Die Weiße Rose – eine deutsche Geschichte?: Die öffentliche Erinnerung an den Widerstand in beziehungsgeschichtlicher Perspektive [1 ed.] 9783737009096, 9783847109099

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Die Weiße Rose – eine deutsche Geschichte?: Die öffentliche Erinnerung an den Widerstand in beziehungsgeschichtlicher Perspektive [1 ed.]
 9783737009096, 9783847109099

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Schriften des Erich Maria Remarque-Archivs

Band 34

Herausgegeben von Thomas F. Schneider im Auftrag des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums Osnabrück

Christian Ernst

Die Weiße Rose – eine deutsche Geschichte? Die öffentliche Erinnerung an den Widerstand in beziehungsgeschichtlicher Perspektive

Mit 8 Abbildungen

V& R unipress Universitätsverlag Osnabrück

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verçffentlichungen des UniversitÐtsverlags Osnabrþck erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung der Hans-Bçckler-Stiftung.  2018, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Siehe Seite 555. Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-7416 ISBN 978-3-7370-0909-6

Inhalt

I

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Die Geschichte der Geschichte der Weißen Rose . . . . . . . . . II.1 Die Weiße Rose in Literaturberichten zum deutschen Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.1 Frühe Konzepte von Widerstand und Widerstandsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.2 Antagonismus, Korrespondenz und Differenzierung der Widerstandsgeschichtsschreibung im deutsch-deutschen Kontext . . . . . . . . . . . . . . II.2 ›Rezeption‹ und ›Erinnerung‹ der Weißen Rose in der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.1 ›Vermächtnis‹ vs. ›Verfälschung‹ . . . . . . . . . . . II.2.2 Rezeptions- vs. Realgeschichte, Gedächtnis vs. Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3 Trans(kon)textuelle Analyse von Geschichtsdiskursen . . . II.3.1 Probleme geschichts- und gedächtnistheoretischer Paradigmata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.2 Methodisches Vorgehen: Text, Kontext und Diskurs

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III Die Weiße Rose und das ›Andere Deutschland‹ . . . . . . . . . . . III.1 Darstellungen in Kontexten des Exils . . . . . . . . . . . . . . III.1.1 Fakt und Fiktion in Informationsnetzwerken des Widerstands und Exils . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.2 Thomas Manns Radioansprache vom 27. Juni 1943 und die British Warfare Executive . . . . . . . . . . . . . . . III.1.3 Johannes R. Bechers Versroman Die Drei im Kontext des Nationalkomitees Freies Deutschland . . . . . . . . III.1.4 »Tagträume eines Emigranten«? Alfred Neumanns Roman Es waren ihrer sechs und seine Rezeption . . . .

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Inhalt

III.2 Andenken und Appell in der frühen Nachkriegszeit . . . . . III.2.1 Die ›Münchner Studentenrevolte‹ in westzonaler Publizistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.2 Die Geschwister Scholl in der ostzonalen Presse . . . III.2.3 Frühes Geschwister-Scholl-Gedenken im Kontext von VVN und FDJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.4 Laienspiele in »kulturpolitischer Mission« . . . . . . III.3 Lebenswege und Zeugnisse im Angesicht des Todes . . . . . III.3.1 Zeugnisse der letzten Tage und Stunden: Else Gebel und Karl Alt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.3.2 Clara Hubers Kurt Hubers Schicksalsweg . . . . . . . III.3.3 Angelika Probsts Rundfunkvortrag Mein Bruder Christoph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.3.4 »Für die Märtyrer der Freiheit«: Ricarda Huchs Gedenkbuchprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.3.5 Die Weiße Rose in Stephan Hermlins Die erste Reihe (1951) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV ›Menschlichkeit‹ und ›Kalter Krieg‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.1 Inge Scholls Best- und Longseller Die weiße Rose . . . . . . . . IV.1.1 Entstehungsgeschichte und Veröffentlichungskontext . IV.1.2 Integratives Erzählen durch Collage . . . . . . . . . . . IV.1.3 Zeitgenössische Rezeption und Veränderungen in Neuauflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.2 Widerstandsliteratur zwischen Diktion und Dokumentation . IV.2.1 Das »Kostbarste[…] unserer Zeit«: Funktionen von Briefen und Aufzeichnungen der Geschwister Scholl . . IV.2.2 »Die Zeugnisse williger sprechen zu lassen«. Die Weiße Rose in Gedenkbüchern der 1950er-Jahre . . . . . . . . IV.2.3 »Dokumente werden Geschichte«. Günther Weisenborns Der lautlose Aufstand und Walter A. Schmidts Damit Deutschland lebe . . . . . . . . . . . . IV.3 Gedenken und Erzählen zwischen Integration und Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.3.1 Popularisierung und Propaganda: Vergangenheitsbezüge in der Presse . . . . . . . . . . . IV.3.2 »Das Problem des Buches ist überhaupt Hans Scholl«: Curt Letsches Roman Und auch in jener Nacht brannten die Lichter und konfligierende Maßstäbe der Zensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

IV.3.3 »Frei gestaltet nach den wirklichen Ereignissen«: Gerd Fockes Hörspiel Wir schweigen nicht und das Fernsehspiel Der Henker richtet . . . . . . . . . . . . .

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Traditionen im Widerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.1 Traditionsbildung und -kritik in der Bundesrepublik . . . . . V.1.1 »Hüterin eines kostbaren Vermächtnisses«. Gedenken und Erinnern an der Universität München . . . . . . . V.1.2 Weder »Antifa-Film« noch »nationaler Heldenfilm«: Rolf Thiele, Erich Kuby und die Wandlungen des Filmprojekts Die Geschwister Haller . . . . . . . . . . . V.1.3 Von der »Kraft des Gedankens« zum »politischen Engagement«: Veränderte Bezugsrahmen in Rundfunkhörspielen und -features . . . . . . . . . . . . V.1.4 »Abschied von einem Mythos«? Christian Petrys Veröffentlichungen zur Weißen Rose und ihre Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.1.5 Die Weiße Rose und die Vermittlung der Widerstandsgeschichte in den 1960er- und 1970er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.1.6 »Gegenwartsbewältigung durch Beschäftigung mit der Vergangenheit«: Das ZDF-Fernsehspiel Der Pedell . . . V.2 Die Erweiterung des ›humanistischen Erbes‹ in der DDR . . . V.2.1 »Sachwalter des Vermächtnisses«: Die Universität Jena als Gedenkort der Weißen Rose . . . . . . . . . . . . . . V.2.2 Staatlicher Antifaschismus und Geschichtswissenschaft: Die Weiße Rose in Publikationen Karl-Heinz Jahnkes . . . . . . . . . . . . V.2.3 Wandlungen einer »Absicht, ein Geschichtsbild zu geben«: Franz Fühmann und die Weiße Rose . . . . . . V.2.4 ›Christliche Vereinnahmung‹? Klaus Drobischs Dokumentation Wir schweigen nicht im Kontext des Union-Verlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.2.5 »Märtyrer gegen Krieg und Völkermord« – Dynamiken in Gedenkbezügen in der DDR-Presse der 1970er- und 1980er-Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.2.6 Die Weiße Rose in der Evangelischen Verlagsanstalt . .

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VI Vorbilder für Demokratie und Nation . . . . . . . . . . . . . . . . VI.1 Zeitzeugen als Akteure der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . VI.1.1 Zur Etablierung von Zeitzeugenschaft . . . . . . . . . .

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Inhalt

VI.1.2 »Weitertragen«. Anneliese Knoop-Graf als Zeitzeugin der Weißen Rose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.2 Koalitionen des Gedenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.2.1 Willi-Graf-Gedenkfeiern der Stadt Saarbrücken . . . . VI.2.2 Die Institutionalisierung der Weiße Rose-Gedächtnisvorlesungen an der Universität München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.2.3 Offizialisierung der Gedächtnisvorlesungen: Die Weiße Rose in bundespräsidialen Reden . . . . . . . . . . . .

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VII Zusammenfassung und Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zum Titelbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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X

Edierte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.1 Stellungnahme der Filmaufbau GmbH zum Drehbuch Die Geschwister Haller (1955) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.2 Erich Kubys und Rolf Thieles Filmentwurf Die Geschwister Haller (1958) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.3 Abschrift der Ansprache von Heinz Schumann (5 Min.) vor der Ausstrahlung des Fernsehspiels Der Henker richtet am 22. 02. 1963 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.4 Franz Fühmann: Vorbemerkungen zum Expos8 Jugend im Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.5 Aufbau der Ausstellung »Antifaschistischer Widerstand 1933–1945« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis X.1 Archive . . . . . . . . . . . X.2 Ungedruckte Quellen . . . . X.3 Gedruckte Quellen . . . . . X.4 Internetquellen . . . . . . . X.5 Audiovisuelle Quellen . . . .

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Als 2014 eine bis dahin unbeachtet im Depot des Bayerischen Nationalmuseums aufbewahrte Guillotine als diejenige identifiziert wurde, mit der Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst hingerichtet wurden, erregte dies große Aufmerksamkeit. Ein Referent des Museums bezeichnete das Objekt auch unabhängig von diesen Namen als »Zeugnis für das Terrorregime der Nationalsozialisten«, da »[a]n allen Guillotinen […] politisches Blut« klebe.1 Die Verbindung mit der Weißen Rose führte aber zu einer von vielen Angehörigen, Historikern und Journalisten getragenen Forderung, das Fallbeil als »Geschichtsdokument ersten Ranges« auszustellen, um eine emotionalere Vermittlung der NS-Geschichte zu befördern.2 Der Hörfunkjournalist Ulrich Trebbin, dessen Recherchen zu der Entdeckung führten, begründete dies wie folgt: Und auch wenn ich die Geschichte des Widerstandskreises um die Geschwister Scholl seit meiner Kindheit kenne, war es doch noch mal etwas anderes, es nicht nur als Geschichte zu hören oder in einem Buch zu lesen, sondern wirklich diese Guillotine zu sehen. Da ist mir nochmal klar geworden, dass das nicht im finsteren Mittelalter passiert ist, sondern in dem Jahrhundert, in dem ich geboren bin. So, denke ich, kann es auch vielen Menschen gehen, die dieses Fallbeil irgendwann vielleicht einmal in einer Ausstellung zu sehen bekommen.3

Die für 2018 geplante Ausstellung der Guillotine im Museum der Bayerischen Ge schichte entfachte jedoch Kontroversen. Der bayerische Kultusminister Ludwig Spaenle berief einen Runden Tisch aus Fachwissenschaftlern und Ethikern ein und folgte schließlich der Empfehlung, das Objekt weder in einem Museum noch in einer Gedenkstätte zu zeigen, um zu vermeiden, dass »diese Guillotine zum 1 Ulrich Trebbin: »Ein Geschichtsdokument ersten Ranges«. Debatte um den Umgang mit dem Fallbeil von Stadelheim, Internet: https://www.deutschlandfunkkultur.de/guillotine-aus-derns-zeit-ein-geschichtsdokument-ersten.1013.de.html?dram:article_id=274490, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2 Ebd. 3 Ebd.

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bevorzugten Reiseziel für Eventtouristen und für Voyeure wird«.4 Dieser Vorgang und die anschließende, in überregionalen Zeitungen inklusive des Boulevards5 ausgetragene Mediendebatte illustriert den anhaltenden Symbolcharakter der Weißen Rose und ihre Bedeutung für die öffentliche Erinnerung an den Nationalsozialismus. In den 2000er-Jahren hatte die Aufmerksamkeit für die Weiße Rose einen Höhepunkt erreicht. Am 22. Februar 2003, dem 60. Jahrestag der Hinrichtung der Geschwister Scholl und Christoph Probsts, wurde eine Büste Sophie Scholls in die vom bayerischen König Ludwig I. zur »Erstarkung und der Vermehrung deutschen Sinnes«6 als »Ehrentempel für die großen Männer der Nation«7 gestiftete Walhalla aufgenommen. Eine solche Ehrung kann für eine bedeutende Persönlichkeit aus der »germanisch-deutschen Sprachfamilie« frühestens 20 Jahre nach dem Tod durch »jede[n] Deutsche[n] bzw. jede deutsche Interessengruppe« beim Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst beantragt werden.8 Gemeinsam mit einem prominenten Unterstützerkreis hatte im Jahr 2000 die bayerische SPD-Landtagsabgeordnete Hildegard Kronawitter, seit 2009 Vorsitzende der Weiße Rose Stiftung, die Ehrung vorgeschlagen. Sophie Scholl, so die in der Presse zitierten Begründungen der Initiatoren, habe ihr Handeln nach »allgemein gültigen ethischen und politischen Prinzipien ausgerichtet« und könne deshalb »unabhängig von den konkreten historischen Umständen von jeder Generation aufs Neue als Vorbild anerkannt werden«.9 Eine solche Vorbildfunktion »für demokratische Gesinnung, Mut und Zivilcourage« sei »gerade in einer Zeit wachsender rechtsradikaler Gewalt« notwendig.10 Zudem sei Sophie Scholl ein »leuchtendes Beispiel« für den bisher zu wenig gewürdigten Widerstand von Frauen11 und darüber

4 DW: Guillotine des Nazi-Henkers bleibt unter Verschluss. In: Die Welt, 10. 04. 2014. 5 Anne-Kathrin Koophamel: Darf man das Fallbeil ausstellen, das die Geschwister Scholl tötete? In: Bild (München), 10. 01. 2014. 6 Rainer Raith: Die Walhalla, Internet: http://www.bayern-lese.de/index.php?article_id=435, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 7 Zitiert nach Thomas Nipperdey : Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: Gesellschaft, Kultur, Theorie: Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht 1976, S. 133–173., S. 148. 8 Raith, Anm. 6. 9 Christian Schneider: SPD fordert einen Platz für Sophie Scholl in der Walhalla. Die Studentin ließ im Widerstand gegen das NS-Regime ihr Leben / Nach Umfrage »Frau des Jahrhunderts«. In: Süddeutsche Zeitung, 16. 02. 2000. 10 Ebd. 11 spl.: Unstimmigkeiten über Ehrung Sophie Scholls. Umstrittene Verewigung in bayrischem Ruhmestempel. In: Neue Züricher Zeitung, 11. 01. 2001.

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hinaus könne durch die Ehrung deutlich gemacht werden, »dass Widerstand ein Teil unseres nationalen Selbstverständnisses ist«.12 In seiner Ansprache zur Enthüllung der Büste bemerkt der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der von König Ludwig geforderte »Stolz auf das deutsche Vaterland« sei angesichts der »im Namen Deutschlands« begangenen »schrecklichsten Verbrechen« nach 1945 »für die meisten Menschen nur schwer vorstellbar gewesen«13 und erinnert »in großer Dankbarkeit an die, die trotz aller Gefahr Widerstand leisteten«.14 Stoiber betont in seiner Rede, das »kollektive Gedächtnis« brauche »Kristallisationspunkte, in denen die Leben und Schicksale von vielen symbolhaft zusammenfallen«, und nennt »für die Geschichte der Opfer Anne Frank« und für die »Geschichte des Widerstandes« die »tapferen Offiziere um Stauffenberg«, Georg Elser und die Weiße Rose als Beispiele.15 In der Persönlichkeit Sophie Scholls werde »wie in einem Sinnbild die ganze Tragik, aber auch Bedeutung des Widerstandes offenbar«, ihre Büste stehe »stellvertretend, aber auch herausragend für alle Männer und Frauen, die gegen Unrecht, Gewalt und Terror des ›Dritten Reichs‹ mutig Widerstand leisteten« – sie seien »die wahren Helden der Geschichte, auf die wir stolz sein dürfen«.16 Der Erfolg der Initiative Hildegard Kronawitters zeigt somit einen breiten Konsens über die Bedeutung der Weißen Rose, aber auch über die Notwendigkeit einer nationalen Erinnerungskultur. Auch wenn Jörg Schallenberg in der taz die Frage offen lässt, ob Sophie Scholl »an einen Ort gehört, der nicht nur antiquiert, sondern auch bis heute eine Spur zu nationalistisch, zu germanisch, zu wagnerianisch wirkt und zu den Kultstätten vieler Neonazis zählt«, sieht er einen Wert in der erklärten Intention der Initiatoren, zu zeigen, »dass die deutsche Geschichte nicht nur von Feldherren, Kaisern und Künstlern geprägt ist, sondern auch vom Widerstand gegen die Autorität des Staates«.17 Damit würde die Walhalla als »Kultstätte für Rechte« entwertet, was, so meint Schallenberg, »Sophie Scholl wahrscheinlich gefallen« hätte.18 Claudia Lanfranconi äußert in der Süddeutschen Zeitung lediglich Kritik am »zu eng geschnürte[n] ästhetische[n] Konzept« der Walhalla, das der »Erinnerungskultur der Deutschen den

12 Rolf Thym: Mut in Marmor gemeißelt. Sophie Scholl wird in der Walhalla mit einer Büste geehrt – stellvertretend für alle Widerstandskämpfer. In: Süddeutsche Zeitung, 24. 02. 2003. 13 Edmund Stoiber : Rede aus Anlass der Enthüllung der Büste von Sophie Scholl und einer Tafel zum Gedenken an alle, die gegen Unrecht, Gewalt und Terror des »Dritten Reichs« mutig Widerstand leisteten in der Walhalla am Samstag, 22. Februar 2003. München: Bayerische Staatskanzlei 2003, S. 2. 14 Ebd., S. 3. 15 Ebd., S. 3–4. 16 Ebd., S. 4. 17 Jörg Schallenberg: Ein neues Gesicht für Walhalla. In: taz. Die Tageszeitung, 22. 02. 2003. 18 Ebd.

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ohnehin zu kurzen Atem« raube und auch »eine so erinnerungslebendige Person wie Sophie Scholl« den »Kältetod« sterben lasse.19 Die über eine Meinungselite hinausgehende Popularität der Weißen Rose zeigte im November 2003 im Rahmen der ZDF-Showreihe Unsere Besten eine Abstimmung zur Frage »Wer ist der größte Deutsche?«, an der sich allein im Finale 1,8 Millionen Zuschauer beteiligten.20 Sophie und Hans Scholl kamen nach Konrad Adenauer, Martin Luther und Karl Marx auf Platz 4 und waren damit die bestplatzierten Vertreter des deutschen Widerstands.21 Das Ergebnis und die hohen Einschaltquoten bedeuten aus ZDF-Sicht einen Sieg der »Kulturnation über die Spaßgesellschaft«.22 Die Redaktion war sich bewusst, dass die Suche »nach dem wichtigsten Deutschen, dem größten Vorbild, der bedeutendsten Persönlichkeit, keine leichte Sache sein würde«.23 Die politische Kultur der Deutschen sei »komplizierter« als die der Briten, Franzosen und Spanier, die »mit ihrer Jahrhunderte langen Kolonialvergangenheit nicht gerade von Selbstzweifeln geplagt« seien: »Wir haben mehrere Vergangenheiten, einmal das Deutschland vor und nach dem Dritten Reich, dazu das geteilte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.«24 Die NS-Zeit und der deutsche Kolonialismus werden in dieser Formulierung aus der deutschen Geschichte schlichtweg ausgeklammert. Auch in der Wissenschaft fand die Weiße Rose in den 2000er-Jahren verstärkt Beachtung.25 Sönke Zankel erhebt für seine 2008 veröffentlichte Dissertation zur Weißen Rose den Anspruch, eine erste »Gesamtdarstellung zu liefern«.26 In einer vorab an eine breitere Öffentlichkeit gerichteten Präsentation der Forschungsergebnisse sieht er den durch Inge Scholls Buch eingeführten »mythisch anmutenden Namen[…] ›Weiße Rose‹« als »symptomatisch für das heute herrschende Bild des Widerstandskreises« an, für den er die Bezeichnung »Scholl-

19 Claudia Lanfranconi: Im Pantheon der Marmorlocken. Die kalte Ästhetik des Erinnerns: Heute wird Sophie Scholls Büste in der Walhalla aufgestellt. In: Süddeutsche Zeitung, 22./ 23. 02. 2003. 20 Peter Arens: »Unsere Besten – Wer ist der größte Deutsche?«. ZDF-Zuschauer verhindern den Untergang des Abendlandes, Internet: http://www.zdf-jahrbuch.de/2003/programmar beit/arens.htm, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 21 Auch Graf von Stauffenberg, Georg Elser, Oskar Schindler und Dietrich Bonhoeffer »schafften es« nach ZDF-Angaben »unter die ersten Hundert« (Ebd.). 22 Ebd. 23 Ebd. 24 Ebd. 25 Siehe bspw. folgende Sammelbände: Detlef Bald (Hrsg.): »Wider die Kriegsmaschinerie«. Essen: Klartext 2005; Michael Kißener (Hrsg.): »Weitertragen«. Konstanz: UVK 2001; Mathias Rösch (Hrsg.): Erinnern und Erkennen. Stamsried: Vögel 2004. 26 Sönke Zankel: Mit Flugblättern gegen Hitler. Der Widerstandskreis um Hans Scholl und Alexander Schmorell. Köln [u. a.]: Böhlau 2008, S. 2.

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Schmorell-Kreis« vorschlägt.27 Zankel betont, dass seine Forschungsergebnisse »Gültiges, das zudem in der deutschen Erinnerungskultur eine solch große Bedeutung annimmt«, in Frage stellen und sieht Kontroversen als vorprogrammiert an.28 Vor allem seine Behauptung antisemitischer Tendenzen der Flugblätter und die Erklärung der Flugblattaktion vom 18. Februar 1943 durch den Einfluss von Betäubungsmitteln wurden medial breit rezipiert29 und von der Weiße Rose Stiftung und etablierten Historikern gleichermaßen zurückgewiesen. Jakob Knab sieht Zankel als »Opfer der eigenen Skandalisierungsstrategie«30 und Hans Mommsen sieht seinen Versuch »zu entmythologisieren« als gescheitert an.31 Das Begriffspaar Mythos/Entmythologisierung hat die Popularisierung und öffentliche Diskussion von Forschungsbeiträgen zur Weißen Rose schon zuvor begleitet – ebenso wie Heroisierung/Entheroisierung.32 Dies trifft insbesondere auf Christian Petrys 1968 unter dem Titel Studenten aufs Schafott veröffentlichte Arbeit zu,33 an der Gustav Seibt 1993 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum 50. Jahrestag der Flugblattaktion einen Traditionsbruch festmacht. Seibt leitet seinen Artikel mit folgender Feststellung ein: »Das Gedenken an die Geschwister Scholl und die ›Weiße Rose‹ ist in die Lebensgrundlagen der zweiten deutschen Republik eingegangen«, seine »Formen und Inhalte« seien ein Spiegel der Geschichte der Bundesrepublik.34 Die »Ideenwelt« des »christlich-abendländische[n] Idealismus« der Weißen Rose habe sich »mit dem humanistisch gestimmten Zeitgeist der fünfziger Jahre« in »Einklang« befunden, wenngleich der »Protest gegen den Geist der Nachkriegsrestauration« 1968 auch die Weiße 27 Sönke Zankel: Die Weisse Rose war nur der Anfang. Geschichte eines Widerstandskreises. Köln [u. a.]: Böhlau 2006, S. 2. Die Bezeichnung Weiße Rose war bereits zuvor gängig. Seit 1947 ist dieser Name titelgebend für Publikationen, siehe: o. A.: Die Weiße Rose. In: Heute und Morgen. Monatszeitschrift für Kunst, Literatur, Wissenschaft, Zeitgeschehen, 15. 02. 1947, S. 16–17. Auch Stephan Hermlin verwendet ihn 1951 als Titel für sein Protrait der Gruppe: Stephan Hermlin: Die erste Reihe. Berlin (Ost): Neues Leben 1951, S. 174–183. 28 Zankel, Anm. 27, Vorwort, S. IX. 29 Das Buch wird in allen großen Tageszeitungen besprochen; bezeichnend dabei, wie Zankels Thesen in Überschriften zuspitzt werden, bspw.: Felix Johannes Krömer : Judenfeindliche Elite-Junkies. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 10. 2006. 30 Jakob Knab: Über Zankel, Sönke: Die »Weisse Rose« war nur der Anfang. Geschichte eines Widerstandskreises. Köln 2006. In: H-Soz-Kult 28. 10. 2006, Internet: http://www.hsozkult. de/publicationreview/id/rezbuecher-8293?language=en, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 31 Hans Mommsen: Der Ehrenname »Weiße Rose« bleibt bestehen. In: Süddeutsche Zeitung, 08. 09. 2008. 32 Heidrun Holzbach: »Ein bisschen weg vom Heroismus«. Historiker sprechen von einem »realistischeren Blick« auf die Geschwister Scholl. In: Süddeutsche Zeitung, 30. 04. 2001. 33 Christian Petry : Studenten aufs Schafott. Die Weiße Rose und ihr Scheitern. München: Piper 1968. Siehe Kapitel V.I.4. 34 Gustav Seibt: Einklang? Nachleben der Weißen Rose. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. 02. 1993.

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Rose getroffen habe: Die Gedenkveranstaltungen an der Universität München seien von Studierenden »militant gestört« worden, Christian Petry habe in seinem Buch »alle Schimpfvokabeln seiner Generation über die Toten« gehäuft und »existenzielle[n] Widerstand und konkret definierte[n] Protest« verwechselt.35 In den 1970er-Jahren habe sich diese Tendenz verschärft, indem Antifaschismus zur »Allzweckwaffe« geworden sei, was das »Andenken an die ›Weiße Rose‹ vielleicht mehr entwertet« habe »als das ritualisierte Gedenken der fünfziger Jahre«.36 Gegen »solchen Mißbrauch« helfe nur »die Versenkung in die seit den achtziger Jahren vermehrt edierten originalen Zeugnisse und die Vergegenwärtigung der unvergleichbaren menschlichen und politischen Situation, in der die ›Weiße Rose‹ ihre Stimme erhob«.37 Neben dem Kurzschluss von ›Zeitgeist‹ und ›Generation‹ und der pauschalen Desavouierung linker Positionen, ist Seibts Verwendung des Kollektivsubjekts ›wir‹ bezeichnend, das drei Jahre nach der deutschen Einheit nur Westdeutsche einbezieht. Das Gedenken an die Weiße Rose wird als Teil bundesrepublikanischer Geschichte dargestellt und dem Antifaschismus, nicht nur in der DDR, abgesprochen. Dies geht einher mit der nach 1990 wiederholt geäußerten These, in der DDR sei die Erinnerung an die Weiße Rose unterdrückt worden. So titelte 1992 die Frankfurter Allgemeine Zeitung: »DDR-Bürger durften Flugblätter der Geschwister Scholl nicht lesen«.38 Auch in den Begleitmaterialien sowie in Besprechungen des Films Sophie Scholl – Die letzten Tage wird behauptet, die Stasi habe gezielt Akten zurückgehalten, um »die vielgepriesene Besonderheit und herausragende Stellung des kommunistischen Widerstands« nicht zu relativieren.39 Der Historiker Peter Steinbach wird in der Presse mit der Aussage zitiert, die DDR-Führung habe die Gefahr gesehen, »Widerstandsgruppen in der DDR hätten sich [an der Weißen Rose] ein Beispiel nehmen können«.40 Tatsächlich gab es in den 1950er-Jahren Oppositionsgruppen in der DDR, die auf die Weiße Rose Bezug nahmen,41 jedoch war die Weiße Rose alles andere als ein Tabuthema in der 35 36 37 38

Ebd. Ebd. Ebd. DDR-Bürger durften die Flugblätter der Geschwister Scholl nicht lesen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 03. 1992. 39 Fred Breinersdorfer : Sophie Scholl. Die letzten Tage. Das Buch zum Film. Frankfurt a. M.: Fischer 2005, S. 344. 40 Heidrun Holzbach: »Das war der reinste Selbstmord«. In: Spiegel Online vom 9. 05. 2001, Internet: http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,132922,00.html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 41 Zur Einführung. In: Karl W. Fricke, Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg.): Opposition und Widerstand in der DDR. Politische Lebensbilder. München: Beck 2002, S. 9–24, S. 15. In Publikationen zu Opposition und Widerstand in der DDR finden sich z. T. Parallelisierungen des Widerstands gegen das DDR- und das NS-Regime durch Formulierungen wie, es habe in der DDR »einen ganzen Strauss weißer Rosen« sowie »eine andere DDR« gegeben. Hier:

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DDR, was schon durch die zahlreichen Straßen und Einrichtungen, die in Ostdeutschland auch heute noch nach den Geschwistern Scholl benannt sind, augenfällig ist und durch eine bibliographische Recherche ohne Aufwand bestätigt werden kann. Während die Geschichte der Erinnerung an die Weiße Rose in der Bundesrepublik seit 1980 historisch reflektiert wurde,42 fehlt bisher eine wissenschaftliche Untersuchung der in der DDR publizierten Darstellungen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Studien zur Widerstandsgeschichtsschreibung und -erinnerung ihren Gegenstand bisher – für beide deutschen Staaten – einseitig unter dem Aspekt einer legitimatorischen Funktion unter den Bedingungen des Kalten Krieges betrachteten. Für die Bundesrepublik lag der Schwerpunkt auf Rezeption und Gedenken des 20. Juli 194443 sowie dem bürgerlichen Widerstand44, für die DDR fast ausschließlich auf dem kommunistischen Widerstand.45 Auch erste vergleichende Studien durchbrechen dieses Schema nicht.46

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Heinz-Peter Schmiedebach, Karl-Heinz Spiess, Ralf-Gunnar Werlich: Studentisches Aufbegehren in der frühen DDR. Der Widerstand gegen die Umwandlung der Greifswalder Medizinischen Fakultät in eine militärmedizinische Ausbildungsstätte im Jahr 1955. Stuttgart: Steiner 2001, S. 39. Günther Kirchberger : Die Weiße Rose. Studentischer Widerstand gegen Hitler in München. München: Selbstverlag der Ludwig-Maximilians-Universität 1980; Wilfrid Breyvogel: Die Gruppe »Weiße Rose«. Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte und kritischen Rekonstruktion. In: Wilfried Breyvogel (Hrsg.): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Bonn: Dietz 1991, S. 159–201; Barbara Schüler : »Im Geiste der Gemordeten«. Die »Weiße Rose« und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit. Paderborn [u. a.]: Schöningh 2000; Johannes Tuchel: Im Spannungsfeld von Erinnerung und Instrumentalisierung – Die Wahrnehmung der studentischen Widerstandsgruppe Weiße Rose im westlichen Nachkriegsdeutschland bis 1968. In: Mathias Rösch (Hrsg.): Erinnern und Erkennen. Festschrift für Franz J. Müller. Stamsried: Vögel 2004, S. 45–62; Tatjana Blaha: Willi Graf und die Weiße Rose. Eine Rezeptionsgeschichte. München: Saur 2003; Katie Rickart: Memoralizing the White Rose Resistance Group in Postwar-Germany. In: Bill Niven, Chloe Paver (Hrsg.): Memorialization in Germany since 1945. Blasingstoke u. a. 2010, S. 157–167. Maßgeblich: Regina Holler : 20. Juli 1944, Vermächtnis oder Alibi? Wie Historiker, Politiker und Journalisten mit dem deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus umgehen. Eine Untersuchung der wissenschaftlichen Literatur, der offiziellen Reden und der Zeitungsberichterstattung in Nordrhein-Westfalen von 1945–1986. München [u. a.]: Saur 1986. Peter Steinbach: Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen. Ausgewählte Studien. 2. Aufl. Paderborn: Schöningh 2001. Annette Leo, Peter Reif-Spirek: Helden, Täter und Verräter. Studien zum DDR-Antifaschismus. Berlin: Metropol 1999; Annette Leo, Ralf Reif-Spirek (Hrsg.): Vielstimmiges Schweigen: Neue Studien zum DDR-Antifaschismus. Berlin: Metropol 1999. Zu den wenigen Ausnahmen zählen: Kurt Finker : Der Kreisauer Kreis aus Sicht der bisherigen DDR-Forschung. In: Huberta Engel (Hrsg.): Deutscher Widerstand – Demokratie heute. Kirche, Kreisauer Kreis, Ethik, Militär und Gewerkschaften. Bonn: Bouvier 1992, S. 179–202; Ines Reich: Erinnern und verweigern. Der 20. Juli 1944 in der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung der sowjetischen Besatzungszone und der DDR. In: Thomas Vogel (Hrsg.): Aufstand des Gewissens. Militärischer Widerstand gegen Hitler und das NS-Regime 1933–

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Exemplarisch für die Nichtbeachtung der beziehungsgeschichtlichen Dynamik der Widerstandsgeschichtsschreibung und -erinnerung ist folgende Aussage des Historikers Bernd A. Rusinek, für den das Thema Widerstand beispielhaft für die von »Konkurrenz« geprägten »Erinnerungsgeschichten beider Staaten« steht, die er schematisch zuspitzt: Die DDR hat mit den Kommunisten aktivistische Widerstandskämpfer hervorgehoben, die im Grunde schon immer Bescheid wussten, wo es lang geht. Die Bundesrepublik hat ein passivistisches Verfolgtenkollektiv [! C. E.], nämlich die Gruppe der Juden, an die Spitze gestellt. Man kann daraus ein regelrechtes Ranking der Verfolgten in Widerstandsgruppen ableiten: Die DDR hat die proletarische [! C. E.] Baum-Gruppe als Jugendwiderstand nach vorn gebracht, die Bundesrepublik die Geschwister Scholl, also Intellektuelle, Bürgerliche, die zunächst mitmachten und dann zu einer antinazistischen Position fanden.47

Rusineks nicht gerade geschickt formuliertes Resümee der Erinnerungsgeschichte beider deutschen Staaten in einem Podiumsgespräch im Zuge der Vorbereitung des NS-Dokumentationszentrums in München 2006 illustriert durch Inhalt und Äußerungskontext, wie sehr die Forschung zu diesem Gegenstand mit außerwissenschaftlichen Diskursen verbunden ist. Dies ist der Grund, warum in dieser Arbeit die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Stand der Forschung nicht wie üblich in der Einleitung, sondern in einem eigenen Kapitel (II.2) erfolgt, das wissenschaftliche Publikationen selbst als Quellen für Geschichtsdiskurse systematisch auswertet und historisiert. Die gleiche Problematik betrifft viele kulturwissenschaftliche Arbeiten zur deutschen Erinnerungskultur, die sich theoretisch oftmals an Jan und Aleida Assmann anschließen, sich im Gegensatz zu geschichtswissenschaftlichen Arbeiten aber nicht auf geschichtspolitische Diskurse beschränken, sondern auch Literatur und Medien einbeziehen.48 Die Widerstandsthematik insgesamt blieb in der sogenannten Gedächtnisforschung jedoch bisher weitgehend unberücksichtigt. Hier bildet Christine Hikels 2014 veröffentlichte historische Disserta1945. Begleitband zur Wanderausstellung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes. Hamburg [u. a.]: E.S. Mittler & Sohn 2000, S. 355–378. 46 Etwa die Beiträge in Jürgen Danyel (Hrsg.): Die geteilte Vergangenheit. Köln [u. a.]: Böhlau 1993; Das andere Deutschland. Berlin: Metropol 1994. 47 Im Gespräch: Jan Hendrik Fahlbusch, Michaela Hänke-Portscheller, Winfried Nerdinger, Bernd A. Rusinek mit Franziska Augstein. In: Der Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus. Perspektiven des Erinnerns. Dokumentation der Gesprächsreihe im Rahmen der Projektvorbereitung für ein NS-Dokumentationszentrum in München. München: Kulturreferat der Landeshauptstadt München 2007, S. 23. 48 Exemplarisch auch in der Problematik der Anwendung gedächtnistheoretischer Konzepte: Michael Braun: Wem gehört die Geschichte? Erinnerungskultur in Literatur und Film. 2. Aufl. Münster : Aschendorff 2013.

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tion49 eine positive Ausnahme, die sich durch Materialreichtum auszeichnet und sich auch methodisch von anderen gedächtnistheoretisch inspirierten Studien abhebt, indem sie an Inge Aicher-Scholls Rolle als Akteurin der Erinnerung ansetzt. Gleichwohl bleibt diese Perspektive weitgehend auf die Bundesrepublik beschränkt. Eine Untersuchung zur Rolle der Weißen Rose in der DDR bleibt somit ebenso ein Desiderat wie eine gemeinsame Betrachtung ihrer öffentlichen Erinnerung in beiden deutschen Staaten.50 Eine solche an Christoph Kleßmanns Konzept der ›asymmetrisch-verflochtenen Parallelgeschichte‹51 orientierte Forschungsperspektive wird in dieser Arbeit mit einer Literatur und Medien einbeziehenden Herangehensweise und einem Ausblick auf Entwicklungen nach 1990 verbunden. Durch diesen beziehungs- und kulturgeschichtlichen Ansatz ergeben sich auch neue Sichtweisen auf die bundesrepublikanische Erinnerungsgeschichte. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Umriss deutsch-deutscher Diskursgeschichte zur Weißen Rose zu geben, indem nach Kontexten, Funktionen und Wirkungen von Geschichtsdiskursen, den Formen und Erzählweisen der ihnen zugrundeliegenden Texte sowie Wechselwirkungen mit anderen Diskursen gefragt wird. Es soll herausgearbeitet werden, wie sich heute dominante Diskursmuster zur Weißen Rose ausgeprägt haben, die ihren fortwährenden Stellenwert in der Darstellung und Vermittlung deutscher Zeitgeschichte erklären. Hierzu werden ausgewählte historische, literarische und mediale Darstellungen mit Bezug zur Weißen Rose, die in Ost und West nach 1945 veröffentlicht wurden, analysiert. Einbezogen werden auch Texte, die vor 1945 im Exil (USA, Großbritannien und UdSSR) entstanden sind, aber die Diskurse nach 1945 beeinflusst haben. Diese komplexe Anlage der Arbeit bedeutet nicht nur deshalb den bewussten Verzicht auf einen Anspruch, die historische Diskursentwicklung für die Bundesrepublik, die DDR oder deren Beziehungen als linear darzustellen. Vielmehr zwingt gerade der beziehungsgeschichtliche Ansatz zu einer kontextorientierten Methode, um die schon im Ost-West-Vergleich unterschiedlichen Bedingungen der Entstehung, Verbreitung und Rezeption von Diskursen zu berücksichtigen.

49 Christine Hikel: Sophies Schwester. Inge Scholl und die Weiße Rose. München: Oldenbourg 2013. 50 Birgit Sack: Rezension zu Christine Hikel: Sophies Schwester. Inge Scholl und die Weiße Rose. München 2013, Internet: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013– 2–043, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 51 Christoph Kleßmann: Spaltung und Verflechtung – Ein Konzept zur integrierten Nachkriegsgeschichte 1945 bis 1990. In: Christoph Kleßmann, Peter Lautzas (Hrsg.): Teilung und Integration. Die doppelte deutsche Nachkriegsgeschichte als wissenschaftliches und didaktisches Problem. Bonn: Bundeszentrale für polit. Bildung 2005, S. 20–36.

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Methodische Überlegungen sind eine Notwendigkeit, aber auch ein Anspruch und Ziel der vorliegenden Arbeit. Dies spiegelt sich in ihrem Aufbau wider : Das folgende Kapitel II ist als Grundlagenkapitel konzipiert und verortet in einem ersten Schritt die Diskurse zur Weißen Rose in Bezug auf die Widerstandsgeschichte und ihre Vermittlung in beiden deutschen Staaten, indem anhand von Literaturberichten und Bibliografien dem Stellenwert der Weißen Rose in der Literatur zum deutschen Widerstand nachgegangen wird und Beziehungen und Tendenzen der Diskurse in Ost und West sowie Entwicklungen nach 1990 angedeutet werden. In einem zweiten Schritt werden hierauf aufbauend wissenschaftliche Untersuchungen zur Rezeption und Erinnerung der Weißen Rose analysiert und zugleich historisiert. Es werden theoretische Prämissen und methodische Probleme aufgezeigt, die in einem dritten Schritt auch in den dominanten erinnerungskulturellen Forschungsansätzen nachgewiesen werden. In Abgrenzung zu diesen wird schließlich der eigene methodische Ansatz begründet und dargelegt. Dieser besteht darin, vom Material auszugehen und Quellen ausgehend von ihren Veröffentlichungskontexten zu analysieren und ihre Rezeption miteinzubeziehen. Dieses Prinzip unterliegt der Gliederung in Quer- und Längsschnittstudien auf der Grundlage von Quellen vergleichbarer Veröffentlichungskontexte, die nicht nach ereignisgeschichtlich vorausgesetzten Phasen angeordnet sind, sondern mit Vor- und Rückgriffen zum Teil auch widersprüchliche Entwicklungen in den verschiedenen Jahrzehnten konturieren. Kapitel III analysiert schwerpunktmäßig Quellen vor der Gründung beider deutscher Staaten, Kapitel IV die Diskurse der 1950er-Jahre, Kapitel V fokussiert die 1960er- und 1970erJahre, Kapitel VI wirft Schlaglichter auf die Entwicklungen der 1980er bis 2000er-Jahre und bezieht auch Material bis Mitte der 2010er-Jahre ein: In Kapitel III wird im ersten Teil am Beispiel von Texten Thomas Manns, Johannes R. Bechers und Alfred Neumanns untersucht, wie Berichte über die Ereignisse in München 1943 im Exil literarisch verarbeitet und in der Nachkriegszeit rezipiert wurden. Im zweiten Teil werden am Beispiel von Publizistik und Gedenkveranstaltungen Formen und Funktionen öffentlichen Gedenkens in den ersten Nachkriegsjahren analysiert, wobei Gemeinsamkeiten und Unterschiede in west- und ostzonalen Kontexten festgestellt werden. Der dritte Teil widmet sich biografischen Darstellungen, Zeugnissen der letzten Tage und Stunden der Hingerichteten (Berichte von Else Gebel und Karl Alt) sowie biografischen Darstellungen von Angehörigen (Clara Huber, Angelika Probst) und Schriftstellern (Ricarda Huch und Stephan Hermlin), an die Diskurse nach der Gründung beider deutscher Staaten anknüpften. Die 1950er-Jahre bilden den zeitlichen Schwerpunkt des Kapitels IV, in dem zunächst die Entstehungsgeschichte, Erzählstrategien, die Rezeption und Änderungen in Neuauflagen von Inge Scholls Buch Die weiße Rose untersucht

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werden. Dieses Buch beeinflusste die öffentliche Erinnerung in Ost und West maßgeblich. In einem zweiten Teil wird der Rolle von Briefen, Aufzeichnungen und Zeugnissen in der Erinnerungsliteratur zum Widerstand in beiden deutschen Staaten nachgegangen, bevor im dritten Teil Funktionen und Grenzen von Fiktion in medialen und literarischen Darstellungen untersucht werden. Der Kalte Krieg bildet hierbei einen gemeinsamen Ausgangspunkt der Diskurse in DDR und Bundesrepublik, der sich auf beiden Seiten in integrativen Darstellungs- und Erzählstrategien niederschlug, die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen die Identifikation mit dem Widerstand erleichtern sollten. Kapitel V besteht aus zwei Teilen, in denen Entwicklungslinien von Diskursen in der Bundesrepublik und der DDR mit Schwerpunkt auf die 1960er- und 1970er-Jahre nachgezeichnet werden. Für die Bundesrepublik werden im ersten Teil am Beispiel des Gedenkens an der Universität München, von Filmprojekten sowie Hörspielen Veränderungsprozesse aufgezeigt, die in Christian Petrys kritischen Veröffentlichungen zur Weißen Rose kulminierten. Petrys Thesen und ihre Rezeption werden ausführlich untersucht. Auf dieser Grundlage erfolgt ein Überblick über Entwicklungen der populärwissenschaftlichen und pädagogischen Vermittlung der Widerstandsgeschichte sowie eine Analyse des ZDFFernsehspiels Der Pedell. An diesem Material wird gezeigt, wie die Weiße Rose auch in den 1970er-Jahren in die Widerstandserinnerung eingebettet blieb und sich bereits seit Mitte der 1960er-Jahre Diskursmuster abzeichneten, die sich dann ab den 1980er-Jahren fest etablierten. Im zweiten Teil des Kapitels werden verschiedene Ebenen und Konjunkturen der öffentlichen Erinnerung an die Weiße Rose in der DDR und ihre Bezüge zu Diskursen in der Bundesrepublik aufgezeigt. Als Beispiele dienen das von der FDJ getragene Geschwister-Scholl-Gedenken an der Universität Jena, Publikationen des Historikers Karl-Heinz Jahnke, ein Filmprojekt Franz Fühmanns, die im Union-Verlag der CDU erschienene Dokumentation Wir schweigen nicht des Historikers Klaus Drobisch, Pressediskurse und Veröffentlichungen der Evangelischen Verlagsanstalt. Hieran werden zielgruppenspezifische Funktionen von Publikationen zur Weißen Rose und ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre die besondere Relevanz der Adressierung christlich-bürgerlicher Zielgruppen deutlich. Hingewiesen wird auf die Erinnerung der Weißen Rose im kirchlichen Bereich, die nicht ohne Wechselwirkung mit staats- und parteioffiziellen Diskursen blieb. Die grob mit den Schlagworten Pluralisierung, Institutionalisierung, Didaktisierung und Nationalisierung zu charakterisierenden Entwicklungen der öffentlichen Erinnerung an die Weiße Rose in der Bundesrepublik der 1980erJahre und nach 1990 werden in Kapitel VI anhand der Beziehungen zwischen privaten, öffentlichen und offiziellen Diskursen umrissen. Am Beispiel von Willi Grafs Schwester Anneliese Knoop-Graf wird herausgearbeitet, wie sich ab den

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1980er-Jahren die Rolle von Zeitzeugen der Weißen Rose veränderte. Daran anschließend werden am Beispiel des Willi-Graf-Gedenkens der Stadt Saarbrücken und der Gedächtnisvorlesungen an der Münchener Universität Tendenzen einer Institutionalisierung und Offizialisierung des Gedenkens nachgezeichnet und politische Deutungsmuster der ab 1993 zu den ›runden‹ Gedenktagen gehaltenen Reden der Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, Johannes Rau und Joachim Gauck untersucht. In der abschließenden Zusammenfassung in Kapitel VII werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengeführt und zu Thesen verdichtet. Gerade weil die Arbeit zum Teil bisher wenig bekanntes, zuweilen schwer zugängliches Material zur Grundlage hat, wird dieses in den einzelnen Kapiteln ausführlich vorgestellt, damit Analysen und Schlussfolgerungen an den Texten nachvollziehbar sind. Einige besonders relevante, bisher nicht veröffentlichte Quellen sind im Anhang (IX) dokumentiert.

II

Die Geschichte der Geschichte der Weißen Rose

II.1

Die Weiße Rose in Literaturberichten zum deutschen Widerstand

II.1.1 Frühe Konzepte von Widerstand und Widerstandsliteratur Nicht erst Mitte der 1970er-Jahre sehen sich Bibliografen mit einer »kaum noch überblickbare[n] Fülle«52 von Literatur und Quellen zum deutschen Widerstand konfrontiert. Schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit wird in Literaturberichten ein »sehr reichhaltige[s] Schrifttum«53 oder »eine Unmasse von Literatur über den Widerstand« konstatiert und sogar von einer »Widerstandsliteratur« gesprochen.54 Und 1953 befindet Werner Conze: »Diese Literatur hat selbst schon ihre Geschichte«.55 Bereits die vier für die Zeit bis 1949 vorliegenden Zusammenstellungen und Auswertungen von Publikationen zum Thema unterscheiden sich untereinander hinsichtlich ihrer Entstehungskontexte und Zielsetzungen. Der 1947 im Stuttgarter Reclam-Verlag erschienene und von Friedrich Siegmund-Schulze im Auftrag der Württembergischen Bibliotheksgesellschaft besorgte Literaturbericht betrachtet die »deutsche Widerstandsbewegung im Spiegel der ausländischen Literatur«, was darauf verweist, dass ein Großteil der Texte über den Widerstand bis dahin nicht in Deutschland, sondern in Kontexten des Exils erschien bzw. auch nach 1945 aufgrund der Publikationsbedingungen der Besatzungszeit zunächst im 52 Regine Büchel: Der deutsche Widerstand im Spiegel von Fachliteratur und Publizistik seit 1945. München: Bernard & Graefe 1975, S. 1. 53 Edgar Salin: Die Tragödie der deutschen Gegenrevolution. Bemerkungen über den Quellenwert der bisherigen Widerstandsliteratur. In: ZRGG 1 (1948), Nr. 3, S. 193–206, S. 194. 54 Franz Ahrens: Widerstandsliteratur. Ein Querschnitt durch die Literatur über die Verfolgungen und den Widerstand im Dritten Reich. Herausgegeben vom Rat der VVN, Hamburg. Hamburg: Persiehl 1948, S. 7. 55 Werner Conze: Literaturbericht über die deutsche Opposition gegen Hitler. In: Politische Literatur 5/6 (1953), S. 210–212, S. 210.

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Die Geschichte der Geschichte der Weißen Rose

Ausland verlegt wurde.56 Als Ziel formuliert Siegmund-Schulze, der auf seine Beziehung zum Goerdeler-Kreis und dessen Bedeutung für Stuttgart hinweist, durch eine Auswahl geeigneter Literatur die »deutsche Widerstandsbewegung« in Deutschland bekannter zu machen, um eine »innere Neugestaltung aus ewigen Kräften« vor allem durch die »junge[..] Generation« zu befördern.57 Edgar Salins in der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte publizierte Bemerkungen zum »Quellenwert der bisherigen Widerstandsliteratur« adressieren spezieller die »geistesgeschichtliche Forschung«, mit dem Ziel, eine »Urteilsbildung« in Deutschland zu ermöglichen.58 Dezidiert an Historiker richtet sich die 1949 in der Historischen Zeitschrift erschienene »kritische Literaturübersicht« des Historikers Paul Kluke, die auf einen Vortrag zurückgeht, »der bereits im September 1947 vor einem Kreis von Berliner Historikern gehalten wurde, um Forschungsprobleme aufzuzeigen«.59 Die 1948 vom Rat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Hamburg herausgegebene, von Franz Ahrens besorgte Zusammenstellung weist der aus »persönlich gehaltene[r] Berichterstattung«, »Dokumentarberichten« und »Versuch[en] einer dichterischen Gestaltung« bestehenden »Widerstandsliteratur« vielfältige Funktionen zu: Sie sei geeignet, »Aufklärung unter der Bevölkerung« zu schaffen, fungiere »als ewig neue Kraftquelle für jene leidgezeichneten Opfer, die ihr Schicksal darin widergespiegelt finden«, diene Richtern als »Quell zur Gewinnung eines Urteils«, Lehrern und Erziehern zur »Bildung und Vermittlung eines neuen Geschichtsbildes der ungeteilten, kämpferischen Humanität« und nicht zuletzt der Forschung.60 Aus den verschiedenen Kontexten und Zielsetzungen heraus ergeben sich verschiedene Definitionen und Bewertungen des Widerstands, die unterschiedliche Auswahl- und Wertungsmaßstäbe in Bezug auf die besprochene Literatur ergeben. Auffällig ist, dass der Weißen Rose nur in den primär auf die breitere Bekanntmachung des Widerstands zielenden und nicht in den an die Wissenschaft adressierten Berichten Relevanz zugeschrieben wird. Siegmund-Schulze zufolge diente Widerstand dem Ziel der »Ermöglichung eines Friedens zwischen einer durch die Wehrmacht gestützten Opposition und den Feinden des Dritten Reiches«, was den Fokus auf den 20. Juli 1944, aber auch die Einbeziehung der Exilpublizistik und -literatur in den USA und Großbritannien sowie die Hervorhebung der »Münchener Studentenbewegung um die 56 Friedrich Siegmund-Schulze: Die deutsche Widerstandsbewegung im Spiegel der ausländischen Literatur. Stuttgart: Reclam 1947. 57 Ebd., S. 3–4. 58 Salin, Anm. 53, S. 193. 59 Paul Kluke: Der deutsche Widerstand. Eine kritische Literaturübersicht. In: Historische Zeitschrift 169 (1949), Nr. 1, S. 131–161, S. 136. 60 Ahrens, Anm. 54, S. 6–7. Für Richter und Erzieher besonders geeignete Titel sind mit »R« bzw. »E« markiert; im Anhang wird ein Vorschlag für eine Kernbibliothek präsentiert.

Die Weiße Rose in Literaturberichten zum deutschen Widerstand

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Geschwister Scholl« erklärt.61 Diese sei die »Gruppe der deutschen Widerstandsbewegung«, der im Ausland die »stärkste Sympathie« entgegengebracht werde.62 Als Beitrag zur »Versöhnung zwischen Deutschland und England« wird William Bayles Roman Seven were hanged erwähnt,63 der in Deutschland nicht publiziert wurde. Alfred Neumanns Roman Es waren ihrer sechs wird zwar eine »außerordentliche, weite Wirkung« bescheinigt, er sei jedoch ein »leichtsinniges Stück Geschichtsschreibung«, wenn er auch »mögliche Motive der deutschen Widerstandsbewegung dem Lesepublikum des Auslands vor Augen« führe.64 Ahrens subsummiert unter ›Widerstandsliteratur‹ »sowohl die Literatur über die Konzentrationslager […] als auch die Bücher, die nur den eigentlichen Widerstandskampf schildern« und fasst Widerstand als »Kampf einzelner Menschen und Gruppen« sehr weit auf.65 Die Verbindung von Widerstand und Verfolgung unter Einschluss jüdischer Verfolgter, die auch das gliedernde Prinzip des Katalogs der Wiener Library in London bildet,66 bleibt bis Ende der 1950er-Jahre in deutschen Bibliografien und Darstellungen zum Widerstand die Ausnahme. Den Angaben zu »Literatur über Konzentrationslager und Haftanstalten« gehen Listen mit Titeln zu einem stark ausdifferenzierten Spektrum von »Widerstandsgruppen« voraus.67 Das von Clara Huber herausgegebene Gedenkbuch an Kurt Huber fungiert als einziger Titel unter »Bürgertum«; weitere Quellen zur Weißen Rose sind unter »Jugend« rubriziert: Romano Guardinis Rede Die Waage des Daseins, der Bericht Todeskandidaten des Gefängnispfarrers Karl Alt und Alfred Neumanns Roman, der als »Buch für die Jugend in schlichter, überzeugender Sprache« für Erziehungszwecke empfohlen wird.68 Die Auswahlkriterien im wissenschaftlichen Kontext sind enger. Literarische 61 62 63 64 65

Siegmund-Schulze, Anm. 56, S. 28. Ebd., S. 28. Ebd., S. 29. Ebd., S. 29. Ahrens, Anm. 54, S. 7. Zu Ahrens Konzept der ›Widerstandsliteratur‹ im Kontext der Hamburger Literaturverhältnisse siehe Helmut Peitsch: Ein Konzept von »Widerstandsliteratur« in der Nachkriegszeit. Franz Ahrens und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. In: Melanie Mergler, Hans-Ulrich Wagner, Hans-Gerd Winter (Hrsg.): »Hamburg, das ist mehr als ein Haufen Steine«. Das kulturelle Feld in der Metropolregion Hamburg 1945–1955. Dresden: Thielem 2014, S. 134–149. 66 Books on persecution, terror and resistance in Nazi Germany. London: The Wiener Library 1949, Mitchell Vallentine: Persecution and Resistance under the Nazis. 3. Aufl. London: The Wiener Library 1960. Die zu Forschungszwecken eingerichtete Sammlung der Wiener Library berücksichtigt die Weiße Rose mit einer eigenen Rubrik. Zur Entstehungsgeschichte der Wiener Library und ihres Katalogs siehe auch C. C. Aronsfeld: Opposition und Nonkonformismus: Nach den Quellen der Wiener Library. In: Forschungsinstitut der FriedrichEbert-Stiftung (Hrsg.): Stand und Problematik der Erforschung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Bad Godesberg: Friedrich-Ebert-Stiftung 1965, S. 68–83. 67 Siehe Inhaltsverzeichnis in Ahrens, Anm. 54, S. 47. 68 Ahrens, Anm. 54, S. 16.

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Die Geschichte der Geschichte der Weißen Rose

Texte werden nicht einbezogen, als »reine Quellen« werden vor allem »unmittelbare Zeugnisse der Widerstandskämpfer selbst«69 und mit Einschränkungen »spätere persönliche[…] Erinnerungen« gesehen.70 Widerstand wird instrumentell unter der Voraussetzung der Möglichkeit eines Umsturzes definiert. Für Salin setzt Widerstand als »Aufgabe von herkulischer Schwere« »einheitliche Führung« und »Handhabe über die Wehrmacht« voraus71, für Kluke »gegensätzliche[…] Weltanschauung«, »politische[…] Gruppenbildung« und damit »verbundenen Einsatz zur gewaltsamen Beseitigung des Nationalsozialismus«; »Unzufriedene«, »leidende Opfer« und das »Märtyrertum der Kirche« schließt er explizit aus.72 Obwohl die kommunistische und sozialistische Arbeiterbewegung sowie die Gewerkschaften somit vordergründig inkludiert werden, referiert auch Kluke vor allem Quellen zum 20. Juli 1944 und zum Kreisauer Kreis. Er konstatiert eine aktuelle innenpolitische Relevanz in parteipolitischen Auffassungen zum 20. Juli 1944, dessen Würdigung er zum Maßstab erhebt, und eine »erneute Legendenbildung und starre politische Schematisierung des Gegenstands«.73 Aufgabe und Herausforderung von Historikern sei es daher, ihr »wahrheitssuchendes Schifflein durch alle Klippen vorgefaßter Urteile hindurchsteuern zu können«.74 Die bei Kluke deutlich werdende Verbindung zwischen einem objektiven Wahrheits-, aber dennoch politischen Wirkungsanspruch von Historikern einerseits und dem Fokus auf den mit den Bezeichnungen 20. Juli 1944 und Kreisauer Kreis umschriebenen Widerstandskomplex andererseits wird nach 1949 zu einem typischen Muster bundesrepublikanischer Geschichtsforschung. Während Ahrens Konzeption der Widerstandsliteratur strategisch auf die allmähliche Auflösung des antifaschistischen Konsenses in den Westzonen reagiert,75 trägt Kluke zur Vorbereitung des antitotalitären Konsenses in der Bundesrepublik bei.

II.1.2 Antagonismus, Korrespondenz und Differenzierung der Widerstandsgeschichtsschreibung im deutsch-deutschen Kontext Nach Gründung der Bundesrepublik erhält die Weiße Rose zwar weiterhin keine Relevanz in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung,76 wohl aber in Bil69 70 71 72 73 74 75 76

Kluke, Anm. 59, S. 140. Ebd., S. 146. Salin, Anm. 53, S. 196–197. Kluke, Anm. 59, S. 139–140. Ebd., S. 137. Ebd., S. 139. Siehe Peitsch, Anm. 65, S. 149. Bspw. Max Braubach: Der Weg zum 20. Juli 1944. Ein Forschungsbericht. Köln, Opladen:

Die Weiße Rose in Literaturberichten zum deutschen Widerstand

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dungs- und Vermittlungskontexten. Der Historiker Werner Conze berichtet 1953 in der im Bollwerk-Verlag erschienenen Zeitschrift Politische Literatur, die mit einem Anspruch politischer Bildung die interessierte Öffentlichkeit adressierte, zur aktuellen Literatur über »die deutsche Opposition gegen Hitler«.77 Widerstand bezeichnet er als »Gegenwartsanliegen« und »eine der geschichtlichen Hauptfragen«, die »das deutsche Bewußtsein« zerreiße, aber auch »zur Reinigung« beitragen könne: Im »neuere[n] Schrifttum zu diesem Problemkreis« sei »eine beginnende innere Bewältigung […] erkennbar«.78 Die Verbindung von ›Bewältigung‹ und Kaltem Krieg wird explizit in der Diskreditierung des Widerstands von Kommunisten »aufgrund der Tatsache, daß diese für ein ›totalitäres‹ System von sehr viel wirksamerer Engmaschigkeit kämpften, als Hitlers ›SS-Staat‹ jemals hat erreichen können«.79 Es sei nun auf Hans Rothfels’ Erkenntnis des »spezifische[n] Problem[s] des Widerstandes in einem totalitären Staat« aufzubauen und der Widerstandsbegriff »so eng zu begrenzen, daß er in erster Linie nur diejenigen umfasst, denen das Ziel eines deutschen Staatsaufbaues mit der Wiederherstellung von Recht und Freiheit zusammenfiel«.80 Conze bespricht Publikationen zum »Kirchenkampf« »als eines der größten Kapitel des Widerstandes« und anschließend zum 20. Juli 1944, widmet sich jedoch an erster Stelle der »Tragödie der Geschwister Scholl«, die in der »Geschichte der deutschen Widerstandsbewegung« einen »besonderen Platz« einnehme, »weil hier, im Ansatz abseits von aller Politik […] die jugendliche Tat reiner Gesinnung und unmittelbarer Empörung herauswuchs«.81 Hierbei geht er auf Inge Scholls Buch Die weiße Rose ein, aus dem »unmittelbar« der »Geist der jungen Studenten« spreche, und in dem ihre »christliche Besinnung und das Erbe […] der deutschen Jugendbewegung lebendig erscheint«.82 Die Weiße Rose wird damit der Sphäre des Politischen enthoben – eine Tendenz, die sich nicht auf konservative Kreise beschränkt. Im Gegensatz zu Conze kritisiert der Pädagoge Erich Weniger in der stark an Erziehungsfragen ausgerichteten Zeitschrift Die Sammlung die »höchst unerfreuliche Tendenz«, »von der gegenwärtigen politischen Situation und Perspektive aus jeweils nur Teile der Widerstandsbewegung anzuerkennen, um die anderen um so [sic] gründlicher zu diffamieren« und fordert vor diesem Hintergrund die Würdigung der

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Westdeutscher Verlag 1953; Max Braubach: Von Hitlern und seinen Gegnern. Ein Bericht über neue Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte. In: Historisches Jahrbuch 90 (1968), Nr. 1, S. 102–107. Conze, Anm. 55, S. 210. Ebd. Ebd., S. 211. Ebd., S. 211–212. Ebd., S. 212. Ebd., S. 212–213.

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Die Geschichte der Geschichte der Weißen Rose

»linkspolitischen Opposition« und der Roten Kapelle.83 Dem 20. Juli 1944 schreibt er im Zusammenhang mit dem Remer-Prozess, der Debatte um das Widerstandsrecht sowie um den soldatischen Eid im Zuge der ›Wiederbewaffnung‹ politische Relevanz zu,84 sieht die eigentliche Bedeutung des Themas Widerstand jedoch nicht in tagespolitischen Fragen, sondern in »sittliche[n] und religiöse[n] Entscheidungen«, wie sie Berichte, Lebensbilder und Zeugnisse durch »Lebensnähe« und »Eindringlichkeit« verdeutlichten.85 Für Weniger gehören sie daher »zu einer neuen politischen Klassik«, auf der sich »frei von aller Heldenverehrung, schon so etwas wie eine neue Bildung aufbauen ließe«.86 Hierzu wird auch Inge Scholls Buch Die weiße Rose gezählt, dem Weniger in einer vorherigen Ausgabe eine eigene Besprechung widmete.87 Dass sich dieses entpolitisierende Muster bereits im Laufe der 1950er-Jahre wandelt, zeigen geschichtsdidaktische Besprechungen von Literatur zum deutschen Widerstand, die Walter Schmitthenner in der Zeitschrift Geschichte in Wissenschaft und Unterricht des Verbandes der Geschichtslehrer zwischen 1952 und 1961 veröffentlichte. Analog zu Weniger sieht er in seinem ersten Aufsatz zum Thema die »Überlieferungswerte« des Widerstands als »zentrale Frage des deutschen geschichtlichen Selbstverständnisses« in Gefahr, »in der Mühle der innerdeutschen Tagespolitik […] zerrieben zu werden«.88 Die Behandlung des Themas müsse auf ein »Gegenwartsverständnis« und über die »Vermittlung von Tatsachenkenntnissen« auf eine »Hinführung an moralische Entscheidungen« zielen.89 Hierzu fordert er, ähnlich wie Weniger, »eine Sammlung der wichtigsten […] Zeugnisse zusammen mit kurzen biographischen Daten und sachlichen Erklärungen«, welche »Stücke wie die Flugblätter und Aufrufe der Geschwister Scholl […], wichtige Papiere aus Gördelers Nachlaß, einige der Verteidigungsreden (z. B. von Professor Huber), einige der ergreifenden schlichten Abschiedsgedichte und, nicht zu vergessen, gute Porträts der Haupt-Persönlichkeiten« enthalten müsste.90 Auch wenn Schmitthenner die Weiße Rose zentral setzt, fällt ihm ihre Einordnung in seine »der zeitlichen Folge entsprechende« Systematik der »Gruppen und Kreise« schwer, die sich in »Sozialisten und Gewerkschaftsführer«, »die 83 Erich Weniger : Neue Literatur zur deutschen Widerstandsbewegung. In: Die Sammlung 9 (1954), Nr. 5, S. 403–411, S. 403. 84 Ebd., S. 404. 85 Ebd., S. 409. 86 Ebd., S. 411. 87 Erich Weniger: Die weiße Rose. In: Die Sammlung 8 (1953), Nr. 4, S. 161–166. 88 Walter Schmitthenner : Die deutsche Widerstandsbewegung gegen Hitler. Überlegungen zu ihrer Behandlung im Unterricht. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 3 (1952), Nr. 8, S. 462–479, S. 463. 89 Ebd. 90 Ebd., S. 464–465.

Die Weiße Rose in Literaturberichten zum deutschen Widerstand

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Kirchen«, die »sogenannten bürgerlichen Politiker« und die »Generäle« gliedert, aus denen sich der Kreisauer Kreis und die »eigentliche, zum 20. Juli führende Verschwörung« speisten: Die Geschwister Scholl und ihr Kreis seien eben nicht mit diesen Gruppen verbunden und würden »angesichts ihrer nur geistigen, sich keiner irgendwelchen politischen Technik bedienenden Erhebung« auch als »Lyriker der Politik« bezeichnet werden.91 1954 betont und begründet Schmitthenner in einem Literaturbericht in gleicher Weise die »einmalige Stellung« der Weißen Rose und setzt bei seinen Lesern die Kenntnis des »tagebuchartige[n], mit schönen ganzseitigen Bildern bereicherte[n] Werks« Inge Scholls und der »schmerzlich vertraute[n] Geschichte« ihrer Geschwister voraus, die »etwas Befreiendes, Erlösendes für den Rückblickenden« an sich habe: »Manche Gleichaltrige, deren Geschick oder Charakter ein ähnliches Zeugnis-Ablegen versagte, mögen in den Geschwistern Scholl und ihren Freunden sich stellvertretend entsühnt gefunden haben.«92 Auch der Ausschluss der kommunistischen Widerstandskämpfer aus der Behandlung im Unterricht, die »ihren Widerstand nicht auf Grund deutscher, sondern sowjetrussischer politischer Zielsetzungen« unternahmen, setzt sich zunächst fort.93 Dem unterliegt die Prämisse einer »Untrennbarkeit von politischer und moralischer Begründung«, die auch die »Abgrenzung zwischen politischem (aktiven) und humanen (passiven) Widerstand […] im Grunde hinfällig werden lässt«.94 In den Berichten von 1958 und 1961 wird dagegen der Konnex von Verfolgung und Widerstand nicht nur titelgebend, sondern auch durch die Besprechung von Monografien zum NSTerrorsystem und zur Judenverfolgung explizit.95 Einbezogen werden nun auch DDR-Titel, darunter Walter A. Schmidts Quellenwerk Damit Deutschland lebe, das ob des Ausschlusses des 20. Juli 1944 und der Vernachlässigung der Weißen Rose und des kirchlichen Widerstands kritisiert wird, aber »neue Aufschlüsse über den Mut, Idealismus und Leidensfähigkeit deutscher Kommunisten« angesichts ihrer Rolle in den Konzentrationslagern erlaube.96 Zwar seien DDRPublikationen auf die »östliche Ideologie fixiert«, jedoch müsse »umgekehrt« 91 Ebd., S. 467–468. 92 Walter Schmitthenner : Literaturberichte. Der deutsche Widerstand gegen Hitler. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 5 (1954), Nr. 6, S. 440–442, S. 442. 93 Walter Schmitthenner : Materialien zum deutschen Widerstand. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 5 (1954), Nr. 1, S. 58–60, S. 59. 94 Schmitthenner, Anm. 88, S. 478. Dies wird auch daran festgemacht, dass die »Juden als das Objekt der grausamsten Verfolgung […] oftmals erster und meist hauptsächlicher Anlaß für mutige Hilfe« waren. 95 Walter Schmitthenner: Literaturbericht. Zeitgeschichte – Verfolgung und Widerstand. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 12 (1961), Nr. 8, S. 516–529. Dieser Konnex findet sich auch in weiteren Berichten (bspw. Gerhard Grimm: Hitlers Gegner an der inneren Front. In: Politische Studien 17 (1966), Nr. 167, S. 355–361). 96 Walter Schmitthenner: Literaturberichte. Zeitgeschichte: Verfolgung und Widerstand 1933– 1945. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 10 (1959), Nr. 5, S. 317–321, S. 319.

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die Darstellung W. F. Flickes zur Roten Kapelle als »im Dienst einer unkontrollierbaren Vereinfachung der politischen Zusammenhänge vom Westen her stehend gekennzeichnet werden«.97 Die eingeschränkte Würdigung »sozialistische[r] Widerstandsgruppen«, kritische Rezeption von DDR-Publikationen und die Beibehaltung der These von der Unmöglichkeit eines Umsturzes »ohne die Waffenträger«98 bei gleichzeitiger Pauschalisierung kirchlichen Widerstands zum »Kirchenkampf«99 wirkt in der politischen Bildung fort und zeigt sich auch in Thilo Vogelsangs 1965 in den APuZ-Heften erschienenen Ausführungen zur »zeitgeschichtlichen Darstellung« der Widerstandsbewegung, in denen die Weiße Rose als »Beispiel« für einen unpolitischen Widerstand »›vom Geiste her‹, ja vielleicht sogar ›von der Seele her‹« fungiert, welcher »nur in der Gewißheit christlichen Glaubens« möglich gewesen sei.100 Die starke Betonung des christlichen Moments erlaubt auch, über die Zugehörigkeit Hans Scholls und Willi Grafs zur bündischen Jugend die Verbindung zum Jugendwiderstand zu ziehen und hier die Wirksamkeit »konfessionell orientierter Gruppen« im Gegensatz zu den »Resten der Arbeiterjugend« zu betonen.101 Die Verbindung von Geschichtswissenschaft und der erzieherischen Vermittlung von Geschichte wird in der DDR insbesondere beim Thema des ›antifaschistischen Widerstandskampfes‹ von Partei und Staat explizit vorgegeben. So nimmt der 1960 in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft veröffentlichte Bericht Heinz Schumanns und Wilhelm Wehlings zur Literatur über Probleme der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung den Beschluss des Politbüros des ZK der SED »zur Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft« zum Ausgangspunkt und Maßstab seiner Bewertungen. Dieser verweist darauf, »daß angesichts der führenden Rolle der Arbeiterklasse im nationalen Befreiungskampf die Erforschung und Darstellung der revolutionären Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung, besonders der Partei der deutschen Arbeiterklasse, von erstrangiger Bedeutung« sei, da sie »für die Lösung unserer gegenwärtigen Aufgaben wichtige Lehren vermitteln«.102 Die »wissenschaftliche Erforschung und Darstellung der antifaschistischen Widerstandsbewegung« wird angesichts der »skrupellos[en]« Verfälschungen »reak97 Ebd., S. 320. 98 Thilo Vogelsang: Die Widerstandsbewegung und ihre Problematik in der zeitgeschichtlichen Darstellung. In: APuZ (1965), Nr. 28, S. 12–24, S. 15. 99 Ebd., S. 22. 100 Ebd., S. 21. 101 Ebd., S. 21–22. 102 Heinz Schumann, Wilhelm Wehling: Literatur über Probleme der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung. In: Historische Forschungen in der DDR 1 (1960), S. 381– 403, S. 381.

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tionäre[r]« westdeutscher »Historiker, Politiker und Publizisten« als »wichtige Tat im Kampf um die Erhaltung des Friedens« und als »Beitrag zur patriotischen Erziehung unseres Volkes« bezeichnet.103 Dabei wird vorausgesetzt, dass in der DDR »das Vermächtnis der Kämpfer gegen die faschistische Barbarei erfüllt [wurde und wird]«104 und auch, dass die in der DDR veröffentlichten Arbeiten »von der historischen Wahrheit aus[gehen]«.105 Dies betrifft die Rolle der KPD, deren Mitglieder »die tapfersten und opferbereitesten Söhne und Töchter der deutschen Nation« darstellten.106 Als »Vorbild und Beispiel für alle anderen patriotischen Kräfte unseres Volkes« gaben diese dem Widerstandskampf »Ziel und Richtung«.107 Den Überlebenden wird auch die Autorität über die Geschichtsschreibung zugesprochen, wenn als bedeutendste historische Arbeiten Reden und Aufsätze Wilhelm Piecks und Walter Ulbrichts neben Untersuchungen und Quellensammlungen hervorgehoben werden.108 Die Gleichrangigkeit von »Forschung und Lehre« zeigt sich auch, wenn Walter Bartel 1959 in den Internationalen Heften der Widerstandsbewegung die Wichtigkeit der Geschichte des Widerstandskampfes für die »Erziehung der Jugend und des ganzen Volkes im Geiste der Ehrfurcht vor den antifaschistischen Widerstandskämpfern und den Opfern des barbarischen Naziregimes« betont, die »in vielgestaltiger Form mit Publikationen in Zeitungen, Zeitschriften, Illustrierten, in Borschüren und Büchern, durch Filme, Theater, Rundfunk und Fernsehen« geleistet wurde.109 Auch wenn in den Literaturberichten bis 1965 keine Literatur zur Weißen Rose besprochen wird, werden die Geschwister Scholl in einer Reihe etwa mit Ernst Thälmann, Karl von Ossietzky oder Rudolf Breitscheid als Beispiel für die »Märtyrer[…] des antifaschistischen Widerstandskampfes« genannt, in denen die »deutsche Jugend ihre großen Vorbilder« erblicke.110 Obwohl die Weiße Rose zu diesem Zeitpunkt kein Gegenstand der Geschichtsforschung in der DDR ist, erscheint sie hier in Gestalt der Geschwister Scholl – im Gegensatz zu Personen des 20. Juli 1944 oder des Kreisauer Kreises – als unbestrittener Teil eines Personenkanons antifaschisti103 104 105 106 107 108 109

Ebd. Ebd., S. 382. Ebd., S. 393. Ebd., S. 383–384. Ebd., S. 384. Ebd. Walter Bartel: Lehre und Forschung über den antifaschistischen Widerstandskampf in der DDR. In: Internationale Hefte der Widerstandsbewegung 1 (1959), S. 34–39, S. 34. Vgl. im gleichen Heft den Beitrag zur Bundesrepublik: Wolfgang Abendroth: Forschungen über die Widerstandsbewegung in der Deutschen Bundesrepublik. In: Internationale Hefte der Widerstandsbewegung 1 (1959), S. 62–64. 110 Walter Bartel: Über Faschismus und Widerstand. In: Internationale Hefte der Widerstandsbewegung 2 (1960), S. 140–144, S. 144.

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Die Geschichte der Geschichte der Weißen Rose

scher Widerstandskämpfer. Damit sind Namen gemeint, die regelmäßig in offiziellen Diskursen als repräsentative Beispiele des Widerstands genannt werden. Der Stellenwert der Weißen Rose bzw. der Geschwister Scholl wird auch in der DDR weniger im Kontext der Geschichtsforschung als in dem der Geschichtsvermittlung deutlich. Ein Beispiel hierfür stellt eine von der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften »Fritz Heckert« 1963 zusammengestellte Auswahl von Belletristik und Sachliteratur über die Zeit des Faschismus und den Widerstandskampf in Deutschland und den okkupierten Ländern dar, die als Arbeitshilfe für Bibliotheken veröffentlicht wurde. Die kommentierte Bibliografie sieht sich veranlasst durch die »oft nur annähernde[n] Vorstellungen von der furchtbaren Zeit des Faschismus und seinem zutiefst inhumanen Wesen« gerade bei »jüngeren Studenten [der] Hochschule«.111 Die Einbeziehung von Belletristik solle dazu beitragen, »den Geschichtsunterricht bildhafter zu gestalten«.112 In den kommentierten Literaturangaben wird der »im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Hans und Sophie Scholl« stehende Roman über das »aufrechte Leben eines Arbeiterjungen« Auch in jener Nacht brannten die Lichter von Curt Letsche neben Alfred Neumanns Roman besonders hervorgehoben. Der 1959 im antifaschistischen, von der DDR finanziell unterstützten Röderberg-Verlag in der Bundesrepublik erschienene Versuch eines kritischen Literaturberichts von Heinz Brüdigam unter dem Titel Wahrheit und Fälschung. Das Dritte Reich und seine Gegner stellt schon angesichts seines Veröffentlichungskontexts ein weiteres Beispiel für Antagonismus und zugleich zunehmende Korrespondenz der Widerstandsgeschichtsschreibung in Ost und West dar. Mit der Bibliothek des Widerstands möchte der Verlag einen »Beitrag […] zur Geschichte des deutschen Widerstands gegen den Nationalsozialismus« leisten, der sich »nicht in den Geschehnissen des 20. Juli 1944 und in den Taten der Geschwister Scholl und ihrer Freunde [erschöpft]«.113 Brüdigams an »den politischen Zeitgenossen« und »den Publizisten« adressierte Bericht über Literatur aus Bundesrepublik und DDR über »das ›Dritte Reich‹ und seine Kehrseite, die deutsche Widerstandsbewegung« (diese Antonymie setzt sich im Röderberg-

111 A. Kroh (Verantw.): Faschismus und Widerstand. Eine Literaturauswahl. Belletristik und Sachliteratur über die Zeit des Faschismus und den Widerstandskampf in Deutschland und den okkupierten Ländern. Deutschsprachige Veröffentlichungen, die nach 1945 auf dem Gebiet der DDR erschienen sind. Stichtag: 31. Dezember 1962. Zusammengestellt von den Mitarbeitern der Bibliothek der Hochschule der Deutschen Gewerkschaften »Fritz Heckert« Bernau 1963, Vorwort. 112 Ebd. 113 Heinz Brüdigam: Wahrheit und Fälschung. Das Dritte Reich und seine Gegner in der Literatur seit 1945. Versuch eines kritischen Überblicks. Frankfurt a. M: Röderberg 1959, Klappentext.

Die Weiße Rose in Literaturberichten zum deutschen Widerstand

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Verlag in der Folge als »Faschismus und Widerstand« fort114) konstatiert »eine Akzentverschiebung in Richtung 20. Juli 1944 […], die man, ohne zu übertreiben, mit dem harten Wort Fälschung belegen kann«115. Diese wird durch Restauration und Antikommunismus erklärt. Besprochen wird der »Widerstand der Arbeiterorganisationen«, »christlicher Widerstand«, »Jugend im Widerstand«, die Rote Kapelle, das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD), der 20. Juli 1944 sowie »Widerstand hinter Stacheldraht«.116 Während insgesamt eine kritische Perspektive auf den 20. Juli 1944 ein- und eine Differenzierung der Protagonisten hinsichtlich ihrer Zukunftsvorstellungen vorgenommen wird, bleibt der Stellenwert der Weißen Rose als der »bekannteste[n] Aktion« der Jugend unbestritten.117 Referenz bleibt auch hier das als »schlichtes Denkmal« bezeichnete Buch von Inge Scholl.118 Die hier deutlich werdende Kritik an der Darstellung und Erinnerung des Widerstands in der Bundesrepublik beschränkt sich in den 1960er-Jahren nicht auf DDR-affine Kontexte wie den Röderberg-Verlag. Die Fokussierung auf den 20. Juli 1944 auf der einen Seite und auf den kommunistischen Widerstand auf der anderen führt in beiden Staaten paradoxerweise zu Pluralisierungstendenzen in der geschichtswissenschaftlichen Forschung und einer Erweiterung des jeweiligen Kanons der Widerstandsvermittlung. In einer 1960 vom Institut für Marxismus-Leninismus erstellten Literaturübersicht der in der DDR und in Westdeutschland erschienen Veröffentlichungen zur Geschichte des zweiten Weltkrieges wird die Aufgabe der Geschichtswissenschaft auf zweifache Weise mit »politischen Erfordernissen«119 verbunden, nämlich der Bestätigung parteioffizieller und der Zurückweisung westdeutscher Positionen. In Bezug auf den antifaschistischen Widerstand bedeutet dies einerseits, den »Nachweis« zu führen, dass dieser »vor allem Arbeiter, aber auch Menschen aller anderen Bevölkerungsschichten erfaßte und von der KPD mit dem klaren Ziel der Mobilisierung aller Hitlergegner […] geführt wurde«120 und andererseits die »Entlarvung der Verschwörung vom 20. Juli«.121 Günther Weisenborns lautlosen Aufstand als »[w]ohltuend[e]« Ausnahme zitierend, wird die »Haupttendenz der reaktionären westdeutschen Geschichtsschreibung« darin 114 Bspw. Ursel Hochmuth: Faschismus und Widerstand 1933–1945. Ein Literaturverzeichnis. Frankfurt a. M.: Röderberg 1973. 115 Brüdigam, Anm. 113, S. 7. 116 Ebd., Kapitelüberschriften. 117 Ebd., S. 55–56. 118 Ebd., S. 56. 119 Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED: Literaturübersicht der in der DDR und in Westdeutschland erschienenen Veröffentlichungen zur Geschichte des zweiten Weltkriegs. Berlin (Ost) [1960], S. 26. 120 Ebd., S. 19. 121 Ebd., S. 23.

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gesehen »daß von [sic] fast allen zur Widerstandsbewegung erschiedenen [sic] Büchern nur die Verschwörung vom 20. Juli 1944 und die Tätigkeit der ›Münchener Studenten‹ Erwähnung finden« und alle »anderen Aktionen mit Erfolg verheimlicht werden konnten«.122 Eine 1965 als Manuskript gedruckte Übersicht von Arbeiten der Geschichtswissenschaft in der DDR zum antifaschistischen Widerstandskampf, die auch Werke der Literatur und bildenden Kunst auflistet, identifiziert dagegen die Weiße Rose und den 20. Juli 1944 nicht einseitig mit westdeutscher Geschichtsschreibung. Sie verweist auf den Aufsatz des Rostocker Historikers Karl-Heinz Jahnke anlässlich des 20. Jahrestags der Hinrichtung der Geschwister Scholl. Deren Nennung steht in Zusammenhang mit dem Hinweis, dass der »Erforschung der Teilnahme bürgerlicher Demokraten, Intellektueller, Wissenschaftler, Katholiken und Protestanten am Widerstandskampf […] immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet« werde.123 Hierbei werden jedoch vor allem Beiträge zur »Stauffenberg-Gruppe« anlässlich des 20. Jahrestags des 20. Juli 1944 erwähnt, welche »sich mit ihren Zielen immer mehr den Auffassungen des NKFD angenähert« habe.124 In der Bundesrepublik wird eine parallele Entwicklung im selben Jahr auf der Konferenz des Forschungsinstituts der Friedrich Ebert Stiftung zu Stand und Problematik der Erforschung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus gut sichtbar. In einer »kritische[n] Analyse der Widerstandsliteratur« geht Günter Plum vom Institut für Zeitgeschichte »weißen Flecken auf der Landkarte der Zeitgeschichte«125 nach und erklärt diese mit den »Auswirkungen des Nebeneinander von ›DDR‹-Forschung und Historiografie der Bundesrepublik«,126 welches er mit den an die jeweiligen Prämissen von ›Antitotalitarismus‹ und ›Antifaschismus‹ gebundenen Widerstandsdefinitionen erklärt und das dazu führe, dass beide Seiten »verschiedene historische Gegenstände« erforschen.127 Er weist am Beispiel des 20. Juli 1944 auf Differenzierungen in der DDR-Forschung hin und fordert, das »monolithische Bild vom Antifaschismus als dem

122 Ebd., S. 46. 123 Karl Heinz Biernat, Heinz Kühnrich, Klaus Mammach, Gerhard Nitzsche: Historiographie der Deutschen Demokratischen Republik über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf in den Jahren 1933–1945. Überblick über Veröffentlichungen aus den Jahren 1960 bis 1965. Als Manuskript gedruckt. Berlin (Ost): Institut für Marxismus-Leninismus 1965, S. 35. 124 Ebd. 125 Günter Plum: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus als Gegenstand zeitgeschichtlicher Forschung in Deutschland. Eine kritische Analyse der Widerstandsliteratur. In: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Stand und Problematik der Erforschung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Bad Godesberg: FriedrichEbert-Stiftung 1965, S. 20–38, S. 20. 126 Ebd., S. 28. 127 Ebd., S. 29.

Die Weiße Rose in Literaturberichten zum deutschen Widerstand

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Kampf für ein dogmatisch festgelegtes Programm« aufzulösen.128 Gleichzeitig lenkt er den Blick auf Versäumnisse in der Bundesrepublik, die er in der einseitigen Ausrichtung auf den 20. Juli 1944 und in der Vernachlässigung des Widerstands der Arbeiterbewegung sieht. Die DDR könne so »die namenlosen Sozialisten unwidersprochen in ihr Geschichtsbild einzwängen«.129 Statt biografischer Arbeiten, die zur Überhöhung ihrer Helden neigten, seien systematische zu politischen Zukunftsvorstellungen sowie zum sozialen Hintergrund der verschiedenen Gruppen des Widerstands notwendig.130 Überlegungen wie die von Plum werden von Seiten der DDR-Geschichtswissenschaft, etwa von Gerhard Rossmann, als strategisch beurteilt.131 Die Weiße Rose erhielt im Kontext dieser deutsch-deutschen Wechselwirkungen jedoch keine Relevanz für die Widerstandsforschung. Trotz Differenzierung auf beiden Seiten, blieben die Widerstandsinterpretationen in beiden Staaten den jeweiligen Deutungsparadigmen ›Antitotalitarismus‹ bzw. ›Antifaschismus‹ verhaftet. In der Bundesrepublik entstand jedoch eine »Kritik am Begriff des Totalitarismus, die zu einer Rezeption des Faschismusbegriff führte«.132 In Kreisen links von der SPD gewannen Stimmen an Einfluss, welche die »bürgerliche Geschichtsschreibung« der Bundesrepublik, insbesondere beim Thema Widerstand, herausforderten,133 ohne dabei der »SED-Historiographie« unkritisch gegenüberzustehen.134 Diese Entwicklung verbreiterte sich in den 1960er-Jahren und beeinflusste nachhaltig und institutionell die bundesrepublikanische Forschung und Vermittlung des Widerstands. Regine Büchel setzt in ihrer im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung vorgenommenen und 1975 in der Schriftenreihe der Bibliothek für Zeitgeschichte veröffentlichten Literaturauswertung die Thematik Widerstand zwar weiterhin »als Gegenposition gegen Diktaturen und totalitäre Staaten« voraus und »Objektivität« bürgerlicher Geschichtsschreibung der Ideologie »marxistische[r] Geschichtsschreibung« entgegen.135 Aufgrund umfangreicher Aktenbestände in der DDR sei die westdeutsche Geschichtswissenschaft aber auf ostdeutsche

128 129 130 131 132 133 134 135

Ebd., S. 32. Ebd. Ebd., S. 37. Gerhard Rossmann: Die Verfälschung des antifaschistischen Widerstandskampfes in der westdeutschen Geschichtsschreibung. In: ZfG 18 (1970), S. 5–22. Helmut Peitsch: Nachkriegsliteratur 1945–1989. Göttingen: V& R unipress 2009, S. 145. Siehe auch Lutz Winckler: Zur Verfahrensweise bürgerlicher Legendenbildung am Beispiel der Geschichtsschreibung über den deutschen Widerstand. In: Das Argument (1972), Nr. 70, S. 37–55. Tim Mason: Der antifaschistische Widerstand der Arbeiterbewegung im Spiegel der SEDHistoriographie. In: Das Argument 9 (1967), Nr. 2/3, S. 144–153. Büchel, Anm. 52, S. VII.

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Publikationen angewiesen.136 Von der »kaum noch überblickbare[n] Fülle ernstzunehmender und wissenschaftlicher Literatur« und »klassischen Quellen – Akten, Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Memoiren« setzt Büchel mediale Quellen und Zeitzeugenbefragungen ab, die weniger von historiografischem als von anschaulichem Wert seien und dem Tatbestand abhelfen könnten, dass die »Existenz und das Opfer« der Widerstandskämpfer nicht »ins allgemeine Bewußtsein unseres Volkes gedrungen« seien.137 Die »allgemein[e]« Sichtweise des 20. Juli 1944 »als Gipfel- und Endpunkt einer langen, von schweren inneren Kämpfen und Gewissensentscheidungen bestimmten Entwicklung des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus«138 wird bestätigt, indem sich Büchels Historisierung des »Bildes« des Widerstands auf den 20. Juli 1944 und den Kreisauer Kreis beschränkt, auch wenn in der Bibliografie unter »bürgerlich-konservativem Widerstand« eine Literaturauswahl zu verschiedenen anderen Gruppen und auch zur Weißen Rose angegeben wird, die auch Publikationen der DDR-Historiker Karl-Heinz Jahnke und Klaus Drobisch enthält.139 Fast spiegelbildlich dazu erscheint Rudi Goguels 1976 umfangreiche im Militärverlag der DDR herausgegebene Bibliographie deutschsprachiger Literatur zum antifaschistischen Widerstand, die »sowohl die Arbeiten marxistisch-leninistischer Historiker als auch progressiver Historiker und Journalisten sowie wichtige Publikationen der bürgerlichen Geschichtsschreibung« aufführt.140 Im Vorwort wird betont, das Thema bleibe ein »Feld des ideologischen Klassenkampfes zwischen der bürgerlichen und der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung und Ideologie«.141 Die »flexiblere[…] und scheinbar objektivere[…] Darstellung der Widerstandsbewegung in der bürgerlichen Geschichtsschreibung« erkenne den Widerstandskampf der Arbeiterklasse und der KPD nun zwar an, spreche ihm jedoch die Legitimation ab.142 Allerdings hebt Goguel auch auf Veränderungen der Widerstandsforschung in der DDR ab. Statt einer »einheitlichen, geschlossenen Bewegung« werde nun die »Breite und Vielfalt« betont und der Anspruch erhoben, nur die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft betreibe die »Erforschung aller Bereiche und Kräfte« und könne ein »wahrheitsgetreues Bild von der Vielseitigkeit des antifaschisti-

136 137 138 139 140

Ebd., S. 3–4. Ebd., S. 3. Ebd., S. 1. Ebd., S. 140. Rudi Goguel: Antfaschistischer Widerstand und Klassenkampf. Bibliographie deutschsprachiger Literatur 1945–1973. Berlin (Ost): Militärverlag 1976, S. 7. 141 Ebd. 142 Ebd., S. 19–20.

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schen Kampfes« geben.143 Dies schlage sich auch im öffentlichen Gedenken nieder : Wir ehren jene Patrioten [der Bewegung ›freies Deutschland‹] ebenso wie bspw. den Teil des Kreisauer Kreises, der von christlicher Ethik getragene Auffassungen mit dem Ziel der Herstellung einer bürgerlich-demokratischen Republik verband und sich von reaktionären Kräften der Verschwörung gegen Hitler abgrenzte. Wir ehren auch die patriotischen Offiziere um Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg […].144

Auffällig ist, dass die Geschwister Scholl bzw. die Weiße Rose hier keine Erwähnung finden, obwohl in der Bibliografie sowohl die in der DDR erschienenen Publikationen von Karl-Heinz Jahnke und Klaus Drobisch als auch eine Reihe bundesrepublikanischer Veröffentlichungen aufgeführt werden. In der bereits 1973 erschienenen, ebenfalls von Goguel für das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer zu Vermittlungszwecken besorgten Bibliografie werden dagegen lediglich die DDR-Titel genannt.145 Der Anspruch, den deutschen Widerstand möglichst umfassend historiografisch zu bearbeiten, wurde in Antagonismus, Korrespondenz und nun auch Konkurrenz der Forschung in beiden deutschen Staaten zu einem Legitimationskriterium. Auch wenn die Auseinandersetzung mit dem Holocaust historiografisch zunehmend zum Bezugspunkt wurde und auf die Auseinandersetzung mit dem Widerstand in der Bundesrepublik zurückwirkte, ist die folgende Einschätzung Hans Mommsens zu überprüfen, die dieser kurz vor dem Historikerstreit 1986/ 87 trifft, welcher das Thema Widerstand nur indirekt verhandelte, gleichwohl aber fachwissenschaftliche und didaktische Debatten prägte.146 Mommsen sieht in der neueren Forschung den Widerstand »im Begriffe in ein wohlmeinendes Randkapitel der Überblicksdarstellungen zum Dritten Reich gedrängt zu werden«147 und begründet dies mit dem »Einfluß der Kritischen Linken« und damit, dass der Widerstand zur »Legitimierung der demokratischen Rekonstruktion in der Bundesrepublik als nicht mehr erforderlich angesehen« werde.148 Eine Vielzahl von Arbeiten – gerade auch von linker Seite – widmete sich jedoch ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre und besonders ab den 1970er-Jahren – zusätzlich zu den weiter bestehenden Schwerpunkten 20. Juli 1944 und Krei143 Ebd., S. 9–11. 144 Ebd. S. 15. 145 Siehe Rudi Goguel (Hrsg.): Antifaschistischer Widerstandskampf 1933–1945: Bibliographie. Berlin: Komitees der antifaschist. Widerstandskämpfer der DDR 1974. 146 Siehe Klaus Oesterle, Siegfried Schiele (Hrsg.): Historikerstreit und politische Bildung. Stuttgart: Metzler 1989. 147 Hans Mommsen: Die Geschichte des deutschen Widerstands im Lichte der neueren Forschung. In: APuZ (1986), Nr. 50, S. 3–18, S. 3. 148 Ebd.

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sauer Kreis149 – vor allem auch Leerstellen wie dem Widerstand der Arbeiterbewegung, in Konzentrationslagern, dem Exil, aber vor allem auch dem Verhalten breiterer Bevölkerungsschichten, wie die Debatte um den Begriff der ›Resistenz‹ (Martin Broszat) zeigt.150 Die Notwendigkeit solcher Pluralisierung der Erforschung und Vermittlung der Widerstandsgeschichte wird nun nicht nur mit Verweis auf die DDR-Forschung begründet. Vielmehr wird, wie hier bei Detlev Peukert, ein Zusammenhang zwischen dem traditionellen »Dreiklang von Graf Stauffenberg, Kardinal von Galen und der Geschwister Scholl, also von Militär, Kirche und bürgerlicher Jugend« und der »Vernachlässigung anderer bedeutender Beiträge aus dem Widerstand«151 hergestellt. Dies wird zu einem wiederkehrenden Legitimationsschema der Darstellung bisher vernachlässigter Bereiche. Diese Entwicklung zeigt exemplarisch Hans-Jochen Markmanns 1981 in der Reihe Didaktische Informationen publizierte Handreichung zum deutschen Widerstand, die Bezug auf einen »wichtigen Konsensus« in »fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Erkenntnisse[n]« nimmt.152 Die entsprechend eines »erweiterten Widerstandsbegriffes« und unter Betonung der Unverzichtbarkeit der »Entwicklung emotionaler Beziehungen zu den Leiden, Opfern und der Tragik des deutschen Widerstandes«153 zusammengestellte Literaturauswahl enthält zu den verschiedenen Widerstandskreisen, auch zum 20. Juli 1944, Titel auch aus DDR-Verlagen und dem Röderberg-Verlag. Die Literaturauswahl zur Weißen Rose umfasst mit sieben Titeln eine Angabe mehr als die Rubrik »Jugend«, in der die Edelweißpiraten154 hervorgehoben werden, und halb so viele wie zum 20. Juli 1944. Erstmals werden – dem hervorgehobenen Ziel der emotionalen Identifikation folgend – erzählende Sachbücher gelistet und in der Rubrik »Antifaschistische Kunst und Literatur« werden auch Neumanns Roman und Hermlins Die erste Reihe angegeben. Dass die Darstellung des Widerstands zugleich historisiert und systematisiert wird, zeigt ein tabellarischer Überblick zu Konzeptionen des Widerstands, wobei die »plural-additive Konzeption« zum 149 Siehe Arnold Sywottek: Bürgerlicher und antifaschistischer Widerstand. In: Archiv für Sozialgeschichte (1972), S. 563–579. 150 Siehe Heinz Brüdigam: Widerstand gegen das Naziregime – in der Forschung und Lehre heute. In: Blätter für deutsche und internationale Politik (1970), Nr. 1, S. 88–95. 151 Detlev Peukert: Der deutsche Arbeiterwiderstand 1933–1945. In: APuZ (1979), Nr. 28/29, S. 22–36, S. 22. 152 Hans-Jochen Markmann: Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Literatur zur fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Diskussion. Berlin: Pädagogisches Zentrum 1981, S. 1. 153 Ebd., S. 2. 154 An anderer Stelle wird in einer didaktischen Handreichung die wachsende Beachtung der Edelweißpiraten unter der Kategorie ›Jugendwiderstand‹ deutlich, siehe Hans-Jochen Markmann: Widerstand und Verfolgung von Jugendlichen und Kindern in der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945) im Unterricht. Berlin: Pädagogisches Zentrum 1979.

Die Weiße Rose in Literaturberichten zum deutschen Widerstand

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Maßstab erklärt wird, der zufolge der Widerstand in seinen unterschiedlichen weltanschaulichen, politischen Formen, Zielen, Gruppen und Personen vom nonkonformen bis zum oppositionellen Verhalten mit dem Ziel einer rationalen und emotionalen Identifikation der Lernenden dargestellt werden müsse.155 Markmanns Literaturauswahl zeigt auch, dass die Geschichte der Weißen Rose in den 1970er-Jahren wissenschaftlich nicht monografisch oder einschlägig behandelt, jedoch in Gesamtdarstellungen des Widerstands berücksichtigt wird. Obwohl sie geschichtswissenschaftlich weiterhin nicht oder nur am Rande berücksichtigt wird, bleibt sie durchgängig Teil der Widerstandsvermittlung. Hiervon geht 1995 auch Kurt Schilde aus, wenn er seine Dissertation zur Jugendopposition gegen den Nationalsozialismus im Spiegel der Forschung unter den Titel Im Schatten der Weißen Rose stellt. Er wertet in seiner Arbeit umfänglich Literatur zum Jugendwiderstand aus und sieht deren Mängel im fehlenden Dialog zwischen der Forschung in der Bundesrepublik und der DDR begründet, wobei letztere »das Ausmaß des jugendlichen Widerstandes gegen die Fremdherrschaft« aufzeige.156 Für beide Seiten kritisiert er, dass der Widerstand der jüdisch-polnischen Ghettojugend in Deutschland »fast völlig unbekannt geblieben ist«.157 Die »selektive Rezeption« des Jugendwiderstands sieht er durch die jeweilige »Herausstellung der Weißen Rose und des Kommunistischen Jugendverbandes« verursacht, wobei er diese aufgrund der »studentischen Struktur« fälschlicherweise als Widerstand von Jugendlichen klassifiziert sieht. Er erklärt die Einseitigkeiten damit, dass die Forschung in beiden deutschen Staaten »den jeweiligen Legitimationsinteressen im Sinne einer jahrzehntelangen Arbeitsteilung« diente und verweist auf unterschiedliche Verdrängungsstrukturen in Ost und West.158 Doch trotz Tendenzen einer (von Schilde einseitig generational erklärten) »weniger emotionsgeladen[en]« und »kritisch-sachlicher[en]« Auseinandersetzung sowie Pluralisierung werden die Geschwister Scholl und die Weiße Rose weiterhin der »Spitze der Hierarchie der öffentlichen Gedenkkultur« zugeordnet, da sie »in West- und Ostdeutschland fast gleichermaßen Anerkennung fanden«.159 Diese Einschätzung steht im Gegensatz zu gängigen geschichtswissenschaftlichen Bewertungen nach 1990. Jürgen Danyel konstatiert nach »Versuche[n] einer differenzierten Würdigung« in allen Zonen für die Zeit nach 1949 in beiden deutschen Staaten »komplementäre Verengungen und politische Stili155 Markmann, Anm. 152, S. 31. 156 Kurt Schilde: Im Schatten der »Weißen Rose«. Jugendopposition gegen den Nationalsozialismus im Spiegel der Forschung (1945–1989). Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang 1995, S. 154– 155. 157 Ebd. 158 Ebd. 159 Ebd., S. 165–166.

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sierungen«,160 die Ines Reich an der Beachtung verschiedener Gruppen des Widerstands festmacht. Neben dem 20. Juli 1944 und dem kirchlichen Widerstand stand ihr zufolge in der Bundesrepublik die Weiße Rose im »Mittelpunkt der Betrachtungen«, während in der DDR diese Gruppen »wenn überhaupt, nur an der Peripherie Betrachtung« fanden, auch wenn es auch der DDR-Geschichtswissenschaft in den 1980er Jahren gelungen sei, »Einseitigkeiten zunehmend auszugleichen«.161 Die oben aufgezeigte beziehungsgeschichtliche Dynamik der Widerstandsgeschichte wird jedoch nicht berücksichtigt. In Untersuchungen zur Widerstandsrezeption in der DDR bzw. zum DDRAntifaschismus wird die Weiße Rose tatsächlich kaum erwähnt. Dies liegt auch darin begründet, dass diese Untersuchungen sich in weiten Teilen auf Quellen der Historiografie oder Geschichtspolitik beschränken. Simone Barck weist unter Einbeziehung literarischer Texte auf ein »komplexes kommunikatives Netzwerk« und »Spannungen, Widersprüche und Ungleichzeitigkeiten« im »Antifa-Diskurs« der DDR hin,162 der »auf osmotische und zugleich diffuse Weise mit demjenigen in der BRD verbunden« geblieben sei.163 Dabei stellt sie in ihrem Quellenkorpus in Bezug auf die Weiße Rose »auffällige Leerstellen« fest,164 ohne diese weiter zu erklären oder anhand weiterer Quellenbestände zu überprüfen. Die Geschichte der Weißen Rose zeigt sich in den Literaturberichten demnach paradox: Obwohl sie in Ost und West historiografisch nur randständig beachtet wurde, wird ihr kanonischer Status in der Geschichte des Widerstands in der Bundesrepublik, der DDR und nach 1989/90 nicht bestritten. Die historische Bedeutung der Weißen Rose scheint also nicht Ergebnis von Geschichtsschreibung, sondern vor allem der Vermittlung und Popularisierung ihrer Geschichte zu sein, die in verschiedenen Kontexten und Genres erzählt wurde. Sie scheint dabei sowohl mit den Deutungsrahmen des Antitotalitarismus und Antifaschismus kompatibel. Ihre Prominenz ist jedoch im Gegensatz etwa zum 20. Juli 1944 nicht mit staatlichen Legitimationsinteressen zu erklären. Vielmehr erscheint ein Spezifikum der Geschichte der Weißen Rose, dass sie sich je nach Kontext als jugendlicher, bürgerlicher, christlicher oder antifaschistischer Wi160 Jürgen Danyel: Bilder vom »anderen Deutschland«: Frühe Widerstandsrezeption nach 1945. In: Das andere Deutschland. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Mythos und Vermächtnis. Berlin: Metropol 1994, S. 61–82, S. 61. 161 Ines Reich: Geteilter Widerstand. Die Tradierung des deutschen Widerstandes in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. In: Das andere Deutschland. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Mythos und Vermächtnis. Berlin: Metropol 1994, S. 83–94, S. 86, S. 94. 162 Simone Barck: Antifa-Geschichten. Eine literarische Spurensuche in der DDR der 1950er und 1960er Jahre. Köln [u. a.]: Böhlau 2003, S.11. 163 Ebd., S. 18. 164 Ebd., S. 132.

›Rezeption‹ und ›Erinnerung‹ der Weißen Rose in der Forschung

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derstand kategorisieren lässt und breiten Adressatenkreisen Identifikationspotenzial bietet.

II.2

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II.2.1 ›Vermächtnis‹ vs. ›Verfälschung‹ Ab Ende der 1960er-Jahre finden sich in den – fast ausnahmslos populärwissenschaftlichen – Publikationen zur Geschichte der Weißen Rose Passagen, die sich mit ihrem ›Erbe‹ und ›Vermächtnis‹ oder auch ihrer ›Würdigung‹ befassen. In der Einleitung seiner im Union-Verlag erschienenen Dokumentation Wir schweigen nicht gibt der Ost-Berliner Historiker Klaus Drobisch bereits 1968 einen Überblick darüber, wie das Gedenken an die Weiße Rose im Exil begonnen hat und seitdem gepflegt wird. Diese Abschnitte, die insbesondere auch Würdigungen in Exilschriften und in der Exilliteratur dokumentieren, werden in den Neuauflagen seit 1972 kontinuierlich erweitert.165 Unter der Überschrift »Lebendiges Erbe« wird auf Benennungen von Straßen, Einrichtungen oder Gruppen Junger Pioniere nach den Geschwistern Scholl sowie auf Gedenkveranstaltungen in der DDR verwiesen, wogegen in der Bundesrepublik das »Vermächtnis des Geschwisterpaares« zunehmend »verdrängt und verfälscht« werde.166 Günther Kirchberger lässt 1980 in einer von der Münchner Universität verlegten Broschüre einem »Referat über geschichtlich belegte Fakten« einen »gezielte[n] Beitrag zu der anhaltenden Diskussion um die politische Bewertung und das Vermächtnis« der Weißen Rose folgen, in dem ein Überblick über die kontroversen Standpunkte in der Publizistik und die Entwicklung offizieller Gedenkfeiern gegeben wird.167 Die widersprüchlichen Deutungen zur Frage, ob dieser Widerstand als politisch oder als sittlich-religiös motiviert zu deuten sei, erklärt er mit gegensätzlichen Interpretationen in beiden deutschen Staaten. Kirchberger sieht dabei »weder die Bundesrepublik noch die DDR in einer unmittelbaren Tradition des Denkens und der Ziele« der Weißen Rose, da diese »in erster Linie nicht für ein bestimmtes Herrschaftssystem, sondern gegen ein 165 Klaus Drobisch: Wir schweigen nicht. Die Geschwister Scholl und ihre Freunde. Berlin (Ost): Union 1968; 2. bearb. Aufl. 1972; 3. erw. und veränd. Aufl. 1977; 4. erw. und veränd. Aufl. 1983. 166 Klaus Drobisch: Wir schweigen nicht. Die Geschwister Scholl und ihre Freunde. 3. Aufl. Berlin: Union 1983, S. 56–68, S. 68. 167 Kirchberger, Anm. 42, S. 3. Hervorhebung im Original.

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solches, nämlich das des Nationalsozialismus« gekämpft habe.168 Dieser Ausgangspunkt könne »der Tradition in der Bundesrepublik und in der DDR einen gemeinsamen Inhalt geben«.169 Drobisch und Kirchberger geben somit nicht nur Belege für Würdigungen der Weißen Rose an, sondern ziehen vor der Folie eigener Deutungen gedenkpolitische Schlussfolgerungen, die eng mit Gegensatz und Aufeinanderbezogenheit beider deutscher Staaten verbunden sind. Kirchberger verwehrt sich dabei gegen jegliche politische Indienstnahme der Weißen Rose. Dieses Muster kennzeichnet bereits den Literaturbericht, den Ernst Fleischhack der ersten einschlägigen Bibliografie zur Weißen Rose voranstellt, die 1970 in der Jahresbibliographie der Weltkriegsbücherei Stuttgart erschien. Die Relevanz dieser Arbeit begründet Fleischhack damit, dass sich »nur wenige Ereignisse aus dem Kreis der Widerstandshandlungen […] mit ähnlich starkem Nachdruck in das Gedächtnis der Nation eingeschrieben« haben.170 Mit der Kennzeichnung der Flugblattaktion vom 18. Februar 1943 als »kühne[s] Unterfangen« und der These, Ziel sei es gewesen, »die eingerosteten Gewissen ihrer Kommilitoninnen und Kommilitonen zu entschlossenem Handeln gegen ein System wach[zu]rütteln, das soeben bei Stalingrad […] 300.000 eigene Soldaten sinnlos Tod und Gefangenschaft überantwortet hatte«,171 stellt er seinen Ausführungen eine eigene Deutung des Widerstands voran. Er beklagt die im Vergleich zum 20. Juli 1944 geringe Zahl von Spezialuntersuchungen zur Weißen Rose und begründet damit den »eigenen Wert« der »ganzen Fülle« von publizistischen Beiträgen.172 Fleischhack unterscheidet in seiner umfassenden Auflistung »Dokumente« (Abdrucke von Akten der Gestapo und des Volksgerichtshofs sowie Briefe und Aufzeichnungen), »Darstellungen« (»[a]llgemeine« »zur Geschichte der Widerstandsbewegung«, solche in Schulbüchern sowie einschlägige »Gesamtberichte« der Münchener« und »Hamburger Ereignisse«), »Gedenkreden, Würdigungen, öffentliche Ehrungen«, »Schrifttum über einzelne Personen« und »Belletristik, Bühnenwerke, Tonkunst«.173 In seinen Bewertungen werden – wie an Attributen wie »ergreifend[…]«, »lebendig[…] und sprechend[…]«, »den Menschen nahebring[end]« oder »ein Denkmal« einerseits sowie »unaufdringliche Sachlichkeit«, »bis dahin z. T. noch unbekannte Dokumente«, »ideologisch« andererseits deutlich wird – Maßstäbe des Gedenkens

168 Ebd., S. 48. 169 Ebd. 170 Ernst Fleischhack: Die Widerstandsbewegung »Weiße Rose«. Literaturbericht und Bibliographie. In: Weltkriegsbücherei Stuttgart (1970), Nr. 42, S. 459–490, S. 460. 171 Ebd. 172 Ebd. 173 Ebd., Inhaltsverzeichnis, S. 459.

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und der Würdigung von solchen der Forschung voneinander abgesetzt.174 Diese beiden Linien unterliegen auch seiner Bilanz: Positiv an frühen Darstellungen sei, dass sie die »ethische Unbedingtheit« und »christliche Grundhaltung« würdigen; dies sei jedoch mit der Gefahr verbunden, »daß Menschen und Ereignisse ins Mythische erhöht« oder zum »billigen Aushängeschild« für das Ansehen Deutschlands »benutzt« werden.175 Auf solche Tendenzen führt Fleischhack »wachsenden Unmut gegen Formen des Heroenkultes« in der »jungen Generation« zurück, den er im Versuch der »Entmythologisierung« durch Christian Petry artikuliert sieht, dessen Interpretation aber »über die an sich berechtigte Verwahrung gegen eine zur Unverbindlichkeit führende Idealisierung« hinausgehe.176 Das politische Verständnis der Weißen Rose entziehe sich einer Einordnung in »fortschrittlich« und »konservativ«.177 Die Gefahr einer Entmythologisierung »habe man in der östlichen Hemisphäre, namentlich auch in der ›DDR‹« erkannt, der »dortige Funktionär« kenne jedoch »auch keine Hemmungen, das Andenken an die Weiße Rose gewinnbringend in den Dienst der eigenen Sache zu rücken und mit geschickten Händen zurechtzufrisieren«.178 Dies betreffe insbesondere die Bewertung des Russlanderlebnisses und des Stilwandels in den Flugblättern samt der Warnung vor antikommunistischer Propaganda der Nationalsozialisten. »In Wirklichkeit« sei diese darauf zurückzuführen, dass Kriegsverbrechen und »Massenverfolgungen« das »Empfinden jedes Deutschen, der sich ein rechtlich-objektives Denken noch bewahrt hatte«, berührte und die Studenten »brennend« an der Ausbreitung des »Aktionsradius ihres Widerstands« interessiert waren.179 Angesichts »diktatorischer Unfreiheit« in der DDR und der am »individuellen wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten […] Daseinsgesinnung« in der Bundesrepublik sieht Fleischhack »beide Hälften unseres leidvoll auseinandergerissenen deutschen Vaterlandes nach wie vor aufgefordert, Denken, Wollen und Handeln der tapferen Studenten von München und Hamburg zu erforschen«, damit sich »jene Freiheit dereinst ungeschmälert erfülle«, für die »Hans und Sophie Scholl und ihre Freunde […] schließlich ihr junges, hoffnungsvolles Leben geopfert haben«.180

174 175 176 177 178 179 180

Ebd., S. 461–465. Ebd., S. 466. Ebd., S. 467. Ebd., S. 466. Ebd., S. 467–468. Ebd. Ebd.

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II.2.2 Rezeptions- vs. Realgeschichte, Gedächtnis vs. Geschichte Ansätze der Reflexion der Geschichte der Weißen Rose nach 1990 unterscheiden sich von den vorhergehenden Versuchen in zwei Punkten: Sie konzentrieren sich auf den bundesrepublikanischen Anteil und enthalten nur implizite gedenkpolitische Forderungen. Begriffe wie ›Erbe‹ und ›Vermächtnis‹ weichen dabei in den von unterschiedlichen Standpunkten und Disziplinen ausgehenden Arbeiten nach 1990 den neutraler erscheinenden Begriffen ›Rezeption‹ und ›Rezeptionsgeschichte‹ oder ›Erinnerung‹ und ›Gedächtnis‹. Als erster verbindet der Essener Erziehungswissenschaftler Wilfrid Breyvogel in einem im sozialdemokratischen Dietz-Verlag publizierten Tagungsband zum Jugendwiderstand gegen den Nationalsozialismus Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte mit kritischer Rekonstruktion der Geschichte der Weißen Rose. Tagung und Band liegt dem Herausgeber zufolge ein »aus der Alltagsforschung zur Geschichte des Nationalsozialismus« hergeleitetes »buntes Spektrum« von »Verhaltensweisen« zwischen »Konformität und Widerstand« zugrunde.181 Der »enge Widerstandsbegriff« der Totalitarismustheorie impliziert für ihn »die Tendenz der Minimalisierung der Möglichkeit des Widerstands und der Heroisierung einzelner als Märtyrer und Helden«.182 Dies erklärt auch, warum sich in dem Band, dessen Titel Piraten, Swings und Junge Garde die Zielsetzung der Darstellung des Jugendwiderstands in seiner Breite anzeigt, mehrere Aufsätze der Weißen Rose widmen. Ähnlich wie Peukert und Schilde sieht er die Weiße Rose parallel zum 20. Juli 1944 und Bischoff Galen als Teil eines »Dreigestirn[s] der positiven Widerstandstradition«.183 Die »Destruktion zeitgebundener Mythen« durch eine kritische Rezeptionsgeschichte des Widerstands wird zur Voraussetzung für eine »möglichst angemessene Annäherung« an die Geschichte der Weißen Rose durch die »Rekonstruktion der Selbstdeutung der Betroffenen« erklärt.184 Aus dieser Prämisse ergibt sich eine Hierarchisierung des Quellenmaterials: »Authentischen Selbstzeugnissen« wie Briefen und Tagebüchern »stehen lediglich die Texte der Flugblätter mit gleichem Rang zur Seite«; der »nächstrangige Quellenblock« umfasst Gerichts- und Polizeiakten; von »besonderem Status« sind für Breyvogel auch Abschiedsbriefe und Augenzeugenberichte über die letzten Stunden vor der Hinrichtung;185 spätere

181 Wilfried Breyvogel: Resistenz, Widersinn und Opposition. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Einleitung. In: Wilfried Breyvogel (Hrsg.): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Bonn: Dietz 1991, S. 9–16, S. 9. 182 Ebd. 183 Breyvogel, Anm. 42, S. 159. 184 Ebd., S. 161–164. 185 Ebd.

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»Berichte von Beteiligten« werden, wie alle anderen Quellen der Rezeptionsgeschichte, dagegen als zweck- und zeitgebunden gewertet.186 Die Rezeptionsgeschichte wird in drei Phasen unterteilt: In der »ausländische[n] Berichterstattung« der ersten Jahre nach 1943 verortet Breyvogel den »Beginn des Mythos« und sieht diese Phase durch die Konstruktion »stellvertretend« handelnder Helden, propagandistische »Zweckorientierung und übertreibende Verzerrungen« gekennzeichnet.187 Daran knüpfe von 1945 bis 1948/49 eine Phase an, welche von der Konstruktion eines Opfermythos gekennzeichnet sei, die Hans Scholl als Held nach dem Vorbild der ChristusLegende darstelle: »Unter dem Druck des Mythos« seien die anderen Beteiligten diesem Motiv angeglichen und Hans Scholl untergeordnet worden.188 Das Buch von Inge Scholl markiere den Beginn einer dritten Phase, die sich durch den »Versuch biographischer Historisierung« auszeichne.189 Scholl wende sich zwar gegen den »Mythos des Sühneopfers«, leiste aber durch die »Konstruktion einer homogenen Verschwörergruppe um ein Zentrum« analog zum militärischen Widerstand einer neuen Legendenbildung Vorschub.190 »Der Umschlagspunkt« von der würdigenden zur kritischen Rezeption durch zeitgeschichtliche Arbeiten in einer weiteren Phase liege »nicht zufällig« zwischen 1966 und 1968.191 In den 1980er-Jahren erfolge schließlich eine »vollständigere Biographisierung« durch »die Edition der authentischen Selbstzeugnisse und biografischen Quellen«.192 Dabei erfahre der Ende der 1960er-Jahre von Petry kritisierte kulturelle Horizont des deutschen Bürgertums der Weißen Rose eine Umdeutung und werde nun nicht mehr als Grund des Scheiterns, sondern als Voraussetzung für den Widerstand »erkannt[…]«.193 Breyvogel bemerkt: Wie kaum ein anderer Gegenstand ist die Weiße Rose Teil der politischen Kontroversen bundesrepublikanischer Geschichte geworden, sowohl zwischen BRD und der damaligen DDR, aber auch zwischen der Generation der Studentenbewegung und den universitären und politischen Repräsentanten in Hochschule und Staat.194 186 187 188 189 190 191 192 193

Ebd. Ebd., S. 165–168. Ebd., S. 168–175, hier S. 174. Ebd., S. 178. Ebd., S. 175–183, hier S. 178–179. Ebd., S. 165. Ebd. Ebd., S. 198. Breyvogel verweist hier auf die Beiträge von Inge Jens und Anneliese KnoopGraf im selben Band. Inge Jens: Die »Weiße Rose«. Biographische und kulturelle Traditionen. In: Wilfried Breyvogel (Hrsg.): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Bonn: Dietz 1991, S. 202–221; Anneliese Knoop-Graf: »Jeder trägt die ganze Verantwortung!«. Widerstand am Beispiel Willi Graf. In: Wilfried Breyvogel (Hrsg.): Piraten, Swings und Junge Garde. Jugendwiderstand im Nationalsozialismus. Bonn: Dietz 1991, S. 222–240. 194 Ebd., S. 164–165.

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Auf die Rezeption in der DDR geht Breyvogel jedoch nicht ein, verweist lediglich an einer Stelle auf die »noch ungenauere[…] DDR-Publizistik«.195 Besonderes Augenmerk kommt dagegen der ungleichgewichtigen Repräsentation der verschiedenen Beteiligten zu. So kommt er zu dem Schluss, dass das öffentliche Gedenken in Bezug auf die Scholls dezentralisiert werden müsse, was in die Forderung nach der Benennung einer Schule nach Alexander Schmorell und nach mehr »›Weiße Rose‹-Schulen« mündet.196 Mit anderer Motivation untersucht die Theologin Barbara Schüler in ihrer primär ideengeschichtlich ausgerichteten Monografie vor allem die Biografien von Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher und fragt ausgehend von der aus der Nachkriegspublizistik aufgegriffenen titelgebenden Formel Im Geiste der Ermordeten nach geistigen Kontinuitäten der Weißen Rose. Durch die Pflege des »Mythos« der Weißen Rose und der damit einhergehenden »Instrumentalisierung« sei der Blick für »historisch-kritische Fragen« bis zur »Vereinigung Deutschlands im Jahr 1989 [sic]« verstellt gewesen.197 Die seitdem mögliche zeitgeschichtliche Aufarbeitung der Ereignisgeschichte des Widerstands greife jedoch zu kurz. Aktionen und Wirkung der Weißen Rose können Schüler zufolge nur durch eine diese verbindende »Geistes- und Ideengeschichte« erfasst werden.198 Schüler betont – insbesondere am Einfluss Carl Muths und Theodor Haeckers als »Mentoren« festgemacht – die katholisch-abendländischen Einflüsse der Weißen Rose und behauptet eine »Identität und Kontinuität« der tragenden Ideen.199 Sie bezieht in ihrer Arbeit auch Stellung zu der kontrovers diskutierten Frage des Zusammenhangs zwischen Katholizismus und Widerstand. Deren Kompatibilität sieht sie dadurch belegt, dass der Kreis der Weißen Rose »erst unter den Bedingungen eines katholischen Milieus« und »nach Entdeckung des katholischen Glaubens an die Auferstehung […] zum Widerstand kommen« konnte.200 An dieser konfessionellen Frage lässt sich die fortlaufende Relevanz der Auseinandersetzung mit der religiösen Fundierung des Widerstands festmachen, was zeigt, dass die Beschäftigung mit der Rezeptionsgeschichte des Widerstands mit ihrem jeweils eigenen Deutungsrahmen verbunden ist und darin ihre jeweilige Funktion entwickelt.201 Schüler kritisiert, dass das »Vorverständnis zur Interpretation« der Weißen Rose bisher »häufig von außen herangetragen« wurde und begründet damit analog zu Breyvogel und mit 195 196 197 198 199 200 201

Ebd., S. 174. Ebd., S. 201. Schüler, Anm. 42, S. 11–18, hier S. 11–12. Ebd., S. 15. Ebd., S. 465–473, hier S. 467. Ebd., S. 263. Jüngstes Beispiel: Detlef Bald, Jakob Knab (Hrsg.): Die stärkeren im Geiste. Essen: Klartext 2012.

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Verweis auf Hinrich Siefken202 die eigene Vorgehensweise, »vom Selbstverständnis der Protagonisten auszugehen, das heißt für die Darstellung nur deren Aufzeichnungen, Briefe und Aussagen zuzulassen«.203 Somit verschärft und verengt sie die von Breyvogel ebenfalls mit Verweis auf die Rezeptionsgeschichte begründete Hierarchie von Quellengattungen. Sie referiert Breyvogels Phasierung der Rezeptionsgeschichte, ergänzt diese jedoch um eine weitere Phase: »Ein neuer Mythos (1988/89 bis heute)«, da mit dem Ende der deutschen Teilung die »Archive des Ostens« zugänglich wurden und viel »bundesrepublikanischer Ballast« abgeworfen worden sei.204 Die Frage, wem die Geschwister Scholl »gehörten« oder welcher der beiden deutschen Staaten sich auf ihr Erbe berufen dürfe, stelle sich nun nicht mehr, ihr Vermächtnis werde in Gedenkveranstaltungen daher neu bestimmt.205 Gerade durch den Beitrag der Zeitzeugen wurde es Schüler zufolge möglich, »die Zentrierung auf die Geschwister Scholl zugunsten einer differenzierten Wahrnehmung der einzelnen Gruppenmitglieder aufzuheben« und den meisten Publikationen sei nun eine »mit Quellen gesättigte, um vorsichtige Interpretation bemühte Darstellungsweise eigen«.206 Zentral zeigt sich auch hier der konfessionelle Fokus der Verfasserin, wenn sie befindet, dass die Weiße Rose angesichts von Thesen zum Katholizismus »jetzt für Milieutheorien herhalten« müsse, die »von einseitigen ideologischen Voraussetzungen ausgehen«.207 Ebenfalls mit dem Impetus, ideologischen Vereinnahmungen in der Rezeption der Weißen Rose entgegenzutreten, setzen sich Peter Steinbach und Johannes Tuchel, die als wissenschaftlicher Leiter bzw. Geschäftsführer die vom Bund und Land Berlin getragene Gedenkstätte Deutscher Widerstand vertreten und als Politikwissenschaftler maßgebliche Beiträge zur Widerstandsgeschichte geliefert haben, in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre mit der Rezeptionsgeschichte der Weißen Rose auseinander. Diese Arbeiten erschienen in Festschriften für Anneliese Knoop-Graf und Franz-Josef Müller, die zu den wichtigsten Zeitzeugen und Mitbegründern der Weiße Rose Stiftung gehören. In einer gemeinsamen Analyse von Darstellungen und Wahrnehmungen der Weißen Rose 1943 bis 1948 nehmen Steinbach und Tuchel die »Vorgeschichte dieses sich bald verfestigenden Gedenkens in den Blick« und stellen ihren Ausführungen grundsätzliche Bemerkungen zum Widerstand als »Bezugspunkt his-

202 Hinrich Siefken (Hrsg.): Die Weiße Rose. Student Resistance to National Socialism 1942/ 1943. Nottingam: University of Nottingham 1991. 203 Schüler, Anm. 42, S. 260. 204 Ebd., S. 173. 205 Ebd. 206 Ebd., S. 174–175. 207 Ebd., S. 175.

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torischer Reflexion in ›postdiktatorischen Gesellschaften‹« voran,208 die Tuchel 2011 auch in seinem Vorwort zur Edition gesammelter Briefe von Alexander Schmorell und Christoph Probst aktualisiert.209 Um »Selbstbehauptung und Widerstand als exemplarische Taten in den Mittelpunkt kollektiver Erinnerung zu rücken«, bedürfe es »bürgerschaftlichen Engagement[s], das zum Träger einer politisch-moralischen Neubesinnung wird«, jedoch »freilich Gefahren« berge, wenn es »bald nicht mehr um die Vergangenheit, wie sie war, sondern die Deutung des Geschehenen« gehe.210 Erinnerung gehe dabei durch Konsolidierung und Institutionalisierung in Gedenken über und erreiche als »Bestand eines »›post-diktatorischen Geschichtsbildes‹« eine »Ebene der Selbstverständlichkeit«.211 Dieser Modellierung ›postdiktatorialer‹ Geschichte von Erinnerung und Gedenken liegen verallgemeinernde Prämissen zugrunde. Zum einen wird der Widerstand gegen den Nationalsozialismus allgemein zum Widerstand gegen Diktaturen abstrahiert, zum anderen eine per se zivilgesellschaftlich getragene Funktionsweise von Erinnerung und Gedenken in demokratischen Systemen angenommen. Noch deutlicher wird dies in einem Beitrag Steinbachs aus dem Jahr 2004, in dem er Überlegungen zur »Bedeutung der Weißen Rose« in Bezug auf »das europäische Geschichtsbild« erweitert.212 Seiner als »bestimmend im Europa des 20. Jahrhunderts« gesetzten Gegenüberstellung der »totalitär angeglichenen und willigen Gesellschaft«213 und den Widerständlern als »jene[n], die den Herrschern standhalten und sich nicht den Blick auf die Realität […] verstellen lassen«214, unterliegt die totalitarismustheoretische Binarität zwischen totalitärer Diktatur und freiheitlicher Demokratie, die nach den Umbrüchen in Europa nach 1989/90 nicht nur zum selbstverständlichen Ausgangspunkt eines bundesrepublikanischen, sondern sogar auch eines europäischen ›Gedächtnisses‹ erklärt wird, in das die Weiße Rose als »vielleicht der einzige Bereich der Regimegegnerschaft gegen den NS-Staat« eingegangen sei.215 Diese Singularität begründet Steinbach damit, dass der Widerstand »junger, und das heißt: poli208 Peter Steinbach, Johannes Tuchel: Von »Helden und halben Heiligen«. Darstellungen und Wahrnehmungen der Weißen Rose 1943–1948. In: Michael Kißener (Hrsg.): »Weitertragen«. Studien zur »Weißen Rose«. Festschrift für Anneliese Knoop-Graf zum 80. Geburtstag. Konstanz: UVK 2001, S. 97–120, S. 98. 209 Johannes Tuchel: Vorwort. In: Christiane Moll (Hrsg.): Alexander Schmorell. Christoph Probst. Gesammelte Briefe. Berlin: Lukas 2011, S. 7–14, S. 7. 210 Steinbach, Tuchel, Anm. 208, S. 97. 211 Ebd. 212 Peter Steinbach: Zur Bedeutung der Weißen Rose für das europäische Geschichtsbild. In: Mathias Rösch (Hrsg.): Erinnern und Erkennen. Festschrift für Franz J. Müller. Stamsried: Vögel 2004, S. 141–150, S. 141. 213 Ebd., S. 148. 214 Ebd., S. 145. 215 Ebd., S. 141.

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tisch unbelasteter, ›reiner‹ Menschen, die nicht […] auf unmittelbare politische Gestaltung zielten, sondern sich […] zu einer höheren Verantwortung bekannten«, im Gegensatz zur Arbeiterbewegung oder dem bürgerlichen und militärischen Widerstand auch außerhalb Deutschlands konsensfähig war.216 Das »Bekenntnis« der Weißen Rose im Angesicht der NS-Gewaltverbrechen »zum Lebensrecht des Individuums« verbunden »mit dem Wunsch, die Macht des Staates nicht nur zu begrenzen, sondern auch auf Ziele menschenwürdiger Ordnung auszurichten«, wertet Steinbach als identisch mit dem »Verfassungsmaßstab«, der seit 1989 als »Folge des Zusammenbruchs diktatorischer Regime in Europa« die Gesellschaften Europas verbinde und auch dem »europäischen Verfassungsentwurf« zugrunde liege.217 Zugleich formuliere die Weiße Rose mit dem Appell zum Handeln eine »politische Moral«, die sich durch ihre Begründung »im Rückgriff« auf europäische Traditionen »in die politische Kultur« der demokratischen Gesellschaften Europas »übertragen« lasse.218 Damit wird nicht nur die Anschlussfähigkeit des innerdeutschen Widerstands an den demokratischen und sozialistischen Antifaschismus in den Exilländern und in den Gesellschaften der Alliierten ausgeblendet. Impliziert wird auch, dass die Weiße Rose mit einem ›diktatorialen‹ Gedächtnis, wie dem der DDR, nicht kompatibel sei. Dem Ausruf Hans Scholls im Moment seiner Hinrichtung, »Es lebe die Freiheit!«, wird von Steinbach eine »derartige Sprengwirkung« zugeschrieben, »dass das Hinrichtungsprotokoll, das sich in den Archivbeständen der DDR fand, nicht publiziert werden konnte«.219 Dies zeige sich darin, dass sich »schon in den fünfziger Jahren […] jugendliche Oppositionsgruppen in Mitteldeutschland auf das Münchner Vorbild« beriefen.220 Auch den anderen Aufsätzen Steinbachs und Tuchels liegt eine politische Bewertung zugrunde, die, so die Autoren, auf der Grundlage historischer Arbeiten erst nach dem Umbruch 1989/90221 erfolgen konnte, da nun durch »Aktenfunde im Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und im Sonderarchiv in Moskau« belegt werden könne, in welchem Umfang »politische Ziele und Motive die Mitglieder der wohl wichtigsten deutschen studentischen 216 217 218 219

Ebd., S. 142. Ebd., S. 142. Ebd., S. 150. Ebd., S. 148. Richtig ist, dass das Protokoll im Gegensatz zu anderen Dokumenten nicht als Faksimile publiziert wurde. Das Hinrichtungsprotokoll wurde jedoch schon 1951 von Stephan Hermlin ausführlich zitiert (siehe Kapitel III.3.5) und auf den Ausruf Hans Scholls: »Es lebe die Freiheit« wurde in der DDR-Presse häufig Bezug genommen. 220 Ebd. 221 Als Referenz werden in allen Aufsätzen die in der Forschungsstelle der Gedenkstätte Deutscher Widerstand erarbeiteten Darstellungen Christiane Molls angegeben: Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg.): Widerstand gegen den Nationalsozialismus. 443–467. Bonn: Bundeszentrale für polit. Bildung 1994.

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Widerstandsgruppe angetrieben hatten«.222 Diesen Erkenntnissen wird die Rezeptionsgeschichte gegenübergestellt, die durch »Entpolitisierung und Instrumentalisierung« aufgrund »von unterschiedlichsten Rechtfertigungs- und Legitimationsbedürfnissen« gekennzeichnet sei: »Nach der politischen Motivation oder gar nach den politischen Zielen der Münchener Studierenden wurde nicht gefragt. Sie wurden vielmehr, eigentlich bis heute […] für unterschiedliche Zwecke instrumentalisiert.«223 Damit liegen Steinbachs und Tuchels Überlegungen nicht nur, wie Tuchel selbst angibt, »etwas quer zu d[en] Etappen« der Phasierung von Breyvogel und Schüler,224 sondern homogenisieren diese. Steinbach und Tuchel belegen Deutungen der Weißen Rose mehrheitlich durch Zitate aus Presse, Publizistik und Gedenkvorlesungen an der Münchener Universität, die allenfalls kurz kommentiert, aber nicht in Bezug zu den Gesamttexten gesetzt werden. Die Kontextualisierung besteht stattdessen darin zu zeigen, dass die Wahrnehmungen der Weißen Rose in der Bundesrepublik für die Zeit bis 1968 »stark abhängig von den jeweiligen aktuellen politischen Entwicklungen gewesen« seien.225 Besonders im Kontext des Kalten Kriegs sei eine »Vereinnahmung« erfolgt, die »spiegelbildlich« anmute.226 Die Untersuchung der Rezeption in der SBZ und DDR wird jedoch als Desiderat benannt.227 Einen weiteren Schwerpunkt bildet die »Auseinandersetzung mit der außerparlamentarischen Opposition«, die das Gedenken am 25. Jahrestag des 22. Februar 1943 präge.228 Für die 1950er-Jahre wird Inge Scholls Buch Die weiße Rose als »maßgebend« bezeichnet und als Ausgangspunkt für »eine ergänzende, richtigstellende, den Blick erweiternde Geschichtsschreibung der überlebenden Familienangehörigen, besonders der Geschwister« gewertet, die einer »umfassende[n] wissenschaftliche[n] Auseinandersetzung« vorausging.229 Wie Geschichtsschreibung der Angehörigen und wissenschaftliche Auseinandersetzung auch ineinandergreifen können, zeigt Tatjana Blahas Dissertation Willi Graf und die Weiße Rose. Eine Rezeptionsgeschichte. Anliegen der Arbeit ist es, »die Person Grafs aus dem Schatten der Geschwister Scholl zu heben, und zum anderen soll sie verdeutlichen, dass Grafs Leistung und Einsatz gleichermaßen beachtens- und würdigenswert sind wie das Wirken von Hans und Sophie Scholl«.230 Auf vier Kapitel, die sich auf Willi Grafs Widerstandsbiografie, 222 223 224 225 226 227 228 229 230

Steinbach, Tuchel, Anm. 208, S. 114. Tuchel, Anm. 42, S. 45. Tuchel, Anm. 42, S. 45. Tuchel, Anm. 42, S. 45–46. Ebd., S. 55f. Steinbach, Tuchel, Anm. 208, Fußnote 30. Tuchel, Anm. 209, S. 8. Tuchel, Anm. 42, S. 57–58. Ebd., S. 54–55. Blaha, Anm. 42, S. 11.

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seine Beweggründe und Motive sowie seinen Anteil an der Weißen Rose konzentrieren, folgen weitere vier mit Fokus auf die Rezeptionsgeschichte. Dabei geht es vornehmlich darum, die Beachtung der jeweiligen Beteiligten zu quantifizieren und eine Zentrierung auf die Geschwister Scholl zu belegen, welche die anderen Beteiligten »ungerechtfertigterweise in [deren] Schatten«231 dränge. Eklats bei Kranzniederlegungen der Delegation der Friedrich-Schiller-Universität Jena 1959 und 1960 sollen die »Vereinnahmung des studentischen Widerstandes der Weißen Rose von beiden deutschen Staaten«232 belegen. Dies bleibt der einzige Hinweis auf die Rezeption in der DDR. Abschließend werden Geschichte und Aktivitäten der Weiße Rose Stiftung behandelt, laut Blaha »die erste Einrichtung ihrer Art, die versucht, die Erinnerung gleichermaßen an alle Beteiligten zu erhalten sowie die studentische Widerstandsgruppe als eine Einheit zu betrachten«.233 Die Schwester Willi Grafs, Anneliese Knoop-Graf, war bis zu ihrem Tod 2009 zweite Vorsitzende der Stiftung. Ihr gilt der »besondere[…] Dank« der Autorin, da diese sie »mit unveröffentlichten Dokumenten von und über ihren Bruder versorgt« und auch »in langen und intensiven Gesprächen« bei der Arbeit unterstützt habe.234 Somit ist nachvollziehbar, dass Blaha in weiten Teilen »die Positionen Knoop-Grafs referiert«, wie Sönke Zankel kritisiert.235 An diesem Beispiel wird besonders deutlich, wie sich wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Diskurse zur Geschichte der Weißen Rose gegenseitig bedingen und durchdringen. Dies gilt für alle der hier besprochenen, zwischen Mitte der 1990er-Jahre und Mitte der 2000er-Jahre erschienenen Beiträge zur Rezeptionsgeschichte, wie die Zusammenhänge zwischen Veröffentlichungskontexten, Zielsetzungen, Materialauswahl, Prämissen und Argumentation zeigen. In der Zusammenschau werden Koalitionen und Antagonismen zwischen verschiedenen Akteuren sowie Vernetzungen zwischen privaten, zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen, politischen und offiziellen Perspektiven deutlich. Gemeinsam ist den Studien, dass sie ›Mythos‹ und ›historische Realität‹ oder, neutraler gefasst, Real- und Rezeptionsgeschichte gegenüberstellen und aufeinander beziehen. Rezeption ist demnach mit Instrumentalisierung im Sinne einer zweckgebundenen Verzerrung der ›historischen Wahrheit‹ verbunden, wie sie die Verfasserinnen und Verfasser annehmen. Diese bildet dann die Folie eigener Deutungen, die – zum Teil trotz gegenteiliger Behauptung – mit vor 1989/90 dominanten Deutungsrahmen verbunden bleiben. Die hierdurch er-

231 232 233 234 235

Ebd., S. 112. Ebd., S. 161–162. Ebd., S. 186–187. Ebd., S. 7. Zankel, Anm. 26, S. 8.

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zeugten Sichtblenden erklären auch, warum Quellen aus der sowjetisch besetzten Zone bzw. der DDR weitestgehend unbeachtet bleiben. Trotz des wissenschaftlichen Anspruchs der Arbeiten zur Rezeptionsgeschichte der Weißen Rose werden Begriffe wie ›Erinnerung‹, ›Wahrnehmung‹ und nicht zuletzt ›Rezeption‹ theoretisch nicht fundiert oder in eine methodisch systematische Analyse überführt. Den beiden zuletzt erschienenen Arbeiten, welche erstmals die kulturwissenschaftlich geprägten Begriffe ›Erinnerung‹, ›Erinnerungskultur‹ und ›Gedächtnis‹ auf die Weiße Rose anwenden, gelingt dies in sehr unterschiedlichem Grade. Kristina Kargl wendet in ihrer Dissertation, deren Drucklegung durch die Weiße Rose Stiftung gefördert wurde, den Begriff ›Erinnerungskultur‹ völlig unkritisch an. In einem Theoriekapitel beansprucht Kargl die »Entwicklung des kollektiven Gedächtnisses seit den 1920er-Jahren [sic]« zu beschreiben und referiert – äußerst schematisch – die Theorien von Maurice Halbwachs, Aby Warburg, Pierre Nora sowie Aleida und Jan Assmann, die ihr zufolge in die »umfassende Theoriebildung des Gießener Sonderforschungsbereichs 434 zum Thema Erinnerungskulturen« einfließen, welche sie zur Grundlage ihrer Arbeit erklärt.236 Bereits auf sprachlicher Ebene wird deutlich, dass Kargl ›Erinnerungskultur‹ nicht als heuristisches Modell, sondern als reales Phänomen auffasst. »Die Konjunktur der Gedächtnistheorien seit den 1980er-Jahren und die Angst vor dem Tod der Zeitzeugen« werden als Begründung dafür herangezogen, dass die Weiße Rose erst »in den letzten zwei oder drei Jahrzehnten genauer untersucht wird«.237 Kargl konstatiert, dass sich »das floating gap« entwickele, weshalb der »Typus der Erinnerungsarbeit […] in den nächsten Jahren zunehmend wissenschaftlich-diskursiv verlaufen« und mit dem bevorstehenden »Tod« der »letzten Zeitzeugen« die »Erinnerung an die Weiße Rose ein Teil des kulturellen Gedächtnisse« werde.238 Den eigentlichen Gegenstand ihrer Dissertation, nämlich »Einfluss und Wirkung des Exils auf die Publizität der Münchner Widerstandsgruppe« zu beschreiben, begründet die Verfasserin mit dem im Titel angezeigten »Defizit« der Erinnerungskultur, dass die »Bedeutung […], die dieser Widerstand besonders für das gesamte Andere Deutschland hatte«, nicht gewürdigt werde, zumal die »Entstehung der Erinnerungskultur« durch die »Verbreitung und Verarbeitung dieser Widerstandsaktion im Ausland« ab 1943 überhaupt erst ermöglicht worden sei.239 In der Durchführung ihrer Untersuchung wendet 236 Kristina Kargl: Die Weiße Rose. Defizite einer Erinnerungskultur. Einfluss und Wirkung des Exils auf die Publizität der Münchner Widerstandsgruppe. München: Alitera 2014, S. 23–30, S. 17. 237 Ebd. Hervorhebung im Original. 238 Ebd., S. 30–33. 239 Ebd., S. 15.

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Kargl indes kaum gedächtnistheoretische Konzepte an. Durch Quellenabgleich kommt sie zu neuen Thesen bezüglich der Verbreitung von Informationen über die Weiße Rose ins Ausland und der Wirkung von Darstellungen im Exil, wobei sie den Schwerpunkt auf Thomas Mann und Alfred Neumann legt, aber auch fiktionale Bearbeitungen des Themas bei Vicki Baum und Johannes R. Becher erwähnt. Insbesondere geht es Kargl dabei um eine Rehabilitierung des Romans Es waren ihrer sechs von Alfred Neumann, ohne den ihrer Einschätzung nach »die Weiße Rose niemals so bekannt geworden wäre«.240 Im Vergleich zwischen Roman und ›historischer Realität‹241 konstatiert die Verfasserin frappierende »Ähnlichkeiten«, die zeigen, dass Neumann seinen Roman auf der Grundlage vielfältiger »Artikel, Briefe und Dokumente« verfasst habe, die auch ein »umfassenderes Bild vom Studentenwiderstand in München und vom nationalsozialistischen Lebensalltag« ermöglichten.242 Die »Überschreibung« durch Inge Aicher-Scholls Buch und dessen Einfluss auf die Erinnerungskultur wertet sie als »Auslöschung einer Erinnerung« und sieht die weitere Entwicklung der Erinnerungskultur durch »Instrumentalisierung« gekennzeichnet, an der AicherScholl »einen großen Anteil« habe.243 Sie erwähnt hierbei en passant und ohne Belege, dass auch in der DDR der Widerstand der Weißen Rose »ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur und der antifaschistischen Propaganda« gewesen sei.244 Kargl kommt zu dem Schluss, dass die von Steinbach und Tuchel der Exilliteratur unterstellte »Tendenz zur Entpolitisierung, Idealisierung und Romantisierung der Münchner Studenten« als »symptomatisch« anzusehen sei »für die Dysfunktionalität einer Erinnerungskultur, die sich mehr an kollektivem Erinnern als an faktischer Geschichte orientiert.«245 Gleichwohl verwendet sie hier unter dem begrifflichen Vorzeichen ›Erinnerungskultur‹ ein zu dem von Steinbach und Tuchel analoges Argumentationsschema, zumal sie für den Fall der Weißen Rose insgesamt befindet, dass die »Erinnerung […] sich hier weit von der realen Geschichte entfernt« habe, »wie das für Erinnerungskulturen durchaus typisch ist«.246 Kargl unterstreicht abschließend die Notwendigkeit, die von ihr aufgezeigten »Aspekte aus längst vergangener Zeit« in eine »moderne Erinnerungskultur an der LMU zu integrieren«.247 Im Gegensatz zu Kargl und den anderen hier besprochenen Arbeiten, macht Christine Hikel in ihrer im Oldenbourg Verlag veröffentlichten Dissertation über 240 241 242 243 244 245 246 247

Ebd., S. 189. Ebd. Ebd., S. 152. Ebd., S. 189. Ebd., S. 180. Ebd., S. 189. Ebd. Ebd.

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Inge Scholl und die Weiße Rose keine normativen Aussagen, wie Erinnerung und Gedenken an die Weiße Rose zu gestalten seien. Vielmehr problematisiert sie, dass die bisherigen Studien »eine Art grundsätzliches Recht auf Würdigung und Erinnerung postulieren« und bemängelt, dass »Erkenntnisse der Forschungen zu Erinnerung« nicht in »Arbeiten über die Rezeptionsgeschichte der Weißen Rose« eingegangen sind.248 Im Gegensatz zu Kargl entwickelt sie jedoch einen eigenen, ihrem Gegenstand angepassten Forschungsansatz. Auch Hikel legt ihrer Arbeit gedächtnistheoretische Überlegungen vor allem Aleida Assmanns zugrunde und benennt davon ausgehend »Zeit und Generation, Archivierung, die Spannung zwischen Homogenisierung und Deutungsoffenheit sowie Politisierung« als »Analysekategorien«.249 Im Kontrast zu anderen Forschungen reklamiert Hikel einen »grundlegenden Perspektivwechsel«, da nicht der »Umgang mit der Verbrechensgeschichte des Nationalsozialismus«, sondern mit der Geschichte der Weißen Rose eine »positive Gegenerzählung« zu dieser untersucht werde.250 Hikel wählt im Gegensatz zu anderen gedächtnistheoretisch orientierten Studien aber eine »akteurszentrierte Vorgehensweise«, die an Inge Scholl als Vertreterin der »Aufbaugeneration der Bundesrepublik« und ihren Rollen als »Schwester, Hüterin des Familienarchivs und Protagonistin des bundesdeutschen ›Demokratiewunders‹« ansetzt.251 Anhand von Inge Scholls Biografie können, so beansprucht Hikel, die »Geschichte der Erinnerung an die Weiße Rose und der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft erzählt werden«.252 Daraus ergibt sich auch der »Schwerpunkt auf die ›alte‹ Bundesrepublik bis zur deutschen Einheit 1989/90 [sic]«, jedoch werde, »wenn Ereignisse in der DDR auch Auswirkungen auf den Umgang mit der Erinnerung an die Weiße Rose in der Bundesrepublik haben […] ein Blick auf die andere Seite des Eisernen Vorhangs gewagt«.253 Anhand der »wechselseitigen[n] Beeinflussung von familiärem Wissen und Erinnerung an den Widerstand auf der einen und den politischen, gesellschaftlichen und (geschichts)wissenschaftlichen Rahmenbedingungen auf der anderen Seite«, lasse sich so nachvollziehen, »wie bestimmte Geschichtserzählungen als Erinnerungserzählungen entstehen« und sich zu Narrativen entwickeln.254 Im Feld der Zeitgeschichte seien für diesen Prozess »Deutungskonkurrenzen zwischen ›Primärerfahrung‹, ›Erinnerungskultur‹ und Historiographie« ausschlaggebend. Auch wenn sich Hikel explizit vom statischen Gedächtnisbegriff distan248 249 250 251 252 253 254

Hikel, Anm. 49, S. 5–6. Ebd., S. 7. Ebd., S. 3. Ebd., S. 2. Ebd., S. 1. Ebd. Ebd., S. 2.

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ziert255, folgt sie in der Annahme einer »deutschen Erinnerungsgemeinschaft«256 im Wesentlichen dem von Jan und Aleida Assmann vorgegebenen Modell des ›kulturellen‹ und ›kommunikativen Gedächtnisses‹, was sich auch darin zeigt, dass der Unterschied zwischen ›Erzählungen‹, ›Narrativen‹ und ›Deutungen‹ nicht expliziert wird. Hikels Arbeit unterscheidet sich jedoch in der Durchführung von einschlägigen kulturwissenschaftlichen Studien durch die methodisch differenziert angelegte und begründete Akteurszentrierung sowie die Heranziehung unterschiedlicher Quellen und von Archivalien. Zunächst analysiert Hikel, wie Inge Scholl die Motivation und Zielsetzung des Widerstands interpretierte und unter welchen Bedingungen die Angehörigen und Überlebenden ihre Perspektive in die öffentlichen Debatten einspeisen konnten. Beleuchtet werden auch Konkurrenz und Beziehung zwischen staatlicher, familiärer und wissenschaftlicher Archivierung. Um zu zeigen, »wie und warum« es Inge Scholl gelang, »die Geschichte ihrer Geschwister in die politischen Debatten der 1940er- und 1950er-Jahre zu integrieren«,257 werden ihr Politikverständnis und politisches Engagement in Zusammenhang mit der Veröffentlichung ihres Buches dargestellt, aber am Beispiel von Filmprojekten, die aufgrund des Vetos von Familien nicht realisiert werden konnten, auch Grenzziehungen zwischen öffentlicher und privater Erinnerung aufgezeigt. Exemplarisch wird schließlich untersucht, wie sich politische und gesellschaftliche Bedingungen öffentlicher Erinnerung verändern. Hierbei wird für die 1970-er Jahre »im Nachgang von 1968 eine regelrechte Erinnerungslücke« konstatiert, bevor in den 1980er-Jahren ein »›Erinnerungsboom‹« einsetze.258 Hikel kommt zu pointierten Schlussfolgerungen, die weit über die Erkenntnisse der oben besprochenen Forschungen hinausgehen. Die generalisierende, mit dem Schlagwort ›Gegenwartsbezug‹ verbundene These, dass sich die Geschichte der Weißen Rose »immer dann in die Geschichte der Bundesrepublik einschreiben« ließ, »wenn es gelang sie an die dominierenden politischen, gesellschaftlichen und historischen Debatten anzuschließen«259, scheint hierbei jedoch Prämisse und Ergebnis ihrer Untersuchung zugleich zu sein. Dabei entsteht die Problematik, dass dominante bzw. konsensfähige Positionen nur retrospektiv bestimmt werden können, davon abweichende Positionen entweder gar nicht in den Blick kommen oder per se als marginalisiert und wirkungslos gelten. Die Beschränkung auf bundesrepublikanische Diskurse ist damit nicht nur auf den Ansatz, Inge Scholl als Akteurin zu betrachten, zurückzuführen, sondern eben auch auf Positionierungen einer Forschungsrichtung hinsichtlich 255 256 257 258 259

Ebd., S. 7. Ebd., S. 75. Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. Ebd., S. 2.

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»bundesrepublikanischer Selbstverortung«.260 Hikel folgt damit der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung in ihrer Bestimmung der Funktion von Erinnerung, in deren Terminologie: ›kollektive Identität‹. Während Kargls Arbeit im begrifflichen Gewand der Gedächtnisforschung ähnliche Probleme wie die oben diskutierten Prämissen und methodischen Mängel rezeptionsgeschichtlicher Arbeiten zur Weißen Rose unterliegen, zeigt Hikel, dass Eingrenzung, methodische Fundierung und quellenkritisches Vorgehen zielführend sind.

II.3 Trans(kon)textuelle Analyse von Geschichtsdiskursen II.3.1 Probleme geschichts- und gedächtnistheoretischer Paradigmata Am Beispiel der Arbeiten von Breyvogel, Schüler, Steinbach und Tuchel wurde gezeigt, dass die Rezeption der Weißen Rose oft als eine Geschichte der Instrumentalisierung und ideologischen Vereinnahmung gewertet wird, der ›objektive‹ historische Interpretationen entgegengestellt werden. Diese beruhen jedoch ihrerseits auf Prämissen, die sich im bundesrepublikanischen Diskurs vorgezeichnet und nach 1990 eine weitgehende Dominanz entwickelt haben. »Totalitarismustheoretisch verursachte Sichtblenden«261 und Vorstellungen von Gedächtnis und Erinnerung in ›postdiktatorischen Gesellschaften‹ führen zu einseitigen Perspektiven bzw. blinden Flecken der Forschung in Bezug auf die Rolle der Weißen Rose in den verschiedenen antifaschistischen Diskursen – nicht nur in der DDR. Um das Desiderat einer »Einbeziehung des Umgangs mit der ›Weißen Rose‹ in der DDR« und damit einer deutsch-deutschen Beziehungsgeschichte der Geschichte der Weißen Rose262 einzulösen sowie Entwicklungen nach dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit zu untersuchen, ist ein Zugang notwendig, der die Bedeutung der Weißen Rose in verschiedenen Kontexten und deren Zusammenwirken erklärt. Hierzu werden im Folgenden in einem ersten Schritt die miteinander verbundenen geschichts- und gedächtnistheoretischen Forschungsparadigmen problematisiert, um in Abgrenzung dazu in einem zweiten Schritt einen auf den Gegenstand der Arbeit bezogenen methodischen Ansatz zur Analyse von Geschichtsdiskursen zu begründen. 260 Ebd., S. 248. 261 Raiko Hannemann: DDR-Oppositionsforschung und Erinnerungsprozesse. Konflikte in und mit einer deutschen Nachkriegsgesellschaft. In: Christian Ernst (Hrsg.): Geschichte im Dialog. ›DDR-Zeitzeugen‹ in Geschichtskultur und Bildungspraxis. Schwalbach/Ts.: Wochenschau 2014, S. 81–98, S. 87. 262 Sack, Anm. 50.

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›Gedächtnis‹ ist zu einem »Leitbegriff der Kulturwissenschaften«263 avanciert. In den Arbeiten Aleida Assmanns, die gemeinsam mit ihrem Mann Jan Assmann den Begriff des ›kulturellen Gedächtnisses‹264 geprägt hat und als führende Forscherin zu Fragen deutscher Erinnerungskultur gilt, vermischen sich Interpretationen (deutscher) Zeitgeschichte und normative Aussagen zur Erinnerungskultur.265 Wie diese Ebenen ineinander greifen, lässt sich an Aleida Assmanns 2013 unter dem Titel Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur im Beck-Verlag erschienenen »Intervention« aufzeigen. In dieser etikettiert sie wissenschaftliche und publizistische Kritik an erinnerungskultureller Theorie und Praxis als »wachsendes Unbehagen«266 und nimmt dies einerseits zum Anlass, den von ihr behaupteten »erinnerungskulturellen Forschungskonsens« der Annahme erfahrungsbasierter kollektiver Gedächtnisse mit Identitätsbezug zu verteidigen.267 Andererseits affirmiert sie als Spezifikum einer »neuen Erinnerungskultur« die »selbstkritische« Erinnerung traumatischer Vergangenheit gerade auch in Bezug auf die »Opfer der eigenen Verbrechen« statt heroischen Gedenkens an die »eigenen Opfer der Kriege«.268 Generationswechsel und Migration und die damit einhergehende »demographische[…] und kulturelle[…] Wende« lassen es notwendig erscheinen, eine »Standortbestimmung« vorzunehmen.269 Diese soll einen Beitrag »zur Selbstaufklärung und Erneuerung des gemeinsamen Projekts der Erinnerungskultur« leisten.270 An der Verschränkung wissenschaftlicher Sprecherposition und politischem Geltungsanspruch zeigt sich, dass Assmann Begriffe wie ›Gedächtnis‹ oder ›Erinnerungskultur‹ nicht nur als analytische, sondern vor allem als »normative Praxiskategorien verwendet, die ein bestimmtes Verständnis dieser Konzepte absolut setzen«271, wie Cornelia Siebeck kritisiert. Gerade weil Assmanns Begriffe und Thesen in 263 Aleida Assmann: Gedächtnis als Leitbegriff der Kulturwissenschaften. In: Lutz Musner, Gotthart Wunberg (Hrsg.): Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen. Wien: WUV 2002, S. 27–45. 264 Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. In: Jan Assmann, Tonio Hölscher (Hrsg.): Kultur und Gedächtnis. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1988, S. 9–19. 265 Siehe bspw. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Bonn: Bundeszentrale für polit. Bildung 2007. 266 Aleida Assmann: Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention. München: Beck 2013, S. 13. 267 Ebd., S. 17. 268 Ebd., S. 11–12. 269 Ebd. 270 Ebd., 11–15. 271 Cornelia Siebeck: »In ihrer kulturellen Überlieferung wird eine Gesellschaft sichtbar«? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Assmann’schen Gedächtnisparadigma. In: Ren8 Lehmann, Florian Öchsner, Gerd Sebald (Hrsg.): Formen und Funktionen sozialen Erinnerns. Sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen. Wiesbaden: Springer 2013, S. 65–90, S. 75, Hervorhebung im Original.

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Wissenschaft und Medien oftmals unkritisch übernommen werden,272 ist es wichtig, nicht nur die theoretischen, sondern auch die politischen Prämissen erinnerungskultureller Konzepte zu hinterfragen. Ersteres ist bereits hinlänglich geschehen. So hat etwa Martin Sabrow den »überzeitlichen und interkulturellen Geltungsanspruch«273 der Assmann’schen Modellbildung problematisiert. Ulrike Jureit kritisiert den essentialistischen Kulturbegriff der Theorie des Kulturellen Gedächtnisses, der einer »Biologisierung gesellschaftlicher Phänomene«274 Vorschub leistet und – Maurice Halbwachs einseitig bzw. fehlinterpretierend275 – das ›kollektive Gedächtnis‹ »als einen identitätsstiftenden Mechanismus ethnogenetischer Prozesse« modelliert, dem »ein Identitätskonzept zugrunde gelegt wird, das Homogenität voraussetzt«, die »in postsouveränen, funktional differenzierten und massenmedial geprägten Gesellschaften« keine Anwendung finden kann.276 Jureits Kritik bezieht sich sodann jedoch auf die »Symbiose zwischen der kulturellen Gedächtnistheorie, wie sie von Jan und Aleida Assmann vertreten wird, und der opferidentifizierten Grundstruktur bundesdeutscher Erinnerungskulturen«.277 Auch wenn Jureits verallgemeinernde These zum deutschen ›Holocaust-Gedächtnis‹ als »opferidentifiziertes Gedächtnis, in dem weder die Täter noch ihre Nachkommen, in dem auch nicht der deutsche Staat als Rechtsnachfolger des ›Dritten Reiches‹ in Erscheinung tritt«, eigener Diskussion bedarf,278 ist es wohl kein Zufall, dass (nicht nur) in Aleida Assmanns Arbeiten zur deutschen Erinnerungskultur sowohl Täter, als auch der Widerstand gegen den Nationalsozialismus Leerstellen bilden, da die Einbeziehung dieser Themenkomplexe zentrale Prämissen und Thesen in Frage stellen würde. Cornelia Siebeck kritisiert ein »eigentümliches Nebeneinander explizit sozial-konstruktivistischer und implizit normativ-essentialistischer Annahmen« wie der »präexistierender ›Erinnerungsgemeinschaften‹«, »die dann eben doch im Singular gedacht und zum Kollektivsubjekt essentialisiert werden«279 und so 272 Dies gilt sowohl für zahlreiche literaturwissenschaftliche und historische Arbeiten. Vgl. bspw. Kapitel 3 und Schluss in Janina Bach: Erinnerungsspuren an den Holocaust in der deutschen Nachkriegsliteratur. Wroclaw, Dresden: Neisse Verlag 2007. 273 Martin Sabrow : Die Lust an der Vergangenheit. Kommentar zu Aleida Assmann. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History (2007), Nr. 4, S. 386–392, S. 389. 274 Ulrike Jureit: Gefühlte Opfer. Illusionen der Vergangenheitsbewältigung. Stuttgart: KlettCotta 2010, S. 67. 275 Siehe Frank Voigt: Die Aktualität von Halbwachs’ Kritik an Bergson und Durkheim. Zu einigen Problemen in den Halbwachs-Lektüren bei Aleida und Jan Assmann. In: ZRGG 66 (2014), Nr. 3/4, S. 243–269. 276 Jureit, Anm. 274, S. 54–71, hier 67–68. 277 Ebd., S. 72–76, hier S. 76. 278 Ebd., S. 72–76. 279 Siebeck, Anm. 271, S. 81–82. Hervorhebung im Original.

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personalisiert und psychoanalytischen Analogien zugänglich werden. In dem von Aleida Asmmann postulierten »Paradigmawechsel [sic] von der Ideologiekritik zum kollektiven Gedächtnis«280 sieht Siebeck in ihrem Plädoyer für einen »ideologiekritische[n] und hegemonietheoretisch informierte[n] Theorieansatz« die »Gefahr einer Entpolitisierung und Enthistorisierung des akademischen Blicks auf gedächtniskulturelle Phänomene«.281 Inwieweit jedoch Assmanns Ansätze auf spezifischen politischen und geschichtstheoretischen Positionen gründen, wurde bisher nicht herausgearbeitet. Deutlich werden diese bereits in Assmanns historischer Einordnung der ›Erinnerungskultur‹, deren Entstehung sie auf einen doppelten Bruch 1989 zurückführt. Mit dem Fall der Berliner Mauer und des Kommunismus »brach gleichzeitig noch etwas anderes zusammen, nämlich der Modernisierungsglaube mit seiner Zukunftserwartung und Vergangenheitsvergessenheit«.282 Die Annahme eines Endes der Ideologien, das mit dem der deutschen Teilung und der Durchsetzung westlicher Demokratie in Korrespondenz gebracht wird, schließt dabei keineswegs nur an konservative Positionen an, sondern entfaltet ein breites Konsenspotenzial, indem die Diktaturen der Vergangenheit zum Fokus kollektiver Erinnerung erklärt werden. Die Funktionsweise von Erinnerung in der Demokratie wird in Gegensatz zu der »totalitärer Gesellschaften« gesetzt, welche »versuchen […] die Vergangenheit nach dem Bilde ihrer jeweiligen Machtinteressen zu formen« und »die subjektive Kraft der persönlichen Erinnerung, die dieser Fiktion ein Veto entgegensetzen könnte«, unterdrücken.283 Dagegen ist das »kollektive Gedächtnis« in der Assmann’schen Konzeption von Erinnerungskultur »im doppelten Sinne repräsentativ : Es repräsentiert einen als zentral bewerteten Ausschnitt der Vergangenheit und ist repräsentativ für Einzelschicksale«, stellt somit eine »rekonstruierte Geschichte« dar, »die den Rahmen absteckt für die eigenen Erinnerungen«.284 Die kollektive Rahmung individueller Erinnerungen wird als Voraussetzung »für eine kollektive Identität« angenommen, »die die Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schlägt«, woraus Assmann wiederum folgert: »Im Medium der Erinnerung vergewissert sich die Nation ihrer Geschichte.«285 Assmann verbindet somit antitotalitären Konsens und den Konnex von Geschichte und nationaler Identität, der sich im Laufe der 1970er-Jahren ausgebildet und seit den 1980er-Jahren zu einem dominanten Topos entwickelte.286 Die Theorie des kulturellen Ge280 281 282 283 284 285 286

Ebd., S. 76. Ebd., S. 77–78. Assmann, Anm. 266, S. 10. Ebd., S. 19–20. Ebd. S. 17. Ebd., S. 29. Siehe Peitsch, Anm. 132, S. 302–313.

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dächtnisses und Assmanns Ausführungen zur deutschen Erinnerungskultur beruhen in ihren Prämissen damit auf den Diskursen, die sie vorgeben zu analysieren. Idealtypische Vorstellungen politischer Systeme in der binären Gegenüberstellung von ›Diktatur‹ und ›Demokratie‹ der Totalitarismustheorie und die Konzeption der Nation als ›Erinnerungsgemeinschaft‹ im Singular führen zwangsläufig zu Homogenisierungen, die »die vielgestaltigen diskursiven Antagonismen zwischen historischen Akteur/innen oder Akteurskonstellationen sowie die auf diese Weise entstehenden Dynamiken«287 aus den Blick geraten lassen. Dies zeigt sich bei Assmann auch auf sprachlicher Ebene in der Personifikation von Kollektiven (»Die Nation vergewissert sich«), zahlreichen Passivkonstruktionen oder der Verwendung des Pronomens »man« (»Das gemeinsame Gedächtnis […] beruht auf gemeinsamen Riten, Symbolen und Geschichten, die man sich gegenseitig erzählt«288). Die damit verbundene Ausblendung bzw. Verwischung von konkreten Instanzen und Kontexten führt auch zu einer Entdifferenzierung von Inhalten und Positionen. Die analysierten Phänomene werden, so formuliert es Siebeck, stattdessen als »kulturelle Objektivationen« gelesen, in welche im Grunde eigene Positionen zurückprojiziert werden.289 Kritischer zugespitzt reproduziert ein solches Vorgehen mythisierende Konstruktionen von Geschichte anstatt zu analysieren, wie und wozu Geschichte konstruiert wird. Funktionen und Funktionsweise der Gegenstände, die analysiert werden sollen, werden modellhaft vorausgesetzt anstatt sie empirisch herauszuarbeiten. Erinnerungskulturelle Ansätze, die von solchen normativen Prämissen ausgehen, umgehen theoretisch-methodische Fragen, denen sich ein historisch-kritisches Vorgehen stellen muss.

II.3.2 Methodisches Vorgehen: Text, Kontext und Diskurs Zunächst stellt sich die Frage, was im Forschungsfeld ›Gedächtnis‹ eigentlich Gegenstand wissenschaftlicher Analyse ist bzw. sein kann. Das ›kollektive Gedächtnis‹ bezeichnet heuristische Modelle und kein reales Phänomen. Der Gedächtnisbegriff stellt, wie Astrid Erll zurecht betont, eine Metapher dar, die »produktiv[…] und irreführend[…]« zugleich sein kann: »Gänzlich irreführend wird die Gedächtnis-Metapher […], wo mit ihr die gesamte individualpsychologische Begriffslogik auf die Kultur bezogen wird.«290 Produktiv aber ist tat287 288 289 290

Siebeck, Anm. 271, S. 75. Hervorhebung im Original. Assmann, Anm. 266, S. 17. Siebeck, Anm. 271, S. 82–83. Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart: Metzler 2005, S. 98–99.

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sächlich, dass die kulturwissenschaftliche Diskussion über Gedächtnistheorien zu einer disziplinären Öffnung geführt hat und die Sichtweise gestärkt hat, dass Geschichtsschreibung und die gesellschaftliche Vermittlung von Geschichte ineinandergreifen und zusammenspielen. Diese Erkenntnis unterliegt auch geschichtsdidaktischen Theorieansätzen, die ein Wechselverhältnis von ›Geschichtsbewusstsein‹ und ›Geschichtskultur‹ annehmen, eine Begrifflichkeit, die zwar die Gedächtnismetaphorik umgeht, jedoch auch in ihrer Problematik Parallelen zur erinnerungskulturellen Theoriebildung aufweist.291 ›Geschichtskultur‹ als Summe der »verschiedensten kulturellen Manifestationen« des Geschichtsbewusstseins ihrer Mitglieder bezeichnet die »Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit Vergangenheit und Geschichte umgeht«.292 Rückschlüsse von einzelnen »Manifestationen« auf eine Geschichtskultur greifen methodisch aber ebenso zu kurz wie die primär kulturelle Erklärung von dahinterliegenden Phänomenen. Weiterführend sind dagegen geschichtsdidaktische Schlussfolgerungen, dass historische Erkenntnisund Urteilsbildung sowohl die ›Re-Konstruktion‹ historischer Sachverhalte auf der Grundlage von Quellen als auch die ›De-Konstruktion‹ von geschichtskulturellen Darstellungen benötigt.293 Der Zusammenhang von Quellen und Darstellungen verweist auf die Ambivalenz von ›Geschichte‹ als »Integrationsbegriff für vergangenes Geschehen ebenso wie als dessen Darstellung«,294 also zum einen auf eine Abfolge von Ereignissen in der Vergangenheit, zum anderen auf den Prozess ihrer Rekonstruktion, Erklärung und Bewertung anhand zugänglicher und ausgewählter Quellen von einem gegenwartsbezogenen Standpunkt aus. Die so bedingten und konstruierten Darstellungen werden in bestimmten Kontexten publiziert, rezipiert und vermittelt, indem sie – im wissenschaftlichen Kontext oft auch als ›sekundäre Quellen‹ bezeichnet – in weiteren Darstellungen genutzt werden. Geschichte ist somit »unhintergehbar textgebunden«295 und die hier angedeuteten ›transtextuellen Prozesse‹ liegen nicht nur der Geschichtsschreibung zu291 Siehe Wolfgang Hasberg: Erinnerungs- oder Geschichtskultur? Überlegungen zu zwei (un-)vereinbaren Konzeptionen zum Umgang mit Gedächtnis und Geschichte. In: Olaf Hartung (Hrsg.): Museum und Geschichtskultur. Ästhetik – Politik – Wissenschaft. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2006, S. 32–59. 292 Hans-Jürgen Pandel: Geschichtskultur. In: Hans-Jürgen Pandel, Ulrich Mayer (Hrsg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. Schwalbach/Ts.: Wochenschau 2014, S. 86–87, S. 86. 293 Siehe bspw. Andreas Körber, Waltraud Schreiber, Alexander Schöner : Kompetenzen historischen Denkens. Ein Strukturmodel als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik. Neuried: Ars Una 2006. 294 Daniel Fulda, Silvia Serena Tschopp: Einleitung. In: Daniel Fulda, Silvia Serena Tschopp (Hrsg.): Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin: De Gruyter 2002, S. 1–10, S. 1. 295 Ebd.

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grunde, sondern auch der Vermittlung von Geschichte an breitere Adressatengruppen in unterschiedlichen Medien. Es entsteht aus unterschiedlichen Kontexten heraus ein Komplex von Darstellungen zu einem Thema, welches eben dadurch historisch wird und sich auch in Bezug zu anderen Kontexten weiter entfaltet. Diese Zusammenhänge von Texten und Kontexten werden im Folgenden als ›Geschichtsdiskurse‹ betrachtet. Indem induktiv durch Analyse und Vergleich von Texten übergreifende Muster und Differenzen herausgearbeitet werden, können Diskurse in ihrer Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit analysiert werden, anstatt von einzelnen kulturellen Manifestationen deduktiv auf das Latente einer Kultur zu schließen oder Funktionen von Diskursen über Geschichte (Erinnerung, Identität, Hegemonie) global vorauszusetzen. Ausgehend von Darstellungen als Quellen für die erinnerungsgeschichtliche Untersuchung kann somit analysiert werden, welche Akteure in welchem Kontext, auf welche Weise und mit welchen Zielen bestimmte Wissenskonstruktionen und Deutungen eines historischen Gegenstands vermitteln, und in welchen Kontexten und mit welcher zeitlichen Reichweite diese Gültigkeit erlangen. In Bezug auf die Weiße Rose und die zentrale Frage nach den Beziehungen von Diskursen in Ost und West sowie vor und nach ›1989/90‹ wird im Folgenden ausgehend von diesen Überlegungen und diskursanalytischen Ansätzen ein Vorgehen entwickelt, das auch auf andere Gegenstände übertragbar sein soll. Das den Studien zugrundeliegende Material erstreckt sich über einen Untersuchungszeitraum von über sechs Jahrzehnten und stammt somit aus sehr unterschiedlichen Kontexten – hierfür stehen nicht zuletzt die unterschiedlichen Publikationsbedingungen in der Bundesrepublik und der DDR. Um auf dieser heterogenen Basis Zusammenhänge und Entwicklungen aufzeigen zu können, müssen Beziehungen zwischen Texten und unterschiedlichen Kontexten beachtet und Forschungsperspektiven für eine ›trans(kon)textuelle Analyse‹ von Geschichtsdiskursen begründet und methodisch operationalisiert werden. Auf klassische Ansätze der Diskursanalyse kann hierbei nur bedingt zurückgegriffen werden. Hinter den Begriffen ›Diskurs‹ und ›Diskursanalyse‹ verbergen sich sehr unterschiedliche Konzepte, die unterschiedlichen Disziplinen und Schulen entspringen.296 Im deutschsprachigen Kontext sind insbesondere Arbeiten Michel Foucaults rezipiert worden, der Diskurse vor allem als »wirkmächtige und wirklichkeitskonstitutive« Organisation sprachlicher und sozialer Praktiken nach bestimmten Regeln begreift.297 Ansätze in Deutschland »im Gefolge Fou296 Vgl. etwa die Beiträge in Rainer Keller, Andreas Hirseland, Werner Schneider, Willy Viehöver (Hrsg.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. 2. Aufl. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2006. 297 Siehe Achim Landwehr: Historische Diskursanalyse. 2. Aufl. Frankfurt a. M., New York: Campus 2008, S. 13–25.

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caults« fassen Diskurs meist explizit als »institutionell verfestigte Redeweisen« auf und interessieren sich für ihre »Machtwirkungen«, die gesellschaftliche »Sag- und Machbarkeitsfelder« und »zeitweilig gültig[e] Wahrheiten« erzeugen.298 Der von solchen Fragestellungen ausgehende Ansatz der ›Kritischen Diskursanalyse‹ nach Siegried Jäger fokussiert auf die »Regulation von (Massen)Bewusstsein« und eignet sich vor allem für die synchrone Analyse von kohärenten Korpora, die meistens anhand von Material aus Massenmedien, insbesondere Zeitungen, vorgenommen werden. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine »Gesamtaussage« herausgearbeitet werden kann.299 Ein entsprechendes Vorgehen und Ziel ist für den Gegenstand dieser Arbeit angesichts der Heterogenität der Kontexte und des Materials weder anwendbar noch geeignet. Weniger rezipiert wurden in Deutschland bisher die Ansätze der ›französischen Schule‹ der analyse de discours,300 welche aus »post-strukturalistischen Tendenzen« und einer »pragmatische[n] Wende der französischen Sprachwissenschaften« hervorgehen, die im Gegensatz zur amerikanischen Pragmatik nicht intersubjektives Handeln, sondern anknüpfend an semiotische Überlegungen Pmile Benevistes den Äußerungsprozess (8nonciation) als Ausgangspunkt für Theoriebildung und Analysen nehmen.301 Prämisse ist, dass der Sinn von Aussagen durch den Prozess ihrer Äußerung bedingt wird. Zur Äußerungssituation gehören vielfältige Instanzen einschließlich der Rezipienten, institutionelle Formationen, mediale oder gattungsspezifische Regeln und Konventionen, die an der Hervorbringung von Aussagen und der Herstellung von Sinn beteiligt sind. Texte werden nicht als geschlossene Gebilde, sondern als polyphone Gewebe betrachtet: Sie transportieren andere Texte und Diskurse. Diskursanalyse bedeutet dann, Texte als »aufgezeichnete Spuren einer diskur-

298 Siegfried Jäger: Diskurs und Wissen. Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. In: Rainer Keller, Andreas Hirseland, Werner Schneider, Willy Viehöver (Hrsg.): Handbuch sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Theorien und Methoden.2. Aufl. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2006, S. 83– 114, S. 85. 299 Ebd., S. 105. 300 Siehe Dominique Maingueneau: Die »französische Schule« der Diskursanalyse. In: Konrad Ehlich (Hrsg.): Diskursanalyse in Europa. Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang 1994, S. 187–195. 301 Johannes Angermüller: Diskursanalyse: Strömungen, Tendenzen, Perspektiven. In: Johannes Angermüller, Katharina Bunzmann, Martin Nonhoff (Hrsg.): Diskursanalyse: Theorien, Methoden, Anwendungen. Hamburg: Argument 2001, S. 7–22, S. 10–12. Siehe auch: Johannes Angermüller : Einleitung. Diskursforschung als Theorie und Analyse. Umrisse eines interdisziplinären Feldes. In: Johannes Angermüller, Martin Nonhoff, Eva Herschinger [u. a.] (Hrsg.): Diskursforschung. Ein interdisziplinäres Handbuch. Band 1: Theorien, Methodologien und Kontroversen. Bielefeld: transcript-Verl. 2014, S. 16–36.

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siven Aktivität«302 zu betrachten und Aussagen im Kontext ihrer Produktions-, Zirkulations- und überindividuellen Rezeptionsweisen zu analysieren. Das linguistische Vorgehen der analyse de discours, das Korpora als ›Archive‹ in Bezug auf die institutionellen Bedingungen eines Orts erstellt und analysiert, kann weder ungebrochen auf nicht-linguistische Untersuchungen übertragen, noch auf das heterogene, thematisch versammelte Material dieser Arbeit angewendet werden. Es dient hier als Anregung, die Analyse des Materials an drei miteinander verbundenen Ebenen zu orientieren: – Analyse des Veröffentlichungskontexts: Die Äußerungssituation von Geschichtsdiskursen charakterisiert sich durch öffentliche Kommunikationsweisen; Darstellungen und ihre Rezeption sind durch die beteiligten Instanzen, ihre mediale Form und den diskursiven Kontext ihrer Entstehung und Publikation bedingt. – Analyse des Darstellungstextes: Geschichtsdarstellungen beruhen auf Quellen und nehmen auf andere Darstellungen Bezug; sie beinhalten diskursbezogene Sinn- und Bedeutungskonstruktionen mit Bezug auf historische Ereignisse und Sachverhalte, die narrativ und argumentativ vermittelt werden. – Analyse der Rezeption: Durch die Analyse der Bewertung, Vermittlung, Nutzung und Weiterverwertung von Darstellungen können Übernahmen, Zurückweisungen und Veränderungen von Deutungsmustern erschlossen werden. Ein solches Untersuchungsprogramm kann durch geschichts-, sozial- und literaturwissenschaftliche Zugänge operationalisiert werden; Grundlagen, Aspekte und Methoden der einzelnen Untersuchungsschritte werden im Folgenden näher erläutert. Bei der Analyse des Veröffentlichungskontexts wird insbesondere nach den an der Publikation beteiligten Instanzen (personale und institutionelle Akteure), der medialen Form und dem diskursiven Kontext gefragt. Der Begriff ›Veröffentlichungskontext‹ wird gerade aufgrund des beziehungsgeschichtlichen Fokusses dabei bewusst gewählt, da es um Rekonstruktion konkreter Bedingungen öffentlicher Kommunikation und nicht um die Charakterisierung von Öffentlichkeiten geht. Diese unterscheiden sich im Fall dieser Arbeit nämlich nicht nur zwischen den verschiedenen Exilländern, den verschiedenen Besatzungszonen, der Bundesrepublik und der DDR, sondern auch die jeweiligen Öffentlichkeiten eines Staates bilden mitnichten eine homogene Struktur. ›Öffentlichkeit‹ in »komplexen Gesellschaften« definiert Jürgen Habermas als weit verzweigtes kommunikatives Netzwerk, eine »intermediäre Struktur«, »die 302 Angermüller, Anm. 301, S. 8.

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zwischen dem politischen System einerseits, den privaten Sektoren der Lebenswelt und funktional spezifizierten Handlungssystemen andererseits vermittelt«.303 Wenn jedoch Öffentlichkeit in »bürgerlich demokratischen Gesellschaften« dann doch wieder im homogenisierenden Singular als der »im kommunikativen Handeln erzeugte soziale Raum«304 beschrieben wird, werden normativ implizierte Dimensionen an Habermas’ Öffentlichkeitsbegriff deutlich, die eine Übertragung auf andere Gesellschaftsformen problematisch machen. Insbesondere Bundesrepublik und DDR werden unter Verweis auf Habermas Öffentlichkeitsbegriff oft bipolar gegenübergestellt. Für Angela Borgwardt etwa handelt es sich bei ersterer um eine »Öffentlichkeit in parlamentarischen Demokratien«, die sich von der »sozialistischen Öffentlichkeit« der DDR grundlegend unterscheide, welche »als politisch gelenktes Instrument normativer Sinnstiftung und der sozialistischen Bewusstseinsbildung« festgeschrieben und demnach als »von Anfang an institutionell durch Kontroll- und Zensurmaßnahmen begrenzt und strukturiert« beschrieben wird.305 Es gibt aber auch differenziertere Ansätze zur Beschreibung von DDRÖffentlichkeit. David Bathrick unterscheidet drei Sphären: die offiziell kontrollierte, die durch Westmedien geschaffene sowie die sub- und gegenöffentliche. Letztere umfasse zum Beispiel Teile kirchlicher Institutionen, Teile der Kunst und die Bürgerbewegungen.306 Die Verlagslandschaft und literarische Öffentlichkeit der DDR bezeichnen Barck, Langermann und Lokatis als »hochdifferenziertes Gebilde«,307 in der Mechanismen der Kontrolle und Zensur je nach Ort, Zeit und Umständen variierten. Neben politischer Einflussnahme und Steuerung müssen auch ökonomische und gesellschaftliche Faktoren sowie Wechselwirkungen zwischen Öffentlichkeiten in der Bundesrepublik und der DDR berücksichtigt werden. In den Analysen der Veröffentlichungskontexte sind folglich von Fall zu Fall komplexe Bedingungsgefüge zu analysieren. Gerade deshalb kann auf eine Analyse der konkreten Instanzen der Veröffentlichung nicht verzichtet werden. An der öffentlichen Hervorbringung von Texten sind neben Autoren, Herausgebern, Verlagen weitere Personen und Institutionen beteiligt. Hierunter fallen zum Beispiel sowohl Institutionen der Zensur wie auch der Förderung von Publikationen. Ein Text im öffentlichen 303 Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S. 451. 304 Ebd., S. 436. 305 Angela Borgwardt: Im Umgang mit der Macht. Herrschaft und Selbstbehauptung in einem autoritären politischen System. Opladen: Westdeutscher Verlag 2002, S. 127–130. 306 David Bathrick: The Powers of Speech: The Politics of Culture in the GDR. Lincoln [u. a.]: University of Nebraska Press 1995, S. 27–56. 307 Siegfried Lokatis, Simone Barck, Martina Langemann: »Jedes Buch ein Abenteuer«. ZensurSystem und literarische Öffentlichkeiten in der DDR bis Ende der sechziger Jahre. Berlin: Akademie 1997, S. 15.

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Kommunikationszusammenhang wird durch zahlreiche Akteure vielfältigen Operationen unterzogen und an spezifische Zielgruppen vermittelt. Bei der Analyse dieser Instanzen sollte auch ermittelt werden, welche politisch-ideologischen Standpunkte die Akteure zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vertreten, wie sich diese auf den Publikationsvorgang auswirken und welche sozialen Gruppen adressiert werden. Beachtet werden muss, dass in öffentlicher Kommunikation komplexe Äußerungssituationen vorliegen: Bei einer Gedenkveranstaltung spricht ein Redner zu einem physisch anwesenden Publikum. An der Hervorbringung seiner Aussagen ist auch der Veranstalter beteiligt, der einen Raum zu Verfügung stellt und das Publikum versammelt. Die Aussagen des Redners stehen zu dieser Institution in einer Beziehung, die auch auf die Rezeption der Rede zurückwirkt. Wird der Text der Rede publiziert oder medial übertragen, modifiziert sich die Äußerungssituation. Sie geht in den Raum der medial vermittelten Kommunikation über. Verlage oder ein Sender sind nun an der öffentlichen Hervorbringung beteiligt. Der Rezipientenkreis ist erweitert, kann aber, anders als beim anwesenden Publikum, nicht direkt über die physische Anwesenheit der beteiligten Personen bestimmt werden. Auch die Frage der Äußerungsinstanz ist in der öffentlichen Kommunikation komplex. So ist zum Beispiel der Verfasser eines letzten Briefes in einer Anthologie letzter Briefe von Widerstandskämpfern zwar dessen Autor, er kann jedoch nicht die Instanz sein, die den Text im öffentlichen Kommunikationszusammenhang hervorbringt, seine Rezipienten sind nicht mehr die ursprünglichen Adressaten. Eine veränderte Adressatenbeziehung wird durch die Veröffentlichungs- und Vermittlungsinstanzen hergestellt.308 Die Beachtung der medialen Form ist wichtig, da sich Inhalt und Form von Aussagen gegenseitig bedingen. Anknüpfend an die Analyse der Instanzen spielen dabei zunächst die Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen verschiedener Medien eine Rolle. Während eine populärwissenschaftliche Monografie ein interessiertes Publikum anspricht, kann ein Fernsehfilm je nach Sendezeit breitere Kreise erreichen. Eine Gedenkbroschüre mit geringer Auflage kann auch privat oder von einer kleinen Organisation verlegt werden, während Monografien oder erst recht Filme allein schon durch den hohen Aufwand ganz andere Publikationshemmnisse mit sich bringen. Medien unterliegen je nach Kontext unterschiedlichen Bedingungen des Marktes oder staatlicher Kontrolle. So weist Henning Wrage bezogen auf die DDR darauf hin, dass sich das Verhältnis von Ordnung und Ambivalenz je nach Medium unter308 Siehe Helmut Peitsch: »Blut kittet« (Bruno Apitz). Veröffentlichungen letzter Briefe von Widerstandskämpfern als »Märtyrer einer neuen Ordnung« in Ost- und Westdeutschland zwischen 1945 und 1961. In: Christa Ebert, Brigitte Sändig (Hrsg.): Ideen und Bilder von Gemeinschaftlichkeit in Ost und West. Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang 2008, S. 81–94.

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scheide. Während die Literatur einer Kontrolle der Distribution unterlegen sei, habe es beim Fernsehen eine Kontrolle der Produktion gegeben.309 Auch die zeitliche Reichweite einer Darstellung hängt vom Medium ab: Tagespresse oder Broschüren werden zwar häufig archiviert, sind jedoch weniger zugänglich als Bücher, die auch lange nach ihrem Erscheinen in öffentlichen Bibliotheken konsultiert werden können, die den Zugang wiederum regulieren können. Solche Bedingungen unterscheiden sich nicht nur je nach Medium, sondern auch zwischen Genres. Das paratextuell310 deklarierte oder suggerierte Genre beeinflusst nicht zuletzt Rezeptionsmodi, etwa ob ein Text als faktuale oder fiktionale Darstellung rezipiert wird.311 Je nach Medium und Genre stehen unterschiedliche Repertoires inszenatorischer Mittel zu Verfügung (z. B. Typografie, Fotografie und Illustration, Ton und Musik, aber auch rhetorische und narrative Strategien), von denen emotionale Wirkungen ausgehen können. Für die Analyse der Deutungen von Geschichtsdarstellungen sind die diskursiven Kontexte, in welche sich die Veröffentlichung einschreibt, relevant. Darunter fallen insbesondere Bezüge zu Debatten zum engeren und weiteren Thema, zu Leitlinien offizieller Geschichtspolitik oder konkreten Anlässen. Die Analyse des Veröffentlichungskontextes erfolgt in dieser Arbeit durch quellenkritische Rekonstruktion – je nach Materiallage – anhand von Archivalien (z. B. Korrespondenz, Druckgenehmigungsvorgänge), Peritexten (z. B. Klappentexte, Verlagswerbung, Vor- und Nachworte) sowie durch die Auswertung von Forschungs- und Sekundärliteratur. Eine weitere Untersuchungskomponente besteht in der Analyse des Darstellungstextes mit dem Ziel, die Konstruktion von Geschichtsdeutungen sowie die Strategien ihrer Vermittlung herauszuarbeiten. Dabei reicht es nicht aus, im Sinne Paul Veynes Behauptung »Geschichte ist Erzählung von Ereignissen: alles Übrige ergibt sich daraus«, einen Zusammenhang zwischen Historiografie und Erzählung vorauszusetzen. In Analogie zum Roman geht Veyne von »Selektion, Reduktion von Komplexität und Organisation« als zentrale historiografische Operationen aus. Der Unterschied bestehe darin, dass die Geschichtsschreibung »wahrheitsfähig« sei.312 Hayden White schränkt die Dichotomie zwischen

309 Siehe Henning Wrage: Feld, System, Ordnung. Zur Anwendung soziologischer Modelle auf die DDR-Kultur. In: Ute Wölfel (Hrsg.): Literarisches Feld DDR. Bedingungen und Formen literarischer Produktion in der DDR. Würzburg: Königshausen & Neumann 2005, S. 53–73. 310 Zum Begriff des aus ›Peri-‹ und ›Epitext‹ bestehenden ›Paratextes‹ und seiner rezeptionssteuernden Funktion siehe G8rard Genette: Paratexte. Das Buch zum Beiwerk des Buches. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992. 311 Siehe Richard Walsh: The Rhetoric of Fictionality. Columbus: Ohio State University Press 2007. 312 Zitiert nach Günter Butzer : Narration – Erinnerung – Geschichte. Zum Verhältnis von historischer Urteilskraft und literarischer Darstellung. In: Daniel Fulda, Silvia Serena

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Wirklichkeit und Fiktion ein, indem er universell annimmt, »[j]eder geschriebene Diskurs ist in seinen Intentionen kognitiv und in seinen Mitteln mimetisch«, und auch die »Historiographie als eine Form der Fiktionsbildung« begreift.313 White betont dabei den Zusammenhang zwischen der »Plotstruktur einer historischen Erzählung« und der »Argumentation oder Erklärung dessen, warum sich etwas so und nicht anders zugetragen hat«314, woraus er eine an traditioneller Poetik orientierte Typologie historischer Erzählungen ableitet.315 Günter Butzer kritisiert an diesen und anderen theoretischen Überlegungen zum Verhältnis von Geschichte und Narration, dass sie von einer »einfache[n] Auffassung von der Erzählung« geprägt seien, »die über die kausal-chronologische Verkettung von Ereignissen mit Anfang, Mitte und Schluss kaum hinausgeht«.316 Der »Explikationsanspruch der Geschichtsschreibung« und die »Komplexität literarischer Narration« blieben so unberücksichtigt.317 Erzählung sei »eben nicht das letzte Ziel der Historiographie«, sondern stehe vielmehr im »Dienste der Argumentation«, da es um die »Beurteilung von narrativ präsentierten Fällen« gehe.318 Nicht nachvollziehbar ist allerdings, warum Butzer diesen Befund auf schriftliche Texte einschränkt und populären Formen der Geschichtsvermittlung wie »Guido Knopps historische Fernsehanekdoten« als einfache Erzählungen einer »neuen Oralität« pauschal in den Bereich des Mythos zurückverweist.319 Denn auch diese vermitteln Geschichtsdeutungen, gerade indem sie mit audiovisuellen Mitteln arbeiten und so Emotionen ansprechen. Anstatt den Konnex zwischen Narration und Argumentation als diskursive Aushandlung von »Hegemonie bei der Formierung der Vergangenheit«320 vorauszusetzen, sollten konkrete Wirkungsweisen von Texten untersucht werden, die als ›persuasive Verfahren‹ bezeichnet werden können, mittels derer Deutungen in Geschichtsdarstellungen transportiert, authentifiziert und adressatenspezifisch vermittelt werden und hierbei konkrete Funktionen erhalten. Wichtig für eine solche Analyse ist die Betrachtung transtextueller Beziehungen eines Textes. Relevant sind hier sowohl die Beziehungen zu den Quellen

313 314 315

316 317 318 319 320

Tschopp (Hrsg.): Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verhältnis von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Berlin: De Gruyter 2002, S. 147–169, S. 147. Hayden White: Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses. Stuttgart: Klett-Cotta 1991, S. 146. Ebd., S. 152. White unterscheidet vier Formen der narrativen Modellierung von Geschichtsschreibung: Romanze, Tragödie, Komödie und Satire. Siehe: Hayden White: Metahistory : die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991, S. 21–25. Butzer, Anm. 312, S. 149. Ebd. Ebd., S. 154. Ebd., S. 150–151. Ebd., S. 154.

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der Darstellung als auch zu anderen Darstellungen. Für die Untersuchung der komplexen »manifesten oder geheimen Beziehungen«321 zu anderen Texten ist die Klassifizierung von G8rard Genette geeignet, der verschiedene Formen ›transtextueller‹ Beziehungen unterscheidet. Unter ›Intertextualität‹ versteht Genette die effektive Präsenz eines Textes in einem anderen Text. Hierzu zählen Zitate aus oder Verweise auf Quellen oder Sekundärliteratur, die nicht nur Belegfunktion besitzen, sondern inhaltliche Aussagen auch authentifizieren und autorisieren können. Unter ›Paratextualität‹ fasst Genette die Beziehung zwischen einem Text und den ihn rahmenden Textelementen wie Überschriften, Vorworte oder Klappentexte, die oft rezeptionssteuernde Funktion haben. ›Metatextualität‹ liegt vor, wenn ein Text in kommentierender Beziehung zu einem anderen Text steht, zum Beispiel als Gegenfolie der Argumentation. Mit ›Hypertextualität‹ ist die Transposition eines Hypotextes, etwa durch Paraphrase oder Zusammenfassung, gemeint. ›Architextualität‹ besteht, wenn Texte implizit oder explizit in eine gattungsmäßige Beziehung gesetzt werden oder Muster eines Genres aufgerufen werden. Durch Textanalysen kann die funktionale Beziehung von Inhalt und Form der Darstellungen herausgearbeitet werden. Hierzu werden je nach Textsorte geeignete Methoden vor allem literaturwissenschaftlicher Textinterpretation angewendet. Im Fokus steht die Untersuchung von Erzähl- und Argumentationsstrukturen und damit verbundenen persuasiven Strategien. Der Plot der Erzählung und die Funktion und Charakterisierung von Figuren können dabei ebenso relevant sein wie Ordnung, Dauer, Frequenz, Stimmen und Fokalisierung des Erzähldiskurses sowie stilistische und sprachliche Mittel. Diese Aspekte werden insbesondere auf ihren Adressatenbezug und ihre Wirkungsfunktion hin untersucht. Dies geht Hand in Hand mit einer Analyse von Deutungen, die erstens danach fragt, welche Thesen ein Text zur Geschichte der Weißen Rose, des Widerstandes und des Nationalsozialismus sowie in Bezug auf die zeitgenössische Gegenwart enthält, und zweitens rekonstruiert, welche Appelle und Identifikationsangebote daraus abgeleitet werden. Um auch implizite Deutungen zu identifizieren, ist nicht zuletzt die Analyse von Präsuppositionen wichtig. Dies sind implizite Aussagen, die, wie im folgenden Beispiel, im Text mittransportiert werden. Wenn Inge Scholl schreibt: »Hans wusste gut, dass er nur einer von Millionen Deutschen war, die ähnlich wie er empfanden« lässt sich im Kontext der nachfolgenden Aussagen implizit die Aussage, »Millionen Deutsche belasteten Un-

321 Siehe G8rard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001.

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freiheit, Haß und Lüge«322, ableiten, die in Bezug zu Diskursen der Deutung des Nationalsozialismus in der Schreibgegenwart gesetzt werden kann. Schließlich ist gerade für eine diskursgeschichtliche Untersuchung die Analyse der Rezeption von Darstellungen bedeutsam. Hierbei wird zunächst die Vermittlung von Darstellungen durch die »selektierende[n]«, »propagierende[n]« und »bewertende[n]« Vermittlungsinstanzen berücksichtigt, welche die Rezeption entscheidend beeinflussen.323 Anhand von Epitexten (z. B. Rezensionen oder Leserbriefen) kann untersucht werden, welche zeitgenössischen Bewertungskriterien angelegt werden und welche Publikumserwartungen bedient werden. Anhand solcher und anderer Rezeptionszeugnisse kann auch geprüft werden, wie Deutungen und Interpretationen tatsächlich verstanden, ob sie übernommen oder zurückgewiesen werden, und was die Hintergründe und Inhalte etwaiger Kontroversen sind. Bei der Analyse der Nutzung wird gefragt, ob die Darstellung von den adressierten Gruppen aufgenommen wurde und ob sie darüber hinaus rezipiert wurde. Außerdem ist von Interesse, ob und wie die Darstellung auch praktisch genutzt wird (z. B. als Unterrichtsmaterial, im Rahmen von Gedenkveranstaltungen, etc.). Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Tradierung und Kanonisierung von Darstellungen und ihrer Deutungen. Hierzu wird die Reichweite der Rezeption untersucht. Bei Fernsehsendungen werden Wiederholungen, bei verlegter Literatur Neuauflagen erhoben, die auch in Bezug auf Veränderungen der Texte und Paratexte untersucht werden. Hieran werden Veränderungen von Darstellungs- und Deutungsmustern in unterschiedlichen diskursiven Kontexten ersichtlich. Geschichtsdiskurse durchziehen unterschiedliche soziale Felder und Medien. Insbesondere eine thematisch orientierte historische Analyse wie diese Arbeit ist mit einer Materialvielfalt konfrontiert, auf das kein stringentes Untersuchungsprogramm im Sinne einer Korpusanalyse angewendet werden kann. Die Analysen dieser Arbeit verstehen sich daher als Quer- und Längsschnittstudien, die das Material ausgehend von Äußerungssituationen analysieren und durch Zusammenschau und Vergleich die Herausarbeitung von Entwicklungen von Diskursen zur Geschichte der Weißen Rose ermöglichen. Hierzu dienen die folgenden aus den verschiedenen Ebenen der Analyse abgeleiteten textübergreifenden Fragestellungen: – Welche Akteure produzieren und reproduzieren Geschichtsdiskurse? – In welchen Kontexten werden Geschichtsdiskurse veröffentlicht und an welche Adressatengruppen vermittelt?

322 Inge Scholl: Die weiße Rose. Frankfurt a. M.: Verlag der Frankfurter Hefte 1952, S. 22. 323 Manfred Naumann: Literatur und Probleme ihrer Rezeption. In: Blickpunkt Leser. Literaturtheoretische Aufsätze. Leipzig: Reclam 1984, S. 111–138., S. 130.

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– Welche Deutungen sind zu verschiedenen Zeitpunkten und in welchen Kontexten dominant, welche werden ausgeschlossen oder negiert? Welche Deutungen werden tradiert und kanonisiert? – Welche persuasiven Strategien stützen diese Deutungen? Wie sind dabei Erzähl- und Argumentationsmuster verbunden? – Welche erklärten Intentionen werden verfolgt? Welche Funktionen haben die Diskurse? – Wie entwickeln sich Praktiken öffentlicher Erinnerung und das Verhältnis zwischen öffentlichen und offiziellen Diskursen? Die nachfolgende Tabelle fasst anhand von Leitfragen die oben erläuterten Ebenen und Zugänge in Bezug auf die vorliegende Arbeit zusammen. Damit soll kein starr vereinheitlichtes Verfahren suggeriert werden, dem die Quellen der nachfolgenden Studien in einheitlicher Weise und in toto unterzogen werden können. Vielmehr werden zentrale Aspekte und Fragestellungen, geeignetes Material und Methoden zur Beantwortung übergreifender Fragestellungen im Überblick dargestellt.

Welchem Medium und welchem Genre kann die Quelle zugeordnet werden? Welche Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen implizieren Medium und Genre? Welche inszenatorischen Mittel werden genutzt? Welche Wirkung wird dem Medium zugeschrieben?

Auf welche historisch-politischen Kontexte (z. B. Ereignisse, Debatten, Geschichtspolitik) wird explizit oder implizit Bezug genommen?

Mediale Form

Diskursiver Kontext

Auf welchen Quellen beruht die Darstellung? Welche Bezüge bestehen zu anderen Texten? Auf welche zeitgenössischen Debatten wird Bezug genommen?

Wie ist das Plot der Erzählung des Widerstands (Figuren, Ereignisse, Motivierung)?

Transtextuelle Beziehungen

Persuasive Strategien

Textanalyse

Welche Personen, Organisationen und Institutionen sind an der Veröffentlichung beteiligt und in welchen Rollen? Welche sozialen und politischen Gruppen repräsentieren sie? Welche gesellschaftlichen Gruppen werden adressiert? Mit welcher erklärten Wirkungsabsicht?

Instanzen

Analyse des Veröffentlichungskontexts

ANALYSEASPEKTE LEITFRAGEN FÜR DIE UNTERSUCHUNG

Tabelle 1: Leitfragen zur Analyse von Geschichtsdiskursen

Publizierte Darstellungen, Analyse erzählerischer und rhetorischer Mittel, literaturwissenschaftliche Methoden der Textanalyse

Auswertung von Archivalien, Analyse von Peritexten (Klappentexte, Verlagsankündigungen, etc.), Auswertung von Forschungs- und Sekundärliteratur, Oral History

MATERIAL UND METHODEN

– Welche Deutungen sind zu verschiedenen Zeitpunkten und in welchen Kontexten dominant, welche werden ausgeschlossen oder negiert? Welche Deutungen werden tradiert und kanonisiert?

– In welchen Kontexten werden Geschichtsdiskurse veröffentlicht und an welche Adressatengruppen vermittelt?

– Welche Akteure produzieren und reproduzieren Geschichtsdiskurse?

TEXTÜBERGREIFENDE FRAGESTELLUNGEN

70 Die Geschichte der Geschichte der Weißen Rose

Wie werden der Widerstand und der Nationalsozialismus gedeutet? Welche Aussagen / Appelle werden daraus in Bezug auf die Gegenwart abgeleitet? Welche Identifikationsangebote werden unterbreitet?

Durch welche Instanzen wird der Text an das Publikum vermittelt? Welche Erwartungshorizonte und Beurteilungsmaßstäbe werden in der Kritik deutlich?

Was lässt sich über das tatsächliche Publikum und die Nutzung des Textes ermitteln? Welche Interpretationen werden übernommen oder zurückgewiesen?

Was lässt sich zur zeitlichen Reichweite der Publikation erheben ? Gibt es Neuauflagen oder Weiterverwertungen? Werden in Neuauflagen Veränderungen vorgenommen?

Vermittlung

Nutzung

Tradierung

Analyse der Rezeption

Deutungen

Welche rhetorischen und narrativen Strategien sind erkennbar? Wie wird eine Adressatenbeziehung aufgebaut?

ANALYSEASPEKTE LEITFRAGEN FÜR DIE UNTERSUCHUNG

((Fortsetzung))

Epitextuelle Analyse, Erhebung von Auflagen, Weiterverwertungen etc., Auswertung von Rezeptionszeugnissen (Archivalien), Oral History

MATERIAL UND METHODEN

– Wie entwickeln sich Praktiken öffentlicher Erinnerung und das Verhältnis zwischen öffentlichen und offiziellen Diskursen?

– Welche erklärten Intentionen werden verfolgt? Welche Funktionen haben die Diskurse?

– Welche persuasiven Strategien stützen diese Deutungen? Wie sind dabei Erzählund Argumentationsmuster verbunden?

TEXTÜBERGREIFENDE FRAGESTELLUNGEN

Trans(kon)textuelle Analyse von Geschichtsdiskursen

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III

Die Weiße Rose und das ›Andere Deutschland‹

III.1 Darstellungen in Kontexten des Exils III.1.1 Fakt und Fiktion in Informationsnetzwerken des Widerstands und Exils Die Vollstreckung des Urteils des Volksgerichtshofs gegen Hans und Sophie Scholl und Christoph Probst »zum Tode und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte« wegen »Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung« war im nationalsozialistischen Deutschland keineswegs Geheimsache, sondern wurde durch die NS-Presse öffentlich gemacht, welche beispielsweise von »charakteristischen Einzelgängern« und »verworfenen Subjekten« schrieb, die »nichts anderes als den raschen und ehrlosen Tod« verdienten.324 Der offiziellen Propaganda entgegengesetzte Informationen zu den Ereignissen in München verbreiteten sich über informelle Netzwerke von Widerstandsgruppen und gelangten so in Öffentlichkeiten des Exils und des alliierten Auslands. Helmuth James Graf von Moltke vom Kreisauer Kreis kam, wie Kristina Kargl – allerdings nicht frei von Spekulationen – plausibel rekonstruiert, im Rahmen seiner Tätigkeit für die Abteilung Abwehr/Ausland des Oberkommandos der Wehrmacht an Informationen über den Prozess und eine Abschrift des letzten Flugblatts.325 Mitte März 1943 übergab Moltke dem Osloer Bischof Eivind Berggrav und wahrscheinlich auch dem Chefredakteur des Svenska Dagbladet einen auf Englisch verfassten Bericht mit dem Titel The case of Hans Scholl, Maria Scholl, Adrian Probst, Professor Kurt Huber. Sein Ziel war, dieses Material »via Stockholm nach London« zu vermitteln.326 Molktes Bericht enthält »Insiderwissen«, aber auch Detailfehler.327 So sind 324 O. A.: Todesurteile wegen Vorbereitung zum Hochverrat. In: Münchener Neueste Nachrichten, 23. 02. 1943. 325 Siehe Kargl, Anm. 236, S. 52–59. 326 Ebd., S. 59–60. 327 Siehe ebd., S. 61–79. Kargls Analyse des Berichts besteht in weiten Teilen aus einem reinen Abgleich zwischen seinen Inhalten und historisch gesicherten Fakten.

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etwa die Vornamen der Hingerichteten zum Teil falsch angegeben oder Hans Scholl wird als Mitglied der sechsten Armee vor Stalingrad und Träger des Eisernen Kreuzes dargestellt. Solche Fehler und Ungenauigkeiten beruhen wohl nicht nur auf Fehlinformationen, sondern lassen sich durch die Wirkungsabsicht des Berichtes erklären, insbesondere in Großbritannien um Unterstützung des deutschen Widerstands zu werben. Der Fall sei »suitable for outside assistence« schließt Moltke, zumal »free from all entanglements of espionage, subversive communism, defeatism etc. It is a clear case of internal revolt, based on moral principles of the highest order«.328 Indem Moltke die Proteste gegen die Rede des Münchener Gauleiters Paul Giesler bei der 470-Jahr-Feier der Universität, während der es zu tumultartigen Protesten der Studierenden kam, in Verbindung mit den Aktionen der Weißen Rose setzt, von Protestaktionen gegen die Hinrichtung berichtet und die Existenz weiterer Widerstandsgruppen an deutschen Universitäten andeutet, wird der Eindruck erweckt, es handele sich tatsächlich um eine Rebellion größeren Umfangs, die belegen soll, dass die Bevölkerung zu dem Bewusstsein gelange, »that the responsibility for the [Stalingrad] desaster rests with Hitler and with him alone«.329 Impliziert wird auch die Existenz einer organisierten Opposition, die Verbindung zu den Universitäten und zur Arbeiterschaft unterhalte und diese über die Vorfälle informiert habe. Moltke zufolge könnten sich ähnliche Ereignisse an zwei anderen Universitäten wiederholen: »The spirit of revolt has reached such a pitch that incidents can be expected every day.«330 Das Ausland könne dabei helfen, den Fall innerhalb Deutschlands bekannt zu machen: »The first way in which help can be given is in assisting the publicity, by repeating the case with the names over and over on the wireless.«331 Ferner wird betont, dass Zeichen der Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit ähnlichen Kräften nach Kriegsende »of immense assistence« seien.332 Auf keinen Fall sollte der Fall aufgenommen werden als »symptoms of inner decay in Germany, as signs that the position of 1918 is coming up again«.333 Berichte über die Ereignisse in München erschienen zunächst in norwegischen Widerstandszeitungen und der schwedischen Presse, ab Mitte April auch in den alliierten Ländern, die zum Teil aber auch andere oder zusätzliche Informationen enthalten und somit auch auf anderen Quellen als dem Bericht

328 Helmuth James Graf von Moltke: The case of Hans Scholl, Maria Scholl, Adrian Probst, Professor Kurt Huber. Faksimile abgedruckt bei Kargl, Anm. 2, S. 202–205, S. 4. 329 Ebd., S. 1. 330 Ebd., S. 3–4. 331 Ebd., S. 4. 332 Ebd. 333 Ebd. Vgl. auch Steinbach, Tuchel, Anm. 208, S. 100–101.

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Moltkes beruhen müssen.334 Fest steht, dass Informationen und Flugblattabschriften auch in Widerstandskreisen in Deutschland zirkulierten. Ruth Andreas-Friedrich, die in der Berliner Widerstandsgruppe Onkel Emil mitwirkte, gibt in ihren nachträglich bearbeiteten und 1947 erstmals unter dem Titel Der Schattenmann publizierten Tagebuchaufzeichnungen einen »von der Gruppe M.« mit zwei Flugblättern übermittelten »Lagebericht« über die Ereignisse in München wieder, der Angaben zur Rolle des »Hilfspedell[s] Schmidt« oder die Behauptung, »Sophie Scholl hat man beim Verhör das Bein gebrochen«, enthält.335 Andreas-Friedrich gibt weiter an, dass dieser Bericht von der Gruppe »in die Schweiz« und »über Schweden nach England« übermittelt worden sei, damit »man draußen erfährt, daß auch in Deutschland Menschen leben. Nicht nur Judenfresser, Hitlerjünger und Gestaposchergen«.336 Ob Andreas-Friedrich authentische Angaben macht oder nach 1945 zirkulierende Informationen über die Weiße Rose in ihren Text eingewoben hat, kann nicht rekonstruiert werden.337 Auch die Journalistin Ursula von Kardorff gibt in ihren ebenfalls in Tagebuchform 1962 herausgegebenen Berliner Aufzeichnungen unter dem Datum 11. Mai 1943 an, ein Flugblatt aus München und ein »zweites Blatt«, auf dem zu lesen stand, »wie diese beiden jungen Menschen, ein Geschwisterpaar Scholl, gestorben sind«, erhalten und einen Durchschlag weitergegeben zu haben »an einen befreundeten Redakteur, der ihn vervielfältigen lassen will, um ihn an die Front zu schicken«.338 Von der Forschung nicht beachtet wurde bislang ein im Januar 1944 in der vom Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) herausgegebenen Zeitschrift Europe speaks veröffentlichter Eye-Witness Report of the Disturbances in Munich University, der als erster authentischer Augenzeugenbericht zu den Ereignissen bezeichnet wird. Der Artikel besteht aus zwei Teilen: An einen Redaktionstext schließen sich Schilderungen des Informanten in direkter Rede an. Zunächst wird der Zwischenfall während der Giesler-Rede zusammengefasst, der jedoch »however not simply the outcome of a spontaneous wave of indi-

334 Vgl. Kargl, Anm. 236, S. 79–82. 335 Ruth Andreas-Friedrich: Der Schattenmann. Berlin: Suhrkamp 1947, zitiert nach Kargl, Anm. 236, S. 48–49. 336 Ebd., S. 49. 337 Helmut Peitsch äußert den begründeten »Verdacht«, dass das Buch »ein nachträglich in die Form des Tagebuchs gebrachter Erlebnisbericht« sei. Helmut Peitsch: »Deutschlands Gedächtnis an seine dunkelste Zeit«. Zur Funktion der Autobiographik in den Westzonen Deutschlands und den Westsektoren von Berlin 1945 bis 1949. Berlin: Sigma 1990, S. 300. 338 Ursula von Kardorff: Berliner Aufzeichnungen 1942–1945. Unter Verwendung der OriginalTagebücher neu herausgegeben und kommentiert von Peter Hartl. München: dtv 1997, S. 82, 83, 87. Siehe auch Kargl, Anm. 236, S. 50–51.

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gnation« sei.339 Der Informant habe Zugang zu einem »more or less literary circle« gehabt, der Texte französischer Philosophie diskutiert habe.340 Dieser Zirkel wird in der Zwischenüberschrift als »Spiritual Resistance« charakterisiert, denn »although they did not openly attack the regime«, nahm der Informant in den Diskussionen »a marked intellectual opposition and a sincere effort to discover a new philosophy of life« wahr.341 Huber habe allerdings offen gegen die Verfolgung von Katholiken protestiert und gesagt, »that it was better for hundreds of Catholics to get themselves shot by affirming their opposition to the regime than that they should keep silent«.342 Ein so produzierter Skandal »would make the situation clear in the eyes of the rest of the world«.343 Dem Informanten zufolge habe Huber eine Tendenz zum Märtyrertum gezeigt. Eine solche wird in den wörtlich zitierten Passagen zu den Aktionen für den Widerstandskreis insgesamt nahegelegt und unter der Überschrift »Motives of Resistance« zusammengefasst: I think that Scholl and his friends were convinced of the necessity of taking some action to show that people existed with the courage to be in disagreement with the Party. I am even of the opinion that Scholl and his friends did not plan their actions according to the rules of illegal work. For one thing they had no experience of such work. It is also most likely that they believed they had to sacrifice themselves for their cause. I do not think that Scholl and his friends had any contact with working class circles. At least such connections were never mentioned during the discussions I had with them. It is an interesting fact that when he was sixteen Scholl occupied an important position in the Hitler Jugend.344

Zwar zeigten, nach Angaben des Informanten, Flugblätter, die sich auf »Scholl and his friends« berufen sowie kursierende Heldenlegenden, dass die Aktion auf »favourable soil« gefallen sei »and broke the silence which had seemed interminable«.345 Die Aktion hätte zum Ausdruck gebracht, »what thousands of people are feeling at the present time«, eine organisierte Opposition sieht der Informant unter den Bedingungen des Gestapo-Terrors jedoch als unmöglich an.346 Etwas optimistischer berichtet der emigrierte Reichstagsabgeordnete der KPD Karl Becker347 in seiner in London gedrückten Broschüre Zero Hour for 339 O. A.: Eye-Witness Report of the Disturbances in Munich University. In: EUROPE speaks, 04. 01. 1944. 340 Ebd. 341 Ebd. 342 Ebd. 343 Ebd. 344 Ebd. 345 Ebd. 346 Ebd. 347 Becker wurde 1930 als KPD-Abgeordneter für den Wahlkreis Breslau in den Reichstag

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Germany im Kapitel über die Ereignisse in München und die Hinrichtung von Hans und Sophia [sic] Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell und Kurt Huber. Becker folgt weitestgehend den Informationen schwedischer Presseberichte, zitiert aus der übersetzten Fassung des letzten Flugblattes und berichtet von Säuberungsaktionen gegen nicht konforme Studierende an verschiedenen deutschen Universitäten als Reaktion auf die Vorfälle in München. Er geht von einer »widespread illegal anti-Nazi student organisation« aus mit Zweigstellen an zahlreichen deutschen Universitäten sowie Verbindungen zur Arbeiterklasse348 und kolportiert eine vermeintliche Aussage Hans Scholls vor Gericht: »I am not a Communist, I am a German.«349 Den Aufstand der Studenten wertet er als erstes Zeichen einer ›geistigen Wiedergeburt‹ der deutschen Jugend: These young people, true champions of German liberty and true partriots, regarded their struggle only as a beginning and we, too, should appreciate it as such. Although the beginning, however it is symptomatic of a spiritual re-birth of German youth which may be the first step towards the overthrow of Nazi rule.350

In einer Handreichung zur »kursusmäßig[en]« Diskussion der Broschüre in Gruppen der Freien Deutschen Bewegung (FDB) und des Freien Deutschen Kulturbunds in Großbritannien werden Leitfragen zur Herausarbeitung der »Problemstellung für jedes Kapitel« vorgegeben, darunter auch die nach der »Bedeutung der Aktion der Gebrüder [sic] Scholl und Professor Hubers für die deutsche Jugend und für die deutsche Intelligenz«.351 In einer Schlussbemerkung wird darauf hingewiesen, dass die Behandlung aller in der Broschüre angeschnittenen Probleme davon ausgehen muss, dass die übergrosse Mehrheit des deutschen Volkes noch immer auf dem Weg des nationalen Selbstmordes mit Hitler schreitet, dass der Widerstand noch schwach ist, dass der Faschismus noch immer […] ein gefährlicher Feind ist.352

Jedoch wird auch behauptet, dass sich im Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) »Hitlergegner auf so breiter Grundlage zusammengefunden haben und

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gewählt, dem er bis März 1933 angehörte. 1933 emigrierte er über mehrere Stationen nach Großbritannien, wo er dem Vorstand der Landesgruppe deutscher Gewerkschafter angehörte und von 1941 bis 1945 der Bergarbeiter-Internationale. 1946 kehrte er nach Deutschland zurück, betätigte sich als Gewerkschaftsfunktionär und war Mitglied der SPD. Eintrag Karl Becker des Biographischen Handbuchs Deutsche Kommunisten 1918 bis 1945 (Stand 2008), Internet: http://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-derddr-%2363%3b-1424.html?ID=4045, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Karl Becker : Zero Hour for Germany. London 1944. London: I.N.G. 1944, S. 59. Ebd., S. 60. Ebd., S. 61. Handreichung zur Diskussion der Borschüre »Zero Hour for Germany«, [1944]. In: IfZ, ED 474 (160). Ebd.

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auch sonst günstigere Voraussetzungen für die Entfaltung des Volkskampfes gegen Hitler existieren«.353 Der Vergleich der Berichte zeigt, dass sehr unterschiedliche Informationen und Interpretationen in den Kommunikationsnetzwerken des Exils und regimekritischer Kreise in Deutschland zirkulierten, dass die Ereignisse in München ein politisch breites Spektrum interessierten und mit verschiedenen Intentionen verbunden waren. Sowohl der Bericht Moltkes als auch die im Kontext des ISK und der FDB publizierten betonen den nicht-kommunistischen Charakter des Widerstands der Gruppe um Hans Scholl und nehmen die Münchner Ereignisse als Folie zur Bewertung der Möglichkeiten organisierter Opposition und der Haltung der Bevölkerung in Deutschland. Der Fall der Weißen Rose wurde auf solchen Wissensgrundlagen auf britischer, amerikanischer und sowjetischer Seite rezipiert. In diesen sehr unterschiedlichen Kontexten entstanden drei Texte deutscher Exilschriftsteller, die aufgrund der Prominenz ihrer Autoren auch nach 1945 publiziert wurden. Thomas Mann ging 1943 in zwei Radioansprachen im deutschsprachigen Dienst der BBC auf die Ereignisse in München ein und Johannes R. Becher widmete ihnen das Versgedicht Die Drei, das ebenfalls im Sommer 1943 in der deutschen Ausgabe der Internationalen Literatur erschien. Der studentische Widerstand wurde vor 1945 auch zum Romanstoff. Vicki Baums Hier stand ein Hotel und William David Bayles’ Seven were hanged wurden jedoch im Gegensatz zu Alfred Neumanns Es waren ihrer sechs in Deutschland kaum rezipiert.354 Die folgende Untersuchung der Texte von Mann, Becher und Neumann sowie ihrer Rezeption zeigt nicht nur Formen und Funktionen der zu diesem Zeitpunkt ganz aktuellen Geschichte der Weißen Rose in den Kontexten des Exils und des alliierten Auslands auf, sondern auch Zusammenhänge zwischen Fakten und Fiktionen, die ihre Vermittlung in Ost und West nach 1945 nachhaltig beeinflusst hat.

III.1.2 Thomas Manns Radioansprache vom 27. Juni 1943 und die British Warfare Executive Die BBC berichtete in ihrem deutschsprachigen Dienst schon ab März wiederholt über die »Munich Student Revolt«355, überliefert sind jedoch mit Bezug zu 353 Ebd. 354 Vicki Baum: Hier stand ein Hotel. Amsterdam: Querido 1947; William David Bayles: Seven were hanged. London: Gollancz 1945. Für knappe Analysen dieser Texte siehe Kargl, Anm. 236, S. 156–158 bzw. S. 94–102. 355 Siehe die teilweise dokumentierten Sendepässe in: Martina Hoffschulte: »Deutsche Hörer!« – Thomas Manns Rundfunkreden (1940 bis 1945) im Werkkontext. 2. Aufl. Münster : Telos 2004, S. 57 und 398.

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diesem Thema lediglich die Rundfunkansprachen Thomas Manns vom 27. Juni 1943 und 29. September 1943. Mann war im Herbst 1940 von der BBC eingeladen worden, regelmäßige Radioansprachen im Programm ihres German Service zu halten. Dieser war im September 1938 als Mittel der Informations- und Aufklärungsarbeit für die deutsche Bevölkerung eingerichtet worden. Ab 1941 wurde der Sender dem Einfluss der Political Warfare Executive unterstellt, da er in zunehmendem Maße als Instrument der psychologischen Kriegsführung gesehen wurde. Die Political Warfare Executive veranlasste auch, dass das letzte Flugblatt der Weißen Rose nachgedruckt und von britischen Flugzeugen millionenfach über Deutschland abgeworfen wurde.356 Das Programm des German Service bestand aus Nachrichten, Kommentaren und teilweise satirischen Features; an ihm wirkten zahlreiche deutsche Emigranten mit, die aber außer Thomas Mann anonym blieben, um den Eindruck eines »Emigrantensenders« zu vermeiden357 – Teil einer Legitimierungsstrategie in Hinblick auf die deutschen Zuhörer. Diese schlägt sich auch in der Bemühung um eine tatsachenbezogene Berichterstattung und Kommentierung nieder, wodurch das Vertrauen des Publikums gewonnen werden sollte. Mann folgte trotz einer gewissen Unabhängigkeit den Leitlinien des Auftraggebers und erhielt geeignetes Material zur Vorbereitung seiner Beiträge.358 Die Sendungen wurden über Langwelle nach Deutschland gesendet und konnten nur illegal gehört werden, weshalb von der Adressierung einer zumindest latent oder potentiell regimekritischen Zuhörerschaft ausgegangen werden kann. Die Reden Manns waren ursprünglich als Nachrichtenkommentare geplant, diese Strategie wurde aber ab März 1941 geändert. Von nun ab sollte Mann mit seiner Autorität als Repräsentant des ›deutschen Geistes‹ auf die Hörerschaft einwirken und ein konkretes Thema oder Ereignis aus dieser Perspektive behandeln.359 Seine Rundfunkansprachen erhielten einen besonderen Stellenwert im Programm, sie wurden vorab angekündigt und mehrfach wiederholt.360 Rundfunkreden von Schriftstellern (z. B. Paul Tillich, Johannes R. Becher) waren Teil des Programms der wichtigsten alliierten Rundfunkdienste. Jedoch können sie nicht als klar abgrenzbares Genre begriffen werden. Es handelt sich um Mischformen, die sich aus Elementen des Nachrichtenkommentars, Manifests, politischen Bekenntnisses, Essays, Features oder Berichts zusammensetzen. Günter Wirth weist auf verschiedene Rollen hin, die Thomas Mann in seinen Ansprachen einnimmt (Agitator, Ankläger, Analytiker, Zeuge, Warner, Mahner, 356 Dokumentiert in: Drobisch, Anm. 165, S. 145. 357 Armin Ziegler: Thomas Mann und die »Weiße Rose«. Der Einfluss der »Feindsender«. Crailsheim: Baier 2007, S. 10–11. 358 Hoffschulte, Anm. 355, S. 53–61. 359 Ebd., S. 55–56. 360 Vgl. ebd.

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Prophet, Tröster).361 Wichtig ist in jedem Fall aber der mediale Aspekt: Ab 1941 wurden Manns Reden nicht mehr von Sprechern verlesen, sondern von Mann auf Schallplatte gesprochen. Bernd Hamacher betont, welchen Wert für Mann die Verwendung der eigenen Stimme hatte und meint, dieser habe den Rundfunk als »Offenbarungsmedium« genutzt.362 Wiederholt werden Manns Rundfunkansprachen mit der Textsorte Predigt assoziiert.363 Prophetische Rhetorik und Predigtstil zeichnen auch die Rundfunkrede vom 27. Juni 1943 aus, in der Mann im Schlussteil auf die Weiße Rose eingeht. Die Rede beginnt mit einer Würdigung des Widerstands in den besetzten Ländern: Deutsche Hörer! Wir Europäer, selbst wenn wir im Begriffe sind, die Bürgerpapiere der Neuen Welt zu nehmen, wollen stolz sein auf unser altes Europa. Es ist ein bewunderungswürdiger Erdteil. Wie viel leichter, bequemer hätten seine Völker es haben können, wenn sie Hitlers infame »neue Ordnung« hingenommen, sich der Sklaverei ergeben, mit NaziDeutschland, wie man es nennt, »kollaboriert« hätten. Sie haben es nicht getan. […] [D]as »von Hitler geeinigte Europa, das zur Verteidigung seiner heiligsten Güter gegen die Invasion der Fremden zusammensteht«, ist die erbärmlichste aller Nazi-Lügen. Die Fremden, gegen die es die heiligsten Güter zu verteidigen gilt, das sind sie, die Nazis, und sonst niemand.364

In diesem ersten Abschnitt wird eine differenzierte Beziehung zwischen Redner und Adressaten aufgebaut. Zunächst wird eine gemeinsame Identität (»Wir Europäer«), dann eine gemeinsame Alterität aufgerufen (»Die Fremden, […], das sind sie, die Nazis«) und in einem dritten Schritt eine sich auf Wissen begründete Differenz (»ihr Deutschen«365/Sprecher) entwickelt. Die Überwindung dieser Differenz setzt voraus, nationalsozialistische Lügen als solche zu erkennen. Beispiele dafür werden im Text aufgeführt und mit Fakten konfrontiert (»Wißt ihr Deutschen, daß von euren und den italienischen Truppen in den okkupierten Ländern gut und gern einhundertfünfzigtausend ums Leben gekommen sind […]?«366). Auf diese Weise sollen die Adressaten den Nationalsozialismus als grundlegenden europäischen Werten entgegengesetzt erkennen. Der Widerstand in den besetzten Ländern wird als Verteidigung der »heiligsten 361 Günter Wirth: Bekenntnisse eines Politischen. Thomas Manns Rundfunkreden. In: Weimarer Beiträge 16 (1970), Nr. 1, S. 70–106. 362 Bernd Hamacher : Die Poesie im Krieg. Thomas Manns Radiosendungen Deutsche Hörer! als »Ernstfall« der Literatur. In: Thomas-Mann-Jahrbuch 13 (2001), S. 57–74, S. 72. 363 Eike Midell etwa vergleicht sie in ihrem Nachwort zur Ausgabe der Rundfunkansprachen im Leipziger Inselverlag mit den Predigten Ulrich Megerles. Thomas Mann: Deutsche Hörer! Fünfundfünfzig Radiosendungen nach Deutschland. Leipzig: Insel 1975, S. 151. 364 Thomas Mann: Gesammelte Werke in zwölf Bänden. Band XI: Reden und Aufsätze. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1960, S. 1075. 365 Ebd. 366 Ebd.

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Güter« Europas gegen eine Fremdherrschaft der Nationalsozialisten dargestellt.367 Im zweiten Teil wird der Widerstand in den besetzten Ländern und in Deutschland parallelisiert: Ich sage: Ehre den Völkern Europas! Und ich füge etwas hinzu, was im Augenblick manchem, der mich hört, befremdlich klingen mag: Ehre und Mitgefühl auch dem deutschen Volk! Die Lehre, daß man zwischen ihm und dem Nazitum nicht unterscheiden dürfe, daß deutsch und nationalsozialistisch ein und dasselbe seien, wird in den Ländern der Alliierten zuweilen, nicht ohne Geist, vertreten; aber sie ist unhaltbar und wird sich nicht durchsetzen. Zu viele Tatsachen sprechen dagegen. Deutschland hat sich gewehrt und fährt fort sich zu wehren, so gut wie die anderen.368

Der deutsche Widerstand wird somit zum Argument gegen die »Ein-Deutschland-Theorie«.369 Die »Vorgänge an der Münchner Universität«, auf die im letzten Abschnitt Bezug genommen wird, fungieren im Text als Beleg für eine Kontinuität des deutschen Widerstands: Jetzt ist die Welt aufs tiefste bewegt von den Vorgängen an der Münchner Universität, wovon die Nachricht durch Schweizer und schwedische Blätter, erst ungenau, dann mit immer ergreifenderen Einzelheiten zu uns gedrungen ist. Wir wissen nun von Hans Scholl, dem Überlebenden von Stalingrad, und seiner Schwester, von Christoph Probst, dem Professor Huber und den anderen; von dem österlichen Aufstande der Studenten gegen die obszöne Ansprache eines Nazi-Bonzen im Auditorium maximum, von ihrem Märtyrertod unterm Beil, von der Flugschrift, die sie verteilt haben und worin Worte stehen, die vieles gutmachen, was in gewissen unseligen Jahren an Universitäten gegen den Geist deutscher Freiheit gesündigt worden ist. Ja, sie war kummervoll, diese Anfälligkeit der Jugend – gerade der Jugend – für die nationalsozialistische Lügenrevolution. Jetzt sind ihre Augen geöffnet und sie legen das junge Haupt auf den Block für ihre Erkenntnis und für Deutschlands Ehre, – […].370

367 Ebd. 368 Ebd., S. 1076. 369 Manns persönliche Meinung in Bezug auf die Kollektivschuldtheorie bzw. den ›Vansittartismus‹ variierte sowohl mit der Zeit als auch in öffentlichen und privaten Äußerungen. Hoffschulte beurteilt seine Hinwendung zur »Zwei-Deutschland-Theorie« in den Rundfunkreden von Juni bis Ende 1943 als strategisch (Hoffschulte, Anm. 355, S. 302–315), übernimmt hierbei im Grunde die Darstellung von Hans R. Vaget (Hans Rudolf Vaget: Thomas Mann und der deutsche Widerstand. Zur Deutschland-Thematik im »Doktor Faustus«. In: Claus-Dieter Krohn (Hrsg.): Exil und Widerstand. München: Ed. Text und Kritik 1997, S. 88–101, vgl. S. 95–99). Auch Wirth versucht verschiedene Phasen der Deutschland-Konzeption Thomas Manns herauszuarbeiten (Wirth, Anm. 361, S. 88–91). Manns Erwähnungen der Weißen Rose und des 20. Juli 1944 in Briefen, Tagebüchern und im Doktor Faustus bewertet Kargl in Anschluss an Vaget als »Beweis« für dessen Meinung, dass auch für Deutschland »die Möglichkeit der Gnade bestehen bleibe« (Kargl, Anm. 236, S. 128). 370 Mann, Anm. 364, S. 1077.

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Dass Hans Scholl als Stalingrad-Überlebender dargestellt wird, ist zwar den Quellen geschuldet, jedoch wird dieses Attribut besonders betont und durch den bestimmten Artikel als bekannt vorausgesetzt. Auffällig ist die religiöse Metaphorik bei der Würdigung der Studenten. Die Beschreibung des Widerstands als österlich, lässt eine Beziehung zwischen der oben zitierten Lobpreisung des europäischen Widerstands »Ehre den Völkern Europas! […] Ehre und Mitgefühl auch dem deutschen Volk« zum Gloria des evangelischen Ostergottesdienstes plausibel erscheinen.371 Die Parallelisierung zwischen Widerstand und der Passionsgeschichte gilt also nicht nur in Bezug auf die Münchener Studenten, sondern für den Widerstand als Ganzen, dem damit eine Erlösungs- und Sühnefunktion zugesprochen wird. Die Münchner Studenten stehen dabei pars pro toto für ein Potenzial der deutschen Jugend, sich von einer Trägergruppe des Nationalsozialismus zu seinem Gegner zu entwickeln. Besonders betont werden ihre letzten Worte vor Gericht: »›Bald werden Sie stehen, wo ich jetzt stehe‹« und »›Ein neuer Glaube dämmert an Freiheit und Ehre.‹«372 Bei letzterem Zitat handelt es sich um eine Abwandlung des letzten Satzes des letzten Flugblatts, der durch die Überführung in mündliche Rede Verkündigungscharakter erhält. Am Ende prophezeit Mann ein zukünftiges Gedenken an die »herrlichen junge[n] Leute«: Ihr sollt nicht umsonst gestorben, sollt nicht vergessen sein. Die Nazis haben schmutzigen Rowdys, gemeinen Killern in Deutschland Denkmäler gesetzt – die deutsche Revolution, die wirkliche, wird sie niederreißen und an ihrer Stelle eure Namen verewigen, die ihr, als noch Nacht über Deutschland und Europa lag, wußtet und verkündetet: »Es dämmert ein neuer Glaube an Freiheit und Ehre.«373

Die Wiederholung des Zitats am Schluss deutet darauf hin, dass dieser Satz als Quintessenz der Rede begriffen werden soll. Die Ereignisse in München werden als prophetisches Zeichen gewertet. Dies wird in der Rede vom 29. September 1943 noch deutlicher. Dieser Text ist jedoch skeptischer in Bezug auf eine Befreiung durch Widerstand: Wer rettet Deutschland? Die Frage brennt wohl, bei wachsender Not, in manchem Herzen. Der Aufruf der hingerichteten Münchner Studenten an das deutsche Volk, das Schandjoch abzuwerfen, ehe es zu spät ist, war ein Zeichen dafür. […] Wann wird der Retter kommen diesem Lande?374

Manns Deutung des Widerstands ist also keine statische, sondern sie passt sich seiner Wahrnehmung der Verhältnisse an. 371 Vgl. Evangelisches Gesangbuch (EG), Nr. 75. 372 Bei diesem Satz handelt es sich vermutlich um eine Rückübersetzung aus dem von Moltke überlieferten Flugblatt. 373 Mann, Anm. 364, S. 1077. 374 Ebd., S. 1082.

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Über die Wirkung der Reden in Deutschland vor 1945 lassen sich keine gesicherten Aussagen treffen. Ausgewählte Reden wurden schon ab 1942 bei Bermann-Fischer in Stockholm und ab 1944 vom Freien Deutschen Kulturbund in Großbritannien veröffentlicht.375 Die kontroverse Rezeption Thomas Manns in Westdeutschland376 ist vielleicht auch ein Grund dafür, dass die Rundfunkreden unabhängig von den Gesammelten Werken zunächst in der DDR (ab 1956 im Aufbau-Verlag, ab 1971 im Insel-Verlag) und erst 1986 in der Bundesrepublik veröffentlicht wurden.377 Günter Wirth legte 1970 den ersten einschlägigen Aufsatz zu den Rundfunkreden Thomas Manns in den Weimarer Beiträgen vor und ordnet sie als Teil des »konsequenten antifaschistischen Kampf[es]« ein.378 Manns Rundfunkansprache wurde 1968 von Klaus Drobisch und 1969 von Karl-Heinz Jahnke in die Dokumentenanhänge ihrer Monografien zur Weißen Rose übernommen.379 Die Ansprache wird hier als »Gedenken« bezeichnet, womit ihr ein bleibender Status als Zeugnis für den Widerhall und die Wirkung der Weißen Rose zugeschrieben wird. Inge Aicher-Scholl übernahm den Text erst ab der Neuauflage 1993 in den Dokumentenanhang ihres Buches.

III.1.3 Johannes R. Bechers Versroman Die Drei im Kontext des Nationalkomitees Freies Deutschland Im Gegensatz zu Thomas Manns Rundfunkrede wurde Johannes R. Bechers Text Die Drei, der erstmals im Juli 1943 in der deutschen Ausgabe der Zeitschrift Internationale Literatur (IL) veröffentlicht wurde, nach 1945 auch in der DDR kaum mit dem Gedenken an die Weiße Rose assoziiert. Die IL wurde von 1932 bis 1935 vom Zentralorgan der Internationalen Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller und ab 1936 von der Deutschen Sektion des Sowjetischen Schriftstellerverbands herausgegeben. 1937 wurde sie mit dem Zusatz Deutsche Blätter versehen. Vorgeblich wurde der Anspruch formuliert, 375 Thomas Mann: Deutsche Hörer! 25 Radiosendungen nach Deutschland. Stockholm: Bermann-Fischer 1942; Thomas Mann: Deutsche Hörer! 55 Radiosendungen nach Deutschland. Stockholm: Bermann-Fischer 1945; Thomas Mann: Deutsche Hörer! Eine Auswahl aus den Rundfunkbotschaften an das deutsche Volk. London: Freier Deutscher Kulturbund in Großbritannien [1944]. 376 Siehe Marcus Hajdu: »Du hast einen anderen Geist als wir!«. Die »große Kontroverse« um Thomas Mann 1945–1949, Internet: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2005/2056/, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 377 Thomas Mann: Zeit und Werk: Tagebücher, Reden und Schriften zum Zeitgeschehen. Berlin (Ost): Aufbau 1956; Thomas Mann: Deutsche Hörer! Leipzig: Insel 1971; Thomas Mann: Deutsche Hörer! Darmstadt: Darmstädter Blätter 1986. 378 Vgl. Wirth, Anm. 361, S. 99. 379 Drobisch, Anm. 165, S. 169–170. Karl-Heinz Jahnke: Weiße Rose contra Hakenkreuz. Frankfurt a. M.: Röderberg 1969, S. 83–86.

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»einen Sammel- und Stützpunkt zu bilden für die literarischen Kräfte aller Richtungen«; faktisch war die Zeitschrift aber parteioffiziell kontrolliert, was auch darin deutlich wird, dass sie von September 1939 bis Juni 1941 den Vereinbarungen des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts folgend keine »konkret antifaschistischen Texte« abdruckte.380 Mit einer Auflage von mindestens 2.600 Exemplaren, wovon ca. 800 in den Auslandsvertrieb gingen, war die IL eine der wichtigsten literarischen Exilzeitschriften.381 Becher war ab Mitte 1936 Chefredakteur der deutschen Ausgabe der IL, die für ihn zusammen mit dem deutschen Zweig von Radio Moskau, wo er seine Radioansprachen hielt, den wichtigsten deutschsprachigen Publikationsort im Exil darstellte. Hier publizierte er vor allem essayistische Texte, aber auch literarische. In einem Brief charakterisiert Becher die IL als »in erster Linie eine Zeitschrift für die deutsche Intelligenz im Ausland«.382 Es fällt ihm schwer, mitzuteilen »wie die Beiträge […] sein müssten. Abgesehen davon, dass diese Dinge ja nicht statisch sind, sondern sich den politischen Ereignissen gemäß verändern«.383 Auch Bechers eigene Texte aus dem Exil zeichnen sich inhaltlich wie formal durch eine große Heterogenität aus und müssen daher vor dem jeweiligen Kontext der Veröffentlichung analysiert werden. Bechers Versdichtung Die Drei erschien im Juli 1943384 und steht damit in Zusammenhang mit der Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD) am 12./13. Juli, das in der Folge der im April 1942 eingeschlagenen Volksfront-Strategie und Umerziehungsbemühungen unter deutschen Kriegsgefangenen ein möglichst breites Bündnis gegen die Nationalsozialisten sichtbar und effektiv machen sollte. Es wurde darauf gezielt »Arbeiter und Schriftsteller, Soldaten und Offiziere, Gewerkschafter und Politiker, Menschen aller politischen und weltanschaulichen Richtungen, die noch vor einem Jahre einen solchen Zusammenschluß nicht für möglich gehalten hätten«, zu gewinnen.385 Der Text des Gründungsmanifests zeigt, dass die KPD im Sinne dieser integrativen Strategie ihre Kontroll- und Machtposition nicht explizit machte. Becher war 380 Simone Barck (Hrsg.): Lexikon sozialistischer Literatur. Stuttgart, Weimar : Metzler 1994, S. 217–218. Siehe auch Winfried Halder : Exilrufe nach Deutschland: Die Rundfunkreden von Thomas Mann, Paul Tillich und Johannes R. Becher 1940–1945. Analyse, Wirkung, Bedeutung. Münster u. a.: LIT 2002, S. 39–40. 381 Ebd. 382 Brief von Johannes R. Becher an Dora Wentschner, Moskau 16. 01. 1943, abgedruckt in Rolf Harder (Hrsg.): Briefe an Johannes R. Becher : 1910–1958. Berlin: Aufbau 1993, S. 251. 383 Ebd. 384 Auch Kargl geht auf diesen Text ein, ihre kurze Analyse bleibt aber nahezu ergebnislos. Siehe Kargl, Anm. 236, S. 85–86. 385 Manifest des Nationalkomitees Freies Deutschland, Internet: https://www.dhm.de/lemo/be stand/objekt/d2a17219, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Siehe auch Alexander Behrens: Johannes R. Becher. Eine politische Biographie. Köln [u. a.]: Böhlau 2003, S. 219–220.

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Gründungsmitglied des NKFD und setzte dessen politische Leitlinien auch in der IL um.386 Die Relevanz der Weißen Rose im Kontext des NKFD zeigen auch ein Artikel in der Kriegsgefangenenzeitung Das freie Wort sowie Flugblätter für deutsche Soldaten an.387 Zu den Adressaten der IL sind ab 1942 ein breites intellektuelles Exil-Publikum und vor allem 1943 auch kriegsgefangene deutsche Soldaten zu rechnen; die IL wird verstärkt zum Medium politischer Überzeugungsarbeit.388 Dies wird in Bechers 1943 in der IL veröffentlichten publizistischen Arbeiten, aber auch an den zwei Versdichtungen Ein Lied von sieben Knaben und Die Drei deutlich, die Becher später als »Versepen« oder »Romane in Versen« bezeichnete.389 Becher begründet die Wahl des Genres retrospektiv wie folgt: »[A]bgesehen von dem poetischen Interesse, das mir diese Dichtung abrang, hielt ich es auch für nützlich, die deutsche Dichtung wieder um dieses alte, erprobte Genre zu bereichern.«390 Dem Kommentar der Gesamtausgabe zufolge hat Becher nach ersten Versuchen 1935 bis 1938 erst »nach der Wende bei Stalingrad […] als der Kontakt zu kriegsgefangenen Deutschen ihm das Erlebnis der Wandlung und Umerziehung vermittelte« weitere Verserzählungen geschrieben.391 Die Wahl eines vorgeblich deutschen Genres, das auch mit typisch deutschen Stoffen und Helden verbunden wird, und die Berufung auf dichterische Vorbilder transportieren eine patriotische Konzeption von Dichtung als politisches Mittel. Bereits 1944 veröffentlichte Becher in Moskau den Band Die hohe Warte. Deutschland-Dichtung, der auch Die Drei enthält. Becher schreibt in der Einleitung: Deutschland-Dichtung ist deutsche Dichtung im Kampfe zur Rettung der Nation. Die Betonung liegt bei Deutschland-Dichtung auf beidem: auf Deutschland und auf Dichtung. Wenn wir zu »Hohen Warten« aufblicken, so sind es diese: Walter von der Vogelweide, Grimmelshausen, Andreas Gryphius, Friedrich Hölderlin.392 386 Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1935–1945. Berlin: Akademie 1976, S. 145–153. 387 Abgedruckt im Dokumentenanhang von Jahnke, Anm. 379. 388 Vgl. Halder, Anm. 380, S. 43. 389 Dazu zählen folgende Texte Bechers: Vom Schicksal deutschen Geistes. In: Internationale Literatur (1943), Nr. 5; Kameraden (Briefwechsel), in: Internationale Literatur (1943) Nr. 11. Die genannten Versepen erschienen in Internationale Literatur, Nr. 5 und 7. 390 Johannes Robert Becher : Gesammelte Werke XIII. Bemerkungen I. Berlin (Ost): Aufbau 1972, S. 261. 391 Johannes Robert Becher : Gesammelte Werke VII. Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950, Eintragungen 1951. Berlin (Ost): Aufbau 1969, S. 548–549, S. 563. 392 Zitiert nach Erhard John: Bemerkungen zur Rolle der Publizistik und Poesie Johannes R. Bechers in der antifaschistischen Überzeugungsarbeit in Lagern für deutsche Kriegsgefangene in der UdSSR. In: Ricarda Fincke (Hrsg.): Im Zeichen des Menschen und der Menschheit. Johannes R. Bechers Publizistik (1912–1945) als aktuelles Erbe. Berlin: Kulturbund 1988, S. 151.

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Becher stellt sich mit dieser Aufzählung in eine Reihe von ›Nationaldichtern‹ und behauptet in diesem Sinne eine Kontinuität der Versdichtung vom Mittelalter bis zur Gegenwart als nationales Signum. Eine solche Gattungskonzeption liegt auch der Versdichtung Die Drei zugrunde. In der einleitenden ersten Strophe wird ein »Hoheslied von einer Heldenschar« angekündigt: Dir München bringe dieses Lied ich dar. Dir Stadt an Säulen reich und Monumenten. Ein Hoheslied von einer Heldenschar. Und es beginnt: Es waren drei Studenten. Es waren drei. Drei sind vorangegangen, Um in die Zukunft uns voranzugehn. In dreien hat das Neue angefangen, Drei blieben als ein Denkmal in uns steh’n.393

Die zu Beginn des Textes konstruierte Äußerungssituation entspricht der »Konstellation von Sänger, Dame und Gesellschaft« höfischer Lyrik im Hochmittelalter.394 Diese Konstellation scheint Becher in diesem Text auf die Nation zu übertragen, wobei eine simultane Präsenz des Dichters und der Rezipienten konstruiert wird (»ich«/»uns«). Die Form regt zu akustischem Lesen an, durchgehender fünfhebiger Jambus und Kreuzreim entsprechen formal zwar nicht den Vorbildern, aber sie lassen den Text recht eingängig erscheinen und tragen dazu bei, eine Unmittelbarkeit im Sinne einer physischen Aufführung zu simulieren. Eine Analyse der Temporalität dieser Verse zeigt, auf welche Weise eine kollektive Identität konstruiert wird: Die Vergangenheit der drei Helden (Imperfekt: »waren«, »blieben«), die Gegenwart des Dichters und der Rezipienten (Präsenz »bringe [impliziert: Euch] dar«) und eine bereits absehbare, gemeinsame Zukunft (Aspektualität der Verben »vorangehen« und »anfangen«) evozieren ein zeitliches Kontinuum und eine Gedächtnisgemeinschaft (»Denkmal in uns«). Dieses zeitliche Kontinuum wird durch ein räumliches ergänzt: Der Text ist durch eine Montage verschiedener Schauplätze in München strukturiert, die wie Szenen eines Films aneinandergefügt sind. In den ersten vier von zwölf Kapiteln wird der atmosphärische Hintergrund der eigentlichen Erzählung geschaffen. Dies geschieht vom Blickpunkt der Münchner Universität aus, die sich in der Ludwigstraße, zwischen Siegestor und Feldherrenhalle befindet. In dieser Perspektive wird eine Collage sinnlicher Signale transportiert, wobei der Darstellung der Natur besondere Bedeutung zukommt: Der Gegensatz zwischen Winter 393 Johannes Robert Becher : Die Drei. In: Internationale Literatur 13 (1943), Nr. 7, S. 44–53, S. 44. 394 Joachim Bumke: Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. München: dtv 1990, S. 108.

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und Frühling entspricht dem zwischen Krieg und Frieden. Die verschiedenen Sinneseindrücke und Bilder sind nicht lokalisiert, es handelt sich um eine exemplarische Perspektive eines Münchner Bürgers. Das Läuten der Glocken anlässlich der dreitägigen Volkstrauer in Folge der Stalingrad-Niederlage verortet das Geschehen zeitlich. Das Geläute lässt einige Bürger innehalten und »gerad, stadteinwärts bis zur Feldherrnhalle und […] von dort aus bis nach – Stalingrad« blicken.395 Auf diese Weise wird eine direkte Linie gezogen, vom Aufstieg der Nationalsozialisten zu Stalingrad. Im zweiten und dritten Kapitel wird geschildert, wie bei Stalingrad gefallene deutsche Soldaten als Schattenwesen nach München zurückkehren. Das Motiv der Wiederkehr des gefallenen Frontsoldaten findet sich vor allem in expressionistischen Texten im Kontext des ersten Weltkriegs und auch in Bechers Wiederkehr des unbekannten Soldaten (1936).396 Doch im Unterschied zu diesem Text erhält die Figur des gefallenen Soldaten hier politische Autorität. Der Fronteinsatz bedeutet Einsicht in die Wahrheit und lässt den Soldaten zum Mahner und Aufklärer werden, der sich aber als passiv verführtes Opfer des Führers darstellt: Ein blutiger Schatten ist der Überrest, Dazu hat uns der Führer auserlesen. Was sich nicht alles mit uns machen lässt! Wir mitverwesen willig im Verwesen. Wir haben »Heil« gerufen, wo Betrug So offenbar war, dass die Lügen schrieen! Sie aber schrieen uns noch nicht genug, Bis wir, von all dem Unrat angespieen, Uns selber spieen täglich ins Gesicht! Wir glauben nicht, was unsere Worte sagen. Und was wir tun, sind wir und sind es nicht. … Als wären in zwei Hälften wir zerschlagen.«397

In den folgenden beiden Kapiteln wird der Entschluss der Protagonisten zur Tat aus deren Perspektive geschildert. Dabei lässt sich eine Engführung zwischen Widerstand und Soldatentum erkennen: »Erscheint die Tat! Wir gehen ein zu jenen / Den Helden, die im Tod noch Wunder tun!«.398 Und weiter heißt es: »Es ziehen drei dahin im gleichen Schritt / Wie um sich einem Heere anzureihen«.399 Dieser Vergleich ist auch vor dem Hintergrund der historischen Verortung des Widerstands zu sehen. Die innere Entscheidung zur Tat der drei Protago395 396 397 398 399

Ebd., S. 46. Enthalten in: Johannes R. Becher : Romane in Versen. Berlin: Aufbau 1946. Ebd., S. 47. Ebd., S. 48. Ebd.

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nisten vollzieht sich jeweils vor dem Hintergrund historischer Gedächtnisorte: Der Obelisk symbolisiert das Sterben bayerischer Soldaten im Dienste Napoleons im Feldzug gegen Russland, die Feldherrnhalle steht für den Aufstieg Hitlers und ein Bild in der Sendlinger Kirche erinnert an den Schmied von Kochel. Der Widerstand gegen Hitler wird damit in die Tradition deutscher Freiheitskämpfe eingereiht.400 In diesem Sinne ist auch die breite Darstellung des Schwurs auf die »Burschenschaft [der Freiheit]« zu verstehen, wobei »Gerhart Scholl« bekennt: »Ich bin bereit, die Heimat freizuschlagen / Von den Verbrechern, deren Führertum / Sich Deutschlands hohe Erbschaft / frech erschlich.«401 Mittel des Kampfes ist zunächst ein Liebesgedicht, das »Alwin Probst« für »Sophia« verfasst, es ihr aber nur anonym zukommen lässt, um sich nicht durch eine private »Liebelei« der patriotischen »Pflicht […] zu entziehen«.402 Dieser ,,[a]ls Liebeslied getarnt[e] Ruf zur Tat« wird nun plakatiert und entfaltet seine Wirkung: Ein neues Wort. Ein neuer hoher Sinn. Vieltausend sich mit den Drei verbünden. Im Anfang war das Wort. Der Anbeginn Von hohen Taten schien sich anzukünden.403

Ein Lied wird zum Mittel des antifaschistischen Kampfes erklärt, in den mise en abyme der eigene Text eingereiht wird. Besonderes Gewicht hat über den gesamten Text hinweg die christliche Zahlensymbolik (›Dreifaltigkeit‹), die für die Schaffung eines breiten Bündnisses gegen »das Böse« steht (»Die Dreizahl wächst zur Vielfalt in die Weite«).404 Die Studenten werden als der »Jugend heiliges Aufgebot« bezeichnet.405 In den beiden vorletzten Kapiteln wird die Gerichtsverhandlung dargestellt, in der einer der Protagonisten in einer fiktiven Verteidigungsrede im Namen eines »neuen Deutschlands« zur »großen Tat« aufruft: Ihr alle, die ihr hier vorübergeht, Bleibt stehn und steht für eine Weile still Und sprecht es nach – als wär es ein Gebet! –, Damit ein jeder weiß, was Deutschland will! Ihr, die ihr Deutschland liebt! Wer ihr auch seid! Die Zeit ist da, die große Tat zu wagen! Genug des Leids! Es sei zu End das Leid! 400 Diesen Motiven hat Becher eigene Gedichte gewidmet, siehe Johannes R. Becher : Die Hohe Warte. Deutschland-Dichtung 1933–1945. Berlin: Aufbau 1946. 401 Becher, Anm. 393, S. 48. 402 Ebd. 403 Ebd. 404 Ebd. 405 Ebd., S. 52.

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Wir haben allzulang die Schmach ertragen! […] Der Wille Deutschlands ist: Deutschland will leben! Ein jeder Tote mahnt: Gedenke mein! Deutschland ist frei, wenn wir uns frei erheben! … Ein jeder junge [sic] Deutsche kann es sein …» So sprach der eine, und er sprach sich frei: «Ich sprech in eines neuen Deutschlands Namen!« Und nicht nur einer sprach, es sprachen drei: »Wir stehen hier – in Deutschlands Namen … Amen.«406

Bechers letztes Kapitel entwirft eine Vision Münchens nach dem Krieg: Die verschiedenen bereits im Text eingeführten Orte werden wieder abgegangen und in friedlichen und harmonischen Bildern präsentiert, in denen die drei Helden gespiegelt werden. In einer Andacht bzw. Ehrung an der Universität bekundet ein Redner »der freien Burschenschaft«: »Drei gaben uns die Kraft«.407 Damit werden diese als zukünftige nationale Helden projiziert: Die drei, die sich als eins zusammenfanden, Sie haben Deutschland wieder neu geeint. Und eine neue Dreiheit ist erstanden, Die uns mit ihrem ewigen Licht durchscheint. Ihr Untrennbaren, Ewig-Ungetrennten! Das Reich, das kommt, ward sichtbar in euch drein!408

Die Wortwahl Bechers lehnt sich hier stark an die Prophezeiung des Gottesreiches in den Evangelien an409 und legt eine messianische Deutung des Widerstandes nahe. Im gesamten Text finden sich also explizite Elemente militärischer, nationalistischer und religiöser Diskurse, aber keine explizit kommunistischen Diskurselemente. Dies kann im oben dargestellten Veröffentlichungskontext als Teil einer Strategie gesehen werden, emotional auf ein möglichst breites Adressatenspektrum einzuwirken.410 Diese Strategie belegt auch ein Flugblatt des NKFD, das als »Antwort auf die Ermordung der Münchner Studenten« verfasst wurde, starke Parallelen zu Bechers Text aufweist und dem »Frontsoldaten« Hans Scholl die folgende Aussage zuschreibt: »Ich bin kein Kommunist, ich bin Deutscher«.411 Die Drei wurde 1946 im Aufbau-Verlag in dem Band Romane in Versen pu406 407 408 409 410

Ebd. Ebd., S. 52–53. Ebd., S. 53. Vgl. Lk 17, Mt 24: 1–51, Mk 13: 1–37. Ein weiteres Beispiel für eine nicht-offene antifaschistische Strategie bildet die Berufung auf Ernst Moritz Arndt im Appell an die »deutschen Gebildeten« von Ernst Hadermann: Vom Schicksal deutschen Geistes. In: Internationale Literatur 13 (1943), Nr. 5, S. 60–67, S. 67. 411 Zitiert nach Jahnke, Anm. 379, S. 88.

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bliziert. Die einzige vorliegende Rezension ist im Westen erschienen und feiert den Rückkehrer Becher als »politischen Dichter« und stellt ihn in eine Reihe mit Tyrtaios, Ulrich von Hutten, Heinrich Mann und Theodor Plievier.412 Ansonsten scheint die Kritik kaum auf den Text eingegangen zu sein, was Becher in seinen Aufzeichnungen Verteidigung der Poesie 1950 darauf zurückführt, dass »bei der Kritik der Sinn für ein solches Genre verlorengegangen war«.413 Die »völlige Gleichgültigkeit der Kritik« stehe »im Widerspruch zu der Tatsache, daß die ›Romane in Versen‹ bald in mehreren Auflagen vergriffen waren«.414 Der Band wird allerdings nach 1946 erst 1959 wieder aufgelegt, wobei Die Drei nun mit dem Zusatz »Dem Andenken der Geschwister Scholl gewidmet« versehen wird. Auch in den Dokumententeil von Drobischs Wir schweigen nicht wird der Text 1968 aufgenommen, jedoch dem Auszug aus der Rundfunkansprache Manns nachgeordnet und nur in der ersten Auflage vollständig publiziert; in den späteren Ausgaben wird dagegen nur das Kapitel XI in Ausführungen zum Widerhall der Weißen Rose zitiert, womit es im Gegensatz zu Manns Text den Status als Dokument verliert.415 Dies kann auch darauf zurückzuführen sein, dass die späten Exil-Texte Bechers in der DDR-Forschung ab den 1970er-Jahren kritisch gesehen wurden. So wird im Nachwort des entsprechenden Bandes der Gesamtausgabe »manche[s] Missglückte« konstatiert.416 Kritisiert wird in der Forschung ferner die »Einführung religiöser Begriffe und Motive in die marxistische Gefühls- und Gedankenwelt« und die »zeitweilige Überbetonung des nationalen gegenüber dem sozialen Element«, die zwar als eine von Becher bewusst gewählte Methode der »Bereinigung und Bereicherung der Sprache gegenüber der faschistischen Sprachverarmung« gewertet wird, welcher aber gerade in der Lyrik dieser Phase »nur begrenzter Erfolg« hinsichtlich ihrer Wirksamkeit beschieden gewesen sei.417 Bertolt Brecht urteilt privat in seinem Arbeitsjournal bereits 1943 eindeutiger : Wieder wird der Nationalismus der Hitler ganz naiv akzeptiert; Hitler hatte nur den falschen. Becher hat den richtigen. […] Natürlich ist die nationale Friedens- und Freiheitsfront gegen Hitler als taktische Position naheliegend, da eben eine Katastrophe in nationalem Ausmaß durch Nationalismus eingetreten ist… aber dazu dieser gigantische Spießerüberbau? Das nationalistische ist bei Schiller, Goethe, Hölderlin für uns schon unerträglich. […] Ich lese: »Eine neue Gemeinsamkeit ist es, die sich bildet, damit Deutschlands Wille geschehe und er durch uns vollzogen werde, und ein Al412 o. A.: Roman in Versen. Ein neues Buch von Johannes R. Becher. In: Schwäbisches Tageblatt, 07. 05. 1946. 413 Becher, Anm. 390, S. 261. 414 Becher, Anm. 390, S. 261. 415 Drobisch, Anm. 165, S. 171–183; Drobisch, Anm. 166, S. 63. 416 Becher, Anm. 391, S. 568. 417 Barck, Anm. 386, S. 147.

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lerhöchstes ist es, das über solch einem Gemeinsamen waltet: der Genius eines ewigen Deutschlands.« Nachbar, euren Speikübel!418

Integrativer Nationalismus, wie er in Bechers Versdichtung Die Drei exemplarisch deutlich wird, wirkte zwar über 1943 hinaus. Er hatte aber wie am Beispiel der Aussage Brechts deutlich wird, auch eine desintegrierende Wirkung. Entsprechende Texte Bechers waren mit offiziellen Geschichtsdeutungen nach Gründung der DDR nicht kompatibel, wurden daher aus der Situation heraus erklärt und in der DDR trotz Bechers Positionen als Präsident des Kulturbundes und Minister für Kultur nicht kanonisiert. Das erklärt, warum Bechers Text im Gegensatz zu den Reden Thomas Manns in DDR-Diskursen keine weitere Rolle spielte.

III.1.4 »Tagträume eines Emigranten«? Alfred Neumanns Roman Es waren ihrer sechs und seine Rezeption Unter ganz anderen Exil-Bedingungen als Becher verfasste Alfred Neumann den Roman Es waren ihrer sechs. Der Kleistpreisträger von 1926 lebte bis 1933 in München und galt in der Weimarer Republik als einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Autoren. Er war insbesondere mit historischen Romanen (z. B. Der Teufel) bekannt geworden. Im Roman Der Held thematisierte er den Mord an Walther Rathenau, im Narrenspiegel karikierte er Hitler und die SA.419 Als NaziGegner und aufgrund seines jüdischen Glaubens war Neumann in Deutschland gefährdet und entschied sich 1933 in seinem Zweitwohnsitz in Fiesole in Italien zu bleiben. 1938 musste er nach der Übernahme der Rassengesetze durch Mussolinis Regime nach Nizza fliehen, von wo aus er 1941 noch rechtzeitig in die USA ausreisen konnte. Von 1941 bis 1949 lebte er in Los Angeles und konnte sich in den Studios von Hollywood erfolgreich als Filmautor etablieren und mit MacMillan in New York einen Verleger finden – im Vergleich zu anderen Emigranten ein »Ausnahmefall«.420 Neumann war aktives Mitglied der deutschen Exil-Community von Los Angeles und engagierte sich für andere Exilanten, aber im Gegensatz zu Becher und Mann nicht mit politischen Stellungnahmen.421 Er 418 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal. 1938–1955. Berlin (Ost): Aufbau 1977, S. 641. 419 Kargl, Anm. 236, S. 117. 420 Guy Stern: Erfolg in Hollywood. Der Ausnahmefall Alfred Neumann. In: Wolfgang Elfe (Hrsg.): Deutsches Exildrama und Exiltheater. Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris: Lang 1977, S. 36–56. Zur Biografie Neumanns ausführlicher Kargl, Anm. 236, S. 129–131. 421 Konrad Umlauf: Exil, Terror, Illegalität. Die ästhetische Verarbeitung politischer Erfahrungen in ausgewählten deutschsprachigen Romanen aus dem Exil 1933–1945. Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang 1982, S. 132–133.

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beteiligte sich auch nicht an der überregionalen und internationalen literarischen Kommunikation über Exilzeitschriften.422 Durch einen Artikel im Time Magazine vom 14. Juni 1943 wurde Neumann auf die Ereignisse in München aufmerksam. Die Lektüre dieses Artikels war »die Auslösung eines epischen Unternehmens, das […] schon seit Mitte der dreissiger Jahre geplant und […] konzipiert« war.423 Außerdem verarbeitete Neumann den Stoff auch in einem nicht publizierten Film-Script Commencement Day, das vom Schicksal eines deutsch-amerikanischen Geschwisterpaars handelt. Während der Bruder in die USA geht, wird die Schwester wegen Widerstands an einer deutschen Universität verhaftet und hingerichtet.424 Das Filmprojekt war mit Sicherheit für ein amerikanisches Publikum bestimmt, der Roman zumindest auch. Die Veröffentlichung bei MacMillan war noch für 1944 geplant und konnte nur aufgrund einer Papierknappheit in den USA nicht zeitgleich mit der 1944 im Exilverlag Neuer Verlag in Stockholm erschienenen deutschsprachigen Erstausgabe erscheinen.425 Als primäre Adressaten des Romans können somit die Öffentlichkeiten des Exils und der Exilländer, insbesondere der USA angenommen werden. Es waren ihrer sechs lässt sich als Zeitroman in Form eines Justizromans charakterisieren. Ähnlich wie im Genre des historischen Romans sind Fakten und Fiktion miteinander verbunden. Zum einen ist der Text des letzten Flugblatts der Weißen Rose in einer Rückübersetzung aus dem Englischen in den Romantext eingebunden, zum anderen lehnen sich die Namen der Hauptfiguren historischen Personen an: Fünf der sechs Namen der Protagonisten nehmen durch Vornamen (Hans und Sophia, Christoph und Alexander) bzw. durch die Initialen (Karl von Hennings – Kurt Huber) auf Mitglieder der Weißen Rose Bezug, die Neumann korrekt in Erfahrung bringen konnte. Einige der Nachnamen sind Neumanns Freundeskreis entlehnt, so Karl von Hennings dem mit Neumann befreundeten Kriminalistik-Professor Hans von Hentig. Daneben wird auf historische Personen wie Pater Roussaint oder den Münchener Kardinal Faulhaber Bezug genommen. Neumann verarbeitete außerdem Quellen426 422 Ergebnis einer Recherche des Verfassers in der Exilpresse-Datenbank der Deutschen Nationalbibliothek »Exilpresse digital – Deutschsprachige Exilzeitschriften 1933–1945«. 423 Alfred Neumann: Eine Feststellung. In: Ders.: Es waren ihrer sechs. 2. Aufl. Stockholm [u. a.]: Neuer Verlag 1949, S. 453–454. 424 Vgl. Hans-Bernhard Moeller : German Hollywood Presence and Parnassus: Central European Exiles and American Filmmaking. In: Rocky Mountain Review of Language and Literature 49 (1985), Nr. 2, S. 123–136, Guy Stern: Das Amerikabild der Exilliteratur. Zu einem unveröffentlichten Filmexpos8 von Alfred Neumann. In: Guy Stern (Hrsg.): Literatur im Exil. Gesammelte Aufsätze 1959–1989. Ismaing: Hueber 1989, S. 192–198.; beruhend auf letzterem: Kargl, Anm. 236, S. 136–138. 425 Vgl. Francis Hackett: Books of the Times. In: New York Times (24. 07. 1945). 426 Ausführlich setzt sich Kargl auf der Grundlage des Nachlasses Neumanns mit den Quellen

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bezüglich des NS-Erziehungs- und Justizsystems.427 Der Text enthält folglich Authentizitätssignale auf verschiedenen Ebenen, so dass der Eindruck eines »Schlüsselromans« entstehen kann.428 Neumann selbst bezeichnete seinen Roman nach Erscheinen dagegen als »Gestaltung einer ewigen Idee«429, als »Dichtung über ›das andere‹ Deutschland« oder »Dichtung einer menschlichen und nationalen Tragödie«, die »Zorn und Haß« im Ausland vergessen lasse.430 Der Kontext des Exils, die Frage des Genres und der Adressierung sind wichtige Faktoren für die kontroverse Rezeption des Romans in Deutschland nach 1945. Die Rahmenhandlung folgt in elf Kapiteln dem Weg der sechs Protagonisten durch den nationalsozialistischen Justizapparat. Der Professor für Kriminalpsychologie Karl von Hennings und seine Ehefrau Dora, sein Assistent Christoph Sauer, die Studenten Hans und Sophia Möller sowie Alexander Welte sind angeklagt, durch die Verbreitung von Flugblättern Hochverrat begangen zu haben. In die Szenen der Haft, der Verhöre, der Gerichtsverhandlung und der letzten Stunden vor der Hinrichtung werden durch Rückblenden mit wechselnder Fokalisierung (Dialoge, Erzählung von Gedanken und Beobachtungen der verschiedenen Figuren, Aussagen vor Gericht) die Biografien der Angeklagten sowie die näheren Umstände der Flugblattaktion und der Verhaftung montiert. Da dem Leser der Ausgang des Prozesses von vornherein klar ist, muss Spannung innerhalb des Beziehungsgeflechts zwischen den Angeklagten erzeugt werden: Christoph, der in einer Liebesbeziehung zu Sophia steht, wird von den anderen verdächtigt, die Gruppe verraten zu haben. Dieser Verdacht erklärt sich durch die Vorgeschichte Christophs, der sich dem Wehrdienst durch die vermeintliche Simulation eines Stupors entziehen konnte. Allerdings handelt es sich dabei um ein Phänomen, das Christoph nicht vollständig kontrollieren kann. Der Verrat der Gruppe durch einen SS-Professor wird zwar im Laufe der Beweisaufnahme aufgeklärt, trotzdem muss Christoph befürchten, aufgrund seiner Krankheit nicht mit den anderen verurteilt zu werden. Er erhängt sich schließlich in seiner Zelle, um Erpressungsversuchen seitens der NS-Justiz zu entgehen und die Einheit der sechs zu wahren. Plot und Montagetechnik haben vor allem die Funktion, Emotion und Spannung zu erzeugen und so eine breite Publikumswirksamkeit zu erreichen.

427 428 429 430

Neumanns auseinander. Kargl, Anm. 236, S. 131–136, 143–144. Ihr Vergleich mit »realen Personen« und der »historischen Realität« ist aber methodisch fragwürdig und führt über Spekulationen nicht hinaus. Siehe ebd., S. 144–152. Siehe auch Umlauf, Anm. 421, S. 54–57. Gisela Berglund: Deutsche Opposition gegen Hitler in Presse und Roman des Exils. Stockholm: Almquist & Wiksell 1972, S. 248. Neumann, Anm. 423, S. 454–455. Hans Werner Richter : »Es waren ihrer sechs« [Kommentierter Abdruck eines Antwortbriefes von Alfred Neumann an Hans-Werner Richter]. In: Süddeutsche Zeitung, 01. 02. 1946.

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Die Verhandlung des Volksgerichtshofs wird von Dora als »eine sichtbare und hörbare Szene, die Gegenüberstellung der anklagenden und der angeklagten Körperschaft« bezeichnet.431 Ebenso wie die sechs Angeklagten repräsentieren die fünf Richter und der Reichsanwalt unterschiedliche Generationen, soziale Gruppen, geografische Kontexte und psychologische Typen. Auch Momente ihrer Biografien und ihre Gedanken und Wahrnehmungen werden eingeblendet. Auf diese Weise zielt die Konstruktion des Romans darauf ab, einen möglichst authentisch wirkenden »Querschnitt durch das Dritte Reich« zu geben.432 Der Roman arbeitet dazu mit wechselnder Fokalisierung. Aber auch dann, wenn die Fokalisierung des Erzählerdiskurses nicht einer Figur zugeordnet werden kann, wird trotz der extradiegetischen Erzählsituation eine Binnensicht auf das nationalsozialistische Deutschland konstruiert. Dies wird zum Beispiel in der Erzählung der Umstände von Sophias Verhaftung deutlich, indem deiktisch »von diesem Land« gesprochen wird: In diesem Land hockt das Verhängnis in der Wohnungstür. Die Angstzeit läuft von elf Uhr abends bis acht Uhr morgens. […] Doch wehe der Wohnung, an der es in der grauen Frühe läutet, der grauenhaften Stunde zwischen Fünf und Sechs.433

Die Betonung von Allgegenwart und Breite von Verfolgung als Kennzeichen des nationalsozialistischen Staates lässt sich durchgängig nachweisen. So werden die Gleichschaltung der Institutionen des Polizei- und Justizapparates, die Kontrolle durch SA und SS sowie die Rolle des Volksmeldedienstes illustriert. Diese Phänomene werden durch Karl von Hennings in seiner vor Gericht referierten Theorie vom »Verbrechen als Staat« reflektiert: Der Humanismus, mit dem der erkennende Geist verbunden ist und von dem er die antreibende Kraft schöpft wie der Riese Antaeus von der Erde, wurde als Staatsfeind erklärt; der Antihumanismus in allen von mir angeprangerten Formen, Intoleranz, Primitivität, Verantwortungslosigkeit, Würdelosigkeit, Gewissenlosigkeit, Brutalität, Habgier, Machtlust, Brutalität, Habgier, Mordlust, Paganismus, Satanismus, Megalomanie, Hysterie, Psychopathie, Sexualpathologie – der kriminelle Antisozialismus wurde Staatsform.434

Die Enumeration psychopathologischer Eigenschaften soll die Antithese zwischen Humanismus und Nationalsozialismus illustrieren. Eine historische Er431 Neumann, Anm. 423, S. 140. 432 Walter A. Berendsohn: »Es waren ihrer sechs« von Alfred Neumann – Ein Querschnitt durch das Dritte Reich. In: Gert Mellbourn u. a. (Hrsg.): Germanistische Streifzüge. Festschrift für Gustav Korl8n. Stockholm: Almquist & Wiksell 1974, S. 20–33, insbesondere S. 33: Kaum ein anderer Exilroman erfasse das Dritte Reich in »einem so knappen Querschnitt durch das bürgerliche Leben dieser Zeit«. 433 Neumann, Anm. 423, S. 9. 434 Ebd., S. 177.

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klärung der Genese nationalsozialistischer Macht wird nicht gegeben. Konrad Umlauf wirft Neumann daher »personalisierenden Geschichtspessimismus« und eine simplifizierende Deutung des Nationalsozialismus vor.435 Die Charakterisierungen des Justiz- und Gerichtspersonals im Roman spiegeln fast jede der aufgezählten Eigenschaften wider und exemplifizieren damit von Hennings Theorie: Gestapo-Kommissar Negele werden dämonische Züge verliehen436, der Gerichtspräsident Dr. Behn ist »[s]trenggläubiger« Nazi der ersten Stunde, und seine Prozessführung offenbart ein überhöhtes Verständnis seines Amtes.437 Die karikaturenhafte physiologische Beschreibung der Richter von Freyberg und Schneidhammer stellt auf primitive Züge ab. Letzterer, Funktionär des NS-Viehzüchterrings, verdankt seine Karriere ebenso wie der Zeuge und Strafrechtsprofessor Vierck der skrupellosen Verdrängung und Verfolgung jüdischer Konkurrenten.438 Der hauptamtliche Richter Lucius, ein nationalkonservativer Protestant, der älteste unter den Richtern und als einziger »orthodoxer Jurist«, »schwamm« als »die alten Dämme brachen […] doch mit und wusste nicht recht, wie ihm geschah«.439 Er nimmt das Verfahren als »gegenseitige Röntgenaufnahme« wahr.440 Seine Sympathien mit den Angeklagten verstärken sich im Laufe des Prozesses proportional zu seinem Herzleiden, dem er schließlich erliegt. Auch auf den jüngsten Richter, den SS-Sturmbannführer Baldur Uhle, Sohn eines Edda-Forschers, der von Jugend an eine gerade Karriere bis zum »Vernichtungstechniker« machte, bleibt der Prozess nicht ohne Wirkung: Ihm wird während des Prozesses zunehmend übel und so kommt »des Vaters ›Edda‹ […] grässlich in ihm hoch«, als er die Parallelen zwischen Hans’ und seiner Biografie erkennt und das Todesurteil mit dem Brudermord im Eddalied vergleicht.441 Uhle und Lucius sind als Gegenfiguren zu von Hennings und Hans angelegt. Diese Figurenkonstellation impliziert eine generationale Deutung des Nationalsozialismus. Dieser wird auf ein Versagen der sogenannten »alten Eliten« zurückgeführt, was nicht nur am Fall des Richters Lucius, sondern auch an Karl von Hennings Biografie deutlich wird, der nach einer jugendlichen Rebellion gegen das »königlich preussische Vatererbe« zunächst unpolitischer Professor blieb und erst mit Kriegsbeginn seinen eigentlichen Weg in den Widerstand begonnen hat, wie er in seiner Aussage vor Gericht selbstkritisch reflektiert.442 435 436 437 438 439 440 441 442

Umlauf, Anm. 421, S. 59–62. Neumann, Anm. 423, insb. S. 36 und 74–75. Ebd., S. 160–162. Ebd., S. 168–169. Ebd., S. 162, 171. Ebd., S. 171. Ebd., S. 393–395. Ebd., S. 173–181.

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Seine Frau Dora dagegen engagierte sich für die »Unabhängigen Sozialisten«, bevor sie Karl heiratete, und sie ist es auch, die ihren Mann letztlich zum Widerstand bewegt.443 Dies ist ein Beispiel dafür, dass der Roman politisch offenere Lesarten zulässt, als die von Umlauf kritisierte Beschränkung auf den christlichbürgerlichen Widerstand.444 Die Schwäche der Älteren geht einher mit der Verführbarkeit der jüngeren Generation. So stehen Hans und Alexander für die, »die nicht mehr mitmachen und für den neuen Glauben mit der Inbrunst der Konvertiten fechten«, während Sophia und Christoph jene repräsentieren, »die niemals mitgemacht haben und nun losgelassen sind im Kampf für den alten Glauben«.445 An dieser Stelle wird deutlich, dass Widerstand als Glaubenskampf im Sinne der oben dargestellten Antithese zwischen Humanismus und Nationalsozialismus gedeutet wird, wobei eine grundsätzliche Fähigkeit zur Bekehrung indirekt auch dadurch Bestätigung findet, dass ein Teil der Richter ›infizierbar‹ erscheint. Chronische Krankheiten bei Älteren beziehen sich auf historische Wurzeln des Nationalsozialismus, Infektionskrankheiten zeigen dagegen latent oppositionelle Haltungen bei Jüngeren an. Eine differenzierte Interpretation der Krankheitsmetaphern und der Figurenkonstellation widerspricht Hikels pauschaler – Lesarten der Nachkriegszeit übernehmende – Wertung, der Roman stelle Widerstand als »Produkt von psychischer und physischer Abnormität« dar.446 Die Notwendigkeit zur Differenzierung zeigt sich gerade in Hans’ Geschichte. Nachdem sein Vater, der sozialdemokratische Bremer Jugendrichter Friedrich Moeller in Schutzhaft genommen wird, übernimmt sein Sohn Hans, ein überzeugtes HJ-Mitglied, die Kontrolle über die Familie. Der Vater kommt vollständig gebrochen und nervenkrank aus dem KZ zurück. Er verdankt seine Freilassung den Kontakten eines Hans gewogenen Bannführers der Hitlerjugend, was die oben herausgearbeitete generationale Erklärung des Nationalsozialismus unterstützt. Moeller zieht sich in der Folge sowohl aus dem öffentlichen als auch aus dem Familienleben zurück und lässt seinen Sohn gewähren. Hans will seine Schwester vom Kontakt mit ihrer besten Freundin, dem jüdischen Mädchen Hilde Wolff, abhalten und verprügelt sie, nachdem sie mit Hilde ein Blutsiegel begeht, das als »kindlich-mystische[…] Hochzeit« bezeichnet wird.447 Parallel dazu entstehen bei Hans erste Irritationen, da in Folge des Röhm-Putsches »plötzlich […] Sünde« sei, »was eben noch die mystische Weihe des Knabenbundes war«.448 Die homosexuellen Handlungen unter Vorgesetzten 443 444 445 446 447 448

Ebd., S. 188. Umlauf, Anm. 421, S. 93. Neumann, Anm. 423, S. 390–391. Hikel, Anm. 49, S. 73. Neumann, Anm. 423, S. 223. Ebd., S. 229.

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und Untergebenen, auf die hier angespielt wird, werden als konstitutives Element der HJ dargestellt: »Gehorsam heisst: Mit Leib und Seele!«449 Dem verordneten Verkehr mit Mädchen fühlt Hans sich aber nicht gewachsen und befürchtet einen »Knax wegbekommen« zu haben.450 In dieser Situation vertraut er sich seinem Vater an. Trotz dieser Irritation tritt Hans in die SS ein, dann aber zur Wehrmacht über, da er »gesund werden wollte«, wie er seiner Schwester gegenüber erklärt.451 An der Ostfront erlangt Hans das Eiserne Kreuz 1. Klasse, verliert aber bei einem Motorradunfall ein Bein. Er erkennt einen Sinn darin, dass er das Bein »nicht durch den Feind, sondern durch die eigene Kriegsmaschine verlor«.452 Diesen Fakt, der für ihn Anlass seines Umdenkens ist, betont er gegenüber seinem Pfleger, Alexander. In Gesprächen erkennen sich beide als »gleiches Produkt der Staatsjugendmanufaktur« und folgern gemeinsam »Häresien«, die in eine Erkenntnis der Verbrechen der Wehrmacht gipfeln: »Es graust mir vor uns selber« gab Alexander leise zu, […] »wir krepieren wie die Fliegen für ihn…« »Das ist die passive Besessenheit, und dann gibt es auch die aktive, oder etwa nicht?« »O ja, auch die Russen krepieren in Hülle und Fülle« »Und auch die Polen und auch die Juden; wir vernichten nicht nur Krieger, sondern auch Menschenrassen […] Und so frage ich dich eine ungeheuer törichte, ungeheuer bedeutsame Frage, Alex: ist der Befehl, fünfundzwanzig Männer eines feindlichen Maschinengewehrnestes auszurotten, gleich dem Befehl, fünfundzwanzig Menschen auszurotten […]?« »Befehl ist Befehl«, flüsterte Alexander […] »Und dann frage ich dich noch, Alex: ist die Ausrottung der fünfundzwanzig Menschen ein ausgeführter Befehl oder ein ausgeführter Mord?« »Ein Befehl…«, flüsterte Alexander und bewegte die Schultern, als ob es ihn fröstele, »ein Mord…«453

Die auch hier aufscheinende Metaphorik von Homosexualität hat die Funktion, die Deutung nationalsozialistischer Verbrechen als Folge einer Obsession zu illustrieren, die Soldaten zu Mördern werden lässt. Hans folgert aus seiner Erkenntnis über den Verbrechenscharakter des Nationalsozialismus, dass dagegen nur eine Art »Teufelsaustreibung« wirken könne, die für ihn und Alexander »der neue Sinn« werden könne.454 Er lässt sich zum Studium nach München versetzen, wo seine Schwester bereits studiert. Alexander folgt ihm, nachdem er auf449 450 451 452 453 454

Ebd., S. 233. Ebd., S. 230–236. Ebd., S. 256. Ebd., S. 270. Ebd., S. 279–280, vgl. auch mit S. 267–281. Ebd., S. 281.

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grund einer Typhuserkrankung, die ihn während der Gespräche mit Hans befällt, entlassen wird. Sophias Gegnerschaft zum Nationalsozialismus hat durch die Freundschaft zu Hilde Wolff dagegen Wurzeln bis in die Kindheit. Doch auch Sophia lernt zunächst »hinzunehmen, was sie so wenig ablehnen konnte, wie die Luft zum Atmen«.455 Sophia wird BDM-Mädel, ohne allerdings die Freundschaft zu Hilde aufzugeben. Im Arbeitsdienst, der als »Gefängnis der Erziehung zur Staatsjugend« bezeichnet wird, leidet sie »stumm und heftig wie die andern«.456 Sophias Erfahrungen werden bis hier als repräsentativ für das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zum Nationalsozialismus dargestellt, das durch unausweichlichen »Zeitzwang« einerseits und ein Leiden an diesem Zwang andererseits charakterisiert wird.457 Vor diesem Hintergrund besinnt sich Sophia der »rebellischen Passion des höchsten Siegels«.458 Sie schreibt Hilde heimliche Briefe, die diese sich schließlich verbittet, da sie eine zusätzliche Gefährdung darstellen. In den Weihnachtsferien treffen sich die Freundinnen wieder. Hilde erzählt von den Repressionen und Gefährdungen, denen ihr Vater und sie ausgesetzt sind, wobei sie einem Vergleich zwischen deutschem und jüdischem Leid explizit widerspricht: Und sie flüsterte: »Ihr seid ja so gemein zu uns« »Wir?« fuhr Sophia auf und erschrak schon an diesem »Wir« […], »aber ich doch nicht, Hildelein, ich habe ja auf meine Art zu leiden wie du, ich stecke ja ebenfalls in einer Art Konzentrationslager […]« »Auf deine Art!« rief Hilde, […], »wie kannst du deine Art mit meiner Art vergleichen! Du hast es leicht!«459

Die Darstellung der Judenverfolgung nimmt in Neumanns Roman insgesamt einen breiten Raum ein. An der Geschichte Hildes werden verschiedene Stufen von Repression und Verfolgung dargestellt, die in die Deportation Hildes und ihres Vaters münden, die Hans und Sophia vom Fenster des Elternhauses aus beobachten. Hans und Sophia besuchen auch die wenige Tage später im Hause Wolff stattfindende Judenauktion. Dies und auch Hans’ Anspielungen bezüglich seines Wissens über Vernichtungslager in Polen implizieren, dass Verfolgung und Vernichtung bekannt waren und dass viele Deutsche davon profitierten. Solidarität mit jüdischen Menschen erscheint im Roman als unbedingt mit dem Widerstand verbunden. So ist etwa der 9. November 1938 Anlass für Doras Krankheit, die letztlich die Emigration des Ehepaares verhindert. Christoph 455 456 457 458 459

Ebd., S. 236–237. Ebd. Ebd. Ebd., S. 237–238. Ebd., S. 244.

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versteckt einen jüdischen Jungen bei seiner Mutter. Das Versteck wird schließlich verraten, was zur Verhaftung der Mutter und zur Tötung des Kindes führt. Christoph ist eine zentrale Figur des Romans. Im Gegensatz zu den anderen fünf, die dem städtischen Bürgertum angehören, kommt er aus einem oberbayrischen Dorf, das unter dem Einfluss der katholischen Kirche gegenüber dem Nationalsozialismus als relativ immun dargestellt wird. Christoph verbringt seine Schulzeit in einem katholischen Internat in München. Er ist als einziger der sechs katholisch und hat sich sowohl HJ, Landjahr und Arbeitsdienst entzogen und stattdessen der katholischen Jugendbewegung angeschlossen, von der aus er bereits in Schulzeiten zum katholischen Widerstand stößt.460 Dem Widerstand aus religiösen Motiven wird im Roman besondere Bedeutung zugemessen. Dabei wird zwischen Christoph und Karl von Hennings ein konfessionell konnotierter Gegensatz konstruiert: Während sich Christophs Aktionen vor allem durch Solidaritäts- und Hilfsaktionen auszeichnen, ist Widerstand für Karl eine Frage des Bekenntnisses und der Kraft des Wortes. Der konfessionelle Gegensatz wird aus der Perspektive des Richters Lucius hervorgehoben: Der Angeklagte Karl von Hennings: ein Mann gewachsen aus dem Geist der gleichen Religion wie er, Lucius, ein Professor, der von »profiteri« kommt und das heisst: ein Bekenntnis ablegen, und das heisst: für etwas eintreten, und das ist das politische Postulat auf Bekennermut. Und Luther kommt von »profiteri«, Calvin kommt von »profiteri«. Welch tiefer und echter Protestantismus steckt in der Lehre vom Verbrechen als Staat und in dem Kampf des Glaubens gegen diesen Staat? Und was anderes bedeutet jeder tiefe und echt geistige Protest in der Geschichte als Folge und Zeichen der Vorsehung?461

Christoph dagegen wird charakterisiert als jener bäurisch militante Katholik, der etwas von einem mittelalterlichen Teufelsaustreiber an sich hat, ein Zukunftsfanal für die Willensstärke und Selbstreinigungskraft, die in dem auferstehenden Jungkatholikentum stecken wird.462

Der konfessionelle Gegensatz zwischen Christoph und Karl wird auch auf die Debatte über Deutschlands Zukunft vor Gericht projiziert. Nach der Bejahung einer deutschen Niederlage durch alle sechs Angeklagten entsteht eine Kontroverse zwischen Karl und Christoph, nachdem Reichsanwalt Tischler den Angeklagten vorwirft, der »Wunschtraum« »dieses Abschaums der Menschheit« sei ein »besiegtes, entehrtes und verstümmeltes Deutschland«, das der »judäoplutokratisch-bolschwestischen Trinität Roosevelt-Stalin-Churchills das Gna460 Ebd., S. 135–136. 461 Ebd., S. 390. 462 Ebd., S. 391.

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denbrot aus der Hand frisst«.463 Darauf antwortet Karl: »Auch das Salz der Erde ist Abschaum der Erde« und in diesem »Glaubenskrieg« müsse »auch der Sieg ein Glaubenssieg sein und Niederlage die Rettung Deutschlands, die Befreiung von dem Fluch, das Gefäss des Bösen gewesen zu sein«.464 Dann werde »auch das eigene Brot, das Deutschland haben wird, und alles Brot in allen Ländern der Erde das Brot der wiedergefundenen Gnade sein«.465 Darauf entgegnet Christoph, dass Deutschland »lange, lange Zeit« brauchen werde, »um die Gnade wiederzufinden«; er glaube »an die lange Nacht für Deutschland«, die nötig sei, um »Busse zu tun«, ohne die es keine Gnade gebe, auch wenn »die deutsche Lebenszerstörung« keinen »Glauben an neues Leben, sondern nur noch […] den Glauben an die Kraft der Zerstörung – für lange, lange Zeit« erlaube.466 Karl wirft Christoph daraufhin vor, sich zu verrennen. Karls missionarischer Ansatz, der die Bekämpfung des Nationalsozialismus in einer übergeordneten globalen Dimension sieht und seine in der Aussage vor Gericht abgegebene Analyse der historischen Ursachen des Nationalsozialismus weisen in Diktion und Inhalt bemerkenswerte Parallelen zu dem vom amerikanischen Landwirtschaftsminister Henry A. Wallace Anfang der 1940er-Jahre vertretenen Konzept einer one world nach einer deutschen Niederlage auf, während Christophs Vision einer Buße durch eine ›lange Nacht für Deutschland‹ die öffentliche Diskussion um den Morgenthau-Plan zu reflektieren scheint, der 1944 im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfes besondere öffentliche Aufmerksamkeit zukam.467 Indem Christophs Aussage impliziert, dass eine solche Konzeption keine Grundlage für einen ›Glauben an ein neues Leben‹ darstelle und Karls Behauptung des stellvertretenen Handelns (»sechs von sechs Millionen«468) durch die Fortführung der Aktion durch eine weitere Gruppe am Ende 463 464 465 466 467

Ebd., S. 383. Ebd., S. 384. Ebd. Ebd., S. 384–385. Vgl. Karls Diskurs und Thomas Reuthers Charakterisierung der Konzeption von Wallace: »Die Ideologie der Nationalsozialisten verkörperte für Wallace den krassen Gegensatz zu seinem eigenen Leitbild, eine Ersatzreligion als Anti-Religion. Hitler erschien in seinen Reden als die leibhaftige Verkörperung Satans. Drei Philosophien standen für Wallace miteinander im Wettstreit: erstens der Geist des Preußentums, zweitens der Marxismus und drittens die christlich-demokratische Philosophie. Letztere stellte für Wallace das teleologische Leitbild für Entwicklung des menschlichen Geistes dar. […] Den preußischen Mitliarismus, den Wallace in Hitler-Deutschland weiterwirken sah, begriff er als den entscheidenden geistigen Antipoden, den es zugunsten eines dauerhaften Weltfriedens auszuschalten galt. […] Seine Lösungsvorschläge waren weit weniger radikal als die Morgenthaus, da er den Deutschen eine wesentlich stärkere Fähigkeit zum inneren Wandel attestierte als dieser.« Thomas Reuther : Die ambivalente Normalisierung. Deutschlanddiskurse und Deutschlandbild in den USA 1941–1955. Stuttgart: F. Steiner 1998, S. 100–103. 468 Ebd., S. 399.

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bestätigt wird, lässt sich der Roman als Stellungnahme in dieser Frage lesen.469 Dies legt nahe, dass Neumanns Darstellung und Deutung des Nationalsozialismus und des Widerstands im Roman weit stärker mit deutschlandpolitischen Debatten der Schreibgegenwart in den USA und im US-Kontext des Exils verknüpft sind, als bisher angenommen.470 Diese These lässt sich auch an den Rezensionen in der amerikanischen Presse und in Exilzeitschriften zu Neumanns Roman belegen, der in den USA verspätet erst nach Kriegsende erscheinen konnte. So schreibt Francis Hackett in der New York Times: Mr. Neumann’s novel bears on the present situation of the Germans much more than on the terror staged by the Nazis. His book is about the inner workings of the German spirit, its powers of revolt against its desecration by the Nazis, and the hard road it must travel after its vile submission. This has not suffered by delay.471

Dem Übersetzer des Romans, Anatol Murad, zufolge ist es Neumann genau um eine solche Stellungnahme gegangen: »Alfred Neumann is a humanitarian who rejects ›Deutschland über alles‹ as decidedly as he rejects the ›Nazism in reverse‹ which proclaims that all Germans are evil.«472 Für Kurt Lubinski hat das Buch durch die Verspätung seine Aktualität verpasst: Es wäre eine Sensation und der Mittelpunkt hitziger Debatten geworden, wäre es herausgekommen, als die Möglichkeit revolutionärer Umwälzungen in Deutschland ebenso zur Diskussion stand wie die Frage nach der Existenz »anderer« Deutscher innerhalb des Nazi-Reiches.

Die »verpasste Aktualität« werde aber durch seine »innigste Beziehung zu den im heutigen Deutschland frei werdenden Kräften« aufgewogen; für »den aus Deutschland stammenden Leser« stelle der »sechsfache[…] Entwicklungsroman« ein »erschreckend lebendiges Panoptikum« dar, während er für Amerikaner »aufs neue als urdeutsches Symptom das tragische Spiel der Kräfte« enthülle, »welche die noch niemals ausgesöhnte Realität eines geistig humanistischen und eines brutal nationalistischen Deutschlands« ausmache.473 Der Roman stieß in den USA und in der literarischen Öffentlichkeit des Exils insgesamt auf positives Echo, was auch die zahlreichen Übersetzungen erklärt, die zwischen 1945 und 1949 pulbiziert wurden.474 Das Erscheinen des Romans in 469 Auf »Erlösungsgedanke« und »Gnadenthematik« verweist auch Kargl, jedoch ohne den Roman in dieser Frage zu interpretieren. Kargl, Anm. 236, S. 142–143 sowie 145–159. 470 Siehe auch die Dokumentation entsprechender Debatten in: Will Schaber (Hrsg.): Aufbau. Reconstruction. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1972, S. 212–225. 471 Francis Hackett: Books of the Times. In: New York Times, 24. 07. 1945. 472 Anatol Murad: Alfred Neumann 50 Years Old. In: Aufbau 11 (1945), Nr. 24, S. 11. 473 Kurt Lubinski: Alfred Neumanns ›andere‹ Deutsche. In: Aufbau 12 (1946), Nr. 22, S. 10. 474 Siehe Umlauf, Anm. 421, S. 52.

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Deutschland wurde jedoch durch die Schwierigkeiten der Buchproduktion der unmittelbaren Nachkriegszeit und laut Neumann durch »Verlagsängste« seines Verlegers Cotta und schwierige Verhandlungen zwischen dem Neuen Verlag und der amerikanischen Militärregierung (AMG) verzögerte sich.475 Er erschien erst 1947 in zwei Auflagen im Carl-Habel-Verlag. Bereits vor seinem Erscheinen entfachte Es waren ihrer sechs in den Westzonen Kontroversen. Während einige Rezensenten 1948 den Roman als »begrüßenswertes Buch« bezeichnen und mit Emphase (»ja, so war es, genau so!«476) die Authentizität des Romans bekräftigen, wird mangelnde Authentizität zu einem Ausgangspunkt scharfer Kritik, die sich schon vor Erscheinen des Romans in Deutschland artikulierte. In der Süddeutschen Zeitung wird 1946 eine Antwort Neumanns auf einen Brief Hans-Werner Richters abgedruckt, in dem dieser Neumann mit dem Vorwurf der Verdrehung historischer Tatsachen konfrontiert hatte. Der Kommentator konstatiert einen »in der Literaturgeschichte ungewöhnlichen Fall«: »Die Helden ›historischer Romane‹ pflegen im allgemeinen nicht aus den Gräbern zu steigen und gegen ihren Autoren bittere Vorwürfe zu erheben«.477 Die »Ursache des Konflikts« sieht er in Neumanns Wahl eines Stoffes »unserer bitteren, blutigen Gegenwart«: [E]s ist das gute Recht der an ihr Leidenden, sich gegen ihre freie dichterische Umgestaltung zu wehren. Was wäre, wenn heute jemand ein Emigrantenschicksal schilderte, dem beispielsweise ganz unverkennbar das Neumannsche zu Grunde läge? Ich bezweifle nicht, daß er sich seine »poetische Umgestaltung« verbitten würde, weil sie ihm immer als Verfälschung erscheinen müßte. Wenn also Neumanns Scholl-Roman, falls er tatsächlich in Deutschland erscheinen sollte, auf heftigen Widerstand stößt, so soll er den Deutschen keine Nachtblindheit vorwerfen, sondern darin ihre natürliche Unfähigkeit erblicken, ihr nächtiges Schicksal als Roman zu erleben. Aber zwischen Los Angeles und dem Grab vor den Toren Münchens liegt der Ozean. Ein Ozean aus Blut und Tränen. Wahrscheinlich muß man ihn durchschwimmen, um uns zu verstehen.478

Das Argument der Erfahrungsdifferenz findet sich auch in differenzierteren Rezensionen. Werner Gilles meint, Neumann habe »zweifellos einen guten Roman geschrieben«, jedoch sei es ihm nicht gelungen einen »deutschen Roman zu schreiben«: »Er hätte sein Buch in eine andere Kulisse stellen müssen, um ihm

475 Richter, Anm. 430. 476 Münchner Merkur vom 10. 01. 1948, zit. nach Kargl, Anm. 236, S. 165–166. Kargl weist im Gegensatz zu Hikels Darstellung der Stimmen »der Presse« (Hikel, Anm. 49, S. 74–75.) auf positive Rezensionen hin. 477 Richter, Anm. 430. 478 Ebd.

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den Geruch der ›Sensation‹ und ›billigen Aktualität‹ zu nehmen.«479 Schärfer spricht Herbert Hupka von einem »Groschenroman« und wirft dem Autor vor, er habe bei »der nachträglichen Erzählung des Lebenslaufes der einzelnen Figuren alles das miteingepackt, was im Dritten Reich an Geschehnissen und Handlungen überhaupt möglich war« und dabei keine Rücksicht darauf genommen »welche Flecken dadurch das Bild der doch so deutlich kopierten Geschwister Scholl und ihrer Gefährten bekommen könnte«.480 Herbert Wiegandt zufolge müsse die »Erinnerung der Münchener Studenten rein […] erhalten« und vor »schlechter Mythenbildung« und »Sensationsgier« bewahrt werden«.481 Auffällig ist die Vielzahl negativer Rezensionen des Romans in Zeitschriften mit Adressaten der ›jungen Generation‹. Josef Stallmach spricht in der Göttinger Universitäts-Zeitung von einem »Geschändete[n] Andenken«, denn Neumann werde weder den Tatsachen noch dem »menschlichen und geistigen Raum« der Weißen Rose gerecht: Es waren keine meuternden Soldaten, die vom Ostfronterlebnis »die Nase voll hatten«. Wer in klarer Überlegung auf dem Richtblock zu sterben versteht, der vermochte es wohl erst recht im Taumel der Schlacht. […] Es war ein Aufstand der Menschen gegen Unmenschlichkeit, eigentlich nicht ein von Politikern geführter Machtkampf. […] Und es waren vor allem – Christen.482

Obwohl dem Roman »der ›Antifaschismus‹ aus allen möglichen und unmöglichen Stellen« durch »die Knopflöcher« dringe, leiste er keinen Beitrag »zur geistigen Überwindung des Nationalsozialismus«.483 Das »Herz« des Lesers bleibe »immer kalt wie im Kino«, das »Gewissen unaufgerufen«.484 Ludwig Schubert zufolge bereite der Roman dem »Leser tiefes Unbehagen«, denn die Verschwörer Neumanns seien Fanatiker, unbeugsame, von keinem Zweifel angekränkelte Patrioten mit allen ihren Vorzügen und ihren entscheidenden Schwächen. Sie sind letzten Endes genau solche

479 Werner Gilles: ›Die weiße Rose‹ – Erst ein Buch – jetzt ein Film. In: Mannheimer Morgen, 29. 05. 1948. 480 Herbert Hupka: Buchbesprechung: ›Alfred Neumann: Es waren ihrer Sechs‹. RundfunkSendemanuskript, 15. 12. 1947. In: IfZ, ED 474 (240). 481 Herbert Wiegandt: ›Es waren ihrer Sechs‹. Notwendige Bemerkungen zu einem Zeitroman. In: Schwäbische Donauzeitung, 21. 02. 1948. 482 Josef Stallmach: Geschändetes Andenken. In: Göttinger Universitätszeitung 3 (1947), Nr. 1, S. 1–2. 483 Ebd. 484 Ebd. Vgl. mit der Replik Elmar Belzners, der Stallmach eine »offensichtlich tendenziöse Abschlachtung« vorwirft (Rhein-Neckar-Zeitung, 05. 09. 1948).

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Fanatiker wie ihre Gegner […] und zur gleichen Aufopferung anderer Menschen um ihres Zieles willen bereit.485

Sie seien jedoch keine »Fanatiker des Geistes«, der »psychologische Naturalismus« des Romans breite ein »dichtes Gespinst […] über ihre letzten Beweggründe«: Ihr Oppositionswille entzündet sich an allen möglichen äußeren Gegebenheiten, wie an der jüdischen Jugendfreundin oder dem ersten Rußlandwinter, nicht an der unerbitterlichen Erkenntnis des Geistes, daß er seinem ärgsten Widersacher gegenübersteht. Auch der Krieg mit seinen Leiden und Schrecken wird in diesem Sinne nicht Erlebnis, sondern bleibt Kulisse.486

Der Roman enthalte einen »Wirbel von Oberflächenerscheinungen« (worunter auch Konzentrationslager und Judenverfolgung gelistet werden), deren »Wurzel nicht gefaßt« werde.487 Der »verzweifelte[…] Protest des klarsichtigen Geistes« der Weißen Rose sei, in seiner »Schlichtheit und Selbstverständlichkeit viel erregender als der äußerliche Apparat Neumanns«.488 Hans Hirzel, der selbst mit dem Widerstandskreis verbunden war und im zweiten Prozess zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, spricht in den Tübinger Studentischen Blättern in ähnlicher Weise von »Tagträumen eines Emigranten«.489 Er betrachtet den Roman aber parallel zum öffentlichen Gedenken an die Münchner Studenten, das sie zu »Helden und halben Heiligen« mache, die auf »Marmorsockeln« zu »unpersönliche[n] und unverbindliche[n] Dekorationsstücke[n]« würden, wobei nicht klar sei, ob »ihre Stifter sie oder sie ihre Stifter ehren«.490 Es kümmere ihn daher nicht, »wenn sich Herr Neumann nun daneben stellt, um, den einladenden Hut in der Hand, seine Moritat abzusingen«.491 Für Peter Steinbach und Johannes Tuchel sieht Hirzel im Gegensatz zu den anderen Rezensenten »durchaus den politischen Kern der Weißen Rose«, wenn er die Münchner Studenten als »gesund denkende und empfindende Menschen« bezeichnet, »die nicht nur in einem Verbrecherstaat lebten, sondern es auch erkannten und nicht anders konnten als sich aufzulehnen – in vollem Bewußtsein [der Gefahr und der Bedeutung des verlorenen Krieges]«.492 Einen ähnlichen Begriff des Politischen vertrat 1948 auch Hans-Joachim Wiegand in der an 485 Ludwig Schubert: Alfred Neumann, Six of Them. In: Hamburger Akademische Rundschau 1 (1946/1947), Nr. 8, S. 336–338, S. 337. 486 Ebd. 487 Ebd. 488 Ebd., S. 338. 489 Hans Hirzel: »Es waren ihrer sechs«. Zum fünften Jahrestag des »Münchener Studentenaufstands. In: Studentische Blätter (Tübingen) 2 (1948), Nr. 2, S. 1–4. 490 Ebd. 491 Ebd. 492 Steinbach, Tuchel, Anm. 208, S. 105.

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›junge Menschen‹ adressierten Zeitschrift Horizont. Unter dem Titel des Flugblatt-Zitats »Wenn die Deutschen die Freiheit des Menschen preisgeben, dann verdienen sie den Untergang« werden Bücher und Berichte zu »Buchenwald einst und jetzt« und zum deutschen Widerstand vorgestellt, um daran zu erinnern, »daß der erbitterte Kampf um die Verwirklichung der Menschenrechte auch im zwanzigsten Jahrhundert zahllose, fast vergeblich erscheinende Opfer gefordert« habe.493 Dabei wird Rudolf Pechels »sehr notwendige[r] Unterscheidung« gefolgt, dass »zum anderen, zum besseren Deutschland« nur »diejenigen Deutschen, die sich aus ethischen Motiven gegen Hitler gestellt haben«, gehörten.494 Im Kontext historischer und politischer Entdifferenzierung ist daher auch die Einschätzung des Rezensenten zu sehen, dass noch »niemand die dokumentarische und ganze Wahrheit über die Hintergründe, Motive und Zusammenhänge der Münchener Studentenerhebung« kenne und Neumann keinen Anspruch auf Gültigkeit in diesem Sinne erhebe, sondern sich »mit geradezu asketischer Strenge an jenes Gebot [der höheren Wahrheit des Ganzen], das den Dichter scharf vom Historienkolporteur scheidet, gehalten« habe.495 Der Roman enthalte »Wahrheit – auch über den Kreis der ›Weißen Rose‹«.496 Dieses Urteil entkräftet zuvor zitierte Aussagen Inge Scholls, der Roman sei »literarisch und inhaltlich flach« und gebe keinesfalls die »Geschichte der Schollgruppe« wieder.497 Hier zeigen sich Bemühungen Inge Scholls, das negative Presseecho zu Neumanns Roman noch zu verstärken. Sie schickte negative Besprechungen mit einer eigenen Stellungnahme an verschiedene Zeitungsredaktionen, in der sie stellvertretend für die »übrigen Angehörigen und Freunde[…] der sechs Toten« die »entschiedene Ablehnung« des Romans begründet.498 Der Roman wurde also nicht von »der deutschen Erinnerungsgemeinschaft« als verfehlter »historischer Tatsachenbericht« gelesen; die »mangelnde historische Korrektheit«499 diente bestimmten Akteuren als Ausschlussargument zur Durchsetzung eigener Interpretationen, welche die Weiße Rose als Beispiel für 493 Hans-Joachim Wiegand: »Wenn die Deutschen die Freiheit des Menschen preisgeben, dann verdienen sie den Untergang«. In: Horizont, 28. 02. 1948, S. 12–14. Unter den Untertiteln »Buchenwald gestern…« und »Buchenwald heute…« werden zunächst Eugen Kogons Der SS-Staat, Ernst Wiecherts Totenwald und Lina Haags Eine Handvoll Staub auf einen Bericht Heinz Rusalles über das sowjetische Speziallager bezogen, »um diesseits und jenseits der deutschen Grenzen zur Überwindung der allgemeinen Herzensverfinsterung zu mahnen«. Daneben werden Bernd Gisevius’ Bis zum bitteren Ende, Ulrich von Hassels Tagebücher und Rudolf Pechels Deutscher Widerstand rezensiert. 494 Ebd. 495 Ebd. 496 Ebd. 497 Ebd. 498 Ein Brief von Inge Scholl. In: Hannoversche Neueste Nachrichten, 05. 06. 1948. 499 Siehe Hikel, Anm. 49, S. 73–77.

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geistigen und ethisch motivierten Widerstand oder eine spezifisch deutsche Tragik konstruieren und in Bezug zu deutschem Leid und soldatischem Schicksal setzten – Deutungsmuster, die Identifikationspotenzial für Diskurse der ›jungen Generation‹ und ›inneren Emigration‹ boten. Der Roman eines Emigranten wurde so zur Negativfolie der öffentlichen Erinnerung an die Weiße Rose in den Westzonen und in der Bundesrepublik nicht mehr aufgelegt. 1949 erschien noch eine deutschsprachige Neuauflage im Neuen Verlag, dessen Rechte Eugen Kogon 1951 erwarb, der in seinem Verlag der Frankfurter Hefte 1952 die Erstausgabe von Inge Scholls Die weiße Rose verlegte. Artur Brauner versuchte sich im Rahmen eines Filmprojekts zur Weißen Rose die Filmrechte am Roman zu sichern.500 Die Rezeption des Romans im Osten folgt anderen Mustern. In der Presse werden Auszüge veröffentlicht, wobei der Roman einhellig als »würdiges und schönes Gedenken«501 oder »unvergeßliches Denkmal« bezeichnet wird.502 Das im Roman in einer Rückübersetzung wiedergegebene Flugblatt wird als »Dokument der Geschwister Scholl« im Neuen Deutschland abgedruckt.503 Auf Gedenkveranstaltungen im VVN-Kontext finden Lesungen aus dem Roman statt. In einer »Scholl-Gedenkveranstaltung« werden 1950 Ausschnitte aus Neumanns Roman, Ricarda Huchs Lebensbildern und der im Gedenkbuch von Clara Huber 1947 abgedruckten Verteidigungsrede Kurt Hubers zu einer »szenischen Montage« zusammengestellt.504 Dabei wird betont, dass Neumann zwar keine historische, jedoch eine wahrhaftige Darstellung gebracht habe: [Sprecherin:] Alfred Neumann hat mit dichterischer Freiheit das Kämpfen und Sterben der Geschwister Scholl zu einem Roman verarbeitet. Wenn er chronistisch auch nicht ganz wahr und die Namen geändert sind, so ist doch der Geist dieser Jugend mit unzweifelhafter Wahrhaftigkeit eingefangen.505

Steinbach und Tuchel belegen ebenfalls eine Lesung auf einer Kundgebung im VVN-Kontext, bei der der Roman Anna Seghers zugeschrieben wird. Bezeichnend ist, wie sie aus dieser Verwechslung nachgerade auf »die Spaltung des deutschen Geschichtsbildes« schließen: »Ein ›antifaschistischer Roman‹ als Grundlage für eine Gedenkveranstaltung des VVN […], das konnte nur ein Buch von Anna Seghers sein!«506 500 Eugen Kogon: Brief an Artur Brauner, 10. 10. 1952. In: DFI, Artur-Brauner-Archiv, Manuskripte (Sch). Siehe auch Kapitel V.1.2. 501 O. A.: Weil sie Deutschland so liebten. In: Für Dich, 15. 02. 1948. 502 O. A.: Das Dokument der Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 19. 02. 1947. 503 Ebd. 504 Scholl-Gedenkfeier 1950. Typoskript, 8 Seiten, 1950. In: BArch-SAPMO, DY 55 ( V 278–6– 1722). 505 Ebd. 506 Steinbach, Tuchel, Anm. 208, S. 106.

Darstellungen in Kontexten des Exils

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Kritischer wird der Roman 1954 gesehen, als eine Restauflage in den DDRBuchhandel kommt. So schreibt ein Rezensent in der Berliner Zeitung: Der Vergleich mit Weisenborns »Originaldokumenten« zeige, »daß dem Autor nicht das vollständige authentische Material in Amerika zu[r] Verfügung stand, darum konnte er einen historischen Geschwister-Scholl-Roman nicht schreiben«.507 1973 brachte der Verlag der Nation, der Parteiverlag der Blockpartei NDPD, Neumanns Roman mit einem Nachwort von Harry Matter in einer Auflage von 10.000 Exemplaren heraus; eine zweite Auflage erschien 1980 mit 15.000 Exemplaren. Außengutachter Simon meldete zwar Bedenken an hinsichtlich der Authentizität und der Wirkung auf die Leser (»zu wenig Unmittelbarkeit«, »Distanz und Teilnahmslosigkeit«, geminderte »Anteilnahme«508), das Verlagsgutachten betont aber, dass der Roman zu den »bemerkenswerten Zeugnissen der deutschen antifaschistischen Literatur« und zum »bürgerlichen Kulturerbe[…]« gehöre: Zweifellos hat dieses Buch über den Widerstand einer kleinen Gruppe Münchner Intellektueller damals dazu beigetragen, den Wandlungsprozess besonders von Angehörigen mittelständischer Schichten zu fördern. Auf dem Territorium der DDR wurde er viel und mit starker Anteilnahme gelesen. Heute, 25 Jahre danach, ist Alfred Neumann fast vergessen. Trotzdem hat er im Ensemble bürgerlich-humanistischer Schriftsteller […] immer noch seinen Platz.509

Das Erscheinen des Romans im Verlag der Nation hängt somit mit dem Konzept einer »spezifischen Wandlungsliteratur« zusammen, die ab 1968 einen »Kern des Verlagsprofils«510 bildete und auf die Integration bürgerlicher Schichten zielte.511

507 -ecke: Der Tod der Sechs. In: Berliner Zeitung, 13. 11. 1954. Bemerkenswert ist der Bezug auf Weisenborns Der lautlose Aufstand. Siehe Kapitel IV.2.3. 508 Außengutachten [gez. Simon] zu Alfred Neumann: Es waren ihrer sechs, [1973]. In: BArch, DR 1 (2405). 509 Verlagsgutachten von Cheflektor Menard, Lektoratsleiter Brandl und Lektor Schütze, [1973]. In: BArch, DR1 (2405) 510 O. A.: Einen Meister Anton, der die Welt verändert. Arbeitstagung des Verlages der Nation über Probleme der spezifischen Wandlungsliteratur. In: Nationalzeitung, 05. 07. 1968. Siehe auch die Unterlagen zu den Autorenberatungen zur Wandlungsliteratur. In: BArchSAPMO, DY 17 (3454). 511 Siehe auch Kapitel IV.1.3 und V.II.4.

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III.2 Andenken und Appell in der frühen Nachkriegszeit III.2.1 Die ›Münchner Studentenrevolte‹ in westzonaler Publizistik Die Weiße Rose fand in der Nachkriegspresse und -publizistik der Westzonen relativ breite Beachtung. Für Christine Hikel zeigt sich gerade in der Vielfalt verschiedener Versionen der Geschichte der Weißen Rose in den frühen Presseartikeln eine große Deutungspluralität, in der sich – die unsichere Wissensgrundlage der Berichte vor 1945 fortschreibend – Fakten und Fiktionen mischen, gleichwohl ein »ikonischer Kern« der Geschichte des Widerstands herausbildet.512 Peter Steinbach und Johannes Tuchel sehen hier eine sich fortsetzende »Prägung des Bildes« einer »angeblich ›unpolitischen‹ Widerstandsgruppe«513 und »Instrumentalisierung« für »eigene Intentionen«,514 vernachlässigen dabei jedoch eine Differenzierung der Funktionen in unterschiedlichen Veröffentlichungskontexten und übersehen in ihrem Korpus die Konzentration von Texten von Autoren der ›inneren Emmigration‹, aus christlich-konfessionellen Kontexten und der ›jungen Generation‹, deren Deutungsmuster und Identifikationsangebote sich zum Teil überschneiden. Exemplarisch werden im Folgenden Artikel aus der Süddeutschen Zeitung und aus den Zeitschriften Der Ruf, Die Gegenwart und Hochland analysiert. Der erste ausführliche Zeitungsartikel, im Untertitel als »erster authentischer Bericht« ausgewiesen, erschien unter der Überschrift »Helden gegen Hitler« im Oktober 1945 in der Süddeutschen Zeitung und wurde von verschiedenen anderen Zeitungen nachgedruckt.515 Autor ist der Journalist und Schriftsteller Hans von Hülsen, der bis 1933 in Berlin u. a. für die bürgerliche Vossische Zeitung tätig war. 1933 war er Mitunterzeichner des dort abgedruckten »Gelöbnis treuester Gefolgschaft« für Adolf Hitler; die Darstellung seines Lebenslaufes im Bibliographischen Archiv folgt jedoch noch 1968 dem Muster ›innerer Emigration‹.516 Der Authentizitätsanspruch seines Berichts gründet sich auf die szenische Darstellung einer Begegnung mit Robert Scholl, während der dieser ihm Bilder seiner Kinder gezeigt habe:

512 513 514 515

Hikel, Anm. 49, S. 57–60. Steinbach, Tuchel, Anm. 208, S. 106. Ebd., S. 110. Hans von Hülsen: Helden gegen Hitler. Die Münchner Studentenrevolte. In: Süddeutsche Zeitung, 23. 10. 1945. Ebenso in: Freiburger Nachrichten, 27. 11. 1945 und Schwäbische Zeitung,17. 05. 1946. 516 Eintrag »Hülsen, Hans von« in Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, Internet: http://www.munzinger.de/document/00000003354, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018.

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Ich sehe das kindliche und doch schon problematische Gesicht eines blutjungen Mädchens, sehe ein reines Jünglingsantlitz mit üppig-ausdrucksvollem Mund und großen, sprechenden, schwärmerisch erhobenen Augen. Es sind die Geschwister Hans und Sophie Scholl, die nun bereits zweieinhalb Jahre in einem Grab auf dem Perlacher Friedhof ruhen, wie eine Sache sie einte, bis sie das junge Haupt auf Hitlers Richtblock legen mußten: Märtyrer des aus dem Geist geborenen Widerstandes gegen den Ungeist des dritten Reiches.517

Im Präsens schildert Hülsen wie »hier in Schwabing ein Halbdutzend junger, für Freiheit, Deutschland, Europa und, vor allem, für eine Wiedergeburt aus dem Geiste glühender Menschen eine magisch leuchtende Zelle des Widerstandes« gründeten und Verbindungen zu den Universitäten »Berlin, Heidelberg, Freiburg« sowie zu »ausländischen Widerstandsgruppen« suchten.518 Die »Stalingrader Tragödie« und die »aufgewühlte Atmosphäre« nach der Giesler-Rede werden als Hintergründe der Flugblattaktion vom 18. Februar 1943 dargestellt; diese »Tat« habe das »persönliche, ihnen herzlich gleichgültige[…] Schicksal« der Geschwister »besiegelt«.519 Als Beleg für die Motive »dieser jungen Menschen« wird aus dem bei dieser Aktion verteilten Flugblatt zitiert, welches »Hunderte heute als Reliquie« bewahrten.520 Die Aktion wird als »tollkühn« bezeichnet, jedoch auf eine Warnung eines Gewährsmanns an Hans Scholl zurückgeführt und somit als »Verzweiflungstat« gedeutet: »Er hätte fliehen können, aber er hielt es für sittlicher sich zu opfern und so – vielleicht – die Freunde zu retten.«521 Bei der Darstellung des Prozesses vor dem Volksgerichtshofs, der Haft und der Hinrichtung betont Hülsen, wie die Geschwister »als überzeugte Christen« vor der Hinrichtung auf »geistlichen Beistand« und Probst auf die katholische Taufe »in articulo mortis« bestanden, und die drei Verurteilten so »hochgemut in den Tod« gingen.522 Abschließend beantwortet Hülsen die Frage »Was bedeutet uns [die Münchner Studentenrevolte]?«: Gewiß, sie lebte nur vom Sittlich-Geistigen, sie war nur die Tat von Schwärmern, hinter ihnen stand keine »Macht«. In dieser Welt, in der sich hart im Raum die Sachen stoßen, mußte sie scheitern. Doch ihre Saat hat weitergewirkt, nicht nur in dem Sinn, daß wir uns auf diese jungen Kronzeugen berufen dürfen, wenn man uns sagt, ganz Deutschland habe verächtlich feige sich unter Hitlers Joch geduckt. Sie haben uns als teuerstes Vermächtnis die Verpflichtung hinterlassen, die Freiheit mehr als unser Leben zu lieben.523 517 518 519 520 521 522 523

Hülsen, Anm. 515 Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Durch die Betonung der Resonanz des Widerstands vor und nach 1945 wird auch das vom Autor inklusiv adressierte Kollektiv (»uns«) in das ›andere Deutschland‹ einbezogen. Die Deutung des vorprogrammierten Scheiterns rechtfertigt implizit die ›innere Emigration‹. Der Weißen Rose wird zwar Wirksamkeit in ihrer Zeit abgesprochen, ihre Wirkung dagegen auf die Gegenwart (»Kronzeugen«) und die Zukunft (»Vermächtnis«) projiziert. Dieses Deutungsmuster erweitert der fast ein Jahr später erschienene Leitartikel von Franz-Josef Schöningh, Verlagsleiter der Süddeutschen Zeitung, dessen etwaige dienstliche Beteiligung an verbrecherischen Maßnahmen und Deportationen jüdischer Bevölkerung während seiner Tätigkeit als stellvertretender Kreishauptmann in der Zivilverwaltung im besetzten Polen 1942 bis 1944 bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist.524 Die Tatsache, dass Schöningh von 1939 bis 1941 sowie nach deren Wiederbegründung von 1946 bis zu seinem Tod 1960 auch Herausgeber der Zeitschrift Hochland war, verweist auf Bedeutungszuschreibungen der Weißen Rose im katholisch-konservativen Milieu. Die erste Hochland-Ausgabe nach 1945 wird von Schöningh unter dem Titel »Ein europäisches Vermächtnis« mit einer Hommage an Carl Muth eröffnet, wobei das Gedenken an den Gründer der Zeitschrift mit der Erinnerung an Hans Scholl verbunden wird, der als einer der »›jungen Mitarbeiter‹« bezeichnet wird, die Muth »[a]uch als das Hochland schon unterdrückt worden war […] mit fördernder Sorge umgab«.525 Hans Scholl wird von Schöningh als »Blutzeuge für die Wirklichkeit eines geheimen Deutschlands« eingeführt, den Muth in seinem »christlich-deutschen Protest gegen die Herrschaft der Unmenschen bekräftigt« habe.526 Die weitere Deutung des Widerstands der Weißen Rose wird dann durch Gedanken und Aussagen Muths vermittelt, als Beleg für dessen Hoffnung, »das deutsche Volk werde sich, durch die bevorstehenden bitteren Leiden geläutert, auf sein eigenes Wesen zurückbesinnen«.527 Muths Hoffnung auf eine nationale Läuterung wird dann religiös fundiert: Muth sprach von ihm und seiner gleichfalls enthaupteten Schwester, […], er sprach von all den jungen Menschen, die offen oder stumm protestierend, dem größten Feldherrn und Henker aller Zeiten zum Opfer fielen, mit der Trauer eines beraubten Vaters und doch zugleich mit unzerstörbarer Zuversicht. Denn es war seine feste, aus der Fülle seines Glaubens lebende Überzeugung, daß Gott, der Herr der Geschichte, auch in dem, was aus dem Menschenauge als Wahnsinn erscheint, einen tiefen Sinn zu

524 Siehe Knud von Hardou: Wege und Abwege. Franz Josef Schöningh, der Mitbegründer der Süddeutschen Zeitung. Eine Biografie. München: Alitera 2013. 525 Franz Josef Schöningh: Carl Muth. Ein europäisches Vermächtnis. In: Hochland 39 (1946/ 47), Nr. 1, S. 15–19, S. 18. 526 Ebd., S. 18. 527 Ebd., S. 18.

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wecken und daß Er, wie die Historie erweist, auch durch die Zulassung des Bösen in furchtbarem Schweigen Seine hohen geheimnisvollen Zwecke zu erreichen vermag.528

Über die Verbindung des Gedenkens an Muth und Scholl, die so das ›andere‹ oder ›eigentliche‹ Deutschland verkörpern, werden Neuanfang und Kontinuität der Zeitschrift gleichermaßen begründet: »Fragt jemand: ›Besitzt das ›neue‹ Hochland ein Programm?‹, so antworten wir : Ja – seine Vergangenheit.«529 In Schöninghs Leitartikel in der Süddeutschen Zeitung, welcher der »politisch-unpolitische[n] Bedeutung« der »Münchner Studentenrevolte« nachgeht,530 werden religiöser Sinn und Fragen deutscher Schuld in expliziter Weise miteinander verbunden. Der Artikel baut auf einer ikonotextuellen Beziehung zwischen der Überschrift »Sechs Tote bitten die Welt um Gerechtigkeit«, den Portraits der »Sechs, die hier zum erstenmal zusammen veröffentlicht werden«, und dem Binnentext auf.531 Schöningh verweist auf die Portraits, die »Freiheit und Persönlichkeit« und »etwas Unaussprechliches […] an Zuversicht, Frohsinn und Würde aus[strahlen], das […] wohl erst dann ganz deutlich würde, wenn Bilder von Kollektivmenschen damit verglichen würden«.532 Dies entspricht dem Ausgangspunkt des Artikels, nämlich der »Herkunft der Sechs aus dem deutschen Bürgertum«, »das zu unser aller Verhängnis niemals zu einer eigenen politischen Ausdrucksform gelangt ist, sondern sich in die Bereiche der scheinbar unpolitischen Kultur und der ›reinen Innerlichkeit‹ zurückdrängen ließ«.533 Die Bewahrung »abendländisch-christliche[r] Tradition« in ihren Familien sowie »künstlerische Neigungen, denen sie nachgehen konnten, da sie nicht von vornherein zum Spezialistentum verurteilt waren«, ließen sie »geistige Gegenkräfte« zum »Trommelfeuer der NS-Propaganda« gewinnen.534 ›Abendländisch-christliche Kultur‹ wird somit nicht nur dem Nationalsozialismus, sondern allgemeiner der Moderne entgegengesetzt. Sowohl die Tatsache, dass Hans Scholl »eine kurze Zeit lang den Idolen der Hitler-Jugend zum Opfer fiel« als auch die für »politische Puritaner [interessante] Feststellung«, dass gerade die christlich-humanistische Haltung Kurt Huber dazu zwang, »aus Rücksicht auf die soziale Existenz seiner Familie Parteianwärter zu werden«, dienen als Beleg für die widrigen Umstände im Zeitalter der »Massenherrschaft«, wenn mit Verweis auf Gustave Le Bons Psychologie der Massen der »religiös-sittliche Protest« als der Überzeugung entspringend erklärt wird, dass Deutschland nur 528 Ebd., S. 18. 529 Ebd., S. 18. 530 Franz Josef Schöningh: Sechs Tote bitten die Welt um Gerechtigkeit. In: Süddeutsche Zeitung, 07. 11. 1946, S. 6. 531 Ebd. 532 Ebd. 533 Ebd. 534 Ebd.

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so »etwas von der Schuld abtragen könne, die es vor Gott und der Welt auf sich geladen hatte«: Sie erkannten nicht, vielleicht aber wollten sie nicht erkennen, was Le Bon deutlich genug ausgesprochen hatte: daß der Protest des Einzelnen in einer Massenherrschaft politisch bedeutungslos ist, daß nur der dem Christen tief widersprechende Tyrannenmord zum Ziel führen konnte.535

Damit werden unterschiedliche Funktionszuschreibungen in Bezug auf die Weiße Rose und den militärischen Widerstand vorgenommen. Die Tat der Münchner Studenten habe keinen »politischen«, sondern einen »religiösen« Sinn im »Lebensopfer […] für die Stunde, da wir nach göttlichem und menschlichem Recht gewogen würden«.536 Indem in den Satzspiegel Gerty Spies’ 1944 in Theresienstadt geschriebenes Gedicht O Vogel horch nicht her eingefügt ist, wird die Kronzeugenschaft der Weißen Rose nun in Bezug auf Schuld am Holocaust erweitert, die Exkulpation dabei durch die Deutung massenpsychologischer Gesetzmäßigkeit ausgeweitet. Nicht Exzeption, sondern Repräsentanz kennzeichnet dagegen die Relevanz der Weißen Rose im Zeichen der ›jungen Generation‹, wie sie bereits an Rezensionen zu Alfred Neumanns Roman in der Göttinger Universitätszeitung, der Hamburger Akademischen Rundschau und den Studentischen Blättern Tübingen angedeutet wurden.537 Wie in diesem Zusammenhang Widerstand und Kriegserlebnis parallelisiert werden, wird an Hans-Werner Richters Artikel Studentenrebellion und Fronterlebnis in der Zeitschrift Der Ruf deutlich. Der Ruf wurde zwischen 1946 und 1947 in der Nymphenburger Verlagsbuchhandlung verlegt und von Alfred Andersch und Richter herausgegeben und redaktionell verantwortet. In literaturgeschichtlichen Darstellungen wird der Zeitschrift eine Vorreiterrolle in Bezug auf Umerziehung und Vergangenheitsbewältigung zugeschrieben,538 einschlägige Studien bezeichnen dies jedoch als Legendenbildung und weisen auf problematische Aspekte im Selbstverständnis des Rufs als Sprachrohr der ›jungen Generation‹ hin.539 Dieses wird von Richter programmatisch aus dem gemeinsamen Erlebnis der NS-Zeit, den Erfahrungen der 535 536 537 538

Ebd. Ebd. Siehe Kapitel III.1.4. Vgl. Ralf Schnell: Die Literatur der Bundesrepublik. In: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart: Metzler 1989, S. 511–608, insb. S. 512–513; Alexander Gallus: »Der Ruf« – Stimme für ein neues Deutschland. In: APuZ (2007), Nr. 25, S. 32–38. 539 Erich Embacher : Hans Werner Richter. Zum literarischen Werk und zum politisch-publizistischen Wirken eines engagierten deutschen Schriftstellers. Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang 1985, S. 298–303. Vgl. auch Junge Generation. In: Torben Fischer, Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Lexikon der »Vergangenheitsbewältigung« in Deutschland. Debatten- und Diskursgeschichte des Nationalsozialismus nach 1945. Bielefeld: transcript 2007, S. 54–56.

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»Massenorganisationen, [der] Arbeitslager, de[s] Krieg[s] und d[er] Front« konstruiert, die als prägend für die »seelische und geistige Struktur« dieser solchermaßen homogenierten Generation proklamiert werden.540 Richter leitet aus dem Kriegserlebnis einen historischen Auftrag für diese Gruppe ab: »Der politischen Zukunft unseres Volkes bleibt nur noch eine Hoffnung. Das ist die heimkehrende junge Generation.«541 Die Funktion des Gedenkens an die Weiße Rose in diesem Kontext verdeutlicht Richters 1946 im Ruf erschienener Essay Studentenrebellion und Fronterlebnis. In dem mit Fotos von Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf in Wehrmachtsuniform gerahmten Artikel kritisiert er, dass sich die Deutschen in Bezug auf die Erinnerung ihrer »etwas lädierte[n] jüngste[n] Vergangenheit« dem Willen der Besatzungsmächte beugen und daher nicht objektiven Kriterien folgen würden: Wir schaffen Helden und Märtyrer auf der einen Seite und Verbrecher und Verdammte auf der anderen. Wir übersehen die Millionen von Gefallenen dieses Krieges und sagen, sie sind ehrlos und auf dem Felde der Unehre gefallen und heben die wenigen heraus und symbolisieren sie zu Helden. Wir handeln und denken dabei aus dem Geist weder der einen noch der anderen. Die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte.542

Individualität und soldatischen Mut als Voraussetzungen des Widerstandes begreifend, erklärt Richter das Scheitern des Widerstands wie folgt: Da eine »Rebellion gegen ein terroristisches, totalitäres System […] nicht von der Masse, sondern nur von Einzelnen getragen werden« könne, habe es aufgrund der »Massenbewegungen der Fronten« nur »unzulängliche Meutereien der Heimat« gegeben.543 Die »Münchner Studenten« hätten dagegen die Fähigkeit zur »Mißachtung der Gefahr« und die »Bekanntschaft mit dem Tode« aus dem Fronterlebnis heraus gewonnen, wobei Richter sie implizit mit einer Mehrheit der Soldaten gleichsetzt, wenn er behauptet, auch diese hätten »die Rebellion im Herzen« getragen.544 Daher sei »Schicksal oder Zufall, Bestimmung oder was es auch immer sein mag« dafür ausschlaggebend, ob Männer an der Front den »Massentod starben« oder dort, »wo sie nun vor dem Forum der Weltöffentlichkeit zu den wahren Helden dieses Krieges erhoben werden« und »die individuelle Freiheit im Tode« gewinnen konnten.545 Richter wendet sich gegen vermeintliche Hierarchien der Erinnerung, die vor allem von den Alliierten und somit ›von außen‹ vorgegeben seien, mit dem Argument, dass zwischen Soldaten 540 Zitiert nach Embacher, Anm. 539, S. 308. 541 Ebd., S. 309. 542 Hans Werner Richter : Studentenrebellion und Fronterlebnis. In: Der Ruf 2 (1946), Nr. 9, S. 8. 543 Ebd. 544 Ebd. 545 Ebd.

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und Widerständlern kein essenzieller, sondern nur ein Unterschied zwischen Zivilkleidung und Uniform bestehe: Hans Scholl, Christoph Probst, Willi Graf und Alexander Schmorell, sie starben auf dem Schafott vor der Oeffentlichkeit für jene vielen, die im gleichen Glauben draußen an der Front ihr Leben ließen. Es ist nicht in ihrem Geist, wenn wir jetzt über sie jene vergessen.546

Indem die männlichen Mitglieder der Weißen Rose als Repräsentanten gedeutet werden, trägt diese Konstruktion, die Fragen nach der individuellen Verantwortung und Schuld an Kriegsverbrechen gar nicht erst aufkommen lässt, auch zur politischen Legitimierung der ›jungen Generation‹ bei und sollte daher nicht einseitig als »Reflex auf den eigenen Schuldkomplex«547 gelesen werden, auch wenn sie mit Diskursen zu Schuldfragen verbunden bleibt. Dies wird an einem 1950 im Münchner Merkur veröffentlichten Artikel Richters deutlich, in dem der Tod der Mitglieder der Weißen Rose in einem übergenerational-national konstruierten Bezug gedeutet wird: Gäbe es eine echte Polemik gegen die Kollektivschuld, dann genügte bereits der schwere Weg, den sie gegangen sind, um jede Beschuldigung dieser Art aufzuheben. Sie starben für viele, sie starben auch für jene, die sich heute frei und unverantwortlich für das fühlen dürfen, was in jenen Jahren geschehen ist. Sie haben die Verbrechen des Dritten Reiches für das deutsche Volk gesühnt, denn nicht das Leid, das durch Leid gesühnt wird, bedeutet Rechtfertigung, sondern nur die freie Tat. Nicht allein die Geschwister Scholl saßen auf der Anklagebank vor dem sogenannten Volksgerichtshof, sondern Friedrich Schiller, mit dessen Worten sie gekämpft hatten, und mit ihm alle Generationen eines Volkes, die an seine Grundsätze geglaubt haben und noch glauben.548

Bereits in der nächsten Ausgabe des Rufs erscheint in der gleichen Rubrik wie Richters Beitrag ein Artikel Erich Pfeiffer-Bellis. Der Feuilletonist, der während der NS-Zeit für verschiedene Zeitungen (ab 1943 für die Münchener Neuesten Nachrichten) und nach 1945 für die Süddeutsche Zeitung arbeitete,549 schließt sich nicht durch eigenes Erleben, sondern durch eine auf die nächste Generation zielende Konstruktion an die ›junge Generation‹ an. Die Parallelisierung zwischen Soldatentum und Widerstand wird von Pfeiffer-Belli durch ein dem Text als Motto vorangestelltes Zitat Marie L8nerus’ in abstrahierter und enthistorisierter Weise vorgenommen (»Was wir brauchen sind Soldaten des Friedens; sie 546 Ebd. 547 Embacher, Anm. 539, S. 322. 548 Hans Werner Richter : Das Beispiel der Geschwister Scholl. In: Presse-Forum 4 (1950), Nr. 15, S. 1. 549 Siehe Eintrag zu Erich Pfeiffer-Belli. In: Wolfang Klötzer (Hrsg.): Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon. Zweiter Band. M–Z. Frankfurt a. M.: Kramer 1996.

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werden nicht minder mutig, nicht minder abenteuerlich und nicht minder kriegerisch sein.«550). Pfeiffer-Bellis Reflexionen zur Weißen Rose sind als innerer Monolog eines besorgten Vaters inszeniert, der Wache am Bett seines Kindes hält, das einer »schmerzhaft-blutigen« Halsoperation unterzogen wurde, womit seine Gedanken in eine Szene des Leidens eingebettet werden.551 Die »Fragen«, die ihn »umgeben« und wachhalten sind angeregt durch die Lektüre eines ausführlichen, im Oktober 1946 in der Halbmonatszeitschrift Die Gegenwart erschienenen, wiederholt nachgedruckten Artikels Der 18. Februar. Umriß einer deutschen Widerstandsbewegung, der gegen Ende auch Auszüge aus den Flugblättern, die Vermeldung der Hinrichtung durch die Münchener Neuesten Nachrichten und Hubers Verteidigungsrede wiedergibt. Der Autor des Textes, Karl Zimmermann, zentriert seine Darstellung auf die Flugblattaktion vom 18. Februar 1943, die er wie Hülsen als durch die Warnung eines Gewährsmanns bei der Gestapo motivierte, letzte besondere Tat der Geschwister darstellt, »um in aller Öffentlichkeit ein unmißverständliches Zeichen zu geben«.552 Dieses Datum projiziert er nach vollzogener »Abkehr von jener Verirrung und Verführung des deutschen Volks« als künftigen Gedenktag, der neben wenigen anderen Daten unter so vielen dunklen Tagen morgendlich hell und verklärt vom Lichte des guten menschlichen Geists hell aufleuchtet«.553 »[E]in Urchristentum« offenbarendes, »beredtes Beispiel eines mit dem Tode bezahlten Protests der Gewaltlosigkeit gegen die Barbarei« dürfe »symbolisch genommen werden für vieles, was in ähnlicher Art unternommen worden ist«, und so sei 1943 »München ein Bedeutendes von der Schuld genommen« worden, »die dieser Stadt aufgeladen worden war«.554 Die in der Gegenwart beschriebene Tat des 18. Februar erscheint Pfeiffer-Belli so »strahlend edel, so hoffnungslos kühn, so voll innerster Wahrhaftigkeit, so ritterlich und durchaus menschlich in jeder Phase«, dass er nicht begreifen kann, »warum dieses Beispiel damals ohne Nachfolge blieb« und »warum heute in den deutschen Universitäten noch immer eine reaktionär gestimmte, opportunistisch denkende Jugend […] sich breit macht«, welcher »der 18. Februar ebenso Hekuba ist, wie die Geistigkeit der Weißen-Rose-Flugblätter und die edelmännische Haltung jener, die dafür der Henker traf«.555 Die Schlaflosigkeit des Autors bezieht sich jedoch auf die Generation des eigenen Kindes. So sucht der Vater den »kristallklare[n] Kinderblick« des Sohnes und fragt sich: »Wird es mir 550 Erich Pfeiffer-Belli: In einer Nacht ohne Schlaf. In: Der Ruf 3 (1947), Nr. 10, S. 8. 551 Ebd. 552 Karl Zimmermann: Der 18. Februar. Umriß einer deutschen Widerstandsbewegung. In: Die Gegenwart, 30. 10. 1946, S. 9–13, S. 10. 553 Ebd., S. 9. 554 Ebd., S. 10. 555 Pfeiffer-Belli, Anm. 550.

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gelingen, aus dir einen Menschen zu bilden, so aufrecht, so bedingungslos, so edel und anständig, wie jene, die sich die ›Weiße Rose‹ auf ihr Banner geheftet haben?«556 Den Regen hörend fragt er sich, ob dieser aus Tränen bestünde, die der Himmel weint über das vergossene Blut all der Jahre, über das wieder und wieder geschändete Angesicht der Menschen, welche Schmach abzuwaschen diese Handvoll deutscher Studenten, dieser Lehrer unternahmen, indem sie ihr Blut vergossen.557

Diese Fragen münden in einen imaginierten Appell an den Sohn, »Soldat des Friedens« zu werden und diese Menschen nicht zu vergessen und ihrem Andenken entsprechend zu handeln: Aber einmal sei wach, hellwach und in Bereitschaft. Zeige dort, wohin das Schicksal dich stellt, ein mutiges Herz, ziehe mit blanken Waffen aus, für das Gute in der Welt, in deinem Vaterland zu streiten, bau mit am Frieden, an der Freiheit der Welt, und treibe aus die Furcht aus den Herzen der Menschen! Vergiß nie, was jene meinten, die sich die ›Weiße Rose‹ erwählten als Sinnbild der Reinheit und als Spiegel göttlicher Gedanken, die zu denken, denen nachzuleben auch den Menschen erlaubt, ja auferlegt ist seit Anbeginn.558

Die Identifikation mit der Weißen Rose dient damit hier der zur Elterngeneration aufrückenden und damit als Verantwortung übernehmend konzipierten ›jungen Generation‹ zur Legitimation für einen Appell an die nächste Generation.

III.2.2 Die Geschwister Scholl in der ostzonalen Presse Die von Christine Hikel in der frühen Presseberichterstattung in den Westzonen konstatierte unsichere Wissensgrundlage zum Widerstand der Weißen Rose und das Fortwirken widersprüchlicher Informationen aus der NS-Zeit und ausländischen Berichten trifft auch auf die Presse der sowjetisch besetzten Zone zu. Der folgende Überblick, wie auch die Analysen der DDR-Pressediskurse in späteren Kapiteln, stützt sich auf eine Volltextauswertung der Berliner Ausgaben des Neuen Deutschland, der Neuen Zeit und der Berliner Zeitung.559 Diese von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) lizensierten und stark kontrollierten560 Tageszeitungen fungierten als Organe der SED, der CDU bzw. des 556 557 558 559

Ebd. Ebd. Ebd. Grundlage hierfür waren die Digitalisate der ZEFYS-Datenbank der Berliner Staatsbibliothek, siehe ZEFYS-Datenbank der Berliner Staatsbibliothek, Internet: http://zefys.staatsbi bliothek-berlin.de/ddr-presse, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 560 Peter Strunk: Zensur und Zensoren. Pressekontrolle und Propagandapolitik der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland. Berlin: Akademie 1996.

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Berliner Magistrats. Bis 1990 gehörten sie zu den auflagenstärksten Tageszeitungen der DDR. Zwischen Juli und Ende 1946 finden sich in den drei Zeitungen insgesamt 20 Erwähnungen der Geschwister Scholl, davon vier mit universitärem Bezug, in denen sie als »Märtyrer der Opposition, die im offenen Kampf gegen die geistige Versklavung der Studentenschaft ihr Leben lassen mußten«,561 erinnert werden, ihr Tod als »Ehrenrettung der auch in Deutschland vorhandenen fortschrittlich gesinnten Intelligenz«562 gedeutet, oder der »Geist, der einst die Geschwister Scholl zu ihrem Opfertod für Deutschlands geistige Freiheit bewegte«, beschworen wird.563 1946 erscheinen erste Erwähnungen von Benennungen von Schulen564 und Brigaden565 und zwischen Mai und Juli konzertierte Meldungen, in denen im Namen der Jugend bzw. der Studentenschaft Empörung über eine zu milde Verurteilung Jakob Schmids566 als »Denunziant« und »Henkersknecht« der Geschwister Scholl im Rahmen der Spruchkammerverfahren geäußert wird.567 Der Name und die Taten der Geschwister werden meist als bekannt vorausgesetzt, weitere Beteiligte werden nicht genannt. In den ersten anderthalb Jahren nach Kriegsende findet sich neben einer knappen Darstellung der »Studenten unter der Führung der Geschwister Scholl« als »Jugend im Kampf« auf einer Gedenkseite mit dem Titel »Unsterbliche Opfer. Niemals vergessen!« des Neuen Deutschlands zum Ehrentag der Opfer des Faschismus am 22. September 1946568 lediglich ein Artikel, der eine ausführlichere Schilderung des Widerstands gibt. Dieser Bericht über den »Münchener Studentenaufstand« wurde am 2. September 1945 in der Neuen Zeit gedruckt. Die Zeitung bringt auf Lesernachfrage eine »Schilderung der Ereignisse, die offenbar dem deutschen Volk unbekannt 561 O. A.: Wiederaufbau in der Berliner Studentenschaft. In: Berliner Zeitung, 29. 07. 1945, S. 2. 562 Herbert Wittkowski: Die deutschen Studenten und der Welt-Studentenbund. In: Neues Deutschland, 13. 11. 1946, S. 4. 563 Ma.: Universität Berlin. In: Neue Zeit, 09. 10. 1945, S. 3. 564 O. A.: »Sophie-Scholl-Schule«. In: Berliner Zeitung, 27. 01. 1946, S. 2. 565 Bspw. Erwähnung der »Jugendstoßbrigade Geschwister Scholl in der Provinz Sachens« in: Erich Honecker : Grundrechte der jungen Generation. In: Neues Deutschland, 09. 06. 1946, S. 5. 566 Der korrekte Name lautet Jacob Schmid. In der Presse finden sich die verschiedensten Schreibweisen des Namens. Siehe auch Kapitel V.1.6. 567 O. A.: Stimmen aus dem Reich [Presseschau]. In: Neues Deutschland, 12. 05. 1946, S. 2; o. A.: Henker kommen vor Gericht. In: Neues Deutschland, 13. 06. 1946, S. 3; o. A.: Denunziant der Geschwister Scholl. In: Neue Zeit, 13. 06. 1946, S. 2; o. A.: Denunziant der Geschwister Scholl verurteilt. In: Berliner Zeitung, 16. 06. 1946, S. 1; o. A.: Keine Sühne für den Tod der Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 26. 06. 1946, S. 3; o. A.: Henkersknecht Schmidt legt Berufung ein. In: Neues Deutschland, 07. 07. 1946, S. 2; o. A.: »Bestraft sie härter«. In: Berliner Zeitung, 19. 07. 1946, S. 2; o. A.: Der Verrat der Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 20. 07. 1946, S. 3. 568 O. A.: Jugend im Kampf. In: Neues Deutschland, 22. 09. 1946, S. 3.

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geblieben sind«569 und zitiert Auszüge des letzten Flugblatts. Die »Tragödie der deutschen Armeen« bei Stalingrad wird als die »Atmosphäre« beschrieben, in der »die Münchener an Häuserwänden und Mauern Inschriften lasen«, die sich gegen Hitler und für Freiheit aussprachen.570 Gleichzeitig wird der »scharfe[…] Kurs« des neuen Gauleiters Paul Giesler als Hintergrund beschrieben, der als »typische Erscheinung des Hitler-Regiments« gezeichnet wird, da er »sein berufliches Versagen als Architekt durch den Anschluß an die Bewegung der Minderbegabten auszugleichen suchte«.571 Bei seiner Rede vor Studenten sei ihm »feindliche Stimmung« entgegengeschlagen, es sei zu »Aufruhr im Hörsaal« gekommen, ein »Demonstrationszug« sei von der Polizei verhindert worden, ein »Hilfspedell« habe die »›Rädelsführer‹« denunziert.572 Damit werden die Proteste bei der Giesler-Rede am 13. Januar 1943 und der Widerstand der Weißen Rose kurzgeschlossen. Verhaftung und Hinrichtung von »Hans und Maria Scholl und Adrian Probst« werden als »Gieslers Rache« dargestellt, die dieser dann an Kurt Huber, der als »geistige Führung« des »Studentenaufstands« dargestellt wird, fortgesetzt habe.573 Die Zuspitzung auf Giesler auf der einen und die Führung der Studentenunruhen auf der anderen Seite korrespondiert mit der Gegenüberstellung des »despotische[n] Regiments Hitlers« und der »Bevölkerung« im Text.574 Hans Scholl wird – wie in Quellen vor 1945 – als Stalingradkämpfer und Träger des Eisernen Kreuzes beschrieben sowie als ein »Protestant, der zu jener sehr aktiven Gruppe der Studentenschaft gehörte, die für die Zusammenarbeit der Konfessionen eintrat«.575 Bezugnahmen auf Religion oder Religiosität der Protagonisten des Widerstands finden sich in der SBZ-Presse bis 1949 ansonsten nicht. In den Jahren 1947 und 1948 finden sich in allen drei Zeitungen insgesamt 27 Erwähnungen, darunter gehäuft solche in Zusammenhang mit dem Roman von Alfred Neumann576, mit dem Tod Ricarda Huchs, die einen Roman über die »Vorgänge des 20. Juli 1944« geplant habe, »dessen erster Teil den Geschwistern Scholl gewidmet sein sollte«,577 und Hinweisen auf Gedenkveranstaltungen insbesondere an Universitäten.578 In einer in der Berliner Zeitung abgedruckten 569 igk: Münchner Studentenaufstand. Das Opfer der Geschwister Scholl – Revolte im Jahr 1943 gegen die »Verknechtung Europas«. In: Neue Zeit, 02. 09. 1945, S. 3. 570 Ebd. 571 Ebd. 572 Ebd. 573 Ebd. 574 Ebd. 575 Ebd. 576 Siehe Kapitel III.1.4. 577 Bspw. o. A.: Tod Ricarda Huchs. In: Neues Deutschland, 18. 11. 1947, S. 3. Siehe Kapitel III.3.4. 578 o. A.: Ankündigungsnotiz Gedenkfeier der Pädagogischen Fakultät der Berliner Universi-

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Rede Fritz Dahlems auf der Gründungskonferenz der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) im Februar 1947, die laut Redaktion ein »umfassendes Bild von der deutschen Widerstandsbewegung gegen die faschistische Diktatur gab«, werden die Geschwister Scholl in einer Reihe von »Helden und Opfern des Anti-Hitlerkampfes« als »Zeugnis vom einsetzenden Kampf der Jugend« gewürdigt.579 Aus Anlass des vierten Jahrestags der Hinrichtung erscheint im Neuen Deutschland – neben einem »Das Dokument der Geschwister Scholl« betitelten Auszug aus Neumanns Roman, in dem Richter Lucius das aus dem Roman rückübersetzte letzte Flugblatt vor Gericht verliest – eine Darstellung unter dem Titel »Ihr Tod – eine Verpflichtung für uns«, in der erstmals die Namen aller sieben Hingerichteten (auch der Hans Leipelts) korrekt angegeben werden, allerdings auch kolportiert wird, Sophie Scholl sei bei den Verhören »fürchterlich gefoltert« und es sei ihr »dabei ein Bein gebrochen« worden, und dass Hans und Sophie Scholl auf die »Frage des Gerichtes, ob sie Hitler töten würden […] wie aus einem Munde: ›Ja sofort‹« geantwortet hätten.580 Zu den Aktionen an sich wird kaum etwas berichtet; diese »zeigen uns heute in aller Deutlichkeit, daß es überall in Deutschland zur Zeit des Hitlerkrieges junge Menschen gab, die die verbrecherischen Ideen der Nazis klar erkannten, diese Erkenntnis anderen weitergaben und bereit waren, eher ihr Leben zu lassen, als sich dem nazistischen Joch weiter zu beugen«.581 In einem Artikel zum fünften Jahrestag der Hinrichtung mit der Überschrift »Helden der Freiheit« in der Berliner Zeitung wird diese unterstellte Repräsentanz erweitert, indem Sophie Scholls Ausruf vor Gericht: »Was wir schrieben und sagten, das denken Sie ja alle auch, nur haben Sie nicht den Mut, es auszusprechen« bestätigt wird: »Der weitaus größere Prozentsatz unseres Volkes hatte das Gewaltsystem längst satt; aber die Angst saß uns in den Knochen, und wir schwiegen«.582 Im Neuen Deutschland erschienen 1948 zwei Artikel zum Jahrestag der Hinrichtung. Der erste vom 21. Februar ist unterhalb eines Berichts über eine »Sozialistische Feierstunde« zum Anlass »des 100. Geburtstages des Kommunistischen Manifestes« gedruckt und um Hans Scholls Ausruf »Es lebe die Freiheit!« zentriert, der zunächst als »Kampfruf all derer, die gegen Tyrannei, Despotismus und Unterdrückung aufstanden« universalisiert wird:

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tät. In: Berliner Zeitung, 15. 02. 1948, S. 6; o. A.: Im Gedenken an Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 24. 06. 1948, S. 2. O. A.: Helden und Opfer des Anti-Hitler-Kampfes. In: Berliner Zeitung, 27. 02. 1947, S. 2. O. A.: Ihr Tod – eine Verpflichtung für uns. Der Münchener Studentenaufstand unter Führung der Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 19. 02. 1947. Diese Angaben gehen auf in der westlichen Presse zuvor kolportierte gefälschte Aussagen einer Annemarie Scholl zurück, die sich als Cousine der Geschwister ausgab (siehe Hikel, Anm. 49, S. 52–56). Ebd. O. A.: Helden der Freiheit. In: Berliner Zeitung, 22. 02. 1948, S. 3.

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Dieser habe »von jeher tapfere Vorkämpfer für humanistische und sozialistische Ideale« begleitet und sei auch »die Losung der Münchener Studenten« in ihrem Kampf »für Freiheit der Wissenschaft und des Geistes« gewesen sowie der Ruf »den Hans Scholl mit einem letzten Blick auf seine Schwester dem Blutrichter Freisler entgegenschleuderte«.583 Dem Artikel zufolge seien am 22. Februar 1943 die »Initiatoren«, als die Kurt Huber, Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, Christoph Probst und »Hans Konrad Leipert [sic]« , genannt werden, »trotz furchtbarer Foltern, aufrecht und tapfer in den Tod« gegangen.584 Ihre »Tat« wird als »Ehrenrettung der deutschen Akademiker, die sich im Gegensatz zu Arbeiterkreisen nur in geringem Maße am aktiven Kampf gegen die Hitler-Barbarei beteiligten« und Fortsetzung der »fortschrittlichen Traditionen der Studenten von 1848« gewertet.585 Paul Verner, FDJ-Mitbegründer und zu diesem Zeitpunkt Leiter des Jugendsekretariats der SED, der einen Tag später den »Opfergang einer Jugend« würdigt,586 verfügt über präzisere Informationen. Er gibt Details aus Gerichtsund Ermittlungsakten Hans und Sophie Scholls wieder, die vor 1989/90 für Forschung und Angehörige unzugänglich im Zentralen Parteiarchiv aufbewahrt wurden,587 und zitiert ausführlich, allerdings mit Auslassungen (im Folgenden in eckigen Klammern ergänzt) Aussagen aus dem Verhörprotokoll Hans Scholls, die sein Motiv illustrieren sollen, »nicht nur in Gedanken, sondern auch in der Tat, [s]eine Gesinnung zu zeigen«: [Nachdem ich geglaubt hatte, dass die militärische Niederlage an der Ostfront und dem ungeheueren Anwachsen der militärischen Macht Englands und Amerikas eine siegreiche Beendigung des Krieges unsererseits unmöglich sei, gelangte ich] ›Nach vielen qualvollen Überlegungen‹, so erklärte Hans Scholl seinen Untersuchungsrichtern, »gelangte ich zu der Ansicht, daß es nur noch ein Mittel [zur Erhaltung der europäischen Idee] gebe, nämlich die Verkürzung des Krieges«. Und er fuhr fort: »Andererseits war mir die Behandlung der von uns besetzten Gebiete und Völker ein Greuel. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß mit diesen Methoden der Herrschaft eine friedliche Aufbauarbeit in Europa möglich sein wird. […]«588

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H.S.: Es lebe die Freiheit! In: Neues Deutschland, 21. 02. 1948, S. 3. Ebd. Ebd. Paul Verner : Die Geschwister Scholl. Opfergang einer Jugend. In: Neues Deutschland, 22. 02. 1948, S. 2. 587 Siehe Hikel, Anm. 49, S. 99–101. Spekulationen um die Motive der ›Verschlusssache‹ in Breinersdorfer, Anm. 39, S. 344. 588 Verner, Anm. 586. Vgl. mit dem vollständigen Text, in: Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier »Sophie Scholl und Die Weiße Rose«, Auszüge aus den Vernehmungsprotokollen von Hans Scholl, Internet: http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ weisse-rose/61047/verhoerprotokoll-hans-scholl?p=1, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018.

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Durch die Auslassungen wird die Motivlage Hans Scholls auf die Beendigung des Krieges und die Beseitigung der NS-Herrschaft verengt; auch das darauffolgende Flugblattzitat beschränkt sich auf diesen Aspekt. Anhand von Akten wird dann geschildert, wie »die Justizorgane und leitenden Stellen in der NSDAP alle Hebel in Bewegung setzten, um ein Exempel zu statuieren«.589 Verfahren, Prozess und Urteil werden als »bezeichnend für die ›Rechtsprechung‹ im Dritten Reich« dargestellt, als »›ein Affentheater‹, wie sich Hans Scholl ausdrückte und wie es der Kriminalsekretär Schmauß in den Akten festhielt«.590 Wie »mutig und entschlossen« Hans Scholl »und seine Freunde« vor der Justiz auftraten, wird anhand von Sophie Scholls Satz vor Gericht belegt, »das Beste getan zu haben, was ich für mein Volk tun konnte«.591 Daran anschließend betont Verner, das Vermächtnis der Toten, »ein neues und besseres Deutschland zu bauen, hat sich leider noch nicht restlos erfüllt« und begründet dies damit, dass »[j]ene Kräfte, gegen die sich der Kampf dieser Jungen richtete […][,][i]m Westen Deutschlands […] bereits wieder rührig« seien.592 Das Gedenken an die »Münchener Opfer vom 22. Februar 1943« verpflichte »jeden aufrechten und demokratischen Deutschen ihr Vermächtnis zu erfüllen: ›Deutschland demokratisch, einheitlich und in Freiheit zu gestalten!‹«593 Im Jahr der Staatsgründung finden sich keine Gedenkartikel, aber es häufen sich in den Zeitungen Meldungen über Benennungen nach den Geschwistern Scholl: Nicht nur Straßen594, Schulen und Jugendeinrichtungen, sondern etwa auch Seminarräume der Verwaltungsakademie in Forst Zinna595 oder sogar Fischkutter in Warnemünde und Saßnitz erhalten die Ehrennamen der Geschwister : Im Hafen liegen zwei neu eingetroffene Kutter mit ihren FDJ- Mannschaften. Sie tragen die Namen »Hans Scholl« und »Sophie Scholl«, die Namen der tapferen Münchener Geschwister und Studenten, die die Nazis für immer auslöschen wollten. Die Mörder und Henker dieser beiden Vorbilder unserer Jugend aber dürfen sich heute im Westen unseres Vaterlandes wieder frech erheben. »Wir sind stolz darauf, gerade auf diesen

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Verner, Anm. 586. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Zentral in Berlin wird auf »Vorschlag des Demokratischen Blocks an der Humboldt-Universität« die Prinz-Friedrich-Karl-Straße »zum Andenken an die antifaschistischen Geschwister Scholl in Geschwister-Scholl-Straße umbenannt«. O. A.: Umbenennung der Prinz-Friedrich-Karl-Str. auf Vorschlag des Demokratischen Blocks der Humboldt-Univer sität. In: Neue Zeit, 09. 09. 1949, S. 3. 595 Fritz Kubick: »Pasa remos«. Wir werden durchkommen. In: Neues Deutschland, 09. 12. 1948, S. 8.

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beiden Kuttern zu fahren«, sagt der 19jährige Joachim Mau, der Kutterführer von »Hans Scholl«.596

Die sich zuvor bereits andeutende antiwestliche Tendenz mit einer Unterstellung reaktionärer bzw. faschistischer Kontinuität schlägt sich in der Presse selbst in Berichten zu Benennungen von Sport- und Fußballvereinen nieder : Während in den Westzonen die alten reaktionären Sportführer immer mehr an Einfluß gewinnen und alles daran setzen, auch in der äußeren »Firmierung« Ihrer Sportvereine an jene verhängnisvolle Tradition wieder anzuknüpfen, die in letzter Konsequenz zum Nationalsozialismus und damit zur größten nationalen Katastrophe unseres Volkes führte, hat die neue demokratische Sportbewegung auch in der äußeren Namensgebung ihrer Gemeinschaften ein fortschrittliches Gesicht angenommen. Neben den »neutralen« Bezeichnungen wie »Union Dessau« (Dessau-Nord) haben sich viele Sportgemeinschaften die Namen jener Männer und Frauen gegeben, die ihren antifaschistischen Kampf mit dem Leben bezahlen mußten, wie Werner Seelenbinder und Geschwister Scholl.597

Insgesamt lässt sich Hikels Befund einer »Pluralität der Deutungsangebote« in den Westzonen, die »eine breite gesellschaftliche Verankerung der Erinnerung« an die Weiße Rose ermöglichte, auch auf den Osten übertragen.598 Allerdings zeigt die Deutungsvielfalt weder im Westen noch im Osten, »wie demokratische Gesellschaften funktionieren«,599 sondern vielmehr, dass verschiedene Deutungen in Bezug auf konkrete Kontexte und Adressatengruppen Identifikation ermöglichen können. Dies lässt sich als ein gemeinsames Merkmal der Thematisierung der Weißen Rose in Ost und West festhalten. Gemeinsamkeiten ergeben sich in Bezug auf Opferdeutungen und Märtyrerkonstruktionen, Bezüge zum universitären Bereich und apologetischen Deutungen einer allgemeineren Repräsentanz der Weißen Rose. Der auffälligste Unterschied besteht in der fast konsequenten Nicht-Thematisierung des christlichen Glaubens der Hingerichteten und im Fehlen explizit religiöser Deutungen auch in der CDUTageszeitung Neue Zeit in dieser Phase. Die Geschwister Scholl, denen in späteren Phasen weiterhin eine auch im Vergleich zu kommunistischen Namen eher hohe Pressepräsenz zukommt, werden gerade vor Gründung der DDR zu emblematischen ›antifaschistischen Kämpfern‹ aufgebaut und aufgrund des hohen Bekanntheitsgrads und Identifikationspotenzials gerade für junge Menschen als Vorbilder dargestellt. Ihre Prominenz wird vor 1949 auch offiziell gefördert,

596 Jan Petersen: Mit der FDJ in eine neue Zeit. In: Neues Deutschland, 21. 05. 1950, S. 3; siehe auch Berliner Zeitung, 06. 07. 1949, S. 2. 597 o. A.: Im Geiste des Fortschritts. In: Berliner Zeitung, 11. 11. 1948, S. 4. 598 Hikel, Anm. 49, S. 59. 599 Ebd., S. 60.

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bleibt dann aber nicht unumstritten, wie die Entwicklung durch VVN und FDJ ausgerichteter Gedenkfeiern zeigt.

III.2.3 Frühes Geschwister-Scholl-Gedenken im Kontext von VVN und FDJ In seiner Rede bei der Feierstunde zu Ehren der Opfer des Faschismus auf dem II. Parlament der Freien Deutschen Jugend in Meißen Pfingsten 1947 betont Paul Verner die Breite der deutschen »Widerstandsbewegung«, der »Menschen aus allen Schichten des Volkes«, »jeden Alters«, »der verschiedenen Parteien und Glaubensrichtungen«, »aller geistigen Strömungen« angehört hätten, »für die Freiheit kein leeres Wort bedeutete, sondern Sinn und Inhalt ihres Lebens ausmachte«.600 Verner fordert die Anwesenden auf, sich von ihren Plätzen zu erheben und sich »[b]ewegt und stolz [zu] verneigen […] vor diesen Toten«: Sie waren die Vertreter des anderen Deutschland, des Deutschland, das den Frieden vertrat und in Freundschaft mit den Völkern der Erde zusammenleben wollte. Allen diesen Toten, den bekannten und unbekannten, wollen wir Ehre und stetes Andenken zollen. Sie werden weiterleben. Sie sollen die Vorbilder einer neuen deutschen demokratischen Jugend sein. Auf sie alle treffen die Worte zu, die weithin über das märkische Land hinausleuchten, wo die zum Tode Gerichteten des Brandenburger Zuchthauses ruhen: »Zu Tode geführt, und siehe, wir leben!« Sie kämpften für die Menschlichkeit und sie starben für die Menschlichkeit. Ja, zum Tode geführt, und siehe sie leben! Ihr Vermächtnis soll uns heute und in Zukunft gegenwärtig sein und immer voranleuchten.601

Nachdem sich die Anwesenden wieder gesetzt haben, beantwortet Verner die rhetorische Frage, ob es eine deutsche Widerstandsbewegung gab, mit einem »eindeutigen Ja« und ergänzt, dass es auch »eine Widerstandsbewegung der deutschen Jugend« gab, die »[i]n erster Linie« aus »junge[n] Sozialisten und Kommunisten, junge[n] Christen und junge[n] Studenten« bestand.602 Er betont, dass die »antifaschistischen Kämpfer« nicht nur »für sich, ihre Partei und Weltanschauung«, sondern »für jedes Opfer des Faschismus eintraten« und auch erkannten, »daß die verführten einfachen Menschen unserer Heimat Opfer des Schreckensregimes geworden waren«.603 Um dies zu belegen, zitiert er aus dem Abschiedsbrief Alexander Schmorells an seine Eltern (»Denkt an die Millionen 600 Paul Verner : Zu Tode geführt und siehe sie leben. Rede gehalten in der Feierstunde zu Ehren der Opfer des Faschismus auf dem II. Parlament der FDJ in Meißen Pfingsten 1947. Berlin: Neues Leben 1947, S. 7–8. 601 Ebd. 602 Ebd., S. 8. 603 Ebd., S. 9.

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von Menschen, die draussen im Felde ihr Leben lassen. Ihr Los ist auch das meinige«) und erinnert daran anknüpfend an die »Millionen gefallenen deutschen Soldaten, die einer besseren Sache würdig gewesen wären«.604 Dies gibt auch dem zentralen Motto der Rede »Zu Tode geführt, und siehe, wir leben«605 einen weiteren Sinn.606 Bei diesen Worten handelt es sich um die Aufschrift des VVN-Ehrenmals in Flöha.607 Durch den Wechsel des Personalpronomens von der ersten zur dritten Person plural wird nicht nur das Überleben der Gemeinschaft auf das Opfer des Widerstands zurückgeführt, sondern auch ein verpflichtendes Vermächtnis für die Gemeinschaft konstruiert. Die weite Widerstandsdefinition und die Ausweitung des Opferstatus auf die Überlebenden erzeugen auf keineswegs untypische Weise in Verbindung mit einem letzten Brief eine Identität der Gedächtnisgemeinschaft und der Toten, derer sie gedenkt.608 Die Verbindung von Opfer und Verpflichtung ist dabei auch als Integrationsangebot der FDJ zu verstehen. Die Geschwister Scholl, deren Portraits im Broschürendruck der Rede an erster Stelle vor denen der Kommunisten Käthe Niederkirchner, Heinz Kapelle, Hanno Günther und Werner Steinbrink stehen,609 sind dabei wichtige Identifikationsfiguren, da sie im Gegensatz zu letzteren die Jugend des ›anderen Deutschlands‹ überparteilich zu verkörpern scheinen und gerade auch im kirchlichen Kontext Glaubwürdigkeit besitzen – eine Funktion, die gerade im Kontext der in der Gründungsphase der FDJ notwendigen Bündnispolitik begründet liegt.610 Diese zeigt sich auch in der ersten Ausgabe der FDJ-Zeitschrift Neues Leben, dem Vorläufer der Jungen Welt, deren Beiträge mit einem von Peter Buchholz, dem Pfarrer der Hinrichtungsstätte Plötzensee, gezeichneten Appell an die Jugend unter dem Titel »Alles wirkliche Leben entfaltet sich in der Gemein-

604 Ebd. 605 Ebd., S. 8. 606 Dieser Satz wurde von Verner im Redemanuskript nachträglich handschriftlich ergänzt. Siehe Paul Verner : Manuskript zur Rede zum II. Parlament der FDJ in Meißen, [1948]. In: BArch, NJ 4281 (26), Blatt 330. 607 Ebd., S. 8., siehe Josef A. Preiselbauer : Homepage »Sozialistische Gedenkstätten«, Internet: http://www.sozialistische-gedenkstaetten.de/sa/Floeha/VVN/vvn.shtml, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018, nicht mehr aufrufbar am 11. 07. 2018. 608 Vgl. zur gemeinschaftsbildenden Funktion letzter Briefe in Ost- und Westdeutschland zwischen 1945 und 1961 Peitsch, Anm. 308. Peitsch zeigt eine ähnliche Konstruktion an einem Referat Ottomar Geschkes auf der Konferenz der OdF Ausschüsse in Leipzig 1945. 609 Verner, Anm. 600, S. 12–13, 16–17. 610 Siehe Helga Gotschlich: Bündnispolitische Erwägungen bei der FDJ-Gründung 1946, oder : Als das »Wir« noch nicht gelogen war. In: Helga Gotschlich (Hrsg.): Deutsche Teilung – deutsche Wiedervereinigung. Jugend und Jugendpolitik im Umbruch der Systeme. Bd. 2. Berlin: Metropol 1996, S. 119–130.

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schaft«611 und einer Vorstellung der Geschwister Scholl sowie dem Abdruck des letzten Flugblatts eröffnen.612 Ihr Identifikationspotenzial erklärt auch die herausgehobene Stellung des Gedenkens an die Geschwister Scholl im Kontext der in enger Zusammenarbeit zwischen FDJ und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) organisierten Geschwister-Scholl-Gedenkfeiern an den Jahrestagen des 22. Februars, die bis in die 1950er-Jahre hinein als Tag der jungen Widerstandskämpfer begangen wurden.613 Die VVN, die es als eine ihrer zentralen Aufgaben ansah, den »tapferen, opferreichen Kampf der deutschen Widerstandsbewegung aufzuzeigen und zu würdigen«, richtete auf Beschluss des interzonalen Beirats noch 1947 bei allen Landes- bzw. Zonensekretariaten Forschungsstellen über die deutsche Widerstandsbewegung ein, wobei Forschung auch vor dem Hintergrund der realen Möglichkeiten der VVN und dem kurzen zeitlichen Abstand eher Sammlung, Erfassung, Darstellung und Würdigung bedeuten muss.614 Bei der Berliner VVN wurde eine zentrale Forschungsabteilung unter Federführung von Karl Schirdewan und Klaus Lehmann geschaffen, die – mit unterschiedlichem Erfolg – versuchte, auch die Kreis- und Ortsebene in die Erfassung und Aufarbeitung des Widerstands einzubinden.615 Hierbei ist auffällig, dass der VVN-Bezirksverband Dresden wesentlich zu der zentralen biografischen Sammlung zu den Geschwistern Scholl beigetragen hat, zumindest der Überlieferung nach. Die Sammlung ging nach Auflösung der Ost-VVN 1953 in das zentrale Parteiarchiv beim Institut für Marxismus-Leninismus über und lagert heute in den SAPMOBeständen im Bundesarchiv. Hier finden sich, neben einer Zeitungsausschnittsammlung bzw. Artikelabschriften, kompiliertes Material und Broschürenmanuskripte für Geschwister-Scholl-Gedenkfeiern, die Ortsgruppen als Grundlage zur Gestaltung der Feiern zu Verfügung gestellt wurden.616 Am Beispiel der Materialzusammenstellungen für Gedenkfeiern und von Artikeln aus der VVNZeitschrift Die Tat werden im Folgenden Tendenzen dieses Gedenkens an die Geschwister Scholl anlässlich der Jahrestage bis 1953 herausgearbeitet. 611 P[eter] Buchholz: Alles wirkliche Leben entfaltet sich in der Gemeinschaft. In: Neues Leben 1 (1945), Nr. 1, S. 2–3. 612 O. A.: Geschwister Scholl. Der Studentenaufstand in München 1943. In: Neues Leben 1 (1945), Nr. 1, S. 3–6. 613 In einer Materialzusammenstellung der Kulturabteilung der Landesleitung der FDJ Thüringen für Heimabende zum »Gedenken an die jungen Kämpfer gegen den Faschismus« wird dagegen auf die Geschwister Scholl kein Bezug genommen. Siehe Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hrsg.): Wir werden Euch nicht vergessen. Berlin: Neues Leben 1947. 614 Detlef Hansel, Elke Reuter : Das kurze Leben der VVN von 1947 bis 1953. Die Geschichte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR. Berlin: edition ost 1997, S. 328–342. 615 Ebd. 616 BArch-SAPMO DY55 (V 278/6/1722).

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In der Materialsammlung für die Gedenkfeiern des Jahres 1949 finden sich ein Ausschnitt der Gedenkrede Romano Guardinis, ausführliche Flugblattzitate, ein nicht ganz richtig wiedergegebener Satz aus dem letzten Brief Christoph Probsts (»Ich habe nicht gedacht, daß es sich so leicht sterben läßt«) sowie ein Zitat aus der Erklärung Hans Scholls vor dem Untersuchungsrichter des Volksgerichtshofes.617 Die wichtigste Grundlage zur Anfertigung von Gedenkreden bestand 1948 und 1949 vor allem in einem zuvor in der Sächsischen Zeitung erschienenen Artikel618 des Dresdner Stadtrates für Volksbildung, Egon Rentzsch. Dessen Darstellung und Deutung des Lebens und der Aktionen der Geschwister Scholl wird – ähnlich wie bei von Hülsen – durch die szenische Schilderung einer Begegnung mit Robert Scholl beglaubigt (»Tränen hingen in den Augen des Vaters als er vom frühen Tod der Kinder erzählte«619). Rentzsch betont einleitend, der Widerstands sei nie über Einzelaktionen hinausgekommen und nie »Legion und Massenbewegung des Volks« geworden. Da der »Begriff ›Heldentum‹ […] zur geschmacklosen Propagandaphrase herabgewürdigt« wurde, brauche die Jugend »Vorbilder[,] an denen sie sich aufrichten und erheben kann«, und angesichts von »zügellosen Geschwätz der Reaktion« an den Hochschulen solle »das Leben der Geschwister Scholl und ihrer Freunde der heranwachsenden Intelligenz Wegweiser werden«: »›Hinüber ans andere Ufer wollen wir alle gelangen!‹ schrieb […] Hans Scholl 1942. Was er nicht mehr erlebte, gelang uns. Erweisen wir uns seines Opfers würdig.«620 Dieser Appell impliziert mit der Feststellung, ›ans andere Ufer gelangt‹ zu sein, eine Überwindung der Vergangenheit durch die Erfüllung des Vermächtnisses in der Gegenwart: Sorgen wir, daß ihr unbändiger Wille in uns weiterlebt und neue Kräfte weckt für das Heute, dem wir verbunden sind. Was sie taten war mehr als »innere Emigration« […]; es war aktiver Widerstand. In die Gegenwart übersetzt heißt das: Positiver Aufbauwille, Kampf um Deutschlands Einheit und gerechten Frieden, Umerziehung des Volkes und demokratische Erneuerung sowie Abkehr von der Vergangenheit.621

Am Ende des Textes nimmt Rentzsch Bezug zur Gedenkrede Karl Vosslers, dessen abstrakte Forderung, jedesmal neu die Freiheit zu erkämpfen jedoch durch eine Zuschreibung politischer Ziele konkretisiert wird: Die Erfüllung dieser Forderung sei angesichts der »Entnazifizierungs-Farce und des Spruch617 VVN Kreisvorstand Dresden: Material zum 6. Todestag der Geschwister Scholl am 22. Februar 1949, Typoskript, 8 Seiten, 17. 02. 1949. In: BArch-SAPMO, DY 55 (V 278/6/ 1722). 618 Vgl. mit Egon Rentzsch: Das Opfer der deutschen Jugend. Die Tat der Geschwister Scholl. In: Sächsische Zeitung, 19. 02. 1948, S. 1. 619 Rentzsch, Anm. 618. 620 VVN Kreisvorstand Dresden, Anm. 617, S. 1. 621 Ebd.

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kammer-Rummels« in den Westzonen »bitter nötig«, zumal »auch die Einheit und Freiheit Deutschlands, die der anglo-amerikanische Monopolkapitalismus heute bedroht«, die Forderungen des Scholl-Kreises gewesen seien.622 Diese Vermächtniskonstruktion verdeutlicht eine integrierende und mobilisierende Funktion des Gedenkens, die eine Vergegenwärtigung der Protagonisten des Widerstands voraussetzt. An dieser Zweckrichtung scheinen auch Ablauf und Inszenierung der Veranstaltungen ausgerichtet zu sein. In der Materialsammlung werden Texte für »Rezitationen anläßlich der Scholl-Gedenkfeiern«623 zu Verfügung gestellt. Eine Szene aus Neumanns Es waren ihrer sechs sowie die in der Haft geschriebenen Gedichte Schuld aus den Moabiter Sonnetten Albrecht Haushofers und Rechenschaft von Harro Schulze-Boysen ergeben in ihrem Zusammenspiel eine spezifische Deutung von Schuld und Verpflichtung. In dem aus Neumanns Roman übernommenen Dialog zwischen den Figuren Dora und Karl geht es zentral um die Frage der Schuld der Deutschen. Karls Antwort auf Doras Frage »Wird es je einen Unterschied zwischen schuldigen, mitschuldigen und unschuldigen Deutschen geben?« lautet: »Wir bauen nicht an der Partei der Unschuldigen, sondern der Rechtgläubigen und Wiedergläubigen«, woraufhin Dora bemerkt, dass auch jene, die »des falschen Todes sterben«, Menschen seien, »hüben und drüben«.624 Karls Diktum, das »Blut komme auf das Haupt des Bösen«,625 impliziert damit, dass die Grenzen zwischen individueller Schuld, Mitschuld und Unschuld durch Tod und das richtige Bekenntnis aufgehoben werden. Eine ähnliche Deutung transportiert in diesem Kontext auch Haushofers Gedicht, in dem sich der Sprecher als nicht schuldig im Sinne der Anklage, aber »[d]och schuldig« bekennt: Ich mußte früher meine Pflicht erkennen, Ich mußte schärfer Unheil Unheil nennen mein Urteil hab ich viel zu lang gelenkt …626

Die späte Erkenntnis der Pflicht (»was ich schuldig war«) wertet demnach seinen Tod nicht ab, wichtiger ist die Erkenntnis überhaupt. In Harro Schulze-Boysens Gedicht vergewissert sich der Sprecher indessen, dass es »die rechte Front« war und sich der Kampf »gelohnt« hat: Wenn wir doch sterben sollen, So wissen wir : Die Saat 622 623 624 625 626

Ebd., S. 3. Ebd., S. 6–8. Ebd., S. 7. Ebd., S. 7. Ebd., S. 7.

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geht auf. Wenn Köpfe rollen heut Einst zwingt der Geist den Staat.627

Die Gewissheit der Hingerichteten, dass die »Saat« aufgeht, also das Vermächtnis der Widerstandskämpfer erfüllt wird, unterstreicht dabei die Verpflichtung der Lebenden. Das letzte Gedicht scheint im Kontrast zu den vorangehenden Texten zu stehen, denn der Ausschnitt des 1842 veröffentlichten Schlußgesangs des Versepos Die Albigenser von Nicolaus Lenau, der Bezug auf den Albigenserkreuzzug im 13. Jahrhundert nimmt, scheint zunächst ohne Verbindung zum Gedenken an den Widerstand. Die Funktion von Lenaus Gedicht wird jedoch durch die Parallelisierung von Widerstand und religiöser Verfolgung plausibel. Der Tod des Glaubens wegen wird nämlich auf eine überhistorische »Liebe zur Freiheit« zurückgeführt: Wofür sie mutig alle Waffen schwangen Und singend in die Todesfeuer sprangen Was war es? trotzte hier ein klarer Blick Ins Herz der Freiheit jedem Missgeschick? War’s Liebe für die heilige, erkannte, Die heisser als die Scheiterhaufen brannte?628

Damit erhält das Gedenken eine überzeitliche, quasi religiöse, wenn auch nicht unbedingt christliche Begründung, die die Identifikation der Gedächtnisgemeinschaft mit dem Widerstand auch abseits des konkret-politischen Appells fördern soll. Eine Verbindung zwischen universalisierender Deutung und politischem Appell spiegelt sich auch in der März-Ausgabe 1949 der VVN-Zeitschrift Die Tat wieder. Harald Poelchau, der als Gefängnispfarrer in der Berliner Haftanstalt Tegel Widerstandskämpfer vor der Hinrichtung begleitet hatte, würdigt die »Tat in München« als die »erste wirklich öffentliche Tat«.629 Der Text geht auf die Aktionen und Ereignisse selbst jedoch kaum ein, sondern schildert fast über die Hälfte hinweg die letzten Stunden der Geschwister Scholl, wobei ausführlich aus letzten Briefen und insbesondere aus Karl Alts Bericht Todeskandidaten zitiert wird.630 Aus den Flugblättern spreche der Pathos der Jugend, an ihnen werde aber der »wirkliche Sinn« der »Art« der Akademiker und »ihres Auftrags« deutlich, der sich von dem der »gestaltenden Politiker« unterscheide: 627 Ebd., S. 7–8. 628 Ebd. 629 Harald Poelchau: Opfer der Jugend. Dem Gedenken der Geschwister Scholl. In: Die Tat 1 (1949), Nr. 3, S. 3. 630 Siehe Karl Alt: Todeskandidaten. Erlebnisse eines Seelsorgers im Gefängnis MünchenStadelheim mit zahlreichen im Htlerreich zum Tode verurteilten Männern und Frauen. München: Neubau-Verlag 1946, S. 88–89; siehe Kapitel III.3.1 dieser Arbeit.

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Auch die Geschwister Scholl waren nicht Politiker im landläufigen Sinn. Ihre Flugblätter sind Merkmale der großen Idee der Menschheit. Wir werden uns immer wieder daran aufzurichten und zu erwärmen haben wie an dem reinen Ernst Friedrich Schillers.631

Diese traditionsbasierte und -begründende Deutung konfligiert jedoch mit der des nebenstehenden Artikels Ernst Winters, der den Scholls eine eindeutige politische Position zuschreibt und aus dem Widerstand einen politischen Auftrag ableitet: Das höchste persönliche Opfer der Widerstandskämpfer, gegen Krieg und Faschismus ist die gesunde Grundlage unserer heutigen antifaschistisch-demokratischen Aufbauarbeit. Hans und Sophie Scholl und ihre Freunde sind […] Gewährsleute für den friedlichen Wiederaufstieg unseres Volkes. Sie sind Kämpfer und Lehrer zugleich. Ihr Widerstandswille wuchs aus ihrer in ernster Arbeit erworbenen Erkenntnis von der Zuhälterrolle des Nationalsozialismus in der imperialistischen Periode des kapitalistischen Systems.632

Ihr Leitbild spiegele sich auch in der demokratischen Schulreform wider. Veränderungen des Gedenkens im VVN-Kontext zeigt eine GeschwisterScholl-Broschüre 1950 an. Bereits im Vorwort betont der Schriftsteller Max Zimmering, der zu diesem Zeitpunkt Landesvorsitzender der VVN Sachsen und Mitglied des sächsischen Landtags war, dass die Geschwister Scholl »nicht die einzigen jungen Deutschen [waren], die in ihrem Kampf gegen das Hitlerregimes bemüht waren, die Ehre und die Zukunft der deutschen Jugend zu retten«.633 Sie seien in einer Reihe mit sozialistischen und kommunistischen Widerstandsgruppen der Jugend (betont wird hierbei die Zusammenarbeit von kommunistischen und katholischen Gruppen) und »Namen […] wie Margarete Walter, Heinz Kapelle, Katja [i. e. Käthe, C.E.] Niederkirchner, Arthur Becker, Rudi Arndt und vielen anderen« zu sehen: Sieben Jahre sind seit dem Tod, nein, man darf hier getrost Heldentod sagen, vergangen. Längst hat die deutsche Jugend in unserer friedliebenden Deutschen Demokratischen Republik jenen Weg der Freiheit und der friedlichen Aufbauarbeit beschritten, den die Jungen Widerstandskämpfer, wie sie durch Sophie und Hans Scholl verkörpert [! C.E.] werden, der deutschen Jugend wiesen [! C.E.]. Wenn erst die gesamte deutsche Jugend bereit ist, diesen Weg zu gehen, braucht es uns um die Zukunft des Vaterlandes nicht bang zu sein. Dann werden auch die Opfer nicht vergebens gewesen sein, die junge deutsche Menschen in den grauenhaften Jahren der Hitlerherrschaft für die Freiheit gebracht haben.634 631 Poelchau, Anm. 629. 632 Ernst Winter : Jugend will echte Vorbilder. In: Die Tat 1 (1949), Nr. 3, S. 3. 633 Geschwister-Scholl-Broschüre, Typoskript, 7 Seiten (doppelseitig), [1950]. In: BArchSAPMO, DY 55 (V/278/6/1722), S. 1. 634 Ebd., S. 1.

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Der Gebrauch des Präteritums zeigt an, dass das Vermächtnis der Widerstandskämpfer nun als erfüllt gesehen wird und die emblematische Stellung der Geschwister Scholl ihre Funktion verliert. Dies zeigt sich auch in der Zusammenstellung der Materialien zum Gedenktag 1950. Die Geschwister Scholl kommen nur nachgeordnet mit lediglich zwei Dokumenten vor : Dem Auszug aus dem Flugblatt, »das der letzte Anlaß der Verhaftung […] wurde«, und »Die letzten Stunden der Geschw. Scholl erzählt mit den Worten von Ricarda Huch«.635 Den größten Teil der Broschüre nehmen letzte Briefe kommunistischer Widerstandskämpfer ein (Heinz Kapelle, Käthe Niederkirchner, Bruno Tesch, Horst Heilmann, Peter Habernoll, Rudolf Seiffert).636 Die Beschränkung auf Briefe von kommunistischen Widerstandskämpfern und die veränderte Funktion des Gedenkens wird an der sie ergänzenden Auswahl von Gedichten und Liedern deutlich, die nahe legt, dass es beim Gedenken nicht um »rückwärts gewandte[…] Klage«637 (Walter Dehmel) gehen soll, sondern um eine »Mahnung«638 (Max Zimmering) zur »Gesinnung«639 (Walter Dehmel), wobei die »Kämpfer gegen den Faschismus« das »Fundament«640 (Hasso Grabner) darstellen, um »wohlauf zu neuen Zielen«641 (Ludwig Lessen) zu gelangen. Eine Beschreibung der zentralen Feier zum Tag der jungen Widerstandskämpfer am 22. Februar 1950 in Dresden findet sich in einem Tagebucheintrag Victor Klemperers. Dieser dokumentiert skeptisch und ambivalent, wie das Gedenken an den »Widerstandskampf« in den Hintergrund und der »Friedenskampf« in den Vordergrund tritt, verweist jedoch auch auf anders gestaltete, dezentrale Veranstaltungen: Ungemeinen Eindruck in mehrfacher Hinsicht machte mir, u. weit über die üblichen »Kundgebungen« hinaus packte, die Geschwister Scholl Feier der FDJ im Gewerkschaftshaus am Mittwoch Abend 22. II. Es war die mächtige Parallele zu unserer etwas lahmen studentischen Feier am 15., wo ich in der Aula sprach. 1) die absolute Copie der HJ-Feiern: der Fanfarenmarsch beim Auszug der Fahnen, das Gelöbnis mit dem ständigen Chorrefrain: Das geloben wir! Dabei ging mir aber auf, daß hier nicht die HJ copiert, daß hier nur zurückgenommen wird, was die HJ gestohlen u. vergiftet hat. […] Freilich hat jetzt alles (der Pauker!) ungeheuer militärischen Schneid. Und das geht auf die HJ zurück, u. das führt zu Punkt zwei. 2) Agricola sagte mir neulich zu meiner Scholl-Feier: »Zu sehr Trauerfeier, zuwenig junge Widerstandskämpfer, zuwenig kampfmäßig!« Die Feier am Mittwoch war absolut kriegerisch. Honnegger habe in Ebd., S. S. 2 (Rücks.), S. 3 (Vorders.). Ebd., S. 1 (Rücks.)–3 (Rücks.). Lied Ein neues Leben will errungen sein von Walter Dehmel, Ebd., S. 5 (Vorders.). Gedicht Mahnung von Walter Zimmering, Ebd., S. 4 (Vorder- u. Rücks.). Gedicht Gesinnung von Walter Dehmel, Ebd., S. 4 (Rücks.). Gedicht Kämpfer gegen den Faschismus von Hasso Grabner, Ebd., S. 4 (Rücks.)–5 (Vorders.). 641 Lied Wohlauf zu neuen Zielen mit Worten von Ludwig Lessen, Ebd., S. 6 (Vorders.).

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Berlin verkündet: wir sind Friedenskämpfer […] Im Gelöbnis: »Junge Friedenskämpfer sprecht: Das geloben wir!« – Antwort des Chores »Das geloben wir« – Darin auch als besondere Strophe das Gelöbnis des Hasses gegen den anglo-amerikanischen Imperialismus […]. Sehr eindrucksvoll die Trauerminute. Halbverdunkelung des Saales, einzeln beim Nennen der Namen sich senkende Fahnen, die durchweg als »blaue Sturmfahnen« der FDJ bezeichnet wurden. Überaus starkes Betonen der Verbundenheit mit den Komsomolzen, des eigenen Proletarierwesens u. Kommunismus, durchaus keine Überparteilichkeit. Dies eigentlich im Widerspruch zur Nationalen Front. Mir tat das wohl.642

In dem Artikel von Klaus Lehmann in Die Tat zum Tag der Jungen Widerstandskämpfer am 22. Februar 1950, werden die Geschwister Scholl nicht mehr erwähnt. Lehmann sprach sich zudem im selben Jahr im Namen des VVNGeneralsekretariats gegen die Umbenennung weiterer Straßen auf ihren Namen aus, mit dem Argument, dass sie Widerstand leisteten, »als der Krieg bereits verloren war« und »proletarische Widerstandskämpfer in der ganzen Zeit von 1933 ab bis zu ihrem Tode antifaschistische Arbeit leisteten«.643 Die »sehr grosse Anzahl von Geschwister-Scholl-Straßen« stehe in »keinem Verhältnis zu ihrer Tätigkeit und schon gar nicht zu dem Kampf der proletarischen Widerstandskämpfer«.644 Diese neue Linie, die mit der steigenden Einflussnahme der SED auf die VVN zusammenhängt, wurde aber »in der VVN eindeutig nicht in vollem Maße mitgetragen« und noch 1951 und 1952 fanden in verschiedenen Orten der DDR von der VVN unterstützte Geschwister-Scholl-Feiern statt.645 1951 wurde jedoch der Tag der jungen Widerstandskämpfer durch den Tag der Solidarität mit der Jugend der kolonialen und abhängigen Länder ersetzt, der auch 1952 und 1953 am 22. Februar stattfand.646 Die propagandistische Argumentation in den »Anregungen zur Durchführung dieses Tages« vermischt in der Aktualisierung verschiedene Ebenen: »Die deutsche Jugend wurde vom Faschismus für die Vernichtung der nationalen Existenz fremder Völker erzogen und in einem verbrecherischen Krieg mißbraucht.«647 Jedoch sei auch der Widerstand insbesondere von jungen Menschen getragen worden: »Sie kämpften denselben Kampf, der von den jungen Patrioten in den nationalen Befreiungs-

642 Victor Klemperer : So sitze ich denn zwischen allen Stühlen. Tagebücher 1950–1959. Berlin: Aufbau 1999, S. 14–15. Orthografie und Hervorhebungen im Original. 643 Hansel, Reuter, Anm. 614, S. 372–377. Siehe auch Johanna Sänger : Heldenmut und Heimatliebe. Straßen- und Ehrennamen im offiziellen Gedächtnis der DDR. Berlin: Ch. Links 2006, S. 133–135. 644 Ebd. 645 Ebd. 646 Rundschreiben zum Tag der Solidarität mit der Jugend der kolonialen und abhängigen Länder (1951), Typoskript, 4 Seiten. In: BArch-SAPMO, DY 55 (V/278/6/1722). 647 Ebd.

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bewegungen, von den Partisanen in allen Ländern gekämpft wurde.«648 Die deutsche Jugend in Westdeutschland solle nun wieder missbraucht werden und als »Fremdenlegion die Völker der kolonialen und abhängigen Länder unterdrücken und […] in kolonialer Abhängigkeit erhalten«.649 Allerdings scheint sich diese Umwidmung nicht einheitlich durchgesetzt zu haben. Dies belegt ein Artikel Walter Bartels zum Tag der jungen Widerstandskämpfer in der Zeitschrift Die neue Schule ohne außereuropäischen Bezug,650 während eine Beilage zur Zeitschrift den Konnex zwischen »Widerstandskämpfer« und »Kolonialjugend« fortsetzt.651

III.2.4 Laienspiele in »kulturpolitischer Mission« Dass den Geschwistern Scholl auch von FDJ-Gruppen in den Westzonen gedacht wurde, belegt eine kurze Meldung im Neuen Deutschland von 1946, die die »Erstaufführung« eines »von der Jugend selbstgeschriebene[n] und von jugendlichen Laienspielern aufgeführte[n] Schauspiel[s] ›Geschwister Scholl ‹« der FDJ-Gruppe in Essen notiert, das von der »mutigen Aktion gegen den verlorenen Krieg und das verbrecherische Hitlersystem« handelt.652 Auch die FDJGruppe Düsseldorf arbeitete 1947 ein solches Laienspiel aus.653 Für den Osten lassen sich in der Presse für die Nachkriegsjahre bis 1949 Laienspiele von FDJ-, Studenten-654 und Betriebsgruppen655 nachweisen, die »Leben und Kampf«656 der Geschwister Scholl zum Inhalt haben, deren Texte jedoch nicht überliefert sind. Besonders in Thüringen gab es eine lebendige Laienspielszene, wie eine kulturpolitische Tagung der FDJ zeigt, die am 12. April 1948 auf der Wartburg in Eisenach stattfand und über welche die Neue Zeit am folgenden Tag auf Seite 1 ausführlich berichtet. Im Rahmen der Endausscheidung des 2. Thüringer Lai648 Ebd. 649 Ebd. 650 Walter Bartel: »…besonders jetzt tu deine Pflicht!«. Zum Tag der jungen Widerstandskämpfer. In: Die neue Schule 6 (1953), Nr. 7, S. 7–8. 651 Jugend im Kampf für Frieden, Freiheit und Sozialismus. Materialsammlung zum Tag der jungen Widerstandskämpfer und der Kolonialjugend zusammengestellt von der Zentralstelle für Jugendliteratur und dem Generalsekretariat der VVN. Berlin (Ost): Ministerium für Volksbildung, H. Unterricht und Erziehung 1953. 652 O. A.: Kulturnotizen. In: Neues Deutschland, 27. 04. 1946, S. 3. 653 Peter Baumöller: Laienspiel in 5 Akten. FDJ Düsseldorf, Laienspielschar »Geschwister Scholl«, [1947]. In: IfZ, ED 474 (414). 654 Bspw. die 1949 die Erwähnung eines Laienspiels von Jenaer Studierenden über ihre »berühmten Kommilitonen« (Jan Koplowitz: Der Kultur auf der Spur. Reisebriefe aus Thüringen. In: Neues Deutschland, 04. 12. 1949, S. 3). 655 O. A.: Freilichtbühne im Werk. In: Neues Deutschland, 21. 06. 1949, S. 1. 656 Ebd.

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enspielwettbewerbs kam es zu einer Debatte über künstlerische und politische Ansprüche des Laienspiels. Diesem wird ein hohes Potenzial für die Kulturarbeit in den Dörfern bescheinigt, das aber weder durch »›Lachschlager‹ von Anno Tobak« noch durch das Greifen nach »unerreichbaren Lorbeeren« klassischen Bühnentheaters eingelöst werden könne, sondern eher durch »Versuche echten Laienspiels […] und aus der Gruppe entstandenen Stücken zum Problem der Zeit […], die sich um politische Wirkung bemühen«.657 Im »Zeitstück« liege die »vordringliche Aufgabe«, als Beispiel werden zwei Stücke »um die Geschwister Scholl« von Gruppen aus Erfurt und Altenburg angeführt: Die Zeitnähe endet im allgemeinen beim Kampf der Illegalen. Das so heftig umstrittene Spiel der Altenburger griff in die unmittelbare Gegenwart. Problem: Verwahrlosung der Jugend, Schiebertum, Vergnügungssucht, Verbrechen und die entgegenwirkende Erziehungsarbeit der FDJ. Das alles in so krasser Darstellung, daß sie schon den Protest heraufzubeschwören schien.658

Wie für die »Schaubühne der Gegenwart« und den »Gegenwartsfilm« zeige sich: »[D]ie Kritik des Zuschauers ist am höchsten alarmiert, wenn er sich am Abend der Darstellung seiner Erlebnisse am gleichen Tage gegenübersieht.«659 Im Gegensatz zum Film und zum Theater brauche sich das Laienspiel jedoch nicht rein künstlerischen Maßstäben zu stellen, denn es soll nichts »›gestaltet‹«, sondern »etwas vorgeführt« werden: »die Zeit und ihr Mißstand […] werden bloßgestellt aus dem eindeutigen ehrlichen Willen Wege zur Besserung aufzuzeigen«.660 Laienspiele sollten in den Dörfern kein »Surrogat« für Hoch- oder Unterhaltungskultur sein. Lebensnähe und erzieherischer Anspruch werden zur Voraussetzung erklärt, damit das Laienspiel zum »große[n] kulturelle[n] Faktor« wird, »der es nach dem Wunsch der FDJ sein soll«.661 Die Bedeutung des Laienspiels auch abseits des engeren FDJ-Kontexts belegt die Textbuchreihe Mitteldeutsche Laienspiele für Bühnen und Laienspieler,662 die von 1946 bis 1949 im Mitteldeutschen Verlag herausgegeben wurde. Entgegen dem erklärten Wunsch der FDJ, »aus dem gemeinsamen Erlebnis, dem gleichgerichteten Fühlen und Wollen der Gruppe« im Stehgreif Stoffe zu entwickeln,663 657 658 659 660 661 662

H.B.: Laienspiel – Ersatzkultur? In: Neue Zeit, 13. 04. 1948. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Während professionelle Bühnen laut den »Bestimmungen über das Aufführungsrecht« Lizenzen gesondert erwerben mussten, berechtigte der Erwerb von 11 Textbüchern »Vereine, Gesellschaften, Jugendverbände oder Laienspielgruppen« zur »einmaligen, nicht gewerbsmäßigen Aufführung«. (Harry Mohr : Gruppe »Weiße Rose«. Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 1948, Innenumschlag). 663 H.B., Anm. 657.

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werden hier von professionellen Autoren verfasste Laienspiele publiziert. In der Reihe erschienen vor allem Adaptionen von älteren Stoffen – Harry Mohrs 1948 publiziertes »Laienspiel zum Gedächtnis der Geschwister Scholl« mit dem Titel Gruppe ›Weiße Rose‹ bildet eine der wenigen Ausnahmen.664 Die Geschwister Scholl scheinen insgesamt in der Laienspielszene den verbreitetsten aktuellen Stoff darzustellen. Dem Stück sind Bemerkungen zum Laienspiel vorangestellt, die diesem – mit ähnlichen Argumenten wie die FDJ – eine »kulturpolitische Mission« zuschreiben.665 Die auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Spielformen und Volkskunstbewegungen »vor 1933« zurückgeführte »verpflichte[ende]« »Tradition des Laienspiels« wird darin abgegrenzt von »Wiederbelebungsversuch[en] des spießbürgerlichen Vereinstheaters«.666 Das Laienspiel unterscheide »sich von dem üblichen Volkskunststück, wie sich ein echtes Volkslied von einem seichten, volkstümlichen Schlager unterscheidet«.667 Harry Mohrs Stück besteht aus drei Akten, die durch Lieder, Gedichte und einen Dialog zwischen zwei Brüdern in der Gegenwart gerahmt sind. Einleitend singt ein Chor bei noch »unverdunkeltem Saal« das Lied »Wir kämpfen für den freien Morgen« aus den Liedern der Freien Jugend, sodann sagen zwei »unsichtbar[e]« Sprecher Das Lied der Illegalen von Günther Weisenborn auf und weisen auf den sechsten Jahrestag am 22. Februar 1949 hin. Dies zeigt, dass das Stück wohl in Hinblick auf diesen Anlass hin publiziert wurde. An die Rezitationen schließt sich der Dialog zwischen den Brüdern an: 1. Sprecher : »Nun kommst du also bald auf die Universität nach Halle, kleiner Bruder… damit beginnt für dich eine interessante Zeit!« 2. Sprecher : »Wie du sprichst: ›Kleiner Bruder!‹ Ich bin achtzehn! Du bist nur sechs Jahre älter als ich!« 1. Sprecher : »Ja… Ich war so alt wie du jetzt bist, als ich in München studierte… als das Entsetzliche damals geschah…« 2. Sprecher : »Was denn Entsetzliches?« 1. Sprecher : »Hast du nie von den Geschwistern Hans und Sophie Scholl gehört…?« 2. Sprecher : »Doch… ja… das waren doch ›Illegale‹, nicht wahr?«

664 Weitere nachweisbare Laienspieltitel der Reihe: Kurt Wassermann: Das Gaukelspiel von Macht und Tod (1947); Lieselotte Leutiger: Des Kaisers neue Kleider (1947); Bertram Otto: Der Falschspieler (1948); Ders.: Die Hexe von Brassenhain (1948); Werner Bnony : Die Eulen von Braunschweig (1948); Ders.: Der Stadtschreiber von Bamberg (1948); Ders.: Strunk Reichsgraf von Strunkenbach (1948); Gertraude Röhricht: Kleider machen Leute (1948); Hans Runde: Das Gerücht (1949); Martin Selber : Das Werk (1949); Kurt Wassermann: Der Prozess um des Esels Schatten (1949). Lediglich die Stücke von Runde und Selber haben zeitgenössische Stoffe zum Inhalt. 665 Mohr, Anm. 662, S. 1. 666 Ebd. 667 Ebd.

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1. Sprecher : »Mehr weißt du nicht über diese beiden Märtyrer aus Studentenkreisen, die am 22. Februar 1943 hingerichtet wurden, als das Leben so vor ihnen lag, wie jetzt vor dir…« 2. Sprecher : »Aber so erzähl doch schon… was für Menschen waren diese Geschwister Scholl?«668

Im weiteren Dialog berichtet der ältere Bruder unter Nachfragen des Jüngeren von den »junge[n], tapfere[n] Freiheitskämpfer[n], die schon im Anfang 1942 eingesehen hatten, daß Hitler Deutschland in den Abgrund führt« und Flugblätter verteilten, die sich »in allen Teilen Deutschlands aus[wirkten]« und die »[o]ft auch aus Flugzeugen« »in die dunkelsten Kasematten der Konzentrationslager, auf die Kriegsschauplätze von Ost und West, in die Rüstungsbetriebe, in die Fronturlauberzüge und auf die Bahnhöfe [flatterten]«.669 Berichtet wird von den »Inschriften« an Häuserwänden und der Flugblattaktion in der Universität, die auf den 19. Februar datiert wird, dem »Abschluß der Tragödie von Stalingrad«.670 Hans und Sophie Scholl sowie der Student Christian [sic] Probst und der Maler Axel Schmorel [sic]« seien dabei vom »Universitätspedell Schmied [sic]« beobachtet und dann von der Gestapo verhaftet worden.671 Trotz Folter – auch hier ist von dem gebrochenen Bein Sophie Scholls die Rede – »verriet [keiner der Angeklagten] die Namen anderer Angehöriger des Kreises«.672 »[D]rei Stunden nach der Verhaftung« seien sie zum Tode verurteilt worden.673 Die hier bereits umrissene Geschichte der »Gruppe ›Weiße Rose‹« wird vom älteren Bruder durch Augenzeugenschaft authentifiziert und durch die Erzählung vergegenwärtigt: 1. Sprecher : »Siehst du, kleiner Bruder. Diese Tage – vom 16. bis zum 19. Februar wollte ich dir nahe bringen… denn damals vor sechs Jahren – warst du noch zu jung, um zu verstehen, was der Münchener Studentenaufstand von 1943 bedeutete!« 2. Sprecher : »…Ja…Aber jetzt sehe ich alles vor mir…so deutlich, als sei ich selbst dabei gewesen!«674

Die Erfahrungsdifferenz zwischen den Brüdern wird durch das Erzählen der Geschichte aufgehoben, ihre Weitergabe fungiert als eine Art Initiation des

668 669 670 671 672 673 674

Ebd., S. 6–7. Ebd., S. 7–8. Ebd., S. 8. Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. Ebd., S. 9. Ebd., S. 10.

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Jüngeren, der mit Beginn des Studiums in ein neues Leben startet und die nachrückende Studentengeneration repräsentiert. Diese Konstellation zeigt auch Parallelen zu jener zwischen den Figuren und dem Publikum des Stücks. Schauplatz des ersten Bildes ist das Studierzimmer des Professors, die Handlung ist auf den 16. Februar datiert. Huber wird von der Gestapo aufgesucht und befragt, ob er »in der vergangenen Nacht auffällige Beobachtungen« gemacht habe, da an seinem und dem gegenüberliegenden Haus Inschriften »Nieder mit Hitler! Es lebe die Freiheit« angebracht wurden.675 Huber fragt sich, wo er nun die Flugblätter sicher aufbewahren kann und rezitiert die ersten beiden Absätze des ersten Flugblatts der Weißen Rose.676 Er erhält dann Besuch von Hans und Sophie Scholl und Axel Schmorel, die er als Freunde begrüßt. Sie tauschen sich über die Mauerinschriften aus; Huber äußert sich zufrieden über die Aktion: »Die ›Weiße Rose‹ ist auf der Höhe, das muß man schon sagen. (lächelt) Mordskerle seid ihr!«.677 Nach dem Besuch der Gestapo bei ihm gebietet er »doppelte Vorsicht«, plädiert jedoch dafür »unsere illegale Arbeit zu verdoppeln«, um angesichts »des Untergang[s] der VI. Armee« nun »alles [zu] versuchen, um unser deutsches Land, unser Volk, unsere Jugend vor der völligen Vernichtung zu retten.«678 Während der Besprechung teilt die Haushälterin mit, Universitätspedell Schmied habe das Haus betreten. Huber fingiert eine Privatvorlesung. Während Schmied an der Tür lauscht, liest er aus Immanuel Kants Was ist Aufklärung?. Er unterbricht die Lesung aus dem Werk an entscheidender Stelle und beantwortet ruhig eine praktische Frage des Pedells. Nach dessen Abtreten fragt Sophie Scholl zum Abschied nach dem Schluss des Aufsatzes Kants, den Huber den Pedell nicht hören lassen wollte. Kant sagt abschließend: »Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit […], nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlich Gebrauch zu machen.« Hans Scholl: Immanuel Kants Worte sollte sich jeder Deutsche zu Herzen nehmen.679 Huber :

Mit diesen Worten verabschieden sich der Professor und die Studenten. Der zweite Akt setzt nach Rezitation des Hartleben-Gedichts Es lebt noch eine Flamme ein. Die Handlung spielt am 19. Februar in einem Gang der Universität. Mehrere Studenten tauschen sich erregt über die »Stalingrad-Tragödie« aus und werden vom Studentenführer befragt, warum sie noch nicht in den Hörsälen

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Ebd., S. 12. Ebd. Ebd., 18–19. Ebd., S. 19–20. Ebd., S. 23.

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sind.680 Ein Student äußert seine Erschütterung »über den Untergang der Männer von Stalingrad« und erhält zur Antwort »Wo gehobelt wird, fallen Späne!«.681 Professor Huber grüßt im Vorbeigehen mit ›Grüß Gott!‹ und wird vom Studentenführer zum Hitlergruß ermahnt. Dieser sagt zu sich: »Der Huber scheint mir ein versteckter Kommunist zu sein. Mich wundert’s überhaupt, daß er noch in den Hörsälen geduldet wird.«682 Schmied tritt hinzu und sagt ihm, es stinke »nach Meuterei« unter den Studenten, geht dann in den Hörsaal, um die Vorlesung von Huber zu belauschen.683 Nach Abtritt der beiden treten zwei Studenten auf, von denen einer ein Flugblatt in seiner Tasche entdeckt hat: »Komm, das Blatt müssen wir lesen. Jetzt sind wir hier ungestört.«684 Sie lesen abwechselnd, »eifrig Umschau« haltend den gesamten Text des letzten Flugblatts685 und beenden die Lektüre mit dem Läuten zur Pause, woraufhin einer der beiden sagt: »Ein Hoch dem Verfasser«, bevor einige Studenten, darunter Hans und Sophie Scholl sowie Christian Probst auftreten.686 Schmied bleibt an der Tür stehen und beobachtet die Geschwister Scholl und Probst, wie sie Flugblätter unter den Studenten verteilen und verschwindet, um die Gestapo zu alarmieren. Die Gruppe führt unterdessen ihre Aktion durch: Christ. Probst: Alex müßte seine Blätter nun flattern lassen. […] Hans Scholl: […] Hörst du? Sie flattern schon. Herrlich! Christian, drück’ den Daumen, daß alles glückt.687

Unter den Studenten herrscht Erregung, der Studentenführer »kommt aufgeregt« und fragt die Studenten »wütend«, wo diese »das Wurschtblatt herhaben«; Schmied erscheint mit zwei Gestapobeamten und zeigt die Geschwister Scholl und Probst an.688 Alex Schmorel wird von einem weiteren Gestapobeamten herbeigeführt, der ihn auf der Empore ergriffen hat. Während die vier abgeführt werden, ruft Hans Scholl den Studenten zu: Hans Scholl: Freunde! Kämpft weiter! Laßt euch nicht beirren! Es lebe die Freiheit! Nieder mit Hitler! Es geht um die deutsche Jugend, um die Zukunft Deutschlands!689

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Ebd., S. 26–27. Ebd., S. 27. Ebd. Ebd., S. 28. Ebd. Ebd., S. 28–29. Ebd., S. 30. Ebd., S. 30–31. Ebd., S. 32. Ebd., S. 35.

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Die Universität wird geschlossen, der Studentenführer fordert die Studenten auf, »in der Öffentlichkeit über das hier vorgefallene zu schweigen« und alle Flugblätter in der Verwaltung abzugeben. Huber warnt er mit Hinweis auf seine Bekanntschaft mit den Geschwistern Scholl, sich bei seinen Vorlesungen »nicht so viel auf Leibnitz und Kant zu berufen«.690 Dieser spricht in Gedanken: »Wenn auch die Besten von der Gestapo gefaßt sind, die ›Weiße Rose‹ wird weiter arbeiten! Weiter arbeiten für die Vernichtung Hitlers und seiner Bestien.«691 Der dritte und letzte Akt besteht aus der Gerichtsverhandlung, die zum einen die Perversität der NS-Justiz, zum anderen die hehren Motive und das heroische Verhalten der Angeklagten verdeutlichen soll. Dieser Kontrast schlägt sich auch in den Kostümen nieder : Während die Anklagten »der heutigen Zeit entsprechend« gekleidet sind, trägt das Gerichtspersonal »schwarze Talare«.692 Die Verhandlung findet, wie im Dialog zwischen Richter und Gestapobeamten erläutert wird, »[n]atürlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit« statt; der Verteidiger, der im Gegensatz zum »[m]it dem Flugzeug« angereisten »Volksgerichtshof aus Berlin« noch nicht eingetroffen ist, wird für »[n]icht nötig« befunden.693 Nach der Verlesung der Anklageschrift, die »Zersetzung der Wehrkraft«, Heimtücke und Stiftung eines »Unruheherd[s]«694 zum Inhalt hat, erhalten die Angeklagten Gelegenheit zur Erwiderung: Hans Scholl: […] Vorsitzender :

(sich aufrichtend) Ich habe nicht versucht, einen Unruheherd zu stiften, sondern mein geliebtes Vaterland zu retten.

Was bewog Sie, gegen den Staat Adolf Hitlers hetzerisch zu arbeiten? Hassen Sie unseren Führer? Hans Scholl: Jawohl, ich hasse Hitler. Er hat uns unsere persönliche Freiheit genommen. Er hat… Vorsitzender : (Hans Scholl unterbrechend) Angeklagter, würden Sie Hitler töten, wenn Sie Gelegenheit dazu hätten? Hans u. Sophie Scholl: (gleichzeitig) J a, s o f o r t!695

Sophie Scholl gibt als Motiv an, »die deutsche Jugend aus den Händen Hitlers und seiner Bestien zu befreien«, Alex Schmorel den »sinnlosen Krieg« und Christian Probst »[d]ie Ehre Deutschlands zu retten.«696 Die Angeklagten verweigern, Namen weiterer Angehöriger des Kreises zu nennen, Christian Probst 690 691 692 693 694 695 696

Ebd., S. 35–36. Ebd., S. 36. Ebd., S. 37. Ebd., S. 38–39. Ebd., S. 40. Ebd., S. 40–41. Ebd., S. 42–43.

Andenken und Appell in der frühen Nachkriegszeit

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etwa antwortet, er kenne diese nicht mit Namen, sei aber »gewiß, daß es Tausende sind, die gegen die Verknechtung des deutschen Volkes kämpfen«.697 Sophie Scholl wird daraufhin zu einer Vernehmung aus dem Saal geführt und draußen gefoltert, was durch einen »gellenden Schrei« vernehmbar ist.698 Wimmernd vor Schmerzen und mit gebrochenem Bein verweigert sie, wieder im Gerichtssaal, weiter jede Aussage. Auf die Verkündung des Todesurteils betet sie, bevor der Vorhang fällt: »Vater im Himmel, du bist meine Zuversicht.«699 Vor dem Vorhang rezitiert dann ein Sprechchor das Gedicht Unsterbliche Opfer, ihr sanket dahin, ein Chor singt das FDJ-Lied Jugend, zur Tat, bevor alle Anwesenden, wenn der Saal »hell wird« Wann wir schreiten Seit’ an Seit’ als »gemeinsames Schlußlied« singen.700 Die aus heutiger Perspektive offensichtlichen historischen Fehler wie die falschen Namen, die falsche Datierung und Zusammenlegung von Flugblattaktion und Hinrichtung auf den 19. Februar sind nicht nur einem Mangel an exakteren Quellen geschuldet, denn im Stück werden Absätze des (bis dahin im Osten nicht veröffentlichten) ersten und der gesamte Text des letzten Flugblatts der Weißen Rose korrekt zitiert. Vielmehr lässt sich darin eine bewusste fiktionale Konstruktion sehen, in der die Weiße Rose nach einem stereotyp anmutenden Bild einer konspirativen Illegalengruppe geformt wird und – gerade durch die Fokussierung auf den 19. Februar 1943 und damit auf ›Stalingrad‹ – die Motivation des Widerstands auf die Beendigung des Krieges zurückgeführt wird. Die Gruppe scheint im Stück nicht nur die Mehrheit der Studentenschaft, sondern auch die der Deutschen zu repräsentieren. Auffallend ist einerseits eine nationale Aufladung, andererseits wird – nicht zuletzt durch den Bezug auf Kant – der Begriff ›Freiheit‹ universalisiert, während kommunistische Bezüge völlig fehlen. Durch die nahegelegte Verschonung des Professors findet eine Verdichtung auf ein ›Opfer der Jugend‹ statt. Rahmung und Konstruktion lassen sich als inhaltliche und emotionale Strategien werten, der im Prolog adressierten Jugend die Identifikation mit den ›Illegalen‹ insgesamt zu erleichtern und sich auf ihr ›Opfer‹ zu verpflichten.

697 698 699 700

Ebd., S. 43. Ebd., S. 45. Ebd., S. 47. Ebd., S. 47–48.

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Die Weiße Rose und das ›Andere Deutschland‹

III.3 Lebenswege und Zeugnisse im Angesicht des Todes III.3.1 Zeugnisse der letzten Tage und Stunden: Else Gebel und Karl Alt 1946 erschienen Berichte von Else Gebel und Karl Alt, die Zeugnis von den letzten Tagen und Stunden der hingerichteten Protagonisten der Weißen Rose gaben und nachhaltigen Einfluss auf andere Darstellungen ausübten. Gebel als Funktionshäftling des Münchener Gestapogefängnisses im Wittelsbacher Palais und Alt als Seelsorger in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim konnten durch ihre Position eine unmittelbare Augenzeugenschaft der letzten Tage und Stunden Sophie bzw. Hans Scholls beanspruchen. Zugleich befanden sie sich, wenn auch ungewollt, durch ihre Position auch in Kontakt zum NS-Justizapparat und dessen Personal. Diese doppelte und ambivalente Nähe ist strukturierend für Strategien der Zeugenschaft beider Texte. Else Gebel saß im Zuge der Ermittlungen gegen ihren Bruder in Untersuchungshaft ein. Willi Gebel war im kommunistischen Widerstand aktiv und wurde am 24. März 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Else Gebel selbst konnte ein Botendienst zwischen der Gruppe um die kommunistische Organisation von Robert Uhrig in München und einer Münchner Organisation nachgewiesen werden. Sie wurde am 20. Juli 1944 zu einer Zuchthausstrafe verurteilt, auf die ihre Untersuchungshaft angerechnet wurde. Im Münchener Gestapogefängnis wurde Gebel zur Arbeit in der Registratur verpflichtet und half mangels weiblichen Personals dabei aus, Leibesvisitationen durchführen. Nach der Verhaftung Sophie Scholls wurde sie zu dieser in die Zelle verlegt.701 Gebel nahm nach 1945 Kontakt zur Familie Scholl auf und verfasste auf deren Wunsch hin einen Text zum Andenken Sophie Scholls. Dies geht aus einem Satz aus dem Manuskript Gebels hervor, der in allen Veröffentlichungen des Textes gestrichen ist: »Heute, nach fast 3 Jahren, soll ich Deinen Lieben Deine letzten Erdentage schildern. Gerne erfülle ich den Wunsch, denn sie sind mir trotz all dem Schweren, das auch mich traf, noch so lebendig in Erinnerung.«702 Erstmals publiziert wurden Gebels Erinnerungen an Sophie Scholl im Oktober 1948 in den Deutschen Nachrichten in Dänemark. Unter diesem Titel erschien bereits ab August 1943 eine illegale Zeitung im Untergrund lebender deutscher Kommunisten, die sich an deutsche Flüchtlinge in Dänemark richtete 701 Zur Biografie Else Gebels gibt es keine wissenschaftlich fundierten Arbeiten. Ein würdigendes Portrait Ulrich Chaussys beschreibt die »Solidarität einer Widerständigen«. Ulrich Chaussy, Gerd R. Ueberschär : »Es lebe die Freiheit!«. Die Geschichte der Weißen Rose und ihrer Mitglieder in Dokumenten und Berichten. Frankfurt a. M: Fischer 2013, S. 167–172. Der Text wurde erstmals abgedruckt in: Breinersdorfer, Anm. 39, S. 135–140. 702 Else Gebel: Dem Andenken an Sophie Scholl. Typoskript, 9 Seiten, November 1946. In: IfZ, ED 474 (262), S. 1.

Lebenswege und Zeugnisse im Angesicht des Todes

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und sich als Teil der Bewegung Freies Deutschland bezeichnete. Im Juli 1945 wurde die Redaktion durch sozialdemokratische Emigranten ergänzt und das Blatt zu einer »offizielle[n] Flüchtlingszeitung« umgestaltet, die wöchentlich mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren erschien und in dänischen Flüchtlingsund Kriegsgefangenenlagern verteilt wurde.703 Die Zeitung sollte demokratischer Bewusstseinsbildung dienen; die Arbeit der Redaktion war dabei von Konflikten zwischen kommunistischen und sozialdemokratischen Emigranten geprägt.704 Gebels Bericht kam durch Vermitttlung Inge Scholls zu den Deutschen Nachrichten, nachdem diese im Oktober 1948 im Lager Krudtaarnsvej »[z]um ersten Mal vor einem grösseren Kreis um Wirken und Sterben ihrer beiden Geschwister Hans und Sophie Scholl und deren Freunde« gesprochen hatte.705 Gebels durch die Widmung Dem Andenken an Sophie Scholl überschriebener Text ist in derselben Ausgabe wie der Bericht über die Veranstaltung mit Inge Scholl unter einem kurzen Redaktionstext und dem Volltext des letzten Flugblatts abgedruckt. Der im Präsens gehaltene Text ist an Sophie Scholl adressiert und beginnt mit der Schilderung der Schreib- und Erinnerungsszene: Vor mir liegt Dein Bild, Sophie, ernst, fragend zusammen mit Deinem Bruder und Christoph Probst aufgenommen. Als ob Du ahnen würdest, welch schweres Schicksal Du erfüllen musst und das Euch drei im Tode vereint.706

Die Betrachtung des Fotos löst Erinnerungen der Erzählerin aus, die mit der Zeitangabe »Februar 1943« einsetzen. Gebel beschreibt zunächst ihre eigene Situation und ihre Tätigkeit als politisch Gefangene in der Gefängnisverwaltung der Gestapo-Leitstelle München, wo sie eine »immer größer werdende Kartei« verwaltet.707 Sie schildert eine »fieberhafte Aufregung unter den Gestapobeamten« aufgrund einer »Sonder-Such-Aktion« nach Flugblattfunden an der Universität, rhetorische Fragen inszenieren eigene Gedanken zur Vergegenwärtigung der Situation: »Was für mutige Kämpfer für die Freiheit werden sie zu Fall bringen?«708 Hiermit kennzeichnet Gebel die eigene oppositionelle Haltung, schreibt sich aber zugleich in ein unspezifisches Kollektiv der Gefängnisverwaltung ein: »Wir, die die Methoden dieser Brutalen, gnadenlosen Menschen kennen, bangen voll Sorge für die, welche es wiederum ereilt.«709 703 Hans-Georg Mix: Deutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945–1946. Stuttgart: Steiner 2005, S. 191–196. 704 Ebd. 705 O. A.: Die Lager sprechen. Das andere Deutschland. Inge Scholl im Lager Kurdttaarnsvej. In: Deutsche Nachrichten, 18. 10. 1948, S. 6. 706 Else Gebel: Dem Andenken an Sophie Scholl. In: Deutsche Nachrichten, 18. 10. 1948, S. 4. 707 Ebd. 708 Ebd. 709 Ebd.

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Die Weiße Rose und das ›Andere Deutschland‹

Gebel gibt in indirekter und direkter Rede Dialoge zwischen ihr und Sophie Scholl während der Leibesvisitation sowie der gemeinsamen Zeit in der Zelle zwischen den Verhören wieder. Sie schildert eigene Handlungen der Hilfe und Solidarität, so das Angebot bei der Leibesvisite ein etwaiges Flugblatt zu vernichten oder Ratschläge, nichts »einzugestehen, wovon sie keine Beweise hätten«.710 Die Schilderung der drei Tage der Verhöre ist durch einen räumlichen Kontrast von »oben« (Dienst- und Verhörzimmer) und »unten« (Zellen) gekennzeichnet: »Was werden die oben indessen an Belastendem entdeckt haben?«.711 Weisungen von ›oben‹ werden ›unten‹ unterlaufen: »Hier unten denkt aber niemand daran, Euch das Essen zu entziehen, und so seid Ihr beide doch etwas gestärkt für das kommende Verhör.«712 Während Sophie Scholl verhört wird, schildert Gebel das eigene Warten und Bangen: »Schlaflos liege ich da und starre mit Angst im Herzen in die sternklare Nacht hinaus. Ich versuche zu beten für Dich, um ruhiger zu werden«.713 In der gemeinsamen Zeit in der Zelle kann sie »doch allerhand« von Sophie erfahren und so Details von den Aktionen und aus den Verhören bezeugen: Du hast lange versucht zu leugnen. Aber man hatte ja bei Hans in der Uni ein aufgesetztes Flugblatt gefunden […] und es stimmte die Handschrift mit der eines Freundes überein. – Da wusstest Du, dass für Euch zwei nichts mehr zu retten war und von diesem Moment an war Deine Losung nunmehr, »Alle Schuld auf uns zu nehmen, dass kein neuer Freund in Gefahr kommt.«714

Betont wird die Ruhe Sophie Scholls bei den Vernehmungen, die diese sogar »anregend, interessant« finde; ihr Vernehmer Robert Mohr715 wird als einer »der wenigen sympathischen Sachbearbeiter« beschrieben und habe Sophie eine Chance bieten wollen: 710 Ebd. 711 Ebd. 712 Ebd.: Berichtet wird auch von einem gemeinsamen Kaffeetrinken mit anderen »zur Arbeit eingesetzten Häftlingen«: »Wir haben in unserer Zelle auf einmal die seltensten Reichtümer : Zigaretten, Keks, Wurst und Butter. Wir können auch Deinem Bruder, um den Du Dich sehr bangst, davon hinaufschicken. Auch Willi Graf wird eine Zigarette mit der Aufschrift ›Freiheit‹ geschickt«. 713 Ebd. 714 Ebd. 715 Robert Mohr verfasste ebenfalls auf Anfrage von Robert Scholl, der ihm die Berichte von Alt und Gebel als Vorlage schickte, einen Erinnerungsbericht. Mohr unterstützte zwar die Sichtweise der Familie Scholl, Hans und Sophie Scholl hätten nach ihrem Geständnis alles getan, um alle Verantwortung für die Aktionen auf sich zu nehmen, um ihre Mitstreiter zu retten, sein Bericht liest sich aber auch als Versuch einer Rechtfertigung. Mohr bezweifelt in seiner Niederschrift die Objektivität der Darstellung Gebels. Mohrs Bericht wurde 1983 in den Dokumentenanhang von Inge Scholls Buch übernommen und diente auch der Darstellung der Verhöre in Marc Rothemunds Film Sophie Scholl – die letzten Tage zur Grundlage. Zu Mohrs Bericht ausführlich Hikel, Anm. 49, S. 101–104.

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»Frl. Scholl, wenn Sie das alles, was ich Ihnen jetzt erläutert habe, vorher gewusst und bedacht hätten, so hätten Sie sich doch nie zu derartigen Handlungen hinreissen lassen?« Und was ist Deine Antwort, tapferes, wahrheitsliebendes Mädel? »Sie täuschen sich, ich würde alles genau noch einmal so machen, denn nicht ich, sondern Sie haben die falsche Weltanschauung.«716

Die explizit »bewundern[de]« Darstellung Sophie Scholls ist durchgehend von einem Kontrast zwischen zugeschriebenen äußerlichen Merkmalen (»dieses liebe Mädel mit dem offenen Kindergesicht«) und innerer Haltung (»wo sonst starke, kriegsgewohnte Männer zittern, bleibst du ruhig und gefasst«) geprägt.717 Nur die Nachricht von der Einlieferung Christoph Probsts lässt sie fassungslos werden. Sophies selbstlose Haltung wird auf den Glauben zurückgeführt: »Dein unerschütterliche Glaube gibt dir die Kraft, dich für andere zu opfern.«718 Protokollartige Uhrzeitangaben in der zweiten Hälfte des Textes, nachdem Sophie mit der Anklageschrift konfrontiert wird, und in den letzten Absätzen das Zählen der Minuten bis zum Zeitpunkt der Hinrichtung dramatisieren das Verrinnen der Zeit. Sophie erhält als Todgeweihte so eine besondere Aura, die alle Beteiligten in den Bann zieht. So wird geschildert, wie Vernehmer Mohr »Obst, Keks und ein paar Zigaretten mit[bringt]« und sich nach Sophie erkundigt: »Es ist wohl Mitleid, denn er weiss ja am besten, was für schwarze Wolken sich über Euch zusammengezogen haben.«719 Die Erwartung des eigenen Todes nach Lesen der Anklageschrift wird in weiteren Dialogen mit der Erzählerin von Sophie mit Bezug auf Andere relativiert. Sie verlangt vom Pflichtverteidiger, auf dieselbe Strafe wie für ihren Bruder zu bestehen, betont »genauso schuldig wie er« zu sein.720 Die Atmosphäre im Gefängnis kontrastiert mit dem »sonnige[n] Februartag« draußen, wo »Menschen […] froh und heiter an diesen Mauern vorüber[gehen], nicht ahnend, dass hier wieder drei mutige, wahrhaft Deutsche dem Tod überantwortet werden sollen«.721 Dieser Kontrast wird auch bei einer in direkter Rede wiedergegebenen Aussage Sophies aufgegriffen, in der diese ihren bevorstehenden Tod mit dem von Frontsoldaten parallelisiert und eine Deutung der Motive ihres Widerstands gibt: So ein herrlicher, sonniger Tag, und ich muss gehen. – Aber wie viele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wieviel junge, hoffnungsvolle Männer … was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden. – Unter den Studenten gibt es bestimmt eine Revolte.722 716 717 718 719 720 721 722

Gebel, Anm. 706. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Die Weiße Rose und das ›Andere Deutschland‹

Auch die Erzählung und Deutung eines Traums Sophies in der Nacht vor Prozess und Hinrichtung transportiert die Deutung eines Opfers für diese Idee: Ich trug an einem sonnigen Tag ein Kind in langem weißen Kleid zur Taufe. Der Weg zur Kirche führte einen steilen Berg hinauf. Aber fest und sicher trug ich das Kind in meinem Arme. Da plötzlich war vor mir eine Gletscherspalte. Ich hatte gerade noch soviel Zeit, das Kind sicher auf die andere Seite niederzulegen – dann stürzte ich in die Tiefe.723

In Gebels Darstellung deutet Sophie den Traum wie folgt: »Wir durften Wegbereiter [für »unsere Idee«, C.E.] sein, müssen aber vorher sterben, für sie.«724 Die Nachricht der Todesurteile und der bevorstehenden Hinrichtung wird von Mohr »kreidebleich« und »selbst noch erschüttert von dem Erlebten« ins Gefängnis vermittelt: Wie ein Keulenschlag fallen die Worte auf uns alle. Jeder ist wie gelähmt, zu wissen, dass drei reine, unschuldige Menschen sterben müssen, weil sie es wagten aufzustehen gegen eine organisierte Mörderbande, weil sie diesen sinnlosen Krieg beenden helfen wollten. Herausschreien möchte ich es, und muss stumm dasitzen.725

In der gemeinsamen Erwartung der Hinrichtung wird eine besondere Gemeinschaft im Gefängnis erzeugt, die in der gemeinsamen Zeugenschaft der letzten Tage Sophie Scholls die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen lässt bzw. die Gruppe der Täter auf eben jene – der Gemeinschaft nicht zugehörige – »Mörderbande«726 beschränkt. Während Gebel diese letzten Momente nur mittelbar bezeugen kann, gibt der Pfarrer und Theologe Karl Alt, der ab 1934 Gefängnisseelsorger im Stadelheimer Gefängnis war, Zeugnis über die letzten Stunden Hans und Sophie Scholls und Hans Leipelts. Alt ist nicht der einzige Gefängnispfarrer, dessen Erinnerungen in den Nachkriegsjahren publiziert wurden.727 Sein Text Wie sie starben. Die letzten Stunden der Geschwister Scholl728 erschien zuerst in der ersten Ausgabe der im Neubau Verlag Adolf Groß herausgegebenen protestantischen Zeitschrift »für Wort und Geist« Neubau, die »alle Deutschen, alle Christen, alle, die Gott schon gefunden haben, und die Ihn noch suchen« als »Zeugen des größten Zusam723 724 725 726 727

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Bspw. Harald Poelchau: Die letzten Stunden. Erinnerungen eines Gefängnispfarrers. Aufgezeichnet von Graf Alexander Stenbock-Fermor. Berlin (Ost): Volk und Welt 1949; Elisabeth Brinkmann: Der letzte Gang. Ein Priesterleben im Dienste Todgeweihter. Münster/ Westf.: Aschendorff 1950. In letzterem Schilderungen der letzten Stunden Kurt Hubers und Willi Grafs. 728 Karl Alt: Wie sie starben. Die letzten Stunden der Geschwister Scholl. In: Neubau. Blätter für neues Leben aus Wort und Geist 1 (1946), Nr. 1, S. 39–46.

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menbruchs deutscher Geschichte« zu »einem Neubau unseres geistigen Lebens« aufrufen will.729 Der Text wurde unverändert in Karl Alts Buch Todeskandidaten inkorporiert, das noch im gleichen Jahr im selben Verlag erschien.730 Erste Pläne zu einer Veröffentlichung von Alts Zeugnis hatte es bereits im Herbst 1945 gegeben. Im Oktober 1945 bat Hugo Seeger, seines Zeichens Schriftsteller und Verleger in München, Robert Scholl um Portraitfotografien der Geschwister zur Herstellung von Illustrationen für sein geplantes Buch Zuchthaus Nazi-Deutschland. Nachdem er in einer Predigt vom Fall der »beiden unglücklichen Kinder« Robert Scholls gehört habe, wolle er in seinem Buch durch »die Schilderung des Schicksals der Geschwister Scholl als Protestant ein gewisses Gegengewicht« zur Behandlung des »katholische[n] Märtyrertum[s]« schaffen.731 Dazu habe er auf Empfehlung eines anderen Pfarrers Dr. Alt für ein Kapitel gewinnen können. Scholl schrieb daraufhin an Alt, dankte ihm zunächst für dessen »mit so viel Mühe und Liebe ausgearbeitet[es]« Manuskript für eine Rede »zur Gedenkfeier der Studenten«, welches »leider seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr erfüllen konnte«, bat ihn jedoch sodann nachdrücklich, seine Verweigerung gegenüber dem Vorhaben Seegers zu unterstützen: »Ich halte es nicht für würdig, in dem momentanen Schwall von KZ-Lektüre u. dgl. meine Kinder untertauchen zu sehen.«732 Es sei »genügend Stoff für die Oeffentlichkeit« vorhanden, »diese Gestalten und ihre Geschichte richtig und rein zu sehen«.733 Zu gegebener Zeit werde es »vielleicht« eine Schrift aus dem engsten Kreise der Familie geben, »in der dann auch Ihre persönlichen Erlebnisse mit meinen beiden Lieben in ihrer letzten Stunde hineinverflochten werden sollen«.734 Ein »Fremder« könne ihnen jedoch kaum gerecht werden, da »ihr Tun und ihr Tod« von ihrem »Wesen und Leben« nicht zu trennen seien.735 Dieser Hintergrund erklärt auch Alts Begründung seines Entschlusses, seine »Stadelheimer Erlebnisse und Erinnerungen zu veröffentlichen«.736 In der Einleitung zu Todeskandidaten schreibt er, dieser sei auf Drängen »von Persönlichkeiten, die selbst hinter Gefängnismauern gelitten haben« zurückzuführen, obwohl er »Hemmungen« habe überwinden müssen, »viel Persönliches« darzustellen, zumal er »nur den Anschein des Sensationellen« vermeiden wollte, da »Seelenkämpfe und Seelsorge, Todesüberwindung und innere Neugeburt« keine 729 Friso Melzer : Was wir wollen. In: Neubau. Blätter für neues Leben aus Wort und Geist 1 (1946), Nr. 1, S. 1. 730 Alt, Anm. 630. 731 Hugo Seeger : Brief an Robert Scholl, 06. 10. 1945. In: IfZ, ED 474 (6). 732 Robert Scholl: Brief an Karl Alt, 21. 10. 1945. In: IfZ, ED 474 (6). 733 Ebd. 734 Ebd. 735 Ebd. 736 Alt, Anm. 630, S. 5. Hervorhebungen im Original.

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Sensationen vertrügen.737 Über diese Vorgänge und das »Resultat solcher Kämpfe«, die über die »Sphäre des Irdisch-Menschlichen« hinausgingen, könnten sich »nur Augen- und Ohrenzeugen ein richtiges Urteil bilden, am allerbesten die Todeskandidaten selbst«.738 Im ersten Kapitel zu »Ernst Röhms Ende in Stadelheim« beschreibt Alt den Beginn einer »neue[n] Epoche der deutschen Justiz mit all ihrer himmelschreienden Gesetzlosigkeit und Willkür, wie sie die Rechtsgeschichte – nicht nur in Deutschland – noch nie erlebt« habe.739 Er gibt als Intention seines Berichts an, dies »im Folgenden vom Gesichtspunkte eines Seelsorgers unter Heranziehung zahlreicher Originalbelege« zu schildern, um mit seinem Buch »zur Warnung künftiger Geschlechter« beizutragen, damit »forthin das Recht als unantastbar gewahrt und nimmermehr gebeugt werde, denn nur ›Gerechtigkeit erhöhet ein Volk.‹«740 Von seiner Beurteilung des NS-Justizsystems nimmt Alt jedoch den Gefängnisdirektor und das Aufsichtspersonal aus, die sich dem »Nebenregiment« aus Gestapo und SS zu widersetzen versucht hätten.741 In insgesamt zwölf Kapiteln werden anhand von Gedichten, Aufzeichnungen und Briefen von Häftlingen und zum Tode Verurteilten die Wirkungen der Haft und der Seelsorge dargestellt. Die Haft – insbesondere in Erwartung des Todesurteils – wird anhand dieser Dokumente als »Einkehr«, als Erlebnis, das »zu Gott geführt« habe, eine »Begegnung mit Gott«,742 »Wiedererlangung des »Glauben[s] an unseren Herr-Gott«, »Stätte der Wiedergeburt«743 und – im Kapitel über »Zum Tode verurteilte SS-Männer« – als »Läuterung der Seele«744 dargestellt. Diese Deutungen werden an verschiedenen Stellen zum einen universalisiert (»Sub specie aeternitas wird auch das gefürchtetste und furchtbarste Dasein erträglich, ertragreich«745), zum anderen auf den Nationalsozialismus bezogen, insbesondere bei der Schilderung der »völlige[n] Umwandlung« eines zum Tode verurteilten Geldfälschers, der in der Zelle an Weihnachten zu dem Schluss kommt: »Wir müssen es im Angesicht des Todes bekennen: Wir waren nicht treu, und wir haben den größten Fehltritt unseres Lebens begangen, denn wir waren zu lau! – Ja, wir waren so lau, daß ein ganz heimlicher, erbärmlicher und verschlagener unheimlicher Weltenfürst und Satansdämon nur seine falschen Krallen auszustrecken brauchte, um 737 738 739 740 741 742 743 744 745

Ebd. Ebd. Ebd., S. 9. Ebd. Ebd., S. 11–12. Ebd., S. 20–21. Ebd., S. 27–28. Ebd., S. 71. Ebd., S. 22.

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uns arme, betörte und eitle Menschen hinunterzustoßen in die tiefesten Tiefen der Hölle.«746

Hier zeigt sich eine dem Text unterliegende Deutung des Nationalsozialismus als Abkehr von Gott und seine Überwindung durch ein religiöses Erweckungserlebnis und Rückkehr zu Gott. Dem Bericht unterliegt eine Hierarchisierung von Kriminellen und politischen Gefangenen; den Abschluss bildet quasi als Höhepunkt ein Kapitel »Politische Todeskandidaten, darunter die Geschwister Scholl und die Häupter der Müchner Studentenverschwörung«. Nach einem kurzen Abriss zur »Vorgeschichte«, die von der Flugblattaktion am 18. Februar 1943 bis zum Todesurteil des Volksgerichtshofs dargestellt und auf die Erkenntnis der »blutige[n] Niederlage« von Stalingrad als »Fanal« zurückgeführt wird,747 schildert Alt die »eine Stunde«, die den Geschwistern Scholl und Christoph Probst blieb, um »sich zum letzten Gang vorzubereiten«.748 Erwähnt wird die katholische Taufe Christoph Probsts, ausführlich erzählt die seelsorgerische Begegnung mit Hans Scholl, der Alt bat, zwei Bibelausschnitte vorzulesen. Diese werden von Alt in seinem Text jeweils in Auszügen zitiert und mit Deutungen des Nationalsozialismus und des Widerstands Hans Scholls verbunden. Ein Auszug aus dem 90. Psalm wird – so wie im oben dargelegten Deutungsmuster – auf Deutschland und den Nationalsozialismus bezogen: »Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden! Herr, kehre dich doch wieder zu uns und sei deinen Knechten gnädig… Erfreue uns nun wieder, nach du uns so lange plagest, nachdem wir solange Unglück leiden…« Das betete Hans Scholl nicht nur für sich, sondern für sein so lange schon geplagtes und unglückliches deutsches Volk.749

Der Satz »Niemand hat größere Liebe denn die, daß er sein Leben lässet für seine Freunde« aus dem 1. Korintherbrief wird von Alt im seelsorgerischen Dialog mit Hans Scholl auf den Widerstand bezogen: Auch der ihnen bevorstehende Tod sei, so sagte ich, ein Lebenlassen für die Freunde, ein Opfertod fürs Vaterland, durch den viele gewarnt und gerettet werden sollen vor weiterem wahnwitzigen Blutvergießen. Einer aber habe für die ganze Menschheit wie ein Verbrecher den schmählichen Tod am Kreuzesgalgen erlitten, er sei auch für uns gestorben und habe durch seinen Opfertod den Eingang zum ewigen Leben geöffnet, so daß uns »kein Tod töten« könne. […] Die Liebe und Gnade Christi, die verlange und ermögliche es auch, daß wir selbst unsere Feinde lieben und unseren ungerechten Richtern verzeihen können. […] Als wir zu den Worten kamen: »die Liebe ist lang746 747 748 749

Ebd., S. 31–32. Ebd., S. 85. Ebd., S. 86. Ebd., S. 86–88. Hervorhebung im Original.

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mütig und freundlich, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu…« fragte ich ausdrücklich, ob dies wirklich zutreffe und kein Haß noch Bitterkeit auch gegenüber den Verklägern und Richtern sein Herz erfülle. Fest und klar lautete die Antwort: »Nein, nicht soll Böses mit Bösem vergolten werden, und alle Bitterkeit ist ausgelöscht.«750

Nach der »so leichten Herzens« erteilten Absolution feiert Alt mit Hans Scholl das Abendmahl, bei dem sich die »Armensünderzelle […], wie es so oft geschah, zum heiligen Gottestempel« weitete.751 Auffällig ist der mit Bibelzitaten verbundene, mehrfache Aspekt der Versöhnung in der Akzeptanz des Todes und der Absolution, die mit der Vergebung gegenüber den »Feinden« und »Richtern« verbunden wird. Durch die Deutung des Todes als Opfertod im Sinne Joh. 13, 15 und die Zuschreibung einer Verkündigungsgabe im Sinne des Korintherbriefs wird Hans ein Märtyrer- und Prophetenstatus zugeschrieben. Durch die Parallelisierung von christlicher Gemeinde und Vaterland werden die zitierten Bibelstellen, auf die auch im Zitat aus dem letzten Brief Hans Scholls an seine Eltern Bezug genommen wird, zu einer Botschaft an die Gegenwart transformiert, die einen Appell zu Einheit, Besinnung und eine Hoffnung auf Gnade impliziert. Während eine Rezeption von Gebels Text in Deutschland vor Erscheinen von Inge Scholls Buch 1952 nicht nachgewiesen werden kann, wird auf den Text Karl Alts in Ost und West häufig Bezug genommen.752 1994 werden seine Erinnerungen neu aufgelegt und Karl Alt im Titel nun als »Zeitzeuge« bezeichnet.753 Beide Texte gehen in Inge Scholls Buch Die Weiße Rose ein, insbesondere Gebels Zeugnis wird zu einem zentralen Moment in dessen Rezeption.754 Auch wenn sich der Stellenwert von Gebels Bericht in Scholls Buch in den verschiedenen Auflagen verändert, bleibt der Text ein zentrales Element in der Vermittlung der Geschichte der Weißen Rose und wird ab den 1980er-Jahren, nicht zuletzt durch die Filme Percy Adlons und Marc Rothemunds aufgewertet.755 Letzterer inszeniert auch die Szene des seelsorgerischen Besuchs von Karl Alt bei Sophie Scholl auf der Grundlage dessen Berichts.

750 751 752 753

Ebd., S. 88. Hervorhebung im Original. Ebd., S. 88–89. Siehe Kapitel III.2. Werner Reuter (Hrsg.): Überschreiten von Grenzen – Strafgefängnis München-Stadelheim zwischen 1934 und 1945. München: Verlag Ökologie und Pädagogik 1994. 754 Siehe Kapitel IV.1.3. 755 Fünf letzte Tage, Spielfilm, Bayrischer Rundfunk, Buch und Regie: Percy Adlon, Deutschland 1982; Sophie Scholl – die letzten Tage, Spielfilm, Regie: Marc Rothemund, Buch: Fred Breinersdorfer. Deutschland 2005.

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III.3.2 Clara Hubers Kurt Hubers Schicksalsweg Die Fokussierung auf die letzten Stunden und somit den Tod wird durch das Genre des biografischen Portraits um Darstellungen der Lebenswege der Beteiligten erweitert, die zum Teil im Zusammenwirken von Angehörigen und Schriftstellern entstehen. Die verschiedenen frühen Publikationsvorhaben von Angehörigen, von denen lediglich 1947 der von Clara Huber herausgegebene Sammelband Kurt Huber zum Gedächtnis. Bildnis eines Menschen, Denkers und Forschers. Dargestellt von seinen Freunden in Buchform erschien, wertet Hikel als Bemühen der Angehörigen, »Deutungshoheit« zu gewinnen und vor allem als »Antwort«756 auf den Roman Alfred Neumanns, auf den jedoch zumindest im Text Clara Hubers kein Bezug genommen wird. Ihr zufolge gehen der Band und ihr Text auf eine Anregung Georgi Schischkoffs, einem Schüler ihres Mannes, zurück.757 Nicht öffentlich wurde die Rolle Karl Alexander von Müllers, der als systemkonformer Historiker in der NS-Zeit Karriere machte und von 1933 bis 1945 den Lehrstuhl für bayerische Landesgeschichte an der LMU innehatte. Müller begann nach 1945, »als publizistischer Sachwalter des Vermächtnisses von ihm einst verbundenen Opfern des NS-Staates« aufzutreten, auch um seine nach der Zwangsemeritierung 1945 unterbrochene Karriere wiederaufzunehmen.758 Er war mit Kurt Huber befreundet gewesen und hatte nach dessen Hinrichtung die Witwe »persönlich, aber vor allem finanziell unterstützt«, ordnete nach 1945 den Nachlass, beriet Clara Huber bei Verlagsverhandlungen und bearbeitete Manuskripte Hubers, die aus dem Nachlass veröffentlicht werden sollten.759 Auf eine öffentlich wahrnehmbare Mitwirkung an der ersten Publikation Clara Hubers über ihren Mann musste Müller, da noch nicht entnazifiziert, verzichten, jedoch war er an der Erstellung des einleitenden, biographischen Textes beteiligt.760 Der in dem Gedenkband für Kurt Huber enthaltene Text Clara Hubers stellt neben Angelika Probsts Essay über ihren Bruder die erste publizierte biografische Darstellung eines der Protagonisten der Weißen Rose dar. Das Buch, in das Fotos und Faksimiles auf Hochglanzpapier eingebunden sowie von Kurt Huber arrangierte Notenstücke eingelegt sind, erschien aufwändig ausgestattet in einer vergleichsweise hohen Auflage von 5.000 Exem-

756 Hikel, Anm. 49, S. 71. 757 Clara Huber (Hrsg.): »..der Tod war nicht vergebens..«. München: Nymphenburger Verlagshandlung 1986, S. 13. 758 Mathias Berg: Karl Alexander von Müller: Historiker für den Nationalsozialismus. Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht 2014, S. 378. 759 Ebd. 760 Ebd.

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plaren 1947 im katholisch-konservativen Verlag Josef Habbel in Regensburg761, nachdem Münchener Verlage die Publikation, begründet mit »mangelndem Publikumsinteresse […] oder Papierknappheit«, abgelehnt hatten.762 Auf Clara Hubers einleitende Darstellung des »Schicksalsweges« Kurt Hubers folgen Würdigungen seines wissenschaftlichen Werkes durch Freunde, Schüler und Kollegen sowie kürzere künstlerische Fragmente, Notizen und Gedichte sowie ein Verzeichnis der wissenschaftlichen Schriften.763 Die meisten Beiträge des Bandes widmen sich den wissenschaftlichen Verdiensten des Volkslied- und Leibniz-Forschers und folgen dem Muster einer universitären Veröffentlichung. Daher kann von einer Adressierung vor allem akademischer Kreise ausgegangen werden. Die Mischung aus privaten und wissenschaftlichen Perspektiven führt dazu, dass Privatmensch, Wissenschaftler und Widerständler als untrennbare Einheit dargestellt werden. In seinem Vorwort, in Teilen deckungsgleich mit der 1946 gehaltenen und 1947 publizierten Gedenkrede für die Opfer an der Universität München,764 stellt Karl Vossler, Professor für Romanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität, Huber als einen Ausnahmemenschen dar. Seiner »bohrenden Innerlichkeit als Forscher« und seiner »künstlerischen Ursprünglichkeit« sowie des Strebens nach Vollkommenheit wegen seien »viele seiner wissenschaftlichen Arbeiten […] Versuch und Wagnis geblieben«.765 Dies wird auch auf den Widerstand bezogen, der als »aussichtsloser Kampf« bezeichnet wird: Wenn dem deutschen Volk die Schmach der völligen Gottverlassenheit erspart blieb, so gebührt der Dank dafür den Wenigen, die wie Kurt Huber aus freier, eigenster Überzeugung, ohne Rücksicht auf zeitliche Umstände und Vorteile, aufstanden gegen den Zwang der Hitlerpartei. Wir ehren das Andenken dieser Tapferen in Kurt Hubers Person, denn in ihm finden wir, wie die nachfolgenden Blätter zeigen, Schicksal und

761 Hauptgesellschafter des Verlags war Josef Held, Verleger des Tages-Anzeiger, einem »streng katholischen Blatt mit entschiedener Parteinahme für die CSU«. Vor 1945 war das Vorgängerblatt Regensburger Anzeiger Organ der Bayrischen Volkspartei. Siehe Andreas Jobst: Regensburger Anzeiger/Bayerischer Anzeiger, in: Historisches Lexikon Bayerns, Internet: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44792, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Das Verlagsprogramm der Nachkriegsjahre zeichnet eine Mischung aus bürgerlich-konservativer, katholischer und Heimatliteratur aus. 762 Huber, Anm. 757, S. 14. 763 Siehe Clara Huber: Kurt Hubers Schicksalsweg. In: Clara Huber (Hrsg.): Kurt Huber zum Gedächtnis. Bildnis eines Menschen, Denkers und Forschers; dargestellt von seinen Freunden. Regensburg: Habbel 1947, S. 9–43, Inhaltsverzeichnis. 764 Karl Vossler : Gedenkrede für die Opfer an der Universität München. München: Pflaum 1947. Siehe Kapitel V.1.1. 765 Karl Vossler: Vorwort. In: Clara Huber (Hrsg.): Kurt Huber zum Gedächtnis. Bildnis eines Menschen, Denkers und Forschers; dargestellt von seinen Freunden. Regensburg: Habbel 1947, S. 5–6, S. 5.

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Willen, Herz und Geist, Forschung und Glauben so kühn wie bescheiden miteinander verbunden.766

Solche Verbindungen zwischen der Charakterisierung als Person und Forscher und dem Widerstand betont auch Clara Huber in ihrer Beschreibung des »Schicksalsweg[s]« ihres Mannes, der ein autobiografisches Gedicht Hubers als Motto vorangestellt ist, in dem es heißt: »Reinschrift meines Lebens / Ist nur der Tod – und der war nicht vergebens.«767 Exemplarisch geschildert werden zunächst der Tagesablauf und die Lebensumstände Kurt Hubers, der als leidenschaftlicher und hingebungsvoller Hochschullehrer gezeichnet wird. In der Beschreibung der Kindheit, Jugend und seiner Studienjahre wird dargestellt, wie seine vielfältigen wissenschaftlichen, künstlerischen und technischen Begabungen im Elternhaus und durch Freundschaften und Mentoren gefördert wurden. Seine Interessen in Kindheit und Jugend werden dabei stets auf seinen späteren Werdegang bezogen: In der Geschichte galt seine Sympathie vor allem den unterdrückten Völkern. Man möchte heute eine tiefe Bedeutung darin sehen, daß tragische Freiheitshelden, Tell, Jürg Jenatsch, Andreas Hofer, ihn von je besonders anzogen.768

Da die Schilderung seiner Forscher- und Lehrtätigkeit durch seine Schüler und Freunde erfolge, beschränkt sich Clara Huber auf das »Persönliche und Menschliche«.769 Dazu gehört die Schilderung, wie »einfach und sorgenreich das äußere Leben« des jungen Gelehrten gewesen sei, das »nur dem ertragbar« ist, »den ein schrankenloser Idealismus erfüllt«.770 Die Nationalsozialistische Partei habe »zuerst seiner körperlichen Behinderung […] und dann bald auch seiner Gesinnung wegen« die Berufung auf einen ordentlichen Lehrstuhl und durch Intrigen auch die Übertragung der Leitung des »neugeschaffenen Volksliedarchivs in Berlin« an ihn verhindert.771 Trotz stetig wachsender Kritik an den Verhältnissen wird die ›innere Emigration‹ als die vernünftigere Alternative zum Widerstand dargestellt: Dennoch hätten wir trotz manchen Entbehrungen und anstrengender Arbeit weiterhin in unserem Familienkreis friedevoll […] leben können […]. Aber das Entscheidende war für ihn der immer schmählichere Zwang, der sich auf das ganze geistige Leben Deutschlands legte, die Verlogenheit und Schamlosigkeit, mit der jede Ehrfurcht vor der wahren deutschen Kultur systematisch unterwühlt wurde, die Zerstörung jedes Rechtslebens, jeder Freiheit als Forscher, Lehrer und Mensch. […] Immer öfter sprach 766 767 768 769 770 771

Ebd., S. 6. Huber, Anm. 763, S. 9. Ebd., S. 12. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Ebd., S. 14–15.

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er davon, daß etwas geschehen müsse, ob es denn gar keine Männer mehr in Deutschland gebe, daß er nicht länger verantworten könne, als Lehrer vor seine Schüler zu treten, ohne ein Zeugnis der Verantwortung und Mannhaftigkeit abzulegen. Aber er wußte nur zu gut, daß es unter dem System der Gestapo und der ständigen Überwachung jedes Einzelnen keine Möglichkeit der Auflehnung gegen das herrschende Regime gab als auf die Gefahr hin, sich freiwillig, vielleicht völlig ohne Wirkung nach außen, dem Tode zu stellen.772

Im Sommer 1942 sind Clara Huber zufolge erste Begegnungen mit dem Kreis um Hans Scholl und Alexander Schmorell zustande gekommen, bei denen offen über die »Knebelung der Universität« durch Partei und Studentenführung, »Rechtsverletzungen, Massenmorde, […] Schiebungen in der Etappe, d[ie] allgemeine Beschneidung aller geistigen und vor allem auch religiösen Freiheit« sowie über den »ideelle[n] Kampf um eine innere Erneuerung und bewußte Selbsterziehung« diskutiert worden sei.773 Huber habe von den Aktionen der Studenten jedoch erst Ende 1942 erfahren. Mit der sich abzeichnenden Niederlage bei Stalingrad und aufgewühlt durch die Ereignisse an der Universität (vor allem die Proteste gegen die Rede des Gauleiters Giesler) habe er es dann »für seine Pflicht« gehalten, »jetzt der Jugend, die ihm vertraute, ein Beispiel zu geben«.774 In Clara Hubers Darstellung wird damit das letzte Flugblatt als Fanal interpretiert: Es mußte möglich sein, dem sinnlosen Hinschlachten immer neuer Hekatomben blühender deutscher Jugend ein Ende zu machen. Er war viel zu klar, um zu glauben, daß man mit einigen unbewaffneten Studenten dem ungeheuren Machtapparat des Nationalsozialismus entgegentreten könnte. Aber es mußte möglich sein, noch in letzter Stunde, bevor es zu spät wäre, das deutsche Volk und das deutsche Volksheer zu einer Befreiungstat aufzureißen.775

Das Flugblatt wird vollständig zitiert, den Abdruck des zugrundeliegenden und von Hans Scholl und Alexander Schmorell abgeänderten Entwurfs Kurt Hubers verboten die amerikanischen Besatzungsbehörden laut Clara Huber »wegen unzulässiger Verherrlichung der deutschen Wehrmacht«.776 Den größten Teil der Darstellung nimmt die Zeit nach Hubers Verhaftung ein. Clara Huber erzählt dabei auch eindrucksvoll von der Sippenhaft, in die sie und Hubers Schwestern genommen wurden sowie von Willkür, Repressalien und Schikanen der Gestapo vor und auch nach der Hinrichtung ihres Mannes. Der Schwerpunkt wird aber auf die Schilderung der unbeugsamen Haltung Hubers 772 773 774 775 776

Ebd., S. 15–16. Ebd., S. 16–17. Ebd., S. 17. Ebd. Huber, Anm. 757, S. 15.

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während des Prozesses und der Haft gelegt, die auch durch die Fortführung seiner wissenschaftlichen Arbeit im Gefängnis belegt wird. In diesem Zusammenhang stehen die ausführlichen Zitate aus den Notizen Hubers zu seiner Verteidigungsrede. Darin betont er, dass er eine »Weckung der studentischen Kreise, nicht durch eine Organisation, sondern das schlichte Wort« bezweckt habe.777 Die »grundlegende Forderung wahrer Volksgemeinschaft« sei »durch die Untergrabung des Vertrauens von Mensch zu Mensch zunichte gemacht«.778 Ein Staat, der »jegliche freie Meinungsäußerung unterbinde und unter die furchtbarsten Strafen« stelle, breche ein »ungeschriebenes Recht, das im gesunden Volksempfinden noch immer lebendig« sei.779 Die Tat seiner jüngeren Mitstreiter solle vom Gericht von ihrer »uneigennützigsten und idealsten« Gesinnung aus beurteilt werden.780 Der Schluss der Rede enthält eine Begründung des eigenen Handelns: Ich habe gehandelt, wie ich aus einer inneren Stimme heraus handeln mußte. Ich nehme die Folgen auf mich nach dem schönen Wort Johann Gottlieb Fichtes: Und handeln sollst Du so, als hinge / Von dir und deinem Tun allein / Das Schicksal ab der deutschen Dinge / Und die Verantwortung wär Dein.781

Insbesondere dieser Absatz des Textes, der Fichtes nationalisierte Version des kategorischen Imperativs in den Kontext des Widerstands stellt, wird in Presseartikeln und anderen Publikationen häufig zitiert. Die Verbindung von Nation, Widerstand und Gedenken wird auch in weiteren zitierten Briefen und Gedichten Hubers an seine Familie deutlich. In dem vollständig abgedruckten letzten Brief Hubers wünscht sich dieser von seiner Frau und seinen Kindern, sie sollen stolz sein auf ihren »Anteil […] am Kampf um ein neues Deutschland«.782 Sie seien »Helden wie die Frauen und Kinder, die den Vater an der Front verloren«.783 Und im Postscriptum heißt es: »Einen letzten tapferen Schluck des edlen Portweins trinke ich auf Euer Wohl und auf das unseres geliebten Vaterlandes!«784 Als letztes Dokument wird der Brief des katholischen Gefängnispfarrers Ferdinand Brinkmann zitiert, der sich »glücklich« schätzt, Huber »auf dem letzten Abschnitt seines erfolg- und arbeitsreichen Lebens so nahegekommen zu sein«.785 Die Hinrichtung Hubers bezeichnet er als »geistiges« Stalingrad, Huber 777 778 779 780 781 782 783 784 785

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 23–25. Huber, Anm. 763, S. 36. Ebd. Ebd., S. 37. Ebd., S. 41.

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als »Mann des Geistes und des Heiligen Geistes«.786 Huber, der von Brinkmann als »Christopheros« bezeichnet wird, sei »ein Christ« gewesen, und es sei »kein Zufall«, dass »sich nur überzeugte Christen um ihn sammelten«.787 Er schließt seinen Brief mit dem Satz: »Kostbar in den Augen Gottes ist das Sterben seiner Gerechten.«788 Christlicher Glaube wird somit tendenziell – wie auch in der Gedenkrede Vosslers – zur Voraussetzung für den Widerstand, der Tod zum Märtyrertod erklärt. Insgesamt wird Kurt Hubers Leben und Sterben als Opfer für die Wissenschaft, die Freiheit und das Vaterland gedeutet. Die Adressatengruppe kann sich mit ihm als ›Vertreter des Geistes‹ einerseits identifizieren, zugleich kann sie sein ›Schicksal‹ als Bestätigung werten, passiv geblieben zu sein. In einer kurzen Besprechung im Ruf, in der das Buch als ein »Denkmal« für den vom »Volksgerichtshof hingemordeten Universitätsprofessor« bezeichnet wird, zeigt sich, dass die Verbindung von individuellem Opfer und Nation stark rezipiert wurde: Es ist die große Tat eines reinen Herzens. Sie geschah mit dem tragischen Bewußtsein, außer einem noch unvollendeten Werk auch die geliebte schutzlose Familie zu opfern. – Und es war umsonst. Wo aber sind heute deutsche Männer seiner Art? 789

In diesem Buch habe das Flugblatt »seinen legitimen Platz, das in Verbindung mit dem Namen der Geschwister Scholl als das edelste Dokument des deutschen Widerstandes gegen Hitler bekannt geworden« sei.790 Auch im Kontext des Kulturbunds wird das »Gedenkbuch« von Max Unger zum Anlass einer Würdigung Kurt Hubers genommen: »Kurt Hubers [sic] wird in der Geschichte seiner Wissenschaften wie in der des Kampfes gegen den Naziterror immer mit hochklingenden Worten gedacht werden.«791 Die Würdigungen des wissenschaftlichen Werks Hubers nehmen nur vereinzelnd in Schlusssätzen Bezug auf den Widerstand.792 Auch der als letzter 786 787 788 789 790 791

Ebd. Ebd., S. 41–42. Ebd., S. 42. I.R.-L.: Kurt Huber zum Gedächtnis. In: Der Ruf 2 (1947), Nr. 23. Ebd. Max Unger : Kurt Huber. Hingerichtet am 13. Juli 1943. In: Aufbau 4 (1948), Nr. 8, S. 704– 705, S. 705. 792 »In diesem Sinne mag man in Kurt Hubers Persönlichkeit auch mit Recht den geistigen Urheber des Münchener Studentenaufstandes erblicken.« (Hermine Meier : Ein Lehrer vertieften Denkens. In: Huber, Anm. 763, S. 79–85, S. 85); »Es war Kurt Huber nicht vergönnt, diese Biographie abzuschließen und […] in Leibniz das ›Bildnis eines Menschen‹ einem darniederliegenden Deutschland vor Augen zu stellen. Aber durch seinen Tod hat er das vor Deutschland und der Welt durch eine andere Weise erfüllt.« (Inge Köck: Kurt Huber als Leibnizforscher. In: Ebd., S. 138–157, S. 157); »Damit hatte er das Schicksal selbst beschlossen, sein kostbares Leben für die Geistesfreiheit zu geben.« (Mirok Li: Kurt Huber und das Ausland. In: Ebd., S. 160–164, S. 164).

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Beitrag des Bandes abgedruckte, auf den 19. Januar 1946 datierte Brief Carl Orffs an den toten Freund nimmt auf den Widerstand keinen expliziten Bezug. Orff stellt Hubers Anregungen für sein musikalisches Werk heraus und widmet ihm sein Stück Die Bernauerin als »bayrisches Stück«.793 Nur die daraus zitierten Verse (»Dunker, ganz dunker / stockdunker muaß’s wern, / auf daß ma dös Liacht / wieda richti derkennt«) lassen sich als Motiv der Läuterung durch Leiden auf den Widerstand beziehen.794 1986 wird der Band leicht verändert und durch einen »Rückblick auf vierzig Jahre« Clara Hubers ergänzt unter dem Titel …der Tod…war nicht vergebens in der Nymphenburger Verlagshandlung, in der 1946–1949 auch die Zeitschrift Der Ruf erschien, neu herausgegeben. Die Neuausgabe wird auf dem Umschlag mit einer notwendigen »Korrektur des Huber-Bildes nach zwei Seiten hin« begründet:795 Der anhaltenden Charakterisierung als Hochverräter auf der einen Seite und der Vereinnahmung als Pazifist auf der anderen, stelle Clara Huber »die durchaus nationale Haltung, aus der seine Handlungsweise zu erklären ist«, gegenüber.796

III.3.3 Angelika Probsts Rundfunkvortrag Mein Bruder Christoph Neben Clara Huber und Inge Scholl797 engagierte sich auch Angelika Probst798 früh für das Gedenken ihres Bruders, allerdings drängte sie nur selten aktiv in 793 Carl Orff: Brief an Kurt Huber. In: Clara Huber (Hrsg.): Kurt Huber zum Gedächtnis. Bildnis eines Menschen, Denkers und Forschers; dargestellt von seinen Freunden. Regensburg: Habbel 1947, S. 166–169, S. 169. 794 Ebd. 795 Huber, Anm. 757. 796 Ebd. 797 Siehe vor allem Kapitel IV.1. 798 Angelika Probst, Jahrgang 1918, war mit dem Lehrer des Schondorfer Landerziehungsheims, Bernhard Knoop verheiratet. Knoop übernahm 1937 die Schulgemeinde Gut Marienau, ein Landerziehungsheim, das bis dahin von dem jüdischen Pädagogen Max Bondy geleitet wurde. Auf Druck der Gestapo und der zuständigen Behörden musste Bondy, der 1937 emigrierte, die Schule an Knoop veräußern. Die »Schulgemeinde« wurde in »Niederdeutsches Landerziehungsheim Marienau« umbenannt, was auch eine pädagogische Neuausrichtung ›nach rechts‹ anzeigt. Knoop trat 1937 in die NSdAP ein, das Ehepaar Knoop-Probst war bis zu der Verhaftung Angelika Probsts im Zuge der Ermittlungen gegen ihren Bruder wohl kaum oppositionell eingestellt. Sönke Zankel bezeichnet beide als »überzeugte Nationalsozialisten« und führt als Belege Zitate aus Artikeln in Schulchroniken an (siehe Zankel, Anm. 26, S. 79–80, 189–193). Allerdings muss auch davon ausgegangen werden, dass gerade eine Schule mit reformpädagogischer Geschichte unter besonderem Legitimierungsdruck stand, um einer Verstaatlichung entgegenzuwirken. 1946 trennte sich das Ehepaar Knoop ›in Freundschaft‹. Bernhard Knoop heiratete Anneliese Graf. Angelika Probst zog nach Freiburg i. B., wo sie als Psychotherapeutin tätig war.

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die breite Öffentlichkeit. In den Akten der Ost-VVN findet sich der Text eines Rundfunkvortrags im Rahmen der Reihe Das heimliche Deutschland des Berliner Senders RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor). Dieser war im Februar 1946 von der AMG in Berlin eingerichtet worden. Der Sender hatte einerseits die Funktion, das Monopol des von der sowjetischen Administration kontrollierten Rundfunks im Berliner Raum aufzubrechen, andererseits sollte er als Mittel der Reeducation der Berliner Bevölkerung fungieren. Ab Oktober 1946 strahlte der RIAS eine Folge von zehn Sendungen über den deutschen Widerstand unter dem Titel Das heimliche Deutschland mit Vorträgen von Überlebenden und Familienangehörigen verschiedener Gruppen und Richtungen des deutschen Widerstands aus. In dieser Reihe sprachen Bruno Baum, Robert Havemann, Greta Kuckhoff, Wolfgang Langhoff, Annedore Leber, Eva Lippold, Freya von Moltke, Anne Saefkow und Günther Weisenborn.799 Angelika Probst erinnerte in diesem Kontext an Christoph Probst. Angelika Probsts Vortrag enthält ein idealisiertes Portrait des Bruders, in Diktion und Aufbau dem Lebensbild Ricarda Huchs ähnlich.800 Eigenschaften wie Naturverbundenheit, Liebesfähigkeit und Forschergeist werden anhand von Episoden aus der frühen Kindheit illustriert. Es folgt ein Sprung zu den letzten Schuljahren in Schondorf, wo Christoph Probsts Interesse für Literatur und Philosophie geweckt worden sei. Ein Lehrer wird zitiert: »›Christoph ist universal veranlagt, aber, was noch mehr ist, seine Persönlichkeit ist schon jetzt wunderbar um einen Mittelpunkt geordnet und der ist sein Herz.‹«801 Seine Entscheidung, Arzt zu werden, wird aufgrund seiner Mitleidsfähigkeit und Nächstenliebe als inneres Bedürfnis dargestellt. Jedoch sei er »nicht weichlich, sondern unbedingter als andere, wenn es um die Wahrheit und Klarheit ging«, gewesen und es hätte sich »[v]om ersten Tage an, und er war 1933 fast ein Kind noch, alles in ihm gegen [die] Vermessenheit [der Nationalsozialisten]« gewehrt: »[M]it jedem Jahr prägte sich seine Gegnerschaft klarer und überzeugender aus«.802 Herausgestellt wird dabei die Verurteilung der Euthanasie. Die Sprecherin beschreibt ihre Gefühle (»tiefe und unerklärliche Angst um ihn«, »die Ahnung seines frühen Todes«) und Gedanken (»›Was soll da noch kommen?‹ dachte ich dann, ›er ist vollendet.‹«) anlässlich von Gesprächen mit ihrem Bruder.803 Herausgestellt wird die Bedeutung der Freundschaft mit Alexander 799 Siehe Werner Theuer, Bernd Florath: Robert Havemann Bibliographie: Mit unveröffentlichten Texten aus dem Nachlass. Berlin: Akademie 2007, S. 229. 800 Siehe Kapitel III.3.4. 801 Angelika Probst: Das heimliche Deutschland – mein Bruder Christoph. Sendemanuskript zur RIAS-Berlin-Reihe »Das heimliche Deutschland«, 22. 10. 1947. In: BArch-SAPMO, DY 55 (V 278/6/1722), S. 2. 802 Ebd. 803 Ebd., S. 3.

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Schmorell und Hans und Sophie Scholl, mit denen ihn die »gleiche eindeutige Ablehnung der Tyrannis und, trotz aller Verschiedenheit der Konfession, tiefgegründete christliche Überzeugung verband«.804 Die konkrete Widerstandstätigkeit wird jedoch lediglich angedeutet, »weil es zu weit führen würde«.805 Das letzte Viertel der Darstellung konzentriert sich stattdessen auf Vernehmungen, Prozess, Haft und Hinrichtung. Hier zitiert Probst aus den letzten Briefen, die »mächtiger als bewaffnete Heere« gewesen und deshalb nicht freigegeben worden seien: »Ich wußte nicht, daß Sterben so leicht sein kann«, »Ich sterbe ganz ohne Hassgefühle«.806 Zum Schluss appelliert sie an die Zuhörerschaft: »Meine Freunde, wenn Ihr Vorbilder sucht, grosse und leuchtende, denen ihr nachstreben wollt, dann sucht sie unter diesen jungen Menschen, die nicht nur unsere, sondern auch euere [sic] Brüder waren.«807 Die Possessivpronomen zeigen hier eine doppelte Inklusion an: Probst schreibt sich selbst eine nicht nur familiäre Verwandtschaft mit dem Widerstand zu und weitet diese auch auf die Adressaten aus. In einem 1947 im Fährmann, der vom katholischen Christopheros-Verlag in Freiburg verlegten »Zeitschrift für junge Christen«, veröffentlichten, ähnlichen Portrait ihres Bruder, deutet Probst den Widerstand explizit als christliches Sühneopfer : »Christoph Probst und seine Gefährten haben ihr Leben gegeben für uns alle in der Nachfolge Christi.«808 Diese letzten beiden Worte wurden aufgrund eines Einwands des Freiburger Generalvikars nicht abgedruckt, mit der Begründung, der »Student Probst und seine Freunde« seien »bei der Bekämpfung des sogenannten Dritten Reiches Wege gegangen, welche nicht im Einklang stehen mit den christlichen Moralgrundsätzen. Denn Revolution, auch gegenüber einer Regierung, welche Unrecht übt und eine Tyrannei darstellt, ist nicht erlaubt«.809 Daher könne ihr Weg »objektiv nicht als der der Nachfolge Christi« bezeichnet werden.810 Dies verweist auf die problematischen Akzeptanzbedingungen des Widerstands im kirchlichen Kontext, vor deren Hintergrund die idealisierten Portraits der unmittelbaren Nachkriegszeit auch betrachtet werden müssen.

804 805 806 807 808

Ebd. Ebd., S. 4. Ebd., S. 5–6. Ebd., S. 6. Zitiert nach Jürgen Reulecke: Geboren um 1920: Die Altersgenossen von Hans Scholl und Willi Graf. Zur Diskussion über die junge Generation nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Michael Kißener (Hrsg.): »Weitertragen«. Studien zur »Weißen Rose«. Festschrift für Anneliese Knoop-Graf zum 80. Geburtstag. Konstanz: UVK 2001, S. 71–84, S. 78–79. 809 Ebd. 810 Ebd.

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III.3.4 »Für die Märtyrer der Freiheit«: Ricarda Huchs Gedenkbuchprojekt Im Mai 1946 veröffentlichte die Schriftstellerin Ricarda Huch, die 1933 aus Protest gegen die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler aus der Preußischen Akademie der Künste ausgetreten war und sich während der NS-Zeit aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, unter dem Titel Für die Märtyrer der Freiheit in westzonalen Tageszeitungen einen in erster Linie an die »Angehörigen und Freunde der Hingerichteten« adressierten Aufruf.811 Die in West und Ost angesehene Schriftstellerin bat um Material, »möglichst Äußerungen von ihnen selbst, [aus] Briefen und Tagebüchern, aber auch Schilderungen, kurz mit allen Nachrichten, die zur Schaffung eines Lebensbildes dienen können«.812 Die Aufgabe, »Lebensbilder dieser für uns Gestorbenen« aufzuzeichnen und in einem Gedenkbuch zu sammeln«, begründet Huch wie folgt: Wie wir der Luft bedürfen, um zu atmen, des Lichtes, um zu sehen, so bedürfen wir edler Menschen, um zu leben. […] Wenn wir derer gedenken, die im Kampfe gegen den Nationalsozialismus ihr Leben gelassen haben, so erfüllen wir eine Pflicht der Dankbarkeit, zugleich aber tun wir uns selbst wohl, denn indem wir ihrer gedenken, erheben wir uns über unser Unglück.813

In Replik auf Hermann Hesses Forderung nach einer »Loslösung vom Nationalgefühl« hatte Huch im Februar 1946 vor dem Hintergrund der Niederlage »Stetigkeit eines selbstbewußten Nationalbewusstseins« gefordert und die Hoffnung geäußert, »Tränen in Perlen zu verwandeln, wie es uns schon einmal vor Jahrhunderten gelungen ist«.814 Einem ähnlichen Impuls folgt Huchs Beschäftigung mit dem Widerstand.815 Das Gedenkbuch solle »einen Schatz« für das deutsche Volk darstellen, der es »mitten im Elend noch reich macht«.816 An anderer Stelle macht sie deutlich, dass dieser Reichtum ein spezifisch deutscher sei: »Um diese Toten, die im Kampf gegen das Böse fielen, sind wir reicher als alle anderen. Ihr Ruhm ist das Feuer, in dem unsere Seele sich von Schande und Schmach reinigt.«817 Vier Monate später schreibt sie, die »Würdigung« sei

811 Ricarda Huch: Für die Märtyrer der Freiheit (Aufruf). In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 77–78, S. 77. 812 Ebd. 813 Ebd. 814 Ricarda Huch: Loslösung vom Nationalgefühl? Eine Erwiderung an Hermann Hesse. In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 239–241, S. 240–241. 815 Siehe auch Danyel, Anm. 160, S. 72. 816 Huch, Anm. 811, S. 77–78. 817 Ricarda Huch: Der Kampf gegen das Böse. In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda

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»notwendig«, »sowohl im Hinblick auf die deutschen Parteien wie auf das Ausland«.818 Huchs durchgehende Verwendung des Wortes »Märtyrer«819 geht über gewohnte Aufladungen des Begriffs hinaus. Dem Gedenken werden Funktionen kirchlicher Feiern wie Lob, Erbauung und Läuterung zugeschrieben; es stellt für Huch die Pflicht der als Gemeinde aufgefassten Nation dar. Huchs Projekt war deshalb jedoch nicht auf bestimmte Gruppen beschränkt.820 Ihre Konzeption von Widerstand als Glaubenskampf zwischen Gut und Böse funktioniert gerade nicht als Ausschlusskritierium und schließt »Sozialisten […] und Kommunisten, die grundsätzlich von den Nationalsozialisten verfolgt wurden« explizit mit ein: Darum konnte es geschehen, daß die verschiedensten Elemente, zum Teil gegensätzliche Elemente, sich hochherzig zu diesem tödlichen Kampf vereinigten. Sie fühlten sich dem Bösen gegenüber unter der Führung des lebendigen Gottes. Vor diesem höchsten Namen verblich der Eigenwille der Parteien […] und selbst diejenigen, die sich von der Kirche gelöst hatten und denen religiöse Empfindungen fremd waren, wägen ihre Pflicht vor dem Angesicht des höchsten Richters […].821

Huchs Auffassung des Widerstands als »religiöse Bewegung« ist zwar ein integratives Konzept, aber dennoch hierarchisierend, was erklärt, warum Huch mit Priorität an den Lebensbildern der Weißen Rose gearbeitet hat: Hat das Fehlen der Unbedenklichkeit eines dämonischen Machtbegehrens und Herrscherwillens unsere Helden des Erfolges beraubt, so läßt es ihre Ehrenhaftigkeit um so klarer hervorleuchten. Ganz ungetrübt erscheint die Reinheit des Kampfes gegen das Böse in der Bewegung der Münchner Studenten, die im Anfang des Jahres 1943 als Blutzeugen fielen.822

Einige Monate vor Erscheinen des Aufrufs hatte sie Johannes Weyl, zu diesem Zeitpunkt noch Herausgeber des Südkuriers und Initiator des Hilfsfonds für die

818 819 820 821 822

Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 81–83, S. 82. Ricarda Huch: Brief an Herbert Krimm, 28. 07. 1946. In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 179. Zum Begriff des Märtyrers in Zusammenhang mit dem Gedenken an Widerstand in beiden Teilen Deutschlands nach 1945 vgl. Peitsch, Anm. 308, insbesondere S. 83 und S. 90. Helmut Peitsch, der eine auf den 20. Juli beschränkte erste Konzeption aus einem Brief ableitet, beachtet nicht dessen Datierung, vgl. ebd., S. 83. Er bezieht sich auf einen Brief vom 30. 06. 1946. Zu diesem Zeitpunkt verfolgte Huch noch eine breite Konzeption. Huch, Anm. 817, S. 82. Dieser Text wurde in anderer Fassung posthum veröffentlicht: O. A.: Der Kampf gegen das Böse. Unveröffentlichtes Manuskript aus dem Nachlaß von Ricarda Huch. In: Die neue Zeitung, 24. 11. 1947. Ricarda Huch: Brief an Marie Baum. In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 171.

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Opfer des 20. Juli 1944, Manuskripte für erste Portraits über die ihr persönlich bekannten Elisabeth von Thadden und Ernst von Harnack zugeleitet, um eine Serie von Skizzen »über alle […], die im Kampf mit den Nazis das Leben gelassen haben«, zu platzieren.823 Der Südkurier habe aber »gleich als selbstverständlich an[genommen], daß ein Buch daraus werden sollte«.824 Weyl hatte schon 1945 mit Huch Kontakt aufgenommen, um sie zur Mitarbeit an einer Aufsatzreihe »Das Verbrechen des Nationalsozialismus am deutschen Volk. Eine Aktion des Südkurier zur Ergänzung der Nürnberger Prozesse« zu gewinnen.825 Nach seiner Absetzung als Herausgeber empfahl er Huch den Tagesspiegel als »das Blatt, das Ihnen als Sprachrohr und Organ für die Materialsuche das Wilkommenste sein muß, da sie den alten ›Südkurier‹ schätzten«.826 Er legt Huch die Veröffentlichung der Skizzen sowohl in Buchform als auch in der Presse nahe und schlägt die Erstellung eines Verteilungsplans vor, wobei er vor allem an den bürgerlich-konservativen Tagesspiegel und Die Gegenwart denkt. Für eine Buchveröffentlichung habe er bereits eine Abrede mit dem ARCHE-Verlag in Zürich getroffen, welcher unter dem Titel Bilder der Märtyrer bereits ein amerikanisches Copyright angemeldet habe. Es kann davon ausgegangen werden, dass dies der vorgesehene Veröffentlichungskontext war. Die Beschränkung auf die Geschwister Scholl, den Prozess Harnack/Schulze-Boysen und den 20. Juli erwähnt Huch erstmals in einem Brief Ende Juli 1946 und begründet sie mit Machbarkeitsüberlegungen.827 Huch gibt indessen in Briefen weiterhin »das deutsche Volk« als Adressaten des Buches an, dessen Zweck nicht sei, »Geschichte […] zu schreiben, sondern das deutsche Volk die beteiligten Personen kennen und verehren zu lehren«.828 Die Ziele, die Huch mit dem Genre »Lebensbild« verbindet, lassen sich mit den Begriffen Zeugnis, Vergegenwärtigung und Identifikation zusammenfassen und weisen bemerkenswerte Parallelen zu Funktionen der Hagiografie829 auf. Die »Länge oder Ausführlichkeit« hänge vom Material »und auch von der Persön-

823 Johannes Weyl: Brief an Ricarda Huch, 23. 03. 1946. In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 172–173. 824 Ebd. 825 Wolfgang M. Schwiedrzik: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Ricarda Huchs Jenaer Jahre 1936–1947. In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 7– 64, S. 55. 826 Weyl, Anm. 823, S. 172–173. 827 Huch, Anm. 818. 828 Ebd. 829 Siehe Hedwig Röckelein: Die ›Hüllen der Heiligen‹. Zur Materialität des hagiographischen Mediums. In: Bruno Reudenbach, Gia Toussaint (Hrsg.): Reliquiare im Mittelalter. Berlin: Akademie 2005, S. 75–89.

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lichkeit selbst« ab.830 Dies erklärt auch die unterschiedliche Länge der Portraits der hingerichteten Mitglieder der Weißen Rose – das der Geschwister Scholl hat ungefähr die dreifache Länge der vier Einzelportraits Kurt Hubers, Christoph Probsts, Alexander Schmorells und Willi Grafs. Die folgende Analyse konzentriert sich auf den Text über die Geschwister Scholl, da dieser als einziger über das Portrait hinaus- und auf den Ablauf des Widerstands und die Flugblätter eingeht. Inge Scholl ließ Huch im August 1946 ausführliches Material zukommen831 und vermittelte den Kontakt zu den anderen Familien. In Inge Scholls Brief an Huch wird exemplarisch das Ansehen und die Autorität der Schriftstellerin bei den Angehörigen deutlich: Darf ich Ihnen sagen, wie wohltuend es für uns und alle Freunde unserer Familie ist, daß gerade Sie, verehrte gnädige Frau, diese Aufgabe übernommen haben. Das wird ein starkes Gegengewicht bedeuten gegenüber all dem Unrat, der schon über die Lieben publiziert wurde und gegen den ich mich unaufhörlich wehren mußte und weiterhin wehren werde. Freilich, die beste Waffe ist hier die Darstellung durch einen echten und berufenen Geist.832

Und in einem anderen Brief an eine Mitarbeiterin Huchs schreibt Scholl: »Ich finde es so sehr schön, dass gerade Ricarda Huch, eine unserer anerkanntesten und wesentlichsten Dichterinnen der Welt die Bilder der Märtyrer unserer jüngst vergangenen Zeit hinhalten will und damit gewiss einen Stein in die andere Schale der Wage legen wird.«833 Huch sah ihre Aufgabe tatsächlich primär im Bereich der Darstellung, wobei sie sich weitgehend auf die von den Angehörigen aufgeschriebenen Erinnerungen verlassen musste. Die Problematik des Materials reflektiert sie in Briefen an Freunde, wenn sie schreibt, dass es ihr nur manchmal gelinge, »den Menschen zu erfassen, ihn mir zu verlebendigen«,834 oder dass sie »diese Toten wie Verklärte« geschildert bekomme, »nicht wie Menschen mit ihrem Widerspruch«, und es »nur in seltenen Fällen etwas Objektives« gebe.835 Bei Inge Scholl musste Huch mehrfach nachhaken, um an das gewünschte 830 Brief von Ricarda Huch an Herbert Krimm vom 28. 07. 1946, zitiert nach Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 179. 831 Inge Scholl: Typoskript mit handschriftlichem Vermerk »für Ricarda Huch 1945 [sic]«, [1946]. In: IfZ, ED 474 (734). 832 Inge Scholl: Brief an Ricarda Huch, 07. 08. 1946. In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 92. 833 Inge Scholl: Brief an Anne-Marie Dahlet, 10. 06. 1947. In: IfZ, ED 474 (734). 834 Ricarda Huch an Emil Henk, zitiert nach Schwiedrzik, Anm. 825, S. 36. 835 Ricarda Huch an Marie Baum, zitiert nach Schwiedrzik, Anm. 825, S. 36.

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Material zu gelangen. In ihren Anfragen betont sie die Priorität von Informationen über Familiäres: Sie vertrösteten mich in Ihrem Brief auf den August; dann würden Sie mir ausführlich über Ihre verewigte Schwester schreiben. Darf ich Sie jetzt daran erinnern? Frau Knoop [i. e. Angelika Probst, C.E.] hat mir sehr schön – mit erstaunlicher dichterischer Begabung – über ihren Bruder geschrieben, dann eine Schwester von Willi Graf. Es ist mir betrüblich, daß ich von Ihrem Bruder, der doch im Mittelpunkt der Bewegung gestanden hat, so wenig weiß. Natürlich habe ich gelesen was in den verschiedenen Zeitungen gestanden hat, aber eigentlich ist das sehr wenig. Es bleibt mir nichts übrig, als mich an Sie zu wenden, obwohl ich Sie nur ungern bedränge. Sie müßen aber nicht denken, daß ich eine sorgsam ausgearbeitete Abhandlung erwarte, mir genügen hingeworfene Vorlagen, was Ihnen eben in den Sinn kommt. Erstens ein paar Worte über Ihr Elternhaus, seine Einwirkung auf die Kinder. In jeder Familie herrscht doch ein gewisser Geist, in dem dann die Kinder aufwachsen, z. B. der Geist strenger Pflichterfüllung, oder Frömmigkeit, […] Harmonie oder Disharmonie u.s.w. Wie verhielt sich ihr Bruder dazu? Manche Kinder wachsen in der Tradition des Elternhauses auf, andere habe ihre eigene Art, schlagen neue, eigene Wege ein. Über manche Kinder gibt es Anekdoten, die die Besonderheit kennzeichnen […]. Wenn Sie mich über solche Dinge ein wenig unterrichteten, wäre mir damit sehr geholfen […].836

Von Inge Scholl erhielt sie schließlich je ein ausführliches Portrait der beiden Geschwister, aus denen sie dann ein gemeinsames Lebensbild gestaltete. An einem Vergleich zwischen dem ersten Abschnitt des Textes Inge Scholls und dem Text Ricarda Huchs sollen Konstruktionsprinzipien und Konzept der Lebensbilder exemplarisch aufgezeigt werden, bevor in einer weiteren Analyse des Textes ein spezifischer Deutungszusammenhang von Religion und Widerstand herausgearbeitet wird. Inge Scholl gibt zunächst eine stark idealisierende Charakterisierung ihres Bruders, bevor sie die Etappen seiner Biografie schildert. Dessen Eigenschaften werden hierbei als natur- und schicksalsgegeben dargestellt und bis auf den Tag der Geburt zurückgeführt: Wenige Tage vor dem Waffenstillstand des ersten Weltkrieges, am 22. September 1918, wurde Hans geboren. Er war das zweite Kind und der erste Sohn seiner Eltern. Sein Vater hatte damals seine erste Stelle als Bürgermeister in dem Dorf Ingersheim an der Jagst inne. Am Tag des Waffenstillstands wurde Hans getauft. Es war, als lege sich dieses zufällige Zusammentreffen wie ein feines Omen über sein Wesen. Das Geheimnis der vierten Seligsprechung schien wie ein feiner Same in seine Kindheit eingesenkt. Er war schon früh von ungewöhnlicher Sanftmut und Versöhnlichkeit, was dem schönen, blühenden Menschenkind mit den ebenmässigen, edlen Zügen eine unwiderstehliche Anziehungskraft und Anmut gab, die ihm bis zu seinem Tod eigen blieb. Seine Eltern nannten ihn als Kind, ob dieser Eigenschaft gerne im Scherz ihren »kleinen Heiland«. 836 Ricarda Huch: Brief an Inge Scholl, 28. 08. 1946. In: IfZ, ED 474 (734).

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Er war ein Sonntagskind, ein ausgesprochen schöner und kluger Mensch mit vielerlei Begabungen und einem allem Schönen und Wertvollen offenen Wesen. Ueberall gewann er die Herzen und verstand, wie selten Menschen, zu überzeugen. Die Welt liebte ihn und er liebte sie wider. In vollen Zügen trank er ihre Schönheiten, wo sie sich ihm boten, in Natur und Kultur, im Geistigen wie im Sichtbaren. Er war eine Goethe verwandte Natur und hatte auch zu ihm eine ganz elementare Beziehung. Und doch wusste gerade er um das Dunkel, um Einsamkeit und Leid – vielleicht im selben Mass und mit demselben Geöffnetsein, wie gegenüber dem Licht und der Freude. Er war eines starken, tiefen Mitleids fähig, das von derselben strömenden Ergriffenheit war wie sein Blühen und seine Freudigkeit. Dieses tiefe Mitglied bewegte ihn schliesslich zu dem Entschluss, Arzt zu werden.837

Gerade aus diesem ersten Abschnitt übernimmt Huch nur wenige (im Zitat unterstrichene) Elemente und stellt sie in einen anderen Zusammenhang. Anders als in Inge Scholls Text werden die Geschwister mit Familie, Landschaft und Kultur verbunden dargestellt: Als Hans im Jahre 1918 geboren wurde, war sein Vater Bürgermeister in dem Dorf Ingerstein an der Jagst, Sophie wurde 1921 in dem Städtchen Forchtenberg geboren, wo wiederum ihr Vater Bürgermeister war. Die Mutter war heiter, voll unerschöpflicher Liebe, sie verbreitete Wärme und Wohlsein, der Vater war ernst, zurückhaltend und konnte streng sein. Gab die Mutter das Gefühl der Geborgenheit, so war der Vater Stütze und Gerüst. Wie aus der Familie so strömte ihrer Seele Pflege und Bildung aus der schwäbischen Landschaft zu, die sie umgab. Sie waren nicht Gäste der Natur, sondern ihre Kinder, aufs innigste mit ihr verbunden.838

Die elterlichen Eigenschaften entsprechen vollständig geschlechtsspezifischen Topoi der Schreibgegenwart, die Familie wird als ideale repräsentiert. Die Geschwister erscheinen als von einer Umgebung geprägt, die »erwachsen aus der schwäbischen Landschaft und verbunden mit der Geschichte Deutschlands und Europas« sei.839 Huch hatte nach Erhalt des Materials bei Inge Scholl nachgefragt, ob ihre Eltern aus »alteingesessenen schwäbischen Familien« stammten, denn die »Stammesangehörigkeit« sei doch »oft bedeutungsvoll«.840 Diese Konstruktion spiegelt eine frühromantisch angelehnte und dem ›Dritten Reich‹ entgegengesetzte, gleichwohl essenzialistische Deutschlandkonzeption Ricarda Huchs wieder, in der Bildung auf den »unbewussten« Einfluss des »Boden[s] alter Kultur und reicher Überlieferung« zurückgeführt wird, in dem auch der

837 Scholl, Anm. 831, S. 1. 838 Ricarda Huch: Hans und Sophie Scholl. In: Wolfgang M. Schwiedrzik (Hrsg.): Ricarda Huch: In einem Gedenkbuch zu sammeln. Bilder deutscher Widerstandskämpfer. Leipzig: Leipziger Univ.-Verl. 1997, S. 85–102, S. 86. 839 Ebd. 840 Ricarda Huch: Brief an Inge Scholl, 18. 05. 1947. In: IfZ, ED 474 (734).

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Freiheitssinn als den Schwaben »von allen deutschen Stämmen vorzüglich zu eigen« wurzele.841 Der Widerstand wird im Rahmen dieses Geschichtsbildes gedeutet: Die Protagonisten erscheinen nicht als geborene Helden, sondern als Vertreter einer deutschen Kultur. Sie als solche darzustellen ist der Ausgangspunkt für die Gestaltung der Texte, die sich durch eine emphatische Rhetorik auszeichnen. Oxymora unterstreichen beispielsweise, dass sich in ihnen auch gegensätzliche Eigenschaften harmonisch verbinden. Sophies Kühnheit erscheint so nicht unweiblich, denn sie liebte »doch wie ein kleines Mädchen die Puppen und später die Kinder«.842 Und beide lebten bei »aller äußerlichen Betätigung im Sport stark nach innen«.843 Somit besteht in Huchs Lebensbildern eine Harmonie zwischen Protagonisten und Umwelt, bis es durch den Nationalsozialismus zum Bruch kommt. Besonderer Fokus wird auf die Religiosität der Protagonisten gelegt, wie die Umdeutung der oben zitierten Episode aus Hans Kindheit zeigt: Hans bedurfte schon als Kind häufig des Alleinseins mit seinem Spielzeug und versank dann ganz in seine Welt. So leidenschaftlich, wie er allem Großen und Schönen zugewendet war, ebenso tief ergriff ihn die dunkle Seite des Lebens. Seine Eltern nannten ihn ihren kleinen Heiland, so auffallend war das innige Mitgefühl des Kindes für alle Leidenden.844

Der Mutter wird ein unmittelbarer religiöser Einfluss zugeschrieben (»sie erzählte den Kleinen die Geschichte von dem Sohne Gottes, der aus Liebe zu den Menschen am Kreuze starb«), während der Vater die »im Abendland gültige Sittlichkeit aus der Philosophie oder unmittelbar aus der Vernunft« ableitete.845 Der »feindliche Eingriff des Nationalsozialismus« entfremdet Hans mit dem Eintritt in die HJ von seinem Vater, was mit der »teuflische[n] Klugheit« Hitlers erklärt wird, die Empfänglichkeit der Jugend für »Vaterlandsliebe und Deutschtum« zu missbrauchen: [Hans] hätte so gern geglaubt, daß Deutschland von einem Führer geleitet wäre, der gut und groß sei, er hätte so gern sein geliebtes Vaterland herrlich vor allen Völkern gesehen! Indessen war ein Zweifel durch das Urteil des Vaters doch geweckt und allmählich, wie der verderbliche Charakter des Nationalsozialismus deutlicher wurde, Hans heranwachsend das Echte vom Falschen unterscheiden lernte, wandte er sich ganz dem Vater zu, und seine Begeisterung erglühte für diejenigen Ideale, die das herrschende System am meisten verletzte, für Freiheit und Recht.846 841 842 843 844 845 846

Huch, Anm. 838, S. 86–87. Ebd., S. 87. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 88.

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Durch das Korrektiv des Vaters überwindet Hans die Entfremdung von den durch diesen verkörperten Werten und durch die Beschäftigung mit Literatur und insbesondere Goethe, »in dem [Hans] die schönste Entfaltung deutschen Denkens und Schauens erblickte«, auch die Entfremdung von der durch die Mutter verkörperten Religion.847 Beide Geschwister vertieften sich in die Bibel und waren hingerissen von ihrer Schönheit und ihrem Tiefsinn. Sie fühlten sich den Urchristen gleich, so sehr erlebten sie Gott und Christus als eine neue, ihnen zuteil gewordene Offenbarung und als eine Botschaft, die verwirklicht werden sollte.848

Breyvogel geht zu weit, wenn er aus dieser Stelle das »Vorbild des Sühneopfers Christis« folgert.849 Vielmehr steht hinter solchen Aussagen zunächst eine romantische Idealvorstellung deutscher Geschichte auf der Basis eines ungeteilten Christentums, worin von Huch auch die Bedeutung der Begegnung mit Carl Muth gesehen wird, der Hans das Konzept »eine[r] deutsche[n] Kultur […], die nicht nur von protestantischem, sondern auch von katholischem Geiste geprägt wäre«, vermittelt habe und durch seinen Einfluss den »Haß auf Hitler und den Nationalsozialismus […] befestigte«.850 Huch betont ihre Vorstellung eines überkonfessionellen Christentums auch gegenüber Inge Scholl, wenn sie schreibt: Manches in Ihren Aufzeichnungen lässt vermuten, daß Ihre Geschwister eine größere Zuneigung zum Katholizismus hatten. Ich habe nicht die Absicht, das zu erwähnen, weil ich es nicht am Platze finde, an eine konfessionelle Segnung bei dieser Gelegenheit zu denken.851

Die christliche Religion wird vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus als einzig möglicher Halt gedeutet. So sucht Sophie während des Arbeitsdienstes einen »Maßstab ohne Vergleich, etwas niemals Wankendes, in die Ewigkeit wegweisendes, Gott« und gerät in einen Konflikt zwischen Glauben und Verstand, den sie durch die Beschäftigung mit Augustinus und durch die Besinnung auf die zeitlichen Umstände auflöst: Am meisten fürchtete sie das Zurücksehnen in Wohlgeborgenheit und Herdenwärme. Wieviele mußten jetzt, da Krieg war, schuldlos leiden und sterben! Sie dachte an Moses, der seinem Volke den Sieg erwirkte, indem er seinen Arm erhoben hielt: immer, wenn er ihn sinken ließ, wichen die Seinen zurück und wenn er ihn wieder erhob, schlugen sie den Feind zurück. So unablässig seine Kraft für das Gute einzusetzen, nie zu ermüden, 847 848 849 850 851

Ebd., S. 89. Ebd. Breyvogel, Anm. 42, S. 170. Huch, Anm. 838, S. 91. Huch, Anm. 840.

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sich nie ablenken zu lassen, das schien ihr erstrebenswert, und wenige Menschen vermochten das! Ihr Sinn war immer auf das Höchste gerichtet.852

Die Besinnung auf ein ökumenisches Christentum wird also als geistige Voraussetzung eines patriotischen Kampfs für die Zukunft des Vaterlands dargestellt. Aus den Flugblättern, die Huch ausführlich zitiert und kommentiert, wird als Ziel der Weißen Rose eine Verbindung zwischen »Erkenntnis der Schuld und rücksichtsloser Kampf gegen Hitler« zur »Erneuerung des schwerverwundeten deutschen Geistes von innen her« abgeleitet.853 Dieser Kampf wird als Appell zur Rettung des deutschen Volkes gedeutet, »sich durch die Tat von Hitler zu trennen«, damit es nicht, »wenn ein schreckliches Gericht über die Verbrecher komme, zu diesen gezählt werde«.854 Damit verfolgte für Huch die Weiße Rose »durchaus richtige und vernünftige Gedanke[n]«, »dieselben wie die der Männer, deren Tätigkeit zu dem Attentat des 20. Juli 1944 führte«, jedoch sei der »Aufstand der Studenten« aussichtslos gewesen, »solange Hitler das Heer zur Verfügung hatte«.855 Der Kampf der Weißen Rose wird damit als ein Kampf der Worte dargestellt, dennoch wird er mit germanischem Heldentum in Verbindung gebracht, wenn der »Verfasser« der Flugblätter aufgrund der Wortgewalt mit »Dietrich zu Bern, dessen Atem im Kampfe glühend wurde«, verglichen wird.856 An das Motiv des Atems wird bei der Wiedergabe eines »symbolhaften« Traums Sophies angeschlossen, in welchem Heroik durch das Motiv des Wunders unmittelbar auf die Religion rückbezogen wird: Es träumte ihr, sie gehe zwischen ihrem Bruder und Alexander, beide umfassend, halb von ihnen getragen. Der Himmel war bewölkt. Hans sagte, er habe einen ganz einfachen Beweis für das Dasein Gottes und sein Wirken in der Gegenwart gefunden: die Luft würde von der Menge der Menschen verbraucht werden und sie würden ersticken müssen, wenn nicht Gott zuweilen einen Mundvoll seines Atems hineinhauchte und dadurch die verdorbene Luft erneuere. »Seht ihr, so macht er das!« habe Hans gesagt, habe tief Luft geholt und dann die Luft ausgestoßen. Die Säule seines Hauches sei blau gewesen, sei hoch und immer höher hinaufgestiegen und habe das graue Gewölk getilgt. Der Himmel sei strahlend blau gewesen.857

Für Huch spiegelt sich »in diesem Traume das hohe Glücksgefühl dieser Tage, wo Freundschaft und Jugendlust mit der Hingabe an ein großes Ziel zusammenströmten«.858 Dies erklärt die einleitende Bezeichnung der Geschwister als 852 853 854 855 856 857 858

Huch, Anm. 838, S. 95–96. Ebd., S. 98. Ebd., S. 96–97. Ebd., S. 97. Ebd., S. 98. Ebd., S. 99. Ebd.

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Kinder, denn das »heroische Vorhaben« wird auf die Fähigkeit von Kindern zurückgeführt, »selbstverständlich zu sagen, was sie denken, und zu handeln, wie es ihr Gewissen verlangt« sowie auf ihre »Empfänglichkeit […], die die himmlischen Stimmen vernimmt, die von den Feuerflocken des Geistes entflammt wird« – Erwachsenen gehe die »schöne Eigenschaft der Begeisterung meistens verloren«859 Kinder und Erwachsene bezeichnen in dieser Konstruktion keine Altersgruppen, der ausbleibende Widerstand wird weniger auf erwachsene Vernunft, sondern eher auf eine bestimmte Kondition des modernen Menschen zurückgeführt. Die Besinnung auf höhere Werte ermöglichte den Widerstandskämpfern diese conditio humana individuell im Tod zu überwinden. Diese Konstruktion wird in der Schilderung der letzten Stunden deutlich, wobei sich Huch eng an Karl Alts Text anlehnt. In allen Lebensbildern wird die Verstärkung der Religiosität, das religiöse Bekenntnis (Taufe Christoph Probsts) oder sogar die Bekehrung zum christlichen Glauben (Hans Leipelt, Alexander Schmorell) zum Kennzeichen der letzten Stunden. Die Lebensbilder lassen sich nicht eindeutig in ein Ost-West-Schema einordnen. Die Arbeit daran begann Huch in Jena und auch nach ihrer Übersiedlung nach Frankfurt a. M. arbeitete sie daran weiter. Der geplante Veröffentlichungskontext war zwar ein westzonaler, jedoch konnte sie die Texte zu Lebzeiten nicht mehr veröffentlichen. Die postume Publikation aller Lebensbilder war zwischenzeitlich im Insel-Verlag vorgesehen,860 erfolgte bis 1997 nur außerhalb Deutschlands in der Schweizer Rundschau,861 einzelne Lebensbilder wurden jedoch in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen in Ost und West veröffentlicht und damit durchaus breit rezipiert.862 Es lassen sich auch Hinweise finden, dass eine Publikation in Zusammenarbeit mit Inge Scholl geplant war, jedenfalls fragte Huchs ehemalige Sekretärin bei Scholl an, »ob man nicht einiges aus den Tagebüchern und Briefen mit veröffentlichen sollte, und ob wir vielleicht Zuckmayer bitten könnten, ein kurzes Vorwort zu schreiben«.863 Eine besondere Würdigung kommt Ricarda Huchs Lebensbildern durch Harald Poelchau zu, der 859 Ebd., S. 85–86. 860 Antje Lemke: Brief an Inge Scholl, 15. 04. 1948. In: IfZ, ED 474 (734). 861 Ricarda Huch: Die Aktion der Münchner Studenten gegen Hitler (I). In: Neue Schweizer Rundschau 16 (1948), S. 283–296; Ricarda Huch: Die Aktion der Münchner Studenten gegen Hitler (II). In: Neue Schweizer Rundschau 16 (1948/49), S. 346. 862 Ricarda Huch: Die Aktion der Münchner Studenten gegen Hitler. In: Neue Auslese 3 (1948), Nr. 12, S. 3–15; Ricarda Huch: Letzte Manuskripte. In: Die Wandlung 3 (1948), Nr. 1, S. 12– 16; Ricarda Huch: Die Aktion der Münchner Studenten gegen Hitler. In: Die Tat, 23. 7. 1949, S. 283–296; Ricarda Huch: Lebensbild Alexander Schmorell. In: Hamburger Akademische Rundschau 3 (1948), Nr. 3, S. 193–198. Hikel beachtet nicht diese verstreuten Publikationen bei ihrer Einschätzung, Huchs Darstellung habe »nie sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen«. (Hikel, Anm. 49, S. 70) 863 Antje Lemke: Brief an Inge Scholl, 15. 04. 1948. In: IfZ, ED 474 (740).

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in seinem Artikel in der Tat Huch als »wie kaum ein anderer« berufen befindet, »mit der Reife ihrer Erfahrung und der Gewalt ihrer Sprache die deutsche Widerstandsbewegung in ihren einzelnen Vertretern menschlich zureichend darzustellen«.864 Ihr Tod bedeute für die »Geschichte der Widerstandsbewegung« einen »nicht wiedereinzubringenden Verlust«.865 Zur Darstellung der »Münchener« urteilt er : Und wenn wir sie auch persönlich nicht gekannt haben, nun sind sie uns nahe gebracht, noch näher fast als zu der Zeit, da wir aus den ausländischen Sendern und den Gerüchten innerhalb des deutschen Volkes die Texte der Blätter der »Weißen Rose« hörten. Jetzt wissen wir, daß in den romantisch idealistischen Worten von Ehre und Freiheit, die durch die Hitlerzeit so abgegriffen und geschändet sind, tiefe menschliche Anliegen enthalten sind.866

Durch das Ausbleiben einer Herausgabe der Lebensbilder in Buchform blieb ihre zeitliche Reichweite in Bezug auf die öffentliche Erinnerung gering. Nach dem Erscheinen von Inge Scholls Die weiße Rose wurde auf Huchs Darstellung kaum noch Bezug genommen. Weisenborn, der seinen 1951 erschienenen Band Der lautlose Aufstand als Nachfolge von Huchs Projekt darstellt, folgte einer völlig anderen Konzeption als Huch.867

III.3.5 Die Weiße Rose in Stephan Hermlins Die erste Reihe (1951) Stärkeres Engagement von Schriftstellern in Bezug auf die Erinnerung an den Widerstand war 1949 im VVN-Kontext von Karl Schirdewan gefordert worden: »Wir brauchen dichterische Kräfte, um bleibende und überzeugende Werke in der deutschen Literatur zu schaffen«.868 Insbesondere in den Jahren 1948 und 1949 wurden zahlreiche von Schriftstellern verfasste Portraits von Widerstandskämpfern in der Presse und in VVN-Publikationen veröffentlicht.869 Im Oktober 1949 kündigte der Zentralrat der FDJ in einer Pressemitteilung an, Stephan Hermlin habe in enger Zusammenarbeit mit dem Zentralrat »mit einem Buch, das den Widerstandskampf der jungen deutschen Antifaschisten behandelt, begonnen«: Es entsteht hier zum ersten Mal ein für die deutschen Jungen und Mädel geschriebenes Werk, dem grosse Bedeutung zukommt, sind doch die jungen Antifaschisten, die gegen 864 865 866 867 868 869

Poelchau, Anm. 629. Ebd. Ebd. Siehe Kapitel IV.2.3. Barck, Anm. 162, S. 157–158. Ebd.

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den Krieg und gegen den Faschismus kämpften, die Vorbilder unserer jungen Generation, die heute im Rahmen der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands gegen den anglo-amerikanischen Imperialismus für die Einheit Deutschlands und einen dauerhaften Frieden kämpfen.870

Ob Hermlin zu diesem Zeitpunkt tatsächlich mit dem Schreiben begonnen hatte, ist zu bezweifeln. In einer Sitzung vom 14. Februar 1950 »billigte« das Sekretariat des Zentralrats der FDJ einen »Vorschlag von Stefan [sic] Hermlin eine Darstellung der Persönlichkeit von ca. 30 jungen Widerstandskämpfern unter Aufzeichnung des geschichtlichen Hintergrunds und des Weges in die Zukunft zu geben«.871 Im Sitzungsprotokoll findet sich auch eine erste Liste der »zur Beschreibung« vorgesehenen Widerstandskämpfer: Grete Walter, Katja Niederkirchner, Heinz Kapella [sic], Arthur Becker, Walter Husemann, Bruno Kühn, Hanno Günter [sic], Bruno Tesch, Gruppe Baum, Sofie [sic] Scholl, Hans Scholl, Hilde Koppi [sic], Hans Koppi [sic], Robert Menzel, Hermann Rautenberg. Ferner sollen einige junge Soldaten beschrieben werden, die in der deutschen Armee illegal gearbeitet oder in den Reihen der Roten Armee gegen die Hitlerarmee gekämpft haben.872

Werner Erben wurde beauftragt, eine Sitzung zu organisieren mit Erich Honecker, Heinz Kessler sowie Vertretern der VVN »zwecks Erlangung von Biografien, Dokumenten usw., die Stefan [sic] Hermlin als Arbeitsgrundlage zur Verfügung zu stellen sind«.873 Dieses Material sollte nach Möglichkeit auch »letzte Worte« umfassen.874 Hermlin wurden auch Materialien aus Ermittlungs- und Prozessakten aus »geheimen Archiven« zu Verfügung gestellt.875 Bis zur Auslieferung des Buches im zweiten Halbjahr 1951 war das Projekt Gegenstand mehrerer Zentralratssitzungen, was darauf schließen lässt, dass es von offizieller Seite sowohl stark gefördert als auch beeinflusst wurde. In seiner offiziellen Anbindung kontrastiert Hermlins Projekt mit der Privatinitiative Ricarda Huchs ebenso wie in der spezifischen Adressierung und Widmung an die Jugend, »der millionenfachen zweiten Reihe der Freien Deut-

870 Protokoll der Sitzung des Zentralrats der der FDJ, 11. 10. 1949. In: BArch-SAPMO, DY 24 (2391). Dass es sich bei dem Buch um einen »persönlichen Auftrag« des FDJ-Vorsitzenden Erich Honeckers gehandelt hat (Peter Jochen Winters: Honecker und ich. Kulturpolitik in der DDR. Auskünfte von Stephan Hermlin. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 04. 1995) geht aus den Akten nicht hervor. 871 Protokoll Nr. 54 der Sitzung des Sekretariats des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend, 14. 2. 1950. In: BArch-SAPMO, DY 24 (2394). 872 Ebd. 873 Ebd. 874 Ebd. 875 Stephan Hermlin: Brief an Gerd Focke, 1954. In: Privatarchiv Gerd Focke.

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schen Jugend«.876 Ähnlichkeiten ergeben sich aber in der Begründung der Notwendigkeit der Darstellung für das »deutsche Volk« im Vorwort: Das deutsche Volk, das an der Machtergreifung Hitlers und an seinen Massakern beteiligt war, war auch an dem unaufhörlichen, offenen, leidvollen und stolzerweckenden Kampf gegen Hitler und jene, die ihn gerufen hatten, und ihren schändlichen Krieg beteiligt. Allzuwenig ist bisher über diesen Kampf gesprochen worden. Er ist ein wichtiges Stück unserer Geschichte, er ist ein Teil jener Geschichte, die ein Volk zum Leben braucht.877

Hermlin liefert jedoch eine weitere Begründung: Diejenigen, die »alleine legitimiert sind, über diesen Kampf […] Zeugenschaft abzulegen«, hätten dazu »keine Zeit« gehabt.878 An ihrer Stelle wolle er Verfälschungen »in der Sphäre des Atlantikpaktes und der faschistischen Renaissance von Opportunisten, fingerfertigen Memoirenschreibern, militärischen Metaphysikern, Rettern des Abendlandes« entgegentreten.879 Seine »Arbeit« nenne »nicht mehr als dreißig« Widerstandskämpfer stellvertretend für die »erste Reihe« der »Tausende[n] von jungen Deutschen«, die »in einem Kampf ihr Leben geopfert« haben, »den die ganze Menschheit führte und weiter führt, um als Menschheit zu bestehen«. Dabei handelt es sich um »mehr oder weniger bekannt[e]« und »unbekannt[e]« Namen.880 Diese Menschen seien »nicht als Helden geboren«, sondern »einfache Menschen, die wie alle anderen […] ihre Eltern, ihre Frauen und Männer, ihre Kinder, ihre Freunde […], ihren Heimatort, ihre Straße, ihr Land« liebten, jedoch »um einen Grad heißer, bewußter« als die anderen.881 Dies sei Voraussetzung für ihren Kampf, es solle »kurz« beschrieben werden, »was sie getan haben«.882 In diesem Zusammenhang ist interessant, dass Hermlin die Portraits nicht wie Huch als ›Lebensbilder‹, sondern als »Lebensläufe«883 bezeichnet, was einen Fokus auf den Zusammenhang zwischen Person, Tat und Umwelt andeutet. Bezeichnend ist eine imaginäre Szene, welche die Widerstandskämpfer als Kolonne bei einer Demonstration der Arbeiterbewegung vergegenwärtigt. Diese erklärt den Titel des Buches: »Wir, die wir sie gekannt haben, sehen sie, wenn wir die Augen schließen, die Straßen der deutschen Städte hinunterziehen, damals. Sie singen: ›Wir sind die erste Reihe, / Wir gehen drauf und dran! / Wir sind die junge 876 877 878 879 880 881 882 883

Hermlin, Anm. 27, S. 5. Ebd., S. 7. Ebd., S. 7–8. Ebd., S. 8. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 9.

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Garde….‹«884 Allerdings schränkt der Autor ein: »Nein, sie sangen nicht alle das Lied von der Ersten Reihe. Aber alle zusammen sind sie, sie alle sind die Erste Reihe.«885 Damit wird bekräftigt, dass der »Kampf deutscher Jugend um ein friedliches Deutschland auch damals nicht die Sache einer einzigen Organisation oder Weltanschauung war«.886 Diese Feststellung, die im Text übrigens nicht als Konsens vorausgesetzt wird (»Es müßte eigentlich nicht hervorgehoben werden, daß«887), ist aber mit einer anderen verbunden, welche die »Auswahl und Zusammenstellung der hier veröffentlichten Lebensläufe« begründet: Der Kampf deutscher Jugend gegen den Krieg habe »in den Jahren der Weimarer Republik« begonnen und dieser Kampf sei Vorbild für den Widerstand gewesen; die Arbeiterbewegung habe zudem, »was die Oppositionsbewegung der deutschen Jugend angeht, die bei weitem größte Aktivität bewiesen und die schwersten Opfer gebracht.«888 Dies liefert die Begründung für die chronologische Anordnung der Portraits und den hohen Anteil von Angehörigen der Arbeiterschaft und kommunistischer Organisationen. Ihr Kampf gehöre »zum teuersten, bittersten, stolzesten Erbe einer Jugend, die sich täglich wandelt und das Antlitz ihres Landes verändert« und sich »in ganz Deutschland unter der blauen Fahne im Marsch in eine Zukunft, die endlich, endlich das Leben sein wird«, befinde.889 Hermlin macht damit die Auswahlkriterien des Bandes transparent, der den kommunistischen Widerstandskampf in beträchtlicher Vielfalt darstellt und neben dem anarchistischen Einzelkämpfer Bernhard Pullmann auch die Gruppe um Herbert Baum sowie die Weiße Rose einbezieht. Letztere bilden die beiden einzigen Gruppenportraits des Bandes. Beide Gruppen werden aber als nicht prädestiniert für den Kampf dargestellt. Aufgrund der Herkunft der meisten Mitglieder der »Gruppe Baum« »aus dem jüdischen Mittelstand […] war [es] natürlich, gerade von dieser Seite her, daß sie die Gesetze der harten, komplizierten Welt, die sie feindlich umgab, nicht verstanden«.890 Herbert Baum jedoch habe als Student den »Kampf, seine Voraussetzungen, sein Ziel« kennengelernt und diese Erkenntnisse an einen Kreis jüdischer Jugendlicher weitergegeben, die er um sich versammelt hatte: Sie begannen zu begreifen, daß sie nicht nur Juden waren, sondern auch Deutsche, junge jüdische Deutsche, daß sie eine Heimat hatten, daß die logen, die sie als Fremdstämmige bezeichneten, daß sie zu den wahren, den besten Deutschen zählten, 884 885 886 887 888 889 890

Ebd. Ebd., S. 10. Ebd., S. 9. Ebd. Ebd., S. 9–10. Ebd., S. 10–11. Ebd., S. 165.

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wenn sie den Kampf gegen ein Regime aufnahmen, das Deutschland in den Krieg gestürzt hatte und damit ins Verderben. Sie waren nicht mehr allein.891

Der Text zur Weißen Rose wird mit der These eingeleitet, dass in den »Taten und Worten« Hans Scholls und Alexander Schmorells »der beste Teil der Geschichte ihres Volkes« lebe; in ihnen erstehe »diese Geschichte selbst mit ihren Stärken und Schwächen, ihren edlen Aufschwüngen, ihren Verwirrungen, ihrem Vorbeisehen an der Wirklichkeit«.892 In der anschließenden Beschreibung einer Fotografie von Hans Scholl wird dieser Befund geradezu verkörpert: Auf seinem letzten Bild ist Hans Scholl ein schöner deutscher Jüngling, wie ihn Schwind gemalt hat, mit den Zügen eines Erzengels und dem schwärmerischen Blick, der sich nach oben kehrt. Inmitten einer deutschen Umwelt, die unter den von Hitler angegriffenen und bedrohten Völkern Abscheu und Haß verbreitet, zeigt Hans Scholl diesen Völkern das Gesicht des Deutschen, wie es in Sagen und Überlieferungen nur noch traumhaft weiterlebt: das Antlitz des Treuherzigen, des Rechtlichen, des wahrhaft Tapferen.893

Diese Beschreibung Hans Scholls kontrastiert mit Hermlins Repräsentation der Körperlichkeit der aus dem Arbeitermillieu stammenden Widerstandskämpfer.894Menschlichkeit und Freundschaft werden von Hermlin als zentrales Motive der Studenten benannt und auf Einblicke »in eine geahnte, kaum bewußte Wirklichkeit« zurückgeführt.895 Als Beispiele werden »die Greuel, die die beiden jungen Hilfsärzte an der Ostfront erlebt hatten«, das »Schicksal der sowjetischen Zwangsarbeiter«, denen Sophie beim Arbeitsdienst »Beistand leistete«, und Hans Empathie mit den Juden (»an Stelle des Judensterns erblickte er [auf einem Plakat] im Geist das Parteiabzeichen mit dem Hakenkreuz«) angeführt.896 Hervorgehoben wird auch Alexander Schmorells Beziehung zu Rußland: »›Trotz des in Rußland herrschenden Systems‹, konstatiert die Anklageschrift, ›blieben nämlich auch nach dem Ausbruch des Krieges mit der Sowjetunion seine Sympathien auf der russischen Seite […]‹«.897 An dieser Stelle wird deutlich, wie Hermlins Portraits auf dokumentarischem Material aufbauen. Im Falle der Darstellung der Weißen Rose sind dies neben der ›letzten‹ Fotografie Hans Scholls die Verhörprotokolle, die Anklageschrift und die Flugblätter. Silvia Schlenstedt bezeichnet den Umgang mit den Dokumenten als »Montagetechnik« und sieht darin den ästhetischen Wert der Texte Hermlins, 891 892 893 894

Ebd., S. 168. Ebd., S. 174. Ebd. Siehe Gregor Ohlerich: Zwischen Bürgertum und Sozialismus. Stephan Hermlins Verhältnis zur Arbeiterklasse. Berlin: trafo 2000, S. 84–89. 895 Hermlin, Anm. 27, S. 174–175. 896 Ebd., S. 175. 897 Ebd.

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der sich die »Rekonstruktion« und »Ermittlung« »individuelle[r] Lebensläufe und ihre[r] gesellschaftlichen Zusammenhänge« zur Aufgabe gemacht habe.898 »Das Ermitteln, Suchen, Nachfragen« bestimme den »Gestus« der Texte und sei »elementare Substanz bei der Vergegenwärtigung der Toten«, die der Mitarbeit des Lesers bedürfe.899 Die von Schlenstedt genannten Merkmale Rekonstruktion und Ermittlung liefern jedoch eine unvollständige Beschreibung der Funktion der Dokumente. Dokumente als Intertexte dienen in den meisten Fällen als Illustration und Beleg für historische Sichtweisen und gegenwartsbezogene Interpretationen sowie als Mittel zum Appell an Emotionen. Der Autor tritt laut Schlenstedts Analyse hinter den Dokumenten zurück, jedoch wird durch den Kommentar der Autortext zu deren Paratext. Auch Auswahl und Anordnung sind Autorfunktionen, die die »Aufmerksamkeit des Lesers« nicht nur »indirekt« lenken.900 Dies macht deutlich, dass mit der Einbettung der Dokumente neben den von Schlenstedt betonten Funktionen Erinnern und Vergegenwärtigen auch eine didaktische Wirkungsfunktion verbunden ist. Die unterschiedlichen Funktionen des Dokumentarischen zeigen sich in Hermlins Umgang mit den Flugblättern der Gruppe besonders deutlich. So wird den Zitaten aus den ersten Flugblätter der Weißen Rose eine kritische Bewertung vorangestellt, deren Elemente bei den weiteren Zitaten wiederholt werden: Die »Flugblätter der Weißen Rose« sind verzweifelte Aufrufe in eine Richtung, aus der den Kämpfern gegen den Faschismus keine Antwort kommen wird, sie sind nicht einmal im Stande, den Feind beim Namen zu nennen. Aus diesen Flugblättern ergibt sich, warum die Geschwister Scholl in den Augen von Leuten Gnade gefunden haben, die die Widerstandsbewegung hassen und zu verfälschen suchen. Hans und Sophie Scholl haben diese Nachsicht, ja diesen Ruhm von dieser Seite nicht verdient, denn sie waren reine Menschen und Helden.901

In der Folge wird jedoch die vermeintlich aus Religion gewonnene Erkenntnis der »jungen Menschen« betont, die, obwohl »hineingewachsen in den faschistischen Staat, den die Schicht, aus der sie stammten stützte und schützte«, »immer noch ein Stück weiter[sahen], als sie eigentlich sehen sollten«.902 Der angeführte Beleg durch ein Flugblattzitat steht auch in Bezug zu ihrer Bezeichnung als »junge Märtyrer«903 : [Sie] bewahrten sich eine Menschlichkeit, erzogen sich zu ihr, die ihnen Stück für Stück genommen oder ganz unbekannt bleiben sollte: sie wollten kämpfen: »Überall und zu 898 Sylvia Schlenstedt: Stephan Hermlin: Leben und Werk. Berlin: deb 1985, S. 176–177. 899 Ebd. 900 Ebd., S. 173–179, Zitate S. 177–179. Schlenstedts Arbeit zu Hermlin wurde parallel in Ostund Westberlin verlegt. 901 Hermlin, Anm. 27, S. 175–176. 902 Ebd., S. 176–177. 903 Ebd., S. 176.

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allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden«, schrieben Hans Scholl und Alexander Schmorell in den Flugblättern, »Propheten, Heilige, die ihre Freiheit bewahrt hatten, die auf den einzigen Gott hinwiesen und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten. […] Wir müssen das Böse dort angreifen, wo es am mächtigsten ist, und es ist am mächtigsten in der Macht Hitlers.«904

Die Flugblätter werden von Hermlin jedoch nicht nur als Zeugnis des »antifaschistischen Kampfes« angeführt, sondern polemisch auch auf die zeitgenössische Gegenwart gewendet, wobei gegen den Westen gerichtete Aussagen mit einem Gestus der Verteidigung der Erinnerung an die Weiße Rose verbunden werden: Die »Weiße Rose« zitiert Aristoteles, Schiller, Novalis. Jeder Satz dieser Schriften ist in seiner sprachlichen Leidenschaft ein Anrennen gegen die Gleichgültigkeit von Millionen. Die Scholls starben, weil sie geschrieben hatten: »Für Hitler und seine Anhänger gibt es auf dieser Erde keine Strafe, die ihren Taten gerecht werden würde. Aber aus Liebe zu den kommenden Generationen muß nach der Beendigung des Krieges ein Exempel statuiert werden […].« Sie haben nicht erlebt, wie die amerikanischen Protektoren, die den Namen der Scholls so gern mißbrauchen, ihre Mörder unter der Losung »Fortsetzung folgt« aus Landsberg entließen. […] Und nicht nur an ihre Verfolger ist ihre Drohung gerichtet: »Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die ›Weiße Rose‹ läßt Euch keine Ruhe…«905

Besonders hervorgehoben werden die letzten beiden Flugblätter. Die Warnung vor der »nationalsozialistischen Propaganda, die Euch den Bolschewistenschreck in die Glieder gejagt hat«, sei ein Aufruf gegen »das letzte Wort jeder faschistischen Hetze«.906 Und das letzte Flugblatt, das in Gänze zitiert wird, wird als »eine der bedeutendsten Flugschriften in der Geschichte der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung« bezeichnet, wogegen die anderen Flugblätter in der von Kurt Huber »abgeänderten Form verbreitet worden und auf uns gekommen« seien.907 Man müsse »diese Gegensätze zwischen den Studenten und dem Professor Huber kennen, um die Arbeit der ›Weißen Rose‹ richtig einschätzen zu können«.908 Kurt Huber wird als Gegenspieler der Studenten konstruiert und kommt im Text nur in dieser Rolle vor. Er habe »wie aus den Gerichtsakten hervorgeht, in der Bewegung eine gefährliche Rolle gespielt – das soll gesagt sein, wenn auch Kurt Huber tapfer unter dem Henkerbeil gefallen ist«.909 Hermlin verweist auf 904 905 906 907

Ebd., S. 177. Ebd., S. 179–180. Ebd., S. 180. Ebd., S. 178. Dass dieses Flugblatt von Huber verfasst wurde, muss Hermlin aus den Akten bekannt gewesen sein. 908 Ebd., S. 178. 909 Ebd., S. 177.

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Hubers NSDAP-Mitgliedschaft und seine Forderung, die Verteilung der Flugblätter auf den »süddeutschen ›Raum‹« zu beschränken: Der Professor war, wie ungezählte intellektuelle Sonderlinge und reaktionäre Kritiker an der Reaktion vor ihm, Anhänger einer »ständisch-freiheitlichen« Staatsform. Ihn interessierte in diesem Zusammenhang nur der Süden Deutschlands; den Norden hatte er als »bolschewistisch« abgeschrieben. In den Flugblättern Alexander Schmorells entdeckte er zu seinem Mißfallen, wie er später vor Gericht aussagte, kommunistische Gedankengänge.910

Die Darstellung des Endes der Weißen Rose konzentriert sich auf die Geschwister Scholl. Die Vernehmungsprotokolle der Geschwister bezeichnet Hermlin als »ein großartiges Zeugnis ihres strahlenden Mutes«: »Immer wieder bekennen sich die beiden mit Leidenschaft zu ihrer Tat«.911 Literarisch eindrucksvoll ist die Verbindung von Dokument und Narration in der Schilderung der Hinrichtung Hans Scholls, wobei ein Bogen vom ersten Flugblatt zur Hinrichtung geschlagen wird: Die Hinrichtungsakte im Dritten Reich war ein Vordruck, mit dem Abziehapparat hergestellt, dessen letzte, ewig gleiche Sätze lauteten: »Der Verurteilte war ruhig und gefaßt. Von der Übergabe an den Scharfrichter bis zum Fall des Beiles vergingen (hier folgt ein freier Raum, der mit einer Zahl ausgefüllt ist) Sekunden.« In Hans Scholls Akte hat die Hand eines der Henkersbürokraten zu seinem Ruhm nach dem Wort »gefaßt« mit Tinte den Satz eingefügt: »Seine letzten Worte waren: ›Es lebe die Freiheit‹« Es lebe die Freiheit… Hatten nicht im ersten Flugblatt […] Goethes Worte aus dem Epimenides gestanden, die er der Hoffnung in den Mund gelegt hat?912

Die erste Reihe wird wohl auch aufgrund solcher Passagen von der Literaturkritik begrüßt. So folgert Günter Caspar aus dem Band ästhetische Kriterien für ein ganzes Genre: Die »kurze Biographie, das Portrait« werde dann zur literarischen Form, »wenn dem Dichter die unmittelbare Verbindung von Dokument und schriftstellerischer Gestaltung, besser : die Gestaltung auf Grund des Dokuments gelingt«.913 Hermlins Buch erscheint bis 1985 in fünf Auflagen mit hoher Auflagenzahl und war in der DDR angeblich Pflichtlektüre für Diplomaten.914 Ab der dritten Auflage 1954 erscheint es ohne Vorwort, die Portraits Arthur Emmerlichs und 910 911 912 913

Ebd., S. 178. Ebd., S. 182. Ebd., S. 182–183. Günter Caspar : Das Fest war auch eines der Literatur. In: Aufbau 7 (1951), Nr. 2, S. 806–809, S. 806. 914 Wolfgang Mach: Stephan Hermlin 1958–1989. Versuch einer geistigen Existenzform im Sozialismus. Magisterarbeit, Humboldt-Universität zu Berlin, 2001, Internet: http://www. hermlin.de/Magisterarbeit-WM-Hermlin.pdf, zuletzt geprüft am 04. 07. 2015, nicht mehr aufrufbar am 11. 07. 2018, S. 15.

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Bernhard Pullmanns entfallen, dafür wird ein neuer Text über »Die Freundschaft«, einem Kreis um die Münchener »Brüderliche Vereinigung der Kriegsgefangenen« eingefügt.915 Das Portrait der Weißen Rose bleibt erhalten. Der 1987 im DDR-Fernsehen ausgestrahlte, auf dem Buch basierende Fernsehfilm beschränkt sich jedoch auf Berliner Widerstandskämpfer.916 Barck nennt Die erste Reihe einen »jahrzehntelang kanonisierten Text«917 und auch Schlenstedt betont die Bedeutung des Buches für die Erinnerung des »breiten antifaschistischen Kampf[es]« in der DDR: Stephan Hermlins Erste Reihe ist ein schlichtes Buch, das außerordentlich viele Leser fand, ein Buch, an dem die »zweite Reihe« junger Deutscher […] lernen konnte, was alles Antifaschismus bedeutete. […] Wenn heute für Massen von Menschen unseres Landes das Bild, das es bot, der gewohnten Vorstellung vom Widerstand, vom opferreichen und breiten antifaschistischen Kampf entspricht, so ist dies das Ergebnis eines Prozesses, an dem Hermlins Arbeit großen Anteil hat.918

Die Rezeption des Textes über die Weiße Rose in der DDR ist jedoch nicht ungebrochen. In einem 1954 von der FDJ herausgegebenen Band Deutschlands junge Garde. 50 Jahre Arbeiterjugendbewegung befindet sich zwar im Kapitel »Der heldenhafte Widerstandskampf junger Deutscher gegen den Faschismus« neben den von Hermlin übernommenen Portraits Rudi Arndts und Käthe Niederkirchners auch ein Portrait der Geschwister Scholl,919 allerdings handelt es sich hierbei um den oben analysierten Text Paul Verners aus dem Neuen Deutschland von 1948, der bis auf den aktualisierten Schluss, in dem von einem nun in der DDR »erfüllt[en]«920 Vermächtnis die Rede ist, unverändert abgedruckt wird. Die Einreihung der Weißen Rose in die Arbeiterjugendbewegung soll belegen, dass sich nach den Brüsseler Beschlüssen »die tapfersten und bewußtesten jungen sozialistischen und kommunistischen Arbeiter mit jungen Christen und anderen jungen Antifaschisten« zusammenschlossen, wie es im Vorwort Erich Honeckers heißt.921 Verners und nicht Hermlins Text wurde 1958 auch in Walter A. Schmidts Quellensammlung Damit Deutschland lebe über-

915 916 917 918 919

Barck, Anm. 162, S. 131. Peter Vogel: Die erste Reihe – Bilder vom Berliner Widerstand. DDR, 1987. Ebd., S. 9, nach S. 128. Schlenstedt, Anm. 898, S. 176. Paul Verner : Die Geschwister Scholl. In: Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hrsg.): Deutschlands junge Garde. 50 Jahre Arbeiterjugendbewegung. Berlin (Ost): Neues Leben 1954, S. 289–292. 920 Ebd., S. 291. Vgl. mit Verner, Anm. 586. 921 Erich Honecker : 50 Jahre Arbeiterjugendbewegung in Deutschland. In: Zentralrat der Freien Deutschen Jugend (Hrsg.): Deutschlands junge Garde. 50 Jahre Arbeiterjugendbewegung. Berlin (Ost): Neues Leben 1954, S. 5–32, S. 17.

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nommen.922 Dass Hermlins Text Probleme bereitete, zeigen auch die Akten des Komitees Antifaschistischer Widerstandskämpfer, das Material zur Weißen Rose sammelte und zahlreiche Anfragen von nach den Geschwistern Scholl benannten Pioniergruppen und Schulen nach Informationen und Material zu ihren Namensgebern beantwortete. In der Sammlung befindet sich eine Abschrift des Portraits der Weißen Rose mit dem handschriftlichen Vermerk: »Nicht geeignet«.923

922 Walter A. Schmidt: Damit Deutschland lebe. Ein Quellenwerk über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf 1933–1945. 2. Aufl. Berlin: Kongress 1959, S. 227–228. 923 Stephan Hermlin: Die Weiße Rose (Abschrift). In: BArch-SAPMO, DY 57 (1203).

IV

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IV.1 Inge Scholls Best- und Longseller Die weiße Rose IV.1.1 Entstehungsgeschichte und Veröffentlichungskontext Von allen Familienangehörigen des Kreises der Weißen Rose hat die 1917 geborene, ältere Schwester von Hans und Sophie Scholl, Inge Scholl, den nachhaltigsten Einfluss auf die öffentliche Erinnerung des Widerstandskreises ausgeübt.924 Wie ihre Geschwister war sie zunächst aktive Anhängerin des Nationalsozialismus. 1933 trat sie dem Bund Deutscher Mädel (BDM) bei und spielte ab Mitte der 1930er Jahre als Ringführerin eine führende Rolle im Ulmer BDM. Nach ihrem Schulabschluss ließ ihr Engagement im BDM nach, hinzu kam eine Verhaftung wegen ›bündischer Umtriebe‹, die eine Distanzierung vom Nationalsozialismus bewirkte. Einen endgültigen Bruch löste wohl erst die Hinrichtung ihrer Geschwister aus. Nach Kriegsende arbeitete Inge Scholl ihrem Vater zu, der von den amerikanischen Behörden als Oberbürgermeister von Ulm eingesetzt wurde, und gründete gemeinsam mit Otl Aicher und weiteren Bekannten 1946 die Ulmer Volkshochschule, die sie bis 1974 leitete. 1947 initiierten Aicher und Scholl außerdem einen Diskussionskreis »Studio Null«, um eine Akademie zur Ausbildung einer neuen demokratischen Elite zu planen. In diesem Kontext entstand die Idee einer fächerübergreifenden und gesellschaftspolitisch orientierten Hochschule, die von einer Geschwister-SchollStiftung getragen werden sollte. In diesem Zusammenhang knüpften Scholl und Aicher in den folgenden Jahren ein enges Netzwerk sowohl zur amerikanischen Administration als auch zum intellektuellen Feld der Nachkriegszeit, insbesondere zu Hans-Werner Richter und dem Umfeld der Gruppe 47. Richter war 924 1952 heirateten Scholl und Aicher, Inge Scholl führte seitdem den Namen Aicher-Scholl. Die folgende Darstellung basiert im Wesentlichen auf Hikel, Anm. 49. Hikel betrachtet Inge Scholls Biografie im Zusammenhang mit ihrer Rolle als Akteurin im Zusammenspiel familiärer und öffentlicher Erinnerung (siehe Kapitel I.2.2).

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maßgeblich an einem ersten Konzept für die Hochschule beteiligt, jedoch standen die Amerikaner seiner Beteiligung ablehnend gegenüber.925 Unter dem Einfluss des Architekten und Künstlers Max Bill konkretisierte sich dann die engere Konzeption für die Hochschule für Gestaltung (HfG), die 1953 eröffnet werden konnte und von Bill bis 1956 geleitet wurde.926 Inge Aicher-Scholls Beiträge zur Hochschulgründung und zur öffentlichen Erinnerung an ihre Geschwister und die Weiße Rose können zumindest in der Anfangsphase in einem wechselseitigen Legitimationszusammenhang gesehen werden.927 Das Ende der HfG aufgrund der Streichung von Zuschüssen durch das Land Baden-Württemberg 1968 und die Kontroversen um das Gedenken an die Weiße Rose im Zuge der Veröffentlichungen von Christian Petry im gleichen Zeitraum bildeten für Inge Scholl einen Einschnitt. Sie zog sich sukzessive von ihren Funktionen und aus der Öffentlichkeit zurück, nahm mittelbar aber weiterhin Einfluss auf die öffentliche Erinnerung an die Weiße Rose. Inge Scholls Einflussnahme lässt sich in drei Dimensionen zusammenfassen. Erstens intervenierte sie aufgrund ihrer »Legitimität […] als Schwester der Hingerichteten«928 gegen Darstellungen, die sie und andere Angehörige als unangemessen empfanden. Dies wurde bereits am Beispiel ihrer Kampagne gegen Alfred Neumanns Roman deutlich929 und zeigt sich u. a. auch in der Ablehnung verschiedener Filmprojekte930 und der Reaktion auf Christian Petrys Veröffentlichungen zur Weißen Rose.931 Zweitens beeinflusste sie Darstellungen durch die »Autorität des Archivs«,932 dem von ihr verwalteten Nachlasses ihrer Geschwister, aus dem sie selektiv Material herausgab. Auf ihrer Legitimität als Schwester und der Autorität als ›Hüterin des Nachlasses‹ basiert drittens die Authentizitätszuschreibung der von ihr verfassten Darstellungen, indem Scholl die ihren Schilderungen inhärente »Subjektivität der Familienerinnerung« durch Berufung auf »die scheinbare Objektivität der Archivalien« authentifiziert.933 925 Schüler, Anm. 42, S. 14. 926 Zur Geschichte der HfG siehe Ren8 Michael Spitz: Die politische Geschichte der Hochschule für Gestaltung Ulm (1953–1968). Ein Beispiel für Bildungs- und Kulturpolitik in Deutschland (Diss., Univ. Köln, 1997), Internet: https://d-nb.info/96496421x/34, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 927 Siehe Schüler, Anm. 42, S. 439–464; differenzierter Hikel, Anm. 49, S. 116–123. 928 Christine Hikel: Erinnerung als Partizipation. Inge Scholl und die »Weiße Rose« in der Bundesrepublik. In: Christine Hikel, Nicole Kramer, Elisabeth Zellmer (Hrsg.): Lieschen Müller wird politisch. Geschlecht, Staat und Partizipation im 20. Jahrhundert. München: Oldenbourg 2009, S. 105–115, S. 108. 929 Siehe Kapitel III.1.4. 930 Siehe Kapitel V.1.2 sowie ausführlich dazu Hikel, Anm. 49, S. 140–155. 931 Siehe Kapitel V.1.4. 932 Ebd. 933 Ebd.

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Schon 1946 nahm Scholl zur Widerstandstätigkeit ihrer Geschwister in Rundfunkansprachen öffentlich Stellung, nachdem sie bereits zuvor privat an Texten zur Erinnerung an ihre Geschwister gearbeitet hatte. Christine Hikel hat anhand von Inge Scholls Tagebüchern und frühen Manuskripten nachgezeichnet, wie und unter welchen Einflüssen sich Scholls private Deutungsmuster nach der Hinrichtung ihrer Geschwister veränderten und wie sie ihre eigene Lebensgeschichte und die Biografien ihrer Geschwister gerade in Bezug zur Religion parallelisierte und zunächst den Glauben als zentrale Motivation des Widerstands sah.934 In ihrem Nachlass935 sind verschiedene Manuskripte veröffentlichter oder für die Öffentlichkeit vorgesehener Texte überliefert: ein auf 1945 datierter Text Erinnerungen an München, Manuskripte für Rundfunkansprachen, verschiedene biografische Skizzen, die auch als Grundlage für Ricarda Huchs Gedenkbuch-Projekt dienten, und ein Expos8 für einen Film zur Weißen Rose, das sie 1947/1948 gemeinsam mit Otl Aicher verfasste.936 Außerdem gibt es zwei Versionen eines auf 1948 datierten Manuskripts Die weiße Rose, mit der erklärten Intention, das »Schicksal der Geschwister Scholl für 10- bis 14-jährige Kinder verständlich zu machen«.937 Dieser Text steht vermutlich mit einer Anfrage des Landesschulbeirats für Hessen in Zusammenhang. Dessen Geschichtsausschuss war in den Vorbereitungen für ein neues Geschichtsbuch mit dem Arbeitstitel »Erziehung durch Geschichte« an einem Beitrag Inge Scholls »ueber Opfertat und Opfertod« ihrer Geschwister gelegen.938 Bei der Anlage des reformpädagogisch orientierten Projekts, das »die Neubelebung der Wurzelkräfte, aus denen der Mensch wächst«, zum Ziel hatte, lag der Referentin Ida Maria Bauer »lebendige Wirkung und Werteinstrahlung in die Kinderseele am Herzen«.939 Von Scholls Beitrag in der Rubrik »Kaempfer wider das Unrecht« sollte »nahe und lebendige Wirkung vorbildlichen Menschentums auf unsere Jugend« ausgehen »und zwar in getreuester Darstellung, die immer am tiefsten wirkt«, wobei, »[d]amit die Seelen der Kinder nicht Schaden leiden [,][…] das Boese immer nur in der Ueber934 Hikel, Anm. 49, S. 38–44. 935 Siehe Angaben zu den Bänden 291–297, 382–398 in: Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin: Findbuch zum Bestand ED 474, Aicher-Scholl, Inge, Internet: http:// www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0474.pdf, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 936 Von Barbara Schüler irrtümlich Carl Zuckmayer zugeschrieben: Die Weiße Rose. Ein Filmscript von Carl Zuckmayer, ediert, eingeleitet und kommentiert von Barbara Schüler. In: Zuckmayer-Jahrbuch 4 (2001), S. 19–134. Siehe dazu Daniela Sannewald: Nicht von Zuckmayer : Die weisse Rose. Carl Zuckmayer über die Geschwister Scholl und ein Forschungsirrtum. In: Zuckmayer-Jahrbuch 5 (2002), S. 511–544. Zum Filmprojekt von 1947/ 48 siehe Kapitel V.1.2 sowie Hikel, Anm. 49, S. 77–86. 937 Inge Scholl: Die weisse Rose. Hs. Notiz: Versuch, das Schicksal von Hans und Sophie für 10 bis 14 jährige verständlich zu machen, Typoskript, 14 Seiten, 1948. In: IfZ, ED 474 (292). 938 Ida Maria Bauer: Brief an Inge Scholl, 10. 11. 1948. In: IfZ, ED 474 (379). 939 Ida Maria Bauer: Brief an Inge Scholl, 14. 02. 1949. In: IfZ, ED 474 (379).

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windung durch vorbildliches Menschentum« gezeigt werden sollte.940 In einem Erinnerungsschreiben an den Beitrag formulierte Bauer konkrete Erwartungen: Schreiben Sie in der Ich-Form als Schwester, das macht dann den Kindern einen besonderen Eindruck der menschlichen Nähe und Unmittelbarkeit. Wenn ich einen Vorschlag machen darf: Schicken Sie eine kleine Szene aus der Kindheit im Kreise Ihrer Geschwister voraus, dann etwas von dem »Bund der Weissen Rose«, von dem Sinn der Flugblätter (mit einigen Zitaten), von der Tat in der Universität und der Verhaftung, von dem tapferen sinnerfüllten Sterben, (vorher auch noch von den mutigen Worten Ihrer Schwester an die Richter), als Ausklang dann Ihre Gefängnistage mit der Mutter […]. Vielleicht verknüpfen Sie die entscheidende Tat mit Stalingrad, weil das Buch im vorhergehenden Abschnitt das sinnlose Sterben von Stalingrad als Wendepunkt darstellt.941

Auch wenn sich nicht eruieren lässt, ob die im Nachlass befindlichen Manuskripte tatsächlich dieser Schreibvorgabe folgten, lassen sich aus der Anfrage Bauers sowohl die Nachfrage nach als auch ein Erwartungshorizont an Darstellungen Inge Scholls ablesen. Ihr 1952 erstmals im Verlag der Frankfurter Hefte veröffentlichtes Buch Die weiße Rose nimmt jedenfalls Episoden aus diesen Manuskripten auf. Inge Scholls Buch Die weiße Rose hat die öffentliche Erinnerung des Widerstandskreises maßgeblich und nachhaltig beeinflusst und wird deshalb als Schlüsseltext im Folgenden ausführlich untersucht. Die bisherige Forschung wird dabei einbezogen: Wilfried Breyvogel hat den Text im Rahmen von Bemühungen um eine Phasierung der Rezeption der Weißen Rose und »kritischen Rekonstruktion«942 erstmals aus einer Rezeptionsperspektive betrachtet. Achim Ziegler setzt sich kritisch mit dem Quellenwert von Scholls Darstellung auseinander und gleicht die Darstellung mit den Erkenntnissen historischer Forschung zur Weißen Rose ab. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass Scholls Darstellungen und Interpretationen in Teilen den historisch gesicherten Fakten widersprechen.943 Katie Rickart und Joanne Sayner haben dagegen literaturwissenschaftliche Methoden auf den Text angewendet und die Veränderungen in Neuauflagen einbezogen.944 Hikel hat erstmals die Entstehungsgeschichte des Textes untersucht.945 An diese Arbeiten soll im Folgenden angeknüpft werden, 940 941 942 943

Bauer, Anm. 938. Bauer, Anm. 939. Breyvogel, Anm. 42. Armin Ziegler : Das gestaltete Vermächtnis: Inge Scholls Interpretationen der »Weißen Rose«. Ein Beitrag zur »Weiße Rose«-Forschung. Schönaich: Selbstverlag 2006. 944 Katie Rickart: Remembering the Weisse Rose: Myth, Memory, National Identity. Diss., Univ. of Bath, unveröffentlicht, 2005; Joanne Sayner : Women without a Past? German Autobiographical Writings and Fachism. New York: Rodopi 2007. 945 Hikel, Anm. 49, S. 123–139.

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wobei die Analyse hier von den bisher vernachlässigten konkreten Bedingungen der Erstveröffentlichung im Verlag der Frankfurter Hefte ausgeht. Der Verlag der Frankfurter Hefte war 1945 zur Herausgabe der gleichnamigen Zeitschrift (FH) von Eugen Kogon und Walter Dirks gegründet worden.946 Im Zuge der Währungsreform 1948, wahrscheinlich um die sinkenden Auflagen der Zeitschrift auszugleichen, wurde mit der Herausgabe eigenständiger Sachbuchtitel begonnen.947 Durch die Übernahme des Neuen Verlags, der unter dem Namen Frankfurter Verlagsanstalt fortgeführt wurde, kam ein literarisches Programm hinzu. So hielt der Verlag auch die Rechte an Alfred Neumanns Roman Es waren ihrer sechs. Eine wichtige Unternehmung der Frankfurter Verlagsanstalt war die Reihe studio frankfurt für zeitgenössische Literatur unter der Leitung Alfred Anderschs, die auf Beziehungen zum Umfeld der Gruppe 47 und zu Diskursen der ›jungen Generation‹ verweist. Die Struktur mit Kogon als alleinigem Eigentümer hielt den gewachsenen Unternehmungen aber nicht stand – aufgrund von Liquiditätsengpässen und einer zu geringen Kapitaldecke wurde der Verlag 1954 liquidiert.948 Zielgruppe der Zeitschrift und des Verlags war die »Elite der Lebendigen und Fragenden«, wobei in der Formulierung auch ein Selbstverständnis als Sprachrohr der Jüngeren deutlich wird.949 Die FH sind im katholischen Milieu zu verorten, auch wenn ihr Profil explizit weltlich-politisch ausgelegt war. Eine politische Verortung fällt jedoch schwerer, auch wenn Walter Dirks’ Programm einer Verbindung von Christentum und Sozialismus in der Literatur zur Zeit946 Die AMG bestand auf einen wirtschaftlich eigenständigen Verlag, Kogon trug als Lizenznehmer die alleinige wirtschaftliche Verantwortung. Siehe Martin Stankowski: Linkskatholizismus nach 1945. Die Presse oppositioneller Katholiken in Deutschland. Auseinandersetzung für eine demokratische und sozialistische Gesellschaft. Köln: Pahl-Rugenstein 1976, S. 70–71. 947 Die Startauflage der FH betrug 50.000 Exemplare (bei 150.000 Bestellungen), steigerte sich bis 1948 auf 75.000, fiel aber – wie die anderer Nachkriegszeitschriften – nach der Währungsreform kontinuierlich ab, 1950 auf 25.000, 1956 auf 9.000 (Stankowski, Anm. 946, S. 80–83). Der Verlag führte 1950 etwa ein Dutzend Titel vor allem soziologischer, historischer und politischer Literatur. Das Programm wurde sukzessive erweitert, im Jahr 1952 enthielt es ca. 35 Titel, die sich in zeitkritische Literatur, Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen sowie kirchenpolitische Schriften gliedern (eigene bibliographische Recherche). 948 Nur wenige Titel dieses umfangreichen und anspruchsvollen Programms waren rentabel. Signifikante Einnahmen zum Ausgleich der Verluste durch andere Projekte brachten nur Feuchtwangers Goya und Robinsons Der Kardinal. Nach der Liquidition wurde die Zeitschrift zunächst als Zwei-Mann-Unternehmen (mit Walter Dirks) fortgeführt (Stankowski, Anm. 946, S. 80–83). Die Forschungslücke zu der über die Zeitschrift hinausgehenden Verlagstätigkeit entspricht nicht der zeitgenössischen Rolle des Verlags, der in seinem Programm nachhaltig wirkende Titel führte. 949 Eine Leserumfrage 1947 ergab, dass 2/3 der Leser einen Hochschulabschluss besaßen, 3/4 Katholiken und 3/4 unter 50 Jahre alt waren (Stankowski, Anm. 946, S. 80–83).

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schrift häufig zitiert wird.950In einem Werbeprospekt heißt es »Wir sind keine unverbindliche Kulturzeitschrift. Wir sagen Ja und Nein«, zugleich wird aber ein »unabhängige[r] Versuch« jenseits der »deutschen Schablonen« betont.951 Dieser partei- und ideologieüberschreitende Geltungsanspruch schließt dabei auch die Adressierung konservativer Milieus ein. Die Veröffentlichung von Die weiße Rose im Verlag ergab sich aus einem Besuch Walter Guggenheimers bei Inge Scholl in Ulm Ende 1951. In seiner Notiz an Kogon, in der sich der Lektor eindeutig für die zügige Veröffentlichung des Textes ausspricht, sind formale und inhaltliche Argumente eng mit ökonomischen und verlagspolitischen Erwägungen verbunden: Lektoratsmäßig ist die Sache von mir aus entschieden: Die Arbeit ist von höchster, quasi absichtsloser literarischer Qualität (neigt der Sache, der Zeit und des Milieus wegen gelegentlich zu einer Ausdrucksweise, die vielleicht nur in diesem Rahmen angebracht ist, die aber, was nicht übersehen werden soll, in weiten [handschriftlich hinzugefügt: »konservativen«] Leserkreisen viel Sympathie gewinnen wird.) Sie ist von höchstem menschlichen Interesse (was eine sehr schwache Ausdrucksweise darstellt). Sie ist politisch und dokumentarisch von großem Wert. […] Bei dem doch wahrscheinlich ziemlich klar umrissenen Mindestkreis von Interessenten sollte hier das Risiko kleiner sein, als in sonst ähnlich gelagerten Fällen. Im Übrigen wäre es doch auch besonders gut und interessant, wenn wir als die Verleger von ›Es waren ihrer sechs‹ nun, da sie vorliegt, auch die Original-Darstellung brächten. Ähnlich läge es außerordentlich auf unserer Linie der moralisch-politischen Rechtfertigung des Widerstands, und zwar auf eine ganz untheoretische Weise, da es niemandem in diesem Zusammenhang auch nur einfallen könnte, Bedenken anzumelden.952

Diese »ganz untheoretische« Darstellungsweise des Texts ist eng mit dem von Guggenheimer angegebenen »unmittelbare[n] Zweck« des Manuskripts verbunden, welches im Auftrag des Amtes für gesamtdeutsche Fragen des Verbands Deutscher Studentenschaften (VDS) zur »Drucklegung als Broschüre zur Verteilung unter ostzonalen Studenten« bestimmt war.953 Der Notiz zufolge war auch der Verlag Kiepenheuer& Witsch beteiligt, der aber noch nicht auf den »naheliegenden Gedanken« gekommen sei, dass eine so authentische und literarisch so ungewöhnlich hochstehende Darstellung (vielleicht kennt er freilich das Manuskript noch gar nicht) auch für die Leute interessant sein könnte, die sie aber als Broschüre natürlich überhaupt nicht erreicht. […] 950 Hierzu und zum Engagement der Herausgeber bei der CDP/CDU-Gründung in Frankfurt a. M. siehe Hans-Gerd Ewald: Die gescheiterte Republik. Idee und Programm einer »Zweiten Republik« in den Frankfurter Heften (1946–1950). Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang 1988. 951 Werbezettel mit der Überschrift »Zwei Arten von Lesern haben die Frankfurter Hefte«, 1952. 952 Walter Guggenheimer: Notiz an Eugen Kogon, 11. 12. 1951. In: IfZ, ED 474 (334). 953 Ebd.

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Ich würde uneingeschränkt dafür stimmen, dass wir uns sofort einschalten, eventuell auf der Basis, dass wir Kiepenheuer die Broschüren-Aktion überlassen (für die er offenbar Jakob-Kaiser-Geld bekommt, worin wir denn doch lieber nicht stecken sollten).954

Kogons Positionierung unterschied sich vom offiziell und institutionell beförderten Antikommunismus. Zwar engagierte er sich in der Internationalen und Deutschen Exekutive des Kongresses für Kulturelle Freiheit, schied 1952 aber aus, nachdem er des ›Neutralismus‹ und einer amerikakritischen Haltung verdächtigt worden war. Kogon hatte Planungen einer Liga für Menschenrechte vorangetrieben, um den »Menschenrechtsgedanken in konsensliberale Bahnen einzubetten«.955 In diese Planungen wurden insbesondere auch Persönlichkeiten mit Bezug zum Widerstand einbezogen, neben Annedore Leber und Emmi Bonhoeffer auch Inge Scholl. Zwischen Kogons und Scholls Agenda bestanden somit Synergien, die nicht das VDS-Projekt berührten. Dies und das katholischprogressive Profil des Verlags dürften den Ausschlag gegeben haben, warum Scholl ihren Text bei Kogon und nicht bei Gottfried Bermann-Fischer platzierte, der sich ebenfalls um den Titel bemüht hatte.956 Im Nachlass Inge Scholls findet sich das Manuskript der von Lieselotte Berger und Carl-Heinz Evers zusammengestellten Broschüre, die neben einem Vor- und Nachwort Auszüge aus den Flugblättern der Weißen Rose und einen Text Inge Scholls enthält, der dem der Buchausgabe von 1952 in weiten Teilen entspricht. Im Vorwort des Leiters des Amtes für Gesamtdeutsche Studentenfragen des VDS, Dietrich Spangenberg, wird die Herausgabe wie folgt begründet: Das Amt für Gesamtdeutsche Studentenfragen tritt mit dieser Gedenkschrift an die Öffentlichkeit, in welcher anhand von Berichten und Originaltexten dargestellt wird, dass das Eintreten der Geschwister Scholl für die Freiheit den gleichen Impulsen entsprang, wie das Opfer der akademischen Jugend der Sowjetzone im Kampf um ihre Universitäten. In einer Zeit, in der rechtsradikale Gruppen ungestraft die Widerstandskämpfer gegen Hitler als »gemeine Landesverräter« bezeichnen, gilt es durch Aufzeigen der Gleichartigkeit des Widerstandes gegen die nationalsozialistische und stalinistische Willkür, beide in ihrem verantwortungsvollem Kampf um die Freiheit zu ehren und ihres Opfers 954 Ebd. 955 Siehe Michael Hochgeschwender : Freiheit in der Offensive? Der Kongress für kulturelle Freiheit und die Deutschen. München: Oldenbourg 1998, S. 371–375; siehe auch Eugen Kogon: Die Funktion des Antikommunismus in der Bundesrepublik Deutschland. In: Frankfurter Hefte 24 (1970), Nr. 2, S. 81–90. 956 Gottfried Bermann-Fischer schreibt Inge Aicher-Scholl im Zuge der Vorbereitungen der Taschenbuchausgabe von 1955, die Ablehnung einer gebundenen Ausgabe hänge auch mit der »noch immer nicht ganz abgeklungene[n] Enttäuschung« zusammen, dass sie »seiner Zeit das Buch Kogon gegeben« habe. (Gottfried Bermann-Fischer : Brief an Inge Scholl, 12. 02. 1955. In: IfZ, ED 474 (336)).

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zu gedenken. Es gilt, den Freiheitskampf der Sowjetzone durch einen herzlichen und wirkungsvollen Kontakt in seiner Zielstrebigkeit zu unterstützen und die freiheitlichen Menschen vor jeder Verleumdung durch extreme Gruppen zu schützen. Es geht nicht um die Zahl, es geht um den einzelnen Menschen, um seinen Einsatz für die Freiheit und um sein Schicksal im unmenschlichen totalitären System.957

In einem Nachwort werden diese Parallelitäten anhand von Zitaten aus den Flugblättern der Weißen Rose illustriert.958 Dieses Manuskript wurde nicht gedruckt, erst 1953 produzierte der Verlag nach Insistieren Inge Scholls eine Ausgabe mit rudimentärer Ausstattung und unbedrucktem Einband als Sonderausgabe für den VDS, die weder das Vorwort Spangenbergs noch das vorgesehene Nachwort enthält.959 Scholl, von der von verschiedenen und nicht zuletzt amerikanischer Seite »dezidiert politische Positionierungen verlangt wurden«,960 engagierte sich in den frühen 1950er-Jahren im Gegensatz zu Kogon eindeutig antikommunistisch. So sprach sie sich 1951 im Rahmen der Debatte um Amnestie und Einstellung der Tribunale zur Verfolgung der NS-Verbrechen für eine Begnadigung zum Tode verurteilter Angeklagter aus, mit dem Argument, dass die USA Deutschland als Bollwerk gegen den Kommunismus benötigten.961 Am 20. Juli 1951 sprach sie bei einer von Spangenberg und dem VDS organisierten und vom RIAS übertragenen »Gedenkstunde für die Opfer des nationalsozialistischen und stalinistischen Terrors«.962 In ihrer in der FU-Studentenzeitschrift Colloquium dokumentierten Rede zitiert sie ausführlich aus der Verteidigungsrede Kurt Hubers und erklärt daran anknüpfend den Widerstand der Münchener Studenten aus der Erfahrung eines Mangels an Freiheit. Es gehe nicht um Nachahmung, sondern darum, »aus dem selben Geist heraus unser eigenes Leben und unsere Zeit mit ihren Aufgaben zu meistern«.963 Der Begriff des »Lebens« steht auch im Zentrum ihrer Definition »totalitärer 957 Verband Deutscher Studentenschaften (VDS): Die weisse Rose. Manuskript für eine Broschüre, 71 Seiten, [1951]. In: IfZ, ED 474 (335), S. 3. 958 Ebd, S. 67–69. 959 Inge Scholl: Brief an Eugen Kogon, 15. 08. 1952. In: IfZ, ED 474 (335); Verlag der Frankfurter Hefte: Brief an Inge Scholl, 27. 08. 1952. In: IfZ, ED 474 (335). 960 Hikel, Anm. 49, S. 123. 961 Jeffrey Herf: Divided memory. The Nazi past in the two Germanys. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1997, S. 295. 962 Der VDS setzt sich später selbstkritisch mit seinen »gesamtdeutschen Aktivitäten« in der ersten Hälfte der 1950er Jahre auseinandern, siehe insbesondere das Vorwort von Klaus Meschkat.in Detlev E. Otto: Studenten im geteilten Deutschland. Bonn. Ein Bericht über die Beziehungen zwischen den Studentenschaften in Ost- und Westdeutschland 1945 bis 1958. Bonn: Verband Deutscher Studentenschaften 1959. 963 Gedenken für die Opfer der Willkür. In: Colloquium (August 1951), S. 6–7.

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Systeme«, in denen das »Leben, wie es ist«, übersehen werde.964 Scholls Beitrag zur Rundfunksendung Das taten sie für Deutschland im NWDR im Juni 1951 macht die Übertragung dieses Konzepts auf den Widerstand noch expliziter : Sie [die Geschwister, C.E.] sahen die grossen [sic] totalitären politischen Strömungen in unserer Zeit, die das Leben des Menschen nicht achten und es wie eine Walze erdrücken; sie standen auf der Seite des Menschen und versuchten für ihn einzutreten, wo immer ihn diese Walze bedrohte.965

Dieses Deutungsmuster schlägt sich auch im Manuskript und damit im Buch Die weiße Rose nieder, wie in den einleitenden Abschnitten des Textes deutlich wird: Aber kann man sie Helden nennen? Sie haben nichts Unmenschliches unternommen. Sie haben etwas Einfaches verteidigt, sind für etwas Einfaches eingestanden, für das Recht und die Freiheit des einzelnen Menschen, für seine freie Entfaltung und für sein Recht auf ein freies Leben. Sie haben sich keiner außergewöhnlichen Idee geopfert, haben keine großen Ziele verfolgt; was sie wollten, war, daß Menschen wie du und ich in einer menschlichen Welt leben können. Und vielleicht liegt darin das Große, daß sie für so etwas Einfaches eintraten und ihr Leben dafür aufs Spiel setzten, daß sie die Kraft hatten, das einfachste Recht mit der letzten Hingabe zu verteidigen.966

Die hierauf folgenden Sätze lassen sich dabei auch als Charakterisierung des Widerstands der Studenten vor der Negativfolie des kommunistischen Widerstands lesen: Vielleicht ist es schwerer, ohne allgemeine Begeisterung, ohne große Ideale, ohne große Ziele, ohne deckende Organisationen und ohne Verpflichtung für eine gute Sache einzustehen und einsam sein Leben für sie einzusetzen. Vielleicht liegt darin das wirkliche Heldentum, beharrlich gerade das Alltägliche, Kleine und Naheliegende zu verteidigen, nachdem allzu viel von großen Dingen geredet worden ist.967

Diese einleitenden Passagen geben somit nicht nur, wie Hikel meint, eine »Interpretation von Freiheit als zentrales Anliegen« der Weißen Rose vor.968 Vielmehr werden Parallelen zu der von Helmut Peitsch anhand Margarete BuberNeumanns Bericht Als Gefangene bei Hitler und Stalin herausgearbeiteten »Konstruktion der antitotalitären Erfahrung« deutlich, deren »unpolitische[r] Antikommunismus« sich in der »Verbindung von Menschlichem und Histori964 Ebd. 965 »Das taten sie für Deutschland«. Manuskript zur 7. Widerstandssendung im NWDR, 08. 06. 1951. In: SAdK, Günther-Weisenborn-Archiv ( 366/VIII), S. 4. 966 Scholl, Anm. 322, S. 7–8. Im Juli 1951 wurden mit bezeichnendem Titel in der Nachfolgerin der Göttinger Universitätszeitung Auszüge veröffentlicht: Inge Scholl: Menschen wie Du und Ich. In: Deutsche Universitätszeitung 6 (1951), Nr. 14, S. 3–6. 967 Ebd., S. 8. 968 Hikel, Anm. 49, S. 130.

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schem« manifestiert.969 Ohne expliziten Bezug zur Totalitarismustheorie sollen die »Verteidigung der privaten Autonomie des Individuums als des Menschen an sich gegen den Staat an sich, die Wesensgleichheit von Nationalsozialismus und Kommunismus plausibel machen«.970 Die Zuschreibung von Objektivität des autobiografischen Berichts wird paratextuell durch die Betonung seiner Authentizität und Einfachheit unterstützt. Ein solches paratextuelle Muster bedient auch der Klappentext zu Die weiße Rose, der auf Inge Scholls Legitimität »als Schwester« und die Autorität der »Dokumente« abhebt: [Inge Scholls] Buch ist zweierlei: eine zuverlässige Darstellung und ein schönes, nobles Zeugnis. […] [Sie] weiß als Schwester der beiden Scholl genau Bescheid und befindet sich im Besitz der Dokumente. Aber sie veröffentlicht kein Weißbuch, sondern sie erzählt, schlicht und mit Wärme, – man ist versucht zu sagen: einfältig und klug.971

Der Klappentext ruft damit Erwartungshorizonte in Bezug auf Gender (Schwester) und Genre (Zeugnis, Bericht, Erzählung) auf, wobei im Folgenden der Zusammenhang zwischen weiblicher Autorschaft und Autobiografik näher untersucht werden soll. Joanne Sayner analysiert Inge Scholls Text als Autobiografie, da der autobiografische Pakt (Autor=Erzähler=Figur) grundsätzlich erfüllt sei. Legt man die Minimaldefinition des autobiografischen Paktes zugrunde, so steht die Veröffentlichung im Verlag der Frankfurter Hefte im Zusammenhang mit zwei weiteren autobiografischen Texten von Frauen. In der zitierten Notiz schreibt Guggenheimer, Scholls Text sei vom Umfang her »mit den Projekten Loos und Paepcke vergleichbar« und stelle ein »ungeheuer wirksames Gegengewicht« zu diesen dar.972 Hierbei handelt es sich um Irma Loos’ Rumänisches Tagebuch 1951, ein Reisebericht über eine Rumänienrundreise im Rahmen einer Delegation des Schriftstellerverbands der DDR, und um Lotte Paepckes Unter einem fremden Stern, ein autobiografischer Bericht über das Überleben als Jüdin in einer ›privilegierten Mischehe‹. Die drei Bücher können als Reihe weiblicher Autobiografik betrachtet werden, sie wurden gemeinsam lanciert und beworben und erschienen in ähnlicher Ausstattung mit von Otl Aicher gestalteten Schutzumschlägen (siehe Abbildung 1). Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist die paratextuelle Betonung von Menschlichkeit, Schlichtheit und Objektivität der Darstellungen.973 Diese Zuschreibungen verweisen auch auf Funktionen und 969 970 971 972 973

Peitsch, Anm. 337, S. 204–214. Ebd. Scholl, Anm. 322, Umschlagseite 2. Guggenheimer, Anm. 952. Vgl. die Klappentexte von Scholl, Anm. 322, Irma Loos: Rumänisches Tagebuch 1951. Frankfurt a. M.: Verl. d. Frankfurter Hefte 1952, Lotte Paepcke: Unter einem fremden Stern. Frankfurt a. M.: Verl. d. Frankfurter Hefte 1952.

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Grenzen sowie damit verbundener Akzeptanzbedingungen und Erwartungshorizonte von politischen Stellungnahmen von Autorinnen im öffentlichen Diskurs, die von den Texten unterschiedlich bedient bzw. unterlaufen werden. So findet sich in Loos’ Darstellung eine ähnliche Strategie der vermeintlichen Entpolitisierung wie bei Scholl, allerdings unter umgekehrten politischen Vorzeichen: Die Autorin zeichnet in Form eines Reisetagebuchs ein insgesamt eher positives Bild vom Leben in der Volksrepublik Rumänien. Sie betont, so objektiv wie möglich vor allem das alltägliche Leben dort darstellen zu wollen. Wichtig ist hierbei ihre Perspektive als Mutter. Paepcke dagegen unterläuft gängige Genderund Genremuster, indem ihre Rolle als Mutter und Ehefrau kaum Raum einnimmt und sie dezidiert Stellung zur »heillosen Unschuld der Deutschen« und zur Beziehung zwischen Juden und Deutschen nimmt.974 Gemeinsam ist den Texten in jedem Fall eine Adressierung verschiedener politischer Gruppen, wobei dem Text Inge Scholls in der Reihe die Funktion zukommt, den Konsens zwischen den Zielgruppen des Verlags zu bedienen.

Abbildung 1: Von Otl Aicher gestaltete Cover der Bücher von Inge Scholl, Lotte Paepcke und Irma Loos

Die Konsensfähigkeit von Scholls Text lässt sich aber eben nicht auf eine »Verortung des Widerstands in einem freiheitlich-demokratischen Kontext bundesrepublikanischer Prägung«975 reduzieren und damit erklären, dass Scholl 974 Karl Schaezler wirft Paepcke in einer Rezension zu Karl Sterns autobiografischem Text The Pillars of Fire (1951, dt. Die Feuerwolke, 1954), in dem dieser seine Konversion vom Judentum zum Katholizismus begründet, vor, dass sie sich im Gegensatz zu Stern nicht zum hinter dem jüdischen Leid stehenden »Heilssinn« habe durchringen können. Karl Schaezler : Rezension zu Karl Stern »The Pillars of Fire«. In: Hochland 45 (1952), Nr. 2, S. 188–190. 975 Hikel, Anm. 49, S. 131.

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sich in den »sich verfestigenden antikommunistischen Grundkonsens des Westens« einschrieb, wie es Hikel deutet.976 Die breite Zustimmung zum Text ist vielmehr auf eine Beziehung zu Diskursen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen zurückzuführen, die sich an seiner Adressierung aufzeigen lassen. Diese ist komplexer, als von Sayner und Rickart angenommen, die anlehnend an einer Aussage Scholls in ihrem Nachwort zur Ausgabe von 1972, Jugendliche als Adressaten benennen und den Text als pädagogisches Mittel bezeichnen.977 Scholl schrieb 1972 aber auch, der Text sei darüber hinaus für Menschen geschrieben worden, die im Nationalsozialismus aufwuchsen. Er habe ihnen dabei geholfen, »Resignation […] durch Anerkennung, ja Identifikation mit dem Widerstand« aufzubrechen.978 Diese spätere Adressatenangabe Scholls entspricht nicht exakt der in einem für die Ausgabe von 1952 geplanten, aber nicht abgedruckten Vorwort. Auch hier spricht sie ihrem Bericht eine pädagogische Wirkungsfunktion zu. Dabei wird jedoch eine dreifache Adressatenkonstruktion deutlich: Der Text sei »ursprünglich für Zwölf- bis Achtzehnjährige geschrieben, […] aber zugleich auch für Aeltere gedacht […]«.979 Dieser »Generation, die man [handschriftlich hinzugefügt: »zuweilen«] als die verlorene bezeichnet«, solle »Klarheit über die Vergangenheit und Mut für die Gegenwart gegeben werden«.980 Dies zeigt, dass der Text nicht nur als Beitrag zur Umorientierung, sondern auch zur intragenerationalen Selbstverständigung intendiert war. Die zusätzliche Widmung an die Studenten in der Ostzone als »Beispiel und Ermunterung« ist hier nachgeordnet.981 Inge Scholls oben zitierte Diskussion des Heldentums ihrer Geschwister ist dennoch eher als Beitrag zu einer antitotalitären Universalisierung des Widerstands, denn als Stellungnahme »gegen den Mißbrauch der Toten« durch die Unterstellung eines Sühneopfers zu verstehen.982 Breyvogels Lesart, die in der Folge auch Schüler, Sayner und Rickart weitgehend übernehmen, steht im Zusammenhang mit seiner These einer »korrigierenden und mit biografischem Material erweiterten Geschichtsschreibung«,983 die mit Inge Scholls Buch eingesetzt habe. Die »Destruktion des Mythos« unternehme sie durch eine Biografisierung, gleichzeitig trage sie durch Aufnahme neuer Episoden zu seiner

976 977 978 979 980 981 982 983

Ebd., S. 127. Rickart, Anm. 944, S. 78. Inge Aicher-Scholl: Die weiße Rose. Frankfurt a. M.: Fischer 1972, Nachwort, S. 135–136. Inge Scholl: Geplantes Vorwort für »Die Weiße Rose«, Typoskript, 1 Seite, 1952. In: IfZ, ED 474 (335). Ebd. Ebd. Breyvogel, Anm. 42, S. 175. Ebd., S. 175–176.

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»Komplettierung« bei.984 Schüler spricht in diesem Zusammenhang von einer Grenze zwischen »Dichtung und Wahrheit«.985 Diese Einschätzungen verweisen auf eine Hybridität bezüglich des Genres, die der oben zitierte Klappentext vorwegnimmt, der die Genres Tatsachenbericht, Zeugnis, Portrait und Erzählung aufruft. Tatsächlich lässt sich das Genre des Textes nicht eindeutig bestimmen, was auch an der von Sayner sehr gut herausgearbeiteten Verflechtung verschiedener, »konkurrierender Stimmen«986 liegt. Schon in der Broschüren-Fassung von 1951 ist die Anlage komplex. Guggenheimer zufolge »zerfällt« der Text »in vier, auch in der Darstellungsweise sehr glücklich gegeneinander kontrastierende Teile«987: [1.] die Atmosphäre der frühen Jugend, [2.] der Abwendungsprozess von der HJ, [3.] die immer bewusstere und organisiertere Widerstandstätigkeit an der Universität und [4.] darüberhinaus die dokumentarischen Aussagen aus der Zeit nach der Verhaftung.988

Angesichts der »Kürze (für eine Buchausgabe)« und der »mögliche[n] Erwartung mancher Leser, mehr Material vorzufinden«, plädiert der Verlag in einem Schreiben an Scholl »für die Aufnahme der in Aussicht gestellten ›Episoden‹, also etwa der Geschichte mit den geisteskranken Kindern« und »erwähnte[r] Dokumente«.989 Die »Zeugenberichte der Gefängnis-Mitinsassen« seien dafür ein »recht gutes Beispiel«.990 Scholl kommt diesen Bitten nach, insbesondere fügt sie Episoden ein, die von der Geschichte ihrer Geschwister und des Widerstandskreises wegführen und den breiteren Kontext des Nationalsozialismus beleuchten. Scholl begründet dies in einem Schreiben an den Verlag wie folgt: Es war doch – nicht nur aus äußeren Gründen – sehr notwendig, durch einzelne Episoden die Hintergründe noch deutlicher herauszustellen und damit die Begründung der Handlungsweise meiner Geschwister und ihrer Freunde zu erbringen.991

Scholl legt der Übersicht halber Wert darauf, die verschiedenen Episoden durch große und kleine Abstände voneinander abzusetzen.992 Durchweg betont sie gegenüber dem Verlag die Authentizität ihrer Darstellung (»Ich habe überhaupt nichts dazugemacht, was wir nicht tatsächlich erlebt oder erfahren haben«993). Es 984 985 986 987 988 989 990 991 992 993

Ebd. Schüler, Anm. 42, S. 163. Sayner, Anm. 944, S. 76–77, S. 89. Guggenheimer, Anm. 952. Ebd. Walter Guggenheimer: Brief an Inge Scholl, 20. 02. 1952. In: IfZ, ED 474 (335). Ebd. Inge Scholl: Brief an Walter Guggenheimer, 02. 04. 1952. In: IfZ, ED 474 (335). Ebd. Siehe auch Inge Scholl: Brief an Fritz Nunnemann, 05. 06. 1952. In: IfZ, ED 474 (335). Scholl, Anm. 991.

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solle deutlich gemacht werden, »dass es sich bei diesem Bericht oder Darstellung oder wie man es [sic] nennen will nicht um eine literarische Arbeit handelt«; sie sei »keine Schriftstellerin, […] nur ein Mensch« und habe auf »alles Literarische verzichtet«.994

IV.1.2 Integratives Erzählen durch Collage Autorname, Klappentext und Dokumente bilden zwar einen faktualen Rahmen, zu dem auch der Abdruck von Portraits der Hingerichteten auf Fotoseiten innerhalb des Textes beiträgt.995 Aber auch die Erzählweise des Textes trägt zur Authentifizierung der Darstellung bei: Die Erzählung beginnt autodiegetisch (»In den frühlingshaften Februartagen nach der Schlacht bei Stalingrad fuhr ich [! C.E.] in einem Vorortzug von München nach Solln.«996), im weiteren Verlauf rücken jedoch Hans und Sophie als Protagonisten in den Vordergrund. Auch wenn die Ich-Erzählerin nicht in allen Episoden unmittelbar anwesend ist, entsteht durch die geschwisterliche Beziehung der Eindruck eines Erzählens aus Nähe. In Episoden, die die Erzählerin nicht aus eigenem Miterleben bezeugen kann, wird Authentizität einerseits durch interne Fokalisierung, Wiedergabe von Gedanken und inneren Monologen der Protagonisten, andererseits durch szenisches Erzählen hergestellt. Insbesondere bei der Schilderung der Haft und Verhöre werden fremde Berichte als Dokumente eingefügt, wobei vom Lektorat gefordert wird, dass diese »sich in den Ton des Berichtes gut einfügen« sollen.997 Die verschiedenen Ebenen und Stimmen des Erzähldiskurses werden durch die Erzählerin moderiert. Ein wichtiges Mittel sind hierbei rhetorische Fragen, welche die Rezipienten einbinden. Der einfach gehaltene Stil, der sich durch Abwesenheit von Fremdwörtern und Begriffen sowie durch den ausgiebigen Gebrauch von Metaphern und Vergleichen auszeichnet, erleichtert die Imagination. Der Text ist narrativ und sprachlich bewusst gestaltet und hierbei auf Authentifizierung der Darstellung sowie auf die Herstellung von Identifikation der Adressaten angelegt. Darstellungsweise und Vermittlung von Deutungen sind deshalb eng miteinander verbunden. Dies wird im ersten Teil der Darstellung der Kindheit, Jugend- und HJ-Zeit besonders deutlich. Die kurze Schilderung der sorglosen und idyllischen Kindheit der Geschwister in einem »beschauliche[n] Städtchen im Kochertal« und des »große[n] Sprungs« nach Ulm,998 die in der ersten Person Plural vor994 995 996 997 998

Ebd. Zur Funktion der Fotografien siehe Rickart, Anm. 944, S. 104–110. Scholl, Anm. 322, S. 7. Guggenheimer, Anm. 989. Scholl, Anm. 322, S. 9.

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genommen wird, transportiert, wie Sayner belegt, einen romantisierten Heimatdiskurs,999 der in der folgenden Erzählung von Gedanken der jugendlichen Protagonisten über die Machtübernahme nahtlos an einen patriotischen Diskurs angeknüpft wird: Wir hörten viel vom Vaterland reden, von Kameradschaft, Volksgemeinschaft und Heimatliebe. Das imponierte uns […], denn unsere Heimat liebten wir sehr, die Wälder, den Fluß […]. Wir hatten den Geruch von Moos, von feuchter Erde und duftenden Äpfeln im Sinn, wenn wir an unsere Heimat dachten. Und jeder Fußbreit war uns dort tiefvertraut und lieb. Das Vaterland, was war es anderes als die größere Heimat all derer, die die gleiche Sprache sprachen und zum selben Volke gehörten.1000

Die naiv-kindliche Perspektive drückt sich hierbei auch in Wortwahl und Syntax aus und wird durch die Wiedergabe von Sinneseindrücken zusätzlich authentifiziert. Der Kurzschluss zwischen Heimat und Vaterland wird nicht problematisiert, sondern dient der Rechtfertigung der jugendlichen Begeisterung der Protagonisten für den Nationalsozialismus. Sayner sieht darin auch die Funktion der rhetorischen Fragen im Text.1001 Diese Beobachtung kann für verschiedene Adressatengruppen generational differenziert werden. Die implizite Antwort der jugendlichen und späteren Adressaten lautet: ›Ja, so könnte es gewesen sein.‹ Die derjenigen, die an eigenes Erleben anknüpfen konnten: ›Ja, so war es.‹. Die hier sichtbar werdende Funktion der Selbstverständigung wird auch an den weiteren Fragen deutlich: »War das nicht etwas Überwältigendes, diese Gemeinschaft?«,1002 »War es nicht großartig, mit jungen Menschen plötzlich etwas Gemeinsames und Verbindendes zu haben, denen man sonst vielleicht nie näher gekommen wäre?«.1003 Die Aussage »So war es kein Wunder, daß wir alle, Hans und Sophie und wir anderen, uns in die Hitlerjugend einreihten«1004 erhält damit exemplarischen Charakter für eine ganze Generation, wie auch die Darstellung, dass das ›Erlebnis HJ‹ jeden Zweifel, zum Beispiel an der »Sache mit den Juden«, überdecken konnte.1005 Damit schreibt sich Scholls Text in Rechtfertigungs- und Entschuldungsdiskurse der ›jungen Generation‹ ein. Die Funktion der rhetorischen Fragen ändert sich im folgenden Abschnitt, in dem aus Hans’ Perspektive die zunehmenden Zweifel an der HJ thematisiert werden, die in die Erkenntnis über den Nationalsozialismus münden. Fragen, wie »Warum sollte er diese Lieder, die so schön waren, nicht singen dürfen? Nur 999 1000 1001 1002 1003 1004 1005

Sayner, Anm. 944, S. 78. Scholl, Anm. 322, S. 10. Sayner, Anm. 944, S. 79. Scholl, Anm. 322, S. 11. Ebd. Scholl, Anm. 322, S. 11. Ebd., S. 12.

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weil sie von anderen Völkern ersonnen waren?«1006, fordern zur Identifikation mit der so dargestellten Kritik an Verboten, Uniformierung und Drill auf. Hans’ Zweifel verstärken sich durch Erlebnisse während seiner Teilnahme am Reichsparteitag in Nürnberg, wo im Gegensatz zur lokalen Gruppe in Ulm »alles nach einer Schablone ausgerichtet« gewesen sei.1007 Hans versteht nicht, warum sein Lieblingsbuch Sternstunden der Menschheit durch einen Vorgesetzten konfisziert wurde. Das Verbot der mit einem Sagentier bestickten Fahne seines Fähnleins führt schließlich zum »offenen Bruch«.1008 Die Zweifel und Desillusionierung von Hans werden in Scholls Darstellung anhand der Geschichte »eines jungen Lehrers, der auf zweifelhafte Weise verschwunden war«, mit dem Wissen über Konzentrationslager verknüpft und dann auf die Geschwister (»Der Funke quälenden Zweifels, der in Hans erglomm, war allmählich auf uns alle übergesprungen«) und schließlich weiter auf eine größere Gemeinschaft übertragen: In uns begann eine gläubige, reine Welt zu zerbrechen, Stück um Stück. Was hatte man in Wirklichkeit mit dem Vaterland gemacht? Nicht Freiheit, nicht blühendes Leben, nicht Gedeihen und Glück jedes Menschen, der darin lebte. Nein, eine Klammer um die andere hatte man um Deutschland gelegt, bis allmählich alles wie in einem großen Kerker gefangen saß.1009

Die Kontrastierung von Wahrheit und Lüge, die sich im klärenden Gespräch mit dem oppositionell eingestellten Vater fortsetzt, impliziert auf ähnliche Weise eine Deutung des Nationalsozialismus als Betrug an den Deutschen. Katie Rickart sieht in der »idealisierten Darstellung« der Eltern einen Beitrag zur »generationellen Befriedung«, die mit der Väterliteratur der späten 1960er und 1970er-Jahre kontrastiere.1010 Die Metaphorisierung der Familie als »kleine, feste Insel in dem unverständlichen und immer fremder werdenden Getriebe« oder als »Schiff […], das zäh und stetig auf dem tiefen, unheimlichen Meer dieser Zeit trieb«1011, bietet aber vielmehr ein universalisierendes und damit generationsunabhängiges Deutungsmuster des Lebens im Nationalsozialismus, das Ähnlichkeiten mit Diskursen der ›inneren Emigration‹ aufzeigt. Den Übergang der Darstellung vom Jugend- zum Erwachsenenalter markiert neben der Erkenntnis als innerer Faktor auch das Einsetzen und die Ausweitung des Krieges »im Innern gegen einzelne Menschen« zum »Krieg gegen die Völker« als äußerer Faktor.1012 Das »zwiespältige Leben« in einem Staat, »in dem die 1006 1007 1008 1009 1010 1011 1012

Scholl, Anm. 322, S. 13. Ebd., S. 14. Ebd., S. 14–15. Ebd., S. 15. Rickart, Anm. 944, S. 78. Scholl, Anm. 322, S. 18, 46. Ebd., S. 21.

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Unfreiheit, der Haß und die Lüge nun zum Normalzustand geworden waren«, wird, wiederum durch Hans’ Gedanken fokalisiert, anhand rhetorischer Fragen illustriert: Wurde nicht die Klammer der Gewaltherrschaft immer enger und unerträglicher? War nicht jeder Tag, an dem man noch in Freiheit lebte, ein Geschenk? Denn niemand [! C.E.] war davor sicher, einer geringfügigen Bemerkung wegen verhaftet zu werden, vielleicht für immer zu verschwinden.1013

Diese Hans zugeschriebene Wahrnehmung wird dabei als stellvertretend für »Millionen in Deutschland […], die ähnlich wie er empfanden«,1014 dargestellt, was in einer späteren Stelle durch eine Sophie zugeschriebene Aussage vor Gericht (»Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie es nicht, es auszusprechen«1015) nochmals Bestätigung findet. Dies stellt ein nicht zu unterschätzendes Identifikationsangebot für zeitgenössische Leserinnen und Leser dar, das an die Antithesen zwischen Nationalsozialismus und Familie sowie zwischen Außenwelt und Innenwelt anknüpft. So wird die Familie als gefährdete Institution dargestellt: Die Gedanken der Mutter wanderten weiter, von einem Kind zum andern. Sie blieben am Jüngsten haften. Der war in Rußland. Was der jetzt im Augenblick tat? Ach, wenn der Krieg erst zu Ende wäre und sie alle wieder einmal um den Tisch hätte. […] Manchmal wurde Mutters friedliches Herz von einer großen, fremden Sorge zermartert. Vor einiger Zeit nämlich hatte es zu ungewöhnlicher Morgenstunde geklingelt, und drei Männer von der Geheimen Staatspolizei hatten den Vater zu sprechen gewünscht. […] Was wird nun weiter werden? Diese Frage hing wie eine dunkle Wolke über uns. Manchmal waren wir guter Hoffnung, daß sich doch alles noch zum Guten wenden würde. Doch immer wieder kroch diese eisige, quälende Ungewißheit in unserem Herzen empor, daß eine furchtbare Pranke über uns war, die jede Minute niederfallen konnte, und niemand wußte, wer der nächste war. »Dies Kind soll unverletzet sein«, sang die Mutter beharrlich ihr Lied zu Ende.1016

Zunächst wird fokalisiert durch die Gedanken der Mutter an deren Kinder das Gefühl von Ungewissheit vermittelt, dass auch hier wieder zunächst auf die Familie und dann auf eine größere Gemeinschaft übertragen wird. Diese Passage zeigt darüber hinaus, wie das Motiv der mütterlichen Sorge einer Entdifferenzierung zwischen Krieg und Widerstand Vorschub leistet (ebenso wie Sophies Aussage im in Scholls Text inkorporierten Bericht von Else Gebel: »Aber wie viele müssen heute auf den Schlachtfeldern sterben, wie viel junge, hoffnungs1013 1014 1015 1016

Ebd., S. 22. Ebd. Ebd., S. 76. Ebd., S. 31–32.

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volle Männer.«1017). Die Mutter singt hier ein Lied von Paul Gerhardt, das traditionell Kindern vor dem Schlafengehen als Nachtgebet vorgesungen wurde.1018 Die betende Mutter verweist auf die Figur der Piet/, die allgemein-menschliche Leiderfahrung symbolisiert und in deutschen Diskursen nach 1945 die Frage von Schuld und Täterschaft ins Menschlich-Allgemeine umformulieren und auch eine Erlösung von historischer Schuld symbolisieren kann. Als Beispiel für dieses Muster wird die Piet/-Skulptur von Käthe Kollwitz gesehen.1019 Eine solche Mutterfigur wird in Rekurs auf diese Szene erneut aufgerufen, wenn Sophie, in schwesterlicher Sorge auf Hans wartend, kurz vor der Verhaftung an das »Gesicht der Mutter« zurückdenkt: Zuweilen hatte es einen Zug von Schmerz um die Augen und um den Mund, für den es keine Worte mehr gab. Mein Gott, – und so Tausende und Tausende von Müttern mit demselben Zug um Augen und Mund, großen und aufgerissenen Augen, die die Tränen nicht mehr vordringen ließen.1020

Die emblematische Figur der Mutter fungiert nicht nur hier als Trauerfigur für Kriegsopfer. Dies zeigt sich im Text auch an Kommentaren zu Meldungen der NS-Presse, welche die »totale Verdunklung des deutschen Geistes« beförderte.1021 Die Zeitungen verschwiegen den Fall jener »junge[n] Frau, die nach dem Fliegerangriff mit dem einzigen, was ihr geblieben war im kleinen Reisekoffer, ihrem toten Kind, durch Dresden irrte und einen Friedhof suchte, es zu begraben«.1022 Die Beschreibung des Leidens anderer Gruppen wie der Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern oder von Zwangsarbeitern wird indessen nur vermittelt durch das Schicksal von Deutschen in den Blick genommen. So wird vom »Grauen« eines »einfachen deutschen Soldaten« berichtet, als dieser »eine Mutter furchtlos zwischen den Fronten einhergehen sah, entschlossen ihr totes Kind an den Händen nachziehend«.1023 Dies stellt ebenso einen Beleg für die Leerstellen in den Zeitungen dar wie die Schilderung des Falls eines Dorfgeistlichen, der verhaftet wurde, weil er einen »erschlagenen Kriegsgefangenen, 1017 Ebd., S. 69. 1018 Der vollständige Text der Strophe lautet: »Breit aus die Flügel beide / o Jesu, meine Freude, / und nimm dein Küchlein ein. / Will Satan mich verschlingen, / so lass die Englein singen: ›Dies Kind soll unverletzet sein.‹« (Paul Gerhardt, Nun ruhen alle Wälder, in: Evangelisches Gesangbuch 477,8). Jesus wird hier mit einer Hühnermutter verglichen, die ihre Küken unter ihre Flügel nimmt, wenn sich ein Raubvogel am Himmel zeigt. 1019 Insa Eschebach, Silke Wenk: Soziales Gedächtnis und Geschlechterdifferenz. Eine Einführung. In: Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit, Silke Wenk (Hrsg.): Gedächtnis und Geschlecht. Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids. Frankfurt a. M., New York: Campus 2002, S. 4–22, S. 22. 1020 Scholl, Anm. 322, S. 56–57. 1021 Ebd., S. 54. 1022 Ebd. 1023 Ebd.

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der in seinem Dorf Zwangsarbeit tun mußte, öffentlich in sein sonntägliches Vaterunser eingeschlossen hatte«.1024 Der Holocaust wird lediglich in einer Episode – wiederum durch Fokalisierung, hier vermittelt durch eine Erinnerung von Hans – angedeutet. Jüdische Menschen fungieren dabei als Empfänger von Hilfeleistungen. So steckt Hans einer jüdischen Zwangsarbeiterin, einem »junge[n], abgezehrte[n] Mädchen, mit schmalen Händen und einem schönen, intelligenten Gesicht«, seine »Eiserne Ration« zu und legt sie ihr, nachdem diese sie »mit einer gehetzten, aber unendlich stolzen Gebärde« zurückweist, zusammen mit einer gepflückten Margerite »mit einer leichten Verneigung zu Füßen«.1025 Sayner weist darauf hin, dass Sophie im Text ebenfalls mit einer Margerite im Haar dargestellt wird, und dass durch Hans’ Akt der Nächstenliebe die rettende Kraft patriachalen Christentums suggeriert werde.1026 Dies wird auch deutlich, wenn Hans das »abgrundtiefe Leid« in den »Augen eines jüdischen Greises« sieht und ihm heimlich seinen Tabaksbeutel in die Hand drückt: »Nie würde Hans den jähen Anflug von Glück vergessen, der in diesen Augen erglomm«.1027 Hans’ Erinnerung an die Frau eines Wehrmachtssoldaten, deren Mann verblutete, als sie ihn im Lazarett abholen wollte, wird daran nahtlos angeschlossen. Die Verantwortung für das entdifferenziert dargestellte menschliche Leid wird dann entpersonalisiert und allgemein dem personifizierten Staat zugeschrieben, was in eine universalisierbare Forderung in Form rhetorischer Fragen mündet, die an Scholls einleitende Deutung der Motivation des Widerstands ihrer Geschwister und deren Freunde anknüpft: Wann endlich, wann erkannte der Staat, daß ihm nichts höher sein sollte als das bißchen Glück der Millionen kleiner Menschen. Wann endlich ließ er ab von Idealen, die das Leben vergaßen, das kleine alltägliche Leben? Und wann sah er ein, daß der unscheinbarste, mühseligste Schritt zum Frieden für den Einzelnen wie für die Völker größer war als gewaltige Siege in Schlachten?1028

Schutz vor der »Gefährdung« des Individuums »durch diese Zeit«1029 bietet neben der Familie nur die christliche Religion, die als Grundlage und Voraussetzung für den Widerstand dargestellt wird. So findet Hans zum Ende seiner Jugendzeit die Antworten auf seine Fragen nicht mehr in der Literatur und der Philosophie, sondern er entdeckt die frühen christlichen Denker, Augustinus und Pascal; die »Worte der Heiligen Schrift« bekommen »für ihn eine neue, 1024 Ebd., S. 54–55. 1025 Ebd., S. 48–49. 1026 Sayner, Anm. 944, S. 92–93. Dies wird auch durch die Symbolik der Margerite, die für die Passion Christi stehen kann, unterstrichen. 1027 Scholl, Anm. 322, S. 49. 1028 Ebd. 1029 Ebd., S. 21.

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überraschende Bedeutung, eine ungeheure Zeitnähe und einen ungeahnten Glanz«.1030 Und für Sophie gibt es während des Arbeitsdienstes in ihrem Heimweh »zwei Pfähle in einem Meer von Fremdheit und Widersinn«: »Das eine war das Bedürfnis, ihren eigenen Körper zu pflegen wie den eines Kindes. Das andere waren die Gedanken des Augustinus«.1031 Der Protest der Kirchen erscheint als wichtiger Impuls für den Widerstand. Auf die Idee, Flugblätter herzustellen und zu verteilen, kommt Hans, nachdem die Familie wiederholt hektografierte Briefe mit Auszügen aus Predigten des Münsteraner Bischoffs Clemens August Graf von Galen erreichen. Diese bilden einen wichtigen Intertext und werden von Inge Scholl über zwei Seiten hinweg ausführlich zitiert. In dem zitierten Auszug wird zunächst der Klostersturm geschildert, wobei die Umwandlung eines Klosters in ein »Entbindungsheim für uneheliche Mütter« die Amoralität der Nazis unterstreichen soll.1032 Gegen den »Feind im Innern« bleibe »nur ein Kampfmittel: starkes, zähes, hartes Durchhalten«.1033 Hinter den »neuen Lehren« stehe ein »abgrundtiefer Haß gegen das Christentum, das man ausrotten möchte«.1034 Die gefährdete christliche Gemeinde wird in den zitierten Passagen in der Metaphorik geschmiedeter Ketten mit Deutschland gleichgesetzt, wobei der Nationalsozialismus als ketzerische Fremdherrschaft dargestellt wird: Wir sind in diesem Augenblick nicht Hammer, sondern Amboß. Andere, meist Fremde und Abtrünnige, hämmern auf uns, wollen mit Gewaltanwendung unser Volk, selbst unsere Jugend neu formen, aus der geraden Haltung zu Gott verbiegen. Was jetzt geschmiedet wird, das sind die ungerecht Eingekerkerten und Verbannten. Gott wird ihnen beistehen, daß sie Form und Haltung christlicher Festigkeit nicht verlieren, wenn der Hammer der Verfolgung sie bitter trifft und ihnen ungerechte Wunden schlägt.1035

Die Zitate aus den Predigten schließen mit einem Bericht über die Euthanasie. Hans ist nach der Lektüre »tief erregt« und kommt zu dem Schluss: »›Man sollte unbedingt einen Vervielfältigungsapparat haben‹«.1036 Die Gefährdung des Christentums durch den Nationalsozialismus ist ein sich wiederholendes Motiv : Durch einen jungen evangelischen Theologen erhielten wir damals Kenntnis von den »Korrekturen«, die man von Staats wegen vorbereitete, um sie nach dem Endsieg an 1030 Ebd. 1031 Ebd., S. 29. Siehe auch Friedemann Drews: R8ception existentielle. Die Augustinus-Leserin Sophie Scholl im Spiegel ihrer Tagebuchaufzeichnungen und Briefe. In: Antike und Abendland 57 (2011), S. 151–168. 1032 Scholl, Anm. 322, S. 23–24. 1033 Ebd., S. 24. 1034 Ebd. 1035 Ebd. 1036 Ebd., S. 25.

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den Glaubensgrundsätzen des Christentums vorzunehmen. Grauenvolle und lästerliche Eingriffe, die man behutsam hinter dem Rücken der Männer plante, welche an den Fronten standen und unbeschreibliche Strapazen auszuhalten hatten.1037

Die in diesem Zitat deutlich werdende Konstruktion eines Gegensatzes zwischen Nazis und Wehrmacht und einer Verbindung zwischen Glauben und Soldatentum ist ein weiteres konstitutives Deutungsmuster der Voraussetzung für Widerstand. Die Verschlimmerung der äußeren Verhältnisse und die Verstärkung der inneren Kraft stehen dabei in proportionalem Verhältnis zueinander, wobei Hans’ wachsende innere Kraft nicht nur dem Glauben, sondern auch dem Fronterlebnis zugeschrieben wird: Trotz allem – Hans hatte eine Lebensfreude, die nicht so schnell auszurotten war. Ja, je dunkler die Welt um ihn wurde, umso heller und stärker entfesselte sich diese Kraft in ihm. Und sie hatte sich sehr vertieft nach dem Erlebnis des Krieges in Frankreich. In so großer Nähe zum Tode hatte das Leben einen besonderen Glanz bekommen.1038

Der Zusammenhang von Krieg und der Entwicklung einer inneren Haltung der männlichen Protagonisten wird im Rahmen der Darstellung des Russlandeinsatzes der Studentenkompanie nochmals anders akzentuiert, indem die Bereitschaft zum Einsatz des eigenen Lebens dem Kriegserlebnis zugedeutet wird: Die Erlebnisse an der Front und in den Lazaretten hatten Hans und seine Freunde reifer und männlicher gemacht. Sie hatten ihnen noch eindringlicher und klarer die Notwendigkeit gezeigt, diesem Staat mit seinem furchtbaren Vernichtungswahn entgegenzutreten. Die Freunde hatten gesehen, wie dort draußen das Leben in unerhörtem Ausmaß aufs Spiel gesetzt und verschwendet wurde. Wenn schon das Leben riskiert werden sollte, warum nicht gegen die Ungerechtigkeit, die zum Himmel schrie.1039

Auch die Problematik der militärischen Loyalität wird aufgerufen, wenn die »äußere militärische Niederlage dem eigenen Volke wünschen zu müssen«, als besonders »schwierig« und »bitter«, zugleich aber als »einzige Möglichkeit« bezeichnet wird, es »von seinem Parasiten zu befreien, der sein innerstes, reinstes Mark aussaugte«.1040 Die Thematisierung des Zusammenhangs zwischen Widerstand und Wehrmacht zeigt Ähnlichkeit zu Diskursmustern der unmittelbaren Nachkriegszeit, wie sie in Hans-Werner Richters Text Studentenrebellion und Fronterlebnis aufgezeigt wurden.1041 Sayner sieht bei Inge Scholl einen doppelten Bezug zu Diskursen der Nachkriegszeit: Einerseits wende sich der Text auf diese Weise gegen die Meinung, Widerstand sei Verrat gewesen, andererseits trage sie in der 1037 1038 1039 1040 1041

Ebd., S. 37. Ebd., S. 25. Ebd., S. 50. Ebd., S. 45. Siehe Kapitel III.2.1.

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Parallelisierung von Soldaten und Widerständlern als Opfer des Nationalsozialismus zur herausgehobenen Position deutscher Soldaten in der Erinnerungshierarchie der Nachkriegszeit bei.1042 Als eine weitere wichtige Voraussetzung für den Widerstand erscheint in Scholls Darstellung Hans’ »ganz besonderes Glück, guten Menschen zu begegnen«.1043 Zu diesen Menschen gehört der »silberhaarige Gelehrte«, gemeint ist Carl Muth, der ihm den Zugang zu »Dichtern, Gelehrten und Philosophen« und somit zu einer »Welt des Geistes« öffnet, die »wie Kellerpflanzen in der Unfreiheit lebten«.1044 In diesem Kontext werden auch Hans’ Bekanntschaften in der Studentenkompanie, die »seiner Gesinnung war[en]«, eingeführt, aber nur sehr oberflächlich, jeweils in ihrer Beziehung zu Hans vorgestellt: Alexander Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf.1045 Die vier Freunde vereinen gemeinsame kulturelle, philosophische und theologische Interessen und »ein solcher Überschuß an Humor, an Phantasie, an Lebenslust, die sich manchmal Luft machen mußte«.1046 Hiermit wird ein Fokus auf die Jugend der Protagonisten gelegt. Zu dem Kreis stößt auch Sophie bei ihrer Ankunft zum Studium in München. Bei einem geselligen Abend lässt Hans die anderen den Autor von Gottfried Kellers Gedicht Die öffentlichen Verleumder raten und formuliert die Idee, durch Flugblätter gegen die Staatsmacht aktiv zu werden. Die Studenten weihen außerdem Professor Huber ein, der im Text als »das beste Stück der Universität« bezeichnet wird und trotz seiner »graue[n] Haare« als »doch wie ihresgleichen« sei.1047 Die ersten Aktionen werden in Scholls Darstellung allein Hans zugeschrieben. Hans’ Urheberschaft des ersten Flugblatts wird zuerst von Sophie entdeckt, wobei durch die Erzählung von Sophies Gedanken bei der Lektüre das Motiv der schwesterlichen Sorge (»Warum überließ er das nicht einfach politischen Menschen, Leuten mit Erfahrung und Routine?«) dramatisiert wird und als entscheidender Beweggrund für ihre Beteiligung erscheint: Sophie versuchte ihrer Angst Herr zu werden. Sie versuchte, nicht mehr an das Flugblatt zu denken, sie dachte nicht mehr an Widerstand. Sie dachte an ihren Bruder, den sie lieb hatte. […] Mußte sie nicht gerade jetzt ihm beistehen? […] »Aber Hans. Allein schafft man so etwas nicht. Daß heute nur noch einer von einer solchen Sache wissen darf, ist das beste Zeichen dafür, daß die Kraft des Einzelnen allein nicht ausreicht, es zu bewältigen.«1048 1042 1043 1044 1045 1046 1047 1048

Sayner, Anm. 944, S. 83–85. Scholl, Anm. 322, S. 25. Ebd. 25–26. Ebd., S. 26–27. Ebd., S. 28. Ebd., S. 38. Ebd., S. 41–42.

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Dieser Gedankengang Sophies wird auf die anderen Beteiligten übertragen, die sich in der Darstellung »in ähnlich behutsamer Weise wie Sophie neben Hans« stellen und so zu »Mitwissenden, zu Helfern und Mittragenden der großen Verantwortung« werden.1049 Dies zeigt wie der Text die von Breyvogel aufgezeigte Tendenz früherer Darstellungen der Emblematisierung der Geschwister und der Homogenisierung der anderen Beteiligten fortsetzt.1050 Scholl schreibt, dass geplant war, die ersten, allein Hans Scholl zugeschriebenen Flugblattaktionen nach der Rückkehr der Studenten aus Russland zu »einer systematischen, sorgsam durchdachten und geplanten Widerstandstätigkeit« auszubauen, wobei die »Fäden des Ganzen […] in der Hand von Hans zusammenlaufen« sollten.1051 Die Geplantheit des weiteren Vorgehens illustriert ein konspiratives Gespräch vor der Abreise der Studentenkompanie nach Russland. Die Erzählung erscheint durch ihren szenischen Modus authentisch, wobei in der Konstruktion der Dialoge strukturelle Ähnlichkeiten zu einer Szene in Neumanns Roman Es waren ihrer sechs auffallen: SCHOLL »Unsere Aufgabe wird sein«, sagte Professor Huber, »die Wahrheit so deutlich und hörbar wie möglich hinauszurufen in die deutsche Nacht. Wir müssen versuchen, den Funken des Widerstandes, der in Millionen ehrlicher deutscher Herzen glimmt, anzufachen, damit er hell und mutig lodert. Die Einzelnen, die vereinsamt und isoliert gegen Hitler stehen, müssen spüren, daß eine große Schar Gleichgesinnter mit ihnen ist. […] Vielleicht gelingt es, in letzter Stunde, die Tyrannis abzuschütteln und den wunderbaren Augenblick zu nützen, um gemeinsam mit den anderen Völkern Europas eine neue, menschlichere Welt aufzubauen.« »Und wenn es nicht gelingt?« erhob sich eine Frage. »Ich zweifle sehr, daß es möglich sein wird, gegen diese eisernen Wände von Angst und Schrecken anzurennen, die jeden Willen zur Erhebung schon im Keim ersticken.«1052

NEUMANN Karls Stimme: »[…] Wir gehören nicht zu den Schicksalsmächten, sondern zu denen, die das Kreuz auf sich nehmen wollen. Wir sind ein Teil von denen, die still geworden, sich besinnen und warten, auf den Augenblick warten, da sie laut werden müssen, und es ist auch nur ein lautes Wort der Empörung. Wir haben auf den Laut zu warten, auf den ersten Laut: und dann erst haben wir das Recht, für unsereinen, für unsre Einheiten zu sprechen. Dann erst sind wir beauftragt, von den Erzengeln des Schicksals, an unsre Einheiten die Aufforderung zu richten, mit dem Kreuzzug zu beginnen.« Christophs Stimme: »Wenn aber kein Wort der Empörung laut wird?« [»Sie marschieren niemals von selbst, dazu sind sie viel zu unselbstständig aufgewachsen, sie stehen viel zu lange unter Gemeinschaftsterror und Befehlsgewalt«]1053

Ähnliche Parallelen lassen sich bei der Darstellung von Sophies Arbeitsdienst finden.1054 Dass die Szene des Abschiedsabends im Atelier imaginiert ist, zeigt 1049 1050 1051 1052 1053 1054

Ebd., S. 43. Siehe. Breyvogel, Anm. 42, insbesondere S. 183. Scholl, Anm. 322, S. 43–44. Ebd. Neumann, Anm. 423, S. 360–361. Vgl. Scholl, Anm. 322, S. 29–30 und Neumann, Anm. 423, S. 236–237.

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die völlig abweichende Version in dem von Inge Scholl und Otl Aicher 1947/48 angefertigten Expos8 für einen Film zur Weißen Rose, in der Huber erst nach der Zusammenkunft von Hans Scholl eingeweiht wird.1055 Veränderungen am »tatsächlichen Geschehen« werden hier von Scholl und Aicher mit der Intention, dem »Geist« der Gruppe »Ausdruck zu geben«, gerechtfertigt.1056 Im Text von 1952 hat die Szene aber vor allem die Funktion, die Weiße Rose als Widerstandsgruppe zu konstituieren. Ähnlich wie bei Neumann kommt dem Professor die Autorität zu, die Motive und Ziele des Widerstands zu erklären. Eine Konstruktion einer Verschwörergruppe um ein Zentrum nach dem Vorbild des militärischen Widerstands, wie sie Breyvogel behauptet, lässt sich jedoch an dieser Szene nicht belegen. Bei der folgenden Darstellung der Ausweitung der Aktionen wird Widerstand als Transgression gedeutet: Die Beteiligten haben die »Grenze, in der sich Menschen wohnlich und sicher eingerichtet haben, übersprungen«1057 und unterscheiden sich damit vom Kollektiv. Die damit einhergehende Gefährdung wird einerseits durch die Wiedergabe von Gefühlen der Beteiligten von Einsamkeit und Angst zum Beispiel bei Fahrten mit Flugblättern in andere Städte sowie andererseits durch Pressezitate von Nachrichten über Todesurteile dramatisiert. Und erstmals tritt in diesem Zusammenhang auch die Ich-Erzählerin ohne Anbindung an die erzählte Welt auf (Erzähler¼ 6 Figur), die kommentiert: Ich glaube, in solchen Stunden haben sie frei mit Gott sprechen können […]. In dieser Zeit wurde ihnen Christus der seltsame, große Bruder, der immer da war, näher noch als der Tod. Der Weg, der kein Zurück duldete, die Wahrheit, die auf so viele Fragen Antwort gab, und das Leben, das ganze herrliche Leben.1058

Der »grenzenlos einsame«1059 Weg des Widerstands wird damit als Weg zu Gott gedeutet. Die Option des Widerstands erscheint aufgrund ihrer Voraussetzungen als ein Weg für Auserwählte, das Gefühl der Ausweglosigkeit und Einsamkeit wird jedoch wiederum kollektiv übertragen, wie am Zitat eines Tagebucheintrags Sophies deutlich wird: Viele Menschen glauben von unserer Zeit, daß sie die letzte sei. Alle die schrecklichen Zeichen könnten es glauben machen. Aber ist dieser Glaube nicht von nebensächlicher Bedeutung? Denn muß nicht jeder Mensch, einerlei in welcher Zeit er lebt, dauernd damit rechnen, im nächsten Augenblick von Gott zur Rechenschaft gezogen zu werden? Weiß ich denn, ob ich morgen früh noch lebe? Eine Bombe könnte uns heute 1055 Expos8, Anm. 936, S. 58–62. 1056 Otl Aicher, Inge Scholl: Manifest zu einem Film über die Weisse Rose. In: ZuckmayerJahrbuch 5 (2002), S. 545–552, S. 545. 1057 Scholl, Anm. 322, S. 42. 1058 Scholl, Anm. 322, S. 51. 1059 Ebd., S. 50.

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nacht alle vernichten. Und dann wäre meine Schuld nicht kleiner, als wenn ich mit der Erde und den Sternen zusammen untergehen würde. – Ich kann nicht verstehen, wie heute ›fromme‹ Leute fürchten um die Existenz Gottes, weil die Menschen seine Spuren mit Schwert und schändlichen Taten verfolgen. Als habe Gott nicht die Macht (ich spüre wie alles in seiner Hand liegt), die Macht. Fürchten bloß muß man um die Existenz der Menschen, weil sie sich von ihm abwenden, der ihr Leben ist.1060

Dieses Zitat legt in seinem Kontext nahe, dass für breite Schichten nicht Widerstand, sondern eine wahrhafte Hinwendung zum christlichen Glauben eine Lösung darstellt. Die Aktion vom 18. Februar 1943 wird auf eine Warnung an Hans zurückgeführt, seine Verhaftung stehe unmittelbar bevor. Die Erwägung einer Flucht verwirft er, denn er »allein mußte die Verantwortung übernehmen«, da er »hundert Menschenleben aufs Spiel setzte, wenn er selbst sich entzog«.1061 Als wichtigeres Motiv wird jedoch die Reaktion auf ›Stalingrad‹ dargestellt: Die Trauer und Erschütterung um Stalingrad durfte nicht im grauen, gleichgültigen Trott des Alltags wieder untergehen, ehe sie nicht ein Zeichen dafür gegeben hatten, daß die Deutschen nicht ausnahmslos gewillt waren, einen solchen mörderischen Krieg blindlings hinzunehmen.1062

Mit der Verbindung des Persönlichen und des Politischen setzt Inge Scholls Darstellung des Endes der Weißen Rose die bestehenden Fanal-Deutungen fort, mit dem Unterschied, dass die Entdeckung von Hans und Sophie nicht als bewusstes Selbstopfer dargestellt wird, auch wenn eine solche Interpretation durch eine vorausgreifende Lesart des Zitats eines Lieds der bündischen Jugend (»[…] Die Stunde kommt, da man Dich braucht, / dann sei Du ganz bereit, / Und in das Feuer, das verraucht, / wirf Dich als letztes Scheit«1063) offen gehalten wird. Jedoch wird ihre Entdeckung durch den Hausmeister, dessen Augen als »vom Herzen losgelöst[e] […] automatische Linsen der Diktatur« bezeichnet werden, als zufällig dargestellt.1064 Das Prinzip der Verantwortungsübernahme setzt sich in der Schilderung von Hans’ und Sophies Haltung in der Haft fort, »alle ›Schuld‹, alles, alles auf sich zu nehmen und so die anderen zu entlasten«.1065 Das letzte Viertel der Darstellung schildert Haft, Verhöre, Prozess und Hinrichtung. Den Kern dieses Teils bildet dabei der Bericht von Else Gebel1066, der über zehn Seiten lang, markiert durch Absätze, aber innerhalb des Textkörpers in direkter Rede wiedergegeben wird. 1060 1061 1062 1063 1064 1065 1066

Ebd., S. 57, Hervorhebung im Original. Ebd., S. 60. Ebd. Ebd., S. 20. Ebd., S. 61. Ebd., S. 62. Siehe Kapitel III.3.1.

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David Levins These einer besonderen Gemeinschaft im Gefängnis1067 kann auch auf die Szene der Gerichtsverhandlung übertragen werden, wenn Inge Scholl betont, die »Haltung und das Benehmen der drei Angeklagten« seien »von solchem Adel« gewesen, »daß sie selbst die feindselige Zuschauermenge in ihren Bann schlugen«.1068 Die »Gefangenenwärter« lässt Scholl berichten: »Sie haben sich so fabelhaft benommen. Das ganze Gefängnis war davon beeindruckt«, und der Scharfrichter wird mit den Worten zitiert, »so habe er noch niemanden sterben sehen«.1069 Durch die Inklusion dieser Erinnerungsberichte wird eine umfassende Gedächtnisgemeinschaft erzeugt. Dabei implizieren die zitierten Aussagen von Funktionsträgern des Verfolgungs- und Gefängnisapparats eine Läuterung durch das Beispiel der Geschwister. Hans’ Aussage gegenüber seinem Vater : »Ich habe keinen Haß, ich habe alles, alles unter mir«,1070 kann in diesem Sinne auch als Versöhnungsangebot verstanden werden. Die Metapher der untergehenden »strahlende[n] Vorfrühlingssonne« bei der Schilderung des Begräbnisses legt in Verbindung mit dem Trost des Gefängnisgeistlichen, »Sie geht auch wieder auf«, eine Deutung der Weißen Rose als Hoffnungszeichen nahe.1071

IV.1.3 Zeitgenössische Rezeption und Veränderungen in Neuauflagen Versöhnung und Hoffnung sind auch Schlüsselwörter der Rundfunkrede zum Jahresende 1952 des Intendanten des Süddeutschen Rundfunks Fritz Eberhard. Eberhard sieht die Gedanken seiner Rede in Inge Scholls Buch resümiert. Die Geschwister Scholl und ihre Freunde seien »in echter Hoffnung auf den Sieg der Freiheit auf das Schafott gestiegen«.1072 »Ihr Blut« habe »manche deutschen Sünden gesühnt«, ihre »Reinheit und ihr Opfer« seien Mahnung »zu echter Hoffnung und zur Versöhnung […] aller Deutschen, all der Europäer, die sich zu denselben abendländischen Idealen bekennen« und daher »Kraftquelle« seiner »Hoffnung auf Frieden und Freiheit für Menschen und Völker«.1073 Sein Aufruf zur Besinnung auf die »Pflicht zur Hoffnung auf den Menschen, der sich im Leben bewährt«, bezieht sich vor allem auf die »18 Millionen Deutschen, die in der Unfreiheit der Sowjetzone leben müssen«.1074 Um ihnen beizustehen, sei eine 1067 David Levin: Are we victims yet? Resistance and Community in The White Rose, Five Last Days, and The Nasty Girl. In: The Germanic Review 73 (1998), Nr. 1, S. 86–100, S. 98. 1068 Scholl, Anm. 322, S. 79. 1069 Ebd., S. 79–80. 1070 Ebd., S. 77. 1071 Ebd., S. 80. 1072 Fritz Eberhard: »Pflicht zur Hoffnung«. Ansprache des Intendanten. Typoskript, 4 Seiten, 31. 12. 1952. In: IfZ, ED 474 (308), S. 4. 1073 Ebd. 1074 Ebd.

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»kameradschaftliche Zusammenarbeit« notwendig.1075 Diese »Hoffnung auf Zusammenarbeit« werde zwar durch die »Feindschaft« zwischen Regierung und Opposition in Bonn enttäuscht, scheine sich aber in Bezug auf ehemalige Nationalsozialisten und Nazi-Gegner zu erfüllen (wobei Eberhard die »inneren Emigranten« ausnimmt).1076 So sei das »Wort der Versöhnung« der Kinder Generals von Witzleben zu dem SS-Führer Huppenkothen, dem Anlagevertreter bei den Standgerichtsverfahren gegen die Hauptbeteiligten des 20. Juli 1944, »gut so, angesichts der Gefahr für unsere Freiheit, einer Gefahr in der wir heute alle leben, gleich, ob wir einst die Vernichtung der Freiheit unter Hitler gestützt oder bekämpft haben«.1077 Diese Ansprache des sozialdemokratischen Journalisten und Politikers und ehemaligen Mitglieds des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds1078 führt wichtige in Scholls Text angelegte Deutungsmuster in ihrer Verbindung und aktualisierenden Funktion vor und fort. Bei Erscheinen der ersten Rezensionen zeigte sich, dass das Buch »sehr gut aufgenommen wurde und zwar in den verschiedensten Kreisen«.1079 Das verweist auf die standpunktübergreifende Zitier- und Konsensfähigkeit des Textes in der Bundesrepublik zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, die eine Erklärung für seine rasche und breite Rezeption liefert. So erscheinen bis Anfang 1953 in fast allen namhaften Tageszeitungen und Zeitschriften Rezensionen. Lotte Paepckes fast zeitgleich erschienener Text wird dagegen um ein vielfaches seltener rezipiert, fast ausschließlich in Verbindung mit Scholls Text. So schreibt Anton Betz in der Rheinischen Morgenpost: »Die beiden Bücher bedeuten – jedes in seiner Art – zwar traurige, aber notwendige Erinnerungen an deutsche Verirrungen, vermeiden jedoch die Anklage«.1080 Was die Bewertung der Form betrifft, greifen die meisten Rezensenten die Attribute des Paratextes auf. Mit Authentizität und Schlichtheit (»ohne Pathos und ohne Haß«, »ohne Kunstfertigkeit und deshalb so eindringlich«1081) wird die Wirkung der Darstellung begründet. Hervorgehoben werden auch die Dimensionen der Legitimität und Autorität Inge Scholls. Das »geistig-seelische Erbe 1075 1076 1077 1078

Ebd. Ebd. Ebd. Zur Biographie Fritz Eberhards (urspr. Helmuth von Rauschenplat) siehe Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Archiv : Findbuch zum Bestand ED 117. Eberhard, Fritz und Elisabeth, Internet: www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0117.pdf, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018, S. 5–11. 1079 Inge Aicher-Scholl: Brief an Fritz Nunnemann, 22. 08. 1952. In: IfZ, ED 474 (336). 1080 Anton Betz: [Rezension zu Lotte Paepcke: Unter einem fremden Stern, Inge Scholl: Die weiße Rose, Irma Loos: Rumänisches Tagebuch 1951]. In: Rheinische Morgenpost, 29. 09. 1952. 1081 Fritz Hepp: In den Fängen der Diktatur. In: Süddeutsche Zeitung, 23. 08. 1952.

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der jungen Opferwilligen«, schreibt Ursula von Kardorff, könne »nicht in besseren Händen sein«.1082 Alle vorliegenden Rezensionen übernehmen grundsätzlich Scholls Deutung eines nicht politisch, sondern menschlich, ethisch und religiös motivierten Widerstands.1083 Der Verdienst Inge Scholls besteht dem Münchener Merkur zufolge darin, die menschlichen Hintergründe darzustellen, denn die Weiße Rose sei von allen Erhebungen gegen den nationalsozialistischen Terror […] die Erschütterndste, weil sie die Makellosigkeit in sich trug, die fern einer Erwägung um politische Zweckmäßigkeit sich aus innerer Verpflichtung gegen das Böse auflehnt, sich nicht mit geistigem Widerstand begnügt, sondern zum Handeln schreitet, um im eigenen Untergang ein Fanal zu errichten für die Lebenden.1084

Die Prämissen und die aktuelle Relevanz des Widerstands werden dabei je nach konfessionellem und politischem Standpunkt unterschiedlich akzentuiert. Paul Hühnerfeld etwa betont in der Zeit die Prägung durch einen »ländlichen, bayrisch gefärbten Katholizismus, dem alles fanatische fremd ist«.1085 Die Weiße Rose stehe »in der Tradition einer echten akademischen Freiheit«, ihre Mitstreiter seien »im edelsten Sinne ›Idealisten‹« und deshalb »törichter – aber auch reiner« als »viele Verschwörer des 20. Juli«.1086 Sie seien »Beispiel – nichts als Beispiel«, und deshalb müsse »ihr Andenken an den deutschen Hochschulen nicht nur gefeiert, sondern lebendig gehalten« und das Buch »zur Pflichtlektüre für jeden jungen Studenten« gemacht werden.1087 Auch einer Rezension der katholischen Wochenzeitschrift Echo der Zeit zufolge stellt die Tat der Münchener Studenten eine mögliche Tradition für Studenten dar, die »gewachsen und zeitgemäß« sei.1088 Das Buch gehöre in die »Hand der Erzieher und Jugendbetreuer« als »schönes Beispiel […] wie vorhandene Begeisterung in echte Männlichkeit und wahres Frauentum mündet«.1089 Allerdings werde auch

1082 Ursula von Kardorff: Lächelnd in den Tod. Vor zehn Jahren wurden Hans und Sophie Scholl hingerichtet. In: Die Welt, 20. 02. 1953. 1083 Vgl. z. B. die Folgerung der Motive zum Widerstand aus Scholls Schilderung von Hans’ Lazaretterlebnissen in Frankreich und die Zuschreibungen »idealistisch-naiver, passiver Widerstand«, »Widerstand aus leidenschaftlich nüchternen Herzen« bei Regina Bohne: Gott liebt auch die Rebellen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. 08. 1952. 1084 W.F.: Mahnung aus der Vergangenheit. In: Münchener Merkur, 12. 09. 1952. 1085 Paul Hühnerfeld: Pflichtlektüre für Studenten. Inge Scholl zeichnet den Weg ihrer Geschwister auf. In: Die Zeit, 19. 02. 1953. 1086 Eb. 1087 Ebd. 1088 A.B.: »Die weiße Rose«. Die letzten Stunden der Geschwister Scholl. In: Echo der Zeit, 11. 01. 1953. 1089 Ebd.

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deutlich, »daß romantische Liebe für das Schöne und echt Menschliche allein nicht ausreicht, wenn man verantwortlich mitbauen will«.1090 Andere Rezensenten folgern eine Orientierungs- und Leitbildfunktion über den akademischen Kontext hinaus. In der Schwäbischen Donauzeitung heißt es, das Buch werde eine »Mahnung bleiben für alle jungen Kräfte im Staat«, es schärfe die »Wachsamkeit« und rufe »persönliche Tapferkeit, ›Zivilcourage‹ auf den Plan, wo immer der Staat durch Institute oder Monopole das Recht auf freie Entfaltung, auf freies Leben zu beschränken oder auch nur anzutasten droht«.1091 Ähnlich schreibt Klaus Peter Schulze dem Text in den Gewerkschaftlichen Monatsheften eine Immunisierungsfunktion zu, er wirke »gerade auf jugendliche Gemüter wie ein heilsames Gegengift« gegen Verlockungen »verantwortungsund würdeloser Gruppen, die heute schon wieder am liebsten Zustände herbeiführen möchten, wie jene, die Hans und Sophie Scholl mit ihren Gefährten […] so bekämpften«.1092 In der Rezension der Ruhr-Nachrichten mit dem Titel »Märtyrer und Propheten der Freiheit« fungieren »Hans Scholl und seine Freunde« als Vertreter »unserer Generation«.1093 Es sei das »Schicksal vieler Propheten, erst nach dem Tode gehört zu werden«.1094 Jedoch stünden nun »vieltausend junge Menschen hinter Hans Scholl und seinen Freunden«, die ein »geistig-freies und geeintes Europa anstrebten«: »Vielleicht ist das der schönste Kranz, den unsere Generation sechs ihrer besten auf das Grab legen kann: Die weiße Rose hat nicht umsonst geblüht«.1095 In einer Rezension Helmut Uhligs in der CCF-nahen Zeitschrift Der Monat wird betont, die »Judenfrage, die Konzentrationslager, endlich der verantwortungslos und verlogen begonnene Krieg, bestimmten ihre Haltung«.1096 Diese wird indirekt als repräsentativ dargestellt, die Gespräche zwischen den Geschwistern und ihren Eltern seien typische Dialoge, »wie sie nach 1933 heimlich in vielen deutschen Familien geführt wurden«.1097 Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie von unterschiedlichen ideologischen Standpunkten die Integrations- und Identifikationsmöglichkeiten des Textes durch Epitexte gestützt und weitervermittelt wurden. 1090 Ebd. 1091 su.: Zu Inge Scholls Bericht »Die weiße Rose«: Die Mahnung der Toten. In: Schwäbische Donauzeitung, 09. 08. 1952. 1092 Klaus-Peter Schulze: Buchbesprechungen. In: Gewerkschaftliche Monatshefte 3 (1953), Nr. 1, S. 62–63. 1093 Heinz-Günter Klein: Propheten und Märtyrer der Freiheit. Idee und Schicksal der Münchener Studentenrevolte, aufgezeichnet von Inge Scholl. In: Ruhr-Nachrichten, 07. 08. 1952. 1094 Ebd. 1095 Ebd. 1096 Helmut Uhlig: Zeugnis des Widerstands. In: Der Monat 5 (1952), Nr. 52, S. 330–331. 1097 Ebd.

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Die meisten Textauszüge in der Presse beziehen sich auf die Schilderung des Zeitraums zwischen Verhaftung und Hinrichtung der Protagonisten.1098 Durch die abstrahierend-universalisierende, das Menschliche betonende Deutung der Weißen Rose und die Fokussierung auf den Tod der Beteiligten tragen der Text und seine Vermittlung in der Bundesrepublik zur Gegenwartsbezogenheit und gemeinschafts- und identitätsstiftendender Funktion ihrer öffentlichen Erinnerung bei. Allerdings bezieht sich dieser Befund nicht auf einen allgemeinen, gesamtgesellschaftlichen Konsens, sondern auf gewisse Milieus. Verschiedene Rezensionen nennen die Veröffentlichung des Verlags der Frankfurter Hefte mutig, andere vermerken: »Echte Dokumente, die gegen Vergeßlichkeit und Trägheit des Herzens angehen, sind nicht sehr beliebt. Umso mehr erschüttern sie die Wachsamen«.1099 Die Konsensfähigkeit des Texts erklärt das große institutionelle Interesse an der Veröffentlichung: Verbände wie der VDS, der Bundesjugendring, das Studentenwerk München und mit der Bundeszentrale für Heimatdienst (die spätere Bundeszentrale für politische Bildung) auch eine staatliche Institution bemühen sich um Vermittlung und Verbreitung des Textes von seinem Erscheinen an. So äußert die Bundeszentrale für Heimatdienst Interesse, verbilligte Ausgaben des Buches zu unterstützen, wobei sich »sicherlich eine ganze Reihe von anderen Anliegen von seiten der Bundeszentrale« ergeben würden.1100 Unabhängig von Kogons Ankündigung, das Buch »in den deutschen Schulen über die Kultusministerien einzuführen«,1101 wurde Die weiße Rose eine häufige Schullektüre. Eingang in die Schulbücher findet der Text vermehrt in den 1960er Jahren, zu diesem Zeitpunkt vermehren sich die Darstellungen der Weißen Rose in Schulbüchern insgesamt.1102 Inge Scholls Die weiße Rose kann, jedenfalls im Vergleich mit ähnlichen Büchern, als Bestseller, in jedem Fall jedoch als Longseller bezeichnet werden. Bis zur Liquidierung des Verlags der Frankfurter Hefte erschienen mindestens elf Auflagen, bis Juli 1953 wurden 17.460 Exemplare abgesetzt.1103 Seit 1955 wird der Text als Fischer-Taschenbuch verlegt, aufgrund des niedrigeren Preises beschleunigte sich der Absatz seitdem. So beträgt die Gesamtauflage der Taschenbuchausgabe von 1956 75.000 Exemplare, spätestens 1958 wird die Marke 1098 Siehe bspw. den neben dem an die oben zitierte Rezension anschließenden Auszug im Echo der Zeit; o. A.: Frei, furchtlos, gelassen. »Wir haben alles, alles auf uns genommen«, sagte Sophie Scholl. In: Die neue Zeitung, 16. 11. 1952; Inge Scholl: Die letzten Tage. In: Welt und Wort, August 1952. 1099 Hepp, Anm. 1081. 1100 C. C. Schweitzer : Brief an Inge Aicher-Scholl, 17. 01. 1953. In: IfZ, ED 474 (335). 1101 Eugen Kogon: Brief an Inge Aicher-Scholl, 10. 09. 1952. In: IfZ, ED 474 (335). 1102 Siehe. Fleischhack, Anm. 170, S. 484–485. 1103 Honorarabrechnung des Verlags der Frankfurter Hefte mit Inge Scholl, 01. 08. 1953. In: IfZ, ED 474 (335).

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von 100.000 Exemplaren überschritten. Bis 1973 wurden insgesamt 340.000 Exemplare gedruckt.1104 Inklusive Schulbuchauflagen des Klett-Verlags und Buchclub-Ausgaben kann davon ausgegangen werden, dass die Gesamtauflage inzwischen die Millionengrenze erreicht hat. Für die Bundesrepublik kann von einem Kanonisierungsprozess des Textes ab Mitte der 1950er Jahre ausgegangen werden. 1969 wurde ein Textauszug in die von der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) unter dem Titel Literatur und Widerstand im Röderberg-Verlag herausgegebenen Anthologie europäischer Poesie und Prosa aufgenommen.1105 In der DDR wurde der Text 1986 von der Evangelischen Verlagsanstalt herausgegeben.1106 In Westdeutschland erschienene Ausgaben waren aber zuvor in wissenschaftlichen Bibliotheken ausleihbar.1107 Dies steht im Widerspruch zu einer pauschalen Aussage in einem Band zum 17. Juni 1953, Scholls Buch sei in der DDR »unerwünscht« gewesen.1108 Die Rezeption des Buches in der DDR erfolgte bis 1984 indirekt, wie in den weiteren Kapiteln deutlich werden wird. Auszüge erschienen in der im Verlag der Nation von Günter Albrecht herausgegebenen Anthologie autobiografischer Texte Erlebte Geschichte. Von Zeitgenossen gesehen und geschildert. Ein Auszug aus der Schilderung der Jugend der Geschwister Scholl1109 soll laut Einleitung zeigen, wie sehr die nationalsozialistischen »Irrlehren Denken, Fühlen und Handeln großer Teile der Jugend bestimmten« und dass »selbst einige Gegner […] den Klassencharakter des Faschismus nicht erkannten«.1110 Der zweite Auszug1111 zeuge in einer Reihe mit Berichten und letzten Briefen kommunistischer Widerstandskämpfer, Ausschnitten aus Rundfunkansprachen Thomas Manns und Berichten von Vertre1104 Angaben im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek, Internet: www.d-nb.de, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 1105 Inge Scholl: Die weiße Rose. In: Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) (Hrsg.): Literatur und Widerstand. Anthologie europäischer Poesie und Prosa. Frankfurt a. M.: Röderberg 1969, S. 167–168. 1106 Siehe Kapitel V.2.6. 1107 Horst Melchert, Fritz Beckert: Wir schweigen nicht. Beiheft zum Magnettonband. Herausgegeben vom Deutschen Zentralinstitut für Lehrmittel. Berlin (Ost): Volk und Welt 1956, S. 41. 1108 Peter Lange, Sabine Ross: 17. Juni 1953. Zeitzeugen berichten: Protokoll eines Aufstands. Berlin u. a.: LIT 2004, S. 28–29. 1109 Inge Scholl: Wird nun alles besser werden? In: Günter Albrecht, Barbara Albrecht (Hrsg.): Vom Untergang der Weimarer Republik bis zur Befreiung vom Faschismus. Berlin (Ost): Verlag der Nation 1972, S. 46–48. 1110 Klaus Willich: Einleitung. In: Günter Albrecht, Barbara Albrecht (Hrsg.): Vom Untergang der Weimarer Republik bis zur Befreiung vom Faschismus. Berlin (Ost): Verlag der Nation 1972, S. 6–26, S. 7. 1111 Inge Scholl: Blätter der weißen Rose. In: Günter Albrecht, Barbara Albrecht (Hrsg.): Vom Untergang der Weimarer Republik bis zur Befreiung vom Faschismus. Berlin (Ost): Verlag der Nation 1972, S. 195–197.

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tern »der kirchlichen Opposition« sowie Texten Greta Kuckhoffs über die Rote Kapelle und Ferdinand Sauerbruchs über den 20. Juli 1944 von der »Breite des antifaschistischen Widerstands unter Führung der KPD«.1112 Wichtiger als die Reproduktion offizieller Diskurse ist die Auswahl der Texte, die auf eine Adressierung bürgerlicher Zielgruppen schließen lässt.1113 Inge Scholls Buch Die weiße Rose wurde in den verschiedenen Auflagen und Ausgaben kontinuierlich verändert und, was Paratexte und Anhang betrifft, erweitert. Bereits für die Neuauflage 1953 veranlasste Inge Scholl leichte Änderungen und reagierte damit auf Kritik aus dem Kreis der anderen Familien, insbesondere auf die Angelika Probsts an der Darstellung ihres Bruders Christoph.1114 Die Änderungen in den weiteren Ausgaben wurden bereits ausführlich von Sayner und Rickart untersucht. Signifikante Änderungen gehen mit der Taschenbuchausgabe 1955 einher. Insbesondere werden die Berichte von Else Gebel und Helmut F. ausgelassen, wie Rickart meint, um Diskurse von Märtyrertum und quasi-religiöser Selbstopferung zu relativieren und pragmatischeren und politischeren Interpretationen Vorschub zu leisten.1115 Der genaue Hintergrund der Auslassung ist jedoch noch unklar. Zu Rickarts Erklärung passt zwar die Einfügung folgender Passage über Inge Scholls eigene Zeit im Gefängnis im Rahmen der Sippenhaft: Ich hatte die Gelegenheit gehabt, nach ihrem Tod selbst im Gefängnis in den endlos sich hineinziehenden Stunden der Ungewißheit und des Schmerzes über die Haltung, die Worte, den Weg meiner Geschwister und ihrer Freunde nachzudenken, und hatte versucht, durch das [sic] Filter der Trauer hindurch den tieferen politischen Sinn ihres Handelns zu begreifen.1116

Auf Betreiben von Brigitte Bermann-Fischer1117 wird jedoch ein Grußwort des Bundespräsidenten Theodor Heuss anlässlich von Gedenkfeiern in Berlin und München zum 10. Jahrestag des 22. Februar 1943 als Vorwort abgedruckt, der metaphysische Deutungsmuster paratextuell eher noch verstärkt: 1112 Willich, Anm. 1110, S. 13. 1113 Die Gutachten sind dem Druckgenehmigungsvorgang entnommen und konnten daher nicht untersucht werden. Siehe Druckgenehmigungsverfahren Verlag der Nation. In: BArch, DR 1 (2405). 1114 Diesbezügliche Änderungswünsche: Einfügung auf S. 26 zu Alexander Schmorell: »der Sohn eines angesehenen Arztes in München«; Änderung auf S. 62 »seine zarte, tapfere Frau« statt »Ängstlich und zart war seine Frau« sowie Streichung des Satzes »Denn er hatte nichts getan« nach »konnte und durfte Christl nichts geschehen«; Auswechslung Foto Christoph Probst. Inge Scholl: Liste mit Änderungswünschen betreffend der 2. Auflage, Brief an Verlag der Frankfurter Hefte, 22. 08. 1953. In: IfZ, ED 474 (335). 1115 Rickart, Anm. 944, S. 115–116. 1116 Inge Scholl: Die weiße Rose. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1955, S. 95–96. 1117 Inge Aicher-Scholl: Brief an Theodor Heuss, 17. 08. 1954. In: IfZ, ED 474 (337).

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Als wir vor zehn Jahren […] von dem kühnen Versuch erfuhren, womit die Geschwister Scholl und ihr Freundeskreis das Gewissen der studierenden Jugend zu erreichen suchten, da wußten wir und sprachen es auch aus: dieser Aufschrei der deutschen Seele wird durch die Geschichte weiterhallen. […] So muss ihre Erscheinung inmitten der deutschen Tragik begriffen werden – nicht als ein gegenüber der Gewalt mißglückter Versuch zur Wende, sondern als das Abschirmen eines Lichtes in der dunkelsten Stunde. Und darum gehört ihrem Gedächtnis Dank und Ehrfurcht.1118

Als Paratext autorisiert dieser von christlicher Metaphorik durchzogene Auszug, der gleichzeitig die erste Würdigung der Weißen Rose durch einen Bundespräsidenten darstellt,1119 den Text zusätzlich. Die Neuausgabe von 1972 enthält Textänderungen, die insbesondere den Enthusiasmus der Scholl-Geschwister für die Hitlerjugend anders akzentuieren.1120 Inge Aicher-Scholl regte anlässlich einer amerikanischen Ausgabe 1969 die Erweiterung des Buchs durch zusätzliche Dokumente als »historische Ergänzungen« und durch ein Nachwort an, »das vor allem für heutige junge Leser aufschlußreich sein mag«.1121 Aus kalkulatorischen Gründen angesichts rückläufigen Absatzes entschied sich der Verlag 1970 jedoch gegen eine veränderte Ausgabe1122 und nahm 1972 im Zuge der Neuauflage – außer einer Textergänzung zu den Prozessen gegen weitere Unterstützer der Weißen Rose und den sogenannten Hamburger Zweig – nur das Nachwort Inge Aicher-Scholls auf, um den Kaufpreis zu halten und »ein erhebliches Risiko in der Verbreitung des ganzen Bandes« zu vermeiden.1123 Dieses Nachwort enthält signifikante Umdeutungen im Vergleich zur Ausgabe von 1952. Dass »die politische Dimension zu knapp« gehalten sei, führt sie auf die Adressierung des Textes »für Kinder, für Jugendliche« zurück.1124 AicherScholl betont nun die »politische Plattform der Studenten« und wendet sich dagegen, die Aktion als »eine allgemeine schöne menschliche Tat zu verstehen«, denn: »Sie war konkret und hatte konkrete Ziele und konkrete Anlässe.«1125 Der Widerstand sei nicht nur passiv konzipiert gewesen, die Studenten hätten ver1118 Korrespondenz zwischen Brigitte Bermann-Fischer und Inge Aicher-Scholl sowie zwischen Inge Aicher-Scholl und Theodor Heuss, 1955. In: IfZ, ED 474 (336). 1119 Siehe Kapitel VI.2.3. 1120 Scholl, Anm. 322, S. 12: »[i]n unseren Gruppen wurde zusammengehalten wie unter Freunden. Die Kameradschaft war etwas Schönes.« Vgl. mit Aicher-Scholl, Anm. 979, S. 16: »[i]n unseren Gruppen entstand ein Zusammenhalt, der uns über die Schwierigkeiten und die Einsamkeit jener Entwicklungsjahre hinwegtrug, vielleicht auch hinwegtäuschte.« 1121 Inge Aicher-Scholl: Brief an Klaus Kamberger, 12. 03. 1969. In: IfZ, ED 474 (337). 1122 Klaus Kamberger : Brief an Inge Aicher-Scholl, 22. 04. 1970. In: IfZ, ED 474 (337). 1123 Jochen Greven: Brief an Inge Aicher-Scholl, 14. 03. 1972. In: IfZ, ED 474 (337). 1124 Aicher-Scholl, Anm. 979, S. 145. 1125 Ebd., S. 146.

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sucht ein »Waffendepot« aufzubauen.1126 Zudem wird nun das politische Interesse der Gruppe betont, die Politik sei »mehr und mehr auch zur theoretischen Passion« geworden, der »frühe Sozialismus« wichtiger Bestandteil der Vision eines Nachkriegsdeutschlands gewesen; die Gruppe habe auch keinen taktischen Antikommunismus verfolgt.1127 Solche Änderungen an Text und Paratext des Buches zeigen, wie dieses fortlaufend an die sich verändernden Deutungsrahmen angepasst wurde.

IV.2 Widerstandsliteratur zwischen Diktion und Dokumentation IV.2.1 Das »Kostbarste[…] unserer Zeit«: Funktionen von Briefen und Aufzeichnungen der Geschwister Scholl Berichte, biografische Portraits und Zeugnisse, die sich als wichtige Genres der Erinnerungsliteratur an den Widerstand in den ersten Nachkriegsjahren herausgebildet haben, binden Dokumente in ihren Text gestaltend ein, die diesen wiederum authentifizieren. Gerade aus der Verbindung von dichterischer Sprache – »Diktion«1128 – und dem gestaltenden Umgang mit Dokumenten ergaben sich Zuschreibungen von Literarizität, die sich von späteren Bewertungskriterien ab den 1950er-Jahre unterscheiden. Eine wichtige Entwicklung der Genres und Formate der Erinnerungsliteratur besteht nun darin, dass nachgelassene, persönliche Dokumente einen eigenwertigen, literarischen Status erhalten. Ihre Publikation bedeutet jedoch eine Überführung privater oder gar intimer Kommunikation in öffentliche. Dabei ergibt sich das Problem, dass Tote nicht mehr über ihre Texte verfügen können, die eventuell nie für eine Veröffentlichung vorgesehen waren. Die Rezipienten sind nicht mehr die ursprünglichen Adressaten. Die veränderte Adressatenbeziehung1129 wird durch die Veröffentlichungs- und Vermittlungsinstanzen bewerkstelligt, indem Texte ausgewählt und herausgegeben, gerahmt und kommentiert werden. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie Selbstzeugnissen durch den Veröffentlichungskontext Literarizität zugeschrieben wird, ist der erste zusammenhängende Abdruck von Aufzeichnungen Hans Scholls unter der Überschrift »Aus dem Rußlandtagebuch« in den Akzenten. In der ersten Ausgabe der 1954 gegründeten, anfangs von Walter Höllerer und Hans Bender herausgegebenen Zeitschrift für Dichtung werden die Tagebuchauszüge Hans Scholls neben Lyrik1126 1127 1128 1129

Ebd., S. 141. Ebd., S. 144. G8rard Genette: Fiktion und Diktion. München: Fink 1992. Siehe Peitsch, Anm. 308.

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und Prosatexten von Herbert Gerlitz, Gertrud Kolmar, Rainer Brambach, Günter Eich und Gero Hartlaub sowie essayistischen Beiträgen von Walter Boehlich und Hermann van Dam publiziert. Alle Texte werden ohne weiteren Kommentar präsentiert. Wie bei den anderen Autoren wird im Inhaltsverzeichnis lediglich ein Ort angegeben, bei Hans Scholl bemerkenswerter Weise nicht München, sondern Ulm. In den Anmerkungen, die sehr knappe biografische Angaben zu den Autoren enthalten, wird er als »Zweitältester der Geschwister Scholl« bezeichnet, womit die Bezeichnung »Geschwister Scholl« auch auf Inge Scholl und den an der Front verschollenen älteren Bruder Werner ausgeweitet wird.1130 Hans Scholls Tagebuchauszüge gelangten durch Günter Eichs Vermittlung, der über seine Frau Ilse Aichinger in Kontakt zu Inge Aicher-Scholl stand, in die Akzente. Dies zeigt deren Autorität des Archivs, ihre Rolle als Verwalterin der privaten Überlieferung, die eine »präventive Kontrolle«1131 in Bezug auf das von ihr verwaltete Familienarchiv ausübte und Material daraus nur selektiv herausgab. Gegenüber Walter Höllerer begründete Eich Relevanz und Auswahl des Materials wie folgt: Ich fahre übermorgen nach Ulm, um aus den Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl etwas auszusuchen. Das wäre ein Akzent, der mir wichtig scheint, eigentlich nur im ersten Heft möglich. Ein Hinweis, daß Dichtung nicht ein ästhetisches Phänomen ist, sondern aus deren Quellen gespeist wird. Es gibt sehr schöne Dinge in diesen Aufzeichnungen. Ausgesprochen Politisches lasse ich natürlich weg.1132

Während Politisches in der von Eich offenbar als programmatisches Statement für die erste Ausgabe konzipierten Textauswahl explizit ausgeschlossen wird, deutet er als »Quelle« für Dichtung das Erlebnis als Auswahlkriterium an. Durch die Beschränkung auf Hans Scholl, die Überschrift und Kürzungen wird Erlebnis hierbei mit dem Kriegserlebnis enggeführt. Die Auszüge aus dem »Rußlandtagebuch« Hans Scholls sind ausgewählten Einträgen zwischen dem 30. Juli und dem 28. August 1942 entnommen. Datumsangaben in Ziffern bilden die einzigen Überschriften. Der Auszug aus dem ersten Eintrag, an den sich im Original Reflexionen zu Heimat und Gott anschließen, fokussiert auf die Wirkung einer »sanfte[n] Moränenlandschaft«.1133 Natur wird im Auszug des zweiten Eintrags mit der göttlichen »Schöpfung« identifiziert und dem gottlosen »Werk der Menschen, das grausam ist und 1130 Akzente. Zeitschrift für Dichtung 1 (1954), H. 1, S. 100. 1131 Hikel, Anm. 49, S. 246; zu Inge Scholls Geschwister-Scholl-Archiv ausführlich, S. 91–107. 1132 Brief von Günter Eich an Walter Höllerer vom 01. 10. 1953, zitiert nach Susanne Krones: Akzente im Carl Hanser Verlag. Geschichte, Programm und Funktionswandel einer literarischen Zeitschrift 1954–2003. Göttingen: Wallstein 2009, S. 126. 1133 Hans Scholl: Aus dem Rußlandtagebuch. In: Akzente. Zeitschrift für Dichtung 1 (1954), Nr. 1, S. 75–79, S. 75.

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Zerstörung und Verzweiflung heißt«, entgegengesetzt.1134 Diese Antithese mündet in die Frage, wann »ein Sturm endlich all diese Gottlosen« hinwegfege, »die einem Dämon das Blut von Tausenden von Unschuldigen zum Opfer darbringen«.1135 Der Eintrag vom 7. August und der vom 17. August werden durch Kürzungen zusammengeführt. Andeutungen zum positiven Eindruck der »russischen Menschen« werden ausgelassen, die Situation des Schreibenden im Krieg (»Ich bin müde vom Nichtstun. […] Der Krieg nimmt mich in seinen Bann nur zwischen Abschuß und Einschlag«) direkt mit Gedanken »[ü]ber die Schwermut« und an den Tod verbunden.1136 Das Warten auf den Tod erscheint damit charakteristisch für das soldatische Schicksal, dem der Wille des »großen Menschen« entgegengestellt wird, der »seine eigene Tiefe durchstoßen, […] weiter [will] […] und so im »Untergang […] Erlösung« sucht.1137 Durch die Kürzung des ersten Absatzes des Eintrags vom 18. August wird die Schilderung von »[w]irren Träume[n]«1138 vom Kontext der Nachricht über die Verhaftung des Vaters und der Verweigerung der Bitte der Mutter, ein Gnadengesuch zu schicken, abgelöst. Hierdurch wird die Schilderung des Traums, der mit dem Satz »Es gibt keinen Ausweg, sage ich zu mir selbst, und als ich am Boden angelangt war, gab ich mich freiwillig in Gefangenschaft« endet, an den Gedanken von Erlösung durch Handeln angeschlossen.1139 Nach einem kurzen Zitat aus dem Eintrag vom 21. August über die »Phantasielosigkeit« gerade »dies[es] Krieg[es]«1140 folgen im Auszug aus dem Eintrag am 22. August Gedanken an den Vater im Gefängnis, die vermittelt durch Reflexionen über eine – abstrakt gehaltene – eigene Gefängniserfahrung und über Gedanken an den Tod, »Tränen einer Mutter« und den »Namen eines Mädchens« implizit wieder auf das soldatische Erleben bezogen werden.1141 Kunst, aber vor allem christlicher Glauben werden aus dem Eindruck des Krieges heraus als einziger »Ausweg«1142 nahegelegt. Die Passagen über eine vergangene Liebe und das würdevolle Begräbnis des zersetzten Körpers eines russischen Soldaten, die diese Reflexion motivieren, werden jedoch ausgelassen.1143 Neben diesen Kürzungen gibt es einen weiteren bezeichnenden Eingriff des 1134 Ebd. 1135 Ebd. 1136 Ebd., S. 75–76; vgl. Hans Scholl, Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen. Hrsg. von Inge Jens. Berlin (Ost): Evangelische Verlagsanstalt 1987, S. 113. 1137 Scholl, Anm. 1133, S. 75–76. 1138 Scholl, Anm. 1133, S. 76–77; vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 121. 1139 Ebd. 1140 Scholl, Anm. 1133, S. 77; dieser Eintrag fehlt in der von Inge Jens hrsg. Edition der Briefe und Tagebücher. 1141 Scholl, Anm. 1133, S. 77–78; vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 125–127. 1142 Scholl, Anm. 1133, S. 78. 1143 Vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 127.

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(nicht genannten und nicht in Erscheinung tretenden) Herausgebers: Die Einträge vom 28. August und 22. August sind vertauscht, so dass der letzte und als einziger aus diesem Eintrag, vom Kontext der Aussage losgelöst zitierte Satz lautet: »…Der Mensch ist im wesentlichen frei, und seine Freiheit macht ihn zum Menschen. – …«1144 Durch die Eingriffe und das vorausgesetzte Wissen über das Schicksal Hans Scholls legt der Text Vorausdeutungen in Bezug auf den Widerstand nahe. Deutungen von Krieg und Widerstand werden somit verkettet, indem letzterer auf ambivalente Weise mit dem Kriegserlebnis verknüpft wird: Einerseits wird eine Motivation des Handelns von Hans Scholl durch den Krieg nahegelegt, andererseits dessen Weg zur ›inneren Freiheit‹ – ebenso wie der des Künstlers – vom Schicksal der Masse der Soldaten abgesetzt. Die Tagebuchauszüge in den Akzenten sind somit nicht nur ein Beispiel für die Literarisierung von Zeugnissen, sondern auch dafür, wie bei der Edition von Dokumenten allein schon durch Kürzungen – ohne Kommentar oder sonstigen Paratext – Deutungen vermittelt werden können. Die Veröffentlichung in den Akzenten stellte den ersten Versuch Inge AicherScholls dar, bestimmte Teile der persönlichen Aufzeichnungen ihrer Geschwister durch Vermittlung publik zu machen. In den folgenden Jahren nahm sie in diesen Bemühungen eine aktivere Rolle ein und trieb mit den anderen Angehörigen das Projekt eines Dokumentenbandes voran. In der Vorbereitung der Taschenbuchausgabe des Buchs Die weiße Rose im Fischer-Verlag hatten Inge Aicher-Scholl und Brigitte Bermann-Fischer bereits 1954 Überlegungen angestellt, Auszüge aus Briefen und Tagebüchern Hans und Sophie Scholls im Anhang zu veröffentlichen, diese aber verworfen, weil »dadurch die Akzente des Buches zu sehr verschoben werden und diese Aufzeichnungen vielleicht auch zu persönlich sind, um eine Veröffentlichung gerade im Rahmen der Fischer Bücherei angezeigt erscheinen zu lassen«.1145 Jedoch regte Bermann-Fischer 1961 an, die Dokumente in einem eigenen Buch zu publizieren. Inge Aicher-Scholl gewann die Ehefrau von Günter Eich, die mit ihr befreundete Schriftstellerin Ilse Aichinger dafür, die Herausgeberschaft zu übernehmen und ein Vorwort zu schreiben, »durch das das Ganze erst das richtige Verständnis finden wird«.1146 Gegenüber den anderen Angehörigen begründete sie ihre Einschätzung, Aichinger sei »wie kaum ein zeitgenössischer Autor deutscher Sprache dafür prädestiniert«, das »Verbindende und gleichzeitig den Schlüssel« zu vermitteln, »der dem Persönlichen den tragenden Sinn erschließt«, nicht nur mit der »Einmaligkeit ihrer Sprache, sondern ebenso durch die außerordentliche Er1144 Scholl, Anm. 1133, S. 78; vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 122–125. 1145 Fritz Arnold: Brief an Inge Aicher-Scholl, 09. 11. 1954. In: IfZ, ED 474 (337). 1146 Inge Aicher-Scholl: Brief an Brigitte Bermann-Fischer, 20. 03. 1962. In: IfZ, ED 474 (342).

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fahrung des Leides und der Ausweglosigkeit, die ihr als halbjüdischem Kind im dritten Reich zugewachsen ist«.1147 Bezüglich des Vorworts schrieb AicherScholl an Aichinger, dass dieses »im wesentlichen schon in [ihrer] Radiosendung enthalten« sei.1148 Aicher-Scholl bezieht sich hier auf einen von Aichinger für den Norddeutschen Rundfunk anlässlich des 15. Jahrestages der Hinrichtung Hans und Sophie Scholls verfassten Radiobeitrag, dessen Manuskript im Nachlass Inge AicherScholls überliefert ist.1149 Dem Manuskript von 1958, das als Essay adaptiert, ansonsten unverändert 1961 in der Leserzeitschrift des Vereins Deutscher Volksbibliothekare erschien,1150 ist ein Hinweis vorangestellt, dass »gebührenpflichtige Stücke anderer Autoren verwendet [wurden]«, nämlich 240 Zeilen aus Inge Scholls Buch und 126 Zeilen aus »Tagebücher[n] und Briefe[n] der Geschwister Scholl«, die als Eigentum Inge Scholls bezeichnet werden. Rund zwei Drittel des Textes bestehen somit aus Zitaten. Das Manuskript sieht vor, dass die Textauszüge Inge Scholls, Sophie Scholls und Hans Scholls von zwei Sprecherinnen und einem Sprecher gesprochen werden, ein »1. Sprecher« hat eine rahmende, kommentierende und moderierende Funktion. Diese Form der Montage, einer Verbindung von »mindestens drei raumzeitlichen Kontinuen zu einer neuen Einheit, der jedoch als Teil eines größeren Ganzen eine sinnhafte Bedeutung zukommt«,1151 und einem Sprecher mit der 1147 Inge Aicher-Scholl: Brief an Anneliese Knoop (fast wortgleich auch an die anderen Angehörigen), 21. 12. 1962. In: IfZ, ED 474 (342). 1148 Inge Aicher-Scholl: Brief an Ilse Aichinger, 31. 01. 1962. In: IfZ, ED 474 (342). 1149 Ilse Aichinger : Die Geschwister Scholl. Manuskript einer Radiosendung für den Schulfunk des Süddeutschen Rundfunks, 1958. In: IfZ, ED 474 (308). Im Nachlass Inge AicherScholls ist das Manuskript handschriftlich auf 1953 datiert und als Beitrag für den Schulfunk des Süddeutschen Rundfunks gekennzeichnet. Die Sendung lässt sich aber im Historischen Archiv des Südwestrundfunks (SWR) nicht nachweisen, ist dagegen in der ARD-Hörfunkdatenbank als Sendung des Norddeutschen Rundfunks vom 22. 02. 1958 erfasst. Im Schulfunk des Süddeutschen Rundfunk wurde laut Auskunft des Historischen Archivs des Südwestrundfunks (Email an den Verfasser vom 17. 03. 2015) am gleichen Tag das Hörspiel Die Toten dürfen nicht sterben von Gerd Angermann ausgestrahlt (siehe Kapitel V.I.3). 1150 Ilse Aichinger: Die Geschwister Scholl. In: Leserzeitschrift (1961), Nr. 6, S. 1–12. Die im Radiobeitrag durch verschiedene Sprecher gesprochenen Teile des Textes sind im 1961 erschienenen Essay durch Asteriske voneinander abgesetzt, ansonsten ist der Text weitestgehend identisch. Aichingers Roman Die große Hoffnung wird in der bibliographischen Notiz im Innenumschlag des Heftes als »große[r] Klagegesang von magischer Eindringlichkeit« charakterisiert. »Die fahle Kinderwelt« bewege »den Leser um so tiefer, als in alle Finsternis und in allen Schrecken das Licht einer ›größeren Hoffnung‹ fällt, die stärker ist als diese Welt, in der wir Angst haben«. Verwiesen wird auf Inge Scholls Die weiße Rose, »das jeder lesen sollte, den unser Aufsatz nachdenklich gestimmt hat, und für die Beschäftigung mit »den Menschen, die damals allein der Stimme ihres Gewissens gefolgt sind« auf Annedore Lebers Das Gewissen steht auf. 1151 Helmut Jedele: Reproduktivität und Produktivität im Rundfunk, Diss. Stuttgart 1952,

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»Funktion des Leimes, der die heterogenen Bestandteile […] zusammenhält«,1152 entspricht dem Radiogenre des Features. Dieses entwickelte sich in den 1950erJahren zu einem in der Programmgestaltung vom Hörspiel redaktionell getrennten, aber nicht vollständig davon abgrenzbaren Format, das »eher auf schnelle, unmißverständliche Vermittlung bestimmter Inhalte«1153 zielte und gerade im Schulfunk besondere Bedeutung erhielt. Der Text setzt ein mit einer räumlichen und implizit auch zeitlichen Verortung am Münchner Stadtrand. Das Stadelheimer Gefängnis »im Rücken« und die »grauen, doch so grünen Felder vor den Augen« werde gegenwärtig, dass »in dem häßlichen Gebäude […] die glückbringendsten Dinge« geschehen sind, »die auf der Welt geschehen können«: Tod und Leiden sind um der Gerechtigkeit willen akzeptiert, den Feinden ist verziehen worden. Man weiß selten, welchen fremden Leiden man das eigene Glück verdankt. […] Nehmen wir zwei, die hier starben, für alles: die Geschwister Scholl.1154

Durch rhetorische Fragen, »wievielen« zentrale Punkte der »Geschichte von der Revolte der Münchner Studenten nach der Schlacht von Stalingrad noch bekannt« seien, werden Grundzüge der Geschichte der Weißen Rose erinnert, und zugleich wird ein allgemeines Vergessen unterstellt und begründet: »Wir möchten uns unsere freien Abende nicht verlästern, unsere Sonntage nicht verbittern lassen.«1155 Jedoch könne die Beschäftigung mit dieser Geschichte dazu beitragen, »daß dann am Ende unsere Tage versüßt sein werden, und alle unsere Abende für lange Zeit erhellt«.1156 Die wiederkehrende Verwendung der 1. Person plural (»wir«/ »uns«) evoziert Gemeinschaft. Mit dem Satz »Inge Scholl erzählt von ihren Geschwistern« wird zum ersten Buchauszug übergeleitet, der von den Tagen der letzten Aktionen der Geschwister bis zum Moment ihrer Entdeckung durch den Pedell berichtet.1157 An diesen Bericht schließt wiederum ein Kommentar an, der zu Tagebuch- und Briefauszügen überleitet: Es sei »nicht nötig, mit dem Tod zu beginnen, mit dem, was der Verhaftung folgte«, sondern »besser […], mit dem Leben zu beginnen«, da »was im Februar 1943 vollzogen wurde […] nicht, wie viele heute noch denken, ein Zufall, eine einzige große Sinnlosigkeit«, sondern »die Summe aller

1152 1153 1154 1155 1156 1157

S. 88, zitiert nach Antje Vollwinckel: Collagen im Hörspiel: die Entwicklung einer radiophonen Kunst. Würzburg: Königshausen & Neumann 1995, S. 97. Erich Kuby : Das feature – das Fitscher, in: Deutsche Studentenzeitung 5 (1955), S.3, zitiert nach Vollwinckel, Anm. 1151, S. 97. Vollwinckel, Anm. 1151, S. 98. Aichinger, Anm. 1149, S. 1; Aichinger, Anm. 1150, S. 1. Ebd. Ebd. Aichinger, Anm. 1149, S. 1–3, Aichinger, Anm. 1150, S. 1–3; vgl. Scholl, Anm. 322, S. 57– 61.

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Augenblicke« des Lebens der Geschwister, »eine Konsequenz« sei: »Märtyrer sind nie zufällig, das wird hier sehr deutlich« – die ersten Entscheidungen »gegen sich selbst« und »für das Gewissen« seien »unauffällige« und »scheinbar unpolitische« gewesen.1158 Der Begriff des Politischen wird mit Bezug auf Albrecht Goes und unter Brechung von Bertolt Brechts Motiv des »Gesprächs über Bäume« im Gedicht An die Nachgeborenen in Verbindung mit nationalsozialistischen Verbrechen und Judenverfolgung gebracht, dann jedoch abstrahiert: »Daß jeder Schritt ja oder nein bedeutet, gut oder böse, daß alles, wie Albrecht Goes sagt, im Zeichen des Unwiderruflichen geschieht, […] haben uns weniger die Dichter, als vielmehr die Diktatoren bewiesen«.1159 Mit mit dem Satz »Hören wir, was sie uns zu sagen haben – über Bäume und über Politik« wird zu Tagebuchaufzeichnungen Hans Scholls während seines Militärdienstes 1938 und Briefauszügen Sophie Scholls zwischen September 1939 und Januar 1941 übergeleitet.1160 Während in den Auszügen aus Hans Scholls Briefen vom 14. März 19381161, 28. Juni 19381162 und 8. November 19381163 das Ordinäre und Massenhafte des Militärs dem menschlichen Antlitz gegenübergestellt werden,1164 werden in den Briefauszügen Sophie Scholls vom September 19391165, Mai 19401166, 23. September 19401167 und 21. Januar 19411168 die »Maßstäbe in uns selbst« betont, um nicht »zum Geschöpf« des Krieges und »diese[r] Zeit« zu werden.1169 Die Auswahl der Briefpassagen Sophie Scholls betont die Ablehnung bedingungsloser Loyalität zum Vaterland in Analogie zur gesellschaftlich vorgegebenen Loyalität gegenüber dem Vater: »So viel Verständnis für Sippe bringe ich nicht auf«.1170 Der letzte zitierte Briefauszug deutet das Vorhaben an, mit Hans »eine Zeitlang miteinander [zu] studieren«: »Wir sind immer voller Pläne, unverwüstlich. Ich 1158 Aichinger, Anm. 1149, S. 3–4; Aichinger, Anm. 1150, S. 3–4. 1159 Vgl. Albrecht Goes: Hagar am Brunnen. Dreißig Predigten. Frankfurt a. M.: Fischer 1958, S. 50. 1160 Aichinger, Anm. 1149, S. 3–4; Aichinger, Anm. 1150, S. 3–4. 1161 Vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 17–18. 1162 Vgl. ebd., S. 21. 1163 Vgl. ebd., S. 23–24. 1164 Aichinger, Anm. 1149, S. 4–5; Aichinger, Anm. 1150, S. 4. 1165 Der Text des Briefauszugs weicht ab von dem an Fritz Hartnagel vom 05. 09. 1939, vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 159. Die Passage »Ich wünsche dir sehr, daß du diesen Krieg und diese Zeit überstehst, ohne ihr Geschöpf zu werden. Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur werden sie zu wenig gesucht. Vielleicht auch, weil es die härtesten Maßstäbe sind«, ist im Brief an Hartnagel vom 16. 05. 1940 enthalten, vgl. ebd. S. 172. 1166 Die zitierte Passage stammt aus dem Brief an Fritz Hartnagel vom 17. 06. 1940, ebd. S. 178– 179. 1167 Ebd., S. 199–200. 1168 In Scholl, Scholl, Anm. 1136 nicht nachweisbar. 1169 Aichinger, Anm. 1149, S. 5; Aichinger, Anm. 1150, S. 4. 1170 Aichinger, Anm. 1149, S. 6; Aichinger, Anm. 1150, S. 5.

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allerdings habe leicht reden, da ich doch täglich einen Anlaß zur Freude finde«.1171 Dieser Satz wird durch den Kommentator mit Hinweis auf Sophie Scholls Ausbildung zur Kindergärtnerin biografisch verortet, das Motiv der Lebensfreude dann aber – unter Betonung, dass »die Geschwister Scholl und ihre Freunde keinerlei heroische Vorstellung von sich selbst haben«1172 – mit Todesbereitschaft zum Charakterzug harmonisiert und zum Vorbild für die Gegenwart erklärt: Wer Einsicht in die Tagebuchaufzeichnungen und Briefe der Geschwister Scholl bekommt, die vielleicht eine spätere Zeit zu dem Kostbarsten rechnen wird, das von unserer Zeit blieb, wird entdecken, daß diese scheinbar so verschiedenen Züge, die Liebe zum Leben und die Bereitschaft zum Tode hier im Grunde ein und dasselbe sind, daß sie einander decken und ermöglichen wie eine Seite einer Münze die andere. […] Vielleicht fällt von daher auch ein Licht auf die Schwierigkeiten unserer Jahre, in denen Tod und Leben immer mehr von Todesangst und Genuß verdrängt werden, hoffnungslos voneinander geschieden, kein Ganzes mehr, sondern jedes für sich. Und vielleicht lernen wir von den Geschwistern Scholl, die ohne Zögern den Tod auf sich nahmen, nicht nur zu sterben, sondern auch, was uns so not tut, zu leben.1173

Die atomare Bedrohung im Kalten Krieg und Kritik an der Wohlstands- und Konsumgesellschaft sind hier als Gegenwartskontexte lediglich angedeutet. Der daran anschließende Textauszug aus Inge Aicher-Scholls Buch bezeugt Hans’ »Lebensfreude, die nicht so schnell auszulöschen war«1174 und sich durch das Kriegserlebnis in Frankreich in »so großer Nähe zum Tode« noch »vertieft hatte«; weitet dies als »Gesinnung« auch auf Alexander Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf aus, die in dem Auszug charakterisiert werden.1175 In Einklang gesetzt werden daran anschließend ebenfalls die ernsthafte Beschäftigung mit Kunst, Literatur, Theologie und Philosophie und ein »Übermaß an Phantasie, an Humor und Lebensfreude«, die im Kommentar dann in Kontrast gesetzt werden mit den Ereignissen des Jahres 1941, dem Jahr in dem Hitler an Rußland und Amerika den Krieg erklärt, das Jahr, in dem die Judendeportationen und Massaker in ihrem vollen Umfang einsetzen, das Jahr, in dem Angst und Schrecken […] in ihrer ganzen Finsternis und Schärfe der Umrisse den Horizont verdüstern.1176

1171 1172 1173 1174

Ebd. Ebd. Aichinger, Anm. 1149, S. 7; Aichinger, Anm. 1150, S. 5–6. Aichinger, Anm. 1149, S. 7–8; Aichinger, Anm. 1150, S. 6–7. Vgl. Scholl, Anm. 322, S. 25– 28. 1175 Ebd. 1176 Aichinger, Anm. 1149, S. 8; Aichinger, Anm. 1150, S. 7–8.

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Dagegen werden die »[i]mmer klarer […] aus den Tagebüchern und Briefen der Geschwister Scholl« hervortretenden »Konturen« gesetzt, »die zartesten und die beharrlichsten: die unverwechselbaren Konturen der Reinheit und der Liebe«, die an Tagebuchauszügen Sophie Scholls während ihres Arbeitsdienstes veranschaulicht werden.1177 Die Auszüge aus den Einträgen an Gründonnerstag und Karfreitag 1941 illustrieren die Differenz zwischen Sophie Scholl und ihrer Umwelt und reflektieren Gefühle der Ausgeschlossenheit1178 sowie die Schwierigkeit, standzuhalten – nicht gegenüber »weltanschaulischen und politischen […], aber […] den Stimmungseinflüssen« –, was zu der Schlussfolgerung führt: »Man muß einen harten Geist und ein weiches Herz haben«.1179 Dieser Konflikt kulminiert in folgendem Aus- und Anruf in einem Eintrag vom Herbst 1941: O wenn mein Herz tausendmal an den Schätzen hängt, und sei es bloß die Liebe zum süßen Leben, reiss mich los gegen meinen Willen, denn ich bin zu schwach es zu tun, vergälle mir alle Freuden, laß mich elend sein und Schmerzen fühlen, bevor ich meine Seligkeit verträume.1180

Der Kommentar bewirkt dann einen zeitlichen Sprung zu den Ereignissen des Jahres 1942, in dem »Hitlers Kriegsglück […] sich zu wenden [beginnt], ohne daß freilich sein Morden und Brennen, seine Macht und Bedrohung vorläufig ihren Höhepunkt erreicht hätten«.1181 Die »[i]mmer gewalttätiger und drohender, immer lauter und hohler« dröhnenden Worte Hitlers werden mit den »[i]mmer stiller und erfüllter, […], aber immer mächtiger in ihrer Stille« werdenden Worte der Geschwister Scholl kontrastiert, die in dem Jahr »ihre letzten Geburtstage« feiern.1182 Die rhetorische Frage »Haben Sie irgendeine Ahnung davon?« leitet über zu einer längeren Passage aus Inge Scholls Text, der von Sophie Scholls Ankunft in München, den Flugblattaktionen und der Entdeckung 1177 Aichinger, Anm. 1149, S. 8–9.; Aichinger, Anm. 1150, S. 7–8. 1178 Tagebuch Krautenwies vom 10. 04. 1941. Auch hier sind Passagen ausgelassen: »Ich möchte so gerne einmal in die Kirche, nicht in die evangelische, wo ich kritisch den Worten des Pfarrers zuhöre. Sondern in die andere, wo ich alles erleide, nur offen sein muß und hinnehmen. Ob dies aber das rechte ist? Heute abend habe ich leider wieder einen Augenblick lang geprahlt. Nicht gelogen, auch nicht übertrieben, aber ich merkte beim Sprechen, daß ich gerne imponieren wollte.« Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 213. 1179 Tagebuch Krautenwies vom 10. 04. 1941. Die selbstkritische Passage »Aber ich erwische mich immer wieder bei kleinen Prahlereien. Es ist ekelhaft diesen Geltungstrieb zu haben. Schon jetzt, während ich schreibe, ist nebenher der Gedanke, wie sich das Geschriebene ausnimmt. Es zerstört jede Harmonie.« ist weggelassen. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 209– 211. 1180 Tagebuch Blumberg, Herbst 1941. Der Eintrag ist in der von Inge Jens hrsg. Edition zu Beginn mit Auslassungszeichen markiert. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 236. 1181 Aichinger, Anm. 1149, S. 9–10; Aichinger, Anm. 1150, S. 8. 1182 Ebd.

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von Hans Scholls Beteiligung durch seine Schwester bis zur Abfahrt zum Fronteinsatz in Russland reicht.1183 Ohne weiteren Kommentar werden Auszüge der Aufzeichnungen Hans Scholls in Rußland angeschlossen,1184 die jedoch einem anderen Auswahlkriterium als dem der Akzente folgen: Schilderungen des Krieges werden weggelassen, stattdessen illustrieren abstraktere Passagen das Zweifeln und die Verzweiflung von Hans Scholl im Angesicht menschlichen Leids. Diesen wird die in den Akzenten wiederum ausgelassene Episode der Ablehnung des Gnadengesuchs für den Vater als Beispiel für klares, kompromissloses Handeln gegenübergestellt. Die Lesung aus den Aufzeichnungen schließt mit dem auch in den Akzenten zitierten Absatz zum Glauben an Christus als einzigen Ausweg ab. Diese Worte wertet der Kommentar als »notwendige Folge und Vollendung«, die »[i]n ihrer inneren Spannung und Größe […] alle Dramatik der Aktion, der Verhaftung und des Todes« vorwegnehmen und »wie die Worte der Engel identisch mit den Taten« seien.1185 Im Vergleich »mit dem gehässigen unreinen und sich selbst zerfaserten Deutsch des Anklageberichtes« werde durch die Sprache deutlich, »auf welcher Seite das wirkliche Deutschland stand«.1186 Wie im Märchen habe sich »im Falle der Geschwister Scholl« das »Wunderbare mit dem Wirklichen auf so einzigartige Weise verbunden«, jedoch habe es für diese im Gegensatz zu den »Guten und Großen« im Märchen keine Rettung gegeben, sie »und ihre Gefährten« seien »in ihrer Größe und Güte vom Schicksal ernst genommen worden bis zum Tod«.1187 Mit der Erwähnung der Verhaftung und der »rasch« geführten Verhandlung wird übergeleitet zu einem letzten Auszug aus Inge Scholls Buch zu den letzten Stunden ihrer Geschwister und Christoph Probsts.1188 Im abschließenden Kommentar werden die weiteren Todesurteile des zweiten Prozesses erwähnt und dann unter Bezug auf die zeitgenössische Gegenwart die Interpretationen der Tagebücher und Briefe und des Berichts Inge Scholls noch einmal zusammengefasst: Schließen wir also von den letzten Stunden der Geschwister Scholl auf unsere nur scheinbar vorletzten. Wenn jeder von uns lernt, seine Stunden zu klären, sie gefaßt und sorgsam zu behandeln, sie zu akzeptieren, wie immer sie ihm erscheinen, so helfen wir 1183 Aichinger, Anm. 1149, S. 10–11; Aichinger, Anm. 1150, S. 8–9. Zusammengezogen sind die Passagen S. 32–33. und S. 39–42 nach Scholl, Anm. 322. Die Szene des Abschiedsabends, S. 43–45, wird in zwei Sätzen zusammengefasst. 1184 Aichinger, Anm. 1149, S. 11–12.; Aichinger, Anm. 1150, S. 9–10. 1185 Aichinger, Anm. 1149, S. 12–13; Aichinger, Anm. 1150, S. 10. 1186 Ebd. 1187 Ebd. 1188 Aichinger, Anm. 1149, S. 13–15; Aichinger, Anm. 1150, S. 10–12. Vgl. Scholl, Anm. 322, S. 75–79.

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alle dazu, diese Stunde unserer Welt zu klären und zu erhellen und ihr mit der Liebe und Verantwortung zu begegnen, die sie nötig hat.1189

Das Vorbild der Geschwister Scholl legt somit angesichts der auch hier nicht weiter spezifizierten Situation der Gegenwart einen Appell zur Besinnung im Privaten nahe. Dem – nicht zuletzt durch die angedeuteten Bezüge zum Holocaust betonten – menschlichen Leid kann so nur durch Mitmenschlichkeit, aber nicht politisch begegnet werden. Die Betonung des Privaten korrespondiert mit der Wirkungsabsicht von Inge Aicher-Scholls Projekt wenige Jahre später, die Briefe und Tagebücher ihrer Geschwister mit Hilfe von Aichinger in Buchform zu bringen: »[W]enn man überhaupt ein solches Buch machen will […][,] müsste das Alltägliche der Beiden herausdestilliert werden […] und nicht das Außergewöhnliche«.1190 Aicher-Scholl äußerte jedoch auch Zweifel, ob ein solch »›privates Buch‹« richtig sei, oder nicht »nachträglich nach moderner publicity aussähe, die die beiden doch überhaupt nicht nötig haben und nicht im geringsten zu ihnen passt«.1191 Aichinger und Aicher-Scholl beschlossen dann in einem Gespräch im März 1962, das Buch auf Christoph Probst und Alexander Schmorell auszuweiten, was Brigitte Bermann-Fischer als »eigentlich doch eine glückliche Idee« bezeichnete.1192 Ende 1962 schrieb Aicher-Scholl auch die Angehörigen der anderen Hingerichteten an, um sie für den »Plan, der doch sehr stark das Private und Persönliche preisgibt«, mit Verweis auf »brennende[n] Frage junge[r] Leute« zu gewinnen:1193 »Was für Menschen waren diese sechs? Welche Entwicklung haben sie durchlaufen? Wie kam es zu ihrer letzten Entscheidung?« Diese Fragen zu beantworten und damit die Kraft solchen Lebens weiterwirken zu lassen, wäre der Sinn des Buches. In ihren eigenen Worten soll die Antwort herauszuhören sein. Aus ihrem Gesicht soll ihre Haltung sprechen.1194

Die »Auswahl« solle die »wesentlichen und charakteristischsten Züge sichtbar« werden lassen, »[i]hre Stellung zum Alltäglichen, zum Essen, zur Familie, zum Leben im Kleinen« ebenso »wie außergewöhnliche Stunden, Äußerungen oder Überlegungen, die sie sich über ihre Zeit, über Gott[,] über ihre Aufgaben, über die Menschen und sich selbst angestellt haben mögen«.1195

1189 1190 1191 1192 1193 1194 1195

Aichinger, Anm. 1149, S. 15–16; Aichinger, Anm. 1150, S. 12. Ebd. Aicher-Scholl, Anm. 1148. Brigitte Bermann-Fischer : Brief an Inge Aicher-Scholl, 27. 03. 1962. In: IfZ, ED 474 (342). Aicher-Scholl, Anm. 1148. Ebd. Ebd.

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Das Vorhaben wurde von den anderen Angehörigen positiv aufgenommen. Angelika Probst erschien es sinnvoll, dass jetzt, aus der zeitlichen Distanz von 20 Jahren (eine innere Distanz wird es in unserem Leben nie geben!) Dokumente veröffentlicht werden und dass die nächsten Hinterbliebenen sich zusammenfinden, um die Freunde sprechen zu lassen.1196

Anneliese Knoop-Graf zeigte sich »bewegt, daß jetzt nach so langer Zeit ein solcher Band erscheinen kann«, äußerte jedoch auch eine »Ratlosigkeit« angesichts fehlender Briefe »[a]us den früheren Jahren« und nur »ganz wenige[r] Fotos« ihres Bruders.1197 Aicher-Scholl schlug ihr daraufhin vor, alle vorhandenen Fotos zu schicken und den Mangel an Briefen durch Erinnerungen von seinen »wichtige[n] Freunden« auszugleichen, die »so knapp und unliterarisch wie möglich« etwa »ein Gespräch oder ein gemeinsames Erlebnis mit Willi« aufschreiben sollten, »kleine Lichter, die für Außenstehende überzeugender wirken als irgendeine umfangreiche Personenschilderung«.1198 Aicher-Scholl, die ihren Mann Otl Aicher das Layout besorgen lassen wollte, hatte konkrete Gestaltungsvorstellungen: Auf Doppelseiten sollten rechts Fotos und links Texte stehen, die sich »nicht chronologisch«, sondern »stimmungsmäßig« entsprechen sollten, so »daß man durch jede Darstellung der sechs so etwas wie einen roten Faden empfinden müßte, auch das wieder nicht absichtsvoll, sondern nach der inneren Entwicklung«.1199 Einigkeit herrschte auch darüber, die Dokumente außer im Vorwort nicht weiter zu kommentieren,1200 da »unsere Worte gegenüber denen unserer Lieben nur verblassen«.1201 Die ab Anfang 1963 kommunizierten Vorgaben über den Umfang – 20 Buchseiten je Beteiligter (der Verlag kalkulierte je 30 Seiten für Hans und Sophie Scholl und je 20 für die weiteren vier Beteiligten1202) – führten zumindest bei Anneliese Knoop-Graf zu Bedenken gegen »Platznot« beim Fischer-Projekt angesichts der Schwierigkeit, »ein wirkliches Lebensbild« zu vermitteln, das »Wesen und der politischen Tat« gerecht werde.1203 Das Vorhaben, das Knoop-Graf bereits Mitte 1963 als »im Stadium des Einschlafens« bezeichnete,1204 konkretisierte sich jedoch nicht weiter und wurde nach dem Weggang des Lektors Klaus Wagenbach sowie aufgrund privater Be1196 1197 1198 1199 1200 1201 1202 1203 1204

Angelika Probst: Brief an Inge Aicher-Scholl, 27. 01. 1963. In: IfZ, ED 474 (342). Anneliese Knoop-Graf: Brief an Inge Aicher Scholl, 27. 12. 1962. In: IfZ, ED 474 Inge Aicher-Scholl: Brief an Anneliese Knoop-Graf, 08. 01. 1963. In: IfZ, ED 474 Inge Aicher-Scholl: Brief an Angelika Probst, 26. 11. 1962. In: IfZ, ED 474 (342). Inge Aicher-Scholl: Brief an Anneliese Knoop-Graf, 10. 06. 1963. In: IfZ, ED 474 Anneliese Knoop-Graf: Brief an Inge Aicher Scholl, 20. 06. 1963. In: IfZ, ED 474 Klaus Wagenbach: Brief an Inge Aicher Scholl, 02. 10. 1963. In: IfZ, ED 474 (342). Anneliese Knoop-Graf: Brief an Inge Aicher Scholl, 08. 06. 1963. In: IfZ, ED 474 Ebd.

(342). (342). (342). (342). (342).

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lastungen Aicher-Scholls,1205 aber auch Terminfindungsschwierigkeiten und Konflikten zwischen den Angehörigen dann nicht weiterverfolgt.1206 Erst 1984 erschienen schließlich die von Inge Jens herausgegebenen Briefe und Aufzeichnungen, die 1987 auch von der Evangelischen Verlagsanstalt in der DDR verlegt wurden.1207 An der Entstehungsgeschichte dieses Bandes hatte wiederum Ilse Aichinger ihren Anteil, indem sie Inge Aicher-Scholl auf »lebhaftes Interesse« beim Fischer-Verlag hingewiesen hatte.1208 Aicher-Scholl wollte nun Walter Jens für die Edition und eine Einleitung gewinnen und schickte ihm Aichingers Radiobeitrag, um »einen probeweisen Eindruck von den Briefen« zu geben, wobei sie als selbstverständlich voraussetzte, »[d]aß diese […] kaum konkrete politische Aussagen machen« – Ilse Aichinger »würde ein Schlußwort dazu schreiben, eine Art letztes Flugblatt«.1209

1205 Inge Aicher-Scholl: Brief an Anneliese Knoop-Graf, 19. 05. 1964. In: IfZ, ED 474 (342). 1206 Siehe Hikel, Anm. 49, S. 109. Bei Angelika Probst kamen anlässlich der Zusammenarbeit mit Inge Aicher-Scholl, Zweifel an der Darstellung ihres Bruders auf: »Ganz abgesehen davon, dass Christel den Flugblattabwurf in der Universität – eine uns unverantwortlich erscheinende Tollkühnheit – niemals gut geheißen hätte, war es eine Unbegreiflichkeit von Hans, so etwas zu unternehmen, ohne die Freunde vorher vollkommen abzusichern, eine Unbegreiflichkeit, der man tiefenpsychologisch gar nicht nachgehen darf, sonst wird man wahnsinnig. Man kann es nur ertragen, wenn man alles in Gottes Hand legt. Deine Mutter hat damals die meine um Verzeihung gebeten und wir haben geschwiegen angesichts des Todes, den Christel gestorben ist und den kein bitterer Gedanke trübte. Wir haben uns geschworen, nicht nachträglich zu hadern. So schreib ich Dir auch ohne Vorwurf, aber Du mußt wissen, daß wir manches anders erleben als Ihr und daß es für uns von großer Wichtigkeit ist, dass jeweils darauf hingewiesen wird – es braucht ja nur eine knappe Bemerkung zu sein – dass Christel seiner Familie wegen an den Aktionen nicht beteiligt war und daß er aufgrund eines einzigen im Februar geschriebenen Flugblattes verhaftet und hingerichtet wurde. […] Er würde als ein verantwortungsloser Mensch erscheinen, müßte man annehmen, dass er zugleich sein Leben auf eine Weise gefährdete, wie es die andern Freunde taten.« (Probst, Anm. 1196, Unterstreichungen im Original). Inge AicherScholl erklärte sich auf diesen Brief hin »völlig erschlagen«, ging zwar auf Angelika Probsts Punkte ein, aber mit dem Einwand, diese werfe »Fragen auf, die nur die Toten selbst beantworten können«; sie müsse den »grossen, überpersönlichen Bogen« nachvollziehen, »den unsere Toten gezogen haben«: »Ich glaube, dass Ihre Haltung bei ihrem Tun und gegenüber dem Tode eine Wirkung erzielte, die man nicht ohne weiteres real fassen kann. Wie wichtig sind hier die Begleitumstände? Wenn ich heute alle die Dokumente sehe, die über das langsame Hinsterben unschuldiger jüdischer Kinder Kunde geben, dann möchte ich sie beinahe um ihr Aufbegehren beneiden. Dann zeigt sich das eigentliche Gewicht und das Licht ihrer Hingabe. Lass uns versuchen, gross zu sein, wie sie es waren, und lass uns versuchen, von ihrem Gedächtnis abzuhalten, was ihre Wirkung stören könnte.« (Inge Aicher-Scholl: Brief an Angelika Probst, 03. 02. 1963. In: IfZ, ED 474 (342)). 1207 Siehe hierzu Kapitel V.2.6. 1208 Inge Aicher-Scholl: Brief an Walter Jens, 15. 11. 1977. In: IfZ, ED 474 (736). 1209 Ebd.

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IV.2.2 »Die Zeugnisse williger sprechen zu lassen«. Die Weiße Rose in Gedenkbüchern der 1950er-Jahre Die zur Jahreskundgebung der Opfer des Faschismus (OdF) am 22. September 1946 publizierte Broschüre Das heimliche Deutschland zeichnet trotz ihrer nicht mehr als 32 Seiten eine große Vielfalt aus.1210 Unter dem Titel wird zum einen eine große Bandbreite des Widerstands zusammengefasst, die vom kommunistischen über den kirchlichen Widerstand bis zu den »Männern des 20. Juli«1211 reicht und auch nicht-organisierten Widerstand einschließt. Zum anderen suggeriert der Untertitel Blätter der Widerstandsbewegung eine Kontinuität vom Widerstand zum Hauptausschuss der Opfer des Faschismus und verweist auf die lose Form einer Sammlung, die sehr verschiedene Formen der Darstellung des Widerstands vereint.1212 Neben Berichten über einzelne Gruppen, einer Erzählung nach Originalberichten, Fotografien einzelner Widerstandskämpfer, Zitaten aus Flugschriften und der Reproduktion von Gestapodokumenten fallen Gedichte von Hingerichteten und Überlebenden auf. Unter der Überschrift »Vom antifaschistischen Kampf der Jugend« wird auch ein Bericht über den »Kreis von Studenten, die sich um […] Kurt Huber geschart hatten«, abgedruckt.1213

1210 Helmut Bock (Verantw.): Das heimliche Deutschland. Blätter der Widerstandsbewegung. Zur Jahreskundgebung der Opfer des Faschismus am 22. September 1946 im Lustgarten Berlin. Hrsg. vom Hauptausschuss Opfer Faschismus. Berlin 1946. 1211 Elfriede Negen: Den Männern des 20. Juli. In: Das heimliche Deutschland. Blätter der Widerstandsbewegung. Zur Jahreskundgebung der Opfer des Faschismus am 22. September 1946 im Lustgarten Berlin. Hrsg. vom Hauptausschuss Opfer Faschismus. Berlin 1946, S. 22–23. 1212 Helmut Bock erinnert neben den »in den Widerstandsgruppen organisierten Antifaschisten« auch an »Einzelgänger« im »gleichem ehrenden Angedenken«. In einer Reihe von Sätzen, die mit der Aufforderung »Es sei erinnert« beginnen, berücksichtigt Bock »diejenigen, die ihre Erkenntnisse in Flugblättern niederschrieben, sie […] herstellten und vertrieben«, »diejenigen, die sich mit Pinsel und Farbe bewaffneten«, »an die zahllosen Frauen, die den Mut besaßen, in den Schlangen vor den Läden ihrer berechtigten Empörung Luft zu machen«, »an die selbstlosen, gutherzigen Menschen, die […] mit dem Tode bedrohten rassisch Verfolgten Asyl und Ernährung gewährten«, »die alles versuchten, das Sklavendasein der ausländischen Zivilarbeiter und Kriegsgefangenen zu erleichtern«, »der Männer und Frauen, die […] ihren durch die Nürnberger Gesetze bedrohten Ehegatten die Treue hielten«, »der Soldaten und Offiziere, […] die sich in Wort und Tat gegen den unmenschlichen Terror in den […] besetzten Ländern wandten«. (Helmut Bock: Die Einzelgänger. In: Das heimliche Deutschland. Blätter der Widerstandsbewegung. Zur Jahreskundgebung der Opfer des Faschismus am 22. September 1946 im Lustgarten Berlin. Hrsg. vom Hauptausschuss Opfer Faschismus. Berlin 1946, S. 8–9, S. 9) 1213 O. A.: Vom antifaschistischen Kampf der Jugend. In: Das heimliche Deutschland. Blätter der Widerstandsbewegung. Zur Jahreskundgebung der Opfer des Faschismus am

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In den folgenden Jahren wurden die politischen Auswahlkriterien in ostzonalen und DDR-Publikationen zunächst enger ; zugleich bildeten sich homogenere Publikationsformate heraus. Neben literarischen Andenken (Gedichte, Lieder) und biografischen Portraits von ›berufener Hand‹, oft von Überlebenden und Schriftstellern verfasst, die persönliche Dokumente und Aktenmaterial der NS-Justiz in die Texte ihrer ›Lebensbilder‹ einbinden, erschienen – zunächst insbesondere im VVN-Kontext – Bände mit letzten Briefen hingerichteter Widerstandskämpfer. Unter dem Titel »…besonders jetzt tu Deine Pflicht!« erschien 1948 eine Anthologie Briefe von Antifaschisten geschrieben vor der Hinrichtung, die »von dem unerschütterlichen Kraft- und Siegesbewußtsein der Menschen erfüllt waren, die im Kampf für eine bessere Zukunft ihr Leben eingesetzt hatten«.1214 Diese Dokumente »von einer ergreifenden Schönheit und Menschlichkeit«1215 wurden von einem Redaktionskollegium herausgegeben, dem neben SED-Mitgliedern mit Harald Poelchau auch ein Kirchenvertreter angehörte.1216 Das Projekt entstand bereits 1946 im Rahmen der OdF-Ausschüsse und war ursprünglich als Veröffentlichung für alle Zonen vorgesehen. Beteiligt war auch Günther Weisenborn, dem zufolge der ursprüngliche Plan aufgrund von Differenzen bezüglich des Verhältnisses kommunistischer und nicht-kommunistischer Opfer scheiterte.1217 Zwar sind in der Auswahl des vom VVN-Verlag1218 Berlin-Potsdam publizierten Bandes tatsächlich kommunistische Widerstandskämpfer dominant, aber auch der 20. Juli 1944, kirchlicher Widerstand und nicht organisierte Einzelpersonen sind repräsentiert. Den Briefen sind kurze biografische Notizen vorangestellt. Bemerkenswert ist die Inklusion des Briefes einer »unbekannten Jüdin«, die »als ein Mensch für Millionen seiner unglücklichen Leidensgefährten, die aus allen Ländern Europas in die Ghettos Polens und Rumäniens getrieben und dort vernichtet wurden«, spreche.1219 Während die Geschwister Scholl in keinem Gedenkbuch der FDJ fehlen, sind sie oder andere Vertreter der Weißen Rose nicht in diesem Band vertreten und auch nicht in der 1949 von der zentralen Forschungsstelle der VVN herausgegebenen Serie Widerstand im Dritten Reich. Männer und Frauen des illegalen antifaschistischen Kampfes, die eine Kombination von biografischer Notiz, Bild und Dokument auszeichnet,1220 die Helmut Peitsch zufolge für ostdeutsche Pu-

1214 1215 1216 1217 1218 1219 1220

22. September 1946 im Lustgarten Berlin. Hrsg. vom Hauptausschuss Opfer Faschismus. Berlin 1946, S. 16. »…besonders jetzt tu Deine Pflicht!«. Berlin, Potsdam: VVN-Verlag 1948, S. 6. Ebd. Ebd., letzte Innenumschlagseite. Siehe. Barck, Anm. 162, S. 132. Wenige Angaben zu Verlag und Verlagsprogramm in Barck, Anm. 162, S. 34–36. Anm. 1214, S. 72. Von dieser Broschürenreihe sind nur zwei Ausgaben nachweisbar : Zentrale Forschungs-

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blikationen ab 1949 prägend wird.1221 Eine der Ausnahmen bildet dabei das vom VVN-Verlag herausgebrachte Heft Kämpfende Jugend, das 1950 in einer Auflage von 80.000 Exemplaren verteilt wurde, um »das Leben und Sterben dieser Menschen dem deutschen Volk und vor allem unserer Jugend näher zu bringen«.1222 Auf dem Umschlag der Broschüre wird Sophie Scholl zwar in einer Liste von Namen von Widerstandskämpfern aufgeführt, jedoch ist ihr kein Text gewidmet; dies gilt jedoch auch für Ernst Thälmann. Mit Lieselotte Hermann, Käte Niederkirchner und Margarete Walter eröffnen drei kommunistische Widerstandskämpferinnen das Heft; neben Hanno Günther, Herbert Tschäpe, Bruno Tesch, Arthur Becker und Herbert Baum als auch in anderen Anthologien gewürdigte Protagonisten des kommunistischen Widerstands sind mit Konrad Blenkle, Irene Wosikowski und dem Bericht von Fredo Ritscher über das Sterben des nicht in der Partei organisierten Arbeiterjungen Forster bisher kaum oder unbekannte Persönlichkeiten vertreten. Eine unter gleichem Titel und mit gleichem Schriftzug von VVN und FDJ anläßlich des Deutschlandtreffens der Jugend 1950 herausgegebene Mappe mit von Studenten der Kunsthochschule Weißensee angefertigen Portraitzeichnungen, enthält jedoch nur Zeichnungen von bekannten Widerstandskämpfern, darunter Hans und Sophie Scholl, wobei letztere im Gegensatz zu allen anderen Portraitierten kontemplativ mit gesenktem Kopf und halb geschlossenen Augen dargestellt wird.1223 Dies ist ein Beispiel dafür, wie der Personenkanon des antifaschistischen Widerstandskampfes einerseits stabilisiert, andererseits aber auch durchbrochen wird, um die Breite des Widerstands von Arbeitern und Kommunisten aufzuzeigen. Der 1952 im VVN-Verlag Berlin erschienene Band Helden des Widerstandskampfes gegen Faschismus und Krieg druckt Portraitfotografien (und wenige Portraitzeichnungen) in fast allen Fällen auf der linken Seite vor Beginn des Textes zur jeweiligen Person. Die Aufnahmen in diesem und ähnlichen in der DDR veröffentlichten Bänden sind ausschließlich Kopfbilder, in Frontalansicht bis Halbprofil, so dass der Blick stets dem Betrachter zugewendet ist. Die Auswahlkriterien für die »Helden« sind enger als in den vorangegangenen Bänden stelle der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN (Hrsg.): Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack. Berlin: VVN-Verlag 1948; Zentrale Forschungsstelle der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN (Hrsg.): Widerstandsgruppe Vereinigte Kletter-Abteilung. Berlin: VVN-Verlag 1948. 1221 Helmut Peitsch: Luigi Nono und die Veröffentlichung letzter Briefe hingerichteter Widerstandskämpfer. In: Thomas Phleps, Wieland Reich (Hrsg.): Musik-Kontexte. Festschrift für Hanns-Werner Heister. Münster / Westf: Monsenstein und Vannerdat 2011, S. 699–712. 1222 Kämpfende Jugend. Aufzeichnungen junger Menschen, die im Kampf gegen die faschistische Barbarei ihr Leben ließen. Berlin (Ost): VVN-Verlag 1950, Innenumschlag. 1223 Kämpfende Jugend. Graphische Gestaltung durch die Hochschule für angewandte Kunst, Berlin-Weißensee. Berlin: VVN-Verlag [1950].

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und mit einem »Bekenntnis zum Aufbau des Sozialismus«1224 verbunden. Ausnahmen bilden lediglich der Berliner Domprobst Bernhard Lichtenberg als einer der »hervorragendsten und mutigsten antifaschistischen Widerstandskämpfer[…] aus dem katholischen Lager«1225 sowie der protestantische Pfarrer Paul Schneider als eine »aus tiefer christlicher Gesinnung heraus mit den Werktätigen und dem Kampf für den Frieden verbunden[e]«, »überragende Figur des antifaschistischen Widerstandskampfes«.1226 Solche Ausnahmen gibt es in dem 1958 bei Dietz, dem Parteiverlag der SED, erschienenen, vom Institut für Marxismus-Leninismus (IML) herausgegebenen Band Erkämpft das Menschenrecht nicht, wo die Portraitfotografien durch den ganzseitigen Druck auf Hochglanzpapier besonders zur Geltung kommen. Dieser ist aber auch explizit den »sozialistischen Kämpfern« gewidmet.1227 Dass sich eine solche Ausschließlichkeit auch in Publikationen im Parteiverlag nicht über die 1960er-Jahre hinweg halten wird, zeigt die ebenfalls vom IML im DietzVerlag 1970 unter dem Titel Deutsche Widerstandskämpfer 1933–1945 herausgegebene zweibändige Ausgabe mit Biografien und Briefen, in der Kurt Huber1228 und Hans und Sophie Scholl1229 mit biografischen Texten und Fotografien vertreten sind. Auf dem Dietz-Band von 1958 »fußt«1230 eine Taschenbuchausgabe, die unter dem Titel An die Lebenden 1959 im Leipziger Reclam-Verlag erschien. Diese Ausgabe und die Fotografien aus dem im Dietz-Verlag erschienenen Band wurden wiederum zur Grundlage einer 1960 in der Bundesrepublik im Verlag K. J. Schromm mit einem Vorwort von Clara Harnack publizierten Ausgabe genommen, die jedoch signifikant ergänzt wurde. Neben Paul Schneider und Claus Schenk Graf von Stauffenberg betreffen diese Ergänzungen zentral die Weiße Rose, die als einzige Gruppe zusätzlich in die in beiden Ausgaben enthaltene Aufstellung »[b]edeutender antifaschistischer Gruppen während des zweiten Weltkriegs« aufgenommen wurde.1231 Die Beschränkung auf »deutsche antifaschistische Widerstandsgruppen« wird in einer Anmerkung damit gerechtfer1224 Helden des Widerstandskampfes gegen Faschismus und Krieg. Berlin: VVN-Verlag 1952, S. 7. 1225 Ebd., S. 108–112, hier S. 109. 1226 Ebd., S. 154–158, hier S. 155. 1227 Wilhelm Pieck, Gerda Werner, Heinz Schumann: Erkämpft das Menschenrecht. Lebensbilder und letzte Briefe antifaschistischer Widerstandskämpfer. Berlin: Dietz 1958, S. 5. 1228 Kurt Huber. In: Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED (Hrsg.): Deutsche Widerstandskämpfer 1933–1945. Biographien und Briefe. Berlin (Ost): Dietz 1970, S. 429–431. 1229 Hans Scholl, Sophia Scholl. In: Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED (Hrsg.): Deutsche Widerstandskämpfer 1933–1945. Biographien und Briefe. Berlin (Ost): Dietz 1970, S. 191–194. 1230 An die Lebenden. Leipzig: Reclam 1959, S. 2. 1231 An die Lebenden. Ludwigsburg: K. J. Schromm 1960, S. 95–100, hier S. 98.

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tigt, dass »über den organisierten Widerstand der anderen Kreise in der Bundesrepublik teilweise schon sehr reichhaltiges Material veröffentlicht wurde«.1232 Von Sophie und Hans Scholl ist kein letzter Brief abgedruckt, stattdessen wird aus dem letzten Flugblatt zitiert.1233 Lediglich von Sophie Scholl ist ein Portraitfoto aufgenommen, das sich – ebenso wie eine Zeichnung Stauffenbergs1234 – von den anderen darin unterscheidet, dass der Blick der Abgebildeten durch die Profilansicht vom Betrachter abgewendet ist. Die Zeichnung Stauffenbergs ist nach der in dem Band Das Gewissen steht auf gedruckten Fotografie angefertigt, die Fotografie Sophie Scholls in beiden Bänden identisch. Mehr als die Hälfte der Fotografien der 1954 und 1957 von der Sozialdemokratin Annedore Leber in Zusammenarbeit mit Willy Brandt und Karl Dietrich Bracher herausgegebenen, aufwendig gestalteten Bände Das Gewissen steht auf und Das Gewissen entscheidet, die der 1958 im Dietz-Verlag erschienene Band in Bezug auf Ausstattung und Satz nachzuahmen und bewusst übertreffen zu wollen scheint, bilden die Köpfe in Profil, Viertelprofil oder von hinten ab, seltener ist der Blick dem Betrachter wie in den ostdeutschen Gedenkbüchern direkt zugewendet. Auch die Portraits von Kurt Huber und Sophie Scholl, die die Weiße Rose vertreten, scheinen nach diesem Kriterium ausgewählt zu sein. Im Gegensatz zu der meist alphabetischen Reihenfolge in den ostdeutschen Bänden werden die 64 Lebensbilder aus dem deutschen Widerstand des ersten Bandes so gereiht, dass sie »die Motive des Widerstands […] spiegeln«1235. Die verschiedenen Rubriktitel führen Widerstand jedoch auf entpolitisierte bzw. universalisierte Motivationen zurück (»Bekenntnis der Jugend«, »Gelebte Lehre«, »Arbeit und Opfer für den Anderen«, »Der Staat und das Recht«, »In christlichem Geist« etc.). Der zweite Band hebt schon im Untertitel auf »Bereiche« des Widerstandes ab.1236 Obwohl der erste Band 1953 erschien, »trägt das Buch, 10 Jahre danach, das Erscheinungsdatum 1954« zur Erinnerung an die »Verbundenheit« mit dem 20. Juli 1944.1237 Die Auswahl der Bände, die Auflagen von weit über 100.000 Exemplare erreichten, wird nach links auf die »demokratische Linke« begrenzt.1238 Die Lebensbilder bestehen aus meist ganzseitigen, stets auf der rechten Seite abgedruckten Fotografien. Links befindet sich der Name in Ma1232 1233 1234 1235

Ebd., S. 95. Ebd., S. 69–71. Ebd., S. 83. Annedore Leber (Hrsg.): Das Gewissen steht auf. Berlin; Frankfurt a. M.: Mosaik/Leber 1954, S. 6. 1236 Annedore Leber (Hrsg.): Das Gewissen entscheidet. Berlin; Frankfurt a. M.: Mosaik/Leber 1957. 1237 Ebd. 1238 Ebd., Umschlagseite, Rückseite innen.

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juscula und ein im Blocksatz kursiv gesetzter Text, der enzyklopädisch Angaben zur Biografie und Grund der Hinrichtung bietet. Darunter sind – manchmal über mehrere Seiten – biografische Portraits oder Zitate aus persönlichen Aufzeichnungen und (zum Teil auch letzten) Briefen abgedruckt, die meist abgesetzt am Ende des biografischen Textes stehen. Im Vorwort wird jedoch die Funktion der Fotografien als zentral hervorgehoben: Schon unter dem ersten Eindruck meinte ich, daß niemals Worte das Geschehen unter der modernen totalen Diktatur eindringlicher vermitteln könnten als diese Bilder. Aus ihnen tritt uns der einzelne Mensch in seinem Schicksal entgegen. Er hebt sich damit heraus aus der fernen, unbestimmbaren Zahl aller Opfer – bekannter und unbekannter – und legt sein persönliches Zeugnis ab. Wir sehen uns seinem Mut, seinen Leiden und seiner seelischen Größe gegenübergestellt. Ein Einzelner hält uns fest und fragt uns, ob wir begreifen oder ob wir ausweichen wollen.1239

Auf ersten beiden Seiten zu Sophie Scholl befinden sich auf der linken Seite eine Schriftprobe, rechts eine – heute sehr bekannte – Fotografie Sophie Scholls in der Natur, mit gesenktem Kopf, kurzen, ins Gesicht hängenden Haaren und geschlossenen Augen. Auf diese Doppelseite folgt eine Seite mit Auszügen aus Briefen und Tagebüchern.1240 Diese umfassen jeweils drei bis sechs Sätze und legen den Schluss auf menschliche Haltungen Sophie Scholls nahe, von denen sich Schlüsselsätze in Handlungsmaximen übersetzen lassen: »Man sollte überhaupt den Mut haben, nur an das Gute zu glauben«1241; »Aber meine Geschwister und Freunde […] waren doch voll guten Willens. Oder voll Willens zum Guten«1242 ; »Wir haben alle unsere Maßstäbe in uns selbst, nur werden sie zu wenig gesucht«1243 ; »Ich spüre, wie herrlich hart ich bin, ich lache vor Freude, weil ich dem Winde ein solcher Widerstand bin«1244 ; »Verstehst Du, das Mitleiden fällt oft schwer und wird leicht zur Phrase, wenn der eigene Körper nicht weh tut«.1245 Neben dem Bild Kurt Hubers sind das letzte Flugblatt sowie Auszüge aus den, dem Band von Clara Huber entnommenen, Notizen für eine Verteidigungsrede vor Gericht abgedruckt, die hier als »Notizen für sein Schlußwort« bezeichnet 1239 1240 1241 1242

Ebd., S. 5. Ebd., S. 22–24. Ebd., S. 24, datiert auf den 09. 11. 1939, nicht nachweisbar in Scholl, Scholl, Anm. 1136. Ebd., datiert auf den 16. 05. 1940; das gesamte Zitat ist weitgehend mit dem in Aichingers Feature identisch und stammt aus einem Brief an Fritz Hartnagel, vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 172. 1243 Ebd., datiert auf den 13. 01. 1940; ebenfalls aus einem Brief an Fritz Hartnagel, vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 206. 1244 Ebd., datiert auf Juli 1942; nicht nachweisbar in Scholl, Scholl, Anm. 1136. 1245 Ebd., datiert auf den 10. 02. 1943, stammt jedoch aus einem Brief an Fritz Hartnagel vom 13. 02. 1943. Vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 290–291.

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werden.1246 Auch diese lassen sich – gerade in ihrer Berufung auf den ›kategorischen Imperativ‹ – handlungsanleitend verallgemeinern. 1957 erscheint der zweite Band, Das Gewissen entscheidet, im vorliegenden Exemplar als »Sonderausgabe für die Jugend« mit politischen Rubriküberschriften (z. B. »Der Weg der demokratischen Linken«, »Gewerkschaftliche Solidarität, »Vom Brüger zum Staatsbürger«, »Befehl und Verantwortung«). Das Vorwort betont nun, dass »jene Rechts- und Freiheitsbewegung, die sich unter den unvergleichbaren Umständen der modernen totalen Diktatur in unserem Volke bildete«, auch »Umrisse für eine gültige Tradition« biete.1247 Die Verbindung von Tradition und Aktualität wird in der Widmung an den jungen Leser spezifiziert, der sich auf der »Suche nach seinem Weg und seiner Entscheidung« zur »vergleichenden Orientierung« auch mit »weitere[n] deutsche[n] Namen« und »dem erschütternden Drama des ungarischen Aufstandes« beschäftigen müsse.1248 Nicht als »historische oder politische, sondern eine Dokumentation des Menschlichen« versteht sich die von Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn und Reinhold Schneider besorgte Anthologie von »Abschiedsbriefe[n] und Aufzeichnungen« des Widerstands, die unter dem Titel Du hast mich heimgesucht bei Nacht 1954 im Münchener Kaiser-Verlag erschien. Die Dokumente bezeichnen die Herausgeber im Vorwort als »Chor der letzten Stimmen, der letzten Worte, an der Schwelle gesagt im Angesicht des Todes«.1249 Als »Anruf an den politischen Menschen ebenso wie eine Gabe für den Erzieher und persönliche Zusprache für jeden Einzelnen in den Stunden der Entscheidung« ist der Band an Jugendliche und Erwachsene als »unvergängliches Dokument des Glaubens und der Liebe« adressiert und wird als »Halt« und »Heilmittel« den »Überlebenden, die zwischen den Trümmern umherirren«, empfohlen: »Auch dies ist geblieben«, antworten wir, »nicht nur als pietätvoll bewahrtes Denkmal, als Mahnung und Warnung, sondern als ein Lebensbrot, dessen wir zum Aufbau unserer verletzten Gesundheit nicht entraten können.«1250

Die letzten Briefen und Aufzeichnungen von Widerstandskämpfern stehen weitgehend für sich, da »keine Beschreibung und Klassifizierung […] dem Reichtum des sich vor dem Tode entfaltenden Lebens gerecht werden« könne.1251 »Lebensbilder« und »Würdigungen« »von berufener Hand« dienen als »Beiga1246 1247 1248 1249

Ebd., S. 44–46. Leber, Anm. 1236, S. 5. Ebd., erstes Blatt. Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn, Reinhold Schneider (Hrsg.): Du hast mich heimgesucht bei Nacht. München: C. Kaiser 1954, Umschlag vorne, Innenseite. 1250 Ebd., S. 11. 1251 Ebd., S. 13.

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be« dazu, »die Zeugnisse williger sprechen zu lassen«.1252 Dies umschreibt die Funktion der Paratexte, die nötig sind, um die veränderte Adressierung der Veröffentlichung privater Dokumente zu bewerkstelligen und zugleich interpretationslenkend die Rezeption zu steuern. Da die Dokumente »unter den Augen der Geheimen Staatspolizei« verfasst worden seien, entbehren sie den Herausgebern zufolge »Aussagen über Motive, Ziele und Methoden des Widerstandes«, »atmen« aber gerade deshalb »die Luft der Freiheit«.1253 Dieses Paradox wird mit dem Argument aufgelöst, dass sie sich mit »dem Wesentlichen« beschäftigen: mit Gott und dem eigenen Heil, mit der Liebe zu den nächsten Menschen und der Fürsorge für ihr zeitliches und ewiges Wohl, mit dem Sinn des eigenen Daseins, der Verantwortung gegenüber Volk und Menschheit und dem aufgetragenen Dienst an dem Platz, auf den der Einzelne in der Ordnung der Dinge gestellt ist.1254

Dies erklärt, warum sich im »Verschweigen des Politischen […] der Sinn des Widerstands nicht verhüllt, sondern in Reinheit« zeige und ein Vermächtnis »nicht für eine Partei, sondern für das Volk« ausgesprochen wird, nämlich das »Leben […] zu schützen gegen die politische Organisation des Hasses«.1255 Alle anderen Darstellungen, welche die unterschiedlichen »politischen Einsichten und Zielsetzungen« oder auch »Methoden des Widerstandes« aufzeigen, seien dagegen »in das Gebiet des Zweifels, der Meinungsverschiedenheit, der Parteiungen« einzuordnen.1256 Die Zeugnisse zeigen zwar »Spuren solcher Zweifel und Zwistigkeiten, aber sie erheben sich zu Gemeinsamem: ein Angriff der Menschlichkeit des Menschen war abzuwehren«: Die Briefe und Zeugnisse aus Lagern und Gefängnissen zwingen uns vor eine Entscheidung. Sie erinnern uns an das warnende Wort der Offenbarung. »Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde« (3, 16). In diesem, aber nur in diesem Sinn ist unsere Sammlung auch ein politisches Buch.1257

Dieses universalisierende Konzept ist auch ein inklusives, das sich auch in den austauschbaren Bezeichnungen der verschiedenen Rubriken ablesen lässt. Der Band enthält neben Texten von Mitgliedern der Roten Kapelle auch drei Zeugnisse »menschheitsgläubige[r] Kommunisten«1258 – in den Rubriken »Gefangene der Freiheit« und »Der Kampf mit dem Engel«. Die Inklusion von Kommunisten wird mit der Eigenschaft Gottes begründet, sich nicht nur »durch den Mund des 1252 1253 1254 1255 1256 1257 1258

Ebd. Ebd. Ebd., S. 13–14. Ebd., S. 14. Ebd. Ebd., S. 15. Ebd., S. 11.

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sich in Gedanke und Wort zu ihm Bekennenden«, sondern auch durch »seine Taten« zu offenbaren.1259 Inklusion funktioniert aber auch in andere Richtungen: Unter der Rubrik »Der unbekannte Soldat des Widerstands« wird auch ein anonymer SS-Mann in den Widerstand eingereiht, dessen Hinrichtungsgrund im Paratext des letzten Briefes nicht spezifiziert wird. Und unter der Rubrik »Opfergang« werden neben dem Pfarrer Werner Sylten, dem evangelischen Liederdichter Jochen Klepper und den Ordensschwestern Teresia Benedictaund Maria-Magdalena Dominica auch die jüdische Schriftstellerin Alma Johanna König und Anne Frank aufgeführt, aus deren Tagebüchern ausführlich zitiert wird. Die letzten Briefe Christoph Probsts, Alexander Schmorells, Willi Grafs und ein Tagebucheintrag Sophie Scholls sind in der Rubrik »Die früh Vollendeten« abgedruckt, der ein Zitat aus einem »im Ersten Weltkrieg« geschriebenen Brief von Rainer Maria Rilkes als Motto vorangestellt ist, welches den Widerstand als Antwort auf diesen Brief erscheinen lässt und impliziert: Der Widerstand sei für jene geleistet worden, »die draußen jetzt nur noch untergehen, damit das Entsetzliche währe und währe und des Unterganges kein Absehen sei.«1260 Die Briefe sind nach Personen und Datum geordnet, wobei aber Sophie Scholl als einzige Frau aus dem Kreis der Weißen Rose diese Ordnung durchbricht und den männlichen Protagonisten nachgeordnet wird. Den Briefen von Christoph Probst und Alexander Schmorell ist neben den Lebensdaten als Kommentar vorangestellt: »Sie handelten und starben als Zeugen des Gewissens zu einer Zeit, da das Gewissen in Deutschland unter Strafe stand. Ihre Tat war ein kurz aufleuchtendes Fanal in der dunkelsten Zeit der deutschen Geschichte«.1261 Die auswählten Briefe Probsts, Schmorells und Grafs beinhalten Gemeinsamkeiten. Zum einen wird der Sorge, nicht um das eigene Leben, sondern um das Wohl der Familie Ausdruck verliehen. In Christoph Probsts Briefen an seine Mutter werden die Liebe zur Mutter und zur Familie betont, indem er schreibt, dass er »am liebsten nur für Euch, für Mutter, Schwester, Frau und Kinder leben würde«, jedoch werde das »Schicksal […] uns Menschen eben geschickt« und es bleibe nichts »als es hinzunehmen, ohne uns dagegen aufzulehnen«.1262 Trost und Hoffnung vermittelt Alexander Schmorell seinen Angehörigen durch die Aussicht auf ein Wiedersehen in der Ewigkeit, »in einem Leben, daß unendlich schöner ist als das jetzige«.1263 In einem anderen Brief formuliert er aus »einem guten und bedeutenden Buch« zitierend eine über den Kontext des Briefes 1259 1260 1261 1262 1263

Ebd. Ebd., S. 71. Ebd., S. 73. Brief an die Mutter vom 22. 02. 1943, ebd., S. 74. Brief an die Eltern, datiert auf den 30. 05. 1943, ebd., S. 77–78.

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hinaus verallgemeinerbare Maxime zum Konnex zwischen Schicksal und Glaube: »›Je größer die Tragik des Lebens, desto stärker muß der Glaube sein, je größer die Gottverlassenheit zu sein scheint, desto zuversichtlicher müssen wir unsere Seele in Gottes Vaterhände befehlen‹«.1264 Ebenso verallgemeinerbar sind Schmorells Deutungen des »ganze[n] Unglück[s]« als »notwendig, um mir die Augen zu öffnen – doch nicht nur mir, sondern uns allen, all denen, die es getroffen hat – auch unsere Familie«, die verbunden sind mit der Erkenntnis vom »wahren, tiefen Glauben, von der Wahrheit, der letzten und einzigen, von Gott«.1265 Die den Briefen Probsts, Schmorells und Grafs unterliegende Wahrnehmung der Erfahrung von Haft und Todeserwartung als Läuterung impliziert versöhnliche Deutungen des eigenen Sterbens, wie in den »aus der Erinnerung aufgezeichneten Sätze[n]« aus den Abschiedsbriefen Probsts besonders deutlich wird: »Ich habe nicht gewußt, daß Sterben so leicht ist. … Ich sterbe ganz ohne Haßgefühle«.1266 Schmorell schreibt, er sterbe »in dem Bewußtsein« der eigenen »tiefen Überzeugung und der Wahrheit gedient zu haben«, betont so die Sinnhaftigkeit des eigenen Todes und verweist auf »die Millionen von jungen Menschen, die draußen im Feld ihr Leben gelassen haben« (»ihr Los ist auch das meinige«).1267 In den Briefauszügen von Graf wird auf die »Sinnhaftigkeit«1268 der »Ereignisse« und den »Sinn in diesem schmerzvollen Leiden« abgehoben: Dürfen wir nicht fast froh sein, daß wir in dieser Welt ein Kreuz auf uns nehmen können, das manchmal über menschliches Maß hinauzugehen scheint? In gewissem Sinn ist es eine ›wörtliche‹ Nachfolge Christi. Wir wollen versuchen, dieses Kreuz nicht nur einfach zu tragen, sondern zu lieben und vollkommener zu leben im Vertrauen auf Gottes Ratschluß.1269

Der Briefauszug schließt mit der Emphase der »von Tag zu Tag« wachsenden »Liebe zu Deutschland« und der Anteilnahme an seinem »Geschick und seinen großen Wunden«.1270

1264 1265 1266 1267 1268

Brief an die Eltern, datiert auf den 18. 06. 1943, ebd., S. 78. Brief an die Schwester Natascha, datiert auf den 02. 07. 1943, ebd., S. 79. Ebd., S. 76. Abschiedsbrief an die Eltern vom 13. 07. 1943, ebd., S. 80. Brief an die Familie, datiert auf den 02. Juli 1943, ebd., S. 81. Der Brief ist unvollständig wiedergegeben, obwohl die (verkürzt auf »In Liebe«) abgedruckte Grußformel nahelegt, dass er mit dem Satz »Nur im Glauben vermögen wir es zu ertragen, in seiner Hand liegt unser Schicksal« schließt. Vgl. Willi Graf: Briefe und Aufzeichnungen. Mit einer Einleitung von Walter Jens. Herausgegeben von Anneliese Knoop-Graf und Inge Jens. Frankfurt a. M.: Fischer 1994, S. 190. 1269 Briefauszug, datiert auf den 10. 09. 1943, ebd., S. 82; der Brief ist an die Familie adressiert und vollständig ediert in Willi Graf, Anm. 1268, S. 194. 1270 Ebd.

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Die Auszüge aus den Briefen der männlichen Protagonisten der Weißen Rose legen durch die Auswahl und Anordnung eine religiöse, mit nationalem Schicksal enggeführte und soldatischem »Los« verbundene Opferdeutung nahe, die – nicht nur in Grafs Abschiedsbrief – bei der Frage nach Schicksal und Schuld auf die »Gnade«1271 Gottes als »gütiger Richter« verweist. Von Sophie Scholl werden keine Briefe, sondern ein in Inge Scholls Buch zitierter Tagebucheintrag ohne Datierung abgedruckt, mit dem Vorsatz, dass Sophie Scholl »ihr Leben verwirkte, als sie zusammen mit ihrem Bruder […] in kindlicher Opferbereitschaft zum Widerstand aufrufende Flugblätter im Lichthof der Münchener Universität abwarf«.1272 Die hier reflektierten Gedanken zu Glaube, Schuld und Gnade sind nicht in Bezug auf soldatisches Schicksal an der Front, sondern auf Kriegsopfer durch Bomben verallgemeinerbar : Viele Menschen glauben von unserer Zeit, daß sie die letzte sei. All die schrecklichen Zeichen könnten es glauben machen. Aber ist dieser Glaube nicht von nebensächlicher Bedeutung? Denn muß nicht jeder Mensch, einerlei in welcher Zeit er lebt, dauernd damit rechnen, im nächsten Augenblick von Gott zur Rechenschaft gezogen zu werden? Weiß ich denn, ob ich morgen früh noch lebe? Eine Bombe könnte uns heute nacht alle vernichten. Und dann würde meine Schuld nicht kleiner sein, als wenn ich mit der Erde und den Sternen zusammen untergehen würde.1273

Die Zeugnisse Kurt Hubers finden sich unter der Rubrik »Die Ernte des Geistes«, wo er als »Mittelpunkt und Berater«1274 der Münchener Studenten bezeichnet wird. Abgedruckt sind die Notizen zur Verteidigungsrede vor dem Volksgerichtshof sowie der letzte Brief an seine Frau. Diese Texte legen ebenfalls national verallgemeinerbare Opferdeutungen nahe. Hans Scholl fehlt aus nicht rekonstruierbaren Gründen auch in dieser Anthologie, die im Gegensatz zu Annedore Lebers Lebensbildern durch die Verbindung von Paratext und nachgelassenem Dokument nationale und religiöse Deutungsmuster miteinander verbindet. Eine noch viel weitgehendere (und zugleich exkludierende) Entdifferenzierung des Opferbegriffs, jedoch unter Vermeidung des Begriffs Widerstand, kennzeichnet Lilli Vetters 1948 im Westen erschienene Briefe aus jener Zeit, die mit dem von Gollwitzer, Kuhn und Schneider herausgegebenen Band gemeinsam hat, dass dem Text eine Reproduktion von Käthe Kollwitz Die Klage vorangestellt ist. Vetters mischt »Künstlerbriefe«, »Briefe aus der Haft«, »Mütter1271 Abschiedsbrief an die Familie vom 12. 10. 1943, ebd., S. 83. Vgl. Willi Graf, Anm. 1268, S. 198–199. 1272 Ebd., S. 84. 1273 Ebd., entspricht genau dem in Inge Scholls Buch zitierten Tagebucheintrag, vgl. Scholl, Anm. 322, S. 56–57. Dabei handelt es sich um einen Auszug aus dem Tagebucheintrag vom 09. 08. 1942, der zuvor Gedanken an Alexander Schmorell beinhaltet. Vgl. Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 262–264. 1274 Ebd., S. 269–271.

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briefe«, »Soldatenbriefe« und »Kinder- und Jugendbriefe«. Auch wenn unter den »Daten der nicht mehr lebenden Briefschreiber« auch Vertreter des Widerstands (Sozialdemokratie und Kreisauer Kreis) angegeben sind, wird der Begriff Widerstand auch im Vorwort nicht erwähnt. Explizit exkludiert Vetter die Exilanten, wenn sie als Intention angibt: »Nicht die Träger großer Namen, die von der Welt gekannt und verehrt wurden und die Deutschland verließen, – die Dagebliebenen sollen hier reden, die ohne an sich zu denken für den geistigen Bestand der Nation kämpften.«1275 Das Genre der ›letzten Briefe‹ war ein internationales Phänomen. Ein von Piero Malvezzi und Giovanni Pirelli 1954 mit einem Vorwort von Thomas Mann in Turin veröffentlichter Band erschien – in jeweils verschiedenen Bearbeitungen – 1956 unter dem Titel Und die Flamme soll Euch nicht verbrennen bei Volk und Welt in der DDR und 1962 mit dem übersetzten Untertitel Letzte Briefe zum Tode Verurteilter aus dem europäischen Widerstand als Obertitel in stark gekürzter Fassung in der Bundesrepublik bei dtv.1276 In der Einleitung wird Widerstand eng mit Krieg verbunden. Dieser sei auch für den Widerstand die »weitaus aktivste Epoche« gewesen, der als »zweiter Krieg« neben dem »offiziellen« bezeichnet wird, was auch darauf verweist, dass das Genre publizierter letzter Briefe der Kriegserinnerung entspringt.1277 Der deutsche Widerstand ist in der Anthologie mit 13 Briefen1278, die Weiße Rose jedoch nicht vertreten. Bei westdeutschen Rezensenten traf der Band auf Kritik. Walter Hammer unterstellte ihm eine »kommunistische Tendenz«.1279 Der Vorwurf der »Linkslastigkeit« hatte einige Jahre zuvor auch die von Günther Weisenborn herausgegebene Dokumentation Der lautlose Aufstand getroffen, zu der Hammer maßgeblich beigetragen hatte.

IV.2.3 »Dokumente werden Geschichte«. Günther Weisenborns Der lautlose Aufstand und Walter A. Schmidts Damit Deutschland lebe Günther Weisenborn wurde 1942 im Zuge der Ermittlungen gegen das unter der Gestapo-Bezeichnung Rote Kapelle bekanntgewordene Widerstandsnetzwerk 1275 Lilli Vetter (Hrsg.): Briefe aus jener Zeit. Berlin: Wald Arnold Verlag 1948, S. 8–9. 1276 Siehe Peitsch, Anm. 1221, S. 699–702. 1277 Siehe Helmut Peitsch: Letzte Briefe in den Nachkriegsöffentlichkeiten. In: Veit Didczuneit, u.a. (Hrsg.): Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege. Essen: Klartext 2011, S. 351–367. 1278 Hanno Günther, Harro Schulze-Boysen, Libertas Schulze-Boysen, Cato Bontjes van Beek, Hilde Coppi, Hermann Lange, Josef Hufnagel, Ulrich von Hassel, Georg Schröder, Alfred Frank, Helmuth James von Moltke, Rudolf Seiffert, Claus Bonhoeffer. 1279 Walter Hammer : Kritische Randbemerkungen zu einem Taschenbuch. Manuskript einer Radiosendung im NWDR, 01. 08. 1962. In: SAdK Günther-Weisenborn-Archiv (366), hier zit. nach Peitsch, Anm. 1221, S. 700.

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um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack verhaftet. Die Kombination der Rollen als Überlebender des Widerstands in Deutschland und als Schriftsteller ermöglichte Weisenborn in den ersten Jahren nach 1945 eine mit Autorität versehene zonen- und lagerübergreifende Sprecherposition in Medien, Literaturbetrieb und Verfolgtenorganisationen. Bis zu seinem Tod bildete das Thema Widerstand ein Zentrum seines literarischen und publizistischen Schaffens, brachte ihn jedoch sukzessive »in die Fronten des Kalten Krieges«.1280 In OstBerlin begründete er die 1949 eingestellte Satirezeitschrift Ulenspiegel mit, in West-Berlin das Hebbel-Theater, wo er im April 1946 am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Sachsenhausen seine »Rede über die deutsche Widerstandsbewegung« hielt.1281 Sein 1946 uraufgeführtes Drama Die Illegalen wurde in Ost und West aufgeführt und breit rezipiert und gehört zu den meist gespielten Stücken der unmittelbaren Nachkriegszeit. 1947 war er an der Ausrichtung des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses beteiligt. Sein Prosatext Memorial, in welchem er die eigene Biografie und Hafterfahrung literarisiert, wurde 1948 von Desch, Rowohlt und Aufbau verlegt.1282 Weisenborns Engagement für das Gedenken an den Widerstand orientierte sich ab Mitte der 1950erJahre jedoch stärker am bundesrepublikanischen Rahmen – Weisenborn schrieb nicht zuletzt das Drehbuch für Falk Harnacks Film Der 20. Juli 1944.1283 Weisenborns »allgemein-humanistischer Antifaschismus«,1284 der sich politisch nicht in einem Ost-West-Schema verorten lässt, liefert eine Erklärung für die Anlage des von ihm 1953 im Rowohlt-Verlag herausgegebenen Buchs Der lautlose Aufstand, das im Untertitel als »Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933–1945« bezeichnet wird. Das »im Rahmen eines dokumentarischen Berichtes […] veröffentlichte Material erbringt« laut Klappentext »den unwiderleglichen Beweis dafür, daß der oft angezweifelte Widerstand […] zahlenmäßig tatsächlich umfangreicher und ausgedehnter als vielfach zugestanden, unter schwersten […] Opfern geleistet wurde«.1285 Dafür werden eine Millionen Verhaftungen »wegen politischer Aktivität«, 500.000 Tote und Vermisste, elf Attentate, »rund 20 große Organisationen und Tausende von Widerstandsgruppen« angeführt.1286 Diese quantitativen Belege gehen einher 1280 Peitsch, Anm. 337, S. 202. 1281 Günther Weisenborn: Rede über die deutsche Widerstandsbewegung. In: Aufbau 3 (1946), Nr. 6, S. 571–578. 1282 In der Bundesrepublik wurde der Text bis 1959 im Desch-Verlag und 1976 letztmalig im Röderberg-Verlag, bei Aufbau wiederholt bis 1982 und nach 1990 nicht mehr neuaufgelegt. 1283 Hans-Peter Rüsing: Das Drama des Widerstands. Günther Weisenborn, der 20. Juli 1944 und die Rote Kapelle. Frankfurt a. M. [u. a.]: Lang 2013. 1284 Peitsch, Anm. 337, S. 203. 1285 Günther Weisenborn: Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933–1945. Hamburg: Rowohlt 1953, Schutzumschlag. 1286 Ebd.

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mit der Betonung der politischen Breite des deutschen Widerstands. Dies verweist auf die Anfänge des Projekts 1946. Weisenborn nahm eine Äußerung Gabriele Streckers zum Anlass, die in einem Interview der New York Times 1946 die Auffassung vertrat, es habe keine deutsche Widerstandsbewegung gegeben.1287 Weisenborn antwortete in der Neuen Zeitung mit dem Titel »Es gab eine deutsche Widerstandsbewegung« und kündigte eine »Arbeit an einer Zusammenstellung von Tatsachen und Zahlen« an, die den Irrtum Streckers belegen werde.1288 Weisenborns These wiederum widersprach Hans-Peter Berglar-Schröer in einem bemerkenswerten Brief an Weisenborn unter Verweis auf die Weiße Rose: Nein, einen Widerstand der Studenten hat es nicht gegeben! Und das hätten doch die ersten sein müssen! Auch Wedekind, der auf Grund einer Denunziation sein junges Leben verlor, war kein ›Kämpfer des Widerstandes‹, sondern so dagegen, wie eben viele und hatte dabei Pech. Dasselbe gilt von [sic] den Geschwistern Scholl, die zwar grundanständige Menschen waren und auch Mut hatten (ihren Aufruf fand ich primitiv), aber durchaus Dilettanten des Widerstandes gewesen sind. Ich habe in Frankfurt verzweifelt nach einer Widerstandsgruppe Umschau gehalten – ganz vergebens. Es war keine da.1289

Es habe vor allem »passiven Widerstand« gegeben, auch wenn »örtlich oder regional« Gruppen »moralischen, privaten oder – der Höhepunkt! – propagandistischen« Widerstand geleistet hätten.1290 Diese müssten jedoch aufgrund ihrer »Motivik« beurteilt werden: […] wenn ein totalitärer Kommunist gegen einen totalitären Nazi kämpft oder ein deutschnationaler Militärknochen gegen einen militaristischen Hitlermannen, hat das in meinen Augen soviel Gewicht, wie der Kampf verschiedener Bravi- und Brigantengruppen gegeneinander während der Renaissance in Italien.1291

Am Schluss seines Briefes wird eine entdifferenzierende Konzeption deutscher Schuld deutlich, wenn Berglar-Schröer schreibt, »jeder von uns, JEDER, Herr Weisenborn, hat irgendwo und irgendwann Schuld […] auf sich geladen, wenn nicht vor der Welt, dann […] gewiß vor Gott!«1292 und er fühle »[t]äglich, ja 1287 Interview mit Gabriele Strecker anläßlich des Weltfrauenkongress. In: New York Times, 15. 10. 1946. 1288 Günther Weisenborn: Es gab eine deutsche Widerstandsbewegung. In: Die neue Zeitung, 09. 12. 1946. 1289 Peter Berglar-Schröer : Brief an Günther Weisenborn, 05. 06. 1948. In: SAdK, GüntherWeisenborn-Archiv (366/IV), S. 4. 1290 Ebd. 1291 Ebd., S. 6. 1292 Berglar-Schröer setzt dem eine bezeichnende Liste von Beispielen voran: Er selbst habe aus Angst um sein Leben »nicht das Gesetz der Menschlichkeit herausgebrüllt«, Weisenborn habe im »dritten Reich« Die Furie veröffentlicht, »Furtwängler dirigiert, Manfred

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stündlich die Last der sechs Millionen ermordeter Juden, der vielen Hundertausende von Opfern ganz persönlich« auf ihm ruhen. Weisenborn entschied sich gegen die von Berglar-Schröer vorgeschlagene öffentliche Kontroverse, auch weil er das auf Karl Jaspers zurückgehende religiöse Verständnis von Schuld ablehnte, das einem Opferbegriff Vorschub leistet, der jeden einschliesst, der unter den Kriegsfolgen leidet.1293 Seine Berufung auf die Kollektivschuldthese kann somit auch als strategisch gesehen werden, zeigt sie die Notwendigkeit mehrfacher Legitimierung seiner Darstellung des Widerstands, die zum Zeitpunkt des Erscheinens des Buches im Ost-West-Konflikt noch komplexer geworden war. Die Notwendigkeit der Legitimierung im bundesrepublikanischen Kontext zeigen die Rede von »deutschen Freiheitskämpfer[n]« sowie der Verweis auf eine Mitarbeit Inge Scholls und die Hervorhebung der Einleitung Martin Niemöllers auf dem Umschlag. Im Paratext wird das Buch zudem als Fortsetzung des Projekts Ricarda Huchs dargestellt. Huch hatte Weisenborn während des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses im Oktober 1947 (vor ihrer Übersiedlung nach Frankfurt a. M. und wenige Wochen vor ihrem Tod) ihre Materialsammlung zur »Schulze-BoysenHarnack-Gruppe« übergeben, mit der Bitte, die Arbeit zu dieser Gruppe im Sinne der Angehörigen zu übernehmen.1294 Huchs Presseaufruf von 1946 und das Gedicht An unsere Märtyrer bilden einen paratextuellen Rahmen für den Hauptteil des Bandes. Allerdings ist Weisenborns Arbeit keineswegs als Fortsetzung von Huchs Vorhaben angelegt, sondern grundlegend anders konzipiert als Huchs geplantes Gedenkbuch: Dieses Buch ist ein sachlicher Bericht über sachliche Arbeit. Er liefert keine Entwicklungsgeschichte, keine Wertungen, sondern Fakten. Es ist also die Arbeit eines Historikers, dessen Aufgabe der Herausgeber übernommen hat.1295

Weisenborn grenzt den »Bericht« des lautlosen Aufstands von mehreren Genres ab, welche die Zeit des Nationalsozialismus thematisieren: Sein Buch wird »Tatsachenberichte[n] […], in denen funkelnde Ritterkreuze für Schneid verliehen werden«, entgegengesetzt, aber auch der »allzu subjektive[n] KZ-Literatur der ersten Nachkriegsjahre«; es gehe um das, »was vor dem Zuchthaus war, die Opposition, den Widerstand, die Tat«.1296 Die »viele[n] Berichte über ein-

1293 1294 1295 1296

Hausmann gedichtet, Otto Dix gemalt, Sauerbruch operiert, Thomas Mann mit Hassgegeifer über Radio New York seine dichterische Potenz vergiftet und gemindert«. Ebd. S. 6. Helmut Peitsch: Weisenborns Arbeit an »Zeugnissen der letzten Stunde«. In: Arnd Beise, Jochen Strobel (Hrsg.): Letzte Briefe. Neue Perspektiven auf das Ende von Kommunikation. St. Ingbert: Röhrig 2015, S. 217–233. Schwiedrzik, Anm. 825, S. 43. Weisenborn, Anm. 1285, S. 19. Ebd., S. 18.

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zelne Gruppen der Widerstandsfront« stellt Weisenborn als ergänzungsbedürftig dar : So sehr alle diese Einzelberichte zu begrüßen sind, so sehr erscheint es nach dem heutigen Materialbefund an der Zeit, nunmehr eine erste umfassende und objektive Darstellung aller Richtungen des deutschen Widerstandes zu versuchen, ohne daß irgendeine Richtung mit Vorbehalt oder überhaupt geschildert wird. Der vorliegende Bericht will unter allen Umständen der gesamten Widerstandsbewegung gegenüber gerecht sein. Aus diesem Grunde schließt er mit dem Tag der Kapitulation. […] Bis zur Kapitulation standen kommunistische und nichtkommunistische Gegner des Hitlerregimes im Kampf nebeneinander, und niemand konnte wissen, daß dieselben Personen sich bald gegeneinander wenden würden […].1297

Allerdings begründet Weisenborn ein Ausschlusskriterium. Er schickt als letzte Bemerkung dem »sachlich aufgegliederte[n] Bericht« eine Aufforderung zum Gedenken an die jüdischen Opfer voran und schließt in Bezug auf den jüdischen Widerstand daran an: »Aus den verschiedensten Gründen hielt es der Herausgeber für angebracht, den Bericht darüber einer berufeneren Instanz zu überlassen.«1298 Als einzige jüdische Widerstandsgruppe wird im Kapitel »Widerstand der Arbeiter« diejenige um Herbert Baum erwähnt, welche dem Bericht zufolge jedoch »schon durch ihr jüdisches Sonderschicksal isoliert war und ein tragisches Ende fand«.1299 Weisenborn versichert, dass er sein »äußerst schwieriges Unternehmen in völliger Unabhängigkeit und privat« durchgeführt habe, und dass »Sachlichkeit« die »Basis der Arbeit« war.1300 Denn eine »objektive und alle Richtungen des deutschen Widerstandes umfassende Darstellung« […] werde »alle freiheitsliebenden Menschen anru¨ hren […], die das Unrecht bekämpfen, wo es sich auch zeigt, und deren Sehnsucht dem Frieden gilt, einem echten Frieden ohne Haß«. Hierbei ist bemerkenswert, dass Weisenborn die zentralen westlichen und östlichen Begriffe verbindet: Freiheit und Frieden. Die Betonung von Unparteilichkeit verfolgt dabei auch das Ziel, die Anerkennung des Widerstands durch Staat und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik zu fordern, auch was staatliche Entschädigung betrifft.1301 Hierzu wird auf die Leistungen der »Widerstandsbewegung« verwiesen: Sie hat erreicht, daß das Ende des Krieges beschleunigt […] wurde. Die Atombomben wären wahrscheinlich im anderen Fall über Deutschland abgeworfen worden. Dem Vorwurf der deutschen Kollektivschuld konnte wirksam entgegengetreten werden.1302 1297 1298 1299 1300 1301 1302

Ebd. Ebd., S. 40. Ebd., S. 164–165. Ebd., S. 18. Ebd., S. 20. Ebd., S. 20.

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Die Notwendigkeit von Legitimierungsstrategien zeigt sich auch an der Zusammenstellung des Bandes. Dem eigentlichen »Bericht«, bestehend aus einem »Panorama von Originalberichten, Zitationen und Eigendarstellungen«,1303 geht ein Kapitel »Allgemeines und Grundsätzliches« voran. Rund ein Viertel der Seiten des Bandes nimmt ein Dokumentenanhang ein, welcher neben Statistiken, Dokumenten der Justiz, der Gestapo und »der Opposition« auch »Zeugnisse der letzten Stunde« (Tagebücher, Verse, letzte Briefe) enthält. Der vor allem aus moderierten Zitaten aus Quellen und anderen Darstellungen bestehende Berichtsteil selbst gliedert sich in fünf Rubriken (Widerstand aus Glauben, bürgerliche Opposition, militärischer Widerstand, Widerstand der Arbeiter, Rolle der Intellektuellen) und wird ergänzt durch einen Abschnitt über »das Urteil der Welt über die deutsche Widerstandsbewegung« und ein Nachwort des Herausgebers. Die Geschwister Scholl werden in der Rubrik »christliche Gemeinsamkeit im Widerstandskampf« als Beleg für die religiöse Motivation nicht nur kirchlicher Kreise, sondern auch bürgerlicher Gruppen und des militärischen Widerstands erwähnt und als »Christen aus tiefster Überzeugung« charakterisiert, wobei aus einem Rundfunkvortrag Inge Scholls in der NWDR-Reihe Das taten sie für Deutschland zitiert wird.1304 Einschlägig behandelt wird die Weiße Rose in der Rubrik »Die Jugend« im Kapitel zur bürgerlichen Opposition. Hier zeigt sich ein sehr weiter Widerstandsbegriff, wenn darauf hingewiesen wird, dass laut NSQuellen »[m]indestens 60 %, wahrscheinlich noch mehr« der Studentenschaft »opponierten«.1305 Auch die Zahl der an »gegen die HJ kämpfenden Jugendgruppen wie die ›Packs‹ oder die ›Edelweiße‹« beteiligten Jugendlichen wird als »über alles Erwarten hoch« eingeschätzt.1306 Die Weiße Rose, deren Hamburger Zweig ebenfalls in einem Absatz gewürdigt wird, stellt in diesem Zusammenhang als eine »der wenigen Widerstandsgruppen, die öffentlich prozessiert wurden«, den Beweis dafür dar, »daß die Widerstandsbewegung den besten Teil des deutschen Volkes umfaßte, jenen Teil, der eher für seine unumstößliche Meinung stirbt, als daß er sich durch Mitläuferei korrumpieren läßt«.1307 Dargestellt wird die Gruppe anhand eines mit sechs Seiten im Vergleich zu anderen Quellen überdurchschnittlich ausführlichen Auszugs aus Inge Scholls Buch Die weiße Rose. Dieser Auszug wird als »Bericht« bezeichnet und beginnt mit Sophie Scholls Ankunft in München, endet mit ihrem Abschied von der Mutter und schildert dazwischen vor allem die Flugblattaktionen.1308 Darüber hinaus wird 1303 1304 1305 1306 1307 1308

Ebd., S. 19. Ebd., S. 87. Ebd., S. 95. Ebd. Ebd. Ebd., S. 95–101.

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Kurt Huber als Vertreter der Hochschullehrer im Kapitel zur »Rolle der Intellektuellen« erwähnt,1309 welches ein Spektrum zwischen Widerstand, Exil und ›innerer Emigration‹ integriert. Im Anhang werden Hubers letzter Brief und in der Rubrik »Dokumente der Widerstandsbewegung«1310 erstmals das Gerichtsurteil des zweiten Prozesses abgedruckt, mit der Anmerkung, der »Leser vergesse nicht, daß die Beschimpfung honoriger Staatsbürger in diesen Urteilen von einem notorischen Verbrecher stammt, also einer Ehrung gleichzusetzen ist«.1311 Der lautlose Aufstand wurde in der Bundesrepublik kontrovers rezipiert. Kritisiert wurde die Würdigung von Kommunisten ohne weitere Stellungnahme.1312 In Der Monat, der Zeitschrift des Kongresses fu¨ r kulturelle Freiheit, spitzt Hilde Walter polemisch zu: »Wollte man Weisenborns Beschwörungen folgen, so mu¨ ßte man dem Gedächtnis der Gefallenen des Widerstandes gegen Hitler zu Ehren auf jeden ernstlichen Widerstand gegen sowjetischen Terror verzichten.«1313 In der DDR wurde das Buch zur Kenntnis genommen, im Gegenzug hinsichtlich der Gewichtung des nicht-kommunistischen Widerstands kritisiert.1314 Der Vorwurf der Linkslastigkeit aus der Bundesrepublik und der aus der DDR, den Widerstand nicht in den richtigen Proportionen beschrieben zu haben, verdeutlicht, wie sehr sich Weisenborn mit dem lautlosen Aufstand in Konfliktfelder des Kalten Krieges begeben hatte – trotz der entdifferenzierenden Widerstandskonzeption und der national homogenisierenden Rhetorik des »gemeinsamen Todes« der Widerstandskämpfer, deren »deutsches, mutiges Blut« freiwillig vergossen worden sei, »um die Abschlachtung Millionen anderer zu verhindern«.1315 Weisenborns lautloser Aufstand erschien bis 1962 in drei Auflagen im Rowohlt-Verlag, eine vierte nach seinem Tod 1974 im Röderberg-Verlag.1316 Der Verlag Volk und Welt lehnte »aus politischen Erwägungen heraus« ab, »ein Buch, das in Westdeutschland so weite Verbreitung gefunden hat, in einer irgendwie veränderten Form bei uns herauszugeben«.1317 Teile des lautlosen Aufstands wurden aber Ende der 1950er-Jahre indirekt in der DDR publiziert – als eine häufig zitierte Quelle des von Walter A. Schmidt 1309 1310 1311 1312 1313 1314 1315 1316

Ebd., S. 231. Ebd., S. 267–278. Ebd., S. 278. Schmitthenner, Anm. 93, S. 59. Hilde Walter : Mißbrauchte Märtyrer. In: Der Monat 5 (1954), Nr. 59, S. 549–551, S. 550. Siehe Barck, Anm. 162, S. 128–129. Weisenborn, Anm. 1285, S. 16. Günther Weisenborn: Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933–1945. 4. verb. Aufl. Frankfurt a. M.: Röderberg 1974. 1317 Fritz J. Raddatz: Brief an Günther Weisenborn, 06. 12. 1954. In: SAdK, Günther-Weisenborn-Archiv (1335).

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herausgegebenen Quellenwerks über den deutschen antifaschistischen Widerstand 1933–1945, das 1958 und 1959 in zwei Auflagen vom Kongreß-Verlag, dem Verlag der Nationalen Front, publiziert wurde. Der Kongreß-Verlag verlegte neben Zeitschriften und Materialien der Nationalen Front auch populärwissenschaftliche Publikationen wie Biografien progressiver Persönlichkeiten der deutschen Geschichte und ab 1957 die Literatur des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer. Das allzuhäufige Zitieren »eines in Westdeutschland erschienenen Buches« war einer der Einwände, die von Seiten der offiziellen Geschichtswissenschaft und im Druckgenehmigungsverfahren gegen den Titel vorgebracht wurden.1318 Schmidts populärwissenschaftlich angelegtes Quellenwerk Damit Deutschland lebe verfolgte die Intention, zu dokumentieren, »daß […] große Teile unseres werktätigen Volkes im stärksten Gegensatz zum Hitlerregime standen«, und erhob somit wie Weisenborns Dokumentation den Anspruch, die Breite des Widerstands aufzuzeigen.1319 Explizit ausgeschlossen wird nur die »sogenannte Bewegung des 20. Juli 1944«, da »Ziele dieser gegen Hitler ›opponierenden‹ Generale und Kapitalisten […] andere als die der wirklichen deutschen Antifaschisten« waren.1320 Schmidt, der sich ähnlich wie Weisenborn auf eigene aktive Widerstandsarbeit und Hafterfahrung sowie seine Tätigkeit als Journalist berufen konnte, hatte sein Projekt als Einzelner »außerhalb der Partei- und akademischen Institutionen« vorangetrieben.1321 Wie bei Weisenborn dienen »Dokumente« zum Beweis einer These: »Dokumente werden Geschichte. Und diese Geschichte zeigt mit aller Deutlichkeit, wer die führenden Kräfte des Kampfes gegen die blutige Nazidiktatur von Anfang an waren«1322 : Fürwahr, in diesem blutigen Freiheitskampf der Edelsten unseres Volkes brachten die Kommunisten die größten Opfer! Mit ihnen starben viele Tausende Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, Christen und Parteilose für Freiheit, Demokratie und Frieden. Allen Widerstandshelden gebührt der Dank, die Ehre des deutschen Volks wiederhergestellt zu haben.1323

Auch wenn Schmidt den Widerstand hier implizit mit der Kollektivschuldfrage in Zusammenhang bringt, betont er im Gegensatz zu Weisenborn, »daß im Verhältnis zur großen Masse des deutschen Volkes die Zahl der aktiven deutschen Gegner der Naziherrschaft relativ klein war« und begründet damit die 1318 1319 1320 1321 1322 1323

Barck, Anm. 162, S. 152. Schmidt, Anm. 922, S. 13. Ebd., S. 15. Barck, Anm. 162, S. 152. Schmidt, Anm. 922, S. 15. Ebd., S. 13.

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Notwendigkeit der Ehrung des organisierten Kampfes.1324 Das Panorama des »antifaschistischen Widerstands« wird in »einer Art Lesebuch«1325 durch die Zusammenstellung von »Berichten« verdeutlicht, die »chronologisch und nach Sachgebieten sortiert« und lediglich mit Überschriften versehen sind.1326 Dem Material der jeweiligen Kapitel gehen knappe Einleitungen voran. Schmidt bringt die Weiße Rose nicht wie Weisenborn in der Rubrik Jugend, sondern wertet sie als »Widerstand bei den Intellektuellen und Studenten«, der im Gegensatz zu anderen »intellektuellen Kreisen« in verschiedenen Fällen »organisatorischen Charakter« angenommen habe.1327 Die »Gruppe Geschwister Scholl« wird neben der um »Schulze-Boysen/Harnack« und Georg Schumann als Beispiel genannt, wie »Intellektuelle zu wahrhaft patriotischen Führern und Mitgliedern antihitlerischer Widerstandsgruppen« wurden.1328 Die Weiße Rose wird durch Paul Verners Artikel Opfergang einer Jugend im Vergleich zu anderen relativ ausführlich dokumentiert, auf den Hamburger Zweig weist das Zitat der entsprechenden Passage aus dem Lautlosen Aufstand hin.1329 Auch eine Fotografie der Geschwister Scholl befindet sich im Fotoanhang. Trotz der klaren Parteilichkeit des Quellenwerks wurden weitere Auflagen durch die Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel und dem Institut für Marxismus-Leninismus (IML) verhindert, die intensiven und jahrelangen Bemühungen Schmidts um eine erweiterte Neuausgabe liefen ins Leere.1330 Dem vordergründigen Hauptkritikpunkt, die Führungsrolle der KPD im Widerstandskampf nicht ausreichend herausgearbeitet zu haben, unterliegt eine Entwicklung, die im Vorwort des Verlags zur zweiten Auflage angedeutet wird. Ziel des Quellenwerks sei es, »weitere Unterlagen für eine umfassende Geschichtsschreibung zu liefern«.1331 Dies verweist auf die Institutionalisierung der Widerstandsgeschichte in der DDR, deren Leiteinrichtung das Institut für Marxismus-Leninismus (IML) wurde. Diese Zentralisierung führte zunächst dazu, dass unabhängige Projekte wie Schmidts blockiert wurden. Sie bildet jedoch paradoxerweise die Voraussetzung dafür, dass es Mitte der 1960er-Jahren zu einer gesteuerten Pluralisierung der Widerstandsgeschichte kommt.1332 Weisenborns und Schmidts Dokumentensammlungen sind als Vorläufer einer institutionalisierten Historisierung in beiden deutschen Staaten zu sehen. 1324 1325 1326 1327 1328 1329 1330 1331 1332

Ebd., S. 16. Barck, Anm. 162, S. 151. Schmidt, Anm. 922, S. 15. Ebd., S. 191–192. Ebd. Ebd., S. 207–208. Siehe zur komplexen Vor- und Nachgeschichte des Bandes: Barck, Anm. 162, S. 151–157. Ebd., S. 9. Siehe Kapitel V.2.2 dieser Arbeit.

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IV.3 Gedenken und Erzählen zwischen Integration und Abgrenzung IV.3.1 Popularisierung und Propaganda: Vergangenheitsbezüge in der Presse Günther Weisenborns literarische und publizistische Bemühungen zur Popularisierung des deutschen Widerstands widmeten sich auch einzelnen Gruppen, filmisch dem 20. Juli 1944, literarisch der Roten Kapelle, aber – bisher in der Forschung unberücksichtigt – auch der Weißen Rose. In seinem Nachlass findet sich ein auf April 1955 datiertes Manuskript zum »Aufstand der Münchener Studenten«.1333 Der Text des Manuskripts ist weitgehend identisch mit dem einer anonym veröffentlichten Serie in der West-Berliner Boulevardzeitung B.Z., die zwischen dem 31. Mai und dem 9. Juni 1955 in neun Teilen, jeweils ganzseitig auf Seite 4 unter dem Titel Ich weiß, wofür ich sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl erschien. Solche mit Fotos oder Zeichnungen illustrierte, oft als »Tatsachenbericht« oder »Dokumentarbericht« bezeichnete Serien waren ein etabliertes Format1334 der nach ihrer Einstellung im Zweiten Weltkrieg seit November 1953 wieder im Ullstein-Verlag erscheinenden Zeitung. Der Bericht über die Geschwister Scholl erschien zum Teil parallel zu der Serie Wenn die Maske fällt. Ein Nervenarzt erzählt. Er wurde gefolgt von der Serie Vorhang auf zum letzten Akt. Ein Bericht vom Tod großer Künstler. Kriminalfälle, exotische Liebesgeschichten, Berichte aus dem Leben des europäischen Adels oder Aufstiegsgeschichten stellten Stoffe dar, mit denen die B.Z. im Sinne des Boulevards durch human touch Leserbedürfnisse nach Unterhaltung und Sensation bediente. Auch zeithistorische Stoffe wurden verarbeitet – im April 1955 erschien unter dem Titel Berlin starb 13 Tage lang in 18 Teilen ein »B.Z.-Dokumentarbericht aus dem April 1945«. Die Serie über die Geschwister Scholl erschien im Gegensatz zu anderen durchgehend prominent platziert auf Seite 4, der Comic Ferdinand, der auf dieser Seite seinen angestammten Platz unter der jeweiligen Serie hatte, wurde für die betreffenden Ausgaben sogar erstmals auf hintere Seiten verschoben. Der Bericht wurde am Vortag seines Erscheinens mit einem großflächigen Portrait von Hans Scholl mit der Unterschrift »Einer, der wußte, wofür er starb:

1333 Günther Weisenborn: Der Aufstand der Münchener Studenten. [Hs. hinzugefügt: »Weiß blüte die Rose von München«], Typoskript, 47 Seiten, April 1955. In: SAdK GüntherWeisenborn-Archiv (366/VI). 1334 Diese und die folgenden Angaben beruhen auf einer kursorischen Durchsicht der Ausgaben der Zeitung von März bis Juli 1955 im Zeitungsarchiv der Berliner Staatsbibliothek.

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Hans Scholl«1335 und beim Erscheinen der ersten Folge auf der Titelseite angekündigt: Immer traten Studenten für Recht und Geistesfreiheit ein. Selbst wenn es auf Leben und Tod ging. Heute in der Sowjetzone, vor zwölf Jahren – während der Herrschaft des Wahnsinnigen – in München. Eine neue B.Z.-Serie berichtet über die Widerstandskämpfer, die 1943 hingerichtet wurden.1336

Die Deutung des Nationalsozialismus als »Regime der Tyrannei«1337 und das Muster antitotalitärer Universalisierung, welches in der Einleitung zur ersten Folge auch in der Parallelisierung der »Opfer der Benjamin« und »Opfer der Freisler-›Justiz‹« zum Ausdruck kommt,1338 sind Tendenzen des redaktionellen Paratextes. Eine umrahmte Einleitung mit Bezug zu den vorhergehenden Folgen zu Beginn, Zwischenüberschriften und ein Ausblick am Ende jeder Folge leiten den Leser, spitzen den Text zu und geben ihm zum Teil eine andere Tendenz (siehe Abbildung 2). Indem bereits in der ersten Folge sowohl auf den militärischen Widerstand als auch auf »Widerstandsgruppen […] der Arbeiterschaft« verwiesen wird und mit der Angabe der »Gesamtzahl der Hinrichtungen« im Jahr 1943 auch hier ein quantitaiver Beleg für den Umfang des Widerstands gegeben wird1339, vertritt Weisenborn im Gegensatz zum Redaktionstext das inklusive Widerstandsverständnis des Lautlosen Aufstands. In der fünften Folge – von der Redaktion mit der Überschrift »Lodernder Widerstand« versehen – folgt in diesem Sinne auf die Feststellung, »daß die Münchener Studenten mit ihrer Widerstandsarbeit in Deutschland nicht allein stehen«, eine Aufzählung von vierzehn Gruppen in verschiedenen Teilen Deutschlands, wobei mit der »Bästleingruppe« und der »rein jüdischen Gruppe ›Baum‹« implizit auch kommunistische Gruppen angeführt werden.1340 Über die »Aktion des 20. Juli« brauche »man kaum zu berichten, da sie schon allgemein bekannt« sei.1341 Durch diese und andere Exkurse, die bestimmte Episoden in allgemeine Bezüge setzen, erscheint die Weiße Rose als stellvertretendes Beispiel für viele Widerstandsgruppen. Die Darstellung basiert im Wesentlichen auf Inge Scholls Buch, das im Text

1335 O. A.: [Ankündigung der neuen B.Z.-Tatsachenserie »Ich weiß, wofür ich sterbe«]. In: B.Z., 30. 05. 1955, S. 4. 1336 [Textbox auf der Titelseite]. In: B.Z., 31. 05. 1955, S. 1. 1337 O. A., Anm. 1335. 1338 O. A.: Ich weiß wofür ich sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl, Teil 1. In: BZ, 31. 05. 1955, S. 4. 1339 Ebd. 1340 O. A.: Ich weiß wofür ich sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl, Teil 5. In: B.Z., 04. 06. 1955, S. 4. 1341 Ebd.

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Abbildung 2: Zweite Folge der von Günther Weisenborn verfassten Tatsachenserie »Ich weiß, wofür ich Sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl«. B.Z., 01. 06. 1955, S. 4.

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mehrfach erwähnt und als »tiefempfundenes Denkmal«1342 und »bewegende[r] Erlebnisbericht«1343 bezeichnet wird. Zahlreiche Episoden aus Scholls Text und auch des darin enthaltenen Textes Else Gebels werden zum Teil gerafft, zum Teil szenisch nacherzählt, die Deutungsmuster1344 dieser Texte werden in der Serie dabei größtenteils mittransportiert. Die narrative Konstruktion der Serie folgt jedoch einer anderen Ordnung als der Text Inge Scholls. So beginnt die Serie mit der Flugblattaktion und der Entdeckung der Geschwister durch den Pedell. Fokalisiert durch letzteren werden hier Auszüge des ersten (und nicht des letzten) Flugblatts der Weißen Rose zitiert: In hektografierter Schrift liest er den ersten Satz! »Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ›regieren‹ zu lassen. […]« Dem Pedell zittern die Hände. Er wendet das Blatt aufgeregt um und liest: »…Leistet [nicht aus dem Flugblatttext übernommen: »passiven«, C.E.] Widerstand – wo immer Ihr auch seid, verhindert das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine, ehe es zu spät ist, ehe die letzten Städte ein Trümmerhaufen sind, gleich Köln, und ehe die letzte Jugend des Volkes irgendwo für die Hybris eines Untermenschen verblutet ist.«1345

Die Ermittlungen und Vernehmungen durch die Gestapo sowie die Zeit der Untersuchungshaft dienen dann als Gerüst, um durch daran aufgehängte Vorund Rückblenden die biografischen Hintergründe, die Entwicklung der Gruppe und ihrer Aktionen sowie ihr weiteres Schicksal zu erzählen. Die Serie geht in Bezug auf den erzählten Zeitraum über Scholls Text hinaus, indem die Serie mit der Darstellung des zweiten Prozesses und der Vollstreckung des Todesurteils an Kurt Huber endet. In der letzten Folge unter der Überschrift »Das Blut-Urteil«1346 und auch an anderen Stellen wird das im Anhang des Lautlosen Aufstands erstmals abgedruckte Urteil des zweiten Prozesses in Figurenrede transformiert und so narrativ eingebunden: »Die fünf Richter in den roten Roben erheben sich und gehen hinaus, um nach kurzer Zeit wieder im Saal zu erscheinen, wo Freisler das Urteil spricht: ›Im Namen des deutschen Volkes!‹«.1347 Eine solche Dramatisierung des Geschehens durch szenischen Erzählmodus 1342 O. A.: Ich weiß wofür ich sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl, Teil 2. In: B.Z., 01. 06. 1955, S. 4. 1343 O. A.: Ich weiß wofür ich sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl, Teil 7. In: B.Z., 07. 06. 1955, S. 4. 1344 Siehe Kapitel III.3.1 und IV.1.2. 1345 O. A.: Ich weiß wofür ich sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl, Teil 1. In: BZ, 31. 05. 1955, S. 4. 1346 O. A.: Ich weiß wofür ich sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl, Teil 9. In: B.Z., 09. 06. 1955, S. 4. 1347 Ebd.

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kommt in der Serie wiederholt zum Einsatz ebenso wie die Herstellung von Nähe durch Fokalisierung. So werden die letzten Tage Kurt Hubers und die Vollstreckung des Urteils aus der Perspektive seiner Frau erzählt, wobei auf Elemente aus Clara Hubers Schicksalsweg zurückgegriffen wird: Aber der Vollstreckungsbefehl hatte es nicht so eilig. Am 17. Mai konnte Frau Huber ihren Mann noch einmal in Stadlheim [sic] besuchen. Professor Huber sah nach der langen Haft elend aus. […] Huber wollte auf dem Münchener Waldfriedhof bestattet werden. Der Verteidiger empfahl, jetzt schon die nötigen Schritte zu unternehmen. So ist es geschehen, daß die Frau eines Verurteilten bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts München I über das Grab ihres Mannes verhandelte, als dieser noch lebte. Als sie in das Geschäftszimmer des Beamten eintrat, hörte sie, wie der Beamte am Telefon sagte: »Jawohl, Herr General, das machen wir immer so. Wir warten gar nicht lange das Gnadengesuch ab, wir vollstrecken einfach.« Sie wußte nicht, von wem die Rede war, aber es konnte ihr Mann sein…1348

Die Unmenschlichkeit der NS-Justiz und der damit verbundene Todesmut von Widerstand werden durch die Erzählweise und Erzählerkommentare ebenso an der Weißen Rose exemplifiziert und damit verallgemeinert wie die »Ungerechtigkeit« des Krieges als zentrales Motiv von Widerstand. Dies wird bereits zu Beginn der Serie unter der Überschrift »Schwur an der Ostfront« deutlich: Hans Scholl, Alex Schmorell und Willy [sic] Graf […] hatten sich als Sanitäter an der Ostfront geschworen, wenn sie je wieder nach München zurückkämen, die deutsche Öffentlichkeit mit aller Energie über diesen verbrecherischen Krieg aufzuklären. Und sie hatten gehandelt!1349

Diese Motivation des Widerstands wird in der dritten Folge plastisch dargestellt: Tetanus! Alkohol! Adernklemme! Gewebeschnitt! Biersche Stauung! Amputation! Die Hilfsärzte kommen in diesem furchtbaren Sommer nicht aus dem Kittel. Sie vergessen die Welt, sie vergessen Flugblätter und Universität. Sie wissen nur eins: sie müssen helfen, helfen! Dieses entsetzliche Elend muß aufhören! Aber es hört nicht auf! […] Sie kommen mit einem Wort nach Hause, das noch keiner kennt. Aber sie werden es alle kennen. Es heißt: Stalingrad. […] Und dann fällt Stalingrad. Und eine halbe Million Landser wandert in Gefangenschaft. Das Dritte Reich wankt unter diesem furchtbaren Schlag. Die Widerstandskämpfer von München wissen, daß sie recht haben. Sie haben auf dem Transport ein Konzentrationslager gesehen. Sie haben gelernt, daß Menschenleben die billigste Münze Hitlers geworden sind. Damit bezahlt er jeden Tag, den er noch länger leben darf, bis sie ihn in Berlin stellen werden. Wenn heute schon das Leben riskiert werden soll, warum dann für die Ungerechtigkeit, 1348 O. A., Anm. 1346. 1349 O. A., Anm. 1345.

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warum statt dessen nicht gegen die Ungerechtigkeit? Sie werden ihren Entschluß jetzt durchführen! Unbedingt!1350

Der Kampf »gegen die Ungerechtigkeit« und nicht für ein spezifisches Ziel ist charakteristisch für Weisenborns homogenisierende Darstellung des gesamten Spektrums des Widerstands, dessen Popularisierung sein zentrales Anliegen darstellt. Die Weiße Rose als Beispiel und das Forum des Boulevards eignen sich für diese Intention, der redaktionelle Paratext zeigt aber, wie ein solches Projekt unter antitotalitäre Vorzeichen gestellt und im Kontext des Kalten Krieges propagandistisch genutzt wurde. Die Weiße Rose wurde in der Bundesrepublik in vielen Gedenkartikeln besonders in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre auf die DDR bezogen, Gedenken unter antifaschistischem Vorzeichen als Missbrauch gedeutet, wie 1953 in der Fuldaer Zeitung: »Heute bemächtigt sich ein noch grausameres Herrschaftssystem – das des Bolschewismus! – dieser Märtyrer für die menschliche Freiheit«.1351 Gegen die Benennung einer FDJ-Hochschulgruppe an der Universität München wendete die Süddeutsche Zeitung in einem Streiflicht ein, der Name Weiße Rose stehe für »Protest gegen den totalen Staat und für die Freiheit des Gewissens und der Wissenschaften«, in ihrem Namen dürften »östliche[…] KZs« und »all d[ie] anderen Dinge[…] in der Sowjetzone, die man dort vom Nationalsozialismus ohne Umschweif übernommen hat«, sowie der »sowjetische[…] Militarismus« nicht verschwiegen werden.1352 Die implizite Würdigung kommunistischer Gruppen in Weisenborns B.Z.Serie stellt eine Ausnahme dar. Zum Teil bis in die späten 1960er-Jahre sind antitotalitäre Universalisierung und Exklusion des kommunistischen Widerstands typische Muster der Widerstandsdarstellung in der westdeutschen Presse, die bereits an der Rezeption von Inge Scholls Die weiße Rose aufgezeigt wurden.1353 In der Presse beider deutscher Staaten lassen sich Bezüge auf die Weiße Rose und die Geschwister Scholl durch die gesamten 1950er- und 1960er-Jahre hindurch feststellen. Ausführliche Darstellungen erscheinen in der Bundesrepublik im Rahmen der Rezeption von Inge Scholls Die weiße Rose und anlässlich des zehnten Jahrestages 1953. In der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre lassen sich in den überregionalen Tageszeitungen keine ausführlichen Artikel zu den Jahrestagen nachweisen.1354 1350 O. A.: Ich weiß wofür ich sterbe. Der Bericht vom Mut und Ende der Geschwister Scholl, Teil 3. In: B.Z., 02. 06. 1955, S. 4. 1351 O. A.: Vor zehn Jahren starben die Geschwister Scholl. In: Fuldaer Zeitung. 1352 O. A.: Das Streiflicht. In: Süddeutsche Zeitung, Juni 1951. In: IfZ, ED 474 (240). 1353 Siehe Kapitel IV.1.3. 1354 Siehe die umfassende Zeitschriftenausschnittsammlung im Nachlass Inge Aicher-Scholls in: IfZ ED 474 (240–241).

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Da westdeutsche Tageszeitungen bereits ausgewertet wurden,1355 konzentriert sich die folgende Darstellung auf die DDR-Presse bis Mitte der 1960er-Jahre. Nachdem im ostzonalen Kontext zwischen 1945 und 1949 zahlreiche einschlägige Darstellungen erschienen,1356 blieben diese bis Ende der 1950er-Jahre die Ausnahme und beschränkten sich auf die CDU-Tageszeitung Neue Zeit. Die Weiße Rose fand aber dennoch Erwähnung. Das Neue Deutschland weist im Vorfeld des 22. Februars 1950 auf Gedenkfeiern »an die Geschwister Scholl und alle während der Nazizeit ermordeten jungen Widerstandskämpfer«1357 hin und die Berliner Zeitung greift den stark gegenwartsbezogenen Aufruf des FDJZentralorgans Junge Welt zum »Tag der jungen Widerstandskämpfer« auf: »Der 22. Februar«, so sagt die »Junge Welt«, »ist jedoch nicht nur ein Tag des Erinnerns und Gedenkens. An diesem Tag muß ein neuer Abschnitt, ein noch stärkerer Kampf der deutschen Jugend für den Frieden beginnen. Die jungen Widerstandskämpfer gegen den Faschismus zählten nach Tausenden. Heute gibt es Millionen junger Friedenskämpfer. Die deutsche Jugend hat die große Aufgabe und Verpflichtung, durch machtvolle Aktionen für den Frieden den Kampf der kolonialen Jugend weitgehend zu unterstützen, denn die Peiniger der Jugend in den kolonialen Ländern sind die gleichen, die durch ihre Politik Deutschland gespalten haben und gegenwärtig versuchen, Westdeutschland in eine Kolonie zu verwandeln«1358

Dagegen würdigt die Neue Zeit in einem Leitartikel »Zum 22. Februar« einschlägig Hans und Sophie Scholl und deren »kleine[n] Freundeskreis«.1359 Mit Verweis auf den Einfluss Carl Muths und Theodor Haeckers stehen die Geschwister für »das unverlierbare Erbe christlich-europäischer Kultur«1360 und werden in einen spezifischen traditionsbildenden Zusammenhang gestellt: Wenn wir heute das Erbe dieser Jungen antreten wollen, dann dürfen wir es in dem Geist tun, der sie zu ihrer Tat aufgerufen hat. Und gerade für die jungen Mitglieder der Union sollte dieser, aus christlicher Freiheit und christlicher Verantwortung geborene Geist mahnende Verpflichtung sein.1361

Ein Jahr später bringt die Neue Zeit zum Jahrestag einen »persönliche[n] Erlebnisbericht« von Christa Mayer-Heidkamp mit der Überschrift »Ich sah die 1355 1356 1357 1358

Tuchel, Anm. 42; Blaha, Anm. 42. Siehe Kapitel III.2.2. O. A.: Unvergessene Helden. In: Neues Deutschland, 15. 02. 1950, S. 2. O. A.: Vorwärts für Frieden und Wahrheit. In: Berliner Zeitung, 22. 02. 1950, S. 2. Siehe Kapitel III.2.3. 1359 O. A.: Zum 22. Februar. In: Neue Zeit, 22. 02. 1950, S. 2. 1360 Ebd. 1361 Ebd. Wenige Ausgaben zuvor wird aus Anlass des 65. Geburtstages Romano Guardinis auf dessen Gedenkrede Die Waage des Daseins auf die »Opfer der Münchener Studentenrevolte« eingegangen, die »den tiefen religiösen Grund in deren Freiheitsverlangen« aufzeige (H.S.: Der Weg zu den Suchenden. In: Neue Zeit, 18. 02. 1950, S. 2).

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Scholls an ihrem Schicksalstage«. Die Autorin verweist auf die Unmöglichkeit eines effektiven Aufstands angesichts des »ausgeklügelten Gestaposystem[s]«, kritisiert aber mit Blick auf die »Demonstrations-Kundgebung im Auditorium Maximum gegen die ›gewissenlosen Vaterlandsverräter‹«, dass es »bei der deutschen Jugend […] noch nicht einmal zu einer […] für den einzelnen völlig ungefährlichen Achtung vor dem Mut, der Begeisterung und der einsatzbereiten Überzeugung eines Hans Scholl und seiner Schwester« gereicht habe.1362 Es bleibe vieles noch zu tun, so schließt Mayer-Heidkamp, »um eines Tages sagen zu können: Hans und Sophia [sic] Scholl sind nicht umsonst gestorben«,1363 womit sie implizit im Widerspruch zur FDJ-Rhetorik zum »Tag der jungen Widerstandskämpfer« steht, die auch die Neue Zeit 1953 übernimmt, wenn sie im Einklang mit dem Neuen Deutschland1364 darauf hinweist, dass neben den Geschwistern Scholl »eine unübersehbare Reihe anderer junger Deutscher, die den Faschismus bekämpften«, stehe.1365 Der 22. Februar sei nicht nur ein »Tag des ehrenden Gedenkens«, sondern auch ein »Tag der Verpflichtung zum Kampf gegen die Vorbereitung eines neuen Krieges, zum Kampf gegen die Unterdrückung unseres Volkes durch die Imperialisten«, womit weitgehende Analogien zur Gegenwart gezogen werden: Auch dieser Kampf hat bereits Opfer gefordert. Nicht nur, daß hunderte junger Friedenskämpfer in westdeutschen Gefängnissen schmachten, auch mit dem Leben mußte mancher von ihnen schon sein mutiges Eintreten für die Sache unseres Volkes bezahlen. Philipp Müller und Helmut Just wurden ermordet, weil sie diesen Kampf furchtlos und unerschrocken führten.1366

Die bereits Ende der 1940er-Jahre nachgewiesenen propagandistischen Bezugnahmen auf die Geschwister Scholl und die Weiße Rose in der DDR-Presse verstärken sich im Laufe der 1950er-Jahre. Von 1953 bis 1963 erscheinen in den drei ausgewerteten überregionalen1367 Zeitungen Neues Deutschland, Berliner 1362 Christa Mayer-Heidkamp: Ich sah die Scholls an ihrem Schicksalstage.. In: Neue Zeit, 22. 02. 1951, S. 2. 1363 Ebd. 1364 Hans Schonecker : Zum Tag der jungen Widerstandskämpfer. In: Neues Deutschland, 22. 02. 1953, S. 2. Dieser Artikel wird in Zusammenhang mit einem »Brief aus Adenauers Kerker« gedruckt. 1365 W.B.: Verpflichtung und Mahnung. Zum Tag der jungen Widerstandskämpfer. In: Neue Zeit, 22. 02. 1953, S. 2. 1366 Ebd. 1367 Die Einbeziehung regionaler Presse könnte diesen Befund differenzieren, siehe Zeitungsausschnittssammlung, Privatarchiv Gerd Focke, bspw.: O. A.: »..daß niemand Lust verspüre«. Zum 10. Todestag der Geschwister Scholl. In: Mitteldeutsche Neueste Nachrichten, 21. 02. 1953; O. A.: Vor zehn Jahren. Hans und Sophie Scholl, zwei junge Patrioten ermordet. In: Leipziger Volkszeitung, 19. 02. 1953; W. Klaumünzer : »Die für die Menschheit lebten, starben eines unmenschlichen Todes!«. In: Leipziger Volkszeitung, 08. 04. 1955.

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Zeitung und Neue Zeit an den Jahrestagen keine einschlägigen Würdigungen der Weißen Rose. Wohl aber lassen sich zahlreiche Bezugnahmen vor allem in Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen im Kontext des Kalten Krieges nachweisen. So wird beispielsweise im Zuge der Debatte um die Wiederbewaffnung häufig auf das Vermächtnis des ›antifaschistischen Widerstandskampfes‹ und dabei stets auch auf die Geschwister Scholl verwiesen,1368 Studentenproteste in der Bundesrepublik werden wiederholt mit deren Widerstand parallelisiert: München (ADN). Trotz des Polizeiterrors wurden auch in der Aula der Universität München Flugblätter verteilt, in denen gefordert wird, im Geiste der Geschwister Scholl gegen das von Adenauer geplante Verbrechen eines neuen Krieges zu kämpfen. Die Flugblätter wurden von derselben Stelle geworfen, von der die Geschwister Scholl ihre Kampfschrift gegen die Politik Hitlers verbreiteten.1369

Ein weiteres rekurrierendes Motiv ist die Bezugnahme auf die Geschwister Scholl bei der Skandalisierung personeller NS-Kontinuitäten im Bonner Regierungsapparat. Dies betrifft insbesondere die Beförderung von Walter Römer zum Ministerialdirektor im Bundesministerium für Justiz,1370 der 1943 als Erster Staatsanwalt und Leiter der Vollstreckungsabteilung des Münchener Landgerichts die Vollstreckung des Todesurteils gegen Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst angeordnet hatte.1371 Entsprechende ADN-Meldungen wurden von allen großen Tageszeitungen abgedruckt und zeigen eine Relevanz der Weißen Rose für die SED-Kampagnenpolitik im Kalten Krieg.1372 Auffällig ist, wie in diesem Zusammenhang Robert Scholl als Vater der Geschwister Scholl gezielt und konzertiert zu einer westdeutschen Autoritätsfigur aufgebaut wird. Im Neuen Deutschland und in der Neuen Zeit wird als Beleg für das »Wiederaufleben des Faschismus in Westdeutschland« sein Leserbrief an die 1368 Besonders deutlich in der nur in den Überschriften abweichenden Berichterstattung zum Tag der Opfer des Faschismus 1951: o. A.: Tag der Opfer des Faschismus. Kampftag gegen den Krieg. In: Neues Deutschland, 05. 09. 1951, S. 1; o. A.: Wir gedenken unserer Toten. In: Berliner Zeitung, 05. 09. 1951; o. A.: Kampftag gegen Krieg und Faschismus. In: Neue Zeit, 05. 09. 1951, S. 2. 1369 O. A.: Jugend-Friedensdemonstration in Gelsenkirchen. Münchener Studenten gegen Adenauer-Kurs / Dr. Heinemann: Bonn Entschlossenheit entgegensetzen. In: Neues Deutschland, 23. 12. 1951, S. 1; fast wortgleich: o. A.: Jetzt den Schumannplan bekämpfen. In: Berliner Zeitung, 23. 12. 1951, S. 1. 1370 O. A.: Der Mörder sitzt in Bonn. In: Neues Deutschland, 05. 03. 1955, S. 2; o. A.: Braucht ihn Bonn für Kriegsgegner? In: Berliner Zeitung, 15. 03. 1955, S. 1; o. A.: Bonn deckt den Mörder. In: Neue Zeit, 15. 03. 1955, S. 2. 1371 Siehe Jörg Friedrich: Die kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik. 2. Aufl. München: Piper 1994, S. 387–400. 1372 Siehe Michael Lemke: Instrumentalisierter Antifaschismus und SED-Kampagnenpolitik im deutschen Sonderkonflikt 1960–1968. In: Jürgen Danyel (Hrsg.): Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten. Köln [u. a.]: Böhlau 1993, S. 61–86.

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Süddeutsche Zeitung nachgedruckt, in welchem er beklagt, dass die Zeitung »für Weißwursterinnerungen und andere materielle Dinge genügend Platz habe, nicht aber eine Zeile für die Opfer der Schreckensherrschaft«, dass »offenbar Magda Goebbels und andere Nazigrößen wieder aktueller sind als jene, die einst unter Lebensgefahr dem Verderben unseres Volkes entgegengetreten sind«.1373 Einige Ausgaben später wird im Neuen Deutschland ein Leserbrief »An den Vater der Geschwister Scholl, München!« von Hartmut Colden aus Weimar abgedruckt, der Beispiele für Gedenken in der DDR anführt und betont, die dortige Jugend sei »entschlossen, ein neues Stalingrad, erneut zerstörte deutsche Städte und einen neuen 22. Februar 1943 zu verhindern«.1374 In den folgenden Jahren bis 1970 finden sich in den Zeitungen zahlreiche ADN-Meldungen über tagespolitische Stellungnahmen Roberts Scholls im Rahmen seines Engagements für die Gesamtdeutsche Volkspartei, als Redner auf Veranstaltungen oder als Mitunterzeichner von öffentlichen Aufrufen von Organisationen wie der Deutsche Friedensunion (DFU) oder der westdeutschen VVN. Scholl wird in solchen Meldungen als »Vater der Geschwister Scholl« und »führende westdeutsche Persönlichkeit« präsentiert.1375 In Pressemeldungen ruft er die »Bevölkerung zum Kampf gegen die Pariser Verträge« auf,1376 vergleicht die »Kommunistenverfolgung« mit der »Ketzerverfolgung im Mittelalter1377 oder »warnt« in Zusammenhang mit der Berufung Hans Speidels zum Oberbefehlshaber der alliierten Landstreitkräfte in Mitteleuropa vor dem »Nazigeneral«.1378 In anderen Meldungen wird er zitiert mit dem Appell »an die westdeutsche Bevölkerung, ›nicht noch einmal durch Gleichgültigkeit und Passivität schuldig zu werden‹« und »die tödliche Bedrohung durch den Atomtod nicht mehr länger untätig hinzunehmen«.1379 Unter Überschriften wie »Gewissen gegen Bonner Wahn«1380 wird Robert Scholl als Fürsprecher einer »gesamtdeutsche[n] Verständigung«1381 dargestellt.

1373 O. A.: Mahnung des Vaters der Geschwister Scholl. Kämpfer gegen Hitler müssen mehr denn je Vorbild jedes Deutschen sein. In: Neues Deutschland, 02. 03. 1952, S. 3. Auf der gleichen Seite unter der Überschrift »Baracken – Kasernen – Bankpaläste« ein »Augenzeugenbericht aus Kiel« des »westdeutschen Korrespondenten«, der besonders auf massenhafte Jugendarbeitslosigkeit abhebt. 1374 Hartmut Colden: An den Vater der Geschwister Scholl, München! . In: Neues Deutschland, 08. 05. 1952, S. 6. 1375 O. A.: DFU wird diffamiert und behindert. In: Neues Deutschland, 12. 09. 1961, S. 7. 1376 O. A.: Robert Scholl ruft Bevölkerung zum Kampf. In: Berliner Zeitung, 22. 01. 1955, S. 2. 1377 O. A.: »…erinnert an die Ketzerverfolgung«. Ehemalige Widerstandskämpfer gegen faschistischen Terror in Westdeutschland. In: Neue Zeit, 16. 05. 1956, S. 2. 1378 O. A.: Vater der Geschwister Scholl warnt vor Nazigeneral. In: Neues Deutschland, 28. 02. 1957, S. 1. 1379 O. A.: Robert Scholl appelliert. In: Neue Zeit, 31. 03. 1963, S. 2. 1380 O. A.: Gewissen gegen Bonner Wahn. In: Berliner Zeitung, 29. 04. 1965, S. 1.

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Scholl vertrat in den 1950er- und 1960er-Jahren öffentlich durchaus wirtschaftsliberale Positionen,1382 lehnte jedoch sowohl den Kommunismus als auch die Politik der Westintegration und der Wiederbewaffnung ab und trat für die Gestaltung einer »Ko-Existenz mit dem kommunistischen Osten« ein.1383 Er war 1952 Mitbegründer der Gesamtdeutschen Volkspartei1384 und vertrat diese 1954 als Gast beim Parteitag der CDU in Weimar,1385 wo sein Grußwort auf große Resonanz stieß, wie die Neue Zeit berichtete: Mit lebhaftem Beifall begrüßte der Parteitag dann den Oberbürgermeister a. D. Scholl aus Ulm, den Vater der unvergessenen, von den Nazis ermordeten Geschwister Scholl. Er betonte, es sei das erste Mal, daß er an einer politischen Versammlung in der DDR teilnehme. Die Delegierten sollten nicht erwarten, erklärte Scholl, daß er nun etwa eine Lobeshymne anstimmen werde über das, was er hier sah und hörte. Er müsse jedoch betonen, daß er in unserer Republik einen harmonischen Geist vorgefunden habe, daß er sah, hier gibt es kein Gegeneinander, sondern nur ein Für- und Miteinander. Hier gibt es nicht, wie in Westdeutschland, Unterschiede nach Klassen und Gesellschaftsschichten. […] Der Vater der Geschwister Scholl erklärte, er sei anfänglich kein Gegner Dr. Adenauers gewesen, nachdem dieser noch 1947 davon gesprochen habe, daß er mit der deutschen Abrüstung und einer Neutralisierung Deutschlands völlig einverstanden sei. […] Lebhafter Beifall dankte dem westdeutschen Gast, nachdem er unterstrichen hatte, wer Verhandlungen und Gespräche der Deutschen untereinander ablehne, könne nicht behaupten, daß er ein Christ sei.1386

Die Berichterstattung über den Auftritt Robert Scholls erfolgte ausschließlich in der Neuen Zeit. Dies zeigt, dass die verschiedenen Tageszeitungen zwar die zentral über die ADN gesteuerten Kampagnen bedienten, aber die DDR-Presse dennoch nicht als homogen betrachtet werden kann, da die unterschiedlichen Organe zielgruppenspezifische Akzente setzen.1387 Im Kontext der Neuen Zeit 1381 O. A.: Vater der Geschwister Scholl fordert gesamtdeutsche Verständigung. In: Neues Deutschland, 18. 07. 1953, S. 1. 1382 Siehe AZ-Gespräch mit Robert Scholl zum 20. Juli: Hans und Sophie würden auch heute protestieren. Der Vater der hingerichteten Studenten meint: Zu viele Gesetze und zu wenig Freiheit. In: Abendzeitung (München), 20. 07. 1962. 1383 Siehe auch Robert Scholl: Abkehr vom Kalten Krieg. In: Blätter für deutsche und internationale Politik (1959), Nr. 12, S. 1011–1015. 1384 Zur Geschichte und politischen Positionierung der GVP siehe Josef Müller : Die gesamtdeutsche Volkspartei. Entstehung und Politik unter dem Primat nationaler Wiedervereinigung 1950–1957. Düsseldorf 1990. 1385 Der vollständige Text seiner Rede entspricht inhaltlich der Zusammenfassung im Bericht der Neuen Zeit. Siehe das Manuskript in ACDP, Zentralbestand Ost-CDU, 07–011–2027 sowie gedruckt in: Parteileitung der Christlich-Demokratischen Union (Hrsg.): Bericht vom 7. Parteitag in Weimar vom 22.–25. September 1954. Halle (Saale): Kreuz-Verlag 1954. 1386 O. A.: Diskussionsbeitrag des Oberbürgermeisters a. D. Scholl. In: Neue Zeit, 25. 09. 1954, S. 5. Siehe auch o. A.: Im Füreinander liegt die Stärke. In: Neue Zeit, 25. 09. 1954, S. 1. 1387 Siehe Anke Fiedler, Michael Meyen: Jenseits von Gleichförmigkeit und Propaganda: Warum es sich lohnt, DDR-Zeitungen zu untersuchen. In: Anke Fiedler, Michael Meyen

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deutet sich in Artikeln zur Weißen Rose ab Ende der 1950er-Jahre ein Spannungsfeld zwischen antiwestlicher Propaganda und spezifisch-christlicher Traditionsbildung im CDU-Kontext an. 1958 widmet die Neue Zeit als einzige Tageszeitung dem fünfzehnten Jahrestag des 22. Februar einen Leitartikel, der jedoch das Gedenken der Kritik am fehlenden »Nachdenken über die Vergangenheit« in der Bundesrepublik nachordnet.1388 Aufhänger des Artikels ist die nach Protesten vom Akademischen Senat beschlossene Änderung der lateinischen Inschrift der Gedenktafel im Lichthof der Universität München von »Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben« zu »Die Toten verpflichten die Lebenden«.1389 Im Jahr zuvor skandalisierte die Zeitung in einem ausführlichen Artikel die Umwandlung des Hinrichtungsraums des Stadelheimer Gefängnisses in eine »Autowerkstatt«1390 – ein Sachverhalt, der wenige Monate zuvor in der Bundesrepublik in der katholischen Wochenzeitung Der Christliche Sonntag kritisiert worden war.1391 Der »Staat Bayern« schände das »Andenken der Märtyrer«, das »schmutzige Oel« werde »jetzt in jene Betonrinne [ge]schüttet, in der einst das Blut der Opfer abfloß«, und »das Kruzifix, zu dem die Todgeweihten in ihrer letzten Minuten aufgeschaut hatten«, hänge zwar mit einer Gedenktafel im Vorraum der Gefängniskirche, aber ohne Nennung von Namen und Verweis auf den Grund, warum diese Menschen »unter diesem Kreuze starben«.1392 Stellvertretend für »Arbeiter und Ingenieure, Künstler, Studenten, Priester und Offiziere«, die hier hingerichtet wurden, wird in dem Artikel ausführlich auf die Weiße Rose eingegangen.1393 Zitiert wird sowohl aus Inge Scholls Buch, als auch aus den Flugblättern, deren Aussagen auf die aktuelle Situation in der Bundesrepublik bezogen werden: In einem Flugblatt der »Weißen Rose« aus dem Jahre 1942 heißt es – und wir erkennen bestürzt, daß diese Worte im Schatten einer neuen restaurativen Entwicklung, welche die Chance des Neubeginns nach der Katastrophe erstickte, nichts an Aktualität verloren haben: »Sollte dies ein Zeichen dafür sein, daß die Deutschen in ihren primitivsten menschlichen Gefühlen verroht sind, daß keine Saite in ihnen schrill aufschreit im Angesicht solcher Taten, daß sie in einen tödlichen Schlaf versunken sind, aus dem es kein Erwachen mehr gibt, nie, niemals? … Ein jeder will sich von einer solchen Mitschuld freisprechen, ein jeder tut es und schläft dann wieder mit ruhigstem, bestem

1388 1389 1390 1391 1392 1393

(Hrsg.): Fiktionen für das Volk. DDR-Zeitungen als PR-Instrument. Berlin: LIT 2011, S. 7– 24. O. A.: Der Spruch vom süßen Sterben. In: Neue Zeit, 22. 02. 1958, S. 4. Ebd. Zur Kontroverse um das sog. »Adlergitter« siehe Hikel, Anm. 49, S. 171–176. O. A.: Ihr Sterben darf nicht umsonst gewesen sein! Bayern schändet das Andenken der Märtyrer – Hinrichtungsraum wurde Autowerkstätte. In: Neue Zeit, 11. 04. 1957, S. 3. O. A.: Immer noch Reparaturwerkstatt. In: Der christliche Sonntag, 25. 12. 1956. O. A., Anm. 1390. Ebd.

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Gewissen. Aber er kann sich nicht freisprechen, ein jeder ist schuldig, schuldig, schuldig!«1394

Der Artikel ist mit Fotos des Krematoriums des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald und Bauarbeiten für die nationale Gedenkstätte bebildert, die »durch Sammlungen für diese Ehrung der Opfer des Faschismus« durch die »Bevölkerung« finanziert werde.1395 Die Bilder beziehen damit den in Antwort auf Henriette von Schirachs Der Preis der Herrlichkeit formulierten Schluss des Textes auf die DDR, nämlich dass »eine Menge Leute, kleine und große Leute, Arbeiter und Ingenieure, Künstler, Studenten, Priester und Offiziere vom Karussell abgesprungen sind, um sich nicht in unlösbarer Schuld zu verstricken«.1396 Die sich hier andeutende Integrationsfunktion der Bezugnahme auf die Weiße Rose hinsichtlich der Zielgruppe der Neuen Zeit verstärkte sich im Laufe der 1960er-Jahre.1397 Zur Gewinnung von Christen in der DDR für ein »Bekenntnis zum Sozialismus« wird auch die offizielle Widerstandserinnerung zum Argument, wenn etwa Horst Schumann in einem Rundtischgespräch betont: Wir als Marxisten bekämpfen mit gleicher Entschiedenheit den Antikommunismus wie den Mißbrauch des Christentums, und wir wissen wohl einen Trennungsstrich zu ziehen zwischen solchen christlichen antifaschistischen Widerstandskämpfern wie den Geschwistern Scholl oder Pfarrer Schneider und einem Bischof Dibelius, der die Atomaufrüstung in Westdeutschland zu rechtfertigen sucht.1398

Wenn auch im Neuen Deutschland und in der Berliner Zeitung einschlägige Artikel zur Weißen Rose bis 1963 ausbleiben, werden die Geschwister Scholl ab 1960 ebenso wie Stauffenberg zunehmend wieder Teil des Namenskanons des staatlichen Antifaschismus. So schreibt das Zentralkomitee der SED in einem öffentlichen Brief anlässlich des »15. Jahrestags der Befreiung Deutschlands vom Faschismus«, »der Name Ernst Thälmann vereinigte sich« im antifaschistischen Widerstandskampf »mit den Namen Rudolf Breitscheids, Theo Neubauers, der Geschwister Scholl und des Grafen von Stauffenberg«, denn: »Ihnen allen war der Friede und die Nation heilig«.1399 Mit »Frieden« und »Nation« sind Schlagwörter aufgerufen, deren Bedeutung 1394 1395 1396 1397 1398

Ebd. Ebd. Ebd. Siehe hierzu Kapitel V.2.5. O. A.: Miteinander in sicherem Vertrauen. Rundtischgespräch junger Christen mit Horst Sundermann und Hans Schumann. In: Neue Zeit, 07. 03. 1961, S. 3. 1399 Brief des ZK der SED zum 15. Jahrestag der Befreiung Deutschlands vom Faschismus. In: Neues Deutschland, 23. 03. 1960, S. 3. Die Formulierung des letzten Satzes wird in der Folgezeit häufig wortgleich übernommen, siehe bspw.: o. A.: Schwur von Buchenwald. In: Berliner Zeitung, 08. 05. 1960, S. 3.

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sich im Zuge des Mauerbaus veränderte, und die in ihrer Funktion auf ein Wechselspiel zwischen Abgrenzung zur Bundesrepublik und »Mobilisierung der DDR-Bevölkerung« verweisen.1400 Hierbei spielten neben politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Maßnahmen auch Geschichtspolitik und Geschichtsvermittlung eine Rolle – auch die Errichtung der Nationalen Mahnund Gedenkstätten kann in diesem Kontext betrachtet werden.1401 Die Geschwister Scholl werden in diesem Zusammenhang in die in Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück erinnerten Persönlichkeiten eingereiht: »Aufrecht und treu ihrer großen Idee ergeben, gingen sie ihren letzten Gang wie der Kommunist Ernst Thälmann«.1402 Die Etablierung antifaschistischer Traditionen erfolgt jedoch nicht nur in Bezug auf die DDR. 1961 bringt die Berliner Zeitung keinen Artikel zum Jahrestag am 22. Februar, aber wohl kaum zufällig einen Tag zuvor einen Essay »Münchner Geschichte«, der die Antinazistische Deutsche Volksfront als Pendant zu den Geschwistern Scholl in die Stadtgeschichte einschreibt: München – Stadt im Herzen Bayerns; Oktoberfest, Theresienwiese, Weißwürstl; Hofbräuhaus, Stachus, Frauenkirche, Schwabing – München, Stadt mit 800jähriger Vergangenheit. Zu ihrer Geschichte gehören die Tage der Bayrischen Räterepublik und die mutige Tat der Geschwister Scholl. Zu ihrer Geschichte gehört das Wirken einer antifaschistischen Widerstandsgruppe, die durch die brüderliche Zusammenarbeit mit einer von kriegsgefangenen sowjetischen Offizieren geschaffenen Geheimorganisation sich selbst ein bleibendes Denkmal setzte.1403

Zum 20. Jahrestag wird die Weiße Rose 1963 in der DDR-Presse wieder breit gewürdigt. Hierbei fallen wiederum Unterschiede zwischen der Neuen Zeit und dem Neuen Deutschland auf. Schon der Titel »Lebten die Geschwister Scholl noch…« des ausführlichen Essays von Jochen Lunte in der Neuen Zeit verweist auf die gegenwartsbezogene Frage, der sich gut die Hälfte des Textes widmet: »Lebten die Geschwister Scholl noch, was würden sie von einer bundesdeutschen Gegenwart halten, in der vertuscht, vergessen und die Fahne gewechselt wird?«1404 In das Layout der Seite ist neben einem großen Foto von Robert Scholl ein zweiter, mit der Überschrift »Freiheitsliebe und christlicher Glaube« versehener Text eingebunden, nämlich ein Auszug aus einem Artikel von Pfarrer 1400 Hermann Weber : Die DDR 1945–1990. München: Oldenbourg 2012, S. 61. 1401 Siehe Julia Reuschenbach: »Tempel des Antifaschismus«? – Die Nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR. In: Deutschland Archiv, 26. 1. 2015, Internet: http://www.bpb.de/ 199442, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 1402 O. A.: Ständige Mahnung und Verpflichtung: Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück. In: Neues Deutschland, 09. 09. 1962, S. 6. 1403 Henry Heinig: Münchner Geschichte. In: Berliner Zeitung, 21. 02. 1961, S. 3. 1404 Jochen Lunte: Lebten die Geschwister Scholl noch… Zur 20. Wiederkehr des Tages ihrer Ermordung. In: Neue Zeit, 24. 02. 1963, S. 6.

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Walter Feurich aus der CDU-Bezirkszeitung Die Union. In diesem Text werden andere Fragen gestellt: Wer waren diese jungen Menschen? Was trieb sie zum Handeln? Sie waren geprägt von den besten Kräften des deutschen Bürgertums […]. Christlicher Glaube, aber auch der deutsche Idealismus wie die Philosophen der Antike formten sie. Der letzte Anstoß zum Handeln waren aber die Erfahrungen des unsinnigen Krieges, den sie als Angehörige der medizinischen Studentenkompanien miterlebt hatten. Die Geschwister Scholl wurden in ihrem Lebensgange entscheidend durch den Geist ihres Elternhauses bestimmt. Katholischen [sic] Glauben und freiheitliche Bürgergesinnung lebten ihnen die Eltern vor.1405

So wird die Weiße Rose christlich und bürgerlich verortet, während der Hauptbeitrag antifaschistische Motive der Gruppe betont, nämlich »ihre Zeitgenossen über die Verbrechen des Naziregimes aufzuklären« und im Zeichen eines ›»vernünftigen Sozialismus‹« zur »Auseinandersetzung mit Problemen einer gesellschaftlichen Neuordnung nach der Niederlage des Nationalsozialismus« aufzurufen.1406 Auch das Neue Deutschland widmet der Weißen Rose unter der Überschrift »Eine Tat für das Volk« eine Dreiviertelseite. Ein ausführlicher Artikel von Werner Müller geht von der Flugblattaktion am 18. Februar und ihrer Hinrichtung im Stadelheimer Gefängnis aus, »wo bereits seit den Tagen der Novemberrevolution viele aufrechte deutsche Demokraten und Kämpfer der Arbeiterbewegung eingekerkert oder ermordet wurden«.1407 Die Mitglieder der »Gruppe ›Weiße Rose‹« werden als »[h]umanistische Patrioten« und ihre Aktionen als »Beispiel« dargestellt, das »beweist, wie unter dem Eindruck der Katastrophenpolitik des Faschismus günstige Voraussetzungen entstanden, die große Einheitsfront der Antifaschisten und Hitlergegner aus allen Klassen und Schichten zu schaffen«.1408 Damit soll vor allem der Erfolg der KPD-Strategie belegt werden, die überhaupt die Voraussetzung für effektiven Widerstand durch Gruppen wie die Weiße Rose geschaffen habe. Durch die Formierung des NKFD, das den »selben Geist der patriotischen Verantwortung vor der Nation beseelte«, sei »auch ihr Kampf für ein freies Deutschland nicht vergeblich« gewesen.1409 Vermittelt durch den Verweis auf das »Andenken der akademischen Jugend von 1813« im letzten Flugblatt, das unter großflächigen Fotografien Hans und Sophie Scholls unter der Überschrift »Dem Vorbild von 1813 getreu« neben dem Artikel abgedruckt ist, wird in diesem Zusammenhang der antifaschisti1405 Walter Feurich: Freiheitsliebe und christlicher Glaube. In: Neue Zeit, 24. 02. 1963, S. 6. 1406 Lunte, Anm. 1404. 1407 Werner Müller : Eine Tat für das Volk. Vor 20 Jahren riefen Hans und Sophie Scholl zum Kampf gegen den Hitlerfaschismus auf. In: Neues Deutschland, 19. 02. 1963, S. 4. 1408 Ebd. 1409 Ebd.

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sche Widerstandskampf mit dem »Kampf gegen das Napoleonische Joch« parallelisiert und damit in eine nationale Tradition gerückt.1410 Unter dem Artikel ist in Faksimile ein von Walter Ulbricht gezeichnetes, an die »eingekesselten Soldaten der faschistischen 6. Armee im Winter 1942/43« gerichtetes Flugblatt abgedruckt.1411 Der Gegenwartsbezug ist einem in der linken Spalte unten gesetzten Kommentar vorbehalten, in welchem argumentiert wird, daß das »Vermächtnis« der Geschwister Scholl und der »Schwur von Buchenwald« in der DDR erfüllt seien, deren Existenz selbst das »wichtigste und bedeutendste Denkmal« für die »Kämpfer gegen Faschismus und Krieg« darstelle, wogegen im »westdeutschen Staat« weiterhin »die gleichen imperalistischen Kräfte, die Hitler zur Macht brachten«, herrschten.1412 Die Ankündigung eines Sonderhefts der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft auf der gleichen Seite verweist auf den weiteren Kontext der insgesamt über die Gegenwartsbezüge dominanten Traditionsbezüge: das Projekt der SED, auf der Grundlage des Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung ein »geschlossenes nationales Geschichtsbild der deutschen Arbeiterklasse auszuarbeiten«.1413 Die Heraushebung der Weißen Rose zum Jahrestag 1963 kollidierte hierbei mit der im Grundriß dogmatisch verallgemeinerten These des »entscheidenden Einflu[sses] kommunistischer Parteiorganisationen« auf den »illegalen Widerstandskampf« in Deutschland, die einen Monat später in einen Bericht des Münchener KPD-Mitglieds Oskar Neumanns im Neuen Deutschland als gerahmtes Zitat eingebunden wird.1414 Neumann, über dessen zwischenzeitliche Verhaftung in der Bundesrepublik 1961 in der DDR-Presse wiederholt informiert wurde,1415 berichtet »[a]nknüpfend an die Ehrungen für die Geschwister Scholl in der DDR« von eigenen »Kenntnissen und Erfahrungen« über den Kampf »Münchner Studenten gegen den Faschismus«.1416 Anlass seien »Anfragen unserer Leser über den Charakter und das Ausmaß des antifaschistischen Widerstandskampfes unter der akademischen Jugend in den Jahren des zweiten Weltkrieges«.1417 Neumann betont in diesem »Bericht«, die Weiße Rose sei »kein Sonderfall« und in »Zusammenhang mit einer breiteren antifaschistischen Arbeit an den Münchner Hochschulen« zu sehen, um »Versuchen der westdeutschen Presse« zu begegnen, »die Geschwister Scholl und ihre Freunde isoliert, 1410 1411 1412 1413 1414

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. O. A.: Wie Münchner Studenten gegen den Faschismus kämpften. Genosse Oskar Neumann beantwortet Fragen unserer Leser. In: Neues Deutschland, 29. 03. 1963, S. 5 1415 O. A.: Freiheit für Oskar Neumann! Freiheit für den Frieden! In: Neues Deutschland, 05. 10. 1961, S. 2. 1416 O. A., Anm. 1414. 1417 Ebd.

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losgelöst von diesen Zusammenhängen hinzustellen und das Märtyrertum von Hans und Sophie Scholl als heldisch, aber aussichtslos zu bewerten«.1418 Neumann berichtet von Verbindungen Münchner Studenten zur »illegalen KPD« und zu Angehörigen des »sozialdemokratischen oppositionellen Reichsbanners«: Mir ist bekannt, daß wir über dieses Verbindungssystem auch Kenntnis von der Entwicklung des Zentrums um die Geschwister Scholl und Alexander Schmorell erhielten. Es war möglich, der Gruppe »Weiße Rose« verschiedene Hinweise zur Arbeitsmethodik, aber auch zum politischen Inhalt zukommen zu lassen, insbesondere in der entscheidenden Frage, gegen die antibolschewistische Hetze als das Kernstück der faschistischen Massenverblendung aufzutreten. Bekanntlich hat das schließlich auch in den Flugblättern der Geschwister Scholl seinen Niederschlag gefunden, wobei sich diese Linie innerhalb der »Weißen Rose« im Widerstreit mit anderen Einflüssen durchsetzen mußte.1419

Dass das Neue Deutschland in diesem Bericht historische Tatsachen fingierte und diese durch persönliches Erleben eines ›Zeitzeugen‹ authentifizierte, blieb nicht unbemerkt. In einer Fußnote bemerkt der Historiker Karl-Heinz Jahnke in seinem 1969 im Röderberg-Verlag in der Bundesrepublik erschienenen Buch Weiße Rose contra Hakenkreuz, es habe – »[n]ach mündlichen Mitteilungen Oskar Neumanns im Juni 1965« an Jahnke – keine solchen Verbindungen gegeben, Neumann sei zu dem Zeitpunkt »selbst noch nicht Mitglied der KPD« gewesen.1420 Solche im Rahmen eines ›geschlossenen Geschichtsbilds‹ notwendigen Konstruktionen sind 1963 im Kontext der Bemühung um ein historisch legitimiertes »Nationalbewußtsein« zu sehen:1421 Die »historische[n] Tatsache[n]« sollten den »Schluß« zulassen, »daß die in der Deutschen Demokratischen Republik zur Macht gelangte Arbeiterklasse, gemeinsam mit den Bauern und den demokratischen Teilen des Bürgertums, mit Recht Anspruch erheben kann, die Sache der Nation zu repräsentieren«.1422 1968 verfasste Jahnke den Artikel zum Jahrestag des 22. Februar 1943 im Neuen Deutschland. Hier folgert er zurück1418 1419 1420 1421

Ebd. Ebd. Jahnke, Anm. 379, S. 37. Fritz Klein: Das Land sind wir. Nationalbewußtsein in Vergangenheit und Gegenwart. In: Berliner Zeitung, 27. 10. 1963, S. 13: »Wahres Nationalbewußtsein zeigten die Geschwister Scholl in München, die Kämpfer des NKFD mit Walter Ulbricht im Schützenloch an der Ostfront, die Kameraden der Widerstandsgruppe Schulze-Boysen-Harnack/Harnack in Berlin und die deutschen Partisanen in Frankreich. Sie alle kämpften damals gegen Hitlerdeutschland für Deutschland«. 1422 O. A.: In breiter Front gegen Hitler. In: Neues Deutschland, 08. 09. 1963, S. 4. Der SchulzeBoysen/Harnack-Gruppe werden 1963 im Kontext des OdF-Gedenktags wiederum Verbindungen u. a. zu den Geschwistern Scholl zugeschrieben.

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haltender aus dem Beispiel der Weißen Rose, dass die »Bedingungen für die Vereinigung aller demokratischen Kräfte des deutschen Volkes, entsprechend der von der KPD ausgearbeiteten Einheit- und Volksfrontpolitik, […] günstiger geworden« waren.1423 Dies deutet Veränderungen der Bedingungen der Historisierung und Vermittlung der Geschichte der Weißen Rose in der DDR im weiteren Verlauf der 1960er-Jahre an.1424

IV.3.2 »Das Problem des Buches ist überhaupt Hans Scholl«: Curt Letsches Roman Und auch in jener Nacht brannten die Lichter und konfligierende Maßstäbe der Zensur Widersprüche bezüglich der historischen Einordnung und des Stellenwerts der Weißen Rose in der DDR während der zweiten Hälfte der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre zeigt die Veröffentlichungsgeschichte von Curt Letsches 1960 im FDJ-Verlag Neues Leben erschienenen Jugendroman Und auch in jener Nacht brannten die Lichter, der die Geschichte von zwei Arbeiterjungen in Ulm mit der von Hans Scholl und der Weißen Rose verbindet. Der Roman war die erste größere Arbeit des Mitglieds der Arbeitsgemeinschaft junger Autoren, die in der DDR veröffentlicht wurde. Seine Biografie und sein Status als Übersiedler aus der Bundesrepublik machten Letsche zu einem für den offiziell organisierten Literaturbetrieb interessanten Nachwuchsautor.1425 Auszüge aus dem Roman wurden 1958 in der Literaturzeitschrift NDL – neue deutsche literatur vorabgedruckt.1426 Letsche verarbeitete in seinem Text autobiografische Elemente,1427 1423 Karl-Heinz Jahnke: Im Glauben an Freiheit und Ehre. Vor 25 Jahren starben die Geschwister Scholl unter dem Beil der faschistischen Henker. In: Neues Deutschland, 17. 02. 1968, S. 15. 1424 Siehe Kapitel V.II.2. 1425 Demnächst im Lexikon? Porträts junger Autoren. Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 1961, S. 47. 1426 Curt Letsche: Der Fall Rudi Pflüger. In: NDL (1958), Nr. 12, S. 59–65. 1427 Der 1912 in Zürich geborene Letsche wuchs ab 1920 in Ulm auf und absolvierte dort eine Lehre zum Buchhändler. Er war vorrübergehend NS-Anhänger und Mitglied der SA in Ulm, trat 1935 aber aus und führte in Freiburg i. B. eine christliche Buchhandlung mit einer Druckerei und zwei Verlagen, zudem war er Verleger des evangelischen SchriftenVerlags in Basel. Letsche unterhielt Kontakte zu verschiedenen Widerstandskreisen und zu bündischen Gruppen in Ulm. Er verlegte illegale Schriften, u. a. Ernst Redens, der als Rekrut in Ulm stationiert war und Kontakte zu Hans, Werner und Inge Scholl pflegte. 1939 wurde Letsche von der Gestapo festgenommen und 1940 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach 1945 wirkte er als Verleger in Süddeutschland, bevor er 1957 in die DDR übersiedelte und zunächst als Kreisbibliothekar in Magdeburg und später in thüringischen Orten und in Jena als freier Schriftsteller lebte. Letsche wurde vor allem durch Kriminal- und Science-Fiction-Romane bekannt, veröffentliche zu Lebzeiten aber noch einen weiteren Roman zur Thematik des antifaschistischen Widerstands: Das Schafott

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was der Verlag in seinem Antrag auf Druckgenehmigung als »beträchtlichen Wert« bezeichnet, der »kleinere gestalterische Mängel« ausgleiche.1428 Die Handlung des aus vier Kapiteln bestehenden Romans setzt Mitte der 1930er-Jahre in Ulm ein. Der zu Beginn 15jährige Protagonist Rudi Pflüger kommt aus einem unpolitischen Arbeiterhaushalt, sein Vater ist arbeitslos, steht dem Nationalsozialismus zunächst eher distanziert gegenüber. Rudi selbst ist zu diesem Zeitpunkt unpolitisch. Das erste Kapitel schildert, wie er und sein Freund Fritz Wanner auf einem Zeltlager der HJ eine Gruppe Oberschüler kennenlernen, darunter Hans Scholl, der das Lager eigenwillig führt. Dieser lässt – in Anlehnung an die entsprechende Episode in Inge Scholls Buch – statt der offiziellen HJ-Flagge eine von seiner Schwester gestickte Fahne mit Drachenmotiv hissen. Er wird aus diesem Grund vom Stammführer abgesetzt. Rudi und Fritz schließen sich den Oberschülern an, die ein eigenes Lager eröffnen und sich durch einen Streich an den HJlern rächen wollen. Die Gruppe lernt zufällig Ernst Rieger – angelehnt an die historische Person Ernst Reden – kennen, der als Rekrut in der Gegend stationiert ist und die Schüler mit verbotenem Liedgut der bündischen Jugend bekannt macht, das besonders Hans fasziniert. Dieser schlägt vor, in der Gruppe selbstorganisiert Heimabende und Fahrten durchzuführen: »›Das hat mit Politik nichts zu tun. Davon wollen wir nichts wissen. Aber wir‹, er klopfte sich auf die Brust, ›wir wollen unser eigenes Leben gestalten und uns keine Vorschriften machen lassen.‹«1429 Das zweite Kapitel beschreibt die Entwicklung der Arbeiterjungen und der Oberschüler um Hans Scholl bis zu ihren Widerstandsaktionen. Rudi, Fritz und ihr Freund Richard Mälzer nehmen auch nach Beginn ihrer Lehre an den Heimabenden der Oberschüler und an einer von Ernst Rieger und Hans organisierten Fahrradtour teil. Hans reagiert bei einer Kontrolle durch eine HJStreife unvorsichtig, wird gemeldet und nach seiner Rückkehr verhaftet und verhört. Auch Rudi und ein weiterer Oberschüler, Michael Fischer, werden von der Gestapo zu den Heimabenden und der Fahrt befragt. Letzterer kommt nach dieser Erfahrung der Aufforderung seines Vaters nach, in die HJ einzutreten und überredet auch Rudi mitzukommen. Dieser ist aber vom Drill abgeschreckt und lässt sich trotz Druck seines Vaters, der inzwischen Arbeit gefunden und NSSympathisant geworden ist, nicht zur Teilnahme an weiteren Treffen überreden. erschien 1979 sowohl in der DDR als auch in Lizenz beim Röderberg-Verlag in der Bundesrepublik. Ein weiterer Text, Schnittpunkte 1945 erschien posthum bei Pahl-Rubenstein. Zur Biografie und Bibliografie siehe Curt Letsche, Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/ Curt_Letsche, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 1428 Hoffmann: Verlagsgutachten zum Druckgenehmigungsvorgang zu Curt Letsche: Auch in jener Nacht brannten die Lichter (Die Gruppe), o. D. [1959]. In: BArch, DR 1 (5027), Blatt 214. 1429 Curt Letsche: Auch in jener Nacht brannten die Lichter. Berlin (Ost): Neues Leben 1960, S. 56.

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Stattdessen verbringt er seine Zeit mit Fritz und Richard. Gemeinsam beschließen die drei Lehrlinge, eine HJ-Feier anlässlich Hitlers Geburtstag zu stören. Nach einiger Zeit treffen sie Hans wieder, dem Michael glaubhaft gemacht hat, die Jungen seien zur HJ gewechselt. Nachdem sie ihm von ihrer Aktion berichten, lädt er sie ein, wieder an gemeinsamen Abenden teilzunehmen. Dort treffen sie auch Ernst, der sie auffordert, mit ihm nach Stuttgart zu fahren, um Fred Brommer, einen kommunistischen Widerstandskämpfer, kennenzulernen. Fred klärt die Arbeiterjungen über politische Zusammenhänge auf: »›Faschismus ist eine der übelsten Formen der kapitalistischen Ausbeutung und darum ist der Kampf gegen ihn im Augenblick das erste Ziel, dem wir zustreben müssen‹«.1430 Wenige Wochen später verlässt Ernst Rieger Ulm und kündigt Rudi und Fritz an, Fred werde ihnen in Zukunft helfen. Am 9. November 1938 wird Rudi Zeuge der Pogromnacht und ist voller »Abscheu über dieses schreiende Verbrechen«.1431 Einen Monat später erhält er von einem Unbekannten den Auftrag von Fred, gemeinsam mit Fritz »zweihundert Aufrufe der Arbeiterinternationale gegen die Judenpogrome«1432 zu verstecken und zu verteilen. Der Unbekannte weist ihn auf Regeln der konspirativen Arbeit hin. Fritz wird jedoch in seinem Betrieb bei der Verteilung der Flugblätter erwischt, kommt in Schutzhaft und wird anschließend in die Wehrmacht eingezogen. Rudi beschließt nach dieser »bitteren Erfahrung […] in Zukunft genau nach den Anweisungen der erfahrenen Freunde zu handeln«,1433 wartet jedoch zunächst vergebens auf weitere Kontakte. Das dritte Kapitel handelt vom Widerstand der beiden Gruppen während des Krieges. Mit Kriegsbeginn fürchten Rudi und Richard ihre Einberufung und beschließen entgegen dessen Anweisung Fred aufzusuchen und ihn um Rat zu fragen, wie sie sich verhalten sollen. Jedoch trifft ihn Rudi nicht in seiner Wohnung an. Die Hausbesitzerin lädt ihn in die Wohnung ein, gibt vor Kuchen zu holen und verschwindet. Rudi wittert eine Falle und flüchtet aus der Wohnung und kehrt nach Ulm zurück, wo Rudi und Richard die Situation mit Richards politisch erfahrenem Vater, der früher Sozialdemokrat war und nun den Kommunisten nahesteht, beraten. Nach Richards Einberufung hält Rudi Kontakt mit den Familien von Fritz und Richard. Er wird selbst einberufen, aber dann von seinem Betrieb unabkömmlich gestellt. Drei Jahre nach ihrer letzten Begegnung trifft er Ernst, der ihm erklärt, dass die Gruppe noch existiere, Fred aber von der Hausbesitzerin verraten worden sei. Ernst regt Rudi dazu an, das in seinem Betrieb für die Wehrmacht hergestellte Material zu sabotieren. Zu dem Treffen 1430 1431 1432 1433

Ebd., S. 119. Ebd., S. 140. Ebd., S. 144. Ebd., S. 152.

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kommt später auch Hans hinzu, der Ernst mit dem Plan konfrontiert, selbst Flugblätter herzustellen. Dieser lehnt eine solche Einzelaktion ohne Deckung und politische Leitung rigoros ab: »Ich bin Marxist […] und kein Selbstmörder. […] Wenn die Partei – nein das verstehst du nicht – […] Wenn die Leitung nach sorgfältiger Abwägung der Erfolgsaussichten beschließt, daß Flugblätter für die Aufklärung der Massen notwendig sind, dann weiß ich, daß gleichzeitig alles getan worden ist, um unnötige Opfer zu vermeiden. […] Vielleicht muß ich dich daran erinnern, daß uns die Geschichte gelehrt hat, daß alle spontanen Aktionen zum Scheitern verurteilt waren. Ich glaube, diese Erfahrung wird uns genügen.«1434

Hans gibt sich nachdenklich, entgegnet aber, er sei nicht einverstanden, »daß nur eine geheimnisvolle Leitung darüber beschließen kann«.1435 Er lässt sich von seiner Idee nicht abbringen und versammelt die ehemaligen Oberschüler und die beiden Arbeiterjungen, um sie in seine Flugblattaktion einzubeziehen. Hierbei kommt es zu Meinungsverschiedenheiten. Rudi und Richard lehnen Hans’ Vorgehen ab, sich vor allem an die Elite zu richten und kritisieren die Flugblätter als unverständlich und die Bezüge auf »christliche[…] und abendländische[…] Kultur« als »Unsinn aus der Mottenkiste«.1436 Weil Hans Scholl behauptet, Ernst Rieger befürworte die Aktion, erklären sie sich widerwillig dazu bereit, eines der Flugblätter zu verteilen. Richard und Rudi werden schließlich einberufen. Mitte Februar 1943 sucht Ernst Rudi in Ulm auf, da Hans Scholl und seine Schwester verhaftet worden sind. Rudi begleitet Ernst nach München und erfährt, dass Ernst nichts von der Aktion wusste. Auf dem Münchener Bahnhof treffen Ernst und Rudi die Eltern Hans und Sophie Scholls, von denen sie erfahren, dass noch für denselben Tag die Verhandlung angesetzt sei. Ernst und Rudi gelingt es, unter Vorwand Zugang zum Volksgerichtshof zu erlangen; sie können so Hans und Sophie noch ein letztes Mal sehen. Auf der Heimfahrt nach Ulm tauschen Ernst und Rudi ihr Wissen aus und suchen nach Erklärungen für die missglückte Flugblattaktion. Ernst betont, dass er Hans mehrfach gewarnt habe und führt das Scheitern auf den Einfluss seines Professors und einer Fehleinschätzung der Ereignisse von Stalingrad zurück: »Ich sehe das so: Vor wenigen Wochen hat Hans den Krieg im Osten kennengelernt, und er war überzeugt, daß die Schlacht um Stalingrad für das ganze deutsche Volk ein deutlich sichtbares Zeichen sei, daß dieser Krieg endgültig verloren ist. Jetzt ist die Zeit für die große Wende – dieser Gedanke überschattete alle Gespräche in dem kleinen Münchener Kreis. Es bedürfe nur eines Zeichens, und alle Deutschen werden aufstehen 1434 Ebd., S. 182. 1435 Ebd., S. 183. 1436 Ebd., S. 191–192.

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wie ein Mann. […] Alles komme jetzt darauf an, daß die Elite der Nation […] vorangehe. Das war die Romantik des Auserwähltseins, das waren«, jetzt funkelten seine Augen böse, »jene religiösen Schwärmereien, mit denen jener fragwürdige Fromme diese jungen, von großen Idealen erfüllten Menschen der Wirklichkeit zu entfremden versuchte.«1437

Rudi berichtet Richards Vater vom Schicksal der Scholls. Dieser zitiert Lenin, ein Aufstand könne nur als »bewußte und vorbereitete Aktion […] im Bunde mit den Arbeitern« erfolgreich sein, und appelliert an Rudi, mit seinen Freunden den »Kampf gegen die Nazis« fortzuführen, da nur die Arbeiter in der Lage seien »einen Staat zu schaffen, wo es keine Faschisten gibt«.1438 Im letzten Kapitel wird Rudi in Berlin verhaftet und von einem GestapoKommissar Unterschmid verhört. Es stellt sich heraus, dass Hinweise in Aufzeichnungen Hans Scholls und eine Aussage Michael Fleischers die Gestapo auf seine Spur gebracht haben. Unterschmid macht Rudi eine Offerte, frei zu kommen, wenn er Ernst verriete, von dem die Gestapo durch die Vernehmung des Professors Kenntnis hat, dessen Aussage in der Verhörszene vorgelesen wird: »Nach einer solchen Unterredung war er weniger denn je geneigt, den nationalen Kampf gegen die bolschewistische Gefahr aus dem Osten als notwendig anzuerkennen, sondern bestand hartnäckig darauf, daß auch die Worte ›nicht der militärische Sieg über den Bolschewismus darf die erste Sorge für jeden Deutschen sein, sondern die Niederlage der Nationalsozialisten‹ aufgenommen wurden. Nach meinen Beobachtungen ist dieser Ernst ein wichtiger Verbindungsmann zu linksgerichteten, wahrscheinlich kommunistischen Jugendorganisationen, der auch in München weitere Gesinnungsfreunde hat.«1439

Rudi hält stand, gibt im Verhör keine weiteren Informationen preis und wird schließlich von Unterschmid hinterhältig erschossen. Sein Tod wird als Tod bei einem Angriff ausgegeben. Allerdings erregt der Genickdurchschuss bei der Obduktion den Verdacht eines Medizinstudenten. Es gelingt ihm, die Identität der Leiche zu ermitteln. Nach Kriegsende tritt er mit der Familie in Kontakt, Rudis Vater informiert Ernst Rieger, der Nachforschungen betreibt und Unterschmid ausfindig macht, der nun Oberinspektor bei der Kriminalpolizei einer westdeutschen Kleinstadt ist. Er kann sich an einen »Fall Rudolf Pflüger«1440 nicht erinnern, das von Ernst angestrengte Verfahren wird mangels Beweisen eingestellt. Die Geschichte wird linear entlang der des Protagonisten Rudi Pflüger ent1437 1438 1439 1440

Ebd., S. 228. Ebd. S. 233. Ebd., S. 266–267. Ebd., S. 278.

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wickelt. Die Erzählsituation ist extradiegetisch und heterodiegetisch. Große Teile der Handlung werden in Szenen entwickelt, andere wiederum intern fokalisiert durch Rudi und in einigen Passagen auch fokalisiert durch Ernst erzählt. Hierdurch vermittelt die Erzählung deren Perspektive, stellt Nähe her und erleichtert somit die Identifikation mit den Repräsentanten des Widerstands der Arbeiterjungen und der in der Partei organisierten Kommunisten. Die erzählerische Darstellung von Hans Scholl ist dagegen von Distanz geprägt, über seine konkreten Aktionen wird nur indirekt und im Nachhinein nach der Verhaftung von Ernst und Rudi berichtet. Zusammenfassende Erzählerkommentare sind eher rar. Durch diese Erzählweise erschließen sich dem Leser die Zusammenhänge sukzessive. Sie können somit zwar die Entwicklung und Politisierung Rudis durch Perspektivübernahme besser nachvollziehen, jedoch erst nach und nach die Zusammenhänge und die Relevanz bestimmter Episoden erschließen. Der Lektor stellt gegenüber der HV Verlage und Buchwesen die Problemstellung der Anlage des Romans wie folgt dar : Welcher Weg, welche Weltanschauung war in der Lage, den Faschismus zu besiegen. Die Antwort geben Aufbau und Handlung der Erzählung. Im Mittelpunkt stehen nicht etwa, wie bei dem Thema durchaus möglich gewesen wäre, die Geschwister Scholl und deren Gruppe, sondern Zentralfigur ist der Arbeiterjunge, der durch einen Zufall (vom Autor recht geschickt placiert) mit den Oberschülern bekannt wird.1441

Durch die Darstellung der Auseinandersetzungen »zwischen dem proletarischen und dem bürgerlichen Teil der Gruppe« sei es Letsche gelungen, zu zeigen, wo die Zukunft liegt: »nicht bei den Professoren, die Hans Scholl für ihre klerikalen Anschauungen einzuspannen versuchten, sondern bei [der] Arbeiterklasse«.1442 Durch diese Anlage sei »eine strenge Parteilichkeit« gewährleistet, »die sich auch mit der Aktion der Scholls kritisch befaßt, sie gebührend würdigt und in das richtige Licht« setze.1443 Von Interesse sei auch, dass außer dem Namen der Scholls »der des SS-Kommissars Unterschmid authentisch« sei und dieser »tatsächlich eine höhere Position in Westdeutschland« innehabe.1444 Gerade der Hinweis, dass der Schluss zwar »vielleicht hart scheint«, aber »nicht hoffnungslos« mache, da der »Leser erfährt und weiß, daß trotz vieler Opfer weitergekämpft worden ist«,1445 zeigt, dass der Verlagslektor Probleme im Verfahren vorausgesehen hat. Das Druckgenehmigungsverfahren der Hauptverwaltung (HV) Verlage und

1441 1442 1443 1444 1445

Hoffmann, Anm. 1428, Blatt 214. Ebd. Ebd. Ebd., Blatt 215. Ebd.

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Buchwesen des Ministeriums für Kultur1446 schreibt vor, dass der Behörde jedes Manuskript mit einem Antrag und einem Gutachten des Verlags vor Erteilung des Druckauftrags vorgelegt wird. In diesem Verlagsgutachten rechtfertigt der Verlag die Relevanz und Eignung des Manuskripts in Bezug auf das Profil des Verlags und offizielle Leitlinien. Die HV gibt in der Regel ein externes Gutachten in Auftrag und erteilt, wenn dieses nicht grundlegend von der Einschätzung des Verlags abweicht, die Druckgenehmigung. Jedoch konnte ein solcher Vorgang – gerade bei sensiblen Stoffen wie dem antifaschistischen Widerstandskampf – auch unvorhersehbar kompliziert werden, zu Verzögerungen, Auflagen oder Nichtgenehmigung des Drucks führen. Im Falle Letsches kam es tatsächlich zu schwerwiegenden »politischen Bedenken« der Außengutachterin Ingeborg Holtz-Baumert, deren Urteil vernichtend ausfiel: Wir begrüßen jedes Buch, das vom Widerstandskampf gegen den Faschismus erzählt; denn wir wollen unsere Jugend in Achtung vor den wahren Helden unseres Volkes erziehen. Das vorliegende Buch ist diesem Thema gewidmet, erfüllt aber im wesentlichen seine Aufgabe nicht. Im Gegenteil, es kann den jugendlichen Leser verwirren, da es recht verschwommen von einer Gruppe Jungen und ihren Aktionen gegen den Faschismus erzählt und dabei Kenntnisse voraussetzt, die viele junge Menschen nicht haben.1447

Die Ehefrau des Kinderbuchautors und späteren SED-Funktionärs Gerhard Holtz-Baumert,1448 die selbst an FDJ-Pioniere gerichtete Publikationen wie das von 1961 bis 1985 fünfmal aufgelegte Kinderlesebuch Ernst Thälmann ist niemals gefallen herausgab, befindet das Manuskript für »oberfächtlich und liederlich redigiert[…]«, die Handlung »schwerfällig und schwer verständlich«, die Dialoge für »papieren und langatmig«.1449 Sie kritisiert die fehlende Entwicklung der Helden, begründet ihre Kritik jedoch primär mit inhaltlichen Argumenten. Das einzig verbindende Motiv für Widerstand sei der »Haß gegen den Faschismus«, weder bei den Arbeiterjungen noch bei Hans Scholls Gruppe zeige sich »Klassenbewußtsein«.1450 Ernst Riegers »Rolle als Illegaler« und Mentor der Jüngeren sei »durchaus nicht überzeugend gestaltet«, er verfüge über keine 1446 Siehe hierzu Lokatis, Barck, Langemann, Anm. 307. 1447 Ingeborg Holtz-Baumert: Gutachten zum Druckgenehmigungsvorgang zu Curt Letsche: Auch in jener Nacht brannten die Lichter (Die Gruppe), 09. 12. 1959. In: BArch, DR 1 (5027), Blatt 208. 1448 Carsten Wurm: Holtz-Baumert, Gerhardt. Biographische Angaben aus dem Handbuch »Wer war wer in der DDR?« in der Biographischen Datenbank der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Internet: http://bundesstiftung-aufarbeitung.de/werwar-wer-in-der-ddr-%2363 %3B-1424.html?ID=1478, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 1449 Holtz-Baumert, Anm. 1447, Blatt 211. 1450 Ebd., Blatt 208.

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»persönlichen Züge, um ihn liebenswert zu machen und als Vorbild darzustellen«.1451 Das zentrales Problem für die Gutachterin liegt aber darin, dass Hans Scholl »in Gesprächen und Aktionen wie ein phantastischer Schwärmer dargestellt« werde: »Das Problem des Buches ist überhaupt Hans Scholl«.1452 Man könne »die Grenzen Hans Scholl’s [sic] durchaus aufzeigen, ohne sein Andenken zu schmähen«, aber seine Darstellung als »bornierte[r], den Problemen der Arbeiterbewegung verständnislos gegenüberstehende[r] religiöse[r] Schwärmer« steht für die Gutachterin in einem problematischen Gegensatz zum etablierten Status der Gruppe in der DDR: Hans Scholl ist als einer der bedeutendsten jungen Widerstandskämpfer bekannt, viele Schulen und Straßen sind nach Hans und Sophie Scholl benannt. Es besteht die Gefahr, daß ein junger Leser, wenn er die letzte Seite zuklappt, der Meinung ist: warum macht man eigentlich soviel Aufhebens um einen Menschen, der im Grunde genommen nur nach seinen egoistischen Interessen gehandelt hat und nicht das Wohl des Volkes im Auge hatte?1453

Holtz-Baumert verweist auf die im Verlag erschienenen Texte Stephan Hermlins und Paul Verners, welche die Entwicklung Hans Scholls und seiner Gruppe in der Einstellung zur Sowjetunion und die Verbindungen zu anderen Gruppen belegten. Unverständlich sei, wie der Verlag, nachdem er in anderen Veröffentlichungen ein »anderes und wahrscheinlich richtigeres Bild zeichnet, unbesehen ein solches Manuskript durchgehen läßt«, das die Geschwister Scholl als isolierte Einzelkämpfer zeige.1454 Angesichts der »politischen und kompositorischen Schwächen des Manuskripts« könne sie »keine Zustimmung für den Druck« geben und schlägt vor, »daß Historiker […] über die Grenzen und die Würdigung von Hans Scholl außerdem ihr Gutachten abgeben«.1455 Mit einem solchen Gutachten wurde Klaus Lehmann beauftragt, ehemaliger Leiter der Forschungsabteilung der VVN und Mitarbeiter beim Institut für Marxismus-Leninismus. Dieser kommt in seiner knappen Stellungnahme zu einem völlig anderen Schluss und bemerkt positiv, dass kein »biographischer Roman« vorliege, in dem »die beiden Scholls die alleinige Hauptrolle spielen«.1456 Der Verfasser habe es »gut verstanden, die wirklichen, vom ersten Tage des Faschismus in Deutschland kämpfenden Kommunisten und die von ihnen für den Kampf geworbenen jungen Arbeiter als die Träger des antifaschistischen 1451 1452 1453 1454 1455 1456

Ebd., Blatt 211. Ebd., Blatt 209. Ebd., Blatt 211. Ebd. Ebd. Klaus Lehmann: Gutachten zum Druckgenehmigungsvorgang zu Curt Letsche: Auch in jener Nacht brannten die Lichter (Die Gruppe). In: BArch, DR 1 (5027), Blatt 206.

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Widerstandskampfes« darzustellen.1457 Kritisiert wird lediglich der »zu negativ[e]« Schluss des Buches: »Die Schilderung einer Kundgebung zum Gedenken der jungen Widerstandskämpfer mit dem Gelöbnis, den Kampf weiterzuführen, wäre besser gewesen«; »Änderungsvorschläge politischer und stilistischer Art« habe er dem Verlag direkt mitgeteilt.1458 Das Manuskript wurde nach diesem Votum mit einer für den Verlag Neues Leben eher niedrigen Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt, allerdings nicht wieder neu aufgelegt. Der Titel wurde weder in der Presse rezensiert noch in nachfolgenden DDR-Publikationen zu den Geschwistern Scholl genannt. Ob die verhaltene Rezeption auf eine bewusst eingeschränkte Distribution des Buches zurückzuführen ist, lässt sich nicht erheben. Auf jeden Fall illustriert die Publikationsgeschichte in Bezug auf die Vermittlung der Geschichte der Weißen Rose in der DDR Konfliktlinien zwischen etabliertem öffentlichem Bild und Bestrebungen offizieller Geschichtsschreibung des antifaschistischen Widerstands Ende der 1950er-Jahre.

IV.3.3 »Frei gestaltet nach den wirklichen Ereignissen«: Gerd Fockes Hörspiel Wir schweigen nicht und das Fernsehspiel Der Henker richtet Die von Klaus Lehmann als Vertreter staats- und parteikonformer Geschichtsschreibung kritisch bewertete »Hauptrolle«1459 spielten die Geschwister Scholl in der DDR bis in die 1960er-Jahre tatsächlich weder in Literatur noch in der Presse, dafür jedoch in einem Hör- und einem Fernsehspiel des Autors Gerd Focke.1460 Als Regisseur und Dramaturg der Bühnen der Stadt Nordhausen wandte sich Focke Anfang 1955 mit der Idee eines Stücks über die Geschwister Scholl an die zuständige Abteilung des Ministeriums für Kultur. Das Ministerium erklärte sich erfreut über dieses Vorhaben und unterstützte Focke bei der Suche nach 1457 1458 1459 1460

Ebd. Ebd. Lehmann, Anm. 1456. Gerd Focke, Jahrgang 1927, wuchs in Leipzig auf und wurde nach Abschluss einer kaufmännischen Lehre zum Arbeitsdienst und zur Wehrmacht einberufen. Nach Kriegsende absolvierte er eine Schauspielausbildung an der Schauspielschule Leipzig und war als Schauspieler und Rundfunksprecher tätig. Nach einem Bühnenunfall konzentrierte er sich auf Dramaturgie und Schreiben. Von 1953 bis 1957 war er als Regisseur und Dramaturg an den Bühnen der Stadt Nordhausen, ab 1960 am Theater »Junge Garde« in Halle engagiert. Nach freischaffenden Tätigkeiten als Autor für Hörfunk und Fernsehen, wurde er 1964 beim Fernsehstudio Halle fest angestellt und begründete 1965 das Fernsehtheater im Keller der Moritzburg mit, das er zeitweise leitete. Von 1990 bis zu seinem Tod 2016 lebte er als Rentner und freier Schriftsteller. Vgl. die biografischen Angaben in Gerd Focke: Der apokalyptische Nadelkauf. Satiren und andere Texte. Halle (Saale): Förderkreis der Schriftsteller in Sachsen-Anhalt 2000, S. 44.

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Material.1461 Durch seine Kontakte zum Hör- und Fernsehfunk konnte Focke seine Idee schließlich als Hörspiel umsetzen, das unter dem Titel Wir schweigen nicht Ende 1955 gesendet wurde. »Auf Wunsch mehrerer Institutionen der außerschulischen Erziehung«1462 arbeitete das Deutsche Zentralinstitut für Lehrmittel die Aufnahme 1956 zu einem Magnettonband um, das es über die Kreisbildstellen den allgemeinbildenden Schulen mit einem Beiheft zu Verfügung stellte. Auch beim Deutschen Fernsehfunk stieß das Thema auf Interesse, Focke wurde beauftragt, ein Drehbuch für ein Fernsehspiel auszuarbeiten, das 1960 unter dem Titel Der Henker richtet erstmals gesendet wurde. Die beiden Rundfunkproduktionen erzählen ausgehend von einer gegenwartsbezogenen Rahmenhandlung vom Widerstand der Weißen Rose und werden im Folgenden vor allem auf ihre Plot- und Erzählkonstruktion hin analysiert. Der im Beiheft dokumentierte Text des Hörspiels1463 beginnt mit einem Dialog zwischen den beiden fiktiven Personen Berger und Hinz, die selbst dem Kreis der Weißen Rose angehörten. Hinz sucht Berger auf, da er Römer, dem Vollzugsstaatsanwalt im Prozess gegen die Geschwister Scholl, auf der Straße begegnet ist, der nun im Bonner Justizministerium ein hohes Amt bekleidet.1464 Berger und Hinz erinnern sich an die Ereignisse 1942/43, wodurch zum historischen Geschehen übergeleitet wird. Dieses setzt mit einer Szene im Kreis der Familie Scholl ein. Hans Scholl kann sich beim Familienessen nicht von seinen Kriegserinnerungen lösen. Dies illustrieren Gefechtslärm und Schreie, die eingespielt werden: Hans Scholl: Hört ihr es denn nicht? Das Krachen, die Schreie! All die Qual, die Schrecken der Menschen, die irgendwo da draußen liegen! Seit ich das alles gesehen habe, dröhnt es mir wie der Schlag einer ehernen Glocke ins Ohr. Ich kann einfach nicht mehr ruhig am Tisch sitzen und all dem geduldig zusehen!1465

Auf dem Weg nach München erläutert er seiner Schwester den Plan, wieder mit dem alten Freundeskreis Verbindung aufzunehmen. Er organisiert ein Treffen der Gruppe und drängt darauf, die Flugblattaktion auszuweiten, begründet seine 1461 Das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer werde über die westdeutsche VVN an Robert Scholl herantreten, um weiteres Material zu besorgen. Verwiesen wird auf Unterlagen im Marx-Engels-Lenin-Stalin-Institut sowie auf Hermlins »Erzählung«, Weisenborns lautlosen Aufstand sowie Neumanns Roman. (Ministerium für Kultur / HA Darstellende Kunst: Brief an Gerd Focke, 21. 03. 1955. In: Privatarchiv Gerd Focke) 1462 Deutsches Zentralinstitut für Lehrmittel: Brief an Gerd Focke, 04. 02. 1956. In: Privatarchiv Gerd Focke. 1463 Melchert, Beckert, Anm. 1107, S. 11–33. 1464 Vgl. die Presseartikel zu Walter Römer, siehe Kapitel IV.3.1. 1465 Ebd., S. 15.

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Hoffnung auf deren Wirkung mit der selbst erfahrenen Wandlung vom Anhänger zum aktiven Gegner der Nazis: Hans Scholl: Vor einem Jahr glaubten wir mit unserer Aktion »Weiße Rose« einen Anstoß geben zu können. Heute wissen wir, daß das nicht ausreicht. Damals haben wir uns vor allem an die Christen gewandt. Wir müssen uns an alle wenden. Wie viele sind es, die im Innern unsicher und schwach sind. Die brauchen einen Halt, den Glauben an den Sieg des Guten. Überlegt euch doch einmal! Wir waren alle in der Hitlerjugend. Sind sogar ehrlich überzeugt gewesen, daß sei der rechte Weg. Und haben es erleben müssen, wie der letzte Rest selbstständigen, eigenen Denkens dort zertreten werden sollte. Wir hatten das Glück, stark genug zu sein, uns aus den Fesseln dieses Geistes zu lösen. Aber wie vielen fehlt die Kraft dazu.1466

Die Niederlage von Stalingrad bestärkt die Gruppe darin, zum offenen Kampf gegen Hitler und seinen Krieg aufzurufen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Geschwistern und Huber, der die Ausweitung der Aktion über Süddeutschland hinaus für zu gefährlich hält, die von Hans und Sophie verfochtene Zusammenarbeit mit Nichtchristen und Kommunisten ablehnt und im Gegensatz zur Gruppe der Meinung ist, nur Hitler müsse beseitigt, der Krieg gegen den Osten aber weitergeführt werden. Indessen hat die Gestapo von den neuen Aktionen der Weißen Rose erfahren und konzentriert ihre Ermittlungen auf die Universität. Berger und Hinz berichten dann über die Flugblattaktion am 18. Februar 1943 und die Verhaftung der Angehörigen der Widerstandsgruppe sowie ihre eigene Vernehmung. Szenisch dargestellt wird die Verhandlung vor dem Volksgerichtshof. Freisler fordert Hans und Sophie Scholl auf, die Namen weiterer Angehöriger der Widerstandsgruppe zu nennen. Beide bleiben jedoch standhaft und werden zum Tode verurteilt. Im Gerichtssaal bestärken sich Hans und Sophie in der Einschätzung, dass durch ihre Tat die Menschen wachgerüttelt werden. Es folgt ein Bericht von Hinz über den letzten Gang der drei Angeklagten und vom Ende Hubers, der »vielleicht in seiner letzten Stunde seinen Irrtum« erkannt habe, welcher »ihn oft in Widerspruch zu den anderen geführt« habe und sein »Denken und Handeln eng begrenzte«.1467 Huber wird auch durch Einspielung seines Fichte-Zitats vor Gericht abschließend gewürdigt. Die beiden Überlebenden beschließen zum Schluss, angesichts der Parallelen zur Gegenwart, in der »Männer wie Römer […] die Richtung« bestimmten, nicht länger zu schweigen.1468 Im Beiheft zum Magnetband werden Hinweise zur Nutzung des Hörspiels 1466 Ebd., S. 20. 1467 Ebd., S. 33. 1468 Ebd.

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gegeben. Neben der Behandlung im Unterricht werden Einsatzmöglichkeiten im Rahmen von Gruppen- und Feierveranstaltungen der FDJ-Pionierorganisation »Ernst Thälmann« beschrieben, »in denen die Kinder und Jugendlichen mit ihren Vorbildern im Kampf um den Frieden bekanntgemacht werden sollen«.1469 So wird zum Beispiel ein Einsatz des Tonbands bei der Verabschiedung der Jungpioniere nach der 8. Klasse vorgeschlagen: Nachdem die letzten Töne der Schlußmusik verklungen sind, wird die Aufnahme in die FDJ vollzogen, indem die neuen jungen FDJ-Mitglieder verpflichtet werden, sich des opfermutigen Kampfes der Geschwister Scholl und aller Antifaschisten würdig zu erweisen. Sodann sollte ihnen das Dokument und das Abzeichen des Verbandes überreicht werden.1470

In »jedem Falle« seien »feierliche Form« und eine »weiterführende Veranstaltung« zu trennen, für die ein »Gespräch über den Kampf der antifaschistischen Helden« mit einem »Arbeiterveteranen« empfohlen wird.1471 Auch die »Darbietung für die Eltern im Agitationslokal der Nationalen Front, im Klubraum des Betriebes, in der Schule oder anderswo« könne »sowohl zur pädagogischen Propaganda als auch zur politisch-moralischen Erziehung der Eltern beitragen«.1472 Für die Nutzung im Unterricht wird auf Verständnisschwierigkeiten durch den Ebenenwechsel zwischen Rahmenhandlung und Dialogen hingewiesen, die bei Probevorführungen zurückgemeldet wurden.1473 Empfohlen wird daher der Einsatz in einer Unterrichtsstunde, in der das Tonband abgespielt und in einem anschließendem zehn- bis 15 minütigen Unterrichtsgespräch ausgewertet werden soll. Bei jüngeren Klassen solle sich der Lehrer »hauptsächlich darauf konzentrieren, die Tapferkeit und Standhaftigkeit der Geschwister Scholl hervorzuheben« und einfache Fragen stellen: »Was haben sie getan? Was wollten sie erreichen? Sind sie Helden? War ihr Tod nötig?«1474 In höheren Klassen könne auf »Probleme« fokussiert werden: »Gab es Erfolgsaussichten […]? Wie ist das Verhalten Prof. Hubers einzuschätzen? Hat Römer 1943 als Vollzugsanwalt nur ›seine Pflicht‹ erfüllt?«1475 Für die Auswertung wird der Lehrkraft in der Einleitung ein historischer Abriss als Hilfestellung gegeben. Die Weiße Rose wird darin im Widerstandskampf während des Zweiten Weltkriegs verortet, der sich 1469 1470 1471 1472 1473

Ebd., S. 36–37. Ebd. Ebd. Ebd. Deutsches Zentralinstitut für Lehrmittel: Ergebnisse der Erprobung des Hörspiels »Wir schweigen nicht« an Schulen, Typoskript, 1 Seite, o. D. (1956). In: Privatarchiv Gerd Focke. 1474 Melchert, Beckert, Anm. 1107, S. 34–35. 1475 Ebd.

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in »kleineren Gruppen« mit »teilweise recht unterschiedlich[en]« Zielen und Ansichten vollzogen habe, »zwischen denen oft nur geringe oder auch gar keine Verbindungen bestanden«.1476 »Stalingrad« habe als »Wende des Krieges« einen Aufschwung des Widerstandskampfes« herbeigeführt.1477 Als die »konsequentesten Verfechter der Interessen des deutschen Volkes« werden die Mitglieder der KPD dargestellt, »die – ohne auf ihr sozialistisches Endziel zu verzichten – den Zusammenschluß aller antifaschistischen Kräfte zum Sturze des HitlerRegimes anstrebten«.1478 Die KPD habe »unnötige Menschenopfer« und »Aktionen ohne Aussicht auf Erfolg« vermieden, während »[i]n der christlichen Widerstandsbewegung dagegen« die »Idee des Märtyrertums eine große Rolle« gespielt habe.1479 Diese Problematik wird an Kurt Huber festgemacht, dessen »Stellung zu den anderen Angehörigen der Widerstandsgruppe« die »Tragik der meisten bürgerlichen Widerstandsgruppen« zeige.1480 Der Konflikt zwischen Huber und den Geschwistern Scholl habe zudem zu der schnellen Verhaftung der Gruppe durch die Gestapo geführt. »Aufschlußreich« sei in diesem Zusammenhang die Tatsache, »daß Huber nach dem ersten Weltkrieg zum Kreis jener Seperatisten gehörte, in dem auch der damalige Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, eine bedeutende Rolle spielte«.1481 Die Juxtaposition Hubers und der Geschwister Scholl war in dem von Horst Melchert und Fritz Beckert für das Zentralinstitut verfassten Überblickstext so nicht vorgesehen, die entsprechenden Passagen sind aus der Stellungnahme Fockes zum Manuskript des Beihefts übernommen, der in den biografischen Angaben außerdem die Wandlung Hans Scholls stärker hervorheben wollte. Focke regte außerdem die Ergänzung der Literaturliste um zwei Titel an, »die zwar in Westdeutschland erschienen sind, aber doch bedeutsames über die Geschwister Scholl auszusagen haben«: Inge Scholls Die weiße Rose und Günther Weisenborns Der lautlose Aufstand.1482 Fockes Hinweise stehen in Zusammenhang mit den Vorarbeiten und Recherchen für sein Fernsehspiel,1483 in das er 1476 Ebd., S. 4. Bemerkenswert die Aussage: »Selbst die KPD […] besaß bei Kriegsausbruch keine zentrale, operative Leitung im Lande. Auch sie mußte die Arbeit weitgehend dezentralisieren«. 1477 Ebd. 1478 Ebd. 1479 Ebd. 1480 Ebd., S. 5–6. 1481 Ebd. 1482 Diese seien bei der Deutschen Bibliothek in Leipzig sowie anderen wissenschaftlichen Bibliotheken ausleihbar. 1483 Für die Ausarbeitung des Fernsehspiels führte Focke eine aufwendige Recherche durch und sah sich mit dem Problem konfrontiert, die »notwendigen Materialien aus kleinen und kleinsten Quellen heraussuchen« zu müssen. Gerd Focke: Die Geschwister (Arbeitstitel). Expos8 zu einem Fernsehspiel, 2. Fassung, 11. 12. 1958. In: Privatarchiv Gerd Focke.

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»gewisse szenische Momente des vorliegenden Hörspiels« einarbeitete,1484 aber im Vergleich zum Hörspiel auch signifikante Änderungen am Plot vornahm. Während Hörspiele in den 1950er-Jahren ein etabliertes Genre darstellten, entstand Fockes Fernsehspiel in einer Phase, in der Fernsehen zwar »längst keine Sensation mehr«1485 darstellte, Sendeformen und Sendungsformate aber durchaus noch in Entwicklung begriffen waren und die »besonderen Gestaltungsmöglichkeiten«1486 des Mediums ausgelotet wurden. Das Fernsehspiel etablierte sich zu einem wichtigen Fernsehformat,1487 das im Vergleich zum Kinofilm vor der Herausforderung stand, das Publikum in der »Alltäglichkeit« der »privaten, häuslichen, persönlichen Atmosphäre« zu erreichen und »zur echten Anteilnahme zu bewegen«.1488 Günter Kaltofen fordert dazu in einem aus der Praxis heraus entwickelten Systematisierungsversuch der »neue[n] Kunstform«1489 eine »dramatische Intensivierung und Konzentration«1490, die eine »packende Handlung, eine übersichtliche Fabel« und einen »dramaturgische[n] Raum« erfordert, der den Zuschauer »auf das Wesentliche« lenkt.1491 Angelehnt an das aristotelische Prinzip der Einheit von Zeit, Ort und Handlung, formuliert er als dramaturgische Herausforderung, die Handlung »auf geradem, zwingendem Weg zur Lösung von Konflikt und Handlungsbogen« zu führen, um den Zuschauer »nicht aus der Spannung [zu] entlassen«.1492 Auch Schnitt, Kameraführung und Schauspielerführung sollen bildschirmgerecht Eindringlichkeit erzeugen. Hierzu dienen weniger Mittel der Spielfilmdramaturgie als der modernen Bühnendramatik gerade hinsichtlich der Rolle gesprochener Sprache.1493 Das Fernsehspiel will innere Vorgänge deutlich machen, es sucht Stoffe und dramatische Substanz, die ihm die Möglichkeit und Notwendigkeit geben, in den Menschen, seine Gedanken- und Gefühlswelt einzudringen. […] Der Mensch der Gegenwart in seinem Denken und Tun, in seinen Konflikten und seinem Widerspruch ist Hauptthema, Held der dramatischen Spiele des Deutschen Fernsehfunks.1494

1484 Gerd Focke: Begutachtung des Beiheftentwurfes zum Tonband »Wir schweigen nicht«. Typoskript, 7 Seiten, [1956]. In: Privatarchiv Gerd Focke, S. 6. 1485 Günter Kaltofen: Das Bild das Deine Sprache spricht. Fernsehspiele. Berlin (Ost): Henschel 1962, S. 8. 1486 Ebd., S. 14. 1487 Während 1954 14 Fernsehspiele gesendet wurden, waren es 1960 schon 57. Zwischen 1954 und 1961 produzierte der Deutsche Fernsehfunk (DFF) 181 Fernsehspiele. Ebd., S. 18. 1488 Ebd., S. 27–30. 1489 Ebd., S. 15. 1490 Ebd., S. 39. 1491 Ebd., S. 35–37. 1492 Ebd. 1493 Ebd., S. 40–58. 1494 Ebd., S. 39.

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Auch wenn das Fernsehspiel Der Henker richtet vor Kaltofens 1961 verfasster Dramaturgie des Fernsehspiels entstand, dürften solche Überlegungen der Fernsehspielpraxis nicht fremd gewesen sein und Gerd Focke als Autor, Walter Schmitt als Dramaturg und Fritz Bornemann als Regisseur bei der Produktion von Der Henker richtet beeinflusst haben. Die signifikanteste Änderung gegenüber dem Hörspiel besteht in der Veränderung der Rahmenhandlung, die durch die Figur Günther Stade eng mit der Binnenhandlung verknüpft wird. Der Vorspann gibt – entgegen des im Drehbuch vorgesehenen Textes – einen Hinweis auf fiktive Elemente: Dieses Fernsehspiel ist dem Andenken der Geschwister Scholl und dem heldenhaften Kampf der Widerstandsgruppe ›Weisse Rose‹ gewidmet. Es wurde frei gestaltet nach den wirklichen Ereignissen. Als Erinnerung an die Toten – den Lebenden zur Mahnung.1495

Das erste Bild spielt in einem bundesdeutschen Gerichtssaal. Man sieht den Staatsanwalt Kircher, wie er die Anklage gegen Günter Stade verliest, durch die Verbreitung verfassungsfeindlicher Gedanken gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik verstoßen zu haben. Dieser kommt dann ins Bild und entgegnet: Günter : Welche Parallelen! – Kommt Ihnen das nicht alles merkwürdig bekannt vor, Herr Staatsanwalt. – Wir haben uns doch schon einmal gegenübergestanden. Haben Sie Sophie und Hans Scholl vergessen? Erinnern Sie sich nicht mehr, was damals geschah, Herr Vollzugsstaatsanwalt Kircher?! – 1943! –1496

Es folgt eine Überblendung auf ein Foto einer Frontlandschaft mit der Ortsangabe »Ostfront 1942«, während der Blende erklingt das Finale aus Liszts Le pr8lude. Langsam kommt dann ein Verwundeter ins Bild, der schreit: »Mutter! Mutter! Ich will nicht sterben! Doktor, helfen Sie mir doch! Ich will nicht sterben! Ich will nicht sterben! … Mutter!«1497 Der Verwundete sinkt zurück, dadurch kommt Hans Scholl ins Bild, der dem Toten die Augen schließt. Die Kamera zeigt Hans’ erstarrtes Gesicht in Großaufnahme, der dann gegenüber Christoph Probst ausruft: »Dieser Wahnsinn muss ein Ende haben. Die weisse

1495 Abschrift des Vorspanns von Der Henker richtet. Ein Fernsehspiel von Gerd Focke (Regie: Fritz Bornemann), 82 Minuten. DDR Fernsehen 22. 02. 1963. DVD in Deutsches Rundfunkarchiv, DRA AD8759/1, Minute 5. 1496 Deutscher Fernsehfunk – Dramatische Kunst: Der Henker richtet. Ein Fernsehspiel von Gerd Focke. Drehbuch bearbeitet von Fritz Bornemann und Erich Geister, 1960. In: DRA Un MF H 1960 , S. 1. 1497 Ebd., S. 2.

Gedenken und Erzählen zwischen Integration und Abgrenzung

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Rose muss wieder erblühen«.1498 Der Stabsarzt kommt hinzu und verkündet ihre Ablösung nach München und fordert sie auf, »bald gute Chirurgen [zu] werden«, denn: »Hier wartet viel Arbeit auf Sie!«.1499 Hans verliert daraufhin die Nerven, die Kamera fährt bis dicht an seine Augen heran, zeigt dabei, wie er die »Fäuste an die Ohren gepresst [hat], da er die Schmerzensschreie nicht mehr ertragen kann«.1500 Während langsam zu einem Bild der Universität München und dann zum Hörsaal übergeblendet wird, ist Professor Hubers Stimme zu hören: »So gilt es auch im Inferno des Krieges, in einer Welt des Unterganges, sich stets bewusst zu sein, dass es nichts edleres auf Erden gibt als den Menschen, nichts Grösseres als die Menschlichkeit«.1501 In diesen ersten vier Minuten werden somit die bundesdeutsche Gegenwart, die Ereignisse vor Stalingrad und der Widerstand der Weißen Rose verdichtet und durch Bild- und Tonblenden aufeinander bezogen (siehe Abbildung 3). Der Entschluss zur Wiederaufnahme der Flugblattaktion wird auf eine Antithese zwischen Krieg und Menschlichkeit bezogen. Die folgenden sieben Bilder spielen in einem Hörsaal und den Fluren der Universität und führen die weiteren Personen ein. Dabei wird durch synchron stattfindende Szenen eine gefährlich wirkende Nähe erzeugt zwischen dem Personenkreises der Weißen Rose einerseits (Huber mit Hans und Sophie im Hörsaal, Alexander, der in den Fluren Flugblätter verteilt) und den zusammenspielenden Repräsentanten des NS-Staates andererseits (der die Flure kontrollierende Pedell, der Huber nach der Vorlesung ausfragende Studentenführer, Gestapo-Beamte und SS-Standartenführer Metschke, die vom Pedell angezeigte Studenten, die Flugblätter aufgelesen haben, verhaften). Die beiden Sphären werden durch die Figur Günther Stades verbunden, der als Mitglied der Waffen-SS gerade von der Front zum Studium zurückgekehrt ist und in der Universität Sophie wiedertrifft, die er bereits seit Jugendzeiten kennt. Diese lädt ihn zur Feier der Rückkehr von Hans und seinen Freunden ins Atelier Eikemeyer ein. Die dann folgende Szene enthält weitere Verdichtungen in Handlung und Bild (siehe Abbildung 4). Hier trifft Günther Stade auf den Kreis der Weißen Rose. Während Günther mit Sophie tanzt, erzählt Hans Christoph, dass dieser in der HJ sein Jungstammführer war, der die von ihm entworfene Fahne seiner Einheit abreißen wollte:

1498 1499 1500 1501

Ebd., S. 3. Ebd., S. 4. Ebd., S. 5. Ebd., S. 5.

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›Menschlichkeit‹ und ›Kalter Krieg‹

Abbildung 3: Der Henker richtet, ausgewählte Bildschirmaufnahmen der Bilder 1–3.

Gedenken und Erzählen zwischen Integration und Abgrenzung

Christoph: Hans:

279

Damals glaubtest du noch an Hitler!? An die Kameradschaft hab ich geglaubt, an die Idee der Gemeinschaft, die er propagierte. – An die endliche Einigkeit der Deutschen …

Hans blickt zu Günther herüber … er öffnete mir die Augen.1502

Auf Christophs Frage, ob er nicht glaube, dass ein Mensch sich wandeln könne, antwortet Hans: »Doch! – Der aber nicht!«.1503 Hans trägt dann den Anwesenden Gottfried Kellers Gedicht Die öffentlichen Verleumder vor, Professor Huber errät den Verfasser. Er fragt dann Günther, wie ihm das Gedicht gefalle, der ausweichend antwortet, seine Liebe gehöre der Musik, und Sophie dazu auffordert, etwas am Klavier zu spielen. Ihr Vorspiel der Träumerei von Robert Schumann wird von Hans mit den Worten »Wir Deutschen träumen nur immer… genug geträumt, ich weiss eine bessere Meldodie!«1504 jäh unterbrochen. Er gibt Alexander einen Flugblattentwurf in die Hand, setzt sich an das Klavier und spielt die Revolutions8tude von Chopin an. Während über den Flugblattentwurf Bilder von der Herstellung und Verteilung der Flugblätter geblendet werden, hört man zu der Musik Alexanders Stimme, der Zitate aus dem IV. Flugblatt der Weißen Rose liest, wobei die Zitate so ausgewählt sind, dass die angemahnte »Umkehr« auf die Kriegstoten bezogen wird.1505 Günther erweist sich im Folgenden als für die Handlung zentrale und die Gruppe und ihre Verfolger verbindende Figur. Neben der von Hans wiedergegebenen HJ-Geschichte wird er als Figur auch in weitere an Inge Scholls Text angelehnte Episoden integriert. Günther hat sich offensichtlich in Sophie verliebt, aber nach der Feier Bedenken, insbesondere was Hans betrifft. Er macht gegenüber dem Studentenführer entsprechende Andeutungen, der seine Aussagen an SS-Standartenführer Metschke weitergibt. Aufgrund der Vorstrafe des Vaters der Geschwister wittert Metschke eine Spur. Günther sucht unterdessen Sophie in ihrem Zimmer auf, entdeckt dort, während er auf sie wartet, in einem Buch von Aristoteles eine angestrichene, im Flugblatts zitierte Stelle. Sophie kommt herein, Günther versucht, ihr näherzukommen, wird aber von ihr zurückgewiesen. In ihrer Entgegnung spielt sie auf die Rede des Gauleiters an und unterstellt Günther, im Sinne von dessen Rede zu handeln (»›schenkt lieber dem Führer ein Kind‹«1506). Dieser warnt sie, vorsichtig zu sein: »Ich glaube, du weisst nicht, was du tust«.1507 Er macht sich Sorgen um Sophie und zieht den Studen1502 1503 1504 1505

Ebd., S. 32. Ebd., S. 34. Ebd., S. 38–39. Vgl. mit dem Text des IV. Flugblatts. Andere Bezüge, insbesondere auch zur Religion, werden ausgelassen. 1506 Ebd., S. 63. 1507 Ebd., S. 64.

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›Menschlichkeit‹ und ›Kalter Krieg‹

Abbildung 4: Der Henker richtet, ausgewählte Bildschirmaufnahmen Bild 12.

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tenführer ins Vertrauen, er habe »da gestern was merkwürdiges entdeckt«.1508 Dieser leitet auch diese Information an Metschke weiter. Angesichts immer zahlreicherer Maueraufschriften in München und Flugblattfunden in »München, Jena, Bonn, Jena, Buchenwald – Berlin, Hamburg, Ostfront, Auschwitz«1509 fordert ihn dessen Vorgesetzter Stern zum Handeln auf: Stern

Mein Gott, ein paar Intellektuelle. Einzelgänger! Ist doch nichts Durchorganisiertes. Ohne Kopf, ohne Führung. Aber die Sache wirbelt zu viel Staub auf. Gefährlich werden die Burschen erst, wenn sie Kontakt mit anderen bekommen, mit den Roten!

nach einer kurzen Pause: Der Reichsführer fordert ein Exempel, Standartenführer.1510

Metschke befiehlt daraufhin Günther, ihm »alles, was die Geschwister Scholl treiben: wohin sie gehen, wer ihre Freunde sind«, zu melden, um Sophie so »das beste Alibi« zu schaffen.1511 Stade beobachtet sie tatsächlich, schreibt Sophie aber einen Brief mit einer Warnung, den diese aber ungelesen zerreißt. An der Universität trifft er den Studentenführer, der ihn zu seinen »Beobachtungen« gratuliert, die »auf die richtige Spur geführt« hätten: »Frauen haben eben alle ihre verwundbaren Seiten. Hast du die nun wenigstens ausgenützt? Wenn für den Führer noch ein Pimpf herausspringt, wäre die Aktion ein Doppelerfolg«.1512 Günther schlägt den Studentenführer daraufhin, was dieser wiederum Metschke meldet, der ankündigt, die ›»Weissen Röschen‹« nun »[a]uf frischer Tat« zu fassen und die Eingänge der Universität zu bewachen: »Ein Flugblatt und wir fassen zu. Dann Schnellgericht und zack – vorbei!«.1513 Günther warnt unterdessen Hans mit verzerrter Stimme am Telefon. Im Wechsel zu diesen Szenen werden in anderen Bildern die Entwicklung und die Aktionen der Gruppe dargestellt. Professor Huber besucht Hans in seinem Zimmer, bittet ihn und Alexander um ihr Vertrauen und erklärt sich bereit, der Gruppe zu helfen. Die sich im Gespräch mit Hans und Alexander auftuenden »weltanschauliche[n] Differenzen« sollen »einem späteren Zeitpunkt vorbehalten« bleiben,1514 treten aber in den – mit denen im Hörspiel fast identischen – Dialogen im weiteren Verlauf immer stärker zu Tage. Hans möchte Sophie auch aufgrund ihres Kontakts mit Günther nicht wieder einbeziehen. Diese besteht aber auf ihrer Mitwirkung, was sie Hans gegenüber während eines Luftschutz1508 1509 1510 1511 1512 1513 1514

Ebd., S. 65. Ebd., S. 69. Ebd., S. 70. Ebd., S. 75. Ebd., S. 88. Ebd., S. 90. Ebd., S. 49.

282

›Menschlichkeit‹ und ›Kalter Krieg‹

alarms begründet: »Eine Bombe könnte uns heute oder morgen alle vernichten. Wenn schon das Leben riskiert werden soll, dann gegen die Ungerechtigkeit, die uns täglich anschreit«.1515 Im Atelier hört die Gruppe im Radio die Meldung der Stalingrad-Niederlage und beschließt daraufhin, gegen die Bedenken Hubers den Adressatenkreis der Flugblätter von den »christlichen Glaubensgefährten […] in Süddeutschland« auf »alle Deutschen« auszuweiten, diese von »München nach Hamburg, von Berlin bis an die Ostfront« zu verteilen und Aufschriften an Mauern anzubringen.1516 Diese werden im 19. Bild nachgestellt, wobei Sophie zwei Zwangsarbeiterinnen, die die Farbe entfernen, zuruft: »Stehenlassen! Lassen Sie doch stehen«.1517 Dabei wird sie von zwei Arbeitern beobachtet, die kommentieren: »Das waren keine von uns«; »Also beginnt’s endlich auch bei anderen zu dämmern«.1518 Nachdem Hans die Warnung erhalten hat, kommt die Gruppe ein letztes Mal im Atelier zusammen und berät sich. Angesichts der Gefährdung für andere lehnt Hans eine Flucht ab. Willi Graf in Freiburg soll gewarnt werden, Alexander kann fliehen, da er keine Angehörigen in Deutschland hat. Hans beschließt eine letzte Aktion: Prof. Huber : Hans:

Also ist diese Stunde das Finale! Nein. Wir dürfen nicht schweigen. Auch jetzt nicht. Unser letztes Flugblatt, unser Aufruf an die Studenten, an die Jugend, muss zu einem Fanal für unser ganzes Volk werden.

[…] steht schliesslich sehr gross vor der Ka[mera]. Er überlegt, seine Gedanken werden laut: /…einer muss sich opfern für die anderen… einer muss alles auf sich nehmen. – Morgen verabschiedet der Gauleiter die Studentenkompanie an der Universität…Sie gehen an die Front… Unser Flugblatt – Jeder muss es kennen.1519

In dieser Gedankenrede spricht Hans daraufhin den Flugblatttext, während zu Bildern der Flugblattaktion an der Universität übergeblendet wird. Bei dieser werden Hans und Sophie verhaftet und abgeführt. Es folgt ein Bild der Gerichtsverhandlung. Hans, Sophie und Christoph werden aufgefordert, die Namen ihres Kreises preiszugeben, bleiben aber standhaft und erklären sich für alle Aktionen allein verantwortlich und reuelos. Nach Sophies Ausruf, »Was wir sagten und schrieben, denken so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen. 1515 1516 1517 1518 1519

Ebd., S. 53. Ebd., S. 56. Ebd., S. 67–68. Ebd. Ebd., S. 96–97.

Gedenken und Erzählen zwischen Integration und Abgrenzung

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Wir haben es getan«1520, folgt die Beantragung der Todesstrafe durch den Reichsanwalt. Übergeblendet wird in das Zimmer des Standartenführers. Metschke befiehlt Günther als »Auszeichnung« der Hinrichtung beizuwohnen.1521 Wiederum angelehnt an eine Episode aus Inge Scholls Die weiße Rose kommen Hans, Sophie und Christoph auf Initiative des Wachpersonals ein letztes Mal in der Todeszelle zusammen. Hans bekräftigt: »Wir durften Wegbereiter sein. Millionen werden uns auf diesem Weg folgen. Wenn nicht heute, dann morgen!«1522 Es folgt ein Bild im Hinrichtungsraum. Vollzugsstaatsanwalt Kircher verliest das Todesurteil, der Gefängnisgeistliche spricht ein letztes Gebet (»Niemand hat grössere Liebe denn die, dass er sein Leben lässet für seine Freunde! Amen!«1523), bevor der Scharfrichter seines Amtes waltet. Nachdem Hans’ Ruf »Es lebe die Freiheit!!« ertönt, verliert Günther die Fassung und schreit Kircher an: »Widerliche entsetzliche Mörder!«.1524 Es folgt eine lange Blende zurück in die Rahmenhandlung zu Günthers Rede gegen Kirscher vor dem westdeutschen Gericht: Günther : Sie waren es doch auch, der damals dafür sorgte, dass ich in ein Strafbataillion kam, in dem ich kaum eine Chance hatte, mit dem Leben davonzukommen. Aber ich habe überlebt! Und ich habe aus der Vergangenheit die Lehre gezogen. […] Ihr habt die Geschwister Scholl getötet. Ihr habt Millionen anderer Menschen getötet. Nicht aber die Wahrheit! […] Und diese Erkenntnis wird Euch hinwegfegen»1525

Mit diesen Worten fordert Günther Kircher auf, seinen Strafantrag »Wieder : ›Im Namen des deutschen Volkes‹« zu stellen.1526 Diese Bezüge zwischen Geschichte und Gegenwart werden durch die Figur Günthers vermittelt und auch durch die Abfolge der Blenden unterstützt (siehe Abbildung 5). Günther gibt vor Gericht eine Art Zeugnis ab; in seiner Rolle als Angeklagter und zugleich Anklagender vor dem bundesdeutschen Gericht wird er als Nachfolger der Weißen Rose im Kampf gegen das Fortwirken des Faschismus präsentiert. Die durch seine Liebe zu Sophie ausgelöste Wandlung vom überzeugten Waffen-SS-Mann zum Friedenskämpfer, die in der Läuterung durch die Teilnahme an der Hinrichtung kulminiert, bietet starkes Identifikationspotenzial und zeigt Parallelen zu Heldenfiguren in Kriegsromanen der 1950er- und 1960er1520 1521 1522 1523 1524 1525 1526

Ebd., S. 105. Ebd., S. 108. Ebd., S. 110. Ebd., S. 112. Ebd., S. 113. Ebd., S. 114. Ebd., S. 115.

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›Menschlichkeit‹ und ›Kalter Krieg‹

Abbildung 5: Der Henker richtet, ausgewählte Bildschirmaufnahmen der letzten Bilder.

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Jahre, die Jens Ebert in ihrer Vorbildfunktion als »typische Wandlungsfiguren in der ostdeutschen Literatur« in diesem Zeitraum kennzeichnet.1527 Noch stärker als im Hörspiel wird im Fernsehspiel der Widerstand der Weißen Rose mit dem Motiv der Beendigung des Krieges enggeführt, der ebenso wie das durch die SS verkörperte Terrorsystem als Antithese zu Menschlichkeit und Humanismus erscheint. Hierbei zeigen sich – gerade auch im Aufgreifen und Abwandeln von Episoden im Plot – Ähnlichkeiten in Bezug auf identifikatorische Darstellungsstrategien und Deutungsmuster bei Inge Scholl.1528 Die Soldaten an der Front erscheinen als die primären Opfer des Nationalsozialismus, die Wehrmacht wird in keiner Weise in Bezug zu nationalsozialistischen Verbrechen gesetzt. Die Verfolgung der Gruppe nimmt einen breiten Raum in der Handlung ein. Die SS, die hier die Rolle der Gestapo übernimmt und im Verbund mit ihren Helfern an der Universität das Terrorsystem repräsentiert, wird der Masse der Deutschen gegenübergestellt. Gerade durch die Anlage der Figuren Hans, Günther und auch Professor Huber wird eine Wandlungsfähigkeit der Menschen vorgeführt, die mit einem Bekenntnis zum Humanismus einsetzt. Huber wird zwar in Widersprüchen, jedoch als eindeutiger Gegner der Nationalsozialisten und Humanist dargestellt. Seine Warnungen an die Gruppe erscheinen angesichts des aufgezeigten Verfolgungsapparats nachvollziehbar, am Ende stellt er sich der letzten Aktion nicht in den Weg, sein weiteres Schicksal bleibt ungewiss. Die ideologischen Konflikte und die Kontrastierung mit dem kommunistischen Widerstand sind dagegen im Vergleich zu Letsches Roman und zu Fockes Hörspiel stark reduziert dargestellt. Im Vordergrund stehen im Verbund mit der Abgrenzung zur westdeutschen Gegenwart Identifikationsund Integrationsangebote für ein breites Publikum. Das Fernsehspiel wurde erstmals am 22. Februar 1960 im Deutschen Fernsehfunk gesendet. In der Ansage wird der 17. Jahrestag der Hinrichtung »dieser heldenhaften jungen Menschen« als Anlass für die Sendung angegeben und auf die »alarmierende Tatsache, daß der Hinrichtungsanwalt der Geschwister Scholl heute in Bonn wieder ein hohes Richteramt bekleidet«, hingewiesen.1529 Die Sendung war zur Hauptsendezeit auf 20 Uhr angesetzt, verschob sich aber um drei Minuten, da vorher die Meldung über das Grubenunglück in Zwickau verlesen wurde.1530 1527 Jens Ebert: Auf der Suche nach Helden. Literarische Funktionen im Kalten Krieg. In: Ursula Heukenkamp (Hrsg.): Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deutschen Medien der Nachkriegszeit (1945–1961). Amsterdam; Atlanta: Rodopi 2001, S. 35–44, S. 41. 1528 Siehe Kapitel IV.1.2. 1529 Ansage, 22. 02. 1960. In: DRA (Korrigierter Sendelaufplan DDR-Fernsehen). 1530 Thron: Programmbeobachter, 22. 02. 1960. In: DRA (Korrigierter Sendelaufplan DDRFernsehen).

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›Menschlichkeit‹ und ›Kalter Krieg‹

Diese Koinzidenz wurde in einer Besprechung in der Neuen Zeit aufgegriffen: »Menschen, die – in ganz anderem Zusammenhang – ihr Leben für uns opferten, waren auch Sophie und Hans Scholl«.1531 Die Dialoge des Fernsehspiels seien »prägnant« für die »klar durchdachte Sprache junger intelligenter Menschen[…], die in glühender Liebe zum Vaterland ihr Leben einsetzen«.1532 In der Programmzeitschrift Funk und Fernsehen wird die »außerordentliche« und »erschütternde« Sendung »zu Ehren junger deutscher Humanisten, heldenhafter bürgerlicher Studenten, die ohne Verbindung zur Arbeiterklasse, nur dem eigenen lauteren Gewissen folgten«, gelobt.1533 Die »Vorgänge und Charaktere dieses schlichten deutschen Heldenepos« seien »zurückhaltend als eine nichtnaturalistische, erhöhte Chronik« dramatisiert worden.1534 In der FDJ-Zeitung Junge Welt wird dagegen hervorgehoben, dass die Sendung »die Parallelität zwischen dem Hitler- und dem Adenauer-Staat mit erschreckender Deutlichkeit bewußt werden läßt«.1535 Die »humanistische Weltanschauung« der Widerstandsgruppe sei erkennbar, auch »aus welcher Verworrenheit sich die Besten dieser Generation erst lösen mußten, um zu eigenem Handeln, zur Auflehnung und zum offenen Kampf gegen Krieg und Faschismus bereit zu sein«.1536 Kritisiert wird jedoch die »Bombastik der Dialoge«, die »die individuellen Züge« verwische und das Gefühl nicht anspreche: »Ein Hans Scholl, wie er aus dem verkrampften Pathos Klaus Jurichs entsteht, hätte kaum Nerven und seelische Kraft für seine letzte, ihm den Tod bringende Tat aufgebracht.«1537 »Wohltuend schlicht« wirke dagegen Erik Veldre als »Friedenskämpfer und ehemaliger SS-Mann Stade vor dem Westzonengericht«, jedoch erscheine »seine Entwicklung etwas fragwürdig«.1538 Die für das Fernsehspiel herausgearbeiteten Identifikationsmuster werden durch die Pressebesprechungen mit unterschiedlicher Akzentuierung je nach Adressatenkreis fortgeschrieben und kommen auch drei Jahre später bei der Wiederholung des Fernsehspiels zum 20. Jahrestag 1963 in Zusammenhang mit einer Gedenkkampagne der FDJ zur Geltung.1539

1531 Mimosa Künzel: Die Geschwister Scholl und ihre Henker. Die Woche auf dem Bildschirm. In: Neue Zeit, 01. 03. 1960. 1532 Ebd. 1533 Erwin Reiche: Der Henker richtet. In: Funk und Fernsehen der DDR, 1960. Nicht weiter datierter Zeitschriftenausschnitt, in: Privatarchiv Gerd Focke. 1534 Ebd. 1535 Sybill Mehnert: Auf dem Bildschirm: »Der Henker richtet!«. In: Junge Welt, 02. 03. 1960. 1536 Ebd. 1537 Ebd. 1538 Ebd. 1539 Siehe Kapitel V.2.1.

V

Traditionen im Widerstreit

V.1

Traditionsbildung und -kritik in der Bundesrepublik

V.1.1 »Hüterin eines kostbaren Vermächtnisses«.1540 Gedenken und Erinnern an der Universität München Wie die Stadt München nach 1945 als der »zentrale Ort«1541 des Weiße RoseGedenkens mit dem »Erbe« des Widerstands umging und dieses durch Straßenund Platzbenennungen stadtgeografisch vor allem mit der Universität verband, hat Christine Hikel ausführlich dargestellt und, den Überblick Günther Kirchbergers1542 erweiternd, vor allem die Entwicklung der universitären Gedenkfeiern mit Kranzniederlegungen und Gedenkansprachen nachgezeichnet, die von 1947 bis 1968 regelmäßig am Jahrestag der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl an der Universität abgehalten wurden. Diese Feiern erfüllten Hikel zufolge in den ersten Nachkriegsjahren vor allem eine Funktion »akademischer Selbstvergewisserung«1543 und insgesamt die einer universitären Traditionsbildung, ihr zufolge ein Beispiel dafür, wie die »Erinnerung an die Weiße Rose« nicht nur in die »›große‹ Geschichte der Bundesrepublik«, sondern auch in die »vielen kleinen, disparaten Geschichten von ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Gruppen« eingeschrieben wurde.1544 Die Bezüge des universitätsoffiziellen Gedenkens beschränkten sich jedoch schon von Beginn an nicht auf den akademischen Raum. Der erste Rektor der wiedereröffneten Universität Prof. Dr. Georg Hohmann benannte in seiner Begrüßungsrede zur ersten Gedenkfeier an der Universität 1947 zum einen das Ausräumen von »weitverbreiteten Zweifeln an der charak1540 Eugen Ulmer: Bericht über das Rektoratsjahr 1959/60. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1960/1961 [1961], S. 20–29, S. 26. 1541 Siehe Hikel, Anm. 49, S. 163–177. 1542 Siehe Kirchberger, Anm. 42, S. 33–39. 1543 Ebd., S. 165. 1544 Hikel, Anm. 49, S. 165.

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Traditionen im Widerstreit

tervollen Haltung der Studenten« durch das Beispiel der »Opfer an der Universität München«, zum anderen die Ausbildung eines staatsbürgerlichen »Gefühl[s] der Verantwortung« der Studierenden durch Beschäftigung mit der »Tragödie des Schollkreises« als Ziele des universitären Gedenkens, die er aber auch über die Universität hinaus zu einem besonderen Teil des »Geschichtsbild[s] der letzten Vergangenheit« erklärte.1545 Für den Gedenkredner Karl Vossler war das zentrale und »eigentliche Ziel der Münchener Bewegung« der »Punkt der freien Wissenschaft«, für die Kurt Huber und die Studenten »ihr Leben gelassen« hätten.1546 Die den »toten Kommilitonen« gewidmete Gedenktafel sei eine Mahnung an die Studierenden, »jedesmal neu diese Freiheit [zu] erkämpfen, [zu] hüten und [zu] verteidigen«.1547 Auch der lateinische Text der Seneca zitierenden Inschrift der Gedenktafel verweist »auf den akademischen Adressatenkreis dieser Widmung«,1548 aber mit der Rückführung des »unmenschlichen Todes« auf »Liebe zur Menschlichkeit« auch auf Vorzeichen einer antitotalitären Universalisierung des Widerstands.1549 Dieser leistet Vossler in seiner Gedenkrede Vorschub, wenn er die Verteidigung der »Freiheit des menschlichen Gewissens« gegenüber »Hitlers Gewaltherrschaft« betont1550 und den Kreis um die Geschwister Scholl von »feste[r] Organisation« sowie den Beschränkungen von Partei- und Konfessionsgrenzen absetzt.1551 Damit zeichnet er ein Deutungsmuster vor, das Inge Scholl in ihrem Buch fünf Jahre später auf die Folie des Kalten Krieges bezieht1552 und welches auch ihrem Text Es lebe die Freiheit unterliegt, der in einer 1955 vom Rektorat unterstützten und vom AStA herausgegebenen Broschüre abgedruckt ist, die »jedem neu an die Universität München kommenden Kommilitonen überreicht werden« sollte.1553 Die »mahnende Verpflichtung« durch die »Geschwister Scholl und ihre Freunde« bezieht der AStA-Vorsitzende Joseph Höss in seinem Geleitwort – ähnlich wie 1951 der VDS in einer auf der Grundlage von Inge Scholls Manuskript geplanten Broschüre – auf die Verhältnisse in der DDR:

1545 Karl Vossler : Gedenkrede für die Opfer an der Universität München. München: Pflaum 1947, S. 6–7. 1546 Ebd., S. 20–21. 1547 Ebd. 1548 Hikel, Anm. 49, S. 165. 1549 Vossler, Anm. 1545, S. 9. 1550 Ebd. 1551 Ebd., S. 10. 1552 Siehe Kapitel IV.1.1. 1553 Romano Guardini: Die Waage des Daseins. Zum Gedächtnis von Sophie und Hans Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf, Prof. Dr. Huber und Hans Carl Leipelt. Herausgegeben vom Allgemeinen Studentenausschuß und als Manuskript gedruckt für die Studenten der Ludwigs-Maximilians-Universität München 1955, S. 3.

Traditionsbildung und -kritik in der Bundesrepublik

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Heute ist jene schreckliche Zeit der schrankenlosen Willkür des Staates und des grausamen Ausgeliefertseins des einzelnen in weiten Kreisen wieder in Vergessenheit geraten. In behäbiger Zufriedenheit satten Wohlergehens ist es unbequem, an diese unfreundliche Vergangenheit zu denken – oder daran, daß heute noch im abgetrennten Teil unseres deutschen Vaterlandes Persönlichkeitswert und persönliche Freiheit mit Füßen getreten und der Staat zum Selbstzweck gemacht wird.1554

Hiermit erhält auch der zentrale und titelgebende Text der Broschüre, das Manuskript der 1945 gehaltenen Rede des Theologen Romano Guardini Die Waage des Daseins, in der dieser die Weiße Rose vor allem als christliches Opfer interpretiert, einen die Dimension der Freiheit und nicht die des Glaubens betonenden Paratext.1555 Anlässlich des 15. Todestags Kurt Hubers am 12. Juli 1958, an dem das von Lothar Dietz gestaltete, einen Opfergang darstellende Mahnmal für »Professor Dr. Huber und seinen studentischen Widerstandskreis« im wiedereröffneten Lichthof eingeweiht wurde, hielt Guardini erneut eine Gedenkrede.1556 Wie Inge Scholl wählte er die letzten Worte Hans Scholls als Überschrift und nahm sie zum Ausgangspunkt von Überlegungen zum Freiheitsbegriff, die bei ihm darauf hinauslaufen, dass Hans Scholls Ausruf eine neue Bedeutung in der Gegenwart annehme als »Ausdruck einer tieferen Gefährdung als jene es war, aus der er damals gekommen ist«.1557 Diese sieht er in einem neuen »Totalismus«, den er nicht nur auf die »Staatsordnung« kommunistischer Diktaturen, sondern auch auf »durch das Gefüge der technischen Kultur selbst sich auswirkenden Zwang[…]« in westlichen Demokratien bezieht.1558 Eine Woche nach diesem Festakt fand im Lichthof auf Betreiben des AStAs eine Gedenkfeier zum Jahrestag des 20. Juli 1944 statt. In seiner Ansprache erklärte der Rektor Joseph Pascher, die Universität bekenne »sich rückhaltlos zu 1554 Ebd., S. 4. 1555 Siehe zur christlichen Dimension Detlef Bald: Der christliche Hintergrund der Weißen Rose in frühen Zeugnissen. Die Beispiele Ricarda Huch und Romano Guardini. In: Detlef Bald, Jakob Knab (Hrsg.): Die stärkeren im Geiste. Zum christlichen Widerstand der Weißen Rose. Essen: Klartext 2012, S. 65–84; zum Kontext der Rede Hikel, Anm. 49, S. 58– 60. 1556 Feier der Wiederherstellung des Lichthofes und Enthüllung eines Mahnmals für Prof. Dr. Kurt Huber und seinen studentischen Widerstandskreis am 12. Juli 1958. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1957/1958. München [1958], S. 191–196. Zu Dietz’ Relief siehe Christiane Benzenberg: Denkmäler für die Widerstandsgruppe »Weiße Rose« in München und Hamburg. Mag.arbeit, Universität Bonn, Internet: http://www.weis se-rose-stiftung.de/images/pdf/Benzenberg-Denkmaeler.pdf, zuletzt geprüft am 01. 09. 2015, nicht mehr aufrufbar am 11. 07. 2018. 1557 Romano Guardini: »Es lebe die Freiheit!«. Festrede, gehalten bei der Enthüllung des Mahnmals für Professor Kurt Huber und seinen studentischen Widerstandskreis am 12. Juli 1958. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1958/1959. München [1959], S. 101–110, S. 106. 1558 Ebd.

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der Tat des Kreises der Weißen Rose«, in der sie die »fast überirdische Entscheidung des Gewissens für Freiheit und Menschenwürde« erblicke, bekenne sich aber »nicht weniger, und in dem gleichen Sinne zu den Männern des 20. Juli«.1559 Der weitere Verlauf der Rede zielt jedoch darauf ab, den Gegensatz zwischen den »Opfer[n] der Kriege« und den »Opfer[n] der Diktatur« zu überwinden.1560 Pascher bezieht sich auf die bevorstehende Enthüllung der von der Universitätsleitung initiierten »Gedenktafel für die Opfer der drei großen Kriege«, die an »das Heer aller jener jungen Akademiker, die unter dem Schicksal dreier Kriege gefallen sind«, erinnern sollte, unabhängig davon »welchen Volkes und welcher Rasse oder Farbe auch immer sie waren«.1561 Der Redner sieht sich gezwungen, in seiner Auslegung der vorgesehenen Inschrift der Gedenktafel die Erinnerung an die Kriegsopfer zu verteidigen. Er begründet, warum diese »non in vanum«, also nicht umsonst gestorben seien: »Wir können die Blüte der Jugend, die im Schicksal der Kriege untergegangen ist, nicht unter den Fluch des ›in vanum‹ stellen, auch die deutsche nicht«, da dies ein »moralische[s] Todesurteil«, einen »zweiten Tod« bedeuten würde.1562 Hier nimmt Pascher Bezug auf Proteste von Studierenden und Lehrenden gegen die lateinische Fensterinschrift des aus Vorkriegszeiten stammenden sogenannten Adlergitters im Lichthof, ein Horaz-Zitat, das übersetzt lautet: »Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben«.1563 Die mit der Notwendigkeit von Versöhnung begründete Parallelisierung von Kriegstoten und Opfern des Widerstands erfolgt über das Attribut der »Opferbereitschaft«: Zwar ist es keineswegs gleichgültig, für was der Mensch bereit ist. Das Opfer der Weißen Rose und des 20. Juli waren Hingabe an Wahrheit und Freiheit. Das Opfer der anderen, unserem Herze nahe Verbundenen, war wider Willen mißbraucht in der Hand des Bösen. Und doch war auch ihre Bereitschaft, wie es im Adlergitter heißt, »Virtus mortuorum«, sittliche Größe innerster Persönlichkeit. Diese Einsicht bedeutet den Frieden dieser Halle in der Tragik des Heute und Jetzt.1564

Von AStA und Universität ausgerichtete Gedenkenfeiern zum 20. Juli 1944 setzten sich bis in die 1960er-Jahre hinein fort. 1961 hielt der rechtskonservative Autor des Buchs Geist der Freiheit Eberhard Zeller eine Rede zu diesem Anlass, die in ihrem Schluss »das Erbe des Zwanzigsten Juli« mit einem Plädoyer für 1559 Joseph Pascher : Rede zur Gedenkfeier zum 20. Juli im Lichthof der Universität. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1958/1959. München [1959], S. 52–54, S. 53. 1560 Ebd., S. 52. 1561 Ebd., S. 53. 1562 Ebd., S. 53–54. 1563 Siehe hierzu auch Hikel, Anm. 49, S. 172. 1564 Pascher, Anm. 1559, S. 54.

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Nationalstolz verbindet.1565 Für den Rektor des akademischen Jahres 1961/1962 Julius Speer stellen die »Toten des 20. Juli« einen »Anruf unseres eigenen Gewissens« dar : »Haben wir noch die Fähigkeit, uns einer Sache um des Wohles unseres Volkes willen ganz hinzugeben? Geht von unserem Handeln ein Leuchten aus auch auf die Brüder und Schwestern jenseits der Mauer?«1566 Die univerisätsoffizielle Affirmierung von nationalstaatlicher Kontinuität über ein entdifferenzierendes Kriegsopfergedenken in den 1950er-Jahren war ebenso kongruent mit geschichtspolitischen Positionen der Bundesregierung wie die antikommunistische Universalisierung des Widerstandsgedenkens. In diesen Fragen deckten sich die Positionen der Universitätsleitung und des konservativ dominierten AStAs. Sowohl (akademische) Tradition wie auch Antikommunismus verloren Hikel zufolge ab Ende der 1950er-Jahre in der Studentenschaft »zunehmend an Bindekraft«,1567 was sie mit Konflikten im AStA in Zusammenhang mit der Niederlegung von Kränzen durch Studenten der Universität Jena belegt.1568 Positionen (universitäts)offiziellen Gedenkens und – nicht nur studentischer – Universitätsöffentlichkeit divergierten zunehmend. So stießen Aussagen des Theologen Helmut Thielicke auf Unmut, der 1963 die Gedenkansprache zum zwanzigsten Jahrestag der Hinrichtung Hans und Sophie Scholls und Christoph Probsts hielt und auch auf die wachsenden gesellschaftlichen Protestbewegungen Bezug nahm. In seiner Rede mit dem Titel Von der Freiheit, ein Mensch zu sein stellt er die Funktion der Opposition im »freiheitliche[n] Rechtsstaat«1569 der »illegale[n] Opposition« gegen eine »ideologische[…] Tyrannis« gegenüber und schließt daran anknüpfend die »Brüder jenseits der Mauer« in das Gedenken an die Geschwister Scholl ein.1570 Im Rechtsstaat dagegen dürfe Opposition keine »Lebenshaltung« sein.1571 Thielicke bezieht sich hier auf die öffentlichen Proteste im Zuge der Spiegel-Affäre und warnt vor einem Missbrauch des Freiheitsbegriffs: Es ist nicht zu übersehen, daß hier ein fundamentaler Frontwechsel vorliegt gegenüber der Situation, in der die Geschwister Scholl kämpften. Wenn es damals das Thema war, die Freiheit gegenüber dem totalen Staat zu verteidigen, so könnte es heute zum Thema

1565 Eberhard Zeller : Geist der Freiheit. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1960/1961. München [1961], S. 77–78. 1566 Julius Speer : Einleitende Worte zur Gedenkstunde zum 20. Juli 1944. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1961/1962. München [1962], S. 56–57, S. 57. 1567 Hikel, Anm. 49, S. 177. 1568 Siehe Kapitel V.2.1. 1569 Helmut Thielicke: Von der Freiheit ein Mensch zu sein. Rede zum 20. Todestag der Geschwister Scholl gehalten am 22. Februar 1963 in der Universität München. Tübingen: Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins 1963, S. 8. 1570 Ebd. 1571 Ebd., S. 24.

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werden, den Staat vor der zügellosen Freiheit entfesselter Gruppen oder Publikationsorgane in Schutz zu nehmen.1572

Diese und andere Gedankengänge, etwa die ablehnende Haltung des Redners zur Anerkennung der Oder-Neisse-Grenze,1573 hatten schon während der Veranstaltung für Protestäußerungen gesorgt. 1966 kam es an der LMU erstmals zu einer linken Mehrheit im AStA und auch in München verstärkten sich studentische Protestbewegungen.1574 Zugleich öffneten sich 1966 und 1967 zwischenzeitlich die Positionen der Universitätsleitung. Rektor Ludwig Kotter betonte bei der Gedenkfeier 1966, die Universität betrachte die Weiße Rose »nicht als Alibi«: »Erst wenn wir der Überzeugung sein können, daß die Tat der Weißen Rose ein zweites Mal nicht notwendig sein wird […] werden wir von einer Gedenkfeier sprechen können, bis dahin sei es eine Gedenkstunde.«1575 Mit Verweisen auf die Weiße Rose verhielt sich das Rektorat auch zur Forderung eines allgemeinpolitischen Mandats studentischer Organe,1576 auf das es mit einer Zusicherung der Unterstützung politischer Bildung reagierte, wie Rektor Carl Becker gegenüber neuimmatrikulierten Studierenden erklärte: Für uns ist durch die Namen »Geschwister Scholl« und »Kurt Huber », zu denen die Universität sich voller Stolz bekennt, dieser Bereich genügend gekennzeichnet; sie reichen aus, um deutlich zu machen, daß es nicht der Wunsch der Universität sein kann, politikfremde Fachstudenten heranzubilden, die allem öffentlichen Geschehen fremd und hilflos gegenüberstehen. Politische Bildung wird an der Universität München nach Kräften unterstützt.1577

Becker verwies auf die Vereinbarung, die unter seinem Vorgänger Kotter mit dem AStA getroffen wurde, von der Studentenschaft eigenverantwortlich organisierte politische Veranstaltungen an der Universität unter der Voraussetzung

1572 Ebd., S. 25. Hervorhebung im Original. 1573 Ebd, S. 15. 1574 Uwe Rohwedder : Allgemeiner Studentenausschuss (AStA), in: Historisches Lexikon Bayerns, Internet: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44409, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 1575 Ludwig Kotter : Rede zur Geschwister Scholl-Gedenkfeier im Lichthof der Universität 25. Februar 1966. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1965/1966. München [1966], S. 102–104, S. 104. 1576 Ludwig Kotter: Beitrag zum Akademischen Symposium »Revolution statt Reform? Der Student in Hochschule und Gesellschaft« in der Katholischen Akademie in Bayern 2. Dezember 1967. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1967/1968. München [1968], S. 62–68, S. 65. 1577 Carl Becker: Rede zur Immatrikulationsfeier 13. November 1967. In: Chronik der LudwigMaximilians-Universität München 1967/1968. München [1968], S. 41–47, S. 45.

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einer Erklärung zuzulassen, dass es sich dabei nicht um politische Demonstrationen handele und verschiedene Standpunkte berücksichtigt würden.1578 Die Universitätsleitung nahm ihrerseits den Text der Rede des Berliner Bildungsforschers Peter Müller in ihre Chronik auf, der auf Einladung des AStAs zum Thema »Universität zwischen Anpassung und Widerstand« auf der Gedenkfeier 1967 gesprochen hatte. Dieser erinnert in seiner Rede zunächst an die Beteiligung von Studierenden und Professoren an den Bücherverbrennungen 1933 und an mehrheitliches Schweigen und weitreichende Mitwirkung der Hochschulen an der nationalsozialistischen Herrschaft und konstatiert eine »Verspätung und Wirkungslosigkeit« des Widerstands des Kreisauer Kreises, des 20. Juli 1944 und der Weißen Rose.1579 Hieran anknüpfend stellt er die Frage nach einem Zusammenhang zu »spezifischen geistigen Traditionen […] unpolitischen Bewußtseins und bürgerlich-adliger Demokratieferne und Obrigkeitsstaatlichkeit.«1580 Mit Verweis auf das Erstarken der NPD und der Ausbreitung rechtsextremer Tendenzen auch in den Hochschulen fragt er, ob »nicht längst die Zeit für eine Überwindung von politischer Gleichgültigkeit und Wiederbelebung der politisch-demokratischen Gesamtverantwortung der Studenten und ihrer Vertretungen«1581 reif sei: [W]enn wir [das] Vermächtnis [der Weißen Rose, C.E.] heute einlösen wollen, so sollten wir die Verantwortlichkeit jedes einzelnen Demokraten dafür in Anspruch nehmen, daß eine Wiederkehr einer vergleichbaren Entwicklung bereits zu einem Zeitpunkt verhindert wird, wo sie noch verhindert werden kann. Das verlangt, wie mir scheint, ein beachtliches Maß von rationaler politischer Abwägung von Zielen und Mitteln, es ermöglicht ein Engagement gegen das Wiederauferstehen des Rechtsradikalismus und des antidemokratischen Nationalismus in verschiedener Form, es verlangt allerdings auch eine Entscheidung von vergleichbarer persönlicher Verbindlichkeit im Denken und Handeln, wie sie Hans und Sophie Scholl in ihren Flugblättern vor 24 Jahren an dieser Stelle von ihren Kommilitonen gefordert haben. Es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, daß solche Entscheidung für politische Humanität und Rationalität niemals wieder um den Preis des Verlusts von Leib und Leben angestrebt werden muß.1582

Müllers Argumentationslinien weisen Parallelen auf zu denen Christian Petrys, die ein Jahr später Kontroversen entfachten.1583 1968 kam es am unter den Vorzeichen der sich radikalisierenden Studen1578 Ebd. 1579 Peter Müller : Geschwister-Scholl-Gedenkfeier im Lichthof der Universität 22. Februar 1967. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1966/1967. München [1967], S. 69–80, S. 73. 1580 Ebd. 1581 Ebd., S. 79. 1582 Ebd., S. 80. 1583 Siehe Kapitel V.I.4.

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tenbewegung zu einem Eklat bei der Gedenkfeier zum 25. Jahrestag. Zu Beginn der Feier richtete sich Robert Scholl an die Studierenden: Wir leben nicht mehr im Zeitalter des Barocks, sondern im Zeitalter der Kernenergie. »Panta rei« hat schon Heraklit vor 2500 Jahren festgestellt. Nichts auf unserer Welt ist von ewigem Bestand. Daher habe ich Verständnis für Ihre Unruhe und Reformbestrebungen. Und doch möchte ich Sie herzlich bitten, diese Totengedenkfeier für meine Kinder und ihre Freunde nicht zu stören, sondern in der Stille ihrer mitzugedenken. Dafür wäre ich Ihnen dankbar.1584

Die anschließende Gedenkrede des konservativen Historikers Walter Bußmann verfolgte das Ziel, den »innere[n] Zusammenhang« der Weißen Rose mit »der deutschen Opposition« nachzuweisen.1585 Bezugnehmend auf Hans Mommsen erklärt Bußmann die Historisierung »der politischen, insbesondere gesellschaftspolitischen Vorstellungen«1586 im Widerstand zwar für berechtigt, sieht den Maßstab für dessen Würdigung jedoch nicht im politischen, sondern im »sittliche[n] Impuls« und der Bereitschaft zur Tat unter Einsatz des eigenen Lebens: Der sittliche Impuls im Handeln des Münchener Widerstandskreises lag in der offenen und radikalen Absage an die nationalsozialistische Diktatur. Die Bilder von einer Zukunft mochten auseinandergehen, aber die Bereitschaft zum Bekennen und zur Tat wirkte bis in den Tod einigend und die Nachwelt verpflichtend.1587

Der Bitte Robert Scholls wurde nicht entsprochen. Während der Rede Bußmanns kam es zu Sprechchören, die Parolen wie »Mörder feiern ihre Opfer« und »Nazis raus« skandierten.1588 Studenten rollten ein Transparent »Wer den Widerstand feiert, unterdrückt ihn heute« aus.1589 Wie bereits bei der Gedenkfeier 1965 die Subversive Aktion imitierten Studierende die Flugblattaktion Hans und Sophie Scholls und warfen Flugblätter des SDS und der Aktionsgemeinschaft Demokratische Universität von der Empore des Lichthofs.1590 Nachdem diese Zwischenfälle bundesweit in den Medien beachtet wurden, setzte die Universität die offiziellen Gedenkfeiern aus. 1584 Robert Scholl: Begrüßung. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1967/1968. München [1968], S. 49. 1585 Walter Bußmann: Der deutsche Widerstand und die »Weiße Rose«. München: Hueber 1968, S. 3. 1586 Ebd., S. 4. 1587 Ebd., S. 16. 1588 Gernot Sitter : Zwischenfälle bei Gedenkstunde für die Weiße Rose. In: Süddeutsche Zeitung, 24/25. 02. 1968. 1589 Ebd. 1590 Ebd. Fotografien der Aktion bei Andreas Heusler : Die Weiße Rose im Gedächtnis der Stadt. Wandel und Kontinuitäten des Gedenkens. In: Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeitschrift für Politik und Geschichte (2013), Nr. 1, S. 18–25.

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Hikels Wertung, die Gedenkfeiern seien »mehr Anlass als Inhalt der studentischen Protestaktionen« gewesen,1591 übersieht, dass Form und Inhalte der offiziellen Gedenkfeiern eine Folie für Kritik boten, aber zugleich die Weiße Rose hierdurch zu einem Bezugspunkt wurde. So heißt es im Flugblatt des SDS: Weil wir dieses zynische Schauspiel einer Universitätshierarchie, die ihre Unversehrtheit von 1933 bis heute bewahren konnte, nicht zulassen können, kommen wir alle heute in den Lichthof, um die Geschwister Scholl angemessen zu vertreten.1592

Auch wenn das Anliegen der protestierenden Gruppen sicherlich »nicht primär Widerstandserinnerung«1593 war, stellt der Abbruch des universitätsoffiziellen Gedenkens bis Anfang der 1980er-Jahre keinen Bruch der Erinnerung dar. Zum Jahrestag 1973 veranstalte der VDS in einem breiten Bündnis von Organisationen des linken Spektrums1594 eine Kranzniederlegung im Lichthof, bei der Vertreter der VVN-BdA, des DGB und des VDS sprachen.1595 Im Aufruf zur Veranstaltung werden Interpretationen der Weißen Rose dem universitätsoffiziellen Gedenken gegenübergestellt: Richtig sei, dass die Flugblätter 1942 von einer »philosophisch-idealistischen Grundhaltung geprägt waren und noch irrationale, metaphysische Gedankengänge enthielten«; »[v]erheimlicht« werde allerdings, dass die ab Ende 1943 herausgegebenen Flugblätter »von einer politischen Weiterentwicklung der Gruppe zeugen« – als Beleg dient ein Zitat aus dem fünften Flugblatt »Glaubt nicht der nationalsozialistischen Propaganda, die Euch den Bolschewisten-Schreck in die Glieder gejagt hat«.1596 Dieses Flugblatt passe »nicht mehr ins sorgfältig retuschierte auf die Rechtfertigung offiziöser BRD-Historie zurechtgestutzte Bild der humanistischen Schwarmgeister«, das auch die »herrschende reaktionäre Ordinarienschaft der LMU« nutze, um »ihre braun-schwarze Weste rein zu waschen«.1597 Das »Andenken an die Weiße Rose« zu bewahren könne deshalb »nur Aufgabe der demokratischen Kräfte sein, die im Sinne dieser Opfer des Faschismus den Kampf weiterführen gegen den immer 1591 1592 1593 1594

Hikel, Anm. 49, S. 182. Zitiert nach ebd., S. 179. Hikel, Anm. 49, S. 182. Gewerkschaftlicher Arbeitskreis Studenten (GAST), Sozialdemokratischer Hochschulbund (SHB), MSB Spartakus, AStA der TU München, Arbeitskreis junger Antifaschisten (AjA) München, Deutsche Angestelltengewerkschaft Jugend (DAG) München, Internationale der Kriegsdienstverweigerer (DFG/IDK) Bayern, DGB-Jugend München, Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) München, Sozialistische Deutsche Jugend »Die Falken« (SDJ) Bayern. 1595 Verband Deutscher Studentenschaften (VDS): Faltblatt und Anschlag zur Veranstaltung zum »30. Jahrestag der Ermordung der Geschwister Scholl« am 22. 02. 1973, [ca. Februar 1973]. In: IfZ, ED 474 (243). 1596 Ebd. 1597 Ebd.

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noch wachen, reaktionären Ungeist an unserer Universität.«1598 Ähnlich argumentierte 1972 der MSB Spartakus insbesondere mit Bezug zum Entwurf des bayerischen Hochschulgesetzes, das 1973 die verfassten Studentenschaften durch Gremienmitbestimmung ersetzte,1599 in einer Broschüre anlässlich des 500. Jubiläums der Universität, die den 1968 in der ZfG erschienenen Aufsatz des DDR-Historikers Karl-Heinz Jahnke nachdruckt.1600 Auch 1975 riefen VVN-BdA, der AStA der TU, Evangelische Studentengemeinde sowie MSB Spartakus und SHB zu einer Gedenkfeier auf, die jedoch vom Rektorat mit Berufung auf eine Weisung des bayerischen Kultusministeriums in den Universitätsräumen untersagt wurde, mit der Begründung, dass es sich um einen »Mißbrauch des Andenkens […] für kommunistische Parteipolitik« handele.1601 Statt der Gedenkfeier kam es zu einer Protestkundgebung, mit der sich 19 Münchner Schriftsteller solidarisch erklärten, darunter Bernt Engelmann, Franz Xaver Kroetz, Angelika Mechtel, Erika Runge, Ulrich Sonnemann und Günter Wallraff.1602 1978 organisierten VVN-BdA und DGB eine Gedenkfeier im Lichthof mit 200 Teilnehmenden, der Vertreter der Universität, der Stadt und der Landesregierung fernblieben.1603 1979 plante die Universität gemeinsam mit dem DGB eine Feier, die jedoch aus Sorge vor Störungen abgesagt wurde.1604 In den 1970er-Jahren etablierte sich auf Betreiben des Vereinigten Arbeitskreises der Naziverfolgten (VAN) ein Gedenken an den Hamburger Zweig der Weißen Rose an der Universität Hamburg. Bei der Einweihung einer Gedenktafel erklärte der AStA-Vorsitzende Wolfgang Homfeld, die Studentenbewegung stehe »in der Tradition des antifaschistischen Kampfes«, welcher »viele seiner hervorragendsten Führer und einen großen Teil seiner politischen Stärke aus dem Arbeiterwiderstand erhalten« habe; ein Fakt, der in der Bundesrepublik »fast immer unterschlagen« werde.1605 Betrachtet man das universitäre Gedenken nicht nur auf der universitätsof1598 Ebd. 1599 Rohwedder, Anm. 1574. 1600 Hans-Joachim Lüddeke (Verantw.): 500 Jahre Klassenuniversität München, 500 Jahre Kampf gegen die Reaktion. Eine Dokumentation des MSB-Spartakus zur 500-jährigen Geschichte der Ludwig-Maximilian-Universität München. München [1972]. Zu Jahnkes Aufsatz siehe Kapitel V.2.2. 1601 Kirchberger, Anm. 42, S. 38. 1602 O. A.: Ehrung der Geschwister Scholl in der BRD verboten. In: Berliner Zeitung, 22. 02. 1975, S. 5. 1603 O. A.: München: Kranzniederlegung für die Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 25. 02. 1978, S. 7. 1604 O. A.: Geschwister-Scholl-Feier geplatzt. Gewerkschaft zieht sich als Mitveranstalter zurück / Störungen durch Chaoten. In: Süddeutsche Zeitung, 21. 02. 1979. Siehe zur weiteren Entwicklung Kapitel VI.2.3. 1605 Ansprachen anläßlich der Einweihung einer Gedenktafel in der Unviersität Hamburg, 28. 09. 1971. In: IfZ, ED 474 (391).

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fiziellen Ebene, erscheint die in der Forschung etablierte Annahme eines »etablierten nationalen Erinnerungskonsens[es]«,1606 der erst durch »Generationenkonflikt«1607 im Zuge der Studentenbewegung gebrochen wurde, ebenso wenig plausibel wie der pauschale Befund verlorenen Gegenwartsbezugs der Weißen Rose nach 1968.1608 Vielmehr zeigen sich Dynamiken in und Wechselwirkungen zwischen staatlichen und universitätsoffiziellen Positionen auf der einen Seite sowie derer verschiedener im universitären Raum agierender Gruppen von der organisierten Studentenschaft über an politische Parteien angeschlossene und außerparlamentarische politische Gruppen bis hin zu den Gewerkschaften. Die Weiße Rose ist und bleibt dabei, nicht nur in München, ein wichtiger Bezugspunkt der Diskussion um das Verhältnis von Universität und Politik. Diese knüpft an die nach 1945 virulent werdende Frage nach und Befragung von Kontinuitäten an, wobei die Verhandlung universitärer und nationaler Traditionen mit der Affirmation von bzw. Kritik philosophiegeschichtlicher Grundlagen eng verbunden ist.

V.1.2 Weder »Antifa-Film« noch »nationaler Heldenfilm«: Rolf Thiele, Erich Kuby und die Wandlungen des Filmprojekts Die Geschwister Haller In ihrem Entwurf zu einem Film Die Geschwister Haller für die Ufa nehmen Erich Kuby und Rolf Thiele Mitte 1958 auf »bisher unternommene[…] Versuche« Bezug, einen an den »historischen Vorgängen, die mit dem Namen Scholl und dem Symbol der Weissen Rose verbunden sind«, orientierten Film zu realisieren.1609 Diese seien vor allem deshalb »gescheitert, weil der Stoff nicht mit vollkommener innerer Freiheit ergriffen worden ist«, was vor allem mit den positiven und negativen Vorurteilen gegenüber »dieser edelsten und sinnlosesten Episode des deutschen Widerstands« zu begründen sei.1610 Die Autoren setzen die Erinnerung an die Weiße Rose in den Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit Traditionslinien deutscher Geschichte und formulieren den Anspruch, einen »deutschen Nationalfilm zu schaffen, dem ersten wieder seit Jahrzehnten, der versuchen soll, eine zeitgenössisch umfassende künstlerische 1606 1607 1608 1609

Hikel, Anm. 49, S. 177. Ebd., S. 189. Ebd., S. 247. Erich Kuby, Rolf Thiele: Die Geschwister Haller (Arbeitstitel) frei nachgebildet den historischen Vorgängen, die mit Hans Scholl und dem Symbol der Weissen Rose verbunden sind. Entwurf zu einem Film, Typoskript, 7 Seiten, 1958. In: IfZ, ED 474 (405), S. 1. Der Text ist im Anhang IX.2 dokumentiert. 1610 Ebd.

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Formel für deutsches Schicksal zu finden«.1611 Kuby und Thiele geht es dabei darum, eine mit dem »individuell Menschlichen« konnotierte »Ehrfurcht« vor dem Schicksal der Geschwister Scholl in eine am »Nationalen« ansetzende Kritik an der »Verblasenheit einer idealistischen Tradition« zu überführen.1612 Um die Anlage dieses Projekts zu erfassen und zu kontextualisieren, werden im Folgenden in einem ersten Schritt zuvor ebenfalls nicht realisierte Filmprojekte anderer Autoren zur Weißen Rose beleuchtet und in einem zweiten Schritt vorherige Interpretationen der Weißen Rose Kubys und Thieles untersucht. Bereits wenige Monate nach der Lizenzierung von Filmproduktionsfirmen in den deutschen Besatzungszonen hatte sich im März 1947 die Bavaria Film an Inge Scholl gewandt, um sie für die Mitwirkung an einem Film zum »Thema Geschwister Scholl« zu gewinnen.1613 In ihrem positiven Antwortschreiben schrieb Scholl dem Spielfilm eine »unerhörte pädagogische Macht […] für den heutigen Menschen zu« und sah in einem Film sogar die Möglichkeit, »das Fortwirken dessen zu versuchen, was meine Geschwister und ihre Freunde erfüllte«.1614 Scholl bezog den Feuilleton-Redakteur des Münchener Merkurs, Herbert Hohenemser, in ihre Pläne mit ein,1615 der Hikel zufolge auch ein erstes Expos8 schreiben sollte. Anders als von Hikel angegeben, ist jedoch in Inge Scholls Nachlass von ihm kein Expos8entwurf, sondern ein Manuskript für eine Gedenkrede mit dem Titel Der Weg ist das Ziel von 1947 überliefert, in welchem gleichwohl Deutungen verdichtet formuliert sind, die auch dem von Inge Scholl und Otl Aicher Ende 1947/Anfang 1948 verfassten Filmentwurf 1616 zugrunde liegen: Es ist ein tiefer Irrtum, zu glauben, das Kriegsende, die Beseitigung der Tyrannis, sei das Ziel Hans Scholls und seiner Freunde gewesen. Das alles war der Weg. Und wir, die ganze überlebende Generation, haben diesen Weg weiter zu gehen. Deshalb kann auch der damalige Münchner Kreis nicht eine »Bewegung« genannt werden. Sie waren nicht politisch im Sinne irgendeiner Parteipolitik, nicht confessionell im Sinne einer engen Orthodoxie, nicht bündisch, nicht organisiert, nicht revolutionär. Aber das ganze Deutschland war in ihnen. Das ewige Deutschland, an dem zwölf Jahre Mordversuch 1611 Ebd., S. 2. 1612 Ebd. 1613 Bavaria-Filmkunst GmbH: Brief an Inge Aicher-Scholl, 25. 3. 1947. In: IfZ, ED 474 (402). Siehe zur Geschichte dieses Filmprojekts Hikel, Anm. 49, S. 77–85. 1614 Inge Scholl: Brief an Thiery / Dr. Burru, Bavaria-Filmstudio, 29.041947. In: IfZ, ED 474 (402). 1615 Hohenemser setzte einen Vertragsentwurf auf, dem zufolge Inge Scholl weitgehende Entscheidungsmacht bezüglich Drehbuch und Mitwirkenden des Films zukommen sollte, um »dokumentarische Treue« und Angemessenheit in Bezug auf die »geistige[…] Haltung des Geschwister-Scholl-Kreises« zu gewährleisten. Herbert Hohenemser: Vertragsentwurf für Film-Expos8. Typoskript, 3 Seiten, [ca. 1948]. In: IfZ, ED 474 (402). 1616 Siehe Sannewald, Anm. 936.

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nichts ausrichten konnten. Das Deutschland des Abendlandes, der Welt. Deutschland, das sein wird, immer wieder und durch das Leiden geläutert.1617

Die Charakterisierung der Weißen Rose als über alle gesellschaftlichen Kategorien erhaben und sie zugleich repräsentierend zeigt sich im Filmentwurf insbesondere in der Rede der Figur Hans Scholls vor Gericht, in der dieser zum einen prophezeit, die Politik werde »im Feuerofen dieser Tage neue Formen« annehmen, zum anderen erklärt, die Gruppe wisse sich »als Sprecher von Millionen von Deutschen« und »Stellvertreter des ganzen, heimlich unterdrückten Deutschlands«, »für den Arbeiter«, »für die Christen«, »die deutsche Jugend« und als »Glied in der Kette des gesamten europäischen Widerstands gegen die Tyrannis«.1618 Die auf die Nation bezogene Dialektik zwischen Kontinuität und Erneuerung in Form einer Läuterung durch Leiden wird deutlich, wenn Sophie in einer Szene gegenüber Theodor Haecker sinniert: Ist nicht das deutsche Volk dasjenige – nach dem jüdischen – das zutiefst unter der Tyrannis der Dämonie zu leiden hat? Ich glaube an die unermessliche Kraft des Leides und dass es Brücke und Fähre werden kann, uns ans andere Ufer zu bringen.1619

In Dialogen zwischen Hans und Theodor Haecker, Carl Muth und Kurt Huber über christliche und humanistische Ideale1620 wird die Konstruktion einer Generationenfolge deutlich. So wie Hans Scholl in Auseinandersetzung mit diesen ›Mentoren‹ zu seiner Haltung kommt, sagt er Freisler gegenüber eine Nachfolge durch seine Generation voraus: »[D]ie Freiheit wird nur wachsen, gerade dadurch, dass ihr uns dem Tod überliefert«.1621 Das Bavaria-Projekt kam letztlich nicht zustande,1622 aber als keine fünf Jahre später die Central Cinema Company (CCC) des Berliner Produzenten Artur Brauner1623 mit Kurt Meisel als Regisseur einen Geschwister Scholl-Film drehen 1617 Herbert Hohenemser : Der Weg ist das Ziel. Typoskript, 3 Seiten, 1947. In: IfZ, ED 474 (402). 1618 Expos8, Anm. 936, S. 103–104. 1619 Ebd., S. 90. 1620 Ebd., S. 64–66, S. 83–85. 1621 Ebd., S. 105. 1622 Hikel, Anm. 49, S. 83–85. 1623 Die Motive und Interessen der CCC Artur Brauners waren vielfältiger Natur, er äußerte sich adressatenspezifisch zu seinen Intentionen. Gegenüber Eugen Kogon, dessen Verlag der Frankfurter Hefte als Verleger des Buchs von Inge Scholl sowohl geschäftliches als auch inhaltliches Interesse an dem Filmprojekt hatte, bezeichnet Brauner das Projekt als »eine Sache des Herzens, nicht des Profits«. Er fühle »eine aktuelle Verpflichtung, den breiten Schichten, die bekanntlich allzu leicht vergessen, einen Film wie diesen vor Augen zu führen«, und führt als weiteren Grund für das Aufgreifen des Stoffes an, dass er selbst »ein Opfer jener zwölf Jahre« sei (Artur Brauner : Brief an Eugen Kogon, 14. 10. 1952. In: DFI, Artur-Brauner-Archiv, Manuskripte (Sch)). An Helmut Käutner, den Brauner als Drehbuchautor gewinnen wollte, schreibt er, das Projekt setze die »realistische und pro-

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wollte,1624 hatte sich Inge Scholls Einstellung zum Medium Film grundsätzlich geändert. Sie widersetzte sich dem Vorhaben – weitgehend im Verbund mit den anderen Angehörigen. In Stellungnahmen gegenüber der Presse stellte sie die moralische Seite ihres Protests heraus und aktivierte ihr Netzwerk. So kam es zu einer öffentlichen Debatte über »den öffentlichen Umgang mit privaten Geschichten«1625 und eine zuvor aussichtsreich scheinende Finanzierung des Filmvorhabens der CCC durch Bürgschaften des Bundes und des Senats scheiterte. Hikel zufolge drehten sich Debatten um das Filmprojekt um das Verhältnis von Familien- und öffentlicher Erinnerung, jedoch »kaum um die politischen Fragen und Verortungen von Widerstandserinnerung im antikommunistischen Freiheitsnarrativ«.1626 In einem ausführlichen Bericht des Spiegels werden jedoch sehr wohl Fragen nach der politischen Verortung der Widerstandserinnerung aufgeworfen, wenn gefragt wird, ob das »politisch-psychologische Risiko« nicht zu groß sei, »wenn die Masse des Publikums dadurch zur Opposition gereizt wird, daß zwar Filme über den Widerstand gedreht werden, das ›Fronterlebnis‹ jedoch ignoriert« werde.1627 Der Artikel kommt sogar zu dem Schluss, dass ein deutscher Scholl-Film nur unter der Bedingung einer Versöhnung zwischen Widerständlern und Frontsoldaten möglich sei.1628 Den Horizont des deutschen Kinopublikums hatte wohl auch der – kommerziell sehr erfolgreiche – Autor Werner Zimbaso im Sinn, der zwischenzeitlich von Brauner als Drehbuchautor angefragt wurde. Ihm schwebte ein Film zur »menschlichen Grundhaltung« und dem »Idealismus und der Begeisterungsfähigkeit« der Geschwister Scholl vor, der kein »politisches Credo«, sondern eine »schicksalshafte Tragödie« gestaltet, die in ihrer »zeitlosen Gültigkeit jedem etwas sagt«.1629 Ein

1624 1625 1626 1627 1628 1629

gressive Linie« der CCC fort (Artur Brauner : Brief an Helmut Käutner, 26. 08. 1952. In: DFI, Artur-Brauner-Archiv, Manuskripte (Sch)). Gegenüber den staatlichen Stellen betont er wiederum den »wichtigen Beitrag zur Hebung des Niveaus des deutschen Films der Nachkriegszeit«, eine sehr wahrscheinliche Beachtung im Ausland und die Weiße Rose als Beispiel für den Kampf gegen ein totalitäres Regime. Aufgrund des hohen Risikos und der angestrebten Qualität beantragte die CCC eine Erhöhung der üblichen Senatsbürgschaft (Antrag auf eine Sonder-Bürgschaftsregelung der CCC an die Senatsverwaltung für Wirtschaft, 17. 10. 1952. In: DFI, Artur-Brauner-Archiv, Manuskripte (Sch)). Der Senat sicherte zunächst Unterstützung zu, unter der Voraussetzung, dass ein »Filmdokument von künstlerischem Wert« geschaffen werde (Referat Film beim Senator für Volksbildung Berlin: Brief an Artur Brauner, 05. 12. 1952. In: DFI, Artur-Brauner-Archiv, Manuskripte (Sch)). Zur Geschichte dieses Projekts siehe Hikel, Anm. 49, S. 140–155. Ebd., S. 141. Hikel, Anm. 49, S. 155. O. A.: Geschwister Scholl. Etwas für Frauen? In: Der Spiegel, 29. 04. 1953, S. 28. Ebd., S. 30. Werner Zimbaso: Brief an Artur Brauner, [ca. 20. 09. 1952]. In: DFI, Artur-Brauner-Archiv, Manuskripte (Sch).

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Zitat Gerhard Grindels im Spiegel-Artikel, der eine erste an Alfred Neumanns Roman Es waren ihrer sechs angelehnte Drehbuchversion1630 und dann mit Axel Eggebrecht zwei Versionen eines Drehbuchs unter dem Titel Die Geschwister Haller anfertigte, verweist auf Grenzen bezüglich einer politischen Positionierung des Films: Er wolle zwar den »Film nicht gerade mit dem Wind der deutschen Restauration segeln lassen, doch auch nicht gegen die Brise: ›Die Leute in Westdeutschland stehen sonst auf und singen das Horst-Wessel-Lied‹«.1631 In diesem Zusammenhang erklärt Grindel auch, um das Thema der Judenverfolgung »›rumgegangen‹« zu sein.1632 Die 1953 vorgelegte dritte Version des – leider in keinem der in Frage kommenden Archive auffindbaren – Drehbuchs von Grindel und Eggebrecht stellt dem Spiegel zufolge Sophie Scholl in den Vordergrund, die in Rückblenden die eigene Entwicklung reflektiert. Brauner, der schon in einem seiner ersten Briefe zum Projekt Maria Schell mit dem Argument der Singularität für die Rolle der Sophie gewinnen wollte (»das Mädchen Scholl kann man eigentlich nur vergleichen mit Jeanne d’Arc oder der zaristischen Revolutionärin Clara Zetkin«1633) – begründet dem Spiegel gegenüber die herausgehobene Stellung der Figur Sophies wie folgt: »›Millionen Mädchen, die heute vielleicht schon Ehefrauen sind, sollen sagen ›so war das bei mir auch‹. Aber nur bis dahin.‹«1634 In dieser Hinsicht betont der Spiegel-Artikel Parallelen zu Inge Scholls Buch und belegt diese, indem er Zitate aus dem Buch solchen aus dem Drehbuch gegenüberstellt. Ebenso wie das Buch zeichne das Drehbuch »vor allem die menschliche, oft übermenschliche Würde und Tapferkeit der Geschwister nach, ihre Jugendneigung zum NS-Regime und die frühe, sittlich begründete Abkehr«.1635 Das Filmprojekt der CCC Anfang der 1950er-Jahre verfolgte somit wohl ähnliche Adressierungs- und Identifkationsstrategien wie Inge Scholls Buch.1636 Einen ganz anderen Ansatz forderte 1955 eine Stellungnahme der Filmaufbau GmbH zum Drehbuch, die aus dem Versuch Brauners hervorging, in Kooperation mit der von Hans Abich und Rolf Thiele gegründeten Göttinger Produktionsfirma das Projekt zur Weißen Rose neu zu beleben, nachdem er unter Beteiligung von Falk Harnack und Günther Weisenborn mit dem Film Der 20. Juli erfolgreich einen Film zur Widerstandsthematik realisiert hatte.1637 Laut 1630 Dieser Entwurf ist im Artur-Brauner-Archiv des Deutschen Filmmuseums e.V., Frankfurt a. M. überliefert. 1631 O. A., Anm. 1627, S. 29, Hervorhebung im Original. 1632 Ebd. 1633 Artur Brauner : Brief an Maria Schell, 26. 08. 1952. In: DFI, Artur-Brauner-Archiv, Manuskripte (Sch). 1634 O. A., Anm. 1627, S. 29. 1635 Ebd. 1636 Siehe Kapitel IV.1.1 und IV.1.2. 1637 Siehe Detlef Kannapin: Dialektik der Bilder. Der Umgang mit NS-Vergangenheit in

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dem vermutlich von Thiele, der Regie führen sollte, zumindest mitverfassten Text geht das von Grindel und Eggebrecht vorgelegte Drehbuch Die Geschwister Haller »an der Idee des Stoffes vorbei«.1638 Dieser Befund beruht auf einer eigenen Deutung der Weißen Rose, die den Text einleitet: Die Geschwister Scholl und ihre Freunde waren keine Widerstandskämpfer im eigentlichen Sinne, dafür war ihre Wirkmöglichkeit zu minimal. Nicht, weil es ihnen an Willenskraft oder Eifer gefehlt hätte, sondern weil ihnen der Apparat fehlte und jegliches nennenswerte Instrument einer erfolgversprechenden Gegenrevolution. Sie waren echte Idealisten, ihre Mittel waren Texte, deren Anwendung auf die bedrückende Lage und individuell gemeinte Ermahnungen. Schließlich konnten sie sich und ihr Schicksal nur zur Mahnung an alle erheben und bestenfalls bei jedem Unbesonnenen ein schlechtes Gewissen provozieren.1639

Aus dieser Sichtweise wird gefolgert, dass, »wenn man den auch gleichviel modifizierten Figuren gerecht werden will, hier keine ›Widerstandskämpfer‹ ›in Szene‹ gesetzt werden dürfen«1640, denn der »pure Aufstand: Hans gegen das übermächtige Regime« gehe »in der Wirkung über das Ideologische nicht hinaus«.1641 Die Inszenierung eines solchen Konflikts biete lediglich »eine Art von umgedrehten psychologischen Kriminalstoff«, in dem die »guten ›Verbrecher‹ […] vom bösen Kriminalisten in die Enge getrieben und überführt« werden.1642 In diesem »Gegenspiel« würden »die Helden dermaßen eingeengt werden, daß ihre Empörung zur revolutionären Untauglichkeit entartet«.1643 Stattdessen müsste das »Hauptgewicht bei den Helden liegen« und bei der »edle[n] Maßlosigkeit« von Hans’ »ideelle[r] Sehnsucht« ansetzen, die ihn den »wirklichen, den nahen, greifbaren Menschen« übersehen lasse1644 und ihn so zu »einem tragischen Helden« machen könne: »[S]ein unschuldig-schuldiger Charakter würde erhoben, indem er vernichtet wird und würde ›gleichberechtigt‹ gegenüber der anonymen Gewalt, gegen die er kämpft«.1645 Die programmatische Entidealisierung der Figur Hans geht einher mit einer an dieser verkörperten Kritik an Idealismus. Interessant ist dabei, dass der Schuldbegriff zwar auf die Figur angewendet wird, sich dabei jedoch entpersonalisiert auf Traditionen

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deutschen Spielfilmen. Der Nationalsozialismus im deutschen Film. Ein Ost-West-Vergleich. Berlin: Dietz 2005, S. 96–98. Filmaufbau GmbH: Stellungnahme zu »Die Geschwister Haller« (Stoff um die Geschw. Scholl), Typoskript, 7 Seiten, 11. 02. 1955. In: IfZ, ED 474 (404), S. 1. Der Text ist im Anhang IX.1 vollständig dokumentiert. Ebd. Ebd. Ebd., S. 5. Ebd., S. 4. Ebd. Ebd. Ebd., S. 5.

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bezieht. In diesem Zusammenhang ist die Forderung zu sehen, der Film müsste auch ein »Drama zwischen Lehrer [gemeint ist das Pendant zu Kurt Huber, C.E.] und seinem Schüler« sein, denn auch die »›Schuld‹ der Generationen, die im Sinne Kants, Fichtes, Schillers seit 150 Jahren edle und achtbare Lehren und Maximen verkündeten, interpretierten – und freilich auch lebten«, aber nicht lehrten, »überleben zu können, wenn die Dämonen zu rasen beginnen«, schwinge »in einem Stoff um die Geschwister Scholl mit«.1646 Die »große Tragödie der Entzweiung von Sinn und Wirklichkeit« als »konkrete[s] Stück deutscher Bildungstragik« mache das Filmvorhaben zu einem »hochaktuelle[n], zwar schwierige[n], aber auch sehr notwendige[n] Projekt«.1647 Die Überlegungen der Filmaufbau sind insofern brisant, als dass die oft ineinanderlaufenden Deutungen der Geschwister Scholl als Verkörperung der Traditionen des ›anderen Deutschlands‹ und Identifikationsfiguren des Widerstands gegen eine totalitäre Gewaltherrschaft nunmehr selbst zum Problem erklärt werden. Das Projekt wurde aus bisher nicht bekannten Gründen unter dem Dach der Filmaufbau nicht weiter verfolgt, Rolf Thiele unternahm jedoch zusammen mit Erich Kuby, der das Drehbuch zu seinem Film Das Mädchen Rosemarie geschrieben hatte, 1958 einen neuen Versuch, der die Linie der Idealismus-Kritik fortführte. Auf die Zusammenarbeit mit Thiele hob Kuby ab, als er im Juni 1958 Inge Aicher-Scholl das bereits oben erwähnte Expos8 schickte. Er sei sicher, dass die Linie, die er »mit diesem Rosemarie-Film gegen unsere WirtschaftswunderMentalität zu ziehen versuche«, auch Aicher-Scholls Zustimmung finde.1648 Diese begrüßte zwar seine Position gegen eine »Nationalisierung / la Strauss«, teilte ihm aber zunächst mit, dass er »primär von eigenen Fronten« ausgehe und daraus die Konsequenz ziehen sollte, »sich überhaupt von den historischen Fakten zu trennen«.1649 Er solle »statt des Geschwisterpaars ein Freundespaar« und »eine andere Universität als München« nehmen, so dass sein eigener »Vorwurf, der wirklich viel Gültigkeit hat (nur nicht gegenüber München)« und »die wirklichen Ereignisse« zu ihrem jeweils eigenen Recht kommen.1650 Die »Wahl eines neutralen Schauplatzes« befürwortete Kuby, zumal Freiburg als »eine deutsche Stadtlandschaft, die im eigentlichsten Sinne deutsch ist«, einen geeigneten Hintergrund liefere.1651 Er versprach zudem, den Namen Scholl nicht zu verwenden und lediglich eine Widmung voranzuschalten:

1646 1647 1648 1649 1650 1651

Ebd., S. 6. Ebd., S. 7. Erich Kuby : Brief an Inge Aicher-Scholl, 05. 06. 1958. In: IfZ, ED 474 (405). Inge Aicher-Scholl: Brief an Erich Kuby, 01. 07. 1958. In: IfZ, ED 474 (405). Ebd. Erich Kuby : Brief an Inge Aicher-Scholl, 13. 06. 1958. In: IfZ, ED 474 (405).

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Denen, die im Zeichen der Weissen Rose starben. Und allen, die gleich ihnen fuer ihre innere Wahrhaftigkeit die Freiheit des Todes auf sich nahmen.1652

Diese Widmung solle den »schmale[n] Grat« verdeutlichen, auf dem er »wandern« wolle, »um die zwei grossen Gefahren, die in dem Thema liegen, zu vermeiden: entweder einen Antifa-Film oder einen nationalen Heldenfilm zu machen«.1653 Kuby versuchte Inge Aicher-Scholl mit der Vorhersage, ein Film zum Thema werde in absehbarer Zeit in jedem Fall gedreht, sowie politischen Argumenten zu einer Tolerierung des Projekts zu bewegen. Angesichts von Tendenzen einer »Re-Nationalisierung« sei es zu befürchten, dass ein anderes Filmprojekt zur Weißen Rose »einen neuen Nationalismus auch mit diesem Symbol aufziehen will«.1654 Aicher-Scholls Vorschlag der Ersetzung der Geschwister durch ein Freundespaar war für ihn jedoch »ganz ausgeschlossen«, da »die beiden […] in einer erotischliebenden Beziehung stehen« müssten, was zu dem Vorwurf führen würde, »eine platte Nuance in etwas gebracht [zu] haben, das im innersten Kern nicht angeruehrt und veraendert werden darf«: Ich gehe aber noch weiter und sage, das wuerde beinahe so wirken, als schaemten wir uns dieser Vergangenheit. In dieser Richtung wuerde ja auch, je laenger desto mehr, wirken, wenn man nicht versuchen wuerde, diese reinste Geste des Widerstandes dem Volk wieder bewusst zu machen.1655

Diese Deutung der Weißen Rose als »reinste Geste des Widerstandes« stimmt nicht überein mit der eines früheren Textes Kubys, den er zum Jahrestag 1953 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hatte. Hier wird betont, dass die »Frage nach dem politischen Nutzen dieser geistig vollkommenen Protest-Handlung« auf die »Frage nach dem Sinn« umgelenkt werden müsse.1656 Die Publizistik habe »ohne Berechtigung häufig diese Studenten und ihre Tat so dargestellt, als hätten sie sich für Gesinnungen geopfert, die unsere Gegenwart bestimmen«.1657 Die idealisierte Wahrnehmung der Tat »als folgen- und wirkungsloser Streich, begangen aus jugendlich-romantischem Überschwang« sei jedoch falsch und widerspreche den »geistigen Entwicklungslinien« dieser »jungen Menschen«, deren »Ursprünge in der deutschen Jugendbewegung, der bündischen Jugend liegen, besonders dort, wo sie starke christliche Bindungen eingegangen ist«.1658 1652 1653 1654 1655 1656

Erich Kuby : Brief an Inge Aicher-Scholl, 29. 09. 1958. In: IfZ, ED 474 (405). Ebd. Ebd. Ebd. Erich Kuby : Vor 10 Jahren von Freisler aufs Schafott geschickt. Hans und Sophie Scholl, Probst, Schmorell, Graf, Huber – die Opfertat »Weiße Rose«. In: Süddeutsche Zeitung, 21./ 22. 02. 1953. 1657 Ebd. 1658 Ebd.

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Diesen Prägungen und dem Einfluss des liberalen Elternhauses wird die Abkehr von einer anfänglichen Führerbegeisterung zugeschrieben. Kuby wendet sich dagegen, die Weiße Rose nur mit dem Namen der Geschwister Scholl zu identifizieren und betont, dass auch Carl Muth und Theodor Haecker als »geistige Führer« zu dem Kreis gehörten.1659 Als entscheidend für die Aktion wird der Russlandeinsatz der Studentenkompanie herausgestellt, dessen Erlebnis die Studenten »wie viele sensible Soldaten« mit der Faszination Russlands und »den furchtbarsten Seiten« des Regimes konfrontiert habe, denn »sie sahen, wie es mit den russischen ›Untermenschen‹, die sie lieben und achten lernten, umging«.1660 Diesen Gewalttaten seien sie entgegengetreten, wobei sie einen Übermut entwickelten, mit dem sie zurück nach München kamen, »in verstärkte Kriegsnot […], die bald darauf ihre Steigerung durch die Katastrophe von Stalingrad erfahren sollte« und sie zum Handeln motivierte.1661 Inge Scholl wird zudem mit einer weiteren Begründung des Widerstands zitiert: Hans habe gegenüber seinen Schwestern Weihnachten 1942 erklärt, das Wagnis eines »ganz klaren und sichtbaren Protests« sei notwendig, »damit nachher [!, C.E.] von christlicher Seite ein Gegengewicht zum kommunistischen Widerstand da ist«; nichts habe ihm dabei ferner gelegen, als »mit seinem Leben oder dem seiner Freunde zu spielen«.1662 Im Fazit verbindet Kuby die Weiße Rose mit einer abendländischen, dem Nationalsozialismus entgegengesetzten Tradition deutscher Geschichte: Durch kein Kalkül vom Wesentlichen abgelenkt, die geistigen Kräfte des christlichen Abendlands in sich vereinigend, haben junge Menschen, von geistigen Führern in die Tradition gestellt, die Furcht überwunden, als Furcht das ganze Volk Verbrechern überantwortete. Die Tat ist nicht mehr aus unserer Geschichte auszulöschen.1663

Diese Sichtweise ist jedoch der von Kuby und Thiele fünf Jahre später verfassten, eigenen Konzeption eines Films zum Stoff der Weißen Rose fast diametral entgegengesetzt. Diese geht über die bereits in der Stellungnahme der Filmaufbau angelegte Deutung hinaus, die Geschwister Scholl seien »durchaus nicht nur die Opfer der Diktatur«, sondern »mindestens im gleichen Maße Opfer eines deutschen Idealismus« gewesen.1664 Die Idealismus-Kritik wird vielmehr auf das Verhältnis von Nationalsozialismus und deutscher Geschichte ausgeweitet. Der Film nehme den »Standpunkt des Rechts« eben nicht durch eine »SchwarzWeiss-Zeichnung in Bezug auf die Diktatur« ein, sondern durch eine »erste 1659 1660 1661 1662

Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. die gleiche Aussage Inge Aicher-Scholls in: O. A.: Die Blätter der weißen Rose. In: V.Z. am Wochenende, 21. 02. 1953. 1663 Kuby, Anm. 1656. 1664 Filmaufbau GmbH, Anm. 1638, S. 2.

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Überwindung der verhängnisvollen Diskontinuität in deutscher Selbstdarstellung und Zeitgeschichte«.1665 Der deutsche Idealismus sei durch den »Nationalsozialismus nicht einfach unterbrochen, sondern fortgesetzt« worden.1666 Entsprechend wird im Vergleich zu den dramaturgischen Ideen von 1955 der primäre Konflikt verlagert. Nicht das Verhältnis zwischen Mentor und Studenten und das zwischen den Geschwistern steht im Vordergrund, sondern die Versuche des SA-Führers Arnstein, den jungen Hans Haller »mit dem Argument ins eigene Lager herüberzuziehen, er, der Nationalsozialismus, sei ja die erste und einzige Synthese von Idealismus und Macht in der deutschen Geschichte«.1667 Arnstein wird dabei angetrieben von dem Motiv, sich selbst zu beweisen, »dass die ›Idee‹ auch einen reinen Menschen zu gewinnen verm[o]cht habe«.1668 Er wird so zu einer Gegenidentifikationsfigur für eine kritische Perspektive auf den Nationalsozialismus aufgebaut: Dieser Mann hat in dem Film weder bei den jungen Menschen noch bei seinen politischen Vorgesetzten jemals eine Chance, und so wird eben seine Gestalt den Menschen von heute über das wahre (Un)-Wesen des Nationalsozialismus mehr sagen, als durch undifferenzierte Kritik zu erreichen wäre.1669

Während für Kuby in seinem Artikel von 1953 die Weiße Rose noch die Kontinuität positiver deutscher Traditionen symbolisiert und gerade die Überwindung der »Führerbegeisterung« und die Annahme eines prägenden Fronterlebnisses Identifikationspotenzial bietet, werden ebendiese Traditionen in seinem und Thieles Filmentwurf 1958 zur Folie einer Kontinuität negativer nationaler Traditionen, die Ursache und Nachwirkung des Nationalsozialismus betreffen. Damit positionieren sich Kuby und Thiele in Opposition zum offiziellen bundesrepublikanischen Geschichtsdiskurs. Im Falle Kubys ergeben sich dabei Parallelen zu Veränderungen in autobiografischen Darstellungen seiner Kriegserfahrung, die Helmut Peitsch herausgearbeitet hat. Für ihn »beweist« Kubys Publizistik zwischen 1961 und 1965, dass »sich die wesentlichen Merkmale dessen, was in der heutigen Forschung […] als kennzeichnend für die sogenannte 68er Generation behauptet wird, lange vor 1968 in der öffentlichen Erinnerung an den Faschismus herausgebildet haben«.1670 Auch Hikel sieht – ohne diese über das Stichwort Idealismus-Kritik näher zu analysieren – Parallelen zu Deutungen, die sich ihr 1665 1666 1667 1668 1669 1670

Kuby, Thiele, Anm. 1609, S. 2–3. Ebd., S. 3. Ebd. Ebd., S. 6. Ebd., S. 3. Helmut Peitsch: Von Demidoff über Brest nach Berlin – der Kontext der Kriegserfahrung Erich Kubys. In: Ursula Heukenkamp (Hrsg.): Schuld und Sühne? Kriegserlebnis und Kriegsdeutung in deutschen Medien der Nachkriegszeit (1945–1961). Amsterdam; Atlanta: Rodopi 2001, S. 227–239, S. 237–238.

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zufolge »jedoch erst gut zehn Jahre später im Gefolge von ’68« im Diskurs etablieren konnten.1671 Die dynamischen Zwischenpositionen von Kuby und Thiele zeigen, dass die Veränderung des bundesrepublikanischen Erinnerungsdiskurses weder generational erklärt noch auf 1968 datiert werden kann. Vielmehr verändern sich Positionen einzelner Akteure in Reaktion auf aktuelle Tendenzen. Dass das Filmprojekt Die Geschwister Haller auch 1958 nicht zustande kam, lag diesmal nicht an einer Verhinderung durch Inge Scholl. Diese ließ sich von Kuby zu einer Tolerierung des Projekts bewegen und gab ihm eine von ihr und ihrem Vater gezeichnete Stellungnahme zur persönlichen Verwendung, um das Projekt bei der Ufa voranzutreiben: Als Angehörige von Hans und Sophie Scholl haben wir uns gegen alle Pläne einer Verfilmung ihres Schicksals gewandt. Wir wissen aber, dass dieses Schicksal Bestandteil der politischen Geschichte ist und daher der öffentlichen Darstellung nicht entzogen werden kann. Wir sind davon unterrichtet worden, dass eine filmische Darstellung jetzt erfolgen soll. Wir haben darauf keinen Einfluss und wollen auch keinen Einfluss nehmen.1672

Das Scheitern des Projekts lag somit wohl vor allem an der Liquidation der Ufa.1673 Als Kuby 1962 das Projekt erneut angehen wollte, hatte für Inge Scholl diese Vereinbarung keinen Bestand mehr, wie sie Alexander Kluge gegenüber erläuterte: Damals war die Idee, daß ein großes deutsches Filmunternehmen wie die UFA mit den besten Kräften einen großen deutschen Widerstandsfilm wagen sollte und zwar in einer spezifisch politisch besonders problematischen Zeitsituation. Das ist in jeder Hinsicht anders geworden und ich kann Kuby, so sehr ich ihn schätze, die damalige Verabredung nicht weiter zugestehen.1674

Die diversen Filmprojekte zur Weißen Rose in der Bundesrepublik kamen vor Michael Verhoevens Film 1982 aus unterschiedlichen, konkreten Gründen nicht zustande. Sie zeigen aber, wie sich bereits in den 1950er-Jahren verschiedene Deutungsmuster der Weißen Rose mit Interpretationen deutscher Geschichte verbinden und in Widerstreit geraten.

1671 Hikel, Anm. 49, S. 153. 1672 Robert Scholl, Inge Aicher-Scholl: Stellungnahme zu einem Filmprojekt über die Geschwister, 03. 11. 1958. In: IfZ, ED 474 (405). 1673 Erich Kuby : Brief an Inge Aicher-Scholl, 08. 07. 1962. In: IfZ, ED 474 (405). 1674 Inge Aicher-Scholl: Brief an Alexander Kluge, 12. 07. 1962. In: IfZ, ED 474 (405).

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V.1.3 Von der »Kraft des Gedankens« zum »politischen Engagement«: Veränderte Bezugsrahmen in Rundfunkhörspielen und -features Wie auf der Folie der Weißen Rose in bundesrepublikanischen Diskursen Traditionen weniger etabliert als verhandelt werden, zeigt der beispielhafte Vergleich von drei Hörspielen und Features zum Thema, die zwischen 1952 und 1968 in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten liefen. Dabei wird die zunächst selbstverständlich erscheinende Vorbildrolle der Weißen Rose zunehmend politisch kontextualisiert und problematisiert. Gerd Angermanns1675 Hörspiel Das Lied der Freiheit wurde zum Jahrestag 1952 und unter dem Titel Die Toten dürfen nicht sterben erneut am Jahrestag 1958 vom Jugendfunk des Süddeutschen Rundfunks ausgestrahlt. Es ist angelegt als »erdachtes Gespräch zwischen einem Lebenden und einem Toten«.1676 Ein siebzehnjähriger Waisenjunge, der aus einem Fürsorgeheim entflohen ist, versucht an der Autobahn einen Wagen zum Anhalten zu bringen, um über die Grenze in die DDR zu gelangen und dort einen Neuanfang zu versuchen. In dieser Situation hört er die Stimme eines Toten, der sich im weiteren Verlauf – wenn auch nicht namentlich – als Hans Scholl zu erkennen gibt. Dieser sorgt sich als eine Art Schutzengel um das Schicksal des Jungen und beginnt ein Gespräch, in welchem er die Situation, Angst und Motive des Jungen seiner eigenen Geschichte gegenüberstellt. Eine Verständigung scheint zunächst unmöglich, der Junge reagiert desinteressiert, als der Tote von der eigenen Erfahrung von Angst vor einer – im Gegensatz zu einem möglichen Aufgreifen des Jungen durch die Polizei lebensbedrohlichen – Verhaftung beim Verteilen von Flugblättern erzählt: Der Junge: (keineswegs interessierter als bisher, eher etwas enttäuscht) Ach, jetzt fällt bei mir erst der Groschen. Das war bei den Nazis. Stimme: Ja, das war während des Krieges. Der Junge: Mensch, das ist ja schon gar nicht mehr wahr – die Nazis. Wenn sie die nicht immer wieder aufwärmten in den Illustrierten und in der Schule, dann…1677

1675 Der 1923 geborene Angermann war von 1945 bis 1947 als Dramaturg in Leer, 1948 als Schauspieler in Stuttgart, von 1951 bis 1952 dort als Dramaturg an der Komödie im Marquardt und von 1948 an als Journalist und freier Autor u. a. von Theaterstücken und auch Fernsehspielen tätig. Vgl. bio- und filmografische Angaben zu Gerd Angermann, Internet: http://www.deutsches-filmhaus.de/bio_reg/a_bio_regiss/angermann_gerd_bio. htm, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 1676 Gerd Angermann: Die Toten dürfen nicht sterben. Eine Sendung zum 15. Todestag der Geschwister Scholl. Manuskript für den Jugendfunk, 22. 02. 1958. In: SWR Historisches Archiv, S. 1. 1677 Ebd., S. 4.

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Auch der Vergleich von Fürsorgeheim und Gefängnis lässt den Jungen noch nicht die fundamentale Differenz zu seiner eigenen Situation erkennen. Der Tote fragt den Jungen, ob er nicht verstehe, »dass man sich für eine neue, bessere Ordnung ohne zu fragen engagiert, einfach weil man muss«.1678 Er und seine Freunde »wollten nicht ausbrechen«, sondern »das Gefängnis niederreissen […], das grosse Gefängnis der Diktatur, in dem wir damals lebten«.1679 Wieder reagiert der Junge ablehnend: Junge:

Ach d i e Platte kommt jetzt. Die kenn’ ich. Von wegen Helden des Widerstands und so. Damit haben sie uns schon in der Schule angeödet. Stimme: Helden? Wir waren keine Helden. Wir sind nur für das Selbstverständliche eingetreten: für die Freiheit jedes Menschen und für eine menschliche Welt. Junge: (geht zum ersten Mal aus sich heraus) Guck Dir an, was herausgekommen ist! Da hast Du sie jetzt, Deine freie Welt. Endstation Fürsorgeerziehung, wenn Du nicht so spurst, wie die wollen; wenn Du Dir die Freiheit nimmst abzuhauen, wo es Dir nicht mehr passt.1680

Anhand von Episoden der eigenen Erfahrung (zentral die aus Inge Scholls Buch nacherzählte Begegnung mit einer jungen jüdischen Zwangsarbeiterin während des Transports an die Ostfront) versucht der Tote dem Jungen den Unterschied zwischen seinem und dessen Begriff von Freiheit verständlich zu machen, kann seine Aufmerksamkeit jedoch erst gewinnen, als er erzählt, dass er zusammen mit seiner Schwester und einem Freund hingerichtet wurde, weil sie aus Liebe »zum blossen Dasein das Recht und die Freiheit des Einzelnen forderten, ohne die der Mensch entweder zur blossen Ziffer im Machtkalkül anderer oder zum gehetzten Freiwild wird«.1681 Dies sage er dem Jungen, weil er wisse, was dieser vorhabe. Dieser begreift nun, dass der andere bewusst sein Leben für die Freiheit riskiert hat und steigt in ein anhaltendes Auto, das zur Grenze fährt, nicht ein. Das Hörspiel endet mit einem Erzählerkommentar, der die anfangs formulierte These illustriert, »dass es allein die Kraft des Gedankens ist, die lebt und weiterwirkt und immer wieder die Welt verändert«:1682 Sprecherin: Er steht und starrt auf den schwarzen Asphalt. Autos fahren vorüber. Er winkt nichtmehr. Zum ersten Mal in seinem Leben weiss er, dass es noch eine andere Freiheit gibt, eine grössere Freiheit, für die Menschen sogar zu sterben bereit sind. Langsam wendet er sich um und geht den Weg zurück, den er gekommen ist. Und er spürt, wie das Begreifen in ihm wächst und

1678 1679 1680 1681 1682

Ebd., S. 6. Ebd., S. 7. Ebd., S. 8. Sperrung im Original. Ebd., S. 11. Ebd., S. 1.

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wie er mit jedem Schritt mehr Partei wird im nie endenden Kampf des Menschen um das Recht auf sich selbst, weil das Wissen um dieses Recht als ein Keim nun auch in seine Seele gepflanzt ist.1683

Das auch andere Hörspielprojekte in den 1950er-Jahren kennzeichnende Muster antitotalitärer Universalisierung1684 verbunden mit einer auch Ilse Aichingers ebenfalls zum Jahrestag 1958 im NWDR gesendeten Feature unterliegenden Aktualisierung des Schicksals der Geschwister Scholl als Appell zur Besinnung im Privaten und zur persönlichen Entscheidung1685 wird durch das Plot explizit in Bezug zur Diktatur in der DDR gesetzt. Hierbei wird vorausgesetzt, dass die in der Geschichte des Jungen eklatante Frage der gesellschaftlichen Integration des Individuums in die auch in der Demokratie als notwendig dargestellte »Ordnung«1686 nicht von sozialen Verhältnissen, sondern primär von der individuellen Verantwortung für das eigene Leben abhängt. Im Hörspiel Die Geschwister Scholl von Carl Amery, das im Juni 1962 vom Schulfunk des Bayerischen Rundfunks für das Fach Geschichte in der 9. Klasse ausgestrahlt wurde, werden im Gegensatz zu den von Aichinger und Angermann entworfenen Sendungen kontroverse Bewertungen der Weißen Rose verhandelt. Montiert werden fünf Stimmen: Sophie Scholl bzw. Kurt Huber verkörpernde Stimmen tragen Flugblattzitate bzw. die Verteidigungsrede vor dem Volksgerichtshof vor, im späteren Verlauf treten ein offizieller Festredner, ein Vierzigjähriger und ein jüngerer Mann auf. Ein Sprecher moderiert – ähnlich wie in Aichingers Feature – zwischen diesen Ebenen und hat eine Kommentarfunktion. Nach einem kurzen Abriss über die als »bekannt« vorausgesetzten »Tatsachen«1687, in den Zitate aus dem dritten sowie dem letzten Flugblatt und Hubers »leidenschaftliche Verteidigungsrede«1688 eingebunden werden, wird die Bewertung dieser Aktionen diskutiert. Das bereits zu Anfang der Sendung als Motto gesprochene Zitat aus dem vierten Flugblatt »Wir schweigen nicht, wir sind euer böses Gewissen; die Weiße Rose läßt euch keine Ruhe!«1689 wird vom Sprecher mit dem offiziellen Gedenken konfrontiert: »Oft scheint es, als seien die Geschwister Scholl, als seien Professor Huber und die anderen Kämpfer der

1683 Ebd., S. 12–13. 1684 Siehe die Korrespondenz zwischen Inge Aicher-Scholl und Eberhardt Förster, 1959. In: IfZ, ED 474 (418). 1685 Siehe Kapitel IV.2.1. 1686 Angermann, Anm. 1676, S. 8. 1687 Carl Amery : Die Geschwister Scholl. Schulfunk Geschichte (9. Klasse Höhere Schule) des Bayerischen Rundfunks, Typoskript, 14 Seiten, Ausstrahlung am 13. 6. 1962 und 16. 6. 1962. In: IfZ, ED 474 (418), S. 1. 1688 Ebd., S. 3–4. 1689 Ebd., S. 1, S. 4.

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Weißen Rose sozusagen zu unserem offiziellen guten Gewissen geworden…«.1690 Ein »offizieller Festredner« betont Gedenken und Dank gegenüber der Weißen Rose, da diese die Existenz eines ›anderen Deutschlands‹ belege, die These einer Kollektivschuld widerlege und die Demokratie ermöglicht habe: »Heute hat das Opfer seine Früchte getragen, und wir leben wieder als freie Menschen in einem freien Staatswesen«.1691 Dagegen wird die Reaktion des vom Sprecher als »Realist« und »Kind unserer nüchternen Zeit« charakterisierten Vierzigjährigen gesetzt, der die Aktionen der Weißen Rose als »tapfer, tapfer, aber völlig aussichtslos« bewertet und es »nicht beispielhaft« finden kann, »daß man sich um einer Geste willen hinrichten läßt«.1692 Im Folgenden entwickelt sich ein imaginierter Dialog zwischen dieser als repräsentativ angelegten Figur und dem Sprecher, der entgegnet, die jungen Menschen hätten sich »nicht als politische Realisten empfunden« und ein »Amt des Propheten in einer fürchterlichen Zeit auf sich genommen«.1693 Der Vierzigjährige erkennt dies an, jedoch nicht als »Widerstand« oder »politische Praxis«, sondern nur als »Voraussetzung für einen Widerstand gegen eine perfekte Diktatur«.1694 Dagegen werden Zitate aus dem dritten Flugblatt gesetzt, das zu möglichen Formen des passiven Widerstands aufruft. Der Sprecher schließt daraus, dies sei schon »Programm, keine Propheterie mehr« und »forderte zur praktischen Nachfolge auf«.1695 Der Vierzigjährige wendet ein, diese sei ausgeblieben, und weitet das Argument des Scheiterns des Widerstands mit einer national generalisierenden Begründung auch auf den 20. Juli 1944 aus: Die Geschwister Scholl wollten keinen Putsch, sondern eine allmählich wachsende Revolte von unten, zu der sich dann – zu rechter Zeit – vielleicht der Putsch von oben gesellen konnte. Gerade die Revolte ist ausgeblieben. Seien wir ehrlich: Wir Deutsche eignen uns nicht dazu.1696

Der Sprecher kennzeichnet diese Zuschreibung als gängige Aussage und verweist auf »viele Antworten« auf die Frage, »warum das so und nicht anders sein soll«.1697 Ein Zitat des Festredners verweist auf die »geordneten Bahnen« deutscher Geschichte mit Ausnahme des Jahres 1848, welche »die Entwicklung des revolutionären Geistes nicht gerade begünstigt« hätten.1698 Der Vierzigjährige führt den vergleichsweise hohen Wohlstand als Begründung an, ein jüngerer 1690 1691 1692 1693 1694 1695 1696 1697 1698

Ebd., S. 4. Ebd. Ebd., S. 5–6. Ebd., S. 7. Ebd., S. 7–8. Ebd., S. 9. Ebd., S. 10. Ebd. Ebd.

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Mann, der einige Jahre im Ausland verbracht hat, vertritt die Meinung, im Gegensatz zu anderen Ländern fehle in Deutschland bei der Masse »die politische Freiheit als natürlicher Lebensdrang«.1699 Hierzu könne man sich jedoch »erziehen – oder erzogen werden«.1700 Dieses Motiv wendet der Sprecher wiederum auf die Weiße Rose an, welche »sich« und »andere« zur »Lebensnotwendigkeit der Freiheit« erzogen habe und, da ein solcher Prozess Zeit brauche, »einsam sterben« musste als »ein Opfer und ein Beispiel«.1701 In Abgrenzung von der bereits zitierten Aussage des Festredners fragt der Sprecher im abschließenden Kommentar nach »unsere[r] Bereitschaft, diese Freiheit zu schützen«1702 und behauptet, dass wer seine »politische Überzeugung nicht zu äußern wagt, weil er daraus Nachteile befürchtet«, wer »ohne guten Grund die Meinung seiner Mitmenschen verdächtigt« oder »die Politik andern überlässt […], die Geschwister Scholl schon verraten« habe: Der Kampf um die Freiheit muß immer geführt werden. Wenn das nicht nur einige Wenige begreifen, sondern Gasableser und Maurer, Bauern und mittlere Beamte und Akademiker und Fliesenleger – dann sind die Geschwister Scholl nicht umsonst gestorben. […] Denn wenn die Freiheit ein Gut der Vielen geworden ist, dann hat der Widerstand gegen die Tyrannei nicht nur den Charakter der Pflicht und des einsamen Opfers – dann hat er jede begründete Aussicht auf Erfolg.1703

In der Zeitschrift für Jugendfragen und Jugendarbeit deutsche jugend, in welcher das Hörspiel zu einem Essay adaptiert zum 20. Todestag der Geschwister Scholl 1963 erscheint, wird Amery in seinem Gegenwartsbezug expliziter : Die Tat dieser jungen Leute, die bereit waren, für das Prinzip der Freiheit ihr Leben zu geben, ist heute noch aktuell, nicht nur in Hinsicht auf die Situation der Jugend in Mitteldeutschland, sondern auch im Hinblick auf die Notwendigkeit eines politischen Engagements der Jugend für die Demokratie überhaupt.1704

Trotz des antitotalitaristischen Anklangs in der Einleitung des Essays verhält sich Amerys Zuschreibung der Relevanz der Weißen Rose in der Begründung und im Vorbild für politisches Engagement jedoch keineswegs affirmativ zu offiziellen Positionen der Schreibgegenwart, seine Betonung des »Prinzips der Freiheit« nicht ungebrochen zur offiziellen Verwendung des Freiheitsbegriffs. Der 1922 geborene Katholik Amery, der bis 1967 Mitglied der GVP war und anschließend zur SPD wechselte, bevor er 1980 Die Grünen mitbegründete, 1699 1700 1701 1702 1703 1704

Ebd., S. 12. Ebd. Ebd. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Carl Amery : Opfer für die Freiheit (Zum 20. Todestag der Geschwister Scholl). In: deutsche jugend 11 (1963), Nr. 1, S. 33–38, S. 33.

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veröffentlichte 1963 in der rororo-Reihe »aktuell« den Essay Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute mit einem Nachwort von Heinrich Böll, in dem er den deutschen Katholizismus wegen einer opportunistischen Orientierung an der staatlichen Obrigkeit einerseits und der Verhaftung im kleinbürgerlichen Milieu andererseits grundlegend kritisiert. Diese Kritik bezieht sich dabei zunächst auf die NS-Vergangenheit, indem er den Aufstieg und den Erhalt des Nationalsozialismus maßgeblich auf das Verhalten des Katholizismus in Gestalt der Kirche, der Zentrumspartei und der katholischen Organisationen zurückführt und sich gegen die Legende eines Kirchenkampfes wendet, da der Katholizismus »sich zumindest bis 1939 nicht für die Freiheit, nicht für die Juden, nicht für die Opfer der Konzentrationslager engagierte«.1705 Die Kirche habe durch das Konkordat »zu den meisten Martyrien, die damals stattfanden – nicht nur zu den Martyrien der Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten, sondern auch zum Martyrium der eigenen Blutzeugen« geschwiegen.1706 Deren Widerstand sei nicht der Kirche zuzurechnen, sondern allein den Individuen. Die Trennung des »gute[n]« und des »böse[n] Deutschlands« in Form einer »vollständige[n] Ohnmacht« auf der »Seite des vollen Rechts« und der »ganze[n] Macht des […] wölfischen Behauptungswillens« auf der »Seite des nackten Unrechts« aufgrund einer spezifisch deutschen Prägung durch »Scholastik, Kantianismus, Hegelianismus«1707 dient auch als Erklärung für das Scheitern des Widerstands: Wohl nie in der Geschichte gab es eine edlere Schar von Verschwörern als die Männer vom 20. Juli; aber ihr geradezu klinisches Sauberkeitsbedürfnis hinderte sie daran, gute Verschwörer zu werden. […] Es gab selten Blutzeugen von so leuchtender Integrität wie die jungen Menschen der Weißen Rose; aber auch sie kamen, wie die Dinge des Anderen Deutschlands lagen und liegen, über Grundsatzanalyse und moralischen Anruf nicht hinaus.1708

Den Gegenwartsbezug von Amerys Kritik resümiert Heinrich Böll in seinem Nachwort in der »Hauptfrage«, »ob ein Widerstand gegen den Opportunismus einer Partei [gemeint ist die CDU/CSU, C.E.], der Widerstand gegen eine sich fortschreitend politisierende Welt wieder nur Privatsache bleibt« und macht dies an der Frage der Kriegsdienstverweigerung fest.1709 Während der Appell zu politischem Engagement im Zeichen der Weißen Rose bei Amery abstrakt bleibt, ist konkretes politisches Handeln in Diktatur und 1705 Carl Amery : Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1963, S. 34. 1706 Ebd., S. 39–40. 1707 Ebd., S. 42. 1708 Ebd., S. 42. Zu den Geschwistern Scholl siehe auch S. 39, 69. 1709 Ebd., S. 127.

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Demokratie der zentrale Aufhänger des anlässlich des 25. Jahrestages des 18. Februars 1943 vom Frauenfunk des Bayrischen Rundfunks gesendeten Features der Journalistin und Publizistin Erika Wisselinek.1710 Gleich eingangs wird die Flugblattaktion mit der Gegenwart kontrastiert: Das Verteilen von Flugblättern, »heute ein alltäglicher Vorgang«, sei vor 25 Jahren ein »Vergehen« gewesen, »das die Studenten das Leben kostet«.1711 Nach einem kurzen Abriss der Entwicklung der Aktionen der Weißen Rose, der durch ausgewählte Zitate aus allen sechs Flugblättern illustriert wird, werden Interviewausschnitte mit Katharina Schüddekopf und Christian Petry gegeneinander gestellt. Schüddekopf, die als Beteiligte »aus ihren Erinnerungen«1712 erzählt, war Doktorandin Kurt Hubers und wurde 1943 verhaftet und im zweiten Prozess zu einer Haftstrafe verurteilt. Christian Petry wird eingeführt als »ein Student heute«1713, der gerade seine Magisterarbeit zum Thema beendet habe. Schüddekopf stellt dar, wie sie über Huber zu Diskussionsabenden im Atelier Eickemeyer stieß und berichtet von eher literarischen als politischen Diskussionen während der Treffen: Reporterin: Und wenn die Diskussionen jetzt politisch wurden, worum ging es da vor allem? Schüddek.: Ich hatte nie den Eindruck, daß diese Leute, und wir waren ja natürlich alle jung, nur politisch tätig wären, daß sie, vor allem glaubte ich das damals nicht und glaube es auch heute nicht, daß sie in dem heutigen Sinne politische Aktivisten seien – gewesen seien. Ich glaube, daß sie große Idealisten gewesen sind.1714

1710 Die 1926 in Görlitz geborene Wisselinek war während der NS-Zeit Mitglied des BDM und leistete einen Ernteeinsatz und Reichsarbeitsdienst ab. Nach ihrem Abitur 1945 war sie Sekretärin bei der britischen Besatzungsbehörde und besuchte eine Dolmetscherschule in Hamburg. Nach ersten journalistischen Erfahrungen studierte sie Volkswirtschaft, Philosophie und Literaturwissenschaft in Hamburg. Ab 1960 arbeitete sie für den Bayerischen Rundfunk, ab 1962 auch in der Ev. Akademie Tutzing. Schon Anfang der 1960er-Jahre befasste sie sich mit frauenspezifischen Themen und engagierte sich ab 1968 in der Frauenbewegung. 1973 mitbegründete sie die an die evangelische Kirche angebundene feministische Monatszeitung Korrespondenz – die frau, nach ihrem Ausscheiden aus der Redaktion und der Ev. Akademie Tutzig war sie ab 1976 für das Magazin EMMA tätig und lebte ab 1978 als freie Autorin und Übersetzerin. In den 1970er-Jahren engagierte sie sich kommunalpolitisch für die SPD sowie in der Friedens- und Umweltbewegung. Zur Biografie Wisselineks: Gabriele Meixner : »Wir dachten alles neu«. Die Feministin Erika Wisselinek und ihre Zeit. Rüsselsheim: Göttert 2010. 1711 Erika Wisselinek: Die Studenten von München 1943. Der Geschwister Scholl-Kreis. Bandabschrift der Sendung im Frauenfunk, Typoskript 13 Seiten, 18. 02. 1968. In: IfZ, ED 474 (418), S. 2. 1712 Ebd., S. 6. 1713 Ebd., S. 7. 1714 Ebd.

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Schüddekopf hält mit dem Argument, dass eine offene Aktion gar nicht möglich gewesen sei (»Wir mussten alle unsere Masken tragen«), dem Begriff der politischen Aktion den der »Gesinnung« entgegen, die damals »erlitten […], nicht erkämpft« worden sei und nicht als »Leistung oder Tat […] im heutigen Sinn« bezeichnet werden könne.1715 Dies sehe sie als »etwas Positives« und »fürchte, daß es viele heute als etwas Negatives sehen«.1716 Ihre Befürchtung wird durch Petrys Antwort auf die Frage nach seiner Einschätzung des »politische[n] Gewicht[s] dieser Aktion«1717 bestätigt, der im Fall der Weißen Rose einen »Weg in die Politik« konzediert, welcher aber durch die Aktion des 18. Februars 1943 »an einem Punkt abgebrochen« sei, »bevor es hätte richtig politisch werden können«.1718 Dafür liefert er die Erklärung, dass die Geschwister Scholl »Teile eines Bürgertums waren, eines unpolitischen Bürgertums waren, das politisch im Grunde nur dann wurde, wenn man mit Blut dagegen zeugen konnte«.1719 Auf den Einwand der Reporterin, dass »damals also ein geistiger Widerstand oder Unterhaltungen und Gespräche […] bereits politisch waren«, erklärt er eine Übereinstimmung von »Motive[n]« und »Methoden« zum Maßstab, um zu entscheiden, »ob die Aktion der Geschwister Scholl, der Stil ihres Widerstands, ihre Methoden und ihre Praxis so sind, daß sie zu einer Tradition politischen Denkens erklärt werden können«; für die Studentenbewegung habe die Weiße Rose keine Relevanz, da sie die »Tradition eines bürgerlichen Deutschland« darstelle, dessen »unpolitische Einstellung im Grunde genommen ja Schuld daran war, daß der Nationalsozialismus überhaupt kommen konnte«.1720 Heutige Aufgabe sei es »Methoden zu entwickeln, damit solche Zustände nicht mehr kommen können, in denen, und man darf ruhig sagen, Ereignisse wie die Weiße Rose notwendig geworden sind«.1721 Im abschließenden Kommentar versucht die Sprecherin, zwischen beiden Positionen zu vermitteln, indem sie deren Differenz auf den Unterschied zwischen »Erfahrungen mit dem Leben unter einer Diktatur« und unter »demokratischen Verhältnissen […], ganz gleich, welche Mängel diese haben«, zurückführt und damit generational deutet.1722 Die ansonsten »äußerst bequeme Ausrede« des »Ihr habt ja die Zeit damals nicht erlebt« werde »zur bitteren Wahrheit da, wo es um das andere Deutschland geht, das Deutschland des

1715 1716 1717 1718 1719 1720 1721 1722

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., S. 8. Ebd., S. 10. Ebd., S. 10–11. Ebd., S. 11. Ebd., S. 12.

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Widerstands«.1723 Die Weiße Rose könne als »Vorbild der Gesinnung nach gelten«, politisches Handeln müsse jedoch »in unseren Tagen anders aussehen«, wobei aber gerade das »Unbegreifliche« am »Tod der Münchner Studenten von 1943« diejenigen bestärken könne, »die sich mit rationalem Elan um eine neue Bewußtseinsbildung bemühen« für »eine Gesellschaft, in der Studenten weder enthauptet noch erschossen werden«.1724 Die kritisch deutende Rückbeziehung der Weißen Rose auf idealistische Traditionen des deutschen Bürgertums, die zugleich als Erklärungselement des Nationalsozialismus fungieren, erfolgte bereits, wie die Analysen der Filmprojekte Rolf Thieles und Erich Kubys sowie des Hörspiels von Carl Amery gezeigt haben, seit Mitte der 1950er-Jahre und durch Akteure, die nicht der ›Studentengeneration‹ von 1968 zugeordnet werden können. Die Studentenbewegung stellt somit keinen veränderten Deutungs-, sondern einen veränderten Bezugsrahmen der Weißen Rose-Diskurse dar. Durch die an Kontinuitäten deutscher Geschichte anknüpfenden Erklärungsmuster erfolgen historische Deutungen, die christliche und antitotalitär universalisierende Deutungsmuster herausfordern, aber auch – wie sich zeigen wird – mit antifaschistischen Widerstandsinterpretationen in Konflikt geraten.

V.1.4 »Abschied von einem Mythos«? Christian Petrys Veröffentlichungen zur Weißen Rose und ihre Rezeption Zum 20. Jahrestag 1963 erscheint das Weiße Rose-Gedenken in der bundesrepublikanischen Presse als Konsens. Wilhelm Emanuel Süskind bezeichnet in der Süddeutschen Zeitung den Jahrestag des 22. Februar als den »zarteste[n] und eindringlichste[n]«1725 der »vielen leidvollen Gedenktage«, dem »[e]twas Legendenartiges« anhafte, da dieser im Gegensatz »zu der Beurteilung des Stalingrad-Tages und des 20. Juli« nicht zum Gegenstand zeitgeschichtlicher Kontroversen geworden sei. Fünf Jahre später zeigt Ursula von Kardorff in der gleichen Zeitung auf, wie das Gedenken unter den Vorzeichen der Studentenbewegung kontrovers geworden ist: Junge Linksintellektuelle leugnen ihre Bewunderung für diese Taten nicht, meinen aber […]: »Die Geschwister Scholl wurden institutionalisiert. Sie sind für die Leute, die damals ganz anders dachten heute ein Alibi, weil sie gesellschaftspolitisch gesehen, ungefährlich waren, denn sie traten als isolierte Einzelkämpfer auf und nicht im organisierten Widerstand. Das ist zwar ihre Größe, aber auch ihre Tragik.« […] »Sie 1723 Ebd. 1724 Ebd., S. 12–13. 1725 W. E. Süskind: Der Tag der Weißen Rose. In: Süddeutsche Zeitung, 22. 02. 1963.

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waren beispielhaft, in dem, was sie riskierten, aber es fehlte ihnen an politischem Verständnis. Immerhin, wir riskieren vorläufig nur ein paar Wochen Knast« […] »Vorbilder gibt es für uns nicht, und die Scholls gehören vom Denkmalssockel herunter, aber wenn einer etwas gegen sie sagte, würde ich ihn verprügeln.«1726

Die Stiefmutter Alexander Schmorells, die Witwe Christoph Probsts und der Vater der Geschwister Scholl werden abschließend mit ihren Antworten auf die Frage zitiert, ob die Mitstreiter der Weißen Rose mit den heutigen Studenten gegen den Krieg in Vietnam demonstrieren würden. Nur Robert Scholl geht davon aus. Beispiele für die Herstellung von Bezügen zwischen Weißer Rose und Studentenbewegung finden sich in der Presseberichterstattung des Jahres 1968 häufig, beispielsweise, wenn anlässlich einer Gedenkfeier der Willi-GrafSchule in München ein Lehrer mit der These zitiert wird, Willi Graf sei »vergeblich gestorben, wenn nicht Lehrer und Schüler gemeinsam gegen die amerikanische Aggression in Vietnam protestieren«.1727 Inge Scholl zeigt sich in einem Interview mit der Deutschen Volkszeitung indessen sicher, auf wessen Seite ihre Geschwister gestanden hätten: Keinen Augenblick zweifle ich daran, daß meine Geschwister mit den »rebellierenden« Studenten sympathisiert hätten. Vielleicht würden sie in manchem andere Formen wählen, beispielsweise mehr auf demokratische Diskussionsregeln achten. Ich glaube, sie wären in diesem Sinn größere Realisten als Rudi Dutschke, indem sie versuchen würden, breitere Kreise der Bevölkerung zu gewinnen statt abzustoßen. Die Studentenschaft aktiviert den demokratischen Blutkreislauf unseres Volkes.1728

Zu solchen Parallelisierungen bezog der frisch graduierte Historiker Christian Petry Stellung. Gemeinsam mit Vincent Probst veröffentlichte er am 25. 02. 1968 einen sich fast über acht Seiten erstreckenden und groß aufgemachten Artikel im Stern. Hier heißt es zu der Frage »Ein Vorbild für die Studenten von heute?«: Wir Studenten von heute, die wir demonstrierend auf die Straße gehen, tun in einem Punkt das gleiche wie die Studenten der »Weißen Rose«. Wir wenden uns gegen die etablierte Macht im Namen eines Freiheitsbegriffes, der für die Bevölkerung unseres Landes so wenig bedeutet, dass sie unsere Opposition nicht versteht. Hiermit aber ist die Parallele bereits erschöpft.1729 1726 Ursula von Kardorff: Studenten rebellierten gegen Hitler. Die Überlebenden des Widerstandskreises Weiße Rose sind heute vergessen / Feiern in Ost und West. In: Süddeutsche Zeitung, 30. 02. 1968. 1727 Kardorff, Anm. 1726. 1728 Widerstand der Studenten – gestern und heute. DVZ-Gespräch mit Inge Aicher-Scholl. In: Deutsche Volkszeitung, 23. 02. 1968. 1729 Christian Petry, Vincent Probst: Studenten aufs Schafott. Vor 25 Jahren. In: Stern, 25. 02. 1968.

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Der Stern-Artikel beruht auf der Magisterarbeit Petrys, die noch im selben Jahr im Piper-Verlag in der Sachbuchreihe piper paperback veröffentlicht wurde. Diese Reihe bediente das mittlere Preissegment zwischen Hardcover und Taschenbuch und bot »anspruchsvolle Stoffe aller Themenbereiche«.1730 Hier erschien 1964 unter anderem auch Hannah Arendts Bericht Eichmann in Jerusalem. Piper scheint sich in den 1960er Jahren verstärkt um zeitgeschichtliche und zeitkritische Texte mit öffentlicher Relevanz und Brisanz bemüht zu haben, wie auch die ebenfalls 1968 in der Reihe erschienene Taschenbuchausgabe von Margarete und Alexander Mitscherlichs Die Unfähigkeit zu trauern belegt. Petry hat die öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung mit dem Thema von vornherein bewusst geplant. Dabei war auch ein privater Kontakt zu Erich Kuby nützlich, der ihm geholfen hat, den Artikel im Stern zu platzieren und vorzubereiten.1731 Im selben Jahr noch wirkte Petry als Autor an dem von Radio Bremen produzierten Dokumentarfilm Die Weiße Rose – Abschied von einem Mythos mit und beteiligte sich 1969 an der Konzeption des 1972 bei den Filmfestspielen in Venedig aufgeführten Films Studenten aufs Schafott1732 von Gustav Ehmck, der allerdings nach Androhung rechtlicher Schritte durch die Familie Scholl nicht wie geplant im Fernsehen gesendet wurde. Diese von Petry mitgestalteten Filme folgen hinsichtlich der Deutung des Widerstands der Weißen Rose weitgehend den im Buch dargelegten Thesen. Studenten aufs Schafott. Die Weiße Rose und ihr Scheitern folgt dem klassischen Aufbau einer wissenschaftlichen Arbeit: Nach einer Einleitung wird in acht Kapiteln die Argumentation darstellend entwickelt, das neunte Kapitel enthält Schlussfolgerungen. An den Darstellungs- schließt sich ein Dokumententeil an. Darin sind vor allem die Flugblätter, Justizakten und private Aufzeichnungen sowie Briefe der Beteiligten unkommentiert abgedruckt. Die Arbeit enthält einen kritischen Apparat mit Endnoten und einem Quellen- und Literaturverzeichnis. Durch die Aufmachung des Covers erhält das Buch einen populärwissenschaftlichen Sachbuchcharakter. Die Fotoseiten auf Glanzdruckpapier mit Portraits der hingerichteten Mitglieder des Münchener Kreises in der Mitte und am Ende des Darstellungsteils erfüllen wie in anderen Bänden eine Funktion der Vergegenwärtigung. Petrys Veröffentlichung unterscheidet sich jedoch in der Intention, die nicht zwischen Gedenken und Appell, sondern zwischen historischer Darstellung und politischer Stellungnahme oszilliert, wie im Vorwort deutlich wird. Darin beschreibt Petry das Problem, aufgrund möglicher »persönlicher und politischer Folgen […] zu nah an den Ereignis1730 Piper-Verlag: Verlagsgeschichte 1904–2006, Internet: http://www.piper.de/verlag, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 1731 Rickart, Anm. 944, S. 130. 1732 Siehe dazu Rickart, Anm. 944, S. 152–168.

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sen«, aufgrund seines Alters »zugleich aber auch zu weit von ihnen« entfernt zu sein; er habe dieses Problem jedoch durch gründliches Quellenstudium und die Unterstützung durch Zeithistoriker und Angehörige vermieden.1733 Petry erhebt für sein dem Sohn Christoph Probsts, Vincent Probst, gewidmetes Buch somit einen doppelten Anspruch, nämlich sowohl den auf wissenschaftliche Objektivität als auch den auf Authentizität der Darstellung. Der Einleitung vorangestellt ist ein Zitat aus Peter Weiss’ Nachruf auf Che Guevara: »Hat er sich geopfert? Hat er das Los eines Märtyrers gewählt? Wir können keine Heiligen brauchen. Wir lehnen die mystische Verehrung ab, die den Opfertod mit einem Glorienschein umgibt.«1734 Dieses Motto beinhaltet einen aktualisierenden Vergleich auf zwei Ebenen: Zum einen wird die politische Revolution auf Kuba als Maßstab für den Widerstand, zum anderen die Ablehnung der Märtyrer-Verehrung als Maßstab für die öffentliche Erinnerung eingeführt. Dies erklärt, warum Petry eine »Revision einiger Vorstellungen über die Geschichte der Geschwister Scholl und ihrer Freunde« für angebracht hält, die auf »Überlegungen über die Möglichkeiten und Bedingungen studentischen Widerstands im Dritten Reich« beruhen soll.1735 Die wissenschaftliche Leitfrage, ob der Widerstand der Weißen Rose hinsichtlich der Motive und der Form »autonom oder gebunden an die Zeit«1736 gewesen sei, führt zu der Frage nach der Relevanz der Weißen Rose für die politische Kultur der Bundesrepublik. Petry bezieht sich dabei auf Hans Rothfels’ Definition von der Aufgabe der Zeitgeschichte als Klärung von »Wert- und Willensfragen«, die einen (erinnerungs)politischen Geltungsanspruch impliziert.1737 Petry übernimmt von Rothfels jedoch keineswegs dessen Interpretation des Widerstands, sondern wählt einen milieubezogenen Ansatz. Indem er zunächst »bestimmende[…] Eindrücke«1738 der Biografien der jugendlichen Protagonisten der Weißen Rose aufzeigt, verortet er sie in der Tradition des deutschen Bürgertums. In diesem Teil lehnt er sich weitgehend an die bis dato vorliegenden Darstellungen an, zitiert insbesondere die Lebensbilder von Ricarda Huch und Aussagen Überlebender und Angehöriger. Er betont dabei nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede in der Prägung. Hans Scholl habe im Gegensatz zu Christoph Probst (Internat), Willi Graf (katholische Jugendbe1733 Petry, Anm. 33, S. 11. 1734 Ebd., S. 11. Der Text von Weiss ist zunächst erschienen in Ernesto Che Guevara: Partisanenkrieg – eine Methode. Mensch und Sozialismus auf Kuba. Mit einem Nachruf auf »Che« von Peter Weiss. München: Trikont 1968; vgl. Peter Weiss: Che Guevara! In: Kursbuch (1968), Nr. 11, S. 1–6. 1735 Petry, Anm. 33, S. 10. 1736 Ebd., S. 13. 1737 Ebd., S. 13, vgl. Hans Rothfels: Zeitgeschichte als Aufgabe. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 3 (1955), Nr. 1, S. 1–8. 1738 Petry, Anm. 33, S. 16.

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wegung) und Alexander Schmorell (Russlandsehnsucht) über keine über die bürgerliche Herkunft hinausgehende »zusätzliche ›Imprägnierung‹« gegenüber dem Nationalsozialismus verfügt und sei dem System erst mit dem Ende der Jugendzeit entwachsen.1739 Sophie Scholl dagegen zeichne sich »nicht nur durch Innerlichkeit gepaart mit Naturliebe, sondern ein ausgeprägtes politisches Engagement« aus, das sich jedoch nicht an rationalen Überlegungen über die Effizienz politischen Handelns orientiert habe.1740 Diese Tendenzen sind Petry zufolge durch die Einflüsse von »geistigen Mentoren«1741 verstärkt worden. Vor allem Theodor Haecker und Carl Muth, aber auch Kurt Huber haben demnach die Studenten wesentlich beeinflusst. Petry sieht die Studenten in ein Netz Gleichdenkender eingebunden, das die idealistische Haltung des Kreises bestärkt habe, wobei die Analyse der »Gesellschaftsbilder« der Mentoren in Bezug auf Hans Mommsens Analysen des 20. Juli 1944 erfolgt.1742 Er widerspricht damit Inge Scholls These eines in einer »feindlichen Umwelt« isolierten Widerstands »›ohne große Ideale, ohne hohe Ziele, ohne deckende Organisation‹«.1743 Die Verbindung von jugendlichem Fanatismus und dem Idealismus der älteren Generation wird als konstitutiv für den Widerstand dargestellt und macht für Petry das »Spezifische« der Flugblätter aus, das nur verständlich werde, »wenn man [ihre] romantisch klingenden Töne […] analysiert«.1744 Hans Scholl und Schmorell seien »Schüler Carl Muths und Theodor Haeckers, wenn sie die Frage der Staatsform nicht wichtig nehmen und ihre Zeit christlich als das Reich des Bösen begreifen«.1745 Der Nationalsozialismus werde mystifiziert und erscheine nicht als historisch erklärbares und politisches Phänomen. In Bezug auf die Zukunftsvorstellungen werde weder in Haeckers Texten noch in den Flugblättern Demokratie als Wert deutlich. Es gehe stattdessen um eine metaphysische »Umkehr«.1746 Petry erklärt so auch die Wahl des Namens Weiße Rose analog zu der Bedeutung des Titels des gleichnamigen Romans von B. Traven als »Symbol dieser Umkehr«.1747 Nicht das familiäre Umfeld in Ulm, wie die Darstellung Inge Scholls suggeriere, sondern das soziale Umfeld in München sei also die Keimzelle des Widerstands der Geschwister Scholl und ihrer Freunde gewesen. Insgesamt dient der Text Inge Scholls für Petry als Gegenfolie, nicht nur, was die Ebene der 1739 1740 1741 1742 1743 1744 1745 1746 1747

Ebd., S. 26. Ebd., S. 29–31. Ebd, S. 36. Ebd., S. 46 und Fußnote 77. Ebd., S. 32. Ebd., S. 56. Ebd. Ebd., S. 56. Ebd., S. 61.

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Deutung, sondern auch was die Ebene der Fakten betrifft. So rekonstruiert Petry anhand von Zeitzeugenaussagen den letzten Abend vor der Abreise der Mitglieder der Studentenkompanie nach Russland. Inge Scholl zufolge wurde an diesem Abend der Entschluss zum aktiven Widerstand gefasst und eine Ausweitung der Aktionen mit Kalkül geplant.1748 Diese und andere Episoden von Scholls Darstellung bezeichnet Petry als »wohl eine Fiktion«.1749 Ein weiteres Argument Petrys ist die Bedeutung der Russlanderfahrung. In diesem Punkt setzt er sich sowohl von den Deutungen Inge Scholls sowie denen der von Klaus Vielhaber herausgegebenen Dokumentation Gewalt und Gewissen1750 ab, die das Kriegserlebnis als Reifeprozess beschreiben, als auch von der Sichtweise des DDR-Historikers Karl-Heinz Jahnke: »Die Beziehung zur Bevölkerung hat wegen ihres unpolitischen Charakters offenbar auch nicht die Folge, die Jahnke ihr zuschreibt: einen Wandel in der Einstellung zum Bolschewismus«.1751 Petry versucht anhand von Selbstzeugnissen und Berichten zu zeigen, dass es sich bei der Frontbewährung der Studentenkompanie um ein »ganz unpolitische[s], romantische[s] Rußlanderlebnis«1752 gehandelt habe, das wiederum die psychische und gesellschaftliche Disposition der Studenten erklären soll: Der Traum von der russischen Seele war politisch nicht wertfrei. Er dokumentiert vielmehr die politische Resignation des konservativen deutschen Bürgertums. Von der Politik enttäuscht, suchte es die heile Welt der Innerlichkeit und hoffte, sie in Rußland zu finden.1753

Das »unpolitische[…] Rußlanderlebnis« sei »aus dem gleichen Geist« wie der Widerstand der Weißen Rose entstanden, die russische Landschaft habe für die Studenten die Bedeutung einer »positive[n] Utopie« gehabt.1754 Zudem habe die Studentenkompanie relative Freiheiten und Privilegien genossen, weshalb auch kritische Äußerungen und Hilfeleistungen für Verfolgte folgenlos geblieben seien. Dies habe zu einem Hoch- und Sicherheitsgefühl bei den Studierenden geführt, auf dessen Grundlage die Widerstandsaktivitäten fortgeführt und ausgeweitet wurden.1755 Auf diese Weise und nicht durch politisches Kalkül sei die Idee entstanden, ein Netz von Widerstandskreisen zu schaffen, welches die 1748 1749 1750 1751 1752 1753

Ebd., S. 62–64. Ebd., S. 51. Siehe Kapitel VI.1.2. Ebd., S. 67. Ebd., S. 65. Ebd., S. 65. Petry verweist auch auf Dostojewski als Ideal der konservativen Revolutionäre (S. 69). 1754 Ebd., S. 71. 1755 Hier schließt sich Petry durch Fußnotenverweis der Darstellung Erich Kubys in seinem Artikel in der Süddeutschen Zeitung von 1953 an, siehe Kapitel V.1.2.

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Ausweitung nach Hamburg und den Kontakt zu Falk Harnack bewirkt habe. Petry zufolge »hielten sie die Gruppe nicht klein und beschränkten nicht ihre Tätigkeit, wie Inge Aicher-Scholl meint, sondern taten alles, um sie zu vergrößern«.1756 Vorbehalte und Warnungen insbesondere von Christoph Probst seien ignoriert worden, eine Kontrolle durch die Mentoren sei nicht erfolgt.1757 Der »Weg in den Widerstand« habe etwas »Berauschendes« gehabt und so in Verbindung mit einer vermuteten Einnahme von Aufputschmitteln zu einer Fehleinschätzung der Stimmung in der Bevölkerung geführt: Die Atmosphäre Münchens, die Erwartung des Endes, das Fehlen rationaler Kontrolle, das Hochgefühl der Illegalität, aber auch die völlige – durch Spritzen nicht mehr zu besiegende – Übermüdung hatten »einen Leichtsinn ersten Ranges« (Hammerstein [geeint ist: Otmar Hammerstein1758]) zur Folge.1759

Damit spielt Petry auf die Flugblattaktion vom 18. Februar 1943 an, die zur Verhaftung der Geschwister Scholl führte und das zentrale Bezugsereignis seiner Deutung der Geschichte der Weißen Rose bildet. In Form rhetorischer Fragen zählt Petry Erklärungen auf: Was war geschehen? Warum ließen die Geschwister Scholl so plötzlich jede Vorsicht fallen? Was bewegte sie zu einer so tollkühnen Aktion wie der, dem Pedell die Flugblätter sozusagen vor die Füße zu werfen? War es ein plötzlicher Einfall (wie die Schilderung Else Gebels nahelegt), geschah es aus Überschwang, der sich mit Leichtsinn verbindet (wie Traute Lafrenz andeutet), oder ist die Tat […] nur aus dem Gedanken des Selbstopfers zu verstehen? War die Tat also geplant?1760

Seine eigene Erklärung folgert Petry, indem er die Ergebnisse seiner Untersuchung der psychischen und gesellschaftlichen Disposition der Geschwister Scholl mit Zeugenaussagen zur Vorgeschichte und zum Ablauf der Aktion konfrontiert. In Sophie Scholls politischer Konzeption sei Widerstand eine moralische »Existenzfrage« gewesen, die »Nützlichkeitserwägungen und die Sorge um Leib und Leben« nicht zugelassen habe.1761 Sophie Scholls moralische Einstellung habe sich auf fatale Weise mit Hans Scholls idealistischer Disposition verbunden: Hans Scholl hat, so scheint es, in einer Situation, in der er, allein auf sich gestellt, in dem Gefühl der Bedrohung eine lohnende Tat suchte, geglaubt, die Möglichkeit zu haben, 1756 Petry, Anm. 33, S. 91. 1757 Ebd., S. 102–103. 1758 Otmar Hammerstein stand mit dem ›Freundeskreis‹ der Weißen Rose in Verbindung. Siehe Notker Hammerstein: Aus dem Freundeskreis der »Weißen Rose«. Otmar Hammerstein. Eine biographische Erkundung. Göttingen: Wallstein 2014. 1759 Petry, Anm. 33, S. 105. 1760 Ebd., S. 113. 1761 Ebd., S. 116.

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»etwas in Bewegung zu bringen«. Als ihm bewußt wurde, daß die Zeit seiner Wirkungsmöglichkeit begrenzt war, zog er sich nicht zurück, um andere an der gemeinsamen Aufgabe weiterarbeiten lassen zu können. Denn erstens wäre es ihm wohl sehr schwer gefallen, auf das Hochgefühl, das ihm seine Aktivität brachte, zu verzichten und von neuem das beklemmende Gefühl der Passivität zu ertragen. Den – von Frustrationen befreienden – Weg in den Widerstand zurückzugehen, passiv zu werden, hätte ein hohes Maß an Selbstdisziplin gekostet. Dazu war Scholl in der emotionalen Hochspannung, in der er und seine Freunde sich befanden, nicht in der Lage. Vielleicht auch deshalb nicht, weil er die Notwendigkeit nicht einsah. Denn – zweitens – glaubte er nicht, daß er ohnmächtig sei. Die Atmosphäre in München, die Ansicht, die Tage des Dritten Reichs seien gezählt, ließen wohl in Scholl die Vorstellung aufkommen, es lohne sich, das politische Mittel, das er seit seiner Jugend vor allem als das seine betrachtet hatte, jetzt einzusetzen, es lohne sich, ein »Fanal« zu entzünden.1762

Damit sei die Weiße Rose einer »sehr idealistische[n] und sehr deutsche[n] Wunschvorstellung« zum Opfer gefallen, die typisch für das deutsche Bürgertum gewesen sei.1763 Die Form der konjunktivischen, indirekten Rede zur Wiedergabe von Gedanken unter Beibehaltung des deiktischen »jetzt« zeigt, wie Petry die Tat durch eine hermeneutische Rekonstruktion der Beweggründe der Geschwister zu erklären versucht. Auch die Strukturierung durch die aufzählenden Konnektoren »erstens, zweitens« lässt Petrys Erklärung der Flugblattaktion wie die Zusammenfassung eines Ermittlungsberichts wirken. Der Aufbau des Textes ist insgesamt mit der Struktur einer detektivischen Ermittlung vergleichbar, die Dispositionen, Vorgeschichte, Umstände und Motive einer Tat aufgrund biografischer Informationen und Zeugenaussagen analysiert. Der Autor fungiert somit als Ermittler, der die Fakten für sich sprechen lässt, indem er Informationen und Aussagen so zusammenfügt, dass ein bestimmter Ablauf plausibel erscheint. Dieses Prinzip kennzeichnet insbesondere den von Petry mitkonzipierten Do1762 Ebd., S. 119. 1763 Ebd., S. 120. Diese Aussage belegt Petry mit Harry Pross’ Einschätzung: »Das heroische Ideal gehörte zum deutschen Jungen wie das Schulbutterbrot«. Der Sozialwissenschaftler Pross arbeitete nach seiner Promotion zur bündischen Jugend bis 1968 als Journalist, zuletzt als Chefredakteur von Radio Bremen, bis er 1968 dem Ruf der Freien Universität Berlin folgte. Es ist zu vermuten, dass Petry Pross kannte und dass dieser auch am Zustandekommen des auf Petrys Magisterarbeit beruhenden Dokumentarfilms Die Weiße Rose – Abschied von einem Mythos bei Radio Bremen beteiligt war. Pross kritisierte bereits Ende der 1950er-Jahre spezifisch deutsche Traditionen, die zum Nationalsozialismus führten (siehe vor allem Harry Pross: Die Zerstörung der deutschen Politik. Dokumente 1871–1933. Frankfurt a. M.: Fischer 1959) und wendete sich mit ähnlichen Argumenten wie Petry Ende der 1960er-Jahre ebenfalls gegen eine Vergleichbarkeit studentischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus und der Studentenbewegung. Siehe Harry Pross: Zum Gedächtnis der Weißen Rose. Rede gehalten in Ulm (Donau) am 20. Februar 1968. In: Neue Rundschau (1968), Nr. 2, S. 288–293.

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kumentarfilm, in dem Zeugenaussagen1764 hintereinander geschnitten sind und nur an wenigen Stellen mit Aufnahmen der historischen Orte unterlegte Sprecherkommentare eingefügt sind.1765 Der Titel Abschied von einem Mythos deutet an, dass die Ermittlung der historischen Wahrheit eine Dekonstruktion bisheriger Darstellungen voraussetzt. Petry setzt sich in seinem Buch insbesondere mit den Darstellungen Inge Scholls auseinander. An mehreren Stellen werden Aussagen Inge Scholls mit anderen Aussagen und Tatbeständen konfrontiert, Diskrepanzen zum Teil kursiv hervorgehoben. Nur auf der Grundlage von Dekonstruktion des Mythos und Rekonstruktion der Fakten lässt sich also für Petry die historische »Problematik des studentischen Widerstands der Weißen Rose«1766 erkennen und beurteilen. Petrys Darstellung der Weißen Rose mündet dabei in ein weitergehendes politisches Urteil: Nach politisch sinnvollen »Husarenstücken« bedienten sie sich am 18. Februar des »unpolitischen« Mittels des Fanals und brachen damit ihren Weg in einen Widerstand ab, der sie aus ihrer Bindung an ihre Welt, die eine unpolitische, christliche, bürgerliche und sehr deutsche Welt gewesen ist, hätte lösen können.1767

Die Geschwister Scholl und ihre Freunde seien damit »Kinder ihrer Zeit« geblieben: In dem Schicksal des Widerstands der Weißen Rose, besonders dort, wo sie, wie im Münchener Kreis um Muth und Haecker, starke christliche Bindungen eingegangen ist, spiegelt sich der geschichtliche Weg dieses anderen Deutschland in die politische Isolation. […] [Diese] muss als das Ergebnis des deutschen Bürgertums begriffen werden, das seit 1848 an seiner Möglichkeit, politisch zu wirken, verzweifelt hatte und deshalb zu der Ansicht gekommen war, Politik sei schmutzig.1768

Petry misst die Weiße Rose mit dem Maßstab des sozialdemokratischen und kommunistischen Widerstands. Dies wird daran deutlich, dass er die Aktion vom 18. Februar 1943 auf der Grundlage des von Ernst Fraenkel unter dem Pseudonym Fritz Dreher 1935 in der Sozialistischen Warte veröffentlichten Artikels über den Sinn der illegalen Arbeit bewertet, den er über zwei Seiten hinweg sehr ausführlich zitiert. Petry hebt kursiv hervor : »[E]ine illegale Arbeit, die wahllos ist, die Menschen gefährdet, wo sich eine Gefährdung vermeiden ließe, 1764 Siehe dazu ausführlicher Hikel, Anm. 49, S. 188–189. 1765 Das Konzept lässt sich anhand eines Protokolls der Abteilung Information des staatlichen Rundfunkkomitees der DDR rekonstruieren: Die Weiße Rose. Protokoll des Fernsehfilms »Die weiße Rose – Abschied von einem Mythos« des staatlichen Rundfunkkomitees, Abteilung Information. Typoskript, 15 Seiten, 31. 10. 1968. In: ACDP, Bestand Günter Wirth (01–531). 1766 Ebd., S. 146. 1767 Ebd., S. 151. 1768 Ebd., S. 147.

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eine solche Arbeit ist verwerflich«.1769 Daher könnten die Weiße Rose und das ›andere Deutschland‹ insgesamt keinen »Ansatzpunkt einer Tradition politischen Denkens und Handelns« darstellen: Politische Taten lassen sich im Namen der Weißen Rose nicht mehr tun, weil in der Form ihres Scheiterns sich die politische Begrenzung des »anderen Deutschland« spiegelt, für das die Studenten 1943 das eindrucksvollste Zeugnis abgelegt haben. […] Auch jährlich wiederkehrende Gedenkfeiern können nicht darüber hinwegtäuschen, daß das »andere Deutschland« durch die Erinnerung an seine Märtyrer politisch nicht am Leben gehalten werden kann, daß seine und ihre Zeit 1945 zu Ende ging. […] Als moralische Tat ist die Weiße Rose aus unserer Geschichte nicht mehr auszulöschen.1770

Dieses Verdikt Petrys provozierte Widerspruch. Die Familie Scholl legte heftigen Einspruch gegen die Veröffentlichungen Petrys ein und versuchte, die Publikation des Buches zu verhindern. Inge Scholl betonte in einem Brief an den Piper-Verlag, die Darstellung Petrys beruhe auf »einer Entstellung von Tatsachen« und komme einer »Diffamierung« gleich, und droht mit rechtlichen Schritten.1771 Die »eigentümliche Tendenz« sei nur dadurch zu erklären, dass ein durch sie in den Vorstand der Geschwister-Scholl-Stiftung berufener »enger Verwandter« Petrys »Differenzen mit der Hochschule hatte, die zu einer Trennung führten«.1772 Der Verlag antwortete Aicher-Scholl, Petrys Darstellung sei eine wissenschaftliche Arbeit und »ja kein Erinnerungsbuch«.1773 Auch eine Wiederholung des Dokumentarfilms versuchte Inge Aicher-Scholl juristisch zu verhindern.1774 Sie und ihr Vater verfassten Stellungnahmen, die sie an einflussreiche Personen aus Literatur, Publizistik und Wissenschaft verschickten, darunter Heinrich Böll, Marion Gräfin Dönhoff und Walter Jens.1775 Darin zeigt sich auch ein Bemühen, die Deutungshoheit der Darstellung Inge Scholls zu verteidigen. Robert Scholl wirft Petry vor, deren Buch Die weiße Rose nicht »als Leitfaden« genutzt und »manche darin enthaltenen Tatbestände […] ins Gegenteil« verkehrt zu haben.1776 1769 Ebd., S. 151. Vgl. Fritz Dreher [i. e.: Ernst Fraenkel]: Der Sinn illegaler Arbeit. In: Sozialistische Warte (1935), Nr. 11, S. 241. 1770 Ebd., 151–152. 1771 Inge Aicher-Scholl: Brief an den Piper-Verlag, 21. 04. 1968. In: IfZ, ED 474 (754). 1772 Ebd. 1773 Albecht Röseler : Brief an Inge Aicher-Scholl, 13. 05. 1968. In: IfZ, ED 474 (754). 1774 Dies gelingt erfolgreich im Falle des auf Petrys Arbeit basierenden Films Studenten aufs Schafott von Gustav Ehmck, der 1972 auf der Biennale in Venedig aufgeführt wurde und im selben Jahr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt werden sollte. Zu der Konzeption von Ehmcks auch filmgeschichtlich und filmästhetisch interessantem Film siehe Rickart, Anm. 944, S. 152–168. 1775 Siehe Ziegler, Anm. 943, S. 41–53. Siehe auch Inge Aicher-Scholls diesbezügliche Korrespondenz. In: IfZ, ED 474 (754, 755). 1776 Robert Scholl: Anmerkungen zu Christian Petrys Veröffentlichungen über die Wider-

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Die Rezensionen zu Petrys Buch und dem Dokumentarfilm Abschied von einem Mythos bringen generationale und politische Argumente zur Geltung: Thorsten Müller, der dem sogenannten Hamburger Zweig angehörte und durch eine schriftliche Mitteilung zu Petrys Arbeit beigetragen hatte, bezeichnet Petrys Buch zwar als »erste[n] und redliche[n] Versuch einer historisch-kritischen Gesamtdarstellung«, wirft ihm aber vor, aufgrund seines Alters »zuwenig Ahnung« zu haben von der Reaktion der Menschlichkeit auf Unmenschlichkeit, von der Verzweiflung Deutscher am nationalsozialistischen Deutschland, von den transpolitischen Aspekten des Nationalsozialismus und der Resistenz, von der widerstandsstimulierenden Rolle der antiken Philosophie, der modernen Kunst oder eines Thomas Mann.1777

Müller konstatiert, Petry selbst sei »Kind seiner Zeit«, indem er den Widerstand nur vor der Folie des Kampfes »der Studenten von heute gegen die etablierte Macht« sehe.1778 Ursula von Kardorffs Kritik in der Süddeutschen Zeitung ist wohlwollender : Es ist das Vorrecht der Jungen, die Götter der Älteren abzuklopfen, auf Hohles, Falsches, Vergangenes, sich zu wehren, wie im Fall der Geschwister Scholl, wenn ihr Tod als Alibi auf Feiern mißbraucht wird, ehemalige NS-Mitläufer sich sozusagen die weiße Rose ins Knopfloch stecken.1779

Dennoch scheitere Petrys Versuch der Entmythologisierung, denn auch nach dem Lesen stünden die Münchener und Hamburger Studenten da »als das, was sie waren: Widerstandskämpfer mit Mut (in einer feigen, grauen Masse), Tatkraft und Phantasie. Als Leitbilder, wenn man so will«.1780 Einer anderen Rezensentin zufolge lasse sich die Weiße Rose »rechtens gar nicht in Frage stellen«.1781 Der Stellenwert der öffentlichen Erinnerung an die Weiße Rose wird jedoch nicht nur aus bürgerlicher Perspektive, sondern insbesondere auch von linksliberaler Seite sowie von Positionen links von der SPD aus verteidigt. Die Blätter für deutsche und internationale Politik veröffentlichten einen Leserbrief Willi Cronauers. Der »Abschied von einem Mythos«, heißt es darin, könne im Zusammenhang mit der Weißen Rose »mit einigem Anstand im politisch-morali-

1777 1778 1779 1780 1781

standsgruppe »Weiße Rose« in München. In: Karl-Heinz Jahnke (Hrsg.): Antifaschisten. Unbequeme Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts. Pahl Rugenstein Nachf.: Bonn 1994, S. 104. Thorsten Müller : Der Duft der Weißen Rose. Die erste historisch-kritische Untersuchung der Affäre Scholl: ein redlicher Versuch. In: Die Zeit, 14. 03. 1969. Ebd. Ursula von Kardorff: Die Weiße Rose entblättern? In: Süddeutsche Zeitung, 13. 12. 1968. Ebd. Sybille Wirsing: Vor dem Fernsehschirm west: In Tyrannos. In: Der Tagesspiegel, 02. 11. 1968.

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schen Bereich der Bundesrepublik« nicht hingenommen werden.1782 Die Besinnung auf die Weiße Rose sei notwendig, denn die deutsche Gesellschaft müsse den »Weg des ›In-sich-Gehens‹ konsequent beschreiten«.1783 Ihm gehe es dabei »nicht nur um eine persönliche Ehrenrettung der Familie Scholl«, sondern um den Platz der Weißen Rose im »demokratischen Bewußtsein unserer heranwachsenden Generation«.1784 Ursel Hochmuth1785 nahm für die Geschichtskommission der Vereinigten Arbeitsgemeinschaft der Naziverfolgten (VAN) Hamburg Stellung zu Petrys Buch. Dieses sei zwar durch die »Fülle bisher unbekannter Dokumente, Briefe und Aussagen« eine Bereicherung der »WeißeRose-Literatur«.1786 Petry werde aber insbesondere dem Hamburger Zweig der Weißen Rose nicht gerecht, sein Konzept vom Widerstand der Weißen Rose entspreche insgesamt »nicht der historischen Wahrheit, sondern stellt geschichtliche Tatsachen auf den Kopf«: Nicht die Weiße Rose ist gescheitert, sondern der deutsche Faschismus. Daß er im Frühjahr 1945 durch die Armeen der Antihitler-Koalition besiegt werden und Deutschland ein demokratisches Neubeginnen versuchen konnte, dazu hat auch die deutsche Widerstandsbewegung und nicht zuletzt das Wirken der Weißen Rose beigetragen.1787

Von einer »sofortigen Polemik« sei aus Nachsicht gegenüber dem jungen Wissenschaftler Abstand genommen worden, sollte das Buch jedoch von »rechten bis neofaschistischen Organen hochgelobt oder sogar empfohlen werden«, müsse dafür Sorge getragen werden, dass der »Verfasser seine sachlichen Irrtümer und persönlichen Kränkungen nicht erst mit der zweiten Auflage seines 1782 Willi Cronauer : Zu der Fernsehsendung »Die Weiße Rose – Abschied von einem Mythos«. In: Blätter für deutsche und internationale Politik (1968), Nr. 12, S. 1322–1323. 1783 Ebd. 1784 Ebd. 1785 Ursel Hochmuth, auch Ursel Ertel-Hochmuth, 1931–2014, ist Tochter des Hamburger KPD-Bürgerschaftsabgeordneten Walter Hochmuth und Katharina Jacobs (in zweiter Ehe mit dem Widerstandskämpfer Franz Jacob verheiratet). Sie wurde 1945 Mitglied der FDJ, 1950 auch Mitglied der KPD und siedelte zum Studium in die DDR über. Nach ihrer Rückkehr war sie hauptamtlich in der Jugendarbeit im KPD-Umfeld tätig und engagierte sich u. a. für die Vereinigte Arbeitsgemeinschaft der Naziverfolgten (VAN) und in der VVN-BdA. Ab 1959 forschte und publizierte sie zur Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, insbesondere zur Geschichte des kommunistischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in Hamburg. Wikipedia-Eintrag zu Ursel Hochmuth, Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/Ursel_Hochmuth, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 1786 Ursel Ertel-Hochmuth VAN-Geschichtskomission Hamburg: Protokoll des Berichts der Geschichtskommission über die Abschlußarbeiten am Manuskript »Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933–1945« im Juni 1969 in Köln, 18. 11. 1968. In: BArch, DY 57 (1203), S. 1. 1787 Ebd.

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Buches zurücknimmt«.1788 Gegen Petrys Darstellung stellt Hochmuth die Inge Scholls. Ihr Buch sei weiterhin ein »Leitfaden für jeden Forscher«; es sei »in die Weltliteratur eingegangen« und habe »sicher mehr für das Ansehen Deutschlands bewirkt als z. B. die Tätigkeit sämtlicher Bundesminister«.1789 Auch der DDR-Historiker Klaus Drobisch verteidigt 1970 in der ZfG Inge Scholls Darstellung gegen Petry und kritisiert, dieser schmälere die Handlungen der Geschwister Scholl und ihrer Freunde und leugne deren »Bedeutung für die Gegenwart«.1790 Damit leiste er Schützenhilfe für jene, die die Münchener Studenten zur Vorgeschichte des Bonner Staates zählen wollen. Seine aktuelle Wertung spielt denen in die Hände, die jene Kräfte entwaffnen möchten, die gegen Restauration und Kriegsgefahr in Westdeutschland auftreten. Petrys Buch ist ein neuer Beweis für die Abwertung des antifaschistischen Widerstands in Westdeutschland und den Versuch, seine Lehren aus dem Bewußtsein der westdeutschen Bevölkerung zu verdrängen.1791

Somit wurde Petrys Interpretation der Weißen Rose von verschiedensten Seiten entgegengetreten. An Petrys Veröffentlichungen eine Infragestellung der Weißen Rose um 1968 festzumachen und als »Generationenkonflikt«1792 zu erklären, greift daher ebenso kurz wie Christine Hikels pauschaler Schluss, dass sich die Weiße Rose im Zuge der Studentenbewegung nicht mehr in das bundesrepublikanische »Welt- und Geschichtsbild« integrieren ließ,1793 weshalb aufgrund des »verlorengegangene[n] Gegenwartsbezug[s]« die 1970er-Jahre eine »regelrechte Erinnerungslücke für die Auseinandersetzung mit der Weißen Rose« gebildet hätten.1794 Vielmehr wurde der Stellenwert der Weißen Rose von divergenten Standpunkten aus verteidigt. Die öffentliche Erinnerung an die Weiße Rose wird jedoch in eine sich pluralisierende Widerstandsgeschichtsschreibung und -vermittlung eingebettet.

V.1.5 Die Weiße Rose und die Vermittlung der Widerstandsgeschichte in den 1960er- und 1970er-Jahren Die These einer »Erinnerungslücke« an die Weiße Rose in den 1970er-Jahren ist nur haltbar, wenn man sie auf das Ausbleiben einschlägiger Publikationen oder 1788 Ebd., S. 4. 1789 Ebd., S. 2. 1790 Klaus Drobisch: Rezension zu Christian Petry : Studenten aufs Schafott. In: ZfG (1970), Nr. 2, S. 237–239. 1791 Ebd. 1792 Hikel, Anm. 49, S. 187. 1793 Ebd., S. 189. 1794 Ebd., S. 207–208.

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Debatten bezieht. Betrachtet man jedoch Entwicklungen in der pädagogischen und populärwissenschaftlichen Vermittlung der Widerstandsgeschichte, ergibt sich ein differenzierteres Bild. In den 1960er- und 1970er-Jahren verändern sich Prämissen und Formen der Geschichtsvermittlung, bilden sich in divergenten Kontexten Muster heraus, die später zum Teil konvergieren und sich auf die Geschichtsvermittlung bis heute auswirken. Die Weiße Rose bleibt in diese Entwicklungen eingebettet, verliert aber zunächst ihren emblematischen Status in der bundesrepublikanischen Widerstandserinnerung. Anfang der 1960er-Jahre verstärkte sich die bildungspolitische Aufmerksamkeit zum Thema Nationalsozialismus. In Reaktion auf antisemitische und rechtsextreme Vorfälle wurde das Fach Gesellschaftslehre eingeführt, 1962 machte die Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) unter der Überschrift »Richtlinien für die Behandlung des Totalitarismus im Unterricht« den Nationalsozialismus zu einem verbindlichen Unterrichtsgegenstand und 1963 wurde das bis heute bestehende System der politischen Bildung mit seiner Struktur aus staatlichen Zentralen auf Bundes- und Länderebene und einem Netz gesellschaftlicher Trägerinstitutionen eingeführt.1795 Die Bundeszentrale für Heimatdienst, 1963 in Bundeszentrale für politische Bildung umbenannt, konzentrierte sich in ihrer Schriftenreihe in den 1950er-Jahren und bis in die 1960er-Jahre stark auf den militärischen Widerstand.1796 Doch auch die Weiße Rose war für die Bundeszentrale relevant. 1953 stellte sie Inge Scholl eine Co-Finanzierung einer Neuauflage des Buchs Die weiße Rose und »eine ganze Reihe von anderen Anliegen« in Aussicht.1797 Und 1961 bezeichnete der Referent Hans Feineis gegenüber Robert Scholl die Weiße Rose als »eines der positivsten Kapitel jener Epoche«, an denen es »der heutigen Jugend« fehle, »der wir sonst doch fast nur

1795 Siehe Susanne Popp: Nationalsozialismus und Holocaust im Schulbuch. Tendenzen der Darstellung in aktuellen Geschichtsschulbüchern. In: Gerhard Paul, Bernhard Schoßig (Hrsg.): Öffentliche Erinnerung und Medialisierung des Nationalsozialismus. Eine Bilanz der letzten dreißig Jahre. Göttingen: Wallstein 2010, S. 98–115, S. 99–102. 1796 Siehe bspw. Hermann Weinkauff: Die Militäropposition gegen Hitler und das Widerstandsrecht. Bonn 1954; Hans Rothfels: Das politische Vermächtnis des deutschen Widerstandes. Bonn: Bundeszentrale für Heimatdienst 1955; Ericht Kosthorst: Die deutsche Opposition gegen Hitler zwischen Polen- und Frankreichfeldzug. 3. Aufl.: Bundeszentrale für Heimatdienst 1957; Helmut Krausnick, Hermann Graml: Der deutsche Widerstand und die Alliierten. Bonn: Bundeszentrale für Heimatdienst 1962. In der Schriftenreihe der Bundeszentrale deutet sich aber auch ein früher Fokus auf die Judenverfolgung an, siehe bspw.: Joseph Wulf: Vom Leben, Kampf und Tod im Ghetto Warschau. Bonn: Bundeszentrale für Heimatdienst 1953; Dokumentation zur Massenvergasung. Bonn: Bundeszentrale für Heimatdienst 1955, beide Komplexe verbindend: Hans Günther Adler: Der Kampf gegen die »Endlösung der Judenfrage«. Bonn: Bundeszentrale für Heimatdienst 1958. 1797 Schweitzer, Anm. 1100.

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Negatives aus der Zeit des NS-Regimes zu berichten haben!«1798 Auch 2.000 Exemplare von Petrys Buch wurden 1968 von der Bundeszentrale für politische Bildung an »Mittler politischer Bildung« verbreitet,1799 jedoch, so die Antwort auf Inge Aicher-Scholls Protest gegen diese Maßnahme, ohne sich »mit der Bemerkung des Verlages [zu] identifizieren, daß dies nun die ›abschließende historische Darstellung‹ der Münchener Studentenerhebung 1942–1943 sei«.1800 Von Mitte der 1950er-Jahre bis weit in die 1960er-Jahre hinein stand das Programm der Bundeszentrale nicht nur unter antitotalitaristischen, sondern auch unter explizit antikommunistischen Vorzeichen.1801 Im Kalender Unsere Gegenwart 1963 erschien anlässlich des 20. Jahrestags der Hinrichtung der Geschwister Scholl ein Überblickstext über den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, der den kommunistischen Widerstand wie folgt beurteilt: Sie kämpften gegen die braune Diktatur, um eine rote Diktatur in Deutschland errichten zu können. Das unterscheidet sie sehr eindeutig von jenen […], die dem Hitlerterror Widerstand leisteten um eines rechtsstaatlichen Systems willen.1802

Differenzierter gestaltete sich das Bild in der politischen Bildung auf Länderebene. Die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit im sozialdemokratisch regierten Berlin gab 1964 unter dem Titel Terror und Widerstand eine in Zusammenarbeit mit dem Friedrich-Meinecke-Institut der FU-Berlin zusammengestellte Dokumentenkassette mit Arbeitsmaterialien für die politische Bildung heraus (siehe Abbildung 5). Im Vorwort wird als Leitgedanke betont, dass der 20. Juli 1944 zwar ein »herausragendes Ereignis und Symbol des deutschen Widerstandes gegen den nationalsozialistischen Totalitarismus« darstellt, dieser aber von »Männer[n] und Frauen aus allen Schichten der Bevölkerung und allen weltanschaulichen und politischen Richtungen – von ausgesprochen nationalbewußten Konservativen bis hin zu innerlich unabhängigen Kommunisten« getragen worden sei.1803 Nicht alle hätten »ihr Ziel in einer De1798 Hans Feineis: Abschrift eines Schreibens der Bundeszentrale für Heimatdienst an Robert Scholl, 23. 01. 1961. In: IfZ, ED 474 (6). Mit diesem Argument versuchte der Referent der Bundeszentrale die Familie Scholl von der Wichtigkeit von Filmen zur Weißen Rose zu überzeugen. 1799 Perforierte und abtrennbare Seite im vorliegenden Exemplar von Petry, Anm. 33. 1800 Barbara Groneweg: Brief an Inge Aicher-Scholl, 06. 12. 1968. In: IfZ, ED 474 (755). 1801 Zur antikommunistischen Funktionalisierung der Bundeszentrale in diesem Zeitraum siehe Gudrun Hentges: Staat und politische Bildung: von der »Zentrale für Heimatdienst« zur »Bundeszentrale für politische Bildung«. Wiesbaden: Springer VS 2013, insb. S. 344– 354, zum Fortwirken des »Oberthemas Auseinandersetzung mit und Bekämpfung des Kommunismus«, S. 336–340. 1802 Johannes Kurt Klein: 1963 Unsere Gegenwart. Kalender für Politik und Zeitgeschehen. Bonn: Bundeszentrale für Heimatdienst 1963, Blatt 8. 1803 Eberhard Aleff, Ilse Kemter : Terror und Widerstand 1933–1945. Arbeitsunterlagen für die politische Bildung. Berlin: Landeszentrale für politische Bildungsarbeit 1964, Vorwort.

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mokratie« gesehen, aber »die Bereitschaft, für die Grundwerte der Menschlichkeit ihre Sicherheit, ihre Freiheit und ihr Leben zu wagen« sei ihnen gemeinsam.1804 Das in der Kassette enthaltene Material1805 – Lehrern und Mittlern politischer Bildung zur Wahrung der »Freiheit pädagogischer Entscheidung« in »LoseBlatt-Form« als Hilfsmittel dargereicht1806 – lässt sich etwa gleichgewichtig den titelgebenden Komplexen Widerstand und Terror zuordnen, wobei beim zweiten die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden einen Schwerpunkt bildet. Die Auswahl der Dokumente zum Widerstand berücksichtigt bürgerlichen, militärischen, sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen, kirchlichen und auch kommunistischen Widerstand, zudem Emigration, Widerstand und Partisanenbewegungen in den besetzten Ländern sowie jüdischen Widerstand und die ›unbesungenen Helden‹. Die Weiße Rose ist mit einem Portrait und der einzigen Gruppenbiografie in der Bildmappe1807 zum Widerstand vertreten, Kurt Hubers Notizen für seine Verteidigungsrede befinden sich in der Mappe »Menschlichkeit im Alltag« und das letzte Flugblatt in der Mappe »Gruppen im Untergrund«. Damit ist die Weiße Rose durchaus prominent vertreten, im Vergleich zu anderen Gruppen aber auch nicht besonders herausgehoben. In seinem Vortrag auf der 1965 von der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgerichteten Konferenz zu »Stand und Erforschung des deutschen Widerstands« begründete der verantwortliche Mitarbeiter der Landeszentrale Eberhard Aleff die Verbindung der Themen Verfolgung und Widerstand damit, dass ein »gesunde[s] Nationalbewusstsein« nur unter Bezug »auf die allerdings seltenen freiheitlichen humanitären Traditionen der deutschen Geschichte« möglich sei, »ohne dabei auch nur mit einem einzigen Wort die andere verderbliche Linie

1804 Ebd. 1805 Die Kassette (siehe Abbildung 6) enthält: acht Mappen mit Dokumenten und Texten mit den Titeln »Warnung«, »Unrecht und Terror«, »Menschlichkeit im Alltag«, »Verweigerung und Protest«, »Gruppen im Untergrund«, »Gewalt gegen Terror«, »Gedanken für die Zukunft« und »Wir und der Widerstand« sowie zwei Bildmappen, je eine zu »Terror« und »Widerstand«; ein Tonband mit Beiheft, eine Zeittafel sowie zwei Landkarten zu »Verfolgung und Widerstnad in Europa 1933–1945« sowie »Kriegszerstörungen nach dem 20. Juli 1944«; vier Bücher bzw. Broschüren (Wolfgang Scheffler : Judenverfolgung im Dritten Reich 1933–1945, Reinhard Henkys: Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, Hans Rothfels: Die deutsche Opposition gegen Hitler, Friedrich Zipfel: Plötzensee). 1806 Aleff, Kemter, Anm. 1803. 1807 Portraitfotos und Biografien in der »Mappe K: Widerstand (Bilddokumente): Leo Baeck, Ludwig Beck, Clemens August Graf von Galen, Carl Friedrich Goerdeler, Max Habermann, Johanna Kirchner, Julius Leber, Bernhard Letterhaus, Wilhelm Leuschner, Bernhard Lichtenberg, Thomas Mann, Carlo Mierendorff, Else Niewiera, Adolf Reichwein, Anton Saefkow, »Die weiße Rose«, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Werner Sylten, Maria Terwiel, Adam von Trott zu Solz, Peter Graf Yorck von Wartenburg, Friedrich Weissler.

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Abbildung 6: Dokumentenkassette Terror und Widerstand der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin

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unserer Geschichte leugnen zu wollen«.1808 Politische Bildung, die nicht »Bewältigung der Vergangenheit […], sondern die Erziehung zur Demokratie« zum Ziel habe,1809 zielt in Aleffs Konzeption auf die Identifikation mit dem Widerstand. Dazu wird zum einen ein Blickwechsel von »Organisation und Technik der Verschwörung« auf »Motive und Ziele« von Widerstandsgruppen gefordert, um nicht den »meßbaren Erfolg zum Bewertungskriterium« zu erheben und so einer Zuschreibung von »Sinnlosigkeit« Vorschub zu leisten.1810 Zum anderen kritisiert Aleff eine »Überakzentuierung der großen Persönlichkeiten«, die »jede Identifikation des jungen Menschen mit den Menschen des Widerstandes von vornherein oder schlechterdings unmöglich« mache.1811 Im Vorwort der Kassette heißt es dazu: Die Männer und Frauen des Widerstands dürfen nicht idealisiert und nicht heroisiert werden. Ihre Gesinnung, ihr Handeln und ihre Opfer erscheinen nicht geringer, sondern größer, wenn man sie als die Menschen sieht, die sie in Wirklichkeit waren: auch sie irrten, zeigten sich schwach, zweifelten, doch stärker war in ihnen schließlich die Stimme des Gewissens und war das Bewußtsein der Verantwortung.1812

Die Inklusion des kommunistischen Widerstands begründet Aleff damit, dass »gegenwärtige politische Auseinandersetzungen sich nicht auf Tote erstrecken«, weshalb »jedes Opfer, ohne Ansehen der Person oder der Mehrheitsverhältnisse, zu würdigen« sei.1813 Jedoch sei auch abseits eines »blindwütigen Antikommunismus« nicht zu bestreiten, dass »ein zweites und ebenfalls mit Verbrechen beladenes totalitäres System an unseren Grenzen wirksam ist und in unser Leben hineingreift«.1814 Hier sei Widerstand angebracht, während in einer Demokratie »Widerstand keinen Platz« habe, »wohl aber Opposition«.1815 Der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der 1952 den für die Diskussion um den Charakter des NS-Regimes als Unrechtsstaat und das Widerstandsrecht maßgeblichen Remer-Prozess angestrengt hatte,1816 bezieht den 1808 Eberhard Aleff: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der politischen Bildung. In: Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.): Stand und Problematik der Erforschung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Bad Godesberg: Friedrich-Ebert-Stiftung 1965, S. 153–173, S. 154–155. 1809 Ebd., S. 171. 1810 Ebd., S. 157. 1811 Ebd., S. 158–159. 1812 Aleff, Kemter, Anm. 1803. 1813 Aleff, Anm. 1808, S. 161. 1814 Ebd., S. 171–172. 1815 Ebd. 1816 Siehe hierzu Claudia Fröhlich: Zum Umgang mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik. Phasen und Themen der Judikatur zum 20. Juli 1944. In: Johannes Tuchel (Hrsg.): Der vergessene Widerstand. Zur Realgeschichte und Wahrnehmung des Kampfes gegen die NS-Diktatur. Göttingen: Wallstein 2005, S. 208–231, S. 215–218.

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Widerstandsbegriff dagegen auch auf Handeln in parlamentarischen Demokratien. So bezeichnet er in der von ihm im Fischer-Verlag 1965 herausgegebenen Anthologie Widerstand gegen die Staatsgewalt. Dokumente der Jahrtausende die »Geschichte des Widerstands« als »Geschichte der Demokratie« und Parlament und Parlamentarismus als »Institutionen des Widerstands«.1817 Das aus Dokumenten des Widerstands, Rechtstexten, Berichten und literarischen Texten aus über vier Jahrtausenden bestehende Lesebuch soll zur »Auseinandersetzung mit unserer jüngsten Vergangenheit« anregen.1818 Im Kapitel »Der Widerstand 1933–1945« wird die Verteidigungsrede Hubers als »Ausdruck des Widerstandsdenkens und -handelns« der Geschwister Scholl abgedruckt.1819 Wie am Titel des Buches deutlich wird, fasst Bauer Widerstand als einen universalen »Kristallisationskern gesellschaftlichen Denkens und Handelns«1820 auf, den er mit dem Menschenrechtsgedanken verbindet. Für Bauer steht dabei »nicht die Begründung und Legitimation der Kontinuität nationaler, westdeutscher Identität« im Vordergrund, sondern die »Konsolidierung einer demokratischen Identität der Bürger«.1821 Widerstand und Ungehorsam sieht er als für eine Demokratie unabdingbare Werte, die »in den vergangenen Generationen« in Deutschland abgewertet worden seien.1822 Diesem Befund unterliegt eine Kritik am »Zug zum Autoritären in der deutschen Geschichte«,1823 die Bauer als Erklärung für die Ermöglichung der nationalsozialistischen Verbrechen bereits 1960 vorgetragen hatte und die kontrovers rezipiert wurde. Bauer siedelt Widerstand im individuellen Handeln an und fasst darunter ein breites Spektrum von Verhaltensweisen. Den »Tyrannenmord« stellt er als »Grenzfall« dar, aber »wer ihn bejaht, bekennt sich auch zu allen anderen Formen des Kampfes gegen staatliches Unrecht«.1824 Für Bauer fallen darunter Beschwerde, Kritik, Opposition, Streik, ziviler Ungehorsam, Emigration, Befehlsverweigerung und Hilfe gegenüber Opfern. Widerstand spricht er auch eine »soziale Funktion« zu, wenn »Widerstand gegen das Überkommene« zur Bedingung für »Fortschritt« und die »Schulung im Kampf gegen das kleine Unrecht im Alltag« zur Voraussetzung für den »große[n] Widerstand« gegen das Unrecht erklärt wird.1825 1817 1818 1819 1820 1821 1822 1823 1824 1825

Fritz Bauer (Hrsg.): Widerstand gegen die Staatsgewalt. Frankfurt a.M: Fischer 1965, S. 8. Ebd., S. 11. Ebd., S. 242–244. Ebd., S. 300. Claudia Fröhlich: »Wider die Tabuisierung des Ungehorsams«. Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Frankfurt a. M., New York: Campus, S. 141. Bauer, Anm. 1817, S. 7. Fritz Bauer : Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns. Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt 1965, S. 27. Bauer, Anm. 1817, S. 7. Ebd., S. 300.

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Während Aleff und Bauer auf individuelle Verantwortung abheben, betont der Frankfurter Pädagoge Heinz-Joachim Heydorn 1967 die Rolle der gesellschaftlichen Verhältnisse sowohl in der Erklärung als auch in der Vermittlung der Geschichte des Nationalsozialismus und des Widerstands. Dies geht aus seinen einleitenden Bemerkungen zur vom Kultusministerium des sozialdemokratisch regierten Landes Hessen unterstützten und von Angehörigen des Widerstands (an erster Stelle Robert Scholl), Schriftstellern, Verlegern und Wissenschaftlern einberufenen1826 Konferenz »Probleme des Widerstandes und der Verfolgung im Dritten Reich im Spiegel des Schulbuchs« hervor. Ähnlich wie Aleff sieht Heydorn Verbrechens- und Widerstandsgeschichte der NS-Zeit als miteinander verbunden an und betont die erzieherische Relevanz des Themas Widerstand für die »Möglichkeit einer positiven Identifikation mit der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945«:1827 Niemand kann diesen Abschnitt aus der deutschen Geschichte herausnehmen, ohne unser Bewußtsein von uns selbst zu zerstören; erst seine volle Vergegenwärtigung kann den Heilungsprozess vielmehr einleiten. Wir akzeptieren ihn daher als deutsche Geschichte im vollen Sinne des Wortes, denn er hat keinen zufälligen Charakter.1828

Die Geschichte des ›Dritten Reichs‹ dürfe jedoch nicht nur als eine »Geschichte der Gaskammern, einer immer nur vorläufig erfaßten Geschichte beispielloser Verbrechen« dargestellt werden, da sie sonst zum »Ausdruck einer ungeheuren Determination« werde, »aus der sich niemand freimachen kann«, da die »konstanten Faktoren das Veränderbare und zu Verändernde hoffnungslos überwältigen«.1829 Genauso scheitere jeder »Versuch, diese Periode im Sinne menschenwürdiger Kontinuität zu retten und alle Schuld auf eine Minderheit zu projizieren«.1830 Die »Vergegenwärtigung« der Geschichte des Nationalsozialismus und des Widerstands müsse »über rationale Mittel« erfolgen und ihre Voraussetzungen und Bedingungen einbeziehen, was zu der Frage führe, »ob und inwieweit seine Voraussetzungen auch heute noch existent sind«.1831 Auf der Konferenz, an der Vertreter von Schulbuchverlagen, von Wider1826 Dem Einberuferkreis gehörten neben Wissenschaftlern wie Wolfgang Abendroth, Heinz-J. Heydorn, Arno Klönne oder Wolfgang Klafki, Vertreter von Widerstandskämpfern und Verfolgten wie Martin Niemöller, Josef C. Roussaint und Robert Scholl, Verleger wie Lambert Schneider sowie Lehrern auch die Schriftsteller Christian Geißler und Günther Weisenborn an. Siehe: Edgar Weick (Hrsg.): Deutscher Widerstand 1933–1945. Heidelberg: Lambert Schneider 1967, S. 8. 1827 Heinz-Joachim Heydorn: Vorbemerkungen zur Schulbuchkonferenz. In: Edgar Weick (Hrsg.): Deutscher Widerstand 1933–1945. Aspekte der Forschung und der Darstellung im Schulbuch. Eine Berichterstattung. Heidelberg: Lambert Schneider 1967, S. 19–23, S. 22. 1828 Ebd., S. 20. 1829 Ebd. 1830 Ebd. 1831 Ebd., S. 23.

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standsverbänden, der Pädagogik (insbesondere der politischen Bildung) und der Geschichtswissenschaft sowie mit Walter Bartel und Karl-Heinz Jahnke Historiker aus der DDR teilnahmen,1832 wurden zum einen »Vorgeschichte« (Imanuel Geiss) und »Herrschaftssystem des Dritten Reichs« (Iring Fetscher) und zum anderen »Formen des Widerstands gegen das NS-Regime unter besonderer Berücksichtigung des 20. Juli 1944« (Hans Mommsen)1833, »Widerstand der Arbeiterbewegung« (Wolfgang Abendroth) und der Kirchen (Ernst Wolf) beleuchtet und in Beiträgen von Herbert Steiner und Edgar Weick jeweils mit ihrer »Widerspiegelung« in den Schulbüchern konfrontiert. In seiner Auswertung der Schwerpunkte, Leerstellen und Akzente der Darstellungen des Widerstands in Schulbüchern kommt Weick zu dem Schluss, dass »[i]m Mittelpunkt« der »Widerstand aus Kreisen der Kirchen, die Geschwister Scholl und der 20. Juli 1944« stehen und die dominierende Stellung des kirchlichen und militärischen Widerstands kritisch zu sehen sei, zumal das »höchst ambivalente Verhältnis sowohl der katholischen als auch der evangelischen Kirche zum Nationalsozialismus« nicht dargestellt, dagegen jedoch Widerstand einzelner zum ›Kirchenkampf‹ stilisiert werde.1834 Auch die »doch sehr allgemein gefasste Charakterisierung« des 20. Juli 1944 »als Höhepunkt der deutschen Widerstandsbewegung« werde nicht den »tatsächlichen Intentionen der beteiligten Gruppen gerecht«.1835 Den von »Anhängern und Mitgliedern der beiden Arbeiterparteien KPD und SPD, von der ersten Stunde an geleistete[n] Widerstand« sieht Weick nur randständig erwähnt oder ausgeblendet.1836 Die hervorgehobene Darstellung der Geschwister Scholl bzw. der Weißen Rose dagegen beurteilt er positiv, wendet aber ein, dass die »Tendenz zur Idealisierung, die in die Darstellung häufig einfließt«, die angestrebte »Identifikation« verhindere.1837 Die Maßgabe, die Geschichte des NS-Herrschaftssystems samt seiner Vorgeschichte und die des Widerstands in seiner Breite aufeinander zu beziehen, setzte der aus der Konferenz hervorgegangene Studienkreis zur Erforschung

1832 Ebd., S. 11–12. 1833 Der Beitrag von Mommsen ist bemerkenswerterweise im Band nicht enthalten, verwiesen wird auf Mommsens Beitrag in Walter Schmitthenner, Hans Buchheim (Hrsg.): Der deutsche Widerstand gegen Hitler. Vier historisch-kritische Studien von Hermann Graml, Hans Mommsen, Hans Joachim Reichardt und Ernst Wolf. Köln; Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1966. 1834 Edgar Weick: Die Widerspiegelung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus in den Schulbüchern. In: Edgar Weick (Hrsg.): Deutscher Widerstand 1933–1945. Aspekte der Forschung und der Darstellung im Schulbuch. Eine Berichterstattung. Heidelberg: Lambert Schneider 1967, S. 123–136, S. 126. 1835 Ebd., S. 128. 1836 Ebd., S. 129–131. 1837 Ebd., S. 126–127.

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und Vermittlung des deutschen Widerstands 1933–19451838 im Jahr 1971 mit der Wanderausstellung »Antifaschistischer Widerstand 1933–1945« um, die in Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Bund für Volksbildung, der VVN-BdA und mit Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbunds Hessen erstellt und bundesweit gezeigt wurde. Die Entwicklung des deutschen Faschismus und des Widerstands wird chronologisch dargestellt, ihr Bezug durch den Wechsel schwarzer und weißer Paneele (siehe Abbildung 7) grafisch verdeutlicht.1839 Die Ausstellung schließt mit einem auf die bundesrepublikanischen Verhältnisse bezogenen Hinweis auf das »Vermächtnis des Widerstands«: Wieder reichten die Kräfte nicht aus, die in den Parteien, Gewerkschaften und Kirchen, in allen Bereichen des öffentlichen Lebens auf eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zielten. Doch ist, wenngleich unter Widersprüchen, ein Ansatz gewonnen. Der Auftrag des Widerstands bleibt somit bestehen, als unerledigte Forderung nach gesichertem, menschenwürdigem Leben, in Frieden mit den Völkern der Welt, in einer verwirklichten Demokratie.1840

Die Ausstellung sowie der gleichnamige in erheblichen Teilen darauf zurückgehende, im Auftrag des Präsidiums der VVN/BdA 1975 herausgegebene Bildund Dokumentenband stehen im Gegensatz zur Schulbuchkonferenz nunmehr unter explizit antifaschistischen Vorzeichen. Der anlässlich des 30. Jahrestags des 8. Mai 1945 im Röderberg-Verlag erschienene Band erhebt den Anspruch, eine umfassende Darstellung des antifaschistischen deutschen Widerstandes der Jahre 1933 bis 1945 zu versuchen, indem »erstmalig in der Bundesrepublik von den ungeheuren Blutopfern der Arbeiterbewegung […], von den opferreichen Aktionen der Kommunisten […], von Sozialdemokraten und Gewerkschaftlern« sowie von »Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung« berichtet werde, »deren Sorge um die Zukunft Deutschlands größer war als die Furcht vor dem Terror der Gestapo«.1841 Wie in der Ausstellung wird die Weiße Rose im Abschnitt über den »[v]erstärkte[n] Widerstand nach dem Überfall auf die Sowjetunion« neben der »Schulze-Boysen/Harnack-Organisation«, der »Gruppe Baum«, der »Uhrig-Organisation« und der »Zusammenarbeit deutscher und 1838 Zum Studienkreis Barbara Bromberger, Karl-Heinz Jahnke: Max Oppenheimer (1919– 1994). In: Günter Benser, Michael Schneider (Hrsg.): Bewahren, Verbreiten, Aufklären. Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen der deutschsprachigen Arbeiterbewegung. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung 2009, S. 238–241, S. 238–239. 1839 Siehe Anhang IX.5. 1840 Wolfgang Dohmen, Max Oppenheimer : Ausstellung Antifaschistischer Widerstand 1933– 1945. Frankfurt a. M.: Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte des deutschen Widerstandes 1933–1945 1971. 1841 Peter Altmann, Heinz Brüdigam, Barbara Mausbach-Bromberger, Max Oppenheimer (Hrsg.): Der deutsche antifaschistische Widerstand 1933–1945 in Bildern und Dokumenten. Frankfurt a. M.: Röderberg 1975, S. 9.

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Abbildung 7: Ausgewählte Fotografien der Ausstellung Antifaschistischer Widerstand 1933–1945 des Studienkreises zur Erfirschung und Vermittlung der Geschichte des deutschen Widerstandes 1933–1945, Quelle: siehe Anmerkung 1840

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ausländischer Antifaschisten in den KZs« hervorgehoben.1842 Sie wird in ähnlichem Umfang wie die anderen genannten Gruppen durch einen kurzen Darstellungstext, Portraitfotografien der Hingerichteten und Dokumente (Faksimiles der Flugblätter IV–VI, Abschiedsbrief Willi Graf) vorgestellt. Erwähnt werden auch christliche Widerstandskämpfer wie Max Josef Metzger, Bernhard Lichtenberg oder Graf von Galen, aber außer der Weißen Rose finden oftmals als ›bürgerlicher Widerstand‹ etikettierte Kreise wie der Kreisauer Kreis keine eigenständige Beachtung. Insgesamt zeigt der Band bezüglich der Deutungsmuster der NS- und Widerstandsgeschichte Nähe zur (im Band mehrfach zitierten) Geschichte der Arbeiterbewegung (GdA), wenn auch der sozialdemokratische und der gewerkschaftliche Widerstand eigenständig ohne direkten Bezug zur KPD gewürdigt werden.1843 Die Darstellung des deutschen Widerstands in den Schulbüchern wird in der Folge der Schulbuchkonferenz in den 1970er-Jahren und darüber hinaus problematisiert. Verschiedene Studien betonen sowohl unter antifaschistischen als auch antitotalitären Prämissen die Notwendigkeit einer umfassenden Darstellung des Widerstands.1844 Bundespräsident Walter Scheel liefert hierfür in seinem Geleitwort zu der von der Forschungsgemeinschaft 20. Juli e. V. in Auftrag gegebenen, 1979 publizierten Untersuchung Otto-Ernst Schüddekopfs eine zweifache Begründung, die auf eine Normalisierung der deutsch-deutschen

1842 Ebd., S. 176–207, zur Weißen Rose S. 201–207. 1843 So wird z. B. der deutsche Faschismus auf die Rolle des »Monopolkapitals« zurückgeführt, die SPD aufgrund ihrer antikommunistischen Haltung und der »Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie« kritisiert, wenngleich auch die KPD wegen der Diffamierung der Sozialdemokratie als ›Sozialfaschismus‹ und der Forderung nach organisatorischer Vereinigung beider Parteien nicht unkritisch gesehen wird. (Ebd., S. 29). Das Scheitern des Attentats am 20. Juli 1944 wird vor allem darauf zurückgeführt, »daß die Planung weitgehend in den Händen einer elitär denkenden und konservativ gesinnten Gruppe von Offizieren lag, die den Weg zu einem Kampfbündnis mit der seit 1933 aktiven antifaschistischen Widerstandsbewegung nicht fand«. (Ebd., S. 223). 1844 Jürgen Redhardt: NS-Zeit im Spiegel des Schulbuchs. Konzeptionen und Fehlkonzeptionen für westdeutsche Schüler, dargestellt am hessischen Beispiel. Frankfurt a. M.: Röderberg 1970; Ernst Uhde: Der Nationalsozialismus in den deutschen Schulbüchern. Eine vergleichende Inhaltsanalyse von Schulgeschichtsbüchern aus der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Frankfurt a. M.: Peter Lang 1972; Jürgen Liebing (Hrsg.): Helden, Märtyrer oder Opfer? Der Deutsche Widerstand 1933–1945 als Unterrichtsgegenstand. Eine kritische Betrachtung bundesdeutscher Schulbücher. Berlin: Paul Parey 1975; Otto-Ernst Schüddekopf: Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Seine Darstellung in Lehrplänen und Schulbüchern der Fächer Geschichte und Politik in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt a. M. [u. a.]: Diesterweg 1979; als jüngstes Beispiel im Kontext des Studienkreises: Karl-Heinz Jahnke: Vergessenes? Der europäische Widerstand 1939 bis 1945 in deutschen Geschichtslehrbüchern. Frankfurt a. M.: VAS Verlag für akademische Schriften 2001.

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Beziehungen und gesellschaftlichen Wandel unter der sozialliberalen Koalition verweist: Was weiß man, außer von den Aktivitäten der Geschwister Scholl, von dem Widerstand der Jugend? Was weiß man über den »linken« Widerstand? Hat man noch nicht begriffen, daß man die DDR nicht verstehen kann, wenn man vom Widerstand der Kommunisten keine Ahnung hat? In den Schulbüchern einer Demokratie sollte es keine geschichtlichen Tabus geben.1845

Die Weiße Rose wird in den verschiedenen Studien neben dem 20. Juli 1944 als eine der wenigen umfänglich bekannten Gruppen gesehen, ihr Identifikationspotenzial für Jugendliche zwar weiterhin hervorgehoben, zugleich aber kritisiert, dass sich die Darstellung des nunmehr als besonders relevant gesehenen Jugendwiderstands nicht auf sie beschränken dürfe. Dieser Ansatz der Widerstandsvermittlung setzt sich in der unter dem Vorzeichen des Konzepts historisch-politischer Bildung stehenden Geschichtsdidaktik zunehmend durch1846 und schlägt sich auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nieder.1847 Auch in der 1974 erschienenen Handreichung Der Deutsche Widerstand 1933–1945 in der Reihe Informationen der politischen Bildung der Bundeszentrale wird nun ein breiteres Bild des Widerstands gegeben, die Darstellung des »Widerstands aus der Arbeiterbewegung« bleibt aber auf »undogmatische Kommunisten«1848 beschränkt. Die ausführlichere Darstellung des 20. Juli 1944 wird mit seiner »Bedeutung im Gesamtbild des Widerstands« begründet, die Herausstellung der Weißen Rose damit, dass »ihre Mitglieder nur wenig älter waren als die Schüler«, an die sich die Broschüre im wesentlichen richtet.1849 Jedoch erweitert sich das Spektrum in den Folgejahren auch in Publikationen der Bundeszentrale.1850 Mit den im Dezember 1980 verabschiedeten Empfehlungen der KMK zur »Behandlung des Widerstandes in der NS-Zeit im Unterricht« wird die möglichst plurale Darstellung des deutschen Widerstands zur offiziellen Richtlinie.1851 Analog zum 1976 verabschiedeten Beutelsbacher Konsens in der politi-

1845 Geleitwort des Bundespräsidenten Walter Scheel, in: Schüddekopf, Anm. 1844, S. VII. 1846 Siehe Marhild Hoffmann: Möglichkeiten und Bedingungen des Widerstands. In: Peter Meyers, Dieter Riesenberger (Hrsg.): Der Nationalsozialismus in der historisch-politischen Bildung. Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht 1979, S. 120–146. 1847 Siehe bspw. Michael Schmid-Ospach (Hrsg.): Es gab nicht nur den 20. Juli. Wuppertal: Jugenddienst-Verlag 1980. 1848 Hermann Simon: Der deutsche Widerstand 1933–1945. Bonn: Bundeszentrale für polit. Bildung 1974, S. 8. 1849 Ebd., S. 1. 1850 Siehe: Der Nationalsozialismus als didaktisches Problem. Bonn: Bundeszentrale für polit. Bildung 1980. 1851 Siehe Wilfried Seiring: Der Widerstand als Gegenstand der Bildungspolitik. In: Gerhard Ringhausen (Hrsg.): Perspektiven des Widerstands. Der Widerstand im Dritten Reich und

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schen Bildung1852 lässt sich dies, wenn auch in Grenzen, als Ausgleich und gegenseitige Anerkennung weiterhin grundsätzlich divergierender politischer Positionen interpretieren, die sich ihrerseits durch Verweis auf ›Pluralität‹ legitimieren. Hinter der sich durchsetzenden »plural-additive[n] Konzeption« der Widerstandsvermittlung, den Widerstand in seinen unterschiedlichen weltanschaulichen, politischen Formen, Zielen, Gruppen und Personen vom nonkonformen bis zum oppositionellen Verhalten mit dem Ziel einer rationalen und emotionalen Identifikation der Lernenden darzustellen,1853 ist daher ein hier angedeutetes Spektrum unterschiedlicher und sich mitunter verbindender Prämissen und Zielsetzungen eines ›Lernens aus der Geschichte‹ zu sehen. Die Weiße Rose bleibt in den 1970er-Jahren in die verschiedenen Kontexte und Konzeptionen der Vermittlung des deutschen Widerstands eingebettet, unabhängig von den jeweiligen Prämissen und gegenwartsbezogenen Schlussfolgerungen. Die Einbeziehung des kommunistischen Widerstands bleibt jedoch umstritten, wie Ende der 1980er-Jahre Kontroversen um die am 20. Juli 1989 eröffnete Ausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zeigen.1854

V.1.6 »Gegenwartsbewältigung durch Beschäftigung mit der Vergangenheit«: Das ZDF-Fernsehspiel Der Pedell Fortdauernde Erinnerung der Weißen Rose bei veränderten Bezugsrahmen zeigt 1971 auch das Fernsehspiel Der Pedell an.1855 Mit dem Hilfsdiener der Universität Jacob Schmid1856 rückt hier eine bis dahin kaum beleuchtete Figur einer als

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1855 1856

seine didaktische Erschließung. Pfaffenweiler : Centaurus-Verlagsgesellschaft 1994, S. 102–115. Siegfried Schiele, Herbert Schneider (Hrsg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart: Klett 1977. Markmann, Anm. 152, S. 31. Siehe Franz Ludwig Schenk von Graf Stauffenberg: Darf der pluralistische Staat Denkmäler errichten? Zu einer Kontroverse der jüngsten Vergangenheit. In: Eckhard Jesse, Konrad Löw (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung. Berlin: Duncker& Humblot 1994, S. 71– 78; Peter Steinbach: Darf der pluralistische Staat »Geschichtspolitik« betreiben? Zu einer Kontroverse der jüngsten Vergangenheit. In: Eckhard Jesse, Konrad Löw (Hrsg.): Vergangenheitsbewältigung. Berlin: Duncker& Humblot 1994, S. 79–88. Der Pedell. Regie: Eberhard Itzenplitz, Drehbuch: Paul Mommertz. Bundesrepublik Deutschland (ZDF), 1971. Jacob Schmid sah Hans und Sophie Scholl, als diese am 18. Februar 1943 im Lichthof der Universität München Flugblätter auslegten, eilte zu ihnen, erklärte sie für verhaftet und brachte sie zum Kanzleisekretär Albert Scheithammer und gemeinsam mit diesem dann zum Syndikus Karl Ernst Haeffner, der die Gestapo verständigte. Schmid wurde auf einer Propagandakundgebung am 22. Februar 1943 bejubelt und vom Arbeiter zum Angestellten befördert. Nach Kriegsende wurde er 1946 in einem Spruchkammerverfahren zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt, während Scheithammer und Haeffner freigesprochen

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bekannt vorausgesetzten Geschichte in den Fokus. Der Titel greift die Bezeichnung auf, unter der Schmid in den meisten Darstellungen zur Weißen Rose in Ost und West eingeführt wurde. Diese präsentierten ihn aber stets in stark typisierter Form. Inge Scholl führt ihn über die Augen ein, die »sich vom Herzen ihres Besitzers gelöst« haben und »zu automatischen Linsen der Diktatur geworden« sind.1857 In Weisenborns Tatsachenserie wird der Pedell als Repräsentant eines »echt nationalsozialistische[n] Gewissen[s]« und eines vorauseilenden Gehorsams, mit dem »der deutsche Militarismus groß geworden« sei, gezeichnet.1858 Im Fernsehspiel des DDR-Fernsehens Der Henker richtet erscheint der ständig mit Krückstock durch die Gänge patrouillierende Pedell als subalterner Vertreter eines Spitzel- und Überwachungssystems, dem bei der Verhaftung der Geschwister keine maßgebliche Rolle zukommt.1859 Als das »kleinste Rädchen in der großen Maschinerie des Teufels« wurde der Pedell 1963 in einem Artikel in der Schwäbischen Donauzeitung bezeichnet.1860 Der Autor Paul Mommertz1861 nimmt den Befund, dass die »Geschichte der Geschwister Scholl […] zumindest den Historikern seit langem in allen Einzelheiten bekannt« sei, während man über den »Denunzianten Schmid hingegen […] so gut wie nichts weiß«, zum Ausgangspunkt seines Fernsehspiels, das an einem Datum ohne historischen Bezug zur Weißen Rose, am 1. Dezember 1971, in der Reihe Das Fernsehspiel der Gegenwart des ZDF erstausgestrahlt wurde. In der Vorschau begründet Mommertz, weshalb ein historischer Stoff in diese Reihe passt: Nun war aber von vornherein nicht beabsichtigt, eine Neuauflage filmischer Bemühungen um die sogenannte Vergangenheitsbewältigung in Szene zu setzen. Vielmehr ging es um die Frage, ob Schmid als Repräsentant zeitlos typischer Verhaltensweisen

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wurden. Die Biografie Schmids sowie die Hintergründe des Spruchkammerverfahrens hat Sönke Zankel historisch rekonstruiert: Sönke Zankel: Vom Helden zum Hauptschuldigen. Der Mann, der die Geschwister Scholl festnahm. In: Elisabeth Kraus (Hrsg.): Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze (Bd. 1). München: Herbert Utz Verlag 2006, S. 581–608. Scholl, Anm. 322, S. 61. O. A., Anm. 1338. Siehe Kapitel IV.3.3. O. A.: Ihn störte nur die Unordnung in der Uni. In: Schwäbische Donauzeitung, 21. 02. 1963. Der 1930 in Aachen geborene Mommertz studierte Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte und absolvierte nach dem Studium ein Referendariat an einem Gymnasium bei Aachen. Seit 1960 bis heute ist er als Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist tätig. Mommertz war von 1960 bis 1963 stellvertretender Chefredakteur der Satirezeitschrift Simplicissimus. Er bezeichnet seine Arbeit als »natürlich mitgeprägt durch Jugenderfahrungen: durch den damals sehr starken rheinischen Milieukatholizismus, den Bombenkrieg 1942–1945 […] und durch den Nationalsozialismus.« Paul Mommertz: Lebenslauf, Internet: http://paul-mommertz.de/lebenslauf.html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018.

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verstanden werden könnte. Genau diese Vermutung haben die Recherchen eindrucksvoll bestätigt.1862

An diesem Zitat zeigt sich, dass der Film das auch im Genre des Fernsehspiels bereits in den 1960er-Jahren aufgekommene Interesse an öffentlich wenig präsenten Aspekten der NS-Geschichte und insbesondere an der Seite der Täter spiegelt und die von Alexander und Margarete Mitscherlich angestoßene Debatte um ›Vergangenheitsbewältigung‹ aufgreift, sich zugleich aber davon absetzt, indem primär nicht die Geschichte Jacob Schmids, sondern die Geschichte eines jungen Autors, der einen Film über Schmid drehen soll, erzählt wird. Schon der Vorspann verweist auf eine Hybridität des Genres zwischen Spiel- und Dokumentarfilm und darauf, dass die Entstehungsbedingungen im Film selbst thematisiert werden: Dieses Fernsehspiel beschäftigt sich mit politischen Vorgängen aus dem Jahre 1943. Viele unserer Informanten waren nicht bereit, auf Tonband oder vor der Kamera zu sprechen. Sie mußten deshalb von Schauspielern dargestellt werden. Die Texte beruhen jedoch auf genauen Gedächtnisprotokollen.1863

Der Film beginnt mit einem Ausschnitt aus einer historischen Wochenschau, die schräg auf einer Leinwand abgespielt wird und die bekannten historischen Fakten wiedergibt. Die Kamera schwenkt herüber zu Autor und Dramaturg. Der 30jährige Autor wirkt wenig begeistert von dem Vorschlag des etwa zehn Jahre älteren Dramaturgen, aus diesem Stoff einen Film zu machen und begründet dies mit mangelnder Aktualität:

(er fährt herum)

AUTOR: (leise, hebt die Schultern): Vielleicht interessant, ja… Der kleine PG, der Geschichte macht… Jakob Schmid, einer von Millionen… Daß er auch gerade Schmid heißt… Jakob Schmid, der Prototyp – … (heftig) Warum schon wieder Vergangenheitsbewältigung? Es ist 1971, wir haben Vietnam, Südamerika, Griechenland, Spanien… DRAMATURG: (gereizt): Das weiß ich auch AUTOR: Und? DRAMATURG: S c h m i d wohnt um die Ecke.

1862 Paul Mommertz: Anmerkungen zu einem Fernsehfilm. In: Vorschau zur ZDF-Sendereihe »Das Fernspiel der Gegenwart«, Dezember 1971. 1863 Paul Mommertz: Der Pedell. Drehbuch, 142 Seiten, 1971. In: ZDF UA,, Invent.-Nr. 9209, vor S. 1.

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AUTOR: Er lebt noch? DRAMATURG: Nein. Aber er könnte. Und sagen Sie nicht: »Vergangenheitsbewältigung«, ein idiotisches Wort. Als ob man Vergangenheit »bewältigen« könnte.1864

Die folgenden Szenen zeigen den Autor bei seinen zunächst schleppenden Bemühungen, an der Universität etwas über Schmid in Erfahrung zu bringen. Im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte erhält er ein erstes Dokument: Schmids Bitte um Freilassung, die dieser damit begründet, dass er nicht begreife, warum er festgehalten wird, während sich seine damaligen Vorgesetzten »auf freiem Fuß, ja zum Teil noch im Amt befinden«.1865 Der Autor trifft Schmids damaligen Kollegen Wiedemann, der selbst miterlebt haben will, wie dieser Hans und Sophie Scholl stellte. Im Lichthof schildert Wiedemann die Szene auf plastische Weise: »Und was tut er, der Unglücksrabe, anstatt sich schleunigst zu verdrücken? Er geht langsam auf die beiden zu, sagt irgendetwas […] und dann kommen sie herunter.«1866 Wiedemann verbirgt auch nicht seine Meinung zu der Flugblattaktion nach der Niederlage von Stalingrad: »Und jeder hat gewußt, jetzt geht es erst richtig los, jetzt wird es erst richtig gefährlich! Und da gehen die hin und schreiben sowas!«1867 Wiedemann gibt dem Autor schließlich Schmids damalige Adresse und lädt ihn in seine Stammkneipe ein, wo Schmid dafür gefeiert wird, dass er »diesen Halbstarken das Handwerk gelegt hat«.1868 Einer der Stammtischbrüder sagt: »Es hat mich jahrelang gefuchst, wenn sie in der Tram ausgerufen haben: Geschwister-Scholl-Platz! Naja, jetzt hält die Bahn am Siegestor. Direkt ’ne Schlappe für die Vergangenheitsbewältiger vom Dienst!«1869 Der Autor versucht nun, in Schmids ehemaliger Nachbarschaft Auskünfte zu erhalten, jedoch will sich niemand von den ehemaligen Nachbarn äußern. In den Reaktionen erkennt er jedoch Parallelen zu den Einstellungen Schmids. Frustriert berichtet er dem Dramaturgen von den Ergebnissen seiner Recherche: AUTOR: Lassen wir doch den alten Schmid in Ruhe. Die Leute in dem Haus, wo er Hausmeister war, die sind viel interessanter. Kommen Sie mal mit, fragen Sie sie, wahllos, Sie

1864 Ebd., S. 2–3. Gestrichen ist der weitere Verlauf des Dialogs, in dem der Dramaturg die Relevanz der Geschichte dafür betont, das »Bewußtsein von sich selbst zu erweitern«, um »gerade dadurch die Gegenwart«, hier stockt er, »meistern« zu können, wie der Autor ergänzt. 1865 Ebd., S. 16. 1866 Ebd., S. 40. 1867 Ebd., S. 41–42. 1868 Ebd., S. 45. 1869 Ebd.

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werden Augen machen! Ich kam mir vor wie einer von der Gestapo. Darüber sollten wir einen Film machen. Jakob Schmid ist Geschichte, aber das Problem nicht. DRAMATURG: Vielleicht kann man gerade d a s zum Ausdruck bringen: Gegenwartsbewältigung durch Beschäftigung mit der Vergangenheit.1870

Der Dramaturg erhält schließlich Zugang zu den Prozessakten und so Einblick in Schmids Argumentation vor der Spruchkammer : Er, Schmid, habe mit den Konsequenzen für die Geschwister Scholl nicht gerechnet, da er sich für Politik nie interessiert habe: »Ich bin überhaupt nicht politisch. Ich bin ein … ein privater Mensch. Jawohl. Mein Privatleben war mir das Wichtigste. Mein Privatleben und meine Familie«.1871 Doch auch die Akten bringen den Autor nicht weiter, gegenüber dem Dramaturgen äußert er, er finde »keine Konflikte«, Schmids »Charakter, seine Indiviudalität« kriege er »nicht zu packen«; dieser sei »einfach keine dramatische Figur«, hätte »ein anderer sein können, irgend ein xbeliebiger«.1872 Er recherchiert weiter im Umfeld Schmids und findet heraus, dass Schmid für sein Engagement beim Roten Kreuz, im katholischen Arbeiterverein, für seine Tätigkeit als Hausmeister in seinem Wohnhaus und Hilfeleistungen für Ausgebombte Anerkennung fand. Zur Erklärung für Schmids Engagement in der NSDAP entwickelt er eine »Kompensationstheorie«,1873 die er dem Dramaturgen gegenüber als brauchbaren Ansatz darstellt: Er hatte ein Glasauge, war deswegen auch frontuntauglich, wurde kein Soldat. Das hat ihn möglicherweise geschmerzt, und seine Berufe, seine Posten: Alles Funktionen, die eine Art Exekutive darstellen. Kontrollieren, überwachen, für Ordnung sorgen.1874

In den weiteren Recherchen finden sich für diese These zwar biografische Anhaltspunkte, die jedoch auch wieder lediglich das Banale an Schmids Person verdeutlichen. Die Freundin des Autors rät ihm schließlich, den Film nicht zu machen, da dieser »idiotische Ordnungsfanatismus, blind, unreflektiert, ohne zu fragen« nicht nur eine »schlechte Eigenschaft von Schmid, ein Charakterfehler oder so…« sei.1875 Der Autor stimmt ihr zu. Es folgen Aussagen von bereits befragten Personen, die den Ordnungssinn, Pflichteifer und Befehlsgehorsam Schmids verteidigen: »Die Studenten heute haben da ja andere Ansichten. Kein Wunder, wenn man ihnen die Scholls noch als Vorbild hinstellt!«.1876 Am Ende des Films werden ›Gastarbeiter‹ gezeigt und dazu aus dem Off exemplarische 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876

Ebd., S. 62–63. Unterstreichung und Sperrung im Original. Ebd., S. 94. Ebd., S. 99. Ebd., S. 122. Ebd., S. 114. Ebd., S. 131–132. Ebd., S. 134–137.

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und anonyme Aussagen eingespielt, die fremdenfeindliches und nazistisches Gedankengut spiegeln: »Damals wohnten da nur anständige Mieter. Heute – der Schmid tät im Grab rotieren, wenn er das wüßte« oder »Das war bei Adolf anders! Die Fremdarbeiter saßen hinter Stacheldraht, basta«.1877 Durch alternierende Gestaltungselemente (siehe Abbildung 8) wird der Gegenwartsbezug des Films unterstrichen: – In Dialogen zwischen dem Autor und seinem Dramaturgen bzw. seiner Freundin werden Relevanz und der sich aus den Recherchen entwickelnde Ansatz des Films reflektiert. – Szenen der Recherche zeigen den Autor bei Gesprächen mit Informanten, bei Besuchen von Archiven und historischen Orten oder der Lektüre von Dokumenten in seiner Wohnung. – In im Drehbuch als »irreal« bezeichneten, im Stil des Dokumentartheaters gestalteten Szenen »ohne Dekoration« und »vor weißem Hintergrund« imaginiert der Autor Situationen aus der Geschichte Schmids oder tritt in Dialog mit dem Objekt seiner Recherche.1878 Auf diese Bilder werden wiederholt auch Auszüge von Dokumenten und den Flugblättern der Weißen Rose als Rolltext eingeblendet. – Ein Off-Sprecher fasst in unbeteiligtem Tonfall biografische Fakten zu biografischen Stationen Schmids zusammen, während Bilder mit Szenen aus dem Münchener Alltagsleben zu sehen sind. – Typische Sätze von Schmid oder Personen, die der Autor während seiner Recherche trifft, werden weiß auf schwarzem Grund zwischen einigen Szenen eingeblendet.1879 Die stark gegenwartsbezogene Anlage des Fernsehspiels führt zu der Frage, ob die Geschichte der Weißen Rose darin überhaupt eine Relevanz oder Funktion hat. Sie wird nur in Fragmenten und indirekt erzählt, jedoch werden an entscheidenden Stellen Zitate aus Flugblättern als Rolltext über ›irreale Szenen‹ eingeblendet. Nach Weidemanns Schilderung der Flugblattaktion wird Schmid gezeigt, wie er die Flugblätter aufsammelt; über dieses Bild wird der Text des letzten Flugblatts gelegt, dessen Aufruf zum passiven Widerstand eine Alternative zu Wiedemanns und Schmids Verhalten aufzeigt. In der Mitte des Films sind Aussagen von Befragten aus dem Umfeld Schmids aneinandergeschnitten, 1877 Ebd., S. 138–139. 1878 Ebd., S. 9. 1879 »Da gehört ein eiserner Besen her!«, »Sie können gut reden. Sie haben das nicht miterlebt«, »Kommt langsam alles wieder ins Lot!«, »Sollen die da oben ihren Kram alleine machen«, »Ich habe mir nichts dabei gedacht«, »Ich bin ein privater Mensch«, »Ich wurde dadurch irgendwie mehr«, »Ordnung ist immer richtig« (protokolliert bei der Sichtung des Fernsehspiels).

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Abbildung 8: Ausgewählte Screenshots aus dem Fernsehfilm Der Pedell, ZDF, 1971.

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die zu der Frage der Mitwisserschaft über NS-Verbrechen widersprüchliche Aussagen treffen. Ein Kioskbesitzer behauptet: »Davon, was da in den KZ’s gespielt wurde, haben wir von allem [sic] nicht die Bohne gewußt, mein Herr«.1880 Eine Nachbarin dagegen erzählt von Verwandten in Dachau. Diese hätten »alles gewußt. Krematorium, alles«, das hätte sie auch im Haus besprochen, jedoch nicht mit Schmid, weil der »bei der Partei ein und aus ging«, woraufhin ihr Mann ergänzt: »Trotzdem. Wie heute einer behaupten kann, er hat davon nichts gewußt! Es stand doch in den Flugblättern. Und der Schmid war einer der ersten, die die in die Finger gekriegt haben.«1881 Hierauf folgt eine imaginierte Szene, in welcher der Autor Schmid fragt, ob er »wirklich nie gelesen« habe, »was da über die KZ’s stand« und ob dieses Wissen etwas an seinem Verhalten geändert hätte. Imaginiert wird weiterhin, wie Schmid ein Flugblatt mit nach Hause bringt und seine Frau ihn fragt, was der Inhalt sei. Schmid beginnt zu lesen, über das Bild rollt ein Auszug aus dem ersten Flugblatt über die Schuld des deutschen Volks angesichts der Hinnahme allgemein bekannter Verbrechen. Schmid zerknüllt das Flugblatt und antwortet seiner Frau: »Ach, Feindpropaganda«.1882 Hier dient das Flugblatt als Beweis, dass ein Wissen über NS-Verbrechen vorhanden war, der Appell erscheint jedoch zwecklos angesichts der von Schmid repräsentierten Haltung. Die Weiße Rose wird hierzu als Gegenfolie präsentiert, die Flugblätter in enge Beziehung zur Aufklärung über die NS-Verbrechen gesetzt. Wie diese im Film für deren Ermöglichung als mitursächlich kritisierte, sich in der Gegenwart fortsetzende Mentalität zu ändern sei, bleibt jedoch eine offene Frage. In Rezensionen, die bundesweit eher in der lokalen und nicht in der überregionalen Presse erschienen, wird der »Vorwurf« des Fernsehspiels erkannt und seine »eindringliche[…]« Gestaltung gelobt.1883 Verschiedene Rezensenten bezeichnen den Film als alarmierend.1884 Als »neuartigen Beitrag« zur Vergangenheitsbewältigung begrüßt ein Rezensent den Versuch »eine gegenwartsbezogene, soziologische Analyse aus einem Geschehen der NS-Vergangenheit abzuleiten«.1885 Der gegenwartsbezogene und »exemplarische« Charakter der Auseinandersetzung mit Schmid1886 wird von allen vorliegenden Rezensionen

1880 1881 1882 1883

Mommertz, Anm. 1863, S. 88. Ebd., S. 89. Ebd., S. 90. vpu.: Fernsehen – nachgesehen. Nur meine Pflicht. In: Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg, 03. 12. 1971. 1884 Robert Wiebel: Alarmsignal. In: Schwarzwälder Bote Oberndorf, 03. 12. 1971; R.W.: Signal zur Bewältigung der Gegenwart. In: Südschleswigsche Heimatzeitung, Flensburg, 03. 12. 1971. 1885 R.W., Anm. 1884. 1886 O. A.: Kritisch betrachtet: Der Pedell. In: Stader Tageblatt, 03. 12. 1971.

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betont; der Film wird als »Psychogramm eines Kleinbürgers«1887 oder eine »gewiß nicht bequeme, aber interessante Art von kollektiver Gewissenserforschung«1888 bezeichnet. Letzterer Rezensentin zufolge führe die Suche nach einem »Täter« zum Befund eines »Nationalcharakter[s]«; das Aufdecken der »überindividuellen Wurzeln« des Nationalsozialismus stellt sie als Alternative zur individuellen »Anklage« dar.1889 Positiv gewertet wird auch die nicht-dokumentarische und unabgeschlossene Form des Fernsehspiels, da die »Verlagerung der Handlung in die Gegenwart […] den Zuschauer daran [hindere], das makabre Geschehen als ein Stück Historie abzutun« und zur Auseinandersetzung zwinge.1890 Die Erkenntnis von »Kollektivmentalitäten, die heute noch so lebendig sind wie damals«, werde über den »Prozeß der Bewußtwerdung« des Autors »für den Zuschauer nachvollziehbar«.1891 Es werden jedoch Zweifel erhoben, ob der Film die gesellschaftlichen Gruppen erreicht hat, um die es eigentlich gehe: Doch leider, wie es bei derartigen Fernsehbemühungen um Erkenntnisprozesse so geht: Die Aufmerksamkeit der Schmids war an diesem Abend wohl mehr von den vergeblichen Bemühungen der Mönchengladbacher Borussen in Anspruch genommen, den Fußball im Tor von Inter Mailand unterzubringen.1892

1979 wiederholte das ZDF das Fernsehspiel – allerdings zu später Sendezeit um 23 Uhr – anläßlich des 35. Jahrestags des 20. Juli 1944 und bezog es somit auf das Widerstandsgedenken.1893 Die ARD wiederholte parallel eine Dokumentation über den 20. Juli 1944. In der Badischen Zeitung stößt dieses Programm auf Kritik, für den Rezensenten wären »Dokumentationen über unbekanntere Formen des Widerstands fällig«.1894 Im Boulevard dagegen wurde nicht auf die »Aktualisierung von Geschichte«1895 abgehoben: Nichts für ungeduldige Leute, dieses Fernsehspiel. Aber Durchhalten lohnte sich bei dem »Pedell«. Geschichte, wie sie kleine Leute machen, wurde da an Hand des Mannes erzählt, der 1943 die Geschwister Scholl ans Messer lieferte. Von den Alliierten bekam er sein Fett dafür – seine Vorgesetzten nicht.1896 1887 HK: »Der Pedell«: Pflichterfüllung? . In: Deutsche Zeitung Stuttgart, 10. 12. 1971. 1888 Sigrid Schnederken: Gesucht: ein Täter – gefunden: ein Nationalcharakter. In: Funkkorrespondenz, 09. 12. 1971. 1889 Ebd. 1890 Marion Berg: Unsere Fernsehkritik. »Der Pedell«. In: Gießener Allgemeine, Flensburger Tageblatt, NWZ Göppingen, 03. 12. 1971. 1891 Schnederken, Anm. 1888. 1892 O. A., Anm. 1886. 1893 Programm 29. Woche. 16. bis 22. Juli 1979. ZDF Information und Presse. 1894 frz.: Die Fernsehkritik. Widerstand. In: Badische Zeitung, 20. 07. 1979. 1895 Ebd. 1896 So sahs Christiane. In: Express, 20. 07. 1979.

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In der ZDF-Zuschauerredaktion gehen im Anschluss an die Sendung 18 Anrufe ein – angesichts der Sendezeit eine im Vergleich zu anderen Sendungen bemerkenswerte Zahl. Protokolliert sind fast ausschließlich negative Reaktionen. Der Film sei »Nestbeschmutzung«, »eine einzigartige Propaganda für die Nazis«, es solle besser »etwas über die Greueltaten der Russen« gezeigt werden.1897 Lediglich ein Zuschauer gibt eine positive Kritik: »Der Film kommt 20 Jahre zu spät. Wäre er früher gezeigt worden, wäre unsere heutige Jugend anders«.1898

V.2

Die Erweiterung des ›humanistischen Erbes‹ in der DDR

V.2.1 »Sachwalter des Vermächtnisses«: Die Universität Jena als Gedenkort der Weißen Rose Im Gegensatz zum Gedenken an der Universität München wurde die zeitweilige Rolle der Friedrich-Schiller-Universität als eine Art Gegen-Gedenkort von der Forschung bisher nicht beachtet. Diese wird im Folgenden vor allem anhand von Artikeln der Zeitschrift Sozialistische Universität, dem Organ der SED-Parteileitung der Friedrich-Schiller-Universität, rekonstruiert. Im Februar 1959 berichtete die Zeitung, dass »[a]uf Beschluss der XII. Delegiertenkonferenz der FDJ-Hochschulorganisation der Universität Jena«1899 eine Studentendelegation an die Ludwig-Maximilian-Universität München entsandt wurde, um einen »Kranz an der Gedenkstätte für die im Kampf gegen Faschismus und Krieg gefallenen Studenten« niederzulegen. Dieser Beschluss wird in dem Delegationsbericht in der folgenden Ausgabe mit der »verstärkten Militarisierung und Faschisierung Westdeutschlands«1900 begründet, angesichts derer dem »Vermächtnis der Geschwister Scholl immer aktuellere Bedeutung« zukomme. Die Gedenkfeier selbst bzw. der Widerstand der Weißen Rose sind nicht Gegenstand des Artikels, jedoch wird dagegen protestiert, dass »einige ASTA-Mitglieder […] kurz vor der Kranzniederlegung die Entfernung eines Teiles der Jenaer Kranzschleife« mit der Inschrift »Hans Scholl, Sophie Scholl – den Kämpfern gegen Faschismus und Krieg« verlangten und auch der zweite Teil der Schleife mit der Widmung der Studenten der Universität Jena am nächsten 1897 Protokoll des Telefondienstes am 18. 7. 1979, von 18.00 bis 0.30 Uhr, Name: Renate Flachmeyer / Hannelore Lenz. In: ZDF UA (Bestand Telefonprotokolle der Zuschauerredaktion). 1898 Ebd. 1899 O. A.: Delegation nach München. In: Sozialistische Universität, 25. 02. 1959, S. 1. 1900 O. A.: München und Jena diskutieren Friedensvertrag. FDJ-Delegation zur GeschwisterScholl-Ehrung in München. In: Sozialistische Universität, 11. 03. 1959, S. 3.

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Tag entfernt wurde.1901 Im Vordergrund des Berichts steht ein anderer Aspekt, nämlich der, dass die Delegation mit den Münchener Studierenden die »Vorschläge der DDR zu einem Friedensvertrag und einer zeitweiligen Konföderation« diskutierte und hierbei einen »Prozeß des Umdenkens in Westdeutschland« wahrnehmen konnte, der jedoch die »Masse der Studenten« aufgrund der herrschenden »Ideologie des Antikommunismus« noch nicht erfasst habe.1902 Daraus wird für die Jenaer Studenten die Mission abgeleitet, »[d]urch alle Lügengewebe hindurch […] der großen Zahl gutgewillter Münchener Studenten zu der Erkenntnis [zu] verhelfen, daß der Faschismus und Militarismus der Hauptfeind des deutschen Volkes und der internationalen Sicherheit sind«.1903 In der folgenden Ausgabe der Zeitung wird ein dementsprechender Appell »An die Studenten der Münchner Universität!« abgedruckt, der angesichts eines drohenden »atomaren Weltkriegs« dazu aufruft, »sich allgemein und endgültig von den Methoden und Zielen des kalten Krieges zu lösen«.1904 Zum Jahrestag des folgenden Jahres wird wieder eine Delegation nach München gesandt und wieder kommt es bei der Gedenkfeier zu einem ähnlichen Vorgang, der in beiden deutschen Staaten auch von der Presse beachtet wird.1905 Die Süddeutsche Zeitung berichtet, dass nach dem »Zwischenfall«1906 im Vorjahr »den DDR-Studenten eine Teilnahme an der Feier selbst verweigert« wurde und es in diesem Jahr im Anschluss an die Feier »zu heftigen Diskussionen« zwischen »verschiedenen westdeutschen und den anwesenden ostdeutschen Studenten« kam, da der Kranz aus Jena von Studenten des Rings christlich-demokratischer Studenten (RCDS) entfernt und die Schleife abgeschnitten wurde.1907 Der Rektor und der Landesverbandsvorsitzende der Studentenschaft sprachen sich gegen die Entfernung des Kranzes aus und der AStA forderte die Postierung einer Wache. Während der RCDS der Zeitung zufolge angab, der »Schändung und Verhöhnung der Gedenkstätte«1908 durch ein »Terror-Regime[…]« entgegengetreten zu sein, bedauerte der AStA »das taktlose und politisch unkluge Verhalten einiger Münchner Studenten, die […] die provokatorische Absicht der DDRDelegation auf die unglücklichste Weise erfüllt haben«.1909 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909

Ebd. Ebd. Ebd. O. A.: An die Studenten der Münchner Universität! In: Sozialistische Universität, 24. 03. 1959, S. 4. O. A.: Ehrabschneider. In: Neues Deutschland, 25. 02. 1960. mgr.: Am Todestag der Geschwister Scholl. Gedenkfeier am Mahnmal der Universität/Diskussion zwischen West und Ost. In: Süddeutsche Zeitung, 23. 02. 1960. mgr.: Der Mißklang nach der Gedenkfeier. Um den DDR-Kranz am Universitäts-Mahnmal/Disziplinarverfahren beantragt. In: Süddeutsche Zeitung, 26. 02. 1960. Ebd. Ebd.

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In der Sozialistischen Universität werden die Vorkommnisse als »Symptom der verhängnisvollen Entwicklung in ganz Westdeutschland« bezeichnet, die Jenaer Studenten zum »Sachwalter des Vermächtnisses der Geschwister Scholl« ernannt.1910 In Jena habe eine Veranstaltung mit 1.400 Teilnehmenden gezeigt, »daß die Jenaer Professoren und Studenten eine konsequente antifaschistische Einstellung eint«.1911 Der Gedenkredner Dr. Kolditz leitete aus dem vierten Flugblatt der Weißen Rose (»Aber aus Liebe zu den kommenden Generationen muß nach der Beendigung des Krieges ein Exempel statuiert werden, daß niemand auch nur die geringste Lust verspüren sollte, ähnliches aufs neue zu versuchen.«)1912 den Auftrag an die Bevölkerung der DDR ab, »darüber zu wachen, daß Leute, die Rassenwahn, Krieg, Eroberung und Unterdrückung auf ihre Fahnen geschrieben haben, jemals ihr verworfenes Handwerk wieder ausüben können«. Der 1. Sekretär der FDJ-Hochschulleitung Egon Oetzel sagte auf der Gedenkveranstaltung: »Als Sachwalter des Vermächtnisses der Geschwister Scholl protestieren wir vor aller Welt in dieser ernsten historischen Stunde gegen neue Atomwaffenexperimente, insbesondere gegen den französischen und westdeutschen Anschlag auf den Weltfrieden und die Gipfelkonferenz. Angesichts der akuten Kriegsgefahr gilt es jetzt, auch das ganze Gewicht akademischer Autorität und studentischer Begeisterung in die Waagschale zu werfen, um den internationalen Frieden zu sichern und einen Bruderkrieg zu verhindern. Das sind wir Hans und Sophie Scholl schuldig, denn ihr ganzes Wirken war immer wieder ein Aufruf zur Entscheidung und zur Tat für den Frieden!«1913

Auch 1961 wird das Gedenken in München in Kontrast zu den Verhältnissen in Jena und in der DDR gesetzt – wozu die dortigen Feiern durchaus Anlass boten. Der zu dem Zeitpunkt promovierende Historiker Manfred Weißbecker kritisiert in seinem Bericht über die Delegationsreise die Rede des Münchener Rektors Prof. Dr. Pascher als »äußerst peinlich«, da dieser nicht über die Geschwister Scholl und ihre Tat referierte und sogar die Namen der Hingerichteten verwechselte, indem er von den Geschwistern »Hans und Inge Scholl«1914 sprach und vor allem über die »neue Orgel« im Lichthof referierte, welche die »Stimme« der aus der »Weltenferne herabsteigenden Geschwister« verkörpere.1915 Die Rede zeuge nicht nur von der in Westdeutschland verbreiteten »Unkenntnis«, sondern 1910 O. A.: Jenaer Studenten – Sachwalter des Vermächtnisses der Geschwister Scholl. In: Sozialistische Universität, 08. 03. 1960, S. 1, 4. 1911 Ebd. 1912 Ebd. 1913 Ebd. 1914 Dieser Fehler hält sich sogar in der veröffentlichten Form des Redetexts, vgl. Gedenkfeier für die Widerstandskämpfer der Universität 23. Februar 1961. In: Chronik der LudwigMaximilians-Universität München 1960/1961. München [1961], S. 32–37. 1915 Manfred Weißbecker : Es geht um den Frieden. Gedanken zur diesjährigen Scholl-Ehrung in München. In: Sozialistische Universität, 14. 03. 1961, S. 1, 4.

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von der »Absicht, d[ie] Münchener Studenten nichts von den Zielen des Kampfes der ›Weißen Rose‹ wissen zu lassen«, »die in den Flugblättern gegebene Warnung vor Antikommunismus zu verschweigen« und »jegliche Schlußfolgerung für die Gegenwart zu vermeiden«.1916 Damit sei in der Münchener Feierstunde die Allianz zwischen »ehemaligen Nazis und den heutigen klerikal-militaristischen Kräften erneut in Aktion getreten«.1917 Die Delegation aus Jena dagegen habe das Grab der Geschwister Scholl besucht und »in einer stillen Minute an sie, die uns heute noch Vorbild sind und deren Stimme sich nicht überhören läßt«, gedacht. Dabei sei den Jenaer Gesandten der Vorschlag »in den Sinn« gekommen, »an beiden Universitäten die Studenten nach ihrer Stellung zur Atomaufrüstung in der Bundesrepublik zu befragen«, um den »Münchener Studenten eine Möglichkeit zu zeigen, daß sie trotz aller gegenteiliger Versuche verstehen, worum es den Geschwistern Scholl ging und worum es heute in Deutschland geht: um den Frieden!«1918 Im Zuge der Diskussion um das Nationale Dokument beschloss die Delegiertenkonferenz der SED-Parteiorganisation der Universität 1962 tatsächlich einen entsprechenden Appell an die Studenten der LMU zu richten, »das Vermächtnis der Münchener Antifaschisten Sophie und Hans Scholl zu erfüllen, mutig gegen die Atomkriegspolitik […] aufzutreten« und sich »für Verhandlungen zwischen beiden deutschen Staaten zur Sicherung des Friedens in Deutschland« einzusetzen.1919 Die Adressaten solcher Appelle sind nur vordergründig die internationale Öffentlichkeit, primär jedoch die universitäre Öffentlichkeit in Jena, was deutlich wird, wenn im Namen der Geschwister zur »Stärkung und Festigung unserer Republik, der Bastion des Friedens in Deutschland«,1920 aufgerufen wird. Für die FDJ erhalten die Geschwister Scholl Ende der 1950er-Jahre somit zunächst auf Hochschulebene als Identifikationsfiguren neue Relevanz in politischen Kampagnen, vermutlich auch um Akzeptanzproblemen bei der Studentenschaft zu begegnen.1921 Im Zuge politischer Mobilisierung nach dem Mauerbau1922 wird die Universität Jena 1963 zum zentralen Ort einer DDR-weit angelegten, von der FDJ zentral geplanten und gesteuerten Kampagne zum 20. Jahrestag. Die Konzeption der »Geschwister-Scholl-Ehrung« beschreibt ein aufgrund des Sekretariatsbe-

1916 1917 1918 1919 1920 1921

Ebd. Ebd. Ebd. O. A.: Appell an die Universität München. In: Sozialistische Universität, 27. 04. 1962, S. 1. O. A.: Ihr Vermächtnis wird erfüllt. In: Sozialistische Universität, 23. 02. 1960, S. 1. Zur in dieser Zeit kritischen Entwicklung der FDJ an den Hochschulen siehe Ulrike Schuster : Mut zum eigenen Denken? DDR-Studenten und Freie Deutsche Jugend 1961– 1965. Berlin: Metropol 1999. 1922 Weber, Anm. 1400, S. 57–67.

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schlusses über die »Durchführung von Gedenktagen im Jahre 1963«1923 von der Zentralen Arbeitsgruppe des Zentralrats der FDJ ausgearbeiteter Maßnahmenplan. An der Universität Jena wurde eine zentrale Gedenkveranstaltung organisiert, verbunden mit der Einweihung einer Gedenktafel und der Eröffnung einer Ausstellung, »die den Kampf der Geschwister Scholl würdigt und nachweist, wie in der DDR das Vermächtnis der jungen antifaschistischen Widerstandskämpfer erfüllt wurde«.1924 Neben Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeitern der Universität wurden dafür »junge Arbeiterinnen und Arbeiter aus Jenaer Betrieben und Vertreter von Jugendbrigaden des Bezirkes Gera, die den Namen ›Geschwister Scholl‹ tragen«, mobilisiert. Robert Scholl, Inge Scholl, der AStA, die Vorstände des SDS und des LSD sowie »persönlich bekannte Studenten«1925 der Universität München wurden laut Plan als westdeutsche Gäste eingeladen, sagten ihre Teilnahme jedoch nicht zu oder kurzfristig ab. Robert Scholl übermittelte ein Grußschreiben, das auf der Veranstaltung verlesen wurde. Außerdem nahm eine »Delegation des Zentralrats unter Leitung eines Sekretärs« mit Hans Coppi, dem Sohn von Hans und Hilde Coppi, und Bärbel SchindlerSaefkow an der Veranstaltung teil.1926 In den Gedenkreden wurde die Scholl-Ehrung als eine der »Traditionen unserer Arbeiter- und Bauernuniversität« und als Fortsetzung des Kampfs der Jenaer Studenten im Befreiungskrieg dargestellt.1927 Die Gruppe habe erkannt, »daß nur durch den Kampf vieler Menschen, die sich einig im Ziel wissen, eine Änderung möglich war. Das war aber das gleiche, was die KPD mit der Volksfront erreichen wollte.«1928 Mit Bezug auf Kontinuitäten in Westdeutschland wurde behauptet: »Die Geschwister Scholl müßten heute in Westdeutschland weiterkämpfen!«1929 Die »Geschwister-Scholl-Ehrung« sollte an allen Orten der DDR stattfinden und in die breite Öffentlichkeit ausstrahlen. Alle Bezirksleitungen der FDJ wurden »angeleitet«, Feierstunden in Kollektiven und Einrichtungen zu organisieren und zu diesen Veranstaltungen westdeutsche Jugendliche einzuladen oder sich mit Briefen an »Arbeiterjugendorganisationen« und studentische 1923 Zentrale Arbeitsgruppe: Information über die »Geschwister-Scholl-Ehrung« durch den Verband. Typoskript, 3 Seiten, 13. 02. 1963. In: BArch-SAPMO, DY 24 (5697). 1924 »Folgerichtig bildet das von Walter Ulbricht entwickelte Sieben-Punkte-Programm für die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten den Abschluß des Rundgangs«. O. A.: Wir erfüllen ihr Vermächtnis. In: Sozialistische Universität, 01. 03. 1963, S. 1. 1925 Zentrale Arbeitsgruppe, Anm. 1923. 1926 O. A., Anm. 1924. 1927 Ebd. 1928 Ebd. 1929 Ebd.

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Organisationen in Westdeutschland zu wenden.1930 Zur Unterstützung der Vorbereitung des Jahrestages wurde eine Materialsammlung an die Bezirksleitungen und »die wichtigsten Publikationsorgane in der DDR herausgegeben«.1931 In der FDJ-Zeitung Junge Welt wurde im Vorfeld ein grundsätzlicher Artikel platziert, der »Hinweise für die Durchführung der ›Geschwister-SchollEhrung‹ gibt« sowie zum Jahrestag eine Sonderseite, die »den Kampf der Geschwister Scholl würdigt«.1932 Mit dem Deutschen Fernsehfunk wurde vereinbart, am Jahrestag das Fernsehspiel Der Henker richtet erneut auszustrahlen und der Sendung eine Ansprache des Ersten Sekretärs des Zentralrats der FDJ Horst Schumann vorzuschalten. Die Rede Schumanns1933 zeigt sowohl das Muster vordergründiger Adressierung in Richtung Bundesrepublik als auch, wie anhand isolierter FlugblattZitate ein in der DDR erfülltes Vermächtnis der Geschwister Scholl konstruiert wird. Indem er postuliert, diese hätten im ostdeutschen Staat ihr Vaterland gefunden, sucht Schumann durch Berufung auf den antifaschistischen Widerstandskampf und durch Abgrenzung zur westdeutschen Gegenwart nationale Identifikation zu stiften: Liebe Fernsehzuschauer an den Bildschirmen, aus Westdeutschland und aus der Deutschen Demokratischen Republik! Zum 20. Male jährt sich heute der Tag, an dem die faschistischen Henker die Geschwister Hans und Sophie Scholl in München ermordeten. Wie tausende junge Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen führten die Geschwister Scholl, Seite an Seite mit ihren älteren Freunden, einen mutigen und opferreichen Kampf gegen die faschistischen Verderber unseres Volkes. Die Flugblätter der »Weißen Rose« gehörten zur Stimme des anderen, des besseren Deutschland in jenen Jahren. Sie erhalten zugleich das Vermächtnis dieser Helden des antifaschistischen Wiederstandes. »Aus Liebe zur kommenden Generation«, so schrieben die Geschwister Scholl, »muss nach Beendigung des Krieges ein Exempel statuiert werden, dass niemand auch nur die geringste Lust je verspüren sollte, Ähnliches aufs neue zu versuchen.« Und: »Der imperialistische Machtgedanke muss für alle Zeit unschädlich gemacht werden.« Bei uns, hier in der Deutschen Demokratischen Republik, ist dieses Vermächtnis Wort für Wort erfüllt worden. […]1934

Ende April 1963 nimmt die Sozialistische Universität noch einmal Bezug zu den Jahrestagsfeiern in München und skandalisiert die Gedenkrede des Hamburger 1930 Zentrale Arbeitsgruppe, Anm. 1923. 1931 Ebd. Siehe Material zum 20. Jahrestag der Hinrichtung der Geschwister Scholl. Typoskript, 22 Seiten, 1963. In: BArch-SAPMO, DY 24 (5697). 1932 Zentrale Arbeitsgruppe, Anm. 1923. 1933 Im Anhang IX.3 vollständig dokumentiert. 1934 Abschrift der Ansprache von Heinz Schumann (5 Min.) vor der Ausstrahlung des Fernsehspiels »Der Henker richtet«, 22. 02. 1958. In: DRA (DVD AD8759/1).

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Theologen Helmut Thielicke, der im Namen der Studentenschaft als »skrupellose[r] Ideologe[…] des Ultrakurses« einer »vorsätzlichen Verfälschung des Vermächtnisses der ›Weißen Rose‹ […] im Dienste einer der nazistischen wesensgleichen Politik«1935 angeklagt wird. In den Jahren nach der Gedenkkampagne des Jahres 1963 dünnen sich die Bezugnahmen auf die Geschwister Scholl in der Jenaer Universitätszeitung zunächst aus. 1964 kritisiert der FDJ-Sekretär Ludwig Elm, dass der kurz zuvor als bayerischer Kultusminister zurückgetretene NS-belastete Jurist Theodor Maunz1936 weiter an der Münchner Universität lehre: »Die Universität hat es hingenommen, daß dieser exponierte faschistische Ideologe, dieser völkischantisemitische Beamte der Naziära, durch seine Anwesenheit die jährliche Gedenkveranstaltung für die Weiße Rose beschmutzte«.1937 Er fordert die LMU zum »offene[n] und völlige[n] Bruch mit Maunz« auf, um »den Anspruch auf die Vertretung des Vermächtnisses der Geschwister Scholl« nicht zu verlieren. 1965 druckte die Zeitung den Text eines Flugblatts der Gruppe »Aktion für internationale Solidarität«, welches im Lichthof abgeworfen wurde. Dieses bezieht Zitate aus Flugblättern der Weißen Rose auf die Gegenwart, zählt NSbelastete Münchener Professoren mit ihrer Funktion vor 1945 auf und kritisiert Adorno zitierend das bundesrepublikanische Weiße Rose-Gedenken: Musikalisch verbrämte Feiern und schöne Reden können darüber nicht hinwegtäuschen »daß der Faschismus nachlebt, daß die vielzitierte Aufarbeitung der Vergangenheit bis heute nicht gelang (was daher rührt) [sic], daß die objektiven gesellschaftlichen Voraussetzungen fortbestehen, die den Faschismus zeitigten« (Theodor W. Adorno).1938

Von einer von FDJ und Universität gemeinsam ausgerichteten Gedenkfeier an der Universität wird erst zum 25. Jahrestag des 22. Februar im Jahr 1968 wieder berichtet. Auffällig sind im Vergleich zu 1963 die veränderte Einordnung in den Widerstand und die nun wieder internationalisierten Gegenwartsbezüge. Die »Geschwister Scholl und ihre Freunde«1939 werden den »zehntausende[n] antifaschistische Kämpfer[n] vor und neben ihnen« gleichgesetzt, die »unter den 1935 O. A.: Thielicke schändet das Vermächtnis der »Weißen Rose«. Gedanken zu den diesjährigen Scholl-Ehrungen in Jena und München. In: Sozialistische Universität, 26. 04. 1963, S. 4. Siehe auch Kapitel V.1.1. 1936 Siehe hierzu Dieter Deiseroth: Kontinuitätsprobleme der deutschen Staatsrechtslehre(r). Das Beispiel Theodor Maunz. In: Dieter Deiseroth, Friedhelm Hase, Karl-Heinz Ladeur (Hrsg.): Ordnungsmacht? Über das Verhältnis von Legalität, Konsens und Herrschaft. Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt 1981, S. 85–111. 1937 Lutz Elm: Maunz – Globke des Strauß. Zur politischen Sittengeschichte der CDU-CSU. In: Sozialistische Universität, 29. 08. 1964, S. 4. 1938 O. A.: Mutige Flugblattaktion. In: Sozialistische Universität, 03. 04. 1965, S. 5. 1939 O. A.: Ehrung für Hans und Sophie Scholl. In: Sozialistische Universität, 28. 02. 1968, S. 1, 6.

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Bedingungen des imperialistischen Terrors und Krieges die Prüfung als Humanisten, Demokraten und Sozialisten« bestanden »ebenso wie ein Vierteljahrhundert später die heldenhaften Töchter und Söhne Vietnams«.1940 Die Rede von einem ›erfüllten‹ Vermächtnis wird abgeschwächt, wenn die FDJ-Hochschulgruppe in einer an Robert Scholl adressierten Erklärung verspricht, die »progressiven Ideen der Geschwister Scholl« zu verwirklichen und die Studierenden dazu aufruft, »mit dem Einsatz all unserer Fähigkeiten zur weiteren Stärkung und Festigung unserer Deutschen Demokratischen Republik, unserem Vaterland« beizutragen und sie zu »wissenschaftlichen, kulturellen und sportlichen Leistungen für den »Massenwettbewerb zur Vorbereitung des 20. Jahrestags unserer Republik« und zur Unterstützung des Verfassungsentwurfs anhält.1941 Die Hochschulgruppe erklärt sich außerdem »solidarisch mit den Jugendlichen Westdeutschlands, die mutig gegen den Bonner Regierungskurs auftreten«.1942 In den folgenden Jahren verliert die Weiße Rose ihre Relevanz in der durch SED-Partei- und FDJ-Hochschulgruppen an der Universität Jena hergestellten Öffentlichkeit. Eine letzte Erwähnung findet sich in einem kurzen Bericht über eine Gedenkfeier zum 30. Jahrestag. Ludwig Elm schreibt, die Geschichte der Weißen Rose sei »oft beschrieben und in Erinnerung gebracht worden«, in der DDR »wuchsen junge Generationen mit dem Bewußtsein und mit der Lebensaufgabe heran, das internationale antifaschistische Befreiungswerk« zu wahren.1943 Die Weiße Rose habe darin »stets einen ehrenvollen Platz« eingenommen, während die »Tradition« dieser in der 500jährigen Geschichte der Münchener Universität herausragenden »historisch-politischen Tat« dort und in der Bundesrepublik insgesamt »mißachtet« werde.1944 Manfred Weißbecker, der 1961 über die Delegationsreise nach München berichtet hatte und inzwischen als Professor für Geschichte die Forschungsgemeinschaft Geschichte der nichtproletarischen demokratischen Kräfte in Deutschland leitete, hielt die Gedenkrede, in der er am Einzelfall der Geschwister Scholl allgemeine historische Gesetzmäßigkeiten belegt: In der historischen Realität widerspiegelt sich [der Zusammenhang zwischen dem demokratischen Kampf nichtproletarischer Kräfte und des sozialistischen Kampfes der Arbeiterklasse, C.E.] einerseits in der proletarisch-revolutionären Bündnispolitik, andererseits in äußerst komplizierten, vielfältigen von Rückschlägen nicht freien und langwierigen Prozessen und Erscheinungen der gesetzmäßigen Annäherung nicht1940 1941 1942 1943

Ebd. Ebd. Ebd. Ludwig Elm: Kalenderblätter / Nach 30 Jahren. In: Sozialistische Universität, 23. 02. 1973, S. 3–4. 1944 Ebd.

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proletarischer demokratischer Kräfte an die revolutionären Positionen und Organisationen der Arbeiterklasse. In Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Geschichte wandelten sich auch Angehörige des Bürgertums, konnten sie – von demokratischen und liberalen Vorstellungen, aber auch von einem religiösen Humanismus ausgehend – die Schranken ihrer Klasse überwinden.1945

Daran anschließend zeichnet er das »Stück mühevollen Weges der Scholls«1946 nach, der sie »gesetzmäßig an die Seite derer, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Programms, ihrer Organisiertheit die führende Kraft im antifaschistischen Widerstandskampf darstellten« geleitet habe.1947 Dabei referiert er historische Deutungen der Weißen Rose, die sich in den 1960er-Jahren in der DDRGeschichtswissenschaft ausbildeten, und deren Entwicklung sich an den Publikationen des Historikers Karl-Heinz Jahnke ablesen lässt.

V.2.2 Staatlicher Antifaschismus und Geschichtswissenschaft: Die Weiße Rose in Publikationen Karl-Heinz Jahnkes Jahnke hatte sich 1966 an der Universität Greifswald mit einer Arbeit zum Anteil der deutschen Jugend am antifaschistischen Widerstandskampf unter besonderer Berücksichtigung der kommunistischen Widerstandsbewegung habilitiert. 1968 wurde er als Dozent zur Geschichte der Arbeiterjugendbewegung nach Rostock berufen.1948 Anlass war die Zusammenlegung der Arbeitsgemeinschaften zur Erforschung der deutschen Jugendbewegung in Berlin, Greifswald, Potsdam und Rostock im Herbst 1968 zu einer zentralen Forschungsgruppe an der Sektion Geschichte der Universität Rostock. Als Historiker, Pädagoge und aufgrund seiner Habilitation bot sich Jahnke, der seit 1957 SED-Mitglied war, für die Leitung dieser Gruppe an, als deren wissenschaftlicher Auftraggeber das IML und als deren gesellschaftlicher Auftraggeber der Zentralrat der FDJ fungierte.1949 Jahnke beschrieb 1979 als Aufgabe der Gruppe, »Forschungsergebnisse unmittelbar für die sozialistische Erziehung der Jugend, vornehmlich in der FDJ, nutzbar zu machen und selbst aktiv an der Ge1945 Manfred Weißbecker : Sie kämpften und starben, aber sie werden niemals vergessen sein! Gedanken zum 30. Jahrestag der Ermordung von Hans und Sophie Scholl am 22. Februar 1943. In: Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte 11 (1974), Nr. 36, S. 4–27, S. 7. 1946 Ebd. 1947 Ebd., S. 16. 1948 Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker. Biographien und Bibliographien zu den Geschichtswissenschaftlern aus der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin: De Gruyter 2006, S. 317–318. 1949 Siehe Kurt Schilde: »Forschungen zum antifaschistischen Widerstandskampf der deutschen Jugend« an der Rostocker Universität 1968–1989. In: Kurt Schilde (Hrsg.): Jugendopposition 1933–1945. Ausgewählte Beiträge. Berlin: Lukas 2007, S. 29–35.

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schichtspropaganda teilzunehmen«.1950 Diese Aufgabenstellung schlug sich in Tagungen zu Themen wie »Erfahrungen und Hinweise zur Führung der lebendigen Bewahrung der revolutionären Tradtionen der Arbeiterklasse« (1970) und nicht zuletzt in der Herausgabe der Geschichte der Freien Deutschen Jugend (1982) nieder. Jahnkes Forschung ist somit im Kontext einer offiziell kontrollierten und nutzbar gemachten Geschichtswissenschaft zu analysieren. Jahnke publizierte seinen ersten Beitrag zur Weißen Rose in dem von ihm herausgegebenen Sammelband Niemals vergessen. Aus dem antifaschistischen Widerstandskampf der Studenten Europas, der aus Überblicksaufsätzen meist ausländischer Autoren zum studentischen Widerstandskampf in den verschiedenen Ländern Europas besteht. Wie Stephan Hermlins Die erste Reihe erschien dieser Band 1959 im FDJ-angebundenen Verlag Neues Leben. In seinem Aufsatz behandelt Jahnke den »antifaschistischen Widerstandskampf der deutschen Studenten«. Dabei gibt er zunächst einen historischen Überblick über verschiedene Gruppen, darunter die Weiße Rose. An diesen Teil schließen sich Portraits von Widerstandskämpfern, u. a. von Hans Scholl, an. Zunächst werden aber Dogmen offizieller Widerstandsgeschichtsschreibung (Dimitroff-Doktrin) referiert und die Relevanz des studentischen Widerstands begründet: Obwohl eine bedeutende, selbstständige studentische Widerstandsbewegung nicht bestanden hat und die studentischen Widerstandskämpfer in einzelnen Gruppen mitarbeiteten […][,] ist es wichtig, zu wissen, welche deutschen Studenten Widerstand gegen den Faschismus leisteten und in welcher Form dies geschah. Dadurch wird jedem besser bewußt, was für ein Vermächtnis er heute zu erfüllen hat.1951

Damit sind sowohl historischer Maßstab als auch die Wirkungsfunktion des an junge Menschen adressierten Textes benannt, der mit dem Appell endet: »Wirken wir alle gemeinsam in der Deutschen Demokratischen Republik und auch in Westdeutschland für dieses Ziel, so erfüllen wir am besten das Vermächtnis der Helden des antifaschistischen Widerstandskampfes«.1952 Die Weiße Rose wird als Beispiel für Widerstand nach 1939 aufgeführt. Während sich der studentische Widerstand bis 1939 auf marxistische Kommilitonen beschränkt habe, sei es kommunistischen Studenten seit Kriegsausbruch entsprechend der KPD-Beschlüsse zur Volksfront gelungen, Studenten aus den verschiedenen Bevölkerungsgruppen für den Kampf zu gewinnen, was zur Gründung von bürgerlichen Widerstandsgruppen geführt habe. Neben der Baum-Gruppe werden Studenten aus der »Widerstandsgruppe Schulze-Boysen1950 Zitiert nach Ebd., S. 29. 1951 Karl-Heinz Jahnke: Der antifaschistische Widerstandskampf der deutschen Studenten. In: Karl-Heinz Jahnke (Hrsg.): Niemals vergessen. Aus dem antifaschistischen Widerstandskampf der Studenten Europas. Berlin: Neues Leben 1959, S. 182–221, S. 183. 1952 Ebd., S. 220.

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Harnack«, die Weiße Rose sowie die »Hamburger Weiße Rose« genannt.1953 Die Darstellung folgt im Wesentlichen dem Buch von Inge Scholl, das neben nicht näher bezeichneten Materialien aus dem IML-Archiv und den Flugblättern als einzige Quelle genannt wird. Der Widerstand der Münchener Studenten wird weniger aus politischen Motiven denn als Folge der »Enttäuschung von dem Nationalsozialismus und insbesondere durch die Kriegserlebnisse« erklärt: Die jungen Medizinstudenten waren sich damals darin einig, alles zu tun, um den Faschismus zu beseitigen. Man darf aber nicht darüber hinwegsehen, daß sie noch keine klaren Vorstellungen von der Zukunft Deutschlands hatten. Sie erkannten auch nicht, daß es in allen Ländern Europas Menschen gab, die den Faschismus haßten und ihm den Kampf angesagt hatten. Diese Zusammenhänge zu erkennen wurde ihnen erschwert, weil ihr Blick durch die antikommunistische Hetze verschleiert war. Von entscheidender Bedeutung für ihr weiteres Wirken und ihre Ansichten war der Einsatz als Hilfsärzte an der Ostfront von Juli bis November 1942.1954

Den Gesinnungswandel der Studenten, der an einem Zitat aus Verhöraussagen Hubers über einen Brief Hans Scholls aus Russland sowie an Zitaten aus dem Flugblatt An alle Deutschen belegt wird, führt Jahnke auf die Empörung über das Vorgehen der SS und der Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung und die Begegnung mit russischen Bauern zurück. Die Aussage »Jedes Volk, jeder Einzelne hat ein Recht auf die Güter der Welt« wird als Ausblick auf ein »zukünftiges Deutschland […] das sozialistisch sein werde« gewertet.1955 1965 veröffentlicht Jahnke in der Wissenschaftlichen Zeitschrift der ErnstMoritz-Arndt-Universität Greifswald einen einschlägigen Aufsatz zur Weißen Rose. Der Aufzählung der Taten der Studenten folgt deren Erklärung durch ihre Entwicklung, wobei die Bedeutung der Erlebnisse an der Ostfront in den Hintergrund rückt. Als entscheidendes Moment für die Entwicklung des Widerstands wird nun der Kontakt zu Kommunisten dargestellt: Die bisherigen Untersuchungen ergeben, daß die Tätigkeit der Münchener Studentengruppe um Hans Scholl und Alexander Schmorell nicht unabhängig von dem Wirken der KPD im antifaschistischen Widerstandskampf gesehen werden kann. Es ist nicht so, daß Hans Scholl und seine Freunde Kommunisten waren bzw. sie unter der Leitung des ZK der KPD gegen den Faschismus gekämpft haben. Nein, Hans Scholl und seine Freunde waren junge Christen, die sich vom Hitler-Faschismus auf das schändlichste betrogen und belogen fühlten, die es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnten, weiter den Faschisten zu folgen bzw. zu schweigen, sondern sich dazu durchrangen, aktiven Widerstand zu leisten. Beim Suchen nach dem Weg, der Deutschland von der Geißel des Faschismus befreit und wieder Ansehen und Achtung in der Welt verschafft, ist es natürlich, daß sie mit Kommunisten in Kontakt kamen, da 1953 Ebd., S. 194–195. 1954 Ebd., S. 216. 1955 Ebd., S. 217.

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es gerade die Mitglieder der KPD waren, die unter der Führung ihres Zentralkomitees an der Spitze des antifaschistischen Widerstandskampfes standen.1956

Zwei Verbindungen seien »bisher« nachweisbar : Der Kontakt zu Falk Harnack zwecks Beratung und Kontaktaufnahme zu anderen Widerstandskreisen sowie die freundschaftlichen Beziehungen der Familie Scholl zu dem kommunistischen Funktionär Richard Scheringer, der »offenbar Kenntnis von der antifaschistischen Tätigkeit der Münchener Studenten« gehabt habe.1957 Als Beleg dient neben dem Verweis auf Scheringers Autobiografie Das große Los die Reproduktion einer Eintragung Werner Scholls im Gästebuch der Familie Scheringer von 1936.1958 So sei es »nicht zufällig«, dass in der Urteilsbegründung eine Parallele zu den Ereignissen der Novemberrevolution gezogen werde: In der Zeit des Faschismus, als sich die Klassengegensätze und alle dem imperialistischen System innewohnenden Widersprüche noch bedeutend mehr zugespitzt hatten, gehörten der Terror und die physische Vernichtung aller oppositionellen, andersdenkenden Kräfte zu den Grundlagen der Macht des Hitlerstaates. Besonders gefährlich schien den Nazihenkern bei der Widerstandsgruppe der Münchener Studenten, daß vor ihnen junge Menschen aus »gutem Hause« standen, die vor wenigen Jahren noch begeisterte Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung waren und nun das System leidenschaftlich haßten und in seinen Grundfesten angriffen. Die von den »Angeklagten« vor Gericht und besonders in ihren Flugblättern geäußerten Ansichten zeigten, daß sie auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen und Erlebnisse Meinungen vertraten, die sich den Zielen und Forderungen der vom ZK der KPD geführten Widerstandsbewegung näherten.1959

Als Grundlage seiner Darstellung gibt Jahnke Archivstudien und Gespräche mit »Verwandten und Freunden der Münchener und Hamburger Studenten«1960 an, Archivbelege überwiegen Belege durch Inge Scholls Buch. Jahnke sieht es auf der Grundlage dieser Erkenntnisse als seine »Pflicht« an, »über ihr Leben und ihren Kampf in diesem Artikel zu berichten«; es gehe neben der Vermittlung von Wissen über die Vorbilder junger Menschen darum, zu »Vorbereitungen zur Ausarbeitung der Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes« beizutragen. Die Veröffentlichung des Aufsatzes ist damit auch im Kontext der Vorarbeit zum fünften Band der GdA zu sehen.1961 1956 Karl-Heinz Jahnke: Zum antifaschistischen Widerstandskampf an der Münchner Universität in den Jahren 1942/43. Dem Andenken der Geschwister Scholl und ihrer Freunde aus Anlaß des 20. Jahrestages der Wiederkehr ihrer Hinrichtung durch die Hitlerfaschisten gewidmet. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe (1965), Nr. 2/3, S. 329–338, S. 334. 1957 Ebd., S. 335. 1958 Ebd. 1959 Ebd. 1960 Ebd., S. 337. 1961 Ebd.

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Jahnkes Aufsatz Antifaschistischer Widerstand an der Münchener Universität. Die Studentengruppe Scholl/Schmorell erschien 1968 in der ZfG unter der Rubrik Miszellen aus Anlass des 25. Jahrestags der Hinrichtung der Geschwister Scholl und Christoph Probsts. 1969 publizierte Jahnke eine erweiterte Fassung dieses Aufsatzes in der Bundesrepublik im Röderberg-Verlag als Monografie unter dem Titel Weiße Rose contra Hakenkreuz. Diese Veröffentlichung steht in direktem Zusammenhang mit Petrys Buch. Die Idee zur Veröffentlichung in der Bundesrepublik geht auf Inge Aicher-Scholl zurück, die Jahnke auf die Zusendung seines Aufsatzes antwortete: Schon lange wollte ich Ihnen schreiben und Ihnen für die Zusendung Ihrer historischen Arbeit »Antifaschistischer Widerstand an der Münchener Universität«, die ich über meinen Vater erhielt, herzlich danken. Wir haben Ihre Arbeit mit großem Interesse gelesen und finden sie sehr gut. Ich würde es begrüßen, wenn es möglich wäre, sie in einem westdeutschen Verlag zu veröffentlichen.1962

Die Veröffentlichung in der Bibliothek des Widerstands des VVN-nahen Röderberg-Verlags vermittelte Ursel Hochmuth, die Aicher-Scholl bei der Kampagne gegen Petry unterstützte. Hochmuth veröffentlichte gemeinsam mit Gertrud Meyer 1969 in dieser Reihe die Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933–1945, die eine erste ausführliche Darstellung des Hamburger Zweigs der Weißen Rose beinhalten. Hochmuth beriet Jahnke dahingehend, den ZfG-Aufsatz nicht nur zu erweitern, sondern durch Zwischenüberschriften für ein breiteres Publikum attraktiver zu machen.1963 Das 1969 veröffentlichte Buch Weiße Rose contra Hakenkreuz ist gegenüber dem Aufsatz leicht verändert und signifikant erweitert. Hinzugefügt sind die Kapitel Und ihr Geist lebt trotzdem weiter mit einem Ausblick auf den Hamburger Zweig und Ihr Vermächtnis lebt über den Umgang mit »Vermächtnis« und »Erbe« in beiden deutschen Staaten sowie ein Dokumentenanhang. Dieser enthält von Inge Aicher-Scholl zur Verfügung gestellte Auszüge aus Briefen und Tagebüchern Hans und Sophie Scholls, einen Auszug aus der Rundfunkrede Thomas Manns, Flugblätter des NKFD und ein Gedicht Waltraut Hauffs, die die Wirkung des Widerstands über 1945 hinaus belegen sollen. Stark erweitert ist auch der kritische Apparat, der den Anspruch einer objektiven, wissenschaftlichen Darstellung unterstreicht. Dieser wird auch von Günther Weisenborn in einem Geleitwort hervorgehoben, in dem Jahnkes Buch als erster »sachlicher

1962 Brief von Inge Aicher-Scholl an Karl-Heinz Jahnke vom 28. 11. 1968, abgedruckt in KarlHeinz Jahnke: Weiße Rose contra Hakenkreuz. Studenten im Widerstand 1942/43. Einblicke in viereinhalb Jahrzehnte Forschung. Rostock: Koch 2003, S. 108–109. 1963 Ursel Ertel[-Hochmuth]: Brief an Karl-Heinz Jahnke, 28. 12. 1968. In: IfZ, ED 474 (754). Siehe auch Kapitel V.I.4.

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und wissenschaftlich exakter Bericht« bezeichnet wird, der sich von der bisherigen Literatur absetze: Hier findet man keine gefühlsbetonte oder idealistisch vergoldete Beschreibung des Privatlebens, wie sie so oft vorgelegt werden, sondern hier las ich eine strenge, gründlich erforschte Arbeit mit Breitbanddenken und Tatsachentreppen, die von Stufe zu Stufe zum Ziel führen, nämlich die Motive, den Mut und die wachsende Kraft der Gruppe »Weiße Rose« klarzulegen.1964

Die Geschichte des Widerstandskreises beschreibt Jahnke 1968/69 nun als eine kontinuierliche Entwicklungsgeschichte. In einem ersten Kapitel wird von Zitaten aus den ersten vier Flugblättern ausgegangen. Dabei wird die Wandlung Hans Scholls und Alexander Schmorells von Anhängern zu Gegnern des Systems kurz beschrieben und durch Erfahrungen in der HJ, aber auch durch die humanistische und christliche Erziehung und Bildung erklärt: Diese Gedankenwelt der Menschlichkeit, der sie sich als junge Christen verbunden fühlten, geriet immer mehr in Widerspruch zu der Politik des Hitlerstaates. Aber erst das Erlebnis des Krieges als Angehörige der Münchener Sanitätskompanie […] und zahlreiche Gespräche mit Hitlergegnern in München und Umgebung ließen den Entschluß, selbst aktiv Widerstand zu leisten, heranreifen.1965

Im frühen »Stadium ihrer Entwicklung« seien sie insbesondere durch Professor Huber, Theodor Haecker und Carl Muth beeinflusst worden.1966 Die ersten Flugblätter seien daher noch von einer »idealistisch-philosophischen Grundhaltung« und »bestimmte[n] metaphysische[n] und irrationalistische[n] Gedankengänge[n]« geprägt gewesen und damit »praktisch bei der Kritik stehen« geblieben.1967 Insbesondere das dritte Flugblatt enthalte jedoch »sehr wertvolle Gedanken, die in Übereinstimmung mit den objektiven Aufgaben des antifaschistischen Widerstandskampfes im Jahre 1942 standen«, wobei Jahnke auf die GdA verweist.1968 Entscheidende Bedeutung für die weitere Entwicklung der Gruppe kommt nun – im Gegensatz zum Aufsatz 1965 – wieder dem Fronteinsatz in Russland zu. Diesem Komplex widmet Jahnke ein eigenes Kapitel, das ausführlich aus privaten Dokumenten (Aufzeichnungen Willi Grafs und Hans Scholls) zitiert. Durch die Begegnungen und Erfahrungen im besetzten Russland seien durch Propaganda vermittelte Vorbehalte gegen den Kommunismus überwunden und die Entschlossenheit zum Widerstand gestärkt worden. In den Fußnoten setzt sich Jahnke mit Petrys These des unpolitischen Russlanderlebnisses auseinan1964 1965 1966 1967 1968

Günther Weisenborn: Mut und Motive, in: Jahnke, Anm. 379, S. 7–9. Jahnke, Anm. 379, S. 21. Ebd. Ebd., S. 22–23. Ebd., S. 17.

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der, die er zurückweist.1969 Die Erfahrung an der Front in Russland interpretiert Jahnke dagegen als Grundlage dafür, dass sich unter dem Einfluss von Hans Scholl die Einsicht durchgesetzt habe, dass das Wirken der Gruppe »nicht auf Kreise der Intelligenz und des Bürgertums beschränkt bleiben dürfe, sondern sich an die breite Masse des Volkes, insbesondere an die Arbeiter wenden sollte.«1970 Dies habe die Versuche der Ausweitung der Aktionen in andere Städte und die Kontaktaufnahme zu anderen Widerstandsgruppen über Richard Scheringer und Falk Harnack motiviert. Ein direkter Kontakt mit dem Widerstand der KPD wird jedoch im Gegensatz zur Darstellung von 1965 nicht behauptet. Jahnke betont dagegen nun den »Entwicklungsprozess innerhalb der Gruppe«, den das fünfte Flugblatt An alle Deutschen widerspiegele und der in westdeutschen Darstellungen ignoriert werde: Hier wurden Wahrheiten ausgesprochen und in Ansätzen eine Gesellschaftsprognose dargelegt, die heutigen Apologeten des imperialistischen Systems keinesfalls angenehm sind. Deshalb ignorieren sie in ihren Darstellungen auch weitgehend diese Entwicklung in der Münchener studentischen Widerstandsgruppe. Ihr Bild über die »Weiße Rose« reduziert sich weitgehend auf die Flugblätter des Sommers 1942, wobei auch nicht zufällig ist, daß metaphysische und irrationalistische Gedankengänge der Verfasser besonders hervorgehoben werden. Andere Autoren, die das Flugblatt »Aufruf an alle Deutsche« nicht unerwähnt lassen, stellen die darin entwickelten Gedanken als »Ausrutscher«, als »politische Fehleinschätzungen« hin und sind weit davon entfernt, sie als Konsequenz einer Entwicklung zu betrachten.1971

Eine Erklärung der Aktion vom 18. Februar 1943 liefert Jahnke indes nicht, setzt sich hier auch nicht mit den entsprechenden Hypothesen Petrys auseinander, dessen Deutungen Jahnke unter Verweis auf das Verhalten der Geschwister Scholl in den Verhören und Prozessen zurückweist. Indirekt assoziiert er Petry mit Verleumdungen durch »restaurative Kräfte« in der Bundesrepublik, die zu dem Schluss führten, das »Vermächtnis des antifaschistischen Widerstandskampfes« erfülle sich in der DDR.1972 Auch nach 1969 erschienen einige Texte Jahnkes in ihrer jeweiligen Form nur im Röderberg-Verlag in der Bundesrepublik,1973 was aber nicht bedeutet, dass Jahnkes Forschungen in der DDR kontrovers waren oder auf Zensurschwierigkeiten stießen. Vielmehr bedeutete diese Publikationsmöglichkeit für Jahnke 1969 1970 1971 1972 1973

Ebd., S. 25–26. Ebd., S. 36–37. Ebd., S. 43–44. Ebd., S. 70. Dabei handelt es sich u. a. um Karl-Heinz Jahnke: Entscheidungen. Jugend im Widerstand 1933–1945. Frankfurt a. M.: Röderberg 1970 und Karl-Heinz Jahnke: Jugend im Widerstand 1933–1945. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: Röderberg 1985.

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auch einen Legitimitätsgewinn innerhalb der DDR-Wissenschaft, die bestrebt war, das internationale Ansehen der Forschung in der DDR zu verbessern. Jahnkes Veröffentlichungen in der Bundesrepublik entsprachen Desideraten westdeutscher Forschung, die im Verlauf der 1960er-Jahre formuliert wurden. Schilde betont, dass Jahnke in den 1960er-Jahren der einzige Historiker war, der in größerem Umfang über den Widerstand von Jugendlichen gearbeitet hatte.1974 Jahnke schreibt rückblickend: Da ich in den hochinteressanten Jahren 1966 bis 1969 einer der Wenigen in Deutschland war, der damit begonnen hatte, den Jugendwiderstand systematisch zu erforschen, waren meine Ergebnisse in Westdeutschland mehr gefragt als in der DDR. Ich wurde damals zu zahlreichen Vorträgen vor allem an Universitäten eingeladen. Am 1. Dezember 1966 sprach ich z. B. auf Einladung des ASTA und mehrerer Studentenorganisationen an der Münchner Universität zum Thema »Studentischer Widerstand im Dritten Reich«.1975

Weiße Rose contra Hakenkreuz wurde in der BRD zwar nicht breit rezipiert, aber in den adressierten Kreisen als Gegengewicht zu Petry eher wohlwollend wahrgenommen, wie in einer Besprechung Thorsten Müllers in der Zeit deutlich wird: Weniger als auf die Fakten, die durch den kritischen Apparat des Büchleins exakt belegt werden, versteht sich Jahnke auf die Motive. Eine Kalamität, wie es scheint, nicht nur der Zwanzigjährigen, sondern auch der Dreißigjährigen, die heute über den Widerstand von damals schreiben. Wenn er nach dem Verhältnis fragt, das die Scholls und deren Gefährten zum Sozialismus, zur Sowjetunion hatten, macht er die Weiße Rose ideologisch kopflastig. Gleichviel, das Büchlein ist kundig, fair und mit Sympathie geschrieben.1976

Jahnke schreibt, dass sein Buch in der DDR nicht erscheinen »konnte«, er »habe sich darum auch nicht bemüht«.1977 Dies ist nachvollziehbar, da mit Klaus Drobischs 1968 veröffentlichter Dokumentation Wir schweigen nicht bereits eine Monographie vorlag. Die Notwendigkeit einer weiteren Publikation in Buchform wäre gegenüber der HV Verlage und Buchhandel wahrscheinlich nicht zu rechtfertigen gewesen. Jahnkes Publikationen zeigen Veränderungen in der institutionellen Widerstandsforschung in der DDR an, die sich bis in die sechziger Jahre hinein fast ausschließlich auf den kommunistischen Widerstand beschränkte. Wissen1974 1975 1976 1977

Schilde, Anm. 1949, S. 33. Schriftliche Mitteilung Karl-Heinz Jahnkes an den Verfasser vom 25. 03. 2008. Thorsten Müller : Nochmals – die Affäre Scholl. In: Die Zeit, 28. 03. 1968. Schriftliche Mitteilung Karl-Heinz Jahnkes an den Verfasser vom 23. 01. 2008. Siehe auch Jahnke, Anm. 1962, S. 90. In diesem ergänzten »Nachdruck« wurde das letzte Kapitel zum in der DDR erfüllten »Vermächtnis« ausgespart.

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schaftliche Projekte, den Widerstand in größerer Bandbreite darzustellen, stießen auf Schwierigkeiten, was den Zugang zu Archiven und die Möglichkeit zur Publikation betrifft.1978 Auch Jahnke berichtet von Schwierigkeiten bis Mitte der 1960er-Jahre, das in der DDR zugängliche Archivmaterial zur Weißen Rose einzusehen.1979 Monografien über einzelne nicht-kommunistische Gruppen oder Widerstandskämpfer sind bis Mitte der 1960er Jahre nicht nachzuweisen, wobei auch Einzeldarstellungen kommunistischer Gruppen und Persönlichkeiten auf Probleme stoßen konnten.1980 Grund hierfür ist wohl weniger eine generelle Zensurpolitik, sondern eher Unklarheit bezüglich des offiziellen Geschichtsbildes, denn trotz des »Stellenwerts des ›antifaschistischen Widerstandskampfes‹ kam es über Jahrzehnte hin zu keinem zusammenfassenden Standardwerk«.1981 Dies änderte sich mit der Veröffentlichung des fünften Bandes der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (GdA) 1966, auf die auch Jahnke in seinen Publikationen verweist. Diese würdigt im Rahmen der Darstellung der als ›Einheitsfrontstrategie‹ bezeichneten Bündnispolitik neben »Patrioten aus Offizierskreisen und Bürgertum« auch die Weiße Rose, die »aufgerüttelt durch das Geschehen an der Wolga in München […] zu Aktionen über[ging]«.1982 Siegfried Lokatis zufolge funktionierte die GdA nicht nur für die geschichtswissenschaftliche Buchproduktion, sondern für die gesamte geisteswissenschaftliche wie belletristische Buchproduktion bis zum Ende der Ära Ulbricht als Zensurmaßstab, der gerade beim Thema Widerstand auch eine Differenzierung bewirkte.1983 Insbesondere Einzeldarstellungen konnten sich nun auf die in der GdA getroffenen Einordnungen berufen. Die GdA scheint auch einen Faktor für erweiterte Spielräume in Bezug auf die populärwissenschaftliche Vermittlung historischer Zusammenhänge darzustellen. In den Verlagen der Blockparteien erschienen nun verstärkt Titel zu zeitgeschichtlichen Themen.1984

1978 1979 1980 1981 1982

Siehe auch Kapitel IV.2.3. Jahnke, Anm. 1962, S. 93. Siehe Barck, Anm. 162, S. 151–156. Ebd., S. 210–211. Geschichte der Arbeiterbewegung, Band 5. Berlin (Ost)Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED: Dietz 1966, S. 342. 1983 Siegfried Lokatis: Der rote Faden. Kommunistische Parteigeschichte und Zensur unter Walter Ulbricht. Köln [u. a.]: Böhlau 2003, S. 328–349. 1984 Vor 1967 berücksichtigt die Weiße Rose: Karlheinz von Brück: Im Namen der Menschlichkeit. Bürger gegen Hitler. 1. Aufl. Berlin: Der Morgen 1963.

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V.2.3 Wandlungen einer »Absicht, ein Geschichtsbild zu geben«: Franz Fühmann und die Weiße Rose Die angedeuteten Tendenzen geschichtspolitischer Differenzierung korrespondieren nicht mit einer kulturpolitischen Liberalisierung, sondern fallen zeitlich zusammen mit den Folgen des sogenannten ›Kahlschlagplenums‹. Im Vorfeld und in Auswirkung des 11. Plenums der SED vom 16. bis 18. Dezember 1965 wurden nicht nur einzelne, insbesondere Gegenwartsfragen berührende Filme wie Spur der Steine verboten oder zensiert, sondern die DEFA wurde durch Personalentscheidungen und die Einführung weitreichender Maßnahmen unter stärkere Kontrolle durch Staat und SED gestellt.1985 Teil hiervon war die Einführung von Stoff- und Produktionsentwicklungsplänen.1986 Der erste von der DEFA 1966 der Hauptverwaltung Film im Ministerium für Kultur vorgelegte Stoffentwicklungsplan führt drei für das Jahr 1968 angesetzte Projekte zum Themenkomplex antifaschistischer Widerstand an, nämlich zur sogenannten Roten Kapelle, zum 20. Juli 1944 und zur Weißen Rose.1987 Das noch vor dem Plenum von der unter Leitung des Dramaturgen Werner Beck stehenden Künstlerischen Arbeitsgruppe »Berlin« initiierte Vorhaben zur Weißen Rose wurde wohl als unproblematisches Projekt eingeschätzt. Als Regisseur war Joachim Kunert vorgesehen. Karl-Heinz Jahnke befürwortete das Vorhaben in einer Stellungnahme: Es gibt zahlreiche Beispiele des Widerstandes junger Menschen, aber nur wenige Gruppen und Aktionen scheinen mir für die Gestaltung eines Filmes so geeignet wie das Beispiel der Münchner Studentengruppe. Es handelt sich hier fast ausschliesslich um junge Menschen, die in den ersten Jahren der faschistischen Diktatur der nationalsozialistischen Bewegung begeistert folgten und selbst teilweise leitende Funktionen in der HJ ausübten. Die Filmschaffenden könnten dadurch sehr zum Verständnis der Ursachen für die Errichtung der faschistischen Diktatur beitragen. Das vorliegende Material bietet unter anderem die Möglichkeit, überzeugend nachzuweisen, warum gerade junge Menschen der nationalen und sozialen Demagogie der Nazis Glauben schenkten. Gute Möglichkeiten ergeben sich, um an humanistische Bildungsmomente genau so wie an bestimmte christliche Verhaltensweisen und Normen anzuknüpfen, die von den Faschisten geschickt für ihre Propaganda ausgenutzt wurden.1988 1985 Günther Agde (Hrsg.): Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Berlin: Aufbau 1991. 1986 Stellvertreter des Ministers für Kultur und Leiter der HV Film: Ideologischer Führungsplan der Hauptverwaltung Film des Ministeriums für Kultur (erste Maßnahmen), Typoskript, 3 Seiten, 27. 11. 1965. In: BArch-SAPMO, DY 30 (IV A 2/906/124). 1987 DEFA: Thematischer Produktionsplan 1966. In: BArch, DR1 (4217). 1988 Karl-Heinz Jahnke: Stellungnahme zum Vorhaben der DEFA »Gruppe Berlin« einen Film über die studentische Widerstandsgruppe »Weisse Rose« zu gestalten. Typoskript, 3 Seiten, 16. 12. 1965. In: SAdK, Franz-Fühmann-Archiv (202/17).

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Der von Jahnke hervorgehobene Aspekt der Wandlung dürfte auch Franz Fühmann interessiert haben, den die DEFA als Autor für das Vorhaben gewinnen konnte. Dieser hatte sich auch aus autobiografischer Motivation heraus nicht nur in Lyrik und Prosa mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Faschismus auseinandergesetzt,1989 sondern seit Ende der 1950er-Jahre für das DDR-Fernsehen und die DEFA Szenarien zu Filmen mit antifaschistischer und Kriegsthematik verfasst.1990 Fühmann stellte gemeinsam mit der Dramaturgin Traudl Kühn, die nach eigenen Angaben die Idee zu dem Projekt hatte,1991 umfangreiche und akribische Recherchen an. Dies geht aus den Unterlagen seines in der Akademie der Künste aufbewahrten Nachlasses hervor, wo sich Kopien und Exzerpte aus den zu diesem Zeitpunkt in der DDR zugänglichen Aktenbeständen und der in der Bundesrepublik und DDR veröffentlichten Literatur zur Weißen Rose und zum deutschen Widerstand befinden.1992 Gemeinsam mit Traudl Kühn legte er Anfang Mai 1966 ein erstes Expos8 vor, in dessen Vorbemerkungen er Schwierigkeiten des Stoffes, aber auch Problemstellung und Zielsetzung des ihm vorschwebenden Films darlegt. Die Schwierigkeiten ergeben sich für Fühmann aus dem historischen Stoff: Das Projekt sei »ein Spielfilm und ein Dokumentarfilm zugleich«.1993 Fakten und Fiktion seien notwendigerweise zu verbinden:

1989 Siehe bspw. Franz Fühmann: Die Fahrt nach Stalingrad. Poem. Berlin (Ost): Aufbau 1953; Franz Fühmann: Kameraden. Novelle. Berlin (Ost): Aufbau 1955; Franz Fühmann: Das Judenauto. Berlin (Ost): Aufbau 1962. 1990 Dabei handelt es sich um folgende Fernsehspiele des Regisseurs Kurt Jung-Alsens: Betrogen bis zum jüngsten Tag nach der Novelle Kameraden (1957); Die heute über 40 sind (1960); Der Schwur des Soldaten Pooley (1962). Siehe umfassend zu Fühmanns filmischen Arbeiten: Ingrid Prignitz: Franz Fühmanns Arbeiten für den Film. In: Ingrid Prignitz (Hrsg.): Franz Fühmann: Simplicius Simplicissimus, Der Nibelunge Not und andere Arbeiten für den Film. Rostock: Hinsdorff 1987, S. 451–483. 1991 Mündliche Auskunft von Traudl Kühn an den Verfasser vom 23. 08. 2008. 1992 Umfang und Tiefe der Recherchen Fühmanns werden schon an den Rubriken seiner Materialsammlung deutlich: Alltag Universität München, Frontberichte NS, Gestapo, Volksgerichtshof und Freisler (darin: Anklageschrift und Urteil 1. Prozess), Letzter Gang der Drei, Exekution, Information der Bevölkerung, Weg ins Ausland, 2. Verhandlung (darin: Anklageschrift und Urteil), 3. Prozess (darin Urteil gegen Hans Leipelt), Rechtsopposition und bündische Jugend, 20. Juli-Gruppe, Kenntnis von Nazi-Greueln, Katholische Linksopposition und Zeitschrift Hochland, Kontakte zur Arbeiterbewegung, einschl. ADV und BSW, Russlandkomplex (darin: Tagebuchnotizen Hans Scholl und Willi Graf), Politische Auswertung, Historische Darstellungen, Literarische Würdigung, Varia, Literaturverzeichnis. Die im Staatshauptarchiv Potsdam fotokopierten Unterlagen waren 1966 zum Teil noch nicht veröffentlicht. Außerdem führte Fühmann Gespräche mit Karl Meyer, Christa Müller, ehem Meyer-Heidkamp, Richard Scheringer, Heinz Kucharski und Ernst Schumacher. Siehe SAdK Franz-Fühmann-Archiv (202). 1993 Franz Fühmann: Vorbemerkungen zum Expos8: Jugend im Widerstand (Arb.titel »Weisse

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Wir haben es mit ganz bestimmen [sic] historischen Personen zu tun. Dennoch müssen wir – im Rahmen der historischen Fakten – frei künstlerisch über sie verfügen können. Es ist unmöglich allein nur mit dem überlieferten Faktenmaterial auszukommen, und bestimmte Komplexe, z. B. die Gestapo-Methoden bei den Verhören, werden wir nie mehr erhellen können; wir sind auf unsere Phantasie angewiesen. Wir müssen uns also von vornherein darüber einig sein, daß wir bestimmte Szenen erfinden müssen. […] Andererseits müssen wir weglassen, zum Beispiel viele Nebenpersonen um die Weiße Rose, die zum Teil zu harten Strafen verurteilt worden sind. Schließlich müssen wir zeitlich zusammenziehen, vor allem in der Exposition. Weitgehende Änderungen an den uns vom Leben selbst überlieferten Helden habe ich nicht vorgenommen, obwohl es mich manchmal sehr danach gelüstet hat.1994

Eine »weitere große Schwierigkeit« bestehe darin, dass »ungewöhnlich viel trockenes Faktenmaterial dem Zuschauer mitgeteilt werden muß«, da die Weiße Rose dem Publikum »höchstens flüchtig als eine ›Sache mit den Geschwistern Scholl ‹« bekannt sei und die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg insgesamt verblasse.1995 Dies macht in der von Fühmann erklärten »Absicht, auch ein Geschichtsbild zu geben« die Vermittlung historischen Kontexts notwendig, um zu zeigen, »wie bürgerliche junge Deutsche mitten im Krieg zu einem positiven, wenn auch nicht voll konsequenten Verhältnis zum kommunistischen Rußland kommen«.1996 Für diese »Problemstellung« sieht Fühmann die historische Figurenkonstellation, an der jedoch keine Änderungen möglich seien, als eine Herausforderung an.1997 Schwierigkeiten bereite vor allem die »Unkenntnis über die Verbindung der Weißen Rose zum Widerstand der Arbeiterklasse«: Ich habe auf einen politischen Sprung von Flugblatt 1 und 2 zu Flugblatt 3 aufmerksam gemacht, den man als Abwendung von einer allgemeinen Antitotalitarismushaltung der ersten beiden Flugblätter und Hinwendung zu einem ganz klaren Antifaschismus, der sich durch die Antisowjethetze nicht verwirren läßt und diese nachdrücklich zurückweist, charakterisieren könnte. Ein solcher Sprung ist aus der inneren Entwicklung der Geschwister Scholl oder anderer Gefährten ihrer Gruppe nicht zu erklären, er weist auf einen Anstoß von außen hin.1998

1994 1995 1996 1997

1998

Rose«), Typoskript, 6 Seiten, [1966]. In: SAdK Franz-Fühmann-Archiv (202), S. 1. Die Vorbemerkungen sind in Anhang IX.4 vollständig ediert. Ebd., S. 1–2. Ebd., S. 3. Ebd., S. 2. »Während die Geschwister Scholl »wie für ein Kunstwerk geschaffen« seien, befindet Fühmann Alexander Schmorell aufgrund seiner russischen Herkunft als Figur »für diese Problemstellung eigentlich ungeeignet«, Christoph Probst sei weder an den Aktionen direkt beteiligt noch beim Fronteinsatz dabei gewesen und Willi Graf nehme eine »Sonderstellung« ein aufgrund seiner »fast theologische[n] Haltung« – jedoch zeige sich so die »ganze Breite der Widerstandsgruppe«. (Ebd., S. 2). Ebd., S. 5.

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Fühmann begründet damit die Notwendigkeit, »auch hier glaubwürdig erfinden [zu] müssen« und eine »der ADV (antifaschistisch- deutsche Volksfront)« nachempfundene »illegale[…] Organisation« in die Handlung einzufügen, welche dann auch versuchen wird, den »jungen Leuten, die offensichtlich durch Nichtbeachtung aller konspirativen Regeln in ihr Verderben rennen«, eine Warnung zukommen zu lassen. So könne man andeutungsweise den »konspirativen Arbeitsstil einer solchen illegalen Organisation mit dem der jungen Leute kontrastieren lassen«.1999 Auf jeden Fall seien aber die Arbeiter »auf die Leinwand« zu bringen, denn das Ziel des Films, gewissermaßen sein »Arbeitstitel« sei, »die Größe und die Grenze des Kleinbürgers« zu zeigen: »Wir zeigen Größe und Grenzen des Kleinbürgertums, das in seinen besten Kräften ein Kampfverbündeter der Arbeiterklasse und in seinen heruntergekommensten Teilen der übelste Knüppel des Faschismus war.«2000 Der Stoff biete »ein breites Panorama des Kleinbürgers […] vom opferbereiten jungen Menschen bis zum Spitzel; vom intelligenten Henker bis zum verwirrten Professor, vom aufrechten demokratischen Bürger über den verführten Hitlergläubigen bis zum gekauften Subjekt«.2001 In der »politische[n] Bedeutung des deutschen Kleinbürgertums und [der] Bedeutung des Bündnisses der Arbeiterklasse mit ihm« liegt für Fühmann auch der »aktuelle[…] Wert dieses Films«: Wir wollen zeigen, wie es den besten Teilen des Kleinbürgertums unter den schwierigsten Verhältnissen möglich war, die geistige Leine loszuwerden, an der das Großkapital noch heute den westdeutschen Mittelstand herumführt: den Antikommunismus. Wir wollen zeigen, daß das Kleinbürgertum der Führung durch die Arbeiterklasse bedarf, um sich zu seiner vollen Größe entfalten zu können.2002

Fühmanns Filmentwurf konfrontiert daher »die reine, helle, arglose Welt der jungen Widerstandskämpfer und die kalte maschinenhaft unmenschliche Gestapowelt«.2003 Die Filmhandlung ist im Expos8 in fünf Teilen konzipiert und setzt in den Tagen vor Stalingrad ein. Die erste Szene spielt in der Wohnung des Pedells Schmid und zeigt den »Tagesbeginn eines kleinen bösartigen Familienführers«.2004 Seine Frau sieht vor dem Haus Anschläge und Flugblätter, der Pedell tritt sofort in Aktion und alarmiert die Gestapo. Die Szene wiederholt sich am Ende des Films, nachdem Plakate mit der Bekanntgabe der Hinrichtung Willi

1999 2000 2001 2002 2003 2004

Ebd., S. 5. Ebd., S. 6. Ebd. Ebd. Ebd, S. 1. Franz Fühmann, Traudl Kühn: Expos8: Jugend im Widerstand (Arb.titel »Weisse Rose«). In: SAdK Franz-Fühmann-Archiv (202/4), S. 1.

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Grafs mit »UND IHR HABT DOCH GESIEGT! DIE WEISSE ROSE LEBT!« überklebt werden.2005 Gestapo, Studentengruppe und die illegale kommunistische Gruppe werden in den folgenden Szenen im Wechsel gezeigt. Die drei Beamten der Gestapo (Meier 1, Meier 2, Meier 3) repräsentieren die »Grundtypen« des »hochintellektuellen Spieler[s]«, des »jovialen Biedermanns« und des »brutale[n], geistlose[n] Schlägertyps«.2006 Sie folgern aus der Pause zwischen den Flugblattserien eine Spur zu der Studentenkompagnie und beobachten die Studentenschaft während der Rede des Gauleiters, bei der es zu Tumulten kommt. Ihre Spur zu Hans Scholl, den sie aufgrund seiner Vorstrafe und seines Vaters verdächtigen, bestätigt sich jedoch nicht, da dieser bei der Veranstaltung nicht anwesend ist. Willi Graf und Alexander Schmorell berichten Hans Scholl später aufgeregt von den Protesten bei der Rede des Gauleiters und geben sich überzeugt, »ein Volksaufstand gegen Hitler stehe nahe bevor und bedürfe nur noch eines kräftigen Anstoßes von außen und von innen«.2007 Die Studierenden beraten sich mit Prof. Huber, mit dem sie in dieser Hinsicht einig sind, aber in der Frage nach einer Fortsetzung des Krieges in Streit geraten, da Huber einen Sieg des Kommunismus befürchtet. In Anbetracht der »Stalingraderschütterung« beschließen sie dennoch: »Jetzt muß das Fanal gezündet werden«.2008 Die kommunistische Gruppe diskutiert unterdessen, ob man an die Flugblattgruppe herantreten soll, um sie zu warnen, oder ob, angesichts einer geplanten Sabotageaktion in einer Munitionsfabrik, strikte Konspiration den Vorrang hat. Bei der Gestapo trifft dann unvermittelt die Nachricht von der Verhaftung von Studenten in der Universität ein. An diese bis dahin linear erzählte Exposition, welche die Deutung eines Fanals nach Stalingrad vorgibt und Widerstand und Kriegsverlauf eng verbindet, knüpfen vier weitere Teile an, welche den Stationen Verhöre und Haft, Prozess und Hinrichtung folgen. Die Gestapo, die auch Christoph Probst, Willi Graf, Kurt Huber und schließlich auch Alexander Schmorell während dessen Fluchtversuch verhaftet, sieht sich durch den Führerbefehl einer unverzüglichen Hinrichtung unter Druck, da sie eine »Verschwörung großen Stils« unter »Anleitung« einer kommunistischen Gruppe vermutet und sich von den Verhören eine Spur zu dieser verspricht.2009 Die drei Kommissare wenden unterschiedliche psychologische Methoden an, die jedoch nicht verfangen, da die Studenten standhaft bleiben. In durch Erinnerungen der Protagonisten ausgelösten Rückblenden wird nun die Entstehungsgeschichte, Entwicklung und Auswei2005 2006 2007 2008 2009

Ebd., S. 46. Ebd., S. 2–3. Ebd., S. 6–7. Ebd., S. 9. Ebd., S. 14–15.

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tung der Aktionen auch in andere Städte sowie der Hintergrund der Gruppe erzählt. Von Interesse ist im Folgenden, wie auf diese Weise die Wandlung der Protagonisten von Anhängern des Nationalsozialismus zu aktiven Widerständlern motiviert und das Verhältnis zum kommunistischen Widerstand dargestellt wird. Alexander Schmorell erinnert sich während seines Fluchtversuchs, wie er »jenes berüchtigte viehische Progrom der Kristallnacht« miterlebte, das für ihn den »erste[n] Anstoß« darstellte, »tief über den Nationalsozialismus und Deutschlands Zukunft nachzudenken«.2010 Huber, der seine Verhaftung befürchtet und sich mit Carl Muth über die Ereignisse austauscht, erklärt diesem gegenüber, wie er durch die Missachtung und den Missbrauch der Wissenschaft zum Nazi-Gegner wurde.2011 Muth, der als »Sammelfigur für all die Männer […], die von den Aktionen der Weißen Rose wußten und sie zum Teil geistig lenkten«,2012 fungiert, erklärt »Widerstand gegen die Barbarei des Nazismus und die Entwürdigung Deutschlands« sei das »einigende Band aller, die zur Weißen Rose gehörten« und erzählt, wie Hans vom »gläubigen Hitlerjungen zum glühenden Hasser des Nazismus« wurde.2013 Dabei werden, wie an anderen Stellen auch, durch Inge Scholls Buch überlieferte Episoden zur Grundlage genommen: Die Fahnen-Episode und die Episode vom Reichsparteitag in Nürnberg, wobei in der von Fühmann angedeuteten Szene das Buch von Stefan Zweig von einem HJFührer als »Judendreck« bezeichnet wird und auf einem »Scheiterhaufen« verbrannt wird.2014 Als Schlüsselerfahrung für den Einstellungswandel gegenüber der Sowjetunion und dem Kommunismus wird das Russlanderlebnis dargestellt. Während der Gerichtsverhandlung schildert Freisler das kommunistische Russland »nach Stürmermanier«, worauf Hans mutig entgegnet: »Ich kenne Rußland aus eigenem Erleben, Herr Präsident«.2015 Dies ist Anlass für eine Rückblende, in der zunächst die von Inge Scholl überlieferte Episode nacherzählt wird, wie Hans einer jüdischen Zwangsarbeiterin Schokolade und eine Margerite zusteckt. Die 2010 Ebd., S. 21. 2011 Zu Huber schreibt Fühmann an dieser Stelle: »Hier bin ich zunächst eine Erklärung schuldig, wie ich Huber zu zeichnen gedenke. Es ist bekannt, daß Huber ein militanter Antikommunist war und föderative, ja partikularistische bayrisch-nationalistische Theorien vertrat. Auf seine letzteren Gedanken wollen wir nicht eingehen; zeigen muß man seinen Antikommunismus […] als tragische Fessel des Kleinbürgertums.« Huber dürfe nicht als »Feind« karikiert werden, sondern müsse »mit Hochachtung vor seinem persönlichen Mut und mit Bedauern ob seiner politischen Blindheit« dargestellt werden. (Ebd., S. 23). 2012 Ebd. 2013 Ebd., S. 24–25. 2014 Ebd., S. 25. 2015 Ebd., S. 29.

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Begegnung mit Russland und seiner Bevölkerung bringt Alex – in Ergänzung einer Episode Inge Scholls – während eines gemeinsamen Ritts mit Hans zu dessen Bruder Werner zu der Aussage, »er habe sich immer als Weißer gefühlt, doch jetzt fange er an, die Roten zu verstehen. Es sei ein anderes Rußland«.2016 Werner befürchtet, gegen Partisanen eingesetzt zu werden und berichtet von unmenschlichen Verbrechen an der Zivilbevölkerung: »Käme es wirklich zu so einem Einsatz, wolle er den Tod suchen, es gebe ja sonst keine Alternative.«2017 Eine russische Studentin aus Minsk, mit der es zu einer »tiefen Diskussion« kommt, berichtet aus erster Hand »von furchtbaren Erlebnissen mit Okkupanten«, die ins Bild kommen.2018 Als Hans und Alex einwenden, »daß doch nicht alle Deutschen schlecht sein, daß sie die SS und Hitler auch haßten, daß sie niemand ein Leid angetan hätten«, fordert sie das Mädchen auf, sich zu entscheiden: Ja, ihr gebt uns Brot, sagt das Mädchen. Aber weiß ich, was ihr im Nachbardorf getan habt? Weiß ich, was ihr tun werdet, wenn man euch Verbrechen befiehlt? […] Ihr werdet gehorchen, wie alle anderen auch […] Wenn ihr es ehrlich meint, dann kommt zu uns, zu den Partisanen. In unseren Reihen kämpfen auch Deutsche, die besten Deutschen!2019

Hans entgegnet, es sei für ihn unmöglich, auf Kameraden zu schießen, aber, wenn er »wüsste, daß er nur gegen die SS schießen brauche – dann sofort«.2020 An dieser Stelle, so vermerkt Fühmann, müsse der Schatten deutlich werden, über den die Drei nicht springen könnten, nämlich die mangelnde »Einsicht in den Klassenkampf«, auch wenn sich Hans in dieser »Stunde der Entscheidung« an ein Gespräch mit Richard Scheringer erinnert, das in einer Rückblende in der Rückblende in Szene gesetzt wird.2021 In einer Rückblende während des Verhörs Willi Grafs wird deutlich, dass Harnack als Repräsentant der kommunistischen Seite wichtige Hinweise zur Form des Widerstands gegeben hat: Falk rät zur Koordinierung der Kräfte, organisatorischem Ausbau, ablassen von jeglichen Demonstrationen. Die Freunde vertreten die Fanal-Theorie; Falk widerspricht. Er versucht ihnen klarzumachen, welch ein organisierter Staatsapparat ihnen entgegensteht. Er spricht von den Erfahrungen der deutschen Arbeiterbewegung und der Bolschewiki.2022 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022

Ebd., S. 30. Ebd., S. 31. Ebd. Ebd., S. 32. Ebd. Ebd., S. 33. Ebd., S. 22–23.

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Den Schlüssel zum inhaltlichen Einfluss auf die Flugblätter vermutet die Gestapo nunmehr bei Alexander, der sich in seiner Zelle an ein Zusammentreffen mit einem unbekannten Russen erinnert: Der Russe sagt, er kenne ihn; woher sei gleichgültig. Er kenne auch die Flugblätter. »Ihr kommt um eine Frage nicht herum«, sagt der Russe, »und das ist die Sowjetunion. Sie ist jetzt die einzige Macht, die auf den verfluchten Nazismus schießt, die ihn bekämpft, die einzige, die ihn besiegen kann. Hitler versucht das Volk mit dem wahnsinnigen Antikommunismus zu schrecken. Ihr müßt darauf eingehen, auch wenn ihr alles andere als Kommunisten seid.2023

Auf diese Weise wird kurz vor Ende des Films die Frage nach der inhaltlichen Neuausrichtung der Flugblätter, welche ein zentrales Moment der Gestapo-Ermittlungen darstellt, aufgelöst. Auch als Grund, die Vollstreckung der Todesurteile gegen Alexander Schmorell, Willi Grafund Professor Huber aufzuschieben, erhält diese Frage im Rahmenplot Bedeutung. Alexander weigert sich auch unter Folter, die Verbindungen zu den Russen preiszugeben. Unterdessen findet die Sabotageaktion der kommunistischen Gruppe statt, die Ermittlungen konzentrieren sich nun ganz auf die Kommunisten, die Todesurteile zur Vollstreckung werden freigegeben. Fühmann versicherte Robert Scholl in einem Brief, dass er das »Thema der Weißen Rose« mit »Hochachtung, Liebe und Würde« behandeln wolle und verabredete einen Besuch gemeinsam mit dem Regisseur des Films für den 17. Mai 1966.2024 In diesem Gespräch muss klargeworden sein, dass das im Expos8 entworfene Projekt nicht auf die Zustimmung der Angehörigen stoßen würde.2025 Wie zuvor Erich Kuby wählte Fühmann den Weg, den Film nur lose an den historischen Fakten auszurichten. Er arbeitete Ende 1966 an einem entsprechenden Treatment. Dem darin konzipierten Film war nun ein Vorspann vorangestellt, der den Film in memoriam den Toten der Weißen Rose widmet: Unser Film erzählt in freier künstlerischer Darstellung die Geschichte einer Gruppe junger Menschen, denen die antifaschistische Widerstandsgruppe WEISSE ROSE einige, politisch allerdings wesentliche Züge verliehen hat. Er erhebt aber keineswegs den Anspruch, die Geschichte der WEISSEN ROSE dokumentarisch getreu nachzuzeichnen oder eine Biographie ihrer gefallenen Helden zu geben. Die zitierten Flugblätterpassagen allerdings sind wortgetreu den Flugblättern der WEISSEN ROSE übernommen.2026

2023 2024 2025 2026

Ebd., S. 53. Franz Fühmann: Brief an Robert Scholl, 12. 05. 1966. In: IfZ, ED 474 (406). Siehe Kapitel V.1.2. Franz Fühmann: Jugend im Widerstreit. Treatment. Typoskript, 92 Seiten, [Dezember 1966]. In: SAdK Franz-Fühmann-Archiv (202), S. 1.

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Die nunmehr nur noch frei an die Geschichte der Weißen Rose angelehnte und damit erklärtermaßen fiktionale Version übernimmt zwar – wenngleich in abgewandelter Form – Episoden aus dem Expos8, unterscheidet sich aber grundlegend in der Konzeption, nicht nur hinsichtlich des Plots. Die formale Anlage ist verändert: Die Verhöre spielen kaum mehr eine Rolle und die Geschichte der Widerstandsgruppe wird nicht mehr in fokalisierten Rückblenden, sondern linear erzählt. Die Darstellung der Nationalsozialisten wird über die Gestapo hinaus erweitert, die Figur des Pedells tritt stark in den Hintergrund. Dagegen ist ein Auftritt Hitlers in mehreren Szenen zu Beginn des Films vorgesehen. Im weiterhin zentralen Russland-Teil wird eine Unterredung im Reichskommissariat zwischen einem Sonderbeauftragten Himmlers und Wehrmachtsoffizieren eingefügt, in der jener eine »kameradschaftlich[e]« Zusammenarbeit zwischen SS, SD und Wehrmacht bei »Bandenbekämpfung« und »außerordentliche[n] Maßnahmen« befiehlt: »Man dürfe nicht zurückschrecken, ganze Gebiete systematisch zu entvölkern, sagt er«.2027 Dies zeigt einen im Vergleich zum Expos8 veränderten Fokus an. Die im Expos8 dargelegte Problemstellung der Wandlung in der Einstellung zum Kommunismus wird vordergründig zwar beibehalten, aber die im Expos8 zentrale Beeinflussung durch eine kommunistische Gruppe entfällt, der Einstellungswandel vollzieht sich innerhalb der Gruppe, die am Ende von sich aus überlegt, Kontakt zu den Kommunisten aufzunehmen. Die Figurenkonstellation der fiktionalisierten Gruppe ist darauf angelegt, diese Wandlungsprozesse vorzuführen, die in ihrer Motivierung gemeinsame Bezugspunkte aufzeigen. Die engere Gruppe besteht nun aus den Geschwistern Klaus und Agnes, die den Geschwistern Scholl entsprechen, Peter – weitgehend analog zu Alexander Schmorell – und Wolfgang, der kein historisches Pendant hat und im Prinzip Christoph Probst und Willi Graf zu einer Figur vereinigt, zumal die im Expos8 betonten religiösen Züge Willi Grafs und dessen Rolle der Ausweitung der Flugblattaktion in andere Städte in diese Figur projiziert werden. Dies gilt auch für die an die Person Manfred Eickemeyers angelehnte Figur des Malers Ecke, der wie das historische Vorbild der Gruppe sein Atelier zu Verfügung stellt, nun aber Teil der Gruppe ist und gemeinsam mit den anderen hingerichtet wird. Neu eingeführt wird die Figur des Mathias, der sich von seinem Vater, einem Innsbrucker Großindustriellen, lossagt und mit sozialistischen Ideen sympathisiert. Er kennt Wolfgang aus Jugendzeiten, begegnet ihm während des Russlandeinsatzes wieder und wird von diesem später in die Aktionen eingeweiht. In ihm sind im Vergleich zum Expos8 Elemente der Rollen von Willi Grafs Freund Wilhelm Bollinger und die Falk Harnacks vereinigt; er ist es zudem auch, der die Gruppe vor der weiterhin als Fanal angelegten Flugblattaktion an der Universität 2027 Ebd., S. 49–50.

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warnt. Kurt Huber entspricht die Figur Professor Muris, dessen Rolle gegenüber dem Expos8 kaum verändert wird, außer dass er nun aus eigener Initiative zur Gruppe stößt. Größeren Raum erhält die an Carl Muth angelehnte Figur Professor Fuerths. Der Film setzt Sommer 1942 ein, die Exposition zeigt durch Kriegsszenen und die Eröffnung einer Ausstellung »›Deutschland nach dem Endsieg‹« durch Hitler im Stadion der »süddeutschen Stadt«, in der die Handlung spielt, dass »das faschistische Deutschland […] auf dem Höhepunkt seiner Macht über den Völkern Europas« ist.2028 Fuerth und Muri hören Hitlers Rede zur Ausstellungseröffnung im Radio und diskutieren über den Nationalsozialismus. Muri empört sich: Es ist eine Schmach und Schande, wie der Geist in den Kot getreten wird! Der edelste Begriff, den die Kultur geprägt hat, der Begriff der humanitas, wird gebrandmarkt, verteufelt und verhöhnt; die widerlichste Doktrin aber, dieser viehische Rasssenwahn, dies Denken in zoologischen Begriffen, ist Staatsphilosophie!2029

Anders als im Expos8 ist die antisemitische Rassenideologie nicht mehr lediglich Beispiel für den Umgang der Nazis mit der Wissenschaft, sondern der primäre Grund der Ablehnung des Nationalsozialismus durch den Professor. Es folgt eine Diskussion, ob Hitler den »Antichrist« darstelle, Fuerth sieht ihn als »Wegbereiter«: Aber wenn dieser Satan Europa endgültig unter seinem Stiefel hat, wenn sein Krieg gewonnen ist, wenn Legionen von fremden Sklaven für Deutschland arbeiten, wenn das Volk in Trägheit und Sattheit und Dünkel erstickt, sich suhlt in einem Alltag von Hochmut und Unzucht und Greuel, dann ist das Reich des Antichrist nahe. Das Fürchterlichste steht uns noch bevor, […]: Sein Sieg!2030

Muri glaubt jedoch an einen Putsch der Wehrmacht nach dem Endsieg, eine Überzeugung, an die er durch die Handlung hindurch festhalten wird: »Erst den äußeren Feind schlagen, dann den inneren Feind loswerden, und dann ein vernünftiger Frieden mit England – das sei die Logik der Geschichte«.2031 Fuerth dagegen glaubt nicht an die »Generäle«, sondern an eine »Prüfung« Gottes: »›Der Mensch muss erst wieder zu Gott zurückfinden, das ist der tiefste Sinn der Züchtigung. […] Lesen wir also im Rachen des Untiers Hiob und halten wir aus!‹«2032 Fuerth ahnt im späteren Verlauf, wer die Verfasser der Flugblätter sind und äußert gegenüber Muri nach deren Aufbruch zum Russlandeinsatz, sie hätten wohl eine Reise angetreten; auf Muris Befürchtung, es handele sich dann 2028 2029 2030 2031 2032

Ebd., S. 1a. Ebd., S. 4. Ebd., S. 5. Ebd., S. 6. Ebd.

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um eine »Reise zum Bolschewismus«, entgegnet er, es sei auf jeden Fall eine »Reise zu den Kirchenvätern«.2033 Die Frage nach dem Ausgang des Krieges prägt auch die Diskussionen zwischen Klaus, Peter und Wolfgang in der folgenden Szene. Klaus meint, man müsse doch etwas tun, dürfe nicht zusehen, »wie die Barbarei das Abendland verschlingt«.2034 Er vertritt die Position, dass dieser Krieg keinesfalls gewonnen werden dürfe. Wolfgang ist dezidiert anderer Meinung und befürchtet bei einem »Sieg der Bolschewisten« die Vernichtung der christlichen Kultur, woraufhin Klaus als Entgegnung auf drastische Weise seine Erinnerung an die ›Reichspogromnacht‹ schildert: Klaus: »Und was tun wir? Ich höre es noch heute, wie es durch die Straßen der Stadt stampfte und klirrte und tobte und wie die Scheiben der jüdischen Geschäfte zersplitterten und wie die Synagoge in Flammen aufging und wie sie den alten Rabbiner am Bart aus dem Fenster gehangen haben, am Bart aus dem Fenster des zweiten Stocks und wie ihm das Blut über den Kaftan geronnen ist und unten die Menge gelacht hat, gelacht und gekreischt und sich die Seiten gehalten hat vor Lachen, Männer wie Frauen, und dann hat sich der Körper von den schütteren Haaren gelöst und ist aufs Pflaster geklatscht und der Pöbel hat gejohlt, und ich, mein Gott, ich bin gestanden wie erstarrt und habe sie nicht an der Gurgel gepackt, diese lachenden Tiere – und das, was sie in Deutschland gemacht haben, machen sie jetzt in Polen und Böhmen und Frankreich und Griechenland und Rußland, in den Wochenschauen kannst du’s sehen, wenn du Augen im Kopf hast, in den Illustrierten kannst du’s betrachten – und das darf einfach nicht die Welt beherrschen, der Teufel darf nicht allmächtig sein!«2035

Doch Wolfgang bleibt bei der Meinung, dass erst nach einem Sieg über den Kommunismus gehandelt werden könne: »Ja, die Nazis lästern Gott, aber sie lassen doch wenigstens die Kirchen offen […] und wir können Mozart hören und Shakespeare sehen und Schiller«; mit dem Kommunismus sei »das doch alles verloren«.2036 Nachdem Klaus in einem Laden einen Vervielfältigungsapparat sieht, beginnt er Flugblätter zu verfassen und leiht sich von Peter Geld, um das Gerät zu kaufen. Er verschickt die Schriften an Akademiker in der Stadt, auch an seine Freunde und Professor Muri. Peter erfasst schnell, wer der Verfasser ist und schließt sich Klaus aus eigener Initiative an. Wolfgang und Agnes entdecken die Verfasserschaft Hans’ – ähnlich wie Sophie Scholl in Inge Scholls Darstellung – durch ein Zitat aus einem Buch Lao-Tses. Während Agnes sofort auf ihre Mitwirkung an der Aktion besteht (»›Sie werden die Schwester vom Bruder nicht trennen‹«2037), 2033 2034 2035 2036 2037

Ebd., S. 46. Ebd., S. 8. Ebd., S. 9–11. Ebd., S. 10–11. Ebd., S. 33.

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gerät Wolfgang in innere Konflikte (»Aber vorn fallen die Kameraden«2038) und beteiligt sich zunächst nicht. Bei einer Zusammenkunft mit dem Maler Ecke berichtet dieser von Massenerschießungen, die er in Polen mitansehen musste: »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, auf einem Spaziergang im Wald draußen vor der Stadt – sie haben sie wie Vieh zusammengetrieben – SS, junge Burschen, sie stanken nach Schnaps und lachten und machten Witze – und dann mußten sie sich alle ausziehen, Männer, Frauen, Kinder, selbst den Säuglingen hat man das Fetzchen Leinwand vom Leib gerissen und dann hat man sie an den Rand einer Schlucht geführt und dort aufgestellt und – [«]2039

Dieser Bericht motiviert bei Klaus die programmatische Schlussfolgerung: »Alles andere ist eine Alternative! Und wenn es der Kommunismus wäre! Teuflischer kann nichts mehr sein!«2040 Klaus, Peter und Wolfgang werden zur Famulatur nach Russland abkommandiert und feiern im Atelier eine Abschiedsfeier, zu der sie Professor Muri einladen. Bei dieser Gelegenheit werden Eckes Erlebnisse erneut diskutiert. Muri verwahrt sich dagegen, »daß dieses Gesindel mit unserer Wehrmacht gleichgesetzt wird, die einen honorigen Krieg führt« und verharrt auf seiner Position, »mit der Wehrmacht gegen die SS muß die Losung sein«, man sei sich doch einig, dass der »Bolschwismus der Hauptfeind ist«.2041 Klaus, Peter und Agnes bekräftigen, der »Hauptfeind« sei die »braune Pest«, Wolfgang gerät zwar ins Zweifeln, zeigt sich jedoch wie auch Ecke in dieser Frage unentschlossen.2042 Wie im Expos8 katalysiert der Russlandeinsatz den weiteren Einstellungswandel. Bereits auf dem Weg an die Front hält der Zug zum Einsatzgebiet in der Nähe von Treblinka an und Klaus, Peter und Wolfgang sehen »Frauen und Mädchen mit geschorenen Haaren und dem Davidstern auf der Brust« beim Gleisbau.2043 Hiermit wird die auch hier anschließende Episode von Hans’ Geste an eine jüdische Zwangsarbeiterin abgewandelt und in einen expliziten Bezug zur Judenverfolgung und auch -vernichtung gesetzt, indem die neu eingeführte Figur der Aufseherin sich der Blume und der Schokolade bemächtigt und Klaus gegenüber sagt: »Die bekommt auch, was sie verdient«.2044 Auch weitere in der Grundstruktur aus dem Expos8 beibehaltene Erzählstränge sind abgewandelt, insbesondere der Kontakt zu der jungen Partisanin aus Minsk, die Klaus und 2038 2039 2040 2041 2042 2043 2044

Ebd., S. 32. Ebd., S. 33–34. Ebd., S. 34. Ebd., S. 38. Ebd., S. 39. Ebd., S. 44. Ebd., S. 45.

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Peter zum Übertritt auffordert. Ihr auch im Expos8 entworfener Bericht über Verbrechen der Besatzer ist in der Treatment-Version handschriftlich geändert: »Und dann hing man die Männer an die Balkone und dann trieb man die Frauen in die Zwangsarbeit [im Folgenden handschriftlich überschrieben:] SS alle Juden zusammen: Männer, Frauen, Kinder, Greise – wo sind sie geblieben?«2045

Unter dem Eindruck der Erlebnisse in Russland meinen Peter und Klaus, Wolfgang nun einweihen und überzeugen zu können, dass »dieser Greuel von Krieg, dieses Völkerschlachten […] um jeden Preis ein Ende finden« müsse, doch ist dieser nach einem Partisanenangriff auf die eigene Einheit »genau zum entgegengesetzten Resultat« gekommen: »Ja, die Greuel müßten beendet werden, sagt Wolfgang hart, aber mit einem deutschen Sieg.«2046 Kurz vor ihrer Abreise wird er jedoch Zeuge, wie die Minsker Studentin nach einem Partisanenangriff auf seine Einheit in einer Racheaktion erhängt wird. Auf der Rückfahrt fährt ihr Zug erneut an Treblinka vorbei, wo Wolfgang einen Fleischgeruch bemerkt: Sie sind an der Stelle, wo einst die Mädchen das Gleis bauten. Nun ist es längst fertig und strebt straks den Rauchsäulen zu. Wolfgang, Peter und Klaus starren einander mit Entsetzen an. Wolfgang beginnt es zu würgen.2047

Daraufhin werden Erinnerungsbilder Wolfgangs eingeblendet, wie er auf einer Wanderung in der Nähe eines Krematoriums von Euthanasiemaßnahmen erfuhr. Peter entsinnt sich der Erzählung Eckes und Klaus erinnert sich, wie in der Kirche ein Prediger die Frage gestellt hat, die Reichsregierung müsse klipp und klar sagen, ob es wirklich wahr sei, was man sich im Volk zuflüstere: Daß Alte und Kranke als minderwertiges Leben vernichtet würden [im Folgenden handschriftlich ersetzt:] [an] die Worte des Mädchens: »Und dann hat SS alle Juden zusammengetrieben […] – Wo sind sind sie geblieben? Kain, wo ist dein Bruder Abel?«2048

Der Anblick der Rauchsäulen von Treblinka und der Geruch der Leichenverbrennungen führen zum Einstellungswandel Wolfgangs, der sich übergibt und zu Peter sagt: »Man muß diese Pest ausbrennen!«.2049 Bemerkenswert im Vergleich des Treatments gegenüber dem Expos8 ist, dass Antisemitismus sowie Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden nun den entscheidenden Auslöser der Wandlungsprozesse der Figuren darstellen und zwar sowohl in Bezug auf den Bruch mit dem Nationalsozialismus als auch 2045 2046 2047 2048 2049

Ebd., S. 54. Ebd., S. 62. Ebd., S. 65. Ebd., S. 66. Ebd., S. 6.

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auf die Einstellung zum Kommunismus. Dabei werden Konstruktionen von Zeugenschaft und Bilder aufgerufen, die in der Forschung meist einem sich nach 1979 in der Bundesrepublik ausbildenden ›Auschwitz-Gedächtnis‹ zugeschrieben werden, wobei Fühmann auch die Täterseite einblendet und die Beteiligung der Wehrmacht an Kriegsverbrechen und Völkermord hervorhebt. Die Beteiligung an diesen Verbrechen ist dabei durchaus eine Frage der persönlichen Entscheidung und keineswegs alternativlos, wie der im Expos8 erwogene und im Treatment tatsächlich vollzogene Selbstmord des jüngeren Bruders der Hauptfigur aufzeigt. Damit beginnt Fühmanns »Nachdenken über Auschwitz in der DDR« nicht erst in den 1970er-Jahren, wie es Irmgard Wagener darstellt.2050 Dass sich Fühmanns Filmentwurf des Treatments in Spannungslinien zum offiziellen Geschichtsdiskurs begibt, ist jedoch nicht der Grund für den Abbruch des Projekts. Noch vor Beendigung der Arbeit erhält Fühmann eine verspätete Antwort Robert Scholls: Wegen ihres Filmplanes konnte ich nicht ohne Rücksprache mit den Hinterbliebenen der anderen Beteiligten an der Aktion »Weisse Rose« entscheiden. Nun haben wir bisher alle die etwa 10 Projekte über einen Film »Die Weisse Rose« in den vergangenen 15 Jahre[sic] abgelehnt, wobei hauptsächlich der Gedanke vorherrschte, dass die Toten nicht mehr sie selbst wären, sobald sie einmal durch andere Gestalten im Film erschienen. So muss ich nach Rücksprache mit den Mitbetroffenen auch Ihnen für Ihren Plan eine Absage erteilen. Ich bitte Sie um Verständnis für diese Entscheidung, wobei ich Ihnen für Ihren guten Willen und Ihre Gesinnung für die Sache bestens danke.2051

Fühmann sendete Scholls Brief mit dem kurz nach Silvester fertiggestellten »gegenüber dem Expos8 vollkommen verändert[en]« Treatment an den DEFAChefdramaturgen Werner Beck mit der Bitte nach einer »ersten Aussprache«, »wo wir noch nicht ins Detail gehen wollen, sondern uns zunächst ein grundsätzliches Urteil bilden möchten«.2052 Am 24. Januar vermerkte Fühmann in seinem Tagebuch: »WR abbrechen«.2053 Tagebucheintragungen in den Monaten Dezember und Januar deuten auch auf künstlerische Probleme und Unzufriedenheit mit dem Ergebnis des Treatments hin. Dass Fühmann mehr als ein Jahr lang an einem Film zur Weißen Rose gearbeitet hatte, erwähnte er nicht, als ihm 15 Jahre später der Geschwister-Scholl2050 Siehe Irmgard Wagener: Nachdenken über Auschwitz in der DDR: Franz Fühmann. In: Brigitta Huhnke, Björn Krondorfer (Hrsg.): Das Vermächtnis annehmen. Kulturelle und biographische Zugänge zum Holocaust – Beiträge aus den USA und Deutschland. Gießen: Psychosozial-Verlag 2002, S. 199–216, S. 216. 2051 Robert Scholl: Brief an Franz Fühmann, 08. 12. 1966. In: IfZ, ED 474 (6). 2052 Franz Fühmann: Brief an Werner Beck, Januar 1967. In: SAdK Franz-Fühmann-Archiv (202). 2053 Franz Fühmann: Tagebuch 1967. In: SAdK Franz-Fühmann-Archiv (1326).

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Preis verliehen wurde. Das im Treatment von 1966 zentrale Motiv : »Ein Urlauberzug, eine Säule Qualm, und ein merkwürdig beißender Geruch«2054 wird in seiner Dankesrede nun auf Auschwitz bezogen.2055 Es bildet den Ausgangspunkt für Reflexionen, wie er sich, damals im gleichen Alter wie die Geschwister Scholl, »vor diesen Flugblättern verhalten« hätte: Ich weiß es nicht; ich sage das nicht als Ausflucht. Diese Frage ist nicht beantwortbar. Bei ähnlichen sind Kalküle möglich, und es ist nützlich, sie zu vollziehen. Ich habe, um aus meiner Vergangenheit zu finden, in einem Buch die Frage gestellt, wie ich mich verhalten hätte, wenn ich nach der Annexion des Sudetengebietes der Allgemeinen SS beigetreten, nach dem Abitur von der Waffen-SS übernommen und später nach Auschwitz kommandiert worden wäre, und ich bin zu der Antwort gekommen, daß ich kein Recht habe, mir das Privileg einer anderen Haltung zu konzedieren, als eben der Haltung von damals meinesgleichen, der verwilderten Nazijungen, und das heißt letztlich: auch jener vor den Gaskammern und Öfen…2056

Die Verleihung dieses »moralische[n] Preis[es]« durch »erklärte Gegner des Sozialismus« an ihn als zwar mit seinem Staat in Dissens stehenden, aber dennoch bekennenden Bürger der DDR »aus freiem Willen, in freier Entscheidung, auf Grund meines Nachdenkens über Auschwitz, und aus diesem Grund als Sozialist«, führt ihn zur Frage des Verbindenden im »Medium des Moralischen«:2057 Hans Scholl ist zu seiner Flugblattaktion nicht zuletzt aus dem Bedürfnis gedrängt worden, unter den Stimmen des Widerstands, die bis dahin zumeist aus der Arbeiterklasse, aus dem sozialistischen und kommunistischen Lager sich erhoben, auch die von Christen vernehmbar zu machen […], nicht in aufsplitternder Gegnerschaft zu einem anderen Widerstandsbekenntnis, sondern im Bündnis und im Bund mit ihm.2058

Das »verbindende Vermächtnis« der Weißen Rose besteht für ihn vor dem Hintergrund einer individuellen und kollektiven Verantwortung im Zeichen von Auschwitz in einer gegenseitigen Anerkennung des Willens, »nicht dem Bösen verpflichtet zu sein«, als Grundlage für Vertrauensbildung und Verständigung zwischen beiden deutschen Staaten.2059 In diesem letzten Punkt besteht die eigentliche Veränderung gegenüber Fühmanns Nachdenken über Auschwitz und das Vermächtnis des Widerstands Mitte der 1960er-Jahre. 2054 Franz Fühmann: Wahrheit und Würde, Scham und Schuld. In: Süddeutsche Zeitung, 23. 11. 1982, S. 25, Spalte 1. 2055 Das Bild der Rauchsäule findet sich auch in Die heute über 40 sind, Prignitz, Anm. 1990, S. 461–462. 2056 Fühmann, Anm. 2054, Spalte 2. 2057 Ebd., Spalte 5. 2058 Ebd. 2059 Ebd.

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V.2.4 ›Christliche Vereinnahmung‹? Klaus Drobischs Dokumentation Wir schweigen nicht im Kontext des Union-Verlags Mit Klaus Drobischs Buch erschien im Frühjahr 1968 in einer ersten Auflage mit 10.000 Exemplaren im Union-Verlag der CDU die erste populärwissenschaftliche Monografie zur Weißen Rose in der DDR. Die Geschichte des Union-Verlags ist in zuweilen auch reibungsvoller Verzahnung mit der Geschichte der DDR-CDU zu sehen, die 1952 ihre bezüglich der SED untergeordnete Rolle auch programmatisch festschrieb.2060 Bereits mit der Zulassung der CDU durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) wurde im Juli 1945 der Union-Verlag zunächst als Zeitungsverlag gegründet. 1950 kam eine Lizenz zur Buchproduktion hinzu, um durch die Herausgabe politischer und christlich-humanistischer Literatur die Transmissionsaufgabe der CDU zwischen Staat und christlich-bürgerlichen Bevölkerungsschichten effektiver zu unterstützen.2061 Die dahingehende Funktion des Verlags illustriert die Einschätzung des Themenplans für das Jahr 1968 durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen: Das Profil dieses Verlages ergibt sich aus der politischen Stellung der CDU im System der gesellschaftlichen Kräfte der DDR, durch die Einbeziehung der christlichen Bevölkerungsteile in den sozialistischen Aufbau, zur Festigung der politisch-moralischen Einheit beizutragen. Das Programm 1968 entspricht dieser Zielsetzung.2062

Da der Verlag den kirchlichen Verlagen zugeordnet worden war, hatte er mit einer verschärften Zensur und ökonomischen Restriktionen zu kämpfen. Projekte des Union-Verlags wurden vom Verlag entsprechend seines Profils geplant und gerechtfertigt (verlagsinterne Steuerung), vom CDU-Hauptvorstand, oft in Absprache mit dem ZK der SED bestätigt (parteipolitische Steuerung) und der zuständigen Stelle der HV Verlage und Buchhandel des Ministeriums für Kultur vorgelegt (staatliche Steuerung),2063 in deren Entscheidung Stellungnahmen weiterer staatlicher Stellen, insbesondere des Staatssekretariats für Kirchenfragen, eingingen. 2060 Siehe Siegfried Sockut: Geschichte und Funktion der Blockparteien in der SBZ/DDR. In: Rainer Eppelmann (Hrsg.): Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung. Paderborn: Schöningh 2003, S. 93–99. 2061 Gunda Beuthien: Der Union-Verlag der Ost-CDU. Entstehung und Entwicklung des Verlages bis in die 1960er Jahre unter Berücksichtigung seiner Beziehungen zu den Verlagen Koehler& Amelang und Wolfgang Jess. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 10 (2000), S. 249–342, S. 255–258. 2062 Horst Dohle: Vermerk des wissenschaftlichen Mitarbeiters für den Staatssekretär [zu Produktionsplänen der CDU-Verlage]. Abt. Evang. Kirchen des Staatssekretärs für Kirchenfragen, 01. 06. 1967. In: DO 4 (1627). 2063 Siehe Beuthien, Anm. 2061, S. 267–275, 298–304, 316–322. Eine über 1961 hinausgehende verlagsgeschichtliche Arbeit steht aus.

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Wir schweigen nicht war nicht das erste Buch des Verlags zum Thema Widerstand. 1955 war Karl Fischers Band Christlicher Widerstand gegen den Faschismus in der Reihe Bibliothek der CDU erschienen, 1966 Reimund Schnabels Die Frommen in der Hölle. Geistliche in Dachau und 1967 mit Kurt Finkers Stauffenberg und der 20. Juli die erste Monographie zum 20. Juli 1944 in der DDR. Lektor Gustav Erdmann begründete im Verlagsgutachten letzteres Projekt ganz im Sinne des Verlagsprofils: So kann diese Arbeit das Geschichtsbild christlicher Bürger der DDR, in dem ja die Elemente des Kreises um den 20. Juli – so oder so – eine außerordentlich bedeutungsvolle Rolle spielen, im Sinne der (vom Autor immer wieder als Maßstab angesetzten) »Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung« positiv verändern und zugunsten der praktischen Wahrnehmung der gemeinsamen humanistischen Verantwortung beeinflussen.2064

Durch Finkers Stauffenberg-Biographie war der Verlag auch in Kontakt zu Klaus Drobisch gekommen, der diese als Außengutachter für die HV Verlage befürwortet hatte.2065 In der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre beschäftigte Drobisch sich verstärkt mit dem bürgerlichen und christlichen Widerstand und erstellte vermutlich 1967 eine Materialstudie über die kleinbürgerliche und bürgerliche Opposition in Deutschland 1939–1945 für den Verlag der Nation.2066 In seinem Gutachten zu Finkers Stauffenberg-Biografie bemerkte er, dass Stauffenbergs »wesentlicher Antrieb nicht Christentum, sondern Humanismus« gewesen sei; Finker solle »überlegen, ob er die von ihm ausgebreiteten Tatsachen ähnlich interpretieren kann«.2067 Bei den im Folgejahr vorgelegten Gutachten zu seinem eigenen Buch wird dagegen gerade die christliche Dimension betont. 2064 Gustav Erdmann: Verlagsgutachten zu Kurt Finker : Stauffenberg, o.D. [1967]. In: BArch, DR 1 (2425). 2065 Drobisch war seit 1958 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften. Seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen vor 1968 befassten sich u. a. mit dem Widerstand im Konzentrationslager Buchenwald (1962, 1963) und der Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte im Flick-Konzern während des Zweiten Weltkrieges (1964, Promotion A). Siehe Mertens, Anm. 1948, S. 188–189. 2066 Klaus Drobisch: Materialstudie über die kleinbürgerliche und bürgerliche Opposition in Deutschland 1939–1945. Typoskript, 125 Seiten, [1967]. In: BArch-SAPMO, DY 17 (2086). In diesem Manuskript finden sich kritische Einschätzungen bezüglich irrationalen Gedankenguts der Flugblätter der Weißen Rose sowie des bürgerlichen Widerstands insgesamt: »Typisch war bei den bürgerlichen Kreisen das geringe Interesse, mit der organisierten Widerstandsbewegung zu kooperieren, da sie ihre Vorbehalte gegenüber den [sic] Kommunismus nicht überwinden konnten. Insgesamt erhärtet der Überblick unsere These, daß die Widerstandsbewegung unter Führung der KPD den ausschlaggebenden Anteil am antifaschistischen Kampf in Deutschland hatte, wobei sie sich auf eine relativ breite, ständig zunehmende Mißstimmung im deutschen Volk stützen konnte und in deren objektiven Interesse handelte.« (Zusammenfassung, Punkt III). 2067 Klaus Drobisch: Gutachten über das Manuskript von Prof. Dr. Kurt Finker : Stauffenberg, 29. 03. 1967. In: BArch DR 1 (2425).

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Im Verlagsgutachten schildert der damalige Cheflektor des Verlags, Günter Wirth, das Zustandekommen des Bandes, der zunächst für die Reihe Christ in der Welt geplant worden war, nachdem eine Leserumfrage ein Heft über die Geschwister Scholl als einen der meistgeäußerten Wünsche ergeben hatte. Der 25. Jahrestag der Ermordung der Geschwister Scholl biete einen »geeignete[n] Zeitpunkt für die Erfüllung dieses Wunsches«; mit Klaus Drobisch von der Akademie der Wissenschaften sei ein ausgewiesener »Spezialist des bürgerlichen Widerstandes« für dieses Projekt gewonnen worden.2068 Wirth betont, dass der Autor »entsprechend dem Profil des Verlages« die »weltanschaulichen Positionen der Geschwister Scholl und ihrer Freunde« herausgearbeitet habe, indem er aufzeige, »in welchem Ausmaß die Geschwister Scholl christlichen Vorstellungen anhingen«.2069 Walter Bredendiek vom Hauptvorstand der CDU ergänzt, dass das Manuskript Drobischs die Lücke fülle, den Widerstand des Kreises um die Geschwister Scholl nach politisch-ideologischen Kriterien zu bewerten. Dies gelänge, indem die »weitgehende Annäherung an Positionen, wie sie von der KPD und vom NKFD vertreten wurden«, sowie die »politische Entscheidung für ein Aktionsbündnis aller humanistischen Deutschen zum Sturz Hitlers bewußt aus christlicher Verantwortung« belegt werde.2070 Bei der Bewertung des Produktionsplans des Verlages, der den Titel unter der Rubrik »Politische Literatur / Literatur des Hauptvorstands der CDU« als »Schwerpunkttitel für die politische und kirchenpolitische Aussage« benennt,2071 meldete Horst Dohle vom Staatssekretariat für Kirchenfragen antizipativ Bedenken an: [Zu dem Titel ist] allerdings zu bemerken, daß diese Arbeit eines marxistischen Historikers nicht die Tendenz unterstützt, den Widerstandskampf der Geschwister Scholl ›christlich zu vereinnahmen‹. Das Ministerium für Kultur sollte prüfen, ob die Aufnahme dieses Titels mit der Partei abgesprochen ist.2072

Über das vorgelegte Programm hinaus sei dem Union-Verlag »allerdings dringend zu empfehlen, die politische Aussagekraft seiner Produktion wesentlich zu erhöhen«.2073 Das Projekt zu den Geschwistern Scholl hatte für den Verlag demnach strategische Bedeutung, weshalb wirtschaftliche Aspekte in den Hintergrund traten. Es war entsprechend der Reihe »Christ in der Welt« als biografische Skizze in den 2068 Günter Wirth: Verlagsgutachten zu Klaus Drobisch: Wir schweigen nicht, 08. 06. 1967. In: BArch, DR 1 (2426). 2069 Ebd. 2070 Walter Bredendiek: Gutachten zu Drobisch: Wir schweigen nicht, Typoskript 4 Seiten, o.D. [1967]. In: BArch DR 1 (2426). 2071 Dohle, Anm. 2062. 2072 Ebd. 2073 Ebd.

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Plan aufgenommen worden und der Verkaufspreis daher für eine wesentlich geringere Seitenzahl kalkuliert worden.2074 Durch die Veröffentlichung des auch in der Bundesrepublik noch unbekannten Materials aus dem Zentralen Parteiarchiv der SED im IML versprachen sich Autor und Verlag einen symbolischen Gewinn, da eine Dokumentation vorgelegt werden könne, »die bisher auf dem Büchermarkt der DDR fehlte«.2075 Die Form der Dokumentation ermöglichte es dem Verlag, den Anspruch zu formulieren, gemäß seines Profils zur Vermittlung des offiziellen Geschichtsbilds beizutragen und hierbei zugleich das historische Blickfeld auf den Widerstand in der DDR zu erweitern, wie dies bereits bei den vorangegangenen Publikationen der Autoren Schnabel und Finker gelang. Dies entsprach ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre offensichtlich einer offiziellen Nachfrage, die sich in den folgenden Jahren fortsetzte und vom Verlag insbesondere in Zusammenarbeit mit Klaus Drobisch bedient wurde. 1972 erschienen Ruth Andreas-Friedrichs Tagebuchaufzeichnungen Der Schattenmann mit einem Nachwort von Drobisch, 1973 Christen im Nationalkomitee »Freies Deutschland« herausgegeben von Drobisch und 1980 Ihr Gewissen gebot es: Christen im Widerstand gegen den Hitlerfaschismus herausgegeben und zusammengestellt von Drobisch und Gerhard Fischer. Auch bei diesen beiden Titeln handelt es sich um Dokumentationen. In einem Vermerk der HV Verlage zum Themenplan des Verlags 1980 werden die Titel Drobischs und Finkers als Vorbilder genannt und auf die Kritik des Verlags, die marxistische Geschichtsschreibung habe sich ungenügend mit der Vielfalt des Widerstands befasst, erwidert, der Verlag brauche »eine Konzeption, die u. a. die Arbeiten von Theologen zum Kirchenkampf einbezieht«.2076 Die Analyse des Veröffentlichungskontexts der ersten populärwissenschaftlich angelegten Monographie zur Weißen Rose zeigt also, dass diese in einem sich in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre verstärkenden Komplex von Bemühungen um christliche und bürgerliche Zielgruppen zu verorten ist. Wir schweigen nicht erschien 1968 nicht, wie geplant, pünktlich zum Jahrestag, jedoch wurde die biografische Skizze in der FDJ-Studentenzeitung Forum im Februar vorab veröffentlicht.2077 Das Buch wurde aufwändig ausgestattet und leinengebunden. Auf dem schwarzen Schutzumschlag befinden sich unterhalb des Titels zwei spiegelbildlich angeordnete private Profilaufnahmen von Hans und Sophie Scholl. Das Buch wird im Klappentext als »Dokumentation« bezeichnet, »eingeleitet durch eine biographische Skizze«. Diese Klassifizierung, 2074 Mündliche Auskunft von Klaus Drobisch an den Verfasser vom 20. 09. 2009. 2075 Wirth, Anm. 2068. 2076 Abt Wissenschaftliche Fachliteratur HV Verlage und Buchhandel: Materialien zu den Themenplänen 1980 der CDU-Verlage und Kirchenverlage in der DDR. In: BArch DR 1 (2055). 2077 Klaus Drobisch: Wir schweigen nicht! In: Forum (1968), Nr. 4, S. 9–11.

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die die Dokumentationsfunktion stärker als die der Darstellung betont, verweist auch auf die paratextuelle Funktion der biografischen Skizze, die gut ein Drittel des Umfangs ausmacht. Der Text ist im Präsens in klarer und einfacher Sprache geschrieben und mit mindestens einer Zwischenüberschrift pro Doppelseite versehen, welche die Aufmerksamkeit des Lesers steuert. Die ersten dieser Gliederungspunkte lauten »Demagogische Fragen«, »Klare Antwort«, »Unbeschwerte Kindheit«, »Jugend unterm Hakenkreuz«, »Widersprüche«, »Zweifel«. Vor den Abschnitten »Verhaftung«, »Prozess«, »Hinrichtung« und »Neue Verfahren« sind Portraits der hingerichteten Protagonisten eingefügt. Den Abschluss bilden »Die ungebrochene ›Weiße Rose‹«, »Widerhall«, »Lebendiges Erbe«. Die Zwischenüberschriften zeigen somit den chronologischen, der Biografie folgenden Aufbau des Textes, aber auch die Konstruktion einer Kontinuität zwischen dem Widerstand der Gruppe und der DDR bis in die Gegenwart, wie sie auch die Inhaltsangabe auf der Umschlagseite betont, die in gereihten Nebensätzen gleichsam einen Überblick über die wichtigsten Deutungen bietet: »Wir schweigen nicht« – so schließt das vierte Flugblatt der »Weißen Rose«. Das Wort gilt ebenso für jenen Ausruf, den zwei Studenten am 18. Februar 1943 in den Lichthof der Münchener Universität werfen. Vier Tage darauf stehen sie vor den Nazihenkern: Hans und Sophie Scholl. Werdegang, Wollen und Wirken des Geschwisterpaares, ihrer Freunde und Weggefährten sind erstmals in einem Buch gründlich und umfassend dokumentiert. Neu erschlossene Tatsachen und Quellen, zum Teil ebenfalls erstmalig im Wortlaut gewürdigt, ermöglichen Einblicke in Denken und Handeln des Münchener Studentenkreises und in die Wirkung seines Vorbildes. Sie erhellen, daß die Geschwister Scholl nicht allein standen, daß sie sich – gerade als junge Christen – entschieden gegen den Antikommunismus aussprachen, daß sie mit ihren politisch-sozialen Zielen zur antifaschistischen Front gehörten, die ein neues Deutschland erstrebte, daß ihre Tat und ihr Opfer bei Nazigegnern in Deutschland und im Ausland ein großes Echo fanden, daß in der DDR und besonders von deren jungen Bürgern achtungsvoll der Geschwister Scholl und ihrer Freunde gedacht, ihr Vermächtnis aufgenommen und ihr Kampf fortgeführt wird.2078

Gerade in den biografischen Episoden folgt Drobischs Darstellung der Inge Scholls in Die weiße Rose, wobei er Kernepisoden oft eng nacherzählt, aber auch ergänzt. So übernimmt er bei der Schilderung des Abschiedsabends wörtlich die von Inge Aicher-Scholl konstruierten Dialoge, ergänzt aber im Widerspruch zu ihrer Version, dass Huber und andere Teilnehmer das Atelier »[g]egen 23 Uhr« verlassen haben und dann der Entschluss gefasst worden sei, die »›Weiße Rose‹ 2078 Drobisch, Anm. 165, Umschlag, Innenseite.

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voll erblühen« zu lassen.2079 Dies ist auch im Zusammenhang damit zu sehen, dass Huber zwar nicht explizit negativ gewertet, aber durch dessen Aussage gegenüber seinem Verteidiger, er sei »eigentlich kein Feind des Nationalsozialismus«, in kritisches Licht gerückt wird, wobei Drobisch hinzufügt: »Prof. Dr. Hubers politische Äußerungen rufen im Studentenkreis Zustimmung und Ablehnung hervor.«2080 Auch die Episode von Hilfeleistungen von Hans Scholl an jüdische Zwangsarbeiter wird nacherzählt und ergänzt, wobei Änderungen sprachlicher und inhaltlicher Art auffallen: Während der zehntägigen Fahrt an die deutsch-sowjetische Front steckt Hans Scholl einer jungen Polin [! C.E.], die mit anderen beim Gleisbau schuften muß, seine eiserne Ration zu und legt ihr eine Margerite auf das Päckchen. Die abwehrende Gebärde überwindet er mit einem Lächeln und den Worten: »Ich hätte Ihnen so gerne eine kleine Freude gemacht.« Aus dem anfahrenden Zug sieht er, wie sich das Mädchen aufrichtet und dem Transport nachblickt, die Blume im Haar. Einem jüdischen Greis, der sich zur Zwangsarbeit schleppt, drückt Scholl seinen Tabaksbeutel in die Hand. Schmorell kommt beinahe vor ein Kriegsgericht, weil er einen Wachtposten zur Rede stellt, der einen sowjetischen Kriegsgefangenen wegen einer nichtigen Sache blutig schlägt. Kleine Gesten sind es, Beweise für Mitgefühl und Menschlichkeit.2081

Weitere wichtige Intertexte, gerade in Bezug auf die Darstellung der Zeit an der »Front«, sind die von Vielhaber herausgegebene Dokumentation Gewalt und Gewissen und die Aufsätze Jahnkes. Dabei synchronisiert Drobisch die in Jahnkes verschiedenen Aufsätzen durchaus unterschiedlichen Deutungsmuster der Überwindung des Antikommunismus. Auch die Dimension des Glaubens wird – stets verbunden mit humanistischen Idealen – an verschiedenen Stellen stark betont, indem beispielsweise Hans Scholls »Eindringen in die Gedanken der antiken Philosophen und der Klassiker, in den Sinngehalt echten Christentums« neben den »Einflüsse[n] des Vaters« als Teil seines Reifeprozesses beschrieben oder Sophie Scholl als »von humanistischen Idealen und christlichem Geist erfüllt« bezeichnet wird.2082 Drobischs Darstellung zeichnet sich insgesamt durch eine Verbindung verschiedener Deutungsmuster aus, was auch der Dokumentenanhang reflektiert, auf den im Text an wichtigen Stellen verwiesen wird. Bei acht Dokumenten handelt es sich um Nachdrucke aus bundesrepublikanischen Verlagen, bei denen Rechte zum Nachdruck angefragt werden mussten. Die Justizdokumente aus dem zentralen Parteiarchiv der SED sind zum Großteil erstmals veröffent2079 2080 2081 2082

Ebd., S. 23–24. Ebd., S. 17–18. Ebd., S. 24. Ebd., S. 11.

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licht. Die zum Teil mit signifikanten Kürzungen und veränderten Titeln abgedruckten Dokumente sind in der den Verweisen entsprechenden Reihenfolge angeordnet und umfassen:2083 – Tagebuchnotizen Willi Grafs aus den Jahren 1942 und 1943, – die sechs Flugblätter, – Berichte von Oskar Neumann und Richard Scheringer, – Abschiedsbriefe Christoph Probsts, Willi Grafs und Alexander Schmorells, – die Notizen Prof. Dr. Kurt Hubers für das Schlusswort vor dem Volksgerichtshof, – die Urteilsschriften aller Prozesse (auch des Hamburger Prozesses), – Karl Alts »Erinnerungen an die letzte Stunde der Geschwister Scholl«, – Erinnerungsberichte von Mitstudentinnen, – Tagebuchaufzeichnungen Ruth Andreas-Friedrichs, – eine »Würdigung« der FDJ-Organisation in London im Frühjahr 1943, – Auszüge aus Thomas Manns Rundfunkansprache vom 27. Juli 1943, – das »Gedicht Johannes R. Bechers auf die Geschwister Scholl und Christoph Probst«2084 – den als »Würdigung durch Heinrich Mann aus dem Jahre 1948« bezeichneten Text Widerstehe dem Übel.2085 Auf den an verschiedenen Stellen eingefügten Fotoseiten sind zusätzlich zu den Dokumenten im Anhang Portraits der hingerichteten Mitglieder der Weißen Rose und Faksimiles der Flugblätter abgedruckt, der Gästebucheintrag Werner Scholls im Gästebuch der Familie Scheringer, Fotos einer Kranzniederlegung der Jenaer Studenten in München, Szenenbilder und ein Faksimile der Partitur der 1967 in Dresden uraufgeführten Oper Die weiße Rose von Udo Zimmermann und ein Foto Robert Scholls auf dem CDU-Parteitag 1954 in Weimar. Trotz Paratexten und Kürzungen lässt die Auswahl der Dokumente verschiedene Lesarten und Verwendungen des Bandes durch unterschiedliche Lesergruppen zu. Dieses Prinzip lässt sich auch an anderen in den Verlagen der Blockparteien erschienenen Titeln beobachten. Es scheint auch ein Grund dafür zu sein, dass der Titel zwar für einen Preis zur Förderung der populärwissenschaftlichen Literatur vorgeschlagen wird, aber lediglich eine lobende Erwähnung erhält. Im Gutachten der Jury wird positiv vermerkt, das Buch zeige, »daß 2083 Siehe Drobisch, Anm. 165, S. 63–186. 2084 Siehe Kapitel III.1.3. 2085 Hierbei handelt es sich um einen in der von Alfred Kantorowicz herausgegebenen Zeitschrift Ost und West erstmals veröffentlichten Text (Heinrich Mann: Widerstehe dem Übel. In: Ost und West 2 (1948), Nr. 7, S. 19–24), in dem Heinrich Mann das »Manifest der Münchener Studenten« weniger als religiöses Opfer, denn als »Opfer der Überzeugten« deutet, zit. nach Drobisch, Anm. 165, S. 185.

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die Christen, die die DDR als ihr Vaterland ansehen, auch gemeinsame Traditionen des Widerstands mit der Arbeiterbewegung haben«.2086 Es wirke daher direkt als Beitrag zum 20. Jahrestag der DDR und das Thema des Buches mache es für die staatsbürgerliche Erziehung der Jugend besonders wertvoll. Am Thema lag es also nicht, dass für den Gutachter das Buch für eine Auszeichnung »nicht in Frage« kommt, da zwar die biografische Skizze eine »populärwissenschaftliche Arbeit im besten Sinne des Wortes« darstelle und für einen breiten Leserkreis geeignet sei, der Dokumententeil jedoch »den Charakter einer wissenschaftlichen Quellenveröffentlichung« besitze und »einer sorgfältigen Auswahl und einer radikalen Kürzung unterzogen werden« müsste.2087 Die Verbindung von Skizze und Dokumentation wird dagegen im wissenschaftlichen Bereich positiv bewertet. Das IML lobt die »enge Verknüpfung von Darstellung und Quellenedition«, die sich durch »wissenschaftliche Akribie« auszeichne, und hebt hervor, dass die »im 5. Band der ›Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung‹ getroffene Einordnung der Widerstandsgruppe ›Weiße Rose‹ […] ausführlich nachgewiesen und bestätigt« werde.2088 In der ZfG schreibt Kurt Pätzold dem Band einen Beitrag zu, Versäumnisse der DDR-Forschung aufzuholen: Daß sich die marxistische Geschichtswissenschaft vergleichsweise so spät in einer eingehenden Untersuchung den seinerzeitigen Vorgängen in München und ihren Beziehungen zu anderen Widerstandsaktionen zugewandt hat, steht in einem bemerkenswerten Widerspruch zu dem hohen Ansehen, das Hans und Sophie Scholl wie ihre Gefährten im Kampf und im Tod in der DDR genießen. […] So erinnert das Erscheinen des Buches von Drobisch zunächst daran, was die marxistische Historiographie bei der Erforschung und Darstellung des antifaschistischen Widerstandskampfes in seiner Breite und Vielfalt noch zu leisten hat und was im besonderen noch getan werden muß.2089

Kritik äußert der Rezensent bezüglich der »wohl zu knappe[n] Kennzeichnung« der »weltanschauliche[n] und ideologische[n] Position« Kurt Hubers und sieht das »Prinzip, nur die Tatsachen selbst sprechen zu lassen« als »gelegentlich« »zu weit getrieben« an.2090 Außerdem bemängelt er, dass die »geistige Welt« der

2086 Ernst Labor : Gutachten für die Jury des 4. Preisausschreibens zur Förderung der populärwissenschaftlichen Literatur, 14. 05. 1968. In: BArch, DR 1 (2426). 2087 Ebd. 2088 Abschrift aus Dokumenten-Dienst Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Ausg. 5/1968. In: ACDP, Bestand Günter Wirth (unverzeichnet). 2089 Kurt Pätzold: Rezension zu Klaus Drobisch: Wir schweigen nicht. In: ZfG 16 (1968), Nr. 12, S. 1622–1624, S. 1622. 2090 Ebd., S. 1623.

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Weißen Rose »klarer vor das Auge des Lesers« hätte »gestellt werden können«, insbesondere […] wäre das bei Hans und Sophia [sic] und ihren Freunden anzutreffende Verständnis des Christentums, dem Gott keine Entschuldigung ist, näher zu untersuchen und jener Auffassung gegenüberzustellen gewesen, die in der evangelischen wie auch in der katholischen Kirche vorherrschte.2091

Und auch was die Darstellung des »lebendigen Erbes« betrifft, sieht Pätzold Ergänzungsbedarf, indem er rhetorisch fragt, ob sich »im Wirken der ›Weißen Rose‹ nicht auch für den sozialistischen Studenten ein Vorbild zur leidenschaftlichen weltanschaulichen Auseinandersetzung und gründlichen Bestimmung der praktisch-politischen Haltung« finden lässt, »eine Mahnung, das als richtig Erkannte auch zu tun und es nicht bei Selbstbekenntnissen zu belassen«, sowie »ein Beispiel kollektiver, durch angestrengteste Arbeit erreichter Verständigung«.2092 Auch die »Verfälschung« des »Erbes« in der Bundesrepublik sollte näher bestimmt werden: »Die Gelegenheit, an einem allgemein interessierenden Gegenstand zu verdeutlichen, was die Totalitarismus-Doktrin ist und wozu sie gebraucht wird, ist ausgelassen.«2093 Der Band wurde breit rezipiert. Es lassen sich Hinweise auf eine konkrete Nutzung des Buches im Geschichts- und Staatsbürgerkundeunterricht2094 sowie in der Pionierarbeit finden. So berichtet eine Lehrerin in einem Leserbrief an die Zeitschrift Glaube und Gewissen über die Schwierigkeit, zur Erfüllung des »Pionierauftrags« mehr über das Leben der Namensgeber ihrer Schule herauszufinden: »Das ist sehr schwierig und trotz emsiger Bemühungen der Kinder und Eltern konnten wir unserer Sammlung noch nicht viel Neues zufügen«.2095 Das habe sich mit der Dokumentation Drobischs geändert. Auch das Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer beantwortete die regelmäßig eingehenden Anfragen nach Material zu den Geschwistern Scholl durch Kollektive (Schulen, Betriebe, Pioniergruppen, Brigaden usw.), die um einen Ehrentitel kämpfen, ein Traditionskabinett oder eine Ausstellung erstellen wollten, meistens mit dem Hinweis auf Drobischs Buch und empfahl Drobisch als Ansprechpartner,2096 1974 sogar einer Schule als Alternative zu einem »persönlichen Zeugen der Geschwister Scholl«, welche diese für »eine festliche 2091 2092 2093 2094

Ebd. Ebd. Ebd. Hans Ohls: Rezension zu Klaus Drobisch, Wir schweigen nicht. In: Geschichtsunterricht und Staatsbürgerkunde 12 (1968). 2095 O. A.: Leserbriefe. In: Glaube und Gewissen (1968), Nr. 2. 2096 Siehe Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer in der Deutschen Demokratischen Republik: Beantwortung von Anfragen bezgl. der Geschwister Scholl. In: BArchSAPMO, DY 57 (1203).

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Veranstaltung« einladen wollte, um ihn »vor den Kindern berichten zu lassen«.2097 Der Band wurde zudem in der Presse breit angekündigt und rezensiert. Oskar K. Rudolph empfiehlt das Buch »für die Erziehung unserer Hochschulkader in jenem Geiste, den das Karl-Marx-Jahr 1968 erheischt«, und lobt: »Wir in der DDR haben mit dieser Publikation den jungen Helden ein würdiges Denkmal gesetzt«.2098 Georg Antosch betont in der CDU-nahen Neuen Zeit die Verwurzelung der Weißen Rose im »christlichen Humanismus« und ihre »progressiven bürgerlichen Einsichten«, bezieht die Veröffentlichung jedoch auch propagandistisch auf Westdeutschland.2099 Des »Historikers warnendes Menetekel« habe sich dort »aber grausam bestätigt« angesichts »neue[r] Blutopfer«: [M]an könnte meinen, der Union-Verlag Berlin habe seinen jüngsten Titel […] als grausig aktuelle Analogie zu den Schüssen auf den Westberliner Studentenführer Rudi Dutschke und zu den Münchner Knüppelschlägen auf seinen Kommilitonen Rüdiger Schreck verstanden wissen wollen.2100

Die aktuellen Ereignisse seien eine Bestätigung für die »Notwendigkeit der Aktionseinheit aller der Unmenschlichkeit widerstehenden Kräfte, die Hans und Sophie Scholl nur zögernd erkannten und zaudernd zu praktizieren suchten«.2101 Im doppelten Sinn zurückhaltender wird Drobischs Buch in der Bundesrepublik zur Kenntnis genommen, wobei seine Anlage als Dokumentation positiv bewertet wird. Alexander Baldaus urteilt in Welt und Wort, diese habe »ihren Wert, obwohl sie weitgehend von ostzonaler Seite erstellt wurde. Tatsachen bleiben eben Tatsachen; und die Auswahl ist keineswegs nur von der heutigen politischen Struktur bestimmt.«2102 Arno Klönne vergleicht indes den Band mit dem Buch von Christian Petry. Drobischs »historisch-erklärende Lektüre der Dokumente«, die die wissenschaftliche Darstellung nicht ersetzen wolle und 2097 Artur Brey, Premnitz an das KAW, 25. 10. 1974, in: BArch-SAPMO DY 57 (1203). In seiner Antwort vom 02. 12. 1974 schrieb das KAW: »Der Aufwand, jemanden ausfindig zu machen, der in der Lage wäre, vor Schülern eindrucksvoll auftreten zu können, wäre unseres Erachtens nach zu gross und, wie wir einschätzen, auch ergebnislos. Dazu kommt, dass wir auch vermeiden sollten, einen Antifaschisten aus der BRD für eine Veranstaltung kleineren Rahmens zu bemühen. […] In der BRD lebt noch die Schwester von Hans und Sophie Scholl, nämlich Inge Scholl. Ihre Adresse ist uns nicht bekannt. Wir möchten Dich bitten, die Verantwortlichen der Schule zu bewegen, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen.« 2098 Oskar K. Rudolph: Den Faschisten ins Gesicht. In: Neues Deutschland, 14. 02. 1968. 2099 Georg Antosch: Das Schweigen durchbrochen. Die »Weiße Rose« in einer Dokumentation des Union-Verlages. In: Neue Zeit, 01. 05. 1968. 2100 Ebd. 2101 Ebd. 2102 Alexander Baldaus: Rezension zu Klaus Drobisch: Wir schweigen nicht. In: Welt und Wort 1968, Nr. 8. Ausschnitt ohne Seitenangabe. In: ACDP, Bestand Günther Wirth, Sammlung »Scholl« (unverzeichnet).

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könne, vermittele »vorerst ein richtigeres Bild der Weißen Rose als vermeintliche Legendenzerstörer dies vermögen«.2103 Drobischs Buch erscheint aufgrund hoher Nachfrage ab 1972 in drei weiteren Auflagen, wobei die Auflagen ab 1977 als veränderte und erweiterte gekennzeichnet sind. Zum 25. Jubiläum des Union-Verlags im Jahr 1970 wird der Titel von Verlagsdirektor Hubert Faensen an zweiter Stelle nach dem Tagebuch der Anne Frank als Beispiel der vom Verlag gepflegten »fortschrittliche[n] Traditionslinie« der CDU hervorgehoben.2104 Nachdem Mitte der 1980er-Jahre in der Evangelischen Verlagsanstalt Inge Scholls Die weiße Rose und die von Inge Jens herausgegebenen Briefe und Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl erschienen, wurde der Titel nicht mehr nachgedruckt.2105

V.2.5 »Märtyrer gegen Krieg und Völkermord« – Dynamiken in Gedenkbezügen in der DDR-Presse der 1970er- und 1980er-Jahre Tendenzen einer verstärkt christlichen Verortung der Weißen Rose ab der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre, die sich in der Untersuchung der Diskurse in verschiedenen Veröffentlichungskontexten der in der DDR erschienenen Bücher zur Weißen Rose zeigen, bestätigt auch ein Blick auf die Entwicklung von Weiße Rose-Bezügen in Pressediskursen in der DDR. Nach 1968 und bis etwa 1981 erschienen einschlägige Artikel ausschließlich in der CDU-Tageszeitung Neue Zeit, während die Berliner Zeitung und das Neue Deutschland die Jahrestage lediglich in ADN-Meldungen über antifaschistische Gedenkfeiern in München berücksichtigten. Lediglich zum 30. Jahrestag 1973 erschien im Neuen Deutschland ein redaktioneller Text über die Gedenkfeier an der Universität Jena.2106 Die Neue Zeit, welche in einem Artikel zum Jahrestag die Weiße Rose als »christliche Widerstandsgruppe unter Leitung der Geschwister Scholl«2107 bezeichnet, berichtete dagegen ausführlich über eine andere dem Gedenken der Geschwister Scholl gewidmete Versammlung, welche die vor allem aus Theologen und Pfarrern bestehenden Arbeitsgruppen »Christliche Kreise« beim Bezirksausschuss Gera und beim Stadtausschuss Jena der Nationalen Front 2103 Arno Klönne: Neue Literatur zur »Weißen Rose«. Petrys fragwürdiges Buch und eine Dokumentation. In: Die Tat, 20. 02. 1969. 2104 Hubert Faensen: Wegweiser zur Bewährung in unserer Wirklichkeit. Ziel und Wirken des Union Verlages Berlin. In: Neue Zeit, 20. 06. 1970, S. 3. 2105 Siehe Kapitel V.2.6. 2106 O. A.: Geschwister-Scholl-Ehrung an der Jenaer Universität. In: Neues Deutschland, 23. 02. 1973, S. 4. 2107 K.R.: Vermächtnis der »Weinen Rose« wird erfüllt. Vor 30 Jahren ermordeten die Faschisten Hans und Sophie Scholl. In: Neue Zeit, 22. 02. 1973, S. 3.

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abhielten. Auf dieser Gedenkfeier würdigte Günter Wirth die Geschwister Scholl als »Christen an der Seite von Kommunisten im antifaschistischen Widerstandskampf« und bestimmte »Bewahrung und Bewährung des Erbes« als Aufruf des »sozialistische[n] Staatsbürger[s] christlichen Glaubens« zum »schöpferischen Engagement für die sozialistische Gesellschaft«.2108 In diesem Sinne werden durch die 1970er-Jahre hindurch und darüber hinaus die Geschwister Scholl im CDU-Kontext in einen Namenskanon christlicher Vorbilder eingereiht. So betont der Superintendent Klaus Fischer anlässlich des 13. Parteitags der CDU im Jahr 1975 die Wichtigkeit eines Einsatzes für Frieden und menschliches Zusammenleben. Er tue dies »nicht nur als Privatperson, und nicht nur als Staatsbürger der Deutschen Demokratischen Republik«, sondern »gerade weil ich Christ bin, weil Menschen wie die Geschwister Scholl, Pfarrer Paul Schneider, Dietrich Bonhoeffer, Albert Schweitzer, Martin Luther King mir zu Vorbildern wurden«.2109 Zum Parteitag 1977 benennt der Hauptvorstand der CDU in seiner Erklärung eine von Thomas Müntzer bis zum antifaschistischen Widerstand reichende Liste christlicher Traditionen, in der auch die Geschwister Scholl als »christliche[…] Streiter gegen Imperialismus, Faschismus und Krieg, für Frieden, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit« genannt werden.2110 Diese Traditionen seien mit dem »Wirken der christlichen Demokraten in den Geist unserer sozialistischen Gesellschaft, in das Wesen der DDR eingegangen«, das die »Kontinuität alles Positiven der deutschen Geschichte« verkörpere.2111 Ähnliche Bezugnahmen lassen sich in Reden und Erklärungen im CDU-Kontext durchgängig bis 1989 nachweisen. Den 35. Jahrestag des 22. Februar berücksichtigt die Neue Zeit zwar aus2108 O. A.: Erbe bewahren und bewähren. Günter Wirth vor Jenaer Theologen und Geistlichen. In: Neue Zeit, 06. 03. 1973, S. 1. 2109 Klaus Fischer: Wir haben viel dazugelernt. In: Neue Zeit, 26. 04. 1975, S. 9. 2110 Hierzu gehören das »revolutionäre Wollen des Pastors Thomas Müntzer und das reformatorische Werk Martin Luthers, der demokratische Humanismus im Schaffen Georg Friedrich Händels, Johann Sebastian Bachs und Johann Gottfried Herders, der bürgerlichrevolutionäre Kampf der Theologen Edmund Moneke und Ludwig Würkert 1848/49, das soziale Engagement eines Adolph Kolping, Johann Heinrich Wichern und Friedrich v. Bodelschwingh, die gesellschaftliche Neuorientierung von Theologen wie Christoph Blumhardt und Emil Fuchs, das antiimperialistische Wirken des Friedensbundes Deutscher Katholiken und der religiösen Sozialisten, das mannhafte Eintreten von christlichen Politikern wie Otto Nuschke und Reichskanzler Dr. Joseph Wirth, von Pfarrern wie Carl Vogl und Erwin Eckertfür freundschaftliche Beziehungen zur jungen Sowjetunion, das humanistische Ethos und solidarische Handeln Albert Schweitzers, der antifaschistische Widerstand der Geschwister Scholl, von Hans Litten, des Dompropstes Lichtenberg und des Obersten Stauffenberg, der Pfarrer Bonhoeffer, Schneider, Delp und vieler anderer, das patriotische Auftreten aufrechter Christen im Nationalkomitee ›Freies Deutschland‹«. (Unser Weg war, ist und bleibt richtig. Erklärung der II. Tagung des Hauptvorstandes der CDU. In: Neue Zeit, 10. 12. 1977, S. 3). 2111 Ebd.

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führlicher, aber wie das Neue Deutschland und die Berliner Zeitung diesmal nur in Zusammenhang mit Gedenkfeiern in München.2112 Dafür bringt sie aber eine Würdigung des 60. Geburtstages von Hans Scholl mit einem Auszug aus Bechers Versgedicht Die Drei und der Rundfunkansprache Thomas Manns.2113 Dass sich die Betonung ›christlichen Erbes‹ in den 1980er-Jahren auch über die Neue Zeit hinaus ausweitet, zeigt etwa ein Artikel anlässlich des 75. Geburtstags Dietrich Bonhoeffers von Klaus Drobisch im Neuen Deutschland 1981, der auch die Geschwister Scholl erwähnt. Bonhoeffer wird mit den Worten zitiert, der Christ sei »bereit mit denjenigen zusammenzuarbeiten und zu kämpfen, wo es um die Verwirklichung gemeinsamer Ziele geht«.2114 Eine ausführliche Würdigung zum Jahrestag bringt 1981 lediglich die Neue Zeit. Der CDU-Funktionär und Präsident der Berliner Konferenz europäischer Katholiken Otto Hartmut Fuchs geht in seinem Artikel zum Jahrestag von eigenen Erinnerungen seiner Teilnahme an einer »Gruppe junger katholischer Antifaschisten« aus, die unter dem Eindruck der Nachricht der Hinrichtung der Geschwister Scholl beschlossen habe, ihre eigenen Aktivitäten »unter Berücksichtigung verstärkter Sicherheitsmaßnahmen noch konsequenter fortzusetzen«.2115 Fuchs geht kaum auf die Geschichte des Widerstandskreises ein, betont dagegen, dass in der DDR das »Opfer der Blutzeugen zur Saat und Ernte« geworden sei.2116 Hier werde auch die Erinnerung an den christlichen Widerstand lebendig gehalten. Westdeutsche Mitglieder der Berliner Konferenz europäischer Katholiken seien überrascht, dass der vom Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR »alljährlich vorgelegte Gedenk- und Terminkalender auch in der Ausgabe 1981 neben den gebührenden, fast täglichen Bezügen auf Geburts- bzw. Todesdaten ermordeter Kommunisten und Sozialisten eine repräsentative Anzahl christlicher Männer und Frauen« enthalte und bedauerten, dass ein »derart umfassendes Gedenken an antifaschistische Widerstandskämpfer in ihrem Lande kaum denkbar sei«.2117 Auch 1982 wird in Artikeln der Neuen Zeit die offizielle Würdigung des gesamten und gerade auch des christlichen Widerstands in der DDR betont. 2112 O. A.: Christliche Antifaschisten geehrt. Vor 35 Jahren wurden die Geschwister Scholl ermordet. In: Neue Zeit, 27. 02. 1978, S. 2; o. A.: München: Kranzniederlegung für die Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 25. 02. 1978, S. 7; o. A.: Ehrung für die Geschwister Scholl. In: Berliner Zeitung, 25. 02. 1978, S. 2. 2113 O. A.: Wider den Ungleist. Vor 60 Jahren wurde Hans Scholl geboren. In: Neue Zeit, 22. 09. 1978, S. 4. 2114 Klaus Drobisch: Aufbegehren gegen faschistischen Terror. In: Neues Deutschland, 04. 02. 1981, S. 4. 2115 Otto Hartmut Fuchs: In ihrem Kampf sind sie uns ein ständiges Vorbild. In: Neue Zeit, 28. 02. 1981, S. 10. 2116 Ebd. 2117 Ebd.

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Anlässlich einer Ausstellung zur Geschichte des deutschen Volkes im Museum für Deutsche Geschichte wird hierbei besonders auf die Weiße Rose verwiesen, die auszeichne, dass sie »einen Schritt über die Ansichten der christlichen Kreise hinaus« gegangen sei, indem sie ab Herbst 1942 Kontakt zur »organisierten antifaschistischen Widerstandsbewegung« gesucht habe.2118 Auch in den folgenden Jahren betont die Neue Zeit zu verschiedenen Anlässen die breite Berücksichtigung christlichen und bürgerlichen Widerstands, zum Beispiel anlässlich einer Ausstellung von Dokumenten des Zentralen Staatsarchivs in Berlin oder des Erscheinens des vom »marxistische[n] Historiker« Klaus Mammach besorgten Bands Widerstand 1939–45, der belege, »daß die Dreiteilung in Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen nur der Unterscheidung dient, nicht aber auf Scheidung zielt.«2119 Ebenso auffällig sind im Kontext der Neuen Zeit Bezugnahmen auf die Weiße Rose anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes. Der thüringische Landesbischof Werner Leich etwa bekennt sich einerseits zum Gedenken des 8. Mai unter dem »Leitwort der Befreiung«, fordert aber andererseits den »glaubensmäßig begründeten Widerstand gegen das NS-Regime neben dem der KPD stärker zu beachten, als das bisher geschehen ist«.2120 Dieser werde durch zahlreiche, »nahezu weltbekannte Namen« repräsentiert, darunter die Geschwister Scholl, Paul Schneider und Dietrich Bonhoeffer.2121 Kirchliche Gedenkveranstaltungen zum 8. Mai seien »unter den biblischen Gedanken der Versöhnung zu stellen«.2122 Otto Hartmut Fuchs erinnert in einer Rede an das Vermächtnis der »christliche[n] Blutzeugen wie Alfred Delp, Max Josef Metzger und die Geschwister Scholl« und betont daran anschließend, dass das »Bekenntnis engagierter Christen heute« direkt mit dem Begriff der Befreiung verbunden sei, denn es gelte »heute mehr denn je: ›Sage mir, was der 8. Mai für dich ist, und ich sage dir, wer du bist.‹«2123 Ab 1982 berichten ADN-Meldungen im Gegensatz zu den Jahren zuvor nun nicht mehr nur über Gedenkfeiern in München, sondern auch wieder über Beispiele für das Gedenken an die Geschwister Scholl in der DDR, etwa in FDJ2118 Otto Hübne: Lebendige Geschichte (11): Engagement aus Gewissensgründen. Christen im antifaschistischen Kampf. In: Neue Zeit, 30. 04. 1982, S. 7. 2119 Eberhard Klage: Märtyrer im Kampf gegen Krieg und Völkermord. In: Neue Zeit, 21. 11. 1987, S. 7. 2120 O. A.: Landesbischof Dr. Werner Leich: Kirchliches Gedenken der Befreiung und des christlichen Widerstandes. Klare Absage an historisch-politische Fehldeutung. In: Neue Zeit, 23. 03. 1985, S. 1. 2121 Ebd. 2122 Ebd. 2123 O. A.: Aktive Mitarbeit an jedem Tag für Sozialismus und sicheren Frieden. Otto Hartmut Fuchs auf Jahreshauptversammlung der CDU-Ortsgruppe Wittenberge, Bezirk Schwerin. In: Neue Zeit, 29. 03. 1985, S. 1.

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Grundorganisationen, Schulen und anderen Namensträgerkollektiven.2124 Zum 40. Jahrestag des 22. Februar druckt 1983 die Neue Zeit neben ihrem Gedenkartikel das Foto einer Kranzniederlegung für Hans und Sophie Scholl im Mahnmal unter den Linden, die im Anschluss an einen vom FDJ-Zentralrat, dem Friedensrat der DDR und dem CDU-Hauptvorstand veranstalteten »Erfahrungsaustausch« stattfand.2125 1987 berichtet das Neue Deutschland über die »Ehrung der Geschwister Scholl« durch DDR-Hochschulminister Böhme am Mahnmal in München.2126 Auch diese Beispiele belegen eine erneute Offizialisierung des Gedenkens an die Weiße Rose. Ab 1983 erscheinen nun auch im Neuen Deutschland zu allen Jahrestagen des 22. Februar ausführliche Gedenkartikel. Dabei wird 1983 die DDR-Premiere von Michael Verhoevens Film Die weiße Rose2127 im Kino International in Ost-Berlin am 40. Jahrestag zum Aufhänger für die Gedenkartikel. 1984 und 1985 verfasst Klaus Drobisch Artikel zu den Jahrestagen, die sich voneinander signifikant unterscheiden. 1984 schreibt er Hans Scholl unter Verweis auf das Flugblatt Aufruf an alle Deutsche! die Vision eines »vernünftigen Sozialismus« mit »starke[r] Zentralgewalt, sozialistische[r] Planwirtschaft in der Industrie und eine[r] Außenpolitik, die die Pflege guter Beziehungen zur Sowjetunion einschloß« zu, die er als Ergebnis einer Entwicklung darstellt, die ihn und seine Mitstreiter bis zu dem Punkt geführt habe, »Verbindung zur antifaschistischen Widerstandsfront« zu suchen und »mit den Zielen der großen, von der KPD geführten Widerstandsbewegung« übereinzustimmen: »Aus dem individuellen Protest junger Intellektueller war das Bekenntnis für eine glückliche Zukunft geworden.«2128 Drobischs Beitrag von 1985 fokussiert dagegen stark auf Sophie Scholl und zitiert ausführlich aus ihren Briefen. Im Gegensatz zum Vorjahr wird lediglich die Überwindung des Antikommunismus und die Gewinnung eines neuen Verhältnisses zur Sowjetunion erwähnt. Die im einleitenden Briefzitat von Sophie Scholl artikulierte Vorfreude auf den Frühling wird am Ende des Artikels auf ein anderes Zitat von ihr bezogen. Bei ihrer Entgegnung vor dem Volksge2124 Typische Beispiele: o. A.: Ehrendes Gedenken an die Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 23. 02. 1983, S. 3; o. A.: Ihren Kampf setzen wir in unserer Arbeit fort. Wie ein Kollektiv »Geschwister Scholl« seine Vorbilder ehrt. In: Neues Deutschland, 25. 02. 1984, S. 9; o. A.: Bürger der DDR ehrten die Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 24. 02. 1986, S. 2. 2125 Erich Kisch: Kampf im Zeichen der weißen Rose. In: Neue Zeit, 21. 02. 1983, S. 3. 2126 O. A.: DDR-Hochschulminister traf bayerischen Staatsminister, Ehrung der Geschwister Scholl am Mahnmal in München. In: Neues Deutschland, 13. 11. 1987. 2127 Verhoevens Film wurde am 17. 01. 1988 auch im DDR-Fernsehen gesendet. 2128 Klaus Drobisch: Traditionen des antifaschistischen Kampfes, die in unserer Republik lebendig sind. »Weiße Rose« – ein Signal unerschrockenen Widerstands. Sophie und Hans Scholl gaben der Jugend ein Beispiel im Kampf gegen Reaktion und Krieg. In: Neues Deutschland, 25. 02. 1984, S. 9.

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richtshof »Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte«, dachte sie Drobisch zufolge »wohl im übertragenen Sinne an den Frühling, von dem sie wenige Tage zuvor geschrieben hatte«.2129 Der Artikel enthält – kennzeichnend für Artikel ab Mitte der 1980erJahre bis zum Ende der DDR – somit keine explizite Vermächtniskonstruktion und keinen gegen die Bundesrepublik gerichteten Gegenwartsbezug. 1986 erscheinen nun in allen drei ausgewerteten Tageszeitungen Gedenkartikel zum Jahrestag. Roland Krayer bezeichnet im Neuen Deutschland die Weiße Rose als »Sinnbild für eine bessere Welt« und betont die bürgerliche Herkunft und den »christlichen Humanismus« ihrer Mitglieder.2130 Die Neue Zeit spricht von »Christen und Patrioten« und bezeichnet die Weiße Rose als »bleibende Mahnung in unserem gemeinsamen Wirken für Frieden und sozialen Fortschritt«.2131 Diese Tendenzen setzen sich auch 1987 und 1988 fort.2132 Aloys Funke kommt 1988 zu dem Schluss: Sophie und Hans Scholl sind gewissermaßen zu Identifikationsfiguren des antifaschistischen Widerstandes geworden, sie sind in echter Weise volkstümlich, Leitbilder einer Generation, die sich über konfessionelle und weltanschauliche Grenzen hinaus aus christlicher Verantwortung für das gemeinsame Haus aller in einer neuen Gesellschaft einsetzt. Ihr waches Gewissen mahnt uns.2133

Die Ergänzung des Vermächtnis-Begriffs durch den der Mahnung fällt besonders in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre auf. Und auch die Formel ›Kampf gegen Krieg und Faschismus‹ wird zuweilen in »Kampf gegen Krieg und Völkermord«2134 abgewandelt. In diesem Zusammenhang ist interessant, wie an2129 Klaus Drobisch: Die »Weiße Rose« rief zum Widerstand auf. Vor 42 Jahren wurden Hans und Sophie Scholl ermordet. In: Neues Deutschland, 22. 02. 1985, S. 4. 2130 Roland Krayer: Weiße Rose – Sinnbild für eine bessere Welt. Vor 43 Jahren wurden die Geschwister Scholl ermordet. In: Neues Deutschland, 22. 02. 1986, S. 13. 2131 O. A.: Ihr Vermächtnis wird treu bewahrt. Vor 43 Jahren starben die Christen und Patrioten Hans und Sophie Scholl. In: Neue Zeit, 22. 02. 1986. 2132 Siehe Ingo Koch: »Und ihr Geist lebt trotzdem weiter..«. Vor 44 Jahren wurden die Geschwister Scholl ermordet. In: Neues Deutschland, 21. 02. 1987, S. 4; Eberhard Klage: Das Gemeinsame verteidigen. Vor 44 Jahren ermordet: Hans und Sophie Scholl. In: Neue Zeit, 21. 02. 1987, S. 4; Roland Krayer: Weiße Rose – ein Zeichen für Hoffnung und mutige Tat. Vor 45 Jahren: Geschwister Scholl und Christoph Probst ermordet. In: Neues Deutschland, 20. 02. 1988, S. 14; Aloys Funke: »Ich spüre einen sicheren Hintergrund und sehe ein sicheres Ziel«. Zum 45. Todestag der christlichen Antifaschisten Sophie und Hans Scholl. In: Neue Zeit, 20. 02. 1988, S. 5; Ingo Koch: Ihre Namen bleiben uns Ansporn und Mahnung. Vor 46 Jahren wurden die Geschwister Scholl ermordet. In: Neues Deutschland, 22. 02. 1989, S. 4; V. Godau: Ihr Vermächtnis mahnt uns. Vor 46 Jahren starben die Geschwister Scholl. In: Neue Zeit, 22. 02. 1989, S. 7. 2133 Funke, Anm. 2132. 2134 Klage, Anm. 2119.

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lässlich des 45. Jahrestags der sogenannten Fabrikaktion am 28. Februar 1988 auf den 45. Jahrestag des 22. Februar Bezug genommen wird. In den Berichten über die Gedenkfeier, auf der die Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinden Ostund West-Berlins, Peter Kirchner und Heinz Galinski, sprachen, wird Kirchners »Hinweis auf die Geschwister Scholl, deren Ermordung sich ebenfalls in diesen Tagen zum 45. Male jährte«, hervorgehoben, denn »auch in der dunkelsten Zeit Deutschlands hätten aufrechte Deutsche den Mut aufgebracht, sich gegen das Unrecht zu stellen. Auch ihrer sollte man in diesen Tagen gedenken«.2135 Die Verbindung des Gedenkens an Widerstand mit jenem an die Judenverfolgung und -vernichtung, das in den 1980er-Jahren präsenter wird,2136 zeigt sich auch in einem Bericht der Neuen Zeit zum Rostocker Kirchentag 1988, wo in Gedenkveranstaltungen unter den Leitworten ›Schuld – Vergebung – Hoffnung‹ an Gedenktage faschistischer Greueltaten wie die Novemberpogrome 1938, die Einrichtung des ersten Konzentrationslagers 1933 oder die Ermordung der Geschwister Scholl 1943 erinnert [wurde], um Brücken der Umkehr und Versöhnung zu bauen.2137

An diesen Beispielen wird deutlich, wie das zuvor auf eine spezifische ›Mitöffentlichkeit‹2138 beschränkte kirchliche Gedenken im Verlauf der 1980er-Jahre Verbindungslinien zu offiziellen Diskursen der DDR entwickelte, die im Gegensatz zu den eingefahrenen Gleisen geschichtspolitischer Abgrenzung beider deutscher Staaten nun unter dem Zeichen der ›gemeinsamen Geschichte‹ geschichtspolitische Anknüpfungspunkte für deutsch-deutsche Dialoge boten.

V.2.6 Die Weiße Rose in der Evangelischen Verlagsanstalt 1984 äußerte die Lektorin Evelyn Konschak auf einer Lektoratssitzung der Evangelischen Verlagsanstalt (EVA), dem Zentralverlag der evangelischen Kirche in der DDR, die Idee, das Buch von Inge Aicher-Scholl in Lizenz herauszugeben.2139 Dieser Vorschlag entstand allerdings nicht im luftleeren Raum. Der 2135 O. A.: Berliner ehrten die jüdischen Opfer faschistischer Vernichtungspolitik. In: Neues Deutschland, 29. 02. 1988, S. 2. 2136 Siehe Harald Schmid: Antifaschismus und Judenverfolgung. Die »Reichskristallnacht« als politischer Gedenktag in der DDR. Göttingen: V& R unipress 2004. 2137 O. A.: Im Gedenken an Vergangenes unser Zusammenleben fördern. Abend der Begegnung beim Rostocker Kirchentag. In: Neue Zeit, 18. 06. 1988, S. 1. 2138 Zum Begriff der ›Mitöffentlichkeit‹ siehe Peter Paul Schwarz: Mitöffentlichkeit: Zur deutsch-deutschen Arbeit der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. Göttingen: V& R 2018. 2139 Evangelische Verlagsanstalt: Protokoll der Sitzung allg. Lektorat, 30. 08. 1984. In: EZA, 231 (130).

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Verlag hatte bereits 1963 unter dem Titel Wir haben alles, alles auf uns genommen… einen längeren Auszug aus dem Buch veröffentlicht, allerdings in einem Zusammenhang, in dem man einen solchen Text weniger vermutet, nämlich in einem Band zum Thema Partnerschaft zwischen Frau und Mann.2140 Im Kontext der Tagung »Der humane Mensch« zum Zusammenhang von »Leitbild und Aufgabe« hatte die Evangelische Akademie Berlin-Brandenburg, wohl auch angeregt durch das Erscheinen von Drobischs Dokumentation, Inge AicherScholl und nach deren Absage Anneliese Knoop-Graf eingeladen, »Leben und Ziele Ihres Bruders, der Geschwister Scholl und der anderen« darzustellen, »so daß man nicht immer nur abstrakt von Leitbildern sprechen muß«.2141 Und auch auf Gemeindeebene der evangelischen Kirche lassen sich Veranstaltungen zur Weißen Rose nachweisen.2142 Interesse an Themen der NS-Zeit und der Widerstandsthematik auch über den christlichen Widerstand hinaus war also im kirchlichen Kontext in der DDR bereits vor den 1980er-Jahren vorhanden, jedoch waren die Spielräume gerade für die stärker als die Akademien in die breitere Öffentlichkeit ausstrahlende EVA bis Mitte der 1980er-Jahre eng begrenzt.2143 So wurde noch Ende 1984 in der Verlagsanstalt von »Träumen [handschr. korrigiert:] langjährigen Überlegun2140 Ehrengard von der Schulenburg, Eva Pohle (Hrsg.): …und jeder nimmt und gibt zugleich. Berlin (Ost): Evangelische Verlagsanstalt 1963, S. 41–60. 2141 Elisabeth Adler : Brief an Anneliese Knoop-Graf, 07. 06. 1968. In: EZA, 190 (75). 2142 So bspw. ein Vortrag »Hans und Sophie Scholl – das Wagnis der weißen Rose« von Pfarrer Peter Schäler im Rahmen einer Veranstaltung des Biografischen Studienkreises »Identität – Voraussetzung für den Dienst« der Thomaskirchen-Gemeinde in Leipzig im April 1973. Siehe Herbert Dost: Ankündigungen des Gemeindedienstes, 26. 03. 1973. In: BArch DO 4 (579). 2143 Dies zeigen die Programme der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. Die Akademie beantwortete in einem Bericht die Frage nach den wichtigsten Sachthemen der Jahre 1972 bis 1977 mit einem Hinweis auf die Literaturtagungen zu Gegenwartsfragen und »Themenbereiche, die früher regelmäßig vorkamen, […] in den letzten fünf Jahren zurückgetreten [sind], ohne ganz zu verschwinden«, nämlich »Christlich-jüdischer Dialog« und »Bewältigung der Vergangenheit«. Im Februar und März 1980 fanden Veranstaltungen zum Thema »Krieg, Gewalt, Widerstand. Überlegungen zu einer christlichen Friedensethik« statt und im September 1981 zu »Kreuz und Hakenkreuz. Christen im Dritten Reich«. Siehe Evangelische Akademie Berlin-Brandenburg: Bericht für den Rat der Evangelischen Kirche der Union, 02. 11. 1977 und Programme der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg 1977–1981. In: EZA, 101 (3328). Ab Mitte der 1980er-Jahre erweiterten sich die Bezüge und es fanden Tagungen statt zu den Themen »Widerstand und Weltanschauung. Deutung und Bedeutung nach 40 Jahren« (September 1984), »Wie sie finden unter all der Asche. Juden in Europa 1935–1945« (März 1985), »Gab es eine Stunde Null? 8. Mai: Kapitulation und Befreiung« (Mai 1985). Siehe Programme der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. In: EZA 101 (3660). Siehe zur Kommunikation über Literatur und Geschichte in der Akademie in den 1950er- bis Ende der 1970er-Jahre Peter Paul Schwarz: Mitöffentlichkeit: Zur deutsch-deutschen Arbeit der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg. Göttingen: V& R 2018.

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gen« gesprochen, »Lebensberichte von Widerstandskämpfern aus der Zeit vor 1945, aber auch danach zu sammeln«.2144 Als die EVA 1987 über Eberhard Görner von einem »in der BRD noch nicht verlegt[en]« biografischen Manuskript über Adam von Trott zu Solz der Witwe des Widerstandskämpfers des Kreisauer Kreises erfuhr,2145 versuchte Cheflektor Siegfried Bräuer Clarita von Trott zu Solz für ein Buchprojekt zu gewinnen und schrieb ihr zum Kontext des Vorhabens: Seit Jahren ist es uns als Zentralverlag der evangelischen Kirche in der DDR ein Anliegen, die Zeugnisse des christlichen Widerstands in [sic] sogenannten Dritten Reich einem großen und interessierten Leserkreis zugänglich zu machen. Lange Zeit konnte sich dieses Bemühen nur auf die Theologen des Widerstandes wie Paul Schneider und Dietrich Bonhoeffer konzentrieren. Erst in jüngster Zeit ist es möglich, den Radius weiter zu ziehen.2146

Clarita von Trott zu Solz sagte das Projekt schließlich ab, da sie sich die Umarbeitung des »nie zur Veröffentlichung« bestimmten Manuskripts neben ihrer Berufstätigkeit nicht zutraute,2147 doch das Insistieren des Lektorats, welches das Projekt nicht so leicht aufgeben wollte,2148 zeigt, dass sich die Spielräume des Verlags im Laufe der 1980er-Jahre erweiterten und ein Interesse vorhanden war, diese zu nutzen. Im Fall der Weißen Rose war dieses Kalkül zuvor bereits aufgegangen. Die EVA, deren Lizenzhonorare von der Evangelischen Kirche Deutschlands in der Bundesrepublik übernommen wurden, sondierte beim Fischer-Verlag Ende 1984 die Möglichkeit einer Lizenz nicht nur für Die Weiße Rose, sondern zugleich auch für die von Inge Jens herausgegebenen Briefe und Aufzeichnungen Hans und Sophie Scholls.2149 Gegenüber Inge Aicher-Scholl bekräftigte Lektor Wolfgang Mertz die Unterstützung des Fischer-Verlags für dieses Vorhaben und verwies dabei auf die Geschichte und Situation des Ost-Berliner Verlags: Sie wissen, daß die Evangelische Verlagsanstalt Berlin, die ihr Entstehen einem hochherzigen russischen Pressoffizier verdankt, der anno 1946 oder 1948 vom demokratischen Geist durchdrungen war, ein selbstständiges Unternehmen ist und ganz offiziell in der DDR mit Unterstützung der westdeutschen EKD arbeitet. […] Der Lektor [gemeint ist: Jörg Hildebrandt, C.E.] […] ist ein außerordentlich netter, engagierter, genau arbeitender Kollege, der natürlich leidet unter dem engen Spielraum, den 2144 Evangelische Verlagsanstalt: Protokoll der Sitzung allg. Lektorat, 13. 12. 1984. In: EZA, 231 (130). 2145 Eberhard Görner : Brief an Siegfried Bräuer, 14. 11. 1987. In: EZA, 231 (310), Unterstreichung im Original. 2146 Siegfried Bräuer : Brief an Clarita von Trott zu Solz, 27. 11. 1987. In: EZA, 231 (310). 2147 Clarita von Trott zu Solz: Brief an Jörg Hildebrandt, 06. 11. 1988. In: EZA, 231 (310). 2148 Handschr. Notiz von Jörg Hildebrandt, 11. 11. 1988; handschr. Notiz von Siegfried Bräuer, 21. 11. 1988. In: EZA, 231 (310). 2149 Dietlinde Vincke: Brief an Inge Aicher-Scholl, 16. 11. 1984. In: IfZ, ED 474 (362).

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ihm nicht nur das Ministerium, sondern auch die anderen DDR-Verlage einräumen; beide wollen die Evangelische Verlagsanstalt auf rein kirchliche Publikationen festlegen, wogegen sich der Verlag und seine Mitarbeiter wehren, eben weil sie sich nicht als theologischer Fachverlag, sondern als Publikumsverlag mit einer gewissen geistiggeistlichen Ausrichtung verstehen.2150

Nach Aicher-Scholls Zusage übermittelte der Verlag kleinere Änderungswünsche, die außer Umstellungen von Texten des Anhangs nur eine politisch begründete Auslassung beinhalten: »Sie werden sicher Verständnis dafür haben, daß das Grußwort von Theodor Heuss […] in einer Ausgabe für die DDR nicht in Betracht kommen kann«.2151 Bis auf diesen Punkt und die von Wolfgang Mertz als Versehen und keinesfalls »politische Maßnahme« gewertete Auslassung des Textes Lilo Fürst-Ramdohrs folgt der Text der um zahlreiche Dokumente und Zeugnisse erweiterten Neuausgabe des Fischer-Verlags von 1982.2152 Der Text erhielt problemlos eine Druckgenehmigung und konnte 1986 immerhin in einer Auflage von 8.000 Exemplaren erscheinen.2153 Der Klappentext verspricht eine Antwort auf die Frage »Wer waren Hans und Sophie Scholl?« und einen »Einblick in eine Entwicklung«, wobei diese abweichend von anderen in der DDR erschienenen Publikationen nicht zentral auf Kriegserlebnisse, sondern auf ein christliches Umfeld und Ökumene zurückgeführt wird: In einem evangelischen Elternhaus aufgewachsen, nehmen sie hier den Geist einer christlich-humanistischen Gesinnung auf. Spätere Erlebnisse in kirchlichen Jugendgruppen und Gespräche vor allem auch mit katholischen Freunden lassen eine Haltung reifen, die dann die Studenten zum aktiven Widerstand gegen das NS-Regime führt.2154

Die erste Auflage war schnell vergriffen, eine zweite Auflage wurde aufgrund der Nachfrage der christlichen Buchhandlungen 1989 vorbereitet2155 und 1990 gedruckt.2156 Parallel zu Inge Scholls Buch bereitete man in der Verlagsanstalt die Ausgabe der Briefe und Aufzeichnungen vor, befürchtete hier aber Probleme mit den staatlichen Stellen. Klaus Drobisch, der das Projekt gegenüber der HV Verlage 2150 2151 2152 2153

Wolfgang Mertz: Brief an Inge Aicher-Scholl, 22. 11. 1985. In: IfZ, ED 474 (363). Evelyn Konschak: Brief an Woflgang Mertz, 16. 11. 1984. In: IfZ, ED 474 (362). Wolfgang Mertz: Brief an Inge Aicher-Scholl, 29. 05. 1987. In: IfZ, ED 474 (362). Druckgenehmigungsvorgang zu Inge Aicher-Scholl: Die weisse Rose. In: BArch DR 1 (2567). 2154 Inge Aicher-Scholl: Die Weiße Rose. Berlin (Ost): Evangelische Verlagsanstalt 1986, Innenumschlag hinten. 2155 Proktoll Themenplanberatung Plan 1990 am 8. 5. 1989. In: EZA, 231 (216). 2156 Der Christliche Blindendienst Wernigerode, der nach eigenen Angaben 75 % seiner Druckerzeugnisse in die Bundesrepublik lieferte, fragte beim Fischer-Verlag nach Erscheinen der EVA-Ausgabe nach einer kostenlosen Abdruckgenehmigung an. Christlicher Blindendienst in der inneren Mission: Brief an Wolfgang Mertz, 04. 09. 1987. In: IfZ, ED 474 (362).

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und Buchhandel als Außengutachter ausdrücklich befürwortete, machte zahlreiche, vor allem terminologische Vorschläge in Bezug auf den von Inge Jens besorgten Kommentar.2157 Wahrscheinlich sind diese auch die Quelle für aus der Sicht des Fischer-Lektors »höchst sonderbare Vorstellungen«, die das Lektorat der EVA zunächst entwickelt habe, um »alle auch nur denkbaren Einwände der bürokratischen Obrigkeit auszuräumen«.2158 Die Befürchtung einer »von unsere[r] Ausgabe erheblich abweichende[n] Fassung« bestätigte sich jedoch nicht – für Mertz »eine große Überraschung«.2159 Dieser hatte einige Monate zuvor Aicher-Scholl von seiner Korrespondenz mit Jörg Hildebrandt berichtet: Wahrscheinlich werde man »nicht mehr als 5.000 Exemplare drucken lassen dürfen« und die bestimmt nicht übervorsichtigen, sondern nur durch Erfahrung gewitzten Lektoren fummeln in den Anmerkungen von Frau Jens herum, daß es nur so kracht. Etwa darf der deutschsowjetische Nicht-Angriffspakt nicht mehr auftauchen, auch Friedrich II. von Preußen wird des Attributs »der Große« entkleidet und so geht es weiter und weiter.2160

Mertz’ plastische Schilderung einer vorauseilenden Zensur und seine Betonung einer politischen Wirkungsabsicht und Bedeutung des Bandes »für das politische Klima in der DDR« stehen auch in Zusammenhang damit, dass er versuchte, Aicher-Scholl dazu zu bewegen, dem Vorschlag Drobischs zuzustimmen, Jens’ ursprünglich als Einleitung vorgesehenen, dann von ihr separat als Essay in der Neuen Rundschau veröffentlichten Text Über die »Weiße Rose«2161 in die DDR-Ausgabe aufzunehmen. Um diesen Text war es im Vorfeld der Erstausgabe zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Aicher-Scholl und Jens gekommen, die das Projekt an den Rand des Scheiterns gebracht hatten.2162 Inge Jens hatte in ihrer Interpretation der Weißen Rose die drei Komplexe Freundschaft, Jugendbewegung und Russlanderlebnis als prägende Faktoren für die Entwicklung des Widerstands bestimmt, dessen politische Konzeption und Wirksamkeit ihr zufolge vor 1943 begrenzt bleiben musste. Aicher-Scholl sah hierin Parallelen zu Deutungen Christian Petrys, vermisste aber auch die für sie auch im Nachwort zur erweiterten Neuausgabe ihres Buchs noch einmal betonte »entscheidende Rolle«2163 2157 Klaus Drobisch: Außengutachten zu Hans und Sophie Scholl »Briefe und Aufzeichnungen«, o. D. In: BArch, DR 1 (2572). 2158 Wolfgang Mertz: Brief an Inge Aicher-Scholl, 23. 06. 1986. In: IfZ, ED 474 (363). 2159 Ebd. 2160 Mertz, Anm. 2150. 2161 Inge Jens: Über die »Weiße Rose«. In: Neue Rundschau 95 (1986), Nr. 1/2, S. 193–213. 2162 Zur Entstehungsgeschichte des Bandes Hikel, Anm. 49, S. 230–239. Siehe auch Kapitel IV.2.1 dieser Arbeit. 2163 Aicher-Scholl, Anm. 2154, S. 103.

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des Christentums. Sie antwortete Mertz, sie würde das Unternehmen voll unterstützen und eine reduzierte Auflage oder kleinere Eingriffe in den Text in Kauf nehmen. »Etwas anderes« sei es aber, »wenn in dem Band eine Interpretation der Weißen Rose aufgenommen würde, die wir aus Kenntnis der Fakten ablehnen müssen«, weshalb sie Mertz dringlich bittet, »diesem Buch jetzt den Frieden zu lassen, den es braucht«.2164 Die EVA-Ausgabe der Briefe und Aufzeichnungen erschien schließlich ohne den zwischen Aicher-Scholl und Jens kontroversen Text im Sommer 1987 in einer Auflage von 8.000 Exemplaren.2165 Inge Jens stellte das Buch während des Berliner Evangelischen Kirchentags in einem »Begegnungs- und Gesprächsnachmittag« vor, der unter dem Motto des Zitats aus Sophie Scholls Tagebuch »Gib mir die Unruhe, die lebendig ist in dir« in der »randvoll[en]« Französischen Friedrichstadtkirche stattfand und eine Lesung aus Briefen und Tagebüchern der Geschwister durch die Schauspielerin Ellen Rappus und den Schauspieler Fred Düren beinhaltete.2166 Die Berichterstattung der Neuen Zeit zum Kirchentag durchzieht der Begriff des Dialogs auf zwei Ebenen: Als Dialog zwischen Christen und Marxisten in der DDR2167 und als Dialog zwischen Ost und West für einen Abrüstungs- und Friedensprozess,2168 wobei in beiderlei Richtung eine Verantwortung und Aufgabe der Kirche nicht zuletzt aus deren »Versäumnisse[n]« in der »dunklen Zeit der Naziherrschaft« abgeleitet wird.2169 Hieraus lässt sich eine Bedeutung der NS-Geschichte im Allgemeinen und der Weißen Rose im Besonderen als gemeinsamer Anknüpfungspunkt für Dialog mit und zur Positionierung gegenüber staatlichen oder staatsnahen und bundesrepublikanischen Akteuren im Kontext der »besonderen Gemeinschaft« der evangelischen Kirchen in beiden deutschen Staaten folgern.2170 Diese beförderten mit den gemeinsamen Worten zum Frieden des Bunds der Evangelischen Kirchen (BEK) in der DDR und der EKD anlässlich der 40. Jahrestage des Kriegsbeginns (1979) sowie des Kriegsendes (1985) deutsch-deutsche Dialoge im Sinne einer »friedenspolitischen

2164 Inge Aicher-Scholl: Brief an Wolfgang Mertz, 02. 12. 1985. In: IfZ, ED 474 (363). 2165 Abt Wissenschaftliche Fachliteratur HV Verlage und Buchhandel: Druckgenehmigung für Hans und Sophie Scholl: Briefe und Aufzeichnungen. In: BArch, DR 1 (2575). 2166 O. A.: Briefe der Geschwister Scholl. In: Berliner Zeitung, 30. 06. 1987. 2167 Sabine Neubert: Zu gemeinsamen Positionen im verantwortlichen Gespräch. In: Neue Zeit, 27. 06. 1987. 2168 Aloys Funke: Im Prozeß des Schalom. Dr. Erhard Eppler in der Marienkirche. In: Neue Zeit, 27. 06. 1987, S. 7c. 2169 Eva Gonda: Im Dialog das gute Angebot Gottes einbringen. Forum »Zeitzeugen« in der Hoffnungskirche. In: Neue Zeit, 27. 06. 1987, S. 7. 2170 Der 8. Mai 1985. Zu den kirchlichen und staatlichen Veranstaltungen zum 40. Jahrestag. Analyse von Erklärungen, Berichten und Kommentaren. Zusammengestellt für den Ausschuss »Kirche und Gesellschaft«. In: EZA, 101 (3328).

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Lerngemeinschaft« auf der Grundlage eines Bekenntnisses gemeinsamer Schuld und Verantwortung angesichts der NS-Verbrechen.2171 Einen Zusammenhang des Buchs Inge Aicher-Scholls mit diesen Entwicklungen illustriert Eberhard Klage in seinem mit »Das Gemeinsame verteidigen« überschriebenen Artikel zum 44. Jahrestag des 22. Februar 1943 in der Neuen Zeit: Von besonderem Gewicht aber dürften die »Bemerkungen zu den Zielen der Weißen Rose« sein, mit denen Inge Aicher-Scholl die 1982 in der BRD bei S. Fischer verlegte Neuausgabe erweitert hat. »Der Kreis der Weißen Rose in München zielte darauf, ein zunehmendes öffentliches Bewußtsein des wahren Charakters des Nationalsozialismus und der realen Situation zu schaffen, in die er Deutschland und Europa manövriert hatte«, schreibt sie. »Die Solidarität mit den anderen europäischen Widerstandsgruppen schien meinem Bruder viel zu bedeuten«, hebt sie hervor. »Das Gemeinsame der Menschheit war zu verteidigen«, so bekräftigt sie das Anliegen ihrer Geschwister mit Worten, die heute erneute, ja verstärkte Gültigkeit gewonnen haben. »Das Gemeinsame aller Nationen und Rassen, das größer und unvergleichlich wichtiger ist, als es Unterschiede sind, mußte gerettet werden.«2172

In der Rezeption der DDR-Ausgabe der Briefe und Aufzeichnungen in der Presse zeigen sich Unterschiede je nach Veröffentlichungskontext. Die Berliner Zeitung brachte auf Grundlage einer ADN-Meldung einen kurzen Bericht über die Buchvorstellung, der den »aus christlicher Verantwortung und tiefer Humanität geborenen Kampf der Münchener Widerstandsgruppe ›Weiße Rose‹« belegt findet, während die Neue Zeit ausführlicher und in religiöser Diktion auf die Veranstaltung eingeht und »[t]iefe[n] Glauben« als »Motivation ihres Handelns« verdeutlicht sieht.2173 Peter-M. Bräuning, dem zufolge die Publikation eine »Lücke in der Aufarbeitung des Widerstandes gegen den Faschismus« schließt, liest in seiner Rezension in der Neuen Zeit »eine geradezu parallel verlaufende Vertiefung der religiösen Haltung einerseits und der Ablehnung des Faschismus andererseits« aus den Dokumenten heraus und betont den Einfluss Carl Muths und Theodor Haeckers sowie die Rolle der Kriegserlebnisse für diese Entwicklung.2174 Ein solcher Reifeprozess und damit verbundene »Hinwendung zum 2171 Siehe Claudia Lepp: Entwicklungsetappen der Evangelischen Kirche. Getrennte Existenz in »besonderer Gemeinschaft« (1969–1989). In: Claudia Lepp, Kurt Nowak (Hrsg.): Evangelische Kirche im geteilten Deutschland (1945–1989/90). Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht 2001, S. 66–86; Anke Silomon: Anspruch und Wirklichkeit der »besonderen Gemeinschaft«. Der Ost-West-Dialog der deutschen evangelischen Kirchen 1969– 1991. Göttingen: Vandenhoeck& Ruprecht 2006. 2172 Klage, Anm. 2132. 2173 O. A.: Briefe der Geschwister Scholl. In: Berliner Zeitung, 30. 06. 1987; neu.: Wertvolle Dokumente des Widerstands. Die EVA stellte während des Kirchentags eine neue Publikation vor. In: Neue Zeit, 06. 07. 1987. 2174 Peter-M Bräuning: War Christus nicht der Tapferste von allen? Briefe und Aufzeichnungen

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Glauben« vor allem in der »Zeit seines [Hans Scholls, C.E.] Aufenthaltes in der Sowjetunion« wird auch in den regionalen CDU-Tageszeitungen hervorgehoben.2175 Hier werden auch Auszüge aus dem »Rußlandtagebuch« veröffentlicht, während Auszüge in den evangelischen Wochenzeitungen direkt auf Glaubensfragen abheben, etwa wenn aus Hans Scholls Aufsatz »Über die Armut« (»Vergeßt dies nie, meine Freunde, die Armut ist der Weg zum Licht«) und aus Sophie Scholls bekanntem Tagebucheintrag vom 9. August 1942 (»…Viele Menschen glauben von unserer Zeit, daß sie die letzte sei«) zitiert wird. Die »Ablehnung der NS-Diktatur« und der Entschluss zum »aktiven Widerstand« werden auf »Gespräche mit Freunden, Auseinandersetzungen mit Literatur und Kunst und nicht zuletzt Beschäftigung mit der Bibel« zurückgeführt.2176 In seiner Rezension in der FDGB-Zeitung Tribüne hebt Bernd Heimberger dagegen wieder den »besonderen Wert« der »Schriftstücke von Hans Scholl« hervor, da diese zeigten, wie dieser »[v]on der antibolschewistischen Propaganda nicht verblendet« auf Russland »reagierte«.2177 Günter Wirth begrüßte in der Weltbühne, dass mit den beiden Büchern der EVA und den Publikationen von Klaus Drobisch und Karl-Heinz Jahnke »in unserem Lande« nun »eine umfassende Orientierung über das antifaschistische Wirken der Geschwister Scholl und ihrer Freunde möglich« sei.2178 Das »neue Buch« erhelle »weltanschauliche Reifeprozesse der Münchner Studenten« und zeige den Einfluss »katholischer Antifaschisten wie Carl Muth, Werner Bergengruen, Romano Guardini, Karl Pfleger und vor allem Theodor Haecker« sowie katholisch-französischer und christlich-russischer Literatur, die den »Rückgriff« der Geschwister Scholl »aufs Erbe« charakterisierten.2179 Dieser Begriff ist zentral in Wirths Beitrag, der abschließend mit Verweis auf Robert Scholls Rede beim CDU-Parteitag in Weimar für eine Erweiterung dieses ›Erbes‹ plädiert: Das Erbe der Geschwister Scholl wird bei uns vielfältig (nicht nur literarisch!) bewahrt – wir sollten, angesichts des engen familären Zusammenhalts, der aus Inge Jens’ Buch neuerlich abgelesen werden kann, die ganze Familie Scholl einbeziehen.2180

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von Hans und Sophie Scholl in der Evangelischen Verlagsanstalt. In: Neue Zeit, 25. 07. 1987, S. 5. E.K.: »Briefe und Aufzeichnungen« von Hans und Sophie Scholl aus den Jahren 1937 bis 1943. In: Potsdamer Kirche, 20. 09. 1987. Ebd. Bernd Heimberger: Briefe vom Widerstand zweier junger Menschen. In: Tribüne, 13. 03. 1988. Günter Wirth: Briefe der Scholls. In: Weltbühne (1987), Nr. 48, S. 1521–1523. Ebd. Ebd.

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Die EVA plante indessen über die Familie Scholl hinauszugehen und aufgrund der breiten Resonanz und Nachfrage ihre Reihe zur Weißen Rose mit den von Inge Jens und Anneliese Knoop-Graf herausgegebenen Briefen und Aufzeichnungen Willi Grafs fortzusetzen – dieses Projekt wurde jedoch von den historischen Ereignissen überholt.2181 1988 konnte allerdings noch unter dem Titel Die schlanke Stimme eine von Hans-Jörg Dost herausgegebene Sammlung von internationalen, auch bundesrepublikanischen Hörspieltexten, darunter solchen von Günter Eich und Peter Hirche, erscheinen, um deren Veröffentlichung der Verlag lange mit der HV Verlage und Buchhandel gerungen hatte. Diese zweifelte, ob der Verlag angesichts seines Profils zu einer Publikation von Hörspieltexten berechtigt war, die über theologische und kirchliche Fragen hinausgehen, und wollte die Sammlung strikt auf »profunde Glaubensinhalte« festlegen.2182 Erst nach Ergänzung der Sammlung durch Hörspiele mit substanziellerem christlichen Gehalt und einer Erweiterung des Nachworts, welches das spezielle Anliegen des Verlags begründen sollte, seine Leser mit dem Genre Hörspiel bekannt zu machen,2183 stimmte die HV dem Vorhaben zu, dass sich dann auch noch aus anderen Gründen verzögerte. Zu den neu in die Sammlung aufgenommenen Texten gehört das Skript des 1983 im DDR-Hörfunk urgesendeten Hörspiels Dies Blatt der Weißen Rose von Friedbert Stöcker, der neben seinem Beruf als Pfarrer und Chefredakteur der Wochenzeitung für die evangelische Landeskirche Sachsens Der Sonntag Hörspiele und Kabarettstücke schrieb. Im Nachwort des Bandes wird folgendes Auswahlkriterium behauptet: »Aus den Fabeln dieser Stücke spricht der Wille unseres Gottes, der den Menschen heil und unsere Welt wohnlich sieht. Unter diesem Gesichtspunkt haben wir ausgewählt.«2184 Stöckers Hörspiel wird zu denen gezählt, die zeigen, wie der »persönliche Glaube« Halt gibt und befähigt, »anderen menschlich zu begegnen, sich gegen das Todbringende zu wehren«, und zugleich die »Nachgeborenen« verpflichtet, »sich hier und heute für das Lebenserhaltende einzusetzen«.2185 Dies Blatt der Weißen Rose ist aber keineswegs nur ein Beitrag zum Gedenken an die Weiße Rose, das Hörspiel beinhaltet durch die Rahmenhandlung gerade auch eine Auseinandersetzung mit der Reaktion der Nachgeborenen. Eine Schülerin, die eine Wandzeitung zur Weißen Rose zusammenstellen soll, da ihre 2181 Jörg Hildebrandt: Brief an Inge Jens, 13. 09. 1990. In: EZA, 231 (308). 2182 Jörg Hildebrandt: Brief an Hans-Jörg Dost, 16. 02. 1983. In: EZA, 231 (221). 2183 Jörg Hildebrandt: Aktennotiz über Gespräch mit Herrn Petra, 07.09.82. In: EZA, 231 (221). 2184 Hans-Jörg Dost: Nachwort. In: Hans-Jörg Dost (Hrsg.): Die schlanke Stimme. Hörspiele. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt 1988, S. 355–359, S. 359. 2185 Ebd., S. 358.

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Schule nach den Geschwistern Scholl benannt wird, spricht mit ihrem Vater über diese Aufgabe. Nach anfänglichem Desinteresse beginnt sie sich zwar für die Geschichte zu interessieren und bewundert den »Mut, selber was zu machen. Einfach aus Wut.«2186 Sie kommt dann auf die Idee, Fragen anstatt Antworten aufzuschreiben: »Na ja, daß man ehrlich fragt, was man nicht versteht […] und nicht bloß aus den Büchern abschreibt«.2187 Nachdem der Vater diese Idee nicht gutheißt, will sie die Aufgabe zunächst abgeben: »Das ist so sinnlos. Die hatten überhaupt keine richtige Organisation. Einfach so Flugblätter verschicken… Na ja, waren schon Helden, irgendwie. […] so viel Material. Und ich finde trotzdem nichts für heute. Für mich.«2188 Neben dem fehlenden Bezug zum eigenen Leben stört sie, dass »wir immer eine Lehre daraus ziehen sollen!«2189 Schließlich fertigt sie eine Collage aus der Meldung des Völkischen Beobachters über die Hinrichtung, einer Zeichnung ihres Vaters und einem eigenen Gedicht an: Eigentlich habe ich rote Rosen viel lieber. Aber ich werde jetzt immer, wenn ich eine weiße sehe, ›guten Tag‹ zu ihr sagen und nicht einfach vorbeilaufen. Weil die weiße Rose so wichtig ist. Gerade unter Diesteln.2190

Diese Aneignung der Schülerin, die nicht den Geschmack des Vaters und auch wohl kaum den der Schule trifft, beruht aber durchaus auf kritischer Auseinandersetzung mit Fragen, die sie sich nach der Sinnhaftigkeit des Widerstands der Weißen Rose, zur HJ-Vergangenheit der Geschwister und über Heldentum stellt. Für diese kritischen Fragen haben die Erwachsenen kein Verständnis, jedoch führt die Schülerin ihr persönlicher Schluss zu der Idee, mit ihrem Gedicht eine »Kerze [zu] stiften« und damit zu einer religiösen Geste: »Die waren doch kirchlich, die Geschwister Scholl und die anderen. Ich möchte ihnen meine Kerze stiften.«2191 Die Generation des Vaters wiederum repräsentiert der Erzähler, der während des Krieges zur Schule ging. Für ihn hat die Geschichte der Weißen Rose per2186 Friedbert Stöcker : Dies Blatt der Weißen Rose. In: Hans-Jörg Dost (Hrsg.): Die schlanke Stimme. Hörspiele. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt 1988, S. 141–168, S. 145. 2187 Ebd., S. 152. 2188 Ebd., S. 162. 2189 Ebd. 2190 Ebd., S. 166–167. 2191 Ebd., S. 167.

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sönliche Relevanz, da er sie mit eigenen Erinnerungen konfrontiert, die vor allem darauf abheben, wie die Menschen in seinem Umfeld – Nachbarn, Eltern von Freunden und Verwandte – Teil der NS-Gesellschaft waren, indem sie schwiegen, mitmachten und persönlichen Vorteil zogen. Neben imaginierten Dialogen zwischen Hans und Sophie Scholl, Christoph Probst und Alexander Schmorell, die die Genese und Entwicklung der Widerstandsaktionen sowie die letzten Stunden vor der Hinrichtung betreffen, werden anknüpfend an den Erzählerdiskurs O-Töne von Personen aus den vom Erzähler angerissenen Erinnerungen an sein Umfeld eingeblendet, zum Beispiel die Nachbarin, die berichtet: Mir hat die Frau Doktor unlängst mal gesagt – (flüstert): – Jetzt werden in Dachau alle Juden vergast. (Lauter :) Ich hab gleich gesagt, sie soll sich nicht versündigen. Wenn sie sowas erzählt, landet sie selber noch in der Gaskammer.2192

An anderer Stelle warnt ein Kirchendekan seine Kollegen vor Weiterverbreitung der Flugblätter : »Aber als Pfarrer können wir sicher für die jungen Verfasser beten.«2193 Stöckers Hörspiel erreichte beim Hörer-Hörspielpreis einen hervorgehobenen zweiten Platz, was Siegried Hähnel auf eine »politische Brisanz« zurückführt, die er vor allem in der Frage der »Haltung der jungen Generation zur antifaschistischen Vergangenheit« sieht.2194 Dies spricht dafür, dass Stöckers Anliegen, nicht nur einen Beitrag zum Gedenken an die Geschwister Scholl zu leisten, sondern auch zur Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen jenseits unhinterfragter Heldenverehrung zu appellieren, auf Resonanz stieß. In diesem Sinne unterläuft der Text die offizielle Auswahlvorgabe für den Band, passt aber zu Funktionen des Gedenkens an den Faschismus im kirchlichen Kontext in den 1980er-Jahren, wie sie in den Bemühungen der EVA zum Thema Widerstand zum Ausdruck kamen.

2192 Ebd., S. 144. 2193 Ebd., S. 155. 2194 Aufschlußreich an der Hörerreaktion sei dabei, dass vor allem junge und ältere Hörer/innen für diesen Beitrag votierten, »also solche, die etwa im damaligen Alter der Geschwister Scholl waren, und jene, die in etwa deren Zeitgenossen waren, die sich also jeweils unmittelbar in ihren eigenen Erfahrungen angesprochen fühlten«. Siegfried Hähnel: Das DDR-Hörspiel im Urteil der Hörer. Versuch einer Interpretation der HörerHörspielpreise (1977–1991). In: Rundfunk und Geschichte 22 (1996), Nr. 1, S. 18–29, S. 22.

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Vorbilder für Demokratie und Nation

VI.1 Zeitzeugen als Akteure der Erinnerung VI.1.1 Zur Etablierung von Zeitzeugenschaft Zeitzeugen spielen eine große Rolle bei der Vermittlung der Geschichte der Weißen Rose, Sönke Zankel sieht diese, »so wie sie im öffentlichen Gedächtnis präsent ist«, als »über weite Strecken eine Geschichte aus Zeitzeugenperspektive« an.2195 Der Begriff ›Zeitzeuge‹ ist eine seit Mitte der 1970er-Jahre nachweisbare sprachliche Neuschöpfung, die im Laufe der 1980er-Jahre geläufig und 1991 im ›Einheitsduden‹ lexikalisiert wurde.2196 Martin Sabrow sieht diese Entwicklung eng mit der Holocaust-Erinnerung verbunden und setzt für das Ende der 1980er-Jahre den Beginn einer »Zeitzeugenepoche« an, die für ihn einen »radikalen Rollenwechsel« des Zeitzeugen vom kritischem Repräsentanten »einer demokratische[n] Gegenerzählung« zur affirmativen »Leitfigur des öffentlichen Geschichtsdiskurses« mit einer »beherrschende[n] Stellung im öffentlichen Vergangenheitsdiskurs der Bundesrepublik« markiert.2197 Die Entwicklung von Zeitzeugenschaft in öffentlichen Geschichtsdiskursen beschränkt sich jedoch nicht, wie es Sabrow suggeriert, auf die Verfolgten- und Opferperspektive.2198 Zudem verdeckt der Befund einer hegemonialen Position der Zeitzeugen die Frage nach dem dynamischen Verhältnis zwischen ihren Dis2195 Zankel, Anm. 27, S. 2–3. 2196 Siehe Peter Paul Schwarz: Zeit. Zeugen. Zeitzeugen. Zu Traditionen, Entwicklungslinien und Erscheinungsformen von Zeitzeugenschaft. In: Bildungswerk der Humanistischen Union NRWe.V., Zeitpfeil e.V. (Hrsg.): Zeitzeugenarbeit zur DDR-Geschichte. Historische Entwicklungslinien – Konzepte Bildungspraxis. Essen: Klartext 2012, S. 8–45. 2197 Martin Sabrow : Der Zeitzeuge als Wanderer zwischen zwei Welten. In: Martin Sabrow, Norbert Frei (Hrsg.): Die Geburt des Zeitzeugen nach 1945. Göttingen: Wallstein 2012, S. 13–32, S. 16. 2198 Christian Ernst, Peter Paul Schwarz: Zeitzeugenschaft im Wandel. Entwicklungslinien eines (zeit-)geschichtskulturellen Paradigmas in Kontexten von ›NS-Vergangenheitsbewältigung‹ und ›DDR-Aufarbeitung‹. In: BIOS 25 (2012), Nr. 1, S. 25–49.

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kursen und deren Rahmen sowie nach Konvergenzen zivilgesellschaftlicher und offizieller Geschichtsdiskurse. Solche Konvergenzbewegungen lassen sich am Fall der Weißen Rose zeigen, deren öffentliche Erinnerung von Beginn an auf Zeugnissen und Zeugenschaft beruhte. Den damals noch lebenden Zeitzeugen wurde ab den 1990er-Jahren eine zunehmende und sich ab der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre noch verstärkende mediale Aufmerksamkeit zuteil. In der Vorankündigung des auf Zeitzeugenaussagen basierenden Dokumentarhörspiels Die Weiße Rose2199 verweist der Redakteur des Bayerischen Rundfunks 2011 auf die von Jan Assmann postulierte »Epochenschwelle«, an der eine »Generation von Zeitzeugen der schwersten Verbrechen und Katastrophen in den Annalen der Menschheitsgeschichte« aussterbe, und zählt Karin Seybolds dem Hörspiel zugrundeliegenden Film Die Widerständigen2200 gemeinsam mit Claude Lanzmanns Shoah als Beispiel für Filme auf, die »noch rechtzeitig Stimmen, Aussagen, Bilder und Erinnerungen der Zeitzeugen audiovisuell festgehalten« haben.2201 Dies ist ein Beispiel dafür, wie Muster der HolocaustZeitzeugenschaft auf die Zeitzeugen der Weißen Rose übertragen werden. Im Mai 2015 hatte der zweite Teil des nach dem Tod Seybolds federführend von Ula Stöckl fortgeführten Dokumentarfilm-Projekts unter dem Titel Die Widerständigen – also machen wir das weiter Premiere. Das Werbeplakat ist mit dem Zusatz »Die letzten Zeitzeugen der Weißen Rose« versehen.2202 In den Interviews in Seybolds Projekt berichten »Zeugen, Angeklagte und deren Freunde, wie sie die Flugblätter weiter verbreiteten und deswegen mit Gefängnis bestraft wurden«.2203 Anspruch ist es, jenen »eine Stimme« zu geben, die im Schatten der Geschwister Scholl vergessen zu werden drohen«.2204 Ähnlich wie im InterviewBuch der Journalistin Sybille Basslers wird somit der Kreis der Zeitzeugen auf das »Umfeld der Weißen Rose«2205 und die Angehörigen erweitert. ZeitzeugenStatus erhalten in diesen Beispielen: Lilo Fürst-Ramdohr, Hildegard HammBrücher, Elisabeth Hartnagel, Anneliese Knoop-Graf, Traute Lafrenz, Franz J.

2199 Karin Seybold, Michael Farin: Wagnis Weiße Rose. Dokumentarhörspiel in zwei Teilen: »Es lebe die Freiheit!« und »Ihr Geist lebt weiter«. Bayrischer Rundfunk 2012. 2200 Karin Seybold: Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose. Katrin Seybold Film GmbH in Kooperation mit dem RBB 2008. 2201 Herbert Kapfer: Formen des Erinnerns. Die Weiße Rose / Der Zitherspieler (Stand: 26. 10. 2011), Internet: http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/hoerspiel-und-medienkunst/ schwerpunkt100.html, zuletzt geprüft am 30. 07. 2015, nicht mehr aufrufbar am 11. 07. 2018. 2202 Ankündigung des Films »Die Widerständigen – also machen wir das weiter«, Internet: http://www.filmstarts.de/kritiken/234950.html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2203 Ebd. 2204 Ebd. 2205 Sybille Bassler : Die Weiße Rose. Zeitzeugen erinnern sich. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2006, S. 12.

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Müller, Dieter Sasse, Erich Schmorell, Herta Siebler-Probst, Birgit Weiß-Huber, Jürgen Wittenstein, Susanne Zeller-Hirzel. Breitenwirkung als Zeitzeugin erzielte bis in die 1990er-Jahre hinein, nicht zuletzt durch den Erfolg ihres Buches, vor allem Inge Aicher-Scholl, deren Perspektive auch in den 1970er-Jahren von verschiedenen Seiten gefragt blieb. Dies belegen exemplarisch ihr Auftritt im vom Studienkreis Deutscher Widerstand2206 unterstützten Dokumentarfilm über den antifaschistischen Kampf 1933–1945 und der zweite Teil einer Serie Zeugen der Zeitgeschichte des katholischen Weltbild-Bücherdienstes, in welchem Inge Aicher-Scholl als Angehörige ihre Geschwister charakterisiert und für den sie bis dato unveröffentlichte Fotos bereitstellte. Im Begleittext zu dieser 1975 erschienenen Serie werden später häufig aufgeführte Funktionen von Zeitzeugen bereits umschrieben, auch wenn hier Zeugen und Zeitgeschichte noch nicht zum Kompositum verbunden sind: 1975. Das letzte Viertel dieses Jahrhunderts beginnt. Es waren viele herausragende Männer und Frauen, die die ersten drei Viertel prägten. Von einigen wollte WELTBILD wissen, wie sie wurden, was sie waren. Nahe Angehörige schildern als Zeugen der Zeitgeschichte, wie diese Menschen ihnen im Gedächtnis blieben: Vielfach unbekannte persönliche Belege für wichtige Kapitel unserer jüngsten Historie.2207

Christine Hikel zufolge blieb Inge Aicher-Scholl ab den 1980er-Jahren »hinter der zunehmenden Aufmerksamkeit für die Geschichte ihrer Geschwister fast unsichtbar«.2208 Sie hielt aber ab den 1980er-Jahren sogar verstärkt als Zeitzeugin Vorträge an Schulen2209 und blieb auch in den Medien präsent, wie beispielsweise eine auf Interviews mit ihr basierende, mehrteilige Serie der Münchener Abendzeitung belegt, die unter dem Titel Das kurze Leben meiner Schwester Sophie im Mai 1997 erschien.2210 1995 erhielt sie die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg, 1997 die Ehrenbürgerurkunde der Stadt Ulm. Bis zu ihrem Tod 1998 kann Inge Aicher-Scholl als prominenteste Zeitzeugin der Weißen Rose angesehen werden. Sie war über diese Rolle hinaus jedoch auch für ihr politisches Engagement im Kontext der Friedensbewegung bekannt und nahm in Vorträgen und Presseinterviews oft auch Stellung zu konkreten politischen Fragen. Sie pflegte auch in den 1990er-Jahren ihren Ruf als Pazifistin und 2206 Siehe Kapitel V.1.5. 2207 Rainer A. Krewerth: Das letzte Wort war Freiheit. Teil 2 der Serie »Zeugen der Zeit«. In: Weltbild-Bücherdienst, 22. 01. 1975, S. 40–42, S. 40. 2208 Hikel, Anm. 49, S. 243. 2209 Siehe die Laufzeit bis 1997 des bis 2027 gesperrten Nachlass-Bandes Vorträge, Zeitzeugengespräche u. ä. Inge Aicher-Scholls an Schulen: Korrespondenz und Materialien. In: IfZ, ED 474 (329). 2210 Tim Pröse: AZ-Serie »Das kurze Leben meiner Schwester Sophie«. In: Münchner Abendzeitung, 9.–13. 05. 1997.

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wies auf Vorbehalte ihr gegenüber in Schulen hin.2211 In einer Würdigung zu ihrem 75. Geburtstag beschreibt sie die Süddeutsche Zeitung als »sanfte Radikale« und zählt sie zu den »geistigen Müttern der zweiten deutschen Demokratie« und betont den Zusammenhang zwischen Zeitzeugenschaft und politischem Engagement: Daß sie aber nicht Asche bewahren, sondern die Flamme des Widerstands erhalten will, zeigten ihre Initiativen für Völkerverständigung und gegen Nachrüstung, für selbstverständliches Handeln gegen den Allmachtanspruch des Staates.2212

Anneliese Knoop-Graf wurde dagegen erst in den 1990er-Jahren und fast ausschließlich durch ihre Zeitzeugenrolle öffentlich bekannter. Im Gegensatz zu Inge Aicher-Scholl wurde ihre Rolle als Akteurin der Erinnerung an die Weiße Rose bisher nicht kritisch untersucht.2213 Von Inge Aicher-Scholl unterscheidet sie dabei auch, dass sich bei ihr die – aus der Verbindung der Legitimität als Schwester, dem privaten Besitz der Dokumente und der darauf aufbauenden Authentizität der eigenen Darstellung sich ergebende – Autorität als Zeitzeugin2214 erst sukzessive ab Ende der 1960er-Jahre entwickelte. Im Folgenden wird in diesem Zusammenhang anhand Anneliese Knoop-Grafs Publikationen und deren Rezeption insbesondere die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Zeitzeugen, Wissenschaft und Politik untersucht.

VI.1.2 »Weitertragen«. Anneliese Knoop-Graf als Zeitzeugin der Weißen Rose Die 1921 geborene jüngere Schwester Willi Grafs studierte nach dem Abitur Germanistik, Anglistik und Romanistik zunächst in Heidelberg und – auf Wunsch ihres Bruders – ab dem Wintersemester 1942/43 in München. Obwohl sie in die Widerstandsaktivitäten nicht eingeweiht war, wurde sie am 18. Februar 1943 gemeinsam mit ihrem Bruder verhaftet und blieb bis zum 13. Juni 1943 in Untersuchungshaft, während der sie eine Zelle mit Angelika Probst teilte. Das Verfahren gegen sie wurde zwar erst im Januar 1944 eingestellt, sie konnte aber in Freiburg i. B. ihr Studium fortsetzen. 1946 heiratete sie Bernhard Knoop und leitete mit ihm bis 1969 das Landerziehungsheim Marienau. Seit 1947 publizierte sie in der hauseigenen Zeitschrift Marienauer Chronik zu Internatsfragen und 2211 Jürgen Heilig: In steter Angst um die anderen. Inge Aicher-Scholl über ihre Geschwister Hans und Sophie und den Pazifismus. In: Tagesspiegel, Februar 1993 [nicht weiter datierter Zeitungsauschnitt in: IfZ, ED 474 (249)]. 2212 Wolfgang Jean Stock: Eine sanfte Radikale. Zum 75. Geburtstag von Inge Aicher-Scholl. In: Süddeutsche Zeitung, 11. 08. 1992. 2213 Blaha, Anm. 42, würdigt ausführlich die Rolle Anneliese Knoop-Grafs als Zeitzeugin, übernimmt aber weitgehend deren Perspektive. Siehe Kapitel II.2.2. 2214 Siehe Kapitel IV.1.1.

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pädagogischen Themen, in den 1960er Jahren veröffentlichte sie auch mehrere Beiträge vornehmlich zur Sexualpädagogik in fachwissenschaftlichen Zeitschriften sowie in der Presse.2215 Zu ihrem Bruder und zur Weißen Rose äußerte sie sich außer im Kreis ihrer Schüler in Marienau bis in die 1960er-Jahre hinein nicht öffentlich und entwickelte erst in den 1980er-Jahren eine umfassende Vortragstätigkeit zur Erinnerung an ihren Bruder und an die Weiße Rose.2216 Seit der Gründung der Weißen Rose Stiftung 1987 nahm sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2009 das Amt als deren zweite Vorsitzende wahr. 1988 gab sie gemeinsam mit Inge Jens im Fischer Verlag die Briefe und Aufzeichnungen ihres Bruders heraus.2217 Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete sie schon im Jahr 1990 in einem Portrait als »Vermächtniswahrerin der Weißen Rose«.2218 Drei Jahrzehnte zuvor war ihr eine solche Rolle noch fremd. Angestoßen durch das im Fischer-Verlag Anfang der 1960er-Jahre geplante Projekt eines Dokumentenbands2219 sichtete KnoopGraf 1963 erstmals intensiv den Nachlass ihres Bruders und kontaktierte dessen Freunde, um Erinnerungsberichte zu erhalten.2220 Da sich das Projekt mehr und mehr verzögerte, nahm sie die Gelegenheit wahr, sich an einer von Klaus Vielhaber und Hubert Harnisch angeregten Sondernummer mit dem Titel Widerstand im Namen der deutschen Jugend. Willi Graf und die ›Weiße Rose‹ der Zeitschrift Hirschberg des Neudeutschen Bundes zu beteiligen, um »alle Briefe und Tagebuchnotizen, die mir wichtig sind, abdrucken zu lassen«2221 und ein ausführliches Portrait ihres Bruders zu verfassen. Dieser Band wurde dann vom Würzburger Echter-Verlag, der bis heute vor allem katholische und regionale Literatur verlegt, als Buch gedruckt. 1964 erschien der Titel als Taschenbuch in der Herder-Bücherei, die sich gemäß ihres Selbstverständnisses als »Reihe mit eigenem geistigen Profil« an den »modernen Christen« richtete.2222 Der veränderte Titel Gewalt und Gewissen. Willi Graf und die ›Weiße Rose‹ verweist auf eine Dualität, welche auch die Zusammenstellung der Dokumente gliedert: 2215 Christa Schäfers: Die Schriften von Anneliese Knoop-Graf. In: Michael Kißener (Hrsg.): »Weitertragen«. Studien zur »Weißen Rose«. Festschrift für Anneliese Knoop-Graf zum 80. Geburtstag. Konstanz: UVK 2001, S. 153–166. 2216 Rolf-Uwe Kunze, Katja Schrecke: Interview mit Anneliese Knoop-Graf. In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 11–38. 2217 Anneliese Knoop-Graf, Inge Jens (Hrsg.): Willi Graf: Briefe und Aufzeichnungen. Überarbeitete Neuausgabe [Erstausgabe 1988]. Frankfurt a. M.: Fischer 1994. 2218 Steffi Hugendubel: Anneliese Knoop-Graf. Vermächtnisbewahrerin der Weißen Rose. In: Süddeutsche Zeitung, 21. 05. 1990. 2219 Siehe Kapitel IV.2.1. 2220 Knoop-Graf, Anm. 1197. 2221 Knoop-Graf, Anm. 1203. 2222 Das Gesicht in der Menge [Selbstdarstellung der Herder-Bücherei], in: Klaus Vielhaber (Hrsg.): Gewalt und Gewissen. Freiburg i. B.: Herder 1964.

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Persönliche Dokumente und Berichte werden mit Anklage- und Urteilsschriften konfrontiert. Klaus Vielhaber betont in seiner Einleitung, Ziel sei es, ein Bild von Willi Graf festzuhalten, »ohne es auf nur politische Kategorien zu reduzieren«.2223 In den Erinnerungen von Zeitgenossen und den Selbstzeugnissen werde »ein Lebenslauf imponierender Geradlinigkeit« und »die Grundlegung und vom Gang der Ereignisse aufgezwungene Radikalisierung der Widerstandshaltung« greifbar.2224 Diese liege in »Selbstbehauptung des einzelnen mit seiner Gruppe, in der Bildung neuer Gruppen, im Schritt zur Aktion«.2225 Dabei könne vorgeführt werden, »wie bewußt und geradezu systematisch der Zusammenhalt unter den Freunden der alten miteinander verflochtenen Gruppen – über deren äußere Zerschlagung hinweg – gewahrt wurde«.2226 Der Lebenslauf Willi Grafs erscheint so als repräsentativ auch für andere Lebensläufe der bündischen Jugend. Das den Dokumenten vorangestellte, von Anneliese Knoop-Graf verfasste Lebensbild folgt dem von Vielhaber behaupteten Dreischritt. Willi Grafs Weigerung, in die HJ einzutreten, und die mit der Streichung von Namen aus seinem Adressbuch belegte Distanzierung von Mitschülern, die der HJ beitraten, die Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen der bündischen Jugend, die Fronterlebnisse (»grausame Situationen wie Judenermordungen und Ausweisungen«2227) und die Aktionen im Kreis um Hans Scholl und Alexander Schmorell werden chronologisch dargestellt und aufeinander bezogen. Die Schilderung der konsequenten Haltung Willi Grafs bei Verhören und vor der Hinrichtung bildet den Schluss der Darstellung, wobei Auszüge aus der Schilderung des Gefängnispfarrers Brinkmann und das »in die Todeszelle erbeten[e]« Gedicht Lebenslauf von Hölderlin angefügt werden.2228 Die Eintragung eines Bibelzitats »Seid Gefolgschaft in der Tat, nicht nur im Hören des Wortes«2229 im Tagebuch 1933, das dem Text vorangestellt ist, dient der Erklärung dieses Weges und wird als von Willi Graf selbst gewählte »Richtschnur« interpretiert: »Damals begann die Zeit, da ›Gefolgschaft‹ mißbraucht und […] zu einem fragwürdigen Begriff wurde. War dies bereits der Aufbruch […] zu einem selbstständigen und unbeirrbaren Weg?«2230 Die hier vorgenommene Kontextualisierung und Befragung des Zitats führt den inter2223 2224 2225 2226 2227

Ebd., S. 12. Ebd. Ebd. Ebd. Anneliese Knoop: Willi Graf. Ein Lebensbild. In: Klaus Vielhaber (Hrsg.): Gewalt und Gewissen. Willi Graf und die »Weisse Rose« eine Dokumentation in Zusammenarbeit mit Hubert Hanisch und Anneliese Knoop-Graf. Freiburg i.B.: Herder 1964, S. 17–35, S. 26. 2228 Ebd., S. 35. Vgl. Brinkmann, Anm. 727, S. 70–71. 2229 Jak. 1, 22. 2230 Knoop, Anm. 2227, S. 17.

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textuellen Dialog zwischen der Verfasserin und den Dokumenten vor, der den gesamten Text durchzieht. Durch Zitate vor allem aus Briefen, Notizbüchern und Tagebüchern erhält der Text einerseits den Charakter einer historisch belegten Darstellung, andererseits wird dem Adressaten eine hermeneutische Annäherung an Entwicklung, prägende Erlebnisse, Empfindungen, Gedanken und Zweifel ihres Bruders nahegelegt. Dabei betont Knoop-Graf, dass es sich bei den Dokumenten um Texte »ganz eigener Art« handelt: Die Technik des Formulierens, wie sie auch in den noch erhaltenen Briefen und Tagebuchnotizen deutlich zu erkennen ist, wurde in jener Zeit der Unterdrückung der freien Meinungsäußerung geradezu zu einer Kunst des chiffrierten Ausdrucks entwickelt; heute ist dies kaum übersetzbar und erscheint daher einer späteren Generation fast unverständlich.2231

Den Schlüssel zum Verständnis stellt somit der Kommentar der Verfasserin dar, der zugleich Rezeptionsvorgaben für die Dokumente beinhaltet, etwa wenn mit Tagebucheinträgen die Besonderheit und auch die Einsamkeit des Wegs Willi Grafs betont wird. Differenz zu anderen markiert auch die Darstellung Willi Grafs als Soldat. Dessen Einstellung wird nicht, wie in Inge Aicher-Scholls Buch, auf die Mehrheit der Wehrmachtsoldaten ausgeweitet: Als der Krieg ausbrach, sagte Willi von Anfang an, daß er verloren werden müsse und auch verloren werde. Solche Überzeugung trennte ihn von vielen, selbst von manchem seiner Jugendfreunde, die als überzeugte Soldaten daran glaubten, ihr Vaterland um jeden Preis verteidigen zu müssen.2232

Aus Willi Grafs Tagebucheinträgen wird geschlossen, dass beim gemeinsamen Fronteinsatz die Pläne für eine Ausweitung des Widerstands heranreiften. Nach der Rückkehr habe Willi Graf die »Aufgabe, in seinem weitverzweigten Freundeskreis im Saarland, Rheinland und in Freiburg zu wirken und zu werben« übernommen.2233 Jedoch »nicht alle guten Freunde konnten oder wollten den radikalen Weg des Widerstands mitgehen«, wobei die Brüder Heinz und Willi Bollinger als Ausnahme genannt werden.2234 Ein Brief Heinz Bollingers wird zur Erklärung der Konzeption des Widerstandskreises ausführlich zitiert: Willi erklärte mir die Auffassung der Münchener Gruppe: Der Krieg müsse zu Ende gehen, indem die Generäle sich mit den Alliierten verständigten und in Richtung Heimat marschierten, um die Nazis zu überwinden. Das sei dann die Stunde der örtlichen Widerstandsgruppen, die überall sofort die Nazibefehlszentralen beseitigen müßten, was aber sorgfältig, auch psychologisch (deshalb die Flugblätter) vorbereitet werden müsse. Jede Gruppe brauche einen Vervielfältigungsapparat und Geld für die 2231 2232 2233 2234

Ebd., S. 19. Ebd., S. 25. Ebd., S. 28. Ebd., S. 29.

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Flugblätter, die mit der Post zu verschicken seien. Mein Bruder sorgte in Saarbrücken und ich in Freiburg für diese Vorbereitung.2235

Von einem Fanal ist nicht die Rede, die Aktion vom 18. Februar 1943 wird nicht weiter beleuchtet. Durch die Charakterisierung Willi Grafs als »kein im vordergründigen Sinne politischer Typ«, der »von Natur aus nicht zur revolutionären Aktion« neigte, wird der Widerstand auf eine spezifische menschliche und christliche Gesinnung zurückgeführt: Doch wenn geistige Entscheidungsfreiheit nicht gewährleistet ist, Entfaltung gemäß dem eigenen inneren Gesetz, schlichtes Menschsein […], dann wird ein junger Mensch mit gesundem Instinkt und wachem, gläubigen Sinn aufbegehren. Wenn er zudem beherzt und opferbereit ist und durch Gesinnungsfreunde bestätigt und ermuntert wird, dann muß er sich aktiv solcher Knechtung widersetzen und schließlich zum Gegenspieler des Zeitgeistes werden. So wurde Willi in die Rolle gedrängt, sich im Widerspruch zur eigenen Veranlagung immer entschiedener auflehnen zu müssen. »Seid Gefolgschaft in der Tat, nicht nur im Hören des Wortes.«2236

Die Etappen von Willi Grafs geradlinigem, in der retrospektiven Darstellung Knoop-Grafs zwangsläufig erscheinenden Weg gliedern auch die Anordnung der Dokumente in fünf Rubriken mit den Überschriften: »Jugend – in die Illegalität gedrängt«, »Erlebnis des Krieges«, »Schritt zur Aktion«, »Prozess und Urteil«, »Zwischen Verurteilung und Hinrichtung«. Abgedruckt werden dabei meist Auszüge persönlicher Dokumente, deren Auswahl im Gegensatz zu der mit Inge Jens 1988 herausgegebenen Edition nicht begründet wird.2237 Die Briefe sind weitgehend unkommentiert und stark gekürzt abgedruckt, wodurch gewisse Rezeptionslinien vorgegeben und Deutungen nahegelegt werden. Tanja Blahas Einschätzung, der Leser des Bandes von 1964 sei in die Lage versetzt, sich »ein authentisches Bild« machen und »sich selbst ein Urteil über die Person Willi Grafs und seine Rolle innerhalb des Widerstandskreises« bilden zu können, ist daher zu relativieren.2238 Nach den Ausgaben 1963 und 1964 erschienen keine weiteren Auflagen. Drei Jahre nach Erscheinen bedauert Christian Petry in der einzigen vorliegenden Besprechung in der überregionalen Presse, dass das Buch »bisher offenbar kaum Leser gefunden« habe.2239 Er vermerkt positiv, dass es »stereotype Vorstellungen« zur Weißen Rose in Frage stelle: Es zeige, »daß mehr, als bisher angenommen, die Münchener Studenten um Scholl und Graf ihre Aktionen, nicht so 2235 2236 2237 2238 2239

Ebd., S. 28–29. Ebd., S. 24–25. Siehe Knoop-Graf, Jens, Anm. 2217, S. 27–34, S. 109–110. Blaha, Anm. 42, S. 113–115. Christian Petry : Die Helfer der Weißen Rose. Die Geschwister Scholl hatten viele Freunde. In: Die Zeit, 17. 03. 1967.

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sehr als nur ›menschliche‹, sondern […] als ›politische‹ Handlungen verstanden«.2240 Allerdings könne der Band das »Fehlen historischer Arbeiten« nicht ausgleichen: Man wird nicht um die Frage herumkommen, welche Vorstellungen von Politik Leute wie Willi Graf hatten. […] Was Leichtsinn war, was politischen Überlegungen entsprang, für welche Auffassungen Freundesgruppen und ältere Mentoren verantwortlich waren, welche Rolle das Kriegserlebnis, der gemeinsame Aufenthalt in Rußland spielte, läßt sich mit Hilfe der Dokumentation nicht beantworten. Ihr Verdienst ist nicht, daß sie das Bild des studentischen Widerstandes in München erhellt, sondern daß sie [darauf, C.E.] aufmerksam macht, wieviel eigentlich noch im dunkeln ist. Auf dem Weg zu einer Geschichte der Weißen Rose ist dieses Buch der erste Schritt.2241

Petry legte ein Jahr später seine eigenen Thesen in seinem Buch Studenten aufs Schafott dar.2242 Sowohl für Petry als auch für den DDR-Historiker Karl-Heinz Jahnke stellen die in Gewalt und Gewissen abgedruckten Tagebucheinträge Willi Grafs über den Aufenthalt der Studentenkompanie in Russland wichtige Quellen und eine Grundlage ihrer (gegensätzlichen) Bewertungen dar. Nachweislich ab Ende der 1960er-Jahre hielt Knoop-Graf Vorträge über ihren Bruder und die Weiße Rose, bei denen sie jeweils Textbausteine aus vorherigen Texten übernimmt, abwandelt und ergänzt. So werden, gerade was die Charakterisierung ihres Bruders betrifft, in Publikationen Knoop-Grafs bis in die 2000er-Jahre Formulierungen fortgeschrieben, die bereits in dem 1963 formulierten Lebensbild enthalten sind. Jedoch lassen sich über die Jahrzehnte Veränderungen hinsichtlich der Deutungen der Weißen Rose und ihrer Relevanz für die Gegenwart sowie des Verständnisses und der Reflexion der eigenen Rolle feststellen. Im 1963 verfassten Lebensbild werden als Beleg für Willi Grafs Verständnis des eigenen Handelns zwei Sätze des Abschiedsbriefes an die jüngere Schwester zitiert und nicht weiter kommentiert: Du weißt, daß ich nicht leichtsinnig gehandelt habe, sondern daß ich aus tiefster Sorge und dem Bewußtsein der ernsten Lage gehandelt habe. Und Du mögest dafür sorgen, daß dieses Andenken in der Familie, den Verwandten und Freunden lebendig und bewußt bleibt.2243

In einer in der Marienauer Chronik dokumentierten, 1968 in Marienau gehaltenen Rede zum Gedenken an ihren Bruder leitet Knoop-Graf erstmals aus diesem Brief ein Vermächtnis ab, mit dem sie ihre Sprecherposition und Rolle 2240 2241 2242 2243

Ebd. Petry, Anm. 2239. Siehe Kapitel V.1.4. Knoop, Anm. 2227, S. 34.

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von da an in fast allen ihren Vorträgen, Publikationen und Interviews legitimiert: »Du weißt, daß ich nicht leichtsinnig gehandelt habe, sondern daß ich aus tiefster Sorge und dem Bewußtsein der ernsten Lage gehandelt habe. Gegenüber [im Original: Auch gegenüber] meinen Freunden sollst Du bestimmt sein, mein Andenken und Wollen aufrecht zu erhalten. […] Sie sollen weitertragen, was wir begonnen haben.« Dieser Auftrag ist Bestandteil meines persönlichen Daseins.2244

In einer Publikation in der Zeitschrift Unsere Jugend von 1982 wird der an das Zitat anschließende Satz verändert; der Auftrag ist nun »Bestandteil meines Lebens«.2245 Ab den 1980er-Jahren zeichnet die Schwester Willi Grafs in Publikationen mit dem Namen Knoop-Graf. In einer Ansprache 1986 anlässlich des 89. Katholikentags in Aachen legt sie »Weitertragen« als Appell und Botschaft aus und erklärt es zum Leitmotiv für das eigene Wirken als »Zeitzeugin«: Weitertragen, ein Appell, der das Vergangene mit der Gegenwart verbindet und in die Zukunft weist; eine Botschaft, daß der einzelne ein Gewicht hat, sofern er bereit ist, für seine Überzeugung unerschrocken einzustehen. Weitertragen – eine Aufgabe die mir [! C.E.] mein Bruder zuwies. […] Weitertragen, das heißt darüber hinaus, von der Weißen Rose Zeugnis zu geben und über Auslegung und Rezeption ihrer Geschichte zu wachen.2246

Von 1993 an wird Willi Grafs Wunsch gegenüber den Freunden weiter ausgeweitet; zum einen als Verpflichtung gegenüber den »Freunden der Weißen Rose«, »die Unruhe über ihren Tod weiterzutragen«, zum anderen als »Auftrag«, dem sich »auch die Weiße-Rose-Stiftung« verpflichtet wisse.2247 1996 antwortet Anneliese Knoop-Graf in einem schriftlichen Interview für eine Publikation zur Rolle von Zeitzeugen auf die Frage, warum ihr die Arbeit als Zeitzeugin so wichtig sei, ebenfalls mit dem Verweis auf den Brief ihres Bruders: In einem – vom Gefängnisgeistlichen herausgeschmuggelten – Brief hat mein Bruder mir aufgetragen: »Du sollst dazu bestimmt sein, mein Andenken und Wollen auf2244 Anneliese Knoop: Studenten gegen Hitler. Rede zum Gedenken an Willi Graf und die Weiße Rose. In: Marienauer Chronik (1968), S. 52–70, S. 69. Vgl. den Brieftext in KnoopGraf, Jens, Anm. 2217, S. 199–200. Knoop-Graf zitiert nicht: »Alle meine Bücher und Schriften in München, Saarbrücken und Bonn hinterlasse ich Dir. Du sollst nach Deinem Gutdünken damit umgehen.« 2245 Anneliese Knoop-Graf: Jugendwiderstand im Dritten Reich. Willi Graf und »Die weiße Rose« (1982). In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 85–114, S. 111. 2246 Anneliese Knoop-Graf: Die Widerstandskämpfer der »Weißen Rose« – Zeugen der Freiheit. In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 115–138, S. 128. 2247 Anneliese Knoop-Graf: Hochverräter? Willi Graf und die Ausweitung des Widerstands (1993). In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 139–166, S. 164.

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rechtzuerhalten.« Durch meine Vorträge, Diskussionen und Publikationen versuche ich, dieses Vermächtnis meines Bruders zu erfüllen. Über diesen persönlichen Anteil hinaus ist es mir wichtig, seine Botschaft zu überbringen, die das »Nie wieder« konkret versteht. Denn Vergessen ist Unheil, Erinnerung ist Erlösung.2248

2006 interpretiert Anneliese Knoop-Graf in einem Interview mit Sibylle Bassler diesen Satz als »offizielle[n] Auftrag«.2249 An diesen Beispielen wird besonders deutlich, wie sich zum einen die Zitate immer weiter vom eigentlichen Text und Kontext des Briefes lösen und zum anderen, wie sich Knoop-Graf in Diskurse über Zeitzeugenschaft und Erinnerung an den Nationalsozialismus einschreibt. Die Entwicklung der sich auf den letzten Brief ihres Bruders berufenden Vermächtniskonstruktion zeigt, wie sie ihr Rollenverständnis, ihren Geltungsanspruch und ihre Legitimation als Zeitzeugin sukzessive ausbaute. Zugleich reflektiert sie schon ab 1986 in Vorträgen2250 die damit verbundenen »Probleme der Vermittlung«: die »Balance« zwischen »persönlichem Betroffensein und distanzierter Berichterstattung« oder das Spannungsfeld zwischen Authentizität und mit »Wissen von heute« überformter Erinnerung.2251 Sie formuliert hierbei einen doppelten Anspruch an den Zeitzeugen, »die Fakten so exakt zu vermitteln, wie es ihm aufgrund seiner Erinnerungen wie auch der Forschungsergebnisse möglich ist«.2252 Eine auch in anderen Texten ab der zweiten Hälfte der 1980er-Jahren deutlich werdende ›Professionalisierung‹ der Zeitzeugenrolle2253 korrespondiert mit einer Ausweitung der Kontexte, in denen sie als Zeitzeugin vorträgt und publiziert. Bis Anfang der 1970er-Jahre veröffentlichte Knoop-Graf insbesondere in Zusammenhängen, mit denen sie über die Geschichte ihres Bruders oder persönlich verbunden war : Nach den ersten gemeinsam mit Klaus Vielhaber und Hubert Harnisch besorgten Publikationen in der Zeitschrift des Bundes Neudeutschland Hirschberg und im katholischen Herder-Verlag zunächst in der Marienauer Chronik und als FDP-Mitglied in der Zeitschrift liberal.2254 Die Veröffentlichungskontexte erweiterten sich im Laufe der 1970er- und 1980erJahren auf kirchlich-katholische2255 und pädagogische Publikationskontexte. Ab 2248 Anneliese Knoop-Graf: Brief an Hartmut Castner, 06. 07. 1996. In: Eigene Sammlung (dem Verf. von Anneliese Knoop-Graf überlassen). 2249 Bassler, Anm. 2205, S. 89. 2250 Knoop-Graf, Anm. 2246, S. 128. 2251 Knoop-Graf, Anm. 2248. 2252 Ebd. 2253 Siehe auch Kunze, Schrecke, Anm. 2216. 2254 Anneliese Knoop-Graf: Studenten gegen Hitler. In: liberal. Vierteljahreshefte für Politik und Kultur 12 (1970), S. 486–496; Anneliese Knoop-Graf: Die »Weiße Rose« – dreißig Jahre danach. In: liberal. Vierteljahreshefte für Politik und Kultur 15 (1973), S. 484–492. 2255 Bspw. Anneliese Knoop-Graf: Widerstand im Widerstreit: Ist die Weiße Rose verwelkt? (Kirchenfunk). SWF 14. 10. 1973; Anneliese Knoop-Graf: Die »Weiße Rose«. Zur Frage

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der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, vor allem nach der gemeinsam mit Inge Jens besorgten und von Walter Jens eingeleiteten Edition der Briefe und Aufzeichnungen Willi Grafs, folgen Aufsätze in fachwissenschaftlichen Publikationen zur Widerstandsgeschichte.2256 1991 und 2002 veröffentlichte die Gedenkstätte Deutscher Widerstand Vortragstexte von Anneliese Knoop-Graf.2257 Neben zahlreichen Vorträgen in Schulen, Akademien, Universitäten oder Goethe-Instituten wirkte Anneliese Knoop-Graf beratend an den Filmen Michael Verhoevens und Marc Rothemunds2258 mit und trat in den 2000er-Jahren auch im Fernsehen auf, etwa nach dem Start von Rothemunds Film Sophie Scholl – die letzten Tage gemeinsam mit der Hauptdarstellerin Julia Jentzsch in der ZDFTalkshow Johannes B. Kerner.2259 Michael Verhoeven portraitierte sie 2006 in seinem Dokumentarfilm Die kleine Schwester2260 und zu ihrem 80. Geburtstag erschien eine umfangreiche Festschrift.2261 Nach dem Tod Inge Aicher-Scholls kann Anneliese Knoop-Graf somit als prominenteste und wirkmächtigste Zeitzeugin der Weißen Rose angesehen werden. Im Folgenden wird nachvollzogen, wie sich im Zuge ihres Wirkens die Deutungen der politischen Dimension des Widerstands, Schlussfolgerungen für die Gegenwart und das Verhältnis zwischen persönlicher und wissenschaftlicher Perspektive entwickeln. Im Lebensbild von 1964 betont Anneliese Knoop-Graf, dass die »Kategorien des politischen Denkens« für ihren Bruder »stets von nebengeordneter Bedeutung, auch zur Zeit seines politischen Auftrags« blieben, während als »wesent-

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des »politischen« Widerstands. In: Katholische Frauenbildung 28 (1974), S. 280–285; Anneliese Knoop-Graf: Die »Weiße Rose«. Zur Frage des »politischen« Widerstands. In: Klerus 60 (1980), S. 219–221; Anneliese Knoop-Graf: »…Aber trotzdem nehme ich es auf mich«. In: Katechetische Blätter 109 (1984), S. 447–451; Anneliese Knoop-Graf: Die Widerstandskämpfer der »Weißen Rose« – Zeugen der Freiheit. In: Hans Czarkowski, Zentralkomitee der deutschen Katholiken (Hrsg.): Dein Reich komme. 89. Katholikentag, 10.– 14. September 1986 in Aachen. Dokumentation. Paderborn: Bonifatius 1987, S. 1482– 1497. Bspw. Anneliese Knoop-Graf: Willi Grafs Weg in den Widerstand. In: Peter Steinbach (Hrsg.): Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte. Köln: Verl. Wiss. u. Politik 1987, S. 433–448; Knoop-Graf, Anm. 193; Anneliese Knoop-Graf: Hochverräter? Willi Graf und die Ausweitung des Widerstands. In: Rudolf Lill (Hrsg.): Hochverrat? Die »Weiße Rose« und ihr Umfeld. Konstanz: UVK 1993, S. 43–88; Knoop-Graf, Anm. 2256. Anneliese Knoop-Graf: »Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung« – Willi Graf und die Weiße Rose. Berlin: Gedenkstätte Deutscher Widerstand 1991; Anneliese Knoop-Graf: »Das wird Wellen schlagen«. Erinnerungen an Sophie Scholl. Berlin: Gedenkstätte Deutscher Widerstand 2002. O. A.: Erinnerungen an Gestapo-Verhöre. Anneliese Knoop-Graf liefert wertvolle Beiträge für den Kinofilm »Sophie Scholl – die letzten Tage«. In: Badisches Tagblatt, 19. 02. 2005. Johannes B. Kerner-Show. ZDF, 02. 03. 2003. Michael Verhoeven: Die kleine Schwester, 2002. Kißener, Anm. 25.

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lich« dagegen die »Beschäftigung mit Theologie und Literatur« dargestellt wird.2262 Willi Grafs Entscheidung zur »politische[n] Aktion« wird als »Frucht seines Grübelns und seiner Erkenntnisse« und als religiös motiviert bestimmt: »Diese Entscheidung hieß für ihn: Vollbringer des Wortes zu sein.«2263 In ihren Texten von 1968 und 1970 verändert sich die Bewertung grundlegend. Die Entwicklung der Weißen Rose deutet sie nun im erklärten Gegensatz zur Wissenschaft als »Weg […] weiter in die Politik«: Aber inzwischen hat sich die wissenschaftliche Geschichtsschreibung dieser Geschehnisse angenommen und fragt, ob diese Tat politisch relevant gewesen sei. […] Nur Zeugnis ablegen und das Gewissen der Masse aufzuwecken – dafür allein hätten sie ihr Leben gewiß nicht riskiert. Wegweiser für andere zu sein, heißt auch […] die Widerstandsbewegung nach vielen Richtungen hin auszuweiten und Beziehungen zu anderen Verschwörerkreisen anzubahnen. Doch wurden auch Vorstellungen über die politische Nachkriegssituation Deutschlands erarbeitet, die sich von einer bloß idealistischen Konzeption weit entfernten; Vorstellungen, die sowohl auf christlichem wie auf konsequent liberalem, aber auch sozialistischem Gedankengut beruhten. Die Entwicklung der Münchner Studenten von zunächst unpolitischen über unbewußt politischen bis zu bewußt politischen Menschen ging notwendig einher mit einer ständigen Steigerung der Entschlossenheit und Widerstandsintensität.2264

Knoop-Graf nimmt in diesem Zusammenhang auch erstmals Stellung zu Gegenwartsfragen, ohne sich jedoch konkret zu positionieren, wenn sie die »revolutionäre Gärung, die gegenwärtig unsere Hochschulen bewegt und erregt«, und das »Ringen um notwendige Reformen und neue Freiheiten« zwar grundsätzlich begrüßt, jedoch »Voraussetzungen und Dimensionen der Ereignisse damals und heute« für »grundverschieden« erklärt, da aktuelle Proteste »auf dem Boden eines Rechtsstaates, in dem keiner für seine Überzeugungen sein Leben einzusetzen braucht«, stattfänden.2265 Dieser Unterschied dürfe »gerade im Hinblick auf die Ereignisse in den Ostblockstaaten nicht verwischen«.2266 Die Differenz zwischen den Bedingungen für politisches Handeln in Diktaturen und Demokratien betont sie auch in ihrem ebenfalls in der Zeitschrift liberal publizierten Aufsatz Die weiße Rose – 30 Jahre danach und geht, nun in expliziter Auseinandersetzung mit Christian Petry, allgemeiner auf das Verhältnis jüngerer Menschen zum studentischen Widerstand ein. Deren wach2262 Anneliese Knoop-Graf: Willi Graf. Ein Lebensbild (1964). In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 39–59, S. 54. 2263 Ebd., S. 55. 2264 Anneliese Knoop-Graf: Studenten gegen Hitler (1970). In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 61–72, S. 70–71. 2265 Ebd., S. 72. 2266 Ebd.

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sende Distanz sei darauf zurückzuführen, dass »die Bewegung ›Weiße Rose‹ […] zur Beglaubigung und Untermauerung mancher widersprüchlicher Ideologien herhalten« müsse.2267 »Politisch denkende Jugendliche« würden zudem »hellhörig und aggressiv«, wenn die Weiße Rose »zum Alibi, daß Deutschland so erbärmlich denn doch nicht war, und die akademische Jugend nicht total versagt hatte«, gemacht werde.2268 Die Erinnerung an die Weiße Rose müsse sich auf das historische Phänomen beziehen: [D]er Widerstand der ›Weißen Rose‹ ist ein Kapitel Geschichte und als solches ein Beispiel, das des Nachdenkens wert und der Frage würdig ist, was heute, morgen getan werden müßte, wenn es gilt, Widerstand gegen Unrecht und Gewalt erfolgreich zu organisieren. Ob die Aktion der ›Weißen Rose‹ dazu noch einen historischen Hintergrund oder gar ein Konzept bietet, darf fraglich bleiben.2269

In einem in Unsere Jugend. Zeitschrift für Studium und Praxis der Sozialpädagogik 1982 erschienenen Beitrag verweist Knoop-Graf auf unabgeschlossene »Bemühungen um eine historische Einordnung dieses Widerstandes im politischen Bereich« und stellt diesen offenen Fragen die Klarheit in Bezug auf das »Menschenbild« entgegen, »das den unvergleichlichen Mut, die unerschrockene, ja waghalsige Tat, aber auch die Bedeutung dieses Geschehens prägt«.2270 Die Weiße Rose könne nicht auf der Folie »politisch oder konfessionell organisierte[n]« Widerstands bewertet werden, doch auch ungeachtet der offenen Fragen in Bezug auf die Flugblattaktion am 18. Februar 19432271 und der Tatsache, dass sich die politischen Vorstellungen der Gruppe nicht »zu einer formulierten Gesamtkonzeption« haben verdichten können,2272 dürfe ihr Handeln »keinesfalls« zu einer »unpolitischen Legende verklärt werden«, sondern habe »politisches Format genug, um einer kritischen Durchleuchtung von unserer Gegenwart aus standzuhalten«.2273 Die Aktualität der Weißen Rose wird nun vor allem auf »Zivilcourage« bezogen, welche die Ausnahme bleibe »in einem Staat, in dem Mut nicht mehr lebensgefährlich ist«.2274 In diesem Sinne richtet sie abschließend einen direkt an die Adressaten gerichteten Appell: Habt Mut und schwimmt gegen den Strom, wenn ihr seht, daß es notwendig ist. Trainiert euch, für das Recht im Kleinen einzustehen, ehe es im Großen gebrochen 2267 Anneliese Knoop-Graf: Die »Weiße Rose« – dreißig Jahre danach. In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 73–84, S. 82. 2268 Ebd., S. 81. 2269 Ebd., S. 83. 2270 Knoop-Graf, Anm. 2245, S. 85–86. 2271 Ebd., S. 86. 2272 Ebd., S. 88–89. 2273 Ebd., S. 111. 2274 Ebd., S. 112.

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wird. Dann wird euch auch in außergewöhnlichen Situationen die Kraft zuwachsen, die ihr zum Durchhalten braucht.2275

Die Formulierungen zum politischen Charakter des Widerstands der Weißen Rose übernimmt Knoop-Graf in ihren Vortrag auf dem Aachener Katholikentag 1987, den sie mit Verweis auf die Debatte um Rolf Hochhuths Der Stellvertreter und der Forderung nach einem »befreite[n] und befreiende[n] Bekennen der Schuld« als »Voraussetzung der inneren Läuterung« einleitet, welche es überhaupt erst ermögliche, sich mit Inhalten und Formen des Widerstands gegen die Hitlerdiktatur auseinanderzusetzen«.2276 Diese Forderung wird an anderer Stelle direkt aus den Zielen der Weißen Rose abgeleitet: Aber es war noch mehr und Längerfristiges gefordert, nämlich den Anteil der eigenen Schuld durch schweigende Hinnahme und Billigung des Unrechts zu bekennen, innere Umkehr also. Zu wenige aber waren und sind auch heute noch willens, etwas von der Schuld abzutragen, die Deutschland auf sich geladen hatte.2277

Die Aktualität der Weißen Rose wird nun erstmals mit einer Forderung nach Traditionsbildung verbunden und auf den politischen, kirchlichen und persönlichen Bereich bezogen. An die Kirche gerichtet fordert Knoop-Graf unter Kritik kirchenoffizieller Umgangsweisen mit Widerstand in Vergangenheit und Gegenwart, »[d]as Beispielhafte der Weißen Rose […] in die Tradition politischen Denkens und Verhaltens der katholischen Kirche« aufzunehmen.2278 Auf der politischen Ebene zählt sie zwar konkrete Anlässe für notwendigen Protest in der Gegenwart auf (»Wettrüsten der Supermächte«, »soziale Ungerechtigkeit«, »Zerstörung des ökologischen Fortbestands unserer Erde« oder die »Ausgrenzung von Minderheiten«2279), sieht jedoch das Vermächtnis der Weißen Rose als »keine primär ideologische« Frage, sondern als mögliche Tradition »[a]lle[r] demokratischen Kräfte« an, »denen die Freiheit des Individuums gegenüber jedem totalitären Staatssystem als höchste Verpflichtung gilt«.2280 Analog dazu gelte es »persönliche Voraussetzungen widerständigen Verhaltens« auszubilden, neben »Kritikfähigkeit« auch die »Koalitionsfähigkeit freiheitlich gesinnter verschiedener Anschauungen angesichts gemeinsamer Ziele«.2281 In einem Vortrag mit dem Titel Probleme mit der Vergangenheit – Zur Rezeption der »Weißen Rose« im Nachkriegsdeutschland, den Knoop-Graf im Jahr 1997 auf einer internationalen Fachtagung für Lehrerinnen und Lehrer mit dem 2275 2276 2277 2278 2279 2280 2281

Ebd. Knoop-Graf, Anm. 2246, S. 116. Ebd., S. 127. Ebd., S. 134. Ebd., S. 129–130. Ebd. Ebd., S. 135–136.

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programmatischen Titel »Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Europa – Grundlage europäischer Einigungsbestrebungen und politischer Traditionsbildung nach 1945« hielt, geht sie auch auf die Rezeption in Ostdeutschland ein, wobei sie Verbindungslinien zwischen der Weißen Rose und Widerstand bzw. Opposition in der DDR zieht.2282 In Bezug auf das vereinigte Deutschland übernimmt Knoop-Graf eine von Hildegard Hamm-Brücher in ihrer Gedenkvorlesung an der Universität München im Februar 1997 vorgetragene Interpretation des Vermächtnisses der Weißen Rose, das darin bestehe, einen »unverzichtbare[n] Grundwert unserer politischen Kultur« geschaffen zu haben, nämlich »die politische Verantwortung des Einzelnen«.2283 Die Vermittlung der Geschichte der Weißen Rose müsse laut Knoop-Graf im Sinne einer »Erinnerung, die das ›Nie wieder‹ konkret versteht«, der »heutigen Generation bewußt machen, daß sie von unserer Vergangenheit her eine moralische Verantwortung für die Zukunft hat und entschlossen sein muß, den Anfängen zu wehren«.2284 In einem Vortrag aus dem Jahr 2006 zum Zusammenhang von Widerstand und Patriotismus wird die Zeugenschaft nationalsozialistischer Verbrechen zum verbindenden und handlungsbestimmenden Motiv der Weißen Rose erklärt: Das Einzigartige an der Weißen Rose war, dass sie keiner politischen, weltanschaulichen oder militärischen Gesellschaftsgruppe angehört, sondern dass es junge Menschen waren, von denen jeder Einzelne Augenzeuge eines Prozesses war, bei dem das Verbrechen am Menschen – eigener oder fremder Nationalität – als politisches oder militärisches Mittel planmäßig eingesetzt wurde. Nur wer die Schändung am Menschen persönlich erfahren hat, kann das Motiv des sonst vielleicht unfassbaren Handelns der Weißen Rose erkennen. Ihr Ziel, das Volk, das sie liebten, vor Entehrung und Untergang retten zu wollen, hat hier sein Fundament.2285 2282 Anneliese Knoop-Graf: Probleme mit der Vergangenheit. Zur Rezeption der »Weißen Rose« im Nachkriegsdeutschland (1997). In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 167–194, S. 178– 179: Knoop-Graf erwähnt die Publikationen Drobischs und Jahnkes, die den Widerstand »unter dem Aspekt ihrer eigenen sozialistischen Gesellschaftsordnung« bewerten würden. Insgesamt sei in der DDR offiziell vor allem der kommunistische Widerstand erinnert worden, die Weiße Rose habe dagegen im kirchlichen Rahmen eine Rolle gespielt. Sie berichtet von Vortragsreisen von Inge und Walter Jens zur Weißen Rose, welche KnoopGraf irrtümlicherweise ein Jahrzehnt auf das Ende der 1970er-Jahre vordatiert, auf denen dem Ehepaar rückgemeldet worden sei, »sie hätten ihren Vortrag eigentlich nie so halten dürfen, denn viele der Jugendlichen hätten ihn nicht als historische Analyse, sondern als aktuelle Handlungsanweisung für das Leben in der Diktatur verstanden«. Auch in den 1950er-Jahren sei in den Aufrufen des Eisenberger Kreises die Weiße Rose als »Handlungsanweisung« verstanden worden. 2283 Ebd., S. 193. 2284 Ebd., S. 194. 2285 Anneliese Knoop-Graf: ».. aber die Liebe zu Deutschland wächst von Tag zu Tag«. Widerstand aus Patriotismus (2006). In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 239–248, S. 247.

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Hinter der vom »in der heutigen Auseinandersetzung allzu häufig instrumentalisiert[en]« Patriotismus abgesetzten Deutschlandliebe Willi Grafs steht Knoop-Graf zufolge »das Bewusstsein, dass die Verteidigung der Menschenrechte höchstes Ziel des kollektiven und persönlichen Handelns ist«, welches die Studenten im fünften Flugblatt als »Grundgedanken des neuen geistigen Europa« entwickelt hätten.2286 Die Erinnerung an die Weiße Rose solle »nicht zuletzt auch dazu beitragen, die bessere Tradition unseres Landes zu wahren« – eine Forderung, welche die meisten der Vortragsmanuskripte und Publikationen ab 1997 beinhalten.2287 Den letztgenannten Vortrag hielt Anneliese Knoop-Graf anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Universität Karlsruhe. Peter Steinbach bezeichnet in seiner Würdigung ihre Vorträge und Aufsätze ihrerseits als »Vermächtnis, das die Erinnerung der Nachlebenden prägt«, und präsentiert sie als Gegenbeispiel zum Typ des »›Zeitzeugen‹ als den Schrecken wissenschaftlicher Historiker«; Knoop-Graf sei dagegen eine »geradezu ideale Gewährsfrau vergangener Erfahrungen und Erlebnisse«:2288 Anneliese Knoop-Graf beschäftigte sich früh in prinzipiellen Aufsätzen mit dem politischen Widerstand der Weißen Rose und bereitete so den Boden für eine nach 1989 aus den Quellen gearbeitete Bewertung der politischen Zielrichtung des Münchener studentischen Widerstands vor. Diese hatten bis dahin in Ost-Berlin gelagert und konnten vorher nicht in wissenschaftlicher Freiheit gehoben und gedeutet [werden]. Ihre frühen Interpretationsversuche wurde[n] durch seit diesem Zeitpunkt angestellten [sic] zeithistorischen Forschungen – etwa von Christiane Moll – bestätigt.2289

Knoop-Grafs Interpretationen in Bezug auf den politischen Charakter des Widerstands der Weißen Rose sind somit, neben der Qualität der Edition der Tagebücher und Briefe ihres Bruders, das Argument für die wissenschaftliche Anerkennung Anneliese Knoop-Grafs als Zeitzeugin, die sich durch die Einbettung in wissenschaftliche Publikationskontexte seit den 1990er-Jahren abzeichnete und 2006 ihren Höhepunkt durch die Ehrendoktorwürde fand. 2286 Ebd. 2287 Ebd., S. 248. Siehe Knoop-Graf, Anm. 2282, S. 194. Siehe bspw. auch Anneliese KnoopGraf: Rede anlässlich des Festakts zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft an den Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime Willi Graf. Saarbrücken, 12. Oktober 2003. In: RolfUwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 219–232, S. 231; Knoop-Graf, Anm. 2285, S. 248. 2288 Peter Steinbach: Die Erinnerung an den Widerstand weitergetragen! Eine Würdigung. In: Knoop-Graf, Anneliese: »Du weißt, dass ich nicht leichtsinnig gehandelt habe..«. Willi Graf und die Weiße Rose. Erinnerungsgabe des Instituts für Geschichte der Universität Karlsruhe (TH) anlässlich der Verleihung des Titels einer Doctora philosophiae honoris causa (Dr. phil. h.c.) an Frau Dr. Anneliese Knoop-Graf, Bühl/Baden am 26. April 2006, S. 7–15, S. 10–11. 2289 Steinbach, Anm. 2288, S. 9.

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Parallel zur wissenschaftlichen lässt sich eine offizielle Anerkennung beobachten: 1992 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen, 1996 die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg, 2002 der Saarländische Verdienstorden sowie im gleichen Jahr gemeinsam mit der französischen Widerstandskämpferin H8lHne Viannay »als Vertreterinnen des deutschen und französischen Widerstands«2290 der von der deutschen und der französischen Regierung gestiftete Adenauer-de-Gaulle-Preis. 2006 erhielt sie die Ehrenbürgerwürde der Stadt Bühl.2291 Anneliese Knoop-Grafs – auch im Vergleich zu anderen Angehörigen – ab den 1990er-Jahren hervorstechender ›Erfolg‹ als Zeitzeugin der Weißen Rose ist darauf zurückzuführen, dass sie im Verbund mit anderen Stimmen aus Wissenschaft und Politik das Politische des Widerstands der Weißen Rose bestimmte und in ihren Gegenwartsbezügen allgemeinpolitisch, jedoch in ihrer Zeitzeugenrolle nie konkret (partei)politisch Stellung nahm. Sie trug so zu einem konsensualen Rahmen bei, der durchaus spannungsreiche Positionierungen in Bezug auf Geschichts- und Gegenwartsbezüge integrieren kann.

VI.2 Koalitionen des Gedenkens VI.2.1 Willi-Graf-Gedenkfeiern der Stadt Saarbrücken Die offiziellen Auszeichnungen Anneliese Knoop-Grafs korrespondierten mit einer Verstärkung des offiziellen Gedenkens an Willi Graf in der Stadt Saarbrücken. Diese veranstaltete am 12. Oktober 1993 – und in ähnlicher Konstellation auch in den Folgejahren – in Zusammenarbeit mit dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend des Bistums Trier, der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft des Saarlandes (CJAS) und den Willi-Graf-Schulen sowie dem Ludwigsgymnasium in Saarbrücken anlässlich des 50. Jahrestags der Hinrichtung des »Saarbrücker Widerstandskämpfers« einen Gedenktag mit umfangreichem Rahmenprogramm, das Zeitzeugenvorträge Anneliese Knoop-Grafs enthielt. Die Veranstaltung wurde in einer aufwendig gestalteten Gedenkschrift dokumentiert.2292 2290 Auswärtiges Amt, MinistHre des Affaires EtrangHres: Deutsch-französische Website. Liste der bisherigen Preisträger des Adenauer-de-Gaulle-Preises, Internet: http://www.deutsch land-frankreich.diplo.de/Liste-der-bisherigen-Preistrager,1502.html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2291 Christa Schäfers: Anneliese Knoop-Graf: Werk und Person. In: Rolf-Uwe Kunze, Bernhard Schäfers (Hrsg.): Anneliese Knoop-Graf: Ausgewählte Aufsätze. Konstanz: UVK 2006, S. 249–268, S. 255. 2292 Gedenkschrift zum 50. Jahrestag der Hinrichtung des Saarbrücker Widerstandskämpfers

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Der Gedenktag wurde eröffnet mit Grußworten des Saarbrücker Oberbürgermeisters Hajo Hoffmann, des Saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine und des Bundesministers Klaus Töpfer in Vertretung von Bundeskanzler Helmut Kohl. Letzterer bezeichnet in seinem Grußwort zur Gedenkschrift den »Widerstand gegen die NS-Diktatur« als »bleibende Verpflichtung, die unantastbare Würde des Menschen zu achten«, und die daraus erwachsene »Verantwortung« als »Aufgabe aller Deutschen«, die verlange »wachsam unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung im Innern zu verteidigen und nach außen einzutreten für Frieden und Freiheit in der Welt«.2293 Oberbürgermeister Hoffmann stellt dies mit Verweis auf die Brandanschläge in Mölln und Solingen insbesondere als zivilgesellschaftliche Aufgabe dar : Die Ziele, für die Willi Graf und seine Gefährten gestorben sind, sind im demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht, was nicht bedeutet, daß Freiheit, Menschenwürde und Recht nicht auch hier ständig gefährdet sind. Denken wir nur an die ausländerfeindlichen Ausschreitungen der letzten Monate an vielen Orten unserer Republik. Unsere Aufgabe ist es, dem Tod der Widerstandskämpfer dadurch einen ständig neuen Sinn zu geben, indem wir mit Engagement und Zivilcourage für die Werte unserer freiheitlichen Demokratie eintreten und dafür sorgen, daß es nie wieder notwendig wird, daß Menschen ihr Leben wagen müssen, um die Freiheit des Menschen gegen eine Terrorherrschaft zu verteidigen.2294

Zentraler Programmpunkt der Gedenkveranstaltung war eine Gedenkrede des Staatsministers des Innern des Freistaates Sachsen Heinz Eggert mit dem Titel »Von Widerstand zu Widerstand in Deutschland«. Eggert postuliert zunächst, die Erfahrung von Widerstand gegen den Nationalsozialismus sei von den Erfahrungen des Lebens in einer Demokratie aus nicht nachvollziehbar, erinnert dann an die Verfolgung der Opposition in der DDR, um dann beide als »Widerstand in deutschen Diktaturen« zusammenzufassen: Wer in einer Gesellschaft lebt, in der jede Meinung zugelassen ist, der kann nicht wirklich ermessen, was es heißt, sich gegen einen übermächtig erscheinenden Herrschaftsapparat aufzulehnen. […] Aber es ist noch gar nicht so lang her, daß auf deutschem Boden selbst der zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt werden konnte, dessen bloße Äußerungen als staatsfeindliche Hetze klassifiziert wurden. […]

Willi Graf. Saarbrücken: Landeshauptstadt Saarbrücken, Stabsstelle Marketing und Presse 1993. 2293 Helmut Kohl: Grußwort. In: Gedenkschrift zum 50. Jahrestag der Hinrichtung des Saarbrücker Widerstandskämpfers Willi Graf. Saarbrücken: Landeshauptstadt Saarbrücken, Stabsstelle Marketing und Presse 1993, S. 9. 2294 Hajo Hoffmann: Zum 50. Todestag Willi Grafs. In: Gedenkschrift zum 50. Jahrestag der Hinrichtung des Saarbrücker Widerstandskämpfers Willi Graf. Saarbrücken: Landeshauptstadt Saarbrücken, Stabsstelle Marketing und Presse 1993, S. 7.

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So mehrfach erfahren in der ehemaligen DDR. Widerstand in deutschen Diktaturen, selbst gewaltloser, nur in Worte gefaßter, forderte stets großen Mut.2295

Eggert kommentiert die von Anneliese Knoop-Graf in ihren Texten und Vorträgen zur Charakterisierung der Gradlinigkeit ihres Bruders zentral gesetzte Episode des Streichens von HJ-Mitgliedern aus dessen Adressbuch mit der rhetorischen Frage, ob dieser Akt als »[n]otwendige Konsequenz oder aus unserer Sicht ungeheurer Rigorismus« zu werten sei. Mit seiner – in der Druckfassung abgesetzten – persönlichen Antwort »Ich kann ihn gut verstehen«2296 gibt sich Eggert selbst als Zeitzeuge zu erkennen und legitimiert damit eine Sprecherposition, die es ihm erlaubt, eine »Verbindungslinie zu ziehen« zwischen den Studenten der Weißen Rose und den »Berliner Arbeitern, die sich vor 40 Jahren mit bloßen Händen gegen die kommunistische Tyrannei erhoben«: Es ist der gesunde Menschenverstand und die Entrüstung über die permanenten Lügen der Mächtigen, die in der Antwort der Arbeiter an den Parteibonzen anklingt, der sie mit »Genossen« anredet. »Du bist nicht einer von uns«. Damit ist im Grunde dasselbe gemeint wie in der Antwort der Sophie Scholl an Freisler : »Einer mußte ja anfangen.«2297

Das gemeinsame Merkmal »alle[r] Widerstandskämpfer gegen die totalitäre Bedrohung« besteht für Eggert somit im »Aufstand des Gewissens«.2298 Ein solcher Vergleich, von dem der Redner meint, dass er ihm »noch vor wenigen Jahren den Ruf eingebracht hätte, ein kalter Krieger, ein Reaktionär zu sein«, müsse aber auch in Westdeutschland zu einer kritischen Befragung des bundesrepublikanischen Umgangs mit der DDR im Zuge der Ostpolitik führen, nachdem »nach dem Untergang der zweiten Diktatur auf deutschem Boden« die »strukturellen Gemeinsamkeiten zwischen nationalsozialistischer und sozialistischer Diktatur auf der flachen Hand« lägen.2299 Die mit der Rede von ›zwei deutschen Diktaturen‹ verbundene Parallelisierung und Homogenisierung des Widerstands gegen das ›NS-‹ und das ›DDRRegime‹ und die Deutung einer Überwindung ›deutscher Vergangenheit‹ durch die Ereignisse 1989/1990 setzt sich in dieser expliziten Weise in den Saarbrücker Gedenkveranstaltungen nicht durch. Als Anneliese Knoop-Graf zehn Jahre später am 60. Jahrestags der Hinrichtung Willi Grafs die posthum an ihren 2295 Heinz Eggert: Von Widerstand zu Widerstand in Deutschland. In: Gedenkschrift zum 50. Jahrestag der Hinrichtung des Saarbrücker Widerstandskämpfers Willi Graf. Saarbrücken: Landeshauptstadt Saarbrücken, Stabsstelle Marketing und Presse 1993, S. 49–53, S. 49. 2296 Ebd., S. 50. 2297 Ebd., S. 51. 2298 Ebd. 51. 2299 Ebd., S. 51–52.

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Bruder verliehene Ehrenbürgerurkunde der Stadt Saarbrücken entgegen nahm, hielt Bürgermeister Kajo Breuer (Bündnis 90/Die Grünen)2300 eine Rede, in der er betont, dass eine solche Würdigung nicht »zur Exkulpation« dienen sollte: »Wir müssen uns von Lebenslügen und Legenden freimachen, wie zum Beispiel der Behauptung, dass die meisten Deutschen nur Opfer der Gewaltherrschaft und ansonsten ahnungslos gewesen seien.«2301 Willi Graf sei »ein Beleg« für das Wissen um Wehrmachtsverbrechen und den Holocaust, wobei Breuer auf Schilderungen Anneliese Knoop-Grafs und Aufzeichnungen Willi Grafs verweist.2302 Willi Graf werde »sowohl persönlich als auch stellvertretend für alle Saarbrücker Bürgerinnen und Bürger geehrt«, die aus den »unterschiedlichsten weltanschaulichen Gründen« Widerstand leisteten und ihr Leben opferten.2303 Das »Handeln dieser Menschen« sei eine »Verpflichtung, Zivilcourage zu zeigen, überall dort wo Unrecht geschieht, wo Rassismus und Antisemitismus und Menschenrechtsverletzungen sichtbar werden«.2304 Der aus Verbindungen zwischen Widerstand einerseits und Diktatur, Krieg und Holocaust andererseits abgeleitete und durch die Einbindung von Zeitzeugen und Zitaten aus Selbstzeugnissen illustrierte und verstärkte Appell an individuelle Verantwortung zur Verteidigung von Menschenrechten und Demokratie ist der gemeinsame Nenner eines sich intensivierenden offiziell organisierten und geförderten Gedenkens (nicht nur) an die Weiße Rose, das sich auch an der Universität München als zentralem Gedenkort an die Weiße Rose in den 1980er-Jahren abzeichnete und in den 1990er-Jahren etablierte.

VI.2.2 Die Institutionalisierung der Weiße Rose-Gedächtnisvorlesungen an der Universität München Nachdem in Folge der Zwischenfälle bei der universitären Gedenkveranstaltung 1968 die universitätsoffiziellen Feierlichkeiten ausgesetzt worden waren, organisierten die VVN-BdA und verschiedene, zumeist linke Studentenorganisationen gegenoffizielle Gedenkfeiern.2305 1978 veranstalteten VVN-BdA und DGB gemeinsam eine Gedenkfeier im Lichthof mit 200 Teilnehmenden, der Vertreter 2300 Breuer führte nach der Suspendierung Hajo Hoffmanns aufgrund von Untreuevorwürfen für zwei Jahre kommissarisch die Amtsgeschäfte des Oberbürgermeisters. 2301 Kajo Breuer: Rede. In: Reden beim Festakt zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft an den Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime Willi Graf. Festsaal des Rathauses Saarbrücken – St. Johann 2003, S. 1–7, S. 4–5. 2302 Ebd. 2303 Ebd., S. 7. 2304 Ebd. 2305 Siehe Kapitel V.I.1.

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der Universität, der Stadt und der Landesregierung fernblieben.2306 1979 änderte der DGB seine Kooperationen und plante gemeinsam mit der Universität eine Veranstaltung, die jedoch aus Sorge vor Störungen abgesagt wurde,2307 führte dann aber 1980 bis 1982 federführend in Zusammenarbeit mit dem Bund der katholischen Jugend und der Universität Gedenkveranstaltungen durch, bei denen Franz-Josef Müller, der als Schüler in Ulm gemeinsam mit Hans Hirzel Flugblätter der Weißen Rose verbreitet hatte und im zweiten Prozess zu einer Haftstrafe verurteilt worden war, als Vertreter der Angehörigen und Überlebenden der Weißen Rose mitwirkte und auftrat.2308 1980 flankierte die Universität die Veranstaltung mit einer Vorlesung von ManHs Sperber,2309 die laut einem Bericht des Münchener Merkurs »ohne Zwischenrufe« ablief und geeignet war, »Studenten von links und rechts« zu begeistern und dem »Sterben der Studenten im Dritten Reich jenen Sinn« zurückzugeben, »der wegen seiner geringen politischen Wirkung in jener Zeit manchmal bereits in Frage gestellt wurde«.2310 Sperber, im Zeitungsartikel als »[b]erühmter Streiter für Toleranz« tituliert,2311 geht in seiner Vorlesung Individuum und Gemeinschaft: Zur Dialektik von Anpassung und Widerstand von Überlegungen zum »Wesen der totalitären Tyrannis«2312 aus, die eine Entfremdung und Vereinsamung des »innerlich freie[n] Mensch[en]« bewirke und »wahre Gemeinschaft« verhindere.2313 Die Weiße Rose zählt er zur »kleine[n] Zahl jener, die das Gewissen ansprechen, jener Pascalschen Zeugen also, die sich für ihre Wahrheit umbringen lassen« und begründet damit eine überzeitliche Wirkung.2314 Sperbers abschließendes Plädoyer für Veränderungen gegenwär-

2306 2307 2308 2309

2310 2311 2312 2313 2314

O. A., Anm. 1603. O. A., Anm. 1604. Franz-Josef Müller : Brief an Inge Aicher-Scholl, 08. 12. 1982. In: IfZ, ED 474 (390). Der jüdische Pariser Schriftsteller, Psychologe und Philosoph emigrierte 1933 als KPDMitglied aus Deutschland und war bis 1937 in Paris für die KPD tätig, bis er aufgrund der stalinistischen Säuberungen aus der Partei austrat. 1942 flüchtete er in die Schweiz. Nach 1945 kehrte er nach Paris zurück, wo er als Lektor arbeitete, bevor er von der französischen Regierung als Kulturbeauftragter nach Deutschland entsendet wurde. 1950 war er Mitinitiator des Kongresses für Kulturelle Freiheit. Auch literarisch setzte er sich mit Stalinismus und Nationalsozialismus unter dem Leitbegriff des ›Totalitarismus‹ auseinander. Siehe Rudolf Isler: ManHs Sperber. In: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 667– 668. Irmi Schwartz: Studenten von links und rechts ehren die »Weiße Rose«. In: Münchener Merkur, 23./24. 02. 1980. Ebd. ManHs Sperber : Individuum und Gesellschaft. Zur Dialektik von Anpassung und Widerstand. In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 11–32, S. 29. Ebd., S. 30. Ebd., S. 31.

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tiger Verhältnisse beinhaltet eine Absage an jede Form »umstürzlerische[r] Gewalt«.2315 1981 führte der DGB die Veranstaltung allein mit Franz-Josef Müller durch, welcher den sozialdemokratischen Schriftsteller Dieter Lattmann als Redner »dazu[brachte]«, weil er nicht wollte, »dass der 22.2. unbeachtet vorbei geht«.2316 Lattmanns Rede ist nicht überliefert, aus ihr wird im Neuen Deutschland zitiert, das »Vermächtnis der Antifaschisten bedeute heute, Widerstand gegen den ›Irrationalismus‹ zu leisten, der dazu beitragen soll, einen Krieg führbar zu machen«.2317 In die ebenfalls von Müller vorangetriebene Vorbereitung der Gedenkveranstaltung zum 40. Jahrestag des 22. Februars 1943 schaltete sich Inge AicherScholl ein, die Franz-Josef Müller anrief, da sie den von der Universität vorgeschlagenen Redner M. Müller ablehnte.2318 Anneliese Knoop-Graf hielt schließlich eine Gedenkrede bei der Gedenkveranstaltung2319 und der mit Willi Graf befreundete emeritierte Münchener Philosophieprofessor Hermann Krings eine Vorlesung zur »politischen Bedeutung des studentischen Widerstands«, in der er betonte, dass diese von »einer vordergründigen politischen Absicht frei bleiben« müsse.2320 Krings argumentiert, dass unter den Bedingungen eines »totalitären Staat[s]«2321 und seiner »Gewaltherrschaft«2322 kein eigentlich »politische[r] Widerstand« möglich sei, auch der »Tyrannenmord« sei »ein Zeichen dafür, daß es mit der Politik am Ende ist«.2323 Vielmehr zeichne die Weiße Rose die »Empörung gegen das Böse«, ein »Widersagen« aus.2324 Ihre Mitglieder seien aufgrund ihrer »religiösen Überzeugung christlichen Glaubens« nicht mit Helden, sondern etwa mit dem Propheten Jeremia vergleichbar ; sie könnten, da eine »[s]olche Sendung […] und auch solches Sterben […] die Ausnahme«2325 sei und 2315 Ebd., S. 31–32. 2316 Müller, Anm. 2308. 2317 O. A.: Ehrung in München für die Geschwister Scholl. In: Neues Deutschland, 26. 02. 1982, S. 6. 2318 Müller, Anm. 2308. Leider lässt sich die betreffende Person aufgrund der Quellenlage nicht identifizieren. 2319 Diese Rede ist der einzige nicht als Gedächtnisvorlesung abgehaltene Beitrag im 1993 von der Münchener Universität herausgegebenen Band, der die Vorlesungen bis 1992 dokumentiert. Siehe Anneliese Knoop-Graf: Zum Gedenken an die »Weiße Rose«. In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 33–44. 2320 Hermann Krings: Das Zeichen der Weißen Rose. Zur politischen Bedeutung des studentischen Widerstands. In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 45–60, S. 45–46. 2321 Ebd., S. 51. 2322 Ebd., S. 52. 2323 Ebd., S. 54. 2324 Ebd., S. 55. 2325 Ebd., S. 56.

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eine vergleichbare »Ausnahmesituation«2326 in der Gegenwart nicht vorliege, nicht als »Beispiel« präsentiert, sondern müssten als »Zeichen der Hoffnung« gedeutet werden.2327 1984 fand keine Gedächtnisvorlesung statt, jedoch wiederum eine maßgeblich von Franz-Josef Müller mitorganisierte Gedenkveranstaltung mit einer Ansprache von Inge Jens.2328 Inge Aicher-Scholl regte Anfang 1984 gegenüber dem Präsidenten der Universität an, das Format der Gedächtnisvorlesungen »sowohl als Erinnerungszeichen wie auch als ein Podium für eine historische wie auch philosophisch politische Reflexion zu Fragen des Einzelnen in Zeit und Geschichte« weiterzuführen.2329 Präsident Steinmann stellte ihr gegenüber eine Fortsetzung der »Reihe« 1985 in Absprache mit den »Überlebenden und Angehörigen« in Aussicht.2330 Letztere hätten 1984 aber die »Gestaltung der Gedenkfeier selbst in die Hand nehmen wollen«, weshalb von einer Gedächtnisvorlesung von Seiten der Universität Abstand genommen worden sei, um eine »unnötige[…] und nicht gewollte […] Konkurrenz« zur geplanten Rede von Inge Jens zu vermeiden.2331 Der DGB scheint sich zwischenzeitlich aus der Kooperation mit Universität und Angehörigen zurückgezogen zu haben, er tritt nicht mehr als Mitorganisator von Gedenkveranstaltungen an der Universität in Erscheinung. Seit 1985 führt die Universität in den Tagen um den 22. Februar jährlich eine Gedenkveranstaltung durch, bei der bis 1993 fast ausschließlich Wissenschaftler vortrugen. 1985 bezog der Münchener Literaturwissenschaftler Wolfgang Frühwald die Weiße Rose auf die Figur der Antigone, aufgefasst als »Denkfigur […], welche von den Angehörigen dieses Widerstandskreises nahezu idealtypisch erfüllt wurde«, deren Entschluss zum Widerstand »Würde und Sinnhaftigkeit nicht aus Ziel und Zweck, sondern aus dem scheinbar sinnlosen Zeichen der Antigone« gewinne.2332 Ausgehend von Grete Weils 1980 in der Bundesrepublik und 1982 auch in der DDR erschienenen Romans Meine Schwester An-

2326 2327 2328 2329

Ebd., S. 59. Ebd., S. 59–60. Wulf Steinmann: Brief an Inge Aicher-Scholl, 10. 02. 1984. In: IfZ, ED 474 (390). Inge Aicher-Scholl: Brief an Wulf Steinmann, 03. 02. 1984. In: IfZ, ED 474 (390). Scholl hatte eigene Vorstellungen zu möglichen Rednern der Vorlesungsreihe, die für sie unter der Thematik »Widerstand gegen den unreflektierten Fortschritt« stehen sollte. Unter anderen dachte sie an Norbert Elias und Ulrich Beck. Inge Aicher-Scholl: Handschriftliche Liste »Redner für die Gedächtnisvorlesung«, o.D. In: IfZ, ED 474 (391). 2330 Steinmann, Anm. 2328. 2331 Ebd. 2332 Wolfgang Frühwald: Antigones Tat. Die »Weiße Rose« und der Traum vom anderen Deutschland. In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 61–80, S. 67.

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tigone,2333 den er als »Konfrontation des eigenen Schicksals der verfolgten Jüdin durch die Nationalsozialisten mit dem Schicksal der Hingerichteten [Sophie Scholl, C.E.] und – einer modernen Sympathisantin des Terrors [Gudrun Ensslin, C.E.]«2334 liest, folgert er mit Bezug auf das bekannte, auf Jacques Maritain zurückgehende Briefzitat Sophie Scholls »Man muß einen harten Geist und ein weiches Herz haben«2335 : Einen harten und wachen Geist haben sie von sich verlangt. Einen harten und wachen Geist, um Gut von Böse zu unterscheiden, um zu erkennen, daß jeder Terror, der von oben und der von unten, zur Diktatur des Bösen führt.2336

1986 und 1987 erhielten die Gedächtnisvorlesungen internationale Bezüge und standen jeweils im Zeichen von Versöhnung. 1986 referierte der in Budapest und Berlin aufgewachsene, 1939 mit seiner Familie in die USA emigrierte jüdische Religionsphilosoph Michael Wyschogrod zum Thema Thomas von Aquin und das mosaische Gesetz – ein jüdischer Kommentar. In seinem Vortrag geht er nur einleitend auf die Weiße Rose ein: Die Flugblätter der »Weißen Rose« waren deutschem Humanismus und christlicher Überzeugung tief verpflichtet. Ich bin fest überzeugt davon, daß die Märtyrer der Bewegung der »Weißen Rose« die Schritte zur jüdisch-christlichen Versöhnung begrüßt hätten, die wir in den letzten Jahrzehnten beobachten konnten. Diese Überzeugung gründet zum Teil in der Freundschaft, die mir entgegengebracht wurde von den Überlebenden der »Weißen Rose«, den lebenden Vertretern jener ethischen Tradition Deutschlands, deren weitgreifende Zerstörung während der Nazizeit die Juden allgemein, und besonders die deutschen Juden, so schwer verstehen konnten.2337

Auf Wyschogrod ging im Jahr zuvor die Idee zurück, die Weiße Rose ins Zentrum einer Veranstaltung zu rücken, die ein Zeichen des Protests geben sollte gegen den anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes als Geste deutsch-amerikanischer Versöhnung angelegten Besuch Helmut Kohls und Ronald Reagans auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg, auf dem auch Mitglieder der Waffen-SS beerdigt sind. Der American Jewish Congress organisierte in Zusammenarbeit mit 2333 Grete Weil: Meine Schwester Antigone. Zürich [u. a.]: Benziger 1980; Grete Weil: Meine Schwester Antigone. Berlin (Ost): Volk und Welt 1982. Grete Weil wurde 1988 mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. 2334 Frühwald, Anm. 2332, S. 76. 2335 Sophie Scholl: Brief an Fritz Hartnagel vom 03. 01. 1943. In: Scholl, Scholl, Anm. 1136, S. 284. Die entsprechende Briefstelle auf Französisch. Das Sophie Scholl zugeschriebene Zitat geht zurück auf Jacques Maritain: R8ponse / Jean Concteau. In: Maritain Jacques: Oeuvres complHtes de Jacques et Ra"ssa Maritain. Paris: Ed. St-Paul 1985, S. 724. 2336 Frühwald, Anm. 2332, S. 77. 2337 Michael Wyschogrod: Thomas von Aquin und das mosaische Gesetz – ein jüdischer Kommentar. In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 81–101, S. 81.

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der Stadt München und Angehörigen und Überlebenden der Weißen Rose eine Gedenkveranstaltung an den Gräbern Hans und Sophie Scholls sowie Christoph Probsts auf dem Friedhof am Perlacher Forst.2338 Aus dieser Initiative entwickelte sich die Idee zur parallelen Gründung der White Rose Foundation in Washington und der Weiße Rose Stiftung in München, die 1987 erfolgte und den Angehörigen und Überlebenden eine Möglichkeit bot, konzertiert Einfluss auf die öffentliche Erinnerung zu nehmen, wobei ein Schwerpunkt ihrer Aktivitäten bis heute die Verbreitung einer von Otl Aicher gestalteten Wanderausstellung bildet.2339 Ebenfalls unter dem Vorzeichen internationaler, in diesem Fall deutsch-polnischer Versöhnung stand die Einladung an Władisław Bartoszewskis, die Gedächtnisvorlesung 1987 zu halten. Der polnische Historiker und Politiker ging darin einschlägig auf die Weiße Rose ein. Anknüpfend an die titelgebende Frage Aus der Geschichte lernen? fordert er historisches Bewusstsein, das nicht »nationalem Egoismus« Vorschub leistet, sondern eine »kritische Haltung« und »Verantwortungsbewusstsein des einzelnen Menschen« fördert, wozu ihm die Erinnerung an die Weiße Rose geeignet erscheint: Der Geschwister-Scholl-Gedenktag ist ein besonders passender Anlaß, um ein wenig der Problematik der Grenzen und Möglichkeiten der Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Nation und der Geschichte, der Mitentscheidung bei der Auswahl des Weges in schwierigen, ja dramatischen Augenblicken, aber auch der Zivilcourage und der Aufrichtigkeit gegenüber der Stimme des eigenen Gewissens nachzugehen.2340

Bartoszewskis Reflexion über die Weiße Rose erfolgt aus der Perspektive eines Zeitzeugen des polnischen Widerstands, der sich »derselben Generation«2341 wie die Studierenden der Weißen Rose zugehörig erklärt und sich durch ähnliche geistige und religiöse Ideale geprägt sieht. In diesem Zusammenhang stellt er die »moralisch klar[e] und eindeutig[e]« Situation des polnischen Widerstands unter den Bedingungen der Besatzung2342 dem »entscheidenden Gewissenskonflikt« seiner Altersgenossen in Deutschland gegenüber.2343 Für ihn und andere Angehörige des Widerstands in Polen habe es eine »große Ungewißheit über die wahre Einstellung der Deutschen«2344 gegeben, doch habe man im besetzten Warschau nicht wissen können, dass »im fernen München und auch in 2338 Siehe hierzu Hikel, Anm. 49, S. 239–242. 2339 Siehe auch Blaha, Anm. 42, S. 183–188. 2340 Władisław Bartoszewski: Lernen aus der Geschichte? In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 102–115, S. 103. 2341 Ebd., S. 104. 2342 Ebd., S. 106. 2343 Ebd., S. 109. 2344 Ebd., S. 107.

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anderen Städten deutsche Studenten […] sich entschlossen hatten, gegen das Unheil anzukämpfen«.2345 Trotz der unterschiedlichen nationalen Perspektiven ist sich Bartoszewski sicher, dass »diese Studenten die Gedanken der polnischen akademischen Jugend […] verstanden« hätten.2346 Aus einer versöhnlichen Zeitzeugenperspektive heraus deutet er dann auf eine die Grenzen Deutschlands überschreitende historische Bedeutung der Weißen Rose voraus: Nur wenige von uns begriffen, daß dieser Gruppe eine überzeitliche ethische Bedeutung zukommen sollte als einer Stimme, die nicht nur die menschlichen und christlichen Grundwerte verteidigt, sondern auch die Würde des deutschen Volkes.2347

Als »Hauptmerkmal« stellt er die »Treue gegenüber der Stimme des Gewissens« heraus und postuliert ein »geistige[s] Testament der ›Weißen Rose‹ und Tausender ihnen ähnlicher, empfindlicher junger Menschen verschiedener Nationalitäten und Weltanschauungen, die im Kampf gegen unmenschliche Diktaturen und totalitäre Systeme ihr Leben verloren«.2348 In den folgenden Jahren bis 1992 wurden die Gedächtnisvorlesungen dann wieder mit Wissenschaftlern besetzt. Zwar war Hans Maier bis 1988 bayerischer Kultusminister und Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, seinen Vortrag zu Christlichem Widerstand im Dritten Reich2349 hielt er 1988 aber in seiner Eigenschaft als neuer Inhaber des Guardini-Lehrstuhls für Christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie in München.2350 Auch 1990 und 1991 hielten Münchener Professoren, nämlich Gotthard Jasper und Arthur Kaufmann, die Gedenkvorlesungen, 1989 und 1992 referierten erstmals einschlägige Experten der Widerstandsgeschichte: der Politikwissenschaftler Peter Steinbach, wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, und der Historiker Hans Mommsen. Beide formulierten Thesen in Bezug auf eine Beschäftigung mit dem Widerstand nach Ende des Kalten Krieges: Steinbach zu Erinnerung und Gedenken an den Widerstand, Mommsen zur Widerstandsgeschichtsschreibung. Steinbach definiert in seiner Vorlesung mit dem Titel Erinnerung – aktives 2345 2346 2347 2348 2349

Ebd., S. 108. Ebd., S. 109. Ebd. Ebd., S. 113. Hans Maier : Christlicher Widerstand im Dritten Reich. In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 116–131. 2350 Maier wurde zumindest in der Süddeutschen Zeitung stark dafür kritisiert, dass er den Widerstand der Weißen Rose mit der Kirche »als Institution« verband und »seinen sichtbar interessierten Studenten im überfüllten Audimax keine Orientierung in der Frage bot, was aus der Geschichte der ›Weißen Rose‹ heute zu lernen« sei. (Stephan Wehowski: Geschichte und nichts als Geschichte. In: Süddeutsche Zeitung, 25. 02. 1988).

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Gedenken die Geschichte des Widerstands gegen den Nationalsozialismus als »Geschichte der Alternative zur […] Mitwirkung an den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen« und sieht die »grundsätzliche politische Bedeutung des Gesamtwiderstands« in dessen Wirkung »über seine Zeit hinaus[…]« in der Proklamation des »Recht[s] zum Widerstand gegen eine menschenverachtende Führung als Grundrecht«.2351 Die »politische Funktion« der Erinnerung setzt er dementsprechend in »politische[r] Maßstabsbildung« in Abgrenzung zu »politisch vermittelte[r] Sinngebung und Sinnstiftung im Sinn der umstrittenen Geschichtspolitik« an.2352 Die »Bedeutung der Erinnerung für die Klärung von Grundfragen politischer Gestaltung« stellt für Steinbach »die Voraussetzung für aktives Gedenken« dar, im Zuge dessen sich »Grundprinzipien einer menschenwürdigen Ordnung immer neu sichern« ließen.2353 Hierin und nicht in der Herstellung einer positiven Tradition deutscher Geschichte bestimmt Steinbach die Relevanz der Widerstandsgeschichte, die sich aber in eine »unteilbare deutsche Geschichte in besonderer Weise integrieren« lasse, da Widerstand als »heller Strang der Geschichte […] zugleich den dunklen Strang sichtbar« mache und »das Bild des Widerstands auf das Politikverständnis und das Menschenbild unserer Verfassung bezogen werden« könne, »die sich zu allen Problemen bekennt, die aus der Pluralität der Menschen folgen können«.2354 Die »Breite und Vielfältigkeit des Widerstands« mache ihrerseits die »Pluralität der Menschen deutlich, die ein Gemeinwesen bilden«. Da »die Position des Widerstandskämpfers« zunehmend »durch seine Einsamkeit charakterisiert« gewesen sei,2355 eigne sich der Widerstand nicht zu einer »gruppen- und organisationsspezifischen Traditionsbildung«, da er nicht geeignet sei, »Handeln und die Ziele gegenwärtig streitender Organisationen widerspruchs- und problemlos zu legitimieren«.2356 Widerstand »als politischer Legitimationsbegriff« bedeute »Ausgrenzung«,2357 wie sie insbesondere auch der kommunistische Widerstand erfahren habe, was Steinbach zum einen durch »späte Rechtfertigung des eigenen Versagens« und zum anderen durch die »verhängnisvollen politischmoralischen Folgen des Kalten Krieges für das deutsche Geschichts- und Selbstverständnis« erklärt.2358 Dagegen setzt er die »Lebens- und Leidensgeschichte der Regimegegner ganz unterschiedlicher Traditionen und Richtun2351 Peter Steinbach: »Erinnerung – aktives Gedenken«. Annäherungen an den Widerstand. In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 132–151, S. 133. 2352 Ebd., S. 134. 2353 Ebd., S. 135–136. 2354 Ebd., S. 137–138. 2355 Ebd., S. 138–139. 2356 Ebd., S. 140. 2357 Ebd., S. 141–142. 2358 Ebd., S. 144–145.

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gen«, die »bis heute Respekt« abnötige2359 und eine »angemessene Annäherung« erfordere:2360 Der Tod der Widerstandskämpfer war nur dann nicht ganz sinnlos, wenn wir uns mit ihnen beschäftigen – und dies nicht in der Weise, daß wir uns nur in jene versenken, die uns politisch, konfessionell oder emotional nahestehen, sondern auch mit jenen beschäftigen, die uns möglicherweise ferner stehen oder wegen ihrer politischen Überzeugungen, ihrer von ihnen bewußt hochgehaltenen Traditionen, wegen ihres Verhaltens in der NS-Zeit oder wegen ihrer Ziele fremd sind.2361

Hierin liegen laut Steinbach die »Möglichkeiten einer reflektierten Traditionsbildung als Folge aktiver Erinnerung«,2362 worin er auch die Relevanz der Weißen Rose verortet: Die Beschäftigung mit den Mitgliedern der »Weißen Rose« und ihren Flugblättern kann die Grundprobleme der gesamten Widerstandsgeschichte erschließen helfen und auch die Wirklichkeit spiegeln, die sich für die Nachgeborenen nicht selten – wie der beschämende Historikerstreit zeigt – in Meinung auflöst.2363

Für Mommsen, der drei Jahre später eine Gedächtnisvorlesung mit dem Titel Der deutsche Widerstand gegen Hitler und die Wiederherstellung der Grundlagen der Politik hielt, bedingen die »raschen weltpolitischen Veränderungen der letzten Jahre«, die für ihn »das definitive Ende der Nachkriegsperiode« markieren, eine Neubestimmung des »politische[n] Vermächtnisses des deutschen Widerstands gegen Hitler«.2364 Dies könne jedoch nicht durch »Wiederanknüpfung an dessen zeitgebundene politische und gesellschaftliche Neuordnungsentwürfe«, sondern nur in Auseinandersetzung mit der »grundsätzlichen politischen Herausforderung […], die im Tun und Denken des Widerstands einbegriffen ist«, gelingen.2365 In seinem Vortrag setzt sich Mommsen kritisch mit den Gesellschaftsentwürfen des ›nationalkonservativen Widerstands‹ auseinander, beleuchtet deren Entwicklung am Beispiel des 20. Juli 1944 und des Kreisauer Kreises und vergleicht sie mit jener der Weißen Rose. Deren Position entspreche der mitunter »apolitisch anmutenden Vorstellungswelt des nationalkonservativen Widerstands, die dem Gesichtspunkt moralischer Erneuerung eine klare Priorität gegenüber kurzfristigen Umsturzvorbereitungen einräumte«.2366 Tat2359 2360 2361 2362 2363 2364

Ebd., S. 139. Ebd., S. 147. Ebd., S. 148–149. Ebd., S. 150. Ebd., S. 150–151. Hans Mommsen: Der deutsche Widerstand gegen Hitler und die Wiederherstellung der Grundlagen der Politik. In: Die »Weiße Rose« und das Erbe des deutschen Widerstandes. Münchener Gedächtnisvorlesungen. München: Beck 1993, S. 198–214, S. 198. 2365 Ebd. 2366 Ebd., S. 212.

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sächlich sei der Verlust des »inneren Zusammenhang[s]« der Gesellschaft und eine damit verbundene Orientierungslosigkeit des Einzelnen prägend für die »Alltagswelt des Dritten Reiches«, die Mommsen im erklärten Gegensatz zu totalitarismustheoretischen Annahmen »weniger durch pausenlose Indoktrination« als durch »sozialpsychologische Auswirkungen der faschistischen Herrschaft« geprägt sieht.2367 Spezifika der Weißen Rose seien die auf Carl Muth zurückgehende »Beschwörung eines apokalyptischen Zusammenbruchs, der sie in die Rolle der Kämpfer gegen den Antichrist versetzte«,2368 und die Prägung durch »Ideengänge der bündischen Jugend«, insbesondere durch die Idee der Jugendbewegung, »sich selbständig an die Spitze der kulturellen Regeneration zu stellen, ohne dazu des Instruments politischer Organisation oder Parteibildung zu bedürfen«, was auch die »Illusion […], den Terror der Gestapo zu unterlaufen und sich nationale Resonanz verschaffen zu können«, erkläre.2369 Gemeinsames Merkmal der verschiedenen Gruppen sei jedoch, dass diese zu der Erkenntnis gelangt seien, »daß ein Umsturz sinnlos war, wenn es nicht zugleich gelang, die Politikfähigkeit der deutschen Gesellschaft wiederherzustellen«.2370 Daher liege »[n]icht in ihren zeitgebundenen politischen Planungen und Entwürfen, sondern in dem Insistieren auf dem Glauben an menschliche Würde und soziale Gerechtigkeit […] ihr bleibendes Vermächtnis«.2371 Gemeinsam ist Mommsen und Steinbach somit eine erklärte Distanzierung von der Totalitarismustheorie. Indem beide deren politischen Kern abstrakt im Kampf gegen ein menschenunwürdiges und verbrecherisches System und für die Wiederherstellung der Grundlagen einer menschlichen Gesellschaft sehen, wird Gedenken auf die Grundlagen demokratischer Verfassung bezogen. Beide lehnen institutionelle Legitimation als Funktion von Widerstandserinnerung ab, tragen jedoch ihrerseits zu Diskursen bei, welche die bestehende Ordnung legitimieren. Gerade im Falle Steinbachs erfolgt dies in späteren Jahren wesentlich expliziter.2372 Diese Muster setzt sich in den Vorträgen der folgenden Jahre grundsätzlich fort, wobei sich seit 1993 die Auswahl der Vortragenden grundsätzlich geändert hat. Es referierten:

2367 2368 2369 2370 2371 2372

Ebd., S. 210–211. Ebd., S. 211. Ebd., S. 212. Ebd., S. 213. Ebd., S. 214. Siehe Kap. II.2.2.

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– 1993 zum 50. Jahrestag Bundespräsident Richard von Weizsäcker ;2373 – 1994 der französische Schriftsteller, Historiker und Zeitzeuge Joseph Rovan;2374 – 1995 die Hamburger Chemieprofessorin Gerda Freise als Zeitzeugin auch zur Atmosphäre am Münchener Lehrstuhl von Professor Heinrich Wieland, an dem auch Hans Leipelt unterkommen konnte;2375 – 1996 Joachim Gauck als Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik;2376 – 1997 die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, Staatsministerin a. D. und Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten 1994, wie Gerda Freise auch in einer Zeitzeugenrolle ausgehend von ihren Erfahrungen als Studentin von Heinrich Wieland;2377 – 1998 der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel;2378 – 1999 der SPD-Politiker und ehemalige Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg Klaus von Dohnanyi;2379

2373 Richard von Weizsäcker : »Freiheit ohne Anteilnahme bleibt nicht lebensfähig«. Die Ansprache des Bundespräsidenten bei der Münchner Gedenkveranstaltung »Weiße Rose« in Auszügen. In: Süddeutsche Zeitung, 16. 02. 1993, S. 9. 2374 Joseph Rovan: Das Nein zu Hitler in Europa. In: Chronik der Ludwig-Maximilians-Universität München 1993–1995. München [1995], S. 85–95. 2375 Siehe auch Gerda Freise: Der Nobelpreisträger Prof. Dr. Heinrich Wieland: Zivilcourage in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Rudolf Lill (Hrsg.): Hochverrat? Die »Weiße Rose« und ihr Umfeld. Konstanz: UVK 1993, S. 135–157. 2376 Gauck hielt auf Einladung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand im selben Jahr in Berlin anstelle des erkankten polnischen Schriftstellers Andrzej Szypiorski unter dem gleichen Titel eine vermutlich ähnliche Rede anlässlich des Gedenktags zum 20. Juli. Siehe Joachim Gauck: Unterwerfung, Anpassung, Widerstand – Anmerkungen zum Leben unter totalitärer Herrschaft. Festvortrag von Dr. h.c. Joachim Gauck am 19. Juli 1996 im Otto-BraunSaal der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, Internet: https://www.20-juli44.de/reden/unterwerfung-anpassung-widerstand-anmerkungen-zum-leben-unter-totali tarer-herrschaft-dr-hc-joachim-gauck-20071996, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2377 Hamm-Brücher sprach unter der Überschrift »Das Vermächtnis der Weißen Rose, gestern – heute – morgen«. Siehe auch ihr Buch zur Weißen Rose im gleichen Jahr : Hildegard Hamm-Brücher : »Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit«. Die »Weiße Rose« und unsere Zeit. Berlin: Aufbau 1997. 2378 Hans-Jochen Vogel: Zur Notwendigkeit des Erinnerns. Über den Umgang mit der jüngeren deutschen Geschichte. Baden-Baden: Nomos 2000. 2379 Kritisch kommentiert und in großen Teilen zitiert wird von Dohnanys Rede »Verantwortung für die Deutsche Geschichte – Erinnern und Gedenken in der 2. Generation nach Hitler« bei Michael Hoffmann: Ambivalenzen der Vergangenheitsdeutung. Deutsche Reden über Faschismus und »Drittes Reich« am Ende des 20. Jahrhunderts. Diss., JustusLiebig-Universität Gießen, 2002, Internet: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2006/ 2900, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018, S. 179–200.

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– 2000 die jüdische Kulturschaffende Rachel Salamander, Inhaberin der Literaturhandlung München;2380 – 2001 der ehemalige israelische Botschafter in der Bundesrepublik Avi Primor2381 – 2002 Erwin Teufel als Ministerpräsident von Baden-Württemberg;2382 – 2003 Bundespräsident Johannes Rau aus Anlass des 60. Jahrestags;2383 – 2004 die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts und damalige Präsidentin des Goethe-Instituts Jutta Limbach;2384 – 2005 der Münchener Jurist und ehemalige Rektor der LMU Andreas Heldrich;2385 – 2006 Bischof Dr. Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der EKD;2386 – 2007 als Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, die 2004 für die SPD zum ersten Mal als Bundespräsidentin kandidiert hatte;2387 – 2008 die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland Charlotte Knobloch;2388 2380 Rachel Salamander : »Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen«. Vom deutschen Widerstand und der Judenverfolgung. München: edition münchen 2000. 2381 In Auszügen: Avi Primor : »Das kann ich nicht getan haben, sagt mein Stolz«. Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung: Warum kein Einzelner und kein Staat seiner Vergangenheit entkommt. In: Süddeutsche Zeitung, 07. 02. 2001. 2382 Teufel sprach zum Thema »Schreiben und Leben. Der Umgang mit der Geschichte des Dritten Reiches und die Botschaft des Widerstands gegen Hitler«, siehe Chronik der Weiße-Rose-Stiftung e.V., Internet: http://www.weisse-rose-stiftung.de/images/Veranstal tungen%20Stiftung/Chronik.pdf, zuletzt geprüft am 10. 08. 2015, nicht mehr aufrufbar am 11. 07. 2018. 2383 Johannes Rau: Gedächtnisvorlesung von Bundespräsident Johannes Rau aus Anlass des sechzigsten Jahrestags der Hinrichtung der Mitglieder der »Weißen Rose«. Ludwig-Maximilians-Universität München, 30. Januar 2003, Internet: http://www.bundespraesident. de/SharedDocs/Reden/DE/Johannes-Rau/Reden/2003/01/20030130_Rede.html, zuletztgeprüft am 11. 07. 2018. 2384 Limbach sprach zu der Frage »Was ist Widerstand?«, siehe Ankündigung der Gedächtnisvorlesung 2004, Internet: http://www.uni-muenchen.de/informationen_fuer/presse/ presseinformationen/2004/895.html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2385 Ankündigung der Weiße Rose-Gedächtnisvorlesung 2005, Internet: http://www.uni-muen chen.de/informationen_fuer/presse/presseinformationen/2005/1004.html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2386 Wolfgang Huber : »Flugblätter der Freiheit. Verantwortliches Handeln aus christlichen Wurzeln«. Weiße Rose-Gedächtnisvorlesung in der Ludwig Maximilians-Universität München, Internet: https://www.ekd.de/vortraege/huber/060123_huber_weisse_rose. html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2387 Gesine Schwan: Demokratische Identität. Die Konstitution demokratischer politischer Identität in nachdiktatorischen Gesellschaften. Vortrag anlässlich der Weiße-Rose-Gedächtnis-Vorlesung am 15. 1. 2007 in München, Internet: http://www.uni-muenchen.de/in formationen_fuer/presse/presseinformationen/pdf/schwan_2007.pdf, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2388 Charlotte Knobloch: Erinnern heißt Handeln. In: Münchener Universitätsmagazin MUM (2008), Nr. 2, S. 8–12.

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2009 der Münchener SPD-Oberbürgermeister Christian Ude;2389 2010 Karl Kardinal Lehmann als Vertreter der katholischen Kirche;2390 2011 die Münchener Kunstwissenschaftlerin Carla Schulz-Hoffmann;2391 2012 der Verfassungsrichter Peter M. Huber ;2392 2013 zum 70. Jahrestag erneut Joachim Gauck, nun als Bundespräsident;2393 2014 Susanne Breit-Keßler als Regionalbischöfin im Kirchenkreis München und Oberbayern Vertreterin der evangelischen Kirche;2394 2015 der Historiker und Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München Andreas Wirsching.2395 2016 Winfried Nerdinger, Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München; 2017 Michael Verhoeven, Regisseur des Films Die weiße Rose; 2018 Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

Betrachtet man diese Liste, so fällt auf, dass ab 1993 mehrheitlich Politiker, Vertreter des Bundesverfassungsgerichts, Repräsentanten der evangelischen und katholischen Kirche sowie des Judentums in Deutschland die Gedenkvorlesungen hielten und Wissenschaftler, zumal in rein wissenschaftlicher Funktion, die Ausnahme bildeten. Einige der Vortragenden, beispielsweise Gerda Freise und Hildegard Hamm-Brücher, sprechen dabei auch aus einer Zeitzeugenposition. Das Gedenken an die Weiße Rose erscheint durch die Abbildung verschiedener gesellschaftlicher Institutionen und Parteien als gesellschaftlicher 2389 Ude sprach zum Thema »Aus Mu¨ nchner Sicht: Geschichte und Verantwortung«, siehe Rathausumschau, 03. 02. 2009, S. 2. 2390 Karl Kardinal Lehmann: Zivilcourage und Formen des Widerstands. Gedächtnisvorlesung Weiße-Rose am 21. Januar 2010 in der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Internet: https://www.uni-muenchen.de/aktuelles/pdf/lehmann_2010.pdf, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2391 Gekürzt: Carla Schulz-Hoffmann: Widerstand – Denkbilder für die Zukunft. Zur Frage der Kunst als moralischer Instanz. In: Münchener Universitätsmagazin MUM (2011), Nr. 2, S. 10–12. 2392 Peter-M Huber : Freiheit braucht Mut. Audioaufzeichnung der Gedächtnisvorlesung 2012, Internet: http://www.uni-muenchen.de/aktuelles/weisse_rose/index.html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2393 Joachim Gauck: Gedächtnisvorlesung aus Anlass des 70. Jahrestags der Hinrichtung von Mitgliedern der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« am 30. Januar 2013 in München, Internet: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Reden/2013/01/130 130-Weisse-Rose.pdf ?__blob=publicationFile, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2394 Susanne Breit-Keßler : Dem Rad in die Speichen fallen – Widerstand gestern und heute. Audioaufzeichnung der Gedächtnisvorlesung 2014, Internet: http://www.uni-muenchen. de/aktuelles/weisse_rose/index.html, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2395 Andreas Wirsching: Grenze und Größe. Zum Problem der Entscheidung im Nationalsozialismus. Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung, gehalten am 27. Januar 2015, in München, Internet: http://www.weisse-rose-stiftung.de/images/pdf/wirsching-weisse-%20rose-GD V2015.pdf, zuletzt geprüft am 10. 08. 2015, nicht mehr aufrufbar am 11. 07. 2018.

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Konsens, in den auch Wissenschaftler und Zeitzeugen eingebunden sind, zumal die Weiße Rose Stiftung e. V. die Gedenkvorlesungen in ihrer Chronik und in ihren Tätigkeitsberichten aufführt.2396 Insgesamt lässt sich von einem wechselseitigen Legitimationszusammenhang sprechen. Auffällig ist aber auch, dass Vertreter der islamischen Religionsgemeinschaften nicht vertreten sind und auch die Gewerkschaften, die das Gedenken an die Weiße Rose in München bis 1984 maßgeblich getragen hatten, nicht mehr repräsentiert sind. Eine Analyse des gesamten Materials der Reden kann im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden, allerdings soll im Folgenden ausgehend von den drei Reden der Bundespräsidenten zu den runden Jahrestagen 1993, 2003 und 2013 die Entwicklung von Deutungstendenzen in diesem Zusammenhang exemplarisch untersucht werden.

VI.2.3 Offizialisierung der Gedächtnisvorlesungen: Die Weiße Rose in bundespräsidialen Reden Aus der repräsentativen Anlage des Bundespräsidentenamtes lässt sich eine »Anforderung oder Anfrage an die Bundespräsidenten, einer historisch-politischen Standortbestimmung der Bundesrepublik ihre Aufmerksamkeit zu schenken und ihre Stimme zu leihen«, ableiten.2397 Aufgrund dieser Rolle sind »bundespräsidiale Reden nicht nur Ausdruck persönlicher Einsichten und Annahmen«, sondern auch »öffentlicher Ausdruck von politischer Repräsentanz«.2398 Alle Amtsvorgänger Richard von Weizsäckers haben sich in Reden mit unterschiedlichen Akzentuierungen zur NS-Geschichte geäußert,2399 zur Weißen Rose im Gegensatz zum 20. Juli 19442400 vor 1993 einschlägig jedoch nicht. Theodor Heuss’ mit christlicher Metaphorik durchzogene Würdigung der Weißen Rose, die einen Paratext zu Taschenausgaben von Inge Scholls Buch ab 1955 bildet,2401 entstammt nicht, wie Katie Rickart irrtümlich annimmt,2402 einer Rede an der Münchener Universität zum zehnten Jahrestag, sondern ist ein schriftliches Grußwort für Gedenkfeiern in München und Berlin. Der Bundes2396 Anm. 2382; Weiße Rose Stiftung e.V.: Tätigkeitsberichte 2000–2014. München: Weiße Rose Stiftung e. V. 2397 Mathias Rensing: Geschichte und Politik in den Reden der deutschen Bundespräsidenten 1949–1984. Münster/Westf. [u. a.]: Waxmann 1996, S. 235. 2398 Ebd., S. 236. 2399 Ebd. Rensing dokumentiert und analysiert Aussagen der Bundespräsidenten von Theodor Heuss bis Karl Carstens mit Bezug zur deutschen Geschichte. 2400 Siehe die Reden aller Bundespräsidenten bis Carstens in: Forschungsgemeinschaft 20. Juli e.V. (Hrsg.): Gedanken zum 20. Juli 1944. Mainz: Hase & Koehler 1984. 2401 Siehe Kapitel IV.1.3. 2402 Rickart, Anm. 944, S. 217.

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präsident ging jedoch zum Schluss seiner anlässlich der Eröffnung des internationalen Studentenwohnheims in Frankfurt a. M. am 21. Februar 1953 gehaltenen Rede auf die Weiße Rose ein: Hätte ich nicht zugesagt, in diesen zwei Tagen in Frankfurt zu sein, so würde ich in München oder in Berlin gewesen sein. Morgen sind es zehn Jahre, seit die GeschwisterScholl [sic] und Christian [sic] Probst, Studenten der Münchener Universität, hingerichtet wurden. Es hat auch vorher schon – gerade auch hier in Frankfurt – akademische Opfer des Terrors gegeben. Aber wenn wir jetzt von diesen jungen Menschen in München ein Wort sagen wollen: ihr Handeln war ein Aufschrei gegen die Lüge, die ein Volk verderben wollte. Ihr Sterben war das grosse und tapfere Zeugnis seelischer Reinheit. Als damals die Nachricht zu uns kam, trat in die Trauer der Trost: dieses Tun und dieses Erleiden ist stellvertretend für eine Hoffnung. Ein Routinier der Verschwörungstechnik würde sagen: der Zeitpunkt der Studentenrevolte in München war gut gewählt, da das militärisch-strategische Dilettantenverbrechen von Stalingrad auch für das, was man »harmlose Gemüter« nennt, ein Fanal wurde. Immerhin trösteten sich über die Kilometerlänge von da bis zum Stammtisch in Chemnitz oder in Sachsenhausen die Spiessbürger. Die Bewertung der Sbirren und Sykophanten, der Aufpasser und Angeber in der Heimat war wohl von diesen jungen Menschen her ungenügend. Sie war es. Aber dies raubt doch nichts an der geschichtlichen Würde des Tun-Müssens. Gehört diese Erinnerung in diesen Festakt? Manche von Ihnen mögen es bezweifeln, sie mögen mir verzeihen, wenn ich diesen Glauben und diese Opfer für die Mitte dieser Stunde halte. (Anhaltender lebhafter Beifall).2403

Auch in seiner bekannten Rede zum zehnten Jahrestag des 20. Juli 1944 ging Heuss beiläufig auf die Weiße Rose ein: Dies Drama ist auch in einem anderen Stil geschrieben als die heroische Ballade, die mit dem Namen und Ende der Geschwister Scholl und ihrer Freunde verbunden bleibt. Man mag da nicht von »Verschwörung« sprechen, wo der Zwang eines gequälten Gewissens, wo die Scham über Untat und Lüge junge, reine Seelen dazu trieb, andere junge Seelen zur Verantwortung vor Gott und sich selbst zu wecken, um des deutschen Namens willen.2404

Auch wenn Heuss in seiner Frankfurter Rede die Handlungen der Studenten als »geschichtliche Kraft« bezeichnet,2405 stellt er sie im Gegensatz zum 20. Juli 1944 nicht in eine nationale Tradition. Von Heuss’ Nachfolgern Heinrich Lübke, Gustav Heinemann und Walter Scheel sind keine Aussagen zur Weißen Rose überliefert. In seiner Rede zum 25. 2403 Theodor Heuss: Ansprache bei der Einweihung des Internationalen Studentenheims in Frankfurt a. M., Typoskript, 6 Seiten, 21. 02. 1953. In: IfZ, ED 474 (302), S. 5–6. 2404 Theodor Heuss: Bekenntnis und Dank. In: Forschungsgemeinschaft 20. Juli e.V. (Hrsg.): Gedanken zum 20. Juli 1944. Mainz: Hase & Koehler 1984, S. 31–50, S. 50. 2405 Heuss, Anm. 2403, S. 5.

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Jahrestag des 20. Juli 1944 bezog Heinemann in das Gedenken ausdrücklich »alle Widerstandskämpfer« ein, die »aus welcher Nation und an welchen Orten auch immer, das Opfer des Lebens für Recht und Menschenwürde brachten«.2406 Bemerkenswert an der Rede ist, dass Heinemann keine Gruppen und Namen aufzählt. Die einzigen Namensnennungen stehen im Zusammenhang mit zwei Zitaten, zum einen einer Aussage Stauffenbergs und zum anderen aus dem letzten Brief des »Hamburger Arbeiterführer[s] Fiete Schulze, auf dessen Namen die DDR übrigens eines ihrer Schiffe getauft hat«.2407 Diese inklusive Strategie ist in Zusammenhang mit Heinemanns Bestimmung des 20. Julis als nationalen Gedenktag zu sehen: Der 20. Juli 1944 war ein gesamtdeutscher Tag und muss es bleiben, wenn das Wort Nation trotz der Spaltung Deutschlands für uns einen Sinn behalten soll. In diesem Datum verzahnen sich die schlechtesten und die besten Überlieferungen unserer Geschichte in ihren vollen Gewichten miteinander. Sie rufen uns immer wieder auf, ihre dramatische Verknotung zu lösen.2408

Walter Scheel hielt in seiner Amtszeit keine Gedenkrede zum 20. Juli 1944. Aus seiner 1976 gehaltenen Rede auf dem Deutschen Historikertag in Mannheim und Äußerungen zur Rolle des Themas Nationalsozialismus in Lehrplänen und Schulbüchern kann die Position Scheels abgeleitet werden, dass durch die »umfassende Kenntnis des deutschen Widerstands in all seinen Facetten« sowie die »Befestigung der ›Verbindungslinien zwischen dem Widerstand und unserem Staat‹« eine »Überwindung eines ›verdorbenen Geschichtsbewusstseins‹, das sich der ganzen Wirklichkeit der NS-Diktatur verweigerte«, bewirkt werden könne.2409 Während Scheel den Widerstand in Beziehung zu »Verfassungsordnung und -wirklichkeit« setzte, stellte Karl Carstens den 20. Juli 1944 in den Vordergrund als »Symbol dafür, dass in deutschem Namen nicht nur Unrecht getan wurde«.2410 Die Widerstandsthematik nimmt insgesamt in Carstens Reden »relativ breiten Raum« ein, da er darin eine positive nationale Tradition und Anlass für Nationalstolz sah.2411 Carstens erinnerte dabei fast ausschließlich an den konservativen Widerstand. Eine Aktualisierung des Widerstandsgedankens 2406 Gustav Heinemann: Eid und Entscheidung. Gedenkrede des Bundespräsidenten am 19. Juli 1969 in der Gedenkstätte Plötzensee, Internet: https://www.20-juli-44.de/reden/ eid-und-entscheidung-dr-dr-gustav-heinemann-19071969, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018, S. 1. 2407 Ebd., S. 4–5. 2408 Ebd., S. 1. 2409 Rüdiger von Voss: Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944. Politische Rezeption und Traditionsbildung in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin: Lukas 2011, S. 31. 2410 Ebd., S. 31–32. 2411 Rensing, Anm. 2397, S. 214–215.

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lehnte er ab und bezog den Widerstand gegen den Nationalsozialismus weder auf das »allgemeine Menschenrecht[…] noch den demokratischen Gedanken, auch nicht [auf] ein allgemeines menschliches Widerstandsrecht gegen jede Form der Gewaltherrschaft«.2412 Die Weiße Rose würdigte er im Jahr 1983 anlässlich des 40. Jahrestags des 22. Februars, allerdings nicht durch eine Rede, sondern lediglich in Form eines Grußschreibens an den Präsidenten der LMU. Hierin bezeichnet er die Tat der Geschwister Scholl als »Zeichen eines anderen Deutschlands« in der Zeit des Nationalsozialismus, das »für die Deutschen immer ein Beispiel selbstlosen Einsatzes für die Freiheit, für den Kampf des Geistes gegen den Haß, gegen Unterdrückung und Zerstörung« bleiben werde: »Sie gehören zum Besten, was unser Volk an Freiheitssinn, Gerechtigkeitsgefühl, an Mut, Achtung für die Menschenwürde und an Gehorsam gegenüber dem Sittengesetz hervorgebracht hat«.2413 Von der durch Carstens repräsentierten konservativen Geschichtspolitik hebt sich Richard von Weizsäckers Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsende 1985 ab.2414 Rickart macht dies an der Ersetzung konservativer Deutungen des Kriegsendes als Katastrophe bzw. Niederlage durch ein Narrativ der Befreiung, der Forderung einer Erinnerung aller Opfer des Nationalsozialismus, besonders auch zuvor marginalisierter Gruppen, sowie dem Bekenntnis intergenerationaler Schuld und Verantwortung am Holocaust bei gleichzeitiger Zurückweisung der Kollektivschuldthese fest.2415 Appelle zur Erinnerung sieht sie zugleich in Zusammenhang mit einer Affirmation nationaler Identität, wenn Weizsäcker in seiner Rede erklärt: »Wir sind ein Volk und eine Nation. Wir fühlen uns zusammengehörig, weil wir dieselbe Geschichte durchlebt haben.«2416 In dieser Linie verortet Rickart auch von Weizsäckers acht Jahre später gehaltene Gedächtnisvorlesung zur Weißen Rose. Der Bundespräsident betont zu Beginn dieser Rede von 1993, dass er von Studierenden der Universität eingeladen worden sei. Hierdurch positioniert er sich als Vertreter einer ›älteren Generation‹, die in den Dialog zur ›jüngeren‹ tritt.2417 Als Motto seiner Rede wählt er ein oft verwendetes Zitat aus dem fünften Flugblatt: »Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz

2412 Ebd., S. 216. 2413 O. A.: Ein Lob vom Präsidenten. Carstens nennt Geschwister Scholl »Vorbild und Verpflichtung«. In: Frankfurter Rundschau, 25. 02. 1983. 2414 Richard von Weizsäcker : Der 8. Mai 1945–40 Jahre danach. In: Richard von Weizsäcker (Hrsg.): Von Deutschland aus: Reden des Bundespräsidenten. München: dtv 1987, S. 9–35. 2415 Rickart, Anm. 944, S. 222–224. Siehe auch Jan-Holger Kirsch: »Wir haben aus der Geschichte gelernt«: der 8. Mai als politischer Gedenktag in Deutschland. Köln [u. a.]: Böhlau 1999, S. 76–95. 2416 Weizsäcker, Anm. 2414, S. 32. 2417 Rickart, Anm. 944, S. 229.

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gelegt habt. Entscheidet Euch, eh’ es zu spät ist.«2418 Von Weizsäcker schreibt dieser Aussage eine zeitlose Bedeutung zu, denn »jede Zeit, zumal die unsere, erkennt auf ihre Weise sich selbst als Adressaten dieser Worte«.2419 Er setzt eine Resonanz auch bei den Adressaten seiner Rede voraus, wenn er sagt: »Immer von neuem spüren wir in unserem Innern ein Echo auf das Zeichen der Weißen Rose.«2420 Die Attribuierung des Widerstands als »Zeichen« entspricht von Weizsäckers Zuschreibung, die Intention des »Münchener Freundeskreis[es]« sei es nicht gewesen, »selbst den politischen Umsturz herbei[zu]führen«, sondern »das Böse, das sie sahen und erkannten, bei seinem Namen« zu nennen.2421 Dieses »Böse« bestimmt er als »unvorstellbare[…] Verbrechen« und »Unrecht«, deren Zustandekommen für die »heranwachsende junge Generation« nach dem Krieg »am schwersten zu begreifen« gewesen sei.2422 Die Fragen an die »Älteren« zitiert er exemplarisch: Hatten eine Erziehung oder Überlieferung dazu geführt, daß sichtbares Unrecht geduldet, mitgetragen, von vielen gewollt, von mehr als nur einigen ausgeführt worden war? Wie konntet Ihr Älteren zusehen, so fragten sie, daß der jüdische Nachbar stigmatisiert und quer über die Straße geschleppt wurde? Wie konntet Ihr?2423

Der durch diese Fragen konstruierte Vorwurf impliziert die Frage nach der Schuld an Unrecht und Verbrechen. Auf die Diskriminierung und Verfolgung von jüdischen Menschen wird hierbei Bezug genommen, der Holocaust dabei jedoch nicht im Konkreten erinnert. Von Weizsäcker verfolgt das Motiv des Generationenkonflikts in zweifacher Hinsicht weiter, zum einen, indem er die Relevanz der Weißen Rose in der Gegenwart »nicht nur für jüngere, sondern sehr wohl auch für ältere« unterstreicht,2424 zum anderen, indem er die Weiße Rose durch rhetorische Fragen (»Wie hatten sie die Überzeugung gewonnen, dem nationalsozialistischen Unrechtsregime nicht zur Treue verpflichtet zu sein?«2425) als Ausnahmeerscheinung darstellt und ihre Haltung als Ergebnis von Erziehung durch den Einfluss der »Eltern und geistige[r] Lehrer« der Studenten darstellt.2426 Dies impliziert auf historischer Ebene eine Differenzierung in Bezug auf die zuvor aus Sicht der jungen als (mit)schuldig dargestellten älteren Generation und lässt den Bundespräsidenten auf aktueller Ebene eine Forderung an »Eltern und Erzieher« 2418 2419 2420 2421 2422 2423 2424 2425 2426

Weizsäcker, Anm. 2373, Spalte 1. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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begründen, zunächst sich selbst zu befragen, um »Maßstäbe« zu vermitteln, »wie sie den Studenten der Weißen Rose als Orientierung dienten«.2427 Der nächste Teil der Rede widmet sich der Frage, ob der Widerstand der Weißen Rose als politisch zu bezeichnen sei. Von Weizsäcker hebt hervor, dass »Denken und Handeln« bei der »untereinander eng verbundenen Gruppe der Münchner Studenten eine Einheit« bildeten und führt Sophie Scholls Erklärung des eigenen Handelns vor Gericht (»Einer muß ja doch mal schließlich damit anfangen«) und ihr Briefzitat Maritains (»einen unbeugsamen Geist und ein fühlendes Herz«) als zeitlose Handlungsmaximen an.2428 Er setzt sich daran anschließend mit kritischen Stimmen zur Weißen Rose auseinander, die ihr absprächen, »Ausgangspunkt einer politischen Tradition« sein zu können und in ihr einen »religiös verankerten Idealismus eines naiven deutschen Bildungsbürgertums« sähen.2429 Der Redner konzediert, die Studenten seien »in der Tat keine politischen Kader« gewesen, jedoch »von der Notwendigkeit erfüllt, Partei zu ergreifen für eine politisch-sittliche Zivilisation, die zu jeder Zeit gefährdet ist und ohne die kein konkreter politischer Entwurf von Bestand sein kann«.2430 Die Weiße Rose sei für »Grundwerte des Zusammenlebens geistigbegabter Menschen« eingetreten und ihr Widerstand sei eine »Gegenexistenz durch Widerrede gegen das Böse« gewesen.2431 Von Weizsäcker fragt rhetorisch: »Was ist daran unpolitisch?«2432 Zugleich weist er darauf hin, dass diese »Haltung« auch »außerhalb des Bildungsbürgertums« bestanden habe und erinnert an das Beispiel des durch Hans Falladas Roman Jeder stirbt für sich allein bekannt gewordenen »Berliner Arbeiter Quangel«,2433 welches ihn zu der Schlussfolgerung führt: »Wichtiger als die Frage, welche politischen Meinungen einer hat, welche Partei er wählt, was er über die laufenden öffentlichen Streitfragen denkt, sind seine Überzeugungen, nach denen er lebt und handelt.«2434 Auch wenn von Weizsäcker mit dem Ehepaar Quangel Vertreter des Arbeitermilieus anführt, bleiben der kommunistische und sozialdemokratische Widerstand unerwähnt. An späterer Stelle kontrastiert von Weizsäcker die »Gewaltfreiheit« der Weißen Rose mit dem »Einsatz von Machtmitteln« durch den »Widerstand des 20. Juli 1944«, lehnt es aber ab, dies zum Kriterium für eine

2427 2428 2429 2430 2431 2432 2433 2434

Ebd., Spalte 2. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., Spalte 2–3. Ebd., Spalte 3.

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Unterscheidung zwischen politischem und unpolitischem Widerstand zu machen.2435 Seine eigene Definition des Politischen erfolgt unter Verweis auf die »Grundbedingungen des Zusammenlebens im Staat und in der Gesellschaft, ohne die der Begriff der Politik gar keinen Sinn hat«.2436 Er wendet sich gegen die nach seinem Dafürhalten »[n]och immer […] übermächtige« Reduktion von Politik auf einen »unablässige[n] Kampf um die Macht«.2437 Ein solcher Begriff von Politik gehöre der Vergangenheit an: Wir sind froh, daß der Totalitarismus in der Region Europa weithin besiegt ist. Der Bürger ist gegen die Zwangsherrschaft geschützt, gegen [welche] die Geschwister Scholl und ihre Freunde aufgestanden sind. Die Demokratie bewahrt uns vor Übergriffen. Sie schützt uns davor, vom Staat mißbraucht, ausgenutzt, überwacht zu werden. Das ist Freiheit.2438

Diese Freiheit sei jedoch, betont von Weizsäcker, nur »lebensfähig«, wenn sie in »Solidarität« münde, wobei er diese auf das Verhältnis von Bürgern und Politik bezieht, mit der Begründung »freiheitliche Demokratie« funktioniere »auf Dauer nur, wenn sie keine bloße Summe von Privatwesen, sondern auch ein Gemeinwesen ist, wenn wir durch sie und in ihr zusammenhalten«.2439 Auf dieser Grundlage unternimmt er – Willy Brandts berühmte Formel zur deutschen Einheit aufgreifend – einen an Bürger und Intellektuelle adressierten Appell gegen »Politikverdrossenheit«, die auseinanderreiße, »was zusammengehört«:2440 Parteien bieten mit ihrem Verhalten immer wieder Anlaß zur Kritik. Letztlich zielt sie aber an die Adresse der Bürger selbst, wenn diese sich an der Praxis und den guten Sitten der Politik […] zu wenig beteiligen, und an Intellektuelle, die dem politischen Dialog aus dem Wege gehen und dazu beitragen, die Trennung des Idealen vom Realen, von Geist und Macht zu befestigen.2441

Politik in der Demokratie müsse als »Interessensausgleich auf ethischer Grundlage« begriffen werden, ansonsten leiste die »Neigung bei den Bürgern zur Privatisierung und bei Intellektuellen zur Ideologie […] der Tendenz Vorschub, Politik auf den Machtwettkampf zu reduzieren«.2442 Die Absage an Ideologie und die Betonung ethischer Grundlagen von Politik führt von Weizsäcker in seiner 2435 2436 2437 2438 2439 2440 2441 2442

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., Spalte 4. Ebd. Ebd., Spalte 4–5. Ebd., Spalte 5–6.

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abschließenden Würdigung der Weißen Rose mit Bezug auf Geschichte und Gegenwart zusammen: Die Mitglieder der Weißen Rose haben ihr Leben in Gewaltlosigkeit für die Grundwerte aller hingegeben. Sie haben ihr Leben bejaht und erfüllt. Das Politische an ihnen war ihr Ethos. Ihr Widerstand ist kein Scheitern, sondern er weist über ihre Zeit hinaus. Ihr Denken und Handeln ist ein Zeichen der Hoffnung und Mahnung. Die Courage jeder Generation entscheidet über unsere Zivilisation neu. Wir können sie nur bewahren mit unbeugsamem Geist und mit fühlendem Herzen, 1993 wie 1943.2443

Rickart zufolge schafft von Weizsäcker damit einen Interpretationsrahmen der Weißen Rose, der auf Demokratie und nationale Identität fokussiere und damit in Zusammenhang mit Diskursen zur Stärkung ›innerer Einheit‹ im vereinigten Deutschland stehe.2444 Dies ist zutreffend, wenn man der 1997 im Jahresbericht der Bundesregierung zur Deutschen Einheit niedergeschriebenen Definition von ›innerer Einheit‹ als »Weg des einzelnen zum aktiven und verantwortungsbewußten Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der durch die Verfassung vorgegebenen Wertordnung« folgt.2445 Jedoch bezieht sich von Weizsäcker explizit an keiner Stelle auf die deutsche Einheit, sondern allgemein auf die ›Überwindung des Totalitarismus‹ in Europa. Im Vordergrund steht gerade hinsichtlich der Adressierung ein Versuch generationaler Vermittlung. Von Weizsäcker setzt die abstrahierten Definitionen ›politischen‹ Widerstands der Vorlesungen der vergangenen Jahre fort. Im Vergleich zu seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes ist die dahinterliegende Darstellung des Nationalsozialismus in höherem Maß entkonkretisiert,2446 was als Versuch gesehen werden kann, ein möglichst breites Spektrum politischer Positionen zu integrieren. Von Weizsäckers Rede war nicht unumstritten. Die Einladung des Bundespräsidenten stieß bei Teilen der Studierenden auf Kritik. Zum ersten (und auch letzten) Mal wurde der Studentenvertretung vom Präsidenten der Universität Rederecht bei der Gedächtnisvorlesung eingeräumt, deren Vertreter Dirk Joussen erklärte in seinem Redebeitrag, der Sprecherrat hätte es »vorgezogen, wenn nicht Weizsäcker die Gedächtnisvorlesung gehalten

2443 Ebd., Spalte 6. 2444 Rickart, Anm. 944, S. 224–225. 2445 Werner Weidenfeld, Karl-Rudolf Korte: Handbuch zur deutschen Einheit, 1949–1989– 1999. Frankfurt a. M., New York: Campus 1999, S. 454. 2446 Zum Begriff der Entkonkretisierung, der das Herauslösen der erinnerten Geschichte aus dem historischen Kontext bezeichnet, siehe Sabine Moller : Die Entkonkretisierung des Nationalsozialismus in der Ära Kohl. Die Neue Wache, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Hannover : Offizin 1998.

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hätte: ›Uns wäre es lieber gewesen, wenn ein Opfer der Nazis und nicht ein Angehöriger der Täterseite gesprochen hätte.‹«2447 Im Gegensatz zu 1993 fand die Gedenkvorlesung zum 60. Jahrestag 2003 nicht am Jahrestag der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl sowie von Christoph Probst, sondern am 30. Januar 2003 statt und damit am 70. Jahrestag der ›Machtübergabe‹ an Hitler. Auch wenn Bundespräsident Johannes Rau in seiner Rede nicht auf die Beziehung zwischen den Jahrestagen einging, ist in der Terminfestsetzung durch die Organisatoren durchaus ein statement zu sehen, wenn das Gedenken an den Widerstand auf den Beginn der NS-Herrschaft und ihre Ursachen bezogen wird. Der von Rickart hieran exemplifizierte Fokus auf nationale Identität durch die Verbindung ›positiven‹ und ›negativen‹ Gedenkens2448 ist aber in Rückgriff auf das sozialdemokratische Konzept der ›ganzen deutschen Geschichte‹ präziser beschrieben. An dieses knüpft auch Raus in acht Abschnitte gegliederte Rede an, die sich in verschiedener Hinsicht von der von Weizsäckers unterscheidet. Rau gibt zunächst einen kurzen Abriss einiger Rahmendaten zur Geschichte der Weißen Rose. Die Motive Hans und Sophie Scholls für die Flugblattaktion am 18. Februar 1943 werden von Rau explizit offen gelassen. Beachtliches Gewicht in diesem ersten Teil kommt den Akteuren zu, die für das Ergreifen und die Verhaftung der Geschwister verantwortlich sind. Genannt werden der Hausmeister Jakob Schmid, der Hausverwalter der Universität Albert Scheithammer, Universitätssyndikus Dr. Ernst Haeffner und der Rektor der Universität, Professor Walter Wüst, die mit ihren Funktionen im System des NS-Staates vorgestellt werden.2449 Im daran anschließenden zweiten Teil übernimmt Rau die Perspektive der Angehörigen und Überlebenden, die sich nach 1945 nicht nur gegen eine »Legendenbildung« wehren, sondern auch unter der Erfahrung leiden mussten, »dass die, die die Maschinerie des Todes in Gang gesetzt hatten, ihre Schuld nie eingestanden und sich erst recht nicht entschuldigt haben«.2450 Dass nur Jakob Schmid und Albert Scheithammer, letzterer lediglich mit einer Geldstrafe, juristisch zur Verantwortung gezogen wurden, stellt Rau als symptomatisch für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in der Bundesrepublik dar : Noch schmerzlicher war aber für viele [der Angehörigen und Überlebenden, C.E.], wie die damals in der Justiz Verantwortlichen in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik übernommen wurden und wie viele Jahrzehnte die Urteile gegen die »Weiße Rose« Bestand hatten. Seit 1945 erinnern wir an die »Weiße Rose«. Erst 1985 aber hat der Deutsche Bundestag nach langen und quälenden Diskussionen festgestellt, dass der 2447 Rudolf Reiser : Der Bundespräsident würdigt in der Universität die Mitglieder der Weissen Rose. In: Süddeutsche Zeitung, 16. 02. 1993. 2448 Rickart, Anm. 944, S. 235. 2449 Rau, Anm. 2383, Abschnitt I. 2450 Ebd., Abschnitt III.

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Volksgerichtshof, von dem auch die Mitglieder der »Weißen Rose« verurteilt worden sind, von Anfang an ein »Terrorinstrument zum Machterhalt des NS-Regimes« gewesen ist. Weitere dreizehn Jahre hat es dann noch gedauert, bis der Bundestag endlich alle Urteile des Volksgerichtshofs für von Anfang an ungültig und für aufgehoben erklärt hat.2451

Daraus schließt Rau, dass zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus »heute nicht mehr nur die Jahre bis 1945« gehören, sondern auch der Umgang mit der NS-Vergangenheit »in den beiden deutschen Staaten«, insbesondere die Auseinandersetzung »mit der Frage, warum nach 1945 Täterschaft vielfach lange geleugnet, Opfer nur widerwillig entschädigt und manche, die Widerstand geleistet haben, so lange ignoriert oder sogar diffamiert worden sind«.2452 Er fordert in diesem Zusammenhang eine Unterscheidung »zwischen persönlicher Schuld und Verstrickung einzelner und der Anpassung und Zustimmung einer großen Mehrheit«, weil es keine »Kollektivschuld aller Deutschen« gebe, »es wohl aber eine kollektive Scham geben sollte, wie das schon Theodor Heuss gesagt hat«.2453 Rau befindet mit Verweis auf die Debatten um die Wehrmachtsausstellung für die Gegenwart: »Unser Verhältnis zur Geschichte des ›Dritten Reichs‹ ist heute aus vielen Gründen offener und ehrlicher als je zuvor«2454 und unterstreicht zugleich, dass es »keinen Schlussstrich unter dieses Kapitel der deutschen Geschichte geben kann – um der Opfer willen, aber auch um unserer selber willen«, denn »Trauer« sei »nötig, um sich von Vergangenem zu lösen, nicht um es zu vergessen oder zu verdrängen, sondern in dem Bestreben, es als Bestandteil des eigenen Lebens anzunehmen«.2455 Im darauffolgenden vierten Teil der Rede kritisiert Rau die Vernachlässigung der »meisten Opfer der nationalsozialistischen Herrschaft« in der Nachkriegszeit und führt »Juden, Sinti und Roma, Zwangsarbeiter, […] Homosexuelle, […] Opfer medizinischer Experimente, […] Opfer der Euthanasie« als Beispiele auf.2456 Zugleich fordert er in Form einer rhetorischen Frage Verständnis: »Aber ist es so unverständlich, wenn Menschen in Not zunächst an sich selber und an ihr Leid denken?«2457 Leerstellen und Einseitigkeiten macht Rau im fünften Teil der Rede auch in Bezug auf die Widerstandserinnerung in beiden deutschen Staaten geltend und fordert eine umfassende »Auseinandersetzung« mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus: 2451 2452 2453 2454 2455 2456 2457

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., Abschnitt IV. Ebd.

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Viele Menschen haben aus ganz unterschiedlichen Überzeugungen gegen eine gemeinsame Bedrohung gekämpft. Manche ihrer politischen Vorstellungen teilen wir durchaus nicht. Ihr Widerstand ist deswegen nicht weniger wertvoll. Er verdient unsere ehrende Erinnerung. Das ist mir deshalb besonders wichtig, weil vier Jahrzehnte lang in den beiden deutschen Staaten der Widerstand ganz unterschiedlich wahrgenommen und gewürdigt worden ist. In der DDR wurde der Widerstand der Kommunisten herausgestellt. Jeder weiß warum. Ihr Einsatz wird aber nicht dadurch entwertet, dass die meisten von ihnen eine Gesellschaftsordnung anstrebten, die sich an der Sowjetunion orientierte und auch nicht dadurch, dass sie in der DDR politisch instrumentalisiert worden sind. In der alten Bundesrepublik konzentrierte sich das offizielle Erinnern an den Widerstand auf den 20. Juli. Für viele war er noch am leichtesten zu verstehen. Das hat den Blick darauf verstellt, dass manche der Beteiligten Vorstellungen von einer gesellschaftlichen Ordnung Deutschlands hatten, die weit entfernt waren von politischer und sozialer Demokratie. Das ändert aber doch nichts am aufrichtigen Widerstand dieser Männer.2458

Mit dem Hinweis darauf, dass »Gedenken […] auch dazu missbraucht werden« könne, die »Auseinandersetzung« mit der Vergangenheit zu verhindern, leitet Rau dann zu einer Kritik der Instrumentalisierung des Gedenkens an die Weiße Rose über : »Überlebende Mitglieder der Weißen Rose« hätten »immer wieder darauf hingewiesen, dass ihr Widerstand lange Zeit zugleich idealisiert und romantisiert« worden sei, was zu einer »Entpolitisierung ihrer Aktionen und vor allem ihrer politischen Zielsetzungen« und damit zu »Heroisierung und Verharmlosung« geführt habe.2459 Rau wendet sich sowohl gegen Deutungen eines vorprogrammierten Scheiterns des Widerstands, denen er eine Entlastungsfunktion zuschreibt, als auch gegen die Konzentration des Gedenkens auf die Geschwister Scholl. Er fasst im Folgenden ein ›korrigiertes‹ »Bild vom Umfang, von den Motiven und von den Zielen« der Weißen Rose zusammen, welches maßgeblich den »überlebenden Mitglieder[n] und d[en] Angehörigen« zu verdanken sei, und begründet damit ihre Bedeutung für die Gegenwart: Sie hatten klare Vorstellungen von der Gesellschaftsordnung eines neuen Deutschlands in einem neuen Europa. Sie plädierten für eine Nachkriegsordnung, die auf demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien beruhte. Im neuen Deutschland und Europa sollte die Würde des Menschen unantastbares Grundrecht sein. Das unterschied sie fundamental von Widerstandsgruppen, die eine totalitäre oder eine eher konservativ-autoritäre Gesellschaftsordnung errichten wollten. Es gab noch einen anderen wichtigen Unterschied: Die »Weiße Rose« ist die deutsche Widerstandsgruppe, für die der Mord an den europäischen Juden für ihr Handeln so wichtig gewesen ist wie für keine andere. […] Deswegen und wegen ihrer demokratischen Wertvorstellungen sind sie mit unserer heutigen Gesellschaftsordnung und mit unseren Werten stärker verbunden als andere, die im Widerstand waren, auch manche Männer des 20. Juli. Ich 2458 Ebd., Abschnitt V. 2459 Ebd., Abschnitt VI.

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sage das, weil wir der »Weißen Rose« noch viel mehr Aufmerksamkeit schenken sollten, als das bisher geschieht.2460

Die im Vergleich zu anderen Widerstandsgruppen herausragende Vorbildfunktion der Weißen Rose für die Gegenwart entsteht bei Rau dadurch, dass politische Vorstellungen der Gruppe mit der »heutigen Gesellschaftsordnung« harmonisiert und sie als einzige Widerstandsgruppe bezeichnet wird, für die der Holocaust eine zentrale Bedeutung hatte. An dieser Stelle verweist Rau auf die drei Jahre zuvor gehaltene Gedächtnisvorlesung der Münchener jüdischen Kulturschaffenden Rachel Salamander, die in Auseinandersetzung mit neuerer Forschung2461 ihre vorherige autobiographisch motivierte Annahme, »Widerstand meine immer auch Beistand für die Juden«, verwerfen musste.2462 Die Weiße Rose sei die einzige »organisierte Gruppe« gewesen, die »sieht, hört, nicht schweigt und auch noch handelt, obwohl den einzelnen bewußt ist, welchem Risiko sie sich aussetzen«.2463 Aus diesem Grund sei es richtig, dass Karl Jaspers sie als »Lichtpunkte«2464 bezeichnet hätte.2465 Die Zuschreibung einer singulären Stellung der Weißen Rose in Bezug auf den Holocaust hält sich bis in heutige Diskurse. Die Gedächtnisvorlesung des Historikers Andreas Wirsching, die auf den 27. Januar 2015 und damit auf den 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz terminiert wurde, ist nur ein Beispiel dafür, wie das Gedenken an die Weiße Rose seit Ende der 1990er-Jahre in immer expliziteren Bezug zum Holocaust-Gedenken gebracht wird.2466 2460 Ebd., Abschnit VII. 2461 Salamander, Anm. 2380, S. 20–21. Salamander nimmt insbesondere Bezug auf Susanna Keval: Die schwierige Erinnerung. Deutsche Widerstandskämpfer und die Verfolgung und Vernichtung der Juden. Frankfurt a. M., New York: Campus 1998. Keval erwähnt zwar in ihrem Überblick die Weiße Rose, schreibt dieser aber keine Ausnahmestellung zu. 2462 Salamander, Anm. 2380, S. 19. 2463 Salamander, Anm. 2380, S. 38. 2464 Jaspers bezieht Hannah Arendts Kritik am Widerstand »expliziere[nd]« seine Bestimmung von Ausnahmen als »wirklich reine Lichtpunkte« auf die Geschwister Scholl und Julius Leber. (Lotte Köhler, Hans Saner (Hrsg.): Hannah Arendt / Karl Jaspers. Briefwechsel 1926–1969. München: Piper, S. 616). 2465 Salamander, Anm. 2380, S. 38. 2466 Wirsching sagt zu Beginn seiner Rede: »Überdies kommen wir an einem besonderen Tag zusammen, um der Weißen Rose zu gedenken. Denn, wie Sie wissen, jährt sich heute die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz zum 70. Male. Und von der Weißen Rose stammt das einzige Dokument des deutschen Widerstandes, in dem der Massenmord an den Juden beim Namen genannt und als das bezeichnet wird, was er war: ›das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen, ein Verbrechen, dem sich kein ähnliches in der ganzen Menschheitsgeschichte an die Seite stellen kann‹. So steht es schon im zweiten Flugblatt der Weißen Rose, das Hans Scholl und Alexander Schmorell im Juni 1942 verfaßten.« (Andreas Wirsching: Grenze und Größe. Zum Problem der Entscheidung im Nationalsozialismus. Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung, gehalten am 27. Januar 2015, in

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Aus dem Beispiel der Weißen Rose folgert Rau im letzten Abschnitt seiner Rede die Notwendigkeit »klare[r] ethische[r] Orientierung« in der Erziehung »unsere[r] Kinder« als »Voraussetzung« dafür, dass diesen »ihre Gegenwart und Zukunft nicht gleichgültig bleibt, dass sie an der Gestaltung unserer Zukunft aktiv und engagiert mitwirken und – wenn und wo das nötig ist – gegen den Strom schwimmen«.2467 Hierfür stellt er die Weiße Rose als Vorbild dar, aus dem sich ein Auftrag »an uns alle« ableite: Die Mitglieder der »Weißen Rose« haben das unter ganz schwierigen Bedingungen getan. Ihr Widerstand hat einigen von ihnen das Leben gekostet und Leid über viele gebracht. Trotzdem waren sie nicht erfolglos. Sie haben mit ihrem Widerstand deutsche Geschichte geschrieben. Das bleibt ein Auftrag an uns alle.2468

Während Rau in seinen Schlussfolgerungen für die Gegenwart abstrakter bleibt als von Weizsäcker, geht er in seiner Rede wesentlich konkreter und umfassender auf Aspekte des Nationalsozialismus und kritisch auf dessen Aufarbeitung nach 1945 ein, wenngleich seine Rede durch das angedeutete Verständnis für den Fokus auf ›eigenes Leid‹ eine versöhnliche Tendenz aufweist. Auffällig ist die wesentlich konkretere Bestimmung der politischen Dimension der Weißen Rose, die gerade in Bezug auf die politischen Zukunftsvorstellungen des Kreises von vorherigen Interpretationen wie etwa der Hans Mommsens abweicht und geradezu auf zeitgenössische Maßstäbe hin konstruiert erscheint. Die von Rau geforderte umfassende Widerstandserinnerung scheint zwar Dichotomien des Kalten Kriegs aufzulösen und in einem gesamtdeutschen Kontext zu stehen, jedoch unter der Voraussetzung erklärter Irrelevanz politischer Zielvorstellungen der Gruppen. Einzig die Ideen der Weißen Rose werden als kongruent mit heutigen politischen Maßstäben dargestellt, wodurch ihr tatsächlich nationale Bedeutung zugesprochen wird. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Inbezugsetzung der Weißen Rose zum Holocaust-Gedenken sowie die empathische Würdigung der Angehörigen und Überlebenden und die Berufung auf ihnen zugeschriebene Interpretationen. Die Kombination dieser Merkmale macht Rickarts Einschätzung plausibel, Raus Rede »exemplifies the dominant leftliberal concepts of memory and identity in unified Germany«.2469 Joachim Gaucks ebenfalls am Datum des 30. Januar abgehaltene Gedächtnisvorlesung 2013 weicht in vielen Punkten von der Johannes Raus ab. Gauck äußerte sich zu diesem Anlass nicht zum ersten Mal zur Weißen Rose, wennMünchen, Internet: http://www.weisse-rose-stiftung.de/images/pdf/wirsching-weisse%20rose-GDV2015.pdf, zuletzt geprüft am 10. 08. 2015, nicht mehr aufrufbar am 11. 07. 2018., S. 1, Hervorhebung im Original). 2467 Rau, Anm. 2383, Abschnitt VIII. 2468 Ebd. 2469 Rickart, Anm. 944, S. 232.

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gleich erstmals in seiner Funktion als Bundespräsident. Bereits 1996 hielt er eine Gedächtnisvorlesung, in der er gemäß der Überschrift Unterwerfung, Anpassung, Widerstand – Anmerkungen zum Leben unter totalita¨ rer Herrschaft die Diktaturen des Nationalsozialismus und der DDR parallelisierte und seine Thesen durch eigene Erfahrungen in der DDR illustrierte.2470 2010 wurde Gauck für seine Autobiographie Winter im Sommer – Frühling im Herbst2471 der vom Börsenverein des Deutschen Buchhals und von der Stadt München seit 1980 vergebene Geschwister Scholl Preis zugesprochen, den Hikel zurecht als weiteren Beleg für eine Institutionalisierung des Gedenkens an die Weiße Rose anführt.2472 Der Preis zeichnet jährlich ein Buch aus, das »von geistiger Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem verantwortlichen Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben«.2473 Rachel Salamander hatte 1990 in ihrer Laudatio auf Eberhard Jäckel und Lea Rosh, die den Preis für ihre Dokumentation Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Deportation und Ermordung der Juden. Kollaboration und Verweigerung in Europa zugesprochen bekommen hatten, die Befürchtung einer »Konkurrenz um die Beschäftigung mit den Vergangenheiten« nach dem »Mauerfall« geäußert, die sich auch auf die Vergabepolitik des Preises auswirken könnte.2474 Salamanders Befürchtung trat zunächst nicht ein: Zwischen 1990 und 2004 wurde der Preis mit einer Ausnahme für Werke mit klarem Bezug zur NSGeschichte und zu der des Holocausts vergeben.2475 In den Jahren von 2005 bis 2014 wurden dann jedoch nur zwei Titel mit diesen Bezügen ausgezeichnet2476 – ein klarer Schwerpunktwechsel.

2470 2471 2472 2473

Gauck, Anm. 2376. Joachim Gauck: Winter im Sommer, Frühling im Herbst. München: Siedler 2009. Hikel, Anm. 49, S. 242. Geschwister-Scholl-Preis, Internet: http://www.geschwister-scholl-preis.de/start.php, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2474 Rachel Salamander : Geschwister-Scholl-Preis 1990: Laudatio, Internet: http://www.ge schwister-scholl-preis.de/preistraeger_1990-1999/1990/laudatio_salamander.php, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. 2475 1991: Georges-Arthur Goldschmidt, 1992: Wolfgang Benz / Barbara Distel, 1993: Wolfgang Sofsky, 1995: Victor Klemperer, 1996: Hans Deichmann, 1997: Ernst Klee, 1998: Saul Friedländer, 1999: Peter Gay, 2000: Margarete Holzman und Reinhard Kaiser, 2001: Arno Gruen, 2002: Raul Hilberg, 2003: Mark Roseman, 2004: Soazig Aaron. Die Ausnahme bildet 1994 Heribert Prantl. 2476 2005: Necla Kelek, 2007: Anna Politkovskaja, 2008: David Grossman, 2009: Robert Saviano, 2010: Joachim Gauck, 2011: Liao Yiwu, 2012: Jürgen Dehmers, i. e. Andreas Huckele; Die Ausnahmen bilden die Preisverleihungen 2014 an Otto Dov Kulka für Landschaften der Metropole des Todes. Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft und 2006 posthum an Mihail Sebastian für Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt. Tagebücher 1935–44.

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Gauck ist der erste ostdeutsche Preisträger nach der Auszeichnung von Christa Wolfs Buch Störfall 1987 und sein Buch ist der erste ausgezeichnete Titel mit Bezug zur DDR-Geschichte. Wie in seiner ersten Gedächtnisvorlesung homogenisiert Gauck in seiner Dankesrede Erfahrungen vom ›Leben in der Diktatur‹ und nimmt selbst eine Zeitzeugenposition ein, indem er eigene Erfahrungen miteinbezieht, sich zugleich aber auch in einer pädagogischen Rolle inszeniert.2477 In beiden Reden verwendet er den Märtyrerbegriff für die Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus. Auch seine Gedächtnisvorlesung zum 70. Jahrestag ist von religiöser Metaphorik durchzogen, auch wenn er hier den Märtyrerbegriff nur einmal indirekt anwendet.2478 So bekräftigt er seinen, von der Süddeutschen Zeitung als »Höhepunkt«2479 der Rede bezeichneten Appell, für eine »pluralistische, tolerante, offene Gesellschaft einzutreten«, mit den an die Offenbarung angelehnten Worten: »Seid nicht lau! Es ist doch Euer Land, gestaltet es mit, nach den Kräften, die in Euch sind!«2480 Im Gegensatz zu seinen vorherigen Reden, nimmt Gauck in seiner Funktion als Bundespräsident weder auf die DDR-Geschichte noch auf die eigene Biografie Bezug. Wie von Weizsäcker nimmt Gauck ein Zitat der Weißen Rose zum Ausgangspunkt seiner Rede, nämlich Sophie Scholls Aussage vor Gericht »Einer muss ja doch mal schließlich damit anfangen«. Und gleich zu Beginn bestimmt er, ähnlich wie Rau, jedoch abstrakter, die nationalsozialistischen Verbrechen als zentrales Motiv der Weißen Rose, indem er betont, Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst wurden ermordet, »weil sie hingeschaut haben, weil sie sich 2477 Joachim Gauck: Geschwister-Scholl-Preis 2010: Dankesrede von Joachim Gauck, Internet: http://www.geschwister-scholl-preis.de/preistraeger_2010-2019/2010/gauck.php, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018: »Auch weil dieser Preis den Namen von Menschen trägt, die für ihre Art, Freiheit zu definieren und Verantwortung zu übernehmen, mit dem Leben bezahlt haben – will ich Sie aufrufen zu Zeugen dafür, dass das Leben eben nicht verloren ist, wenn wir es verlieren, sondern dass das Leben in seiner ganzen Kraft und Schönheit vor uns entsteht, wenn wir Menschen erkennen, die einfach so leben, als wäre es das Selbstverständliche, dass man letztlich sogar für seine Werte alles, was man hat, geben kann, das eigene Leben. Ich habe niemals jungen Leuten davon erzählt. Ich habe, wenn ich über Widerstand gesprochen habe, nur selten über die Märtyrer erzählt […] aber ich habe häufiger über die gesprochen, die die ersten kleinen Schritte machen, wenn Widerstand noch gar kein Widerstand ist, sondern einfach nur Abständigkeit [sic], Distanz zu denen, die Unrecht organisieren und exekutieren. Ich habe dann versucht, nachzubuchstabieren, dass bevor Widerstand Widerstand ist, anders gelebt werden muss. Die Fähigkeit, zu einer Minderheit zu gehören, ohne gleich zu denken, dann sei alles zu spät, jetzt kann ich wohl nur sterben.« 2478 Gauck, Anm. 2393, S. 5. 2479 Sebastian Krass: »Seid nicht lau!«. Gedenken an die Geschwister Scholl und die Weiße Rose: Bundespräsident Gauck ruft bei seiner Vorlesung an der LMU München zu mehr Mut und Zivilcourage auf: »Einer muss anfangen«. In: Süddeutsche Zeitung, 31. 01. 2013. 2480 Gauck, Anm. 2393, S. 1.

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empört haben, weil sie gehandelt haben, weil sie Verbrecher Verbrecher nannten und Morde – Morde, und Feigheit – Feigheit«.2481 Im Gegensatz zu seinen Vorgängern bezieht Gauck den Widerstand der Weißen Rose sodann gleich zu Beginn seiner Rede auf die Gegenwart: Wir leben – zum Glück – in völlig anderen Zeiten. In einem Staat, in dem das offene Wort oder Kritik an politischen Zuständen nicht ins Gefängnis führt oder gar aufs Schafott. Wir leben in einem Gemeinwesen, in dem das Engagement für Freiheit, Demokratie, die Wahrung der Menschenrechte nicht todeswürdig, sondern im Gegenteil höchst erwünscht ist. Und dennoch kennen wir – angesichts der Herausforderungen unserer Zeit – diese als Fragen getarnten Ohnmachtserklärungen: »Was kann denn ein Einzelner schon ausrichten?« »Was nützt es, wenn ich anfange, solange die anderen nicht mitziehen?«2482

Gauck würdigt daran anknüpfend speziell die »Widerstandskämpfer des 20. Juli« und allgemein auch »all diejenigen, die sich damals in Haltung und Handeln dem Unrechtsstaat verweigert haben«, wobei er, den Begriff des Widerstandskämpfers ausweitend, als Beispiele den Kriegsdienstverweigerer Hermann Stöhr nennt und anschließend prototypisch »die oft Stille Helden Genannten«: die »Bäuerin, die einem Zwangsarbeiter ein Stückchen Brot zusteckt« oder die »dreifache Mutter, die allen Gefahren zum Trotz die jüdische Familie versteckt«. Ihre jahrzehntelange Nicht-Anerkennung bezeichnet Gauck als »Schande« und führt sie darauf zurück, dass es »unbequem« sei, »erinnert zu werden, an das, was möglich gewesen wäre, zum Teil auch mit schlichter Menschlichkeit, ohne große Ideologie, ohne großes Programm«.2483 Politische Gruppen des Widerstands erwähnt Gauck in seiner Rede dagegen nicht. Er betont, dass »[i]nzwischen […] unsere Haltung zu den damaligen Widerstandskämpfern eine andere« sei; sie würden bewundert, »denn sie erlauben uns, zu glauben, dass nicht alle Deutschen damals stumme und feige Mitläufer waren« und belegt dies mit Inge Deutschkrons Würdigung ihrer »Helferinnen und Helfer« in der Gedenkstunde des Deutschen Bundestags am Vormittag des gleichen Tags der Rede.2484 Auch zum Schluss seiner Rede beruft Gauck sich auf eine Zeitzeugin, nämlich Hildegard Hamm-Brücher. Er zitiert deren auf die eigene Erfahrung im Nationalsozialismus abhebende Begründung für ihr heutiges Engagement. Gauck bezeichnet es in Hinblick auf die »weniger werden[den]« Zeitzeugen als »unsere Aufgabe«, als »Zeugen der Zeugen« diese »Erkenntnis weiterzugeben« und »Zeugen all derer« zu sein, »die heute und

2481 2482 2483 2484

Ebd. Ebd., S. 1–2. Ebd., S. 3. Ebd., S. 4–5.

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überall auf der Welt Rechtlosigkeit, Diktatur erleiden« und »für Bürgerrechte, Frauenrechte, Menschenrechte kämpfen«.2485 Diese doppelte Konstruktion einer Gegenwartsposition von Zeugenschaft wird legitimiert durch die »sicheren« Verhältnisse »unsere[r] Demokratie«,2486 die der NS-Vergangenheit in Gaucks Rede diametral entgegengesetzt wird. Aus diesem Gegensatz zwischen Gegenwart und Vergangenheit leitet Gauck Schlussfolgerungen auf zwei Ebenen ab. Die erste Ebene besteht im in der Rede wiederholten, an Bürgerinnen und Bürger sowie Zivilgesellschaft gerichteten Appell zu Engagement für Demokratie und Eintreten gegen »alle antimuslimischen, antisemitischen, auch […] antideutschen [!, C.E.], […] rechtsextremistischen, […] fundamentalistischen Äußerungen und Aktivitäten« sowie gegen all jene, »die aus ideologischen oder religiösen Gründen Fanatismus oder Gewalt in unser Land bringen [!, C.E.]«.2487 Die zweite Ebene besteht im internationalen Engagement der Bundesrepublik und äußert sich in Gaucks Wunsch, »dass wir Deutschen im Verbund mit unseren europäischen Nachbarn und Freunden unsere Erfahrungen einbringen – ganz gewiss die guten, aber eben auch die schrecklichen«, wofür er das Beispiel der Mitgliedschaft Deutschlands im UNMenschenrechtsrat anführt.2488 Den Anspruch auf europäische und internationale Verantwortung Deutschlands leitet Gauck dabei mit Bezug auf das erste Flugblatt der Weißen Rose aus einem erfüllten Vermächtnis des Widerstands ab: Föderal und europäisch – so erträumten sich der Kreisauer Kreis einst ebenso wie die Weiße Rose und viele, viele andere Nazigegner die Zukunft, für die sie so optimistisch eintraten, obwohl sie wussten, dass ihnen Hitlers Nazideutschland mit ihrem Leben auch ihre eigene Zukunft brutal nehmen könnte. »Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen Europas« – so hieß es in ihrem ersten Flugblatt. Wie wertvoll, dass wir dies heute erreicht haben! Wie wichtig, dass wir dies bewahren!2489

Gaucks Gedächtnisvorlesung ist im Vergleich zu der von Rau wesentlich stärker von Entkonkretisierung der NS-Geschichte geprägt. Die Weiße Rose wird zwar stellvertretend für den gesamten Widerstand gewürdigt, explizit erwähnt werden jedoch nur der 20. Juli 1944, der Kreisauer Kreis und ›Stille Helden‹. Das Vermächtnis des Widerstands und der Weißen Rose stellt Gauck in der heutigen Demokratie als erfüllt dar. Der Prozess der ›Vergangenheitsbewältigung‹ erscheint als abgeschlossener, die Frage historischer Schuld wird nicht thematisiert. Der Holocaust wird nur angedeutet, jedoch wird das der Holocaust-Er2485 2486 2487 2488 2489

Ebd., S. 11. Ebd., S. 10. Ebd. Ebd. Ebd., S. 10–11.

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innerung entstammende Konzept ›sekundärer Zeugenschaft‹ universalisiert und zum Appell zu Engagement in der Demokratie und zur Begründung einer internationalen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland herangezogen. Von Weizsäckers und Raus Reden sind mit jeweils unterschiedlichen Konzessionen nach links bzw. rechts von dem Versuch gekennzeichnet, zwischen konservativen und linksliberalen geschichtspolitischen Konzepten zu vermitteln. Gedenken an den Widerstand der Weißen Rose ist bei beiden trotz aller Nuancen grundsätzlich verbunden mit einer Auseinandersetzung mit und einem Bekenntnis zu historischer Schuld als Voraussetzung für nationale und internationale Versöhnung. Diese ›Vergangenheitsbewältigung‹ erscheint in Gaucks Rede im Jahr 2013 dagegen als abgeschlossen, die Vergangenheit als gegenwartsaffirmierende Negativfolie für Demokratie, die Erinnerung an vergangene Diktaturen als nationale Verantwortung und Legitimation einer Verantwortung der Nation in der Welt. In einem solchen nationalliberalen Konzept steht ›nationale Identität‹ nicht mehr in Frage.

VII

Zusammenfassung und Schluss

Die Geschichte der Weißen Rose ist nicht nur in der Bundesrepublik ein wichtiger und durchgehender Bestandteil von Diskursen zur Widerstandsgeschichte und zur NS-Zeit insgesamt, sondern, entgegen der bisherigen Forschungsmeinung, auch in der DDR. Diesem zentralen Ergebnis der Arbeit liegt der Befund einer breiten Rezeption der Ereignisse in München vom Februar 1943 in unterschiedlichen Kontexten des Exils vor 1945 und in den Öffentlichkeiten der unmittelbaren Nachkriegszeit in Ost und West zugrunde. Darstellungen und Bezugnahmen zur Weißen Rose erfolgen dabei in politisch divergierenden Veröffentlichungskontexten. Nach der doppelten Staatsgründung lässt sich die Geschichte der Weißen Rose sowohl in antifaschistische als auch antitotalitaristische Deutungsrahmen und somit in Geschichts- und Erinnerungsdiskurse in beiden deutschen Staaten integrieren. Dies liegt auf beiden Seiten, anders als im Falle des 20. Juli 1944 bzw. des kommunistischen Widerstands, nicht an einer hervorgehobenen geschichtswissenschaftlichen und geschichtspolitischen Relevanz der Weißen Rose in Zusammenhang mit staatlicher Legitimation, sondern vielmehr in adressatenspezifischen Funktionen in der Vermittlung und Popularisierung der Widerstandsgeschichte begründet.2490 Es bilden sich unterschiedliche und konfligierende Interpretationen aus, die aber nicht nur in Antagonismus, sondern auch durch Korrespondenz aufeinander bezogen bleiben. Die Geschichte der Diskurse zur Weißen Rose ist somit zwar mit historischen Entwicklungen in der Bundesrepublik, der DDR und der Geschichte ihrer Beziehungen verbunden, lässt sich aber in keiner dieser Perspektiven in linearer Abhängigkeit zu politikbzw. ereignisgeschichtlichen Entwicklungen darstellen. Nach dem Ende der deutschen Zweistaatlichkeit 1990 ist in Bezug auf die Weiße Rose eine Verstärkung medialer Präsenz, wissenschaftlicher Relevanzzuschreibung und offiziellen Gedenkens zu verzeichnen. In Diskursen zur Weißen Rose werden seit 1943 und bis in die Gegenwart 2490 Siehe Kapitel II.1.2.

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Zusammenfassung und Schluss

hinein Fragen deutscher Geschichte und nationale Traditionslinien in ihrem Verhältnis zum Nationalsozialismus verhandelt. Die Geschichte öffentlicher Erinnerung an die Weiße Rose kann unter diesem Aspekt und unter dem ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit im Sinne der titelgebenden Frage als eine deutsche Geschichte gesehen werden. Die Ergebnisse der Studien der vorangehenden Kapitel, die im Folgenden chronologisch zusammengeführt und resümiert dargestellt werden, stellen hierbei dominante Thesen in Bezug auf die ›Erinnerungskultur‹ in beiden deutschen Staaten in Frage. Die Diskurse nach 1945 können nicht losgelöst von der Zeitspanne 1943–1945 betrachtet werden. Bereits kurz nach Bekanntwerden der Hinrichtung von Christoph Probst und Hans und Sophie Scholl werden die Nachrichten aus München in den Kommunikationsnetzwerken regimekritischer Kreise in Deutschland sowie des Exils in West und Ost rezipiert.2491 In den Berichten mischen sich Fakten und Fiktionen, die nicht nur auf eine unsichere Informationsgrundlage, sondern auch auf unterschiedliche politische Interpretationen und Intentionen verweisen. Die Münchener Ereignisse interessieren ein politisch breites Spektrum von Akteuren und fungieren als Indikator für die Möglichkeiten organisierter Opposition und der Haltung der Bevölkerung in Deutschland. Diese Bandbreite lässt sich exemplarisch an den Texten prominenter deutscher Exilschriftsteller aufzeigen. Die Rundfunkrede Thomas Manns vom 27. Juni 1943 ist mit Bemühungen der Political Warfare Executive verbunden, mittels des Deutschlandsenders der BBC Einfluss auf eine illegale Suböffentlichkeit in Deutschland zu nehmen.2492 Das Versgedicht Die Drei von Johannes R. Becher steht im Kontext einer nicht-offen antifaschistischen Strategie vor dem Hintergrund der Volksfrontkonzeption der Moskauer Exil-KPD und einer damit verbundenen Ansprache breiterer Exilkreise, der Gründung des NKFD und Bemühungen um eine Einflussnahme auf deutsche Kriegsgefangene.2493 Anders verhält es sich mit Alfred Neumanns Roman Es waren ihrer sechs, der mit Blick auf deutschlandpolitische Debatten an eine breite US-amerikanische Öffentlichkeit und die literarische Öffentlichkeit des Exils adressiert ist.2494 Becher, Mann und Neumann wählen angesichts der jeweiligen Kontexte und Adressaten spezifische literarische Strategien, die durch die Herstellung von Autorität (Mann, Becher) oder Authentizität (Neumann) zur Legitimierung ihrer Texte beitragen. Gemeinsames Merkmal ist, verbunden mit religiöser Rhetorik und Metaphorik, die Zuschreibung eines Erlösungs- und Sühnecharakters des Wi2491 2492 2493 2494

Siehe Kapitel III.1.1. Siehe Kapitel III.1.2. Siehe Kapitel III.1.3. Siehe Kapitel III.1.4.

Zusammenfassung und Schluss

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derstands, wobei der Nationalsozialismus als eine Cliquen- und Fremdherrschaft dargestellt wird. Die junge Generation wird als Trägergruppe nationalsozialistischer Herrschaft und Kriegsführung, die Weiße Rose in einer Stellvertreterfunktion dargestellt, was die Projektion eines zukünftigen Heldengedenkens in allen drei Texten erklärt. In Neumanns Roman wird der Widerstand eng mit Solidarität gegenüber jüdischen Menschen verbunden und die Wehrmacht als in nationalsozialistische Verbrechen verstrickt dargestellt. Dies sind Faktoren, die erklären, warum der Roman in großen Teilen der westzonalen Öffentlichkeiten zu einer Negativfolie der öffentlichen Erinnerung des Widerstandskreises gemacht wurde und in der Bundesrepublik nicht mehr erschien, während er in der sowjetischen Besatzungszone im Kontext von Gedenkveranstaltungen genutzt und in der DDR 1972 und 1980 im Rahmen von Bemühungen um eine spezifische ›Wandlungsliteratur‹ vom bürgerliche und mittelständische Bevölkerungsgruppen bedienenden Verlag der Nation neu herausgegeben wurde. Auch die Rezeptionsgeschichte der Texte Manns und Bechers zeigt unterschiedliche Tendenzen der Erinnerungsdiskurse in Ost und West an. In der westzonalen Presse und Publizistik der unmittelbaren Nachkriegszeit fallen zum einen Anbindungen an konservative, akademische und christliche Träger- und Adressatengruppen auf, zum anderen eine Häufung von Publikationen in studentisch-akademischen Zeitschriften und solchen der sich generational zentral über das verbindende ›Kriegserlebnis‹ definierenden Gruppe der ›jungen Generation‹ (z. B. Der Ruf, Horizont, Göttinger Universitätszeitschrift, Hamburger Akademische Rundschau).2495 Auf der einen Seite gehen Deutungen der Weißen Rose als Opfertat von Ausnahmemenschen mit Rechtfertigungsdiskursen ›innerer Emigration‹ einher, indem die Identifikation mit der geistigen Haltung der Hingerichteten eine Einschreibung in ein ›anderes Deutschlands‹ erlaubt, und zugleich durch Verweis auf deren Schicksal ein Mangel an individuellem Handlungsspielraum belegt wird. Die Erinnerung an die christliche Motivation des Widerstands der Weißen Rose und die kulturelle Prägung ihrer Protagonisten dient Personen und Gruppen zur Legitimation ihrer eigenen Position, indem die Bezugnahme auf christlich-abendländische Kultur zwischen Neuanfang und Kontinuität vermitteln kann. Bezugnahmen auf die Weiße Rose haben somit in einigen Fällen programmatischen Charakter für Zeitschriften und Verlage. Auf der anderen Seite gilt dies auch für den Kontext der ›jungen Generation‹, deren Deutungsmuster der Weißen Rose nicht auf Exzeption, sondern auf Repräsentanz abhebt. Hier dient die Rückführung des Widerstands auf soldatischen Mut und das Kriegserlebnis nicht nur der Exkulpation der eigenen Gruppe, sondern auch der Affirmation eines politischen und kulturellen Gestaltungsanspruchs. Bezüge zwischen Widerstand und Kol2495 Siehe Kapitel III.2.1.

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Zusammenfassung und Schluss

lektivschuldvorwürfen sowie die Betonung deutschen Leids finden sich in den Texten beider Gruppen und erfüllen in Bezug auf deren Adressaten integrative Funktionen. Diese Bezüge finden sich auch in den idealisierten biografischen Portraits aus Angehörigenperspektive.2496 Die Verbindung der Bedeutung des persönlichen Opfers aus religiösen sowie moralischen Motiven und der eines Opfers für die Nation kennzeichnet besonders das von Clara Huber herausgegebene Gedenkbuch für Kurt Huber, die erste Buchpublikation im Kontext der Weißen Rose überhaupt.2497 Die darin erstmals abgedruckten Notizen Hubers für seine Verteidigungsrede vor dem Volksgerichtshof mit ihrer nationalisierten Version des kategorischen Imperativs werden (zunächst nicht nur im Westen) breit rezipiert und als Zeugnis des Widerstands kanonisiert. Besondere Beachtung finden in den Jahren nach 1945 Genres, die Zeugenschaft von den letzten Tagen und Stunden der Hingerichteten geben.2498 Im Bericht von Sophie Scholls Zellengenossin Else Gebel wird in der gemeinsamen Erwartung der Hinrichtung eine besondere Gemeinschaft im Gefängnis erzeugt, die in der mit dem Justizpersonal geteilten Zeugenschaft der letzten Tage Sophie Scholls die Grenzen zwischen Tätern und Opfern verschwimmen lässt. In der Schilderung der letzten Stunden Hans Scholls durch den Gefängnispfarrer Karl Alt werden durch Parallelisierung von christlicher Gemeinde und Vaterland die zitierten Bibelstellen und Aussagen Hans Scholls zu Botschaften an die Gegenwart transformiert, die einen Appell zu Einheit, Besinnung und eine Hoffnung auf Gnade implizieren. Hier zeigt sich eine Deutung des Nationalsozialismus als Abkehr von Gott und seine Überwindung durch ein religiöses Erweckungserlebnis und Rückkehr zu Gott im Sinne einer Läuterung. Auch in Ricarda Huchs Gedenkbuchprojekt spielt Besinnung auf ein ökumenisches Christentum eine zentrale Rolle.2499 Die von ihr verfassten Lebensbilder zeichnet spezifisch eine christliche, Hitler als den Antichrist konstruierende, dem ›Dritten Reich‹ entgegengesetzte Deutschlandkonzeption aus, in welcher die Widerstandskämpfer als Vertreter einer ursprünglichen deutschen Kultur fungieren. Die Erinnerung an sie wird in diesem essentialistischen Konzept mit innerer Heilung assoziiert. Huchs Portraits der Mitglieder der Weißen Rose werden in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Kontext der VVN auch im Osten rezipiert. Da die Lebensbilder jedoch nicht in Buchform erscheinen, bleibt ihre zeitliche Reichweite in Bezug auf die öffentliche Erinnerung in Ost und West gering. 2496 2497 2498 2499

Siehe Kapitel III.3.2 und III.3.3. Siehe Kapitel III.3.3. Siehe Kapitel III.3.1. Siehe Kapitel III.3.4.

Zusammenfassung und Schluss

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Die Bezugnahmen auf die Weiße Rose in der SBZ weisen Gemeinsamkeiten mit Diskursen in den Westzonen auf. Auch hier sorgen verschiedene adressatenspezifische Deutungsangebote für eine breite gesellschaftliche Verankerung der Erinnerung an die Weiße Rose. Parallelen zeigen sich in Pressediskursen2500 in Hinblick auf Opferdeutungen und Märtyrerkonstruktionen, Bezugnahmen zum akademischen Bereich und Deutungen einer allgemeineren Repräsentanz der Weißen Rose für das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Nationalsozialismus. Der auffälligste Unterschied besteht darin, dass explizit religiöse Deutungen die Ausnahme bilden, in dieser Phase auch in der CDU-Tageszeitung Neue Zeit. Ein Gedenkartikel von Paul Verner, der 1948 im Neuen Deutschland erscheint und bis in die 1950er-Jahre hinein in Darstellungen zum antifaschistischen Widerstandskampf übernommen wird, zitiert aus den Verhörprotokollen Hans Scholls und verengt die Motive des Widerstands auf die Beendigung des Krieges und die Beseitigung der NS-Herrschaft. Die Geschwister Scholl, denen auch in späteren Phasen weiterhin eine auch im Vergleich zu einzelnen kommunistischen Namen eher hohe Pressepräsenz zukommt, werden gerade vor Gründung der DDR als emblematische Figuren des ›antifaschistischen Widerstandskampfs‹ erinnert. Im Gegensatz zu den Westzonen, wo sich Gedenkveranstaltungen auf den universitären Raum und die Stadt München konzentrieren,2501 lassen sich im Osten überregional organisierte Gedenkfeiern nachweisen. Zunächst sind die Geschwister Scholl wichtige Identifikationsfiguren gerade auch für jüngere Zielgruppen im Rahmen von Geschwister-Scholl-Gedenkfeiern der VVN, welche diese gemeinsam mit der FDJ veranstaltet.2502 Durch parallele Ausweitung des Widerstands- und des Opferbegriffs wird eine homogene Gedächtnisgemeinschaft konstruiert und eine Abkehr von der Vergangenheit als Erfüllung des Vermächtnisses gefordert. Dabei finden sich auch in diesem Kontext Tendenzen, den Widerstand auf abstrakte Ideen zurückzuführen, um so eine Identifikation auch jenseits konkret-politischer Appelle zu fördern. Der Aufruf zum verpflichtenden Bekenntnis auf das Vorbild der Opfer der Geschwister Scholl erfüllt dabei eine spezifische Funktion im Zuge der Bündnispolitik der FDJ in deren Aufbauphase. Die Geschwister Scholl eignen sich als Identifikationsfiguren, da sie die Jugend des ›anderen Deutschlands‹ als Vorbild der des ›neuen Deutschlands‹ überparteilich zu verkörpern scheinen und gerade auch im kirchlichen Kontext Glaubwürdigkeit besitzen. In die Feiern werden auch szenische Lesungen aus Alfred Neumanns Roman oder (auch im westzonalen FDJ-Kontext)

2500 Siehe Kapitel III.2.2. 2501 Siehe Kapitel V.1.1. 2502 Siehe Kapitel III.2.3.

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Zusammenfassung und Schluss

Laienspiele2503 im Sinne performativer Vergegenwärtigung eingebunden. Im Zuge zunehmender SED-Kontrolle über die VVN wird der überproportionalen Würdigung der Geschwister Scholl gegengesteuert. Die nachweislich ab 1947 am 22. Februar stattfindenden »Geschwister-Scholl-Feiern« werden ab 1949 als »Tag der jungen Widerstandskämpfer« begangen. Es dominiert nun die Erinnerung an junge kommunistische Widerstandskämpfer. Ab 1951 wird der Gedenktag zum »Tag der jungen Widerstandskämpfer und der Kolonialjugend« umgewidmet, der Widerstand mit nationalen Befreiungsbewegungen parallelisiert. Das Widerstandsgedenken erhält somit Gegenwartsbezüge, denen im Kalten Krieg propagandistische Funktionen zukommen. Nach der Auflösung der VVN 1953 lässt sich der jährliche Gedenktag nicht mehr nachweisen. Die Geschwister Scholl bleiben jedoch in Publikationen des FDJ-Verlags Neues Leben Teil des Personenkanons antifaschistischer Widerstandskämpfer und werden dabei nachgeordnet, aber in einer Reihe mit kommunistischen Widerstandskämpfern gewürdigt. Dies zeigt sich exemplarisch an Stephan Hermlins als Auftragsarbeit für den Zentralrat der FDJ verfassten literarischen Portraits, die 1951 unter dem Titel Die erste Reihe erscheinen.2504 Ähnlich wie Huch begründet Hermlin seine Arbeit mit der Notwendigkeit einer positiven nationalen Tradition, verfolgt inhaltlich und formal aber eine völlig andere Konzeption, in welcher die Widerstandskämpfer als Vorbilder und Vorläufer eines politischen Kampfes in der Gegenwart dargestellt werden. Die Gruppe der – auch in der Überschrift so bezeichneten – Weißen Rose wird als Teil einer ambivalenten Tradition des Bürgertums präsentiert, wobei ihre Leistung gerade in der Überwindung irrationalistischer und antikommunistischer Tendenzen gesehen wird. Hierin unterscheiden sich die Studenten in Hermlins Darstellung von Kurt Huber, der als ideologisch reaktionär gezeichnet wird. Obwohl Hermlins Buch inklusive des Portraits der Weißen Rose bis Ende der 1980er-Jahre wiederaufgelegt wird, wird der Text zur Weißen Rose davon losgelöst weder von der FDJ noch vom Komitee Antifaschistischer Widerstandskämpfer verbreitet. Besonders in den 1950er-Jahren wird die öffentliche Erinnerung an die Weiße Rose und den Widerstand in beiden deutschen Staaten stark vom Kalten Krieg beeinflusst. In der überregionalen DDR-Presse erscheinen im Gegensatz zu den Vorjahren bis Anfang der 1960er-Jahre kaum einschlägige Würdigungen. Die Geschwister Scholl behalten jedoch im Zuge der SED-Kampagnenpolitik eine Relevanz in ADN-Meldungen über bundesrepublikanische Missstände.2505 Robert Scholl wird dabei zu einer positiven westdeutschen Autoritätsfigur aufge2503 Siehe Kapitel III.2.4. 2504 Siehe Kapitel III.3.5. 2505 Siehe Kapitel IV.3.1.

Zusammenfassung und Schluss

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baut. Seine Einladung zum Parteitag der CDU in Weimar 1954 zeigt, wie die Weiße Rose in diesem Kontext Potenzial für spezifisch-christliche Traditionsbildung entwickelt. Darstellungen in der Neuen Zeit oszillieren vermehrt zwischen offiziell vorgegebener antiwestlicher Propaganda und Bezugnahmen auf die Geschwister Scholl als christliche Vorbilder. In der bundesrepublikanischen Presse finden sich propagandistische Muster unter antikommunistischen Vorzeichen. Die Weiße Rose behält hier gerade in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre eine starke Präsenz, die aber vor allem durch ihr Identifikationspotenzial für verschiedene Gruppen zu erklären ist.2506 Dies wird an der Entstehungsgeschichte, dem Text und der Rezeption von Inge Scholls Buch Die weiße Rose deutlich, welches die Erinnerung an den Widerstandskreis nachhaltig prägt. Eine erste Veröffentlichung des Manuskripts wird vom Verband deutscher Studentenschaften (VDS) als antikommunistische Broschüre zur Verteilung an Studierende in der DDR geplant.2507 Die Hintergründe der Erstveröffentlichung in Eugen Kogons Verlag der Frankfurter Hefte zeigen aber, dass die Wirkmächtigkeit des Textes weder auf seine Authentifizierung durch die Legitimität und Autorität Inge Scholls noch auf seine Einschreibung in den antitotalitären Konsens allein zurückführbar ist. Der linkskatholische Verlag bindet den Titel als Teil einer thematisch und politisch heterogenen Reihe weiblicher Autobiografik in eine auf ein breites Adressatenspektrum zielende Konsensstrategie ein. Scholls Text erfüllt diese Konsensfunktion, indem er die Deutungsmuster verschiedener Gruppen verbindet. Er lässt exkulpatorische Lesarten zu und bedient die Parallelisierung von soldatischen Opfern und Toten des Widerstands, betont die Rolle des christlichen Glaubens und enthält Rhetoriken der Versöhnung.2508 Dies geschieht nicht zuletzt durch Einfügung von Episoden abseits der eigentlichen Widerstandserzählung und die Integration von Texten anderer Autoren (insbesondere Absätze der Flugblätter des Bischofs Graf von Galens und des Berichts Else Gebels). Neben einer Entdifferenzierung menschlichen Leids werden die Motive des Widerstands der Weißen Rose auf die Verteidigung von ›Menschlichkeit‹ gegenüber dem (diktatorischen) Staat abstrahiert. Adressateneinbindung durch rhetorische Fragen sowie Herstellung von Nähe durch wechselnde Fokalisierung und Unmittelbarkeit durch szenisches Erzählen tragen auf stilistischer Ebene zum identifikatorischen Potenzial des Textes bei. In der breiten Presserezeption zeigt sich eine standpunktübergreifende Zitier- und Konsensfähigkeit.2509 In den verschiedenen Neuausgaben wird der Text an die sich verändernden Rezepti2506 2507 2508 2509

Siehe Kapitel IV.3.1. Siehe Kapitel IV.1.1. Siehe Kapitel IV.1.2. Siehe Kapitel IV.1.3.

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Zusammenfassung und Schluss

onsbedingungen angepasst. Die auszugsweise Verbreitung und Kanonisierung wird von verschiedenen gesellschaftlichen und staatlichen Institutionen in der Bundesrepublik gefördert, darunter auch vom antifaschistischen RöderbergVerlag. Auszüge erscheinen auch in Anthologien in der DDR. Zentrale Episoden werden in der Bundesrepublik und in der DDR in den nachfolgenden Darstellungen aufgegriffen und (zum Teil abgewandelt) nacherzählt. Eine wichtige Entwicklung der Genres und Formate der Erinnerungsliteratur an die Weiße Rose in der Bundesrepublik in den 1950er-Jahren besteht darin, dass nachgelassene, persönliche Dokumente einen eigenwertigen Status erhalten, ihnen mitunter sogar Literarizität zugesprochen wird.2510 Durch Auswahl, Anordnung und Kommentar werden durch Edition oder Zitat persönlicher Dokumente Interpretationen vermittelt, die den Widerstand auf das Fronterlebnis zurückführen und den Widerständler dabei zugleich analog zum Künstler von der Masse der Soldaten abheben (Hans Scholls Rußlandtagebuch in den Akzenten) oder einen Appell nicht zu politischem Handeln, sondern zu individueller Besinnung implizieren (Feature von Ilse Aichinger, Hörspiel von Gerd Angermann). Das Anfang der 1960er-Jahre von Inge Scholl, Ilse Aichinger und dem Fischer-Verlag vorangetriebene Projekt eines Buches mit Selbstzeugnissen und Fotografien der Mitglieder der Weißen Rose kommt nicht zustande. Die Konzeption erfolgt in Rückgriff auf ein sich in Ost und West parallel entwickelndes Format von Gedenkbüchern an den deutschen Widerstand mit Sammlungen letzter Briefe und/oder Portraitfotografien von Widerstandskämpfern. Dieses Genre ist nicht nur im Westen von der Verbindung von Deutungsmustern der Kriegs- und Widerstandserinnerung im Zeichen universalisierter ›Menschlichkeit‹ gekennzeichnet.2511 Aussagen von Widerstandskämpfern werden durch Paratexte mit politischen und konfessionellen Deutungsrahmen verbunden, woraus implizite Appelle an die jeweiligen Adressaten hervorgehen. Der Vergleich verschiedener Gedenkbücher fördert sowohl Wechselwirkungen zwischen Publikationen aus DDR und Bundesrepublik zutage als auch jeweils spezifische Verengungen hinsichtlich des berücksichtigten Spektrums des Widerstands, die wiederum auf beiden Seiten je nach Kontext variieren. Während die Würdigung kommunistischen Widerstands in der Bundesrepublik marginalisiert bleibt, werden nur wenige ausgewählte Vertreter bürgerlichen und christlichen Widerstands in die in den 1950er-Jahre in der DDR erscheinenden Bände aufgenommen, der 20. Juli 1944 wird zunächst pauschal ausgeschlossen. Die Weiße Rose wird in der Bundesrepublik in christlichen, sozialdemokratischen und antifaschistischen Veröffentlichungskontexten in fast alle Sammel2510 Siehe Kapitel IV.2.1. 2511 Siehe Kapitel IV.2.2.

Zusammenfassung und Schluss

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bände aufgenommen. In der DDR bleibt sie nur im Kontext von FDJ-Publikationen präsent, bis sich die Auswahl auch in parteioffiziellen Veröffentlichungen ab Mitte der 1960er-Jahre wieder verbreitert. Historiografisch wird die Weiße Rose in beiden deutschen Staaten bis in die 1960er-Jahre hinein kaum behandelt. Die ersten Versuche, in Publikationen eine historische Übersicht über den deutschen Widerstand in seiner Breite zu geben, erfolgen in beiden deutschen Staaten ohne institutionelle Anbindung.2512 Günther Weisenborns als Fortführung von Ricarda Huchs Gedenkbuch-Projekt präsentierte Dokumentation Der lautlose Aufstand beruht auf einem allgemeinhumanistischen Antifaschismusverständnis und einer inklusiven, national homogenisierenden Auffassung einer ›deutschen Widerstandsbewegung‹. Die Weiße Rose wird in dem Band als christlicher, jugendlicher und intellektueller Widerstand rubriziert und durch einen im Vergleich zu anderen Dokumenten überdurchschnittlich ausführlichen Auszug aus Inge Scholls Buch, dem somit von Weisenborn wie auch in anderen Darstellungen Quellenstatus zugeschrieben wird, sowie durch die Wiedergabe des Urteils des 2. Weiße Rose-Prozesses dokumentiert. Trotz einer auf das Nationale abhebenden Legitimierungsstrategie wird Der lautlose Aufstand in der Bundesrepublik mitunter als linkslastig kritisiert. Die Weiße Rose hat für Weisenborn auch abseits dieses Buches eine strategische Funktion in seinem Bemühen um Anerkennung und Popularisierung des Widerstands, wie eine von ihm verfasste, jedoch anonym 1955 in der B.Z. veröffentlichte ›Tatsachenserie‹ zeigt, welche durch den redaktionellen Paratext aber in antitotalitäre Bezüge gesetzt wird.2513 Weisenborns Dokumentation wird in der DDR nicht verlegt, aber im geschichtswissenschaftlichen Kontext wohlwollend zur Kenntnis genommen und indirekt rezipiert. Dies zeigt sich an Walter A. Schmidts 1958 und 1959 in zwei Auflagen unter dem Titel Damit Deutschland lebe erschienenem Quellenwerk über den deutschen antifaschistischen Widerstand, welches in seiner Machart einem ähnlichen Konzept wie Weisenborn folgt, inhaltlich jedoch von Parteilichkeit gekennzeichnet ist. Dies wird am Ausschluss des 20. Juli 1944 und im Fokus auf den kommunistischen Widerstand deutlich.2514 Auch Schmidt bindet die Weiße Rose ein, und zwar als Widerstand von Studenten und Intellektuellen durch die Wiedergabe von Paul Verners 1948 im Neuen Deutschland erschienenen Artikel und des Abschnitts zum Hamburger Zweig aus Weisenborns lautlosem Aufstand. Bemühungen um eine erweiterte Neuausgabe scheitern, was auch an einer sich abzeichnenden weiteren Zentralisierung der Widerstandsgeschichtsschreibung durch das Institut für Marxismus-Leninismus liegt. 2512 Siehe Kapitel IV.2.3. 2513 Siehe Kapitel IV.3.1. 2514 Siehe Kapitel IV.2.3.

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Zusammenfassung und Schluss

Obwohl es zur Weißen Rose in der DDR bis Ende der 1960er-Jahre keine monografische Literatur gibt, kann mit Blick auf Belletristik und Rundfunk im Gegensatz zum 20. Juli 1944 nicht von einer Ausblendung gesprochen werden. Die Einordnung des Kreises um die Geschwister Scholl in den ›antifaschistischen Widerstandskampf‹ bleibt vielmehr bis in die 1960er-Jahre hinein unklar. Dies zeigt sich im Druckgenehmigungsverfahren von Curt Letsches im Verlag Neues Leben 1960 erscheinendem Jugendroman Und auch in jener Nacht brannten die Lichter.2515 Dieser kontrastiert und verbindet durch Plot und Erzählweise die Geschichte des Widerstands der Gruppe um Hans Scholl mit der einer Gruppe von Arbeiterjungen und entwirft aus deren Perspektive einen kritischen Blick auf religiöse Inhalte, die Ansprache elitärer Kreise und individualistische Formen der Aktionen Hans Scholls. Die von der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel beauftragte Außengutachterin lehnt aus diesem Grund den Abdruck des Manuskripts ab und fordert ein weiteres Gutachten eines Historikers an. Dieser befürwortet jedoch den Druck, da der Roman die Rolle des kommunistischen Widerstands als Träger des ›antifaschistischen Widerstandskampfes‹ belege. Der Roman erscheint lediglich in einer Auflage und wird in der Presse nicht rezensiert. Breitenwirkung entfalten dagegen das 1956 produzierte Hörspiel Wir schweigen nicht sowie das 1960 erstmals ausgestrahlte Fernsehspiel Der Henker richtet.2516 Beide von Gerd Focke konzipierte Produktionen stellen durch die Rahmenhandlung Bezüge zwischen der Geschichte der Weißen Rose und personellen NS-Kontinuitäten in der Bundesrepublik her. Im Fernsehspiel ist hierbei die Figur des SS-Manns Günter Stade zentral, der eine durch seine Liebe zu Sophie ausgelöste Wandlung zum Friedenskämpfer durchläuft. In Hör- und Fernsehspiel wird der Widerstand der Weißen Rose mit dem Motiv der Beendigung des Krieges enggeführt. Letzterer wird ebenso wie das durch die SS verkörperte Terrorsystem als Antithese zu Menschlichkeit und Humanismus dargestellt. Hierbei zeigen sich Ähnlichkeiten in Bezug auf identifikatorische Darstellungsstrategien und Deutungsmuster bei Inge Scholl. Die Soldaten an der Front erscheinen als die primären Opfer des Nationalsozialismus, die Wehrmacht wird nicht in Bezug zu nationalsozialistischen Verbrechen gesetzt, das NS-Regime mit der Bevölkerung kontrastiert. Die im Hörspiel noch zentralen ideologischen Konflikte mit Professor Huber und die Kontrastierung mit dem kommunistischen Widerstand treten im Fernsehspiel in den Hintergrund. Im Vordergrund stehen – verbunden mit der Abgrenzung zur westdeutschen Gegenwart – Identifikations- und Integrationsangebote für ein breites Publikum. Universalisierende Identifikationsstrategien können im Kontext des Kalten 2515 Siehe Kapitel IV.3.2. 2516 Siehe Kapitel IV.3.3.

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Krieges für die Bundesrepublik und die DDR als gemeinsames und über die 1950er-Jahre hinaus fortwirkendes Merkmal der öffentlichen Erinnerung an die Weiße Rose festgehalten werden, wobei zwischen Mustern eines Spektrums ›parteilicher‹, ›allgemeinpolitischer‹ und ›unpolitischer Menschlichkeit‹2517 differenziert werden muss. Diese Deutungsmuster können dann je nach Veröffentlichungskontext unterschiedliche Funktionen erfüllen. Anfang der 1960er-Jahre wird die Weiße Rose in der DDR-Presse in Bemühungen um eine nationale antifaschistische Traditionsbildung eingebettet.2518 Dies wird an der Entwicklung von Pressediskursen Anfang der 1960er-Jahre, aber vor allem an der zwischenzeitlichen Etablierung der Universität Jena als einem der Universität München entgegengesetzten Gedenkort an die Weiße Rose in der DDR deutlich.2519 Hier erhalten die Geschwister Scholl ab 1959 Relevanz sowohl in politischen Kampagnen gegen die Bundesrepublik als auch hochschulpolitisch für die FDJ. Delegationen der Jenaer FDJ-Hochschulgruppen reisen nach München, wo ihre Kranzniederlegungen zu Konflikten innerhalb der organisierten Studentenschaft führen. Ab 1960 werden eigene Gedenkfeiern veranstaltet, 1963 wird Jena zum zentralen Ort einer DDR-weit angelegten, vom Zentralrat der FDJ geplanten und gesteuerten Kampagne zum 20. Jahrestag. Auf der Gedenkveranstaltung, in der Presse und im Fernsehen wird die Weiße Rose mit den Attributen ›humanistisch‹ und ›patriotisch‹ gewürdigt und ihr in der DDR als erfüllt dargestelltes Vermächtnis den Verhältnissen in der Bundesrepublik entgegengesetzt. Die Herausstellung der Geschwister Scholl hat dabei integrative und mobilisierende Funktion im Zuge nationaler Bewusstseinsbildung nach dem Mauerbau. Gedenkfeiern und Presseartikel zum 25. Jahrestag des 22. Februar im Jahr 1968 sind im Vergleich zu 1963 von einer klaren Einordnung in die Einheitsfrontstrategie des ›antifaschistischen Widerstandskampfs‹ geprägt, bevor die Bezugnahmen auf die Weiße Rose in der durch die SED kontrollierten Universitätsöffentlichkeit und zunächst auch im Neuen Deutschland zurückgehen. Im Zentrum der SED-Geschichtspolitik der 1960er-Jahre steht das Projekt der Geschichte der Arbeiterbewegung (GdA) mit dem Ziel, ein nationales Geschichtsbilds zu schaffen, welches auch ›Patrioten aus Offizierskreisen und Bürgertum‹ integriert und so eine gewisse Differenzierung der Widerstandsgeschichtsschreibung bewirkt.2520 Diese Entwicklung lässt sich an den ersten geschichtswissenschaftlichen Einordnungsversuchen der Weißen Rose in Auf-

2517 Siehe Helmut Peitsch: Vom Faschismus zum Kalten Krieg – auch eine deutsche Literaturgeschichte. Berlin: Sigma 1996, S. 300–304. 2518 Siehe Kapitel IV.3.1. 2519 Siehe Kapitel V.2.1. 2520 Siehe Kapitel II.2.1.

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sätzen des Rostocker Historikers Karl-Heinz Jahnke nachvollziehen.2521 Dieser betont – jeweils in Einklang mit entsprechenden Deutungsvorgaben des Grundrisses der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (1963) bzw. der GdA (1966) – einen Einstellungswandel im Verhältnis zum Kommunismus und zur Sowjetunion und erklärt diesen zunächst (1965) vor allem durch Kontakte zu und Beeinflussung durch Kommunisten, dann aber (Ende der 1960er-Jahre) als kontinuierliche Entwicklung, die durch die Erlebnisse der Mitglieder der Studentenkompanie an der Front in Russland katalysiert worden sei. Die mit der Zentralisierung der Historiografie einhergehende geschichtspolitische Differenzierung vergrößert Spielräume in der Vermittlung der Widerstandsgeschichte, wobei diesen zielgruppenspezifische Funktionen unterliegen. Dies lässt sich an dem 1966/1967 geplanten, von Jahnke befürworteten, DEFAProjekt zur Weißen Rose aufzeigen.2522 Als Autor war Franz Fühmann vorgesehen. Im Expos8stadium, als eine Realisierung des Projekts noch wahrscheinlich erscheint, orientiert Fühmann die Handlung am offiziellen Geschichtsdiskurs, indem er eine ambivalente Rolle des Kleinbürgertums vorführt und den Wandlungsprozess der Studenten ins Zentrum rückt, diesen mit den Erfahrungen der Mitglieder der Studentenkompanie in Rußland verbindet und schließlich den Widerstand der Weißen Rose mit dem einer kommunistischen Gruppe kontrastiert. Fühmanns dann explizit fiktionales Treatment unterscheidet sich vom Expos8 in der – darin zuvor lediglich angedeuteten – Motivierung des Einstellungswandels und der Entscheidung zum Widerstand der Protagonisten durch die Zeugenschaft von Wehrmachtsverbrechen sowie von Judenverfolgung und -vernichtung. Da das Projekt, primär wegen der von Robert Scholl kommunizierten Ablehnung durch die Angehörigen, nicht weiterverfolgt wird, bleibt offen, ob der so konzipierte Film in Konflikt mit der (in diesem Zeitraum im Zuge des 11. Plenums verschärften) Zensur geraten wäre. Eine weitere Tendenz ab Mitte der 1960er-Jahre besteht in der adressatenspezifischen Vermittlung des bürgerlichen und christlichen Widerstands mit dem Ziel, zu einem positiven Verhältnis der jeweiligen Zielgruppen zum Sozialismus und der DDR als sozialistischem Staat beizutragen. Diese Entwicklung zeigt sich im Fall der Weißen Rose in Publikationen der Verlage der Blockparteien, denen dabei von institutionellen Vertretern der Geschichtswissenschaft zugearbeitet wird. 1963 erscheint Carl-Heinz Brücks Im Namen der Menschlichkeit im Verlag Der Morgen der LDPD mit einem Kapitel zur Weißen Rose, 1972 der Roman Alfred Neumanns im Verlag der Nation. Mit der 1968 im UnionVerlag herausgegebenen Dokumentation des IML-Historikers Klaus Drobischs Wir schweigen nicht, die bis 1983 mehrfach wiederaufgelegt wird, wird eine erste 2521 Siehe Kapitel V.2.2. 2522 Siehe Kapitel V.2.3.

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populärwissenschaftliche Monografie zur Weißen Rose vorgelegt.2523 Diese folgt in der biografischen Skizze den offiziellen Deutungsmustern, lässt aber durch den umfangreichen und heterogenen Dokumentenanhang durchaus auch andere Interpretationen zu. Im Kontext der CDU lässt sich ab Ende der 1960erJahre in der Tageszeitung Neue Zeit eine Rolle der Weißen Rose und ausgewählter Personen des kirchlichen Widerstands bei der Konstruktion spezifischer Traditionslinien der Partei als Teil eines ›christlichen Erbes‹ nachweisen, während einschlägige Bezugsnahmen im Neuen Deutschland nach 1968 zunächst ausbleiben.2524 Auf eine SED-Strategie einer ›christlichen Vereinnahmung‹ der Weißen Rose weist eine Stellungnahme des Staatssekretariats für Kirchenfragen vor Erscheinen der Dokumentation Drobischs hin, in welcher die Herausgabe des Bandes durch einen IML-Historiker kritisch gesehen wird. In den 1980er-Jahren lässt sich eine zweifache Entwicklung beobachten: Zum einen würdigt nun auch das Neue Deutschland die Weiße Rose in ausführlichen Gedenkartikeln unter verstärkter Hervorhebung der christlichen Dimension, 1983 wird zudem Michael Verhoevens Film Die weiße Rose in den DDR-Kinos gezeigt, 1988 auch im DDR-Fernsehen. Zum anderen erweitern sich die Spielräume der Widerstandserinnerung im kirchlichen Kontext, was sich insbesondere an den Lizenzausgaben von Inge Scholls Die weiße Rose (1986) und der von Inge Jens herausgegebenen Briefe und Aufzeichnungen Hans und Sophie Scholls (1988) in der Evangelischen Verlagsanstalt zeigt.2525 Bezüge auf Veranstaltungen im kirchlichen Rahmen deuten darauf hin, dass diese Entwicklung auch im Zusammenhang mit vergangenheits- und friedenspolitischen Positionierungen der Evangelischen Kirche in der DDR im Wechselspiel mit der SED-Politik steht. Dies ist eine Erklärung für den scheinbaren Widerspruch zwischen Offizialisierung und Entoffizialisierung der Weiße Rose-Erinnerung in der DDR und für ihre Einbeziehung sowohl in gruppenspezifische als auch staatliche Erbe-Konstruktionen in den 1980er-Jahren. Die Entwicklung der Weißen Rose-Diskurse in der Bundesrepublik ab den 1960er-Jahren lässt sich dagegen als ein Wechselspiel von Traditionsbildung und Traditionskritik in Bezug auf deutsche Geschichte und Gegenwart in ihrem Verhältnis zum Nationalsozialismus einerseits und in Bezug auf die Zweistaatlichkeit andererseits beschreiben. Auch hier kommt es in verschiedenen Kontexten zu unterschiedlichen Entwicklungen. Eine traditionsbildende Funktion kommt der Weißen Rose im Rahmen der jährlichen Gedenkfeiern an der Universität München zu.2526 In Gedenkreden 2523 2524 2525 2526

Siehe Kapitel V.2.4. Siehe Kapitel V.2.5. Siehe Kapitel V.2.6. Siehe Kapitel V.1.1.

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Zusammenfassung und Schluss

lassen sich bis Mitte der 1960er-Jahre nicht nur die Etablierung einer spezifisch universitären Tradition mit zum Teil exkulpatorischer Funktion, sondern auch Affirmation offizieller geschichtspolitischer Positionen in Hinblick auf Bezüge zum 20. Juli 1944, entdifferenziertes Kriegsopfergedenken und Antikommunismus aufzeigen. Ab Ende der 1950er-Jahre geraten universitätsoffizielle Positionen und universitätsöffentliche, vor allem die der organisierten Studentenschaft, zunehmend in Konflikt. Die Weiße Rose wird Mitte der 1960er-Jahre, nachdem es 1966 erstmals zu einer linken AStA-Mehrheit kommt, zur Folie der Diskussion des Verhältnisses von Universität, Studierenden und Politik. Auf die Forderung nach einem allgemeinpolitischen Mandat der Studentenschaft reagiert das Rektorat kurzzeitig durch die Betonung der Rolle politischer Bildung sowie mit einer Einbindung kritischer Positionen in das Gedenken an die Weiße Rose. Nachdem es 1968 auf der Veranstaltung zum 25. Jahrestag der Hinrichtung zum Eklat durch protestierende Studentengruppen kommt, setzt die Universität die Gedenkveranstaltungen aus. Jedoch führen (nicht nur studentische) Organisationen des linken Spektrums in den 1970er-Jahren Gedenkfeiern durch, in deren Rahmen neben personellen auch strukturelle Kontinuitäten auf universitärer und staatlicher Ebene in Bezug auf den Nationalsozialismus kritisiert und – zum Teil auch in Rückgriff auf Material aus der DDR – antifaschistische Positionen referiert werden. Die auch im universitären Kontext Mitte der 1960er-Jahre aufscheinende Kritik am deutschen Idealismus und an einer sich auf den bürgerlichen und militärischen Widerstands berufenden nationalen Tradition kennzeichnet bereits in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre Überlegungen zur Verfilmung der Geschichte der Weißen Rose. Diese stellt Rolf Thiele 1955 zuerst im Rahmen der Göttinger Filmaufbau GmbH und dann 1958 in einem Projekt für die ufa gemeinsam mit Erich Kuby an.2527 Auch Carl Amery erklärt 1962 in seinem (außerdem 1963 als Essay im jugendpolitischen Kontext publizierten) Hörspiel Die Geschwister Scholl sowie in seiner 1963 erschienenen Streitschrift Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute mit Bezug auf die Weißen Rose die ausgebliebene Wirkung des Widerstands mit einer idealistischen Prägung deutscher Eliten.2528 Wie bei Kuby und Thiele spricht Amery der Erinnerung an die Weiße Rose nicht grundsätzlich Relevanz ab. Er stellt sie aber im Gegensatz zu diesen als Vorbild für politisches Engagement in der Gegenwart dar. Christian Petrys auf seiner Magisterarbeit beruhende Interpretationen der Weißen Rose, die dieser 1968 unter dem Titel Studenten aufs Schafott als Monografie im Piper-Verlag publizieren und durch die Unterstützung Erich Kubys und Harry Pross’ medienwirksam im Stern und im Dokumentarfilm Abschied 2527 Siehe Kapitel V.1.2. 2528 Siehe Kapitel V.1.3.

Zusammenfassung und Schluss

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von einem Mythos? bei Radio Bremen platzieren kann, sind somit nicht einseitig als Reflex der Studentenbewegung und vor allem nicht generational erklärbar.2529 Petry nimmt Inge Scholls Buch Die weiße Rose als Gegenfolie der eigenen Darstellung der Geschichte des Widerstandskreises und fokussiert auf das Scheitern der aus seiner Sicht entgegen rationaler politischer Überlegungen als Fanal angelegten Flugblattaktion vom 18. Februar 1943. Er sieht die Weiße Rose ähnlich wie Kuby und Thiele als Opfer idealistisch geprägter christlich-bürgerlicher Vorstellungswelten, macht an ihr ein politisches Scheitern des ›anderen Deutschlands‹ insgesamt fest und spricht somit der Erinnerung an den bürgerlichen Widerstand das Potenzial politischer Traditionsbildung ab, während er, zumindest was die Methode des Widerstands angeht, den organisierten Widerstand der Arbeiterbewegung zum positiven Maßstab erhebt. Trotzdem wird seiner Darstellung nicht nur von konservativer und linksliberaler Seite, sondern auch von antifaschistischen Positionen aus widersprochen. Inge Aicher-Scholl, die gemeinsam mit ihrem Vater und anderen Angehörigen gegen Petrys Publikationen interveniert, stößt im Verbund mit der Antifaschistin Ursel Hochmuth die bundesrepublikanische Veröffentlichung von Jahnkes 1968 in der ZfG erschienenem Aufsatz als Monografie im Röderberg-Verlag an, um ein Gegengewicht zu Petry zu schaffen. Auch von Seiten der DDR-Wissenschaft wird Petrys Buch angegriffen und nicht zuletzt aufgrund einer Desavouierung der Darstellung Inge Aicher-Scholls kritisiert. Die kritische Rezeption von Petrys Buch in verschiedenen Kontexten zeigt, dass die Erinnerung an die Weiße Rose auch Ende der 1960er-Jahre ihr konsensuales Potenzial nicht eingebüßt hat. Dass einschlägige Publikationen oder breitenwirksame Mediendarstellungen zunächst ausbleiben, hängt mit Veränderungen der Historiografie und Vermittlung der Geschichte des Widerstands seit Mitte der 1960er-Jahre zusammen.2530 Pädagogische und populärwissenschaftliche Publikationen zum Thema zeigen, dass die Weiße Rose zwar ihren emblematischen Status verliert, aber in Publikationen prominent eingebettet bleibt, die nun durch die Abbildung eines verbreiterten Spektrums des Widerstands gekennzeichnet sind. Dies gilt zunächst für sozialdemokratisch und antifaschistisch beeinflusste Publikationen, die Widerstand und Verfolgung (Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin, Friedrich-Ebert-Stiftung) bzw. Faschismus und Widerstand (Röderberg-Verlag, Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung des deutschen Widerstands 1933–1945, VVN/BdA, Gewerkschaften) auch im Sinne eines integralen Bilds deutscher Geschichte mit dem Ziel differenzierten Nationalbewusstseins aufeinander beziehen. Diese Pluralisierung wird unter antitotalitären und antifaschistischen Vorzeichen 2529 Siehe Kapitel V.1.4. 2530 Siehe Kapitel V.1.5.

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Zusammenfassung und Schluss

auch mit Bezug zur Widerstandserinnerung in der DDR und durch Rezeption von DDR-Publikationen vorangetrieben. Plurale Konzeptionen prägen ab Mitte der 1970er-Jahre die Vermittlung des Themas auch in der staatlichen politischen Bildung auf Bundesebene. In Diskussionen über die Widerstandsvermittlung im Schulbuch wird die alleinige oder überproportionale Behandlung der Weißen Rose kritisiert, nicht aber ihre aufgrund von Identifikationspotenzial positiv eingeschätzte Relevanz als solche. Es entwickeln sich so parallel in offiziellen und zum Teil auch gegenoffiziellen Diskursen unterschiedliche und sich verbindende Deutungsmuster, die Ziele und Funktionen eines ›Lernens aus der Geschichte‹ (z. B. Fragen nationaler Tradition, Menschenrechte als Maßstab demokratischer Verfassung, Verhinderung faschistischer Tendenzen in der Gesellschaft) verhandeln und verbinden. Die sich verändernden Bezüge der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Widerstands lassen sich exemplarisch an dem 1971 erstmals gesendeten ZDF-Fernsehspiel Der Pedell festmachen, das ausgehend von der Figur des Hausmeisters der Münchener Universität Jakob Schmid eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Kontinuitäten der durch Schmid verkörperten kleinbürgerlich-faschistoiden Mentalität beinhaltet, zu der die Weiße Rose eine Gegenfolie darstellt.2531 Ab den 1980er-Jahren kommt es in der Bundesrepublik zu Konvergenzen zivilgesellschaftlich und offiziell getragener öffentlicher Erinnerung und zu einer Institutionalisierung der Weißen Rose-Erinnerung. Dies lässt sich an der Stiftung des Geschwister-Scholl-Preises durch die Stadt München und den Börsenverein des deutschen Buchhandels, vor allem aber an der Etablierung des Formats der Gedächtnisvorlesungen an der und durch die Ludwig-MaximiliansUniversität München im Verbund mit Angehörigen und Überlebenden der Weißen Rose festmachen, welche zuvor die Gedenkfeiern bis Anfang der 1980erJahre in Kooperation mit dem DGB aufrecht erhielten.2532 Die Gründung der Weiße Rose Stiftung im Jahr 1987 und die damit verbundene Institutionalisierung der Angehörigenperspektive vollzieht sich zunächst in Reaktion und Opposition zur regierungsoffiziellen Geschichtspolitik. Es bildet sich jedoch, wie sowohl die Entwicklung der Gedächtnisvorlesungen als auch Anneliese KnoopGrafs Biografie als Zeitzeugin belegen,2533 ein Konsens über eine von konkreten politischen Positionen abstrahierende Bestimmung der politischen Dimension der Weißen Rose heraus. In diesem Deutungsmuster wird unter Betonung der grundlegenden Verschiedenheit von Diktatur und Demokratie die Verteidigung der Menschenwürde als politisches Ziel der Weißen Rose benannt, woraus Appelle an individuelle Verantwortung und Zivilcourage abgeleitet werden. 2531 Siehe Kapitel V.1.6. 2532 Siehe Kapitel VI.2.1. 2533 Siehe Kapitel VI.1.2.

Zusammenfassung und Schluss

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Ab den 1990er-Jahren und nochmals verstärkt in den 2000er-Jahren lässt sich am Beispiel der Münchener Veranstaltungen sowie der Willi-Graf-Gedenkfeiern der Stadt Saarbrücken2534 eine Offizialisierung des Weiße Rose-Gedenkens aufzeigen – eine Tendenz, die in Zusammenhang mit einer veränderten Rolle der Zeitzeugen,2535 den gerade an Marc Rothemunds Spielfilm Sophie Scholl – Die letzten Tage im Vergleich zu den Filmen der 1980er-Jahre ablesbaren Veränderungen medialer Darstellungen sowie einer verstärkten pädagogischen Relevanz2536 der Weißen Rose betrachtet werden kann. Die Gedächtnisvorlesungen werden ab 1993 mehrheitlich von Politikern, Vertretern der Judikative und Repräsentanten der evangelischen und katholischen Kirche sowie des Judentums in Deutschland gehalten. Es bildet sich ein wechselseitiger Legitimierungszusammenhang heraus, in den Wissenschaftler und Zeitzeugen eingebunden sind. Zu den ›runden‹ Gedenkjahren sprechen seit 1993 die Bundespräsidenten.2537 An ihren Reden lässt sich exemplarisch die Veränderung von Deutungsmustern belegen, vor allem eine zunehmende Heraushebung und Singularisierung der Weißen Rose im Verhältnis zu anderen Widerstandsgruppen. Ab den 2000erJahren spielen Bezugnahmen auf den Holocaust eine zentrale Rolle, wobei eine Übernahme von Rhetoriken der Holocaust-Erinnerung auffällig ist. Von Weizsäckers und Raus Reden sind mit jeweils unterschiedlichen Konzessionen nach links bzw. rechts von dem Versuch gekennzeichnet, zwischen konservativen und linksliberalen geschichtspolitischen Konzepten zu vermitteln. Gedenken an den Widerstand der Weißen Rose ist bei beiden trotz aller Nuancen grundsätzlich verbunden mit einem Bekenntnis historischer Schuld als Voraussetzung für nationale und internationale Versöhnung. Diese ›Vergangenheitsbewältigung‹ erscheint in Joachim Gaucks Rede im Jahr 2013 dagegen als abgeschlossener Prozess, die Vergangenheit als gegenwartsaffirmierende Negativfolie für Demokratie, die Erinnerung an vergangene Diktaturen als nationale Verantwortung und Legitimation einer Verantwortung der Nation in der Welt. Der hier zusammengefasste Umriss einer Diskursgeschichte der öffentlichen Erinnerung an die Weiße Rose liegt in Teilen quer zum geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand. Rezeptionsgeschichtlichen Arbeiten, insbesondere denen Steinbachs und Tuchels, welche die Geschichte der Erinnerung an die 2534 Siehe Kapitel VI.1.2. 2535 Siehe Kapitel VI.1.1. 2536 Siehe Maja Bitterer : Die Geschwister Scholl als Gegenstand schulischer Rezeption und Konstruktion. In: Martin Dust, Christoph Sturm, Edgar Weiß (Hrsg.): Pädagogik wider das Vergessen. Festschrift für Wolfgang Klein. Kiel, Köln: Peter Götzelmann Verlag 2000, S. 255–268. Bitterer führt dies auf »ideologische Unverdächtigkeit« zurück und kritisiert einen »inflationäre[n] Gebrauch abstrakter Kategorien«, der »die Wahnehmung der materiellen Bedingungen des historischen Ereignisses« verhindere. (S. 267–268) 2537 Siehe Kapitel VI.2.2.

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Zusammenfassung und Schluss

Weiße Rose als bundesrepublikanische entwerfen, diese durch ›Instrumentalisierung‹ und ›Entpolitisierung‹ kennzeichnen, vor allem Selbstzeugnisse und auch Zeitzeugen als Quellen privilegieren und erst nach der deutschen Vereinigung eine objektive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem historischen Phänomen Weiße Rose als möglich erachten,2538 ist der Befund kontinuierlicher Geschichts- und Erinnerungsdiskurse zur Weißen Rose in beiden deutschen Staaten entgegenzuhalten, die jeweils sehr unterschiedliche Deutungsmuster mit kontextbezogenen Funktionen zeitigen und nicht ausschließlich auf Muster des Kalten Kriegs zurückgeführt werden können. Die offiziell gesteuerten, aber keineswegs homogenen Diskurse in der DDR können nicht einfach binär denen in der Bundesrepublik und denen nach 1990 entgegengestellt werden, welche ihrerseits nicht nur zivilgesellschaftlich getragen sind. Ebenfalls wurde in dieser Arbeit gezeigt, wie Forschungen zum Thema selbst mit ihrem Gegenstand verbunden sind und eigene Deutungen vermitteln.2539 Die hier präsentierten Thesen befinden sich zudem im Widerspruch zu zentralen Annahmen der gedächtnistheoretisch orientierten Forschung,2540 denn Geschichts- und Erinnerungsdiskurse zum Widerstand leisten bereits unmittelbar nach 1945 nicht einseitig einer Verdrängung nationalsozialistischer Verbrechen Vorschub, sondern verhandeln diese auf unterschiedliche Weise. Zugleich sind die sich im Laufe der 1980er-Jahre verändernden Diskurse nicht auf den Nenner einer aufklärerischen Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte zu bringen. Auch Hikels an Inge Scholl als Akteurin der Erinnerung an die Weiße Rose ansetzende, durch Materialreichtum und methodische Konkretion im Vergleich zu anderen erinnerungskulturellen Studien hervorstechende Arbeit ist von Prämissen gedächtnistheoretischer Forschung geprägt, insbesondere wenn sie der generationalen Erklärung von an 1968 festgemachten Diskursveränderungen folgt, die 1970er-Jahre als ›Erinnerungslücke‹ darstellt und einen ›Erinnerungsboom‹ ab den 1980er-Jahren insbesondere mit medialen Entwicklungen erklärt. Eine auf die Bundesrepublik bezogene, nationalgeschichtliche Verortung der Geschichte der Erinnerung an die Weiße Rose wird durch eine beziehungsgeschichtliche Perspektive auch deswegen herausgefordert, weil diese eine Kontextualisierung in Bezug auf konkrete Bedingungen und Verhältnisse öffentlicher Kommunikation über die Vergangenheit notwendig macht.2541

2538 2539 2540 2541

Siehe Kapitel II.2.2. Siehe Kapitel I, II.2.1, II.2.2, V.1.4 und V.2.2. Siehe Kapitel II.3.1. Siehe Kapitel II.3.2.

VIII Danksagung

Prof. Dr. Helmut Peitsch danke ich für seine langjährige wissenschaftliche Begleitung, Freiraum, Geduld, Vertrauen und wertvolle Hinweise während der Konzeptionsphase sowie präzise, kritische und ermutigende Rückmeldungen während der Schreibphase. Prof. Dr. Christoph Kleßmann danke ich für die Bereitschaft, das Zweitgutachten zu übernehmen. Als Vertrauensdozent der Hans Böckler Stiftung stand mir Prof. Dr. Harald Vogel beratend zur Seite. Ihm danke ich auch für die Unterstützung auf persönlicher Ebene im Prozess der Promotion. Für kritische Rückmeldungen und das sorgfältige Lektorat einzelner Kapitel bedanke ich mich bei Elena Demke, Dr. Ulrike Schneider, Sudabeh Mohafez, Konstantin Baehrens, Jacob Panzner, Frank Voigt und Dr. Christoph Sebastian Widdau. Susanne Schäffner danke ich für die Hilfe bei der Belegprüfung. Dr. Susanne Krones möchte ich für ihre Gastfreundschaft in München und ebenso wie Dr. Peter Paul Schwarz für die interessierte Begleitung des Projekts und wertvolle Hinweise danken. Herrn Oliver Kätsch und Frau Julia Schwanke vom Verlag V& R unipress danke ich herzlich für die geduldige und sorgsame Betreuung der Publikation. Wichtig im Promotionsverlauf war der Austausch mit und die Unterstützung von den Mitgliedern der Mikro-AG »Diskursanalyse« im Rahmen der Förderung durch die Hans-Böckler-Stiftung: Dr. Gudrun Lörincz, Dr. Jana Wittenzelner und Michael Plöse. Hinweise und Ideen verdanke ich auch Dr. Heidi Behrens sowie Christoph Kapp und den Kommilitoninnen und Kommilitonen des Kolloquiums von Prof. Dr. Helmut Peitsch und Dr. habil. Andreas Degen sowie des Walter Rathenau Kollegs. Traudl Kühn, Anneliese Knoop-Graf, Dr. Klaus Drobisch, Jörg Hildebrandt, Prof. Dr. Karl-Heinz Jahnke und Paul Mommertz verdanke ich schriftliche und mündliche Auskünfte. Gerd Focke danke ich für den Empfang in Halle und die Möglichkeit zur Einsichtnahme in sein Privatarchiv.

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Danksagung

Bei Katie Rickart bedanke ich mich für die Zusendung ihrer leider bisher nicht veröffentlichten Dissertation. Allen Archiven und ihren Mitarbeitenden bin ich zu Dank verpflichtet, für ihre freundliche Unterstützung danke ich besonders Barbara Heinze vom Archiv der Akademie der Künste, Alexander Klotz vom Institut für Zeitgeschichte, Dr. Veit Schnell vom ZDF-Unternehmensarchiv, Jan-Uwe Fischer vom Deutschen Rundfunkarchiv und Dr. Manfred Agethen vom Archiv für Christlich Demokratische Politik. Ohne das Stipendium und die ideelle Förderung durch die Hans Böckler Stiftung hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können. Persönlich bedanken möchte ich mich bei Werner Fiedler, Iris Henkel und Dr. Gudrun Loehrer für Rat und Unterstützung. Ich danke der Hans Böckler Stiftung ebenso dafür, dass sie die Publikation in dieser Form durch einen Druckkostenzuschuss ermöglichte. Meine Eltern Rosmarie und Jürgen Ernst, Panagiota Kaisari-Ernst, meine Kinder Ionas und Aris und meine Freundinnen und Freunde gaben mir während der Promotion den Rückhalt und die Unterstützung, die ich brauchte, um das Vorhaben zu Ende zu bringen. Ihnen gilt mein besonderer, liebevoller Dank, ebenso wie Cornelius Kibelka, der bei der Disputation an meiner Seite stand.

IX

Edierte Quellen

IX.1 Stellungnahme der Filmaufbau GmbH zum Drehbuch Die Geschwister Haller (1955) »Die Geschwister Haller« (Stoff um die Geschw. Scholl) Drehbuch 237 Seiten

Grundsätzliche Erwägungen Die Geschwister Scholl und ihre Freunde waren keine Widerstandskämpfer im eigentlichen Sinne, dafür war ihre Wirkmöglichkeit zu minimal. Nicht, weil es ihnen an Willenskraft oder Eifer gefehlt hätte, sondern weil ihnen der Apparat fehlte und jegliches nennenswerte Instrument einer erfolgversprechenden Gegenrevolution. Sie waren echte Idealisten, ihre Mittel waren Texte, deren Anwendung auf die bedrückende Lage und individuell gemeinte Ermahnungen. Schließlich konnten sie sich und ihr Schicksal nur zur Mahnung an alle erheben und bestenfalls bei jedem Unbesonnenen ein schlechtes Gewissen provozieren. Vermutlich hätten die Geschwister Scholl und ihre Freunde es abgelehnt, in einer aktiven und erfolgreichen Resistenz zu kämpfen. Ihre Empörung war ideell, humanistisch und »unverdorben« individuell – also (da es sich um den Kampf gegen einen absoluten Machtapparat handelte) vom Ansatz her verloren und todgeweiht, denn die »törichte« Permanenz ihrer idealen »Beschränkung« konnte ihnen keinen Schutz bieten. Alle, die nur mit der Feder und einem glühenden Geist gegen Diktaturen kämpften, wurden entweder, wenn die Diktatur es sich leisten konnte, nicht ernst genommen oder getötet. Es spricht sehr viel dafür, daß die Scholls dies im Grunde ihres Herzens wußten. Die Unvorsichtigkeit ihrer Aktionen, insbesondere die Verachtung gegenüber ihrer eige-

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Edierte Quellen

nen Person in den letzten Tagen mutet wie eine offene Herausforderung an das Schicksal an. Dies alles soll nur darauf hinweisen, daß, wenn man den auch gleichviel modifizierten Figuren gerecht werden will, hier keine »Widerstandskämpfer« »in Szene« gesetzt werden dürfen. Die »Absurdität« ihrer Handlungsweise muß rein gehalten werden[.] In dem Ma[ß]e man sie zu faktischen Widerstandskämpfern zu machen versucht, muß die »reine Torheit« ihrer Denk- und Handlungsweise nahe an die Grenze der banalen Torheit geraten, (weil sie als denkbare Untergrundsleute bar jeder Schulung und Sabotagetechnik reine Außenseiter blieben). Im Schicksal der Scholls spiegelt sich ein gut Teil historischer Tragik des deutschen Geistes wider : der Zwiespalt von Gesinnung und Tat und die Unvereinbarkeit vom moralischen Gesetz und Glückseligkeit in der deutschen ethischen Tradition. Der Idealismus prägte die Gesinnung und lieferte allenfalls Anweisungen zum rechten Denken, aber kaum Praktiken des angemessenen Handelns im Hinblick auf die »Gebrechlichkeit« der menschlichen Welt. An diesem Zwiespalt ging schon Kleist zu Grunde, und andere erhabene, gleichermäßen schutzlos preisgegebene Geister folgten ihm. Es darf vermutet werden, daß für die Scholls der Drangsal des Nationalsozialismus im Grunde nur das erschütternde Paradigma einer unbegreiflichen Welt war : das hoffnungslose »aus allen Wolken« fallen vor der Diskrepanz zwischen idealer Forderung und unerreichbarer und pervertierter Wirklichkeit.

Historische Voraussetzungen Die Reproduktion historischer Vorgänge aus überlieferten Berichten ist oft mühsam, aber, wenn die Quellen nur gut und reichlich sind, nicht allzu schwierig. Wichtig ist vor allem die geschichtliche Wahrnehmung selbst: die Assimilation vergangener Lebens- und Denkzustände in den gegenwärtigen Umkreis derer, die das Vergangene wieder »erfahren«. Da zeigt sich manchmal, daß die gleichsam maßstabgerechte Reproduktion vor der inzwischen anders gearteten Bewußtseinslage bei weitem nicht ausreicht. Das Wesen eines Schicksals entzieht sich oft dem dokumentarischen Zugriff. Und fast immer »weiß« der Überlebende mehr. (Jeder gute Biograph ist »klüger« als sein »Objekt«). Es gibt unendliche Quellen und Berichte über die nationalsozialistische Periode, aber sie sind seltsam verhüllt und »entstellt« durch das Übermaß individueller Erinnerungen. Das macht es schwer, einen allgemeinen Nenner zu finden. Jene Zeit wird so oft als eine in sich begrenzte Periode behandelt – jedoch sie steht in einem rätselhaften Weltprozeß, der kaum deutbar ist, zumal die

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Erscheinungsformen der nationalsozialistischen Zeit gleichermaßen noch zu nah und schon zu sehr vergessen sind. Die echte Auseinandersetzung übersteigt zumeist die Ausdrucksmöglichkeiten. Vor allem auch, weil die NS-Periode nicht nur, wie man immer sagt, überwunden, sondern weil sie echtes geschichtliches Trauma ist. In unserem Fall müßte, wollte man das Besondere unserer Helden erkennbar werden lassen, der allgemeine Druck jener Periode in einem Mosaik zeitgenössischer Reminiszenzen aufgebaut werden. Jedoch: dies wirklich durchgeführt, würden unsere Figuren sich zwar charakterlich abheben, aber gleichzeitig würde auch ihre Handlungsfähigkeit vernichtet. Das große Dilemma des ganzen Stoffes liegt darin, daß der Feind der Helden eigentlich imaginär bleibt. Gegen wen kämpften sie? Im Grunde gegen ein »Nichts«, gegen eine mörderische Ideologie, gegen einen absoluten Apparat – und sie kämpften gegen »alles«: gegen die Zeit. Sie wollten sie wandeln, sie können nicht abwarten, bis sie sich selbst zu Tode läuft. Und sie können sie nicht wandeln, da sie eigentlich nichts tun können. Sie können nur ihre Gesinnung bewahren, sie dokumentieren und – daran sterben.

Handlungsführung Das vorliegende Drehbuch geht an der Idee des Stoffes vorbei. Sein Versuch, die historischen Daten möglichst treu zu verarbeiten, verrät paradoxerweise das Wesen der Erscheinung. Das wird schon daran deutlich, daß der zwielichtige Repräsentant der Gegenseite, der SD Kommissar zur dramaturgischen Hauptfigur gemacht wurde. Aus der rettungslosen Empörung ›unwirklicher‹ Toren ist eine Art von umgedrehten psychologischen Kriminalstoff geworden: die guten ›Verbrecher‹ werden vom bösen Kriminalisten in die Enge getrieben und überführt. Aus der wohlgemeinten Absicht, das Material konstrastreich zu machen, hat der Autor von der Exposition an ein Gegenspiel konstruiert, durch das die Helden dermaßen eingeengt werden, daß ihre Empörung zur revolutionären Untauglichkeit entartet. Einwenig übertreibend kann man geradezu sagen: in der vorliegenden Fassung ist man den Helden beinahe böse, daß sie (gemessen an dem Verfolgungsapparat) so ungeschickt sind. Sie sind von Anfang an, schon durch die Einführung des Studenten-Spitzels, Marionetten in der Hand eines zwielichtigen Inquisators, der, zwar nicht völlig frei, durch sein Spiel jedoch, die Handlung fast alleine antreibt und bremst. So interessant dieser dramaturgische Aufbau auch ist, er würgt im Grunde den Stoff ab, er determiniert die Helden in falscher Weise. Da ihre Empörung ohnehin »tatenlos«, nur ideell ist, verschiebt sich dadurch das Gewicht der Handlung dermaßen, daß die Fahndung zum zentralen Thema der Story wird.

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Edierte Quellen

Während doch das Hauptgewicht bei den Helden liegen müßte. Etwa Sophiens »Entdeckung« und der schmerzlich innere Kampf um den Bruder. Ausdruck ihrer »Niederlage« wäre dann ihre Mittäterschaft.

Interpretation und Vorschläge Hier, bei dem geistigen Wagnis, müßte überhaupt der, freilich sehr nach innen gezogene, Schwerpunkt der Aktion liegen: Hans kämpft um das Menschenbild, um das reine, unentweihte Vor-Bild der Humanität gegen eine schrankenlose, gewaltsame Zeit – und übersieht das nächstliegende, den (christlichen) »Nächsten«: seine Schwestern, seine Eltern, die Freunde, [u]m des unendlichen Menschen-Bildes willen »verrät« er den wirklichen, den nahen, greifbaren Menschen. Dies wäre seine »Schuld«: Die Maßlosigkeit seiner ideellen Sehnsucht. Eine edle Maßlosigkeit, aber auch ohne Maß für das Wirkliche, schon beinah jenseits der Liebe, die immer konkret bleibt; polar zur anonymen Maßlosigkeit der mörderischen Gewalt. So könnte er zu einem tragischen Helden werden, (im Sinne Schillers, den er besonders liebte) sein unschuldig-schuldiger Charakter würde erhoben, indem er vernichtet wird und würde »gleichberechtigt« gegenüber der anonymen Gewalt, gegen die er kämpft. Wie gesagt, andersherum wird es nur zur mäßigen und bestenfalls rührenden Kriminalgeschichte. Der pure Aufstand: Hans gegen das übermächtige Regime geht, da nur ideell, in der Wirkung über das Ideologische nicht hinaus. Da bei ihm kein Tyrannenmord als Absicht zu rekonstruieren ist, bleibt nur die Möglichkeit zum Seelendrama oder zur Charaktertragödie. Es ist auch nicht damit getan, daß Hans in dialogisierten Flugschriften spricht. Sein Idealismus muß in seelischen Aktionen transportiert werden. Und dann eine andere »tragische« Komponente, die bei einem derartigen Stoff nicht übersehen werden darf: die »Schuld« der Generationen, die im Sinne Kants, Fichtes, Schillers seit 150 Jahren edle und achtbare Lehren und Maximen verkündeten, interpretierten – und freilich auch lebten. Nur leben konnten in Epochen, deren Maßstab die Person war, deren letzte ethisch-moralische Frucht die Ausreifung der individuellen Persönlichkeit bildete. Von den Vorsokratikern, Sokrates, Plato, Aristoteles, der Scholastik, der Renaissance, Leibniz, Rousseau bis zum deutschen Idealismus; und vom Alten Testament, Jesus Christus, Paulum, Augustinus, Eckhart, Luther bis zu Kierkegaard und Dostojewski: eine metaphysische Schule der Person und äußerste Verfeinerung des Gewissens. Dies wurde gelehrt und eingepflanzt: humanistische, christliche abendländische Kultur. Bildung des Geistes, Sublimierung der Seele: höchste Kultur der Innerlichkeit. Aber nicht wurde gelehrt: überleben zu können, wenn die Dä-

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monen zu rasen beginnen, wenn das zur letzten Reife entfaltete individuelle Bewußtsein und Gewissen in den Strudel anonymer Mächte gezogen wird. Konnte auch nicht gelehrt werden, war im Bildungsstand nicht vorgesehen. Aber da es geschah, wer weiß warum – begann die große Tragödie der Entzweiung von Sinn und Wirklichkeit. Ein gutes Stück deutscher Tragödie. Dies alles schwingt in einem Stoff um die Geschwister Scholl mit. Konkret: es müßte auch ein Drama zwischen Lehrer (Prof. Grabow) und seinem Schüler sein. In diesem Lehrer müßte die ganze humanistische Entwicklung und deren Bildungsidee verkörpert sein. Und er müßte es tief erschüttert und geradezu entsetzt erleben, daß sein liebster Schüler (Hans) geneigt ist, alles Gehörte und Gelernte wörtlich und wirklich zu nehmen in einer Zeit, die derartige Maximen bestenfalls allegorisch zu interpretieren vermag. Und da dieser Lehrer nicht imstande ist, seinen Schüler von einer rettungslosen »Anwendung« seiner Lehren zurückzuhalten, müßte er erkennen: »Wir haben die hehrsten Gedanken verkündet, aber wir waren nicht in der Lage, die so kostbar ausgestatteten Menschen lebens- und kompromißfähig zu halten. Wir haben, indem wir das Ideal-Gute zum absoluten Vorbild machten, versäumt mit dem Zweit-Guten unsere Jünger vor der Vernichtung zu bewahren. Wir sollten es nicht wahrhaben, daß eine alte, ehrfürchtige gehütete Welt längst zusammengebrochen ist. Wir haben zwar die Ideale rein gehalten, jedoch, indem wir die Jugend anspornten, bleiben wir ihnen alles schuldig, da wir sie für nichts rüsten konnten, es sei denn für erhabene Träumereien. So haben wir sie, als der Sturz kam, preisgegeben. Sie starben stolz – jedoch sie starben. Und, geben wir es zu, mit ihnen starb unsere Hoffnung. Wir lehrten – und hatten selbst nichts gelernt, nämlich: zu leben. Dies alles, so scheinbar abstrakt es sich anhören mag, schwingt in einem Stoff um die Geschwister Scholl mit. Es sollte kein Katz- und Mausspiel sein zwischen einem souveränen SDFührer und idealistisch träumenden aufbegehrenden Studenten. In dem Material steckt sehr viel mehr. Und da Kunst ja nicht aus einer Reproduktion historischer Vorgänge besteht, sollte man das konkrete Stück deutscher Bildungstragik in dem Stoff nicht übersehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es ein hochaktuelles, zwar schwieriges, aber auch sehr notwendiges Projekt. Göttingen, der 11.2.55 FILMAUFBAU G.m.b.H Quelle: Filmaufbau GmbH: Stellungnahme zu »Die Geschwister Haller« (Stoff um die Geschw. Scholl), Typoskript, 7 Seiten, 11. 02. 1955. In: IfZ, ED 474 (404).

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Edierte Quellen

IX.2 Erich Kubys und Rolf Thieles Filmentwurf Die Geschwister Haller (1958) Entwurf zu einem Film Die Geschwister Haller (Arbeitstitel) frei nachgebildet den historischen Vorgängen, die mit dem Namen Scholl und dem Symbol der Weissen Rose verbunden sind. Von Erich Kuby und Rolf Thiele Die verschiedenen bisher unternommenen Versuche, diesen Film zu verwirklichen, sind vorwiegend gescheitert, weil der Stoff nicht mit vollkommener innerer Freiheit ergriffen worden ist. Positive und negative Ressentiments, die im Volke gegenüber dieser edelsten und sinnlosesten Episode des deutschen Widerstands bestehen, beherrschten offenbar auch diejenigen, die versuchten, einen Film darüber zu machen. Die Nähe der Ereignisse erschwert ihre künstlerische Darstellung. Wenn die Überlegungen, die zu einem Film über diesen Stoff führen sollen, bei den historischen Ereignissen beginnen und das »Wie« ihrer Darstellung zum Ziel haben, müssen sie notwendigerweise in die Irre führen. Vielmehr müssen sie von der Gegenwart ausgehen, und es ist zu fragen, erstens wie man dem Menschen von heute d[ie] Ereignisse damals verständlich machen kann, zweitens was man mit dem Film eigentlich bezwecken will. Hierbei ergibt sich zunächst wiederum zweierlei: der Film muss die historisch a priori bestehende, totale Aussichtslosigkeit des Widerstandes der Weissen Rose gegen die Diktatur verbergen, wenn er nicht Gefahr laufen will, dass die Handelnden dem Zuschauer alsbald uninteressant werden. Das bedeutet für den dramaturgischen Aufbau, dass sozusagen eine zweite Front dramatischer Auseinandersetzungen errichtet werden muss neben der historisch gegebenen ersten Front, die zwischen den jungen Menschen einerseits, der Diktatur andererseits verläuft. Diese zweite Front kann nur zwischen den Geschwistern selbst verlaufen, wenn sie überzeugend sein soll. Die Frage nach dem Zweck des Filmes wäre falsch beantwortet, wenn er allein darin gesucht würde, die Schrecken der Diktatur auf dem Gegenbild der Weissen Rose sichtbar zu machen. Die Geschwister Scholl waren durchaus nicht nur die Opfer der Diktatur. Sie waren mindestens im gleichen Maße Opfer eines deutschen Idealismus, und insofern sind sie geistige Verwandte der stürmenden Studenten von Langemark des ersten Weltkrieges. Ihre geistigen Lehrer haben

Erich Kubys und Rolf Thieles Filmentwurf Die Geschwister Haller (1958)

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versäumt, ihnen mitzuteilen, dass man nur kämpfen kann, wenn man am Leben bleibt. Indem der Film die verzweifelte Hilflosigkeit derjenigen darstellt, die in den Studenten zwar die moralische Sensibilität gegen das Unrecht geweckt haben, aber in der Katastrophe ratlos sind, bekommt er eine geistige Stossrichtung nach vorne und vermag so die Menschen zu packen, die von einer einseitigen »Abrechnung« mit der Vergangenheit gelangweilt würden. Wenn die Verfasser dieses Entwurfes an dieser Stelle gestehen, dass sie beabsichtigen, einen deutschen Nationalfilm zu schaffen, dem ersten wieder seit Jahrzehnten, der versuchen soll, eine zeitgenössisch umfassende künstlerische Formel für deutsches Schicksal zu finden, (und das in einem Augenblick, in dem die Zeit hierfür reif ist), so kann damit natürlich nicht gemeint sein, dass aus den Geschwistern Scholl nachträglich so etwas wie Kino-Helden gemacht werden soll[en]. Die Ehrfurcht vor ihrem Schicksal, die sich nicht anders ausdrücken kann, als darin, es zu beklagen, verwandelt sich, wenn der Film vom individuell Menschlichen fortschreitet zum Nationalen, in unsentimentale harte Kritik an der Verblasenheit einer idealistischen Tradition, die der Herrschaft des Unrechts nichts entgegenzusetzen wusste als das Opfer der Wehrlosen. Die innere Freiheit, mit der man sich dem Stoff nähern muss, wenn die Verwirklichung gelingen soll, darf auch der Diktatur selbst gegenüber nicht versagen. Je unmissverständlicher der Standort des Filmes auf der Seite des Rechtes zum Ausdruck kommt, desto weniger wird er in Schwarz-WeissZeichnung in Bezug auf die Diktatur verfallen dürfen. Dieser Film wird, wenn er entsteht, die erste Überwindung der verhängnisvollen Diskontinuität in deutscher Selbstdarstellung und Zeitgeschichte sein. Der deutsche Idealismus wurde selbstverständlich durch den Nationalsozialismus nicht einfach unterbrochen, sondern fortgesetzt. Es entspricht der Realität des Dritten Reiches, wenn in diesem Film ein höherer Sa-Führer Gestalt gewinnt, der die Hoffnung hegt, den jungen Haller und seine Freunde mit dem Argument ins eigene Lager herüberzuziehen, er, der Nationalsozialismus, sei ja die erste und einzige Synthese von Idealismus und Macht in der deutschen Geschichte. Dieser Mann hat in dem Film weder bei den jungen Menschen noch bei seinen politischen Vorgesetzten jemals eine Chance, und so wird eben seine Gestalt den Menschen von heute über das wahre (Un)-Wesen des Nationalsozialismus mehr sagen, als durch undifferenzierte Kritik zu erreichen wäre. Zudem bedarf es einer solchen Figur, um jener schon erwähnten Schwierigkeit auszuweichen, die darin liegt, dass die Geschwister nicht von vorneherein völlig verloren sein dürfen, wenn man sie dem Herzen und dem Verstand der Zuschauer nahebringen will. Aus s[ol]chen Überlegungen ergibt sich nun folgendes

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Edierte Quellen

Gerüst der Handlung: Junge Menschen kleben Flugblätter der Freiheit an Münchner Hauswände. Die Stadt ist doppelt dunkel: es ist schon Abend, und die Strassenbeleuchtung ist abgeschaltet. Kriegszeit, Verdunklung, Ruinen. Die jungen Menschen werden bei ihrem Tun entdeckt, Alarm, Polizei, Verfolgung, zwei oder drei retten sich in die Universität. Die Schergen setzen ihnen dorthin nach, ein verstörter Pedell steht machtlos in der Vorhalle. Der höhere SS-Führer Arnstein macht der Verfolgung ein Ende, befie[h]lt, dass die Suchkommandos zurückgezogen werden. Er fragt den Pedell, ob zu dieser Stunde noch in der Universität gearbeitet würde, und erfährt, dass unter anderem noch das Historische Seminar von Professor Wüllner abgehalten werde. Er geht durch die dunklen Treppenhäuser und Gänge in das Seminar. Er ist hier und bis zur Hinrichtungsszene in Zivil. Sein Gesicht ist aus den Zeitungen und Illustrierten bekannt; als er sich ohne Aufhebens zwischen die Studenten setzt mit der Frage an Wüllner, ob er ein wenig zuhören dürfe, wird er von einigen der Studenten erkannt, nicht von Wüllner, der erst später erfährt, wer der Besucher war. Vom Pult aus hält einer der Studenten ein Referat über Hegel, dessen Nachweis der Einheit von Denken und Sein: »was vernünftig ist, ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig«. Nur die anfänglich noch hastigen Atemzüge des Vortragenden, Hans Haller, verraten, dass hier nicht irgend ein historisches Seminar im Gange ist, sondern dass es sich um den Versuch handelt, die in der Universität geflohenen Flugblattkleber zu decken und zu tarnen. Unversehens kommt es aber zu einer kurzen »echten« Diskussion zwischen dem vortragenden Studenten und dem Professor, die den oben zitierten Satz in Frage stellt, weil er nicht mehr in die aktuelle Situation passe. Währenddessen entfernt sich Arnstein wiederum ohne jedes Aufhebens. Im Seminar wird die Situation realisiert. Am nächsten Tag kommt Hans’ Schwester Sophie aus ihrem Wohnort angereist. Sie kommt verspätet ins Semester. Sie hat noch nicht an dieser Universität studiert. Hans und seine Freunde beschliessen, dass das Mädchen vor jeder Mitwisserschaft bewahrt werden müsse. Da sie aber in derselben Wohnung wie Hans wohnt, dauert es nicht lange[,] bis sie anfängt sich Gedanken über des Bruders häufiges und langes nächtliches Ausbleiben zu machen. Die zufällige Entdeckung eines Flugblatt-Entwurfes in Hans’ Zimmer setzt sie auf die richtige Spur, aber sie bleibt den Freunden gegenüber stumm. Sie spielt die Unwissende. Hans wird vom SD abgeholt und zu einem Verhör geführt. Nur Sophie ist in der Wohnung, als dies geschieht, sie verbirgt sich und folgt dann mit einem Taxi dem Wagen und sieht, wie Hans im Hauptquartier des örtlichen SD verschwindet. Sie bittet Gott um Hilfe.

Erich Kubys und Rolf Thieles Filmentwurf Die Geschwister Haller (1958)

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Hans wird zunächst von einem SD-Mann verhört, der seine Sache plump und dumm macht. Arnstein tritt an seine Stelle, der gar nicht nach Sachverhalten fragt, diese vielmehr als selbstverständlich gegeben voraussetzt und nun den Versuch unternimmt, Hans auf seine Seite zu ziehen. Das gelingt ihm nicht, aber in der geistigen Auseinandersetzung mit Arnstein verrät er unbewusst viel mehr von sich und seinen Freunden, als ein Polizeiverhör üblichen Stils zu Tage gefördert hätte. Arnstein imponiert der entschlossene Mut des jungen Menschen und er beschliesst hoch zu spielen und dem Treiben noch eine Weile zuzusehen, in der Erwartung, den Punkt zu finden, von dem aus er aus Gegnern Verbündete machen kann. In der nächsten Zeit wird die Stadt durch furchtbare Fliegerangriffe so schwer zerstört und die Stimmung der Bevölkerung so schlecht, dass der Gauleiter vom SD verlangt, er solle den Flugblattaktionen augenblicklich ein Ende machen. Ein zweiter Versuch Arnsteins, auf seine Art die Situation zu meistern, misslingt wieder, und nun bleibt ihm nichts anderes übrig als durchzugreifen. Er tut das in der Form, dass er die Studenten, die er als Mitglieder der Verschwörung ansieht, an die Front abstellen lässt. Sophie erfährt, dass die Freunde wissen, warum sie plötzlich ihren Studienurlaub abbrechen müssen. Sie sagt sich, dass der Verdacht des SD zur Gewissheit werden würde, wenn die Flugblattaktionen plötzlich aufhörten, und beschliesst, in die Bresche zu springen. Als vollkommene Alleingängerin, ein Mädchen gegen die Macht, fängt sie an, Flugblätter zu vervielfältigen und an die Mauern zu kleben. So lässig, wie Arnstein einmal das Seminar betreten hat, betritt er eines Nachts den Raum, in dem Sophie Flugblätter vervielfältigt. In der Auseinandersetzung mit ihm zeigt sich Sophie einerseits von grösserer dialektischer Härte als ihr Bruder, aber auch andererseits von überlegenem Realismus. Als sie erkennt, wie die Dinge liegen und Arnstein ihr sagt, dass gerade die Fortsetzung der Flugblattaktionen ihn zwingen würde[…] zu handeln, beschliesst sie, sie einzustellen. Arnstein lässt aber keinen Zweifel, dass auch damit nur eine Pause eintreten werde. Er zeigt ihr die Alternative: als Volksfeind ausgemerzt zu werden, oder sich mit der Macht zu verbünden. Hans wird verwundet und kommt nach München zurück. Er wird sofort wieder aktiv und sammelt einige Freunde um sich. Sophie, ohne ihre Beweggründe zu verraten, beschwört ihn, sich ruhig zu verhalten. Er glaubt, seine Schwester sei kleinmütig geworden, und zum ersten Mal spricht er offen mit ihr über seine und seiner Freunde unterirdische Tätigkeit. Die Stimmung in der Stadt ist mittlerweile so schlecht geworden, dass breitere Kreise der Studentenschaft, direkt oder indirekt von Hans und seinen Freunden beeinflusst, bei einer Universitätsfeier, auf der der Gauleiter spricht, einen offenen Protest wagen. Sophie und Hans erleben diesen Augenblick auf einer Galerie des Lichthofes. Es ist der Kulminationspunkt der geistig-politischen Existenz des jungen Mannes. Er sieht seine Saat aufgehen. Er erwartet, dass

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Edierte Quellen

Professor Wüllner das Wort ergreift, er erwartet von ihm die Formulierung des unartikulierten Protestes der Studenten Aug in Aug mit dem Gauleiter, aber Wüllner schweigt. Nun will er selbst sprechen. Sophie versucht ihn zurückzuhalten. Sie beschwört ihn, still zu sein. Wiederum missversteht er völlig ihre Motive, und nun, um sich ihm gegenüber ein grösseres Gewicht zu geben, öffnet sie ihre Mappe, die voll mit Flugblättern ist, und sagt ihm, wer während seiner und seiner Freunde Abwesenheit die Aktionen weitergeführt hat. Der Augenblick, in dem Hans hätte sprechen können, verstreicht, schon kommt die Polizei in die Universität und löst die Versammlung auf; auch Sophie wird einen Augenblick wankend in ihrem Realismus, der Bruder reisst sie mit sich fort, es muss doch etwas geschehen, der Gauleiter darf nicht siegen, von der Galerie herab schüttet Hans die Mappe mit den Flugblättern aus. Die Geschwister werden mit anderen zusammen[…] verhaftet. Und noch einmal versucht Arnstein, Hans zu sich herüberzuziehen. Im Grunde geht es dem SS-Führer darum, ein Alibi für den Augenblick des Zusammenbruchs zu haben. Alibi nicht in dem billigen Sinn, schliesslich jemand zu haben, der einen »Persil-Schein« für ihn ausstellt, sondern in einem geistigen Sinn: dass die »Idee« auch einen reinen Menschen zu gewinnen verm[o]cht habe. In der geistigen Auseinandersetzung bleibt Hans wiederum Sieger, aber nun kommt die andere Natur bei Arnstein zum Durchbruch; da er in diesem Kampf siegen will, bedient er sich der Macht zugänglichen Mittel: er sagt Hans, Sophie könne nur gerettet werden, wenn er das Lager wechsle. Hans, im Gefühl, seine Schwester ins Verderben gerissen zu haben, ist beinahe bereit, die Brücke zu betreten, die Arnstein ihm baut; es kommt zu einem Gespräch zwischen den Geschwistern in einer Zelle, in der Sophie jeden Kompromiss ablehnt. Gleichzeitig unternimmt Professor Wüllner einen Versuch, die jungen Menschen zu retten. Er wendet sich an einen Mann, unter dem man sich eine Synthese von Wiechert, Jaspers und Carossa vorstellen muss, einem Mann, der hinter einer Mauer von Selbsttäuschungen auf einem selbstgeschaffenen, von den Nationalsozialisten aus Berechnung nicht zerstörten Thron sitzt und von dem das »andere Deutschland« wähnt, er habe Einfluss bei der Macht. Das Gespräch dieses Mannes mit Wüllner ist die pompöse und ekelhafte Grabrede für den deutschen Idealismus. Sophie, befürchtend, ihr Bruder könnte ihretwegen »umfallen«, tut einen irreparablen Schritt: in einem Verhör mit einem untergeordneten SD-Mann sagt sie aus, Arnstein habe schon längst alles gewusst, und sie sogar besucht, als sie Flugblätter herstellte. Arnstein, um den eigenen Kopf zu retten, bleibt nichts übrig, als die Exekution anzuordnen. Zu ihr erscheint er in Uniform, die Abendsonne bricht sich im Fallbeil, Arnstein, vom Reflex des Sonnenlichtes getroffen, schliesst die Augen, und in dieser Bewegung erlebt der Zuschauer Sophies Tod.

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Abschrift der Ansprache von Heinz Schumann

Arnstein, nun zur Stadt zurückfahrend, gerät in einen Fliegerangriff, sein Wagen und er werden von stürzenden Mauer[n] zermalmt. ———————— Die Autoren haben bestimmte Vorstellungen hinsichtlich der Rollenbesetzung: Hans – Horst Frank Sophie – Johanna v. Koczian Professor Wüllner – Gerd Frobe Arnstein – Martin Held oder Gustav Gründgens Der Mann mit dem »Einfluss« – hier bedauern die Verfasser, dass der politische [T]akt ihnen verbietet, Werner Krauss vorzuschlagen. Der Hinweis auf diesen Mann sagt aber, von welchem Rang der betreffende Schauspieler sein muss, obwohl er quantitativ gesehen nur eine kleine Rolle hat. Es sei ausdrücklich vermerkt, dass diese Hinweise gegeben werden, ohne dass mit den betreffenden Schauspielern schon Kontakt aufgenommen worden wäre. München/Berlin, im Juni 1958

Erich Kuby

Rolf Thiele

Quelle: Erich Kuby, Rolf Thiele: Die Geschwister Haller (Arbeitstitel) frei nachgebildet den historischen Vorgängen, die mit Hans Scholl und dem Symbol der Weissen Rose verbunden sind. Entwurf zu einem Film, Typoskript, 7 Seiten, 1958. In: IfZ, ED 474 (405). Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Susanne Böhme-Kuby.

IX.3 Abschrift der Ansprache von Heinz Schumann (5 Min.) vor der Ausstrahlung des Fernsehspiels Der Henker richtet am 22. 02. 1963 Liebe Fernsehzuschauer an den Bildschirmen, aus Westdeutschland und aus der Deutschen Demokratischen Republik! Zum 20. Male jährt sich heute der Tag, an dem die faschistischen Henker die Geschwister Hans und Sophie Scholl in München ermordeten. Wie tausende junge Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen führten die Geschwister Scholl, Seite an Seite mit ihren älteren Freunden, einen mutigen und opferreichen Kampf gegen die faschistischen Verderber unseres Volkes. Die Flugblätter der »Weißen Rose« gehörten zur Stimme des anderen, des besseren Deutschland in jenen Jahren. Sie erhalten zugleich das Vermächtnis dieser Helden des antifaschistischen Wiederstandes. »Aus Liebe zur kommenden Generation«, so schrieben die Geschwister Scholl, »muss nach Beendigung des Krieges ein Ex-

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Edierte Quellen

empel statuiert werden, dass niemand auch nur die geringste Lust je verspüren sollte, Ähnliches aufs neue zu versuchen« Und: »Der imperialistische Machtgedanke muss für alle Zeit unschädlich gemacht werden.« Bei uns, hier in der Deutschen Demokratischen Republik, ist dieses Vermächtnis Wort für Wort erfüllt worden. Die Verantwortlichen für die Verbrechen des Hitler-Faschismus wurden zur Rechenschaft gezogen. Mehr noch: Die Wurzeln, aus denen Faschismus und Imperialismus erwuchsen, wurden für immer ausgerottet. Das Vermächtnis der Geschwister Scholl und all der zahllosen Helden des antifaschistischen Widerstandskampfes lebt in den Herzen unserer jungen Generation, lebt in allen unseren Taten, unseren Gedanken, unserem Kampf für das glückliche Leben unserer Jugend, für die Erhaltung des Friedens. Auch im Namen meiner von den Hitler-Faschisten ermordeten Kampfgefährten, möchte ich mich heute besonders an Euch, junge Freunde in Westdeutschland wenden. In diesen Tagen versuchen in der Bundesrepublik nicht wenige, sich zu Erben der Geschwister Scholl aufzuwerfen. Doch die Ehrung der Helden des Widerstands ist keine Ehrung, wenn sie sich auf schöne Worte beschränkt. Heute in Westdeutschland das Vermächtnis der Geschwister Scholl erfüllen, das heißt dafür zu sorgen, dass eben jenes Exempel statuiert wird, von dem die Geschwister Scholl sprachen und das bis heute in Westdeutschland noch aussteht. Das heißt Front zu machen gegen die rund tausend Blutrichter im Dienste der Adenauer-Justiz. Front zu machen gegen ihre Hintermänner, deren ganzes Sinnen und Trachten heute wie damals nur darauf gerichtet ist, ihre längst überlebte Herrschaft aufrechtzuerhalten. Das heißt mit aller Kraft denen in den Arm zu fallen, die mit Notstandsgesetzen und dem Griff nach der Atombombe drauf und dran sind, eine Neuauflage dessen über Westdeutschland und die Welt zu bringen, was die Geschwister Scholl unter Einsatz ihres jungen Lebens bekämpft haben. Ohne das kann man die Geschwister Scholl nicht ehren. Ohne diesen Kampf zu führen, ist jede noch so wertvolle und wortreiche Ehrung der Geschwister Scholl keine Ehrung, sondern Betrug an der Jugend. Und schließlich kann man die Geschwister Scholl nicht ehren, ohne für vernünftige Beziehungen zu dem deutschen Staat einzutreten, in dem ihr Vermächtnis lebendige Wirklichkeit ist: Der Deutschen Demokratischen Republik. Hier ist das wahre Vaterland der ganzen deutschen Jugend. Hier haben auch die Geschwister Scholl ihr Vaterland gefunden. Liebe westdeutsche Freunde, diejenigen, die das Leben der Geschwister Scholl und zahlloser anderer Helden des Widerstandes auf dem Gewissen haben, leben unter euch. Wieder halten sie die Hebel der Macht in ihren blutfeuchten Händen. Immer unverhüllter zeigen die Kräfte der Vergangenheit, die Kräfte des Krieges, ihr Gesicht. Wieder schmieden sie unheilvolle Achsen. Das Reaktionärste, das es in Europa gibt, hat sich zusammengeschlossen: Adenauer, de Gaulle und Franco.

Franz Fühmann: Vorbemerkungen zum Exposé Jugend im Widerstand

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Die folgenden Worte der Geschwister Scholl könnten heute geschrieben sein: »Entscheidet Euch, ehe es zu spät ist. Glaubt nicht der nationalsozialistischen Propaganda, die Euch den Bolschewisten-Schreck in die Glieder gejagt hat.« Wirklich: Die Stunde ist gekommen, neues Unheil zu verhüten und eine friedliche Zukunft für unser Volk zu sichern. Wir als Freie Deutsche Jugend appellieren angesichts des Vermächtnisses der Geschwister Scholl besonders an die Mitglieder der demokratischen Jugendorganisationen in Westdeutschland. Seid Euch Eurer Verantwortung für die friedliche Zukunft unseres Volkes und seiner Jugend bewusst. Stellt Euch den immer offener werdenden Kriegsvorbereitungen des Adenauer-Regimes entschlossen entgegen. Das gemeinsame Handeln aller fortschrittlichen deutschen Jugendverbände ist heute notwendiger denn je. Wir, die Freie Deutsche Jugend, reichen Euch dazu die Freundeshand. Quelle: Abschrift der Ansprache von Heinz Schumann (5 Min.) vor der Ausstrahlung des Fernsehspiels »Der Henker richtet«, 22. 02. 1963. In: Deutsches Rundfunkarchiv DVD AD8759/1.

IX.4 Franz Fühmann: Vorbemerkungen zum Exposé Jugend im Widerstand Vorbemerkungen 1. Bei keiner Arbeit noch habe ich dermaßen bedauert, daß ein Expos8 nur Andeutungen geben kann und auf Andeutungen weitgehend verzichten muß, denn nirgends sind die Details so entscheidend wie hier, und die Details dieses Films liegen in der Hauptsache nicht im Wort und auch noch nicht im Bild und Schnitt, sondern in der Komposition. Wir wollen zwei Welten konfrontieren: die reine, helle, arglose Welt der jungen Widerstandskämpfer und die kalte maschinenhaft unmenschliche Gestapowelt; die Handlung spielt zum größten Teil im Gestapogefängnis und Erinnerungen an die Vergangenheit werden die gute Hälfte des Filmes ausfüllen, und dabei ist natürlich entscheidend, wann und wo und in welchem Zusammenhang eine bestimmte Erinnerung einsetzt, in welcher Form sie das tut, welche Elemente sie enthält usw. All das ist im Expos8 kaum zu erkennen; ich habe an einigen Stellen wenigstens eine Schnittfolge, so wie sie mir vorschwebt, angedeutet.

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Edierte Quellen

2. Unser Film ist ein Spielfilm und ein Dokumentarfilm zugleich. Das bringt Schwierigkeiten besonderer Art. Wir haben es mit ganz bestimm[t]en historischen Personen zu tun. Dennoch müssen wir – im Rahmen der historischen Fakten – frei künstlerisch über sie verfügen können. Es ist unmöglich allein nur mit dem überlieferten Faktenmaterial auszukommen, und bestimmte Komplexe, z. B. die Gestapo-Methoden bei den Verhören, werden wir nie mehr erhellen können; wir sind auf unsere Phantasie angewiesen. Wir müssen uns also von vornherein darüber einig sein, daß wir bestimmte Szenen erfinden müssen (Alles Gestapo, Gespräche in Russland usw. usw.) Andererseits müssen wir weglassen, zum Beispiel viele Nebenpersonen um die Weiße Rose, die zum Teil zu harten Strafen verurteilt worden sind. Schließlich müssen wir zeitlich zusammenziehen, vor allem in der Exposition. Weitgehende Änderungen an den uns vom Leben selbst überlieferten Helden habe ich nicht vorgenommen, obwohl es mich manchmal sehr danach gelüstet hat. Die Schwierigkeit dieses Stoffes ist nämlich die Vorgegebenheit der Zahl der Helden und manches ihrer Schicksale. Die Geschwister Scholl sind wie für ein Kunstwerk geschaffen. Wenn ich einen Film über den Widerstand junger bürgerlicher Menschen gegen den Faschismus hätte erfinden müssen, ich wäre genau zu diesen Gestalten gekommen. Alexander Schmorell hingegen, die rechte Hand von Hans Scholl und dessen frühester Vertrauter, paßt von der Herkunft überhaupt nicht in einen Film, in dem gezeigt wird, wie bürgerliche junge Deutsche mitten im Krieg zu einem positiven, wenn auch nicht voll konsequenten Verhältnis zum kommunistischen Rußland kommen, denn Schmorell (In Zukunft kurz als Alex bezeichnet) ist Halbrusse, das heißt, er bringt auch einen Faktor mit, der die Problemstellung einfach stört, da er sie zu sehr vereinfacht. Dann ist da Christoph Probst, der höchst sympathische Junge und Vater dreier Kleinkinder, der deshalb von der Gruppe aus allen Aktionen herausgehalten wurde und eigentlich nur mit den Geschwistern Scholl verhaftet wurde, weil Hans Scholl einen Flublattentwurf von Probsts Hand bei seiner Verhaftung in der Tasche trug. Sonst hängt er in der Luft. Er macht weder in Rußland beim Fronteinsatz mit, noch beteiligt er sich an der Flugblattverteilung oder den Straßenaufschriften. Ich war oft in Versuchung gewesen, diese beiden Figuren, Alex und Probst, zu einer neuen zusammenzuziehen. Auch Willi Graf nimmt in gewisser Weise durch seine fast theologische Haltung eine Sonderstellung ein. Selbstverständlich haben diese Nachteile auch wiederum einen positiven Aspekt: Sie zeigen die ganze Breite der Widerstandsgruppe. Eine weitere große Schwierigkeit besteht ferner darin, daß in diesem Film ungewöhnlich viel trockenes Faktenmaterial dem Zuschauer mitgeteilt werden muß – weit mehr als in Filmen vergleichbarer Art. Die Weiße Rose ist – wenn überhaupt – unserem Publikum höchstens flüchtig als eine »Sache mit den Geschwistern Scholl« bekannt. Ich war dieser Tage mit Pionierleitern des

Franz Fühmann: Vorbemerkungen zum Exposé Jugend im Widerstand

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Stadtbezirks Friedrichshain beisammen – nicht einer von zwanzig wußte mit diesem Begriff etwas anzufangen, und von der Existenz eines Schmorell, Graf oder Professor Huber habe zum Beispiel ich, der ich mich doch für die Geschichte jener Zeit sehr interessiere, auch nichts gewußt. Ja mehr noch. Ich wage sogar zu behaupten, daß auch die Erinnerung an den 2. Weltkrieg allmählich verblaßt und daß es zum Beispiel schon gar nicht mehr selbstverständlich ist, bei jedem Zuschauer stillschweigend voraussetzen zu können, daß er sich etwa der Bedeutung Stalingrads für den Verlauf des Krieges und das deutsche Schicksal bewußt ist. Wir müssen also einen Film machen, in dem man dem Leser sehr viel außerhalb der notwendigen Handlung Stehendes mitgeben muß. Aber wir haben ja die Absicht, auch ein Geschichtsbild zu geben. 3. Eine weitere Schwierigkeit erwächst uns aus unserer beinah völligen Unkenntnis über die Verbindung der Weißen Rose zum Widerstand der Arbeiterklasse. Ich habe auf einen politischen Sprung von Flugblatt 1 und 2 zu Flugblatt 3 aufmerksam gemacht, den man als Abwendung von einer allgemeinen Antitotalitarismushaltung der ersten beiden Flugblätter und Hinwendung zu einem ganz klaren Antifaschismus, der sich durch die Antisowjethetze nicht verwirren läßt und diese nachdrücklich zurückweist, charakterisieren könnte. Ein solcher Sprung ist aus der inneren Entwicklung der Geschwister Scholl oder anderer Gefährten ihrer Gruppe nicht zu erklären, er weist auf einen Anstoß von außen hin. Wir haben ihn bisher durch den Einfluß Richard Scheringers erklären wollen; Scheringer aber, mit dem ich gesprochen habe, und der mir ebenfalls jenen [»]Sprung« als auffällig bestätigte, hat nur einmal, 1937, mit Hans gesprochen. Er glaubt zwar, daß dieses Gespräch auf Hans in bestimmter Weise politisch fördernd gewirkt habe, aber damit ist ja keinesfalls jene Fortentwicklung, die erst Juni 1942 geschah, erklärt. Falk Harnack, der der KPD zumindestens nahe stand, stößt erst viel später, im Februar 1943, zur Gruppe[.] Vater Scholl selbst kennt keine Verbindung der Geschwister zu den Kommunisten; in einem Interview mit Oskar Neumann hingegen heißt es wieder : »… erhielten wir auch Kenntnis von der Entwicklung des Zentrums um die Scholls. Es war möglich, der Gruppe verschiedene Hinweise zur Arbeitsmethodik, aber auch zum politischen Inhalt zukommen zu lassen, insbesondere in der entscheidenden Frage gegen die antibolschewistische Hetze als des Kernstücks der faschistischen Massenbewegung aufzutreten. Bekanntlich hat das schließlich seinen Niederschlag auch in den Flugblättern der Geschwister Scholl gefunden.«

Diese Feststellung Neummans kann sich nur auf das Flugblatt 3 beziehen, denn nirgendwo anders wird dem Antisowjetismus so direkt entgegengetreten. Prof. Dr. Schumacher hingegen, der die Führer der Münchener Widerstandsbewe-

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Edierte Quellen

gung kannte, hält es nicht für wahrscheinlich, daß die Scholls Kontakt zur Arbeiterbewegung hatten. Ich hege nur wenig Hoffnung, daß wir Näheres über diese oder besser wohl diesen, wahrscheinlich einmaligen Kontakt, erfahren. Wir werden auch hier glaubwürdig erfinden müssen. Ich möchte die Sache jetzt so führen, daß ich das Wirken einer namentlich nicht bezeichneten, jedoch in ihrer Mischung aus deutschen Antifaschisten und russischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern einer tatsächlichen ehemaligen Münchener Widerstandsgruppe, der ADV (antifaschistische deutsche Volksfront), ähnelnden illegalen Organisation in Streiflichtern zeige und darstelle, wie man sich, nach Stalingrad, von dort vergeblich bemüht, abermals mit den jungen Leuten, die offensichtlich durch Nichtbeachtung aller konspirativen Regeln in ihr Verderben rennen, in Kontakt zu kommen. Auch möchte ich schließlich, ohne lehrhaft oder aufdringlich zu sein, den konspirativen Arbeitsstil einer solchen illegalen Organisation mit dem der jungen Leute kontrastieren lassen. In dieser Frage ist also noch viel offen, und ich glaube, wie gesagt, an wenig Erhellungen mehr. Doch sei dem wie [auch] immer, auf die Leinwand müssen wir die Arbeiter auf jeden Fall bringen. Denn wir wollen in diesem Film die Größe und die Grenze des Kleinbürgers zeigen; ich habe mir diesen Satz jedenfalls als Arbeitstitel stets vor Augen gehalten. Wir zeigen Größe und Grenzen des Kleinbürgertums, das in seinen besten Kräften ein Kampfverbündeter der Arbeiterklasse und in seinen heruntergekommensten Teilen der übelste Knüppel des Faschismus war. Ich möchte in diesem Film darum ein breites Panorama des Kleinbürgers ausbreiten: vom opferbereiten jungen Menschen bis zum Spitzel; vom intelligenten Henker bis zum verwirrten Professor, vom aufrechten demokratischen Bürger über den verführten Hitlergläubigen bis zum gekauften Subjekt. Wir wollen zeigen, wie es den besten Teilen des Kleinbürgertums unter den schwierigsten Verhältnissen möglich war, die geistige Leine loszuwerden, an der das Großkapital noch heute den westdeutschen Mittelstand herumführt[:] den Antikommunismus. Wir wollen zeigen, daß das Kleinbürgertum der Führung durch die Arbeiterklasse bedarf, um sich zu seiner vollen Größe entfalten zu können. Darin sehe ich auch den durchaus aktuellen Wert dieses Films. Wer sein Thema für unwichtig hält, unterschätzt, glaube ich, die politische Bedeutung des deutschen Kleinbürgertums und die Bedeutung des Bündnisses der Arbeiterklasse mit ihm. 4. Auf Formfragen möchte ich vorläufig noch nicht eingehen, ich möchte aber einige Probleme schon zum Nachdenken stellen. a) Wir kontrastieren in diesem Film immer wieder die helle menschliche Welt der kämpfenden Jugend mit der eiskalten Gestapo-Welt. Welche technischen Mittel haben wir, um diesen Unterschied äußerlich kenntlich zu machen.

Franz Fühmann: Vorbemerkungen zum Exposé Jugend im Widerstand

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Schriebe ich diese Geschichte als Novelle, würde ich ganz deutliche Unterschiede in der Satzrhythmik machen. Wie ist das im Film möglich? Wie kommt diese Mischung von Eiskälte, Maschinenhaftigkeit und Verruchtheit schon optisch zum Ausdruck? b) Wir arbeiten in diesem Film zumeist mit Erinnerungen; ich will versuchen, jede nötige Rückblende als Erinnerungen zu bringen. Das wird eine Reihe von Fragen mit sich bringen. Wir müssen uns darü[b]er klar werden, ob wir und wie wir die Erinnerungen von einer einfachen Rückblende unterscheiden wollen (prinzipiell subjektive Kamera, Unschärfen usw. usw.)[.] Quelle: Franz Fühmann, Traudl Kühn: Expos8: Jugend im Widerstand (Arbeitstitel »Weisse Rose«. In: SAdK Franz-Fühmann-Archiv (202/4). Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Hinstorff-Verlages.

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Edierte Quellen

IX.5 Aufbau der Ausstellung »Antifaschistischer Widerstand 1933–1945« Titel der schwarzen Paneelen

Titel der weißen Paneelen

Der Weg zum Jahr 1933: Arbeitslosigkeit und Notverordnungspolitik; Die NSDAP wird Massenpartei; 1931 – Die Harzburger Front; 1932 – Hitler im Industrieclub

Der Kampf um die antifaschistische Einheitsfront 1930–1933: Ernst Thälmann, Rudolf Breitscheid, Carl von Ossietzky ; Aktionen gegen die faschistische Gefahr

Der Beginn der faschistischen Diktatur : SA und SS als Hilfspolizei; Terror und Verhaftungen; Die Konzentrationslager entstehen, Boykott jüdischer Geschäfte; Die Gewerkschaften werden zerschlagen

Der Beginn des antifaschistischen Widerstandes 1933: Aufrufe gegen das Hitler-Regime; »Antifaschistische Kundgebung 10. Februar 1933; Georgi Dimitroff als Zeuge im Reichsbrandprozeß; Reichsbanner Kundgebung 19. Februar 1933; Ergebnisse der Wahlen vom 5. März 1933; Ermordete Antifaschisten 1933–1936: Ernst Thälmann, Carlo Mierendorff, Fritz Husemann, Carl von Ossietzky ; Illegale antifaschistische Zeitschriften; Gewerkschaftler im illegalen Kampf 1934–1936 Opfer des faschistischen Terrors 1938–1939: Lieselotte Herrmann, Paul Schneider, Walter Stöcker, Hans Litten, Lothar Erdmann); Widerstand aus christlicher Verantwortung: Bekennende Kirche, Der Katholiken-Prozeß Berlin 1937; Die Bildung der deutschen Volksfront 1936; Deutsche Antifaschisten in Spanien 1936–1939

»Kriegsvorbereitungen 1936–1939: Generalprobe in Spanien; Annexionen in den Jahren 1938–1939; Progrome gegen die jüdische Bevölkerung«

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs: Industrie und Krieg; 1939 Beginn des Zweiten Weltkrieges; 1941 Überfall auf die Sowjetunion; Terror und Massenmord in den besetzten Ländern

1943 Die Wende: Stalingrad

Widerstand gegen den Krieg 1939–1942: Die Widerstandsgruppe Lechleiter, die Gruppe Revolutionäre Sozialisten; Die Widerstandsgruppe Hanno Günther ; Die Widerstandsgruppe Herbert Baum; Widerstandsorganisationen in den Jahren 1939–1943: Die Schulze Boysen-HarnackOrganisation; Die Widerstandsgruppe Uhrig, Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe; Antifaschistischer Widerstand in Hamburg und München 1940–1943: Die Weiße Rose Nationalkomitee Freies Deutschland

Aufbau der Ausstellung »Antifaschistischer Widerstand 1933–1945«

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(Fortsetzung) Titel der schwarzen Paneelen

Titel der weißen Paneelen

1943–1945: Totale Versklavung und Vernichtung

Deutsche im europäischen Widerstand 1942–1945; 20. Juli: Attentat auf Hitler ; Arbeiterwiderstand 1943–1945: Die Saefkow/Jacob/Bastlein-Organisation; Die Neubauer/ Poser-Organisation; Die Schumann/Engert/Kresse-Organisation

Quelle: Zusammengestellt anhand der Fotografien in: Wolfgang Dohmen, Max Oppenheimer : Ausstellung Antifaschistischer Widerstand 1933–1945. Frankfurt a. M. 1971.

X

Quellen- und Literaturverzeichnis

X.1

Archive

Archiv der Stiftung Akademie der Künste, Berlin (SAdK) Günther-Weisenborn-Archiv, Sammlung zum Lautlosen Aufstand (Band 366) Franz-Fühmann-Archiv : Manuskripte, Materialsammlung, Korrespondenz und weitere Unterlagen zum Filmprojekt »Jugend im Widerstreit« (Band 202), Tagebuch 1967 (Band 1326) Kurt-Meisel-Archiv : Zeitungsausschnitte und Korrespondenz zu einem Filmprojekt zur Weißen Rose (Band 250)

Archiv für Christlich-Demokratische Politik, Bonn (ACDP) Bestand Günter Wirth (01–531): Material- und Zeitungsausschnittsammlung »Scholl«

Bundesarchiv, Berlin, (BArch) DO 4: Akten des Staatssekretariats für Kirchenfragen (Bände 579, 1627) DR 1: Akten des Ministeriums für Kultur, HV Verlage und Buchhandel, Druckgenehmigungsvorgänge (Bände 2055, 2405, 2425, 2426, 2567, 2572, 5027) DR 1: Akten des Ministeriums für Kultur, HV Film (Band 4122) NJ 4281: Nachlass Paul Verner (Band 26)

Deutsches Filminstitut, Archiv, Frankfurt a. M. (DFI) Artur-Brauner-Archiv, Korrespondenz zu Filmprojekten »Geschwister Scholl« (Ordner Manuskripte Sch)

502

Quellen- und Literaturverzeichnis

Deutsches Rundfunkarchiv, Potsdam (DRA) Aufzeichnung der Sendung des Fernsehspiels Der Henker richtet, 22. 02. 1958 (DVD AD8759/1) Schriftgut zum Fernsehspiel Der Henker richtet Korrigierter Sendelaufplan DDR-Fernsehen

Evangelisches Zentralarchiv, Berlin (EZA) EZA 101: Akten des Sekretariats des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR (Bände 3328, 3660) EZA 190: Akten der Evangelischen Akademie (Band 75) EZA 231: Akten der Evangelischen Verlagsanstalt (Bände 130, 216, 221, 308, 310)

Historisches Archiv des Südwestrundfunks, Stuttgart (SWR) Manuskript zum Hörspiel von Gerd Angermann: Die Toten dürfen nicht sterben. Eine Sendung zum 15. Todestag der Geschwister Scholl, 22. 02. 1958

Institut für Zeitgeschichte, München (IfZ) ED 474: Bestand Inge Aicher Scholl (Bände 6, 160, 262, 292–293, 302, 308, 329, 334–337, 342, 361, 363, 379, 390–391, 402, 404–406, 414, 418, 734, 736, 740, 754–755) ED 474: Zeitungsausschnittsammlung (Bände 240–245) Siehe das ausführliche Findbuch, Internet: http://www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0474. pdf, zuletzt geprüft am: 02. 04. 2015.

Privatarchiv Gerd Focke, Halle/Saale Korrespondenz, Entwürfe und Material zum Hörspiel Wir schweigen nicht Korrespondenz, Entwürfe und Material zum Fernsehspiel Der Henker richtet Zeitungsausschnittsammlung »Geschwister Scholl« Das Deutsche Rundfunkarchiv, Potsdam, hat zwischenzeitlich Teile dieses Archivs übernommen.

Ungedruckte Quellen

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Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv, Berlin (BArch-SAPMO) DY 30 : Akten des ZK der SED (Band IV A 2/906/124) DY 17: Akten der Nationaldemokratischen Partei (NDPD), Verlag der Nation (Bände 2086, 3454) DY 24: Akten des Zentralrats der Freien Deutsche Jugend (Bände 2391, 2394, 5697) DY 55: Akten der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, Sammlung »Geschwister Scholl« (Band V 278/6/1722) DY 57: Akten des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer, Sammlung »Geschwister Scholl«, darin auch Zeitungsausschnittsammlung (Band 1203)

ZDF Unternehmensarchiv, Mainz (ZDF UA) Invent.-Nr. 9209: Paul Mommertz: Der Pedell. Drehbuch, 142 Seiten, 1971 Bestand Telefonprotokolle der Zuschauerredaktion Zeitungsausschnittsammlung Fernsehkritik

Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek zu Berlin Deutsche Nachrichten, Jahrgang 1946 B.Z., Jahrgang 1955 Berliner Zeitung, Neues Deutschland, Neue Zeit, Digitalisierte Volltexte in der ZEFYSDatenbank »DDR-Presse digital«, Jahrgänge 1945–1990 Neues Leben, Jahrgang 1945

X.2

Ungedruckte Quellen

[Zur Kontextualisierung verwendete ungedruckte Archivalien sowie Korrespondenz werden in den Fußnoten belegt] Ohne Angabe von Autor oder Institution Ansprachen anläßlich der Einweihung einer Gedenktafel in der Unviersität Hamburg, 28. 09. 1971. In: IfZ, ED 474 (391). »Das taten sie für Deutschland«. Manuskript zur 7. Widerstandssendung im NWDR, 08. 06. 1951. In: SAdK, Günther-Weisenborn-Archiv (366/VIII). Die Weiße Rose. Protokoll des Fernsehfilms »Die weiße Rose – Abschied von einem Mythos« des staatlichen Rundfunkkomitees, Abteilung Information. Typoskript, 15 Seiten, 31. 10. 1968. In: ACDP, Bestand Günter Wirth (01–531).

504

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Gedruckte Quellen

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X.3

Gedruckte Quellen

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X.4

Internetquellen

[Im Folgenden werden einschlägige Internetquellen aufgeführt. Weitere Nachweise in Fußnoten]

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542

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Audiovisuelle Quellen

543

Julia Reuschenbach: »Tempel des Antifaschismus«? – Die Nationalen Mahn- und Gedenkstätten der DDR. In: Deutschland Archiv, 26. 1. 2015, Internet: http://www.bpb.de/ 199442, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Birgit Sack: Rezension zu: Hikel, Christine: Sophies Schwester. Inge Scholl und die Weiße Rose. München 2013, Internet: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/ 2013–2–043, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Rachel Salamander : Geschwister-Scholl-Preis 1990: Laudatio, Internet: http://www.ge schwister-scholl-preis.de/preistraeger_1990-1999/1990/laudatio_salamander.php, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Gesine Schwan: Demokratische Identität. Die Konstitution demokratischer politischer Identität in nachdiktatorischen Gesellschaften. Vortrag anlässlich der Weiße-RoseGedächtnis-Vorlesung am 15. 1. 2007 in München, Internet: http://www.uni-muenchen. de/informationen_fuer/presse/presseinformationen/pdf/schwan_2007.pdf, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Ren8 Michael Spitz: Die politische Geschichte der Hochschule für Gestaltung Ulm (1953– 1968). Ein Beispiel für Bildungs- und Kulturpolitik in Deutschland (Diss., Univ. Köln, 1997), Internet: https://d-nb.info/96496421x/34, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Ulrich Trebbin: »Ein Geschichtsdokument ersten Ranges«. Debatte um den Umgang mit dem Fallbeil von Stadelheim, Internet: https://www.deutschlandfunkkultur.de/guilloti ne-aus-der-ns-zeit-ein-geschichtsdokument-ersten.1013.de.html?dram:article_id=27 4490, zuletzt geprüft am 11. 07. 2018. Andreas Wirsching: Grenze und Größe. Zum Problem der Entscheidung im Nationalsozialismus. Weiße-Rose-Gedächtnisvorlesung, gehalten am 27. Januar 2015, in München, Internet: http://www.weisse-rose-stiftung.de/images/pdf/wirsching-weisse-% 20rose-GDV2015.pdf, zuletzt aufgerufen am 10. 08. 2015, nicht mehr aufrufbar am 11. 07. 2018.

X.5

Audiovisuelle Quellen

Der Henker richtet, Fernsehspiel, Deutscher Fernsehfunk, Buch: Gerd Focke, Regie: Fritz Bornemann. DDR 1960. Der Pedell, Fernsehspiel, ZDF (Fernsehspiel der Gegenwart), Buch: Paul Mommsen, Regie: Eberhard Itzenplitz. Bundesrepublik Deutschland 1971. Die erste Reihe – Bilder vom Berliner Widerstand. Spielfilm, DEFA, Buch: Eberhard Görner, Peter Vogel, Regie: Peter Vogel. DDR 1987. Die kleine Schwester. Dokumentarfilm. Sentana Film GmbH. Buch und Regie: Michael Verhoeven. Deutschland 2002. Die Widerständigen – Zeugen der Weißen Rose. Dokumentarfilm. Katrin Seybold Film GmbH in Kooperation mit dem RBB, Buch und Regie: Katrin Seybold. Deutschland 2008. Die Widerständigen – ›also machen wir das weiter…‹. Dokumentarfilm. Katrin Seybold Film GmbH in Kooperation mit dem RBB, Buch und Regie: Katrin Seybold, Ula Stöckl. Deutschland 2015.

544

Quellen- und Literaturverzeichnis

Fünf letzte Tage, Spielfilm, Bayerischer Rundfunk, Buch und Regie: Percy Adlon. Deutschland 1982. Sophie Scholl – die letzten Tage, Spielfilm, Regie: Marc Rothemund, Buch: Fred Breinersdorfer. Deutschland 2005. Anneliese Knoop-Graf: Widerstand im Widerstreit: Ist die Weiße Rose verwelkt? SWF 14. 10. 1973 (Kirchenfunk). Heinz Schumann: Ansprache vor der Ausstrahlung des Fernsehspiels »Der Henker richtet«, 22. 02. 1958. In: DRA (DVD AD8759/1). Karin Seybold, Michael Farin: Wagnis Weiße Rose. Dokumentarhörspiel in zwei Teilen: »Es lebe die Freiheit!« und »Ihr Geist lebt weiter«. Bayrischer Rundfunk 2012. Johannes B. Kerner-Show. ZDF, Sendung vom 02. 03. 2003.

Personenregister

Aaron, Soazig 455 Abendroth, Wolfgang 29, 335f. Abich, Hans 301 Adenauer, Konrad 12, 253, 274 Adlon, Percy 148 Adorno, Theodor W. 356 Ahrens, Franz 22–24 Aicher, Otl 44, 179, 181, 188f., 202, 223, 298, 434 Aicher-Scholl, Inge 12, 17f., 25–27, 31, 43f., 48, 51–53, 67, 83, 105f., 141f., 148, 161–163, 165, 167f., 179–182, 184–193, 197, 199, 202–206, 208, 210f., 213, 215– 217, 219–224, 235, 239, 241, 246, 248, 250, 256, 262f., 274, 279, 283, 285, 288f., 298, 300f., 303–305, 307, 309, 317, 320– 322, 324f., 328–330, 342, 352, 354, 360– 362, 372f., 377, 386, 391f., 398–404, 411f., 415, 420, 431f., 442, 467–470, 473, 475, 478 Aichinger, Ilse 213, 215f., 222, 224, 310, 468 Albrecht, Günter 209 Aleff, Eberhard 330–333, 335 Alt, Karl 18, 23, 128, 140, 144–148, 167, 388, 464 Amery, Carl 310–313, 316, 474 Andersch, Alfred 112, 183 Andreas-Friedrich, Ruth 75, 385, 388 Angermann, Gerd 216, 308–310, 468 Antosch, Georg 391 Arendt, Hannah 318, 453 Arndt, Ernst Moritz 89

Arndt, Rudi 129, 176 Assmann, Aleida 16, 50, 52f., 55–58 Assmann, Jan 16, 50, 53, 55f., 410 Baeck, Leo 331 Baldaus, Alexander 391 Barck, Simone 38, 63, 176, 366 Bartel, Walter 29, 132, 336 Bartoszewski, Władisław 434f. Bassler, Sybille 410, 419 Bathrick, David 63 Bauer, Fritz 333–335 Bauer, Ida Maria 181f. Baum, Bruno 156 Baum, Herbert 16, 169, 171, 227, 240, 246, 337, 359 Baum, Vicki 51, 78 Bayles, William David 23, 78 Becher, Johannes R. 18, 51, 78f., 83–91, 388, 462f. Beck, Ludwig 331 Beck, Ulrich 432 Beck, Werner 367, 380 Becker, Arthur 129, 169, 227 Becker, Carl 292 Becker, Karl 76f. Beckert, Fritz 274 Beek, Cato Bontjes van 236 Bender, Hans 212 Benedicta, Teresia 233 Benjamin, Hilde 246 Benz, Wolfgang 455 Berger, Lieselotte 185

546 Bergengruen, Werner 405 Berggrav, Eivind 73 Berglar-Schröer, Hans-Peter 238f. Bermann-Fischer, Brigitte 210, 215, 222 Bermann-Fischer, Gottfried 83, 185 Betz, Anton 205 Bill, Max 180 Blaha, Tatjana 48f., 412, 416 Blenkle, Konrad 227 Blumhardt, Christoph 393 Bock, Helmut 225 Bodelschwingh, Friedrich von 393 Boehlich, Walter 213 Bohne, Regina 206 Böll, Heinrich 313, 325 Bollinger, Heinz 415 Bollinger, Wilhelm 375, 415 Bondy, Max 155 Bonhoeffer, Claus 236 Bonhoeffer, Dietrich 12, 393–395, 400 Bonhoeffer, Emmi 185 Borgwardt, Angela 63 Bornemann, Fritz 276 Bracher, Karl-Dietrich 229 Brambach, Rainer 213 Brandt, Willy 229, 448 Bräuer, Siegfried 400 Braum, Herbert 169 Brauner, Artur 106, 299, 301 Bräuning, Peter-M. 404 Brecht, Bertolt 90f., 218 Bredendiek, Walter 384 Breit-Keßler, Susanne 441 Breitscheid, Rudolf 29, 257, 498 Breuer, Kajo 429 Brey, Artur 391 Breyvogel, Wilfried 42–45, 48, 54, 182, 190, 201f. Brinkmann, Ferdinand 144, 153, 414 Broszat, Martin 36 Brück, Carl-Heinz 472 Brüdigam, Heinz 30 Buber-Neumann, Margarete 187 Büchel, Regine 33 Buchholz, Peter 124 Bußmann, Walter 294

Personenregister

Butzer, Günter

66

Carstens, Karl 442, 444f. Caspar, Günter 175 Chopin, Fr8d8ric 279 Colden, Hartmut 254 Conze, Werner 21, 25 Coppi, Hans 169, 354 Coppi, Hans jr. 354 Coppi, Hilde 169, 236 Dam, Hermann van 213 Danyel, Jürgen 37 d’Arc, Jeanne 301 Dehmel, Walter 130 Dehmers, Jürgen 455 Deichmann, Hans 455 Delp, Alfred 393, 395 Dibelius, Otto 257 Dietz, Lothar 289 Dirks, Walter 183 Distel, Barbara 455 Dix, Otto 239 Dohle, Horst 384 Dohnanyi, Klaus von 439 Dominica, Maria-Magdalena 233 Dönhoff, Marion Gräfin 325 Dost, Hans-Jörg 406 Drobisch, Klaus 19, 34f., 39f., 83, 90, 328, 365, 382–392, 394, 396f., 401, 405, 472f. Düren, Fred 403 Dutschke, Rudi 317, 391 Eberhard, Fritz, i. e. Helmuth von Rauschenplat 204f. Eckert, Erwin 393 Eggebrecht, Axel 301f. Eggert, Heinz 427f. Ehmck, Gustav 318, 325 Eich, Günter 213, 215, 406 Eickemeyer, Manfred 375 Elias, Norbert 432 Elm, Ludwig 356f. Elser, Georg 11f. Emmerlich, Arthur 175 Engelmann, Bernt 296

Personenregister

Erben, Werner 169 Erdmann, Gustav 383 Erll, Astrid 58 Evers, Carl-Heinz 185 Faensen, Hubert 392 Fallada, Hans 447 Faulhaber, Michael von 92 Feineis, Hans 329 Fetscher, Iring 336 Feurich, Walter 259 Finker, Kurt 383, 385 Fischer, Gerhard 385 Fischer, Karl 383 Fischer, Klaus 393 Fleischhack, Ernst 40f. Flicke, Wilhelm F. 28 Focke, Gerd 270–286, 470 Foucault, Michel 60 Fraenkel, Ernst 324 Frank, Alfred 236 Frank, Anne 11, 233, 392 Freise, Gerda 439, 441 Freisler, Roland 120, 246, 248, 272, 299, 368, 372, 428 Friedländer, Saul 455 Frühwald, Wolfgang 432 Fuchs, Emil 393 Fuchs, Otto Hartmut 394f. Fühmann, Franz 19, 367–381 Funke, Aloys 397 Fürst-Ramdohr, Lilo 401, 410 Furtwängler, Wilhelm 238 Galen, Clemens August Graf von 36, 42, 198, 331, 339, 467 Galinkski, Heinz 398 Gauck, Joachim 20, 439, 441, 454–459, 477 Gay, Peter 455 Gebel, Else 18, 140–144, 148, 195, 203, 210, 248, 464, 467 Gebel, Willi 140 Geißler, Christian 335 Geiss, Imanuel 336 Genette, G8rard 67

547 Gerhardt, Paul 196 Gerlitz, Herbert 213 Giesler, Paul 74f., 109, 118, 152 Goebbels, Magda 254 Goerdeler, Carl Friedrich 22, 26, 331 Goes, Albrecht 218 Goguel, Rudi 34f. Goldschmidt, Georges-Arthur 455 Gollwitzer, Helmut 231 Görner, Eberhard 400 Graf, Willi 20, 28, 48f., 113f., 120, 142, 144, 161, 200, 219, 223, 233f., 249, 282, 317, 319, 339, 363, 368f., 371, 373–375, 388, 406, 412–418, 420f., 425–429, 431 Grindel, Gerhard 301f. Grossman, David 455 Gruen, Arno 455 Guardini, Romano 23, 126, 251, 289, 405 Guevara de la Serna, Ernesto Rafael 319 Guggenheimer, Walter M. 184, 188, 191 Günther, Hanno 124, 169, 227, 236 Haag, Lina 105 Habermann, Max 331 Habermas, Jürgen 62 Habernoll, Peter 130 Hackett, Francis 101 Haecker, Theodor 44, 251, 299, 305, 320, 324, 363, 404f. Haeffner, Karl Ernst 341, 450 Hähnel, Siegfried 408 Halbwachs, Maurice 50, 56 Hamacher, Bernd 80 Hamm-Brücher, Hildegard 410, 424, 439, 441, 457 Hammer, Walter 236 Hammerstein, Otmar 322 Harnack, Arvid 160, 237, 261, 337 Harnack, Clara 228 Harnack, Falk 237, 301, 322, 361, 364, 373, 375 Harnisch, Hubert 413, 419 Hartlaub, Gero 213 Hartnagel, Elisabeth 410 Hartnagel, Fritz 218 Hassel, Ulrich von 105, 236

548 Hauff, Waltraut 362 Haushofer, Albrecht 127 Hausmann, Manfred 239 Havemann, Robert 156 Heilmann, Horst 130 Heimberger, Bernd 405 Heinemann, Gustav 443f. Heldrich, Andreas 440 Hentig, Hans von 92 Herder, Johann Gottfried 393 Hermann, Lieselotte 227 Hermlin, Stephan 13, 18, 36, 47, 168–177, 269, 466 Hesse, Hermann 158 Heuss, Theodor 210, 401, 442f., 451 Heydorn, Heinz-Joachim 335 Hikel, Christine 16, 51–54, 96, 108, 116, 122, 181f., 190, 287, 295, 298, 300, 306, 328, 411, 455 Hilberg, Raul 455 Hildebrandt, Jörg 400, 402 Hirche, Peter 406 Hirzel, Hans 104, 430 Hochhuth, Rolf 423 Hochmuth, Ursel 327f., 362, 475 Hochmuth, Walter 327 Hoffmann, Hajo 427, 429 Hohenemser, Herbert 298 Hohmann, Georg 287 Hölderlin 414 Höllerer, Walter 212f. Holtz-Baumert, Gerhard 268 Holtz-Baumert, Ingeborg 268f. Holzman, Margarete 455 Homfeld, Wolfgang 296 Honecker, Erich 117, 169, 176 Höss, Joseph 288 Huber, Clara 18, 23, 106, 149–156, 230, 249, 464 Huber, Kurt 23, 26, 76f., 81, 92, 106, 111, 118, 120, 136f., 144, 149–154, 161, 174, 186, 200, 202, 225, 228–230, 235, 242, 248f., 265, 272–274, 277, 279, 281f., 285, 288f., 299, 303, 310, 314, 320, 331, 363, 371f., 374, 376, 386–389, 464, 466, 470 Huber, Peter M. 441

Personenregister

Huber, Wolfgang 440 Huch, Ricarda 18, 118, 130, 156, 158–168, 170, 181, 239, 319, 464, 466, 469 Hufnagel, Josef 236 Hühnerfeld, Paul 206 Hülsen, Hans von 108f., 115, 126 Hupka, Herbert 103 Husemann, Walter 169 Hutten, Ulrich von 90 Jäckel, Eberhard 455 Jacobs, Katharina 327 Jäger, Siegfried 61 Jahnke, Karl-Heinz 19, 32, 34f., 83, 261, 296, 321, 336, 358–368, 387, 405, 417, 472 Jasper, Gotthard 435 Jaspers, Karl 239, 453 Jens, Inge 43, 224, 392, 400, 402f., 405f., 413, 416, 420, 432, 473 Jens, Walter 224, 325, 420, 424 Jentzsch, Julia 420 Joussen, Dirk 449 Jung-Alsen, Kurt 368 Jureit, Ulrike 56 Jurich, Klaus 286 Just, Helmut 252 Kaiser, Reinhard 455 Kaltofen, Günter 275f. Kantorowicz, Alfred 388 Kapelle, Heinz 124, 130 Kardorff, Ursula von 75, 206, 316, 326 Kargl, Kristina 50–52, 54, 73, 92f. Kaufmann, Arthur 435 Käutner, Helmut 299 Kelek, Necla 455 Keller, Gottfried 200, 279 Kerner, Johannes B. 420 Kessler, Heinz 169 Keval, Susanna 453 King, Martin Luther 393 Kirchberger, Günther 39f., 287 Kirchner, Johanna 331 Kirchner, Peter 398 Klafki, Wolfgang 335

Personenregister

Klage, Eberhard 404 Klee, Ernst 455 Klemperer, Victor 130f., 455 Klepper, Jochen 233 Kleßmann, Christoph 17 Klönne, Arno 335, 391 Kluge, Alexander 307 Kluke, Paul 22–24 Knab, Jakob 13 Knobloch, Charlotte 440 Knoop, Bernhard 155, 412 Knoop-Graf, Anneliese 19, 43, 45, 49, 162, 223, 399, 406, 410, 412–426, 428, 431, 476 Knopp, Guido 66 Kogon, Eugen 105f., 183–186, 208, 299, 467 Kohl, Helmut 427, 433 Kolditz, Lothar 352 Kollwitz, Käthe 196, 235 Kolmar, Gertrud 213 Kolping, Adolph 393 König, Alma Johanna 233 Konschak, Evelyn 398 Kotter, Ludwig 292 Krayer, Roland 397 Krings, Hermann 431 Kroetz, Franz Xaver 296 Kronawitter, Hildegard 10f. Kuby, Erich 297, 303–307, 316, 318, 321, 374, 474f. Kucharski, Heinz 368 Kuckhoff, Greta 156, 210 Kühn, Bruno 169 Kuhn, Käthe 231 Kühn, Traudl 368 Kulka, Otto Dov 455 Kunert, Joachim 367, 374 Lafontaine, Oskar 427 Lafrenz, Traute 322, 410 Lanfranconi, Claudia 11 Lange, Hermann 236 Langhoff, Wolfgang 156 Lanzmann, Claude 410 Lattmann, Dieter 431

549 Le Bon, Gustave 111f. Leber, Annedore 156, 185, 216, 229, 235 Leber, Julius 331, 453 Lehmann, Karl Kardinal 441 Lehmann, Klaus 125, 131, 269f. Leich, Werner 395 Leipelt, Hans Conrad 119f., 144, 167, 368, 439 Lenau, Nicolaus 128 L8nerus, Marie 114 Lenin, Wladimir Iljitsch 266 Lessen, Ludwig 130 Letsche, Curt 30, 262–270, 285, 470 Letterhaus, Bernhard 331 Leuschner, Wilhelm 331 Lichtenberg, Bernhard 228, 331, 339, 393 Limbach, Jutta 440 Lippold, Eva 156 Litten, Hans 393 Loos, Irma 188f. Lubinski, Kurt 101 Lübke, Heinrich 443 Lunte, Jochen 258 Luther, Martin 12, 393 Maier, Hans 435 Malvezzi, Piero 236 Mammach, Klaus 395 Mann, Heinrich 90, 388 Mann, Thomas 18, 51, 78–83, 90f., 209, 236, 239, 326, 331, 362, 388, 394, 462f. Maritain, Jacques 433, 447 Markmann, Hans-Jochen 36f. Marx, Karl 12 Matter, Harry 107 Maunz, Theodor 356 Mayer-Heidkamp, Christa, i. e. Christa Müller 251f., 368 Mechtel, Angelika 296 Meisel, Kurt 299 Melchert, Horst 274 Menzel, Robert 169 Mertz, Wolfgang 400–403 Metzger, Max Joseph 339, 395 Meyer, Gertrud 362 Mierendorff, Carlo 331

550 Mitscherlich, Alexander 318, 343 Mitscherlich, Margarete 318, 343 Mohr, Harry 134–139 Mohr, Robert 142–144 Moll, Christiane 47, 425 Moltke, Freya von 156 Moltke, Helmuth James Graf von 73f., 78, 82, 236 Mommertz, Paul 342–348 Mommsen, Hans 13, 35, 294, 320, 336, 435, 437f., 454 Moneke, Edmund 393 Morgenthau, Henry 100 Müller, Franz-Josef 45, 411, 430f. Müller, Karl Alexander von 149 Müller, Peter 293 Müller, Philipp 252 Müller, Thorsten 326, 365 Müller, Werner 259 Müntzer, Thomas 393 Murad, Anatol 101 Muth, Carl 44, 110f., 165, 200, 251, 299, 305, 320, 324, 363, 372, 376, 404f., 438 Neubauer, Theodor 257 Neumann, Alfred 18, 23, 30, 36, 51, 78, 91–107, 112, 118, 127, 180, 183, 201f., 301, 462f., 465, 472 Neumann, Oskar 260f., 388 Niederkirchner, Käthe 124, 129f., 169, 176, 227 Niemöller, Martin 239, 335 Niewiera, Else 331 Nora, Pierre 50 Nuschke, Otto 393 Oetzel, Egon 352 Orff, Carl 155 Paepcke, Lotte 188f., 205 Pascher, Joseph Maria 289f., 352 Pätzold, Kurt 389f. Pechel, Rudolf 105 Peitsch, Helmut 226, 306

Personenregister

Petry, Christian 13f., 19, 41, 43, 180, 293, 314–328, 362–365, 391, 402, 416f., 421, 474f. Peukert, Detlev 36, 42 Pfeiffer-Belli, Erich 114–116 Pieck, Wilhelm 29 Pirelli, Giovanni 236 Plievier, Theodor 90 Plum, Günter 32f. Poelchau, Harald 128f., 144, 167f., 226 Politkovskaja, Anna 455 Prantl, Herbert 455 Primor, Avi 440 Probst, Angelika 18, 155–157, 162, 210, 223f., 412 Probst, Christoph 9f., 46, 73, 77, 81, 88, 114, 118, 120, 126, 137f., 141, 143, 147, 156f., 161, 167, 200, 210, 219, 221f., 233f., 253, 276f., 282, 291, 319, 322, 362, 369, 371, 375, 388, 408, 434, 443, 450, 456, 462, 494 Probst, Herta 317 Probst, Vincent 317–319 Pross, Harry 323, 474 Pullmann, Bernhard 171, 176 Quangel, Anna 447 Quangel, Otto 447 Rappus, Ellen 403 Rathenau, Walther 91 Rau, Johannes 20, 440, 450–454, 458f., 477 Rautenberg, Hermann 169 Reagan, Ronald 433 Reden, Ernst 262f. Reich, Ines 38 Reichwein, Adolf 331 Rentzsch, Egon 126 Richter, Hans-Werner 102, 112–114, 179, 199 Rickart, Katie 182, 190, 210, 442, 445, 449f., 454 Rilke, Rainer Maria 233 Römer, Walter 253, 271–273 Roseman, Mark 455

Personenregister

Rosh, Lea 455 Rossmann, Gerhard 33 Rothemund, Marc 148, 420, 477 Rothfels, Hans 25, 319 Roussaint, Josef C. 92, 335 Rovan, Joseph 439 Rudolph, Oskar K. 391 Runge, Erika 296 Rusalle, Heinz 105 Rusinek, Bernd A. 16 Sabrow, Martin 56, 409 Saefkow, Anne 156 Saefkow, Anton 331 Salamander, Rachel 440, 453, 455 Salin, Edgar 22, 24 Sasse, Dieter 411 Sauerbruch, Ferdinand 210, 239 Saviano, Robert 455 Sayner, Joanne 182, 188, 190f., 193, 197 Schaetzler, Kurt 189 Schäler, Peter 399 Schallenberg, Jörg 11 Scheel, Walter 339, 443f. Scheithammer, Albert 341, 450 Schell, Maria 301 Scheringer, Richard 361, 364, 368, 373, 388 Schierach, Henriette von 257 Schilde, Kurt 37, 42 Schiller, Friedrich 114, 129 Schindler-Saefkow, Bärbel 354 Schirdewan, Karl 125, 168 Schischkoffs, Georgi 149 Schlenstedt, Sylvia 176 Schmid, Jacob 75, 117f., 135–137, 217, 248, 277, 341–350, 370, 450, 476 Schmidt, Walter A. 27, 176, 242–244, 469 Schmitt, Walter 276 Schmitthenner, Walter 26–28 Schmorell, Alexander 13, 44, 46, 77, 113f., 120, 123, 135f., 152, 157, 166f., 174, 200, 210, 219, 222, 233–235, 249, 261, 277, 281, 317, 320, 360, 363, 369, 371f., 374f., 387f., 408, 414, 453 Schmorell, Erich 411

551 Schnabel, Reimund 383, 385 Schneider, Lambert 335 Schneider, Paul 228, 393, 395, 400 Schneider, Reinhold 231 Scholl, Hans 12, 28, 43, 47, 74, 76–78, 81f., 88f., 109–111, 113f., 118–121, 126, 129, 136–138, 140, 142, 147f., 152, 162– 166, 169, 172, 174f., 192–195, 197–204, 207, 213, 215f., 218f., 221, 223, 227–229, 235, 245, 249, 253, 262–269, 271f., 274, 276f., 281–283, 285f., 289, 298f., 302, 305, 308, 319f., 322f., 341, 352f., 359f., 363f., 368, 371f., 381, 387, 394, 396, 405, 414, 416, 453, 464f., 468 Scholl, Hans und Sophie 9f., 12, 14–16, 26, 29f., 36, 39, 41, 48f., 73, 75, 77, 90, 109, 114, 117–119, 121f., 124f., 128, 130–135, 138, 141, 144f., 157, 173–177, 203, 207, 216, 222, 238, 244f., 251–253, 257–261, 267, 269f., 272–274, 281, 286f., 291, 294f., 298, 303, 310, 312, 315, 319f., 324, 334, 336, 340, 342, 344f., 350, 352, 354–357, 362, 369, 375, 384–386, 389–397, 399–401, 405, 407f., 434, 443, 445, 450, 456, 462, 465f., 470f., 473 Scholl, Inge Siehe Aicher-Scholl, Inge Scholl, Robert 108, 126, 142, 145, 253– 255, 258, 271, 294, 317, 325, 329, 335, 354, 357, 374, 380, 388, 405, 466, 472 Scholl, Sophie 10–12, 75, 119–121, 129, 135–138, 140–144, 148, 164–166, 192f., 195f., 198, 200f., 203, 207, 213, 215f., 218–220, 223, 227–230, 233, 235, 241, 253, 265, 269, 277, 279, 281–283, 301, 310, 320, 322, 341, 353, 355, 387, 396, 403, 405, 411, 420, 428, 433, 447, 450, 456, 464 Scholl, Werner 213, 262, 361, 373, 388 Schöningh, Franz-Josef 110f. Schreck, Rüdiger 391 Schröder, Georg 236 Schubert, Ludwig 103 Schüddekopf, Katharina 314f. Schüddekopf, Otto-Ernst 339 Schüler, Barbara 44, 54, 190f. Schulz-Hoffmann, Carla 441

552 Schulze, Fiete 444 Schulze, Klaus Peter 207 Schulze-Boysen, Harro 127, 160, 236f., 239, 244, 261, 337, 359 Schulze-Boysen, Libertas 236 Schumacher, Ernst 368 Schumann, Georg 244 Schumann, Heinz 28, 228, 493 Schumann, Horst 257, 355 Schumann, Robert 279 Schwan, Gesine 440 Schweitzer, Albert 393 Seeger, Hugo 145 Seghers, Anna 106 Seibt, Gustav 13 Seiffert, Rudolf 130, 236 Seybold, Karin 410 Siebeck, Cornelia 56–58 Siebler-Probst, Herta 411 Siefken, Heinrich 45 Siegmund-Schulze, Friedrich 21–23 Sofsky, Wolfgang 455 Sonnemann, Ulrich 296 Spaenle, Ludwig 9f. Spangenberg, Dietrich 185f. Speer, Julius 291 Speidel, Hans 254 Sperber, ManHs 430f. Spies, Gerty 112 Stallmach, Josef 103 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 11f., 32, 35f., 228f., 257, 331, 383, 393, 444 Steinbach, Peter 14, 45–48, 51, 54, 104, 108, 425, 435–438, 477 Steinbrink, Werner 124 Steiner, Herbert 336 Steinmann, Wulf 432 Stern, Karl 189 Stöcker, Friedbert 406–408 Stöckl, Ula 410 Stöhr, Hermann 457 Stoiber, Edmund 11 Strecker, Gabriele 238 Süskind, Wilhelm Emanuel 316 Sylten, Werner 233, 331

Personenregister

Szypiorski, Andrzej

439

Terwiel, Maria 331 Tesch, Bruno 130, 169, 227 Teufel, Erwin 440 Thadden, Elisabeth von 160 Thälmann, Ernst 29, 227, 257f. Thiele, Rolf 297f., 301–307, 316, 474f. Thielicke, Helmut 291f., 356 Tillich, Paul 79 Töpfer, Klaus 427 Traven, B. 320 Trebbin, Ulrich 9 Trott zu Solz, Adam von 331, 400 Trott zu Solz, Clarita von 400 Tschäpe, Herbert 227 Tuchel, Johannes 45–48, 51, 54, 104, 106, 108, 477 Ude, Christian 441 Uhlig, Helmut 207 Uhrig, Robert 140, 337 Ulbricht, Walter 29, 260f., 354, 366 Umlauf, Konrad 95 Unger, Max 154 Veldre, Erik 286 Verhoeven, Michael 307, 396, 420, 441, 473 Verner, Paul 120f., 123f., 176, 244, 269, 465, 469 Vetter, Lilli 235f. Veyne, Paul 65 Viannay, H8lHne 426 Vielhaber, Klaus 321, 387, 413f., 419 Vogel, Hans-Jochen 439 Vogelsang, Thilo 28 Vogl, Carl 393 Vossler, Karl 126, 150f., 154, 288 Wagenbach, Klaus 223 Wallace, Henry A. 100 Wallraff, Günter 296 Walter, Hilde 242 Walter, Margarete 129, 227 Warburg, Aby 50

553

Personenregister

Wartenburg, Peter Graf Yorck von 331 Wehling, Wilhelm 28 Weick, Edgar 336 Weil, Grete 432f. Weiß-Huber, Birgit 411 Weißbecker, Manfred 352, 357 Weisenborn, Günther 31, 107, 134, 156, 168, 226, 236–250, 271, 274, 301, 335, 342, 362f., 469 Weiss, Peter 319 Weissler, Friedrich 331 Weizsäcker, Richard von 20, 439, 442, 445–450, 454, 456, 459, 477 Weniger, Erich 25f. Weyl, Johannes 159f. White, Hayden 65f. Wichern, Johann Heinrich 393 Wiechert, Ernst 105, 490 Wiegand, Hans-Joachim 104 Wiegandt, Herbert 103 Wieland, Heinrich 439 Winter, Ernst 129 Wirsching, Andreas 441, 453 Wirth, Günter 79, 83, 384, 393, 405

Wirth, Joseph 393 Wisselinek, Erika 314–316 Wittenstein, Jürgen 411 Wolf, Christa 456 Wolf, Ernst 336 Wosikowski, Irene 227 Wrage, Henning 64 Würkert, Ludwig 393 Wüst, Walter 450 Wyschogrod, Michael 433f. Yiwu, Liao

455

Zankel, Sönke 12f., 49, 155, 342, 409 Zeller, Eberhard 290 Zeller-Hirzel, Susanne 411 Zetkin, Clara 301 Ziegler, Armin 182 Zimbaso, Werner 300 Zimmering, Max 129f. Zimmermann, Karl 115 Zimmermann, Udo 388 Zuckmayer, Carl 167, 181 Zweig, Stefan 372

Zum Titelbild

Sonderbriefmarke »Geschwister Scholl« (in einer Serie von Marken mit Herbert Baum, Lieselotte Herrmann und Hans und Hilde Coppi), Deutsche Post (DDR) 1961. Im Nachlass Inge Aicher-Scholls findet sich folgende Notiz: »Die überlebenden Angehörigen der Geschwister Scholl stellten fest, daß sie durch Zufall davon Kenntnis erhielten, daß in der DDR Briefmarken mit Abbildungen von Hans und Sophie Scholl erschienen sind. Der Vater der Geschwister Scholl teilt mit, daß er nicht um sein Einverständnis hierzu gebeten wurde und daß diese Briefmarken gegen seinen Willen entstanden sind.« (Entwurf zu einer BPAVerlautbarung, [1961]. In: IfZ, ED 474 (307)). Briefmarke »Sophie Scholl« aus der Serie: »20. Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944« (mit weiteren Marken zu Ludwig Beck, Dietrich Bonhoeffer, Alfred Delp, Carl Friedrich Goerdeler, Wilhelm Leuschner, Helmuth James Graf von Moltke, Claus Schenk Graf von Stauffenberg), Deutsche Bundespost 1964. Sondermarke »Widerstand 1933–1945«, Deutsche Bundespost 1983. Briefmarke »Sophie Scholl« der Dauermarkenserie »Frauen der deutschen Geschichte des wiedervereinigten Deutschlands«, Deutsche Bundespost 1991.