Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft: Ein Beitrag zur globalen wirtschaftlichen Integration [1 ed.] 9783428506927, 9783428106929

Im Zuge der wachsenden Intensität der wirtschaftlichen Globalisierung drängen multinationale Unternehmen zur Entstaatlic

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Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft: Ein Beitrag zur globalen wirtschaftlichen Integration [1 ed.]
 9783428506927, 9783428106929

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DAGMAR I. SIEBOLD

Die Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft

Rechtsfragen der Globalisierung Herausgegeben von Prof. Dr. Karl Albrecht Schachtschneider, Erlangen-Nümberg

Band 6

Die ·Welthandelsorganisation und die Europäische Gemeinschaft Ein Beitrag zur globalen wirtschaftlichen Integration

Von

Dagmar I. Siebold

Duncker & Humblot . Berlin

Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2001 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

n2 Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1619-0890 ISBN 3-428-10692-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

e

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Schrift wurde im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl fiir Öffentliches Recht an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im April 2001 abgeschlossen und im Sommersemester 2001 von dieser Fakultät als Dissertation angenommen. Die Arbeit wurde mit dem Promotionspreis der Fakultät 2001 durch die Hermann GutmannStiftung, Weißenburg/Bayern, und einem Sonderpreis der Wolfgang RitterStiftung, Bremen, 2002 ausgezeichnet. Rechtsprechung und Literatur wurden bis März 2001 berucksichtigt. Zur Vorbereitung der Drucklegung wurden wenige Textpassagen leicht überarbeitet und aktualisiert. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider. Ich verdanke ihm die Anregung, mich mit weltwirtschaftsrechtlichen Fragen zu beschäftigen und die globale wirtschaftliche Integration am Beispiel der Welthandelsorganisation und der Europäischen Gemeinschaft als Thema der Dissertation zu wählen. Er hat die Entstehung der Arbeit über viele Jahre hinweg mit sehr großem Interesse verfolgt und mit wissenschaftlich wertvollen sowie zahlreichen, prägenden Anregungen begleitet. Seine fachliche und persönliche Betreuung haben mich in hohem Maße unterstützt und gefördert. Ich danke ihm auch fiir die Aufnahme in die Schriftenreihe ,,Rechtsfragen der Globalisierung." Herrn Professor Dr. iur. Wolfram Reiß danke ich fiir seine freundliche Bereitschaft das Zweitgutachten zu verfassen. Während der letzten Jahre war ich auf die vielfältige Unterstützung meiner Familie angewiesen. Hierfiir danke ich ganz besonders meinem Mann, Dr. med. Christoph W. Siebold, der die Entstehung dieser Arbeit mit viel Geduld und Verständnis begleitete und stützte, aber vor allem auch meiner Tochter, Katharina Annina, fiir manchen Verzicht auf ihre Mutter. Danken möchte ich auch meinen Eltern, Elfriede und Rudi Biewald, die mich in vielerlei Hinsicht gefördert, unterstützt und entlastet haben. In Dankbarkeit widme ich ihnen diese Arbeit.

Eichenau, im Januar 2002

Dagmar J. Siebold

Inhaltsübersicht Einführung ................................................................................................................... 23

J. Teil

Die Grundlagen der Welthandelsorganisation 1. Kapitel:

28

Historische Entwicklung der Welthandelsordnung .................................. 28

2. Kapitel:

Struktur der Welthandelsorganisation ...................................................... 51

3. Kapitel:

Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens ............................ 79

2. Teil

Regelungsbereithe der WTO

95

I. Kapitel:

Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, GATI 1994 ......................... 95

2. Kapitel:

Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, GATS .......................................................................... 97

3. Kapitel:

Übereinkommen über handelsbezogene Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS ............................................................ 111 3. Teil

Rechtsdurchsetzung in der Welthandelsorganisation 1. Kapitel:

122

Präventive Überwachungsinstrumente ................................................... 123

2. Kapitel:

Das Streitbeilegungsverfahren der WTO ............................................... 131

3. Kapitel:

Bewertung des Streitbeilegungsverfahrens ............................................ 140 4. Teil

Die globale wirtschaftliche Integration des Staates

147

I. Kapitel:

Welthandel in der internationalen Gemeinschaft ................................... 148

2. Kapitel:

Der offene Staat als Bindeglied der Völkergemeinschaft ....................... 162

3. Kapitel:

Die völkerrechtliche Rechtsordnung ....................................................... 184

10

Inhaltsübersicht 5. Teil

1. Kapitel:

Deutschland und die Europllische Gemeinschaft In der Welthandelsorganisation 209 Deutschland in der Welthandelsorganisation ......................................... 210

2. Kapitel:

Die VölkerrechtssubjektivItät der Europäischen Gemeinschaft und der Union ........................................................................................ 219

3. Kapitel:

Die Außenhandelspolitik der Gemeinschaft 224 ..................................... 223

4. Kapitel:

Die Europäische Gemeinschaft im GATI 1947 und in der WTO ............................................................................................ 236 6. Teil

GATT 1947 und WTO im Gemeinschaftsrecht

246

1. Kapitel:

Umsetzung von Völkervertragsrecht in nationales und Gemeinschaftsrecht ................................................................................ 246

2. Kapitel:

GATI 1947 im Gemeinschaftsrecht ....................................................... 252

3. Kapitel:

WTO im Gemeinschaftsrecht ................................................................. 260 7. Teil

Die Grenzen der globalen wirtschaftlichen Integration

266

1. Kapitel:

Der Ratsbeschluß der Europäischen Gemeinschaft zum Welthandelsübereinkommen als Grenze der Integration ......................... 266

2. Kapitel:

Existentielle Staatlichkeit des Staates als Grenze der Integration .......... 273

Ausblick .................................................................................. .................................... 278 Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................................ 280 Anhang ........................................................................................................................ 287 Literaturverzeichnis ................................................................................................... 295 Stichwortverzeichnis ................................................................................ ;................. 314

Inhaltsverzeichnis

Einführung

23

Problemstellung und Zielsetzung .................................................................................... 23 Gang der Untersuchung .................................................................................................. 26

1.

J. Teil Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

28

1. Kapitel Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

28

Die Grundlagen ...................................................................................................... 28 I. Bretton Woods System ...................................................................................... 30 2. Internationale Handelsordnung ......................................................................... 33

11.

Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, GATI 1947 ....................................... 34 I. GATI als ,,zwischen schritt" ............................................................................. 34 2. Havanna Charta ................................................................................................. 36 3. Besonderheiten des GATI 1947 ....................................................................... 38 4. Die Verhandlungsrunden des GATI 1947 ........................................................ 43

III.

Uruguay-Runde ...................................................................................................... 46 2. Kapitel Struktur der Welthandelsorganisation

51

I.

Aufbau der Schlußakte, "Final Act" ....................................................................... 52

11.

Mitgliedschaft in der WTO .................................................................................... 55 1. Ursprüngliche Mitgliedschaft ............................................................................ 55 2. Neumitgliedschaft - Beitritt zur WTO ............................................................. 57 3. Die WTO-Doppelmitgliedschaft ....................................................................... 59 4. Mitgliedschaft Chinas ........................................................................................ 61 5. Austritt aus der WTO ........................................................................................ 63 6. Teilnahme ohne Mitgliedschaft ......................................................................... 64

12 111.

Inhaltsverzeichnis Organe der WTO .................................................................................................... 65 1. Ministerkonferenz ............................................................................................. 65 a) Singapur-Ministerkonferenz 1996 ................................................................ 66 b) Genf-Ministerkonferenz 1998 ....................................................................... 67 c) Seattle-Ministerkonferenz 1999 .................................................................... 68 d) Katar-Ministerkonferenz 200 I ...................................................................... 69 2. Allgemeiner Rat ................................................................................................ 70 3. Sekretariat und Generaldirektor......................................................................... 71

IV. Beschlußfassung ..................................................................................................... 73 V.

Rechtsfahigkeit der WTO ....................................................................................... 75

VI.

Internationale Stellung der WTO ........................................................................... 75 I. Beziehung zu den Vereinten Nationen .............................................................. 75 2. Beziehung zu den Nicht-Regierungsorganisationen .......................................... 78 3. Kapitel

Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens I.

79

Funktion der WTO ................................................................................................. 79 1. Präambel der WTO ............................................................................................ 80 2. Aufgaben der WTO ........................................................................................... 82

11.

Prinzipien der WTO ............................................................................................... 83 I. Grundsatz der Nichtdiskriminierung ................................................................. 85 a) Das Prinzip der Meistbegünstigung .............................................................. 86 b) Das Prinzip der Inländerbehandlung ............................................................ 89 2. Grundsatz der Gegenseitigkeit ........................................................................... 91 3. Transparenzprinzip ............................................................................................ 93

2. Teil Regelungsbereiche der WTO

95

I. Kapitel

Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, GATT 1994

95

2. Kapitel

Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, GATS I.

97

Struktur und Zielsetzung ........................................................................................ 99

Inhaltsverzeichnis

13

H.

Anwendungsbereich ............................................................................................. 101

lll.

Liberalisierungsverpflichtungen ........................................................................... 104 I. Meistbegünstigung .......................................................................................... 104 2. Transparenz ..................................................................................................... 108 3. Regelungen des Marktzutritts .......................................................................... 108 3. Kapitel

Übereinkommen fiber handelsbezogene Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS

111

I.

Hintergrund zum Abschluß des TRIPS-Abkommens ........................................... 111

H.

Inhalt des TRIPS-Abkommens ............................................................................. 114 I. Die Grundsätze des TRIPS-Abkommens ......................................................... 114 2. Die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ................................... 116

lll.

Die wichtigsten materiel1en TRIPS-Regelungen .................................................. 117

IV. Praktische Umsetzung des TRIPS-Abkommens .................................................. 120

3. Teil Rechtsdurchsetzung in der Welthandelsorganisation

122

1. Kapitel

Prllventive Überwachungsinstrumente I.

123

Die Überprüfung der Handelspolitiken ................................................................ 124 I. Der Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik .................................. 124 2. Die Überprüfung der Europäischen Gemeinschaft .......................................... 126

11.

Der Beschluß zu Notifizierungsverfahren ............................................................ 129

"I.

Bewertung der Überprüfungs- und Notifizierungsverfahren ................................ 129 2. Kapitel

Das Streitbeilegungsverfahren der WTO

131

I.

Geltungsbereich und Aufgaben des Streitbeilegungsverfahrens der WTO .......... 132

11.

Die bilateralen Verhandlungen ............................................................................ 134

111.

Das Panel-Verfahren ............................................................................................ 134

IV. Berufungsverfahren .............................................................................................. 137 V.

Durchsetzung der Entscheidung ........................................................................... 138

14

I.

Inhaltsverzeichnis 3. Kapitel Bewertung des Streitbeilegungsverfahrens

140

4. Teil Die globale wirtschaftliche Integration des Staates

147

1. Kapitel Welthandel in der internationalen Gemeinschaft

148

Aspekte globaler Wirtschaft ................................................................................. 148 1. Wettbewerb der Staaten ................................................................................... 151 2. Prozeß der Entstaatlichung der globalisierenden Unternehmen ...................... 155

11.

Anforderungen an globales wirtschaftliches Handeln .......................................... 157

2. Kapitel Der offene Staat als Bindeglied der Völkergemeinschaft I.

162

Staatsbegriffund Völkerrecht im Wandel.. .......................................................... 164 1. Der souveräne Staat im Völkerrecht.. .............................................................. 164 2. Der offene Staat im Völkerrecht.. .................................................................... 170

11.

Der freiheitliche Staat im Völkerrecht ................................................................. 173 1. Republikanische Aspekte des Staatsbegriffs ................................................... 173 2. Die Hoheitsrechte des Volkes ......................................................................... 178 3. Kapitel Die völkerrechtliche Rechtsordnung

I.

184

Aspekte des Völkerrechts ..................................................................................... 184 I. Begriff des Völkerrechts .................................................................................. 184 2. Völkerrechtssubjekte ....................................................................................... 192 a) Staaten und internationale Organisationen .................................................. 193 b) Einzelmenschen .......................................................................................... 195 c) Multinationale Unternehmen und NGOs .................................................... 195 d) Kritische Anmerkung zur Völkerrechtssubjektivität von Nicht-Staaten ..... 198

11.

Völkervertragsrecht.. ............................................................................................ 198

Inhaltsverzeichnis

15

I. Der Begriff des völkerrechtlichen Vertrags ..................................................... 198 2. Die Verbindlichkeit von völkerrechtlichen Verträgen ..................................... 201 3. Die Durchsetzung völkerrechtlicher Vertragsverbindlichkeit ......................... 203

5. Teil Deutschland und die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation

209

I. Kapitel

Deutschland in der Welthandelsorganisation

210

I.

Die auswärtige Gewalt ......................................................................................... 210

11.

Deutschlands Beitritt zu GATI 1947 und WTO .................................................. 215

2. Kapitel

Die Völkerrechtssubjektivitllt der Europlischen Gemeinschaft und der Union

219

I.

Die Europäische Gemeinschaft als Völkerrechtssubjekt ...................................... 219

11.

Die Europäische Union als Völkerrechtssubjekt.. ................................................ 22 I

3. Kapitel

Die Außenhandelspolitik der Gemeinschaft J.

223

Wesentliche Aspekte der gemeinsamen Handelspolitik.. ..................................... 223 I. Begriff der Handelspolitik ............................................................................... 224 2. Änderungen des Begriffs der gemeinsamen Handelspolitik durch den Amsterdamer Vertrag ...................................................................... 227 3. Änderungen des Begriffs der gemeinsamen Handelspolitik durch den Vertrag von Nizza ........................................................................... 228

11.

Handelsbefugnisse der Gemeinschaft ................................................................... 229

III.

Die Vertragsschlußbefugnis der Europäischen Gemeinschaft .............................. 233

4. Kapitel

Die Europäische Gemeinschaft im GATI 1947 und in der WTO

236

16

Inhaltsverzeichnis

I.

Status und Vertragsabschluß der Europäischen Gemeinschaft im GATI 1947 ..................................................................................................... 236

11.

Vertragsabschluß und Status der Europäischen Gemeinschaft in der WTO - Das EuGH·Gutachten 1/94 ........................................................... 241

6. Teil GATT 1947 und WTO im Gemeinschaftsrecht

246

1. Kapitel Umsetzung von Völkervertragsrecht in nationales und Gemeinschaftsrecht

246

I.

Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit. ........................................................... 246

11.

Die Lehren zur Umsetzung von Völkerrecht.. ...................................................... 247

111. Der "umgekehrte" Monismus ............................................................................... 250

2. Kapitel GATT 1947 im Gemeinschaftsrecht

252

I.

Bindung an das GATI 1947-Recht.. .................................................................... 253

11.

Unmittelbare Anwendbarkeit des GATI 1947 ..................................................... 255 1. Kriterien der unmittelbaren Anwendbarkeit aus der Sicht des Europäischen Gerichtshofs ........................................................................ 255 2. Kritische Anmerkung zur ablehnenden Haltung des Europäischen Gerichtshofs ........................................................................ 258

3. Kapitel WTO im Gemeinschaftsrecht

260

I.

Bindung an das WTO·Recht ................................................................................ 260

11.

Unmittelbare Anwendbarkeit des WTO·Abkommens.......................................... 262

7. Teil Die Grenzen der globalen wirtschaftlichen Integration

266

Inhaltsverzeichnis

17

1. Kapitel

Der Ratsbeschluß der Europäischen Gemeinschaft zum Welthandelsübereinkommen als Grenze der Integration

266

I.

Der Ratsbeschluß der Europäischen Gemeinschaft als Vorbehalt? ...................... 266

11.

Ratsbeschluß als Folge des Reziprozitätsprinzips? .............................................. 270

2. Kapitel

Existentielle Staatlichkeit des Staates als Grenze der Integration

273

Ausblick ....................................................................................................................... 278 Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................................. 280 Anhang 1: GATT 1947- und WTO-Mitglieder ......................................................... 287 Anhang 2: Liste der Staaten, die einen Beitritt nicht oder noch nicht beantragt haben ........................................................................................ 294 Literaturverzeicbnis .................................................................................................... 295 Stichwortverzeichnis ................................................................................................... 314

2 Siebold

Abkürzungsverzeichnis a.A.

ABlEG Abs. AJIL

AKP

Art. ASEAN Aufl. Aug. AVR Bd. BGB BGB\. BGH BGHZ BISD BR-Drs. BT-Drs. BVerfGE BVerwGE CMLRev. ders. Dez. d.h. DHA Doc. DÖV DSB DSU DSWR dt. DVBI EA EC

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz American Journal of International Law Afrikanische, karibische und pazifische Entwicklungsländer Artikel Association of South-East Asian Nations (Verband Südostasiatischer Nationen) Auflage August Archiv des Völkerrechts Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Basic Instruments and Selected Documents Bundesratdrucksache Bundestagsdrucksache Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Common Market Law Review derselbe Dezember das heißt Deutsches Handelsarchiv Document Die Öffentliche Verwaltung Dispute Settlement Body Dispute Settlement Understanding Datenverarbeitung, Steuer, Wirtschaft, Recht deutsch Deutsche Verwaltungsblätter Europa-Archiv European Community

Abkürzungsverzeichnis ECOSOC ed. EEA EFTA EG EGKS EGKSV EGV eng\. EPIL EU EuGH EuR

EUV

EuZW EWG EWGV

f. FAU FAZ Feb.

tT. Fn. FS GATS GATT GG GRUR GRUR Int. GUS Hrsg. HStR HVerfR IBRD

2'

19

Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat) Edition Einheitliche Europäische Akte vom 28.2.1986 European Free Trade Association (Europäische Freihandelassoziation) Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft fIlr Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft fIlr Kohle und Stahl vom 18.4.1951 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft englisch Encyc10pedia ofPublic International Law Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europarecht Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift fIlr Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 folgende Friedrich-Alexander-Universität Frankfurter Allgemeine Zeitung Februar fortfolgende Fußnote Festschrift General Agreement on Trade in Services (Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen) General Agreement on Tariffs and Trade (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gemeinschaft unabhängiger Staaten Herausgeber Handbuch des Staatsrechts Handbuch des Verfassungsrechts International Bank for Reconstruction and Development (World Bank); Internationale Bank fIlr Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank)

20 ICITO i.d.S. IGH ILO ILQ IMF insb. IPIC ITA ITC ITO i.V.m. IWF JA Jan. JIEL JÖR JuS JZ Kap. LG lit. MERCOSUR MFA MFN Mio. Mrd. MTN MTO m.w.N. NAFTA n.F. NGO NJW Nr. NYT NZZ o.ä.

Abkürzungsverzeichnis Interim Comrnission for the International Trade Organisation in diesem Sinne Internationaler Gerichtshof International Labor Organization (Internationale Arbeitsorganisation) International Law Quarterly International Monetary Fond insbesondere Treaty on Intellectual Property in Respect of Integrated Circuits Information Technology Agreement International Trade Center International Trade Organization in Verbindung mit Internationaler Währungsfond Juristische Arbeitsblätter Januar Journal of International Economic Law Jahrbuch des Öffentlichen Rechts Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Landgericht littera Mercado Comun dei Sur (Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay) Multifibre Arrangement Most favoured Nation Principle (Meistbegünstigung) Million Milliarde Multilateral Trade Negotiations Multilateral Trade Organization mit weiteren Nachweisen North American Free Trade Agreement (Nordamerikanisches Freihandelsabkomrnen) neue Folge Non-Governmental Organizations Neue Juristische Wochenschrift Nummer New York Times Neue Züricher Zeitung oder ähnliches

Abkürzungsverzeichnis OECD

Okt. OLG Ordo OTC o.V. PPA PVÜ RabelsZ RBÜ Rdn. RGBI. RIW Rs. S. sc. SELA sft Slg. SZ TNC TPRB TPRD TPRM TRIM TRIPS

UAbs. UN UNCTAD UNO u.ö. vgl.

VN VO(EG) Vol.

21

Organization for Economic Cooperation and Development (Organisation rur Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Oktober Oberlandesgericht Ordo Jahrbuch rur die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Organisation for Trade Cooperation ohne Verfasser Protocoll ofProvisional Application Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums Rabels Zeitschrift rur ausländisches und internationales Privatrecht Revidierte Berner Übereinkunft Randnummer Reichsgesetzblatt Recht der Internationalen Wirtschaft Rechtssache Seite scilicet Latin American Economic System Schweizer Franken Sammlung Süddeutsche Zeitung Trade Negotions Committee Trade Policy Review Body Trade Policy Review Division Trade Policy Mechanism Trade-Related Investment Measures Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums Unterabsatz United Nations United Nations Conference on Trade and Development (Konferenz der Vereinten Nationen rur Handel und Entwicklung) United Nations Organization und öfter vergleiche Vereinte Nationen Verordnung der Europäischen Gemeinschaften Volume

22 VVDStRL WIPO

WTO WTOÜ WVK

WVKIO ZaöRV Ziff.

Abkürzungsverzeichnis Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer World Intellectual Property Organization (Weltorganisation für geistiges Eigentum) World Trade Organization (Welthandelsorganisation) Abkommen über die Welthandelsorganisation Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention) Wiener Übereinkommen über das Recht der internationalen Organisationen Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Ziffer

Einführung

Problemstellung und Zielsetzung Die Weltwirtschaft wird durch das System eines überwiegend freien und globalen Wirtschaftsverkehrs bestimmt. Freier Handel hat eine zentrale Bedeutung für den Wohlstand, 1 er ist eine wichtige Grundlage für Sicherheit und Frieden in der Welt. 2 In dieser Überzeugung wurde nach den beiden Weltkriegen der Ordnungsrahmen für die Weltwirtschaft auf einer marktwirtschaftlichen Grundlage geschaffen. 3 Der Welthandel ist mit dem Ziel der "Erhöhung des Lebensstandards", der "Verwirklichung der Vollbeschäftigung", aber auch der "optimalen Nutzung der Hilfsquellen in der Welt", auf der "Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen" organisiert. Diesen Anspruch erhob vor 50 Jahren die Präambel des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) und das fordert auch die Welthandelsorganisation, seit sie 1995 gegründet wurde, in ihrer Präambel. Mit der Welthandelsorganisation (WTO) ist unter großem poliI Th. Oppermann/M. ßeise, Chancen für eine neue Welthandelsordnung, EA 15/16 (1991), 452; U. v. Suntum/R. Vehrkamp, Mehr Freihandel oder Reglementierung durch die Schaffung der Welthandelsorganisation WTO?, in: M. FrenkellD. Bender (Hrsg.), GATI und neue Welthandelsordnung: globale und regionale Auswirkungen, 1996, S. 47 f.; P. Krugman, Der Mythos vom globalen Wirtschaftskrieg. Eine Abrechnung mit den Pop-Ökonomen, 1999, passim; R.ß. Reich, Die neue Weltwirtschaft, 1993, S. 11, 41; K. Ohmae, Die neue Logik der Weltwirtschaft. Zukunftsstrategien der internationalen Konzerne, 1992, passim, insb. S. 15,213; R. Felke, Die neue WTO-Runde: Meilenstein auf dem Weg zu einer globalen Wirtschaftsordnung für das 21. Jahrhundert, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46-47/99, 4; besonders weitgehend H. Giersch, Freier Handel und Mindeststandards als ordnungspolitische Herausforderung, in: Nach der Reform der Welthandelsordnung, 1995, S. 19, spricht davon, daß man "den Wert nicht unterschätzen darf, den das Freihandelsprinzip für die Völker dieser Welt grundsätzlich erlangt hat. Zusammen mit der Freiheit des Kapitalverkehrs sollte man es als eines der vornehmsten Bürgerrechte etablieren". 2 Kant, Zum ewigen Frieden, ed. Weischedel, Bd. VI, S. 226: "Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt"; Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 20. Buch, 2. Kap.; K. Ohmae, Die neue Logik der Weltwirtschaft, S. 240, anders: Goethe, Faust 11, Rdn. 11184: Mephisto: "Man hat Gewalt, so hat man recht. Man fragt ums Was? und nicht ums Wie? Ich müßte keine Schiffahrt kennen. Krieg, Handel und Piraterie, Dreyeinig sind sie, nicht zu trennen. Die drey gewaltigen Gesellen." 3 C. Wilcox, A Charter for World Trade, 1949, S. 5 ff., 37.

24

Einführung

tischen Beifall eine nahezu umfassende Organisation fiir den internationalen Handel entstanden. Diese Entwicklung wird als ein Meilenstein in der Geschichte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen gefeiert. 4 Der internationale Handel wurde mit einem umfassenden Vertragswerk von über 26.000 Seiten und einem institutionalisierten Streitbeilegungssystem verrechtlicht. Anfang 2002 haben 144 Staaten die Mitgliedschaft erworben. s Deutschland ist 1951 Mitglied im GATT und sechs Jahre später Grundungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geworden. 1995 erwarben Deutschland, die anderen 14 europäischen Mitgliedstaaten und die Europäische Gemeinschaft selbst die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation. Die Europäische Gemeinschaft als Staatenverbund und Binnenmarkt bestimmt die deutsche Politik in wesentlichen Bereichen des Außenhandels. Nach Art. 133 EGV fallt der gesamte Warenhandel, weite Teile des Dienstleistungshandels sowie der Handel mit immateriellen Gütern in die handelspolitischen Außenbefugnisse der Gemeinschaft. Der Handel mit geistigem Eigentum verbleibt fast vollständig in den Händen der Mitgliedstaaten. Die zu untersuchende Beziehung zwischen der Welthandelsorganisation, Deutschland und der EuropäIschen Gemeinschaft ist geprägt von sich berührenden, ja ineinandergreifenden rechtlichen Regelungen unterschiedlicher Teile der Rechtsordnung. Die Einwirkung von völkerrechtlichen Normen in die staatliche und gemeinschaftsrechtliche Rechtsordnung ist eine der zentralen Fragestellungen dieser Untersuchung. Erste Entscheidungen über das Verhältnis von Gemeinschafts- und Völkervertragsrecht sind in den 70er Jahren getroffen worden. Das dafiir grundlegende Urteil Haegemann stammt aus dem Jahre 1974. Der europäische Gerichtshof sieht völkerrechtliche Verträge, die nach Art. 300 EGV geschlossen wurden, als einen "integrierenden Bestandteil des Gemeinschaftsrechts.,,6 Trotz dieser Sichtweite verweigert aber, von geringen Ausnahmen abgesehen, 7 der Gerichtshof dem einzelnen Bürger, aber auch den europäischen Mitgliedstaaten, sich auf die Regelungen des GATT -Vertrags zu berufen. Angeführt werden, daß Sinn, Aufbau und Wortlaut des Abkommens einer unmittelbaren Anwendbarkeit entgegenstehen. 8 Obwohl sich das WTO-Abkommen ver4 FAZ 13. April 1994, S. 1, 17; R. Warten weiler, Ein Markstein der Weltwirtschaftsgeschichte. Zum Verhandlungsabschluß der Uruguay-Runde, VN 3 (1994), 87; Th. Oppermann1M. Reise, Die neue Welthandelsorganisation - ein stabiles Regelwerk für weltweiten Freihandel?, EA 7 (1994), 195. S Siehe hierzu die Übersicht der Mitglieder, der um Mitgliedschaft ersuchenden Staaten und der Nichtmitglieder im Anhang. 6 EuGH, 30.4.1974, Rs. 181173, Haegeman, Sig. 1974,449 (460). 7 EuGH, 22.6.1989, Rs. 70/87, Fediol, Slg. 1989, 1781; EuGH, 7.5.1991, Rs. C69/89, Nakajima Sig. 1991,1-2069. 8 EuGH, 12.12.1972, Verb. Rs. 21-24/72, International Fruit Company, Slg. 1972, 1219, Rdn. 19 f.

Einführung

25

rechtlicht hat und damit eine wesentliche Begründungsgrundlage für die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fehlt, ändert der Gerichtshof seine Auffassung auch zu diesem Abkommen nicht. Er bestätigt die Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Verpflichtung aus dem geschlossenen Vertrag, weist aber die unmittelbare Anwendbarkeit zurück. Um den Widerspruch von Verbindlichkeit 1.jnd ablehnender unmittelbarer Anwendbarkeit aufzuzeigen und begründen zu können, sind grundlegende und allgemeine rechtliche Ausführungen zum Völkerrecht und zum Staatsrecht von Bedeutung. Der Staatsbegriff wirkt sich auf das Völkerrechtsverständnis aus. Wird der Staat, wie dies in der Lehre überwiegend vertreten wird, herrschaftlich verstanden, der sich zwar gemäß Art. 20 Abs. 2 GG durch das Volk legitimiert, aber von der Gesellschaft unterschieden wird, läßt sich leichter begründen, daß auch der völkerrechtliche Vertrag, den er geschlossen hat, nur für den Staat selbst verbindlich sein kann, daß aber die Gesellschaft, die Bürger, keinen Anspruch auf Durchsetzbarkeit haben. Konzipiert man demgegenüber den Staat freiheitlich, legt man also dem Recht die Freiheit zugrunde, so werden die Bürger zum Mittelpunkt aller Überlegungen. Folglich handelt auch der Staat als Volk, als Bürgerschaft. Die Ausübung der Staatsgewalt ist im Verfassungsgesetz organisiert. Das gilt innerstaatlich und auch die auswärtige Gewalt kann nur auf dem Willen der Bürger beruhen. Damit aber gelten völkerrechtliche Verträge, weil sie der Wille des Volkes sind und nicht der eines vom Volk gelösten Staates. Es erscheint daher geboten und logisch, daß auf die Freiheitsmaxime gegründete verbindliche völkerrechtliche Verträge auch den Bürger berechtigen und verpflichten und daß er seine Anspruche auch vor Gericht durchsetzen können muß. Ziel dieser Arbeit ist es, angesichts der immer weiter fortschreitenden globalen wirtschaftlichen Integration die Zusammenhänge und Auswirkungen des staatsgrenzenüberschreitende.n Wirtschaftsverkehrs am Beispiel der WTO und der Europäischen Gemeinschaft aufzuzeigen. Die Problemkreise sind so zahlreich, daß die Arbeit nur einen Überblick geben kann. Ausgehend von den Bürgern als der Quelle des Rechts ist zu zeigen, daß der Staat in einer globalen Welt für den Menschen eine notwendige Einrichtung ist. Der Mensch hat, weil er Staatsbürger ist, subjektive Rechte aus den innerstaatlichen Gesetzen. Der Mensch ist aber auch global, er ist auch Unionsbürger (Art. 17 ff. EGV) und er ist Weltbürger (Kant).9 Der Mensch hat als Bürger ein Recht aufRecht, \0 d.h. er

9 Kant, Anthropologie in pragmatischer Absicht, ed. Weischedei, Bd. VI, S. 400, 665; ders., Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, ed. Weischedei, Bd. VI, S. 34; so auch ders., Zum ewigen Frieden, ed. Weischedei, Bd. VI, S.213. 10 K.A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 290 ff., 325 ff.; ders., Freiheit in der Republik, S. 21 ff., 87 ff.

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Einführung

hat ein Recht auf eine rechtliche Ordnung für die Bereiche, in denen er tätig ist; denn wer mit Wirkung auf andere handelt, ist zur gemeinsamen Gesetzgebung verpflichtet. 11 Der Mensch ist als Bürger in Staaten organisiert. Staaten haben die Staatsgewalt inne. Diese ist einzigartig und an die territorialen Grenzen des Staates gebunden. Das gemeinsame Leben, das international verbunden ist, weil beispielsweise die Produkte global sind, machen eine die Hoheitsgrenzen überschreitende Gesetzlichkeit unverzichtbar, wie die WTO für den Welthandelsbereich zeigt.

Gang der Untersuchung Im ersten Teil der Arbeit werden die Grundlagen der Welthandelsorganisation dargestellt, um zu verdeutlichen, was globale wirtschaftliche Integration heißt und wieweit bereits die Institutionalisierung fortgeschritten ist. Die Welthandelsorganisation ist eine ~beinahe alle Staaten erfassende Organisation, die für die Handelsbereiche umfassende Regelungen vorsieht. Ein vorangestellter Blick auf die "Vorgängerorganisation", das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, ist geboten, weil die WTO 1995 darauf aufbauend, aber nicht in rechtlicher Nachfolge, entstanden ist. Der zweite Teil führt kurz und überblickartig in die materiellen Regelungen von GATS und TRIPS ein. Aufbauend darauf wird im dritten Teil die weit fortgeschrittene, effIziente und verrechtlichte Durchsetzung der WTO-Regelungen aufgezeigt. Dabei ist nicht nur das, dem GATI gegenüber umgestaltete Streitbeilegungsverfahren anzusprechen, sondern auch die präventiven Überwachungsinstrumente der WTO. Die turnusmäßig stattfmdende und öffentlich bewertete Überprüfung der Handelspolitik der Mitgliedstaaten erzeugt einen politischen Druck auf die Staaten, die internationalen Rechtsstabilität zu wahren und ihre jeweiligen nationalen Regeln entsprechend den internationalen Verpflichtungen auszugestalten. Dies wird am Beispiel der Europäischen Gemeinschaft exemplarisch dargestellt werden. Im vierten Teil ändert sich der Blickwinkel und der Staat steht im Mittelpunkt der Erörterung. Es geht um die globale wirtschaftliche Integration des Staates. Die grundlegende Frage des ersten Kapitels ist, welche Verbindung zwischen Wirtschaft und Staat besteht. Die multinationalen Unternehmen sind in hohem Maß nicht mehr an·einen Staat gebunden, entstaatlicht, und es mehren sich die Stimmen, die die (Welt-)Wirtschaft nicht mehr durch staatlich gesetzte 11 K.A. Schachtschneider, Der Anspruch auf materiale Privatisierung, S. 265 tT.; ders., Die existentielle Staatlichkeit der Völker Europas, S. 85.

Einfiihrung

27

Rahmenbedingungen eingeschränkt sehen wollen. Doch dabei wird verkannt, daß der Staat innerstaatlich und zwischenstaatlich die einzige Möglichkeit darstellt, eine rechtliche Verbindlichkeit fiir die Menschen auf der Grundlage der Freiheit zu erzeugen. Auch die Wirtschaft kann, obwohl sie international ist, nicht grenzenlos sein, wie ein kurzer Blick auf die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes zeigt. Die Wirtschaft muß den Prinzipien des Rechtsstaats genügen und sich an ihnen ausrichten. Die Ausführungen zu den offenen Staaten, in denen die Völker gemeinschaftlich leben, stellen gewissermaßen das zentrale Kapitel dieser Arbeit dar, weil es grundlegend fiir die weitergehenden Überlegungen ist. Es wird die unterschiedliche Staatskonzeption vorgestellt und damit der souveräne Staat vom freiheitlichen unterschieden. Die Konsequenzen des freiheitlichen Staatsbegriffs sind weitreichend; denn die Unterscheidung von Staatsrecht und Völkerrecht minimiert sich angesichts der Tatsache, daß die Bürger der Erzeuger des Rechts sind. Der fünfte Teil rückt die Europäische Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Es wird erörtert, daß es deutsche Außenhandelspolitik nur noch im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik der Gemeinschaft gibt. Dennoch hat Deutschland selbst das WTO-Abkommen unterzeichnet, weil vereinzelt noch keine Hoheitsrechte übertragen worden sind. Die Außenhandelspolitik der Gemeinschaft, die Eingliederung der Gemeinschaft im GATT 1947 und in der WTO sind die Voraussetzung für die Überlegungen des sechsten Teils, nämlich die Umsetzung von Völkervertragsrecht, dem GATT 1947, einem Abkommen, das die Gemeinschaft nicht unterzeichnete, und der WTO, dem die Gemeinschaft nur aufgrund von Hoheitsübertragung beitreten konnte. Diese Mitgliedschaft wir~ rechtliche Probleme von grundsätzlicher Bedeutung auf. Die ablehnende Haltung des Europäischen Gerichtshofs wird aus republikanischer Sicht kritisch hinterfragt. Die bereits defmitive Absage an die unmittelbare Anwendbarkeit des Rates beim Abschluß des WTO-Abkommens, wie sie im Ratsbeschluß der Europäischen Gemeinschaft zum WTO-Abkommen zu lesen ist, ist nicht haltbar. Die Reziprozitätserwägungen des Gerichtshofs im Urteil PortugaVRat gehen zu weit, weil sie die unmittelbare Anwendbarkeit in Frage stellen. Auch werden die Grenzen der globalen wirtschaftlichen Integration, die trotz der unmittelbaren Anwendbarkeit der völkerrechtlichen Verträge von der Verfassung gezogen werden und gezogen werden müssen, aufgezeigt. Am Ende dieser Ausführungen stehen ein Ausblick und eine Zusammenfassung der Ergebnisse.

J. Teil

Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

1. Kapitel

Historische Entwicklung der Welthandelsordnung I. Die Grundlagen I

Bis zur Gründung der Welthandelsorganisation WTO im Jahre 1995 bildete das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen zusammen mit umfangreichen ergänzenden Abkommen2 knapp fünfzig Jahre die einzige, rechtlich bindende universelle Ordnung3 des Welthandels. Basierend auf der Idee einer marktwirtschaftlichen Ordnungspolitik vereinbarten die Regierungen der Industrienationen am Ende des zweiten Weltkriegs die entscheidende Weichenstellung fiir die internationale Wirtschaft. Mit dem GATT leisteten die 23 Signaturstaaten einen wertvollen Beitrag zur Liberalisierung des Handels sowie zur Stabilisie-

I Die historischen Grundlagen werden nur in dem Umfang wiedergegeben, wie sie flir das allgemeine Verständnis der Entwicklung von Bedeutung sind. AusflihrIich auf die Entstehung und Geschichte des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens gehen ein: F. Jaeger, GATI, EWG und EFTA. Die Vereinbarkeit von EWG und EFTA-Recht mit dem GATI-Statut, 1970; J.H. Jackson, World Trade and the Law of GATI, 1969; R.E. Hudec, Tbe GATI Legal System and World Trade Diplomacy, 1975, S. 3 ff.; K. W. Dam, Tbe GATI. Law and International Economic Organization, 1970, S. 10 ff.; F.K. Liebich, Grundriß des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), 1967; ders., Das GATI als Zentrum der internationalen Handelspolitik unter Anschluß insbesondere der Texte des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), des Baumwollabkommens und des Anti-Dumping Kodex, 1971; C. Wilcox, A Charter for World Trade; und aktueller: R. Senfi, GATI. Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen als System der Welthandelsordnung, 1986; W. Benedek, Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, 1990. 2 Zu nennen sind die Sonderabkommen der Tokio-Runde, auch als MTN-Kodizes bezeichnet. Darunter zählen das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse, der Regierungskäufe-Kodex, der Subventionskodex, der Antidumping-Kodex sowie flinf weitere Abkommen. 3 A.v. Bogdandy, Eine Ordnung flir das GATI, RIW 1 (1991),55.

1. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

29

rung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen der Nachkriegszeit. 4 Geleitet von der Idee des Neoliberalismus wurde die Weltwirtschaft nach dem Prinzip des Wettbewerbs organisiert und geregelt. s Die krisemeiche Zeit der Vor- und Nachkriegsjahre, gezeichnet durch Protektionismus und Bilateralismus, war überwunden. Eine dem Ideal des Freihandels verpflichtete multilaterale Ordnung im Bereich der Wirtschaft wurde mit dem GATI initiiert und beschleunigte die fortschreitende Liberalisierung des internationalen Handels. 6 Mitte der siebziger und Anfang der achtziger Jahre haben sich protektionistische Tendenzen und nichttarifäre Handelshemmnisse 7 als Folge der durch die beiden Ölpreisschocks 1973/74 und 1979/80 verursachten Konjunktureinbrüche ausgebreitet. 8 Die Nichtbeachtung der liberalen Prinzipien des GATI waren vor allem durch ordnungspolitische Widersprüche im GATI-Regelwerk möglich geworden9 • Es wurden "Grauzonemnaßnahrnen"lO vorbei am GATI entwickelt,

93.

41. MolsbergerlA. Kotios, Ordnungspolitische Defizite des GATT, Ordo 41 (1990),

S Diese Art der Wirtschafts betätigung soll im Gegensatz zu anderen Organisationsformen den größtmöglichen gesamtgesellschaftlichen Nutzen verbunden mit den geringsten Kosten bringen, dazu P. T StolI, Freihandel und Verfassung. Einzelstaatliche Gewährleistung und die konstitutionelle Funktion der Welthandelsordnung (GATT/ WTO), ZaöRV I (1997), 87; A.S. Yüksel, GATT-WTO-Welthandelssystem unter besonderer Berücksichtigung der Außenwirtschaftsbeziehungen der Europäischen Union, 1996, S. 30 ff., der allerdings freie Handelsbeziehungen nur für sinnvoll ansieht, wenn sämtlichen Wirtschaftspartnern daraus Vorteile erwachsen. Die klassische Außenhandelstheorie baut auf diesem Prinzip auf, wonach die Weltwohlfahrt nur bei Befreiung von staatlichen Eingriffen in den freien internationalen Warenaustausch allokativ und distributiv effizient ist. Grundlegend dafür sind die Klassiker der Ökonomie mit ihrer Theorie des komparativen Kostenvorteils (Adam Smith, David Ricardo). Diese besagt, daß die gesellschaftliche Wohlfahrt eines einzelnen Landes durch freien Handel ansteigt, weil durch internationale Arbeitsteilung bei effizient genutztem Faktoreinsatz Gewinne erzielt werden können, mit der Folge, daß das Sozialprodukt steigt; bezogen auf das GATT: A.v. Bogdandy, RIW I (1991),56; M. Beise, Vom alten zum neuen GATT - Zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, in: W. Graf Vitzthum (Hrsg.): Europäische und internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland, 1993, S. 184. 6 D. G. Beane, The United States and GATT. A Relational Study, 2000, S. 22 f. 7 Der Begriff "nichttarifares Handelshemmnis" entspricht der deutschen Übersetzung der englischsprachigen Bezeichnung "non-tariff-trade-barrier". In der Literatur wird die Definition dieses Begriffs nur negativ bestimmt. Ganz allgemein handelt es sich bei nichttarifaren Hande1shemmnissen um alle Handelshemmnisse außer Zöllen, dazu auch unter 11. 3. 8 Th. Oppermann/M. Beise, EA 15/16 (1991),451; H. Siebert, Weltwirtschaft, 1997, S.21. 9 J. MolsbergerlA. Kotios, Ordo 41 (1990),93 ff. 10 Dazu zählen auch freiwillige Exportbeschränkungen, die eigentlich nach Art. XI Abs. I GATT ebenso wie Importkontingente verboten sind. Es sind nur Staaten, nicht jedoch Unternehmen an die GATT-Regeln gebunden, d.h., häufig sind Industrieverbände für Exportbeschränkungen verantwortlich. Unternehmen können dadurch "legal" die

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

um durch einseitige Handelsvorteile scheinbar kurzfristige Gewinne zu erlangen. Erreicht wurde dies durch die im GATI-Vertrag enthaltenen Ausnahmeregelungen, die eine Umgehung ermöglichten. Daß diese Umgehungen durchaus völkerrechtlich möglich (und legal) sind, zeigen die Selbstbeschränkungsabkommen, die bilaterale Übereinkünfte zur ModifIkation eines multilateralen Vertrags gemäß Art. 41 Abs. 1 lit. b WVK darstellen. Gleichzeitig stehen sie aber im direkten Konflikt zu den liberalen Ordnungsprinzipien und fUhren dadurch zu einem Widerspruch in der Zielsetzung des GATI. II Gefordert wurde diese Krise auch durch neuere Entwicklungen. Die weltweit wachsende Bedeutung des Handels im Dienstleistungssektor sowie im Bereich des geistigen Eigentums fand in dem GATI von 1947 noch keinen Niederschlag. Diese beiden Handelsbereiche verlangen, neben den bestehenden Regelungen fiir den Warenverkehr, eine zeitgemäße internationale rechtliche Berücksichtigung und Anpassung der weltweiten Handelsordnung.

1. Bretton Woods System Es waren hauptsächlich die Bemühungen der USA, aber auch von Großbritannien, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen bereits während des zweiten Weltkriegs zu überdenken und neu zu ordnen. 12 Hintergrund fiir diese Überlegungen war der Zerfall der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Weltkriegen. 13 Aufgrund dieser Erfahrung herrschte die Überzeugung, daß FrieGATT-Vorschriften umgehen, verstoßen jedoch faktisch gegen den GATT-Geist. Dazu 1. Molsberger, Die Zukunft des GATT, in: W. Zohlnhöfer, Zukunftsprobleme der Weltwirtschaft, 1996, S. 71, und Beispiele bei H. Hauser/K.u. Schanz, Das neue GATT. Die Welthandelsordnung nach Abschluß der Uruguay-Runde, 1995, S. 56. Diese Problematik führt auch zu der Frage des Zugangs Privater zum GATT, dazu C. Th. Ebenroth, Herausforderungen für das internationale Wirtschaftsrecht, RIW 1 (1994), 5 ff. 11 Th. Oppermann/M. Beise, EA 15/16 (1991), 451, grundsätzlich ist die Zielkonformität von Grauzonenmaßnahmen mit dem GATT durch ein Streitschlichtungsverfahren kontrollierbar. In der Vergangenheit blieben die Überprüfungen jedoch die Ausnahme (erfolgreiche Klage der EG gegen Japan wegen des Halbleiterabkommens USAJapan 1988); dazu ausführlich, W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 181 ff. 12 Aus der Atlantik Charta vom 14. August 1941 geht hervor, daß sich der amerikanisehe Präsident und britische Premierminister mit ihren Friedenszielen für eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen allen Nationen im Bereich der Wirtschaft aussprachen, so C. Wilcox, A Charter for World Trade, S. 37. 13 H. Steinberger, GATT und regionale Wirtschaftszusammenschlüsse, 1963, S. 8 und A.S. Yükse/, GATT-WTO-Welthandelssystem, sehen in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre einen Hauptgrund für den Ausbruch des zweiten Weltkriegs, den es für die Zukunft zu vermeiden gilt; Th. Oppermann/M. Beise, EA 7 (1994), 195, erkennen heute in einer stabilen internationalen Wirtschaftsordnung den zentralen Punkt um den

1. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

31

den und politische Sicherhei~ nur durch fmanzielle und wirtschaftliche Sicherheit erreicht werden könnten. 14 Nach dem zweiten Weltkrieg stellte sich jedoch der weltwirtschaftlichen Integration die Teilung der Welt in zwei Machtblöcke entgegen, wobei die USA aufgrund des Weltkrieges die fiihrende Rolle der westlichen Welt übernommen hatte. 15 Das GATI wird daher auch als "hegemoniale Gründung der USA" gesehen. 16 Clair Wilcox,17 einer der Schlüsselfiguren der Nachkriegsverhandlungen um den Welthandel, machte deutlich: ,,Die Anfänge des wirtschaftlichen Liberalismus waren erschüttert durch den ersten Weltkrieg. Die Wirtschaft Europas war zerrüttet und durch die Veränderung der Grenzen und die Schaffung neuer Staaten lebten Nationalismus und Protektionismus auf,,18. Im Mai 1930 erließ USA den Hawley-Smoot-Tariff Act, woraufImportzölle auf den höchsten Level in ihrer Geschichte stiegen. 19 Die Handelspartner, vor allem die europäischen Staaten, reagierten mit entsprechenden Gegenmaßnahmen auf die amerikaniWeltfrieden zu wahren, weil ökonomische Gesichtspunkte seit dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems gegenüber den militärischen an Bedeutung gewinnen und weiter zunehmen werden; so auch B. May, Der erfolgreiche GATI-Abschluß - ein Pyrrhussieg?, EA 2 (1994),40, der von veränderten weltpolitischen Rahmenbedingungen seit Beginn der Uruguay-Runde spricht, wodurch ökonomische Interessen in den Vordergrund traten; ähnlich, aber eine noch weitergehende Sichtweise demonstriert W. Benedek. Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 1: "Es steht zu erwarten, daß die Bedeutung des GATI als Rechtsordnung in einer von wirtschaftliChen Interessen dominierten Welt, in der überdies auch politische Interessen zunehmend mit wirtschaftlichen Mitteln, insbesondere der Handelspolitik, verfolgt werden, noch weiter zunehmen wird." 14 Der internationale Handel nahm in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg einen unerhörten Aufschwung und bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde darin ein wichtiger friedensfOrdernder Faktor erkannt, so O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, 6. Aufl. 1997, S. 267 ff. IS D.G. Beane, The United States and GATI, S. 9, der die USA als "prime players in the negotions" bezeichnet; denn "without the United States' participation, these organizations would either have never been born or been still-born." 16 R. Rode, Die Rolle der Europäischen Union in der politischen Dimension der wirtschaftlichen Globalisierung. Globalisierung und Regionalisierung, in: P.-Ch. Müller-Graf (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, 1999/2000, S. 50. 17 Clair Wilcox war einer der führenden Delegierten bei den Konferenzen in London, Genf und Havanna; dazu ders., A Charter for World Trade, S. 3 ff.; K. Kock, International Trade Policy and the GATI 1947 - 1967, 1969, S. 29. 18 C. Wilcox, A Charter for World Trade, S. 5 (Übers. durch Verfasser). 19 Der durchschnittliche Zollsatz lag bei über 50 %, dazu K. Kock, International Trade Policy and the GATI 1947 - 1967, S. 2, 11; ebenso H. Steinberger. GATI und regionale Wirtschaftszusammenschlüsse, S. 9; W. Diebold, The End of the I.T.O., 1952, in: Princeton University International Finance Section (Hrsg.), Essays in International Finance, No. 1-20, 1943-1954, S. 6 f.; E.-u. Petersmann, Protektionismus als Ordnungsproblem und Rechtsproblem, RabelsZ 47 (1983), 487.

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

sche Hochzollgesetzgebung. Großbritannien schaffte den freien Handel ab und führte im Februar 1932 einen Einheitszoll ein. 20 In den Jahren 1929 bis 1932 fiel der Welthandel wertmäßig auf ein Drittel des Vorjahresniveaus zurück,21 Eine Protektionsspirale begann. Der Rest der Dekade ist durch verstärkten wirtschaftlichen Nationalismus gekennzeichnet - jede Nation versuchte, viel zu exportieren, jedoch so wenig wie möglich zu importieren. 22 Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, wurde 1944 die Bretton-Woods-Konferenz zum Aufbau der Nachkriegsweltwirtschaft einberufen. 23 Das Ziel war, die protektionistischen nationalen Interessen zurückzudrängen und eine freiheitliche, s~abil organisierte Neuordnung der Weltwirtschaft durch Regeln mit völkerrechtlich verbindlichem Charakter und mit möglichst vielen teilnehmenden Staaten zu schaffen. Helmut Steinberger spricht von einer "kühnen und großartigen amerikanischen Konzeption, die schließlich zur Errichtung der Vereinten Nationen und der Bretton-Woods-Institutionen geruhrt hatte".24 In Bretton Woods wurden Richtlinien fiir ein internationales Finanzsystem aufgestellt, gekennzeichnet durch die Errichtung von festen Wechselkursen, Konvertibilität der Währungen und die Festlegung des Dollars als Reservewährung. 25 Es entstanden daraus der Internationale Währungsfond26 und die Weltbank27 .28 Neben diesen beiden fmanziellen Institutionen war die ITO, die Internationale Handelsordnung, als dritte Säule der Welthandelsordnung vorgesehen. 29 Als Sonderorganisation im Rahmen der Vereinten Nationen ge-

C. Wilcox, A Charter for World Trade, S. 5 ff. R. Senti, GATI, S. 4. 22 C. Wilcox, A Charter for World Trade, S. 6. 23 Die Konferenz fand vom I. bis 22. Juli 1944 in Bretton Woods, New Harnpshire, USA statt; dazu ausftihrlich J.H. Jackson, World Trade and the Law of GATI, S. 27; K. Kock, International Trade Policy and the GATI 1947 - 1967, S. 26 ff. 24 H. Steinberger, GATI und regionale Wirtschaftszusammenschlüsse, S. 20. 25 Bis Anfang der 70er Jahre konnte sich das System der stabilen Wechselkursverhältnisse halten. Der Dollar geriet dann durch die D-Mark und den Yen immer stärker unter Druck bis schließlich 1971 das System der festen Wechselkursbeziehungen zusammengebrochen ist. Die Versuche, das System zu retten, wurden zwei Jahre später aufgegeben; ausftihrlich dazu W. Hankel, Der lange Weg zum monetären Völkerrecht. Geschichte der Geldlehren, Lehren der Geldgeschichte, in: K.A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 25 ff. 26 Abgekürzt auch IMF - International Monetary Fund. 27 Abgekürzt auch IBRD - International Bank for Reconstruction and Development. 28 J.H. Jackson, Restructuring the GATI system, 1990, S. 10; K. Kock, International Trade Policy and the GATI 1947 - 1967, S. 26 ff.; J.H. Jackson, The World Trading System. Law and Policy of international Economic Relations, 1989, S. 4, 27 ff. 29 O. Long, Law and its Iimitations in the GATI multilateral trade system, 1985, S. I. 20

21

I. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

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plant/o war die Handelsordnung die wirtschaftliche Ergänzung in der Neuordnung des internationalen Wirtschaftssystems auf multilateraler Ebene.

2. Internationale Handelsordnung

Erste Entwürfe als Grundlage fiir eine Welthandelscharta wurden 1945 sowohl von der amerikanischen als auch von der britischen Regierung vorgelegt.31 Ein Jahr später ging ein detaillierter Vorschlag über die Errichtung einer internationalen Handelsorganisation als Sonderorganisation der UNO von der amerikanischen Regierung ein. 32 Im Februar 1946 beschloß der Wirtschafts- und Sozialausschuß (ECOSOC 33 ) der im Dezember des VOljahres gegründeten Vereinten Nationen, eine internationale Konferenz über Handel und Beschäftigung mit dem Zweck einzuberufen, eine Welthandels organisation zu entwerfen und gleichzeitig über die Möglichkeit von Zollsenkungen zu verhandeln. Ein Ausschuß von 18 Staaten überarbeitete in drei Vorbereitungskonferenzen die genannten Entwürfe fiir die geplante Konferenz. 34 Das grundlegende Dokument war der "Genfer Report", das Ergebnis der letzten Vorbereitungskonferenz. Dieses Treffen in Genf, von April bis August 1947, war vielgestaltig und verfolgte drei Hauptziele: Es galt zum einen, eine Charta fiir die geplante inteinationale Handelsorganisation weiter zu entwikkeln. Zum anderen wurden gleichzeitig Verhandlungen über ein multilaterales Abkommen mit dem Ziel von Zollsenkungen gefiihrt. Gleichzeitig sollten allgemeine Bestimmungen über Zollverbindlichkeiten entworfen werden. 35 30 C. Wilcox, A Charter for World Trade, S. 22; F.K. Liebich, Das GATI als Zentrum der internationalen Handelspolitik, S. 9. 31 US-Regierung: Proposal for Consideration by an International Conference on Trade and Employment, in: US Department of State: Proposals for Expansion of World Trade and Employment, Washington D.C. 1945 Pub!. 2411; und Britische Regierung: Proposal for Consideration by an International Conference on Trade and Employment, London 1945; R. Hudec, The GATI legal system and world trade dipolmacy, S. 8 folgend, gingen die Diskussionen, die bereits im September 1943 begannen, über den Aufbau und die Gestaltung der Nachkriegs(welt)wirtschaft von USA und England aus; ebenso W. Diebold, The End ofthe ITO, S. 3. 32 Suggested Charter for an International Trade Organization (ITO) of the United Nations, Washington D.C. 1946, I. Seidl-Hohenveldern, Das Recht der internationalen Organisation, 6. Autl. 1996, Rdn. 3001; Text der geplanten ITO, ILQ 2 (1948), 283 ff. 33 Economic and Social Counci!. 34 Diese Entwürfe wurden als London-Report (Okt. bis Nov. 1946 in London) (UN Dokument EP CT/33) und als Genfer-Report (April bis Aug. 1947 in Genf) (UN Dokument EP CT/186) veröffentlicht. Ausführlich dazu R. Hudec, The GATI legal system, S. 9, und J.H. Jackson, World Trade and the Law ofGATI, S. 27 ff. 35 Die letzten beide Ziele haben sich schließlich im GATI manifestiert.

3 Siebold

34

l. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

In Havanna, Kuba, fand zwischen dem 21. November 1947 und 24. März 1948 die Internationale Konferenz über Handel und Beschäftigung statt, die nach dem Veranstaltungsort auch ,,Havanna-Konferenz,,36 genannt wird. Hauptzweck der Internationalen Handelsordnung war der Abbau von Zöllen unter dem Grundsatz der Gegenseitigkeit (Reziprozität)37. Die USA waren bereit, die Zölle bis zu 50 Prozent zu reduzieren, sie sahen jedoch Schwierigkeiten, ähnliches im landwirtschaftlichen Bereich durchzusetzen. Sie unterstützten daher weiterhin, ebenso wie die Engländer,l8 ihre Farmer mit Preisen, die weit über dem Weltmarktniveau lagen, um das Überleben dieser Branche zu schützen. Darüber hinaus forderten die: USA bei den Verhandlungen fiir alle Handelsverträge eine Schutzklausel, um die heimische Industrie (zu einem späteren Zeitpunkt) durch Aussetzung von Zollzugeständnissen im Falle einer Bedrohung oder Schädigung zu schützen. 39

11. Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, GATT 1947

1. GA IT als" Zwischenschritt " Nachdem sich die Mitgliedsländer des Vorbereitungsausschusses in der Genfer Konferenz zu Verhandlungen über Zollsenkungen und den Abbau von sonstigen Handelsbeschränkungen entschlossen hatten, noch bevor die internationale Handelsorganisation in Kraft trat,40 wurde ein separates Dokument, das spätere Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, 41 zur Sicherung der Zugeständnisse entwickelt. Im Anhang des "London Report" vom Oktober 1946 ist ein erster Entwurf verfaßt. Dieser enthält Bestimmungen über die Beseitigung der mengenmäßigen 36 Die gesamten Ergebnisse dieser Konferenz wurden mit unterschiedlichen Titeln veröffentlicht. Von den Vereinten Nationen: "Final Act and Related Document" (UN Document ElConf. 2178), den Vereinigten Staaten "Havanna Charter for an International Trade Organization" (US Depaitment of State Public. No. 3117) und Großbritannien "United Nations Conference on Trade and Employment". 37 Zu den GATT-Prinzipien 3. Kap. 11. 38 R. Hudec, The GATT legal system and World Trade Diplomacy, S. 13. 39 R. Hudec, The GATT legal system and World Trade Diplomacy, S. 13; R. Sen/i, GATT,S.6. 40 R. Sen/i, GATT, S. 16. 41 Auch als "Allgemeines Abkommen" bezeichnet, weil erstmals ein multilaterales Handelsabkommen an die Stelle der bilateralen Abkommen der Vergangenheit trat, so u.a. bei F. Jaeger, GATT, EWG und EFTA, S. 50, ebenso P. T. S/o/l, Die WTO: Neue WelthandeIsorganisation. Ergebnisse der Uruguay-Runde des GATT, ZaöRV 54 (1994), 264.

1. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

35

Handelsbeschränkungen, Senkung der Zölle und nichtdiskriminierende Anwendung handelspolitischer Maßnahmen. In einer zweiten Sitzung (Genf, April bis Oktober 1947) wurde der Entwurf überarbeitet und gleichzeitig beschlossen, Kapitel 4 (Art. 16 - 45) der Havanna Charta vorwegnehmend zu verselbständigen und als "GATT" in Kraft treten zu lassen. 42 Es sollte damit ein Teilstück des groß angelegten Vertragswerks der internationalen Handelsorganisation bereits als Übergangsregelung für die Zeit bis zu ihrem Inkrafttreten wirksam werden, um die vorgesehene Handelsliberalisierung möglichst schnell zu realisieren. 43 Das GATT war nicht als eigenständiges Vertragswerk gedacht, sondern sollte, bald nach der RatifIzierung, in die ITO eingegliedert werden. Weil der US-Kongreß dem Beitritt zur ITO nicht zugestimmt hatte, wurde die Form des multilateralen Vertrags, namentlich das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, GATT, gewählt. Dafür war eigens keine Einwilligung des Kongresses nötig.« Das GATT wurde daher nur mit minimalen institutionellen Vereinbarungen versehen. Notwendige Organisations fragen fanden keine Berücksichtigung. Es ist das Bestreben der USA, aber auch der europäischen Staaten, die Öffnung der Absatzmärkte zu erreichen. Diese sollte mit Hilfe des GATT erreicht werden. Es war das Ziel, durch den Abbau von Zöllen und anderen Handelsschranken eine offene, nicht.'diskriminierende Basis für die Weltwirtschaft auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen mit dem Ziel zu schaffen, den Lebensstandard zu erhöhen, Vollbeschäftigung und ein hohes, ständig wachsendes Realeinkommen zu verwirklichen. 4s Der Präambel des GATT ist jedoch bereits zu entnehmen, daß diese Ordnung auch ein Instrument zur Verwirklichung übergeordneter Ziele darstellt. So zählen neben den handels- auch entwicklungs- und sozialpolitische sowie ökologische Aspekte zu den Grundanliegen des GATT. Am 30. Oktober 1947 wurde das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, abgekürzt nach den Anfangsbuchstaben seiner englischen Bezeichnung "General Agreement on Tariffs and Trade", GATT, in Genf von 23 Regierungen46 F. Jaeger, GATI, EWG und EFTA, S. 54. Eine detaillierte Beschreibung der Hintergründe des vorzeitigen Inkrafttreten des GATI beiJ.H. Jackson, World Trade and the Law ofGATI, S. 34 ff. 44 R. Sen/i, Die neue Welthande\sordnung. Ergebnisse der Uruguay-Runde, Chancen und Risiken, Ordo 45 (1994), 301 ff. 45 So fordert es die Präambel des GATI. 46 Die 23 Signaturstaaten sind in der Präambel namentlich aufgefiihrt: Australien, Belgien, Brasilien, Birma, Kanada, Ceylon, Chile, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Kuba, Libanon, Luxemburg, Neusee\and, Niederlande, Norwegen, Pakistan, Süd-Rhodesien, Südafrikanische Union, Syrien, Tschechoslowakei und die Vereinigten Staaten von Amerika. 42

43

3"

36

I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

unterzeichnet und trat aufgrund des Protokolls über die vorläufige Anwendung'" provisorisch am 1. Januar 1948 in Kraft. 48 Nach Art. 25 der Wiener Vertragsrechtskonvention unterscheidet sich die vorläufige Anwendung eines Abkonunens hinsichtlich der inhaltlichen Geltungskraft nicht von der endgültigen Anwendung.

2. Havanna Charta Die Havanna Charta49 als Satzung der internationalen Handelsorganisation erreichte ihr Ziel nicht. so Zwar wurde dem Vertragswerk allgemein von den beteiligten Staaten auf der Internationalen Konferenz über Handel und Beschäftigung zugestinunt, jedoch haben bis 1952 nur die Regierungen von zwei Ländern, Liberia und Haiti,SI diese Charta gemäß Artikel XXVI Abs. 4 GATT angenonunen. In den Vereinigten Staaten wurde soviel Kritik laut, daß im Dezember 1950 Präsident Truman das Abkonunen, welches schon dem Kongreß vorlag, zurücknahm. S2 Obwohl auch die Vereinigten Staaten die Initiative rur die Entwicklung der Charta übernonunen hatten, stinunten sie einer Ratifizierung nicht zu. Damit galten die Pläne als gescheitert, die vorsahen, eine internationale Handelsorganisation nach langjährigen Verhandlungen als ausgewogene Basis fiir eine Welthandelsordnung zu schaffen. S3

47 Auch als pp A bezeichnet, Protocoll of Provisional Application, abgedruckt bei J.H. Jackson, International Economic Relations, 1977, S. 40 I ff. 48 Die deutsche und im folgenden veIWendete Fassung ist vom I. März 1969, BGB\. 1951 11, 173 ff.; rechtlich verbindlich ist der GATT-Text nur in englischer und französischer Sprache, vgl. BISD IV (1969), S. I ff. 49 Text der "Havanna-Charta über die Errichtung einer Internationalen HandeIsordnung", in: DHA, 1949,31. so K. Ipsen/U.R. Haltern, Reform des Weithandelssystems? Perspektiven zum GATT und zur Uruguay-Runde, 1991, S. 5. SI Liberia hat am 17. Mai 1950 und Haiti am 7. März 1952 das GATT angenommen, wobei Liberia schon 1953 wieder von dem Vertrag zurückgetreten ist. Die anderen Länder warten vergeblich mit der Ratifizierung auf die USA. Diese war gemäß der Bestimmung notwendig, daß die ITO nur in Kraft tritt, wenn sie von soviel Ländern ratifiziert würde, die insgesamt 85 % des Welthandels ausmachten. Die USA hatte dabei den größten Anteil mit 20 % und damit Sperrminorität. Daher war auch ihre Annahme des Vertrag allein entscheidend; dazu J.H. Jackson, World Trade and the Law of GATT, S. 60; E. McGovern, International Trade Regulation, 2. Aufl. 1986, S. 10 f. S2 D.G. Beane. The United States and GATT, S. 10 f., 17 f.; J.H. Jackson, Restructuring the GATT System, S.12; K. Ipsen/U.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems?, S. 5. S3 C. Wilcox, A Charter for World Trade, S. 171 ff.; J.H. Jackson, The World Trading System, S. 33 f.

I. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

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Warum die Vereinigten Staaten dieses Abkommen nicht ratifIziert haben, wird mit wenigen, zum Teil auch widersprüchlichen Aussagen in der Literatur begründet. F erdinand K. Liebich stellt allgemein eine Veränderung der amerikanischen Einstellung heraus. In der Havanna Charta seien viele planwirtschaftliehe Gedanken Roosevelts enthalten, die dem politischen Denken der fünfziger Jahre nicht mehr entsprächen. 54 Mißbilligung kam auch aus den eigentlich die Handelsliberalisierung befürwortenden Wirtschaftskreisen, die der Charta mangelnde Zielorientierung in der Abschaffung von Handelsrestriktionen vorwarfen, weil zu viele Schutz- und Befreiungsklauseln enthalten waren. Im Gegensatz dazu steht die Begründung der Protektionisten, daß die Havanna-Charta nicht genügend Schutz fiir die heimische (amerikanische) Wirtschaft bietet. 55 Nachdem die USA die Havanna Charta nicht ratifIziert hatten, übernahm die zur Vorbereitung der ITO gegründete Kommission die Verwaltung. 56 Weil auch ein Versuch der VERTRAGSPARTEIEN57 des GATI, als institutionellen Rahmen eine Organisation fiir Zusammenarbeit im Handel, OTC,58 statt der abgelehnten ITO als Rechtsgrundlage fiir das GATT zu schaffen, nach Jahren erneut scheiterte,59 lag die Verwaltung seither bei der ICITO und wandelte sich de facto in das GATT -Sekretariat, Genf. Daß sich das GATT, nachdem die den Welthandel umfassende ITO gescheitert war, in den Jahren seiner Anwendung zu einem selbständigen, multilateralen, internationalen Handelsabkommen mit Regeln fiir eine weltweite Liberalisierung des Handels in Waren entwickelt hat und folglich vielfach mit einer Welthandelsordnung in Verbindung gebracht wird, hat seinen Grund im wirt-

Grundriß des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, S. II W. Diebold, The End ofITO, S.14 f. 56 R. Senti, GATT, S. 17; die Kommission ICITO (Interim Commission for the International Trade Organisation) entstand 1947/48 in Havanna. 5? Zur Organisation des GATT unter 3. Besonderheiten des GATT. 58 F.K. Liebich, Grundriß des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, S. 12. OTC steht rur Organisation for Trade Cooperation; die OTC war eine weniger ausfiIhrIich geplante Organisation als die ursprünglich vorgesehene ITO. Die Idee, trotz der gescheiterten ITO einen institutionellen Rahmen filr das GATT zu schaffen und somit einer Spezialorganisation mit eigener Rechtspersönlichkeit die Ziele und Aufgaben zu übertragen, liegt in der wachsenden Bedeutung des GATT als Zentrum des internationalen Handels begründet. Dazu J.H. Jackson, World Trade and the Law ofGATT, S. 38. Zur Unterzeichnung der Satzung vom 10. März 1955 vg!. BGB!. 1957 II, 605, 682. 59 Die amerikanische Regierung stand erneut hinter dem Vorschlag, doch der Kongreß lehnte die Errichtung einer internationalen Handelsorganisation wiederum ab. Das gaben die USA während der dritten Handelsrunde in Torquay, England, bekannt. 54

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

schaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit und vor allem in dem zahlreichen Abbau der Zollschranken.60 Formal hat das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen jedoch nie den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen erhalten61 und wird de iure aufgrund des fehlenden organisatorischen Rahmens auch nicht als internationale Organisation angeseh~n, obwohl es im Laufe der Jahre diesen Rang faktisch erreicht hat. 62

3. Besonderheiten des GATT 1947

Trotz seiner provisorischen Natur, angewandt als Abkommen aufgrund des ,,Protokoll über die vorläufige Anwendung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen" blieb das GATI das einzige multilaterale Instrument, das den internationalen Handelsbeziehungen über 48 Jahre zugrunde lag. Statutarisch fehlte dem GATI der organisatorische Rahmen. Ob es als verselbständigtes Bruchstück der nicht zustande gekommenen ITO ,,nur" den Status eines Handelsabkommens oder ob es als ein geschlossenes eigenes Abkommen den einer internationalen Organisation erreicht, ist strittig. 63 Das GATI besitzt weder eine eigene völkerrechtlich juristische Persönlichkeit noch de iure ein eigenes Sekretariat. Als unstreitig wird angesehen, daß es sich beim GATI "generell nur um eine partielle Rechtsfähigkeit handeln kann".64 Aber es fehlt eine ausdrückliche Zuerkennung der Rechtspersönlichkeit des GATI im Abkommen. In der Literatur wird diese Frage nicht einheitlich beantwortet. Wolfgang Benedek weist darauf hin, daß das GATI auf gewohnheitsrechtlichem Weg zu einer zwi-

60 E.-U. Petersmann, Die Europäische Gemeinschaft und GATT, in: M. Hilflders., GATT und Europäische Gemeinschaft, 1986, S. 24. 6\ l Seid/-Hohenve/dern, Das Recht der Internationalen Organisationen, Rdn. 0814a, so auch Th. Oppermann, Die Europäische Gemeinschaft und Union in der Welthandelsorganisation (WTO), RlW 11 (1995), 922, bezeichnet es als "UN-Ferne" des GATT, die sich zum einen aus der Entstehungsgeschichte und zum anderen auch aus dem Engagement der UNO seit 1974 für eine "Neue Weltwirtschaftsordnung" ergab, welcher völlig andere Prinzipien als dem GATT zugrunde gelegt werden sollten. Zudem war und ist (und das gilt für die WTO gleichermaßen) die UNCTAD die Handelsorganisation der Vereinten Nationen. 62 Daß das GATT im internationalen Rechtsverkehr als völkerrechtliche Organisation behandelt wird, beruht auf einem gewohnheitsrechtlichen "Grundkonsens", dazu W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 47 f.; l Seid/Hohenve/dern, Völkerrecht, 9. Aufl. 1997, Rdn. 801,809; so auch M Beise, Vom alten zum neuen GATT - zu den neuen Dimensionen der Welthandelsordnung, S. 1. 63 Dazu auch allgemein 4. Teil 3. Kap.lI. 64 K. lpsen/U.R. Ha/tern, Reform des Welthandelssystems?, S. 7.

1. Kap.: Historische Entwicklung der WeIthandeIsordnung

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schenstaatlichen Organisation geworden iSt. 65 Nach Helmut Steinberger hat sich das GATI "vom provisorischen Zoll- und Handelsabkommen zu einer Institution entwickelt, deren Ordnungsfunktion nahezu der einer Welthandelsorganisation gleichkommt. ,,66 Auch bei John H. Jacl,son kommt der gewohnheitsrechtliche Aspekt zum Ausdruck, indem er bereits in der Überschrift vom "GATI as an organization" spricht, mit der knappen Begründung, "despite the original intention of the draughtsrnen that GATI was not to be an international organization, history force it to assume that role.,,67 Für Richard Senti ist das GATI im eigentlichen Sinne somit keine internationale Organisation, es wird aber wie eine solche behandelt.68 Benedek stellt heraus, daß eine Dichotomie des GATI als völkerrechtlicher Vertrag und als internationale Organisation bestehe, bei der die "Vertragsparteien des Abkommens" zugleich als ,,Mitglieder der Organisation" erscheinen,69 sich aber das GATI zu einer internationalen Organisation entwickelt habe. 70 Liebich sieht, daß das GATI "im Laufe der Zeit die Arbeitsforrnen einer internationalen Organisation angenommen,,71 habe. Auch die Staaten haben das GATI als eine solche anerkannt. 72 Es entwickelte sich zu einer stabilen Rechtsordnung 73 für den internationalen Handel, weil es sowohl die wichtigsten Handelsnationen .als auch beinahe alle Staaten der Welt vertritt und die rechtlichen Rahmenbedingungen fiir den Welthandel der Mitgliedstaaten festlegt. Während der Tokio-Runde wurde durch die Hinzufiigung einer Reihe einzelner Abkommen und Rechtsakte, den sogenannten Kodizes, das GATI zersplittert. 74 Peter- Tobias Stoll spricht als Folge von einer ,,Balkanisierung" der Rechtsgrundlagen des GATI; denn die Kodizes unterscheiden sich nach dem

6S W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 251 f.; so auch O. Long, Law and its limitations in the GATI multilateral trade system, S. 45. 66 H. Steinberger, GATI und regionale Wirtschaftszusammenschlüsse, S. 15. 67 J.H. Jackson, Restructuring the GATI system, S. 18. 68 R. Senti, GATI, S. 21. 69 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 185 ff.; K. Ipsen/U.R. Haltern, Reform des WeIthandeIssystems?, S. 7. 70 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 261 ff. 71 Das GATI als Zentrum der Internationalen Handelspolitik, 1971, S. 17; noch weitergehend argumentiert K.w. Dam, The GATI, S. 335 "whether the GATI should nevertheless be viewed as an "organization" is a futile and abstruse question, which need not detain us here." 72 R. Senti, GATI, S. 21, 39; so auch F. Jaeger, GATI, EWG und EFTA, S. 51. 73 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. I. 74 Auflistung der Kodizes bei W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 104, BISD 26S (1980), 8-188, ABlEG. Nr. L 71 (1980).

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1. Teil: Die Grundlagen der We\thandelsorganisation

Mitgliederbestand, 7S sie besitzen eigene Organe und eigene Streitschlichtungsbestinnnungen. 76 Die organisatorischen Strukturen des GATI waren rudimentär. 77 Das originäre Organ waren die "VERTRAGS PARTEIEN" (in Großbuchstaben). Sie kennzeichnet das gemeinsam handelnde Gremium, die (de facto) Organisation. 78 Die VERTRAGS PARTEIEN traten regelmäßig zusammen, um die Durchfiihrung derjenigen Bestinnnungen dieses Abkommens sicherzustellen, die ein gemeinsames Vorgehen erfordern und um allgemein die Durchfiihrung dieser Abkommen und die Erreichung seiner Ziele zu erleichtern" (Art. XXV GATI 1947) In der Terminologie des GATI wird die normale Schreibweise, "Vertragsparteien" verwendet, wenn auf eine oder mehrere der nicht gemeinsam handelnden Vertragsstaaten bezug genommen, oder von einzelnen Mitgliedern gesprochen wird. 1960 wurde von den VERTRAGSPARTEIEN ein GATI-Rat eingesetzt (Art. XXV Abs. 1 GATI 1947),79 der sich der Vorbereitung und Durchführung von Tagungen, Ministerkonferenzen und Handelsrunden widmet. De facto bestand auch ein Sekretariat, obwohl es im Rahmen des Allgemeinen Zollund Handelsabkommens nicht vorgesehen war. 80 Geleitet wurde es vom Generaldirektor. 81 Daneben gab es ein kleines operatives Organ, das sich "Beratungsgruppe der 18" nannte, zahlreiche Ausschüsse, Arbeits-gruppen, Panels zur Streitbeilegung und die vielen Organe der Sonderab-kommen des GATI. 82 Das GATI-Abkommen besteht aus 38 Artikeln. Artikel I nimmt dabei eine Schlüsselfunktion ein. Er legt die Meistbegünstigungsverpflichtung zwischen allen Vertragsparteien fest. 83 Artikel 11 bildet die Grundlage fiir die Zollzugeständnisse, die in separaten Listen als integraler Teil des Abkommens aufge75 Der Beitritt war freigestellt. Den Abkommen über Mi\chproduktion und Rindfleisch konnten alle Mitglieder der Vereinten Nationen beitreten, also Teilnahmemöglichkeit über den GA TT-Mitgliederkreis hinaus. 76 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 104 ff. 77 K. Ipsen/U.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems?, S. 9. 78 R. Hudec, The GATT legal system and World Trade Diplomacy, S. 51, spricht in diesem Zusammenhang sogar von der "Schattenorganisation". W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 48 geht noch einen Schritt weiter, er sieht in den Vertragsparteien eine Interessengemeinschaft, die sich in der Rechtsgemeinschaft des GATT manifestiert. "Es handelt sich um eine Gemeinschaft Gleichgesinnter, die im Dienst der Förderung des Gemeinwohl stehe". 79 Detai\liert dazu R. Senti, GATT, S. 48 f.; W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 214 ff. 80 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 226; R. Senti, GATT, S. 49; K. IpsenlU.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems? , S. 10. 81 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 226 ff. 82 Ausfiihrlieh dazu W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 216 ff., 224 f.; R. Senti, GATT, S. 53 tT.; K. Ipsen/U.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems?, S. 10 ff. 83 Dazu ausfiihrIich 3. Kap. 11.

1. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

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führt sind. Das grundlegende Prinzip der Inländerbehandlung ist in Artikel III formuliert und verbietet innerstaatliche Regelungen, die importierte Produkte diskriminieren. 84 Es folgen Artikel zur Kontrolle und Verhinderung von zollähnlichen Hemmnissen. Artikel XI verbietet mengenmäßige Beschränkungen und Artikel XV sieht eine Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds vor. 8S Die Notstandsmaßnahmen, die sog. "Escape Clause" des Artikel XIX, beschreiben das mögliche Vorgehen, wenn Importe unter Bedingungen in ein Land eingeführt worden sind, die inländischen Erzeugern Schaden zurugen (könnten). Artikel XXIII regelt die Streitbeilegung des GATT 1947. Teil III des Abkommens beginnt mit dem langen Artikel XXIV, der Zollunionen und Freihandelszonen unter bestimmten Umständen eine Ausnahme von der Meistbegünstigungsverpflichtung gewährt. Die letzten Artikel dieses Teils beinhalten institutionelle Regelungen wie Rücktritt oder die Beziehung zwischen dem GATT und der Havanna-Charta. Teil IV ist den Entwicklungsländern vorbehalten. Das GATT bot bis zur Ablösung durch die WTO ein Forum fiir Handelsrunden und hatte durch seine Streitschlichtungsordnung eine Hauptfunktion in der friedlichen Beilegung von Handelsstreitigkeiten, obgleich es nicht über die Sanktionsmöglichkeiten der jetzigen Welthandelsorganisation verrugte. 86 1948 zählte das GATT nur 23 Vertragsparteien. Bis zu seiner Ablösung durch die Welthandelsordnung im Jahre 1995 ist es auf 132 Mitglieder mit unterschiedlichstem Entwicklungsstand und Wirtschaftsverständnis angewachsen. Damit lehnt es sich an die in Artikel 1 Nr. 2 und 3 der Charta der Vereinten Nationen beschriebenen Ziele an. In Achtung vor dem Grundsatz der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker sind Beziehungen zwischen den Nationen zu entwickeln und eine internationale Zusammenarbeit zur Lösung von wirtschaftlichen und sozialen Problemen herbeizufiihren. Diese von der Generalversammlung der Vereinten Nationen erkannte Notwendigkeit und Verpflichtung der Staaten zur weltweiten Kooperation, hat in Unabhängigkeit von den jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systemen zu erfolgen. 87 Diese Forderung legte den Grundstein fiir die fortschreitende (wirtschaftliche) Globalisierung. Möglich wurde die große Repräsentativität des GATT durch eine besondere Berücksichtigung der Entwicklungsländer. Dafiir wurde das GATT-Abkommen

Dazu ausflihrIich 3. Kap. 11. Vgl. dazu 2. Kap. VI. . 86 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 75. 87 R. Wolfrum, Zu Art. 1, in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen, Kommentar, 1991, Rd. 21. 84 8S

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

1965 um den Teil IV, überschrieben mit ,,Handel und Entwicklung", erweitert. 88 Wolfgang Benedek sieht in diesem Zusatz ein nur ,,halbherziges Bekennen" zu den Anliegen der Entwicklungsländer. Gleichzeitig aber deutet er diese Entwicklung als Schritt in Richtung eines "sozial-liberalen Kompromisses" und damit weg von dem "liberalen Bruchstück des GATT", in dem vor allem die westlichen Interessen vertreten waren. 89 Das GATT erfiillte seine Aufgabe über 47 Jahre mit Erfolg und hat bis zur Gründung der WTO die Rolle als wichtiger Stützpfeiler in der Welthandelsordnung trotz seines provisorischen Charakters und der eingeschränkten Regelungsdichte ausgefüllt. Im Laufe der Zeit trat nach überwiegender Auffassung90 neben das GATT als multilateraler Vertrag das GATT als internationale Institution. Die Fortentwicklung wurde getragen durch die Rechtsordnung des GATT, die sich in den Prinzipien Nichtdiskriminierung und Reziprozität91 manifestiert. Dieses positive Ergebnis schlägt sich in erster Linie im vehementen Abbau von Zöllen92 und einer globalen Förderung der Liberalisierung des Welthandels nieder. 93 Mit Inkraftsetzung der WTO erhält das GATT de iure die Kompetenz einer Welthandelsordnung94 und wird als zentraler Bestandteil in die neue Handelsorganisation integriert. Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre wurden die institutionellen und materiellen DefIzite des GATT sichtbar. Diese äußern sich unter anderem in zu schwachen GATT Regelungen für den internationalen Warenverkehr 88 Am 27. Juni 1966 trat Teil IV rur alle Vertragsparteien in Kraft. R. Senti, GATT, S. 314, sieht darin eine "eloquente und unverbindliche Weise", die der Bedeutung der Entwicklungsländer Rechnung trägt. Teil IV enthält nur eine normative Bestimmung, Art. XXXVI Abs. 8 GATT, wonach bei Verhandlungen zwischen Industrie und Entwicklungsländern das Prinzip der Reziprozität nicht angewandt werden darf. 89 W Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 32. 90 W Benedek, Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 42 u. S. 185 ff.; ebenso u.a. K. Ipsen/U.R. Haltern. Rule of Law in den Internationalen Wirtschaftsbeziehungen: Die Welthandelsorganisation, RIW 9 (1994), 718. 91 Zu den GATT-Prinzipien, 3. Kap. 11. 92 Zollabbau spielte bei allen Verhandlungsrunden eine zentrale Rolle. Seit 1947 wurde eine Senkung des durchschnittlichen Zollsatzes in Industrieländern von 40 auf 4,7 %. Die Uruguay-Runde ergab eine weitere Reduzierung der bestehenden Zollsätze um 40 %, USA und EU einigten sich auf 50 %. Diese Zollsätze sind innerhalb von 5 Jahren schrittweise zu verwirklichen; näher o.V., Die Ergebnisse der GATT-Verhandlungen in der Uruguay-Runde, EuZW 3 (1994), 87 f. 93 Als Begründung hierfür kann gesehen werden, daß sich die Mitgliederzahl innerhalb der ersten 47 Wirkungsjahre beinahe versechstfacht hat. Doch ist zu betonen, daß sich im Verlauf der Jahre eine Vielzahl von Ländern rür eine GATT-Mitgliedschaft entschieden haben, unabhängig von ihrem Wirtschaftssystem und ihrer Wirtschaftsverfassung. 94 A.S. Yüksel, GATT-WTO-Welthandelssystem, S. 39.

I. Kap.: Historische Entwicklung der WelthandeIsordnung

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und unzureichenden Streitschlichtungsmaßnahmen. Darüber hinaus sind die zunehmend an Bedeutung gewinnenden Handelsbereiche wie Dienstleistungen oder geistiges Eigentum nicht im Ordnungsrahmen des GATI erfaßt. In der Folge wurden Wege außerhalb der vorgegebenen Rechtsordnung gesucht, was zu einem Sinken der Autorität des Allgemeinen Abkommens führte. Zu beobachten ist eine Zunahme von regionalen Zusammenschlüssen95 und eine Ausbildung von Protektionismus in Form von nichttarifären Handelshemmnissen. 96 Die Uruguay-Runde wurde daher mit dem Ziel einberufen, diese tiefe Krise, die Peter-Tobias Stoll als "Erosion des Ordnungsanspruchs,,97 bezeichnet, zu überwinden. 4. Die Verhandlungsrunden des GAlT 1947 Das GATI ist als Regelwerk fiir die internationalen Handelsbeziehungen kein statischer Vertrag, sondern bietet einen Rahmen fiir die bi- und multilateralen Verhandlungen zum Abbau von Handelshemmnissen. Die Verhandlungsrunden sind nach Art. xxvmbis Abs. I GATI98 von den Vertragsparteien veranstaltete Konferenzen, bei denen Vertragsänderungen, Zollsenlrungen und Sonderabkommensunterzeichnungen diskutiert und beschlossen werden, um "dabei den Zielen dieses Abkommens sowie den verschiedenen Bedürfnissen der einzelnen Vertragsparteien gebührend Rechnung zu tragen". Seit der Gründung des GATI wurden acht Verhandlungsrunden veranstaltet.

Beispielhaft dafür stehen NAFTA, MERCOSUR, ASEAN. Eine genaue Erfassung der nichttarifären Handelshemmnisse erscheint ebenso schwierig wie die Begriffsdefinition. Das GATI hat über 800 Maßnahmen diesem Begriff zugeordnet und eine Gruppierung der nichttarifären HandeIshemmnisse in I. Direkte Teilnahme der Regierung arn Handel, 2. Verfahrensvorschriften über die Abfertigung der Importe an der Grenze, 3. Erlasse von Normen, 4. Mengenmäßige Limitierung der Handelsströme sowie 5. Import- und Exportbeschränkungen und Preisvorschriften vorgenommen; ausführlich dazu eh. Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer HandeIshemmnisse in der WTO/GATI-Rechtsordnung. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des Countertrade, 1998, S. 30 ff.; R. Wolfrum, Das internationale Recht für den Austausch von Waren und Dienstleistungen, in: R. Schmidt (Hrsg.): Öffentliches Wirtschaftsrecht. Besonderer Teil 2, 1996, S. 634; E.-U. Petersmann, RabelsZ 47 (1983), 478 ff. 97 P.T StolI, ZaöRV 54 (1994), 245; dazu auch J. MolsbergeriA. Kotios, Ordo 41 (1990),93 ff. . 98 Dieser Artikel, der die materielle Grundlage rür die Handlungsrunden bildet, wurde erst 1957 in das GATI eingefügt. Dies ist erklärbar durch die ursprünglich geplante Eingliederung des GATI in die ITO. Art. 17 der Havanna Charta enthielt entsprechende Vorschriften, dazu K. IpsenlU.R. Haltern, Reform des WeIthandeIssysterns? S. 15; K. W Dam, The GATI, S. 56 ff. 95 96

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

Die erste zu nennende Verhandlungsrunde fand in Genf 1947 mit den 23 Signaturstaaten statt. Die Verhandlungen, die am 28. Februar 1948 begannen und am 20. März 1948 in Havanna, Kuba endeten, verliefen mit einer durchschnittlichen Zollsenkung von über 20 Prozent erfolgreich. Das Sekretariat der ITO, das als Sekretariat des GATI arbeitete, zog von 1948 von Lake Placid, New York, nach Genf in die Schweiz.99 Bereits zwei Jahre später, 1949, trafen die Staaten in Annecy, Frankreich, zusammen, ohne besondere Ergebnisse im Zollbereich (nur 1 bis 2 Prozent Reduzierung) zu erzielen. Dafür sind zehn weitere Staaten dem GATI beigetreten, darunter Dänemark, Finnland, Griechenland, Italien und Schweden.\Oo Während der dritten Verhandlungsrunde in Torquay, England, 1950/51, machte die USA bekannt, daß die Havanna-Charta im Kongreß der Vereinigten Staaten endgültig gescheitert war. Es blieb nur das GATI als Provisorium. Das GATI wurde durch die neuen Mitgliedstaaten, v.a. Deutschland, Österreich und die Türkei erweitert.\01 Weitere Zollsenkungen scheiterten am Widerstand der Commonwealth-Länder. Es gab keine weitere Handelsliberalisierung. 102 Auch die beiden folgenden, in Genf tagenden Zollrunden in den Jahren 1955/56 und die DiIlon-Runde von 1961/62 waren nicht besonders erfolgreich, weil keine Einigung in wesentlichen Zollabbaufragen zu erzielen war. Den Liberalisierungstendenzen der Handelsrunden standen allerdings auch protektionistische Entwicklungen entgegen. So erhielt die USA 1955 für die Landwirtschaft eine Ausnahmeregelung, die insbesondere für die europäische Agrarpolitik von Bedeutung wurde. 1956 nahm erstmals die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl stellvertretend für ihre Mitgliedstaaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande teil. Die DillonRunde war bestimmt von den Auswirkungen des durch die Römischen Verträge in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft errichteten gemeinsamen Außenhandelstarifs. Es wurde die Gefahr der Diskriminierung anderen Vertragsparteien gegenüber gesehen. Unter anderen sind auch Israel und Portugal als neue Vertragsparteien dem GATI beigetreten. Vehement wurde in der Kennedy-Runde (1964-67) der Wunsch nach Zollreduzierung vorgetragen. Diese Verhandlungsrunde markiert einen Meilenstein in Zollfragen. Erstmals wurde von dem Vorgehen Abstand genommen, die Zölle nur produktweise zu reduzieren, wie es in der Anfangsphase des GATI in den R. Senti, GATT, S. 71; J.H. Jackson, The World Trading System, S. 53. GATT, BISO, Vol. 11 (1952), S. 33. 101 GATT, BISO, Vol. 11 (1952), S. 33 f.; bis Januar 1952 wuchs die Zahl der Vertragsparteien auf 34 und sie bewältigten mehr als 80 % des Welthandels. Nur die Schweiz und Japan als wichtige Handelsnationen waren noch nicht GATT-V ertragsparteien, dazu K. Kock, International Trade Policy and the GATT 1947 - 1967, S.72. 102 R. Senti, GATT, S. 72; K. Kock, International Trade Policy and the GATT 1947 1967, S. 71. 99

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I. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

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Jahren zuvor geschehen ist. Dieses Verfahren stellte sich trotz der erzielten Zollsenkungen aufgrund der kaum mehr zu überblickenden Anzahl der zur Verhandlung anstehenden Produkte als zu kompliziert dar. 103 Man führte lineare Zollsenkungen ein, welche in einem besonderen Verfahren unter Zuhilfenahme des Meistbegünstigungsprinzips ausgehandelt wurden. Dies resultierte in einem fiinfstufigen Abbau der Industriezölle um 35 Prozent, in manchen Bereichen sank der Zollsatz um 50 Prozent. 104 Die Zollzugeständnisse erreichten einen Handelswert von US $ 40 Mrd. lOS Erstmalige Verhandlungen über die Reduzierung von nichttarifären Handelshemmnissen, die schon in manchen Bereichen große Bedeutung erlangt hatten, sind allerdings gescheitert. 106 Die europäische Integrationsbewegung wurde allgemein unterstützt. Sie stand aber gleichzeitig unter dem Vorbehalt, das Freihandelsprinzip nicht zu schwächen. 107 Es wurden erstmals in wesentlichem Umfang separate Übereinkommen, sogenannte Kodizes, betreffend die Bereiche Anti-Dumping, chemische Produkte und Getreide, verabschiedet. In den frühen 60er Jahren sind viele Entwicklungsländer beigetreten, was der Grund fiir eine Erweiterung des GATT-Regelwerks war. Im Februar 1965 beschlossen die Vertragsparteien das GATT um Teil IV "Handel und Entwicklung" zu ergänzen. Damit wurden besondere Vorrechte fiir Entwicklungsländer festgelegt und Entwicklungshilfe als eines der wichtigsten Ziele des GATT bestimmt. In den nachfolgenden Jahren ist vom GATT ein Internationales Handelszentrum, ITC,108 zur Unterstützung der Entwicklungsländer eingerichtet worden. Seit 1968 arbeitet das ITC mit dem GATT, jetzt mit der WTO und der UNCTAD 109 zusammen. Die siebte Verhandlungsrunde, Tokio-Runde (1973-79), an der bereits 102 Länder teilnahmen, war von weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten gekennzeichnet. Die Erweiterung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie bilaterale Abkommen bildeten nach Ansicht der USA eine Bedrohung fiir Drittstaaten. Hinzu kam zunehmender Protektionismus der Japaner und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Agrarbereich. Mit der durchschnittlichen Zollsenkung der großen Industrieländer von 7,0 auf 4,7 Prozent war das Problem der Zölle im wesentlichen gelöst. Die Reduzierung des nichttarifären Pro-

103 J.H. Jackson, Tbe World Trading System, S. 52 f.; ausführlich auch bei F.K. Liebich, Grundriß des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), S. 38 ff. 104 J.H. Jackson, Tbe World Trading System, S. 121. lOS Presseerklärung zum 50-jährigen Bestehen der WTO www.wto.org/wto/ministl backgr.htm (Stand 1999). 106 J.H. Jackson, Tbe World Trade Organization. Constitution and Jurisprudence, 1998, S. 20 f. 107 R. Senti, GATT, S. 77; J.H. Jackson, The World Trading System, S. 54. 108 International Trade Center. 109 United Nations Conference on Trade and Development.

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

tektionismus wurde in dieser Runde systematisch aufgegriffen. Teilabkommen, Kodizes, die vom GATI getrennt waren, stellten die Verhandlungsergebnisse in den Bereichen Subventionen, Antidumpingmaßnahmen, öffentliches Beschaffungswesen und technische Handelshemmnisse dar. IIO Dadurch entstand ein fragmentarisches System und viele Staaten sahen darin ihre Interessen nicht mehr ausreichend berücksichtigt. 111 Stoll bezeichnet diese Seitenverträge als "Balkanisierung" der Rechtsgrundlage. 112 Allerdings wurden sie nicht von allen Teilnehmerstaaten unterzeichnet. Dasselbe gilt fiir die Bestimmungen zur Begünstigung von Entwicklungsländern. Am 1. Januar 1974 trat das MultifaserAbkommen ll3 in Kraft, das in den folgenden Jahren ll4 erweitert wurde. Die letzte Verhandlungsrunde, die Uruguay-Runde, ist durch die Errichtung der Welthandelsorganisation gekennzeichnet und verdient detailliertere Betrachtung.

111. Uruguay-Runde Erneut erwiesen sich die USA als treibende Kraft, eine weitere Verhandlungsrunde, die später nach dem Verhandlungsort in Punta dei Este, Uruguay, benannt wurde, zu initiieren. lls Die Europäische Gemeinschaft hatte bis zu diesem Zeitpunkt keine ihrem Handelspotential entsprechende Führungsrolle übernommen. 116 Dabei waren erstmals, nicht wie bei den ersten sechs GATIRunden der Zollabbau 1\1 Hauptgegenstand der Verhandlungsrunden, sondern es 110 J.H. 111

Jackson, The World Trading System, S. 55 f. eh. Bai!, Das Profil einer neuen Welthandelsordnung: Was bringt die Uruguay-

Runde?, EuZW 1990,435. 112 P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 245. 113 MF A, Multifibre Arrangement. 114 1978, 1982, 1986, 1991 und 1992. 115 Wesentliche Teile der Agenda für eine neue Handelsrunde wurden bereits 1982 von dem amerikanischen Handelsbeauftragten Bill Brock ausgearbeitet und auf der 38. Sitzung der Ministerkonferenz des GATI vorgelegt; näher B. May, EA 2 (1994), 33 ff.; P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 245 ff.; K. IpsenlU.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems?, S. 48 ff. 116 R. Rode, Die Rolle der Europäischen Union in der politischen Dimension der wirtschaftlichen Globalisierung. Globalisierung und Regionalisierung, S. 47 ff.; R. Adlung, Liberalisierung und (De-)Regulierung von Dienstleistungen in der Welthandelsorganisation: Versuch einer Zwischenbilanz aus der Sicht der Europäischen Gemeinschaft, in: p.-eh. Müller-Graf (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, 1999/2000, S. 132 spricht vom "Windschattenfahren der Gemeinschaft im GATI". 117 Die Verhandlungen erreichten einen Zollabbau von durchschnittlich 4,7 % auf 3 % für Industrieprodukte. Es wurde Übereinstimmung erzielt, daß alle quantitativen Restriktionen und andere nichttarifare Handelshemmnisse durch Zölle zu ersetzen sind.

I. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

47

ging vor allem um die ordnungspolitische Frage nach den Grundprinzipien der Außenhandelspolitik und des Außenhandelsrechts. Die USA bestanden darauf, den bisherigen Regelungsumfang des GATI zu erweitern. Bereiche wie Dienstleistungshandel und handelsbezogene Rechte am geistigen Eigentum sollten einbezogen werden. "R Diese thematische Erweiterung wurde nicht kritiklos aufgenommen. Besonders die Entwicklungsländer sahen ihre Interessen in diesem Vorschlag nicht vertreten und forderten die Verhandlungen inhaltlich zu begrenzen mit dem Ziel der Wiederherstellung der klassischen Ordnungs funktion des bestehenden GATI. 119 Die Heterogenität des Teilnehmerlcreises kennzeichnet die Uruguay-Runde. Es waren zum Ende der Verhandlungen 123 Regierungen, Entwicklungsländer wie Industriestaaten. 12o Das nach intensiven Auseinandersetzungen schließlich beschlossene Verhandlungsmandat umfaßt einen breiten Themenkatalog von Zöllen und nichttarifären Maßnahmen; besonderen Sektoren wie Rohstoff- und tropische Produkte, Landwirtschaft, Textilien; die Reform der bisherigen GATI-Regeln; bisher von GATI nicht erfaßte Regeln; sowie das Funktionieren des GATI-Systems, was die regelmäßige Überwachung nationaler Handelspolitiken oder die Zusammenarbeit mit Weltbank und Internationalem Währungsfonds einschließt. 121 Am 22. September 1986 nahmen die Vertragspartner anläßlich eines außerordentlichen Treffens der GATI-Vertragsparteien auf Ministerebene in Uruguay eine Erklärung zur Eröffnung der Uruguay-Runde an. 122 Ursprünglich waren vier Jahre als Verhandlungszeitraum vorgesehen nachdem bereits langwierige Vorarbeiten vorausgingen. Die Ministererklärung legte sowohl die Struktur als auch das Mandat fiir die Verhandlungen fest. Am 28. Januar 1987 wurde die Verhandlungsstruktur festgelegt. Führend war das "Trade Negotions Committee, TNC" mit 14 Arbeitsgruppen. 123 Die Verhandlungen gestalteten sich jedoch

Die Zollsenkungen erfolgen bis zum Jahre 2005 in Schritten, dazu R. Rode, Die Rolle der Europäischen Union in der politischen Dimension der wirtschaftlichen Globalisierung. Globalisierung und Regionalisierung, S. 55. 118 Ausführlicher zu diesen beiden Bereichen im 2. Teil, 2. und 3. Kap. 119 P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 247; B. May, EA 2 (1994),33. 120 WTO-Sekretariat, About the WTO, 199; zur Uruguay-Runde allgemein: B. Engels, Weiterentwicklung des GATI durch die Uruguay-Runde?, 1992; K. Ipsen/U.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems?; Th. Oppermann/M. Beise, EA 15/16 (1991), 449 ff.; zu den verhandelten Themen im einzelnen: P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 248 f. 121 K.lpsen/U.R. Haltern, RIW 9 (1994), 717; P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 248. 122 Ministerial Declaration on the Uruguay Round, abgedruckt in GATI 33'd Supp. BISD 19 (1987). 123 K. Ipsen/U.R. Haltern, RIW 9 (1994),717; P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 245 ff.; eh. BaU, EuZW 1990, 436.

48

1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

schwieriger als gedacht. 124 Im Dezember 1988, zur Halbzeit der geplanten Verhandlungsdauer, beschloß das TNC eine ,,Midterm-Review Conference" in Montreal, Kanada, zur Überprüfung des Verhandlungsstandes einzuberufen. 125 Es konnten zwar Einzelergebnisse erzielt werden,126 aber in Fragen des geistigen Eigentums, Textilhandels, sowie im Agrarbereich ergaben sich unüberwindliche Meinungsverschiedenheiten, wodurch auch das fiir Dezember 1990 geplante Ende an einem unauflöslichen Streit im Agrarbereich scheiterte. 127 Stoll fUhrt aus, daß insbesondere die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft fiir das Scheitern mitverantwortlich ist. Der damalige GATI-Generaldirektor, Arthur Dunkel faßte im Dezember 1991 die Ergebnisse, den Konsens der Verhandlungsparteien, im sogenannten ,,Dunkel-Draft" zusammen und bot Kornpromiß- und Schlichtungsvorschläge fiir die kontrovers diskutierten Themen. Darin war bereits der Vorschlag zur Errichtung einer multilateralen Handelsorganisation enthalten. Der Dunkel-Draft bewirkte jedoch nicht die Zustimmung aller Verhandlungspartner, ja noch nicht einmal die der maßgeblichen drei großen Handelspartner USA, Europäische Gemeinschaft und Japan. 128 Der erhoffte Durchbruch blieb aus und wurde erst durch die bilateralen Verhandlungen zwischen USA und Europäischer Gemeinschaft über die offenen Fragen, insbesondere im Agrarbereich sowie im Marktzugangsbereich fiir Waren und Dienstleistungen, erreicht. Am 20. November 1992 einigte man sich im "Blair House Abkommen" bezüglich der Agrarsubventionen und regelte die ÖlsaatenStreitigkeit zwischen den beiden Streitparteien. Die Verhandlungen sollten zügig abgeschlossen werden, weil am 28. Februar 1993 die Verhandlungsbefugnis der amerikanischen Regierung nach dem ,.Fast-Track-Verfahren" auslief. 129 Der 124 W. Benedek, Einflihrung in die Ergebnisse der Uruguay-Runde, in: D. Thürer/St. Kux (Hrsg.): GATT 94 und die Welthandelsorganisation. Herausforderung flir die Schweiz und Europa, 1996, S. 136; P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 250 f. 125 Der Midterrn-Review, auch Montrealer Erklärung, abgedruckt in GATT, Focus Newsletter 61 (Mai 1989). 126 Siehe dazu 3.Teil 1. Kap. I. 127 Dazu im einzelnen P. T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 251; ebenso auch BR-Drs. 357/94, S. 21; ausflihrlich dazu B. May, EA 2 (1994), 33 ff.; insgesamt wurden die Verhandlungen als so schleppend angesehen, daß der Name "GA11" unter den Teilnehmern nur noch mit "General Agreement to Talk and Talk" übersetzt wurde; zu den Agrarverhandlungen im einzelnen: J. Reblin, Das GATT und der Weltagrarhandel, 1993, S. 189 ff., 218 ff. 128 B. May, EA 2 (1994), 3; auch Th. Oppermann/M. Beise, EA 7 (1994), 195 sehen die Verantwortung flir die langen Verhandlungen bei der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten; sie beklagen, daß dadurch schwerwiegende Fehlentwicklungen in der Weltwirtschaft begünstigt wurden, die nur schwer zu überwinden sind. 129 Die amerikanische Verfassung behält den Abschluß von Handelsabkommen dem Kongreß vor. Der Verhandlungsspielraum und die Glaubwürdigkeit der Exekutive sind dadurch nicht unerheblich geschwächt. Dies milderte das im Trade Act (1974) vorgesehene "fast-track-procedure". Darin ist ein enger Zeitrahmen flir die Zustimmung des

1. Kap.: Historische Entwicklung der Welthandelsordnung

49

amerikanische Präsident Clinton erreichte eine Ausdehnung der Verhandlungsbefugnis bis 15. Dezember 1993. Nachdem von seiten Frankreichs Mitte 1993 ein neues Verhandeln des Blair House Abkommens gefordert wurde, einigten sich schließlich die USA und die Europäische Gemeinschaft auf ein Agrar-Subventions-Abkommen, so daß von dieser Seite dem Abschluß der Verhandlungen nichts mehr im Wege stand. Die Errichtung einer internationalen Handelsorganisation, die in der Vergangenheit schon so oft gescheitert war, galt noch zu Beginn der Uruguay-Runde als unrealistisch und wurde daher auch bei den Verhandlungszielen nicht formuliert. 130 Kanada gab, der europäischen Initiative folgend, dafiir den Anstoß, der im wesentlichen auf den wissenschaftlichen Arbeiten von John H. Jacl,son beruht l3l und fiihrte im April 1990 den Vorschlag zur Errichtung einer "World Trade Organization (WTO)" ein. 132 Die Europäische Gemeinschaft teilte diese Idee jedoch unter dem Namen "Multilateral Trade Organization (MTO)". Es ex-istierten verschiedene Denkmodelle fiir eine MTO. Zuerst war es nur als eigenes, zusätzliches Abkommen geplant, welches dem GATI die fehlende Rechtsgrundlage geben sollte. Später wurde es zu dem, was es letztendlich auch blieb: Eine organisatorische Rahmenordnung fiir alle Vereinbarungen der Uruguay-Runde. 133 Am letzten Verhandlungstag, dem 15. Dezember 1993, stimmten schließlich auch die USA zu, allerdings unter der Bedingung der Namensänderung. 134 So wurde aus der "Multilateral Trade Organization (MTO)" die "World Trade Organization (WTO)".135 Nach sieben Verhandlungsjahren wurde schließlich vom Ausschuß fiir Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde,

Kongresses zu von der Exekutive ausgehandelten Abkommen vorgeschrieben und Änderungen und Zusätze zu derartigen Abkommen sind verboten. 130 BT-Drs. 12/5255, S. 1; J.H. Jackson, The World Trade Organization, S. 5 f. 131 J.H. Jackson, Restructuring the GATT system, passim; dazu auch: Th. Oppermann, RIW II (1995),925; eh. Bai/, GATT und WTO im Vergleich: Institutioneller Fortschritt oder Etikettenschwindel?, in: E. Kantzenbach/O. Mayer (Hrsg.): Von der internationalen Handels- und Wettbewerbsordnung, 1996, S. 85 f. 132 So auch schon J.H. Jackson, Restructuring the GATT system, S. 94; ders., The World Trade Organization, S. 6. 133 W. Benedek, VN 1 (1995), 14; J.H. Jackson, Restructuring the GATT system, S.94. 134 1993 war noch teilweise befürchtet worden, daß eine isolationistische Haltung der USA zum Untergang des GATT führen könnte, doch wird das hohe US-Handelsdefizit als Grund für einen doch raschen WTO-Beitritt der USA gesehen, weil von der WTO und den Liberalisierungsmaßnahmen starke Impulse erwartet werden; Newsweek, 2. Juni 1993, S. 40; The Economist, 4. Dezember 1993, S. 19 ff. 135 Problematisch an der von USA gewünschten Umbenennung von MTO in WTO ist, daß diese Abkürzung bereits für die "World Tourism Organization" vergeben ist. 4 Siebald

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

dem Trade Negotiations Conunittee, am 15. Dezember 1993 einstinunig der ,,Final Act Emboding the Results ofthe Round" verabschiedet. \36 Genau vier Monate später, am 15. April 1994 wurden diese Ergebnisse mit der Schlußakte\37, Final Act, von 111 Regierungen während eines feierlichen Aktes in der Salle Royale des Palais des Longres von Marrakesch, Marokko, unterzeichnet. Darüber hinaus beurkundeten 104 Teilnehmer der UruguayRunde das "Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation". \38 Eine Signalwirkung fiir einen erfolgreichen Start der WTO wird in der Ratifizierung der Uruguay Ergebnisse durch die USA gesehen. Am 28. November 1994 wurde die Schlußakte vom amerikanischen Repräsentantenhaus gebilligt und vom Kongreß am 1.12.1994 mit einer deutlichen Mehrheit von 76 zu 24 Stimmen verabschiedet. 139 Nr. 3 der Schlußakte sieht vor, daß das WTO-Übereinkommen am 1. Januar 1995, oder so früh wie möglich, in Kraft tritt. Am 31. Januar 1995 nahm die WTO mit einer Eröffnungssitzung des Allgemeinen Rates in Genf ihre Geschäfte auf. 140 In den Fachkreisen wird der positive Abschluß der Verhandlungen als Erfolg gewertet. Es wurde die Gefahr gesehen, daß, wenn das GATI scheitert, alle verlieren werden. 141 Als mögliche Folge von abgebrochenen Verhandlungen wurde eine entscheidende Schwächung des Welthandelssysterns bis hin zu einem Handelskriegsszenario zwischen den großen Handelspartnern, USA, Japan

136 Das Bundesministerium für Wirtschaft sieht darin eine hohe gesamtwirtschaftliche Bedeutung, weil politische Rahmenbedingungen zur Förderung von Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen gesetzt wurden, von denen Verbraucher und Produzenten profitieren werden. Die OECD beziffert, obgleich es schwer sein dürfte, den wirtschaftlichen "Gewinn" abzuschätzen, den Wohlfahrtsgewinn für die Weltwirtschaft im Jahre 2002 auf ca. USS 270 Mrd. (vg\. o.V., EuZW, 3 (1994), 87 f.). Schätzungen gehen davon aus, daß ein erfolgreicher Abschluß der Uruguay-Runde zu jährlichen Steigerungen des Welteinkommens auf ungefähr USS 235 Mrd. und des Handelsbereichs aufUS$ 755 Mrd. bis zum Jahr 2000 führt. 137 Die exakte Bezeichnung der Schlußakte lautet: "Schlußakte über die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde". So BGB\. 1994 11, 144 u.I624. 138 GATI Focus Nr. 107, S. 1, 7. USA, Japan und einige andere Staaten konnten das Übereinkommen aufgrund besonderer nationaler Ratifizierungsvoraussetzungen noch nicht unterzeichnen. Erstaunlicherweise unterscheidet sich in der Literatur die Anzahl der Signaturstaaten. K. Ipsen/U.R. Haltern. RIW 9 (1994), 717 spricht von 107 Staaten für die Schlußakte. P.T StoII, ZaöRV 54 (1994), unterscheidet zwischen der Schlußakte (111) und dem Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (104). B. May, EA 2 (1994), 33, spricht von 117 Staaten, die das Ergebnis der Uruguay-Runde verabschiedet haben, ebenso 117 Vertragsparteien, o.V. EuZW 3 (1994), 87. 139 NYT 2. Dezember 1994, S. Al. 140 WTO Focus, Nr. 1, 1995, S. 1. 141 Peter Sutherland: "IfGATI fails, we all lose", Zitat aus B. May, EA 2 (1994), 35.

2. Kap.: Struktur der Welthande\sorganisation

51

und der Europäischen Gemeinschaft ebenso diskutiert wie weltweit verstärkt protektionistische Tendenzen. 142 Die Uruguay-Runde wird allgemein als Meilenstein in der Entwicklung des Welthandels betrachtet, weil das Ergebnis alle bisherigen Verhandlungsrunden überragt. Thomas Oppermann spricht von einer neuen qualitativen Stufe, welche die internationalen Beziehungen mit dem Abschluß der Uruguay-Runde Anfang April 1994 erreicht hätten. 143 Am herausragendsten ist, daß der internationale Handel nun eine institutionelle rechtliche Grundlage hat. Ähnlich urteilt auch die WTO in ihrem Jahresbericht 1996: ,,( ... ) the establishment ofthe WTO deserves to be seen as one of the outstanding international achievements of the decade, as important in its time as the original foundation of the multilateral system was in its."I44 Die Welthandelsordnung regelt künftig nicht nur den Waren- und Dienstleistungshandel innerhalb der Mitgliedstaaten und beinhaltet den Schutz des geistigen Eigentums, sondern stellt gleichzeitig ein Forum für weitere Handelsliberalisierung sowie zur Streitschlichtung dar. So gelang mit der Uruguay-Runde ein "Quantensprung auf dem Weg zu einer Welthandelsordnung für das 21. Jahrhundert." 145

Auch wenn die Stimmen in der Literatur die Ergebnisse der Uruguay-Runde zu recht überschwenglich begrüßen, so sollte dennoch nicht aus dem Blick verloren werden, daß diese Verhandlungsrunde in die Hochzeit des Neoliberalismus fallt. Mit der WTO wurde eine Rechtsordnung geschaffen, die tief in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hineinwirkt. Welche Auswirkungen das insbesondere auch auf die Europäische Union haben kann, wird noch aufzuzeigen sein. 146

2. Kapitel

Struktur der Welthandelsorganisation Das ursprünglich aus der Gesamtkonzeption der Havanna-Charta als Provisorium gerettete GA TI ist abgelöst durch das WTO-Übereinkommen, eine feste vertragsrechtliche Gesamtordnung, eine "feste Rechtsgestalt", 147 die als ganzes R. May, EA 2 (1994), 35; Th. OppermanniM. Reise, EA 15/16 (1991), 449. Th. OppermanniM. Reise, EA 7 (1994), 195. 144 WTO Annual Report 1996, Bd. 1, S. 5. 145 H. Hauser/K.U. Schanz, Das neue GATI, Die Welthandelsordnung nach Abschluß der Uruguay-Runde, S. 60. 146 Dazu 5. und 6. Teil. 147 Th. Oppermann, RIW 11 (1995),921. 142 143

4*

I. Teil: Die Grundlagen der Weithandelsorganisation

52

durch einen höheren Geltungsanspruch gekennzeichnet ist, was bereits durch die Formulierungen im Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation zum Ausdruck kommt. So erleichtert die WTO die ,,Durchführung und Wirkungsweise dieses Übereinkommens" (Art. III Abs. I WTOÜ) und bindet jedes Mitglied an die Regeln der Welthandelsorganisation, indem ..seine Gesetze, sonstigen Vorschriften und Verwaltungsverfahren mit seinen Verpflichtungen aufgrund der als Anlage beigefUgten Übereinkommen in Einklang stehen" müssen (Art. XVI Abs. 4 WTOÜ).148 Für jedes WTO;Mitglied ergibt sich daraus die Verpflichtung, in Erfiillung der vertraglichen Pflichten, entsprechende Anpassungen der innerstaatlichen Rechtsordnung vorzunehmen. Diese Regelung des Art. XVI Abs. 4 WTOÜ soll die Wirksamkeit des WTO-Übereinkommens steigern und durchsetzen, womit ein wesentlicher Fortschritt gegenüber der in GATI 1947 festgeschriebenen ..grandfather clause" erzielt wird. 149 Diese im Protokoll über die vorläufige Anwendung des GATI 1947 enthaltene Klausel erlaubt den Mitgliedstaaten, älteres, dem GATI widersprechendes Recht beizubehalten. GATI-Recht kam nur insoweit zur Anwendung, wie es nicht mit bestehendem nationalem Recht kollidierte. ISO Diese Bestimmung entfällt seit dem WTOÜbereinkommen ersatzlos. Die völkerrechtliche Zulässigkeit einseitiger Handeismaßnahmen ist dadurch erheblich eingeschränkt. Mit der Unterzeichnung des Welthandelsübereinkommens werden automatisch die multilteralen Abkommen fiir alle Vertragsparteien verbindlich, das "GATI a la carte" entfällt. Dies gilt auch fiir die Streitbeilegung. Alle WTO-Signaturstaaten unterliegen im Falle von Handelsstreitigkeiten demselben Verfahren, das nun integrierter Bestandteil der multilateralen Abkommen ist.

I. Aufbau der Schlußakte, "Final Act" Der Begriff der Schlußakte 15 I fmdet zweifache Verwendung und ist daher mißverständlich. Es wird sowohl das gesamte, ca. 500 Seiten umfassende Ab148 Zur Frage nach der Verbindlichkeit der WTO 3. Teil 3. Kap.; 4. Teil 3. Kap. IIl.

B. Kempen, Deutschland als Vertragspartei des GATT und als Mitglied der Europäischen Gemeinschaften, in: A. Weber (Hrsg.), Währung und Wirtschaft. Das Geld im Recht, FS Hugo J. Hahn, 1997, S. 418. ISO K. Ipsen/U.R. Haltern, Reform des Weithandelssystems?, S. 35. 151 Die folgende Darstellung des Aufbaus der Schlußakte soll zu einer Verständigung der Nomenklatur des GATT beitragen und die Besonderheiten in der GATT-Sprache klären. Der gesamte Abkommenstext ist in englischer, französischer und spanischer Sprache im jeweiligen Wortlaut verbindlich. Die folgende deutsche Übersetzung entstammt dem BGB!. 199411, 1624 ff., und ist identisch mit BT-Drs. 12/7655 (neu). Es handelt sich jeweils um rechtsf6rmlich überprüfte deutsche Übersetzungen. 149

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

53

schlußdokument l52 als Schlußakte oder, auch in der deutschen Literatur lS3 , als ,,Final Act" bezeichnet, als auch der erste Teil dieser Schlußakte so benannt, der ausfiihrlich als "Schlußakte über die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde" überschrieben ist. Danach folgt das "Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO)" mit seinen Anlagen. 154 Abschließend sind die Entscheidungen und Erklärungen der Ministerkonferenz inklusive dem ,,Protokoll von Marrakesch zum Allgemeinen Zollund Handelsübereinkommen von 1994,,155 dargestellt. Die "Schlußakte über die Ergebnisse der multilateralen Handelsverhandlungen der Uruguay-Runde" umfaßt nur eine Seite und verpflichtet die unterzeichnenden Regierungen, die nötigen Schritte fiir eine nationale Zustimmung zur Genehmigung dieses Übereinkommens zu erbringen. Die Minister anerkennen mit ihrer Unterschrift, daß fiir sie die Rechte und Pflichten aus den multilateralen Abkommen Verbindlichkeit erhalten. Daneben sind noch Beitrittdetails fiir Staaten geregelt, die kein GATI-Mitglied sind, aber den Status der ursprünglichen Mitgliedschaft in der WTO erhalten wollen. 156 Das WTO-Übereinkommen 157 umfaßt 300 Seiten inklusive vier Anlagen und stellt das Kernstück der Uruguay-Runde dar. Es übernimmt die Funktion einer Dachorganisation fiir alle 27 in der Uruguay-Runde ausgehandelten Einzelabkommen. 158 Darin sind in insgesamt 16 Artikeln die institutionellen Grundlagen der neuen Welthandelsordnung beschrieben, die vor allem durch die Errichtung der Welthandelsorganisation in Art. I gekennzeichnet sind. In weiteren 15 Artikeln werden Wirkungsbereich, Aufgaben, Aufbau, Beziehung zu anderen Organisationen, Sekretariat, Haushalt und Beiträge, Rechtsstellung, Beschlußfassung, Änderungen, Mitgliedschaft (ursprüngliche, Beitritt,

Unter Ausschluß der Zugeständnislisten von etwa 26.000 Seiten. So etwas P. T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 241 ff. 154 Die Bezeichnung "Anlagen" findet sich in der BT-Drs. 1217655(neu), S. 193. Im Amtsblatt der EG vom 23. Dezember 1994, Nr. L 336, S. 10 werden sie "Anhang" genannt. Dieses Beispiel soll darauf hinweisen, daß die deutsche Übersetzung nicht koordiniert wurde. Einheitliche Termini wurden in den verschiedenen Teilen des Vertragswerks mit unterschiedlichen deutschen Begriffen übersetzt. 155 BGB\. 1994 II, 1631. 156 Vgl. dazu genauer NT. 4 und 5 der Schlußakte. 157 Diese Kurzbezeichnung erhält es gemäß der Schlußakte Nr. 1 und demgemäß wird im folgenden die Abkürzung "WTOÜ" gewählt. Die Bezeichnung "WTOÜ" rur "Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation" wird in Anlehnung an die Beck' sche Textausgabe: Internationales Wirtschaftsrecht Außenwirtschaftsrecht verwendet. Anders bei rh. Oppermann, RIW II (1995),919 ff., die verwendete Abkürzung lautet dort "ÜWTO". 158 So P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 252. 152

153

54

1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

Rücktritt) sowie verschiedene Bestimmungen der WTO beschrieben und festgelegt. Die folgenden vier Anlagen, die teilweise weiter unterteilt sind, bilden nach Art. 11 Abs. 2 und 3 WTOÜ einen rechtlich integralen Bestandteil des Übereinkonunens und beinhalten die auf der Uruguay-Runde vereinbarten Regelungen. Sie stellen die inhaltlichen Grundpfeiler der neuen Weltwirtschaftsordnung dar. Anhang lA bezieht sich ausschließlich auf den Warenhandel. Das ,,Multilaterale Übereinkonunen über den Handel mit Waren,,159 bildet den umfangreichsten Teil und beinhaltet das ,.Allgemeine Zoll- und Handelsabkonunen von 1994", das GATT 1994, das im wesentlich identisch mit dem GATT 1947 ist 160 und durch Interpretationserklärungen und zusätzliche Abkonunen ergänzt wird. 161 Anlage IB und lC umfassen mit dem ,.Allgemeinen Übereinkonunen über den Handel mit Dienstleistungen samt Anlagen,,162 und dem "Übereinkommen über handelsbezogene Rechte des geistigen Eigentums,,163, die in der Umguay-Runde neu verhandelten Bereiche. In der Folgezeit wurden innerhalb des institutionellen Rahmens der WTO weitere Abkonunen geschlossen, unter anderem innerhalb des Dienstleistungsabkonunens in den Bereichen Finanzdienstleistungen und Basistelekonununikation. Anlage 2 trägt den Titel "Vereinbarungen über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten", die nun ebenfalls für alle Mitglieder umfassend für die Handelsbereiche verbindlich sind. 164 Anlage 3, die "Verfahren zur Überprüfung der Handelspolitiken", existieren bereits seit Dezember 1988. 165 Die Handelspolitik der Mitgliedstaaten wird abhängig vom Welthandelsumsatz in regelmäßigen Abständen evaluiert und offengelegt. 166 Diese gemäß Art. 11 Abs. 2 WTOÜ multilateralen Übereinkonunen sind, im Gegensatz zu den in Anhang 4 aufgefiihrten plurilateralen Handelsabkonunen,

159

setzt.

Im Amtsblatt der EG, Nr. L 336 als ,,Multilaterale Handelsübereinkünfte" über-

160 Zum GATI 1994 und seiner Unterscheidung zum "alten" GATI vgl. 2. Teil 1. Kap. 161

Dazu unter 2. Teil 1. Kap.

162 "General Agreement on Trade in Services", auch "GATS".

163 ,,Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights", auch "TRIPS". 164 Zum Streitschlichtungsverfahren 3. Teil 2. Kap. 165 J.H. Jackson, The World Trade Organization, S. 40. 166 Gemäß Amtsblatt der EG: ,,Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitiken", auch mit der Abkürzung "TPRM" ("Trade Policy Review Mechanism") gebräuchlich, vgl. dazu auch 3. Teil 1. Kap.

2. Kap.: Struktur der WeIthandelsorganisation

55

fiir alle Staaten verbindlich, die das WTO-Übereinkommen unterzeichnet haben. Damit wurde erreicht, daß alle Verhandlungsparteien grundsätzlich das gleiche Verpflichtungsniveau eingehen. Die plurilateralen Abkommen, die ehemaligen GATT-Kodizes über Handel mit Zivilluftfahrzeugen, öffentliches Bescbaffungswesen, gelten lediglich für diejenigen Staaten, die diesen Verpflichtungen zustimmten. 167 Diese Abkommen stammen weitestgehend aus dem Jahr 1979 und wurden unter dem GATT 1947 in der Tokio-Runde geschaffen. Die plurilateralen Abkommen werden ebenfalls von der WTO verwaltet.

11. Mitgliedschaft in der WTO Eine Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation ist gleichzeitig eine Entscheidung zur Verbindlichkeit aller Abkommen, Übereinkommen und Vereinbarungen der Schlußakte der Uruguay-Runde, mit Ausnahme der plurilateralen Abkommen. Es ist dabei zwischen der ursprünglichen Mitgliedschaft und einer Neurnitgliedschaft zu unterscheiden. Die Mitgliedschaft ist in den vergangenen 50 Jahren ständig gestiegen. Während das GATT 1948 mit 23 Vertragsparteien seinen Anfang nahm, endete' es 1995 mit 128 Vertragsparteien. Bereits sieben Jahre später, mit Stand vom 1. Januar 2002, verpflichteten sich 144 Staaten der Welt den Regelungen der Welthandelsorganisation. 168

J. Ursprüngliche Mitgliedschaft

Der Beitritt zur WTO ist wesentlich an die ursprüngliche oder originäre Mitgliedschaft geknüpft. Die Vertragsparteien des GATT 1947 werden, sofern sie die Schlußakte der Uruguay-Runde in Marrakesch im April 1994 unterzeichnet hatten und die Zugeständnis- und Verpflichtungslisten nach dem GATT 1994 und dem GATS aufweisen, nach Art. XI Abs. 1 WTOÜ automatisch Mitglieder der WTO, sobald diese am 1. Januar 1995 in Kraft trat. Sie sind die Grün-

167 Die plurilateralen Abkommen über Mi\cherzeugung (WTO Doc. WTlU25 I ) und Rindfleisch (WTO Doc. WT/U252) sind bereits 1997 ausgelaufen; dazu R. SentilP. Conlan, WTO. Regulation ofWorld Trade after the Uruguay Round, 1998, S. 105 ff. 168 Ein Überblick über die Vertragsparteien des GATT und die Mitglieder der WTO sowie der Zeitpunkt des Beitritts befindet sich im Anhang. Ein rapider Anstieg der Mitgliederzahl ist vor allem in den letzten 15 Jahren zu verzeichnen. Zu Beginn der Uruguay-Runde 1986 zählte das GATT erst 85 Vertragsparteien, zehn Jahre später 43 mehr. Weil das GATI keine Organisation war, konnte es auch keine ,,Mitglieder", sondern nur ..Vertragsparteien" geben. So auch J.H. Jackson, The World Trade Organization, S. 47. Eine Liste der Mitglieder findet sich auch online im WTO-Dokument WTIlNF/6/Rev. II (Stand Okt. 2000), die stets aktualisiert wird.

1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

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dungsmitglieder der WTO l69 und akzeptieren damit alle Verpflichtungen aus den multilateralen Übereinkommen. Dies gilt gleichermaßen auch für alle Entwicklungsländer. 170 Ausgenommen sind lediglich nach Art. XI Abs. 2 WTOÜ die am wenigsten entwickelten Länder. 111 Von ihnen werden Verpflichtungen nur im Einklang mit ihren individuellen Entwicklungs-, Finanz- und Handelserfordernissen sowie ihren institutionellen und Verwaltungsfahigkeiten erwartet. Sofern Staaten zwar an der Uruguay-Runde teilgenommen, aber ihre Mitgliedsverhandlungen erst innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen haben, zählen sie dennoch zu den ursprünglichen Mitgliedern. 112 Dies gilt auch für diejenigen Staaten, die dem GATT erst nach April 1994, aber noch vor Inkrafttreten der WTO beigetreten sind. 173 Art. XIII WTOÜ bestimmt, daß eine Nichtanwendung von einzelnen WTORegelungen nur gegenüber Neubeitritten zur WTO zulässig ist; es sei denn, es besteht eine unter dem GATT 1947 festgelegte und fortgefiihrte Anwendungsbeschränkung. Damit wurde ein Anreiz für einen raschen und, im Vergleich zur Neurnitgliedschaft, unkomplizierten WTO-Beitritt geschaffen, I 74 weil ursprüngliche Mitglieder von der Anwendung dieser Bestimmung geschützt sind. Dem gegenüber müssen neu beitretende Staaten damit rechnen, nur teilweise in den Vorzug der vollen Rechte aus dem WTO-Abkommen zu gelangen.

WTO-Sekretariat, About the WTO. W. Benedek, VN 1 (1995), 15. 171 Es wird hierbei unterschieden zwischen Entwicklungsländern und den "am wenigsten entwickelten unter ihnen" ("developing countries" und "least developed countries"). Dazu auch R. Senti, Ordo 45 (1994), 306, der kritisiert, daß der Vertrag kein Unterscheidungskriterium zwischen "developing countries and the least-developed among them" nennt. Jedoch ist darauf hinzuweisen, daß Art. XI Abs. 2 WTOÜ die "am wenigsten entwickelten Länder" als diejenigen klassifiziert, "die von den Vereinten Nationen als solche anerkannt sind". Nach eigenen Angaben anerkennt die WTO (www.wto.org (Stand März 1999» 48 "least-developed countries", entsprechend der UN-Einteilung. Bereits 29 davon sind WTO-Mitglied: Angola, Bangladesch, Benin, Burkina Faso, Burundi, Dschibuti, Gambia, Guinea, Guinea Bissau, Haiti, Lesotho, Madagaskar, Malawi, Malediven, Mali, Mauretanien, Mosambik, Myanmar, Niger, Ruanda, Sierra Leone, Solomon Islands, Tansania, Tschad, Togo, Uganda, Volksrepublik Kongo, Sambia, Zentralafrikanische Republik. Die weiteren sechs folgenden der am wenigsten entwickelten Länder befinden sich im Aufuahmeprozeß zur WTO: Kambodscha, Laos, Nepal, Samoa, Sudan and Vanuatu. Darüber hinaus halten Äthiopien, Bhutan, Cape Verde einen Beobachtungsstatus inne. 172 Dazu Art. XIV Abs. 1 WTOÜ, wonach das Abkommen innerhalb der Frist von zwei Jahren ratifiziert sein muß. 173 WTO-Sekretariat, About the WTO. 174 W. Benedek, VN 1 (1995), 16. 169

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2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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2. Neumitgliedschaft - Beitritt zur WTO

Kennzeichnend fiir die WTO ist die in Art. XII Abs. 1 WTOÜ festgeschriebene mitgliedschaftliche Offenheit fiir alle Staaten und Zollgebiete l75 der Welt. Wolfgang Benedek ordnet der geplanten, aber nicht zustande gekommen Internationalen Handelsordnung (ITO) eine ähnliche Ausrichtung auf Universalität zu, die er beim GATI nicht in dem Maße erkannt hat. 176 Entscheidet sich ein Staat zum Beitritt in die Welthandelsorganisation, so umfaßt dieser die Zustimmung zu allen multilateralen Handelsübereinkommen. Dies regelt Art. XII Satz 2 WTOÜ. Die Aussage des Art. II Abs. 2 WTOÜ über den Wirkungsbereich der WTO wird auf den Neueintritt von Mitgliedern zur Handelsordnung bezogen und wiederholt somit die Erklärung über die Verbindlichkeit der multilateralen Abkommen fiir alle Mitglieder. 177 Damit wird einer Fragmentierung der Mitgliedschaft in den verschiedenen Abkommen, mit Ausnahme der plurilateralen Abkommen, vorgebeugt. Eine WTO-Mitgliedschaft folgt dem Prinzip des "Einheitsabkommens,,178, in dem die multilateralen Abkommen gleichermaßen fiir alle Mitglieder gelten, während die Rechte und Pflichten der plurilateralen Abkommen, entsprechend dem alten GATISchema, nur die ratifIzierungswilligen Staaten bindet. Dieser Schwäche ist die WTO nun mit der Form des Einheitsabkommens entgegengetreten. Die in der Präambel formulierten Ziele der Welthandelsorganisation und die Anzahl der Mitgliedstaaten legen es nahe, von einem universellen Handelssystem zu spre-

175 Ein Zollgebiet wird von einer Zollgrenze umschlossen, wodurch eine Zollhoheit abgegrenzt wird. Während ein Zollgebiet mit den Grenzen eines Staates identisch sein kann, meist ist, aber nicht sein muß (z.B. Seezollgrenzen oder Zollausschlüsse), umfaßt eine Zollunion zwei oder mehrere Staaten zu einem einheitlichen Zollgebiet unter Wegfall der Kontingente mit gemeinsamen Außentarif und gemeinsamer Zollverwaltung. H. Ballreich, Zollunion, in: K. StrupplH.-J. Schlochauer, (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, 1962, S. 889 ff. 176 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 190. 177 Kritisch betont W. Benedek, VN 1 (1995), 15, in diesem Zusammenhang, daß dies "für einen Großteil der Entwicklungsländer ... ein Ende ihrer bequemen NutznießerSteIlung als Nichtmitglieder der Kodizes der Tokio-Runde" bedeute. 178 Im Englischen wird das WTO-Abkommen auch als "single package" umschrieben, weil die Mitglieder verpflichtet sind, mit der Unterzeichnung der Bedingungen dieses Übereinkommens gleichzeitig alle multilateralen Abkommen anzuerkennen, J.H. Jackson, The Uruguay-Round and the Launch of the WTO: Significance & Challenges, in: T.P. Stewart (Hrsg.) The World Trade Organization, Multilateral Trade for the 21 st Century an U.S. Implementing Legislation, 1999, S. 11, so auch H. HauseriK. U. Schanz: Das neue GATI, S. 56; die darin eine Überwindung der seit Abschluß der Tokio-Runde bestehenden Zersplitterung des Welthandelssystems erkennen. Th. Oppermann, RIW 11 (1995),922, spricht dagegen vom "Single Approach Agreement"; auch ist in der deutschen Literatur der Ausdruck "single undertaking approach" gebräuchlich, so etwa K. lpsen/U.R. Haltern, RIW 9 (1994), 720.

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1. Teil: Die Grundlagen der WeJthandelsorganisation

chen. Betrachtet man jedoch die Beitrittskriterien näher, so wird die Mitgliedschaft zur WTO in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Eine Reglementierung enthält Art. XII Abs. 1 Satz 1 WTOÜ, wonach nur ein Staat oder gesondertes Zollgebiet beitreten können, wenn sie in der Wahrnehmung ihrer Außenhandelsbeziehungen und in den darüber hinaus geregelten multilateralen Bereichen "volle Handlungsfreiheit" besitzen. Der Text erläutert jedoch nicht näher, unter welchen Voraussetzungen ein Staat die volle Handlungsfreiheit besitzt. Auch eine Negativdeftnition wird in diesem Abkommenstext vermieden. Die folgende skizzierte Überlegung soll die Tragweite der Beitrittskriterien am Beispiel verdeutlichen: Wären Deutschland oder die Europäischen Gemeinschaften nicht bereits gemäß Art. XI WTOÜ ursprüngliche Mitglieder, so würde sich die Frage stellen, ob sie diesen genannten Beitrittskriterien genügen. Das Kriterium der "vollen Handlungsfähigkeit" muß fiir Deutschland ebenso wie fiir die Europäischen Gemeinschaften verneint werden, wenn man beide als eigenständige Völkerrechtssubjekte betrachtet. Deutschland übt nach Art. l33 EGV die Handelspolitik gemeinschaftlich mit den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft aus. 179 Der Europäische Gerichtshof hat dies in seinem Gutachten 1/94 bestätigt, aber nur fiir das GATI 1994, nicht jedoch fiir GATS und TRIPS, die alleinige Zuständigkeit der Gemeinschaft festgestellt. 180 Weil die genannten drei Abkommen zu den multilateralen Übereinkommen zählen, besteht eine ausschließliche Befugnis in WTO-Angelegenheiten weder von Deutschland noch von der Europäischen Gemeinschaft. Ein alleiniger Beitritt Deutschlands oder ein alleiniger Beitritt der Europäischen Gemeinschaft wäre nicht möglich, weil die Handelspolitik, vor allem im Warenbereich, nur von der Gemeinschaft, also gemeinschaftlich ausgeübt werden darf. Der Beitrittsprozeß ist langwierig. 181 Nachdem ein beitrittswilliger Staat einen offlziellen Aufnahrneantrag zur Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation gestellt hat, wird vom Allgemeinen Rat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die eingehend dessen Handelspolitik untersucht und deren Konformität mit den WTO-Regeln prüft. Grundlage dafiir bildet vor allem ein von diesem Staat ausgearbeitetes Memorandum, das detailliert über die Handelsbeziehungen und Wirtschaftspolitik informiert. Es folgen bilaterale Gespräche und Verhandlungen zwischen dem beizutretenden Staat und den WTO-Mitgliedern über Konzessionen und Zugeständnissen im Waren- und Dienstleistungsbereich, weil nur 179 Dazu ausfiihrIich 5. Teil 3. Kap. 180EuGH 15.11.1994, WTO-Gutachten 1194, Slg. 1994, S. 1-5267 (5402 ff., 5417, 5419); dazu näher unter 5. Teil 4. Kap. I. 181 Ausfiihrlieh unter der Homepage www.wto.orglaboutlaccessions.htm (Stand Jan. 2000).

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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"unter Bedingungen, die zwischen ihm und der WTO vereinbart werden", beigetreten werden kann (Art XII Abs. 1 Satz 1 WTOÜ). Grundsätzlich gestaltet sich der WTO-Beitritt für kleine offenen Volkswirtschaften, die kawn Rechtsvorschriften im Handelsbereich besitzen und deshalb die Forderungen der WTO-Vertragsparteien akzeptieren, leichter, wie der schnelle Beitritt Kirgistans (1998) zeigte. 182 Nach Abschluß ihrer Untersuchungen präsentiert die Arbeitsgruppe das Ergebnis zusammen mit einem Beitrittsprotokoll, in dem die Beitrittsbedingung, die Konzessionen und Zugeständnislisten, festgeschrieben sind, dem Allgemeinen Rat zur Annahme. Die Zustimmung des Allgemeinen Rates ist eine Voraussetzung für die Unterzeichnung des Beitrittsprotokolls. Die Ministerkonferenz faßt gemäß Art. XII Abs. 2 WTOÜ den Beitrittsbeschluß mit Zweidrittelmehrheit der WTO-Mitglieder. Die Entscheidung über den Beitritt eines Staates oder Zollgebietes liegt damit ausschließlich in der Kompetenz der WTO. 30 Tage nach Eingang der Ratiflkationsurkunde bei der WTO wird der beitretende Staat offIZielles Mitglied der Welthandelsorganisation. Für Knut Ipsen ist die WTO eine "nur bedingt offene Organisation,,183 und Thomas Oppermann nennt die Form der ursprünglichen Mitgliedschaft bis zu einem gewissen Grade bevorrechtigt. 184

3. Die WTO-Doppelmitgliedschaft Die WTO unterscheidet, wie dargelegt, hinsichtlich des Zeitpunkts der Mitgliedschaft nach ursprünglichen und neubeigetretenen Mitgliedern. Ursprüngliche Mitglieder können diejenigen Staaten werden, die Vertragsparteien des GATT 1947 waren. Eine Ausnahme ist für die Europäische Gemeinschaft vorgesehen. Art. XI Abs. 1 Satz 1 WTOÜ fmgiert, daß die Europäischen Gemeinschaften zu den ursprünglichen Mitgliedern der WTO zählen. ,,Die Vertragsparteien des GATT 1947, die zum Zeitpunkt diese Übereinkommens solche sind, und die Europäischen Gemeinschaften, die dieses Übereinkommen annehmen ( ... ), werden ursprüngliche Mitglieder der WTO." Auch Artikel XIV Abs. 1 WTOÜ sieht ausdrücklich vor, daß die Europäischen Gemeinschaften Mitglied der WTO werden können: ,,Dieses Übereinkommen steht den Vertragsparteien des GATT 1947 sowie den Europäischen Gemeinschaften ( ... ) zur

182 R.J. Langhammer, Die Europäische Gemeinschaft in der Entwicklung und in den Perspektiven des Welthandels zur Jahrhundertwende, in: p.-eh. Müller-Graf (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, 1999/2000, S. 25. 183 K. IpsenlU.R. Haltern, RIW 9 (1994), 721. 184 Th. Oppermann, RIW 11 (1995),922.

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

Annahme offen, die durch Unterzeichnung oder auf andere Weise erfolgen kann." Den Gemeinschaften steht damit als einziger Regionalorganisation die ursprüngliche Mitgliedschaft offen. Die Regeln der Welthandelsorganisation nennen explizit die Europäischen Gemeinschaften als einzige zwischenstaatliche Organisation. Thomas Oppennann sieht dies als "eindrucksvollen Beleg fiir den besonderen Status, den sich die Gemeinschaft über den Aufbau ihrer gemeinsamen Handelspolitik im Kreise der Welthandelspartner errungen hat". \8S Der Grund dafiir kann bereits in der besonderen Beziehung der Europäischen Gemeinschaft zum alten GATT gesehen werden. 186 Formal gehörten dem GATT 1947 nur die EG-Mitgliedstaaten an, während die Gemeinschaft einen de-factoStatus als Vertragspartei hatte. 187 Das WTO-Abkommen spricht von den "Europäischen Gemeinschaften". Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom November 1994 über die EG-Zuständigkeit fiir den Abschluß des WTOAbkommens wurde dieses im Dezember 1994 jedoch nicht von EGKS und Euratom, sondern nur von der Europäischen Gemeinschaft und deren Mitgliedstaaten unterzeichnet. 188 Trotzdem wird in WTO-Berichten von den "European Communities" gesprochen. 189 Neben der Europäischen Gemeinschaft ist auch noch jeder der 15 EG-Mitgliedstaaten selbst Vertragspartei der WTO. 190 Grund dafiir ist in der gemeinschaftlich auszuübenden Handelspolitik, wie sie in Art. 133 EGV festgelegt ist, zu suchen. Die sich daraus ergebenden strittigen

Th. Oppermann, RIW 11 (1995),922. Dazu 5. Teil 4. Kap. 187 Allgemein war der Status der de-facto-Mitgliedschaft als Provisorium gedacht, er wurde aber bald zu einer Dauerlösung für viele Länder. Die de-facto-Mitglieder befinden sich in einer Art Wartestellung und unterliegen keinerlei prozeduralen Verpflichtungen, haben aber auch keine prozeduralen Rechte. Näheres über die de-factoMitgliedschaft bei W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 196 ff. 188 Dazu 5. Teil 4. Kap. 11. 189 So wird die Europäische Gemeinschaft in den Panel- und Berufungsberichten bezeichnet, z.B. Argentina - Measures affecting the export of bovine hides and the import offinished leather, Complain by the European Communities (WTIDSI55/R); European Communities - Anti dumping measures on imports of cotton type bed linen from India (DS 141/R); United States - Import measures on certain products from the European Communities (WT/DSI65/R) 190 Das gilt auch für die folgenden 12 Länder, mit denen seit 1998 bzw. 2000 Beitrittsverhandlungen (EU-Osterweiterung) geführt werden: Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, Estland, Slowenien, Zypern, Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Lettland, Litauen und Malta. Die Türkei hat als 13. Land im Dezember 1999 den Kandidatenstatus erhalten. Beitrittsverhandlungen will die EU aber erst beginnen, wenn die Türkei die politischen Kriterien für einen Beitritt erfüllt. 185

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2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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Fragen der Zuständigkeits- und Kompetenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten werden im folgenden noch diskutiert. 191 Die Europäische Union ist ein wichtiger Partner bei den Verhandlungen der Uruguay-Runde, aber auch schon ein gewichtiges Verhandlungsmitglied in den vorherigen Runden gewesen. C. Fred Bergsten spricht unter dem Stichwort "Führung tut Not" davon, daß in Zukunft nicht mehr die USA alleine Anstoß für beispielsweise neue Handelsrunden sein wird, sondern die Europäische Union daneben treten wird und sich diese beiden Staaten als die "G-2" behaupten werden. 192

4. Mitgliedschaft Chinas Die Volksrepublik China war Gründungsmitglied des GATT 1947, trat aber aus politischen Gründen 1950 von der Mitgliedschaft zurück. Seit 22. März 1996 bemüht sich die Volksrepublik in offiziellen Verhandlungen um Aufnahme in die WTO. 193 Doch die Frage dieser Mitgliedschaft ist stark mit politischen Gesichtspunkten verflochten. Als großer binnenwirtschaftlich organisierter Staat sind die Rechtsvorschriften nach Städten und Provinzen regional stark differenziert, so daß seitens der WTO der Vorwurf der internen Diskriminierung ebenso erhoben wurde wie der des Fehlens eines einheitlichen wirtschaftlichen Rechtsrahmens. 194 Auch wurde China wegen der Nichtbeachtung der Menschemechtssituation die Aufnahme in die WTO verweigert. Eine Kehrtwende in der amerikanischen Wirtschaftspolitik sorgt für "energische Bemühungen (Washingtons), Chinas Aufnahme in die Welthandelsorganisation zu beschleunigen,,195. Während USA einerseits, anläßlich der Jahresversammlung der UNMenschemechtskomrnission, die massive Verschlechterung der Menschenrechte in China kritisierte, wollten sie andererseits die umstrittene Mitgliedschaft Chinas in der WTO durchsetzen. Es ist damit offenkundig, daß entweder Menschemechte und Handelspolitik nichts miteinander zu tun haben, oder der Einfluß der amerikanischen Industrielobbyisten bestechend ist. 196 Die rur April 1999 vorgesehene Entscheidung, den Weg Chinas in die WTO zu ebnen, ist er191 Dazu 5. und 6.TeiJ.

c.F. Bergsten, Zeit rur eine "Millenium-Runde". Lehren aus 50 Jahren Welthandelssystem, dieser Beitrag beruht auf einem Vortrag vor der Deutschen Gesellschaft rur Auswärtige Politik e.V., nachzulesen unter dem Titel: Globalizing Free Trade, in: Foreign Affairs, Mai/Juni 1996. 193 WTO-Focus Nr. 4, Juli 1995, S. 2; NZZ NT. 106,8. Mai 1996, S. 23. 194 R.J. Langhammer, Die Europäische Gemeinschaft in der Entwicklung und in den Perspektiven des Welthandels zur Jahrhundertwende, S. 25. 195 SZ 29. März 1999, S. 26. 196 In diese Richtung auch SZ 29. März 1999, S. 26. 192

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

neut am Widerstand des US-Kongresses, auch aufgrund des Vorwurfs der Atomspionage und des Wahlbetrugs, gescheitert, obwohl die Konzessionen der Chinesen unerwartet weitreichend waren. 197 Die USA gewährt China, als wichtigem Auslandsmarkt, Meistbegünstigung. Daß diese Begünstigung jährlich zu erneuern ist, versetzt die USA in die Lage, wenn auch nur beschränkt, auf die Menschenrechtssituation in diesem Land Einfluß zu nehmen. 198 Der KosovoKrieg und die Bombardierung der chinesischen Botschaft durch die NATO waren der Anlaß, die amerikanisch-chinesischen Beitrittsverhandlungen auszusetzen. l99 China hielt aber am Ziel eines baldigen WTO-Beitritts fest, wie der chinesische Ministerpräsident bekräftigte, der mit seinem japanischen Amtskollegen bereits eine bilateralte Einigung über den Beitritt zur WTO erreicht hatte. 2oo Die Verhandlungen mit der Europäischen Gemeinschaft fanden im Mai 2000 erfolgreich zum Abschluß. Im September 2001 endeten schließlich die seit insgesamt 15 Jahren andauernden inoffIziellen und offiziellen Verhandlungen Chinas mit 142 Mitgliedstaaten, nachdem die nationalen Zustirnmungsverfahren abgeschlossen waren. Man einigte sich in einem über 900-seitigen Abkommen auf den Beitritt Chinas als 143. Mitglied zur WTO. 201 Mike Moore, der Generaldirektor, sprach dazu in einer Presseerklärung: "With China's membership, the WTO will take a major step towards becoming a truly world organization.,,202 China wurde auf der Ministerkonferenz in DohaJKatar am 11. November 2001 offiziell aufgenommen. 203 Diesem Aufnahmebeschluß schließt sich dann das interne Ratiftzierungsverfahren in China an. 30 Tage nach der Hinterlegung der Beitrittsdokumente in Genf, am 11. Dezember 2001, wurde China Mitglied der WTO.

197 FAZ 15. April 1999, S. 18; China aktuell 4 (1999), 337; die amerikanische Hande\sbevollmächtigte Charlene Barshefsky hat mit China folgende Bedingungen ausgehandelt: Reduktion der durchschnittlichen Zollsätze auf Landwirtschaftsprodukte von 17 auf 14,5 % und wesentlich für Industrieprodukte von 24,6 auf 9,44 %, die Zulassung ausländischer Investitionen im Te\ekommunikationssektor, die Aufhebung der Begrenzung ftir ausländische Versicherungsfirmen und die Zulassung von Bankgeschäften in lokaler Währung für ausländische Banken, so China aktuell 4 (1999), 331. 198 P. Hilpold, Die Fortentwicklung der WTO-Ordnung, Materielle und institutionelle Aspekte unter besonderer Berücksichtigung der Ministerkonferenz von Singapur und der nachfolgenden Umsetzll;ngsmaßnahmen, RIW 2 (1998), 100. 199 FAZ 10. Juli 1999, S. 6. 200 F AZ 10. Juli 1999, S. 6; SZ 10./11. Juli 1999, S. 7; Wirtschaftswoche 9/1 5. Juli 1999, S. 30. 201 WTIMIN(01)/3 Report ofthe Working Party on the Accession ofChina. 202 WTO-Press Nr. 243, 17. September 2001. 203 WT/U432 Protocol on the Accession ofthe People's Republic ofChina.

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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5. Austritt aus der WTO Der Austritt, das freiwillige Verlassen der Welthandelsorganisation durch ein Mitglied ist in Art. XV Abs. 1 WTOÜ geregelt. Danach steht jedem beigetretenem Mitgliedstaat auch die Möglichkeit des Austritts zu. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Monate. Ein ausgetretener Mitgliedstaat muß aber jedenfalls alle bis zum Tag des Austritts angefallenen Verpflichtungen erfüllen. Ein Staat kann sich durch Austritt nicht von den Verbindlichkeiten befreien, die für ihn bereits eingetreten sind. 204 Es stellt sich auch hier die Frage, ob Art. XV Abs. 1 WTOÜ auf Deutschland oder die Europäischen Gemeinschaften Anwendung fmden könnte. Deutschland ist ein dem GATT beigetretener Staat und aufgrund dessen ursprüngliches Mitglied der WTO. Ähnlich verhält es sich mit den Europäischen Gemeinschaften. 20S Deutschland besitzt jedoch, wie erwähnt/06 nur eine geteilte Außenhandelskompetenz, die in Gemeinschaft mit den anderen Mitgliedstaaten der EG ausgeübt wird. Die Europäische Gemeinschaft kann nicht alleine austreten; denn (noch) wird die Staatsgewalt gemeinschaftlich von den Völkern Europas ausgeübt. Deutschland hat im Bereich des GATT 1994 keine Befugnisse mehr, weil diese an die Europäische Gemeinschaft übertragen sind. 207 Ein einseitiger Austritt eines Mitgliedstaates der EG oder der Europäischen Gemeinschaft selbst aus dem WTO-Abkommen ist daher gemeinschaftsrechtlich nicht darstellbar; denn dem verbleibenden Mitglied wäre die Handlungsmöglichkeit innerhalb der WTO genommen. Die plurilateralen Abkominen können von der Vertragspartei einzeln aufgekündigt werden, ohne daß dies die Mitgliedschaft bei der WTO berührt. Die jeweiligen Kündigungsfristen sind in den plurilateralen Einzelabkommen festgehalten und diesen zu entnehmen (Art. XV Abs. 2 WTOÜ). Anders als unter dem GATT 1947, ist bisher noch kein Austritt eines Mitgliedstaates aus der Welthandelsorganisation zu verzeichnen.

204 H. Köck/P. Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen. Das Recht der Weltfriedensorganisation (VB und UNO, der UN-Spezialorganisation und der wichtigsten regionalen Organisationen im Dienste von kollektiver Sicherheit und Zusammenarbeit), 3. Auf!. 1997, S. 543. 20S Dazu näher unter 2. Kap. 11. 3. 206 Dazu in diesem Kapitel unter 1.; ausflihrlich 5. Teil 3. Kap. und 4. Kap. 11. 207 EuGH 15.11.1994, WTO-Gutachten 1194, Slg. 1994, S. 1-5267 (5399).

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I. Teil: Die Grundlagen der WelthandeIsorganisation

6. Teilnahme ohne Mitgliedschaft

Die Welthandelsorganisation ermöglicht, wie andere internationale Organisationen auch, eine Teilnahme an den Sitzungen der Ministerkonferenz, des Allgemeinen Rats oder den Arbeitsgruppen, auch wenn keine Mitgliedschaft gegeben ist. Über die Unterhaltung eines (Ständigen) Beobachters wird NichtMitgiiedstaaten208 oder internationalen Organisationen209 , aber auch Nicht-Regierungsorganisationen21o die Gelegenheit gegeben, an WTO-Konferenzen anwesend zu sein. 211 Ein Stimmrecht besitzen sie allerdings nicht. Die genauen Teilnahmevoraussetzungen und -regeln, die in den einzelnen WTO-Organen unterschiedlich sein können, legen die ,,Rules of Procedure for Sessions of the Ministerial Conference and Meetings of the General Council,,212 fest. Der Beobachterstatus von Staaten geht zumeist einem Beitritt zur WTO voraus. Er ermöglicht einer Regierung, sich besser über die WTO und deren Aktivitäten zu informieren. 213 Der Staat kann über einen Zeitraum von tunf Jahren die Einblicke nutzen und sich auf mögliche Beitrittsverhandlungen vorbereiten. 214 Gleichzeitig erhalten die WTO-Mitgliedstaaten einen Eindruck über die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitrittskandidaten. Nach Ablauf des fiinf Jahres-Zeitraums muß das Beitrittsgesuch gestellt werden. 215 Internationalen Organisationen, die mit der WTO in enger Zusammenarbeit stehen (Art. V WTOÜ), wird ein Beobachterstatus für die Arbeitsgruppen und Organe zugestanden, die für sie von besonderem Interesse sind. 216 Der Beobachterstatus von internationalen Organisationen muß, ebenso wie der von Re208 Eine Liste der Staaten, die den Beitritt zur WTO nicht beantragt haben oder die noch nicht Mitglied sind, befindet sich im Anhang. 209 Zur Zusammenarbeit der WTO mit Internationalen Organisationen siehe 2. Kap. VI. I. Beziehung zu den Vereinten Nationen. 210 Zur RoHe der Nicht-Regierungsorganisationen in der WTO und deren Zusammenarbeit siehe 2. Kap. VI. 2. 211 WTO-Annual Report 2000, S. 22. 212 WTO-Dokument WTIUI6I, 25. Juli 1996, "Rules of Procedure for Sessions of the Ministerial Conference and Meetings ofthe General Council". 213 Folgende Staaten haben den Beobachterstatus eingerichtet (Stand Januar 2002): Algerien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Äthiopien, Bahamas, Belarus, Bhutan, Bosnien Herzegowina, Jemen, Jugoslavien, Kambodscha, Kap Verde, Kasachstan, Laos, Libanon, Mazedonien, Nepal, Russische Föderation, Samoa, Sao Tome und Principe, Saudi-Arabien, Seychellen, Sudan, Taschinkistan, Tonga, Ukraine, Usbekistan, Vanuatu, Vatikan und Vietnam. 214 WTIUI61 Annex 2 "Guidelines for Observer Status for Governments in the WTO", Rule 8 f. 215 Ausnahme ist der Vatikan. 216 WTIUI61 Annex 3 "Observer Status for International Intergovernmental Organizations in the WTO", Rule 1.

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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gierungen, schriftlich beantragt werden. 217 Darüber wird jeweils einzeln entschieden. 218

111. Organe der WTO Die Welthandelsorganisation setzt sich aus drei Hauptorganen zusanunen: der Ministerkonferenz als Repräsentativorgan, dem Allgemeinen Rat als Exekutivorgan sowie dem Sekretariat. 219 Damit erhält die WTO eine primärrechtliche Grundlage, die dem GATI in diesem Umfang fehlte. Die Organe sind zuständig fiir die Verwaltung der Übereinkonunen, die integrierte Streitschlichtung, das handelspolitische Überwachungssystem sowie die Kooperation mit den BrettonW oods-Institutionen. Diese Struktur findet Ergänzung durch zahlreiche Unter- und Nebenorgane, die im folgenden skizziert werden. Der organisatorische Aufbau der Welthandelsorganisation wird durch Art. IV WTOÜ, überschrieben als ,,Aufbau der WTO", sowie Art. VI WTOÜ, "Sekretariat", bestinunt. J. Ministerkonferenz

Das oberste Organ, die Ministerkonferenz, gebildet aus Repräsentanten der Mitglieder, tritt mindestens alle zwei Jahre zusanunen. 220 Die Sitzungen sind nicht öffentlich. 221 Art. IV Abs. 1 Satz 1 WTOÜ, wonach "die Ministerkonferenz die Aufgaben der WTO wahrninunt und die dafiir erforderlichen Maßnahmen trifft", verdeutlicht die erstrangige Position dieses Organs, dem innerhalb der WTO primäre Befugnis zur Umsetzung der Ziele zukonunt. Sie besitzt die Befugnis, in allen Angelegenheiten zu entscheiden, die sich auf eines der multilateralen Übereinkonunen beziehen, sofern ein Antrag eines Mitglieds dazu vorliegt. Die Ministerkonferenz ist nach Art. IX Abs. 3 WTOÜ zuständig fiir die Gewährung von Ausnahmegenehrnigungen (waiver), die, wenn nicht inner-

217Im Allgemeinen Rat sind mit Stand vom Oktober 2000 folgende Internationalen Organisationen vertreten: Vereinte Nationen (UN), UNCTAD, Internationale Währungsfonds (lWF), Weltbank, FAO, Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), OECD. 218 WTILlI61 Annex 2, Rule 4 und 5; Annex 3, Rule 3 und 4. 219 P. T. Stoll, ZaöRV 54 (1994), 258. 220 WTO Dokument WT/LlI61, 25. Juli 1996, Rules ofProcedure for Sessions ofthe Ministerial Conference and Meetings ofthe General Council, Rule I. 221 WT/LlI61, Rule 32. 5 Siebold

1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

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halb der gesetzten 90 Tage Frist mit Konsens, doch wenigstens mit drei Viertel Mehrheit zu fassen sind (Art. X WTOÜ). Gemäß Art. IV Abs. 7 WTOÜ setzt die Ministerkonferenz drei Ausschüsse ein, welche die Aufgaben, die sich aus dem Übereinkommen ergeben oder vom Allgemeinen Rat übertragen werden, errullen. Dies sind ein Ausschuß rur Handel und Entwicklung, der fiir die laufende Überprüfung der Lage der wirtschaftlich schwachen Länder verantwortlich ist, ein Ausschuß rur Zahlungsbilanzbeschränkungen sowie ein Ausschuß fiir Haushalt, Finanzen und Verwaltung. Daneben wird der Ministerkonferenz das Recht zugestanden, zusätzliche Ausschüsse einzuberufen, sofern dies zweckdienlich erscheint. Die Ministerkonferenz entspricht den VERTRAGSPARTEIEN, dem einzig organisatorisch verfestigten Hauptorgan des GATT 1947,222 welches zwar in jährlichem Zyklus Tagungen abhielt, die aber nur in Ausnahmef.Hlen auf Ministerebene stattfanden.

a) Singapur-Ministerkonferenz 1996 Die erste Tagung der WTO-Ministerkonferenz wurde vom 9. bis 13. Dezember 1996 in Singapur fiir die Wirtschafts-, Außen-, Landwirtschafts- und Finanzminister von über 120 Mitgliedstaaten veranstaltet. Es ging dabei um eine grundsätzliche Bewertung der Übereinkommen, die unter der WTO geschlossen wurden, um die allgemeinen Wirtschaftsentwicklungen im Zeitalter der Globalisierung, um die potentiellen Gefahren des multilateralen Systems durch Bilateralismus und Regionalismus, aber auch um Trade-Ands. 223 Im Bereich Handel und Umwelt existiert ein Komitee, das u.a. die Zusammenhänge von Handelsliberalisierung, wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz zu klären sucht. 224 Im Bereich der Sozialstandards verharrt die Welthandelsorganisation auf der unter dem GATT geprägten Maxime, daß eine Zustimmung zu bestimmten Arbeitsrechten und -standards zur Handelsprotektion mißbraucht werden könnte. Die WTO betont, daß sie die Arbeitsstandards, die ILO setzt, anerkennt und unterstützt, aber sie dürfen nicht von einem Mitgliedstaat als Maßstab zur Einfuhr von ausländischen Waren werden. 225

W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 212. m Dazu näher die "Singapore Ministerial Dec1aration" WT/MIN(96)/DEC; H.G. KrenzIer, Die WTO nach Singapur aus Sicht der EU, in: Forschungsinstitut Hir Wirt222

schaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.), Die Bedeutung der WTO Hir die europäische Wirtschaft, 1997, S. 42 ff. 224 www.wto.org/engish/thewto_e/minist_e/min96_e/wtodec.htm Nr. 16 (Stand Feb. 2001). m www.wto.orglengish/thewto_e/minist_e/min96_e/wtodec.htm NT. 4 (Stand Feb. 2001 ).

2. Kap.: Struktur der WeIthandelsorganisation

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Die Verhandlung hatte zwn Ziel, Zölle im Informationsbereich zu eliminieren, was durch drei, dieser Konferenz folgenden Abkommen, geschah. Im Februar 1997 stimmten 69 WTO-Mitgliedstaaten, die insgesamt über mehr als 90 Prozent dieses Marktes repräsentieren, 226 einer Liberalisierung im internationalen Telekommunikationsbereich zu. Ein Monat später wurde mit 43 Mitgliedstaaten ein Übereinkommen getroffen, daß bis zwn Jahr 2000 alle Importzölle auf Produkte aus den Informationstechnologiebereich gestrichen werden. Im Dezember 1997 stimmten schließlich 102 Mitglieder zu, ihre Finanzdienstleistungsbereiche stärker zu öffnen und sich damit dem Wettbewerb zu stellen. Insgesamt umfassen diese drei Übereinkommen ein internationales HandeIsvolumen von mehr als US $ 2 Billion. 227 Diese Thematisierung macht deutlich, daß sich die internationale Wirtschaft geändert hat. Vor allem der Handel mit Dienstleistungen und der Bereich der Direktinvestitionen gewinnen zunehmend an Bedeutung. 228 Diese Entwicklung ist auch eine Herausforderung an die internationalen Handelsregeln und damit letztlich an die Welthandelsorganisation, diese Änderungen umzusetzen. 229

b) Genf-Ministerkonferenz 1998 Diese zukünftigen Arbeitsthemen stellten auch das Hauptthema der zweiten Ministerkonferenz, die in Genf vom 18. bis 20. Mai 1998 gleichzeitig mit dem 50-jährigen Bestehen des Multilateralen Handelssystems stattfand. 230 Die Themen dieses Treffens waren getragen von den Grundprinzipien der Welthandelsorganisation. Es wurden die Vorteile der offenen Märkte und des multilateralen Handelssystems ebenso herausgestellt, wie die Notwendigkeit der vollen Implementierung der WTO-Abkommen betont, die unter der Leitung des Allgemeinen Rates fortschreiten und zwn nächsten Treffen evaluiert werden soll. In Anbetracht des Wachstums von E-Commerce wurde eine Arbeitsgruppe, ebenfalls unter der Leitung des Allgemeinen Rats, gegIiindet, um alle handelsbezogenen Aspekte des E-Commerce zu untersuchen. Die Ergebnisse sollten in Seattle diskutiert werden. Für die Zwischenzeit wurde empfohlen, "that Members will 226 Ministerial Declaration on Trade in Information Technology Products, 13. Dezember 1996, WTIMIN(96)/16, Annex. 227 Pressemitteilung zur Genfer Ministerkonferenz, die die Ergebnisse von Singapur zusammenfaßt: www.wto.orglwto/ministlbackgr.htm (Stand Jan. 2000). 228 www.wto.org/engish/thewto_e/minist_e/min96_e/wtodec.htm (Stand Feb. 200\) 229 Die Minister in Singapur etablierten drei Arbeitsgruppen zur Untersuchung des Verhältnisses von Handel und Investition, Handel und Wettbewerb sowie über die Transparenz des öffentlichen Beschaffungswesens. 230 Dazu www.wto.orglengish/thewto_e/minist_e/min98_e/english/mc98_ e/mindec. htm (Stand Feb. 2001).

5*

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

continue their current practice of not irnposing custorns duties on e1ectronic transrnissions".231 Insgesamt wird dieser Ministerkonferenz keine zu hohe Bedeutung beigemessen, weil sie zwischen der histori~chen ersten Ministerrunde in Singapur und dem wichtigen dritten Ministertreffen in Seattle, das initiierend für eine neue Handelsrunde sein sollte, liegt. 232

c) Seattle-Ministerkonferenz 1999 Das wichtige dritte Ministertreffen vom 30. November bis 3. Dezember 1999, das den Anfang einer neuen Welthandels runde darstellen sollte, erreichte seine Ziele nicht, räumt die WTO offIziell ein. 233 Es war ein "Fiasko", meldet die Zeitung. 234 Erstmals haben sich Globalisierungsgegner organisiert und ihren Unmut gegen die wirtschaftliche Entwicklung, die durch die Handelsregeln der Welthandelsorganisation getragen ist, geäußert, aber auch durchgesetzt. Die Handelsrunde war gescheitert. Ob die Globalisierungsgegner für den Mißerfolg der Konferenz verantwortlich gemacht werden können, oder ob es daran lag, daß sich die Vereinigten Staaten und die Europäische Union außerstande sahen, die Anlagen der Entwicklungsländer zu berücksichtigen, sei dahingestellt. 235 Pascal Lamy sieht die Hauptgründe für das Scheitern vor allem in der Vernachlässigung der Interessen der Entwicklungsländer, in dem Mangel an Aufmerksamkeit die durch die Zivilgesellschaft (und NGOs) zum Ausdruck gebracht wurde sowie an Problemen innerhalb der WTO selbst. 236 Das Ansehen der WTO litt und die in den vorherigen Ministerrunden gesetzten Ziele konnten nicht verwirklicht werden. Die politische Initiative für diese Handelsrunde kam von der Europäischen Gemeinschaft und der EU-Kommissar, Sir Leon Brittan, prägte den Namen Millenium-Runde. 237 Der Verhandlungskatolog urnfaßte institutionelle Reformen, eine weitergehende Liberalisierung des Welthandels, vor allem im Agrar231 www.wto.orglengish/thewto_e/minist_e/min98_e/english/anniv_eecom.htm (Stand Feb. 200 I). 232 Ähnlich auch der zusammenfassende Pressebericht der WTO zur "Second Ministerial Conference of the World Trade Organization" www.wto.orglwto/ministl backgr.htm. 233 WTO-Annual Report 2000, S. 21. 234 Die ZEIT 9. Dezember 1999, S. 23. m FAZ 3 J. Januar 200 I, S. 16; SZ 29. Januar 200 I, S. 25. 236 europa.eu. intlcommltrade/2000_round/index _ eu.htm (Stand März 200 I). 237 B. May, Die deutsch-europäische Verhandlungsposition bei der WTO-Handelsrunde, Aus Politik und Zeitgeschichte, 846-47/99, S. 27; R. Rode, Die Rolle der Europäischen Union in der politischen Dimension der wirtschaftlichen Globalisierung. Globalisierung und Regionalisierung, S. 61 f.

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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und Dienstleistungsbereich, aber auch in Sektoren der öffentlichen Beschaffung und des geistigen Eigentums, eine weitere Stärkung des multilateralen Systems der WTO. 238 Die Verhandlungen waren nicht erfolgreich, zu wenige Ergebnisse wurden erzielt und Enttäuschung äußerte auch der Generaldirektor. 239 d) Katar-Ministerkonferenz 2001 In Doha, Katar, fand vom 9. bis 13. November 2001 die vierte WTOMinisterkonferenz statt. Die Ergebnisse der Konferenz werden als "in hohem Maße zufriedenstellend" bezeichnet. 240 Zu den wichtigen Beschlüssen zählen unter anderem, daß eine neue WTO-Handelsrunde eingeleitet werden soll, nachdem die letzte in Seattle am Widerstand der Entwicklungsländer gescheitert war. Vor allem die Europäische Gemeinschaft und die USA, aber auch Kanada und Japan müssen den Entwicklungsländern in Fragen der Agrarpolitik und Textilien entgegenkommen, wenn ein Fortschritt in anderen Bereichen erzielt werden soll. Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits von den "Quad"Ländern241 ausgegangen. Anfang Mai 2000 wurde vom Allgemeinen Rat der WTO beschlossen, daß den am wenigsten entwickelten Ländern, bis auf wenige' Ausnahmen, freier Marktzutritt auf den "Quad"-Ländern gewährt wird. Die Europäische Gemeinschaft erlaubt beispielsweise diesen Ländern Zollfreiheit fiir alle gewerblichen Produkte und sieht keine Mengenbeschränkung fiir Textil und Bekleidung VOr. 242 Ferner wurde ein Implementierungsmechanismus eingeführt, der die Entwicklungsländer bei Problemen mit der Umsetzung der WTOAbkommen unterstützt. 243 Insgesamt werden mit der Entwicklungsagenda von Doha/Katar die traditionellen Aufgaben der WTO, die Liberalisierung des Handels, weiter fortgeführt werden. Es wurde geplant, das Tätigkeitsfeld der WTO auch auf Bereiche auszudehnen, die fiir eine angemessene Steuerung der glo-

238 Ausführlich dazu www.europa.eu.int/commldgOI/0807nrde.pdf (Stand Jan. 2001); G.M. Berrisch/H.G. Kamann, Die neuesten Entwicklungen im europäischen Au. ßenhandelsrecht, EuZW 23 (1999), 714. 239 "I feet particular disappointment because the postponement of our deliberations means the benefits that would have accrued to developing and least-developed countries will now be delayed, while the problems facing these countries will not be allayed. A package of results is within reach." WT/MIN(99). 240 www.trade-info.cec.eu.int/europa/2001 newroundlcompas_ de.htrn (Stand Mai 2002). 241 Japan, USA, Kanada und Europäischen Gemeinschaft. 242 Ausführlich zur neuen WTO-Runde www.wto.org und aus europäischer Sicht europa.eu.int/commltrade/2000_roundlindex_eU.htrn (Stand März 200 I). 243 www.trade-info.cec.eu.int/europa/2001 newroundlcompas_de.htrn (Stand Mai 2002).

I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

70

baIen Wirtschaftsintegration entscheidend sind. Dies betrifft vor allem die Bereiche Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz.

2. Allgemeiner Rat Zwischen den zweijährigen Tagungen der Ministerkonferenz wird deren Aufgabe vom ,,Allgemeinen Rat" übernommen. Er setzt sich ebenfalls, so bestimmt es Art. IV Abs. 2 Satz 1 WTOÜ, "aus Repräsentanten der Mitglieder zusammen" und tagt "wann immer dies zweckdienlich ist".244 In der Literatur findet sich zudem auch die Bezeichnung "Welthandelsrat,,245 oder "Generalrat,,246. Im Vergleich zu anderen internationalen Organisationen existiert in der WTO keine zahlenmäßige Beschränkung dieses Organs. 247 Der Allgemeine Rat gibt sich selbst eine Geschäftsordnung (Art. IV Abs. 2 WTOÜ) und nimmt eine zentrale Stellung im institutionellen Gefüge der W'fO ein. Neben den in Art. IV Abs. 2 WTOÜ nicht näher bestimmten Aufgaben, die das Übereinkommen an den Allgemeinen Rat überträgt, soll er sich vor allem mit der Streitschlichtung248 und der Überprüfung der Handelspolitiken249 befassen (Art. IV Abs. 3 und 4 WTOÜ). Dem Allgemeinen Rat obliegt im wesentlichen die Funktionsfähigkeit der Welthandelsorganisation und die Durchsetzung der WTO-Regeln. Er verfügt über eine große Entscheidungsbefugnis und stellt sowohl die zentrale Aufsichtsinstitution, die Streitschlichtungsstelle gemäß Art. 2 Abs. 1 DSU als auch das Organ der Handelspolitiküberwachung. Dem Allgemeinen Rat sind drei besondere Ratsorgane zugeordnet und unterstellt. Der ,,Rat für den Handel mit Waren", der "Rat für den Handel mit Dienstleistungen" sowie der ,,Rat für handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (Rat für TRIPS)2S0, deren Aufgabe es ist, die jeweils in

244

So bestimmt es auch WT/UI61.

245 Nach P. T StolI, ZaöRV 54 (1994), 259 scheint sich diese Nomenklatur einzubür-

gern. Den Grund dafür sieht Stoll in der begrifflichen Abgrenzung und Qualifizierung gegenüber den anderen Organen, die im WTO-Übereinkommen ebenfalls als "Rat" bezeichnet werden. 246 W. Benedek. VN I (1995), 16. In dem folgenden ist jedoch die Bezeichnung "Allgemeiner Rat" präferiert, weil diese Bezeichnung im Bundesgesetzblatt Eingang gefunden hat. 247 Beispielhaft ist die Zusammensetzung des Europäischen Rates genannt, die mit je einem Vertreter jedes Mitgliedstaats auf Ministerebene (Art. 203 EGV), sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 213 Abs. I EGV gesetzlich genau festgelegt ist. 248 Vgl. dazu 3. Teil 2. Kap. 249 Vgl. dazu 3. Teil I. Kap. 250 Abkürzung gemäß den Bestimmungen des Art. IV Abs. 5 WTOÜ.

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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den Anhängen lA ("Multilaterale Übereinkommen über den Handel mit Waren"), IB (,,Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen samt Anlagen") Wld 1C ("Übereinkommen über handelsbezogene Rechte des geistigen Eigentums") dieses Übereinkommens festgeschriebenen Regeln zu überwachen. Im Bedarfsfalle können diese Räte nachgeordnete Gremien oder Arbeitsgruppen zur TätigkeitserfüllWlg einsetzen (Art. IV Abs. 6 WTOÜ). Auch diese nachgeordneten Räte Wld Gremien geben sich selbst GeschäftsordnWlgen, die aber der GenehmigWlg der jeweils höheren Instanz bedürfen (Art. IV Abs. 5 WTOÜ). Art. IV Abs. 8 WTOÜ sieht vor, daß der Allgemeine Rat über die Aufgaben der Organe, die durch die plurilateralen Handelsübereinkommen übertragen sind, informiert wird. Diese plurilateralen Übereinkommen wirken somit innerhalb des institutionellen Rahmens der WTO. Knut Ipsen ordnet dem Organ des Allgemeinen Rats eine politische ZentralstellWlg innerhalb des institutionellen Gefüges der Welthandelsorganisation ZU,251 weil er auch für die Zusammenarbeit mit den anderen zwischenstaatlichen Wld nichtstaatlichen Organisationen (Art. V Abs. 1 Wld 2 WTOÜ) zuständig ist. 252 Zahlreiche internationale Organisationen halten folglich auch einen Beobachterstatus in den SitzWlgen des Allgemeinen Rates. 2S3

3. Sekretariat und Generaldirektor

Art. VI WTOÜ regelt die Errichtung eines Sekretariats, welches weitestgehend aus dem bisherigen GATT-Sekretariat hervorgeht (Art. XVI Abs. 2 WTOÜ). Die Hauptaufgaben des Sekretariats als Verwaltungseinrichtung sind Wlverändert geblieben Wld liegen in der Vorbereitung Wld Durchführung von VerhandlWlgen, der Beratung der Handelspartner, der Analyse, DarstellWlg Wld VeröffentlichWlg der WelthandelsentwicklWlg sowie in der Organisation der Schiedsgerichtsverfahren. 254 Das WTO-Sekretariat arbeitet mit über ca. 500 Angestellten. Die Welthandelsorganisation insgesamt verfügte für das Jahr 2001 über ein Budget in Höhe von sFr 132,9 Millionen. 255 Das Budget wird fast kom-

251

K.lpsen/U.R. Haltern, RIW 9 (\994), 719.

Dennoch bleibt das Verhältnis der WTO zu den Vereinten Nationen offen, so P.T. Stall, ZaöRV 54 (1994), 263. 253 Vereinte Nationen, UNCTAD, IMF, Weltbak, FAO, WIPO, OECD. 254 R. Sen/i, Ordo 45 (1994), '302. 255 Im Jahre 2000 betrug das Budget sFr 127,7 Mio., davon entfallen sFr 125,4 Mio. für das WTO Sekretariat und sFr 2,3 Mio. für das Berufungsgremium und dessen Sekretariat; WTO-Annual Report 2000, S. 112; im Vergleich dazu verfügt die OECD über ca. 2400 und die Weltbank über 6700 Mitarbeiter, dazu R. Blackhurs/, The Capacity of 252

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

plett aus Mitgliedsbeiträgen finanziert, die sich aus dem jeweiligen Anteil am internationalen Handel berechnen. 256 Die Besonderheiten in der Stellung der Angehörigen des Sekretariats sowie deren Aufgaben werden in Art. VI Abs. 3 und 4 WTOÜ klar geregelt. Die Leitung des Sekretariats übernimmt der von der Ministerkonferenz ernannte Generaldirektor. Aufgabenbereich, Befugnisse, Dienstbedingungen und Amtszeit werden ebenfalls von der Ministerkonferenz bestimmt. Der Generaldirektor ernennt das Personal des Sekretariats und bestimmt dessen Pflichten in Übereinstimmung mit den Vorschriften, die durch die Ministerkonferenz erlassen werden. 257 Hauptsitz der WTO ist Genf, Schweiz. Die WTO hat das Angebot der Deutschlands, Bonn als WTO-Sitz zu wählen, 1994 abgelehnt und sich für die Beibehaltung des GATT-Hauptsitzes entschieden. 258 Der Brite Eric Wyndham-White hielt das Amt des ersten Generaldirektors über 21 Jahre inne (1947-1968), es folgten mit unterschiedlicher Amtsdauer die beiden Schweizer Oliver Long (1963-1980) und Arthur Dunkel (1980-1993) sowie der Ire Peter Sutherland (1993-1995). Vom 1. Mai 1995 bis 1. Mai 1999 leitete der Italiener Renato Ruggiero das Sekretariat. Die Frage nach seiner Nachfolge, es sollte ein Nicht-Europäer sein, löste eine fast dreimonatige Führungskrise in der Welthandelsorganisation aus. 259 Um eine Zuspitzung der Situation zu vermeiden und die für die WTO übliche konsensuale Entscheidung der Mitgliedstaaten zu gewährleisten, wurde die Amtszeit von vier auf sechs Jahre verlängert, die sich der Neuseeländer Michael Moore (9/1999-812002) und Supachai Panitchpakdi (9/2002-8/2005) aus Thailand im Drei-Jahres-Rhythmus teilen. 260 Dieser ungewöhnlichen Arbeitsteilung liegt weder ein Dissens der Mitgliedstaaten bezüglich der fachlichen Kompetenz oder der handelspolitischen Einstellung der Nachfolger zugrunde, sondern sie ist allein auf regionale Interessen und Eitelkeiten zurückzufiihren. 261

the WTO to Fulfilllts Mandate, in: A.O. Krueger (Hrsg.): The WTO as an international organization, 1998, S. 40. 256 V gl. dazu die Übersicht im Anhang. 257 K. Ipsen/U.R. Haltern, RIW 9 (1994), 720. 258 Näher dazu WTO-FOCUS Nr. 3 1995, S. 5. 259 Als Nachfolgekanditaten kamen je ein Bewerber aus Marokko, Thailand, Kanada und Neuseeland in Frage, FAZ 16. Juli 1999, S. 13, wobei das Ringen um die Nachfolge schon sechs Monate vorher begann, Wirtschaftswoche 8. Juli 1999, S. 33. 260 F AZ 16. Juli 1999, S. 13, SZ 21. Juli 1999, S. 21. 261 FAZ 21. Juli 1999, S. 15; Wirtschaftswoche 8. Juli 1999, S. 33.

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

73

IV. Beschlußfassung Grundsätzlich besteht das nach dem GATT 1947 übliche Verfahren der Beschlußfassung fort (Art. IX Abs. 1 S. 1 WTOÜ). Weil jedoch das GATT nicht als Organisation geplant und angelegt war, enthielt es nur knappe Regelungen zur Beschlußfassung. Als Entscheidungsmodus gilt das Konsensprinzip. 262 Falls eine Einigung jedoch nicht erzielt werden kann, wird auf Tagungen der Ministerkonferenz und des Allgemeinen Rates mit einfacher Mehrheit nach dem GATT-Prinzip "one state, one vote" (Art. XXV GATT 1947) abgestimmt, sofern in einem spezifischem Abkommen nichts anderes vorgesehen ist. Die Europäischen Gemeinschaften verfUgen, wenn sie nach Art. IX Abs. 1 WTOÜ ihr Stimmrecht ausüben, über die Anzahl der Stimmen die den Mitgliedstaaten entspricht, sofern diese gleichzeitig WTO-Mitglied sind. Die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Position in Brüssel und Genf, und die EU-Kommission spricht in fast allen WTO-Verhandlungen einstimmig fiir die Gemeinschaft. Ähnlich handhabt es auch die wirtschaftlich regionale Integration ASEAN263 , die ihr gemeinsames Handelsinteresse koordinieren und in den Verhandlungen mit einer Stimme sprechen,264 aber bei der Beschlußfassung jedes Land eine Stimme behält. Ein einstimmiges Verhandlungsvotum aber pro Land eine Stimme geben auch manchmal SELA265 und AKP 266 ab. Die Beschlußfassung nach dem Prinzip jedes Land eine Stimme kann darin problematisiert werden, daß, anders als bei Weltbank oder Währungsfonds, keine Gewichtung der Stimmen, beispielsweise nach Welthandels anteilen, Beitragsquote o.ä., vorgenommen wird. 267 Dies ist jedoch positiv zu werten, weil es auch kleinen, handelspolitisch unbedeutenden Ländern zu einer gewichtigen Stimme in der Welthandels ordnung verhilft. Die Entwicklungs- und Schwel262 Dabei wird, so erläutert es der Fußnotenverweis zu Art. IX Abs. I WTOÜ, eine Entscheidung als Konsens verstanden, "wenn kein auf der beschlußfassenden Tagung anwesendes Mitglied gegen den vorgeschlagenen Beschluß förmlich Einspruch erhebt."; auch im alten GATT wurden die Entscheidungen von den VERTRAGSPARTEIEN konsensual getroffen, dazu H.F. KöckiP. Fischer, Das Recht der Internationalen Organisationen, S. 463. 263 Association of South East Asian Nations (Malaysia, Indonesien, Singapur, Philippinen, Thailand und Brunei Darussalam) und Vietnam als 7. Mitglied in ASEAN ist noch nicht Mitglied in der WTO, hat aber Mitgliedschaft beantragt. 264 Der Sprecher der ASEANcGruppe, die selbst kein Mitglied in der WTO ist, rotiert unter den (noch) sechs Mitgliedern; dazu www.wto.org. 265 Latin Arnerican Econornic System. 266 African, Caribbean and Pacific Group. 267 R. Blackhurst, The Capacity ofthe WTO to Fulfill Its Mandate, S. 35; R.H. Hasse. Entwicklung und Aufgaben der WTO als Institution der Welthandelsordnung, in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.), Die Bedeutung der WTO für die europäische Wirtschaft, 1997, S. 20.

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

lenländer sind zahlenmäßig den handelsstarken Staaten USA und Japan und der Europäischen Gemeinschaft überlegen. 268 Daher wirkt das Konsensprinzip ausgleichend, wenn über Fragen der Substanz der WT0 269 entschieden wird; denn Vertragsänderungen bezüglich der grundsätzlichen Prinzipien der Welthandelsorganisation wie Meistbegünstigung oder Inländerbehandlung können nur mit Einstimmigkeit in der Ministerkonferenz durchgesetzt werden. Gegen Änderungen in diesen Kembereichen hat jeder Staat ein Vetorecht. 270 Ausnahmen von dem Konsensprinzip sind in den folgenden Fällen vorgesehen, die durch besondere Abstimmungsvorschriften geregelt sind. Art. IX Abs. 2 WTOÜ bestimmt, daß mit einer Dreiviertelmehrheit der Mitgliedstaaten eine Interpretation zu dem WTO-Vertrag und den angeschlossenen multilateralen Verträgen ermöglicht wird. Daran sind alle WTO-Vertragsparteien gebunden. In Ausnahmesituationen werden WTO-Mitglieder mit einer Dreiviertelmehrheit in der Ministerkonferenz (Art. IX Abs. 3 WTOÜ) von ihren Pflichten befreit (Waivers). Unter bestimmten engen Voraussetzungen ist auch eine Abänderung des multilateralen WTO-Vertragswerks möglich (Art. X WTOÜ). Die Ministerkonferenz entscheidet, ob die Vorschläge zur Vertragsänderung die Rechte und Pflichten der Mitglieder berühren oder nicht. Ändert ein Vorschlag die Rechte und Pflichten der Vertragspartner, so bedarf es des Konsenses. Falls kein Konsens zustandekommt, reicht auch eine Zweidrittelmehrheit auf Ministerebene aus (Art. X Abs. 1 und Abs. 3 WTOÜ). Die Vertragsänderung verpflichtet, ebenso wie im GATT 1947, nur die zustimmenden Länder, jedoch kann "die Ministerkonferenz mit Dreiviertelmehrheit der Mitglieder beschließen, ... daß es jedem Mitglied, das die Änderung ... nicht angenommen hat, in jedem Einzelfall freisteht, aus der WTO auszutreten oder mit Zustimmung der Ministerkonferenz Mitglied zu bleiben" (Art. X Abs. 3 WTOÜ).

268 R.H. Hasse, Entwicklung und Aufgaben der WTO als Institution der We\thandeisordnung, S. 19 fUhrt unter der Annahme, daß sich bis zum Jahr 2000 die Mitgliederzahl auf 155 erhöht, die folgende Verteilung an: Europa (inc\. Mittel-, Ost-, Südeuropa) sind 36 Staaten, Nordamerika 2, Lateinamerika 26, Afrika 45, Asien (incI. GUSNachfolgestaaten) 41, Ozeanien 5. folgt man nun der Unterteilung von Hasse und unterscheidet innerhalb dieser Aufteilung nach Industriestaaten und wirtschaftlich schwachen Staaten, so steHt man fest, daß mit dem Ansteigen der Mitgliederzahl in der WTO sich der Abstimmungsanteil zugunsten der wirtschaftsschwachen Länder verschiebt. 1947 zählten von 23 Mitgliedstaaten 10 zu den wirtschaftsschwachen Ländern (= 43,5 %), im Jahr 2000 bei geschätzten 155 Mitgliedstaaten erhöht sich die Zahl drastisch auf 116 (= 74,8 %). 269 Beispielsweise Vertragsänderung, Meistbegünstigung, Gleichstellung von In- und Ausland. 270 R. Senti, GATT, S. 303.

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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V. Rechtsfähigkeit der WTO Die schon erwähnte Unsicherheit über die Einordnung und den Status des GATT 1947, ein rechtliches Provisorium ohne institutionelle Grundlage mit weltweit anerkannter Geltung als Welthandelsordnung,271 ist durch das WTOAbkommen beendet worden. Das Ergebnis der Uruguay-Runde, zusammengefaßt in der Schlußakte, sieht in Art. 1 WTO-Übereinkommen die Errichtung der Welthandels organisation vor und bestimmt eine neue Rechtsordnung, deren wesentlicher Teil die institutionellen Vorschriften sind. Art. VIII Abs. 1 WTOÜ legt unmißverständlich klar, daß die Welthandelsorganisation im Gegensatz zum bisherigen GATT über einen eindeutigen Rechtsstatus verfUgt. Die WTO ist eine internationale Organisation im Sinne des Völkerrechts. 272 Art. VIII Abs. 1 WTOÜ lautet: ,,Die WTO besitzt Rechtspersönlichkeit; von jedem ihrer Mitglieder wird ihr die Rechtsfahigkeit eingeräumt, die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlich ist." Die mit der Rechtsfahigkeit verbunden Konsequenzen regeln die Absätze 2 bis 5 des Artikel VIII WTOÜ. Es sind Vorrechte und Immunitäten und in Absatz 5 ist der Abschluß eines Sitzabkommens geregelt. VI. Internationale Stellung der WTO 1. Beziehung zu den Vereinten Nationen

Mit der Errichtung der Welthandels organisation entsteht nun der schon in Bretton Woods geplante dritte institutionelle Pfeiler der Weltwirtschaftsordnung, 273 aber die WTO wird diesen impliziten Ansprüchen nicht völlig gerecht. Wurde noch das GA TI als "autonome Organisation" innerhalb der UNO gefiihrt, bewegt sich die WTO als globale Wirtschaftsorganisation außerhalb des rechtlichen Rahmens der Vereinten Nationen und stellt nicht wie Weltbank oder Internationaler Währungsfonds eine Sonderorganisation der UNO dar. 274 Die UNO plante bereits in den 70er Jahren eine "Neue Weltwirtschaftsordnung" Dazu I. Kap. 11. 3. I. Seidl-Hohenveldern, Internationale Organisationen, Rdn. 0\05, weist darauf hin, daß es sich ebenso wie beim GA TI, auch bei der WTO um keine Sonderorganisation der UNO handelt, obwohl die WTO zur UNO-Familie gehört Rdn. 0814b, wobei die Bindung an die Vereinten Nationen bisher offen ist, so ders., Völkerrecht, Rdn. 801. auch K. lpsen/U.R. Haltern, RIW 9 (1994), 719. 273 O. Long, Law and its limitations in the GATI multilateral trade system, S. 1; die Bretton Woods Institutionen IWF und Weltbank haben den Status von Sonderorganisationen der UNO, dazu al\gemein A. Verdross/B. Simma, Universel\es Völkerrecht. Theorie und Praxis, 3. Aufl. 1984, §§ 295, 323 ff., 328 ff. 274 J.H. Jackson, The World Trade Organization, S. 52. 271

272

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

zu etablieren, deren Prinzipien nicht mit denen des GATT vergleichbar wären. 275 Die UNCTAD als Handelsorganisation der UNO hat ihren Tätigkeitsschwerpunkt weniger bei der Liberalisierung des Handels, sondern in der Entwicklungshilfe. 276 Die Nichteingliederung in die Organisation der Vereinten Nationen begründet der Vorbereitungsausschuß für die WTO mit der Sorge des Verlusts an Effizienz, einer leichten Beeinflußbarkeit durch politische Resolutionen der Generalversammlung, sowie des größeren Drucks zur Berücksichtigung der Ziele und Tätigkeiten anderer Organisationen im UN-Bereich. 277 Wolfgang Benedek sieht in dem ,,Abseitsstehen" aber auch den Verzicht der WTO auf die Möglichkeit, eigene Anliegen stärker in das System der UNO einzubringen. Nach seiner Meinung vergebe sich die Welthandels organisation damit die "Chance der Mitgestaltung, was sich in Zukunft noch als kurzsichtig herausstellen könnte. ,,278 Der Text des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation trifft keine eindeutige Aussage über die Stellung zu den Vereinten Nationen. Art. III Abs. 5 WTOÜ sieht vor, daß die WTO organisatorische Verbindungen zur Weltbankgruppe und zum Währungsfonds knüpfen kann. Aber nur "gegebenenfalls" wird die WTO "im Interesse einer kohärenten Gestaltung der weltweiten wirtschaftspolitischen Entscheidungen" eine Zusammenarbeit beschließen. 279 Art. V WTOÜ regelt allgemein die "Beziehungen zu anderen Organisationen" und spricht in Absatz 1 davon, daß "der Allgemeine Rat geeigneten Vorkehrungen zur wirksamen Zusammenarbeit mit anderen zwischenstaatlichen Organisationen (trifft), deren Aufgaben mit denen der WTO im Zusammenhang stehen". Damit bleibt offen, ob die WTO beispielsweise mit dem Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen ein Abkommen nach Art. 57 i.V.m. Art. 63 UN-Charta schließen muß oder sollte.

Th. Oppermann, RIW 11 (1995), 919 tT. R. Wolfrum, Zu Art. 55 (a, b), in: B. Simma (Hrsg.), Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, 1991, Rdn. 28 f. 277 W Benedek, VN I (1995), 17. 278 W Benedek, VN I (1995), 19. 279 Der Ansicht D. Thürer, WTO-Teilordnung im System des Völker- und Europarechts, in: ders.lSt. Kux (Hrsg.), GATI 1994 und die Welthandelsorganisation - Herausforderungen für die Schweiz und Europa, 1996, S. 47 f., daß mit dieser Bestimmung, daß "der Gedanke der Einheit der internationalen Wirtschaftsverfassung als Teil der Verfassungsordnung der internationalen Gemeinschaft als ganzer wieder deutlich hervorgehoben wird", kann nicht gefolgt werden; denn die zitierte Stelle, wie auch die im folgenden noch genannten Artikel drücken eine Zusammenarbeit nur wage aus. Eine Verpflichtung ist nicht ersichtlich. 275

276

2. Kap.: Struktur der Welthandelsorganisation

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Während das Übereinkonunen der WTO eine allgemeine rechtliche Grundlage fiir die Möglichkeit einer Zusanunenarbeit mit internationalen Organisationen darstellt, betonen die Minister in ihren Erklärungen im Teil III der Schlußakte die Wichtigkeit einer solchen Zusanunenarbeit. 280 Sie sehen es aufgrund der Verflechtungen zwischen den verschiedenen wirtschaftspolitischen Bereichen als erforderlich an, daß die Politik der internationalen Institutionen "konsequent" ist und "sich gegenseitig unterstützt" und fordern den Generaldirektor der WTO auf, zusanunen mit der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds "eine Überprufung der Auswirkungen der Zuständigkeiten der WTO auf ihre Zusanunenarbeit mit den Bretton-Woods-Institutionen sowie die Form dieser Zusanunenarbeit vorzunehmen, mit dem Ziel, eine größere Kohärenz in der globalen wirtschaftspolitischen Entwicklung zu erreichen.,,281 Daruber hinaus bestätigen die Minister in einer gesonderten Erklärung, daß das enge Verhältnis zwischen dem Internationalen Währungsfonds und dem GATT, vor allem durch Art. XV GATT 1947, auch unter der Welthandelsorganisation fortgesetzt werden sollte. 282 Bereits 1996 ist ein Abkonunen zwischen der WTO und dem Internationalen Währungsfonds unterzeichnet worden, das die Bedeutung einer größeren Zusanunenarbeit unterstreicht und die Möglichkeit für das WTOSekretariat eröffnet, an Sitzungen der beiden anderen Institutionen teilzunehmen, sofern handelsbezogene Fragen diskutiert werden. 283 Allerdings geht diese Zusanunenarbeit nicht über ein Konsultationsverhältnis hinaus, über dessen Relevanz die Praxis entscheiden wird. 284

280 Zur Zusammenarbeit von internationalen Organisationen und dem Allgemeinen Rat vgl. I. Teil, 2. Kap. 111. 2. Allgemeiner Rat. 28\ So Nr. 5 der "Erklärung zum Beitrag der Welthandelsorganisation zur Verwirklichung einer größeren Kohärenz der globalen wirtschaftspolitischen Entwicklung". 282 "Erklärung über das Verhältnis der Welthandelsorganisation zum Internationalen Währungsfonds" vom 9. Dezember 1996, Singapur-Ministerkonferenz. 283 WTO-Press 1996 Nr. 62; ausflihrIich zu der Beziehung zwischen WTO und den beiden anderen Bretton-Woods-Institutionen bei D. Vines, Tbe WTO in Relation to the Fund and the Bank: Competencies, Agendas, and Linkages, in: A.O. Krueger (Hrsg.): Tbe WTO as an International Organization, 1998, S. 59 ff. und G.P. Sampson, Greater Coherence in Global Economic Policymaking: A WTO Perspective, in: A.O. Krueger (Hrsg.): Tbe WTO as an International Organization, 1998, S. 257 ff. 284 Im Falle "Argentinien-Measures affecting footwear" stellte das Berufungsgremium fest, daß es im WTO-Recht keinen Anhalt gebe, daß Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfonds dem WTO-Recht vorgehen sollte, WT/DS56/AB/R, Rdn. 70 ff.

1. Teil: Die Grundlagen der Welthande\sorganisation

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2. Beziehung zu den Nicht-Regierungsorganisationen

Das WTO-Übereinkommen enthält eine knappe Vorschrift, die die Beziehung zu den Nicht-Regierungsorganisationen285 regelt. Art. V Abs. 2 WTOÜ erklärt, daß der ,,Allgemeine Rat geeignete Vorkehrungen für Konsultationen und Zusammenarbeit" mit diesen Organisationen treffen "kann". Die Regelung bleibt in ihrer Formulierung unverbindlich. Daß das WTO-Übereinkommen im Gegensatz zum Allgemeinen Zoll- und Handelsübereinkommen eine eigene Regelung über die Nicht-Regierungsorganisation enthält, "die sich mit Angelegenheiten befassen, die mit denen der WTO im Zusammenhang stehen", spricht rur eine wachsende Bedeutung dieser internationalen privaten Organisationsform. Der Welthandel kann nicht mehr nur zwischen den Staatenvertretern betrachtet und beschlossen werden. Das zeigen beispielsweise die zahlreichen Proteste unterschiedlicher Interessengruppen vor allem zum Zeitpunkt der Ministerkonferenz in Seattle,286 aber auch die Beachtung dieser internationalen gesellschaftlichen Organisationen durch die Welthandelsorganisation. Der Allgemeine Rat der WTO gab am 23. Juli 1996 offizielle Leitlinien für die Zusammenarbeit mit den Nicht-Regierungsorganisationen, die "Guidelines for Arrangements on Relations with Non-govemmental Organizations", mit der folgenden Begründung heraus: ,,Members recognize the role NGOs can play to increase the awareness of the public in respect of WTO activities. ,,287 Punkt VI der Richtlinien betont jedoch deutlich die Grenzen der Zusammenarbeit zwischen WTO und NGOs; denn es ist für Nicht-Regierungsorganisationen gegenwärtig nicht möglich, aktiv an der Arbeit der WTO oder deren Zusammenkünfte mitzuwirken. Trotzdem besteht seit 1996 die Möglichkeit, daß die NGOs an den Ministerkonferenzen teilnehmen, wie es zahlreich in Singapur 1996 und Genf 1998 angenommen wurde. 288 Für Katar 2001 wurde die Teilnahme aus Sicherheits gründen stark reglementiert. Daneben werden vom Sekretariat der WTO Symposien organisiert, die den NGOs eine Gelegenheit bieten, ihre Interessen den WTOMitgliedern zu präsentieren. Der ehemalige Generaldirektor Renato Ruggiero betont die Wichtigkeit der Zusammenarbeit: "We are making progress toward improving our information exchange and consultation with civil society. These 285 Zur Begriffiichkeit und Völkerrechtssubjektivität der NGOs 4. Teil 3. Kap.

FAZ, 16. Nov. 1999, S. 3; FAZ, 2. Dez. 1999, S. 1,2, 16; FAZ, 3. Dez. 1999, S. 6; Die Zeit, 9. Dez. 1999, S. 9, 23. 287 WT/L/162. 288 Auf der Ministerkonferenz in Singapur beteiligten sich \08, in Genf waren es schon 128 NGOs, dazu WTO Press NT. 107, 17. Juli 1998. 286

3. Kap.: Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens

79

measures are the first step in our enhanced co-operation and represent the start of an on-going collaboration with partner NGOs, which we fully expect will offer important benefits for all parties concerned".289 Typischerweise handelt es sich dabei um Themenschwerpunkte wie Handel und Entwicklung, Handel und Umwelt oder Handel und Sozialstandards. Das Übereinkommen zum Streitschlichtungsverfahren sieht die Möglichkeit vor, ein Sachverständigengutachten von jeder Person oder Institution einzuholen. Hier ist es vorstellbar, daß beispielsweise in Umweltstreitigkeiten die NGOs eine unterstützende, beratende Funktion einnehmen.

3. Kapitel

Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens29o I. Funktion der WTO Die Stärkung der institutionellen Strukturen, die der internationale Handelsbereich durch die Schaffung .der Welthandels organisation erfahren hat, ist eine wichtige Grundvoraussetzung für die Ausweitung des Aufgabenbereichs, die der Welthandelsordnung durch die Uruguay-Runde zuteil wurde. Ein entscheidender Fortschritt rur die Weltwirtschaft ist die Berücksichtigung des weltweit stark wachsenden Handels mit Dienstleistungen durch ein eigenes Rahmenabkommen, dem ,,Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen samt Anlagen" (GATS)291. Es werden Handel und Investitionen im Dienstleistungssektor berücksichtigt und die Voraussetzungen für zukünftige Verhandlungsrunden zur Öffnung von Dienstleistungsmärkten gelegt. Von großer Bedeutung rur den Welthandel und die deutsche Wirtschaft ist der verbesserte Schutz von geistigem Eigentum. 292 Hier regelt das "Übereinkommen über handelsbezogene Rechte des geistigen Eigentums" (TRIPS 293 ) den internationalen Handel mit immateriellen Gütern wie beispielsweise Patente, Urheberrechte und Warenzeichen.

WTO Press Nr. 107, 17. Juli 1998. Nach B. Jansen, Die neue Welthandelsorganisation (Word Trade Organization WTO), EuZW 11 (\ 994), 334, enthält das Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation keine materiellen Bestimmungen, sondern nur organisatorische Rahmenvorschriften. Dieser Betrachtungsweise kann hier nicht gefolgt werden, weil Aufgabenund Zielfestlegung über eine rein organisatorische Aufbaubeschreibung hinausgehen. 291 Näher dargestellt in 2. Teil 2. Kap. 292 o.V. EuZW 3 (\ 994), 88. 293 Das "Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights" dazu 2. Teil 3. Kap. 289 290

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

J. Präambel der WTO

Im allgemeinen legt eine Präambel Ziele fiir ein Gesetz oder Übereinkommen fest. Sie enthält zusammengefaßt die Intention des Gesetzgebers, legt den gemeinsamen Willen offen und drückt die Hoffnung aus,294 die mit und durch dieses Gesetz bzw. durch das Übereinkommen erfiillt werden soll.295 Die Präambel gibt damit eine Orientierung fiir die Interpretation und Auslegung der nachfolgenden Vorschriften, sie hat nicht nur politische Bedeutung, sondern rechtlichen Gehalt. 296 Das sieht auch Art. 31 Abs. 1 WVK. vor, wonach "ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung ... auszulegen ist". Zum Zusammenhang gehören nach Art. 31 Abs. 2 WVK. der "Vertragswortlaut samt Präambel und Anlagen".297 Inhaltlich knüpft die Präambel der WTO eng an die Zielsetzung des GATI an. Es wird erklärt, " ... in der Erkenntnis, daß ihre Handels- und Wirtschaftsbeziehungen auf die Erhöhung des Lebensstandards, auf die Sicherung der Vollbeschäftigung und eines hohen und ständig steigenden Umfangs des Realeinkommens ... gerichtet sind ... ". . Das Welthandelsabkommen fordert darüber hinaus gleichzeitig die "optimale Nutzung der Hilfsquellen der Welt", die unter dem Ziel einer "nachhaltigen Entwicklung,,298 und dem "Schutz der Umwelt" stehen, die dazu notwendigen

294 In der Präambel der WTO findet in Absatz 3 der Begriff "in dem Wunsch" ("being desirous") Verwendung. 295 In diesem Sinne für die Präambel des Grundgesetzes: Ch. Starck, Präambel, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz, Bd.l, 3. Aufl. 1985, Rdn. 19 f.; I. v. Münch, Präambel, in: ders.lP. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Aufl. 1992, Rdn. 2. 296 Nach Art. 31 Abs. 2 WVK ist die Präambel Teil des Vertrags und als solcher auszulegen; in diesem Sinne auch allgemein: BVerfDE 5, 85 (127); I. v. Münch, Präambel, in: ders.lP. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 4. Aufl. 1992, Rdn. 2; ebenso W. Matz, JöR n. F. Bd. I (1951),41 mit Hinweis aufCarlo Schmid: "Die Präambel ist mehr als ein pathetischer Vorspruch, sie enthält rechtlich erhebliche Feststellungen, Bewertungen, Rechtsverwahrungen und Ansprüche zugleich." zitiert aus Stenographischer Bericht, Plenum 9. Sitzung v. 6. Sept. 1945. 297 Dazu W. Heintschel v. Heinegg, in: K. Ipsen, Völkerrecht, 1997, § 11, Rdn. 13; G. Ress/Ch. Schreuer, Wechselwirkungen zwischen Völkerrecht und Verfassung bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge (Relationship between International Public Law and Constitutional Law in the Interpretation of International Treaties), 1982, S. 12. 298 Im englischen "sustainable development" findet in der im 8GB\. 1994 II, 1625 verwendeten Übersetzung als "nachhaltige Entwicklung" nur eine unzureichende Entsprechung. "Sustainable" wörtlich bedeutet "erträglich". Eine "nachhaltige Entwicklung" bringt jedoch eine (bedingungslose) Priorität des Wirtschaftswachstums deutlicher zum Ausdruck, als es das Wort "erträglich" aussagen kann; Th. Oppermann, RIW 11

3. Kap.: Funktion und Prinzipien des Welthande1sabkommens

81

Mittel zu mehren und auf den ,jeweiligen wirtschaftlichen Entwicklungsstand" der einzelnen Volkswirtschaften299 Rücksicht zu nehmen. Die Präambel der WTO läßt die im GATT 1947 formulierte Zielsetzung der "vollen Erschließung der Hilfsquellen der Welt" fallen. Mit dieser Ausrichtung der Welthandelsordnung werden erstmals Ziele beachtet und verfolgt, die nur mittelbar mit dem Handel in Verbindung stehen. Umweltschutz und maßvolle Entwicklung werden durch die Präambel zu handelspolitischen Themen erhoben. Besondere Berücksichtigung fmden die "Entwicklungsländer, insbesondere die am wenigsten entwickelten unter ihnen ( ... ),,300, die sich einen Anteil am Welthandelswachstum sichern sollen. Im folgenden dritten Absatz wird die Intention des Übereinkommens formuliert und die GATT-Prinzipien auch fiir die WTO festgelegt. Es soll ,,( ... ) auf der Grundlage der Gegenseitigkeit zum gemeinsamen Nutzen auf einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie auf die Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen abzielen". Das multilaterale Einheitsabkommen wird im vierten Absatz der Präambel erstmals erwähnt. Die zu schaffende Welthandelsordnung soll ein "integriertes, funktionsfahigeres und dauerhafteres multilaterales Handelssystem,,301 sein, das das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, die Ergebnisse früherer Handelsliberalisierungen und die multilateralen Handelsverhandlungen der UruguayRunde umfaßt. Analysiert man die WTO-Präambel, so verbindet sich das eigentliche Ziel dieses Abkommens, nämlich die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zur Steigerung des (jeweils eigenen) wirtschaftlichen Wachstums zu nutzen mit dem Anspruch, die sozialen und umweltpolitischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. 302 Diese Erkenntnis legt klar, daß das wirtschaftliche Wachstum allein, wie es sich durch weltweiten Freihandel ohne Reglementierung, nur mittels des freien Wettbewerbs am Markt, nicht ausreicht, um das Gemeinwohl der Welt, der Vertragsparteien der WTO, letztlich also das gute Leben eines jeden einzelnen Menschen, hervorzubringen. Die Welthandelsorganisation erhält mit dieser Aufgabe eine zwischenstaatliche Verantwortung, die durch die Zustimmung al(1995), 921 hält diese Übersetzung fIlr "unglücklich" und spricht statt dessen von einer (umwelt-)verträglichen Entwicklung. 299 R. Senti, Ordo 45 (1994), 305. 300 Präambel der WTO, 2. Absatz. 301 Die Steigerungsformen (im eng\.: "more viable and durable multilateral trading system") kann als die in weiten Bereichen und oft geäußerte Unzufriedenheit des "alten" GATI gesehen werden; zur Kri~ik am GATI 1947 bei w: Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, passim. 302 Diese sozial- und umweltpolitischen Aspekte fanden allerdings im Abkommen selbst (noch) keine Berücksichtigung. 6 Siebold

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I. Teil: Die Grundlagen der WeIthandelsorganisation

ler Mitgliedstaaten getragen ist. 303 Die Präambel kann als zaghafter Versuch gewertet werden, die Einflußgrößen schlagwortartig zu benennen, deren Zusammenspiel die Grundlage fiir eine freiheitliche, aber gerechte Weltwirtschaft bildet. Um diesem hohen Anspruch von den in der Präambel gesetzten Zielen gerecht zu werden, wird die~tatsächliche Neuordnung noch mehrere Verhandlungsrunden, Jahre, vielleicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen und über die ursprüngliche Intention einer Ordnung fiir den Welthandel hinauswachsen.

2. Aufgaben der WTO

Nicht weniger anspruchsvoll als die Zielsetzungen in der Präambel ist der Aufgabenbereich der Organisation formuliert. Art. 11 WTOÜ, überschrieben als ,,Aufgaben der WTO", wird auch in der Literatur häufig als ,,Funktion" dargestelle04 , was durch den englischen Originaltext begründet sein kann, der von ,,Functions of the WTO" spricht. 305 Die vordergründigste und auch wichtigste Aufgabe liegt darin, die verschiedenen multilateralen und plurilateralen Abkommen der Uruguay-Runde mit einer gemeinsamen organisatorischen Struktur zu umfassen. Es soll, so bestimmt es Art. III Abs. 1 WTOÜ, die Durchsetzung und Funktionsweise aller verhandelten Übereinkommen erleichtert werden. Untrennbar damit verbunden ist Artikel 11 Abs. 1 WTOÜ, überschrieben als "Wirkungsbereich der WTO". Hier wird die einheitliche Zuständigkeit der WTO begründet, indem die Welthandelsordnung den gemeinsamen institutionellen Rahmen fiir die Handelsbeziehungen der Mitgliedstaaten darstellen soll. Dies stellt eine wichtige Voraussetzung fiir die in Art. III WTOÜ formulierten Aufgaben dar. Art. III Abs. 2 WTOÜ regelt, daß die WTO als Verhandlungsforum zwischen ihren Mitgliedern in den in der Uruguay-Runde vereinbarten Handelsbereichen dient. Auf der Grundlage eines Beschlusses der Ministerkonferenz der WTO können im Rahmen der Organisation auch weitergehende, über den Sachbereich der bisherigen Regelungen hinausreichende Themen diskutiert, verhandelt und die entsprechenden Ergebnisse umgesetzt werden. 306 Mit dieser Regelung ist ein Schritt zur Weiterentwicklung der WTO fundiert und flexibel aus303 Auch ähnlich: St. Langer, Grundlagen einer internationalen Wirtschaftsverfassung: Strukturprinzipien, Typik und Perspektiven anhand von Europäischer Union und WeIthandeIsordnung, 1995, S. 43. 304 So P.T. StoII, ZaöRV 54 (1994), 258; auch K. Ipsen/U.R. Haltern, RIW 9 (1994), 719. 30S BGB!. 199411, 1442 ff. 306 P.T. StolI, ZaöRV 54 (1994), 258 bezeichnet diese Regelung als "ÖffnungsklauseI".

3. Kap.: Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens

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gestaltet worden. Die WTO hält sich damit die Einbeziehung unwngänglich anstehender Probleme in die internationalen Handelsregelungen offen. Bereits in der Präambel erwähnt sind die Themen Umwelt und Entwicklungsländer, aber auch mögliche Schwierigkeiten mit anderen internationalen Organisationen, wie sie während der dritten Ministerrunde in Seattle offenkundig wurden, zählen dazu. l07 Ferner ist die Notwendigkeit einer einheitlichen Verwaltung der Streitbeilegung und der Überprüfung der Handelspolitiken in Art. III Abs. 3 und 4 WTOÜ festgehalten worden. Schließlich obliegt der WTO "im Interesse einer kohärenten Gestaltung"l08 die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds und der Internationalen Bank fiir Wiederaufbau und Entwicklung. Zusammenfassend lassen sich die Aufgaben der neu entstandenen Organisation in der Verantwortung formulieren, daß entsprechend den Verhandlungsergebnissen der Welthandel frei, ohne Störung und damit auch transparent und vorhersehbar fiir die Wirtschaftsteilnehmer zu lenken ist. Erleichtert wird dies auch dadurch, daß die Grundprinzipien des GATT 1947 nun fiir das gesamte multilaterale Regelwerk der WTO gelten.

11. Prinzipien der WTO Eine Rechtsordnung, die weitestgehend auf der freiwilligen Einhaltung festgelegter Regeln und Normen beruht, ist in besonderem Maße auf einen Konsens in der Ausgestaltung ihrer Handelsregeln, der Ziele und Vorschriften angewiesen. 109 Dies galt allemal fiir das GATT 1947, das noch weniger verrechtlicht war als die WTO. Aber auch in dem revidierten Streitbeilegungsverfahren der WTO ist die Rechtsdurchsetzung oft schwierig, wie das Beispiel der Europäischen Bananenmarktordnung beweist. l10 Die Übereinstimmung der Vertrags307 Die Nicht-Regierungsorganisationen NGOs finden gerade in Industrieländern breite Unterstützung. 308 Wörtlich so Art. III Abs. 5 WTOÜ. 309 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 91 ff., 271 f., 306 f. geht immerhin von einer verfassungsähnlichen Funktion des GATI für den Welthandel aus; zur Verbindlichkeit der WTO 3. Teil 3. Kap.; 4. Teil 3. Kap. 310 Ausführlich zur Bananenmarktordnung: M. Zulegg, Bananen und Grundrechte Anlaß zum Konflikt zwischen. europäischer und deutscher Gerichtsbarkeit, NJW 18 (1997), 1201; M. Salas/J.H. Jäckson, Procedural Overview of the WTO EC-Banana Dispute, JIEL 2000, 145 ff. G.M. Berrisch, Zum ,,Bananen"-Urteil des EuGH vom 5.10.1994 - Rs. C-280/93, Deutschland ./. Rat der Europäischen Union, EuR 4 (1994), S. 461; H.-D.Kuschel, Die Bananenmarktordnung der Europäischen Union, RIW 1995, S. 218 ff.; ders., Auch die revidierte Bananenmarktordnung ist nicht WTO-konforme, EuZW 3 (1999), 74 ff.; G. Meier, Der Endbericht der WTO-Panels im Bananenstreit, EuZW 18 (1997), 566 ff.; ders., Bananas IV: der Bericht des WTO-Panels vom 6"

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

parteien über die grundsätzlichen Elemente der internationalen Handelspolitik, welche wiederum Rückwirkung auf die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten hat/li kommt bereits in der Präambel zum Ausdruck. Sie fUhrt nicht nur die unterschiedlichen Ziele, Wünsche und Interessen der Vertragsparteien auf, sondern spricht auch davon, " ... die fundamentalen Grundsätze dieses multilateralen Handelssystems zu wahren". In der Literatur hat sich eine einheitliche Darstellung der Rechtsgrundsätze des GATT, die die WTO im wesentlichen übernommen hat, nicht durchgesetzt. Die Darstellungen sind reichhaltig und verschieden. Wolfgang Benedek sieht dies als eine Folge der mangelnden Abgrenzung der Begriffiichkeit von Grundsätzen und Prinzipien. 312

Ernst-Ulrich Petersmann unterscheidet fünf rechtliche und ökonomische Grundprinzipien. Er nennt den nichtdiskrirninierenden Marktzugang, die Verhältnismäßigkeit, den möglichst unverfälschten Wettbewerb, die Nicht-Reziprozität und Präferenzbehandlung weniger entwickelter GATT-Mitgliedstaaten sowie die nationale Wirtschaftssouveränität. 313 Ernst-Joachim Mestmäcker erwähnt vier GATT-Prinzipien: Multilateralität, Meistbegünstigung, Inländerbehandlung und das Verbot der mengenmäßigen Beschränkungen. 314 Ali S. rüksel beispielsweise ordnet die Meistbegünstigung und die Inländergleichbehandlung verständlicherweise unter die Nichtdiskrirninierung und sieht diese als zwei Ausprägungen derselben. 31S Richard Senti sieht nur zwei Hauptelemente des GATT, das Prinzip der Meistbegünstigung und das Prinzip der möglichst offenen Märkte. 316 Wolfgang Benedek legt einen wesentlich differenzierteren Prinzipienkatalog vor und unterscheidet sieben in der Rechtsordnung des GATT enthaltene Grundsätze: Die Nichtdiskriminierung, die Gegenseitigkeit, die Solidarität (Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der Entwicklungsländer), das Gleichgewicht der Rechte und Verpflichtungen, die staatliche Verant-

12.4.1999, EuZW 14 (1999), S. 429 ff.; eh. Schmidt, Immer wieder Bananen. Der Status des GATT/WTO Systems im Gemeinschaftsrecht, NJW 4 (1998), 190; D./. Siebold, Die europäische Bananenmarktordnung und ihr Verhältnis zu WTO- und deutschem Recht, in: K.A. Schachtschneider (Hrsg.), Rechtsfragen der Weltwirtschaft, 2002, S. 212 ff. 311 Nach Art. XVI Abs. 4 WTOÜ hat jedes Mitglied sicherzustellen, daß die eigenen (nationalen) Gesetze mit dem Übereinkommen in Einklang stehen; dazu auch allgemein 4. Teil 3. Kap. 312 Die Rechtsordnung des GATT auf völkerrechtlicher Sicht, S. 51, zur Abgrenzung von Grundsätzen und Prinzipien, S. 49 ff. und die dort angegebene Literatur. 313 E.-u. Petersmann, Handelspolitik als Verfassungsproblem, Ordo 39 (1988), 243 ff. 314 E.J. Mestmäcker, Wirtschaftsrecht, RabelsZ 54 (1990), 425. 315 A.8. rüksel, GATT-WTO-Welthandelssystem, S. 34 ff. 316 R. Senti, GATT, S. 99.

3. Kap.: Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens

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wortung für Schäden aus rechtmäßigem wirtschaftlichen Handeln, den fairen Handel und die friedliche Streitbeilegung.317 Unabhängig davon, welche Darstellungssystematik verfolgt wird oder welche "die Richtige" ist, bleibt festzuhalten, daß sich mit der Unterzeichnung des Welthandelsübereinkommens die Signaturstaaten verbindlich erklärten, " ... die fundamentalen Grundsätze dieses multilateralen Handelssystems zu wahren und die Verwirklichung seiner Ziele zu fördern". Die Rechtsordnung der WTO geht von der Existenz von Rechtsprinzipien, von Rechtsgrundsätzen aus, wie zahlreiche Artikel feststellen lassen.3\8 Die hier gewählte Charakterisierung nur der grundlegenden Prinzipien der WTO greift die wesentlichen, die Meistbegünstigung, die Inländerbehandlung und die Gegenseitigkeit, auf und ergänzt diese um das Transparenzprinzip.

1. Grundsatz der Nichtdiskriminierung Ziel des WTO-Übereinkommens ist ein "wesentlicher Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie die Beseitigung der Diskriminierung in den internationalen Handelsbeziehungen".319 Nichtdiskriminierung stellt für die Welthandels organisation ebenso wie für das Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens einen zentralen Ordnungsgedanken, einen Grundpfeiler des Handelssystems dar. 320 Trotzdem fmden sich kaum zusammenhängende Darstellungen über die Bedeutung und Ausgestaltung dieses Rechtsprinzips. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung materialisiert sich in den beiden Prinzipien der Meistbegünstigung des Art. lAbs. 1 GATI (MFN - Most favoured Nation Principle) und der Inländerbehandlung (National Treatment) des Art. III Abs. 1 GATI.32\ Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 51 ff. Art. VII Abs. 1, Art. X Abs. 3 b, Art. XIII Abs. 5, Art. XVII Abs. 1, Art. XX j, Art. XXIX Abs. 6, Art. XXXVI Abs. 9 GATT; Art. 1 Abs. 1, Art. 22 Abs. 3 DSU; Art. 3, Art. 8 TRIPS; 319 Absatz 3 der Präambel. 320 J. Tumlir, GATT Rules and Community Law - A Comparison of Economic and Legal Functions, in: M. HilflF. JacobslE.-U. Petersmann (Hrsg.): The European Community and GATT, 1986, S. 3, 7: "unconditional MFN treatment of the trade of all members is the keystone of the whole multilateral arrangement"; W. Benedek, Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 53; E.-U Petersmann, Constitutional Functions and Constitutional Problems of International Economic Law, 1991, S.226; W.A. Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, 1972, S. 13 ff.; auch in anderen Rechtsgebieten, vor allem aber in dem Europäischen Gemeinschaftsrecht findet sich auch der Grundsatz der Nichtdiskriminierung (Art. 12 EGV). 321 J.H. Jackson, The World Trading System, S. 132 ff., 189 ff.; H.Hauser/K.U Schanz, Das neue GATT, S. 10 ff.; E.-U Petersmann, Allgemeines Zoll- und Handels317 318

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

Auch eine Reihe von Panelentscheidungen stützt sich auf den Nichtdiskriminierungsgrundsatz. 322 Nach Wilhelm A. Kewenig ist Diskriminierung allgemein als die ungleiche Behandlung vergleichbarer Objekte oder Sachverhalte zu deflnieren, woraus ein Nachteil für den Betroffenen folgt. 323 Das Verbot der Diskriminierung ist völkerrechtlich auf der Grundlage der Gleichheit der Staaten zu sehen und bezieht sich auf Gleichheit vor dem Recht. 324 Es ist jedoch zu betonen, daß völkerrechtlich kein allgemeiner gewohnheitsrechtlicher Grundsatz der Gleichbehandlung der Staaten besteht. 325 Es ist völkerrechtlich daher grundsätzlich möglich, daß ein Staat einen anderen Staat bevorzugt oder benachteiligt. 326 Eine materielle Gleichheit im Recht kann nicht aus der UN-Charta abgeleitet werden,327 sondern ergibt sich aus den jeweiligen völkerrechtlichen Regelungen, wie es in der GATIfWTO-Rechtsordnung durch das Prinzip der Meistbegünstigung verwirklicht wird. 328 Der völkerrechtliche Nichtdiskriminierungsgrundsatz von GATI und WTO wirkt jedoch nicht nur auf der zwischenstaatlichen Ebene, sondern ist mit dem auf innerstaatliche Wirkung gerichteten Diskriminierungsgrundsatz, der Inländerbehandlung, verbunden.

a) Das Prinzip der Meistbegünstigung Art. I Abs.l GATI, Art. II GATS und Art. 4 TRIPS formulieren die Meistbegünstigung mit fast identischem Wortlaut. ,,( ... ) alle Vorteile, VergÜDStigungen, Vorrechte oder Befreiungen, die eine Vertragspartei für eine Ware geabkommen, S. 08; A.v. Bogdandy, RIW 1(1991),56 f.; W Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 53, der die Nichtdiskriminierung als das zentrale Strukturprinzip des GATI darstellt. 322 Näher dazu bei Ch. Tietje, Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemrnnisse in der WTO/GATI-Rechtsordnung, S. 187 ff. 323 WA. Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, S. 196. 324 Zur Gleichheit der Staaten: A. Bleckmann, Zu Art. 2 Abs. I, in: B. Simma (Hrsg.): Charta der Vereinten Nationen. Kommentar, 1991, Rdn. 43 f.; G. Dahm/J. DelbrückIR. Wolfrum, Völkerrecht Bd. 1/1. Die Grundlagen. Die Völkerrechtssubjekte, 2. Aufl. 1989, S. 236: "Das Gleichheitsprinzip ( ... ) ist nur ein anderer Ausdruck rur den Grundsatz der Souveränität" . 325 H.-P. NeuholdlW Hummer/Ch. Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Bd. 1,3. Aufl. 1997, Rdn. 1003. 326 St. Kramer, Die Meistbegünstigung, RIW 6 (1989), 473. 327 G. Dahm/J. DelbrückIR. Wolfrum, Völkerrecht Bd. 1/1, S. 234 ff. 328 WA. Kewenig, Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Völkerrecht der internationalen Handelsbeziehungen, S. 45; W Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, 1983, S. 257 f.

3. Kap.: Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens

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währt, welche aus einem anderen Land stammt oder fiir dieses bestimmt ist, (werden) unverzüglich und bedingungslos fiir alle gleichartigen Waren gewährt, die aus den Gebieten der anderen Vertragspartei stammen oder fiir diese bestimmt sind." (Art. I GATT 1947/GATT 1994).329 Es ist die Pflicht, Außenzölle abzubauen. Der Grundsatz verpflichtet die Mitgliedstaaten, daß Vorteile, die einem Staat gewährt werden, auch allen anderen Staaten zugutekommen müssen. 330 Diese inhaltliche Umschreibung wird treffend durch die englische Bezeichnung ,,most-favoured-nation-clause" zum Ausdruck gebracht. ,,Favour one, favour all" lautet die knappe Beschreibung.33\ Das GATT formuliert die Meistbegünstigung unbedingt. 332 Das bedeutet, daß der begünstigte Staat nicht zu gleichbegünstigendem Verhalten verpflichtet ist. Die Weitergabe von Vorteilen ist also nicht an Gegenleistungen geknüpft. 333 Diskriminierung verschiedener ausländischer Staaten bezüglich der Anwendung von Zöllen und sonstigen Maßnahmen zwischen vergleichbaren Produkten ist also verboten. Das Meistbegünstigungsprinzip soll die Effektivität der biund multilateralen Zollvereinbarungen garantieren. Demnach gelten Präferenzen zugunsten ausländischer Waren aus einem bestimmten Land auch fiir Importe gleichartiger Produkte aus anderen Ländern. Das Prinzip der Meistbegünstigung richtet sich auf "gleichartige Produkte,,334, "gleichartige Handelsgüter,,33S und "gleichartige oder unmittelbar konkurrierende Produkte,,336 . Von be329 Art. 11 Abs. 1 GATS: "Jedes Mitglied gewährt hinsichtlich aller Maßnahmen, die unter dieses Übereinkommen fallen, den Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen Mitglieds sofort und bedingungslos eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als diejenige, die es den gleichen Dienstleistungen oder Dienstleistungserbringern eines anderen Landes gewährt."; Art. 4 TRIPS: "In bezug auf den Schutz des geistigen Eigentums werden Vorteile, Vergünstigungen, Sonderrechte und Befreiungen, die von einem Mitglied den Angehörigen eines anderen Landes gewährt werden, sofort und bedingungslos den Angehörigen aller anderen Mitglieder gewährt." 330 Allgemein zur Meistbegünstigung auch: K. Strupp/H.J. Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. 11, 1961, S. 497; W. Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, S. 258, K. IpsenlU.R. Haltern, Reform des Welthande\ssystems?, S. 22. 331 So ein Zitat der WTO unter www.wto.orglwto/about. 332 J.H. Jackson, The World Trading System, S. 137; R. Senti, GATT, S. 106; F.K. Liebich, Das GATT als Zentrum der internationalen Handelspolitik, S. 20; zu den verschiedenen Erscheinungsformen der Meistbegünstigung vgl. St. Kramer, RIW 6 (1989), 474 f.; zur bedingten Meistbegünstigung vgl. 4. Kap. 11. 3. Liberalisierungsverpflichtungen. 333 R. Zinser, Die Neufassung der Meistbegünstigung im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATI) und ihre Bedeutung rur die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 1961, S. 13; M. Brößkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT, 1989, S. 25,59; W. Benedek, Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 447 f.; J.H. Jackson, The World Trading System, S. 133 ff. 334 "Like products" beispielsweise in: Art. lAbs. 1, Art. 11 Abs. 2a, Art. III Abs. 2 und Abs. IV, Art. VI Abs. Ilit. a und b GATT. 335 "Like commodities", "Iike merchandises" Art. VI Abs. 7, Art. VII Abs. 2 GATT.

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1. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

sonderer Bedeutung ist dabei die Interpretation des Merkmals "gleichartig". Dieses Kriterium wird vom GATI nicht näher bestimmt und ist von Fall zu Fall zu lösen. Jedoch ist zu betonen, daß durch eine genügende Spezifizierung von Merkmalen die Vergünstigung auf Grund einer bilateralen Vereinbarung de facto auf den jeweiligen Vertragsstaat beschränkt werden kann. 337 Bilateral ausgehandelte Handelserleichterungen kommen aufgrund der Meistbegünstigung auch allen anderen Mitgliedstaaten zugute, sie werden durch dieses Prinzip weiterverbreitet und multilateralisiert, wodurch gleichzeitig der Zollabbau beschleunigt wird. 338 Materialisiert wird die Verpflichtung zur Meistbegünstigung in Art. 11 Abs. 1 GATI, der die Zollzugeständnisse regelt. In gesonderten Listen wird in Abhängigkeit von Produkten aufgeführt, welche Zugeständnisse ein Mitgliedstaat einem anderen macht. Eine einseitige Änderung der Listen ist grundsätzlich verboten, dies ist nur durch Aufhebung der zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen oder des Vertrages möglich. Die Vorteile des Meistbegünstigungsgrundsatzes liegen, betrachtet man das System als Ganzes, auf der Hand: fiir alle Staaten auf dem internationalen Weltmarkt werden gleiche Wettbewerbsbedingungen gewährleistet und somit eine Gleichstellung im Hinblick auf die zollpolitischen Bedingungen des Wettbewerbs zwischen den Lieferländern erreicht. 339 Die Unternehmen der Mitgliedstaaten können auf der Grundlage der Sicherheit und Chancengleichheit (zumindest in diesem -Bereich) internationalen Handel betreiben, der marktwirtschaftliche Wettbewerb wird gefördert und der Export wird besser kalkulierbar, weil unvorhersehbare Änderungen nicht mehr eintreten. 340 Der Handel zwischen den Vertragsparteien erfolgt zumindest an der Staatsgrenze des im-/exportierenden WTO-Mitgliedstaats unter gleichen Verhältnissen. Die Mitgliedstaaten werden einheitlich begünstigt, unabhängig von ihrer Größe, dem politischen und wirtschaftlichen Gewicht. 341 Aus staatlicher Sichtweise ist jedoch zu bedenken, daß der Meistbegünstigungsgrundsatz den Staaten die Möglichkeit nimmt, über die Zollpolitik Einfluß auf die Herkunft von Produkten zu nehmen oder Importkonkurrenz einzelner Länder zugunsten heimischer Unternehmen abzuschirmen. Die Meistbegünsti"Like or competitive products" Art. XIX Abs. 1 GATT. Jackson, World Trade and the Law of GATT, S. 138, 259 ff.; R. Senti, GATT, S. 109. 3380. Long, Lawand its Iimitations in the GATT multilateral trade system, S. 23; W. Benedek, Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 241; R. Senti, GATT, S. 57 f. 339 eh. Tomuschat, Art. 228, in: H. GroebenlJ. ThiesinglC.D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-lEG-Vertrag, S. 506. 340 A.S. Yüksel, GATT-WTO-WeIthandelssystem, S. 46. 341 J Tumlir, GATT Rules and Community Law, S. 9. 336

337 JH.

3. Kap.: Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens

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gung wird damit zu einer entscheidenden Voraussetzung der Globalisierung. 342 Problematisch ist die Gewährung der unbedingten Meistbegünstigung bei protektionistisch eingestellten Ländern. Sie können als Trittbrettfahrer in den Genuß der Vorteile kommen, ohne gleichzeitig ihrerseits bestimmte Konzessionen gewähren zu müssen. 343 Der Vertragstext des GATI enthält auch zahlreiche Ausnahmen, wodurch die unbedingte Meistbegünstigung eingeschränkt wird. 344 Schutzklauseln und Ausnahmeregelungen berechtigen zur selektiven Weitergabe von Handelspräferenzen. 345 Art. XXIV GATI enthält fiir regionale Integrationen eine Ausnahme vom Prinzip der Meistbegüristigung. Darin wird die Gefahr eines Zerfalls der multilateralen Ordnung in regionale Blöcke gesehen mit der Folge einer Zergliederung der Weltwirtschaft in die Triade Europa, USA und Japan. 346

b) Das Prinzip der Inländerbehandlung Art. III GATT, das Inländerprinzip,347 ergänzt und erweitert das Prinzip der Meistbegünstigung, welches nur auf Zölle und andere Ein-/Ausfuhrbeschränkungen, also die Nichtdiskriminierung am Grenzübertritt, bezogen ist. 348 "Die Vertragspartner erkennen an, daß die Steuern und andere inneren Abgaben, ebenso wie die Gesetzesbestimmungen, Verwaltungs anordnungen und Vorschriften bezüglich des Verkaufs, des Verkaufsangebotes, des Ankaufs, der Beförderung, der Verteilung oder Verwendung von Erzeugnissen auf dem Inlandsmarkt sowie die inländischen Kontrollmaßnahmen bezüglich der Mengen oder der einzuhaltenden Verhältnisse bei der Mischung, der Verarbeitung oder Verwendung bestimmter Erzeugnisse nicht auf die eingeführten oder in342 Zu den Auswirkungen der Globalisierung und der damit verbundenen staatlichen Verantwortung, 4. Teil 1. Kap. 343 Zu denken ist an die VR China, die von USA Meistbegünstigung erhält, ohne den eigenen Markt international zu öffnen. Zur Problematik der WTO-Mitgliedschaft Chinas: I. Teil 2. Kap. 11.; allgemein dazu eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken. Unter Berücksichtigung der neuen Regeln des GATS, 1996, S. 175 f. 344 Ausführlich zu den Ausnahmen J.H. Jackson, The World Trading System, S. 139 f. 345 Zur Systematik der Ausnahmen ausführlich M. Bräßkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATI, S. 59 tf.; J.H. Jackson, The World Trading System, S. 42 f.; O. Long, Law and its limitations in the GATI multilateral trade system, S. \3 ff.; R. Senti, GATI, S. lll ff. 346 H. Siebert, Weltwirtschaft, S. 205 f. 341 Auch Inländergleichbehandlung oder Paritätsklausel genannt. 348 W. Graf Vitzthum, Raum, Umwelt und Wirtschaft im Völkerrecht, S. 507, A.S. Yüksel, GATI-WTO-Welthandelssystem, S. 57.

l. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

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ländischen Waren zum Zwecke des Schutzes der inländischen Erzeugung angewendet werden dürfen." (Art. III Abs. 1 GATT) "Die aus dem Gebiet irgendeines Vertragspartners in das Gebiet irgendeines anderen Vertragspartners eingefiihrten Erzeugnisse sollen weder direkt noch indirekt mit irgendwie gearteten Steuern oder anderen inneren Abgaben belastet werden, welche höher sind als diejenigen, die die gleichartigen Erzeugnisse einheimischen Ursprungs direkt oder indirekt belasten." (Art. III Abs. 2 Satz 1 GATT). Das Gebot der Inländerbehandlung auferlegt den Mitgliedstaaten die Verpflichtung, ausländische Produkte mit einheimischen Produkten gleich zu behandeln, um nicht nach der Einfuhr in ein Land die Wirkungen der Meistbegünstigung zu umgehen und Protektionismus der heimischen Produkte auf dem Binnenmarkt mittels nichttarifärer Maßnahmen wie Steuern durchzusetzen. 349 Die Inländergleichbehandlung dient der Absicherung des durch Zollzugeständnisse erreichten Freihandelsniveaus gegenüber dem Unterlaufen durch interne schlechtergestellte importierte Waren. 350 Ausländische Waren dürfen weder im Hinblick auf Steuern und Abgaben (Absatz 2) noch durch die Kommerzialisierung (Absatz 3) oder in bezug auf Mengenvorschriften über Mischung, Veredelung und Verwendung von Waren (Absatz 5 u. 7) schlechter gestellt werden als vergleichbare inländische Produkte. Das Inländerprinzip gilt nicht für den Bereich des öffentlichen Beschaffungswesens (Art. III Nr. 8 lit. a GATT). Ebenfalls ausgeschlossen sind Subventionen, die aus den Erträgen innerer Abgaben oder sonstiger Belastungen stammen und im Einklang mit den Bestimmungen des GATT 1994 erhoben werden, sowie Investitionen in Form staatlicher Käufe inländischer Produkte (Art. III Nr. 8 lit. b GATT). Die Vorschrift der Inländerbehandlung ist nur bezogen auf die Ware selbst, nicht auf die Produktionsvorgänge der Ware oder beispielsweise die Rohstoffgewinnung. Verboten sind ebenfalls Differenzierungen zwischen Waren, Produzent und Händler.3S\

J.H. Jackson, The World Trading System, S. 189. Dazu beispielsweise Japan-Taxes on Alcohol Beverages: WTIDS8/AB/R; WTIDSI0/ABIR; WTIDSIl1ABIR. "With the modifications to the Panel's legal findings and conclusions set out in this report, the Appellate Body affirrns the Panel's conclusions that shochu and vodka are like products and that Japan, by taxing imported products in excess of like domestic products, is in violation of its obligations under ArticIe 1II:2, first sentence, of the General Agreement on TarifIs and Trade 1994." 351 H. Hauser/K.u. Schanz, Das neue GATT, Die Welthandelsordnung nach Abschluß der Uruguay-Runde, S. 14 fI.; R. Senti, GATT, S. 107 ff. 349

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3. Kap.: Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens

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2. Grundsatz der Gegenseitigkeit Reziprozität ist ein zentrales Prinzip im Völkervertragsrecht/ 52 d.h. die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen aus dem völkerrechtlichen Vertrag wird von dem gleichartigen Verhalten der Gegenseite abhängig gemacht. Der Reziprozitätsgrundsatz ist in den WTO-Abkommen zwar nicht als eigenständiges Prinzip normiert, aber die Abkommen verweisen an verschiedenen Stellen auf dieses Prinzip. Die WTO basiert auf dem von den Vertragsparteien formulierten und in Absatz 3 der Präambel festgehaltenem Wunsch, ,,zur Verwirklichung dieser Ziele durch den Abschluß von Übereinkünften beizutragen, die auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen auf einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie auf die Beseitigung der Diskriminierung abzielen ( ... )." Die Gegenseitigkeit fmdet auch beispielsweise Erwähnung in Art. xxvmbis GATT, wonach die Zollverhandlungen "auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen zu fUhren sind.,,35J Art. XXVIII Abs. 2 erwähnt die Gegenseitigkeit in Verbindung mit den Verhandlungen um die Zugeständnislisten. Indirekt kann das Gegenseitigkeitsprinzip als fundamentales Prinzip das Vertrags 354 auch aus Art. XII Abs. 1 WTOÜ, den Beitrittsbedingungen abgelesen werden. Ein Staat kann der WTO beitreten "unter den Bedingungen, die zwischen ihm und der WTO vereinbart werden." Das Ziel dieser Regelung ist darin zu sehen, daß die Beitrittsverhandlungen, die unter anderem zu Zollfragen gefiihrt werden, die Gegenseitigkeitsbereitschaft des neuen Mitglieds sicherstellen. 355

352 B. Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge. Gedanken zu einem Bauprinzip der internationalen Rechtsbeziehungen, 1972, v.a. mit bezug auf das GATI S. 69, 72, 298; A. Verdross/B. Simma, Universelles Völkerrecht, S. 63; O. Kimminich, Einführung in das Völkerrecht, S. 39 ff.; 292 ff.; W. Graf Vitzthum, Raum, Umwelt und Wirtschaft im Völkerrecht, S. 507; W. Benedek, Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 51 ff., 378 f.; O. Long, Lawand its limitations in the GATI multilateral trade system, S. 10 f.; R. Senti, Ordo 45 (1994), 306; K Strupp/H.-J. Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 1961, 1. Bd., S. 630; dazu auch 4. Teil 3. Kap. 11. 353 "Bei diesen Verhandlungen und der Einigung, ... , werden sich die beteiligten Vertragsparteien bemühen, auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen die Zugeständnisse auf einem Stand zu halten, der für den Handel nicht weniger günstig ist, als in diesem Abkommen vor den V~rhandlungen vorgesehen war." (Art. XXVIII Abs. 2 GATT) und deutlich: Art. XXVIIIbis: " ... von großer Bedeutung für die Ausweitung des internationalen Handels sind daher auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen geführte Verhandlungen". 354 Vgl. §§ 320 ff. BGB dazu K Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, I. Bd. AlIgemeines Schuldrecht, 10. Aufl. 1970, S. 152 ff., 228 ff.; dazu KA. Schachtschneider, Prinzipien des Rechtsstaates, 2001, S. 130 ff., insb. 133 ff. 355 O. Long, Law and its limitations in the GATI multilateral trade system, S. 10 f.

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

Das Reziprozitätsprinzip ist gleichermaßen im GATS wie auch im TRIPS zu fmden. Art. XIX GATS betont, daß die Liberalisierungsverhandlungen mit dem Ziel stattfmdet, "die Interessen aller Beteiligten auf der Grundlage des gemeinsamen Nutzens zu fördern." Ähnlich Art. 7 TRIPS, der ebenfalls als Ziel des Abkommens formuliert: "Der Schutz und die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums sollen zur Förderung der technischen Innovation sowie zur Weitergabe und Verbreitung von Technologie beitragen, dem beiderseitigen Vorteil der Erzeuger und Nutzer technischen Wissens dienen, in einer dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen WobI zuträglichen Weise erfolgen und einen Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten herstellen." Auch das Streitbeilegungssystem der WT0 356 ist, wie auch schon das des GATT 1947 vom Prinzip der Gegenseitigkeit geprägt. Als ultima ratio des Schutzes der Zugeständnisse kann der verletzte Mitgliedstaat Gegenmaßnahmen ergreifen, nachdem er dazu autorisiert wurde. Diese reziproken Gegenmaßnahmen sind eine Kompensation fiir die entgangenen Zugeständnisse und ein Mittel der Rechtsdurchsetzung auf internationaler Ebene. 357 Weitestgehend ausgenommen von dem Reziprozitätsgrundsatz sind die Entwicklungsländer bereits seit 1965, dem Zeitpunkt der Beifiigung von Teil IV des GATT 1947. Art. XXXVI Abs. 8 GATT bestimmt, daß die "entwickelten Vertragsparteien fiir die von Ihnen in den Handelsverhandlungen eingegangenen Verpflichtungen ... gegenüber dem Handel der weniger entwickelten Vertragsparteien keine Gegenleistung" erwarten. Gemäß den Anmerkungen zum GATT wird diese Bestimmung dahingehend relativiert, daß nicht von den Entwicklungsländern keine Gegenseitigkeit erwartet würde, sondern daß sie Leistungen erbringen, die mit der Entwicklung ihres Handels vereinbar seien. Ernst-Ulrich Petersmann kritisiert die Überbewertung des Gegenseitigkeitsprinzips und betont, daß dieser Grundsatz fiir völkerrechtliche Verträge selbstverständlich ist, aber nicht ,,zur ökonomisch und GATT -rechtlich unzutreffenden merkantilistischen Annahme verleiten darf, daß die wirtschaftlichen Vorteile und die Rechtsverbindlichkeit der GATT-Regeln von ihrer Einhaltung durch andere GATT-Vertragsparteien abhängen.,,358 Auch Wolfgang Graf Vitzthum sieht in dem Reziprozitätsgrundsatz lediglich ein Gebot fiir ein "fair play" auf internationaler Ebene. 359

Dazu 3. Teil 2. und 3. Kap. Dazu ausführlich 7. Teil. 358 E.-u. Petersmann, Die Europäische Gemeinschaft und GATI, S. 133; ders., Application of GATI by the Court of Justice of the European Communities, CMLRev 20 (1983),424 ff. 359 W. GrafVitzthum, Raum, .umwelt und Wirtschaft im Völkerrecht, S. 508. 356 357

3. Kap.: Funktion und Prinzipien des Welthandelsabkommens

93

3. Transparenzprinzip Als ein weiteres grundlegendes Prinzip der Rechtsordnung der WTO ist das Transparenzgebot zu nennen;360 denn Transparenz ennöglicht Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit. Im Mittelpunkt steht die wechselseitige Offenlegung von Fakten, die für eine konsequente Anwendung des Abkommens grundlegend sind. Dieser Grundsatz ist in Art. X GATI nonniert und besagt, daß handelsrelevante "Gesetze und Verwaltungsvorschriften, Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen" "die von einem Vertragspartner für rechtswirksam erklärt wurden" "unverzüglich in einer Weise veröffentlicht werden, die es den Regierungen und den Handeltreibenden ennöglicht, davon Kenntnis zu nehmen. In gleicher Weise sollen die Abkommen veröffentlicht werden, die für die internationale Handelspolitik von Interesse sind und die zwischen der Regierung oder einer Regierungsstelle eines anderen Vertragspartners in Kraft sind." Dies hat in einer, für die Regierung, aber auch die Unternehmen, zugänglichen Fonn zu geschehen, die sich dann mit den Vorschriften des Handelspartners vertraut machen können. Ähnliche Vertragsbestimmungen über den Grundsatz der Transparenz fmden sich auch in weiteren GATI-Abkommen, nämlich in Art. 5 des Übereinkommens über Einfuhrlizenzverfahren361 , Art. 6 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen362 und in Art. 2 Nr. 5 bis 8 des Übereinkommens über Kontrollen vor dem Versand363 . Aber auch Art. III GATS 364 und Art. 63 TRlPS 365 erwähnen dieses wichtige Prinzip mit ähnlichen Worten.

360 P. Hilpold, Das Transparenzprinzip im internationalen Wirtschaftsrecht - unter besonderer Berücksichtigung des Beziehungsgeflechts zwischen EU und WTO, in: EuR 5 (1999),597; K. IpsenlU.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems?, S. 26. 361 Beispielhaft genannt Nr. I: "Mitglieder, die Lizenzverfahren einführen ... notifizieren dies dem Ausschuß innerhalb von 60 Tagen nach der Bekanntmachung". 362 "Die Mitglieder bekräftigen bezüglich TRIMs, daß sie zu ihren Verpflichtungen betreffend Transparenz und Notifikation nach Art. X GATT, ... stehen." 363 Beispielhaft genannt Nr. 5: "Die Benutzermitglieder stellen sicher, daß die Vorversandkontrollen auf transparente Art und Weise durchgeführt werden." 364 "Jedes Mitglied veröffentlicht umgehend ... spätestens zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens alle einschlägigen allgemeingültigen Maßnahmen, die sich auf die Anwendung dieses Übereinkommens beziehen oder sie beeinträchtigen .... " (Art. III Abs. 1 GATS); "Jedes Mitglied unterrichtet den Rat für den Handel mit Dienstleistungen umgehend und mindestens einmal jährlich über die Einführung neuer oder die Änderung bestehenden Gesetze, sonstiger Vorschriften oder Verwaltungsrichtlinien, ... ". (Art. III Abs. 3 GATS); dazu auch 2. Teil 2. Kap. III. 365 "Gesetze und sonstige Vorschriften sowie allgemein anwendbare rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen und Verwaltungsverfügungen in bezug auf den Gegenstand dieses Übereinkommens (die Verfügbarkeit, den Umfang, den Erwerb und die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums sowie die Verhütung ihres Mißbrauchs), die in einem Mitglied rechtswirksam geworden sind, sind in einer Amtssprache zu veröf-

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I. Teil: Die Grundlagen der Welthandelsorganisation

Das Transparenzprinzip kennzeichnet die Welthandelsorganisation. "Um ein höchstmögliches Maß an Transparenz zu erreichen, erstattet jedes Mitglied dem TPRB regelmäßig Bericht" (Abschnitt D. TPRM). Diese regelmäßig stattfmdenden Überprüfungen der Handelspolitiken (TPRM)366 der einzelnen Mitgliedstaaten ermöglichen die nationalen Rechtsvorschriften und die Rechtspraxis eines Vertragspartners besser kennenzulernen. Der Mechanismus zur Überprüfung der Handelspolitik betont, daß damit "eine größere Transparenz und in besseres Verständnis der Handelspolitiken und -praktiken der Mitglieder gewährleistet werden kann (A. i. TPRM). In Abschnitt B des Übereinkommens wird die Notwendigkeit der innerstaatlichen Transparenz für die anderen Mitgliedstaaten hervorgehoben. "Die Mitglieder erkennen die Bedeutung der innerstaatlichen Transparenz von handelspolitischen Entscheidungen der Regierung sowohl für die Wirtschaft der Mitglieder als auch für das multilaterale Handelssystem an und vereinbaren, eine größere Transparenz in ihren eigenen Systemen anzustreben und zu fördern. Sie erkennen an, daß die Herstellung der innerstaatlichen Transparenz freiwillig bleiben und die rechtlichen und politischen Strukturen der einzelnen Mitglieder berücksichtigen muß. Transparenz äußert sich aber auch in einer weitgehenden Öffuung der WTO für die Öffentlichkeit. Obwohl die Sitzungen der Ministerkonferenz und des Allgemeinen Rats nicht öffentlich sind, sind die Informationen über die Welthandelsorganisation zugänglich. Ein wichtiges Medium dafür ist auch das Internet. Auf der Homepage der WT0 367 werden die Informationen für die Allgemeinheit verfügbar gemacht. Allgemeine Informationen über die WTO, Presseartikel bis hin zu den aktuellen oder vergangenen Streitbeilegungsberichten, sind durch eine umfangreiche Datenbank einsehbar und nutzbar. 368

fentlichen oder, wenn eine solche Veröffentlichung nicht durchführbar ist, in einer Weise öffentlich zugänglich zu machen, die es Regierungen und Rechtsinhabern ermöglicht, sich damit vertraut zu machen. Zwischen der Regierung oder einer Regierungsbehörde eines Mitglieds und der Regierung oder einer Regierungsbehörde eines anderen Mitglieds in Kraft befindliche Übereinkünfte über den Gegenstand dieses Übereinkommens sind gleichfalls zu veröffentlichen." (Art. 63 Abs. I TRIPS); dazu auch 2. Teil 3. Kap. 11. 1. 366 Dazu ausführlich 3. Teil I. Kap. 367 www.wto.org. 368 WTO Press Release 206, I. Februar 2001 "The WTO is now at your fingertips says Mike Moore at the launch ofthe new on-line documents database".

2. Teil

Regelungsbereiche der WTO Das Welthandelsübereinkommen stellt den institutionellen Rahmen für die materiellen Regelungen, die in eigenen Abkommen festgeschrieben sind. Die materiellrechtlichen drei Säulen der Welthandelsorganisation sind das GATT 1994 für den Warenverkehr, das GATS für den Dienstleistungsverkehr und das TRIPS für den Schutz des geistigen Eigentums. Neben diesen drei Säulen sind auch neue Handelsabkommen entstanden. 1

1. Kapitel

Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, GATT 1994 Art. 11 Abs. 4 WTOÜ fUhrt eine verbale Unterscheidung zwischen dem ,,Allgemeinen Zoll- und Handelsübereinkommen von 1994 (im folgenden als ..GATT 1994" bezeichnet)" und dem ,,Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen vom 30. Oktober 1947 (im folgenden als ..GATT 1947" bezeichnet) ein und legt fest, daß sich GATT 1994 rechtlich von GATT 1947 unterscheidet. Staaten, die das Übereinkommen zur Errichtung der WTO einschließlich der Anhänge angenommen haben, ohne sich gleichzeitig vom GATT 1947 zurückzuziehen, wendeten demzufolge parallel zwei verschiedene Rechtskörper an. 2 Jedoch bestimmt Art. XVI Abs. 3, daß bei einer Normenkollision zwischen den verschiedenen Bestimmungen die des WTO-Übereinkommens vorgehen. Von Mitgliedern beider GATT-Abkommen können Erklärungen abgegeben werden, daß das GATT 1947 nicht mehr zur Anwendung kommen soll.3 Dies ist durch die USA und die Europäische Gemeinschaft, die eigentlich das GATT 1947 nicht unterzeichnet hatte, ges~hehen.4 Die Bestandteile des GATT 1994 sind im Welthandelsübereinkommen Anhang 1a ,,Multilaterale Handelsübereinkünfte" aufgefiihrt. Zum neuen GATT gehören zunächst die Bestimmungen des Allgemeinen Zoll- und HandelsabI Beispielsweise das Übereinkommen über Informationstechnologie, Übereinkommen über Basistelekommunikation, Übereinkommen über Finanzdienstleistungen. 2 K. Ipsen/U.R. Haltern, RIW, 9 (1994), 719. 3 K. Ipsen/U.R. Haltern, RIW, 9 (1994), 719. 4 GATI-Focus, Nr. 107, S. 12.

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

kommens vom 30. Oktober 1947 mit allen seinen vor dem WTO-Übereinkommen in Kraft getretenen Änderungen, weiterhin alle sonstigen rechtlichen Regelungen, die im gleichen Zeitraum in Kraft getreten sind und zwar Protokolle und ZertifIkate im Hinblick auf Zollzugeständnisse, die Beitrittsprotokolle sowie die unter Art. XXV des GATT 1947 gewährten "Waivers", die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens noch Gültigkeit besaßen, und die sechs Interpretationserklärungen zu einzelnen GATT _Artikeln5 sowie das Marrakesch-Protokoll zum GATT 1994. Nicht übernommen wurde allerdings die "Großvaterklausel".6 Das Marrakesch-Protokoll führt die Zollzugeständnisse der Uruguay-Runde zusammen, die diesem Protokoll als Anlage beigefügt sind. Die Haupthandelspartner haben beschlossen, Zollschranken fiir neun Industriebereiche komplett zu streichen. Darunter sind die Sektoren Papier, Stahl, pharmazeutische Artikel, Spielzeug und diverse alkoholische Getränke. Darüber hinaus wurde eine Harmonisierung der Zölle für Chemikalien und Plastik erreicht. Zollsenkungen werden nach Nr. 2 des Marrakesch-Protokolls in fünf gleichen Raten vorgenommen, sofern keine speziellen Bestimmungen vorgesehen sind. Materiell unterscheidet sich das GATT 1994 von GATT 1947 vor allem in folgenden Bereichen: Die Kodizes, die zur Tokio-Runde ausgehandelt und in der Uruguay-Runde ergänzt und erweitert wurden, sind größtenteils ein integraler Bestandteil des GATT 1994 und damit verpflichtend fiir alle Mitgliedstaaten. 7 Es sind insgesamt zwölf detaillierte Übereinkommen über den Warenhandel, die Teil des Anhang 1 A "Multilaterale Handelsübereinkünfte" sind. 8 Die aus dem GATT 1947 bekannten Ordnungsprinzipien wurden vom GATT 1994 übernommen. 9

5 Die Interpretationserklärungen ("Understandings on the Interpretation") betreffen die Einbeziehung von nichttarifären Handelshemrnnissen in den Zugeständnislisten (Art. II Abs. 1 Iit. b), Staatsuntemehmen (Art. XVII), Importbeschränkungen aus Zahlungsbilanzgriinden (Art. XII, XVIII Abschnitt B), Freihandelszonen und Zollunionen (Art. XXIV), Waiver (Art. XXV) und die Abänderung von Zugeständnissen (Art. XXVIII). 6 W. Benedek, Die Rechtsordnung des GATI aus völkerrechtlicher Sicht, S. 99 ff. 7 AusfIihrIich P.T StolI, ZaöRV 54 (1994), 264 ff.; R. Senti/P. Conlan, WTO, S. 61 ff. 8 Im einzelnen sind diese wie folgt überschrieben: Übereinkommen über Landwirtschaft, Gesundheits- und Pflanzengesundheitsmaßnahmen (gemäß Amtsblatt der EG: Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen), Textilien und Bekleidung, technische Handelshemrnnisse, handelsbezogene Investitionsmaßnahmen, Durchflihrung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994, Durchflihrung des Artikels VII des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994, Kontrolle vor dem Versand (gemäß Amtsblatt der EG: Vorversandkontrolle), Ursprungsregeln, EinfuhrIizenzverfahren, Subventionen und Ausgleichsverfahren, Schutzmaßnahmen. 9 Dazu 1. Teil 3. Kap. II.

2. Kap.: Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen

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2. Kapitel

Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen, GATS IO Eines der Hauptziele der Verhandlungen der Uruguay-Runde war ein dem GATI vergleichbares Abkommen fiir den Dienstleistungshandel abzuschließen. Erneut ging die Initiative, dieses Handelsgebiet erstmals in offIZiellen Verhandlungen zu thematisieren, von den Industriestaaten, allen voran von den USA, unterstützt von der Europäischen Gemeinschaft, aus, mit dem Ziel der Marktöffnung und Sicherung der Wettbewerbsposition. 11 Viele Entwicklungsländer übten Widerstand dagegen, daß dieser neue Verhandlungsgegenstand innerhalb der multilateralen Abkommen beschlossen werden sollten; denn sie sahen die Regelungsspielräume fiir ihre nationale entwicklungs- und wirtschaftspolitische Zielsetzung damit schwinden. 12 Sie befiirchteten, daß sich die Öffnung der Dienstleistungsmärkte negativ auf die Zahlungsbilanz und auf die inländischen Kapitalmärkte auswirken würde. Die Entwicklungsländer erwarteten, daß eine Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes ihnen aufgrund ihrer mangelnden Wettbewerbs fähigkeit keine verbesserten Exportchancen ermöglichte. \3 Die Bedeutung des Dienstleistungssektors ist seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stark angestiegen. Die stärkere Integration der Weltwirtschaft verändert die Bedingungen fiir den Dienstleistungshandel. Dies betrifft Industrie- und

10 "General Agreement on Trade in Services", BGB\. 1994 11, S. 1473 ff. (eng\.); S. 1643 ff. (dt.). 11 P.T StoII, ZaöRV54 (1994), 303; Th. OppermanniM. Reise, EA 15/16 (1991), 456; H. Hauser/K.u. Schanz, Das neue GATT, S. 193, sieht vor allem die großen amerikanischen Finanzdienstleistungen, namentlich American Express, als treibende Kraft der Verhandlungen; R. Senti, Ordo, 45 (1994), 308; die Havanna Charta sah, im Unterschied zu dem später nur realisiertem GATT-Abkommen, Rahmenbedingung für den Dienstleistungshandel und den Abbau von Beschränkungen des Dienstleistungshandels vor. Art. 53 Abs. I Havanna Charta: "The members recognize that certain services, such as transportation, te1ecommunication, insurance and the commercial services of banks are substantial elements of international trade and that any restrictive business practices by enterprises engaged in these activities in international trade may have harmful effects

.

12 Th. OppermanniM. Reise: EA 15/16 (1991), 456; P.T. StoII, ZaöRV 54 (1994), 303; ausführlich zu der Entstehungsgeschichte des GATS und der Beteiligung der Entwicklungsländer: M. G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS). Unter besonderer Berücksichtigung internationaler Bankdienstleistungen, 1997, S. 51 ff.; Ch. Stad/er, Die Liberalisierung des Dienstleistungshandels am Beispiel der Versicherungen. Kernelemente bilateraler und multilateraler Ordnungsrahmen einschließlich des GATS, 1992, S. 257 ff. 13 Ch. Stad/er, Die Liberalisierung des Dienstleistungshandels am Beispiel der Versicherungen, S. 258 ff.

7 Siebold

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2. Teil: Rege\ungsbereiche der WTO

Entwicklungsländer gleichermaßen. 14 Rund 63 Prozent des Weltinlandsprodukts werden im Dienstleistungssektor erwirtschaftet. Damit wird der Dienstleistungsbereich zwn bedeutendsten Sektor und zu dem am raschesten wachsenden Segment im Welthandel. Das produzierende Gewerbe liegt mit 33 Prozent und die Landwirtschaft mit nur fünf Prozent weit dahinter. ls Der Handel mit grenzüberschreitenden kommerziellen Dienstleistungen ist nach Angaben der WTO 1994 um acht Prozent auf US $ 1.100 Mrd. gestiegen, bei einem Anteil am gesamten Welthandel von 27 Prozent. 16 Der technische Fortschritt, die Kommunikationstechnologie und elektronische Speichermedien haben immer neue Dienstleistungsbranchen entstehen lassen und damit gleichzeitig zu einer steigenden Handelbarkeit beigetragen. Territoriale Grenzen, Zeitunterschiede und Entfernung verlieren gerade im Dienstleistungssektor nahezu völlig an Bedeutung. Die neuen Kommunikationstechniken sorgen dafiir, daß ungebundenen Dienstleistungen verstärkt international ausgetauscht werden. 17 Schon jetzt können die klassischen Dienstleistungen, wie sie beispielsweise von Banken, Reisebüros oder Versicherungen angeboten werden, über das weltweite Kommunikationsmedium Internet jederzeit, überall und von jedem in Anspruch genommen werden. Diese dramatisch gewachsene Bedeutung des internationalen Dienstleistungshandels soll durch die Schaffung rechtlicher Regelungen und die Einbeziehung in den multilateralen Rahmen berücksichtigt werden. Daher hatten die Dienstleistungsverhandlungen der Uruguay-Runde im wesentlichen drei Ziele: 18 Es sollte ein multilaterales Regelungsgerüst fiir den internationalen Dienstleistungshandel geschaffen werden, damit unter den Bedingungen der Transparenz und progressiven Liberalisierung der Dienstleistungshandel ausgeweitet werden kann, was schließlich zu einer Förderung des Wirtschaftswachstums aller Handelspartner fUhren sollte. Der Abschluß des GATS erwies sich als schwierig, weil selbst die USA als Initiator der Verhandlungen, sich fiir wichtige Sektoren wie Luft- und Seeschifffahrt oder das Kommunikationswesen bilaterale Vertragsgestaltung zu erhalten wünschte und daher keine Einbeziehung in den multilateralen Abkommensrah14 M.G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), S. 7; H. Siebert, Weltwirtschaft, S. 14; J.D. Aronson/P.F. Cowhey, Trade in Services. A Case for Open Markets, 1984, S. 5. 1$ R. Fe/ke, Die neue WTO-Runde: Meilenstein auf dem Weg zu einer globalen Wirtschaftsordnung für das 21. Jahrhundert, Aus Politik und Zeitgeschichte, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46-47/99, S. 4; H. Siebert, Weltwirtschaft, S. 15. 16 WTO-Focus, Nr. 2 S. 5. 17 Dienstleistungen können in ungebundene und personengebundene, die voraussetzen, daß Personen zusammenkommen müssen um die Dienstleistung zu erbringen, unterschieden werden; dazu H. Siebert, Weltwirtschaft, S. 14. 18 D. Barth, Das Allgemeine Übereinkommen über den internationalen Dienstleistungshandel (GATS), EuZW 15 (1994),455.

2. Kap.: Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen

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men vorsah, also beispielsweise das Meistbegünstigungsprinzip nicht anerkennen wollte. 19 Ähnliches gilt für die Europäische Gemeinschaft, wo sich Frankreich gegen eine Liberalisierung im audiovisuellen Dienstleistungsbereich aussprach. Mit diesen Einschränkungen und Vorbehalten kann das GATS nun als ,.kleinster gemeinsamer Nenner des zur Zeit Möglichen" gesehen werden, was fraglos nach einer Erweiterung des Dienstleistungsmarktes drängt. 20 Die Welthandelsorganisation selbst sieht die Uruguay-Runde nur als einen Verhandlungsbeginn für den Dienstleistungssektor an. Der Dienstleistungssektor fordert noch mehr Verhandlungen und diese sollen mit dem Ziel gefiihrt werden, den Liberalisierungsprozeß voranzubringen und die gegenseitigen Verpflichtungen zu erhöhen. 21 Teil IV des Übereinkommens stellt die Grundlage für den weiteren Liberalisierungsprozeß dar. Art. XIX Abs. 1 GATS schreibt sukzessive Liberalisierungsverhandlungen vor, die spätestens alle fünf Jahre stattfmden müssen.

I. Struktur und Zielsetzung Die Struktur des Allgemeinen Dienstleistungsübereinkommens ist durch drei Teile gekennzeichnet. Ein Rahmenabkomrnen bestehend aus 29 Artikel beinhaltet die grundsätzlichen Bestimmungen und Prinzipien des Dienstleistungshandels, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind. Es folgen acht sektorspezifische Anlagen22 in denen die Grundlagen für diese entsprechenden Bereiche geregelt sind sowie Beschlüsse der Minister über weitere Arbeitsprogramme 23 und eine "Vereinbarung über Verpflichtungen bei FinaIlZdienstleistung". Den dritten Teil bilden "Listen der spezifischen Verpflichtungen", die dem Abkommen beigefiigt sind und einen wesentlichen Teil des Abkommens darstellen (Art. XX Abs. 3 GATS). Diese sind einheitlich aufgebaut, unterteilt in Länder, Arten der Dienstleistungserbringer und fUhren die Meistbegünstigungsausnah19 Aufgrund des Unterschiedes im Niveau der Offenheit einzelner Märkte wollen die USA den Zugang ausländischer Dienstleistungsanbieter von entsprechenden Gegenleistungen der Partnerländer abhängig machen und damit von der eigentlichen Idee der Meistbegünstigung abrücken, dazu eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 176; Th. OppermanniM. Beise, EA 15/16 (1991),456; R. Sen/i, Ordo 45 (1994), 308. 20 R. Sen/i, Ordo 45 (1994), 308. 21 www.wto.org.lwto/services/service.htm(Stand Juli 1999). 22 Anlagen zu: Ausnahmen von Artikel 11 (Meistbegünstigung), grenzüberschreitendem Verkehr natürlicher Personen, Luftverkehrsdienstleistungen, Finanzdienstleistungen (zweifach), Seeverkehrsdienstleistungen, Telekommunikation und Basistelekommunikation. 2J Beispielsweise die Fortführung der Verhandlungen über die Streitbeilegungsverfahren für das GATS, den grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen oder den Bezug des GATS zu Umweltfragen, usw.

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

men sowie Marktzugangsbeschränkungen und die Beschränkung der Inländerbehandlung an. Dies sind die Ergebnisse bilateraler Verhandlungen, die in Teil III des GATS geregelt sind. Dazu kommen, als integrierter Bestandteil des GATS, die Listen, die die länderspezifischen MeistbegÜßStigungsausnahmen aufzeigen. 24 Vorbild für das GATS-Übereinkommen ist das GATI, was sich bereits an dem äußeren Merkmal der Überschriftgestaltung beider Abkommen ablesen und sich über die Prinzipien der Nichtdiskriminierung oder Transparenz fortsetzen läßt. 25 Auch will das GATS als multilaterales Abkommen ein Verhandlungsforum darstellen, Rechtssicherheit bieten und bei Streitigkeiten einer friedlichen Konfliktbeilegung dienen. 26 Die Präambel des WTO-Übereinkommens anerkennt, daß die ,,Handels- und Wirtschaftsbeziehungen auf die ... Ausweitung der Produktion und des Handels mit Waren und Dienstleitungen gerichtet sind". Eng an diese Präambel anknüpfend zielt die Präambel des GA TS auf die Schaffung multilateraler Regeln für den internationalen Dienstleistungshandel ab, um die Voraussetzungen der Transparenz und der fortschreitenden Liberalisierung für den Handel zu schaffen, das Wirtschaftswachstum auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und des gemeinsamen Nutzens zu fördern und die Entwicklung der wirtschaftlich schwachen Staaten zu stärken. 27 Absatz 4 der Präambel gibt den Mitgliedstaaten das Recht, das Erbringen von Dienstleistungen in ihren Hoheitsgebieten nach eigenem Ermessen zu regeln und dafür neue Vorschriften einzuführen. Dies ist ein Zugeständnis zugunsten der Industriestaaten und der wirtschaftlich schwachen Länder, sich in Teilbereichen gegen die Auslandskonkurrenz schützen zu dürfen. 28

www.wto.org (Stand Juli 1999). Bereits in den 80er Jahren, als die Bedeutung des Dienstleistungshandel stark zunahm, ist über eine mögliche Übertragung des GATT auf den Dienstleistungsbereich diskutiert worden, dazu ausführlich: R. Senti, GATT, S. 110, 351; M. Brößkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATT, S. 129; J.D. AronsonlP.F. Cowhey, Trade in Services, passim; J.H. Jackson, International competition in services. A constitutional framework, 1988, S. 15 tT.; Ch. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 152; W. Benedek, Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht, S. 38. 26 R. Adlung, Liberalisierung und (De-)Regulierung von Dienstleistungen in der Welthandelsorganisation, S. 142. 27 Ch. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 168; Ch. Stadler, Die Liberalisierung des DienstIeistungshandels am Beispiel der Versicherungen, S. 269 f., 293. 28 R. Senti, Das Allgemeine DienstIeistungsabkommen, in: Forschungsinstitut für Wirschaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.): Die Bedeutung der WTO für die europäische Wirtschaft, S. 71. 24 25

2. Kap.: Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen 101

ß. Anwendungsbereich Im Gegensatz zum Warenbegriff, der im GATI nicht näher bestimmt und in der Literatur nicht eingegrenzt isr 9, wird fiir den Dienstleistungsbegriff das Fehlen einer Definition bemerkt. 3o Dies liegt sowohl daran, daß Waren als "faßbarer" Handelsgegenstand eindeutiger zu bestimmen sind. Das GATI 1947/1994 regelt daher im wesentlichen auch nur den Handel von Waren, die von einem in ein anderes Land transportiert werden. Internationaler Handel mit Dienstleistungen ist sehr viel diverser, daher hat auch das GATS einen größeren Anwendungsbereich. Es regelt sowohl alle Formen des Dienstleistungshandels als auch den Zugang zu ausländischen Märkten. 31 Es betrifft grenzüberschreitende wirtschaftliche Austauschvorgänge immaterieller Leistungen, deren quantitative und wertmäßige Erfassung oftmals schwer ist. So bieten beispielsweise Flug- und Telefongesellschaften, Banken oder Unternehmensberatungen ihre Dienstleistungen in sehr unterschiedlicher Art und Weise an. Die Heterogenität des internationalen Dienstleistungshandels erschwert eine einheitliche Begriffsdefmition und Regulierung. Es gibt bisher keine anerkannte Defmition des Dienstleistungsbegriffs in der Literatur32 und auch in den Verhandlungen während der Uruguay-Runde konnte keine Einigung fiir eine LegaldefInition gefunden werden. 33 Eine Abgrenzung 29 R. Senti, GATT, S. 110 schließt aus der Tatsache, daß in der ITO und Havanna Charta der Begriff "goods" im GATT durch "products" ersetzt wurden, daß die Delegation "offensichtlich ihrem Willen Ausdruck gaben, den Anwendungsbereich so umfassend wie möglich zu stecken. Senti legt eine extensive Interpretation dem Warenbegriff zugrunde, mit der Begründung, daß, wenn Waren lediglich im physischen Sinnen verstanden werden sollte, dies in Anmerkungen oder ergänzenden Bestimmungen ausdrücklich im GATTfestgehalten wird, wie Art. XVII Abs. 2 zeigt. 30 M.G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), S. 12 f; K. lpsen/U.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems?, S. 84 f; J.D. Aronson/P.F. Cowhey, Trade in Services, S. 3; J.H. Jackson, International Competition in Services, S. 3 weist auf die Vielfältigkeit der Dienstleistungen hin; Ch. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 164. 31 R.H. Snape, Reaching Effective Agreements Covering Services, in: A.O. Krueger (Hrsg.): The WTO as an International Organization, 1998, S. 279, 285. 32 J.H. Jackson, International Competition in Services, S. 5 m.w.N.; bereits Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes f hte Wealth of Nations, 1776/1789, dt. Übersetzung H.C. Recktenwald 1974, S. 330 f. unterteilte die Güter nach dem subjektiven Nutzenempfinden der Nachfrager in "produktive" und "unproduktive" wirtschaftliche Aktivitäten. Produktive Güter sind alle physischen Erzeugnisse wie Kleidung, Nahrung und Maschinen. Unproduktive Tätigkeiten nach Smith haben keinen Wert, schlagen sich in keinem dauerhaften verkäuflichen Gut nieder. Dazu zählen: Geistliche, Anwälte, Spieler, Musiker, Opernsänger. 33 M.G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstieistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), S. 12 f; K. lpsen/U.R. Haltern, Reform des Welthandelssystems?, S. 84 f; D. Barth, EuZW 15 (1994),455.

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

gegenüber dem Warenbegriff zu ennitteln erscheint notwendig, um bestimmen zu können, welche Art von Handel unter das GA TI bzw. das GATS zu subsumieren ist. 34 Das Dienstleistungsabkonunen bringt im Teil I, der identisch mit Art. I GATS und als Geltungsbereich und Begriffsbestimmung überschrieben ist, keine Definition der Dienstleistung, sondern bietet nur in Absatz 2 lit. a - deine Gliederung nach dem Standortkriterium der Erbringung und der Nutzung von Dienstleistung. Unter lit. a fällt der zwischenstaatliche Handel einer Dienstleistung, der weder vom Dienstleistungsanbieter noch vom Dienstleistungsverbraucher einen Ortswechsel verlangt, dies entspricht, auf Waren übertragen, dem Regelungsbereich des GATI. 3s Der Anwendungsbereich des GATS aber ist um wesentliches breiter. Es zählen die im Inland erbrachten Dienstleistungen an Ausländern dazu. 36 Als weitere Arten werden in Art. I noch das Angebot von Dienstleistungen durch geschäftliche Niederlassungen in das Land eines anderen Mitglieds zu verlegen,37 und die im ,,Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds" geleisteten Dienste von natürlichen Personen genannt. 38 In dieses Rahmenabkonunen ist, aus dem Geltungsbereich des GATS abgeleitet, die Niederlassungsfreiheit einbezogen. Dies erweitert das GATS in seiner ursprünglichen Idee, grenzüberschreitende Dienstleistungen weltweit zu regeln, wesentlich. 39 Das GATS entWickelt sich durch die Anwendung der multilateral gültigen Prinzipien wie der Meistbegünstigung, der Streitschlichtung und, sofern nicht durch Ausnahmen bestinunt, der Inländerbehandlung, auf das Nie34 Nach R. Senti, Das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 69, fallen Dienstleistungen, die in Form einer Werthinzurugung warengebunden sind, nicht unter das GATS, sondern unterliegen dem GATT. Dies sind beispielsweise warengebundene Versicherungs-, Bank-, Transport- und Lagerleistungen. 3S Beispiele: Bereitstellung von Finanzierungs- und Investmentinstrumenten durch Geschäftsbanken, Bereitstellung internationaler Telefonverbindungen, Asset- und Portfoliomanagement, Beratungsdienste, Planungsarbeiten eines Architekten im Land A rur einen Kunden im Land B (cross border supply). Diese Art der Dienstleistungsfreiheit beinhaltet gemäß Art. XVI Abs. 1 Fn. 8 GATS automatisch auch die dazu notwendigen grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungstransfers. 36 Beispiel: Leistungen des Tourismus, wie Devisenwechsel mit ausländischen Touristen (consurnption abroad). 37 Beispiel: Eröffnung einer deutschen Bankfiliale in einem anderen Mitgliedsland der WTO, mit anderen Worten: eine direkte Auslandsinvestition (commercial presence). Auch diese Art der Dienstleistungsfreiheit beinhaltet gemäß Art. XVI Abs. 1 Fn. 8 GATS automatisch auch die dazu notwendigen grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungstransfers. 38 Zu denken ist hier vor allem an Beratungsdienste oder Konstruktionsleistungen (presence ofnatural persons). 39 Vor allem im Bankensektor korrespondiert die Marktöffnung mit dem Niederlassungsrecht, dazu eh. Weber, M.arktzugang von Auslandsbanken, S. 168 f.; C. Stad/er, Die Liberalisierung des Dienstleistungshandels am Beispiel der Versicherungen, S. 295.

2. Kap.: Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen 103

derlassungsrecht zu einem multilateralen Investitionsabkommen fiir Dienstleistungen. 40 Dazu kommt, daß der Zahlungsverkehr eng mit dem Dienstleistungshandel verbunden ist, wie die angeführten Beispiele zeigen. Art. XI GATS verbietet grundsätzliche Beschränkungen internationaler Transfers und Zahlungen fiir laufende Transaktionen, soweit sie mit spezifischen Liberalisierungsverpflichtungen zusammenhängen. Zahlungsverkehr und letztlich Investitionen haben nur instrumentale Bedeutung fiir den Marktzugang im GATS, aber es bleibt festzuhalten, daß über diesen Weg Investitionsschutz gewährleistet wird. 41 Dabei fallen allerdings ausländische Arbeitskräfte, die Zugang zum Arbeitsmarkt eines Landes suchen, nicht unter das GATS. 42 Der Dienstleistungsbegriff ist also urnfassend. 43 Er beinhaltet jegliche Form der Dienstleistungserbringung. Das ist gemäß Art. XXVIII lit. b GATS, "die Produktion, den Vertrieb, die Vermarktung, den Verkauf und die Bereitstellung der Dienstleistung" in allen Dienstleistungssektoren, wobei Dienstleistungserbringer sowohl natürliche als auch juristische Personen sein können. Ausgenommen sind nur solche Dienstleistungen, die in Ausübung hoheitlicher Gewalt erbracht werden (Art. lAbs. 3 lit. b GATS).44 Öffentliche Dienste, die nach Art. lAbs. 3 lit. c GATS weder auf kommerzieller Basis noch in Konkurrenz zu anderen Dienstleistungsanbietern erbracht werden, sind vom Liberalisierungsprozeß nicht urnfaßt. Weitere Einschränkungen werden in den weitreichenden Sonderregelungen fiir einzelne Sektoren in den Anhängen des GATS gewährleistet.

D. Barth, EuZW 15 (1994),456. P. Hilpold, RIW 2 (\ 998), 93; auch eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 172 f. sieht in der Einbeziehung des Niederlassungsrechts eine Ausdehnung auf Direktinvestitionen und grenzüberschreitende Kapitalbewegungen und damit letztlich eine Entwicklung des GATS zum multilateralen Investitionsabkommen. 42 So bestimmt es Absatz 2 der "Anlage zum grenzüberschreitenden Verkehr natürlicher Personen, die im Rahmen des Übereinkommens Dienstleistungen erbringen"; auch R. Senti, Das Allgemeine DienstIeistungsabkommen, S. 69; auch R.H. Snape, Reaching Effective Agreements Covering Services, S. 290 sieht es als angemessen, den grenzüberschreitenden Verkehr von Personen getrennt von Dienstleistungen, also außerhalb des GATS zu regeln. 43 D. Barth, EuZW 15 (1994), 455 spricht von einem "universellen Deckungsbereich, wonach apriori kein Dienstleistungssektor von Liberalisierungsprozeß ausgenommen ist"; ebenso eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 171. 44 eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 158. P.T. StoII, ZaöRV 54 (\ 994), 323 f. stellt fest, daß dieser zitierte Artikel regelt, was unter Dienstleistung zu verstehen ist. Dieser Behauptung kann nicht gefolgt werden, weil dieser Artikel zwar die durch Regierungsstellen erbrachten Dienstleistungen ausschließt, aber den Begriff der Dienstleistung als solchen nicht näher beschreibt. Damit bleibt weiterhin unklar, was eine Dienstleistung ausmacht; auch R. Senti, Das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 67, sieht mit den ersten beiden Abschnitten eine begriffliche Abgrenzung der Dienstleistung geklärt. 40

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2. Teil: RegeIungsbereiche der WTO

Der sachliche Anwendungsbereich des Allgemeinen Dienstleistungsabkommens ist offen geregelt. Nach Art. lAbs. 1 GATS findet das Übereinkommen Anwendung auf alle Maßnahmen seiner Mitglieder, die den Handel mit Dienstleistungen beeinträchtigen. Dies umfaßt Gesetze, Verwaltungsrichtlinien und wird ausgedehnt bis zur Verwaltungspraxis (Art. XXVIII lit. a GATS).4s Dies gilt nicht nur für die jeweilige Staatsregierung des Mitgliedstaats, sondern das GATS, und das ist besonders für die fOderalistisch organisierten Staaten wichtig, bezieht sich auf alle Staatsebenen, die Staats- und Landesregierungen und die öffentlichen Behörden, sowie ausdrücklich auch auf die nichtstaatlichen Stellen, die öffentliche Aufgaben erfiillen (Art. lAbs. 3 lit. a GATS).

IH. Liberalisierungsverpflichtungen J. Meistbegünstigung

Teil 11 und III des GATS enthalten die allgemeinen und spezifischen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Anknüpfend an das GATI bildet auch hier die Meistbegünstigung eine zentrale Verpflichtung des Abkommens, die jedes Mitglied "sofort und bedingungslos" (Art. 11 Abs. 1 GATS) gewähren muß. Danach ist jeder Mitgliedstaat verpflichtet, Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer eines anderen Mitgliedstaates ebenso günstig zu behandeln, wie gleiche Dienstleistungen und Dienstleistungserbringer aus einem anderen Staat unabhängig von dessen WTO-Mitgliedschaft. 46 Im Gegensatz zur Meistbegünstigungsvorschrift des GATI, gilt es hier für Produkte und Produzenten gleichermaßen. Entgegen dem Wortlaut dieser Vorschrift wird, wie oben schon erwähnt, die Meistbegünstigungspflicht im GATS jedoch nicht als "unbedingte" Pflicht gewährt, was zu einer flexibleren Anwendung fiihrt. 47 Vielmehr sieht dieses Über4S Die WTO spricht im bezug auf den Umfang des GATS von einer "total coverage", wonach das Übereinkommen alle internationalen Dienstleistungen umfaßt, so www.wto. org/wto/services! service.htm (Stand Juli 1999). 46 Allgemein zum Prinzip der Meistbegünstigung: 3. Kap. 11.; R. Senti, Das Allgemeine DienstIeistungsabkommen, S. 72; D. Rarth, EuZW 15 (1994),456; R. Senti/R.H. Weber, Das allgemeine DienstIeistungsabkommen, in: D. Thürer/S. Kux (Hrsg.), GATT 94 und die Welthandelsorganisation. Herausforderung für die Schweiz und Europa, 1996, S. 136. 47 M. G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), S. 137; eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 176; Th. OppermanniM. Reise, EA 15/16 (1991), 456; R. Senti, Ordo 45 (1994),308; R.H. Snape; Reaching Effective Agreements Covering Services, S. 285; R. Adlung, Liberalisierung und (De-)Regulierung von Dienstleistungen in der WelthandeIsorganisation, S. 142.

2. Kap.: Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen 105

einkommen eine Reihe von Ausnahmen vor. Das Konzept der bedingten Meistbegünstigung erlaubt eine differenzierte Behandlung ungleicher Staaten. 48 Der Geltungsbereich der Meistbegünstigung im GATS wird durch sogenannte Negativlisten bestimmt. 49 Die Pflicht zur Meistbegünstigung bezieht sich somit grundsätzlich auf alle Dienstleistungssektoren mit Ausnahme der Bereiche, die ein Mitglied explizit in seiner Liste gemäß der Anlage zu Ausnahmen von Artikel 11 angeführt hat. Das Prinzip der Meistbegünstigung erfährt in weiteren GATS-Bestimmungen eine Wiederholung. Beispielhaft sind die folgenden Artikel erwähnt: Art. VIII GATS wendet sich gegen den Machtmißbrauch von Dienstleistungsmonopolen. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, daß ihre Monopolanbieter nicht gegen die Meistbegünstigungspflicht oder andere Liberalisierungsverpflichtungen verstoßen. Bei schwerwiegenden Zahlungsbilanzschwierigkeiten ist es erlaubt, den Handel mit Dienstleistungen einzuschränken oder Beschränkungen beizubehalten, aber nur unter der Voraussetzung, daß "die ... Beschränkungen ... nicht zwischen den Mitgliedern diskriminieren dürfen" (Art. XII Abs. 2 lit. a GATS). Die Verhandlungen der Uruguay-Runde konnten keinen Vertragstext mit einheitlichen Rechten und Pflichten fiir alle Mitgliedstaaten hervorbringen, so daß allgemeine, aber auch länderspezifische Ausnahmen zugestanden werden mußten. 50 Die Ausnahmen von der Meistbegünstigungsverpflichtung sind entweder im Dienstleistungsübereinkommen speziell aufgeführt oder in länderlisten festgelegt. Die folgenden im Vertrag aufgeführten und fiir alle Vertragspartner geltenden allgemeinen Ausnahmemöglichkeiten von der Meistbegünstigung sind zu erwähnen: Im unmittelbaren Grenzverkehr steht jedem Land nach Art. 11 Abs. 3 GATS die Möglichkeit zu, den angrenzenden Regionen "Vorteile zu gewähren, um ...

48 Ausführlich dazu M. Bräßkamp, Meistbegünstigung und Gegenseitigkeit im GATI, S. 26, 55. Mit diesem Mittel wird gleichzeitig der Druck auf Gegenseitigkeit erhöht und letztlich eine Marktöffnung erzwungen, so JH. Jackson, International Competition in Services, S. 27; ders., The World Trading System, S. 137; bedingte Meistbegünstigung will eine Gleichstellung der Länder nur unter gleichen Bedingungen erzielen dazu R. Zinser. Die Neufassung der Meistbegünstigung im Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATI) und ihre Bedeutung für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen, S. 13. 49 M.G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), S. 137; R.H. Snape, Reaching Effective Agreements Covering Services, S. 285. 50 WTO-Focus Nr. 39/1986, S. 3; NT. 41/1986, S. 5; R. Senti, Das Allgemeine Dienstieistungsabkommen, S. 73; für D. Barth, EuZW 15 (1994),455 erscheinen diese Ausnahmen selbstverständlich: "Es versteht sich, daß eine so weitreichende Verpflichtung (sc. die Meistbegünstigungspflicht) nicht ohne Ausnahme akzeptiert wurde".

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2. Teil: Rege1ungsbereiche der WTO

den Austausch von örtlich erbrachten und genutzten Dienstleistungen zu erleichtern". Die Schaffung von wirtschaftlichen Integrationsräumen in Art. V GATS erlaubt analog zu Art. XXIV Abs. 4 und 5 GATI die Schaffung von Freihandelsräumen für den Dienstleistungshandel und stellt sicher, daß die intern gewährten Handelsvorteile ausnahmsweise nicht im Wege der Meistbegünstigung an außenstehende Drittstaaten weitergegeben werden müssen. SI Diese Ausnahmeregelung ist wichtig für den Europäischen Binnenmarkt und andere regionale Wirtschaftszusarnmenschlüsse (beispielsweise NAFTA). Die Bildung gemeinsamer Markträume ist an die Bedingung geknüpft, daß die Integrationsräume sich nicht auf einzelne Dienstleistungen oder Dienstleistungserbringer beschränken dürfen, sondern nach Art. V Abs. 1 lit. a GATS "einen beträchtlichen sektoralen Geltungsbereich haben", und einen nichtdiskriminierenden Charakter besitzen müssen. Die Anerkennung ausländischer Qualiflkationsanforderungen zur Erfiillung nationaler Zulassungsvoraussetzungen von Dienstleistungsanbietern, die ein Land einem anderen gewährt, muß nicht automatisch auf andere Mitgliedsländer ausgedehnt werden (Art. VII GATS). Ebenfalls ausgenommen sind die öffentliche Beschaffung von Dienstleistungen (Art. XIII GATS) sowie die allgemeinen Ausnahmen in Art. XIV GATS und die sicherheitspolitischen Ausnahmen des Art. XlVbis GATS. Gemäß Art. 11 Abs. 2 GATS haben die WTO-Mitgliedstaaten das Recht, neben den erwähnten Sonderfällen noch bei weiteren Maßnahmen von der Meistbegünstigungsverpflichtung abzusehen. Voraussetzung dafür ist, daß die AusnahmeiistenS2 vor dem Inkrafttreten des WTO-Vertragswerks beim GATI hinterlegt wurden. S3 Ziel dieser Listen ist es, diskriminierende Maßnahmen wie Handelssanktionen oder bilaterale Präferenzabkommen beibehalten zu kön-

51 D. Barth, EuZW 15 (1994), 455, f.; eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 179. 52 Diese Listen der Ausnahme von der Meistbegünstigungsverpflichtung begründen sich aus der Tatsache, daß bereits vor dem Inkrafttreten des GATS-Übereinkommens bilaterale Abkommen im Dienstleistungsbereich zwischen einzelnen Staaten bestanden. Diese Mitgliedstaaten erkannten es als notwendig an, die bilateral festgelegten Vergünstigungen vorübergehend beizubehalten. Um jedoch gleichzeitig den Grundsatz der Meistbegünstigung aufrechtzuerhalten, legten die Mitgliedstaaten fest, daß diese Ausnahme nur einmal aufgestellt werden können. Diese Ausnahmelisten sind also nicht erweiterbar, so www. wto.org (Stand Juli 1999). 53 Art. XI WTOÜ, dazu 2. Kap. II. 1.; nach R. Senti, Das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 74, machten 61 Länder von dieser Listenerstellung Gebrauch; bestätigend auch: www.wto.org./wto/serviceslservice.htm (Stand Juli 1999), die dort angeführten Dienstleistungssektoren sind vor allem Finanzdienstleistung, Telekommunikation, Seeverkehr.

2. Kap.: Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen 107

nen. 54 Für Christoph Weber vermag diese Regelung Art. 11 Abs. 1 GATS zu neutralisieren. Damit können die Mitgliedstaaten legal den Grundsatz der unbedingten Meistbegünstigung unterlaufen, was per defInitionem zur Diskriminierung führt. 55 Unklar ist, ob neubeitretende Länder, also nicht ursprüngliche GATI-Mitglieder, auch von dieser Erstellung der Ausnahmelisten profItieren können. Richard Senti argumentiert in Anlehnung an Yi Wang, daß davon auszugehen sei, daß neubeitretenden Staaten das Recht der Erstellung einer individuellen Ausnahmeliste zustehe, weil das WTO-Übereinkommen keine Unterschiede in bezug auf die Rechte und Pflichten zwischen Gründerstaaten und Neumitgliedem mache. 56 . Dagegen kann eingewandt werden, daß in Absatz 2 der ,,Anlage zu Ausnahmen von Artikel 11" die nach dem Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens beantragten Ausnahmen gemäß Art. IX Abs. 3 WTOÜ behandelt werden. Danach kann ein Mitgliedstaat nur durch Beschluß der Ministerkonferenz in Zusammenarbeit mit dem GATS-Rat entbunden werden. Diese Ausnahmen sind jedoch nur unter außergewöhnlichen Umständen möglich und müssen und von drei Vierteln der Mitglieder gefaßt werden. Welche Voraussetzungen dafür gegeben sein müssen, ist weder im WTO-Übereinkommen noch im GATS oder den Anlagen geregelt. . Absatz 6 der Anlage zu den Ausnahmen von Artikel 11 sieht vor, daß grundsätzlich die Ausnahmen der Liste einen Zeitraum von zehn Jahren nicht überschreiten dürfen und Bestandteil weiterer Liberalisierungsverhandlungen sind. Die ersten Folgeverhandlungen im Dienstleistungsbereich sollen nach Ablauf von fiinf Jahren nach dem Inkrafttreten der WTO, also im Jahr 2000, stattfInden. Jedoch wurden die Ausnahmen oft in ihrer Dauer als "unlirnited" bezeichnet. 57 Die Listenausnahmen der Europäischen Gemeinschaft beziehen sich auf audiovisuelle Dienstleistungen (Produktion und Vertrieb), den Straßenverkehr (Personen und Fracht), den Verkauf von Luftverkehrsdienstleistungen (computergesteuerte Buchungssysteme), den Transport auf Binnenwasserstraßen, das Verlagswesen, die Nachrichten- und Presseagenturdienste, die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung, die Finanzdienstleistungen sowie alle Sektoren im Bau-, Hotel- und Gaststättenbereich. 58

54 D. Barth, EuZW 15 (1994), 456, der als Beispiel die Von der Europäischen Union angemeldeten Ausnahmen für bilaterale Straßenverkehrs- oder Film-Co-Produktionsabkommen anführt. 55 eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 177 f. 56 Yi Wang, Most-Favoured-Nation Treatment under the General Agreement on Trade in Services - And it's Application in Financial Services, in: Journal of World Trade, Vol. 30 (1996), R. Senti, Das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 74. 57 R. Senti, Das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 74. 58 EU-Ausnahmeliste zu Art. 11 GATS, in: BT-Drs. 12/7655 (neu), S. 292 ff.

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

Art. XIII WTOÜ räumt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, gegenüber einem beitretenden Vertragspartner die Anerkennung von GA TS-Bestimmungen unter der Voraussetzung zu versagen, daß diese Nichtanerkennung VOn der Ministerkonferenz vor Beitrittsgenehmigung notifiziert wurde. 59 Diese Nichtanwendung von GATS-Bestimmungen liegt darin begründet, daß, analog zu Art. XXXV GATT 1947, bei der Entscheidung über einen Beitritt die überstimmten Staaten nicht zur Einhaltung von Abkommensbestimmungen gezwungen werden, denen sie weder zugestimmt noch über die sie verhandelt haben. 60

2. Transparenz Die in Art. III GATS verpflichtende Transparenz der nationalen Regeln ermöglicht den Dienstleistungserbringern Rechtssicherheit. Demnach sind alle Rechtsvorschriften und getroffenen Maßnahmen der einzelnen nationalen Regierungen, die den Geltungsbereich des Abkommens betreffen, spätestens bei ihrem Inkrafttreten zu veröffentlichen oder anderweitig bekannt zu machen. Jeder Mitgliedstaat muß innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der WTO, also spätestens seit Ende 1997, mindestens eine Auskunftsstelle innerhalb seiner Verwaltung errichtet haben, um ausländischen Unternehmen und Regierungen Informationen über die Regelungen innerhalb eines Dienstleistungssektors zur Verfügung stellen zu können. Ausnahmen von dieser Regelung gesteht Art. III bis GATS zu, wonach vertrauliche Informationen, die durch ihre Bekanntgabe die Durchsetzung von Gesetzen behindern, dem öffentlichen Interesse widersprechen oder die berechtigten kommerziellen Interessen öffentlicher oder privater Unternehmen schädigen würden, von der Veröffentlichungspflicht ausgeschlossen sind.

3. Regelungen des Marktzutritts Während die Einhaltung der MeistbegÜllstigung für die Mitgliedstaaten, sofern sich einzelne Vertragspartner keine Ausnahme vorbehalten haben, grundsätzlich verbindlich ist, ist im GATS der freie Marktzutritt nicht verpflichtend. 61 Auch impliziert die Verpflichtung zur MeistbegÜllstigung ex ante noch keine Marktöffnung. Sie gewährleistet nur Nichtdiskriminierung zwischen ausländischen Dienstleistungsanbietern aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten, unabhän-

59

R. Senti, Das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 75.

60

R. Senti, Das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 75.

R. Senti/R.H. Weber, Das allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 141; R. Senti, Das Allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 81. 61

2. Kap.: Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen 109

gig vom Grad der Marktöffnung in den einzelnen Dienstleistungsbereichen. 62 Marktzugang und Inländerbehandlung sind in Teil III, Spezifische Verpflichtungen, Art. XVI und Art. XVII GA TS geregelt. Marktzugangsrechte entstehen nicht wie die Meistbegünstigungsverpflichtung durch das Abkommen unmittelbar, sondern durch bilaterale Vereinbarungen in bestimmten Dienstleistungsbereichen, die ein Land in seine Liste spezifischer Verpflichtungen aufnimmt. 63 Liberalisierung und Marktöffnung hängen von der Konzessionsbereitschaft der Mitgliedstaaten ab und sind wesentlich beeinflußt von den politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen eines Staates. 64 Marktzugang fiir Dienstleistungen und Diensdeistungserbringer wird gemäß individuellen Länderlisten, sogenannte Positivlisten, verpflichtend festgelegt. 65 Jedoch können auch damit bestimmte Bedingungen oder individuelle Beschränkungen wie Art. XVI Abs. 1 oder Art. XVII Abs. 2 GATS verknüpft sein. Ein Staat kann also entscheiden, inwieweit ausländische Dienstleistungsunternehmen, beispielsweise internationale Banken, Zugang zum nationalen Markt erhalten sollen. Ist Marktzugang gewährt, richtet sich die weitere Behandlung des ausländischen Anbieters nach dem nationalen Konzept der Inländerbehandlung. 66 Falls es die Listen nicht anders vorsehen, darf ein Mitgliedstaat die in Art. XVI Abs. 2 lit. af GATS genannten Marktzugangshemmnisse67 weder regional noch fiir das gesamte Hoheitsgebiet aufrechterhalten oder einfUhren.

62 M.G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), S. 138. 63 M.G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), S. 138; D. Barth, EuZW 15 (1994), 456. 64 Nach eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 188, 191, hängt die Bereitschaft eines Landes zur Marktöffnung auch von inhaltlich gleichwertigen Angeboten der anderen Verhandlungspartner ab. Die Angebote müssen nicht unbedingt im gleichen Dienstleistungssektor erfolgen. Ein Staat kann beispielsweise Landesrechte im Luftverkehr im Gegenzug flir Niederlassungsrechte im Bankensektor gewähren. 65 R.H. Snape, Reaching Effective Agreements Covering Services, S. 285. 66 M.G. Eckert, Die Liberalisierung internationaler Finanzdienstleistungen durch das General Agreement on Trade in Services (GATS), S. 139. 67 Es handelt sich dabei um die zahlenmäßige Beschränkung der Dienstleistungserbringer in Form von Quoten, Monopolen, Exklusivrechten oder Bedürfnisnachweisen, die wertmäßige Beschränkung der Dienstleistungstätigkeiten in Form von Quoten oder Bedürfnisnachweisen, die zahlenmäßige Beschränkung der Dienstleistungstätigkeiten oder des Gesamtvolumens erbrachter Dienstleistungen in Form von Quoten oder Bedürfnisnachweisen, die zahlenmäßige Beschränkung der Arbeitskräfte für einen bestimmten Dienstleistungssektor .in Form von Quoten oder Bedürfnisnachweisen, Vorschriften über spezifische Rechtsformen von Dienstleistungsunternehmen, Einschränkungen der Kapitalbeteiligungen an Dienstleistungsfirmen in Form einer prozentualen Höchstgrenze flir die ausländische Beteiligung oder flir den Gesamtwert einzelner oder zusammengefaßter ausländischer Investitionen.

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

Art. XVII GA TS bindet die Mitgliedstaaten an das schon erwähnte Prinzip der Inländerbehandlung. Es bildet eine fundamentale Regel fiir das GATT und TRIPS, wird aber im GATS nur zur Anwendung gebracht, wenn spezifische Verpflichtungen festgelegt sind. Ausnahmen sind erlaubt. Für den Dienstleistungsbereich bedeutet die Inländerbehandlung, daß ausländische Dienstleistungsanbieter in den dem Wettbewerb geöffneten Bereichen nicht schlechter behandelt werden dürfen, als vergleichbare inländische Anbieter. Es darf also keine Diskriminierung zwischen diesen ausländischen und inländischen Unternehmen stattfmden. 68 Im Gegensatz zu Art. III GATT bezieht sich die Inländerbehandlung hier nicht auf Produkte, sondern auf Produzenten. Entscheidend dabei ist nicht eine formal identische Behandlung in- und ausländischer Dienstleistungserbringer. Gemäß Art. XVII Abs. 3 GATS müssen gleiche Wettbewerbsbedingungen sichergestellt sein. 69 Das Recht des Marktzugangs und die damit verbundene Inländerbehandlung sind das Liberalisierungsziel des GATS, das jedoch von einer grundsätzlichen Anerkennung der nationalen Selbstbestimmung eingeschränkt wird. Das GATS anerkennt in seiner Präambel und Art. VI, der Vorschrift über die "innerstaatlichen Regelungen", ausdrücklich das Recht der Mitgliedstaaten, die Erbringung von Dienstleistungen nach eigenem Ermessen zu regulieren und dabei Zielsetzungen ihrer nationalen Politik zu verfolgen. Auch Art. XIX Abs. 2 GA TS legt fest, daß der in Zukunft stattfmdende Liberalisierungsprozeß "unter angemessener Berücksichtigung der nationalen und politischen Zielsetzung ... stattfmdet". Die nationalen Regulierungen müssen bestimmten Kriterien wie denen der Objektivität und Verhältnisrnäßigkeit entsprechen (Art. VI Abs. 1 GATS).70 Diese Bestimmungen spiegeln den Interessenskonflikt zwischen den Zielen der Liberalisierung im Dienstleistungssektor und der Beibehaltung nationaler selbstbestimmter Regelungen wider. 71

68 D. Barth, EuZW 15 (1994),458; R. Senti/R.H. Weber, Das allgemeine Dienstleistungsabkommen, S. 142. 69 eh. Weber, Marktzugang von Auslandsbanken, S. 189; D. Barth, EuZW 15 (1994),458. 70 D. Barth, EuZW 15 (1994),457. 7\ D. Barth, EuZW 15 (1994),457.

3. Kap.: Übereinkommen über Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS

111

3. Kapitel

Übereinkommen über handelsbezogene Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS72 I. Hintergrund zum Abschluß des TRIPS-Abkommens Die Rechte am geistigen Eigentum auf internationaler Ebene zu regeln sieht schon vor der Einbeziehung des TRIPS in die multilateralen Handelsübereinkommen der Welthandelsorganisation die WIPO, die Weltorganisation für geistiges Eigentum, ebenfalls in Genf ansässig, vor. 73 Die WIPO ist seit 1974 eine Unterorganisation der Vereinten Nationen. 74 Mit dem Inkrafttreten des TRIPSAbkommen erfolgte die Anpassung und Eingliederung der Rechte des geistigen Eigentums in die Regeln der WTO. Geistiges Eigentum wird traditionell in zwei Kategorien geteilt. Zum einen in das Urheberrecht und dem Urheberrecht ähnliche Rechte, wie das Recht an künstlerischer und literarischer Arbeit, zum anderen in den gewerblichen Rechtsschutz, der die kommerziell oder technisch ausgerichteten Schutzrechte wie Marken oder Patente umfaßt. 75 Drei internationale Konventionen, die Pariser Verbandsübereinkunft, die Berner Übereinkunft und das Rom-Abkommen, die neben anderen Konventionen und Verträgen von der WIPO verwaltet werden, haben zur Aufgabe, den Schutz von Patenten, Marken und Urheberrechten international gemäß zweier Regelungsprinzipien weiter zu entwickeln. Die Konventionen versuchen durch die Inländerbehandlung die ausländischen Schutzrechtsinhaber mit den inländischen gleichzustellen, was zu einem sehr unterschiedlichen Rechtsschutz in den einzelnen Staaten gefiihrt hat; denn wegen des Territorialprinzips kann ein Staat

72

"Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights", BGBl.

199411, 1730 (deutsch), 1565 (engl.); Th. Cottier, Das Abkommen über handeIsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), in: D: ThürerlSt. Kux (Hrsg.) GATI 94 und die Welthandelsorganisation, 1996, S. 196 bezeichnet dies eine sprach-

lich wenig geglückte offizielle deutsche Übersetzung des Orginaltitels. 73 Die "World Intellectual Property Organization" wurde 1967 gegründet und trat 1970 in Kraft. 74 Dazu www.unsystem.org und www.wipo.int. 75 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), in: Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb (Hrsg.), Die Bedeutung der WTO für die europäische Wirtschaft, 1997, S. 50; P. Ruck, Geistiges Eigentum und Völkerrecht. Beiträge des Völkerrechts zur Fortentwicklung des Schutzes von· geistigem Eigentum, 1994, S. 20 ff.; BGHZ 17, 266 (278); für den Bereich des Urheberrechts wird festgehalten, daß "die Herrschaft des Urhebers über sein Werk die natürliche Folge seines geistigen Eigentums ist" W Fikentscher, Wirtschaftsrecht, Bd. I, S. 273.

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

nur Regelungen für sich, also nur auf seinem Hoheitsgebiet treffen. 76 Auch werden bestimmte Mindestrechte gewährt, wozu sich alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben, wie beispielsweise den Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts. Über diese Aufgaben hinaus ist aber die WIPO nicht imstande, das Piraterieproblem, das aus der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung des geistigen Eigentums resultiert, wirksam anzugehen. 77 Die Konventionen verzeichnen wegen einer geringen Mitgliederzahl, die kaum Entwicklungsländer einschließt, ein Defizit im internationalen Schutz. Die Welthandelsorganisation setzt sich mit dem TRIPS-Abkommen zum Ziel, sowohl "Verzerrungen und Behinderungen des internationalen Handels zu verringern" als auch gleichzeitig "einen wirksamen und angemessenen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums zu fordern".78 Darüber hinaus will es dafür sorgen, durch die technische Innovation und die Weitergabe und Verbreitung von Technologien das "gesellschaftliche und wirtschaftliche Wohl in zuträglicher Weise" zu fOrdern (Art. 7 TRIPS).79 Das TRIPS-Abkommen abzuschließen kann vor allem als ein Anliegen der Industrieländer angesehen werden und geht auf eine amerikanische Initiative zurück. 80 Als Hauptproduzent von geistigem Eigentum wollten sie die in den letzten Jahren stark zugenommenen Urheberrechts-, Patent- und Lizenzverletzungen durch Raubprodukte, Imitationen und Fälschungen schützen. 81 Das GATI 1947 regelte geistiges Eigentum nur am Rande in Art. XX Abs. 1 Nr. 1 lit. d. Dort war, noch gegenteilig zu den jetzigen Regeln, bestimmt, daß jeder Staat auf diesem Gebiet freie Hand behält und die nationalen Gesetze über Patente, Warenzeichen, Urheberrechte und 76 Dazu ausführlich 4. Teil 2. und 3. Kap. 77 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 52; A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen. Immaterialgüterrechte im Licht der globailsierten Handelspolitik, 1997, S. 14; Th. Collier, Intel-

lectual Property in International Trade Law and Policy: The GATI Connection, in: Außenwirtschaft 47 (1992), 88. 78 So die Präambel des TRIPS. 79 1. Straus, Der Schutz des geistigen Eigentums in der Welthandelsorganisation: Konsequenzen des TRIPS für die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten, in: P.-Ch. Müller-Graf (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in der Welthandelsorganisation, 1999/2000, S. 160. 80 K. Bayer, Die neuen Welthandelsregeln zum Schutz geistigen Eigentums (TRIPS), 1995, S. 1; Th. Collier, Das Abkommen über handelsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), S. 194; ausführlich zu den Verhandlungen des TRIPS-Abkommen während der Uruguay-Runde: B.K. Zutshi, Bringing TRIPS into the Multilateral Trading System, in: J. BhagwatilM. Hirsch (Hrsg.), The Uruguay Round and Beyond, 1998, S. 38. 81 So entstanden allein den Urheberrechtsinhabern in den USA im Jahr 1995 durch die zahlreichen chinesischen CD-Raubkopien Schäden in dreistelliger Millionenhöhe; ausführlich dazu A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen. Immaterialgüterrechte im Licht der globalisierten Handelspolitik, S. 1 f., 14 fT.

3. Kap.: Übereinkommen über Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS

1\3

unlauteren Wettbewerb nicht als Handelshernrnnisse gelten. Die Entwicklungsländer hingegen fürchteten, daß die neuen Regelungen zu protektionistischen Zwecken mißbraucht werden könnten und sie nicht an dem für ihre Entwicklung nötigen Technologietransfer teilhaben können. 82 Der "single undertaking"-Ansatz 83 und die Eingliederung des TRIPS-Abkommens in das Welthandelsübereinkommen integriert den Schutz von geistigem Eigentum in das multilaterale Handelssystem und macht es für die Entwicklungsländer unmöglich, einzelne Bereiche nicht zu ratifIzieren. 84 Um die Befürchtungen der wirtschaftlich schwachen Länder vor einem sie benachteiligenden Protektionismus in diesem Bereich zu mindern, wurden wirksame Zugeständnisse durch Ausnahmebestimmungen und Übergangsfristen vereinbart. 85 Für Industrieländer trat das TRIPS-Übereinkommen ein Jahr später als das WTO-Abkommen, am 1. Januar 1996, in Kraft. Entwicklungsländer konnten eine Vierjahresfrist (1. Januar 2000) bis zur Umsetzung der Regelungen, mit Ausnahme der allgemeinen WTO-Prinzipien, der Art. 3,4 und 5 des Abkommens, nutzen. 86 Unterstützung für die Implementierung, vor allem in technischen Fragen bieten die WTO und die WIPO in Zusammenarbeit gemeinsam an. 87 Den am wenigsten entwickelten Ländern wurde sogar eine Übergangsfrist von elf Jahren gewährt (Art. 66 Abs. 1 TRIPS).88 Auch die Transformationsstaaten, die sich im Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft befmden, können eine Aufschubsfrist von vier Jahren erhalten (Art. 65 Abs. 3 TRIPS).89 Die genannten Übergangsfristen gelten grundsätzlich nur für die ursprünglichen WTO-Mitgliedstaaten. 9O Staaten, die der Welthandelsorganisation neu beitre-

82 rh. Cottier, Das Abkommen über handelsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), S. 193 ff. wertet dies als traditionelIe UNCTAD-PhiIoso-phie. 83 Dazu I. Teil 2. Kap. H. 84 K. Bayer, Die neuen Welthandelsregeln zum Schutz geistigen Eigentums (TRIPS), glaubt (zu Recht), daß die Akzeptanz des TRIPS der weniger entwickelten Länder durch Konzessionen etwa im Agrar- oder Textilbereich erreicht wurde; ebenso F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 55. 85 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 55. 86 www.wto.orglenglish/tratop_e/trips_ e/tripf~e.htrn (Stand Dez. 2000) nennt die Länder im einzelnen; denn es gibt keine WTO-Definition, die regelt, welche Länder zu den Entwicklungsländern zählen; die Entwicklungsländer bestimmen sich selbst als solche, was dazu führt, daß sie nicht von alIen WTO-Organen als solche anerkannt werden. 87 Vgl. dazu ausführlicher den WTO-Pressebericht, WTO-Press-Release 108 vom 21. Juli 1998. 88 Ausführlich zu den Üb~rgangsvereinbarungen und den Schwierigkeiten der Transformationsstaaten, A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen, S. \31 f. 89 Anwendungsdatum war der I. Januar 2000. 90 Zu den verschiedenen Formen der Mitgliedschaft vgl. I. Teil 2. Kap. H. 8 Siebold

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

ten,91 können von diesen Fristen nicht profitieren, sondern sie stimmen mit dem Tag ihres Beitritts allen multilateralen Verpflichtungen, damit auch der Anwendung des TRIPS-Abkommens, zu. 92

11. Inhalt des TRIPS-Abkommens

1. Die Grundsätze des TRIPS-Abkommens Das TRIPS-Abkommen umfaßt in 73 Artikeln die Grundsätze, weniger Detailregelungen des geistigen Eigentums. 93 Das Abkommen beinhaltet zum einen im wesentlichen Minimalanforderungen, die an den Schutz des geistigen Eigentums zu stellen sind, zum anderen verpflichtet es die Mitgliedstaaten, detaillierte verfahrensrechtliche Garantien zur innerstaatlichen Durchsetzung der geistigen Eigentumsrechte zu gewährleisten. 94 Teil I des Abkommens, die ,,Allgemeinen Bestimmungen und Grundprinzipien", regelt in Art. 1 TRIPS über "Wesen und Umfang der Pflichten" die verpflichtende Anwendung des Abkommen durch die Mitglieder, wobei ihnen freisteht, die für die Umsetzung in das eigene Rechtssystemund die Praxis "geeignete Methode festzulegen". Absatz 2 des Artikel 1 TRIPS grenzt den Rahmen dieses Abkommens ab und bezieht die Bezeichnung "geistiges Eigentum" auf "alle Arten des geistigen Eigentums, die Gegenstand der Abschnitte 1 bis 7 des Teils 11 sind. Dieser Teil 11 über die "Normen betreffend die Verfiigbarkeit, den Umfang und die Ausübung von Rechten des geistigen Eigentums" erstreckt sich in den sieben Abschnitten auf Urheberrechte und verwandte Schutzrechte, Marken, geographische Angaben, gewerbliche Muster und Modelle, Patente, Layout-Designs (Topographien) integrierter Schaltkreise und den Schutz nicht offenbarter Informationen (insbesondere Know-how). Geregelt wird auch die Kontrolle von Kartellpraktiken in Lizenzverträgen (Abschnitt 8). Die Mitglieder des TRIPS-Abkommens, also die Mitgliedstaaten der WTO, werden in Art. 1 Abs. 3 verpflichtet, zwei internationale Konventionen anzuerkennen und zwar unabhängig davon, ob zu diesen eine Mitgliedschaft besteht oder nicht. 95 Es sind die materiellrechtlichen Bestimmungen der Pariser Ver91 Dazu die Mitgliederliste im Anhang.

www.wto.orglenglish/tratop_e/trips_e/tripfCLe.htm (Stand Dez. 2000). F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard fUr geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 54. 94 Th. Collier, Das Abkommen über handelsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), S. 193 f. 95 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard fUr geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 55; 1. Straus. Der Schutz des geistigen Eigentums in 92

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3. Kap.: Übereinkommen über Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS

115

bandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, PVÜ,96 und der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Kunst und Literatur, RBÜ,97 anzuwenden. 98 Diese beiden Konventionen bilden die Grundlage des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts. 99 Nachdem die Regelungen des TRIPS über diese beiden Konventionen hinaus noch Verpflichtungen einführen, wird es auch als "Paris- und Bern-Plus-Abkommen" bezeichnet. 1oo Das TRIPSAbkommen verweist noch auf zwei weitere internationale Abkommen. Das Rom-Abkommen 1ol über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen ist ebenso in das TRIPS integriert wie der IPIC-Vertrag, der Vertrag über den Schutz des geistigen Eigentums im Hinblick auf integrierte Schaltkreise 102 (Art. 1 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 TRIPS). Das Grundprinzip der Nichtdiskriminierung, auf den die WTO, aber auch das GATT 1947 aufbaut, sind auch die Basis fiir das TRIPS. Diese Nichtdiskriminierungsklausel des TRIPS ist, im Gegensatz zum GATI 1994, subjektbezogen formuliert und schützt infolgedessen den Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaats und nicht dessen Ware. Die Inländerbehandlung ist nicht nur innerhalb der WTO bedeutend,103 sondern auch als fundamentaler Grundsatz in anderen internationalen Konventionen zum Schutz des geistigen Eigentums enthalten, wie Artikel 2 der Pariser Verbandsübereinkunft und Artikel 5 der Berner Übereinkunft belegen. 104 Kein Staat darf in bezug auf den Schutz des geistigen Eigentums Ausländer schlechter behandeln als Inländer (Art. 3 Abs. 1 TRIPS).

der Welthandelsorganisation, S. 160 spricht von der "incorporation by reference"Technik. 96 BGB\. 1984 11, 799. 97 BGB\. 1973 11, 1071, BGB\. 1985 11, 81. 98 Art. 1 Abs. 3 mit Fn. 2; nach Art. 2 Abs. I TRIPS sind die WTO-Mitgliedstaaten verpflichtet, Art. 1-12 und 19 PVÜ zu befolgen; nach Art. 9 Abs. I TRIPS sind Art. 121 RBÜ mit der Ausnahme des das Urheberpersönlichkeitsrecht betreffenden Art. 6blS anzuwenden. 99 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 55; P. Buck, Geistiges Eigentum und Völkerrecht, S. 32 ff. m.w.N. 100 So auch www.wto.org!english/tratop_e/trips_e/tripf~e.htm (Stand Dez. 2000); Prof. U. Loewenheim Vortrag über "Handelspolitische Aspekte des Schutzes geistigen Eigentums" am 30. Mai 2000, Wiesbaden; F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 61. 101 BGB\. 1965 11, 1245. 102 BGB\. 1994 11, 1730. 103 Zur Inländerbehandlung I. Teil 3. Kap. 11. Prinzipien der WTO. 104 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 55; Th. Cottier, Das Abkommen über handelsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), S. 196. 8*

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

Im Unterschied zum GATI jedoch bezieht sich die TRIPS-Regelung auf den Schutzbereichsinhaber und damit auf die Staatsangehörigkeit, den Wohnsitz oder Aufenthaltsort. lOS Der zweite Nichtdiskriminierungsgrundsatz, die Meistbegünstigung in Art. 4 TRIPS, verhindert die bilaterale Weitergabe von Vergünstigungen. Alle HandeIsvorteile gegenüber einem Mitgliedstaat oder Bürger eines Mitgliedstaates müssen im Hinblick auf den Schutz des geistigen Eigentums bedingungslos und unmittelbar auf alle anderen Mitgliedstaaten und deren Staatsangehörige ausgedehnt werden. Es sind einige TRIPS-spezifische Ausnahmen hiervon in Art. 4 erwähnt. 106 Die Aufnahme der Meistbegünstigungsklausel verstärkt die Position kleiner Staaten vor den handelsmächtigeren, weil günstige Behandlung an alle Mitgliedstaaten weitergegeben werden muß. 107

2. Die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

Die Pariser Verbandsübereinkunft und die Bemer Übereinkunft enthalten nur wenige Vorschriften über den gewerblichen Rechtsschutz (Art. 9, 10 PVÜ, Art. 13 Abs. 3 RBÜ).108 Die Strafvorschriften über die Piraterie reichen ebenso wenig aus wie die Eingriffsmöglichkeiten im Rahmen der Grenz- und Zollkontrolle. 109 Art. 41 TRIPS regelt die ,,Allgemeinen Pflichten", die grundlegend für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sind. Wichtig ist, daß die Mitgliedstaaten sicherstellen, "daß die in diesem Teil aufgeführten Durchsetzungsverfahren in ihrem Recht vorgesehen werden, um ein wirksames Vorgehen gegenüber jeder Verletzung von (... ) Rechten des geistigen Eigentums zu ermöglichen". Die Durchsetzungsverfahren sind sehr offen formuliert, weil auch die Entwicklungsländer die Möglichkeit haben müssen, den Anforderungen zu entsprechen. 110 Die Grundregel ist, daß die Verfahren fair und gerecht sein müssen. Sie dürfen "nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein und keine unangemessenen Fristen oder ungerechtfertigte Verzögerungen mit sich bringen"

lOS

A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen, S. 22.

Ausführlich die Ausnahmen aufzählend: A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen, S. 23 f.; J. Straus, Der Schutz des geistigen Eigentums in der Welthandelsorganisation, S. 160 f. 106

107 A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen, S. 24 f.; Th. Cottier, Das Abkommen über handelsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), 196.

108 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 61. 109 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 61 ff. 110 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 62.

3. Kap.: Übereinkommen über Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS

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(Art. 41 Abs. 2 TRIPS). Für Zivil- und Verwaltungsverfahren sowie für den einstweiligen Rechtsschutz wird dies in Art. 42 ff. TRIPS angesprochen. Gegen Verletzer kann ein Rechtsinhaber, der auch als Verband oder Vereinigung auftreten kann,111 mit einstweiliger Verfügung vorgehen. Es wird nur Glaubhaftmachung verlangt und kann bei Gefahr im Verzug auch ohne Anhörung des Gegners erlassen werden (Art. 50 TRIPS). Das Gericht kann in Zivilverfahren die Unterlassung der Rechtsverletzung anordnen, so daß beispielsweise verhindert wird, daß Waren, die den geschützten Rechten des geistigen Eigentums entgegenstehen, nach der Zollfreigabe in die Vertriebswege gelangen (Art. 44 Abs. 1 TRIPS). Es kann Schadensersatz vom Gericht zugesprochen werden, wobei gutgläubige Benutzer geschützt sind (Art. 45). Das Abkommen gibt die Möglichkeit, Markenwaren oder urheberrechtlich geschützte Waren 112 , die begründet der Piraterie verdächtigt werden, zehn Tage an der Grenze festzuhalten; danach muß ein Gericht damit befaßt werden (Art. 51 ff. TRIPS). Jedes Land ist verpflichtet, solche Verfahren, die die Verletzung des Markemechts und des Urheberrechts regeln, einzuführen, um diese Einfuhren zu verhindern. I \3 Dies kann freiwillig auch auf den Export von Waren und auf patentverletzende Lieferungen ausgedehnt werden, die jedoch unter Umständen vom Zoll schwer feststellbar sein können. 114 Diese verfahrensrechtlichen Anforderungen zu verwirklichen ist Voraussetzung für einen effektiven Rechtsschutz und erzeugte vor allem in den Entwicklungsländern und den Ländern Mitteleuropas Handlungsbedarf. I 15

111. Die wichtigsten materiellen TRIPS-Regelungen Die Pariser Verbandsübereinkunft, das "Grundgesetz für den Patentschutz", 116 beinhaltet nur Mindeststandards, die die Mitgliedstaaten zu beachten haben. Ausnahmen, Wirkung und Dauer des Patentschutzes blieb nationalen Regelungen vorbehalten, was zu recht kritisiert wurde. ll ? Das TRIPS-Abkom111

Fn. 11 zu Art. 42 TRIPS.

Fn. 14 zu Art. 51 TRIPS mit einer genauen Erläuterung. Beispielsweise im Europäischen Bereich die EU-Verordnung über Grenzbeschlagnahmen. 114 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 62 f. 115 rh. COllier, Das Abkommen über handelsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), S. 201. 116 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 56; B.K. Zutshi, Bringing TRIPS into the Multilateral Trading System, S. 39; P. Buck, Geistiges Eigentum und Völkerrecht, S. 25. 117 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 56; A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen, S. 86. 112 1\3

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2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

men versucht durch Setzung höherer Standards dem entgegenzutreten. Art. 27 Abs. 1 TRIPS bestimmt, daß ,,Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erhältlich sind" und zwar sowohl für neuere Verfahren als auch für neue Erzeugnisse unter der Voraussetzung, daß sie "auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind." Absatz 2 und 3 dieser Vorschrift sehen auch die Möglichkeit des Ausschlusses des Patentschutzes vor. Dies gilt vornehmlich, wenn die gewerbliche Verwertung der Erfindung in den Schutzbereich der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten eingreift. Neben dieser Generalklausei rur den Patentierausschluß sind zusätzlich bestimmte Erfindungen, wie Heilverfahren für Menschen und Tiere, Patentierbarkeit von Tieren und Pflanzen, biologische Züchtungsverfahren ausgeschlossen. Für Patente gilt nach Art. 33 TRIPS eine einheitliche Schutzdauer von 20 Jahren gerechnet ab dem Anmeldetag. Auch Deutschland mußte, ebenso wie viele andere Länder, die Laufzeit nach oben korrigieren. 118 Zwangslizenzen, die im Rahmen des Art. 5 A PVÜ vor allem von den Entwicklungsländern genutzt wurden und dessen Einzelheiten in der Praxis von Land zu Land sehr unterschiedlich gehandhabt wurde, regelt nun Art. 31 TRIPS einheitlich und hilft so, den Mißständen entgegenzutreten. 119 Vor der Erteilung der Zwangs lizenz wird mit dem Patentinhaber verhandelt. Es sind eine angemessene Vergütung, die Überprüfbarkeit auf dem Rechtsweg, die Beschränkung des Umfangs der Lizenz auf die Versorgung des heimischen Marktes in das Abkommen aufgenommen worden. Politisch und wirtschaftlich werden die Regelungen des Patentrechts hoch eingeschätzt. 120 Sie sind die Investitionsvoraussetzung für die Industriestaaten, vor allem für die pharmazeutische und chemische Industrie. Trotzdem ist die Formulierung von optimalen Patentregeln, national wie international, schwierig. 121 Im Markenrecht, das Abschnitt 2 des zweiten Teils des Abkommen behandelt, gehen die jetzigen Regelungen etwas weiter als die der Pariser Verbandsübereinkunft, gleichwohl lehnen sie sich im wesentlichen daran an. Nach Art. 15 TRIPS sind "alle Zeichen und alle Zeichenkombinationen, die geeignet

118 Die Laufzeit für Patente betrug in Deutschland 17 Jahre; F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S.58. 119 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard für geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 58 f.; rh. COllier, Das Abkommen über handeIsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), S. 199. 120 J. Straus, Bedeutung des TRIPS für das Patentrecht, GRUR Int. 1996, 179 ff.; A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen, S. 98. 121 K. Bayer, Die neuen Welthandelsregeln zum Schutz geistigen Eigentums (TRIPS), S. 5.

3. Kap.: Übereinkommen über Rechte des geistigen Eigentums, TRIPS

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sind, die Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden, eine Marke. Marken sind erstmals einheitlich defIniert und damit als Warenzeichen oder Dienstleistungsmarke schutzfähig. 122 Auch Art. 62 Abs. 3 TRIPS stellt klar, daß die Pariser Verbandsübereinkunft, vor -allem Art. 4 PVÜ, auch "sinngemäß auf Dienstleistungsmarken Anwendung fmdet". Beide sind in ein Register einzutragen und die Laufzeit beträgt mindestens sieben Jahre (Art. 18 TRIPS).123 In dieser Zeit darf die Benutzung einer Marke im geschäftlichen Verkehr nicht ungerechtfertigt durch besondere Erfordernisse erschwert werden (Art. 20 TRIPS). Wer dem Benutzungszwang, den Art. 19 TRIPS vorsieht, innerhalb von drei Jahren nicht nachkommt, muß mit der Löschung dieser Marke rechnen. Anpassungsbedarf an die rnarkemechtlichen Regelungen gibt es insbesondere fiir die Länder außerhalb des europäischen und nordamerikanischen Raums, was zu einer positiven Weiterentwicklung des internationalen Markemechts fiihren dürfte. 124 Die eigentliche Intention fiir die Aufnahme der TRIPS-Verhandlungen war das Ziel, einen besseren, umfassenden Schutz im Bereich der Urheberrechte zu erlangen. Das betrifft vor allem die Piraterie von Musikaufnahmen und Software und richtet sich gegen China, Südkorea, Saudi-Arabien, Indien, Brasilien, Mexiko, Nigeria, Taiwan, Thailand und Malaysia. 125 Über die Einbeziehung der Berner Übereinkunft in das TRIPS-Abkommen sind nun auch die Länder, die diese Konvention nicht beachtet haben, nach Art. 9 Abs. 1 Satz 1 TRIPS diesem Schutzsystem verpflichtet. 126 Davon explizit ausgenommen als nicht handelsbezogene Rechte sind in Satz 2 der Vorschrift die Regelungen des Art. 6bis RBÜ, die Urheberpersönlichkeitsrechte. Art. 10 Abs. 1 TRIPS, ein Bern-Plus-Artikel, unterstellt auch Computerprogramme, als "Werke der Literatur" unabhängig davon, "ob sie in Quellcode oder in Maschinenprogrammcode ausgedrückt sind, der Berner Übereinkunft. 127 Auch Datenbanken, und zwar nur die Zusammenstellung der Daten, werden geschützt (Art. 10 Abs. 2 TRIPS). Dieser Schutz erstreckt sich jedoch nicht auf die Daten oder das Material selbst. Auch das Verrnietrecht des Art. 11 TRIPS 122 rh. Collier, Das Abkommen über handelsrelevante Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS), S. 198; B.K. Zutshi, Bringing TRIPS into the Multilateral Trading System, S. 38. 123 Im Gegensatz dazu mußt~n nach der PVÜ die DienstIeistungsmarken nicht in ein Register eingetragen werden. 124 A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen, S. 60 f. 125 P. Katzenberger, TRIPS und das Urheberrecht, GRUR Int. 1995,451. 126 A. Staehlin, Das TRIPS-Abkommen, S. 33. 127 Zum Rechtsschutz von EDV-Programmen grundsätzlich G. Bornmüller, Rechtsschutz für DV -Programme. Die immaterialegüterrechtIiche Zuordnung der Programme für elektronische Datenverarbeitungsanlagen, 1986; vgl. zum Urheberrechtsschutz für Computerprogramme auch BGH 9.5.1985, IZR 52/83 (OLG Karlsruhe, LG Mannheim).

120

2. Teil: Regelungsbereiche der WTO

richtet sich gegen die Piraterie von Computerprogrammen und Filmrechten. Art. 12 TRIPS legt eine Schutzfrist von 50 Jahren fest.

IV. Praktische Umsetzung des TRIPS-Abkommens Für die praktische Durchfiihrung des TRIPS-Abkommens wird vor allem dem TRIPS-Rat ein hoher Stellenwert beigemessen. 128 Er ist verantwortlich für Umsetzung der Anforderungen des TRIPS-Abkommens in die Praxis. Dem Grundsatz der Transparenz kommt dabei besondere Bedeutung zu. Art. 63 Abs. 1 TRIPS schreibt vor, daß die Mitgliedstaaten alle "Gesetze und sonstigen Vorschriften sowie allgemein anwendbare rechtswidrige gerichtliche Entscheidungen und Verwaltungsverfügungen" dem TRIPS-Rae 29 bekanntzugeben haben. Dieses Vorgehen ermöglicht, daß jeder Mitgliedstaat Einsicht und Überprüfungsmöglichkeit in die nationale Umsetzung der anderen Mitgliedstaaten erhält. Es wird eine Kontrolle der Wirkungsweise dieses Übereinkommens ermöglicht und unterstützt (Art. 63 Abs. 2 TRIPS).130 Erleichtert wird die Arbeit des TRIPS-Rats durch die in Art. 63 Abs. 2 TRIPS vorgesehene Zusammenarbeit mit der WIPO. 131 Der TRIPS-Rat ist auch eine Anlaufstelle für Schwierigkeiten, die im Rahmen der Anwendung oder Interpretation dieses Abkommens auftauchen können. 132 Auch muß jeder Mitgliedstaat eine nationale Kontaktstelle für die technische Zusammenarbeit und für den Austausch von Informationen über den Handel mit rechtsverletzenden Waren einrichten (Art. 69 TRIPS), um die internationale Zusammenarbeit und den Informationsaustausch der Zollbehörden zu fördern. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Abkommen ist der TRIPS-Rat verantwortlich für eine generelle Überprüfung des Abkommens. Neuere Entwicklungen im Bereich des geistigen Eigentums können jederzeit Änderungen oder Ergänzungen des Abkommens notwendig machen. Weiterführende Verhandlungen sind ebenfalls in bestimmten Bereichen vorgesehen. Aus der Eingliederung des

B.K. Zutshi, Bringing TRIPS into the Multilateral Trading System, S. 40. Zur Organisation innerhalb der WTO vgl. 1. Teil 2. Kap. 111. 130 F. Kretschmer, Sicherung eines weltweiten Mindeststandard f1ir geistiges Eigentum durch die WTO (TRIPS), S. 63; dazu auch das WTO-Dokument IP/e/2. l3l Diese Zusammenarbeit von WTO und WIPO ist in einem Vertrag festgelegt, Agreement between WIPO ans WTO v. 22. Dezember 1995, WIPO Doc. WO/GAI XVIII3 vom 21. Dezember 1995. Relevant ist dies vor allem f1ir drei Hauptbereiche: 1. Die Bekanntmachung, Zugang und Übersetzung von nationalen Gesetzen und Verordnungen, 2. Implementierung von Vorgehensweisen um nationale Marken zu schützen und 3. technische Kooperation. dazu. europa.eu.intlcommlige2000/dialouge/index.de. htm (Stand Aug. 2000). 132 www.wto.orglenglish/tratop_e/trips_e/tripf