Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss: Unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [1 ed.] 9783428536580, 9783428136582

Franziska Leonhardt untersucht den Paragraphen § 522 der Zivilprozessordnung in seinen Voraussetzungen und seiner Anwend

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Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss: Unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [1 ed.]
 9783428536580, 9783428136582

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Schriften zum Prozessrecht Band 227

Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss Unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Von Franziska Leonhardt

Duncker & Humblot · Berlin

FRANZISKA LEONHARDT

Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss

Schriften zum Prozessrecht Band 227

Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss Unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Von Franziska Leonhardt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Wintersemester 2010/2011 als Dissertation angenommen.

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© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0219 ISBN 978-3-428-13658-2 (Print) ISBN 978-3-428-53658-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-83658-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2010/2011 von der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Dezember 2010 berücksichtigt werden. § 522 ZPO, der die Entscheidung des Gerichts über eine Berufung durch Beschluss normiert, hat aufgrund seiner steigenden Anwendung sowohl für die Gerichte als auch für die anwaltliche Praxis eine erhöhte Signifikanz. Seit Einführung der Norm im Jahre 2002 war diese immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen, in deren Rahmen sowohl die Änderung als auch die Abschaffung des § 522 ZPO befürwortet wurden. Die Brisanz zeigt sich an dem aktuellen Gesetzentwurf der Fraktion der SPD, BT-Drucksache 17/4431, der im Gegensatz zu dem vom Bundesjustizministerium am 24.11.2010 vorgestellten Referentenentwurf nicht nur eine Änderung des § 522 ZPO vorsieht, sondern die ersatzlose Streichung der Absätze 2 und 3. Diese Arbeit unternimmt den Versuch, § 522 ZPO einem besseren Verständnis zuzuführen und darüber hinausgehend einen Weg aufzuzeigen, der eine gerechte Anwendung der Norm ohne ihre Abschaffung ermöglicht. Ich möchte mich herzlich bei meinem Doktorvater, Prof. Dr. Smid, für die Anregungen bezüglich des Themas und die Betreuung der Arbeit bedanken sowie bei Prof. Dr. Schubert für die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Zudem gilt mein besonderer Dank meiner Familie und meinem Freund Patric Drewes für die jederzeitige Unterstützung bei der Erstellung der Arbeit. Berlin, im Januar 2013

Franziska Leonhardt

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1 Reichweite und Anwendungsbereich des § 522 A. Überblick über die Rechtsmittel der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit von Rechtsmitteln . . . . . . . . . . . . . 1. Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruch auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Herleitung aus § 321a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Herleitung aus anderen Artikeln des Grundgesetzes – Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 95 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsmittel als Kontrollinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Das Rechtsmittel der Berufung im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Notwendigkeit einer zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausnahmen von dem Grundsatz der vollständigen Überprüfbarkeit von Entscheidungen durch eine zweite Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulassungsvoraussetzungen gem. § 511 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . b) Eingeschränkte zweite Tatsacheninstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das erstinstanzliche Gericht als Instanz der materiellen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren ohne zweite Instanz – Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtlicher Anspruch auf eine Berufungsinstanz . . . . . . . . . . III. § 522 als Beschleunigung der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick . . . . . . . . . . I. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einlegen des Rechtsmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Statthaftigkeit der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschwer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Form und Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entscheidung über die Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Formelle Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8

Inhaltsverzeichnis 1. Tatbestandsvoraussetzungen eines Zurückweisungsbeschlusses . . . . . a) Fehlende Aussicht auf Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Fortbildung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . 2. Ermessensspielraum des Berufungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umfang der Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen auf die Erfolgsaussicht der Berufung . . . . . . . . . . . . . . II. Tatsächliche Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessstoff der zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang des Prozessstoffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Festgestellte Tatsachen“ im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 . . . . b) Berücksichtigung von „nicht festgestellten“ Tatsachen . . . . . . . . . aa) Wortlaut der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entwurfsbegründung des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Systematische Stellung der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Auslegung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachweisbarkeit der festgestellten Tatsachen und deren Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils als Ausgangspunkt für den Nachweis der Tatsachenfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Positive Beweiskraft des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Negative Beweiskraft des Tatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einschränkung der negativen Beweiskraft durch den BGH . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Durchbrechung der Bindung bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung . . . . . . . . a) Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel im Sinne des § 529 . . . . . . . b) Gruppierung der Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfahrensfehlerhafte oder fehlende Feststellung . . . . . . . . . . bb) Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unvollständige oder fehlerhafte Beweisaufnahme . . . . . (2) Möglichkeit von Divergenzen hinsichtlich der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Nicht ausgeschöpfte Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis cc) Sonderfall der Präklusion in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auswirkungen erstinstanzlich zu Recht präkludierten Vortrags in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auswirkungen erstinstanzlich zu Unrecht präkludierten Vortrags in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Berücksichtigung erstinstanzlich zu Recht präkludierten Vorbringens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zweifel durch neuen Vortrag in der Berufungsinstanz . . . . . (1) Grundsätzliche Präklusion neuen Vorbringens . . . . . . . . (2) Auswirkungen des neuen Vorbringens auf die Beschlusszurückweisung gem. § 522 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . (a) Neues unstreitiges Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Neues streitiges Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Neues präkludiertes Vorbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Rügeerfordernis bei unverzichtbaren Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Rügeerfordernis bei verzichtbaren Verfahrensvorschriften . . gg) Problem der zu Unrecht angenommenen Zweifel sowie der zu Unrecht nicht angenommenen Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis zur Durchbrechung der Bindungswirkung . . . E. Ergebnis des ersten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 2 Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

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A. Rechtsmittel gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsbeschwerde gem. § 574 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bindungswirkung des Beschlusses gem. §§ 318, 319 analog . . . . . . 2. Fristlose Gegenvorstellung als Alternative zur fristgebundenen Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Formalitäten der Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsbehelf des § 321a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Rechtsbehelfe gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungen des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Revision und Nichtzulassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde bei Urteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meistbegünstigungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99 99 99 100 101 102 102 102

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Inhaltsverzeichnis 4. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsbehelf des § 321a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsfälle der Gehörsrüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folge des § 321a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik an § 321a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Außerordentlicher Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Dienstaufsichtsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsmittel gegen den Hinweisbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtsmittel auf europarechtlicher Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Ergebnis des zweiten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Kapitel 3 Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

112

A. Verfassungskonformität des § 522 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 B. Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Zur Entscheidung angenommene Verfassungsbeschwerden, Art. 103 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Nichtannahmebeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 II. Zur Entscheidung angenommene Verfassungsbeschwerden . . . . . . . . . . . 125 D. Ergebnis des dritten Kapitels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Kapitel 4 Lösungsansatz

134

A. Bindungswirkung von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . 135 B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gesetzentwurf v. 17.12.2008 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Änderungsvorschläge des Gesetzentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik an dem Gesetzentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fehlen einer mündlicher Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Verdopplungseffekt“ statt Entlastung des Rechtsmittelführers . . c) Angleichung des § 522 Abs. 2 an Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Referentenentwurf v. 18.11.2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Änderungsvorschläge des Referentenentwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Referentenentwurf im Detail . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einfügen einer Nr. 4 in § 522 Abs. 2 S. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

11

aa) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme BRAK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme DAV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Stellungnahme Deutscher Richterbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geänderte Formulierung des Rechtsfolgenausspruchs in Abs. 2 S. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme BRAK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme DAV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 522 Abs. 2 S. 4 n. F. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme BRAK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Streichung des § 522 Abs. 3 a. F. und Einfügung eines neuen Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme BRAK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Stellungnahme DAV und Deutscher Richterbund . . . . . . . . . . dd) Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Nichtzulassungsbeschwerde als geeigneter Rechtsbehelf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Nichtzulassungsbeschwerde vs. Rechtsbeschwerde . . . . e) Änderung weiterer ZPO-Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Änderung des § 26 Nr. 8 EGZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einfügen eines neuen § 38a EGZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Zusätzliche Änderungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Änderungsvorschläge des Deutschen Richterbundes . . . . . . . (1) Fristgemäßer Widerspruch gegen den Zurückweisungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses . . . . . . . . . bb) Eigene Änderungsvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kumulative Vorlage aller Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Merkmal der mangelnden Erfolgsaussicht . . . . . . . . . . . . III. Empfehlung an den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146 146 146 148 148 151 151 151 151 152 153 153 154 155 155 155 155 156 157 157 158 159 159 159 159 159 160 161 161 161 162

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 * * * Alle verwendeten Abkürzungen enthalten in: Kirchner, Hildebert/Butz, Cornelie: Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 6. Aufl., Berlin 2006.

Einleitung § 522 ZPO1 ermöglicht die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss in unterschiedlichen Konstellationen. Gem. § 522 Abs. 1 kann die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss ergehen, wenn eine von Amts wegen erfolgende Prüfung ergibt, dass die Berufung nicht statthaft ist oder nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt wurde. Gem. Abs. 2 der Norm weist das Berufungsgericht die Berufung unverzüglich als unbegründet durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass diese keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert. Während gegen den Beschluss über die Zurückweisung der Berufung wegen Unzulässigkeit gem. § 522 Abs. 1 die Rechtsbeschwerde als Rechtsmittel zulässig ist, erklärt § 522 Abs. 3 den Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 für unanfechtbar. Diese Gegebenheiten sowie die Handhabung der Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel, für beide Beschlüsse werden im Folgenden noch näher untersucht. Die Anwendung der Vorschrift und diese Konsequenz auf Rechtsmittelebene sind seit ihrer Einführung mit der Zivilprozessrechtsreform von 2002 rechtspolitisch hochumstritten, wodurch die Norm bereits in den Fokus mehrerer Untersuchungen gekommen ist.2 Diese bisherigen Darstellungen der Norm waren umfassend und verdienstvoll. Während die Arbeit „Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss“ von Gunnar Postel einen Überblick über die Materie gegeben und einen statistischen Ansatz hinsichtlich der regionalen Unterschiede in der Anwendung verfolgt hat, hat Jan Möller in seiner Dissertation „Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung in der Berufung nach § 522 II ZPO“ eher die Aspekte der Verfassungsmäßigkeit und der geschichtlichen Entstehung der Norm im Gebilde des Zivilprozessrechts beleuchtet. 1

Alle nachfolgenden §§ ohne zusätzliche Bezeichnung sind solche der ZPO. So auch Stadler, Plenarprotokoll 17/45 v. 9.6.2010, S. 4536; Trimbach, in: NJW 2009, 401 (401). 2

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Einleitung

Beide Arbeiten stammen jedoch aus einer Zeit, in der die Norm noch nicht völlig „angenommen“ worden war. Dies lässt sich auch an der Häufigkeit der Normanwendung ablesen. Die Anwendung war bis 2005 noch regional sehr unterschiedlich und schwankte zwischen einer Anwendung des § 522 Abs. 2 von 0,7 bis 25,7 % und einer durchschnittlichen Anwendung von 12,1 %.3 Dem folgend waren die Untersuchungen an der verfassungsrechtlichen Konformität der Norm sowie der Auswertung der Statistik und Hinterfragung der Bedeutung der regionalen Unterschiede orientiert. Zu einer umfassenden Statistik zum damaligen Stand der Dinge wird auf die Darstellungen bei Postel verwiesen.4 Aktuelle Statistiken hingegen zeigen eine bundeseinheitlichere, aber regional immer noch unterschiedlich zunehmende Anwendung des § 522. Die nunmehr für 2009 vorliegenden Zahlen der Bundesländer weisen eine Anwendung des § 522 Abs. 2 bei den Landgerichten von 8,8 % bis 21 % und eine Gesamtanwendungsquote des § 522 Abs. 2 von 14,2 % aus.5 Bei den Oberlandesgerichten liegt die Gesamtanwendungsquote bei 16,1 %. Die Anwendungsquote an den einzelnen Gerichten reicht mit regionalen Unterschieden von 5,2 % (Bremen) bis 27,1 % (Rostock).6 Die Darstellung im Alles-oder-nichts-Prinzip, die mehr an der Beseitigung der Norm als solche interessiert ist, als daran, an ihrer Gegebenheit und ihrem Verständnis zu arbeiten, muss sowohl angesichts der Statistik als auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere der neueren Urteile v. 4.11.2008 und 25.3.2010, die nun mehrmals eine Verfassungskonformität des § 522 bestätigt haben, jedoch auch eine eventuelle Missbrauchsgefahr erkennen lassen, überdacht werden.7 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass immer noch ein Teil der Literatur auf die Abschaffung der Norm drängt8. Angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts scheidet eine Nichtigkeitsfeststellung der Norm über diesen Weg aus. 3

Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 29. Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 27 ff. 5 BT-Drucks. 17/3517, S. 15, S. 19. 6 Hierbei sind die Zivilgerichte ohne Familiengerichte erfasst, Zählkartenerhebung in Zivilsachen, Jahreshefte des Statistischen Bundesamtes für 2009, Fachserie 10 Rechtspflege, Zivilgerichte, www.destatis.de; ebenso BT-Drucks. 17/3517, S. 14, S. 2. 7 BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.); 25.3.2010, 1 BvR 882/09, WM 2010, S. 794 (S. 794 ff.). 8 Stellvertretend für viele siehe Reinelt, in: ZRP 09, S. 203 (S. 206); Petition zur Abschaffung des § 522 Abs. 2 und Abs. 3 v. 15.08.2008, Nr.: Pet 4-16-07-3100-042700; ebenso BRAK, Presseerklärung Nr. 13 v. 24.11.2010, www. brak.de; a. A. Zypries, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22449, die sich für die Beibehaltung des § 522 in der jetzigen Fassung ausspricht. 4

Einleitung

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Es verbleiben lediglich die Möglichkeiten einer Änderung der Norm durch den Gesetzgeber9 oder eines anderen Verständnisses der Norm. In dieser Arbeit werden die Fälle herausgearbeitet, in denen die Anwendung der Norm durchaus sinnvoll ist, und die Norm wird von der zivilprozessualen Seite unter der Prämisse ihrer Verfassungskonformität untersucht. Hieran schließt sich die Untersuchung der Rechtsbehelfsmöglichkeiten und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an. Grundsätzlich gilt es hierbei zu berücksichtigen, dass es keinen verfassungsmäßig garantierten Instanzenzug gibt.10 Zwar sieht die ZPO die Möglichkeit einer Berufung als Rechtsmittel generell vor sowie auch in gegebenen Fällen die Möglichkeit einer Revision, hieraus resultiert jedoch nicht der Zwang einer allgemeinen Durchführung dieser Rechtsmittel in jedem Falle.11 Allerdings haben die Gerichte bei ihren Entscheidungen, „die für den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Rechtsmitteln von Bedeutung sind, verfassungsrechtliche Vorgaben zu beachten“, wie es in der Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung v. 26.4.2005 heißt.12 Dieser Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung lag im Ausgangsverfahren der Abschluss eines notariellen Geschäftsbesorgungsvertrags zwischen den Beschwerdeführern und einer Treuhandgesellschaft zum Zwecke der Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds zugrunde. In diesem Vertrag erteilten die Beschwerdeführer der Treuhandgesellschaft Vollmacht zum Abschluss eines Darlehensvertrages mit der Beklagten zur Finanzierung der Beteiligung und unterwarfen sich zudem der sofortigen Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde. Als das so abgeschlossene Darlehen 2002 notleidend wurde, kündigte die Beklagte den Kredit und verlangte Rückzahlung des ausstehenden Betrages, wobei sie beabsichtigte, den Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung aus der Unterwerfungsurkunde geltend zu machen. Die von den Beschwerdeführern erhobene Klage gegen die Bank mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung aus der 9

Ein von der FDP-Fraktion 2008 eingebrachter Gesetzentwurf hierzu scheiterte und wird im Einzelnen noch besprochen. Stadler deutet eine Änderung der Vorschrift unter Beibehaltung des Regelungsinhalts der Norm jedoch an; vgl. Stadler, Plenarprotokoll 17/45 v. 9.6.2010, S. 4536; ein momentan vorliegender „Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung“ v. 18.11.2010, www.bmj.bund.de findet Berücksichtigung. 10 BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932); 30.4. 2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, S. 395 (S. 402). 11 St. Rechtsprechung des BVerfG v. 5.8.2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003, S. 281 (S. 281); 21.11.2002, 1 BvR 2015/02, Zitat nach Juris; 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1194 ff.); 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, NJW 2008, S. 504 (S. 504 f.); 30.7.2008, 1 BvR 1525/08, NJW 2009, S. 137 (S. 137 ff.); 10.10.2008, 1 BvR 1421/08, Zitat nach Juris; 15.12.2008, 2 BvR 2462/07, Zitat nach Juris; 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932); 29.5.2007, 1 BvR 624/03, Zitat nach Juris; 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.); 25.3.2010, 1 BvR 882/09, WM 2010, S. 794 (S. 794 ff.). 12 BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932).

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Einleitung

notariellen Urkunde für unzulässig zu erklären, wurde abgewiesen. Die Berufung der Beschwerdeführer wurde durch das OLG Dresden gem. § 522 Abs. 2 S. 1 zurückgewiesen.13 Die Beschwerdeführer hatten vorher auf eine Pressemitteilung des BGH hingewiesen und darum gebeten, nicht im Beschlusswege zu entscheiden. Hiernach hatte der zweite Zivilsenat des BGH „gegen die Rechtsprechung anderer Senate zur Heilung dieses Vollmachtsmangels nach Rechtsscheingesichtspunkten Bedenken geäußert“. Allerdings war die Entscheidung noch nicht veröffentlicht.

Das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidung unter Zurückverweisung der Sache auf, da die Entscheidung des OLG die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt. Diese Entscheidung verdeutlicht, dass eine Unterteilung der Fälle, in denen § 522 zur Anwendung kam, in zwei grundsätzliche Fallgruppen vorzunehmen und die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben zu untersuchen ist. Die erste Fallgruppe umfasst solche Fälle, die alle Kriterien des § 522 Abs. 1 oder § 522 Abs. 2 erfüllen, die im Einzelnen einer Untersuchung unterzogen werden. § 522 Abs. 2 bietet in diesen Fällen die Möglichkeit, nach dem Willen des Gesetzgebers zu Vereinfachung und effizienteren Entscheidungsmöglichkeiten des Gerichts eine Zurückweisung der Berufung durchzuführen, weil eine zweite Tatsacheninstanz nicht notwendig und aufgrund der eindeutigen Tatsachenlage auch nicht erwünscht ist. Diese Fallgruppe ist daher im Regelfall durch eine gleichbleibende Tatsachenlage und eine übereinstimmende Rechtsauffassung von Ausgangs- und Berufungsgericht gekennzeichnet und wird als die Fallgruppe der berechtigten Anwendung des § 522 bezeichnet. Aufgrund der Wichtigkeit der Tatsachengrundlage für die Anwendung des § 522 Abs. 2 erfolgt hierzu eine gesonderte Untersuchung. Die zweite Fallgruppe erfasst nach dem Ausschlussprinzip all die Fälle, die nicht bereits von der ersten Fallgruppe erfasst sind. Dies ist die Fallgruppe einer unberechtigten Anwendung des § 522. Anhand dieser Fallgruppen und der Untersuchung der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gegen eine falsche Anwendung des § 522 Abs. 1 sowie des § 522 Abs. 2 vorzugehen, wird ein Lösungsweg dieses Problems unter Berücksichtigung der aktuellen gesetzgeberischen Änderungsbemühungen vorgeschlagen. 13

OLG Dresden v. 5.7.2004, 8 U 0235/04, Zitat nach Juris.

Kapitel 1

Reichweite und Anwendungsbereich des § 522 Um eine Unterscheidung der beiden Fallgruppen zu ermöglichen, sowie die Einordnung der einzelnen Fälle in die jeweilige Fallgruppe vornehmen zu können, sind die Kriterien des § 522 Abs. 1 und des Abs. 2 zu untersuchen, und es ist die Frage einer generellen Erforderlichkeit eines Rechtsmittels zu klären. Hieraus können dann Schlüsse auf die Erforderlichkeit des Rechtsmittels der Berufung im Speziellen gezogen werden.

A. Überblick über die Rechtsmittel der ZPO Rechtsmittel im Sinne der ZPO sind nur die Berufung gem. §§ 511 ff., die Revision gem. § 542 ff. und die Beschwerde, wobei zwischen der sofortigen Beschwerde gem. §§ 567 ff. und der Rechtsbeschwerde gem. §§ 574 ff. unterschieden werden kann.1 Als erster Schritt ist der Frage nach einer generellen Bedeutung der Rechtsmittel im Zivilprozessrecht auf den Grund zu gehen. Das Rechtsmittel als solches ist ein prozessualer Rechtsbehelf, mit dem der Betroffene gegen eine ihm nicht genehme Entscheidung vorgehen kann, bevor diese in Rechtskraft erwächst, und die Nachprüfung dieser Entscheidung durch eine höhere Instanz bewirken kann.2 Durch das Einlegen des Rechtsmittels treten der Devolutiv- und der Suspensiveffekt ein.3 Ersterer bewirkt, dass eine Entscheidung über die Streitsache durch Verhandlung in einer höheren Instanz getroffen wird.4 Der Suspensiveffekt hingegen hemmt das Eintreten formeller Rechtskraft.5 1 Heßler, in: Zöller, ZPO, vor § 511, Rn. 3; Gerken, in: W/S, ZPO, vor § 511, Rn. 1; Saueressig, Das System der Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 305. 2 Rimmelspacher, in: MüKo, ZPO, vor § 511, Rn. 1; Heßler, in: Zöller, ZPO, vor § 511, Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 766, Rn. 1. 3 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 767, Rn. 4 ff. 4 Rimmelspacher, in: MüKo, ZPO, vor § 511, Rn. 1; Saueressig, Das System der Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 305. 5 Heßler, in: Zöller, ZPO, vor § 511, Rn. 4; Gerken, in: W/S, ZPO, vor § 511, Rn. 2.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Formelle Rechtskraft gem. § 705 ZPO tritt bei Einscheidungen ein, die unangreifbar geworden sind, weil sie im Rechtsmittelzug nicht mehr abgeändert werden können.6 Der Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft ist dabei abhängig von der Art der Entscheidung. Bei Urteilen, die nicht rechtsmittelfähig sind, tritt formelle Rechtskraft mit Verkündung ein.7 Bei rechtsmittelfähigen Urteilen tritt formelle Rechtskraft hingegen erst mit Beendigung der Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung, gleichgültig aus welchem Grund, ein.8 § 522 Abs. 1 und Abs. 2 sind daher differenziert zu betrachten. Bei einem Beschluss gem. § 522 Abs. 2 tritt die formelle Rechtskraft des ersten Urteils gem. §§ 322, 705 mit Erlass des Beschlusses ein, was auf die Unanfechtbarkeit gem. § 522 Abs. 3 zurückzuführen ist.9 Bis zu dem Zeitpunkt des Eintretens der formellen Rechtskraft z. B. durch die gegebene Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels, ist die formelle Rechtskraft hingegen gehemmt.10 Dies ist bei § 522 Abs. 1 der Fall. Der Eintritt der formellen Rechtskraft bietet hierbei die Grundlage für das Eintreten der materiellen Rechtskraft gem. § 322.11 Die Hemmung tritt allerdings nur bei Einlegung des Rechtsmittels ein. Ein außerordentlicher Rechtsbehelf wie z. B. die Gehörsrüge gem. § 321a oder das Einlegen einer Verfassungsbeschwerde hemmen den Eintritt formeller Rechtskraft hingegen nicht.12 Lediglich im Erfolgsfall wird der Eintritt der formellen Rechtskraft mit Rückwirkung durchbrochen und es ergeht eine abändernde Entscheidung über die Sache.13 Noch allgemeiner formuliert dient das Rechtsmittel also gerade ab dem Zeitpunkt seiner Einlegung dazu, den Eintritt der formellen Rechtskraft zu verhindern und eine Korrektur der bereits abgefassten Entscheidung herbeizuführen. Die Änderung der abgefassten Entscheidung als solche ist dabei vor allem für den Rechtsmittelführer interessant. Darüber hinaus ermöglicht und verlangt die erneute Befassung mit der Sache jedoch auch eine erneute Prüfung der Rechtslage, mag auch das Ergebnis nach erfolgter Prüfung gleich bleiben.14 Vereinfacht könnte man also sagen, Rechtsmittel dienen dem Moment der Rechtsfortbildung. 6

Kroppenberg, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 705, Rn. 1. B/L/A/H, ZPO, § 705, Rn. 4 ff. 8 B/L/A/H, ZPO, § 705, Rn. 9 ff. 9 B/L/A/H, ZPO, § 522, Rn. 22, § 705, Rn. 4. 10 B/L/A/H, ZPO, § 522, § 705, Rn. 9 f. 11 Kroppenberg, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 705, Rn. 1. 12 Stöber, in: Zöller, ZPO, § 705, Rn. 1; ebenso Kroppenberg, in: Pütting/Gehrlein, ZPO, § 705, Rn. 12; a. A. B/A/L/H, ZPO, § 705, Rn. 12. 13 Kroppenberg, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 705, Rn. 7. 7

A. Überblick über die Rechtsmittel der ZPO

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I. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit von Rechtsmitteln Zu hinterfragen bleibt, ob eine solche erneute Befassung mit der Sache überhaupt notwendig ist, wenn doch die Möglichkeit besteht, dass das Ergebnis gleich bleibt. Hierbei müssen verschiedene Aspekte und die unterschiedlichen Interessen der Parteien berücksichtigt werden. Der Obsiegende der Erstinstanz hat keinerlei Interesse an einer Neuentscheidung, für ihn zählt der möglichst schnelle Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung.15 Der Unterlegene hingegen, sollte er sich in der Sache „ungerecht“ behandelt fühlen, will eine erneute Überprüfung der Sache und eine damit verbundene Abänderung.16 Die Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels setzt zudem einen mehrstufigen Gerichtsaufbau voraus, um eine solche Entscheidung überhaupt personell treffen zu können, was wiederum Kosten verursacht.17 Der Gesetzgeber hat eine zwischen diesen Positionen zu vermittelnde Lösung zu finden versucht, die sowohl dem Streben nach Schnelligkeit und Reduzierung der Verfahrensdauer dient, wie auch den ökonomischen Aspekt berücksichtigt und dabei die verfassungsrechtlichen Vorgaben wahrt sowie Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit schafft. An erster Stelle stehen dabei die verfassungsrechtlichen Grundsätze, die als verfassungsrechtliche Grundlage der Notwendigkeit von Rechtsmitteln zu untersuchen sind. 1. Justizgewährungsanspruch Der Justizgewährungsanspruch für den Zivilprozess lässt sich aus dem aus Art. 20 Abs. 3 GG resultierenden Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG herleiten und wird von dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes umfasst.18 Eine Herleitung aus Art. 19 Abs. 4 GG ist abzulehnen.19 14 Zu diesen Überlegungen Nöhre, Notwendigkeit und Begrenzung von Rechtsmitteln, S. 16 f., anlässlich der III. Internationalen Richterkonferenz 2005 zum Thema „Effizienz der Justiz“, http://www.2.gtz.de/dokumente/bib/06-1079.pdf. 15 Rensen, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 456. 16 Nöhre, Notwendigkeit und Begrenzung von Rechtsmitteln, S. 16 f., http:// www.2.gtz.de/dokumente/bib/06-1079.pdf. 17 Nöhre, Notwendigkeit und Begrenzung von Rechtsmitteln, S. 18, http:// www.2.gtz.de/dokumente/bib/06-1079.pdf. 18 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20, Rn. 322.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Hierdurch wird „das Recht auf Zugang zu den Gerichten und eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter“ garantiert und darüber hinausgehend „auch die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind“ beeinflusst.20 Ein sich aus der Verfassung ergebendes „Recht auf Rechtsmittel“ lässt sich hieraus jedoch nicht entnehmen.21 Das Bundesverfassungsgericht stellt diesbezüglich fest, dass der Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, eine über eine einmalige Überprüfung des Streitgegenstandes hinausgehende Prüfungsinstanzen zu schaffen und führt aus: „Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, unter Abwägung und Ausgleich der verschiedenen betroffenen Interessen zu entscheiden, ob es bei einer Instanz bleiben soll oder ob mehrere Instanzen bereitgestellt werden und unter welchen Voraussetzungen sie angerufen werden können (vgl. BVerfGE 54, 277 [291]). Ein Instanzenzug ist von Verfassungs wegen nicht garantiert“.22 Lediglich im Falle der Entscheidung des Gesetzgebers für einen Instanzenzug in Form der Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass „der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden“ darf.23 2. Anspruch auf rechtliches Gehör Auch der von dem Justizgewährungsanspruch umfasste Rechtsschutz gegen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in jeder gerichtlichen Instanz gem. Art. 103 Abs. 1 GG enthält keinen eigenständigen Anspruch auf ein obig definiertes Rechtsmittel. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Plenumsbeschluss v. 30.4. 2003 entschieden, dass die Verfahrensordnung eine Kontrollmöglichkeit für den Umgang der Fachgerichte mit dem Art. 103 Abs. 1 GG vorsehen muss.24 19 BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, Rn. 16 f., insbesondere Rn. 34, Zitat nach Juris = BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.); BVerfG v. 29.5.2007, 1 BvR 624/03, Rn. 15, Zitat nach Juris. 20 BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, WM 2010, S. 794 (S. 795). 21 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 768, Rn. 11 ff. 22 BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, Rn. 18, Zitat nach Juris = BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.); vgl. auch BVerfG v. 7.10.2003, 1 BvR 10/99, BVerfGE 108, S. 341 (S. 348). 23 BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, Rn. 14, Zitat nach Juris = WM 2010, S. 794 (S. 794 ff.).

A. Überblick über die Rechtsmittel der ZPO

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Ausgangspunkt des Plenarverfahrens war eine beim Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts anhängige Verfassungsbeschwerde, der ein Berufungsurteil zugrunde lag, durch welches nach Auffassung des Ersten Senats der Anspruch der Beschwerdeführer auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wurde.25 Der Bundesgerichtshof hatte die von den Beschwerdeführern gegen das OLG-Urteil eingelegte Revision als unzulässig verworfen, weil das Berufungsgericht die Revision nicht zugelassen habe und die Revisionssumme nicht erreicht sei. Die Annahme eines außerordentlichen Rechtsmittels aufgrund greifbarer Gesetzeswidrigkeit wurde für nicht zulässig erachtet.

Anknüpfungspunkt des Plenumsbeschlusses war also die Frage, „ob und in welchem Umfang es das Grundgesetz erfordert, dass Verstöße eines Richters gegen das grundrechtsgleiche Recht auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG durch die Fachgerichte selbst behoben werden können“. Das Bundesverfassungsgericht beantwortete die Frage dahin gehend, „dass es gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG verstößt, wenn eine Verfahrensordnung keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall vorsieht, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt“. Dieser Beschluss, der an die umstrittene Frage des „Rechtsschutzes durch nicht gegen den Richter26“ anknüpft, modifiziert die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dahin gehend, dass bei der Verletzung von Verfahrensrechten ein gewisser Anspruch auf Rechtsschutz auch gegen den Richter besteht.27 Allerdings gilt ansonsten auch weiterhin, dass Art. 19 Abs. 4 GG keinen Rechtsschutz gegen den Richter gewährt. Hierfür spricht auch, dass Entscheidungen der Gerichte keine Justizverwaltungsakte und deshalb nicht gem. §§ 23 ff. EGGVG anfechtbar sind. Mit anderen Worten sind Urteile, Beschlüsse und die vorausgehenden Maßnahmen einer Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG entzogen, was ebenso für unabhängige Entscheidungen der Rechtspfleger gilt.28 Die Aufgabe der Ausgestaltung dieses Kontrollmechanismus und insbesondere die prozessualen Voraussetzungen hierfür weist das Bundesverfas24

BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, S. 395 (S. 407). BVerfG v. 16.1.2002, 1 BvR 10/99, Zitat nach Juris. 26 Ständige Rechtsprechung seit BVerfG v. 21.10.1954, 1 BvL 9/51, 1 BvL 2/53, BVerfGE 4, S. 74 (S. 94 f.); vgl. beispielhaft BVerfG v. 5.2.1963, 2 BvR 21/60, BVerfGE 15, S. 275 (S. 280); 20.6.1967, 2 BvL 10/64, BVerfGE 22, S. 106 (S. 110); 11.10.78, 2 BvR 1055/76, BVerfGE 49, S. 329 (S. 340 f.); zum Sachstand bis 1996 vgl. Kamper, die Anfechtbarkeit richterlicher Entscheidungen nach dem Grundgesetz, S. 24 ff.; zum Sachstand bis 2006 vgl. Hößlein, Judikatives Unrecht, S. 180 ff. 27 Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, § 19, Rn. 441 ff.; für eine Ausweitung des Rechtsschutzes gegen den Richter auf alle verfassungsmäßig garantierten Verfahrensrechte vgl. Hößlein, Judikatives Unrecht, S. 229 m. w. N. in Fn. 880. 28 Schmidt, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 23 EGGVG, Rn. 8. 25

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

sungsgericht dem Gesetzgeber zu. Festzuhalten ist daher, dass auch „Rechtsschutz gegen Akte eines Richters nicht zwingend zur Befassung einer höheren Instanz führen, sofern die rechtsstaatlich notwendige Kontrolle des behaupteten Verfahrensfehlers anderweitig in hinreichender Weise gesichert werden kann“.29 Dies wiederum eröffnete dem Gesetzgeber die Wahl zwischen einer Selbstkorrektur durch das Ausgangsgericht, dem sog. iudex a quo, und der Anrufung eines Rechtsmittelgerichts, dem sog. iudex ad quem. 3. Herleitung aus § 321a ZPO Durch das Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) v. 9.12.2004 trat am 1.1. 2005 die Neureglung des § 321a in Kraft. Hierbei hat sich der Gesetzgeber für den iudex a quo entschieden.30 Bei § 321a handelt es sich um einen sog. außerordentlichen Rechtsbehelf, der als eigenständige wiedereinsetzungsähnliche Gehörsrüge ausgestaltet ist, die gegenüber anderen Rechtsbehelfen subsidiär ist.31 Die Annahme der Notwendigkeit eines Rechtsmittels, welches den Streitgegenstand in eine höhere Instanz befördert, ist mit dieser Norm nicht zu bejahen. 4. Herleitung aus anderen Artikeln des Grundgesetzes – Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 95 GG Die Ableitung eines mittelbaren Anspruchs auf Rechtsmittel zwecks Anspruchs aus Art. 2 Abs. 1 GG auf eine richtige Entscheidung des Richters ist abzulehnen.32 Ebenso wird die Herleitung eines solchen Anspruchs aus dem Erfordernis einer Einheitlichkeit der Rechtsprechung (Art. 95 GG) abgelehnt.33 5. Rechtsmittel als Kontrollinstrument Eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit der Schaffung von Rechtsmitteln ist also bei Wahrung der eben aufgezeigten Grundsätze nicht gegeben. 29 BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, Rn. 40, Zitat nach Juris = BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.). 30 BGBl. I, S. 3220. 31 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a, Rn. 2. 32 Hößlein, Judikatives Unrecht, S. 222. 33 BVerfG v. 11.6.1980, 1 PBvU 1/79, Rn. 47, Zitat nach Juris = BVerfGE 54, S. 277 (S. 291).

A. Überblick über die Rechtsmittel der ZPO

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Allerdings hat der Gesetzgeber neben den verfassungsrechtlichen Vorgaben auch verfahrensrechtliche Gründe für die Schaffung von Rechtsmitteln zu berücksichtigen.34 Führt man sich die Funktion des Rechtsmittels erneut vor Augen, nämlich die Überprüfbarkeit einer Entscheidung, und behält den Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 GG v. 30.4.2003 im Blick, so ergibt sich die Erkenntnis, dass keiner, und damit auch nicht der Richter selbst, unfehlbar ist.35 Auch wenn kein durchsetzbarer Anspruch auf eine korrekte Entscheidung besteht, so besteht jedoch zumindest ein berechtigtes Interesse an einer die materiellrechtliche Lage widerspiegelnden Entscheidung sowie an einer Abänderung einer materiell unrichtigen Entscheidung. Ein Fehler in Form einer materiell unrichtigen Entscheidung kann aber nur durch eine Überprüfung dieser Entscheidung erkannt und korrigiert werden und dies nur im Rahmen der bestehenden Möglichkeit einer Abänderung, nämlich der Einlegung eines Rechtsbehelfs, meist in Form eines Rechtsmittels.36 Dieses Verständnis der Rechtsmittel leitet sich auch daraus ab, dass die staatliche Gerichtsbarkeit die Kehrseite der Medaille des Verbots der Selbstjustiz ist. Die Notwendigkeit zur Nachprüfung einer Entscheidung durch das Einlegen eines Rechtsmittels mag zwar verfassungsrechtlich nicht verpflichtend sein, führt aber zu einer höheren Akzeptanz des Rechtsstaats als solchen und zum Vertrauen der Bürger in die Richtigkeit der Entscheidungen und damit in die staatliche Gerichtsbarkeit.37 Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die „Durchsetzung von Rechtsansprüchen zwischen Privaten grundsätzlich zu verwehren (ist). Die Parteien werden auf den Weg vor die Gerichte verwiesen. Dort sollen sie ihren Streit in einem geordneten Rechtsgang gewaltlos austragen und eine verbindliche Entscheidung erwirken. In der Gerichtsbarkeit prägen sich innerstaatliches Gewaltverbot und staatliches Gewaltmonopol aus. Von hier aus erhellt die grundlegende Bedeutung der Regeln über den Zugang zu den Gerichten, den Verfahrensgang und die Ausgestaltung der Rechtsmittel für die Wahrung der Rechtsordnung. Von hier aus gebietet sich, dass auch die Regeln über den Zugang zu Rechtsmittelgerichten für den Bürger mög34 Nöhre, Notwendigkeit und Begrenzung von Rechtsmitteln, S. 18, http://www. 2.gtz.de/dokumente/bib/06-1079.pdf. 35 Nöhre, Notwendigkeit und Begrenzung von Rechtsmitteln, S. 18, http://www.2. gtz.de/dokumente/bib/06-1079.pdf. 36 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 770, Rn. 20. 37 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 770, Rn. 20; Nöhre, Notwendigkeit und Begrenzung von Rechtsmitteln, S. 18, http://www.2.gtz.de/dokumente/bib/06-1079. pdf.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

lichst klar erkennbar und bestimmt zu halten sind. Denn sie legen fest, in welchen Grenzen und auf welche Weise er sein Recht suchen kann. Bestimmtheit ist dabei umso mehr von Nöten, als den Beteiligten auf diesem Weg mannigfache menschliche und materielle Lasten entstehen, nicht zuletzt gerichtliche und außergerichtliche Kosten. An seinem Ende steht regelmäßig eine verbindliche Entscheidung.“38 Darüber hinaus ist es ein „Anliegen des Staates“, die Rechtspflege der unteren Gerichte einer vom Gesetzgeber ausgestalteten fachlichen Kontrolle zu unterstellen. Bereits im Vorhandensein eines solchen Kontrollmechanismus wird die „Qualität der Rechtsprechung gesteigert, das Recht fortgebildet und die Rechtsanwendung vereinheitlicht“.39 Dies gewährleistet die Ziele des Gesetzgebers nach einer Einheitlichkeit der Rechtsprechung und einer verbindlichen, materiell gerechten Entscheidung unter von ihm ausgestalteten Kriterien. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu weitergehend aus: „Das Grundanliegen, das mit der Einrichtung von gerichtlichen Rechtsbehelfssystemen im weitesten Sinne verfolgt zu werden pflegt, ist zum einen eine tendenziell bessere Gewähr der Einzelfallgerechtigkeit, das heißt – gemessen am jeweils anzuwendenden Recht – der Richtigkeit gerichtlicher Entscheidungen zu erzielen, und zum anderen, die Einheitlichkeit der Rechtsprechung, darunter auch der richterlichen Rechtsfortbildung, und dadurch die Einheit der Rechtsordnung institutionell zu sichern. Denn die Einheit der Rechtsordnung ist im Kern bedroht, wenn gleiches Recht ungleich gesprochen wird. Jedes Rechtsbehelfssystem ist zwar eingebettet in den Sinn aller Rechtsprechung, nämlich die verbindliche, verfahrensförmige Feststellung dessen, was, bezogen auf den Verfahrensgegenstand, rechtens ist. Darüber hinaus indes gibt es kein vorgegebenes Wesen speziell von Rechtsbehelfen, an das eine normative Ausgestaltung gebunden wäre. Entschließt sich der Gesetzgeber einen Rechtsmittelzug einzurichten, so hat er weitgehende Freiheit, den Zugang zum Rechtsmittelgericht wie den Verfahrensgang nach seinen Zweckmäßigkeitsvorstellungen auszurichten. Er mag die Befassung der höheren Instanz in Form von Rechtsbehelfen der Beteiligten ermöglichen; dann vertraut er auch für die Wahrung der allgemeinen Rechtsmittelzwecke mehr auf die Privatinitiative als auf das Verhalten staatlicher Stellen. Er mag gerade im Hinblick auf die Wahrung der Rechtseinheit die Befassung höherer Instanzen im Wege von Vorlagebefugnissen der Aus38 BVerfG v. 11.6.1980, 1 PBvU 1/79, Rn. 47, Zitat nach Juris = BVerfGE 54, S. 277 (S. 291). 39 Nöhre, Notwendigkeit und Begrenzung von Rechtsmitteln, S. 18, http://www. 2.gtz.de/dokumente/bib/06-1079.pdf; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 770, Rn. 20.

A. Überblick über die Rechtsmittel der ZPO

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gangsgerichte eröffnen, unabhängig von der Initiative der übrigen Verfahrensbeteiligten. Er mag den Zugang zum Rechtsmittelgericht nach Maßgabe allgemeiner Kriterien, wie eines Mindestwerts des Streitgegenstands oder der Beschwer oder der Difformität der Vorentscheidungen, oder nach Maßgabe der Bedeutung der einzelnen Rechtssache für das Allgemeininteresse eröffnen und je nachdem einen unkontrollierten Zugang oder Zugangskontrollen in Form von Zulassungsverfahren, Annahmeverfahren oder Ablehnungsverfahren durch den Vorderrichter oder durch den Rechtsmittelrichter vorsehen.“40

II. Zwischenergebnis Zusammenfassend bleibt also zu sagen, dass das Rechtsmittel im Zivilrecht von außerordentlichem Wert für die Rechtssicherheit und die Rechtsfortbildung ist und dem Einzelnen als „Ausgleichsanspruch“ für den Verzicht auf Selbstjustiz zur Verfügung steht. Allerdings steht auch fest, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Balancefindung zwischen allen Zielen über die allgemeine Notwendigkeit des Rechtsmittels hinausgehend im Besonderen Grenzen zu ziehen hat, deren Ausgestaltung im Rahmen der Verfassung wiederum ihm obliegt. Hierbei muss man sich darüber im Klaren sein, dass das Rechtsstaatsprinzip fordert, „dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet“41, wobei das verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutzsystem bei der Überprüfung eines Verhaltens ein Restrisiko einer falschen Rechtsanwendung in Kauf nimmt.42 De facto enthält also jedes Rechtsschutzsystem die Möglichkeit einer falschen Rechtsanwendung, die jedoch durch das Schaffen einer Kontrollinstanz und das Wissen der vorangehenden Instanz um die Überprüfung der eigenen Entscheidung minimiert wird. Zugang zu einer solchen Instanz gewährt jedoch in unserem Rechtssystem nur ein Rechtsmittel.

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BVerfGE v. 11.6.1980, 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, S. 277 (S. 291). BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.). 42 BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.), Kissel/ Mayer, GVG, Einl., Rn. 197. 41

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

B. Das Rechtsmittel der Berufung im Zivilprozess Nachdem die allgemeine Notwendigkeit eines Rechtsmittels im Zivilprozessrecht erörtert wurde, ist ein Blick auf das im Speziellen betroffene Rechtsmittel der Berufung zu werfen. Die Berufung ist ein Rechtsmittel, welches gem. § 511 gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile und gleichgestellte Zwischenurteile eingelegt werden kann.43 Nach Einlegung dieses Rechtsmittels geht der Prozess in die zweite Instanz, die Berufungsinstanz.

I. Notwendigkeit einer zweiten Instanz Es stellt sich die Frage nach einer generellen Notwendigkeit einer zweiten Instanz. Für die grundsätzliche Existenz einer zweiten Instanz spricht wie oben festgestellt, die Ermöglichung der Korrektur eines rechtlich unvertretbaren Ergebnisses, wie auch die Entsprechung des Wunsches nach Transparenz und Überprüfbarkeit juristischer Ergebnisse. So nennt denn auch Saueressig eines der Ziele des Berufungsverfahrens „eine erneute Entscheidung über den ursprünglichen in erster Instanz anhängigen Rechtsstreit zu fällen“.44 1. Ausnahmen von dem Grundsatz der vollständigen Überprüfbarkeit von Entscheidungen durch eine zweite Instanz Dies sollte jedoch nicht dahin gehend verstanden werden, dass in jedem Fall und gegen jede Entscheidung das Rechtsmittel der Berufung gegeben ist und auch die Notwendigkeit der Einlegung des Rechtsmittels der Berufung besteht. a) Zulassungsvoraussetzungen gem. § 511 Abs. 2 Dass nicht jede Entscheidung rechtsmittelfähig ist, hat der Gesetzgeber bereits normiert. Hierbei hat er sich dreierlei Einschränkungskriterien bedient. Gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ist die Berufung nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro45 übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat. 43

Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, vor § 511, Rn. 3. Saueressig, Das System der Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 60. 44

B. Das Rechtsmittel der Berufung im Zivilprozess

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Abs. 4 wiederum normiert, wann eine Zulassung zu geschehen hat und nennt dabei die Kriterien der grundsätzlichen Bedeutung, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Hierbei wird die Rechtsmittelinstanz von einer zweiten Tatsacheninstanz in eine Fehlerkontroll- und Beseitigungsinstanz gewandelt und bereits der Rahmen, in dem eine Kontrolle der Entscheidung stattfindet, vom Gesetzgeber enger gesteckt.46 b) Eingeschränkte zweite Tatsacheninstanz Zeuge des teilweisen Abwendens von einer zweiten Tatsacheninstanz sind hierbei vor allem die Vorschriften §§ 513, 529, 531, die das Berufungsgericht unter Zulassung einiger Ausnahmen grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz binden. Allerdings hat das Rechtsmittelgericht nach aktueller Rechtsprechung des BGH unabhängig von etwaigen Rügen des Rechtsmittelführers seine Entscheidung in bestimmtem Umfang auch auf Tatsachen zu erstrecken, die das Gericht der ersten Instanz seiner Entscheidung fehlerhaft bzw. nicht zugrunde gelegt hat. Insoweit bedarf es nach wie vor einer Sachverhaltsaufklärung und gegebenenfalls Beweisaufnahme in zweiter Instanz.47 Auffällig ist, dass diese Entscheidung die erste Instanz als Instanz der materiellen Rechtsprechung und damit als eigentliche Streitinstanz stärkt. 2. Das erstinstanzliche Gericht als Instanz der materiellen Rechtsprechung An dieser Stelle sei ein Blick auf die Zahlen geworfen. 2009 sind am Amtsgericht in erster Instanz 320.568 Verfahren durch streitiges Urteil entschieden worden. Beim Landgericht waren es nur 90.997 durch streitiges Urteil entschiedene Verfahren in erster Instanz. Von den Amtsgerichtsentscheidungen waren lediglich 178.556 mit dem Rechtsmittel der Berufung anfechtbar, hiervon 169.196 gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1, und lediglich 9.360 wurden gem. § 511 Abs. 2 Nr. 2 zugelassen.48 45 Dieser Wert gilt erst seit der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Reform. Vorher lag der Wert bei 1500 DM, vgl. Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 511, Rn. 2. 46 Saueressig, Das System der Rechtsmittel nach dem Zivilprozessreformgesetz, S. 61; vgl. zudem BT-Drucks. 14/4722, S. 61, S. 64, S. 100. 47 BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2752).

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Auch diese Zahlen weisen darauf hin, dass der Schwerpunkt der Entscheidung und materiellen Rechtsprechung bei der ersten Instanz liegt und liegen muss und nur bei Notwendigkeit die Einlegung eines Rechtsmittels erfolgen soll, und zwar als Fall der Ausnahme, nicht der Regel. Im Idealfall sollte nämlich davon auszugehen sein, dass die materiell richtige Entscheidung der Regelfall und die zu korrigierende Entscheidung die Ausnahme bildet. Hiergegen sprechen allerdings die Fakten. In ca. jedem dritten Verfahren wurde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts von dem Rechtsmittel der Berufung Gebrauch gemacht. Ein Rechtsmittelverständnis, welches jedoch wie Gilles ausführt die erste Instanz lediglich zu einer „Durchlaufinstanz“ diskreditiert und von der Idee geprägt ist, dass nur „höhere Richter“ eine bessere Rechtsprechung garantieren und die anfangs nur „minimale Entscheidungsqualität bzw. Richtigkeitsgewähr erst- und untergerichtlicher Entscheidungen durch die nochmalige oder erneute tatsächliche und rechtliche Beurteilung der Sache in der Berufungsinstanz“ und dann abermalig in der Revisionsinstanz eine „maximale Richtigkeitsgarantie“ erfährt, ist fehl am Platze.49 Grundsätzlich soll die Aufgabe der optimalen Rechtsschutzgewährung in jedem prozessualen Erkenntnisverfahren bereits in erster Instanz, der Instanz der materiellen Rechtsprechung, wahrgenommen werden50, so dass die Einlegung eines Rechtsmittels nicht mehr notwendig ist. 3. Verfahren ohne zweite Instanz – Ein Überblick Die Möglichkeit der Entbehrlichkeit einer zweiten Instanz könnte sich zudem daraus ergeben, dass das deutsche Recht auch Verfahren kennt, für die überhaupt nur eine Instanz vorgesehen und dies im Übrigen verfassungsgemäß ist. Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus, dass es erst- und letztinstanzliche Gerichtsentscheidungen von jeher gegeben habe und auch nach dem geltenden Gerichtsverfassungsrecht gäbe.51 48 Hierbei sind die Zivilgerichte ohne Familiengerichte erfasst, Zählkartenerhebung in Zivilsachen, Jahreshefte des Statistischen Bundesamtes für 2009, Fachserie 10 Rechtspflege, Zivilgerichte, www.destatis.de. 49 Gilles, in: Rechtsmittel im Zivilrecht, S. 13; a. A. Prütting, Rechtsmittelreform 2000 oder: Der Staat spart der Rechtsstaat leidet, S. 25. 50 Gilles, in: Rechtsmittel im Zivilrecht, S. 14; so auch Rimmelspacher, in: Rechtsstaat-Rechtsmittelstaat, S. 48. 51 BVerfG v. 21.10.1954, 1 BvL 9/51, 1 BvL 2/53, BVerfGE 54, S. 74 (S. 94 f.); kritisch hierzu Kamper, die Anfechtbarkeit richterlicher Entscheidungen nach dem Grundgesetz, S. 25 f.

B. Das Rechtsmittel der Berufung im Zivilprozess

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Eine erst- und letztinstanzliche Zuweisung enthält das GVG jedoch nicht mehr, seit die Zuständigkeit in Staatsschutzstrafsachen mit dem Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutzstrafsachen v. 8.9.196952 die gem. § 134 GVG a. F. erstinstanzliche Zuständigkeit des BGH entfallen ließ und gem. § 120 GVG eine Zuständigkeit des OLG begründete.53 Allerdings ist zu beachten, dass das OLG hierbei erstinstanzlich nur im Rahmen ausgeliehener Justizhoheit gem. Art. 96 Abs. 5 GG tätig wird. Durch diesen Übergang der Gerichtsbarkeit auf das OLG wurde der BGH gem. § 133 GVG im Zivilrecht und § 135 GVG im Strafrecht zu einer reinen Rechtsmittelinstanz. Die Rechtsmittel selbst sind hierbei in den einzelnen Verfahrensordnungen geregelt. Allerdings ist es immer noch möglich, dass der BGH durch einzelne gesetzliche Zuweisungen in erster und letzter Instanz entscheidet. Beispielhaft sei dabei das Gesetz zur Rettung von Unternehmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes genannt.54 Gem. § 5 Abs. 7 RettungsG entscheidet der BGH in erster und letzter Instanz bei Streitigkeiten der Höhe wegen in einer nach § 4 RettungsG zu gewährenden Entschädigung. Auch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind gesetzliche Zuweisungen erst- und letztinstanzlicher Art bekannt. Hierbei wird beispielhaft erneut auf das RettungsG verwiesen, wonach gem. § 5 Abs. 1 das BVerwG im ersten und letzten Rechtszug auf Antrag über die Gültigkeit von Rechtsverordnungen nach § 2 des Gesetzes entscheidet. Eine weitere gesetzliche Zuweisung enthielt § 5 Abs. 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes für bestimmte in § 1 VerkPBG bezeichnete Verkehrsvorhaben.55 Diese erstinstanzliche Zuständigkeit des BVerwG ist zum Ende des Jahres 2006 durch das Gesetz zur Beschleunigung von Planverfahren für Infrastrukturvorhaben v. 9.12.2006 aufgehoben und der Regelungsinhalt im Wesentlichen in § 50 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 VwGO aufgegangen. Dies ist die eigene Zuständigkeitsnorm für erst- und letztinstanzliche Zuständigkeiten des BVerwG (§ 50 VwGO). Diese sachliche Zuständigkeitsnorm weist dem Bundesverwaltungsgericht Streitigkeiten zu, die an Umfang oder Auswirkungen über die Landesgrenze hinausgehen, sonst das allgemeine Interesse betreffen sowie einer schnellen 52

BGBl. I S. 1582. Kissel/Mayer, GVG, § 74a, Rn. 1. 54 Rettungsübernahmegesetz, RettungsG, verkündet als Art. 3 des G v. 7.4.2009 (BGBl. I S. 725); Inkrafttreten gem. Art. 6 dieses G am 9.4.2009. 55 VerkPBG v. 16.12.1991, BGBl I 2174, welches seit dem 31.12.2006 außer Kraft ist. 53

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Entscheidung bedürfen.56 Auch gegen diese Regelung bestehen trotz Übereinstimmung der ersten und letzten Instanz und fehlender Überprüfungsmöglichkeiten keine verfassungsrechtlichen Bedenken.57 Als weitere Beispiele eines Zusammenfallens erst- und letztinstanzlicher Zuständigkeiten ist die erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundessozialgerichts gem. § 39 Abs. 2 SGG bei nichtverfassungsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern oder zwischen verschiedenen Bundesländern in Angelegenheiten gem. § 51 SGG zu nennen. Abschließend sei noch das gesetzlich normierte und verfassungsrechtlich nicht beanstandete Schiedsverfahren erwähnt, welches nur eine Instanz kennt. Zwar ist festzuhalten, dass es sich hierbei nicht um einen von Organen der Justizhoheit geführten Zivilprozessrecht handelt, jedoch die Durchführung dieses Verfahrens in selbst festgelegten Verfahrensordnungen bestimmt ist und es von einigen Organisationen durchgeführt wird wie zum Beispiel Handelskammern oder der DIS (Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit). Dem Zweck der Gerichtsbarkeit, einen unklaren, ja streitigen Sachverhalt in angemessener Zeit zu entscheiden, kann also auch in einer Instanz grundsätzlich Genüge getan werden.58 Jedoch ist festzuhalten, dass das Zusammenfallen der ersten und letzten Instanz eher die Ausnahme als den Regelfall bildet.

II. Verfassungsrechtlicher Anspruch auf eine Berufungsinstanz Zusammenfassend ist daher zu sagen, dass auch auf das spezielle Rechtsmittel der Berufung kein verfassungsrechtlicher Anspruch besteht. Die Schaffung des Rechtsmittels der Berufung und des damit verbundenen Instanzenzuges durch den Gesetzgeber baut vielmehr auf dem Vertrauen in den Staat und seine Gerichtsbarkeit auf, das es zu schützen gilt auch im Hinblick auf den Verzicht auf Selbstjustiz. Der Gedanke des Rechtssystems, die menschliche Fehlbarkeit einzukalkulieren und die Möglichkeit einer Überprüfbarkeit zu schaffen, findet sich auch im Rechtsmittel der Berufung wieder. Hierbei sollte die Überprüfbarkeit der Entscheidungen im Vordergrund stehen und das Zusammenfallen der ersten und letzten Instanz den Ausnahmefall bilden. 56

Unruh, in: Fehling/Kastner/Wahrendorf, VwvfG/VwGO, § 50 VwGO, Rn. 2. BVerwG v. 9.7.2008, 9 A 14/07, NVwZ 2009, S. 302 (S. 303 f.); ebenso BVerfG v. 10.6.1958, 2 BvF 1/56, BVerfGE 8, S. 174 (S. 177 ff.) zur davor geltenden Regelung § 9 BVerwGG. 58 Kissel/Mayer, GVG, Einl., Rn. 228. 57

B. Das Rechtsmittel der Berufung im Zivilprozess

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Die Notwendigkeit des Rechtsmittels der Berufung liegt also vor allem darin, einen Kontrollweg zu eröffnen und materiell ungerechte Entscheidungen kontrollieren zu können, wie auch materiell ungerechten Entscheidungen, bewusst oder unbewusst getroffen, vorzubeugen. Als sog. „fleet in being“59 beugt dabei bereits allein das Wissen um eine Kontrollinstanz der Möglichkeit eines Rechtsmissbrauchs vor und begünstigt die besonders sorgfältige Bearbeitung eines Falls und garantiert damit die Minimierung der Möglichkeit einer fehlerhaften Rechtsanwendung. Dies ist im Hinblick auf „schiefe Ergebnisse“ wünschenswert und vom Gesetzgeber in den §§ 511 ff. hinsichtlich des Rechtsmittels der Berufung auch normiert, allerdings nur in den Fällen notwendig, in denen die Ergebnisse tatsächlich einer Überprüfung bedürfen.

III. § 522 als Beschleunigung der Berufungsinstanz Bei § 522 handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, die die Notwendigkeit eines Rechtsmittels unter Bedienung verschiedener Kriterien verneint. Dieses Kriterium des Bedarfs der Überprüfung hat der Gesetzgeber unter anderem in § 522 normiert. Hierbei ließ sich der heutige Gesetzgeber von einem Rechtsmittelverständnis leiten, für das vor allem die Schnelligkeit des Justizapparates und das Vertrauen in die Bindung der Justiz an Recht und Gesetz über Art. 20 Abs. 3 GG sowie die damit verbundene Rechtssicherheit und Rechtsfortbildung zählt. Über eine verkürzte Verfahrensdauer und die Möglichkeit einer schnelleren Erledigung einer Berufung ohne Aussicht auf Erfolg durch Beschluss hat der Gesetzgeber nach einer Möglichkeit gesucht, sowohl die generelle Erforderlichkeit der Rechtsmittel im Zivilprozess als auch die Möglichkeit einer Nichterforderlichkeit eines Rechtsmittels im Speziellen zu vereinen. Nur die Fälle der Berufungen ohne Aussicht auf Erfolg, wobei kumulativ die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert, sind durch Beschluss zurückzuweisen. Hierbei normiert der Gesetzgeber lediglich erneut die bereits zu Notwendigkeit und Zweck eines Rechtsmittels gesammelten Erkenntnisse. Eine Berufung, die keine Aussicht auf Erfolg hat, bedarf keiner erneuten Überprüfung 59 Die Formulierung „fleet-in-being“ geht zurück auf einen Ausspruch Lord Torringtons in der Seeschlacht von Beachy Head während des Krieges der großen Allianz 1690, vgl. zur Historie Till, Seapower, A Guide to the Twenty-First Century, S. 173.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

durch ein Rechtsmittelgericht, da dies lediglich dasselbe Ergebnis zur Folge hätte und den Eintritt der Rechtskraft nach hinten verschöbe sowie Kosten und Zeit in Anspruch nähme. Zudem hat in dem Fall einer erfolglosen Berufung eine rechtliche Beurteilung des meist einfachgelagerten und gleichbleibenden Sachverhalts stattgefunden und eine Revidierung des Ergebnisses kommt angesichts der Erfolglosigkeit der Berufung nicht in Betracht. Sowohl die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist gewahrt als auch die Fortbildung des Rechts sowie über das Kriterium der grundsätzlichen Bedeutung auch das allgemeine Interesse, eine Entscheidung in bestimmten Rechtsfragen herbeizuführen. Mit dieser Definition der Erforderlichkeit eines Rechtsmittels wird bereits der Anwendungsbereich für die erste Fallgruppe definiert, nämlich solche Fälle, bei denen die Erforderlichkeit der Durchführung eines Rechtsmittels als solches nicht gegeben ist. Demgegenüber steht die Rechtsmittelstatistik in Zivilsachen vor und nach Einführung des § 522. Ein Blick in die Statistik von 1981 zeigt, dass zwar gegen jedes vierte Urteil Berufung eingelegt wurde, jedoch lediglich in einem Viertel dieser Berufungen überhaupt ein Erfolg zu verzeichnen war.60 Mittlerweile wird gegen jedes dritte Urteil Berufung eingelegt, während die Erfolgsquote zurückgegangen ist. Dies zeigt eine zunehmende Diskrepanz zwischen Erfolgsquote und Verwendung eines Rechtsmittels. Diese Zahlen lassen verschiedene Rückschlüsse zu, wobei auf empirische Untersuchungen nicht zurückgegriffen werden kann. Einerseits kann dies nahelegen, dass die Erfolgsquote sinkt, weil das Institut des § 522 Abs. 2 missbraucht wird. Hierfür spricht, dass die Zahl der zurückgenommenen Berufungen gestiegen ist wie auch die Zahl der erfolglosen Berufungen, zu denen auch die über § 522 Abs. 2 zurückgewiesenen Berufungen zählen. Allerdings müsste demgegenüber eine gestiegene Erfolgsquote der Berufungen durch Urteil stehen. Früher wurden erfolglose Berufungen nur durch Urteil zurückgewiesen, was dann messbar war an der Erfolgsquote des Rechtsmittels der Berufung. Mit Herausfiltern der erfolglosen Berufungen über das Institut des § 522 Abs. 2 müssten daher die Fälle der erfolgreichen Berufungen im Urteilsverfahren eigentlich steigen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Man könnte in der fehlenden Steigerung der Erfolgsquote der Urteilsentscheidungen jedoch auch eine Wahrung der Kriterien des § 522 Abs. 2 sehen, da diese nur voraussetzen, dass nicht im Beschlusswege entschieden 60 Schuster, in: Rechtsmittel im Zivilrecht, S. 114 wobei zu den Zahlen auf die Tabelle im Anhang verwiesen wird, S. 414.

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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wird, sondern im Urteilswege, jedoch dadurch keine für den Rechtsmittelführer positive Entscheidung garantiert wird. Die Diskrepanz zwischen der steigenden Rechtsmittelverwendung und der Erfolgsquote könnte auch darauf zurückgeführt werden, dass scheinbar auch in den erfolglosesten Fällen ein Rechtsmittel eingelegt wird. Dies würde Rückschlüsse auf ein fehlgeleitetes Rechtsmittelverständnis der Allgemeinheit nahelegen. Ohne diesbezügliche empirische Untersuchungen fällt es schwer, einer der Varianten den Vorzug zu gewähren. Allerdings soll hier einmal der Idealfall vermutet werden, der von einer Wahrung der Gesetze und ihrer materiellrechtlich richtigen Auslegung durch die Judikative ausgeht. Hiervon muss auch der Gesetzgeber ausgehen, so dass er die Regelung des § 522 an diese Vermutung knüpfte. Erst bei Erfüllung der dort gesetzlich normierten Kriterien ist der Fall der Nichterforderlichkeit eines Rechtsmittels gegeben, und damit der Weg für eine Entscheidung im Beschlussverfahren eröffnet. Nur diese Fälle, im Folgenden als die Fälle der Fallgruppe eins bezeichnet, fallen in den Normanwendungsbereich von § 522. Anhand dieses Leitbilds erfasst die Fallgruppe eins also Fälle, die ohnehin nicht zur Revision zuzulassen wären und in der Berufung erfolglos sind. Die Kriterien der Norm, die zu dieser Beurteilung führen, sind hier näher zu untersuchen.

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick § 522 regelt in Abs. 1 die Verwerfung der Berufung als unzulässig und in Abs. 2 die Zurückweisung der Berufung als unbegründet.

I. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 Bei Unzulässigkeit der Berufung ist diese gem. § 522 Abs. 1 S. 1 als unzulässig zu verwerfen, wobei diese Entscheidung gem. § 522 Abs. 1 S. 2 durch Beschluss ergehen kann.61 Eine Einstimmigkeit der Entscheidung ist hierbei nicht erforderlich.62 61 A. A. OLG Köln v. 11.9.2008, 2 U 49/08, NJW 2008, S. 3649 (S. 3650 f.), hiernach kann auch bei einer unzulässigen Berufung eine Beschlusszurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ergehen; siehe auch BT-Drucks. 14/4722, S. 97, abzulehnen; so auch Rensen, in: Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 457;

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

1. Einlegen des Rechtsmittels Die Zulässigkeit des Rechtsmittels der Berufung richtet sich nach der Statthaftigkeit des selbigen, der Beschwer des Rechtsmittelführers oder der Zulassung des Rechtsmittels sowie der Wahrung der Form- und Fristerfordernisse.63 Allen Voraussetzungen des Rechtsmittels selbst geht jedoch dessen Einlegung voraus. Da die Parteien als solche nach dem Dispositionsgrundsatz der ZPO die Herren des Verfahrens sind und nur sie bestimmen, über welche Materie entschieden oder nicht entschieden werden soll, welches sich in verschiedenen Normen der ZPO manifestiert, wie zum Beispiel § 253, § 308 oder auch § 516 Abs. 1, liegt auch die Ausübung eines Rechtsmittels oder der Verzicht hierauf in der Hand der Parteien. Die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung erfolgt von Amts wegen. Die Eröffnung einer Instanz steht dabei im Gegensatz zur Einlegung eines Rechtsmittels nicht zur Disposition der Parteien.64 Nach „tradierter Auffassung“ ist über die Zulässigkeit vor der Begründetheit zu entscheiden und die Frage der Zulässigkeit nicht offenzulassen.65 Allerdings ist die Prüfung von Amts wegen nicht gleichzusetzen mit der Geltung des Amtsermittlungsgrundsatzes.66 Vielmehr heißt von Amts wegen, „dass das Berufungsgericht den gesamten Prozessstoff in Bezug auf die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Rechtsmittels würdigen muss“.67 Hierbei müssen die für die Zulässigkeit relevanten Tatsachen zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen werden. Eine Glaubhaftmachung wie sie § 511 Abs. 3 vorsieht, reicht hingegen nur bei der Feststellung der Berufungssumme gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 aus.68 Für die Zulässigkeitsvoraussetzungen gilt der allgemeine Beibringungsgrundsatz. Dieser besagt, dass die Parteien selbst die beweisbedürftigen Zufür eine detailliertere Darstellung der Kriterien des § 522 Abs. 1 sei an dieser Stelle auf Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 59 ff. verwiesen. 62 Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren durch gesetzliche Zugangsbeschränkungen, S. 219. 63 Heßler, in: Zöller, ZPO, vor § 511, Rn. 6 ff. 64 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 1. 65 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 3 allerdings unter Äußerung von Bedenken. Zustimmend Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 2; ebenso Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 522, Rn. 1. 66 Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 5. 67 Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 522, Rn. 3. 68 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 6; Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 6 f.

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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lässigkeitsvoraussetzungen darzulegen und zu beweisen haben.69 Beweislast für die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage trägt hierbei mit Ausnahme gerichtsinterner Vorgänge, von denen der Rechtsmittelführer keine Kenntnis haben kann, der Berufungskläger.70 Für die Beweiserhebung ist dabei der Freibeweis zugelassen.71 Dieser bildet hierbei den Gegensatz zum Strengbeweis. Ist das Gericht beim Strengbeweisverfahren an die fünf gesetzlich vorgesehenen förmlichen Beweismittel und damit an das in den §§ 355 ff. beschriebene Vorgehen gebunden, stehen beim Freibeweis alle möglichen Beweismittel zur Verfügung. Sowohl die Auswahl der Beweismittel als auch deren Verwertung stehen hierbei im Ermessen des Gerichts72. Hat das Gericht bezüglich des Vorliegens einzelner oder mehrerer Zulässigkeitsvoraussetzungen Bedenken, so muss es gem. § 139 Abs. 3 ZPO einen Hinweis erteilen.73 2. Statthaftigkeit der Berufung Die Statthaftigkeit der Berufung ist in § 511 Abs. 1 ZPO geregelt und zu bejahen, wenn eine mit dem eingelegten Rechtsmittel anfechtbare Entscheidung vorliegt und der berechtigte Rechtsmittelführer dieses einlegt.74

3. Zulässigkeitsvoraussetzungen a) Beschwer Die Beschwer muss gem. § 511 Abs. 2 über 600 Euro liegen oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung gegen das Urteil zugelassen haben. Die Kriterien der Berufungszulassung durch das erstinstanzliche Gericht richten sich nach § 511 Abs. 4.

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Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 5. Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 7; Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 17 mit Verweis auf § 519, Rn. 20. 71 Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 6 mit Verweis auf BGH v. 16.1.2007, VIII ZB 75/06, NJW 2007, S. 1457 (S. 1457); Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 16; Heßler, in: Zöller, ZPO, § 519, Rn. 20; ablehnend: Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 7; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 407, Rn. 48; mit einer Zusammenfassung der Argumente Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 65 f. 72 Weth, in: Musielak, ZPO, § 56, Rn. 5 und § 284, Rn. 5. 73 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 407, Rn. 45. 74 Heßler, in: Zöller, ZPO, vor § 511, Rn. 6. 70

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

b) Form und Frist Die Berufungsfrist beträgt gem. § 517 ZPO einen Monat und stellt eine Notfrist dar. Sie beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Vorschrift wird durch § 518 ergänzt, der einen Neubeginn der Berufungsfrist in den Fällen anordnet, in denen ein Urteil durch eine nachträgliche Entscheidung gem. § 321 ergänzt wird. Die Frist beginnt hier mit der Zustellung der nachträglichen Entscheidung auch für das zuerst ergangene Urteil erneut. Die Form der Berufung wird sowohl durch das Einlegen einer Berufungsschrift wie auch einer Begründung des Rechtsmittels geprägt. Die Vorgaben an die Berufungsschrift sind in § 519 enumerativ aufgestellt, die Berufungsbegründung ist in § 520 normiert. Auch die Berufungsbegründung muss gem. § 520 Abs. 2 fristgerecht innerhalb von zwei Monaten erfolgen, die ebenso mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung zu laufen beginnt. 4. Entscheidung über die Zulässigkeit Liegen die Voraussetzungen einer zulässigen Berufung nicht vor, so ist die Berufung als unzulässig gem. § 522 Abs. 1 S. 2 zu verwerfen, wobei die Möglichkeit der Entscheidung im Beschluss gegeben ist. Dies bedeutet, dass das Berufungsgericht mehrere Möglichkeiten der Entscheidung zur Auswahl hat, wobei die Wahl einer der Möglichkeiten gem. § 522 Abs. 1 S. 3 in seinem Ermessen steht.75 Es kann über die Zulässigkeit der Berufung mündlich verhandeln und anschließend im Urteilsweg entscheiden. Es kann aber auch auf die mündliche Verhandlung verzichten und im Beschlusswege entscheiden. Dabei sollte das Gericht die Durchführung der mündlichen Verhandlung davon abhängig machen, ob sie erforderlich ist oder jedenfalls zweckmäßig, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Rechtsmittelführer ein bestehendes Zulässigkeitshindernis noch behebt oder in die mündliche Verhandlung zur Klärung eines Zweifels bezüglich einer Zulässigkeitsvoraussetzung dient.76 In jedem Fall ist jedoch zuvor rechtliches Gehör zu gewähren.77 75 Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 4; Gerken, in: W/S, § 522, Rn. 25; Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 522, Rn. 12. 76 Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 4.

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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Hat sich das Gericht für eine mündliche Verhandlung entschieden, so nimmt es Abstand von der Entscheidung im Wege des § 522 Abs. 1 S. 3 und geht nach § 523 Abs. 1 vor. Die Norm regelt, dass Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen ist, wenn die Berufung nicht nach § 522 durch Beschluss verworfen wird.78 Fraglich ist allein die Möglichkeit des Gerichts nach Terminierung wieder einen Wechsel zum Verfahren nach § 522 vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage im Fall einer Terminierung des Landgerichts nach einem Hinweis auf ein beabsichtigtes Vorgehen nach § 522 Abs. 2 und einer durch den Beschwerdeführer erfolgten Stellungnahme offengelassen. Der Verfassungsbeschwerde lag im Ausgangsfall eine Klage gegen den Beschwerdeführer zur Zahlung von Mietzins zugrunde, der das Amtsgericht stattgegeben hatte. Die hiergegen eingelegte Berufung des Beschwerdeführers wurde gem. § 522 Abs. 2 zurückgewiesen. Dem war allerdings ein Wechsel des Landgerichts von einer bereits erfolgten Terminierung zurück zum Verfahren des § 522 Abs. 2 vorausgegangen, ohne den Beschwerdeführer auf die geänderte Ansicht des Gerichts zur Erfolgsaussicht seiner Berufung und die damit verbundene Möglichkeit einer Stellungnahme hinzuweisen, um eine Überraschungsentscheidung zu vermeiden.

Somit gab das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde statt und hob den Beschluss wegen Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG unter Zurückverweisung des Verfahrens an das LG Mönchengladbach auf. Allerdings weist das Bundesverfassungsgericht auf den Klärungsbedarf hinsichtlich der Möglichkeit eines Wechsels von einer bereits erfolgten Terminierung zurück zum Beschlussverfahren hin und zitiert Gerke, nach dem ein solcher Wechsel nach bereits erfolgter Terminierung nicht mehr möglich ist. Gerke führt hierzu aus: „Ändert das Berufungsgericht nach der Terminsbestimmung seine Ansicht über die Erfolgsaussicht der Berufung kann es nicht zum schriftlichen Verfahren zurückkehren.“79 Nach der vom Bundesverfassungsgericht zitierten Rechtsprechung eines Beschlusses des OLG Düsseldorfs v. 3. Februar 2005 soll hingegen ein Wechsel auch nach Terminsanberaumung möglich sein.80 Hierbei spricht die Ermessenserwägung dafür, dem Gericht auch einen Wechsel zwischen den Verfahren einzuräu77 BVerfG v. 1.8.2006, 2 BvR 1701/04, NJW-RR 2006, S. 142 (S. 143); Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 4. 78 BVerfG v. 1.8.2006, 2 BvR 1701/04, NJW-RR 2006, S. 142 (S. 143). 79 Gerke, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 79; Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 522, Rn. 17. 80 OLG Düsseldorf v. 3.2.2005, II-4 UF 150/04, NJW 2005, S. 833 (S. 834).

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

men. Allerdings ist der gesetzliche Zweck der Norm, nämlich die Zeitersparnis einer mündlichen Verhandlung und die damit einhergehende schnellere Entscheidungsfindung durch Beschluss nun nicht mehr gegeben, so dass nicht ersichtlich ist, wieso ein Wechsel zurück zum Beschlussverfahren nunmehr in irgendeiner Form nutzen soll. Es ist sich daher der ersten Meinung anzuschließen und im Falle der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung die Abfassung eines Urteils zu fordern. Die Verwerfung der Berufung durch Beschluss trifft das Kollegium. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss der § 523 Abs. 1, § 527. Ergeht die Entscheidung hingegen im Urteil, so wird gem. § 523 Abs. 1 über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter entschieden. Hierbei findet § 526 Anwendung, der normiert, in welchen Fällen eine Übertragung eines Rechtsstreits stattfindet. Findet keine Übertragung nach § 526 statt, so gilt § 527 und das Kollegium entscheidet, wobei einem Mitglied des Berufungsgerichts die Sache als Einzelrichter zur Vorbereitung zugewiesen werden kann. 5. Formelle Rechtskraft War die Berufung unstatthaft oder ist sie nicht fristgerecht eingelegt worden, so kommt der Verwerfung lediglich deklaratorische Bedeutung zu und die formelle Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils ergibt sich bereits direkt aus § 705.81 Wird die Berufung hingegen aufgrund einer fehlenden Zulässigkeitsvoraussetzung verworfen, so tritt die Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung erst mit Unanfechtbarkeit der Rechtsmittelinstanzentscheidung ein. Bei dem Verwerfungsbeschluss handelt es sich um einen anfechtbaren Beschluss, so dass die Rechtskraft erst bei Ablauf der Beschwerdefrist von einem Monat gem. § 575 Abs. 1 eintritt.82

II. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 sind vielfältiger und betreffen die Begründetheit des Rechtsmittels der Berufung. Sie müssen kumulativ vorliegen.83 Sollte das Berufungsgericht nach Durchsicht der Sachakte einstimmig zu der Überzeugung gelangen, dass nach § 522 zu entscheiden ist, weil 81 Stöber, in: Zöller, ZPO, § 705, Rn. 1; Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 96. 82 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 61; Stöber, in: Zöller, ZPO, § 705, Rn. 6. 83 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 61.

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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die Berufung im Ergebnis unbegründet ist, so muss es dies dem Berufungsführer mitteilen.84 Eine derartige Mitteilung hat in Form eines Hinweises zu erfolgen, aus dem sich ergibt, dass und warum das Gericht beabsichtigt, die Berufung zurückzuweisen. Erst nach erfolgtem Hinweis und der Möglichkeit des Berufungsführers, sich hierzu zu äußern, also der Gewährung rechtlichen Gehörs, kann der Beschluss selbst ergehen, der die Berufung zurückweist. Berufungsgericht ist hierbei der vollbesetzte Spruchkörper, da eine Übertragung auf den Einzelrichter gem. § 523 Abs. 1 erst nach der Entscheidung hinsichtlich eines Vorgehens gem. § 522 stattfindet.85 1. Tatbestandsvoraussetzungen eines Zurückweisungsbeschlusses a) Fehlende Aussicht auf Erfolg Das Kriterium der mangelnden Erfolgsaussicht ist erfüllt, wenn das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Berufungsbegründung, einer eventuellen Berufungserwiderung, einer eventuellen Stellungnahme der Parteien nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO sowie der von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstände von der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Ergebnis überzeugt ist, mithin die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat.86 Diese Gesetzesformulierung wirft gleich zwei Fragen auf. Wann ist der notwendige Überzeugungsgrad erreicht, und wie ist das Merkmal der mangelnden Erfolgsaussicht zu verstehen? Eine klare Auskunft darüber gibt die Wortlautauslegung nicht. Auch normiert das Gesetz keine Kriterien, wie die Prüfung zu erfolgen hat. Eine lediglich summarische Prüfung reicht wohl nicht aus.87 Die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten zeigen, dass es sich bei den Merkmalen der Erfolgsaussicht und der Überzeugung um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt. 84

Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren durch gesetzliche Zugangsbeschränkungen, S. 218. 85 Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 30. 86 Smid, Rechtsgutachten zum Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig und zur verfahrensrechtlichen Beurteilung eines Beschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO in Sachen Pfeiffer ./. Steffen 3 U 124/08 (LG Göttingen 2 O 616/07), S. 31, nicht veröffentlicht; siehe auch Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 20; ebenso Trimbach, in: NJW 2009, S. 401 (S. 401 f.). 87 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 20; OLG Koblenz v. 20.2.2003, 10 U 883/02, NJW 2003, S. 2100 (S. 2101); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 799, Rn. 7; Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 522, Rn. 24.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Der unbestimmte Rechtsbegriff zeichnet sich durch die Merkmale der „Offenheit“ und fließender Tatbestandsmerkmalsgrenzen aus und ermöglicht so die Konkretisierung durch die Rechtsprechung.88 Zudem schützt er das Gesetz vor der Versteinerung, indem durch die Verwendung solcher unbestimmter Rechtsbegriffe einer Anpassung an den „Wandel der Verhältnisse“ zugänglich gemacht wird.89 Allerdings birgt die Verwendung neuer unbestimmter Rechtsbegriffe bei Einführung eines Gesetzes auch immer die Schwierigkeit der Auslegung und weist eine Mannigfaltigkeit an Interpretationsmöglichkeiten auf, die nicht im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers stehen. Die Offenheit des Begriffs, seine Stärke, ist gleichzeitig auch sein Schwachpunkt. Mithin ist ein erster Schritt in der Auslegung des Begriffs ein Blick in die Entwurfsbegründung des Gesetzes. Diese bietet jedoch sowohl im Hinblick auf den Grad der Überzeugung des Gerichts als auch auf die damit verbundene Erfolgsaussicht nur geringen Aufschluss. Allerdings lässt sich die Erfolgsaussicht negativ eingrenzen, nämlich für die Fälle, für die die Entwurfsbegründung des Gesetzes die mangelnde Erfolgsaussicht verneint. Mangelnde Erfolgsaussicht ist nach der Entwurfsbegründung des Gesetzes regelmäßig dann zu verneinen, wenn dem Berufungsführer zuvor Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt wurde, da damit der Berufung insoweit eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bescheinigt wurde.90 Ohnehin hat sich der Gesetzgeber bei dem Merkmal der Erfolgsaussicht des § 522 an § 114 orientiert. Hierfür spricht auch, dass die Formulierung „hinreichende Erfolgsaussicht“ noch in dem ursprünglichen Entwurf des ZPOReformgesetzes zu finden war und nicht mehr in der endgültigen Fassung enthalten ist.91 Auch ein Blick auf die Kriterien des § 114 bringt jedoch keine absolute Klarheit hinsichtlich des Merkmals der Erfolgsaussicht. Die Abgrenzung des Kriteriums ist vor allem durch die Rechtsprechung geprägt. Hiernach kann Prozesskostenhilfe dann versagt werden, „wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist“. Die Bewilligung ist jedoch bereits meist dann erfolgreich, wenn die Entscheidung von einer schwierigen Tat- oder Rechtsfrage abhängig ist.92 Hierbei muss jedoch bei einem Vergleich im Auge behalten werden, dass § 114 erst die Möglichkeit des Rechtsschutzes schafft, 88

Henke, Die Tatfrage, S. 55; zur Herleitung und Entwicklung des unbestimmten Rechtsbegriffs vgl. ebenfalls Henke, Die Tatfrage, S. 54 ff. 89 Henke, Die Tatfrage, S. 61. 90 BT-Drucks. 14/4722, S. 97. 91 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 63. 92 Völker/Zempel, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 114, Rn. 2 m. w. Bsp.

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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während sich die Sache bei § 522 schon im Berufungsverfahren befindet und damit bereits Rechtsschutz gewährt wurde.93 Mithin sind die Voraussetzungen des § 522 strenger als die der Prozesskostenhilfegewährung. Offen ist in dem Zusammenhang auch die Frage, ob bei der Beurteilung einer möglichen Beweisantizipation ebenfalls eine Anlehnung an § 114 gestattet ist.94 Die Norm erlaubt eine Überprüfung der grundsätzlichen Geeignetheit der angebotenen Beweismittel zur erfolgreichen Rechtsverfolgung in eingeschränktem Umfang.95 Der Gesetzgeber spricht insoweit von „prognostischer Bewertung“.96 Dies kann jedoch nur hinsichtlich des Tatsachenmaterials an sich gelten, also bei der Beurteilung, ob und ggf. was eine mündliche Verhandlung an Erkenntnissen bringen würde. Eine antizipierte Beweiswürdigung verstößt jedoch gegen das Grundprinzip des Verbots der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Erkenntnisverfahren.97 Zudem kann das Berufungsgericht sich nicht ohne eigene Anschauung in Widerspruch zu den Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts setzen.98 Der Vergleich zu § 114 ist in beiderlei Hinsicht also nur bedingt hilfreich. Ein weiteres negatives Einschränkungskriterium ist die Frage nach einer offensichtlichen Unbegründetheit, deren Erforderlichkeit zu verneinen ist. Nachdem der Wortlaut des Gesetzes dies offen ließ, entschied das OLG Celle in einem Beschluss, der die Berufung gegen ein Räumungsurteil zurückwies, dass eine offensichtliche Unbegründetheit der Berufung nicht erforderlich sei.99 Der Gesetzgeber hatte die Formulierung „offensichtlich unbegründet“, die noch in dem Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung des zivilgerichtlichen Verfahrens und des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu finden war, nicht übernommen.100 Hieran knüpft auch der Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 5.8.2002 an: „Die vom Berufungsgericht im angegriffenen Beschluss vorgenommene Auslegung der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO, wonach die Zurückweisung der Berufung nicht auf Fälle beschränkt ist, in denen die fehlende Erfolgsaussicht besonders deutlich ins Auge springt (i. S. einer ‚offensichtlichen‘ Unbegründetheit der Berufung), 93

Völker/Zempel, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 114, Rn. 2. Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 65. 95 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 65. 96 BT-Drucks. 14/4722, S. 97. 97 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 65; so im Ergebnis auch OLG Koblenz v. 20.2.2003, 10 U 883/02, NJW 2003, S. 2100 (S. 2101), dass das Bestehen eines prognostischen Spielraums bei Tatsachenfeststellungen ablehnt. 98 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 64. 99 OLG Celle v. 6.6.2002, 2 U 31/02, NJW 2002, S. 2800 (S. 2800); so auch B/L/A/H, ZPO, § 522, Rn. 16; a. A. Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 61. 100 Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 36. 94

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

ist im Hinblick auf die Gewährleistung des gesetzlichen Richters verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Auslegung der einfachgesetzlichen Vorschrift – die in erster Linie Aufgabe der zuständigen Fachgerichte ist – ist weder willkürlich unrichtig noch offensichtlich unhaltbar. Sie ist mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar, weil der Gesetzgeber die Anforderungen der ‚Offensichtlichkeit‘ nicht ausdrücklich in den Gesetzestext aufgenommen hat. Dem entspricht auch die Entstehungsgeschichte der Norm. Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg, wenn das Berufungsgericht aufgrund des Akteninhalts zu der Überzeugung gelangt, dass die Berufung unbegründet ist.“101 Die Entwurfsbegründung des Gesetzes bejaht die Erfolgsaussicht dann, „wenn das Vorbringen des Berufungsklägers einschließlich etwaig geltend gemachter zulässiger neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Berufungserwiderung und der Replik – dem Berufungskläger aufgrund einer mündlichen Verhandlung zum Erfolg verhelfen“ könnte.102 Negativ formuliert heißt das, dass die Erfolgsaussicht jedenfalls dann zu verneinen ist, wenn die Berufung nicht zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher Erwägungen auch in Form neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel führt.103 Ein Angriffsmittel ist hierbei jeder Vortrag, der auf die Unterstützung eines erfolgreichen Prozessangriffs gerichtet ist. Hierunter fallen unter anderem das Vortragen einer Behauptung oder eines Berufungsgrundes nach § 513, während der Berufungsantrag selbst der Angriff ist.104 Ein Verteidigungsmittel hingegen ist alles, was der Abwehr eines Prozessangriffs dient, so z. B. Bestreiten, Einwendungen oder auch Einreden.105 Diese Formulierung wirft jedoch neue Fragen auf, insbesondere auf Tatsachenebene, da scheinbar die Probleme der Auslegung des Merkmals der Erfolgsaussicht zunehmend auf die Tatsachenfeststellung verlagert werden und dadurch bedingt auch die Rechtsfrage betreffen, so dass es diese als Grundlage der Beurteilung der Erfolgsaussicht der Berufung im Anschluss an die Kriterien des § 522 zu klären gilt.

101 102 103 104 105

BVerfG v. 5.8.2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003, S. 281 (S. 281). So auch Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 522, Rn. 24. Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 36. B/L/A/H, ZPO, Einl. III, Rn. 70 f. B/L/A/H, ZPO, Einl. III, Rn. 70.

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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b) Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache Ein weiteres Kriterium, bei dessen Vorliegen sich eine Entscheidung durch Beschluss verbietet, ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gem. § 522 Abs. 2 Nr. 2. Der Wortlaut dieser Regelung entspricht sowohl dem der Berufungszulassung gem. § 511 Abs. 4 Nr. 1 sowie auch § 543 Abs. 2 Nr. 1. Laut der Entwurfsbegründung des Gesetzes ist diese Anlehnung des Wortlauts an andere Vorschriften als „Zugangsformel“ intendiert. Hierdurch sollen „künftig Fallgestaltungen Zugang in die Revisionsinstanz finden, in denen über den Einzelfall hinaus ein allgemeines Interesse an einer Entscheidung des Revisionsgerichts besteht“.106 Die Regelung bezweckt im Falle der Berufungszulassung die Entscheidung in einer Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung unabhängig von einer Wertgrenze und eröffnet damit mittelbar den Weg zu einer Rechtsprechung durch den BGH.107 Ebenso verhält es sich bei der Verwendung des Begriffs für die Revisionszulassung. Auch hier wird der Weg zum BGH eröffnet, um eine Entscheidung in der Sache herbeizuführen.108 Das Merkmal ist mithin in den Vorschriften gleich auszulegen. Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist dabei dann zu bejahen, wenn sie eine klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen ergeben kann oder deren tatsächliches oder wirtschaftliches Gewicht für den beteiligten Rechtsverkehr ein besonderes Interesse der Allgemeinheit an einer Entscheidung durch das Revisionsgericht begründet.109 Die klärungsbedürftige und -fähige Rechtsfrage gilt es jedoch näher zu definieren. Es muss sich hierbei um eine Rechtsfrage handeln, die höchstrichterlich nicht oder nicht hinreichend geklärt ist.110 Dies ergibt sich aus dem Merkmal der Klärungsbedürftigkeit. Hierbei ist Klärungsbedarf nicht nur zu bejahen, wenn unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten werden und keine höchstrichterliche Rechtsprechung ergangen ist, sondern darüber hinaus kann auch Klärungsbedarf bei einer bereits entschiedenen Frage zu bejahen sein, wenn nicht nur vereinzelnd Gerichte oder Stimmen 106

BT-Drucks. 14/4722, S. 104. Gerken, in: W/S, ZPO, § 511, Rn. 105. 108 Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 5. 109 Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 5; BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, Rn. 17, Zitat nach Juris = WM 2010, S. 794 (S. 795). 110 BGH v. 4.7.2002, V ZB 16/02, NJW 2002, S. 3029 (S. 3029 f.); BGH v. 1.10.2002, XI ZR 71/02, NJW 2003, S. 65 (S. 66 f.). 107

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

aus der Literatur der Auffassung widersprechen oder auch neue Argumente anführen, die den BGH zu einer Umkehr oder Änderung der Rechtsprechung veranlassen könnten.111 Dies auch, um der Gefahr einer möglichen Rechtserstarrung entgegenzuwirken.112 Auch eine Rechtsfrage, die in der Vorinstanz nicht erörtert worden und nicht Gegenstand eines Meinungsstreits ist, kann klärungsbedürftig sein.113 „Umgekehrt vermag nicht jede Gegenstimme Klärungsbedarf zu begründen“.114 Die Klärungsbedürftigkeit entfällt erst dann, wenn der Rechtsfrage aufgrund einer Rechtsänderung für die Zukunft keine Bedeutung mehr zukommt.115 Die Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage setzt zudem die Revisibilität des anzuwendenden Rechts gemäß § 545 Abs. 1 ZPO voraus.116 Hierunter fallen alle Gesetze im materiellen Sinn, neben Bundes- und Landesgesetzen daher auch Rechtsverordnungen, Verwaltungsanordnungen mit Außenwirkung, ratifizierte Staatsverträge, Völkerrecht sowie Gewohnheitsrecht.117 Nicht als Rechtsnorm sind dabei Satzungen juristischer Personen des Privatrechts mit Ausnahme von Dienstordnungen der Träger sozialer Krankenversicherungen, interne Dienstanweisungen, Verwaltungsvorschriften, Verkehrssitten, Handelsgebräuche, Erfahrungssätze und allgemeine Geschäftsbedingungen zu verstehen.118 Die Revisibilität der zu beurteilenden Rechtsnormen beschäftigt auch das Bundesverfassungsgericht. Sowohl in dem Fall der angenommenen Verfassungsbeschwerde v. 4.11. 2008119 als auch in seinem späteren Nichtannahmebeschluss v. 25. Februar 2009120 nimmt das Bundesverfassungsgericht zum Merkmal der Revisibilität der vom Berufungsgericht ebenso wie durch das Gericht erster Instanz beurteilten Rechtsnormen Stellung, vor allem unter dem Gesichtspunkt, 111 Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 5a; Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 511, Rn. 41; Wenzel, in: Mü/Ko, ZPO, § 543, Rn. 7; BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, Rn. 17, Zitat nach Juris = WM 2010, S. 794 (S. 795); BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, S. 572 (S. 573) m. w. N. 112 BT-Drucks. 14/4722, S. 104. 113 BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, S. 572 (S. 573). 114 BVerfG v. 25.2.2009, 1 BvR 3598/08, Rn. 12, Zitat nach Juris = BVerfG, NJW-RR 2009, S. 1026 (S. 1026). 115 BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, Rn. 19, Zitat nach Juris = NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.); Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 5a; Gerken, in: W/S, ZPO, § 511, Rn. 106. 116 So auch u. a. BVerfGE v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, WM 2010, S. 794 (S. 795). 117 Ball, in: Musielak, ZPO, § 545, Rn. 2 m. w. N. 118 Ball, in: Musielak, ZPO, § 545, Rn. 2 m. w. N. 119 BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.). 120 BVerfG v. 25.2.2009, 1 BvR 3598/08, NJW-RR 2009, S. 1026 (S. 1026).

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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dass die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO den Zugang zu dem gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel unrechtmäßig verstellt und damit der Rechtsweg verweigert wird. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat insoweit dem Berufungsgericht „keine fehlerhafte, keinesfalls aber eine objektiv willkürliche Anwendung des hier maßgebenden § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO“ vorgeworfen und damit einen verfassungsrechtlich relevanten Verstoß des Berufungsgerichts gegen das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verneint, wenn das Berufungsgericht die Berufung nicht unter Bezugnahme auf die abstrakte Auslegung eines allgemein Geltung beanspruchenden Rechtssatzes für erfolglos angesehen, sondern seinen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO auf „Umstände des Einzelfalles“ stützt, auf die sich die Anwendung des revisiblen Rechtssatzes gründet.121 Auch bei diesem Merkmal zeigt sich erneut die Wichtigkeit der Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage. Geht es um eine einzelfall- und tatfragenbezogene Rechtsanwendung, scheint der Zugang zur Revision nicht gegeben und damit ein Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO unbedenklich zu sein. Problematisch ist hierbei jedoch vor allem die durch die Bindungswirkung erzeugte Verknüpfung von Tat- und Rechtsfrage, die in der Berufungsinstanz vorherrscht. Fraglich ist insoweit auch die hierin enthaltene Verweisung auf den „prozessualen Zusammenhang der revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit der Feststellungen zur Tatfrage“, da die tatrichterliche Feststellung im Kontext ihrer verfahrensrechtlichen Strukturen erfolgt.122 Ebendiese, die verfahrensrechtliche Struktur bildenden Normen, gehören ebenfalls zu den revisiblen Vorschriften des geltenden Rechts gem. § 545 Abs. 1. Da das Bundesverfassungsgericht nicht als Superrevisionsinstanz fungiert, obliegt jedoch das Überprüfen der Tatfrage als solche nur den ordentlichen Gerichten. Allerdings muss die Tatsachenfeststellung unter Beachtung des „korrekten Weges“, also unter Beachtung der geltenden verfahrensrechtlichen Vorschriften erfolgen. Die Überprüfung dieses Weges kann das Bundesverfassungsgericht jedoch nur bedingt leisten. Daneben sind vom Begriff der grundsätzlichen Bedeutung „vor allem Modell- oder Musterprozesse sowie solche Verfahren erfasst, in denen die 121

BVerfG v. 25.2.2009, 1 BvR 3598/08, Rn. 13, Zitat nach Juris = BVerfG, NJW-RR 2009, S. 1026 (S. 1026). 122 Smid, Rechtsgutachten zum Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig und zur verfahrensrechtlichen Beurteilung eines Beschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO in Sachen Pfeiffer ./. Steffen 3 U 124/08 (LG Göttingen 2 O 616/07), S. 37, nicht veröffentlicht.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Auslegung typischer Vertragsbestimmungen, Tarife, Formularverträge oder allgemeiner Geschäftsbedingungen erforderlich wird oder in denen die Entscheidung einer Einzelfrage (z. B. auf den Gebieten des Wettbewerbsrechts oder des Urheberrechts u. a.) die Rechtsentwicklung fördert“.123 c) Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung Als drittes Kriterium, welches sich eigentlich in zwei Unterkriterien unterteilen lässt, nämlich einerseits „die Fortbildung des Rechts“ und andererseits die „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“, wurde § 522 Abs. 2 Nr. 3 eingefügt, um das Kriterium der grundsätzlichen Bedeutung weiter zu konkretisieren. Dies basiert auf dem Gedanken des Gesetzgebers, dass der Begriff der Grundsatzbedeutung im engeren Sinne dem Ziel „die Revision in den Fällen offen zu halten, in denen Leitentscheidungen des Revisionsgerichts zu Rechtsstreitigkeiten von allgemeiner Bedeutung erforderlich erscheinen“, nicht ausreichend Rechnung trägt.124 Auch liegt hier ein Gleichlauf der Bedeutung beider Merkmale des § 522 Abs. 2 Nr. 3 mit 543 Abs. 2 Nr. 2 und § 511 Abs. 4 Nr. 1 aus den oben aufgeführten Gründen vor. aa) Fortbildung des Rechts Die Notwendigkeit der Fortbildung des Rechts gebietet dann eine Entscheidung im Urteilsverfahren, wenn ein Zugang zur Revision ermöglicht werden soll.125 Der Einzelfall kann Veranlassung geben, „Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen“, „wenn es für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt“.126 Aus Gründen der Rechtsfortbildung verbietet sich eine Beschlussentscheidung auch in den Rechtssachen, in denen es um die Auslegung von Ge123

BT-Dr. 14/4722, S. 104; Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 6. BT-Dr. 14/4722, S. 104; Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 22 dort unter „Keine grundsätzliche Bedeutung im weiteren Sinne“ gefasst. 125 Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 7; Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 511, Rn. 42; vgl. auch BT-Drucks. 14/4722, S. 104. 126 Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 7 mit wörtlichen Zitaten vom BFH v. 9.11.2010 sowie BGH v. 4.7.2002. 124

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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meinschaftsrecht geht und eine Vorlage an den EuGH nach Art. 68, 234 Abs. 2 und Abs. 3 EGV in Betracht kommt.127 bb) Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung Die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gilt es dann zu sichern, wenn das Berufungsgericht von der Entscheidung eines höherrangigen Gerichts oder, wenn es diese nicht gibt, von der Entscheidung eines gleichrangigen Gerichts abweicht und das Urteil darauf beruht.128 Hierbei ist es laut BVerfG nicht zu beanstanden, wenn das entscheidende Gericht die maßgebende Rechtsfrage aufgrund vorausgegangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesgerichtshofs als geklärt ansieht und für die Verneinung einer Divergenz und einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage allein auf diese abgestellt. Hier hat insoweit eine „Absicherung“ über das Kriterium der grundsätzlichen Bedeutung im engeren Sinne stattgefunden.129 Für den Fall, dass von einer gefestigten Rechtsprechung abgewichen wird, muss jedoch zumindest die Revisionsmöglichkeit erhalten bleiben und damit eine Entscheidung als Urteil mangels Erfüllung der Kriterien des § 522 Abs. 2 ergehen.130 Denn aufgrund der gem. Art. 97 Abs. 1 Hs. 1 GG bestehenden sachlichen Unabhängigkeit des Richters kann der Richter seine Entscheidung auch divergierender Art frei von der rechtsprechenden Gewalt selbst treffen.131 Allerdings besteht bei einer solchen Abweichung zumindest die Möglichkeit, dass die Berufung entweder Aussicht auf Erfolg hat, oder die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung ist, so dass die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 nicht erfüllt sind.132 Ob die Abweichung von einem tragenden Rechtssatz bewusst oder in Unkenntnis der Rechtsprechung aufgestellt wird, ändert nichts daran, dass das Kriterium des § 522 Abs. 2 nicht erfüllt ist.133 127 Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 7; Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 156. 128 Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 511, Rn. 42; Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 71 mit Verweis auf § 511, Rn. 106 f.; so auch BVerfG v. 29.5.2007, 1 BvR 624/03, Rn. 19, Zitat nach Juris. 129 BVerfG v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, Rn. 9, Zitat nach Juris = NJW 2008, S. 504 (S. 504 f.). 130 BVerfG v. 29.5.2007, 1 BvR 624/03, Rn. 23 f., Zitat nach Juris. 131 BVerfG v. 3.11.1992, 1 BvR 1243/88, BVerfGE 87, S. 276 (S. 78). 132 BVerfG v. 30.6.2005, 2 BvR 1664/04, Rn. 20, Zitat nach Juris = WM 2005, S. 1577 (S. 1578). mit Verweis auf BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1931). 133 Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 511, Rn. 43.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

2. Ermessensspielraum des Berufungsgerichts Auffällig im Gesetzestext ist die von Abs. 1 „die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen“ abweichende Formulierung des Abs. 2 „weist zurück“. Der Wortlaut „weist zurück“ lässt nämlich offen, ob hierdurch ein Ermessen und damit eine Wahlmöglichkeit des Berufungsgerichts eingeräumt wird, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und gegebenenfalls durch Urteil zu entscheiden, oder ob die Formulierung ein Vorgehen im Beschluss vorschreibt, wenn die Voraussetzungen der Norm erfüllt sind.134 Grundsätzlich ist dann bei einer Norm von einem durch den Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum auszugehen, wenn bezüglich des „Ob“ und/oder des „Wie“ ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wird. Ein solcher wird häufig durch die Verwendung von Formulierungen wie „kann“, „darf“, „ist berechtigt“ ausgedrückt.135 Solche Formulierungen fehlen in der Norm. Jedoch stehen auch keine Verbote der Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder eventuelle Sanktionen im Gesetzestext für den Fall, dass keine Entscheidung des Berufungsgerichts im Beschlusswege stattfindet. Die Frage wird daher auch von den Gerichten und in der Literatur unterschiedlich beantwortet.136 Der überwiegende Teil der Rechtsprechung und der Literatur, deren Ansicht überzeugt, verneint das Vorliegen eines Ermessensspielraums. Hiernach wird lediglich „ein Beurteilungsspielraum für die Frage, ob die Voraussetzungen für das Beschlussverfahren vorliegen“ eröffnet.137 Die Gegenseite führt hingegen aus, dass die Vorschrift einen Ermes134

Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 31 ff. Knops, in: ZZP 2007, S. 403 (S. 416). 136 Vgl. hierzu Darstellung in Barbier/Arbert, in: ZRP 2007, S. 257 (S. 257 ff.); Schellenberg, in: MDR 05, S. 610 (S. 611); OLG Koblenz begreift die Regelung als „Kann“-Bestimmung OLG Koblenz v. 20.2.2003, 10 U 883/02, NJW 2003, S. 2100 (S. 2101); a. A. B/L/A/H, ZPO, § 522, Rn. 16; Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 31; Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 522, Rn. 39; Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 20; Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 28; Oberheim, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, Berufung im Zivilprozess, S. 314, Rn. 3; Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 110; Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 62; OLG Köln v. 11.6.2003, 2 U 15/03, MDR 2003, S. 1435 (S. 1435 f.); OLG Rostock v. 12.6.2003, 3 U 96/03, NJW 2003, S. 3211 (S. 3211 f.); KG Berlin v. 16.12.2005, 7 U 80/05, KGR Berlin 2006, S. 268 (S. 268 f.); ebenso OLG Celle v. 6.6.2002, 2 U 31/02, NJW 2002, S. 2800 (S. 2800); OLG Düsseldorf v. 3.2.2005, II-4 UF 150/04, NJW 2005, S. 833 (S. 834). 137 KG Berlin v. 16.12.2005, 7 U 80/05, KGR Berlin 2006, S. 268 (S. 268 f.) mit Hinweis auf st. Rechtsprechung seit KG Berlin v. 2.11.2004, 7 U 50/04, KGR Berlin 2005, S. 109 (S. 109). 135

C. Die Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 im Überblick

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sensspielraum einräumt, der die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ermöglicht, welche im Einzelfall der Herstellung materieller Gerechtigkeit dient.138 Diese Ansicht trägt hierzu vor, dass zwar „bei Vorliegen der – mit Strenge zu prüfenden – Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 ZPO von der Möglichkeit der Beschlusszurückweisung auch Gebrauch zu machen“ sei, allerdings „nur sofern nicht im Einzelfall überwiegende sachliche Gründe dafür sprechen, trotz der festgestellten Aussichtslosigkeit der Berufung und dem Fehlen von Revisionszulassungsgründen eine mündliche Verhandlung durchzuführen“.139 Die Frage nach einem diesbezüglich bestehenden Ermessen steht in engem Zusammenhang mit der oben aufgeworfenen Frage nach der Möglichkeit einer Beschlussentscheidung nach bereits veranlasster Terminierung oder sogar Durchführung der mündlichen Verhandlung. Das OLG Düsseldorf führt als Argument gegen einen Ermessensspielraum an, dass allein die Terminierung oder Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht zwingend die Entscheidung durch Urteil zur Folge habe, mithin also ein Wechsel auch nach einer Terminierung zurück zum Beschlussverfahren möglich sei.140 Der Wille des Gesetzgebers spricht eher gegen die Annahme eines Ermessens. Die genaue Vorgabe der normierten Kriterien sowie das Ziel des Gesetzgebers, substanzlose Berufungen schnell zu erledigen und damit richterliche Arbeitskraft zu sparen und gleichzeitig Rechtssicherheit zu schaffen, weisen darauf hin, dass im Falle der Bejahung der Kriterien auch die damit verbundene Entscheidung ergehen muss.141 Zudem könnte sonst der Richter durch die Entscheidung der Terminierung trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 eine Verzögerung der rechtskräftigen Erledigung des Rechtsstreits herbeiführen, ohne dass ein Rechtsschutzgewinn aufgrund der mündlichen Verhandlung erfolgt wäre.142 Problematisch ist zudem bei der Bejahung eines Ermessensspielraums die Frage, ob hierdurch dem Rechtsmittelführer und seiner Rechtssache der 138 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 61; Schellenberg, in: MDR 2005, S. 610 (S. 611 ff.); OLG Koblenz v. 20.2.2003, 10 U 883/02, NJW 2003, S. 2100 (S. 2101). 139 OLG Koblenz v. 20.2.2003, 10 U 883/02, NJW 2003, S. 2100 (S. 2100). 140 OLG Düsseldorf v. 3.2.2005, II-4 UF 150/04, NJW 2005, S. 833 (S. 834). 141 Hannich/Meyer-Seitz/Engers, ZPO-Reform, § 522, S. 330; vgl. im Ergebnis auch Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 109 ff., der allerdings noch andenkt, ob die Bezeichnung „Möglichkeit“ für ein Ermessen sprechen könnte. 142 Knops, in: ZZP 2007, S. 403 (S. 406); BT-Drucks. 14/4722, S. 97; Hannich/ Meyer-Seitz/Engers, ZPO-Reform, § 522, S. 330.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

gesetzliche Richter entzogen wird. Denn das Gericht beeinflusst durch die Entscheidung nach § 522 Abs. 2 die Anfechtbarkeit der Berufungsentscheidung.143 In dem Moment, in dem eine Entscheidung im Wege des § 522 Abs. 2 getroffen wird, ist diese nämlich gem. § 522 Abs. 3 unanfechtbar. Hierdurch kann über die Sache weder in der Revision noch in der Nichtzulassungsbeschwerde eine Entscheidung ergehen, worauf im Rahmen der Rechtsmittel gegen den Zurückweisungsbeschluss gem. § 522 Abs. 2 noch näher eingegangen werden muss. Ein Ermessen des Berufungsgerichts könnte also dazu führen, dass das Berufungsgericht auch über den gesetzlichen Richter in spe entscheidet. Ein solches Ermessen würde jedoch verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen, da gem. Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.144 Eine Ermessensvorschrift wäre daher in der Regel unzulässig, jedoch sind Ausnahmen in Folge übergeordneter rechtlicher Interessen möglich.145 Als weiteres Argument gegen einen Ermessensspielraum führt Möller in diesem Zusammenhang auch das Recht auf ein faires und transparentes Verfahren an.146 Hiernach wäre eine nach richterlichem Ermessen steuerbare Entscheidung aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht und vom Gesetzgeber erstrebten Transparenz des Rechtsmittelrechts nicht tragbar. Die unanfechtbare Beendigung des Instanzenzuges kann im Einzelnen nicht „von einer nicht überprüfbaren Ermessenssteuerung des Berufungsgerichtes abhängen“.147 Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus, dass die Vorschrift keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Gewährleistung des gesetzlichen Richters begegnet und nimmt zu der Frage wie folgt Stellung: „Abs. 2 S. 1 ZPO räumt dem Berufungsgericht kein Handlungsermessen ein, mittelbar über die Wahl des Beschluss- oder Urteilsverfahrens die Anfechtbarkeit seiner Entscheidung zu steuern. Die angegriffene Entscheidung geht vielmehr – zumindest vertretbar – davon aus, dass das Berufungsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss entscheiden muss (. . .).“148 Deutlicher positioniert sich das Bundesverfassungsgericht hingegen in seinem Beschluss v. 23.10.2007, in dem es ausführt: „Das Oberlandes143 BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1931 f.); BVerfG v. 5.8.2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003, S. 281 (S. 281). 144 Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 31. 145 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 101, Rn. 18. 146 Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 110. 147 Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 110. 148 BVerfG v. 5.8.2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003, S. 281 (S. 281).

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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gericht musste sich bei dieser Ausgangslage von Verfassung wegen nicht veranlasst sehen, die Entscheidungen abzuwarten, die nach der mündlichen Verhandlung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs am 21. Februar 2006 in anderen Verfahren anstanden; eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, wäre ihm bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO ohnehin verwehrt gewesen.“149 Diese Entscheidung legt nahe, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbleiben eines Ermessensspielraums des Berufungsgerichts ablehnt. Zudem bestätigt die Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit Art. 101 GG die Gefahr einer diesbezüglich möglichen Grundrechtsverletzung. Nach alldem erscheint es überzeugender mit der herrschenden Meinung einen Ermessensspielraum des Berufungsgerichts abzulehnen.

3. Zwischenergebnis Nachdem nunmehr ein Überblick der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm sowie der Rechtsfolgenseite besteht, gilt es sich nun der Frage nach der Beurteilungsgrundlage dieser Kriterien zu stellen, deren Wichtigkeit sich bereits innerhalb der Untersuchung der einzelnen Merkmale gezeigt hat.

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung Die Kriterien des § 522 Abs. 2 können nur anhand eines zugrunde liegenden „Berufungssachverhalts“ beurteilt und im Ergebnis bejaht oder verneint werden. § 513 bestimmt, auf welche Gründe die Berufung gestützt werden kann. In Abs. 1 heißt es, dass die Berufung nur darauf gestützt werden kann, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder nach § 529 zugrunde gelegte Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Die Norm nimmt also auf Berufungsebene eine Unterscheidung der Tatsachen- und der Rechtsebene vor.150 Seit der ZPO-Reform im Jahre 2002 ist eine Einschränkung der Berufungsinstanz von einer neuen Tatsacheninstanz hin zu einer Rechtsfehler149

BVerfG v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, NJW 2008, S. 504 (S. 504 f.). Die Frage nach der Trennung von Tat- und Rechtsfrage ist hingegen in der Revision schon lange ein „rechtslogisches“ Problem; vgl. hierzu Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichterlicher Würdigung und Feststellung in der Revisionsinstanz, S. 28. 150

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

kontrollinstanz erfolgt.151 Die Berufung dient nun vornehmlich dazu, das Urteil der ersten Instanz auf die korrekte Anwendung des formellen und materiellen Rechts sowie auf die Richtig- und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung hin zu überprüfen und ggf. eine Korrektur vorzunehmen.152 Bei der Untersuchung der in Betracht kommenden Angriffs- und Verteidigungsmittel ist also zu unterscheiden, ob sie die Tatsachen- oder die Rechtsebene betreffen.153

I. Rechtsebene Der Angriff auf rechtlicher Ebene betrifft die rechtliche Würdigung und rügt eine Rechtsverletzung.154 Der Begriff der Rechtsverletzung erfährt dabei eine Legaldefinition in § 546 auf den § 513 Abs. 1 verweist. Hiernach ist das Recht dann verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist. Zusätzlich muss das angefochtene Urteil auf dieser Rechtsverletzung beruhen.155 Hierher gehören Angriffe, die die Verletzung materiell- und prozessrechtlicher Maßstabsnormen sowie verfahrensleitender Normen rügen.156 Wird mit der Berufung allein eine Rechtsverletzung gerügt, so kann über den Umfang der Überprüfung trefflich gestritten werden. 1. Umfang der Überprüfung Der BGH befasste sich mit dieser Frage in einem Revisionsverfahren, in welchem es um die Überprüfung einer mietrechtlichen Individualvereinbarung ging.157 Das zuständige AG hatte der Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung stattgegeben, wogegen die Berufung der Beklagten beim Landgericht erfolgreich war. Die 151 Zur vormals geltenden uneingeschränkten Berufung und dem Wandel der Vorschrift in der ZPO-Reform 2002 vergleiche Lange, Prozessstoff und Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz nach der ZPO-Reform 2002, S. 9 f.; Gerken, in: W/S, ZPO, § 513, Rn. 2. 152 Gerken, in: W/S, ZPO, § 513, Rn. 2. 153 Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 804, Rn. 41. Zur Einordnung der Tatund Rechtsfrage durch den BGH sei auf die Darstellungen von Haspl, Die Kontrolle der tatrichterlichen Auslegung von individuellen Willenserklärungen durch die Rechtsmittelinstanz, S. 33 ff., verwiesen, zu einer allgemeinen Darstellung der Trennung auf Henke, Die Tatfrage, S. 138 ff. 154 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 513, Rn. 10. 155 Ball, in: Musielak, ZPO, § 513, Rn. 5. 156 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 513, Rn. 7. 157 BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2751 ff.).

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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Revision der Klägerin gegen das Berufungsurteil wurde zurückgewiesen. Drehund Angelpunkt der Revisionsentscheidung war die Frage, ob die tatrichterliche Würdigung des Amtsgerichts einen Passus der Vereinbarung betreffend durch die Auffassung des Landgerichts zu Recht ersetzt worden war. Dies betraf eine Frage, in der das Landgericht die Meinung des Amtsgerichts zwar für vertretbar erachtete, selbst aber anderer Auffassung war.158

Großen Teilen der Literatur und der Rechtsprechung entsprechend prüft das Berufungsgericht allein die Frage, ob die erste Instanz „gegen gesetzliche Auslegungsregeln, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder gegen Verfahrensbestimmungen verstoßen hat“, und geht ansonsten von einer eingeschränkten Überprüfbarkeit aus.159 Hiernach ist die Überprüfungsgrenze der Inhalt der Norm sowie die Ausschöpfung der Bewertungsgrundlagen unter Wahrung der Wertungsgrenzen und der Denk- und Erfahrungssätze.160 Ergibt die Prüfung dieser Frage, dass das erstinstanzliche Gericht keine Fehler obiger Art begangen hat, so kann das Berufungsgericht nicht auf seine eigene Auslegungstendenz zurückgreifen, ohne gegen §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 zu verstoßen.161 Nur wenn eine Auslegung in erster Instanz unterblieben ist, kann das Berufungsgericht seine eigenen Feststellungen ohne Bindung an das erstinstanzliche Urteil treffen.162 Nach dieser Ansicht tritt also eine Bindungswirkung des Berufungsgerichts an die Auslegung der ersten Instanz ein, wenn die Auslegung stattgefunden hat und vertretbar war, und die zweite Instanz prüft die erstinstanzliche Auslegung nur noch in dem Rahmen, in dem die zweitinstanzliche Auslegung einer Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt.163 Dieser Auffassung erteilte der BGH eine Absage, indem er ausführte: „Das Berufungsgericht hat nicht gegen §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es die Auslegung des Mietvertrages im angefochtenen Urteil entsprechend seiner eigenen Überzeugung von einer sachgerechten Auslegung des Vertrages korrigiert hat. Der von der Rev. und von obergerichtlichen Entscheidungen sowie in Kommentierungen zu den neuen Bestim158

BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2751). Gerken, in: W/S, ZPO, § 513, Rn. 6 f.; Gehrlein, in: MDR 2003, S. 421 (S. 426); Hirtz, Verhandlungen des 65. DJT, Bd. 1, 2004, S. A 60 f.; Ball, in: Musielak, ZPO, § 513, Rn. 4a. 160 Gehrlein, in: MDR 2003, S. 421 (S. 426); Gerken, in: W/S, ZPO, § 513, Rn. 7; so auch OLG München v. 12.3.2003, 21 U 4945/02, MDR 2003, S. 952 (S. 952 f.). 161 Rimmelspacher, in: NJW 2002, S. 1897 (S. 1899); Ebendieser, in: Mü/Ko, ZPO, § 513, Rn. 11 m. w. N. in Fn. 20; Gerken, in: W/S, ZPO, § 513, Rn. 6 m. w. N. in Fn. 5. 162 So auch das Arg. der Revisionsklägerin, BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2751). 163 BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2751). 159

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

mungen vertretenen Auffassung (. . .) vermag der Senat nicht zu folgen. Eine derartige Einschränkung der Prüfungsbefugnis des Berufungsgerichts enthalten die neuen Bestimmungen über die Berufung nicht; sie entspräche auch nicht der Zielsetzung der Reform (. . .).“164 Argumentativ führt der BGH aus, dass die Verweisung des § 513 auf § 546 nicht auch den Verweis darauf enthält, dass die Überprüfung nur innerhalb revisionsrechtlicher Maßstäbe möglich ist.165 § 513 führe sowohl § 529 wie auch § 546 auf, und es habe eine Gesamtwürdigung der Norm zu erfolgen. Diese ergebe, dass eine berufungsgerichtliche Überprüfung in rechtlicher Hinsicht nicht stärker eingeschränkt sein könne als in tatsächlicher Hinsicht vorgeschrieben. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Berufungsinstanz die Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten habe.166 Im Rahmen dieser Diskussion war auch die Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe umstritten, wobei auch diese im Ergebnis zu bejahen ist.167 Eine gesetzliche Regelung fehlt. Vor der ZPO-Reform wurde die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen jedoch auch in der Rechtsprechung als weitgehend unproblematisch angesehen.168 Nach der ZPO-Reform wird jedoch auch vertreten, dass die Ermessensentscheidung nur auf Rechtsfehler zu überprüfen sei. Nur im Falle der Bejahung eines Rechtsfehlers dürfe das Berufungsgericht sein eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Vorinstanz setzen.169 Die Veränderung der Wahrnehmung des Überprüfungsrahmens kann nur mit dem Argument verstanden werden, der Gesetzgeber habe mit seinen Regelungen eine Angleichung der Berufungsinstanz an die Revisionsinstanz gewollt. Diesem Verständnis liegt jedoch eine falsche Interpretation der Verweisung des § 513 auf § 546 zugrunde. Die Entwurfsbegründung des Gesetzes gibt diese Interpretation der Überprüfungskompetenz der Berufungsinstanz nicht vor, erteilt ihr jedoch auch keine Absage. Hier heißt es: „Die Bestimmung (§ 513) enthält damit den maßgebenden Grundsatz für die künftige Funktion der Berufung. Diese ist 164

BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2751 f.). BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2752). 166 BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2751) der auf BVerfG v. 11.6.1980, 1 PBvU 1/79, BVerfGE, 54, S. 277 (S. 291) verweist. 167 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 513, Rn. 10; Ball, in: Musielak, ZPO, § 513, Rn. 4a, BGH v. 28.3.2006, VI ZR 46/05, NJW 2006, S. 1589 (S. 1592); a. A. Gerken, in: W/S, ZPO, § 513, Rn. 7. 168 Behrens, die Nachprüfung zivilrichterlicher Ermessensentscheidungen, S. 65. 169 BGH v. 28.3.2006, VI ZR 46/05, NJW 2006, S. 1589 (S. 1592) der auf die einzelnen hierzu ergangenen Urteile verweist. 165

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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nicht mehr – wie bislang – in einer im Wesentlichen uneingeschränkten und rechtsstaatlich nicht gebotenen Eröffnung einer umfassenden zweiten Tatsacheninstanz zu erblicken, sondern soll unter grundsätzlicher Bindung an die in erster Instanz getroffenen Tatsachenfeststellungen in erster Linie eine Fehlerprüfung gewährleisten.“170 So hat der BGH konsequent im Anschluss an sein Urteil v. 14.7.2004 entschieden, dass das Berufungsgericht ohne Bindung an die Ermessensausübung der ersten Instanz, wohl aber im Rahmen seiner Bindung an die Tatsachenfeststellung gem. § 529 Abs. 1 selbst über die Bemessung des im Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldes zu entscheiden hat.171 In dem Urteil ging es um die Bemessung eines Schmerzensgeldes und die Überprüfbarkeit der erstinstanzlichen Bemessung in der Berufungsinstanz. Hierzu führte der BGH aus: „Eine Beschränkung der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts – entsprechend der des Revisionsgerichts – hat der Bundesgerichtshof bereits für den Bereich der Vertragsauslegung abgelehnt (BGHZ 160, 83 = NJW 2004, 2751) und darauf hingewiesen, dass im Bereich der rechtlichen Bewertung festgestellter Tatsachen eine Bindung des Berufungsgerichts an eine lediglich mögliche, aber nicht überzeugende Wertung der Vorinstanz nicht besteht (BGHZ 160, 83 = NJW 2004, 2751). Die insoweit angestellten Erwägungen gelten für die Überprüfung der Schmerzensgeldbemessung in gleicher Weise.“172

Durch diese Rechtsprechung erteilte der BGH im Hinblick auf die Ermessensüberprüfbarkeit der obigen Ansicht eine Absage. Eine Gesamtschau der §§ 529 und 513 verbiete eine Angleichung des berufungsinstanzlichen Überprüfungsrahmens an den revisionsinstanzlichen. Eine solche Angleichung sei auch nicht durch den Verweis des Gesetzgebers auf § 546 gewollt. 2. Zwischenergebnis Festzuhalten ist, dass das Berufungsgericht bei der Prüfung einer möglichen Rechtsverletzung auf die erstinstanzlichen Tatsachen sowie die Berufungsbegründung und eventuelle Repliken zurückgreift. Erfolgt lediglich eine Rüge einer Rechtsverletzung, so werden erstinstanzliche Tatsachen vom Rechtsmittelführer nicht bemängelt, sondern lediglich die rechtliche Bewertung dieser Tatsachen.173 170

BT-Drucks. 14/4722, S. 94. BGH v. 28.3.2006, VI ZR 46/05, NJW 2006, S. 1589 (S. 1592) im Anschluss an BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2752). 172 BGH v. 28.3.2006, VI ZR 46/05, NJW 2006, S. 1589 (S. 1592). 173 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 64. 171

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass das Berufungsgericht nur solche Rechtsverletzungen im Rahmen der Beurteilung der Erfolgsaussicht berücksichtigen kann, bei denen kein Rügeverlust oder -verzicht gem. § 295 eingetreten ist. Dieser würde nämlich insoweit zu einer Heilung der Verletzung der Verfahrensvorschrift führen, so dass die Rechtsverletzung nicht bestünde und damit die Berufung auch keine Aussicht auf Erfolg hätte.174 Der unstreitige Rügeverlust oder -verzicht kann ohne mündliche Verhandlung berücksichtigt werden und der Weg für die Beschlusszurückweisung ist eröffnet. Dies kann im Ergebnis hinsichtlich des Rechtschutzziels der Berufung nicht bei einem streitigen Rügeverlust oder -verzicht pauschal bejaht werden. Erfordert die Klärung dieser Frage den Eintritt in die Beweisaufnahme so scheidet aufgrund der nur eingeschränkten Möglichkeit der Beweisantizipation die Entscheidung durch Beschluss aus. 3. Auswirkungen auf die Erfolgsaussicht der Berufung Ein rechtlicher Angriff auf das erstinstanzliche Urteil hat dann keine Aussicht auf Erfolg, wenn dem Gericht der ersten Instanz kein Fehler bei der Anwendung der konkreten Rechtsnormen oder anderen rechtlich überprüfbaren Merkmalen unterlaufen ist.175 Einigkeit besteht zudem darüber, dass das Merkmal der mangelnden Erfolgsaussicht auch dann bejaht werden kann, wenn bei Gleichbleiben der rechtlichen Bewertung ein Austausch der Begründung vom Berufungsgericht mit gleichbleibendem Ergebnis vorgenommen wurde.176 Hierzu führt das OLG Frankfurt in Übereinstimmung mit dem OLG Hamburg aus, dass bei ausnahmslosem Angriff des Rechtsmittelführers auf die Rechtsausführungen des Erstgerichts eine Beschlussentscheidung möglich bleibt, wenn das Berufungsgericht die erstinstanzliche Rechtsansicht teilt oder auch aus anderen Gründen zu demselben Ergebnis gelangt.177 Hierbei muss es dem angefochtenen Urteil nicht in allen Punkten folgen, sondern kann seine Entscheidung auch auf andere Überlegungen stützen, notfalls auch unter Zuhilfenahme anderer Rechtsnormen, wenn das Ergebnis gleich 174

Assmann, in: W/S, ZPO, § 295, Rn. 63. Lange, Prozessstoff und Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz nach der ZPO-Reform 2002, S. 12. 176 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 20; Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 522, Rn. 24; Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 36 m. w. N. 177 OLG Frankfurt v. 5.11.2003, 16 U 116/03, NJW 2004, S. 165 (S. 167); OLG Hamburg v. 10.5.2005, 14 U 154/04, NJW 2006, S. 71 (S. 71); so auch: B/L/A/H, ZPO, § 522, Rn. 16; Lemke, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 522, Rn. 24. 175

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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bleibt.178 Ist es davon überzeugt, dass die Angriffe des Berufungsklägers materiellrechtlich erfolglos sind, und liegen die anderen Kriterien des § 522 Abs. 2 kumulativ vor, so kann es sofort per Beschluss entscheiden und die Berufung zurückweisen. Problematisch wird es, wenn das erstinstanzliche Gericht eine rechtliche Ansicht vertritt, die auch das Berufungsgericht vertritt die, wie die meisten Ansichten auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft, nicht unumstritten ist. Lässt sich über das Ergebnis vertretbar streiten, oder ist eine Rechtsfrage klärungsbedürftig, so ist das Vorgehen umstritten. Nach einer Ansicht muss mündlich verhandelt werden, sobald dies der Fall ist, da die Berufung in diesem Fall Aussicht auf Erfolg habe.179 Nach der Gegenansicht reichen Streitfragen, die unterschiedliche rechtliche Lösungsansätze zulassen, nicht aus, wenn das Berufungsgericht einstimmig den Lösungsansatz der Erstinstanz vertritt.180 Die Erfolgsaussicht, die sich in der Möglichkeit der Klärung der Rechtsfrage verbirgt, ist ein Aspekt, der vor allem im Hinblick auf das Merkmal der grundsätzlichen Bedeutung gewichtet werden muss. Im Hinblick auf die Zielsetzung des Gesetzgebers mit Einführung des Kriteriums gerade diese Rechtsfragen einer Entscheidung des BGH zuzuführen, sollte in Zweifelsfällen von einer Beschlusszurückweisung Abstand genommen und durch Urteil entschieden werden. Komplizierter wird es allerdings, wenn für die Rechtsfrage auch Tatfragen eine Rolle spielen. Denn neben der Rüge der Rechtsverletzung oder auch statt ihr, kann der Rechtsmittelführer geltend machen, dass aus tatsächlichen Gründen eine andere Entscheidung zu erfolgen hat.181

II. Tatsächliche Ebene Ein Angriff auf tatsächlicher Ebene ist die zweite Möglichkeit des Vorgehens gegen das erstinstanzliche Urteil. Dieser Angriff richtet sich gegen die in erster Instanz festgestellten Tatsachen. 1. Prozessstoff der zweiten Instanz Der Prozessstoff wird grundsätzlich in zweiter Instanz nicht neu verhandelt, wie es noch § 525 a. F. vorsah, sondern es findet nur eine Überprüfung 178 179 180 181

Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 64. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 799, Rn. 8. Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 20. Gerken, in: W/S, ZPO, § 513, Rn. 11.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

auf Rechtsfehler oder die Möglichkeit einer Ergänzung des Prozessstoffes durch neue Tatsachen aufgrund neuen zulässigen Vorbringens statt, um eine Überzeugung hinsichtlich der Erfolgsaussicht zu erlangen.182 Mithin wird bei zulässiger Berufung der Prozessstoff erster Instanz im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schranken auch der Prozessstoff der Berufungsinstanz gem. § 529 Abs. 1 S. 1.183 Es stellt sich nur die Frage, in welchem Umfang dies geschieht. 2. Umfang des Prozessstoffes Hierzu hat der Gesetzgeber keine direkte Äußerung getroffen, aber festgestellt, dass § 529 den § 525 a. F., welcher vorher den Prüfungsumfang geregelt hat, ablösen soll.184 Dies spiegelt auch die amtliche Überschrift der Norm wider. Die Wortlautauslegung des § 529 Abs. 1 Nr. 1 lässt wenig Rückschlüsse zu. Lediglich „die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen“ legt das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde. Eine Festlegung des Prozessstoffes oder eine abschließende Legaldefinition über die zum Prozessstoff zählenden Tatsachen liefert die Vorschrift nicht. Sie scheint lediglich den Prüfungsumfang einzugrenzen.185 Dieser bleibt daher umstritten ebenso wie die Frage nach dem Umfang der Bindung und der Definition des Begriffs „festgestellte Tatsachen“ per se. Um eine präzise Analyse dieses Angriffs auf Tatsachenebene zu gewährleisten, muss daher als Erstes eine Bestandsaufnahme darüber erfolgen, was unter dem Begriff der Tatsache zu verstehen ist und welche Tatsachen in erster Instanz festgestellt wurden, da sie die Grundlage zur Bewertung der Erfolgsaussicht der Berufung bilden.186 Hieran schließt sich eine Untersuchung der Bindungswirkung und des Bindungsumfangs dieser Tatsachen an und letztendlich wird aufgezeigt, unter welchen Umständen diese Bindung durchbrochen werden kann.

182

Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 804, Rn. 41. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 804 f., Rn. 42. 184 BT-Drucks. 14/4722, S. 64, S. 159. 185 Lange, Prozessstoff und Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz nach der ZPO-Reform 2002, S. 23. 186 Ball, in: Musielak, § 522, Rn. 21a. 183

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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a) „Festgestellte Tatsachen“ im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Tatsachen sind Geschehnisse und Zustände der Innen- oder Außenwelt des Menschen, die dem Beweis und damit der Verifizierung zugänglich sind.187 Die Einführung der Tatsache erfolgt im Zivilprozess meist über den Beibringungsgrundsatz, der auch Verhandlungsmaxime genannt wird.188 Der Verhandlungsgrundsatz gewährt den Parteien die Möglichkeit, Tatsachen in den Prozess einzuführen, über die das Gericht dann zu befinden hat und die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legt. Der Sachstand, der Streitstand und das Ergebnis der Beweisaufnahme bilden diese tatsächliche Urteilsgrundlage.189 Problematischer und interpretationsintensiver als der Begriff der Tatsache ist hingegen die Formulierung des Gesetzgebers der „festgestellten“ Tatsachen. Einigkeit herrscht zumindest darüber, dass festgestellt die Tatsachen sind, über die die Erstinstanz entschieden hat, dass sie wahr oder unwahr sind.190 Die Beantwortung des Wahrheitsgehalts wirft ihrerseits die Frage der Beweisbedürftigkeit der vorgetragenen Tatsachen auf. Diese richtet sich danach, um welche Art von Tatsache es sich handelt. Der Umkehrschluss aus § 138 ergibt, dass solche Tatsachen beweisbedürftig sind, die erheblich und bestritten und dabei weder offenkundig sind noch vermutet werden.191 Offenkundige Tatsachen sind solche, deren Wahrheit sich aus allgemein zugänglichen Quellen ergibt und die gem. § 291 daher des Beweises nicht bedürfen. Hierzu zählen die allgemeinkundigen wie auch die gerichtskundigen Tatsachen.192 Vermutet werden gem. § 292 hingegen solche Tatsachen, für die ein Gesetz eine Vermutung aufstellt. Nur im Falle einer gesetzlich widerlegbaren Vermutung bleibt die Möglichkeit des Gegenbeweises erhalten.193 Festgestellte Tatsachen im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 sind daher nicht nur die Tatsachen, die das Gericht im Wege der freien Beweiswürdigung gem. § 286 oder gar nur im Wege der Beweisaufnahme gewonnen hat, sondern auch die Tatsachen, die das erstinstanzliche Gericht seiner Entscheidung ohne Prüfung der Wahrheit zugrunde gelegt hat, weil sie offenkundig 187 Foerste, in: Musielak, ZPO, § 284, Rn. 2; Lange, Prozessstoff und Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz nach der ZPO-Reform 2002, S. 36. 188 Die Verfahren, für die der Untersuchungsgrundsatz gilt, sind aus dieser Untersuchung ausgeklammert. 189 Musielak, in: Musielak, ZPO, § 313, Rn. 8. 190 Baumann, Prüfungsumfang und Prüfungsprogramm im Berufungsverfahren nach der Zivilprozessreform 2002, S. 58. 191 Foerste, in: Musielak, ZPO, § 284, Rn. 2. 192 Huber, in: Musielak, ZPO, § 291, Rn. 1 f. 193 Huber, in: Musielak, ZPO, § 292, Rn. 1.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

oder gerichtsbekannt, ausdrücklich zugestanden oder unstreitig waren, oder weil sie sich aus gesetzlichen Auslegungsregeln ergeben haben.194 Der BGH entschied hierzu in seinem Urteil v. 19.3.2004. Diesem Urteil lag eine Klage zugrunde, bei der der Kläger und die Beklagte um die Zahlung von Verwendungsersatzansprüchen für Renovierungsarbeiten streiten. Der Kläger trat diese Ansprüche an einen Dritten ab, machte aber im Hauptantrag einen eigenen Verwendungsersatzanspruch geltend, hilfsweise die Zahlung an den Dritten. Die Klage wurde in erster Instanz und in der Berufungsinstanz abgewiesen und der Hilfsantrag für unzulässig erachtet, wobei vor allem die Reichweite der Feststellung durch das erstinstanzliche Gericht umstritten war.

Hierzu führte der BGH aus: „Festgestellt sind nicht nur solche Tatsachen, hinsichtlich derer das erstinstanzliche Gericht aufgrund einer freien Beweiswürdigung gem. § 286 Abs. 1 ZPO die Entscheidung getroffen hat, dass sie wahr oder nicht wahr sind. Eine derartige Beschränkung des tatsächlichen Prüfungsumfangs des Berufungsgerichts wäre nicht sachgerecht, weil das erstinstanzliche Urteil regelmäßig auch auf nicht beweisbedürftigen, insbesondere unstreitigen Tatsachen beruht. Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung deshalb auch solche Tatsachen zugrunde zu legen, die auch das erstinstanzliche Gericht seiner Entscheidung ohne Prüfung der Wahrheit zugrunde gelegt hat, sei es, weil sie offenkundig oder gerichtsbekannt (§ 291 ZPO), ausdrücklich zugestanden (§ 288 ZPO) oder – wie die von dem Kläger behauptete Abtretung – unstreitig (§ 138 Abs. 3 ZPO) waren, oder weil sie sich aus gesetzlichen Vermutungen oder Beweisund Auslegungsregeln ergeben haben (. . .). Dies entspricht dem allgemeinen Verständnis des in § 559 Abs. 2 ZPO verwendeten Begriffs der von dem Revisionsgericht zugrunde zu legenden Feststellungen (. . .), die wegen der in § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgesehenen Bezugnahme in dem Berufungsurteil auch die von dem erstinstanzlichen Gericht fehlerfrei getroffenen Tatsachenfeststellungen umfassen.“195 In diesem Urteil stellte der BGH auch fest, dass sich die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung auch auf Rechtstatsachen erstreckt: „Die damit angeordnete Bindungswirkung der erstinstanzlichen Feststellungen (. . .) erstreckt sich auch auf sogenannte Rechtstatsachen. Den tatsächlichen Umständen (§ 138 Abs. 1 ZPO) stehen nämlich Tatsachen in ihrer juristischen Einkleidung gleich, wenn dies durch einen einfachen Rechtsbegriff geschieht, der jedem Teilnehmer des Rechtsverkehrs geläufig ist (. . .).“196 194

Haspl, Die Kontrolle der tatrichterlichen Auslegung von individuellen Willenserklärungen durch die Rechtsmittelinstanz, S. 285; Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 529, Rn. 6; Zimmerman, ZPO, § 529, Rn. 2 mit wörtlichem Zitat BGH v. 19.3.2004, V ZR 104/03, NJW 2004, S. 2152 (S. 2152); Ball, in: WuM 2002, S. 296 (S. 297). 195 BGH v. 19.3.2004, V ZR 104/03, NJW 2004, S. 2152 (S. 2153).

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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b) Berücksichtigung von „nicht festgestellten“ Tatsachen Streitig war jedoch, ob über diese eigentlich der Terminologie des Beweisrechts entnommene Formulierung der „Feststellung“ hinaus weitere Tatsachen als Prozessstoff berücksichtigt werden müssen, und wie sich hierzu die Bindung an diese Tatsachen verhält.197 aa) Wortlaut der Norm Eine reine Beschränkung des Prozessstoffes auf die dem Wortlaut entsprechenden „festgestellten Tatsachen“ würde bedeuten, dass alle nicht festgestellten Tatsachen nicht zu berücksichtigen seien, weil sie nicht Prozessstoff der zweiten Instanz würden. Entscheidend ist dies vor allem im Hinblick auf die starke Reglementierung neuen Vortrags über §§ 530, 531 für erstinstanzliches schriftsätzliches Vorbringen, welches keinen Eingang in den Tatbestand gefunden hat. bb) Entwurfsbegründung des Gesetzes Die Entwurfsbegründung des Gesetzes stützt eine solch enge Auslegung des Prozessstoffes nicht. Schon nach dem Regierungsentwurf sollte eine Bindung nur für die Tatsachenfeststellungen erfolgen, die bereits in erster Instanz vollständig und fehlerfrei getroffen wurden, um das Berufungsgericht insoweit zu entlasten.198 Hierzu heißt es: „Die Berufungsinstanz soll sich in aller Regel auf den vom Eingangsgericht festgestellten Sachverhalt stützen und auf ihre genuine Aufgabe der Fehlerkontrolle und -beseitigung bei Tatbestand und rechtlicher Bewertung konzentrieren. Der Rechtssuchende soll sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass die in erster Instanz fehlerfrei festgestellten Tatsachen im höheren Rechtszug Bestand haben. Nur wenn das Berufungsgericht aufgrund konkreter Anhaltspunkte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen in der ersten Instanz hat, sollen diese im Berufungsverfahren überprüft werden.“199 196

BGH v. 19.3.2004, V ZR 104/03, NJW 2004, S. 2152 (S. 2153); vgl hierzu auch BT-Drucks. 14/4722, S. 100. 197 Für eine Erstreckung des Prozessstoffs auf alle Tatsachen, die zumindest über die generelle Verweisung auf den weiteren Sach- und Streitstand in den Schriftsätzen erwähnt sind, Vorwerk, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 2003, S. 4 (S. 7). 198 BT-Dr. 14/4722, S. 61; BT-Dr. 14/6036, S. 123; bezugnehmend hierauf auch BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2753). 199 BT-Drucks. 14/4722, S. 58.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Dies ist sehr umständlich formuliert und erteilt zumindest keine konkrete Absage an die Möglichkeit einer Übereinstimmung festgestellter Tatsachen und Prozessstoff. Eine darüber hinausgehende Bindung oder Reduzierung des Prozessstoffes wird aber auch nicht statuiert. Nur bei ernstlichen Zweifeln des Berufungsgerichts an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen ist eine neue Feststellung in zweiter Instanz geboten. In diesem Fall darf das Gericht über erstinstanzlich festgestellte Tatsachen erneut verhandeln.200 Die Verwendung des Wortes „verhandeln“ weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass lediglich eine Bindung an die festgestellten Tatsachen erfolgen soll, um die Rechtssicherheit und den Glauben in die Justiz zu stärken, nicht jedoch, dass diese auch einzig den Prozessstoff ausmachen soll. Zudem erfolgt keine synonyme Verwendung der Worte „festgestellte Tatsachen“ und „Prozessstoff“. Vielmehr liegt die Auslegung nahe, dass die Gesetzesfassung insoweit „unscharf“ ist.201 Die festgestellten Tatsachen sollen dabei nicht allein den Prozessstoff bilden, sondern sie sind Teil des Prozessstoffes, zu dem bereits entschieden wurde, dass er für wahr oder unwahr erachtet wurde.202 Hierfür spricht auch, dass das Gericht der ersten Instanz Feststellungen nur zu den streitigen Tatsachen trifft, auf die es nach seiner Rechtsauffassung ankommt. Eine solche enge Fassung des Prozessstoffs würde der Bedeutung der zweiten Tatsacheninstanz, die zwar als solche massiv eingeschränkt wurde, aber immer noch als solche vorgesehen ist, nicht gerecht werden.203 cc) Systematische Stellung der Norm Ein weiteres Argument dafür, dass der Gesetzgeber von einem über „festgestellte Tatsachen“ hinausgehenden Prozessstoff in der Berufungsinstanz ausgeht, liefert auch § 531 Abs. 1 ZPO. Hiernach bleiben nach Wach/Kern auch „Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug als verspätet zurückgewiesen worden sind in der Berufung ausgeschlossen. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn solche Angriffs- und Verteidigungsmittel schon mangels Feststellung durch das erstinstanzliche Gericht nicht zum Prozessstoff der Berufungsinstanz zählen würden.“204 200

BT-Drucks. 14/4722, S. 64. Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 4; im Ergebnis so auch Zimmermann, ZPO, § 529, Rn. 5. 202 Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 4; im Ergebnis so auch Zimmermann, ZPO, § 529, Rn. 5. 203 BGH v. 28.3.2006, VI ZR 46/05, NJW 2006, S. 1589 (S. 1592); Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 4. 201

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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Ein weiteres und überzeugendes Argument für eine Nichtübereinstimmung der Begriffe des Prozessstoffes und der festgestellten Tatsachen ist in der Erforderlichkeit einer Rüge gem. § 529 Abs. 2 zu finden.205 Bei einer engen Fassung des Prozessstoffs wäre nicht erwähnter und damit unberücksichtigter Parteivortrag gem. § 529 Abs. 2 als Verfahrensmangel zu rügen, um ihn einzubringen, und nicht bereits von Amts wegen zu berücksichtigen, wie es im Falle der Zugehörigkeit zum Prozessstoff wäre. Betrachtet man § 529 Abs. 2 jedoch genau und auch aus der Sicht der Revision, würden laut Vorwerk unter § 529 Abs. 2 auch die „auf § 286 ZPO gestützten Rügen, über die der Vortrag aus dem Verfahren vor dem Erstrichter ins Berufungsverfahren transportiert werden müsste, um jenen Vortrag zum Prüfungsstoff werden zu lassen, fallen. Rügen aus § 286 hat der Gesetzgeber jedoch ganz offensichtlich nicht mit § 529 Abs. 2 erfassen wollen“.206 Die Entwurfsbegründung des Gesetzes führt hierzu aus, dass durch die veränderte Gestaltung des Berufungsrechts die bereits niedrige Quote von 2 % der durch das Berufungsgericht nicht erkannten erheblichen Verfahrensfehler weiter abnehmen werde, so dass sie vernachlässigt werden kann.207 Nach altem Recht gab es jedoch den § 529 Abs. 2 nicht, sondern es galt die Einheit der Tatsacheninstanz. Hiernach war eine Verfahrensrüge nicht erforderlich, um den Tatsachenstoff der ersten Instanz zum Prozessstoff der Rechtsmittelinstanz zu machen.208 Würde man jedoch die Verfahrensrüge des § 286 unter § 529 Abs. 2 subsumieren, so würde sich eher eine Steigerung der durch das Berufungsgericht nicht erkannten erheblichen Verfahrensfehler ergeben und damit eine über 2 % steigende Quote. Ein solches Ergebnis war jedoch wie oben angeführt gerade nicht durch das neue Gesetz erstrebt worden.209 Diesem Argument schließt sich auch der BGH in seinem Urteil v. 12.3.2004 an. Diesem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin hatte die Beklagte vor dem Landgericht auf Schadensersatz und geminderte Erwerbskosten in einer Mietsache in Anspruch genommen. Gerügt wor204

Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1316). Vorwerk, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner (S. 6 f.). 206 Vorwerk, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner (S. 6). 207 BT-Drucks. 14/4722, S. 101. 208 Vorwerk, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner (S. 7). 209 Vorwerk, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner (S. 6 f.). 205

ZPO-Symposion 2003, S. 4 ZPO-Symposion 2003, S. 4

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

den war in der Berufungsinstanz die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts sowie ein nicht angenommenes Beweisangebot der Klägerin. Die Klägerin unterlag in beiden Instanzen. Auf ihre Revision wurde das Urteil des OLG Frankfurt aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Hierzu führt der BGH aus: „Dem steht nicht entgegen, dass das erstinstanzliche Gericht hier Parteivorbringen übergangen hat und darin ein Verfahrensfehler in Gestalt der Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder des Verstoßes gegen § 286 Abs. 1 ZPO zu sehen ist. Zwar prüft das Berufungsgericht einen Mangel des Verfahrens – soweit er nicht von Amts wegen berücksichtigt werden muss – gem. § 529 Abs. 2 S. 1 ZPO nur dann, wenn er gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung gerügt worden ist. Hierdurch wird jedoch die durch § 529 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO geregelte tatsächliche Inhaltskontrolle des Berufungsgerichts entgegen einer in der Literatur vertretenen Auffassung nicht eingeschränkt. Von der Aufgabe des Berufungsgerichts, konkreten Anhaltspunkten ungeachtet einer Berufungsrüge nachzugehen, macht das Gesetz keine Ausnahme, wenn sich – was ohnehin die weitaus praktischste Fallgestaltung darstellen dürfte – konkrete Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 ZPO aus Verfahrensfehlern des Erstrichters bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben. Dies zeigt sich an der Systematik des § 529 ZPO, der mit seinen Absätzen klar zwischen den Aufgaben des Berufungsgerichts bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht trennt (. . .). Für die tatsächliche Inhaltskontrolle ist ausschließlich § 529 Abs. 1 ZPO maßgebend, eine Vermischung mit der in § 529 Abs. 2 ZPO geregelten Rechtsfehlerkontrolle darf mithin selbst dann nicht stattfinden, wenn die fehlerhaften Tatsachenfeststellungen im erstinstanzlichen Urteil auf einem Verfahrensmangel beruhen.“210 „Fehlt es mithin an einer begrenzenden Regelung, so gelangt mit einem zulässigen Rechtsmittel grundsätzlich der gesamte – wie noch auszuführen sein wird, aus den Akten ersichtliche – Prozessstoff der ersten Instanz ohne weiteres in die Berufungsinstanz (. . .). Damit steht auch der von dem Berufungsgericht zu berücksichtigende Tatsachenstoff fest, weshalb es einer Nichtberücksichtigungsrüge und der für sie geltenden formalen Anforderungen nicht bedarf.“211 dd) Auslegung des BGH Der BGH versteht den Begriff der „festgestellten Tatsachen“ wie im Revisionsrecht. „Eine noch über das Revisionsrecht hinausgehende Einschrän210 211

BGH v. 12.3.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, S. 1876 (S. 1878). BGH v. 12.3.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, S. 1876 (S. 1878).

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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kung des Tatsachenstoffs im Berufungsverfahren entspräche nicht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat vielmehr mit dem ZPO-Reformgesetz eine Fehlerkontrolle hinsichtlich des Tatsachenstoffs beibehalten und die Kontrollmöglichkeit des Berufungsgerichts gerade nicht auf eine bloße Rechtskontrolle wie in der Revision einschränken wollen.“212 ee) Zwischenergebnis Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Gesetzesmotive und eine einheitliche Interpretation der Norm dafür sprechen, dass der Gesetzgeber keinen Gleichlauf der festgestellten Tatsachen mit dem Prozessstoff gewollt hat. Der Prozessstoff ist wesentlich umfänglicher, während die festgestellten Tatsachen lediglich Teil des Prozessstoffes sind und regeln, inwieweit das Berufungsgericht den Parteivortrag nicht einer erneuten Wahrheitsprüfung unterziehen muss. Durch diese Auslegung des Begriffs der festgestellten Tatsachen erspart man es sich auch, sämtliches relevantes Parteivorbringen „unter den Begriff der „festgestellten Tatsachen“ i. S. d. § 529 I Nr. 1 ZPO zu pressen“ um der Bindungswirkung gerecht zu werden. 3. Nachweisbarkeit der festgestellten Tatsachen und deren Bindungswirkung Die Definition der festgestellten Tatsachen führt zur Frage der Nachweisbarkeit der Feststellung.213 Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der oben dargelegten logischen Trennung von festgestellten Tatsachen und Prozessstoff hier erst einmal nur eine Untersuchung der Nachweisbarkeit der festgestellten Tatsachen erfolgt. Hieran anschließend ist danach zu fragen, wie es sich mit der Nachweisbarkeit des gesamten Prozessstoffes verhält, vor allem im Hinblick auf den Unterschied von bereits vorgetragenem Prozessstoff und dem Vortrag neuer Tatsachen. a) Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils als Ausgangspunkt für den Nachweis der Tatsachenfeststellung Festgestellte Tatsachen der ersten Instanz finden sich grundsätzlich im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils.214 Der Tatbestand ist gem. den An212 213

Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1316 f.). Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1316 f.).

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

forderungen des § 314 zu erstellen und dient grundsätzlich dazu, den Sachund Streitstand des Urteils wiederzugeben. Allerdings soll der Tatbestand eines zivilrechtlichen Urteils gem. § 313 Abs. 2 nur eine knappe Darstellung des wesentlichen Inhalts der erhobenen Ansprüche, dazu vorgebrachte Angriffs- und Verteidigungsmittel und die gestellten Anträge enthalten, während im Übrigen auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden soll. b) Positive Beweiskraft des Tatbestandes Die dem Tatbestand zukommende Beurkundungsfunktion des § 314 weist dem Tatbestand zudem eine Beweiskraft hinsichtlich des mündlichen Vorbringens zu.215 Diese geht über die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde gem. § 314 hinaus.216 Die Frage nach dem Umfang dieser Beweiskraft beantwortet mithin auch die Frage nach der Reichweite der Beweisbarkeit der Bindung an die festgestellten Tatsachen. Einigkeit herrscht darüber, dass der Tatbestand positiven Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefert sowie für Umfang und Ergänzung, Änderungen oder Fallenlassen von schriftlichem Parteivorbringen. Weicht der Tatbestand vom schriftlichen Vortrag ab oder stellt er ihn anders dar, so gilt insoweit die positive Beweiswirkung des § 314 und somit das, was im Tatbestand steht.217 Die Folge hiervon ist, „dass die Parteien grundsätzlich nicht mit dem Vorbringen gehört werden, das erstinstanzliche Gericht habe einen bestimmten Vortrag zu Unrecht als unstreitig behandelt“.218 Anders sieht dies das OLG Saarbrücken in seinem Urteil v. 19.2.2003.219 Das OLG war als Berufungsgericht zuständig. Sachverhaltsgrundlage war eine Restlohnzahlungsforderung der Klägerin, die auf einen Dachreparaturauftrag zurückzuführen war, den die Klägerin für die Beklagte durchführte. Die Parteien stritten insbesondere um die Höhe der Forderung, da die Klägerin mit Ansprüchen auf Mängelbeseitigung und Schadensersatz aufrechnete.

Das OLG Saarbrücken führte zu dem Problem der Beweiswirkung des erstinstanzlichen Urteils aus: 214

Ball, in: WuM 2002, S. 296 (S. 297). Vgl. hierzu Lange, Prozessstoff und Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz nach der ZPO-Reform 2002, S. 36; Ball, in: Musielak, ZPO, § 529, Rn. 2; a. A. OLG Saarbrücken v. 19.2.2003, 1 U 653/02, NJW-RR 2003, S. 573 (S. 574 f.). 216 Musielak, in: Musielak, ZPO, § 314, Rn. 1; Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 6. 217 Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 7. 218 Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 7; Ball, in: Musielak, ZPO, § 529, Rn. 6. 219 OLG Saarbrücken v. 19.2.2003, 1 U 653/02, NJW-RR 2003, S. 573 (S. 574 f.). 215

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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„Überdies ist eine Partei nicht gehindert, in der Berufung abweichend gegenüber ihrem erstinstanzlichen Vorbringen vorzutragen und etwa eine erstinstanzlich unbestrittene Tatsache nunmehr zu bestreiten (Hannich/Meyer-Seitz, § 529 Rn. 17). Auch insoweit entfaltet also der erstinstanzliche Tatbestand keine Bindungswirkung. Ferner sieht § 538 I ZPO ausdrücklich vor, dass das BerGer. die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache zu entscheiden hat. Das BerGer. ist also nicht gehindert, gegenüber dem Tatbestand des Ersturteils abweichendes neues Tatsachenvorbringen der Parteien zu berücksichtigen.“ (Musielak/Musielak, § 314 Rn. 4)

Diese Ansicht verkennt jedoch, dass damit die gerade gewollte Einschränkung der zweiten Tatsacheninstanz durch die Reform des Berufungsrechts nicht erreicht werden kann. Gäbe es keine Form der Bindung, so wäre die Regelung des § 529 überflüssig und § 525 a. F. insoweit übernommen worden. Gerade für den hier beurteilten Fall hat der Gesetzgeber eine Regelung treffen wollen, so dass die Ansicht des OLG Saarbrücken abzulehnen ist. Im Falle einer falschen oder lückenhaften Tatsachendarstellung im Tatbestand steht der benachteiligten Partei insoweit gem. §§ 320, 314 das Mittel des Tatbestandsberichtigungsantrags zur Verfügung.220 Wird dieser nicht gestellt, tritt insoweit eine Bindung an die festgestellten Tatsachen ein. c) Negative Beweiskraft des Tatbestandes Umstritten ist die Frage, ob dem Tatbestand darüber hinaus negative Beweiskraft zukommt.221 Diese Frage ist differenziert zu beantworten. Der BGH geht grundsätzlich von der negativen Beweiskraft des Tatbestands aufgrund von § 314 hinsichtlich des mündlichen Parteivorbringens aus, während der Gedanke in der Literatur größtenteils auf Ablehnung stößt. Nach dem BGH erbringt der Tatbestand nicht nur Beweis dafür, dass das, was in ihm als Parteivortrag wiedergegeben wird, tatsächlich vorgetragen worden ist, sondern beweist auch, dass von den Parteien nichts behauptet worden ist, was nicht aus dem Tatbestand ersichtlich ist.222 Dies ist stän220

Zimmermann, ZPO, § 513, Rn. 1. Darstellung bei Rimmelspacher, in: NJW 2002, S. 1897 (S. 1901); Schellhammer, in: MDR 2001, S. 1141 (S. 1144); Gaier, in: NJW 2004, S. 110 (S. 112); befürwortend: Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, S. 804 f., Rn. 42; ebenso Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 529, Rn. 6 ff.; eher ablehnend: Schnauder, in: JuS 2002, S. 68 (S. 73); Vollkommer, in: Zöller, ZPO § 314 Rn. 4; Reichold, in: Thomas/ Putzo, ZPO, § 314 Rn. 1; Rixecker, in: NJW 2004, S. 705 (S. 708). 221

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

dige Rechtsprechung des BGH und geht bis auf das Reichsgericht zurück, wobei auch das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss v. 13.4.1989 dieser Auffassung beigetreten ist.223 Folgt man der Auffassung des BGH, gilt das Vorbringen, welches nicht im Tatbestand steht, als in erster Instanz nicht vorgebracht. Hier zeigt sich die Konsequenz der oben geführten Diskussion über die Feststellung von Tatsachen und den Prozessstoff: Eine Nichtberücksichtigung des im Tatbestand nicht erwähnten Vorbringens als festgestellt würde wiederum zu einer Bindung der zweiten Instanz nach dem Wortlaut der Norm § 529 Abs. 1 Nr. 1 führen.224 Damit wäre eine zwar vorgebrachte, aber nicht in den Tatbestand aufgenommene Tatsache nur als neuer Vortrag in den Berufungsprozessstoff einführbar. Auch nach der Definition, der hier gefolgt wird, nach der die festgestellten Tatsachen nur ein Teil des zu berücksichtigenden Prozessstoffs bilden, würde eine negative Beweiskraft des Tatbestands über die nicht festgestellten Tatsachen möglicherweise den gewollten Umfang des Prozessstoffes sowie die Bindung des Berufungsgerichts an die Tatsachenfeststellung der ersten Instanz konterkarieren. Um die vollständige Konsequenz der obigen Einteilung aufzuzeigen, werden auch die Konsequenzen der Lehre von der negativen Beweiskraft des Tatbestandes auf die engere Auffassung des Prozessstoffs dargestellt. Diese Konsequenzen ergeben sich vor allem bei der Betrachtung des neuen Vortrags und den Regeln zur Einführung dieses gem. §§ 530, 531. Als neuer Vortrag können nur solche Tatsachen berücksichtigt werden, die in erster Instanz noch nicht vortragen wurden, so dass die Berücksichtigung der Definition neuen Vortrags zuwiderlaufen würde. Hiernach könnte dieser Vortrag gar nicht berücksichtigt werden und wäre „verlorener Prozessstoff“. Dass dies im Ergebnis nicht zutreffend sein kann, liegt auf der Hand. Für eine Ablehnung der negativen Beweiskraft des Tatbestands und der damit verbundenen Folge spricht auch § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1. 222 BGH v. 12.3.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, S. 1876 (S. 1878) mit Verweis auf st. Rspr. BGH v. 25.5.1984, V ZR 199/82, NJW 1984, S. 2463 (S. 2463) sowie BGH v. 3.11.1982, IVa ZR 39/81, NJW 1983, S. 885 (S. 8865 f.) m. w. N. 223 RG v. 30.4.1881, I. 532/81, RGZ 4, S. 418 (S. 420 f.); BVerwG v. 13. April 1989, 1 B 21/89, Zitat nach Juris. 224 Baumann, Prüfungsumfang und Prüfungsprogramm im Berufungsverfahren nach der Zivilprozessreform 2002, S. 58; Grunsky, in: NJW 2002, S. 800 (S. 800 f.).

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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Nach dieser Norm können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgebracht werden, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, den das Erstgericht erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat. Eine Anwendung der Vorschrift auf die hier angeführten Feststellungen, bei denen „Parteivorbringen vom Erstgericht für unerheblich erachtet oder schlicht übersehen wurde und deshalb im Tatbestand nicht aufgeführt ist“, würde dazu führen, dass „eine Partei nur ihren vom Erstgericht nicht in den Tatbestand aufgenommenen Vortrag in zweiter Instanz als „neues“ Parteivorbringen wiederholen“ müsste, „um dem Berufungsgericht die Möglichkeit zu eröffnen, ihr Vorbringen zu berücksichtigen“.225 Allerdings könnte dies nur innerhalb der Schranken der §§ 530, 531 geschehen. „Eine solche Anwendung des § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 scheitert aber bereits an dessen Wortlaut: Die Definition des ‚Übersehens‘ oder ‚als unerheblich Erachtens‘ im Sinne dieser Vorschrift bezieht sich nämlich nicht auf das neue Parteivorbringen, sondern auf einen ‚Gesichtspunkt‘, der vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus betrachtet entscheidungserheblich ist.“226 Sinn und Zweck der Norm ist, den Parteien die Möglichkeit zu weiterem neuen Vortrag zu geben, wenn das Berufungsgericht eine andere Rechtsansicht als das Erstgericht vertritt. Dahinter steht die Überlegung, die Partei nicht mit dem Zwang des vorsorglichen Parteivortrags zu allen möglichen Gesichtspunkten zu belasten, die aus Sicht des erstinstanzlichen Gerichts gar nicht entscheidungserheblich sind. Zu diesem Verständnis der Norm passt auch die Forderung des BGH als „ungeschriebene weitere Voraussetzung des neuen § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 zu verlangen, dass die (. . .) Rechtsansicht des Erstgerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der Partei auch beeinflusst hat und daher (mit-)ursächlich dafür geworden ist, dass sich das Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert“.227 Dieses Verständnis der Norm legt nahe, dass neues Vorbringen im Sinne der Vorschrift nur sein kann, was aufgrund der vom erstinstanzlichen Gericht vertretenen Rechtsauffassung nicht vorgetragen wurde, nicht aber was tatsächlich vorgetragen wurde, sich aber nicht im Tatbestand wiederfindet.228 225 Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1318); BT-Drucks. 14/4722, S. 101; so auch Greger mit wörtlichem Zitat des BGH v. 19.3. 2004, V ZR 104/03, http://www.reinhard-greger.de/justizreform/e222.htm. 226 Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1318); BT-Drucks. 14/4722, S. 101; so auch Greger mit wörtlichem Zitat des BGH v. 19.3. 2004, V ZR 104/03, http://www.reinhard-greger.de/justizreform/e222.htm. 227 Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1318). 228 So auch Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1318); Gaier, in: NJW 2004, S. 2041 (S. 2044 f.); a. A. Rimmelspacher, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 2003, S. 11 (S. 13 f.).

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

d) Einschränkung der negativen Beweiskraft durch den BGH Der BGH löst die Problematik über die Einschränkung der negativen Beweiskraft des Tatbestands für diese Fälle. Diskutiert wurde das Problem vom V. Zivilsenat des BGH in seiner Entscheidung v. 12.3.2004.229 In einem obiter dictum lehnte der BGH entgegen der bislang herrschenden Ansicht die negative Beweiskraft für schriftsätzlich angekündigtes nicht im Tatbestand erwähntes Parteivorbringen ab. Der Prozessstoff ergebe sich vielmehr aus dem gesamten Akteninhalt, soweit der Tatbestand schweige.230 Zudem sei, wie weiter von Wach/Kern ausgeführt „das Berufungsgericht (. . .) nicht an der Berücksichtigung von übergangenem schriftsätzlichen Parteivorbringens gehindert, auch wenn dieses weder durch eine Darstellung im Tatbestand noch durch eine dem § 313 Abs. 2 S. 2 genügende Bezugnahme dokumentiert gewesen sei“.231 Begründet wurde diese Auffassung des BGH damit, dass eine negative Beweiskraft des Tatbestands aufgrund der eingeschränkten Anforderungen an die Tatbestandsdarstellung durch § 313 Abs. 2 nicht gerechtfertigt sei, da hiermit stets einhergehen kann, dass Parteivorbringen nicht vollständig wiedergegeben werde. Nur die Vollständigkeit der Wiedergabe kann jedoch die Folge der negativen Beweiskraft mit sich bringen, da nur bei Vollständigkeit Schlüsse aus dem Fehlen des Parteivortrags gezogen werden können. Gerade die Vollständigkeit der Wiedergabe des Parteivorbringens zähle aber nunmehr gem. § 313 Abs. 2 S. 2 nicht zu den Funktionen des Urteilstatbestands.232 Die Lehre der negativen Beweiskraft war eng verknüpft mit der ursprünglichen Konzeption des Zivilprozesses als rein mündliches Verfahren. Der mündliche Vortrag war hiernach weder durch Verlesen noch durch eine Bezugnahme auf Schriftsätze ersetzbar.233 Da ausschließlich der mündliche Vortrag zum Prozessstoff wurde, „konnte dieser nicht durch den Inhalt der Schriftsätze, sondern allein durch den Urteilstatbestand nachgewiesen werden. Insbesondere seit der gänzlichen Aufgabe des Bezugnahmeverbots durch die Neufassung des § 137 Abs. 3 229

Vgl. zum Sachverhalt Kapitel 1, S. 64 f. Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1318). 231 Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1317 f.). 232 Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1317); Wenzel, in: Mü/Ko, ZPO, § 559, Rn. 7; Ball, in: Musielak, ZPO, § 529, Rn. 7 sowie § 559, Rn. 17; ders., in: Festschrift für Geiß, 2000, S. 3 (S. 20); Fischer, in: DRiZ 1994, S. 461 (S. 462 f.); Crückeberg, in: MDR 2003, S. 199 (S. 200); Gaier, in: NJW 2004, S. 110 (S. 110 f.); Rixecker, in: NJW 2004, S. 705 (S. 708); a. A. Rimmelspacher, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 2003, S. 11(S. 13). 233 BGH v. 12.3.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, S. 1876 (S. 1877 f.). 230

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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S. 1 ZPO stehen nunmehr die vorbereitenden Schriftsätze zum Nachweis des Parteivorbringens zur Verfügung.“ Mit Antragstellung und der mündlichen Verhandlung ist im Zweifel auch eine Bezugnahme der Parteien auf den Inhalt der zur Vorbereitung vorgelegten Schriftstücke verbunden, so dass sich der Prozessstoff aus dem gesamten Inhalt der Gerichtsakten ergibt.234 „Der Bundesgerichtshof hat bereits vor dem Hintergrund dieser Überlegung – wenn auch ohne ausdrückliche Aufgabe der Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft – auf entsprechende Revisionsrüge Vorbringen berücksichtigt, das im Tatbestand nicht erwähnt war (. . .). Allein mit dem Hinweis auf die negative Beweiskraft des Urteilstatbestandes kann mithin Parteivorbringen, das sich aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergibt, in den Rechtsmittelverfahren nicht unberücksichtigt bleiben. Hingegen bleibt die negative Beweiskraft für solche Angriffs- und Verteidigungsmittel von Bedeutung, die in der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Ankündigung in einem vorbereitenden Schriftsatz vorgebracht werden (. . .).“235 Der V. Zivilsenat des BGH festigte diese Auffassung durch die Entscheidung v. 19.3.2004 und lieferte ein weiteres Argument für die Einschränkung der negativen Beweiskraft des Tatbestandes, namentlich die Unterschiede zwischen dem Berufungs- und dem Revisionsverfahren.236 „Das Berufungsverfahren diene anders als das Revisionsverfahren auch der Korrektur fehlerhafter Tatsachenfeststellungen.“ Die Wahrnehmung dieser Funktion durch das Berufungsgericht verlange jedoch, dass das Berufungsgericht den gesamten Prozessstoff berücksichtigt. Hierunter fallen alle vorgebrachten und nicht nur die im Tatbestand festgestellten Tatsachen, so dass auch schriftsätzlich angekündigtes aber im Tatbestand unerwähnt gebliebenes, da vom Erstgericht für unerheblich erachtetes oder schlichtweg übersehenes Vorbringen hierunter falle. „Da somit die Funktion der Berufung bereits jede begrenzende Wirkung des Prozessstoffs durch den Tatbestand ausschließe, komme es gar nicht darauf an, ob man mit der bisherigen Rechtsprechung an der negativen Beweiskraft des Tatbestands festhalte.“237 e) Zwischenergebnis Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Bindungswirkung des Tatbestandes nur die festgestellten Tatsachen im oben definierten Umfang erfasst. Eine Ausweitung der Bindung auf nicht festgestellte Tatsachen im Zuge einer negativen Beweiskraft des Tatbestandes ist abzulehnen. 234 235 236 237

BGH v. 28.11.2001, IV ZR 309/00, NJW-RR 2002, S. 381 (S. 381 f.) m. w. N. BGH v. 12.3.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, S. 1876 (S. 1878). Sachverhaltsdarstellung vgl. Kapitel 1, S. 59 f. Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1317).

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Die Argumente des BGH verdeutlichen, dass die Frage nach der negativen Beweiskraft für die oben genannte Definition des Prozessstoffes nur eine geringe Bedeutung entwickelt, jedoch die Gegenauffassung massiv betrifft. Allerdings zeigt es auch, dass im Ergebnis beide Ansätze zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen. Die Lösung über die Definition des Prozessstoffes ist jedoch die dogmatisch saubere Lösung. Zudem besteht nach der oben gewählten Lösung „kein Bedürfnis für die vom V. Zivilsenat des BGH in zwei jüngeren Entscheidungen angeregte Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zur negativen Beweiskraft des Tatbestands“.238 4. Durchbrechung der Bindung bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung Gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ist das Berufungsgericht an die festgestellten Tatsachen erster Instanz nicht gebunden, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung der ersten Instanz begründen.239 Eine Wiederholung aller Feststellungen in jedem Fall ist weder aus Gerechtigkeitsgründen noch durch das Parteieninteresse gerechtfertigt.240 Mit der Frage nach einer Durchbrechung der Bindungswirkung geht die Frage der Erfolgsaussicht einher, da die zugrunde zu legenden Tatsachen oder Fehler in der Beweiswürdigung möglicherweise eine andere Entscheidung rechtfertigen und somit eine Zurückweisung durch Beschluss an den Kriterien des § 522 Abs. 2 scheitern würde. a) Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel im Sinne des § 529 Die Frage nach Anhaltspunkten für Zweifel normiert also die Erfüllung zweier Voraussetzungen, die beide für sich genommen einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellen und in ihrem Zusammentreffen und „in ihrer jeweiligen sprachlichen Wortbedeutung keiner klaren Abgrenzung zugänglich sind. (. . .) Es gibt keine messbaren Kategorien, über die bestimmt werden kann, wann jemand zweifeln darf und was konkrete Anhaltspunkte sind“.241 Ausgangspunkt der Auslegung ist auch hier die Entwurfsbegründung des Gesetzes. Hieraus ergibt sich, dass durch die Bindung an die erstinstanz238

Wach/Kern, in: NJW 2006, S. 1315 (S. 1317). Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 65. 240 Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 14. 241 Vorwerk, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 2003, S. 4 (S. 6). 239

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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liche Tatsachenfeststellung eine Entlastung des Berufungsgerichts vorgesehen ist in der Form, dass eine erneute Feststellung entbehrlich ist.242 Hierunter sind allerdings nur die Tatsachen zu verstehen, die „vollständig und überzeugend“ festgestellt sind.243 Die Zweifel müssen nicht „ernstlich“ sein. Dies lässt sich im Umkehrschluss der Tatsache entnehmen, dass die Formulierung der ernstlichen Zweifel noch im Entwurf des ZPO-RG vorgesehen war, sie jedoch keinen Eingang in die verabschiedete Fassung fand.244 Es genügt eine gewisse Wahrscheinlichkeit, die dafür spricht, dass es an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen hapert.245 Auch nach der Reform des Zivilprozesses besteht nämlich die Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite, wenn auch eingeschränkte Tatsacheninstanz darin, eine fehlerfreie und überzeugende und damit materiell richtige Entscheidung im Einzelfall zu treffen.246 In diesem Zusammenhang hat auch der Rechtsausschuss des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen, dass die Anforderungen an den Begriff des Zweifels nicht überspannt werden dürfen, um die Zielsetzung einer materiell gerechten Entscheidung nicht zu gefährden.247 In dem Moment, in dem das Berufungsgericht „vernünftige“ Zweifel hegt, soll es zu einer Durchbrechung der Bindungswirkung und damit einhergehend zu einer neuen Tatsachenfeststellung kommen.248 Hier liegt ein weiterer Unterschied zwischen dem Berufungs- und dem Revisionsverfahren. Anders als das Revisionsgericht, welches nur bei Verfahrensfehlern gem. § 559 Abs. 2 an die vorinstanzliche Tatsachenfeststellung nicht mehr gebunden ist, ist eine Durchbrechung der Bindung des Berufungsgerichts schon dann zu bejahen, wenn „konkrete Anhaltspunkte“ Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, selbst wenn dem erstinstanzlichen Gericht kein Verfahrensfehler unterlaufen ist. Auch verfahrensfehlerfrei getroffene Tatsachenfeststellungen sind daher für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht bindend, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig sind.249

242 243 244 245 246 247 248 249

BT-Drucks. 14/4722, S. 158 f. BT-Drucks. 14/4722, S. 61. BT-Drucks. 14/4722, S. 100. BGH v. 15.7.2003, VI ZR 361/02, NJW 2003, S. 3480 (S. 3480 f.). BT-Drucks. 14/4722, S. 59 f. mit teilweise wörtlichem Zitat BGH v. 9.3.2005. BT-Drucks. 14/6036, S. 118, 124. BT-Drucks. 14/6036, S. 123 f. BGH v. 12.3.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, S. 1876 (S. 1878).

74

Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

b) Gruppierung der Zweifel Die zur Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffs verwendeten Definitionen wie „vernünftige Zweifel“ oder die Negierung „ernstlicher“ Zweifel lösen das Problem nicht und eine genauere Abgrenzung wird durch die Entwurfsbegründung des Gesetzes nicht ermöglicht. Es gilt daher, die allgemeinen Ziele der Zivilprozessrechtsreform zu bedenken und auch einen Vergleich mit der Situation vor der Reform anzustellen. Zu Recht weist Gerken darauf hin, dass bereits nach altem Recht kein Anlass für eine Wiederholung einer Beweisaufnahme gesehen wurde, wenn das Berufungsgericht diese für überzeugend hielt.250 Mithin ist in Übereinstimmung mit Gerken in der Bindung an überzeugende Beweisaufnahmen lediglich eine Normierung einer ohnehin justiziären Praxis erfolgt. Dies wiederum ist im Licht der allgemeinen Ziele der Stärkung der ersten Instanz und einer Beschleunigung des Zivilprozesses sowie einer Entlastung der Justiz zu sehen. Eine Einschätzung ermöglicht daher die Analyse bestimmter Fallkonstellationen, in denen von Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ausgegangen werden kann.251 aa) Verfahrensfehlerhafte oder fehlende Feststellung Hat das erstinstanzliche Gericht keine oder verfahrensfehlerhafte Feststellungen getroffen, so ist das Berufungsgericht nicht an die so erfolgte Tatsachenfeststellung gebunden und kann frei den Tatsachenstoff bewerten. In diesem Fall nimmt es auch nach neuem Recht252 die Stelle einer Tatsacheninstanz ein und muss ohne Rücksicht auf die erstinstanzlichen Vorgaben erneut den Sachverhalt untersuchen, auch dahin gehend ob dieser stimmig und ausreichend substantiiert ist. bb) Beweisaufnahme Eine Gruppe der Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen stellt die Bewertung des erhobenen Beweises dar. Hierbei sei noch einmal klarstellend darauf hingewiesen, dass bei der Bewertung erhobener Beweise die Bindungswirkung die aus 250 251 252

Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 17. Oberheim, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 529, Rn. 42. Heßler, in: Zöller, ZPO, § 529, Rn. 2; Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 14.

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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der Beweiserhebung abgeleitete Schlussfolgerung über den Wahrheitsgehalt des Parteivortrages betrifft, die als Feststellung im Urteil getroffen wird.253 Hat das erstinstanzliche Gericht über eine Tatsache keine Feststellung getroffen und diesen Punkt offengelassen, weil es hierauf nach seiner Auffassung nicht ankam, der Punkt nicht bedacht wurde oder beim Absetzen der Entscheidungsgründe übergangen wurde, so findet keine Bindung an die Beweisaufnahme statt. Das Gericht kann die Beweisaufnahme selbst bewerten, da es bereits an der für die Bindungswirkung erforderlichen Feststellung fehlt.254 Dies gilt auch für Zweifel, die durch widersprüchliche Angaben im Protokoll verursacht werden. Der insoweit „durch den Tatbestand erbrachte Beweis kann durch eine im Protokoll enthaltene Feststellung entkräftigt werden“, wodurch es wiederum zu einer Durchbrechung der Bindungswirkung aufgrund von Zweifeln kommen kann.255 (1) Unvollständige oder fehlerhafte Beweisaufnahme Auch wenn das erstinstanzliche Gericht eine Beweisaufnahme zu der erstinstanzlich für erheblich gehaltenen Tatfrage durchgeführt, hierauf aber keine Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 S. 1 gestützt hat, kann das Berufungsgericht das Ergebnis der Beweisaufnahme frei verwerten.256 Hieran knüpft sich auch die Grundlage für Zweifel. Sollte der Berufungskläger daher darauf verweisen, dass die Beweisaufnahme unvollständig oder fehlerhaft durchgeführt wurde, stellt sich die Frage nach einer Wiederholung oder Ergänzung der Beweisaufnahme. Hierfür steht dem Berufungsgericht ein prognostischer Bewertungsspielraum in geringem Umfang und in den Grenzen der Beweisunmittelbarkeit zu. Innerhalb dieser kann das Gericht prüfen, ob die erneute Durchführung der Beweisaufnahme geeignet erscheint, das feststehende Beweisergebnis in Frage zu stellen und damit die Möglichkeit einer Erfolgsaussicht zu bejahen. Nicht gemeint ist hingegen ein prognostischer Bewertungsspielraum hinsichtlich des Beweisergebnisses selbst. Diese Auslegung stößt an die Grenzen der Beweisunmittelbarkeit. Die Beweisunmittelbarkeit spielt eine bedeutende Rolle und verlangt, dass die Beweiserhebung vor dem erkennenden Richter stattzufinden hat. Sie ist ein „Strukturprinzip“ des Zivilprozessrechts.257 Das Prinzip ist auf die Überlegung zurückzuführen, dass der 253 254 255 256

Gerken, Gerken, Gerken, Gerken,

in: in: in: in:

W/S, W/S, W/S, W/S,

ZPO, ZPO, ZPO, ZPO,

§ § § §

529, 529, 529, 522,

Rn. Rn. Rn. Rn.

10. 10. 6 f. 68.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

persönliche Eindruck, den der Richter durch die Vernehmung des Zeugen gewinnt, eine erheblich höhere Gewähr für die Ermittlung der Wahrheit bietet.258 Hängt die Frage daher von einem persönlichen Eindruck des Richters ab, was insbesondere bei Zeugen der Fall ist, so ist beim Vorliegen von Zweifeln eine Verwertung der vorhandenen Beweisergebnisse nicht möglich.259 So entschied der BGH in einem Urteil v. 21.12.1992, in dem es um eine Abweichung des Berufungsgerichts von der Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts in einer Schadensersatzklage aufgrund einer Schiffskollision ging, dass der Berufungsrichter ohne eigene Beweiserhebung sogar dann nicht von der Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts abweichen darf, wenn er aufgrund objektiver Umstände zu dem Ergebnis gelangt, dass die Zeugenaussage „mangels Urteilsfähigkeit, Erinnerungsvermögen oder Wahrheitsliebe falsch ist“.260 Diese Rechtsprechung des BGH behält auch nach der ZPO-Reform ihre Gültigkeit.261 In der Berufungsinstanz besteht daher eine Pflicht der Wiederholung der Vernehmung, die sich entgegen § 398 Abs. 1 an § 529 orientiert, da es sich hier um einen Fall des gebundenen Ermessens handelt, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders bewerten will, oder wenn es die protokollierte Aussage für ungenau und präzisierungsbedürftig hält.262 Die Rechtsprechung hat sich mittlerweile teilweise an die in der Literatur vertretene Ansicht angenähert, dass eine erneute Vernehmung entbehrlich sei, wenn das Berufungsgericht aus objektiven Gründen eine andere Beweiswürdigung des Erstrichters vornehme, ohne dass die subjektive Glaubwürdigkeit des Zeugen eine Rolle spiele oder die Aussage durch ein überlegenes Beweismittel wie eine Urkunde, Augenschein oder ein Sachverständigengutachten zweifelsfrei widerlegt werden kann.263 257 Koukouselis, Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Zivilprozeß, insbesondere der Zeugenvernehmung, S. 2. 258 Koukouselis, Die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Zivilprozeß, insbesondere der Zeugenvernehmung, S. 95. 259 Oberheim, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 529, Rn. 14. 260 BGH v. 21.12.1992, II ZR 276/91, NJW-RR 1993, S. 510 (S. 510); a. A. Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 25. 261 OLG Düsseldorf v. 1.10.2004, 22 U 37/04, MDR 2005, S. 532 (S. 532 f.) m. w. N. 262 St. Rspr. BGH v. 21.12.1992, II ZR 276/91, NJW-RR 1993, S. 510 (S. 510); BGH v. 14.7.2009, VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, S. 1291 (S. 1291 f.); BVerfG v. 22.11.2004, 1 BvR 1935/03, NJW 2005, S. 1487 (S. 1487); Trautwein, in: Prütting/ Gehrlein, ZPO, § 398, Rn. 3. 263 Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 25; Zöller, ZPO, § 529, Rn. 8; Zimmermann, ZPO, § 398, Rn. 2 mit Zitat BGH v. 14.10.1997, NJW 1998, S. 383 (S. 384); BGH v. 27.10.2005, III ZR 71/05, NJW-RR 2006, S. 109 (S. 109 ff.).

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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Eine Vernehmungswiederholung wird vom BGH für nicht verpflichtend gehalten, wenn das Berufungsgericht die Erklärung eines Zeugen abweichend vom erstinstanzlichen Gericht auslegen will und der objektive Erklärungswert der Zeugenerklärung vom Empfängerhorizont aus gem. §§ 157, 133 zu ermitteln ist und das Berufungsgericht bei der Auslegung der vorausgegangenen Feststellung des Erklärungstatbestandes von demselben Beweisergebnis wie die erste Instanz ausgeht.264 Der zugrunde liegende Sachverhalt betraf die Frage, ob die Berufungsinstanz verfahrensfehlerhaft gehandelt hatte, indem sie einer vor der ersten Instanz bekundeten Kündigungsmitteilung eines Zeugen gegenüber dem Kläger einen objektiv anderen Erklärungswert beigemessen hatte, ohne die Beweisaufnahme wiederholt zu haben. Der Kläger hatte auf die Fortzahlung eines Vorstandsgehalts geklagt. Seiner Klage war in erster Instanz stattgegeben worden, während die Widerklage der Beklagten auf Rückzahlung einer angeblichen Gehaltsüberzahlung abgewiesen worden war. In der Berufung obsiegte hingegen die Beklagte als Berufungsklägerin.

Diese Auffassung betrifft jedoch lediglich die Auslegung einer Erklärung im Hinblick auf eine rechtliche Würdigung. Bei der Auslegung als Akt der rechtlichen Würdigung ist jedoch wie bereits oben dargelegt eine Bindung des Berufungsgerichts an das erstinstanzliche Gericht grundsätzlich abzulehnen, so dass hierin nach der Zivilprozessrechtsreform eine Fortsetzung der Rechtsprechung gesehen werden kann. Im Übrigen ist die teilweise weitergehende Auffassung der Entbehrlichkeit der Vernehmungswiederholung jedoch abzulehnen. Dies legen sowohl der restriktive Umgang des BGH mit der Möglichkeit eines Wiederholungsverzichts, wie auch die dazu gegebene Begründung nahe. Ansonsten gilt es, die Frage der Wiederholungsbedürftigkeit nach dem Einzelfall und nach der Prozesslage zu beantworten.265 Allerdings steht es den Parteien jederzeit frei, das Ergebnis der Beweisaufnahme unstreitig zu stellen.266 Hierdurch ist das Ergebnis wie eine unstreitige Tatsache zu behandeln, und damit bereits auf Tatsachenebene im Rahmen der Erfolgsaussicht zu berücksichtigen ohne dass eine erneute Beweisaufnahme erforderlich wird.

264 OLG Düsseldorf v. 1.10.2004, 22 U 37/04, MDR 2005, S. 532 (S. 532 f.); BGH v. 14.6.2004, II ZR 393/02, NJW 2004, S. 2736 (S. 2741). 265 BGH v. 7.7.1981, VI ZR 48/80, NJW 1982, S. 108 (S. 109). 266 Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 10.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

(2) Möglichkeit von Divergenzen hinsichtlich der Beweiswürdigung Zudem kann die Möglichkeit der unterschiedlichen Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu Zweifeln führen.267 Ist das Berufungsgericht der Auffassung, dass die Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung nicht überzeugt, so sind Zweifel zu bejahen, die nicht nur die Bindung an die Tatsachenfeststellung durchbrechen, sondern auch zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichten.268 (3) Nicht ausgeschöpfte Beweismittel Zweifel können auch durch Nichtausschöpfen von Beweisangeboten hervorgerufen werden, die darauf zu untersuchen sind, ob sie für den Streitgegenstand des Berufungsverfahrens relevant sind und zu einer neuen Tatsachenfeststellung führen müssen.269 Auch wenn dieses Vorgehen im Fall eines relevanten Beweisangebotes einen Verfahrensfehler darstellt, sei klarstellend darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht auch bei einem verfahrensfehlerfreien Vorgehen des erstinstanzlichen Gerichts hinsichtlich der Beweiswürdigung „zweifeln“ kann.270 (4) Zwischenergebnis Festzuhalten bleibt daher für die Frage nach der mangelnden Erfolgsaussicht als Kriterium des § 522 Abs. 2, dass bei Abhängigkeit der Entscheidung von einer Beweisfrage und eines Beweisangebots keine voreilige Beschlussentscheidung und Negierung der Erfolgsaussicht stattfinden darf. Hier können Zweifel vorliegen, die eine Terminierung erforderlich machen. Eine Berücksichtigung der Möglichkeit, dass der Beweisvortrag den Vortrag nicht bestätigen wird, ist unzulässig und stellt eine Beweisantizipation dar. Die Handhabung dieser Fragen ist restriktiv, da ein solcher Verfahrensfehler die Verletzung des rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG nach sich zieht. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass eine bestimmte Feststellung anders getroffen worden wäre, wenn das entsprechende Vorbringen berücksichtigt worden wäre. 267 BVerfG v. 12.6.2003, 1 BvR 2285/02, NJW 2003, S. 2524 (S. 2524); BVerfG v. 22.11.2004, 1 BvR 1935/03, NJW 2005, S. 1487 (S. 1487). 268 BGH v. 9.3.2005, VIII ZR 266/03, NJW 2005, S. 1583 (S. 1584). 269 Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 13. 270 BGH v. 14.7.2004, VIII ZR 164/03, NJW 2004, S. 2751 (S. 2751).

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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cc) Sonderfall der Präklusion in erster Instanz Auch in erster Instanz präkludiertes Vorbringen kann zu Zweifeln führen, wenn es zu berücksichtigen gewesen wäre. Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens in erster Instanz richtet sich nach § 296. Die Definition des Vorbringens betrifft hierbei Angriffs- und Verteidigungsmittel. Die Vorschrift will verhindern, dass eine „tropfenweise“ Inkenntnissetzung des Gerichts erfolgt, die zu einer längeren Verfahrensdauer führt.271 Mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung wird allerdings die Möglichkeit einer aufgrund der Präklusion materiellrechtlich nicht gerechten Entscheidung in Kauf genommen.272 Die Auslegung der Vorschrift in der Rechtsprechung ist daher restriktiv, und die Aufhebungsquote von Zurückweisungsentscheidungen aufgrund einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist hoch.273 Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Norm ist allerdings in zahlreichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie der gleichmäßigen Behandlung der Parteien im Prozess und des Willkürverbots gem. Art. 3 Abs. 1 bejaht worden.274 Die Angriffs- und Verteidigungsmittel müssen vorgebracht sein, womit ihre Geltendmachung nach einer gesetzten Frist in Schriftsätzen gem. § 282 Abs. 2 oder in der mündlichen Verhandlung gem. § 296 in Verbindung mit § 282 Abs. 1 gemeint ist.275 Geschieht dies verspätet, so verletzt die Partei ihre Prozessförderungspflicht, die darin besteht, das inhaltlich vollständige Vorbringen innerhalb einer wirksam gesetzten Frist zu äußern.276 Gem. der Anforderungen der Abs. 1 und 2 wird eine erneute Unterteilung der Prozessförderungspflichten in eine allgemeine und eine spezielle an den Fristen des § 296 Abs. 1 orientierte Prozessförderungspflicht vorgenommen. Die inhaltlichen Anforderungen an den Parteivortrag werden dabei gem. §§ 272, 282 gestellt. Eine solche für § 296 Abs. 1 relevante Frist enthalten § 273 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5, § 275 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, Abs. 4, § 276 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 sowie § 277. Erfolgt ein Vorbringen nicht innerhalb dieser Frist, muss nach einer Verzögerung gefragt werden. 271 Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 1, wobei der Begriff „tropfenweise“ auf den RegE des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle), BT-Drucks. 7/2729, S. 38, zurückzuführen ist. 272 BGH v. 12.7.1979, VII ZR 284/78, NJW 1979, S. 1988 (S. 1988). 273 Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 3. 274 Gounalakis, Die Flucht vor Präklusion bei verspätetem Vorbringen im Zivilprozeß, S. 7; Prütting, in: Mü/Ko, ZPO, § 296, Rn. 10. 275 Prütting, in: Mü/Ko, ZPO, § 296, Rn. 57; Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 59. 276 Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 60.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Die Definition des Vorliegens einer Verzögerung wird nunmehr mit herrschender Meinung im absoluten Verzögerungsbegriff gesehen.277 Hiernach kommt es für die Frage nach einer Verzögerung allein darauf an, „ob der Prozess bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung. Dagegen ist es grundsätzlich unerheblich, ob der Rechtsstreit bei rechtzeitigem Vorbringen ebenso lange gedauert hätte.“278 Zudem muss ein Kausalzusammenhang zwischen der Verspätung und der Verzögerung bestehen und die Partei muss ein Verschulden an der Verspätung treffen.279 Während es sich bei der Frage der Einordnung des Vorbringens als Angriffs- oder Verteidigungsmittel um eine vom Gericht zu entscheidende Rechtsfrage handelt, trägt die Partei die Beweislast für Tatsachen, die die Entschuldigung der Verspätung betreffen.280 Allerdings sind § 296 Abs. 1 und Abs. 2 mit unterschiedlichen Rechtsfolgen verknüpft. Gem. § 296 Abs. 1 muss das Gericht die Angriffs- und Verteidigungsmittel zurückweisen, ebenso bei § 296 Abs. 3. Abs. 2 hingegen räumt dem Gericht bei der Zurückweisung ein Ermessen ein.281 Die Zurückweisung wird in den Entscheidungsgründen dargestellt unter Angabe der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen und bewirkt, dass das zurückgewiesene Vorbringen nicht zu berücksichtigen, mithin also präkludiert ist. (1) Auswirkungen erstinstanzlich zu Recht präkludierten Vortrags in der Berufungsinstanz Zu Recht präkludiertes Vorbringen bleibt gem. § 531 Abs. 1 auch in der Berufung unberücksichtigt. Dies bedeutet, dass ein zu Recht in erster Instanz präkludiertes Vorbringen auch nicht als konkreter Anhaltspunkt für 277 Gounalakis, Die Flucht vor Präklusion bei verspätetem Vorbringen im Zivilprozeß, S. 11 ff.; Prütting, in: Mü/Ko, ZPO, § 296, Rn. 78; BGH v. 12.7.1979, VII ZR 284/78, NJW 1979, S. 1988 (S. 1988); BGH v. 13.3.1980, VII ZR 147/79, NJW 1980, S. 1167 (S. 1167 f.); BGH v. 10.1.1983, VIII ZR 244/81, NJW 1983, S. 1495 (S. 1495 f.); Huber, in: Musielak, ZPO, § 296, Rn. 13; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 296, Rn. 14; Lüke, in: JuS 1981, S. 503 (S. 504); Overrath, in: DRiZ 1980, S. 253 (S. 253); Walchshöfer, in: ZZP 1980, S. 184 (S. 185 f.); Borgmann, in: Anwaltsblatt 1989, S. 284 (S. 286). a. A. relative Theorie vgl. Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 95 ff. m. w. N. 278 Gounalakis, Die Flucht vor Präklusion bei verspätetem Vorbringen im Zivilprozeß, S. 11 mit wörtlicher Wiedergabe von BGH v. 2.12.1982. 279 Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 133 und 144. 280 Prütting, in: Mü/Ko, ZPO, § 296, Rn. 168. 281 Huber, in: Musielak, ZPO, § 296, Rn. 29; BGH v. 12.2.1981, VII ZR 112/80, NJW 1981, S. 1217 (S. 1218); BGH v. 9.3.1981, VIII ZR 38/80, S. 2255 (S. 2255); ablehnend Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 195.

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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Zweifel herangezogen werden kann, da sonst eine Umgehung der Präklusionsvorschriften erfolgen würde.282 Ausnahme hiervon ist allerdings das unstreitig werden, des zu Recht erstinstanzlich präkludierten Vorbringens in zweiter Instanz. In dem Moment in dem die Tatsachen unstreitig werden, sind auch sie Teil der Entscheidungsgrundlage und mithin zu berücksichtigen. Eine Präklusion gem. § 531 Abs. 1 ist dann zu verneinen.283 (2) Auswirkungen erstinstanzlich zu Unrecht präkludierten Vortrags in der Berufungsinstanz Die Notwendigkeit der Berücksichtigung zu Unrecht präkludierten erstinstanzlichen Vorbringens ergibt sich aus dem Umkehrschluss des § 531 Abs. 1. In diesem Fall könnte die Berufung nämlich aufgrund der geänderten Tatsachengrundlage Aussicht auf Erfolg haben. Die Möglichkeit gegen die Zurückweisung des Vortrags in erster Instanz vorzugehen, wurde in der Berufungsinstanz bereits durch die Einlegung des Rechtsmittels der Berufung wahrgenommen worden.284 Die Überprüfung der Zurückweisung des Vortrags durch die erste Instanz findet nämlich durch Einlegung eines Rechtsmittels statt.285 Auf die Rüge des Rechtsmittelführers ist die Berufungsinstanz verpflichtet, die Zurückweisung zu überprüfen. Hierbei sind sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 296 überprüfbar, während bei einer Ermessensentscheidung des Gerichts nur die fehlerfreie Ermessensausübung überprüft werden kann.286 Ist das Zustandekommen der Zurückweisung nicht aus den Tatsachen ersichtlich und deshalb eine Nachprüfung nicht möglich, so liegt ein Verfahrensfehler vor. Ein Wechsel in der Begründung der Präklusion oder in der Vorschrift, auf die die Präklusion gestützt werden soll, ist nicht möglich.287 Auch darf eine Zurückweisung des verspäteten Vorbringens nur erfolgen, wenn das Gericht vorher darauf hingewiesen hatte, dass es eine solche Zurückweisung beabsichtigt. Hiernach 282 283 284 285 286 287

Rimmelspacher, in: NJW 2003, Sonderheft ZPO-Symposion, S. 18. BGH v. 18.11.2004, IX ZR 229/03, NJW 2005, S. 291 (S. 292). Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 196 f. Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, § 296, Rn. 178. Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 207. Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 208.

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

muss der Partei die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt werden, um auch Gelegenheit zu geben, die Tatsachen einer Entschuldigung vorzutragen. Geschieht dies nicht, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor.288 Im Falle einer verfahrensfehlerhaften Zurückweisung parteilichen Vorbringens in erster Instanz muss von einer Beschlusszurückweisung Abstand genommen werden, es sei denn, auch das neue Vorbringen ändert die Tatsachengrundlage nicht und erfordert auch keine neue Feststellungen des Berufungsgerichts. Dies wird jedoch eher die Ausnahme sein. Die Auswirkungen, die einträten, wenn in diesem Fall eine Entscheidung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 erginge, wären schwerwiegend, da dieser gem. § 522 Abs. 3 unanfechtbar ist. Ein solches Vorgehen wäre auch nicht in der Fallgruppe eins, der berechtigten Entscheidungen über eine Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2, einzuordnen. (3) Berücksichtigung erstinstanzlich zu Recht präkludierten Vorbringens Bei der Berücksichtigung zu Recht präkludierten Vorbringens ist ein Vorgehen gegen die Berücksichtigung in der Berufungsinstanz nicht möglich. Die neuen Tatsachen bleiben berücksichtigt.289 dd) Zweifel durch neuen Vortrag in der Berufungsinstanz Ein Durchbrechen der Bindungswirkung ist auch gem. § 529 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 531 Abs. 2, § 532 S. 2 ZPO möglich, wenn neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorgetragen werden, die ihrerseits Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der bereits festgestellten Tatsachen hervorrufen.290 Nach § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO muss der Grund, dessentwegen das erstinstanzlich nicht vorgebrachte Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen ist, in der Berufungsschrift angegeben werden. Danach müssen die neuen Angriffs- und Ver288 Prütting, in: Mü/Ko, ZPO, § 296, Rn. 23; BGH v. 10.11.1988, VII ZR 272/87, NJW 1989, S. 717 (S. 718). 289 BGH v. 2.4.2004, V ZR 107/03, NJW 2004, S. 2382 (S. 2383); Weth, in: W/S, ZPO, § 296, Rn. 3. 290 Baumann, Prüfungsumfang und Prüfungsprogramm im Berufungsverfahren nach der Zivilprozessreform 2002, S. 86.

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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teidigungsmittel, insbesondere neue Beweismittel, benannt und die Umstände bezeichnet werden, aufgrund derer sie in der Berufungsinstanz zu berücksichtigen sind.291 (1) Grundsätzliche Präklusion neuen Vorbringens Grundsätzlich gilt aufgrund der Regelung des § 531 Abs. 2, dass neues Vorbringen in erheblichem Umfang präkludiert und nur im Ausnahmefall zulässig ist.292 Neu ist ein Vorbringen dann, wenn es in der ersten Instanz nicht vorgetragen wurde. Ob dies der Fall, ist ergibt sich wie oben festgestellt aus dem Tatbestand und den darin in Bezug genommenen Schriftsätzen und Protokollen, insbesondere dem Sitzungsprotokoll. In ständiger Rechtsprechung betonen die Zivilsenate des BGH, dass ein Urteil, das auf der Grundlage des gesamten Tatsachenvortrags der Parteien ergangen ist, der wahren Sach- und Rechtslage besser entspricht als eine Entscheidung, die einen Teil des Tatsachenvortrags aus Rechtsgründen nicht berücksichtigt. „Entscheidend ist, dass die Präklusionsvorschriften der §§ 531, 296 die säumige Partei erheblich beschweren. Sie erlauben daher keine ausdehnende Anwendung. Ihre nachteiligen Folgen können der säumigen Partei nur zugemutet werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausschließung strikt erfüllt sind (. . .)“.293 Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind unter anderem nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO in der Berufungsinstanz zuzulassen, wenn sie im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.294 Grundsätzlich ist die Partei gehalten, schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzulegen, deren Bedeutung für den Rechtsstreit bekannt ist oder hätte bekannt sein müssen – unter der Voraussetzung, dass sie zu deren Geltendmachung imstande waren.295 In dem Nichtvorbringen liegt also eine Verletzung der Sorgfaltspflicht bei Vorliegen der im vorangegangenen Satz genannten Voraussetzungen.296 291

Einzelheiten hierzu siehe Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 520, Rn. 55. Anders noch § 528 a. F. der neues Vorbringen grds. zuließ, vgl. hierzu Darstellung bei Gounalakis, Die Flucht vor Präklusion bei verspätetem Vorbringen im Zivilprozeß, S. 21. 293 BGH v. 22.02.2006, IV ZR 56/05, BGHZ 166, S. 227 (S. 277 ff.). 294 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 531, Rn. 26. 295 BGH v. 8.6.2004, VI ZR 199/03, NJW 2004, S. 2825 (S. 2827); BVerfG v. 24.1.2005, 1 BvR 2653/03, NJW 2005, S. 1768 (S. 1769). 296 BGH v. 19.3.2004, V ZR 104/03, NJW 2004, S. 2152 (S. 2153). 292

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Insoweit muss das Berufungsgericht zunächst feststellen, ob der Sachverhaltsvortrag überhaupt präkludiert ist. Dies geschieht prozessual dadurch, dass die für die Präklusion erheblichen Tatsachen erst einmal festgestellt werden. Hierbei ist zu beachten, dass gem. Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich die Partei mit ihrem gesamten Vorbringen zu hören ist. Dieses Vorgehen ändern auch die Präklusionsvorschriften nicht, da dies nicht dem Zweck der Vorschrift dient. Zweck ist es, solches Vorbringen auszuschließen und nicht Prozessstoff werden zu lassen, das die Partei hätte vorbringen können.297 Auf Zweifel hinsichtlich einer Verwertbarkeit des Parteivorbringens muss das Gericht im Rahmen seiner richterlichen Hinweispflicht aus § 139 hinweisen und die Glaubhaftmachung verlangen.298 § 531 konkretisiert diese allgemeine richterliche Hinweispflicht, um der Partei zu ermöglichen die Präklusion durch Glaubhaftmachung der Zulassungsvoraussetzungen zu verhindern. Hierdurch wird der Berufungskläger zudem darauf hingewiesen, „worauf sich seine Glaubhaftmachung zu beziehen hat, um zu vermeiden, ins Blaue hinein Erklärungen abgegeben zu müssen“. Fehlt es an diesem Hinweis, liegt ein Verstoß gegen das Recht auf Gehör vor, da nicht klar ist, zu welchen Tatsachen in Bezug auf welchen Vortrag die Glaubhaftmachung zu erfolgen hat.299 § 531 Abs. 2 S. 2 ZPO sieht vor, dass das Gericht die Glaubhaftmachung der Zulassungsvoraussetzungen gem. § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO verlangen kann. Die Glaubhaftmachung erfolgt durch die präsenten Beweismittel wie Urkunden, aber auch die Aussage präsenter Zeugen gem. § 294 ZPO.300 (2) Auswirkungen des neuen Vorbringens auf die Beschlusszurückweisung gem. § 522 Abs. 2 Einigkeit herrscht darüber, dass das Berufungsgericht, will es eine neue zulässige Tatsachengrundlage gem. § 529 berücksichtigen, nicht durch Zu297 Smid, Rechtsgutachten zum Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig und zur verfahrensrechtlichen Beurteilung eines Beschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO in Sachen Pfeiffer ./. Steffen 3 U 124/08 (LG Göttingen 2 O 616/07), S. 37, nicht veröffentlicht. 298 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 531, Rn. 29. 299 Smid, Rechtsgutachten zum Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig und zur verfahrensrechtlichen Beurteilung eines Beschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO in Sachen Pfeiffer ./. Steffen 3 U 124/08 (LG Göttingen 2 O 616/07), S. 37, nicht veröffentlicht. 300 Heßler, in: Zöller, ZPO, § 531, Rn. 33.

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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rückweisungsbeschluss entscheiden darf, da erst einmal über die Zulässigkeit dieser neuen Tatsachen zu entscheiden und diese festzustellen sind.301 Damit umfassen sie die Möglichkeit eines Erfolges.302 Würde in einem solchen Fall trotz zulässiger und schlüssiger Angriffe dem Rechtsmittel der Berufung mangelnde Erfolgsaussicht bescheinigt werden, würde das Berufungsgericht eine Beweiswürdigung vorwegnehmen, was wiederum dem Grundprinzip von § 286 zuwiderlaufen würde.303 Mithin stellt sich das berufungsgerichtliche Ermessen, die Glaubhaftmachung der Zulassungsvoraussetzungen nach § 531 ZPO zu verlangen, dadurch als gebunden dar, als das Berufungsgericht nicht das Fehlen der Erfolgsaussicht der Berufung auf die Präklusion von Tatsachenvorbringen stützen darf, ohne der Partei die Gelegenheit gegeben zu haben, die Zulassungsvoraussetzungen in dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren glaubhaft zu machen. Nur wenn die Glaubhaftmachung vor der mündlichen Verhandlung nicht gelang, kann das Berufungsgericht nach § 522 ZPO entscheiden.304 Bei Zweifeln sollte daher grundsätzlich dann eine mündliche Verhandlung erfolgen, wenn in dieser die Klärung der Frage nach der Präklusion zu erwarten ist. Dies begegnet auch keinen Bedenken hinsichtlich des fehlenden Ermessensspielraums des § 522 Abs. 2. In dem Moment, in dem Zweifel hinsichtlich tatsächlicher Gegebenheiten bestehen, kann das Gericht nicht überzeugt von einer Erfolglosigkeit der Berufung sein. Nur eine Klärung der Zweifel ermöglicht nämlich eine fehlerfreie Tatsachenfeststellung und damit auch die korrekte Beantwortung der Frage nach der Erfolgsaussicht. (a) Neues unstreitiges Vorbringen Nach langem Tauziehen über den Einfluss der Präklusionsvorschriften auf den unstreitigen Tatsachenvortrag, hat der BGH entschieden, dass unstreitige neue Tatsachen unabhängig vom Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen des § 531 Abs. 2 in das Berufungsverfahren eingeführt werden können.305 Diesem Urteil lag eine Regressklage zu Grunde, in der die Kläger von den Beklagten Ersatz von Steuernachteilen verlangte, die ihnen entstanden waren, indem 301

Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 531, Rn. 32. Heßler, in: Zöller, ZPO, § 522, Rn. 36. 303 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 20; Piekenbrock, in: JZ 2002, S. 540 (S. 547). 304 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 531, Rn. 32. 305 BGH v. 18.11.2004, IX ZR 229/03, NJW 2005, S. 291 (S. 292). 302

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

die Beklagten steuermindernde Begebenheiten bei Erstellen der Einkommenssteuererklärung wegließen. Die Klage war sowohl in der ersten als auch zweiten Instanz abgewiesen worden. Die Revision der Kläger war hingegen erfolgreich und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel umfassen bereits begrifflich nicht neuen unstreitigen Tatsachenvortrag.306 Mithin kann dieser auch nicht der Präklusionswirkung des § 531 Abs. 2 unterliegen, eine analoge Anwendung der Vorschrift verbietet sich dabei „mit Blick auf den strengen Ausnahmecharakter von Präklusionsvorschriften“.307 Hauptargument des BGH in dieser Entscheidung ist hierbei der Zweck des Zivilprozesses, der in der Feststellung sowie Verwirklichung subjektiver Rechte und einer materiell gerechten Entscheidung auf Grundlage einer zutreffenden Tatsachenfeststellung besteht.308 Mit diesem Zweck sei es auch im Hinblick auf die Verhandlungsmaxime nicht vereinbar, die Parteien an der Einführung eines übereinstimmenden ergänzenden Parteivortrags in zweiter Instanz zu hindern.309 Unstreitig ist also das, was die Parteien übereinstimmend vortragen. Hierdurch entfällt die Beweisbedürftigkeit. Trägt eine Partei vor, so kann der Parteivortrag in zweierlei Formen unstreitig werden: Der Vortrag wird durch die gegnerische Partei ausdrücklich zugestanden in Form eines gerichtlichen Geständnisses gem. §§ 288, 290 oder die Unstreitigkeit wird aufgrund des Nichtbestreitens gem. § 138 Abs. 3 fingiert.310 Eine solche Fiktion kann vorbehaltlich der Schlüssigkeit des Vortrags entweder erfolgen, wenn die Partei das gegnerische Vorbringen gar nicht, unzureichend oder auch zu spät bestreitet.311 Auch hierfür gelten die Regelungen der Präklusion gem. § 296. (b) Neues streitiges Vorbringen Wird das neue Vorbringen hingegen in dem erforderlichen Maße bestritten, so handelt es sich um neues streitiges Vorbringen. Im Gegensatz zu 306 BGH v. 18.11.2004, IX ZR 229/03, NJW 2005, S. 291 (S. 292); ebenso Prütting, in: Mü/Ko, ZPO, § 296, Rn. 45. 307 BGH v. 18.11.2004, IX ZR 229/03, NJW 2005, S. 291 (S. 292). 308 BGH v. 18.11.2004, IX ZR 229/03, NJW 2005, S. 291 (S. 293). 309 BGH v. 18.11.2004, IX ZR 229/03, NJW 2005, S. 291 (S. 293). 310 Greger, in: Zöller, ZPO, § 139, Rn. 9. 311 Greger, in: Zöller, ZPO, § 139, Rn. 10a.

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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neuem unstreitigen Vorbringen findet § 531 Abs. 2 hier Anwendung und die Möglichkeit einer Präklusion ist eröffnet. (c) Neues präkludiertes Vorbringen Ist das neue Vorbringen aus den Gründen des § 531 Abs. 2 oder gem. §§ 530, 296 präkludiert, so findet eine Würdigung der zu Recht präkludierten Tatsachen gem. § 286 auch hier nicht statt.312 Dies findet weder statt wenn sie gem. § 296 Abs. 2 als verspätet zurückgewiesen werden noch wenn sie gem. §§ 296 Abs. 1, 527 ff. nicht zuzulassen sind. Zudem kann ein präkludiertes neues Vorbringen auch nicht als „konkreter Anhaltspunkt“ für Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 dienen.313 Wäre dies möglich, so würden die Präklusionsregeln unterlaufen und das Ziel der umfassenden Verhandlung des Rechtsstreits möglichst in erster Instanz konterkariert werden.314 Daraus folgt, dass die Berufung im Beschlusswege zurückgewiesen werden kann, wenn die Angriffe gegen die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen auf „neuen“ Tatsachen beruhen, die nicht berücksichtigt werden dürfen.315 ee) Rügeerfordernis bei unverzichtbaren Verfahrensvorschriften Es stellt sich die Frage, inwieweit die Parteien verpflichtet sind, sowohl rechtliche als auch tatsächliche Fehler zu rügen. Die Kontrolle der erstinstanzlich festgestellten Tatsachen auf konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen, muss das Berufungsgericht von Amts wegen durchführen.316 Hierbei ist das Gericht gem. § 529 Abs. 2 S. 2 nicht auf die in der Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 3 312 Baumann, Prüfungsumfang und Prüfungsprogramm im Berufungsverfahren nach der Zivilprozessreform 2002, S. 142. 313 Smid, Rechtsgutachten zum Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig und zur verfahrensrechtlichen Beurteilung eines Beschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO in Sachen Pfeiffer ./. Steffen 3 U 124/08 (LG Göttingen 2 O 616/07), S. 32, nicht veröffentlicht. 314 Rimmelspacher, in: NJW-Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 2003, S. 11 (S. 16); ebenso Baumann, Prüfungsumfang und Prüfungsprogramm im Berufungsverfahren nach der Zivilprozessreform 2002, S. 94 f.; a. A. Vorwerk, in: NJWSonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 2003, S. 4 (S. 10). 315 Smid, Rechtsgutachten zum Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig und zur verfahrensrechtlichen Beurteilung eines Beschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO in Sachen Pfeiffer ./. Steffen 3 U 124/08 (LG Göttingen 2 O 616/07), S. 32, nicht veröffentlicht. 316 Gaier, in: NJW 2004, S. 2041 (S. 2043).

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

geltend gemachten Berufungsgründe beschränkt, und auch im Rahmen von § 513 Abs. 1 Alt. 2 ist ein Rügeerfordernis nicht gestellt.317 Anderes gilt nur für Verfahrensmängel, die gem. § 529 Abs. 2 S. 1 nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, die sog. verzichtbaren Verfahrensvorschriften.318 Hierfür spricht vor allem § 529 Abs. 2 S. 2 der Vorschrift, welcher statuiert, dass das Berufungsgericht nicht an die geltend gemachten Berufungsgründe gebunden ist. Dies spricht dafür, dass im Falle einer vom erstinstanzlichen Urteil abweichenden materiellrechtlichen Ansicht oder der Berücksichtigung anderer als der vom Berufungsführer angebrachten Berufungsgründe eine Neufeststellung der Tatsachen erfolgen kann, da dadurch bereits regelmäßig konkrete Anhaltspunkte für eine unvollständige Tatsachenfeststellung bestehen.319 Die inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsgründe werden nunmehr statt durch § 519 Abs. 3 Nr. 2 a. F. durch § 520 Abs. 3 S. 2 konkretisiert. Der Kläger muss grundsätzlich in der Berufung darstellen, bei welchen der vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen die Bindung ausnahmsweise nicht bestehen soll. Nr. 3 und Nr. 4 der Norm regeln dies näher. Gem. Nr. 3 müssen die konkreten Anhaltspunkte für den Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit bezeichnet sein, während gem. Nr. 4 die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel darzulegen sind mitsamt Erklärung, warum ein Vorbringen nicht schon in erster Instanz erfolgt ist. Hierin liegt jedoch lediglich eine Präzisierung der Anforderungen an die Berufung und keine Verschärfung.320 Weder der Wortlaut der Norm selbst, noch die Entwurfsbegründung des Gesetzes lassen auf eine Verschärfung schließen. Im Gegenteil wird nun nur eine „Bezeichnung der Umstände“ statt wie vorher eine „bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung“ verlangt. Der Gesetzgeber will damit die Anforderungen an den Inhalt der Rüge falscher Rechtsanwendung sogar senken.321 Dem schließt sich auch der BGH an und folgt damit nicht der in der Literatur herrschenden Meinung, die sich immer noch an den alten von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zu § 519 a. F. orientiert.322 317 Gaier, in: NJW 2004, S. 2041 (S. 2042); BGH v. 12.3.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, S. 1876 (S. 1878). 318 Gaier, in: NJW 2004, S. 2041 (S. 2042). 319 Lange, Prozessstoff und Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz nach der ZPO-Reform 2002, S. 22. 320 BGH v. 28.5.2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, S. 2531 (S. 2532). 321 Gaier, in: NJW 2004, S. 2041 (S. 2042); BT-Drucks. 14/4722, S. 95.

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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Noch konkreter wird der BGH in seinem Urteil v. 26.6.2003, indem er zusätzlich entscheidet, dass weder die Angabe einer bestimmten Norm verlangt wird, „noch die Schlüssigkeit oder jedenfalls Vertretbarkeit der erhobenen Rüge“.323 Sachverhaltsgrundlage der Entscheidung war eine Schadensersatzklage wegen dem Beklagten überlassener nicht zurückgegebener Mietgegenstände. Hierbei war die Klage, die den Beklagten zur Zahlung samt Zinsen verurteilte und die Widerklage abwies, vom LG als unzulässig gem. § 522 Abs. 1 abgewiesen worden. Hiergegen war der Kläger erfolgreich mit Einlegung einer Rechtsbeschwerde gem. § 522 Abs. 1 S. 4 in Verbindung mit § 574 vorgegangen.

Diese Ansicht des BGH legt nahe, die Anforderungen an die Berufungsbegründung nicht zu überspannen und vor allem eine vorschnelle Anwendung des § 522 in Fällen, in denen Unsicherheit hinsichtlich der ausreichenden Konkretisierung der Berufungsbegründung besteht, zu vermeiden. Ergänzt wird diese Rechtsprechung des BGH durch das Urteil v. 9.3. 2005.324 In dieser Fallkonstellation machte der Kläger eine Zahlungsforderung aus einem Getränkelieferungsvertrag geltend, welcher der Beklagte mit streitigen Aufrechungsforderungen aus einer Rückvergütung begegnete. Das LG wies die Klage des Gegners ab, während das OLG als Berufungsgericht die Aufrechnungsforderung verneinte und daher der Klage teilweise stattgab. Die Revision führte zur Zurückverweisung der Sache an das OLG Oldenburg.

Hinsichtlich einer auf die Berufungsbegründung gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 beschränkten Überprüfung des erstinstanzlich festgestellten Sachverhalts führt der BGH aus: „Durch diese Vorschrift (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 Anm. der Verfasserin) wird der Berufungsführer dazu angehalten, die Gründe genau zu bezeichnen, aus denen er die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung für unrichtig hält; (. . .) Daraus folgt aber nicht, dass eine erneute Tatsachenfeststellung nach § 529 Abs. 1 S. 1 ZPO eine darauf bezogene Berufungsrüge voraussetzt und das Berufungsgericht deshalb gehindert wäre, an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung zu zweifeln, wenn entsprechende Darlegungen in der Berufungsbegründung fehlen. Denn das Berufungsgericht ist an die geltend gemachten Berufungsgründe (abgesehen von bestimmten Verfahrensmängeln) nicht gebunden (§ 529 Abs. 2 ZPO).“325 322 Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 520, Rn. 47; B/L/A/H, ZPO, § 520, Rn. 22; Thomas/Putzo, § 520, Rn. 20 f.; Ball, in: Musielak, ZPO, 520, Rn. 28; Gummer, in: Zöller, ZPO, § 520, Rn. 27; BGH v. 28.5.2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, S. 2531 (S. 2532). 323 BGH v. 26.6.2003, III ZB 71/02, NJW 2003, S. 2532 (S. 2533). 324 BGH v. 9.3.2005, VIII ZR 266/03, NJW 2005, S. 1583 (S. 1583 f.). 325 BGH v. 9.3.2005, VIII ZR 266/03, NJW 2005, S. 1583 (S. 1583 f.).

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

Weitergehend legt der BGH dar, dass das Berufungsgericht konkreten Anhaltspunkten für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlich erfolgten entscheidungserheblichen Feststellung selbstständig auch dann nachzugehen hat, wenn es sie aufgrund gerichtskundiger Tatsachen gewonnen hat. Im Erst-Recht-Schluss folgert der BGH dies daher auch für konkrete Anhaltspunkte, die sich auf Grundlage des erstinstanzlichen Parteivortrags ergeben, auch wenn dieser nicht Gegenstand einer Berufungsrüge ist. Mithin hat laut BGH die Überprüfung des gesamten erstinstanzlichen Prozessstoffs auf Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht von Amts wegen zu erfolgen.326 Mithin entfällt das Rügeerfordernis bei unverzichtbaren Verfahrensvorschriften. Sie sind von Amts wegen zu untersuchen. ff) Rügeerfordernis bei verzichtbaren Verfahrensvorschriften Die Nichteinhaltung verzichtbarer Verfahrensvorschriften steht hingegen einer Entscheidung im Beschlusswege nicht entgegen. Bei nicht rechtzeitiger Rüge tritt eine Heilung gem. § 295 ein. Dies deshalb, weil es sich dabei um solche Verfahrensvorschriften, die den Weg zu einer rechtsstaatlichen Entscheidung sichern sollen.327 Der Umkehrschluss aus § 529 Abs. 2 S. 1 ergibt, dass das Gericht verzichtbare Verfahrensmängel nicht von Amts wegen prüfen muss und sie daher mangels Rüge in die Erfolgsbeurteilung nicht einfließen. gg) Problem der zu Unrecht angenommenen Zweifel sowie der zu Unrecht nicht angenommenen Zweifel An dieser Stelle ist kurz darauf einzugehen, welche Konsequenzen eine falsche Annahme oder eine fehlerhafte Nichtannahme von Zweifeln haben kann. Nimmt das Berufungsgericht Zweifel an, die in Wahrheit unberechtigt sind, so kann nur die sodann erfolgte Tatsachenfeststellung der Berufungsinstanz einer erneuten Prüfung nach Rechtsmitteleinlegung unterzogen werden. Eine Überprüfung, ob das Berufungsgericht die Zweifel zu Recht angenommen hat, erfolgt in der Revisionsinstanz nicht. 326 327

BGH v. 9.3.2005, VIII ZR 266/03, NJW 2005, S. 1583 (S. 1584). Gerken, in: W/S, ZPO, § 529, Rn. 39.

D. Grundlage der Bestimmung der Erfolgsaussicht der Berufung

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Dem ist zuzustimmen, da der Gesetzgeber mit § 529 Abs. 1 den Konzentrationsschwerpunkt auf die Tatsachenfeststellung in erster Instanz legt. Dieser Zweck ist nach bereits erfolgter erneuter Tatsachenfeststellung nicht mehr zu erreichen. Zweck des § 529 ist es jedoch nicht, „vor der Feststellung der materiellen Wahrheit zu schützen (. . .). Für Einschränkungen der Tatsachenfeststellung in der Berufungsinstanz, die zwangsläufig nachteilig für das Bemühen um eine materiell gerechte Entscheidung sind (. . .), gibt es keine Rechtfertigung, wenn das mit der Einschränkung verfolgte prozessökonomische Ziel nicht mehr zu erreichen ist“.328 Die fehlerhafte Ablehnung von Zweifel ist weitaus problematischer. Denn hier kann nachfolgend eine Entscheidung durch Zurückweisungsbeschluss ergehen. Diese Entscheidung wäre nicht überprüfbar gem. § 522 Abs. 3 und die Folgen somit viel schwerwiegender. Zudem würde sich auch dieser Fall außerhalb der Fallgruppe eins bewegen. Es läge ein Fall der Fallgruppe zwei, der unberechtigten Anwendung der Norm vor, da in dem Moment in dem die Tatsachenfeststellung möglicherweise unvollständig oder anderweitig fehlerhaft ist, eine falsche Entscheidung hinsichtlich des Kriteriums der Erfolgsaussicht nicht mehr ausgeschlossen werden kann. c) Zwischenergebnis zur Durchbrechung der Bindungswirkung Die Frage nach der Durchbrechung der Bindungswirkung ist sehr differenziert und oftmals einzelfallabhängig zu beantworten. Vor allem bei neuem Vortrag muss aufgrund der aktuellen Rechtsprechung eine Unterscheidung erfolgen, ob es sich um unstreitiges oder streitiges Vorbringen handelt. Ersteres ist immer zu berücksichtigen, letzteres unter den dargestellten zusätzlichen Voraussetzungen. In jedem Fall wird die Befassung mit neuem Tatsachenvortrag eine Untersuchung erfordern, ob sich möglicherweise eine andere Beurteilung der Erfolgsaussicht ergibt. Sollte eine Feststellung erforderlich werden, verbietet sich im Regelfall eine Entscheidung im Beschlusswege.

328

BGH v. 9.3.2005, VIII ZR 266/03, NJW 2005, S. 1583 (S. 1584).

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Kap. 1: Reichweite und Anwendungsbereich des § 522

E. Ergebnis des ersten Kapitels Im Ergebnis bleibt letztendlich festzuhalten, dass das berechtigte Vorgehen nach § 522 Abs. 2 maßgeblich von der Richtigkeit der Tatsachengrundlage abhängt. Nur bei Vorliegen der Kriterien des § 522 Abs. 1 und Abs. 2 ist die Entscheidung durch Beschluss jedoch möglich bzw. im Fall des § 522 Abs. 2 sogar zwingend erforderlich. Ergeht ein solcher Beschluss, wird damit das Rechtsmittel der Berufung in seiner Erforderlichkeit zu Recht verneint. Sowohl bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs. 1 als auch des § 522 Abs. 2 regelt der Gesetzgeber die Fälle, die er bei Schaffung des Gesetzes im Auge gehabt hat und regeln wollte und trägt dabei dem Bedürfnis nach einer vereinfachten und effizienten Erledigungsmöglichkeit sowie dem Gebot der Beschleunigung der Rechtsfindung Rechnung.329 Diese Zielsetzung stimmt auch mit den oben herausgearbeiteten Zielen der Rechtsmittelnotwendigkeit überein. Augenscheinlich soll diese Fallgruppe der berechtigten Anwendung eine Ausnahme bilden in einem System, in dem sowohl die Erforderlichkeit von Rechtsmitteln generell, wie auch insbesondere der Berufung, den Grundsatz bildet. § 522 ist also eine Ausnahmevorschrift und nicht die Regel, was jedoch angesichts der Anwendungsstatistik die Frage aufwirft, wieso eine Regelung, die im Kern sinnvoll für eine bestimmte Fallgruppe die Nichterforderlichkeit eines Rechtsmittels regelt, in so exzessiver Weise genutzt wird und zwar über den eigentlichen Anwendungsbereich hinaus. Dies ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Akzeptanz der gesetzgeberischen Entscheidung, hat sie doch in dem ihr bestimmten Anwendungsbereich eine Berechtigung. Als problematisch erweist sich jedoch die Anwendung der Vorschrift bei Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2, also in den unberechtigten Fällen. Welche Brisanz eine falsche Einordnung eines Falls in die Fallgruppe der berechtigten Anwendung des § 522 hat, wenn gerade die Notwendigkeit eines Rechtsmittels zu bejahen ist, zeigt § 522 Abs. 3, indem es heißt: „Der Beschluss nach Abs. 2 S. 1 ist nicht anfechtbar.“

Aufschluss über die Bedeutung und Tragweite dieses Satzes gewährt ein Blick auf die gegen den Zurückweisungsbeschluss zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe, insbesondere die Rechtsmittel. 329

Hannich/Meyer-Seitz/Engers, ZPO-Reform, § 522, S. 330.

Kapitel 2

Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel Die Entscheidung der Rechtssache durch Zurückweisungsbeschluss bedeutet für die Parteien die Beendigung der Instanz. Zu klären bleibt, ob hierdurch auch der Instanzenzug insgesamt beendet wird. Dies ist dann zu bejahen, wenn keine Rechtsmittel gegen die Entscheidung möglich sind, die dem Berufungsführer weitere Instanzen eröffnen würden.1 Auf der Suche nach möglichen Rechtsmitteln gegen den Zurückweisungsbeschluss muss erneut zwischen dem Beschluss gem. § 522 Abs. 1 und dem gem. § 522 Abs. 2 unterschieden werden.

A. Rechtsmittel gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 1 I. Rechtsbeschwerde gem. § 574 ZPO § 522 Abs. 1 sieht gegen die Entscheidung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 1 S. 4 das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde vor. Hierdurch wird auf die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Bezug genommen. Die Rechtsbeschwerde ist seit der ZPO-Reform der allgemeine Rechtsbehelf des Zivilstreitverfahrens. Mit ihr können Beschwerdeentscheidungen nach § 572 Abs. 4, Entscheidungen im Berufungsrechtszug im Sinne des § 567 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 und im ersten Rechtszug erlassene OLG-Beschlüsse gem. § 133 GVG durch den BGH rechtlich nachgeprüft werden. Ziel war auch hier die Konzentration und Beschleunigung des Beschwerdeverfahrens durch Einbeziehung des BGH als Rechtsbeschwerdegericht2 und eine damit einhergehende Erweiterung des Rechtszuges einerseits sowie die Einengung der Möglichkeit einer weiteren Beschwerde andererseits.3 Die Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall auch statthaft. 1

Knops, in: ZZP 2007, S. 403 (S. 418). Zu den Folgen für den BGH vgl. Seiler/Wunsch, in: NJW 2003, S. 1840 (S. 1840). 3 Heßler, in: Zöller, ZPO, vor § 574, Rn. 1. 2

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

Dies ist gem. § 574 Abs. 1 Nr. 1 der Fall, wenn sie Rechtsmittel gegen einen Beschluss ist und dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist, wie vorliegend gem. § 522 Abs. 1 S. 4. Mithin handelt es sich um eine Erstbeschwerde gegen einen im Berufungsverfahren ergangenen Beschluss des Berufungsgerichts. Neben der ausdrücklichen Bestimmung im Gesetz kann die Rechtsbeschwerde auch statthaft sein, wenn das Berufungsgericht sie nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 zulässt. Die zusätzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen sind in § 574 Abs. 2 aufgeführt. Dieser knüpft die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 daran, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern. Hierbei fällt auf, dass die in Abs. 2 definierten Zulassungsgründe vom Wortlaut mit denen der Revision gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 sowie den Zulassungskriterien der Berufung in § 511 Abs. 4 übereinstimmen.4 Sollten die Zulassungsvoraussetzungen erfüllt sein, ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Da es sich bei der Rechtsbeschwerde um ein echtes Rechtsmittel handelt, gelten die oben gemachten Ausführungen zu der Erforderlichkeit und Bedeutung von Rechtsmitteln.5 Des Weiteren ist die Rechtsbeschwerde innerhalb eines Monats einzulegen gem. § 575, wobei es sich um eine Notfrist handelt. Fristbeginn ist die Zustellung des anzufechtenden Beschlusses. 1. Bindungswirkung des Beschlusses gem. §§ 318, 319 analog Im Zusammenhang mit der Monatsfrist ist es zu Diskussionen gekommen, ob das Berufungsgericht einer Bindungswirkung unterliegt, die der eines Urteils gem. § 318, 319 entspricht.6 Könnte man die Bindung verneinen, so wäre es dem Berufungsgericht möglich seinen Zurückweisungsbeschluss jederzeit selbst zu korrigieren, „wenn die Verwerfung auf einem offensichtlichen Fehler in der Rechtsfindung oder der Erfassung der für die Zulässigkeit erheblichen Tatsachen beruht“.7 4

Heßler, in: Zöller, ZPO, § 574, Rn. 10. Vgl. Kapitel 1, S. 8 ff. 6 Möller zur ausführlichen Diskussion dieses Punktes, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 96 ff. 7 Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 96 ff. mit wörtlichem Zitat von Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 45. 5

A. Rechtsmittel gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 1

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Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit des Einlegens einer unbefristeten Gegenvorstellung anstelle der befristeten Rechtsbeschwerde. Grundsätzlich kennt das Berufungsgericht unterschiedliche Entscheidungsformen. Eine Entscheidung ist die korrekte Form des Ergebnisses nach dem materiell und prozessual einschlägigen Recht des Einzelfalls und einer Wertung des Prozessstoffes.8 Gem. § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO kommen Urteile, Beschlüsse und Verfügungen als Entscheidungsform in Betracht.9 Bei Urteilen ist die Selbstbindung des erkennenden Gerichts gem. § 318 geregelt. Aufgrund der Bindung des Berufungsgerichts an seine Verwerfungsentscheidung gem. § 318 kann es diese weder ändern noch aufheben.10 Nur der Berichtigungsweg des § 319 existiert in den normierten Fällen, wovon eine materiellrechtliche Korrekturmöglichkeit jedoch nicht erfasst ist. Die Berichtigungen offensichtlicher Unrichtigkeiten sind dabei von dem Gericht ohne Antrag von Amts wegen vorzunehmen, im Gegensatz zu § 320 Abs. 1, der einen Antrag verlangt.11 Diese Vorschriften gelten jedoch direkt nur für Urteile und nicht für Beschlüsse.12 In Anbetracht der Tatsache, dass das Urteil und der Beschluss des § 522 Abs. 1 jedoch beide die Funktion haben, den Streit über die Zulässigkeit mit einer verbindlichen Entscheidung über die Sache zu beenden, ist eine Gleichbehandlung von Urteil und Beschluss vorliegend angebracht.13 Der Verwerfungsbeschluss des Abs. 1 steht daher einem entsprechenden Urteil gleich, so dass für ihn die Bindungswirkung der §§ 318, 319 ZPO analog gilt.14 Die Bindungswirkung könnte nunmehr den Rückgriff auf einen weiteren Rechtsbehelf ermöglichen: die Gegenvorstellung.

8

Vgl. hierzu Kapitel 1, S. 48 ff. Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 92 f. 10 Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 44 m. w. N. in Fn. 67. 11 Musielak, in: Musielak, ZPO, § 319, Rn. 13 f. 12 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 318, Rn. 8. 13 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 318, Rn. 9,9a. 14 Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 97 f. auch zu § 522 Abs. 2; BGH v. 18.1.1995, IV ZB 22/94, NJW-RR 1995, S. 765 (S. 765 f.); Gerken, in: W/S, ZPO, § 522, Rn. 4; Jauernig, in: MDR 1982, S. 286 (S. 286); Peters, in: FS Geimer 2002, S. 811 (S. 814); Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, § 522, Rn. 15. 9

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

2. Fristlose Gegenvorstellung als Alternative zur fristgebundenen Rechtsbeschwerde Die Gegenvorstellung ist im Gegensatz zur Rechtsbeschwerde ein unbefristeter Rechtsbehelf, den die beschwerte Partei zur Abänderung der Entscheidung beim iudex a quo einlegt, um diesen zur Überdenkung der getroffenen Maßnahme anzuregen.15 Dies ist gleichbedeutend mit einem außerordentlichen Rechtsbehelf, der gegen unanfechtbare und bindende Beschlüsse entwickelt worden war. Damit ist den Zivilgerichten vor allem bei einer „Verletzung von Verfahrensgrundrechten ein Instrument zur Selbstkorrektur an die Hand gegeben worden“.16 Möller führt hierzu aus, dass das Bundesverfassungsgericht „es als von Verfassungs wegen nahe liegend bezeichnet, bei offenkundiger Verletzung des rechtlichen Gehörs die Gegenvorstellung allgemein zuzulassen.17 Der BGH ist dieser Rechtsprechung gefolgt, so dass die Gegenvorstellung außer bei streitigen Urteilen, da dies an der Bindungswirkung des § 318 scheiterte“, zu einem festen Bestandteil des Rechtsbehelfssystems der ZPO geworden ist.18 Eine Gegenvorstellung ist daher grundsätzlich möglich, scheitert aber an der Anfechtbarkeit des Beschlusses. Die Gegenvorstellung ist vor allem da notwendig, wo aufgrund der Bindung des Gerichts eine Abänderung der Entscheidung andernfalls nicht mehr möglich ist. Eine solche unabänderbare Entscheidung liegt jedoch aufgrund des Rechtsmittels der Rechtsbeschwerde nicht vor. Allenfalls bei Unstatthaftigkeit der Rechtsbeschwerde oder deren Nichtzulassung kann daher über eine Gegenvorstellung nachgedacht werden. Hierbei ist allerdings auch im Fall der Verfristung auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in der Praxis hinzuweisen. Zudem würde mit dem unbefristeten Rechtsbehelf der Gegenvorstellung eine Umgehung der Befristung sowie der Voraussetzungen der Statthaftigkeit des vom Gesetzgeber vorgesehenen Rechtsmittels erfolgen, so dass die Gegenvorstellung in diesem Fall insgesamt abzulehnen ist.19

15

Schumann, in: FS Baumgärtel 1990, S. 491 (S. 492). Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 98. 17 BVerfG v. 8.6.1986, 2 BvR 152/83, BVerfGE 73, S. 322 (S. 329). 18 Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 98; vgl. auch Schumann, in: FS Baumgärtel 1990, S. 500; Vollkommer, in: FS Beys 2003, S. 1700 (S. 1709 f.). 19 Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 96 ff. 16

A. Rechtsmittel gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 1

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3. Formalitäten der Rechtsbeschwerde Die Einreichung der begründeten Beschwerdeschrift hat beim Beschwerdegericht zu erfolgen, was gem. § 133 GVG der BGH ist. Die Beantragung einer Fristverlängerung ist gem. § 575 Abs. 2 S. 3 in Verbindung mit § 551 möglich. Im Gegensatz zu Berufung und Revision ist die Beschwerde bereits mit einer Begründung innerhalb der Beschwerdefrist zu versehen, so dass es keine weitere Begründungsfrist gibt. Sondererfordernis ist zudem die Unterzeichnung durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt gem. § 78 Abs. 1. Eine analoge Anwendung des § 174 Abs. 4 S. 1 ist abzulehnen, da aus Gründen der Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung besondere Kenntnisse an einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt gestellt werden.20 Wird über die Rechtsbeschwerde entschieden, so ist die Entscheidung gem. § 576 Abs. 1 aufgrund der revisionsrechtlichen Gestaltung und Verweisung aus Abs. 3 auf die Nachprüfung einer Verletzung revisiblen Rechts beschränkt. Es wird also lediglich die Rechts-, nicht aber die Tatfrage untersucht.21 Die Rechtsbeschwerde ist also als Rechtsmittel gegen die Entscheidung im Beschlusswege zulässig.22

II. Nichtzulassungsbeschwerde Die Nichtzulassungsbeschwerde ist hingegen kein zulässiger Rechtsbehelf gegen einen Verwerfungsbeschluss. Zudem kann auch die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angefochten werden im Gegensatz zu den Regelungen der Revision in § 544, da eine § 544 vergleichbare Regelung für die Rechtsbeschwerde nicht existiert.23 Die fehlende Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird sowohl mit einer zusätzlichen Belastung des BGH wie auch damit begründet, dass es sich regelmäßig um die Anfechtung von Neben- oder Vorbereitungsentscheidungen handelt.24 20

Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 102 m. w. N. Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 101. 22 Vgl. auch Schafft, Selektion von Rechtsmittelverfahren durch gesetzliche Zugangsbeschränkungen, S. 218 mit einem Verweis auf einen diesbezüglichen Konstruktionsfehler des Gesetzgebers. 23 BGH v. 16.11.2006, IX ZA 26/06, WuM 2007, S. 41 (S. 41); ebenso Ullmann, in: WRP 2002, S. 593 (S. 597). 24 Heßler, in: Zöller, ZPO, § 574, Rn. 16; Ball, in: Musielak, ZPO, § 574, Rn. 9. 21

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

Eine Ausnahme machte § 621e ZPO a. F. in bestimmten Familienangelegenheiten.25 Auch hier gilt jedoch mittlerweile gem. § 70 FamFG die Unanfechtbarkeit der Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde.26 Begründet wird der Wechsel zur Einheitlichkeit damit, dass das Rechtsbeschwerdeverfahren keine Nichtzulassungsbeschwerde kenne und die Familiensachen Teil der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind, für die der Rechtsbehelf der Rechtsbeschwerde gelte und mithin auch seine Regelungen.27 Eine analoge Anwendung der Vorschrift ist abzulehnen, da der Wortlaut des Gesetzes hier so eindeutig ist, dass er durch eine Analogie konterkariert würde.

III. Rechtsbehelf des § 321a Auch die sog. Gehörsrüge ist im Falle des § 522 Abs. 1 nicht anwendbar. Bei ihr handelt es sich nicht um einen ordentlichen Rechtsbehelf.28 Die Ablehnung der Anwendbarkeit des § 321a folgt aus dem Gesetzeswortlaut selbst. Hiernach ist auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer ordentlicher Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (§ 321a Abs. 1 S. 1 Nr. 1). Hier ist die Gehörsrüge daher nicht statthafter Rechtsbehelf, da gem. § 522 Abs. 1. S. 4 die Rechtsbeschwerde zulässig ist und die Entscheidung somit anfechtbar.29

IV. Rechtsprechung des BGH Dem entscheidenden Rechtsbeschwerdegericht lagen seit Einführung der Norm bereits mehrere Fälle zur Entscheidung vor. Im Falle einer unzulässigen Rechtsbeschwerde wird die Rechtsbeschwerde durch den BGH als unzulässig verworfen30, im Falle der unbegründeten Rechtsbeschwerde weist der BGH die Rechtsbeschwerde zurück.31 25 Zum damaligen Sachstand vgl. Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 102 m. w. N. in Fn. 458. 26 Feskorn, in: Zöller, FamFG, § 70, Rn. 5. 27 Unger, in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, § 70, Rn. 546. 28 Oberheim, in: Eichle/Hirtz/Oberheim, Berufung im Zivilprozess, S. 330. 29 B/L/A/H, ZPO, § 321a, Rn. 6, 14; ebenso Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 99). 30 Vgl. BGH v. 20.2.2008, IV ZB 14/07, NJW-RR 2008, S. 889 (S. 889 f.); 16.4.2008, XII ZB 59/07, NJW-RR 2008, S. 1097 (S. 1097); 12.11.2008, XII ZB 92/08, FF 2009, S. 22 (S. 22 ff.); 17.3.2009, VI ZB 20/08, JurBüro 2009, S. 447 (S. 447 f.); 24.6.2009, IV ZB 2/09, BRAK-Mitt. 2009, S. 232 (S. 232); 24.11.2009, VI ZB 69/08, MDR 2010, S. 401 (S. 401 f.); 7.7.2010, XII ZB 59/10, Zitat nach Juris.

B. Rechtsbehelfe gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 2

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Ist die Rechtsbeschwerde allerdings erfolgreich, wird der mit der Rechtsbeschwerde angegriffene Beschluss des zuständigen Gerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.32 Mithin gilt es zu beachten, dass als Eigenart der Rechtsbeschwerde der BGH grundsätzlich nicht in der Sache selbst entscheidet. Besonders hervorzuheben ist die Entscheidung des BGH v. 20.6.2006, in der auf Einlegung der Rechtsbeschwerde entschieden wurde, dass in einer Entscheidung gem. § 522 Abs. 1 auch bei Ausführungen zur Erfolglosigkeit der Berufung gem. § 522 Abs. 2 das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statthaft bleibt und damit keine Umgehung der Anfechtbarkeit dieses Beschlusses erfolgen kann.33

B. Rechtsbehelfe gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 2 Entscheidungen nach § 522 Abs. 2 sind gem. § 522 Abs. 3 unanfechtbar. An dem eindeutigen Wortlaut des Abs. 3 scheitert die Bejahung eines ordentlichen Rechtsmittels, wobei die einzelnen in Betracht kommenden Rechtsmittel einmal näher zu untersuchen sind.

I. Rechtsbeschwerde Die Rechtsbeschwerde kommt aufgrund der fehlenden Anordnung im Gesetz und der Ausführung des § 522 Abs. 3 nicht als Rechtsmittel in Betracht. 1. Entscheidungen des BGH Dies verdeutlicht der BGH in seiner Entscheidung v. 10.12.2003 und verwirft die erhobene Rechtsbeschwerde als unzulässig.34 31 Vgl. BGH v. 3.6.2008, VIII ZB 101/07, WuM 2008, S. 614 (S. 614 f.); 9.2.2009, II ZR 77/08, NJW 2009, S. 2137 (S. 2137 f.); 5.3.2009, V ZB 187/08, WuM 2009, S. 326 (S. 326); 27.4.2009, VIII ZB 91/09, WuM 2010, S. 437 (S. 437 f.); 10.11.2009, VIII ZB 60/09, MDR 2010, S. 165 (S. 165 f.). 32 Vgl. BGH v. 20.6.2006, VI ZB 75/05, NJW 2006, S. 2910 (S. 2910 ff.); 2.4.2008, XII ZB 189/07, NJW 2008, S. 2589 (S. 2589 f.); 15.4.2008, VIII ZB 127/06, JurBüro 2009, S. 54 (S. 54); 28.4.2008, II ZB 27/07, NJW-RR 2008, S. 1455 (S. 1455); 4.2.2010, VIII ZB 84/09, WuM 2010, S. 252 (S. 252); 24.2.2010, XII ZB 168/08, MDR 2010, S. 710 (S. 710); 27.4.2010, VIII ZB 91/09, WuM 2010, S. 437 (S. 437 f.). 33 BGH v. 20.6.2006, VI ZB 75/05, NJW 2006, S. 2910 (S. 2910 ff.).

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

Dem Urteil lag eine Auseinandersetzung einer ungeteilten Erbengemeinschaft vor dem Landgericht zugrunde, welches den Beklagten verurteilt hatte, zur Herbeiführung der Auseinandersetzung einem im Tenor des Urteils im Einzelnen aufgeführten Teilungsplan zuzustimmen. Hiergegen hatte der Beklagte Berufung eingelegt, die durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 zurückgewiesen worden war.

Der BGH begründete die Unzulässigkeit des Rechtsmittels damit, dass seine Anrufung nach Neuregelung des Beschwerderechts lediglich in den Fällen des § 574 Abs. 1 zulässig ist und verweist dabei auf seine Grundsatzentscheidung hierzu v. 19.11.2003.35 Hierin heißt es: „Ein außerordentliches Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof ist auch dann nicht gegeben, wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts greifbar gesetzwidrig ist, insbesondere ein Verfahrensgrundrecht des Beschwerdeführers verletzt.“

Mithin ist die Rechtsbeschwerde nur in den beiden im Gesetz aufgelisteten Fällen statthaft, nämlich wenn dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist (574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder das Berufungsgericht sie in dem angegriffenen Beschluss zugelassen hat (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO). Beide Voraussetzungen waren jedoch nicht gegeben. „Beschlüsse, mit denen das Berufungsgericht ein Rechtsmittel nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückweist, sind nach Abs. 3 der Vorschrift unanfechtbar und da die Rechtsbeschwerde kraft gesetzlicher Anordnung ausgeschlossen ist, war das Berufungsgericht auch an ihrer Zulassung gehindert (. . .).“36

Eine analoge Anwendung der Vorschrift scheitert an einer Regelungslücke, die es eindeutig nach dem Willen des Gesetzgebers nicht gibt. 2. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Diese Entscheidung hält auch vor dem Hintergrund stand, dass sie laut Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 1.10.2004 keinen Verstoß gegen das Recht auf gleichen Rechtsschutz aus Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG darstellt.37 34

BGH v. 10.12.2003, IV ZB 35/03, FamRZ 2004, S. 437 (S. 437 f.); vgl. in ständiger Rechtsprechung BGH v. 6.10.2004, XII ZB 137/03, NJW 2005, S. 73 (S. 73 f.); 6.7.2005, IV ZB 54/04, FamRZ 2005, S. 1555 (S. 1555). 35 BGH v. 19.11.2003, IV ZB 20/03, Zitat nach Juris mit Verweis auf BGH v. 7.3.2002, IX ZB 11/02, BGHZ 150, S. 133 (S. 135). 36 BGH v. 10.12.2003, IV ZB 35/03, FamRZ 2004, S. 437 (S. 437 f.); vgl. hierzu auch BGH v. 8.10.2002, VI ZB 27/02, NJW 2003, S. 211 (S. 212); 12.9.2002, III ZB 43/02, NJW 2002, S. 3554 (S. 3554 f.). 37 BVerfG v. 1.10.2004, 1 BvR 173/04, NJW 2005, S. 659 (S. 659 f.) sowie Fortsetzung dieser Rechtsprechung durch BVerfG v. 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1194 ff.).

B. Rechtsbehelfe gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 2

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Die Beschwerdeführerin war Gesellschafterin einer GmbH und nahm einen Mitgesellschafter auf Darlehensrückzahlung in Anspruch, nachdem die Gesellschaft insolvent geworden war, wobei der Darlehensvertrag ausführte, das Darlehen sei ausschließlich aus Gewinnausschüttungen zurückzuzahlen und die Aussagen der Zeugen eine anderweitige Sachverhaltslage nicht bestätigten, so dass die Klage in erster Instanz abgewiesen wurde. Die hiergegen eingelegte Berufung der Beschwerdeführerin wurde durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 S. 1 zurückgewiesen, wogegen die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde einlegte, die vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen wurde.

Der Entscheidung lag vor allem die Frage zugrunde, ob es zulässig ist, dass nur Beschlüsse, die die Berufung als unzulässig verwerfen anfechtbar sind, nicht aber Beschlüsse, die sie als unbegründet zurückweisen. Die Beantwortung der Frage war dabei eng an die Wahrung der Willkürgrenze durch den Gesetzgeber geknüpft. Das Bundesverfassungsgericht stellte keine Verletzung der Willkürgrenze fest und beantwortete dies dahin gehend, dass eine Privilegierung der Anfechtbarkeit von Verwerfungsentscheidungen nicht erst durch die Zivilprozessrechtsreform eingeführt worden war.38 Bereits vor der Zivilprozessreform sollte die weitergehende Anfechtbarkeit von Verwerfungsentscheidungen sicherstellen, dass „einer Prozesspartei eine zweite Tatsacheninstanz gesichert ist, weil der Instanzenzug im öffentlichen Interesse geregelt“ ist.39 Dies liegt daran, dass die Möglichkeit zur Überprüfbarkeit der Verweigerung einer zweiten Tatsacheninstanz in jedem Fall eröffnet werden soll. Der Gesetzgeber kann zudem „aus Gründen der Rechtssicherheit eine einheitliche Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung von Zulässigkeitsvoraussetzungen eher für notwendig erachten als bei materiellen, oft auf den Einzelfall oder die Tatsachenfeststellung bezogenen Fragen“. Dies rechtfertige demnach auch eine Differenzierung von § 522 Abs. 1 S. 4 und § 522 Abs. 3 bezüglich des Beschlusses nach § 522 Abs. 2.40

II. Revision und Nichtzulassungsbeschwerde Durch den Erlass des Beschlusses wird zudem unmittelbar die Rechtskraft des erstinstanzlichen angefochtenen Urteils herbeigeführt, da der Beschluss unanfechtbar ist. Somit steht das Rechtsmittel der Revision nicht zur Verfügung.41 38 BVerfG v. 1.10.2004, 1 BvR 173/04, Rn. 9, Zitat nach Juris = NJW 2005, S. 659 (S. 659 f.). 39 BVerfG v. 1.10.2004, 1 BvR 173/04, NJW 2005, S. 659 (S. 659 f.). 40 BVerfG v. 1.10.2004, 1 BvR 173/04, NJW 2005, S. 659 (S. 659 f.). 41 Ball, in: Musielak, ZPO, § 522, Rn. 29; Piekenbrock, in: JZ 2002, S. 540 (S. 542).

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

Ebenso ist die fehlende Zulassung zur Revision nicht mit dem Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbar. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde bei Urteilen Im Zusammenhang mit der Betrachtung der fehlenden Möglichkeit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sei an dieser Stelle ein kurzer Vergleich zu einer durch Urteil zurückgewiesenen Berufung angestellt: Grundsätzlich gibt es gegen das Berufungsurteil das Rechtsmittel der Revision gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1 unter Beachtung der Ausnahme des § 542 Abs. 2, soweit sie vom Berufungsgericht zugelassen worden ist. Bei Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist hiergegen die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO möglich. Die analoge Anwendung der Vorschrift mit Blick auf den ähnlich gelagerten Sachverhalt wird aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Abs. 3 abgelehnt. Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses ist gem. § 522 Abs. 3 ausdrücklich gesetzlich vorgeschrieben und auch nicht durch Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes zu umgehen.42 2. Meistbegünstigungsgrundsatz Der Meistbegünstigungsgrundsatz besagt, dass für den Fall, einer fälschlicher Weise vom Gericht gewählten Verfahrensform neben dem Rechtsmittel, welches nach der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, auch das Rechtsmittel zulässig ist, das bei einer in der richtigen Form getroffenen Entscheidung statthaft gewesen wäre.43 Der Meistbegünstigungsgrundsatz will damit verhindern, dass den Parteien durch das fehlerhafte Verfahren Nachteile entstehen. 3. Rechtsprechung des BGH Der BGH äußerte sich hierzu in seinem Beschluss v. 7.11.2006.44 Die Klägerin hatte die Beklagte auf Kaufpreisrückzahlung und Schadensersatz vor dem LG in Anspruch genommen und war mit ihrer Klage abgewiesen worden. 42 BGH v. 07.11.2006, VIII ZB 38/06, WuM 2006, S. 696 (S. 696 f.); ebenso Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 13. 43 BGH v. 07.11.2006, VIII ZB 38/06, WuM 2006, S. 696 (S. 696 f.). 44 BGH v. 07.11.2006, VIII ZB 38/06, WuM 2006, S. 696 (S. 696 f.).

B. Rechtsbehelfe gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 2

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Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil vor dem OLG wurde nach entsprechendem Hinweis durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 zurückgewiesen. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, hilfsweise mit der Rechtsbeschwerde gem. § 574 an den BGH.

Der BGH führte hierzu aus: „Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO, durch die die Berufung als unbegründet zurückgewiesen wird, sind gem. § 522 Abs. 3 ZPO unanfechtbar. Sie sind damit auch der von der Beschwerdeführerin erstrebten Nachprüfung darauf entzogen, ob das Berufungsgericht die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen ist, zu Unrecht als gegeben angenommen hat und demzufolge über die Berufung statt durch Beschluss durch Urteil hätte entscheiden müssen (. . .). Ein anderes Ergebnis lässt sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht aus dem Grundsatz der Meistbegünstigung herleiten.“45 4. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die Frage der Nichtanwendbarkeit der Rechtsmittel war auch Thema vor dem Bundesverfassungsgericht. Hierbei hat das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage unter zweierlei Aspekten Stellung bezogen. Ersterer war die Unterscheidung der Rechtsmittel gegen das Urteil einerseits und den Beschluss andererseits, Letzterer die Frage des Entzugs des gesetzlichen Richters bei einer mit dem Beschluss nach § 522 Abs. 2 verbundenen Unanfechtbarkeit. Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit der Frage nach dem Entzug des gesetzlichen Richters in seinem Nichtannahmebeschluss v. 5.8.2002 sowie in den erfolgreichen Verfassungsbeschwerden v. 26.4.2005 und 30.6.2005.46 Die Entscheidung v. 5.8.2002, der im Ausgangsverfahren eine im Beschlussverfahren zurückgewiesene Berufung gegen ein Räumungsurteil zugrunde lag, knüpft eng an die oben bereits diskutierte und im Ergebnis abgelehnte Frage nach einem richterlichen Ermessen im Entscheidungsprozess des § 522 Abs. 2 an.47 Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu aus: „Der gesetzliche Richter für die Entscheidung über die Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde 45 BGH v. 07.11.2006, VIII ZB 38/06, WuM 2006, S. 696 (S. 696 f.); BGH v. 6.7.2006, IX ZB 261/04, NJW-RR 2006, S. 1574 (S. 1574 f.). 46 BVerfG v. 5.8.2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003, S. 281 (S. 281); 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1931); 30.6.2005, 2 BvR 1664/04, WM 2005, S. 1577 ff. (S. 1577). 47 Vgl. zu dieser Entscheidung Kapitel 1, S. 37 ff.

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

wird durch die Anwendung des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO in der angegriffenen Entscheidung aber nicht (mittelbar) entzogen. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO räumt dem Berufungsgericht kein Handlungsermessen ein, mittelbar über die Wahl des Beschluss- oder Urteilsverfahrens die Anfechtbarkeit seiner Entscheidung zu steuern. Die angegriffene Entscheidung geht vielmehr – zumindest vertretbar – davon aus, dass das Berufungsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss entscheiden muss.“48 Diese Argumentation wird auch in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts v. 26.4.2005, 30.6.2005 sowie dem Nichtannahmebeschluss v. 13.3.2007 aufgegriffen.49 Zugrunde lag der Entscheidung v. 30.6.2005 der bereits oben erläuterte Sachverhalt der Parallelentscheidung zum stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 26.4.2005.50

In allen Entscheidungen führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass eine unterschiedliche Handhabung der Anfechtbarkeit von Urteil und Beschluss gem. § 522 Abs. 3 verfassungsgemäß ist und nicht gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Verbot einer willkürlichen Differenzierung durch den Gesetzgeber verstößt. Dieser sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit verpflichtet den Gesetzgeber Rechtsmittel für einzelne Fallgruppen oder Sachgebiete nur dann unterschiedlich zu regeln, wenn sich hierfür ein sachlicher Grund findet, wobei dem Gesetzgeber dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zugesprochen wird.51 Sachverhaltsgrundlage der hierzu ergangenen Entscheidung v. 13.3.2007 war die Klage einer Schauspielerin, die auf die Gewährung einer Geldentschädigung wegen rechtswidriger Verletzung ihres Persönlichkeitsrechtes gerichtet war. Durch die Abweisung ihrer Klage in Form eines Beschlusses gem. § 522 Abs. 2 sah sich die Klägerin in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG verletzt und rügte die Unanfechtbarkeit des Beschlusses nach § 522 Abs. 3.

Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Annahme der Verfassungsbeschwerde durch Beschluss ab. Hierbei nutzte es jedoch die Gelegenheit, zum sachlichen Grund der Differenzierung der Rechtsmittel durch den Ge48

BVerfG v. 5.8.2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003, S. 281 (S. 281). 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1931); 30.6.2005, 2 BvR 1664/04, WM 2005, S. 1577 (S. 1577 ff.); 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1194 ff.). 50 Parallelentscheidung zum stattgebenden Kammerbeschluss des BVerfG v. 26.4. 2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1931); zum Sachverhalt vgl. Einleitung, S. 16 f. 51 Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 23. 49

B. Rechtsbehelfe gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 2

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setzgeber Stellung zu beziehen: „Der in § 522 Abs. 3 ZPO enthaltenen Regelung liegt als gesetzgeberische Erwägung zugrunde, dass die Unanfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses ihre Legitimation in dem Erfordernis der Einstimmigkeit des Spruchkörpers über die Voraussetzung der mangelnden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels findet. Das Erfordernis der Einstimmigkeit des Spruchkörpers, das sonst nicht gilt (§ 196 Abs. 1 GVG), ist eine verfahrensrechtliche Sicherung, die die Sonderregelung des § 522 Abs. 3 ZPO vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigt.“52 Diese Entscheidung wird durch die Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts v. 18.6.2008, v. 30.7.2008 sowie v. 10.10.2008 in ständiger Rechtsprechung fortgesetzt.53 Hierbei nimmt das Bundesverfassungsgericht insbesondere zum Kriterium der Einstimmigkeit Stellung und erläutert im Nichtannahmebeschluss v. 30.7.2008: „Dadurch, dass sowohl die erste Instanz als auch einstimmig das Berufungsgericht in seiner Besetzung mit drei Richtern das angegriffene Urteil im Ergebnis für richtig erachten, ist nach der nahe liegenden, jedenfalls aber nicht sachwidrigen Einschätzung des Gesetzgebers hinreichend gewährleistet, dass der Rechtsstreit zutreffend entschieden worden ist (. . .).“54

III. Rechtsbehelf des § 321a Ein in Betracht kommender Rechtsbehelf des Berufungsführers ist die Gehörsrüge gem. § 321a n. F. Diese ist in enger Verbindung damit entstanden, dass „aus den Leitsätzen mehrerer obergerichtlicher Entscheidungen eine fristgebundene Gegenvorstellung „konstruiert“ wurde, die auch die Selbstkorrektur von Beschlüssen erlaubte und dies nicht nur wegen einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG, sondern wegen sämtlicher Verfahrensgrundrechte“.55 Hieraus ist eine teilweise Kodifizierung der Gegenvorstellung im Rahmen des neu eingefügten § 321a erfolgt. Aufgrund der eindeutigen Regelung des § 522 Abs. 3 war eine Abänderung der Entscheidung nicht mehr möglich, auch nicht im Rahmen einer Gegenvorstellung. Zudem beschränkte sich die 52

BVerfG v. 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1194 ff.). BVerfG v. 18.6.2008, 1 BvR 1336/08, NJW 2008, S. 3419 (S. 3419); 30.7.2008, 1 BvR 1525/08, NJW 2009, S. 137 (S. 137 f.); BVerfG v. 10.10.2008, 1 BvR 1421/08, Zitat nach Juris; Zur Kritik der Literatur an dieser Rechtsprechung vgl. Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 24. 54 BVerfG v. 30.7.2008, 1 BvR 1525/08, Rn. 7, Zitat nach Juris = NJW 2009, S. 137 (S. 137 f.). 55 Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 98. 53

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

Anwendbarkeit der Norm vormals auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs in erstinstanzlichen Urteilen.56 Seit Inkrafttreten des Anhörungsrügengesetzes am 1.1.200557 wurde der Anwendungsbereich der Gehörsrüge gegenüber § 321a a. F. erweitert.58 Der Streit darüber, ob § 321a analog auf andere als unanfechtbare erstinstanzliche Urteile und insbesondere Berufungsurteile und Beschlüsse anwendbar ist, dürfte damit als beigelegt anzusehen sein.59 Die Gehörsrüge, auch Anhörungsrüge genannt, steht dem Rechtsmittelführer nun gegen alle instanzbeendenden Entscheidungen, sei es Urteil oder Beschluss, zur Verfügung, wenn diese unter entscheidungskausaler Verletzung des rechtlichen Gehörs zustande gekommen und unanfechtbar sind.60 Trotz der systematischen Stellung der Vorschrift im Buch zwei findet die Gehörsrüge auch auf den Zurückweisungsbeschluss in der Berufung Anwendung.61

1. Anwendungsfälle der Gehörsrüge Die Rüge, man sei in seinem Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG auf rechtliches Gehör verletzt, ist nur dann statthaft, wenn das Gericht den Anspruch des Berufungsführers auf rechtliches Gehör in „entscheidungserheblicher Weise“ verletzt hat. Entscheidungserheblichkeit ist dann zu bejahen, wenn die Gehörsverletzung für die Entscheidung kausal ist.62 Der Begriff des rechtlichen Gehörs gem. § 321a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ist dabei weiter zu verstehen als der des Art. 103 Abs. 1 GG und umfasst sowohl die sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergebenden Rechte, wie auch die sich aus einfachrechtlichen ZPO-Vorschriften ergebenden Grundsätze.63 Die Gehörgewährung im Prozess gliedert sich in drei wesentliche Schritte. Zuerst wird den Parteien der gesamte Prozesssachverhalt dargelegt. Danach muss ihnen Gelegenheit gegeben werden, sich zu dem vorgetrage56

Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 98 f. BGBl I 2004, 3220. 58 Möller, Kritische Gedanken zur Beschlusszurückweisung, S. 177 ff. 59 Rensen, in: MDR 2005, S. 181 (S. 182). 60 Musielak, in: Musielak, ZPO, § 321a, Rn. 3; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a, Rn. 5; Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 98); Rensen, in: MDR 2005, S. 181 (S. 182). 61 BGH v. 23.11.2006, IX ZR 141/04, MDR 2007, S. 600 (S. 601); Zuck, in: NJW 2006, S. 1703 (S. 1705); Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 13 m. w. N. in Fn. 26; a. A. B/L/A/H, ZPO, § 321a, Rn. 4. 62 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a, Rn. 12. 63 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a, Rn. 3a; Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 14 m. w. N. in Fn. 27. 57

B. Rechtsbehelfe gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 2

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nen Sachverhalt zu äußern, weil Entscheidungsgrundlage nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse bilden können, zu denen sich die Parteien einlassen konnten.64 Im letzten Schritt muss das erkennende Gericht das jeweilige Parteivorbringen würdigen und zumindest in Erwägung ziehen.65 In jedem dieser Schritte des erkennenden Gerichts kann eine Gehörsverletzung begangen werden. Bereits in der Zusammenfassung des Sachverhalts selbst kann eine Gehörsverletzung liegen, wenn einzelne Teile des Sachverhalts fälschlich nicht einbezogen werden und dadurch die Möglichkeit der Reaktion beschnitten wird. Die meisten Grundeinwände werden sich jedoch auf den zweiten Schritt beziehen, wenn der Vortrag des Berufungsführers nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen oder in sonst unberechtigter Weise, zum Beispiel durch die fehlerhaften Annahme einer Präklusion, übergangen wird.66 Hierbei kann auf die oben aufgeführten Fälle verwiesen werden, in denen in unbeabsichtigter oder beabsichtigter Art und Weise die Berücksichtigung von Parteivorbringen unterblieben ist, welches aber hätte berücksichtigt werden müssen. Sie bilden eine Fallgruppe, in der der Anspruch auf das rechtliche Gehör der mit ihrem Vortrag präkludierten Partei verletzt worden ist. Der hierin liegende Verstoß gegen das rechtliche Gehör kann mit der Gehörsrüge gem. § 321a gerügt werden. Eine weitere Fallgruppe eines entscheidungserheblichen Verstoßes bildet die Nichtbeachtung einfachgesetzlicher Vorschriften.67 Dies gilt insbesondere für Verstöße gegen die richterliche Hinweis- und Aufklärungspflicht aus § 139.68 Entscheidungserheblich und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzend ist dieses Unterlassen dann, wenn es hierdurch zu einer Überraschungsentscheidung für den Berufungsführer kommt. Ebenso gilt dies für die Fälle, in denen das Parteivorbringen durch fehlerhafte Anwendung prozessrechtlicher Vorschriften nicht berücksichtigt wird. Von dieser Fallgruppe sollen alle Fälle erfasst sein, in denen die Nichtberücksichtigung des Parteivorbringens als verspätet aus Gründen geschieht, für die sich im „Prozessrecht keine Stütze findet“.69 64 BVerfG v. 25.10.1956, 1 BvR 440/54, BVerfGE 6, S. 12 (S. 14); 18.6.1985, 2 BvR 414/84, BVerfGE 70, S. 180 (S. 189). 65 Schneider, in: MDR 2006, S. 969 (S. 969). 66 Schneider, in: MDR 2006, S. 969 (S. 969). 67 Zuck, in: NJW 2005, S. 3753 (S. 3753). 68 Postel, die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 14; Schneider, in: MDR 2006, S. 969 (S. 970). 69 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a, Rn. 9.

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

Die Gehörsrüge kann gegen zivilprozessuale Endentscheidungen innerhalb einer zweiwöchigen Frist eingelegt werden.70 Fristbeginn ist die Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Bei Versäumnis der Notfrist kann bis zum Ablauf einer materiellrechtlich verstandenen Ausschlussfrist von einem Jahr Wiedereinsetzung beantragt werden.71 Die Jahresfrist wird über die Bekanntgabefiktion in § 321a Abs. 2 S. 2 in Gang gesetzt, worüber gem. § 184 Abs. 2 S. 3 analog ein Aktenvermerk zu fertigen ist.72 Das Problem der Subsidiarität der Gehörsrüge stellt sich in diesem Fall im Gegensatz zu dem Beschluss nach § 522 Abs. 1 nicht, da der Beschluss nach § 522 Abs. 2 gem. § 522 Abs. 3 unanfechtbar ist und somit kein anderes Rechtsmittel oder anderer Rechtsbehelf zur Verfügung steht.73 Die Anhörungsrüge ist auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs beschränkt und erlaubt nicht die Geltendmachung anderer Grundrechtsverletzungen.74 Dies ist, wie von Rensen angemerkt, von einigen Stimmen der Literatur „scharf kritisiert“ und auch „entgegen den Forderungen des 65. DJT“ geschehen.75 Andere Grundrechtsverletzungen können daher ausschließlich mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden. 2. Folge des § 321a Im Anschluss an die Erhebung der Gehörsrüge kommt es entweder zur Abhilfe oder einer nicht weiter anfechtbaren Verwerfung.76 Im Falle der Abhilfe aufgrund einer zulässigen und begründeten Anhörungsrüge wird das Verfahren in den Stand vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung versetzt, soweit dies gem. § 321a Abs. 5 S. 1 aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird dann in dem Maße durchgeführt, wie sich die Verletzung des rechtlichen Gehörs ausgewirkt hat.77 70

Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 99); Zuck, in: NJW 2005, S. 1226 (S. 1228). Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 99); BT-Drucks. 15/3706, S. 16; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a, Rn. 14. 72 Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 99); Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a, Rn. 14. 73 Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 98). 74 Zuck, in: NJW 2006, S. 1703 (S. 1705). 75 Rensen, in: MDR 2005, S. 181 (S. 182) mit Verweis auf die Beschlüsse des 65. DJT, NJW 2004, S. 3241 (S. 3241). Beschluss 7.1 erging zur Frage, ob die Abhilfeentscheidung zum iudex ad quem statt dem iudex a quo gelangen sollte und wurde angenommen 58:24:1; weiterer Beschluss 7.3 erging zur Frage der Erstreckung der Gehörsrüge auf andere Verfahrensgrundrechte, angenommen 57:17:6. 76 Schellenberg, in: MDR 2005, S. 610 (S. 615). 77 Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 99). 71

B. Rechtsbehelfe gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 2

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3. Kritik an § 321a Problematisch und von vielen kritisch gesehen wird die Entscheidung über die Gehörsrüge durch den iudex a quo. Angeführt wird vor allem, dass es das „Vermögen des Richters generell übersteigt, einen Irrtum – und gar schwarz auf weiß – zugeben zu müssen“.78 Zuck geht daher sogar soweit, die Anhörungsrüge selbst als eine „Anleitung zum Unglücklichsein“ zu bezeichnen.79 Jedoch ist der Gesetzeswortlaut hier eindeutig und belässt die Entscheidung beim Ausgangsgericht, um dadurch die Möglichkeit einer Selbstkontrolle einzuführen. Anlass zur Änderung des § 321a a. F. in die nunmehr bestehende Fassung gab das Bundesverfassungsgericht.80 Dies hatte aus dem Justizgewährungsanspruch in Verbindung mit dem Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG auf die Notwendigkeit geschlossen, dass die Fachgerichte im Wege der Selbstkontrolle die Korrektur auch unanfechtbarer Entscheidungen übernehmen und dies als Rechtsbehelf auszustatten ist.81 Zudem soll eine sofortige Beschäftigung des Bundesverfassungsgerichts mit der Sache vermieden werden, um dieses zu entlasten.82 Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts hatte keine Stellung dazu bezogen, welche Instanz über die Grundrechtsverletzung zu entscheiden hat, so dass dies der gesetzgeberischen Entscheidung überlassen war und dem iudex a quo übertragen wurde.83 Die Erfolgsaussichten einer Gehörsrüge als einziger Rechtsbehelf gegen den Beschluss sind daher eher gering.84

78 Nassall, in: ZRP 2004, S. 164 (S. 167); a. A. Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 99). 79 Zuck, in: NJW 2005, S. 1226 (S. 1229); ebenso kritisch Schneider, in: MDR 2006, S. 969 (S. 971) der für die Erfolglosigkeit auf ein Gutachten Vollkommers verweist, Vollkommer, in: FS Musielak, 2004, S. 619 (S. 635 ff.). 80 BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.). 81 Rensen, in: MDR 2005, S. 181; BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.). 82 Schneider, in: MDR 2006, S. 969 (S. 969). 83 BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.); BT-Dr. 15/3706, S. 13; Treber, in: NJW 2005, S. 97 (S. 99). 84 Zu diesem Schluss kommt auch Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 15.

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Kap. 2: Rechtsbehelfe, insbesondere Rechtsmittel

IV. Außerordentlicher Rechtsbehelf Für eine weitere außerordentliche Beschwerde und die Gegenvorstellung herrscht nunmehr neben § 321a kein Bedarf.85 Umstritten war jedoch eine Anwendbarkeit der Rechtsbeschwerde bei offensichtlich gesetzeswidrigen Beschlüssen als außerordentliche Rechtsbeschwerde.86 Dieses vom BGH anhand einer grob verfahrenswidrigen Rechtswegverweisung 1958 entwickelte Institut erlangte als engbegrenzte Ausnahme für greifbare Gesetzeswidrigkeiten auch im Hinblick auf verfassungsrechtliche Probleme eine gewisse Relevanz.87 Allerdings ist ein solcher Fall laut BGH auch dann nicht gegeben, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts offensichtlich gesetzeswidrig ist und hierdurch ein Grundrecht des Berufungsführers verletzt wird.88 Dies stellt auch das Bundesverfassungsgericht in einer ähnlich gelagerten Entscheidung zu § 321a v. 12.1.2009 mit Verweis auf die Rechtsprechung des BGH fest.89 Die außerordentliche Rechtsbeschwerde ist hier also kein adäquates Rechtsmittel.

V. Dienstaufsichtsbeschwerde Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist ein formloser Rechtsbehelf, der dazu dient, die Verletzung einer Dienstpflicht zu rügen, wobei § 26 DRiG maßgeblich ist.90 Die Dienstaufsichtsbeschwerde ist ein Ausfluss des gem. Art. 17 GG bestehenden Petitionsrechts. Sie muss von der Dienstaufsichtsbehörde beschieden werden. Diese führt der Landgerichtspräsident gem. § 22 Abs. 3 und § 59 Abs. 1 GVG. Ansonsten ist die Dienstaufsichtsbeschwerde zeitlich sowie förmlich nicht geregelt. Sie ist in diesem Sinne 85

Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 13; BGH, Beschluss v. 8.3.2007, V II ZB 2/06, Zitat nach Juris; OLG Köln, Beschluss v. 16.3.2005, 2 U 139/04, NJW-RR 2005, S. 1227 (S. 1227 f.); Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 321a, Rn. 4; Nolte, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 103, Rn. 79; Zuck, in: NJW 2005, S. 1226 (S. 1227); Vollkommer, in: FS Beys 2003, S. 1700 (S. 1703 f.). 86 Seiler/Wunsch, in: NJW 2003, S. 1840 (S. 1841 f.) m. w. N. in Fn. 39. 87 BGH v. 18.11.1958, VIII ZR 131/57, BGHZ 28, S. 349 (S. 349 ff.); Heßler, in: Zöller, ZPO, vor § 567, Rn. 6 mit Verweis auf Einzelheiten in Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 567, Rn. 18 f. 88 BGH v. 7.3.2002, IX ZB 11/02, BGHZ 150, S. 133 (S. 135); 8.11.2004, II ZB 24/03, NJW-RR 2005, S. 294 (S. 294 f.). 89 BVerfG v. 12.1.2009, 1 BvR 3113/08, NJW 2009, S. 833 (S. 833 f.). 90 Stöber, in: Zöller, ZPO, § 216, Rn. 21.

C. Ergebnis des zweiten Kapitels

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der Gegenvorstellung ähnlich, die ebenfalls ein Ausfluss des Petitionsrechts darstellt. Auch hier ist jedoch gerade hinsichtlich des nicht fest vorgeschriebenen Verfahrens und damit verbunden auch der mangelnden Überprüfbarkeit das Vorliegen eines wirksamen Rechtsbehelfs zu verneinen.

VI. Rechtsmittel gegen den Hinweisbeschluss Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der Hinweisbeschluss auf die Beabsichtigung der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss selbst nicht anfechtbar und ein separates Vorgehen gegen diesen nicht möglich ist.91

VII. Rechtsmittel auf europarechtlicher Ebene Auch unter Maßgabe europäischer Rechtsgrundsätze ergibt sich die Verpflichtung zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz nicht. Die Verfahrensordnung des EuGH stellt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung etwa bei Vorlageverfahren in das Ermessen des Gerichts. Auch wenn in der Praxis bei beiderseitigen Anträgen der Verfahrensbevollmächtigten eine Ablehnung der mündlichen Verhandlung wohl faktisch nicht erfolgen würde, so kann hieraus trotzdem keine zwingende Rechtspraxis abgeleitet werden.92 Auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK kann mit der herrschenden Meinung nicht angenommen werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird die fehlende mündliche Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz als gesetzeskonform angesehen, da bereits in der ersten Instanz eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat.93

C. Ergebnis des zweiten Kapitels Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein wirksamer Rechtsbehelf mit § 321a nicht geschaffen wurde und anderweitige Rechtsbehelfe oder Rechtsmittel gegen den Zurückweisungsbeschluss gem. § 522 Abs. 2 nicht ersichtlich sind. Lediglich der Verwerfungsbeschluss gem. § 522 Abs. 1 ist mit dem Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde anfechtbar. 91 92 93

Zuck, in: NJW 2006, S. 1703 (S. 1704). Knops, in: ZZP 2007, S. 403 (S. 423). Knops, in: ZZP 2007, S. 403 (S. 423).

Kapitel 3

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts § 522 Abs. 2 und Abs. 3 sind zwar rechtspolitisch zu hinterfragen, aber verfassungsrechtlich bedenklich sind sie laut ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht.1

A. Verfassungskonformität des § 522 In diesem Zusammenhang ist beispielsweise auf die beiden Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts v. 30.7.2008 und v. 15.12.2008 zu verweisen.2 In beiden führt das Bundesverfassungsgericht erneut aus, dass es sich bei § 522 um eine verfassungsgemäße Vorschrift handelt und bestätigt damit seine ständige Rechtsprechung.3 Sollte es jedoch im Rahmen einer Entscheidung gem. § 522 Abs. 2 zu einer Grundrechtsverletzung gekommen sein, ist die Maßnahme hiergegen die Erhebung der Verfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG i. V. m. § 13 Nr. 8a, § 93 BVerfGG beim Bundesverfassungsgericht.4 Die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde setzt allerdings im Falle einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör voraus, dass die Gehörsrüge erhoben wurde. Sollte dies nicht geschehen sein, so ist der Rechtsweg nicht erschöpft. Im Falle der Verfristung der Gehörsrüge ergibt sich die Möglichkeit der zulässigen Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nicht mehr.5 1 Im Ergebnis so auch Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 20 mit einem Überblick über den Meinungsstreit. 2 BVerfG v. 15.12.2008, 2 BvR 2462/07, Zitat nach Juris; 30.7.2008, 1 BvR 1525/08, NJW 2009, S. 137 (S. 137 ff.). 3 Rensen, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 455; Vossler, in: MDR 2008, S. 722 (S. 722 f.). 4 BGH v. 7.3.2002, IX ZB 11/02, BGHZ 150, S. 133 (S. 133 ff.); Lipp, in: NJW 2002, S. 1700 (S. 1700); Greger, in: NJW 2002, S. 3049 (S. 3053). 5 Zu weiteren Voraussetzungen der Rechtswegerschöpfung und dem Grundsatz der Subsidiarität sei auf die Ausführungen von Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 16 f. verwiesen.

B. Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG

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Wird die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen, so wird der Beschluss des jeweiligen Gerichts, unter Umständen auch das Ausgangsurteil, aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Außerhalb der Rechtsprechung zur Verfassungskonformität birgt vor allem die Frage der Anwendung der Norm immer wieder „Stoff“ für neue Urteile. Hierbei geht es immer wieder um die Frage, ob die Grundrechte des Beschwerdeführers durch den Zurückweisungsbeschluss, ggf. auch durch das Urteil der ersten Instanz, verletzt wurden, insbesondere das sich aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 ergebende Gebot des effektiven Rechtsschutzes sowie der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG.6

B. Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert der Partei wie bereits oben ausgeführt die Möglichkeit, sich vor einer gerichtlichen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zur Sache einzulassen zu können.7 Hieraus resultiert jedoch weder der Anspruch auf die grundsätzliche Durchführung einer mündlichen Verhandlung in jeder Instanz8 noch das Recht eines Instanzenzuges.9

I. Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 1 GG Angefangen im Jahre 2002 hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in dem Nichtannahmebeschluss v. 21.11.2002 zu der Problematik der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör entschieden.10 Hierbei stellte es fest, dass ein nur formelhafter Hinweis des Berufungsgerichts gegenüber dem Beschwerdeführer bezüglich seines für das Beru6

Zu Art. 101 GG vgl. Kapitel 2, S. 114 ff. BVerfG v. 27.10.1999, 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, S. 106 (S. 129). 8 Lediglich die Frage nach der Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz ist relevant, da die erste Instanz bereits abgeschlossen ist; vgl. BverfG v. 9.10.1973, 2 BvR 482/72, BVerfGE 36, S. 85 (S. 87); 8.2.1994, 1 BvR 765/89, BVerfGE 89, S. 381 (S. 391). 9 BVerfG v. 30.4.2003, 1 PBvU 1/02, Rn. 18, Zitat nach Juris = BVerfGE 107, S. 395 (S. 395 ff.); so auch in BVerfG v. 7.10.2003, 1 BvR 10/99, BVerfGE 108, S. 341 (S. 348). 10 BVerfG v. 21.11.2002, 1 BvR 2015/02, Zitat nach Juris. 7

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Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

fungsgericht nicht überzeugenden Berufungsvorbringens nicht im Sinne der Hinweis- und Begründungspflicht des § 522 ist. Der Beschwerdeführer erwarte eine Mitteilung des „Warum“. Doch könne dies letztlich auf sich beruhen, wenn nicht ersichtlich sei, dass der geltend gemachte Verfassungsverstoß besonderes Gewicht habe und zudem deutlich absehbar sei, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückverweisung des Verfahrens an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde und ihm daher durch die Versagung der Entscheidung zur Sache kein besonders schwerer Nachteil entstünde.11 In seinem Nichtannahmebeschluss v. 1.10.2004, der bereits im Rahmen der Rechtsmittel zu § 522 Abs. 2 diskutiert wurde, stellt das Bundesverfassungsgericht zudem fest, dass die Norm an sich den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt, da § 522 Abs. 2 S. 2 den Hinweis auf die Stellungnahme enthält, womit gewahrt sei, dass jeder Beteiligte sich vor Erlass der Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht äußern kann, was jedoch nicht innerhalb einer mündlichen Verhandlung erfolgen müsse.12 Auch der Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts v. 13.3.2007 definiert den Schutzbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör und lehnt eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 ab.13 Die Entscheidung, die bereits unter dem Aspekt eines Grundrechtsverstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 in Form einer willkürlichen Differenzierung des Gesetzgebers aufgrund der unterschiedlichen Handhabung von Urteil und Beschluss aufgrund § 522 Abs. 3 erläutert wurde, stellt eingehend fest, dass „die verfassungsrechtliche Fundierung des Anspruchs auf Geldentschädigung in dem von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Persönlichkeitsrecht des Betroffenen (. . .) in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt“ ist.14 Der Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG umfasse nur die Einräumung der Möglichkeit des Gehörtwerdens und nicht den Anspruch der Partei, dass das Gericht der hierzu vertretenen Ansicht der Partei folge.15 Die Grenze der Freiheit des Gerichts in der Wertung des Parteivorbringens liege in der Willkürlichkeit, die im entschiedenen Fall jedoch verneint wurde.16 11 BVerfG v. 21.11.2002, 1 BvR 2015/02, Rn. 2, Zitat nach Juris mit Verweis auf BVerfG v. 8.2.1994, 1 BvR 1693/92, BVerfGE 90, S. 21 (S. 25 f.). 12 BVerfG v. 1.10.2004, 1 BvR 173/04, Rn. 9, Zitat nach Juris = NJW 2005, S. 659 (S. 659 f.); zur Sachverhaltsdarstellung s. o. 13 BVerfG v. 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1194 ff.). 14 BVerfG v. 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1194 ff.). 15 Ebenso BverfG v. 12.4.1983, 2 BvR 678, 679, 680, 681, 683/81, BVerfGE 64, S. 1 (S. 12). 16 BVerfG v. 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1196).

B. Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG

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In diese Reihe der ergangenen Nichtannahmebeschlüsse fällt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 7.10.2009 durch die 3. Kammer des Ersten Senats.17 Hierbei handelt es sich um eine teilweise nicht zulässige und – soweit zulässig – nicht begründete Verfassungsbeschwerde, der im Ausgangsstreit ein Patentverletzungsverfahren zugrunde lag.

Vom Anspruch auf rechtliches Gehör ist auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge umfasst. Bei fehlenden prozessualen Regelungen stellt eine Nichtberücksichtigung einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar.18 Wie bereits im Nichtannahmebeschluss v. 13.3.2007 dargestellt, schützt Art. 103 Abs. 1 GG „hingegen nicht davor, dass das Gericht dem Vortrag der Beteiligten in materiellrechtlicher Hinsicht nicht die richtige Bedeutung beimisst (. . .)“.19 Zudem beschäftigt sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit der Frage nach der Heilung einer Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör und der Frage, ob es sich um eine Überraschungsentscheidung handelte. Dies war in der hier betrachteten Entscheidung dahin gehend fraglich, als das Berufungsgericht den Beschluss nach § 522 Abs. 2 nicht wie angekündigt auf materiellrechtliche, sondern prozessuale Gründe gestützt hatte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör garantiert nämlich auch die Möglichkeit der Partei, sich zur Rechtslage selbst und nicht nur zum Sachverhalt zu äußern, so dass es in bestimmten Fällen geboten sein kann, die Parteien auf eine bestimmte Rechtsauffassung des Gerichts hinzuweisen, um eine Stellungnahme der Parteien hierzu zu ermöglichen.20 Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG in Form einer Überraschungsentscheidung ist bei unterbliebenem Hinweis dann zu bejahen, „wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauche. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbeteiligter aber grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen (. . .).“21 Sollte das Kriterium der Überraschungsentscheidung erfüllt sein, muss zudem die gerichtliche Entscheidung auf der Gehörsverletzung beruhen. Dies ist dann anzunehmen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass 17

BverfG v. 7.10.2009, 1 BvR 178/09, GRUR-RR 2009, S. 441 (S. 441 f.). Vgl. auch BVerfG v. 30.1.1985, 1 BvR 393/84, BVerfGE 69, S. 141 (S. 143). 19 BVerfG v. 7.10.2009, 1 BvR 178/09, GRUR-RR 2009, S. 441 (S. 441). 20 Vgl. BVerfG v. 24.3.1982, 2 BvH 1,2/82, 2 BvR 233/82, BVerfGE 60, S. 175 (S. 210 ff.). 21 BVerfG v. 7.10.2009, 1 BvR 178/09, GRUR-RR 2009, S. 441 (S. 441 f.). 18

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Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

die Entscheidung im Falle der Anhörung günstiger für den Beteiligten ausgefallen wäre.22 Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG in Form der Überraschungsentscheidung kann allerdings laut Bundesverfassungsgericht „geheilt werden, wenn das Gericht in der Lage ist, das nunmehr zur Kenntnis genommene Vorbringen zu berücksichtigten (. . .)“. Hierbei sei es nicht erforderlich, dass das Gericht seine Meinung ändere. Es könne auch weiterhin an der überraschend getroffenen Entscheidung festhalten, wenn es denn Gründe angäbe, die erkennen lassen, dass das Vorbringen der Partei berücksichtigt wurde. Diesem Zweck diene auch die in diesem Ausgangsverfahren erhobene Anhörungsrüge. Sie soll die Partei nicht vor der rechtlichen Entscheidung selbst schützen, sondern lediglich dem Gericht die Möglichkeit geben, einen Gehörsverstoß zu beseitigen und seine Auffassung gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Vorbringens anpassen zu können.23 Zudem habe sich das Gericht mit den in der Anhörungsrüge vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen, wobei auch hier die rechtliche Richtigkeit der letztendlich getroffenen Entscheidung nicht überprüfbar sei.24 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 7.10.2009 offenbart einen Schwachpunkt der lediglich durch den Gang zum Bundesverfassungsgericht möglichen Grundrechtskontrolle gegenüber einer durch ein ordentliches Gericht durchzuführenden Rechtsmittelkontrolle: Die Überprüfung der materiellen Richtigkeit einer Entscheidung kann nur innerhalb bestimmter, die Grundrechte berührender Willkürgrenzen erfolgen.

II. Zur Entscheidung angenommene Verfassungsbeschwerden, Art. 103 Abs. 1 GG In der Entscheidung v. 27.8.2003 bejahte die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und hob den nach § 522 Abs. 2 ergangenen Beschluss unter Verweisung an das zuständige OLG auf.25 Ausgangsfall war ein Gebrauchtwagenverkauf der Beschwerdeführerin an den Kläger des Ausgangsverfahrens, in dem Gewährleistungsrechte ausgeschlossen wurden und u. a. angegeben wurde, dass das Fahrzeug nicht als Mietwagen benutzt worden war. Entgegen dieser Angabe war das Fahrzeug jedoch als Mietwagen eingesetzt worden. Zwischen den Parteien war nunmehr streitig, ob dies für 22 23 24 25

BVerfG BVerfG BVerfG BVerfG

v. v. v. v.

7.10.2009, 7.10.2009, 7.10.2009, 27.8.2003,

1 1 1 1

BvR BvR BvR BvR

178/09, GRUR-RR 2009, S. 441 (S. 441 f.). 178/09, GRUR-RR 2009, S. 441 (S. 441 f.). 178/09, GRUR-RR 2009, S. 441 (S. 441 f.). 1646/02, Zitat nach Juris.

B. Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG

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die Beschwerdeführerin ersichtlich war, wodurch die Verjährungsfrist der Arglist gelten würde, oder ob es mangels Ersichtlichkeit bei der allgemeinen Verjährungsfrist bliebe. Die erste Instanz verurteile die Beschwerdeführerin zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Kraftfahrzeugs. In der Berufung wurde die Beschwerdeführerin auf die Erwägung der Berufungszurückweisung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 S. 1 hingewiesen und eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt. Innerhalb dieser Frist reichte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme ein, woraufhin der Beschluss gem. § 522 Abs. 2 erging. Hiergegen erhob die Beschwerdeführerin immer noch innerhalb der ihr vom Gericht gesetzten Frist die Gegenvorstellung, die mit Beschluss als unzulässig verworfen wurde.

Ein solches Vorgehen ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zulässig. Setzt das Gericht eine Frist zur Äußerung, so muss es diese selbstgesetzte Äußerungsfrist „beachten und mit der Entscheidung bis zum Ablauf der Äußerungsfrist warten“, auch wenn es die Sache für entscheidungsreif hält.26 Das Vorbehalten einer ergänzenden Äußerung ist dabei nicht erforderlich und eine solche Erforderlichkeit auch nicht mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar. Hierbei stellt das Bundesverfassungsgericht zudem fest, dass die beiden ergangenen Beschlüsse des Berufungsgerichts auch auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruhen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung bei einer Berücksichtigung des zweiten Schriftsatzes anders ausgefallen wäre. Ebenso stellte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung v. 24.5.2004 eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör fest.27 Im Ausgangsverfahren hatte der Beschwerdeführer beim Beklagten einen Gebrauchtwagen mit defektem Kühler gekauft, wobei zwischen den Parteien streitig war, ob auch der neue im Kofferraum mitgelieferte Kühler defekt und ob dieser überhaupt geschuldet war. Die erstinstanzliche Klage des Beschwerdeführers auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und -übereignung des Fahrzeuges wurde abgewiesen. Die Berufung des Beschwerdeführers hiergegen wurde mit Beschluss gem. § 522 Abs. 2 zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss wendete sich der Beschwerdeführer erfolgreich mit seiner zulässigen und begründeten Verfassungsbeschwerde.

Das Bundesverfassungsgericht führt wie auch im Nichtannahmebeschluss v. 7.10.200928 aus, dass Art. 103 Abs. 1 GG auch die Möglichkeit der Äußerung zur Rechtslage garantiert und darüber hinaus das Gericht im Falle einer erfolgten Äußerung auch zur Kenntnisnahme und Einbeziehung des Vortrags verpflichtet ist. „Dementsprechend darf das Gericht nur solche Tat26 BVerfG v. 27.8.2003, 1 BvR 1646/02, Rn. 16, Zitat nach Juris; st. Rspr. seit BVerfG v. 24.1.1961, 2 BvR 402/60, BVerfGE 12, S. 110 (S. 113). 27 BVerfG v. 24.5.2004, 1 BvR 1418/03, Zitat nach Juris. 28 BVerfG v. 7.10.2009, 1 BvR 178/09, GRUR-RR 2009, S. 441 (S. 441 f.).

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Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

sachen verwerten, die von einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind (. . .) und zu denen sich die Verfahrensbeteiligten vorher äußern konnten (. . .).“29 Hat der Beschwerdeführer also zu einer Tatsache weder im erstinstanzlichen noch im berufungsinstanzlichen Verfahren vorgetragen, so ist eine Verwertung dieser Tatsache als Entscheidungsgrundlage nicht möglich mangels Einführung und Äußerung der Partei.30 Zudem beruht die Entscheidung auch auf diesem Verstoß, wenn das Gericht zur Begründung seiner Entscheidung maßgeblich auf diese Tatsache abstellt. In der Entscheidung der 1. Kammer des Zweiten Senats v. 1.8.2006 wurde ebenfalls eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör festgestellt.31 Der Beschwerdeführer war erstinstanzlich zur Zahlung von Mietzins verurteilt worden und hatte hiergegen Berufung eingelegt. Die Berufung war mit Beschluss gem. § 522 Abs. 2 Nr. 1 zurückgewiesen worden. Zuvor hatte das Gericht den Beschwerdeführer zwar auf die beabsichtigte Zurückweisung gem. § 522 Abs. 2 hingewiesen und eine Stellungnahme ermöglicht, nach Eingang dieser Stellungnahme hatte es jedoch Termin für die mündliche Verhandlung gem. § 523 Abs. 1 bestimmt, jedoch nach Eingang eines Schriftsatzes des Klägers ohne weitere Maßnahmen einen Zurückweisungsbeschluss gem. § 522 Abs. 2 erlassen.32

Eine solche Vorgehensweise ohne nochmaligen Hinweis an den Beschwerdeführer, in dem das Gericht die geänderte Ansicht zur Erfolgsaussicht unter Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme nach außen darstellt, stellt einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar. Hierbei sind die Kriterien einer Überraschungsentscheidung, die im Nichtannahmebeschluss v. 7.10.200933 noch abgelehnt wurden, erfüllt, da die Vorgehensweise des Berufungsgerichts es dem Beschwerdeführer vorliegend verwehrt, sich auf die vom Gericht gewählte Verfahrensweise einzustellen. Auch die Verletzung einer einfachrechtlichen Bestimmung wie § 522 Abs. 2 S. 2 kann eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG darstellen, „wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung“ dieser Vorschrift die „Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkennt“.34 29

BVerfG v. 25.4.2004, 1 BvR 1418/03, Rn. 11, Zitat nach Juris. Vgl. auch BVerfG v. 18.6.1985, 2 BvR 414/84, BVerfGE 70, S. 180 (S. 189 f.). 31 BVerfG v. 1.8.2006, 2 BvR 1701/04, NJW-RR 2006, S. 1654 (S. 1654 f.). 32 Zur Frage der Möglichkeit des Wechsels nach bereits erfolgter Terminierung auf das Verfahren gem. § 522 vgl. Kapitel 1, S. 31 f. 33 BVerfG v. 7.10.2009, 1 BvR 178/09, GRUR-RR 2009, S. 441 (S. 441 f.). 34 BVerfG v. 24.3.1982, 2 BvH 1,2/82, 2 BvR 233/82, BVerfGE 60, S. 175 (S. 210 ff.). 30

C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes

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C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes ergibt sich, wie bereits oben erläutert, aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG.35 Dies heißt, dass sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes zwar eine Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten ableiten lässt, dieser jedoch nicht darin besteht, einen Rechtsmittelzug zu gewährleisten.36 Die Einrichtung von Rechtsmittelzügen in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten obliegt allein dem Gesetzgeber. Hat der Gesetzgeber allerdings ein Rechtsmittel vorgesehen, „so darf der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht durch eine gerichtliche Auslegung und Anwendung von Prozessvorschriften in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (. . .)“.37 Laut Bundesverfassungsgericht finden diese Grundsätze auch auf den einstimmigen Beschluss des Berufungsgerichts über die Zurückweisung nach § 522 Abs. 2 S. 1 Anwendung, „da er gem. § 522 Abs. 3 ZPO nicht anfechtbar ist und damit den Weg zur Revision versperrt (. . .). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine den Zugang zur Revision erschwerende Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränkt (. . .).“38 Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bezüglich des Gebots des effektiven Rechtsschutzes orientieren sich daher grundsätzlich nicht an der Frage, ob die Norm selbst eine Verletzung darstellt, da diese Frage hinreichend beantwortet und in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verneint wird, sondern ob im Einzelfall eine unzumutbare Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 stattgefunden hat, also die Voraussetzungen für eine Zurückweisung in unvertretbarer Weise angewandt wurden, da dies wiederum dem Betroffenen den Zugang zur Rechtsmittel35

Vgl. hierzu Kapitel 1, S. 9 f. Zum Rechtsmittelzug vgl. Kapitel 1, S. 4 ff. so wie BVerfGE v. 11.6.1980, 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, S. 277 (S. 291); 8.2.1994, 1 BvR 765/89, BVerfGE 89, S. 381 (S. 390). 37 BVerfG v. 2.12.1987, 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, S. 274 (S. 284); 23.6.2000, 1 BvR 830/00, NVwZ 2000, S. 1163 (S. 1163); BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932). 38 BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, Rn. 17, Zitat nach Juris = NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.). 36

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instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise verstellt.39 Hierbei sind sowohl die Nichtannahmebeschlüsse wie auch die zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerden zu untersuchen.

I. Nichtannahmebeschlüsse Eine solch unzumutbare Auslegung und Anwendung der Vorschrift lehnt das Bundesverfassungsgericht in seinen Nichtannahmebeschlüssen v. 5.8.200240 sowie v. 13.3.200741 ab. Auch die 2. Kammer des Ersten Senats stellte bereits in dem Nichtannahmebeschluss v. 21.11.200242 keinen Verstoß wegen mangelnder Begründung fest.43 Eine Verletzung des Gebots des effektiven Rechtsschutzes lehnte das Bundesverfassungsgericht auch in seinem Nichtannahmebeschluss v. 23.10.200744 ab. Diese Entscheidung ist insbesondere unter dem Aspekt einer Rechtsprechungsänderung und damit verbunden eine solche Umkehr andeutender Ereignisse z. B. in Form einer Pressemitteilung interessant. Dem Ausgangsverfahren lag die Klage der Beschwerdeführerin, einer Sparkasse, auf Rückzahlung eines Darlehens gegen den Beklagten zugrunde. Die Klage wurde erstinstanzlich mit der Begründung abgewiesen, es handle sich um einen nichtigen Darlehensvertrag aufgrund eines Verstoßes gegen das damals geltende Verbraucherkreditgesetz a. F., dessen Mangel auch nicht durch Auszahlung geheilt wurde, weil diese im Rahmen einer finanzierten Fondsbeteiligung ein Treuhänder erhielt. Hierbei handelte es sich um ein verbundenes Geschäft im Sinne des Verbraucherkreditgesetzes a. F., welches nach damals nicht unumstrittener, aber gefestigter Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH einem Empfang des Darlehens und damit einer Heilung im Wege stand. Die Beschwerdeführerin legte gegen dieses Urteil Berufung ein. Auf den Hinweis des OLG die Berufung gem. § 522 Abs. 2 zurückweisen zu wollen, behauptete die Beschwerdeführerin, in einer mündlichen Verhandlung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in einer anderen Sache hätten Richter des Senats angedeutet, dass dieser der Rechtsprechung des II. Zivilsenats nicht zu folgen beabsichtige und es seiner Ansicht nach für den Empfang eines Darlehens i. S. v. § 6 Abs. 2 S. 1 VerbrKrG a. F. und damit für eine Heilung der Nichtangabe des Gesamtbetrags der Tilgungsleistungen 39

BVerfG v. 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1194 ff.). BVerfG v. 5.8.2002, 2 BvR 1108/02, NJW 2003, S. 281 (S. 281) mit Sachverhaltsdarstellung Kapitel 1, S. 37. 41 BVerfG v. 13.3.2007, 1 BvR 1377/04, NJW-RR 2007, S. 1194 (S. 1194 ff.), Sachverhaltsdarstellung s. o. 42 BVerfG v. 21.11.2002, 1 BvR 2015/02, Zitat nach Juris; vgl. Kapitel 3, S. 128 f. 43 BVerfG v. 21.11.2002, 1 BvR 2015/02,Rn. 2, Zitat nach Juris. 44 BVerfG v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, NJW 2008, S. 504 (S. 504 f.); vgl. Kapitel 1, S. 48 f. 40

C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes

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unerheblich sei, ob ein verbundenes Geschäft vorliege. Diesen Vortrag stellte die Beschwerdeführerin unter Zeugenbeweis und reichte zudem den Terminsbericht eines an dem anderen Verfahren beteiligten Prozessbevollmächtigten zur Akte. Das Oberlandesgericht sah sich indessen zu keiner weiteren Aufklärung in dieser Richtung veranlasst und wies die Berufung mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 S. 1 zurück. Eine Woche danach veröffentlichte der Bundesgerichtshof eine Presseerklärung zu den Urteilen des XI. Zivilsenats, die am selben Tage in der bezeichneten anderen Sache sowie in weiteren Verfahren verkündet worden waren.45 In zweien dieser Entscheidungen wird ausgeführt, für die Heilung des Formfehlers nach § 6 Abs. 2 S. 1 VerbrKrG a. F. komme es – in Änderung der Rechtsprechung – nicht darauf an, ob ein verbundenes Geschäft vorliege. Entscheidend für die Heilung sei insoweit, dass die Darlehensvaluta auf Weisung des Darlehensnehmers an einen Dritten ausgezahlt worden sei, wenn dieser überwiegend im Interesse des Darlehensnehmers tätig geworden sei. Der II. Zivilsenat habe auf Anfrage des XI. Zivilsenats erklärt, er halte an seiner anders lautenden bisherigen Rechtsprechung nicht fest.

Die gegen den Zurückweisungsbeschluss erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen. Zur Begründung führte das Bundesverfassungsgericht an, dass die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe. Sie sei nicht begründet, da der angegriffenen Entscheidung keine Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 zugrunde liege, die die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten verletzt. Insbesondere thematisiert die Entscheidung die Frage, ob es eine verfassungsrechtliche Missdeutung von § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 darstellt, dass das zuständige OLG die maßgebliche Rechtsfrage aufgrund der vorausgegangenen einschlägigen Entscheidungen des II. Zivilsenats des BGH als geklärt angesehen und die in einer mündlichen Verhandlung angeblich gefallenen Äußerungen von Richtern zum Inhalt einer möglicherweise beabsichtigten Entscheidung für die Annahme einer Divergenz oder einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage nicht hat genügen lassen und verneint dies. Zudem stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass sich das Berufungsgericht im Zeitpunkt der Beschlussfassung auf die bis dahin unveränderte Rechtsprechung des BGH stützen kann. Allgemeinen Hinweisen auf eine mögliche Änderung der Rechtsprechung in der Zukunft, die mit Blick auf das Verfahrensstadium sowie ihrer Natur nach nicht belastbar und tragfähig sind, muss das Berufungsgericht bei der Entscheidung nicht folgen. Insbesondere hervorzuheben ist, dass das Bundesverfassungsgericht ein Zuwarten des Berufungsgerichts bis zur Entscheidung nicht für erforderlich 45 BGH v. 25.4.2006, XI ZR 193/04, WM 2006, S. 1003 (S. 1003); 25.4.2006, XI ZR 29/05, WM 2006, S. 1008 (S. 1008); 25.4.2006, XI ZR 219/04, WM 2006, S. 1060 (S. 1060 ff.); 25.4.2006, S. 1066 (S. 1066 ff.).

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Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

hält und auch eine Terminierung der Sache trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 mangels Ermessens nicht für möglich erachtet. „Die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes erfordert es grundsätzlich nicht, dass ein Gericht von einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO so lange absehen muss, bis ein oberster Gerichtshof des Bundes in einem anderen, möglicherweise rechtlich gleich oder ähnlich gelagerten Verfahren entschieden hat. Ein solches Abwarten ist nach den Grundsätzen eines effektiven Rechtsschutzes nur dann geboten, wenn hinreichend sicher erkennbar ist, dass anderenfalls eine berechtigte Aussicht auf einen anderen Ausgang des Rechtsstreits vereitelt wird (. . .).46 Diese hinreichend sichere Erkennbarkeit kann zwar auf der Grundlage einer amtlichen Presseerklärung“, bei der es „sich um eine allgemein und zeitnah zugängliche, offizielle Verlautbarung des Bundesgerichtshofs in textlich fixierter Form“ zu einer ergangenen Entscheidung handelt, angenommen werden, nicht jedoch aufgrund von Äußerungen eines Richters oder mehrerer Richter im Rahmen einer mündlichen Verhandlung oder aufgrund eines Terminsberichts eines Prozessbevollmächtigten bei einem Prozess, in dem die Entscheidungsfindung noch aussteht.47 Zudem führt das Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss v. 23.10.2007 das Spannungsverhältnis zwischen dem nicht unzumutbar zu erschwerenden Zugang zum von dem Gesetzgeber geschaffenen Instanzenzug einerseits als Garantie des Gebots des effektiven Rechtsschutzes, wie auch die ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Pflicht zur Entscheidung in angemessener Zeit andererseits als Argument an.48 „Ein Zuwarten mit der Beschlussfassung nach § 522 Abs. 2 ZPO im Blick auf eine demnächst zu erwartende, die höchstrichterliche Rechtsprechung möglicherweise ändernde Entscheidung war nach allem in Ansehung der ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Pflicht zur Entscheidung in angemessener Zeit (. . .) und der einfach-rechtlichen Verpflichtung, die Berufung – bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen – ‚unverzüglich‘ zurückzuweisen (. . .), von Verfassungs wegen nicht geboten.“49 In dem Nichtannahmebeschluss der 3. Kammer des Ersten Senats v. 30.7. 200850 handelt es sich bei dem Ausgangsverfahren um einen Arzthaftungsprozess. 46

BVerfG v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, NJW 2008, S. 504 (S. 504). BVerfG v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, NJW 2008, S. 504 (S. 504). 48 BVerfG v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, Rn. 14 Zitat nach Juris = NJW 2008, S. 504 (S. 504 f.); vgl. auch BVerfG v. 2.3.1993, 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, S. 118 (S. 124). 49 BVerfG v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, Rn. 14 Zitat nach Juris = NJW 2008, S. 504 (S. 504 f.); vgl. auch BVerfG v. 2.3.1993, 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, S. 118 (S. 124). 50 BVerfG v. 30.7.2008, 1 BvR 1525/08, NJW 2009, S. 137 (S. 137 ff.). 47

C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes

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Die Klägerin hatte sowohl Krankenhausträger als auch Ärzte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen und war erstinstanzlich mit der Klage abgewiesen worden. Die Berufung hiergegen war gem. § 522 Abs. 2 durch Beschluss zurückgewiesen worden. Die gegen den Beschluss gerichtete Anhörungsrüge blieb erfolglos.

Die vorangehend geschilderte Rechtsprechung bestätigend führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass die Besonderheiten eines Arzthaftungsprozesses nicht von Verfassungs wegen eine Anwendbarkeit der Beschlusszurückweisung gem. § 522 Abs. 2 ausschließen. Damit erteilt das Bundesverfassungsgericht der Ansicht, dass sich bestimmte Themengebiete und eine mit diesen einhergehende Komplexität nicht für den Entscheidungsweg durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 eignen, eine Absage: „Für eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs der verfassungsgemäßen Vorschrift bieten schon Wortlaut und Gesetzesbegründung keinen Ansatzpunkt. Auch kann nicht allgemein von einer Ungleichgewichtslage zwischen den Parteien eines Arzthaftungsprozesses ausgegangen werden, bei der der Grundsatz der ‚Waffengleichheit‘ als Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess (. . .) die Anwendung des Beschlussverfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO generell ausschlösse. Dieser spezifischen Prozesssituation begegnen die Fachgerichte mit den Mitteln des einfachen Rechts auf andere Weise, namentlich im Blick auf die Verteilung von Darlegungs- und Beweislast (. . .).“51 Ebenso lehnt das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG in dem Nichtannahmebeschluss v. 10.10. 2008 ab.52 Die Beschwerdeführerin war Klägerin des Ausgangsverfahrens und beantragte in diesem den Fortbestand einer Lieferbeziehung mit der Beklagten sowie eine aus dieser erwachsende Schadensersatzpflicht festzustellen. Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beschwerdeführerin wurde durch Zurückweisungsbeschluss zurückgewiesen. Die hiergegen erfolgte Anhörungsrüge blieb erfolglos.

Der Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats v. 15.12. 2008 verneint eine willkürliche Anwendung des § 522 Abs. 2 unter anderem mit Blick darauf, „dass die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt seien“ und weitergehend kein „Bezug zu verfassungsrechtlich verbürgten Rechtspositionen“ hergestellt werde.53 51 BVerfG v. 30.7.2008, 1 BvR 1525/08, Rn. 10, Zitat nach Juris = NJW 2009, S. 137 (S. 137 ff.). 52 BVerfG v. 10.10.2008, 1 BvR 1421/08, Zitat nach Juris. 53 BVerfG v. 15.12.2008, 2 BvR 2462/07, Rn. 12, Zitat nach Juris.

124

Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Besonders hervorzuheben ist an letzter Stelle nochmals der Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts v. 25.2.2009.54 Die Beschwerdeführerin und Klägerin des Ausgangsverfahrens stritt mit ihrem Nachbarn und Beklagten des Ausgangsverfahrens um Beseitigung und Schadensbegleichung eines Überwuchses einer sich auf dem Grundstück des Beklagten befindlichen Hecke. Der Ehemann der Klägerin hatte zuvor im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens eine den Überwuchs betreffende Vereinbarung mit dem Beklagten getroffen. Die Klage wurde erstinstanzlich mangels Durchführung eines Schlichtungsverfahrens gem. § 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO zwischen den Parteien abgewiesen. Die Berufung hiergegen war mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 zurückgewiesen worden. Gegen diesen Beschluss erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde.

Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Beschlussentscheidung des Berufungsgerichts keine rechtsfehlerhafte, objektiv willkürliche Anwendung des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2. Hierbei stellt das Bundesverfassungsgericht auf die Revisibilität der vom Berufungsgericht ebenso wie durch das Gericht erster Instanz beurteilten Rechtsnormen als Maßstab dafür ab, ob dem Berufungsführer durch die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO der Zugang zu dem gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel unrechtmäßig verstellt und damit der Rechtsweg verweigert wird. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat dabei insbesondere einen verfassungsrechtlich relevanten Verstoß des Berufungsgerichts gegen das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verneint, wenn das Berufungsgericht die Berufung nicht unter Bezugnahme auf die abstrakte Auslegung eines allgemein Geltung beanspruchenden Rechtsatzes für erfolglos angesehen und deshalb die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen hat, sondern seinen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO auf „Umstände des Einzelfalles“ stützt, aus denen sich die Anwendung des revisiblen Rechtsatzes gründet.55 Damit scheint die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die verfassungsrechtliche Frage auf die Unterscheidung von Rechtsfrage und Tatfrage zu stützen. Geht es um eine einzelfall- und tatfragenbezogene Rechtsanwendung, scheint der Zugang zur Revision nicht gegeben und damit ein Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO unbedenklich zu sein.

54

BVerfG v. 25.2.2009, 1 BvR 3598/08, NJW-RR 2009, S. 1026 (S. 1026). Smid, Rechtsgutachten zum Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig und zur verfahrensrechtlichen Beurteilung eines Beschlusses gem. § 522 Abs. 2 ZPO in Sachen Pfeiffer ./. Steffen 3 U 124/08 (LG Göttingen 2 O 616/07), S. 31 f., nicht veröffentlicht. 55

C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes

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II. Zur Entscheidung angenommene Verfassungsbeschwerden Beachtenswert ist jedoch auch die Vielzahl der zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerden, die Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG betreffen. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 26.4.200556 sowie dem Parallelverfahren v. 30.6.200557 führt das Bundesverfassungsgericht aus, in welchem Fall das Berufungsgericht den Zugang zu den durch den Gesetzgeber mittels der ZPO eröffneten Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies wird dann bejaht, wenn der Ausschluss des Zugangs zur Revisionsinstanz objektiv willkürlich erfolgt, da dies nicht mit dem Gebot des wirkungsvollen Rechtsschutzes vereinbar ist.58 In den genannten Verfahren legten die Beschwerdeführer nach Hinweis des Berufungsgericht auf die Möglichkeit der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss eine Pressemitteilung vor, aus der die Möglichkeit der Änderung der bisherigen Rechtsprechung hervorging und bei der es sich im Ausgangsverfahren um einen vergleichbaren Sachverhalt handelte. Der Beschwerdeführer bat daher um Aussetzung des Rechtsstreits bis zur Veröffentlichung des Volltextes, jedenfalls aber zumindest darum, von einer Entscheidung im Beschlussverfahren Abstand zu nehmen.59 Dies geschah nicht, sondern das OLG erließ einen Zurückweisungsbeschluss gem. § 522 Abs. 2 S. 1 gegen den der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde einlegte.60

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass sich dem OLG zumindest nach Kenntnisnahme der Pressemitteilung die „Möglichkeit aufdrängen“ musste, dass der BGH die Rechtslage anders zu beurteilen gedenkt, als es das OLG bisher getan hatte. Hierbei führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass das Oberlandesgericht inhaltlich nicht an die neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs gebunden gewesen sei. Aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit könne das Berufungsgericht auch bei Abweichung von der Rechtsauffassung des BGH an seiner Rechtsauffassung festhalten. Jedoch wirke sich dies auf die Beurteilung der Frage der Erfolgsaussicht der Berufung aus. In dem Fall, 56 BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932); zum Sachverhalt vgl. Einleitung, S. 16 f. 57 BVerfG v. 30.6.2005, 2 BvR 1664/04, WM 2005, S. 1577 (S. 1577 ff.); zum Sachverhalt vgl. Einleitung, S. 16 f. 58 BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, Rn. 17, Zitat nach Juris = NJW 2005, S. 1931 (S. 1932). 59 BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, Rn. 9, Zitat nach Juris = NJW 2005, S. 1931 (S. 1931 f.). 60 BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932).

126

Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

dass die Berufung nämlich angesichts einer revisiblen Rechtsfrage nunmehr doch Aussicht auf Erfolg hat, ist die Frage nach der Anwendbarkeit des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 zu verneinen. Das Oberlandesgericht könne dann nicht länger davon ausgehen, dass die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO) zu verneinen sei, wenn die Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwerfe, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berühre.61 Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass es zwischen dem II. Zivilsenat und den anderen Senaten des BGH einen Meinungsstreit zu der Frage gab, welcher aus der Pressemitteilung ersichtlich wurde. Allerdings führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass eine Entscheidungsfällung allein auf Grundlage der Pressemitteilung nicht möglich gewesen sei. Die korrekte Vorgehensweise zur Gewährleistung wirkungsvollen Rechtsschutzes sei daher das Abwarten auf die Veröffentlichung des vollständigen Textes der maßgebenden Entscheidung, um anschließend den Einfluss dieser Entscheidung auf den eigenen Fall beurteilen zu können.62 Das Gebot des Rechtsstaatsprinzips, strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären, welches in § 522 Abs. 2 S. 1 durch Gebrauchen des Wortes „unverzüglich“ konkretisiert wurde, stehe einer solchen Vorgehensweise nicht im Wege, da die zu erwartende Verzögerung so geringfügig sei, dass sie im Hinblick auf die Bedeutung der Sache weder eine relevante Beeinträchtigung des Rechtsstaatsprinzips bedeute noch eine faktische Aussetzung des Verfahrens darstelle.63 Hinsichtlich der wünschenswerten korrekten Vorgehensweise des OLG führt das Bundesverfassungsgericht zudem aus: „Bei der gebotenen Entscheidung durch Urteil hätten die Beschwerdeführer entweder – im Falle der Zulassung (§ 543 Abs. 2 ZPO) – unmittelbar Revision einlegen oder sich den Zugang zu dieser Instanz durch Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) eröffnen können. Die Vorgehensweise des Oberlandesgerichts, rasch ohne mündliche Verhandlung vor Veröffentlichung des vollständigen Textes des Urteils des Bundesgerichtshofs zu entscheiden und auf diese Weise eine Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu vermeiden, stellt sich zumindest bei objektiver Betrachtung als Ausschluss des Zugangs zur Revisionsinstanz dar. Mit dem Gebot wirkungsvollen Rechtsschutzes ist dies nicht zu vereinbaren. Ob die entscheidenden Richter des Oberlandesgerichts tatsächlich mit dieser Zielsetzung gehandelt haben, spielt keine Rolle. 61 62 63

Vgl. zur Voraussetzung der grundsätzlichen Bedeutung Kapitel 1, S. 37 ff. BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932). BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932).

C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes

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Ebenso wenig wie die Feststellung von Willkür einen subjektiven Schuldvorwurf enthält, sondern im objektiven Sinne zu verstehen ist als Feststellung einer Maßnahme, welche im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (vgl. BVerfGE 86, 59 ), kommt es hier für die Verletzung des Rechts auf wirkungsvollen Rechtsschutz auf die subjektiven Umstände an.“64 Hierin zeigt sich auch die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Nichtannahmebeschluss v. 23.10.2007 angesprochene abweichende Fallgestaltung: Lagen in den vorliegend besprochenen Entscheidungen die Pressemitteilungen über eine bereits ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs bereits vor, womit eine hinreichend sichere Erkennbarkeit auf einen anderen Ausgang des Rechtsstreit zu bejahen ist, handelte es sich bei dem vergleichbaren Nichtannahmebeschluss um noch nicht tragfähige Vermutungen hinsichtlich eines möglicherweise anderen Ausgangs des Rechtsstreits.65 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt mithin also hinsichtlich der hinreichend sicheren Erkennbarkeit relativ strenge Maßstäbe an und verlangt zumindest das Vorliegen einer Pressemitteilung. Auch in der von der 2. Kammer des Ersten Senats zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde v. 29.5.200766, erkennt das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG durch Nichtzulassung einer zivilprozessualen Revision unter Verkennung des Vorliegens einer mietrechtlichen Divergenzentscheidung an. Der Beschwerdeführer und Beklagte des Ausgangsverfahrens mietete mehrere Gewerberäume vom Kläger des Ausgangsverfahrens an, wobei sich die Parteien aufgrund aufgetretener Mängel über die dem Beschwerdeführer zustehenden Minderungswerte stritten. Der Beschwerdeführer war erstinstanzlich zur Zahlung der Hälfte der Klagehauptforderung verurteilt worden und legte hiergegen Berufung ein, die mit Beschluss gem. § 522 Abs. 2 zurückgewiesen wurde. Diesen Beschluss stützte das Kammergericht auf die Nichterfüllung der Darlegungslast durch den Beschwerdeführer. Eine Gegenvorstellung des Beschwerdeführers blieb erfolglos. Seine Verfassungsbeschwerde hingegen hatte Erfolg, da im Berufungsverfahren eine willkürliche Auslegung und Anwendung des § 522 Abs. 2 durch das Berufungsgericht erfolgt war.67

Anknüpfungspunkt der Bundesverfassungsgericht-Entscheidung war dabei die Übereinstimmung der Voraussetzungen der Revisionszulassung in § 543 Abs. 2 mit den Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3. 64

BVerfG v. 26.4.2005, 1 BvR 1924/04, NJW 2005, S. 1931 (S. 1932). BVerfG v. 23.10.2007, 1 BvR 1300/06, Rn. 12, Zitat nach Juris = NJW 2008, S. 504 (S. 504 f.) 66 BVerfG v. 29.5.2007, 1 BvR 624/03, Rn. 16, Zitat nach Juris. 67 BVerfG v. 29.5.2007, 1 BvR 624/03, Rn. 16, Zitat nach Juris. 65

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Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Hiernach steht „§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO einer Verwerfung der Berufung durch einstimmigen Beschluss unter anderem dann entgegen, wenn ein Rechtssatz der beabsichtigten Berufungsentscheidung von einem tragenden Rechtssatz eines höherrangigen Gerichts abweicht“.68 Vorliegend wich die Rechtsprechung des Kammergerichts von der gefestigten Rechtsprechung des BGH dahin gehend ab, dass es ausdrücklich einen Begriff einer BGH-Entscheidung69 verwendet, nämlich den des „Umfangs der Gebrauchsbeeinträchtigung“, jedoch ohne weitere Ausführungen die Darlegungs- und Beweislast für diese, anders als der BGH, dem Mieter zuwies und hierauf mangels Erfüllung dieser Darlegungslast seine Entscheidung stützte. Darin liegt dem Bundesverfassungsgericht zu Folge eine entscheidungserhebliche Abweichung von den aufgezeigten Grundsätzen des Bundesgerichtshofs, mit denen sich das Kammergericht nicht auseinandersetzt. Das Bundesverfassungsgericht sieht in dem Fall der Missachtung einer solchen Divergenz die in § 522 Abs. 2 S. 1 enthaltenen Voraussetzungen als nicht erfüllt an und in der trotzdem ergangenen Beschlussentscheidung daher eine Verletzung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz. Korrekte Vorgehensweise wäre auch hier die Entscheidung durch Urteil gewesen, um gegebenenfalls eine weitere Klärung der Rechtsprechung zur Darlegungsund Beweislast in einem Revisionsverfahren herbeizuführen.70 Besonderes Augenmerk ist allerdings auf die zwei aktuellsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu § 522 Abs. 2 zu richten: Die Entscheidungen v. 4.11.200871 und v. 25.3.201072 verdeutlichen in besonderer Weise die hinsichtlich der Anwendung der Vorschrift bestehende Mißbrauchsgefahr. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 4.11.2008 nimmt Stellung zur Verletzung des Gebots effektiven Rechtsschutzes durch Zurückweisung einer Berufung bei umstrittenen und höchstrichterlich nicht geklärten Rechtsfragen. Im Ausgangsverfahren ging es um die Wirksamkeit zweier außerordentlicher Kündigungen gegenüber dem Beschwerdeführer als Geschäftsführer zweier GmbHs durch die Beklagten. Hierbei stellte sich die Frage, ob eine Anhörung des zu Kündigenden ausnahmsweise auch dann entbehrlich ist, wenn ein Haftbefehl erlassen worden ist und der Beschuldigte im Strafverfahren die ihm zur Last gelegte Straftat zum Nachteil des Dienstherrn bestreitet. Diese Frage stellte sich ne68 69 70 71 72

BVerfG v. 29.5.2007, 1 BvR 624/03, Rn. 16, Zitat nach Juris. BGH v. 27.2.1991, XII ZR 47/90, NJW-RR 1991, S. 779 (S. 780). BVerfG v. 29.5.2007, 1 BvR 624/03, Rn. 24, Zitat nach Juris. BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.). BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, WM 2010, S. 794 (S. 794 ff.).

C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes

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ben der Frage nach der Rechtmäßigkeit der ergangenen Verdachtskündigung. Diese war vom OLG angesichts einer gegen den Beschwerdeführer mit Haftbefehl angeordneten Untersuchungshaft und einer vorausgegangenen Überprüfung des Haftgrundes bejaht worden, da „nicht zu erwarten sei, dass ein Dienstverpflichteter, der im Strafverfahren eine Straftat zum Nachteil seines Dienstherrn bestreite, in der Anhörung zur Verdachtskündigung für sich überzeugende Umstände vorbringe.“ Dies führte das OLG darauf zurück, dass es gem. § 112 Abs. 1 S. 1 StPO zur Anordnung der Untersuchungshaft neben dem Haftgrund nach § 112 Abs. 2 StPO auch eines dringenden Tatverdachts bedarf und dieser aufgrund richterlicher Entscheidung festzustellen sei. Hierbei entschied es ebenso wie die Landesarbeitsgerichte Düsseldorf und Rheinland-Pfalz, die ebenfalls eine Entbindung des Dienstherrn von einer nochmaligen Anhörung bejahen73. Die hiergegen erhobene erstinstanzliche Klage des Beschwerdeführers, in der er begehrte, festzustellen, dass sein Dienstverhältnis weder durch die Kündigung noch aufgrund anderer Umstände beendet worden sei, wurde abgewiesen. Die Berufung hiergegen wurde mit Beschluss gem. § 522 Abs. 2 zurückgewiesen.

Hierbei stellt das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung ebenso wie in dem Nichtannahmebeschluss v. 25.2.200974 auf die Frage nach der Revisibilität der beurteilten Rechtsnorm ab. Im Unterschied zu dem Nichtannahmebeschluss v. 25.2.2009 bejaht das Bundesverfassungsgericht vorliegend jedoch die Grundrechtsverletzung, da das Berufungsgericht die Berufung unter Bezugnahme auf die abstrakte Auslegung eines allgemein Geltung beanspruchenden Rechtssatzes für erfolglos angesehen und ohne maßgebliche Stützung auf die Umstände des Einzelfalls nach § 522 Abs. 2 ZPO unter Verkennung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zurückgewiesen hat. Die der Entscheidung zugrunde liegende Rechtsfrage, auf der der Zurückweisungsbeschluss auch beruht, ist höchstrichterlich weder vom BAG noch vom BGH hinreichend geklärt und umstritten, was sich bereits aus den unterschiedlichen Entscheidungen der Arbeitsgerichte ergibt. Auf diese Frage, die wiederum ein dezidiertes Auseinandersetzen mit den Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 erforderlich gemacht hätte, ist das OLG jedoch nicht eingegangen, sondern lehnt lediglich die Erfolgsaussicht sowie die grundsätzliche Bedeutung der Sache ab. Hinsichtlich der korrekten Vorgehensweise zeigt das Bundesverfassungsgericht unterschiedliche Wege auf. Einerseits wäre auch hier die Entscheidung durch Urteil unter Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 möglich gewesen. Andererseits 73

BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, Rn. 21, Zitat nach Juris = NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.) mit Verweis auf die einzelnen Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte. 74 BVerfG v. 25.2.2009, 1 BvR 3598/08, NJW-RR 2009, S. 1026 (S. 1026).

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Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

ist es dem OLG auch möglich, nicht an dem zugrunde gelegten allgemeinen Rechtssatz festzuhalten und damit je nach materiellrechtlichem Standpunkt eine fachgerichtlich differenzierte Würdigung vorzunehmen oder auch unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Ergebnis weiterhin die Ausnahme der Anhörungspflicht zu bejahen oder eine schuldhafte Verletzung der Anhörungspflicht zu verneinen75. Der aktuellste stattgebende Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts ist v. 25.3.201076. Hierin bezieht die 3. Kammer des Ersten Senats Stellung zur Frage der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 trotz grundsätzlicher Bedeutung der Sache und nimmt unter anderem Bezug auf die vorangegangene Entscheidung der 1. Kammer des Ersten Senats v. 4.11. 200877. In dem Ausgangsverfahren war der Beschwerdeführer einer Kommanditgesellschaft als Kommanditist beigetreten, wobei er nur einen Teil der Einlage erbrachte. Die KG meldete Insolvenz an, woraufhin die Insolvenzverwalterin den noch bestehenden Einlageanspruch gegen den Beschwerdeführer als Kommanditisten der KG geltend machte. Dieser erklärte hierauf den Widerruf seiner Beitrittserklärung nach dem Haustürwiderrufsgesetz. Dem Ausgangsverfahren lag also die Frage zugrunde, welche Auswirkungen der Widerruf des Beitritts eines Kommanditisten zu einer zwischenzeitlich insolventen Kommanditgesellschaft nach dem Haustürwiderrufsgesetz auf den von der Insolvenzverwalterin geltend gemachten Anspruch auf Erbringung einer rückständigen Einlage hat.78 Der Beschwerdeführer wurde verurteilt, den noch ausstehenden Teil des bestehenden Einlageanspruchs an die Insolvenzverwalterin zu zahlen. Der BGH hatte in einem ähnlich gelagerten Fall einer GbR das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH diesbezüglich maßgebliche Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.79 Das Landgericht sah diesen Vorlagebeschluss als auf den vertraglichen, innergesellschaftlichen Nachschussanspruch beschränkt an, während im vorliegenden Ausgangsverfahren das Außenrecht der Gesellschaft betroffen sei und lehnte eine Aussetzung des Verfahrens oder eine Vorlage an den EuGH ab. Das Oberlandesgericht schloss sich dieser Rechtsauffassung des Landgerichts an und wies die vom Beschwerdeführer eingelegte Berufung mit seinem hier angegriffenen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Eine vom Beschwerdeführer erhobene Anhörungsrüge blieb ebenfalls erfolglos.80 75 BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, Rn. 30, Zitat nach Juris = NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.). 76 BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, WM 2010, S. 794 (S. 795). 77 BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.). 78 BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, Rn. 1, Zitat nach Juris = WM 2010, S. 794 (S. 794). 79 Zu Einzelheiten siehe BGH v. 5.5.2008, II ZR 292/06, WM 2008, S. 1026 (S. 1026 ff.). 80 BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, Rn. 7 f., Zitat nach Juris = WM 2010, S. 794 (S. 794).

C. Gebot des effektiven Rechtsschutzes

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In diesem Vorgehen liegt nach Bundesverfassungsgericht eine sachlich nicht zu rechtfertigende Anwendung des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, die das Gebot des effektiven Rechtsschutzes verletzt.81 Ebenso wie in den vorangegangen Entscheidungen v. 4.11.200882 und dem Nichtannahmebeschluss v. 25.2.200983 stellt das Bundesverfassungsgericht erneut auf die als Bundesrecht revisible und damit klärungsfähige Rechtsfrage ab. Erneut wird das Aufstellen eines allgemeinen Rechtssatzes unter Missachtung der Umstände des Einzelfalls durch das Bundesverfassungsgericht scharf kritisiert. Anlass für die Klärungsbedürftigkeit der Frage ergab sich diesmal dadurch, „dass der Bundesgerichtshof selbst in seinem Vorlagebeschluss diese Rechtsfrage als von seinem Vorabentscheidungsersuchen umfasst erachtet“ und auch in seiner Begründung für die Vorlagefragen darauf hinweist, „dass sich dasselbe Problem auch bei Immobilienfonds in Gestalt von Kommanditgesellschaften stellen könne“.84 Besonderheit dieser Entscheidung ist zudem die Beantwortung der Frage, inwieweit die Bestätigung des materiellrechtlichen Standpunktes des Berufungsgerichts zu einem späteren Zeitpunkt vor dem EuGH und ihm folgend dem BGH die Möglichkeit der Bejahung der Voraussetzungen beeinflusst. Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts über die Zurückweisung der Berufung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, da das Gericht seine Entscheidung in der Sache allein auf seine oben dargestellte Rechtsauffassung gestützt hat. Auch kann derzeit nicht angenommen werden, dass bei Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Ausgangsgericht kein anderes, für den Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis in Betracht kommt (. . .). Allein die – im Hinblick auf die Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak (vgl. ZIP 2009, S. 1902) denkbare – Möglichkeit, dass der Europäische Gerichtshof – und ihm später folgend der Bundesgerichtshof – den materiellrechtlichen Standpunkt des Oberlandesgerichts bestätigen könnte, ändert nichts daran, dass das Oberlandesgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung von der prozessrechtlichen Möglichkeit des § 522 Abs. 2 ZPO keinen Gebrauch machen durfte. Indem es dennoch so verfahren ist, hat es seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Wahrung des Rechts des Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht genügt.“85 81 BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, Rn. 16, Zitat nach Juris = WM 2010, S. 794 (S. 795). 82 BVerfG v. 4.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, S. 572 (S. 572 ff.). 83 BVerfG v. 25.2.2009, 1 BvR 3598/08, NJW-RR 2009, S. 1026 (S. 1026). 84 BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, Rn. 20, Zitat nach Juris = WM 2010, S. 794 (S. 795). 85 BVerfG v. 25.3.2010, 1 BvR 882/09, Rn. 23, Zitat nach Juris = WM 2010, S. 794 (S. 795).

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Kap. 3: Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

D. Ergebnis des dritten Kapitels Zusammenfassend ergibt sich aus der Übersicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass nicht die Existenz der Vorschrift, ihre korrekte Anwendung vorausgesetzt, sondern der Fall der unberechtigten Anwendung das Problem darstellt. Dieses Problem lässt sich auch nicht auf den Gesetzestext des § 522 Abs. 2 selbst zurückführen, da die hier aufgeführten Kriterien weitestgehend denen der Zulassung zur Revision entsprechen. Bei der Frage nach dem Problem der Normanwendung sticht vor allem ein Fall ins Auge: Das Berufungsgericht weicht von der eigentlichen Rechtsprechung ab oder entscheidet unter Aufstellung eines allgemeinen Rechtssatzes, will aber nicht vorlegen und damit eine Kontrolle und möglicherweise Korrektur des Ergebnisses riskieren. Dies ist das Ergebnis des § 522 Abs. 3 der mit seiner Unanfechtbarkeit eine Kontrolle der Rechtsprechung über den iudex a quo hinaus nicht zulässt. Diese Anwendung der Vorschrift überspannt jedoch ganz klar den Willen des Gesetzgebers. Wie die vorliegenden Ausführungen aufgezeigt haben, bergen nicht nur die materiellrechtlichen Fragen Risiken, sondern Schwierigkeiten liegen auch in einer fehlerhaften Beweiswürdigung, einer fehlerhaften Präklusion in erster und zweiter Instanz und damit verbunden einer klaren rechtlichen Fehlentscheidung bereits auf Tatsachenebene. Teil der Aufgabe des Richters ist es, das Gesetzesprodukt zu kontrollieren und materiell gerecht und im Sinne der Gesetzgebung, vor allem aber der Verfassung auszulegen. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe resultiert aus der richterlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die sich aus Art. 97 GG ergibt, wie auch darüber hinaus aus der Fokussierung des Richters auf die Suche nach Recht und nicht darüber hinaus nach weiteren in der Politik verankerten Zielen.86 Allerdings ist auch in der Justiz ein Irrtum jederzeit möglich. Dieses bereits in der Antike bei Seneca in seinen an Lucillius verfassten „epistulae morales“ bekannte und behandelte Problem „errare humanum est“ ist jedoch vor allem in Verbindung damit zu sehen, dass der Irrtum selbst nur die Hälfte des Missstandes ausmacht: 86

Pawlowski, in: Gerechtigkeit und Rechtsstaat, S. 42.

D. Ergebnis des dritten Kapitels

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Oft fehlt jedoch in dem vielzitierten Sprichwort der zweite Teil: „Errare humanum est, sed in errare perseverare diabolicum“.87

Irren ist menschlich, aber in dem Irrtum zu verharren ist teuflisch. Der eigentlich schwierige Part des Eingestehens und Beseitigens dieses Irrtums ist zwar gem. § 321a möglich, erfolgt dies jedoch nicht, bleibt dem Gericht die Korrektur dieses Fehlers „von oben“ mangels Rechtsmittel und damit mangels Überprüfungsmöglichkeiten mit Ausnahme der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weitestgehend erspart. Diese Kontrollfunktion, die bereits diskutierte „fleet in being“, fehlt.88

87 88

Hieronymus, Seneca, Epistulae morales, VI 57 12. Vgl. Kapitel 1, S. 24 f.

Kapitel 4

Lösungsansatz Die positiven Errungenschaften der Norm, insbesondere in Form eines Effizienzgewinns auf Seiten der Berufungsgerichte, sowie die durchaus berechtigte Anwendungsmöglichkeit der Norm innerhalb der oben aufgeführten Fallgruppe erfordern einen Lösungsansatz, der die Anwendung der Norm auf die berechtigten Fälle begrenzt.1 Berufungsverfahren im Jahre 2009, die durch streitiges Urteil beendet wurden, dauerten ab Eingang in der Berufungsinstanz im Bundesdurchschnitt vor den Landgerichten 8,2 Monate und vor den Oberlandesgerichten 10,7 Monate. Nach einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes v. 24.9.2010 dauerten im Jahre 2009 die Berufungsverfahren, die durch einen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO erledigt wurden, ab Eingang in der Berufungsinstanz im Bundesdurchschnitt vor den Landgerichten 4,6 Monate und vor den Oberlandesgerichten 6,7 Monate.2 Eine Studie des Bundesjustizministeriums über die Auswirkungen der Zivilprozessrechtsreform zeigt zudem einen generellen kontinuierlichen Rückgang der Eingangszahlen bei den Landgerichten- und Oberlandesgerichten als Berufungsgerichte, der sich ab 2002 deutlich verstärkt hat.3 Diese ab 2002 auffallenden Tendenzen, führen zu „ausgeprägten Entlastungseffekten“ und können jedenfalls auch auf Effekte der ZPO-Reform zurückgeführt werden.4 Ein Beleg, dass es sich dabei jedoch nur um Effekte anderer durch die ZPO-Reform geänderter Vorschriften und nicht um die des § 522 handelt, existiert hingegen nicht.

1 Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 90; zur Verfahrensdauer vgl. Zypries, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22448 f. 2 BT-Drucks. 17/3517, S. 19 f. als Antwort auf eine kleine Anfrage BT-Drucks. 17/3351. 3 Hommerich/Prütting, Rechtstatsächliche Untersuchung zu den Auswirkungen der Reform des Zivilprozessrechts auf die gerichtliche Praxis, S. 203 ff. 4 BT-Drucks. 16/11457, S. 4.

A. Bindungswirkung von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen

135

A. Bindungswirkung von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen Eine Lösungsmöglichkeit könnte darin bestehen, aus der Vielzahl der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen zu § 522 Abs. 2 eine Bindungswirkung für ähnlich gelagerte Fälle abzuleiten, die als Korrektiv der Anwendung des § 522 Abs. 2 dient. Eine solche Bindungswirkung für alle Gerichte und Behörden an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts könnte einen Weg aufzeigen, der zu einer einheitlichen Handhabung des § 522 Abs. 2 ZPO führt und damit das Bundesverfassungsgericht als „fleet in being“ installiert. Die Bindungswirkung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen ist in § 31 BVerfGG geregelt, der in seinen zwei Absätzen zunächst zwei Fälle unterscheidet. Abs. 1 normiert die Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für Gerichte und Behörden. Abs. 2 statuiert die darüber hinausgehende Gesetzeskraft der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den verschiedensten Fällen der Normenkontrolle.5 In den hier vorliegenden Fällen der Verfassungsbeschwerden ist somit allein die Reichweite der Bindung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG von Interesse. Wie die Entscheidungen anderer Gerichte erwachsen auch die Urteile des Bundesverfassungsgerichts nach nicht unumstrittener, aber herrschender Ansicht in materieller Rechtskraft.6 Allerdings findet auch jene materielle Rechtskraft ihre Grenzen in der Tatsache, dass die Bindungswirkung allein nur dann in einem späteren Prozess Relevanz erfährt, wenn es um denselben Streitgegenstand zwischen denselben Parteien geht.7 Somit wirkt die Rechtskraft allein inter partes. Für die vorliegenden Fälle und der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Zurückweisungsbeschlüssen durch das jeweilige Berufungsgericht nach § 522 Abs. 2 ist daher mit dem Institut der materiellen Rechtskraft wenig gewonnen, da es sich in aller Regel bei den der jeweiligen Entscheidung nachfolgenden Parteien um von der ursprünglichen Entscheidung verschiedene Parteien handelt. 5

Lechner/Zuck, BVerfGG, § 31, Rn. 36. Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, § 20, Rn. 62 ff.; Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1297; Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 31, Rn. 42 ff. 7 BVerfG v. 19.6.2001, 2 BvE 6/99, BVerfGE 104, S. 151 (S. 196). 6

136

Kap. 4: Lösungsansatz

Dabei ist das Verhältnis zwischen § 31 Abs. 1 BVerfGG und der materiellen Rechtskraft umstritten. Zum Teil wird in der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG eine Ausdehnung in subjektiver Hinsicht gesehen,8 zum Teil wird zwischen beiden Instituten streng unterschieden.9 Unstrittig ist hingegen die Tatsache, dass § 31 Abs. 1 BVerfGG den Kreis der Bindungsadressaten erweitert. Insofern sind alle unterinstanzlichen Gerichte an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Weiterhin ist strittig, ob sich diese Bindung der Gerichte allein auf den Tenor beschränkt oder auch die Entscheidungsgründe erfasst werden. Das Bundesverfassungsgericht selbst geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass nicht allein der Tenor sondern darüber hinaus auch die tragenden Gründe der Entscheidung von der Bindungswirkung erfasst werden.10 Dafür streitet vor allem der Wortlaut des § 31 Abs. 1 BVerfGG der im Gegensatz zu § 31 Abs. 2 BVerfGG von den „Entscheidungen“ des Bundesverfassungsgerichts und nicht lediglich der „Entscheidungsformel“ spricht. Des Weiteren geht die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG im Hinblick auf ihre Reichweite über die Bindungswirkungen der materiellen Rechtskraft hinaus, indem die Gerichte nicht nur in dem konkreten Verfahren an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebunden sind, sondern darüber hinausgehend auch in Parallel- und Wiederholungsfällen gem. den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu entscheiden haben.11 Diese auf den ersten Blick weitreichende Bindungswirkung könnte zu der Schlussfolgerung verleiten, dass das Instrument der Verfassungsbeschwerde, welches dem Rechtsmittelführer bei Zurückweisung seiner Berufung durch Beschluss offen steht, als ausreichend anzusehen sei, den etwaigen „Fehlgebrauch“ der Norm des § 522 Abs. 2 ZPO hinreichend einzudämmen. Allerdings würde dies zweierlei verkennen: Zum einen sind die Gerichte allein insoweit an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden, als es um die Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes geht, die verbindliche Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts dagegen verbleibt weiterhin bei den ordentlichen Gerichten und somit beim jeweiligen Berufungsgericht. Zum anderen stellt die 8

Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu, BVerfGG, § 31, Rn. 75 ff. BVerfG v. 28.1.2003, 1 BvR 487/01, BVerfGE 77, S. 104 (S. 104 ff.). 10 BVerfG v. 23.10.1951, 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, S. 14 (S. 37); 20.1.1966, 1 BvR 140/62, BVerfGE 19, S. 377 (S. 392); 12.11.1997, 1 BvR 479/92, 307/94, BVerfGE 96, S. 375 (S. 404). 11 Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1297. 9

B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber

137

Entscheidung, ob es sich um einen Parallel- oder Wiederholungsfall handelt, grundsätzlich eine Wertentscheidung dar, die im Streitfall wiederum letztverbindlich durch das Bundesverfassungsgericht zu klären wäre.12 Betrachtet man diese zwei Aspekte gemeinsam mit der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht ohnehin nur in den „Extremfällen“ der Grundrechtsverletzung angerufen werden kann, so zeigt sich, dass allein die Bindungswirkung, die § 31 Abs. 1 BVerfGG den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gegenüber den Gerichten verleiht, das Bedürfnis nach einer Überprüfbarkeit der Berufungszurückweisungen nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht entfallen lassen kann und auch eine Rechtssatzableitung aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Problematik der Anwendung nicht behebt. Dies lässt sich in der Praxis einerseits durch die Vielzahl der Verfassungsbeschwerden belegen, die trotz des hürdenreichen Weges zum Bundesverfassungsgericht eingelegt werden, andererseits auch dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht zu manchen Problemen mehrmals entscheidet und trotzdem kein anderer Umgang der ordentlichen Gerichte mit der Vorschrift erfolgt. Dies belegt sowohl die Missbrauchsgefahr der Normanwendung vor allem mit Blick auf die erfolgreichen Verfassungsbeschwerden, als auch zeigt es auf, dass momentan das Bundesverfassungsgericht alleinig als „fleet in being“ nicht ausreicht, da es keine Superrevisionsinstanz ist und somit in seiner Überprüfungskompetenz stark begrenzt.13 Es gilt also, einen anderen Weg zu finden.

B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber Angesichts der aufgrund der durchgeführten Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse kommt eine Gesetzesänderung in Betracht, die statt der Unanfechtbarkeit des § 522 Abs. 3 die Einführung eines Rechtsmittels vorsieht, welches den Zugang zu einer Überprüfungsinstanz gewährt und damit als „fleet in being“ bereits durch die reine Existenz einen möglichen Fehlgebrauch der Norm außerhalb des berechtigten Anwendungsbereichs minimiert. 12

Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1297 ff. Ebenfalls mit dem Ergebnis, dass die Sicherung der einheitlichen und richtigen Handhabung des § 522 nicht Aufgabe des BVerfG sondern bereits traditionell des BGH ist: BRAK, Stellungnahme 5/2009 zum Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung der Zivilprozessordnung (§ 522 ZPO), Februar 2009, S. 4, www. brak.de (Stellungnahmen). 13

138

Kap. 4: Lösungsansatz

Eine Gesetzesänderung, die eine Abschaffung der Norm in Ihrer Gesamtheit oder hinsichtlich des Abs. 2 und Abs. 3 vorsieht, ist abzulehnen.14 Dies zusätzlich zu den oben angeführten Untersuchungen hinsichtlich einer berechtigten Anwendung auch mit Blick darauf, dass auch andere Verfahrensordnungen eine ähnliche Vorschrift kennen und nutzen, ohne dass dies zu verfassungsrechtlichen Bedenken führt. Dies allerdings sowohl in § 130a VwGO wie auch in § 153 Abs. 4 SGG mit Verweis auf § 158 S. 3 und S. 4 SGG mit einer Gleichstellung der Rechtsmittel eines Urteils und dem ergehenden Beschluss. Es liegt daher näher die Lösung in der Einführung eines Rechtsbehelfs, möglichst in Form eines Rechtsmittels, als in der Abschaffung der Norm zu suchen. Bei der Einführung eines solchen Rechtsmittels gilt es, sich an den oben erwähnten Stärken und Schwächen der einzelnen Rechtsbehelfe und ihrer Erforderlichkeit zu orientieren und dabei auch die Ziele des eigentlichen Gesetzes sowie die durch die Einführung des Rechtsbehelfs zu erreichenden Ziele miteinander in Einklang zu bringen.

I. Gesetzentwurf v. 17.12.2008 Der Versuch einer Gesetzesänderung des § 522 Abs. 2 wurde bereits 2008 durch die Fraktion der FDP unternommen.15 1. Änderungsvorschläge des Gesetzentwurfs Hierin wird die Einführung der Rechtsbeschwerde als statthaftes Rechtsmittel gegen die Zurückweisungsbeschlüsse der Berufungsgerichte in § 522 Abs. 2 S. 4 vorgeschlagen sowie die Streichung von § 522 Abs. 3.16 Hiermit verbunden war die Einfügung einer neuen Nr. 5 zu § 26 EGZPO. § 26 Nr. 5 EGZPO n. F. sollte dabei vorsehen, dass das einzuführende 14 Im Ergebnis auch für eine Lösung über Einführung von Rechtsmitteln Postel, Die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss, S. 91; a. A. BRAK, Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 3, www.brak.de (Stellungnahmen); DAV, Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 3, www.anwaltsverein.de. 15 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung (§ 522 ZPO) v. 17.12.2008, BT-Drucks. 16/11457. 16 BT-Drucks. 16/11457, S. 1 f.

B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber

139

Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde nur zulässig ist, wenn der Wert der mit ihr geltend gemachten Beschwerde 20.000 Euro übersteigt.17 In der allgemeinen Begründung hierzu wird vor allem auf die Unanfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses nach § 522 durch dessen Abs. 3 und auf Missstände durch den Gebrauch eines Ermessens der Berufungsgerichte eingegangen.18 Zur Begründung, warum sich der Rechtsbeschwerde und nicht eines anderen Rechtsmittels bedient wird, heißt es in der Einzelbegründung lapidar: „Die Änderung ermöglicht eine Harmonisierung des Rechtsweges im zivilprozessualen Berufungsrecht und beendet die Ungleichbehandlung. Weist das Gericht die Berufung wegen mangelnder Zulässigkeit zurück, so findet gegen den Beschluss gem. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO die Rechtsbeschwerde statt. Ebenso unterliegt die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht gem. § 544 Abs. 1 ZPO der Nichtzulassungsbeschwerde. Wird die Berufung durch Urteil zurückgewiesen, so ist der Rechtsweg ebenfalls eröffnet.“19

In der Einzelbegründung zur Änderung des § 26 EGZPO wird ausgeführt: „Durch die Ergänzung in § 26 ZPOEG wird für die Rechtsbeschwerde gegen Zurückweisungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 2 ZPO eine Angleichung an die Voraussetzungen erzielt, unter denen eine Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 ZPO (§ 26 Nr. 9 (neu) ZPOEG) eingelegt werden kann. Für beide Rechtsmittel gilt, dass sie bis einschließlich 31. Dezember 2011 mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass die Beschwer nur zulässig ist, wenn der Wert der mit ihr geltend zu machenden Beschwerde 20.000 Euro übersteigt.“20

Abgesehen von Definitionsfehlern in der Begründung21 findet eine Auseinandersetzung mit den Vor- und Nachteilen des Rechtsmittels der Rechtsbeschwerde und den Unterschieden zwischen Abs. 1 und Abs. 2 nicht statt. 2. Kritik an dem Gesetzentwurf Nachdem bereits eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde im Rahmen des Beschlusses nach § 522 Abs. 1 in Grundzügen erfolgt ist, soll nunmehr anhand der Funktion der Rechts17 18 19 20 21

BT-Drucks. 16/11457, S. 3. BT-Drucks. 16/11457, S. 4. BT-Drucks. 16/11457, S. 5. BT-Drucks. 16/11457, S. 5. Gehb, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22444 ff.

140

Kap. 4: Lösungsansatz

beschwerde untersucht werden, ob die Einführung der Rechtsbeschwerde als Rechtsmittel auch gegen Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 sinnvoll wäre.22 Ziel des revisionsähnlich ausgestalteten Rechtsmittels der Rechtsbeschwerde ist die Herbeiführung einer Klärung grundsätzlicher Fragen in Beschwerdesachen durch den BGH.23 Sie dient der Nachprüfung, ob der angefochtene Beschluss auf einer Rechtsverletzung beruht.24 Diese Revisionsähnlichkeit zeigt sich bereits in den Kriterien des § 574 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, die sowohl § 522 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 wie auch § 543 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 entsprechen. Entscheidend für die Wirksamkeit des Rechtsmittels sind jedoch nicht nur seine Voraussetzungen, sondern auch welche Entscheidung nach Einlegen des Rechtsmittels durch die Rechtsmittelinstanz selbst ergehen kann. Hier wird der Prüfungsumfang der Rechtsbeschwerdeinstanz durch § 577 Abs. 2 beschränkt. Dies ergibt sich hinsichtlich der Beschränkung der Anträge aus S. 1. Dagegen ist S. 2 dahingehend zu verstehen, dass materielles Recht für die Anwendung des zu beurteilenden Sachverhalts umfassend nachgeprüft werden kann.25 Die Überprüfung von Verfahrensmängeln hingegen ist wiederum auf die von Amts wegen zu prüfenden und nach § 575 Abs. 3 bzw. § 574 Abs. 4 S. 2 gerügten Verfahrensmängel beschränkt.26 Ist die Rechtsbeschwerde unbegründet, ist sie zurückzuweisen. Ist sie allerdings begründet, so hebt das Rechtsbeschwerdegericht die angefochtene Entscheidung auf und der Weg zu einer neuen Sachentscheidung ist eröffnet.27 Hierbei existieren zwei Möglichkeiten, welches Gericht diese neue Entscheidung zu treffen hat: Gem. § 577 Abs. 4 ist die Sache nach Aufhebung der Entscheidung grundsätzlich zur erneuten Entscheidung entweder an das Berufungsgericht, ggf. an einen anderen Spruchkörper, oder auch das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen. Gem. § 577 Abs. 5 hat das Rechtsbeschwerdegericht, hier der BGH, durch Beschluss in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache entscheidungsreif ist. 22 23 24 25 26 27

Vgl. Kapitel 2, S. 101 ff. Jänich, in: W/S, ZPO, § 574, Rn. 1. Lipp, in: Mü/Ko, ZPO, § 577, Rn. 11. Jänich, in: W/S, ZPO, § 577, Rn. 3. Jänich, in: W/S, ZPO, § 577, Rn. 4. Lipp, in: Mü/Ko, ZPO, § 577, Rn. 16.

B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber

141

Gem. Abs. 5 S. 2 hingegen kann mit Verweis auf § 563 Abs. 4 auch dann eine Zurückweisung statt eigener Entscheidung erfolgen, wenn für die neue Entscheidung nicht revisible Gesetze in Betracht kommen.28 a) Fehlen einer mündlicher Verhandlung Kritikpunkt ist weiterhin die aufgrund der Entscheidungsart des Beschlusses freigestellte mündliche Verhandlung gem. § 577 Abs. 6 S. 1, § 128 Abs. 4. Durch das Fehlen der mündlichen Verhandlung, die weder im § 522 Abs. 2 vorgesehen ist noch im diskutierten Rechtsbeschwerdeverfahren, wird weiterhin nur eine „defizitäre Rechtsposition“ für den Rechtsbeschwerdeführer bereitgehalten.29 b) „Verdopplungseffekt“ statt Entlastung des Rechtsmittelführers An die Schaffung einer lediglich defizitären Rechtsposition knüpft auch die überwiegende Kritik an dem Gesetzentwurf an. Denn infolge der Aufhebung der Entscheidung wird es dem Grundsatz des § 577 Abs. 4 entsprechend meist zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht kommen und diesem aufgegeben, erneut und diesmal – unter Zulassung der Revision – durch Urteil zu entscheiden. Hiernach erfolgt im Falle der Einlegung des Rechtsmittels der Revision eine erneute Entscheidung durch den BGH. Entscheidet das Berufungsgericht ohne Zulassung der Revision durch Urteil, muss hiergegen nunmehr das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden. Wenn jetzt durch Urteil entschieden und die Revision erneut nicht zugelassen wird, weil die Voraussetzungen nach Ansicht des entscheidenden OLG nicht vorliegen, muss der revisionswillige Kläger Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Diese Vorgehensweise birgt die Gefahr eines „Rechtsmittelkarussells“ und hält keinerlei Beschleunigung – weder für den Rechtsmittelführer noch den Rechtsmittelgegner – mehr bereit, da die Überprüfung der eigentlichen Sachfrage erst in diesem weiteren Verfahrensabschnitt stattfindet.30 28

Zimmermann, ZPO, § 577, Rn. 5. BRAK, Stellungnahme 5/2009 zum Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung der Zivilprozessordnung (§ 522 ZPO), Februar 2009, S. 4, www.brak.de (Stellungnahmen). 30 Gehb, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22444 ff.; Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22444 ff.; ebenso BRAK, Stellungnahme 5/2009 zum Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Änderung der Zivilprozessordnung (§ 522 ZPO), Februar 2009, S. 4 f., www.brak.de (Stellungnahmen). 29

142

Kap. 4: Lösungsansatz

Ein „Hinbiegen“ der Rechtsbeschwerde zu einer „Version“, die immer die Möglichkeit des Rechtsschutzes durch Revision enthält, verbietet sich rechtsdogmatisch.31 Einem Beschluss in einem weiteren Beschluss, und entgegen der gesetzlich geregelten Ausnahme der Sachentscheidung, „die volle Rechtskontrolle, die (. . .) sonst, wenn eine Berufung durch Urteil abgewiesen und die Revision nicht zugelassen wird, über den dornenreichen Weg der Nichtzulassungsbeschwerde erstens erstritten und zweitens begründet werden müsste“, einzuräumen, ist weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Gesetzestextes zu vereinbaren.32 c) Angleichung des § 522 Abs. 2 an Abs. 1 Im weiteren Verlauf der Begründung des Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion wurde zudem die wünschenswerte Gleichstellung von § 522 Abs. 2 mit Abs. 1 auch hinsichtlich des Rechtsmittels aufgeführt.33 Wie bereits die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Differenzierung der Absätze hinsichtlich der Rechtsmittel aufgezeigt hat, bestehen zwischen den Absätzen Unterschiede, die auch rechtsmitteltechnisch eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.34 Eine Notwendigkeit der Gleichstellung ist an dieser Stelle lediglich hinsichtlich einer generellen Rechtsmittelfähigkeit beider Absätze zu bejahen, aber nicht darüber hinausgehend hinsichtlich einer Übereinstimmung des Rechtsmittels selbst. Die Sache befindet sich je nach Einschlägigkeit des Absatzes in einem anderen Verfahrensabschnitt. Bei Verwerfungsbeschlüssen nach Abs. 1 werden lediglich die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung geprüft, während eine inhaltliche Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils nicht stattfindet. Bei einem Zurückweisungsbeschluss nach Abs. 2 hingegen findet eine inhaltliche Prüfung der Sache statt, die „in ihrer Intensität der sonstigen Berufungsprüfung in nichts nachsteht“35 und somit der in Abs. 1 erfolgten Prüfung nicht vergleichbar ist.36 31 32 33 34 35 36

Gehb, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22444 ff. So Gehb, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22444 ff. BT-Drucks. 16/11457, S. 5 ff. Vgl. hierzu Kapitel 2, S. 110 ff. Gehb, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22444 ff. Zypries, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22448 f.

B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber

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Eine rechtsmitteltechnische Angleichung der Absätze ist daher weder notwendig noch geboten. d) Zwischenergebnis Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass das Ziel des Gesetzentwurfs, „die unterschiedliche Handhabung von § 522 Abs. 1 und Abs. 2 zu ändern, durch die Einführung des Rechtsmittels der Rechtsbeschwerde“37 nicht optimal zu erreichen ist.38 Zwar ermöglicht es dem Rechtsmittelführer eine Überprüfung und schafft auch die erwünschte „fleet in being“ in Form des BGH, allerdings in einem Rahmen, der den Wunsch nach Beschleunigung und justizieller Effizienz ad absurdum führt. Insoweit ist dieser Gesetzentwurf zu Recht abgelehnt worden und kommt für eine Lösung des Problems nicht in Betracht.

II. Referentenentwurf v. 18.11.2010 Nach dem abgelehnten Gesetzentwurf der FDP-Fraktion kam es am 21.10.2010 zu einer kleinen Anfrage der Grünen an die Bundesregierung betreffend § 522 Abs. 2.39 Die Antwort der Bundesregierung kündigte daraufhin die „zeitnahe“ Vorlage eines Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Änderung von § 522 an.40 Dieser Referentenentwurf v. 18.11.2010 wurde vom Bundesjustizministerium am 24.11.2010 vorgestellt und sieht nunmehr die Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde als Rechtsbehelf vor, sowie einige andere Änderungen, die im Einzelnen zu untersuchen sind. Hierdurch würde für Beschlüsse nach § 522 Abs. 2 dieselbe Anfechtungsmöglichkeit wie für zur Revision nicht zugelassene Urteile bestehen. 1. Änderungsvorschläge des Referentenentwurfs Der Referentenentwurf sieht folgende Änderungen vor: (1) Abs. 2 wird wie folgt geändert: (a) Satz 1 wird wie folgt gefasst: „Das Berufungsgericht hat die Berufung durch einstimmigen Beschluss unverzüglich zurückzuweisen, wenn es davon überzeugt ist, dass 37 38 39 40

So der Wunsch Dyckmans, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22442 f. Ergebnis der Bundesregierung in BT-Drucks. 17/3517, S. 19. BT-Drucks. 17/3351. BT-Drucks. 17/3517, S. 20.

144

Kap. 4: Lösungsansatz

1. die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, 2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, 3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und 4. eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist.“ (b) Folgender Satz wird angefügt: „Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.“ (2) Abs. 3 wird wie folgt gefasst: „Gegen den Beschluss steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte.“ Die hierauf erfolgten Stellungnahmen sind unterschiedlicher Art und schlagen abweichende Änderungsmöglichkeiten des Gesetzes vor.41 Die Bundesrechtsanwaltskammer schickt ihrer Stellungnahme zu den vorgeschlagenen Änderungen der Norm eine erneute Prüfung der Frage der Notwendigkeit des § 522 allgemein voraus.42 Diese Notwendigkeit wird verneint und für die Abschaffung der Norm im Ganzen unter Bezugnahme der zum Gesetzentwurf der FDP-Fraktion ergangenen Stellungnahme plädiert.43 Diese Einschätzung begründet die BRAK mit der nur geringen Mehrbelastung, die eine Urteilsentscheidung in allen Fällen verursachen würde, sowie dem zusätzlichen Aufwand der sich „einbürgernden Anhörungsrüge gem. § 321a“.44 Zudem wird anstelle dessen die Möglichkeit aufgeführt, einen gerichtlichen Hinweis zu erlassen, der zur Zurücknahme der Berufung rät und der „in sehr vielen Fällen, wie die Erfahrungen zeigen, dazu führe, 41 Vorliegend werden die Stellungnahmen der BRAK, des DRB und des DAV untersucht. 42 Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, www. brak.de (Stellungnahmen). 43 Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 3, www. brak.de (Stellungnahmen) mit Bezug auf Stellungnahme der BRAK, Nr. 5/2009. 44 Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 3, www.brak.de (Stellungnahmen); vgl. hierzu Vollkommer, in: FS Musielak, 2004, S. 619 (S. 619 ff.), der zu einer anderen Einschätzung kommt.

B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber

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dass die betroffene Partei, beraten durch ihren Anwalt, Einsicht zeigt und der Rücknahme der Berufung zustimmt“.45 Lediglich für den Fall der Beibehaltung des Beschlussverfahrens wird „die Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde“ begrüßt und werden einige Änderungsvorschläge unterbreitet. Die Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins46 schließt sich dem Wunsch nach einer Abschaffung des § 522 Abs. 2 und Abs. 3 an. Dies mit der Begründung, dass ein Einsparungseffekt nicht zu erkennen und der eingetretene Beschleunigungseffekt nicht auf die Beschlusszurückweisung zurückzuführen sei. Im Gegenteil trete eine „Verlängerung des Berufungsverfahren dadurch ein, dass der Berichterstatter nicht durch den anberaumten Verhandlungstermin zeitlich unter Druck gesetzt ist“.47 Die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes hingegen bezieht zu dieser Frage keine Stellung anhand der folgenden Änderungsvorschläge kann jedoch im Umkehrschluss auf den Wunsch der Erhaltung der Norm geschlossen werden. 2. Der Referentenentwurf im Detail Begründet wird die generelle Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde vor allem mit dem Wunsch nach einer einheitlichen Rechtsmittelhandhabung für Zurückweisungsbeschlüsse mit einer Beschwer über 20.000 Euro. Sie sind damit in ihrer Anfechtbarkeit dem Berufungsurteil ohne Revisionszulassung gleichgestellt.48 Hierzu sei angemerkt, dass durch die Verneinung von § 522 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 inzident auch eine Zulassung der Revision abgelehnt wird, weil die Voraussetzungen wie oben bereits erwähnt insoweit die der Revision sind. a) Einfügen einer Nr. 4 in § 522 Abs. 2 S. 1 Die Einfügung der Nr. 4 soll zum Schutz des Berufungsführers künftig die einstimmige Feststellung erfordern, dass die Sache keiner mündlichen Verhandlung bedarf, bevor durch Zurückweisungsbeschluss entschieden 45 Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 4, www.brak.de (Stellungnahmen). 46 Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, www. anwaltsverein.de. 47 Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 3, www.anwaltsverein.de. 48 Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 7.

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Kap. 4: Lösungsansatz

werden darf.49 Die Formulierung wird dabei an § 130a S. 1 VwGO angelehnt, der lautet: „Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.“

aa) Begründung Die Nichterforderlichkeit der mündlichen Verhandlung nach einstimmigem Dafürhalten des Berufungsgerichts, so heißt es im besonderen Teil der Begründung des Referentenentwurfs, soll eine Terminierung der Sache auch bei Rechtsmitteln ohne Aussicht auf Erfolg ermöglichen, wenn dies aus anderen Gründen angezeigt erscheint. Insbesondere dann, wenn die Rechtsverfolgung für den Berufungsführer existenzielle Bedeutung hat (z. B. in Arzthaftungssachen) oder wenn das Urteil erster Instanz zwar im Ergebnis richtig, aber unzutreffend begründet ist, soll ein anerkennenswertes Bedürfnis bestehen, mündlich zu verhandeln, auch wenn das Rechtsmittel aussichtslos und eine Revision mangels Grundsatzbedeutung nicht zuzulassen ist. Der Berufungsführer kann die Gründe für eine erforderliche mündliche Verhandlung bereits in der Berufungsbegründung oder aber als Reaktion auf einen Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 S. 2 vortragen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung anregen.50 bb) Stellungnahme BRAK Die Einführung einer mündlichen Verhandlung auch für den Fall einer aussichtslosen Sache wird dahin gehend kritisiert, dass keine abstrakte Definition der Gründe für eine solche Terminierung aus der Entwurfsbegründung des Gesetzes hervorgehe, sondern lediglich eine Erläuterung anhand von Beispielen stattfindet, so dass Probleme in der praktischen Handhabung dieser Ausnahmevorschrift zu erwarten seien.51 cc) Stellungnahme DAV Auch der DAV sieht praxisbezogene Probleme in dem vorgesehenen Kriterium der Nichterforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung. Trotz einer 49

Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 7 und S. 9. Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 9. 51 Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 5, www.brak.de (Stellungnahmen). 50

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rechtlich richtigen erstinstanzlichen Entscheidung gebe es Situationen, die unter Einbeziehung sonstiger Interessen der Parteien eine einvernehmliche Lösung nahelegen.52 Diese Wahrscheinlichkeit der Herbeiführung einer vergleichsweisen Beilegung des Rechtsstreits und die Erreichung einer möglichst hohen Akzeptanz des gerichtlichen Verfahrens sprächen für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch bei einer scheinbar aussichtslosen Berufung.53 Hierzu wird eine andere Gesetzesformulierung der Nr. 4 n. F. vorgeschlagen: „. . . eine mündliche Verhandlung nicht zweckmäßig ist.“ Zudem fordert der DAV die Einführung eines weiteren Elements, nämlich die Einführung eines Antrags auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung,54 dem das Berufungsgericht Folge leisten muss und schlägt folgenden Gesetzeswortlaut als neuen § 522 Abs. 2 S. 3 bis S. 5 vor: „Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss in Abs. 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Stellt der Berufungsführer innerhalb der Stellungnahmefrist Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung, ist gem. § 523 ZPO Termin zu bestimmen.“55

Für eine solche Antragsmöglichkeit spräche laut DAV die Reichweite der Nichtzulassungsbeschwerde, die nur die beiden Revisionszulassungsgründe erfasst, „nicht aber die schlichte Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung sowie eine etwa ergänzende Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht rügen“ kann.56 Der Antrag bilde lediglich eine Möglichkeit und müsse nicht gestellt werden, der Berufungsführer könne sich auch auf eine schriftliche Stellungnahme ohne Antragsstellung beschränken. Komme es zudem aufgrund des Antrags zu einer mündlichen Verhandlung, so könne diese zur einvernehm52 Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 4, www.anwaltsverein.de; so auch Trimbach, in: NJW 2009, 401 (405). 53 Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 4, www.anwaltsverein.de. 54 Dahingehende Überlegungen scheint es bereits im Juli 2010 auf der von der Universität Hannover veranstalteten Podiumsdiskussion gegeben zu haben, vgl. Reinelt, in: NJW 2010, Editorial Heft Nr. 44; Ähnlichkeit gibt es auch mit § 72Abs. 1 OWiG, der allerdings mit Widerspruch statt Antrag arbeitet. 55 Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 5, www.anwaltsverein.de. 56 Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 5, www.anwaltsverein.de.

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Kap. 4: Lösungsansatz

lichen Regelung des Rechtsstreits genutzt werden. Zudem verbleibe aufgrund des Hinweises gem. § 522 Abs. 2 S. 2 „der Vorteil einer kostengünstigeren Beendigung der Berufungsrechtszuges durch Rücknahme“ derselbigen nach Hinweiserteilung. Des Weiteren läge hierin ein wirksamer Filter, der vor der Nichtzulassungsbeschwerde das Revisionsgericht entlaste.57 Die Erfahrung zeige zudem, dass ein Rechtsgespräch sich eher dazu eigne, Gründe zu vermitteln als ein lediglich schriftliches Verfahren und sowohl Richterschaft als auch Anwaltschaft „ohnehin die Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung, die sich im Rahmen einer mündlichen Verhandlung ergeben können“, bevorzugen.58 Zudem werde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung jenseits der Revisionszulassungsgründe „auf Antrag hin zu mehr Einzelfallgerechtigkeit führen“. dd) Stellungnahme Deutscher Richterbund Der Deutsche Richterbund begrüßt die Entscheidung des Referentenentwurfs für eine Rechtsmittellösung gegen die Rechtsbeschwerde und für die Nichtzulassungsbeschwerde.59 Die Änderungsvorschläge des Referentenentwurfs werden weder zu § 522 noch zu § 26 Nr. 8 EGZPO oder der Einführung einer Übergangsregelung aufgegriffen, sondern lediglich ergänzende Änderungen vorgeschlagen.60 ee) Eigene Stellungnahme Die vorliegende Diskussion über die Änderungsvorschläge des Referentenentwurfs an der Norm hinsichtlich der mündlichen Verhandlung verdeutlicht die Vielfältigkeit der Meinungen zu § 522, und sie ist auch mit Blick auf die betroffenen Fälle, die zur Zeit allein bei den Oberlandesgerichten ca. 8.000 betragen, die zusätzlich mündlich verhandelt werden müssten, von Bedeutung.61 57 Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 5, www.anwaltsverein.de. 58 Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 5 f., www.anwaltsverein.de. 59 Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 56/10, www.drb.de. 60 Die vorgeschlagenen Änderungen finden sich unter dem Gliederungspunkt „Zusätzliche Änderungspunkte, S. 214 f. 61 Schultz, in: Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 16 (S. 16), www.brak.de (Stellungnahmen).

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Eine mündliche Verhandlung sieht § 522 in seiner jetzigen Fassung gerade nicht vor. Und genau darin „liegen auch die Verfahrensbeschleunigung und die Konzentration der Arbeitskraft der Richter auf substanzvolle Berufungen“, welche Anliegen der ursprünglichen ZPO-Reform waren.62 Auf dieses Bedürfnis der Berufungsgerichte, „nicht in allen Fällen wertvolle Arbeitskraft auf Terminsabstimmung zu verwenden“, weist auch Schultz hin und erklärt es als „nicht von der Hand zu weisen“.63 Die eigentliche Prüfung der Berufung findet in der gleichen Intensität statt wie eine im Urteil ergehende Berufung, was auch von den Kritikern64 des § 522 angeführt wird.65 Es handelt es sich nämlich gerade nicht um eine summarische Prüfung. Daher sind die Forderungen nach der Einführung einer mündlichen Verhandlung abzulehnen. Die weitestgehende Form der Änderung, die Einführung der mündlichen Verhandlung auf Antrag des Berufungsführers, nimmt dem Gericht faktisch die Anwendung des § 522 aus den Händen und würde damit die gesetzgeberische Bestimmung leer laufen lassen. Die gewollte Beschleunigung würde ins Gegenteil verkehrt, da damit zusätzlich zu dem Hinweisbeschluss und der darauffolgenden Stellungnahme ein Antrag, dessen Bearbeitung sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verbunden wären. Die in der Stellungnahme des DAV erwähnte Möglichkeit, dass der Berufungsführer nach Hinweisbeschluss statt des Antrags auf Durchführung der mündlichen Verhandlung eine Rücknahme der Berufung durch seinen Anwalt veranlasst, ist Spekulation und wird voraussichtlich in den seltensten Fällen zutreffen. Die Berufungen werden beim Landgericht oder beim Oberlandesgericht eingelegt, so dass hier Anwaltszwang herrscht. Würde der Anwalt davon ausgehen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, so hätte er seinem Mandanten bereits von der Berufung abgeraten. Der Hinweisbeschluss wird also höchstens Argumente des Gerichts enthalten, die sowohl der Mandant als auch sein Anwalt nicht teilen, es sei denn, man 62 BT-Drucks. 14/4722, S. 58; mit Hinweis bei Schultz, in: Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 16 (S. 16 f.), www.brak.de (Stellungnahmen). 63 Schultz, in: Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 16 (S. 16), www.brak.de (Stellungnahmen); vgl. auch Rensen, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 456. 64 Zum Arbeitsaufwand Reinelt, in: ZRP 2009, S. 203 (S. 203 f.). 65 Vgl. ebenso Trimbach, in: NJW 2009, S. 401 (S. 404).

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Kap. 4: Lösungsansatz

unterstellt dem Anwalt, diese Aspekte des Falls nicht gesehen zu haben. Da dies eher unwahrscheinlich ist, wird der Anwalt auch meist nicht zu einer Rücknahme des Rechtsmittels raten. Indiz hierfür ist der relativ geringe Anstieg der Rücknahme der Berufungen selbst nach Hinweisbeschluss unter Geltung der alten Fassung des § 522 Abs. 2 und Abs. 3. Die Notwendigkeit zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Vorzug zu einem schriftlichen Verfahren, abgesehen von der Akzeptanz, kann auch nur in einem neuen nicht schriftsätzlichen Vorbringen oder der Klärung bestimmter Tatsachen die der mündlichen Verhandlung vorbehalten sind liegen. In dem Fall, in dem jedoch in der mündlichen Verhandlung keine Neuigkeiten im Vergleich zum schriftlichen Verfahren vorgebracht werden, gibt es keine Vorteile der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Entscheidungsfindung des Gerichts. Das Verlangen des Referentenentwurfs die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch ohne die Aussicht des Rechtsmittels auf Erfolg aus anderen Gründen zu ermöglichen, insbesondere an der existenziellen Bedeutung der Sache selbst festzumachen, ist abzulehnen. Hierdurch wird ein Beurteilungsspielraum des Gerichts durch Einführung eines unbestimmten Rechtsbegriffs auf Tatbestandsseite erschaffen, der in seinen Grenzen nur schwammig umrissen ist und damit die Gefahr birgt, die Diskussion über die Ungleichbehandlungen und Fehlinterpretationen der Normvoraussetzungen in der neuen Nr. 4 fortzusetzen. Es ist zu erwarten, dass auch von dieser Regelung regional unterschiedlich Gebrauch gemacht wird und damit das Ziel der Gesetzesänderung, nämlich mehr Rechtssicherheit zu erreichen, konterkariert wird. Zudem handelt es sich um ein Rechtsmittel ohne Aussicht auf Erfolg. Dem Rechtsmittelführer wird trotz der ausdrücklichen Annahme der Erfolglosigkeit die Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung eingeräumt, die ihm den Eindruck vermittelt, er habe Erfolgsaussichten. Dies kann jedoch nicht mehr mit einer erhöhten Akzeptanz einer Rechtsprechung nach durchgeführter mündlicher Verhandlung gerechtfertigt werden, sondern erscheint eher als eine Verhöhnung des Rechtsmittelführers und erfüllt auch nicht mehr die oben diskutierten Kriterien einer Rechtsmittelnotwendigkeit. Daher ist von einer solchen Ausnahmeregelung Abstand zu nehmen. Hingegen ist gegen das Einfügen einer Nr. 4 in § 522 Abs. 2 S. 1 im Wortlaut des Referentenentwurfs mit einer anderen Begründung nichts einzuwenden.

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Allerdings sollte dies im Ergebnis an der Handhabung des § 522 Abs. 2 nichts ändern. Denn auch nach dem bisherigen Rechtsstand sollte bei der Bejahung der Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung ein Vorgehen nach § 522 Abs. 2 nicht erfolgen. Die Einführung dieses Kriteriums kann jedoch helfen, dies auch durch den Wortlaut der Norm vor Augen zu führen und mithin den bewussten Umgang mit der Norm zu unterstützen. b) Geänderte Formulierung des Rechtsfolgenausspruchs in Abs. 2 S. 1 Die nunmehr gewählte Formulierung „hat . . . zurückzuweisen“ ersetzt die bisherige Formulierung „weist zurück“. aa) Begründung Die Änderung des Wortlauts soll den zwingenden Charakter der Norm unterstreichen und zeigen, dass dem Berufungsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 2 S. 1 Nr. 1–4 n. F. kein Ermessensspielraum zusteht.66 bb) Stellungnahme BRAK Die Stellungnahme der BRAK bemängelt die fehlenden Ausführungen zur Notwendigkeit der Änderung des Wortlauts. Vermutet wird, dass der Neufassung die teilweise berechtigte Annahme zugrunde liegt, dass einige Berufungsgerichte die Vorschrift nicht anwenden. Hierbei bleiben laut BRAK die Auswirkungen, die sich aufgrund der Änderung für die Berufungsgerichte und damit auch möglicherweise für den BGH ergeben, unklar. cc) Stellungnahme DAV Auch die Stellungnahme des DAV nimmt Bezug auf die uneinheitliche Handhabung der Vorschrift, hält jedoch den Ansatz des Entwurfs, dieser durch Unterstreichen des zwingenden Charakters der Norm entgegenzuwirken, für falsch und ungeeignet. Anknüpfend an den Vorschlag zur mündlichen Verhandlung schlägt der DAV vor, „entsprechend der Rechtswirklichkeit § 522 Abs. 2 ZPO zu einer fakultativ anwendbaren Norm umzugestalten, um auch dann mündlich verhandeln zu können, wenn das Rechtsmittel auf erste Sicht als aussichtslos erscheint und eine Revision nicht zuzulassen ist.“ 66

Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 9.

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Kap. 4: Lösungsansatz

dd) Eigene Stellungnahme Diese deklaratorische Klarstellung des Gesetzgebers über den zwingenden Charakter der Norm, die keinerlei Spielraum für eine Ermessensausübung der Berufungsgerichte lässt, muss in dem Licht der bisherigen Anwendung der Norm und der damit verbundenen Streitigkeiten gesehen werden.67 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass sich nach dieser Gesetzesänderung auch die Ausgangslage ändern würde. Das Problem des Zugestehens eines Ermessensspielraums bestand bisher darin, dass das Berufungsgericht bei Annahme eines Ermessens entweder durch Urteil oder Beschluss entscheiden könnte.68 Damit verbunden wäre einerseits bei der Entscheidung durch Urteil das Rechtsmittel der Revision oder zumindest der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Nichtzulassung, andererseits die Unanfechtbarkeit der Beschlussentscheidung. Hierdurch bestünde die Gefahr der Entziehung des gesetzlichen Richters im Falle eines zugestandenen Ermessens.69 Durch die Gesetzesänderung bestünde aufgrund der Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde Gleichlauf zwischen dem Beschluss und dem die Revision nicht zulassenden Urteil, so dass die Möglichkeit eines verfassungsrechtlichen Konflikts nicht vorläge. Möglich wäre dann aber auch die Einführung einer „Kann-Bestimmung“.70 Für die Einführung eines solchen Ermessens spricht der Vergleich mit den ähnlich gestalteten Vorschriften § 153 Abs. 4 SGG und § 130a VwGO, die beide dem Berufungsgericht einen Ermessensspielraum einräumen. Da sich der Referentenentwurf an § 130a VwGO orientiert, soll hier einmal ein Blick auf die Ermessensregelung dieser Norm geworfen werden. § 130a VwGO räumt dem Berufungsgericht sogar zweierlei Ermessen ein, zum einen hinsichtlich der Frage, ob die Durchführung einer mündlichen Verhandlung für erforderlich gehalten wird, zum anderen bei der Frage nach einem generellen Vorgehen nach § 130a VwGO, wenn alle Voraussetzungen des § 130a VwGO vorliegen.71 67 68 69 70 71

Reinelt, in: ZRP 2009, S. 203 (S. 204 f.); vgl. Kapitel 1, S. 44 ff. Vgl. Kapitel 2, S. 136 ff. Vossler, in: MDR 2008, S. 722 (S. 723). Vgl. Kapitel 1, S. 44 f. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 130a, Rn. 45.

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Diese Ermessensentscheidung hinsichtlich der Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren zieht faktisch beide Ermessensentscheidungen zu einer zusammen und ist im Revisionsverfahren hinsichtlich der Ermessensentscheidung, die mündliche Verhandlung für nicht erforderlich zu halten, auf einen Ermessensfehlgebrauch hin überprüfbar.72 Damit bestünde die Möglichkeit einer Terminierung trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 522, u. a. bei dem Wunsch nach einer Vergleichsherbeiführung trotz Aussichtslosigkeit der Berufung oder einer existenziellen Bedrohung.73 Dies würde die Voraussetzung für eine flexiblere Handhabung der Norm auf Rechtsfolgenebene schaffen.74 Allerdings bestünden die Bedenken, die hinsichtlich der Einführung eines neuen unbestimmten Rechtsbegriffs auf Tatbestandsebene geäußert wurden auf Rechtsfolgenebene fort. Ein Ermessensspielraum birgt in besonderem Maße die Gefahr einer nicht adäquaten und regional unterschiedlichen Handhabung der Vorschrift. Trotz verfassungsrechtlicher Vertretbarkeit der Formulierungsänderung sollte sich daher gegen eine Ermessensentscheidung und für eine Klarstellung des Wortlautes entschieden werden, wie es der Referentenentwurf vorschlägt. c) § 522 Abs. 2 S. 4 n. F. Der neu einzufügende S. 4 erwartet eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen. aa) Begründung Durch die Bezugnahme soll der notwendige Inhalt der zukünftig anfechtbaren Zurückweisungsbeschlüsse ergänzt werden. Diese Ergänzung geschieht mit Blick auf § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, der ebendies für den Inhalt des Berufungsurteils normiert. „Aus dieser Bezugnahme müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung für den Bundesgerichtshof zweifelsfrei ergeben.“ Die Regelung entlastet das Berufungsgericht bei der Ur72

Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 130a, Rn. 45. Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 4, www.anwaltsverein.de; Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 9. 74 Vgl. hierzu OLG Koblenz, OLG Koblenz v. 20.2.2003, 10 U 883/02, NJW 2003, S. 2100 (S. 2101). 73

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Kap. 4: Lösungsansatz

teilsabfassung, da sie lediglich die Darstellung geänderten oder ergänzenden und vom erstinstanzlichen Urteil abweichenden Vorbringens erforderlich macht und im Übrigen eine Bezugnahme auf die erstinstanzlichen Feststellungen ermöglicht.75 Dies jedoch für den Zurückweisungsbeschluss mit Blick darauf, dass das Berufungsgericht bei der Entscheidung im Beschluss „in der Regel keine Änderungen oder Ergänzungen der erstinstanzlichen Feststellungen“ vorgenommen hat, sondern lediglich Veranlassung hatte, „eine Klarstellung der tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung des Rechtsstreits vorzunehmen. Dies soll dem Berufungsgericht nicht durch eine zu enge Fassung des Gesetzes verwehrt werden“.76 bb) Stellungnahme BRAK Die Stellungnahme der BRAK kritisiert die Formulierung des § 522 Abs. 2 S. 4 n. F. „ein anfechtbarer Beschluss“, welcher von der Regelung für Urteile in den §§ 540 und 313a, 313b insofern abweicht, als die in den beiden letztgenannten Vorschriften gewährten Erleichterungen nur in dem Fall gelten, in dem ein Rechtsmittel „unzweifelhaft nicht zulässig ist“. Diese Voraussetzung sei indes für Zurückweisungsbeschlüsse ebenso angebracht. Daher spreche alles dafür, die Vorschrift des § 540 ZPO für entsprechend anwendbar zu erklären. Der anzufügende Satz könnte dann lauten: „Im Übrigen gilt für den Beschluss nach Satz 1 § 540 Abs. 1 Nr. 1 Abs. 2 entsprechend.“ Damit wäre auf kürzestmögliche Art zum Ausdruck gebracht, dass die § 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, §§ 313a und 313b ZPO gelten. Die Formulierung „ein anfechtbarer Beschluss“ lasse die Entstehung von Missverständnissen befürchten, wenn § 522 Abs. 3 ZPO zwar die Anfechtbarkeit einführt, sie aber davon abhängig macht, ob eine außerhalb der ZPO geregelte Voraussetzung (§ 26 Nr. 8 EGZPO) erfüllt ist. Der Stellungnahme der BRAK ist in dem vorliegenden Fall zuzustimmen und der Referentenentwurf um diesen Satz zu ergänzen.

75 Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 9; so auch Ball, in: Musielak, ZPO, § 540, Rn. 2 f. 76 Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 9.

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d) Streichung des § 522 Abs. 3 a. F. und Einfügung eines neuen Abs. 3 Der neue Abs. 3 führt gegen den Zurückweisungsbeschluss das Rechtsmittel ein, das statthaft wäre, wenn die Entscheidung durch Urteil ergangen wäre. aa) Begründung Die Rechtsmitteleinführung orientiert sich bezüglich der Wortwahl des Gesetzestextes an § 130a S. 2 VwGO i. V. m. § 125 Abs. 2 S. 4 VwGO, auf den § 130a S. 2 verweist. § 125 Abs. 2 S. 4 lautet: „Gegen den Beschluss steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte.“

bb) Stellungnahme BRAK Die BRAK begrüßt die Gleichstellung des Zurückweisungsbeschlusses mit einem Berufungsurteil in § 522 Abs. 3 n. F. hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde. Die BRAK sieht in diesem Gleichlauf „einerseits die Bedeutung, dass sich die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung zwar nicht auf die Darlegung beschränken darf, die Berufung habe entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts doch Aussicht auf Erfolg“, andererseits aber auch die Folge, „dass mit der Nichtzulassungsbeschwerde vorgebracht werden kann, die Entscheidung des Berufungsgerichts – der nach § 522 Abs. 1 ZPO ergangene Beschluss – habe einen Obersatz zugrunde gelegt, der nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen (. . .) worin ein Zulassungsgrund von erheblicher Bedeutung liege.77 cc) Stellungnahme DAV und Deutscher Richterbund Außerhalb der Begrüßung der Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde äußerten sich der DAV und der DRB nicht zu Details der Einführung dieses Rechtsmittels.

77 BRAK, Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 5, www.brak.de (Stellungnahmen).

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Kap. 4: Lösungsansatz

dd) Eigene Stellungnahme Die Einführung eines Rechtsbehelfs gegen den Zurückweisungsbeschluss ist der eigentliche Schwerpunkt des Referentenentwurfs und stellt eine wichtige und erforderliche Änderung zur bisherigen Unanfechtbarkeit des § 522 Abs. 3 dar.78 Sie ermöglicht die Überprüfung der Entscheidung. In diesem Punkt stimmen auch die Stellungnahmen im Wesentlichen überein. Allerdings ist die Nichtzulassungsbeschwerde kein Rechtmittel in Bezug auf die Hauptsache, da nur die Rechtskraft des Urteils gem. § 544 Abs. 5 gehemmt wird, nicht jedoch der Devolutiveffekt eintritt.79 Dieser tritt erst ein, wenn das Revisionsgericht der Nichtzulassungsbeschwerde stattgibt und gem. Abs. 6 die Revision zulässt.80 Verfahrensrechtlich handelt es sich daher lediglich um ein auf die Nichtzulassung beschränktes Rechtsmittel, welches ab Einlegung die Rechtskraft des Urteils hemmt und damit bis zur Zurückweisung der Beschwerde der Einlegung des Rechtsmittels der Revision gleichgestellt ist.81 Mithin ist von einem Rechtsbehelf zu sprechen, der aber in der Schutzwirkung erst mal einem Rechtsmittel entspricht. Es wäre hinsichtlich des Wortlauts des Gesetzes daher dogmatisch präziser zu formulieren: „Gegen den Beschluss steht dem Berufungsführer der Rechtsbehelf zu, der zulässig wäre, wenn das Gericht durch ein die Revision nicht zulassendes Urteil entschieden hätte.“

Dies auch im Hinblick darauf, dass der Zugang zum eigentlichen Rechtsmittel, nämlich der Revision, nur durch die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ermöglicht wird. Die Möglichkeit, dass statt dem Beschluss ein die Revision zulassendes Urteil ergangen wäre, existiert aufgrund der übereinstimmenden Voraussetzungen in § 522 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 nicht.

78 Anders Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 522, Rn. 35, der sich für die Unanfechtbarkeit und gegen die die Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde ausspricht, da dies der Vernunft des Gesetzes widerspräche und zu einer Verfahrensverzögerung führe. 79 Heßler, in: Zöller, ZPO, § 544, Rn. 5; Ball, in: Musielak, ZPO, § 544, Rn. 2; Rimmelspacher, in: Mü/Ko, ZPO, vor § 511, Rn. 9. 80 § 544, Rn. 2; Ball, in: Musielak, ZPO, § 544, Rn. 2. 81 Heßler, in: Zöller, ZPO, § 544, Rn. 5, 13 ff.

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(1) Nichtzulassungsbeschwerde als geeigneter Rechtsbehelf Die Nichtzulassungsbeschwerde führt die Nichtzulassung der Revision und unter dieser Voraussetzung auch Nr. 2 und Nr. 3 der Voraussetzungen des § 522 einer Überprüfung durch das Revisionsgericht zu. Die Entscheidung hierüber ergeht durch Beschluss.82 Diese Kontrolle könnte Probleme der Anwendung beheben. Insbesondere die Verkennung der grundsätzlichen Bedeutung gem. § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, die auch in Anlegerschutzprozessen eine wichtige Rolle spielt, könnte damit korrigiert werden.83 Zudem eröffnet sie die Möglichkeit der Überprüfung von Berufungsurteilen, die auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten oder anderen schwerwiegenden Rechtsverletzungen beruhen und das Vertrauen in die Rechtsprechung mindern könnten.84 Gerade Nichtzulassungsbeschwerden, die „die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs“ rügen, nimmt der BGH außerordentlich ernst85 und wäre damit als iudex ad quem für die Übernahme der Kontrollfunktion und damit zugleich der Bildung einer „fleet in being“ prädestiniert. Das Anhörungsrügengesetz86 hat zudem dem BGH in „§ 544 Abs. 7 die Möglichkeit eingeräumt, auf die in einer Nichtzulassungsbeschwerde erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. (. . .) Die Verletzung des Verfahrensgrundrechts einer Partei auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Abs. 1 GG Revisionszulassungsgrund ist“ (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2).87 Allerdings liegt die Annahmequote von Nichtzulassungsbeschwerden unter 20 %. (2) Nichtzulassungsbeschwerde vs. Rechtsbeschwerde Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BGH als zuständiges Gericht form- und fristgerecht und begründet eingelegt, so wird nach Prüfung der Zulässigkeit eine Begründetheitsprüfung auf Grundlage des Beschwerdevorbringens unter Berücksichtigung des § 559 von Amts wegen hinsichtlich 82

Ullmann, in: WRP 2002, S. 593 (S. 596). Zu der Problematik bei Anlegerschutzprozessen vgl. Stackmann, in: NJW 2008, S. 1345 (S. 1346 ff.). 84 Ball, in: Musielak, ZPO, § 544, Rn. 2 mit Verweis auf § 543, Rn. 9 ff. 85 Reinelt, in: Bayerischer AnwaltBrief, November 2007, 1, vgl. auch www.bgh anwalt.de. 86 AnhRügG v. 9.12.2004, BGBl. I S. 3220. 87 Reinelt, in: Bayerischer AnwaltBrief, November 2007, 1, vgl. auch www.bgh anwalt.de; Ball, in: Musielak, ZPO, § 543, Rn. 8d. 83

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Kap. 4: Lösungsansatz

des Vorliegens der Voraussetzungen der Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 durchgeführt.88 Gibt das Revisionsgericht der Nichtzulassungsbeschwerde statt, so wird das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gem. § 544 Abs. 6 S. 1 als Revisionsverfahren fortgesetzt. Hierin liegt auch der Vorteil gegenüber der Rechtsbeschwerde. Ist die Nichtzulassungsbeschwerde hingegen allein der Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen begründet, so kann das Revisionsgericht aber auch abweichend von Abs. 6 S. 1 in einem Beschluss, der der Beschwerde stattgibt, das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen. Hierdurch käme es nicht zu der Eröffnung des Revisionsverfahrens. Ein solches Vorgehen hinsichtlich der untersuchten Voraussetzungen wird von Greger auch mit der Sprungrevision gem. § 566 verglichen, allerdings mit dem Hinweis, dass „das Überspringen der Berufungsinstanz hier nicht auf dem Willen der Parteien, sondern einem Rechtsirrtum des Berufungsgerichts“ beruhe.89 Eine Verfahrensverdoppelung, wie sie hinsichtlich der Rechtsbeschwerde erfolgt wäre, ist hier nicht zu befürchten.90 Zudem bleibt der Partei die abschließende Sachentscheidung des BGH in den meisten Fällen und bei Entscheidungsreife der Sache erhalten. Damit ist auch gesichert, dass eine Anwendung der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 nicht mehr willkürlich erfolgen kann. Mithin kann der Anwendungsproblematik über die Einführung dieses gegenüber der Rechtsbeschwerde systemgerechteren Rechtsbehelfs begegnet werden. e) Änderung weiterer ZPO-Vorschriften Der Referentenentwurf plant zudem die Änderung weiterer ZPO-Vorschriften, die der Vollständigkeit halber im Zusammenhang mit der Zulassung der Nichtzulassungsbeschwerde dargestellt werden sollen.

88 Vgl. zur Zulässigkeit Ball, in: Musielak, ZPO, § 544, Rn. 2; zur Begründetheit Ball, in: Musielak, ZPO, § 544, Rn. 25a. 89 Greger, in: Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 14 (S. 14), www.brak.de (Stellungnahmen). 90 Schultz, in: Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 38/2010, S. 16 (S. 19 f.), www.brak.de (Stellungnahmen).

B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber

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aa) Änderung des § 26 Nr. 8 EGZPO Die zeitlich begrenzte Geltung des § 26 Nr. 8 EGZPO soll um zwei Jahre verlängert werden, also bis zum 31.12.2013 gelten. Die Verlängerung der Geltung des § 26 Nr. 8 EGZPO, der die Nichtzulassungsbeschwerde als Rechtsmittel gegen die Revision nicht zulassende Urteile nur bei Beschwerdewerten über 20.000 Euro eröffnet, soll weiterhin eine nicht weiter zunehmende Belastung der Zivilsenate des BGH garantieren.91 bb) Einfügen eines neuen § 38a EGZPO Zudem soll eine neue Vorschrift als Übergangsvorschrift erlassen werden, die klarstellt, dass ein Rechtsmittel nur gegen solche Zurückweisungsbeschlüsse gegeben ist, die nach Inkrafttreten des vorgeschlagenen Gesetzes erlassen werden. Damit wird eine rückwirkende Anwendung des § 522 Abs. 3 n. F. aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgeschlossen. Wird gegen einen vor Inkrafttreten des vorgeschlagenen Gesetzes gefassten Zurückweisungsbeschluss eine Anhörungsrüge gem. § 321a eingelegt, so begründet dies nur dann die Anfechtbarkeit des Beschlusses, wenn das Berufungsgericht nach Inkrafttreten einen weiteren neuen Beschluss erlässt.92 f) Zusätzliche Änderungsvorschläge aa) Änderungsvorschläge des Deutschen Richterbundes Der DRB hat zudem einige zusätzliche Änderungsvorschläge in seiner Stellungnahme aufgeführt, die einer Untersuchung zugeführt werden sollen. (1) Fristgemäßer Widerspruch gegen den Zurückweisungsbeschluss Der DRB schlägt vor, dass die neue Fassung des Abs. 2 S. 2 dahin gehend ergänzt wird, dass nur dem Berufungsführer die Nichtzulassungsbeschwerde als Rechtsbehelf zusteht, „der dem Hinweis nach Abs. 2 S. 2 fristgemäß widersprochen hat“.93 91

Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 11. Referentenentwurf v. 24.11.2010, S. 11. 93 Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 56/10, S. 3, www. drb.de. 92

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Kap. 4: Lösungsansatz

Hierdurch soll vermieden werden, dass ein Berufungsführer auf den erforderlichen Hinweisbeschlusses des Berufungsgerichts nicht reagiert, wohl aber zugleich nach erfolgtem Zurückweisungsbeschluss Nichtzulassungsbeschwerde erhebt und damit einen „nicht ganz unbeträchtlichen Mehraufwand“ des Berufungsgerichts verursacht. Zudem wird in der vorgeschlagenen Regelung kein Rechtsverlust für den Berufungskläger gesehen, wenn die Anfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses „davon abhängig gemacht würde, dass der Berufungskläger der angekündigten Zurückweisung durch Beschluss fristgemäß widersprochen hat“.94 Dem ist zuzustimmen. Mit der Einführung eines fristgemäßen Widerspruchs ist eine Anforderung vorgeschaltet, die das Verfahren beschleunigt, indem sie den Berufungsführer zu schnellstmöglichem Vortrag hinsichtlich eventuell gegen einen Zurückweisungsbeschluss bestehender Bedenken zwingt. Zudem führt sie bei ordentlicher Prozessführung auch nicht zu einem Rechtsverlust. Der Referentenentwurf ist daher um die Regelung zu erweitern. (2) Vorläufige Vollstreckbarkeit des Beschlusses Zudem regt der DRB an, die Regelungen der vorläufigen Vollstreckbarkeit in vermögensrechtlichen Streitigkeiten gem. § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 aufgrund der vergleichbaren Interessenlage desjenigen, dem durch einen anfechtbaren Beschluss etwas zuerkannt wird, auch auf den nunmehr anfechtbaren Zurückweisungsbeschluss auszuweiten. Dies sei gerechtfertigt durch die nunmehr bestehende Anfechtbarkeit, da die Rechtskraft und damit verbunden die Vollstreckbarkeit des erstinstanzlichen Urteils nicht sofort eintreten. Hierzu wird eine Ergänzung des § 522 Abs. 3 um einen S. 2 n. F. vorgeschlagen: „Die §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO finden entsprechende Anwendung.“ Auch der Übernahme dieses Änderungsvorschlages ist zuzustimmen, da der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit als Ausgleich für die später eintretende Rechtskraft in einem Urteil erfolgt. Da nunmehr aufgrund des § 522 Abs. 3 ein Gleichlauf von Urteil und Beschluss hinsichtlich der Anfechtbarkeit besteht, ist eine vergleichbare Situation zu bejahen.

94 Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung, Nr. 56/10, S. 2 f., www. drb.de.

B. Änderung der Vorschrift durch den Gesetzgeber

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bb) Eigene Änderungsvorschläge Abschließend sind noch einige Änderungen in den Entwurf eines Gesetzes mit einzubeziehen. (1) Kumulative Vorlage aller Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Wie die Äußerungen in der Anhörung v. 5.3 200995 und auch der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion gezeigt haben, können die Beschlussvoraussetzungen des § 522 Abs. 2 leicht fehlinterpretiert werden.96 Im Zuge der Gesetzesänderung kann daher auch eine Änderung der Formulierung hinsichtlich der kumulativen Vorlage der Merkmale angeregt werden.97 Hierfür ist es ausreichend, nach jedem der Merkmale Nr. 1 bis Nr. 4 n. F. ein „und“ einzufügen. (2) Merkmal der mangelnden Erfolgsaussicht Zudem sollte eine Konsequenz aus den Ergebnissen der Untersuchung der Tat- und Rechtsfrage hinsichtlich des Merkmals der mangelnden Erfolgsaussicht gem. § 522 Abs. 2 Nr. 1 erfolgen. Dieses Problem wird auch nur unzulänglich durch die Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde behoben, da hier lediglich die Revisionsmerkmale Nr. 2 und Nr. 3 zur Beurteilung stehen.98 Probleme in der Anwendung der Norm können sich jedoch bereits gem. § 522 Abs. 2 Nr. 1 in Folge einer fehlerhaften Beurteilung der Tatfrage ergeben. Bei Zweifeln hinsichtlich der Tat- oder Rechtsfrage des erstinstanzlichen Urteils sollte nicht durch Zurückweisungsbeschluss entschieden werden, weil die Grundlage der Erfolgsaussicht nicht sicher feststeht. Diese Gefahr lässt sich dem § 522 jedoch nicht entnehmen. Daher sollte zur Vermeidung weiterer Anwendungsprobleme der Norm folgender Satz an § 522 Abs. 2 Nr. 4 n. F. angefügt werden: „. . . eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist, da die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils zweifelsfrei feststehen.“ 95

BT-Dr. 16/11457, S. 22442 ff. Reinelt, in: ZRP 2009, S. 203 (S. 206) mit Zitat der Rede von Jürgen Gehb, Plenarprotokoll 16/208 v. 5.3.2009, S. 22444 ff. 97 Reinelt, in: ZRP 2009, S. 203 (S. 204). 98 Mit ähnlichen Bedenken Stellungnahme des DAV, RA2-zu 3700/26-R1 744/2010, Nr. 73/2010, S. 4, www.anwaltsverein.de. 96

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Kap. 4: Lösungsansatz

III. Empfehlung an den Gesetzgeber Der Referentenentwurf stellt unter Berücksichtigung der vorgeschlagenen Änderungen eine wünschenswerte Gesetzesänderung des § 522 Abs. 2 und Abs. 3 dar. Die Entscheidung des Gesetzgebers, die Norm lediglich zu ändern und nicht abzuschaffen, erscheint angesichts eines durchaus berechtigten Anwendungsbereiches der Norm angemessen. Zudem ist der Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde gegenüber dem auch zur Verfügung stehenden Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde vorzugswürdig. Ein Vorschlag des Gesetzeswortlauts von § 522 Abs. 2 und Abs. 3 unter Berücksichtigung aller anzunehmenden vorgeschlagenen Änderungen könnte daher lauten: § 522 Abs. 2 „Das Berufungsgericht hat die Berufung durch einstimmigen Beschluss unverzüglich zurückzuweisen, wenn es davon überzeugt ist, dass 1. die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat und 2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und 3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und 4. eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist, da die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils zweifelsfrei feststehen. Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten. Im Übrigen gilt für den Beschluss nach Abs. 2 S. 1 § 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 entsprechend.“ § 522 Abs. 3 „Gegen den Beschluss steht dem Berufungsführer, der dem Hinweis nach Abs. 2 S. 2 fristgemäß widersprochen hat, der Rechtsbehelf zu, der zulässig wäre, wenn das Gericht durch ein die Revision nicht zulassendes Urteil entschieden hätte. Die § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO finden entsprechende Anwendung.“

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