt. Diese Sichtweise ist keineswegs neu; sie läßt sich im deutschen Schrifttum weit zurückverfolgen. So schrieb Wirz bereits 1915 (S. 3; ähnlich: Lisowsky, 1928, S. 41): „Für sich betrachtet haben die Dinge nur Eigenschaften. Erst durch menschliche Zwecksetzung erhalten diese Eigenschaften Bedeutung, werden sie zu Qualitäten erhoben, wächst ihnen ein 'Beruf zu. ... Unser Interesse polarisiert sozusagen die objektiven Gegebenheiten."

Dem abnehmerorientierten Ansatz nicht unähnlich sind die herstellungsorientierten Definitionen. Auch bei ihnen wird Qualität erst durch Bezug auf einen produktexternen Maßstab bestimmbar, allerdings handelt es sich dabei nicht um die Bedürfnisse der Nachfrager, sondern um betriebliche Standards9. Diese ingenieurwissenschaftliche Perspektive zeigt sich z.B. in der von Gilmore verwendeten Definition (1974, S. 16; im Orig. Hervorh.): „Quality is the degree to which a specific product conforms to a design or specification."

Beim wertorientierten Ansatz schließlich wird unter Qualität die positiv beurteilte Relation zwischen der Nutzenstiftung des Gutes und dem vom Konsumenten hierfür erbrachten Opfer betrachtet, mit anderen Worten: das PreisLeistungs-Verhältnis. Zwar findet in der Praxis unbestreitbar die Beurteilung der Güte eines Produktes zumeist mit Blick auf dessen Preis statt, dennoch scheint es im Sinne einer eindeutigen Begriffsabgrenzung problematisch, beide Komponenten definitorisch zu vermengen. Wegen dieses prinzipiellen Mangels können die Qualitätsdefinitionen des wertorientierten Typs bereits an dieser Stelle für die weiteren Überlegungen ausgeschieden werden.

8

Von griechisch „telos" = „das Ziel". Die Abgrenzung zu abnehmerorientierten Definitionen verfließt vollends, wenn diese Standards selbst wiederum aus zuvor erhobenen Nachfragerbedürfhissen abgeleitet sind; dies ist jedoch nicht zwingend der Fall. 9

128

Β. Die Untersuchung

2. Teleologisches Qualitätsverständnis als geeignetes Konzept Untersucht man die verbleibenden vier Kategorien Garvins auf ihre Eignung im Hinblick auf den Zweck der vorliegenden Untersuchung, so dürfte sich die abnehmerorientierte Sichtweise als besonders fruchtbar erweisen. Aufgrund der verbraucherpolitischen Zielsetzung der Arbeit bietet es sich an, auch ein verbraucherorientiertes Qualitätsverständnis zugrundezulegen. Im folgenden soll daher in Anlehnung an Wimmer (1987, S. 507) und Hentschel (1992, S. 35) Qualität verstanden werden als: „Von Konsumenten vor dem Hintergrund des intendierten Verwendungszwecks bewertete Beschaffenheit eines Gutes"

Diese Definition ermöglicht unmittelbar einige Feststellungen. So ist evident, daß kein Anlaß besteht, beim Qualitätsbegriff zwischen Sachleistungen und Dienstleistungen zu differenzieren; die hier vorgeschlagene Definition ist auf beide Güterarten gleichermaßen anwendbar. Wie in Kapitel II.2. (Teil A) ausführlich dargelegt, bereiten Dienstleistungen allerdings häufig Schwierigkeiten bei der Qualitätsbeurteilung, weil sie ihre Beschaffenheit dem Konsumenten erst nach der Inanspruchnahme offenbaren. Wenn künftig nur noch von DienstleistungsquaMtät die Rede sein wird, so geschieht dies folglich nicht, um damit einen wesensmäßigen Unterschied zwischen Dienstleistungs- und Sachleistungsqualität zu suggerieren, sondern lediglich im Interesse der Konzentration auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Weiter läßt sich sagen, daß der Qualitätsbegriff für sich genommen neutral ist, d.h. es gibt sowohl gute als auch schlechte Qualität (hierin liegt ein entscheidender Unterschied zum transzendenten Ansatz). Schließlich ist Qualität nicht entweder vorhanden oder nicht vorhanden, sondern als kontinuierliche Größe zu verstehen (Hentschel, 1991, S. 314; ders. 1992, S. 36). Tiefergehende Erkenntnisse zu diesem Qualitätsverständnis können erreicht werden, wenn man zu den einzelnen Bestandteilen der Definition einige ergänzende Überlegungen anstellt. Von Bedeutung ist zunächst, daß in den Qualitätsbegriff einerseits ein objektiver Realbestandteil (die Beschaffenheit der Dienstleistung) und andererseits ein subjektiver Maßstab (der Verwendungszweck) eingeht (Wimmer, 1975, S. 8-9). Ein Verwendungszweck läßt sich mit Kawlath (1969, S. 51) als Komplex verschiedener konkretisierter Bedürfhisse definieren; durch den deflatorischen Bezug auf die menschlichen Bedürfnisse wird die Subjektivität des Verwendungszwecks besonders deutlich. Bei genauer Betrachtung offenbart sich jedoch noch ein weiteres subjektives Moment: Es liegt in der Wahrnehmung der Dienstleistungsbeschaffenheit durch den Konsumenten. Wahrnehmung bedeutet - anders als in der Alltagssprache - nämlich nicht lediglich die passive Rezeption von Umweltreizen durch den menschlichen Organismus, sondern auch und vor allem deren geistige Verarbeitung. Die äußeren

II. Operationalisierung des Konstrukts „Dienstleistungsqualität"

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Reize werden dabei mit inneren, bereits gespeicherten individuellen Gedächtnisinhalten (Wissen, Motiven, etc.) kombiniert und erlangen erst daraus einen Informationsgehalt. Wahrnehmung ist infolgedessen naturgemäß ein subjektiver Vorgang (Kroeber-Riel & Weinberg, 1996, S. 266 u. 414; Homburg & Rudolph, 1995, S. 39; Wimmer, 1987, S. 511-512). Bei der Verwendung des teleologischen Qualitätsbegriffs sollte man sich seiner doppelten Subjektivität (Hentschel, 1991, S. 323) - der Subjektivität der Zwecksetzung und der Subjektivität der Wahrnehmung - stets bewußt sein 10 . Wenn nun aber die Beschaffenheit einer Dienstleistung von allen Konsumenten unterschiedlich wahrgenommen und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Bedürfnisse beurteilt wird, so erhebt sich die Frage, ob dann überhaupt berechtigterweise von der Qualität einer Dienstleistung gesprochen werden kann. Auf einer ausschließlich theoretischen Argumentationsebene muß man wohl zu dem Ergebnis kommen, daß angesichts der Dominanz subjektiver Elemente im teleologischen Qualitätsverständnis auf eine allgemeingültige Qualitätsbestimmung grundsätzlich verzichtet werden muß. Aus empirischer Perspektive ist dieser Schluß indessen dann nicht zwingend, wenn man die Vorstellung gelten läßt, daß als Qualität einer Dienstleistung die übereinstimmenden Beurteilungen der Majorität der relevanten Verbraucherkreise anzusehen ist. In der Tat scheint es in der Praxis bei den meisten Dienstleistungen vertretbar, vom Vorhandensein eines gewissen Grundkonsenses unter den Konsumenten sowohl bezüglich der Wahrnehmungseindrücke als auch der Verwendungszwecke auszugehen, von der Existenz einer Mehrheitsmeinung also, die dann als „objektive" Qualität betrachtet werden kann 11 (so auch Wimmer, 1987, S. 510-511; Garvin, 1984, S. 27). Unter den in der Literatur vorgetragenen Versuchen, das psychische Ergebnis des BewertungsVorganges der Dienstleistungsbeschaffenheit durch die Konsumenten näher zu bestimmen, lassen sich zwei verschiedene Denkrichtungen ausmachen (Hentschel, 1991, S. 321). Ein Teil der Autoren sieht das Qualitätsurteil in der relativ stabilen, dauerhaften, positiven oder negativen inneren Haltung gegenüber der Dienstleistung, die sich aufgrund von Lernprozessen bildet. Bezugspunkt ist demnach nicht ein einzelnes, klar abgegrenztes Konsumerlebnis, sondern eine Gesamtheit von Erfahrungen, die sich zu einem Globalurteil 10

Die zweite subjektive Komponente wurde von Wirz nicht gesehen. Er schreibt (1915, S. 5-6): „Die Zwecksetzung ist natürlich eine Willenstat, und insofern liegt die Schöpfung von Qualitäten bei uns, dem Subjekt. Ist aber einmal ein Zweck gesetzt, ... so steht es nicht mehr in unserem Belieben, einem gegebenen Ding Qualität zuzuerkennen oder nicht. Die Qualität ist vielmehr von diesem Punkte an ausschließlich durch die Beschaffenheit des Dinges bestimmt, ist Gegenstand objektiver Erkenntnis". 11 Vershofen (1943, S. 9) prägte in diesem Zusammenhang das Bild mittelpunktungleicher, sich überschneidender Kreise („Dann gäbe das Gebiet der dichtesten Überschneidungen ... die Allgemeinvorstellung wieder, die in Betracht käme.").

9 Haas

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Β. Die Untersuchung

über die Dienstleistung (bzw. über das ganze Dienstleistungsunternehmen, sofern dessen Angebotspalette relativ homogen ist) verdichtet. Die Nähe dieser Vorstellung zum Einstellungskonstrukt ist unverkennbar, weshalb auch vom einstellungsorientierten Qualitätskonstrukt gesprochen wird (Benkenstein, 1993, S. 1101). So stellen beispielsweise Parasuraman, Zeithami & Berry (1988, S. 15) fest: „service quality is an overall evaluation, similar to attitude" (ähnlich: Trommsdorff, 1993, S. 153-154; Cronin & Taylor, 1992, S. 58; dies. 1994, S. 126; Weinberg & Behrens, 1978, S. 17). Demgegenüber stellen andere Autoren bei der wahrgenommenen Qualität auf die emotionale Reaktion des Konsumenten auf eine exakt spezifizierte Transaktion zwischen diesem und dem Dienstleistungsanbieter ab, wobei man die empfundene Diskrepanz zwischen erwarteter und tatsächlich erlebter Dienstleistung betrachtet. Diese Sichtweise folgt damit dem in der Zufriedenheitsforschung (v.a. Oliver, 1980 u. 1981) verbreiteten „disconfirmation paradigma", was zu der Bezeichnung zufriedenheitsorientiertes Qualitätskonstrukt geführt hat. Ob ein Autor der einen oder anderen Sichtweise zuneigt, darf allerdings nicht alleine aus dessen Wortwahl, sondern muß aus seiner Gesamtdarstellung geschlossen werden, da die Begriffe Zufriedenheit/satisfaction bzw. Einstellung/attitude nicht immer einheitlich in der hier geschilderten Weise verwendet werden. Der logische Zusammenhang zwischen beiden Ansätzen kann darin gesehen werden, daß sich die kurzlebige Zufriedenheit im Laufe der Zeit in der Einstellung verliert (Oliver, 1981, S. 27; Hentschel, 1991, S. 321; Benkenstein, 1993, S. 1102). Für einen Vergleich der Qualität verschiedener Dienstleistungsanbieter erscheint es sinnvoll, sich nicht auf einzelne Transaktionen mit all ihren Zufälligkeiten und Unwägbarkeiten zu stützen, sondern eher gefestigte, aus einer Gesamtheit von Erfahrungen gebildete Qualitätsurteile von Konsumenten heranzuziehen. Aus diesem Grunde wird in der vorliegenden Studie von einem einstellungsorientierten Qualitätskonstrukt ausgegangen12. Was die möglichen Verwendungszwecke angeht, so erweist es sich als sinnvoll, von einem relativ engen Begriff auszugehen. Da sich ein Verwendungszweck - oben als Komplex konkretisierter Bedürfnisse bezeichnet - ebensogut als Nutzenerwartung auffassen läßt (Wimmer, 1975, S. 13), kann sich dabei einmal mehr die auf Wilhelm Vershofen (1959, S. 86-89) zurückgehende Unterscheidung zwischen Grund- und Zusatznutzen als hilfreich erweisen 13. Mit 12 Vgl. auch Hentschel, 1990a, S. 7, sowie Cronin & Taylor, 1992, S. 58; grundsätzliche Kritik am Zufriedenheitskonstrukt bei Kaas & Runow (1984); neuere empirische Belege für die Verschiedenartigkeit von Zufriedenheit und Qualität z.B. bei Spreng & Mackoy (1996). 13 Zur Erinnerung: „Dem Grund- oder Zwecknutzen, den man auch den unmittelbaren Gebrauchsnutzen nennen könnte und der sich der rationalen Überlegung präsentiert, steht ein zusätzlicher Nutzen zur Seite [auf S. 87 von Vershofen als Zusatznutzen be-

II. Operationalisierung des Konstrukts „Dienstleistungsqualität"

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Blick auf die Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung erscheint es weder ratsam noch notwendig, Zusatznutzenerwartungen in den Qualitätsbegriff einzubeziehen. Nicht ratsam, weil davon auszugehen ist, daß die Vorstellungen der Konsumenten gerade in diesem Bereich besonders heterogen sind, so daß die oben formulierte Prämisse über das Vorhandensein einer in etwa einheitlichen Majoritätsvorstellung bezüglich der Qualität möglicherweise aufgegeben werden müßte, womit eine in diesem Sinne „objektive" Messung der Qualität ausgeschlossen wäre. An der Notwendigkeit fehlt es, da sich bei den Zusatznutzenkomponenten typischerweise gerade nicht das Informationsproblem stellt, das im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht (Scherhorn, 1992a, S. 199; vgl. auch ders. 1981, S. 17). So kann ein Konsument in aller Regel ex ante ohne weiteres beurteilen, ob sich der Konsum einer bestimmten Dienstleistung positiv auf sein Geltungsstreben auswirken wird, und auch ästhetische Aspekte stellen naturgemäß eher search qualities dar. 14 Akzeptiert man Verwendungszwecke als Bestandteil der Qualitätsdefinition, so bedeutet dies zugleich die Anerkennung einer dynamischen Qualitätsvorstellung. Denn damit ist es möglich, daß sich die Qualität eines Produktes wandelt, ohne daß sich dieses selbst verändert hat. Hieraufhat bereits Wirz (1915, S. 3) hingewiesen: „Indem wir den Kreis unserer Zwecke weiter schlagen oder indem wir ihn verengen, verändern wir die Form, in der wir die Dinge ansprechen, picken wir aus ihnen andere Sonderheiten als qualitativ bedeutsam heraus. So ließ die Aluminiumtechnik der Tonerde eine neue Qualität zuwachsen, so sinkt mit dem Verschwinden einer bestimmten Krankheit die Heilkraft gewisser Quellen zu einer bloßen Eigentümlichkeit herunter."

Als aktuelles Beispiel hierfür kann die Umweltverträglichkeit von Produkten genannt werden. Die Erwartungen der Konsumenten an dieses Produktmerkmal

zeichnet; Anm. d. Verf.]. Dieser selbst gliedert sich wieder in einen gesellichen Nutzen (Geltungsnutzen) und einen ausschließlich dem Schönheitsempfinden gegebenen Nutzen, den wir der Kürze halber 'Harmonie' nennen wollen." (Vershofen, 1959, S. 87). Die Grundlage für diese Unterscheidung legte Vershofen bereits 1935 in seinem Aufsatz „Das Problem der Qualität", in dem er zwischen „technischer Qualität" und „ästhetischer Qualität" differenziert. Zu einer Kritik des Zusatznutzens vgl. Scherhorn, 1988 u. 1992b. 14 Aus diesem Grunde geht auch eine häufig am Vorgehen des vergleichenden Warentests geäußerte Kritik völlig fehl: So moniert etwa Kroeber-Riel (1984, S. 315), daß bei den Tests der Stiftung Warentest „wichtige immaterielle ... Produktmerkmale wie Schönheit des Designs, soziale Auffälligkeit oder Geschmack unter den Tisch" fallen. Und weiter: „ M i t dem praktizierten Ausschluß von 'subjektiven Produkteigenschaften' büßen die Testurteile bei vielen Produkten ihre 'Konsumentennähe' ein." (im Orig. Hervorh.). Man muß sich jedoch fragen, ob man es als eine sinnvolle Aufgabe für ein Testinstitut ansehen kann, die „Schönheit des Designs" zu beurteilen, oder ob es nicht naheliegender ist, diese Beurteilung den Konsumenten selbst zu überlassen. 9*

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Β. Die Untersuchung

steigen seit geraumer Zeit erkennbar an, wodurch sich zum Teil erheblich modifizierte Qualitätsurteile ergeben können (Macharzina, 1995, S. 625). Auch die Stiftung Warentest hat dieser Entwicklung bereits Rechnung getragen 15 und berücksichtigt mittlerweile die Umweltverträglichkeit von Produkten in ihrer täglichen Testpraxis: „Beim Test Farbfernseher hatte das für einige Marktführer deutliche Konsequenzen. Obwohl ihre Geräte technisch einwandfrei waren, mußten sie abgewertet werden. Ihre Umwelteigenschaften wie etwa krebserregende Flammschutzmittel in den Gehäusen ließen bessere Gesamtergebnisse als 'zufriedenstellend' nicht zu." (Stiftung Warentest, 1995, S. 16). Abschließend sind noch einige Präzisierungen zum Begriff der „Beschaffenheit" angebracht, der im Zusammenhang mit Dienstleistungen zunächst vielleicht etwas ungewohnt erscheint. Als allgemein akzeptiert kann die Vorstellung gelten, daß sich die Beschaffenheit einer Dienstleistung - ebenso wie die der meisten Sachgüter - unter dem Qualitätsaspekt nicht als geschlossene Einheit präsentiert, sondern als komplexe Gesamtheit einer ganzen Reihe von Einzelmerkmalen. Entsprechend vollzieht sich die Wahrnehmung der Qualität einer Dienstleistung durch den Konsumenten als Aggregation von Teilurteilen über die verschiedenen relevanten Qualitätsmerkmale. Inzwischen finden sich in der Literatur diverse Kataloge, in denen grundlegende qualitätsrelevante Beschaffenheitsdimensionen von Dienstleistungen unterschieden werden. Damit wird versucht, die einzelnen Qualitätsmerkmale auf höherem Aggregationsniveau zu relativ abstrakten Oberbegriffen mit produkt- und branchenübergreifendem Gültigkeitsanspruch zusammenzufassen. Die strukturierende Funktion eines dieser Ansätze, nämlich die auf Donabedian (1966, 1980) zurückgehende Unterscheidung in Potential-, Prozeß- und Ergebnisdimension, hat sich bereits in der terminologischen Diskussion zu Beginn dieser Arbeit als hilfreich erwiesen (vgl. Teil A, Kap. II.l., S. 29). Beachtung gefunden hat daneben auch Grönroos' Unterscheidung zwischen einer technischen und einer funktionalen Dimension der Dienstleistung (Grönroos, 1984, S. 38-39). Während erstere das „was" der Dienstleistung bezeichnet (z.B. der von der Bank erhaltene Kredit), zielt letztere auf das „wie" der Dienstleistung (z.B. das von den Bankmitarbeitern bei der Kreditverhandlung an den Tag gelegte Verhalten). Eine Überführung in das Modell von Donabedian scheint hier leicht möglich: So ist die technische eng mit der Ergebnisdimension verbunden, während Grönroos' funktionale Dimension starke Ähnlichkeit mit Donabedians Prozeßdimension aufweist (Hentschel, 1992, S. 91). Eine etwas andere Perspektive findet man bei Brandt (1987, 1988). Er unterscheidet Minimumkomponenten (minimum requirements) und Werterhöhungs15 U.a. auch durch eine entsprechende Anpassung des satzungsmäßigen Stiftungszwecks (vgl. § 2 Abs. 1 der Satzung vom August 1995).

II. Operationalisierung des Konstrukts „Dienstleistungsqualität"

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komponenten (value-enhancing elements). Die Minimumkomponenten zeichnen sich dadurch aus, daß ihr Vorhandensein vom Kunden nicht positiv honoriert, ja oft nicht einmal bewußt wahrgenommen wird, wohl aber ihr Fehlen zu einer Verschlechterung der Qualitätseinschätzung fuhrt. Ein Beispiel wäre die pünktliche Fertigstellung einer Autoreparatur zum vereinbarten Termin. Anders verhält es sich mit folgendem: Stellt der Kunde bei Abholung seines reparierten Wagens fest, daß dieser von der Werkstatt (kostenlos) frisch gewaschen wurde, so wird ihn dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Steigerung der Qualitätseinschätzung veranlassen. Hätte die Werkstatt hingegen die Wagenwäsche nicht vorgenommen, würde dies vermutlich nicht zu einer Verschlechterung des Qualitätsurteils führen. Es handelt sich hierbei also um eine Werterhöhungskomponente im Sinne von Brandt. 16 Weitere, zum Teil komplexere Dimensionenkataloge haben u.a. Corsten (1990), Berry (1986) sowie Meyer & Mattmüller (1987) vorgelegt. Ausführliche vergleichende Gegenüberstellungen aller bisher genannten Ansätze finden sich bei Hentschel (1992, S. 87-110) und Haller (1995, S. 65-88). Eine Gemeinsamkeit all dieser Vorschläge besteht darin, daß es sich um theoretische Arbeiten handelt. Demgegenüber haben die drei amerikanischen Autoren Parasuraman, Zeithami und Berry vor einiger Zeit den Versuch unternommen, Merkmale und Dimensionen der Dienstleistungsqualität auf empirischem Wege zu ermitteln. Da diese mehrjährige Forschungsarbeit eine wesentliche Grundlage bei der Konzeption eines geeigneten Meßinstrumentes für die vorliegende Studie bildet, werden Vorgehensweise und Ergebnisse in Kapitel III. 1 .a) ausführlich geschildert. An dieser Stelle sollen deshalb nur die fünf 17 dabei ermittelten Dimensionen der Dienstleistungsqualität dargestellt werden (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1986, S. 14; dies. 1988, S. 23): 1. Verläßlichkeit („reliability"): Die Fähigkeit, die versprochene Dienstleistung zuverlässig und fehlerlos zu erbringen; 2. Agilität („responsiveness"): Die Bereitwilligkeit, Schnelligkeit und Einsatzbereitschaft, mit der dem Kunden bei der Lösung seines Problems geholfen wird;

16

Brandt schließt jedoch nicht aus, daß es neben den beiden genannten Typen auch „hybride" Komponenten geben kann, deren Fehlen ebenso zu einer Verschlechterung der Qualitätseinschätzung führt, wie ihr Vorhandensein die QualitätsWahrnehmung positiv beeinflußt (Brandt, 1987, S. 61). 17 Ursprünglich wurden 10 Dimensionen ermittelt, die dann faktorenanalytisch auf die 5 hier wiedergegebenen reduziert werden konnten. Vgl. hierzu ausführlich Kapitel III.l.a)aa).

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Β. Die Untersuchung

3. Fach- und Sozialkompetenz („assurance"): Das Fachwissen und die Höflichkeit der Angestellten sowie ihre Fähigkeit, Vertrauen und Sicherheit auszustrahlen; 4. Einfühlungsvermögen („empathy"): Die einfühlende und individuelle Aufmerksamkeit, die jedem einzelnen Kunden entgegengebracht wird; 5. Äußeres Erscheinungsbild („tangibles"): Das physische Erscheinungsbild all dessen, womit der Kunde im Zusammenhang mit der Dienstleistung in Kontakt kommt (Einrichtung, Personal,...). Bemerkenswert ist die enge Entsprechung zwischen diesen empirisch ermittelten Dimensionen der Dienstleistungsqualität und dem theoretischen Konzept von Donabedian: Während das äußere Erscheinungsbild und die Kompetenz vornehmlich die Potentialdimension betreffen, berühren Einfühlungsvermögen und Einsatzbereitschaft die Prozeßdimension, und die Verläßlichkeit schließlich läßt sich der Ergebnisdimension zuordnen (Benkenstein, 1993, S. 1106).

I I I . Instrumente und Vorgehensweise bei der empirischen Erhebung 1. Die Auswahl des Instruments zur Messung der Dienstleistungsqualität Aus der im vorangegangenen Kapitel vorgenommenen Operationalisierung des Qualitätsbegriffs lassen sich einige Anforderungen ableiten, die an ein für diese Untersuchung geeignetes Instrument zur Messung der Dienstleistungsqualität zu stellen sind. So gebietet die Entscheidung für einen abnehmerorientierten Qualitätsbegriff, daß das Meßinstrument unmittelbar an den Qualitätsurteilen von Konsumenten ansetzt. Unternehmensorientierte Verfahren, wie z.B. die Messung von Durchlaufzeiten oder die Befragung von Mitarbeitern bzw. der Unternehmensleitung, scheiden aus diesem Grunde von vornherein aus. Das Bekenntnis zu einem einstellungsorientierten Qualitätskonstrukt (vgl. S. 130) fordert zudem, daß die zu erhebenden Qualitätsurteile nicht auf eine einzelne Transaktion bezogen sein dürfen, sondern die Gesamtheit der Erfahrungen der befragten Konsumenten mit den Dienstleistungen des jeweiligen Unternehmens der Beurteilung zugrundeliegen muß. Weiter legt die Erkenntnis, daß es sich bei der Dienstleistungsqualität um ein mehrdimensionales Konstrukt handelt, ein differenziertes Vorgehen nahe, weshalb die alleinige Erhebung von Globalurteilen über die Gesamtqualität unzureichend erscheint. Zwar könnte man argumentieren, daß ein Konsument auch für ein pauschales Qualitätsurteil gedanklich Teilurteile aus verschiedenen Dimensionen aggregiert; gesichertere und reichhaltigere Erkenntnisse lassen sich jedoch zweifellos gewinnen, wenn zu-

III. Instrumente und Vorgehensweise bei der empirischen Erhebung

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sätzlich die Teilurteile explizit erhoben werden, wie dies in den sog. Multiattributverfahren (Kroeber-Riel & Weinberg, 1996, S. 199; Hentschel, 1991, S. 319) geschieht. Allen Multiattributverfahren ist gemein, daß sie die zu bewertende Leistung in Teilleistungen zerlegen, die dann von den Konsumenten einzeln evaluiert werden. Das Gesamturteil errechnet sich dabei durch die Aggregation der Einzelurteile. Zu guter Letzt sollte das Meßinstrument so konzipiert sein, daß es der doppelten Subjektivität, die dem teleologischen Qualitätsbegriff inhärent ist (vgl. S. 129), angemessen Rechnung trägt. Ein seit geraumer Zeit in Wissenschaft und Praxis geradezu leidenschaftlich diskutiertes multiattributives Verfahren zur Messung der Dienstleistungsqualität ist der von Parasuraman, Zeithami & Berry (1984, 1985, 1986, 1988, 1991, 1994) entwickelte Indikator SERVQUAL (von SERVice QUALity). Kein anderes Instrument zur Messung von Dienstleistungsqualität hat in der Fachwelt eine so breite Beachtung gefunden und keines ist in so vielen Untersuchungen eingesetzt worden wie dieses (Übersichten bei Parasuraman, Zeithami & Berry, 1991, S. 435, und dies. 1994, S. 4). In seiner heutigen Form ist es das Ergebnis von inzwischen über zehnjährigen intensiven konzeptionellen und empirischen Bemühungen. In den folgenden Kapiteln soll dieses Instrument zunächst vorgestellt werden, um es anschließend auf seine Eignung für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung überprüfen zu können. a) Der Indikator SERVQUAL von Parasuraman, Zeithami & Berry aa) Entwicklung und Funktionsweise von SERVQUAL In einer ersten explorativen Untersuchung (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1984) haben die Autoren Tiefeninterviews mit 14 Führungskräften von vier Dienstleistungsunternehmen verschiedener Branchen (Universalbank, Kreditkartenunternehmen, Wertpapierbroker und Reparaturdienstleister) durchgeführt. Dabei wurden die Befragten mit einem breiten Spektrum an Fragen zum Thema Dienstleistungsqualität konfrontiert (z.B. was ihrer Erfahrung nach die Schlüsselmerkmale sind, die die Kunden bei der Beurteilung der Qualität der jeweiligen Dienstleistung zugrunde legen, welche Schwierigkeiten bei der Erzeugung hoher Dienstleistungsqualität im jeweiligen Unternehmen auftreten, etc.). Des weiteren wurden, getrennt nach den vier obengenannten Dienstleistungsbranchen, insgesamt 12 Gruppeninterviews mit Konsumenten durchgeführt, in denen die Teilnehmer auf unterschiedliche Weise gefragt wurden, welche Kriterien sie bei der Beurteilung der Qualität einer Dienstleistung der betreffenden Branche zugrundelegen. Die Befunde der Tiefeninterviews und der Gruppeninterviews ergaben jeweils für sich genommen, aber auch im Vergleich, ein insgesamt recht konsi-

Β. Die Untersuchung

136

stentes Bild (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1984, S. 6 u. 11). Die Autoren formulierten daraus zwei grundlegende Ergebnisse, die die konzeptionelle Basis für alle weiteren Entwicklungsschritte bildeten: 10 Dimensionen der Dienstleistungsqualität und das „Service Quality Model" (ebenda, S. 13-14 u. 7). Für die 10 Dimensionen, bei denen die Autoren ausdrücklich daraufhinweisen, daß diese noch nicht überschneidungsfrei sind, wurden die folgenden Bezeichnungen gewählt:

DIE 10 DIMENSIONEN DER DIENSTLEISTUNGSQUALITAT

1. Reliability

6. Communication

2. Responsiveness

7. Credibility

3. Competence

8. Security

4. Access

9. Understanding / knowing the customer

5. Courtesy

10. Tangibles Abbildung 15: Die 10 Dimensionen der Dienstleistungsqualität

An dieser Stelle soll die Nennung der Namen genügen; in Teil C, Kapitel II. 1 -, werden die Dimensionen inhaltlich detailliert beschrieben. Ihren zweiten zentralen Befund aus der explorativen Studie formulieren die Autoren wie folgt (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1984, S. 6): „ A set of key discrepancies or 'gaps' exists regarding executives' perceptions of service quality and the tasks associated with service delivery to consumers. These gaps can be major hurdles in attempting to deliver a service which consumers would perceive as being of high quality."

Insgesamt fünf solcher qualitätsrelevanter Lücken („gaps") haben die Autoren ermittelt und daraus das seither insbesondere in der Marketingliteratur vielzitierte (z.B. Meffert & Bruhn, 1995, S. 228; Kotler & Bliemel, 1992, S. 674) „Service Quality Model" entwickelt (vgl. Abbildung 16). Das Modell läßt sich mit wenigen Sätzen erläutern. Während die durchgezogenen Pfeile die logischen Zusammenhänge bei der Dienstleistungserstellung (Anbietersphäre) und -Inanspruchnahme (Kundensphäre) verdeutlichen, kennzeichnen die punktierten Doppelpfeile Störungen zwischen zwei an diesen Prozessen beteiligten Elementen.

III. Instrumente und Vorgehensweise bei der empirischen Erhebung

137

Abbildung 16: Das Service Quality Model

Quelle: Parasuraman, Zeithami & Berry, 1984, S. 7; Übersetzung in Anlehnung an Hentschel, 1990b, S. 234.

So kann es beispielsweise sein, daß das Management die Erwartungen der Kunden an die Beschaffenheit der Dienstleistung falsch einschätzt (GAP1), z.B. wenn es verkennt, wie wichtig es den Kunden ist, am Schalter nicht lange warten zu müssen. Selbst wenn die Einschätzungen des Managements zutreffend sind, kann doch die Umsetzung derselben in die entsprechenden Vorgaben und

138

Β. Die Untersuchung

Anweisungen an die Mitarbeiter mißlingen oder aufgrund von Sachzwängen nicht möglich sein (GAP2). In unserem Beispiel: Das Management weiß zwar, daß Kunden ab einer Wartezeit von 5 Minuten verärgert sind, kann aber aufgrund des geringen Personalbestands realistischerweise nur vorgeben: „Es ist sicherzustellen, daß kein Kunde länger als 10 Minuten am Schalter warten muß". Aber auch wenn die vom Management erstellten Dienstleistungsspezifikationen mit den tatsächlichen Kundenerwartungen übereinstimmen, so kann dennoch die tatsächlich erbrachte Dienstleistung von diesen Vorgaben abweichen (GAP3), beispielsweise weil aufgrund unerwarteten Personalausfalls die Wartezeit doch gelegentlich die vorgegebenen 5 Minuten übersteigt. Zusätzliche Verärgerung entsteht in diesem Fall bei den Kunden, wenn das Leistungsmerkmal in der kundengerichteten Kommunikation versprochen worden ist (Werbeaussage „Bei uns müssen Sie nie länger als 5 Minuten warten!"; GAP4). Beeinflußt von Faktoren wie Mund-zu-Mund Kommunikation, individuellen Bedürfnissen, Erfahrungen der Vergangenheit und kundengerichteter Kommunikation seitens der Dienstleistungsanbieter haben die Verbraucher eine gewisse Vorstellung davon, wie eine gute Dienstleistung beschaffen sein sollte. Die „erwartete Dienstleistung" ist in dem Modell damit als ein normativer Anspruch zu verstehen und nicht etwa prädiktiv im Sinne einer Vorhersage über die voraussichtliche tatsächliche Beschaffenheit der Dienstleistung (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1986, S. 6). Die Diskrepanz zwischen dieser von den Kunden erwarteten und der von ihnen tatsächlich wahrgenommenen Dienstleistung (GAP5) vergrößert sich mit dem Auftreten jeder einzelnen der oben beschriebenen vier Leistungslücken18; es besteht also ein funktionaler Zusammenhang der folgenden Art: GAP5 = / (GAP1, GAP2, GAP3, GAP4)

Nach Parasuraman, Zeithami & Berry (1984, S. 11) kann die durch GAP5 ausgedrückte Diskrepanz unmittelbar mit der Dienstleistungsqualität aus Kundensicht gleichgesetzt werden. Entspricht die wahrgenommene Dienstleistung genau der erwarteten, so werden Kunden die Qualität der Dienstleistung nach diesem Ansatz als „zufriedenstellend" bewerten. Werden die Erwartungen übertroffen, so steigt die Qualitätseinschätzung bis hin zum theoretischen Endpunkt „ideale Qualität", im anderen Fall sinkt sie in Richtung des Extrempunkts „völlig inakzeptable Qualität" 1 9 (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1985, S. 48).

18

Wege zur Verringerung dieser Lücken beschreiben die Autoren in Zeithaml, Berry & Parasuraman, 1995, S. 137-153. 19 Obwohl diese Konstruktion sehr an das „disconfirmation paradigma" (vgl. S. 130) erinnert, betonen die Autoren, daß sie von einem einstellungsoriznlierten Qualitätskonstrukt ausgehen; sie begründen dies damit, daß sie mit ihrem Meßinstrument nicht

III. Instrumente und Vorgehensweise bei der empirischen E r h e b u n g 1 3 9

Anknüpfend an diese Erkenntnisse der explorativen Untersuchung entwikkelten die drei Autoren ihr erstmals im Jahr 1986 veröffentlichtes Meßinstrument SERVQUAL. Das Ziel war, die Dienstleistungsqualität aus Kundensicht, definiert als Diskrepanz zwischen erwarteter und wahrgenommener Dienstleistung (=GAP5), meßbar zu machen. Hierfür wurde in einem ersten Schritt zu jeder der 10 ermittelten Dimensionen der Dienstleistungsqualität eine Reihe von Items generiert (insgesamt 97), die bestimmte Qualitätsmerkmale einer Dienstleistung beschreiben (z.B. die Pünktlichkeit der Dienstleistungserbringung). Diese Itembatterie wurde in empirischen Erhebungen den Befragten auf einem schriftlich auszufüllenden Fragebogen zweimal hintereinander präsentiert: Einmal formuliert als Erwartung an Dienstleistungsunternehmen der betreffenden Branche (z.B.: „Wenn Dienstleistungsunternehmen versprechen, etwas innerhalb einer bestimmten Zeitspanne fertigzustellen, dann sollten sie sich auch daran halten") und dann noch ein zweites Mal, formuliert als eine auf ein bestimmtes Unternehmen bezogene Wahrnehmung („Wenn das Unternehmen X verspricht, etwas innerhalb einer bestimmten Zeitspanne fertigzustellen, dann hält es sich auch daran"). Auf 7-stufigen Skalen (von l=„lehne stark ab" bis 7=„stimme stark zu") mußten die Befragten dann angeben, inwieweit die jeweilige Aussage mit ihrem eigenen Empfinden übereinstimmt. Die Dienstleistungsqualität (Q) errechnet sich dann als durchschnittliche Differenz zwischen Wahrnehmungen (W) und Erwartungen (E) nach:

E,) i=1

Mit:

η = Gesamtzahl der Items (in diesem Stadium: 97) i = Zählvariable für die Items

Ein Q = 0 zeigt eine „zufriedenstellende Qualität" an (Wahrnehmung entspricht der Erwartung), Q > 0 weist auf gute, Q < 0 dagegen auf schlechte Qualität hin. In der Folge wurde die Itembatterie von den Autoren in mehreren empirischen Untersuchungen (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1986, 1988 und 1991) eingesetzt und jeweils anschließend testkritisch analysiert, wobei nach folgendem Muster vorgegangen wurde:

die Beurteilung einer einzelnen Transaktion erheben, sondern die Bewertung der Gesamtheit der Erfahrungen des Befragten mit dem Dienstleister (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1986, S. 6; vgl. auch Hentschel, 1991, S. 328).

140

Β. Die Untersuchung

• Reliabilitätsprüfung: Elimination aller Items, deren Q-Werte zum Gesamtscore ihrer Dimension geringe Korrelationen aufwiesen und durch deren Entfernen sich der Wert fur Cronbachs Alpha 20 erhöhte; anschließend Neuberechnung mit den verbliebenen Items und ggf Wiederholung dieses Schrittes. • Faktorenanalyse: Überprüfung der dimensionalen Struktur der Items mittels der Hauptkomponentenmethode der Faktorenanalyse (Q-Werte der Items als Rohdaten) und Elimination der Items mit uneindeutiger Faktorzugehörigkeit. Danach erneute Reliabilitätsprüfung. •

Validitätsprüfung:

Prüfung verschiedener Aspekte der Konstruktvalidität.

Ferner wurden zwischen den einzelnen empirischen Erhebungen bei einigen Items behutsame Änderungen an der Formulierung vorgenommen (zur Präzisierung, zur Vermeidung von Mißverständnissen, etc.). Am Ende dieses mehrstufigen Bereinigungsprozesses umfaßte die Skala schließlich 22 Items, die fünf verschiedene Dimensionen repräsentierten, nämlich die bereits in Kapitel II.2. vorgestellten Kategorien tangibles, reliability, responsiveness, assurance und empathy (vgl. S. 133). Die jüngste, in einer aufwendigen Folgestudie getestete Überarbeitung des Instruments wurde im Jahr 1994 vorgestellt. Nach der Eliminierung eines weiteren Items und der prägnanteren Formulierung einiger anderer umfaßt die Skala jetzt 21 Qualitätsmerkmale (Tabelle 6). Die entscheidende Neuerung besteht jedoch in der Modifizierung des Erwartungsbegriffs 21. Die in einer explorativen Vorstudie (Zeithami, Berry & Parasuraman, 1993) aufgrund von Gruppeninterviews mit Konsumenten gewonnenen Erkenntnisse veranlaßten die Autoren, nunmehr zwischen zwei relevanten Erwartungsniveaus zu unterscheiden: dem „desired service" und dem „adequate service". „Desired service" bezeichnet dabei das Leistungsniveau, von dem die Konsumenten meinen, daß es von einem guten Unternehmen erreicht werden sollte, aber auch erreicht werden kann. In dieser etwas diffusen Begriffsbestimmung wird folglich ein normativer Anspruch mit Realisierbarkeitsüberlegungen vermengt, was zu erheblichen Interpretationsschwierigkeiten führt, wie noch zu zeigen sein wird. Im folgenden soll für das so definierte Leistungsniveau die Bezeichnung „Erwünschte Leistung" gebraucht werden. Unter „adequate service" hingegen verstehen die Autoren das minimale Leistungsniveau, das die Konsumenten gerade noch zu akzeptieren bereit sind (im Sinne von „das ist das Mindeste, was man erwarten kann"). Insofern ist die englische Bezeichnung ein 20

Eine Erläuterung dieser Kenngröße findet sich in Teil B, Kap. I.l.c), S. 173. Daneben wurde noch eine Reihe geringfügiger Korrekturen am Instrument vorgenommen; zu den Einzelheiten vgl. Parasuraman, Zeithami & Berry, 1994, S. 42-50. 21

I I I . Instrumente und Vorgehensweise bei der empirischen Erhebung w e n i g irreführend,

w e s h a l b dieses E r w a r t u n g s n i v e a u e t w a s f r e i e r m i t

141 „Aus-

r e i c h e n d e L e i s t u n g " ü b e r s e t z t w e r d e n s o l l t e . W e n n g l e i c h diese B e g r i f f s f e s t l e g u n g n i c h t so m e h r d e u t i g ist w i e b e i d e r „ E r w ü n s c h t e n L e i s t u n g " , w i r d d o c h aus den A u s f ü h r u n g e n der A u t o r e n n i c h t recht ersichtlich, welche Ü b e r l e g u n g e n gerade z u r A u s w a h l dieses E r w a r t u n g s n i v e a u s g e f ü h r t h a b e n u n d w i e es i n h a l t l i c h i n t e r p r e t i e r t w e r d e n k a n n ( i s t es das N i v e a u , a b d e m e i n e P e r s o n u n z u f r i e d e n ist? o d e r a b d e m sie W i d e r s p r u c h ü b t ? o d e r ab d e m sie a b w a n d e r t ? o d e r . . . ? ) 2 2 . Tabelle 6 SERVQUAL-Itembatterie

Dimension

Item (Qualitätsmerkmal)

Reliability

Performing services right the first time. Providing services exactly as promised. Providing services at the promised time. Keeping customers informed about when services will be performed. Dependability in handling customers' service problems.

Responsiveness

Prompt service to customers. Willingness to help customers. Readiness to respond to customers' requests.

Assurance

Employees who instill confidence in customers. Making customers feel safe in their transactions. Employees who are consistently courteous. Employees who have the knowledge to answer customer questions.

Empathy

Giving customers individual attention. Employees who deal with customers in a caring fashion. Having the customer's best interest at heart. Employees who understand the needs of their customers.

Tangibles

Modern equipment. Visually appealing facilities. Employees who have a neat, professional appearance. Visually appealing materials associated with the service. Convenient business hours.

Quelle: Parasuraman, Zeithaml & Berry, 1994, S. 13 u. 42.

22

In einem jüngeren Beitrag haben die Autoren - allerdings ohne eindeutige Ergebnisse - untersucht, ob sich die Qualitäts-Verhaltensabsichts-Elastizitäten an diesen beiden Schwellenwerten charakteristisch verändern (Zeithaml, Berry & Parasuraman, 1996).

Β. Die Untersuchung

142

Integrative Model of Customers' Service Expectations

Dauerhafte erwartungssteigernde Faktoren

Persönliche Bedürfnisse

Explizite Versprechen des Anbieters

Implizite Versprechen des Anbieters Erwartete Dienstleistung

Kurzfristige erwartungssteigernde Faktoren

Erwünschte Dienstleistung

/*

Mund-zu-Mund Kommunikation

»o® Währgenommene Alternativen

Φ Im :CÜ •C α 0) c Φ "Ό

£ :C0

α (0

i. ω Φ Έ c
30) deutlich an Strenge verliert und einige wichtige dieser Verfahren (z.B. der t-Test) sich überhaupt relativ robust gegenüber Verletzungen ihrer Anwendungsvoraussetzungen verhalten (vgl. etwa Bortz & Döring, 1995, S. 198 u. 627; Bortz, 1993, S. 133), dennoch wurde aufgrund des Befundes über die Normalverteilungseigenschaft der Stichprobenwerte die Entscheidung getroffen, für sämtliche statistische Analysen nichtparametrische Verfahren einzusetzen: Zur Signifikanzprüfung von Unterschieden zweier Stichproben hinsichtlich ihrer zentralen Tendenz den U-Test von Mann-Whitney (bei ordinal- und intervallskalierten Daten) bzw. den Chi2-Test nach Pearson (wenn nominal skalierte Daten beteiligt waren), zur Überprüfung von Zusammenhängen den Rangkorrelationskoeffizienten r s nach Spearman. Hierzu sei jedoch angemerkt, daß diese Entscheidung letztlich ohne praktische Auswirkungen gewesen ist, denn eine probeweise Durchfuhrung sämtlicher Berechnungen mit den entsprechenden parametrischen Verfahren (t-Test, Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient r nach Pearson-Bravais) führte zu nahezu identischen Ergebnissen. Werfen wir nun einen Blick auf das Skalenniveau der einzelnen Variablen. Wie aus der Tabelle ersichtlich, wurde fur sämtliche Variablen, die mittels Ratingskalen erhoben wurden, Intervallskalenniveau angenommen. Obwohl in der Praxis der empirischen Sozialforschung eindeutig dominierend, ist diese Sichtweise nicht ganz unumstritten (Bortz & Döring, 1995, S. 168). Immer wieder wird bezweifelt, ob davon ausgegangen werden kann, daß die einzelnen Abstufungen der Skala tatsächlich stets gleiche Abstände abbilden, so daß beispielsweise die Differenz der Merkmalsausprägungen zwischen zwei Befragten A und B, die auf einer Ratingskala die Werte 1 und 2 angekreuzt haben, genau so groß ist wie die Differenz zwischen Β und einem dritten Befragten C, der sich für den Wert 3 entschieden hat. Diese Frage dürfte kaum allgemeingültig zu lösen 14

Einstufungen auf dem Skalenminimum kamen äußerst selten vor, was zugleich gegen eine nennenswerte Verletzung der Kompensationsprämisse (vgl. S. 150) spricht.

172

C. Die Untersuchungsergebnisse

sein; zweifellos kommt es auf die Gegebenheiten der jeweiligen Untersuchung an, wobei einer sorgfältigen Skalenkonstruktion sowie einer detaillierten Instruktion der Befragten zentrale Bedeutung zukommt. Eine wichtige Rolle spielt diese Kontroverse vor allem im Zusammenhang mit der Wahl der geeigneten Analyseverfahren. Da im vorliegenden Fall die Entscheidung für den Einsatz nichtparametrischer Verfahren bereits gefallen ist, reduziert sich hier das Problem lediglich noch auf die Frage, ob für die mit Ratingskalen erhobenen Variablen das arithmetische Mittel sinnvoll interpretiert werden kann oder ob statt dessen der Median zu betrachten ist. Nach Abwägung des Risikos einer Fehlinterpretation bei Verwendung des arithmetischen Mittels gegen den mit dem Einsatz des Medians verbundenen Informationsverlust erschien eine Entscheidung für die Intervallskaleneigenschaft bei den fraglichen Variablen vertretbar 15. Ebenfalls einer Erläuterung bedarf das Skalenniveau der beiden Variablen „Auftreten eines Problems in der letzten Zeit" und „Lösung des Problems". Hier ist die doppelte Funktion zu berücksichtigen, die diese beiden Variablen im Rahmen der Untersuchung übernehmen. In ihrer Eigenschaft als Filtervariablen, mit denen Problemfälle aufgespürt und für die Qualitätsmessungen mit der Multiattributskala ausgeschlossen werden können (vgl. S. 154), besitzen diese Variablen lediglich Nominalskalenniveau. Anders hingegen, wenn man die Variablen selbst als Qualitätsindikator betrachtet, nämlich für die Fähigkeit eines Dienstleistungsanbieters, das Auftreten von Problemen zu vermeiden bzw. aufgetretene Probleme zufriedenstellend zu lösen: In diesem Fall ist ein Kriterium gegeben, das es erlaubt, die Dominanz eines Objektes über ein anderes zu bestimmen (weniger aufgetretene Probleme sind besser als mehr, zufriedenstellend gelöste Probleme sind besser als nicht zufriedenstellend gelöste). Für diesen Fall ist also die Annahme eines ordinalen Skalenniveaus gerechtfertigt. Diese Überlegungen sind ein schönes Beispiel dafür, daß sich das Skalenniveau nicht immer alleine aus dem Frageninhalt und den vorgegebenen Antwortkategorien eindeutig bestimmen läßt, sondern auch die Funktion der Variable im Gesamtzusammenhang eine Rolle spielen kann. Überraschend ist möglicherweise die Klassifizierung der Variable „Dauer der Kundenbeziehung" als ordinalskaliert, ist dieses Merkmal doch auf eine Zeiteinheit bezogen und damit naturgemäß auf Verhältnisskalenniveau. Die Erklärung liegt in der Gestaltung der vorgegebenen Antwortmöglichkeit (vgl. Anhang, S. 241): Hier waren 5 feste Antwortkategorien vorgegeben, die unterschiedliche Zeiträume umfaßten.

15 Weitere Argumente, die diese Vorgehensweise rechtfertigen, finden sich bei Schnell, Hill & Esser, 1995, S. 138-139.

I. Ergebnisse der empirischen Erhebung (Z-Q-Hypothese)

c) Beurteilung der Skala zur multiattributiven der Dienstleistungsqualität

173

Messung

Im vorliegenden Kapitel wird analysiert, wie sich das in Kapitel IILl.b) (Teil B) entwickelte Meßinstrument in der Untersuchung bewährt hat. Hierzu werden drei Aspekte beleuchtet: die Unabhängigkeit von Bedeutungs- und Bewertungskomponente, die Reliabilität und die Validität. Die Unabhängigkeit der beiden Komponenten wurde überprüft, indem die Reihe der durchschnittlichen Importance-Einstufungen über die 21 Items korrelationsanalytisch auf Zusammenhänge mit der entsprechenden Reihe der durchschnittlichen Performance-Einstufungen untersucht wurde. Hierbei zeigte sich keine signifikante Beziehung. Damit kann eine Verletzung der Multiplikativitätsprämisse (vgl. S. 150) ausgeschlossen werden. Unter der Reliabilität einer Skala versteht man den Grad der Genauigkeit, mit dem sie ein Konstrukt mißt. Damit ist allerdings noch nichts darüber ausgesagt, ob es sich bei dem Konstrukt auch um dasjenige handelt, welches die Skala eigentlich messen soll (Lienert, 1969, S. 14; das ist vielmehr eine Frage der Validität, vgl. S. 175). Zur Ermittlung von Reliabilitätskoeffizienten sind eine ganze Reihe von mathematischen Verfahren entwickelt worden (Übersichten bei Lienert, 1969, S. 215-233; Bortz & Döring, 1995, S. 181-184). Am gebräuchlichsten ist die Bestimmung der Reliabilität über die interne Konsistenz mit Hilfe des Alpha-Koeffizienten von Cronbach (1951). Diese Methode wurde auch in der vorliegenden Untersuchung angewendet; die Ergebnisse zeigt Tabelle 10. Wie in Kapitel II.2. (Teil B) ausführlich dargelegt wurde, handelt es sich bei der Dienstleistungsqualität um ein mehrdimensionales Konstrukt. Bei Indikatoren, die mehrdimensionale Konstrukte messen sollen, empfiehlt es sich, die Reliabilitätsanalyse auf der Ebene der jeweiligen Subskalen zur Messung der Teilkonstrukte vorzunehmen (Bortz & Döring, 1995, S. 202). Daher zeigt Tabelle 10 die α-Koeffizienten für die 5 durch den Indikator erfaßten Qualitätsdimensionen jeweils getrennt. Als Rohdaten für die Reliabilitätsanalyse wurden für jedes Item das Produkt aus (durchschnittlicher) Bedeutungskomponente und Bewertungskomponente verwendet (Ìì'Pì). Wie aus der Tabelle ersichtlich ist, kann der Skala eine sehr hohe Reliabilität bescheinigt werden. Die α-Koeffizienten sämtlicher Subskalen liegen deutlich über dem Wert von .8000, der gemeinhin als Untergrenze für gute Reliabilitäten angesehen wird (in der Praxis werden meist sogar noch weit geringere Werte akzeptiert; Schnell, Hill & Esser, 1995, S. 143). Zu diesem positiven Ergebnis trägt jedes einzelne der 21 Items bei, denn wie die dritte Spalte zeigt, würde die Entfernung eines Items in allen Fällen zu einer Verringerung des jeweiligen α-

174

C. Die Untersuchungsergebnisse

Koeffizienten führen. Hieraus kann gefolgert werden, daß die Items sehr gut harmonieren und allesamt ihre Berechtigung in der Skala haben. Tabelle 10

Ergebnisse der Reliabilitätsanalyse Dimension bzw. Item

Trennschärfekoeffizient

α-Wert ohne das Item

α-Wert der Subskala

Verläßlichkeit 6. 1

.7671

.8816

6.2

.7946

.8757

6.3

.7423

.8871

6.4

.7192

.8916

6. 5

.7835

.8788

.9043 Agilität 6.6

.7589

.8886

6.7

.8288

.8290

6.8

.8115

.8443

.8984 Fach- und Sozialkompetenz 6.9

.8425

.8588

6. 10

.8403

.8599

6.11

.7286

.8987

6. 12

.7510

.8944

.9059 Einfühlungsvermögen 6. 13

.7991

.9049

6. 14

.8387

.8926

6. 15

.8204

.8984

6. 16

.8219

.8972

.9217 Außeres Erscheinungsbild 6. 17

.6368

.7882

6. 18

.6430

.7875

6. 19

.6747

.7789

6.20

.6539

.7822

6.21

.5406

.8236

.8262

Der Trennschärfekoeffizient (zweite Spalte) gibt an, wie gut ein einzelnes Item das Gesamtergebnis des Indikators, in diesem Falle der Subskala, repräsentiert. Er ist definiert als Korrelation des betrachteten Items mit dem Gesamtergebnis (ohne das betreffende Item). „Der Begriff 'Trennschärfe' ist so zu ver-

I. Ergebnisse der empirischen Erhebung (Z-Q-Hypothese)

175

stehen, daß Personen, die im Gesamtergebnis einen hohen Wert erreichen, auf einem trennscharfen Einzelitem ebenfalls eine hohe Punktzahl aufweisen. ... Nach diesem Verständnis läßt sich an einem trennscharfen Einzelitem bereits ablesen, welche Personen bezüglich des betrachteten Konstrukts hohe oder niedrige Ausprägungen besitzen. Beide Gruppen werden durch das Item also gut voneinander 'getrennt'" (Bortz & Döring, 1995, S. 200). Grundsätzlich sind möglichst hohe Trennschärfen erstrebenswert, wobei ein Trennschärfekoeffizient von über .5000 bereits als hoch anzusehen ist (Weise, 1975, S. 219). Die von den 21 Items erzielten Trennschärfen liegen ausnahmslos über diesem Wert und sind damit als sehr zufriedenstellend einzustufen. Wie bereits angedeutet, bezeichnet man ein Meßinstrument 16 als valide , wenn es sich bei dem Konstrukt, das von ihm tatsächlich gemessen wird, auch um dasjenige handelt, welches es zu messen vorgibt (Lienert, 1969, S. 16). Im Gegensatz zur Reliabilität, die den formalen Aspekt der Genauigkeit betrifft, bezieht sich die Validität (auch: Gültigkeit) damit auf den materiellen Aspekt der Genauigkeit (Atteslander, 1984, S. 36-38). Zwar ist keines der zur Validitätsbestimmung von Meßinstrumenten vorgeschlagenen Verfahren (eine Übersicht z.B. bei Lienert, 1969, S. 255-313) frei von theoretischen und methodischen Einschränkungen (Bortz & Döring, 1995, S. 185-187), so daß die Validität niemals mit letzter Sicherheit bestimmt werden kann; doch lassen sich immerhin wertvolle Indizien für die Abschätzung dieser Eigenschaft gewinnen. Die Gestaltung des in der Untersuchung verwendeten Fragebogens gestattet einige Berechnungen zur Konstruktvalidität (zu den verschiedenen Aspekten der Validität vgl. Lienert, 1969, S. 255-263; Schnell, Hill & Esser, 1995, S. 144-157). Die Überprüfung der Konstruktvalidität geschieht, indem man aus dem zu messenden Zielkonstrukt (hier: der Dienstleistungsqualität) Hypothesen über dessen Relationen zu anderen manifesten oder latenten Variablen ableitet und untersucht, ob sich diese bestätigen lassen (Bortz & Döring, 1995, S. 186). Im vorliegenden Fall würde es für die Validität des Meßinstruments sprechen, wenn sich nennenswerte positive Zusammenhänge zwischen der Qualitätsmeßzahl Q und den fünf in der Untersuchung ebenfalls erhobenen globalen qualitätsbezogenen Variablen (vgl. Teil B, Kap. III.2., S. 153) nachweisen ließen. Das Ergebnis der entsprechenden Berechnungen zeigt Tabelle 7 (Korrelationen nach Spearman).

16

Der testtheoretische Validitätsbegriff, der sich auf die Qualität eines Meßinstruments bezieht, ist nicht zu verwechseln mit der Validität als Gütekriterium für empirische Untersuchungsdesigns (vgl. S. 159) (Bortz & Döring, 1995, S. 185).

176

C. Die Untersuchungsergebnisse Tabelle 11

Berechnungen zur Konstruktvalidität

Variable

Wortlaut der Frage

Globalqualität

„Wie beurteilen Sie die Qualität von (Firma) insgesamt?"

.8020***

Globalzufriedenheit

„Wie zufrieden sind Sie mit der Leistung von (Firma) alles in allem betrachtet?"

.7245***

Weiterempfehlungsbereitschaft

„Würden Sie (Firma) einem guten Bekannten weiterempfehlen?"

.4483***

Wiederkaufbereitschaft

„Könnten Sie sich vorstellen, in Zukunft wieder ein (Dienstleistung) bei (Firma) zu kaufen?"

.3350***

Entwicklung der Qualität im Zeitablauf

„Falls Sie schon länger Kunde bei (Firma) sind: Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Qualität der Leistung von (Firma) in den letzten zwei Jahren entwickelt?"

Korrelation mit Q 17

3399***

Nach Weise (1975, S. 219) sprechen Korrelationskoeffizienten über .4000 fur eine mittlere, solche größer als .6000 bereits für eine hohe Validität. Damit deuten die Ergebnisse insgesamt auf eine gute Validität des Indikators hin. Die unterschiedliche Stärke der Zusammenhänge läßt sich dabei theoretisch gut begründen. Die beiden Variablen „Globalqualität" und „Globalzufriedenheit" liegen dem komplexen Qualitätsurteil Q wesensmäßig zweifellos am nächsten, weshalb ihnen bei der Beurteilung der Validität besonderes Gewicht beizumessen ist. Interessant und sehr gut mit den Überlegungen aus Kapitel II.2. (Teil B) vereinbar ist die Tatsache, daß Globalqualität und Globalzufriedenheit sich in der Enge ihrer Beziehung zu Q doch merklich unterscheiden: Hieran wird deutlich, daß die Konsumenten durchaus zwischen Qualität und Zufriedenheit differenzieren, wobei die Konstrukte selbstverständlich als eng zusammenhängend, aber eben doch nicht als identisch empfunden werden. Es ist leicht einzusehen, daß demgegenüber zwischen der Qualitätseinschätzung eines Unternehmens und der Bereitschaft, dasselbe weiterzuempfehlen, ein weitaus weniger direkter Zusammenhang besteht. Dennoch läßt sich anhand der entsprechenden Variable immerhin noch auf eine mittlere Validität des Meßinstruments schließen. Obwohl ebenfalls hochsignifikant und in nennenswerter

17 Die Angabe des Signifikanzniveaus ( = „Irrtumswahrscheinlichkeit"; genauer: a Fehler-Wahrscheinlichkeit) bei Korrelationskoeffizienten bzw. Differenzen erfolgt hier und im folgenden gemäß der üblichen Notation: * < 5%, * * < 1%, * * * < l%o.

I. Ergebnisse der empirischen Erhebung (Z-Q-Hypothese)

177

Größenordnung mit Q korreliert, fallen die letzten beiden Variablen als Validitätsindikatoren etwas ab. In beiden Fällen sind jedoch einleuchtende Erklärungen naheliegend. Im Falle der Wiederkaufbereitschaft sind eine ganze Reihe von Faktoren vorstellbar, die einem Wiederkauf entgegenstehen, ohne einen Zusammenhang mit der Dienstleistungsqualität aufzuweisen (man beachte die Frageformulierung, die nicht explizit auf die Qualität Bezug nimmt!). Die Frage nach der Qualitätsentwicklung in den letzten beiden Jahren ist für die Validitätsprüfüng insofern nur bedingt geeignet, als sie nicht das Niveau der Dienstleistungsqualität erfaßt, so daß ein Kunde, aus dessen Sicht sich die Qualität von sehr schlecht auf mittelmäßig verändert hat, in die Korrelationsrechnung mit einem höheren Wert eingeht als ein Kunde, der die Qualität schon seit Jahren (unverändert) als außerordentlich hoch empfindet. Die zusammenfassende Würdigung der in diesem Kapitel vorgestellten Befunde ergibt ein ermutigendes Bild. Die Kombination der 21 SERVQUALItems mit der bewährten, aus Bedeutungs- und Bewertungskomponente bestehenden Antwortvorgabe hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen, das resultierende Meßinstrument hat sich, gemessen an den gängigen Gütekriterien, in der Untersuchung sehr gut bewährt. d) Verteilung relevanter Merkmale in den zu vergleichenden Stichproben In Teil B, Kapitel III.4.a) (S. 159) wurde dargelegt, daß die interne Validität einer Untersuchung wie der vorliegenden gefährdet ist, wenn sich die zu vergleichenden Stichproben in ihrer Zusammensetzung hinsichtlich relevanter Merkmale voneinander unterscheiden. Um als relevant in diesem Sinne zu gelten, müssen die fraglichen Merkmale einen Zusammenhang mit der abhängigen Variable, hier also der Dienstleistungsqualität aufweisen. In einem ersten Schritt ist daher zu untersuchen, ob solche relevanten Merkmale existieren. Grundsätzlich kommen hierfür sämtliche demographischen, aber auch andere Strukturmerkmale in Frage. In der Befragung wurden insgesamt 5 solcher Merkmale erhoben; Tabelle 12 zeigt für jedes davon den Zusammenhang mit der - durch die Meßzahl Q operationalisierten - Dienstleistungsqualität (Korrelationen nach Spearman). Die beobachteten Korrelationen sind durchweg sehr gering und in drei Fällen zudem nicht signifikant. Da selbst bei großzügiger Sichtweise Korrelationen unter .2000 nicht interpretierbar sind, kann allenfalls beim Merkmal Bildung überhaupt von einem Zusammenhang mit der Dienstleistungsqualität gesprochen werden. Wie an dem negativen Vorzeichen zu erkennen ist, neigten die Befragten mit höherem Bildungsstand zu tendenziell geringeren Qualitätseinschätzungen, was mit den bereits erwähnten Befunden von Kristensen (1980) in

12 Haas

C. Die Untersuchungsergebnisse

178

Einklang steht18 (vgl. Teil B, Kap. III.4.b), S. 161). Um verzerrende Einflüsse von dieser Seite vollständig auszuschließen, ist daher zu prüfen, ob das Merkmal „Bildung" in den zu vergleichenden Stichproben gleichartig verteilt ist. Dies wurde mittels Chi2-Test (nach Pearson) ermittelt (vgl. Bortz, 1993, S. 159161); die Ergebnisse faßt Tabelle 13 zusammen.

Tabelle 12

Zusammenhang zwischen Q und Strukturmerkmalen Merkmal

Korrelation mit Q

Alter

.1981***

Geschlecht

-.0397

Bildung

-.2177***

Dauer der Kundenbeziehung

-.0137

Kontakthäufigkeit

-.0666

Tabelle 13

Verteilung des Merkmals Bildung in den zu vergleichenden Stichproben Stichprobe

Bildungsstand (klassiert19, %-Werte)

Signifikanz (nach x 2-Test)

niedrig

mittel

hoch

(zert. / nicht zert.)

(zert. / nicht zert.)

(zert. / nicht zert.)

Fahrschulen

59,6/43,6

40,4 / 48,9

0,0 / 7,4

Banken

35,2/20,1

43,2 / 50,9

21,6/29,1

.001

7,3/10,3

42,0/41,3

50,7/48,4

.250

Kfz-Betriebe

29,7 / 34,7

47,5 /38,8

22,8/26,5

.600

Alle Unternehmen

20,9/16,6

43,0/44,2

36,1 / 39,2

.063

Reiseunternehmen

.060

Wie sich zeigt, bestehen mit einer Ausnahme zwischen den zu vergleichenden Stichproben hinsichtlich der Verteilung des Merkmals Bildung keine signi-

18

Mit etwas gutem Willen könnte man diesen Befund deshalb auch als weiteres Indiz fur die Konstruktvalidität des Meßinstruments ansehen. 19 Die insgesamt sechs abgefragten Bildungsstufen (vgl. Frage 16 des Fragebogens) wurden für diese Berechnung zu drei Klassen zusammengefaßt, um in allen Feldern der Kreuztabelle erwartete Häufigkeiten > 5 zu erhalten (vgl. Bühl & Zöfel, 1994, S. 183).

I. Ergebnisse der empirischen Erhebung (Z-Q-Hypothese)

179

fikanten Unterschiede 20. Ein auf unterschiedliche Stichprobenzusammensetzungen zurückzuführender verzerrender Einfluß beim Vergleich der Qualität der Unternehmen kann damit ausgeschlossen werden. Lediglich auf die beiden Banken trifft dies nicht zu: Hier zeigt sich, daß bei der nicht zertifizierten Bank der Bildungsstand der befragten Kunden insgesamt signifikant höher ist als bei dem zertifizierten Vergleichsunternehmen. Dieser Umstand wird beim Vergleich der Qualität der beiden Kreditinstitute zu berücksichtigen sein. 2. Ist die Qualität bei zertifizierten Dienstieistungsunternehmen höher? Nach den vorbereitenden Überlegungen und Berechnungen in den letzten vier Kapiteln sind nun die Voraussetzungen für die Überprüfung der Z-Q-Hypothese geschaffen. Es ist jetzt möglich, die Qualität der zertifizierten Unternehmen mit der der nicht zertifizierten Unternehmen zu vergleichen. Beginnen wir mit einer Gegenüberstellung der jeweils erzielten Qualitätsmeßzahlen Q bzw. Q b , denn diese stellen die wichtigste Operationalisierung der Dienstleistungsqualität in der Untersuchung dar. Tabelle 14 zeigt für jedes einzelne Unternehmen die erreichte Qualitätsmeßzahl Q b und in der letzten Zeile für die Gesamtheit aller zertifizierten bzw. nicht zertifizierten Unternehmen die Qualitätsmeßzahl Q. Außerdem ist in der zweiten Spalte von rechts die Differenz zwischen den Qualitätsmeßzahlen der zertifizierten und der nicht zertifizierten Unternehmen angegeben, wobei an einem positiven Vorzeichen erkennbar ist, daß das zertifizierte Unternehmen die höhere Qualität erreicht hat und umgekehrt. Bei statistisch signifikanten Differenzwerten ist zusätzlich das entsprechende Signifikanzniveau angegeben. Die letzte Spalte schließlich zeigt den genauen Signifikanzwert. Bei zwei der vier Paarvergleiche, nämlich bei den Fahrschulen und bei den Banken, wurde für das jeweilige zertifizierte Dienstleistungsunternehmen eine niedrigere Qualität ermittelt als für das nicht zertifizierte Vergleichsunternehmen. In beiden Paarvergleichen sind die Differenzen beträchtlich, im Falle der Banken außerdem statistisch hoch signifikant. Bei dem Ergebnis der Banken muß zusätzlich der Befund aus dem vorangegangenen Kapitel mitbedacht werden, nach dem aufgrund der Stichprobenzusammensetzung c.p. eigentlich das gegenteilige Ergebnis zu erwarten war; zieht man diesen verzerrenden Einfluß gedanklich ab, fällt der wahre Qualitätsunterschied folglich sogar noch deutlicher aus. Bei den Kfz-Betrieben ist das Ergebnis wenig ausgeprägt: Zwar ist die Differenz positiv, doch relativ gering und nicht signifikant. Das einzige signifi-

20 Vgl. hierzu die letzte Spalte; von einem signifikanten Unterschied kann nur bei Zahlenwerten < .050 gesprochen werden.

12'

C. Die Untersuchungsergebnisse

180

kante Ergebnis, das die Z-Q-Hypothese stützt, liefert der Paarvergleich der Reiseunternehmen. Doch sind auch hier Einschränkungen zu machen, denn der Qualitätsunterschied ist mit 2,5 äußerst gering und kann nicht mehr als praktisch bedeutsam angesehen werden; daß er überhaupt statistisch signifikant werden konnte, ist im wesentlichen auf die im Falle der Reiseunternehmen sehr großen Stichproben zurückzuführen 21. Faßt man die Kunden der zertifizierten Unternehmen zusammen und vergleicht deren Qualitätsurteile mit denen der Kunden der nicht zertifizierten Unternehmen, so läßt sich praktisch kein Unterschied feststellen, wie die letzte Zeile der Tabelle zeigt. Tabelle 14

Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (Qualitätsmeßzahlen) Stichprobe

Qualitätsmeßzahl

Differenz

Signifikanz

(min: 0, max: 100) zert. Untern.

nicht zert. Untern.

Fahrschulen

76,3

86,4

Banken

73,7

81,8

-8,1***

.000

Kfz-Betriebe

80,9

74,4

+ 6,5

.052

Reiseunternehmen

79,7

77,2

+ 2,5**

.003

Alle Unternehmen

77,6

77,2

+ 0,4

.266

(zert - nicht zert.) (nach U-Test) -10,1

.441

Um einen möglicherweise verzerrenden Einfluß auszuschließen, wurden die Berechnungen aus Tabelle 14 probeweise nochmals unter Ausschluß aller Kunden durchgeführt, die bei der Frage 3 des Fragebogens angegeben hatten, in jüngerer Zeit im Kontakt mit dem jeweiligen Unternehmen einen ärgerlichen Vorfall erlebt zu haben (vgl. Teil B, Kap. III.2., S. 154). Die Ergebnisse änderten sich hierdurch jedoch praktisch nicht, wie Tabelle 15 beweist.

21 Zum Zusammenhang von Stichprobengröße und Signifikanz vgl. ausführlich Chow, 1996, sowie Bortz & Döring, 1995, S. 564-576.

I. Ergebnisse der empirischen Erhebung (Z-Q-Hypothese)

181

Tabelle 15

Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (ohne Problemkunden; Qualitätsmeßzahlen) Stichprobe

Qualitätsmeßzahl

Differenz

Signifikanz

(zert - nicht zert.)

(nach U-Test)

(min: 0, max: 100) zert. Untern.

nicht zert. Untern.

Fahrschulen

80,4

87,0

-6,6

.887

Banken

80,5

84,5

-4,0***

.001

Kfz-Betriebe

85,1

78,5

+ 6,6

.142

Reiseunternehmen

82,6

80,8

+ 1,8*

.019

Alle Unternehmen

81,4

80,3

+ 1,1

.069

Bevor die Befunde im Hinblick auf die Z-Q-Hypothese bewertet werden, soll zunächst durch einen Blick auf die globalen qualitätsbezogenen Variablen geprüft werden, ob sich das Bild verfestigt. Tabelle 16 zeigt die Qualitätsunterschiede zwischen zertifizierten und nicht zertifizierten Unternehmen anhand der erzielten Ergebnisse bei den beiden intervallskalierten Variablen „Globalqualität" und „Globalzufriedenheit" (Frage 7 bzw. 1 des Fragebogens). Der Aufbau dieser Tabelle entspricht dem der beiden vorangegangenen. Tabelle 16

Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (Globalqualität und -Zufriedenheit) Stichprobe

Variable

Mittelwert

Differenz

Signifikanz

(zert - nicht zert.)

(nach U-Test)

(min: 1, max: 6) zert. Fahrschulen Banken Kfz-Betriebe Reiseuntern. Alle Untern.

nicht zert.

Globalqual.

5,38

5,67

-0,29

.352

Globalzufr.

5,02

5,68

-0,66***

.001 .015

Globalqual.

4,75

5,01

- 0,26*

Globalzufr.

4,42

4,75

-0,33*

.031

Globalqual.

5,50

5,21

+ 0,29*

.043

Globalzufr.

5,43

5,15

+ 0,28*

.025

Globalqual.

5,13

4,88

+ 0,25***

.000

Globalzufr.

5,10

4,78

+ 0,32***

.000

Globalqual.

5,11

4,99

+ 0,12***

.001

Globalzufr.

4,98

4,86

+ 0,12**

.006

182

C. Die Untersuchungsergebnisse

In der Tat zeigt sich eine fast identische Konstellation wie schon bei den Qualitätsmeßzahlen. In den Paarvergleichen der Banken und Fahrschulen haben die zertifizierten Unternehmen die schlechteren Werte, bei den Kfz-Betrieben und den Reiseunternehmen fallen die nicht zertifizierten leicht zurück. Die Gesamtbetrachtung zeigt nur einen minimalen Vorsprung der zertifizierten Unternehmen. Bis auf einen einzigen sind alle Differenzwerte statistisch signifikant. Zur Abrundung bleibt nun noch der Blick auf die übrigen, ordinal skalierten qualitätsbezogenen Globalmaße Weiterempfehlungsbereitschaft, Wiederkaufbereitschaft sowie Qualitätsentwicklung in den letzten beiden Jahren (Fragen 8, 9 und 11 des Fragebogens). In Tabelle 17 ist bei jeder Variable der Prozentsatz an positiven Antworten angegeben, also der Anteil der Befragten, der das Unternehmen einem guten Bekannten weiterempfehlen würde (Weiterempfehlungsbereitschaft) bzw. der sich vorstellen könnte, wieder eine Dienstleistung bei diesem Unternehmen in Anspruch zu nehmen (Wiederkaufbereitschaft) bzw. der in den letzten zwei Jahren eine Verbesserung der Qualität bei dem Unternehmen festgestellt hat (Qualitätsentwicklung in den letzten beiden Jahren). Bei diesen qualitätsbezogenen Variablen schneiden die zertifizierten Unternehmen sogar noch etwas schlechter ab als bei den bisher betrachteten. Mit nur zwei Ausnahmen erzielen sie durchweg - z.T. signifikant - ungünstigere Ergebnisse als die nicht zertifizierten Vergleichsunternehmen. Lediglich bei der Weiterempfehlungsbereitschafit können der zertifizierte Kfz-Betrieb und das zertifizierte Reiseunternehmen einen Vorteil verbuchen. In der Gesamtbetrachtung läßt sich erneut kein signifikanter Unterschied ausmachen. Ein besonders bemerkenswerter Einzelbefund zeigt sich an der Variable „Qualitätsentwicklung in den letzten 2 Jahren". Innerhalb dieses Zeitraums lag bei allen an der Untersuchung beteiligten zertifizierten Unternehmen der Zeitpunkt der Erst-Zertifizierung; es wäre daher zu vermuten gewesen, daß eine mit der Einführung des Qualitätsmanagementsystems einhergehende Qualitätsverbesserung sich in der Qualitätseinschätzung der Kunden deutlich niederschlägt. Schon das absolute Ergebnis ist in dieser Hinsicht jedoch enttäuschend: Selbst im besten Fall (Kfz-Betrieb) ist offenbar nur gut der Hälfte (57,4%) der Kunden eine Qualitätssteigerung aufgefallen, beim zertifizierten Reiseunternehmen waren es gar nur 15,7%. Hinzu kommt noch, daß in allen vier Paarvergleichen das nicht zertifizierte Unternehmen mit besseren Werten aufwarten kann, so daß von einem generellen zertifizierungsinduzierten Qualitätsschub, der über das normale Maß allgemein üblicher Qualitätssteigerungen vergleichbarer Unternehmen hinausginge, nicht die Rede sein kann.

I. Ergebnisse der empirischen Erhebung (Z-Q-Hypothese) Tabelle

183

17

Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (übrige Globalmaße) Stichprobe

Fahrschulen

Banken

Kfz-Betriebe

Reiseunternehmen

Alle Unternehmen

Variable

Anteil positiver Antworten (%)

Differenz

Signifikanz

(%-Punkte)

(nach χ 2-Test)

zert. Unt.

nicht zert. Unt.

Weiterempfehlungsbereitschaft

76,6

100,0

-23,4***

.000

Wiederkaufbereitschaft

79,2

96,8

- 17,6***

.001

Entw. in den letzten 2 Jahren

50,0

61,1

- 11,1

Weiterempfehlungsbereitschaft Wiederkaufbereitschaft

77,6

86,3

Entw. in den letzten 2 Jahren

50,6

55,3

-4,7

.351

Weiterempfehlungsbereitschaft

94,2

80,8

+ 13,4*

.010

Wiederkaufbereitschaft

91,3

94,2

-2,9

.514

Entw. in den letzten 2 Jahren

57,4

60,7

-3,3

.773

Weiterempfehlungsbereitschaft

92,9

85,5

+ 7,4***

.000

Wiederkaufbereitschaft

84,0

85,0

-1,0

.664

Entw. in den letzten 2 Jahren

15,7

24,8

-9,1**

.009

Weiterempfehlungsbereitschaft

88,3

86,6

+ 1,7

.292

Wiederkaufbereitschaft

85,0

86,8

- 1,8

.333

Entw. in den letzten 2 Jahren

34,5

37,5

-3,0

.303

-8,7*

( 683) 2 2

.016 _23

22 In dieser Kreuztabelle waren in der Hälfte der Felder die erwarteten Häufigkeiten < 5, deshalb ist die Signifikanz nicht aussagekräftig. 23

ben.

D i e Wiederkaufbereitschaft wurde bei der Befragung der Bankkunden nicht erho-

184

C. Die Untersuchungsergebnisse

Faßt man die in diesem Kapitel vorgetragenen Befunde zusammen, so ergibt sich im Hinblick auf die Z-Q-Hypothese ein ebenso klares wie überraschendes Bild: Die Annahme einer systematisch höheren Qualität zertifizierter Unternehmen läßt sich durch die Ergebnisse dieser Untersuchung in keiner Weise stützen. Hierzu hätte sich eine deutliche und weitgehend durchgängige Überlegenheit der zertifizierten Unternehmen in den Paarvergleichen zeigen müssen, wovon die tatsächlichen Befunde weit entfernt sind. Der mit der Einführung eines Qualitätsmanagementsystems nach DIN EN ISO 9000ff. verbundene qualitätssteigernde Effekt - wenn er denn überhaupt existiert - schlägt offenkundig nicht durch, sondern wird von den auch zwischen vergleichbaren Unternehmen stets vorhandenen „natürlichen" Qualitätsunterschieden überlagert und kann so keine eindeutige Überlegenheit des zertifizierten Unternehmens herbeiführen. Allerdings ist interessanterweise auch die gelegentlich vorgetragene Gegenhypothese, daß nämlich eine Zertifizierung sich kontraproduktiv und qualitätsmindernd auswirkt (vgl. hierzu Kap. Π.3.), mit den vorliegenden Befunden kaum vereinbar; vielmehr deutet alles daraufhin, daß die Zertifizierung gänzlich ohne spürbare (positive oder negative) Auswirkung auf die Qualität eines Dienstleistungsunternehmens bleibt. An dieser Stelle bietet es sich an, auf eine weitere interessante Erkenntnis aufmerksam zu machen, die u.a. die eben genannten Schlußfolgerungen nochmals erweitert. Wie in Teil Β in den Kapiteln 1.2. und III.2. (vgl. S. 123 bzw. 155) dargelegt wurde, ist es durchaus denkbar, daß ein Kunde die Qualität eines Dienstleistungsunternehmens schon alleine deshalb höher einstuft, weil er weiß, daß dieses Unternehmen zertifiziert ist („Image-Effekt" des Zertifikats). Ob dem tatsächlich so ist, läßt sich mit dem vorliegenden Datensatz ermitteln, indem man bei den vier zertifizierten Unternehmen die Qualitätseinstufungen derjenigen Kunden, die um die Zertifizierung ihres Unternehmen wissen (Frage 14 des Fragebogens), den Qualitätseinstufungen der übrigen Kunden gegenüberstellt. Das Ergebnis zeigt Tabelle 18. Wie auf einen Blick erkennbar, überwiegen die positiven Differenzen bei weitem. Das bedeutet inhaltlich, daß die Qualitätsurteile derjenigen Kunden, denen die Zertifizierung ihres Unternehmens bekannt ist, fast durchgängig besser ausfallen als die Qualitätsurteile der übrigen Kunden. Die Differenzen sind von nicht unerheblicher Größenordnung und in einigen Fällen statistisch signifikant. Lediglich auf die Kunden der zertifizierten Fahrschule trifft dies nicht zu; hier zeigen sich schwach negative, jedoch nicht signifikante Differenzen. Um sicherzugehen, daß dieser Befund kein Artefakt darstellt und in Wahrheit auf die Wirkung der möglichen Hintergrundvariable „Bildung" zurückzuführen ist, wurde zusätzlich untersucht, ob die Gruppe der „informierten" Kunden sich hinsichtlich des Bildungsgrades signifikant von der Gruppe der „ahnungslosen" unterschied. Dies war bei keinem der vier Unternehmen der Fall.

I. Ergebnisse der empirischen Erhebung (Z-Q-Hypothese)

185

Tabelle 18

Image-Effekt" des Zertifikats Zertifiziertes Unternehmen

Variable

Fahrschule

Qualitätsmeßzahl Q b

Mittelwert Zertifiz. bekannt

Globalqualität Globalzufriedenheit Bank

Qualitätsmeßzahl Q

b

Globalqualität Globalzufriedenheit Kfz-Betrieb

Reiseuntern.

Alle Untern.

Qualitätsmeßzahl Q

b

Differenz

Zertifiz. nicht bekannt

Signifikanz (nach U-Test)

74,9

77,8

-2,9

.917

5,3

5,4

-0,1

.734

5,0

5,1

-0,1

.797

78,0

71,3

+ 6,7

.066

5,1

4,6

+ 0,5*

.014

4,7

4,3

+ 0,4

.129 .213

82,2

80,1

+ 2,1

Globalqualität

5,6

5,4

+ 0,2

.126

Globalzufriedenheit

5,5

5,4

+ 0,1

.248

Qualitätsmeßzahl Q b

87,2

79,2

+ 8,0*

.006

Globalqualität

5,5

5,1

+ 0,4*

.010

Globalzufriedenheit

5,6

5,1

+ 0,5**

.007

Qualitätsmeßzahl Q

80,4

76,8

+ 3,6**

.005

Globalqualität

5,3

5,1

+ 0,2***

.000

Globalzufriedenheit

5,1

4,9

+ 0,2*

.050

Nach diesem Ergebnis ist also mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß ein unmittelbarer, von der tatsächlichen Leistung des Unternehmens unabhängiger Einfluß des Zertifikats auf die Qualitätswahrnehmung der Konsumenten existiert. Zwar scheint dieser Einfluß nicht übermäßig stark zu sein, aber immerhin doch von einer nicht ganz vernachlässigbaren Größenordnung. Wie wirkt sich nun diese Erkenntnis auf unsere Überlegungen aus? Zum einen sind die Qualitätsurteile über die zertifizierten Unternehmen als (leicht) überhöht anzusehen, da sie sich offenbar nicht ausschließlich auf die Bewertung realer Erfahrungen mit der Dienstleistung und dem Dienstleister gründen, sondern durch das Wissen um die Zertifizierung bzw. durch die damit verbundenen Qualitätserwartungen positiv gefärbt sind. Folglich sind die Ergebnisse um den Anteil „zertifikatsinduzierter Qualität" gedanklich zu bereinigen. Die Konsequenz für die Beurteilung der Z-Q-Hypothese liegt auf der Hand: Vermindern sich die Werte der verschiedenen Qualitätsindikatoren bei den zertifizierten Unternehmen, so kann noch weniger als bisher schon von einem spürbaren Qualitätsvorsprung der zertifizierten Unternehmen gesprochen werden, die Z-Q-Hypothese findet dadurch also noch weniger Unterstützung.

186

C. Die Untersuchungsergebnisse

Doch der „Image-Effekt" des Zertifikats muß auch noch in einem anderen Zusammenhang gesehen werden. Führen wir uns hierzu das Phänomen nochmals ganz deutlich vor Augen: Diejenigen Kunden, denen bekannt ist, daß ihr Unternehmen ein Zertifikat nach DIN EN ISO 9000ff. besitzt, empfinden die Qualität dieses Unternehmens höher, als sie sie empfinden würden, wenn sie von der Zertifizierung nichts wüßten. Aus verbraucherpolitischer Sicht ist dies nicht unbedenklich, denn es steht zu befürchten, daß mit der überhöhten Qualitätseinschätzung eine weniger kritische Haltung gegenüber dem Anbieter sowie - eng damit verbunden - eine geringere Neigung zu Abwanderung und Widerspruch (Hirschman, 1974) einhergeht. Daß ein Konsument die Qualität seines Dienstleistungsunternehmens aufgrund des Zertifikats absolut überschätzt, wäre im Ergebnis weniger schädlich, wenn zertifizierte Unternehmen nicht zertifizierten grundsätzlich qualitativ überlegen wären, denn in diesem Fall wäre für den Konsumenten durch eine Abwanderung (jedenfalls zu einem nicht zertifizierten Unternehmen) keine höhere Qualität erreichbar. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sprechen jedoch dafür, daß ein solcher genereller Qualitätsvorsprung gerade nicht gegeben ist. Damit ist wieder der zentrale Befund dieses Kapitels angesprochen und der kleine Exkurs zur Frage der unmittelbaren Wirkung des Zertifikats beendet. Wenngleich inzwischen die Frage nach einem generellen Qualitätsvorsprung zertifizierter Unternehmen als (negativ) beantwortet betrachtet werden kann, so hieße es doch die gegebenen Erkenntnismöglichkeiten nur unvollständig ausschöpfen, wenn die Überlegungen an dieser Stelle beendet würden. Denn es ist immerhin denkbar, daß ein Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9000ff, wenn nicht die Qualität insgesamt, so doch möglicherweise bestimmte Teilaspekte der Dienstleistungsqualität eindeutig positiv beeinflußt. Um dieser Frage nachzugehen bietet es sich an, die Qualitätsunterschiede auf der Ebene der 5 Dimensionen der Dienstleistungsqualität zu betrachten. Würde sich dabei etwa herausstellen, daß zertifizierte Unternehmen bei der Verläßlichkeit durchgängig höhere Werte erreichen als die nicht zertifizierten Vergleichsunternehmen - eine durchaus plausible Annahme, wenn man sich die sehr auf Standardisierung und Kontrollmechanismen gerichteten Normforderungen vor Augen führt - , so hätte das Zertifikat wenigstens noch einen eingeschränkten, nur auf diese Qualitätsdimension bezogenen Nutzen als (Teil-)Qualitätsindikator. Zu diesem Zweck wurden analog zu dem in Kapitel 1.1.a) beschriebenen Verfahren die Qualitätsmeßzahlen Q bzw. Q b für jede der 5 Dimensionen gesondert aus den betreffenden Items berechnet. Das Ergebnis des Qualitätsvergleichs auf Dimensionenebene zeigt Tabelle 19.

I. Ergebnisse der e i s c h e n

e

(-Q-Hypothese)

187

Tabelle 19

Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (auf Dimensionenebene) Dimension

Stichprobe

Qualitätsmeßzahl

Differenz

Signifikanz

(zert - nicht zert.)

(nach U-Test)

(min: 0, max: 100) zertifiz. Untern.

nicht zertifiz. Untern.

Verläßlich-

Fahrschulen

83,0

89,7

keit

Banken

73,8

84,1

- 10,3***

.000

Agilität

Kompetenz

-6,7

.929

Kfz-Betriebe

88,5

87,0

86,3

83,3

+ 1,5 + 3,0**

.727

Reiseuntern. Alle Untern.

84,2

84,5

-0,3

.503

.002

Fahrschulen

78,7

88,1

-9,4

.142

Banken

74,6

83,1

-8,5***

.000

Kfz-Betriebe

90,5

86,8

+ 3,7

.162

Reiseuntern.

84,6

81,6

+ 3,0*

.018

Alle Untern.

83,4

83,1

+ 0,3

.390

Fahrschulen

83,9

92,3

-8,4

.089

Banken

75,4

82,3

-6,9***

.000

Kfz-Betriebe

88,2

79,7

+ 8,5*

.031

Reiseuntem.

81,8

78,1

+ 3,7***

.000

Alle Untern.

82,1

80,7

+ 1,4

.070 .319

Einfühlungs-

Fahrschulen

76,1

85,5

-9,4

vermögen

Banken

72,9

81,2

-8,3***

.000

Kfz-Betriebe

87,1

77,2

+ 9,9

.092

Reiseuntern.

82,0

78,5

+ 3,5***

.000

Alle Untern.

81,6

80,6

+ 1,0

.065

Äußeres

Fahrschulen

80,3

88,3

-8,0

.167

Erschei-

Banken

74,2

80,1

-5,9***

.000

+ 12,4***

.000

nungsbild

Kfz-Betriebe

89,3

76,9

Reiseuntem.

80,5

80,1

+ 0,4

.753

Alle Untern.

82,1

82,1

0,0

.856

Selbst diesen reduzierten Anspruch vermag das Zertifikat nicht einzulösen. Bei keiner der 5 Dimensionen zeichnet sich eine markante Überlegenheit der zertifizierten Unternehmen ab. Dies wird bei der Betrachtung der Ergebnisse auf der aggregierten Ebene (Zeilen „Alle Unternehmen") besonders deutlich: Es ergeben sich nur minimale Unterschiede (von 0,0 bis 1,4), die allesamt nicht signifikant sind. Betrachtet man die Ebene der einzelnen Paarvergleiche, so sind die Unterschiede zwar größer und zum Teil auch signifikant, doch sind bei jeder

188

C. Die Untersuchungsergebnisse

einzelnen Dimension die zertifizierten Unternehmen in etwa ebenso oft im Vorteil (positives Vorzeichen) wie die nicht zertifizierten Vergleichsunternehmen (negatives Vorzeichen). Tabelle 20

Qualitätsunterschiede zwischen zert. und nicht zert. Unternehmen (bzgl. Problemquote und Problemlösungsquote) Variable

Stichprobe

Erreichte Quote (%) zertifiz. Untern.

Problemquote

nicht zertifiz. Untern.

Differenz

Signifikanz

(%-Punkte)

(nach χ 2-Te st)

Fahrschulen

10,6

5,3

+ 5,3

.239

Banken

30,5

23,7

+ 6,8

.114

Kfz-Betriebe

16,2

17,0

-0,8

.896

Reiseunternehmen

16,0

20,7

-4,7

.058

Alle Unternehmen

19,1

20,1

-1,0

.612 (.114) 24

Problem-

Fahrschulen

60,0

100,0

-40,0

lösungsquote

Banken

28,6

32,8

-4,2

.629

Kfz-Betriebe

40,0

57,1

Reiseunternehmen

27,6

35,4

- 17,1 -7,8

(.451) 25

Alle Unternehmen

30,7

36,9

-6,2

.249

.294

Um ganz sicher zu gehen, keine auch noch so begrenzte Verwendungsmöglichkeit der Zertifikate für Konsumenten zu übersehen, soll abschließend ein weiterer, noch speziellerer Teilaspekt der Dienstleistungsqualität untersucht werden. Die zugrundeliegende Überlegung ist dabei folgende: Betrachtet man die Forderungen der DIN EN ISO 9001 oder 9002, so fällt auf, daß besonderer Wert u.a. auf die systematische Steuerung und damit Beherrschung von Prozessen gelegt wird sowie auf das Vorhandensein eines wirksamen Systems von Vorbeuge- und Korrekturmaßnahmen (vgl. QM-Elemente 9 und 14). Es erscheint nicht verwegen, hieraus die Hoffnung abzuleiten, daß bei zertifizierten Unternehmen Fehler besonders selten auftreten und daß ein hoher Anteil dieser (wenigen) aufgetretenen Fehler in einer für die Kunden zufriedenstellenden Weise ausgeräumt wird. Die Frage lautet also: Weisen zertifizierte Unternehmen eine geringere Problemquote und eine höhere Problemlösungsquote auf als

24 In dieser Kreuztabelle waren in allen Feldern die erwarteten Häufigkeiten < 5, deshalb ist die Signifikanz nicht aussagekräftig. 25 In dieser Kreuztabelle waren in der Hälfte der Felder die erwarteten Häufigkeiten < 5, deshalb ist die Signifikanz nicht aussagekräftig.

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

189

nicht zertifizierte Unternehmen? Die Fragen 3 und 5 des Fragebogens erlauben es uns, diesen Sachverhalt zu überprüfen. Tabelle 20 zeigt das Ergebnis. Zunächst ist anzumerken, daß - abgesehen von den beiden Fällen, in denen aufgrund zu geringer Zellenbesetzungen kein Signifikanzniveau bestimmbar war - die ermittelten Differenzen allesamt nicht signifikant ausgefallen sind, womit die zu klärende Frage im Grunde bereits beantwortet ist. Blickt man zusätzlich auf die Differenzwerte bei der Problemquote, so zeigt sich, daß nur bei den Kfz-Betrieben und bei den Reiseunternehmen das zertifizierte Unternehmen eine (etwas) geringere Problemquote aufweist als das nicht zertifizierte Vergleichsunternehmen; bei den Fahrschulen und bei den Banken verhält es sich genau umgekehrt. Aus Sicht der zertifizierten Unternehmen noch weniger erfreulich ist das Bild bei der Problemlösungsquote: Hier können die nicht zertifizierten Unternehmen in allen vier Paarvergleichen mit den besseren Ergebnissen aufwarten. Damit steht fest, daß das Zertifikat auch für diese beiden speziellen Teilaspekte der Dienstleistungsqualität nicht als Indikator dienen kann. Das Fazit zu diesem Kapitel, das der Prüfung der zentralen Hypothese der Untersuchung gewidmet war, ist leicht zu finden: Mit bemerkenswerter Eindeutigkeit ist die Z-Q-Hypothese durch die Befunde widerlegt worden. Für die Annahme, daß zertifizierte Dienstleistungsunternehmen unter Qualitätsgesichtspunkten den nicht zertifizierten Unternehmen systematisch überlegen sind, ließ sich praktisch kein Anhaltspunkt finden. Fast könnte man gar den gegenteiligen Eindruck gewinnen, doch hieße das wohl, die Ergebnisse überzustrapazieren. Fest steht jedenfalls, daß der durch die Einführung eines Qualitätsmanagementsystems nach DIN EN ISO 9000ff. möglicherweise ausgelöste qualitätssteigernde Effekt nicht dominant ist, sondern allenfalls ein Ausmaß erreicht, das deutlich unterhalb der Größenordnung der gewissermaßen „zufälligen" Qualitätsunterschiede liegt, die zwischen vergleichbaren Dienstleistungsunternehmen stets zu erwarten sind. Damit kommt der Prüfung der ISO-Q-Hypothese, die Gegenstand der folgenden Kapitel ist, eine besondere Bedeutung zu. Es steht nun zu hoffen, daß sich hierbei die materiellen Begründungen für die offenkundige Wirkungslosigkeit der Zertifizierung finden lassen, die dann als Ansatzpunkte für Verbesserungsmaßnahmen dienen können.

I I . Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese) Wie in Kapitel 1.2. (Teil B) dargelegt wurde, steht hinter der ISO-Q-Hypothese letztlich die Frage, ob ein Qualitätsmanagementsystem im Sinne der Normenfamilie ISO 9000 prinzipiell überhaupt dazu geeignet ist, eine aus Verbrauchersicht überdurchschnittliche Qualität hervorzubringen. Die Klärung dieser

190

C. Die Untersuchungsergebnisse

Frage setzt zunächst eine relativ präzise Vorstellung darüber voraus, was Konsumenten konkret inhaltlich unter der Qualität einer Dienstleistung verstehen, denn dieses Verständnis ist der Ausgangspunkt und der Maßstab für die Bewertung der Normforderungen. Wir werden uns deshalb im folgenden Kapitel II.l. nochmals etwas eingehender mit dem Qualitätsverständnis der Konsumenten beschäftigen. Eine Prüfung der Norminhalte unmittelbar an den Qualitätsforderungen der Konsumenten wäre jedoch wenig erfolgversprechend, denn dazu sind die beiden Aussagensysteme zu weit voneinander entfernt, die Blickwinkel zu unterschiedlich. Es ist vielmehr ein Zwischenschritt erforderlich, in welchem aus der Qualitätsvorstellung der Konsumenten konkrete Anforderungen abgeleitet werden, die an „kundenfreundliche Dienstleistungsunternehmen" zu stellen sind, womit künftig der sprachlichen Vereinfachung wegen die Anbieter hoher Qualität bezeichnet werden sollen. Erst nachdem die Qualitätsforderungen der Konsumenten in Kapitel II.2. auf diese Weise gewissermaßen in die Unternehmenssphäre transformiert wurden, ist der Bezugsrahmen für eine Evaluierung der Normforderungen vollständig. In Kapitel II.3. kann dann detailliert geprüft werden, inwieweit ein Qualitätsmanagementsystem nach DIN EN ISO 9000ff. die Anforderungen an ein „kundenfreundliches Dienstleistungsunternehmen" tatsächlich abdeckt.

1. Die Qualitätsvorstellung der Konsumenten als Maßstab Um bei der Entwicklung einer Vorstellung von den Qualitätsforderungen, die Konsumenten an Dienstleistungsunternehmen stellen, empirisch gesicherten Boden nicht zu verlassen, soll auch hier als Ausgangspunkt auf die diesbezüglichen Erkenntnisse von Parasuraman, Zeithami & Berry (1984, 1986, 1991) zurückgegriffen werden. Was die Vollständigkeit des von den Autoren vorgestellten Kriterienkataloges anbelangt, ergibt sich aus der vorliegenden Studie ein positiver Befund: Wie bereits in Kapitel I.l.a) kurz erwähnt, wurden von den Befragten über die 21 vorgegebenen Items hinaus in keinem nennenswerten Ausmaß weitere Qualitätsmerkmale genannt (vgl. Frage 6, Nr. 22-24 des Fragebogens auf S. 241). Unter den wenigen zusätzlichen Nennungen war kein inhaltlicher Schwerpunkt auszumachen, der darauf hindeuten würde, daß ein bestimmter qualitätsrelevanter Aspekt von der Itembatterie nicht erfaßt worden wäre. Ein solcher Schwerpunkt ergab sich interessanterweise jedoch insofern, als vergleichsweise häufig pre/sbezogene Merkmale genannt wurden, obwohl ausdrücklich nach gwa/z/ätebestimmenden Attributen gefragt war. Dies zeigt einmal mehr, daß Konsumenten oft nicht scharf zwischen Preis und Qualität differenzieren, sondern beide Komponenten gedanklich vermengen; die Bildung und Beurteilung des Preis-Leistungsverhältnisses erfolgt dann häufig unbewußt und eher diffus.

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

191

Auch wenn man berücksichtigt, daß offene Fragestellungen, zumal fakultative, bei schriftlichen Befragungen grundsätzlich eine niedrige Antwortquote erzielen, kann die insgesamt sehr geringe Anzahl sowie die Uneinheitlichkeit der zusätzlich genannten Merkmale in diesem Fall als Hinweis gedeutet werden, daß die verwendete Itembatterie das Spektrum der für die Qualitätsbeurteilung von Dienstleistungen relevanten Merkmale aus Konsumentensicht gut abdeckt und von ihr zumindest kein ganz wesentlicher Aspekt außer acht gelassen wird. In diesem Zusammenhang ist allerdings auf einen bemerkenswerten Sachverhalt hinzuweisen: Betrachtet man die 21 Qualitätsmerkmale bzw. die 5 Qualitätsdimensionen, so fällt auf, daß ökologische Aspekte hierin überhaupt keine Rolle spielen. Dies muß verwundern, ist es doch im Sachgüterbereich inzwischen weitgehend unbestritten, daß die Konsumenten auch an die Umweltverträglichkeit von Produkten in zunehmendem Maße Ansprüche stellen (Macharzina, 1995, S. 49 u. 625; vgl. auch Teil B, Kap. Π.2., S. 131). Offensichtlich hat sich diese Entwicklung im Dienstleistungsbereich noch nicht durchgreifend vollzogen. Wie es scheint, wird von den meisten Konsumenten (noch) nicht erkannt, daß auch Dienstleistungen durchaus mit Umweltbelastungen verbunden sein können. Um einer konsequenten Anwendung des abnehmerorientierten Qualitätsbegriffs willen und um nicht unversehens in eine MeritorikDebatte zu geraten, muß diese Tatsache jedoch für das Folgende akzeptiert werden. Möglicherweise wären mehr ökologische Anforderungen genannt Worden, wenn Dienstleistungsunternehmen mit augenfälligerem ökologischem Bezug (z.B. eine chemische Reinigung oder ein Kammerjäger) zu beurteilen gewesen wären; doch auch die meisten an dieser Studie beteiligten Unternehmen offenbaren bei nicht ganz oberflächlicher Betrachtung eine erhebliche Umweltrelevanz: Man denke etwa bei Reiseunternehmen nur an das Stichwort vom „Sanften Tourismus" 26 , bei Kfz-Betrieben wäre z.B. an die Altölentsorgung oder die Verwendung von aufgearbeiteten anstatt neuer Ersatzteile zu denken, und bei Fahrschulen kommt insbesondere der Vermittlung von Kenntnissen über treibstoffsparende Fahr- und sonstige Verhaltensweisen eine große Bedeutung zu. Einstweilen bleibt nur zu hoffen, daß das Qualitätsverständnis von Konsumenten sich schon bald in diese Richtung fortentwickeln wird. Das Bild von den Qualitätsvorstellungen der Konsumenten wäre unvollständig, wenn nichts über die relative Bedeutung der einzelnen qualitätsbestimmenden Faktoren bekannt wäre. Auch hier lassen sich die empirischen Befunde der

26 Immerhin: Die beiden einzigen Nennungen eines ökologischen Qualitätsmerkmals in der Untersuchung wurden bei den Reisebüros vorgenommen.

192

C. Die Untersuchungsergebnisse

vorliegenden Studie heranziehen. Tabelle 21 zeigt die durchschnittlichen Einstufungen auf der Bedeutungskomponente27 für die 5 Qualitätsdimensionen. Tabelle 21

Bedeutungsrangfolge der Dimensionen Rang

Dimension

Einstufungen auf Bedeutungskomp.

Distanz zum nächsthöheren Rang

(min: 1, max: 6)

(xlO)

1.

Verläßlichkeit

5,529

-

2.

Agilität

5,493

0,36

3.

Kompetenz

5,391

1,02

4.

Einfühlungsvermögen

5,309

0,82

5.

Äußeres Erscheinungsbild

4,709

6,00

Wie sich zeigt, sind die Einstufungen allesamt sehr hoch. Jedes andere Ergebnis hätte die Frage aufgeworfen, ob tatsächlich alle der genannten Merkmale für das Qualitätsurteil der Konsumenten auch relevant sind. Nach diesem Resultat kann hieran kein Zweifel mehr bestehen. Betrachtet man die Bedeutungsdistanzen zwischen den einzelnen Dimensionen, so fallt der deutliche Abstand ins Auge, der die Dimension „Äußeres Erscheinungsbild" von den vier übrigen trennt. Aus einem solchen Befund läßt sich beispielsweise bereits ableiten, daß in den Augen der Konsumenten vermutlich dasjenige Unternehmen die höhere Qualität anbietet, das eher in motivationssteigernde Maßnahmen zur Förderung der Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter investiert, als in eine neue Ausstattung der Geschäftsräume; doch davon später mehr - derartige Überlegungen sind Gegenstand von Kapitel II.2. Interessanterweise gleicht die Bedeutungsrangfolge der Dimensionen exakt derjenigen, die Parasuraman, Zeithami & Berry (1991, S. 431) mit ihrer pointallocation question ermittelt haben. Hieraus läßt sich eine methodische und eine inhaltliche Erkenntnis gewinnen: Die methodische besteht darin, daß das hier gewählte, itembezogene Gewichtungsverfahren (vgl. Kap. 1.1.a), S. 165) dem wesentlich aufwendigeren Konstantsummenverfahren nicht unterlegen ist. Inhaltlich zeigt sich, daß die Bedeutungsrangfolge der einzelnen Qualitätsdimensionen ziemlich robust und vor allem von der betrachteten Branche relativ unabhängig ist (Parasuraman, Zeithami & Berry haben in der betreffenden Studie die Kunden einer Telefongesellschaft, zweier Banken und zweier Versiche-

27 Hierfür wurden zunächst die Durchschnittswerte für die vier vertretenen Branchen separat berechnet und daraus der Mittelwert gebildet; dadurch sind alle Branchen trotz unterschiedlicher Stichprobengrößen gleichgewichtig berücksichtigt.

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

193

rungsunternehmen untersucht). Die letzte Aussage läßt sich auch durch eine vergleichende Betrachtung der Rangfolgen bei den vier in der vorliegenden Studie beteiligten Branchen untermauern (Tabelle 22). Tabelle 22

Bedeutungsrangfolge der Dimensionen (einzelne Branchen) Rang

Fahrschulen

Banken

Kfz-Betriebe

Reiseuntern.

1.

Kompetenz

Agilität

Verläßlichkeit

Verläßlichkeit

2.

Verläßlichkeit

Verläßlichkeit

Agilität

Agilität

3.

Agilität

Einfühlungsverm.

Kompetenz

Einfühlungsverm.

4.

Einfühlungsverm.

Kompetenz

Einfühlungsverm.

Kompetenz

5.

Äußeres Erschb.

Äußeres Erschb.

Äußeres Erschb.

Äußeres Erschb.

In der Tat zeigen sich bei den vier doch recht unterschiedlichen Branchen sehr ähnliche Rangfolgen. Erwartungsgemäß findet sich „Äußeres Erscheinungsbild" durchgehend auf dem letzten Platz, weit oben rangieren dagegen „Agilität" und insbesondere „Verläßlichkeit". Nachdem nun einiges zur Vollständigkeit und zur relativen Bedeutung der von Parasuraman, Zeithaml & Berry empirisch ermittelten Qualitätsmerkmalen dargestellt wurde, wollen wir uns jetzt den inhaltlichen Aussagen zuwenden. Hierzu wäre es jedoch weniger zweckmäßig, sich an den bisher im Vordergrund der Betrachtungen stehenden 5 Dimensionen der Dienstleistungsqualität zu orientieren. Dies wird verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die 5dimensionale Struktur als Basis fur die Entwicklung eines Meßinstruments konzipiert wurde. Bei der Konstruktion von Meßskalen kommt es insbesondere darauf an, möglichst unabhängige, überschneidungsfreie Dimensionen festzulegen, um darauf aufbauend eine weitgehend redundanzfreie Itembatterie zu konzipieren. Hierzu nimmt man es auch in Kauf, daß in den Dimensionen mitunter Aspekte zusammengefaßt sind, die sachlogisch nicht unbedingt eng verwandt sind, aber in der Faktorenanalyse eindeutig auf demselben Faktor laden (was dann natürlich die Ermittlung einer umfassenden Dimensionenbezeichnung schwieriger macht). So sind beispielsweise in der Dimension „Assurance" sowohl das Fachwissen als auch die Höflichkeit der Angestellten zusammengefaßt, was zweifellos recht unterschiedliche Merkmale sind. Wenn es aber darum geht, sich ein möglichst plastisches Bild vom Qualitätsverständnis der Konsumenten zu machen, kommt es nicht so sehr auf Überschneidungsfreiheit, sondern vielmehr auf einen gewissen Detailreichtum an. Aus diesem Grund wollen wir uns an den 10 bereits in Kapitel III.l.a)aa) (Teil B) genannten Qualitätsdimensionen orientieren (vgl. S. 136), die Parasuraman, Zeithaml & Berry in ihrer explorativen Studie (1984, 1985) unmittelbar aus den Tiefen- bzw. Gruppenin13 Haas

194

C. Die Untersuchungsergebnisse

terviews abgeleitet haben. Tabelle 23 soll den Zusammenhang zwischen den beiden Dimensionenstrukturen verdeutlichen: Tabelle 23

10- und 5-dimensionale Struktur der Dienstleistungsqualität 10 Dimensionen

5 Dimensionen

Reliability

Reliability

Responsiveness

Responsiveness

Access

Empathy

Understanding / knowing the customer Communication Competence

Assurance

Courtesy Credibility Security Tangibles

Tangibles

Quelle: Zeithami, Parasuraman & Berry, 1990, S. 25.

Wie sich zeigt, wurden vier der ursprünglichen Dimensionen durch die Skalenkonstruktion zum Faktor „Assurance" verdichtet; „Empathy" ist aus drei Dimensionen der anfänglichen Struktur hervorgegangen. Bei den übrigen drei Dimensionen hat sich hingegen keine Veränderung ergeben. Führen wir uns im folgenden vor Augen, welche konkreten Inhalte sich hinter diesen 10 Dimensionen der Dienstleistungsqualität verbergen (Parasuraman, Zeithami & Berry, 1984, S. 13-14; dies. 1985, S. 47). „Reliability ", oben bereits mit „Verläßlichkeit" übersetzt, spricht die Zuverlässigkeit und Beständigkeit an, die das Unternehmen bei der Erbringung der Dienstleistung an den Tag legt. Hier kommt der Wunsch der Konsumenten nach einem reibungslosen Ablauf der Dienstleistungserstellung zum Ausdruck, ohne das Auftreten von „Pannen", Störungen, Verzögerungen oder anderen unangenehmen Überraschungen, und zwar während des gesamten Dienstleistungsvollzugs, also vom ersten Kontakt bis (mindestens) zur Erstellung der Rechnung. Dies bedeutet insbesondere, daß der Anbieter sämtliche Versprechungen, Zusagen und Vereinbarungen einhält, etwa was den Zeitpunkt der Fertigstellung der Dienstleistung anbelangt. „Responsiveness " (Agilität) meint die Bereitwilligkeit und Schnelligkeit, mit der die Dienstleistung von dem Unternehmen bzw. seinen Mitarbeitern erbracht wird. Hier geht es darum, wie dynamisch und beweglich sich das Unternehmen und wie einsatzbereit sich jeder einzelne Mitarbeiter im Kontakt mit dem Kunden zeigt, beispielsweise ob Rückrufe schnell erfolgen, versprochene Unterla-

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

195

gen rasch zugesandt und Aufträge umgehend erledigt werden, ob der Dienstleister aktiv mitdenkt und von sich aus Informationen bereitstellt, bevor der Kunde selbst danach fragt, etc. Der hier angesprochene absolute Zeitaspekt läßt sich sehr gut von dem relativen unterscheiden, der bei „Reliability" eine Rolle gespielt hat: Während es dort darum ging, daß festgesetzte Fristen eingehalten werden (i.S.v. Pünktlichkeit), ist hier entscheidend, daß die Dienstleistung insgesamt und als solche zügig abläuft. Die Dimension iyAccess" (Zugangsmöglichkeit) zielt darauf ab, wie leicht es das Dienstleistungsunternehmen seinen Kunden macht, mit ihm in Kontakt zu treten. Hierzu gehören beispielsweise eine günstige Verkehrsanbindung, ggf. mit Parkmöglichkeiten, lange Öffnungszeiten sowie keine bzw. kurze Wartezeiten (z.B. keine Warteschlangen vor dem Bankschalter). Auch die Erreichbarkeit über Telekommunikationsmedien ist an dieser Stelle zu nennen: Positiv vermerkt wird hier zweifellos eine ausreichende Anzahl an Telefonanschlüssen, so daß wegen belegter Leitungen keine wiederholten Anrufe nötig sind bzw. keine kostspieligen/nervtötenden Aufenthalte in automatischen Warteschleifen anfallen. Auch die Einrichtung von Gratisrufhummern („0130-Service") und einer telefonischen 24-Stunden-Bereitschaft wären Beispiele für leichten „Access". Bei vielen Dienstleistungen dürfte in diesem Zusammenhang auch der Erreichbarkeit über die sogenannten „neuen Medien" (electronic mail, Angebote im Internet) eine wachsende Bedeutung zukommen. Mit dem Begriff „Understanding/knowing the customer " (Verstehen/Kennen des Kunden) ist gemeint, inwieweit sich der Dienstleister bemüht, den Kunden als Individuum wahrzunehmen. Erwartet wird hier, daß versucht wird, die spezielle Bedürfhisstruktur des jeweiligen Kunden zu ermitteln, und daß jedem Kunden individuelle Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Der von einigen Kunden in den Tiefeninterviews geäußerte Wunsch, von den Mitarbeitern ggf. als Stammkunde erkannt und entsprechend in einer etwas persönlicheren Weise behandelt zu werden, wurde ebenfalls unter diese Rubrik gefaßt. „Communication " könnte mit „Kommunikationskultur" übersetzt werden. Betroffen sind einerseits die Art und Weise, in der mit den Kunden kommuniziert wird, andererseits aber natürlich auch die Kommunikationsinhalte. So wird es von den Kunden als wichtig angesehen, daß es den Mitarbeitern gelingt, sich rasch auf die sprachliche Ebene des Kunden einzustellen, die von dessen Bildungsstand, aber auch von der Vertrautheit mit der betreffenden Dienstleistung bestimmt wird. Als unverzichtbare, vom Dienstleister unaufgefordert zu liefernde Kommunikations/ttAa/te werden von den Kunden insbesondere angesehen: eine Erklärung der Dienstleistung selbst (Wesen, Merkmale, Varianten, etc.), eine Auskunft über die Kosten der Dienstleistung sowie ggf. eine Erläuterung des Zusammenhangs zwischen Kosten- und Leistungsbestandteilen der Dienstleistung. 1

196

C. Die Untersuchungsergebnisse

Kaum Schwierigkeiten bereitet die Frage, was unter „Competence " (Fachkompetenz) zu verstehen ist. Die Kunden erwarten, daß die Mitarbeiter des Dienstleistungsunternehmens über das einschlägige Fachwissen, die nötige Erfahrung und die erforderlichen Fertigkeiten zur Erbringung der Dienstleistung verfügen. Dieser Anspruch bezieht sich auf sämtliche Mitarbeiter des Unternehmens, also nicht nur auf diejenigen, mit denen der Kunde unmittelbar in Kontakt tritt. Ähnlich eindeutig ist die Dimension „Courtesy ". Sie umfaßt die Höflichkeit, die Freundlichkeit, die Aufmerksamkeit, den Respekt und das Entgegenkommen der Mitarbeiter, mit denen der Kunde (persönlich, telefonisch oder auf andere Weise) durch die Inanspruchnahme der Dienstleistung in Kontakt kommt. Es ist nicht ganz leicht, alle diese Aspekte in einem einzigen deutschen Begriff zu fassen; vielleicht trifft die Bezeichnung „Sozialkompetenz" den Kerngehalt noch am ehesten. Mit „Credibility " (Glaubwürdigkeit) ist gemeint, inwieweit das Unternehmen im wohlverstandenen Interesse des Kunden handelt. Die Erwartung ist hier, daß der Dienstleistungsanbieter die Geschäftsbeziehung in einer fairen Weise gestaltet und den Kunden nicht übervorteilt. Das setzt insbesondere vertrauenswürdige, ehrliche und seriöse Mitarbeiter voraus. Negativ verbuchen es die Konsumenten bei dieser Qualitätsdimension beispielsweise, wenn ein Anlageberater aus Provisionsgründen einseitig nur die bankeigenen Geldanlagemöglichkeiten empfiehlt, obwohl ertragreichere Anlageformen existieren; auch ein ausgeprägtes „hard-selling" würde hier zu Abwertungen führen. Gewiß nicht für alle Dienstleistungsarten gleichermaßen von Bedeutung ist die Dimension „iSecurity " (Sicherheit). Hierunter fällt nach den Erkenntnissen von Parasuraman, Zeithami & Berry die Abwesenheit von Risiken ganz unterschiedlicher Art. Neben der physischen Sicherheit, die sich auf die körperliche Unversehrtheit des Kunden bezieht (mögliches Risiko: verkehrsuntüchtiges Fahrschulauto), kann beispielsweise die finanzielle Sicherheit (mögliches Risiko: Konkurs des Reiseveranstalters) oder auch die Sicherheit der Privatsphäre (mögliches Risiko: Bank versendet Kontoauszug an falschen Empfänger) gefährdet sein. Die Dimension „Tangibles' " (Äußeres Erscheinungsbild) schließlich stellt auf die Beschaffenheit aller sieht- und fühlbaren Komponenten ab, mit denen der Kunde bei der Inanspruchnahme der Dienstleistung in Kontakt kommt. Auch hier ist die Bandbreite relevanter Faktoren sehr groß: Sie reicht vom Anblick des Firmengebäudes und der Geschäftsräume über die Kleidung und sonstige Erscheinung der Mitarbeiter bis hin zur lesefreundlichen und optisch ansprechenden Gestaltung eines Kontoauszugs. Aus der Gesamtbetrachtung der eben erläuterten dienstleistungsspezifischen Qualitätsdimensionen ergeben sich zwei zentrale Feststellungen:

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

197

© Auffallend ist zunächst, daß die eigentliche Kernleistung nur in einer einzigen Dimension (Reliability) angesprochen ist. Zwar wird diese Dimension von den Konsumenten - wie oben gezeigt (vgl. S. 193) - als die wichtigste angesehen, doch ist es sehr bemerkenswert, daß alle übrigen 9 Dimensionen nicht auf das „was", sondern auf das „wie" der Dienstleistungserbringung abzielen; insofern erweist sich, nebenbei bemerkt, die theoretische Unterscheidung von Grönroos zwischen technischer und funktionaler Komponente der Dienstleistung (vgl. Teil B, Kap. II.2., S. 132) durchaus als empirisch gehaltvoll. Vor dem Hintergrund dieser „Mengenrelation" von 9:1 Dimensionen erscheint darüber hinaus auch Grönroos' These sehr plausibel, daß der funktionalen Qualität insgesamt gesehen gegenüber der technischen Qualität sogar eine höhere Bedeutung zukommt, jedenfalls unter der Voraussetzung, daß letztere wenigstens auf einem Mindestniveau realisiert ist (Grönroos, 1984, S. 41). ® Ein weiterer interessanter Befund zeigt sich, wenn man die Qualitätsforderungen der Konsumenten unter dem Aspekt betrachtet, wer oder was der Träger der korrespondierenden Qualitätsmerkmale ist. Unterscheidet man hierbei zwischen Dimensionen, die Merkmale des Unternehmens als Organisation ansprechen, und solchen, die auf Eigenschaften der einzelnen Mitarbeiter gerichtet sind, so fällt auf, daß die Mehrzahl der Dimensionen als überwiegend personalbezogen charakterisiert werden kann. Lediglich die Dimensionen „Access" und „Tangibles" sind eindeutig als organisationsbezogen einzustufen; „Reliability" und „Security" nehmen bereits eine Zwischenstellung ein: Zwar dürften hier ebenfalls Merkmale der Organisation im Vordergrund stehen, doch ist der Einfluß von Eigenschaften des Personals auf diese Dimensionen sicher nicht unerheblich. Die Dimensionen „Responsiveness", „Understanding/knowing the customer", „Competence", „Courtesy", „Communication" und „Credibility" werden jedoch zweifellos ganz entscheidend von den Charakteristika der Mitarbeiter geprägt. Bei den personalbezogenen Merkmalen lassen sich wiederum drei Gruppen ausmachen, je nachdem, welche Möglichkeiten einem Unternehmen offenstehen, darauf Einfluß zu nehmen: Während fur eine hohe Fachkompetenz vorwiegend kognitives Wissen erforderlich ist, das durch Schulungsmaßnahmen vermittelt werden kann, ist die Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter und ihr Bemühen, jedem Kunden individuelle Aufmerksamkeit zu schenken, nur durch motivationssteigernde Maßnahmen positiv zu beeinflussen; die Sozialkompetenz, das Kommunikationsvermögen und die Glaubwürdigkeit eines Mitarbeiters stellen dagegen in der Regel nur schwer zu beeinflussende Wesensmerkmale dar, so daß sich dem Unternehmen hier nur über eine entsprechende Personalauswahl Gestaltungsmöglichkeiten bieten. Mit diesen Erkenntnissen über die Wichtigkeit funktionaler Aspekte einerseits und zur zentralen Bedeutung der Mitarbeiter 28 andererseits sind also be-

198

C. Die Untersuchungsergebnisse

reits bedeutsame Grundvoraussetzungen angesprochen, die ein Dienstleistungsunternehmen berücksichtigen muß, wenn es in den Augen seiner Kunden hohe Qualität anbieten will. 2. Wodurch wird ein Dienstleistungsunternehmen „kundenfreundlich"? Nachdem wir uns soeben ein konkretes Bild von den Faktoren verschafft haben, die im Dienstleistungsbereich die von Konsumenten wahrgenommene Qualität beeinflussen, gilt es nun, über die am Ende des letzten Kapitels genannten Grundvoraussetzungen hinaus eine Vorstellung davon zu gewinnen, wodurch sich ein Unternehmen auszeichnet, das diese Faktoren in einer aus Kundensicht optimalen Weise realisiert. Diese Aufgabe erscheint auf den ersten Blick trivial, muß man doch nur die oben genannten Qualitätsdimensionen in den jeweils entsprechenden Imperativ umformen und postulieren: „Ein kundenfreundliches Dienstleistungsunternehmen muß verläßlich und agil sein, es muß seinen Kunden den Zugang möglichst leicht machen, ..." - doch wäre damit freilich kaum etwas gewonnen. Vielmehr müssen durch eine tiefergehende Betrachtung diejenigen Grundorientierungen, Führungs- und Organisationsprinzipien sowie konkreten Maßnahmen identifiziert werden, die gerade dazu führen, daß das Unternehmen den genannten Ansprüchen gerecht wird. Die Kundenforderungen müssen also gewissermaßen in korrespondierende Managementprinzipien „übersetzt" werden. Denn die Evaluierung der Normforderungen, bei denen es sich ja letztlich ebenfalls um ein bestimmtes Managementkonzept handelt, nämlich das Qualitätsmanagement nach DIN EN ISO 9000ff., ist nur möglich, wenn der Vergleichsmaßstab zuvor auf den „gleichen Nenner" gebracht worden ist. Erfreulicherweise ist in diesem Bereich bereits etliches an Vorarbeit geleistet worden. Die Frage, wodurch sich kundenfreundliche Unternehmen auszeichnen, nimmt in der wissenschaftlichen und unternehmenspraktischen Diskussion breiten Raum ein. Das Interesse konzentriert sich hierbei schon seit einigen Jahren auf ein Gestaltungskonzept, für das sich mittlerweile der Begriff „Total

28 M a n mag an dieser Stelle einwenden, daß es auch Dienstleistungen gibt, bei denen das Personal praktisch keine Rolle spielt (z.B. eine vollautomatische Autowaschanlage). Das ist unbestreitbar; doch beziehen sich die Aussagen in dieser Arbeit auf „typische" Dienstleistungen, die der in Kapitel I (Teil A ) entwickelten Kernvorstellung wenigstens in etwa entsprechen.

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

199

Quality Management" (TQM) etabliert hat 29 . Es erscheint daher lohnend, diesen Ansatz einer genaueren Betrachtung zu unterziehen, um hieraus Kriterien zu gewinnen, die eine Evaluierung des Qualitätsmanagements nach DIN EN ISO 9000ff. ermöglichen. Dabei ist freilich eine unkritische Übernahme von Anforderungen zu vermeiden. Denn fur die Klärung der ISO-Q-Hypothese muß das Qualitätsmanagementsystem nach ISO nicht vor dem Konzept des „Total Quality Management" als solchem bestehen, sondern vor der Qualitätsvorstellung der Konsumenten. Die einzelnen Prinzipien des TQM können daher lediglich das Prüfraster bilden, und das auch nur, wenn und insoweit sich begründen läßt, daß sie ihre unmittelbare Entsprechung im Qualitätsverständnis der Konsumenten finden; dies wird im einzelnen in Kapitel II.2.b) geprüft. a) Zum „state of the art " in Wissenschaft und Unternehmenspraxis aa) Von der klassischen Qualitätskontrolle zum „Total Quality Management" Für das Verständnis des Total Quality Management ist es hilfreich, wenn man sich zunächst die Entwicklungslinie vor Augen fuhrt, anhand derer sich die Grundhaltung des Managements gegenüber dem Thema „Qualität" in den letzten 40 Jahren entwickelt hat. Beginnen wir unsere Betrachtung also in einer Phase, die sich zeitlich bis etwa in die frühen sechziger Jahre hinein erstreckte und mit der Bezeichnung klassische Qualitätskontrolle umschrieben werden kann (zur Unterscheidung der einzelnen Perioden vgl. Macharzina, 1995, S. 626-627; Schwickert, Beemelmann & Kargl, 1995a, S. 127-129; Zink & Schildknecht, 1992, S. 75-80; Engelhardt & Schütz, 1991, S. 396; Haist & Fromm, 1991, S. 7-10). Kennzeichnend für diese Entwicklungsstufe war die weite Verbreitung des auf F. W. Taylor (1911) zurückgehenden „Scientific Management"-Ansatzes. Die Kernidee dieser Konzeption besteht darin, Arbeitsabläufe möglichst weitgehend in Einzelschritte aufzuspalten, die dann jeweils von unterschiedlichen, auf diese speziellen Tätigkeiten spezialisierten Arbeitskräften zu verrichten sind. Die starke Betonung der Arbeitsteilung brachte zwangsläufig eine personelle Trennung von entscheidenden, ausführenden und kontrollierenden Tätigkeiten mit sich. So bildete auch die Qualitätsprüfung eine eigenständige Funktion, die am Ende des Herstellungsprozesses angesiedelt war. Diese Beschränkung der Qualitätsprüfung auf die Endkontrolle der gefertigten Teile bzw. erstellten Leistun-

29

Daneben existieren Begriffe wie „Total Quality Control" (TQC), „Company-wide Quality Control" (CWQC), „Company-wide Quality Improvement" (CWQI), etc.; doch sind die Unterschiede zwischen den Konzepten so gering, daß es zu rechtfertigen ist, TQM als Sammelbegriff zu verwenden (Frehr, 1994a, S. 31).

200

C. Die Untersuchungsergebnisse

gen wird bisweilen auch als „End-of-the-Pipe-Philosophie" (Macharzina, 1995, S. 626) bezeichnet. Die Einhaltung des geforderten Qualitätsniveaus wurde sichergestellt, indem bei der alle produzierten Güter umfassenden Qualitätsprüfung die unzureichenden herausgefiltert und nachgebessert bzw. vernichtet wurden. Qualitätssteigerungen wurden vorrangig durch Einengung der Prüfspezifikation erreicht (letztlich also durch eine Erhöhung der Ausschußquote) und wenn überhaupt - erst in zweiter Linie durch Verbesserungen des Produktionsverfahrens. Es ist leicht nachzuvollziehen, daß es den im Produktionsprozeß eingesetzten Mitarbeitern angesichts ihrer äußerst begrenzten Verantwortung und der nur in geringem Maße stattfindenden Rückkopplung über die Arbeitsergebnisse kaum möglich war, ein Empfinden für die Qualität ihrer Arbeit zu entwickeln. Die dieser Sichtweise zugrundeliegende Einstellung kann in einem Satz umschrieben werden mit „Qualität ist zu erprüfen". Es werden eine ganze Reihe unterschiedlicher Einflußfaktoren genannt, die bewirkt haben, daß sich diese Haltung der Unternehmen gegenüber der Qualität im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt hat. Im einzelnen werden genannt (Macharzina, 1995, S. 623; Kamiske & Malorny, 1994, S. 3-4; Töpfer, 1993, S. 45-46; Zink, 1992a, S. 11-15; Engelhardt & Schütz, 1991, S. 394; Haist & Fromm, 1991, S. 10): © Verstärkung des Wettbewerbsdrucks. Durch die zunehmende Sättigung bei gleichzeitiger Globalisierung der Märkte sind viele europäische und amerikanische Unternehmen in den siebziger und frühen achtziger Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Die Notwendigkeit, sich intensiv mit dem Thema Qualität zu beschäftigen, wurde dabei insbesondere durch die beachtlichen Markterfolge der japanischen Industrie unterstrichen, die in diesem Zeitraum in eine ganze Reihe klassischer westlicher (v.a. deutscher) Qualitätsdomänen eindringen konnte: Fototechnik, Unterhaltungselektronik und nicht zuletzt die KfzProduktion sind bekannte Beispiele. ® Erhöhte Kundenanforderungen. Die Ansprüche der Kunden an die Qualität der Güter sind gewachsen, gleichzeitig ist die Qualität als Kaufkriterium in den Vordergrund gerückt (zu empirischen Nachweisen vgl. Macharzina, 1995, S. 623). (D Verändertes Wertebewußtsein der Mitarbeiter. Die Diskussion um Themen wie „Qualität der Arbeit(sbedingungen)" hat eingesetzt, und im Zuge dessen wurden Forderungen nach mehr Mitgestaltungs- und Mitbestimmungsrechten für die Arbeitnehmer laut. ® Verschärfung rechtlicher Anforderungen. Hier ist insbesondere das als Umsetzung entsprechender EG-Richtlinien sowie bereits bestehender Rechtsprechungsgrundsätze am 1.1.1990 in Kraft getretene Produkthaftungsgesetz zu nennen. Dieses wirkt deshalb besonders einschneidend, weil es vom Grundsatz der Verschuldenshaftung abrückt und eine Gefährdungshaftung begründet. Da-

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

201

mit haftet der Hersteller für durch sein Produkt angerichtete Schäden auch dann, wenn er den Schaden nicht vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt hat. Haftungsgrund ist bereits das in Verkehr bringen des fehlerhaften Produkts (Ensthaler, Füßler & Nuissl, 1997, S. 65). Der Hersteller kann die Haftung nur abwenden, wenn von ihm alle notwendigen Maßnahmen zur Vermeidung des Fehlers getroffen wurden, wofür er selbst den Nachweis zu erbringen hat (Prinzip der Beweislastumkehr im § 1 Abs. 4 S. 2 ProdHaftG 30 ). Der zur Beurteilung dieser Frage von der Rechtsprechung angelegte Maßstab berücksichtigt den Stand der Technik, die wirtschaftliche Zumutbarkeit sowie die voraussehbaren Folgen beim Versagen des Erzeugnisses. ® Entscheidende Impulse wurden schließlich von wissenschaftlicher Seite ausgelöst, insbesondere von den Ergebnissen der PIMS-Studie, nach denen die Leistungsqualität (neben dem Marktanteil) einen besonders wichtigen Prädiktor der Kapitalrentabilität von Unternehmen darstellt (Buzzell & Gale, 1989, S. 93). Vor diesem Hintergrund vollzog sich zunächst die Entwicklung zu einer Zwischenstufe, die als „umfassende Qualitätssicherung' bezeichnet werden kann. Der entscheidende Fortschritt bestand in der Abwendung von der ergebnis- hin zu einer prozeßorientierten Sichtweise. Die Konsequenz war die Auflösung der Qualitätsendkontrolle als eigenständiger Funktion zugunsten einer Vorverlagerung und Integration der Qualitätsprüfungsaktivitäten in alle Stufen des Herstellungsprozesses hinein; jeder Mitarbeiter hatte nun bei den von ihm gefertigten Leistungseinheiten an seinem Arbeitsplatz selbst die Qualitätsprüfung vorzunehmen. Damit war es möglich, auftretende Fehler am Ort ihrer Entstehung zu entdecken und dadurch die Kosten für die unnötige Weiterbearbeitung fehlerhafter Teile bis zu ihrer Aussonderung durch die Endkontrolle einzusparen. Die Entwicklung leistungsfähiger statistischer Methoden ermöglichte zudem den Übergang von der Vollkontrolle zur stichprobenhaften Prüfung. Alle im operativen Bereich beschäftigten Mitarbeiter hatten nun selbst Qualitätsverantwortung, was einerseits zwar einen gesteigerten Schulungsaufwand bedeutete, sich andererseits aber sehr positiv auf die persönliche Beziehung der Mitarbeiter zur Qualität ihrer Arbeit auswirkte. Die so dezentralisierten Qualitätsprüfungen wurden von einer speziellen Organisationseinheit („Qualitätswesen" oder „Qualitätssicherung") koordiniert und überwacht. Die Grunderkenntnis dieser Phase lautet in einem Satz: „Qualität ist in die Produkte hineinzuproduzieren". Die dritte und vorerst letzte Stufe bildet das integrierte Konzept des Qualitätsmanagements oder „Total Quality Management" (TQM), das im folgenden

30 Der Fehler, der Schaden und die Kausalität zwischen beiden müssen jedoch vom Geschädigten nachgewiesen werden (vgl. § 1 Abs. 4 S. 1 ProdHaftG).

202

C. Die Untersuchungsergebnisse

Kapitel ausfuhrlich dargestellt werden wird. Ihm liegt eine wesentlich erweiterte, ganzheitliche Sichtweise zugrunde: Gegenstand der Qualitätsbemühungen sind nun nicht mehr alleine die Primäraktivitäten der Wertschöpfiing, sondern sämtliche Unternehmensprozesse. Qualität avanciert zum obersten Unternehmensziel und wird zur zentralen strategischen Dimension. TQM kann damit als Führungsphilosophie angesehen werden. Um es wieder als schlagwortartigen Imperativ zu formulieren: „Qualität ist umfassend zu managen". Stellt man einen internationalen Vergleich an, so zeigt sich, daß die verschiedenen Industrienationen diese bisher höchste Entwicklungsstufe zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten erreicht haben (Macharzina, 1995, S. 634-635). So haben japanische Unternehmen schon sehr früh, nämlich bereits Mitte der siebziger Jahre, mit der konsequenten Umsetzung von TQM begonnen, worin allgemein ein ausschlaggebender Faktor für deren enorme wirtschaftliche Erfolge gesehen wird. Mit erheblicher zeitlicher Verzögerung haben sodann nordamerikanische Unternehmen diese Entwicklung nachvollzogen, was sich inzwischen durch ein beginnendes Wiedererstarken auszuzahlen beginnt. In Westeuropa und Deutschland sind integrierte Qualitätsmanagementkonzepte bislang nur vereinzelt und in ersten Ansätzen erkennbar, wie eine neuere Studie von Schildknecht (1993) belegt. bb) Das TQM-Konzept Hinsichtlich der oben skizzierten Grundidee des TQM besteht in der Literatur weitgehend Einigkeit. Allerdings offenbaren sich zum Teil erhebliche Unterschiede, sobald die Autoren 31 beginnen, das Konzept inhaltlich auszubuchstabieren. Konkret läßt sich feststellen, daß recht verschiedenartige Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden, darüber hinaus stößt man jedoch auch auf abweichende Ansichten über die Umfänglichkeit des Begriffs. Bei einigen Autoren kann man sich des Gefühls nicht erwehren, daß unter Total Quality Management „erfolgreiches Management" schlechthin verstanden wird (etwa bei Malorny & Kassebohm, 1994), wodurch das Konzept derart konturlos wird, daß es sich einer wissenschaftlichen Betrachtungsweise vollends entzieht. Einige Verfasser umgehen das Definitionsproblem, indem sie zur Erklärung von TQM pauschal auf eines der Bewertungsschemata verweisen, die bei der Vergabe der in letzter Zeit so populär gewordenen Qualitätspreise, wie etwa dem „Malcolm Baldridge National Quality Award" (MBNQA, vgl. hierzu Ellis, 1994) oder seinem europäischen Pendant, dem „European Quality Award" (EQA, vgl. hier31 Als Standardwerke in der deutschsprachigen Diskussion haben sich inzwischen etabliert: Malorny (1996), Frehr (1994b), Kamiske & Malorny (1994), Masing (1994), Pfeifer (1993), Töpfer (1993), Zink (1992b), Haist & Fromm (1991) und Oess (1991).

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

203

zu Stauss & Scheuing, 1994) zugrundegelegt werden (z.B. Wittig, 1993, S. 108; im Ergebnis auch Homburg, 1995, S. 231). Dies ist zwar eine sehr pragmatische Vorgehensweise, doch kann eine solche nicht hinterfragte Verabsolutierung der Vorstellungen eines anonymen Preisvergabegremiums theoretisch kaum befriedigen. Die Komplexität des Sachverhaltes läßt offenkundig die Formulierung einer griffigen Definition nicht zu. Entsprechende Vorschläge geraten entweder zu allgemein 32 oder zu unhandlich 33 . Derartigen Versuchen soll durch diese Arbeit kein weiterer hinzugefügt werden. Um eine anschauliche Vorstellung von Total Quality Management zu vermitteln, ist hier ein anderer Weg gewählt worden. So wurde in einem ersten Schritt die Fülle der zu diesem Thema in den letzten Jahren erschienenen Beiträge auf Gemeinsamkeiten und wiederkehrende Elemente untersucht; anschließend erfolgte eine sorgfältige Ordnung, Verdichtung und Ergänzung dieser Komponenten, so daß schließlich ein weitgehend in sich geschlossenes Konzept des Total Quality Management erarbeitet werden konnte. Das Ergebnis dieser Analyse ist im folgenden wiedergegeben. Ein sehr breiter Konsens besteht zunächst über den relativ engen Kreis der Persönlichkeiten, denen ein prägender Einfluß auf das Gedankengut des Total Quality Management zuzuschreiben ist. Im einzelnen handelt es sich hierbei um die in Tabelle 24 aufgeführten Autoren. Bemerkenswert ist, daß die beiden Amerikaner Juran und Deming nach dem Ende des zweiten Weltkriegs lange Jahre in Japan beratend gewirkt haben, nachdem ihre Ideen in ihrem Heimatland aufgrund der dort noch florierenden Nachkriegswirtschaft nur auf mäßiges Interesse gestoßen waren. Wenn es auch etwas zu weit geht, die beiden als die Väter des japanischen Wirtschaftswunders zu bezeichnen, so steht doch außer Frage, daß sie zumindest einen bedeutenden Anteil daran hatten (Glaap, 1993, S. 12).

32

Vgl. etwa die Definition in DIN EN ISO 8402: „ A u f die Mitwirkung aller ihrer Mitglieder gestützte Managementmethode einer Organisation, die Qualität in den Mittelpunkt stellt und durch Zufriedenstellung der Kunden auf langfristigen Geschäftserfolg sowie auf Nutzen für die Mitglieder der Organisation und für die Gesellschaft zielt." 33 Vgl. etwa die Definition von Oess (1994, S. 201): „Unter TQM werden alle Strukturen, Abläufe, Vorschriften, Regeln, Anweisungen und Maßnahmen verstanden, die dazu dienen, die Qualität von Produkten und Dienstleistungen einer Unternehmung in allen Funktionen (Entwicklung, Konstruktion, Fertigung etc.) und allen Ebenen durch die Mitwirkung aller Mitarbeiter termingerecht und zu günstigsten Kosten zu gewährleisten sowie kontinuierlich zu verbessern, um eine optimale Bedürfnisbefriedigung der Konsumenten und der Gesellschaft zu ermöglichen."

204

C. Die Untersuchungsergebnisse Tabelle

24

Die „geistigen Väter" des TQM Autor

Hauptwerk'r34

Crosby, Philip B.

(1979) Quality is free. New York: McGraw-Hill.

Deming, William E.

(1992) Out of the crisis. Cambridge, Mass.: Cambr. Univ. Press.

Feigenbaum, Armand V.

(1991) Total quality control. New York: McGraw-Hill.

Ishikawa, Kaoru

(1994) Guide to quality control. Tokyo: Asian Productivity Org.

Juran, Joseph M.

(1974b) Quality control handbook. New York: McGraw-Hill.

Für eine detaillierte Auseinandersetzung mit den 5 Autoren besteht hier freilich weder Notwendigkeit noch Raum (vgl. hierzu Zink & Schildknecht, 1992, S. 81-101; Oess, 1991, S. 69-88). An dieser Stelle sollen zwei kurze Anmerkungen genügen. Obwohl die Autoren in einer ganzen Reihe von Punkten übereinstimmen (vgl. die Synopsen bei Dornach, 1993, S. 76-77 und Oess, 1991, S. 88), hat doch jeder von ihnen das Konzept in spezifischer Weise geprägt und erweitert. Bei der anschließenden Darstellung der Merkmale des TQM wird hierauf im einzelnen hingewiesen. Erwähnenswert ist ferner, daß die Beiträge allesamt ohne nennenswerte theoretische Fundierung oder empirische Absicherung entstanden sind und somit letztlich intuitives Praktikerwissen darstellen. Der inzwischen unleugbare Erfolg des Gesamtkonzepts erscheint vor diesem Hintergrund besonders eindrucksvoll. Welches sind nun die wesentlichen Merkmale, mit denen sich das Total Quality Management beschreiben läßt? Im folgenden werden zehn besonders häufig genannte Aspekte dargestellt. Wenn dies in Form einer Auflistung von isolierten Einzelelementen geschieht, dann lediglich der besseren Übersichtlichkeit wegen; diese sequentielle Darstellungsform sollte jedoch nicht den Blick für die vielfältigen Verbindungen und Beziehungen verstellen, die zwischen allen beschriebenen Komponenten bestehen. Erst in ihrer Gesamtheit bilden sie ein TQM-System. Die Bedeutung dieses Ansatzes ist daher weniger in den einzelnen Prinzipien begründet - wie sich zeigen wird, ist keines davon revolutionär oder auch nur besonders originell - als vielmehr in der konzertierten, konzentrierten und konsequenten Umsetzung derselben. Abbildung 21 verschafft zunächst einen Überblick.

34 Bei den angegebenen Hauptwerken handelt es sich jeweils um neuere Auflagen, weshalb aus den Jahreszahlen nicht auf die chronologische Abfolge geschlossen werden darf.

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

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DIE 10 GRUNDPRINZIPIEN DES TQM

1. Umfassende Prozeßorientierung 2. Qualität als höchstes Unternehmensziel 3. Aktive Rolle des Top-Managements 4. Extreme Kundenorientierung 5. Individuelle Qualitätsverantwortung jedes Mitarbeiters 6. Partizipative Grundhaltung 7. Null-Fehler-Vision 8. Fehlerprävention 9. Faktenorientierung 10. Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß Abbildung 21 : Die 10 Grundprinzipien des TQM

Als Wesensmerkmale einer Unternehmensphilosophie sind diese Prinzipien naturgemäß abstrakt und folglich nicht unmittelbar „implementierbar". Für die konkrete Umsetzung im Unternehmen muß die Philosophieebene verlassen und auf einer Instrumentalebene nach geeigneten Methoden und Techniken Ausschau gehalten werden. Gleichwohl kann das TQM-Konzept niemals über bestimmte Techniken definiert werden - als konstitutiv sind ausschließlich die Elemente der Philosophieebene anzusehen (zur Unterscheidung von Philosophie» und Instrumentalebene vgl. Stauss, 1994, S. 20-21). Bei der anschließenden Beschreibung der zehn Grundprinzipien wird in einigen Fällen auf Instrumente hingewiesen, die eine herausragende Bedeutung bei der Umsetzung des jeweiligen Philosophieelements erlangt haben35. © Die umfassende Prozeßorientierung wurde bereits zur Abgrenzung des TQM von den beiden Vorstufen kurz angesprochen (vgl. S. 202). Sämtliche Prozesse des Unternehmens, also nicht nur die unmittelbar an der Leistungserstellung beteiligten, sondern auch und gerade die Planungs-, Gestaltungs- und administrativen Prozesse, werden systematisch analysiert und zum Gegenstand qualitätssteigernder Maßnahmen gemacht. Dies bedeutet, daß jede Abteilung, jede 35 Eine (etwas ungeordnete) Übersicht über die Vielzahl möglicher Instrumente findet sich bei Malorny & Kassebohm, 1994, S. 55; ausführlichere Informationen liefern Sondermann (1994) sowie Kamiske & Brauer (1993).

206

C. Die Untersuchungsergebnisse

Hierarchiestufe und jeder einzelne Mitarbeiter in den Qualitätsmanagementprozeß eingebunden ist. Das System erstreckt sich sogar über die Unternehmensgrenzen hinaus: Auch die Beziehungen zu Kunden, Zulieferern und - bei besonders umfassender Sichtweise - gesellschaftlichem Umfeld sind Gegenstand systematischer Qualitätsverbesserungsbemühungen. Die im Fokus von TQM stehende „Qualität" ist also nicht die Qualität von Produkten, sondern die Qualität von Prozessen. Allerdings ist natürlich insofern ein Zusammenhang gegeben, als viele dieser Prozesse direkt oder indirekt auf die Erstellung der Produkte gerichtet sind, so daß eine hohe Produktqualität sich aus einer hohen Prozeßqualität zwangsläufig ergibt; dennoch ist es ein Unterschied, ob diese oder jene als Ansatzpunkt von Verbesserungsmaßnahmen angesehen wird. ® Die weite Erstreckung des Systems auf das gesamte Unternehmen und sein Umfeld sowie die Ausrichtung sämtlicher Aktivitäten auf den Qualitätsaspekt erfordert die Verankerung von Qualität im eben beschriebenen Sinne als höchstes Unternehmensziel und zentrale strategische Dimension. Dies muß seinen Ausdruck auch durch eine schriftliche Niederlegung in den Unternehmensgrundsätzen bzw. dem Unternehmensleitbild finden. ® Der letztgenannte Punkt erfordert zwingend eine aktive Rolle des TopManagements. Die Unternehmensführung muß die Qualitätspolitik als ihre eigene, nicht delegierbare Aufgabe und persönliche Verpflichtung begreifen. Sie darf sich nicht damit begnügen, lediglich hinter dem System zu stehen, sondern muß als treibende, weichenstellende und gestaltende Kraft vorangehen und sich dabei ihrer Vorbildfunktion in besonderem Maße bewußt sein 36 . ® Kennzeichnend fur TQM ist ferner eine extreme Kundenorientierung. Als alleiniger Maßstab für die Qualität des Leistungsangebots wird die Kundenzufriedenheit betrachtet. Alle Aktivitäten des Unternehmens werden an den gegenwärtigen und künftigen Wünschen der Kunden ausgerichtet. Die Bedeutung der Kundenorientierung hat insbesondere Juran immer wieder besonders betont, was nicht zuletzt in seiner bereits erwähnten Definition von Qualität als „fitness for use" (Juran, 1974a, S. 2-2) zum Ausdruck kommt. Diese Sichtweise ist keineswegs so selbstverständlich, wie sie zunächst scheinen mag. Auch heute noch entscheidet vielfach alleine der Entwicklungsingenieur über die Gestaltung eines Produkts, und Dienstleistungen werden nicht selten am „grünen Tisch" von Experten kreiert. Die Folge ist immer wieder, daß Produkte angeboten werden, die über Eigenschaften verfügen, die von den Kunden gar nicht benötigt werden, die zu kompliziert oder mißverständlich sind, etc. Die Rückmeldung an das Unternehmen geschieht dann erst über geringe Absatzzahlen oder vermehrte

36

Mikulaschek (1992) beschreibt anschaulich die verheerenden Folgen eines mangelnden Engagements der Unternehmensleitung für den TQM-Prozeß.

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

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Kundenreklamationen. Dies wird bei TQM vermieden, indem die Kundenwünsche systematisch erfaßt (z.B. durch regelmäßige Kundenbefragungen) und Konsumenten schon früh in den Produktentwicklungsprozeß einbezogen werden. Die durchgängige Sicherstellung der Kundenbezogenheit in allen Phasen der Planung und Realisierung von Produkten und Dienstleistungen wird auch als „Quality Function Deployment" (QFD) bezeichnet; zu diesem Zweck sind eine ganze Reihe von Methoden entwickelt worden, von denen das sog. „House of Quality", ein Planungs- und Visualisierungsinstrument, das bekannteste sein dürfte (vgl. hierzu im einzelnen Sondermann, 1994, S. 238-243). © Die individuelle Qualitätsverantwortung jedes Mitarbeiters wurde bereits erwähnt. Die QualitätsVerantwortung liegt damit genau dort, wo die Qualität entstehen soll. Hierin liegt ein klares Bekenntnis zum Prinzip „Selbstkontrolle vor Fremdkontrolle". Als Denkmodell dient die Vorstellung vom „internen Kunden" - jeder Mitarbeiter betrachtet die Kollegen im Unternehmen, die von den Ergebnissen seiner Tätigkeit berührt werden, als seine Kunden, mit denen ein laufender Informationsaustausch über Anforderungen und Ergebnisse geführt wird. Damit die Qualitätsverantwortung für die eigenen Leistungsergebnisse auch wirksam wahrgenommen werden kann, ist eine entsprechende Ausund Weiterbildung aller Mitarbeiter unverzichtbar. Gegenstand dieser regelmäßigen Schulungen sind neben sorgfaltiger fachlicher Weiterbildung vor allem auf die jeweilige Tätigkeit abgestimmte Techniken der Qualitätssteigerung und -prüfung. Ihre sinnvolle Entsprechung findet die individuelle Qualitätsverantwortung in einem qualitätsorientierten Entgeltsystem (vgl. hierzu auch Laucht & Lücke, 1994). © Eng verbunden mit dem vorigen Punkt ist die partizipative Grundhaltung des TQM. Die Schaffung von Handlungs- und Entscheidungsfreiräumen zur Steigerung der Motivation und Entfaltung der Kreativität der Mitarbeiter bei der Entwicklung qualitätsverbessernder Ideen war vor allem Ishikawa ein besonderes Anliegen. Er hat auch das bereits bei Juran und Deming in Ansätzen erkennbare Konzept des Qualitätszirkels verfeinert und bekannt gemacht. Dabei handelt es sich um kleine, institutionalisierte Gruppen von ca. fünf bis zwölf Mitarbeitern, die regelmäßig zusammentreffen, um in ihrem Arbeitsbereich auftretende Probleme freiwillig und selbständig zu bearbeiten. Die Sitzungen werden von einem Kollegen oder (direkten) Vorgesetzten moderiert, dauern etwa eine bis zwei Stunden und finden in der Regel wöchentlich während der Arbeitszeit statt. Die Auswahl der zu diskutierenden Probleme, die Festlegung und Umsetzung der Verbesserungsmaßnahmen sowie die Kontrolle des Erfolgs nimmt der Qualitätszirkel eigenverantwortlich vor. Neben der Einfuhrung derartiger partizipativer Techniken ist es von besonderer Bedeutung, daß im gesamten Unternehmen ein mitarbeiterorientierter, kooperativer und dadurch motivierender Führungsstil gepflegt wird, der dem Respekt vor dem Menschen einen zentralen Stellenwert einräumt.

208

C. Die Untersuchungsergebnisse

© Kennzeichnend für TQM ist weiter eine ausgeprägte „Null-Fehler-Vision". Diese wendet sich gegen das Denken in „Acceptable Quality Levels" (AQL), also die Vorstellung, daß ein bestimmter Fehleranteil von vornherein einzuplanen ist, mit dem man sich zufrieden gibt, weil er als „unvermeidlich" angesehen wird. Dem wird eine „zero defect"-Philosophie gegenübergestellt, die insbesondere von Crosby propagiert wurde, der das Prinzip lapidar in seiner vielzitierten Aufforderung „do the job right the first time" auf den Punkt gebracht hat (Crosby, 1979, S. 169). Um Mißverständnisse auszuschließen: Die „zero defect"Philosophie scheitert nicht etwa an der Tatsache, daß dennoch immer wieder Fehler vorkommen. Der entscheidende Unterschied liegt im angestrebten Ziel („zero defect" anstatt AQL), worin eine gewandelte Einstellung gegenüber Fehlern zum Ausdruck kommt: Fehler werden nicht mehr als normal angesehen, sondern jeder Fehler ist eine Zielabweichung, deren Ursache gesucht und beseitigt wird. Das im vorigen Punkt beschriebene Führungsverständnis stellt dabei sicher, daß es sich hier tatsächlich um eine Suche nach Ursachen und nicht nach Schuldigen handelt. ® Wichtige Voraussetzung für die Annäherung an das Null-Fehler-Ziel ist eine konsequente Fehlerprävention. In der Konzentration auf die Fehlervermeidung anstatt auf die Beseitigung der Fehlerfolgen offenbart sich der proaktive Charakter des Systems. Auch hierbei sind wieder sämtliche Unternehmensprozesse einbezogen. Ein inzwischen häufig verwendetes Werkzeug zur Identifikation potentieller Fehler vor ihrem Auftreten stellt die „Fehlermöglichkeits- und -einflußanalyse" dar (Failure Mode and Effects Analysis, FMEA). Bei dieser ursprünglich für das Apollo-Programm 37 entwickelten Methode werden durch ein bereichsübergreifendes Arbeitsteam in einem kreativen Prozeß unter Leitung eines Moderators mögliche Fehler lokalisiert. Die so zusammengetragenen Schwachstellen werden anschließend mittels (meist zehnstufiger) Skalen quantifiziert, und zwar jeweils nach der Eintrittswahrscheinlichkeit, dem zu erwartenden Schadensausmaß sowie der Wahrscheinlichkeit der Entdeckung durch den Kunden 38 . Die Multiplikation aller drei Komponenten ergibt für jeden möglichen Fehler eine sogenannte Risikoprioritätszahl, die als Maß für die Dringlichkeit der im Anschluß festzulegenden Korrekturmaßnahmen interpretiert wird (zu den Einzelheiten vgl. Kamiske & Brauer, 1993, S. 29-33).

37

Dies ist sicher kein Zufall, ist es doch in der Raumfahrt geradezu lebenswichtig, daß Fehler vor ihrem Auftreten entdeckt werden. 38 Sondermann (1994, S. 245) nennt als dritte Kategorie statt dessen die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Entdeckung des Fehlers im Unternehmen, also vor Auslieferung an den Kunden. Folgt man dem, muß diese Dimension allerdings invers skaliert (l=hoch, 10=niedrig) in die Risikoprioritätszahl eingehen, um zu einem konsistenten Ergebnis zu gelangen.

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

209

(D Eine an TQM-Systeme häufig gerichtete Forderung ist ferner eine ausgeprägte Faktenorientierung. Danach sollten alle Entscheidungen soweit als möglich auf der Basis von Analysedaten getroffen werden. Je nach angesprochenem Entscheidungsbereich können die Daten auf unterschiedliche Weise gewonnen werden (Homburg, 1995, S. 235): aus Kundenbefragungen (vgl. oben Kundenorientierung), Produkt- bzw. Dienstleistungstests, internen Zeit- und anderen Messungen (zum Beispiel im Rahmen der „Statistical Process Control" SPC, vgl. Kamiske & Brauer, 1993, S. 127-134), Mitarbeiterbefragungen (BartelLingg, Geesmann & Bogel, 1996), Konkurrenzanalysen (etwa in der Form von „Benchmarking"), der internen Kostenrechnung und anderen mehr. Die Betonung statistischer Methoden läßt sich vor allem auf Deming zurückfuhren. Angestrebt wird ein System, das alle relevanten Daten kontinuierlich erhebt und systematisch zusammenführt, verdichtet und in Beziehung setzt: in Form von Trendermittlungen, Ursache-Wirkungs-Analysen, als Basis der Zielsetzung und Erfolgsmessung und so fort. ® Alle bisher genannten Punkte werden schließlich nicht statisch betrachtet, sondern einem kontinuierlichen Verbesserungsprozeß unterworfen. Bei keinem soll ein zufriedenstellender Standard erreicht werden können, statt dessen wird permanent an der Vervollkommnung gearbeitet, um laufend - möglichst meßbare - Fortschritte zu erzielen. Lassen sich auch hier bereits bei Deming Ansätze erkennen, so hat diese Geisteshaltung doch vor allem durch Imai (1986) unter der Bezeichnung „KAIZEN" weite Beachtung gefunden. Die Umsetzung erfordert ein leistungsfähiges Verbesserungsmanagement, das u.a. auch ein wirkungsvolles Vorschlagswesen sowie qualitätsbezogene Elemente im materiellen und immateriellen Anreizsystem umfaßt (Ortlieb, 1993). Hinsichtlich der Frage, worauf sich der Prozeß der kontinuierlichen Verbesserung zu beziehen hat, nimmt Frehr (1994a, S. 46) eine wichtige Klarstellung vor: „Unter Verbesserungen im Sinne von TQM sind die Beseitigung von Fehlleistungen aller Art, von unrationellen Arbeitsabläufen, Behinderungen, Kommunikations- und Informationslücken, Führungsproblemen u.v.m. zu verstehen. Darunter fallen nicht die großen Innovationen an Produkten, Prozessen und Einrichtungen. Diese sind unternehmerische Entscheidungen und Visionen, die durch die Methoden von TQM verbessert und sicherer gemacht werden können, aber nicht deren primäres Ziel sind." b) „Kundenfreundliches

Dienstleistungsunternehmen"

durch TQM?

Es mag intuitiv einleuchten, daß die eben geschilderten Prinzipien geeignet sind, die Qualität der Dienstleistungen eines Unternehmens in einer aus Kundensicht positiven Weise zu beeinflussen. Doch wollen wir uns mit diesem gefühlsmäßigen Eindruck nicht begnügen. Im folgenden wird daher explizit untersucht, welche Verbindungslinien zwischen den 10 Prinzipien des TQM und den 14 Haas

210

C. Die Untersuchungsergebnisse

10 Dimensionen der Dienstleistungsqualität bestehen. Erst durch den Nachweis hinreichend enger Bezüge werden die TQM-Prinzipien legitimiert, als Prüfkriterien für die Evaluierung des Qualitätsmanagements nach ISO Verwendung zu finden. Beginnen wir mit unseren Betrachtungen bei der aus Kundensicht wichtigsten Qualitätsdimension, der Verläßlichkeit. Nach einem zu dieser Dimension korrespondierenden TQM-Prinzip muß man nicht lange suchen - zweifellos stellen eine ausgeprägte Null-Fehler-Vision in Verbindung mit konsequenten Maßnahmen zur Fehlerprävention ausgezeichnete Voraussetzungen für eine störungsfreie und vereinbarungsgemäße Dienstleistungserstellung dar. Nimmt man die umfassende, an Fakten orientierte Prozeßorientierung hinzu, also eine Sichtweise, in der sämtliche Unternehmensprozesse systematisch analysiert und zum Gegenstand qualitätssteigernder Maßnahmen gemacht werden, so kann man wohl guten Gewissens davon ausgehen, daß ein Unternehmen, das sich konsequent am Leitbild des TQM ausrichtet, in puncto Verläßlichkeit die Anforderungen seiner Kunden erfüllen kann. Wie oben bereits angedeutet, spielt für die Agilität bei der Dienstleistungserstellung die Motivation der Mitarbeiter eine ganz entscheidende Rolle. Gleiches gilt für die Qualitätsdimension Verstehen/Kennen des Kunden. Hält man nach TQM-Prinzipien Ausschau, die sich günstig auf die Motivation der Mitarbeiter auswirken, so ist zunächst als Grundbedingung die Verankerung der Qualität als höchstes Unternehmensziel sowie, eng damit verbunden, die aktive Rolle des Top-Managements zu nennen. Es wäre unrealistisch, würde man von Mitarbeitern erwarten, daß sie sich engagiert und aktiv für das Wohl des Kunden einsetzen, ohne ihnen zugleich die Gewißheit zu geben, daß genau dieses Verhalten von der Unternehmensleitung gewünscht, honoriert und selbst aktiv praktiziert wird. Doch reicht dies alleine noch nicht aus: Den eigentlichen Nährboden für die hohe Motivation der Mitarbeiter bilden die das TQM kennzeichnende partizipative Grundhaltung sowie die individuelle Qualitätsverantwortung, die auf jeden einzelnen Mitarbeiter übertragen wird. Im Falle der Agilität tritt neben die Motivation als zweifelsohne bedeutendstem Faktor jedoch noch ein weiterer: Auch hochmotivierte Mitarbeiter können nämlich kaum etwas daran ändern, wenn es aufgrund unzweckmäßiger innerbetrieblicher Regelungen bei der Dienstleistungserstellung zu Verzögerungen kommt. Hieran wird deutlich, daß der umfassenden Prozeßorientierung auch für die Qualitätsdimension Agilität erhebliche Bedeutung zukommt, indem sie sicherstellt, daß die Unternehmensprozesse so gestaltet sind, daß eine zügige und flexible Dienstleistungserstellung überhaupt möglich ist. Was die Zugangsmöglichkeit ebenso wie das äußere Erscheinungsbild anbelangt, so kann man wohl annehmen, daß die extreme Kundenorientierung, die ein dem TQM verpflichtetes Unternehmen auszeichnet, dafür sorgt, daß hier die

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

211

entsprechenden Kundenwünsche erfaßt und in wirksame Gestaltungsmaßnahmen umgesetzt werden. Freilich würde man der Bedeutung des hier erstmals angesprochenen, zentralen TQM-Prinzips der extremen Kundenorientierung nicht gerecht, wenn man lediglich seinen Einfluß auf die Dimensionen Zugangsmöglichkeit und äußeres Erscheinungsbild explizit erwähnen würde. Letztlich wirkt sich dieses universale Prinzip bei allen Qualitätsdimensionen vorteilhaft aus, indem es als Ziel und Maßstab für sämtliche Aktivitäten des Unternehmens die gegenwärtigen und künftigen Wünsche der Kunden vorgibt. Wie oben bereits erwähnt, ist die Fachkompetenz der Mitarbeiter primär eine Frage der Schulung. Folglich kommt hier das TQM-Prinzip der individuellen Qualitätsverantwortung jedes Mitarbeiters zum tragen, als dessen konstitutives Element unter anderem die aufgabenadäquate Aus- und Weiterbildung aller Mitarbeiter genannt wurde. Sozialkompetenz muß, wie bereits erwähnt, ebenso wie die Fähigkeit zum Aufbau einer positiven Kommunikationskultur, als weitgehend unbeeinflußbares Persönlichkeitsmerkmal eines jeden einzelnen Mitarbeiters angesehen werden. Zwar spielen hierbei ohne Frage auch motivatorische Gegebenheiten eine Rolle, doch dürften diese kaum imstande sein, die grundlegenden Prädispositionen zu überspielen. Will ein Unternehmen bei diesen beiden Dimensionen erfolgreich sein, so muß es folglich bereits bei der Auswahl seiner Mitarbeiter darauf achten, daß sie über die einschlägigen Eigenschaften verfügen. Eine entsprechende Forderung läßt sich jedoch aus keiner der 10 Grundprinzipien des TQM eindeutig ableiten. Zwar könnte man argumentieren, daß eine extreme Kundenorientierung auch diesen Punkt umfassen muß, doch liefe man damit Gefahr, das Prinzip zu überdehnen. Wegen ihrer Wichtigkeit wollen wir die an Sozial- und Kommunikationskompetenz orientierte Personalauswahl lieber als eigenes Prinzip vermerken und als solches bei der Evaluierung des Qualitätsmanagements nach DIN EN ISO 9000ff. gesondert berücksichtigen. Bei der Dimension Glaubwürdigkeit sind zwei Aspekte angesprochen. Im Vordergrund steht eindeutig die Glaubwürdigkeit jedes einzelnen Mitarbeiters als Person (vgl. das Beispiel vom provisionsorientierten Anlageberater auf S. 196). Da es sich bei der Glaubwürdigkeit bzw. Seriosität ebenfalls um ein fixes Charaktermerkmal handelt, gelten insoweit die im vorigen Abschnitt gezogenen Schlußfolgerungen hier analog. Daneben umfaßt die Dimension aber auch noch die Glaubwürdigkeit des Unternehmens als Ganzes (Beispiel: Sind die AGB auf Übervorteilung der Kunden ausgelegt?). Man darf wohl annehmen, daß es einem Unternehmen, das Qualität als höchstes Unternehmensziel formuliert hat und das die Kundenzufriedenheit als alleinigen Maßstab seines Handelns betrachtet, gelingen müßte, in den Augen seiner Kunden glaubwürdig zu erscheinen. Bleibt als letzte Dimension noch die Sicherheit. Erwächst dem Kunden aus der Inanspruchnahme der Dienstleistung eine wie auch immer geartete Gefahr, 14*

212

C. Die Untersuchungsergebnisse

so kommen dafür zwei Ursachen in Betracht: Der Prozeß der Dienstleistungserstellung kann entweder fehlerhaft organisiert sein oder er wird in seinem Ablauf nicht beherrscht (schlimmstenfalls trifft beides zugleich zu). Bei einem am Leitbild des TQM orientierten Unternehmen sorgt die umfassende Prozeßorientierung dafür, daß der erste Fall nicht eintritt, während die systematische, auch auf statistische Verfahren gestützte Fehlerprävention vor schlecht beherrschten Prozessen zu schützen vermag. Eines der TQM-Prinzipien, die kontinuierliche Verbesserung, ist bisher noch keiner der 10 Qualitätsdimensionen unmittelbar als Wirkfaktor zugeordnet worden. Das liegt jedoch am Wesen dieses Prinzips und sollte keinesfalls zu der Schlußfolgerung verleiten, daß ihm im Hinblick auf das Qualitätsverständnis der Konsumenten keine Bedeutung zukäme. Wie bei der Beschreibung der kontinuierlichen Verbesserung auf S. 209 erläutert, kommt diesem Prinzip im Verhältnis zu den übrigen eine Querschnittfunktion zu, denn kontinuierliche Verbesserung soll ja gerade innerhalb aller übrigen TQM-Prinzipien vollzogen werden. Das Prinzip ist damit auf das System selbst gerichtet und trägt eben dadurch entscheidend dazu bei, daß sich die Leistung des Unternehmens auf sämtlichen Qualitätsdimensionen verbessert; es bedarf sicherlich keiner ausführlichen Begründung, daß gerade hierin eine unverzichtbare Grundvoraussetzung für die Fähigkeit eines Unternehmens zu sehen ist, seine Kunden auf Dauer zufriedenzustellen. Abbildung 22 faßt alle in diesem Kapitel geschilderten Relationen, auch die nur kurz oder indirekt erwähnten, in einer graphischen Darstellung zusammen. Eine Erkenntnis läßt sich aus dem Schaubild zweifellos auch bei nur flüchtiger Betrachtung gewinnen - daß nämlich die Verbindungen zwischen den 10 Dimensionen der Dienstleistungsqualität und den 10 Grundprinzipien des TQM relativ komplex sind. Darüber hinaus kann die Darstellung dazu dienen, sich einen gesamthaften Überblick über die Zusammenhänge zu verschaffen. Möglicherweise mag man den einen oder anderen zusätzlichen Zusammenhang vermuten oder auch einen der hier genannten nicht hinreichend schlüssig begründet finden - als Fazit aus den Ausführungen dieses Kapitels kann dennoch festgehalten werden, daß im Leitbild des TQM im wesentlichen diejenigen Managementprinzipien enthalten sind, die in ihrer Gesamtheit gewährleisten können, daß ein Unternehmen aus der Sicht seiner Kunden hohe Dienstleistungsqualität erbringt. Damit soll jedoch keinesfalls der Eindruck erweckt werden, daß Total Quality Management die Auflösung des systematischen Interessenkonflikts zwischen Anbietern und Nachfragern bedeutet - auch TQM macht aus einem Unternehmen keine Verbraucherschutzorganisation. Aber es ist zweifellos das Managementkonzept, welches den Konsumenten am stärksten in den Mittelpunkt stellt.

II. Ergebnisse der theoretischen Analyse (ISO-Q-Hypothese)

Qualitätsdimensionen

TQM-Prinzipien

Verläßlichkeit

Umfassende Prozeßorientierung

I Agilität I Zugangsmöglichkeit

Qualität als höchstes Unternehmensziel

Verstehen / Kennen des Kunden

Aktive Rolle des Top-Managements

Kommunikationskultur

Extreme Kundenorientierung

Fachkompetenz I Sozialkompetenz Ι Glaubwürdigkeit Sicherheit Äußeres Erscheinungsbild

213

Indiv. Qualitätsverantw. jedes Mitarbeiters Partizipative Grundhaltung Null-Fehler-Vision Fehlerprävention Faktenorientierung

Legende:

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