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German Pages 660 [180] Year 2004
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DIE DEUTSCHE GESCHICHTE
DIE DEUTSCHE GESCHICHTE
DIE DEUTSCHE GESCHICHTE Band 4
I945-2000
WELTBILD
Impressum Die vorliegende Buchausgabe basiert auf dem Begleitmaterial zu einer Fernsehreihe zur deutschen Geschichte des Wissenschaftsjournalisten Rüdiger Proske, die im Jahre 1989 bundesweit1ausgestrahlt wurde. Das offizielle Begleitmaterial zur Sendereihe wurde unter der Leitung Rüdiger Proskes sorgfältig zusammengestellt und mit zahlreichen interes santen Abbildungen und Zusatzinformationen attraktiv gestaltet. Die nunmehr vorliegende Ausgabe wurde um die neuesten Kapitel der deutschen Geschichte erweitert.
Mitarbeiter:
W ilhelma von Albert, Dr. Jochen Gaile, Mathias Forster, Anke Meyer, Josef Nyary, Dr. Joachim Rehork, Volker Schütte, Michael
Schulte, Ingrid Schulze-Bidlingmaier, Dr. Gerhard Steinborn, Guido Thiemeyer, Bettina von Wedel, Dr. Christian Zentner
Gestaltung:
Lutz Kober, St. Goarshausen
Organisation der Neuauflage: Einbandgestaltung:
Studio Höpfner-Thoma, München
Einbandmotive: AKG, Gesamtherstellung:
Michael Schmidt, Braunschweig
Berlin
Druckerei Appl, Wemding
Printed in Germany ISBN 3-8289-0413-0 Bildquellen: Archiv für Kunst und Geschichte l; 492 o.; 494; 496 o.; 497; 499 r.; 501 o.; 502; 503; 510 o.; 529; 650 r. *Archiv Verlag 498; 651 * Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz 489 o.; 499 l.;, m.,
m.
* Peter Blachian, München 506; 508; 509 o., u.; 510 u.; 512; 513; 514; 515;5 l 6; 517;
518; 519; 520 1. o„ r. o., u.; 521; 522; 523; 524; 525; 526; 527; 528; 530; 53 l ; 532; 533 o., u.; 534; 535 o., u.; 536 o., u.; 537 o., u.; 538; 540; 542; 543; 544; 545 o., u.; 546; 548; 549; 550; 55 l o., u.;552; 553 o.; 554; 555; 556; 557 o., u.; 560; 561; 562; 563; 564; 565; 566; 567; 568 o., u.; 570; 571 o., u.; 572; 573; 574; 575; 576; 577; 578 o., u.; 579; 583; 589; 591u.; 597 u.; 598; 599; 605; 609; 610; 613; 616; 617; 621; 622 * dpa, Frank furt a.M. 572; 580; 581; 582; 584; 585; 586; 587 o., u.; 590; 591 o.; 592; 593; 594; 595; 596; 597 o.; 600; 601; 602; 603; 604 o., u.; 606; 607; 608;
611; 612; 615; 618; 619; 626; 627 o., u.; 628; 629; 630 o., u.; 632; 633 o., u.; 634; 635; 636; 637; 638; 639; 640; 641; 650 1., m. *Lorenz Baader, München 614; 620; 624; 625 * Rüdiger Proske, Hamburg 507; 553 u. *TIME magazine, New York 623 * Ullstein Bilderdienst 489 u.; 490 o., u.;
492 u.; 493; 49 6 u.; 504; 511; 547; 569. Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild, Augsburg Copyright der aktualisierten Ausgabe © 2001 by Archiv Verlag GmbH, Braunschweig
2004 2003 2002 Die letzte Jahreszahl gibt die aktuelle Lizenzausgabe an.
Inhalt Zeittafel
486
Vorwort
487
Das Ende des „Dritten Reiches"
488
Volk ohne Staat
494
Zwei Staatsgründungen auf deutschem Boden
505
Das deutsche „Wirtschaftswunder"
531
Die geteilte Nation
539
Mauer und Kathedrale
554
Aufbruch und Umbruch
580
Die
Ära Schmidt
599
Von der „Wende" bis zur Wiedervereinigung
612
Auf dem Weg zur inneren Einheit
626
Auf dem Weg in ein zusammenwachsendes Europa
634
Chronik Kultur und Sport 1945 - 2000
642
Register
652
Zeittafel 1945
(8. Mai) Die Kapitulation der Wehr-
1962
macht in Karlshorst (7. 5. in Reims) beendet die Kriegshandlungen in Europa;
(2. August) Potsdamer Abkommen 1946
1963
bleibt Kanzler;
(1. Dez.) Kiesinger Bundeskanzler einer
(September) Besuch des DDR-Staatsrats-
(1. Januar) Abkommen über die Bizone 1967
(20. Juni) Währungsreform;
(5. März) Gustav Heinemann (SPD) wird
„Montagsdemonstrationen" in
mit den Stimmen der FDP 3. Bundes-
mehreren Städten teil; Sturz Erich
präsident;
Honeckers;
den
1998
Euro-Währung wird vom Bundestag ver
(14. Au�ust) Erste Bundestagswahl;
Brandt-Scheel
(22. Dezember) Das Brandenburger Tor
abschiedet und passiert ebenso den
(19. März) Erfurter Treffen
wird wieder geöffnet
Bundesrat;
1970
Stoph - Brandt;
1971
(9. Mai) Schumann-Plan für eine (2. Mai) Bundesrepublik Vollmitglied im Europarat
mente billigen Einigungsvertrag;
(3. Oktober) Die DDR tritt dem
(3. September) Viermächte-Abkommen
Geltungsbereich des Grundgesetzes nach
Berlin
vollendet;
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut
(19. November) Bei den Wahlen zum 7. Fraktion.;
(21. Dezember) Grundlagenvertrag mit
1953
(17. Juni) Volksaufstand in der DDR
der DDR unterzeichnet
1954
(Oktober) Pariser Verträge unterzeichnet
1955
(5. Mai) Deutschlandvertrag in Kraft;
Oktober Rückkehr der restlichen Kriegs-
(16. Mai) Helmut Schmidt neuer 1976
1992
8. Bundestag
rücken zur Bundeswehr ein;
höhe unter Druck. Zur Aufdeckung der
(17. Januar) Helmut Kohl wird zum
Sachverhalte wird ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß eingesetzt
1994
(11. Januar) Der Europäische Gerichts hof entscheidet, daß Frauen in der
sein soll
Bundeswehr �b 2001 auch Waffendienst
(27. April) Außenminister Hans-Dietrich Genscher kündigt nach 18 Dienstjahren
1993
2000
Sitz von Regierung und Parlament
seinen Rücktritt an.
(3. Oktober) Knapper Sieg der sozialliberalen Koalition bei den Wahlen zum
(1. Januar) Die ersten Freiwilligen
und Waffenhandels-Affare in Millionen
daß die deutsche Hauptstadt Berlin
Bundeskanzler
(23. Oktober) Rückgliederung des
Kohl gerät wegen einer Parteispenden
Bundestagswahl
vierten Mal zum Bundeskanzler gewählt;
(25. April) Verhaftung des DDR-Spions (6. Mai) Rücktritt Brandts als Kanzler;
(2. Dezember) Erste gesamtdeutsche
(20. Juni) Der Bundestag beschließt,
Guillaume;
gefangenen Saargebietes an die Bundesrepublik
1991
(18. September) BRD und DDR Mitgliedstaaten der UNO
(September) Adenauer in Moskau; ab
(19. April) Eröffnung des Reichstages in
Artikel 23 bei, die deutsche Einheit ist
(14. August) Lastenausgleichsgesetz;
1974
neuer Bundeskanzler
1999
(20. Oktober) Friedensnobelpreis für
politik
1973
Bundestagswahl; Gerhard Schröder wird
über Berlin; Willy Brandt
1972
(April) Das Gesetz zur Einführung der
(27. September) Die SPD gewinnt die
(20. September) Beide deutsche Paria-
(3. Mai) Honecker löst Ulbricht ab;
Bundestag wird die SPD stärkste
Aufhebung des Besatzungsstatuts
1990
(12. August) Moskauer Vertrag
( 10. März) Stalin-Note zur Deutschland-
leisten dürfeq .
(18. Januar) Wegen der CDU- Spenden affäre legt der jahrzehntelange Vor sitzende und Altbundeskanzler Helmut
(13. März) Die Regierungskoalition
Kohl den Ehrenvorsitz der Partei nieder.
verabschiedet gemeinsam mit der
(2. Februar) Die Transrapidstrecke
SPD-Opposition den „Solidarpakt
zwischen Hamburg und Berlin wird aus
zur Finanzierung der Deutschen Einheit"
Kostengründen nicht gebaut.
(16. Oktober) Bei den Wahlen zum deut-
(10. April) Mit Angela Merkel wird zum
sehen Bundestag gewinnen die
ersten Mal eine Frau zur Vorsitzenden
(September/Oktober) Entführung des
Koalitionsparteien die knappe Mehrheit
der CDU gewählt.
der DDR;
Arbeitgeber-Präsidenten Schleyer, der
von zehn Stimmen
(7. Juli) Allg. Wehrpflicht in der BRD
Lufthansa-Maschine „Landshut",
(18. Januar) „Nationale Volksarmee" in
1977
Erstürmung der Maschine in Moga-
(15. September) Wahlen zum
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
SPD (13. August) Mauerbau in Berlin
Innerdeutscher Gipfel zwischen Bundeskanzler Schmidt und dem DDR-
(EWG) in Kraft (November) Godesberger Programm der
Rahmen der NATO in Bosnien-Herzegowina
Raspe und Ermordung Schleyers
1981
Staatsratsvorsitzenden Honecker
1982
(1. Okt.) Helmut Kohl (CDU) wird durch konstruktives Misstrauensvotum zum 6. Bundeskanzler gewählt
(6. Dezember) Der Bundestag beschließt den Einsatz von deutschen Soldaten im
Freitod der Anarchisten Baader, Ensslin,
Absolute Mehrheit für die CDU/CSU
(1. Januar) Vertrag über die
1995
dischu,
3. Bundestag.
486
Anrainerstaaten Polen und Tschechien schwer in Mitleidenschaft gezogen wer
nach Westberlin werden geöffnet;
Montanunion
1961
der Oder verhindert werden, während die
DDR-Bürgern nehmen an den
(9. November) Grenzübergänge von Ost-
(7. Oktober) Gründung der DDR
1959
eine größere Hochwasserkatastrophe an
regelung zu; Hunderttausende von
lag. Bildung der linksliberalen Koalition
Bundeskanzler;
1958
Bundeswehr und örtlichen Hilfsdiensten kann bei schweren Überschwemmungen
(28. September) Wahlen zum 6. Bundes-
präsident; Konrad Adenauer erster
1957
(Juli) Durch massiven Einsatz von
(Oktober) Nach Massenansturm auf
billigt das Grundgesetz;
republik; T heodor Heuss erster Bundes-
1956
zunehmend auch finanziell in die Kritik geraten;
(8. Mai) Der Parlamentarische Rat
(September) Konstituierung der Bundes-
1952
neben ökologischen Gesichtspunkten
schau stimmt DDR-Regierung Ausreise-
Ohnesorg. Beginn der Studentenunruhen
1969
(25. Januar) Bundestagswahl; Kohl
BRD-Botschaften in Prag und War-
(Apo).
(23. Juni) Beginn der Berliner Blockade
1951
1989
(2. Juni) Tod des Studenten Benno
(20. März) Ende der ViermächteVerwaltung (Kontrollrat);
(19. April) Tod Adenauers
(März) Die großen Polizeiaufgebote bei den „CASTOR"-Transporten lassen diese
vorsitzenden Erich Honecker in der BRD
großen Koalition. Brandt Außenminister
(ERP)
1950
der Arbeitslosen in Deutschland auf Rekordhöhe;
(15. Oktober) Adenauer tritt zurück.
1987
(28. Februar) Mit 4,67 Mio. ist die Zahl
CDU/CSU und FDP; Grüne erstmals im
Erhard Nachfolger
1966
1997
Bundestag
BRD;
(5.Juni) Marshallplan proklamiert
1949
(Juni) US-Präsident Kennedy in der
(6. März) Vorgezogene Bundestagswahl bestätigen die Regierungskoalition aus
(22. April) SED-Gründung in der SBZ;
in Kraft;
1948
1983
(13. Oktober) Erste NachkriegsLandtagswahl (in Hamburg)
1947
Regierungskrise aufgrund der SPIEGELAffäre
1996
(15. Juni) In einem historischen Einigungsprozeß zwischen Industrie und Regierung wird ein „Fahrplan zum Ausstieg aus der Atomkraft" beschlossen
(22. September) Die Bundesregierung
(5. Mai) Ein möglicher Weg zur Neu-
schnürt ein Paket zur Abfederung
ordnung der Länderstruktur in der
sozialer Härten wegen der hohen
Bundesrepublik scheitert nach dem Nein
Ölpreise.
der Volksabstimmung zur Fusion der
(3. Oktober) Mit einem Festakt in der
Länder in Berlin und Brandenburg;
Semperoper in Dresden begeht
Die deutschen Ladenschlusszeiten werden
Deutschland den zehnten Jahrestag der
gelockert
Einheit.
Vorwort
T
schows, seit 1985 Generalsekretär der
heodor Heuss, ein Kind des Kaiser
Trotz dieser weltweiten Spaltung zwi
reiches und Mann der Weimarer
schen Ost und West, die 1961 bis 1989 in
KPdSU und seit 1989 auch Staatsober
Republik, der 1949 mit 65 Jahren
der
haupt der Sowjetunion, waren von ursäch
Berliner
Mauer
ihren
sichtbaren
erster deutscher Bundespräsident wurde,
Ausdruck gefunden hat, sahen sich die
hat
beiden Führungsmächte Sowjetunion und
einmal
seine
Trauer
über
das
licher Bedeutung für diese Entwicklung.
Schicksal der Deutschen in den Gedanken
USA seit den sechziger Jahren zuneh
Im Oktober 1989 gab Gorbatschow bei
gefaßt, daß mit dem Aufstieg und Fall des
mend zu einer Zusammenarbeit gezwun
seinem Besuch anläßlich des 40. Jahres
Dritten
deutschen
gen. Im Rahmen dieser größeren Ent
tags der Gründung der DDR in Ost-Berlin
Teilung »die deutsche Geschichtsmelodie
spannungspolitik ist auch das Bemühen
mit den Worten »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben« das Aufbruchsignal
Reiches
und
der
zerbrochen« sei. Nun, nachdem Deutsch
von
land wiedervereinigt und souverän ist,
sehen, nach der Aussöhnung mit dem
Bundeskanzler
Willy
Brandt
zu
für die
hebt seine Geschichtsmelodie wieder an.
Westen auch den Brückenschlag
Demonstrationen von Hunderttausenden
Osten zu suchen. Historisch betrachtet
von Menschen, die von der SED über
Nach der bedingungslosen Kapitulation
waren Brandts »Ostverträge« die notwen
stürzt mit einem Wechsel der Führungs spitze und Zusagen für innere Reformen
zum
Opposition in der DDR.
Die
im Jahre 1945 wurde Deutschland in vier
dige Ergänzung zu Adenauers »Westver
Besatzungszonen aufgeteilt. Die alliierten
trägen«. Beides zusammen erst rundete
beantwortet
Sieger übernahmen die Regierungsge
das Bild Deutschlands nach 1945. Das
einer »friedlichen Revolution« aus; der
walt. W ährend man in den westlichen
Vertrauen des Auslands in den Friedens
Ruf »Wir sind das Volk« fegte erst Erich
Besatzungszonen Schritt für Schritt die
willen der Deutschen wuchs. Das Nobel
Honecker und seine Mafia hinweg, bald
politischen und organisatorischen Vor
komitee in Oslo ehrte Willy Brandt dafür
auch den kraftlosen Nachfolger.
bereitungen zur Gründung der Bundes
1971 mit dem Friedensnobelpreis.
wurden,
wuchsen sich zu
Beim Treffen Gorbatschows mit Bun
republik Deutschland traf, wurde in der sowjetischen Zone unter Kontrolle der
Die Anerkennung der deutschen Zwei
deskanzler
Sowjets
SED
staatlichkeit im Grundlagenvertrag (1972)
Genscher im Kaukasus im Juli 1990 wur den die letzten außenpolitischen Hürden
von
den
ostdeutschen
Kohl
und
Außenminister
Funktionären Zug um Zug die Errichtung
bedeutete einen Abschied von Illusionen.
der Deutschen Demokratischen Republik
Damit war in der politischen Philosophie
auf dem Weg zur Wiedervereinigung
eingeleitet. Die Teilung der Welt in Ost
Brandts nicht die »Illusion« der Wieder
Deutschlands genommen. Am 3. Oktober
und West ging mitten durch Deutschland.
vere1mgung Illusion,
gemeint,
sondern
die
die Wiedervereinigung durch
wurde
die
alte
DDR
in
Form
eines
Beitritts der neuen fünf Bundesländer, zurückgeführt auf die Form, die sie bis
Konrad Adenauer, der erste Kanzler der
Sprachlosigkeit
1949 gegründeten Bundesrepublik, suchte
erreichen.
die
die
Regime praktische, spürbare Erleichte
Bundesrepublik,
Aussöhnung mit Frankreich. Im Rahmen
rungen für die Menschen im geteilten
Europäischen Gemeinschaft.
der NATO erklärte sich die Bundesre
Deutschland
publik Deutschland auch bereit, mit eige
abhandeln, um Begegnungen zu fördern
Dem vereinten Deutschland waren für die
nen Streitkräften für die Verteidigung des
und das Zusammengehörigkeitsgefühl der
letzten Jahre des 20. Jahrhunderts zwei
Westens einzutreten. Innenpolitisch fand
Deutschen
Adenauer in Ludwig Erhard den Mann
Nation zu wahren. Die Geschichte hat
inneren
einer erfolgreichen W irtschaftspolitik.
Brandts Konzept mit der Wiedervereini
Deutschen in den alten und den neuen
Erhards soziale Marktwirtschaft führte
gung Deutschlands zwei Jahrzehnte nach
Bundesländern sowie die Erlernung des
zum
seinen ostpolitischen Vorstößen glanzvoll
richtigen Umgangs mit dem immensen
bestätigt.
Machtzuwachs, der gestiegenen europäi
Zur Überraschung mancher Beobachter
tung, die Deutschland tragen muß, wenn
der«.
Freundschaft
Amerikas
vielgerühmten Mit
der
und
»Wirtschaftswun
Gründung
der
EW G
und
Brandt
Abschottung
wollte
und im
dem
zu
SED
Schritt zur Vereinigung Europas getan.
gehabt
hatten, der
ein NATO
Teil
der
und
der
geteilten Berlin
zu stärken - also, um die
Grundthemen vorgegeben: der Prozeß der W iedervereinigung
der
schen und weltpolitischen Verantwor
(Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) im Jahre 1955 wurde der erste große
1952
setzte die Regierung Kohl/Genscher die
seine W iedervereinigung zugleich ein
Ost- und Deutschlandpolitik der Vor
Kapitel in der Geschichte der Einigung
Als Gegenstück zur EWG organisierten
gängerregierungen Brandt/Scheel (1969 -
Europas sein soll. Denn jene Präambel
sich die
zum
1974) und Schmidt/Genscher (1974- 1982)
des Grundgesetzes, die die Deutschen von
COMECON. Von vornherein hatte die
nahtlos fort. Dabei entwickelte sich die
der Gründung der Bundesrepublik an zur
DDR keine andere Chance gehabt, als
weltpolitische »Großwetterlage« zuneh
Einheit ermahnt hat und die nun erfüllte
sich den innen- und außenpolitischen
mend günstig. Der Abbau der Konfron
Geschichte ist, enthält auch den Hinweis
W ünschen
Unter
tation zwischen den Supermächten USA
auf Europa:
Walter Ulbricht wurden Landwirtschaft,
und UdSSR und den beiden großen poli
besondere Verpflichtung.
Staaten
des
Moskaus
Ostblocks
zu
fügen.
Handel und Industrie verstaatlicht. Die
tisch-militärischen Blöcken
DDR gliederte sich folgerichtig dem mili
machte in den späten achtziger Jahren
Er bleibt den Deutschen
insgesamt
tärischen Bündnissystem des Warschauer
erstaunliche Fortschritte. Die bahnbre
Pakts ein.
chenden Abrüstungsinitiativen Gorbat-
487
Um die Jahreswende 1942/43 hatten sich die Offensivkräfte der deutschen Armeen erschöpft. Doch Hitler war entschlossen, auch um den Preis der völligen Vernichtung Deutschlands, weiterzukämpfen. Das war in gewisser Weise eine Kriegserklärung gegen das „eigene Volk", dessen politische und moralische Kräfte zum Widerstand indes nicht völlig gebrochen werden konnten. Daraus erwuchs die moralische Kraft zur Fortsetzung der deutschen Geschichte nach 1945 ...
Das Ende des ,,Dritten Reiches''
1
m Spätsommer des Jahres 1942 hatte Hitler-Deutschland seine größte Ausdeh nung erreicht. Deutsche Truppen standen am Nordkap und entlang der Atlantikküste bis hinab zur spanischen Grenze, dazu in Finnland, auf dem gesamten Balkan und in Nordafrika, wo das Afrika-Korps des Gene rals Erwin Rommel (1891- 1944) die briti schen Truppen über die ägyptische Grenze bis nach EI Alamein zurückdrängen konnte. Im Osten hatte die Wehrmacht die Grenzen nach Asien überschritten, im Süden wehte die Hakenkreuzfahne auf dem Elbrus, dem höch sten Berg des Kaukasus. Und Einheiten der 6. Armee hatten die Wolga bei Stalingrad erreicht. Adolf Hitler (1889 - 1945) glaubte, der Krieg werde zu Ende sein, wenn er das sowjetische »Ruhrgebiet« erobert habe. So setzte er massierte Kräfte gegen die Indu striestadt Stalingrad ein, aber der deutsche Angriff blieb stecken. Die militärischen Kräf te des Deutschen Reiches hatten sich ver braucht, der Nachschub an Menschen und Material stockte, und im Herbst 1942 trat die Rote Armee mit frischen Divisionen aus der Kalmückensteppe heraus zum Angriffan. Am 22. November war die 6. Armee mit drei hunderttausend Mann eingekesselt. Ein Aus bruch wäre möglich gewesen, aber Hitler befahl Standhalten um jeden Preis. Das En de der 6. Armee dauerte quälend lange. Erst am 2. Februar 1943 kapitulierte Feldmarschall Friedrich Paulus (1890 - 1957). Nur einhun derttausend deutsche Soldaten traten den Weg aus der Hölle der Schlacht in das Inferno der sibirischen Gefangenenlager an. Ein zweites »Verdun« habe er verhindern wol len, sagte Hitler. In Wirklichkeit war Stalin grad etwas weitaus Schlimmeres als Verdun, 488
Im Anfang entschied die Stärke des Angreifers. Auf die Dauer gab das größere Reservoir den Ausschlag, das seit Herbst 1942, nicht zuletzt dank amerikanischer Hi(feleistungen, bei den Russen lag. Diese Hilfen hatte das Wehr wirtschaftsamt im OKW nicht einmal berücksichtigt, aber den noch Anfang Oktober 1941 fest gestellt, daß mit einem „Nieder bruch" der russischen Verteidi gungskraft erst nach dem Verlust des Industriegebietes im Ural ge rechnet werden könne. Hieran war jedoch niemals zu denken. Die Vereinigten Staaten lieferten vom Jahresende 1941 bis zum Frühjahr 1944 für etwa 10 Milli arden Dollar 15 Millionen Ton nen Rüstungsgüter an die Sowjet union, darunter fast 15 000 Flug zeuge, 13 000 Panzer, 427 000 Lastkraftwagen, Lokomotiven, Stahl und Leichtmetall; hinzu ka men englische Lieferungen. Der größte Teil erreichte die Sowjet union über die Häfen von Ar changelsk und Murmansk, die die deutsche Wehrmacht niemals unter ihre Kontrolle zu bringen vermochte. (Gerhard Schulz)
es war eine jähe Katastrophe, von der das Reich sich nicht mehr erholen sollte. Noch suchte das Regime, den Anfang vom Ende mit Pathos zu schönen: »In Stalingrad heftet die 6. Armee in heldenhaftem und auf opferndem Kampf gegen erdrückende Über macht unsterbliche Ehren an ihre Fahnen«, tönte der Wehrmachtsbericht. Doch die Wirk lichkeit sah anders aus: »Der Tod«, schrieb ein junger Soldat in seinem letzten Brief aus dem Kessel nach Hause, »mußte immer hero isch sein, begeisternd, mitreißend für eine große Sache und aus Überzeugung. Und was ist er in Wirklichkeit hier? Ein Verrecken, Ver hungern, Erfrieren, nichts weiter als eine bio logische Tatsache wie Essen und Trinken. Sie fallen wie die Fliegen, und keiner kümmert sich darum und begräbt sie.« Seit der Jahreswende 1942/43 war die Kriegs führung des Deutschen Reichs auf die Defensive beschränkt. Tatsächlich aber war die Wende im Krieg bereits im Dezember 1941 eingetreten, als sich die deutschen Ar meen vor Moskau festgerannt hatten. Doch war das den Miterlebenden nicht so klar ge wesen. Seit der Kapitulation der 6. deutschen Armee in Stalingrad aber wurde es auch der deutschen Bevölkerung allmählich klar, daß der Sieg vertan war, und von nun an reihte sich Niederlage an Niederlage. Das Konzept einer »Festung Europa«, das die deutsche Führung nun kreierte, kam viel zu spät, wenn es denn jemals Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Die nationalsozialistische Europa-Pro paganda suchte jetztFreiwilligenverbände aus allen Teilen des Kontinents für den Kampf gegen die Sowjetunion zu gewinnen, aber ohne großen Erfolg. Den V ölkern Europas, auch und gerade den nichtrussischen V ölkern der Sowjetunion, die anfangs auf ihre Be freiung durch die deutschen Truppen gehofft
Grauen des Krieges. Auf breiter Front setzte die russische Armee seit Frühjahr 1943 zur Gegenoffensive an. - Unser Bild vermittelt das Elend, das der Eroberer nach dem erzwungenen Rückzug von der Krim zurückgelassen hatte.
hatten, war längst klargeworden, daß die neu en Herren nicht weniger grausam herrschten als Josef Stalins (1879 - 1953) Schergen. Auch im Koalitionskrieg scheiterte das deut sche Heer: Die Verbündeten des Dritten Reichs fielen nach und nach von der Vormacht ab, traten aus dem von Hitler geführten Krieg aus oder gingen zum Gegner über. So war Hitler gezwungen, seine Herrschaft auf noch weitere Territorien auszudehnen, so im Sep tember 1943 auf Italien oder im März 1944 auf Ungarn. Und die »Festung Europa« besaß kein schüt zendes Dach. Seit 1942 hatten die Briten mit der Flächenbombardierung von Städten und
Insgesamt kamen bei den Luftangriffen auf
Konferenzen das Konzept für die Nach
Industrieanlagen begonnen. Ein Jahr später
Deutschland ungefähr eine halbe Million
kriegsordnung Europas heraus. Im Januar
besaßen die Anglo-Amerikaner die Luft
Zivilisten ums Leben, rund vier Millionen
1943 einigten sich der amerikanische Präsi
herrschaft über Deutschland. Seit der Zer
Wohnungen wurden zerstört, die Bevölke
dent Franklin D. Roosevelt ( 1882 - 1945)
störung von Rostock im April 1942 sprach
rung der großen Städte wurde evakuiert. Das
und der britische Premierminister Winston
die deutsche Propaganda von »Terrorangrif
Gesicht des deutschen Alltags änderte sich
Churchill (1874 - 1965) in Casablanca auf
fen«, was die Absicht der anglo-amerikani
völlig.
die Formel der »bedingungslosen Kapitula
gab, denn mit diesen Angriffen sollte die
Was wollten die Alliierten? W ährend Bom
liierten den Krieg nach Deutschland hinein tragen und sich selbst dort festsetzen. Nie
schen Luftkriegsstrategen treffend wieder
tion« Deutschlands. Diesmal wollten die Al
Moral der deutschen Bevölkerung untergra
berflotten Deutschland in Schutt und Asche
ben werden. Das gelang allenfalls begrenzt,
legten und damit, wenn auch über alle Pro
wieder sollte der Frieden von der Mitte Eu
doch die materielle Wirkung des Bomben
portionen hinaus, zurückzahlten, was die deut
ropas aus bedroht werden können. Freilich
kriegs war verheerend. Der Höhepunkt des
schen Bomber während des Westfeldzugs und
haben die Alliierten durch ihre frühe Festle
Grauens war am 13./14. Februar 1945 er
der »Luftschlacht um England« begangen
gung indirekt das Konzept Hitler-Deutsch
reicht, als britische und amerikanische
hatten, schälte sich in einer Folge alliierter
lands gestärkt, den »totalen Krieg« zu führen.
Bomberflotten das von Flüchtlingen über quellende Dresden angriffen. Stalin hatte um die Bombardierung gebeten, weil sich in der Stadt angeblich deutsche Truppen auf dem Weg zur Ostfront befanden. Nachdem drei Stunden lang Phosphorkanister und Sprengbomben auf die Stadt geregnet waren, waren mehr als hunderttausend Menschen tot, verbrannt, erstickt, zerrissen. Unter den Toten waren nur ungefähr zwanzig Soldaten.
'' Stalingrad machte die Wende des Krieges sichtbar... '' Stalingrad. Die 6. deutsche Armee mußte am 2. Februar des Jahres 1943 kapitulieren. 100 000 Soldaten kamen in sowjetische Kriegsgefangenschaft.
489
Konferenz von Jalta. Vom 4. -11. Februar des Jahres 1945 kamen in der sowj etischen Stadt Jalta die Vertreter der Alliierten zu einer Gipfelkonferenz zusammen. Ihr Ziel war es, die politischen und militärischen Maßnahmen angesichts des bevorstehenden Kriegsendes zu vereinbaren. So beschlossen die Konferenzpartner unter anderem, das deut sche Gebiet in vier Besatzungszonen aufzu teilen. Das Bild zeigt von links: Churchill, Roosevelt und Stalin.
''Die Alliierten bespra chen die Grundzüge einer Nachkriegspolitik... '' wenn ich ihm nun alles gebe, was in meiner Macht steht, und keine Gegenleistung verlan ge, dann wird er sich- noblesse oblige-nichts einzuverleiben versuchen und für eine Welt der Demokratie und des Friedens arbeiten.« Tm November 1943 folgte die Konferenz der
legt. Teheran war die Zeit des sowjetisch
Im Februar 1945 schließlich einigten sich die
»Großen drei«, neben Roosevelt und Churchill
amerikanischen Frühlings. Roosevelt hoffte,
Hauptmächte der Anti-Hitler-Koalition in
auch Stalin, in Teheran. Man beschloß
nach gewonnenem Krieg die amerikanischen
Jalta auch öffentlich auf die Zerstückelung
zugunsten der Sowjetunion die Westver
Truppen wieder nach Hause bringen zu
des Reichs, die Aufteilung des Sonderterri
schiebung Polens bis an die Oder und schlug
können, und war voller Illusionen über die
toriums Groß-Berlin und die Zulassung Frank
das nördliche Ostpreußen der Sowjetunion
sowjetischen Ziele: »Mir ist so«, vertraute er
reichs als vierte Besatzungsmacht. So waren
zu, und wenige Wochen darauf wurden die
dem amerikanischen Botschafter in Moskau
die Umrisse der europäischen Nachkriegs
Demarkationslinien zwischen den künftigen
an, »als ob Stalin nichts anderes wünscht als
ordnung im wesentlichen abgesteckt. Der Weg
Besatzungsgebieten in Deutschland festge-
Sicherheit für sein Land, und ich sage mir,
bis dahin war ständig von tiefgreifenden Zer würfnissen zwischen den Westmächten und
Der totale Krieg Nach der Niederlage von Stalingrad schwand in der Bevölkerung zunehmend die Bereitschaft zum Kult um die Person Hitlers und das blin de Vertrauen in einen Sieg. Goebbels inszenierte für die Öffentlichkeit nun ein neues Bild des Führers. Der immer seltener in den Medien auf tretende Hitler wurde durch geschickte Propaganda zum aufopfernden und einsamen „Führer des Volkes" stilisiert. Am 18. Februar des Jahres 1943 hielt Goebbels in seiner Funktion als Reichspropa gandaminister seine berühmt berüchtigte Rede im „Berliner Sportpalast". Sie wurde im Rundfunk übertragen und ein Film über dieses genau ge plante Spektakel gedreht.Vor ausgewählter Zuschauer menge hielt er jene Rede, die als Proklamation des „Totalen Krieges" in die Geschichte ein gegangen ist. Dem frenetisch
490
jubelnden Publikum stellte Go ebbels zehn Fragen: „Er stens... ich frage Euch: Glaubt Ihr mitdem Führer und mit uns an den endgültigen totalen Sieg des deutschen Volkes? Ich frage Euch: Seid Ihr ent schlossen, dem Führer in der Erkämpfung des Sieges durch dick und dünn und unter Auf nahme auch der schwersten persönlichen Belastung zu folgen? Zweitens: Ich frage
Joseph Goebbels
Euch: Seid Ihr bereit, dem Führer als Phalanx der Hei mat hinter der kämpfenden Wehrmacht stehend, diesen Kampf mit wilder Entschlos senheit und unbeirrt durch alle Schicksalsfügungen fort zusetzen, bis der Sieg in un seren Händen ist? Drittens: ...Ich frage Euch: Seid Ihr und ist das deutsche Volk ent schlossen, wenn der Führer es befiehlt, zehn, zwölf und wenn nötig vierzehn und sechzehn Stunden täglich zu arbeiten und das Letzte herzugeben für den Sieg?" Und die vierte Fra ge lautete: „Wollt Ihr den tota len Krieg? Wollt Ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?" Sinn dieser demagogischen Mas senveranstaltung war es zum einen, den Alliierten die Kampf bereitschaft des deutschen Volkes zu zeigen, und zum an deren, der deutschen Bevöl kerung selbst Durchhaltever mögen einzuimpfen.
der Sowjetunion gefährdet gewesen, aber die deutsche Gefahr veranlaßte die Westalliier ten immer wieder, dem sowjetischen Dikta tor um des gemeinsamen Sieges willen Zu geständnisse zu machen. »Was wäre gesche hen«, schrieb später Churchill, »wenn wiruns mit den Russen überworfen hätten, als die Deutschen noch zwei- bis dreihundert Divi sionen an den Fronten stehen hatten?« Zu dem spukte in den Hinterköpfen der westli chen Politiker immer noch die alte, historisch begründete Gefahr einer Übereinkunft zwi schen Rußland und Deutschland, die ja am Vorabend des Krieges durch das Hitler Stalin-Abkommen einiges an Evidenz ge wonnen hatte. Mit Hitlers W ünschen hatten solche Befürchtungen allerdings wenig zu tun - der Diktator hoffte zwar auf den Zerfall der gegnerischen Koalition, doch bis in die letzten Tage vor seinem Selbstmord im Berliner »Führerbunkern klammerte er sich an die lllusion, gemeinsam mit Groß britannien die Sowjetunion niederwerfen zu können. Im Reich nahm der Druck des Regimes in dem gleichen Maße zu, in dem sich die
militärischen Niederlagen häuften. Um der Niedergeschlagenheit entgegenzuwirken, die sich in der deutschen Bevölkerung nach der Niederlage von Stalingrad ausbreitete, such te Joseph Goebbels (1897 - 1945) mit seiner Sportpalast-Rede vom 18. Februar 1943 den Fanatismus und Durchhaltewillen der Be völkerung mit einer Rede anzuheizen. Sie gipfelte in den Worten: »Wollt Ihr den tota len Krieg?«, was die Versammlung mit frenetischem Jubel quittierte. »Die Narren«, sagte Goebbels danach voller Verachtung, »sie hätten sich auch vom Fenster herabge stürzt, wenn ich es ihnen befohlen hätte.« Nicht nur die Propaganda, auch der Terror wurde verschärft:Die »Aktion Gewittern vom
22. August 1944 beispielsweise richtete sich gegen rund 5 000 ehemalige Politiker und po1itische Beamte der Weimarer Republik, unter ihnen beispielsweise Konrad Adenauer
( 1876 - 1967) und Kurt Schumacher ( 1895 1952), die verhaftet und in Konzentrations lager eingeliefert wurden. Mit der Einführung von »NS-Führungsoffizieren«, einer Kopie der Politkommissare der Roten Armee, wur den die letzten innenpolitischen Reservate in der Wehrmacht beseitigt. Indem die Gaulei ter zu Reichsverteidigungskommissaren er nannt wurden, kam der Vorrang der Partei vor der Wehrmacht auch nach außen hin zur Geltung. Im September 1944 kulminierte die Entwicklung zum »totalen Krieg« in der Bildung des »Deutschen Volkssturms«, zu
In Perspektive gerückt... „Es begannen furchtbare Ta ge. Es war ein blutiger Kampf, von vornherein entschieden, aber ein Kampf. Wir standen zwar mit dem arischen Stadt teil in Verbindung, aber wie sollte man es bewerkstelli gen, daß es uns nicht an Waffen fehlte? ... In der zweiten Kampfwoche nahmen wir die Lesznostraße ganz ein, verdrängten die Deutschen von der anderen Straßenseite und eroberten Waffen und Uniformen. Es brannte. Wir hatten alle La ger im Ghetto in der Gewalt, samt Kleidung, Maschinen und Zubehörteilen. Immer mehr deutsche Abteilungen wurden an unsere Front ge schickt, aber wir waren be
ließen nicht einen Augenblick im Kampf nach. Durch die ganze Welt ging das Echo: Das Warschauer Ghetto kämpft schon zwei Monate, und die Deutschen verlieren, ohne Erfolg zu haben, Waf fen, Panzer und Menschen; eine Schande ... und da ent schlossen sichdie Deutschen, mit uns auf eine andere Weise Schluß zu machen... Warum sollten sie kämpfen, da sie uns verbrennen konn ten! Ein schrecklicker, schrecklicher Gedanke, aber eine noch schrecklichere Verwirklichung. Wir hatten kein Wasser. Haus um Haus, Straße um Straße wurden von Flammen ergriffen. Feuer!!! Die Menschen erstickten,
Weise dennoch ein gewisser Prozentsatz von Juden dem Tode entrann? Man floh aus den in voller Fahrt dahinei lenden Zügen, obwohl sie unter Bewachung fuhren und die bei jedem Wagen ste henden Litauer ohne Unter brechungschossen.Man floh durch unterirdische Gänge und über Mauern, die immer von SS-Männern bewacht waren, durch Kanäle voll übel riechender Abwässer, die schwarz waren wie die Nacht, durch Kanalisationen, in denen man womöglich drei Tage lang umherirrte und dann halb tot, halb erstickt wieder dorthin geriet, wo man eingestiegen war oder in der Stadt herauskam und sich
festigt, wir hatten Kraft, wir waren verbissen und hatten nur den einen Gedanken: Wir müssen uns rächen!... Zwei Monate währte der Kampf gegen einen starken Feind, gegen immer neue Abteilun gen. Wir waren ohne Wasser und ohne Licht, denn die Deutschen hatten die Lei tungen durchgeschnitten; die Waffenlieferung war sehr un zureichend; man hatte einen der Laufgräben im Bezirk Prezbieg entdeckt. Das war ein großes Unglück, aber wir
aber sie kämpften noch, die Menschen brannten, aber sie verteidigten sich noch. Mau ern stürzten ein. Mochte ei nen die Mauer begraben, wenn man nur nicht gefan gen wurde! Die Ausbeute an Lebenden war kläglich -aber trotz allem gelang es den Deutschen, einen Teil der Menschen abzutransportie ren und die leergewordenen Plätze in Treblinka, Majdanek, Poniatow und Trawniki zu füllen. Ihr werdet fragen, auf welche
Auge in Auge mit dem Fein de sah. Dies waren die Flucht möglichkeiten für wenige. Ich würde sagen, dass sich auf diese Weise etwa ein Prozent Juden retten konnte. Nun war alles aus. Die letz ten Flammen waren erlo schen. Der Wind hatte die letzten Rauchschwaden ver weht. Die Ruinen zeigten, wo das Warschauer Ghetto ge standen hatte... (Bericht von Noemi Szac Wajnkranc aus dem War schauer Ghetto, April 1943) "
dem alle waffenfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren aufgerufen wurden. der militaristischen Gleichschaltung der Men
Und dennoch fühlte sich das Regime auch
Zugleich verstärkte sich der totalitäre Zugriff
schen fanden allenthalben, in Behörden, Schu
von innen bedroht. Gewiß hat es nie einen
des Staats. Nach dem W illen Hitlers und
len, Betrieben, »Appelle« statt, auf daß das
einheitlichen, geschlossenen Widerstand ge
seiner Partei wurde das Volk vollständig nach
ganze Volk den rechten Schritt und Tritt er
gen die Herrschaft des Nationalsozialismus
militaristischen Grundsätzen organisiert, es
lerne. Im Originalton Goebbels hieß das:» Im
in Deutschland gegeben. Nicht zuletzt des
wurde gewissermaßen als Ganzes aus dem
neuen Deutschland kenn en wir nur eine
halb bleibt es schwierig, aus der Rückschau
verachteten Stand des Zivils zum Soldati
Marschordnung, die Marschordnung Adolf
zu bestimmen, was »Widerstand« damals
schen befördert. Wer eine öffentliche T ätig
Hitlers. Die Kompanie heißt Deutschland!«
war, wo er begann und in welchen Formen
keit ausübte, trug selbstverständlich Uniform,
er sich vollzog. Die Übergänge zwischen
und wenn seine Arbeit auch noch so bürger
Das totale politische Soldatentum sollte nach
lich erschien. Im Kleiderschrank eines Be
dem Willen des »Führers« zur Lebensform
ler Gesinnung, aktivem Widerstand und
amten hingen neben dessen Dienstuniform
aller Deutschen werden. In diesem militari
direkter Verschwörung zum Sturz Hitlers waren gleitend. Nichtjedermann, der die Mit
privatem Nonkonformismus, oppositionel
noch die Uniformen, die er beispielsweise als
stischen Führerstaat verschmolz altpreußi
SA-Mitglied, als Mitglied der Unterorgani
sches Soldatenerbe und deutsch-romantisches
gliedschaft in der Partei ablehnte, zählte zum
sation der Partei sowie beispielsweise als Re
Nationalbewußtsein zum Zerrbild eines tota
Widerstand, während manche Parteimitglie
serveoffizier besaß. Juristen wurden im offi
litären Terrorregimes. »Innere Wehrhaftig
der zur Opposition fanden, wenn sie nicht
ziellen Propaganda-Jargon zu »Offizieren des
keit« mit Terror und Konzentrationslagern
sogar aus diesem Grund der Partei beigetre
Rechts« gemacht. Gelehrte wurden »Solda
und »äußere Wehrhaftigkeit« mit dem Vor
ten waren. Mit einfachen Schwarz-Weiß
ten der Wissenschaft«, und kein Bereich, von
satz zum Angriffskrieg gleichzusetzen, das
Maßstäben kann das Verhalten der Menschen
der Universität über die Redaktionsstube bis
war die paranoide Zerrmaske des soldatischen
unter den Bedingungen der Diktatur selten
zum Kaninchenzüchterverein, entzog sich den
Preußen und des nationalen Deutschland, strikt
gemessen werden. Widerstandsgruppen gab
Grundsätzen von »Befehl und Gehorsam«
ausgerichtet auf die Person des »Führers«,
es, so viel ist jedenfalls sicher, in allen Klas
im Namen des Führerprinzips. Im Zeichen
des vollkommenen Übermilitaristen.
sen und Schichten des deutschen Volkes.
491
20. Juli 1944. Von vornherein im aktiven Kampf gegen das
Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg verübte am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler. Er gehörte dem Widerstandskreis um den Generaloberst a.D. Ludwig Beck, dem Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben und dem Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler an.
Regime standen die Kommunisten, die ihre Tätigkeit allerdings vorübergehend in der Zeit des Hitler-Stalin-Pakts eingestellt hatten. Zu ihren namhaften Parteigängern gehörte die »Rote Kapelle« um den Oberregierungsrat Arndt Harnack und den Oberleutnant Harro Schulze-Boysen. Beide wurden nach ihrer Enttarnung im August 1942 hingerichtet. Der sozialdemokratische W iderstand war, ent sprechend der SPD-Organisation in den
terstützung rechnen konnte. Entscheidend für
Jahren des Exils, zersplittert und daher ins
die heutige Beurteilung ist jedoch nicht ihr
gesamt weniger effektiv. Namen wie Julius
politisches Programm, sondern die Bereit
Leber (1891 - 1945) und Adolf Reichwein
schaft, für das Eintreten gegen Hitler und des-
(1898 - 1944) stehen für viele andere, die im
sen Regime jedes Opfer zu bringen, und dies
Kampf gegen die Diktatur ihr Leben aufs Spiel
nicht in erster Linie aus Zweckmäßigkeits
setzten und verloren.
überlegungen, sondern aus ethischen Motiven.
Es liegt jedoch in der Natur totalitärer Regi
Daß der minutiös geplante Putschversuch vom
me, daß sie nicht aus der Bevölkerung, son
20. Juli 1944 scheiterte, lag teils an der Un
dern stets nur aus dem Machtapparat selbst
gunst der Umstände, teils aber auch an der
heraus zu erschüttern sind. Führende Beam
Pläne dieser Gruppen für die Zukunft
Natur der Verschwörer. Als der Oberst Claus
te und Militärs, meist auf der Grundlage kon
Deutschlands erscheinen manchem nachträg
Schenk Graf von Stauffenberg ( 1907 - 1944)
servativer Staatsethik und christlicher Moral,
lichen Betrachter im Licht der Grundwerte
im ostpreußischen »Führerhauptquartier«, der
fanden sich um den ehemaligen Leipziger
des Bonner Grundgesetzes als restaurativ,
»Wolfsschanze«, die Aktentasche mit der dar
Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler
wenn nicht reaktionär. Sie standen eher in den
in befindlichen Bombe an den Tisch stellte,
(1884 - 1945), den Botschafter Ulrich von
Traditionen des Bismarck-Staates als der
neben dem Hitler stand, konnte er nicht vor
HasseII ( 1881 - 1944) und den ehemaligen
Weimarer Demokratie, und da dies auch für
aussehen, daß ein General etwas später die
Stabschef des Heeres, Ludwig Beck (1880 -
ihre außenpolitischen Ziele galt, erschien sie
Tasche, weil sie im Wege war, in eine ande
1944), zusammen. Zu dieser Gruppe stießen
den Alliierten kaum weniger gefährlich als
re Ecke stellen würde. Da erst detonierte die
auch Vertreter des christlich-sozialistischen
das herrschende Regime in Deutschland-ge
Höllenmaschine, es gab Tote und Verletzte,
Kreisauer Kreises um Helmuth James Graf
wiß ein problematisches Mißverständnis. Es
aber Hitler entkam.
von Moltke ( 1907 - 1945) und Peter Graf
führte dazu, daß die einzige handlungsfähi
Yorck von Wartenburg (1904 -1944). Die
ge deutsche Opposition nicht auf alliierte Un-
In der Reichshauptstadt lief zunächst alles wie geplant, es gingen Telegramme an die Ober befehlshaber hinaus, Hitler sei tot, der Um sturz gelungen, die Wehrmacht den Verschwörern unterstellt. Die putschenden Ge neralstäbler handelten generalstabsmäßig, und das war ihr Verderben. Sie glaubten, man brau che nur zu befehlen, und alles werde gehor chen. Sie vergaßen, daß der Keil, den der Na tionalsozialismus in das Offizierskorps ge trieben hatte, bereits tief eingedrungen war. Der Kommandeur des Berliner Wachregiments, ein Major Remer, ließ das Unternehmen auf fliegen. Er erhielt den Befehl, Propaganda minister Goebbels festzunehmen, fühlte sich Goebbels aber eher zugetan als den Putschi sten und fragte ihn daher erst einmal um Rat.
Invasion. Am 6. Juni des Jahres 1944 begann in der Normandie die großangelegte Invasion der alliierten Truppen. 5134 Schiffe landeten an der Nordküste Frankreichs mit rund 850 000 Soldaten und 148 800 Fahrzeugen.
492
Wären die Putschisten, Offiziere wie Beck
Das mllltärlsche Ende. Nach 16tägigem Kampf um die Reichshauptstadt fiel Berlin am 2. Ma i 1945 endgültig in die Hände der Roten Armee.
und Erwin von Witzleben (1881- 1944), Graf Stauffenberg oder Henning von Tresckow (1901 - 1944), wirkliche Revolutionäre ge wesen, dann hätten sie Major Remer einen eingeweihten Offizier mitgegeben, der ihn im Falle des Versagens ausgeschaltet hätte. So
''Dem »totalen Krieg« folgte die »totale Niederlage«, die keinen Raum zur Legendenbildung ließ... ''
konnte Remer jedoch Goebbels alarmieren, der rief in der Wolfsschanze an und bekam die Antwort, dem Führer« sei am Leben. Auch hier wieder das konspirative Versagen der Ver schwörer: Ein Feldwebel mit einer Kneif zange hätte genügt, die Verbindung mit dem Führerhauptquartier durchzuknipsen. Ohne einen lebenden Hitler wären dessen Paladi ne in Berlin eingeknickt wie Streichhölzer. Der Gegenschlag des Regimes war furchtbar. Nicht nur die Verschwörer, auch ihre An gehörigen zahlten einen hohen Blutzoll. Sie wurden mit bösartiger Wut verfolgt und in ausgeklügelt viehischer Manier liquidiert.
ber 1918 die Erkenntnis der Niederlage ak
sten Weiterleben braucht, Rücksicht zu neh
Nur das nahe Kriegsende verhinderte, daß
zeptiert und so die staatliche und territoriale
men.«
mehr als 160 der unmittelbar Beteiligten ster
Substanz des Reichs bewahrt hatte, war Hit
ben mußten. Es waren preußische Konserva
ler entschlossen, auch um den Preis der völ
W ährend im Westen der Einsatz der »Wun
tive gewesen, die einst Hitler zur Macht ver
ligen Vernichtung Deutschlands weiterzu
derwaffen« V 1 und V 2 nochmals nebelhaf
holten hatten. Jetzt waren es wieder Angehörige
kämpfen - seinem Lieblingsbaumeister und
te Siegesillusionen hervorrief und im Osten
dieser Schicht, die den Versuch unternahmen,
Rüstungsminister Albert Speer (1905-1981)
die russische Kriegsmaschinerie das ausge
den furchtbaren Fehler ihrer Standesgenos
erklärte er: »Es ist nicht notwendig, auf die
blutete deutsche Ostheer zwischen Memel
sen vom Januar 1933 gutzumachen. »Ich ha
Grundlagen, die das Volk zu seinem primitiv-
und Karpaten überrollte und,
be von Anfang an gewußt, wer die Verräter sind«, sagte Hitler am Abend des 20. Juli, »es ist mein tiefer Glaube, daß meine Feinde die „Vons" sind, die sich Aristokraten nennen.«
gewaltig
anschwellende F lüchtlingslawinen vor sich
Menschenverluste im Zweiten Weltkrieg
herschiebend, die deutschen Ostgrenzen erreichte, führten Hitler und seine Trabanten mit Standgerichten, Aushalte- und Vernich tungsbefehlen den Krieg auch gegen das
Daß preußische Aristokraten sich mit Vertre
Deutschland
5,25 Millionen
tern des zuvor von ihnen bekämpften Stan
Sowjetunion
20,6 Millionen
nern, Engländern und Russen nur eine
des, mit Arbeitern, Sozialisten und Gewerk
USA
259 000
W üste.« Es gab glücklicherweise genügend
schaftern, nicht weniger als mit Bürgerlichen
Großbritannien
3 86 000
Bürgermeister und Wehrmachtskomman
Frankreich
810000
deure, die den Vollzug der »Nero-Befehle«
zusammenfanden, um den Nationalsozialis mus bis zur letzten Konsequenz zu bekämp fen, bot in der Zeit nach 1945 allen politischen und gesellschaftlichen Gruppen Deutschlands
Polen Ostpolen*
4,52 Millionen 1,5 Millionen
eigene Volk: »Wir überlassen den Amerika
unter Lebensgefahr verweigerten, bis die Alliierten einmaschiert waren. So war die Be setzung Deutschlands durch alliierte Trup
einen gemeinsamen Richtpunkt, - den der
Italien
330000
pen nicht nur für die Insassen der Konzen
Bewahrung der Menschenwürde nämlich als
Rumänien
378000
trationslager, sondern für das deutsche Volk
4 20 000
insgesamt ein Akt der Befreiung.
der obersten Maxime des Handelns. In einem solchen Bekenntnis der Gemeinsamkeit für die politischen Ziele aller Schichten und Klas sen der Bundesrepublik Deutschland liegt das Vermächtnis der Männer des 20. Juli.
Ungarn Jugoslawien Finnland
84 000
Norwegen
10 000
Dänemark
1400
Mittlerweile hatten die Westalliierten mit
Bulgarien
ihrer Landung in der Normandie am 6. Juni
Griechenland
1944 die dritte Front- nach ihrer Invasion in
Belgien
Sizilien und Italien - eröffnet. Der Mehr frontenkrieg, der die Ressourcen des Reichs
1,69 Millionen
Niederlande
20 000
wurde,
war
auch
zugleich
für
unab
sehbare Zeit das Ende des deutschen Natio
88000
nalstaats. Darin lag eine »tiefe Paradoxie«.
2 10 000
Japan
1,8 Millionen
gültig W irklichkeit, die deutsche Kriegs
unbekannt
niederlage besiegelt. Aber anders als Erich
*die von der Sowjetunion 1939 annektierten polnischen Ostgebiete
Ludendorff(1865 - 1937), der Ende Okto-
in Berlin mit der bedingungslosen Kapitu lation der deutschen Wehrmacht besiegelt
1 60 000
China
in jedem Fall überforderte, war damit end
Doch die deutsche Kriegsniederlage, die am 7. Mai 1945 in Reims und am 9. Mai 1945
Der Historiker
Hans
Rothfels ließ
sie
anklingen: »Es waren deutsche Patrioten, die
den
Tag
der
Kapitulation
herbei
flehen mußten, so wenig sie sich über das dann Kommende Illusionen machen mochten.« 493
Die Veränderungen, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Mitteleuropa vollzogen, waren kaum minder einschneidend als der Weltkrieg selbst. Denn die Spaltung Europas in zwei Blöcke begann sich abzuzeichnen, - eine Spaltung, von der Deutschland unmittelbar betroffen sein sollte. Aber politisch beteiligt war es an dieser Entwicklung nicht. Die Deutschen hatten statt dessen mit Hunger und Not zu tun, bald aber auch mit dem Neuaufbau eines in d
E
�;��=n1f:��-
Vl
0lk
haupt ex1st1erte, war nach der Gefangen nahme der Regierung Dönitz am 23. Mai
1945 eine offene Frage. Und ringsum hatten die europäischen Nachbarn nach Besatzung und Gewaltherrschaft durch die Hitlerdiktatur ihre eigenen Neuordnungsnöte. Aus dem politischen und rechtlichen Vakuum der Deutschen half die öffentliche Erklärung der vier Siegermächte vom 5. Juli 1945, in der
sie
bekanntmachten:
»Die
deutschen
Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der
ohne Staat
Luft sind vollständig geschlagen und haben bedingungslos kapituliert und Deutschland, das für den Krieg verantwortlich ist, ist nicht mehr fähig, sich dem Willen der siegreichen Mächte zu widersetzen.« Deutschland habe also bedingungslos kapituliert und müsse sich nun allen Forderungen unterwerfen. »Es gibt«
inen Zusammenbruch wie den des Jah
Koch- und Schlafstelle, wärmender Kleidung
- so wird weiter erklärt - »in Deutschland
res 1945 hatte es in der deutschen Ge
und dem Schicksal von Familienangehörigen
keine zentrale Regierungen oder Behörde, die
schichte noch nicht gegeben. Der einzel
vermißten, verwundeten, schuldig geworde
fähig wäre, die Verantwortung für die Auf
ne Mensch war auf sich gestellt wie nie zuvor.
nen oder inhaftierten, den vielen Vertrauten,
rechterhaltung der Ordnung, für die Verwal
- Ob Kriegsheimkehrer oder Zivilist, ob Sol
von deren Überleben man ohne Postdienste
tung des Landes und für die Ausführung der
dat oder Angehöriger der SS, Einheimischer,
keine Nachricht hatte.
Forderungen der siegreichen Mächte zu über nehmen. « Deshalb wurde ausdrücklich festge
Evakuierter, ob Flüchtling oder Ausgebomb Es gab erschreckend
gene Schulkind, der Dienstverpflichtete wie
Kommendes hätte gründen können: Die Ge
ten von Amerika, der Union der Sozialisti
der Volkssturmmann, die aus Internierungsla
meindeverwaltungen hatte Hitler in zwölf
schen Sowjet-Republiken und des Vereinigten
gern und Konzentrationslagern Befreiten und
Jahren durch seine Parteiorganisationen aus
Königreichs und die Provisorische Regierung
die neuerdings Internierten, - Entwurzelte
gehöhlt und
der
waren sie alle, die Menschenmassen, die sich
macht, die alten Länder durch »Gleichschal
hiermit
Deutschlands, einschließlich aller Machtvoll
ihrer
wenig,
weitgehend
worauf man
stellt: »Die Regierungen der Vereinigten Staa
ter, das in der» Kinderlandverschickung« erzo
unbrauchbar
ge
Eigenständigkeit beraubt. Die
Französischen die
höchste
Republik
übernehmen
Autorität hinsichtlich
auf Straßen und Schienen ohne funktionieren
tung«
de Transportsysteme durchschlugen, und die,
Staatsführung
Regierung
kommenheiten, die der deutschen Regierung,
die in dem, was der Krieg übriggelassen hatte,
Dönitz überantwortet, die wenige Tage in
dem Oberkommando der Wehrmacht und
zu Hause waren.
Plön und Mürwick bei Flensburg amtierte. Hit
allen staatlichen, städtischen oder örtlichen
ler selbst hatte sich am 30. April 1945 im
Regierungen oder Behörden zustehen.« Die
hatte
Hitler
der
Ihre einzige Sorge galt dem Überleben: dem
Bunker der Reichskanzlei in Berlin das Leben
Übernahme
Broterwerb, dem Dach über dem Kopf, der
genommen. Ob Deutschland als Staat über-
Deutschland solle jedoch nicht die Annektie
der
Regierungsgewalt
in
rung Deutschlands bewirken. An die Stelle der deutschen Staatsgewalt trat mit Sitz in der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin der Alliierte Kontrollrat, bestehend aus den Oberkommandierenden der vier Be satzungszonen. Diese deutsche Staatsführung ohne Beispiel war zuständig für die »Deutsch land als ein Ganzes betreffenden Angelegen heiten« und sollte ihre Entscheidungen eigent lich einstimmig treffen. Wo die Siegermächte
Flüchtlinge. Während des Zweiten Weltkrieges wurden von den deutschen Eroberern etwa neun Millionen Menschen nach Deutschland verschleppt. Im Zuge des Vordringens der Roten Armee auf das Reichsgebiet floh die Zivilbevölkerung etwa seit Jahresbeginn 1945 in großen Jrecks" nach Westen (12 Millionen). 494
Folgen des deutschen Zusammenbruchs (1945-1950)
aber nicht übereinstimmten, wurde es ihnen bald zur Gewohnheit, jeweils für die eigene »Zone« zu handeln.
Damit wurden diese
Staatengruppen:
Zonen zu Territorien, aus denen sich alles weitere staatliche Leben entwickeln sollte. Groß-Berlin bildete ein Sondergebiet, seiner
Westlich orientierte Staaten
Sowjetunion !==:J Volksdemokratien
i=i
seits in vier Besatzungssektoren geteilt und als
Neutrale Staaten
Deutschland
[==:J
Österreich
Ganzes von den Befehlshabern der Berliner
Auswanderung von Juden nach Israel 1945 - 50
Besatzungstruppen gemeinsam in Gestalt der
119 000 aus Polen
Alliierten Kommandantur Berlin verwaltet. Auf der Potsdamer Konferenz
2.
August
der
1945)
(17.
Juli bis
33 000 aus der Türkei
91 000 aus Rumänien
22 OOOaus derTschechoslow.
37 000 aus Bulgarien
17 000 aus Ungarn
gelangten die »Großen drei«
Anti-Hitler-Koalition
zu
zielsetzenden
Entscheidungen über die deutsche Zukunft. Im Schloß Cecilienhof bei Potsdam versam melt, verhandelten der amerikanische Präsi dent Harry S. Truman
(1884 - 1972),
der
britische Premierminister Winston Churchill
(1874 - 1965) und nach dessen Wahlniederla (1883 1967) mit dem sowjetischen Diktator Josef Stalin (1879 - 1953) über Deutschland. Sie ge sein Nachfolger Clement Attlee
gelangten schließlich zu einer Übereinstim mung auf dem kleinsten gemeinsamen Nen ner. Nachdem der gemeinsame Feind besiegt war, brachen nun alte politische Gegensätze und ideologische Unterschiede zwischen den Siegermächten auf. Ein Bündel von Kompro missen zur Lösung der anstehenden »deutschen Frage« half der Konferenz ohne Eklat über die Runden. Deutschland sollte als wirtschaftli che Einheit
bestehenbleiben,
vorerst
aber
keine Zentralregierung erhalten. Dafür sollten dem »Alliierten Kontrollrat« einige »wichtige zentrale deutsche Verwaltungsstellen« mit »Staatssekretären« an der Spitze unterstellt werden. Gedacht war an Staatssekretäre für das Finanz-, Transport- und Verkehrswesen, für den Außenhandel und die Industrie. Diese Pläne gingen noch von der Einheit
•Serben D Türken • Italienern D Baltischen Völkern • Völkern der Sowjetunion
Deutschlands aus, während in der Frage der Reparationen die Kompromißformel zur Her ausbildung von zwei unterschiedlichen Wirt schaftszonen führte: Die Sowjets, die die Hälfte der insgesamt vorgeschlagenen Repara
350
-
Anzahl der Vertriebenen und Umgesiedelten in Tausenden
tionsleistungen gefordert hatten, sollten ihre Ansprüche im wesentlichen aus ihrer Besat zungszone und aus Auslandsguthaben in den
len Einheit« Polens anerkannt, und so regelte
Ländern ihres europäischen Machtbereichs
man in Potsdam auch die Frage der deutschen
Die Vertreibung nahm ihren unerbittlichen
befriedigen.
Ostgrenzen und die Aussiedlung, wenn auch
Fortgang und forderte noch einmal einen
Stalin hatte vor, deutsche Ostgebiete (Pom
Tschechoslowakei und Ungarn legitimiert.
die Westmächte formal auf einer »vorläufigen
hohen Blutzoll:
Entscheidung« bestanden. Stalin konnte den
Menschen sind bei dieser Aktion auf die eine
fast anderthalb Millionen
oder andere Weise umgekommen.
mern, Schlesien und Westpreußen) Polen als
westlichen Alliierten dennoch vieles aufzwin
Ausgleich für die von der Sowjetunion annek
gen. Die Oder-Neiße-Linie, schon auf der
tierten polnischen Gebiete zuzuschlagen. Er
Konferenz von Jalta als Westgrenze Polens
Zur
wollte derart den polnischen Staat einfach
festgelegt, wurde mit Vorbehalt bestätigt, und
Deutschlandpolitilk einigte man sich auf die
nach Westen verschieben. Inzwischen hatten
die längst in vollem Gang befindliche Flucht
gemeinsame Richtlinie, Deutschland zu demi
die Westmächte die »Regierung der nationa-
und Ausweisung der Deutschen aus Polen, der
litarisieren,
Lösung
der
Tagesprobleme
in
der
denazifizieren, desindustrialisie-
495
Potsdamer Konferenz. Vom 17. Juli bis 2. August 1945 verhandelten die Siegermächte über die Zukunft des besiegten Deutschland. Ort der Zusammen kunft war das Schloß Cecilienhof in Potsdam. Das Bild zeigt den Konferenztisch mit den „Großen drei" Churchill, Truman und Stalin sowie deren Berater.
--�
" Die Alliierten wollten dem deutschen Volke die Möglichkeit zu einem Neuaufbau auf friedlicher und demokratischer Grundlage geben ... "
listische »Hauptkriegsverbrecher«. Im Ram penlicht der Weltöffentlichkeit ging es um die Kriegspolitik und millionenfachen Verbre ren und zu dezentralisieren. Der deutsche
zeigte es sich, daß das Wort »demokratisch« in
chen der Hitlerdiktatur. Die vier Siegermächte
Militarismus und Nazismus sollte ausgerottet
Ost und West einen sehr unterschiedlichen
hatten mit dem »Internationalen Militärge
werden, damit »Deutschland niemals mehr
Inhalt hatte. Im ideologisch-gesellschaftspoli
richtshof« erstklassige Juristen zu Anklägern
seine Nachbarn oder die Erhaltung des Frie
tischen Spannungsfeld drifteten die Zonen
und Richtern bestellt und ihrem Tribunal
dens in der ganzen Welt bedrohen kann«. Mit
durch eine Reihe unterschiedlicher Auslegun
eigens ein Rechtsinstrumentarium geschaffen,
diesem Ziel sollte Deutschland völlig abgerü
gen des Potsdamer Abkommens im Kielwas
in dessen Rahmen Anklage erhoben wurde
stet und entmilitarisiert werden, die gesamte
ser der Siegermächte immer weiter nach Ost
wegen der »Verbrechen gegen den Frieden«,
für eine Kriegsproduktion geeignete Industrie
oder West auseinander.
aus allen Ämtern entfernt, das politische
»Kriegsverbrechen« und »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«.
war zu beseitigen, Nationalsozialisten sollten
Am 20. November 1945 begann in Nürnberg,
Leben auf demokratischer Grundlage durch
dem Ort der nationalsozialistischen Reichs
Mehr als zehn Monate später erging das
greifend erneuert werden. Sehr bald indes
parteitage, der Prozeß gegen 23 nationalsozia-
Urteil:
Am
1. Oktober 1946 verkündete
dieser Militärgerichtshof zwölf Todesurteile, von denen zehn vollstreckt wurden - Her mann Göring hatte am Vorabend der Hinrich tung Selbstmord verübt, (geboren
Martin Bormann
1900, für tot erklärt 1954), Hitlers
Leiter der Parteikanzlei, wurde in Abwesen heit verurteilt. Hitlers ehemaliger Vizekanz ler, Franz von Papen freigesprochen.
(1879 - 1969), wurde
Im übrigen verhängte das
Gericht hohe Freiheitsstrafen , unter anderem lebenslängliche Haft für den ehemaligen Hit ler-Stellvertreter Rudolf Hess
(1894-1988).
Die Trümmerfrauen wurden in den ersten Nachkriegsjahren zum Symbol des beginnenden Wiederaufbaus. Sie klopften den alten Mörtel von den Ziegelsteinen, um verwendbares Baumaterial zu schaffen. Die Tätigkeit ging auf einen Beschluß des Alliierten Kontrollrats vom Oktober 1945 zurück. Er verfügte die ,Arbeitspflicht" für alle Männer und Frauen.
496
Bei dem Prozeß gegen die Hauptkriegsverbre cher saßen die Alliierten noch gemeinsam zu Gericht. Bei den zwölf Nachfolgeprozessen gegen Verantwortliche aus Politik, Diploma tie, Wirtschaft, Militär und der Vemichtungs maschinerie war diese Gemeinsamkeit zerbro chen. Bis Mitte des Jahres 1949 urteilten die Amerikaner in Nürnberg, die Briten in Lüne burg, die Sowjets vor ihren Militärtribunalen über »Euthanasie« und Menschenversuche, über Kriegsrüstung, Zwangsarbeit und Raub ausländischen Eigentums, über Geiselerschie ßungen auf dem Balkan, die Ausrottung der Juden
und
Vernichtung
der
Polen,
über
Mordaktionen in den besetzten Ostgebieten. Weitere Prozesse gab es vor Gerichten anderer ausländischer Staaten. Wenn es auch Fälle gab, in denen die Besatzungsmacht deutsche Gerichte ermächtigte, so blieben sie doch bis zum Ende der Besatzungszeit von der Strafver folgung
nationalsozialistischer
Verbrechen
weitgehend ausgeschlossen. Die juristischen wie die moralischen Positi onen des Gerichtsverfahrens gegen die Haupt kriegsverbrecher in Nürnberg sind bis heute umstritten geblieben. Darüber darf aber nicht vergessen werden, daß die herkömmlichen deutschen Strafgesetze völlig zur Verurteilung der Männer auf der Anklagebank ausgereicht hätten. Ungeschminkt waren einer breiten Öffentlichkeit auf diese Weise die Verbrechen, die Deutsche im Krieg und in den Vernich tungslagern begangen hatten, vor Augen ge führt worden. Die Alliierten sorgten für eine ausführliche Berichterstattung in Rundfunk
Ein wirklich großer Gedanke liegt dem Nürnberger Straf verfahren zugrunde: Wer als Treuhänder für Staat und Volk tätig wird, soll die Verantwortung für sein Tun nicht auf den Staat, dieses abstrakte unpersönliche Gebilde, abwälzen können. Er soll selbst mit Leib, Leben und Ehre dafür einstehen müssen, daß die Schranken und Gebote nicht mißachtet werden, die Mo ral und Recht aufgerichtet haben. Das bezieht sich auf den, der sich schuldhaft an der Entfesselung eines Angriffskrieges beteiligt, vor allen Dingen auch auf jene, welche Unmenschlichkeiten be fehlen, ausführen oder dulden, obgleich ihnen die Verhinderung solcher Missetaten möglich war. Wir denken dabei besonders an Massendeportationen, Rassen verfolgung, Zerstörung von Städ ten, Konzentrations/agergreuel, Bluturteile oder »Euthanasie«. (Herbert Kraus, ehern. Verteidiger beim Internationalen MiliJärgerichJshof Nürnberg)
genheit zu stellen. Spruchkammern entschie den
nach
diesen
»hauptschuldig«,
Unterlagen, »belastet«,
ob
jemand
»minderbela
stet«, »Mitläufer« oder »entlastet« war. Für die weitere Verwendung konnte das von großer Bedeutung sein. Das Verfahren wurde in den verschiedenen Besatzungszonen aber unter schiedlich gehandhabt, am rigorosesten in der amerikanischen Zone, denn die Amerikaner waren mit dem größten demokratischen Sen dungsbewußtsein ausgerüstet. Aus sehr unter schiedlichen Gründen führte diese gewaltige Gesinnungsprüfung zu unzähligen Fehlurtei len. Die oft willkürlich erscheindende Praxis der Spruchkammern rief auch bei zuverlässigen Antifaschisten Unmut hervor, zumal die über wältigenden Massen von Einzelverfahren in den Spruchkammern dazu führte, zunächst über die leichteren Fälle zu urteilen. Während sich der »kalte Krieg« zunehmend verschärfte, erlahmte das alliierte Interesse an der Durch führung der Entnazifizierung, und nun waren es oft gerade die schwerer Belasteten, die ungeschoren davonkamen. Daß solche Unge rechtigkeiten bei der deutschen Bevölkerung auf Unverständnis stießen, lag auf der Hand. Auch die oft rigoros durchgeführte Repara tions- und Demontagepolitik der Alliierten, die von der erbitterten Bevölkerung als eine Vernichtung von Arbeitsplätzen in schwerer wirtschaftlicher Notzeit empfunden wurde, löste tiefe Unzufriedenheit aus. Allmählich erwachte innerhalb der deutschen Bevölkerung wieder das Bedürfnis nach eige ner Gestaltung des politischen und wirtschaft-
und Presse, ohne jedoch bei der deutschen Bevölkerung das Bedürfnis nach ernsthafter Auseinandersetzung mit den zwölf Jahren der Hitlerdiktatur dauerhaft wecken zu können. Anders als nach dem Ersten Weltkrieg aber war diesmal den Deutschen die Flucht in Dolchstoß- und Verratslegenden verlegt. Jeder erwachsene Deutsche hatte sich indes mit seiner eigenen Haltung in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur auseinander zusetzen. Es bedurfte eines politischen Reini gungsprozesses, der »Entnazifizierung«, be vor man der Bevölkerung den Wiederaufbau ihres Staates zutrauen mochte. Jeder erwach sene Deutsche hatte sich zu diesem Zweck den
131 Fragen eines Fragebogens und damit der eigenen Verstrickung in die jüngste Vergan-
Der Nürnberger Prozeß (20.11.1945-1.10.1946). Blick auf die Angeklagten während der ersten Sitzung des Militärtribunals am 20. November 1945. 497
durch ein Kontrollratsgesetz das Land Preu
BILIT.&llY GOVEBIWJIEIWT OF GBBDA.lWY
ßen aufgelöst. Die neuen Länder entstanden vom Grundsatz her unabhängig von histori scher Legitimität: zuerst in der sowjetischen Besatzungszone, Sachsen,
und
Thüringen,
zwar
Mecklenburg,
Sachsen-Anhalt
und
Brandenburg. Es folgten in der britischen Zone Niedersachsen (aus dem Zusammen schluß von Hannover, Braunschweig, Olden burg und Schaumburg-Lippe), dann Schles wig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Ham burg. In der amerikanischen Zone war Bayern in den historischen Grenzen erhalten geblie ben. Die Amerikaner schufen dann die Län der (Nord-)Württemberg-Baden, Hessen und später Bremen. In der französischen Zone entstand ein (Süd-)Baden und (Süd-)Würt temberg-Hohenzollem, das im April
1952
dem neugebildeten Bundesland Baden-Würt temberg angegliedert wurde, sowie Rhein land-Pfalz, das sich, aus vielen Territorial splittern zusammengefügt, dennoch als lebens fähig erwies. Nach den im »Potsdamer Protokoll« festge legten
Vorstellungen
der
Alliierten
sollte
Deutschlands Verwaltung »in Richtung auf eine Dezentralisation der politischen Struktur und auf die Entwicklung örtlicher Selbstver waltung hin angelegt werden.« Deshalb för derten die Alliierten das Wiederaufleben eines breiten und vielseitigen Parteienspektrums: Da war die SPD, für die der ehemalige Reichstagsabgeordnete
(1895 - 1952),
Kurt
Schumacher
von zehnjähriger Konzentra
tionslagerhaft gezeichnet, noch vor der Kapi tulation einen Ortsverein Hannover am liehen Lebens. Aus der Emigration, den KZs oder Zufluchtsorten fanden sich verläßliche Demokraten, die im kommunalen Bereich und in der Parteiarbeit ans politische Werk gingen. Die deutschen Politiker, die zunächst auf Befehl der lokalen, regionalen oder zona len Dienststellen der Besatzungsmächte in die Bürgermeister-, Landrats- und Ministerpräsi dentenämter einrückten, waren zum größten Teil schon in der Weimarer Republik als Kommunisten,
Sozialdemokraten, Liberale,
April
Entnazifizierung.
1945
19.
gegründet hatte. Er setzte seinen
Führungsanspruch zumindest in den Westzo
Das Faksimile zeigt einen Auszug aus dem 131 Fragen enthaltenden ,Fragebogen", in dem jeder Deutsche über 18 Jahren Angaben zu seiner Person und Vergangenheit machen mußte.
nen durch, auch gegen den sozialdemokrati
"Von diesem Fragebogen hing für viele Deutsche ihr weiteres Schicksal ab.„ "
Anfang Oktober
schen Exilvorstand in London, und erteilte der Idee einer Einheitsbewegung der Sozialdemo kraten mit den Kommunisten eine frühe und entschiedene Absage.
1945 waren die Verhältnisse 120 Dele
soweit gediehen, daß Schumacher
gierte aus Ortsvereinen nach Wennigsen bei Hannover zur Wiedergründung der Partei ein laden konnte. Die FDP, in der sowjetischen
Christlich-Soziale oder Konservative geprägt worden und fanden sich jetzt meist in ihren
Die Hitler-Diktatur hatte von den alten deut
Zone LDPD genannt, übernahm das Erbe der
alten, nunmehr auf zonaler Grundlage neuge
schen Staaten nicht viel übriggelassen. Sie
ehemaligen DDP und DVP der Weimarer Zeit
griindeten Parteien wieder zusammen. Nach
waren zu Verwaltungseinheiten geschrumpft.
und gruppierte sich zunächst hauptsächlich in
und nach wurde seit
Fast drei Fünftel der Fläche des Deutschen
1946
auch wieder ge auch für
Zonengrenzen waren ohne große Berücksich
Osten um Eugen Schiffer (1860- 1954). Einen
die Länderparlamente. In den drei anderen
tigung der alten Ländergrenzen gezogen wor
völligen Neuanfang dagegen wagte die CDU
Zonen standen im September
den; und nun lag in jeder Zone ein Stück
mit
wieder Wähler an den Wahlurnen.
498
erstmals
Preußen
ehemaliges Preußen. Im Februar
gehört.
Die
im
auf kommunaler Ebene, Ende
1946
einst
1963) und Reinhold Maier (1889 - 1971),
Reiches
1946
hatte
Südwestdeutschland um Theodor Heuss ( 1884-
wählt, - in der amerikanischen Zone zuerst
1947 wurde
ihrer
Gründung
im
Juni
des
Jahres
1945. Eine SammJungsbewegung christlicher,
Führende Politiker der deutschen Nachkriegsjahre
Konrad Adenauer
Kurt Schumacher
Wilhelm Pieck
Otto Grotewohl
konservativer und liberaler Kräfte, die aus der
einige Tage vor Kriegsende in Deutschland
s arnrnenschluß mit der KPD zur
Erfahrung des Widerstandes gegen den Natio
eingetroffen war, um seiner Partei den Boden
listischen Einheitspartei« (SED) beschlossen
»Sozia
nalsozialismus die Konfessionalisierung im
zu bereiten. Er suchte eine zivile politische
und zwei Tage später vollzogen. Die solcher
alten Parteiensystems zu überwinden strebte
Führung mit gesamtdeutschem Anspruch und
maßen ins Leben gerufene SED wandelte sich schnell in eine der Sowjetunion untergeordnete
und nun für Katholiken wie für Protestanten
nach außen hin zunächst ohne einseitiges
wählbar sein sollte, war mit dieser Partei ins
sozialistisches oder kommunistisches Konzept
Kaderpartei leninistischen Typs. Damit war
politische Leben getreten. Die Partei sprach
zu verwirklichen. So entstand auch hier die
eine Tatsache geschaffen, die die Spaltung
das gesamte Spektrum von christlichen Ge
gleiche Parteienvielfalt wie in den Westzonen,
Deutschlands wesentlich fördern sollte.
werkschaften über Liberale bis hin zu gemä
und zwar mit der ausdrücklichen Zielsetzung,
ßigten Konservativen an. Frühzeitig bildete
den Nationalsozialismus zu beseitigen und den
Auf dem ersten Nachkriegsparteitag der West
sich hier eine rheinisch-westfälische Vorherr
Wiederaufbau zu fördern. Dabei stellte sich
zonen-SPD
schaft unter dem damals 70jährigen Konrad
jedoch heraus, daß die KPD einen sehr viel
Ersten Vorsitzenden und Erich Ollenhauer
wurde
Kurt
Schumacher zum
Adenauer (1876 - 1967) heraus, dem Ober
geringeren Zulauf als die SPD oder die bürger
(1901 - 1963) zu seinem Stellvertreter ge
bürgermeister von Köln in den Jahren 1917
lichen Parteien aufzuweisen hatte. Die KPD,
wählt. Der Parteitag verurteilte den Zusam
bis 1933. Das war ein Führungsanspruch, den
SPD, CDU und LDPD schlossen sich daher
menschluß mit der KPD und schwenkte auf
er erst gegen die Berliner CDU unter Jakob Kai
zunächst im Juli 1945 auf Anweisung der
einen deutlich antikommunistischen Kurs ein.
ser (1888 - 1961), den Kopf der christlichen
sowjetischen Besatzungsmacht zu einer »Ein
Die Spaltung zwischen der sowjetischen Be
Gewerkschaftsbewegung, durchsetzen mußte.
heitsfront« gegen den Faschismus zusarnrnen.
satzungszone auf der einen und den drei
Thre Beschlüsse mußten einstimmig sein, so
Westzonen auf der anderen Seite zeichnete sich auch auf anderen Gebieten ab. Dahinter
Solche Schwierigkeiten gab es auch in ande
daß keine Partei majorisiert werden konnte.
ren Parteien: So stand etwa die hannoversche
Darin lag eine deutliche Unterstützung für die
stand der zunehmende weltpolitische Gegen
SPD-Zentrale in starkem Spannungsverhält
Kommunisten.
satz zwischen der Sowjetunion und den West
nis zur Berliner SPD-Führung unter Otto Grotewohl
(1894 - 1964),
und
auch
mächten, der eigentlich viel älter und nur eine
die
Ende des Jahres 1945 war die KPD organisa
Zeitlang durch den gemeinsamen Kampf ge
LDPD unter Wilhelm Külz in Berlin fühlte
torisch soweit gerüstet, daß sie ihre Vereini
gen Hitler-Deutschland überdeckt gewesen
sich in der Vorreiterrolle der Liberalen. Das
gung mit der SPD forderte. Der Berliner SPD
war. Jetzt wurde dieser Gegensatz noch zu
hing zum einen mit der nach wie vor ungebro
Zentralausschuß unter Otto Grotewohl ge
sätzlich verstärkt durch die Politik der Sowjet
chenen Symbolkraft Berlins als Reichshaupt
riet unter schweren sowjetischen Druck, wi
union in Osteuropa. Thre beherrschende mili
stadt zusarnrnen, zum anderen aber mit der
derstrebende sozialdemokratische Funktionä
tärische Position in dieser Region nutzte die
raschen und zielbewußten Politik der Sowjets,
re verschwanden auf Nimmerwiedersehen,
Sowjetunion nämlich, um ihr geostrategisches
die die Bildung von Parteiorganisationen in
andere sollten erst viel später aus sibirischen
Vorfeld auszubauen und sich mit einem Gürtel
ihrer Zone besonders frühzeitig gefördert und
Lagern oder dem (den neuen Umständen
von Satellitenstaaten zu umgeben, ohne daß
von oben eingesetzt hatten.
angepaßten) KZ Buchenwald zurückkehren.
eine
Bei der einzigen Urabstimmung in den West
sionswünsche zu erkennen gewesen wäre.
Den Sowjets ging es in erster Linie um die
zonen Berlins im März 1946 entschieden sich
Stärkung der
mehr als 82 Prozent der
KPD,
deren
Führer
Walter
Ulbricht (1893 - 1973) als Mitbegründer des
Begrenzung
der sowjetischen Expan
Sozialdemokra
Im Iran, in der Türkei und in dem vom
ten gegen den Zusarnrnenschluß mit der KPD.
Bürgerkrieg zerrissenen Griechenland gerie
Nationalkomitees »Freies Deutschland « (ge
Dennoch wurde auf einem »Vereinigungs
ten sowjetische und anglo-amerikanische In
gründet 1943) mit der Roten Armee bereits
parteitag«
teressen so aneinander, daß sich hinter diesen
(19./20.
April
1946)
der
Zu-
499
Umgekehrt wurde in Washington die sowjeti
Rede des US-Außenministers Bymes Wir treten für die wirtschaftli che Vereinigung Deutsch lands ein. Wenn eine völlige Vereinigung nicht erreicht werden kann, werden wir al les tun, was in unseren Kräf ten steht, um eine größtmög liche Vereinigung zu sichern. Der Hauptzweck der militäri schen Besetzung war und ist, Deutschland zu entmilitari sieren und zu entnazifizieren, nicht aber den Bestrebungen des deutschen Volkes hin sichtlich einer Wiederauf nahme seiner Friedenswirt schaft künstliche Schranken zu setzen. (... ) Die amerikanische Regie rung steht auf dem Stand punkt, daß jetzt dem deut schen Volk innerhalb ganz Deutschlands die Hauptver antwortung für die Behand lung seiner eigenen Angele•
genheiten bei geeigneten Si cherungen übertragen wer den sollte. (. . ) Die Vereinigten Staaten tre ten für die baldige Bildung einer vorläufigen deutschen Regierung ein. Fortschritte in der Entwicklung der öffentli.
James F. Bymes
sche Deutschlandpolitik als Versuch verstan
chen Selbstverwaltung und der Landesselbstverwaltun gen sind in der amerikani schen Zone Deutschlands erzielt worden, und die ame rikanische Regierung glaubt, daß ein ähnlicher Fortschritt in allen Zonen möglich ist. ( .) Während wir darauf beste hen, daß Deutschland die Grundsätze des Friedens, der gutnachbarlichen Bezie hungen und der Menschlich keit befolgt, wollen wir nicht, daß es der Vasall irgendeiner Macht oder irgendwelcher Mächte wird oder unter einer in- oder ausländischen Dik tatur lebt. Das amerikanische Volk hofft, ein friedliches und demokratisches Deutsch land zu sehen, das seine Freiheit und seine Unabhän gigkeit erlangt und behält...· (12. Juli 1946) . .
den, ganz Deutschland für den sowjetischen Einflußbereich
zu
vereinnahmen.
Deshalb
entschied sich die amerikanische Führung, den Einigungsprozeß in den Westzonen auch auf die Gefahr einer Zerreißprobe für Deutsch land voranzutreiben. Am 12. Juli 1946 sprach sich Bymes zum ersten Mal für einen wirt schaftlichen Zusammenschluß der übrigen westzonalen Besatzungszonen mit der ameri kanischen aus. Am 1. Januar 1947 wurde die
Am 8. April 1949
»Bi-Zone« eingerichtet.
fand sich die französische Regierung zur Bil dung einer »Tri-Zone« bereit, und damit war der wirtschaftspolitische Vorläufer der Bun desrepublik Deutschland ins Leben getreten. Vorerst sorgte Frankreich für eine Einbezie hung
des
erweiterten
Saarlandes
in
sein
eigenes Zoll- und Wirtschaftsgebiet. In seiner vielbeachteten Rede vom 6. Septem ber 1946 vor den Ministerpräsidenten der süddeutschen Länder in Stuttgart kündigte der amerikanische Außenminister Bymes unter dessen
neue
amerikanische
Initiativen an,
legt, daß Deutschland als eine wirtschaftliche
indem er für eine zentrale deutsche Verwal
tation zwischen dem Sowjetblock und den
Einheit zu behandeln sei und daß die Reparati
tung und einen »Deutschen Nationalrat« als
Westmächten auftat: Die USA fühlten sich
onen es dem deutschen Volk nicht unmög
Vorstufe zu einem Parlament plädierte. Den
bedroht durch das nicht einzudämmende und
lich machen dürften, aus eigener Kraft zu
französischen
die vereinbarten Interessensphären nicht re
leben. Mit dem politischen Alltag sollten sich
zwar zu, lehnte aber die Abtretung des Rhein
spektierende Vordringen des Sowjetkommu
diese Grundsätze nicht vereinbaren lassen.
und Ruhrgebietes ebenso ab wie die endgülti
nismus. Vor allem an den alten neuralgischen
Auf Außenministerkonferenzen in London, in
ge Anerkennung der Oder-Neiße-Linie. »Das
Punkten im Femen Osten, im Iran, auf dem
Moskau und schließlich im Juni/Juli 1946 in
amerikanische Volk,
Balkan und in Osteuropa brachen die Gegen
Paris bemühte man sich vergeblich um eine
gekämpft hat, hat nicht den Wunsch, das
sätze auf. Schon die Regierungsbeteiligung
Einigung über Reparationszahlungen - zehn
deutsche Volk zu versklaven«, erklärte er. Der
der kommunistischen Partei in vielen europä
Milliarden Dollar forderten allein die Sowjets
sowjetische
ischen Ländern wie in Frankreich, Italien oder
aus ganz Deutschland und darüber hinaus die
Molotow
Konflikten nun auch die weltweite Konfron
Saarforderungen
das
stimmte
er
für die Freiheit
Außenminister
Wjatscheslaw
Belgien war aus dieser Sicht verdächtig. Die
Beteiligung der Sowjetunion an einer Vier
(1890 - 1986) erklärte daraufhin am 16. September 1946, die Oder-Neiße
Sowjetunion sah sich gefährdet durch die
mächtekontrolle
Linie sei endgültig, und abweichend von der
Wirtschaftsmacht USA und deren militäri
Frankreich stellte nun seine Forderungen und
Haltung
sche, durch das Atombombenmonopol ge
wollte durch ständige Anwesenheit französi
schloß sich die SED der sowjetischen Auffas sung von der »Friedensgrenze« an.
des
Ruhrgebiets.
Auch
aller
übrigen
deutschen
Parteien
stärkte Überlegenheit. Der wirtschaftliche Ge
scher Truppen an der Rheinlinie und die
gensatz - Planwirtschaft in der Sowjetunion
Abtrennung des linken Rheinufers und des
und freie Marktwirtschaft, die freie Märkte
Ruhrgebiets abgesichert werden. Das alles
brauchte, im Westen - tat ein übriges. Die
gefährdete die Versorgung der deutschen Be
sie aufzuhalten, lud die bayerische Landesre
Zeit des kalten Krieges brach an, und der
völkerung. Deshalb hatten die USA die Repara
gierung alle deutschen Länderregierungschefs
damalige britische Oppositionsführer Winston
tionslieferungen aus ihrer Zone an die So
zu einer gesamtdeutschen Ministerpräsiden
Churchill prägte am 5. März 1946 in einer
wjetunion bereits eingestellt. Als sich das
tenkonferenz über Wirtschafts-, Emährungs
vielzitierten
vom
Scheitern der Außenministerkonferenz von
und Flüchtlingsprobleme vom 5. - 8. Juni
»Von Stettin an der
Paris bereits abzeichnete, forderte der ameri
1947 nach München ein. Allzu hochgespannt
kanische Außenminister James
F. Bymes
waren die Erwartungen nicht, mit denen man
ein >Eiserner Vorhang< über den Kontinent
(1879 - 1972) zur Verbesserung der Versor
den Versuch einer deutschen Initiative zur
gezogen.«
gung der Bevölkerung im Juli 1946 im Alliier
Wahrung der Einheit der Nation unternahm.
ten Kontrollrat den wirtschaftlichen Zusam
Die Länder der französischen Zone hatten sich
Rede
das
»Eisernen Vorhang«:
Schlagwort
Ostsee bis hinunter nach Triest an der Adria ist
Die drohende Spaltung kündigte sich an. Um
Nirgendwo wirkte sich der kalte Krieg so
menschluß aller vier Besatzungszonen. Die
nur unter der Bedingung beteiligt, daß politi
unmittelbar aus wie im besetzten Deutsch
Sowjetunion lehnte ab und bezeichnete den
sche Probleme ausgeklammert bleiben soll
land. Im Potsdamer Abkommen hatten sich
westlichen Vorstoß als gezielte Maßnahme des
ten. Damit aber wollte sich die Delegation aus
die vier Alliierten grundsätzlich darauf festge-
amerikanischen »Wirtschaftsimperialismus«.
der sowjetischen Zone nicht abfinden und
500
Lebensmittelkarte. Die Militärregierungen hielten die aus den letzten Kriegsjahren stammende Bewirtschaftung der Konsumgüter („Rationierung") aufrecht. Eine Lebensmittelkarte für den Erwachsenen über zwanzig Jahre erbrachte eine Tagesration von 350 g Brot, fünf g Butter, 14 g Fleisch, 43 g Gemüse, 1/8 Liter Magermilch, zwei Kartoffeln und 52 g Käse (amerikanische Zone, Oktober/ November 1947).
reiste bereits am Vorabend der Konferenz wieder ab. Vielen schien die deutsche Teilung damit besiegelt. Noch immer war politisches Engagement in Deutschland nicht jedermanns Sache. Zu sehr hatte »Otto Normalverbraucher«, der statisti sche
Durchschnittsbürger
also,
eigenen wirtschaftlichen Notlage
mit zu
seiner ringen.
An Nahrungsmitteln und Heizstoffen herrsch te großer Mangel, der Bedarf konnte aus der eigenen daniederliegenden Produktion nicht gedeckt werden, und für Importe hatte man keine Devisen.
So wurde mit Hilfe von
oder sammelte kiloweise Bucheckern, für die
von rationierten Zigaretten zu. Da aber nicht
Lebensmittelkarten und Bezugsscheinen die
sich 100-Gramm-Marken zum Bezug von
jeder Raucher war, konnten solche Anrechts
Annut verwaltet.Wer allein darauf angewie
Margarine eintauschen ließen, - zeitraubende
scheine gegen die für Milch oder Butter
sen war, hatte zum Leben zuwenig, zum
Arbeiten, die bei der großen Konkurrenz der
getauscht werden. Wer darüber hinaus meist in alliierten Dienststellen zu »Ami-Zigaretten«
Sterben aber zuviel. Geld war nicht viel wert.
Hungernden in diesem Geschäft nur geringe
Zu viel war infolge der Kriegswirtschaft im
Erträge brachten. Neben solchen Aktivitäten
kam, konnte Eier, Butter und Wurst erstehen.
Umlauf. Wer in den zerbombten Städten nicht
auf dem Lande bildete sich in den Städten ein
Und seit dem Jahre 1946 rettete die Hilfe des
gerettete Wertgegenstände - Teppiche, Tafel
üppig blühender Schwarzmarkt heraus, an
amerikanischen Steuerzahlers mit dem Pro
für Tauschgeschäfte auf
dem der Großteil der Bevölkerung sich betei
gramm »Govemment Aid and Relief in Occu
die Bauernhöfe tragen konnte, mußte zur
ligte. Gegen viel Geld oder im Tauschhandel
pied Areas« sowie auch die Hilfe der amerika
silber oder Schmuck
-
Erntezeit Ähren, Rüben oder Kartoffeln von
war hier sehr vieles zu bekommen. Eine große
nischen Wohlfahrtsverbände mit Schulspei
den abgeernteten Feldern nachlesen, konnte
Rolle spielte die »Zigarettenwährung«: Je
sungen und Care-Paketen in der Bi-Zone
Torf stechen und ließ sich mit Torf entlohnen
dem Erwachsenen standen Marken zum Bezug
Hunderttausende vor dem Verhungern.
" Auf dem Schwarzmarkt der Nachkriegszeit war fast alles zu haben vorausgesetzt, man hatte sehr viel Geld oder selbst etwas zu verkaufen ... " Schwarzmarkt· Razzia. Auf die Zwangsbewirtschaftung der Militärregierungen reagierte die Bevölkerung mit illegalem Handel. Besonders in den Städten blühte der Schwarzmarkt, gegen den die Behörden im Grunde machtlos waren. Das Bild zeigt eine Polizei-Aktion in Berlin (März 1946). 501
Der Historiker urteilt „Die Wirkung der Währungs reform war schlagartig zu be obachten. Von einem Tag zum anderen waren die Schaufenster wieder gefüllt. Es zeigte sich, daß noch mancherlei an Waren und Gütern gehortet gewesen war. Der Schwarze Markt ver lor seine Attraktivität. Aufge staute Arbeitsenergien wur den freigesetzt. Gleichzeitig mit der Währungsreform wur de die Wirtschaftspolitik neu orientiert. Die Ablösung des bisherigen wirtschaftlichen Dirigismus durch Marktwirt schaft war nicht zwangsläu fig, sondern das Ergebnis ei ner leidenschaftlich umstritte nen, im Wirtschaftsrat mit nur knapper Mehrheit gefällten Grundsatzentscheidung ge gen die von Sozialdemokra ten und Gewerkschaften ver tretene Planwirtschaft. Am 17./ 18. Juni 1948, unmittel bar vor der Verkündung der Währungsreform durch die Militärregierungen, nahm der Wirtschaftsrat ein durch Lud wig Erhard für den Verwal tungsrat eingebrachtes »Ge setz über die wirtschaftspoliti schen Leitsätze nach der
Geldreform« mit 50:37 Stim men an. Soweit irgend mög lich, sollten Warenbewirt schaftung und Preisvorschrif ten beseitigt werden. Der Di rektor für Wirtschaft erhielt den Auftrag, die hierfür not wendigen Maßnahmen zu treffen. Hunderte von bisherigen wirt schaftsdirigistischen Verord nungen wurden aufgehoben, u.a. die Lebensmittelratio nierung, wenn auch die Prei se für Grundnahrungsmittel ebenso wie für Wohnungs mieten zunächst kontrolliert blieben. In den freigegebe nen Bereichen der Wirtschaft stiegen in den ersten Mona ten nach der Währungsre form durch eine das Angebot übersteigende Nachfrage die Preise an. Daß diese Preis bewegung nicht in eine aber malige Inflation ausartete, ist nicht zuletzt darauf zurückzu führen, daß erst im Oktober der bis dahin geltende Lohn stopp aufgehoben wurde und daß sich auch danach die Gewerkschaften in der For derung von Lohnerhöhungen verhielten. zurückhaltend Auch die Arbeitslosigkeit
stieg. Die Arbeitslosenquote sollte 1950 den hohen Stand von 10,3 Prozent erreichen, um danach stetig abzusin ken. Das Steigen der Arbeits losigkeit nach dem Wäh rungsschnitt erklärt sich aus mehreren Gründen: Viele, die wertloser Lohn nicht gelockt hatte, meldeten sich jetzt bei den Ämtern als Arbeitssu chende; die Belegschaften waren in der Zeit des wertlo sen Geldes zum Teil stark überbesetzt gewesen; der Zuwanderungsüberschuß in den westlichen Besatzungs zonen war auch in den Jah ren 1949 und 1950 noch er heblich, wenn auch nicht mehr so hoch wie in den Jahren 1947/48 (in 1000: 1947=882;1948=85 1;1949 = 447; 1950 = 4 10). Dabei stieg aber die Zahl der be schäftigten Arbeitnehmer ste tig an (1948 =14,2 Millionen; 1949 = 14,9 Millionen; 1950 = 15,5 Millionen). Im Jahre 1949 hatte das Bruttosozial produkt der drei Westzonen 98 Prozent des Standes von 1936 {in konstanten Preisen) erreicht." {Karl Dietrich Erdmann)
Währungsreform. Am 20. Juni 1948 wurde die DM als neue Währungseinheit eingeführt. Die Reichsmarkguthaben wurden im Verhältnis 10:1 umgestellt. Das Bild zeigt eine Hamburger Umtauschstelle am Morgen des 20. Juni.
502
Die amerikanische Regierung sah die wirt schaftliche Not, wie sie in mehr oder weniger krasser Form in ganz Europa herrschte, mit einiger Besorgnis. Man fürchtete im State Department nämlich, dem Kommunismus werde auf diese Weise der Boden bereitet. So bot der neue US-Außenminister Georg C. Marshall (1880- 1959) am 5. Juni 1947 allen europäischen Nationen ein Programm aus Kre diten, Lebensmittel- und Rohstofflieferungen an, das als eine Art »Hilfe zur Selbsthilfe« geplant war. Die Sowjetunion wies dieses Angebot sogleich für die Länder ihres Machtbe reichs scharf zwück, für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Westeuropas einschließlich der deutschen Westzone hingegen erwies sich die ser Marshall-Plan als äußerst hilfreich. Neue Hoffnungen bei der von großer Not bedrückten Bevölkerung erweckte auch der »Revidierte Industrieplan« für die Bi-Zone vom 29. August 1947. Der alte, für alle vier Zonen gültige Industrieplan des Alliierten Kon trollrats vom März 1946 sollte das deutsche Industriepotential, sorgfältig geplant und kon trolliert, auf ein Existenzminimum zu rückführen, und die daraus folgenden De montagen von Industrieanlagen sollten gleich zeitig die Reparationsansprüche von 18 Staa ten gegenüber den Westzonen befriedigen. Ausdrücklich wurde nun aber erklärt, daß dieser Plan nicht durchführbar sei. Statt der 5,8 Millionen Tonnen Stahl, die die Deut schen in allen vier Zonen produzieren durften, sollten sie künftig allein in der Bi-Zone 10,7 Millionen Tonnen Stahl erzeugen dürfen. Aber die neuen Demontagelisten forderten immer noch den Abbau von 682 Industriebetrieben der Bi-Zone, die als Reparationsgüter erforder lich waren. Der Abbau weiterer Produktions stätten wurde als eine unverständliche Härte der Alliierten empfunden. Die eigentliche Lei stungsfähigkeit der Deutschen, so dachte man, lag in ihrer Arbeitskraft. Aber so manche Maschine, die jetzt als Reparationsgut abge baut wurde, konnte wenig später durch eine neue, leistungsstärkere ersetzt werden. Bevor die deutsche Wirtschaft sich deutlich erkennbar erholen konnte, bedurfte es einer grundlegenden Veränderung des Währungs systems, um das Verhältnis von Warenange bot und Geldmenge zu normalisieren. Die Währungsreform vom 20. Juni 1948 schuf in den Westzonen die Voraussetzung für den Wirtschaftsaufschwung. Für die Währungsre form gab es deutsche Experten, allen voran Ludwig Erhard (1897 - 1977), Direktor der Verwaltung für Wirtschaft im vereinig-
ten Wirtschaftsgebiet, dessen Namen mit dem Erfolg
der Währungsreform
in
legendärer
Weise verbunden blieb. In Wirklichkeit hat ten die Alliierten das Geldwesen in ihrer Planung bereits weitgehend geordnet und druckten seit Oktober 1947 in den Vereinig ten Staaten das neue Geld, das, in geheimen Transporten von New York über Bremerha ven im Frühjahr 1948 nach Frankfurt gelangt, in Kisten für die Ausgabe am geheimgehalte nen »Tage X« bereit lag. Geheimhaltung war eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen; und so wurden die deutschen Experten mit ihren Mitarbeitern auch am 20. April 1948 in einem Bus mit undurchsichtigen Fenstern an einen ihnen unbekannten Ort zu einer ab
Marshall ·Plan. Der von dem amerikanischen Außenminister George C. Marshall im Jahre 194 7 entworfene Plan zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas erwies sich als hilfreich für die Bevölkerung der deutschen Westzone. Unser Bild zeigt West berliner Arbeiter beim Aufbau von Wohnungen, deren Bau durch die Marshall-Plan-Hilfe unterstützt wird.
schließenden Arbeitstagung mit den Alliierten verfrachtet. In klösterlicher Abgeschiedenheit übersetzten sie bis zum 8. Juni 1948 Gesetzes texte und Verordnungen, arbeiteten Formulare aus und taten Hilfsdienste. Eine wirkliche Chance zur Mitgestaltung bot sich nicht mehr in diesem »Konklave von Rothwesten« auf dem Flugplatz der US-Luftwaffe in der Nähe von Kassel. Bestgehütetes Geheimnis der Alliierten war der Ausgabetermin. Gerüchten folgend, hor teten manche Geschäftsleute ihre Waren, die Regale in den Läden blieben leer, und vorsor
"„. um der weiteren Ausbreitung des Kommunismus wirksam entgegentreten zu können "
Geld
noch
schnell
auf
ten.
Durch zweierlei Währungen lag die
Spaltung des deutschen Wirtschaftsgebietes
gende Bürger versuchten ihr bald wertlos werdendes
wurde nun mit neuem Geld zur Kasse gebe
für jedermann nun offen zu Tage.
dem
Schwarzen Markt umzusetzen, diesem zu
Vorerst änderte sich in den Westzonen nun die
einer letzten Blüte verhelfend. Am Abend de�
Situation schlagartig, weil Ludwig Erhard,
In Berlin sollte es zu einem Währungs
18. Juni 1948 erfuhr die Bevölkerung, was am
der Wirtschaftsdirektor der Bi-Zone, eigen
kampf kommen, der sich zum Kampf um
Sämtliche
mächtig über Nacht Bezugsscheine und Le
Berlin auswuchs. Die Verwaltung der Sowjet
Reichsmarkbestände mußten abgeliefert und
bensmittelkarten, die so lange wertvoller ge
zone versuchte nämlich, der Ostmark in ganz
eingetauscht
Das neue Geld, die
wesen waren als das Geld, abschaffte und die
Berlin Gültigkeit zu verschaffen, während die
»Deutsche Mark«, die in einer beispiellosen
Preisbindungen aufhob. Die Warenlager bo
Westmächte in ihren Sektoren die D-Mark
20. Juni
1948
erfolgen
werden.
sollte:
Transportaktion in die Ausgabestellen gelangt
ten tatsächlich mehr, als der Bürger für das
Währung einführten, wobei sie die Ostmark
war, wurde zugeteilt: Die Bürger erhielten ein
knapp gewordene Geld kaufen konnte, Ange
in ihrem Bereich anerkannten. Die Sowjets
Kopfgeld von 60 DM im Verhältnis 1 : 1
bot und Nachfrage hießen die neuen Richtli
nahmen dies zum Vorwand für eine totale
umgetauscht, 40 DM davon im Juni, den Rest
nien des Marktes, der wieder zu funktionieren
Blockade Berlins (24. Juni 1948 - 12. Mai
im August. Die Erstausstattung der öffentli
begann. Die Marshall-Plan-Hilfe tat ein übri
1949). Das ganze Frühjahr 1948 hindurch
chen Hand war bemessen nach dem jeweili
ges, der von Ludwig Erhard propagierten
hatte es Schikanen auf den Zufahrtswegen
gen Monatsbetrag der Einnahmen. Für Spar
»Sozialen Marktwirtschaft« zum gewaltigen
nach Berlin gegeben: Da wurden Frachtschif
guthaben von 100 Reichsmark gab es 6,50
Aufschwung, zum »Wirtschaftswunder« zu
fe nicht abgefertigt, weil angeblich die Papiere
DM, und die Hälfte davon galt als Sperrgutha
verhelfen. Im Sog dieses Aufschwungs ging es
nicht in Ordnung waren, Militärzüge der
ben. Gehälter und Löhne aber wurden im
allen, selbst den Verlierern der Währungsre
Briten und Amerikaner an der Zonengrenze
Verhältnis 1 : 1 weitergezahlt, die Arbeitgeber
form, wieder besser. - Drei Tage später kam es
zurückgeschickt oder tagelang festgehalten,
erhielten für jeden Beschäftigten einen Kredit
in der sowjetisch besetzten Zone zu einer
oder der Schienenverkehr mußte plötzlich
von 60 DM. Die Währungsreform bestrafte
improvisiert wirkenden Währungsreform: Es
ausschließlich über Helmstedt geleitet wer
die Sparer, indem sie die Geldwertbesitzer
gab noch keine neuen Geldscheine, die alten
den - die Nachrichten berichteten fortgesetzt von solchen Vorfällen. Die völlige Abriege
sie
Reichsmarkscheine wurden, mit Kupons ver
die Besitzer von
sehen, zum volkstümlich »Tapetenmark« ge
lung aller Land- und Wasserwege kam den
Produktionsmitteln und Waren begünstigte.
nannten neuen Zahlungsmittel. Grundsätzlich
noch überraschend.
Nach den Vorstellungen aller Parteien war ein
wurde hier im Verhältnis 1 : 1 umgestellt,
Berliner Magistrats an die UN vom 29. Juni
sehr
weitgehend
Haus- und
enteignete,
Grundbesitz,
während
In einem Appell des
gerechter Lastenausgleich dringlich, doch der
Bargeld und Bankguthaben aber wertete man
1948, der die UN nie erreichte, hieß es zur
sollte noch auf sich warten lassen.
im Verhältnis 1: 10 ab. Wer Schulden hatte,
Lage in der Stadt: »Die gesamte Berliner
503
Trotzdem war die Arbeitslosigkeit in Berlin gewaltig gestiegen. Im Mai 1948 hatte der Produktionsindex infolge der Kriegsschäden und Nachkriegsdemontagen noch 42 Prozent des Standes von 1936 betragen, während der Blockade schrumpfte er auf 17 Prozent. Fast elf Monate hielten die Berliner durch und lebten von Trockenkartoffeln, Trockengemüse und -obst, von Ei- und Milchpulver, das die »Rosinenbomber« einflogen, bis Stalin seine Bereitschaft zu Berlinverhandlungen signali sierte. Am 4. Mai 1949 wurde in New York ein Viermächteabkommen unterzeichnet, das die sowjetische Blockade Berlins aufhob. Für dieses
unglaubliche
hatten die
britischen
Transportunternehmen und
amerikanischen
Steuerzahler tief in die Tasche greifen müssen. Aber auch die Deutschen in den westlichen Besatzungszonen
brachten
seit
November
1948 eine Sondersteuer »Notopfer Berlin« auf - das waren ein Prozent aller Lohn- und Gehaltszahlungen - und einen Zuschlag von Bevölkerung wird nach Erschöpfung der noch in der Stadt vorhandenen Kohlenvorräte, das heißt nach Ablauf einer nur wenige Wochen betragenden Frist, vor dem Erliegen der Gas-, Elektrizitäts- und auch Wasserversorgung ste hen. (... ) Etwa um die gleiche Zeit wird auch die Möglichkeit der geordneten Ernährung für die Bevölkerung dieser drei Sektoren aufhö ren, da die jetzt vorhandenen Vorräte durch
zwei Pfennig für jede innerdeutsche Postsen
Berliner Luftbrücke. Die Sowjetunion verhängte am 24. Juni 1948 eine totale Sperre der Schienen- und Straßenwege von und nach Berlin, als die Westalliierten die neue DM-Währung auch in West-Berlin einführten. Bis zum Ende der Blockade (12. Mai 1949) wurde Berlin durch eine beispiellose Luftversorgungs-Aktion („Berliner Luftbrücke") wirtschaftlich lebensfähig gehalten.
dung: Mit der kleinen, blauen Briefmarke ne ben der Postgebühr unterstützte nun beinahe jeder den Kampf der Berliner. Während der Blockade vollendete sich die Spaltung der Stadt: Am 16. Juni 1948 hatte der sowjetische Stadtkommandant die Alliierte Kommandantur
schnittlich nur bis zu dieser Zeit reichen und
und
anschlie
wählte Berliner Magistrat wurde im Herbst
da ins Gewicht fallende Zufuhrmöglichkeiten nicht bestehen.«
verlassen
ßend die Mitarbeit aufgekündigt. Der freige
1948 durch einen kommunistischen Putsch rung hatten der Berliner Magistrat und das
aus seinem Sitz im Berliner Rathaus vertrie
amerikanische Militär eine tägliche Transport
ben und fand ein neues Domizil im West
An eine schnelle Abhilfe war nicht zu denken.
leistung von 6000 Tonnen aus den Statistiken
Berliner Rathaus Schöneberg, wo er, nunmehr
Nach kurzem Zögern beschlossen die West
der Vorjahresversorgung errechnet, für Le
unter der Bezeichnung »Senat«, am 5. De
mächte, nicht zu weichen. Die treibende Kraft
bensmittel, Kohle zur Elektritzitäts- und Gas
zember
dabei war der Militärgouverneur der amerika
gewinnung wie für den Hausbrand und die
Berliner Westsektoren bestätigt wurde. Wäh
nischen Besatzungszone, General Lucius D.
Industrie, für Rohstoffe, Halbfabrikate, Bau
rend
1978), der erklärte: »Die Tsche
material und Güter des industriellen Bedarfs.
(1889
choslowakei haben wir verloren. Norwegen
Einen sehr großen Einsatz angenommen, ver
rung dem Druck der sowjetischen Blockade
schwebt in Gefahr. Wir geben Berlin auf.
fügte General Clay anfangs bestenfalls über
erfolgreich Widerstand entgegensetzte, instal
Clay (1897
-
1948 durch Wahlen in den drei
unter -
der
Führung
Ernst
Reuters
1953) die Westberliner Stadtregie
Wenn Berlin fällt, folgt Westdeutschland als
ein Zehntel der notwendigen Transportkapa
lierte die sowjetische Besatzungsmacht in Ost
nächstes. Wenn wir beabsichtigen, Europa
zitäten,
hatten seit
Berlin einen eigenen Magistrat unter der Führung des SED-Politikers Friedrich Ebert
denn
die
Amerikaner
gegen den Kommunismus zu halten, dürfen
Kriegsende alles abgerüstet, was nicht für die
wir uns nicht von der Stelle rühren.« Zur
Besatzung erforderlich war. In einer einmali
(1894 - 1979), eines Sohnes des einstigen
Abschreckung verlegten die Amerikaner ein
gen organisatorischen und menschlichen An
Reichspräsidenten. Auch andere Institutionen
Geschwader der als »Atombomber« bekann
strengung wurden während der elfmonatigen
und Organisationen teilten sich im Laufe des
ten B 29 nach England, also in Angriffsweite
Blockade mit fast 200 000 Flügen ungefähr
Jahres 1948. So kam es etwa zur Spaltung der
von Moskau, um Festigkeit zu demonstrieren. Stalin hatte auf den Winter und den Hunger
anderthalb Millionen Tonnen Güter eingeflo
Berliner Gewerkschaften in den von der SED
gen. Alle zwei bis drei Minuten landete eine
beherrschten
M�schine auf einem der drei West-Berliner
schaftsbund« (FDGB) und die Westberliner
1949
Deutschen
Gewerk
gesetzt, die Westalliierten aber begannen die
Flughäfen.
Versorgung der Stadt auf dem Luftwege, - ein
überstieg die Transportleistung der alliierten
(UGO)
gigantisches Transportunternehmen, das in
Flugzeuge sogar die Tonnage, die vor der
Universität« im Westteil der Stadt. Die poli
der Geschichte der Luftfahrt nicht seinesglei
Blockade über Straßen, Schienen und Wasser
tische Spaltung der alten Reichshauptstadt
chen hatte. Als Minimalbedarf der Bevölke-
nach Berlin gelangt war.
war nun im Grunde schon vollzogen.
504
Im Frühjahr des Jahres
»Freien
»Unabhängige oder
Gewerkschaftsorganisation« zur
Gründung
der
»Freien
z
Seit Griindung der Bundesrepublik Deutschland und seit Grundung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahre 1949 lebten die Deutschen vierzig Jahre lang in staatlichen ,,Provisorien". 1 Die „deutsche Frage" blieb ungelöst und offen, ein neuer Zustand, den die Deutschen aus ihrer Geschichte freilich kannten...
we1 Staatsgründungen auf deutschem Boden -
ier Jahre auf den Tag waren seit der
bedingungslosen Kapitulation Deutsch
ands vergangen, als der Parlamentari sche Rat-eine aus Mitgliedern der elfLandtage der westlichen Besatzungszonen gebildete Ver sammlung - am 8. Mai 1949 zur dritten Lesung des Grundgesetzes zusammentrat. Acht Mona te hatte das Gremium in Bonn über das Verfas sungsdokument beraten, nun mußten die 65 Abgeordneten sich entscheiden. Die Spannung war nicht allzu groß, weil die Fronten zwischen Für und Wider sich schon geklärt hatten. 53 Parlamentarier stimmten mit ja
(26
von der
SPD, 21 von der CDU/CSU, fünfvon der FDP und ein Parteiloser), zwölf sagten nein (sechs von der CSU, zwei vom Zentrum, zwei von der Deutschen Partei und zwei von der KPD). Die fünf weiteren, nicht stimmberechtigten Berli
ner Mitglieder des Rates bekannten sich in einer eigenen Erklärung zum Grundgesetz. Nach der Annahme erhob sich der Vorsitzende Konrad Adenauer, würdigte die geleistete Arbeit, bat um Gottes Segen und schloß die Sitzung. DasGrundgesetz. Daswar noch nichtdie Staats
gründung, aber der entscheidende Schritt dazu. Nun mußten noch die elfLänderparlamente das Grundgesetz ratifizieren. Das geschah vom 16. bis 22. Mai 1949. Schwierigkeiten gab es nur in Bayern. Mit der Annahme war dort nicht zu rechnen, weil sich die entschiedenen süddeut schen Föderalisten daran stießen, daß das Grund gesetz zu zentralistisch sei. Deshalb erfolgte schon die Teilablehnung im Parlamentarischen Rat. Nach tumultartigen Auseinandersetzun gen im Bayerischen Landtag entschied die Mehrheit sich für die flexible Formel des Mini sterpräsidenten Hans Erhard: »Nein zum Grund gesetz.Ja zu Deutschland.« Bayern werde sich,
Im Bewußtsein seiner Verant wortung vor Gott und den Men schen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in ei nem vereinten Europa. dem Frie den der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk in den Liindern Baden, Bayern, Bremen, Ham burg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rhein land-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Würt temberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben far eine Über gangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassung gebenden Gewalt dieses Grund gesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es hat auch far jene Deutschen gehan delt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Ein heit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. (Grundgesetz, Präambel)
wenn die Mehrheit der Länder zustimme, loyal
verhalten. Am
Ländern mit
23.
Mai wurde das von den
10: 1 ratifizierte Grundgesetz
(zwei Drittel hätten genügt) in einer fest lichen Sitzung des Parlamentarischen Rates verabschiedet. Am Ende erklärte Ratspräsident Konrad Ade nauer: »Heute wird
„.
die Bundesrepublik
Deutschland eintreten in die Geschichte. Wir sind uns der Bedeutung dieses Tages bewußt. Wer die Jahre nach 1933, wer den völligen Zusammenbruch staatlicher Ordnung 1945, die Übernahme aller staatlichen Gewalt durch die Siegermächte seit 1945 bewußt erlebt hat, ist im tiefsten Innern dadurch bewegt, was heute sich ereignet. Der Anfang dieses Geschehens be ruht auf den Beschlüssen der Londoner Konfe renz des Jahres 1948
„.
Durch Kräfte, die stär
ker sind als der Wille des deutschen Volkes, ist es auch unmöglich gemacht worden, daß dieses Grundgesetz schon jetzt für das gesamte deut sche Volk Geltung erhält.« 41 Jahre später, am 3. Oktober 1990, sollte mit dem Beitritt der neuen Bundesländer, wie die aufgelöste DDR nun hieß, zur Bundesrepublik das ganze Deutschland Geltungsbereich des Grundgesetzes werden. Der Parlamentarische Rat hatte seine Arbeit am 1. September 1948 in Bonn begonnen. Neben Adenauer waren der spätere Bundespräsident Heuss und Carlo Schmid (SPD), der Justizmi nistervon Württemberg-Hohenzollern, heraus ragende Persönlichkeiten. Ilun, dem habilitier ten Völkerrechtler und weltbürgerlichen Lite raten, verlieh HeinrichJaenecke den Ehrentitel »Vater des Grundgesetzes«. 505
hauptes einschränken, um nicht noch einmal Hindenburg-Zeiten zu erleben. Hindenburgs zuletzt übermäßiger Einfluß hatte zwar weni ger an seinem Machtwillen gelegen als viel mehr an der Machtlosigkeit des Parlaments, aber unleugbar besaß er eine staatsrechtlich starke Stellung, war eine Art Ersatzkaiser. Jetzt wurden die Parlamentarier sich einig, daß das Staatsoberhaupt den Kanzler nur noch vor schlagen, nicht mehr ernennen dürfe (außer dem formaljuristischen Akt der urkundlichen »Ernennung«). Auch wurde verankert, daß der Bundespräsident nicht vom Volk direkt gewählt wird, sondern indirekt durch die Bundesversammlung (die Bundestags- und Landtagsabgeordneten). Ein weiterer Kernpunkt des Grundgesetzes ist die Verankerung der bun desstaatlichen (föderalen) Ordnung der Bundes republik. Sie wird von Ländern gebildet, deren Hoheitsmacht sich nicht vom Bund ableitet, auch wenn sie zugunsten des Bundes beschränkt ist. Durch die Länderkammer, den Bundesrat, wirken die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung mit. Das bedeutet für den Bürger einen zusätzlichen Schutz seiner Freiheits rechte, weil die Verteilung von Zuständig keiten zwischen Bund und Ländern eine über große Staatsmacht verhindert. Eine gelungene Bestimmung des Grundgeset zes - und wohl vorbildlos in der Welt- ist die Wollte man dem Grundgesetz einen Titel ge ben, dürfte er lauten: So viel Staat wie nötig, so wenig Staat wie möglich. Nach der wahnsinni gen Übersteigerung der Staatsautorität, der
Das Grundgesetz wurde am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat in Bonn mit großer Mehrheit angenommen. Gegen die Vorlage stimmten neben der CSU auch die Abgeordneten der KPD (sitzend vorn links).
Heiligung der Macht im Dritten Reich, befrei ten sich die menschlichen Grundrechte aus der Knebelung. Der Mensch wollte wieder dort stehen, wo er erstmals in der Virginia Bill of Rights vom 12. Juni 1776 gestanden hatte: ganz oben. Jene Deklaration unterstreicht im allerer
Klausel, die als Artikel 67 segensreiche Wir kung geübt hat und übt: »Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt...« Auch hier schwang die Erinnerung mit, daß ein Vier
'' Man wollte nicht noch einmal Hindenburg-Zeiten erleben ... ,,
sten Satz, »daß alle Menschen von Natur aus
tel aller Weimarer Kabinettskrisen daraus ent standen war, daß es eben noch kein »konstruk tives Mißtrauensvotum« gegeben hatte. Zu fallsmehrheiten, die sich über Tagesprobleme zusammenfanden, manchmal über ganz be langlose, konnten einen Kanzler stürzen; für
gleichermaßen frei und unabhängig sind«. Im
Meinung, des Gewissens, der Kunst und Wis
den Nachfolger mochte der Reichspräsident
Entwurf hieß der erste Artikel: »Der Staat ist
senschaft, Unverletzlichkeit der Person, der
sorgen. Das sollte es nicht mehr geben.
um des Menschen willen da, nicht der Mensch
Wohnung, Asylrecht, Recht auf Wehrdienst
um des Staates willen« - eine Umkehrung
verweigerung. Erfahren und gereift an dem
langwährender Auffassungen um hundertacht
Unglück der Weimarer Republik, drohten die
desrepublik beruht nicht zuletzt darauf, daß
zig Grad. Im Grundgesetz findet sich der Satz
Grundgesetz-Konstrukteure den Verlust der
noch ein weiterer Haltegriff in ihr Verfassungs
nicht mehr, aber es fehlt nichts, was die angel
Grundrechte dort an, wo sie mißbraucht wür
leben eingebaut worden ist. Nicht im Grundge
sächsische, die französische, die deutsche Phi
den. Nicht ein zweitesmal sollte der Staat sich
setz selber, dafür in dem zur selben Zeit ausge
losophie in zweihundert Jahren erarbeitet hat
an
Die verfassungsrechtliche Solidität der Bun
ungezügeltem Haß inwendig vergiften.
arbeiteten Wahlgesetz heißt es im Paragraphen
Wie die Konstruktionsfehler der so human ver
zahl weniger als fünf von hundert der gültigen
10 Absatz 4: »Parteien, deren Gesamtstimmen
ten, rühmt Golo Mann. So vereinigten sich Abwehrreaktionen gegen
standenen Weimarer Verfassung mitgeholfen
Stimmen im Lande beträgt, werden ... nicht
die Maßlosigkeit der jüngsten Vergangenheit
haben, die erste Republik zu ruinieren, so hat
berücksichtigt.« Damit sollte den Splitterpar
mit alten Selbstverständlichkeiten liberaler
die »Rheinschrift« von Bonn sehr zur Stabilität
teien ohne ausreichenden Rückhalt im Volk
Staaten: Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichran
der zweiten Republik beigetragen. Zunächst
verwehrt werden, an der politischen Willens
gigkeit aller in Rasse und Glauben, Freiheit der
einmal wollte man die Macht des Staatsober-
bildung im Parlament teilzunehmen.
506
Was den Wählerwillen betrifft, so war Weimar
Die Verfassung der Bundesrepublik
gerechter. Das Verhältniswahlrecht nach Arti kel 22 sicherte auch die politische Meinung von Minderheiten (soweit sie wenigstens 30 000 Stimmen in einem Wahlkreis errangen) und
BUNDES VERSAMMLUNG 518 ABGEORDNETE
vervielfältigte die Koalitionsmöglichkeiten alJerdings auch die demagogischen Handha ben. Die gutgemeinte Absicht der damaligen Verfassungsjuristen, voran der Staatsrechtler
Der Bundesprasidenl hOchster ReprAsenlant, schligl Kanzler vor, ernennt Minister, unterzeichnet Gesetze
und zeitweilige Reichsinnenminister Hugo Preuß, hat sehr zur inneren Zerrissenheit der ersten Republik beigetragen. Unser heutiges Wahlsystem stellt eine äußerst geglückte Mi schung dar zwischen dem ungerechten, aber stabilen Mehrheitswahlrecht englischen Mu sters und dem gerechten, aber unstabilen Ver hältniswahlrecht.
Die ersten Bundestagswahlen. Wie der erste
Parlament
deutsche Bundestag zusammengesetzt sein wür
(Bundestag)
de, stand vor dem Wahltag (14. August 1949) natürlich noch in den Sternen, aber wo er sich
Gesetzgebung
Bundesral
konstituieren und hernach tagen würde, das
Wahl des Kanzlers Mißtrauens votum
wußte man schon seit 1948. Berlin als Haupt stadt war nicht in Frage gestellt, aber solange die Stadt der Viermächteverantwortung unter stand und ihre politische Zukunft vom Kreml abhängig war, brauchte man ein »Provisori
Bundesrechnungshof
Länderregierungen Bundeskanzler
übelwacht unabhängig
Regierung
Versammlungs-, Rechts· und Haushaltskontrolle aller Staatsorgane
um«. Eigentlich wollte Karl Arnold, CDU
die Haushaltung des Bundes
Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, mit dem Vorschlag Bonn seinem Parteivorsit zenden Adenauer nur einen Gefallen tun; der wohnte ja nebenan in Rhöndorf und war nicht mehr der Jüngste. Der Plan kam überraschend, aber die meisten hatten nichts dagegen.
Wahlberechtigte Bevölkerung
Der WahJkampffür den ersten Bundestag war eine Mischung von weltanschaulichen Gegen sätzen und persönlichen Diffamierungen, be stückt mit einer Fülle von Tagesproblemen: Aufbau des zertrümmerten Landes, Wohnungs not, Arbeitslosigkeit, Eingliederung der Flücht linge, Demontagen, Entnazifizierung, Kriegs verbrecher-Prozesse, kommunistische Gefahr, Wiedervereinigung, Westintegration. Adenauer und Schumacher schlugen verbissen drein, der SPD-Vorsitzende noch leidender, noch bitterer geworden durch eine zweite Am putation. Kein Zweifel, daß die CDU-Propa ganda geschickter und wirksamer war. Innen politisch arbeitete sie mit dem Slogan der »so zialen Marktwirtschaft«, die sich von den Pla nungsthesen der SPD ebenso wie vom eigenen Ahlener Programm - hinsichtlich Planung und Verstaatlichung-distanzierte. Als Paradepferd wurde Ludwig Erhard gesattelt, der von ihm eingeleitete Wirtschaftsaufschwung besaß na
Der Parlamentarische Rat Er wurde aus den 11 deutschen Landtagen gebildet. Die 65 Ländervertreter traten am 1. September 1948 im Museum Alexander König in Bonn zusammen, um das »Grundgesetz" der Bundesrepublik Deutschland auszuarbeiten.
türlich starken Werbeeffekt. Dagegen stießen
507
tag«, so lobte die amerikanisch geleitete »Neue Zeitung«, »ist für die Sache der deutschen Demokratie ein historisches Datum. Deutsch land hat eine saubere Visitenkarte abgegeben, zum ersten Mal seit >tausend< Jahren.« Und dann rühmt das Blatt den »deutlichen Vor sprung der drei großen demokratischen Par
Kurt Schumacher, Kriegsinvalide des Ersten Weltkrieges, gezeichnet von langer KZ-Haft unter dem Nationalsozialismus, wurde erster Vorsitzen der der West-SPD in Nachkriegsdeutsch land. Unter ihm erlebte der Bundestag Stern stunden der Rhetorik. Anhänger liebten seine werbende Überzeu gungskraft, Gegner fürchteten seinen scharfen Witz.
teien CDU/CSU, SPD und FDP.« Der Teilstaat, wie er jetzt beinahe fertig da stand, wäre von den meisten einige Zeit vorher noch nicht einmal erträumt worden; so schnell hatte sich unter dem Zeichen des kalten Krieges ein Wandel in der Behandlung Westdeutsch lands ergeben, waren aus verachteten Besieg ten kommende Partner geworden. Natürlich war diese Partnerschaft noch mit vielen Vorbe halten verknüpft. Im Besatzungsstatut vom 10. April 1949 (in Kraft getreten am 21.9.49) be schränkten die Siegermächte die künftige west deutsche Republik von vornherein auf eine Teilhoheit. Sie blieb vorerst völkerrechtlich handlungsunfähig, konnte keine Verträge schlie ßen oder diplomatische, konsularische Bezie
Schumachers Thesen gegen das Besitzbürger tum in dieser Habegern-Gesellschaft ins Leere. Seine zugleich patriotischen und klassenkämp ferischen Töne wirkten in der Situation von
"Beider Sozialdemo kratie war die Person des Vorsitzenden sehr viel zugkräftiger alsdas Parteiprogramm ... ''
hungen aufnehmen, mußte ein allüertes Veto recht gegenüber ihren eigenen Gesetzesent würfen hinnehmen, Währung, Produktion, For schung kontrollieren lassen, weiterhin Demon tagen dulden; in wichtigen Industriezweigen (Stahl, Chemie, Maschinenbau, Schiffahrt) blieb die junge Republik Erzeugungsbeschränkun gen unterworfen. War das Glas nun halbvoll oder halbleer? Hat ten die Westdeutschen schon so viele oder erst
1949 anachronistisch. Schumachers leiden schaftliches Eintreten für die Einheit der
grarnm, während man bei der Union umgekehrt
so wenige Rechte? Gemessen am Zustand von
Nation zahlte sich nicht in Wählerstimmen aus,
vermuten kann, daß das Programm einstwei
1945 bis 1947, ja selbst 1948, war der Wandel
die Furcht der Deutschen vor der sowje
len die Wähler mehr ansprach als ihr führender
erstaunlich, wirkten die Vorbehalte im Besat
tischen Gefahr, die vor allem die Union poli
Wahlkämpfer Adenauer.
zungsstatut nicht allzu schwerwiegend. Mit der Zeit würden dieEinschränkungen sicher schwin
tisch zu nutzen verstand, saß zu tief. Der kom munistische Umsturz in der Tschechoslowakei
Noch waren es nicht »Kanzlerwahlen«. Die
den. Viel schmerzlicher war, daß der ganze
im Vorjahr zum Beispiel gab der Union frisches
weiteren Ergebnisse: FDP 11,9 Prozent, DP 4,0
Neuaufstieg mit der Hinnahme der Trennung
Material dafür in die Hand.
hinter der KPD mit 5,7. Das Zentrum erreichte
erkauft wurde: Der andere Teil Deutschlands
damals immerhin noch 3,1 Prozent. Die Fünf
blieb draußen vor der Tür.
Es war schlimm, daß die Sowjets eine solch
prozentklausel verwehrte doch der DP und dem
ungute Propaganda möglich machten durch
Zentrum den Zugang zum Bundestag? Nein, es
Konstituierung der DDR. Stalin wird die Äuße
ihre Politik, und es war gleichermaßen schlimm,
öffnete sich eine Hintertür: das Direktmandat.
rung zugeschrieben, der Kommunismus passe
daß viele Deutsche dadurch Deutschlands
Nach dem Wahlgesetz kam eine Partei mit
auf Deutschland wie der Sattel auf die Kuh.
Schuld gegenüber Rußland verdrängten. Man
ihrem gesamten Prozentanteil in den Bundes
Trotz solcher Einsicht haben die Sowjets ihre
glaubte, sich durch Aufrechnung aus der Ver
tag, wenn sie mindestens einen Kandidaten
deutsche Besatzungszone, wenn auch verschlei
antwortung stehlen zu können.
direkt durchgebracht hatte.
ert, konsequent sowjetisiert. Im Frühjahr 1945, als gerade der Schlachtenlärm in Berlin verebbt
Bei einer Wahlbeteiligung von 78,5 Prozent
Und so verteilten sich die Mandate unter den
war, hatte Stalin führende deutsche Exilkom
siegte am 14. August 1949 die CDU/CSU mit
402 stimmberechtigten Abgeordneten des er
munisten in ihre Heimat zurückgeschickt. Es
der relativen Mehrheit von 31,0 Prozent der
sten Deutschen Bundestages: CDU/CSU 139,
war die »Gruppe Ulbricht«. Walter Ulbricht,
Stimmen. Die SPD, ähnlich wie schon in den
SPD 131, FDP 52, DP und Bayernpartei je 17,
Jahrgang 1893, gelernter Tischler aus Leipzig,
ersten Nachkriegsjahren, folgte dichtauf mit
KPD 15, Wirtschaftliche Aufbauvereinigung
wegen seine Bartes der »sächsische Lenin«
29,2 Prozent. Die Person ihres Vorsitzenden
(nur in Bayern) 12, Zentrum 10, Deutsche
genannt, vor der Hitlerzeit Chef der KPD
war mit Sicherheit zugkräftiger als ihr Pro-
Reichspartei 5, Sonstige 4. »Der letzte Sonn-
Bezirksleitung
508
Berlin-Brandenburg,
besaß
dank seiner Anpassungsfähigkeit das Vertrau en des Kremlherrn. Zweifellos war er damals von allen deutschen Kommunisten am erfah rensten, vor allem im Überleben. Während eine Vielzahl seiner mitemigrierten Genossen in Stalins Säuberungsorgien untergegangen war, hatte der Virtuose der kommunistischen Kulis senkämpfe die schlimmsten Verfolgungen schadlos überstanden. Das Talent, das dafür nötig ist, sollte man nicht unterschätzen - und Ulbricht wurde lange unterschätzt. Die Ver achtung für seine inhumanen Methoden ver sperrte den Blick auf sein politisches Format. Der in allen Feuern gehärtete Funktionär, hochintelligent, hellwach, bienenfleißig, uner schöptbar in seiner Arbeitskraft, war von höch ster Sensibilität gegenüber dem atmosphäri schen Druck in den Klimazonen des Ostens. Sein Urinstinkt war Macht. Als erstes ging Ulbricht in Berlin daran, den KPD-Parteiapparat wieder zum Funktionieren
Konrad Adenauer, erster Kanzler der zweiten Republik, der Mann, der einer ganzen Epoche seinen Stempel aufdrückte. Aufbau einer sozialen Marktwirtschaft und Bindung an den Westen hießen die Hauptziele seiner Partei, der CDU. Die gleichfalls propa gierte Wiedervereini gung (Plakat unten) geriet dagegen in den Hintergrund.
zu bringen. Dann folgten die generalstabs mäßig geplante Durchdringung von Verwal tung und Gesellschaft, die Zwangsfusionie rung von KPD und SPD zur SED. Die nichtkommunistischen
Parteien
und
die
Massenorganisationen (Einheitsgewerkschaft FDGB, Kulturbund, Demokratischer Frauen bund, Staatsjugend FDJ usw.) zappelten bald alle als Marionetten an den Fäden des russi schen und deutschen Stalinismus, pluralistisch in den Namen, konform im Gefüge. Die Gleichschaltung war nur ein Akt in diesem dramaturgisch
"Der östliche Teil Deutschlands bezahlte allein weiter für Hitlers Schuld am Zweiten Weltkrieg ... ''
Dazu kam die materielle Ausplünderung. Als in Westdeutschland die kurzsichtige Morgen thau-Politik der Re-Agrarisierung und der Demontagen schon im Aktenschrank geschicht
einfallsreichen, unermüdlich
lichen Vergessens abgelegt war, bezahlte der
geprobten, für diktaturerfahrene Zeitgenossen
östliche Teil Deutschlands allein weiter für
aber allzuoft plump und durchsichtig inszenier
Hitlers Schuld am Krieg. Während der Mar
ten Trauerspiel. Schon im September 1945
shallplan im Westen verlorene industrielle Sub
hatte die Bodenreform begonnen. Grundbesitz
stanz rasch erneuern half, blieb er den Deut
über hundert Hektar wurde entschädigungslos
schen in der Ostzone auf Stalins Geheiß ver
enteignet (die glücklichen Neusiedler sahen
sagt. So quälten sich seine deutschen Unter
sich bereits fünfzehn Jahre später zwangs
tanen noch bis zur Mitte der fünfziger Jahre
kollektiviert). Die Fabriken und zahllosen
auf einem Existenzniveau von erschütternder
Privatunternehmen anderer Art - aber längst
Trostlosigkeit.
nicht alle - wurden »volkseigene Betriebe« (VEB).
Je aufdringlicher der Unterschied in der Le
Zehntausende Mißliebige - längst nicht nur
bürger wechselten zum Westen über, meist via
frühere Nazis - füllten die gerade vorher von
Berlin. Dieser Weg blieb ihnen bis August
benshaltung wurde, desto mehr Sowjetzonen
Hitlers Opfern entvölkerten Zuchthäuser und
1961 offen. Für den Osten war die Fluchtbewe
KZs. Mit dieser schlimmen Parallele machte
gung ein zusätzlicher Aderlaß, für den Westen
sich das neue Regime am ungeniertesten zum
ein weiterer Aufstiegsimpuls.
Plagiator der überwundenen Diktatur. Unter unaufhörlichen Dankesbezeugungen an Stalin
Den sich abzeichnenden westdeutschen Sepa
als den »Befreier von der Hitler-Tyrannei«
ratstaat versuchten die Sowjets mit allen Mit
kopierte es getreulich Hitlers Herrschaftsstil
teln zu verhindern. Schon ehe dies mißlang,
- bis hin zum Staatssicherheitsdienst und der
bereiteten sie die Gründung einer Gegenrepu
uniformierten Jugend; nur war die Uniform
blik vor. Das mußte natürlich im Gewande des
statt braun jetzt blau.
Volkswillens geschehen. Das Instrument dafür
509
ES LEBE DIE NATIONALE F RONT DES DEMOKRATISCH EN DEUTSCHLAND
Die Deutsche Demokratische Republik wurde am 7. Oktober 1949 nur wenig nach der Bundesrepublik Deutschland gegründet. Fortan gab es 40 Jahre lang zwei Staaten auf deutschem Boden. - Das Bild zeigt Wilhelm Pieck (Bildmitte), den ersten Präsidenten, der die Proklamation der Deutschen Demokratischen Republik verliest.
'' Die Wähler konnten sich nicht zwischen einzelnen Parteien oder Kandidaten entscheiden '' „.
nur mit ja oder nein stimmen. Und erstaunli cherweise entschieden sich bei einer Wahlbe
teiligung von 95 ,2 Prozent trotz des gewaltigen propagandistischen Aufwandes und emotiona len Drucks bei teilweise offener Stimmabgabe
33,9 Prozent für ein Nein. Das war der Gesamt durchschnitt. In Ost-Berlin waren es sogar war der »2. Deutsche Volkskongreß«, eine
wie erwähnt, hat das Volk die Verfassung nicht
41,9 Prozent; auch Sachsen - das »rote«
Massenbewegung aus allen Parteien, Massen
direkt bestätigt, sondern indirekt durch die Län
Sachsen! - und Thüringen lagen mit 37,7
organisationen, Großbetrieben, gedacht als re
derparlamente. In der Ostzone sollte dagegen
beziehungsweise 37,3 Prozent über dem nega
präsentativer Querschnitt aller politischen und
ein neuer deutscher Volkskongreß, der dritte,
tiven Durchschnitt. Das war kein guter Start in
gesellschaftlichen Kräfte. Eine Exekutive die
das Verfassungswerk als unmittelbar vom
die Eigenstaatlichkeit. Der Eindruck muß für
ses Volkskongresses, der »Deutsche Volks
Volkswillen getragen legitimieren. Die Wah
die SED sehr ernüchternd gewesen sein. Ein
rat«, arbeitete eine Verfassung aus und billigte
len dafür fanden Mitte Mai 1949 statt.
sie im Oktober 1948, als die Blockade Berlins
Drittel der Bevölkerung zeigte nach vierjähri ger kommunistischer Indoktrination unverdros
im Grunde gescheitert war, auch wenn sie wei
Die Ergebnisse sind aufschlußreich. Die Wäh
sen seine Ablehnung. Es war die letzte einiger
ter andauerte.
ler konnten sich nicht zwischen einzelnen Par
maßen »freie« Wahl. Künftig konnte nur noch
teien oder Kandidaten entscheiden, sondern Die Unterschiede beider Konstitutionen waren
mit den Füßen abgestimmt werden, zwölf Jahre lang. Dann war es auch damit vorbei.
eklatant. Oberstes Organ der Staatsgewalt soll te eine Volkskammer von vierhundert Abge
Trotz der Wahlschlappe war natürlich die Ver
ordneten sein. Eine zweite Kammer, wie der
fassung somit angenommen. Jetzt mußte der
westdeutsche Bundesrat als Ländervertretung,
Staat nur noch äußerlich installiert werden. Der
war nicht vorgesehen. Das Prinzip der Gewal
3. Deutsche Volkskongreß, gewähl t Mitte Mai
tenteilung
entfiel.
Einen
Katalog
gleicher
1949, billigte formal die Verfassung; das war
Rechte für alle gab es natürlich auch, aber er
seine erste Aufgabe. Alsdann wählten die zwei
ging nicht von dem betonten Prinzip aus, »erst
tausend Volkskongreß-Abgeordneten, darun
der Mensch und dann der Staat«, und stand
ter etwa sechshundert westdeutsche Delegier
folgedessen auch nicht am Anfang.
te, zumeist von der KPD, jene vierhundert
Umgekehrt proportional zur geringeren bür
kammer vorgesehen waren. hn Gegensatz zur
gerlichen Freiheit ging die Staatsgründung mit
Bundesrepublik fand somit eine indirekte Par
weit größerem Spektakel vor sich. hn Westen,
lamentswahl statt.
Männer und Frauen, die für die erste Volks
Vereinigung von SPD und KPD. Das Plakat der SED feiert den historischen Händedruck zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus. Wilhelm Pieck (KPD) und Otto Grotewohl (SPD) führten am 22. April 1946 ihre Parteien zur SED zusammen. 510
In der zweiten Jahreshälfte 1949 war die Ent wicklung in Deutschland also so weit gediehen, daß unter den teils argwöhnischen, teils wohl wollend-aufmunternden Blicken der Besat zungsmächte zwei Republiken im Entstehen waren. Der Verfassungsrahmen war gezogen, die Volksvertretungen waren gewählt, nur die
Parlamente fehlten noch. Die Sowjets, obwohl
Konrad Adenauer, geboren am 5.
Januar
Am 1. September 1948 wählte der Parlamenta
sie auf dem innerdeutschen Schachbrett zuletzt
1876 in Köln als Sohn eines Kanzleirats, hatte
rische Rat Adenauer zu seinem Präsidenten und
rascher gezogen hatten, ließen den Westmäch
sich nach dem Studium der Rechte und Volks
damit zum federführenden Vater des Grundge
ten den Vortritt. Sie sollten den allerletzten, den
wirtschaft der Zentrumspartei angeschlossen
setzes, mit dessen Verkündigung am 23. März
parlamentarischen Schritt zuerst tun, vor aller
und der Kommunalpolitik verschrieben. Im
1949 die Bundesrepublik Deutschland aus der
Welt das Odium der Spaltung tragen. Dann, mit
September 1917 trat er das Amt des Ober
Taufe gehoben wurde.
geziemendem Abstand von einem Monat, folg
bürgermeisters von Köln an, als das Kaiser
te die DDR-Proklamation: am7. Oktober 1949.
reich noch zu siegen hoffte; im März 1933
Nach der Bundestagswahl vom 14. August
Erstes Staatsoberhaupt wurde Wilhelm Pieck,
schied
1949 sah er sich ausreichend gerüstet, den
erster Ministerpräsident Otto Grotewohl. Unter
Republik schon zugrunde gegangen war. In
entscheidenden Vorstoß zu tun: zu einer Koali
den Linden bewegte sich
dieser Zeit wurde Adenauer eine weit über
tionsbildung unter seiner Führung, unter seiner
am
Abend ein großer
er
Fackelzug, unseligen Angedenkens an einen
den
Rhein
ähnlichen, noch größeren, knappe siebzehn Jah
man
über
aus dem Amt, als die Weimarer
hinaus die
populäre
Parteigrenzen
Person,
der
Kanzlerschaft. Der Turnierplatz für diesen po
hinaus
das
litischen Waffengang war nicht der Bundestag,
zuvor. Der FDJ-Vorsitzende Erich Honecker
Zeug zum Reichskanzler bescheinigte. Aber
sondern sein eigenes Haus. Hierhin lud er am
hatte schon beim Taufakt der DDR seinen Part
der katholische Zwangspreuße, der von 1920
Sonntag, dem 21. August, führende Mitglie
re
und rief in die Oktobernacht: »Wir grüßen aus
bis 1933 auch als Präsident des Preußischen
der von CDU und CSU. Im XII. Kapitel des
tiefstem Herzen das Neue, unsere strahlende,
Staatsrats (einer ArtLänderk arnrner) fungierte,
1. Bandes der »Erinnerungen« (1945-1953)
sollte die deutschen Geschicke erst lenken, als
wird darüber berichtet:
freudige Zukunft!«
Preußen von der Landkarte verschwunden war. »Als Hausherr ergriff ich als erster das Wort
Mit einer Stimme Mehrheit. Er war der jüngste Oberbürgermeister Deutschlands und wurde
Im März 1945 zitierten ihn die Amerikaner ins
und erklärte, daß ich es für falsch hielte, eine
der älteste Regierungschef der Welt. Er war
Kölner Rathaus, im Mai hieß Kölns Oberbür
Koalition mit der SPD einzugehen
wegen schwächlicher Gesundheit vom Wehr
germeister wieder Konrad Adenauer - für fünf
in meinen Ausführungen von der gleichsam
„.,
ich ging
dienst befreit worden und ging mit 87 Jahren
Monate. Der britischen Besatzungsmacht, die
beschlossenen Tatsache aus, daß eine Regie
nur widerstrebend in Pension. Hitler hatte ihn
die Amerikaner am Rhein abgelöst hatte, war
rung mit der FDP und DP gebildet würde. Eine
aus dem Amt gejagt - ihm aber zugleich Re
der kantige Kölner mit dem Indianerprofil et
solche Koalition ergab 208 Sitze
spekt gezollt -, die Amerikaner setzten ihn
was zu selbstbewußt aufgetreten: Er wurde
ten wir eine gute Regierungsmehrheit.
„.
Damit hat
wieder ein. Die Engländer warfen ihn abermals
»wegen Unfähigkeit« entlassen. Eine andere
hinaus. Am Ende vereinigte sich die Welt an
Wertung nahm Jahre später Englands Welt
Ich schnitt dann die Frage der Besetzung der
seinem Sarg. In solchen Kontrasten hat sich der
kriegspremier Churchill vor: »Der größte Deut
Ämter
Lebensgang Konrad Adenauers vollzogen. Die
sche seit Bismarck.« Adenauer nutzte seine
Bundeskanzlers an. Ich war überrascht, als
des
Bundespräsidenten
und
des
Stationen vor 1949 enthalten schon alle politi
zweite Zwangspensionierung, um die CDU
einer der Anwesenden meine Ausführungen
schen Leitgedanken, die für den ersten Kanzler
Rheinland ins Leben zu rufen und wenig später
unterbrach und sagte, daß er mich als Bundes
der Bundesrepublik Deutschland maßgebend
den Vorsitz der Union in der britischen Be
kanzler vorschlage. Ich sah mir die Gesichter an
wurden.
satzungszone
und meinte dann: >Wenn die Anwesenden alle
zu
übernehmen.
'' In Adenauers Haus in Rhöndorf wurden :--r-:o;;; :�---�� ;:die Weichen für eine � Koalitionsregierung gestellt„. '' Das erste Kabinett Adenauer. Erste Reihe (von links): Anton Storch (Arbeit, CDU), Ludwig Erhard (Wirtschaft, CDU), Konrad Adenauer (Kanzler, Auswärtiges, CDU), Franz Blücher (Vizekanzler, Landwirtschaft und Forsten,FDP), Jakob Kaiser (Gesamtdt. Fragen, CDU), Thomas Dehler (Justiz, FDP), Hans Lukaschek (Vertriebene, Flüchtlingswesen, CDU); zweite Reihe (von links): Wilhelm Niklas (Ernährung, Marshall-Plan, CDU), Eberhard Wildermuth (Wohnungsbau, FDP); dritte Reihe (von links): Heinrich Heilwege (Bundesrat, DP), Hans Schuberth (Post und Fernmeldewesen, CDU), Gustav Heinemann (Inneres, CDU), Fritz Schäffer (Finanzen, CSU), Hans-Christoph Seebohm (Verkehr, DP). 511
Zeitzeugnis: Adenauers erste Regierungserklärung „Meine Damen und meine Herren! Das Werden des neuen Deutschlands hat sich nach den langen Verhand lungen im Parlamentarischen Rat und den Wahlen zum Bundestag am 14. August mit großer Schnelligkeit vollzo gen. Am 7. September haben sich der Bundestag und der Bundesrat konstituiert; am 12. September hat der Bun destag den Bundespräsiden ten gewählt, am 15. Septem ber den Bundeskanzler. Der Bundespräsident hat mich dar aufhin am gleichen Tage zum Bundeskanzler ernannt. Heu te, am 20. September, hat er auf meinen Vorschlag die Bundesminister ernannt. Mit der Konstituierung der Bun desregierung, die am heutigen Tage erfolgt ist, ist auch das Besatzungsstatut in Kraft ge treten. Wenn auch die Zustän digkeit des Bundestags und der Bundesregierung durch das Besatzungsstatut be schränkt ist, so darf uns doch diese Entwicklung, dieses Wer den des deutschen Kernstaa tes mit Freude erfüllen. Der Fortschritt gegenüber den Verhältnissen, die seit 1945 bei uns bestanden, auch ge genüber den Zuständen des nationalsozialistischen Reichs, ist groß. Zwar müssen wir uns immer bewußt sein, daß Deutschland und das deutsche Volk noch nicht frei sind, daß es noch nicht gleichberechtigt neben den anderen Völkern steht, daß es - und das ist besonders schmerzlich - in zwei Teile zerissen ist. Aber wir erfreuen uns doch einer wenig stens relativen staatlichen Frei heit. Unsere Wirtschaft ist im Aufstieg. Wir haben vor allem aber wieder den Schutz der Persönlichkeitsrechte. Nie mand kann bei uns, wie das im nationalsozialistischen Reich der Fall war und wie es jetzt noch in weiten Teilen Deutsch lands, in der Ostzone, zu un serem Bedauern der Fall ist, durch Geheime Staatspolizei oder ähnliche Einrichtungen der Freiheit und des Lebens beraubt werden. Diese Güter: Rechtsschutz, Schutz der per sönlichen Freiheit, die wir lange Jahre nicht besaßen, sind so kostbar, daß wir trotz allem, was uns noch fehlt, uns darüber freuen müssen, daß
Nl'IMEN DU ßVNDfSREPVBUK DEVTSCl-IU\ND IM
DR. Kc. KONRAD ADENAUER
Ernennungsurkunde für Bundeskanzler Adenauer. wir diese Persönlichkeitsrech te wieder besitzen. Meine Wahl zum Bundeskanz ler, meine Damen und Herren, und die Regierungsbildung sind eine logische Konse quenz der politischen Verhält nisse, wie sie sich in der Bizone infolge der Politik des Frankfurter Wirtschaftsrats her ausgebildet hatten. Die Politik des Frankfurter Wirtschafts rats, die Frage „Soziale Markt wirtschaft'' oder .Planwirtschaft" hat so stark unsere ganzen Verhältnisse beherrscht, daß eine Abkehr von dem Pro gramm der Mehrheit des Frank furter Wirtschaftsrats unmög lich war. Die Frage: „Planwirt schaft" oder .soziale Markt wirtschaft" hat im Wahlkampf eine überragende Rolle ge spielt. Das deutsche Volk hat sich mit großer Mehrheit gegen die Planwirtschaft ausgespro chen... Ich habe dem Herrn Bundes präsidenten die Ernennung von 13 Bundesministern vor geschlagen. Ich bin mir be wußt, daß manchem diese Zahl auf den ersten Blick groß erscheinen wird. Demgegenüber weise ich dar auf hin, daß in unsern Zeiten Aufgaben, die der staatlichen Arbeit bedürfen, entweder ganz neu entstanden sind - ich weise hier auf die Frage der Vertriebenen hin - oder daß staatliche Aufgaben einen sol chen Umfang angenommen haben, daß sie den Rahmen der üblichen Ministerien spren gen würden. Ich nenne hier die Frage der Wohnungswirtschaft und des Wohnungsbaus. So
sind mehrere der Bundesmini sterien zeitbedingt, das heißt: wenn sie ihre Aufgabe erfüllt oder aber wenn ihre Aufgabe wieder einen normalen Um fang angenommen haben, werden sie wieder verschwin den, während die sogenann ten klassischen Ministerien, wie das Ministerium des In nern, der Finanzen, der Justiz, der Arbeit usw., ständig blei ben werden... Es besteht für uns kein Zweifel, daß wir nach unserer Herkunft und nach unserer Gesinnung zur westeuropä ischen Welt gehören. Wir wollen zu allen Ländern gute Beziehungen, auch solche persönlicher Art, unterhalten, insbesondere aber zu unsern Nachbarländern, den Bene lux-Staaten, Frankreich, Itali en, England und den nordi schen Staaten. Lassen Sie mich in dieser Stunde mit besonderem Dank der Vereinigten Staaten ge denken. Ich glaube nicht, daß jemals in der Geschichte ein siegreiches Land es versucht hat, dem besiegten Land in der Weise zu helfen und zu seinem Wiederaufbau und seiner Erholung beizutragen, wie das die Vereinigten Staaten gegenüber Deutschland getan haben und tun. Der deutsch-französische Ge gensatz, der Hunderte von Jahren die europäische Politik beherrscht und zu so man chen Kriegen, zu Zerstörun gen und Blutvergießen Anlaß gegeben hat, muß endgültig aus der Welt geschafft wer den. Wenn ich vom Frieden in der Welt und in Europa spreche, dann, meine Damen und Her ren, muß ich auf die Teilung Deutschlands zurückkommen. Die Teilung Deutschlands wird eines Tages - das ist unsere feste Uberzeugung - wieder verschwinden. Diese Teilung ist durch Spannungen herbei geführt worden, die zwischen den Siegermächten entstan den sind. Auch diese Span nungen werden vorüberge hen. Wir hoffen, daß dann die Wiedervereinigung mit unse ren Brüdern und Schwestern in der Ostzone und in Berlin nichts mehr im Wege steht."
(Konrad Adenauer im Bundes tag, 20. September 1949)
dieser Meinung sind, nehme ich an. Ich habe mit Professor
Martini,
meinem
Arzt,
ge
sprochen, ob ich in meinem Alter dieses Amt wenigstens noch für ein Jahr übernehmen könne. Professor Martini hat keine Bedenken.
Er meint, auch für zwei Jahre könnte ich das Amt ausführen.< Keiner erhob Widerspruch. Damit war die Sache beschlossen.« Das war die Kanzlerwahl von 1949. Das weitere war nur noch Vollzug, wenn auch mit knappem Ausgang. Am 15. September wurde Konrad Adenauer im ersten Wahlgang von der absoluten Mehrheit der Bundestagsabgeordne ten zum Kanzler gewählt - mit einer Stimme Mehrheit. » ... Später fragte man mich, ob ich mich selbst gewählt hätte. Ich antwortete: >Selbstverständlich, etwas anderes wäre mir doch als Heuchelei vorgekommen.< «Aus den »ein bis zwei Jahren« wurden vierzehn, wurde eine der erstaunlichsten Alterskarrieren der Geschichte - die Ära Adenauer.
Der Landesvater. Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 63: »Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bun destag ohne Aussprache gewählt.« Dazu mußte freilich erst einmal ein Bundespräsident vor handen sein. Sehr aufschlußreich ist, wie es zur Nominie rung von Theodor Heuss gekommen war. Auch dafür hatte die Rhöndorfer Zusammenkunft die Weichen gestellt. An jenem 21. August schlug Adenauer für das höchste Staatsamt Heuss vor, »da die zweitstärkste Fraktion in der Regierung die FDP sein würde«. Theodor Heuss, geboren am 3 1. Januar 1884 in Brackenheim, war Schwabe und Liberaler aus Leidenschaft. Sein Elternhaus gab ihm den schwäbischen Humor und die Ideale der Revo lution von 1848 auf den Weg, der ihn während der Schulzeit in den Kreis des großen Vorden kers des sozialen Liberalismus, Friedrich Nau mann, führte. Der Gründer des »Nationalsozi alen Vereins« wurde der väterliche Freund und erste Arbeitgeber von Heuss: Nach Studium und Promotion trat der junge Staatswissen schaftler bei Naumanns Zeitschrift »Die Hilfe« ein, für die er Jahrzehnte tätig war. Für das jahrzehntelange Eheglück seines wortgewalti gen Schützlings war Naumann auch »verant wortlich«: Beim Chef zum Abendessen gela den, lernte Heuss Elly Knapp kennen, die Toch ter eines bekannten Nationalökonomen, die
ihm eine ebenso intelligente wie engagierte Gefährtin wurde. Die Trauung vollzog im Bei sein Naumanns ein anderes Vorbild des auf-
512
strebenden Journalisten: der Theologe, Arzt
on war für Heuss keine Pflichtübung, sondern
Im Juli 1954 nahm die Bundesversammlung
und Philanthrop Albert Schweitzer.
die Kunst, Freiheit und Toleranz, den Gegen
Heuss für weitere fünf Jahre in die Pflicht.
satz zur Arroganz der Macht, mit Würde zu
Der »Theodor im Bundestor«, so sein Spitz
Von 1920 an lehrte Heuss an der Berliner
verkörpern; die Stiftung des Bundesverdienst
name in Anlehnung an einen populären Schla
Hochschule
nun
kreuzes und die Ernennung der 3. Strophe des
ger, war der Nation so sehr ans Herz gewach sen, daß 1959 gar eine Grundgesetzänderung
für
Politik
und
stand
»mit einem Bein in der Redaktion, mit dem
Deutschlandliedes zur Nationalhymne sollten
anderen am Katheder«; politisch stand er
demselben Anspruch genügen. Heuss war ein
ins Auge gefaßt wurde, um den Professor
den Fortschrittlich-Freisinnigen in der Deut
Mittler zwischen den Parteien, aber mit eige
noch länger im Amt zu halten. Heuss lehnte
schen Demokratischen Partei nahe, die sich
nem Profil; er war eine meinungsbildende Au
dankend ab, wurde feierlich verabschiedet
1930 als Deutsche Staatspartei neu formierte.
torität, die indirekt auf die Gestaltung der Poli
und kehrte als freier Schriftsteller an seinen
1924 ging der Dozent als Reichtstagsabge
tik einwirkte.
geliebten Schreibtisch zurück.
ordneter in die aktive Politik; 1933, in der Todesstunde der Weimarer Republik, beging er den größten Irrtum seines Lebens: Obwohl Heuss
schon 1931 in seinem Buch »Hitlers
Weg«
die
Diktatur,
den
Krieg
Schändung des deutschen Namens
und
die
voraus
gesehen hatte, stimmte er - nach erfolglosem innerparteilichem Kampf - aus falschverstan dener Fraktionsdisziplin mit den Liberalen
für Hitlers Ennächtigungsgesetz. Theodor Heuss unterwarf jedes Versagen, auch
" ... nur eine repräsentative Rolle für das höchste Staatsamt.„ '' Theodor Heuss bei seiner Vereidigung zum Bundespräsidenten. Der Schwabe, Urbild des Liberalen und von den Bundesbürgern bald liebevoll „Papa Heuss" genannt, repräsentierte zwei Amtszeiten lang, von 1949 bis 1959, die junge deutsche Republik.
Am 31. Januar 1984 feierte der Bundestag in Bonn den 100. Geburtstag des ersten Präsiden ten der zweiten deutschen Demokratie, Profes sor Theodor Heuss, der die Verkörperung des gütigen Landesvaters war, einer der Väter des Grundgesetzes und der Vater des Begriffes »Bundesrepublik Deutschland«. Bundestags präsidentRainer Barzel würdigte »Papa Heuss«, wie ihn der Volksmund liebevoll nannte, mit den Worten: »Wir danken, daß es ihn gab und wie es ihn gab: wegweisend, klug, liebenswür-
das seine, der persönlichen Verantwortung; nach der Stunde Null mochte er deshalb eine Kollektivschuld der Deutschen nicht gelten las sen und prägte das Wort von der »Kollektiv scham«. Über seinen letzten Lebensabschnitt schrieb er das Motto, der wiedergewonnenen Freiheit mit ganzer Kraft zu dienen: Der politi sche Liberale Heuss wurde Mitbegründer der Freien Demokratischen Partei, der liberale Po litiker Heuss erster Kultusminister von Würt temberg-Baden. Im Juni 1949 berief die FDP den seit einem Jahr in Stuttgart lehrenden Ge schichtsprofessor aus dem Hörsaal ab und nahm
ihn als Parteivorsitzenden in die Pflicht. In dieser Eigenschaft in den Parlamentarischen Rat
entsandt,
arbeitete
der
weißhaarige
Schwabe ebenso eifrig wie unbewußt mit, seine künftigen Befugnisse zu beschneiden: Die Erfahrungen von Weimar bewogen die Väter der neuen deutschen Verfassung, dem höchsten Staatsamt weitgehend die exekutive Gewalt zu entziehen und eine repräsentative Rolle zuzuweisen. Am 12. September 1949 wählte die Bundesver sammlung Theodor Heuss zum Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland; der unterlegene Gegenkandidat Kurt Schumacher, Vorsitzen der der SPD, gratulierte mit den Worten: »Machen Sie es gut, Professor.« Der Professor machte es gut. Sein selbstge stecktes politisches Feld überschritt er nicht, was die Beziehungen zu Bundeskanzler Ade nauer (fast) spannungsfrei hielt, aber wie er sein Amt ausfüllte, setzte Maßstäbe: Repräsentati-
513
dig, ungezwungen, heiter - einer zum Auf
Mit seinen antikapitalistischen Attacken ge
nauers kühler Abgründigkeit, seiner patriarcha
schauen, mit Würde ohne Pathos, unverbrüch
wann er die Massen im Rausch des Besitzer
lischen Gemütsruhe, seinem kölnischen Mut
lichem Gerechtigkeitssinn und glühender Lie
werbs und des Wirtschaftswunders ebensowe
terwitz brach sich der leidenschaftlich-gallige
be zur Freiheit.« Der SPD-Vorsitzende Willy
nig wie mit nationalen Thesen, nachdem den
Ansturm des Oppositionsführers.
Brandt gedachte des Mannes, »der jede partei
meisten alles Vaterländische zu Asche ver
liche Verklemmung oder ideologische Ver
brannt war und phrasenhaft klang. Besonders
In einer dieser Auseinandersetzungen, in der
stocktheit mit einem röhrenden Baß einfach
die Art, in der Schumacher die nationalen Pro
Überreiztheit bei stundenlangen Redegefech ten, fiel am frühen Morgen des 25. November
fortlachte«, der als »Entkrampfer der Nation«
bleme ansprach, ließ ihn bei der Mehrheit nicht
das böse Wort von Clemenceau vergessen
ankommen, vor allem nicht bei der europabe
1949 Schumachers böses Wort, nachdem er
machte, daß die Deutschen das Leben nicht
geisterten Jugend in ihren Blütenträumen von
Adenauer wieder einmal zu kompromißbereit,
liebten, und nannte Heuss »einen nachkriegs
europäischer Integration. Natürlich wäre es
zu nachgiebig gefunden hatte: »Bundeskanzler
deutschen Glücksfall«.
falsch, wenn man Schumacher nur Irrtümer
der Alliierten«. Das war nicht eine Entgleisung,
Das Petersberger Abkommen. Der Erfolg Ade
vorwerfen würde; er hat zum Teil auch recht
ein augenblickliches Vergessen parlamentari
gehabt. Europa, gewiß, das war die Parole der
schen Anstands, es war eine grundsätzliche Verkennung von Adenauers Taktik: durchKom
nauers mit einer - seiner eigenen - Stimme
Stunde, Europa: das solle zuerst heißen, nie
Mehrheit bedeutete auf der Gegenseite die
wieder gegeneinander Krieg führen. Aber der
promißpolitik schneller die Fesseln des Besat
Niederlage eines politischen Programms und
leidenschaftliche Anwalt der deutschen Einheit
zungsstatuts loszuwerden, aber bei aller Nach
ihres Repräsentanten Kurt Schumacher. Für
fürchtete zu Recht, die Westintegration würde
giebigkeit die nationalen Interessen nicht aus
den SPD-Vorsitzenden stimmte die Welt nicht
die Spaltung vertiefen.
dem Auge zu verlieren. Diese Haltung Schu
Diese Sorge erklärt Schumachers leidenschaft
den Graben zwischen Regierungsparteien und
machers und seiner Anhängerschaft vertiefte
mehr. Ein Mann von gestern, ein Zentrumspo litiker der längst vergangenen ersten Republik, hatte wie selbstverständlich zur Macht gegrif
lichen Widerstand gegen die engagierte West
Opposition, machte die Gegnerschaft zur Feind
fen und hatte sie bekommen; er, der Jüngere,
orientierung des Kanzlers. Wenn nach Rede
schaft. Während Schumachers Lebzeiten - er
sah sich um den Lohn des Wartens und Leidens,
schlachten Schumachers leidende Inbrunst er
starb am 20. August 1952- und lange darüber
der gerechten Anwartschaft gebracht. Eins sah
schöpft, das ciceronische Feuer erloschen war
hinaus ist der Bruch nicht mehr geheilt.
er nicht: daß der viel Ältere der Modernere war
und der zweifach Amputierte sich auf seinen
und er, Schumacher, statt dessen die Welt von
Sitz zurückschleppen ließ, dann blieb sein er
Was eigentlich hatte Schumacher so zornig
gestern bauen wollte.
grauter Widersacher unerschüttert. An Ade-
gemacht? Der äußere Anlaß war das Petersber ger Abkommen vom 22. November 1949. Es ging vor allem um die Einschränkung von Demontagen, aber auch um Lockerung von Beschränkungen im Schiffbau und um Mög lichkeiten, im Ausland erste Konsulate zu er richten. Das Abkommen hatte nach Zugeständ nissen des Bundeskanzlers Erleichterungen von seiten der Alliierten gebracht. Die SPD wollte
Die Hohen Kommissare der Alliierten in West deutschland (v.l.n.r.): Sir lvone Kirkpatrick (Großbritannien), Andre
Frangois-Poncet (Frank reich) und John McCloy (USA). Die Einsetzung der Alliierten Hochkommission im September 1949 bedeutete das Ende der Militärregierung in Westdeutschland. Institutionen und politische Kräfte der Bundesrepublik erhielten weitgehend freie Hand.
"Das Petersberger Abkommen brachte die ersten Erleichterungen von seiten der Alliierten.„ '' 514
nur die Zugeständnisse sehen: vor allem im Beitritt der Bundesrepublik zur Internationalen Ruhrbehörde, einem alliierten Kontrollorgan der Ruhrwirtschaft. Wir müssen ein wenig zu rückblicken, um zu verstehen, was die Gemüter so erbitterte. Die Besatzungspolitik der unmittelbaren Nach kriegszeit hatte zum Ziel gehabt, Deutschland hinsichtlich wirtschaftlicher Energie und Lei stung so zu entmachten, daß nie wieder eine Bedrohung von ihm ausgehen könne. Beson ders Frankreich war ein engagierter Verfechter solcher Bestrebungen. Schon der Versailler Vertrag von 1919-ein Diktat der Sieger-hatte bewirkt, Deutschland als überlegenen Konkur renten so nachhaltig zu schwächen, daß Frank reich auf dem Kontinent wieder die erste Macht war. Ungeachtet der fatalen Folgen dieser Po litik - Ausplünderung, Verarmung, Inflation, Radikalisierung des öffentlichen Lebens und Niedergang der Demokratie, Aufkommen Hit lers und die Machtergreifung -, knüpfte die
westalliierte Politik 1945 zunächst und sicher mit größerer Berechtigung an jene von 1919 an. Daß sie nicht in gleichem Maß zu wieder holen war, lag an der Spaltung der Welt, lag am kalten Krieg. Westdeutschlands Rolle als Vor feld gegen die kommunistische Bedrohung
Spalier für Adenauer. Der Bundeskanzler nach dem Empfang bei den drei Hochkommissaren der Westalliierten auf dem Petersberg 1949. Die Ehrenbezeugung der Militärpolizei markiert unübersehbar die Aufwertung des jungen Staatswesens Bundesrepublik.
erleichterte die. Adenauersche Politik, schritt weise aus der Rolle des besiegten Landes in die eines Partnerstaates zu treten. Nun ist es aber im Mit- und Gegeneinander von Staaten und Gesellschaften so, daß ein Umden
die dem Aufbau der künftigen Teilrepublik entzogen werden sollte. Während die Amerika ner am ehesten den Widersinn zwischen Marshallplan und gleichzeitigen Demontagen, zwischen Kräftigung und Entzug erkannten, beharrten England und vor allem Frankreich darauf, daß die ursprünglichen »Planziele« des
" ... schrittweise aus der Rolle des Besiegten in die des Partners hineingewachsen ... ''
Abbruchs und der Kapazitätsminderung erfüllt würden. Eine neue Übereinkunft im Sinn der Vernunft wurde unvermeidlich. Auf einer Kon ferenz in Paris im November 1949 konnten die Amerikaner ihre britischen Partner überzeu
ken längere Wege braucht, bis es alle Schalthe
schaft übertrug, baute das Besatzungsregime
gen, daß man die Westdeutschen nicht zugleich
bel des großen Apparates - Staat genannt -
noch Fabriken ab.
als zukünftigen Verbündeten betrachten und
Westdeutschland zu einem Baustein der ge
Langsam nur paßte die Wirklichkeit sich den
französischen Bedenken und Konkurrenzäng
meinsamen Abwehrfront gemacht werden sol
Absichten der höheren Politik an. Im April
sten setzten sich die beiden angelsächsischen
le, vollzog die Behördenroutine noch brav und
1949 wurde die Liste der zu demontierenden
Mächte weitgehend durch. Ein Kompromiß
erreicht. Als schon längst entschieden war, daß
als Besiegten behandeln dürfe. Gegenüber den
konsequent die Richtlinien von gestern. Das
Betriebe von 1546 auf die knappe Hälfte, 744,
kam zustande. Jetzt sollten nur noch Rüstungs
war am Beharren auf hemmenden Vorschrif
zusarnrnengestrichen. Dazu gehörten weiter
werke demontiert werden, ferner sollte Deutsch land der Internationalen Ruhrbehörde beitre
ten, an der Entflechtung der einstigen Konzerne
hin Hüttenwerke, Kugellagerfabriken, Werf
und besonders an den Demontagen zu beob
ten, elektrotechnische und chemische Fabri
ten, die die Aufteilung von Kohleförderung und
achten. Während der Marshallplan bereits bele
ken. Das war irnrner noch eine imposante Kon
Stahlerzeugung regelte. Bisher hatte die Bun
bende Impulse an die entkräftete deutsche Wirt-
zentration von wirtschaftlicher Produktivkraft,
desrepublik sich geweigert, Vertreter zur Kon-
515
trolle - man konnte auch sagen: Drosselung
sich vielmehr vor Augen führen muß. Unter
besonders hakte die Opposition mißbilligend
- der eigenen Wirtschaft im Bereich der
Adenauers Kanzlerschaft öffneten die Parteien
ein; der Beitritt erschien ihr als Unterwerfung.
Schwerindustrie zu entsenden.
der Mitte und auf der Rechten den Blick auf
Mitte November 1949-der westdeutsche Teil
Zusammenschlüsse, die Linke trieb nationale,
ätzender Schärfe entgegen, die SPD sei eben
staat bestand ein knappes halbes Jahr- mußte
gesamtdeutsch betonte Politik. Das war übri
leider eher bereit, »die ganze Demontage bis zu
Adenauer neu überdenken, wie er sich zur
gens der genaue Gegensatz zu den Konstella
Ende gehen zu lassen«, als daß sie Vertreter von
stellen habe. In dem gewiegten
tionen von Weimar. In der ersten deutschen
deutscher Seite in die Behörde zu entsenden
Europa, auf den Westen, auf übernationale
Ruhrbehörde
zu
Dem Vorwurf hielt der Kanzler mit kühler,
Taktiker gewann die Überlegung Oberhand,
Republik hatten die Linken, Halblinken und die
willens sei. In dem Zusammenhang scheute er
man würde durch Zugeständnisse auf diesem
Mitte verzweifelt mit den Siegern von 1918
sich nicht, ganz offen herauszustellen, daß die
Gebiet Erleichterungen auf anderem erhalten:
Vereinbarungen, Erleichterungen auszuhandeln
Alliierten Druck ausgeübt hatten: Beitritt der
Wären Deutsche erst einmal Mitglied des Kon
versucht, die nationalen Rechtsparteien hatten
Bundesrepublik zur Ruhrbehörde oder »De
trollorgans, dann könnte nicht mehr ohne sie
sie dafür geschmäht, sie zu »Verrätern am
montage bis zu Ende«. Adenauer hatte in dieser
entschieden und beschlossen werden; dann
Vaterland« gestempelt. Wenn, nach einem ge
Lage ein Nachgeben für klüger gehalten. Und
könnte man vielleicht die Demontagen weiter
flügelten Wort, »Bonn nicht Weimar« ist, dann
das war der Reizpunkt der nächtlichen Debatte,
zu vermindern suchen. Für diese Politik ge
lag gerade in diesem Frontwechsel der späten
an welchem Kurt Schumacher das Wort vom
wann er sein Koalitionskabinett. Immerhin
vierziger und der fünfziger Jahre einer der
»Bundeskanzler der Alliierten« gebrauchte.
konnte er auch auf das alliierte Zugeständnis
bemerkenswertesten Unterschiede zwischen
verweisen, daß die Bundesrepublik Deutsch
erster und zweiter deutscher Demokratie.
Das Bundestagsprotokoll vermerkt an dieser
schen Dienst aufzubauen: Keimzellen einer
Als Adenauer nach der Unterzeichnung des
und rechts. Großer Lärm und Klappen mit
neuen Außenpolitik.
Abkommens vom Petersberg am 24. Novem
den Pultdeckeln
ber 1949 vor den Bundestag trat, legte er dem
chen
Haus die Erfolgsbilanz seiner zähen Verhand
zwanzig Sitzungen schloß er den Oppositions
Abkommen ausgehandelt. Während die Sozi
lungen vor: Eine Reihe großer Stahlwerke und
führer von den Sitzungen aus. Das Hohe
aldemokraten unter Schumachers Führung eine
Firmen der Chemieproduktion waren vor De
Haus der jungen Demokratie hatte seinen
zunehmend härtere nationale Position einnah
montage gerettet, damit auch Zehntausende
ersten großen Skandal.
men und den alliierten Zusagen mißtrauten,
Arbeitsplätze gesichert; der Schiffbau hatte et
Stelle: »Stürmische Protestrufe in der Mitte
land das Recht erhalten solle, einen konsulari
Auf dieser Grundlage wurde das Petersberger
„.
Anhaltendes Glockenzei
des Präsidenten«
(Dr. Köhler). Für
Europarat und Montanunion. Der kalte Krieg
setzte Adenauer im außenpolitischen Roulette
was mehr Freiraum gewonnen; der konsulari
beharrlich auf die Westbindung, die Integration.
sche Dienst durfte neu aufgebaut werden; die
wirkte spaltend und einigend zugleich. Wie
Zwischen ihm und dem Westpreußen Schu
Bundesrepublik konnte einer Reihe internatio
Deutschland im Vorfeld der Supermächte zer
macher tat sich eine Kluft auf, die mehr als eine
naler Organisationen beitreten. Dazu gehörte
rissen war, so verstärkte sich im freien Teil
persönliche war, deren kollektive Aspekte man
nun freilich auch die Ruhrbehörde, und hier
Europas zur selben Zeit das Bemühen, die einzelnen Nationen zu einer größeren Einheit zu bringen, durch Partnerschaft stärker zu wer
Protest gegen die Demontage. Je länger die Demontagen dauerten, desto deutlicher wurde ihr wirtschaftlicher Widersinn. Mit einer ausgeraubten Nation handelte man sich einen Almosenempfänger auf Dauer ein. Als erste stellten die Amerikaner im Mai 1946 die Demontage-Aktionen ein. In den anderen Besatzungszonen gingen sie jedoch noch jahrelang weiter.
'' Die Allüer ten üben Druck aus: Beitritt zur Ruhrbehörde oder »Demontage bis zum Ende«.„ '' 516
den. Sicher ist der Europagedanke älter als Churchills berühmter Aufruf vom 19. Septem ber 1946 in der Züricher Universität, aber dieses Datum ist ein Meilenstein der Annähe rung. Der günstige Zeitpunkt und das Ansehen des Redners riefen Energien wach, die, gelähmt vom Eisernen Vorhang und den Kriegszer störungen, auf solch erlösendes Wort gewartet hatten. »Wir müssen eine Art Vereinigter Staaten von Europaerrichten«, hatte der Kriegs premier der akademischen Jugend zugerufen und dabei bereits einem mit Frankreich ver söhnten Deutschland seinen Platz zugewiesen: »Es gibtkeine Wiedererweckung Europas ohne ein geistig großes Frankreich und ohne ein geistig großes Deutschland.« Was schon in den zwanziger Jahren, ebenfalls nach einem verheerenden Krieg, als Ideal pro pagiert worden war, erwachte nun mit verstärk tem Willen neu. Einer der engagiertesten Wort führer war Graf Coudenhove-Kalergi, der 1923 in Wien eine Paneuropa-Bewegung gegründet hatte. Das Schicksal Europas, das war nicht nur
dem alten Winston Churchill klar, hing ent schieden vom deutsch-französischen Verhält nis ab. Und hier gab es nach 1945 gegenüber
1918 einen entscheidenden Unterschied. Haß und Rachegefühle waren ungleich schwächer geworden, als hätten sich die Energien der »Erbfeindschaft« nach Jahrhunderten
end
lich erschöpft. So wäre es vier Jahre nach dem Ersten Weltkrieg unmöglich gewesen, was sich vier Jahre nach dem Zweiten an der deutsch-französischen Grenze abspielte: daß Jugendliche beider Nationen die Schlagbäume zertrümmerten und sich bei loderndem Feuer verbrüderten.
Europa-Gedanke. Das Plakat entwarf der Holländer Dirksen anläßlich eines Wettbewerbs des Rates für Europäische Zusammenarbeit. Für Nachkriegs deutschland, das gerade die Exzesse des Nationalismus hinter sich hatte, eröffnete der Europa-Gedanke die Chance zu einer friedlichen Rückkehr in die Völkergemeinschaft.
Der erste Stichtag auf dem Wege zu einem Europa der Institutionen, nicht nur der Worte oder Einzelhandlungen, war der 5. Mai 1949. Damals schlossen sich zehn Länder zum Euro parat zusammen, das heißt, sie nahmen in Lon don das Statut dieser Organisation an, unter zeichneten die Gründungsurkunde: Großbri tannien, Irland, Frankreich, die Benelux-Staaten, die drei skandinavischen Länder und Italien. Artikel l bestimmte, daß der Europarat »einen starken Zusammenschluß seiner Mitglieder zum Schutz und zur Förderung der Ideale und Prin zipien, die ihr gemeinsames Erbe sind, und zum Besten ihres wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts bezweckt«. Artikel 4 verpflichtete (und verpflichtet) die Mitglieder, die Men schenrechte und Grundfreiheiten im Bereich ihrer Grenzen zu achten. Als Hauptorgane des Europarates wurden ein gerichtet: die Beratende Versammlung in Straß
''General de Gaulle wollte mit einer deutsch· französischen Union das Werk Karls des Großen fortsetzen ... ''
burg und der Ministerausschuß. In die Beraten
werden zu lassen, schon deshalb, weil jede
rung kaum Vorstöße in Richtung Europarat
de Versammlung delegierten die nationalen
Teilnahme
unternehmen, obwohl die Westmächte dies
an
Kollektiveinrichtungen
ein
Parlamente Abgeordnete, und zwar nach einem
Schritt auf dem Wege zur Gleichberechtigung
sogar gern gesehen hätten. Jetzt aber zeigte
von der jeweiligen Größe abhängigen Länder
war und die Beschränkungen der Souveränität
Adenauer sich wieder einmal auf der Höhe
schlüssel. Dazu kam 1958 das Europa-Parla
lockern mußte.
seines taktischen Geschicks. Vier Tage nach
sammlung der EWG, Montanunion und Euro
Auf dem Wege dieser logischen Folgerung lag
schen Journalisten ein Interview, worin er eine
dem Saar-Abkommen gab er einem amerikani
ment, die gemeinsame parlamentarische Ver päischen Atomgemeinschaft (EURATOM).
jedoch ein sperriges Stück: die Saar. Die Fran
deutsch-französische Union propagierte; sie
Auch diese zweite Körperschaft wurde von den
zosen hatten das Saarland 1947 aus ihrer Besat
würde »einem schwerkranken Europa neues
Parlamenten der Mitgliedsländer beschickt,
zungszone herausgelöst und in das französi
Leben und einen kraftvollen Auftrieb geben«.
gleichfalls mit Sitz in Straßburg. Einundzwan
sche Wirtschaftssystem eingegliedert. Anfang
Er vergaß nicht zu erwähnen, daß die Saar vor
zig Jahre später, 1979, hat Europa einen großen
1950 gab Frankreich dem Saarland Autonomie
Gründung einer solchen Union an Deutschland
Schritt getan: von der indirekten Abgeordne
und vereinbarte gleichzeitig eine langfristige
zurückgegeben werden müsse - aber das Pro
tenwahl zur direkten, von der Entsendung durch
Ausbeutung der Kohlengruben.
blem würde sich in solchem großen Rahmen von selber lösen ... Die Flucht nach vorn ver
die Parlamente zur Entsendung durch das Volk. So wurde das Europäische Parlament stark
Die institutionalisierte Verflechtung der Saar
schlug den Franzosen zunächst fast den Atem;
aufgewertet.
mit Frankreich wurde in Bonn mit Sorge gese
sie hatten viel eher scharfen Protest aus Bonn
Die Bundesrepublik Deutschland gehörte nicht
hen. Es war ein Verstoß gegen das Potsdamer
erwartet. Der Protest kam auch, er wurde am 11.
Abkommen (das Frankreich freilich nicht mit
März 1950, abermals vier Tage später, offiziell
zu den Gründungsmitgliedern des Europarates,
unterschrieben hatte), denn der Saarvertrag
nachgereicht. Der Form war damit Genüge
denn sie bestand ja noch gar nicht. Kaum aber,
veränderte die Westgrenzen Deutschlands und
getan, aber die Verwahrung war nun so konzi
daß sie konstituiert war, mußte es Adenauers
griff damit einem Friedensvertrag vor. Unter
liant verpackt, daß man zur europäischen
Bestreben sein, die junge Republik Mitglied
solchen Umständen konnte die Bundesregie-
Tagesordnung übergehen konnte.
517
Schuman-Plan. Frankreichs Außenminister Robert
Schuman (rechts) mit seinem deutschen Amtskollegen Heinrich von Brentano. Auf einen Plan des Franzosen ging die Gründung der Montanunion im April 1951 zurück, die ein einheitliches europäisches Wirtschaftsgebiet für Kohle, Stahl und Eisen schuf.
Grundidee zeitgemäß und geschichtlich not wendig erschien. Ein knappes Jahr nach dem Vorstoß
Schumans
unterzeichneten
sechs
Länder den Vertrag über die Montanunion: Frankreich, die Bundesrepublik, Italien und die Benelux-Länder. »Mit der Unterzeichnung des Vertrages«, hieß es in einer Deklaration, »durch den die Europäische Kohle- und Stahlgemein schaft, eine Gemeinschaft von 160 Millionen Europäern, geschaffen wird, haben die ver tragschließenden Parteien bekundet, die erste übernationale Institution zu schaffen und dar über hinaus den Grundstein zu einem organi sierten Europa zu legen.« Als lenkendes Organ der Schwerindustrie Gemeinschaft wurde die internationale Hohe Behörde mit Sitz in Luxemburg geschaffen; ihr erster Vorsitzender:
Jean Monnet. Die
Hohe Behörde erhielt Lenkungsbefugnisse solcher Art: Investitionshilfen aus Anleihen, Anpassungshilfen bei Strukturkrisen, Erzeu gungsbeschränkungen bei Absatzmangel, Fest
"Die Montanunion wurde zur Vorreiterin der europäischen Integration„. ''
setzung der Preise, Abbau von Wettbewerbs Hemrnnissen. Alles in allem hat die Montanunion, deren Vertrag im Januar 1952 vom Deutschen Bun destag ratifiziert wurde und der im Juli 1952 in Kraft trat, die Erwartungen erfüllt. Ohne die Überzeugung, daß das Wagnis gelungen sei, hätten die sechs Partnerstaaten kaum den Mut gefunden, fünf Jahre später, 1957, in Rom die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu grün den - die zwar schwere Mängel aufweist, die
Zunächst äußerte General de Gaulle beein
blickend, ohne sein geistiges Erstgeburtsrecht
druckt, eine Union zwischen Frankreich und
an dem Plan sonderlich hervorzuheben: »Schu
wir uns aber heute kaum mehr fortdenken kön
Deutschland - er dachte immer weiträumig -
mans Plan entsprach voll und ganz meinen seit
nen. Dafür mußte die Montanunion der Vorrei
würde das Werk Karls des Großen fortsetzen.
langem vertretenen Vorstellungen einer Ver
ter sein, der Spähtrupp im unbekannten Gelän
Konkreter war, was am 9. Mai 1950 geschah.
flechtung der europäischen Schlüsselindustri
de der europäischen Integration.
Der französische Außenminister Robert Schu
en. Ich teilte unverzüglich Robert Schuman
und
contra
Wiederbewaffnung.
man plädierte dafür, die deutsche und französi
mit, daß ich seinem Vorschlag aus ganzem
Pro
sche Kohle-, Stahl- und Eisenproduktion zu
Herzen zustimme.« Unter diesen Umständen,
Kriegsende Mai 1945 hatte die Parole »Nie
vereinigen. Anderen europäischen Ländern solle
durch diesen außenpolitischen Durchbruch,
wieder deutsches Militär« zum Standard-Vo
der Beitritt offenstehen. Jeder Krieg zwischen
konnte Bonn es trotz der ungeklärten Saarfrage
kabular nicht nur bei den Siegern, sondern
Frankreich und Deutschland, verkündete Schu
wagen, dem Europarat beizutreten, zuerst als
auch bei den Besiegten gehört. Anfang der
man, werde durch die Montanunion nicht nur
assoziiertes Mitglied, 1951 als Vollmitglied.
fünfziger Jahre sah die Welt ganz anders aus.
Wesentlich beteiligt an dem Plan war der fran
In den deutschen Zechen und Stahlwerken über
sich binnen weniger Jahre so sehr verändert
zösische Wirtschaftspolitiker Jean Monnet, der
wogen die Bedenken. Würde der eben eingelei
hatten, lag am Korea-Schock vom Sommer
aber nicht, wie Schuman, mit dem deutsch
tete Aufschwung der heimischen Wirtschaft
1950. Am 25.Juni waren überlegene Streitkräf
französischen Schicksal schon von Geburt ver
vielleicht durch kommende Gemeinschafts
te aus dem kommunistischen Nordkorea in den
bunden war; vielmehr stammte er aus dem
beschlüsse gedrosselt werden? Konnten zu vie
unter dem Einfluß der USA stehenden südli
berühmten französischen Städtchen Cognac.
le internationale Köche den nationalen Brei
chen Landesteil eingedrungen und hatten ihn
Das französische Projekt wurde nicht zuerst
verderben? War vielleicht schon Konkurrenz
überrannt. Nur mit äußerster Anstrengung,
öffentlich verkündet, sondern war in zwei Brie
denken im Spiel, das beginnende deutsche Wirt
furchtbaren Opfern und Verwüstungen war es
undenkbar, sondern auch materiell unmöglich.
Seit
Daß die Welt und ihre Anschauungsweisen
fen enthalten, die per Boten überbracht und
schaftswunder nicht zu groß werden zu lassen?
der vor allem aus US-Streitkräften bestehenden
dem Kanzler am 9. Mai 1950 mit dem Vermerk
Der Vertrag über die Montanunion war trotz
UNO-Streitmacht gelungen, den ursprüngli
»äußerst dringend« in eine Kabinettssitzung
solcher Sorgen und trotz des kleineuropäischen
chen Machtzustand wiederherzustellen. Der
hineingereicht wurden. Adenauer schreibt rück-
Anstrichs nicht aufzuhalten, weil er in der
Korea-Schock saß tief, und nicht wenige West-
518
deutsche - in einem gleichfalls geteilten Land
wollte nicht öffnen. Er ließ damals noch durch
mus, trotz des Sicherheitsbedürfnisses und
mit
gegenüberliegenden
Bundeskanzler Adenauer erklären: »Es muß
der täglichen wechselhaften Militärberichte
kommunistischen Landesteil, wo es inzwischen
ein für allemal in der Öffentlichkeit klargestellt
aus Korea wollte die große Mehrheit von
60 000 Mann kasernierter Volkspolizei gab -
werden, daß ich prinzipiell gegen eine Wieder
einer
verglichen besorgt die ähnliche Ausgangslage
bewaffnung bin.« Im Bundestag blies die Op
nichts wissen. Für den Schutz hatte man
und fragten sich: Wann sind wir an der Reihe?
position ins gleiche Horn. »Die Sozialdemokra
ja die Amerikaner ...
einem
gleichfalls
Remilitarisierung
im
eigenen
Land
tische Fraktion«, so äußerte Erich Ollenhau Bundeskanzler Adenauer reagierte schnell. In
er, »lehnt es ab, eine deutsche Wiederaufrü
Eine politisch deutliche Sprache redeten die
einer Sitzung mit den Hohen Kommissaren -
stung auch nur in Erwägung zu ziehen.«
Landtagswahlergebnisse in der Zeit von Ende
Und dann, wie gesagt, kam Korea, und der
für die Union gegenüber 52,3 Prozent vier Jahre zuvor; Hessen: 19,0(30,9); Württemberg
vor Jahren hießen sie noch Militärgouverneure, bald würden sie Botschafter heißen - brachte er
1950 bis Frühjahr 1951. Bayern: 27,6 Prozent
am 17. August 1950 die Sicherheitsfrage zur
Kanzler änderte sein »ein für allemal« überra
Sprache. Dabei schlug er vor, eine westdeut
schend schnell, doch das wurde in der Öffent
Baden: 26,3(38,3 ); Rheinland-Pfalz: 39,2(47,0)
sche Verteidigungsstreitkraft bis zu 150 000
lichkeit zunächst nicht bekannt. Aber die Dis
Prozent. Die Tendenz war lebensbedrohend für die Union, doch Adenauer blieb unbeirrt.
Freiwilligen aufzubauen. Dabei hatte der Kanz
kussion war nicht mehr aufzuhalten, zumal
ler von vornherein keine nationale Armee im
Winston Churchill schon im März, also vor
»Es gibt nur einen Weg, den Frieden zu retten«,
Auge, sondern eine Truppe im Rahmen euro
dem Einfall Nordkoreas in den Süden der Halb
äußerte er im Oktober 1951, »das ist der Weg
päischer Integration. Als Rückendeckung dien
insel, im Unterhaus für eine deutsche Wieder
zur Eingliederung Deutschlands in die Euro
te ihm nicht nur die Aufrüstung in der Sowjet
bewaffnung eingetreten war und nun vor dem
päische Verteidigungsgemeinschaft.«
zone, sondern auch Churchills Rede vom 11.
Europarat erneut. Der Kanzler, der bisher auf
August vor dem Europarat, worin der britische
der Woge der Volksströmung gesegelt war, der
Oppositionsführer sich für eine europäische
den Puls seiner Landsleute so sicher gefühlt
(EVG) war vom französischen Ministerpräsi
Armee unter deutscher Beteiligung ausgespro
und der erkannt hatte, wo ihre Interessen lagen
denten Pleven im Jahr zuvor, im Oktober 1950,
chen hatte. Der Plan war in den USA sehr
und wo nicht, der hatte plötzlich den Wind im
vorgeschlagen worden, als militärisches Ge
begrüßt worden.
Gesicht. Trotz der Angst vor dem Kommunis-
Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft
genstück zur Montanunion. Dabei dachte er an eine Fusion von Truppen und Material unter
Die Anregung des Kanzlers fiel bei den Besat zungsmächten auf fruchtbaren Boden, wie er in seinen Memoiren schreibt. Aber nun geschah Überraschendes. Der Zivilist Adenauer, der nie eine Waffe getragen hatte, dem militärische Fragen völlig fremd waren und der eine deut sche Armee allein unter dem Sicherheitsaspekt und als Instrument westeuropäischer Annähe rung sah - dieser Staatsmann unterschätzte die Wehrmüdigkeit seiner Landsleute. Er wurde von Protesten gegen die Wiederbewaffnung
'' Die Deutschen wollten von einer Remilitarisierung nichts wissen ... '' Wiederbewaffnung. Der britische Premier Winston Churchill (im Bild rechts, mit dem Bundestagsabgeordneten Hermann Pünder) schlug im August 1950 die Aufstellung einer europäischen Armee mit deutscher Beteiligung vor.
einer übernationalen politischen und militäri schen Autorität. Leitgedanke war, es nicht zur Wiederbelebung einer selbständigen deutschen Armee kommen zu lassen; deutsche Truppen kontingente sollten von vornherein Teil eines größeren Ganzen sein. Da dies vollkommen im Sinne Adenauers war, hatte seine Zustimmung keine vierzehn Tage auf sich warten lassen, ungeachtet der Demission seines Innenmini sters Gustav Heinemann. Der wollte eine deut-
überschwemmt. War das verwunderlich nach dem Inferno, in das deutsche Waffen und Sol daten 1939 bis 1945 Europa und die halbe Welt gestürzt hatten? Doch ein Gespenst ging um in Europa, das Gespenst der Furcht vor derri Kommunismus. Der imperialistische Spätstalinismus erschreck te die westliche Welt, vor allem seit dem kom munistischen Umsturz in der Tschechoslowa kei im Frühjahr 1948
-
das war der Anstoß
für die Gründung der NATO ein Jahr später und seit der Berliner Blockade im Sommer desselben Jahres. Kaum zu glauben, aber Ende 1949war im Pariser »Combat« zu lesen: »Wir wollen uns nichts vormachen: Die Verteidi gung an der Elbe macht eine deutsche Armee unvermeidlich.« Erstmals pochte die Weltpolitik an die Einfrie dung, hinter der der abgerüstete deutsche Mi chel friedlichen Geschäften nachging. Michel
519
sehe Wiederbewaffnung nicht mitverantwort lich unterstützen. Heinemann, ein gottesfürch tiger Christ, warnte: Gott habe den Deutschen zweimal die Waffen aus der Hand geschlagen; ein drittes Mal dürften sie sie nicht ergreifen.
Die Stalin-Note. Mitten in der Debatte um die EVG, die später doch nicht zustande gekommen ist, weil die Franzosen Angst be kamen vor ihrer eigenen Courage und das Projekt im Parlament zum Scheitern brachten, mitten im leidenschaftlichen Für und Wider um einen deutschen Beitrag zur europäischen Verteidigung meldete sich eine unerwartete Stimme zu Wort. Stalin schickte eine Note an die drei Westmächte, in der er Verhandlungen über den Abschluß eines Friedensvertrages für Deutschland unter Beteiligung einer ge samtdeutschen
Regierung
anbot.
Weitere
Kernpunkte des sensationellen Dokuments: Deutschland wird als einheitlicher Staat wie derhergestellt; die Besatzungsmächte verlas sen das Land spätestens ein Jahr nach Inkraft treten
des
Friedensvertrages;
Deutschland
verzichtet auf Militärbündnisse gegen jede der Siegermächte; nationale Streitkräfte und die
Erich Ollenhauer (SPD) sagte in der Wehrdebatte: „Die Eingliederung Deutschlands in das militärische Verteidigungssystem des Westens kann zu einer Vertiefung der Spaltung Deutschlands führen."
Herstellung der nötigen Waffen sind erlaubt. ter, am 14. März 1952, vor der Volkskammer Nachdem der Westen sich von seiner Überra
erläuterte: »Freie Wahlen zur verfassungge
schung erholt hatte, ging er an die Analyse und
benden Nationalversammlung sind der kürze
Interpretation. Hilfestellung bot der DDR-Mini
ste Weg zur Wiederherstellung der deutschen
sterpräsident Grotewohl, der vier Tage spä-
Einheit.«
Schreckbilder des Kommunismus,
Kein sowjetisches Angebot war bisher so weit
wie sie bereits in der Weimarer Zeit verbreitet worden waren, tauchten in der Wahl werbung der CDU wieder auf.
gegangen, kein sowjetisches Angebot - das wissen wir erst im Rückblick - reichte bis zu Gorbatschows Einverständniserklärung zu der deutschen Wiedervereinigung im Juli 1990 an dieses heran. Woher plötzlich diese Nachgiebigkeit, diese Zugeständnisse, die doch außerdem den Frei heitswillen der unterdrückten Ostvölker in ge
Wehrdebatte im Bundestag. Adenauer am 7. Februar 1952 während seiner Regierungserklärung, die die Wehrdebatte einleitete. ,Wir werden sicher zunächst mit Freiwilligen anfangen", sagte der Kanzler, ,aber es wird der Zeitpunkt kommen, wo der Frage eines deutschen Wehrgesetzes näher getreten werden muß."
fährlicher Weise stimulieren und damit die Position der Sowjetunion in Osteuropa schwä chen mußten? Das wird sich kaum klarer beant worten lassen als durch einen Blick auf die Gedankengänge von Paul Sethe. Der große Kommentator der fünfziger Jahre veröffentlichte 1956 ein schmales Buch unter dem Titel »Zwischen Bonn und Moskau«. Der
'' Leidenschaftliches Für und Wider um den deutschen Beitrag zur europäischen Verteidigung.„ '' 520
Bewunderer von Adenauers Staatskunst und scharfe, aber immer vornehme Kritiker seiner Handlungsweise in der Deutschlandpolitik kommt darin zu dem Schluß, daß Stalin aus Gründen des sowjetischen Sicherheitsstrebens zu so weitgehenden Angeboten genötigt wor den sei. Augenreibend fragte sich vielleicht
mancher damalige Leser, ob der Verfasser bei Trost sei: das größte Land der Welt, waffenstar rend von der Elbe bis Wladiwostok, und dann Furcht vor einer Wiederbewaffnung in Deutsch land? Aber die Landkarte und die Stückzahlen von Panzern können leicht zu falschen Schlüs sen verführen. Stalin und das Politbüro betrachteten, wenn man sich diese Überlegungen zu eigen macht, eine deutsche Wiederbewaffnung durchaus nicht isoliert, sondern im globalen Zusammen hang »kapitalistischer Einkreisung« - sicher ohne hinreichend zu berücksichtigen, wie sehr jene »Einkreisung« Folge kommunistischer Weltrevolutionsvorstellungen war. Und dabei spielte so viel Irrationales hinein, daß die Note vom 10. März 1952 in ihren Zugeständnissen erheblich weiter ging, als nach der bisherigen harten Kreml-Politik zu erwarten gewesen wäre. Darin liegt die Bedeutung des sowje tischen Angebots. Wie reagierte der Westen? Die Alliierten wollten die beginnende militäri sche Zusammenarbeit angesichts des fortdau ernden Koreakrieges gar nicht erst durch di plomatische Störmanöver aus dem Osten - so wurde Stalins Intervention abgetan - aufhalten lassen. Sie ignorierten zwar nicht die diploma tische Aktion des Kreml, verlangten hingegen Vorleistungen, die die Sowjetunion nicht zu geben bereit war. In der Bundesrepublik Deutschland war die Reaktion auf Stalins Lockruf durchaus nicht allenthalben so eindeu tig abweisend wie Adenauers Meinung (»ein Fetzen Papier«). Viele sahen in dem Angebot zumindest eine Chance. Ob es ernst gemeint war, wußte keiner, aber um dies zu erkunden, gab es das altbewährte diplomatische Mittel der Verhandlungen. Dabei hätte der Integrati onsprozeß ruhig weiterlaufen können. Ein rei nes »Störmanöver«, sofern es eines war, konnte man dadurch leicht auflaufen lassen. Viele sag ten sich auch, daß die Interessen der Westmäch te nur zum Teil unsere Interessen seien. Ihnen ginge es allein um ihre Sicherheit, uns aber auch um unser geteiltes Land und um die Frage, ob die schon jetzt weit gediehene Spaltung auf zuhalten oder gar rückgängig zu machen sei. Dagegen stand allerdings die Mehrheit, die angesichts der latenten Dauerbedrohung durch den expansiven Kommunismus überhaupt kei ne ehrlichen Absichten bei den Sowjets in Rechnung stellte, die sich obendrein von Ade nauers zuversichtlichen Worten beschwichti gen ließ, die Festigung des Bündnisses, also eine Politik der Stärke, werde automatisch zur Wiedervereinigung führen. So blieben die
E J. Strauß in der Bundestagsdebatte wn die EVG ,,Wir müssen von der Gegen wart und ihren Notwendigkei ten ausgehen. An uns sind heute in dieser Situation, bei dieser Lage des deutschen Volkes von unserem Gewis sen bestimmte Fragen ge stellt. Wir müssen diese Fra gen beantworten, und die klare und nüchterne Entschei dung, die in absehbarer Zeit zu treffen sein wird, darf nicht, so groß die Verlockung auch wäre - Herr Kollege Ollenhau er, für Sie wie für mich-, durch den Blick nach rückwärts, mit den Gefühlen, die er auslösen könnte und zum Teil im lande ausgelöst hat, getrübt werden. Wenn ein Haus vom Feuer bedroht wird, ist der Streit unter den Mietparteien, wer das Feuer verschuldet hat, zwecklos. Das muß klar und rasch entschieden werden, wie man Einhalt gebieten kann, und dann müssen alle Hände zusammenhelfen, um das Haus zu retten. (Abg. Müller, Frankfurt: Aber Sie wollen es ja anzünden!) - Wer es anzünden will oder nicht, darüber sind wir uns sehr genau im klaren, lieber Freund. (Zuruf von der CDU: Lieber Freund?) Wenn Sie glauben, daß ein Brandstifter dann schon als harmlos gilt, wenn er als Brandversicherungsagent eine Zeitlang herumläuft, dann ir ren Sie sich. (Lebhafter Beifall in der Mitte. - Zuruf des Abg. Müller, Frankfurt) Ich gehöre zu denjenigen, die, wie wahrscheinlich die Mehr heit in diesem Hause, im letzten Krieg sechs Jahre lang Uniform getragen und das Grauen des Zweiten Welt kriegs, von dem Sie gespro chen haben - wenn auch persönlich mit viel Glück, und dafür gebührt der Dank nach meinem Glauben dem lieben Gott, es ist nicht mein Ver dienst - überstanden haben und durch diese Zeit hindurch gekommen bin. Ich bin mir dieser Vergangenheit und die ser Zeit so wohl bewußt, Herr Kollege Ollenhauer, daß ich von mir aus gesehen, wenn es um die Entscheidung ginge: sollen wir wieder Soldaten werden oder nicht, wenn es um die Frage ginge: neutral
Franz Josef Strauß, Abgeordneter der CSU. sein oder nicht neutral sein, wenn das die wirkliche Alter native wäre, sagen würde: Pack deinen Krempel ein, häng deinen Rucksack um und hau ab! Wir wollen nicht mehr. (Sehr gut! bei den Regierungs parteien.) Ich glaube, wir sollten auch nicht mit einem gefährlichen Argument operieren, das die Wachsamkeit einschläfert, eine richtige Entscheidung verzö gert und auch die Rückkehr Deutschlands zu Gleichbe rechtigung und Freiheit auf unabsehbare Zeit hinaus schiebt, nämlich von unserer Seite aus zu sagen: War es bisher nicht zu spät, dann kann es auch nie zu spät werden. (Sehr richtig! bei den Regie rungsparteien.) Wir sind uns sehr wohl darüber klar, wenn es in vier Wochen brennt, nicht in vierzehn Ta gen durch einen Verteidi gungsbeitrag eine wirksame Sicherung aus eigener Kraft schaffen zu können. Wir wis sen genau, daß das Ausmaß an aktivem deutschen Vertei digungsbeitrag, das diskutiert worden ist, eine sogenannte weiche Zeit oder Risikoperi ode von 18 bis 24 Monaten einschließt. Das nicht zu sagen, wäre verantwortungs los, wenn auch die Periode unter bestimmten Umständen verkürzt oder jedenfalls das Ausmaß und das Risiko der Gefahr während dieser Peri ode eingeschränkt werden kann. Wir sollen uns aber davor hüten, zu sagen: Es gibt
kein Zuspät. Es hat in der Weltgeschichte schon eine Reihe von Situationen gege ben, wo es zu spät war. (Sehr gut! bei den Regierungs parteien.) Ich glaube, die Damen und Herren von der SPD werden ein gewisses Verständnis für das haben, was ich jetzt sage. Wenn wir und manche von Ihrer Fraktion so direkte Nutz nießer oder direkte Leidtra gende der Entwicklung wäh rend des letzten Krieges gewesen sind, wir als Frontsol daten haben es in den ersten Jahren der Feldzüge aus menschlicher Natürlichkeit denkbar angene�m empfun den, daß wir die Uberlegenen gewesen sind, daß Deutsch land mit seiner Rüstung einen Vorsprung hatte, der einen Blitzkrieg ermöglicht hat. Aber haben wir nicht vor dem Krieg in Deutschland, und zwar vom General bis zum Fabrikarbei ter, manchmal gewünscht, daß das Ausland, bevor der Krieg ausbrach, eine so klare Sprache gesprochen hätte, daß uns der Gang als Frontsol dat erspart geblieben wäre? (Beifall der Regierungspartei en.) Gerade die Tatsache, daß es nicht geschehen ist, hat nach dem Kriege so stark dazu beigetragen, daß wir es uns nicht gefallen lassen konnten, die Kriegsschuld eindeutig auf uns zu nehmen. (Sehr gut! bei den Regierungs parteien.) Friedenspolitik heißt eines: klar erklärter Verzicht darauf, politische Ziele mit Gewalt durchsetzen zu wollen. (Sehr gut! in der Mitte) Friedenspolitik heißt aber auch, einem eventuellen Angreifer klarzumachen, daß sein An griff auf den organisierten Gesamtwiderstand Europas und Amerikas stoßen wird. (Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien.) So gern ich die beiden mitsammen sprechen sehe, so möchte ich doch Herrn Dr. Adenauer und Herrn Dr. Schu macher nicht gern hinter Stacheldraht im Ural sich darüber unterhalten sehen, was sie im Frühjahr 1952 hätten tun sollen!" (Stürmischer Beifall bei den Regierungsparteien.)
Skeptiker in der Minderheit.
521
In Perspektive gerückt: Kurt Schumacher unter Umständen an eine sozialistisch-katholische Ko alition nach den Wahlen von 1953 denken. Eine derartige Annäherung würde für die Pläne der Herstellung der Einheit Europas einen unge heuren Schritt vorwärts be deuten.
Er war Adenauers großer Widersacher; mit seinem Na men verbindet sich die Erinne rung an die ersten parlamenta rischen Schlachten der Bun desrepublik. Das wird deutlich in den Nachrufen, die das In und Ausland Kurt Schuma cher, dem Vorsitzenden der SPD, nach seinem frühen Tod im August 1952 widmete. „The Tlmes" (London): Die Persönlichkeit Dr. Schu machers hat die deutsche sozialdemokratische Bewe gung so beherrscht, daß es jetzt angebracht scheint, Ver mutungen anzustellen, daß die Partei ohne ihn vielleicht ihre Taktik ändert. Die festge legten Auffassungen der Par tei scheinen zu dem Schluß zu führen, daß Deutschland sei ne Verbündeten im Westen suchen muß und daß die einzigen Meinungsverschie denheiten (mit der Regie rungskoalition) über Fragen der Methoden und des zeitli chen Vorgehens bestehen. So wichtig diese Meinungsver schiedenheiten sein können, Dr. Schumacher hat sie in der letzten Zeit über Gebühr betont. Es ist gut möglich, daß seine Partei in absehbarer Zeit ihre extreme Position über prüft. „Manchester Guardian": Die SPD wird, nachdem sie ihren Steuermann verloren hat, über ihren weiteren Kurs nachdenken müssen. Sie kann die Linie beibehalten, die Schumacher festlegte - eine Linie unfruchtbarer Opposition zu einer Politik, die die Partei eingestandenermaßen selbst verfolgen müßte, falls sie an die Regierung käme. Die Partei kann aber auch einen Kurs anstreben, der, wenig stens auf außenpolitischem Gebiet, mehr an eine gemein same Politik mit den Regie rungsparteien herankommt. „New York Tlmes": Wenn alle Seiten berücksich tigt werden, hat Schumacher seinem lande und der Sache des freien Europa mehr zum Schaden als zum Nutzen gereicht. Er war das Beispiel eines Mannes, der Extremismus mit Extremismus bekämpfte. Lei-
Kurt Schumacher, 1946-1952 Vorsitzender der SPD. denschaftli�� kompromißlos gegen das Ubel des National sozialismus anzugehen, ist Tugend, aber dieselben Ei genschaften in einer Situation einzusetzen, die Geduld, Ver ständnis und schöpferische Kritik erfordert, ist ein Laster. Vielleicht wird er als ein Staatsmann von hohen Ga ben, der das Unglück hatte, physisch und ideologisch ein Opfer des Naziregimes ge worden zu sein, in die Ge schichte eingehen. „Le Combat" (Paris): Schumacher war gleichzeitig Egmont und Friedrich Wil helm, Freiheitsheld und Flü geladjutand der Sozialdemo kratie. Indem er gegen die Diktatur und gegen ein Regi me aufstand, das »den Mann auf der Straße« nicht an sprach, hielt er seine Partei unter einer eisernen Faust, unterwarf sie im Namen der Freiheit seinen Ansichten und wurde dem deutschen Sozia lismus ein wahrer Führer. „Le Matin" (Paris): Das Verschwinden Schuma chers hat in Deutschland ein erhebliches politisches Vaku um geschaffen. Es wird ent scheidende Folgen für die politische Zukunft der Bun desrepublik und ihre Bezie hungen zum Westen haben. Wenn 1949 die beiden großen Parteien keine gemeinsame Regierung bilden konnten, so lag das in der persönlichen Gegnerschaft zwischen Ade nauer und Schumacher be gründet. Jetzt könnte man
„Frankfurter Allgemeine Zeitung" Schumacher wollte gerade als internationaler Sozialist nicht, daß sein eigenes Volk ausge schlossen werde von den Ideen der Freiheit und der internationalen Gerechtigkeit, die den Kern der demokrati schen Ideenwelt bilden. Wo er die Bedrohung nur sah, hat er gesprochen. Er hat es oft in Tönen getan, die uns als zu schrill erschienen. Aber im ganzen hat er gewiß seinem lande einen Dienst erwiesen. Es war gut und sinnvoll, daß in den Jahren der deutschen Ohnmacht einer da war, der die Sieger davor warnte, zu weit zu gehen. Er hat auch seine eigenen Landsleute nicht geschont, er hat die Regierung und ihre Anhänger verletzt. Aber er hat, gerade weil er in der Opposition war, Deutsch land in den internationalen Verhandlungen genützt. Zu den diplomatischen Erfolgen der Bundesrepublik hat auch sein Eingreifen geholfen. Er war ein großer Patriot, er liebte sein Vaterland, er wollte es glücklich und in staatlicher Einheit sehen. Er hat niemals eine amtliche Stellung bekleidet, aber er hätte, als er in den letzten Monaten krank in seinem Gar ten lag, mit melancholischem Stolz von sich sagen können: Patriae in serviendo consu mor. Im Dienste des Vaterlan des und im Dienste seiner politischen Ideen hat sich Kurt Schumacher verzehrt. Mit ihm ist ein Wächter dahingegan gen, der unermüdlich über sein Land schaute und auf stand, wenn er Gefahren erblickte. Nicht ohne Bangen sieht man auf den verwaisten Platz. Ein Stück seines Mutes und seiner Leidenschaft, sei nes federnden Geistes und seiner Lauterkeit werden im Bundeshaus immer lebendig bleiben müssen, wenn dieses Land bestehenbleiben soll.
In Demokratien zählen Stimmen, sonst nichts. Spätestens 1953 konnte Adenauer sich wieder in der Sonne der Wählergunst wärmen und seinen streng antikommunistischen und pro westlichen Kurs für voll gerechtfertigt halten. Die geschichtliche Wertung sieht es vielfach anders. Sie glaubt, daß damals die Verantwor tungspflicht gegenüber dem ganzen Deutsch land nicht ernst genug genommen worden sei; stand doch der östliche Teilstaat, mindestens verbal, 1952 noch zur Disposition, so war das nach Stalins Tod und dem Erstarken der UdSSR im Zeichen der Wasserstoffbombe seit etwa
1953 auf unabsehbare Zeit vorbei. »Wiedergutmachung« und Lastenausgleichs gesetz. In der Zeit der heftigen Auseinanderset zungen um die Wiederbewaffnung mußte ein anderer Gegenstand, ein anderer Mischkomplex äußerer und innerer Politik, bewältigt werden. Er hatte viel mit Gewissenseinkehr zu tun und stieg wie ein schwerer Schatten aus der jüng sten deutschen Vergangenheit herauf. Es ging um Ersatzforderungen Israels für die Einglie derung deutscher Juden in den jungen Staat, aber auch um Wiedergutmachung an Juden außerhalb Israels für die materiellen Verluste, die sie in ihrer Heimat Deutschland erlitten hatten. Die »New York Times« war skeptisch. Am 16. März 1951 schrieb sie: »Es besteht nicht die Hoffnung, daß Deutschland irgend etwas in der Frage der allgemeinen Wiedergutmachung tun wird, es sei denn vielleicht aufgrund von An weisungen der vier Besatzungsmächte.« Vier Tage zuvor hatte Israel die Mächte in einer Note aufgefordert, israelische Ersatzansprüche in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar (nach damali gem Kurswert sechs Milliarden Mark) zu un terstützen. Dem Verlangen lag die Berechnung zugrunde, daß 450 000 deutsche Juden infolge der nationalsozialistischen Gewaltpolitik nach Israel beziehungsweise zuvor in das Mandats gebiet Palästina ausgewandert seien und daß jeweils Tausende Dollars hatten aufgewendet werden müssen, um sie in ihre neue Heimat einzugliedern. An die Stelle einstiger engster Verflechtungen zwischen dem Judentum und dem Gesamtbe griff Deutschland waren drei Nachfolgestaaten getreten, zwei in Europa, einer in Vorderasien, zwei aus den Trümmern des verlorenen Krie ges, einer aus den Trümmern tausendjähriger mittel- und osteuropäischer jüdischer Vergan genheit. Sechs Jahre nach dem Ende des orga nisierten Massenverbrechens schien ein Ge spräch schwer möglich zu sein. Israel war auch
522
wegen fehlender diplomatischer Beziehungen
sollte doch gerade als leistungsfähiger Bünd
destag trat, wußte das Kabinett in Jerusalem
außerstande, Bonn offiziell anzusprechen. Die
nispartner in die westliche Allianz einrücken;
schon Bescheid über den Inhalt. »Im Namen
Sieger als Ersatzadressaten, wie reagierten sie?
Forderungen Israels minderten zwangsläufig
des deutschen Volkes«, sagte der Kanzler, »sind
den Verlustausgleich an die jüdischen Organi
unsagbare Verbrechen begangen worden, die zur moralischen und materiellen Wiedergut
Die Sowjetunion antwortete überhaupt nicht.
sationen, die die Juden vor allem in Amerika
Sie hatte ja nicht einmal ihre eigenen Reparati
und in England vertraten. Schließlich: Eng
machung verpflichten.« Zwar seien hierbei
onsforderungen aus dem Bereich Westdeutsch
lands Ölinteressen im Nahen Osten. Würden
Grenzen der Leistungsfähigkeit zu berücksich
lands auch nur annähernd erfüllt bekommen,
die Araber nicht empfindlich reagieren, wenn
tigen im Hinblick auf die zahllosen Kriegsop
statt dessen ihre Sowjetzone ausgeplündert -
der verhaßte Aufsteiger-Staat in ihrer Mitte mit
fer, Flüchtlinge und Vertriebenen im eigenen
und tat es immer noch. Dort war nichts mehr zu
deutschem Geld gepäppelt würde? Alles zu
Land, die es zu versorgen gelte, doch erkläre die
holen, um Dritte zu befriedigen. Später ver
sammen war so verknotet, daß die Westalliierten
Bundesregierung sich bereit, gemeinsam mit
schloß sich die DDR allen Forderungen Israels
den Gegenstand gern von sich schoben. Sie
Vertretern des Staates Israel und des außeris
mit dem bequemen Argument, als antifaschisti
antworteten auf das Ersuchen Israels, sie könn
raelischen Judentums eine Lösung zu suchen.
scher Nachfolgestaat habe sie mit den Verbre
ten der Bundesrepublik Zahlungen nicht direkt
Dem jüdischen Staat billigte Adenauer als Be
chen des Hitler-Regimes nichts zu tun und sei
auferlegen.
rechtigung seiner Forderungen zu, daß er »so
Der israelischen Regierung blieb nichts übrig,
hat«. Damit war die Forderung vom März mit
aus, obwohl natürlich die Mehrzahl auch ihrer
als sich zu überwinden, ihre Forderungen auf
genau jener Begründung im Prinzip anerkannt.
Bürger dem Diktator Hitler zugejubelt hatte.
dem Wege informeller Kontakte zu Bonn vor
Im Anschluß an Adenauers Erklärung fand
zubringen. Gespräche hinter den Kulissen er
Bundestagspräsident Hermann Ehlers die wür
daher für Ersatzleistungen nicht heranzuzie hen. Sie stieg schlichtweg aus der Geschichte
viele heimatlose Flüchtlinge aufgenommen
Die Westmächte standen aus unterschiedlichen
brachten die Zustimmung des Bundeskabinetts
dige Geste, die Abgeordneten aufzufordern,
Gründen vor einem Dilemma. Schadenersatz
zu Wiedergutmachungs-Zahlungen an Israel.
sich zu erheben »zum Zeichen dessen, daß sie
an Israel wäre ein Präzedenzfall für Ansprüche
Als Konrad Adenauer am 27. September 1951,
im Mitgefühl für die Opfer einig sind«. Die
anderer Länder gewesen; die Bundesrepublik
ein gutes halbes Jahr, nachdem die Forderung
eindeutige Stellungnahme der Regierung und
Deutschland mit ihren gewaltigen sozialen Pro
von 1,5 Milliarden Dollar erhoben worden war,
des Parlaments wurde in der Welt stark beach
blemen war nicht unbegrenzt belastbar und
mit einer Regierungserklärung vor den Bun-
tet, und selbst die israelische Regierung kom-
Wiedergutmachung. Konrad Adenauer unterzeichnet das deutsch-israelische Wiedergutmachungs abkommen im Rathaus zu Luxemburg. Später schrieb er darüber: ,,Für uns Deutsche ist es neben allen
Aufbauleistungen unseres Staates und den freundschaftlichen Verbindungen zu anderen Völkern nach der Katastrophe des National sozialismus die wichtigste politische Entwicklung, daß es uns möglich wurde, den Weg nach Israel und zum j üdischen Volk zu finden."
''Deutsch· israelische Direkt· verhandlungen, weil sich die Westallüerten nicht einmischen wollten„. '' 523
mentierte den Vorgang mit gemessener Aner kennung. Die Erklärung des deutschen Kanz Bundeskanzler Adenauer vor dem Deutschen Bundestag, 27. September 1951 .Die Bundesregierung und mit ihr die große Mehrheit des deutschen Volkes sind sich des unermeßlichen Leidens bewußt, das in der Zeit des Nationalsozialismus über die Juden in Deutschland und in den besetzten Gebieten ge bracht wurde. Das deutsche Volk hat in seiner überwiegen den Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen ver abscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. Es hat in der Zeit des Nationalsozialis mus im deutschen Volke viele gegeben, die mit eigener Gefährdung aus religiösen Gründen, aus Gewissensnot, aus Scham über die Schän dung des deutschen Namens ihren jüdischen Mitbürgern Hilfsbereitschaft gezeigt ha ben. Im Namen des deutschen Volkes sind aber unsagbare Verbrechen begangen wor den, die zur moralischen und Wiedergutma materiellen chung verpflichten, sowohl hinsichtlich der individuellen Schäden, die Juden erlitten haben, als auch des jüdischen Eigentums, für das heute individuell Berechtigte nicht mehr vorhanden sind... Hinsichtlich des Umfangs der Wiedergutmachung - in Anbe tracht der ungeheuren Zerstö rung jüdischer Werte durch den Nationalsozialismus ein sehr bedeutsames Problem müssen die Grenzen berück sichtigt werden, die der deut schen Leistungsfähigkeit durch die bittere Notwendigkeit der Versorgung der zahllosen Kriegsopfer und der Fürsorge für die Flüchtlinge und Vertrie benen gezogen sind. Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel, der so viele heimatlose jüdische Flüchtlinge aufge nommen hat, eine Lösung des materiellen Wiedergutma chungsproblems herbeizufüh ren, um damit den Weg zur seelischen Bereinigung un endlichen Leides zu erleich tern." Bundeskanzler Adenauer an den Vorsitzenden der Confe rence on Jewlsh Claims agalnst
rung des Staates Israel in ihrer Note vom 12. März 1951 gestellt hat, zur Grundlage der Besprechungen zu machen."
Nahum Goldmann, Präsident des Jüdischen Weltkongresses. Germany, Dr. Nahum Gold mann, 6. Dezember 1951 .Unter Bezugnahme auf die Erklärung, die die Bundesre gierung am 27. September 1951 im Bundestag abgab und in der sie sich bereit erklärt, mit Vertretern des jüdischen Vol kes und Israels Verhandlun gen wegen der Wiedergutma chung der unter dem nazisti schen Regime entstandenen Schäden aufzunehmen, möch te ich Ihnen mitteilen, daß die Bundesregierung den Zeit punkt für gekommen erachtet, in dem solche Verhandlungen beginnen sollten. Ich bitte Sie, in Ihrer Eigenschaft als Vor sitzender der Conference on Jewish Claims against Ger many sowohl dieser Konfe renz als auch der Regierung Israels von dieser Bereitschaft Kenntnis zu geben. Ich möchte dazu bemerken, daß die Bundesregierung in dem Problem der Wiedergut machung vor allem auch eine moralische Verpflichtung sieht und es für eine Ehrenpflicht des deutschen Volkes hält, das Möglichste zu tun, um das an dem jüdischen Volk began gene Unrecht wiedergutzuma chen. Die Bundesregierung wird in diesem Zusammen hang die Möglichkeit begrü ßen, durch Waffenlieferungen zu dem Aufbau des Staates Israel einen Beitrag zu leisten. Die Bundesregierung ist be reit, bei diesen Verhandlungen die Ansprüche, die die Regie-
Bundeskanzler Adenauer an den Bundesminister der Finan zen, Fritz Schäffer, 29. Februar 1952 „Wie Sie wissen, habe ich am 27. September 1951 namens der Bundesregierung vor dem Deutschen Bundestag eine Erklärung über die Haltung der Bundesrepublik gegenüber den Juden und dem Staat Israel abgegeben. Die Bun desregierung hat in dieser Erklärung u. a. die Verpflich tung zur materiellen Wieder gutmachung des den Juden angetanen Unrechts aner kannt. Den Grundsätzen dieser Er klärung entsprechend habe ich am 6. Dezember 1951 mit dem Vorsitzenden der Confe rence on Jewish Claims against Germany und Vertrauensmann der Regierung des Staates Israel, Herrn Dr. Nahum Geld mann, in London eine Unterre dung gehabt. Im Anschluß hieran habe ich Herrn Dr. Geldmann in einem Schreiben vom 6. Dezember 1951 mitge teilt, daß die Bundesregierung bereit ist, die Ansprüche, die die israelische Regierung in ihrer an die Regierungen der vier Besatzungsmächte ge richteten Note vom 12. März 1951 gestellt hat, zur Grundla ge der erstrebten Verhandlun gen zu machen. Am 9. Januar 1952 hat das Parlament des Staates Israel beschlossen, das Angebot der Bundesregierung zur Aufnah me von Verhandlungen anzu nehmen. Dieser Beschluß ist mir am 17. Februar 1952 während einer neuerlichen Unterredung in London durch Herrn Dr. Geldmann zur Kennt nis gebracht worden. Ich gebe dem Wunsche Aus druck, daß die Verhandlungen unter weitgehender Hintan stellung aller Bedenken, die in einem anderen Fall sehr verständlich wären, in einem Geiste vorbereitet und durch geführt werden, der dem moralischen und politischen Gewicht und der Einmaligkeit unserer Verpflichtungen ent spricht."
lers werde geprüft, hieß es dort. Im Januar 1952 beriet die Knesseth unter leidenschaftlicher Anteilnahme des ganzen Volkes drei Tage lang stürmisch; dann billigte sie mit 61 zu 50 Stim men bei fünf Enthaltungen die Absicht der Regierung Ben Gurion, mit Westdeutschland zu verhandeln. Unter Kompromissen beider Seiten wurde schließlich
am
10. September
1952 ein Abkommen zustande gebracht. Zwei Milliarden Mark wurden als nomineller Anteil der ostdeutschen Konkurrenz-Republik ausge klammert. Von den verbleibenden vier hatte Israel eine Milliarde gestrichen, Bonn sein Angebot von zwei auf drei Milliarden Mark erhöht. Die Summe wurde auf zwölf Jahres raten verteilt. Eine dreizehnte und vierzehnte Rate von zusammen 450Millionen Mark wur de als Entschädigung für die jüdischen Welt verbände vereinbart. Summen
solcher
Größenordnung
überwiesen, ohne daß nicht auch die eigene Wirtschaft einen Nutzen davon hat. Daher wurde vereinbart, daß Israel von dem Geld, soweit
möglich,
Produktionsgüter
in
der
Bundesrepublik: einkaufen werde. 30 Prozent mußten allerdings verwendet werden, Öl Einfuhren nach Israel zu bezahlen und Schulden bei der Shell in London zu begleichen. Vom übrigen Kapital kaufte der jüdische Staat Investitionsgüter, Schiffe und Materialien aller Art. Während Deutschland auf diese Weise über zwölf Jahre bis 1966 den Aufbau des Staates Israel mitfinanzierte, kamen dessen Einkünfte zum Teil in rückwirkendem Effekt der deutschen Wirtschaft zugute. Daß wiederum sowohl die Zahlungen als auch die gewaltige Transfusion in Form von Sachlie ferungen an Israel den Arabern nicht gefielen, liegt auf der Hand. »Die arabischen Staaten«, so hieß es in einem Memorandum jener Länder, »befinden sich mit Israel noch immer im Kriegs zustand. Da ein moderner Krieg von Wirt schafts- und Waffenüberlegenheit bestimmt wird, ergibt sich für die arabischen Staaten die groteske Situation, daß ausgerechnet unsere Freunde zu Helfern unserer Feinde werden wollen.« Recht hatten die Absender desMemo randums, daß läßt sich nicht leugnen. Doch gibt es im Leben des einzelnen wie der Völker Forderungen der Sittlichkeit, die zu mißachten in jedem Fall das größere Übel wäre. Es hat zum Ansehen der Bundesrepublik beigetragen, daß sie ihre moralischen Verpflichtungen höher stellte als jedes taktische Kalkül.
524
werden
natürlich nicht einfach auf fremde Konten
Am 27. März 1953 trat der Vertrag in Kraft. Mit den Ratifizierungen war ein erster Keimling für die politischen Beziehungen zwischen der Bun desrepublik und Israel gesetzt. Aber er gedieh nur langsam. Zu ausgedörrt war der Boden, in welchem er Wurzeln schlagen sollte.
In demselben Jahr, als die Überlebenden des Holocaust vernehmlich am Palais Schaumburg, dem Sitz des Bundeskanzlers, anklopften, packte die
Bundesregierung
Kriegsfolgelast
gerade
allergrößten
eine
andere
Umfangs
an.
Hitlers Ostkrieg hatte sich als ungeheurer Bumerang erwiesen. Als die Kriegswoge, die Hitler ausgelöst hatte, aus den Weiten des Ostens zurückflutete, riß sie den größten Teil der Bevölkerung der deutschen Ostprovinzen mit sich, die Einwohnerschaft der preußischen Länder
Ostpreußen,
Pommern,
Schlesien,
teilweise auch die aus Brandenburg. Dazu ka men die Sudetendeutschen und zahllose Volks deutsche aus Polen, Jugoslawien, Ungarn, Rumänien. Zusammen verloren vierzehn Mil lionen Deutsche ihre Heimat, teils durch Flucht, teils durch Vertreibung. Rechnet man die zwei Millionen ab, die in den Wirren der letzten Kriegsmonate und der frühen Nachkriegszeit schlichtweg verschollen sind- zwar statistisch vorhanden, aber nie mehr auffindbar-, dann
Flucht und Vertreibung. Heimatlos, entwurzelt waren viele Deutsche nach dem Feuersturm des Krieges, allen voran die Vertriebenen, die nicht gerade mit offenen Armen im Westen empfangen wurden. Die sich neu formierenden politischen Parteien (SPD-Plakat} bemüh ten sich alle um die Neubürger.
bleiben zwölf Millionen übrig. Drei Viertel dieser Flüchtlinge wandten sich damals dem Westen des geteilten Landes zu, teils sofort, teils nach Zwischenaufenthalt in der Sowjetzone. Sie alle standen vor dem Nichts, eine riesige Menge Verarmter, Entwurzelter.
" Millionen von _..._ Verannten und Entwurzelten strömten in ein zerstörtes Land ... ''
Sie gesellten sich zu jenen der einheimischen Bevölkerung, die als »Ausgebombte« durch den Luftkrieg ebenfalls große Verluste erlitten
Umverteilung hieß natürlich nicht, daß einer,
Schmerzlich für die Familien, die abermals
hatten, jedoch im Umfeld ihrer bisherigen Exi
der alles hatte behalten dürfen, von zwölf Stüh
aufbrechen mußten, ehe sie ihren endgültigen
stenz meist leichter wieder auf die Beine ge
len drei abgeben mußte oder von zwanzig Hek
Platz in der Ersatzheimat fanden. Der Eindruck
kommen waren. Diese einheimische Bevölke
tar Land fünf. Umverteilung des Besitzes,
bürokratisch verwalteter Schicksale drängt sich
rung mußte sich jetzt als Solidargemeinschaft
Lastenausgleich, hieß Finanzhilfe. Vor allem die
auf, aber anders konnte die relativ kleine Bun
bewähren; die besser Davongekommenen muß
Vermögen wurden kräftig besteuert, ferner
desrepublik Deutschland mit der vielfachen
ten den schlechter Davongekommenen helfen,
kamen Zuschüsse aus dem Staatshaushalt, mit
Millionenzahl nicht ohne soziale Explosion
ein neues Leben zu beginnen. Das war der Sinn
anderen Worten: über die Steuern aller Staats
fertig werden.
des Lastenausgleichsgesetzes vom Mai 1952,
bürger. Erst nachdem das Notprogramm der Eingliede
das, über viele Klippen hinweg entstanden, auch dann noch Monate bis zum Inkrafttreten
Anfänglich ging es um ein Notprogramm, um
rung die drückendsten Sorgen gelindert hatte,
gefährdet war.
dringliche Beihilfen zur Eingliederung. Nicht
wandte der Lastenausgleich sich dem Sektor
jeder, der aus dem Osten gekommen war, schlug
»Entschädigung« zu. Jetzt suchte das Gesetz
Am 1. September 1952 wurde das Lastenaus
Wurzeln an Ort und Stelle. Ein großes, heute
einen Teil der Verluste materiell auszuglei
gleichsgesetz verkündet. Einschließlich einer
fast vergessenes Umsiedlungsprogramm inner
chen. Einleuchtend ist, daß einem Großgrund
schon vorher gewährten Soforthilfe wurde
halb der Bundesrepublik wurde eingeleitet, um
besitzer aus Ostpreußen nur ein Bruchteil sei
dadurch ein beispielloses soziales Hilfswerk
die übervölkerten Bundesländer zugunsten an
nes Agrarvermögens erstattet werden konnte,
in Gang gesetzt. Die errechnete Gesamtsumme
derer zu entlasten. 1946 hatten 66 Prozent aller
selbst wenn er im besten Fall viele hunderttau
beträgt 144 Milliarden Mark, mit einbezogen
Flüchtlinge und Vertriebenen in den drei Län
send Mark bekam. Die normale Erstattung sah
jene Gelder, die auch künftig noch an Spät
dern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und
bescheidener aus. Wer weniger verloren hatte,
aussiedler bezahlt wurden.
Bayern gelebt, 1959 waren es noch 40 Prozent.
erhielt im Verhältnis mehr. Da gab es dann
525
etliche tausend Mark, vielleicht zehntausend,
stark gemacht. Dies hätte schon der Tradition
sich zu einem Demonstrationszug und mar
für den Verlust eines Geschäftes, eines Ein
eines Landes widersprochen, das als erstes im
schieren in die Innenstadt. Immer mehr Men
familienhauses, einer Arztpraxis, einer großen
vorigen Jahrhundert leistungsfähige Sozialge
schen schließen sich dem Zug an.
Privatbibliothek.
Im Grunde konnten alle
setze geschaffen hatte.
diese Ausgleichszahlungen nur symbolische Gaben
für
den
Untergang
unermeßlicher
Sachwerte sein.
An der Ecke Wilhelm- und Leipziger Straße Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953. In der
steht das graue Gebäude, das Göring als Luft
Ostberliner Stalinallee, ehemals Frankfurter
fahrtministerium erbauen ließ. Es wurde 1949
Allee, entstehen Häuserfronten
kalten
zum Regierungssitz des Ostberliner Regimes
Für das soziale Klima der werdenden Bundes
Prunk- und Monumentalstil der stalinistischen
umfunktioniert. Die ersten Demonstranten des
republik war aber der Akt der Solidarität von
Architekturschule. Hier wirken die Arbeiter
langen Zuges sehen eben noch, wie das
größter Bedeutung. Wir haben täglich vor Au
der »Volkseigenen Betriebe der Bau-Union«.
schwere Scherengitter heruntergelassen wird
gen, welch sozialer und politischer Sprengstoff
Wer an einem Renommierprojekt des sozialisti
und die wachhabenden Volkspolizisten sich
frei wird, wenn die Eingliederung von Millio
schen Staates arbeitet, einem Aushängeschild
ins
nen Vertriebenen unterblieben ist. Das Pro
des »demokratischen Berlin«, muß eigentlich
Ministerien« wird zur Festung gegen den Zorn
blem der Palästinenser, das hier zum Vergleich
besonders klassenbewußt sein. Genau auf die
des eigenen Volkes. Die Wut hat sich gerade
dienen kann, war anfangs nur eine Sorge der
sen Gerüsten aber beginnt, was wir seither den
in
Region; heute ist es eine Sorge der ganzen Welt.
»siebzehnten Juni« nennen, der Volksaufstand
Schicht, die stets mit Worten umschmeichelt
im
Innere
der
zurückziehen.
Arbeiterschaft
Das »Haus
gesammelt,
in
der
der
In Deutschland hätte ja damals auch der Gedan
in der DDR von 1953. Hier fällt am 16. Juni ein
wurde, für deren Rechte alle revolutionäre
ke zum Tragen kommen können, der in der
Funke ins Pulverfaß. Der Funke ist eine Rechtfer
Umgestaltung überhaupt geschehen sein soll. Doch Wort und Wirklichkeit stimmen nicht
arabischen Welt zum Teil vorherrschte: das
tigung der erfolgten Normenerhöhung in der
Vertriebenen-Elend als Anklage und Druck
Gewerkschaftszeitung»Tribüne«. Das Blatt mit
überein, die Lippenbekenntnisse werden von
mittel offenzuhalten; in unserem Fall als Hand
dem aufreizenden Artikel wandert von Hand zu
den Tatsachen Lügen gestraft. Die jüngste
habe für die Rückgewinnung der Ostgebiete.
Hand, keiner arbeitet, alle diskutieren. Und
N ormenerhöhung bei gleichem Arbeitslohn be
Aber niemand hat sich für solche Erwägungen
dann steigen sie von den Gerüsten, formieren
deutet schlicht Lohnsenkung.
Abstimmung mit den Füßen. Ein völlig überbelegtes Flüchtlingslager in Westberlin im Juli 1953, dem Jahr des größten Flüchtlingsstromes aus der DDR nach Westdeutsch land. Bis 1961 verließen ca. 3,6 bis 3,7 Mio. Menschen die DDR. Für den SED-Staat bedeutete die ,,Abstimmung mit den Füßen" gerade gutausge bildeter, beweglicher und entscheidungsfreudiger Kräfte einen ständigen, unerträglichen Aderlaß.
"Ein aufreizender Artikel in der Gewerkschaftszeitung wirkt als Funke im Pulverfaß.„ '' 526
Die rund zweieinhalbtausend Männer rufen in Sprechchören: »Nieder mit denNormen!« Und: »Wir wollen Grotewohl und Ulbricht sehen!« Schließlich verlassen zwei Funktionäre und eine Frau die Trutzburg und wagen sich unters Volk. Einer der Funktionäre ruft: »Hier ist die Staatssekretärin Walther, die will zu euch spre chen.« Im Lärm wird nur verstanden »Sekretä rin« und »Walther«. Das führt zu falschen Schlüssen. Einer ruft: »Die Sekretärin von Ul bricht will sprechen«, worauf andere antwor ten: »Wir wollen nicht seine Sekretärin hören, wir wollen den Spitzbart selber!« Und so kommt die Staatssekretärin gar nicht zu Wort. Nach einer Weile versucht, auf höherer Funk tionärs-Ebene, der Industrieminister Fritz Selb mann sein Glück. Er steigt auf einen Tisch, der aus dem Ministerium herbeigeschafft worden ist, und beginnt: »Kollegen!« »Wir sind nicht deine Kollegen«, tönt es.
Ein Staat hinter Stacheldraht. Die Karikatur beschreibt den Zustand der DDR: Von einem Wachtturm inmitten eines Meeres von Stacheldraht verkündet Ulbricht der Welt, die totale Sicherheit seines Staates sei nun erreicht. Von Jahr zu Jahr schuf sich die DDR stärkere Grenzsicherungen - um ausländische Agenten abzuhalten, wie die Führung versicherte, mehr jedoch, um die eigene Bevölkerung am Verlassen des „Paradieses der Werktätigen" zu
hindern.
»Ich bin auch Arbeiter!« Das dröhnende Gelächter zeigt, daß Selbmann zum Gespött geworden ist, ehe er noch irgend etwas Ernsthaftes hat sagen können. Schließ lich steigt ein älterer Steinträger mit nacktem Oberkörper auf den Tisch, schiebt den Minister mit einer Handbewegung beiseite und ruft:
"Die Parteikonferenz der SED hatte eine »Verschärfung des Klassenkampfes« propagiert ... ''
»Kollegen! Es geht hier nicht mehr umNormen und Preise, es geht um mehr. Hier stehen nicht allein die Bauarbeiter der Stalinallee. Hier steht
stadt wälzt, während ein der Volkspolizei abge
an den Rand ihrer Kräfte in die Riemen legen
Berlin und die ganze Zone.« Und zu Selbmann
nommener Lautsprecherwagen des »Kultur
müssen. Der ganz konkrete Anlaß derNormen
gewandt: »Was du hier siehst, das ist eine
bundes« die Generalstreikparole in alle Winkel
schinderei hätte vielleicht dennoch nicht zum
Volkserhebung!« Und wieder zu den Versam
trägt.
Volksaufstand geführt, wenn es nicht zur sel ben Zeit Schwächezeichen des Herrschaftssy
melten: »Die Regierung muß aus ihren Fehlern
stems gegeben hätte. Dazu ein Blick zurück.
die Konsequenzen ziehen. Wir fordern freie,
Generalstreik - ein Sakrileg in einem kommu
geheime Wahlen!« Einen Augenblick herrscht
nistischen Staat; nach der Parteidogmatik völ
Stille, als müsse das Unerhörte verarbeitet wer
lig unlogisch, da ein Aufstand ja voraussetzt,
Im Juli 1952 hatte die II. Parteikonferenz der
den - und so ist es wohl auch. Dann, als sei ein
daß die Produktionsmittel Fremdbesitz sind,
SED die'»Verschärfung des Klassenkampfes«
Zündholz in Benzin gefallen, lodert die Flamme
während sie hier dem Volk gehören. Die These
propagiert. Für die Wirtschaft hieß das ganz
der Begeisterung hoch. »Das Geschrei wollte
ignoriert völlig die Tatsache, daß in bisher allen
unverblümt, die Arbeitsleistung sei zu steigern.
kein Ende nehmen«, berichtet ein Augenzeuge.
kommunistischen Staaten eine vom Volk weit
Die Parole wirkte auf das ausgepumpte, hun
Zum ersten Mal seit Bestehen der Ostzonen
abgerückte, durch Polizei geschützte Minder
gernde, durch Demontagen leergeblutete Land,
Republik wird eine solche Forderung erhoben.
heit über die Produktionsmittel verfügt. Sie tut
das im Lebensstandard unseren Verhältnissen
Wie ein Jäger, der auf einen Hasen anlegt und
es - natürlich nur in der Theorie - zwar nicht
von 1947 glich, demoralisierend. Es war, als wenn man am Ziel einer langen Wanderung
dabei in der Feme einen Zwölfender erblickt, so
zum persönlichen, materiellen Nutzen (der ein
richtet sich das Bewußtsein der Demonstranten
zige Unterschied zu früher), aber dafür zum
erfährt, daß die nächste Herberge leider noch
von ihrem unmittelbar drängenden Normen
Nutzen einer anonymen Staatsmaschinerie und
drei Stunden entfernt sei. Die Folge war, daß die
problem übergangslos auf das weiterreichende
eines monströsen bürokratischen Apparats. Aus
Fluchtbewegung stark zunahm. Sie erreichte
Ziel einer grundsätzlichen Befreiung vom
den Unternehmern von einst ist die »Neue
im Januar 1953 die Monatszahl von 20 000, im Februar24000, im März 58 000!
zwangsstaatlichen Joch. Ein einfacher Bauar
Klasse« geworden, aus dem individuellen Ka
beiter hat ausgesprochen, was alle bedrückt, hat
pitalismus der Staatskapitalismus. Der einzel
In diesem Monat starb Stalin. Sein Nachfolger
gesagt, wonach sich alle sehnen.
ne Arbeiter hat vom Volksvermögen so wenig
Malenkow sprach sich für ein mäßigeres Tem
wie früher. Das geht schon daraus hervor, daß
po beim Aufbau des Sozialismus aus. Das
Als nächstes gibt es stürmische Zustimmung,
seine Arbeitskraft gegen seinen Willen und
Signal des Kreml vom 15. April wurde in
als einer für den nächsten Morgen zum Gene
ungefragt ausgebeutet werden kann, indem die
Ostberlin überhört, sogar vom Meister der An passung, Ulbricht. Vielleicht wollte er testen,
ralstreik aufruft. Die nächsten Stunden verge
Normenschraube angezogen wird; nicht an
hen damit, daß sich eine Masse von schließlich
ders, als wenn auf einer Galeere das Rudertem
wie weit er mit den neuen Kreml-Herren gehen
rund zehntausend Arbeitern durch die Innen-
po beschleunigt wird und die Sträflinge sich bis
könne und welchen Freiraum sie der DDR 527
gewähren würden. Die Regierung in Ostberlin
Am 9. Juni wurden im Politbüro der SED die
28. Mai »Maßnah
neuen Direktiven festgelegt. Zwei Tage später
einem Rückgang der Preise für Zuckerwaren
men zur Überprüfung der Arbeitsnormen« an
konnten die Bürger Erstaunliches in ihren Zei
und versprach, Verhaftungen, Strafverfahren
mit dem Ziel, diese um zehn Prozent zu erhö
tungen lesen. Es seien »seitens der SED und der
und Urteile zu überprüfen.
hen. Ein großer Teil der Arbeiterschaft habe
Regierung der Deutschen Demokratischen
ordnete wie zum Trotz
am
blüffte Bevölkerung mit Fahrpreissenkungen,
erkannt, »daß die gegenwärtigen Normen ...
Republik in der Vergangenheit eine Reihe von
Da Stalins Tod ungeachtet offizieller Trauer
den Fortschritt hemmen«, hieß es zynisch. Die
Fehlern begangen« worden. »Die Interessen
selbst
Sowjets, die offenbar genauere Informationen
solcher Bevölkerungsteile wie der Einzelbau
Erleichterung aufgenommen worden war und
über die aufkommende Unruhe in der Bevölke
ern, der Einzelhändler, der Handwerker, der
offensichtlich
rung hatten und sie vor allem besser deuteten als
Intelligenz wurden vernachlässigt. Eine Folge
Moskau geführt hatte, wagte die »Tägliche
in
den
Bezirken zu
einem
der
Macht
Kurswechsel
mit in
die sturen Satrapen an der Spree, wurden nun
war, daß zahlreiche Personen die Republik
Rundschau«
massiv.
verlassen haben.«
sowjetische Kontrollkommission auszudeh
Botschafter Semjonow brachte am 3. Juni, aus
Von den Arbeitern war nur indirekt die Rede:
die begangenen Fehler verantwortlich«, hieß
Moskau zurückgekehrt, die Weisung mit, den
Der 1. Fünfjahresplan (1951-55) sollte zu La
es
starren Kurs zu mildem. Ulbricht warf das
sten der Schwerindustrie und zugunsten der
einem Punkt allerdings gab es kein amtliches
sogar,
ihre
Kritik
auf
die
nen. Sie sei »in gewissem Maße ebenfalls für am
1 3. Juni in dem Ostberliner Blatt. In
Ruder augenblicklich herum. Er konnte das
Lebenshaltung verlangsamt werden. Die Ent
Wort der Mäßigung oder Selbstkritik: in der
verblüffend übergangslos und vermochte den
eignungen wurden ausgesetzt, private Ge
Nonnenfrage. Daß die interne Diskussion das
jeweils neuen Kurs mit einer Ungerührtheit zu
schäftsleute sollten sogar Kredite erhalten, ihre
brisante Thema nicht aussparte, darüber aber
vertreten, als habe er nie anders gesprochen und
Steuer- und Sozialversicherungs-Rückstände
uneinig
gedacht.
wurden gestundet. Das Regime lockte die ver-
Stimmen hervor.
Volksaufstand. Mit rasch beschafften schwarz-rot-goldenen Fahnen marschieren Arbeiter des Berliner Ostsektors durch das Brandenburger Tor. Aus dem Protest gegen Lohnkürzungen ist ein politischer Aufstand geworden. - Nach der Niederschlagung der Volkserhebung durch Volkspolizei und sowjeti sche Panzer schrieb der Dichter Bertolt Brecht die bitteren Zeilen: ,,Wäre es nicht besser, die Regierung löste das Volk auf und wählte eine neues?"
" Die Sowjets wußten über die aufkeimende Unruhe besser Bescheid als ihre Satrapen an der Spree ... '' 528
blieb,
ging
aus
gegensätzlichen
Der 17. Juni 1953. In der gesamten DDR kam es am 17. Juni 1953 zu Arbeiteraufständen. Die SED-Führung wurde der Lage nicht Herr und ließ sowjetische Panzer auffahren. - Das Bild zeigt die Leipziger Straße in Ost-Berlin.
" An den Streiks und Demonstrationen waren insgesamt etwa 10 Prozent der Arbeitnehmerschaft beteiligt. Sie forderten »freie Wahlen«, die Ablösung Walter Ulbrichts und den Rücktritt der Regierung„. ''
Das SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« •
verwies am 14. Juni auf schon Ende Mai erfolg
•
•
te Arbeitsniederlegungen-als die zehnprozen tige Erhöhung verfügt worden war-und schloß aus diesen »Signalen der Unzufriedenheit«, demonstriert, vielerorts gestreikt. Schon geht
daß die Arbeiter möglicherweise im Recht und
Die Sonne geht um drei Uhr achtundfünfzig
die Funktionäre im Unrecht sein könnten.
auf, aber heute sieht man sie nicht. Ein grauer
man
Regenhimmel hängt über Berlin. Bald gehen
riesige Sowjetstern vom Elektroturm des Lieb
Ganz anders die Gewerkschaftszeitung »Tri
Gewittergüsse nieder. Doch an diesem Mitt
knechtwerkes abmontiert, in Leipzig das Haus
büne«. Sie hatte die Zeit verschlafen und mach
woch nimmt keiner davon Notiz.
der FDJ-Bezirksleitung verwüstet, ebenso das
Henningsdorf liegt im Nordwesten jenseits der
nawerk »Walter Ulbricht« stürzt die Menge ein
Taten über. In Magdeburg wird der
Gewerkschaftshaus »Emst Thälmann«. Im Leu
te sich zwei Tage nach der kritischen Einkehr der Rundschau für die Beschlüsse der Regie
zu
rung vom Vormonat stark. Weil die beschlos
Westberliner Stadtgrenze, aber Westberlin ist
acht Meter hohes »Götzenbild« des Generalse
senen Verbesserungen der Lebensbedingun
von der umliegenden DDR noch nicht un
kretärs, inJena stürmen die Aufständischen das
gen vom fortgesetzten Anwachsen der Ar
durchlässig abgeschnürt. Und nun marschieren
Gebäude des gefürchteten Staatssicherheits
beitsproduktivität abhingen, gelte es, »den Be
die Henn.igsdorfer Stahlarbeiter siebenund
dienstes. Vor allem aber: Überall werden Ge
schluß des Ministerrates über die Erhöhung der
zwanzig Kilometer zur Innenstadt, quer durch
fangene befreit, politische Häftlinge, Opfer des
Arbeitsnormen ... mit aller Kraft durchzufüh
das nördliche Westberlin! Zum Teil gehen sie
verhaßten Systems. Das gilt für Brandenburg
ren.« Mit dieser verbohrten Logik traf die Zei
barfuß, weil das schlechte Schuhwerk solchem
wie für Bitterfeld, für Gera und Görlitz, für
tung am 16.Juni voll ins Wespennest.
Gewaltmarsch nicht gewachsen ist. Die West
Halle und Merseburg. Es gibt Tote auf beiden
berliner Verkehrsampeln sind für die sechs
Seiten. Der Sturm auf das Zuchthaus Magde
tausend auf Grün geschaltet. Die Bewohner der
burg-Sudenburg mißlingt. Im Feuer der Volks
Nacht. Morgen früh wird sich zeigen, ob es zum
nordwestlichen Arbeiterviertel bringen Kaffee,
polizei bleiben zwölf Arbeiter liegen. Auch
Generalstreik kommt und wie die Regierung
Verpflegung, Obst. Es ist eine eindrucksvolle
in Weißenfels und Güstrow sind die Abwehr
sich dazu stellt - und die Besatzungsmacht.
Verbrüderung.
kräfte stärker als die Angreifer. Bei den
Über Ostberlin und die DDR senkt sich die
Befreiungen wird sorgsam darauf geachtet,
Wird sie Ulbricht fallen lassen, oder ist sie in eigenem Interesse gezwungen, ihn zu halten?
Ganz anders in Treptow, südöstlicher Bezirk
daß nur »Politische« die Freiheit wiederer
Nicht nur in Westberlin und Westdeutschland
des Ostsektors. Auf der einen Seite der Straße
langen - zwei- bis dreitausend.
werden die Vorgänge atemlos verfolgt. Auch in
ziehen Arbeiterkolonnen stadteinwärts, auf der
der DDR weiß man überall Bescheid. Der
anderen rollen Panzer. Die Besatzungsmacht
Zurück ins Zentrum nach Berlin. Der Zorn ist
RIAS, meistgehörte Rundfunkstation, hatte
ist erwacht. Ihre zwanzig Divisionen sind in
einmütig, das Ziel klar, der Weg dahin nicht.
schon um halb fünf nachmittags erstmals be
Alarmbereitschaft. Zwischen Karlshorst, dem
Gewaltige Marschsäulen Werktätiger ziehen
richtet und- von den Demonstranten umsichtig
»Berliner Kreml«, und Moskau stehen die Te
durchs Regierungsviertel, aber die Regierung
mit Informationen versorgt - die Resolution
lefone und Fernschreibleitungen nicht still.
stellt sich nicht. Noch immer fehlt der Ansatz
In Ostberlin wird so gut wie nirgends gearbei
nehmen, Versprechen zu erzwingen; die Aktio
der Normerhöhung und auf freie und geheime
tet, außer daß die Verkehrsmittel am Morgen
nen laufen ins Leere. Panzer sind aufgefahren,
Wahlen. Es ist fast der längste Tag des Jahres.
noch fahren. In fast allen Städten der DDR wird
Kanonenrohre drohen.Noch schießen sie nicht.
punkt, jemanden abzusetzen, Macht zu über
einer Arbeiterdelegation ausgestrahlt. Die For derungen lauteten auch hier auf Zurücknahme
529
Das drohende Schweigen reizt zu ohnmächti
gen, indem sie einfach hineinrollen. Vor dem
In Wahrheit hatten Westberlin und Westdeutsch
gen Ausbrüchen. Jugendliche schleudern Pfla
Regierungssitz leitet ein General von seinem
land die Vorgänge lediglich emotional unter
stersteine gegen die Stahlmonster. Das Foto
Befehlspanzer aus den Einsatz. Mit theatrali
stützt. Einige Rundfundredakteure allerdings
geht bald darauf um die Welt. Kein großer
scher Geste dirigiert er die Volkspolizei an die
heizten aus sicherer Entfernung die Stimmung
zeitgeschichtlicher Bildband, der es nicht auf
zivile Front: »Sabiraitje!« - Vorwärts!
bewahrt: Muskeln gegen Stahl, Symbol der Vergeblichkeit.
an. Aber nirgends stand hinter dieser fragwür digen Kriegführung auf Mittelwelle ein poli
Auf der Gegenseite gibt es immer wieder kleine
tisch gesteuerter Angriff auf das ostdeutsche
Siege, der Ausgang des ungleichen Kampfes
Herrschaftssystem. Die Amerikaner hüteten sich
Die führerlose Menge wogt durch die Stadt und
aber steht fest. Als der regnerische Junitag
ganz bewußt, die empfindliche mitteleuropäi
macht nun auch vor öffentlichen Einrichtungen
endet, sind nach (späterer) DDR-amtlicher
sche Balance durch eigene Aktivitäten zu ge
nicht mehr halt. Auf dem Potsdamer Platz
Bilanz 19 Demonstranten getötet und 126
fährden.
brennt das Columbus-Haus, Sitz der Volkspo
verletzt. Die wirkliche Zahl liegt weit höher.
lizei, vom Brandenburger Tor wird die rote
Genau lassen sich die Opfer nicht mehr er
Die Machthaber in der Zone hatten lange gezö
Fahne heruntergeholt und zerrissen. Während
fassen. Hinzuzurechnen sind jedenfalls die 141
gert. Das verleitete viele zu dem Trugschluß,
dessen entschließen sich die Sowjets, Ernst zu
Menschen, die standrechtlich erschossen wurden,
mit dem Sowjetsystem sei es zwischen Ostsee
machen. Stadtkommandant General Dibrowa
unter ihnen 52 Volkspolizisten und SED-Leute,
und Erzgebirge vorbei. War diese Erwartung
befiehlt den Ausnahmezustand ab 13 Uhr:
die sich geweigert hatten, Befehle auszuführen.
auch nur einen Augenblick lang realistisch?
»Menschenversammlungen über drei Perso
Eine rachedurstige Justiz brachte 1152 Perso
Abgesehen davon, daß die Aufrührer keine
nen sind verboten, Verstöße werden nach dem
nen für zusammen 4000 Jahre hinter Gitter.
Anführer hatten, wäre auch ein organisierter
Kriegsrecht bestraft.«
Tragisch war die ruchlose Hinrichtung des
Aufstand gegen ein militärisch intaktes Re
35jährigen Westberliners Willy Göttling. Der,
gime,
völlig unpolitisch, mußte bei einer Fahrt vom
Weltmacht, wie es die UdSSR 1953 war,
politische Kraftprobe ein. Da die Massen sich
Norden in den Süden Westberlins den Ostsek
zum Scheitern verurteilt gewesen.
nicht zerstreuen wollen, schießen Sowjetsol
tor durchqueren und wurde dabei festgenom
daten und Volkspolizisten mit Karabinern und
men-willkürlich herausgegriffen, um die Paro
Maschinengewehren zwischen die Demon
le zu untermauern, Provokateure aus dem We
wenn sie auf geschwächte, unsichere, demora
stranten. Panzer zersprengen die Ansamrnlun-
sten hätten die Unruhen angezettelt.
lisierte Regierungen und Führungsschichten
Vom Nachmittag an greift Militär in die
gegen
eine
psychologisch
intakte
Revolutionen neuerer Zeit hatten nur Erfolg,
trafen, so 1789 in Frankreich oder 1917 in
Zentren des Aufruhrs vom 17. Juni 1953
SJ
AUFSTÄNDE, ARBEI TSNIEDER LEGUNG, DEMONSTRA T IONEN
*EINSATZ SOWJETISCHER T RUPPEN
530
Wirtschaftliches Elend und politische Knebelung brachten in der jungen DDR die angestaute Verzweiflung zur Explosion. Ein zweites Mal mußten die Sowjets das Land erobern. Ihre Panzer schütz ten den oktroyierten »Arbeiter und Bauernstaat« vor den Arbeitern und Bauern. Bundespräsident Prof. Theo dor Heuss sagte in seiner Gedenkrede am 21. Juni 1953: „Die Ostberliner und die Men schen in Jena, in Magdeburg, in Leipzig und sonstwo haben in der Spontaneität von Tau senden, deren reizbar ge spannte Seele plötzlich ange rührt wurde, einen seltsamen Geschichtsakt vollzogen. Sie konnten zwar die Regierung nicht zum Abtreten veranlas sen. Diese ist, wenn auch eingeschüchtert, noch vor handen und hat die formale Macht an die tatsächliche Macht - der russischen Panzer - abgetreten. Aber die moralische Macht ist ihr vollends weggezogen worden ... durch ein zwar rechtlich nicht paragraphiertes, aber im geschichtlichen Sinne unüber sehbares Plebiszit."
Rußland. Sie mißlangen, wo die Herrschenden stark und die Bajonette geschärft waren, so
1848 in Deutschland und Österreich und dann 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowa kei. Dort mußten die Sowjets im Interesse ihrer Vormachtstellung eingreifen, ob sie wollten oder nicht. Genauso mußten sie gerade 1953 im Zeichen des »neuen Kurses« handeln, sonst wäre möglicherweise ihr ganzes Satellitensy stem zusammengestürzt. War alles vergeblich? Wenn man den unmittel baren praktischen Erfolgt mißt, ja. Nimmt man Selbstachtung, Freiheitswillen, sittliche Nor men zum Maßstab, nein. Wie die Erhebung gegen Hitler im Juli 1944 behielt auch der Aufstand vom 17. Juni 1953 seinen zeitüber dauernden Wert, und der 17. Juni erhielt mit der »friedlichen Revolution« des Jahres 1989 sogar seinen geschichtsgültigen Sinn. Immerhin waren Ulbricht und seine neuen Auftraggeber im Kreml klug genug, die War nung des 17. Juni nicht zu ignorieren. Das politische Tauwetter hielt trotz allem an, die Normenschraube wurde zurückgedreht, die Konsumgüterproduktion verstärkt. In Moskau begann ein weitreichendes Umdenken. Aus der »Zone« sollte ein echter Staat werden, aus dem Reparationsobjekt ein sozialistisches Gegen modell zur Bundesrepublik Deutschland.
Heraus aus den Trümmern: fu der Nachkriegszeit stieß ungeheurer, in Jahrzehnten angestauter materieller Nachholbedarf auf ein Wirtschaftskonzept betonter Eigeninitiative und wurde von den Zuwendungen des Marshallplanes noch zusätzlich stimuliert. Westdeutschland setzte die Politik des Freihandels und die Segnungen des Dollarstroms um rauschhafte Produktivität. in
deutSChe ,�irtschaftswunder'' D as
M
it der Niederlage im Zweiten Welt
Deutschland war 1945, wie der Historiker Fried
krieg hatte Deutschland 1945 einen
rich Meinecke schreibt, »ein ausgebrannter Kra
Unablässig strömten in die westlichen Gebiete
Tiefpunkt seiner Geschichte ohneglei
ter der Machtpolitik«. Überall herrschten Hun
Menschen aus dem Osten ein. Die Wohnungs
waren kriegsversehrt, verwitwet, verwaist.
chen erlebt. In der Vier-Millionen-Stadt Berlin
ger und Elend. Nach Kriegsende wurde die Not
not war unvorstellbar. Das Elend dauerte Jahre
waren mehr Häuser zerstört, als es in München
zunächst nicht geringer, sondern größer. Zeit
an. Noch in seiner ersten Silvesteransprache von 1949 sagte Bundespräsident Heuss: »Der
je gegeben hatte. Der Trümmerschutt, der in der
weilig mußten die Menschen mit 800 Kalorien
deutschen Hauptstadt wegzuräumen war, wur
täglich leben, das war nur ein Drittel des norma
Katalog der deutschen Not und Nöte ist unab
de auf 80 Millionen Kubikmeter geschätzt.
len Nahrungsbedarfs. Millionen Menschen
sehbar.«
"Laut Potsdamer Abkommen sollte Deutschland eine wirt schaftliche Einheit bleiben ... ''
Aller
So erbärmlich es den Deutschen in allen Teilen des Landes ging: In der Sowjetzone vegetierten sie am dürftigsten. Gehungert wurde hier wie dort, aber im Westen wenigstens auf demokra tische Art. Besaß die westliche »Reeducation« als Demokratieunterricht mit dem Holzham mer ihre ausgeprägten Schwächen, so war die Sowjetisierung mit dem Brecheisen fast uner träglich, zumal sie auf deutschem Boden über haupt keine geistige und gefühlsmäßige Tradi tion hatte. Daher wanderten immer mehr Be wohner aus der Ostzone in den Westen ab. Vom letzten Viertel 1945 bis zum ersten Halbjahr
1946 waren es 1,6 Millionen - eine Massen flucht! Die neuen Machthaber mochten er leichtert sein, daß ihnen so viele ideologische Gegner den Rücken kehrten, hungrige noch dazu. Allerdings bedeutete gleichzeitig der
Symbol des Wirt· schaftswunders. Im weltweiten Erfolg des Volkswagens maß die Wirtschaftswunder Generation ihre Aufbauleistung. Vor allem die Tatsache, daß der Käfer in immer größerer Stückzahl Gährlich bis zu 400 000) in die USA, das Mutterland des Automobils, exportiert wurde, nährte bundesrepublikani schen Stolz.
Wegzug von Fachkräften einen solchen Ader laß, daß er den vermeintlichen Vorteil schnell aufwog. Und das war der Grund, weshalb das ostzonale Regime schließlich um Hilfe rief. Es beantragte bei der Besatzungsmacht, daß die Zonengrenze geschlossen werde. Die westli chen Vertreter im Kontrollrat stimmten dem sowjetischen Antrag zu, weil der Zustrom so vieler Menschen die Ernährungslage in ihren eigenen Gebieten noch weiter verschlechterte.
Am 30. Juni 1946 wurde die Grenze zwischen der Sowjetzone und der britischen und ameri kanischen Besatzungszone geschlossen.
Am 2. Dezember 1946 war die »Bizone« gebo ren. Das britisch-amerikanische Abkommen
531
bestimmte, daß beide Zonen vom
1. Januar 1947 an eine Wirtschaftseinheit darstellen wür
den. Nur in dieser kleineren Hälfte des ehema ligen Deutschen Reiches also wurde nun die Absichtserklärung des Potsdamer Abkommens, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu be handeln, in die Tat umgesetzt. Deutsche Zen tralbehörden sollten die Vorbereitungen zur wirtschaftlichen Vereinigung koordinieren. Die nächste Entwicklungsstufe (Juni
1947) war
eine Art überregionales Parlament, der Zwei zonen-Wirtschaftsrat in Frankfurt. Die Landta ge der Bizonen-Länder, die schon
1946 in den
ersten freien Wahlen auf deutschem Boden seit
1933 gewählt worden waren, entsandten zu 52 Abgeordnete (die Zahl wurde im Frühjahr 1948 verdoppelt). Das Gesetzgebungs sammen
organ hatte außer wirtschaftlichen Befugnissen noch die Zuständigkeit für Verkehr, Post, Fi nanzen, Elektrizität, Gas, Wasser. Dem Wirt schaftsrat, dem Parlament also, gesellte sich eine »Regierung« hinzu, der Verwaltungsrat. Er wurde gebildet aus dem schon vorher exi stierenden Gremium von Verwaltungsräten, die nun als »Minister« die Bezeichnung Direkto ren erhielten. Wirtschaftsrat und Verwaltungs rat mit Direktoren: aus diesen zurückhaltenden, betont herunterspielenden Begriffen bestand die Keimzelle der Bundesrepublik. Zunächst brachte diese Entwicklung keinerlei Verbesserung. Im Gegenteil. Die Währung wurde aus Mangel an ausreichender Deckung durch Werte immer schwächer; wertvollere Nahrungsmittel und Sachgüter wurden als Schwarzmarkt-Tauschware zurückgehalten. Die »Ami-Zigarette« wurde zur Leitwährung. Einfallsreiche Schwarzhändler konnten in die ser Zeit zu gefährdetem Wohlstand kommen. Otto Normalverbraucher hingegen lebte von dem, was es auf Zuteilung gab, und das war herzlich wenig. Allein in Hamburg litten rund
10 000 Menschen an Hungerödemen. Im schlimmsten Wirtschaftsjahr
1947 erschien
plötzlich ein Hoffnungsschimmer. Der neue amerikanische Außenminister Marshall kün digte am 5. Juni in einer Rede vor der Harvard Universität ein Hilfsprogramm für Europa an. Indem der General - er war Stabschef der US Armee gewesen - den Zuhörern vor Augen hielt, daß Europa ohne umfassende Hilfe von außen »einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verelendung schwersten Ausma ßes entgegengehen« müßte, appellierte er ge schickt an den Eigennutz der Amerikaner. Ih nen mußte klar sein, daß ein wirtschaftlich brachliegendes Europa als Absatzmarkt immer mehr ausfiele. Außerdem stand im Hintergrund
532
In Perspektive gerückt: Ludwig Erhard Mit Professor Ludwig Erhard wurde am 16. Oktober 1963 ein Mann Bundeskanzler, dessen Verdienste als Wirtschaftsmi nister schon ein Stück Ge schichte der Bundesrepublik Deutschland waren. Als Kanz ler scheiterte Erhard. Hatte Adenauer, der ihm Führungs kraft absprach, recht behalten? Erhard selbst sagte an seinem 80. Geburtstag, er habe sich stets als Wissenschaftler, nicht als Politiker verstanden. Die historische Leistung des Professors bestand in der Durchsetzung liberaler Grund sätze in der Wirtschaftspolitik in einem Land, das eine fast 15jährige Phase staatlicher Wirtschaftslenkung hinter sich hatte, in dem das Verständnis für die Bedeutung marktwirt schaftlicher Regeln weitge hend verlorengegangen war und das sich nach dem Zweiten Weltkrieg im Zustand tiefen Elends befand. Mit der Wäh rungsreform am .Tag X", dem 20. Juni 1948, legte Erhard die Kräfte frei, die den wirtschaftli chen Wiederaufstieg eines Teils Deutschlands zu einer der führenden Industrienatio nen der Welt bewirkt haben, die das Fundament des Wohl stands und damit indirekt des Gedeihens der demokratischen Ordnung legten. Er wagte den kühnen Schritt, die Zwangs wirtschaft niederzulegen, ge gen Widerstände der Besat zungsmächte, der Sozialde mokraten und der eigenen Partei, deren Arbeitnehmerflü gel die sozialen Grundsätze des Ahlener Programms in Gefahr sah. Das Ziel, dem Menschen ein menschenwür digeres Dasein zu verschaffen, wollte Erhard durch Freiset zung der Eigeninitiative errei chen. Er glaubte an die Person, an die Selbstverantwortung des einzelnen; indem er ihr die soziale Mitverantwortung zur Seite stellte, vereinigte er sein wirtschaftspolitisches Credo zum gesellschaftspolitischen Begriff: „soziale Marktwirt schaft". Erhards ganzes Den ken und Handeln gründet auf dem Glauben an die produktive Kraft der Freiheit. Der Aufstieg des am 4. Februar 1897 in Fürth geborenen
Ludwig Erhard, der Vater des Wirtschaftswunders". „
Sohns eines Textilwarenhänd lers zum „Vater des Wirt schaftswunders" begann 1945, als den Amerikanern ein Papier über wirtschaftspolitische Maß nahmen in Nachkriegsdeutsch land in die Hände fiel. Erhard, der als Autor verantwortlich zeichnete, hatte die 1943/44 verfaßte Denkschrift, die von der Prämisse der deutschen Niederlage ausging und die Vorzüge der freiheitlichen Marktwirtschaft herausstellte, an Carl Goerdeler geschickt, einen der Hauptverschwörer des 20. Juli 1944. Ein Wirt schaftsfachmann ersten Ran ges war der freiheitsliebende Franke schon damals; nach Abschluß der kaufmännischen Lehre und des Studiums der Betriebswirtschaft, National ökonomie und Soziologie hatte sich Dr. Erhard an der Handels hochschule Nürnberg mit Kon sumforschung befaßt und 1942 in einem eigenen Institut „ein geigelt'. Drei Jahre später nahm die amerikanische Be satzungsmacht in Franken den baldigen Honorarprofessor als Wirtschaftsberater in Dienst. Im Oktober 1945 trat Erhard als bayerischer Staatsminister für Handel und Gewerbe in das Kabinett Hoegner ein, bis ihn der zweite Ruf der Amerikaner in die Zweizonenverwaltung
nach Frankfurt zitierte; hier bereitete er als Vorsitzender der Sonderstelle „Geld und Kredit" den „Tag X" vor. Im Februar 1949 lernte Erhard Konrad Adenauer kennen, fand den Weg in die CDU und den Bundestag und wurde der erste Wirtschaftsminister der Bun desrepublik Deutschland. Der beste Mann saß am richtigen Platz - für 14 Jahre. Dann, als der erste Bundeskanzler wi derstrebend aus dem Amte schied, konnte die Union an dem langjährigen Vizekanzler und Vater so vieler Erfolge nicht vorbei: Ludwig Erhard setzte sich auf den Stuhl Konrad Adenauers. Der Wähler, der gern an das Naheliegende denkt, sah in dem wohlbeleibten Kanzler mit der dicken Zigarre zuerst die Verkörperung des eigenen Wohlstands und gewährte der Union 1965 stolze 47,6 Pro zent. Erst als auf Erhards ureigenem Feld, der Wirt schaft, Probleme sichtbar wur den, sank sein Stern. Der Professor hielt der steigen den Ausgabeflut zunehmend nur Maßhalte-Appelle entge gen, was ihm den Spitznamen „Gummilöwe" eintrug, und wur de mit seinem Gedanken einer .formierten Gesellschaft" dem Kräftespiel in der von ihm selbst postulierten freien Wirt schaft und Gesellschaft nicht gerecht. 1966 kam es infolge der Rezession, der Kohlenkrise und Stahlflaute in Nordrhein Westfalen zu einem triumpha
len Wahlsieg der SPD (49,5%).
Der Erdrutsch von Düsseldorf alarmierte Bonn und insbeson dere die Liberalen; wegen Streits um die Deckung des Haushalts sprengte die FDP 1966 die Koalition, die Union machte die verlorene Mehrheit mit dem neuen Partner SPD mehr als wett. Erhard war nicht der Mann für eine Große Koalition. An seine Stelle trat Kurt Georg Kiesinger. Professor Ludwig Erhard blieb als lebendes Denkmal der sozialen Marktwirtschaft und Gralshüter seines Lebenswerks Abgeordneter im Bundestag. Der große Ökonom starb am 5. Mai 1977.
Die Amerikaner waren durch eine Denkschrift Erhards über den einzuschlagenden Wirtschafts kurs auf den Professor mit der Zigarre und dem Zuversicht ausstrahlenden Gesicht aufmerk sam geworden. Sie wußten also, welchen Kurs der neue Mann steuern würde. Über die Unbe irrbarkeit und Konsequenz, mit denen der Neo liberalismus, die freie, bald »Soziale Markt wirtschaft« genannt, hier verfochten wurde, waren sie aber doch besorgt - und nicht nur sie. Aber Erhard brachte im Frankfurter Bizonen Parlament eine Mehrheit hinter sich. Zeitgleich mit der von den Alliierten ausgelösten Wäh rungsreform am 20. Juni 1948 erließ der Wirt
Wohnungsbau. Aus den Notquartieren und Behelfsheimen zog man in Wohnhochhäu ser um, und nach der Freßwelle und Kleidungswelle kam die Einrichtungswelle. Gigantische Leistungen vollbrachte der Wohnungsbau der Nachkriegszeit. In den Jahren zwischen 1949 und 1955 wurden mehr als drei Millionen Wohnungen neu , ••• ,•.,.. errichtet.
"Die Amerikaner waren über Erhards Neoliberalismus ernstlich besorgt ... ''
'"""""""'-' """ ...,,,.,""""-� """'
das Gespenst des sowjetischen Vordringens. Die Hungernden könnten leicht eines Tages
schaftsrat ein Gesetz, das die meisten rationier ten Waren freigab; über Angebot und Nachfra ge soUte der Markt entscheiden. Dieses Gesetz war nicht alliierte, sondern deutsche Politik. »Die Währungsreform«, schreibt Heinrich Jae necke, »veränderte alles. Sie war ein Urerlebnis wie der Zusammenbruch, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Die Koppelung von harter Wäh rung und radikalem Freihandel hatte den Effekt eines Dammbruchs: Sie ließ die aufgestaute Energie von 40 Millionen hungrigen Deut schen los, die nur noch ein Ziel kannten aufbauen und leben. Das >Wirtschaftswunder< nahm seinen Anfang, die westdeutsche Lei stungsgesellschaft formierte sich ...« Die Marshallplan-Hilfe setzte im Frühjahr 1948 ein und war auf vier Jahre veranschlagt. Eine zuverlässige Statistik über ihren Gesamtum fang ist kaum zu gewinnen, weil auch die Rückzahlungen der Kredite, soweit überhaupt verlangt, wieder in den ökonomischen Kreis lauf hineingepumpt wurden. Es ist davon aus
dem kommunistischen Werben erliegen, wenn
zugehen, daß zwölf bis sechzehn Milliarden
es im Westen überhaupt keine Hoffnung gebe.
Dollar zwischen 1948 und 1952 zur Verfügung
Einstweilen war Marshalls sensationelle An
standen. Davon kauften die Empfängerländer
sprache nur ein Wechsel auf die Zukunft. Das
Rohstoffe, Nahrungsmittel, Investitionsgüter.
European Recovery Program (ERP), bald ein
Deutschland dürfte ein Viertel der Gesamtsum
fach Marshallplan genannt, konnte nicht per
me erhalten haben. Damit wurden unter ande
Knopfdruck realisiert werden, weil zunächst
rem alle Demontageverluste durch nagelneue
die organisatorischen Voraussetzungen zu
Maschinen ersetzt: eine geschichtliche Ironie,
schaffen waren.
daß Kriegsbußen auch zum Nutzen ausschla gen können.
Was die drei Westzonen betraf, war noch eine wichtige politische Voraussetzung zu erfüllen: Die Währungsreform. Die Art und Weise ihrer Verwirklichung hing allerdings entscheidend von den Personen ab, die an den Schaltstellen saßen und die Besatzungsbehörden zu über zeugen vermochten. Ein glücklicher Zufall hatte denMann in die Schlüsselposition des Zweizo nenamtes für Wirtschaft gebracht, der die Wäh rungsreform zu einem geschichtlichen Wende punkt machte: Ludwig Erhard.
Der Nierentisch gab einem ganzen Einrichtungsstil den Namen. Den Zeitgenossen erschien er mit seiner spiegelnden Oberfläche und den dünnen, schräg angesetzten Beinen als Muster von Formschönheit und Nützlichkeit, ebenso modern wie materialsparend.
Die nächste Generation hatte nur Spott für das ausgezehrte Möbel und warf es in Massen auf den Müll. Heute werden die letzten Exemplare von Sammlern geschätzt und in Museen ausgestellt.
So faßte ein ganzer zerschlagener Kontinent in seinen politisch freien Teilen wieder Mut. Insbesondere
der
Patient Westdeutschland
entwickelte sich auf der ERP-Intensivstation zum medizinischen Wunder:
noch in der
zweiten Hälfte 1948 steigerte sich die indu strielle Erzeugung um glatte 50 Prozent. Nicht zuletzt
die
Vertriebenen,
eben
noch
für
Wohnungsämter und Ernährungsbehörden ein schwer verdaulicher Brocken, wurden ein
533
starker Motor des Aufschwungs. Die Gewerk schaften hielten sich mit Forderungen lange zurück. Die Unternehmer lenkten die Erträge sofort in Investitionen um. So griff ein Rädchen wie geölt ins andere, wozu auch gehörte, daß die Weltkonstellationen sich rapide änderten und Deutschland schneller, als es sonst geschehen wäre, vom Paria der Völker familie wieder zum Mitglied und Partner wur de, wenn auch nur in seinem westlichen Teil. Die von Ludwig Erhard vertretene Wirtschafts politik, die er seit der Konstituierung der Bun desrepublik Deutschland im Herbst 1949 als Wirtschaftsminister leitete, wurde unter der Bezeichnung »Soziale Marktwirtschaft« be kannt. Die »Soziale Marktwirtschaft« hat mit dem Laisser-faire-System des sogenannten »Manchester-Liberalismus« des 19. Jahrhun derts, nach dessen Grundsätzen sich der Staat prinzipiell aus dem wirtschaftlichen Gesche hen heraushalten sollte, zwar das Rechtsinstitut des Privateigentums und die Lenkung durch bewegliche Marktpreise gemeinsam, macht aber durch vier weitere Bauelemente, die nicht einer Marktautomatik überlassen bleiben können, sondern bewußte Tätigkeit des Staates erfor dern, diese beiden überkommenen Bauelemen te erst voll funktionsfähig. Die neuen Bauele mente sind a) Stabilität des Geldwertes und stetige konjunkturelle Entwicklung; b) ein Höchstmaß an Wettbewerb, der ein Wettbe werb der echten Leistungen sein muß und nicht zum gezielten Schädigungs- und Vernichtungs wettbewerb entarten darf. Der Staat hat Wett bewerbsbeschränkungen zu bekämpfen und die Fairneß der Wettbewerbsformen zu über
„Freßwelle". Keine leeren Regale mehr, Lebensmittel in Hülle und Fülle. Nach Hunger und Rationierung in der Nachkriegszeit war die reich gefüllte Auslage, das üppig dekorierte Schaufenster, wie es die Währungsreform mit sich brachte, Symbol alles dessen, wofür es sich zu arbeiten lohnte.
''Zwischen 1950und 1955 verdoppelte sich das Bruttosozialprodukt '' .______:w........ ..
Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland war die
„.
weltwirtschaftliche
Konsequenz
des
Krieges in Korea. Die damit verbundene Be
wachen. Er muß gleichzeitig durch Unterlassen
lebung der Wirtschaft der westlichen Hemi
künstlicher Benachteiligungen und Begünsti gungen in seiner eigenen Tätigkeit für Sauber
ten, heftig bekämpft wurde, war die Absicht der
sphäre gab der Wirtschaft der Bundesrepublik
keit und Gerechtigkeit der Startbedingungen
Bundesregierung, die D-Mark als Währung zu
Deutschland außergewöhnliche Chancen, die
sorgen; c) die Soziale Marktwirtschaft erfor
sichern. Zur Erfüllung der außergewöhnlichen
diese unter Einsatz von Initiative, Fleiß und
dert, daß der Staat große strukturelle Anpassun
Anforderungen - Besatzungskosten, Wieder
Beharrlichkeit wahrnahm. Das Ergebnis war
gen nötigenfalls durch geeignete vorüberge
gutmachungen, Leistungen für Kriegsgeschä
die in dieser Zeitspanne und in diesem Umfang
hende Maßnahmen erleichtert, glättet und be
digte, Kriegssachgeschädigte und Vertriebene
nicht erwartete Rückkehr Deutschlands auf
schleunigt; d) die Soziale Marktwirtschaft be
und Kosten des Wiederaufbaues der vom Krie
den Weltmarkt. Das Bruttosozialprodukt der
darf der Ergänzung durch eine wohl abge
ge zerstörten oder auf Grund der Bevölker
Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland
stimmte Politik in den an die Wirtschaft gren
ungsumstrukturierung notwendig gewordenen
verdoppelte sich zwischen 1950 und 1956
zenden Bereichen, besonders den Gebieten des
öffentlichen Einrichtungen aller Art
wobei die Zunahme der Bevölkerung und die
-
mußte
-
Erhöhung des allgemeinen Preisniveaus zu
Sozialen, der Raumplanung und der Bildungs
die
politik.
Bundesrepublik Deutschland voll in Anspruch
Verbunden mit der Durchsetzung der »Sozia
mit dem »Petersberger Abkommen« und der
Bereits 1951 ließ die englische Zeitschrift »Fi
len Marktwirtschaft«, die zunächst vor allem
ersten Revision des Besatzungsstatuts ausge
nancial Times« die Frage: »Wie konnte sich ein
von der SPD und dem DGB, aber auch von
sprochenen Erleichterungen der noch Beschrän
zerbombtes, demontiertes und desorganisiertes
Christdemokraten, die sich ihrem in der Ten
kungen unterworfenen industriellen Produkti
Industrieland so rapide erholen?« durch ihren
denz durchaus »antikapitalistischen« Ahlener
on gestatteten die erforderlichen Ausweitun
Auslandsredakteur beantworten. Dieser führte
Programm vom Februar 194 7 verpflichtet fühl-
gen. Beschleunigend für den wirtschaftlichen
für die wirtschaftliche Entfaltung der Bundes-
wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit
der
berücksichtigen sind.
genommen werden. Die im Zusammenhang
534
Motorisierung.
Behelf der Nachkriegs zeit: das Auto mit dem Holzvergaser. Beweglichkeit war lebenswichtig. Ein Volk war unterwegs, auf der Suche nach den Angehörigen, nach einer neuen Heimat, einer Arbeitsstelle oder um auf dem Land Nahrungsmittel zu ergattern. Und das bei weitgehend zerstörten Verkehrsmitteln und -wegen!
...._ �..-... ··
"Die wirtschaftli che Entfaltung der Bundes- lr:'ll���"9'Jim republik ' wurde mit wachsendem Staunen zur Kenntnis genommen ... ''
republik Deutschland, die von allen an der Weltwirtschaft beteiligten Staaten mit größter Aufmerksamkeit und wachsendem Staunen zur Kenntnis genommen wurde, folgende Gründe an: 1. Nagelneue oder modernisierte Maschi nen an Stelle der demontierten. 2. Staatlicher Ausfuhransporn a) durch Belassung von 4 v. H. des Dollaranfalls beim Exporteur, b) durch teilweise Umsatzsteuerrückvergütung bei der Ausfuhr. 3. Selbstfinanzierung der Industrie aus Gewinnen dank der Dividendenstillhal tung der Aktionäre, von denen viele im Interes se einer inneren Stärkung der Unternehmen seit Kriegsende überhaupt noch keine Dividenden bezogen haben. 4. Heilsamer Respekt der Öf fentlichkeit vor der Bank Deutscher Länder wegen der erfolgreichen Währungsschutzpoli tik, gestützt auf einen hohen Diskontsatz. Die
Autoflut.
Heute Symptom einer aus den Fugen geratenen Technisierung, in den fünfziger und sechziger Jahren aber der Garant einer kraftvollen Wirtschaft: die jährlich ansteigende Zahl privater Automobile (Bild: abge stellte Wagen bei einer Sportveranstaltung).
Tatsache, daß die Währungs- und Kreditlei stung in der Hand starker und unabhängiger Männer liegt, die notfalls auch der Regierung die Stirn bieten, wird als großer Vorteil angese
����·
hen. 5. Wohnungsbauförderung aus öffentli chen Mitteln, einmal unter 7c des Steuergeset zes (steuerfreie Abschreibungsgrenze von 7000 DM bei
Neubauinvestierungen),
zweitens
durch Gewährung einer steuerfreien Abschrei bung bei Einkommen von Einzelpersonen im Falle einer Umwandlung in Sparkonten mit einer Laufzeit von drei Jahren. 535
Die Deutsche Lufthansa fliegtwieder. 1945 war auf Beschluß des Alliierten Kontroll rats den Deutschen jeglicher Luftverkehr untersagt worden. Erst 1954 wurde der Bundesrepublik die Lufthoheit zurückge geben. Mit vier Propellermaschinen nahm die Lufthansa im April 1955 ( Bild) den Flugbetrieb auf. Zwei Monate später flog die erste „Super Constellation" nach New York.
"Seit 1952 erzielte die deutsche Wirtschaft Exportüberschüsse ... '' Die wirtschaftliche Entfaltung der Bundesre
gleichen Zeitspanne von 11,8 Milliarden DM
publik Deutschland ging nicht ohne temporäre
auf 44,3 Milliarden DM. Die größte und stärk
und partielle Schwierigkeiten vor sich. Die
ste Ausdehnung der Leistungsbilanz wurde im
Gegner der »Sozialen Marktwirtschaft« be
Wirtschaftsverkehr zwischen der Bundesrepu
nutzten diese, um auf deren Unzulänglichkei
blik Deutschland und den Ländern der »Euro
ten zu verweisen. Ludwig Erhard hielt jedoch
päischen Zahlungsunion« (EZU) erreicht. Be
an der Linie seiner Wirtschaftspoltik fest, die er
günstigt von dieser alle Bereiche des Wirt
mit der Erklärung verteidigte: »Es ist meine
schaftslebens erfassenden Expansion stieg das
feste Überzeugung, daß die Welt gesunden
Volkseinkommen der Bundesrepublik Deutsch
wird, daß alle Spannungen und Störungen über
land von 75 Milliarden DM im Jahr 1950 auf
wunden werden können, daß Mißtrauen und
148 Milliarden DM im Jahr 1956 und auf230
Mißgunst schwinden und eine wirtschaftliche
Milliarden DM im Jahr 1961.
Befriedung Platz greifen wird, wenn wir nach so langer Verirrung endlich wieder zu einer
Im Jahr der Souveränitätserklärung der Bun
guten internationalen Ordnung hingefunden
desrepublik Deutschland trat deren Wirtschaft
haben werden. Weil alle Volkswirtschaften zu
in eine bis Mitte der sechziger Jahre fast unver
lange in einer unfruchtbaren Isolierung lebten,
ändert anhaltende Phase der Hochkonjunktur,
haben wir das Gefühl für die Funktion einer
deren Kennzeichen u. a.Vollbeschäftigung der
wirklich freien Weltwirtschaft verloren und
eigenen Arbeitskräfte und zunehmende Be
überschätzen die Gefahren, die mit der Eröff
schäftigung von Gastarbeitern waren, ein. Als
nungeiner vollenFreizügigkeitverbunden sind,
eindruckvollstes Beispiel dieser Entwicklung
bei weitem. Freiheit bedeutet nicht Gefahr,
wird mit Vorliebe die Entfaltung des Woh
sondern Segen für alle!« Erhard verwies gerne auf die steigenden Exporterträge der Bundesre publik Deutschland. Deren Wirtschaft erzielte seit 1952 einen Exportüberschuß, der 1961 die Rekordhöhe von sieben Milliarden DM er reichte. Zwischen 1950 und 1956 erhöhte sich die Einfuhr von 13,0 Milliarden DM auf 37,9 Milliarden DM. Die Ausfuhr erhöhte sich in der 536
Ferienglück mit dem UKW-Empfänger. Nach Freß-, Kleidungs- und Einrichtungswelle kam schließlich auch die Reisewelle. Mit bescheidenen Zielen, noch im eigenen Land, fing es an, aber bald schon setzten die ersten den Fuß über die Grenze - das Kofferradio immer dabei.
nungsbaues angeführt. Fachleute waren der Ansicht, daß der Wiederaufbau der im Kriege zerstörten Häuser und Wohnungen mindestens 30, wahrscheinlich 40 Jahre in Anspruch nehmen werde. Tatsächlich war die Wieder instandsetzung in weniger als zehn Jahren be endet. Die Zahl der erstellten Neubauwoh nungen stieg von Jahr zu Jahr an; sie betrug
1949 215 000(1929: 197 000),1950 360 000, 1951 410 000, 1952 443 000, 1953 518 000, 1954 543OOOund1955 542 ()()()Wohnungen.
Besonders eindrucksvoll sichtbar wurde die
wirtschaftliche Entfaltung der Bundesrepublik
Deutschland in der Ausweitung der Industrie
produktion, deren Anteil am Bruttoinlandpro
dukt1956 40,3 Prozent betrug. Die Produktivi
tät der Industrie in der Bundesrepublik Deutsch
land lag 1956 je Beschäftigten um 34,2 Prozent
und je Arbeitsstunde um 39,1 Prozent über dem
Stand von 1950. Diese Expansion nahm einen
stürmischen Verlauf, nachdem der Wiederauf
bau der kriegszerstörten oder demontierten Pro duktionsstätten beendet war und die Auswir
kungen der Zerschneidung des früher ein
heitlichen Wirtschaftsgebietes des Deutschen Reiches überwunden waren.
Die Grundstoffindustrie erfuhr eine beträchtli
che Ausweitung. 1956 wurde in der Steinkoh lenförderung das Ergebnis von 1936 überschrit
ten. Die Rohstahlerzeugung lag im gleichen
Jahr erheblich über der Vorkriegszeit (1936:
16,9 Mio. t, 1956: 22,6 Mio. t); sie übertraf sogar die Erträge im gesamten Reichsgebiet in den Jahren 1913 und1936. Die Investitionsgü
terindustrie dehnte ihren Anteil der gesamten Güterindustrie von 28,9 Prozent auf 36,l Pro
zent im Jahr 1956 aus. Die Beschäftigung in der
elektrotechnischen Industrie betrug 1956 mehr als das Fünffa che der Vorkriegszeit. Im Ma
schinenbau stieg die Zahl der Beschäftigten von 302 000 im Jahr 1936 auf797 000 Perso nen im Jahr 1956. Ungewöhnlich war die Ent wicklung in dem Industriezweig, der als reprä
Beitrag der Gewerkschaften. Bild oben: Ludwig Erhard, Wirtschaftsmi nister der Bundesrepublik, im Gespräch mit dem DGB-Vorsitzenden Ludwig Rosenberg. Im Rahmen der von Erhard konzipierten „Sozialen Marktwirtschaft" haben die Produktionsfaktoren „Kapital und Arbeit" in der Bundesrepublik erfolgreich zusammen gearbeitet. Rechts: Maiplakat des DGB von 1954. Heute gehören Achtstundentag und Fünftagewoche zu den sozialen Besitzständen der Arbeitnehmer.
sentativ für die moderne Wohlstandsgesell schaft angesehen wird, in der Autoindustrie.
Die Produktion von Personenwagen betrug im
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland im
Jahr 1936 224 289,imJahr1950 216 107,im Jahr 1953 369 140 und im Jahr 1956 847 829 Stück. Die weitere Entwicklung führte dazu,
daß die Bundesrepublik Deutschland im Ex
port von Kraftwagen die Vereinigten Staaten von Amerika überflügelte und die Ausfuhr von
Autos jährlich mehr als fünf Milliarden DM
erbrachte. Der Volkswagen wurde zum Sym
bol dieses stürmischen Aufstieges; er ist das
einzige Auto der Welt, von dem jährlich -
"Die Produktivität der Industrie stieg stürmisch an„. ''
erstmals im Jahr 1961 - mehr als eine Million
Hohen Kommission aufgelöst. Jede der drei
Diese stürmische Entwicklung, zunächst gerne
wiirde zur größten Autofabrik Europas. Eine
Nachfolgegesellschaften erzielte zehn Jahre
Reiches verglichen, erreichte ihren Höhepunkt,
Gesamtumsatz der IG-Farbenindustrie AG. Bei
1958 Großbritannien vom zweiten Platz des
Stück gebaut wurden. Das Volkswagenwerk
großen - der fünf rechtlich unabhängigen -
gleiche Entwicklung erlebte die chemische In
später einen Umsatz, der größer war als der
der industriellen Macht Deutschlands und ne
diesen Ergebnissen wirkten Initiative der Un
Nemours & Co. das größte Chemieunterneh
und Angestellten in der Wahrnehmung wirt
dustrie. Die IG-Farbenindustrie AG, Symbol ben dem amerikanischen Konzern Du Pont de
men der Welt, wurde 1950 durch Gesetz der
ternehmer und disziplinierter Fleiß der Arbeiter schaftspolitischer Chancen zusammen.
mit den Gründerjahren des Bismarckschen als die Bundesrepublik Deutschland im Jahr Welthandels verdrängte. Der reiche Strom von
Gold und Devisen machte die D-Mark zu einer
der härtesten Währungen der Welt. In der
Finanz- und Wirtschaftspolitik
ging die seit
537
Zeitzeugnis: Umgestaltung der Arbeitswelt Heinz Nordhoff, geboren 1899 in Hildesheim, war eine der herausragenden Untern�hmer persönlichkeiten in der Ara des Wiederaufbaus. Bevor er 1930 zur Adam Opel AG nach Rüsselsheim ging, arbeitete er als Konstrukteur im Flugmoto renbau der Bayerischen Moto renwerke. 1947 beauftragen die britischen Militärbehörden den 48jährigen mit dem Wie deraufbau des zerstörten Volks wagenwerkes in Wolfsburg. Nordhoff läßt das VW-Vor kriegsmodell verbessern und entwickelt in einem Jahrzehnt VW zum größten Automobil konzern Europas und zum bedeutendsten Autoexporteur der Welt. Einen seiner spekta kulärsten Erfolge erringt Nord hoff mit der VW-Absatzstrate gie in den USA, die Gar/ Hans Hahn, Nordhoffs Wunsch Nachfolger, vor Ort in die Tat umsetzt. Im April 1968 erliegt Nordhoff einem Herzinfarkt. .Die Automatisierung der Pro duktionsvorgänge und in ho hem Maß auch die der zugehö rigen Büroarbeit ist - wie die Verwendung von Maschinen überhaupt - eines der Mittel, um die Produktivität, also die Erzeugung industrieller Güter, bezogen auf die dafür aufge wendeten Arbeitsstunden, zu steigern. Die Automatisierung, über deren Möglichkeiten und Grenzen noch zu sprechen sein wird, ist der letzte Schritt auf dem nun beinahe 200 Jahre alten Wege, der mit dem ersten Einsatz von Maschinen zur Steigerung des Ergebnis ses menschlicher Arbeit be gann. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Ergebnis menschlicher Arbeit im wesentlichen kon stant geblieben, und auch die Arbeitsmethoden und Techni ken hatten sich durch die Jahrtausende nicht wesentlich geändert. Obwohl die Zahl der die Erde bewohnenden Men schen nur geringen Schwan kungen unterlag, blieb der Lebensstandard so ziemlich gleich, und zwar abgesehen vom Reichtum einiger ganz weniger, niedrig und armselig. Die Anfangszeit der Industriali sierung war mühsam, und die ,finsteren Teufelsmühlen' der frühen englischen Textilindu strie waren kein Ruhmesblatt.
Weltweit begehrt als Symbol deutscher Wertarbeit: der große Mercedes. Die Entwicklung ging zähflüs sig weiter; um die Mitte des vorigen Jahrhunderts lag Eng land klar in Führung vor dem Kontinent und vor den USA, während im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts das Entwick lungsniveau der Industriestaa ten etwa auf gleicher Höhe lag. Am Anfang dieses Jahrhun derts beginnt dann die Füh rung der Entwicklung an die USA überzugehen. Die Me chanisierung der Produktion macht revolutionierende Fort schritte, die ersten Montage bänder entstehen, und in den letzten 25 Jahren nimmt die Produktivität rasch zu. Es ist das komplizierte Zusammen spiel von Anregung und Befrie digung des Bedarfs, das Wach sen des Produktionsvolumens, die Verringerung der Preise und das Ansteigen der Kauf kraft der Massen, das in einer von unserer Generation weit gehend selbst erlebten Weise eine vorher in Jahrtausenden nicht erreichte Hebung der Produktivität und zugleich des Lebensstandards zuwege ge bracht hat. Dies wesentlich höhere Lebensniveau, die Mög lichkeit der Befriedigung von Bedürfnissen, die noch vor 50 Jahren nur einigen wenigen vom Glück begünstigten Men schen möglich waren, für Millionen, ist nur möglich gewesen auf der Grundlage einer enormen Steigerung der industriellen Produktion, bezo gen auf die Arbeitsstunden des Menschen. In der Landwirt schaft ist diese Steigerung um vieles geringer und sicher noch sehr verbesserungsfähig; in
der Verwaltung verläuft die Entwicklung genau umgekehrt und negativ - nur der Aufwand wächst, der Wirkungsgrad fällt. Nur in ganz oberflächlichen Schlagworten wird heute noch die Behauptung aufgestellt, diese enorme industrielle Meh rerzeugung - absolut und bezogen auf die Arbeitsstun den - sei das Resultat einer entsprechenden Mehrbela stung der Arbeitenden. Gewiß werden Leerlauf und jede Reibung im Arbeitsprozeß aufs sorgfältigste vermieden, aber die arbeitsmäßige Inanspruch nahme des einzelnen ist nicht gestiegen, sondern zurückge gangen, und wird weiter zu rückgehen. Anstelle von 72 und mehr Stunden je Woche noch vor 50 Jahren ist jetzt die 48-Stunden-Woche die Norm, und die 40-Stunden-Woche liegt durchaus im Bereich des Möglichen, auch bei uns, nachdem sie in den USA seit 25 Jahren allgemein eingeführt ist. Körperliche Arbeit ist in größtem Umfange von Maschi nen übernommen, und die allgemeinen Arbeitsverhältnis se zeigen in den letzten 25 Jahren eine enorme Verbesse rung. Der immer weiter fortschreiten de Einsatz von Maschinen und Vorrichtungen anstelle der Handarbeit ist die Erklärung und Begründung dieser wahr haft revolutionären Entwick lung. Es ist nicht mehr nur ein Schlagwort, daß der Mensch im Betrieb vom Sklaven der Maschine zu ihrem Herrn geworden ist. In den Büros beginnt die Papierflut zu vereb ben, Maschinen, Lochkarten, Elektrogehirne ersetzen den Papierkrieg. Alle diese Ent wicklungen stellen ein Spiel viel-facher, sich überschnei dender Befruchtung und Anre gung dar: höhere Produktivität läßt höhere Löhne und niedri gere Preise zu, höhere Löhne steigern die Notwendigkeit, den Lohnanteil am Erzeugnis durch vermehrten Maschinen einsatz zu verringern, und über alledem steht als großer An trieb der freie Wettbewerb, der dem Tüchtigeren die größere Chance gibt." (Aus einem Artikel von Heinz Nordhoff, Generaldirektor des Volkswagenwerks, für den „Volkswirt", Mai 1956)
1914 beinahe ohne Unterbrechung andauernde Phase des staatlichen Dirigismus zu Ende-ein Vorgang, den die Generation, die die Auswir kungen der Inflation (1923) und der Währungs reform (1948) erfahren hatte, zunächst nicht ohne Besorgnis verfolgte. Seine Schattenseiten blieben nicht verborgen: einseitige -nach An sicht nicht weniger Kritiker:
zu
telständischen Industrie, überstürzte Verände rung der wirtschaftlichen Stellung der Land wirtschaft, die verstärkte Hilfe des Staates er forderlich macht, Vordringen von Gruppenstre ben
und
Gruppenegoismus,
zunehmende
Gleichgültigkeit gegenüber Gemeinschaftauf gaben. Diese nur skizzierte wirtschaftliche Entwick lung veränderte nicht nur die Städte und Dörfer der Bundesrepublik Deutschland; sie hatte auch auf die politische Situation der Bundesrepublik Deutschland und auf das Lebensgefühl ihrer Bewohner einen nachhaltigen, dem Beobach ter meist verborgenen Einfluß. Der rasche Wechsel von vorzivilisatorischer Armut zu hochzivilisatorischem Überfluß stellte an die tragenden Altersklassen große physische und psychische Anforderungen; er verdrängte das 1945 weithin anzutreffende Minderwertigkeits gefühl, das - ohne Umformung zu einem Be wußtsein geschichtlicher Verantwortung-eli miniert wurde. Der Bundesdeutsche, gern als »Wirtschaftswunderdeutscher« apostrophisiert, wurde von den argwöhnischen Beobachtern des Auslandes als Wiedergeburt des wilhelmi nischen Deutschen-»Es ist erreicht«-verstan den und bezeichnet. Sein Nachholbedürfnis tobte sich in sogenannten Wellen - »Freß welle«,
»Bekleidungswelle«,
»Reisewelle«,
»Motorisierungswelle«, »Antiquitätenwelle« usw. -aus. In dieser neuen Atmosphäre wurde der charakteristische deutsche Arbeitsdrang noch zusätzlich verstärkt, die Konzentration auf materielle Werte nahm noch zu. Kulturelle Interessen hatten im Hintergrund zu bleiben, während sämtliche Energien dazu dienten, von den neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten Ge brauch zu machen. Die geistige Verarbeitung des raschen Wech sels der deutschen Situation erfolgte erst im Zuge der Ende der sechziger Jahre von der »Außerparlamentarischen Opposition« getra genen Wohlstandskritik und der mit ihr einher gehenden Schärfung des sozialen Bewußtseins und seit Ende der siebziger Jahre mit der alle gesellschaftlichen Schichten übergreifenden Herausbildung eines ökologischen und »me taökonomischen« Bewußtseins.
538
einseitige -
Vermögensbildung, Zurückdrängung der mit
Hatte Adenauer 1949 noch von einem Jahr oder zwei Jahren gesprochen, die sein Arzt ihm für das Amt des Bundeskanzlers zutraute, so redete schon bald keiner mehr von einer Zeitbegrenzung. Für die CDU war der ,,Alte von Rhöndmf' wichtigstes Kapital; mit ihm als 1 Zugpferd errang sie in den fünfrigerJfilrren
����f;.
G
D Je geteilte Nation
raphische Darstellungen des Wähler verhaltens gleichen Fieberkurven am Krankenbett. Wie der Arzt daran seine
Rückschlüsse zieht, so studieren die Parteima
nager und Politiker eifrig die Umfrageergeb nisse der Meinungsforscher. Von einem deutli chen Sinken der Wählergunst mußte Bundes kanzler Adenauer erfahren, als die Debatte um die Wiederbewaffnung einsetzte. In gleichem Maß gewann die Opposition an Boden. Zu Adenauers Glück beschränkten sich die Wah len 1951 auf die Bundesländer. Bei einer Bun destagswahl wäre er wahrscheinlich nicht Re gierungschef geblieben. Aber allmählich ver lor die »Ohne mich«-Parole ihre Wirkung, ließ der Widerstand gegen einen Verteidigungsbei trag nach. Ende
1951 stieg das Ansehen des
Kanzlers aus dem Stimmungstief wieder auf und erreichte, nicht ohne Rückschläge, im Spät jahr
1953 eine beeindruckende Höhe. 57 Pro
zent aller Wahl berechtigten erklärten sich nun mehr mit seiner Politik einverstanden. Die Wählergunst beruhte vor allem auf folgendem: Er habe durch seine Politik Deutschlands Anse hen wiederhergestellt, er verschaffe Sicherheit vor dem Osten und habe den wirtschaftlichen Aufschwung ermöglicht. Ansehen -Sicherheit -Aufschwung: Die Mehrheit der Bundesbür ger maß die Fähigkeiten des Patriarchen an diesen drei wünschenswerten Vorzügen des gegenwärtigen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland. Im Wahljahr
1953 konnte Adenauer einen ein
drucksvollen persönlichen Erfolg verzeichnen. Präsident Eisenhower lud ihn nach Washington ein. Unter dem Vorgänger Harry Truman war dies noch nicht möglich gewesen. Jetzt aber empfing der einstige Oberkommandierende der alliierten Truppen in Europa, der sich als An führer eines Kreuzzuges verstanden hatte, den
„Die Bundesrepublik wird die volle Macht eines souveränen Staates über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten haben ... Die Bundesrepublik wird ihre Politik im Einklang mit den Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen und mit den im Statut des Europarates aufgestellten Zielen halten. Die Bundesrepublik bekräftigt ihre Absicht, sich durch ihre Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, die zur Erreichung der gemeinsamen Ziele der freien Welt beitragen, mit der Gemeinschaft der freien Nationen völlig zu verbinden ... Art. 2. Im Hinblick auf die Internationale Lage, die bisher die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages verhindert hat, behalten die drei Mächte die bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes einschließlich der Wieder vereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung. " (Deutschlandvertrag von 1952) in Kraft getreten am5. Mai 1955)
Repräsentanten des wiedererstandenen demo kratischen Deutschland auf den Stufen des Weißen Hauses. Das Ergebnis des Wahlkampfes
1953 sah so
aus: 45,2 Prozent (1949: 31,0) stimmten für die CDU/CSU, eine gewaltige Steigerung um 14,2 Prozentpunkte. Die SPD fiel zurück unter ihr Ergebnis der ersten Bundestagswahl und er reichte nur noch
28,8 Prozent (1949: 29,2).
Dies war, im Rückblick von heute, das schlech teste Ergebnis aller Wahlen seit
1949. Es war
ein schwacher Trost, daß der Stimmenanteil jetzt höher lag als im Durchschnitt aller acht Wahlen der Weimarer Republik. Auch das bessere Mittelergebnis aller Wahlen im Kaiser reich war noch um 1,2 Prozentpunkte übertrof fen. Dennoch: So wenig Fortschritt nach Jahr zehnten, weniger Zuspruch als
1907
-
das
war bitter. Die Freien Demokraten als drittgrößte Partei konnten ihre für sie hocherfreulichen 11,9 Pro zent von 1949 nicht halten, sie schrumpften auf 9,5 Prozent. Aber die Koalition ging völlig ungefährdet mit solidem Mehrheitspolster in die zweite Legislaturperiode. Auch wenn der Pluspunkt »Aufschwung« zum guten Teil das Verdienst von Ludwig Erhard war: angerechnet wurde es in erster Linie dem Regierungschef, und das gar nicht zu unrecht. Zum Geschick oder Ungeschick eines Staats mannes gehört ganz wesentlich seine Personal politik. Setzt er die richtigen Leute an den richtigen Platz, so sind ihre Erfolge seine Erfol ge. Schließlich werden ihm ja auch die Fehler seiner Mitarbeiter angekreidet. Von jetzt an begann in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, was man »Kanzlerdemokratie« zu nennen pflegt.
539
Adenauers Besuch in den Vereinigten Staaten 1953 „Für den April 1953 war die erste Reise des Bundeskanz lers der Bundesrepublik Deutschland nach den Verei nigten Staaten von Amerika festgelegt. Es war die erste Reise eines deutschen Regie rungschefs in die Vereinigten Staaten. Ich folgte gern der Einladung. Ein Hauptzweck meines Besu ches sollte sein, das Vertrauen zu uns weiter auszubauen und zu stärken und die Bande der Sympathie zwischen den Ver einigten Staaten und Deutsch land noch fester und enger zu knüpfen. Sympathie und das Vertrauen auf Zuverlässigkeit spielen unter den Völkern in ihren gegenseitigen Bezie hungen eine entscheidende Rolle. In erster Linie jedoch fuhr ich in die Vereinigten Staaten, um den Dank des deutschen Vol kes zu bringen für alles, was die Bevölkerung der Vereinig ten Staaten für Deutschland nach dem Zusammenbruch getan hatte, in einer so groß zügigen und großherzigen Wei se, daß es dafür kein Beispiel in der Geschichte gab. Nach Anlegen der „United States" in New York kamen zahlreiche Reporter an Bord des Schiffes, um von mir ein Ankunftsstatement zu hören. Ich hielt eine kurze Pressekon ferenz an Bord des Schiffes ab und erklärte den Journalisten, daß ich bei der Landung in den Vereinigten Staaten vor allem eines empfände: ein Gefühl der Dankbarkeit gegenüber dem amerikanischen Volk. Wir Deutschen dankten von gan zem Herzen für die Wohltaten, die uns nach unserem Zusam menbruch erwiesen worden seien. Meine erste Reise nach Ame rika war einer der vielen Schritte auf dem Weg eines geschlagenen Volkes zurück in die Gemeinschaft der Völ ker. Dieser Weg mußte mit sehr viel Geduld, mit Umsicht und ohne jede Selbstüber schätzung zurückgelegt wer den. Man mußte immer wieder mit Rückschlägen und auch mit Störungsversuchen rech nen. Wir mußten wissen, daß wir noch viele Gegner hatten und daß es noch große psy chologische Hemmungen uns gegenüber zu überwinden galt.
Bundeskanzler Adenauer auf den Stufen des Kapitols. Das wichtigste war, unser Land nach seiner völligen Niederlage und seinem Zu sammenbruch aus der Isolie rung herauszuführen. Ich muß te alles versuchen, unsere Gegner aus dem Zweiten Weltkrieg zu Verbündeten und zu Freunden zu gewinnen. Das erforderte ein sehr vor sichtiges psychologisches Vor gehen. Mein Hauptanliegen war, Deutschland als gleich berechtigten Staat in die Völkergemeinschaft zurückzu führen und die Eingliederung Deutschlands in die freie Welt zu erreichen. Der Erfolg meiner Washing toner Besprechungen lag in erster Linie im schwer über schaubaren psychologischen Bereich. Mein Besuch in den Vereinigten Staaten bedeute te den Abschluß einer sehr unglücklichen Phase der deutsch-amerikanischen Be ziehungen. In dem Abschluß kommunique wurde ausdrück lich am Anfang und am Schluß das Wort Freundschaft ge braucht. Dieses Wort Freund schaft bedeutete sehr viel. Ich hatte die Absicht geäu Bert, am Grabmal des Unbekann ten Soldaten auf dem Natio-
nalfriedhof in Arlington einen Kranz niederzulegen. Die amerikanische Admini stration gestaltete die Kranz niederlegung zu einer über aus eindrucksvollen Zeremo nie. Sie nahm sie zum Anlaß, in einer sehr zu Herzen gehenden Weise einen Schluß strich zu ziehen unter die Jahre der Feindschaft, vor der gan zen Welt zu zeigen, daß diese Zeit vorüber sei, daß nunmehr eine Ära der Freundschaft begonnen habe und daß die Bundesrepublik Deutschland wieder aufgenommen sei in den Kreis und in die Gemein schaft der freien Völker. Arlington, der Nationalfriedhof der Vereinigten Staaten, liegt etwas abseits von Washing ton, in einer sehr schönen Gegend inmitten einer großen Parkanlage. Am 8. April 1953 brachte mein Besuch dort für mich den Höhepunkt meines Aufenthaltes in den Vereinig ten Staaten, symbolisch den Höhepunkt einer achtjährigen, harten Arbeit. Bei meiner Ankunft auf dem Friedhof wurde ich von einem amerikanischen General be grüßt. Er geleitete mich zu dem Grabmal. Hinter uns schritten drei amerikanische Fähnriche, der mittlere trug die deutsche Fahne. Der weite Platz vor dem Grabmal war umsäumt von Kompanien aller Waffen gattungen der amerikanischen Streitkräfte. Einundzwanzig Sa lutschüsse dröhnten über das Gelände, als ich mit dem Ge neral zu dem Grabmal schritt, die deutsche Fahne dicht hinter mir. Am Grabmal legte ich, während Kommandos durch die Luft hallten, einen Kranz mit schwarz-rot-golde ner Schleife nieder, er galt den Toten beider Völker. Eine amerikanische Militärkapelle spielte die deutsche National hymne. Ich sah, wie einem meiner Begleiter die Tränen herunterliefen, und auch ich war von tiefer Bewegung ergriffen. Es war ein weiter und harter Weg von dem totalen Zusammenbruch des Jahres 1945 bis zu diesem Augenblick des Jahres 1953, in dem die deutsche Nationalhymne auf dem Ehrenfriedhof der Verei nigten Staaten erklang."
(Konrad Adenauer, Erinnerungen)
Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO. Was die Bundesrepublik betrifft, so brachte die erste Hälfte der fünfziger Jahre,
mit
Hegel
gesprochen, »Fortschritte im Bewußtsein der Freiheit«. In kleinen Etappen, nicht ohne Rück schläge, gewann die Republik mehr und mehr Freiraum und Selbständigkeit. Ein bißchen Chronologie zeigt, wie ein Schritt dem anderen folgte. Im Juli
1951 erklärten England und Frankreich
den Kriegszustand mit Deutschland für been det, im Oktober folgten die Vereinigten Staaten. Damals amtierte noch Harry Truman im Wei ßen Haus. 1952 löste General Eisenhower ihn ab und blieb acht Jahre lang Präsident. Beson ders unter seinem Außenminister John Foster Dulles (1953-1959) entwickelte sich ein star kes Vertrauensverhältnis zwischen Bonn und Washington. Der Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952 bildete den politischen Rahmen für die Gleich berechtigung der Bundesrepublik in der westli chen Gemeinschaft. Er löste das Besatzungs statut, also die Oberhoheit der Siegermächte über Westdeutschland, ab. Doch blieben auch jetzt noch alliierte Vorbehaltsrechte hinsicht lich der Deutschland- und Berlin-Frage und der Stationierung der bewaffneten Streitkräfte. Im Prinzip war mit dem Deutschlandvertrag die Souveränität der Bundesrepublik vertraglich hergestellt. Doch dauerte es drei Jahre bis zum Inkrafttreten des Deutschland-Abkommens. Bis dahin bestand die vereinbarte Souveränität im wahrsten Sinne nur auf dem Papier. Der Kanz ler und seine Koalition mußten eine quälende Wartezeit durchstehen, bevor sie der Oppositi on vollendete Tatsachen vorzeigen konnten. Das lag an dem Artikel 11 des Deutschlandver trages. Er verknüpfte das Inkrafttreten mit der gleichzeitigen Verwirklichung der Europäi schen Verteidigungsgemeinschaft (EVG). Die aber kam nie zustande. Anfänglich schien dieses Projekt aussichtsreich zu sein. Die französische Nationalversamm lung befürwortete im Februar 1952 einen deut schen Verteidigungsbeitrag - natürlich unter Garantien und Sicherungen. Die EVG schien solche Garantien zu bieten. Abgesichert durch das grundsätzlich zustimmende Votum des fran zösischen Parlaments, schlossen die Regierun gen der Westmächte mit der Bundesregierung den Deutschlandvertrag, und einen Tag später, am 27. Mai 1952, unterzeichneten die Außen minister von acht Ländern in Paris den EVG Vertrag. Außer den Ministern der sechs (ge dachten) EVG-Partner Frankreich, Italien, den
540
Benelux-Ländern und der Bundesrepublik ge hörten dazu die Außenminister der USA und Englands, denn die beiden Länder waren ja Signatarstaaten des Deutschlandvertrages, Be satzungsmächte. Adenauers Zufriedenheit wich bald ärgerlichen Empfindungen. Die Anzeichen mehrten sich, daß Frankreich seine Zusage nicht einlösen würde. Zu groß war das Mißtrauen nach drei Kriegen binnen
75 Jahren, bei denen deutsche
Truppen jeweils in Frankreich gekämpft oder Frankreich erobert hatten. Der schwarze Tag für Adenauer in seiner bisher knapp fünfjähri gen Kanzlerschaft war der 30. August
1954.
Die französische Nationalversammlung ließ die EVG scheitern. Abstimmungsergebnis:
319
:
264 Stimmen.
Angesichts dieses Scherbenhaufens, Verspot tung jahrelanger Beharrlichkeit, ist es erstaun lich, wie rasch eine Ersatzlösung-der Nordat
WOHLSTAND AUS EIGENER KRAFT Seil fünf Jahren wächst und erstarkt die deutsche Wirtschaft, so rasch, daß die Welt erstaunt.
lantikpakt, die NATO- gefunden wurde. Das
Am eigenen Leib, an Kleid und Nahrung, hat's jeder von uns erfahren. Verantwortlich
gute, nahezu freundschaftliche Verhältnis zwi
für die
deutsche Wirtschaft steht vor uns Profe.sor Dr. Ludwig Erhard. Er hat für uns Enbcheidendes geleistet.
schen Adenauer und Dulles trug wesentlich dazu bei. Amerika war nun einmal entschlos sen, die Bundesrepublik fest in das westliche Bündnissystem einzuordnen. Nichts zugleich, was Adenauer sich sehnlicher wünschte. Ruß land als drohender Schatten ließ ihn alle Gedan ken und Projekte an eine neue eigenständige europäische Mitte, an einen ungebundenen deut schen Nationalstaat verwerfen; der hatte in seinen Augen nichts als Unglück gebracht. Darin lag aber auch die klare Entscheidung, für eine mögliche Wiedervereinigung Deutschlands keine Opfer an die westliche Bindung zu brin
1948
Ein UBIÖ.... t..nd, rit hatte ihrm Sinn wrloren. Mit schnellem Entsdi.luB urrei8t Ludwig Erhard am Tage der Wahrunpn:form die Karten und Bmapcheint der Zw&r1g5wirbchaft.
Seine ldttn kuan die Wlrtsc:Nft
an: Zeige }edtt, wu
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bnn! Slcherhdt des Daseins toll jedn a u• lieh selbst, aut
seiner schöpfemchm Atbdt gewinnen. Prokseor Erhard verkündd:: Nur ein frei.er Wettbewerb lteigert die Produktion Ul\d die OJialität W\ltrtt trzng. nlsse. Nur harte Xonkurmu:, nkht Polizri und Schnell• gnichtt, drüc:bn die Pret. und edt6hen die Kaufkraft des Geldet. 'Wir sdtaffen Arbeit, nkht durch. lnflaHon, t0ndnn durch Aulbau. Nur wmn soziale Gesinnung und penan. lic:hes Lmturigsstreben sida wrein"lgen, könnm wir cbu• emdmi Wohlstand entgegengehen.
1953
Rtnl Jolue lww Meit liegen hintu um, aber sie warm nlc:ht wrgtblidi.. o„ graue Gapentt der Arbeitslosigkeit wurde gebumt. F.ut dm Millionen. neue Arbeitsplätze wurden gnchaffen. Wohnunge:n für über 5 Millionen Mmsc:hen wurden neu orl>aut. Unerbittlich wacht Erlwd überdenf.esten WatdetGeldes. Die 0-Mark ht heutt so kerngesund wie der 0oD.ar und da Schweizer Franken. Der dwtsche Export, ohne dm wir hungern müikn, ht in vitT Jahrm um du 5'ebenfache ge:stiegtn. Wir wrfügm über 6 Milliarden 0-Mark an Gold und Dmten. In Oeubehland i•t der Mensch nicht vmtutllcht, sondern Staat und WlrttcN.ft sind dem Menschen dienttbu ge. macht tvorden 1 Du ist der ·�e Bankrott«, dtt Ludwig Erhard von leinen Gecnem vorausgeugt wurde. Aber er wei.8, daB er linpt die überwliltigende Mehrheit dn Volkes hinttt .;Staatsbürger in Uniform