Die Welt im Kopf: Raumbilder und Strategie im Römischen Kaiserreich 9783666252341, 352525234X, 9783525252345

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Die Welt im Kopf: Raumbilder und Strategie im Römischen Kaiserreich
 9783666252341, 352525234X, 9783525252345

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V&R

Hypomnemata Untersuchungen zur Antike und zu ihrem Nachleben

Herausgegeben von Albrecht Dihle, Siegmar Döpp, Dorothea Frede, Hans-Joachim Gehrke, Hugh Lloyd-Jones, Günther Patzig, Christoph Riedweg, Gisela Striker Band 136

Vandenhoeck & Ruprecht

Christian Hänger

Die Welt im Kopf Raumbilder und Strategie im Römischen Kaiserreich

Mit 11 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Verantwortlicher Herausgeber: Hans-Joachim Gehrke

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hänger, Christian: Die Welt im Kopf: Raumbilder und Strategie im Römischen Kaiserreich / Christian Hänger. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 2001 (Hypomnemata; Bd. 136) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-525-25234-X D 25 © 2001, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen Internet: http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Hubert & Co., Göttingen Umschlagkonzeption: Markus Eidt, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

I.

Abbildungsverzeichnis

8

Vorwort

9

Einleitung

11

Die geometrische Einteilung der Landschaft. Das Raumbild der Feldmesser

21

1.

Das Corpus Agrimensorum

21

2.

Vermessung und Bodenrecht. Die Arbeit der Feldmesser

24

3.

Flurkarten und Stadtpläne

27

a. Die forma

27

4.

5.

b. Die Kataster von Orange

29

c. Die Forma Urbis

37

d. Anüke Bauzeichnungen

42

e. Die Illustrationen in den Handschriften des Corpus Agrimensorum

43

Möglichkeiten und Grenzen gromadscher Raumerfassung

48

a. Der limes. Wort und Bedeutung

48

b. Die Größe der Limitationssysteme

53

c. Die Libri Coloniarum

54

d. Das Schiedsgerichtsverfahren

57

Zusammenfassung

61

II. Templum und Pomerium. Die Sakraltopographie Roms

64

1.

Himmelsrichtung und religiöser Raum

64

2.

Das templum der Auguren

65

3.

Die Fetialen

80

4.

Das pomerium

83

6

Inhalt

5.

Zusammenfassung

III. Itinerar und Periplus

95

1.

Begriff und Quellen

95

2.

Die Meilenzählung an den römischen Straßen

98

3.

Das Itinerarium Antonini

101

4.

Die Tabula Veutingeriana

103

5.

Das Fragment von Dura Europos

107

6.

Zusammenfassung

111

IV. Das geometrische Weltbild. Griechische Geographie und römische Rezeption

V.

91

113

1.

Die Quellen

113

2.

Die mathematische und die deskriptive Geographie

117

3

Die geometrische Konstruktion des Raumes durch die antike Geographie

122

a. Klaudios Ptolemaios

122

b. Strabon

127

c. Plinius

137

d. Pomponius Mela

146

4.

Die Karte des Agrippa

148

5.

Zusammenfassung: Das Verhältnis von Geographie und Raumerfassung

157

Zwischenbetrachtungen: Die induktive und deduktive Erfassung des Raums

159

VI. Raumerfassung und Politik. Das Beispiel Germanien und die Konstitution der Rheingrenze

164

1.

Die epigraphischen und archäologischen Quellen

164

a. Die epigraphischen Quellen

165

b. Die archäologischen Quellen

166

7

Inhalt

Die Feldzüge in Germanien 12 v. Chr. bis 16 n. Chr.

173

a. Die Drusus-Offensive

173

b. Germania omrtis captal Der Zeitraum zwischen der Eroberung durch Drusus und der \ r arus-Katastrophe

182

c. Die Varusschlacht

194

d. Die Feldzüge des Tiberius 10 η. Chr. bis 12 n. Chr. und der limes

203

e. Die Feldzüge des Germanicus

209

f. Zusammenfassung

223

Der Rhein zwischen Caesar und Tiberius. Die Geschichte der Konstitution einer Grenze

226

a. Die Forschung

226

b. Weltherrschaft und Raumordnung in der antiken Diskussion

230

c. Poseidonios und der Rhein

240

d. Die Rheingrenze zwischen Caesar und Drusus

245

e. Die Elbgrenze zwischen Drusus und Germanicus

250

f. Der Rückzug zum Rhein

258

g. Raumbild und Grenze

263

Schlußbemerkungen: Der Raum als Faktor der römischen Geschichte

265

Literatur

272

Register

290

Abbildungen

295

Abbildungsverzeichnis

Den genannten Bibliotheken und Verlagen sei auch an dieser Stelle verbindlicher Dank ausgesprochen für die großzügige Erteilung der Publikationsrechte. Abb. 1: Piganiol, 109 Abb. 2: Piganiol, 243 Abb. 3: Piganiol, 297 Abb. 4: Carettoni, Nr. 4, 5 Abb. 5: Carettoni, Nr. 10,11,12 Abb. 6: CIL VI 29847 Abb. 7: CIL VI 29847a Abb. 8: Corpus Agimensorum, Fig. 135a Abb. 9a: Österreichische Nationalbibliothek Wien Abb. 9b: Österreichische Nationalbibliothek Wien Abb. 10: Bibliotheque Nationale Paris

Vorwort

Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die der Gemeinsame Ausschuß der Philosophischen Fakultäten I — IV der AlbertLudwigs-Universität Freiburg i. Br. im Sommersemester 1998 angenommen hat. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Professor Dr. Hans-Joachim Gehrke für seine hervorragende Betreuung. Er begleitete meine Annäherung an die antike Geographie kritisch und wohlwollend. Professor Dr. Jochen Martin, der das Korrereferat übernahm, danke ich für die sachkundige Durchsicht der Dissertation. Von den Ratschlägen und Hilfeleistungen von Herrn Professor Dr. Andreas Mehl hat dieses Buch ebenfalls außerordentlich profitiert. Professor Dr. Renate Schlesier danke ich für die konstruktive Kritik des Kapitels über die Raumvorstellungen

in

der

römischen

Religion.

Durch

die

Arbeit

im

Graduiertenkolleg >Reiseliteratur und Kulturanthropologie< an der Universität Paderborn habe ich viele Anregungen für die Überarbeitung der Dissertation gewonnen. Professor Dr. Peter Funke hat das Kapitel über die Feldmesser kritisch gelesen. Frau Dr. Doris Meyer danke ich die sorgfältige Lektüre der Arbeit und die Diskussion geographischer Fragestellungen. Michael Alberti, Sabine Panzram und Marcus Schröter danke ich für die vollständige oder teilweise Lektüre der Arbeit. Die Friedrich-Ebert-Stiftung förderte mich mit einem Promotionsstipendium, das mir meine Forschung ohne wirtschaftliche Sorgen ermöglichte. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme der Abhandlung in diese Reihe. Den größten Anteil am Gelingen dieser Arbeit hat meine Frau Andrea, die das gesamte Manuskript kritisch las und stets geduldig mit mir über Probleme der antiken Kartographie diskutierte. Köln, im Dezember 2000

Christian Hänger

Einleitung

Mari Oceano aut amnibus longinquis saeptum Imperium,1 Im sogenannten Totengericht fuhren bei Tacitus die Befürworter des Augustus eine wesentliche Leistung auf: die Sicherung des Reichs durch Meer- und Flußgrenzen. Die ebenso kurze wie prägnante Behauptung des Tacitus wird gestützt durch die Existenz von römischen Militärlagern an Rhein und Donau. Doch welches räumliche Wissen hatte die römische Elite vom Imperium Romanum? Um diese Frage beantworten zu können, ist eine Auseinandersetzung mit dem antiken Phänomen der Raumerfassung notwendig, das in der Einteilung von Ackerland, der Religion und der Geographie deutlich wird. Das ist die Aufgabe der vorliegenden Arbeit. In einem zweiten Schritt geht es um die Relevanz des Faktors Raum für die Kriegsführung. Dabei steht insbesondere die Planung von Feldzügen und die Bestimmung der strategischen Ziele im Vordergrund. 2 Aufgrund der Fülle des Stoffs erscheint die Beschränkung auf einen Zeitraum und ein Gebiet sinnvoll: die Germanenkriege des Augustus, die unter Tiberius 16 η. Chr. ihren Abschluß fanden. Hier lassen sich viele im Zusammenhang mit der Durchdringung des Raums stehende Probleme exemplarisch verdeutlichen. Zudem wurden durch die endgültige Konstituierung der Rheingrenze die Rahmenbedingungen für die römische Sicherheitspolitik in der Westhälfte des Römischen Reichs geschaffen. Die vorliegende Arbeit versucht, den Raumbegriff für eine althistorische Fragestellung fruchtbar zu machen. Gefragt wird nicht nach der physischen Umwelt, sondern nach dem durch den Menschen erfaßten und konstruierten Raum. 3 Eine 1 Tac. ann. 1 , 9 , 5 . Tacitus gebraucht saepirt mit einer Ausnahme (Tac. ann. 15,38,2) immer im militärischen oder polizeilich-paramilitärischen Zusammenhang. Vgl. Mehl 1981, 54. 2 Zur Definition von Strategie vgl. Clausewitz [1832] 1952,243: »Die Strategie ist der Gebrauch des Gefechts zum Zweck des Krieges; sie muß also dem ganzen kriegerischen Akt ein Ziel setzen, welches dem Zweck desselben entspricht, d. h. sie entwirft den Kriegsplan, und an dieses Ziel knüpft sie die Reihe der Handlungen an, welche zu demselben fuhren sollen, d. h. sie macht die Entwürfe zu den einzelnen Feldzügen und ordnet in diesen die einzelnen Gefechte an.« 3 Rapoport 1994, 478f.

12

Einleitung

Möglichkeit für die Speicherung v o n räumlicher Information stellt die Karte dar. Darunter versteht man ein verkleinertes, vereinfachtes, inhaltlich ergän2tes und erläutertes »Grundrißbild v o n Teilen der Erdoberfläche«. 4 Die für die Herstellung v o n Karten relevante Technik liefert die Kartographie: »Kartographie ist die Lehre v o n der Logik, Methodik und Technik der Konstruktion, Herstellung und Ausdeutung v o n Karten und anderen kartographischen Ausdrucks formen, die geeignet sind, eine räumlich richtige Vorstellung v o n der Wirklichkeit zu erwecken.« 5 Charakteristische Merkmale einer Karte sind graphische Zeichen und Maßstäblichkeit. 6 Graphische Zeichen reduzieren Erscheinungen des Raums auf Elemente einer Bildersprache, die den Benutzern einer Karte bekannt sind und die sie in die Wirklichkeit zurückübersetzen können. Die Maßstäblichkeit ermöglicht durch die A n w e n d u n g v o n geometrischen Gesetzmäßigkeiten die Wiedergabe der Erdoberfläche in einem bestimmten Verkleinerungsverhältnis. Dabei steht im Vordergrund, die Lage der einzelnen Punkte zueinander und die Distanzen zwischen ihnen im richtigen Verhältnis abzubilden. N e b e n der materiellen Karte gibt es noch einen weiteren Weg, räumliche Informationen zu speichern und abzurufen: die kognitiven oder mentalen Raumbilder. Diese ermöglichen den Menschen, geistige Bilder und Modelle der Umwelt zu entwickeln, die sie nach Belieben vergegenwärtigen

können. 7

Den

Begriff

entwickelte die Kognitionsforschung, eine Teildisziplin der Psychologie, anhand v o n Beobachtungen, die bei Kindern und Kranken, insbesondere Hirnverletzten, angestellt wurden. 8 Vereinfacht gesagt läuft die wissenschaftliche Diskussion auf die unterschiedliche Strukturierung der räumlichen Information in den mentalen Raumbildern hinaus. Demnach ist die natürliche und alltägliche Raumerfassung des Menschen linear und eindimensional. Sie operiert mit markanten

Punkten

(landmarks) und Strecken (routes). Man spricht in diesem Zusammenhang auch v o n

4 Amberger 1975, 27. 5 Ebd., 21. 6 Ebd, 25; Downs/Stea 1982, 93f. 7 Für das Konzept der mentalen Raumbilder: Downs/Stea 1982, 23f; Downs/Stea 1973, XIV; Golledge 1987, 143f; Aitken 1991, 185f; Saarinen 1995, 107f. 8 Ein Überblick über die Forschung findet sich bei Janni 1984, 79-94; Golledge 1987, 135ff; Heft/Wohlwill 1987, 175-80; Brodersen 1995, 44-48.

Einleitung

13

hodologischen oder topologischen Raumvorstellungen.9 Eine gleichsam höhere Stufe der Raumorientierung stellt das 2weidimensionale Denken dar, das den Raum als Fläche konzipiert. Dabei ist zwischen echter und scheinbarer

Zwei-

dimensionalität zu unterscheiden. Im ersten Fall wird der Raum mit Hilfe von geometrischen Gesetzmäßigkeiten maßstabsgetreu abgebildet. Hier prägen sich kartographische Prinzipien aus. Im zweiten Fall wird lediglich eine scheinbare Zweidimensionalität erzeugt: Die einzelnen Strecken werden verknüpft, aber die Distanzen und Winkel zwischen den Strecken werden nur annähernd, nicht korrekt wiedergegeben. Das Konzept der mentalen Raumbilder geht im wesentlichen auf die Arbeiten von Piaget und Inhelder zurück.10 Sie stellen in der Entwicklung von Kindern drei Stufen der Raumwahrnehmung dar, die sie nach der Beziehung zwischen wahrnehmender Person und Objekt bzw. zwischen den einzelnen Objekten unterteilen: eine egozentrische, eine allozentrische und eine geozentrische Entwicklungsstufe. Ein zweites wichtiges Merkmal ihres Modells ist die Beschreibung der Raumorientierung mit Hilfe von mathematischen Begriffen, ein Verfahren, das auch noch heute die Kognitionsforschung prägt. Auf diesem Modell bauten Siegel und White auf. 11 Richtete sich das Interesse von Piaget und Inhelder eher auf die Feststellung der einzelnen Entwicklungsstufen, so ging es ihnen darum, die jeweilige Struktur der Raumorientierung der einzelnen Phasen zu erfassen. Sie unterscheiden zwischen landmarks, routes und configuraüonal representations. Unabhängig davon entwickelte der russische Gelehrte Schemjakin ein vergleichbares Modell: Er stellte in der kindlichen Entwicklung nacheinander die Raumerfassung durch gedankliche Wegekarten (route maps) und gedankliche Übersichtskarten {survey maps) fest. 12 Das zentrale Problem bei der Erklärung historischer Vorgänge durch das kognitive Modell ist, daß die Individualentwicklung nicht auf die Kulturentwicklung

9 Den Terminus hodologischer Raum prägte Lewin 1934, 249-99. Der Begriff beschreibt die relative Lage von durch Vektoren miteinander verbundenen Punkten. 10 Piaget/Inhelder [1948] 1 9 7 1 ; vgl. zur Position von Piaget und Inhelder: Golledge 1 9 8 7 , 1 3 5 ; Heft/Wohlwill 1 9 8 7 , 1 7 6 f ; Brodersen 1995,46. Zeitgleich erfolgten auch die Untersuchungen von Tolman an Tieren und Menschen. Tolman 1 9 4 8 , 1 8 9 - 2 0 8 ; vgl. dazu: Golledge 1987,176; Brodersen 1995, 45f. 11 Siegel/White 1975, 9-55; vgl. Golledge 1 9 8 7 , 1 3 7 ; Heft/Wohlwill 1 9 8 7 , 1 7 8 . 12 In deutscher Sprache sind erschienen: Schemjakin 1946, 46-71; Ananjew 1963.

Einleitung

14

übertragen werden kann. Man kann also nicht behaupten, daß die Raumerfassung der Antike der allozentrischen Phase der Kindheitsentwicklung entspricht und daß die geozentrische Phase erst durch den modernen Menschen erreicht wird. Es ist lediglich möglich festzustellen, daß die hirnphysiologischen Voraussetzungen bei allen erwachsenen Menschen in den unterschiedlichen Kulturniveaus gleich sind. Demnach ist die Strukturierung der mental map nicht durch innere, angeborene Faktoren bedingt, sondern durch äußere, d. h. kulturelle und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Das bestätigen Untersuchungen der Ethnologie. Beispielsweise zeigt Vollmar, daß es bei den nordamerikanischen Indianerstämmen zwei Ausprägungen von Karten gibt: topologische Wegekarten, die vom europäischen Kulturkontakt unbeeinflußt sind, und topographische Übersichtskarten, die durch die Europäer vermittelt wurden.13 An diesem Beispiel wird deutlich, daß sich verschiedene Modi der Raumorientierung in einem Kulturkreis gleichzeitig ausbilden können. Eben von dieser Voraussetzung ist auch bei der Beschäftigung mit den antiken Phänomenen auszugehen. Die Gesamtheit aller gedanklichen Auseinandersetzungen mit dem Raum bezeichne ich mit den Begriffen Raumerfassung, Raumorientierung und Raumbild. Dazu gehören die realen, gemachten Karten. Eine weitere Form stellt die mentale, gedachte Karte dar. Dabei ist für mich zentral, daß diese Raumbilder auf realen Karten basieren. Grundsätzlich ist die Wortverbindung mentale Karte ein Widerspruch, da durch die mentale Speicherung das Kriterium der Genauigkeit nicht gewährleistet wird. Einen weiteren Faktor stellt die subjektive Wahrnehmung der objektiven Umwelt dar. Unter kartographischem Denken verstehe ich die Fähigkeit, mit einer Karte zu denken. Schließlich sind die topologischen Raumbilder zu nennen, die den Raum von der Linie ausgehend konzipieren. Die antiken Quellen werden nach den Elementen durchgemustert, die den verschiedenen Formen der Raumerfassung zugewiesen werden können: graphische Zeichen und Maßstäblichkeit als signifikante Merkmale für kartographisches Denken und lineare Orientierung, relative Ortsbestimmungen und scheinbare Zweidimensionalität für die hodologische oder topologische Raumerfassung. Dabei 13 Vollmar 1981, 22f; 168.

Einleitung

15

soll nicht der einen Form zu Lasten der anderen der Vorzug gegeben werden. Im Hinblick auf die Strukturierung der räumlichen Information möchte ich durch ein zu starres Konzept das Ergebnis meiner Untersuchung nicht präjudizieren. Vielmehr sollen Übergänge und Mischformen zwischen den beiden extremen Ausprägungen herausgearbeitet werden. In diesem Zusammenhang ist ferner die Hierarchisierung der einzelnen konzipierten Räume und ihrer mentalen Erfassung zu berücksichtigen. Es geht um die Frage, ob der Gesamtraum durch einen Modus erfaßt wird oder ob den einzelnen Raumgrößen ein jeweils spezifischer Modus zugewiesen werden kann. Hierbei wird zwischen Klein-, Mittel- und Großraum unterschieden. Unter dem Kleinraum verstehe ich das Gebiet eines antiken Stadtstaats. Der Mittelraum umfaßt die italischen Regionen, die Provinzen und die Länder. Schließlich zielt der Großraum auf die Oikumene. Die antiken Zeugnisse für den Umgang des Menschen mit dem Faktor Raum können in drei Gruppen unterteilt werden. An erster Stelle stehen Instrumente, die der Raumorientierung dienen. Dazu gehören u. a. Karten, die aber allein für kleinere Gebietsgrößen überliefert wurden. Für den Großraum fehlen vergleichbare Zeugnisse.14 Eine weitere Gruppe bildet die materielle Hinterlassenschaft der Antike im physischen Raum: die archäologischen Reste von Straßen, Kolonien und der Feldeinteilung. Und schließlich sind die Texte zu nennen, die sich mit räumlichen Problemen in den verschiedenen Bereichen des antiken Lebens auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang stellt sich das Problem, inwieweit mit Hilfe eines Textes räumliche Inhalte beschrieben werden können.15 Diese Überlegung führt in letzter Konsequenz in die Ästhetikdiskussion, die die Beziehung der Medien Text und Bild zueinander erörtert. Hierbei ist Lessings Laokoon nach wie vor grundlegend, ein Versuch der Grenzziehung zwischen den Künsten: die Male14 Die Publikation einer Landkarte der iberischen Halbinsel ist angekündigt, die Artemidors Beschreibung Spaniens illustriert und aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. oder dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammt. Vgl. Gallazzi/Kramer 1998, 189-208. 15 Lessing [1766] 1987,114: »Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben in dem Raum, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemeres Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen; so können nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teile nebeneinander existieren, aufeinanderfolgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen.« Dazu Leach 1988, 8.

16

Einleitung

rei/Plastik erfasse ihren Gegenstand im räumlichen Nebeneinander von Figuren und Farben, sei daher als die räumliche Gestaltung eines Augenblicks zu begreifen, Poesie hingegen könne ihren Gegenstand nur in einem chronologischen Nacheinander greifen, als zeitliche Entfaltung bewegter Handlung. Überträgt man diese Überlegungen auf die Raumorientierung, so muß festgestellt werden, daß das Bild dafür grundsätzlich geeigneter ist als der Text. Anders gesagt erklären sich Ungenauigkeiten der antiken räumlichen Beschreibungen auch daraus, daß sie aus ihrem ursprünglichen Medium Bild in einen Text übertragen wurden. Die mentale Strukturierung räumlicher Inhalte wirkt sich auf die Funktion und die Form der Grenzen aus. Besonders signifikant ist dieser Sachverhalt bei der linearen Raumorientierung: Die Grenze kann Anfangs- oder Endpunkt einer Strecke sein. Oder sie ist ein Hindernis auf der Strecke, das überwunden werden muß. Selbst wenn das mentale Raumbild nach einer Karte strukturiert ist, bleiben die Grenzen im Kopf notwendigerweise unscharf, da keine präzise Abbildung der Umwelt vorgenommen wird. In einem zweidimensionalen Raumbild besteht die zentrale Funktion der Grenze darin, den Raum überhaupt zu konstruieren. Das geschieht dadurch, daß aus einem unbegrenzten Kontinuum ein Teil herausgelöst, objektiviert wird und dadurch eine Begrenzung erfährt.16 Dies verdeutlicht gut das lateinische Wort finis und sein Plural. Finis im Singular steht in der Bedeutung Grenze und im Plural in der Bedeutung Gebiet. Neben diesem

erkenntnistheoretischen

Gesichtspunkt finden sich noch weitere Funktionen, die auch für die Moderne festgestellt werden können: Die Grenze stellt den Rand eines Gebiets dar. Dazu kommt die Funktion, zwei Gebiete zu scheiden. Schließlich ist die Grenze dadurch gekennzeichnet, daß sich an ihr zwei feindliche Parteien gegenüberstehen.17

16 Dazu Cassirer 1987,117-25. Für Cassirer stellt der Gegensatz zwischen Licht und Dunkel die Urgrenze dar. 17 Immer noch grundlegend ist die begriffsgeschichtliche Studie von Febvre 1988, 27f; 34f. Neuere systematische Untersuchungen finden sich bei Medick 1993,195-207 und Heller 1993,17494. Dazu kommen noch die Darstellungen der modernen Politischen Geographie: Prescott 1975, 70-93; Ante 1981,104-25; Hagel 1994,487-96. Für die Neuzeit findet sich eine Untersuchung zur Grenzbildung bei Sahlins 1989. Sahlins legt den Zusammenhang zwischen Grenzziehung und nationbuilding dar. Dabei stellt er bei der Grenzziehung in den Pyrenäen die drei Phasen Beanspruchung, Abgrenzung und Demarkation fest. Whittaker 1994 bietet eine gute Zusammenfassung der bisherigen Erforschung der römischen Grenzen, indem er die verschiedenen Untersuchungsfelder Wirtschaftsstruktur des Grenzgebiets, Vorstellungen von Grenzen und Außenpolitik verbindet.

Einleitung

17

Im Hinblick auf die Form der Grenze lassen sich zwei Gesichtspunkte herausarbeiten.18 Der eine Aspekt betrifft ihre konkrete Gestalt: Eine Grenze kann aus einer Linie oder einer Fläche bestehen. Der andere Aspekt zielt auf ihre Genese: Man spricht in diesem Zusammenhang von naturentlehnten Grenzen gegenüber künstlichen Grenzen. Beim ersten Typ folgt die Grenze der natürlichen Gliederung des Raums, die durch Gebirgsrücken oder Wasserläufe gegeben ist Der zweite Typ definiert sich negativ zum ersten, d. h. die Grenze orientiert sich an künstlichen, vom Menschen geschaffenen Landschaftselementen. Dabei stellt die geometrische Grenze eine Sonderform dar, die in der Form einer geraden Linie von Punkt zu Punkt gezogen wird. Die wissenschaftliche Diskussion über die antike Raumerfassung wird von der zentralen Frage bestimmt, in welchem Maß die moderne Raumorientierung auf die antiken Verhältnisse übertragen werden kann. Aufs Ganze gesehen gibt es drei Grundpositionen. Die erste Ausrichtung ist von einer pointiert modernisierenden Einschätzung dieses Phänomens geprägt: Die antike Raumorientierung ist der modernen gleichzusetzen. Hierbei wird die Existenz von Karten vorausgesetzt. Besonders deutlich wird dies in den Beiträgen der Real-Encyclopädie der classischen Alterumswissenschaft. 19 Dieser Gruppe ist auch Dilke zuzurechnen. Bezeichnend ist, daß er seinen umfassenden Darstellungen keine Definition von Karte und Kartographie hinzufügt.20 Die zentrale These von Nicolet besteht darin, daß unter Augustus die Ausbildung eines kartographischen Denkens zum Abschluß gekommen ist, das die kohärente Erfassung des Imperium Romanum ermöglichte.21 Die Folge davon sei der Übergang vom Personenverbands- zum Territorialstaat gewesen.

18 Febvre 1988, 34f; Ante 1981, l l l f ; Hagel 1994, 490f. 19 Gisinger 1 9 2 4 , 5 2 1 - 6 8 5 ; Gisinger 1937,841-50; Kubitschek 1916,2308-63; Kubitschek 1919, 2022-149. 20 Dilke 1985; Dilke 1 9 8 6 , 6 7 7 f f ; Düke 1987a, 212-33; Dilke 1987b, 234-57; Dilke 1987c, 25875; Dilke 1991. Harley und Woodward fassen den Begriff der Karte sehr weit: »Maps are graphic representations that facilitate a spatial understanding of things, concepts, conditions, processes, or events in the human world.« (Harley/Woodward 1987, XVI). 21 Nicolet 1991, If. Nicolet setzt sich auf wenigen Seiten mit den Vertretern der kognitiven Raumorientictung auseinander. Er geht aber von einer zweidimensionalen Sichtweise in der Antike aus. Davon zeugen seiner Meinung nach die Sphragiden des Eratosthenes, Hipparchus und

18

Einleitung Dagegen hebt die zweite Gruppe von Wissenschaftlern die grundsätzliche Ver-

schiedenheit des antiken Verständnisses von Raum hervor. Ihrer Meinung nach kann die damalige Raumerfassung mit den Begriffen der Kognitionswissenschaft beschrieben werden. Das Verdienst, diese Modelle in die Alterumswissenschaften eingeführt zu haben, kommt insbesondere Janni und Podossinov zu. Janni arbeitet im wesentlichen mit einem Konzept, das die Gegensätzlichkeit von eindimensionalem und kartographischem Denken hervorhebt ispa^o odologico - spa^o cartografico).21 Das antike Zeugnis für die hodologische Sichtweise seien der Periplus und das Itinerar. Dagegen sei die Entwicklung der zweiten Dimension, in Gestalt der Karte, in ihren Anfängen steckengeblieben: Lediglich die scheinbare Zweidimensionalität sei konzipiert worden. Podossinovs Auseinandersetzung zielt auf die unterschiedlichen Systeme der Orientierung in den einzelnen Bereichen des antiken Lebens.23 Den Thesen der beiden Wissenschaftler schlossen sich mehrere Forscher an, was insbesondere in der Kritik an den Arbeiten von Dilke und Nicolet deutlich wird. 24 Die konsequenteste Umsetzung des kognitiven Modells findet sich in der Habilitationsschrift von Brodersen. Seiner Meinung nach hatten die Römer keine maßstabsgetreuen Karten und kannten keine großräumige Landvermessung. Vielmehr sei der Großraum durch ungeordnete Listen erfaßt worden, die landmarks beinhalteten. Ein Beispiel dafür seien die Städtelisten der antiken Geographen.25 Der Mittelraum würde durch routes erschlossen, denen die antiken Itinerare und Periplen entsprechen.26 Schließlich sei der Kleinraum als survey konzipiert.27 In diesem Bereich lasse sich das Wirken der Feldmesser nachweisen. Das wesentliche Problem dieser Arbeit besteht darin, daß sie das Phänomen Karte auf das Kriterium der Poseidonios sowie die Längen- und Breitenerstreckung von Regionen in der Agrippa-Karte (vgl. Nicolet 1991, 70-73). 22 Kettenhofen 1985, 641 ff. 23 Podossinov/Chekin 1991,112-23; Podossinov 1989, 233-86. 24 Talbert 1989a, 408: »Dilke especially appears too quick to attribute modern attitudes to Roman and modern functions to their maps.« Talbert 1989b, 1351; Purcell 1990,178-82: »In my view, therefore by choosing not to go by the path of conceptual geography and approach the subject from the roots upwards, and preferring to begin from the top and work down, N. has created an exaggerated picture of the complexity and sophistication of both ancient geography and thinking about space.« (180). 25 Brodersen 1995, 49-53, 134-37. 26 Ebd., 54-58,191-94. 27 Ebd., 66ff, 248f.

Einleitung

19

Maßstäblichkeit reduziert.28 Da nach Brodersen keine maßstabsgetreuen Karten vorliegen, gab es folglich auch keine Karten. Diese begriffliche Verengung hat zur Konsequenz, daß Brodersen die antike Raumorientierung nicht in ihrer Komplexität erfassen kann. Dazu kommt, daß sein System der kognitven Raumerfassung zu starr ist und zu einer gewaltsamen Uminterpretierung der antiken Quellen führt. Eine differenzierte Herangehensweise findet sich in der Arbeit von Arnaud.29 Er geht von der gleichzeitigen Existenz verschiedener Typen von Raumbildern aus: geographische Weltkarten, Kataster- und Stadtpläne, Itinerare sowie Mappaemundi. Seiner Meinung nach waren die Karten der Wissenschaftler für das praktische Leben unbrauchbar, da Navigationsinstrumente fehlten und die Kopiermöglichkeiten schlecht waren. Die Verwaltung begnügte sich mit Katasterkarten und Itineraren. Überhaupt stand laut Arnaud bei allen Weltbildern die monumentale und künsderische Funktion im Vordergrund, während administrative Zielsetzungen die Ausnahme darstellten. Dies gilt besonders für die Mappaemundi, die originäre römische Form der Erfassung größerer Räume. Die Vertreter der dritten Position versuchen die traditionelle Forschung mit dem kognitiven Modell zu verbinden. Diese Arbeiten betreffen den Teilaspekt der antiken Geographie. Insbesondere Prontera hebt die spezifische Verknüpfung von kartographischen und kognitiven Komponenten hervor: Einerseits arbeitete die antike wissenschaftliche Geographie mit einem Gradnetz und geometrischen Figuren, die die Gestalt eines Gebiets erfassen. Andererseits gingen diese Konstrukte auf empirische Distanzmessungen zurück.30 Da diese Daten durch routes ermittelt wurden, erscheint die Gestalt von Ländern auf antiken Karten aus moderner Sicht verzerrt. Das signifikanteste Beispiel hierfür ist, daß die Zentralachse durch das Mittelmeer (36° N) bei Eratosthenes auf einer modernen Karte im Zickzack verläuft. Darüber hinaus waren nach Prontera in der Fachwissenschaft Geographie Beschreibung und Karte eng verbunden. Da aber lediglich Spezialisten eine solche Karte herstellen konnten, führte dies zu einer geringen Verbreitung von Karten in der Antike und ihrem Fehlen in Werken der beschreibenden Geographie, wie bei

28 Vgl. die Kritik bei Weber 1996, 265ff. 29 Arnaud 1996, 1297-1307. 30 Prontera 1992, 30-35.

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Einleitung

Strabon. 31 Vielmehr versuchten die antiken Autoren, durch ihre Darstellung ein Raumbild im Kopf des Lesers zu erzeugen oder an Kenntnisse anzuknüpfen, die durch Karten vermittelt wurden - wofür es ausreichend Beispiele gibt. Gehrke knüpft an die Überlegungen Pronteras an. Er hat insbesondere verdeutlicht, daß die antike Geometrie eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung der Geographie bildete. Das werde schon daran deutlich, daß die erste Karte Anaximander zugeschrieben werde, einem Schüler des Thaies. »Besonders wichtig war, daß man mit Hilfe der Proportionalität und einiger als sicher angesehener und demonstrativ bewiesener Sätze über das unmittelbar Greif- und Meßbare hinauskam.«32 Eine weitere Konsequenz hieraus sei, daß die antike Geographie den Raum mit Hilfe von geometrischen Figuren abbildete.33 Auf diese Weise sei eine Abbildung des Raums ermöglicht worden. Der Preis hierfür sei allerdings die Verformung der geographischen Gegebenheiten gewesen, wenn sie »auf das Prokrustesbett der Geometrie gelegt« wurden. 34 Maßgeblich war aber ein ständiger Austausch zwischen dem geometrischen und empirischen Raum: Markante Punkte, ermittelt durch den Periplus, wurden zu Fixpunkten, die dann in das geometrische Bild eingebunden wurden. Die Folge war eine fortlaufende Präzisierung des geometrischen Bilds.35 Dieser Position möchte auch ich in meiner Darstellung folgen. Sie weist insbesondere den Vorteil auf, den antiken Quellen kein zu starres Schema aufzulegen und das Phänomen der Raumerfassung in ihrer Komplexität zu erfassen. Mit einem auf diese Weise ermittelten Raumbegriff lassen sich Aussagen zur Frage treffen, welchen Stellenwert die spezifische Konstruktion des Raums für die römische Strategie hatte.

31 32 33 34 35

Prontera 1984, 245ff; 252f. Gehrke 1998, 170. Gehrke 1998, 180-82. Ebd., 182; vgl. Burkert 1962, 396. Gehrke 1998,182-86.

I. Die geometrische Einteilung der Landschaft. Das Raumbild der Feldmesser

1. Das Corpus

Agrimensorum

Die Feldmesser waren — per definitionem — Spezialisten für die Feststellung und die Einrichtung von Grenzen. Nach ihrer Tätigkeit wurden sie als mensores, agrimensores, finitores und gromatiä bezeichnet. Ihre Aufgaben lagen im militärischen und zivilen Bereich: Militärische wie zivile affimensores vermaßen Lager, Straßen, Territorien von Kolonien und teilten Ackerland in Parzellen ein.1 Die wichtigste Quelle für die Tätigkeit der Feldmesser liegt im Corpus Agrimensorum vor, das die Werke verschiedener Fachschriftsteller vom ausgehenden 1. Jahrhundert bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. beinhaltet.2 Von den Feldmessern ist der Senator Sextus Iulius Frontinus am besten bekannt (ca. 30/40 103/4 n. Chr.).3 Entscheidend ist bei ihm die Verbindung von öffentlicher Tätigkeit und dem Interesse an der Gromatik. Er durchlief die verschiedenen Stationen des cursus bonorum·, praetor urbanus 70 n. Chr., Konsul 72 oder 73, Statthalter in Britannien von 74 bis 77/78, Teilnahme am Chattenfeldzug ab 83, Mitglied einer Senatskommission, die nach Einsparungsmöglichkeiten für die Senatskasse suchen

1 Hinrichs 1974,158-62,166-70; Flach 1990,21-26 und Nicolet 1991,150f stellen vier Gruppen von mensores fest: die im Kriegsdienst, die in der kaiserlichen Verwaltung, die im städtischen Dienst und die freien Mensoren. 2 Thulin 1913; Blume/Lachmann/Rudorff 1848/52 (La); Pais 1923 (Ρ). Seit 1990 wird das Corpus Agrimensorum neu ediert und übersetzt. Bisher wurden folgende Texte bearbeitet: Corpus Agrimensorum Romanorum, I: Siculus Flaccus, Les conditions des terres par Μ. Clavel-Leveque, D. Conso, F. Favory, J.-Y. Guillaumin, Ph. Robin, Neapel 1993; Corpus Agrimensorum Romanorum, II: Baibus, Presentation systematique de toutes les figures; III: Podismus et textes connexes. Introduction, traduction et notes par J.-Y. Guillaumin, Neapel 1996; Corpus Agrimensorum Romanorum, IV: Hygin l'Arpenteur, L'etablissement des limites, texte traduit par Μ. Clavel-Leveque, D. Conso, A. Gonzales, J.-Y. Guillaumin, Ph. Robin, Neapel 1996. In der vorliegenden Arbeit wird dafür die Abkürzung CAR verwendet. 3 Vgl. Schindel 1992, 378ff; Cranach 1996, 129-32.

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sollte (97), dann curator aquarum und 98 sowie 100 Konsul. In de limitibus beschäftigt er sich mit der Limitation, in de agrorum qualitate mit den verschiedenen Vermessungsformen, in de controversies mit den bodenrechtlichen Kontroversen und in de arte mensoria mit technischen Aspekten der Vermessung. 4 Neben den agrimensorischen Schriften sind von Frontin Werke über die Wasserleitungen (de aquis urbis Romae) und die Kriegs fuhrung (Strategemata) erhalten. Besonders in den Strategemata würden Ausführungen über die Erfassung des Raumes sinnvoll erscheinen. Doch spielt diese Frage in dem Werk keine Rolle. Hygins biographische Daten lassen sich aus den Schriften de limitibus, de condidonibus agrorum und degeneribus controversiarum ermitteln.5 An einer Stelle berichtet Hygin von der Tätigkeit eines Feldmessers in Pannonien im Auftrag Trajans.6 Da Trajan sich 98/99 n. Chr. in dieser Provinz aufhielt und 107 n. Chr. die untere Donau verließ, erscheint die Datierung der Werke Hygins durch Cranach zwischen 98 und 110 n. Chr. sinnvoll.7 Daneben teilt Hygin mit, daß er in Dalmatien Vermessungen durchführte und in Kyrene als Grenzrichter tätig war. 8 In diesem Zusammenhang zeigt er auch, daß ihm die unterschiedlichen Flächenmaße der Narbonensis, Spaniens und Germaniens bekannt waren. Siculus Flaccus setzte sich in de condidonibus agrorum wie die beiden vorher genannten Autoren mit den gromatdschen Bodenkategorien auseinander.9 Da diese Arbeit lediglich wenige biographische Hinweise enthält, kann keine Aussage über die Datierung seines Werks getroffen werden. In gleicher Weise bleibt das Leben von Hyginus Gromaticus im Dunkeln, dem Autor von constitutio limitum.w Für das Werk findet sich lediglich ein terminus post quem, das Jahr 75 n. Chr. In diesem Jahr wurde die Kolonie Admedera frühestens gegründet, die Hyginus Gromaticus erwähnt.11 Dieser stellte Ursprung und Wesen 4 5 6 7

Frontin., p. 1- 19. Hyg., p. 71-98. Hyg., p. 84, 8-16. Cranach 1996, 132f.

8 Hoc quoque non praetermittam, quodpkrisque loäs invent, ut modum agri non iugerum sed aliquo nomine appellant, utputa quo in Oalmatia versus appellant (Hyg., p. 84,27-85,2); neque hocpraetermittam, quod inprovincia[m] Cyrenensium conperi (Hyg., p. 85,16f). 9 Sic. Flac., p. 9 8 - 1 3 0 (CAR I); vgl. Schindel 1992, 383f; Cranach 1996,135f. 10 Hyg. Grom., p. 131-71 (CAR IV, p. 2-169); vgl. Cranach 1996,137f. 11 Hyg. Grom., p. 144, 9-12 (CAR IV, p. 58f).

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der Limitation dar. Ein unterschiedlicher Stil und Inhalt 2eigen, daß Hyginus Gromaticus nicht mit dem bereits erwähnten Hyginus identisch ist.12 Schließlich soll aus der Vielzahl kleiner Werke das des Baibus hervorgehoben werden. Dieser widmete seine Abhandlung dem Kollegen Celsus. Er berichtet über seine Leistungen als Fachmann beim Bau von Verteidigungsanlagen und von Brücken während der Dakerkriege Trajans.13 Betrachtet man die Biographien der vorgestellten Autoren, so zeigt sich, daß die meisten inflavischerund trajanischer Zeit wirkten. Erst zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Verschriftlichung der bisher mündlich weitergegebenen Lehren der Feldmesser. Dabei fungierten die gromatischen Werke als Meisterbücher, die dem Selbststudium und der Weiterbildung der Feldmesser dienten.14 Die wichtigsten Handschriften des Corpus Agrimettsorum lassen sich in drei Gruppen einteilen. Der ersten Gruppe sind der Arcerianus Α (Α) und Β (Β) zuzurechnen, der zweiten der Palatinus (P) sowie der Gudianus (G) und der dritten der Laurentianus (F), der Erfirrtensis (F) sowie der Nansianus (H). Einigen Texten sind in den Handschriften Illustrationen zugeordnet. Überliefert wurden sie in A, in Ρ und in G, der von Ρ abhängig ist.15 Nach der communis opinio wird Α ins 5./6. Jahrhundert, Ρ ins 9. Jahrhundert datiert.16

12 Vgl. Carder 1978, 76f; Clavel-Leveque 1996, XII. 13 Baibus, p. 92f La (CAR II, p. 22-25). Der Name des Kaisers wird nicht erwähnt. Doch läßt die Erwähnung eines Dakerkrieges auf Domitian oder Trajan schließen. Für Trajan spricht die Anrede des Kaisers als sacratissimus imperator (Baibus, p. 92 La [CAR II, p. 22f|), wie sie sich für Trajan auch noch bei Plin. epist. 10,1 findet. Vgl. Sherk 1974, 541f; Guillaumin 1996, p. 3. 14 Vgl. Schindel 1992, 393f. Fuhrmann 1960, 181 geht dagegen von der Ausbildung der Feldmesser in Schulen aus. Davon zeugt seiner Meinung nach »die zu didaktischen Zwecken abgefaßte Literatur der Feldmesser« (181). Nach Cranach 1996, 183-89 waren die Werke von Frontin, Hygin und Siculus Flaccus Instruktionsschriften für Feldmesser im Staatsdienst. Die Entstehung sieht Cranach im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Flavier zur Verbesserung der finanziellen Lage des Staats. So habe die Rückforderung von okkupierten Grundstücken eine genaue Fixierung der einzelnen Bodenkategorien erfordert, eben in den Feldmesserschriften. 15 Die Codices Laurentianus Plut XXIX cod. 32 in Florenz und Amplonianus 362 in Erfurt enthalten lediglich einfache Diagramme. 16 Vgl. Thulin 1911, 10, 41f; Butzmann 1970, 13. Carder 1978, 219 datiert den Codex Arcerianus dagegen in die Mitte oder zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts n. Chr. Er stützt sich auf die Entstehungszeit des Uber cotoniarum I, die Stadtvignetten und die zeitgleichen Illustrationen anderer Werke wie die Vergil-Handschriften. Zur Beziehung zwischen Text und Bild: Stückelberger 1994.

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2. Vermessung und Bodenrecht. Die Arbeit der Feldmesser Kennzeichnend für die Raumerfassung der Feldmesser waren ihre spezifischen Werkzeuge. Die groma, das römische Visiergerät, besteht aus einem Stab und zwei darauf befestigten horizontalen Querstangen. Jeder Arm dieses Kreuzes ist mit Lotschnüren versehen. Beim Vermessen wurden die Fäden mit den in einer bestimmten Entfernung stehenden Richtlatten, den decempedae, in Deckung gebracht. Demnach ermöglichte dieses Verfahren — ohne jegliche Rechenoperation — die Konstruktion von Geraden und rechten Winkeln. Die Distanzmessung erfolgte durch Abschreiten, Meßlatten und einen Wegmesser, der die Streckenlänge durch die Umdrehung der Räder erfaßte.17 Bei der Landeinteilung wurde zunächst die Nord-Süd-Achse, der kardo, nach dem Meridian angelegt. Dann wurde im rechten Winkel die Ost-West-Achse, der decumanus, konstruiert. Das Achsenkreuz war in der Regel nach Westen ausgerichtet. Parallel zu kardo und decumanus wurden die anderen Wege, die limites, konstruiert. So verliefen die kardines oder limites transversi von links nach rechts und die decumani oder limitesprorsi von vorn nach hinten. Die limites umschlossen Quadrate, die centuriae, die im Idealfall eine Seitenlänge von 20 actus oder 2400 römischen Fuß bzw. eine Fläche von 200 iugera aufwiesen. In modernen Maßen entspricht dies etwa 710 m bzw. 50,4 ha.18 Nach der Grundeinheit centuria wird diese Form der Landeinteilung als centuriatio bezeichnet. Den gleichen Vorgang nannten die Feldmesser auch limitatio, nach den limites, die die einzelnen centuriae begrenzten. Diese wurden nach ihrer Lage zu kardo und decumanus bestimmt: Die Schnittstelle von decumanus maximus und kardo maximus ergab den Nullpunkt. Dann gliederten der decumanus maximus und der kardo maximus das zu vermessende Land in vier Teile: Dabei bezeichneten die Feldmesser das Gebiet links vom decumanus als sinistra decumani (SD), das rechts vom decumanus als dextra decumani (DD) und das diesseits des kardo gelegene Gebiet als citra kardinem (CK), das jenseits

17 Binder 1986, 6; Flach 1990, 7ff; Dilke 1991, 60-62; Brodersen 1995, 198-203. 18 Dilke 1991, 60; Chouquer/Favory 1991, 69-75; Schubert 1996, 51-55.

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gelegene als ultra kardinem (UK).19 So bestimmt sich beispielsweise die centuria SD V CK IV folgendermaßen: Sie liegt bei Westperspektive im Bild links unten und stellt die fünfte centuria links vom decumanus und die vierte unterhalb vom kardo dar. Ein anderes Verfahren wurde bei der scamnatio/strigatio

angewandt. Diese

Flurbegrenzung wurde nach der Form der umgrenzten Parzellen benannt: Die Längsstreifen hießen strigae, die Querstreifen scamna.20 Die strigatio/scamnatio unterschied sich in zwei Punkten von der centuriatio: Zum einen wiesen ihre Felder eine rechteckige Form auf und zum anderen fehlte ihnen die limitatio, d. h. sie nahmen keine limites auf.21 Demnach bezieht die scamnatio/strigatio die einzelnen Parzellen nicht auf einen gemeinsamen Mittelpunkt, nach dem sie gegliedert werden können. Diese Form der Landvermessung spielt für die vorliegende Untersuchung kaum eine Rolle, da die centuriatio in der Kaiserzeit die vorherrschende Form der Aufgliederung von Territorien war. Die Anwendung der centuriatio bzw. limitatio setzte voraus, daß geometrische Figuren mit dem natürlichen Raum übereinstimmten. So mußten die Feldmesser darauf achten, die quadratischen centuriae an Landschaftsformen wie Flüsse und Hügel anzupassen. Dem trug das subsecivum bzw. subsiävum Rechnung, wörtlich das Abgeschnittene.22 Subseciva wurden vermessen, wenn innerhalb der centuriae Flüsse oder Hügel vorhanden waren oder wenn die quadratische Außengrenze des ager limitatus nicht mit der natürlichen Landschaft übereinstimmte. Dem zweiten Fall des subsecivum vergleichbar konstituierten sich die folgenden Bodenkategorien: Beim ager extra clusus lag das nicht umschlossene Land zwischen den centuriae und der äußeren, durch Elemente der Landschaft gebildeten Grenzlinie.23 Der ager arcifinius bzw. aräfinalis bezeichnete das nicht vermessene Land.24 Diese Vorstellung findet sich

19 Vgl. Rudorff 1852, 341f; Dilke 1971, 89-92; Düke 1985, 87-101; Düke 1987a, 215f. 20 Frontin., p. 1,10-14; vgl. Behrends 1992,198; Hinrichs 1974, 23ff. 21 Vgl. Flach 1990, 16. Bei den beiden Formen der Feldaufteüung handelt es sich um Idealtypen. So stellt Hyginus Gromaticus die Einschreibung des Limitationskreuzes in einen agerper strigas et per scamna divisus dar (p. 170, 3 ff [CAR IV, p. 164f]). 22 Frontin., p. 2, 16-3, 5; vgl. dazu Rudorff 1848/52, 13f, 390-93; Düke 1971,100; Hinrichs 1974, 66; Flach 1990,13. 23 Vgl. Flach 1990,13f. 24 Frontin., p. 2, 8-15; vgl. Rudorff 1848/52, 251; Flach 1990,13f.

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auch im territorium, das die Gesamtheit aller Grundstücke innerhalb der Grenzen und die Reichweite der Jurisdiktion einer Gemeinde bezeichnete.25 Neben den dargestellten agrimensorischen Bodenqualitäten, die primär vermessungstechnisch bedingt waren, bestanden die staats- und privatrechtlichen Qualitäten des römischen Bodens.26 Das Gebiet, das das römische Volk eroberte, war zunächst Land im öffentlichen Eigentum (agerpublicus). Durch Grenzsetzung wurde der agerpublicus zu Privateigentum (agerprivatus). Vereinfacht gesagt beruhte der Unterschied zwischen zwischen den beiden Bodenqualitäten darauf, daß beim ager publicus keine Limitation vorgenommen wurde, der ager privatus dagegen vermessen war. Diese Unterscheidung läßt sich aber nicht auf alle rechtlichen Bodenverhältnisse übertragen. Insbesondere auf dem zentralen ager publicus im Kampanien kam es zu zahlreichen Misch- und Übergangsformen. Der ager quaestorius ist gleichzeitig limitiert und abgabenpflichtig. Er zeigt also Eigenschaften des ager privatus und des ager publicus. Der ager occupatorius ist unvermessener Boden des römischen Volkes, an dem eine ungeregelte Okkupation geduldet wurde. Beim ager vectigalis handelt es sich um einen Acker im limitierten Gebiet, der nicht im vollen Eigentum vergeben, sondern nur zur langfristigen erblichen Benutzung bestimmt war.

25 Vgl. Rudorff, 1848/52, 251f. 26 Vgl. dazu grundlegend Behrends 1992, 272-80; weitere Literatur: Weber [1891] 1986, 107140; Mommsen 1892, 79-117; Käser 1942,1-81; Deininger 1986,1-54; Schubert 1996, 88-93.

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3. Flurkarten und Stadtpläne

a. Die forma Nachdem ich im vorangehenden Kapitel kurz die Arbeit der Feldmesser dargestellt habe, soll nun von den Katasterkarten, denformae, die Rede sein.27 Die Aufgabe von Katastern bestand zu allen Zeiten darin, die Eigentumsverhältnisse schriftlich zu fixieren und auf diese Weise Rechtssicherheit zu gewährleisten. Frühe Formen von Katastern lassen sich bereits im alten Orient und in Ägypten nachweisen. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, daß Kataster ein Teil des alltäglichen Lebens waren und daß ihre Existenz in vielen Bereichen von den Zeitgenossen vorausgesetzt wurde. Dieses Phänomen trifft auch auf die Behandlung von Katasterkarten in den Schriften der Feldmesser zu. Aus den entsprechenden Abschnitten bei Frontin, Hygin, Siculus Flaccus und Hyginus Gromaticus ergibt sich das folgende Bild: Die antiken Autoren verwenden für Katasterkarten die Begriffe forma, pertica, centuriatio, metatio, limitatio, cancellatio, typum, tabula aeris, libri aeris und commentani,28 Nach dem Zeugnis des Hyginus Gromaticus bestanden sie aus Erz, nach Siculus Flaccus aus Holz oder Pergament. Im Gegensatz zur epigraphischen Überlieferung wird Stein als Material nicht erwähnt. Die Katasterkarten konnten im Zentralarchiv in Rom und in den einzelnen Gemeindearchiven eingesehen werden. Siculus Flaccus bezeichnet das Zentralarchiv als sanctuaHum Caesaris, Hyginus Gromaticus als tabularium Caesaris.29 Die Funktion der Katasterarchive bestand darin, die Eigentums- und Besitzverhältnisse zu fixieren und Rechtsstreitigkeiten zu verhindern. 30

27 Vgl. dazu Castagnoli 1944, 95-99; Dilke 1971, 112-15; Campbell 1996, 88ff; Cranach 1996, 178-81. 28 Sic. Flac., p. 118,19-24 (CAR I, p. 58-61); Hyg.Grom., p. 165,10-16 (CAR IV, p. 144f). 29 Sic. Flac., p. 118,27-119,1 (CAR I, p. 60£); Hyg. Grom., p. 165,19-166, 2 (CAR IV, p. 14447); vgl. zu den Gemeindearchiven Hyg,. p. 97, 23- 98, 5. 30 Hyg., p. 84,16f; 97, 23-98, 5.

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Die geometrische Einteilung der Landschaft Wie aus den Schriften der Feldmesser hervorgeht, verzeichneten die formae die

Centimen und Flurwege. Nach Hyginus Gromaticus war auf altenformae jeweils der fünfte limes vom decumanus maximus besonders gekennzeichnet.31 Daraus geht seiner Meinung nach hervor, daß dieser Weg im Vergleich zu den anderen Wegen eines Limitationssystems breiter ist. In vergleichbarer Weise ist auch Hygin zu deuten. In einem limitierten

Gebiet erleide der Eigentümer

keine Verluste

durch

Überschwemmungen, da die entsprechenden Rechtsverhältnisse auf einer forma festgehalten werden. 32 Umgekehrt konnten in der Regel Gebiete, die nicht limitiert waren, nicht auf Katasterkarten abgebildet werden. Das geht eindeutig aus Siculus Flaccus hervor. Der Feldmesser stellt fest, daß der ager occupatorius nicht auf einer forma verzeichnet war, da keine Vermessung vorgenommen wurde.33 Es gab aber auch Abweichungen von diesem Grundtyp der forma. Bei Hygin findet sich eine Ausprägung, die nicht nur die Größe der Grundstücke in einer centuria auflistet, sondern auch die Grenzlinien der einzelnen Grundstücke erfaßt.34 Hyginus Gromaticus berichtet von Fällen, in denen nichtümitierte Gebiete wie Wald, Weideland und Berge in einerforma verzeichnet werden. 35 Bei Frontin findet sich der Fall, daß das nichtümitierte und nur in seinen äußeren Grenzen erfaßte Gebiet, der ager mensura per extremitatem comprehensus, auf einer forma abgebildet wurde. 36 Aufs Ganze gesehen ist forma

das am häufigsten gebrauchte Wort für

Katasterkarte. Die einzelnen Begriffe sind komplimentär. Das wird am Beispiel von Hygin deutlich, der die bronzene Tafel (aes) mit den formae gleichsetzt.37 Hyginus Gromaticus berichtet zuerst, daß unvermessenes Land, Weideland, in eine forma eingetragen wird. Weiter unten werden nicht vermessene Gebiete, die subseviva, in 31 Erat sane interpretatio legis huius ambigua, nisi eorum temporum formae sextum quemque limitem latiorem haberent signification qua solent minores. (Hyg. Grom., p. 139, 17-140,1 [CAR IV, p. 38-43]). 32 Si vera in divisa et adsignata regione tractabitur, nihil amittetpossessor, quoniam formis per centurias certus cuique modus adscriptus est. (Hyg., p. 87, 8-11); vgl. auch Hyg., p. 88, 19-21. 33 Sic. Flac., p. 102, 9-15 (CAR I, p. 14-17). 34 Nuper ecce quidam evocatus August!, vir militaris disäplinae... inaere, id est informis, non tantum modum quemque adsignabat adscripsit aut notavit, sed et extrema linea unius cuiusque modum comprehendit: uti acta est mensura adsignationis, ita inscripsit longitudinis et latitudinius modum (Hyg., p. 84, 8-16). 35 Hyg. Grom., p. 161, 4-7 (CAR IV, p. 126f); 164, l l f (CAR IV, p. 140f). 36 Frontin., p. 2, 4-7. 37 Hyg., p. 84,12.

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eine brozene Tafel eingetragen.38 Eine genauere Differenzierung der Begriffe ist lediglich in Ansätzen feststellbar. Die bronzenen Bücher, die libriaeris, bestanden aus mehreren Seiten, tabulae, in die die Besitzer eingetragen wurden. Eine tabula umfaßte eine centuHcr. Sie beinhaltete Informationen über die Lage der centuria, die Eigentümer und die Größe der Grundstücke. 39 Die commentarii ware η offizielle Aufzeichnungen, aus denen sich die Amtsbücher der Magistrate entwickelt haben. Sie enthielten Protokolle, Urkunden und Dokumente verschiedener Art. Demnach waren sie der Oberbegriff für staatliche Dokumente, subsumierten also auch Kataster. 40 Es ist deutlich geworden, daß die Katasterkarten, die formae, die Centurien abbildeten und die Eigentümer der einzelnen Grundstücke auflisteten. Die antiken Autoren des Corpus Agrimensorum berichten aber nicht, ob die Kataster maßstäblich abbildeten und eine Zeichensprache verwenden. So müssen die epigraphischen Quellen untersucht werden, um weitere Aufschlüsse über Form und Inhalt der Kataster zu gewinnen.

b. Die Kataster von Orange Das wichtigste und umfangreichste Beispiel einer erhaltenen forma stellen die Katasterfragmente von Orange dar.41 Ein Teil der Fragmente wurde 1856 im und nördlich des dortigen römischen Theaters entdeckt. Dazu kamen weitere zwischen 1949 und 1951 ausgegrabene Fragmente. Eine systematische Untersuchung unternahm Andre Piganiol 1962 in seiner Edition des Katasters von Orange. 42 Piganiol teilte die Überreste in drei Gruppen ein: eine Inschrift Vespasians, drei Kataster, die er Α, Β und C nannte, und die restlichen Dokumente des tabularium.43 38 Hyg. Grom, p. 164, 17-165, 9 (CAR IV, p. 140-145). 39 Hyg. Grom., p. 163,14-164, 5 (CAR IV, p. 138-41). 40 Vgl. Börner 1953, 214 f; Nicolet 1991,153. Zu den commentarii Sic. Flac., p. 119,1-6 (CAR I, p. 60£); 125,1-8 (CAR I, p. 80-83). 41 Ein weiteres Beispiel liegt in der forma des spanischen Lacimurga, heute Navalvillar de Pela, vor. Vgl. dazu Brodersen 1995, 221 f. Dieses Fragment ist meines Erachtens zu klein, um weitere Erörterungen daran anzuknüpfen. 42 Piganiol 1962. Dieses Werk ist für die Diskussion des Katasters grundlegend, zumal 1962 bei einem Einsturz im Museum von Orange viele Fragmente beschädigt oder zerstört wurden. 43 Piganiol 1962, 16ff.

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In der Inschrift von 77 n. Chr. ordnete Vespasian eine Wiederherstellung des ager publicus an, den Augustus den Veteranen der Legion Gallia II zugewiesen hatte und den Privadeute widerrechtlich okkupiert hatten. Die Rechtsverhältnisse sollten auf einerforma fixiert werden.44 Wichtig für die Fragestellung sind in der Hauptsache die drei Kataster. Α wurde unter Vespasian, Β unter Augustus und C nach Trajan erstellt.45 Die restlichen Texte des tabularium wie die merides, eine Aufzählung der Stadtgrundstücke, eine Behandlung der agnpublici und deren Usurpation sollen für die vorliegende Untersuchung unberücksichtigt bleiben. In den Katastern finden sich verschiedene rechtliche Bodenkategorien: Die assignierten Äcker, das tributfreie Land der Kolonisten, wurden als extributario (solo) bezeichnet.46 Im Kataster Α wurde das Land im Eigentum der Kolonie Orange als reliqua coloniae, im Kataster Β und C als coloniae kategorisiert.47 Das Staatsland im Kataster A, reipublicae, stand im Eigentum des römischen Staates.48 Eine weitere Kategorie im Kataster Β Tricastinis reddita erfaßte den Boden, der an die Tricastini übertragen wurde.49 Schließlich wurden die subseäva aufgeführt.50 Die vornehmliche Aufgabe der vorliegenden Kataster bestand darin, den abgabepflichtigen vom abgabenfreien Boden zu trennen bzw. die Höhe der Zahlungen festzulegen. Dies war nur möglich, wenn der antike Betrachter über die Fähigkeit verfügte, die graphischen Zeichen des Katasters in die Wirklichkeit zurückzuübersetzen. Rechtecke in den Katastern Α und B, Quadrate im Kataster C bildeten die einzelnen centuriae ab. Doppellinien stellten Straßen, die kardines und die decumani maximi, gewundene Linien Flüsse dar. Kataster C nennt die antike Ortsangabe insulae Furianae.5i Die centuriae waren auf folgende Weise beschriftet: An 44 Vgl. Dilke 1971,160. 45 Vgl. zur Datierung von Α und C Piganiol 1962, 401. Dagegen zur Datierung von B: Chouquer 1994, 52. Chouquer nennt drei Gründe für diese Datierung: 1. die Einbeziehung von augusteischen Orten in die Centuriation, 2. eine augusteische Wallanlage und 3. das Auffinden des

8. decumanus.

46 Piganiol 1962, 55f; Dilke 1 9 7 1 , 1 6 1 ; Chouquer/Favory 1991,155. 47 Piganiol 1962, 57-60; Chouquer/Favory 1991,155f. 48 Piganiol 1962, 60f, 96f. 49 Chouquer/Favory, 1991,155; Dilke 1971,161; Piganiol 1962,54f erklärt die Entstehung von Kataster Β neben Α mit der Rückgabe des Bodens an die Provinzialen anläßlich der Gründung der

colonia Flavia.

50 Piganiol 1962, 61f, 97,139. 51 Chouquer/Favory 1991,158f; Piganiol 1962, 74f.

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erster Stelle standen die Koordinaten, die die Lage der jeweiligen centuria zum decumanus und kardo maximus bestimmten. Dann erfolgte die Angabe der Fläche der einzelnen rechtlichen Bodenkategorien. Falls ein Teil der centuria für die Bewirtschaftung nicht geeignet war oder ein Fluß diese kreuzte, wurde dieser Teil als subsecivum bezeichnet oder dem Bereich Wasser zugeordnet. Flächenmaß war das iugerum. Für die abgabepflichtigen Äcker wurde der Tarif in Denar oder As — aera auf den Tafeln — und der Name des Zahlenden angegeben: die Mietzahlungen mit der Formelpr(aestant) a(era), der Mieter mit sol(vit), sol(vet) und in Kataster Α mit emit. Zahlzeichen standen für die Vielfachen oder Bruchteile, beispielsweise S für semis (die Hälfte) oder - für libella (ein Zehntel).52 Weitaus schwieriger gestaltet sich die Lokalisierung der drei Kataster. So kann nur vermutet werden, welche Landschaftselemente die graphischen Zeichen der Kataster bezeichnen. Ein grundsätzliches Problem besteht darin, daß sich die moderne Landschaft im Vergleich zur antiken verändert hat. Das betrifft insbesondere den Verlauf von Flüssen. Dazu kommt, daß sich in der Umgebung von Orange acht verschiedene Flursysteme nachweisen lassen, die sich teilweise auch noch überlagern. Für die Kataster Α und Β hat sich innerhalb der Forschung eine übereinstimmende Lokalisierung durchgesetzt: Α liegt südlich von Orange - es handelt sich hierbei eigentlich um einen Kataster der römischen Kolonie Arles — und Β bei Donzere.53 Dagegen werden für C unterschiedliche Orte genannt.54 Im folgenden sollen die kartographischen Aspekte der drei Kataster Α, Β und C herausgearbeitet werden. Kataster A war nach Süden ausgerichtet.55 Eine centuria des Katasters Α wies 400 iugera auf, das heißt, sie war doppelt so groß wie die Normalcenturie von 200 iugera·. Wies die Standardcenturie eine Seitenlänge von 20 χ 20 actus (710 m) auf, so betrugen die Seitenlängen einer centuria im Kataster A 16 χ 25 actus (567,68m χ 887m). Soweit es sich aus den Fragmenten ermitteln läßt, bedeckte der limitierte Boden eine Fläche von 23 χ 31 centuriae, was 13 km χ 27 km 52 Piganiol 1962, 59, 68-74; Düke 1971,162. 53 Vgl. Für Α Salviat 1977,107-18; Chouquer 1994, 51; Chouquer/Favory 1991,157f; vgl. fiirB Piganiol 1962, 400. 54 Beispielsweise schlagen Salviat 1986,101-16 Valence und Chouquer/Favory 1991,159 Nimes vor. 55 Vgl. Salviat 1977, 107-18; Oliver 1966, 1075-79. Dagegen vertritt Piganiol 1962, 93 die Nordorientierung von A.

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entspricht. Auf der Tafel wurde eine centuria mit einer Höhe von etwa 0,12 m und einer Breite von etwa 0, 22 m wiedergegeben.56 Das aussagekräftigste Fragment des Katasters Α (Plaque E) bildet die Kreuzung von decumanus und kardo maximus ab.57 (vgl. Abb. 1) Zusätzlich schneiden ein Fluß und zwei diesen umrahmende Straßen den kardo. Von den sechs abgebildeten centuriae lassen lediglich zwei eine Interpretation zu. Die centuria SD II CK I führte drei Bodenkategorien mit Angabe der Fläche auf: das assignierte Land mit 162 Vz iugera, das der Kolonie mit 230 Vz iugera und das des Flusses mit 7 iugera. Für das Pachtland mußten 72 Denare und ein halbes As gezahlt werden. Die Namen der Pächter sind nicht erhalten. Vergleichbar sind die Bodenkategorien in der centuria SD II VKI: 306 Vz iugera sind tributfrei, Atilia VerfaJ zahlte für 26 iugera 16 Denare und vier As, Lucani[us] für 33 Vz iugera 21 Denare und 1 Vz As. Die Informationen, die die diskutierten Texte enthalten, reichen aus, die Lage der centuria im Limitationsnetz zu beschreiben und die jeweilige Bodenkategorie festzulegen. Da der Text lediglich die Besitz- und Eigentumsverhältnisse innerhalb der centuriae regelte, wären die bildlichen Informationen überflüssig. Dennoch sind diese, wie das vorliegende Beispiel zeigt, mit der größten Sorgfalt ausgeführt. Doppellinien in einem Abstand von 2 cm stellen den kardo maximus dar. Eine gewundene Linie, die die centuriae und den kardo maximus überquert, steht für einen Fluß, der eine Insel umschließt. Auf Lage- und Formtreue legte der Kataster wert: der Fluß führt durch eine bestimmte centuria in bestimmter Richtung und die abgebildeten centuriae weisen eine rechteckige Form auf. Dagegen läßt sich die Frage nach dem Maßstab nicht eindeutig beantworten. In dem von Piganiol ermittelten Limitationsnetz betrug die Höhe einer centuria 567,68 m und die Breite 887 m, dem 12 cm bz. 22 cm auf der Tafel entsprechen sollten. Dies entspräche einem Maßstab von etwa 1 : 4000 bzw. 1 :4700. Im Unterschied zum Kataster A war Kataster Β nach Westen ausgerichtet. Die Anzahl der limitierten centuriae betrug von Süden nach Norden 63, von Westen nach Osten 44, was mit einer Ausdehnung von 44 km bzw. 19 km gleichzusetzen ist. Abgebildet wurden die centuriae mit einer durchschnittlichen Höhe von 0,14 m und

56 Piganiol 1962, 93-98. 57 Ebd., 108-11. Die Abbildungen befinden sich im Anhang der Arbeit.

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einer Länge 0,12 m.58 Zu den im Kataster Α erwähnten Bodenkategorien kommt in Β das Land der Tricastini. Innerhalb des Katasters Β bietet Plaque III J die größte Dichte an graphischen Gestaltungsmitteln.59 (vgl. Abb. 2) In der centuria DD XIX CK I kreuzt beispielsweise eine Straße einen Fluß. Auffallend ist, daß die Fläche, die das Wasser einnahm, nicht angegeben wurde, wie dies bei den entsprechenden centuriae von Α der Fall war. Von der Gesamtfläche der vorliegenden centuria waren 175 iugera assigniert und 25 iugera im Eigentum der Kolonie Orange, für die ein Iul(ius) Flor(us) sechs Denare und vier As zahlte. In gleicher Weise wurde in der centuria DD XIX CK II dem Fluß keine Fläche zugeteilt. In dieser centuria waren 118 iugera assigniert und 82 iugera im Besitz der Tricastini. Da der Kataster Β im Vergleich zu den anderen relativ gut erhalten ist und eine Vielzahl geographischer Informationen bietet, ist hier eine Lokalisierung am besten möglich: Unter anderem wurden die Flüsse Jabron, Berre und Rhone und die Straße des Agrippa abgebildet. Demnach kreuzten sich in der centuria DD XIX CK I die Straße des Agrippa und der Fluß Berre. Kataster Β stimmt mit Α darin überein, daß die Texte ausreichend ohne Bild über die Bodenkategorien und die Höhe der Abgabeleistungen informieren. Jedoch im Unterschied zu Α verzichtete Β auf eine durchgehende Erwähnung des Flusses im Text.60 Lediglich der Betrachter des vorliegenden Ausschnittes konnte sich über den Verlauf des Flusses Kenntnis verschaffen. Diese Tatsache erklärt sich möglicherweise damit, daß der größte Teil der centuriae von Plaque III J als einzige Kategorie assignierten Boden aufwies, dessen genaue Fixierung unnötig war, da keine Abgaben zu zahlen waren. Die besprochenen centuriae wiesen eine Höhe von 0,122 m und eine Breite von 0,132 m auf. Innerhalb des Katasters Β läßt sich eine unterschiedliche Erstreckung der einzelnen centuriae feststellen: So variierte die Höhe zwischen 0,122 m und 1,47 m, die Breite zwischen 0,109 m und 0,132 m. Piganiol erklärte dieses Phänomen mit der Projektion: Zum einen bedingte die Abbildung

58 Ebd., 134ff. 59 Ebd., 229-237. 60 In der vorliegenden Plaque III J wies nur die unvollständig erhaltene centuria DD X X UK VI die Kategorie subsedvum auf. Während in Plaque II G der Text beispielsweise den Fluß nicht durch das subsecivum kennzeichnete, geschah dies in Plaque IV D.

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der Flüsse, zum anderen der Raummangel auf der Tafel eine Stauchung.61 Die mittlere Höhe einer abgebildeten centuriavon 0,143 m entspräche bei einem Maßstab von 1 : 5000 mit 715 m etwa der Standardseitenlänge. Bei einer angenommenen Stauchung um V 7 ergäbe sich eine Breite der centuria von etwa 0,14 m. Folglich wäre die Form der centuria in natura quadratisch, die rechteckige Abbildung ein Ergebnis der Projektion. Kataster C war nach Norden ausgerichtet Er erstreckte sich 38 centuriae von West nach Ost, etwa 27 km, und 21 centuriae von Nord nach Süd, etwa 15 km. Die centuriae des Katasters sind quadratisch und weisen eine Seitenlänge zwischen 0,12 m und 0,125 m auf. Bei einem Maßstab von 1:6000 entsprächen den 0,12 m auf der Karte 720 m. Zwei Bodenkategorien finden sich in Kataster C: das assignierte Land und das der Kolonie. Diese Kategorie wurde als coloniae und im Bereich der insulae Furianae als nova bezeichnet.62 Ein gutes Beispiel für die genaue Darstellung des Flußverlaufes bietet die centuria DD YII VK XXII, die einen Ausschnitt der insulae Furianae abbildet, (vgl. Abb. 3) Der Fluß durchquert die centuria von links oben nach rechts unten. Sechs Inhaber des Bodens führte die Inschrift auf: 90 iugera assignierte Böden, 101 im Besitz der Kolonie, 61, die unter vicus subsumiert wurden, 145/ΰ für den agerAnnianus, 8 z/i für foss(a) Aug(usta) und 25 fürfluminis. Schwierigkeiten bereitet an dieser Stelle, daß der Text die Fläche des Wassers unter zwei verschiedenen Kategorien aufführt, nämlich unter fossa Augusta und unter fluminis. Dabei erscheint die Annahme Piganiols sinnvoll, daß fluminis die Rhone und fossa Augusta einen Bewässerungskanal bezeichnete. Allerdings bleibt immer noch unklar, warum nur die Rhöne bildlich dargestellt wurde, nicht aber die fossa Augusta. Immerhin nahm die fossa Augusta ein Drittel der Fläche der Rhone ein. Auch stand für eine bildliche Darstellung innerhalb der centuria auf dem Kataster noch ausreichend Platz zur Verfügung, da der Fluß und der Text nur etwa zwei Drittel davon belegten. Der Ausschnitt der insulae Furianae belegt eindrucksvoll, in welcher Weise Elemente der natürlichen Landschaft wie Flüsse Eingang in die bildliche Darstellung des Raumes nahmen. So konnte der Verlauf der Rhone nur nachgezeichnet werden,

61 Piganiol 1962, 75,134ff. 62 Ebd., 265-272.

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wenn hierbei das Kriterium der Lage- und Formtreue angewandt wurde. In der besprochenen centuria

trat der Fluß an festgelegten Punkten ein und aus und

krümmte sich im 90°-Winkel. Vergleicht man die Form der abgebildeten centuriae von C mit denen von B, so stellt sich die Frage, warum die von C durch Quadrate, die von Β dagegegen durch Rechtecke dargestellt wurden. Wie bereits dargestellt, nahm Piganiol bei Β eine durch Projektion bedingte Ver2errung der Quadrate an, verursacht durch die Vielzahl an geographischen Inhalten des Katasters. Allerdings traten in C keine Verzerrungen auf, obwohl gerade hier diese aufgrund der schwierigen Darstellung der insulae Furianae zu erwarten wären. Es bleibt die Frage, ob sich die Katasterfragmente von Orange als Karten charakterisieren lassen. Das Kriterium des Maßstabes findet sich ansatzweise: Für Kataster Β läßt sich ein ungefährer Maßstab von 1 : 5000, für C von 1 : 6000 ermitteln. Dabei kam es zu erheblichen Abweichungen in der Höhe und Breite der in Β abgebildeten centuriae·. So divergieren die Seiten der centuriae um 2,5 cm bzw. 2,3 cm. Dies erklärt sich daraus, daß die Abbildbarkeit einer im Vergleich zu ihrer Höhe übermäßig breiten Fläche den Vorrang vor der Maßstäblichkeit hatte. So wurde auch die Breite der centuriae von Β gestaucht. In allen anderen Fällen wurde die Lage- und Formtreue der dargestellten Objekte gewahrt. Besonders die Abbildung der insulae Furianae zeichnete den Verlauf der Rhone mit großer Sorgfalt nach. Mit Ausnahme von Β übernahmen die Grundrisse von Α und C die rechteckige bzw. quadratische Form der centuriae. Deutlicher ausgeprägt ist das Kriterium der Kartengraphik. Einfache Linien kennzeichnen die Begrenzungen der centuriae. Doppellinien stellen Straßen, die kardines und die decumani maximi, gewundene Linien Flüsse dar. Andere graphische Zeichen finden sich dagegen nicht: So sucht man vergebens die Herausstellung von Bergen oder sonstigen markanten Punkten in der Landschaft. Die für den Zweck des Katasters wichtigeren Informationen liefert der Text. Dieser fuhrt die einzelnen Bodenkategorien und die Höhe der Abgabenzahlungen unter Angabe der Pächter auf. Wie die vorgelegten Beispiele belegen, war die Beziehung zwischen Text und Bild nicht einheitlich gestaltet: Im Kataster Α wurde zugleich der Fluß abgebildet und die Fläche des Flusses angegeben, in Β in einem Teil der Fragmente nur der Fluß abgebildet und in C in der besprochenen centuria zwar die Rhone abgebildet und die Fläche aufgeführt, aber auf eine Abbildung des Verlaufes derfossa Augusta

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verzichtet. Folglich stehen im Text wichtigere und umfangreichere Angaben als in der bildlichen Darstellung. Dennoch wurden die bildlichen Elemente, wie die Abbildung der Flüsse belegt, überaus sorgfältig ausgeführt. Im Vergleich zu modernen Karten fehlt den Katastern ein Koordinatennetz, das primär dem Zweck der Abbildung dient. Das Gitternetz in den Katastern, das die Lage zweier Punkte in der Landschaft relativ genau bestimmt, ist lediglich ein Ergebnis der Darstellung der centuriae. Eine Legende, die wie in modernen Karten die graphischen Zeichen erklärt, wiesen die Kataster nicht auf. Doch beweist das Fehlen einer Legende, daß dem antiken Betrachter graphische Zeichen in einem gewissen Umfang bekannt waren. Daraus läßt sich wiederum schließen, daß Katasterkarten in der römischen Antike in Gebrauch waren. Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Kataster von Orange als Karten bezeichnet werden können. Allerdings weisen diese Flurkarten nur einen ungefähren Maßstab und einen eingeschränkten Vorrat an Zeichen auf. Eine Karte kann das räumliche Denken der Menschen nur dann beeinflussen, wenn sie an einer allen zugänglichen Stelle aufgestellt wird. Deshalb ist es notwendig, Überlegungen über den Ort und die Anordnung der Kataster anzustellen. Bedauerlicherweise ist eine Lokalisierung des Archivs, des tabularium, nicht möglich. Bekannt ist lediglich der Fundort der Fragmente. Daraus ergeben sich aber keinerlei Angaben über die Aufstellung der Kataster. Zuverlässige Aufschlüsse geben allein zwei Anhaltspunkte, die aus den Katasterfragmenten gewonnen werden können: Umfang und Orientierung der Kataster. Der größte Kataster, B, wies eine Höhe von 7,56 m und eine Breite von 5,90 m auf.63 Weitere Informationen erschließen sich aus der Orientierung: Bei A war Süden oben, bei Β Westen und bei C Norden. Oliver nahm an, daß Α entweder an einer nach Süden ausgerichteten Innenwand, Β an einer nach Westen gerichteten und C an einer nach Norden gerichteten oder A an einer nach Norden gerichteten Außenwand, Β an einer nach Osten gerichteten und C an einer nach Süden gerichteten aufgestellt war. Für den Betrachter würde folglich sein Standpunkt mit dem der Karte übereinstimmen. Das heißt, für ihn ist am Beispiel von Α Süden Süden, Osten Osten und Westen Westen. 64

63 Piganiol 1962, 65ff. 64 Vgl. North, 1078f; Salviat 1977,107-18; Chouquer/Favory 1991, 159.

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c. Die Forma Urbis Hinsichtlich der Ausmaße ist für die römische Antike allein die Forma Urbis mit dem Kataster von Orange vergleichbar. Diese wies eine Breite von 18,10 m und eine Höhe von 13 m auf, umfaßte demnach insgesamt 235 m 2 . Davon sind nur 24 m 2 , etwa 10 % der Gesamtfläche, erhalten. Der Plan war an der Rückwand einer Halle des Templum Pads angebracht. Die Forma Urbis ist in severischer Zeit, zwischen 203 und 211, entstanden, spiegelt aber in Teilen die Bebauung des 1. Jahrhunderts n. Chr. wieder. Demnach ist es wahrscheinlich, daß der Plan eine Vorlage aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. hatte, zumal das Templum Pads in flavischer Zeit eingeweiht worden war. 65 Im folgenden geht es darum, bei der Forma Urbis die kartographischen Kriterien graphische Zeichen und Maßstäblichkeit nachzuweisen. Bereits auf den ersten Blick finden sich auf der Forma Urbis eine Vielzahl von graphischen Elementen: Linien bezeichneten Mauern, Podien und Stufen von öffentlichen und privaten Gebäuden. Punkte standen für Säulen, von Quadraten umschriebene Punkte für Säulen auf quadratischen Sockeln und Rechtecke für Pilaster. Treppen wurden durch zwei verschiedene Zeichen abgebildet: durch ein V und durch Parallelen zwischen zwei Linien. Schließlich finden sich heute nicht mehr identifizierbare Zeichen wie das T-Zeichen. Die graphischen Zeichen stellten Privatgebäude, Tavernen, Tempel, Theater, Thermen, Lagerhäuser, Porticus, ummauerte Flächen und Aquädukte dar.66 Im Unterschied zum Kataster von Orange weist ungefähr die Hälfte des Plans einen identifizierbaren topographischen Hintergrund auf. Folglich lassen sich auch Fragen nach dem Maßstab der Abbildung mit größerer Sicherheit beantworten. Es zeigt sich, daß trotz gewisser Schwankungen ein Maßstab von etwa 1:240/250 zugrundegelegt wurde. Möglicherweise hatten die antiken Hersteller durch einen pes auf dem Plan einen bini actus (= 240pes) in der Realität abgebildet. Ein pes (Fuß) maß

65 Editionen: Carettoni/Colini/Cozza/Gatti 1959/60 (FUR); Rodriguez-Almeida 1981; vgl. zur Forma Urbis Dilke 1985,104-7; Dilke 1987a, 226-30; Taub 1993,9-19; Heisel 1993,193-197; Kolb 1995, 23f. 66 Dilke 1985, 105; Gatti 1959/60a, 201 ff.

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normalerweise 29,57 cm, ein actus 70,968 m.67 Der Plan war nach Südosten ausgerichtet. Allerdings kam es zu Schwankungen, da >oben< zwischen 36° und 50° östlich vom Süden liegt.68 Eine Vielzahl graphischer Zeichen beinhaltet ein Fragment der Forma Urbis, das den südlichen Teil des Tempels des Claudius und die daran anschließenden Regionen abbildet.69 (vgl. Abb. 4) Von oben nach unten verläuft eine Straße, die sich gabelt. Links wird die Straße durch eine unterbrochene Linie begrenzt, an die sich mehr

oder weniger

regelmäßige

geometrische

Figuren

anschließen,

die

Privatgebäude darstellen. Rechts der Straße ist eine wellenförmige Doppellinie zwischen zwei Quadraten abgebildet, von denen jeweils parallel verlaufende Striche abgehen. Daneben findet sich die Beischrift AfJlJE/DUCTI/

UM. Daß es sich bei

der Konstruktion um einen Aquädukt handelt, belegen die Ähnlichkeit des Zeichens und die Beischrift. Allerdings werden auf dem Plan die Zeichnungsarten Grundriß und Aufriß vermengt: Im Grundriß wurden durch die Quadrate die Pfeiler dargestellt, im Aufriß durch die wellenförmige Doppellinie und die parallelen Striche die Bogenkonstruktion des Aquädukts. Die Straße gabelt sich nach links und endet an einer Treppe, abgebildet durch Striche zwischen zwei parallelen Linien. In dem rechts angrenzenden Gebäude findet sich das andere Zeichen für Treppe, das V. Den Hauptraum dieses Gebäudes stellt ein Rechteck mit Apsis dar, in die ein kleines Rechteck, die Abbildung einer Statuenbasis, eingepaßt ist. Daran schließt ein weiteres Gebäude an, in dem zwischen zwei parallelen Linien Halbkreise eingezeichnet sind. Der Sinn dieses Zeichens ist unklar. Die sich nach rechts gabelnde Straße mündet in einen Platz. Zwischen dem obigen Komplex und dem Tempelbezirk liegt eine Straße. Von dem Tempel des Claudius sind auf der Forma Urbis lediglich die obere Hälfte und einige Fragmente, nach denen sich die Ortsbezeichnung TEMPLUM DIVICLA UDI ergänzen läßt, erhalten. Danach wird der Tempel von drei Seiten von einer Mauer begrenzt. Parallel verlaufen im regelmäßigen Abstand mehrere Doppellinien, deren Sinn unklar bleibt.70

67 68 69 70

Gatti 1959/60a, 206f. Vgl. Brodersen 1995, 235. FUR, Nr. 4,5, 63f (= Rodriguez-Almeida 1981, 63-69 [Tav. II]); vgl. Richardson 1992, 87f. Richardson 1992, 87 spricht von Baumreihen.

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Ein anderes Fragment der Forma Orbis bildet die Portions Liviae, den südöstlichen Rand der Trajansthermen und die umliegenden insulae ab.71 (vgl. Abb. 5) Den Hinweis auf den Ort enthält die Angabe POKTICfUSJ

LIVIAE. Die Porticus

begrenzt eine Mauer, von der sich rechteckige oder halbkreisförmige Nischen nach innen oder außen öffnen. In diesen stehen jeweils zwei Säulen. Nach innen folgt eine doppelte Säulenreihe. Hierbei stehen Linien für Mauern, Punkte für Säulen. Unklar bleibt dagegen, welche Bedeutung ein Rechteck inmitten des Hofes hatte, in das ein weiteres Rechteck mit einem Kreis eingeschrieben ist.72 Oberhalb der Porticus sind verschiedene Gebäudekomplexe dargestellt, bestehend aus durch Linien gebildete, ungleichmäßige Räume. Punkte, die in der Form eines Rechteckes angeordnet sind, bezeichnen Peristylsäulen. In den obigen Beipielen ist das zentrale Problem deutlich geworden, daß einerseits die komplexe Topographie der Stadt Rom eine maßstäbliche Abbildung erforderte, andererseits es zu erheblichen Schwankungen im angewandten Maßstab kam. Insbesondere Brodersen hat aus diesen Fehlern auf das Fehlen eines Maßstabs geschlossen.73 Meines Erachtens muß in diesem Zusammenhang zwischen der Absicht des antiken Zeichners und dem Ergebnis seiner Arbeit unterschieden werden. Die Schwankungen im Maßstab sind ein Ergebnis der Kartenherstellung und lassen keine Schlüsse auf die Intention zu. Vielmehr ist der jeweils unterschiedliche Maßstab auf das spezifische Vorgehen der antiken Zeichner zurückzuführen. Da sich auf der Forma Urbis keine Reste eines Kartennetzes finden, muß eine andere Methode angewandt worden sein. Der Zeichner begann mit der Verkleinerung eines Gebäudes, das er auf seiner Karte nach den Himmelsrichtungen ausrichtete. Daran fugte er sukzessiv weitere Grundrisse. In bestimmten Abständen nahm er eine Gegenmessung vor. Trotz aller angewandten Sorgfalt führte dieses Vorgehen zu einem Abweichen vom einmal festgelegten Maßstab und der Himmelsrichtung. Der Unterschied zwischen der Methode der Feldmesser und der der Bauzeichner besteht darin, daß die Feldmesser bei einer Karte mit — im wesentlichen — gleichbleibenden Rechtecken arbeiteten, während die Bauzeichner geometrische Figuren von unterschiedlicher Größe heranzogen. 71 FUR Nr. 1 0 , 1 1 , 1 2 , 6 9 f (Rodriguez-Almeida 1981,77-81 [Tav. VIII]); Richardson 1992,314. 72 Richardson 1992, 314 deutete dies als Springbrunnen. 73 Brodersen 1995, 235.

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Die geometrische Einteilung der Landschaft Neben dem Kriterium der Maßstäblichkeit ist auch das der Verwendung gra-

phischer Zeichen bei der Forma Urbis ausgeprägter als beim Kataster von Orange. Die Identifizierung von analogen Zeichen auf der Forma Urbis bereitet keine Probleme. Schwieriger ist dagegen die Dekodierung komplexer, aus mehreren geometrischen Elementen zusammengesetzter Zeichen. Beispielsweise läßt sich nicht ermitteln, warum in FUR Nr. 4 zwei verschiedene Zeichen für Treppe, nämlich ein V und Parallelen zwischen zwei Linien, verwendet wurden. Unklar bleibt ebenfalls, was mit dem von zwei Rechtecken umgebenen Punkt inmitten der Abbildung der Porticus Uviae gemeint ist. Der Gebrauch dieser Zeichen muß durch Konvention festgelegt worden sein.74 Eine dritte Gruppe von Zeichen konnten selbst die Zeitgenossen nicht eindeutig entschlüsseln. So erklärt sich beispielsweise die Beischrift AQUE/DUCTI/UM in FUR Nr. 4. Zwar ist eine gewisse Analogie zwischen Zeichen und dargestelltem Objekt noch zu erkennen, doch wollte der Kartenzeichner durch die identifizierende Beischrift das Erkennen erleichtern.75 Die Erklärung nicht eindeutiger Zeichen war neben der Ortsangabe die vornehmliche Funktion des Textes. Im Gegensatz zum Kataster von Orange war bei der Forma Urbis die bildliche Darstellung der Träger der wesentlichen Informationen. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß es sich bei der Forma Urbis um eine Karte handelt. Zum einen ist die Absicht einer maßstäblichen Abbildung feststellbar. Zum anderen finden sich graphische Zeichen, die die topographische Wirklichkeit abbilden. Gerade die Zeichen, deren Bedeutung sich durch Konvention, nicht durch Analogie erschließt, zeigen, daß die antiken Betrachter der Forma Urbis über eine Zeichensprache verfugten, mit deren Hilfe sie den dargestellten Inhalt dekodieren konnten. Um über die Rezipienten und deren Fähigkeit zur Dekodierung graphischer Zeichen Klarheit zu gewinnen, müssen noch einige Überlegungen zur Funktion der Forma Urbis angestellt werden. In der Forschung finden sich zu dieser Frage im wesentlichen zwei Positionen: Die eine hält die Forma Urbis für ein Register, das der kaiserlichen Verwaltung diente.76 Dagegen dient nach der Meinung anderer Forscher

74 Heisel 1993, 202f. 75 Gatti 1959/60a, 206. 76 Vgl. Dilke 1987, 227; Gatti 1959/60b, 217f.

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der Plan im wesentlichen der Propaganda.77 Erstens sei der Plan mit 18 m Breite und 13 m Höhe für Verwaltungszwecke viel zu groß und damit zu unhandlich gewesen. Der Benutzer hätte die Karte nur mit Hilfe einer Leiter oder gegenüber liegender Arkaden lesen können. Zweitens sei nicht das ganze Stadtgebiet erfaßt worden. Welchen Nutzen hätte ein unvollständiger Plan für die Verwaltung gehabt? Schließlich spricht noch ein gewichtiges, bisher aber noch nicht beachtetes Argument gegen die Deutung der Forma Urbis als Instrument der kaiserlichen Verwaltung. Aus der bildlichen Darstellung wird nicht ersichtlich, welche für Verwaltungszwecke relevanten Informationen übermittelt werden sollten. Der Plan gibt beispielsweise keine Auskunft über die Anzahl der Bewohner und die zu zahlenden Abgaben. Demnach muß angenommen werden, daß der Plan dem Betrachter die Größe und die Pracht der Stadt Rom vor Augen führen will. Zurecht interpretiert Taub die Forma Orbis im Hinblick auf den historischen Kontext: Diese Karte symbolisiere die Neugründung Roms durch Septimius Severus nach Beendigung des Bürgerkrieges.78 Die Forma Urbis führt eindrucksvoll vor Augen, daß antike Betrachter über die Fähigkeit verfugten, eine Karte zu lesen. Bereits aus dieser Tatsache kann auf die Verbreitung von Karten für diese Raumgröße in der Antike geschlossen werden. Leider sind davon nur wenige archäologische Zeugnisse erhalten. Dies erklärt sich daraus, daß die Zeichnungsträger oft aus vergänglichem Material wie Papyrus, Pergament oder Wachstafeln hergestellt waren. Die erhaltenen Pläne wurden auf Marmortafeln abgebildet und dienten der Dokumentation und Repräsentation, nicht aber administrativen Zwecken. Allerdings orientierten sich die Marmorpläne in ihrer Notationsweise an den Planungszeichnungen.79 Bei Ausgrabungen in Rom-Trastevere 1983 fand man Fragmente eines weiteren Marmorplanes. 80 Darauf sind im wesentlichen drei Gebäudekomplexe abgebildet. Die erste Anlage ist mit JAE / JET / JUM, die zweite mit CORNEUAE ET SOC und die dritte mit CASTORIS ETPOLLUCIS beschriftet. Dabei handelt es sich um

77 78 79 80 158f.

Kolb 1995, 23f;Taub 1993, 15ff. Taub 1993, 15ff. Heisel 1993, 199-202. Publikation bei: Conticello de' Spagnolis 1984,14f; Vgl. Brodersen 1995,229; Nicolet 1991,

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Magazine und den Tempel des Kastor und Pollux am Tiberufer in der Nähe des Circus Flaminius. Die Darstellung des Marmorplans überschneidet sich in einigen Stellen mit der Forma Urbis. So zeigt die Forma Urbis die Magazine mit der Bezeichnung C0RNELL4E

ET SOC, die am unteren Rand des Marmorplans

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gezeichnet sind. In gleicher Weise wie die Forma Orbis kann man den Marmorplan als Karte bezeichnen. Dafür spricht, daß ein Verkleinerungsverhältnis von 1:240 feststellbar ist. Es findet sich ebenfalls eine ausgeprägte graphische Zeichensprache. Doppelte Linien stehen für Mauern, Quadrate mit eingeschriebenem Kreis für Säulen und parallele Linien fur Treppen. Die beiden letztgenannten Zeichen sind auch in der Forma Urbis erkennbar. Man könnte vermuten, daß diese beiden Zeugnisse für einen einheitlichen Typ von Stadtplänen Roms stehen, die weit verbreitet waren und von denen — bedingt durch Zufalle der Überlieferung — lediglich zwei die Antike überdauert haben.

d. Antike Bauzeichnungen Von den erhaltenen Plänen verdienen neben den bereits erwähnten zwei eine nähere Betrachtung.82 Im Museum von Urbino wird der Marmorplan einer Grabanlage aus der Via Labicana in Rom aufbewahrt.83 (vgl. Abb. 6) Auf dem 85 χ 68 cm großen Plan geht ein öffentlicher Weg in einen privaten über. Der Privatweg umgibt auf zwei Seiten ein ummauertes Gelände, auf dem ein Grabmal steht. Die Beischriften VIA PRIVATA (Privatweg), HARUNDINETUM (Röhricht), FOSSA (Graben) und VIA PU[BLICA] (öffentliche Straße) erläutern die Karte. Vergleichbar der Forma Urbis weist der vorliegende Plan eine Reihe von graphischen Zeichen auf. Eindeutig zu identifizieren sind Linien, die Mauern oder Begrenzungen der Straßen darstellen. 81 FUR Nr. 32 (Rodriguez-Almeida 1981,136-39 [Tav. XXIV]); vgl. Conticello de' Spagnolis 1984, 57f. 82 Weitere Beispiele für Baupläne: der Lageplan eines Aquäduktes aus Rom (CIL VI 1261), der einer Badeanlage aus Rom (CIL VI 29845), der einer Grabanlage aus Ostia (CIL XIV 607), das Fragment eines Marmorplans aus der Via della Polveriera (CIL VI 29846) und ein Fragment von der Isola Sacra bei Ostia (CIL XI4419). Vgl. dazu Gatti 1959/60 a, 207-9; Heisel, 185-199; Brodersen 1995, 225-232. 83 CIL VI 29847; vgl. Gatti 1959/60a, 207f; Dilke 1985, 107; Heisel 1993, 186ff; Brodersen 1995, 227f.

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Durch die Beischrift HARUNDINETUM erschließt sich, daß durch engere Punktierung Grünflächen abgebildet wurden. Dagegen kann nicht eindeutig beantwortet werden, ob die im größeren Abstand gezeichneten Punkte für Säulen oder für Bäume standen. Ein im archäologischen Museum von Perugia ausgestellter antiker Marmorplan einer Grabanlage verdeutlicht, daß innerhalb eines Planes jeweils verschiedene Maßstäbe angelegt werden konnten.84 (vgl. Abb. 7) Dieser bildet den Grabbau etwa 1:85, das Wächterhaus 1:140 und dessen Obergeschoß 1:230 ab. Hier scheint ein sogenannter Bedeutungsmaßstab vorzuliegen, der die Objekte nicht nach ihrer tatsächlichen Größe, sondern nach der subjektiven Wertung des Zeichners darstellt. Daß Bauzeichnungen maßstabsgetreu angefertigt wurden, belegt Vitruv 1, 2, 2. Bei der Darlegung der ästhetischen Grundbegriffe der Baukunst geht Vitruv auf die dispositio ein, den zeichnerischen Entwurf. Hinsichtlich der Darstellung unterscheidet er die ichnographia, den Grundriß, die orthographia, den Aufriß, und die scaenographia, die perspektivische Darstellung.85 Die Anwendung eines Maßstabes bei der ichnographia zeigen die Verwendung von Zirkel und Lineal, der Ausdruck modice continens und die spätere Rekonstruierbarkeit vor Ort: Ichnographia est circini ngulaeque modice continens usus, e qua capiuntur formarum in solis arearum descriptiones. Die vorgestellten Gebäudepläne entsprechen der ichnographia. Ebenso erwähnt Vitruv die maßstabsgetreue Darstellung bei der orthographia. Orthographia autem est erecta frontis imago modice picta rationibus opens futurifigura. Bei der scaenographia zeugen Zirkel und Geometrie von einem Maßstab.

e. Die Illustrationen in den Handschriften des Corpus Agnmensorum Neben dem Kataster von Orange und der Forma Urbis bezeugen die Illustrationen des Corpus Agnmensorum römische Karten für den Kleinraum. Nach Carder können die Illustrationen in drei Typen eingeteilt werden: einfache Diagramme, die keinen topographischen Bezug haben und mathematische Probleme darstellen, mehrfarbige 84 CIL VI 29847a (=CIL VI 8692); vgl. Gatti 1959/60a, 208; Heisel 1993, 188-91; Brodersen 1995, 225f. 85 Heisel 1993, 184f.

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Die geometrische Einteilung der Landschaft

Bilder, die von der römischen Landschaftsmalerei abzuleiten sind, und ein Mischtyp, der Grundpläne oder Panorama-Landschaften aus der Vogelperspektive zeigt.86 Da bei Frontin, dem ältesten Autor, die meisten Abbildungen dem Diagramm-Typus und bei Agennius Urbicus, dem jüngsten Autor, dem bildhaften Typus zuzurechnen sind, ist der erste Typus älter, der zweite jünger. Der Mischtypus erklärt sich am besten daraus, daß allmählich bildhafte Elemente zu den Diagrammen hinzugefügt wurden. 87 Betrachtet man die zahlenmäßige Verteilung der drei Typen im Corpus Agrimensorum, so zeigt sich, daß drei Viertel der Illustrationen dem Diagramm-Typus zuzuordnen sind. Die drei erwähnten Typen übernahmen in unterschiedlichem Maße die Elemente dreier Arten von bildlichen Quellen: der Landschaftsmalerei, der Katasterkarten und der itinera picta, der Itinerare in Bildform. 88 In diesem Zusammenhang geht es hauptsächlich darum, die Elemente der Katasterkarten in den Illustrationen des Corpus Agrimensorum aufzuzeigen. Ein erster wichtiger Gesichtspunkt ist die Frage nach dem antiken Ursprung der Abbildungen. Insbesondere Schulten vertrat die These, daß den Illustrationen reale Katasterkarten zugrundelagen.89 Dabei argumentierte er mit der Existenz von Bildinhalten, die nicht aus dem Text abzuleiten waren. Dagegen behauptete Castagnoli, daß die Illustrationen nur einem allgemeinen Typus der forma gefolgt wären. 90 In der Tat sprechen Fehler und Ungenauigkeiten bei der Abbildung der Landschaft gegen reale Katasterkarten als Quelle. Lediglich in einigen Fällen ist eine Lokalisierung der auf den Illustrationen angegebenen Orten möglich. Beispielsweise läßt sich Colonia Augusta in Fig. 96 eindeutig als Aosta lokalisieren, da es nur ein Colonia Augusta in Gebirgsnähe gab. Allerdings ist die topographische Lage von Aosta nicht korrekt wiedergegeben, das in einem langen, von Ost nach West verlaufenden Tal liegt.91

86 Catder 1978, 36. 87 Ebd., 182-89. 88 Ebd., 167-82. Eine Verbindung zwischen den Illustrationen im Corpus Agrimensorum und der Tabula Peutingeriana bezeugen besonders die Mauern der Stadtvignetten. Dies betrifft vor allem Fig. 135a und 136a in Ρ und die Vignetten von Aquileia, Ravenna, Tessalonica, Nicaea, Nicomedia und Ancyra in der Tabula Peutingeriana. Vgl. dazu Carder 1978, 174f. 89 Schulten 1898, 561. 90 Castagnoli 1944,117f. 91 Dilke 1961,421; Düke 1967, 20.

Die geometrische Einteilung der Landschaft

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Die Diskussion läuft letztlich darauf hinaus, das Vorhandensein bzw. Fehlen von realen topographischen Elementen in den Illustrationen zu beweisen. Meines Erachtens steht aber ein anderer Gesichtspunkt im Vordergrund: Diese Abbildungen belegen die Verbreitung von Katasterkarten in der Antike. 92 Dies zeigen die Elemente einer Katasterkarte im Codex Palatinus.93 (vgl. Abb. 8) Der der Illustration zugeschriebene Text legt das Wesen einer forma dar. Zur Erläuterung des Textes bildet die Illustration einen Katasterplan ab: Drei Flüsse, der

FLUMENIUMARO,

ein ungenannter und der FLUMEN AXIOM, verlaufen von oben nach unten. Von links nach rechts finden sich die Städte OPULENTL4, AUGUSTA

und HASTA.

COLONIA

IULLA

Straßen verbinden die Städte und gehen von ihnen aus.

Daneben wurden zwei Berge, umgrenzte subseciva und das Limitationsnetz angedeutet. Schulten setzte 0PULENTL4 COLONIA IULIA AUGUSTA

mit der modernen Stadt Pollentia,

(TAURINORUM)

mit Turin und HASTA mit Asti

gleich. Die Illustration bildet die Topographie in den Grundzügen ab, beispielsweise in der ungefähren Entfernung der drei Städte, weist allerdings auch einige nicht lokalisierbare Elemente auf.94 Die erwähnten topographischen Inhalte waren durch Beischriften näher erläutert, die beispielsweise die Namen der Städte und Flüsse aufführten. Besonders erwähnenswert sind die Angaben über einzelne Gebiete. Am Fluß lumam finden sich die Erläuterungen FINES OPULENTINORUM, UT VAUENS1UM

und FINES

SECUSTETRONENSIUM.

gleicher Weise die Beischrift FINES Dagegen stehen die Angaben FINES ASTIONENSIUM

UT CAESENSIUM OPULENTINORUM

FINES

Das betrifft in am Fluß

AXIUM.

und FINES

UT

zwischen den Flüssen.

Ohne die später hinzugefügten Elemente wie die Stadt- und Bergvignetten weist die Darstellung Übereinstimmungen mit Katasterkarten, wie in Orange überliefert, auf. Das Limitationsnetz legt minuziös den Verlauf von Straßen und Flüssen fest. Beispielsweise erinnert die von dem FLUMEN

IUMARO und dem ungenannten

Fluß gebildete Insel an die Insulae Furianae im Kataster C von Orange. Hier findet

92 Vgl. Dilkes Resümee zu dieser Diskussion: »In terms of convention, too, illustrations suggest that a distinctive style of large-scale mapping was developing during the early empire.« (Dilke 1987a, 217). 93 Fig. 135a (Hyg.Grom., p. 166,2; CAR IV, p. 148f). 94 Carder 1978, 111-115.

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Die geometrische Einteilung der Landschaft

sich der Beweis für den antiken Ursprung der Illustrationen in den Handschriften. Denn es stellt sich die Frage, woher ein Handschriftenillustrator im 9. Jahrhundert Kenntnisse von Katasterkarten bekommen konnte. Da Katasterkarten nicht zur Lebenswirklichkeit dieser Zeit gehörten, ist lediglich denkbar, daß er eine antike Tradition fortsetzte. Aus dem vorgeführten Vergleich geht hervor, daß Elemente einer Zeichensprache für die bildliche Darstellung räumlicher Inhalte in der römischen Antike verbreitet waren. Wie allerdings die obigen Beispiele zeigen, beschränkte sich die Zeichensprache auf die Abbildung der drei Elemente Straßen, Flüsse und Limitationsnetz. Solche Zeichen müssen nicht durch Konvention festgelegt werden, sondern lassen sich auch durch Analogie erschließen. Das Kriterium der maßstäblichen Abbildung läßt sich in der vorliegenden Illustration nicht nachweisen. Um den Sachverhalt präzise zu fassen: Bei den Handschriftenillustrationen im Corpus Agnmensorum handelt es sich nicht um Karten, auch wenn die Abbildungen in ihrer ungefähren Anordnung der Topographie folgten. Aber in den Illustrationen setzt sich die Tradition der Katasterkarten fort, wie die übereinstimmenden Elemente der Zeichensprache beweisen. Daraus läßt sich schließen, daß der Gebrauch von Katasterkarten in der römischen Antike verbreitet war. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die inschriftlichen Belege von einer bildlichen Darstellung des Raumes zeugen. Hierbei sind aufgrund ihres Umfanges der Kataster von Orange und die Forma Orbis am aussagekräftigsten. Um so mehr erstaunt es, daß Brodersen und Nicolet in ihren Arbeiten über antike Kartographie den genannten beiden Quellen einen sehr geringen Platz einräumen.95 Im Kataster von Orange und der Forma Urbis war eine Zeichensprache ausgebildet, die es dem Betrachter erlaubte, anhand des Bildes eine räumliche Vorstellung zu gewinnen. Diese Zeichen waren zum einen nach der Analogie zum dargestellten Objekt gebildet. Zum anderen waren diese Zeichen durch Konvention festgelegt. 95 Kataster von Orange: Nicolet 1991,155f (ein halbe Seite), Brodersen 1995,223 (eine Seite); (halbe Seite), Brodersen 1995,231 (halbe Seite). Deshalb stellen die beiden auch nicht die maßgeblichen Kriterien der Kartographie heraus. Nicolets Fehler besteht darin, lediglich nach Belegen für antike Karten zu suchen und die Frage nach dem Aussehen der Karten zu vernachlässigen. Dagegen untersucht Brodersen, welche Form antike Karten hatten. Allerdings steht seine These einer nichtkartographischen Raumerfassung einer Wahrnehmung der Darstellungsformen der antiken Kartographie im Weg.

Forma JJrbis·. Nicolet 1 9 9 1 , 1 5 8

Die geometrische Einteilung der Landschaft

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Ich möchte in diesem Zusammenhang an die zwei unterschiedlichen Zeichen für Treppe erinnern, deren genaue Bedeutung dem heutigen Betrachter nicht mehr bekannt ist. Neben einer spezifischen Zeichensprache ist die maßstabsgetreue Abbildung der Wirklichkeit das andere Merkmal der Kartographie. Brodersen beispielsweise deutet das Nichtvorhandensein dieses Kriteriums als Indiz dafür, daß es in der Antike keine Kartographie gab. Dabei übersieht er aber erstens, daß die Maßstäblichkeit nicht das einzige Kriterium der Kartographie ist.96 Zweitens verwechselt er Ungenauigkeiten in der Abbildung mit einem Nichtvorhandensein von Maßstäblichkeit.97 Fehler in der Abbildung und daraus resultierende Ungenauigkeiten haben viele Ursachen. Sicher läßt sich zum einen technisches Unvermögen anführen. Zum anderen muß aber berücksichtigt werden, daß Stein der einzige überlieferte Zeichnungsträger ist, ein für die genaue Darstellung geometrischer Sachverhalte nicht übermäßig geeignetes Material. Da für gewöhnlich Katasterkarten auf vergängliches Material wie Pergament, Papyrus oder Wachs tafeln gezeichnet waren, sind nur wenige Reste von formae erhalten. Doch belegen die Illustrationen im Corpus Agrimensorum, die Elemente von Katasterkarten aufweisen, daß die Feldmesser mit diesen arbeiteten. Folglich ist es nicht zulässig, von der schlechten Überlieferung von Katasterkarten auf deren Nichtexistenz zu schließen. Desweiteren entspricht es nicht den Tatsachen, den Text als das einzige Medium zu betrachten, das Informationen über den Raum übermittelte. Sicher war es einem agrimensor möglich, die Lage einer centuria im Limitationsnetz nur mit Hilfe eines Textes zu beschreiben, d. h. in ihrem jeweiligen Abstand von decumanus und kardo maximus. Auf diese Weise wurden einmal die termini beschriftet, die die Grenzen einer centuria bezeichneten. Dann sprachen die Feldmesser von commentarii, wenn sie räumliche Sachverhalte in einem Text beschrieben. Wie diese aufgebaut waren, werde ich weiter unten, in dem Abschnitt über die Größe des gromatischen Raumes, darstellen. Dennoch war der Text nicht das einzige Medium. Diesen Sachverhalt belegen die Kataster von Orange: Während der Text über die Lage der centuria, über die Eigentums- und Besitzverhältnisse und über die Höhe der Abgaben informiert,

96 Brodersen 1995, 33-36. 97 Ebd., 232f.

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Die geometrische Einteilung der Landschaft

beschreibt das Bild die Lage der centuriae zu landschaftlichen Elementen wie Flüssen und Straßen. Sicherlich ist der Text geeigneter, komplexe Sachverhalte zu vermitteln, wie beispielsweise die Höhe der Abgaben, während das Bild räumliche Zusammenhänge veranschaulichen kann. Doch sind auch Überschneidungen möglich: So wurden wie in dem dargestellten Fragment des Katasters C Flüsse durch den Text vollständig, durch das Bild teilweise abgebildet. Daraus aber auf einen Vorrang des Textes zu schließen, wäre unzulässig. Im Kataster Β ist das Verhältnis umgekehrt: Der Text erwähnte den Fluß nicht, dagegen das Bild. Die vorgestellten Quellen haben gezeigt, daß es sich bei den formae um Karten handelt. Diese sind durch eine Zeichensprache gekennzeichnet, die dem Betrachter eine Rückübersetzung in die Wirklichkeit ermöglichte. Desweiteren ist in den Katasterkarten ein Maßstab erkennbar, der den erfaßten Raum in einem bestimmten Verkleinerungsverhältnis abbildet. Bei den vorliegenden epigraphischen Quellen wie den Katastern von Orange und der Forma Urbis handelt es sich keinesfalls um Zufälligkeiten der Überlieferung, die keine Aussagen über den antiken Gebrauchswert zulassen. Das machen die Abbildungen und Textbelege in den Feldmesserschriften deutlich.

4. Möglichkeiten und Grenzen gromatischer Raumerfassung

a. Der limes. Wort und Bedeutung Im folgenden Kapitel soll aufgezeigt werden, daß die gromatischen Raumvorstellungen in den Köpfen der Römer für die Raumkonzepte auf Reichsebene relevant waren. Dabei geht es um die Frage, in welchem Umfang die Feldmesser Aufgaben übernahmen, die über die Vermessung von Äckern hinausgingen und welche Größe die erfaßten Räume hatten. Zunächst soll vom limes die Rede sein. Bei diesem Begriff läßt sich eine interessante Erweiterung feststellen. Ursprünglich bezeichnete er die Feldgrenze und den Flurweg. Der limes findet sich aber auch in militärischen Zusammenhängen, die das römische Reich betreffen.

Die geometrische Einteilung der Landschaft

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Aufs Ganze gesehen beinhaltet der Begriff limes ein verbindendes und ein trennendes Element, er ist zugleich Weg und Grenze. Diese beiden Aspekte finden sich bereits in den antiken etymologischen Erklärungen des Wortes limes. Nach Frontin ist dieses Wort von dem Adjektiv limus abzuleiten, das mit schräg oder schief zu übersetzen ist.98 In den Kontext gehöre auch die Phrase limis oculis bei den antiken Dichtern. Horaz gebraucht ut limis (s.c. oculis) rapias quid in dem Sinn >daß Du hinschielend rasch wegkommsfc." Frontin führt auch das Substantiv limus an, ein schräg mit Purpur besetzter Schurz. Beinhalten die bisherigen Beispiele das verbindende Element, so wird mit dem Urnen, der Schwelle, das trennende angesprochen. Wie man über die Schwelle ein Haus betrete oder verlasse, so betrete oder verlasse man über den limes einen Acker. Siculus Flaccus leitet limes ausschließlich von limen ab.100 Seiner Meinung nach bestimmt das Wort innen und außen, in der Erklärung des Wortes folgt er also Frontin. Hyginus Gromaticus leitet das Wort limes von limus und limen ab.101 Die Argumentation ist im wesentlichen mit der von Frontin vergleichbar. Allein bei der Ableitung von limus differenziert er. Seiner Meinung nach bezeichnen die limites ursprünglich nur die zum kardo maximus parallelen Wege. Erst später wird diese Bedeutung auch auf die zum decumanus maximus parallelen Wege übertragen. Die Feldmesser gehen häufig auf die Funktion der limites als Wege ein. Alle Autoren betonen, daß die limites als öffentliche Wege dienen.102 In der Regel haben sie jeweils auch eine vorgeschriebene Breite. Nach Hygin weisen der decumanus und der kardo maximus eine Breite von 30,15 oder 12 Fuß auf, die übrigen limites haben acht Fuß.103 Ein weiteres Charakteristikum von limes ist die Funktion als Grenze. Im Normalfall begrenzen innerhalb des Limitationssystems die limites die einzelnen Centurien. Dieses Vorgehen soll rechtliche Auseinandersetzungen verhindern. 98 Limites autem appellati transversi s a limo, [id est] antique verbo [transgressa]; a quo dicuntpoetae >limis oculisegozentrische< System des Itinerars aus.72 Ausgangspunkt der Orientierung war Italien. Das führte dazu, daß die übrigen Gebiete in ihrer ungefähren Lage zu Italien angeordnet sind: Gallien ist links, der Balkan rechts und Nordafrika unten. Diese Faktoren sind eine Ursache für die charakteristische Deformation der Tabula Peutingeriana. Eine andere ist durch die Höhe der Schriftrolle bedingt.73 Die graphische Darstellung von Reiserouten hatte gegenüber dem Text-Itinerar den Vorteil, daß es leichter möglich war, die entsprechende Nebenroute zu finden, wenn man von der Hauptroute abging. Während der Betrachter der Tabula Peutingeriana die Abzweigungen der verschiedenen Orte vor Augen hatte, mußte der Leser des lünerarium Antonini erst die Hauptroute vollständig durchmessen und dann die Liste mit der anschließenden Nebenroute suchen. Andererseits muß bedacht werden, daß die Anordnung der Orte und Routen - zumindest für den heutigen Betrachter der Tabula Peutingeriana—verwirrend ist. Auf einer modernen Karte sieht die Verbindung Arelate (Arles) - Lugdunum - Andematunnum (Langres) Durocortorum - Gesoriacum folgendermaßen aus: Die Verbindung Arelate Andematunnum beschreibt ungefähr eine gerade Linie. Daran schließt sich der Weg an die Küste an, der im stumpfen Winkel auf die vorige Route stößt. Anders auf der Tabula Peutingeriana. Von Arelate nach Valentia führt der Weg nach rechts, von Valentia nach Vienna links, von Vienna nach Lugdunum links, von Lugdunum nach Cabillonum etwa geradeaus, von Cabillonum über Andematunnum nach Durocortorum links und dann parallel zum oberen Rand nach links, zur Küste. 71Ebd., 17-20. 72 Vgl. dazu Podossinov/Chekin 1 9 9 1 , 1 2 0 : »The reserved periples and itineraries do not testify to developed cartographical awareness of their authors, judging from their predominantly egocentric system of orientation which is purely anticartographic«. Dagegen bezeichnet Weber 1984, 3 die Tabula Peutingeriana als Karte: »die mittelalterliche Kopie einer antiken Weltkarte«. Levi/Levi 1981, 141 nennen die Tabuala Peutingeriana ebenfalls eine Karte, zählen aber die Merkmale des Itinerars auf: »Its designer constructed a map where roads, coasts, mountains, and rivers are laid down, as often possible, in series o f parallel and horizontal lines.« In gleicher Weise Stückelberger 1994, 70: »Straßenkarte des Römischen Reiches«. 73 Levi/Levi 1981, 147. Daß die Maße der Unterlage die Abbildung beeinflussen, zeigen auch die Kataster v o n Orange. Dagegen erklärt Weber (Weber 1976, 21; Weber 1984, 4f) die charakteristische Verzerrung durch die antike Vorlage, die Karte des Agrippa. Diese wies eine längliche Form auf, da sie in der Porticus Vipsania angebracht war.

Itinerar und Periplus

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Es bleibt noch, die Frage nach der Funktion der Tabula Peutingeriana 2u beantworten. Bei der Tabula Peutingeriana handelt es sich um ein Straßen- und Routenverzeichnis, das für die Bedürfnisse des cursus publicus und für private Reisende hergestellt wurde.74 Vergleicht man das Itinerarium Antonini und die Tabula Peutingeriana mit den literarischen Belegen für das Itinerar, so zeigt sich, daß im ersten Beispiel ein itinerarium adnotatum, im zweiten Beispiel ein itinerariumpictum vorliegt Das Itinerarium Antonini läßt sich eindeutig bestimmen, da der Text das einzige Medium der Darstellung ist. Es handelt sich hier sozusagen um die >einfachste< Ausprägung eines itinerarium adnotatum, das allein die Entfernungen zwischen den einzelnen Orten aufführt. Hinweise auf die Beschaffenheit der Straßen und der Rastquartiere, auf kürzere Wegstrecken, Berge und Flüsse fehlen. Diese Angaben finden sich in der Tabula Peutingeriana. Das itinerarium pictum ist für diese Informationen ein besser geeignetes Medium. Das liegt daran, daß es einfacher ist, Flüsse, Berge und Raststationen graphisch darzustellen, als verbal zu beschreiben. Besonders deutlich wird dies bei den Raststationen: Es bereitet weniger Mühe, die Qualität der Stationen durch eine bestimmte Vignette auszudrücken, als jedesmal zu beschreiben. Vereinfacht gesagt steht also das am meisten verbreitete, für die Darstellung komplexer Sachverhalte ungeignete itinerarium adnotatum gegen das weniger gebräuchliche, aber für die Darstellung komplexer Sachverhalte besser geeignete itinerarium pictum.

5. Das Fragment von Dura Europos Aus den bisherigen Ausführungen könnte durchaus geschlossen werden, daß das itinerarium pictum eine Erfindung der Spätantike darstellt, da die Tabula Peutingeriana und die literarischen Belege dieser Zeit entstammen. Daß diese Aussage nicht zutreffend ist, beweist ein einzigartiges, direkt aus der Antike übermitteltes Dokument: der Schild von Dura Europos, entdeckt 1923 bei den Grabungen in Dura 74 Weber 1976, 20; Levi/Levi 1967, 97-123; 171-74.

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lünerar und Periplus

Europos am Euphrat.75 (vgl. Abb. 10) Die Bezeichnung Schild ist ein Ergebnis der Interpretation von Cumont.76 Dagegen hat Arnaud in neueren Untersuchungen herausgearbeitet, daß es sich bei dem Fragment nicht um einen Schildüberzug handelt.77 Der Schild von Dura Europos belegt, daß das itineranumpictum bereits im 2./3. Jahrhundert n. Chr. Verwendung fand, eine Datierung, die durch die römische Besetzung von Dura Europos zwischen 165 und 256 n. Chr. gestützt wird. Der Schild stellt auf der linken Seite zwei Schiffe auf blauem Grund dar. Ein Bug am linken und Köpfe am unteren Rand des Pergaments lassen auf die Existenz mindestens zweier weiterer Schiffe schließen. Hieraus will Arnaud die symmetrische Abfolge der beiden Boote in je vier Sektoren erkennen, wovon seiner Meinung nach nur ein Sektor erhalten ist, eine Interpretation, die, so scharfsinnig sie auch sein mag, meines Erachtens zu weit geht.78 Auf der rechten Seite wird die blaue Fläche von einer gebogenen Linie begrenzt. Dahinter lassen sich Stadtvignetten und blaue Linien erkennen. Diese Objekte sind mit Namen in griechischer Schrift versehen. Aus den Ortsnamen geht hervor, daß Teile der West- und Nordküste des Pontus Euxinus dargestellt werden. Die einzelnen Ortsnamen lauten: [Π]αυ[υσός ποτ(αμός) Οδεσ[ός Βυβόυα Κάλλντ(ις) Τομέα Ι[σ]τρος ποτ(αμός) Δ ά ν υ β ι ς ποτ(αμός) Τύρα Βορ[υ]σ[θέν]ης Χερ[σ]6ν[ησος Τραπε[ζσύς Αρτα[...

μίλ(ια)..] μίλ(ια)..] [μίλ(ια)..] μ ί λ ( ι α ) [..] μίλ(ια) λ γ ' μ ί λ ( ι α ) μ' [μίλ(ια)..] μίλ(ια) πδ' [μίλ(ΐα)..] μίλ(ια)..] μίλ(ια)..] μίλ(ιοί) ,.].79

75 Dazu Uhden 1923, 117-25; Dilke 1985, 120ff; Düke 1987b, 249; Arnaud 1988, 151-62; Arnaud 1989, 373-87; Brodersen 1995, 145-48. 76 Nach Cumont 1926, 456f sprechen dafür die Dicke des Pergaments und der Fund von mehreren ovalen Schilden im Tour des Archers. 77 Nach Arnaud 1988,152 widersprechen das Fehlen von Holz, von Kleberesten am Pergament und des Schildbuckels einer Interpretation als Schildüberzug. 78 Arnaud 1989, 376. 79 Arnaud 1989, 378 schlägt die schlüssigste Lesart der Liste der Toponyme vor. Bereits Uhden 1932, 118 schlägt die Konjektur [Π]αν[υσός] vor, der Arnaud folgt, während Dilke 1985,121 sie

Itinerar und Periplus

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Von den angegebenen Namen lassen sich die folgenden modernen Orte und Landschaftselemente lokalisieren: Odessos als Varna, Tomis als Constanza, der Fluß Danubios als Donau, Tyras als Akkerman, Olbia am Borysthenes als Nikolajew, Chersonesos unweit des heutigen Sewastopol, der Berg Trapezus als Krimskie Gory und Arta als die Straße von Kertsch. Hinter Tomis, Istros und Tyras steht die Angabe der Entfernung in Meilen. Die doppelte Nennung der Donau, nämlich als Istros und Danubios, verwundert. Wahrscheinlich unterlief dem Zeichner des Fragments ein Fehler, indem er die Stadt Istros mit dem gleichnamigen Fluß verwechselte.80 Ein andere Erklärung wäre, daß dem Zeichner die Unterscheidung zwischen Hister für die untere Donau und Danuvius für die obere nicht geläufig war. Der Schild von Dura Europos weist eine Reihe von Elementen auf, die eine Einordnung als itinerarium pictum erlauben. Wenig stichhaltig ist dagegen die Interpretation als Karte.81 Die Stadtvignetten, die Häuser aus grünen Steinen bilden, sind denen der Tabula Peutingenana vergleichbar. Außerdem stehen neben den Ortsnamen Distanzangaben in römischen Meilen. Allerdings sind lediglich bei drei Orten die Entfernungen angegeben, nämlich bei Tomis, Istros und Tyras. Ebenfalls unklar ist, wie die Entfernungen gerechnet wurden. Arnaud nimmt an, daß sie von Thrakien aufaddiert wurden. 82 Die Beschriftung belegt, daß der sogenannte Schild von Dura Europos nach Westen ausgerichtet war. Bei näherer Untersuchung stehen zwei Aspekte einer Interpretation des Schilds von Dura Eutvps als itinerarium pictum im Wege. Es fällt auf, daß die West- und Nordküste des Schwarzen Meeres unvollständig abgebildet wurden. Daß die einzelnen Orte sehr schematisch angeordnet sind, kann mit Verweis auf die Tabula Peutingeriana noch erklärt werden. Beispielsweise liegen im Vergleich zu einer modernen physischen Karte Chersonesos und Arta zu weit im Norden. Dazu kommt, daß die nicht auffuhrt. Daß Τραπε[ζοϋς] nicht Trapezunt und ' Αρτα nicht Artaxata, die Hauptstadt Armeniens, bezeichnet, setzte bereits Uhden 1932,118f durch. Die Annahme von Cumont 1926, 329 hätte einen zu großen Sprung in der Routenkarte dargestellt. Ob der dargestellten Liste noch Pantikapaion hinzugefügt werden soll, mag dahin gestellt bleiben: Die zwei oder drei schwer lesbaren Ziffern erlauben keine vernünftige Konjektur. 80 Uhden 1932,123. 81 Dilke 1985,122 und Uhden 1932,117 interpretieren den Schild von Dura Europos als itinerarium pictum. Arnaud 1988, 151 bezeichnet ihn als Karte.

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Itinerar und Periplus

beiden Einbuchtungen an der Nordküste des Schwarzen Meeres, die die Krim bilden, nicht dargestellt werden. Aber es ist schwer zu erklären, warum die Darstellung die Ströme Tyras (Dnjestr), Hypanis (Bug) und Borysthenes (Dnjepr) übergeht, die jeder Reisende überqueren mußte. Diese Flüsse müßten auf jeden Fall Bestandteil eines itinerarium pictum sein. Dann fällt auf, daß die Distanzen nicht in Relation zueinander stehen: Zwischen dem Panysos und der Donau liegen die Orte nahe beisammen. Von der Donau bis Chersonesos sind die Entfernungen zweioder dreifach so groß. Schließlich sind ab Chersonesos die Distanzen wieder kleiner.83 Neben dem Aspekt der unvollständigen Abbildung der Landschaft bereitet die Tatsache Schwierigkeiten, daß das Meer im Zentrum der Darstellung steht. Im Vergleich dazu sind bei der Tabula Peutingeriana die Meere nur auf schmale Streifen reduziert. Handelt es sich beim Schild von Dura Europos um ein Instrument für Land- oder Seereisen? Ein itinerarium maritimum liegt nicht vor, da der Küstenverlauf so ungenau gezeichnet ist, daß das Pergament für einen Seefahrer keine Hilfe darstellt.84 Eindeutig handelt es sich bei dem Schild von Dura Europos um ein Itinerar für Landreisen, wie die Angabe der Entfernungen in Meilen belegt. Überspitzt formuliert, liegt ein Itinerar für Landreisen vor, das aber hauptsächlich das Meer abbildet. Ein Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich, wenn man die Aufmerksamkeit auf die abgebildeten Schiffe lenkt. Sie sind ein Indiz dafür, daß die dekorativen Elemente den praktischen Zweck des Itinerars überwiegen. Daraus folgt, daß in dem Schild von Dura Europos kein Instrument für die Orientierung vorliegt, sondern ein Itinerar als Wandschmuck. Es kann aber nicht geleugnet werden, daß diesem Bild ein Itinerar zugrundelag, eine Tatsache von grundsätzlicher Bedeutung.85

82 Arnaud 1988,156. 83 Ebd. 84 Stückelberger 1994, 72 bezeichnet den Schild von Dura Eurvpos als zeichnerische Darstellung eines itinerarium maritimum. 85 Dilke 1985,122: »It (the Dura Europos Schieid) may well be unofficial, since the language is Greek and the inclusion of large ships on the Black Sea does not look like the mark of an official Roman army map. But the places and mileages will have been transcribed from such a map, which will necessarily have been in Latin.«

Itinerar und Periplus

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6. Z u s a m m e n f a s s u n g Ich habe versucht, das Itinerar auf sein logisches Prinzip zu reduzieren. Vereinfacht gesagt handelt es sich bei jedem Meilenstein um ein Itinerar, das die Entfernung v o m jeweiligen Standort aus benennt. Dieses Schema läßt sich insofern erweitern, daß einzelne Strecken addiert werden, und die Routen ein Netz bilden. Die höchstmögliche Ausbildung dieser F o r m der Raumerfassung findet sich in der Tabula Peutingeriana, die die primäre Eindimensionalität durch die Vernetzung von Strecken überwindet und graphisch abbildet. D a z u kommen noch die graphischen Zeichen, ein signifikantes Merkmal der Kartographie. Diese sind ein Indiz für die Fähigkeit, räumliche Sachverhalte zu abstrahieren und zu verschlüsseln. Dies trifft nicht für einfache Zeichen wie für die Flüsse und Gebirge zu, die nach Analogie gebildet wurden, sondern für komplexe Zeichen wie bei den Stadtvignetten. Ihre ursprüngliche Bedeutung erschließt sich nur aus dem historischen kulturellen Kontext. D a eine Legende fehlt, kann geschlossen werden, daß den antiken Benutzern der Tabula Peutingeriana die Bedeutung der Stadtvignetten bekannt war. Liegt auch in der Zeichensprache ein wichtiges Kriterium einer Karte vor, so besteht doch ein wesentlicher Unterschied: Während eine Karte die Strecken im richtigen Winkel abbildet, verzichtet das itinerariumpictum darauf. Im Unterschied zur Karte werden die Strecken auch nicht maßstäblich abgebildet. Stattdessen werden die Entfernungen zu den einzelnen Routen aufgeführt, die den Betrachtern die Orientierung ermöglichen. So handelt es sich bei der Tabula Peutingeriana auch nicht um eine Karte, sondern um ein Itinerar, das aus moderner Sicht die höchste Entwicklungsstufe erreicht hat. Ein grundsätzliches Problem haben die obigen Ausführungen geklärt: Mit Hilfe des itinerarium pictum war es möglich, Landschaften durch ein Bild darzustellen. S o wäre auch denkbar, in dieser Abbildung räumliche Einheiten durch Linien zu begrenzen. Tatsächlich finden sich aber in der Tabula Peutingeriana, dem am besten erhaltenen Beispiel eines itinerarium pictum, keine Grenzlinien in dem Sinne, daß die Grenzen des Römischen Reiches durchgehend mit einer roten Linie bezeichnet worden wären. Der Zeichner unterscheidet aber durchaus räumliche Einheiten.

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Zum einen sind Provinzen und inoffizielle Landschaftsnamen in rot oder schwarz eingetragen. Zum anderen werden Flüsse vereinzelt als Grenzen bezeichnet: so der Euphrat als Grenze des Römischen Reiches, dann Nil und Tanais (Don) als Grenzen zwischen den Kontinenten. Dies erklärt sich zum Teil aus dem Zweck der Tabula Peutingenancr. Sie diente der Organisation von Reisen, nannte also die einzelnen Orte und die jeweiligen Entfernungen. Grenzen, sofern sie kein Hindernis für die Reise waren, mußten nicht genannt werden. Da sie nicht aufgeführt werden, kann geschlossen werden, daß sie der individuellen Bewegungsfreiheit keine Schranken setzten. Desweiteren zeigt sich in der Darstellung der Tabula Peutingeriana eine Art Bedeutungsmaßstab: Die Gebiete östlich des Rheins bzw. nördlich der Donau waren auf einen schmalen Streifen reduziert, d. h für einen Bewohner der antiken Mittelmeerwelt von geringer Bedeutung. Überhaupt fällt auf, daß der größte Teil der Tabula Peutingeriana Gebiete des Römischen Reiches darstellt. So kann bei einem römischen Betrachter der Eindruck entstehen, — nach Eroberung des ehemaligen Alexanderreiches — über die ganze Welt zu herrschen. Und wenn man die Welt beherrscht oder den Anspruch darauf erhebt, ist die Einzeichnung von Grenzen unnötig.

IV. Das geometrische Weltbild. Griechische Geographie und römische Rezeption

1. Die Quellen Im folgenden Kapitel geht es darum aufzuzeigen, in welcher Form die antike Geographie sich präsentierte und wie sie sich zu den Modi der Raumwahrnehmung verhielt. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Merkmale der kartographischen und hodologischen Raumvorstellung vorliegen und welches spezifische Verhältnis zwischen den beiden Vorgehensweisen besteht. Ausgangspunkt sind die astronomischen und geographischen Werke des Klaudios Ptolemaios (etwa 90 - 168 n. Chr.), vor allem das Almagest und die Geographia. Die Μαθηματική Σΰνταξις oder das Almagest behandelte astronomische Probleme. In diesem Werk prägte sich das geozentrische Weltbild aus, das bis Nikolaus Kopernikus seine Gültigkeit behielt: Die kugelförmige Erde ruht inmitten des kugelförmigen Himmelsgewölbes.1 Die Planeten, d. h. bei Ptolemaios auch Sonne und Mond, bewegen sich um die Erde. Die Γεωγραφική ί>φήγησις oder Geographia umfaßt eine theoretische Einleitung zur Zeichnung von Karten (Buch 1 und 2 Anfang), einen Ortskatalog mit der Angabe von Koordinaten (Buch 2,2-7,4) und eine Beschreibung von 26 Länderkarten (8. Buch).2 Ein zentrales Forschungsproblem betrifft die Überlieferung von Karten in den Ptolemaioshandschriften. Dabei geht es um die Frage, ob die überlieferten Karten einen antiken Ursprung aufweisen oder in byzantinischer Zeit nach dem Text der Geographia rekonstruiert wurden.3 Die wissenschaftliche Diskussion läßt sich auf vier 1 Dilke 1 9 8 7 , 1 8 1 ; Stückelberger 1994, 31; Toomer 1984, Iff. 2 Für die Bücher 1-5 wird die Edition von Müller 1883 herangezogen. Die übrigen Bücher werden nach Nobbe 1843 zitiert. Mzik 1938 übersetzte und kommentierte Buch 1 und 2 Anfang. 3 Eine Gruppe von Forschern spricht sich dafür aus, daß die Karten seit der Antike Bestandteil der Geographia waren: Schnabel 1938, 95ff; Fischer 1932, 108; Polaschek 1965, 680-833;

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Themen reduzieren. Das erste untersucht Aussagen in der Geographia über Karten und Kartographie. Die einzelnen Belege weisen darauf hin, daß das Werk auf eine Karte ausgerichtet war und damit in der Tradition der anderen antiken illustrierten Fachbücher stand.4 Ptolemaios übernahm die Konstruktion einer Karte aber nicht selbst, sondern übertrug die Aufgabe einem Spezialisten. Im Zusammenhang mit der Definition von Geographie spricht Ptolemaios von μίμησις und διά γραφής, also von zeichnerischer Abbildung.5 Da Ptolemaios von seinem Vorhaben, Karten zu zeichnen, im Futur berichtet, lagen die Karten vor der Abfassung der Geographia noch nicht vor.6 Vor der Konstruktion der Karten fixierte Ptolemaios die relevanten Daten durch Kataloge. Dieses Medium hatte den Vorteil, daß es leichter zu kopieren und weniger anfällig für Fehler war. Ptolemaios selbst beklagte, daß infolge von häufigem Kopieren der Karten Verfälschungen auftraten.7 Ein weiterer strittiger Punkt betrifft die sogenannte Agathodaimon-Frage. Im Codex Vaticanus Urbinas Graecus 82 und im Codex Marcianus Graecus 516 stellt sich ein Agathodaimon aus Alexandria als Zeichner der Karten vor: έκ των Κλαυδίου γεωγραφικών βιβλίων 6κτώ τήν οίκουμένην πασαν ' Αγαθοδαίμων ' Αλεξάνδρεια μηχανικός 1>πετυπώσατο.8 Es bleibt allerdings unklar, zu welchem Zeitpunkt Agathodaimon wirkte, ob er alle Karten zeichnete oder nur die Weltkarten.9 Darüber hinaus wird eine Stelle bei Cassiodor als Beleg für die Existenz von Karten diskutiert. Die Anschaulichkeit der Geographia ermögliche, in allen Ländern

Stückelberger 1994, 60f; Stückelberger 1996, 197-205. Dagegen vertritt die andere Gruppe die Neukonstruktionshypothese: Kugeas 1909, 116; Gisinger 1924, 666; Diller 1940, 66; Bagrow/Skelton 1985, 41ff; Dilke 1985, 80f; Dilke 1987,189f. 4 Stückelberger 1994, 60-65. 5 Ptol. Geogr. 1,1,1. 6 Hierbei kann beispielsweise προτάξομεν (Ptol. Geogr. 2, 1, 5) angeführt werden. Dagegen verwendet er im 8. Buch im Zusammenhang mit Karten Aorist: της ΕΌρώπης έποιησάμεθα πίνακας (Ptol. Geogr. 8, 2,1). Vgl. dazu Dilke 1987,190. 7 Ptol. Geogr. 1,18, 3; 1, 19. 8 Zitiert nach Stückelberger 1994, 128. 9 Fischer 1916, 4 läßt die Länderkarten auf Ptolemaios zurückgehen und nimmt an, daß die Weltkarte des Agathodaimon die des Ptolemaios verdrängt habe. Dilke 1987c, 271f sieht in den Weltkarten das Werk des Agathodaimon. Die Länderkarten sind seiner Meinung nach Rekonstruktionen aus byzantinischer Zeit. Stückelberger 1994, 61 hält Agathodaimon für den Zeichner aller Karten.

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zu Hause zu sein und sie im Geist zu durchreisen.10 Diese Stelle ist meines Erachtens kein ausreichender Beweis für die Existenz von Karten, da sie sich auch auf einen Text beziehen kann. Schließlich fuhrt Stückelberger ein Gedicht des byzantinischen Gelehrten Maximos Planudes (1255-1305) an. In diesem verleiht Planudes seiner Freude Ausdruck, endlich eine Ptolemaios-Handschrift mit Karten gefunden zu haben. 11 Nach Stückelberger weisen einige Passagen in dem Gedicht auf Karten hin. So wird die geographische Schrift als Wunderwerk bezeichnet, das die ganze Welt vor Augen führt, wie jemand eine einzige kleine Stadt auf Tafeln malt (Zeile 1-3): Θαύμα μέγα, χθονίοιο περίτροχον άντυγα κόσμου πώς σοφίτ) Πτολεμαίος ΐ>πόψιον ήγαγε πάσαν, ώς ε ΐ τις μίαν έγραφεν 'εν πινάκεσσι

πολίχνην.

Desweiteren vergleicht Planudes die Farbenpracht der Handschrift mit einem Gewand der Athene (Zeile 4-6), ein Argument für die ursprüngliche Verbindung von Karten mit dem Text. Schließlich erwähnt Planudes den Inhalt der Geographicr. Diese zeige Form, Anordnung und Umrisse der ganzen Erde, Flußmündungen, Lage der Städte und Berge, Völker und das Meer mit den Inseln (Zeile 15-18). Für das Verständnis des Gedichts muß die Fundgeschichte der Ptolemaios zugeschriebenen Karten berücksichtigt werden. Planudes teilte dem General Alexios Philanthropenos in einem Brief seinen Wunsch mit, die Bücher des Ptolemaios zu finden.12 Nach eigener Aussage fiel ihm nach längerem Suchen eine kartenlose Handschrift in die Hände. Enttäuscht über das Fehlen von Karten habe er begonnen, Karten nach den Anweisungen des Ptolemaios zu zeichnen. Erst danach habe er eine Handschrift mit Karten entdeckt und seiner Freude in dem obigen Gedicht Ausdruck verliehen. Das entscheidende Problem besteht in der Glaubwürdigkeit des Planudes. Glaubt man seinen Ausführungen, so kann man vom antiken Ursprung der Karten ausgehen. 13 E s ist aber auch möglich, daß der Gelehrte die Karten rekonstruierte und durch das Gedicht seinen >Fund< legitimieren wollte.

10 Tum, si ms notitiae nobilis cura inßammaverit, habetis Ptolemaei codicem, qui sic omnia loca ev expressit, ut eum cunctarum regionum paene incolam futsse iudicetis. eoquefit,ut uno loco positi (sicut m decet) animopercurratis, quod aliquorumperegrinatioplurimo labore collect. (Cassiod. Instit. 1, 12). 11 Ich beziehe mich auf den von Stückelberger 1996, 200 verbesserten Text. 12 Planud. Epist. 119, 167-70. 13 Stückelberger 1996, 199f.

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Als Fazit läßt sich festhalten, daß der antike Ursprung der Karten in den Ptolemaioshandschriften nicht bewiesen werden kann. Als weitere Quelle ist das geographische Werk Strabons (64/63 v. Chr. - ca. 20 n. Chr.), die γεωγραφικά Υπομνήματα, wichtig.14 Die Geographika sind in einen allgemeinen und einen besonderen Teil untergliedert. Im allgemeinen Teil behandelt Strabon die Geschichte der Geographie, in der er Eratosthenes, Poseidonios und Polybios kritisiert, fuhrt die astronomischen und mathematischen Grundlagen auf und gibt eine kurze Beschreibung der Oikumene (Buch 1 und 2). Der besondere Teil beschreibt die einzelnen Länder: Spanien (Buch 3), Gallien, Britannien und die Alpen (Buch 4), Italien (Buch 5 und 6), den Norden Europas vom Rhein bis zur Krim (Buch 7), den größten Teil Griechenlands (Buch 8-10), Kleinasien (Buch 1114), Asien bis nach Indien (Buch 15 und 16) und schließlich Ägypten, Libyen und Mauretanien (Buch 17).15 Eine weitere wichtige Quelle stellt die Naturalis Histona des C. Plinius Secundus (23/24 n. Chr. -79 n. Chr.) dar.16 Für die vorliegende Arbeit sind besonders das 2. Buch über die Kosmologie und die Bücher 3-6 über die Geographie von Bedeutung. Pomponius Melas De chorographia ist »die älteste erhaltene geographische Schrift der Römer«.17 Dieses Werk entstand 43 n. Chr., wie aus den Angaben im Werk Melas hervorgeht. Anläßlich der Besprechung Britanniens bemerkte er, daß das Land in Kürze näher bekannt sein werde. Dieses so lange »verschlossene« Land habe der größte Kaiser durch Siege geöffnet.18 Daß es sich dabei um Claudius handelte, zeigt das Wortspiel clausus - Claudius.19 Die Auswahl der Autoren ist 14 Honigmann 1931, 76-151; 155; Aujac 1966; Abel 1974, 1084f; Prontera 1984; Olshausen 1991, 78-81; Stückelberger 1988, 69f. Für die Datierung des Todesjahrs von Strabon nennt Honigmann 1931, 77f die folgenden Belege: die Befriedung der Alpenvölker seit 33 Jahren, d. h. 18/19 n. Chr. (Strab. 4, 6, 9), die Einziehung von Kappadokien - allerdings ohne die Verfugungen des Germanicus 18 n. Chr. (Strab. 12, 1, 4), der Thronantritt von Zenon (Strab. 12, 3, 29), Kommagene als Provinz (Strab. 16, 2, 3), die Nennung des Tods von Iuba II. (23/24 n. Chr.) und die Bezeichnung des unabhängigen Status von Kyzikos, d. h. bis 25 n. Chr. 15 Aly 1957, 373f; Aly 1968, 9-100. 16 Kroll 1951, 271-439; König/Winkler 1979; Syme 1979, 745-73; Serbat 1986, 2073ff. 17 Gisinger 1952, 2362. 18 Mela 3,49; Brodersen 1994,1-9. Nach Gisinger 1952,2360f bildet die Nennung von Iuba II. (Tod um 23 n.Chr.), nicht aber des Nachfolgers Ptolemaios den terminus post quem, die Aufführung Melas unter den Quellen des Plinius den terminus ante quem. 19 Mela 3, 49.

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dadurch begründet, daß mit Ptolemaios ein expliziter Vertreter der mathematischen Geographie, mit Plinius und Mela Verteter der beschreibenden Geographie und mit Strabon ein Verteter der vermittelnden Position berücksichtigt werden.

2. Die mathematische und die deskriptive Geographie Eine wesentliche Bedeutung bei der Herausbildung der griechischen Geographie kommt dem Periplus zu. Eben diese Form hatte der Text, den Hekataios als γής περίοδος und περιήγησις seiner Karte der Oikumene hinzufügte.20 Das hatte zur Folge, daß der Periplus das Bauschema für die Beschreibung der Oikumene blieb.21 Die Bezeichnung für diese Tätigkeit blieb γής περίοδος, bis durch die alexandrinische Terminologie der noch heute gebräuchliche Begriff geprägt wurde.22 Seit dem Beginn des 4. Jahrhunderts muß zwischen der mathematischen oder wissenschaftlichen und der eher deskriptiven Geographie unterschieden werden.23 Nach Prontera war dies das Ergebnis zweier gegenläufiger Bewegungen: Die Geschichtsschreibung entdeckte die Bedeutung der Geographie und die Geographie wendete sich vermehrt mathematischen Phänomenen zu.24 Dabei kam es zur Trennung zwischen der Geographie, die die Karte konstruierte, und der, die die Karte literarisch beschrieb.25 Für die mathematische Geographie ist kennzeichnend, daß sie versuchte, auf der Grundlage von Mathematik und Astronomie die Erdkugel und die Oikumene meßbar zu machen. Zu diesem Zweck nahm sie astronomische 20 Gisinger 1924, 523; Gehrke 1998, 178. 21 Prontera 1984, 220; Gehrke 1998, 178f. 22 Gisinger 1924, 523. 23 Der genaue Zeitpunkt für die Ausbildung der wissenschaftlichen Geographie wird innerhalb der Forschung kontrovers diskutiert: Gisinger 1924, 523, 577 und Nicolet 1991, 59 treten für Eudoxos von Knidos ein, der ihrer Meinung nach als erster Astronomie und Mathematik in diese Disziplin einführte. Dilke 1985, 35 nennt Eratosthenes. Kubitschek 1919, 2057 spricht sich für Dikaiarch und Eratosthenes aus. Berger 1903, 367f nennt Dikaiarch. Zur grundsätzlichen Bedeutung der Geometrie für die Ausbildung der Geographie vgl. Gehrke 1998, 167f. 24 »I due fenomeni vanno considerati congiuntamente: gli storici cominciano a riconoscere la particolare natura della geografia nel momento in cui essa progredisce nei suoi contenuti scientifici.« (Prontera 1984, 251).

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Ortsbestimmungen26 vor und konstruierte auf dieser Grundlage und unter Heranziehung von Distanzen, die durch den Periplus bzw. das Itinerar gewonnen wurden, ein Koordinatennetz, das Parallelen und Meridiane aufwies.27 Dagegen wandte sich die beschreibende Geographie anthropogeographischen Themen zu. Sie zielte auf die Darstellung von sozialen, ökonomischen und politischen Verhältnissen in den einzelnen Ländern der Oikumene. Vereinfacht gesagt kann man den spezifischen Unterschied zwischen der beschreibenden und der wissenschaftlichen Geographie auf die beiden gegensätzlichen Pole (Natur)-Wissenschaft und Geschichte reduzieren.28 Diese Unterscheidung geht letztlich auf Strabon zurück, der versucht, zwischen den beiden Bereichen Philosophie (= Wissenschaft) und Politik (= Geschichte) zu vermitteln.29 Dabei handelt es sich gleichsam um Idealtypen, zwischen denen die antiken Geographen angeordnet werden können. Ptolemaios vertritt beispielsweise die extreme Ausprägung der wissenschaftlichen Geographie, während Pomponius Mela dem Bereich Geschichte zuzuordnen ist.30 Eine begriffliche Unterscheidung dieser beiden Formen ist in der Antike explizit nur

für Klaudios Ptolemaios

nachweisbar. Er grenzte die

Geographie

(= wissenschaftliche Geographie) von der Chorographie (= deskriptive Geographie) ab. Η γεωγραφία μίμησίς έστι διά γραφής τοϋ κατειλημμένου τής γης μέρους δλου μετά τώυ ώς έπίπαν αΐπψ συνημμένων, καί διαφέρει της χορογραφίας, έπειδήπερ αύτη μέν άποτεμνομένη τούς κατά μέρος τόπους χωρίς έκαστου καί καθ ' αίπόν &κτίθεται, συναπογραφομένη πάντα σχεδόν καί τά σμικρότατα των έμπεριλαμβανομένων, οίον 25 Ebd., 253. 26 Dabei war der Gnomon, der Schattenzeiger, das wichtigste Instrument. Mit seiner Hilfe ließen sich anhand des längsten bzw. kürzesten Mittagsschattens im Jahr die Winter- und Sommersonnenwendenpunkte bestimmen. Aus der Differenz der beiden Einfallswinkel errechnet sich das Äquinoktium, die Tagundnachtgleiche. Das Verhältnis von Schattenlänge zu Gnomonhöhe ergibt dann die geographische Breite. Vgl. dazu grundlegend Szabö 1992, 70-91; 105. 27 Berger 1903, 367f; Gisinger 1924, 604-14; Van Paassen 1957, 31; Nicolet 1991, 59; Engels 1998, 63-114; Gehrke 1998, 182-85. 28 Van Paassen 1957, 9-12; Prontera 1984, 254. 29 Strab. 1, 1, 1: die Geographie als Teil der Philosophie; Strab. 1, 1, 16: die Bedeutung der Geographie für Politiker; Strab. 1, 1, 22: ein Staatsmann sollte in Philosophie gebildet sein; Vgl. Engels 1998, 71 f. 30 Vgl. dazu die anschauliche Tabelle bei Prontera 1984,198f.

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λιμένας καΐ κώμας καΐ δήμους καΐ τάς άπδ των πρώτων ποταμών έκτροπάς καΐ τά παραπλήσια.31 Ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Ausprägungen besteht darin, daß die Geographie sich auf die ganze Erde richtet, die Chorographie nur auf einzelne Gebiete der Erdoberfläche. So beansprucht die Chorographie, möglichst alle Gegenstände in ihren Einzelheiten abzubilden, während sich die Geographie auf die wichtigsten Objekte, die Beschreibung der Lage eines Ortes (τοποθεσία) und der unterschiedlichen Formen der Landschaftselemente beschränkt.32 Desweiteren betrachtet die Geographie die Kugelgestalt und Größe der Erde (φύσις) und ihre Lage im Weltraum (θέσις).33 Desweiteren impliziert die Erkenntnismethode den Inhalt des Abgebildeten. Um die τοποθεσία und die ungefähren Formen in den einzelnen Gebieten aufzunehmen, bedarf die Geographie der Mathematik. Dagegen verzichtet die Chorographie auf sie.34 Dies erklärte Ptolemaios u. a. damit, daß die Geographie die aufgenommenen Dinge nach ihrem Größenverhältnis (ποσόν) betrachtet, während die Chorographie die Frage nach der Beschaffenheit der Objekte (ποιόν) stellt.35 Demnach benötigt die Geographie die Mathematik, da sie bei ihrer Abbildung auf Proportionalität bzw. Maßstäblichkeit achtet. Schließlich ist die zeichnerische Wiedergabe des jeweiligen Raumes Gegenstand der Geographie und der Chorographie. Davon zeugen die Ausdrücke μίμησις und διά γραφής.36 So muß bei der bildlichen Darstellung darauf geachtet werden, daß Form und Inhalt des Abgebildeten übereinstimmen und ein Betrachter die Abbildung überblicken kann.37 Allerdings unterscheiden sich Geographie und 31 Ptol. Geogr. 1,1,1. 32 Ptol. Geogr. 1,1,3. 33 Ptol. Geogr. 1,1,1. 34 Ptol. Geogr. 1,1,5. 35 Ptol. Geogr. 1,1,4. 36 Ptolemaios ist hinsichtlich der Terminologie unscharf. In Ptol. Geogr. 1,1,1 beschreibt er die Abbildung der Geographie mit διά γραφής. Dagegen verwendet er γραφικός άνήρ in Ptol. Geogr. 1, 1, 5 abwertend. Auch ist die Lesart διά γραφής nicht unumstritten, die C. Müller durchsetzte. Eine interessante Alternative bietet Kraus 1929,144ff an: διαγραφή wäre so das in der Vorstellung gebildete Linienbild, d. h. geometrische Figuren. 37 Ptol. Geogr. 1,1,3.

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Chorographie hinsichtlich der bildlichen Darstellung: Die Geographie stellt durch Linien und Zeichen Lage und Umrisse dar.38 Eine Abbildung der erwähnten Objekte in der dargestellten Weise war nur mit Hilfe der Mathematik bzw. der Geometrie möglich. Diese Elemente fehlen der Chorographie, die der Malerei vergleichbar und ohne Mathematik abbildet.39 Es ist deutlich geworden, daß hinsichtlich der Anwendung von Mathematik bzw. hinsichtlich des Verzichts die Geographie mit der wissenschaftlichen Geographie und die Chorographie mit der beschreibenden Geographie gleichzusetzen ist. Dies trifft aber nicht für den Gegenstand der Abbildung zu: Die beschreibende Geographie zielt nicht wie die Chorographie lediglich auf einzelne Teilgebiete, sondern auch auf die gesamte Oikumene. Auf der Grundlage der Definition des Ptolemaios versucht ein Teil der Forschung, insbesondere für Strabon den Begriff der Chorographie mit der beschreibenden Geographie in Verbindung zu bringen.40 Eine Untersuchung der relevanten Belege zeigt jedoch, daß Strabon den Begriff der Chorographie nicht so scharf wie Ptolemaios faßt, wenn er damit seine eigene Tätigkeit bezeichnet. In 1,1, 16 spricht er von jeweils einem Chorograph für die Inder, die Äthiopier und die Griechen und Römer. Im Anschluß daran erwähnt er einen Geograph für die Inder. Für die Chorographie erkennt er in gleicher Weise wie für die Geographie die Notwendigkeit von physischen und mathematischen Kenntnissen.41 In 2, 5, 17 erwähnt er einen χωρογραφικός πίναξ, bezeichnet den Vorgang kurz zuvor aber als γεωγραφεΐ. Die eigene Tätigkeit bezeichnet er sowohl als Geographie als auch als Chorographie.42 Bezieht er sich aber auf seine Quellen, meint er mit Chorographie Werke, die vornehmlich Distanzangaben beinhalten. Dies zeigen die Bezugnahmen auf einen χορογράφος, der in römischen Meilen die Distanzen für Korsika, Sizilien

38 ' Εμποιεϊ γώρ καΐ διά ψιλών τών γραμμών καΐ των παρασημειώσεων δεικνύναι καΐ τας θέσεις καΐ τοΰς καθόλου σχηματισμούς (Ptol. Geogr. 1,1,5). 39 Ptol. Geogr. 1,1,5. 40 Vgl. Gisinger 1924, 642ff; Dilke 1985, 52; Nicolet 1991, lOOf. 41' ΕπεΙ δέ τοις πρός έκείνους λόγοις συνεχής έστιν ή έγχείρησις της Ημετέρας \>ποσχέσεως, λαβόντες άρχήν έτέραν λέγωμεν δτι δει tbv χωρογραφεΐ ν έπιχειροϋντα πολλά τών φυσικώς τε καΐ μαθηματικώς λεγομένων ^ποθέσθαι, κα\ πρός τήν έκεινων Ίιπόνοιάν τε κα\ πίστιν τά έξης πραγματεύεσθαι (Strab. 2, 5,1). Vgl. für die Geographie: Strab. 1,1,19. 42 Als Geographie ζ. Β. in 1,1,1, als Chorographie in 8, 3,17.

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und Italien nennt.43 Dazu kommt noch ein Zitat des Polybios, nach dessen Auffassung die Aufgabe der Chorographie darin besteht, die Position von Orten und ihre Entfernung anzugeben.44 Bei Vitruv bezeichnet die Chorographie die zeichnerische Abbildung der gesamten Oikumene. 45 Anhand dieser Form beschreibt er die Lage der Quellen von großen Flüssen. Es ist erkennbar, daß er den Begriff der Chorographie in gleicher Weise wie Geographie gebraucht. Pomponius Mela bezeichnet sein der beschreibenden Geographie zuzurechnendes Werk als Chorographie.46 Schließlich findet sich χωρσγραφεΐν im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Feldmesser, der Erfassung des Kleinraums. Ein Soldat der Legio III Cyrenaica bezeichnet auf einer Inschrift mit eben diesem Verb seine Tätigkeit.47 Aus der Analyse der obigen Stellen ergibt sich, daß — mit Ausnahme von Ptolemaios — Chorographie in gleicher Bedeutung wie Geographie gebraucht wurde. Daneben ist aber auch eine Komponente erkennbar, die auf die Aspekte Distanzangaben und Teilgebiete Bezug nimmt. Dies legt die Vermutung nahe, daß es sich hierbei um Itinerare handelt.

43 Strab. 5, 2, 7; 6, 2, 1; 6 , 1 , 1 1 ; 6, 2, 11; 6, 3,10. 44 Strab. 10, 3, 5. 45 Haec autem sicfieri! testimoniopossunt esse capitafluminum, quae orbe terrarum chorogaphiispicia itemque scriptaplurima maximaque inveniuntur egressa ad septentriomm. (Vitt. 8, 2, 6); vgl. Brodersen 1995, 26f. 46 Brodersen 1994, 2f. Dies geht aus dem Titel des Werks hervor, der durch den Codex Vaticanus latinus 4929 überliefert wird. 47 OGIS 205 (= SEG VIII 860); vgl. Brodersen 1995, 221.

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3. Die geometrische Konstruktion des Raumes durch die antike Geographie

a. Klaudios Ptolemaios Ptolemaios erörtert spezifische Probleme, die die moderne Kartographie ebenfalls bestimmen. So zeigt seine Definition von Geographie und Chorographie, daß die Lesbarkeit von Karten thematisiert wird, d. h. ein Betrachter muß sie von einem ausreichenden Abstand übersehen können. Desweiteren erwähnt Ptolemaios die Abbildung des Raumes mittels Zeichen und Linien, ohne allerdings weitere Ausführungen darüber zu machen. Das zentrale Problem seiner Abhandlung über die theoretische Kartographie stellt die Maßstäblichkeit dar. Diese erzeugt er, indem er den jeweiligen Breitenkreis im richtigen Verhältnis zum entsprechenden Längenkreis abbildet. Insbesondere die von Marinus von Tyrus verwendete Zylinderprojektion stößt bei ihm auf Kritik.48 Marinus bildete die bewohnte Welt in einem Rechteck ab, das durch ein Koordinatensystem gegliedert war. Der wesentliche Fehler dieser Projektion besteht darin, daß bei ihr die gebogenen Linien der Erdkugel gerade gezeichnet wurden. Dagegen bevorzugt Ptolemaios die Kegelprojektion, die die Kugelgestalt der Erde besser berücksichtigte.49 Die Abbildung gleicht einem Strahlenbündel, von dessen Mittelpunkt konzentrische Kreisbögen ausgehen. Der Vorteil besteht darin, daß diese Projektion endang des zentralen Parallels von Rhodos (36°N) einen konstanten Maßstab beibehält und daß die Länge des Parallels von Thüle (63°N) proportional richtig zu der des Äquators ist. Doch auch diese Projektion weist Nachteile auf. So treffen die nördlichen und südlichen Hälften der Meridiane im spitzen Winkel auf den Äquator. Desweiteren stimmen die Größenverhältnisse zwischen dem abgebildeten Parallel von Thüle und dem Äquator nicht mit der

48 Ptol. Geogr. 1,20. Vgl. dazu: Mzik 1938, 93, 100; Gisinger 1924, 650-70; Polaschek 1965, 705-710; Dilke 1985, 77-81; Dilke 1987,185ff; Stückelberger 1994, 57f. 49 Ptol. Geogr. 1, 24,1-22.

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Himmelskugel überein. Bei der 2. Projektion gehen Bögen von dem zentralen Parallel aus, der durch Syene läuft (23° 50'N). Ein entscheidender Unterschied der Geographie des Ptolemaios im Vergleich zur modernen besteht darin, daß die antike Wissenschaft sich nur zum geringsten Teil auf astronomische Beobachtungen bezog und hauptsächlich mit empirischen Daten — Reisebeschreibungen, Kriegsberichten, Periplen oder Itineraren — arbeitete. Allein für vier Orte sind bei Ptolemaios die Breiten zweifellos astronomisch bestimmt.50 Für weitere Orte ist die astronomische Fixierung wahrscheinlich.51 Diese Angaben entnahm Ptolemaios Tabellen mit Koordinaten, die Hipparch und andere Geographen zusammengestellt hatten.52 Gerade hinsichtlich der Übermittlung von Entfernungen kritisierte Ptolemaios ihren summarischen Charakter, da die astronomische Fixierung nicht angewandt wurde. In diesem Fall bestehe die Aufgabe des Geographen darin, die empirischen Beobachtungen den astronomischen Berechnungen anzupassen. Die Bedeutung der Empirie ist auch dadurch erkennbar, daß Ptolemaios den Gradangaben von oft besuchten Orten eine höhere Glaubwürdigkeit zumißt als den selten besuchten.53 Schließlich hat die Verwendung von empirischen Daten zur Konsequenz, daß die antiken Längen- und Breitengrade auf einer modernen Karte oft Zickzacklinien bilden.54 Der Hauptteil der Geographia (2, 2 , 1 - 7, 4, 14) besteht aus einem Katalog von geographischen Objekten, die der Konstruktion einer Karte der Oikumene dienten. In diesem Katalog sind — mit Angabe der geographischen Länge (μήκος) und Breite (πλάθος) in Grad und Minuten — 8100 markante Punkte aufgelistet, die von Städten, Dörfern, Buchten, Flußmündungen, Vorgebirgen und sonstigen 55 Landschaftselementen gebildet wurden. Die Anordnung dieser Elemente beschrieb Ptolemaios selbst: Zunächst erfolgte die Unterteilung der Orte nach den drei 50 Syene (Ptol. Alm. I, p. 1 0 7 , 1 3 [Heib.]; Geogr. 4, 5, 32); Alexandria (Ptol. Alm. I, p. 4 0 7 , 1 7 [Heib.]; Geogr. 4,5,4); Rom (Ptol. Geogr. 3,1,54); Massilia (Ptol. Alm. I, p. 1 1 0 , 3 [Heib.]; Geogr. 2,10, 5); vgl. Kubitschek 1919, 2073f; Cuntz 1923, 96. 51 Cuntz 1923,96f versucht den Nachweis fur eine Anzahl von Orten zu erbringen, die um 15' von der wirklichen Breite abweichen. Diese Abweichung ist seiner Meinung nach ein spezifischer Fehler der antiken Breitenbestimmung. 52 Ptol. Geogr. 1, 4. 53 Ptol. Geogr. 2 , 1 , 2; vgl. Cuntz 1923,110. 54 Vgl. Janni 1984, 66f. 55 Kubitschek 1919, 2084f; Polaschek 1965, 711; Stückelberger 1994, 58.

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Erdteilen Europa, Afrika und Asien, dann in 82 Kapitel für die entsprechenden Länder.56 Desweiteren konnten die einzelnen Länder in Provinzen (σατραπεία, επαρχία) gegliedert werden. Die einzelnen Kapitel nannten zunächst die Begrenzung der Landgebiete mit den entsprechenden Positionsangaben. Daran schlossen sich die Völker und die Städte innerhalb des Gebiets an. In der Regel nannte eine Liste die Städte in der Nähe des Meers oder eines Hauptstroms, eine andere die im Landesinneren. Dieses Ordnungsprinzip läßt sich am Beispiel der Provinz Gallia Aquitania aufzeigen.57 Zunächst informierte ein Titel über die vier Provinzen Galliens, nämlich Aquitania, Lugdunensis, Belgica und Narbonensis. Dann wurde Aquitania umgrenzt: Die Beschreibung begann mit der Westgrenze, dem Adantik. Die Nordgrenze bildete der Liger (Loire), die Ostgrenze der Liger und die Narbonensis und die Südgrenze die Narbonensis und die Pyrenäen. Danach wurden die Stämme und die dortigen Orte von Nord nach Süd aufgelistet, zuerst die der Küste zugewandten, dann die im Landesinneren. Den Anfang der Küstenorte bildete Ratiatum, das Ende Aquae Augustae. Die zweite Liste, die der Orte im Landesinneren, begann mit Augustoritum und endete mit Lugdunum Colonia. Es zeigt sich, daß die geographischen Orte zum Teil genau, zum Teil lediglich annähernd lokalisiert wurden. Eine genaue Fixierung ermöglichten die Koordinaten, die den Verlauf der Grenzen fesdegen, und die der Binnenstädte. Dagegen sind die Stämme im Landesinneren nur annähernd bestimmt: durch die Koordinaten der Städte, die sich in ihrem Gebiet befinden, und durch die Zugehörigkeit zu einer der beiden Listen. Dabei wurde festgelegt, ob ein Stamm der westlichen Liste in der Nähe des Meers oder der östlichen im Binnenland zuzurechnen ist. Die Abfolge in der jeweiligen Liste, beschrieben mit ί)πό , d. h. unterhalb, bestimmt eine eher nördliche oder südliche Lage. Waren die vorausgehenden Bücher auf die Konstruktion einer Weltkarte ausgerichtet, so stehen im achten Buch die Teilkarten der einzelnen Länder im Vordergrund. Ptolemaios begründet dieses Vorgehen mit der Notwendigkeit der Lesbarkeit von Karten: Ein einheitlicher Maßstab für alle Länderkarten führe dazu, 56 Ptol. Geogr. 2,1, 2-9. 57 Ptol. Geogr. 2, 7,1-13.

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daß auf den einen Karten der einzutragende Stoff wegen seiner Menge zusammengedrängt, auf den anderen wegen Mangel gedehnt wird.58 Deshalb macht Ptolemaios den Vorschlag, daß die Länder (χώραι), die viele Eintragungen haben, für sich allein oder nur mit wenigen vereint eine Karte in größerem Maßstab erhalten sollen. Dagegen werden die Länder mit wenigen Eintragungen auf Karten in kleinerem Maßstab zusammengefaßt. Für Europa hat Ptolemaios zehn Länderkarten, für Libyen vier und für Asien zwölf angesetzt.59 Die wesentlichen Informationen zur Konstruktion dieser 26 Länderkarten finden sich in den Tabellen zu den einzelnen Karten. 60 Es wird angegeben, zu welchem Fesdand die Karte gehört, die wievielte des betreffenden Fesdandes sie ist, welche Länder sie umfaßt, in welchem Verhältnis der mitdere Parallel zum Meridian steht, und die Umgrenzung der Karte. Dazu kommen noch die ausgezeichneten Städte der jeweiligen Länder (πόλεις

επίσημοι), insgesamt 358. Dabei werden die

geographische Breite, die geographische Länge und die Zenitstellung von Orten genannt, die unter dem Tierkreis liegen. Dies läßt sich am Beispiel der Tabelle für die gallische Karte verdeutlichen: Gallien ist auf der dritten Karte Europas zu finden.61 Es beinhaltet vier Provinzen. Das Verhältnis zwischen Breiten- und Längengrad beträgt 2 : 3. Im Osten ist es von Germanien, Italien und Rätien begrenzt, im Süden vom Gallischen Meer, im Westen von den Pyrenäen und dem Aquitanischen Meer und im Norden vom Britannischen Ozean. Mit Angabe der Koordinaten werden die folgenden Orte genannt: Von der Provinz Aquitanien Mediolanum und Burdigala, von der Lugdunensis Augustodunum und Lugdunum, von der Belgica Gesoriacum und Durocortorum und von der Narbonensis Massilia, Narbo, Vienna und Nemausus. Im Vergleich zum Ortskatalog der vorausgehenden Bücher werden im 8. Buch einige gravierende Unterschiede deutlich. Während in den Büchern 2 bis 7 zuerst die geographische Länge angeführt wird, steht im 8. Buch die geographische Breite am

58 ' Erti μέν γάρ της 1>φέν καταγραφής άναγκαΐον γίνεται, διά τό δει ν συντηρεί ν το\ς πρός άλληλα των μερών της οίκουμένης λόγους, τά μέν στενοχωρεϊσθαι διά το συνεχές των Εντασσομένων, τά δέ παρέλκειν άπορία των έγγραφησομένων. (Ptol. Geogr. 8,1, 2). 59 Ptol. Geogr. 8, 2,1. 60 Vgl. dazu Kubitschek 1919; Fischer 1932,132. 61 Ptol. Geogr. 8, 5,1- 7.

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Anfang.62 Im 8. Buch dient der Meridian von Alexandria als Ausgangspunkt für die Längenrechnung, in den übrigen Büchern der Meridian der Glücklichen Inseln.63 Die geographische Breite wird im 8. Buch nach der Dauer des längsten Tages bestimmt, dagegen in den übrigen Büchern nach dem noch heute angewandten System nach Grad und Minuten. Die geographische Länge ist im 8. Buch nach der Entfernung vom Meridian von Alexandria festgelegt. Unterschiede finden sich ebenfalls in der Disposition des Stoffs. Während im 8. Buch die Grenzen im Uhrzeigersinn von Norden über Osten und Süden nach Westen genannt werden, liegt in den vorausgehenden Büchern die umgekehrte Beschreibungsrichtung vor.64 Die Beschreibung im 8. Buch beginnt mit den britannischen und den um diese herumgelagerten Inseln, das 2. Buch zunächst nur mit der Insel Irland.65 Im 8. Buch wird die Reihenfolge Lusitania, Baetica und Tarraconensis für die hispanischen Eparchien genannt, im zweiten Buch Baetica, Lusitania und Tarraconensis.66 Schließlich stimmen die Positionsangaben zwischen den Büchern 2 - 7 und dem 8. Buch nur teilweise überein. Das betrifft die unterschiedlichen Angaben der Koordinaten von Thüle, der Stadt Ivernis auf Irland, den Orten der iberischen Halbinsel, acht von zehn Städten Galliens, von Germania magna und von Italien.67 Übereinstimmungen finden sich fur die Stadt Raiba auf Irland, für Londinium, für Gesoriacum und Durocortorum in Gallien und für die Städte in Rätien und Vindelikien. Es ist deutlich geworden, daß die Überlieferung des 8. Buchs selbständig ist und ein Ausgleich mit den vorausgehenden Büchern nicht versucht bzw. unternommen wurde.68 Die Diskussion läuft letztlich darauf hinaus, daß ein geringer

62 Fischer 1932,160. 63 Kubitschek 1919, 2062; Fischer 1932, 160. 64 Fischer 1932,160. 65 Ptol. Geogr. 8, 3,1; 2, 2,1. 66 Ptol. Geogr. 8, 4, 3ff; 2, 4, 1. 67 Vgl. dazu Fischer 1932, 160ff; Polaschek 1965, 688ff: Thüle: Ptol. Geogr. 2, 3,14; 8, 3, 3; Ivernis: Ptol. Geogr. 2,2, 9; 8, 3,4; iberische Halbinsel: Ptol. Geogr. 2 , 4 , 1 6,73; 8,4,3ff; Gallien: Ptol. Geogr. 2, 7,1 -10, 9; 8, 5,1-7; Germania magna: Ptol. Geog- 2 , 1 1 , 1 - 16; 8, 6,1-4; Rätien und Vindelikien: Ptol. Geogr. 2 , 1 2 , 1 - 4; 8, 7,1 - 9; Italien: Ptol. Geogr. 3 , 1 , 1 - 69. 68 Es muß ungeklärt bleiben, ob Ptolemaios einen Ausgleich zwischen dem 8. Buch und den vorausgehenden Büchern nicht beabsichtigt (so Fischer 1932, 162) oder lediglich nicht unternommen hat (so Kubitschek 1919, 2064).

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Zusammenhang zwischen der Abbildung der Oikumene in den Büchern 2 - 7 und den Teilgebieten im 8. Buch, der mitderen Raumgröße, gesehen wurde. Bereits der weitaus geringere Umfang der Beschreibung der Länderkarten im Vergleich zur Weltkarte zeigt, daß die eigenständige Abbildung dieser Raumgröße die Ausnahme darstellte: Wollte man Teilgebiete abbilden, ging man meistens vom Ganzen, der Oikumene, aus. Auf diese Weise ist auch die Überlegung des Ptolemaios zu interpretieren, daß aus seinen Tabellen der Bücher 2-7 auch Teilgebiete kartographisch wiedergegeben werden konnten.69 Dabei bestand aber das Problem, für die jeweilige Karte den entsprechenden Maßstab zu wählen, der eine optimale Wiedergabe des Gebiets gestattete. Diese Idealmaßstäbe beinhaltete das 8. Buch, das allerdings im Vergleich zu den vorausgehenden Büchern selbständig ist. Die Erfassung der Oikumene und der Länder ist im Prinzip gleich: Beide Raumgrößen werden mit Hilfe der mit einem Koordinatennetz arbeitenden Kartographie abgebildet. Der spezifische Unterschied besteht darin, daß die Teilkarten im 8. Buch ungenauer als die Gesamtkarte der Oikumene sind. Das ist bereits dadurch bedingt, daß dieses Buch nur 358 Orte mit Koordinaten im Vergleich zu 8100 Orten der übrigen Bücher beinhaltet. Außerdem werden die Ländergrenzen im 8. Buch nicht durch Koordinaten fixiert, sondern durch analogen Maßstab abgebildet. Die Grenzen weisen die Gestalt von Rechtecken auf, die durch das Verhältnis von Breiten- zu Längengrad bestimmbar sind.

b. Strabon Ein entscheidender Aspekt ist, in welchem Maß die beschreibende Geographie Bestandteil der Bildung der antiken Oberschichten war. Dabei stellt die Zugehörigkeit Strabons zur Stoa einen wichtigen Anknüpfungspunkt dar. Strabons philosophische Richtung ist dadurch erkennbar, daß er Zenon als b ήμέτερος bezeichnet und das' Αριστοτελίζον des Stoikers Poseidonios kritisiert.70 Für die stoische Ethik ist kennzeichnend, daß sie von einer Identität des Logos im 69 Ptol. Geogr. 2,1, 8. 70 Strab. 1, 2, 34; 2, 3, 8; vgl. Honigmann 1931, 80f.

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Menschen mit dem des Universums ausgeht.71 Das bedeutet, daß die höchste Tugend auch dadurch erreicht werden kann, indem man die Gesetzmäßigkeiten des Kosmos erkennt. Daraus folgt ein grundsätzliches geographisches und astronomisches Interesse innerhalb der Stoa. Dazu kommt, daß die gesamte Erde, die Einheit der Götter und Menschen auf der Grundlage der Weltvernunft, als eine Polis gedacht wird. Um diese Zusammenhänge zu erfassen, muß ein Staatsmann auch philosophisch gebildet sein. Gerade diese stoische Einheit von Philosophie und Politik ist charakteristisch für Strabons Konzeption einer Geographie, die zwischen der mathematischen und beschreibenden Ausrichtung zu vermitteln sucht.72 Diese Einheit findet sich in Strabons Beschreibung eines idealen Politikers: κάκεϊ δέ πολιτικόν λέγομεν οΊ>χ\. τδν παντάπασιν άπαίδευτον, άλλά τόυ μετασχόντα της τε εγκυκλίου και συνήθους άγωγής τοις έλευθέροις και τοις φιλοσοφοΰσιν.73 Diese Beschäftigung soll grundlegende Kenntnisse in Mathematik und Astronomie vermitteln.74 Ein weitergehendes Studium bleibe dem Philosophen überlassen, da dem Staatsmann die dafür nötige

Zeit

fehlt.75 Für

den

Politiker

sei es ausreichend,

die

Himmelserscheinungen, die Lage der Welt und die Himmelsrichtungen zu kennen. Ferner müsse er über die Fähigkeit verfügen, die Eintragungen auf einem Globus zu interpretieren. Ohne diese mathematischen und astronomischen Grundlagen bleibe die Geographie unvollständig, vergleichbar den Hafenverzeichnissen und Periplen.76 Aber auch für die praktische Anwendung weist die Geographie nach Strabon eine große Bedeutung für Staatsmänner und Feldherren auf, da Land und Wasser den

71 Vgl. dazu Pohlenz 1948, 75-79; 133f; Rawson 1985, 251 f. 72 Vgl. van Paasseri 1957, 9-12. 73 Strab. 1,1, 22. 74 Strab. 1,1, 21. 75 Die Philosophen beschäftigen sich mit den geographischen Grundlagenwissenschaften, der Geometrie, der Astronomie und der Physik. Nach Strabon besteht die Relation zwischen diesen Disziplinen darin, daß der Geograph sich auf die Vertreter der Geometrie, diese auf die Astronomen und diese wiederum auf die Physik verlassen müssen (Strab. 2, 5, 2). Unter Physik ist an die Naturphilosophie zu denken, wie sie von den Vorsokratikern begründet wurde. Vgl. Berger 1903, 496; Gehrke 1998, 166f. 76 Ούτως δέ καΐ ol ιοΊς λιμένας καΐ τούς περίπλους καλουμένους πραγματευθέντες άτελή τήν επίσκεψιν ποιούνται, μή προστιθέντες δσα έκ των μαθημάτων καΐ έκ των ούραιΛωι/ συνάπτειν προσηκε (Strab. 1,1, 21).

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Raum für menschliches Handeln darstellen.77 Einmal korreliere die Ausdehnung des Raumes mit der Bedeutung des Feldherren, d.h. bedeutsames Handeln manifestiere sich durch die Größe des beherrschten Gebiets. Dann sei die Geographie ein wichtiges Hilfsmittel für den Feldherren, da sie Kenntnisse über die Größe und Lage eines Landes und über die Eigentümlichkeiten von Himmel und Erde vermitde. Vergebens sucht man bei Strabon eine theoretische Auseinandersetzung mit der Kartographie, wie Ptolemaios sie unternahm. Es finden sich aber einige Stellen, an denen sich Strabon über Form und Inhalt von Karten äußert. Das entsprechende griechische Wort für Karten ist πίναξ. Dieser bildet die Oikumene nach Strabon auf zweifache Weise ab: Einmal kann er in ein Rechteck auf einem Globus eingefügt werden. Dann besteht die Möglichkeit, daß er in die Ebene abgebildet wird. Dabei soll er mindestens sieben Fuß breit sein, etwa 2 m.78 Bei einer West-Ost-Erstreckung der Oikumene von 70.000 Stadien,79 13020 km, errechnet sich ein ungefährer Maßstab von 1 : 6 Millionen. In eben diesem Maßstab bildet beispielsweise der Diercke Weltadas das heutige Mittel- und Westeuropa auf einer Doppelseite ab. Dieser Vergleich verdeutlicht, daß Strabons πίναξ in einer Größe abbildete, die es ermöglichte, Einzelheiten zu erkennen. Einige Stellen bei Strabon zeigen, welche Elemente ein πίναξ beinhaltete. Ein πίναξ bildete die Umrisse von Ländern, Meeren, Isthmen, Halbinseln, Vorgebirgen, Flüssen und Gebirgen ab. Neben den natürlichen Landschaftsmerkmalen finden sich auch kulturgeographische Einzelheiten wie Städte und Völker. 80 Desweiteren waren Längen- und Breitenkreise abgebildet. So kritisiert Strabon die fehlerhafte Abbildung von Parallelen auf alten πίνακες. 8 1 Schließlich lassen sich Distanzen ermitteln: In Auseinandersetzung mit Hipparch stellte Strabon fest, daß die Distanz zwischen Indien und Baktrien aus alten πίνακες festgestellt werden kann. 82 Unklar

77 Strab. 1,1, 16; vgl. Nicolet 1991, 73. 78 Strab. 2, 5, 10; vgl. zur antiken Metrologie Hultsch 1882, 65; 697; Lehmann-Haupt 1929, 1933f; 1961 f. Bei Strabon entsprechen einer römischen Meile acht Stadien. Einem Stadion liegen wiederum 625 Fuß zugrunde. In modernen Maßen stehen nach Lehmann-Haupt 1929,1961f 0,31 m für einen Fuß und 0,186 km für ein Stadion. 79 Strab. 2, 5, 6. 80 Strab. 2, 5, 17. 81 Strab. 2,1,11. 82 Strab. 2,1, 4.

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ist allerdings, ob die Entfernungen in Zahlen in oder neben dem Bild angegeben waren oder ob sie aus den entsprechenden Längen- oder Breitenkreisen ermittelt wurden. Diese Überlegungen fuhren zu dem Schluß, daß Strabon auf eine Karte der Oikumene in eben dieser Form Bezug nahm. Teilkarten für die einzelnen Länder lassen sich nicht nachweisen. Dazu kommt, daß πίναξ in der Bedeutung von Karte sich fast auschließlich im 2. Buch findet. In der anschließenden Länderbeschreibung bedeutet πίναξ meistens Tafel oder Gemälde. Diese Karte war aber nicht dem Werk beigefügt. Das zeigt sich darin, daß Strabons Bezugnahmen auf eine Karte einen hypothetischen Charakter aufweisen, wie die Wendungen νοείσθω, εί πειν ώς άπλσύστατα und δει δή νοησαι belegen.83 Demnach beabsichtigte Strabon, ein Bild der Welt beim Leser zu erzeugen bzw. bezog sich auf eine bereits vorhandene mental

map.

Das Fehlen einer Karte kann die

Folge davon sein, daß sich Texte leicht, Bilder dagegen schwierig und mit großem Zeitaufwand kopieren lassen.84 Aus diesem Grund wurde bereits in der Antike die letztgenannte Tätigkeit spezialisierten Zeichnern übertragen. Es mag sein, daß Strabon im Hinblick auf diese Schwierigkeit auf >materielle< Karten verzichtet hat. Strabons Bezugnahmen auf eine Karte der Oikumene korrespondieren mit einem für kartographisches Denken typischen Merkmal: Durch geometrische Figuren, die die Grenzen von Ländern und Provinzen beschrieben, wurde Maßstäblichkeit erzeugt. Dabei wurde die Längen- und Breitenerstreckung von Gebieten durch Strecken wiedergegeben, die die >realen< Größenverhältnisse wahrten und im gleichen Winkel aufeinanderstießen. Nach den Grundsätzen der Proportionalität und Kongruenz waren Aussagen möglich, daß eine Strecke doppelt so groß wie die andere war und sie den gleichen Winkel bildeten. Strabon führte dieses Prinzip auf die Sphragiden des Eratosthenes zurück.85 Diese rautenförmigen Figuren teilten die südliche Oikumene in vier Teile: India, Ariana, Persis und Arabia. Die Grenzen dieser Gebiete wurden durch Gebirge, Flüsse und Meere gebildet. Strabon war sich bewußt, daß die Beschreibung der natürlichen Landschaft durch geometrische Figuren zu Verzerrungen führte. So stellte er fest, daß der Euphrat in der persischen

83 Strab. 2, 5, 5; 2, 5, 13f; vgl. Prontera 1984, 245ff; 252f. 84 Vgl. dazu Stückelberger 1994, 24f. 85 Strab. 2,1, 22f; dazu Forbiger 1842,190f; Berger 1903, 433ff.

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Sphragis als gerade Linie die Westgrenze bildete, in der Natur aber zuerst Richtung Süden, dann Richtung Osten und wiederum Richtung Süden fließt In der modernen Forschung wurde teilweise die Bezeichnung >Sphragis< für alle geometrischen Figuren bei den antiken Geographen angewandt.86 Dagegen ist aber einzuwenden, daß Strabon diesen Begriff explizit lediglich mit Eratosthenes in Verbindung bringt. Strabon bezeichnet beispielsweise Sizilien und Britannien als Dreiecke, Libyen als Trapez und Italien als Rechteck.87 Dazu kommen Schemabilder, die die Gestalt von Ländern mit aus der Alltagswelt vertrauten Umrissen beschreiben. Für diese ist meines Erachtens signifikant, daß sie gewonnen werden, indem graphisch abgebildete geometrische Figuren betrachtet werden, also ein Indiz für kartographisches Denken darstellen.88 Strabon vergleicht beispielsweise die Iberische Halbinsel mit einer Stierhaut und den Peloponnes mit einem Platanenblatt.89 Am häufigsten sind bei Strabon Angaben der Längen- und Breitenerstreckung von Ländern. Mit Hilfe dieser Informationen kann ein Leser die jeweiligen geometrischen Figuren mental konstruieren. Die Länge vom Heiligen Vorgebirge, das heutige Kap Säo Vicente in Portugal, bis zu den Pyrenäen beträgt bei Strabon 6000 Stadien, die größte Breite 5000 Stadien.90 Die Südküste der Iberischen Halbinsel mißt Strabon nach der Küstenlinie mit 6000 Stadien, in gerader Linie mit 4000 Stadien.91 Für die Keltike nennt Strabon an der Nordküste zwischen den Pyrenäen und der Rheinmündung 4300 bis 4400 Stadien, an der Westgrenze zwischen 2000 und 3000 Stadien, an der Südküste bis zum Fluß Varus zwischen 2600 und 2800 Stadien und für den Rhein in gerader Linie 3000 Stadien, mit Windungen 4000 Stadien.92 Germanien ist nur bis zum Albis, der Elbe, bekannt, der in einer Entfernung von 3000 Stadien parallel zum Rhein fließt.93 Dennoch ist Strabon der Meinung, daß eine Orientierung in den wenig erforschten Gebieten möglich ist: durch die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Geographie. So führt er aus, daß, 86 87 88 89 90 91 92 93

Vgl. Sallmann 1971, 207ff; Nicolet 1991, 71-74. Strab. 2, 1, 30; 4, 5,1; 2, 1, 29; 5 , 1 , 2; vgl. Berger 1903, 547; Forbiger 1842, 341-44. Nach Brodersen 1995, 39-43 liegen diesen Schemabildern maßstäbliche Karten zugrunde. Strab. 2 , 1 , 30; vgl. van Paassen 1957, 6. Strab. 3 , 1 , 3; vgl. Forbiger 1842, 340. Strab. 3, 4 , 1 . Strab. 4, 5 , 1 ; 2, 5, 28; 4 , 1 , 3; 4, 3, 3; vgl. Forbiger 1842, 340f. Strab. 7 , 1 , 3f.

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wenn jemand von der Elbe nach Osten reise, er den Borysthenes erreiche. Eine Orientierung ermögliche der Breitenkreis, der Elbe und Dnjepr schneidet.94 Italien ist bei Strabon zwischen 6000 und 7000 Stadien lang und an der breitesten Stelle, am Fuß der Alpen, 2200 Stadien breit.95 Für die italischen Regionen überliefert Strabon in gleicher Weise Distanzen: Tyrrhenien ist 2500 Stadien lang und halb so breit, die Länge Umbriens von Ariminium bis zum Tiber beträgt 1350 Stadien, die Breite ist ungleich.96 Mit Hilfe dieser geometrischen Figuren war eine maßstabsgetreue Abbildung von Gebieten bis zur Größenordnung der italischen Regionen möglich. Für kleinere Gebietsgrößen und für die Landschaftselemente, die innerhalb der durch geometrische Figuren erfaßten Ländergrenzen lagen, war dieses Prinzip eingeschränkt anwendbar. So lokalisiert Strabon das Idubeda-Gebirge, das heutige Iberische Randgebirge, parallel zu den Pyrenäen, also lediglich annähernd.97 Man konnte aber auch hier die Entfernungen ungefähr abschätzen, indem man innerhalb der geometrischen Figuren

die Proportionen

zwischen

den einzelnen

Strecken

erfaßte.

In

vergleichbaren Fällen kam bei der Disposition häufig das Itinerar-Schema zur Anwendung. Beispielsweise ordnet Strabon die Helvetier, Sequaner, Mediomatriker und Tribokcher den Rhein entlang von Süden nach Norden an: Μετά δέ τούς Ελουηττίους ΣηκοανοΙ καΐ ΜεδιοματρικοΙ κατοικούσι τόν ' Ρήνον, εν οΐς Ιδρυται Γερμανικά έθνος περαιωθέν έκ της οίκείας, Τρίβοκχοι98 Darüber hinaus sind Periplus-Schema und -spräche auch durch die eingangs beschriebene Entstehung der Geographie aus dem Periplus bedingt. Das zeigen bei Strabon die folgenden Beispiele: Das Mittelmeer teile sich in der östlichen Hälfte jeweils in den Pontus Euxinus und in das Ägyptische, Pamphylische und Issische Meer.99 In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, daß die Erstreckung des Mittelmeers nach der Seeroute beschrieben ist: Es beginne bei den Säulen des Herakles und ende bei den Regionen im Osten. Desweiteren skizziert Strabon die

9 4 Strab. 7 , 2 , 4 . 95 Strab. 5 , 1 , 3; vgl. Forbiger 1842, 342f. 96 Strab. 5, 2, 5; 5, 2, 10. 97 Strab. 3, 4 , 1 0 . 98 Strab. 4, 3, 4. 99 Strab. 2, 5 , 1 8 .

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Länder des westlichen Mittelmeeres nach ihrer relativen Lage zu einer Seeroute von Westen nach Osten. So liegen Libyen auf der rechten und Iberia (Iberische Halbinsel), Keltike (Gallien), Ligurien und Italien auf der linken.100 Nach dem gleichen Prinzip beschreibt Strabon die Länder im Osten Europas, den der Ister (Donau) in zwei Teile schneide. Zur Linken lägen Germanien und die Länder der Geten, Tyrgetanen, Bastarnanen und Sarmaten. Diese Gebiete erstrecken sich zwischen dem Rhein einerseits und andererseits zwischen dem Fluß Tanais (Don) und dem Maiotischen Meer (Asowsche Meer). Zur Rechten finden sich Thrakien, Illyrien und Griechenland.101 Schließlich findet sich häufig die Lokalisierung nach xüesseits< und >jenseits steckengebliebene < Raumerfassung. Für diese ist charakteristisch, daß sie ein kartographisches Raumbild mit dem jeweiligen subjektiven Standpunkt verband.

212 Plin. nat. 3, 7-30. 213 Plin. nat. 4, 110-127.

V. Zwischenbetrachtungen: Die induktive und deduktive Erfassung des Raums

Das wesentliche Problem der antiken Raumerfassung läßt sich auf das spezifische Verhältnis von induktiven und deduktiven Methoden zur Raumerfassung reduzieren. Dem induktivem Bereich sind die Feldmesser, die Modelle der römischen Religion und die Itinerare bzw. Periplen zuzurechnen. Ausgangspunkt sind die Feldmesser, die sich vornehmlich auf den Kleinraum bezogen. Dabei wiesen die limites in der Regel eine Länge von 10 bis 60 km auf. Ein charakteristisches Merkmal der gromatischen Raumkonzeption stellen die centuriae dar, die ein Gitternetz bilden und auf diese Weise eine maßstabsgetreue Abbildung ermöglichen. Dazu kommen noch die graphischen Zeichen. Diese beiden Elemente weisen auf die Existenz von Karte und Kartographie in der Gromatik hin. In diesem Zusammenhang ist aber die Einschränkung geltend zu machen, daß den Katasterkarten eine einheitliche Ausrichtung fehlt und daß sich in ihnen die relative Orientierung nach links - rechts und diesseits — jenseits ausprägt. Zudem schaffen diese durch die Addition von Rechtecken das Koordinatensystem sekundär, nämlich erst durch die Eintragung der Landschaftselemente. Das führt dazu, daß die nicht limitierten Gebiete weiße Flächen< bleiben. Dagegen verfahrt die moderne Kartographie umgekehrt, indem sie die Landschaft durch ein zuvor mathematisch bestimmtes Netz aufnimmt. In der Gromatik ist ein Primat der geometrischen Grenze erkennbar, die allein die Meßbarkeit von Flächen und damit die kartographische Abbildung ermöglicht. Gebiete mit nichtgeometrischen Grenzen können dagegen nicht als Fläche konstruiert werden und bleiben dem Prinzip der Linie verhaftet. Das betrifft vor allem die Grenzfixierungen durch die Institution der Schiedsgerichtsbarkeit Hierbei wird die Grenze sukzessiv, von einem markanten Punkt zum nächsten, beschrieben. Dieses Verfahren bezieht sich auf eine Raumgröße, die von der einzelnen Ackerparzelle bis zur Provinz reicht. Das relevante Medium ist der Text, nicht eine

160

Zwischenbetrachtungen

Verbindung zwischen Text und Bild wie bei den Katasterkarten. In Textform liegen auch die commentarii wie die Ubri Coloniarum vor. Diese Listen beinhalten die einzelnen limitierten Gebiete einer italischen regio,

die Ausrichtung

der

Limitationskreuze und die Ausmaße der centuriae. Sie stellen eine Art Inhaltsangabe über die einzelnenformae dar und bieten die einzige Möglichkeit, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Die räumlichen Systeme der römischen Religion bezogen sich auf den Kleinraum, den Raum, in dem der Kult des Stadtstaates Rom vollzogen wurde. Es blieb aber nicht bei einer Konstitution dieser Raumgröße, sondern es wurde ein deutlicher Bezug zum Großraum hergestellt: Für das templum war relevant, innerhalb eines festumgrenzten Bereichs kosmische Gesetzmäßigkeiten festzustellen. Daspomenum wurde in Verbindung zum impenum Ikomanum gesetzt, da eine Erweiterung der Außengrenzen die der Stadtgrenzen bedingte. Allerdings war dieses Verhältnis nicht konkret meßbar, da keine geometrische Konstruktion des religiösen Raums erfolgte. Vielmehr war dieser durch die relative Orientierung und das lineare Prinzip geprägt. Dazu kommt, daß die einzelnen räumlichen Einheiten in einem bestimmten Bereich reproduziert werden konnten. Das betrifft das templum im ager Romanus und das pomenum

im gesamten Römischen Reich. Aufgrund der fehlenden Meßbarkeit

konnte man sich keinen Gesamtüberblick verschaffen, sondern erfaßte die einzelnen Systeme sukzessiv. Schließlich war für die religiösen Raumsysteme signifikant, daß sie das Unräumliche am Raum abbildeten, indem sie jedem Ort einen bestimmten Akzent zuwiesen. Das Itinerar bzw. der Periplus bezogen sich auf alle Größenordnungen des Raums. Ihre Darstellung war geprägt durch die lineare Anordnung von Punkten, das sukzessive Vorgehen und die relative Orientierung. Für diesen Bereich ist die Charakterisierung als >Wegeraum< durch Janni und Brodersen zutreffend. 1 Eine Weiterentwicklung erfolgte in der Weise, daß durch die Verknüpfung von Strecken scheinbare Zweidimensionalität konstruiert wurde und daß es beim itinerariumpictum zu einer graphischen Abbildung kam. Dabei machte man von einem Zeichensystem Gebrauch, das Berührungspunkte zur Darstellung des gromatischen Raums in den Handschriftenillustrationen des Corpus Agrimensorum 1 Janni 1984, 90-158; Brodersen 1995, 54-65,165f, 191-94.

aufweist. Dies betrifft

Zwischenbetrachtungen

161

insbesondere die Stadtvignetten. Dazu kommt die Überlegung, daß das römische Straßensystem in Verbindung mit den Itineraren teilweise einen Ersatz für maßstabsgetreue Karten darstellte.2 Die Straße gab die Richtung vor, der ein Reisender folgen mußte. Die Entfernungen konnte er sukzessiv den Meilensteinen und im Überblick den Miliasmen bzw. Itineraren entnehmen. In der antiken Geographie zeigt sich die deduktive Methode der Raumerfassung. Dabei stand immer die Erfassung der Erdkugel oder der Oikumene als Ganzes im Vordergrund. Die antiken geographischen Beschreibungen bezogen sich auf eine gedachte Karte, hinter der aber eine reale Karte stand. Obwohl keine reale antike Karte der Oikumene überliefert ist, kann an deren Existenz kein Zweifel bestehen. Man muß in diesem Zusammenhang berücksichtigen, daß Karten in der Antike ungleich schwieriger und aufwendiger als Texte zu kopieren waren. Das bedeutet jedoch nicht, daß es keine Karten in der Antike gab. Die geographischen Beschreibungen zeigen eine gedachte Karte der Oikumene, die dem Prinzip der Maßstäblichkeit verpflichtet war. Strabon und Plinius arbeiteten mit geometrischen Figuren, mit deren Hilfe sie die Umrisse von Ländern und ihren wichtigsten topographischen

Elemente

erfaßten und durch kongruente Winkel

und

proportionale Strecken abbildeten. Ptolemaios erzeugte Maßstäblichkeit, indem er die Koordinaten von verschiedenen Punkten der Erdoberfläche angab. Doch auch bei ihm sind gewisse Einschränkungen zu machen, da er die Stammesgebiete nur indirekt über einige Städte fixierte. Den antiken geographischen Karten fehlt eine einheitliche Orientierung, die der modernen Ausrichtung nach Norden entspricht. Dieses Element der kognitiven Raumorientierung spricht dafür, daß die antike Entwicklung aus moderner Perspektive gleichsam >steckengeblieben< ist. Bei der Analyse der antiken Raumorientierung ist deutlich geworden, daß der induktive und deduktive Bereich unverbunden nebeneinanderstanden.

Ein

einheitliches System, das nach den gleichen Prinzipien die verschiedenen Raumgrößen in Beziehung setzte, wurde nicht konzipiert. Ein Zusammenhang bestand lediglich darin, daß ein Feldmesser für die Limitation eine Karte der Oikumene im Kopf hatte und daß die Geographie von Distanzen Gebrauch machte, die hauptsächlich durch Itinerare und Periplen ermittelt wurden. Bei Plinius liegt ein 2 Weber 1996, 265.

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Zwischenbetrachtungen

expliziter Beweis für die fehlende Fähigkeit vor, induktives und deduktives Vorgehen zu verbinden: Für die Abbildung des mittleren Bereichs, von Provinzen und italischen Regionen, zog er Städtelisten heran, die mit den Libri Coloniarum der Feldmesser vergleichbar sind. Diese Informationen übernahm er in Listenform in sein Werk, ohne sie in eine Karte umzuwandeln. Hier schließt sich als weitere Überlegung an, daß es bei der Erfassung des Mittelraums eine kartographische >Lücke< gab. Das zeigt sich auch daran, daß selbst in der wissenschaftlichen Geographie des Ptolemaios diese Form eine Ausnahme darstellte. Diesen Raum erfaßten allein Periplus und Itinerar. Das Fehlen eines einheitlichen Systems der Raumerfassung zeigt sich besonders in der Frage der Orientierung. Die antiken Raummodelle waren nach keiner einheitlichen Himmelsrichtung orientiert. Vielmehr entsprach die Ausrichtung des Raummodells der individuellen Perspektive des Betrachters. Die Vorstellung einer allgemein verbindlichen Himmels- und Kultrichtung geht auf das Christentum zurück. Für diese Religion ist zentral, daß alle Lebensbereiche nach einer verbindlichen Lehre geordnet werden müssen. In der Neuzeit wurde diese Ideologie bei der Konstruktion von Karten angewandt. Die zufällige und einmalige Nordorientierung der Ptolemaios zugeschriebenen Karten wurde für verbindlich erklärt. Dagegen gab es in der römischen Religion keine einheitliche Kultrichtung. Das wird besonders in den Handlungen der Auguren deutlich. Letztlich lag es im Belieben des Augurs festzustellen, welche Himmelsrichtungen er als vorne, hinten, links und rechts bezeichnete. Die Vorstellung einer vorgeschriebenen auguralen Kultrichtung ist also eindeutig das Ergebnis einer Projektion von modernen Wissenschaftlern und somit nicht antik. Die fehlende Kompatibilität des induktiven und deduktiven Bereichs betrifft auch die Grenzen. Auf der einen Seite stehen die realen Grenzen: Diese wurden durch das Schiedsgerichtsverfahren vom einen markanten Punkt zum nächsten gezogen. Sie konnten aber nicht durch Katasterkarten oder geographische Karten abgebildet werden, da ihre nichtgeometrische Form eine Meßbarkeit nicht gewährleistete. Auf der anderen Seite stehen die Grenzen in einer gedachten Karte der Oikumene. Sie haben eine geometrische Form und sind das Ergebnis der Reduzierung der natürlichen Landschaft auf eine geometrische Figur. Ihre Aufgaben bestanden

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vornehmlich darin, den Raum zu erfassen und die verschiedenen Raumgrößen zu kategorisieren. Dazu gehörten die Zonen, die Oikumene, die Kontinente, die Länder, die Provinzen, die Regionen und Stammesgebiete. Es fällt auf, daß die Geographie bei der mitderen und unteren Größenordnung der politischen Gliederung des Römischen Reichs folgt. Das entscheidende Problem bestand nun darin, daß diese beiden Vorgehensweisen lediglich einen gemeinsamen Gegenstand hatten. Ein Beispiel: Die Gromatik und die Geographie bezogen sich bei einer Grenzfixierung auf einen Fluß. Dabei zeichneten die Feldmesser dessen Verlauf genau nach, während die Geographen diesen auf eine Linie reduzierten. Für einen Stadtstaat ist diese Feststellung ohne Bedeutung. Anders sieht es jedoch für ein Weltreich wie das Imperium Romanum aus: Hier besteht die Notwendigkeit, auch den Grenzverlauf im Großraum kartographisch zu erfassen. Trotz aller Unterschiede finden sich in der antiken Raumerfassung einige typische Gemeinsamkeiten. Dazu gehört insbesondere die in allen Bereichen erkennbare relative Orientierung. Einen weiteren Faktor stellt das Vorgehen dar, Flächen mit Hilfe von geometrischen Figuren zu messen und damit kartographisch erfaßbar zu machen. In allen Bereichen ist die Raumkonzeption in jeweils unterschiedlichem Maße zwischen der Linie und der geometrischen Fläche >steckengebüebenWiegellinken< Seite Germanien. Uber die Grenze auf der >rechten< Seite ist kein Aufschluß zu gewinnen. Die Stämme werden entlang der Küste oder der Flüsse aufgereiht. Weiterhin fällt auf, daß dieses Bild einen sehr kleinen >Maßstab< aufweist, da lediglich wenige Elemente der Landschaft genannt werden. In diesen Raum laufen wie Linien die drei Vormarschrouten des römischen Heers: an der Nordseeküste, an der Lippe endang und durch die Wetterau. Hierbei bilden die zum Rhein parallel verlaufenden Flüsse Hindernisse, die den Vormarsch für kurze Zeit aufhalten, wie die Weser, oder ihm eine Ende setzen, wie die Elbe. Ansatzweise ist das topographische Wissen der handelnden Personen erkennbar, das über den geographischen Horizont der Autoren hinausging. Dazu gehört die Anordnung der Militärlager an Rhein und Lippe: Die Vormarschroute an der Lippe belegen Xanten gegenüber der Lippemündung sowie Holsterhausen und Oberaden. Die zweite Route über die Wetterau zeigen die Reste in Mainz und Rödgen. Ein Blick auf eine moderne Karte macht deutlich, daß insbesondere die Lippe zum Transport beim Vormarsch sehr geeignet ist. Von den östlichen Zuflüssen des Niederrheins ist allein sie durch ihren geraden Lauf fast durchgehend schiffbar.63 Ebenso begünstigt die Ebene der Wetterau einen Vormarsch. Diese Faktoren müssen von der römischen Führung berücksichtigt worden sein, -wie die Anlage der Lager belegt. In gleicher Weise ist auch das vorrömische Wegenetz, das die Armee des Drusus bei ihrem Vormarsch benützt hat, nicht in die literarische Uberlieferung eingegangen.64 Auch andere Informationen, die wichtig sind für den Vormarsch eines Heers, wie die Lage von Furten, Waldschneisen und Paßwegen, sind nicht

63 Wells 1972, 149f. 64 Timpe 1989, 83.

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überliefert. Es ist zu vermuten, daß die römische Führung diese Angaben durch die Befragung von einheimischen Kaufleuten oder mittels einheimischer Führer gewann.65 Desweiteren ist eine Form der Raumerfassung anzunehmen, die in den Quellen über die Drususfeldzüge nicht explizit erwähnt wird: die Technik der Feldmesser. So wurde das tägliche Marschlager mit Hilfe der gmma eingerichtet. Konkret bedeutet dies, daß ein bestimmtes Prinzip der Raumordnung jeden Tag erneut reproduziert wurde: die rechtwinklig sich kreuzenden viaprinäpalis und viapraetoria, die Lage des praetorium usw. Dazu kommt noch, daß diese Technik sicherlich bei der Anlage von Wegen oder von Waldschneisen Anwendung fand. Wenn man also beispielsweise eine Ausrichtung von Routen auf diese Weise endang der Lippe annimmt, so kann man von einer Raumerfassung ausgehen, die sich den Raum sukzessiv aneignete. Berücksichtigt man die Lückenhaftigkeit der antiken Feldzugsbeschreibungen, so ist es grundsätzlich schwierig, sich Gedanken über den Aspekt der Raumerfassung im Zusammenhang mit dem Drusus-Feldzug zu machen. Dennoch gibt es Anhaltspunkte, an die einige Überlegungen über dieses Thema angeknüpft werden können. Der Vorstoß über den Rhein und die Nordseefahrt 12 v. Chr. machen deutlich, daß in der mentalen Karte der römischen Elite Germanien als Fläche konzipiert wurde, bei der die Rhein- und die Nordseeseite gleich gewichtet waren. Dies legt die Vermutung nahe, daß hier - in gleicher Weise wie bei Strabon - das Prinzip der geometrischen Figur zur Anwendung kam, also ein wichtiges Indiz für kartographisches Denken. Ein weiteres gewichtiges Argument für die Existenz einer gedachten Karte: Anhand der Tabula Peutingeriana kann kein Feldherr einen derartigen Feldzug planen. Auf diesem itinerariumpictum ist die Länge des Rheins im Verhältnis zur Nordseeküste überproportioniert. Dazu kommt, daß östlich des Rheins noch keine Distanzangaben des römischen Straßensystems zur Verfügung stehen, die das Fehlen der richtigen Proportionen teilweise relativiert hätte. Ziel der Nordseefahrt war sicherlich, die Position der Flußmündungen und ihre Entfernung vom Rhein in Erfahrung zu bringen. Auf diese Weise konnten die römischen Feldherren feststellen, in welcher Entfernung vom Rhein sie ungefähr auf 65 Timpe 1995, 17.

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die in gleicher Richtung verlaufenden anderen Flüsse stießen. Vermutlich kannte Drusus das Weltbild des Eratosthenes, nach dem die Nordseeküste die nordwestliche Begrenzung der Oikumene bildet.66 In den Karten des Eratosthenes und der späteren Geographen waren auch die Breitenkreise eingezeichnet. Mit Hilfe der Parallelen war eine ungefähre Orientierung möglich. Dies zeigt eine Notiz bei Strabon, daß man den Dnjepr und die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres erreiche, wenn man dem relevanten Breitenkreis von der Elbe in östlicher Richtung folge.67 Strabon hebt aber hervor, daß noch keiner eine Reise östlich der Elbe auf dem Landweg oder entlang der nördlichen Küste Europas und Asiens unternommen habe. So seien die Bewohner, die Erstreckung des Landes und das Klima nicht bekannt. Strabons Kenntnis dieser Gegenden bleibt also spekulativ: Das theoretische Weltbild wird nicht durch empirisches Wissen bestätigt. Erst eine Erkundungsfahrt hätte Theorie und Empirie verbinden können. Ein solches Unternehmen war die Nordseefahrt des Drusus 12 v. Chr., das die Geographie der Gebiete östlich des Rheins erkundete und damit die Basis für die Feldzüge der nächsten Jahre bildete.

b. Germania omnis capta? Der Zeitraum zwischen der Eroberung durch Drusus und der Varus-Katastrophe Der Zeitraum zwischen der Eroberung Germaniens und dem Verlust unter Varus zeichnet sich durch eine extreme Armut an überlieferten Ereignissen aus. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß die antiken Autoren ihr Interesse hauptsächlich auf den spektakulären Gewinn oder Verlust dieser Region richteten, die dazwischenliegenden Geschehnisse aber weitgehend vernachlässigten. Die Unsicherheiten fangen bereits bei den Namen der Statthalter während dieser Zeit an. Von L. Domitius Ahenobarbus ist lediglich das Enddatum seiner germanischen

66 Caes. Gall. 6, 24, 2 nennt Eratosthenes namentlich im Zusammenhang mit dem Herkynischen Wald.

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Statthalterschaft gesichert, nämlich 1 n. Chr. M. Vinicius scheint sein Nachfolger gewesen zu sein (1—3/4 n. Chr.). Diesen löste wiederum Tiberius ab. Inwieweit C. Sentius Saturninus eine eigenständige Statthalterschaft übernahm oder lediglich ein Legat des Tiberius war, muß dahingestellt bleiben.68 Cassius Dio überliefert in diesem Zeitraum ein für die Frage der Raumerfassung relevantes Ereignis. Der erwähnte L. Domitius Ahenobarbus habe, während er Statthalter

an der Donau war, die Hermunduren

in einem Teil des

Markomannengebiets angesiedelt und habe anschließend die Elbe überschritten. Man könnte also schließen, daß dieser einen Zug von der Donau an die Elbe unternommen habe. Da sich um die Interpretation dieser Stelle eine Reihe von kontroversen Meinungen gebildet haben, erscheint es notwendig, ihren genauen Wortlaut darzulegen: ' Ο γάρ Δομίτιος πρότερον μέν, £ως έτι τών πρός τω " Ιστρω χωρίων ήρχε, τούς τε Έρμουνδούρους έκ της οίκείας ούκ οίδ' 6πως έξαναστάντας κοίικατά ζήτησιν έτέρας γης πλανωμένους Απολαβών fev μέρει της Μαρκομαννίδος κατώκισε, καΐ τόν ' Αλβίαν μηδενός ol έναντιοιμένου διαβάς φιλίαν τε τοις έκείνη βαρβάροις συνέθετο καΐ βωμόν έπ' αΊποϋ τω Αύγούστω Ιδρύσατο. τότε δέ πρός τε τόν' Ρηνον μετελθών, κάιέκπεσόντας τινάς Χερούσκων καταγαγεΐν δι' έτέρων έθελήσας, έδυστύχησε κα\ καταφρόνησα! σφων καΐ τούς άλλους βαρβάρους έποίησεν.69 Umstritten ist insbesondere die Frage, ob die dargestellten Handlungen nacheinander und im Zusammenhang durchgeführt wurden oder ob Dio hier zwei aufeinanderfolgende Ereignisse zusammengezogen hat. Dieter Timpe stellt die These auf, daß die Überschreitung der Elbe durch Domitius nicht mit der Statthalterschaft in Illyrien in Verbindung gebracht werden kann, sondern das Ergebnis seiner anschließenden Statthalterschaft am Rhein gewesen ist.70 Demnach habe Domitius 67' Αλλ' δτι |ia> κατά μήκος Ιοΰσινfcrtiτήν έω xdt κατά τών Βορυσβένη καΐ τά πρός βορρά ν τοΰ Πόντου χωρία άπαντα, δηλον έκ τών κλμάτων κα"ι τών παραλλήλων διαστημάτων (Strab. 7, 2,4). 68 Cass. Dio 55,10a, 2f; Veil. 2,104, 2; 2,105,1. 69 Cass. Dio 55,10a, 2f. 70 Timpe 1967, 208f; Timpe 1970, 71 f.

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im Rahmen seiner Tätigkeit an der Donau die Hermunduren angesiedelt, während seiner Tätigkeit am Rhein dann die Elbe überschritten und versucht, die Streitigkeiten unter den Cheruskern zu regeln. Diese Reduktion der Geschehnisse sei ein Ergebnis eines verkürzten Quellenexzerptes durch Dio gewesen. Dies lasse sich durch einen Vergleich mit Tacitus und Sueton ersehen, da beide Stellen nur die Erfolge gegen die Germanen, nicht aber Illyrien erwähnen. 71 Eine andere Deutung der Ereignisse schlägt Schön vor. 72 Seiner Meinung nach kann nicht von einer illyrischen Statthalterschaft des Domitius ausgegangen werden. Vielmehr sei aus der Formulierung έως έτι των πρός τω " Ιστρω χωρίων fjp%e bei Dio lediglich herauszulesen, daß Domitius sich an der Donau aufhielt, während er die hermundurische Angelegenheit regelte, aber nicht daß er Statthalter in Illyrien war. So wäre es auch möglich, daß sich Domitius im Rahmen einer germanischen Statthalterschaft in Rätien aufhielt, das dann dem germanischen Kommando zuzurechnen wäre. In dieser Funktion habe er zuerst die Hermunduren ansässig gemacht, sei dann zur Elbe vorgedrungen und schließlich zum Rhein zurückgekehrt. Ein wichtiges Argument Schöns stellt dar, daß die germanische Statthalterschaft nach der Interpretation Timpes eine im Vergleich zu anderen kurze Dauer gehabt hätte. Desweiteren ergebe sich aus der Inschrift CIL V 4980, die als Indiz für einen eigenständigen Militärbezirk Rätien-Vindelikien angeführt werde, kein eindeutiger Beleg für einen solchen Tatbestand, da es sich bei dem überlieferten Vindol um einen Eigennamen handle, nicht aber um eine Stammesbezeichnung. Schließlich könne eine Stelle bei Orosius dahingehend gedeutet werden, daß Gallien und Rätien zu einem Heereskommando zusammengefaßt waren.73 Der Versuch einer Synthese der beiden Meinungen findet sich bei Wolters.74 Nach seiner Interpretation handelt es sich bei Dios Darstellung der Hermundurenansiedlung und der Elbüberschreitung um einen Rückgriff. Die Tätigkeit am Rhein und die Rückführung der cheruskischen Verbannten stelle die Haupthandlung

71 Tac. ann. 4, 44, 2; Suet. Ner. 4. 72 Schön 1986, 77-80. 73 Oros. 6, 21,12. 74 Wolters 1990, 181 f.

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dar. Dem widerspreche nicht, daß auch die Donau zum germanischen Kommando gehört habe. Zugunsten der Interpretationen von Schön und Wolters ist anzuführen, daß es noch ein weiteres Indiz für eine Einheit von Rätien und Germanien gibt. Dieses findet sich bei Plinius, der nach Agrippa Germanien, Rätien und Noricum in einer gemeinsamen geometrischen Figur zusammenfaßt. 75 Andererseits spricht auch ein gewichtiges Argument gegen einen vermuteten Zusammenhang zwischen Rätien und Germanien: Ein Marsch von der Donau an die mittlere Elbe und dann zurück zum Rhein war in dieser Epoche ein einmaliges Phänomen. Ein vergleichbares Ereignis findet sich weder davor noch danach. Die Drususoffensiven nahmen ihren Weg durch das Lippe-Tal oder die Wetterau. Die späteren Feldzüge blieben entweder auf den süd- oder norddeutschen Raum beschränkt. Zu diesem Einwand kommt noch, daß die Angaben des Dio so vage sind, daß eine Vielzahl von Interpretationen möglich ist: Beispielsweise kann man auch vermuten, daß Domitius die Elbe zweimal überschritt, einmal anläßlich der Ansiedlung der Hermunduren, dann anläßlich des Versuchs, in die cheruskischen Verhältnisse einzugreifen. Diese Unternehmungen sind dann bei Dio aufgrund der Wiederholung zu einem Ereignis verschmolzen. Da die damaligen Vorgänge nicht vollständig rekonstruiert werden können, ist es nicht möglich, Aussagen über den hier vorliegenden Modus der Raumerfassung zu machen. Als einziger Anhaltspunkt bleibt, daß die Überquerung der Elbe und das tiefe Eindringen nach Germanien in der Überlieferung als der Vorgang angesehen wurden, der mit der Person des Domitius in Verbindung gebracht wurde. Daraus kann man die hohe symbolische Bedeutung des Stroms Elbe ersehen. Diese läßt sich sowohl für die Gegenwart des Domitius wie auch in der Erinnerung erschließen: Zur Zeit des Domitius war der Vorgang der Überquerung wichtig, was die Errichtung eines Altars für Augustus am östlichen Ufer der Elbe zeigt. Der Nachwelt blieb er als die herausragendste Ruhmestat des Domitius im Gedächtnis. Für die Zeit nach dem Antritt des germanischen Kommandos durch Tiberius 4 η. Chr. liegen in den antiken Quellen wieder vermehrt Nachrichten vor. Es bleiben

75 Plin. nat. 4, 98.

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zwar viele Fragen offen, aber es ist immerhin eine ungefähre Rekonstruktion der Ereignisse möglich. Hierbei finden sich die wichtigsten Angaben bei Velleius Paterculus.76 Die gefährdete Lage in Germanien kann man aus der Tatsache ersehen, daß der designierte Thronfolger unmittelbar nach seiner Adoption nach Germanien aufbrach.77 Dazu steht in einem gewissen Widerspruch, daß Velleius sich in seiner Darstellung lediglich auf eine Aufreihung der unterworfenen Stämme beschränkt: Intrataprotinus Germania, subacü Canninefates, Attuarii, Bructeri, recepti Cherusä (gentis eius Arminius mox nostra clade nobilis), transitus Visurgis,penetrata ultenora... .78 Eine Hilfe für die Rekonstruktion dieses Feldzuges bietet die Lokalisierung der oben genannten Stämme: Die Canninefaten, die Attuarier und Brukterer siedelten an der Nordseeküste.79 Zwischen Weser und Ems finden sich die Cherusker. Vergleicht man diese Angaben mit dem Verlauf der Drususfeldzüge, so kann man schließen, daß Tiberius 4 η. Chr. einmal eine Küstenfahrt durchführte und dann entlang der Lippe zog und die Weser überschritt.80 Möglicherweise fand in diesem Jahr auch die in den resgestae erwähnte Flottenfahrt von der Rheinmündung bis zum Land der Kimbern, d.h. Jüdand statt.81 Dafür spricht, daß von den überlieferten drei Nordseefahrten zur Zeit des Augustus lediglich die des Jahres 4. n. Chr. Jütland als Ziel zuläßt. Die Unternehmung des Drusus kam nur bis zum Gebiet der Chauken. Eine weitere Flottenfahrt unter Tiberius 5 η. Chr. hatte das Ziel, sich mit dem Landheer an der Elbe zu vereinigen. Es ist unwahrscheinlich, daß die Flotte vor dem geplanten Zusammentreffen noch nach Jüdand gefahren ist. Für das Jahr 5 n. Chr. berichtet Velleius, daß Tiberius mit seinem Heer ganz Germanien durchzog. Hierbei werden die Chauken und Langobarden namentlich hervorgehoben.82 Möglicherweise ist der Hinweis Strabons damit in Zusammenhang 76 Eine kurze Erwähnung dieser germanischen Feldzüge liegt bei Dio 55,13, 2 und bei Suet. Tib. 16,1 vor. 77 Veil. 2,104,1-4. 78 Veil. 2,105, 1. 79 Die Canninefaten siedelten nördlich der Bataver. Vgl. Schmidt 1938/40, 396. Über die Lokalisierung der Chattuarier/Attuarier finden sich mit Ausnahme des Velleius für die Prinzipatszeit keine näheren Angaben. Vgl. Petrikovits 1981b, 392f. 80 Wolters 1990,187. 81 RGDA 26; vgl. Plin. nat. 2,167. 82 Veil. 2,106, If.

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zu bringen, daß die Hermunduren und Langobarden östlich der Elbe wohnten, wohin sie durch unlängst stattgefundene militärische Auseinandersetzungen vertrieben worden waren.83 In diesem Kontext erwähnt Vellerns die Vereinigung von Landheer und Flotte an der Elbe.84 Nach dem Bericht des Velleius marschierte das Heer über eine Distanz von 400 Meilen vom Rhein an die Elbe. Der vereinbarte Treffpunkt an der Elbe lag im Gebiet der Semnonen und Hermunduren. Da Tac. Germ. 40 die Hermunduren unter den Stämmen endang der Donau aufzählt, kann man vermuten, daß Tiberius der Elbe Richtung Südosten folgte.85 An eben diesem Ort vereinigte sich das römische Heer mit der Flotte, die Proviant mit sich führte. Gerade dieser Bericht weist einige Elemente auf, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Velleius aufkommen lassen, da sie den Aussagen anderer antiker Autoren widersprechen.86 Beispielsweise führte Tiberius nicht als erster römischer Feldherr ein Heer vom Rhein an die Elbe. In gleicher Weise kann auch die Nordsee nicht als unbekannt bezeichnet werden, die seit den Unternehmungen des Drusus bekannt war. Es stellt sich insbesondere die Frage nach der Authentizität der von Velleius berichteten Vereinigung von Heer und Flotte. Meines Erachtens können daran keine Zweifel bestehen. Ziel des Velleius war es, die Außergewöhnlichkeit der Leistungen des Tiberius darzustellen. Das bedeutet nicht, daß diese Handlungen nie stattgefunden haben. Mit offensichtlichen Lügen hätte er schließlich Tiberius, dem sein Werk gewidmet war, in der Öffentlichkeit diskreditiert und somit entgegen seinen eigenen Absichten gehandelt.87 Vielmehr liegt bei Velleius eine ihm eigentümliche Vermischung zwischen historischem Ereignis und Perspekdve vor: Er überhöht Geschehnisse, die tatsächlich stattgefunden haben, indem er deren

83 Strab. 7 , 1 , 3. 84 Veil. 2,106, 2f. 85 Vgl. Lennartz 1969, 82; Timpe 1989, 96; Wolters 1990,191. 86 Vgl. die grundsätzliche Kritik von Schanz/Hosius 1935, 583f: »Am unerfreulichsten ist die Stickluft des Hofes, die uns entgegenweht. Die Schmeichelei gegen Tiberius hat große Dimensionen angenommen....Wir können ihm nicht wenige Entstellungen der Wahrheit nachweisen, die ihre Wurzel in seiner höfischen Gesinnung haben.« 87 Vgl. die grundsätzliche Feststellung von Sallmann 1984, 594, daß »eine subjektiv gefärbte Grundhaltung« »noch nicht verfälschende Propaganda sein« muß. Schließlich »geht es bei dieser höfischen Geschichtsschreibung nicht um Polemik gegen, sondern um Enkomiastik für jemanden« (596).

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Einzigartigkeit hervorhebt. Nicht das Ereignis an sich ist in Zweifel zu ziehen, sondern die Behauptung der Einzigartigkeit. Demnach kann man davon ausgehen, daß die Vereinigung von Heer und Flotte an der Elbe ein historisches Ereignis darstellt. Fraglich bleibt, ob Tiberius als erster dieses Unternehmen durchführte. Unter Germanicus ist auf jeden Fall ein Zusammentreffen von Heer und Flotte nachweisbar, wie weiter unten dargestellt werden soll. Folglich war dieses Unternehmen für die Zeitgenossen zumindest plausibel. Dieses Zusammentreffen belegt, daß der Raum von vornherein als Fläche in die strategischen Planungen einbezogen wurde. Das zeigt sich nicht nur darin, daß Germanien - den Unternehmen des Drusus 12 v. Chr. vergleichbar — von mehreren Seiten umfaßt wurde, vom Rhein und von der Nordsee, sondern auch darin, daß innerhalb der Fläche ein Treffpunkt von zwei Strecken bestimmt wurde. Eben dies setzt voraus, daß in der gedachten Karte die Längen der beiden Strecken im richtigen Verhältnis und unter Wahrung der jeweiligen Winkel, die bei Richtungsänderungen und beim Zusammentreffen der Strecken auftreten, abgebildet werden. Es läßt sich hier also die Fähigkeit feststellen, die Fläche mit Inhalt zu füllen und diese Inhalte unter Wahrung der annähernden Lagebeziehungen zu verknüpfen. Gerade diese Kriterien sind ein wichtiges Indiz für kartographisches Denken. Das folgende Kriegsjahr, 6 n. Chr., sah Operationen gegen die Markomannen unter ihrem König Marbod vor. Dieser germanische Stamm siedelte im heutigen Böhmen, wohin er aus der Maingegend nach den Feldzügen des Drusus gezogen war. Dort befestigte Marbod seine Macht durch eine Stammesklientel über die Elbgermanen.88 Für die Rekonstruktion dieses Feldzuges sind wir hauptsächlich auf die Darstellung des Vellerns Paterculus angewiesen.89 Vellerns führt eine Reihe von Argumenten auf, um den römischen Angriff auf Marbod zu begründen: Einmal seien alle Gebiete Germaniens außer dem der Markomannen erobert: Nihil erat iam in Germania, quod vina posset, praeter gentem Marcomannorum, quae Maroboduo duce exäta 88 Strab. 7 , 1 , 3; Veil. 2, 108, 2; Tac. ann. 2, 45,1; dazu Timpe 1967, 286; Lennartz 1969, 25ff; Wolters 1990,180,192. Timpe 1978,127 datiert die Wanderung der Markomannen zwischen 8/7 v. Chr. und 1 v. Chr. 89 Veil. 2 , 1 0 8 , 1 - 1 1 0 , 2.

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sedibus suis atque in interiora refugiens inänctos Hertynia silva campos incolebat-90 Eine weitere Bedrohung stelle Marbod aufgrund seiner persönlichen Befähigung und der Größe seiner Macht dar, die sich u. a in einer starken Armee äußert. Dazu komme, daß Marbod von Rom abtrünnigen Stämmen und Personen Zuflucht gewähre. Das Problem läßt sich in Kürze damit beschreiben, daß Marbod als aemulus Roms auftrat. Als letztes Argument führt Velleius die >geostrategische< Lage von Marbods Reich auf. Auf seiner linken Seite und seiner Vorderseite befände sich Germanien, auf seiner rechten Pannonien und auf seiner Rückseite Noricum. Durch diese Lage bedrohe er sogar Italien, da zwischen den Alpenpässen, der Grenze Italiens, und seiner Grenze nicht mehr als 200 Meilen lägen: Eratque etiam eo timendus, quod cum Germaniam ad laevam et in fronte, Pannoniam ad dextram, a tergo sedium suarum haberet Noricos, tamquam in omnes semper venturus ab omnibus timebatur. Nec securam incrementi sui patiebatur esse Italiam, quippe cum a summis Alpium iugis, quaefinemItaliae terminant, initium huiusfiniumhaud multo plus CC milibus passuum abesset,91 Es stellt sich die Frage nach der Verwandtschaft des Raumbildes bei Velleius mit den Beschreibungen der antiken Geographen. Bei Strabon ist Italien ungefähr von Norden nach Süden ausgerichtet.92 Die Alpen beschreiben einen Halbkreis, wobei die konkave Seite Italien zugewandt ist.93 Das Gebiet der Räter lokalisiert Strabon im wesentlichen östlich des Bodensees. 94 Die Räter und Noriker begrenzt er im Süden durch die Insubrer sowie im Osten durch die Karner und die Stadt Aquileia. Der Herkynische Wald, innerhalb dessen sich das Reich Marbods befindet, liegt ungefähr nördlich der Alpen. Das kann man daraus erschließen, daß er in Verbindung mit der Darstellung der Räter und Noriker genannt wird. Im Osten schließen sich die Pannonier an die Noriker an. Pannonien ist im Norden durch die Donau, im Osten durch die Skordisker begrenzt. 95 Die Donau fließt bei Strabon von der Quelle 90 Veil. 2, 108,1. 91 Veil. 2,109, 3f. 92 Strab. 6, 4 , 1 . 93 Strab. 2, 5, 28. 94 Strab. 7 , 1 , 5; 4, 6, 8. 95 Strab. 7, 5, 2; 7, 5, 10.

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Richtung Süden, dann von Westen nach Osten und schließlich nach Norden, bevor sie in das Schwarze Meer mündet.96 Ferner erweckt die Beschreibung Strabons den Eindruck, die Donau folge der Alpenlinie, die in der östlichen Hälfte nach Südosten verläuft. Verbindet man die beiden Elemente, so ist die Interpretation naheliegend, daß Strabon den Verlauf der Donau als südlich nur annähernd beschrieb. Vermutlich war er der Auffassung, daß die Donau unmittelbar nach ihrem Ursprung Richtung Südosten flöß. Mit Hilfe dieses Schemas kann teilweise die Beschreibung des Markomannengebiets bei Vellerns erklärt werden. Auf der norischen Seite bildet die Donau die Westgrenze, auf der pannonischen Seite die Südgrenze, Germanien die Nord- und die Ostgrenze. Marbods Reich hätte also nach dieser Beschreibung die Form eines Trapezes. Da Marbod mit dem Rücken zur norischen Donau steht, blickt er bei Velleius nach Nordosten. Diese Lokalisierung verwundert, weil man erwarten würde, daß Marbod, der angeblich eine Bedrohung für Italien darstellt, dorthin blickt. Anders gesagt nimmt er die Perspektive eines Römers ein, der von Noricum aus nach Böhmen schaut. Zum Vergleich soll die Beschreibung dieser Regionen bei Plinius betrachtet werden. Italien richtet sich von den Alpen aus gesehen nach SSO aus.97 Die Alpen begrenzen Italien und die Donau verläuft wiederum parallel zu den Alpen.98 Pannonien wird im Norden bzw. NNW von der Donau begrenzt.99 Die Darstellung bei Plinius läßt vermuten, daß die Donau bei ihm von der Quelle bis zur Mündung Richtung Osten flöß. Demnach wären die Noriker und Pannonier von Westen nach Osten endang der Donau aufgereiht. Nach diesem Schema blickt Marbod nach NNW, d.h. er nimmt die Perspektive eines Römers in Italien an. Allerdings bleibt unberücksichtigt, daß Noricum und Pannonien zwei Seiten des beschriebenen Vierecks bilden. Der Vergleich der einzelnen Raumbilder ergibt, daß zwei widersprüchliche Elemente die Darstellung des Markomannenreichs prägen. Einmal läßt sich ein % 97 98 99

Strab. 7, 1 , 1 ; 7, 5 , 1 . Plin. nat. 3, 45. Plin. nat. 3,132; 4, 79. Plin. nat. 3,146.

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Schematismus erkennen, nach dem Italien, die Alpen und Noricum nach der gleichen Himmelsrichtung orientiert sind. Dies zeigt die Perspektive Marbods bei Velleius, die einer Sichtweise von Italien aus entspricht. Dann findet sich das Wissen, daß Noricum und Pannonien je eine Seite der Fläche bilden, die Marbods Reich erfaßt Dies steht aber im deutlichen Widerspruch zu der parallelen Anordnung, wie sie sich aufgrund der Orientierung ausprägt. In diesem Fall bilden Noricum und Pannonien nicht je eine Seite einer Fläche, sondern sind linear an der Donau aufgereiht. Man kann auch feststellen, daß sich in dem Raumbild des Velleius zwei unterschiedliche Prinzipien der Raumerfassung ausprägen, nämlich Linie und Fläche. Die lineare Sichtweise zeigt sich in der schematischen Anordnung von Italien, den Alpen, Noricum und dem Reich Marbods, die Konzeption einer Fläche in der Umschreibung des Gebiets der Markomannen. An diesem Beispiel läßt sich erkennen, daß sich in der mental map des Velleius eine Art der Raumerfassung findet, die kartographische und hodologische Sichtweise verbindet. Die Elemente der hodologischen Sichtweise sind die lineare Anordnung und die subjektive Orientierung nach vorne, hinten, links und rechts. Dagegen ist das Gebiet der Markomannen als Fläche vorgestellt, d.h. hier liegt ein Element der kartographischen Raumerfassung vor. Möglicherweise hatte Velleius eine geometrische Figur des Reichs von Marbod im Kopf. Vergleichbare Raumbilder müssen auch die Rezipienten des Werks von Velleius gehabt haben. Allein auf diese Weise kann erklärt werden, daß die >geographische< Lage des Markomannenreichs das wichtigste Argument des Velleius darstellt, mit dessen Hilfe er die Gefährlichkeit Marbods beweisen will. Im Anschluß daran schildert Velleius den Aufmarsch der zwei römischen Heeresgruppen gegen Marbod.100 Dieser Bericht ermöglicht eine ungefähre Skizzierung des Verlaufs des Feldzugs: Hunc virum (s. c. Marboduus) et banc regionem proximo anno diversis e partibus Ti. Caesar adgredi statuit. Sentio Saturnino mandatum, utper Cattos exdsis continentibus Hercyniae silvis legiones Boiohaemum (td regioni, quam incolebat Marboduus, nomen est), ipse a Carnunto, qui 100 Syme 1966, 366; Gruen 1966,183f; Timpe 1967, 287; Wolters 1990,194.

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locus Noriä regni proximus ab hac parte erat, exerätum, qui in Illyrico merebat, ducere in Marcomannos orsus est.m Die Heeresgruppe unter Sentius Saturninus sollte durch das Gebiet der Chatten marschieren. Da die Chatten im Gebiet des heutigen Hessens und des Maintals siedelten, kann man davon ausgehen, daß an diesem Unternehmen Truppen der germanischen Rheinarmee beteiligt waren, die ihre Aufstellung in Mainz nahmen. Es stellt sich weiterhin die Frage, in welchem Zusammenhang das Lager Marktbreit mit diesen Ereignissen steht. Dazu ist zunächst einmal zu bemerken, daß die archäologischen Befunde nur eine annähernde Datierung des Lagers zwischen 5 v. Chr. und 9 n. Chr. zulassen. So ist es möglich, es mit allen Ereignissen in diesem Zeitraum in Verbindung zu bringen. Diskutiert werden ein Zusammenhang mit den Unternehmungen des Domitius Ahenobarbus, mit den literarisch nicht näher bezeugten Vorgängen in Germanien zwischen 1 und 4 n. Chr., mit dem Aufmarsch gegen Marbod und der Einrichtung einer geplanten Provinz Marcomannia.102 Allerdings erscheint hierbei die Funktion als Etappenlager für den Aufmarsch gegen die Markomannen als die plausibelste Hypothese.103 Um den ungefähren Verlauf des römischen Vormarsches nachzuvollziehen, ist eine genaue Bestimmung der Funktion von Marktbreit gar nicht nötig. Bereits die Tatsache der Existenz dieses Lagers offenbart die starke Präsenz der römischen Militärmacht am mittleren Main im Zeitraum zwischen 5 v. Chr. und 9 n. Chr. Dazu kommt, daß eine Anlage des Lagers nach 6 n. Chr., als die römische Armee durch den Aufstand in Illyrien gebunden war, unwahrscheinlich ist. Man kann also folgern, daß spätestens während des Vormarsches von Sentius Saturninus eine Vormarschstraße durch das Maintal bestand. Die andere Heeresgruppe unter dem Kommando von Tiberius marschierte von Carnuntum aus vermutlich Richtung Nordwesten. Tiberius wählte wahrscheinlich

101 Veil. 2, 109, 5. Tac. ann. 2, 46, 2 legt Marbod die Worte in den Mund, daß er einer Streitmacht von 12 Legionen unter Tiberius widerstanden habe. Ob die Zahl stimmt, soll dahingestellt bleiben. Eindeutig ist aber, daß Tacitus die Größe der römischen Armee hervorhebt. Vgl. Wolters 1990,194. 102 Pietsch/Timpe/Warmser 1991, 319; Pietsch 1995a, 54; Pietsch 1995 b, 478f; 1995c, 11. 103 Pietsch 1995 b, 478f.

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Carnuntum als Ausgangspunkt, da eine große vorrömische Handelsstraße an dieser Stelle die Donau überschritt. Diese bezeugt Plinius mit dem Hinweis, daß die Küste Germaniens, an der der Bernstein eingeführt wird, von Carnuntum in Pannonien etwa 600 Meilen entfernt liegt.104 Aus dem Bericht des Vellerns kann desweiteren ersehen werden, daß eine Vereinigung der beiden Armeen geplant war und diese jeweils bis auf fünf Tagesmärsche an den vereinbarten Treffjpunkt herangekommen waren: Praeparaverat iam hiberna Caesar ad Danubium admotoque exercitu non plus quam quinque dierum iter a primis hostium aberat, kgionesque quas Saturninum admovereplacuerat, paerte aequali divisae intervallo ab hoste intrapaucos dies inpraedicto loco cum Caesare se iuncturae erant.ws Der Vormarsch aus unterschiedlichen Richtungen und die geplante Vereinigung an einem Punkt weisen eindeutig auf die klassische militärische Form des Zangenangriffs hin. Diente das für 5 n. Chr. belegte Zusammentreffen von Heer und Flotte hauptsächlich der Versorgung der Landtruppen, so

2ielte

der

Zangenangriff gegen Marbod darauf, den Gegner einzukreisen und anschließend zu vernichten. Diese Art der Kriegsführung setzt für die Planung eine gedachte Karte voraus, die nach kartographischen Prinzipien strukturiert ist. Das betrifft insbesondere die Anordnung von Gallien, Rätien, Noricum und Pannonien und den Verlauf von Rhein und Donau. Dabei müssen die Längen- und Breitenerstreckung der Gebiete unter Wahrung der jeweiligen Größenverhältnisse und ihre Ausrichtung abgebildet werden. In diese mentale Karte werden dann die Lage Marbods und die Ausgangspunkte der Rhein- und der Donauarmee eingetragene Zudem muß die Marschrichtung der beiden Armeen und ihr Treffjpunkt festgelegt werden. Für die Ermittlung der Entfernungen kann man sich mehrere Vorgehensweisen vorstellen: Itinerar und das obige Raumbild stehen unverbunden nebeneinander, d.h. werden in kein kohärentes System eingebunden. Die Itinerardaten werden in das kartographische Raumbild übernommen, d.h. die beiden Strecken in einem bestimmten Verhältnis abgebildet. Schließlich bleibt als letzte Möglichkeit, daß die Marschentfernungen durch Analogie aus der mentalen Karte erschlossen werden:

104 Plin. nat. 37, 45 105 Veil. 2 , 1 1 0 , If.

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Die Rheinarmee muß eine bestimmte Strecke parallel zur Donau marschieren, die Donauarmee zum Rhein. Es bleibt festzuhalten, daß hinter der Strategie des Tiberius eine gedachte Karte der Oikumene steht, beispielsweise in der Form der Karte des Agrippa.

c. Die Varusschlacht Der Ausbruch des Aufstands in Pannonien und Dalmatien 6 n. Chr. zwang Tiberius, die Operation gegen Marbod abzubrechen. Dieser Krieg erforderte die völlige Anspannung der römischen Kräfte, so daß weitere Unternehmungen in Germanien im Zeitraum von 6 bis 9 n. Chr. unterblieben. Die Ereignisse in diesem Gebiet rücken dann aber für das Jahr 9 n. Chr. mit der Varuskatastrophe schlagartig in den Vordergrund: Bereits fünf Tage nach Beendigung des dalmatischen Kriegs traf in Rom die Nachricht ein, daß eine Koalition germanischer Stämme ein römisches Heer unter dem Legaten P. Quinctilius Varus vernichtet habe, das aus drei Legionen, ebensovielen Reiter-Alen und sechs Auxiliarkohorten bestand.106 Im vorliegenden Kapitel sollen vor allem Fragen behandelt werden, die die Rekonstruktion der antiken Topographie und die Darstellung des Raums bei den antiken Autoren betreffen.107 Für diese Fragen müssen vor allem die entsprechenden Stellen bei Dio und Tacitus herangezogen werden, wobei die Informationen des Tacitus sich auf die Rückkehr des Germanicus an den Ort der Schlacht 15 n. Chr. beziehen. Ansonsten kann die Bedeutung der Schlacht daraus ersehen werden, daß sie in den antiken Quellen häufig erwähnt wird.108

106 Vgl. Kolbe 1 9 3 2 , 1 4 1 - 6 8 ; Stier 1933,489-506; John 1963,907-84; Gruen 1 9 6 6 , 1 8 4 f ; Timpe 1970, 105f; Callies 1973, 417-21; Schillinger-Häfele 1983, 123ff; Lehmann 1990, 143-64; Callies 1 9 9 5 , 1 7 5 - 8 3 ; Wolters 1993, 167-83; Tausend 1997, 372-82; Wiegels 1999, 637-74. 107 Für die Charakterisierung der römischen Herrschaft über Germanien und die Rolle des Arminius sind vor allem die Arbeiten von Dieter Timpe und Reinhard Wolters zu berücksichtigen. Timpe 1 9 7 0 hat den germanischen Aufstand auf eine Meuterei von Auxiliartruppen reduziert. Wolters 1990, 2 1 3 revidierte teilweise die Ergebnisse Timpes, indem er hervorhob, daß es sich bei den germanischen Verbänden um fallweise aufgebotene Hilfstruppen handelte. 108 Cass. Dio 5 6 , 1 8 , 4 - 2 2 , 1 ; Veil. 2 , 1 1 8 , 1 - 1 1 9 , 5; Tac. ann. 1, 57-61; Suet. Aug. 23, l ; T i b . 1 7 , 1 ; Hör. 2, 30, 29-39; Ov. trist. 3, 1 2 , 4 5 - 4 8 ; 4, 2, 31-36; Strab. 7 , 1 , 4; 1, 1 , 1 7 ; Manil. 1, 898ff;

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Trotz der breiten Überlieferung dieses Ereignisses läßt sich in den Quellen keine genaue Lokalisierung finden. D i o berichtet, daß die aufständischen germanischen Stämme Varus v o m Rhein weg und Richtung Cheruskergebiet und Weser lockten. 109 N a c h Tacitus marschierte während der Operationen des Germanicus 15 n. Chr. eine römische Heeresabteilung an die äußerste Grenze des Bruktererlandes sowie in das Gebiet zwischen E m s und Lippe, in der Nähe des Teutoburger Waldes: Ductum inde agmen ad Ultimos Bructerorum, quantumque Amtsiam et hupiam amnes inter vastatum, haud procul Teutoburgiensi saltu, in quo reliquiae Vari legionumque insepultae dicebantur.110 Diese Angaben lassen lediglich eine ungefähre Lokalisierung in dem Gebiet zwischen E m s , Lippe und Weser zu. Aufgrund der Größe des Gebiets verwundert es nicht, daß in der Forschung eine Vielzahl von Theorien über den maßgeblichen Ort der Varusschlacht diskutiert wurden. 111 Obwohl Tacitus und D i o den Verlauf der Schlacht detailliert schildern, bleiben bei ihnen einige Aspekte, die die Topographie betreffen, offen. Beide Autoren nennen zwar die einzelnen Punkte, die die römische Armee passierte, verzichten aber darauf, über die Marschrichtung zu informieren. Z u dieser Frage werden in der Forschung zwei Positionen vertreten. Demnach befand sich Varus entweder auf dem Vormarsch von West nach Ost bzw. von Südwest nach Nordost oder auf dem Rückzug zum Rhein in umgekehrter Richtung. 112 Meines Erachtens sprechen die Ereignisse im Kontext der Schlacht dafür, daß Varus v o m Niederrhein aufbrach, der

Oros. 6,21,26f. Beispielsweise ist der Quellenwert des relevanten Abschnitts bei Florus (epit 2,30, 29-39) durch eine ausgeprägte Rhetorisierung erheblich eingeschränkt. Elemente dieser Rhetorisierung sind die exclamatio und die einander entsprechenden Textpartien, die dem Gewinn Germaniens durch Drusus den Verlust durch Varus gegenüberstellen. Uberhaupt ist der ganze Bericht dem zentralen Gedanken untergeordnet, daß es leichter ist, Provinzen zu erobern als zu behaupten. Dies wird besonders deutlich am Beispiel der Schilderung der Varus-Katastrophe: Die Germanen überfallen Varus, der im Lager vor Gericht saß. Es ist offensichtlich, daß Florus keine historische Darstellung des Ablaufs der Schlacht gibt, sondern lediglich das zentrale Motiv seiner Erzählung in einem farbigen Bild verdichtet. 109 Cass. Dio 56, 18, 5. llOTac. ann. 1,60, 3. 111 John 1963, 952f; Petrikovits 1966,178. 112 Kolbe 1932,161-65John 1963,951, Timpe 1970,106 und Tausend 1997,380 vertreten die These eines Vormarschs von West nach Ost, Lehmann 1990, 153, 157, Wolters 1993, 173f und Wiegels 1999, 663 dagegen die eines Rückzugs zum Rhein.

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Lippe zuerst Richtung Osten folgte, dann diesen Vormarschweg verließ und Richtung Nordosten marschierte. Diese Überlegung kann durch die oben erwähnte Angabe Dios belegt werden, daß die Aufständischen Varus in Richtung Cheruskergebiet und Weser lockten.113 Dazu kommt der Bericht von Tac. ann. 1, 60, 2, daß Germanicus vor dem Besuch des Orts der Varusschlacht seine Armee an der Ems sammelte. Betrachtet man desweiteren Kalkriese, das zwischen Weser und Ems liegt, als den Ort der Schlacht im Teutoburger Wald, muß das Heer des Varus ungefähr Richtung Osten vorgedrungen sein. In dieser Richtung betrat auch Germanicus das Schlachtfeld und vollzog den Marsch der Varusarmee nach. Ein weiterer Aspekt, der in der Forschung diskutiert wird, betrifft die Frage nach der Dauer der Schlacht: Kolbe geht von einer zweitägigen Dauer der Schlacht, Wolters von einer dreitägigen, Lehmann von einer viertägigen und John ebenfalls von mehreren Tagen aus.114 Diese strittigen Punkte resultieren in der Hauptsache aus Schwierigkeiten der Interpretation von Dio und Tacitus und unterschiedlichen Angaben bei beiden Autoren. Die schlüssigste Rekonstruktion der Ereignisse findet sich meines Erachtens bei Lehmann. Seine Darstellung hat den Vorteil der sinnvollsten Kombination der antiken Berichte. Die aufständischen germanischen Stämme unter Arminius beabsichtigten, das römische Heer auf dem Marsch durch angeblich befreundetes Gebiet zu überfallen und zu vernichten — ein Zeitpunkt, zu dem das römische Heer höchst verwundbar war, da die Linien weit auseinander gezogen waren.115 Zu diesem Zweck fingierte Arminius einen Aufstand von entfernt wohnenden Stämmen, der das römische Heer dazu veranlassen sollte, die gesicherten Routen zu verlassen. Das germanische Aufgebot begleitete Varus ein Stück des Wegs und verließ ihn dann unter dem Vorwand, weitere Truppen gegen die Aufständischen zu sammeln. Tatsächlich 113 Cass. Dio 5 6 , 1 8 , 5 : πόρρο άπό τού' Ρήνου ές τε -rty Χερουσκίδα καΐ πρός τόν ΟίΛσουργον. Πρός ist hier nicht in der Bedeutung »bis zu«, sondern im Sinne von »in Richtung auf« zu verstehen (vgl. Tausend 1997, 377). Diese Stelle in Verbindung mit Cass. Dio 5 6 , 1 9 , 4 : προέπεμψάν τε γάρ aircöv έξορμώντα wird oft als Beleg für die Existenz eines Sommerlagers an der Weser angeführt, von dem Varus aufbrach (vgl. Kolbe 1932,151,163; Timpe 1970,106). Meines Erachtens können die beiden Textstellen in der Weise interpretiert werden, daß die Verschwörer Varus auch während des Vormarsches vom Rhein aus begleitet haben. 114 Kolbe 1932,154ff; John 1963, 941f; Lehmann 1990,153-56, Wolters 1993,171. 115 Cass. Dio 56, 1 9 , 2 - 2 1 , 1.

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übernahmen die germanischen Verschwörer die schon bereitstehenden Truppen und überfielen unvermittelt die Römer, die sich in schwer durchdringlichem Gelände befanden und aufgrund der durch den Troß aufgelockerten Marsch formation ein leichtes Ziel boten. Die Germanen umzingelten die Römer und attackierten sie zuerst aus der Ferne, dann aus der Nähe. Bereits bei diesem ersten Angriff scheinen die Römer schwere Verluste erlitten zu haben. Um die Truppen erneut zu sammeln, ließ Varus ein Lager aufschlagen, sobald man dafür geeignetes Gebiet erreichte. Dieses Lager nach Dio 56,21,1 entspricht den prima Vari castra bei Tac. ann. 1,61, 2.116 Im Lager verfugte die römische Führung eine Reduzierung des Trosses, indem die Wagen und sonstigen überflüssigen Gegenstände vernichtet oder zurückgelassen wurden. Am folgenden Tag, dem zweiten der Schlacht, ging der Marsch nunmehr geordneter weiter, und die Römer erreichten — allerdings unter großen Verlusten — freies Geländes.117 Von dort aus gerieten sie aber wieder in Wälder, wo sie besonders heftig attackiert wurden, da sich Fußtruppen und Reiterei beim Angriff aufgrund der Enge des Raums gegenseitig behinderten. Am Ende des Tags schlugen die Römer erneut ein Lager auf, das zweite Lager bei Tacitus.118 Dio hingegen erwähnt dieses Lager nicht. Seine Darstellung setzt erst zu dem Zeitpunkt ein, als das römische Heer vernichtet wurde. Diese Interpretation setzt allerdings voraus, daß man die Konjektur τετάρτη τε ήμέρα bei Dio akzeptiert.119 Demnach ist das römische Heer den ganzen dritten Tag und die Nacht auf den vierten Tag marschiert, ohne ein Lager aufzuschlagen. Am vierten Tag waren die römischen Truppen zu erschöpft, um ein Lager zu errichten oder den Weg fortzusetzen.120 Darüber hinaus setzten ihnen Regen und heftiger Wind zu und schränkten den Gebrauch ihrer Waffen ein, da die Nässe die Schilde schwer machte. Zu diesem Zeitpunkt griffen die Germanen erneut an, die unter der Witterung weniger zu 116 Kolbe 1932,152 identifiziert das erste Lager bei Tacitus mit dem angeblichen Sommerlager bei Dio 56, 19, 5. 117 Cass. Dio 56, 21,2. 118 Tac. ann. 1, 61, 2. 119 Cass. Dio 56, 21, 3; vgl. Lehmann 1990,155. Kolbe 1932, 149, 154 spricht sich gegen das Konjizieren einer Zahl aus. 120 Cass. Dio 56, 2 1 , 3 - 2 2 , 1 .

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leiden hatten, da sie leichter bewaffnet waren. Als Ort dieser Geschehnisse nennt Tacitus medio campi.nx Das Ergebnis dieses erneuten Angriffs war die vollkommene Zerschlagung des Varusheers. Varus und seine Begleiter begingen Selbstmord. Die überlebenden Soldaten ergaben sich oder versuchten zu fliehen. Dio berichtet, daß es keine Überlebenden der Schlacht gab: έκόπτετό τε οΰν άδεώς πάς κ α ΐ άνήρ καΐ Ιππος 122 Die römische Niederlage kann aber nicht so vernichtend gewesen sein, da Tacitus erwähnt, daß bei Germanicus' Besuch des Schlachtfeldes überlebende Soldaten als Führer fungierten. 123 Ergänzend läßt sich hier noch der Bericht des Vellerns anfuhren, der sich in seiner Darstellung auf die Ereignisse des vierten Tages beschränkt. Bei ihm findet sich eine Nachricht über den Widerstand des Lagerpräfekten L. Eggius und die Kapitulation des Lagerpräfekten Ceionius. Desweiteren berichtet er von der vergeblichen Flucht des Legaten Numonius Vala mit der Reiterei in Richtung Rhein. Der Bericht des Dio über die Folgen der Niederlage bricht—bedingt durch einen Blattausfall im Codex Marcianus — mitten im Text ab. Davon ist insbesondere die Darstellung der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Kampf um Aliso betroffen. Aus dem Exzerpt des Zonaras ist zu ersehen, daß die Germanen mit einer Ausnahme alle Lager eroberten. 124 Hierbei handelt es sich aber um Aliso. Das geht zweifelsohne aus der parallelen Darstellung des Velleius hervor, der in diesem Zusammenhang Aliso namentlich aufführt. 125 Die Belagerung hielt die Germanen auf, so daß sie weder den Rhein überschritten noch in Gallien einfielen. Als die Germanen erfuhren, daß am Rhein weitere Truppeneinheiten bereitstanden und Tiberius mit einem neuen Heer im Anmarsch war, zogen sie einen Großteil ihrer Einheiten ab und führten die Belagerung lediglich mit einer kleinen Truppe weiter.

121 Medio campt bedeutet «mitten im Gefilde» (vgl. Kolbe 1932,147) und bezeichnet nicht den Raum zwischen dem ersten und zweiten Lager, wie Koestermann 1963, 211 annimmt. 122 Cass. Dio 56, 22, 2.

123 Tac. ann. 1,61,4\ et cladis eius superstites, pugnam aut vincula elapsi, refenbant hic ceadisse kgat raptas aquilas. 124 Cass. Dio 56, 22, 2a (Zon. 10, 37 [p. 452,12-17 Dind.]); vgl. John 1963, 953f; Schnurbein 1981, 81; Lehmann 1990,156. 125 Veil. 2,120, 4.

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Da aber die Lebensmittel den Eingeschlossenen allmählich ausgingen, brachen sie aus und schlugen sich unter schweren Verlusten zu den eigenen Linien durch.126 Bereits aus der Schilderung der Schlacht im Teutoburger Wald ist deutlich geworden, daß die antiken Autoren wenige topographische Angaben machen. Konkret benennen sie nur die Flüsse Rhein, Ems, Weser und Lippe, das Gebiet der Cherusker und das Militärlager Aliso. Ansonsten finden sich lediglich allgemeine Charakterisierungen der Landschaft, durch die das römische Heer marschierte. In diesen Beschreibungen stimmen aber Dio und Tacitus überein. Dio hebt hervor, daß das Gelände Berge ohne Ebenen, aber mit vielen Schluchten und eine dichte Bewaldung aufwies: Τά τε γάρ δρη καΐ φαραγγώδη καλ άνώμαλα καΐ τά δένδρα καΐ πυκνά καΐ 1)περμήκη ή ν.127 Dazu kommt seine Information, daß der Boden infolge des Regens wenig Halt bot, was auf nasses oder sumpfiges Gelände schließen läßt.128 Dies deckt sich mit dem Bericht des Tacitus, der die zahlreichen Waldschluchten, Sümpfe und Moorwiesen hervorhebt, die das Vorauskommando unter Caecina vor dem Besuch des Schlachtfeldes im Teutoburger Wald durchqueren mußte: Praemisso Caecina, ut occulta saltuum scmtareturpontesque et aggeres umido paludum etfalladbus campis imponeret.m Angesichts dieser unpräzisen bzw. unkonkreten Lokalisierungen stellt sich die Frage, welche Rolle der Raum in der antiken Diskussion über die Ursachen der Varusniederlage einnimmt. Cassius Dios Bericht ist eine Vielzahl von Faktoren zu entnehmen, die die römische Niederlage verursachten. Ein Teil dieser Faktoren ist unter dem Gesichtspunkt individuelles Versagen des Kommandeurs zu subsumieren. Dazu gehören sein ungeschicktes Verhalten gegenüber den unterworfenen Germanen, denen er durch das Eintreiben von Steuern ihren Status als Untertanen vor Augen führte, wie seine Arglosigkeit gegenüber den Anführern der Verschwörung.130 Der andere Teil der Faktoren bezieht sich auf die unwirtliche Topographie Germaniens. Die Hauptschwierigkeit der Römer bestand darin, das 126 127 128 129 130

Cass. Dio 56, 22, 2. Cass. Dio 56, 2 0 , 1 . Cass. Dio 56, 20, 3; 56, 21, 3. Tac. ann. 1, 6 1 , 1 ; vgl. Tac. ann. 1, 63, 2; 1, 64, 2f; 1, 65, 4; dazu Callies 1995,178. Cass. Dio 56,18, 3; 56,19, 2f.

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gebirgige und dicht bewaldete Gelände zu durchdringen. Da sie sich auf der letzten Wegstrecke abseits der gewohnten Vormarschroute endang der Lippe befanden, waren sie mit dem Fällen von Bäumen, der Anlage von Wegen und dem Überbrücken von Geländeabschnitten beschäftigt.131 Zusätzlich behinderten noch heftiger Regen und Sturm das römische Heer.132 Einen weiteren Nachteil in dem schwierigen Gelände stellte der Troß dar, der die römischen Marschkolonnen in die Länge zog und somit die Verwundbarkeit erhöhte.133 Nimmt man die normale Breite von sechs Mann fur eine Marschkolonne an, so ergibt sich bereits für ein Zweilegionenheer ohne Troß nach Veith eine Gesamtlänge von 5 bis 6 km.134 Für ein Dreilegionenheer wie im Fall des Varus würde sich die Länge der Kolonne dann um ein Drittel erhöhen, auf ungefähr 8 bis 9 km. Dazu kam dann noch der Troß. Das und die Tatsache, daß die Wegbreite sicherlich oft geringer als die für die Sechserkolonne erforderlichen fünf Meter war, haben die Länge des römischen Heers auf etwa 20 km erhöht. Dies erklärt, daß die Verminderung des Trosses zu den ersten Maßnahmen gehörte, die Varus nach Errichtung des ersten Marschlagers durchführen ließ.135 Den Troß möglichst klein zu halten, gehörte auch zu den wichtigsten Lehren, die die römische Führung aus der Varuskatastrophe zog. Nach Sueton kontrollierte Tiberius 11 η. Chr. persönlich den Troß, um ein Mitführen von überflüssigen Gegenständen zu verhindern.136 Den Stellenwert des Raums in der antiken Diskussion über die Ursachen der Varuskatastrophe verdeutlicht noch ein weiteres Beispiel: der bei Tacitus geschilderte Rückmarsch des Caecina 15 n. Chr mit einem Teil des Germanicus-Heers.137 Die Route führte über die von Domitius Ahenobarbus durch die Sümpfe angelegten pontes longi,138 Die Sümpfe waren von sanft ansteigenden Wäldern umgeben, die die 131 Cass. Dio 56, 20, 1: έκεΐυά τε τέμνοντας καΐ όδοποιοϋιηας γεφυρουντάς τε τά τούτου δεόμενα πονη&ήναι. 132 Cass. Dio 56, 21, 3. 133 Cass. Dio 56, 20, 5. 134 Kromayer/Veith 1928, 287f, 352f. Die Breite der Marschformation von sechs Mann überliefert los. bell. lud. 3, 6, 2. 135 Cass. Dio 56, 21,1. 136 Suet. Tib. 18, 1; vgl. Timpe 1989, 105. 137 Tac. ann. 1, 63, 3 - 68, 5. 138 Tac. ann. 1, 63, 3f.

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Germanen besetzt hielten und aus denen heraus sie das römische Heer attackierten. Durch die Nässe bot der Boden keinen Halt, und für die mit Kettenpanzern ausgerüsteten Legionäre war kein fester Schritt möglich. Dagegen konnten die leichter bewaffneten Germanen im Sumpf kämpfen.139 Nachdem Caecina auch noch das Traumgesicht des Varus erschienen war, schien das Schicksal der Römer besiegelt.140 Der entscheidende Unterschied in diesem Fall war jedoch, daß Caecina durch persönliches Geschick die Situation meistern konnte und somit das Heer vor dem Untergang bewahrte. Anders gesagt kann man daraus schließen, daß die Befähigung des Feldherren sich darin äußerte, die Schwierigkeiten des Raums zu bewältigen. Schwer zu durchdringendes Gelände war wie die Tapferkeit oder Grausamkeit des Feinds ein Faktor, mit dem ein fähiger Feldherr zurecht kommen mußte — oder an dem er seine virtus unter Beweis stellen konnte. Im Rückschluß auf die Varusschlacht zeigt sich, daß Tacitus die Katastrophe des Heers hauptsächlich mit dem Versagen des Varus begründete. In der Darstellung des Vellerns kommt dem Faktor Raum eine geringe Rolle zu.141 Lediglich einmal erwähnt er, daß das Varus-Heer von Sümpfen und Wäldern eingeschlossen war. Ansonsten werden die Ursachen der Niederlage auf das individuelle Versagen des Varus reduziert. Varus, der sich in Germanien wie ein Stadtpraetor bewegte, habe sich durch die Klugheit des Arminius täuschen lassen.142 Überhaupt fällt die Polarisierung der Darstellung auf: Der Tapferkeit und Kriegserfahrung des Heers wird die Indolenz des Führers gegenübergestellt, dem heldenhaften Lagerpräfekten L. Eggius der feige Numonius Vala.143 Im Zusammenhang mit der Erörterung des Nutzens der Geographie für die Politik führt Strabon als Beispiel die Germanenkriege an.144 Demnach kämpften die Barbaren bevorzugt in Sümpfen, weglosen Wäldern und Einöden. Desweiteren würden sie vortäuschen, weit entfernt zu sein, obwohl sie sich tatsächlich in der Nähe befänden und würden Wege und Möglichkeiten zum Verproviantieren 139 140 141 142 143

Tac.ann. 1, 64, lf. Tac. ann. 1, 65, 2. Veil. 2 , 1 1 7 , 2-119, 5. Veil. 2 , 1 1 7 , 2; 2, 118, lf. Veil. 2 , 1 1 9 , 4 .

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verheimlichen. An einer anderen Stelle fordert Strabon, daß den Germanen mit Mißtrauen begegnet werden muß. Dies beweise die Niederlage des Varus, die durch den Vertragsbruch der germanischen Stämme und das fehlende Mißtrauen des römischen Feldherren erklärt wurde.145 Man kann hieraus ersehen, daß für Strabon die Hauptschuld an der Niederlage dem Versagen des Feldherrn anzulasten ist, der die Verschlagenheit der germanischen Stämme nicht durchschaute. Dieses Motiv findet sich auch in der Darstellung der Topographie Germaniens in der ersten Strabon-Stelle: Die Landesnatur Germaniens begünstige die Täuschungen ihrer Bewohner. So prägt sich der Faktor Raum auf die dort wohnenden Menschen und ihre Eigenschaften aus, was wiederum das persönliche Versagen des Feldherren hervorhebt, der diese nicht durchschaute. In der antiken Auseinandersetzung mit der Varusniederlage steht der Faktor Raum hinter den individuellen Mängeln des Feldherren lediglich an zweiter Stelle. Wird der Raum dargestellt, geht es nicht um seine Erfassung, sondern vielmehr um die Schwierigkeiten, die er durch seinen gebirgigen, waldigen und weglosen Charakter einer physischen Durchdringung entgegenstellt. Hinsichtlich der Raumgröße handelt es sich hier um den Kleinraum, dessen Topographie kaum konkret wird. Ein Grund hierfür dürfte sicherlich darin liegen, daß die antiken Autoren ihre Leser nicht mit der Nennung von unbekannten Namen verwirren wollten. Dies wäre ihrem eigentlichen Ziel, der Herstellung eines Raumbildes beim Leser, hinderlich gewesen. Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt, der zu einem gewissen Teil in Frage stellt, ob die antiken Autoren im Zusammenhang mit der Varusschlacht überhaupt eine reale Landschaft abbildeten. Landschaft wurde nicht um ihrer selbst willen dargestellt, sondern diente auch dazu, eine gewisse — in diesem Fall traurige — Stimmung auszudrücken.146 Am deutlichsten wird dies bei Tacitus Schilderung des Besuchs des Germanicus auf dem Schlachtfeld im Teutoburger Wald.147 Tacitus macht das Unglück des römischen Heeres an den Resten fest, die sich in der Landschaft finden: die Wälle und Gräben der beiden Lager, 144 Strab. 1, 1,17. 145 Strab. 7, 1, 4. 146 Tac. ann. 1,61, 1: incedunt maestos locos visuque ac memoria deformis.

147 Tac. ann. 1, 61, 2 - 62, 2.

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Menschenknochen, Waffen, Pferdegerippe, Menschenschädel an den Bäumen usw. Es ist sicherlich zutreffend, daß es sich bei der dargestellten Topographie nicht vollständig um ein Phantasieprodukt handelt. Dennoch muß aber berücksichtigt werden, daß die realen Elemente der Topographie in der Absicht zusammengestellt werden, daß der Leser die Leiden des Varusheers nachvollziehen kann. Im Zusammenhang mit der Varusschlacht ist deutlich geworden, daß die gedachte Karte den Kleinraum nicht erfaßte. In diesem Bereich erfolgte eine Orientierung durch einheimische Führer oder Itinerare. Es ist sicherlich nicht der Fall gewesen, daß auch die einheimischen Kundschafter das Heer verließen, als sich die germanischen Häuptlinge unter dem Vorwand entfernten, weitere Truppen zu sammeln.'48 Zudem kann man ausschließen, daß die einheimischen Führer die römische Armee absichtlich irreführten, da dies von den antiken Quellen überliefert worden wäre. Anders gesagt: Die Varuskatastrophe war kein Ergebnis einer mangelhaften Raumerfassung.

d. Die Feldzüge des Tiberius 10 η. Chr. bis 12 n. Chr. und der limes Im Jahr nach der Niederlage des Varus wurde Tiberius als Oberkommandierender an den Rhein geschickt.149 Seine ersten Maßnahmen bestanden darin, die dortigen Verhältnisse zu stabilisieren und die Einsatzbereitschaft der Truppen wiederherzustellen.150 Dazu gehörten die Erhöhung der Anzahl der Legionen von sechs auf acht, die Unterteilung des Rheinheers in ein »oberes« und »unteres« Komando sowie die Verstärkung der Stützpunkte. In diesem Jahr scheint Tiberius noch auf ein Vordringen auf rechtsrheinisches Gebiet verzichtet zu haben. 11 und 12 n. Chr. kam es dann zu größeren Operationen im freien Germanien.151 Diese haben jedoch in den antiken Quellen nur einen geringen Niederschlag gefunden, so

148 149 150 151

Vgl. Cass. Dio 56,19, 4. Wolters 1990, 228f; Gruen 1966,185. Veil. 2,120, 1; Tac. ann. 1, 3, 5; Cass. Dio 56, 24, 6 (Zonar. 10, 37 p. 453, 7-10 Dind.). Veil. 2,120, 2; 2 , 1 2 1 , 1 ; Suet. Tib. 18, If; 19; Cass. Dio 56, 25, 2f.

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daß eine genaue Rekonstruktion der Ereignisse nicht möglich ist. Vellerns berichtet lediglich, daß Unternehmungen von Heer und Flotte durchgeführt wurden. 152 Über die Frage einer Schlacht in diesem Zusammenhang finden sich in den Quellen widersprüchliche Angaben. Sueton berichtet im Kontext dieser Ereignisse, daß Tiberius nach einer glücklich verlaufenen Schlacht beinahe von einem Brukterer ermordet worden wäre, der sich unter seine Umgebung gemischt hatte.153 Dagegen behauptet Cassius Dio, daß es bei dem Feldzug 11 n. Chr. zu keiner Schlacht kam, da sich Tiberius aus Angst vor einer erneuten Katastrophe nicht weit vom Rhein entfernte.154 Eine Erklärungsmöglichkeit wäre, daß die bei Sueton erwähnte Schlacht während des Feldzugs 12 n. Chr. stattfand, ein Jahr, für das Cassius Dio keine Vorkommnisse in Germanien überliefert. Dagegen spricht die Überlegung, daß Tiberius schwerlich mit dem durch die Varus-Niederlage demoralisierten Heer das Risiko einer Schlacht eingegangen wäre. Vielmehr ging es erst einmal darum, dem Heer durch sichere Operationen Selbstvertrauen zurückzugeben. Dazu kommt noch, daß eine Schlacht zu diesem Zeitpunkt nicht zu dem vorsichtigen Vorgehen des Tiberius gepaßt hätte, dessen Elemente weiter unten aufgezeigt werden sollen. Vielmehr ist wahrscheinlich, daß ein Fehler des Sueton vorliegt, der ein Ereignis, das während der früheren Feldzüge des Tiberius stattgefunden hatte - vielleicht zwischen 4 und 6 n. Chr. - , mit den Feldzügen 11 und 12 n. Chr. in Verbindung gebracht hat. Gegen Ende des Jahres 12 n. Chr. übergab Tiberius sein Kommando an Germanicus und begab sich nach Rom, um seinen wegen der Varusschlacht verschobenen illyrisch-dalmatischen Triumph anzutreten.155 Im Gegensatz zum wenig detaillierten Feldzugsbericht beschreiben die antiken Autoren im einzelnen die Konsequenzen, die die römische Führung aus der Varuskatastrophe zog. Eine Maßnahme des Tiberius bestand in der Einberufung eines Kriegsrats, der den Feldherren vor unüberlegten Handlungen und Nachlässigkeit wie im Fall des Varus bewahren sollte.156 Dazu kam die bereits erwähnte 152 153 154 155 156

Veil. 2 , 1 2 1 , 1 . Suet. Tib. 19. Cass. Dio 56, 25, 2f. Veil. 2 , 1 2 1 , 2; Suet. Tib. 20. Suet. Tib. 1 8 , 1 .

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Beschränkung des mitgeführten Trosses.157 Desweiteren achtete Tiberius auf strengste Disziplin. Sueton nennt als Beispiel einen Legionslegat, der von Tiberius bestraft wurde, weil er Soldaten und Freigelassene zum Jagen auf das andere Ufer des Rheins geschickt hatte.158 Der Vormarsch der römischen Armee sollte sich in einer Taktik der verbrannten Erde vollziehen. Hierbei schlugen die Legionäre nach Vellerns limites in die Wälder, verwüsteten die Äcker, setzten die Häuser in Brand und machten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte: Penetrat interius, aperit limites, vastat agros, urit domos, fundit obvios maximaque cum gloria, incolumi omnium, quos transduxerat, numero in hiberna revertitur.™ Durch dieses Vorgehen sollten die römischen Verluste möglichst gering gehalten werden. Es stellt sich die Frage, was Vellerns unter den limites verstand. Bei anderen antiken Autoren findet sich am häufigsten der Gebrauch von limes im Sinn von freier Bahn und nicht von befestigter Grenze, wie ein moderner Leser vermuten würde.160 Demnach meinte Velleius mit aperit limites konkret das Öffnen einer freien Bahn, um dem Heer einen ungefährdeten Marsch durch den Wald zu ermöglichen. Zusätzlich ist wohl noch gemeint, daß Tiberius durch die limites das Land zugänglich machte.161 Nach Tacitus begann der Herbstfeldzug gegen die Marser 14 n. Chr. damit, daß Germanicus den von Tiberius begonnenen limes durch den Caesischen Wald wieder freilegte oder fortführte.162 Tacitus berichtet weiter, daß Germanicus ein Lager auf dem limes aufschlagen ließ, wobei die beiden Wälle die Front- und Rückseite bildeten, und ein Verhau Seitenschutz bot: At Romanus agminepropero silvam Caesiam limitemque a Tiberio coeptum sändit, castra in limite locat frontem ac tergum vallo, latera concaedibus munitus,163

Sändere

bedeutet >öffnenWeltherrschaftc bei der orte-Vorstellung das Erreichen des Ozeans, bei der Klimazonentheorie das Erreichen der kalten bzw. heißen Zone.287 Ein wichtiges Medium, in dem der universale Anspruch propagiert wurde, stellt die Dichtung dar. Aufgrund der Fülle des Materials erscheint eine Beschränkung auf ein besonders signifikantes Beispiel sinnvoll: die Aeneis, das römische Nationalepos.288 Bereits im 1. Buch prophezeit Juppiter der über das Schicksal ihres Sohns besorgten Venus die Gründung einer neuen Stadt und deren künftige Weltherrschaft. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, als Aeneas ohne Hoffnung auf ein sicheres Ziel heimados über die Meere irrt. Juppiter verspricht Venus eine Herrschaft der neuen Stadt, die gleichsam in Raum und Zeit unbegrenzt ist: His ego nec metas rerum nec tempora pono, Imperium sine fine dedi,289 Dieses Ziel soll Augustus in zweifacher Hinsicht erreichen: Er begrenzt das Römische Reich mit dem Ozean und seinen Ruhm mit den Sternen: [sc. Caesar] imperium Oceano, famam qui terminet astris.290 In diesem Zusammenhang verwundert, daß eine Grenze genannt wird, was der vorherigen Prophezeiung zu widersprechen scheint. Doch der vermeintliche Gegensatz löst sich auf: Hier prägt sich das orfc-Konzept aus, das das Ende der Welt durch den Ozean bezeichnet. Die zweite Grenze ist ohnehin eine scheinbare, da das Erreichen der Gestirnzone Augustus in eine göttliche Sphäre führt.

284 Plin. nat. 2,160; vgl. 2,170. 285 Gisinger 1937a, 2142, 2157ff; Mehl 1994, 454. 286 Plin. nat. 2,172. 287 JQuicumque mundo terminus obstitit, hunc fanget armis, mere gestiens qua parte debacchentur ignes, qua nebulaepluviique rares (Hör. c. 3, 3, 53-56). 288 Vgl. für weitere Beispiele Meyer 1961,14-101. 289 Verg. Aen. 1, 278f. 290 Verg. Aen. 1, 287.

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Ein weiteres Motiv der Weltherrschaft bei Vergil findet sich in der Aufzählung der unterworfenen Völker und Länder. Als Aeneas seinen Vater Anchises in der Unterwelt aufsucht, prophezeit ihm dieser die zukünftige Macht Roms. Die Macht Roms zeige sich durch die Herrschaft über die Garamanten, die Inder, die Königreiche am Kaspischen Meer, die Maiotis, d.h. das Gebiet der Skythen im heutigen Südrußland, und Ägypten, hier symbolisiert durch den Nil.291 In gleicher Weise läßt sich die Darstellung der besiegten Völker in der sogenannten Schildbeschreibung interpretieren: Nach der Schlacht bei Aktium feiert Oktavian den ihm zustehenden Triumph. Hierbei bringen ihm die besiegten Völker ihre Gaben. Vergil zählt zusammen mit diesen Völkern auch die Namen von Flüssen auf: den Euphrat, den Rhein und den Araxes.292 Im Gegensatz zu Tacitus und Appian gebraucht Vergil die Flüsse nicht im Sinn von Grenzlinien, an denen das römische Gebiet endet, sondern als Metaphern für die von Rom unterworfenen Völker.293 Ein weiteres wesentliches Kennzeichen des römischen Weltherrschaftsanspruchs war der bewußte Rückgriff auf den Alexandermythos.294 Mit dem Makedonen wurden bestimmte Denkschemata in Verbindung gebracht, die auch im Rahmen der antiken Diskussion über die augusteische Außenpolitik in Erscheinung treten. Dazu gehört insbesondere die Absicht, das eigene Herrschaftsgebiet bis zu den Grenzen der Oikumene auszudehnen. So läßt Aischines Alexander über die Grenzen der Welt hinausschreiten.295 Dazu gehört auch das Scheitern von Alexanders Absicht, weiter nach Osten vorzudringen, da das Heer ihm 326 v. Chr. den Befehl ver-

291 Augustus Caesar, Divi genus, aurea condet saecula qui rursus hatte regnata per arva Satumo quondam, super et Garamantas et Indos proferet imperium - iacet extra sidera tellus, extra anni solisque vias, ubi caelifir Atlas axem umero torquet stellis ardentibus aptum -: huius in adventum iam nunc et Caspia regia responsis horrent divom et Maeotia tellus et septemgemini turbant trepida ostia Ni/i (Verg. Aen. 6, 792-800). Vgl. Mehl 1994, 437f). Durch das Vordringen der römischen Macht in die Sphäre der Sterne wird an dieser Stelle wiederum die kosmische Komponente deutlich. 292 Verg. Aen. 8, 720 - 31. 293 Mehl 1994, 439. 294 Dazu grundlegend Heuss 1954,68ff. Ich schließe mich im Gebrauch des Begriffs >Mythos< Heuss an, der diesen im Sinne von politischer Ideenbildung versteht und damit einen bestimmten, häufig gebrauchten Typus bezeichnet (Heuss 1954, 101). 295 Aischin. Ktes. 165.

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weigerte.296 Eben das Nichterreichen dieses Ziels war auch ein Element des Alexandermythos. Einen weiteren Aspekt stellt das Übergreifen in die religiös-mythische Sphäre dar. Alexander selbst bewerkstelligte dies durch den Bezug auf Herakles und Dionysos. Herakles galt als mythischer Ahnherr der Familie. Darüber hinaus kam es bei Alexander zu einer Identifizierung mit der Welt des Mythos. Dabei ging es nicht nur um die Imitation der mythisch-heroischen Taten, sondern »um die unmittelbare Konkurrenz mit ihnen, die auf ein agonales Übertreffen hinauslief«.297 Dies stellt auch ein wichtiges Moment für die Erklärung der Motive für den Indienzug dar, da auch Herakles und Dionysos diese Länder betreten hatten. Bei den Römern war ein Rekurs auf die beiden Götter gleichzeitig eine deutliche Bezugnahme auf die Person Alexanders und das Weltherrschaftsstreben. In diesem Zusammenhang läßt sich die oben diskutierte Stelle aus dem 6. Buch der Aeneis anführen. Die Kriegszüge des Augustus übertreffen nach Vergil sogar die Taten von Herakles und Dionysos, die weniger Länder sahen: Nec vero Λ lades tantum telluris obivit,ßxerit aenpedem cervam licet aut Eiymanthipacarit mrnora ethernam tremefecent arcu; nec quipampineis victor iugaflectithabenis Uber agens celso Njsae de verti.ee tigris.298 Ein besonders signifikantes Beispiel für die imitatio Alexandri stellen die Germanienfeldzüge des Germanicus dar.299 Das zeigt das «^«/ο-πόθος-Μοάν bei Tacitus. Mit dieser Formel werden in der historischen Überlieferung neue und bedeutungsvolle Unternehmen Alexanders eingeleitet wie der Übergang über die Donau oder die Gründung von Alexandria. Eben auf diese Weise begründet Tacitus den Besuch des Germanicus auf dem Schlachtfeld des Varus: igitur cupido Caesarem invadit solvendi suprema militibus ducique,300 Dabei geht aus dem Kontext hervor, daß es sich um keine spontane, sondern um eine sorgsam vorbereitete Aktion handelte. Es gibt aber noch ein weiteres Element: Germanicus nimmt beim Sturm auf den

296 Gehrke 1990, 24f; 149f. 297 Ebd., 24; 8; 29. 298 Verg. Aen. 6, 801-5; vgl. Cresci Marrone 1993, 37 mit weiterer Literatur. 299 Aalders 1961, 382ff; Lehmann 1971, 23-36; Borzsäk 1982, 37-56; Braccesi 1991, 65-80. 300 Tac. ann. 1, 61, 1. Mit der gleichen Formel begründet Tac. ann. 1, 49, 3 auch die Absicht der meuternden Soldaten, gegen die Marser zu ziehen.

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Angrivarierwall den Helm ab.301 Hier liegt ein deutlicher Bezug auf das Verhalten Alexanders während der Schlacht am Granikos vor.302 Bei der Alexanderstilisierung handelt es sich um eine bewußte Inszenierung des Germanicus und nicht etwa um ein Werk des Tacitus, der in Schwarz-Weiß-Malerei die jugendliche Heldengestalt dem alternden und mißgünstigen Tyrannen Tiberius gegenüberstellte.303 Als deutlichster Beweis läßt sich die Rede des Germanicus in Alexandria anführen, die in einer Kopie des Protokolls über den Ehrenempfang erhalten geblieben ist.304 In dieser hebt er seine Verbundenheit mit dem Stadtgründer Alexander hervor. Soweit die Beispiele für den Weltherrschaftsgedanken. Es gibt außerdem etliche Zwischenstufen, Fälle, in denen die jeweiligen spezifischen Komponenten für Weltherrschaft und Raumordnung in einer bestimmten Absicht kombiniert werden. Dies läßt sich zum Beispiel an der Behauptung beobachten, die besten Gebiete der Oikumene zu besitzen. Der Weltherrschaftsanspruch konnte auch zum Ausdruck gebracht werden, wenn man nur den größten Teil der Welt beherrschte. Entscheidend war weniger die Tatsache, das Ziel erreicht zu haben, als die Möglichkeit hervorzuheben, daß man eben diesem Ziel bereits nahegekommen war. Damit konnte dann auch die Vorstellung in Einklang gebracht werden, den >wertvollsten< Teil der Oikumene durch befestigte Grenzen zu schützen. Diese Überlegung wird durch die Beobachtung unterstützt, daß sich in der Antike allmählich das Bewußtsein herausbildete, »daß das Römische Reich und der orbis terrarum nicht ein und dasselbe waren«.305 Dies läßt sich gut anhand des allmählichen Sinnwandels des Worts orbis nachvollziehen. Ovid sprach in Tomi von der zusätzlichen Existenz eines Scythicus orbis,306 Bei Lucan verengte sich orbis gar auf 301 Tac. ann. 2, 21, 2. Die bekannteste bildliche Darstellung des ohne Helm kämpfenden Alexanders findet sich in der Casa del Fauno in Pompeji. Das Mosaik der Schlacht zwischen Alexander und Dareios geht wohl auf das Fresko des Philoxenos von Eretria zurück (Villard 1971, 114ff). 302 Curt. 8 , 1 , 20. 303 Lehmann 1971, 23, 36. 304 Turner 1959, 102. Weitere Elemente der Alexandernachfolge während der Orientmission des Germanicus bei Aalders 1961, Lehmann 1971 und Borzsak 1982. 305 Vogt 1929, 165. 306 Ov. trist. 3,12, 51.

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den Sinn geschlossenes Gebiet, Erdteil, Land oder Gegend.307 Eben dieser Autor prägte den Ausdruck orbis Romanus zur Bezeichnung des Römischen Reichs.308 Dieser Terminus setzte sich dann allmählich in Verwaltung und Geschichtsschreibung durch. Besonders signifikant ist in diesem Zusammenhang die Constitutio Antoniniana zu Beginn des 3. Jahrhunderts: in orbe Romano qui sunt; ex constitutione imperatoris Antonini cives Romani effecti sunt.m In den antiken Quellen finden sich ausreichend Belege für die beiden in der Forschung vertretenen Positionen der Weltherrschaft und der Raumordnung. Im Rahmen des antiken Raumordnungskonzepts stellt der Gedanke des Maßhaltens eine wesentliche Komponente dar. Dahinter steht ein defensives Konzept: Man befürchtet bei einer weiteren Expansion den Verlust der bestehenden Herrschaft. Hinzu kommt das Bild des Römischen Reichs als einer Festung. Dabei werden die Grenzen wahlweise durch Befestigungsanlagen oder Flüsse geschützt. Auf der anderen Seite steht die antike Vorstellung der Weltherrschaft. Diese zielt auf die Oikumene: Politische und geographische Grenzen sollen durch das Erreichen des Ozeans übereinstimmen. Diese beiden unterschiedlichen Konzepte werden in der jeweils spezifischen Funktion der Flüsse deutlich. Das erste Weltbild setzt einen Feind voraus, vor dem man sich durch befestigte Grenzen, d. h. Flüsse, schützen muß. Dagegen dienen im kosmologischen Modell Flüsse lediglich als landmarks, die die Unbegrenztheit der römischen Macht symbolisieren. Dieses Weltbild kennt nur eine einzige Macht: die römische. Es wird ein zeitlicher Schwerpunkt einer der Weltherrschaft verpflichteten Ideologie unter Augustus deutlich. Dagegen findet sich eine die Schutzfunktion der Grenzen hervorhebende Ideologie in den Zeugnissen des 2. Jahrhunderts n. Chr. Diese sind in den Kontext der Politik Hadrians einzuordnen, der sich gegen eine weitere Expansion und für eine Konsolidierung des Reichs durch befestigte Grenzen aussprach.310 Das bekannteste — heute noch sichtbare — Symbol dieser Politik ist der Hadrianswall. Darüber hinaus findet sich ein Indiz, daß bereits unter 307 Orbis Ubycus (9, 547); orbus Hiberus (5, 343J;: orbis Thessalicus (1, 308 Lucan. 8, 211; 441f; 10, 456. 309 Ulpian. dig. 1, 5 , 1 7 ; weitere Beispiele bei Vogt 1929, 167f. 310 Birley 1974,16f.

6).

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Augustus oder Tiberius eine Änderung der Außenpolitik feststellbar ist: das consilium coercendi intra terminos imperii. Dieser Frage soll im nächsten Teil am Beispiel der Flußgrenzen Rhein und Elbe nachgegangen werden.

c. Poseidonios und der Rhein Die Darstellung der Geschichte der europäischen Ostgrenze des Römischen Reichs zielt vor allem auf den geographischen bzw. ethnographischen Aspekt. Es geht um die Einordnung von Landschaftselementen in das Weltbild und daraus resultierende Spannungen und Widersprüche. Am Anfang dieses Prozesses steht Poseidonios.311 Dieser stoische Philosoph und Universalgelehrte, der in der ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts in Rhodos wirkte, beschäftigte sich im Rahmen seiner Historien und des Werks περί ώκεανοϋ mit der Geographie Galliens. Der hohe Zeugniswert dieses Autors liegt in seiner Bekanntschaft mit hochgestellten Römern. Man kann also feststellen, daß sein geographisches Wissen auch zum Teil bei den Mitgliedern der römischen Führungsschicht vorhanden gewesen sein muß. In diesem Zusammenhang sind der Senator und Geschichtsschreiber Rutilius Rufus, Cicero und Pompeius zu nennen. 312 Bei Caesar ist der Sachverhalt weniger eindeutig. Einerseits ist ein Studienaufenthalt von Caesar auf Rhodos bezeugt. 313 Dazu kommt noch, daß ohne die Kenntnis von Poseidonios' Darstellung über die keltische Kultur die ethnographischen Bemerkungen Caesars schwer vorstellbar sind.314 Andererseits findet sich gerade in diesem Zusammenhang keine Erwähnung des Poseidonios. So

311 Norden 1921; Frahm 1930, 181-210; Walser 1956; Reinhardt 1963, 558-826; Strasburger 1963, 40-53; Malitz 1983; Timpe 1989b, 343f; Poseidonios wird zitiert nach der Ausgabe von Edelstein/Kidd 1988. 312 Rutilius Rufus: Τ 1 3 Ε -Κ (Cie. off. 3,10); Cicero: Τ 29 Ε-K (Plut. Cie. 4,5); Τ 30 Ε-K (Cie. fat. 5ff); Τ 31 Ε-K; (Cie. nat. 1,6); Τ 32a Ε-K (Cie. fin. 1, 6); Τ 32b Ε-K (Cie. nat. 2,88); Τ 32c ΕΚ (Cie. Tusc. 2, 61); Τ 32d Ε-K (Cie. nat. 1, 123); Τ 33 Ε-K (Cie. Hort. Fr. 50 Grilli); Τ 34 (Cie. Att. 2, 1, 2); Pompeius: Τ 35 Ε-K (Strab. 11,1, 6); Τ 36 Ε-K (Plm. nat. 7, 112); Τ 37 Ε-K (Solin. Collect. 1, 121); Τ 38 Ε-K (Cie. Tusc. 2, 61); Τ 39 Ε-K (Plut. Pomp. 42, 5). 313 Suet. Caes. 4,1. 314 Malitz 1983, 23; 170.

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zitiert Caesar als Quelle für seine Kenntnis des Herkynischen Waldes Eratosthenes.315 Diese Unterlassung erklärt sich möglicherweise als Affront gegen die römischen Senatoren, die Freunde des Poseidonios und Gegner Caesars waren. Grundsätzlich stellt sich bei einer Beschäftigung mit dem Werk des Poseidonios die Frage, welche Textstellen ihm zugeschrieben werden können. Hierbei ist einer engen Definition des Begriffs Fragment der Vorzug zu geben: Als Fragment wird lediglich akzeptiert, was durch ein antikes Zeugnis Poseidonios eindeutig zugewiesen wird: »Since no work of Posidonios survives, we can only start from what other people tell us about or of or from him. And we can only be guided even to that if they say so by naming him.«316 Dagegen findet sich eine weite Definition insbesondere bei Theiler, der in seine Sammlung der Fragmente alle Textstellen aufnahm, die in irgendeiner Weise den Einfluß des Poseidonios vermuten lassen.317 Denn gerade für das Weltbild des Poseidonios ist die Frage nach der Echtheit der Fragmente entscheidend. Die geographischen Darstellungen weisen viele Elemente auf, die auf eine gedachte Karte schließen lassen. Seine Welt war in fünf Zonen nach den Himmelskreisen unterteilt. Zu diesen kamen noch zwei weitere schmale Zonen, die unter den Wendekreisen lagen und eine verdorrte und sandige Erdoberfläche aufwiesen.318 Nach dem Zeugnis des Plinius ordnete Poseidonios in seiner Behandlung der Oikumene Gallien gegenüber von Indien an, das sich auf seiner mentalen Karte von Nordosten nach Südosten erstreckte.319 Ein Indiz für geometrische Figuren findet sich in der dreieckigen Gestalt Siziliens.320 Die Landenge, auf der Tolosa (Toulouse) liegt, beträgt bei Poseidonios 3000 Stadien.321 Dagegen kann das gallische Flußsystem bei Strabon nicht dem Poseidonios zugeschrieben werden, obwohl sich vergleichbare Gedanken finden.322 Der Grund

315 Caes. Gall. 6, 24, 2. 316 Kidd 1997, 227. 317 Theiler 1982. 318 F 49 Ε-K (Strab. 2, 2,1 - 2, 3, 8). 319 F 212 Ε-K (Plin. nat. 6, 57f); verkürzt bei F 213 Ε-K (Solin. Collect. 52, lf). 320 F 249 Ε-K (Strab 6, 2,1). 321 F 248 Ε-K (Strab. 4, 1, 14). 322 Strab. 4,1, 2; 4,1,14. Eine Zuweisung findet sich bei Schmidt 1980, 80ff und bei Theiler 1982 F 28b Th.

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liegt darin, daß er nicht explizit genannt wird, das Hauptkriterium nach der obigen Definition. Im Gegensatz zu diesem ausgeprägten Weltbild steht die vage ethnographische Typologie des Poseidonios. Das Problem läßt sich auf die Frage reduzieren, inwieweit er zwischen den Kelten und Germanen differenzierte und diese Unterscheidung räumlich fixierte. Allgemein kann festgestellt werden, daß bei der Zuordnung der Kelten durch die antiken Autoren eine gewisse begriffliche Unklarheit vorherrschte.323 Beispielsweise verwendet Cassius Dio den Namen Galater für die linksrheinischen Stämme, Kelten für die rechtsrheinischen.324 Bei Diodor wohnen die Kelten im inneren Galliens, die Galater im Norden, am Ozean und im Osten.325 Strabon gebraucht die Bezeichnung Kelten für die Bewohner westlich des Rheins, die Galater und Germanen für die östlich des Rheins.326 Ein Ergebnis dieser fehlenden begrifflichen Schärfe ist die antike Zuordnung der Kimbern: Diodor nennt sie ebenso wie Appian Κελτοί.327 Bei Plutarch findet sich die Nachricht aus der Zeit der Kimbernzüge, daß die Germanen die Kimbern Räuber nannten.328 Dies läßt auf einen Zusammenhang mit den Skythen, nicht mit den Kelten zur Zeit des Poseidonios schließen. Die Germanen waren bei Poseidonios aber ein ostkeltischer Stamm, der sich durch gesteigerte Wildheit von den übrigen Kelten unterschied. Dies zeigt die abweichende Schilderung der Tischsitten bei Athenaios. Die Kelten nehmen ihr Essen am Boden sitzend auf Holztischen ein.329 Dieses bestehe aus wenig Brot und viel Fleisch, das sie kochen oder braten. Von Olivenöl machen sie keinen Gebrauch. Dazu trinken sie importierten Wein, der unvermischt oder nur mit wenig Wasser versetzt ist. Dagegen zeichnen sich die Germanen durch eine noch größere

323 Frahm 1930,185-89; Kidd 1988, 308f. 324 Vgl. Cass. Dio 54, 32,1. 325 Diod. 5, 32,1. 326 Strab. 7,1, lf. 327 Diod. 5, 32,4; App. III. 4. 328 Plut. Mar. 11, 5; vgl. Norden 1921, 78; Kidd 1988, 373; 929f. vgl. Timpe 1989b, 345. 329 F 67 Ε-K (Athen. 4,151E-152F), 3-23.

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Primitivität aus. Im Gegensatz zu den Kelten braten sie das Fleisch lediglich und trinken zusätzlich zu unvermischtem Wein Milch. 330 Aus der Interpretation der beiden Stellen entstand eine wissenschaftliche Diskussion über das Verhältnis zwischen Kelten und Germanen. Eine einfache Lösung des Problems

schlug Müllenhoff vor: Athenaios hätte die ursprüngliche

Bezeichnung Κιμβροί durch Γερμανοί ersetzt.331 Dies widerspricht jedoch der sonstigen Arbeitsweise des Athenaios. Nach Norden sind bei Poseidonios Germanen und Kelten gesondert, auch wenn der Unterschied nicht groß ist 3 3 2 Dagegen wendet Jacoby ein, daß die Germanen und Gallier bei Poseidonios noch keine verschiedenen Völker sind. Vielmehr seien sie ein Teil der Keltike. 333 Die schlüssigste Erklärung findet sich bei Frahm und Malitz. Ihrer Meinung nach prägt sich in der ethnographischen Begrifflichkeit das alte Weltschema des Hekataios aus, von dem noch Ephoros Gebrauch macht: Die Inder bewohnen den Osten, die Äthiopier den Süden, die Kelten den Westen und die Skythen den Norden. 334 Das Problem bestand nun darin, neu auftretende ethnographische Namen wie die Kimbern und die Germanen in das alte Schema zu integrieren. Das läßt vermuten, daß Poseidonios die Germanen den Kelten und die Kimbern den Skythen zugeordnet hat.335 Ein weiterer Aspekt betrifft die Frage nach der räumlichen Fixierung der Kelten und Germanen. Häufig findet sich die Meinung, daß der Rhein eine Trennlinie bildet.336 Dagegen spricht aber, daß sich eine Bezeichnung des Rheins als Grenze nicht mit Poseidonios in Verbindung bringen läßt.337 Er erwähnt den Rhein lediglich 330 Γερμανοί δέ, ώς Ιστορεί Ποσειδώνιος fev τη τριακοστή άριστον προσφέρονται κρέα μεληδόν ώπτημένα καΐ έπιπίι/ουσι γάλα καϊ τόν οίνον άκρατον (F 73 Ε-K (Athen. 4,153 Ε)). Das Milchtrinken ist bei Poseidonios ein Charakteristikum einer halbnomadischen Lebensweise, die er auch den Mysiern oder Moesiern zuspricht [Kidd 1988, 325f; F 277a Ε-K (Strab. 7, 3, 2-7)]. 331 Müllenhoff 1870/77,161f; 188; vgl. Kidd 1988, 324. 332 Norden 1921, 81. 333 F Gr Hist II C 169f; vgl. auch Walser 1956,42. 334 F Gr Hist I 370; F Gr Hist 70 F 30. 335 Frahm 1930,183f; Malitz 1983, 201-5; Kidd 1988, 324f. 336 Norden 1921, 81; Walser 1956, 40-43; Malitz 1983, 205. 337 Walser 1956, 41 Anm. 7 und 43 Anm. 3 zweifelt die poseidonische Herkunft der von Norden zitierten Stelle Strab. 4, 4, 2 an. Daraus zieht er folgenden Schluß: »Erst die nachcaesarischen Darstellungen, denen die Flußgrenze geläufig ist, betonen die Abgrenzung durch

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als Beispiel, daß Flüsse durch die Flut ihre Laufrichtung ändern können: Et hoc aiunt Rhenum a Celtis currentemfluvium,et alios iterum in Hiberia et Britaniis sustinere. (...) horum igitur causas requirens Stoicus Posidomus, ut et per se ipsum explorator factus huiusmodi reciprocationis, discernit magis causam esse eius lunam et non solem?18 Nach allem, was wir wissen, liegt in diesem Poseidonios-Fragment die früheste Nennung des Rheins vor. Eine ungefähre Kenntnis der Nordseeküste — allerdings ohne die späteren Flußnamen und die Kenntnis des Binnenlands — findet sich bereits im Zusammenhang mit Pytheas. Dieser bestimmte nach Plinius die Länge des aestuarium, der Nordseeküste, mit 6000 Stadien.339 Dazu kommt die Nachricht bei Strabon, daß Pytheas nach eigenen Angaben die ganze Ozeanküste Europas von Gades bis zum Tanais beschifft habe. 340 Möglicherweise glaubte Pytheas in einem der Nordseezuflüsse den Tanais erreicht zu haben. Diese Konzeption findet sich mit der Nennung der Elbe in den Res Gestae wieder.341 Insgesamt bleiben die Vorstellungen dieser Gegenden aber fabulös. Dies verbindet sich insbesondere mit der ominösen Bernsteininsel, die Pytheas bei Plinius Basilia nennt. 342 Die Anschauung des Pytheas findet sich auch bei Xenophon von Lampsakos, Timaios von Tauromenion und Lykos von Rhegion. 343 Es bleibt festzuhalten, daß Poseidonios den Rhein lediglich als Fluß, noch nicht als Grenze kannte. Der Grund ist in dem Spannungsfeld zwischen geographischem Weltbild und ethnographischer Typologie zu suchen: In das eine Schema war der Rhein, in das andere die Unterscheidung zwischen Kelten und Germanen eingebunden. Eine Verbindung beider Konzepte herzustellen, blieb einer weitergehenden Entdeckung dieses Raums vorbehalten.

den Rhein.«(43). Trotz dieser Feststellung hält er aber in seiner Argumentation an dem poseidonischen Ursprung der Rheingrenze fest. 338 F 219 E-K, 72-81 (Prise. Lyd. Solut. 6, pp. 69,19-76, 20 Bywater); vgl. Kidd 1988, 786f. 339 Sotacus credidit in Britanniapetris ejfluere, quas electridas voeavit, Pytheas Gutonibus, Germaniaegenti, accoh aestuarium oceani Metuonidis nomine spatio stadiorum sex milium (Plin. nat. 37, 35). 340 Strab. 2 , 4 , 1 . Strab. 1 , 4 , 3 bringt den Rhein mit Pytheas in Verbindung. Allerdings liegt hier die Sichtweise Strabons, nicht von Pytheas vor. 341 R G D A 26; vgl. Timpe 1989b, 329. 342 Plin. nat. 4, 95.

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d. Die Rheingrenze zwischen Caesar und Drusus

Dieser Schritt war Caesar vorbehalten. Aufs Ganze gesehen lassen sich im bellum Gallicum die Bezugnahmen auf den Rhein in zwei Gruppen einteilen: Die eine Gruppe dient der Lokalisierung der Ereignisse, die andere stellt den Rhein als Grenze zwischen den Galliern bzw. Kelten und Germanen dar. 344 Diesen Sachverhalt legt Caesar bereits in seiner einleitenden Skizze Galliens dar. 345 Darüber hinaus können noch verschiedene Einzelaspekte von Caesars Konzeption der Rheingrenze herausgearbeitet werden. An erster Stelle steht die Vorstellung, daß die Römer Gallien bis zum Rhein militärisch unterworfen haben. Dafür prägt Caesar bereits 57 v. Chr. die Formel omnis Gallia pacata.34Volkscharakter< durch die Umwelt erklärt. Dennoch bleibt ein gewisses Spannungsfeld zwischen beiden Bereichen erhalten. Das Problem konkretisiert sich bei Caesar in den linksrheinischen Germanen, den Germani äsrhenani}sl Diese Kategorie widerspricht Caesars Bild des Rheins als einer Grenze zwischen Galliern und Germanen. Dieser Sachverhalt wird häufig damit erklärt, daß Caesar den Rhein als geographische Abgrenzung von Poseidonios übernahm, während er die Aussagen über die Kulturverwandtschaft korrigierte.358 Dagegen spricht jedoch das entscheidende Argument, daß die Funktion des Rheins als Grenze nicht mit Poseidonios in Verbindung gebracht werden kann. Vielmehr läßt sich dies explizit erst bei Caesar nachweisen. Man kann sich den Vorgang in der Weise vorstellen, daß Caesar im Rahmen seiner gallischen Feldzüge mit den Germanen in Berührung kam, deren Andersartigkeit ihm auch durch einen Vergleich mit den Galliern oder der Mitteilung gallischer Informanten deutlich wurde. Diese Erfahrung versuchte er mit seinem ethnographischen Wissen in Einklang zu bringen. Hierbei übernahm er die Begrifflichkeit der ethnographischen Literatur, korrigierte aber ihre Kategorisierung. Eben bei seinem Zusammentreffen mit Ariovist nahm er auch den Rhein wahr, den die Germanen überschritten hatten und östlich von dem ihre Siedlungsgebiete lagen. Dazu kommt die natürliche Gestalt des Rheins, der eine Barriere auf dem Weg von West nach Ost und umgekehrt bildet. Außerdem boten sich Flüsse als Fixpunkte in einer den Römern unbekannten Landschaft an, wie bereits im Zusammenhang mit den germanischen Feldzügen unter Augustus gezeigt wurde. Was lag also näher, als den Germanenbegriff und den Rhein in Verbindung zu bringen? Durch die Verbindung von ethnographischer Kategorisierung und geographischem Element wurde Caesar sozusagen zum >Erfinder< der Rheingrenze. Zu diesem geographischen bzw. ethnographischen Gesichtspunkt kommt noch der ideologische Faktor. So konnte Caesar bereits 57 v. Chr. behaupten, ganz

357 Caes. Gall. 2, 3,4; 6, 2, 3. 358 Norden 1921, 81; 101; Walser 1956, 40; 43f.

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Raumerfassung und Politik

Gallien unterworfen zu haben.359 Außerdem mußte er begründen, warum er auf eine Eroberung der Gebiete östlich des Rheins verzichtete. Aus diesem Grund hob er die Schutzfunktion des Rheins hervor, der Rom vor einem erneuten Kimbernund Teutonenzug bewahren sollte. Und Caesars Argumentation fand in Rom Anklang: Das kann man daraus ersehen, daß Cicero 56 v. Chr. die Behauptung aufgriff, daß ganz Gallien unterworfen sei und Rom nun keine neuen Barbareneinfälle befürchten müsse.360 Im Jahr darauf verteidigte er das Kommando Caesars, da seiner Meinung nach nicht allein der Rhein den Schutz gegen die wilden Germanen übernehmen könne.361 Diese Faktoren überlagerten gleichsam das empirische Wissen, daß auch westlich des Rheins Germanen siedelten. Während der folgenden Zeit der Bürgerkriege und den ersten Jahren der Konsolidierung des Prinzipats wurde Caesars Politik im wesentlichen fortgesetzt.362 Für eine weitergehende planmäßige Politik fehlten aufgrund der innenpolitischen Auseinandersetzung ohnehin die Voraussetzungen. Im Nordosten Galliens kam es zeitweise zu Aufständen, die vom Einfall rechtsrheinischer Germanenstämme begleitet

wurden.

Die

römische

Okkupationsmacht

antwortete

mit

Strafexpeditionen, wie sie für 30/29 v. Chr. von M. Nonius Gallus gegen die Treverer und von C. Carinas gegen die Moriner und andere Völkerschaften bezeugt sind.363 Daneben kam es auch zu Rheinübergängen: 39/38 v. Chr. durch Agrippa und 25 v. Chr. durch M. Vinicius.364 Bei diesen Unternehmungen findet sich neben der rein militärischen Absicht noch ein weiterer Aspekt: Sie dienten dem römischen Selbstverständnis als Symbol der Stärke. Dies wird deutlich, als Dio anläßlich des Rheinübergangs von Agrippa hervorhebt, daß der Feldherr als zweiter Römer diese Maßnahme durchgeführt habe.365 In seinen Reden vor der Schlacht bei Aktium und im Zusammenhang der Vorgänge 27 v. Chr. bringt Oktavian eben diese Unterneh359 Caes. Gall. 2 , 3 5 , 1 ; vgl. Norden 1921,94f; Walser 1956,43ff. Trzaska-Richter 1991,89 hebt dagegen hervor, daß Caesar die gallische Sichtweise an seine Leser weitergab, d. h. die Vorstellung des Rheins als Kulturgrenze. 360 Cie. prov. cons. 32. 361 Cie. in Pis. 81. 362 Timpe 1975, 129f; Lehmann 1989, 211; Wolters 1990,140; Trzaska-Richter 1991,129ff. 363 Cass. Dio 51, 20, 5; 51, 21, 5f. 364 Cass. Dio 48, 49, 3; App. Bell. Civ. 5, 92; Cass. Dio 53, 26, 4. 365 Cass. Dio 48, 49, 3.

Raumerfassung und Politik

249

mungen mit den übrigen militärischen Leistungen des römischen Volks wie den Siegen über Pyrrhos, Philipp, Perseus und die Karthager in Verbindung. 366 Erst anläßlich des zweiten gallischen Kommandos von Agrippa zeichnet sich eine neue Phase der römischen Politik ab.367 Eine Maßnahme zielte auf den Ausbau des Kommunikationssystems in Gallien: Agrippa legte ein von Lugdunum ausgehendes Fernstraßensystem an. Aus dem Bericht des Strabon wird deutlich, daß die vier Straßen von der >Zentrale< Lugdunum zu den Randbereichen Galliens führten: Aquitanien, Rhein, Ärmelkanal und Narbonensis.368 Als Ergänzung zu Strabon lassen sich auf 18/17 v. Chr. datierbare Funde an der Trierer Moselbrücke anführen. 369 Die während dieser Zeit durchgeführte Umsiedlung der Ubier auf das linke Rheinufer verrät die Absicht, den östlichen Grenzraum neu zu ordnen. 370 In gleicher Weise ist auch die Ansiedlung der Chatten in dem von den Ubiern verlassenen rechtsrheinischen Gebiet zu deuten.371 Diese Maßnahmen deuten auf eine Konsolidierung der Herrschaft in Gallien hin: Durch den Straßenbau konnten Truppen schneller in die Unruhegebiete geführt werden. Die Umsiedlungen sollten Ruhe in den Grenzraum bringen. Grundsätzlich lag der Schwerpunkt der römischen Politik aber in dem Raum westlich des Rheins. Die östlich des Rheins durchgeführten Maßnahmen zeigen eher das Dilemma der römischen Macht, auch in diesem Gebiet eingreifen zu müssen, um die Verhältnisse in Gallien zu stabilisieren, als eine bereits auf Germanien übergreifende Politik — ohne daraus einen Automatismus im Sinne Mommsens abzuleiten, der davon ausging, daß das 366 Cass. Dio 50, 24, 3; 53,7,1. 367 Wolters 1990,150ff leugnet eine spezifisch agrippäische Phase der Grenzpolitik am Rhein. Diese Auffassung begründet er damit, daß in der Zeit von Caesar bis zur clades holüana keine Änderung des römischen Vorgehens erkennbar ist. Hierbei weist er aber dem Straßenbau des Agrippa eine zu geringe Bedeutung zu (vgl. 141). Dazu die Kritik von Kehne 1997, 272. 368 Strab. 4, 6,11. 369 Dazu Lehmann 1989, 212; Hollstein/Neyses 1984, 119f; Hollstein 1983, 73f. 370 Strab. 4, 3,4; Tac. Germ. 28,5; Ann. 12,27,1. Da die Quellen die Umsiedlung zeitlich nicht fesdegen, ist auch eine Datierung während des ersten Aufenthalts Agrippas in Gallien vorstellbar (vgl. Doppelfeld 1975, 718f). Dagegen spricht aber, daß die dieser These zugrundeliegende dendrochronologische Bestimmung der Hafenbefestigung Kölns inzwischen von 38/39 v. Chr. auf 24 v. Chr. korrigiert wurde (Hollstein 1980, 72f). Demnach ist der von Timpe 1975 und Lehmann 1989 postulierten Datierung der Umsiedlung während des zweiten Gallienaufenthalts des Agrippa zuzustimmen. 371 Tac. Germ. 29,1; Cass. Dio 54, 36, 3.

Raumerfassung und Politik

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römische Sicherheitsstreben zur Okkupation des feindlichen Gebiets und damit zu einer Erweiterung des Machtbereichs führte, wo die römische Macht dann vor dem gleichen Problem stand.372 Eine weitere Intensivierung der römischen Macht in Gallien wurde infolge der clades Lolliana

vorgenommen: 16 v. Chr. stießen die Sugambrer über den Rhein vor

und fugten der 5. Legion unter dem Statthalter M. Lollius eine Niederlage zu, die zum Verlust des Legionsadlers führte.373 Obwohl die Sugambrer bereits kurz darauf Frieden schlossen, war die Niederlage Anlaß für einen Aufenthalt des Augustus in Gallien bis 13 v. Chr.374 Neben der definitiven Provinzgliederung und der Durchführung eines Census ist vor allem eine Massierung von Truppen im östlichen Gallien und am Rhein festzustellen. So ist in diesem Zeitraum die Entstehung von Lagern in Arlaines, Liberchies, Tongeren, Titelberg und Neuss feststellbar. Unmittelbar vor der Drususoffensive wurden die Stützpunkte in Mainz, MoersAsberg, Xanten und Nijmwegen eingerichtet.

e. Die Elbgrenze zwischen Drusus und Germanicus Gerade im Hinblick auf die Kriegszüge zwischen 12 und 9 v. Chr. stellt sich die Frage, inwieweit Konzepte einer Raumordnung feststellbar sind. Da die modernen Forschungspositionen die Elbe damit in Verbindung bringen, erscheint es sinnvoll, die Bezugnahmen auf diesen Fluß bei den antiken Autoren zu untersuchen. Bei einem Teil der antiken Belege der Elbe handelt es sich lediglich um pauschale Bezugnahmen, die keinen Rückschluß auf strategische Überlegungen zulassen. Dazu 372 Mommsen 1854-56, 781f. 373 Cass. Dio 54, 20, 4-6; Veil. 2, 97,1; Suet. Aug. 23,1; Tac. Ann. 1,10,4f; Iul. Obs. 71. Der Datierung von Timpe 1975,131 und Lehmann 1989, 213f auf 16 v. Chr. ist zuzustimmen, da Dio eine größere Glaubwürdigkeit als Iulius Obsequens zuzusprechen ist, bei dem sich 17 v. Chr. findet (Angabe der Konsuln). Dennoch fuhrt Schön, 26 stichhaltige Argumente für eine Datierung 17 v. Chr. an (vgl. auch Syme 1966, 347). Dazu Kienast 1992, 297f; Wolters 1990, 153f. 374 Cass. Dio 54, 19, 1; 25, 1. Ein Zusammenhang zwischen der clades"Lollianaund dem Aufbruch des Augustus nach Gallien geht eindeutig aus Cass. Dio 54,19,1 hervor: πρόφασιν τούς πολέμους τούς κατ ' έκεϊνο κινηθέντας λαβών. Dazu kommt noch der enorme Prestigeverlust, den die Erbeutung der Feldzeichen durch die Germanen mit sich brachte (vgl. Suet 23,1).

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gehört die Nachricht bei Vellerns, daß Tiberius Heer und Flotte an der Elbe vereinigte.375 Der weitaus größte Teil der Belege 2eigt die Elbe als Grenze, bis zu der sich die römische Militärmacht Geltung verschaffen kann. Dabei ist die Sichtweise vorherrschend, daß die Elbe gleichsam den Endpunkt einer von innen nach außen gehenden Bewegung darstellt. Nach Sueton drängte Augustus die Germanen hinter die Elbe zurück.376 In gleicher Weise ist die Nachricht bei Tacitus zu interpretieren, daß die Germanen nach der Niederlage von Idistaviso planten, sich über die Elbe zurückzuziehen.377 Arminius erklärte in einer Rede 15 n. Chr., daß die Germanen niemals die römische Macht zwischen Elbe und Rhein akzeptieren werden.378 Vor der Schlacht bei Idistaviso kündigte Germanicus seinen Soldaten an, daß ihre Mühen eine Ende haben, sobald sie die Elbe erreichen.379 Sicherlich kann der Realitätsgehalt dieser Reden bezweifelt werden. Aber zweifelsohne finden sich in ihnen Parolen der römischen Okkupationszeit. Dies zeigt der bei Tacitus überlieferte Text einer Inschrift, die Germanicus nach der Schlacht bei Idistaviso weihen ließ: debellatis inter Rhenum Albimque nationibus exercitum Tiberii Caesaris ea monimenta Marti et Iovi et Augusto sacravisse.im Für die Authentizität der Inschrift spricht der auch an anderer Stelle — beispielsweise bei der Tabula Siannsis — zu beobachtende sorgfältige Umgang des Tacitus mit seinen Quellen.381 Das wichtigste Dokument für die Frage der Elbgrenze liegt in den Res Gestae vor.382 Augustus rühmt sich, die Provinzen Galliens und Spaniens befriedet zu haben, ein Gebiet, das der Ozean von Gades bis zur Mündung der Elbe umschließt 375 Veil. 2, 106, 2; vgl. Cass. Dio 55, 28, 5. 376 Germanosque ultra Albimfluvium summovit (Suet. Aug. 21, 1). 377 Qui modo abire sedibus, trans Albim concedereparabant, pugnam voluni, arma rapiunl. (Tac. ann. 2, 19, 1). 378 Germarios numquam satis excusatores, quod inter Albim et Rhenum virgas et secures et togam viderint (Tac. ann. 1, 59, 4). Hier findet sich der einzige Beleg fur den Geltungsbereich der römischen Zivilgewalt bis zur Elbe. 379 Siiaedio viarum ac marisfinem cupiant, hac acteparari: propiorem iam Albim quam Rhenum, neque bellum ultra, modo se, patrispatruique vestigiaprementem, isdem in terris victorem sisterent (Tac. ann. 2,14, 4). 380 Tac. ann. 2 , 2 2 , 1 . Bei Tac. ann. 2 , 4 1 , 2 feierte Germanicus einen Triumph über die Völker, die diesseits der Elbe siedelten: quaeque aliae nationes usque ad Albim colunt. 381 Ein weiteres Argument stellt die große Bedeutung des Mars-Ultor-Kults im Rahmen der augusteischen Selbstdarstellung dar. (Zanker 1989,198-204). 382 Heuss 1975, 70f; Braunert 1977, 208f; Mehl 1994, 443-52; Cresci Marrone 1993, 98-102; Deininger 1997, 26f.

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Raumerfassung und Politik

Gallias et Hispartias provindas, item Germaniam qua includit Oceanus a Gadibus ad ostium Albisfluminispacavi.iSi

In der ersten Hälfte des Satzes werden die politischen Ord-

nungseinheiten aufgezählt, in der zweiten die geographischen Elemente. Gades bzw. die iberische Atlantikküste galten als die Westgrenze der Oikumene: Strabon nennt das άκρωτήριον ' Ιερόν, das heutige Kap Säo Vicente, Plinius Gades. 384 Die Elbe stellte entsprechend zur Zeit Strabons die östliche Grenze des bekannten Teils von Europa dar.385 In dem zitierten Satz ist die Elbe keine Grenzlinie, sondern ein geographischer Punkt. Entsprechendes gilt auch für Gades. Diese beiden landmarks bezeichnen die größte Ausdehnung der Oikumene nach Osten und Westen in Europa. Eine vergleichbare Bedeutung von Flüssen findet sich in der augusteischen Dichtung. Beispielsweise sind in Vergils Schildbeschreibung die Flüsse Euphrat, Rhein und Araxes keine Grenzen, hinter denen von Augustus nicht beherrschtes Land beginnt.386 Vielmehr geben sie, als Metaphern für die jeweiligen Völker, Rom untertane Gebiete an. Berücksichtigt man diese Merkmale, so wird in den Res Gestae eine der Weltherrschaft verpflichtete Ideologie deutlich. In den antiken Quellen finden sich Beispiele, daß die Elbe als Ende der Welt durch einen symbolischen Akt markiert wurde. L. Domitius Ahenobarbus schloß nach seiner Elbüberquerung Freundschaftsverträge mit den dortigen Germanen und errichtete einen Altar für Augustus.387 Dieser Akt stand in der Tradition der Errichtung von Altären oder Siegesmalen an markanten Punkten in der Landschaft während des augusteischen Zeitalters. Dazu gehören die arae Sestianae im Nordwesten der iberischen Halbinsel, am heutigen Kap Finisterre.388 Diese weihte der Legat L. Sestius 25/24 v. Chr. dem Augustus. Als Vorbild für diesen Akt diente

383 RGDA 26. Pacavi ist Konjektur, kann jedoch aufgrund der griechischen Version als gesichert gelten. 384 Strab. 1,1, 8; Plin. nat. 2, 242. 385 Strab. 7,1, 4. 386 Verg. Aen. 8, 720-31. 387 καΐ τόν ' Αλβίαυ μηδενός οϊ ένανχιουμένου διαβός φιλίαν τε τοις Εκείνη βαρβώροις συνέθεχο καΐ βωμόν έπ' αΊηοϋ τώ Αί>γούστω l6p0aato(Cass. Dio 55,10a, 2); vgl. Tac. ann. 4,44, 2; Suet. Ner. 4; Cresci Marrone 1993,127-40; Deininger 1997, 15ff. 388 Mela 3, 13; Plin. nat. 4, 111; Ptol. 2, 6, 2.

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Alexander d. Gr., der den Punkt seines weitesten Vordringens durch zwölf Altäre für Dionysos markierte.389 Die Kennzeichnung des äußersten Punkts des Vormarsches findet sich bereits bei Drusus. Dieser stellte nach seinem mißglückten Versuch, die Elbe zu überschreiten, Siegesmale (τρόπαια) am westlichen Ufer auf. Es wird hier aber noch ein anderer Gesichtspunkt deutlich: Auf dem Rückweg trat nach Dio Drusus eine Frau von übermenschlicher Größe entgegen, die seine Maßlosigkeit tadelte und ihm seinen baldigen Tod ankündigte.390 Drusus setzte seinen Weg fort und starb, ehe er den Rhein erreichte. In der obigen Ankündigung ist der Maßlosigkeit des Drusus, die sich in dem Drang nach räumlicher Grenzenlosigkeit äußert, der Tod als zeitliche Grenze entgegengesetzt. Diesem Gedanken ist der Aufbau des ganzen Kapitels bei Dio verpflichtet. Die negativen Vorzeichen am Anfang und am Ende weisen auf das Unglück hin. Dazu kommt, daß Dio die Elbe besonders hervorhebt, indem er die Erzählung unterbricht und auf ihren Verlauf eingeht. Die Komposition des Textes, zuerst die Beschreibung der Elbe, dann das Auftreten der Frauengestalt, bewirkt eine Steigerung des zentralen Gedankens von Dio, die die Maßlosigkeit des Drusus zum Ausdruck bringen will.391 Es erscheint deshalb plausibel, in der Frauengestalt eine Kritik an der römischen Militärpolitik des Augustus zu sehen. Der zentrale Gedanke der >Unersättlichkeit< des Eroberers zeigt Merkmale des negativen Alexanderbilds.392 In den bisher dargestellten antiken Quellen stand die Elbe im Kontext einer Ideologie der Weltherrschaft. Ein Defensivkonzept läßt sich eindeutig nicht mit 389 Curt. 9,3,19; Aman. an. 5,29. Der Bau der Altäre erfolgte nach der Meuterei am Hyphasis 326 v. Chr. Diese wurden am äußersten von Alexander erreichten Punkt der Oikumene aufgestellt. Sie dienten dem Dank an die Götter für das weite Vordringen und als Erinnerungszeichen: χαριστήρια τοις θεοϊς τοις ές τοσόνδε άγαγονσιν a b t o νικώντα καϊ μνημεία των αΊποϋ πόνων (Arrian. an. 5, 29,1). Gleichzeitig symbolisierten sie auch das Scheitern Alexanders beim Versuch, die Grenzen der Oikumene zu erreichen. 390 Ποΐ δήτα έπέιγτ), Δρούσε Ακόρεστε; ot> πάντα σοι ταϋτα Ιδεί ν πέπρωται. άλλ' άπιθι; κάι γάρ σοι καϊ των 6ργων καϊ τού βίου τελευτή ήδη πάρεστι (Cass. Dio 55, 1, 3). Neben Dio überliefert nur Suet. Claud. 1, 2 die Episode. Bei Iulius Obsequens, Florus, Aurelius Victor und Orosius findet sich keine Erwähnug. Vgl. Timpe 1967, 306; Deininger 1997, 11 f. 391 Dies erklärt den Widerspruch, daß die Frau Drusus erst entgegentrat, als dieser sich auf dem Rückmarsch zum Rhein befand. Es wäre nach allgemeinem Verständnis viel sinnvoller gewesen, wenn die Erscheinung bereits vor dem Erreichen der Elbe stattgefunden hätte. 392 Timpe 1967, 290-93; dagegen Lehmann 1989, 216.

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Raumerfassung und Politik

diesem Fluß in Verbindung bringen. Dies zeigt auch die nähere Untersuchung von zwei Quellen, die oft im Sinne einer Raumordnungspolitik interpretiert werden. Strabon bedauert, daß Augustus seinen Feldherren nicht die Anweisung gab, die Elbe zu überschreiten.393 Strabon verzichtet jedoch darauf, den historischen Kontext genauer darzulegen. So kann nicht festgestellt werden, ob er lediglich auf ein punktuelles Ereignis Bezug nimmt oder hier ein Rekurs auf die Strategie des Augustus vorliegt. Florus berichtet, daß an Mosa, Albis und Visurgis praesidia und custodiae errichtet wurden. Außerdem sei der Bau von mehr als 50 Kastellen am Rhein erfolgt und bei Bonna und Gesoriacum seien Brücken geschlagen worden.394 Dieser Bericht kann nicht generell als Rhetorisierung charakterisiert werden. Besonders Rösger und Will haben gezeigt, daß der Brückenbau bei Bonna und Gesoriacum einen realen historischen Hintergrund aufweist.395 Anders sieht es dagegen mit den an Weser und Elbe errichteten Lagern aus, für die keinerlei archäologischer Nachweis erbracht werden kann. Vielmehr ist anzunehmen, daß Florus ausdrücken wollte, daß es im rechtsrheinischen Gebiet römische Lager gab, was auch durch die Archäologie bestätigt wird. Bei der Nennung der Flüsse handelt es sich nicht um eine genaue Lokalisierung, sondern um den Versuch, den Gedanken der Existenz von römischen Lagern in Germanien auszuschmücken. Damit muß die Frage nach einer Verbindung der Elbe mit antiken Verteidigungskonzepten negativ beantwortet werden. Ein Vergleich dieser antiken Bezugnahmen auf die Elbe mit denen, die Caesar mit dem Rhein verband, zeigt, in welchem Umfang die Elbe in antike Raumkonzepte einbezogen wurde. Beide Flüsse begrenzen einen Raum, der von Rom besiegt wurde. Die Vielzahl der jeweiligen Belege, die hierfür angeführt werden können, verdichtet sich in dem lateinischen Verb pacare. Caesar spricht 57 v. Chr. von der

393 κάν πλείω δέ γνώριμα ύπήρξεν, εΐ έπέτρεπε τοις στρατηγοί ς όΣεβαστός διαβαίνειν töv Αλβιν, μετιούσι τούς έκεϊσε άπα νισταμέ νους (Strab. 7,1, 4). 394 Flor, epit 2, 30, 26f. Allerdings ist einzuwenden, daß Florus als einziger antiker Autor Germanien als ρπ,νιηάα bezeichnet. Vgl.: Timpe 1970,86ff; Christ 1977,71 ff, 190-96; Wolters 1990, 199-208. 395 Rösger/Will 1985, 35-39.

Raumerfassung und Politik

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Unterwerfung ganz Galliens: omni Gallia pacata.3% In gleicher Weise rühmt sich Augustus der Unterwerfung des Gebiets von Cadiz bis zur Elbe.397 Ein wichtiger Unterschied besteht darin, daß der Rhein als Barriere gegen die Germanen dient, während eine ähnliche Bezugnahme für die Elbe nicht feststellbar ist. Ein weiterer Punkt ist die spezifische Bedeutung der Flußüberquerungen. Bei Caesar ist eine reale politische Absicht greifbar: die Demonstration von Macht gegenüber den Germanen, die von weiteren Einfallen nach Gallien abgeschreckt werden sollten. Dagegen ist der Elbübergang des Domitius auf einen symbolischen Akt reduziert, da es - nach antiker Lesart - keine Feinde Roms jenseits der Elbe gibt. Schließlich weisen beide Flüsse eine Wertigkeit auf, die durch die spezifische Verbindung von ethnographischem bzw. geographischem Modell und Ideologie bedingt ist. Der Rhein bildet in dem ethnographischen Schema Caesars die Grenze zwischen den Galliern und Germanen. Die Elbe bedeutet in der Geographie das Ende des bekannten Teils der Oikumene. Mit dem ersten Modell verbindet sich eine die Schutzfunktion der Grenzen hervorhebende Ideologie, mit dem zweiten eine Ideologie der Weltherrschaft. Dies macht die beiden Landschaftselemente zu Grenzen von hoher symbolischer Bedeutung, gerade für die römische Öffentlichkeit. Man kann also feststellen, daß sich in den antiken Quellen im wesentlichen bestätigende Elemente für den Weltherrschaftsgedanken zur Zeit des Augustus finden. Für diese Auffassung sprechen einige Beobachtungen: Im Sinne der Alexandertradition wird an der Elbe ein Altar errichtet, der die nordöstliche Grenze der bekannten Oikumene und des römischen Vormarsches markiert. In diesem Zusammenhang stellt die Elbe ein wichtiges Symbol einer Ideologie dar, die die Übereinstimmung von politischen und geographischen Grenzen fordert. Anhaltspunkte für ein Defensivkonzept finden sich nicht: So -wird nicht die Schutz funktion der Elbe hervorgehoben, wie sie sich für den Rhein bei Aristides und Appian findet. Es existiert zwar ein Feind östlich der Elbe, doch wird der Feind nicht als Bedrohung empfunden.

396 Caes. Gall. 2, 35, 1. 397 RGDA 26.

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Raumerfassung und Politik

Die Einordnung des Landschaftselements Elbe in das Weltbild kann man sich folgendermaßen vorstellen: Die römischen Feldherren verorteten in ihrer mental map die Grobgliederung des Raums durch Meer, Flüsse und Gebirge. Diese innere Karte war nach kartographischen Prinzipien organisiert, die ungefähr die Abschätzung von Größenverhältnissen gestatteten. Zieht man die Darstellungen Strabons heran, bekommt man einen Eindruck von dieser Welt. Nach diesem spezifisch antiken Denken liegt die Wahl der Elbgrenze auf der Hand: Flüsse bildeten Fixpunkte für die Orientierung in Germanien, einem Land, das sich durch eine extreme Armut an markanten Landschaftspunkten auszeichnete. In der inneren Karte wurden die Flüsse zu Linien reduziert, die zu geometrischen Figuren kombiniert wurden, wie sie aus der antiken Geographie bekannt sind. Dann machte die Vorstellung, daß die Elbe parallel zum Rhein flöß, eine Grenzbildung eben an dieser Stelle geradezu zwingend. Was lag näher als anzunehmen, man müsse die Grenze nur um 3000 Stadien nach Osten verschieben, um den nicht enden wollenden Einfallen germanischer Stämme Herr zu werden? Das letzte Forschungsproblem betrifft den Aspekt, seit wann die Elbe Eingang in den außenpolitischen Horizont der Römer fand. Es spricht einiges für die Auffassung, daß die Elbe erst allmählich zum Ziel der Germanienpolitik wurde. 398 Die Nordseefahrt des Drusus 12 v. Chr. führte in das Gebiet der Chauken, nicht östlicher als Ems oder Weser. Überhaupt findet sich der Vorstoß des Drusus 9 v. Chr. als frühester Zeitpunkt für eine genauere Kenntnis der Elbe — meines Wissens ist es das erste Mal, daß die Antike mit diesem Strom im Binnenland in Berührung kam.399 Und immerhin entspricht die Annahme einer erst allmählichen Einbeziehung der Elbe der Vorstellung, die vom Funktionieren antiker Raumerfassung bekannt ist: Es galt, das neu gewonnene empirische Wissen in das 398 In dieser Frage bestätigt sich die These Timpes 1967,297f. Allerdings sind Einwände gegen seine Argumentation zu machen. Insbesondere Lehmann 1989,216f hat deutlich gemacht, daß die These Timpes auf der veralteten Ansicht Kropatscheks beruht, daß Oberaden 10 oder 9 v. Chr. durch germanische Angreifer zerstört wurde. Daraus folgt meines Erachtens aber nicht, daß die Elbe seit dem Beginn der Germanienoffensive das Ziel der römischen Führung war. Vielmehr ist das Eskalationsargument Timpes durch die Vorstellung einer allmählichen Aneignung des Raums zu ersetzen. 399 Die früheste Nennung dieses Flusses in den antiken Quellen erfolgt in RGDA 26. Dazu Timpe 1989a, 101; Deininger 1997, 8-11.

Raumerfassung und Politik

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theoretische Weltbild zu integrieren. Vor der Nordseefahrt wußte Drusus, daß Germanien eine Fläche bildete, die auf der einen Seite vom Rhein, auf der anderen von der Nordsee begrenzt wurde. Im Süden des Lands befand sich der ominöse Herkynische Wald. Während des Flottenunternehmens lernten die Römer die Flußmündungen von Ems und Weser kennen. Im Laufe der Landoffensiven Richtung Osten stießen sie vom Rhein aus auf die genannten Flüsse und schließlich 9 v. Chr. auf die Elbe. In einem nächsten Schritt verorteten sie diese Landschaftselemente in ihrem Weltbild. Dabei kam es zu Verzerrungen, die einerseits dem antiken geographischen Denken inhärent, andererseits durch die spezifische Aneignung des Raums bedingt waren. Hierbei geht es besonders um die Frage der Überschätzung der Entfernung zwischen Elbe und Rhein sowie um die parallele Anordnung der beiden Flüsse. Einen gewissen Schematismus erzeugte bereits das Vorgehen der antiken Geographie, den Raum mit Hilfe von geometrischen Figuren zu erfassen. Es sind aber noch andere Beobachtungen zu machen, die dem empirischen Bereich angehören. Dazu gehört die fehlerhafte Erfassung von Entfernungen, da die antiken Messungen auf Landstrecken angewiesen waren. Dieser Faktor ist auch Strabon bekannt, der die Überschätzung der Entfernung zwischen Rhein und Elbe auf die ungeraden Wege zurückführt. 400 Außerdem ist die Angabe des Vellerns ein Beleg dafür, daß es während der römischen Okkupationszeit zu Streckenmessungen kam.401 Die parallele Anordnung von Rhein und Elbe war das Produkt eines zweifachen Analogieschlusses: Beide Ströme mündeten in die Nordsee und zeichneten sich durch ihre extreme Breite aus. Der Prozeß der Einfügung der neu entdeckten Landschaftselemente in das geographische Weltbild war spätestens im Zeitraum zwischen 9 n. Chr. und 23/24 n. Chr. beendet. Eben dies beweist das Werk Strabons: Das erste Datum ergibt sich aus der Erwähnung der Varusniederlage in den Geographika, der zweite aus dem Todesjahr Strabons.402

400 Strab. 7,1, 4. 401 Vgl. Veil. 2,106, 2. 402 Zur Varusniederlage vgl. Strab. 7,1, 4.

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Raumetfassung und Politik

Es ist deutlich geworden, daß die mentale Karte Germanien und damit die Elbe nicht von Anfang an erfaßte sowie sich erst im Zuge der Eroberungen ausbildete. Das bedeutet, daß die römischen Feldherren vor dem Beginn dieser Feldzüge nicht die primäre Absicht verfolgten, das Römische Reich durch die Elbe bzw. den Rhein zu begrenzen, sondern daß dies das Ergebnis einer Reihe von siegreichen und erfolglosen Feldzügen war. Auf keinen Fall bestätigt sich die vermeintliche Absicht, die Reichsgrenzen durch die Elbe-Donau-Linie zu verkürzen. Dies entsprach nicht der römischen Denkweise zu dieser Zeit. Vielmehr war die Funktion der Flußgrenzen durch die Wertigkeit bedingt, die die Handelnden ihnen zumaßen. So bezeichnete nach antikem Verständnis die Elbgrenze das Ende der Welt und die Rheingrenze eine Barriere gegenüber den Germanen. Jede Untersuchung über die römische Strategie muß also von der spezifischen >Andersartigkeit< der antiken Raumerfassung ausgehen. Man mußte die durch Deduktion gewonnene Karte erst vor Ort überprüfen. Flüsse wie Elbe und Rhein wurden erst faktisch erkundet, bevor man das ergänzte Raumbild zur Grundlage des Handelns und von strategischen Überlegungen machte.

f. Der Rückzug zum Rhein Mit der Varusniederlage 9 n. Chr., die den Verlust des Gebiets zwischen Rhein und Elbe zur Konsequenz hatte, rückte der Rhein als Grenze wieder in den Vordergrund. Hierbei läßt sich bereits der Aspekt erkennen, daß der Rhein Schutz gegen die vordringenden Germanen bot. Das zeigt die Nachricht bei Velleius, daß der Legat Numonius Vala nach der Varusniederlage beabsichtigte, in Richtung Rhein zu fliehen.403 In gleicher Weise ist der Bericht des Cassius Dio über die Erleichterung des Augustus zu interpretieren, als dieser nach der Varusniederlage erkannte, daß die Germanen nicht bis zum Rhein vordringen.404 Ergänzend läßt sich

403 Veil. 2 , 1 1 9 , 4 . 404 Cass. Dio 56, 2 4 , 1 .

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noch Zonaras anfuhren, nach dessen Zeugnis der Widerstand der Römer in Aliso ein Überschreiten des Rheins durch die Germanen verhinderte.405 Tiberius propagierte offiziell die Rheingrenze 19 n. Chr., wie aus der Tabula Siarensis hervorgeht. Damit wird eine klare miltärisch-politische Wende der römischen Außenpolitik deutlich.406 Der erste Teil der Inschrift beinhaltet das Senatus consultum von Ende Dezember 19 n. Chr. (Tab Siar. frg. 1,1- frg. II col. b, 31). Im zweiten Teil finden sich Einzelbestimmungen eines Gesetzes, das die für 20 n. Chr. designierten Konsuln M. Valerius Messalla und M. Aurelius Cotta Maximus einbringen sollten (Tab. Siar. frg. II col. c). Für die vorliegende Arbeit sind hauptsächlich der Abschnitt über die Errichtung der drei Durchgangsbögen wichtig (Tab. Siar. I, 9-34). In ihnen wird an zwei Stellen auf die Taten des Germanicus in Germanien Bezug genommen. Auf der Vorderseite des im Circus Flaminius errichteten Durchgangsbogens sollte eine Inschrift angebracht werden, die die Leistungen des Germanicus in Germanien sowie Gallien und im Osten aufzählte (12-18). Als Ergebnis der germanischen Feldzüge des Germanicus wurde herausgestellt, daß Germanicus erstens die Germanen besiegt, zweitens sie von Gallien abgedrängt, drittens die verlorenen Feldzeichen wiedergewonnen (der Varusschlacht) und viertens die betrügerisch herbeigeführte Niederlage (des Varus) gerächt habe: senatum populumque Romanum id monum[entum dedi-]/ casse memoriae Germania Caesaris cum {i}is Germanis hello superatis [et ]/ a Gallia summotis receptisque signis militaribus et vindicatafrau[dulenta clade]/ exerätus p R ordinate statu Galliarum,407 Auf diesem Durchgangsbögen sollten eine Statue des Germanicus im Triumphwagen und seitlich Standbilder seines Vaters Drusus, seiner Mutter Antonia, seiner

405 Cass. Dio 56, 22, 2a (Zonar. 10, 37 [p. 452, 12-17 Dind.]); vgl auch 56, 22, 2b (10, 37 [p. 452, 18-29 Dind.]). 406 Lehmann 1 9 9 5 , 1 3 4 f f ist das Verdienst zuzusprechen, die Tabula Siarensis für die Bewertung der Ereignisse 16/17 n. Chr. herangezogen zu haben. Die Meinung, daß die Abberufung des Germanicus kein Verzicht auf Germanien darstellt, vertreten u. a. Timpe 1 9 6 8 , 6 4 f ; Welwei 1986, 118f; 137 und Kienast 1992, 308. 407 Tab. Siar. &g. 1 , 1 2 - 1 5 .

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Gattin Agrippina, seiner Schwester Livia, seines Bruders Tiberius Germanicus und seiner Söhne und Töchter aufgestellt werden.408 Die zweite Stelle (26-34) liegt in den Bestimmungen fur den dritten Durchgangsbogen vor, der am Rhein beim Grabmal des Drusus entstehen und auf dem ein Standbild des Germanicus aufgestellt werden sollte. Es zeigt, wie dieser die von den Germanen wiedergewonnenen Feldzeichen empfängt: Die Gallier und die linksrheinischen Germanen wurden verpflichtet, Germanicus am Grabmal seines Vaters jährlich ein Opfer darzubringen: Tertius ianus vel m [aximus fieret apud Rhenum prope eum tumulum]/ quem Druso fratri Ti Caesaris Augp[nncipis nostri mamtis incohasset exerci-]/ tus deindepermissu divi Augustiper[ fecisset inque eo iano statua Germania Cae-]/aris constitueretur accipienti[s signa recepta e Germanis etpraeciperetur Gal-]/ lis Germanisque qui citra Rhen[um incolunt quorum civitates iussae essent a divo]/ Aug rem divinam ad tumulu[m Drusifacere uti ibi Germanica Caesari facerent simi-]/ le sacrificium parentant[es quodannis eo die quo Germanicus Caesar decessisset] .m Wichtig ist hier, daß lediglich die linksrheinischen Germanen genannt werden, d. h. ebenso wie aus der Inschrift des ersten ianus geht daraus eine Begrenzung des Römischen Reichs durch den Rhein hervor. Gerade dieser Gesichtspunkt ist von besonderer Bedeutung. In der Tabula Siarensis finden sich einige Komponenten, die eine defensive Ausrichtung der Außenpolitik kennzeichnen: Der Rhein begrenzt den Bereich, innerhalb dessen die römische Macht ihren Befehlen Geltung verschaffen kann. Dazu kommt noch die Schutzfunktion des Rheins. Explizit wird hervorgehoben, daß den Germanen ein Eindringen nach Gallien an den Grenzen, d. h. am Rhein, verwehrt wird. Dennoch 408 Lebek 1987, 133-40. 409 Tab. Siar. frg. I, 26-32; vgl. Lebek 1987, 142-48. 1986 wurden bei Mainz-Kastel die Fundamente eines Ehrenbogens gefunden, die Bauzeichen der 14. Legion aufwiesen. Die legio XIV gemina war von 13 v. Chr. bis 43 n. Chr. und unter dem Namen legio XIVgemina Marita victrix von 70 n. Chr. bis 97 n. Chr. in Mainz stationiert. In der Forschung gibt es eine Kontroverse, ob diese Anlage in die Zeit des Germanicus oder des Domitian zu datieren ist. Vgl. den Forschungsüberblick bei Schmitt 1998, 74-137. Schmitt vertritt überzeugend die These, daß der Bogen unter Germanicus zu datieren ist. Die Lokalisierung auf dem rechten Ufer ist aber kein Argument gegen eine Festlegung des Rheins als Grenze. In diesem Zusammenhang muß

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war dieser Vorgang nicht unproblematisch. Immerhin war noch 13 n. Chr. in den Res Gestae die Herrschaft Roms bis zur Elbe, der östlichen Grenze der bekannten Welt in Europa, propagiert worden. Außerdem widersprach ein Rückzug der römischen Maxime, auf keinen Fall hinter Erreichtes zurückzugehen. Dieses Dilemma konnte teilweise behoben werden, indem man die Grenzen der Oikumene einfach uminterpretierte, nämlich auf das von Rom beherrschte Gebiet beschränkte. Von diesem Versuch zeugt auch die Tabula Siarensis·. Der Rhein sollte in gleicher Weise durch ein markantes Bauwerk hervorgehoben werden, wie zuvor die Elbe im Rahmen des augusteischen Weltherrschaftsanspruchs. Am Rhein war die Errichtung eines Durchgangsbogens beabsichtigt. Ein anderer stand am Amanos in Syrien, an der östlichen Grenze des asiatischen Teils des Imperium Romanum.4W Der dritte sollte in Rom erbaut werden. Mit Hilfe einer universalen Symbolik wurde ein tatsächlicher Rückzug verschleiert. Auch der faktische Ereignisablauf spricht für eine Konstitution des Rheins als Grenze. Das Germanienkommando wurde in die zwei gleichstarken Militärbezirke exeratus superior und inferior aufgeteilt, die jeweils unter dem Befehl eines legatus Augusti pro praetore standen. Außerdem entfiel die Anbindung der gallischen Provinzen an den Oberbefehl über die Rheinarmee.411 Und immerhin erfolgte bereits bald nach der Abberufung des Germanicus ein Angriff der Arminius-Koalition auf Marbod.412 Daraus geht hervor, daß die Cherusker zu diesem Zeitpunkt kein Eingreifen der römischen Germanien-Armee befürchten mußten. In gleicher Weise bezeugen dies die Bodenfunde wie die Schlußdaten der Küstenbasis bei Bentumersiel an der Emsmündung und von Friedberg in der Wetterau.413 Die

berücksichtigt werden, daß L. Domitius Ahenobarbus einen Altar fur Augustus am östlichen Ufer der Elbe errichtete und damit den römischen Herrschaftsanspruch symbolisierte. 410 Vgl. Schmitt 1998, 102-31 über die bisher ungeklärte Lokalisierung des Amanos. 411 Lehmann 1995, 132ff. 412 Tac. ann. 2, 44ff. 413 Lehmann 1995, 133f. Die Aufgabe von Augsburg-Oberhausen erfolgte zwischen 6 n. Chr. und 15/ 16 n. Chr., möglicherweise aber aufgrund einer Hutkatastrophe und nicht von strategischen Gesichtspunkten. Dazu Bakker 1995,419f; Schönberger 1985,335. Vgl. zu Friedberg Schönberger 1985,343, zu Bentumersiel ebd., 333ff und zu den Lagern am Mittelrhein ebd., 331 f; 347f.

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Anlage von Lagern am Mittelrhein (Andernach, Urmitz, Koblenz) zeigt einen allmählichen Übergang zu einer linearen Verteidigung. Die Umorientierung der römischen Außenpolitik - von der Elbgrenze zur Rheingrenze — erfolgte im Zeitraum zwischen 9 n. Chr. und 19 n. Chr.: Die Niederlage des Varus im Teutoburger Wald 9 n. Chr. beraubte die römische Herrschaft zwischen Rhein und Elbe ihrer faktischen Grundlage.

Im

Zusammenhang mit dem sogenannten politischen Testament des Augustus 14 η. Chr. findet sich das consilium coercendi intra terminos imperii. Dieser Rat läßt sich in den Kontext einer Außenpolitik einordnen, die dem Gedanken des Maßhaltens und der Sicherung des Reichs durch Flußgrenzen verpflichtet war. Andererseits wurde zur gleichen Zeit in den Res Gestae die Elbgrenze propagiert. 16 n. Chr. brach Germanicus die römischen Offensiven im rechtsrheinischen Germanien ab. Und schließlich erfolgte die offizielle Propagierung der Rheingrenze, wie die Tabula Siarensis zeigt. Dazu kommt noch die Feststellung, daß die Elbgrenze als Ziel nur bei Germanicus nachweisbar ist, aber nicht bei Tiberius. Dies läßt den Schluß zu, daß Tiberius — auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen in Germanien — sich für die Rücknahme der römischen Ostgrenze auf den Rhein aussprach, und zwar bereits bei seinem Regierungsantritt 14 n. Chr. Die Germanienoffensive 14 n. Chr. war als Beschäftigung für die aufständischen Truppen gedacht und die Offensive 16 n. Chr. wurde gegen den Willen des Tiberius gefuhrt. Nach der Planung des Tiberius dienten dann die Unternehmungen 15 n. Chr., die die Zerschlagung der Arminiuskoalition zum Ziel hatten, allein der Beruhigung des römischen Vorfeldes. In der Tabula Siarensis zeigt sich ein Grenzkonzept, das die Aspekte Grenze als Ende der Welt und als Schutz gegen einen feindlichen Angriff verbindet. Eben dies läuft auf einen Kompromiß zwischen der Politik Caesars und der des Augustus hinaus.

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g. Raumbild und Grenze Das zentrale Thema des vorliegenden Kapitels ist durch die Frage bestimmt, wie ein Fluß in der Antike zur Grenze wird. Zunächst ist dieser lediglich ein Bestandteil der natürlichen Landschaft. Durch ihre Kriegszüge kamen die Römer mit Rhein und Elbe in Berührung. Dabei ist die durch die Natur bedingte Gestalt der beiden Flüsse zu berücksichtigen, die auf dem Weg von West nach Ost und umgekehrt eine Barriere bilden. Außerdem boten sich Flüsse als Fixpunkte in einer den Römern unbekannten Landschaft an, wie bereits im Zusammenhang mit den germanischen Feldzügen unter Augustus gezeigt wurde. In einem weiteren Schritt wurden die beiden Landschaftselemente in das jeweilige Raumbild eingefügt. Dabei steht insbesondere die gedachte Karte der Oikumene im Vordergrund. In dieser wurden die Flüsse zu Linien reduziert und bildeten jeweils eine Seite einer geometrischen Figur. Dieses geographische Weltbild konnte mit der ethnographischen Typologie verbunden werden, bei der ein Fluß zwei unterschiedliche Völker schied. Dazu kam eine Ideologie, die auf die Schutzfunktion des Flusses vor feindlichen Angriffen zielte. Dagegen stellte ein Fluß in einem universalistischen Zusammenhang den Endpunkt des beanspruchten Raums dar. Eben diese Ausprägungen lassen sich bei der Konstitution der Ostgrenze des Imperium Romanum feststellen. Bei Poseidonios war der Rhein nur ein Fluß, aber noch keine Grenze, da noch keine Einbindung in ein ethnographisches Schema erfolgt war. Caesar >erfand< die Rheingrenze, indem er das geographische Weltbild mit der ethnographischen Differenzierung von Germanen und Kelten verband. Ganz offensichtlich stand hinter diesem Vorgehen eine reale politische Absicht: Caesar mußte der stadtrömischen Öffentlichkeit erklären, warum er auf eine Eroberung der Gebiete östlich des Rheins verzichtete. Mit den Drususoffensiven fand die Elbe Eingang in den außenpolitischen Horizont der römischen Führung. Nach damaligem geographischen Wissen bildete dieser Fluß die östlichste Grenze der bekannten >Welt< in Europa. So war es naheliegend, daß die Elbe in der augusteischen Ideologie der Weltherrschaft zu einem wichtigen Fixpunkt wurde.

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Doch die Realität der römischen Herrschaft erzwang die Rücknahme der Grenze auf den Rhein. In der Tabula Siarensis verband sich ein Grenzkonzept, das gemäß der universalistischen Ideologie Ende der Welt bedeutet mit einem, das auf die Schutzfunktion der Grenzen zielte.

Schlußbemerkungen: Der Raum als Faktor der römischen Geschichte

Die Bedeutung der Raumerfassung, die sich in der Gromatik und der beschreibenden Geographie ausprägt, ist am Beispiel der Germanienfeldzüge unter Augustus und Tiberius deutlich geworden. Es ist unverkennbar, daß die deskriptive Geographie ein wesentlicher Bestandteil der Allgemeinbildung der römischen Elite war. Einen wichtigen Zugang bildete die Stoa, die auf die kosmischen Gesetzmäßigkeiten zielte. Das Beispiel des Ritters Plinius zeigt, daß die römische Aristokratie die beschreibende Geographie vollständig rezipierte. Dieses Wissen wurde für die strategischen Planungen von Feldzügen herangezogen: Die Truppenbewegungen während der Germanienfeldzüge von 12 v. Chr. bis 16 n. Chr. wären ohne eine gedachte Karte der Oikumene nicht möglich gewesen. Diese Karte erfaßte den Raum von vorneherein als Fläche und ordnete darin die einzelnen Landschaftselemente nach dem Prinzip der analogen Maßstäblichkeit an: Geometrische Figuren erfaßten die Umrisse von Ländern und ihren wichtigsten topographischen Elementen und bildeten sie nach den Gesetzmäßigkeiten von Ähnlichkeit hinsichtlich der Form, Kongruenz hinsichtlich der Winkel und Proportionalität hinsichtlich der Strecken ab. Auch die Feldmeßkunst war ein fester Bestandteil der antiken Raumerfassung. Ein grundsätzliches Interesse der römischen Führungsschicht an dieser Technik zeigen die Schriften des Senators Frontin. Während der Germanienfeldzüge kam die Gromatik bei der Anlage von limites und Straßen zur Anwendung. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, daß eine Form des limes bei Tacitus exakt dem Bild entspricht, das der Feldmesser Baibus von seiner Tätigkeit im Krieg gibt: eine Straße, die auf beiden Seiten von Wällen umgeben ist. Für das Vorgehen der Feldmesser ist signifikant, daß mit Hilfe dttgroma gerade Linien von einem Punkt zum nächsten gezogen wurden, ohne daß dadurch ein Zusammenhang mit dem Großraum hergestellt werden konnte. Ein Einfluß der Raumsysteme der römischen Religion auf die römische Strategie ist nicht feststellbar. Das liegt daran, daß diese

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Schlußbemerkungen

Modelle sich auf den Kult des Stadtstaats Rom bezogen und nur bedingt auf größere räumliche Einheiten übertragen werden konnten. Die Raumerfassung ist von eminenter Bedeutung für jede Studie über die imperiale römische Politik. Dabei geht es weniger um die Frage nach den inneren Triebkräften der römischen Expansion, als vielmehr um die ^Leistungsfähigkeit der antiken Raumbilder. Ein wesentlicher Fehler der bisherigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung bestand darin, die Ziele der römischen Politik mit Hilfe von modernen Karten zu bestimmen und nicht den antiken räumlichen Horizont zu berücksichtigen. Das führt die Notwendigkeit vor Augen, einige vermeintliche Prämissen der römischen Expansion erneut zu überdenken. Dies betrifft insbesondere einen >großen Plangroßen Plansgroßen Plan< in Anlehnung an Luttwaks >grand strategyStrategie< auf die Planung eines Feldzugs in einem bestimmten Gebiet.

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Schlußbemerkungen

der Weltherrschaft. Gleichsam eine Verbindung der beiden Ausprägungen liegt bei Tiberius vor. Die augusteischen Germanienkriege machen deutlich, daß die Elbe nicht von Anfang an das Ziel der römischen Operationen war und das Erreichen dieses Flusses nicht einer Verkürzung der Grenzen diente. Vielmehr wird dieser Fluß erst explizit im Zusammenhang mit den Ereignissen 9 v. Chr. erwähnt. Wäre die Elbgrenze das Ziel der römischen Expansionspolitik gewesen, hätte Drusus sie bereits früher erreicht. Dies spricht gegen einen >großen Plangroßen Plans< belegen. Nach allem, was wir wissen, diente die Unterwerfung des Alpenraums durch Augustus dazu, die Verkehrswege zwischen Italien und Gallien zu sichern. In gleicher Weise kann auch der Bau von Straßen im Zusammenhang mit der römischen Besetzung des heutigen Südwestdeutschlands interpretiert werden. Unter Vespasian ließ der Legat der obergermanischen Heeresgruppe Cn. Pinarius Cornelius Clemens eine Straße vom Oberrhein an die Donau bauen. 2 Diese führte von Straßburg über Offenburg, das Kinzigtal und Rottweil an die Donau. Dadurch wurde die Marschdistanz von Mainz nach Augsburg um etwa 160 km gegenüber der Route über das Rheinknie verkürzt. Nach dem weiteren Vordringen der Römer im heutigen Südwestdeutschland (83-85 n. Chr.) wurde die Kinzigtalstraße durch eine Straße über Mainz - Stettfeld - Cannstatt - Urspring - Faimingen - Augsburg ersetzt. 3 Auf diese Weise wurde der Weg von Obergermanien nach Rätien weiter verkürzt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden letztgenannten Beispielen und den augusteischen Germanienfeldzügen besteht

darin,

daß

der

Alpenraum

unter

Augustus

und

das

heutige

Südwestdeutschland unter den Flaviern den Römern bereits vertraut waren. Anders dagegen das Germanien während der Zeitenwende: Hier mußte die empirische Erfahrung erst mit der gedachten Karte der Oikumene in Verbindung gebracht

2 Filtzinger 1986, 48f; Filtzinger 1995, 23. Ein wichtiges Zeugnis der Kinzigtalstraße ist der Offenburger Meilenstein: CIL XIII 9082. 3 Filtzinger 1986, 59.

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Schlußbemerkungen

werden. Insgesamt kann die Frage nach einem >großen Plan< der römischen imperialen Politik nicht generell beantwortet werden, wäre aber einer weiteren Untersuchung wert. Sicher ist jedoch, daß Rhein und Elbe nicht aufgrund einer ideologischen Prämisse der naturentlehnten Grenzen zum Ziel der römischen Politik erklärt wurden. Auch hier gilt also die Feststellung von Lucien Febvre: »Überlassen wir also die >natürlichen Grenzen< den Schlaumeiern oder Einfallspinseln. Alle Grenzen werden von Menschen gezogen. Sie mögen >gerecht< oder >ungerecht< sein, aber nie ist es >die NaturPortolan< wurde - vergleichbar dem antiken Periplus - zunächst nur ein Text bezeichnet, ein Buch, das nautische Instruktionen wie die Angabe von Richtungen und Distanzen zwischen den Häfen beinhaltete. Dieser Text konnte auch mit einer Karte kombiniert werden, der Portolankarte. Ein spezifisches Kennzeichen dieser Karte bestand in einem komplexen Netz von Geraden, die sowohl vom Zentrum als auch von 16 auf der Kreislinie verteilten Punkten 4 Febvre 1995,13. 5 Vgl. zur ideologischen Überschätzung der Stromgrenze Haushofer 1939,164. Karl Haushofer will die Gesetzmäßigkeit erkennen, daß die wasserarme Mittelmeerkultur eher zur Wasserlaufgrenze neigt, die Germanen aus einer wasserreichen Gegend eher zu ihrer Mißachtung. Damit erklärt er u. a. die Funktion des Rheins als Grenze für das römische Reich. Dieser Gedanke ist besonders von Ernst Kornemann und seinen Schülern sowie Josef Vogt übernommen worden. Vgl. Kornemann 1943, 323-38, Scheliha 1931, 99; Vogt 1942, 172f; 189f. 6 Arnberger 1975, lOf.

Schlußbemerkungen

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ausgingen und jeden Punkt sowohl mit dem Zentrum als auch den anderen Punkten verbanden.7 Maßgeblich waren die vier Haupt- und die vier Zwischenhimmelsrichtungen, die den acht wichtigsten Windrichtungen entsprachen. In Verbindung mit dem Kompaß ermöglichte die Karte dem Seemann eine Bestimmung und Beibehaltung des gewünschten Kurses. Das andere bedeutende Werk war die Geographia des Ptolemaios, die über Byzanz in Europa im 15. Jahrhundert verbreitet wurde.8 Pierre d'Ailly, der führende geographische Theoretiker dieser Zeit, berief sich in seinem Tractatus de imagine mundi ebenfalls auf das antike Erbe, insbesondere auf Aristoteles und Seneca.9 Unter Bezugnahme auf diese beiden Autoren stellte er fest, daß die Entfernung zwischen Spanien und Indien in westlicher Richtung kurz sei und und bei günstigem Wind in wenigen Tagen zurückgelegt werden könne.10 Eben diese Zeilen unterstrich Christoph Columbus eigenhändig und schrieb dazu an den Rand: Aristotelis: inter finem ispanie et prinäpium indie est mare parvum et navigabile in paucis diebus.n Es stellt sich die Frage, warum in der Antike niemand diese Idee umsetzte und auf diesem Weg Amerika entdeckte. Die technischen Möglichkeiten wären vorhanden gewesen: Nach Eratosthenes bei Strabon könnte man von Spanien nach Indien segeln, wenn man dem zentralen Parallel von Rhodos (36°) folgt. Allein die Erstreckung des Adantik stand dem Vorhaben laut Eratosthenes im Weg.12 Zur Orientierung endang dieses Breitenkreises hätte man Deklinationstabellen heranziehen können, die die Position der Himmelskörper im zeitlichen Ablauf festhalten. Die dafür erforderliche Zeitmessung hätte eine Wasseruhr gewährleisten können. Ein solches Instrument benützte Caesar, um die Zeit zwischen Abend- und Morgendämmerung einer britannischen Sonnenwendnacht zu messen.13 Die

7 Raynaud-Nguyen 1981, 617-23. 8 Vgl. Parry 1978, 28f. 9 Ebd., 24f. 10 Vgl. Aristot. cael. 2 , 1 4 , 2 9 8 a ; Sen. quaest. 1 praef. 13; dazu: Stückelberger 1 9 8 8 , 1 9 5 f ; Bitterli 1992, 48. 11 Zitiert nach Stückelberger 1988, 196. 12 ώ σ τ ' , et μ'ητό μέγεθος τ ο ϋ ' Α τ λ α ν τ ι κ ο ύ πελάγους έ κ ώ λ υ ε , κ ά ν πλεΐ ν ή μ ά ς έκ τ η ς ' Ιβερίας ε ί ς την' Ι ν δ ι κ ή δ ι ά τού α ί π ο ύ π α ρ α λ λ ή λ ο υ τό λοιπόν μέρος π α ρ ά τό λ ε χ θ έ ν δ ι ά σ τ η μ α ύπέρ τό τρίτον μέρος 6 ν τοϋ ό λ ο υ κ ύ κ λ ο υ (Strab. 1, 4, 6). 13 Caes. Gall. 5, 13, 4; dazu Cary/Warmington 1966, 15.

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Schlußbemerkungen

Schiffe, in denen die neu2eitlichen Entdecker fuhren, entschieden sich hinsichtlich der Tonnage nicht von den antiken Modellen. Die wesentlichen Neuerungen der neuzeitlichen Schiffahrt betrafen die verbesserte Lenkung durch das Heck- oder Stevenruder und die Übernahme des dreieckigen Lateinsegels, das auch ein Manövrieren bei schwierigen Windverhältnissen ermöglichte.14 Dazu kam noch der Kompaß als ein unerläßliches Hilfsmittel der Orientierung.15 Diese technischen Errungenschaften erleichterten die Entdeckungen der Neuzeit. Man hätte aber, wie oben gezeigt, auch ohne sie auskommen können. Der entscheidende Punkt war vielmehr die unterschiedliche Strukturierung des räumlichen Wissens in der frühen Neuzeit und der Antike. In der frühen Neuzeit waren die Karten für den Großraum und die für den Mittelraum miteinander verbunden. Das zeigt sich insbesondere darin, daß auf den Portolankarten mit Hilfe der Rumbenlinien die acht wichtigsten Himmelsrichtungen und ab 1480 Breitenskalen eingetragen wurden. Man konnte also von der ptolemaischen Karte der Oikumene auf die Portolankarte des Mittelmeers schließen — und umgekehrt. Anders dagegen in der Antike: Die verschiedenen Vorgehensweisen zur Erfassung der einzelnen Raumgrößen blieben unverbunden. Gromatik und Geographie konnten sich auf das gleiche Landschaftselement beziehen, ordneten dieses aber jeweils unterschiedlichen Raumsystemen zu. Dazu kommt noch, daß eine eigenständige kartographische Erfassung des Mittelraums nicht erfolgte, sondern immer von einer gedachten oder gemachten Karte der Oikumene ausging. Es entwickelte sich also keine der Portolankarte vergleichbare Form aus dem antiken Periplus, obwohl erste Ansätze einer vergleichbaren Ausbildung erkennbar sind: Vitruv erwähnt, daß für die Ausrichtung der Straßen einer Stadt zwei formae herangezogen werden müssen: Die eine zeigt, woher die entsprechenden Winde kommen, die andere, wie dann mit Hilfe des Gnomons und eben dieser Windrose die Straßen gezogen werden.16

14 Cary/ Warmington 1966,13f; Bitterli 1992,43f. 15 Bitterli 1992, 41. 16 Quoniam haec a nobis sunt breviter exposita, utfaalius intellegatur, visum est mihi in extremo volumine formas sive, uti Graeä dicunt, σχήματα duo explicare, unum ita deformatum, ut appareat, unde certi ventorum spiritus onantur, alterum, quemadmodum ab impetu eorum aversis directionibus vicorum et platearum evitentur nocentes flatus. (Vitt. 1, 6, 12).

Schlußbemerkungen

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Diese Faktoren führten dazu, daß man in der Antike dem Raumbild ein geringes Vertrauen entgegenbrachte, das durch die deduktive Methode gewonnen war und den Großraum erfaßte. Die Karte der Oikumene mußte erst vor Ort überprüft werden, bevor man sie zum Gegenstand des Handelns machte. Bei Eroberungen und Entdeckungen auf dem Landweg war dies ohne Probleme möglich. Hatte man Germanien selbst in Augenschein genommen, konnte man die >tatsächliche< Topographie mit der gedachten Karte vergleichen und in strategische Planungen miteinbeziehen. Für Seereisen verbot sich aber ein derartiges Vorgehen. Einen weiteren wichtigen Aspekt stellt dar, daß in der Neuzeit der physische Raum und der kartographische Raum weitgehend identisch gedacht werden. Für den antiken Menschen bestand da ein Unterschied: Der eine Bereich war greifbar und real, der andere nicht greifbar und gleichsam ein nur annäherndes Abbild. Die Amerikafahrt des Kolumbus war also das Ergebnis eines zweifachen Mißverständnisses.

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Mommsen 1905 Mommsen 1908

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