Die Ziele der Geographie des Menschen [Reprint 2019 ed.] 9783486734744, 9783486734737

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Die Ziele der Geographie des Menschen [Reprint 2019 ed.]
 9783486734744, 9783486734737

Table of contents :
Einleitung
I.
Anmerkungen

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DIE Z I E L E DER

GEOGRAPHIE DES MENSCHEN

Von

Otto

Schlüter Berlin

München und Berlin Druck und Verlag von R. Oldenbourg lOOÜ

Dem Andenken

Ferdinands Freiherrn von Richthofen gewidmet.

s ist ein hoher Gedanke, den sich die geographische Wissenschaft unserer Tage zum Leitstern genommen hat, wenn sie es unternimmt, die Natur der Länder in der verschlungenen Wechselwirkung der sie aufbauenden Elemente zu erfassen. Den festen Erdboden, die Welt des Wassers, das Luftmeer, dazu die Gesamtheit des organischen Lebens einschließlich des Menschen mit der ganzen Fülle seiner Lebensäufserungen — das alles will sie in seinem ursächlichen Zusammenhang begreifen; sie will verstehen, wie eins das andere bedingt, wie alles sich dann zu einem Ganzen, zu Ländern und schliefslich zur Erdoberfläche überhaupt zusammenfügt. Ein grofses, weitgestecktes Ziel. Aber die Erdkunde gerät dabei in eine schwierige Lage. Mit fast allen anderen Wissenschaften tritt sie so in engere oder losere Beziehung, von allen entnimmt sie ihr Material, von allen wird sie auch in den Methoden abhängig. Da ist es nicht zu verwundern, wenn noch heute Manchem die Vorstellung fehlt, wie denn eine solche Wissenschaft etwas anderes sein könne als ein loses Haufwerk von Bruchstücken aller Art. Sie selbst hat ja lange genug ringen .müssen, bis sie sich über

die Kompilation entscheidend erhob, und die Gefahr, auf den tieferen Standpunkt zurückzusinken, droht noch heute beständig. Nicht einmal in den Grundanschauungen über Wesen und Aufgaben der Geographie ist bisher eine befriedigende Klarheit erzielt worden. Zwar der Streit um ihre Stellung und Eigenart hat sich mehr und mehr gelegt. In erfolgreicher Forscherarbeit hat die Geographie die Wege gefunden, die ihr eine freie Bewegung auf eigenem Grunde erlauben. Doch fehlt noch viel, dafs dies für alle Teile erreicht wäre. Manche Frage, welche die Idee dieser so überaus vielgestaltigen Wissenschaft anregt, harrt noch immer der Lösung. Nur die p h y s i s c h e Erdkunde hat sich bisher zu einem festen Standpunkt durchgerungen, der ihr Eigenart und fruchtbare Arbeit sichert; der andere Teil jedoch, die Geographie des Menschen und des Lebens überhaupt ermangelt noch sehr der sicheren Grundlage. Dort war es allen voran Ferdinand v. Richth o f e n , der mit seiner Leipziger Antrittsrede über die »Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie« (1883) den Sieg entschied und ein Programm aufstellte, das in seinen Grundzügen für die Folgezeit maisgebend geblieben ist. Über das Niveau einer blofsen Sammlung und Verbindung von Daten, die von anderen Seiten geliefert werden, erhob er die Geographie dadurch, dafs er sie auf ein anderes, gröfseres Forschungsobjekt wies. Nicht die Einzelerscheinungen, wie sie von den übrigen Naturwissenschaften bearbeitet werden, nicht die Gesteine, die Pflanzen, die Tiere bilden die Tatsachen der Geographie, die



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sie dann nur, zum Unterschied von der Mineralogie, Botanik und Zoologie in ihrem gemeinsamen Auftreten nach Ländern zu betrachten hätte, sondern das e i n e grofse Objekt der Erdoberfläche bezeichnet Gegenstand und Ziel des geographischen Forschens; die Erdoberfläche im körperlich erweiterten Sinn, wo sie die oberen Erdschichten, die Meere, die Atmosphäre und die Gesamtheit des Lebens mit umschliefst. Hiermit war der Geographie ein durchaus eigentümlicher Standpunkt gewonnen, der ihr von keiner anderen Seite streitig gemacht werden kann. Nur scheinbar bezieht sie sich auf die gleichen Gegenstände wie die Nachbarwissenschaften. In Wahrheit sind nicht die Gesteine ihr Objekt, sondern die Formen der festen Erdrinde, die Gebirge, die Ebenen, die Küsten; nicht die Pflanzen, sondern die Arten der pflanzlichen Bodenbedeckung, die Wälder, Steppen, Wüsten. Auf der so geschaffenen Grundlage hat sich das Verhältnis der physischen Erdkunde zu den übrigen Naturwissenschaften rasch geklärt. Die G e o g r a p h i e des M e n s c h e n dagegen fügte sich noch nicht ganz glücklich in das System ein, weder bei v. Richthofen selbst, noch anderwärts; und obgleich sie in den letzten Jahrzehnten ebenfalls entscheidende Fortschritte zu verzeichnen hat, so bildet doch ihre Stellung in der Erdkunde und ihr Verhältnis zu anderen Disziplinen nach wie vor den schwächsten Punkt in der geographischen Methodik. Freilich scheinen sich an dieser Stelle die Schwierigkeiten zu häufen. Hier, wo die gröfsten Gegensätze aneinandertreten, wo der Mensch, das

geistigste, beweglichste und am lebhaftesten sich fortentwickelnde Wesen mit der von mechanischen Gesetzen beherrschten Natur zur Einheit verbunden werden soll, hier spitzt sich die Frage, wie eine Geographie als in sich geschlossene Wissenschaft möglich sei, am schärfsten zu. Und doch wird das Bedürfnis, auch den Menschen im Zusammenhang der Geographie zu betrachten, durch deren Geschichte so unwiderleglich bewiesen, dals ein Ausscheiden des Menschen nicht ernstlich in Frage kommt. Das Problem der Geographie ist daher nicht gelöst, ehe nicht auch die Geographie des Menschen in das grofse Gebäude eingefügt, ehe nicht ihre Verschmelzung mit der physischen Erdkunde gelungen ist. Für die Anthropogeographie selbst aber bedeutet die Gewinnung eines festen Standpunktes geradezu eine Lebensfrage, ohne deren Lösung sie nie zu eigenen Aufgaben und zu wirklichem Daseinsrecht gelangen kann. Wenn wir hier versuchen die leitenden Gesichtspunkte der Geographie des Menschen darzulegen, so müssen wir uns von vornherein klar machen, dafs es sich niemals darum handeln kann, Grenzen zu ziehen. Die Grenze hat hier keine Bedeutung und es ist gänzlich unmöglich, sie in irgendeiner Weise grundsätzlich zu bestimmen. Wie weit wir die gegebenen Tatsachen in die geographische Betrachtung hereinziehen, das entscheidet sich immer nur von Fall zu Fall: nach dem vorhandenen Material, nach dem Zweck der Arbeit, nach der Fähigkeit, den Stoff im Sinne der Geographie zu gestalten. Das Einzige, was wir bestimmen können,



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das Einzige aber auch, was uns zu wissen not tut, das ist das Z i e l der geographischen Forschung. Wir müssen wissen, was wir erreichen wollen, dann folgt alles Übrige von selbst. Ist das Ziel erkannt, so bestimmt sich damit zugleich das Verhältnis zu den Nachbarwissenschaften; und alle die tausendfach sich kreuzenden Beziehungen, die jeder Grenzsetzung Hohn sprechen, sie können nichts an der selbständigen Eigenart einer Wissenschaft ändern, wenn die Idee feststeht, die das Verschiedene organisch vereinigt und in die gleiche Richtung weist. Durch sie gliedert sich auch innerhalb der eigenen Wissenschaft der Stoff; jetzt scheidet sich klar das, worauf die Forschung eigentlich gerichtet ist, von dem, was zur Erreichung dieses Zweckes dient. Denn nicht alles, was im Rahmen einer Wissenschaft zur Sprache kommt oder auch nur was ausführlicher behandelt wird, kann zu ihrem eigentümlichen Forschungsgebiet gerechnet werden; oft müssen fremde Dinge, auf die sich die eigene Untersuchung sonst niemals richten würde, zur Erklärung der Tatsachen in gröfserem oder geringerem Umfang herangezogen werden. Wenn daher auf solche Weise Ungeographisches in die Geographie hineingerät, so braucht uns das keine Sorge zu machen. Das d a r f nicht nur, es m u f s sogar so sein.1) Besonders auf menschlichem Gebiet ist das unumgänglich. Hat man sich doch z. B. veranlafst gesehen, zur Erklärung gewisser siedelungsgeographischer Erscheinungen die Kursschwankungen mittelalterlicher Münzen mit in Rechnung zu ziehen. Die deutlichste Vorstellung des Zieles erlaubt hier gerade die weitestgehende Duldung. Je schärfer wir jenes ins Auge fassen, desto weniger brauchen



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wir Grenzverletzungen zu besorgen, desto freier können wir uns bewegen. Mit der Erkenntnis des Zieles ist dann auch alles Übrige mehr oder weniger von selbst gegeben. Wissen wir, auf was sich die geographische Forschung richtet, so brauchen wir kein Wort darüber zu verlieren, dafs sie die Erscheinungen k a u s a l betrachten und zu g e n e t i s c h e n Anschauungen zu gelangen streben müsse. Das alles ergibt sich aus den allgemeinen Forderungen wissenschaftlichen Denkens. I. Offenbar kann auch bei der Geographie des Menschen die Aufgabe ebensowenig wie bei der physischen Erdkunde darin bestehen, dafs wir das, was die übrigen Wissenschaften an Ergebnissen zutage fördern, nach Ländern zusammenstellen. Es mufs ein Prinzip gefunden werden, das den unendlichen Stoff in innerlicher Weise nach dem Geiste der Geographie ordnet, woraus dann von selbst auch eine Auswahl, eine Beschränkung erwachsen wird. Wo haben wir nun dieses Prinzip der Organisation zu suchen? Für gewöhnlich lautet die Antwort auf diese Frage: wir betrachten in der Geographie nur diejenigen menschlichen Erscheinungen, die in e i n e m ursächlichen Zusammenhang mit der Landesnatur stehen. Seitdem Karl R i t t e r das alte Problem von dem Einflufs der Naturumgebung auf den Menschen und seine Schicksale als ein spezifisch geographisches in Anspruch genommen und mit den Mitteln der Erdkunde wesentlich gefördert hat, ist die Anschauung, dafs hier



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das eigentlich geographische Moment liege, innerhalb wie aufserhalb des Kreises der Fachvertreter ganz allgemein geworden; und fast ausnahmslos wird die Aufgabe der Geographie des Menschen in diesem Sinne bestimmt. Der Gesamtgeographie setzt man dann also zum Ziel, die Erde oder die Erdoberfläche2) zu erforschen und ihren Einflufs auf die Bewohner.3)4) Hiermit ist aber, wie man sieht, kein einheitlicher Gesichtspunkt gewonnen. Dem physischen Teil der Erdkunde wird ein körperlicher Gegenstand zur Erforschung zugewiesen, dem menschlichen dagegen ein Ursachenverhältnis. Auf die Art der ursächlichen Beziehungen zwischen den Erscheinungen läfst sich jedoch eine Einteilung der Wissenschaften nicht wohl gründen, da die Ursachen immer erst gesucht werden sollen, und nicht schon vorweggenommen werden können. Auch in unserm Fall entsteht auf solche Weise kein günstiges Verhältnis. Wollen wir den Einflufs der Natur auf den Menschen erforschen, so müssen wir a l l e menschlichen Lebensäufserungen in den Kreis der Betrachtung ziehen; denn wohl nicht e i n e läfst eine solche Einwirkung vermissen, mag deren Nachweis auch noch so schwierig sein. So wächst der Kreis von Tatsachen, mit denen es. die Geographie des Menschen zu tun haben würde, ins Unendliche. Aber alles dürften wir immer nur in der einseitigen Weise betrachten, die der leitende Gesichtspunkt vorschreibt. Wie leicht kann es da geschehen, dafs der methodische Leitsatz unter unseren Händen zu einem Dogma erstarrt, das uns veranlafst, überall Einwirkungen der geographischen Bedingungen zu suchen und zu finden, und uns



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so die Unbefangenheit gegenüber den Erscheinungen raubt 1 Genau das Umgekehrte müssen wir wünschen: Beschränkung im Gegenstand, aber gänzliche Freiheit und Unvoreingenommenheit in der Betrachtung. In Wahrheit richtet sich aber auch die Anthropogeographie durchaus nicht streng nach diesem Gedanken, den sie fast stets als ihr leitendes Prinzip hinstellt. Wo gibt es einen stärkeren und unmittelbareren Einilufs der Natur auf den Menschen, wo liegt diese Wirkung klarer am Tage als in der Malerei und Dichtung, soweit sie Landschaften schildern ? Indessen, mag man immerhin die Frage aufwerfen können, ob die Geographie nicht auch die Kunst in gewissem Umfang mit berücksichtigen solle, sicherlich wird sie ihr niemals nur annähernd die gleiche Aufmerksamkeit schenken wie anderen Erscheinungen, etwa den menschlichen Ansiedelungen. Die Geographie mufs also ihren Stoff doch wohl noch nach anderen Gesichtspunkten auswählen, und wir werden darum die Abhängigkeit des Menschen von der Natur zum mindesten nicht als ihr oberstes Prinzip anerkennen können. 6 ) Daneben aber gibt es noch einen z w e i t e n G e d a n k e n , der ebenfalls in der Methodik der Geographie immer wiederkehrt, und den man gewöhnlich als das leitende Prinzip für die g e s a m t e Geographie hinstellt. Er lautet: die Geographie betrachtet das r ä u m l i c h e N e b e n e i n a n d e r der Dinge, wie die Geschichtswissenschaften das zeitliche Nacheinander verfolgen. Das Unterscheidende läge dann also in der Methode. Die Gegenstände würde die Geographie mit einer Reihe von anderen Wissenschaften teilen; aber sie betrachtet alle nach ihrem



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räumlichen Auftreten und darin wäre das einigende Band zu erblicken. Dafs hierin das Eigentümliche der geographischen Anschauungsweise bestehe, gilt zumeist als völlig selbstverständlich. Gleichwohl ist auch hier das grundlegende methodische Prinzip der Geographie überhaupt oder ihres menschlichen Teiles nicht zu suchen. Die Gründe sind zum Teil ähnlich wie im ersten Fall. Auch hier werden wir auf ein völlig unbegrenztes Feld von Tatsachen gewiesen, die wir erforschen sollen; denn nicht e i n e Erscheinung gibt es, die nicht auf ihre räumliche Verbreitung hin untersucht werden könnte. Und es liegt in dem Gedanken nichts, was zu einer Auswahl berechtigte und was uns bei der Auswahl leiten könnte. Sprachen, Religionen, Kunstformen, Krankheiten und vieles Andere zeigt ja genau ebensogut Unterschiede in der räumlichen Verbreitung wie die Tatsachen der Siedelungs- und Verkehrsgeographie und müfste deshalb mit diesen als v ö l l i g gleichw e r t i g behandelt werden. Das geschieht nicht, und niemand wird es wünschen. Also auch hier muls wohl die Geographie in Wirklichkeit noch einem anderen Leitgedanken folgen. Andere Gründe kommen hinzu, die uns verbieten, dem Prinzip der räumlichen Anordnung, des Wo den ersten Platz in der Geographie einzuräumen. Auch dieser Gedanke besitzt, genauer betrachtet, nur für das L e b e n und sein Verhältnis zur Erd• Oberfläche entscheidende Bedeutung. Aus der physischen Geographie heraus wäre man schwerlich dazu gekommen, ihn an die Spitze zu stellen.') Wohl findet er natürlich auch auf ihrem Gebiete



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Anwendung; aber die eigentliche Aufgabe der physischen Erdkunde werden wir doch niemals etwa in der Untersuchung der räumlichen Verbreitung der Gesteine erblicken. Die F o r m e n der Erdoberfläche sind es, die wir verstehen und darstellen wollen, die Gebirge, die Küsten, die Meere und so fort. Gerade in dem Teile der Geographie, der methodisch am sichersten dasteht, tritt also der Gedanke des Wo hinter einem anderen zurück. Wir können mit seiner Hilfe höchstens eine unendliche Anzahl von Bildern des räumlichen Auftretens einzelner Erscheinungen gewinnen, die sich zwar beliebig übereinander schichten lassen, aber dann immer noch kein geschlossenes Ganze ausmachen. Doch erweist sich die Überlegung, welche dieser Zielbestimmung der Geographie zugrunde liegt, bei genauerer Prüfung überhaupt als irrig.7) Sie geht von dem Gedanken aus, dafs man jede Erscheinung — von der Betrachtungsweise der exakten (abstrakten) Wissenschaften nach allgemeinen Gesetzen abgesehen — auf dreierlei Weise wissenschaftlich behandeln könne. Einmal, indem man sie in Gedanken aus ihrem räumlich-zeitlichen Zusammenhang herauslöst und sie rein als Objekt betrachtet. Zweitens indem man ihr Werden und Vergehen in der Zeit, und drittens, indem man ihr Nebeneinander im Räume verfolgt. Dafs diese Scheidung nur gedanklich ist und es niemals eine wirkliche Trennung der drei Momente geben kann, versteht sich von selbst. Aber es ist eben ein Unterschied, ob wir auf diesen oder jenen Punkt unser Hauptaugenmerk richten. Und so würden sich drei Arten von speziellen oder konkreten Wissenschaften er-

— 15 — geben: sogenannte beschreibende oder »systematische«, historische und geographische oder »chorologische«. Bei den Pflanzen z. B. haben wir, aufser der allgemeinen Morphologie und Physiologie, die Systematik, die Palaeontologie und die Geographie der Pflanzen. Und nun scheint es selbstverständlich, dafs die Geographie in die dritte Klasse von Wissenschaften gehöre, ja, sie recht eigentlich ausmache. Ein solcher Schlufs überreicht jedoch einen wichtigen Punkt. Bei der Pflanzengeographie in jenem Sinne handelt es sich um die Beziehungen der Pflanzen zu einem gröfseren Gegenstand, nämlich der Erdoberfläche. Fassen wir aber diese selbst ins Auge, so werden alle jene räumlichen Beziehungen zu Beziehungen innerhalb des einen grofsen Objektes selbst, und damit zu E i g e n s c h a f t e n dieses Objektes. Sie sind jetzt nichts Anderes mehr als die Strukturverhältnisse eines Gesteines oder der anatomische Bau eines Lebewesens. Der Gegensatz von chorologischer und systematischer Betrachtung verschwindet also, da die räumliche in die gegenständliche übergegangen ist. Erst wenn wir die Erde in ihrer Stellung unter den Weltkörpern betrachten, ist wieder ein Analogon zur Pflanzengeographie im gedachten Sinne vorhanden. Es ist eben nicht richtig, das räumliche und das zeitliche Moment als gleichwertig einander gegenüber zu stellen, so wie es bei jener Dreiteilung geschieht. Während das zeitliche überall in gleicher Weise unveränderlich bestehen bleibt, verwandelt sich das chorologische fortdauernd in das gegenständliche. Was wir im einen Augenblick als räumliche Anordnung gewisser Elemente ansehen, er-



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scheint bei einer höheren Zusammenfassung als Objekt, das nun wieder ebenso in räumliche Beziehungen zu anderen seinesgleichen treten kann. Der Gegenstand ist an sich schon ein Räumliches; deshalb kann zwischen beiden nicht in gleicher Weise geschieden werden wie die Zeit von beiden abgetrennt werden kann. Wir haben demnach nicht drei, sondern nur zwei Arten von konkreten Wissenschaften: eine, welche die Erscheinungen als Objekte, also nach ihrem S e i n , und eine, die sie nach ihrem zeitlichen W e r d e n betrachtet. Da die Geographie offenbar nicht zu den historischen Wissenschaften gehört, so werden wir sie also nur als eine gegenständliche (systematische) Wissenschaft fassen können, wie sie in ihrem physischen Teil ja auch schon früher erschien. Wenn man das Moment der räumlichen Anordnung noch besonders hervorheben zu müssen glaubt, so geschieht es wohl in erster Linie, um zu betonen, dafs es der Geographie weniger auf die Erde a l s G a n z e s ankommt als auf die Fülle der Mannigfaltigkeiten, die ihre Oberfläche zeigt. Aber liegt das nicht alles in dem Objekt mit eingeschlossen? Richtet nicht der Naturforscher, wenn «r die Pflanze oder das Tier untersuchen will, ganz selbstverständlich seinen Blick ebenso auf die Ausgestaltung der Organe bis ins Feinste, bis in Hautund Haarzellen hinein, wie auf das Ganze? Eine Besonderheit der Geographie ist in dieser Hinsicht nicht zu erkennen; sie tritt in ganz der gleichen Weise ihrem Forschungsgegenstand, der Erdoberfläche gegenüber.8) Unterschiede, und zwar sehr wichtige Unterschiede, die der Geographie dann doch wieder eine



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ganz eigentümliche Stellung verschaffen, werden durch die besondere Beschaffenheit ihres Gegenstandes herbeigeführt. Sie bestehen in der unvergleichlich gesteigerten Gröfse des Objektes, das dem Beschauer nicht nur gegenübertritt, sondern ihn selbst als ein winziges Körnchen mit umschliefst; und sie liegen vor allem darin, dafs es sich nur um das eine einzige Gebilde handelt, an dem wir zwar unendlich viele Teile unterscheiden, in verschiedener Gröfse und nach verschiedenen Gesichtspunkten begrenzen können, das aber erst in seiner Gesamtheit ein wirklich einheitliches Ganze, ein »Individuum« bildet. Damit gewinnt, wie die Erdoberfläche selbst ein Einmaliges ist, auch die besondere Ausprägung ihrer Einzelerscheinungen für uns einen Wert, den sonst das Einmalige in den Naturwissenschaften gewöhnlich uicht besitzt. Der Wuchs eines bestimmten einzelnen Baumes fesselt den Zeichner, aber nicht den Botaniker; der kann hier immer nur mit typischen Allgemeinvorstellungen arbeiten. Für den Geographen aber ist jedes einzelne Gebirge, jede einzelne Küstenstrecke eine Erscheinung für sich; obwohl er den allgemeinen Gesetzen nachforscht, die ihre Bildung beherrschen, liegt doch seine Aufgabe zum wichtigsten Teil darin, dafs er jene Formen in ihrer nirgends genau wiederholten Individualität erfafst. In der Geographie nähert sich also die Naturwissenschaft der Betrachtungsart, welche der Geschichte vorzugsweise eigentümlich ist.9) Auf der anderen Seite werden wir dann noch sehen, wie die Geographie den menschlichen Vorgängen gegenüber ein starkes Bedürfnis empfindet, über das Einzelne hinweg zu allgemeineren Anschauungen, um nicht zu sagen S c h l ü t e r , Die Ziele der Geographie etc.

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Gesetzen zu gelangen. Die merkwürdige Zwischenstellung der Geographie zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften, die sie zu einer Vermittlerin zwischen beiden berufen macht, zeigt sich hier im hellsten Licht und in ihrer gröfsten Bedeutung. — Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich die Forderung, auch die Geographie des M e n s c h e n als Gegenstandswissenschaft zu begründen und auszubilden, und es kann nicht zweifelhaft sein, dafs dies nur möglich ist, wenn wir auch auf ihrem Gebiet das Prinzip der Erdoberfläche im konkreten Sinne als das leitende durchzuführen suchen.

Aber wir dürfen nicht bei der Ablehnung der beiden besprochenen methodischen Prinzipien stehen bleiben. Sie führen uns zugleich doch zu einem positiven Ergebnis von grofser Bedeutung. Wenn wir die lange Reihe von Versuchen, in denen man seit dem griechischen Altertum dem Einflufs der Naturbedingungen auf das Völkerleben nahe zu kommen strebte, prüfend durchmustern, so werden wir d i e Behandlungsweise des Problems, die Friedrich R a t z e l als Erster grundsätzlich entwickelt hat, für die wissenschaftlich am meisten befriedigende, für die allein wirklich aussichtsreiche erkennen müssen. Ratzel lenkt die oft so haltlos schweifenden Vermutungen dadurch in feste Bahnen, dafs er den Blick nur auf die Bewegungen richtet, welche die Menschen und Menschengruppen auf der Erdoberfläche vollziehen, also, kurz gesagt, auf den Verkehr und die Wanderungen der Völker. Hier- ist der Zusammenhang mit dem Boden unmittelbar gegeben, der Einflufs der Bodenformen auf den Ver-



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lauf der Bewegungen läfst sich auf das Bestimmteste nachweisen. So ist hier für die Behandlung des schwierigen Problems eine feste Grundlage gewonnen, auf der sich eine Art von anthropogeographischer Mechanik aufbauen läfst. Doch es handelt sich nicht allein um den Leitsatz für ein eng umrissenes Forschungsgebiet: was zu Anfang nur eine vorsichtige methodische Beschränkung war, das hat sich dann mehr und mehr zu einer umfassenden sachlichen Lehre herausgebildet. Die Bewegungen auf der Erdoberfläche in ihrer Abhängigkeit von Raum, Lage und Gestalt der Länder erstrecken ihren Einflufs weit über das rein Äufserliche hinaus. Selbst der geistigste, erdfernste Gedanke ist an den Menschenleib gebunden und damit den Einwirkungen ausgesetzt, die die rastlosen räumlichen Verschiebungen innerhalb der Menschheit mit sich bringen. Mit den Menschen wandern die Ideen, sie kommen so mit anderen in eine Berührung, die ihre weitere Entwickelung wesentlich beeinflussen, mufs. Was aber für das Ideelle gilt, das gilt erst recht für alle materielleren Aufserungen der Menschenuatur. Es liefse sich unschwer dartun, dafs a l l e r Einflufs der Natur auf den Menschen nur immer durch die Vermittelung solcher Bewegungen auf der Erdoberfläche zustande kommt. So wird a l s o die F r a g e n a c h dem E i n f l u f s der N a t u r b e d i n g u n g e n der A u s g a n g s p u n k t für e i n e L e h r e von den a n t h r o p o g e o g r a p h i s c h e n B e w e g u n g e n , die einer umfassenden a n t h r o p o g e o g r a p h i s c h e n M e c h a n i k gleichkommt. Allein es geht noch weiter. Die gleiche Betrachtungsweise hat ebenso für die übrigen Organismen Geltung, so dafs sich zuletzt eine »Bewegungslehre« für die Gesamtheit 2*



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des Lebens auf Erden ergibt, eine a l l g e m e i n e B i o g e o g r a p h i e . Sie tritt der allgemeinen Physiologie ergänzend zur Seite. Behandelt die Physiologie die Vorgänge im Innern der Organismen, so die Biogeographie die äufseren Bewegungsvorgänge innerhalb des Rahmens, der ihnen durch die Erdgebundenheit gesetzt ist. Beides steht in unmittelbarer Wechselbeziehung zueinander, Wirkung und Gegenwirkung spielen beständig herüber und hinüber. So gelangen wir also von der Frage der geographischen Bedingtheit, wenn wir sie kritisch fassen, zur Idee einer groisen allgemeinen Wissenschaft. Es ist eine a l l g e m e i n e Wissenschaft im Sinne der Mechanik, wie sie ja auch von lauter mechanischen Vorstellungen ausgeht. In ihr haben wir den Boden gewonnen, auf dem sich auch für die Geographie des Lebens und besonders des Menschen eine kausale, gesetzmäßige Betrachtungsweise nach Art der exakten Wissenschaften anwenden läfst. Und damit ist ohne Zweifel ein Grofses erreicht.10) Aber es liegt in dem Wesen der Gesetzeswissenschaften begründet, dafs sie, über alle Grenzen hinweg, einer E i n h e i t zustreben. Sie haben in der Einheit unseres Geistes ihren Ursprung, die sie in der Mannigfaltigkeit der Dinge wieder zu erkennen suchen. Wollen wir die Wissenschaften u n t e r s c h e i d e n , so wird es also nicht auf diesem Boden geschehen können, sondern nur auf dem Boden der ergänzenden Betrachtungsweise, die von der Mannigfaltigkeit der Dinge ausgeht, welche sie dann mit Hilfe jener Gesetze zu verstehen sucht. Unterscheiden können wir nur die G e g e n s t ä n d e ,



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und die Beziehung auf verschiedene Gegenstände bringt auch im Kreise der allgemeinen Wissenschaften erst die genaueren Unterschiede hervor.11) So führt jene Bewegungslehre, besonders in ihrer Anwendung auf den Menschen weit über die Geographie hinaus, da die Bewegungsgesetze für sämtliche Lebenserscheinungen, auch für die Ausbreitung rein geistiger Ideen, gelten. Aus diesem weiten Bereich mufs die Beziehung auf dem bestimmten Gegenstand der Geographie erst denjenigen Teil herauslösen, der als allgemeine Anthropogeographie des beschreibenden zur Seite tritt und somit selbst einen Teil der Geographie bildet. Wir sehen also, wie der Gedanke des Einflusses der Natur auf den Menschen allerdings wohl zu einer Wissenschaft von grofser Bedeutung führt. Aber sie hat einen allgemeinen (abstrakten) Charakter; es mufs eine spezielle (konkrete) Wissenschaft ergänzend hinzutreten, und nur derjenige Teil der allgemeinen, der dieser entspricht, kann mit zur Geographie gerechnet werden. Erinnern wir uns noch einmal der gebräuchlichen Zielbestimmung für die Geographie, wonach sie die Erdoberfläche und deren Einflufs auf die Bewohner erforschen soll, so können wir jetzt sagen: hier wird der physische Teil als eine beschreibende Wissenschaft bestimmt, die Geographie der Organismen und des Menschen dagegen als eine allgemeine Gesetzeswissenschaft. B e i d e r A n t h r o p o g e o g r a p h i e f e h l t also der b e s c h r e i b e n d e T e i l , die M o r p h o l o g i e , und zwar nicht allein in der Methodik, sondern vor allem in der Sache. Der zweite leitende Gesichtspunkt, der des r ä u m l i c h e n N e b e n e i n a n d e r der Dinge, führt



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zu etwas Ähnlichem. Er zeigt sich jetzt dem Prinzip der geographischen Bedingtheit innigst verwandt; denn die räumliche Verbreitung der Organismen ist ja nichts Anderes als der Niederschlag jener Bewegungen. Wir haben hier demnach eine S t a t i k zur D y n a m i k der »Bewegungslehre« und damit allerdings eine Ergänzung der letzteren. Indessen, es ist noch nicht, was wir suchen. Wohl bezeichnet die geographische Verbreitung ein Zwischenglied, das von der Bewegung zur Gestalt hinleitet, wie sie umgekehrt die Möglichkeit schafft, das in der konkreten Anschauung Gegebene in Bewegtes umzuwandeln und so einer gesetzmäfsigen Betrachtung zugänglich zu machen; aber selbst eine vollständige Reihe von Bildern, welche die geographische Verbreitung der einzelnen Erscheinungen in einem Lande veranschaulichten, würden nicht das geben, was die Anschauung beim ersten Blick vermittelt und was wir kurzweg die Gestalt nennen können. Die Betrachtung der geographischen Verbreitung hat noch mehr ein analytisches Gepräge, sie dient, gleich dem Verfolgen der Bewegungen, das sie vorbereitet, zur Auffindung der U r s a c h e n . Beide gehören zusammen und beiden vereint tritt die A n s c h a u u n g d e r G e s t a l t als die notwendige Ergänzung gegenüber. Dort herrscht das Streben, die Gestalt aufzulösen, um an die einzelnen Vorgänge mit Mais und Zahl herantreten und den Weg quantitativer Betrachtung einschlagen zu können, der allein das Erkennen von Ursachen ermöglicht — hier das Streben, die F o r m der Dinge zu erfassen. Dort steht im Hintergrunde das Ziel der Einheit des Erkennens, hier leitet das Bedürfnis, der unendlichen Mannig-



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faltigkeit des Wirklichen in seiner konkreten, individuellen Ausprägung gerecht zu werden.12) Bevor wir nun zu dem Teil der Anthropogeographie übergehen, der nach alledem noch der Ausbildung harrt, müssen wir erst das V e r h ä l t n i s zu d e n h i s t o r i s c h e n W i s s e n s c h a f t e n beleuchten. Denken wir an die physische Erdkunde, so haben wir die entsprechende historische Wissenschaft in der Geologie zu erblicken. Denn Geologie ist ihrem Z i e l nach Erdgeschichte. Wie verhalten sich nun Geologie und Geographie zueinander? Oft trennt man sie zeitlich, indem man der Geographie die Gegenwart, der Geologie die Vergangenheit zuweist. Doch ist das zu äufserlich, um mehr als ein Notbehelf sein zu können. Der Unterschied beider ist nicht innerhalb der Zeit zu suchen; er besteht vielmehr darin, dafs die Geographie ihrer Idee nach von der Zeit absieht, also zeitlos ist, während die Geologie als historische Wissenschaft die zeitliche Entwickelung möglichst in allen einzelnen Phasen feststellen will. Der Gegenstand ist beiden gemein. Denn auch die Geologie beschränkt sich nicht auf den Wechsel der Verteilung von Land und Wasser, sondern wie die Geographie, sucht sie zugleich Klima, Pflanzen und Tierwelt und das alles in seinem wechselseitigen Zusammenhang zu betrachten. Aber die eine erblickt alles in seinem zeitlichen Wandel, in seinem W e r d e n , die andere sieht es a l s O b j e k t , a l s « i n S e i e n d e s an. Der gleiche Unterschied mufs auch für die Geographie des Menschen gelten. Wir können aber schon jetzt ahnen, dafs es hier, wo alles so



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schnell wechselt, grofse Schwierigkeit machen wird, das ewig Werdende als ein Seiendes zu betrachten. Wir werden deshalb auch nicht erwarten, dafs sich beide Betrachtungsweisen auf zwei deutlich verschiedene Wissenschaften verteilen, wie es bei der Geologie und physischen Geographie der Fall ist» deren Trennung ja aber im Grunde ebenfalls nur als eine äufserlich-praktische gelten kann. Diese historischen Wissenschaften geben aber fernerhin Anlafs, den Bereich der allgemeinen Gesetzeswissenschaften um eine Anschauungsweise zu erweitern, die wir bisher nicht beachtet hatten. Hatten wir bei den körperlichen Objekten unterschieden zwischen dem Anschauen der Gestalt und der durch Mais und Zahl vermittelten Erkenntnis der Ursachen, so können wir einen ähnlichen Unterschied auch bei dem fortschreitenden, besonders dem organischen Werden der Dinge in der Zeit machen. Was dort die anschauliche, individuelle Gestalt war, das ist hier der einmalige, sich nicht wiederholende zeitliche Vorgang, das E r e i g n i s . Und wenn wir auf physischem Gebiet die gegebene Vielheit umzuwandeln suchen in eine verschiedene Anordnung gleicher Elemente, so tun wir dasselbe auch dort, wo die mechanische Betrachtungsweise versagt: wir suchen in der gegebenen Mannigfaltigkeit eine wechselnde Vereinigung und Ausbildung gleicher Keime zu erkennen. Das ist der Grundgedanke jeder Entwicklungslehre. Diese Art der Betrachtung würde sich aber an die allgemeine Wissenschaft anschliefsen; die historische erhält ihr Gepräge dadurch, dafs sie die Vorgänge als Ereignisse ansieht, wie die beschreibende sie durch das Ausgehen von der Gestalt empfängt.



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II. So haben wir denn im ganzen d r e i A r t e n von W i s s e n s c h a f t e n , die s i c h m i t d e r Erdo b e r f l ä c h e b e f a s s e n und sie unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten. Nach ihrer Gestalt mit aller ihrer Mannigfaltigkeit tut es die G e o g r a p h i e , und zwar in ausgeprägtester Eigenart als spezielle Geographie oder Länderkunde, in einer den Gesetzeswissenschaften näher stehenden Weise als allgemeine Morphologie der Erdoberfläche oder — wie man es wohl genannt hat — als allgemeine vergleichende Länderkunde. Nach den allgemeinen Gesetzen, die bei der Bildung der Erdoberflächenelemente mafsgebend sind, tut es die a l l g e m e i n e phys i s c h e und die a l l g e m e i n e B i o g e o g r a p h i e ; nach dem geschichtlichen Werden die G e o l o g i e n e b s t denjenigen historischen Wissenschaften, die der G e o g r a p h i e des M e n s c h e n zur S e i t e stehen. Alle drei zusammen machen erst das Ganze aus. Ihre Vereinigung aber liegt in dem gemeinsamen Gegenstand. Er allein gibt dem Ganzen Ziel und Zusammenschlufs. Auf physischem Gebiet treten die drei Teile klar hervor: die Geomorphologie nebst Klimatologie und Ozeanologie, die historische Geologie und jene allgemeine Wissenschaft, die teils unter dem Namen einer allgemeinen physischen Geographie, teils unter dem einer allgemeinen oder dynamischen Geologie geht. Bei der Geographie des Menschen fehlt diese Bestimmtheit, weil man ihr Wesen viel zu sehr in den Methoden und auf der Seite der allgemeinen Wissenschaft gesucht, darüber aber versäumt hat,



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den G e g e n s t a n d der Forschung näher zu bestimmen. Nach allem Voraufgegangenen versteht es sich von selbst, in welcher Richtung dies zu geschehen hat. W i r m ü s s e n a u c h i n d e r G e o graphie des Menschen das a u f s u c h e n , was s e l b s t s c h o n a l s T e i l d e r E r d o b e r f l ä c h e in d e r e r w e i t e r t e n A u f f a s s u n g der G e o g r a p h i e a n g e s e h e n w e r d e n k a n n und nicht nur zu ihr in einer Beziehung der Abhängigkeit oder des örtlich verschiedenen Vorkommens steht. Und da lehrt uns denn sogleich ein Blick auf die Ansiedelungen, die Verkehrsstrafsen und Kanäle, die Felder, Gärten u. a. m., dafs es auch im Bereich der menschlichen Lebensäuiserungen nicht an Objekten fehlt, die ganz ebenso das Landschaftsbild mit zusammensetzen, wie es Wälder und Wiesen, Flüsse und Gebirge tun. Doch ein Vergleich mit der Pflanzengeographie wird noch deutlicher zeigen, worauf es der Geographie ankommen mufs und wie sich ihre Betrachtungsweise von der der Nachbarwissenschaften unterscheidet. Auf der einen Seite können wir von den einzelnen Pflanzen ausgehen und sie nach ihrem räumlichen Auftreten untersuchen und darstellen. Dann haben wir einen geographischen Anhang zur systematischen Botanik, eine geographische Botanik. Auf der anderen Seite können wir aber auch ausgehen von den P f l a n z e n g e m e i n s c h a f t e n , den Vegetationsformationen, wie sie uns als Elemente der Landschaft entgegentreten, also von den Wäldern, Wiesen, Steppen, Savannen, Tundren, Hoch-



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alpen und so fort. Das ist die geographische Betrachtungsweise. Natürlich gehört auch diese eigentliche Pflanzengeographie wieder zur Botanik, und anderseits fehlt bei dem ersten Verfahren nicht das geographische Moment. Es ist also hiermit keine Grenze gegeben, sondern es handelt sich um eine Abstufung von beiden Seiten aus. Aber damit ist auch alles erreicht, was sich erwarten und wünschen läfst; denn so besitzen wir ein Kriterium, wonach wir in jedem Einzelfall bestimmen können, was der Absicht der Geographie näher steht, was ferner von ihr abliegt. Nach solchen Gesichtspunkten werden wir auch in der Geographie des Menschen vorzugehen haben. Die erste Frage wird sein, ob eine Erscheinung überhaupt ein Element der Landschaft ist oder nicht. Dann aber werden wir weiter sichten und gliedern, je nachdem, in welchem Grade das Landschaftsbild, das Bild der Erdoberfläche von ihr beeinflufst wird. So richtet sich die geographische Forschung bei den menschlichen Wohnungen weniger auf die einzelnen Häuser und ihre Bauart als auf deren Zusammenschlufs zu Gruppen, zu Dörfern und Städten. N i c h t d i e H ä u s e r , sondern die S i e d e l u n g e n sind das geographische Objekt. Und weiterhin wird die Siedelungsgeographie ihren Ausgangspunkt auch nicht bei den einzelnen Orten nehmen, sondern sie wird zuerst die Besiedelung «ines Gebietes im ganzen betrachten; nicht Gestalt und Lage der einzelnen Städte und Dörfer, sondern das ganze Besiedelungsnetz, die besiedelte Fläche und die Verteilung der Ortschaften über sie. Erst von hier aus wird sie zu den Einzelheiten hinabsteigen. Wie weit, das bleibt völlig unbestimmbar.



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Von den Gegenständen, die der Geographie des Menschen von unserem Standpunkt aus zugewiesen werden müssen, hatten wir die grofse Gruppe der Spuren, welche die menschliche Tätigkeit in der Landschaft hinterläfst, schon flüchtig genannt. Es sind die Siedelungen, die Flächen der Bodenbewirtschaftung und die Verkehrswege. Das alles über die Erde hin zu verfolgen und mit möglichst allseitiger Berücksichtigung der natürlichen und der wirtschaftlich-sozialen Faktoren wissenschaftlich zu erklären — ist für sich schon eine grofse Aufgabe, zu deren systematischer Bewältigung noch recht wenig geschehen ist. Für diese Teilwissenschaft eignet sich wohl am besten der Name K u l t u r g e o g r a p h i e . Die Zugehörigkeit aller jener Erscheinungen zum Forschungsbereich der Geographie ist so wenig zweifelhaft, dafs wir uns auf diesem Gebiet mit grofser Freiheit bewegen können, ohne ein Abweichen von dem Leitgedanken der Geographie befürchten zu müssen. Doch es liegt offenbar ein Bedürfnis vor, nicht blofs die W e r k e des Menschen, sondern auch d e n M e n s c h e n s e l b s t im Rahmen der Geographie zu betrachten, und unsere Fassung der geographischen Aufgabe gibt uns auch ein Recht dazu. Denn wenn wir alle jene Spuren menschlicher Tätigkeit fortdenken, so würde doch die Anwesenheit oder Abwesenheit von Menschen, ihr dichteres oder gelockerteres Beisammenleben für sich schon Unterschiede im Charakter der Länder hervorbringen. Ebenso wie die Geographie ja auch die Tiere mit berücksichtigt, — obwohl sie bezeichnender und berechtigter Weise niemals die gleiche Beachtung



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finden wie die Pflanzen —, ebenso werden wir den Menschen selbst unter ihre Forschungsgegenstände einreihen müssen. Neben die Kulturgeographie tritt so ein zweiter Hauptteil der Anthropogeographie, der als B e v ö l k e r u n g s g e o g r a p h i e bezeichnet werden mag. Hier aber ist es weniger leicht, den rechten Weg zu finden. Wenn wir einmal den Menschen selbst mit in die Geographie hereinziehen, so scheint es, wir müfsten ihn auch mit allen seinen Eigenschaften und Äußerungen betrachten. Doch dann würden wir abermals ins Endlose geführt werden, und das ist gerade zu vermeiden. In der Tat wird es auf diesem Gebiet besonders schwer, Schranken zu setzen. Aber auch hier bewährt doch schliesslich der leitende Gesichtspunkt, dafs die Geographie Wissenschaft von der Erdoberfläche sei, wiederum seine gliedernde und gestaltende Kraft. Auch hier läfst sich wieder sagen, was mehr, was weniger Bedeutung für das Landschaftsbild besitzt. Und da fällt denn alles rein Geistige fort. Die Sprachen, die Religionen, die Geschichte sind keine Forschungsobjekte der Geographie. Die Anwendung der Erdkunde auf die Geschichte, also d i e Fragen, mit denen sich R i t t e r und seine Nachfolger mit Vorliebe beschäftigten, gehören in dieser Form nicht in die Geographie hinein. Damit werden sie gleichwohl nicht gänzlich aus ihr verbannt, sondern es findet nur eine Verschiebung des Zieles statt. Nicht geschichtliche Vorgänge wollen wir untersuchen und aus den geographischen Bedingungen erklären, sondern Erscheinungen der Erdoberfläche wollen wir erforschen. Aber indem wir das tun, müssen wir beständig die geschichtlichen und die



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natürlichen Faktoren gemeinschaftlich zu Rate ziehen, und so bewegen wir uns nach wie vor trotz dem veränderten Ziel dauernd in jener Gedankenwelt. Mit der Ausscheidung des rein Geistigen schränkt sich der Bereich der Bevölkerungsgeographie so erheblich ein, dafs die Gefahr, sich ins Unendliche zu verlieren, damit sofort beseitigt ist. Auf der anderen Seite bleibt kein Zweifel darüber, auf welche Tatsachen es der Geographie in e r s t e r L i n i e ankommen mufs. Es ist die Verteilung der Menschen über die Erde, der Unterschied von bewohnten und unbewohnten Gebieten, von dichten und weniger dicht bewohnten Erdstellen. Die Betrachtung dieser Tatsachen, wie sie in der Untersuchung der Bevölkerungsdichte geschieht, führt dann nach zwei Seiten noch zu einer genaueren Bestimmung. Das eine Mal schreiten wir von der allgemeinen Verteilung der Bevölkerung in einem Gebiet weiter zur Betrachtung des Zusammenschlusses der Menschen zu bestimmten Wohngruppen, also zu Städten, Dörfern usf. Hier begegnet sich die Bevölkerungsgeographie mit dem s i e d e l u n g s k u n d l i c h e n Teil der Kulturgeographie. Das andere Mal suchen wir das wirtschaftliche Verhältnis der Bevölkerung zum Boden zu erfassen. Hier findet dann also eine Begegnung statt mit dem w i r t s c h a f t l i c h e n Teil der Kulturgeographie. Und endlich kommt als dritter Kreis von Tatsachen, deren Untersuchung der Bevölkerungsgeographie zufällt, noch der V e r k e h r hinzu, wodurch ein Seitenstück zur Geographie der Wege entsteht. Da nun die verschiedenen Zweige der Bevölkerungsgeographie und Kulturgeographie einander



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in solcher Weise entsprechen, so können wir auch statt jener Zweiteilung die korrespondierenden Gruppen zusammenschliefsen. Wir unterscheiden demnach W i r t s c h a f t s - , S i e d e l u n g s - und V e r k e h r s g e o g r a p h i e , wobei innerhalb eines jeden Teilgebietes die geographischen Spuren des Menschen und der Mensch selbst im Zusammenhang zu betrachten sind. Die besonderen Aufgaben dieser Teile haben uns noch kurz zu beschäftigen. Bei keinem von ihnen macht die Einfügung in die Geographie so grofse Schwierigkeiten wie bei der W i r t s c h a f t s g e o g r a p h i e . Eine Wirtschaftsgeographie, die der Gesamtgeographie als wirkliches Bestandstück angehörte, hat sich trotz der immer stärker anwachsenden Litteratur noch nicht herausgebildet. Zwischen nationalökonomischer und geographischer Anschauungsweise ist noch keine reinliche Scheidung erfolgt. Und doch läfst sich ein sehr tiefgreifender Unterschied zwischen beiden aufdecken. Der Nationalökonom richtet seinen Blick auf den Prozefs des Wirtschaftens, den Prozefs der Beschaffung und Verteilung der Güter. Die Arten dieses Austausches, die Mittel, durch die er bewerkstelligt wird, also vor allem Geld und Handel, die Ursachen und Folgen des ganzen Vorganges, der sich zwischen Erzeugung und Verbrauch der Güter einschiebt — das sind die Tatsachen, die ihn eigentlich beschäftigen, zugleich immer mit Bücksicht auf die praktischen Ergebnisse, auf das Besser oder Schlechter.1S) Man kann diese Dinge auch in ihrer Beziehung zur Erdoberfläche betrachten und z. B. den Einflufs

— 32 — untersuchen, den die geographischen Verhältnisse auf den Konkurrenzkampf ausüben.14) Aber das bringt uns immer nur eine geographische Nationalökonomie, die zur Geographie in genau dem gleichen Verhältnis steht wie die geographische Botanik. Und wenn wir auch die Güter er z e u g u n g mit hinzunehmen, so kommen wir auf diesem Wege immer nur dahin, dals wir untersuchen, wie die geographischen Bedingungen auf Standort und Entwickelung der einzelnen Produktionszweige einwirken, also immer nur zu einer Anwendung der Geographie auf die wirtschaftlichen Verhältnisse und Vorgänge. Eine solche g e o g r a p h i s c h e W i r t s c h a f t s k u n d e ist es, worauf die vorhandenen Lehrbücher und Einzelarbeiten vorzugsweise hinzielen. Die Durchführung des hier vertretenen Standpunktes legt uns jedoch die Pflicht auf, die Begründung der Wirtschaftsgeographie von einer anderen Seite aus zu versuchen. Immer wieder müssen wir uns daran erinnern, dafs wir in den Werken des Menschen und in seiner eigenen Verteilung über die Erdoberfläche zwei grofse Gruppen von Tatsachen besitzen, die an sich selbst geographisch sind. Sie machen den Kreis von Erscheinungen aus, die unserer Wissenschaft als Forschungsobjekte zufallen. Diese Tatsachen werden wir zuerst in ihren allgemeinen Eigenschaften, ohne Hinzunahme besonderer Gesichtspunkte, kennen lernen wollen. Wir werden zusehen, wo überhaupt Menschen leben und welche Erdstellen unbewohnt sind, um dann weiter die Unterschiede geringerer und gröfserer Volksverdichtung zu verfolgen, einstweilen nur nach



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dem einfachen Verhältnis zwischen Bewohnerzahl und Flächengröfse. Daneben und im Zusammenhang damit betrachten wir die Verbreitung der Kultur überhaupt und ihre verschiedene Höhe und Intensität — zunächst gleichfalls noch, ohne besondere Kulturformen und Ähnliches zu unterscheiden. Das führt uns zu einem Teil der Anthropogeographie, den wir bisher noch nicht erwähnt hatten und für den sich auch nicht leicht ein besonderer Name finden läfst. Er enthält die vorbereitende, einleitende und in mancher Beziehung grundlegende Betrachtung für die drei vorhin bezeichneten Teile und ist ihnen voranzustellen. Des weiteren treten dann besondere Gesichtspunkte hinzu, die uns die anthropogeographischen Tatsachen in einem mannigfacheren und belebteren Lichte erscheinen lassen. Bei der Wirtschaftsgeographie ist es ein wirtschaftlicher Gedanke. Die Erscheinungen bleiben die gleichen, aber wir betrachten jetzt die W e r k e des Menschen danach, in welcher Weise sie wirtschaftlichen Zwecken dienen; die V e r t e i l u n g der Menschen danach, durch welche wirtschaftlichen Kräfte sie geschaffen ist, durch welche sie in diesem Zustande erhalten bleibt oder verändert wird. Das ist ein ganz anderes Ziel, als es die Nationalökonomie verfolgt. Nicht die Art des Wirtschaftens wird hier untersucht, sondern wir gehen aus von der konkreten Tatsache der Verteilung der Menschen über die Erdoberfläche und fragen: woraus erklärt es sich, dafs im einen Lande die Bevölkerung äufserst gering bleibt, während sie sich im anderen zu dichten Scharen zusammendrängt? Das ist eine mehr naturwissenschaftliche Art der Fragestellung. Mit ihr mufs sich auch der S c h l ü t e r , Die Ziele der Geographie etc.

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gesamte Charakter der Betrachtung ändern. Denn jetzt rückt für uns die E r n ä h r u n g in einem Mafse in den Vordergrund, wie es die Volkswirtschaftslehre nicht kennt. Die Nationalökonomie hat eher das Bestreben, die verschiedenen Bedürfnisse des Menschen gedanklich auf eine und dieselbe Stufe zu stellen; die Wirtschaft selbst hat dies streng durchgeführt, indem sie alles nach Geldeswert abschätzt, um so den Austausch verschiedenartiger und verschieden wertiger Güter zu ermöglichen. Wir aber müssen möglichst streng unterscheiden, je nachdem wie weit es sich um Lebensbedürfnisse handelt oder um entbehrlichere Gewohnheiten. Wenn dort zum mindesten Kleidung, Wohnung und Heizung der Nahrung gleichgestellt werden, so gilt das wohl für unsere Gegenden, aber ein Blick auf das Ganze zeigt, dafs manche Menschen auch ohne Kleid, Haus und Feuerung zu leben vermögen, wogegen niemand der Nahrung entbehren kann. Die Erzeugung und Beschaffung der Nahrungsmittel ist daher für die naturwissenschaftlich-geographische Auffassung die Grundlage, auf der sich erst das weitere System der Wirtschaft aufbauen kann. Und danach werden sich die Erscheinungen in der Geographie zu gliedern haben. Damit tritt also alles, was mit der Erzeugung der Nahrungsmittel zusammenhängt, an grundlegender Bedeutung dem Übrigen voran. Die Landwirtschaft steht uns deshalb näher als die Industrie, während der Nationalökonom und noch mehr der Wirtschaftspolitiker nicht notwendig so zu denken brauchen. So zeigen sich also tiefe grundsätzliche Unterschiede zwischen Wirtschaftsgeographie und Wirtschaftslehre nebst ihrem geographischen Anhang.

— 35 — Eine naturwissenschaftliche Auffassung tritt an die Stelle der nationalökonomischen; sie läfst die Gesamtheit der Erscheinungen in einem so veränderten Lichte sehen, dafs der Name Wirtschaftsgeographie fast unberechtigt erscheinen könnte, wenn nicht auf diese Weise doch das Wirtschaftsleben in seinem vollen Umfange in der Geographie zur Geltung käme. Der kulturgeographische Teil der Wirtschaftsgeographie verursacht geringere Schwierigkeiten. Die vom Menschen herrührenden Landschaftselemente, die wirtschaftlichen Zwecken dienen, sind klar erkennbar. Es ist fast alles, was der Mensch an der Erdoberfläche geschaffen hat, denn auch die Siedelungen und Verkehrswege dienen zum grofsen Teil wirtschaftlichen Zwecken. So greift hier die Wirtschaftsgeographie in die Siedelungs- und Verkehrsgeographie über, ohne sie jedoch unnötig zu machen. Auch der kulturgeographische Standpunkt führt uns zu einer Bevorzugung des landwirtschaftlichen Elementes. Wenn es für die Auswahl und Wertschätzung mafsgebend sein soll, in welchem Grade eine Erscheinung bestimmend auf das Landschaftsbild wirkt, so müssen wir dahin entscheiden, dafs der Bodenkultur der Vorrang vor allen anderen Wirtschaftszweigen gebührt. Mag sie an einzelnen beschränkten Erdstellen hinter Bergbau, Industrie und Handel zurücktreten bis zum völligen Verschwinden: beim Blick auf das Ganze zeigt sich ihre herrschende Stellung in unzweifelhafter Deutlichkeit, und von hierher müssen wir den Mafsstab für die Beurteilung des einzelnen Falles nehmen. 3*

— 36 — Die Sied e l u n g s g e o g r a p h i e hat es wiederum mit den gleichen Erscheinungen zu tun wie die beiden vorhergehenden Zweige unserer Wissenschaft. Auch ihre Objekte sind die Verteilung der Menschen über die Erdoberfläche und deren geographische Schöpfungen. Dieses Mal kommt allerdings nicht die Gesamtheit der Werke des Menschen in Betracht, sondern nur eine scharf umrissene Gruppe, eben die Siedelungen. Aber das allein bedingt nicht den wesent-. liehen Unterschied gegen die Wirtschaftsgeographie; denn auch sie hat die Siedelungen teils unmittelbar, soweit sie aus industriellen und kommerziellen Anlagen bestehen, teils mittelbar in ihrem ganzen Umfang mit zu berücksichtigen. Das Entscheidende ist, dafs die Siedelungsgeographie einen Gesichtspunkt einführt, der dort noch im Unbestimmten verblieben war. Dort war die E r n ä h r u n g die leitende Vorstellung, hier ist es das W o h n e n . Der Zusammenschlufs der Menschen zu bestimmten Wohngruppen von kleinerem oder gröfserem Umfange und die Vereinigung dieser Siedelungen zu einem mehr oder weniger ausgedehnten, enger oder loser geflochtenen Besiedelungsnetz bildet das Grundthema der Siedelungsgeographie. Hier erscheinen also die Dinge in einem s o z i a l e n Lichte wie dort in wirtschaftlicher und zuletzt biologischer Beleuchtung. Es ist das Gesellschaftsleben, das V e r h ä l t nis zwischen I n d i v i d u u m und Gesells c h a f t , das der Siedelungsgeographie den tieferen Sinn gibt. Gesellschaft und Individuum sind die Komponenten der sozialen Entwickelung. Sie gehören zusammen und kämpfen doch beständig miteinander.



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Die Gesellschaft besteht nur in den Individuen und sucht sie doch in ihrer Individualität zu vernichten, indem sie ihnen den Stempel der Gemeinsamkeit aufprägt; das Individuum ist nichts ohne die Gesellschaft und sucht sich doch beständig gegen ihren uniformierenden Einfluls in seiner Eigenart zu behaupten, sich von der Gesellschaft zu befreien. Dieser Kampf liegt auch den Erscheinungen der Siedelungsgeographie zu Grunde. Zum Schutze von Leben und Eigentum wie zur Verstärkung der Leistungen weit über die blofse Summierung der Einzelkräfte hinaus schliefst man sich zusammen und schafft Siedelungen bis hinauf zu den Weltstädten, die ihre Bewohner nach Millionen zählen; aber zugleich zeigt sich auf allen Stufen der Individualismus mannigfach wirksam, am augenfälligsten in der Ausbildung und dem zähen Festhalten des Einzelhofsystems. Durch die verschiedene Stärke der sich überall durchkreuzenden Faktoren entsteht eine bunte Mannigfaltigkeit der Zerstreuung und des Zusammenschlusses in der Besiedelung. Der ganze Prozefs aber hängt auf das deutlichste ab von den Zuständen der Erdoberfläche, die nicht allein für die einzelnen Siedelungen, sondern mehr noch für das Besiedelungsnetz den Grad des Zusammenschlusses und Zusammenhanges im allerstärksten Mafse beeinflussen. Dieses sind die Grundkräfte, mit denen die geographische Betrachtung der Siedelungen zu rechnen hat. Die Gegenstände selbst, an welche die Untersuchung anknüpft, sind in den Siedelungen und den von ihnen beherbergten Menschengruppen nach jeder Richtung so bestimmt gegeben wie bei keinem anderen Teile der Geographie des Menschen.



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Auch in der V e r k e h r s g e o g r a p h i e endlich handelt es sich ebensowohl um den Menschen selbst und seinen Verkehr als um die Werke, die er zum Zwecke des Verkehrs an der Erdoberfläche schafft, also die Wege. Der Unterschied gegenüber den vorhergehenden Teilen liegt hier aber an einer anderen Stelle, so dafs die Verkehrsgeographie jenen drei Zweigen mehr insgesamt gegenübertritt, als dafs sie sich der Reihe einfach als letztes Glied anschlösse. Dort wurden überall die Erscheinungen wie etwas Ruhendes betrachtet, die Verkehrsgeographie fügt das Moment der Bewegung ergänzend hinzu. Die Bewegung bildete zwar auch die leitende Vorstellung der Lehre von den anthropogeographischen Gesetzen; sie wird ferner in der Wirtschaftsund Siedelungsgeographie nicht fehlen, vielmehr, sobald wir den Ausgangspunkt der Beschreibung der Gegenstände hinter uns haben, beim Suchen nach den Ursachen die entscheidende Rolle spielen. Die Verkehrsgeographie hat aber doch noch etwas Besonderes, was ihr eine selbständige Stellung daneben verschafft. Sie betrachtet diejenigen Bewegungserscheinungen, die sich in der Anschauung unmittelbar als solche kundtun, während dort die unmittelbare Anschauung etwas Ruhendes gibt, was dann erst in Gedanken in Bewegung umgewandelt wird, damit die Methoden ursächlicher Erklärung Anwendung finden können. Wir sehen, auch hier wird die Entscheidung leicht, wenn wir auf das Landschaftsbild zurückgreifen. Was uns in ihm als Bewegung entgegentritt, das bildet neben den Bahnen, denen die Bewegung folgt, das Objekt der Verkehrsgeographie, die unter den vorigen Teilen die Verbindung herstellt. —

— 39 — Der Kreis, den wir so gezogen haben und den wir in Bevölkerungs- und Kulturgeographie, zweckmäßiger noch in die vier durch Querteilung gewonnenen Zweige gliedern konnten, bildet ein fest geschlossenes Ganze, das der Anthropogeographie als eigenstes Gebiet zugehört und ihr unter allen Verhältnissen eine feste Stellung den übrigen Wissenschaften vom Menschen gegenüber sichert. Andere Gebiete, die zur Anthropogeographie Beziehungen haben, liegen immer schon weiter von ihrem eigentlichen Ziel und Mittelpunkt ab. So hatten wir bereits die Wirtschaftsgeographie, wie sie zurzeit noch in den meisten Fällen betrieben wird, als g e o g r a p h i s c h e W i r t s c h a f t s k u n d e in die Nachbarschaft der Nationalökonomie verwiesen. In gleicher Zwischenstellung, näher der Volkswirtschaftslehre als der Geographie, befindet sich die H a n d e l s g e o g r a p h i e . Denn der Handel, der Güteraust a u s c h , ist wiederum eine wirtschaftliche Tätigkeit; China< die Geographie auf die Erforschung der f e s t e n Erdoberfläche beschränkt. Diese



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Anschauung wirkt in der Leipziger Rede noch nach. Es wird hier (siehe S. 7 ff.) nicht eigentlich die Erdoberfläche in dem oben angedeuteten Sinne als Objekt der geographischen Forschung hingestellt, also die Erdoberfläche mit Einschlufs des pflanzlich-tierischen Lebens und des Menschen, sondern nur die a n o r g a n i s c h e Erdoberfläche, wie sie zwischen der oberen Grenze der Atmosphäre und dem Boden der Ozeane (einschlieislich der oberen Erdschichten) liegt. Dies ist das Fundament, das eigentliche Objekt der Geographie. Die übrigen Dinge, also das Leben, werden vom Standpunkte der so gefafsten Erdoberfläche betrachtet und nur soweit, wie sie sich auf sie beziehen. Das läuft also der Sache nach darauf hinaus, dafs der physische Teil auf ein Objekt basiert wird, der organisch-menschliche Teil auf den Gedanken von der geographischen Bedingtheit. So stellt v. Richthofen seine Anschaung hin, wo er die Grundlagen allgemein ausspricht. (In seiner Berliner Rektoratsrede über die »Triebkräfte und Richtungen der ErdkundeDie zweite Voraussetzung ist, dafs jeder Erdraum stofflich ein Agglomerat von Bestandteilen ist, welohe aus Elementen der sechs Naturreiche (also die drei organischen mit eingeschlossen) bestehen, und dafs er nur durch deren Gesamtheit dargestellt werden kann.t Hier wird also die anorganische und organische Natur nicht verschieden behandelt. Ungleich wichtiger noch für die Durchführung des g e g e n s t ä n d l i c h e n Begriffes der Erdoberfläche auf dem organischen Gebiete ist es, dafs v. Richthofen durch alle Teile der Geographie hindurch die gleichen vier methodischen Gesichtspunkte anwendet, unter denen die äoTsere Gestaltung (Morphologie) und die stoffliche Zusammensetzung voranstehen. Wenn es auf die innere Beziehung der organischen Welt zur anorganischen Erdoberfläche ankäme, so wäre es nicht berechtigt, die Gesichtspunkte, die für die physische Geographie mafsgebend sind, auf die Geographie des Menschen zu übertragen. Die Auswahl der Tatsachen könnte hier nicht nach den gleichen Gesichtspunkten erfolgen wie dort. Äufsere Gestalt Und stoffliche Zusammensetzung dürften nicht voranstehen, ja i m Grunde überhaupt nicht in Betracht kommen, sondern nur Art und Grad der Abhängigkeit von der anorganischen Erd4»



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Oberfläche, v. Richthofen bringt also bei der Einzelaasführang den einheitlichen Charakter der Geographie weit mehr znm Ausdruck als in seiner allgemeinen Grundlegung, und zwar die Einheit auf Grund der Vorstellung eines einheitlichen Objektes. Desgleichen steht er in der Auswahl der Tatsachen, die er im Manuskript seiner Vorlesungen über allgemeine Siedlungs- und Verkehrsgeographie vornimmt, der GrundAnschauung, die ich hier darzulegen mich bemühe, weit naher, als es nach jener allgemeinen Bestimmung zu erwarten wäre — obwohl immer noch Unterschiede bleiben. ') Als Ergänzung wird gewöhnlich noch die Einwirkung des Menschen auf die Erdoberfläche hinzugenommen oder zusammenfassend von der Wechselwirkung zwischen der Erde und ihren Bewohnern gesprochen. So bedeutungsvoll die Wechselwirkung für die geographische Betrachtungsweise aber auch ist, so werden jene methodologischen Einwürfe hierdurch nicht hinfällig. Auch so bleibt ja die e i n e Seite dieses Wechselverhältnisses genau ebenso bestehen, als wenn nur von der geographischen Bedingtheit die Rede ist, und weist in gleicher Weise ins Unendliche. — In neuerer Zeit hat dann E. Friedrich (Allgemeine und spezielle Wirtschaftsgeographie, Leipzig 1904, und an anderen Orten) diese beiden Seiten der Wechselbeziehung zur Grundlage einer methodischen Scheidung gemacht, indem er der Anthropogeographie die Erforschung des Einflusses der Natur auf den Menschen, der Wirtschaftsgeographie die der Einwirkung deB Menschen auf die Natur zum Thema setzt. Hier scheint mir die Trennung gerade an die Stelle verlegt zu sein, wo man sie n i c h t vornehmen sollte. Die Geographie hat doch eben das Bedürfnis, nicht diese beiden Seiten zu trennen, sondern in jedem Augenblick ihr Zusammengehen, ihr gegenseitiges Verhältnis zu bestimmen. *) Das tritt auch in den Ausführungen M a r t h es (siehe Anm. 8) sehr deutlich hervor. •) Ich beziehe mich im folgenden auf die methodischen Äußerungen Hettners (besonders »Das Wesen und die Methoden der Geographie«, Geogr. Zeitschrift 1905, S. 645 ff.), in denen der hier kritisierte Gedanke seinen neuesten und prägnantesten Ausdruck gefunden hat. Besonders die Dreiteilung der Wissenschaften, zu der er mit Notwendigkeit führt und die auch den früheren Äußerungen dieser Art halb versteckt zugrunde lag, tritt bei Hettner auf das deut-



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lichste hervor. Doch lehnt Hettner den Gedanken der räumlichen Anordnung in der Form, wie ich ihn hier bezeichne» ab. Darüber Tgl. die ntlchste Anmerkung. ") Die räumliche Anordnung im Gegensatz zur zeitlichen Aufeinanderfolge mag als Leitgedanke der geographischen Methodik schon früh auftreten, Wirksamkeit hat dieses Prinzip besonders durch Karl R i t t e r erlangt mit dem oft zitierten Eingangsworte seines Aufsatzes über das historische Element in der geographischen Wissenschaft »die geographischen Wissenschaften haben es vorzugsweise mit den Räumen der Erdoberfläche zu tun, soweit sie irdisch . . . . erfüllt sind.« So für sich genommen, konnte man den Satz auch rein gegenständlich auffassen; und da mir die irdische ErfüUtheit der Erdräume, »sei es auch immer welchen Naturreichen angehörig und mit welchen Formen ausgestattet,« gerade als das Objekt der Geographie erscheint, so würde ich kein Bedenken tragen, ihn zu unterschreiben. Aber das Weitere belehrt sofort darüber, dafs der seltsam schwerfällige Ausdruck durch eine Vermengung mit dem Prinzip des Wo verursacht wurde. Denn Ritter fährt erklärend fort: »also mit den Beschreibungen und Verhältnissen des N e b e n e i n a n d e r d e r ö r t l i c h k e i t e n . . . , < und stellt darauf die Geographie den historischen Wissenschaften gegenüber, welche »das N a c h e i n a n d e r der Begebenheiten oder die Aufeinanderfolge und die Entwickelung der Dinge« zu untersuchen haben. Diese getrübte Auffassung hat so stark nachgewirkt, dafs wir fast überall die beiden Gedanken, Objekt und räumliche Anordnung, unkritisch zusammengeworfen finden. Belege dafür liefert uns folgende Stelle aus E. O b e r h u m m e r s Wiener Antrittsvorlesung (Die Stellung der Geographie zu den historischen Wissenschaften, Wien 1904). Es heifst dort S. 12 f . : »Als die Grundlage und den Ausgangspunkt dieser geographischen Betrachtung hat v. R i c h t h o f e n in völlig zutreffender Weise die E r d o b e r f l ä c h e hingestellt Mit anderen Worten gibt Ed. R i c h t e r . . . . demselben (I?) Gedanken Ausdruck, wenn er die Beziehung auf den R a u m als das Mittel für die richtige Scheidung des geographischen Elements von dem gemeinsamen Boden anderer Wissenszweige bezeichnet. ,Alle naturwissenschaftlichen, geschichtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse interessieren den Geographen nur, soweit sie r ä u m l i c h bedingt sind. Das



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ist der eigentlich geographische Gesichtspunkt ' Ähnlich äuisert sich H e 11 n e r : ,das eigentlich geographische Moment liegt in der räumlichen Anordnung und Verteilung; wir haben alle Erscheinungen als Bestandteile oder Merkmale der Erdoberfläche aufzufassen.'« Und O b e r h u m m e r selbst schliefst sich all diesen Aussprüchen an, indem er »die Beziehung auf die Erdoberfläche oder das Räumliche« als wesentlich für die Geographie bezeichnet (S. 28). Eine klare Unterscheidung zwischen »dem geographischen Forschungsfeld« ( = Erdoberfläche) und der »methodischen geographischen Fragestellung« (Beziehung auf den Raum) nebst Entscheidung für das erstere finde ich nur bei P e n c k (Die Physiographie usw., Geogr. Z. 1905), ohne dafs jedoch die Frage weiter verfolgt würde. In besonderem Mafse begegnen wir der Vermengung beider Gedanken, zugleich mit dem Prinzip der geographischen Bedingtheit, in den methodischen Einleitungskapiteln der Ratzeischen Anthropogeographie von 1882. Wie da die drei Gedanken willkürlich hervorgeholt werden, je nachdem welcher von ihnen gerade dem Bedürfnis des Augenblicks entspricht, kann hier nicht im einzelnen nachgewiesen werden. In ganz anderer Weise findet sich F. M a r t h e in seinem Versuch, »Begriff, Ziele und Methode der Geographie« zu bestimmen, mit den methodischen Grundprinzipien ab (Zeitschr. d. Ges. f. Erdk., Berlin 1877). Er macht mit der Gegenüberstellung von Geographie und Geschichte Ernst und sucht die räumliche Anordnung als das Grundprinzip der Geographie durchzuführen. Die Geographie besitzt dann also keine eigenen Objekte, sondern sie betrachtet nur die Gegenstände in anderer Weise als die übrigen Wissenschaften. Damit war jene zwiespältige Bestimmung K. Ritters nach der e i n e n der beiden möglichen Seiten zur Entschiedenheit entwickelt. In den methodologischen Äußerungen F. v. R i c h t h o f e n s , an deren erste (China I, 1876) Marthe anknüpft und deren zweite (1883) wiederum manches aus Martbes Abhandlung verwertet, wird nun die andere Seite hervorgekehrt. Denn das ist gerade das Entscheidende bei Richthofens Auffassung, dafs die Geographie n i c h t die gleichen Gegenstände behandele wie die Nachbarwissenschaften, sondern ein davon verschiedenes Objekt als ihr ausschließliches Eigentum besitze. Man darf deshalb nicht, wie es Oberhummer in dem



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angeführten Satze tut, ßichthofens Ansicht mit denjenigen, die das räumliche Nebeneinander in den Vordergrund rücken, zusammenstellen. Richthofen war sich des Unterschiedes dentlich bewufst und hat sich im Gesprftch sehr häufig gegen Satze wie »der Geograph fragt zuerst immer nach dem Wo« ausgesprochen. Mit Anlehnung an Marthes Ausdrücke und darum in sichtlichem Gegensatz zu seinen Ansichten sagt er denn auch einmal in seiner Bede (S. 12) >(der Geograph) betrachtet das Wie dieser Erscheinungen in seiner Beziehung zu dem Wo auf der Erdoberfläche,« wobei also — gewifis absichtlich — das Wie vorangesetzt wird. Doch auch Marthe setzt, bei Licht besehen, das Besondere der Geographie nicht in die räumliche Anordnung. Bevor er mit dem »Wo < hervortritt, beschränkt er den Gegenstand der Geographie auf das Körperliche, mit Ausschlufs des Geistigen. Und ähnlich verfährt A. H e t t n e r , der in neuester Zeit besonders das Prinzip der räumlichen Anordnung vertritt. Nach seiner Einteilung der konkreten Wissenschaften in beschreibend - systematische, historische und chorologische mufs es eine Mehrzahl von chorologischen Wissenschaften geben, -ebenso gut, wie es viele historische gibt. (Tatsächlich unterscheidet H. zwei, die Geographie und die Astronomie.) Aus dieser Gruppe wird nun die Geographie als »die chorologische Wissenschaft v o n d e r E r d o b e r f l ä c h e « herausgeschält. In beiden Fällen, bei Marthe sowohl wie bei Hettner, mufs also die Beziehung auf einen Gegenstand hinzukommen, um die Geographie zu bestimmen. Dann aber mufs doch dieser Gegenstand und nicht das Prinzip der räumlichen Anordnung als das Charakteristische der Geographie angesehen werden. Er ist es doch erst, der sie von den anderen chorologischen Wissenschaften unterscheidet. Wenn Hettner sich gegen die Marthesche Auffassung der Geographie als der Wissenschaft von -dem Wo der Dinge wendet und meint, man dürfe nicht von einer chorologischen Methode sprechen, sondern chorologisch sei >das Ziel, der Gegenstand der Geographie selbst« — so tut er nichts Anderes, als dafs er an die Stelle der Einzelobjekte, die Marthe nach ihrem »Wo« betrachten wollte, die Richthofensche Erdoberfläche setzt. So heilst es denn auch bei ihm, »den Gegenstand der Geographie bildet die Erdoberfläche nach ihren räumlichen Verhältnissen«. Aber



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welchen Sinn hat auf dieser Stufe noch der Zusatz »nach ihren räumlichen Verhältnissen« ? Die Erdoberfläche ist doch ein räumlich ausgedehntes Objekt, das überhaupt gar nicht anders als »nach seinen räumlichen Verhältnissen« betrachtet werden kann. Warum dann aber noch von einer c h o r o l o g i s c h e n Wissenschaft von der Erdoberfläche reden und nicht einfach von einer b e s c h r e i b e n d e n , also, nach Hettners Ausdruck, von einer s y s t e m a t i s c h e n ? Solange man von den Einzeldingen ausgeht, ist die Trennung beider Prinzipien verständlich, wenn man von der Erdoberfläche ausgeht, vermag ich mit dem chorologischen als dem räumlichen Nebeneinander keinen besonderen Sinn mehr zu verbinden, der nicht in dem Objekt enthalten wäre. Der Martheschen Anschauung gegenüber weist Hettner mit Entschiedenheit auf die »dingliche Erfüllung« hin (ohne daTs übrigens ein grosser Unterschied zwischen seiner und Marthes Meinung wirklich bestände). J a , diese »dingliche Erfüllung« — wenn man einmal den ungefügen Ausdruck beibehalten will — ist doch eben das, was wir im Grofsen die Erdoberfläche, im Kleineren das Land oder den Landesteil nennen. Also doch etwas Körperlich-Gegenständliches, bei dem die Mannigfaltigkeit der räumlich verschiedenen Teile gar nicht als etwas Besonderes hinzugefügt zu werden braucht. Zu der Dreiteilung in systematische, historische und c h o r o l o g i s c h e Wissenschaften scheint mir deshalb keine Veranlassung vorzuliegen; im Gegenteil kann ich in ihr nur ein Hindernis für die klare Auffassung der Geographie erblicken, und es ist mir durchaus nicht verwunderlich, daTs die Logiker diese Dreiteilung bisher nicht aufgestellt haben. DaTs zeitliche Aufeinanderfolge und räumliches Nebeneinander nicht in dieser Weise als gleichwertig gegenübergestellt werden dürfen, zeigt sich meines Erachtens auch noch an folgendem. E s gibt eine Geschichte der Völker, der Kultur, der Staaten, der Kunst, der Philosophie usw., ferner der Organismen und der Erde — aber es gibt nichts, was schlechthin Geschichte genannt werden kann. Wenn wir so sprechen, tun wir es der Kürze halber, aber wir meinen doch immer die Geschichte der Menschheit in einem, räumlich wie inhaltlich, bald weiteren bald engeren Sinne. Dagegen haben wir neben der geographischen Betrachtung der verschiedenen Einzelobjekte auch eine Geographie schlechtweg, ohne jeden



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weiteren Zusatz. Also kann man »Geschichte« und Geographie nicht einfach einander parallel setzen, wie es Hettner in seinem Aufsatz verschiedentlich tot. Als Motiv, warum Hettner u. A. das Bedürfnis empfinden, die räumliche Verschiedenheit noch besonders hervorzuheben, kann ich nur ansehen, dafs sie die Betrachtung der Erde bzw. Erdoberflache im G a n z e n als Objekt der Geographie ablehnen wollen, um diese auf die volle Mannigfaltigkeit der Einzelzflge unseres Planeten hinzuweisen, wie sie in der Länderkunde ihre Berücksichtigung findet. Letzteres ist gewifs zu billigen. Aber so ausschließend braucht man sich doch wohl nicht zu verhalten. Ich erinnere nur wieder an den Botaniker und Zoologen, der eine Pflanze oder ein Tier untersucht. Wird er nicht zuerst einmal die Gesamterscheinung betrachten, und wird er deshalb etwa die Verschiedenheiten der einzelnen Organe weniger berücksichtigen? Warum sollte nun nicht auch der Geograph, selbst wenn er sein Hauptziel in der Länderkunde erblickt, erst einmal die Erde im Ganzen betrachten? Warum soll das eine ihm fremde Aufgabe sein? Und weiter. Hettner will erst d i e Betrachtung als geographisch gelten lassen, die auf die Ortlichen Unterschiede einer Erscheinung eingeht. Nehmen wir einmal einen Küstentypus, etwa die Fjorde. Werden wir da nicht zuerst den Typus im allgemeinen behandeln und erst später auf seine örtlich verschiedene Ausgestaltung eingehen ? Und soll nun diese Erörterung erst von dem Augenblicke an als geographisch gelten, wo letzteres geschieht ? In welche Wissenschaft gehört sie denn vorher? Welche Wissenschaft befafst sich mit den F o r m e n der Erdoberfläche, wenn es nicht die Geographie ist? Ich meine, die Betrachtung des Fjordes gehört ohne weiteres in die Geographie, auch wenn wir an die örtlich verschiedene Ausbildung noöh gar nicht denken, weil er eben an sich ein Formbestandteil der Erdoberfläche ist, der als solcher von keiner anderen Wissenschaft beachtet wird. Ein Satz Hettners, der in ähnlicher Form häufig wiederkehrt, erlaubt es, den Unterschied des Standpunktes besonders scharf zu erkennen. Hettner sagt (S. 562 des genannten Aufsatzes): »Geographisch ist eine Tatsache immer dann und nur dann, wenn und insofern sie örtliche Verschiedenheiten zeigt, und wenn und insofern diese örtlichen Verschiedenheiten mit örtlichen Verschiedenheiten anderer



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Tatsachenreihen als Ursachen oder Wirkungen in ursächlichem Zusammenhang stehen. < Meine Einwendungen hiergegen sind von verschiedener Art. Theoretisch habe ich dem Satze entgegenzuhalten: auch wenn eine Erscheinung nur ein einziges Mal auf Erden vorhanden wäre, sie aber einen wichtigen Zug in die Landschaft brächte — man stelle sich einmal vor, es gäbe nur einen einzigen Vulkanberg —, so würde sie ein Objekt geographischer Forschung sein; und ebenso würde sie es sein, wenn wir einen ursächlichen Zusammenhang mit »Ortlichen Verschiedenheiten anderer Tatsachenreihen« schlechterdings nicht feststellen konnten. Beides ist nun aber so theoretisch, dafs es gar keinen Wert mehr hat. Denn es gibt einfach keine Tatsachen der Erdoberfläche, die keine Ortlichen Verschiedenheiten aufwiesen, und es gibt ebensowenig solche Tatsachen, die nicht mit den übrigen Erscheinungen in kausaler Beziehung ständen, was beides wohl nicht näher begründet zu werden braucht. So verliert der Satz Hettners tatsächlich jeden Inhalt, und dieser — oft wiederholte — Versuch, ein Kriterium für die geographischen Tatsachen anzugeben, führt zu keiner Unterscheidung innerhalb der in Betracht kommenden Erscheinungen ; die Geographie würde hiernach immer allumfassend sein, einzig und allein die astronomischen Erscheinungen ausschliefsend. In innerem Gegensatz zu jenen Worten steht es dann aber, wenn Hettner im weiteren Verlaufe seiner Darlegungen sehr entschieden betont, dais die Geographie es anf allen Gebieten häufig, streng genommen sogar immer mit individuellen Erscheinungen zu tun habe, deren jede nur einmal vorkommt (S. 616), und wenn er ferner ebenso entschieden darauf hinweist, dafs die reine Beschreibung der Erscheinungen in erster Linie kommt und dann erst ihre ursächliche Erklärung (S. 619). Dann fehlen ja die beiden Kriterien, an denen man den geographischen Charakter einer Tatsache erkennen soll, und man konnte eigentlich nicht wissen, was man beschreiben soll und auf welche Weise. — Und nun noch Eins. Hettner nimmt, ohne mich zu nennen, gelegentlich Bezug auf meine seit 1899 öfter ausgesprochene Ansicht, dafs sich die Geographie nur auf das Körperliche, nicht auch auf das Geistige zu erstrecken habe, wobei immer an die Objekte, auf deren Erkenntnis sich die Geographie recht eigentlich richtet, zu denken ist. Er hält



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das für eine zu weit gehende Beschränkung. Dennoch glaube ich, dafs man nicht anders vorgehen -kann. Auch die von Hettner immer wieder herangeholte »dingliche Erfüllung der Erdräume« weist uns auf die gleiche Folgerung. Ich verstehe es wohl, dafs man die Gesamtheit der Züge, die ein Land seinen Bewohnern aufprägt und die ihr ganzes Fühlen und Denken umfassen, in Gemeinschaft mit dem Lande selbst betrachten will. Doch dann sind wir wiederum bei der geographischen Bedingtheit angelangt, die uns notwendig ins Grenzenlose treibt. AuTserdem ist es ein äufseret schwankender Boden, auf den man sich so begibt. Doch das gehört nicht hierher. Ich will noch hervorheben, dafs ich es nicht als schlagend anerkennen kann, wenn Hettner gegen meine Beschränkung der Geographie auf das Körperliche, auf das Sichtbare und Tastbare, geltend macht, dafs dann die Wärme ausgeschlossen wäre. Es ist mir nicht unbekannt, dafs es einen besonderen Temperatursinn gibt, dessen Organe sich deutlich von den »Druckpunkten« unterscheiden lassen. Gleichwohl steht dieser Sinn, den man bis vor 20 Jahren noch nicht vom Tastsinn hatte trennen können, diesem so aufserordentlich nahe, dafs z. B. W. Wundt beide unter dem Namen »allgemeiner Sinn« zusammenfafst. Man braucht also nur den Tastsinn durch den »allgemeinen Sinn« zu ersetzen und dieses Bedenken ist gehoben. •) Es geht allerdings nicht an, den Unterschied des Einmaligen und des Allgemeinen, des Ereignisses und Gesetzes, wenn auch nur ungefähr mit dem zwischen Geschichte und Naturwissenschaften zu parallelisieren, wie es W. Windelband in einer häufig genannten Rede getan hat (»Geschichte und Naturwissenschaft«, 2. Aufl., Strafsburg 1900, wo, unter Ablehnung der Unterscheidung Natur- und Geisteswissenschaften als Hauptunterschied der zwischen nomothetischen tuyi idiographischen Wissenschaften hingestellt wird). Dabei wird ebenso vergessen, dafs die Naturwissenschaft nach Erkenntnis der vollen, konkreten Wirklichkeit strebt, wie anderseits die Geschichte — so viel berechtigten Argwohn man gegen historische Gesetze haben mag — gleichfalls mit allgemeinen Vorstellungen arbeiten und auch einer gesetzmäßigen Auffassung der Tatsachen zustreben mufs; das scheint mir einfach ein Postulat unserer Vernunft zu sein. Nur ein tatsächliches Überwiegen der einen und der anderen



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Betrachtungsweise findet statt, aber kein grundsatzlicher Gegensatz (vgl. die hiermit fibereinstimmenden Ausführungen bei Hettner, S. 615—619). — Wie bei E. Friedrichs Trennung von Anthropogeographie und Wirtschaftsgeographie, wie ferner bei der Scheidung in systematische, historische und chorologische Wissenschaften, so wird auch hier die erste grundlegende Trennung in den Formen unseres Denkens und Anschauens gesucht. Diese aber, die einander zur vollen Erkenntnis ergänzen, wollen wir den Erscheinungen gegenüber möglichst in ihrer ganzen Falle zur Anwendung bringen. Als g a n z e Menschen wollen wir den Tatsachen entgegentreten, um sie, so weit sie uns zugänglich sind, g a n z zu erfassen. Hier also, meine ich, mufs die Einheit möglichst gewahrt bleiben. Von den Erscheinungen, die uns von aufsen her entgegentreten, können wir dagegen immer nur einen kleinen Ausschnitt überblicken. Und deshalb bin ich noch immer der Ansicht, so veraltet dies Manchem auch klingen mag, dafs die Scheidung der Wissenschaften i n e r s t e r L i n i e bei den Gegenständen einzusetzen habe, um dann innerhalb der so geschiedenen Wissenschaften das andere Einteilungsprinzip zur Geltung zu bringen. Dabei ist nur zu bemerken, daüs diese Gegenstände als solche nicht unabhängig von uns existieren, sondern wir selbst sie erst durch Vergegenständlichung schaffen. Diese vergegenständlichende Tätigkeit, in der wir wohl ein Mittel erblicken dürfen, uns der anstürmenden Erscheinungen zu erwehren und sie geistig zu bewältigen, ist zugleich die unterscheidende, grenzsetzende. , 0 ) Über diese allgemeine Anthropogeographie auf Grund deä ßatzelschen »Bewegungs«-Gedankens habe ich mich eingehend ausgesprochen in einem Aufsatz, der unter dem Titel »Die leitenden Gesichtspunkte der Anthropogeographie im Archiv für Sozialwissenschaft, Tübingen 1906, erschienen ist.

" ) Vgl. Anmerkung 9. " ) Die beiden Bände von Ratzels Anthropogeographie, von denen der erste der dynamischen, der zweite der statischen Anthropogeographie gewidmet ist, umfassen also mit diesem ihrem Plan nicht das Gebiet der gesamten Geographie des Menschen, sondern es fehlt die allgemeine Morphographie und Morphologie, also gerade der Teil, auf den es der Geographie zuerst ankommen wird. Dies gilt natürlich nur von



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der Anlage des Ganzen, nicht von der Ausführung im einzelnen. " ) Vgl. die einleitenden Abschnitte in Schmollers Grundriis der Volkswirtschaftslehre sowie anderen nationalökonomischen Lehrbüchern nnd Leitfäden, wo überall die Produktion aas dem eigentlichen Gebiete der Nationalökonomie ausgeschlossen erscheint. " ) Man denke z. B. an den Kampf der englischen und deutschen Kohle in Oberitalien. " ) Zur Veranschaulichung der Gliederung der Lehre von den anthropogeographischen Tatsachen diene folgendes Schema:

BerSlkerungsgeogTaphle.

Kulturgeographie.

I. E i n l e i t e n d e r T e i l (Name?). Volksdichte. Kulturhöhe. II. W i r t s c h a f t s g e o g r a p h i e . Das wirtschaftliche Verhältnis Die wirtschaftlich benutzten und umgestalteten Teile der der Bevölkerung zum Boden, Erdoberfläche. III S i e d e l u n g s g e o g r a p h i e . Die Menschenanhäufungen in Die Siedelungen. Wohnplätzen. IV. V e r k e h r s g e o g r a p h i e . Der Verkehr. Die Wege. " ) Es kann nicht Aufgabe dieses Programms sein, die schwierige Frage der geschichtlichen Gesetze auch nur einigermaßen eindringend zu behandeln. Doch möchte ich dem Mißverständnis vorbeugen, dafs ich der Aufstellung von a l l g e m e i n e n Gesetzen das Wort reden wollte. Sie haben stets das Schicksal, entweder nicht allgemein zu gelten oder gänzlich inhaltlos zu sein, wenn sie nicht, wie die Buckle's, geradezu falsch sind. Die Abneigung der Historiker gegen sie teile ich vollkommen. Aber meines Erachtens liegt die Schuld am Mifslingen daran, dafs man immer gleich nach a l l g e m e i n gültigen Gesetzen strebt. Ich habe mehr eine gesetzmäfsigeBetrachtungderEinzeltatsachen im Sinn. In der anthropogeographischen Bewegungslehre, die ihrem mechanischen Charakter gemäfs den Boden abgibt, aus dem noch am ehesten Gesetze erwachsen könnten, kommt



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es sehr viel weniger auf wirklich a l l g e m e i n e Regeln an — das allgemein Auszusagende bleibt auch hier äufserst dürftig — als auf die Erkenntnis des Gemeinsamen, das eine und dieselbe Erdstelle den auf ihr sich abspielenden historischen Vorgängen aufprägt Also nicht a l l g e m e i n e Gesetze, sondern gleichsam p a r t i a l e oder l o k a l e Gesetze. (In skizzenhafter Form habe ich etwas Derartiges versucht für die Geschichte der illyrischen Länder; Geographische Zeitschrift 1905, »Das Österreich-ungarische Okkupationsgebiete) Ebenso verhält es sich mit der e n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t l i c h e n Betrachtung, die das organische Seitenstttck zu jener Mechanik bilden würde. Auch hier habe ich nicht a l l g e m e i n e , ü b e r a l l geltende Entwickelungsreihen im Auge, sondern immer nur solche, die auf eine beschränkte Gruppe von Vorgängen innerhalb eines beschränkten Verbreitungskreises angewendet werden können. Gegen eine derartige Übernahme der in den Naturwissenschaften bewährten Methoden wird sich die Geschichtswissenschaft, das ist allerdings meine Meinung, nicht verschliefen können. Dafs wir zur gesetzmäßigen Erfassung aller Erscheinungen gelangen, das ist meiner Ansicht nach einfach ein Bedürfnis unseres Verstandes; und davon kann auch die Geschichte keine Ausnahme machen, selbst wenn sie den tatsächlichen zeitlichen Ablauf der Ereignisse mit Recht als ihre Domäne ansieht. ") Vgl. B e s c h o r n e r , Wesen und Aufgaben der historischen Geographie. Histor. Vierteljahrsschrift 1906. la ) Man hat sie ja geradezu auf die Umwandlungen beschränken wollen, die sich am fertigen Gerüst der Erdoberfläche vollziehen, und ihr deshalb die Denudationsprozesse zugewiesen, die Geotektonik aber aus ihr aasgeschaltet. So einfach läfst sich freilich das Verhältnis zur Geotektonik nicht entscheiden. Die Geographie steht nicht immer gleich zu ihr, wie ein Beispiel am besten zeigen wird. Wer als G e o g r a p h das Rheinische Schiefergebirge durchwandert, wird sich nur selten veranlafst fühlen, nach dem g e n a u e r e n Bau des paläozoischen Faltengebirges zu fragen. Der heutige Charakter der Gegend wird von dessen Struktur nur sehr schwach beeinilufst. Anders in den Alpen. Hier wird die Landschaft gar nicht verstanden ohne ein ziemlich tiefes Eindringen in die Besonderheiten des GebirgBbaues. Dort liegt die Geotektonik dem Geographen fern, hier wird er auf



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Schritt und Tritt auf sie hingewiesen. Und sollte etwa die oberrheinische Grabenversenkung nicht unmittelbar unter die Gegenstände geographischer Forschung gehören ? Wir sehen wiederum das gleiche Prinzip am Werke, das wir durch die gesamte Geographie als herrschend nachzuweisen suchten: das Mais des Interesses, das die Geographie an den geotektonischen Verhältnissen nimmt, richtet sich danach, in welchem Grade diese für die Ausgestaltung der Landschaft bestimmend sind. 1B ) Es liegt nicht allzu fern, in diesem Zusammenhange an das > Gesamtkunstwerke Richard Wagners zu denken. Manches andere böte sich noch zum Vergleich, aber nirgendswo ist die Ähnlichkeit so sinnfällig. Auch hier eine Vereinigung verschiedener Elemente, die man sonst in der Vereinzelung anzutreffen gewöhnt ist; auch hier die Schwierigkeit, in der Vielheit der Elemente das einheitlich gestaltende Prinzip zu erkennen; auch hier die häufige Verkennung des Wesens. Wer von den Einzelkünsten ausgehend entweder die Musik oder das Wort oder auch Gebärde und Dekoration als den eigentlichen Träger der künstlerischen Idee betrachten wollte, würde das Ganze stets in schiefer und unvollständiger Beleuchtung sehen. Der Schwerpunkt liegt hinter allen Einzelk o s t e n , die beteiligt sind. Ihnen allen steht das >Drama< gleichmäßig gegenüber. Es ist immer eins; nur mufs ihm bald dieses, bald jenes Mittel, wie es der Augenblick erheischt, vorwiegend dienen, ohne dafs die übrigen jemals gänzlich verschwänden. Sie alle zielen beständig auf das Ganze und erheben es zur höchsten Fülle des Ausdrucks. So steht diese Kunst hoch über der blofsen Häufung verschiedener Kunstmittel ; sie haftet nicht an diesen Mitteln, die ihr die Einzelkünste bieten, sondern gleitet frei über sie hinweg und schreitet über ihren bunten Wechsel hin mit ruhigem, festem Schritt ihrem Ziele zu. Wie innig sie zugleich mit der Idee des Reinmenschlichen verwachsen ist, das ist jedem bekannt, der sich nur ein wenig mit den Gedanken und der Person ihres Schöpfers vertraut gemacht hat. — Eine volle Parallele zur Geographie, wie sie uns als Idee vorschwebt.

Vorliegende Abhandlung ist die erweiterte Umarbeitung meiner am 17. März 1906 bei der Habilitation an der Universität Berlin gehaltenen Antrittsvorlesung.