Die Weltentstehung des platonischen Timaios nach den antiken Interpreten. Teil I 9004047204

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Die Weltentstehung des platonischen Timaios nach den antiken Interpreten. Teil I
 9004047204

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PHILOSOPHIA ANTIQUA ASERIES OF MONOGRAPHS ON ANCIENT PHILOSOPHY EDITED BY W.

J.

VERDENJUS AND

VOLUME

J.

H. WASZINK

XXX

MATTRIAS BALTES DIE WELTENTSTEHUNG DES PLATONISCHEN TIMAIOS NACH DEN ANTIKEN INTERPRETEN

TEIL I

LEIDEN E.

J.

B RI L L

1976

DIE WELTENTSTEHUNG

DES PLATONISCHEN TIMAIOS NACH DEN ANTIKEN INTERPRETEN

VON

MATTRIAS BALTES TEIL I

LEIDEN E.

J. BRILL 1976

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs

"Alte und Außereuropäische Sprachen und Kulturen" der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

ISBN 90 04 047 20 4

Copyright 1976 by E. f. Brill, Leiden, Netherlands All rights reserved. No part of this book may be reproduced or translated in any form, by print, photoprint, microfilm, microfiche or any other means without written permission from the publisher

MEINER MUTTER

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort . . . . .

IX

Literaturverzeichnis

XI XIII

Abkürzungsverzeichnis

1

Einleitung I.

Die Schülergeneration Platons

5

.

a) Aristoteles und die Diskussion in der Alten Akademie

5

b) Speusipp und Xenokrates . . . . . . . . . . .

18

II. Die späteren Vertreter einer zeitlichen Weltentstehungslehre im Timaios . . . . . . . .

23

a) Von Theophrast bis Plutarch

23

Theophrast, Eudemos, Theodoros von Soloi. 23. - Epikur und Epikureer. 24. - Cicero. 28. - Epikureer bei Aetios I 7, 7. 30. - Phiion von Alexandreia. 3 2 .

b) Ot 1tept

ll).othapxov 'X.at 'At'tt'X.6\I

38

aa) Plutarch von Chaironeia .

38

bb) Attikos .

.

.

.

.

.

.

.

45

cc) Die Anhänger von Attikos und Plutarch .

63

Harpokration. 63. - Galen. 63. - Hippolytos, philos. I 1 9, 4. 66. - Ps. Galen, hist. phil. 17. 68. - Numenios. 68.

c) Anonyme Platoniker bei Diagenes Laertios

69

d) Die Reaktion des Peripatos, Alexander von Aphrodisias

70

111. Die späteren Verfechter einer nichtzeitlichen Weltentstehung im Timaios . . . . . .

82

.

.

.

.

.

.

.

.

.

.

a) Der Vorneuplatonismus bis einschließlich Plotin Krantor. 83. - Eudoros von Alexandreia. 85. - Ps. Timaios Lokros. 86. - Anonymi bei Philon. 86. - Ammonios, der Lehrer Plutarchs. 93. Aetios 11 4, 1 . 94. Albin. 96. - Apuleius. 1 00. - Severus. 1 02 . - Tauros. 1 05 . - Anonymi bei Philoponos und Proklos. 121.- Kelsos. 1 2 3 . - Plotin. 1 23. -

-

83

VIII

INHALTSVERZEICHNIS

b) Porphyrios und die Neuplatoniker bis Syrian und Hi ero kle s . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136

Porphyrios. 1 3 6. Jarnblich. 169. Calcidius. 172. Macrobius. 184.- Syrian. 1 86. - Hierokles und Porphyrios. 1 87 . -

-

IV. Rückblick V.

Exkurse

-

208

.

217

a) Die Auslegung des Alexander von Aphrodisi as von Aristoteles, De caelo 279 b 3 2 ff . . . .

217

b) Porphyrios bei Proklos, Tim. I 391,4- 396, 26

221

Stellenregister

.

. . . . . . . . . . . . . . . .

230

VORWORT

Jede wissenschaftliche Arbeit hat ihre Vorgeschichte. Mit der Vor­ geschichte der nachstehenden Arbeit hängt es zusammen, daß der für unser Thema wichtigste antike Autor, der Neuplatoniker Proklos, vor­ erst ausgeschlossen bleibt. Er soll in einem zweiten Teil gesondert be­ handelt werden. So sehr auch äußere Gründe für den vorläufigen Ausschluß des Proklos maßgeblich waren, so sehr ist es doch sachlich gerechtfertigt, vor Proklos einen Trennungsstrich zu ziehen. Denn mit dem Neu­ platoniker ändert sich die Lage unserer Überlieferung mit einem Schlage. Während wir vor ihm nur mehr oder weniger sporadische Äußerungen antiker Autoren zu unserem Thema besitzen , finden wir bei Proklos riesige Textblöcke vor, die sich ausschließlich mit der Welt­ entstehung des Timaios befassen. Allein in seinem Timaioskommentar sind mehr als 40 Seiten der Teubner-Ausgabe diesem Thema gewid­ met. Hinzu kommen umfangreiche Auszüge des loannes Philoponos aus einer Spezialschrift des Proklos zur Entstehung der Welt und Äußerungen in anderen Werken zum seihen Thema . Schon diese Ver­ änderung der Lage der Ü berlieferung legt es nahe, mit Proklos einen neuen Teil zu beginnen. Das sachliche Hauptargument ist allerdings dies, daß mit Proklos ein wirklich neuer Abschnitt erreicht ist. Proklos' Werke sind riesige Schmelztiegel, die alles wichtige Material vor ihm aufgenommen haben und z. T. in neuer Form präsentieren. In dieser Hinsicht ist er ein zweiter Porphyrios. Man kann sagen, daß die Geschichte der Frage nach der Weltentstehung bis zu Proklos hin durch Porphyrios bestimmt ist, danach aber weitgehend durch Proklos selbst. Wie die Werke des Porphyrios, so bilden auch die des Proklos einen Meilen­ stein auf dem Weg der Geschichte unserer Frage, und zwar den letzten Meilenstein in der ausgehenden Antike überhaupt. Wir verfolgen deshalb in der vorliegenden Arbeit diesen Weg zu­ nächst nur bis Porphyrios und seinen Anhängern und werden das um­ fassende Schlußkapitel in einem zweiten Teil darstellen. Der erste Teil ist 1974 vom Fachbereich "Alte und Außereuropä­ ische Sprachen und Kulturen" der Westfälischen Wilhelms-Universi­ tät Münster als Habilitationsschrift angenommen worden. Vielen Per­ sonen habe ich zu danken, die mir mit freundlichem Rat oder hilfs-

X

VOR\-VORT

bereiter Tat zur Seite gestanden haben, allen voran den Herren Pro­ fessoren M. Sicherl, W. Beierwaltes, H. Dörrie, B. R. Voß und J. H. Waszink. Herr Dr. Chr. Hannick hat freundlicherweise einen Text aus Philon, De providentia aus dem Armenischen übersetzt, Fräulein K. Loretz und Herr P. Schönheck haben das Manuskript vorbildlich getippt, meine Frau war mir eine unermüdliche Hilfe beim Lesen der Korrekturen. Ihnen allen sei aufrichtig und herzlich gedankt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat durch einen Druckkosten­ zuschuß und der Verlag Aschenclorff durch freundliches Entgegen­ kommen die Publikation in der vorliegenden Form ermöglicht. Gewidmet ist das Buch meiner Mutter als bescheidener Ausdruck des Dankes für alle Mühen und Entsagungen, die sie in schweren Zeiten aus Liebe, unverzagt und immer frohen Mutes auf sich ge­ nommen hat.

LITERATURVERZEICHNIS Andresen C. Andresen, Logos und Nomos, Berlin 1955 llaudry, cternite = J. Baudry, Le problerne de l'origine et de l'cternite du rnonde dans Ia philosophic grccquc dc Platon a l'cre chrcticnnc, Paris 1 93 1 Beutler, Po1·phyrios = R. Beutler, R E s . v . Porphyrios 21, Bd. XXI I, 1, 1 953, 275 ff Burkert = W. Burkert, Weisheit und Wissenschaft, S tudien zu Pythagoras, Phila­ laos und Platon, Nürnberg 1962 Cherniss = H. Cherniss, Aristotle's criticisrn of Plato and the Academy, Baltimore =

194·1-

Dodds, Elcm. Proclus, The Elements of Theology, A rcvised text with transla­ tion, introduction, and comrncnlary by E. R. Dodds, Oxford 21963 Dörrie, Erneuerung I- 1 . Dörrie, Die Erneuerung des Platonismus, in : Le Neo­ platonisrnc, Colloques Internationaux du Centre National de Ja Recherche Scicntifique, Seiences Humaines, Paris 197 1 , 17 ff Dörrie, Mittelplatonismus H. Dörrie, Die Frage nach dem Transzendenten im Mittclplatonismus, Fondation Hardt, Entretiens V, Vandreuvres-Geneve 1 9 5 7 , =

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=

191 ff

Effe = B. Effe, S tudien zur Kosmologie und Theologie der aristotelischen Schrift ,über die Philosophie', München 1 97 0 Eidcrs L . Elders, Aristotle's cosmology, A commentary o n the De caelo, Assen =

1966

= A. J. Festugiere, La revelation d'Hermes Trismcgiste, Paris Bel. II 194·9, ßd. III 1 953, ßd. IV 1 954 Hadot = P. Hadot, Porphyre ct Victorinus, Bd. I, I I, Paris 1968

Festugiere

Koch, Pronoia H. Koch, Pronoia und Paideusis, Bcrlin 1932 Krämer, Ursprung = H. J. Krämer, Der Ursprung der Geistmetaphysik, Amster­ dam 1 964· Krause = H. Krause, S tudia Neoplatonica, Diss. Lipsiae 1 904 Matter P. P. Matter, Zum Einfluß des platonischen ,Timaios' auf das Denken Platins, Wintertbur 1 964 Moreschini = C. Moreschini, La posizione di Apuleio e della scuola di Gaio nell' arnbito del medioplatonismo, Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa 33, 1964, 17 ff Pohlenz M. Pohlenz, Die Stoa, 1 / II, Göttingen 1948/49 Praechter, Richtungen = K. Praechter, Richtungen und Schulen im Neuplatonis­ mus, Genethliakon für C. Robert, ßerlin 1 908, 1 0 5 ff Schäfers, Porphyrius = A. Schäfers, Über ein Fragment aus dem Commentar des Porphyrius zu Platos Timäus, 1 . Teil, Progr. Bedingen bei Sigmaringen 1 884 Sodano, frarnmenti = A. R. Sodano, I frammenti dei cornmentari di Porfirio al Tirnco di Platane nel De acternitate mundi di Giovanni Filopono, Rcndicontc della Academia di Archeolo gia, Lettcre e Belle Arti, Napol i 1 962, 97 ff Steinheimer E. Steinheimer, Untersuchungen über die Quellen des Chalcidius, Diss. Würzburg 1 9 1 1 , Aschaffenburg 1 912 Taylor = A. E. Taylor, A commentary on Plato's Timaeus, Oxford 1928 ( repr. 1 962) Theiler W. Theiler, Die Vorbereitung des Neuplaton ismus, Bcrlin 1930 Theiler, Arnmonios = W. Theiler, Amrnonios der Lehrer des Origenes, in : For­ schungen zum Neuplatonismus von W. Thciler, Berlin 1966, 1 ff o=

=

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=

XII

LITERATUR VERZEICHNIS

Th ei lcr, Ammonios und Porphyrios W . Theiler, Ammonios und Porph yr ios Fo nd a tio n Hard t, Entretiens XII, Vanda:uvres-Gcnevc 1965, 87 ff Thei ler, Phi lo W. Thei lcr, Philo von Alexandria und der Beginn des kaiser­ zeitlichen Platonismus, in: Parusia, F es tga be für]. Hirschberger, Frankfurt/M. 1 965 , 1 99 f f Theiler, Po rph yr ios = W . Thciler, Porphyrios u n d Augustin, Sc hriften der Königs­ herger Gelehrten Gesellschaft, Geis teswiss KI. 10, 1933 Theiler, Timaeus W . Theiler Philo von Alexandria und d er hellenisierte Timaeus, Philomathes, S turlies and ess ays in the humanities in memory of Ph. Merlan ed. by R. P. Palmer and R. Hammerton-Kelly, The Hag ue 1 970, 25 ff Thevenaz = P. Thevcnaz, L 5. me du mon d e Je dcvenir et Ia matiere chez Plu­ tarque, Th ese Lettres Neuchitel 1938 Ueberweg-Pr ae chte r Fr. UebeiWeg, Grundriß der Geschic hte der Philosophie, 1. Teil : Die Philosophie des A lt ertums hgg. von K. Pra echter, 12Darmstadt 1961 Unter s teiner = M. Untersteiner, Aristotele, Della Filosofia, lntroduzion e, testo e commen tario esegetic o Roma 1963 Waszi nk = Timaeus a Calcidio translatus commentarioque instructus ed. J. H. Waszink , London und Leiden 1962 Waszink I J. H. W as zin k Studien zum Timaioskommentar des Calcidius I, L eid en 1964 Wi tt = R. E. Witt, Albinus and the history of Middle Pl a tonis m, Garnbridge =

,

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.

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,

1937

Zeller E. Zeller, Die Philosophie der Griec hen in ihrer geschichtlic hen Ent­ wicklung, 8Darmstadt 1963 Zeller, E wigkeit E. Zeller, Über die Lehre des Aris toteles von d er Ewigkeit der Welt, Abh Preuß. Akad d. Wiss., Phil.-hist. KI. 1878 =

=

.

.

ABK Ü RZUNGSVERZEICHNIS Albin = Albinos, Didaskalikos (zitiert nach der Ausgabe Plato Bd. VI, Leipzig 1 893, S. 1 52 ff) Augustinus C. D. Euseb. P. E.

=

=

von

K. F. Hermann:

Augustinus, De civitate Dei

Eusebios, Praeparatio evangelica:

Galen, Comp. Galeni compendium Timaei Platonis aliorumque dialogorum synopsis. Quae extant fragrnen ta edd. P. Kraus et R. Walzer, London 1 95 1 (Plato Arabus I) =

Philon, Aet . m. = De aetemitate mundi Conf. = De confusione linguarum Heres Quis rerum divinarum h eres Leg. all. = Legum allegoriae M ig r. = D e migratione Abrahami Mut. = D e mutatione nominum Op. m . = De opifici o mundi Plant. = De plantatione De prov. = De providentia Sacr. = De sacrificiis Abelis et Caini =

Plutarch,

Is. et Os. = De Iside et Osiride Procr. an. = De procreatione animae in Timaeo

Philop. Aet.

m.

=

loannes

Philoponos,

De aeternitate mundi contra Proclum

fr. x Sodano P orp hy rii in Platonis Timaeum commentariorum frag­ menta collegit et disposuit A. R. Sodano, Napoli 1964

Porph.

=

EINLErnTNG

Die Untersuchung, die ich hiermit vorlege, ist als Vorarbeit zu einer umfassenderen Geschichte der antiken Timaiosinterpretation bis Platin gedacht, die in absehbarer Zeit nachfolgen soll. Während die in Aussicht gestellte "Geschichte" naturgemäß nur in gröberen Um­ rissen die Hauptlinien des Problems verfolgen kann, ohne sich allzu­ sehr auf Detailfragen einzulassen, soll in der vorliegenden Studie eine Einzelfrage und ihr Verständnis im Laufe der Geschichte betrachtet werden. Die vorliegende Arbeit und die zu erwartende "Geschichte" werden sich also ergänzen. Die Frage·nach der Weltentstehung ist deswegen gewählt worden, weil sie das zentrale Thema der antiken Timaiosinterpretation schlechthin ist. Keine andere Frage hat die Interpreten des Timaios so stark bewegt wie die, ob Platon in seinem Spätdialog eine reale Schöpfung der Welt lehre oder nicht. Die Zeug­ nisse, die dieses Problem behandeln, sind bei weitem zahlreicher als diejenigen, die sich mit anderen Fragen der Schrift auseinandersetzen. Zentral ist das Thema auch deswegen, weil es sich nicht auf eine Einzelstelle beschränkt, sondern in breiter Streuung die Fragen an­ gehen muß, die zahlreiche nicht unmittelbar zu unserem Thema sich äußernde Timaiosstellen aufwerfen. So spielt die Seelenlehre in unserem Zusammenhang eine überaus wichtige Rolle, das Problem der Materie und der Elemente muß immer wieder berührt werden, die Frage nach der Zeit kommt wieder und wieder zur Sprache und vieles andere mehr. Von kaum einem zweiten Thema des Timaios her läßt sich der Dialog so gut aufschlüsseln wie von der Frage, die der Vortragende selbst zweimal (Tim. 27 C 4 ff. 28 B 4 ff) als wich­ tiges Problem an den Anfang seiner Untersuchung stellt : ob die Welt geworden sei oder nicht. Die breite Streuung der Interpretationen, die diese Frage erfahren hat, läßt sie geeignet erscheinen, sie als Modellfall antiker Timaios­ interpretation anzusehen. Dies in zweifacher Hinsicht : 1) Von vielen antiken Kommentatoren haben wir nicht viel mehr als eine Ä ußerung zu eben dieser Frage ; bei anderen überwiegt die Behandlung der Weltentstehung bei weitem alles andere, was von ihnen erhalten ist. In vielen Fällen ist es möglich, durch genaue Inter­ pretation dieser Texte und durch Vergleich mit anderen Darstellungen Aufschlüsse über die Anlage des Kommentars oder über die Art und

2

EINLEITUNG

Weise der Exegese des betreffenden Autors 1m allgemeinen zu ge­ winnen. 2) Die Fülle des erhaltenen Materials erlaubt es, die Methoden der antiken Timaioserklärung an einem Beispiel herauszuarbeiten.

Bisher wurde bewußt immer von "Timaiosinterpretation" u. ä. ge­ sprochen ; denn es sollen nicht nur anerkannte Verfasser von Kom­ mentaren zu dem platonischen Dialog zu Wort kommen, sondern auch gelegentliche Äußerungen zu unserem Thema in Handbüchern, Kompendien und anderen Schriften werden herangezogen. Dieses Vorgehen empfiehlt sich aus dem Grund, weil es bei vielen Autoren offen bleiben muß, ob sie einen Kommentar geschrieben haben. Zu­ dem verraten gerade die gelegentlichen Äußerungen den Stand der Diskussion dort, wo wir auf Kommentatoren nicht zurückgreifen können. Denn die Timaioserklärung spielte sich nicht in erster Linie in veröffentlichten Kommentaren ab, sondern in Schuldiskussionen und mündlicher Interpretation im Unterricht. Eine wichtige Stellung nimmt die Polemik zwischen den Schulen und innerhalb der Aka­ demie ein, die daher ausführlich zu Wort kommen muß. Die Inter­ p retati on des ylyoYEY (Ti m . 28 B 7) soll also in möglichst vielen Bre­ chungen verfolgt werden. Beschränkung war auch bei unserem Einzelthema nicht zu um­ gehen. Zeitlich soll der letzte, weitgehend erhaltene große Timaios­ kommentar der Antike, der des Proklos, eine Grenze bilden, in dem die vorangehenden Interpretationen in großartiger Fülle zusammen­ gefaßt sind und über den auch spätere gelegentliche Ä ußerungen zu unserem Thema nicht hinausgehen. Ausgelassen wurden die christ­ lichen Autoren, soweit sie nicht bestimmte Interpretationen der Schul­ platoniker referieren. Den Rahmen bildet also die heidnische Antike bis Proklos. Der vorliegende Teil I bespricht das erhaltene Material bis einschließlich Syrian und Hierokles; Teil II wird Proklos be­ handeln. Ein Problem für den Ü bersetzer und Interpreten bildet das Wort ye:Y'YJ"tO�. Pl ato n sagt nie direkt, die Welt sei Y"-Y'Y)"t-Y), sondern sie sei geworden (yiyove:v, z. B. Tim. 28 B 7). In der Sprache der Schul­ platoniker lautet das Problem immer, ob der Ko smos ye:Y'Y)"tO� sei oder nicht. Wie es zu diesem Sprachgebrauch kam, ist nicht mehr sicher auszumachen, doch geht er gewiß auf die Alte Akademie zurück, da Aristoteles sich seiner in De caelo I 1 0 ff, unter anderem in Ausein-

EINLEITUNG

3

andersetzung mit dem Timaios, bedient 1• Die Berechtigung zu diesem Sprachgebrauch leitete man aus Tim. 28 B 7 C 2 ab 2, wo Platon den Beweis für das yeyovc.v sc. 6 x6crp.oc;; antritt und. es am Ende des Beweises (im Rückbezug auf Tim. 28 A 2 f) heißt : jLjVOJ-1-EY!X. xrx.l jEY"f)'tc% e�liY"fJ· Hier scheinen yeyovc.v und jEY"f)'t6c;; ecr'tLY synonym ge­ braucht zu sein. Es ist klar, daß diejenigen Platoniker, die die Welt­ entstehung im Timaios nicht wörtlich verstanden wissen wollten, sich lieber des weiteren Ausdrucks jEY"f)'tO(; ecmy bedienten als des engeren yeyovc.v. Denn jEY"f)t6c;; ecmv bedeutet ja nicht nur "er ist geworden", sondern auch "er ist ,werdbar', unterliegt den Bedingungen des Wer­ dens, birgt in sich die Möglichkeit zu Werden und Veränderung" (und dergl.). Die Vertreter der zeitlichen Schöpfung verwandten da­ gegen mit Vorliebe die eindeutigen Ausdrücke yeyovc.v, eyEYE'to, yc.v6J.1EV6c;; ecr'tLY 3 oder setzten zu jEY"fJ't6c;; ecm v ein erklärendes 'l ÖEO"(.t...6 yto'toV hat die Weltseele bei Platon nicht. Bei Plutarch j ed o ch hat die Wel tseele ein d.:>..6yt o'tov wie die Einzelseele ; beide be· sitzen zudem einen göttlichen Teil, den Teil, den der Demiurg der alogischen Seele von sich gi b t, um sie zu ordnen. Nicht die ganze Wel tseele ist also streng genommen göttlich wie bei Platon, sondern nur ihr oberer Teil wie in der Men­ schenseele. Es en tsp re chen sich also : 1 . gö ttliche Gabe MenschenWeltseele 1 . göttliche Gabe 2. von den Untergöttern seele des Plutarchs 2. vorkosmische Seele. hinzugefügte Seelenart Timaios Soweit können wir die plutarchische Lehre rekonstruieren . Nur scheint der Vor­ gänger des A ttikos den Ausdruck lfe !a tjiuxiJ fü r die Gabe des Gottes an die Welt­ seele gemieden zu hab en . Wahrscheinlich geht diese Bezeichnung auf Attikos zu­ riick, der sich dafür auf Tim. 41 C 7 und 69 C 5 f berufen haben wird. Jedenfalls zi tiert und kritisiert Proklos, Tim . 111 23 4, 8 ff d ie Lehre des Attikos zu Tim. 41 C 7 f und sagt, Attikos habe sich bei seiner E rkl äru ng an den Wortlau t der Stelle gehalten. 1 08 P rokl. Tim. li 1 5 3, 25 ff ; Jambl. bei Stob. I 375. 3 7 9 f ; vgl. Tim. 35 A 3 : 'tp ('tO'I ( !) ee d.i!cpotv E'I I!�O(!l (!) C U'I E X E p lio et't O oöo1Gt� eToo, . 1 00 Jambl ich bei Stob. I 3 7 5 : xat 't'/jV o u 11 cp w v l Gt v ü.n' d.i!Cj)O't e p cov otino� ouvucpa !vouo tv , nach Tim. 35 B 4 ff. 1 1 0 Prokl. Tim. II 1 53, 28 f: 't'lj' IJ.EV ci:u; xoollouo'l), , 't'i]>; ll& w' unoxEti-�E'I'tJ' · 1 1 1 Prokl. Tim. II 1 53, 30 f. .



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ATTIKOS

4-9

bald als geworden, bald als ungeworden bezeichnet 1 1 2 : ungeworden nennt Platon nach Attikos die 11..A oyo"' qJI)x1J , geworden die aus beiden Seelen-::JÖ'l') zeitlich entstandene Kosmosseele 1 1 3 • Auffallend an den Prokloszeugnissen ist ihre enge Orientierung am platonischen Timaios. Auf den ersten Blick mag man das damit er­ klären, daß Proklos bzw. seine Quellen für Attikos, Jamblich und Porphyrios, das ihnen vorliegende Material auf das jeweilige Lemma zugeschnitten und nicht unmittelbar Hergehöriges weggelassen haben. Diese Erklärung mag für Einzelfälle zutreffen, nicht aber für die Ge­ samtheit der Attikosfragmente bei Proklos. Denn bei Philoponos Aet. mundi XVII I S. 606, 1 6 ff Rabe wirft Proklos dem Attikos vor, seinen Blick nur auf den Timaios gerichtet zu haben und die übrigen Dialoge, speziell den Politikos, nicht zur Interpretation heranzuziehen 1 14• Von dieser engen Anlehnung an den Timaios scheint Attikos nur dort ab­ zuweichen, wo er Plutareh folgt, z. B. in der Gleichsetzung von vor­ ' kosmischer Seele und böser Weltseele der Nomoi 1 1 5• Auffallend ist ferner das Fehlen jeglicher Polemik gegen Aristoteles, wie sie sich in den noch zu besprechenden Zeugnissen findet. Dafür wird die handbuchartige Auswahl der Zeugnisse und ihr Zuschnitt auf das jeweilige Lemma Ursache sein. Denn für Proklos und seine Gewährsleute war des Attikos Auseinandersetzung mit Aristoteles kaum interessant. Attikos hatte nur noch antiquarischen Wert. Wie in den nunmehr zu behandelnden Zeugnissen zu zeigen sein wird, hat sich Attikos intensiver als Plutarch - jedenfalls nach unserer eingeschränkten Kenntnis beider Autoren - mit des Aristo­ teles Weltewigkeitsichre und seiner Kritik an Platon auseinanderge­ setzt Attikos meint, die Natur des Kosmos erfordere Ordnung (d. h. ohne Ordnung, ta�t rpocrtv xo:'tlOW(LEY) . Hier liegt eine Verbindung der didaktischen Phoenix 23, 1 9G9, 1 83 den inneren "Widerspruch". Ähnlich impliziert das Bild vom Wecken der Wel tseele (X S. 1 65, 1 ff. XIV S. 1 69, 30 ff H.) natürlich kein zeitliches Moment, wie Ueberweg-Praechter 543 und R . Dei Re, S tud. I tal. 24 ( 1 950) 59 meinen, sondern das Wecken geschieht ab aeterno (Morcschini 33, Anm. 45) . 7 8 Über die Gründe teilt Proklos nichts mit; vgl. j edoch un ten zu Tau ros S. 1 1 2 .

98

ALBIN

(ötöa.crxa.Ala.: xctt staou,; in d e r s e I b e n W e i s e wie die mathematischen Figuren ysv'1j't6V genannt wird. 47 D. i. die Hyle. 48 D . h. Tim. 30 A. 4 0 Vgl. Porphyrios bei Philop. Aet. mundi VI 8 S . 1 48, 7 ff. Wie Porphyrios im Ansatz rich tig gesehen hat, bedient sich auch Aristoteles bisweilen der ,genetischen' Darstellungsform in kosmologischen Fragen ; vgl . z. B. De caelo 2 7 9 a 1 2 - b 1 7 ; De gen. et corr. 336 b 27 ff und F. Solmsen, Aristotle's system of the physical world, Ithaca, New York 1 962, 3 1 5 . 3 7 9 f. =

228

PORPHYRlOS

hobeln, drechseln, Vorgänge, die alle noch nicht die Form aufprägen, sondern dem, das die Form aufnehmen soll, seine Untauglichkeit nehmen. Die rationale Form selbst aber ( a.Ötoc; OE o ).. 6 yoc;) stellt sich als ein Resultat der Kunstfertigkeit in einem zeitlosen Augenblick (&xp6v(J)c;) am Substrat ein, wenn alles Widerstrebende behoben ist 50• Und wenn es auch für diese (menschlichen Werkmeister) kein Hinder­ nis gäbe, dann würden sie die Form mit einem Mal der Hyle zuführen und hätten überhaupt kein Werkzeug nötig gehabt. - - In der Tat ruft ja auch das Vorstellungsvermögen vielerlei Veränderungen am Körper hervor, einzig und allein nach Maßgabe seiner Wirksamkeit. Man beginnt sich zu schämen bei der Vorstellung von etwas Schänd­ lichem und errötet, man gerät in Furcht bei dem Gedanken an etwas Schlimmes, und der Körper erscheint bleich 51• Die Veränderungen geschehen am Körper, ihre Ursache aber ist die Vorstellung, die nicht mit Hilfe mechanischer Stöße und Hebelkraft 52, sondern nur durch ihre Anwesenheit wirkt 53• - - - Ferner soll es nach den Theo­ logen 54 gewisse uns überlegene Mächte geben, die wirkkräftige Vor­ stellungen benutzen, welche in dem Augenblick, da sie sich einstellen, bewirken, was sie wollen 55 ; diese Mächte sollen die magischen Licht­ erscheinungen hervorrufen und aufgrund ihrer Bewegungen göttliche Gestalten sichtbar werden lassen, indem sie denjenigen, die sie zu sehen in der Lage sind, Gesichte dieser Art 56 zeigen. b) Wenn nun sowohl die menschliche Kunst als auch das Vor­ stellungsvermögen von Einzelseelen als auch das Wirken der Dämonen derartige Wirkungen vollbringen, was Wunder, wenn der Demiurg durch sein bloßes Denken des Alls dem Sichtbaren seine Existenz ver­ leiht, indem er das Materielle auf immaterielle Weise ( ins Sein führt ) 57, ohne Berührung das Berührbare hervorbringt und ohne Tei60

Ä hnl ich Prokl. Pann. 844, 4 ff und schon Plotin II 6 [ 1 7] 1, 10 ff. Theiler, Porph yr i os 38 verweist auf Augustin, Gen. litt. 1 2, 1 9 . 62 Ä hnlich Prok l. Parm. 843, 2 7 ff. 8 7 8 , 4 f. 6 8 1:ljl Ttoc.petvoc.t 116vov ivapy�IXv ; vgl. Porphyrlos bei Nemesios 1 40. 1 33 f Matth. und dazu H. Dö rrie, Porphyrios' "Symmikta Zetemata", München 1 959, 72 f; vgl. ferner Sallust, De dis 9 S. 1 6, 27 f: Ol:thljl 1:ljl e!v01:t 7Wtlt otov iil.1o' q>(J)"t!f;; e t 1