Die Waise von Unterlachen: Teil 1 [Reprint 2022 ed.] 9783112665367, 9783112665350

157 121 9MB

German Pages 118 [236] Year 1824

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Waise von Unterlachen: Teil 1 [Reprint 2022 ed.]
 9783112665367, 9783112665350

Table of contents :
Vorwort
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebentes Buch

Citation preview

D i e

Waise von Unterlachen.

In zwei Theilen.

Erster

Theil.

G r i m ni a bei C. F. Göschen Beyer 1824.

Vorwort.

Wer mit dem Geiste der interessanten Ro­

mane von dem berühmten Engländer Wal­ ter Scott vertraut ist, wird in der Waise von Unterlachen des Herrn d'Arlincourt den

nämlichen Geist finden, der sich aber mit französischer Lebhaftigkeit ausspricht.

Man

findet hier eben die Mittel, wodurch die

Aufmerksamkeit erregt und die Neugierde so außerordentlich gespannt wird, das näm­ liche Anknüpfen an einen wichtigen Zeit­

punkt der Europäischen Geschichte;

man

findet auch hier ein anziehendes unbekann­

tes Wesen, an die sich die Heldin des Ro­ mans anschließet;

man findet denselben

Reichthum an hinreißenden Scenen, wes­ wegen auch schon viele französische Dramen

daraus genommen sind, dieselben poetischen Beschreibungen Gegenstände.

reihender

landschaftlicher

In Frankreich hat das Ori­

ginal:

le Solitaire die neunte Auflage

erlebt,

nach welcher diese schöne Ueber-

setzung nicht wörtlich, aber doch mit großer

Treue verfertigt ist. Der

Verleger.

Die Waise v-n Unterlachen nach

D' Arlincourt.

Erster Theil.

Unweit des Murter See's,

mitten in den

Bergen des alten Helvetiens,

in der Tiefe

eines von dichten Wäldem begränzten und von einem reißenden Strom durchrauschten Thales,

erhob

sich im fünfzehnten Zahr-

hundert das Kloster von Unterlachen.

Einige

Tage vor der bekannten Schlacht bei Murten hatte Karl der Kühne diese Abtei mit ihren Reichthümern der gierigen Wuth seiner Sol­ daten Preis gegeben.

Alle Mönche von Un­

terlachen waren umgebracht worden.

Der

Felsen, auf welchem die Häupter dieser Un­

glücklichen fielen, wurde dem Wanderer von den Hirten der Gegend gezeigt.

Ein Wun­

der sogar verewigte, nach der Aussage der

Bergbewohner,

die grausame That des all-

zuberühmten Burgund's.

Der Stein, welcher den frommen Op­

fern zum Blutgerüst diente, hatte die Farbe des Mordes bewahrt.

Von

seinem röth-

lichen Granit schien noch immer das der erwürgten Priester

herab

zu

Blut

rieseln;

und als Denkmal des Entsetzens wurde die­

ser, am Ufer des Strom's emporstrebende,

die unauslöschlichen Spuren des Verbrechens tragende Felsen, die Schreckspihe genannt. Mehrere Zahre waren seit dieser trauri­

gen Begebenheit verflossen, in deren Lauf Ren«, der junge Herzog von Lothringen,

den Wiederbesttz seiner von den Burgundern eroberten Staaten erlangt hatte.

über

Karl den Kühne»

den

Er hatte

unsterblichen

Sieg bei Nancy davon getragen.

Unweit den Mauern dieser Stadt war der bis zum Unkenntlichen entstellte Körper

Karls aus einem zugefrornen Teiche hervor­

gezogen worden,

in welchen sein Edelknabe

ihn, während des Kampfes von einem tödt-

lichen Stich durchbohrt, hineinstürzen gese­ hen zu haben versicherte.

Seit lange schon

hatten die Schweitzer, von diesem fürchter­

lichen Feind befreit, ihren Sieg durch öffent­

liche Freudenfeste gefeiert, und,

wie ganz

Helvetien, genoß damals das Thal von Un­ terlachen eines tiefen Friedens.

Die Nacht umfing schweigend die Erde; das Schneegestöber fiel wirbelnd umher, und

die Winde tobten ungestüm gegen die alten

Bögen des Klosters von Unterlachen.

Der

Freiherr von Herstall, Besitzer der Abtei,

ein Greis, gebeugt von der Last derZahre, zündete seine

Lampe an dem fast verlösch­

ten Heerdfeuer des Thurmes an, welchen er

bewohnte, und bewegte sich langsam zur Ka­

pelle, wo er jeden Abend zu beten pflegte.

„Großer Golt!" rief Herstall am Fuße des

Altars niedergesunken, „vergieb dem Unglück die Klage.

Sollte mich der Tod vergessen

haben? Ach für mich ist das Leben ein er­ schöpftes Feld, welches nur dürre und bit­

tere Kräuter hervorbringt.

Siehe! ich habe

lange in den Finsternissen des Daseyns umher

geirrt, laß, o gütiger Vater! endlich jene

Pforte öffnen , welche der Mensch das Grab

nennt, und die zu deinem Himmel führt!"

So spricht er:

Nur das Geschrei des

Todtenvogels und

das Gebrause des Win­

ters antworten.

Herstall erhebt sich; um­

geben von den Grabern der Abtei, unbeweglich,

bleich,

die Lampe in der Hand, die

hohlen Wangen von Thränen gefurcht, scheint

er der-Geist des Schmerzes über der Asche

der Todten zu seyn. Ein leichtes Geräusch bringt ihn zu sich selbst zurück.

Es ist die sanfte Stimme der

Unschuld, welche den Namen Herstall's aus­

gesprochen hat, vnd der Greis wird gewahr, daß die zarte, gefühlvolle Elodie, neben ihn

auf die Kniee gesunken, weint. junge Waise,

Elodie, eine

Nichte,

bewohnt

allein mit ihm das Kloster. —

„ Mein

Herstall's

Vater, spricht die sanfte Jungfrau von Un­

terlachen, du erflehest den Tod vom Him­ mel;

und ich, was soll hienieden aus mir

werden!-------- "

Beim Ausfprechen dieser Worte drückt sie die Hand des Greises an ihre Brust;

ihre Stimme verhaucht auf den Lippen und ihre stillen Thränen vollenden den Vorwurf.

Nur der blasse Schein von Herstall's

Lampe beleuchtete den rührenden Auftritt. Ohne zu

antworten

betrachtet

der Greis

einen Augenblick seinen jugendlichen Schütz» ling.

Jenen himmlischen Gebilden ähnlich,

welche sich die Einbildungskraft des Man­ nes in der ersten Dlüthenzeit des Lebens her­ vorzaubert, und wornach sich sein Herz im

Alter der Liebe sehnt,

erschien Elodie auf

Erden frischer als die junge Rose, reiner als die balsämische Frühlingsluft.

Ihre Bewegungen voll Anmuth, ihre Züge reihend, ihre Farbe weiß wie die Lilie, auf welche der erste Lichtstrahl aus Osten

fällt,

übertraf ihre Schönheit jede Vor­

stellung, schien sie ein tvundervoller Traum. „Unglückliche!" sagt Herstall mit leiser Stimme, das Haupt abwendend, „Unglück-

liche,

wie beklage ich dich!"

dann 'kehrt

der Greis, von der Waise begleitet,

durch

das finstere Schiff der Kirche in den hohen Thurm der Abtei zurück.

Der Freiherr von Herstall hatte seine Zugendjahre an dem burgundischen Hofe zu­

gebracht,

und

seinen

Namen

Schlachtfeldern verherrlicht.

auf

den

Für eine der

gefeiertsten Schönheiten des Reiches glühend, war er deren angebeteter Gemahl geworden.

Die Geburt eines Kindes hatte alle seine Wünsche erfüllt. cheres Paar

den

Nie beschiffte ein glückli­

stürmischen

Strom

des

Lebens.

Aber dauernde Glückseligkeit ist nicht das Loos des Sterblichen: Oft ist ein glanzendes Glück, wie die Stille auf dem Meere, der

Vorbote eines Sturmes.

Es bekränzt seine

Lieblinge mit Blumen, Nur um sie geschmückt dem L pfer- Altare entgegen zu führen.

Her­

stall verlohr seine theute Lebensgefährtin.

All' seine Liebe, alle seine Hoffnungen trug er nun auf seine Tochter über:

mit

strahlender Schönheit

begabt,

wurde die

junge Zrena bald der Stolz und Abgott ihres

Vaters.

Die Herzogin von Aroville, eine

entfernte Verwandte, hatte sterbend ihr un­ ermeßliches Vermögen dem einzigen Kinde des Freiherr» vermacht.

Durch ihre Ge­

burt und Reichthümer,

sowohl als durch

ihre Reitze, schien Zrena zum glänzendsten Loose berufen.

Karl der Kühne, der mächtigste unter den Fürsten Europa's, der schönste der Bur­

gundischen Krieger,

der berühmteste Held

des

erblickte Zrena,

Jahrhunderts,

und

schien mächtig von ihren Reitzen ergriffen.

Die schöne Erbin wurde mit allen Verfüh­ rungen der Liebe umringt, uNd verschwand

bald darauf von den heimischen Ufern.

Sie

war von Karln entführt worden. Der Freiherr gab sich der gräßlichsten

Verzweiflung hin;

Stunden, Tage, Mo­

nate vergingen, Irenens Schicksal blieb un­ bekannt.

Herstall hatte nur seine Tochter

in der Welt gesehen, für ihn blieb nichts

IO

mehr darin zurück.

Irenens Herz war das

nach dessen Liebe er strebte, und

einzige,

Irenens Herz hatte ihn gänzlich allein ge­ lassen.

Die von Reihen strahlende Tochter

war fein Stolz gewesen, und die verirrte

Tochter war nun seine Schande geworden. Der edle Krieger

hatte sich vom Hofe

zurückgezogen: in der Tiefe seiner Einsam­ keit wurde ihm von unbekannter Hand Fol­ gendes geschrieben: — „Herstall, die un­

die bereuende Irena erhebt, vom

glückliche,

Sterbebette

die Stimme zu ihrem Vater:

sie ruft dich,

eile ihre Bitte zu erfüllen,

wenn du die letzten Seufzer von dem Opfer

des treulosen Karls empfangen willst. “ Herstall fliegt zu der alterthümlichen BehausunF,

wo sie allein und verlassen ihre

Verirrungen abbüßt.

Er langt an, er er­

blickt die Thürme des Lehengebäudes, er ist

mitten im Eingang--------- die Gitterthore des Schlosses öffnen sich,

ein Trauerwagen

schwankt aus seinen weiten Höfen, fromme Gesänge wiederhallen in den Lüften.

Her-

stall

sollte seine unglückliche Tochter nicht

Wiedersehen.

Irena war Mutter geworden; ihr Kind, in Thränen gebohren, hatte nur die Augen

geöffnet

um

sie

auf

immer zu schließen.

Ein Grab myschloß die beiden Geopferten.— Herstall folgte dem Leichenzuge.

Er ver-

theilte Irenens ganzen Nachlaß unter die

Armen und Unglücklichen des Landes, und

Sehnsucht,

voll

fern

von

den Menschen

seine Laufbahn zu beschließen, sein Unglück

in der Stille zu beweinen,

ging er, sein

Daseyn in der Einsamkeit der SchweitzerGebirge zu vergraben. Indessen verkündigte die Erscheinung der

Schwalbe unter den alten Bögen der Abtei den Bergbewohnern die Wiederkehr der Blu­ menzeit.

Zwischen den wilden Felsen Hel­

vetiens hauchte schon das Thal von Unter­

lachen den süßen Athem des Frühlings, die göttlichen Düfte der Natur aus.

Von den Thürmen der Abtei erblickte

man

in

blauer

Ferne

die

Alpen,

deren

schneebedeckte Gipfel sich

in

wunderlichen

Pyramiden, in blendenden Zacken erheben.

des

Dem Auge

Wanderers scheinen

diese

drohenden Fclsenmassen die riesenhaften Ge­

rippe der Natur.

Von jedem Standpunkt

ihre trotzi­

aus lassen ihre steittn Rücken, gen, widerstrebenden Formen, ten

Einbildungskraft

Pfeiler

ferne

Thorhallen

und

der getäusch­ Säulengänge,

erblicken.

Diese

Felsen tragen noch den erhabenen Charak­

ter der Schöpfung;

Dunstgebilden der Zeit,

sie erscheinen

in den

der Lüfte wie die Palläste

die Obelisken des ersten Weltal­

ters, die Tempel der Natur. Um den Weiler von Unterlachen, zeigen

sich einige dieser schrecklichen Berge ganz in der Nähe.

Einer der Wege, welche in die

Thäler niederführen,

schlängelt

eines furchtbaren Felsens,

sich längs

den man

von

einem vulkanischen Ausbruch halb umgestürzt

halten könnte. Der Gipfel dieses Spitzberges ist mit einem ewigen Schnee, glänzend noch, wie

am Tage der Schöpfung, überzogen, dessen Reinheit durch die blühenden Wiesen, durch

die duftigen Gebüsche und grünen Wälder

Unterlachens,

über die er herabschimmert,

noch mehr gehoben wird.

Bergstrom

Ein ungestümer

fluthet mitten durch das Thal,

welches düstere Tannen- und Druidenhaine mit ihren geheimnißvollen Gürteln umgeben.

Von den Felsen, durch die sich der Strom

seinen Weg gebahnt,

ziehen sich über den

Abgrund verschlungene Reben,

Frühling neue Blüthen giebt.

denen

der

Brausend

entstürzen die Wellen diesen wilden Gewöl­

ben der Natur, dann aber tragen sie ruhig

und klar ihren spiegelnden Kristall gegen die grünen Matten des Klosters.

Jetzt,

da der Frühling seine reihenden

Gaben über Helvetien ausgesireut, vermählt die Nachtigall ihre

süßen Laute mit dem

sanften Gemurmel der Wasserfälle, und giebt der

ganzen Natur Leben und Fröhlichkeit

wieder.

Es ist die Zahrözeit der Liebe; die

J4 ganze Schöpfung

feiert

sie mit' Blumen -

und Dlüthenkränzen; —

Die Waise des Klosters betrachtet aus den vergitterten Fenstern ihres Thurmes die

lachende Landschaft von Unterlachen.

Auf

der Abendscite, gegen den Murtensee hin,

fesselte ein hoher, mit Wald bedeckter Berg besonders ihre Aufmerksamkeit.

„Mutter

Ursula, sagte Elodie zu der alten Hausmei­ sterin des Klosters, sehet wie glänzend die­

ser ungeheure Felsen die letzten Farben der

Sonne zurückstrahlt." „Fromme Zungfrau! wendet eure Blicke

davon ab; dieserFelsen ist der Wildberg."— „Wohnen da keine Menschen?

Warum

fürchtest du ihn?"

„Menschen auf dem Wildberge!

Wer

würde wagen, seine Wohnung dort aufzu­ schlagen?"— Elodie lächelte.— „Warum ist denn dieser Wald und dieser Berg so ge­

fürchtet?"— „Da ist es ja, wo der Ein­

siedler haußt" antwortet Ursula, dem sie antwortete,

und in­

bebte sie zusammen.

Aus Furcht sie zu betrüben, wagt Herstall's

Nichte keine weitere Frage,

und mit leich­

tem Tritt die Treppe des Thurmes

hinab­

eilend, vertieft sie sich in die Gebüsche des Klosters. — „Wer ist denn dieser Einsied­

ler des Wtldberges, wiederholt sich Elodie? Sein Name schon erregt Grausen, und dem-

ohngeachtet wiederhallt die ganze Gegend von

den Wohlthaten, die er verbreitet." Mit schnellen Schritten geht sie durch

den Park bis zu einem nahen Hügel mit einem ländlichen Sommerhause, von wo aus das Auge das Thal überblicken kann.

her setzt sich Elodie.

mit purpurnen

zuweilen

die

Hie-

Der Himmel, leicht

Wölkchen besäet, ließ nur

Strahlen

der untergehenden

Sonne hindurchscheinen.

Die Gipfel der entfernter» Berge ver­ den Dünsten des Hori­

lieren sich jetzt in

zonts; junge Hirten tanzen mit den Töch­

tern

des Thales

den Rundetanz auf der

Mitte des Rasens;

glänzen in

Fröhlichkeit und Liebe

ihren Blicken;

die Hüte

der

- -- -

16

■■■

Schäferinnen sind mit Frühlingsblumen um­ wunden,

und

Pie

langen Flechten

ihrer

Haare werden von Abendwinden gewiegt.

Plötzlich läßt die wohlklingende Stimme eines Bergbewohners diese neuen Gesänge ertönen:

Wem von unsichtbarer Hand Stirn und Wange ist gekühlet,

Wer von seinem Schmerz erstand,

Sanfte Tröstung in sich fühlet, Sinke in dem Staube nieder

Vor des Thal's verborgenem Hüter! Aber, wessen Herz schon schlägt

Bei dem Namen: Todtenmale Und vor Geistern Schrecken hegt; Munt're Hirten aus dem Thale

Weidet nicht auf jenen Höhen, Wo er waltet ungesehen.

Um dem Sänger der Gegend zuzuhören,

haben die Landleute einen Augenblick ihre Tänze eingestellt.

gen.

Die Töne sind verklun­

„Weidet nicht

auf jenen Höhen"

-------------

17

fangen im Chor die Mädchen von Unterla­

chen wieder an, und während die freudige Stunde die Alten aus der Einsamkeit zur

glücklichen Zugend

heranlockt,

wiederholt

das entfernte Echo: „Weidet nicht auf jenen Höhen."

Der ländliche Gesang fährt fort: Wenn, verfolgt von dem Geschick, Liebende ein Gott vereinet,

Und am Altar froh ihr Blick Milde FreudenthrÄNen weinet,

Sinket in dem Staube nieder Dor des Thal's verborgtem Hütet!

Aber, wer nicht unbedingt

An des Herzens Reinheit glaubet, Mit Verdacht und Zweifeln ringt

Und die Glücklichen beraubet, Greise — meidet jene Höhen, Wo er waltet ungesehen.

„Greise meidet jene Höhen" beginnt die fröhliche Menge von Neuem.

dauern fort;

Die Tänze

aber der Himmel hat sich in­

dessen verdunkelt; die letzten Strahlen des

I.

rs Tages find durch einen Gewitterschleier verHüllt; und die Jungfrau von Uttterlachen bemerkt mit Erstaunen, daß die fröhliche Weise der Hirten und die fast unheilweissa­ genden Worte der Verse, die rauschenden Akkorde des Gebirgländers und das klagende Murmeln des Waldbaches, die Fröhlichkeit des Rasenplatzes und die Traurigkeit des Horizonts, daß alles in dem ganzen Thale in schneidendem Widersprüche steht. Wer schon nah' am Grabesrand

An der stillbescheidnen Hütte -Schnelle Rettung süß empfand,

Fröhlich in der Seinen Myte; Sinke in dem Staube meder

Vor des Thal's verborgnem Hüter!

Aber, wenn der Rosenhain,

Treulos, Schlangen in sich hegte, Wenn der Tugend falscher Schein

Nur der Unschuld Schlingen legte:

Fliehet Jungfrau'n! jene Höhen, Wo er waltet ungesehen.

»Fliehet Zungfrau'n jene Höhen" wiedechy.lt, abermals, der ländliche Chor. Die

Schatten des Abends dehnen sich über die Wälder hin; sich einander umschlungen Hal? lend entfernen sich die jugendlichen Bewoh­ ner des Weilers,

immer noch ihre leichten

Tänze fortsetzend.

Schon vermag die Waise

kaum mehr die Kleidung der Landleutc durch

die Bäume im Hintergrund der Wiese zu unterscheiden.

Die Gruppen der jungen Mädchen zer­

streuen

sich,

und

verschwinden

unweit

des Stromes; ihre Stimmen verlieren sich in den Wogen der Luft, wie die Erinne­ rungen in den Herzen der Menschen.

Elodie vernimmt nur noch ferne Laute, flüchtige Akkorde; aber ihre erregte Einbil­

dungskraft hat den Schlußreim des Hirten­

gesanges

behalten,

und

die lauen Nacht­

winde scheinen unaufhörlich die letzten Worte des

Bergliedes

vor

ihr

Ohr zu tragen:

„Fliehet Zungfrau'n jene Höhen “ — Der Freiherr von Herstall geht seiner

Nichte entgegen, begleitet vom Vater Anselmus, einem ehrwürdigen Priester, dem be-

20

-------

jährten Seelsorger des Weilers von Unter­ lachen.

Bald haben sie Siebte erreicht.

„Ehrwürdiger Vater Anselmus" sagt sie nach einigen Augenblicken des Schweigens,

„habt ihr jemals bett Einsiedler vom Wild­ berge gesehen? — „Ein einziges Mal," ant­

wortet der über die Frage erstaunte Priester.

„Ist es ein Greis?" fragt die Jung­ frau weiter.

„Seine Züge sind mir noch

unbekannt."

„Ich kehrte eines Abends von Wiflisburg zurück, und ging den Murtensee ent­ lang:

Ein Eiswind

aus Norden wehte

über das ide Ufer des See's hin;

dunkle

Wolken verschleierten die Gestirne; nur der Schnee schien die Natur erhellen zu wollen.

Plötzlich gewahre ich eine Parke, welche den vom Wind bewegten

und

mit Eisschollen

bedeckten See zu durchschneiden strebte.

Ein

Fischer, ein junges Weib und ein schwaches Kind

füllten den Raum des schwankenden

Nachens.

„Schon hatte dern

sich

genähert,

durch angestrengtes Ru­

das kleine als

Fahrzeug

dem Ufer

einem

Windstoß

von

es,

gegen die Felsen geschleudert, zerschellt unter die Eisdecke hinunter tauchte. — Ich erhebe ein Angstgeschrri,

der Fischer erschien bald

auf der Oberfläche des Wassers, Frau emporhebend,

die junge

welche er gerettet hat.

Sie erreichen das Ufer,

wo der erschöpfte

Fischer den Gebrauch seiner Sinne verliert.

Allein seine Gattin stürzt auf die Kniee nie­

der, und das herzzerreissende Geschrei: Mein Kind!

mein Kind!

entwindet sich ihre«

Lippen."

,Ln demselben Augenblick erscheint ein Unbekannter von majestätischer Gestalt am

Strande des See's.

Den schwarzen Man­

tel, welcher ihn verhüllte, von sich werfend, stürzt er sich mitten in

die Wogen.

Er

öffnet sich einen Weg durch die Eisschollm, erreicht den Felsen,

woran sich der Nachen

zersplitterte, taucht unter, verschwindet für einige Augenblicke, — und erhebt sich dann.

auf der einen Hand schwimmend,

mit der

andern das schwache, dem Grund des See's

entrißene Geschöpf emporhaltend,

Gott

wie der

der Gewässer auf einen Felsen

des

Gestades." „Die zärtliche Mutter ist zu seinen §ü-

ßen.

Zn Thränen gebadet umfaßt sie seine

Kniee, erwärmt das leblose Kind an ihrem

Busen.

Zch eile zu ihnen: der Fremde er­

blickt mich,

und verhüllt sich sogleich wie­

der in seinen Mantel. — euch diese Unglücklichen,

vollendet mein Werk"

„Zch empfehle sagt er zu mir,

und der sonderbare

Mensch ist verschwunden.

„Die Hütte des Fischers war in gerin­

ger Entfernung.

Der

seine Augen

Lichte

dem

Unglückliche

wieder

Noch wankend erhebt er sich.

hatte

geöffnet.

Das junge

Weib unterstützt die Schritte ihres Gatten, ich trage das Kind auf meinen Armen; so kommen wir unter das ärmliche Dach; hier

loderte schon,

von wohlthätiger Hand an­

gezündet, ein großes Feuer entgegen.

Die

SZ erstarrten Glieder des fast sterbenden Paa­ res belebten sich wieder an dem rettende»

Heerd.

Das Kind kommt ins Leben zu­

rück, und als ich mich von der anziehenden

Familie trenne, bemerke "ich,

daß ein mit

Gold gefüllter Deutel auf dem Tische der

Hütte von der unsichtbaren Macht, von Dem Unbekannten des Wtldberges, zurückgelassen worden ist."

Ganz in

ren,

Anselmus

Erzählung

verlo­

hatte Elodie abwechselnd die Thränen

des Entsetzens und der Rührung geweint.

„Und ihr habt die Züge des edel» Unbe­

kannten nicht gesehen?" — konnte

mich

ihm

so

weit

„Nein, nicht

ich

nähern.

Die Nacht war dunkel, ich hörte nur seiye Stimme." —

„Und wie konntet ihr ihn

für den.Einsiedler erkennen?" —

„An

dem Bilde, welches mir die Landleute von ihm entworfen haben, an feiner majestäti­ schen Gestalt,

wn

seinem

geheimnißvolle»

Benehmen, an seinem.bewundernswürdigen

Muthe,- an. seiner bekannten Wohlthätigkeit."

Herstall näherte sich jetzt seinem Freunde

Mit der Frage:

„Habt ihr nicht getrachtet

diesen seltenen Menschen wiederzusehen ? “ —

„Zch

würde

es

umsonst

Der Einsiedler, entzieht sich

versucht

habe».

allen Blicken,

vermeidet alle Unterredungen, und laßt sich nur in gewisser Entfernung von den Un­

glücklichen erblicken, denen er erscheint.

beyzustehen

Sein Gesicht ist von den Be­

wohnern unserer Gegend kaum noch gekannt.

Unter tausend verschiedenen Trachten, unter

tausend veränderten Gestalten sagt man, im Thal gezeigt;

hat er sich,

und das, dem

Wundervollen anhängende Volk, welches ihn

nicht sieht,

ihn, da, kann.

wo es ihn finden sollte, sucht wo

er. nicht

gesehen

werden

Daher die unbegreiflichen Erzählun­

gen der Thalbewohner..

Der eine behaup­

tet, ihn Abends über den See gehend gese­ hen zu haben;

er schritt mit festem Fuß

auf dem Gewässer, wie der Apostel bei der Stimme des Herrn.

Ein anderer sah ihn

sich vom Felsen herab in den Strom stür-

LA unter

zen,

der Gestalt

eines Schwan's,

gleich dem ligurischen Könige beim Grab­

Diese versichert,

mal des Phaeton.

von

feiner-Hand auf dem Sterbebette den Trank

empfangend, welcher ihr das Leben wieder-

gab, ihm mit einem'Lichtkreis ums Hanpt erblickt zu haben,

wie Ler Engel des Cab-

variberges, als er die Auferstehung verkün­ Jene,

digte.

durch, seine

großmüthigen

Gaben vom Verderben gerettet,

behauptet,

daß sie, ihn unter einem Gewitter auf ei­ nem feurigen Wagen durch die Lüfte schwe­

ben gesehen, Jordans. Liebe,

wie Elias an den Ufern des

Endlich,

der

Gegenstand

der

des Schreckens, und der Bewunde­

rung, der Inhalt ihrer Unterhaltungen, ist ihnen der Einsiedler des Wiidberges der Geist

des Geheimnisses, der Held der Wohlthätig keit und der Mann der Wunder." — „Welch sonderbares

Herstall.

ihr von dem Einsiedler? —

mir

noch

Gemälde!

Aber ihr, Anselm,

rief

was haltet Ich getraue

nicht ihn.zu beurtheilen; feine

Handlungen kündigen

eine erhabne Seele

an, aber unwillkührlich scheue ich ihn.

Es

giebt große Verbrecher, welche den großen Menschen ähnlich sehen." ;—

brecher! — sagte

„Ein Ver­

Clodie erschrocken;

ihr könntet es glauben? " —

er!

„Nein, ich

verwerfe selbst mit Abscheu diesen Gedan­ ken; aber warum sich in die Schatten des

Geheimnisses hüllen? warum den Blick der Menschen

fliehen,

sich,

warum

wie

die

Thiere der Wildniß, nur in Hölen, Felsen

und Wäldern gefallen? nung

durch

warum seine Woh­

Erscheinungen

und

magische

Wirkungen, wovor das leichtgläubige Volk

zittert, unzugänglich machen? meine Tochter, zeichnet sich,

Nicht also, meinem Ge­

fühl nach, der reine. Mensch die Dahn des

Lebens

vor.

Die Tugend

Schleier, das Geheimniß

wandelt

ohne

ist nicht für. sie.

Der vorwurfsfreie Sterbliche läßt gern in

seinem Herzen lesen;

er scheut das

Licht

nicht, noch haßt oder flieht er seinen Näch­

sten.

Wehe dem Menschen,

welcher

den

Menschen fürchtend,

sein Daseyn mit Fin­

sterniß und Blendwert umgeben zu müssen glaubt!“



Verdammen wir den Einsiedler noch

nicht, sagt Herstall; vielleicht hat ihn nur

Las Unglück so menschenscheu gemacht.

rückgekommen

von allen

Täuschungen

Zu­

deS

Lebens, findet er vielleicht nur noch Reitze in der Einsamkeit; ist dies ein Verbrechen? ist dies

selbst

nur

ein Irrthum?

Wie

viele fromme Einsiedler haben ihre letzten

Tage in verborgener Zurückgezogenheit ver­ grabe», bereit Seele demohngeachtet nie ein

Vorwurf belastete. lange mitten

Ach!

ich

selbst,

der

unter den Stürmen des Le­

bens an heitere Tage glaubte, der auf be­

wegten Wogen von Ruhe träumte; der dem Luftgebilde des Glückes in der bevölkerten

Wüste

der gebildeten Welt nachjagte;

ich

selbst, das Opfer des Unglücks, würde ohne di« heilige Pflicht, welche mich an die Waise

von Unterlachen bindet, fern von den Men­

schen,

ein

vorwurfsloses

Daseyn

in

der

Tiefe irgend einer unzugänglichen Einsam­ keit verborgen haben. Der

Unbekannte

Thäler

dieser

seine Mitmenschen nicht, da er

haßt

ihre. Leiden

mitfühlend, sich oft als ihren Retter gezeigt

hat: er flieht sie nicht, weil er überall er­

scheint,

wo

die

Stimme

des Schmerzes

und der Verzweiflung ertönt. Verbrechen argwohnen,

Warum also

wo alles nur Tu­

gend verkündigt? —

Zch kann mich täuschen, antwortet Anselmus; ich habe Unrecht, ich will eS gern

glauben; ich tadle mich darüber; und demohngeachtet ist es mir unmöglich einen un­

durchdringlichen Menschen nicht zu fürchten, welcher dem finstern Schlunde gleicht, des­

sen Grund das. Senkblei vergebens suchen würde."

Er sagt' es, und unter den Mau­

ern

Abtei

der

trennen

sich

die

beiden

ganz

seinen

Freunde. Von der Welt entfernt,

frommen Pflichten ergeben, hatte Anselmus seine Tage

friedlich in Helvetien verlebt;

ein einziges Ereigniß hatte sein Leben ge­

trübt und sein Herz zerrissen.

Der Freund

seiner Kindheit, der Prior- von Unterlachen, wurde unter feinen Augen durch die Sol­

daten Karl des Kühnen ermordet; und er selbst entgieng ihrer Wuth gleichsam

nur

durch ein Wunder. Anselmus besaß alle evangelischen Tugen­

den

der Seelenhirten des ersten

christli­

chen Zeitalters, aber er vereinigte damit die

strenge Unduldsamkeit der Priester des fünf­

Wenn er der Re­

zehnten Jahrhunderts.

gung seines Herzens folgte, zeigte sich An­ selmus immer als nachsichtiger Apostel, aber

nach der Vorschrift seiner Grundsätze han­ delnd,

war er manchmal

Priester.

ein fanatischer

Er glich gewöhnlich dem friedli­

chen Dache, welcher- in milden Wellen da­

hinfließt; und

demohngeachtet konnte er,

von einer plötzlichen -Eingebung

gleich einem entzündeten Vulkan, und Blitze auf die herabschleudern.

ergriffen, Donner

verirrten Sterblichen

Mit

tiefer Empfindung

und aufopferndem Muthe begabt, bereit sich

für feinen Nächsten hinzugcben,

hielt

er

keine Anstrengung der christli­

kein Opfer,

Einfach,

chen Liebe für unmöglich.

aber

Überspannt, ruhig, aber begeistert, vereinigte

Anselm,

in

Menschen,

sich allein

merkwürdige

zwei

zwei entgegengesetzte Naturen;

dieser Fenelon des Thalls hätte ein Samuel seyn können.

Elodir war unlängst in ihr achtzehntes Zahr eingetreten.

Zn der Einsamkeit erzo­

gen, einfach, natürlich und rein,

ßen

und

hatte sie

ihren Freuden, ihren Grö­

von der Welt,

ihren Gefahren

sprechen hören,

ohne eine Vorstellung damit zu verbinden.:

das Thal von Unterlachen war

für sie der

ihrem

Verlangen.

Erdkreis;

es

genügte

Sie hatte andere. Gegenden, andere Länder rühmen höre»,

ohne jemals den Wunsch zu

hegen, sie kennen zu lernen.

ihre Blicke von

Und wenn sie

den Thürmen der

Abtei

über die bezaubernde Landschaft von Mur­ ten schweifen ließ, oder sie zu den himmli-

schm Räumen erhob;

hatte sie dann noch

nöthig, die Welt zu durchwandern,

um die

Werke und

den Ruhm des Herrn zu. be­

wundern?

Ein einziger Punkt des Erd­

balls • genügt

einem

zur Bewunderung,

ganzen Menschenleben

wie der Name Gottes

allein allen Gedanken einer frommen Seele.

Den

mmschlichen

Leidenschaften

fremd,

welche ihre Einbildungskraft kaum

konnte Elodie

greifen vermochte,

die Macht des Böse» glauben; noch

zitternder

als

das

zu be­ nicht an

und den­

schüchterne

Reh

bei der Annäherung des Jägers, oft durch ungewisse Schrecken geängstigt, fuhr sie bet

dem geringsten Geräusch beunruhigte

Vorfall.

sich

bet dem

zuscimmen,

und

unbedeutendsten

Schwach wie das Schilfrohr des

See's, bedurfte sie einer-festen. Stütze,

an

welche sie ihre Gedanken lehnen, zu der sie ihre sanften Bitten erheben, wohin sie ihre Unschuld flüchten konnte. Obschon gewöhnt, sie ins Thal hinab

kommen zu sehen,

stände»" die Lanbleute

jedesmal

Noch

von Bewunderung

fen, bei ihrem Anblick stille.

ergrif­

Ihr mit den

Augen durch die Daumgruppen und die Ab­ tei .folgend, konnte« sie sich kaum überreden,

daß. diese entzückende» Formen nicht einem himmlischen — nur für kurze Zeit zu ihnen herabgestiegenen

Geiste angehören

sollten.

Nie Schönheit der Waise, ihr Adel, ihr«

Anmuth kommen ihnen übernatürlich vor:

und die ganze Gegend hatte ihr den Zunamen „der Taube von Unterlachen" beigelegt.

Obwohl als

die Tochter

des

Grafen

von Saint-Maur, Erbin eines großen Na­ mens, und schon bei ihrer Geburt bestimmt, einst unermeßliche Reichthümer zu

hatte Elodie doch alles verloren.

die

sie

blieb

irdische ihr

auch

besitzen, Aber da

Größe nicht kannte, das

Bedauern

so

derselben

fremd. In den Staaten Philipps des Guten,

Herzogs von Burgund geboren,

hatte der

Graf von Saint-Maur die ersten Schritte des Grafen von Charolais, später Karl der

Kühne, in den Feldzügen geleitet.

Ludwig

XI., damals noch Dauphin, war den vä­

terlichen Zorn fliehend

Hof Phi­

an den

lipps geflüchtet, und hatte sich in brüderli­ cher Freundschaft

mit dem

dieses

Sohne

Herzogs verbunden.

Der Graf von Saint Maur,

obschon

viel älter als die beiden Prinzen,

war der

verließ

Gefährte ihrer Vergnügungen und

sie nur selten; aber bei so entgegengesetzten Gemüthern wie Karl und Ludwig,

konnten

die Gefühle liebender Zuneigung nicht dau­

erhaft seyn. Tief versteckt, war Ludwig XI. niemals

mehr zu fürchten,

als wenn er am wenig­

sten zu Besorgnissen Anlaß gab.

Freundschaftsverficherungen Lippen drängten, Hasses lößten sich

Eifersüchtig und

sich

Ze mehr

auf

seine

desto mehr Gefühle des in

ab.

seinem Herzen

treulos

Ueberlegenheit noch Macht.

vergab er

weder

Die Größe de­

müthigen und die Niedrigkeit erheben, war sein unveränderlicher Grundsatz.

I.

Ehrgeizig, 3

spielte er mit

meineidig und blutdürstig,

jedem edler» Gefühl,

und glaubte nur an

die Verderbtheit; abergläubisch ohne Fröm­ migkeit, war er weder Sohn, noch Vater,

weder Freund, noch Gemahl;

und dennoch

erhielt er den Bei-Namen des „Wieder­

herstellers der Monarchie."

Sollte es denn

wahr seyn, daß man alle großen Eigenschaften eines Königs haben kann,

ohne

eine

rinjige der christlichen Tugenden zu besitzen l Der junge Gefährte Ludwigs, Karl hin­

gegen, von Natur offenherzig und großmü­ thig,

ließ nur allzusehr in seiner Seele le­

sen: er war edel und höherer Begeisterung fähig;

aber

sich

ohne Zurückhaltung

Heftigkeit seiner Leidenschaften

kündigte

er

seit

seiner

den ungestümen Krieger, lichen Fürsten an,

frühesten Zugend

den

und

des

unbezwing­

welchem die Geschichte

den Namen des Verwegenen, lichen,

der

überlassend,

des Schreck­

Kühnen beilegen

sollte.

Bald rief Karls VII. Tod den Dauphin

auf den Thron:

und der Krieg

zwischen

Frankreich und Burgund ist erklärt.

Vom

Grafen von Saint Maur begleitet,

zieht

Karl an der Spitze der Heere seines Va­

ters, ins Feld, trägt einen berühmten Sieg

bei Mont-Chery davon, ist auf bey,Punkt, Ludwig XL gefangen zu. nehmen, und schon

belagert er Paris. Der König knüpft Unterhandlungen an:

brr berühmte Vertrag

pon Constans.wird

von den beiden Fürsten unterzeichnet,

und

der siegende Held kehrt in seine Staaten zurück.

Philipp der Gute starb.

Karl,

zog von Burgund geworden,

Her­

überließ sich

dem Ungestüm seines Charakters,

und sei­

ner glänzenden Tapferkeit vertrauend, setzte

er jeßt seinem Ehrgeiz keine Grenzen mehr. Zahllose Steuern auflegend, um die Be-

dürsiiisse

des Heeres damit zu

bestreiten,

hätte er den Erdkreis unterjochen mögen-

ehe er sich Ruhe eriaubte. rere. Staaten

mit

Er hatte meh­

Burgund vereinigt, . er

wollte Lothringen. Hinzufügen.

Nach dem

Elsaß strebend, zählte er auch darauf,

sich

derSchweitz zu bemächtigen, nahm sich vor, seine Herrschaft bis auf Deutschland aus­

zudehnen; und ein belgisches Königreich zu gründen, wobei er den Kaiser Friederich zu

zwingen hoffte, ihm selbst die Krone aufs

Haupt zu sehen. Mit Reichthümern beladen und mit Eh­

renstellen überhäuft, Gemahl der Schwester

von Herstall, und Elodiens

des Freiherrn

Vater,

hatte der Graf von Saint Maur

niemals den Herzog verlassen.

Vom Volk

und dem Heere geliebt, das höchste Ansehen bei Hofe genießend, wagte er, sich den krie?

gerischen Plänen seines Fürsten zu Wieder­ Durch

sehen.

die

Vergrößerung

Dur-

gund's beunruhigt, hatte Ludwig XL schon

durch

seine

Kundschafter

Karls Truppen,

ruhrs

in

Spaltung unter

und den Geist des Auf­

feinen Provrnzeu gesäet.

Der

Graf von Saint-Maur, glaubte, sich bei ei­ nem Helden,

seinem.ehemaligen

Zögling­

einige strenge Vorstellungen erlauben, zu düc-

feit.

Er

ihm die Gefahr • seiner

machte

Unternehmungen anschaulich und sagte dem Eroberer die Unfälle voraus: —

„ Mein

Fürst, sprach der Graf, indem er seine Rede schloß, seit langer Zeit'zu der Ehre berufen

eure Heere zu befehligen, habe, ich oft euer Betrauen verdient.

erhalten;

immer

eure

Achtung

Wenn euch heute meine Rath«

schlage beleidigen konnten,

so erlaubt mir

mich vom Hofe zurückzuziehen, ich vermag nicht zu bleiben,

wo ich nicht mehr nütz­

lich seyn kann." —

„ Gut, antwortete der

Herzog trotzig, „ziehet Euch zurück." Seinem jungen Herrscher ergeben,

enfc

fernt sich

der betrübte Graf Saint Maur

seufzend.

Er geht langsam durch die fürst­

liche Gallerte.

Karl folgt ihm mit den Au­

gen :. damals

vereinigte

Burgund mit

seinen Heldentugendey

der Herzog

von

eilte

glühende, gefühlvolle Seele, und war noch

weit

entfernt,

jenes Ungeheuer

zu' seyn,

welches später ein Opfer seiner eignen Rase­

rey,

das- Entsetzen seiner Zeitgenossen ins

Grab mitnehmen sollte:

Karl gieng seinen

alten Freund zurückzurufen,

als im. Hofe

des- Pallastes ein fürchterlicher Tumult ent­ stand.

Eine Meuterei- war

ausgebrochen;

Unv der bewaffnete Pöbel drang mit wildem Geschrei gegen die fürstliche Residenz Heran.

Der Herzog horcht auf und unter dem Ge­ töse der Menge unterscheidet er den Ruf:^

„Es lebe Saint-Maur!"

Die Leibwache

des Fürsten suchte die Angreifenden zurückzustvßen: ein blutiger Kampf entspann sich:

Karl der Kühne ergreift fein Schwerd, und

von einigen Rittern begleitet, will ex selbst auf die Rebellen losstürzen,

da stellt sich

ihm Saint Maur bar, und will ihn,

das Leben seines Herrn fürchtend,

halten. —

„Laß mich,

der wüthende Fürst." — Maur!

schreit

Volksmasse.

Verräther!

sagt

„Es lebe Saint-

Ferne

die

empörte

Dann -sich gegen seine Krie­

ger kehrend: —

außer sich,

von

für

zurück­

„Hier ist er,

hier ist

ruft Karl

das Haupt des Auf­

ruhrs; sein Sieg soll kurz seyn!".

IN diesem Augenblick, von allen Set­ ten umringt,

Blute

nem

stürht Saint Maur in

nieder:

und

die

sei­

öffentliche

Stimme beschuldigte den Fürsten,

mit eig­

ner Hand seinen alten Freund geopfert zu haben. Karl ist mitten unter den Kämpfenden. Sein Anblick

«nd seine Tapferkeit haben

Alles' füllt

im Ru die Empörer zerstreut«

oder flieht vor seinem Schwert; und schon

sind

die

Häupter der Verschwörung seine

Gefangenen.

Als

Ueberwinder

in

seine

fürstliche Wohnung zurückgekehrt, freute sich

der Herzog seines Sieges, als sich Saint Maurs Leichnam, der aus dem Pallast ge­ schleppt wurde, seinen Blicken zeigt« und

ihn schaudern machte.

Ach

der Tag des

Helden schien der eines Mörders.

Ein- Verbrechen zieht immer ein zweites nach sichi

Der Herzog von Burgund er­

klärt den Grafen

von Saint

Hochverraths schuldig: —

Maur des

„Man hat ihn

in dem Augenblick getödtet, sagt er, wo er

4o sich an die Spitze der Rebellen stellen wollte, welche ihn herbeiriefen, und der Staat ist

von

seinem

gefährlichsten

Feinde

befreit

worden." Der blutende Körper des vermeintlichen

Rebellen - Anführers wurde der Wuth der

Menge Preis gegeben.

Ein Urtheil zog,

zum Nutzen des Herrschers, die unermeßlichen Güter des Geopferten «in, und ,,Saint

Maurs Wittwe floh in die Berg« -Helve­

tiens, von allen ihren Reichthümern Lichts, als die arme Waise * von Unterlachen mit

sich nehmend. Der Freiherr von Herstall

wohnte da­

mals an den Ufern des Murter-See's, nicht weit von dem Kloster, zu dessen Besitzer er

sich erst später machte.

Schon halb ster­

bend warf sich die Gräfin von Saint Maur in dieArme ihres Bruders.

Zhk Unglück,

ihre Flucht, ihre Leiden hatten ihre Kräfte

erschöpft, und Elodiens Mutter war bald an den Pforten des Grabes. —

„Herstall,

sagte die Unglückliche wenige Tag« vor ih-

rem Tode: ich empfehle dir meine Tochter; niemals, wenn es möglich ist, verlasse sie dieses friedliche Thal,

irdische

Größe

niemals lerne sie die

kennen

und

den

Preis,

welchen sie ihren Besitzern kostet! Wäre ich in der Hütte eines Bergbewohners gebüh­

ren, so hätte ich jlvar, gleich, den Welle» dieses Stroms, durch Gewitter getrübt wer­

den könne», aber nach vergangenem Sturm würde ich den Azur des reinen Himmels wieder zurückspiegeln.

0

mein

Bruder!

möge Elodie durch dich ganz in der Sitten-

Einfalt früherer Jahrhunderte erzogen Wer­ den! Spreche ihr von den Fürsten und ih­

ren Höfen,, wie von den Klippen des Welt-

meer's,

denen sich nur die kühnen Schif­

fer nahen dürfen."

Elodiens Mutter

wurde in der Gruft

der Kloster-Kapelle beigesetzt, und ihr letz­

ter Wunsch erfüllt. Der Freiherr von Herstall

selbst durch das Unglück niedergedrückt, und für immer der Welt entsagend, widmete fortan der verlassenen Waise sein ganzes Daseyn.

Zur Stunde des Frühmahls hatten sich Elvdie, Anselm und der Freiherr von Hekstall in einem der alten Säle der Abte» zu­ sammengefunden. — „Mein Vater, nahm auf einmal Saint Maur's Tochter, sich an den Pfarret v»N> Ilnterlachen wendend, das'Wort: um iveik des Murter-Sce's erhebt sich ein Fel­ sen,' dem sich die Bewohner der Gegend nicht zu nähern wagen. An der Schreck­ spitze, sagen sie, erscheine seit mehreren Jahrhunderten das blutige Gespenst. Wo­ her schreibt sich dieser Schrecken des Volks? Was soll man von den Erzählungen des Thals glauben? Welche Bewandwiß hat es mit diesem Gespenst?" — „Wenn ihr die Schweitz durchwandert hättet, würdet ihr mich nicht über «inen Aberglauben be­ fragen, der euch jetzt befremdet. Jedes

Dorf unserer

Berge Hat seine Wunder.

Hier ist es ein Gespenst, welches sich in ei­

nem Scharlachgewande zxigt; . in Valangin

ist eS ein Brunnen,

aus. dem eine feurig«

Schlange hervorschießt; in Bevaix eine alte Eiche, welche Orakel ercheilt;

in Vervicres

ist es «in Thurm, der zu Zeiten geht;

Merligen

eine

in

schwarze Cisterne, welche

eine weise Fee bewohnt; in. Grindelwald ist es ein« Sänke, die sich.während einiger Mi­

nuten in einen Wasserfall verwandelt, wenn eine Jungfrau des Cantons am sechsten Tag

des Neumondes stirbt.

So giebt es endlich

in unserm Jahrhundert keinen Weiler Helvetiens, der nicht seine Erscheinungen und

seine Hmiberer hätte. Der. Mensch, dieser unvollkommene Ent­

wurf, das verlöschte Bild der Gottheit, ur­ sprünglich für einen wundervollen Aufenthalt gemacht-, aber seit seinem Fall auf ein Land

der Verbannung und Wanderschaft geschleu­

dert, scheint hier noch eine verworrene Vorstellung seiner ersten Bestimmung zu bewahr

rett:

er trägt

baS schwankende -und

ge­

heimnisvolle Bedürfniß zu übernatürlichen Dingen in sich.

Für unsterbliche Wohnun­

geschaffen/unruhig

gen

über dieses Leben

und wie am unrechten Plahe in Vieser Welt, zeigt er sich gierig nach allem, .was ihn der

traurigen.Wirklichkeit entreißt.

-Sich die

Wunder eines andern Daseyns vorzeitig zuoignend, seufzt er beständig nach etwas Au­

ßerordentlichem auf diesem Erdenrunde, wo­ rauf er selbst das Größte,

und sein Geist

das Erstaunenswürdigste ist.

Keiner der Thalbewohner hat noch daS blutige Gespenst gesehen, aber die alten Sa­ gen haben dessen Erscheinung geheiligt; seit Jahrhunderten erschreckten

Kinder damit, Gottlosigkeit

Väter ihre

welche sich einer Art von

schuldig zu

haben würden,

die

machen geglaubt

wenn sie dieselben Nicht so,

wie sie sie von ihren Vorältern empfingen, auf ihre Nachkommen übergetragen hätten.

Sie

fürchteten das Gedächtniß ihrer

Vä­

ter zu beleidigen, wenn sie einen Augenblick

Wahrheit ihrer

die

Erzählungen

bezwei­

felten.

So Pflanzen sich

die Irrthümer unter

uns fort, Irrthümer, welche auf dem Lande zuweilen ihren Nutzen haben.

Der Aber­

glaube erhält das Volk oft in

einer heili­

gen Scheu vor dem Verbrechen, er wendet dessen Gedanken

dem

Ewigen zu,

spricht

ihm von einem andern Leben und eifert es zum Gebet an, um sich vor der Macht des

Bösen zu schützen.

Wie oft haben ein ein­

faches Kreutz,

geheimnißvoller Rosen­

ein

kranz, ein geweihter Zweig, oder ein wunderthätiges

Bild,

Freude,

Hoffnung und

Vertrauen unter das Dach einer armseligen

Hütte getragen.

Dem unglücklichen Land­

mann ist.es nothwendig, sich mit Vertheidigern und Tröstungen zu umringen.

Ze-

mehr seine Gewohnheiten, Sitten, und selbst

seine Einbildungen, die Gedgnken von der

traurigen Knechtschaft des. Lebens abziehen, desto

weniger

werden

drückend scheinen.

ihm, dessen

Ketten

Ost auch hängen Irrthümer mit Wahr­ heiten zusammen:

um ihren Lauf zu hem­

men, muß matt deren

wie man,

Ursprung angreifen,

einen Bach auszutrocknen,

um

seine Quelle verstopfen muß.

körperlicher

Dann ersetzt

Stoff das Geistige, der

son­

dernde Verstand das Gefühl, und Vernunft­

schlüsse

die

Bezauberung.

Dattn

ist der

Mensch kein niedergeschmetterter, aus «ine

Wüste

herabgesunkener

Glaubt mir,

Herstall,

Verbannter mehr.

unter den Sterbli­

chen in den Finsternissen des Daseyns,

ist

eine Leuchte

des

das philosophische Todes,

welche

Licht

nichts

als

das -Chaos

erhellt.

Zudem er ditse Worte auSspeach,

war

Anselm aufgestanden';-und seine-Blicke nach

dem Murter - See' hinwendend ,

„Gegen Osten ist

sagte

er r

der Fels, wo sich -das

blutige Gespenst -sehen läßt: Ach, er war

Zeuge eines entsetzlichen Schauspiels!

Auf

dieser unglücklichen Klippe war es, wo der Herzog

von

Burgund

den -Mord

aller

Mönche dieses Klosters befahl; vom Gipfel dieses Gesteins rollten die Köpfe der Schlacht­

opfer seiner Grausamkeit, in die Tiefe hinab»

Entsetzlicher Tag! Noch glaube ich den un­

glücklichen Prior, den Freund meiner fu­ gend,

durch die Trabanten eines Ungeheu­

ers von den Altären gerissen, zum Tode ge­

schleppt,

als ergebenen Märtyrer..... O

meine Tochter! möchten die Gewaltigen die­

ser Erde sich niemals unsern entlegenen Thä­ lern nahen!"

Nach einem, ziemlich langen

Schweigen sagte Herstall: „ich habe erzäh,

len hören, daß seit der gräßlichen Plünde­ rung der Abtei, das blutige Gespenst auf

der Bergspitze

den

Gebirgsbewohnern er­

schienen sey, und sie alle die Züge des Pri­

ors von Unterlachen erkannt hätten. — Aber den Aberglauben bey Seite,

ist schön;

Der Morgen

kommt, mein würdiger Freund,

laßt uns noch einmal die Tage

des Früh­

lings genießen: vielleicht kehrt diese Jahres­ zeit für uns nicht wieder» In die Klostergärtrn hinabgestiegen, ver-

vertiefte sich Elodie, fern von Greisen, Kindheit.

in

den beiden

die geliebten Gebüsche ihrer

Als sie bei der kleinen Erhöhung

anlangte, wo sie am Abende zuvor die Ge­ sänge der Landleute belauscht hatte, blieb

sie stehen, und glaubtö die Spur fremder

Tritte in dem'Sande zu bemerken.

Sie

geht in- den Pavillon hinein: ein vergessenes Körbchen war darin zurückgeblieben:

aber

eine unbekannte Hand hat ein blaues Band, welches ihr zum Gürtel diente, entwendet.

Erstaunt setzt sich die Zungfrau unter das ländliche Dach und bleibt einige Augenblicke

nachdenkend und

unbeweglich.

Aber plötz­

lich von einem dunkeln Gefühl des Schre­

ckens ergriffen, erhebt sie sich wieder.

Zhre,

feit einigen Tagen von sonderbaren Erzäh­

lungen aufgeregte Einbildungskraft, hat al­

len Gegenständen, welche sie umgaben, eine abentheuerliche Färbung geliehen.

dicken Fensterscheiben

des

Durch die

Sommerhauses

glaubt sie einen schwarzen Mantel unter dem

Gezweig verschwinden zu sehen: sie wähnt

«inen Kkägelaut aus dem nächsttn Gebüsch

zu vernehmen;

eS scheint ihr, als ob ein

furchtbarer Blick auf sie gerichtet sey; 'sie flieht gegen das Kloster;

und ihr schwe­

lender:

leichten,

Lauf

Abendwind

ist

dahin

einer

getriebenen

vom

Wolke

zu

vergleiche».

Einige Tage hindurch wagte die Waise sich von ihrem ehrwürdigen Beschü­

nicht,

tzer zu entfernen: sie begab sich nicht Mehr

in

das Sommerhäuschen.

sich,

bleiben; kam rück.

Sie fürchtete

in den Gärten der Abtei allein zu

der Verlust

des

ohne Unterlaß in

blauen Bandes

ihre Gedanken zu­

Indeß gelang es ihr allmählig, ihre

«ingebildeten Besorgnisse und trüben Träu­

mereien zu überwinden; sie erlangte threü Frohsinn wieder

und hörte auf,

sich mit

Schatten und Geistern zu beschäftigen; ja sie befragte sich

endlich sogar

nicht mehr

über den Einsiedler des Wildberges. Frieden

verfloß

ein

Tag wie

Zn

der andere

Elodien, einer Frühlingsrose gleich, welche

I.

4

der glühende Hauch der Gewitter .noch nicht

getroffen. —

Sie schritt so vertrauensvoll

im Leben weiter, wie sich die Frühlerche in die blauen Räume des Himmels ausschwingt. Eine Sorge nur trübte ihr Daseyn: Her­ stall, ihr einziger Führer und Freund, ihre

einzige Stühe in der Welt, schien von lan­

gem Leiden untergraben sich der Gruft zu­ zuneigen.

Die heilige Glocke hatte die Gläubigen des Thals

zum Abendgebet gerufen, und

schon versammelte

die Klosterkapelle, . als

einzige Kirche des Dorfes,

die von ihren

Arbeiten zurückgekehrten Landleute.

Elodie

ist unter dem heiligen Gewölbe, und ihre hei­ ßen Gebete flehen den Ewigen um die Er­

haltung ihres Pflegvaters an.

Die Schat­

ten der Nacht umhüllen die Abtei; die Worte des Priesters, die Gesänge der Bergbewoh­

ner und die sanften Stimmen der Kindheit, welche sich im Chor zu

dem ewigen Dome

erhoben, hatten Elodie in frommen und hei­ ligen Trübsinn versenkt.

Plötzlich entreißt

sie »in dumpfes Gestöhne in der Nähe ih­

rer Andacht; und in dem schwachen Monh-

licht, welches durch die alten Fensterscheiben der Seiten - Kapelle dringt, zurückgezogen,

wohin sie sich

erblickt sie an einem. Bogen

im Schiff der Kirche

einen Fremden,

lange Missionärs-Kleider gehüllt,

auf dem

Er betet

heiligen Boden niedergeworfen. mit Inbrunst,

in

und seiner Brust hat sich

der Klagelaut entwunden, der Elodien auf­ Alle Bewohner Unterlachens find

schreckte.

der Waise bekannt;

Priester

der

Anselm ist der einzige

Gegend:

der Fremde

also nur ein frommer Pilger seyn, die Kirche

Nichte

des Thales besucht.

beobachtet

ihn

kann

welcher Herstalls

aufmerksam:

seine

Züge sind ihr verborgen; sein Kopf ist ge­

gen eine Säule gelehnt, und sein in diesem Augenblick

regungsloser Körper

scheint so

leblos wie der Marmor der ihn stützt.

Die

Abendandacht war geendigt:

tiefes E Schweigen

folgt, den

ein

Lobgesängen.

Dje Menge zerstreut sich unter der Thor-

- ' ■

54



Halle; und der Engel des Gebetes' hat sei-

ufli Flug zum Thron des Ewigen zurück­ genommen.

Elodie wirft einen letzten Blick

auf den Unbekannten, welcher in der veröde­ ten Bogenwölbung zurückgeblieben ist, und

durch einen

unterirdischen Ausgang,

der

Mittelst einer anstoßenden Gallerte mit best Kloster - Gärten

znsammenhSngt,

entfernt

sie sich aus der Kirche. Sie ist unterhalb den Stufen des We­ ges, und durchwandelt die düstere Gallerte,

das

ehemalige Refectorium

Ein leichtes Geräusch wird

bar,

Schritte

folgen

des

Klosters.

hinter ihr hör­

den ihrigen.

Eine

fast riesenhafte Gestalt zeichnet sich in dem Schatten dieser kommt auf sie zu.

einsamen

Gewölbe,

und

Die furchtsame Elodie

erkennt den Religiösen der Kapelle;

er ist

allein, sein Anblick hat nichts Beunruhigen­

des.

Sein hoher Wuchs ist ehrfurchtgebie­

tend, seine Haltung ruhig und majestätisch; die Schönheit seiner Person, der Adel fei­

nes Ganges, alles an ihm verkündigt Ueber-

legenheit, alles verräth in- ihm den großen Mann. Elodiens erste Bewegung war eine flie-. hende, und dennoch, blieb sie unbeweglich stehen. Beim letzten Schein des-Tages sucht sie die Züge des Unbekannten zu uiu terscheideir. Er nähert sich; und unter sei­ nen Gewändern einen blauen Gürtel her­ vorziehend, übergiebt er ihn stillschweigend der jungen Tochter der Abtei, und — o Er­ staunen ! es ist das aus dem Sommerhaus entwendete Baud. Verlegen und sprachlos,, erhebt Elodie ein schüchternes . Auge auf den Fremden, in welchem ihre Einbildungskraft schon ein übernatürliches Wesen zu erkennen glaubte. Zitternd weilt sie.... ohne sich erklären zu können, welche unsichtbare Macht ihre Schritte fesselt, ihre Stimme hemmt, ihren Gedanken gebietet. — „ Tochter von Unterlachen, sagt end­ lich der Unbekannte, vergebt dem Mann des Unglücks, der, nicht Meister der Em­ pfindungen seines Herzpns, wähnte, daß.ein

Banb, welches die Unschuld getragen,

seine dunkle Woh­

himmlischer Talisman,

nung zu

reinigen

als

und

seiner

Seele

Ruhe wiederzugebesi vermöge."

Er

die hielt

inne: seine Stimme ist düster und gepreßt; dann fährt er fort:

— „ Der Unsinnige hat seinen Irrthum erkannt, und ich komme,

der gut zu machen.

sein Unrecht wie­

Der Talisman,

den

er für rettend hielt, wett entfernt die Wun­

den

feines Gemüthes zu heilen,

hat nur

neues Gift darein gestreut, und Ivie eine rä­ chende Flamme, seine Verletzungen nur um so empfindlicher gemacht.

ewige

Gerechtigkeit....

Es

nehmet

glücklichen Gürtel zurück,

eine

den

un­

der Elende war

nicht werth ihn zu besitzen. — er.

giebt

Hier

ist

Engel des Thales, zuweilen, wenn euer

Blick darauf fällt, so beklaget den Schuldi­

gen, der ihn euch geraubt hatte."

Zn

diesem Augenblick

beleuchtete

ein

schwacher Lichtstrahl das Gesicht dK Unbe­

kannten.

Seine schönen Angen waren nicht

----------

55

mehr auf sie gerichtet: sein Blick war zum Himmel erhoben, und dieser Blick sollte nie mehr in der Erinnerung der Waise verlöschen. Alles was das Unglück Zerreißendes, die Entsagung Edles, alles was die Seele Aus­ druckvolles, und der Geist Beredtes hat-, war in diesem erhabenen Blick enthalten. Ungeachtet der Finsterniß in der Gallerte, konnte Clodte die Schönheit der männli­ chen Züge dieses außerordentlichen Men­ schen bemerken. Sie betrachtet ihn und bebt zusammen. Ach! dieser unwillkührliche Schauer war er ein Vorgefühl? Endlich wagte Saint Maurs Tochter die Lippen zu öffnen: — „Fremdling, sprach sie, ich glaube an die Wahrheit eu­ rer Reden, aber nennt mir den Unglückli­ chen, welcher sich dieses Bandes bemäch­ tigte; ich verzeihe ihm." — »Ihr verzeiht ihm, erwiederte leb­ haft der Unbekannte; es genügt; er soll es wissen."

— „Er soll es wissen, wiederholte Ejo-

Sie wollte hin?

die; er ist also nicht....

zusetzen, Zhr selbst;

Aber dieses Wort er­

starb auf ihren Lippen.

Nun zog der Fremde

die Waise sanft

zu einem Fenster des Ganges.

Seine Hand

zitterte, er zeigte ihr den Himmel.. — „Dort, ruft er, wenn die Reue den Abgrund schließt, ja nur

dort wird er euch

sagen können:

ich liebe dich! So spricht er, und etwas Unheimliches ist

von seinen Lippen in seinen Blick übergegangen.

Erschreckt von dem wilden Ausdruck seiner Ausrufungen, bebt Elodie zurück, und will sich

entfernen.

„Edle Waise, fügte er hinzu,

zittert nicht — was vermag der Unglückliche

gegen

euch.

Niedergeschmettert

von

der

göttlichen Rache, kennt er die Gewalt nicht tyehr.

Sehet

diese nächtlichen Schgtten,

die den Wald bedecken; dicht, als diejenigen,

sie sind

weniger

welche sein Schicksal

verhüllen."

Dann

plötzlich,

heftig

und

wie

in

Wahnsinn ausbrechend: — „ Was hab' ich

Wer? ich euch bere­

gesagt! fährt er fort.

den, ihn nicht zu fürchten, ich euch beruhi­ gen!

Rein, die ganze Natur ruft euch in

diesem Augenblick durch, meine Stimme zu:

Fliehe ihn, junge Blume des Thals, sein Athem ist ansteckend, seine Gegenwart ver­

kündigt den Tod!" — „Laßt mich, sagt Elodie, während sie

zu

entfliehen sucht,

Schrecken bleibt,

und

regungslos

vor

laßt mich — ich kann

euch nicht verstehen." Zu sich selbst zurückgekommen und mit

ruhigem Tone

Mensch:

„Ich

unerklärbare

antwortet der

halte

euch

nichts hält euch hier auf.

nicht

zurück,

Tanbe des Klo,

sters! nein, nicht zu deinem Ohr sollen je­ mals die Nachtwinde jene klagenden Stim­

men tragen, wovor jede Regung erstarrt.

Lebe pohl; bete! —,

Fern sey

der Gedanke, Dir je zu sagen:

von

mir

liebe!"

Dieses Wort aussprechend, entflieht er>

Wie von

einer ungeheuren

Last

befreit.

fand Herstall's -Nichte endlich den Gebrauch

ihrer Sinne

Sie

wieder.

durcheilte die

Gallerte, die Gärten und den Hof des Klo­ sters, dann flüchtete -sie sich, noch beäng­

stigt, die Treppe des Thurmes hinauf,

in

die Verborgenheit ihrer Zelle. Ein ungestümer Wind

erhob sich

und

pfiff heulend durch die äußern Bogenhallen des Klosters. men

Der Regen begann in Strö­

herabzufallen und das

alterthümliche

Kloster schien durch den Sturm erschüttert.

Das Fenster der Waise, vom Wind einge­

drückt, öffnet sich mit Getöse; und die Toch1er Saint Maurs betrachtet mit Entsetzen

die ewige, von schweren Wolken durchzogene Wölbung; der Himmel scheint ihr die Erde zu bedrohen.

Ach, in diesem Augenblick war

die Zerrüttung ihres Innern jener der Nalur gleich: unachtsam auf das Brüllen der entfesselten

Winde,

welche um

das Thal

kämpften, kaum bemerkend, daß das Wasser

mit

Heftigkeit

gegen

ihr

eingebrochenes

Fenster schlug und bis zu ihren Füßen hin-

floß, dachte die Jungfrau von Unterlache»

nur

an ' den

der

Kapelle.

geheimntßvollen Unbekannten

Seine

bewundernswürdige

Schönheit, seine verworrenen Reden

seine,

rührende Stimme, und vor Allem sein himm­

lischer Blick beschäftigten ihre Gedanken un­ aufhörlich. wunderbaren

Manchmal,

Traum

sich

getäuscht

von

einem

wähnend,

suchte sie an der Wirklichkeit der Begeben­ heiten des Abends

zu zweifeln; aber ihre

Hand hielt- noch den blauen Gürtel, wel« chen sie in der Gallerte zurückempfing. Wie

konnte sie im Zweifel über den nächtlichen Auftritt seyn, dessen geringfügigste Umstände ihrer Vorstellung so gegenwärtig waren!

Sie fliegt an das vom Sturm zerschmet­

terte Fenster,

und die Augen zum Himmel

erhoben, ruft sie aus: —

„Dort, wenn

die Reue den Abgrund schließt,

nur

dort

wird er mir sagen können, ich liebe dich!"

„O, mein Gott! fährt die zitternde Jung­

frau fort, was bereitet mir das

Geschick?

Warum dieser plöhliche Umsturz meines gan-

6o zen Wesens durch einige unerklärliche Worte

»nF dem Mund« eines

Unbekannten? —

Sollte es eine gräßliche Weissagnng. seyn!

Aber mit welchen zärtlichen Tönen hat er die Worte: ich

liebe dich! ausgesprochen!

Ach der Verbrecher, für

welchen er

mein

Mitleid anflehte, ist er selbst, kayn nur er

seyn;

hatte er für einen Andern so

aus-

drucksvoll, so rührend sprechen können,! War­

um

dann

Sprache? wissensangst

diese flüstere

plötzlich

aber so

Warum dieser Ausdruck der Ge­ und

Verzweiflung?

LHarum

diese gräßliche Raserei? Sollt« «s der Geist

des Dösen gewesen seyn, welcher aus den Finsternissen Heraufstieg? —

Aber dieser

Die flehende und un­

göttliche Dlick?

glückliche Tugend kann keinen fxömmern und erhabneren zum Himmel senden! .Allmächti­

ger

Gatt!

erleucht«

mein« Schwachheit;

habe Erbarmen mit der Unschuld!"

Die Winde legten sich; ternd ging Elohie

bleich und zit­

zu Herstall'n hinunter.

Der Greis bemerkte ihre Unruhe ohne Er-

staunen; da er sie dem Schrecken zuschrieb',

welchen ihr der

Sturm verursachte:

nie­

mals indessen verbarg die futtge Waise ih­

rem ehrwürdigen Deschüher irgend einm ih­ rer Gedanken. Seele fremd:

Die Verstellung ist

sie erzählt ihm

ihrer

offenherzig

ihren Schrecken im Sommerhaus/ das Ver­

ihres Bandes und den Austritt

schwinden

in der Gallerie.

— „Und dieß war das Erstemal, daß sich dieser Fremdling deinen Blicken zeigte?

sagt Herstall." — „Mein Vater, antwortet das junge

Mädchen,

seit einigen Wochen glaubte ich

zu bemerken, daß in den Gärten des Klo­ sters et» unsichtbares

Und geheimnißvolles

Wesen beständig meinen

Schritten folgte.

Sonderbares Geräusch nm mich her, uner­

wartete

Tine

störten

Meins

gewohnten

Spaziergänge; und ost von gchttmem Ent­

setzen ergriffen, getraut« ich nicht, Mich vom Kloster

zu

entfernen.

Da

ich indessen

Meine: Furcht nur der Reitzbarkeit

Meiner

Einbildungskraft zuschrieb, so habe ich es bis auf diese» Tag nicht gewagt,

euch daS

Geständnis davon abzulegen." — „Aber wer kann dieses außerordent­

liche Wesen seyn? wiederholte .sich Herstall.

Zch kenne alle Bewohner

dieser Gegend:

keiner gleicht dem sonderbaren Bilde."--------Plötzlich

unterbricht • sich

der

Greis: —

„Es müßte denn der — — „ Wer? fragt

die Waise unruhig ausstehend und sich Hersiall'n

„der Einsiedler des

nähernd. —

Wildberges seyn."

Bei diesem Namen durchrieselt ein un-

willkührlicher

Schauer

sie sinkt auf ihren

Elodiens

Lehnstuhl zurück,

bleibt stumm und regungslos.

öffnet sich,

Glieder:

und

Dse Thüre

und der Vater Anselmus nahte

sich dem schweigenden Paar. — „ Ein großes Unglück hat so

eben

den Weiler in Schrecken versetzt, sagte der ehrwürdige Priester.

Während der verhee­

rende Sturm das Thal durchbraust, ist die am Fuß des Berges pon Unterlachen gele-

«jene «Hütte der alten Marzellin«

durch ei­

nen Bergfall in die Tiefe des Stromes ge­ stürzt worden, und selbst ihre Trümmer sind

von

den

ungestümen

Wellen

fortgerissen,

verschwunden." — „Und was ist aus Mar-

zelinen geworden?" rief Elodie. — — t,Niemand ist dabei umgekommen, fuhr

Anselm fort.

Uebrigens kenne ich die nähern

Umstände dieses entsetzlichen Ereignisses nicht, welches noch die Nacht, mit ihren Schleier»

bedeckt.

Der Sturm hat unsere Gegend

verwüstet: die arme Marzellin« hat das We­ nige verloren, was sie besaß, und die fürch­

terlichste Armuth droht ihren letzten Tagen."

.— „Ach,

daß ich nicht das Vermögen

meiner Väter besitze! sagte die Waise mit

leiser Stimme." — „Morgen,

eptgegnete Herstall, mor­

gen, mein lieber Anselmus, wollen wir hin­ gehen, Marzellinen zu trösten."

Seit langer Zeit schon bewohnte Marzellina das Thal von Unterlachen.

Zn wel­

chem Lande sie geboren, wer sie erzogen, wo

ft ihr« Zugend verlebt hatte: konnte Nie­

mand

erforschen.

man,

habe sie gebeugt;

Großes Unglück,

sägte

aber Marzrline,

für welche die Erinnerung zerreißend war, vermied sorgfältig jeden Gegenstand der Un-

terhaltuffF, der ihr ihre Leiden zntückrufen konnte. —

Ohne Zweifel hatte

sie aber

eine bessere Erziehung genossen; denn ihre

Sprache wat rtitt und durch ihren Nach­ druck

ihre

aüsfalltnd,

Dorfbewohner,

ihre

Kleidung

die der

Weise einfach-;

und

dennoch war nichts gesuchter als ihre Aus­ drücke, nichts überspannter

als ihre Em­

pfindungen, nichts begeisterter als ihre Ge­

spräche:

ein

Gegenstand

des Erstaunens

nnd der Bewunderung-, war sie das Orakel

des Thals. bey ihr;

Die Landleute holten sich Rath

sie hörten ihr entzückt zu, befolg­

ten andächtig ihre Weisungen, ünd der Sybilla der Dructetek ähnlich, war Marzeline

die Prophetin Von Unterlachen. Mit den

ersten Strahlen des

verließ Elodie ihre

Tages

Zelle: der Schlummer

hatte ihre Augen die Ruhe

ist

Der Gedanke

nicht schließen sinnen:

auS

ihrer Seele entflohen.

dem Unglück Trost zu brin­

gen, zerstreute indessen ihre düstern Träu­ Von Herstall'y und Anselm be­

mereien.

gleitet, richtete sie ihre Schritte zur ehem«ligen Wohnung

Marzelinens,

sühlt sie sich weniger beklommen.

Frühluft,

und

schon

Pie reine

das Aufgehn der Morgenröthe,

der süße Duft der Wiesenblumen, der Ge­ sang der Waldvögel,

alles lächelt ihrer ju­

gendlichen Einbildungskraft zu.

Und bald

ist der Schmerz aus ihrer Seele gewichen, wie der Sturm des Abends aus dem Luft­

kreis des Thales. Aber, welches entsetzliche Schauspiel bie­ tet sich, nicht weit von Marzellineris Güt­

chen, den Augen der Klosterbewohner dar! welche

schreckliche Verwüstungen

Sturmwind angerichtet.

hat

der

Zertrümmerte Fel­

senstücke, entwurzelte Eichen sind von

der

Höhe des Berges von Unterlachen bis in

die Tiefe des Stromes hinabgerollt: sie haI.

5

ben

den ehemaligen

Abgrund

tmd die reissenden Wellen,

dern Weg bahnend,

ausgefüllt;

sich

benachbarten Wiesen ausgetreten.

nende Land

Das grü­

ist mit unfruchtbarem Sande

neue

bedeckt,

einen an­

sind verheerend in die

Gräben durchschneiden das

Thal, und mehrere, durch dieses unerwartete Unglück,

verarmte Familien beweinen ihre

verlorenen Erndten mitten unter

streuten

Trümmern

ihrer

den

zer­

umgestürzten

Hütten. Auf Drücken die man mühsam und in der Eile über die verschütteten Wiesen ge­

schlagen, welche noch Giesbäche nach allen Richtungen durchkreuzten, gelangten Herstall,

Anselmus und

Ufer, wo hatte.

die Waise

Marzellinens

an das verödete

Hütte

gestanden

Eine ungeheure Erdmasse und

den

Bergen entrissene Felsen haben das ärmliche Häuschen entführt:

selbst seine Grundsteine

sind verschwunden.

An der Stelle wo es

gestanden, öffnet sich jetzt ein weiter Schlund, in dessen Tiefe eine schwefliche Welle kocht.

und

woraus

Der

Engel

dumpfes der

Gebrüll

Zerstörung

aufsteigt.

scheint

seine

Stimme aus den Klüften dieses Abgrundes zu erheben.

Am Rand

des neuen Stromes erblickt

die Jungfrau von Unterlachen Marzelltnen; sie fliegt auf sie zu, und den Schmerz thei­

lend welchen ihr dieses traurige Schauspiel verursachen muß/ mit Thränen in de» Au­ gen,

will

sie mit

ihr von dem Unglück

sprechen. „Liebenswürdiges Kind, unterbricht sie

Marzelline, weinet nicht;

mehr als vergütet.

mein Unglück ist

Der Donner hat das

Thal getroffen, aber das hülfreiche Gestirn leuchtet auf dem Berge.

Seht!

fährt sie

fort, einen mit Goldstücken gefüllten Beutel öffnend: hier ist mehr als ich bedürfte, um

drey solcher Hütten wie die verlorene wie­ der aufzubauen."

„0! gute Mutter,

Elodie außer sich vor Freude;

ruft

der Himmel

ist gerecht,

eure letzten Tage werden glück­

lich seyn:

aber welche wohlthätige Hand

Wie?

hat euch so eilig beigestanden?

ruft

Marzelline mit Begeisterung; wie, edle Toch­

ter des Klosters,

ihr. fraget noch, welche

hülfreiche Hand sich über die Unglücklichen unserer Cantone ausstreckt! dort, nicht weit von uns,

sehet diesen hohen Berg welchen

ein dichter Wald umgiebt...

Nun wohl!

von dort her offenbart fich der Geist des WvhlthunS den Menschen;

von dort steigt

der Einsiedler herab."

„Und ihr habt ihn diesen Morgen gese­ hen?" fragte Elodie lebhaft. —

Morgen l

entgegnete Marzelline:

„Diesen

er

läßt

nicht so lange auf sich warten;

ich würde

die ganze Nacht geweint haben;

aber läßt

er eine Stunde

wenn er

hindurch leiden,

helfen vermag!

sogleich

zu

als ich

nach

Diese Nacht,

dem Berg-Sturz

Verschwinden meiner Hütte,

und dem

auf dem ver­

wüsteten Ufer die Luft mit meinem Klage­

geschrei erfüllte,

mitten in

dem

ist mir der rettende Geist

Sturme

erschieue».

Zch

glaube ihn noch zu sehen — hier — am

des

Raflde

Stromes)

zen Tannen.

gegen diese schwar­

Sein Gang war ruhig und

seine Stirn sicher:

unter dem Sturme da­

herschreitend, war er der Strahl der Hoff­ nung durch die Nacht dos Unglücks."

„Unbegreiflicher Mensch!" sprach Her­

stall.

„Er war schwarz gekleidet, fuhr Mar-

zelline fort, lange Gewänder umhüllten ihn,

aber

die Schönheit

seiner

Bildung,

daS

Ebenmaß seiner majestätischen Gestalt, zeich­

neten sich vollkommen unter den Falten sefnrS Missionärkleides.^ — „Seines Misfionärkleides! rief Elo-

die, Herstalls Arm erfassend:

ach! ihr hat­

tet Recht." Bestürzt, aber doch befriedigt, fragte sie

weiter

nun Marzellinen

noch

Wohlthäter aus.

Seine Kleidung,

Gang, seinen Ton,

über

ihren feinen

seinen Blick, alles hat

Marzellin« genau beschrieben; und die Toch-

ter Saint

feln,

Maurs kann nicht mehr zwei­

daß es nicht der Einsiedler des Ber­

ges sey.

Nachdem sie den Unglücklichsten: aus' dem Thale Trost und Hsslfe gebracht,. nahmen die

beiden Greise-den Weg wieder zur Abtei zu­

rück. die

Schweigend .und nachdenkend

Waise

ihnen

vor

her:

sie

ging

wieder­

holte sich die begeisterten Worte der alten Marzelline. — „Nein, sprach sie zu sich selbst: der

Genius der Wohlthätigkeit, des

Berges,

der

das

kann

Einsiedler,

Macht des Dösen seyn."

keine

Man wirft ihm

sein geheimnisvolles Daseyn vor!

Gott selbst nicht

Gestirn

Aber ist

gqpz Geheimniß!

Man

beschuldigt ihn,

die Gesellschaft derMem

schen zu fliehen!

aber haben die heiligste»

Sterblichen

nicht- die.

thebaischen

sten -zum Aufenthalt gewählt!

Wü­

Ein beschau­

endes Gemüth liebe- die Einsamkeit-und das

Geheimniß.

Seit

ihrem

Besuch

bei

Marzellinens

Hütte, stieß Elodie nicht mehr mit Entse­ tzen die Erinnerung an die Ereignisse in der

Gallerte aus ihrer Seele zurück.

Ihre Be-

sorgnisse,

bei den Spaziergängen nicht un­

begleitet zu seyn,

hatten sich gänzlich ver­

loren; und wenn sich ein leichtes Geräusche in ihrer, Nähe

hören

ließ,

so war

ihre

Verwirrung nicht mehr die des Schreckens. Ohne, sich von ihrem unbestimmten Verlan­

gen Rechenschaft zu. geben,- hatte die un­ schuldige Waise .schon mehrmals den, Park

mit

der geheimen

Hoffnung

sich beobachtet zu sehen; ten

Sande;

und

ihre Augen such­ Tritte

fremder

die- Spur

durchgangen,

auf

ihr Körbchen wurde

Abends fast willkührlich vergessen. bene Erwartung!

ihre

dem eines

Verge­

kein Vorfall störte mehr

Einsamkeit, keine

Erscheinung

raschte mehr ihre Blicke;

über­

kein geheimniß­

volles Wesen irrte um sie unter dem dich­ ten Laub der Gebüsche.

Unruhig, betrübt,

kehrt das junge Mädchen seufzend in ihre Zelle zurück; sich selbst fragend während sie

ihre vorigen Schrecknisse beklagt,

kann sie

ihre neuen Gefühle nicht begreifen, noch sich

ihre neuen Vorstellungen erkläre».

beschäftigte

Ein Gedanke

ihren

Geist

vorjüglich: derjenige, dessen Worte sie nicht hatte sie in Mönchsklei­

vergessen konnte,

dern angeredet.

Hatte er sein Leben dem

Ewigen geweiht? war er durch heilige Ge­ lübde an die Altäre gefesselt? —

Von die­

sen Betrachtungen gequält, ohne deren Ur­ sache nachzuforschrn, begiebt sie sich in Mar-

welche

zellinens Wohnung, Augenblick hatte.

beim

nahe

diese

für den

Kloster

bezogen

Marzelline spricht so gern von dem

Einsiedler,

sie ist so gut von den wohlthä­

tigen Handlungen unterrichtet, wodurch er

sich zu erkennen giebt; sie ist so bemüht die

Schleier zu lüften, worein er sich hüllt! — „Gute Marzeline, sagt Elodie zu ihr, nach­ dem sie ihr einige kleine Geschenke überge­

ben und ihre Danksagungen dafür empfan­

gen hat, wird eure neue Hütte bald vollen­ det seyn?

seit lange schon arbeitet man an

„Gott und der Ein­

ihrer Erbauung." —

siedler seyen gelobt,

des

Weilers,

antwortet die Sybille

noch

vor

dem

Herbste

ich

werde

meine

neue

Wohnung ■ be­

ziehen/' — „Habt ihr sie wieder in die Wiese

gebaut?" —

„Der Himmel behüte mich

dafür! ich habe sie auf eine Anhöhe gesetzt,

von wo aus ich immer meine Augen gegen den Erwählten des Wildberges richten kann:

nur ihm Tag

und

bis

dem Ewigen

zu meiner

letzten

werden

Lebensstunde-

meine ersten Blicke,

meine ersten

geweiht

„Der

seyn."



jeden

Gebete

Einsiedler

ohne Zweifel ein Diener des Herrn;

ist

fragt

das junge Mädchen mit unsicherer Stimme. — Nein, erwiedert Marzelline," und eine leb­

hafte Nöthe färbt die Wangen der Waise. „Seyd



ihr

dessen

gewiß?" setzt

Elodie hinzu, deren Blick von neuem Glanz strahlte.

ten.

„Ich getraue

mir es zu behaup­

Wenn er dem Dienst des Altars ge­

weiht wäre, würde er die geistliche Tracht nicht ablegen; und dennoch hat er sich nur

einmal in diesem Gewände gezeigt.

Meinung mag

auch

Meine

sonderbar vorkommen.

aber ich (jfaiiße mich nicht zu tauschen; der

Einsiedler,

den ich viel beobachtet habe, ist

eher für den

Purpur als für das Härene

Gewand geboren;

und der Helm des Hel­

würde sich, besser für

den

seine

erhabene

Stirn schicken, als die Kapuhe des Mönchs." — „Der Purpur!" wiederholt Elodie

leise.

— „Das Geld fehlt seinen großmü­

thigen Handen so wenig als

Seele der Muth,

fährt

seiner edlen

Marzelline fort.

Nein, ich kenne auf Erden nur zwei We­ sen, welche durch ihre Gesinnungen und ihre

Schönheit über der menschlichen Natur ste­ hen:

der Adler des Wildberges

und

die

Taube des Klosters." Unruhig und beschämt, erhob sich die Zungfrau

von Unterlachen bei

diesen Worten.

— „Gute Marzelline, sprach sie, die Nacht bricht ein, ich muß euch nun verlassen, aber bald besuche ich euch wieder."

Drittes

Elodiens

Tage flößen

Frieden dahin;

gungen

von Neuem in

ihre gewohnten Beschäfti­ keine Leere .in

ließen

dringen.

Buch.

Seit

ihre Seele

dem unglücklichen Sturm

hatte kein trauriges Ereigniß mehr das Thal

betroffen;

und

Einsiedler

schien die

der

unsichtbar

gewordene

Gegend verlassen zu

haben.

Glückliches Alter, wo traurige Vorstel­

lungen leicht an der Seele vorüberstreichen! Sie sind selten düster, selbst nicht im Schooße eines wiedrigen Geschicks, und den Alcyonen ähnlich, welche mitten in stürmischen Näch­

ten über die empörten Meereswogen,

nur

die weißen Flügel ausbreitend, schnell dahin

gleiten. Nachdem es der

lungen,

die

Waise der Abtei ge­

Wolken ihres

Gemüthes zu

zerstreuen,

hatte ste auch ihren Frohstnn

wieder gefunden;

der Fremdling der Galle-

rie fing an in ihrer Erinnerung zu verlö­ schen;

und die Ruhe war wieder

in ihr

Herz zurückgekehrt. Der Dau von Marzellinens neuer Woh­

nung ging suchte

sie

schnell vorwärts. oft,

aber

sie

Elodie be­ immer

vermied

sorgfältig den Gegenstand der Unterhaltung

zu berühren,

welcher allein

die

dankbare

Beschützte des Einsiedlers erfreuen konnte.

Der Frühling hatte mit seinem schöpfe­ rischen Hauch der Natur ihren vollen Glanz

wiedergegeben; wüstenden

die letzten Spuren des ver­

waren

Sturmes

verschwunden,

und das Thal von Unterlachen glich

wie­

der einem duftenden

Mit

Blumengarten.

der Morgenröthe erwacht, von den Reitzen

des Thales entzückt,

nimmt die Waise des

Klosters ihre Laute und geht hinaus,

der

Nähe

der Abtei

ihre

süße

in

Stimme

mit jenen der Sänger des Haines zu ver­ schmelzen.

Der Himmel war rein und wolkenlos. Elodie setzte sich an die malerischen Ufer des

Stromes von Unterlachen nieder, und ver­

mischte die Töne ihrer Laute mit dem sanf­ ten Geplätscher der Wellen,

die über

ein

steiniges Bette hinrieselten. Ueber den Strom erhob sich,

ihr zur

Seite, eine kunstlose Drücke, in malerischem Dogen von einem Felsen zum andern ge-

schlagen und von tet.

Tannengruppen beschat­

Erfreut über die Stelle, welche sie ge­

wählt, sang das junge Mädchen folgende Worte in die Saiten ihrer Laute: Frühling! dich grüß' ich mit frohem Entzücken, Erstes Erwachen der ganzen Natur,

Blühe! ruft sanft mit beseelenden Blicken Glänzend, Aurora der thauigcn Flur. Hoffnung, du göttliche Stütze im Leiden, Offene Pforte zum Tempel des Herrni

Strahle hernieder vergnügende Freuden, Sey für die Unschuld ein leitender Stern.

König der Zeiten und Herrscher der Wetten! Hoffnung des Tages und Richter dereinst!

Ist nur iM'Menschen das Reine so selten,

Wo du in ihm alle VHunder vereinst?

Du dessen mächtige Stärke ich rufe,

Welcher die Kreise der Jahre regiert,

Hebe dein Kind aus zu lichterer Stufe, Daß nicht der Lenz seine Unschuld entführt, Lobende Stürme, verfinsterte Stunden,

Die ihr die Tage der Sterblichen trübt, Prüfungen, kommt ihr vom Himmel nach unten,

Daß sich die Seele in Tugenden übt.

Ehre! den Opfern der dunklen Gewalten,

Welche,

beim Schiffbruch des Daseyns im All',

Sich noch am schützenden Felsen erhalten,

Rettend die Unschuld vor drohendem Fall.

Also stieg Elodiens melodische Stimme

zu dem Ewigen empor.

Sie schweigt, und

die letzten Accorde ihres Gesanges hallen in dem nahen Walde.

wieder­

Elodie hängt

ihre Laute an den Dogen der Brücke, und in süßen Traumen verloren, glaubt sie die

harmonischen Stimmen der Natur ihre letz­ ten Laute wiederholen zu hören.

Die aussteigende Sonne vergoldete die Gipfel der Berge;

plötzlich sieht sie, auf

dem Felsen von Unterlachen, längs

des Fuß­

pfades, der zum Weiler führt, seltsame Lich­ ter funkeln.

Es sind Helme,- Schilder und

Lanzen; welche dieStrahlen der Sonne beleuch­ ten.

Viele Krieger kommen den Berg herab

und der reine Stahl ihrer glänzenden Waf­ fen, schimmert von Weitem.

Regungslos be­

trachtet Saint Maurs Tochter einen Augen­

blick dieses für sie so ganz- neue Schauspiel.

das Gold ihrer

Das Gewieher der Rosse,

Panzer, die blendenden Helme der Krieger, die

der

weißen Federbüsche

Danner,

Ritter,

ihre

ihre Schilde, ihre Wahlsprüche,

ihre Feldbinden, ihre Wappen, all' dieser kriegerische Zauber entzückt ihre neugierigen

Blicke.

Indessen nähern sich die Schaaren,

bald werden sie am Fuß des Berges seyn;

sie wenden • sich

gegen

die

Drücke.

Nun

empfindet die von ihrem Erstaunen zurückge­

kommene Waise nichts als das Gefühl der Furcht.

Sie flieht eilig zur Abtei, und

läßt in der Bestürzung ■ ihre Laute am Bo­

gen der Brücke hängen»-

Erstaunt über die

Erscheinung

einer Kriegsschaar

mitten

in

den friedlichen Bergen Unterlachrns, wußte

der Freiherr von Herstall nicht, welche Ver­ muthungen er aus diesem unerwarteten Er-

eigniß ziehen sollte; als sich ein verwirrtes Pferd - und Waffengetöse im Klosterhof ver­

nehmen ließ.

Der Anführer der durchreisen­

den Ritter, Graf Eckbert von Norindall,

stellte sich ihm vor,

und bald

war alles

erklärt.

Seit

der Niederlage und

Tod

dem

Karls des Kühnen, beherrschte der, als Sie­

ger in seine Hauptstadt zurückgekehrte Her­

zog von Lothringen, seine Staaten in Frie­

den.

Aber Ludwig XI. regierte; und

die­

ser Fürst konnte die Ruhe bei den Nach­ barvölkern nicht ertragen.

Nachdem er, im

Anfang den Herzog von Burgund aufgefor­

dert, Lothringen zu erobern, und durch den

Vertrag von Solothurn versprochen hatte,

kein Hinderniß dazwischen zu legen; nach­ dem er später erklärt, daß er Karls Usurpa­

tion verabscheue,

und

seitdem die

Rechte

9tette$, -welchen er als dm einzigen recht­

mäßigen

von

Regenten

Lothringen

aner­

kannte, erhalten oder'zu Erhalten geschienen hatte, behauptet er mit Einemmal daß dieß

nehmliche Lothringen ihm selbst von weibli­ cher Seite und läßt

durch

Erbschaft zugefallen sey)

feine Truppen

Nancy

auf

an­

rücken.

Schon hatte sich

der König von Frank­

Ren« verlangte ei­

reich Bav's bemächtigt. ligst den Beistand und Hob

deS deutschen Kaisers,

von allen Seiten Kriegsvolk aus-

um sein Land zu vertheidigen. Die Schweitzer-Kantone

leb­

nahmen

haften Antheil-an diesem jungen, von fei­ nem Volke angebeteten Fürsten.

Der Graf

Eckbert von Norindall war von dem Her­

zog von Lothringen abgeschickt worden, den

helvetischen Freistaat um kung anzusprechen; weise

seine

mächtige Verstär­

und nachdem ihm theil-

wichtige

Sendung

gelungen,

durchzog dieser edle Freund Renss, von einem

zahlreichen Gefolge begleitet auf dem RückI.

6

weg

nach Nancy

das Thal

von

Unter­

lachen. Die Familie des Grafe« war Herstaü'n

und der Greis empfing den edlen

bekannt,

Ritter auf das

Zuvortommenste.

hatte feine erste Jugend am

-eS Kühnen

verlebt;

und

Eckbert

Hofe Karls

eiy ergebener

Freund dieses Fürsten, ihn bei all' feinen

kriegerischen Unternehmungen begleitet.

An

dem Tage, wo der Burgundische Held untrrlag,

wurde Eckbert unter den Mauern

von Nancy hatte den

gefangen

genommen.

hohen Muth

Narindall rühmen hören;

des

Rens

Grafe»

von

daher suchte er

diesen hochherzigen Krieger an sich zu zie­ hen.

Als Eckbert

vernommen,

den

Tod des

Fürsten

welchen er ohngeachtet seiner

Gewaltthaten,

so

unaussprechlich

geliebt

hatte, überließ sich sein zerrissenes Herz al­

ler Bitterkeit des Schmerzes.

Der Her­

zog von Lothringen besuchte ihn, und weinte

mit ihm über den Tod des Herzogs von

Burgund.

Seit diesem Tag fand der un­

tröstliche Eckbert nur bei dem großmüthigen

Ren«

feines Schmerzes.

einige Linderung

Der Dankbarkeit folgte Zuneigung, die Tugendm des Herzogs von

Lothringen öffne»

ten Eckberts Herz der Freundschaft;

und-

da er ohnehin nicht nach Butgund zurück­

kehren wollte, wo Karl nicht mehr regierte, und ihn. nur

schreckliche Erinnerungen er­

so entschloß

warteten-

er

sich bald, von

des. Fürsten

Gunstbezeagungett

überhäuft­

feinen Aufenthalt am Hofe, von Nancy zn und wurde einer der ersten Feld­

nehmen,

obersten des Lochringischen HeereS.

Eckbert,

der noch im Frühling des Le­

bens stand, befaß alle Vorzüge eines Helden Ohne von hohem Wuchs,

«ud regelmäßig

schön zn seyn, zog der Gras von Rorindall,

selbst des Blendwerks seines Ranges- ent» kleidet, unter den glänzendsten Rittern, die Augen der Menge atf stch. Urberlegenheit

schien

sen zu umschweben.

feuriges

Auge

Gedanken.

Ein Geist den

gebietend

sein

We­

Sein ausdrucksvolles,

durchdrang die geheimsten

Man warf ihm vor, daß er za

allein oft ist daS Herz desjenigen

still sey;

reich nft Empfindungen, dessen Lippen karg mit Worten find.

Die öffentliche Bewun­

derung fesselnd, nöthigte er selbst den Gleich­

gültigsten Lobsprüche ab, und spannte gleich­ sam ein magisches Netz über seine Feinde

welches

aus,

Schweigen, zwang.

sie zum

Ruhig und erlist, schien er vollkommen Herr seiner selbst,

und

immer, stürmische

drücken.

dennoch

leidenschaftliches

glühendes

vermochte fein Gemüth

nicht

Aufwallungen zu unter­

Er hatte die Freundschaft bis zur

die Liebe, wenn er

Schwärmerei getrieben:

sie gekannt hätte,

würde ihn vielleicht zum

Wahnsinn gebracht haben.

Die heiße Gluth

seiner Empfindungen- spiegelte sich selten auf

seinen

stets

gleichbleibenden

Zügen

ab:

ftsmm und edel wie er war, erhob sich sein

Hsrz oft gerade in

dem Augenblick

zum

Hiwmel, wo er ganz der Erde anzugehören schien;

aus

und so wie die höchsten Gedanken

seinem

gingrni,

schwärmerischen Geist

konnte man

hervor-

die heldenmüthigsten

Aufopferungen

von

Seele

großen

seiner

erlangen.

Zeit

dem geselligen Verkehr der

von

Fern

hatte sich Herstall' seit

Menschen,

mehr

nicht

Versammlung

einer kriegerischen

unter

Eckberts

befunden.

Ritter

und er betrachtete sie

umgaben ihn jetzt, seufzend.

langer

Sonst glänzte er wie sie auf den

Feldern der Ehre;

sonst kannte auch er die

süßen Täuschungen des Ruhms; sonst wurde er bewundert wie sie....

Jetzt — fragt

man wohl nur noch, ob er gelebt habe!

Gezwungen,

die

Vertheidiger Lothrin­

gens gastlich bey sich aufzunehmen, Herstall

die

große Gallerte

des Klosters,

welche viele Fackeln erhellten,

Danket bereiten lassen.

hatte

zum Abend-

Schon war dieser

weite Raum von den edlen Gefährten des

Grafen von Norindall erfüllt,

unter sie trat. heit

Eine

als Herstall

jugendliche

Schön­

unterstützte seine zitternden Schritte.

Plötzlich ertönt der ganze Saal von einem

langen Ausruf des Erstaunens;

die Zung-

frau von Unterlachen hat ihren Schielet zurückgeschlagen. Welch ein Augenblick "für daS junge Mädchen! Alle Blicke sind auf sie gertchlet: sie allein wagk nicht die ihrigen zu er­ heben. Beim Danket saß Elodie schwei­ gend att Norindalls Seite. Zum erstenmal betrachtete Eckbert eine junge Schönheit, ohne sich zu bestreben ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: die Ritter beobachteten ihren Führer. Sollte er endlich die Liebe kennen lernen? Die Reitze der Waise von Unterlachen schienen ihn zu überraschen, aber in ihrer Nähe wurde keine Bewegung auf seinen Zügen sichtbar. Sein Mund blieb stumm, und er schien nachdenkend. Man hätte sagen können, er frage sein Herz, ob die Stunde gekommen sey, wo er lieben sollte. Endlich wagte Elodie einen schüchternen Blick auf die glänzende Versammlung um sie her. Welches neue Schauspiel für sie! Diese durch Tapferkeit und Jugend vrr»

schtnten Ritter, die funkelnden Waffen, die hohen Helmbüsche, der tausendfache Glanz der Fackeln, die Bewunderung welche sie Helden einflößt, die mit den Thalbewoh­ nern verglichen, ihr wie Halbgötter erschie­ nen: Alles dies verwirrt einen Augenblick ihre Gedanken, blendet ihr Auge und bringt ihr ganzes Wesen in Aufruhr. „Wie! sagte jetzt der Graf von Norindall zu ihr, wie, so jung und so schön, al­ lein in diesem Kloster." Die wohlklin­ gende männliche Stimme des kriegerischen Anführers bestürzte die Waise; ihr Blick war Eckberts Blicken begegnet, sie erröthete. — „Zch bin nicht allein in diesem Kloster, antwortete sie: als Herstall's Pfle­ getochter führe ich ein glückliches Le­ ben an seiner Seite." — „Und die Lan­ geweile drängt sich nicht in eure friedlichen Tage ein?" — „Langeweile, wie sollte ich diese empfinden! Alle meine Augenblicke sind mit Beschäftigungen ausgefüllt, ich wün­ sche, erwarte und beklage keine Vergnügungen."

— Aber, ihr kanntet noch nichts?" rief

„Ist -es

Eckbert. —

nichts

zu

kennen!"

denn

ein

Unglück

erwiederte die Waise

unschuldig. der Graf von

Das Mahl ist geendigt:

Norindall erhebt sich; Elodiens zitternde Hand ergreifend, kehrt er in den Saal der Abtei

Dey der Steil« in

zurück.

welche auf der

der Gallerte,

einen Seite

jur Kapelle,

und auf der andern in die Gemächer der

Abtei führt,

bebt die Zungfrau mit einem

Angstruf zurück; es dünkte ihr, im Schat­ ten eine geheimnißvolle Gestalt vorüberglei-

len

und

verschwinden

gesehen

haben.

zu

Es ist an dem nemlichen Ort, wo der Ein­

siedler zum erstenmal das Wort an sie rich­ tete.

Sollte er es abermals seyn.

Eckbert,

der nicht wußte, welcher Gegenstand Elodixn erschreckt haben konnte, befragte sie darum; sie schrieb ihre Erschütterung der Schwäche ih­

rer Organe zu,

unterirdische

welche die Finsterniß und

Gemächer

,,Schwache Liane,"

aufregten.



sprach Eckbert leise zu

ihr,

würdest du die Stütze der Ceder ver­

schmähen?

der

Ton

seiner Stimme

war

bei diesen Worten - voll Zärtlichkeit und er

drückte Elodiens Hand

gen.

sanft in der seini-

Die Waise beschleunigte ihre Schritte,

und schwieg;

was hätte sie ihm auch ant­

worten können! Zn der Zurückgezogenheit

ihrer

Zelle,

wagte Saint Maurs Tochter aufs lebhaf­ teste bewegt,

nicht sich selbst zu befragen.

Zum erstenmal hatte sie sich, glänzenden Kreis,

unter einem

als den Gegenstand der

Huldigungen einer zuvorkommenden Menge,

erblickt; zum erstenmal sah sie sich von den edelsten

Rittern

Rcnv's Freund,

Lothringens

bewundert.

der berühmte Held,

um

dessen Herz ohne Zweifel die ersten Schön­

heiten des Hofes von Nancy buhlten, schien nur mit ihr

beschäftigt;

seine gewöhnlich

so ernsten Blicke, hatten sich mit Zärtlich­

keit auf sie gerichtet; seine Stimme schien be­

wegt als er mit ihr sprach.

Sollte sie sein

Wohlgefallen erregt haben? sollte sie ge­ liebt seyn? Tausend verworrene Gefühle reihten sich in ihrer Seele an einander. Wie pracht­ voll muß dieser Lothringische Hof seyn, wo sich die Ritter des mächtigen Rene'S, die tapfern Waffenbrüder Eckberts versam­ meln, welche Ehre diejenigen umgeben, die die Vorsehung zu ihren Lebensgefährtinnen bestimmt! Welche Bezauberungen müssen ihren Schritten folgen, wie strahlend die Palläste seyn, wo sich die Großen der Erde zusammenfinden! Und wenn die Helden zu den Füßen der Schönheit knieen, welcher Triumph für diejenige die das Scepter der Liebe hält! Ein Gefühl des Stolzes regte sich in Elodiens Brust. Eckbert, der erlauchte Eckbert ist ihr zwar diesen Abend nicht zu Füßen gesunken, aber was wird vielleicht morgen---------- Elodie öffnet das ver­ gitterte Fenster ihrer Zelle, und sich ihre Gedanken vorwerfend, fleht sie die Verzei-

hung des Ewigen an, ohne sich deutlich ei­

nes Unrechts bewußt zu seyn. funkelten am Firmament,

der Mond brei­

tete feilten Silberschleier über

Der Blick der Jungfrau

den

Wildberg

gekehrt,

Sinn ist wieder

det.

Die Sterne

die Natur.

hatte sich gegen und

ihr

ganzer

dem Einsiedler zugewen­

Der Graf von Norindall, feine Rit­

ter, der Hof von Lothringen,

Alles ist ihr

gleichgültig geworden. Ach! ruft Elodie, seine Stirne schmückt kein schimmernder Helm, — kein hoher Fe­ derbusch

weht

stolz von

seinem

Haupte

herab, — weder Gold noch Edelsteine zie­ ren seine Kleider — keine Binde des Ruhms

oder der Liebe umschlingt seinen Leib;

und

doch, in dieser nehmlichen Gallerie wo sich

Eckberts Gefährten versammelten, wie schön

war er nicht in seinem

härnen Gewand!

Welches göttliche Feuer strahlte in seinem

Blick!

Wie majestätisch war sein Anstand!

Wie hätte er alle diese Lothringischen Rit­ ter verdunkelt, wenn er plötzlich mitten un-

in kriegerischer Rüstung, getreten

ter sie,

wäre! —

Sollte er es gewesen seyn, wel­

cher, im Schatten vor mir,

Kapelle durchstrich,

den Weg zur

oder hat mich

meine

Einbildung gelauscht ? Unbegreiflicher Mensch,

der du Wohlthaten verbreitest und unglück­ lich scheinst, du gleichst dem Engel der Tu­

gend , und hast mir von Vorwürfen gespro­ chen !

Aber was sage ich?

begreifen suchen,

Darf ich

zu

was du denkest und seyn

kannst, ich, die ich selbst noch nicht verstehe,

was ich empfinde und was ich bin! —

Die Jungfrau von Unterlachcn horchte bei diesen Worten

der Stimme des Stro­

mes; er scheint ihr eine, mit den Gefühlen

ihrer Seele übereinstimmende Klage aus dem Thal entgegen zu rauschen, und Elodie er­

innert sich,

daß ihre Laute am Bogen der

Drücke hängen geblieben.

Endlich schloß sie

ihr Fenster, und fand bald auf ihrem jung­ fräulichen

Lager

den

Frieden

und

den

Schlummer der Unschuld wieder. Alles schlief noch im Kloster; nur Saint

SS Maurs Tochter stand bei den ersten Strah­ len der Sonne auf, und, von der Mutter

Ursula begleitet,

begab sie sich an das öde

Ufer,; wo sie ihre Laute wieder zu finden hoffte.

- Das .Wetter

war

Nur

heiter.

leichte Winde spielte» in den Gesträuchen des Thales.

Elodie war beinahe schon zur

Drücke gelangt, als sie plötzlich überrascht stehen bleibt, und, von dichtem Laub verbor­

gen, hinter einem Gebüsche verweilt; denn

welch

ein

Blick. —

Gegenstand

zeigt

sich

ihrem

Am Rande des Stroms, an der

nemlichen Stelle, wo Elodie am Tage zu­ vor ,bte Wiederkehr

des Frühlings besang,

halt ein Gebirgsbewohner

ihre

vergessene

Laute im Arm, und lockt daraus die melo­ dischsten Töne hervor..

An eine Tanne ge­

lehnt, unterbricht er einen Augenblick seine saustest der

Accorde.

Seine Kleidung ist

Gebirgsfchützen,.

sein .Dogen,

die

dessen

Sehne abgespannt, ist zu seinen Füßen; ein todtes Reh, durch und durch von einem bluti­

gen Pfeil durchbohrt, liegt nicht weit davon

auf dem Rasen.

Seine hohe

Gestalt er­

hebt sich auf dem Ufer, wie die stolze Ceder

Seine nervigten Arme,

auf dem Libanon.

feine gewaltige Kraft, verkündigen den für Wenn Wuth

die Kämpfe gebornen Streiter.

und

Verzweiflung

sich

Seele be­

seiner

mächtigten, so könnte er ohne Zweifel

Ro­

lands Rasereien erneuern; aber die Ruhe

herrscht auf seinen Zügen,

der

seiner

sich mit

Stimme

verschmelzt

Wohllaut

den

himmlischen Klängen seiner Laute, und die seinen

ganze Natur scheint mit Entzücken Tönen zu lauschen.

0

gestern

Erstaunen!

dasselbe Lied,

Elodie gesungen,

Dergschützen wiederholt.

wird

welches

von

dem

Es sind beinah«

die nemlichrn Worte, dieselben Ausdrücke,

und doch welch verschiedener

Sinn.

Die

Zungfrau von Unterlachen horcht auf, und

wagt kaum ihren Ohren zu trauen.

Nimmer begrüß' ich mit ftohem Entzücken Frühling dich, Wonne der ganzen Natur!

Ach! nur den reinen, den kindlichen Blicken Lächelt Aurora auf blühender Flur.

Hoffnung, du freundliche Stütze im Leben,

Offene Pforte zum Tempel des Herrn! Nimmer vermagst du dies Herz zu erheben,

Friede und Unschuld sind ewig ihm fern. Wohl auch erfleht ich in Tagen der Jugend, Die mir das Haupt einst mit Blumen bekränzt, Beistand von dir,

o erhabene Tugend!

Himmlisch von deiner Erscheinung umglänzt. Wer litt gefährlichern Schiffbruch des Lebens?

Wer rang mit Graus und Entsetzen wie ich?

Aber ein Opfer des feindlichen Strebens, Unschuld, entflohst Du auf ewig für mich!

Bei diesen letzten Worten erstirbt die wehmüthig klagende Stimme des Bergbe­ wohners zwischen den öden Felsen. Ein tidtlicher Frost macht plötzlich Elodiens Glie­ der erstarren. Zhr ist als ob eine Binde ihre Stirn schmerzhaft' zusammenpresse, und als ob eine Dleimasse auf ihr Herz gefal­ len wäre. Der Jäger hatte seine Augen zum Him­ mel erhoben, die Tochter der Abtei erkannte

96 jene» Blick

Blick

himmlischen

— jenen

Mieder, dessen unauslöschliches Bild tief in

ihre Seele geprägt war.

Bey dem. letzten

Scheine des Tages hatte sie die männlichen

Züge des Unbekannten der Kapelle nur un­

deutlich bemerken können; deutlich erkennet

sie solche jetzt bei vollem Lichte wieder, und Nie wurde

betrachtet sie mit Bewunderung.

eine vollkommenere Schönheit einem Sterb­

Aber warum schattete der

lichen zu Theil.

Ausdruck des Leidens und der Verzweiflung auf der Stirn

des Einsiedlers?

Warum

dieser Trauergesang bitterer Erinnerung und

der Gewissensangst? —

O sanfte Zung-

frau des Thales! die du schön bist wie die

Gefährtin

des

ersten

Mannes, rein wie

das erste Gebet der Kindheit, entferne dich!

Ach es ist um die Rose geschehen, wenn sie der Hauch des Nordes berührt! Der schöne Zäger des

Berges befestigt

die Laute wieder an dem Dogen der Drü­ cke: er hebt das Reh auf, welches er nach­ lässig

über seine

Schultern

wirft,

und

unter seinen Kicher hängt; nachdem er sei­ nen Dogen wieder ausgenommen, entfernt er sich vom Ufer und ein banger Seufzer entwindet sich seinem beklemmten Dusen. Mit eiligen Schritten ist er über der Drücke, glimmt den Bergpfad hinauf, und verschwin­ det zwischen den Tannen. Schon ist er weit. Elodie hatte die Bewegung wieder erlangt; sie fliegt zu dem wilden Dogen, und bemächtigt sich ihrer Laute wieder. Die erstaunte sprachlose Ur­ sula, welche nicht weiß, was sie. von dem nnbekatmten Sänger denken soll, wagt ei­ nige Fragen; aber die ganz bestürzte Elo­ die hört weder auf sie, noch antwortet sie ihr. Sie hat wieder den Weg zum Klo­ ster eingeschlagen; Marzellinens Hütte stellt sich ihren Blicken dyr, ihre Schritte '"iten sie unwillkührlich dahin; dort unter ländlichen Dach wird ja von nichts als dem Einsiedler gesprochen. Die schwärmerische Marzelline erblickt Herstalls Nichte, und eilt ihr entgegen. I7

o— „Kommt, Engel des Klosters, spricht sie, was habe ich euch nicht alles mitzurheilen, der wunderbare Mann wacht auch über euer Geschick." — „Ueber mein Ge­ schick !" wiederholt das junge Mädchen errSthend. — „Ich komme von der Abtei zurück, wo ich euch suchte," fährt Marzelline feierlich fort, ste auf die Seite ziehend. i,Höeet mich: gestern Abend, auf dieser nämlichen Stelle, ist er Vor mir erschienen, hier habe ich den Einsiedler wieder gesehen. Morgen, sprach er zu Wik, gehe hin, die ZuNgfräu von Unterlachen aufzusuchen, und wiederhole ihr diese Worte: Der Herzog V0n Lothringen hat seine Schwester dem Grafen von Norindall versprochen: Eck­ berts entstehende Liebe für' eine Andere als seine Braut, kann für Alle hier einen Ab­ grund des Verderbens öffnen." „ö Himmel! rief Elodie, so hat er zu euch geredet!" — „Er hat mir aufge­ tragen eüch dies zu sagen." — „Wie! nahm dir Waise wieder das Wort, kaum

sind die Lothringischen Schaaren im Klo­ ster angekommen, und schon kennt der Ein­

siedler ihren Anführer, seinen Namen, seine Verbindungen, sein Geschick,

entstehende Liebe!" — seine

Befehle ertheilte,

sogar

seine

„Während er mir fügte

Marzelline

hinzu, war sein Ton finster und unheimlich, seine strenge Stirne drohend.

Der Mond er­

hellte fein Gesicht, und ohne die auffallende

Schönheit seiner Züge, hätte ich fast Mühe gehabt

wieder zu

ihn

Stimme,

deren

Schall

erkennen. er

zu

Seine

dämpfen

suchte, schien der erste Hauch eines Stur­ mes und sein Blick der erste Schein einer

Feuersbrunst.

Nach diesem fürchterlichen Gemälde Elodien zum Kloster zurückführend, begann Mar­ zelline aufs Neue:— „Edle Tochter von Un-

rerlachen, vernachlässiget die Warnung des Ge­ nius vom Berge nicht; nichts scheint ihm un­ bekannt und alles möglich zu seyn:

Eckbert von Norindall,

Einsiedler.

fliehet

und zählet auf den

IOO

Viertes

Buch.

Drei Tage haben sich der Graf von Norindall und

seine Gefährten bereits in der

Abtei aufgehalten.

Vergebens kämpft Eck­

bert gegen die Liebe, welche einflbßt:

Elodie

ihm

Empfin­

die heiße Gluth seiner

dungen wächst mit jedem Augenblick;

das Geheimniß

seines Herzens ist

und keines

mehr für seine Krieger. Am vierten Morgen nach der Ankunft

der Fremden im Kloster, stieg Saint MaurS

Tochter von ihrem Thurme zu der Stunde herab, wo die treue Gattin des Landmann'S ihrer jungen Familie das Frühmahl zu be­

reiten pstegt.

Wieder

auf

ihren

Rossen

sitzend, wieder mit ihren Waffen bekleidet,

verlassen Renäs edle Streiter so eben die Abtei, und wenden sich gegen Nancy. drei Ritter folgen ihnen nicht,

und

Nur der

Graf von Norindakl ist unter dieser Zahl: er erwarte, sagt er, die Zurückkunft

eines

treuen Abgesandten, welcher ihm eine wich­ tige

Antwort von

dem

Oberhaupt

Schweitzer-Cantons zu bringen hat.

eines

Eck­

bert hatte einen .Theil feiner politischen Ge­

heimnisse dem

vertraut,

Freiherrn von

Herstall an­

welcher den lebhaftesten Antheil

an dem Herzog von Lothringen nimmt, und

Neues Freund wird noch einige Tage hin­ durch die Abtei bewohnen.

Die Jungfrau von Unterlachen durch­ strich

die

blühenden

Gebüsche

des

alten

Klosters, als sich ihr, bei der Wendung ei­

nes Ganges der Graf von Norindall zeigte. „Liebenswürdige Waise, sprach Eckbert, die­

sen Morgen sollte ich diesen Ort verlassen: und ich bin noch da.

Könnt ihr errathen,

welcher süße Zauber mich hier zurückhält; welche unbekannte Gewalt mich fesselt?...

Ach,. bis diesen Tag

hatte ich an dieser

Bezauberung gezweifelt, trotzt !"

dieser Macht ge­

— „Ritter, antwortete bas junge Mäd­

chen mit Verwirrung,

laßt uns zur Abtei

zurückkehren."

Sie wollte sich entfernen, Eckbert hielt

sie zurück. — „Noch ein Wort,

ein einziges

und ihr sollt frei seyn.

noch,

Wort

Wenn, zu

euren Füßen sinkend, ber Freund des Her­

von Lothringen

zogs

in diesem Au­

euch

genblick nicht den Glanz seines Reichthum« und seines Ranges, der euch nicht zu blen­

den vermag, aber die Huldigung eines auf­

richtigen Herzens darbrächte, ihr ihm antworten? —

was würdet

„Daß

er nicht

mehr Herr seines Geschickes, daß sein Wort

verpfändet ist, und daß allein die erhabene Schwester Rene« die Gemahlin des Gra­

fen von Norindall werden muß." sen

unerwarteten

Worten

bleibt

Bei die­

Eckbert

stumm vor Erstaunen stehen, umsonst sucht «r seine Verwirrung zu verbergen; der Aus­

druck

seiner

seines Blicks, Lippen,

die

das

Blässe

leichte seines

Beben Ge-

—------- -

103

sichts, verrathen die Erschütterung seiner Seele. — „Was höre ich! «in unbestimmter Plan, kaum von einigen der innigste» Vertrauten Renes gekannt, ein Geheimniß, wovon der Hof von nicht die ge­ ringste Kenntniß hat, «in verborgener Ge­ danke des Herrschers, ist auch in dieser entiegenen Einsamkeit enthüllt worden?" Elodie schwieg und ging langsam neben dem Grafen her, welcher fortfuhr: — „Es ist wahr, der Herzog von Lo­ thringen hat mich gewürdigt, mir feine Schwester vorzuschlagen; aber keine heilige Verpflichtung bindet mich: ich kann noch ohne die Ehre zu verletzen, die entworfene Vermählung ausschlagen. Was sage ich! meine Pflicht befiehlt mir jetzt fie zu bre­ chen; ich würde die Prinzessin von Lothrin­ gen nicht mehr beglücken können. Es giebt auf Erden nur ein Wesen, welches die Le­ bensgefährtin Eckberts seyn kann. Ohne Zweifel werd« ich Ren«s Freundschaft »er-

litten, ich werde mir seinen Zorn zuziehen. Aber die Liebe hat mein Gemüth gänzlich

Ruhm, Güter, Würden, ihr

verwandelt:

seyd nichts mehr in meinen Augen: Elodte, himmlische Jungfrau, ein Lächeln! —

ich würde glauben die Erde zu

und

verlassen:

Unterlachen wird zum Elysium." Sein Athemzug

ist

beklommen,

seine

folgen sich stürmisch.

glühenden Ausdrücke

Die Neuheit dieser Sprache überrascht die Waise:

schweigt.

sie

beschleunigt ihre Schritte und



„Ihr

antwortet

nichts,

nimmt Eckbert wieder mit Leidenschaft daS

Wort.

Elodie, O! laßt mich für euch al­

lem Glanz des Lebens entsagen!

Als ein

vergessener Jäger des Berges, ein einfacher

Fischer des Thales, möge mir nichts als eine Hütte,

chen

bleiben;

aber

auf Erden

nichts als ein Na­

Elodie

sey

in dieser

Hütte, Elodie sey in diesem Nachen! Dann ihr Stürme des Daseyns mögt ihr über die

mächtigen Häupter

hier

losbrechen:

ich

werde

dem Donner in Frieden Trotz bieten.

los Rühre du, o Liebe, für mich das Herz der Waise,

und schon hienieden werde ich die

höchste Glückseligkeit gefunden haben."

So Gefühls

spricht er:

strahlt

die

aus

Begeisterung

des

Augen;

die

seinen

Jungfrau von Unterlachen ist bewegt, ge­ rührt; und dennoch ist Eckbert nicht geliebt.

— „Graf von Norindall, sagt sie endlich, verzeihet mein Stillschweigen.

Die Reden,

welche ich so eben vernahm,

sind meinem

Ohre fremd, und ich wüßte nicht darauf zu

antworten.

Vermählung!

Warum sprecht

ihr mir von

dem Freiherrn von

Herstall

steht es zu, über mein Loos zu entscheiden.

Warum sprecht ihr mir von Liebel ich darf diese Sprache nicht anhören."

Unter diesen Worten waren sie ans Klo­ ster gekommen, wo sich Saint Maurs Toch­ ter von Eckbert trennte.

Mehrere Tage waren

verflossen.

Die

Waise hatte beständig den Grafen vermieden;

sie erschien nur selten im Saal der Abtei und

ging nicht mehr in die Gärten hinab.

io6

- -■ -

Der Freiherr von Herstall ließ feine Nichte rufen: Er war «Hein.. Eckbert hatte ihn so eben verlassen. Der Greis empfing die Waise mit seiner gewohnten Zärtlichkeit, und mit feierlicher Stimme richtete er dies« Worte an sie; „Höre mich, liebe Elodie, und hüt« dich, mich zu unterbrechen. 2n den glücklichenTagen meiner Jugend wagte ich rS, den Himmel um eine lange Laufbahn zu bitten. Ach! ich war weit entfernt zu wähnen, daß dies nur ein verlängertes Hinsterben erflehen hieße. 0, Zrena, meine angebetete Toch­ ter! mein wahres Leben hat mit dem deini­ gen geendet; dein Vater, ein kaum beseelter Schatten, im Geiste dir allein angehörend, hat dich nur in den Augen der Menschen überlebt. Zch fühle es, das Ziel meiner Leiden ist gekommen : bald, hoffe ich, werde ich mich mit derjenigen vereinigen, die «in vorüber­ streifendes Meteor auf Erde» verschlang. Dir allein meine Nicht«; Dir allein §uf

dieser Welt würde «s gelungen seyn, mei­ nen bittern Schmerz zu stillen, wenn meine Seele dem Trost zugänglich gewesen wäre; aber wie die verzweifelnde Löwin, welche vom rohen Jäger verfolgt, ihr letztes Jun­ ges erwürgen sah, so habe ich mir von wilden Menschen das geliebte Wesen ent­ reißen sehen, welches allein meinem Daseyn Reitze lieh; und wer versucht hätte mein Leiden zu mildern, würde mir mein Unglück zu beleidigen geschienen haben. Elodie,. schwaches Rohr des einsamen Ufers, ich zitterte, daß wenn ich dahin seyn würde, nicht ein Sturm deinen schwa­ chen Stengel bräche. Aber ein mächtiger Beschützer zeigt sich, und erbietet sich den sterbenden Greis zu ersetzen. Nimm die edle Stütze an, welche der Ewige dir zu senden scheint: dann wird keine Sorge den Frieden, die Hoffnung und die Freuden meines Sterbelagers mehr stören." Der Greis hält einen Augenblick inne. Ohngeachtet der vergeblichen Anstrengung ElolrienS, /

dringen Thränen

unter ihren

langen Au­

Herstall fährt fort: —

genwimpern hervor.

„Der Graf von Norindall hat mich diesen

Morgen

um

deine

Sein Reichthum,

Hattd

sein

angesprochen.

Ruf,

Rang, -sein

seine 'Zugen-, seine Tapferkeit, alles glänzt bei ihm in reinem, fleckenlosen Schimmer;

was soll ich ihm antworten?.—

Allein,

in diesem abgelegenen Kloster, hast du bis­ her nur die rohen Bewohner unserer Thä­

ler gekannt, sprechen,

dein Herz

und

Eckbert

konnte Noch nicht ist

deiner

Liebe

würdig.

Deine Einwilligung zu dieser ersehnten

Verbindung

würde alle meine Wünsche er­

füllen; indessen bin ich weit entfernt,

nen Gefühlen Zwang öffne

mir

dein

dei­

auflegen zu wollen,

Herz.

Elodie

ist

ganz

Herrin über sich selbst."

Diese lebten, mit dem liebevollsten Tone ausgesprochenen Worte, belebten wieder den Muth der niedergeschlagenen Zungfrau.

— „Mein Vater, antwortete sie,

der

log tapfere Eckbert ist ohne Zweifel zu höherer

Ich bin nicht wür­

Bestimmung berufen.

dig seine Gattin zu seyn; Bergen erzogen,

mitten in den

würde ich in dem Kreise

des Hofes am unrechten Platze stehen; die wilden Blumen unserer Thäler verwelken, wenn

sie

werden.

in

andere Gegenden

verpflanzt

nach fürstli­

Und ziemt es mir,

chen Wohnungen zu streben, da es «in Pal­

last war, wo mein Vater ermordet wurde? 0! erinnert euch der letzten Bitten der un­

glücklichen Wittwe Saint Maurs,

beden­

ket, daß meine Mutter in ihren letzten Au­

genblicken die Worte an euch richtete:

nie­

mals, wenn es möglich ist, verlasse Elodie dieses friedliche Thal,

nie lerne sie die ir­

dische Größe kennen, und den Preis, wel­ chen sie ihren Besitzern kostet."

— „Nun wohl! ruft Herstall, der Graf

von Norindall ist bereit für dich dem Hofe von Lothringen zu entsagen,

sich des Ran­

ges zu entkleiden,

den

Ruhm zu fliehen,

der ihn umgiebt, und

er einnimmt; den

in dieser wilden Einsamkeit dir sein ganzes Le­ ben zu weihen. So viele Opfer beweisen «ine Liebe, welche dich nicht ungerührt lassen kann." „Mein Vater, unterbricht ihn die Waise, dauern die ersten Aufwallungen der Liebe ewig? — sind außerordentliche Entschlüsse unerschütterlich? — Ach! die Ueberspannung ist nur ein Aufflug, sie war nie­ mals ein fester Grund. Heute verspricht mir Eckbert diese Opfer, wer bürgt mir morgen gegen feine Reue." „Elodie beharrt also in ihrer Weige­ rung ? — ist dieses ihre letzte Ant­ wort? — — „Ihr habt mir befohlen ohne Rück­ halt zu euch zu sprechen. Lieber würde ich es vorziehen, mein Leben in diesen Bergen dem Altare zu weihen, als am Hofe zu leben und dem letzten Willen meiner Mut­ ter ungehorsam zu werden. Auch würde ich, von Eckberts leidenschaftlichem Character geschreckt, fürchten, ihm msin Schicksal

----------

in

anzuvertrauen: und wenn Saint Maurs Tochter frei zu wählen hat, so wird sie niemals die Gemahlin des Grafen von Norindall werden." Ähre Stimme War sicher als sie diese Worte aussprach. Die Festigkeit ihres To­ nes überraschte Herstalln. Zhr Entschluß scheint unerschütterlich. Der Greis tadelt ihre abschlägige Antwort; aber der letzte Abschied einer vielgeliebten Schwester erneu­ ert sich seinem Gedächtniß. Er hat gelobt, Elodiens Gefühle niemals zu zwingen: und sein Versprechen soll ihm heilig bleiben. Wer schildert Eckberts Schmerz! Elodie hat seins Hand verschmäht, seine Wünsche verworfen. Ohne bewegt zu scheinen, ver­ nimmt er aus Herstalls Munde den Aus­ spruch > Welcher fein Geschick entscheidet. Seine Verzweiflung ist still, seine Raserei stumm. —„Ehrwürdiger Greis, sprach er, des Freiherrn Hand leicht drückend, noch heute Abend werde ich diesen gastfteundlichen Bo-

112

-----------------

den verlassen, — wollte der Himmel, ich hatte ihn nie betreten." Nachdem er dieses gesagt, entfernte er sich. Am Tage zuvor hatte ihm sein gehei­ mer Bote die Antwort gebracht, welche er erwartete. Der Befehl zum Aufbruch ist gegeben. Tausend finstere und verwirrte Entwürfe rollen durch seine Seele. Sein natürlicher Edelmuth bekämpft vergebens die ungestüme Wuth, welche ihn durchzittert. Er fühlt es, daß die Gewalt des Bösen in ihm über die Tugend den Sieg davon tragen will. Umsonst steht er zum Himmel und heischt eine Stütze gegen seine Leidenschaften; nichts vermag ihre Ausbrüche zu mildern. Außer sich selbst, suchte er Elodien auf; er weiß nicht was er ihr sagen, nicht was er begin­ nen will, er faßt nicht, was er vor hat, aber es ist ihm Bedürfniß sie zu sehen. Endlich begegnet er ihr. — „Zch reise, spricht er, ihr wünscht, ihr befehlt es. Für immer gehe ich, euch und das Glück zp fliehen. —

—------

113

O! sagt mir wenigstens, — sagt mir, daß ihr mich bedauert!" —

Elodie sieht ihn an. —

Sie stockt ei­

nen Augenblick, sie ist von seinem Schmerz gerührt; und dennoch findet sie, um ihm zu

antworten nichts als

diese Worte:

„Lebt

wohl, edler Ritter."

ent­

Seinen wilden Renner besteigend, fernt sich der Graf von Norindall,

ohne

Hoffnung, ohne Trost von der Abtei.

Die

beiden

Krieger, welche

ihn begleiten, be­

merken mit Schrecken die Kürze seiner Ant­

worten, das wilde Feuer seiner Blicke und

das Ungestüme seines Rittes. Lange schon ist die

Sonne unter das

Meer getaucht, Eckbert spornt die Seiten seines Rosses noch

immer ohne Unterlaß,

und bemerkt den ungeheuren Raum nicht,

welchen er schon durcheilt hat. stürzt

endlich

Sein Pferd

Er

unter ihm zusammen.

weiß nicht an welchem Ort er sich befindet, wohin

er sich wenden, welche Vorsätze er

fassen soll. I-

Alles

ist ihm einerlei.

Aber 8

fl4

-------- —

nur zu bald werden sich die Gedanken of­ welche sich in seiner Seele ent­

fenbaren, wickelten.

das Gewie­

Die kriegerische Trompete,

her der Rosse, das Geklirr der Waffen, die

schallenden Stimmen der Ritter, wiederhal­ len nicht

Abtei.

mehr

unter den Gewölben

der

Die Tochter Saint Maurs wirft

sich insgeheim, nicht ihre abschlägliche Ant-

wort auf Eckberts Anerbieten,

ihre kränkende Erwiederung stigen Abschied vor.

wohl aber

und ihren fro­

Als er sich trotzig von

der Waise entfernte, hatte er ihr einen dro­

henden

Blick

zugeworfen.

Eine

unbe­

stimmte Ahnung beunruhigt das junge Mäd­ chen.

Vielleicht zieht sich schon in diesem

Augenblick

Ungewitter

ein

Haupt zusammen.

Doch,

über

Eckbert ist ein

Held: und besitzt Seelengröße;

durch

eine strafbare

beflecken! —

Ach!

könnte er

Handlung sein das

ihrem

Leben

heldenmüthigste

Herz hat, wie die schönste Jahreszeit seine reinen Tage und seine Stürme.

Mag sich

ohne angeborne Tugend der kalte unem­ pfindliche Mensch rühmen ohne Laster ge­ lebt zu haben, wird er wohl jemals Be­ wunderung einflößen? — Ach! alle Blicke werden sich lieber jenen Sterblichen einer erhabenen Natur zuwenden, welche, es ist wahr, die glühende Begeisterung nicht' im­ mer auf den himmlischen Höhen erhalten konnte; aber die im Fallen wenigstens ihre Schwingen nicht verloren haben, und bereit, «inen neuen Aufstug nach höher» Regionen zu unternehmen, niemals in den schändli­ chen Kreis der menschlichen Lauheiten ge­ krochen sind. Ohne das Bild des Einsiedlers, ohne seine letzte Erscheinung am Bogen der Brücke, ja sogar ohne die letzten Reden Marzellinens, hätte sich Elodie bet ihrer Antwort gegen Herstalln bedacht. Aber der neue Beweis, welchen der wunderbare Be­ wohner des Wildberges, von seinem lebhaf­ ten Antheil an ihr, gegeben, hatte ihre Seele gänzlich unterjocht.

------------

Xi6

dringt

Der Einsiedler

bis in die ge-

Heimsten Pläne des Lothringischen Fürsten. Die Großen der Erde und ihre Schicksale sind

ihm

ist

Wer

bekannt.

denn

dieses

übernatürliche Wesen, welches aus der Tiefe seiner Einsamkeit bis in die unbestimmtesten

Wer ist dieser

Gedanken der Höfe blickt?

des Berges,

geheimnißvolle Stern

dessen

schützende Strahlen mit Liebe auf sie nie­ und sie in der Tiefe

derzusteigen scheinen

des Thales aufsuchen? Schutzgeist seyn:

Es kann nur ein

Nur die

Stimmen

der

Dankbarkeit ertönen vor seinem Ohre, und diese Musik ist nicht der Gesang der Höl­

lengeister.

Stolz,

liebt zu seyn,

von einem Manne ge­

welcher ihr über alle Men­

schen erhaben scheint, jenen Eckbert,

genblick

empfindet Elodie für

dessen Glanz sie einen Au­

geblendet

hatte,

nichts als

den

flüchtigen Antheil, welchen eine merkwürdige die er eilig

Stelle dem Wanderer einflößt,

im

Vorübergehen

bewundert

und

nicht mehr wiederzusehen rechnet.

die

er

TI7 Herstall bereitete sich jeden

das Leben zu verlassen.

Augenblick

Das Kloster,

die

dazu gehörigen Güter, alles was er besitzt

wird Elodiens Erbtheil seyn. in der Abtei, ohne Hülfe,

Aber allein ohne Führer,

aus der jungen Waise werden?

was soll

Eine entfernte Verwandte Herstalls, welche

seit

schon

lange

am

Lothringischen

Hofe

lebte, besaß mehrere Durgen in der Schweitz.

Der Greis nimmt seine Zuflucht zu

Der Gräfin von

der Wohlthätigkeit vorschlagen,

heißt nur

die Wünsche ihres Herzens erfüllen.

berzeugt,

Ile«

daß sie, ohngeachtet ihres Alters

und ihrer Gebrechlichkeiten keinen

Augen­

blick anstehen würde, die Unschuld zu schützen,

ihr.

Znnberg eine Handlung

be­

wandte sich Herstall mit der leb­

haftesten Bitte

zum Besten seiner

an sie, und ersuchte sie,

Nichte

Elodien zu würdi­

gen, nach seinem Tode Mutterstelle bei ihr

zu vertreten.

Die glühende Hitze des Sommers folgte dem sanften

Hauch des Frühlings.

Der

Einsiedler steigt nicht mehr von seinem Berge Herab, er scheint das Thal vergessen zu haben. Die Jungfrau von Unterlachen wird jeden Tag trauriger und nachdenken­ der. Keine Begebenheit stört mehr die Einförmigkeit ihres Daseyns; diese Stille beunruhigt sie. Das holde Lächeln verschö­ nert ihre Rosenlippen nicht mehr; — ihr Gang ist langsamer geworden, sie geht oft in die Kapelle um zu beten; — der Auf­ gang der Morgenröthe findet sie nicht mehr froh und heiter. Die Saiten ihrer Laute sind erschlafft, ihre Blumen schmachten un­ bemerkt dahin, — und alle diese Verwand­ lungen rühren von einem einzigen Gedan­ ken her. Sonst schien ihr alles lachend und beseelt in dem Thal; jetzt dünkt ihr Unterlachen düster und verödet. Von ih­ rem geliebten Sommerhäuschen aus betrach­ tet sie den Schnee der Alpen, der die Gip­ fel, vhngeachtet der glühenden Flammen der Sonne bedeckt, und seufzet, daß ihr Herz nicht eben so kalt ist, wie diese ewige

1I9

----------------

welche

Mfiffe,

Trotz bietet.

der Glut

des

0! wie viele Stürme haben

ohne etwas

schon diese Höhen durchzogen, an

Sommer-

ihrem Anblick

zu

verändern!

Zunge

Blume Helvetiens, kaum hat dich ein leich­

ter Gewitter - Hauch berührt, und schon bist

du nicht mehr dieselbe. Ein dünner Regen,

welcher die Felsen­

spitzen von Unterlachen verhüllte, gab ihnen in diesem Augenblick wunderliche Formen;

weißlichte Wolken, tausend sonderbare Ge­

stalten

bildend,

Meereswogen,

pen hin.

laufen

durchsichtige

wie

über die Mitte öder Klip­

Die Strahlen der Sonne, die

dann mit einemmal die neblichten Dünste niederschlagen, Zwischenräumen,

erhellen den

Horizont

in

dann zerreißt, wie durch

Zauberei der Schleier der Berge, und zeigt

durch weite Oeffnungen, luftige Thorhallen, Fichtenhaine

und Felsentempel,

Wolken des Thales beherrschen. zauberischen

Gemälde

welche die Aber diese

der Natur

werden

1 —■

I2Q

kaum von Siebten bemerkt:

der Abend nä­

hert sich.

— „Wieder ein Tag dahin! — ruft die Waise,

entfernt.

während sie sich vom Pavillon

Sie bleibt stehen und sagt zu sich

selbst: dieser Schnee, wie viele Tage und Jahre hat er dahinfliehen sehen! Patriarchen, überlebt.

er hat die ältesten

hundertjährigen

die

Er wird

Eichen

noch da seyn,

lange

Nachdem der Weiler von Unterlachen,

die

Waise der Abtei vergessen, und den Namen,

des Einsiedlers zu

segnen aufgehört haben

wird." Jetzt bricht unweit Elodiens ein hefti­ ger Stoß die Gartenthür ein, welche auf'S Feld führt, und plötzlich zeigt sich ihr ein

vom Kopf bis zu den Füßen geharnischter

Ritter.

Erschrocken will die Jungfrau ent­

fliehen; der Unbekannte halt sie auf, erschlägt

sein Visier zurück: —„Ich bin es," spricht er mit wildem Ton,

und Elodie erkennt Eck­

berten.

„Was wollt ihr von mir!"

sie- —

»Folget mir."

ruft

Der Graf von Norindall hat bei die­ sen Worten die zitternde Hand der Waise ergriffen; aber seine Hand zittert noch stär­ ker, und das rauhe Ungestüm seiner Bewe­ gungen bezeugt die Verwirrung seines We­ sens. — „Laßt mich, sagt Herstalls Nichte, im Namen des Himmels, habt Mitleiden mit mir!" — „Du hast keines mit Eckbert ge­ habt!" dies sagend, zieht er sie ohngeachtet ihres Widerstandes und ihres schmerzlichen Gewimmers, fort: ein, von mehreren Krie­ gern bewachter Wagen, harrte des Opfers, welches er entführt. Bei der Thüre des Parks fällt Elodie auf ihre Knie. „Eckbert! edler Eckbert! haltet ein! Nein ihr seid eines solchen Verbrechens nicht fähig. Kommt zu euch selbst, groß­ müthiger.Ritter; werdet ihr zum erstenmal taub bey dem Klagegeschrei der Unschuld seyn!" Knieend, mit in Thränen schwimmenden

wie schön war sie nicht in ihrem

Augen, Schmerz!

wie stark war sie nicht in ihrer

Schwachheit!

Eckbert antwortet nicht, aber

er betrachtet sie...

Seine große Seele ist

erschüttert; es ist seine erste strafbare Hand­

er fürchtete sie zu unternehmen, er

lung:

erschrickt sie zu vollbringen. — „Stehe

auf,

englisches

Geschöpf!

stehe auf, spricht der erweichte Krieger; ich bin es, der zu deinen Füßen fällt. ich bin kein Ungeheuer,

Nein,

aber ich bete dich

an: ich bin nicht für einen feigen Entführer geschaffen, aber ich kann ohne dich nicht le­

ben.

Die Ehre ist mir kostbar, die Tugend

theuer; aber meine Liebe für dich, siegt über

Ehre und Tugend.

Reine Jungfrau, rette

mich vom Verbrechen: ich ^kann dich noch frei lassen, — nehme deine erste Weigerung zurück,

rufe Eckbert wieder in die Abtei.

Sprich, ich verlange nur ein Wort, — ein

einziges

Wort der

Hoffnung."

Als

er

dieses gesagt, stützte sich der Graf von No-

rindall

schwankend und

wie verwirrt auf

die Mauer, sein Urtheil erwartend. Sein Herz pocht verzweiflung-voll:

hat seinen Helm von sich geworfen,

er

dessen

Last er nicht mehr auf seinem Haupte zu

ertragen vermag: seine Hand preßt die glü­

sein Gesicht ist bleich und

hende Stirn,

entstellt, er erfleht und

fürchtet eine Ant­

wort. Eckberts Hand hält Tlodien nicht mehr

gefangen; der bereuende Eckbert scheint wie Anstatt ihm zu antworten, denkt

vernichtet.

Saint Maurs Tochter nur daran zu ent­ fliehen.

Der Augenblick scheint ihr gün­

stig, das nächtliche Dunkel kann ihre Flucht

begünstigen.

Zm raschen Lauf stürzt sie ge­

gen die nahen

sich,

Gebüsche

und

zwischen, dem dichten Lau-

schmeichelt zu

ver­

schwinden.

Pl-tzlich

wie

mit

Schrecken

erwacht,

verfolgt der Graf von Norindall die Flüch­

tige,

welche ihr weißes Gewand verräth.

Vergebens berührt sie die Erde kaum mit

ihrem leichten Fuß, denn schon ist die Waise wieder in die Gewalt ihres Räubers

zu­

»Jetzt ist eS aus! ruft Eck­

rückgefallen.

bert wüthend,

sie mit Gewalt zur Thüre

des Parks zurückführend:

du willst deinen

Untergang und den meinigen; unser Schick­ sal erfülle sich! — —

Wort des Mitleids!

Wie!

nicht

ein

nicht «inen tröstenden

Blick I“ —

Dann mit dem Ausdruck des Schmerzes

und

der Verzweiflung: —

fährt er fort,

„Grausame!

wäre es denn ein so entsetz­

liches LooS Eckberts Gattin zu seyn!---------

Weißt du, nige suchte!

daß mehr als ein Herz das seidaß mehr als eine Schönheit

insgeheim nach demjenigen seufzte, verschmähst! geliebt.

Ach!

den du

Eckbert hatte noch nie

O! wie bedaure ich jetzt diejenigen,

deren Wünsche ich verwarf! —

Ihr haßt

mich, ich selbst hasse mich: wohlan! wagt, es mir zu sagen;

belastet mich

Ausdrücken eurer Feindschaft, stung ;

bald werden

mit den

eurer Entrü­

wir das Thal durch-

schnitten haben: dort ist der Strom-----zeigt mir den Abgrund------ ich werde ge­ horchen, — und ihr werdet frei seyn." Die wilde Zärtlichkeit seines Ausdrucks, seine fürchterliche Gemüthszerrüttung, die innerlichen Kämpfe seiner Liebe, seine Reue und seine Raserei, preßten Elodiens gefühl­ volles Herz schmerzlich zusammen. Ohne Kraft ihm zu widerstehen, aller Hülfe be­ raubt und verzweifelnd, stößt die Waise kein unnützes Geschrei mehr aus, aber ihre kläglichen Blicke flehen ohne Unterlaß den grausamen Krieger an, welcher den Anblick ihres Leidens nicht zu ertragen vermag. Sie verfolgen den Weg nach dem Wei­ ler. Die Bewohner des Dorfes, in ihre ländlichen Hütten zurückgezogen, werden nichts von den Räubern gewahr. Zn die­ sem Augenblick tritt das nächtliche Gestirn aus dem schweren Gewölke hervor, das seine silberne Scheibe verschleierte; Eckbert ent­ fernte sein Roß nicht von Elodiens Wagen. Plötzlich wiederhallt eine fürchterliche

Stimme in den Wäldern.

Ein riesenhafter

Krieger am Ende der Brücke versperrt den

Räubern den Weg. kennt das runde

Wer ist das?

Wer

ungeheure Wappenschild?

Wem gehören diese funkelnden Waffen?

Schon

haben

Eckberts

verwegenen Krieger

Begleiter

angegriffen,

den

der ganz

allein es wagt, ihre Schritte zu hemmen. Alle

über

ihre Schwerter sind mit einem Male seinem

Haupte

Die

geschwungen.

Klingen sprühen Funken; das Klirren der

Waffen giebt das Echo der Berge furchtbar zurück: auf Eckberts Seite ist die Ueberzahl

und die Tapferkeit,

aber

am

Ende

der

Brücke die Kühnheit und der Tod. Erschrocken betrachtet Elodie den Unbe­ kannten

des

Waldes.

Getümmel das

seine

stolze

leuchtendes

ihn

Stirne

Schwert

ruche des Erzengels

Ruhig

mitten im

umgiebt, erhebt unerschüttert.

sich

Sein

scheint die Flammen­

vor den Pforten des

Paradieses; und auf seinem goldenen Helm wiegt sich ein schwarzer Dusch wie ein Trauer-

Fechtend

auf einem Siegesdenkmal.

flor

stürzt er alles zu

was sich ihm

Boden,

naht, zerschmettert er Alles was er erreicht.

Eckberts

hinab gerollt;

wüthend

den

in

sind

Gefährten

dringt

Strom

der Graf

von Norindall mit dem Degen in der Hand auf den unermüdlichen Sieger ein. 0 neues Bei seinem Anblick weicht der

Erstaunen! tapfere

Fremdling

und scheint

einige Schritte zurück,

ihm mit einer Herrscher-Ge­

berde zu sagen: — Halt ein! Erstaunt setzt Eckbert einen

seine

Streiche

Mann

Augenblick

Der geheimnißvolle

aus.

scheint gewöhnt ihm zu

gebieten,

das Recht zu haben ihm zu befehlen.

Er

schlägt seinen Helmsturz zurück; ein Mond­

blick beleuchtet die Siegers.

strahlende Stirne des

Seine Augen werfen ein glän­

zendes Licht von sich.

Die Jungfrau von

Unterlachen erkennt den Schützen des Ber­ ges ; der rettende Krieger ist der Einsiedler.

Eckbert ergreift ein plötzliches Entsetzen;

die Züge

des Helden

sind

ihm

bekannt.

Alle seine Sinne sind

Die Au­

verwirrt.

gen auf eine Erscheinung festhaltend, welche er vielleicht für übernatürlich hält,

bebt er

sein Schild entfällt

jetzt gleichfalls zurück;

ihm, er wirft sein Schwert von sich, stürzt

auf die Kniee; und seine Hände erheben sich flehend zu seinem stolzen Feinde.

Undeutliche Worte, die Elodie nicht zu

entschlüpfen seinen Lip­

verstehen vermag,

pen.

Er scheint ei» Wort von dem wilden

und schweigenden Geiste zu erbitten,

wel­

cher ihn mit einer Bewegung zu vernichten

geschienen hatte. dieses Wort;

Aber umsonst erwartet er

plötzlich erhebt er sich und

will sich dem siegenden Krieger nähern, den

er mit einem von Bewunderung gemischten Entsetzen

streckt die

Hand

stößt

zurück.

ihn

aber

betrachtet; aus

der

dieses Zeichen

und

Der

Einsiedler

unüberwindliche

Held hat gegen einen Felsen gelehnt, sein

Visier

wieder

herabgelassen.

vom Walde bewegt welche

auf seinem

die

Der Wind

schwarzen Federn,

Haupte

wogen,

und

um ihn her zu

scheint Trauerklagen rings

stöhnen, welche das dumpfe Gemurmel des Stromes verschlingt. verschwindet hinter

Held

mit

Der verfinsterte Mond einer Wolke

den glänzenden

und

der

Waffen scheint

nur noch ein schwarzes Gespenst, bereit ein

Todesurtheil zu verkündigen.

Noch hatte er kein Wort ausgesprochen, und demohngeachtet empfing Eckbert die er­ wartete Antwort.

Seinen siegreichen Stahl

emporhebend, zeigte der Einsiedler mit des­

sen blutiger Spitze dem Grafen von Norindall

den

Gipfel

des Wildberges,

den

eben ein letzter Strahl des nächtlichen Ge­

stirns erhellte.

Eckbert hat dieses geheim­

nißvolle Zeichen der unwiderstehlichen Macht verstanden. — ten," ruft er,

„Ich eile,

Nun nahte sich

fürchteten Felsen entflohen. der

Einsiedler

dich zu erwar­

und ist schnell gegen den ge­

gebietend dem Wagen

der

Waise--------- und der Führer nimmt zit­

ternd

und

unterwürfig

nach dem Kloster zurück.

I.

den

Weg

wieder

Der kühne Held

schwingt sich auf eines der Pferde von den überwundenen Kriegern und begleitet schüt­ zend die gerettete Jungfrau. Sicher, ohne Zwang, mit Anstand und Größe führt der Einstedler das Roß, und das hitzige Thier folgt gehorsam seiner lei­ sen Führung. Ganz gewiß haben außeror­ dentliche Thaten sein Leben verherrlicht, un­ zählige Lorbern seine erhabene Stirn be­ kränzt! Wie viele Feinde mag diese fürch­ terliche Hand auf den Feldern der Ehre besiegt haben! Welcher Glanz umgiebt ihn unter diesen Waffen, die er niemals ver­ lassen zu haben scheint! — Aber schon wiederhallen die Hufschlage der Rosse, das Nollen des Wagens in den gewölbten Hö­ fen des Klosters von Unterlachen — und der Einsiedler ist verschwunden.

Buch.

Fünftes

Herstall hatte die Waise

des Klosters

wieder in seine Arme geschlossen,

und seg­

nete', von allen Umständen der unglückseli­ gen Entführung unterrichtet,

den Ewigen,

welcher die Unschuld beschützte, und den ret­ tenden Krieger,

dessen sich seine göttliche

Hand bedient hatte.

Aber wie soll Dankbarkeit

er

dem Einsiedler seine

beweisen!

Er

hat

auf

sich

dem Wildberg unzugänglich zu machen ge­ wußt; ein Versuch sich ihm zu nahen,

ist

in seinen Augen eine Unbescheidenheit, eine

Undankbarkeit und beinahe ein Verbrechen. Sein unerbittlicher Zorn

donnert auf den

Verwegenen, der in der Hoffnung ihn anzure­ den, den steilen Felsen erglimmt hat.

den Reden des Volkes, Strafen mehrere

Nach

sollten fürchterliche

solcher Kühnen getroffen

haben,

die bis zur

Einsiedelei gedrungen

waren.

Man

die Verwegenen nicht

nennen,

aber man glaubt ihrer Züchtigung

kann

gewiß zu seyn.

Man weiß nicht woher sie

kamen, aber man bekräftigt ihr Verschwin­ den:

mit leiser Stimme erzählt man

ihre entsetzlichen

Ende;

Abenteuer,

sich

ihr trauriges

und ahnungsvolle Schrecken beglei­

ten die unbegreiflichen

Kein Be­

Sagen.

wohner von Unterlachen würde von nun an

wagen sich

Entrüstung

der

mannes blos zu stellen,

des

Wunder­

Ein Bannfluch des

Einsiedlers ist ein Blitzstrahl,

der unver­

auf den

Schuldigen

meidliches

Verderben

schleudert.

Zn

einem geheimnißvollen Ne­

bel hat sich der Unbekannte des WildbergeS

gehüllt,

von seinen Mitmenschen abgeson­

dert, und scheint

auf dem Gipfel seines

öden Felsens eine höhere Region zu bewoh­

nen, deren Luft

einzuathmen kein Sterbli­

cher außer ihm das Recht hat.

meine

Volk

wagt

kaum

in

Das ge­

seiner Hütte

von ihm zu sprechen, und untersagt sich selbst alle Muthmaßungen. Anselm war noch bei Herstalln, aber Elodie hatte sich, der Erschöpfung erliegend, dem Schlummer hingegeben. Herstall be­ rieth sich indessen mit seinem Freunde; er befürchtete eine neue Gewaltthat des Gra­ fen von Norindall und hegte den Wunsch, sich für den Augenblick aus dem Thal von Unterlachen zu entfernen. Vielleicht wäre es das Rathsamsie, Elodiens Daseyn in einem unbekannten Zufluchtsort zu verber­ gen , bis ihr Andenken in Eckberts Herzen erloschen seyn würde. Aber Anselm bestritt diesen Plan. „Uebereilt euch nicht einen Entschluß zu fassen, sprach der ehrwürdige Seelsorger: Eckbert sagt ihr, hat sich auf den Wildberg bege­ ben? was wird dort aus ihm selbst gewor­ den seyn. — Laßt uns dieß erwarten." — „Was! ihr denket, er könne nicht wieder erscheinen? — Man kann nichts denken, nichts vorhersehen, wenn sich der

Einsiedler

die

in

Ereignisse

kommenden

mengt."

Während des ganzen

Tages

folgenden

konnte sich Saint Maurs Tochter, von den

schrecklichen Auftritten des vorigen Abends angegriffen,

nicht

brennende»

Fürchterliche Träume stör­

Lager erheben.

ten ihren Schlaf;

Gespenster

als

von ihrem

ihre Augen sahen nichts

und

Gefechte.

Herstall

wachte, seine eigenen Leiden vergessend, sor­

Doch siegte Elo-

genvoll an ihrem Bette.

diens Jugend bald' über ein vorübergehen­

stieg

wieder von

des Uebel.

Sie

Zelle herab,

die reine Luft der Thäler er­

ihrer

frischte ihre Sinne, und die Ruhe zog von neuem tn ihr Herz ein.

Da wurde der Jungfrau von Unterla­ chen ein Dries

vom Grafen

dall übergeben.

Sie

von Norin-

trug ihn zu ihrem

Pflegevater, und Herstall las ihr den In­

halt

vor.

Plan,

Das

Gerücht

von

die Abtei zu verlassen,

nem Ohr gedrungen.

Er bat

Herstalls

war zu sei­ die Waise,

seine Gewaltthätigkeiten nicht mehr zu fürch­ ten, an seine Reue zu glauben, und ihn zu

würdigen, ihr ein letztes Lebewohl sagen zu dürfen, dann will er Helvetien für immer

verlassen.

Neue, Schmerz und Verzweiflung hatten diesem rührenden Brief des

die Feder bet Grafen konnte

von Norindall

nicht

an

geführt.

Herstall

den Gefühlen

zweifeln,

welche er enthält, denn jeder Ausdruck trägt

das Gepräge der Wahrheit an sich; Eckbert scheint zu

schlossen. entsagt.

dem

schmerzlichsten

Sein



Opfer

bereuendes

ent­

Gemüth

Durfte die Waise seine letzte Ditte Herstall nahm es über sich,

zurückstoßen!

ihm zu antworten folgenden Tag empfangen.

das

und Elodie

Lebewohl

Die Stunde

kunft erscheint.

der

sollte

den

des Grafen

Zusammen­

Saint Maurs Tochter er­

wartet lebhaft bewegt Neues Freundin dem

Saale der Abtei.

Ach dieser für Elodien so

peinliche Augenblick ist noch weit qualvoller

für den unglücklichen Eckbert!

Die Thüre öffnet sich,

von Norindall tritt ein.

und der Graf

Es ist nicht mehr

der junge glänzende Ritter, wie er sich zum erstenmal ihren Augen,

umgeben von den

Lothringischen Kriegern,

darstellte.

Welche

Zeit!

Seine

Veränderung

in

so

kurzer

schönen schwarzen Augen haben ihren Glanz

erloschener

verloren.

Sein

nur

stummen

noch

Blick

drückt

ans.

Die

Schmerz

Niedergeschlagenheit wohnt auf seinen blei­

chen Gesichtszügen, und die voreilige Sense

der Zeit scheint sich an seiner Zugend ver­ sucht zu haben.

Gewohnt die heftigen Ein­

drücke seiner Seele zu verbergen, Renes Freund still und

ruhig;

zeigt sich aber ach!

der an seiner Quelle durch Sturm getrübte

Dach kann wohl,

beruhiget,

nachdem sich der Himmel

noch friedliche Wellen dahinströ­

men, aber getrübt sind sie doch. „Edle Tochter Saint Maurs, spricht Eck­

bert, einem Strafbaren,

einen Augenblick

der Unterredung bewilligen, heißt ihm Hoff­ nung zur Verzeihung geben.

Eine Unglück-

liche Leidenschaft hat mich hingerissen,

zu Verirrungen

aber die Neue führt mich zu

euren Füßen zurück.

Mein Ungestüm hat

aufgehört — beruhiget

euch. —

ist nicht mehr zu fürchten. —

Eckbert

Er entsagt

in diesem Augenblick Elodien, der Liebe, der Ehe, dem Glücke;

warum darf er nicht sagen,

dem Leben auf immer!"

ich kann

„Ritter, antwortet die Waise,

nicht

an

der

Worte

eurer

Aufrichtigkeit

zweifeln; sprecht mir daher nicht mehr von

Verirrungen und Neue; wieder gut gemacht,

und

euer Unrecht ich

ist

habe alles

vergessen." — „Ihr verzeiht mir,

bert, das ist genug:

erwiedert Eck­

ich habe nun künftig

nichts mehr auf Erden zu erwarten.

Das

Leben bietet mir jetzt nur eine unermeßliche

Leere dar, Nacht ist.

in

deren Hintergrund

Elodie!

möchtet

ihr

ewige glücklich

seyn! mein Opfer ist vollbracht, meine Seele

ergeben;

ich habe nichts mehr diesseits des

Grabes zu hoffen."

Der Graf von

Norindall war

aufge-

standen, eine Thräne der Rührung entfloß Elodiens Augen.

Renös Freund entfernte

„Eckbert!" rief die Jungfrau:

sich.

und

dieses mit bewegter Stimme ausgesprochene Wort hält den Krieger zurück;

rasch wen­

„Schonet mich!

det er sich wieder zu ihr.

Eure rührende Stimme töne nicht

tust er.

mehr in mein Ohr, oder ich stürze zu euren

Füßen nieder.

Der sanfte Blick Elodiens meinigen nicht mehr,

begegne dem

oder

keine menschliche Gewalt vermag mich von dieser

Stelle

zu

reißen,

wo

ich

meine

dem Einsiedler gegebene Schwüre vergessen

würde!"

„Eure dem Einsiedler gegebenen Schwüre!" wiederholt die erstaunte Jungfrau.

„Ja alle meine Schwüre, fährt Eckbert

mit Leidenschaft fort. ben!

fliehen,

ich

eure Ruhe

und

Könnt ihr es glau­

Ich habe ihm geschworen,

doch

habe ihm

gelobt nicht mehr

zu stören. — hat

er

euch zu

meine

Er heischte es,

Thränen

fließen

sehen... die ersten welche ich jemals ver­ gossen."

Neues Freund durchgeht den Saal mit

starken Schritten; seine Stimme ist gepreßt, vergebens hätte er dem Laut des Schmerzes

Vom gro­

einen Ausgang versagen wollen.

ßen Balkon der Abtei, das Thal

erblickt,

Wildberg.



von wo aus man

sucht

sein Auge

den

„Armer unglücklicher Ein­

stedler! ruft er, hältst du dich denn in diesem Augenblick für beklagenswerther als ich es bin!" Jedes Wort des Grafen von Norindall

vermehrt

die

„Eckbert,

spricht sie,

Verwirrung

Waise. —

der

dem Einsiedler

verdanke ich eure edle Reue,

thigen Entschlüsse?" —

also

eure großmü­

„O,

fragt

mich

nicht, unterbricht sie der Krieger mit wilder Heftigkeit.

Ich

nicht verrathen;

darf

seine

Geheimnisse

und ihr selbst fürchtet sie

ja zu kennen." Nach einigem Stillschweigen: „Elodie, nahm er wieder ruhiger geworden,

das Wort,

und näherte sich ihr, ich hätte

euer Daseyn beglücken können; ich fühlte mich werth euer Gemahl zu seyn: der Him­ mel hat es nicht gewollt... Empfanget also mein letztes Lebewohl. Wenn jemals mein Beistand Derjenigen nützlich seyn könnte, über welche der Einsiedler Macht, so verfü­ get über den unglücklichen Grafen von Norindall. Ach diese leidenschaftliche Seele welche euch anbetet und euch zu entsagen vermag, kann nicht ganz ohne einige Größe seyn, aber ihr konntet dieses Gemüth nicht näher kennen lernen. Eckbert hatte euch mit Gewalt besitzen können: als Elodiens Gemahl würde er durch seine Tugenden, seine Ergebenheit und Zärtlichkeit, ihre Ver­ gebung für eine vorübergehende Verirrung erlangt haben. Die glückliche Elodie würde der Liebe die Vergehen der Liebe verziehen, Eckbert würde aus seiner angebeteten Gat­ tin seine Gottheit auf Erden gemacht ha­ ben; er hatte die Seligkeit des Himmels schon hienieden genossen. Eckbert hat frei­ willig seine Blicke von der bezaubernden

I4I

---------------

Aussicht abgewendet,

freiwillig vorgezogen

das Finstere, ein Nichts, die Verzweiflung. Sanfte Taube,

indem ich mich von euch

losreiße, wage ich nicht auf euer Andenken zu rechnen, und doch hat vielleicht niemand

mehr wie ich Bedauern verdient."

Nach diesen Worten verließ der Graf von Norindall die Waise, welche allein zurückge­

Eckberts

blieben, aus tiefer Brust seufzte.

Seelengröße hatte sich in dieser kurzen Un­

terredung geoffenbart. Wie sollte Elodie

Krieger beklagen,

nicht einen so edlen

mit

der sich

gänzlicher

Selbstverläugnung aufopferte, um ihre Ruhe

«nd ihr Glück zu sichern.

Ein schreckliches

Geheimniß ist in seinem Dusen verschlossen

geblieben, aber es dünkt der

ihr, je mehr sich

geheimnißvolle Schleier heben

werde,

je erhabener müsse ihr Eckberts Entsagung erscheine^.

von

Elodien

Herstall

die

hatte

letzte

sich

Renös Freund wiederholen lassen,

staunen wuchs jeden Tag.

mehrmals

Unterredung

mit

sei» Er­

Der Einsiedler

war es also,

der

seiner Liebe heischte. dunkle Eremit

von Eckbert das Opfer

Aber wie kann

vom Berge

seinen

dem mächtigen Grafen von Norindall schreiben?

der

Willen

oor-

Und mit welchem Rechte wirft

er sich zum Richter seines Schicksals auf? Der Greis beklaget mit tiefem Schmerz,

daß er seine Nichte nicht hatte bewegen kön­ nen, Eckberten zum Altar zu folgen.

Edle

großmüthige Seele! ruft er aus; und dann

denkt er wieder: ach, wie wird Elodie einen erlauchteren Gemahl, ein zärtlicheres Herz

und einen edleren Helden finden! Herstall kaun sich Elodiens Gleichgültigkeit

für Eckbert nur durch die Vermuthung erklä­

ren, daß ein Anderer ihr Herz besihen müsse.

was sonst

Eckbert vereinigte alles in fich,

der Schönheit gefällt, die Zeigend entzückt;

alles was

das Herz der Frauen

und dennoch

vermochte

seines Ranges,

Züge,

weder

besticht;

der Zauber

weder seine männlichstolzen

noch sein Ruhm und seine Tugen-

den, nichts das Herz der Waise zu seinen

Gunsten zu rühren.

Auferzogen in der Einsamkeit,

gewohnt

nur rohe Hirten zu sehen, konnte ohne da­

durch geblendet zu werden, Elodie den Glanz betrachten, welcher Nenes Freund, sten Großen, darstellte,

der sich

ihr

aus

den er­ der Welt

Der schöne Graf von

umgab.

Norindall betet sie an: er schildert ihr seine Gefühle mit dem Feuer

der Zugend

und

Leidenschaft — er legt ihr seine Ehrentitel

und Schatze zu Füßen, er erhebt sie entwe­

der zu hohen Würden, oder er opfert sie ihr

auf;

und die arme Waise eines entlegenen

Anerbietun­

Thals schlägt die glänzendsten

gen aus,

verschmäht den

verführerischsten

Krieger und bleibt unempfindlich gegen die

leidenschaftlichste

Liebe! —

holt sich Herstall betrübt,

„Za, wieder­

ein Anderer hat

ihr Herz bezaubert."

Anselm,

der

würdige

Vertraute

Freiherrn, wohnte nahe beim Kloster:

widmete

seinem

Freunde

alle

des er

Stunden,

welche üjm die Erfüllung feiner Pflichten

übrig ließ.

Zn solchen Stunden tadelte er

bei gewissen Umstanden die Sanftmuth als Schwäche und

eine

die Güte

als

einen

Irrthum. — „Ziemte es euch, sprach Anselm bei dieser Gelegenheit,

dem

Eigensinn

eines

Kindes nachzugeben? Ihr seyd der Waise Vater; als solcher seid ihr in dieser Welt das Ebenbild Gottes, nicht fragt.

eures

welcher befiehlt und

Zhr allein sollt

Kindes

entscheiden.

das Geschick Ei»

oberster

Richter soll er seine Aussprüche wohl erwä­ gen! aber sobald

er von ihrer

Gerechtig­

keit überzeugt ist, verkündige er sie!

Dies

schreibt ihm seine Pflicht vor.

Graf

Der

von Norindall würde Saint Maurs Toch­ ter beglückt haben: ihr war't davon über­

zeugt, und hättet sogleich die Vermählungs­

feier bereiten lassen sollen.

Es wird vielleicht ein Tag kommen, wo Elodie zu spät die Weigerung bereuen könnte; sie hätte dann das Recht euch zu sagen: Zhr

wäret mein Vater,

habt ihr mir

warum

nicht die Vermählung geboten, welche mich

Zch

glücklich gemacht hätte?

war

jung,

ohne vernünftige Ueberlegung, ohne Erfah­

rung, warum habt ihr mich gehört? doch das himmlische Gestirn bei

Fragt

der Wie­

derkehr des Frühlings, nicht die Pflanzen des Thales, ob es auf sie seine Strahlen,

seine Gluthen

das

und

Leben

ausgießen

soll l “ Durch Anselms Vorwürfe niedergeschla­

gen überließ sich Herstall zu später

diente

Indessen

letzte

der

Reue. seiner

Wille

Schwester seinem Benehmen zur Entschul­

digung:

er vertraut dem würdigen Priester

seine Unruhe,

hinsichtlich der verborgenen

Gefühle seiner Nichte;

seiner Befürchtungen

verhehlt ihm keine

und

theilt ihm alle

seine Gedanken mit. „Aber,

borgenen

wer hätte denn in diesen ver­

Thälern

Elodiens

Herz

rühren

sollen?" ruft Anselmus. „Wer?

I.

antwortet

der Freiherr:

der,

io

welchen die ganze Gegend fürchtet und be­ wundert, derjenige, dessen Daseyn ein Räth­ sel und dessen Macht ein Wunder ist, der, dessen Name auf Aller Lippen schwebt, und

dessen Wohlthaten in jeder Erinnerung

le­

mit einem Wort der Mann des Ge­

ben;

heimnisses

und

dex

„Was höre ich! Einsiedler

Bezauberung." eS möglich?

wäre

Wildberge?"

vom



— Der

„Er

„Sie haben sich gesehen?" —

selbst." —

„Sie haben

„Mehrere Male." —

gesprochen?"

„Zn der



„Und

Klosters." —

sie

Gallerte

sollte

ihn

sich

des lie­

ben?« ....

„Höret mich.

Saint

Maurs Tochter

ist in dem Akter der Täuschung und Schwär­ merey.

Der noch jugendliche Einsiedler ist,

sagt man,

der

Schönste der Sterblichen.

Noch ehe sie ihn kannte,

nur mit ihm beschäftigt. würdigen Erzählungen

ihre

lebhafte

war

die Waise

Die erstaunens­

der Gegend hatten

Einbildungskraft

entflammt.

Ohne Unterlaß die heldenmüthigen Thaten,

die wohlthätigen Werke, die edlen Züge des Einsiedlers rühmen hörend, hatte sich ihn Elodie, schon ehe sie ihn sah, als einen, zu den Menschen herabgestiegenen Schutz­ gott vorgestellt. Von Blendwerk, Geheim­ nissen und Wundern umgeben, ist ihr plötz­ lich der Genius des Berges erschienen. Die Schönheit seiner Person war ein neuer Reitz, ein fast himmlisches Wesen wirft einen Blick der Liebe auf sie.... Wie sollte sie so vielen Bezauberungen wiederstehen l — „Der Unbekannte vom Berge liebt also die Waise?" — „Kann ich daran zweifeln! Unsichtbar heftet er sich an ihre Schritte und beschäftigt sich stets mit ihr; er scheint in alle Geheimnisse der Erde ein­ geweiht, von allen vergangenen Begeben­ heiten unterrichtet zu seyn, ja er enthüllt ihr sogar die künftigen Dinge. Die Gro­ ßen des Hofes von Lothringen sind ihm bekannt. Durch ihn hat Elodie die vorge­ habte Vermählung Eckberts mit der Prin­ zessin von Lothringen erfahren; und sein»

heldenmüthige Tapferkeit war es, welche die Waise den Händen ihrer Räuber entriß. Der Einsiedler ist ohne Zweifel ein furchtbarer Krieger. Allein, an der Drücke des Stromes, hat er die ganze Schaar des Grafen von Norindall niedergeworfen. Ach warum habt ihr Elodien nicht die Um­ stände dieses außerordentlichen Gefechtes er­ zählen hören! Mit welchem Feuer malt sie nicht diesen Helden, dessen erhobenes Schild allein ein ganzes Heer besiegte! Mit welcher Bewunderung stellt sie nicht den Sohn des Sieges in seinen kriegerischen Waffen glänzend, wie der erste der Erzen­ gel unter den himmlischen Panieren dar." „Ach! ihre schwärmerische Begeisterung hat mir ihre Liebe enthüllt." — „Und, welche Hoffnungen hat sie? was können ihre Entwürfe seyn?" Alles beweißt mir, daß der Eremit von Unterlachen kein gemeiner Sterblicher ist. Könnt ihr es glauben, Anselm? er hat dem Grafen von Norindall Befehle vorge-

schrieben.

Der erlauchte Freund Renes ist

zu den Füßen des Unbekannten vom Wild­

berge gestürzt: der Einsiedler hat von Eck­

bert das Opfer seiner Leidenschaft gefordert, und Elodiens

glühender Liebhaber schwur,

diese Gegend auf immer zu fliehen. „Könnte ich jetzt noch

an

der Macht

von Eckberts Ueberwinder und seiner Liebe für die Waise zweifeln? —

Zch will ihn

auf dem Wildberge aufsuchen." —

Herstall!" —

„Ihr,

„Warum diesen Schrecken?

Zch kenne die Volks-Gerüchte, welche je­ dem

Verwegenen

mit

einem

schrecklichen

Ende drohen, der es wagt ohne seinen Be­ fehl den Wildberg zu ersteigen und sich sei­

ner Wohnung zu nähern; aber steht es mir zu davon zurückgeschreckt zu werden? Wäre es auch wahr,

daß

er

einige Zudringliche

bestraft hätte, welche bis zu seiner Ansiede­ lung

drangen um den Frieden derselben zu

stiren, so darf der Pflegvater derjenigen, die

er liebt, nichts von seinen Gewaltthätigkei­ ten befürchten.

Die Neugierde

ist

nicht

das Gefühl welches meine Schritte zu sei­ ner geheimnißvollen Wohnung leitet: ElodienS Glück, vielleicht selbst das seinige er­ heischen diese Zusammenkunft. A. Was! Zhr hättet den Gedanken ge­ faßt, eure Nichte mit dem Etnstedler zu verbinden? H. Noch habe ich keinen Plan ent­ worfen, noch kann ich keinen Entschluß fassen; aber ich will Eckberts Ueberwinder sehen. — 2s. Zhr wollet ihn sehen? Weil ihr euch darnach sehnt, so wünsche ich es. — H. Zhr zweifelt, daß ich bis zu ihm dringe? — A. Zch erwarte vom Einsiedler nur das 2lußerordentliche, das Uebernatürliche und Unbegreifliche. H. 2sber es handelt sich tim sein eig­ nes Geschick mit Lebhaftigkeit; dieses Ge­ heimniß muß enden.... 2s. Das Geheimniß! wehe euch, wenn ihr an seine Schleier rührt!.... Herstall!

----------------

151

läuft

wer sich einem Abgrund nahen will,

Gefahr davon verschlungen zu werden.

Es

giebt keinen Bewohner Unterlachens,

der

euch nicht mit mir zuriefe:

den

Ersteiget

Wildberg nicht.

kümmert mich

Was

H.

glaube des Volkes!

Zch glaube nicht an

Eckberts Besieger

Zauberei;

dieser Aber­

ist

nur ein

durch großmüthige Züge

Mensch:

hat er

große Tugenden bewiesen; was habe ich von

ihm zu befürchten!

Die Wohlthaten, die er

verbreitet hat, sind Thatsachen; die strafba­ ren Handlungen, welche man ihm vorwirft,

sind nur ungewisse Vermuthungen. Entschluß

ist

unerschütterlich;

ich

Mein werde

morgen den Einsiedler aufsuchen. —

A.

Morgen! gut, morgen will ich für

euch beten.

Gott sei mit euch!

Saint Maurs Tochter kannte den Ent­

schluß ihres Pflegevaters, sich auf den Wild­

berg zu begeben, und eine besondere Unter­ redung mit dem seltnen Manne zu haben,

welcher sich

für

berufen hält über

sie zu

wachen. Zwar ist bie Zungfrau von Un­ terlachen weit entfernt sich zu schmeicheln, daß diese Zusammenkunft einen Erfolg her­ beiführen könne, aber dennoch scheint ihr eine geheime Stimme zu sagen, daß sich ein großes Ereigniß bereite, und es ihr Loos ändern werde. Ze näher Elodie den Augenblick heran­ rücken sieht, wo der Freiherr von Herstall nach dem Wildberge aufbrechen wollte, desto inbrünstiger steigen ihre Gebete zu dem Höchsten empor. Zhre sonst stillen Züge, ihre schnellen Bewegungen verrathen die Aufregung ihres Gemüthes. Oft sieht man sie ohne Ursache zusammenschrecken. Sie spricht oder antwortet hastig, ohne selbst den Sinn ihrer Worte zu verstehen. Das min­ deste Geräusch erschreckt sie; der geringste Gegenstand überrascht, die unbedeutendste Frage bestürzt sie. Zu offen um sich zu verstellen, zu natürlich um sich zu zwingen, scheint ihr Geist minutenlang abwesend zu seyn. Herstall beobachtet und versteht

sie; er seufzt, und beschleunigt den Au­ genblick seines Weggehens. Es ist kaum Mittag; der Greis hat sich von der Abtei entfernt; er ist wahrscheinlich schon bei der Wohnung des Einsiedlers angelangt. Die Stunden verrinnt«. Auf dem großen Bal­ kon des Klosters sitzend, sind Elodiens Blicke unabläßig auf den Weg, der zum Wildberge führt, gerichtet, und nur zuwei­ len wendet sie sie davon ab, um sie zum Himmel emporzuheben.- Zn dem Herzen der Unschuld ist die Liebe verschwistert mit dem religiösen Gefühl; der empfindsamen Seele ist es ein eben so großes Bedürfniß zu beten, wie zu lieben. Die Sonne sinkt zum Horizont; ihre halb verschleierte goldne Scheibe erhellte die Gipfel der Berge nicht mehr. Herstall sollte zur Abtei zurück seyn: woher dieser lange Verzug? was kann ihm begegnet seyn? Die Furcht folgte auf die Ungeduld in Elodiens Herzen: bald wird es dunkel seyn; Herstall zeigt sich ihr weder in der

Ferne auf dem Fußpfad des Waldes,

noch

auf einer der Straßen des Thales.

Der

letzte rothe Strahl der untergehenden Sonne fällt auf den Gipfel des Wildberges.

Jungfrau von Unterlachen

Die

schaudert zusam­

men... sie wähnt zwischen sich und dem

Berge eine blutige Schranke zu sehen,

und

stößt unwillkührlich einen Schrei aus. Mutter Ursula läuft herbei und eiligst

verläßt die Waise den Balkon;

die

Ver­

wirrung ihrer Lebensgeister ist aufs höchste gestiegen. —

Mädchen

„Folgt mir!" sagt das junge

außer sich. —

„Auf den Wildberg." —

„Wohin?"



„Auf den Wild­

berg !" wiederholt Ursula erschrocken.

--------- „Ich befehle es euch."

Es war das Erstemal, daß Elodie dieses Wort aussprach: ihre Stimme ist fest, ihr

Blick streng; und Mutter Ursula außer sich vor Erstaunen, folgt schweigend ihren Schrit­ ten nach.

Im Süden thürmten sich ken auf;

schwere Wol­

die Sonne war von

der

Erde

verschwunden;

kein Wind bewegte die Ge­

sträuche des Thales,

die Natur war fried­

lich, aber die Stille ging dem Ungewitter

voraus.

Die drückende Hitze der Luft, der

erschrockene Flug der Vögel,

ein entferntes

Brausen,

ein

drohende Blitze,

schwarzer

Vorhang, der sich immer weiter über den Himmel ausbreitete,

Sturm.

Aber

alles verkündigte den

Elodie

bemerkte

nichts

davon. Sie durchfliegt die Wiesen:

mag sie aufzuhalten.

nichts ver­

Jenseits des Stro­

mes, beim Eingang des Waldes hält sie ei­

nen Augenblick an,

um

neue Kräfte

des

Himmels,

zu

schöpfen. — „Im Namen

wollt ihr thun!" ruft Mutter Ursula,

was vor

Müdigkeit erliegend und vor Entsetzen er­ starrt. —

„Herstall,

antwortet die heftig

weinende Waise, mein Beschützer, mein Va­

ter, Herstall ist seit diesem Morgen in der

Einsiedelei. verloren! —

Er ist — großer Gott! er ist Ich will ihn suchen."

— „Ich falle zu euren Füßen,

schreit

Ursula außer sich, habt Mitleiden mit mir,

habt Mitleiden mit euch selbst, gehet nicht Weiler:

der Tod ist dort." —

„Was ist

mir der Tod! Herstall vom Alter gebeugt, ist vielleicht der Müdigkeit erliegend,

zwi­

schen Felsen mitten in den Wäldern nieder­

gesunken.

Vielleicht

bedarf er

Augenblick meinen Beistand,

er mich...

in

diesem

vielleicht ruft

Nein, keine menschliche Gewalt

könnte mich abhalten." — „Ihr werdet beide umkommen." — „Ich habe füllt."

Nach

dann meine Pflicht er­

diesen Worten vertiefte sich

die Jungfrau von Unterlachen in den Wald; die Mutter Ursula stürzt ihr nach, erhascht ihr weißes Oberkleid und wirft sich ihr bei­

nahe sterbend zu Füßen. — „Kehret ins Kloster zurück,

spricht

das junge Mädchen erweicht, ich erlaube es

euch.

Ich werde allein gehen--------- aber

laßt mich." — „Ich euch verlassen! Niemals.

Hö-

ret ihr den Donner rollen? — der

Him­

mel widersetzt sich eurem Vorhaben,

waS

wagt ihr zu unternehmen! Gerechter, vergel­ tender

zerschmettere

Gott!

Berg!" —

Fort!

den höllischen

ruft Elodie mit

dem

Ausdruck des Zorns und der Verzweiflung:

laßt mich!" Ein wüthender Sturm erhebt sich:

das

Rollen des Donners erschüttert den Wald;

die

entfesselten

Winde

heulen

durch

die

schwarzen Fichten. Das Ungewitter bricht über den Höhen

des Thales aus...

Die Mutter Ursula ist

fast leblos zu Elodiens Füßen. —

„Himm­

lische Stütze der Unschuld! ruft die Waise,

stehe mir bei."

Der Schleier welcher ihr

Haupt bedeckt, wird vom Sturme entführt:

die zerstreuten Locken ihrer langen Haare flie­ gen in Unordnung um Stirn und Schultern.

Der Regen strömt mit Heftigkeit herab: dichte

Nacht bedeckt den Wald, welchen das rothe Feuer der Blitze in Zwischenräumen erhellt.

Elodie hebt die Mutter Ursula auf,

zieht

sie mit Anstrengung zu einer nahen Eiche

und unterstützt ihre erstarrten Glieder; nun unter dem schützenden Daum stehend, bleich,

regungslos, ergeben, und vom Sturme zer­ schlagen , Abtei,

scheint die sanfte Jungfrau der

bei

dem

furchtbaren

Schein

der

Blitze, eine Lichterscheinung des Himmels,

zwischen den Finsternissen der Hölle. Indessen

ist das fürchterliche Gewitter

vorüber gezogen,

Abend her;

über dem Berge. Sturmwindes Ferne,

ein Lichtstrahl glänzt von

der Donner rollt nicht

mehr

Die laute Stimme des

brüllt

nur

noch

aus

der

gegen Morgen zu drängen sich am

Horizont die Wolken zusammen;

das reine

Blau des Himmels ist wieder sichtbar. —

Die

niedergeschlagene

auf; —

Pflanze

richtet

sich

der beruhigte Vogel findet seine

Gesänge wieder; — die Natur scheint einer gräßlichen Gefahr entgangen.

Ach! umsonst

hat sich der Himmel erheitert, .der Sturm

ist noch in Elodiens Herzen.

Ihre Glie­

der sind'vor Kälte erstarrt, ihr Kopf glüht.

das Beben ihrer

und

Nerven

Alle Wege sind überschwemmt;

ihr wälzt

von

nicht weit

der Strom seine sandigen

mit Getöse dahin.

Wellen

fieberhaft.

durch

Neue,

das Ungewittcr entstandene Wildbäche, stür­ zen sich von den Höhen herab und durchschnei­

die Pfade

den

Waldes,

des

Bäume sperren alle Wege.

ausgerissene

Aber für die

Waise giebt es kein Hinderniß, keine Furcht mehr: es ist nicht mehr die zitternde Taube des Klosters;

Hülle

ternen

unter der zarten und schüch­

verbarg

Elodie

große

eine

Seele, die nur einer außerordentlichen Ge­

legenheit bedurfte, um ihre Kraft zu ent­ wickeln.

Die Mutter Ursula hat ihre Besinnung wieder erlangt:

ihr flehender Blick befragt

ihre junge Gebieterin über den Entschluß, welchen

sie

fassen

Elodie

will.

versteht

diese stumme Ditte, sie antwortet nicht, aber

zeigt

ihr mit

Kloster

und

Wildberge.

der

Weg

zum

den Fußsteig

zum

Hand

verfolgt

den

—---------- -

i6o

großer Raum

Ein

trennte sie

schon

von Ursula'», welche sich vergebens bemühte

ihr von ferne zu

folgen,

und zur Aufop-

ferung ihres Lebens entschlossen scheint. dringt ein dumpfes Stöh­

Auf einmal

nen zu ihren Ohren:

men. —

Dieser

sie schaudert zusam­

klägliche Ton,

welcher

nicht weit von ihr ausgestoßen wurde, dünkt ihr der letzte Seufzer irgend eines Unglück­

lichen:

sie stürzt auf eine Daumgruppe zu,

woraus derSchmerzenslautzu dringen schien,

und wird bei dem letzten Schein des

Ta­

einen Entseelten auf dem Rasen lie­

ges gend

verhüllt ihn.

Kraft

Ein

gewahr.

schwarzes

Gewand

Die Waise nimmt alle ihre

zusammen,

nähert

sich,

hebt

den

Mantel auf, und — erkennt Herstalln.

Bei diesem fürchterlichen Anblick erfüllt die Jungfrau von Unterlachen die Luft mit ihrem herzzerreißenden

Geschrei.

Knieend

über den bleichen Körper ihres Vaters ge­

beugt, bestrebt sie sich ihn zu erheben, und ruft

ihn

mit

den

zärtlichsten

Namen.

Ursula ist jeht herbeigeeilt. „Das Unge­ heuer! schreit sie, er hat ihn ermordet. Zch sah es voraus. Noch ein Opfer!" — — „Ermordet! wiederholt die Waise mit Entsetzen, wo ist denn die Wunde? wo das Blut?" — Und ihre zitternden Hände, ihre irren Blicke suchen vergebens die Spuren eines Mordes. — „Aber sagt sie, vielleicht ist er nur ohnmächtig. Die Beschwerlichkeit des Weges — sein hohes Alter — dieses fürchterliche Ungewitter------ und für mich setzte er sein Leben in Gefahr! ich wäre die Ursache feines Todes! Ursula, lauft inS Dorf! lauft, Ursula! Schnelle Hülfe bringt ihn vielleicht wieder ins Leben zurück." Ursula gehorcht, sie beschleunigt ihre Tritte so viel sie vermag; aber sie hofft nichts. — „Es ist um ihn geschehen, sagt sie leise, er hat es nicht anders gewollt." Saint Maurs Tochter ist allein bei dem Greise zurückgeblieben, der ohne Bewegung auf dem feuchten Waldgras ausgestreckt I.

IÖ2

liegt.

Zn ihren Händen sucht sie die er­

starrten Hande ihres Vaters zu erwärmen. Zhre heißen Thränen baden Herstalls ent­

färbtes Gesicht. fragt ihn,

Sie spricht mit ihm,

sie

um eine

und unterbricht sich,

Antwort zu erwarten---------dann sich über­

zeugend,

daß er zu leben aufgehört hat,

überläßt

sie

sich

dem

Uebermaß

ihres

Schmerzes.

ist Ursula zurück.

Zwei Hir­

ten und Marzelline folgen ihr-

Beim An­

Endlich

blick dieser

letzten

steht Elodie auf, und

wirft sich mit Thränen strömenden Augen

in ihre Arme.

Während

die Hirten deö

Weilers die Tragbahre bereiten, worauf sie

Herstalln zur Abtei bringen wollen,

sucht

Marzelline die Waise zu beruhigen. — „Lebt er noch?“ ruft Elodie.

Mar­

zelline beugt sich über den Körper des Grei, ses, legt die Hand auf sein Herz, scheint

einen Augenblick zu horchen,

endlich die Worte aus: — Elodie erhebt

und spricht

„Er lebt."

ein Freudengeschrei. —■

----------

l6s

„Hätte er sein Opfer verfehlt? sagt Ursula verwundert." — „Argwohnt ihr einen Mord! unterbricht Marzelline sie leb­ haft." „Ob ich einen Mord argwohne! wieder­ holt Ursula: Herstall kommt ja vom Wild­ berge zurück." Bei dieser Antwort wendet die entrüstete Marzelline ihr Haupt mit Verachtung weg. — Die Hirten, welche Herstalls Körper trugen, stiegen den Berg hinunter; Elodie folgte dem Trauerzug auf Marzelline» ge­ stützt; und in dem Schatten der Nacht zog dieses Gefolge der Verzweiflung und des Todes schweigend durch die öden Höfe der Abtei.

Sechstes

Buch.

Jedes Mittel der Kunst wurde an dem Greise des Klosters versucht. Die verzwei­ felnde Elodie entfernte sich nicht von dem Bette, worauf ihr Pflegevater, noch beim Anbruch des Tages, bewegungslos hinge­ streckt lag. Anselmus, der Aeskulap des Thales, leistete ihm vergebens alle erdenk­ liche Hülfe, ohne sich zu schmeicheln sein Le­ ben erhalten zu können. Noch ist kein Wort der Hoffnung über seine Lippen gegan­ gen, und das Schweigen des guten Prie­ sters kann für die Weissagung von Herstalls Tod gelten. Elodiens Thränen, ihre furchtbare Blässe, ihr dumpfes Gewimmer, rührten den ehr­ würdigen AnselmuS, und bemüht, sie auf den gräßlichen Schlag vorzubereiten, wel­ cher ihr einen zweiten Vater zu rauben

droht, spricht er zu ihr: —

ter,

wenn Gott HerstallS

„Meine Toch­ reine Seele zu

sich rufen sollte, so wollen wir uns demü­

thig und kindlich in seinen Willen ergeben; wir wollen den Augenblick segnen, der seine

Leiden endigt,

und ihm die Pforten

überirdischen Freude öffnet.

die himmlischen

Chöre die

des neuen Erwählten.

nahe Ankunft

Schon ruft ihn ein

ewigen Seligkeiten.

Engel zu

der

Schon feiern

Entfernet

euch, reine Jungfrau; hier seid nur ihr zu

beklagen." — „Nein, nein,

lassen!"

sie eine

ruft das junge Mädchen,

ich werde sein Sterbebett nicht ver­

Zn diesem Augenblick überrascht leichte

Bewegung Herstalls:

«in

Strahl von Hoffnung leuchtet in ihre Seele. Neue Bemühungen, die starren Glieder des

Greises

zu

beleben,

werden «»gewendet.

Ein leichtes Roth färbt das Angesicht des

Sterbenden und feine Augen öffnen sich dem Lichte wieder. Nach einer

Weile scheint Herstall

die

theuren Gegenstände

ihn umringen.

zu erkennen,

welche

Seine Zlugen heften sich Mit

dem zärtlichsten und schmerzlichsten Ausdruck Er versucht

auf die Waise:

einige Worte

an sie zu richten;

vergebliche Anstrengung!

seine Bewegungen

sind gelähmt

und seine

Zunge bleibt stumm. Elodie nähert sich Anselm. —

„0 mein

Vater, sagt sie, verhehlet mir nichts: ist die­ ser Zustand natürlich?

Hätte

ther den Augenblick seines nigen wollen?

ein Äerrä-

Todes beschleu­

ist Herstall das Opfer eines

grausamen Feindes? —

„Nichts beweißt

mus. —

> ‘‘ antwortet Ansel-

„Und ihr argwohnt

brechen?" —

kein Ver­

„Wenn ein Verbrechen ver­

übt wurde, so hat es wenigstens keine Spu­

ren zurückgelassen.

Herstall ist im Walde,

vom Schlage getroffen niedergefallen.

Keine

schuldige Hand, kein mörderisches Eisen sind auf ihn erhoben worden. keit eines langen Weges,

Die Mühselig­

der Sturm und

vielleicht eine zu heftige Gemüthsbewegung

167

- --------------

haben den Anfall beschleunigt, den ich schon längst bei ihm besorgte."

Von

welcher

drückenden

diese Antwort Elodiens

befreite

Last

ihr Blut

Herz!

kreiste ungehemmter durch die Adern.

Aber

ach! dem schrecklichen Propheten gleich, der

den

unter

Tempels

fährt

Mauern

„Wehe

Salomonischen

des

schrie,

dir Zerusalem!"

Anselmus mit

Stimme

begeisterter

fort: — „Ein schwarzer Schleier verhüllt die

Umstände, welche Herstalls Fall mitten im Walde

niß. ...

bührt

Wenn

vorangingen.

würde, vielleicht

er

gehoben

ein entsetzliches Geheim­

Aber nur dem höchsten Wesen ge­

es verborgene

zu strafen.

Sünden

Es giebt einen andern Richterstuhl als die menschliche

Verdammniß

Ein

Gerechtigkeit.

wird sich in

Ruf

der

der Einsamkeit

erheben--------- der Koloß wird wie ein zer­ brechliches Gefäß zerschmettert

Umsonst stolzen

errichtet Lügenthron

bas auf

werden. —

Verbrechen

den

seinen

Höhen

der

---------------

l6g

Erbe.

Der Blitz

ist noch über den Ber­

gen." Indem er diese letzten Worte aussprach,

gehörten weder sein Blick der

Ton

noch sein

Eine übernatürliche Macht

Erde an.

schien diese Rede geboten zu haben.

Die

Jungfrau

von Unterlachen schrickt

men. —

Ihr Haupt ist schweigend wie­

zusam­

der auf ihre Brust gesunken, und ihren Au­

gen entfließen neue Thränen. Indessen ist ein Tag mehr in die Tiefe

welcher die Monde, Jahre

hinabgesunken,

und Jahrhunderte verschlingt. ter

Saint

MaurS

ruft

Die Toch­

vergebens

den

Schlummer weniger Stunden an, damit er ihr neue Kräfte verleihe,

um

bei

ihrem

sterbenden Vater wachen zu können.

Der

Schlummer gleitet von ihren Augenliedern ab, wie der Trost von ihrer Seele.

Sie kehrt

zu Herstall zurück,

allein mit ihm. sprechen;

Der

Greis

aber sein Blick,

kann

sie

ist

nicht

ausdrucksvoller

als je, scheint die Waise zu bitten,

daß sie

l6g ihn befragen möge,

könnte,

ihr durch

als wenn einen

er

hoffen

andern Beistand

wie den der Rede zu antworten. — mein Vater!

verlasset euer Kind

„O

nicht!"

sagt ElodieZhre Hand hält die Hand des Greises; es dünkt ihr einen leisen Druck empfunden

zu haben. —

„Der unglückselige

beginnt fie wieder;

Gang!

vielleicht ohne die Be­

schwerlichkeit des Weges, ohne eure Zusam­ menkunft «yit dem Einsiedler..." Die Waise hält erschrocken inne.

Bei

dem Namen des Einsiedlers scheint Herstall von

einem

plötzlichen

Sein Auge belebt sich,

Schauder ein

Wuth dringt daraus hervor.

erfaßt.

Strahl

von

Seine Seele

sucht, um sich verständlich zu machen, die

Hindernisse zu durchbrechen, seln.

welche sie fes­

Eine gewaltsame Anstrengung, den

letzten Zuckungen ähnlich, hat seinen zittern­

den Lippen die Bewegung wieder gegeben. Einige erstickte Laute,

undeutliche Worte,

bahnen sich einen Ausweg.

Elodie horcht

auf. —

„Das Ungeheuer! ...

Ach!...

Unglückselige!... Fliehe!“ Das Feuer seiner

Blicke ist verschwun-

den, seine Glieder sind wieder steif gewor­ den; seine Stimme ist erloschen; seine Züge

entstellt.

Es ist um ihn geschehen!

Der

Vorhang der Ewigkeit ist zwischen dieZung-

frau und den Sterbenden gezogen. Mehrere Tage waren vergangen.

An-

selmuS bemüht sich, die hinterlassene Waise

wieder ins Leben zurückzurufen. wie vernichtet,

und unempfindlich

Sie ist

für die

Die Farben ihres An­

zärtliche Sorgfalt.

gesichtes sind gänzlich erloschen; ihre Stimme ist nur noch ein klägliches Aechzen, und ihr Daseyn ein immerwährender Schmerz.

Endlich erhebt die gebeugte Blume wie­ der ihr Haupt. Tochter, beraubt,

haben,

Aber ach! Saint Maurs

der einzigen Stütze ihrer Zugend beklagt,

Herstalln

überlebt

zu

und wagt nicht ihre Gedanken auf

die Zukunft zu richten, welche sie erwartet.

Sie wankt zum Balkon des Klosters;

171

---------------

dort läßt sie ihre Blicke in die Ferne schwei­ Die Sonne hat die Dünste überwun­

fen.

den und Himmel

zerstreut.

Unter

dem

blauen

erheben sich die blendend weißen

Gipfel der schneebedeckten Felsen.

Die Wiese ist mit Blumen besäet; die Natur

schön und rein wie in den ersten

Tagen der Schöpfung; der Wasserfall rauscht die Lüfte wiederhallen von

in der Ferne;

freudigem Schall der Sänger der Haine. —

„Ach, ruft die Waise mit klagender Stimme, außer meinem Daseyn und meinem Geschick, außer dieser unglückseligen von Vorwürfen

belasteten Seele ist nichts

in der Natur

verändert!" Ihre Thränen flössen in Strömen als sie dieses sagte.

Ach!

dem von Schmerz

zerrissenen, durch Unglück gebrochenen Her­

zen

erscheint

mel,

ein reiner und heiterer Him­

eine lachende Gegend nur eine bittere

Verspottung.

Wie viele Klagen auch hienieden dem

entschwundenen Geist des Gerechten folgen,

der Himmel giebt ihm keine Thräne,

Die Natur verfolgt

Erde keine Seufzer.

ihren gewohnten Lauf;

den Menschen,

wähnt,

der

die

gleichgültig

sie für sich

gegen

geschaffen

bemerkt sie seine Geburt so wenig

wie sie sich mit seinem Tod beschäftigt. Herstalls Wille wurde erfüllt.

Im Hin­

tergründe des Klostergartens lag ein Hügel, von hohen Bäumen beschattet, deren dichtes

Gezweig die Strahlen der Sonne abhalten. Hier

ruht

seine

sterbliche

Kein

Hülle.

Todtenmal soll hier errichtet werden, Stein sein Grab decken,

kein

keine stolze In­

schrift an seine Tugenden erinnern.

Elo-

diens Pflegevater hat diese Pracht des To­ des, diese Eitelkeit des Staubes untersagt.

Nur ein einfaches Kreuz erhebt sich beschei­

den auf dem Grabhügel. Der ehrwürdige Pfarrer von Unterla­ chen verließ das junge Mädchen nur selten,

deren einzige Stütze er geblieben ist.

aufmerksame

Sorgfalt

und

fromme

Durch Ge­

spräche suchte er die Wunden ihres Gemü-

ihrs zu heilen. Anselm kannte die letzten Absichten seines Freundes, er hatte daher seinen Neffen, den jungen Konrad, an die Gräfin von Zmberg abgeschickt, um ihr Herstalls Tod bekannt zu machen. Zeden Tag erwartet er Konrads Rück­ kehr und die Antwort der Gräfin. Viel­ leicht wird Elodiens neue Beschützerin selbst ins Kloster kommen um sie abzuholen. Ihre Gemächer sind bereitet, der gute Anselmus hat alles bedacht. Elodie hatte ihre Kräfte wieder erlangt, und der erste Gedanke ihrer Genesung ist an HerstallS Grabe zu beten. Gegen Abend ging sie allein durch den Park, verweilte am Fuß des Trauerhügels, sank heiß weinend auf die Kniee nieder und schluchzte: — „O mein Vater! jetzt eine Fremde auf dieser weiten unbekannten Erde; waS habe ich von der Zeit zu erwarten als ge­ häuften Gram! was von den Menschen zu hoffen als Mitleiden! O erflehe meine

Erlösung

Herrn,

deine Fürbitte

durch

von

dem

erflehe, daß er vor mir die trauri­

gen Schranken des Lebens niedersinken lasse, und

mir

den

himmlischen

Weg

zu

dir

eröffne!“

An das Kreuz auf dem Grabe gelehnt, in ihre frommen Betrachtungen versunken,

waren Saint

Maurs Tochter die Augen­

blicke entflohen, ohne daß sie ihr Entschwin­ Mit Abscheu stieß sie das

den bemerkte.

Andenken des Einsiedlers zurück, derholte

sich

die

Worte

ihres

und wie­ sterbenden

Vaters. Der Bewohner des Wildberges, die ge­ heimnißvolle Macht, ist für sie keine himm­

lische mehr; und demohngeachtet vermag sie

nicht sich ihn als den Genius des Bösen vorzustellen.

Seit Herstalls Tod hatte sich

im tiefsten ihrer Seele ein gewisses Ent­ setzen zu dem Namen des Einsiedlers gesellt;

vielleicht würde sie den Muth haben ihn zu fliehen, aber sie fühlt sich nicht stark genug

ihn zu vergessen.

Nur

nächtliche Strahlen erhellten den

Trauerhain. Erstarrt von der feuchten Abend­

luft, bleich wie das Espenblatt im Mond­ licht,

hebt die Jungfrau von Unterlachen

langsam ihr sorgenschweres Haupt

empor;

und — auf welchen Gegenstand trift

Blick!

ihr

Auf den Baum der Gräber gebeugt,

schön wie am Tage wo er die Laute im Arm,

ihr wie ein höheres Wesen erschien, steht der

Jäger des Berges vor ihr, und betrachtet

sie still,

unbeweglich gleich dem Marmor­

bild eines Grabmals.

Sein rechter Arm

hebt nachlässig einen Theil des, von den Schul­ tern herabgleitenden Mantels empor; dichtx

schwarze Locken fliegen unordentlich um die freie

männliche Stirn.

Das Mondlicht welches

durch die Zweige bricht, scheint ihn mit einem

silbernen Gürtel zu umschlingen

und

der

zitternde Schein umgiebt ihn mit magischem Schimmer.

Die ruhige Haltung von Eckberts Ueberwinder, der rührende Ausdruck seines Bli­

ckes, die Klarheit seines Angesichts, haben

augenblicklich alle trüben Erinnerungen und schreckenden

Betrachtungen

Herzen verscheucht.

aus

ElodienS

Durch seinen Anblick

allein, ist jeder düstere Eindruck verlöscht;

und schon

hat der

Zauberer vom

Berge

wieder seine Gewalt über sie erlangt.

Die Waise glaubte eine fromme Thräne aus seinen Augen auf Herstalls Grab fallen zu sehen.

Seine Gegenwart im Trauerge­

büsch, diese letzte dem Andenken ihres Va­ erfüllte Elodiens

ters geweihte Huldigung,

Seele mit einer geheimen Freude, mit zärt­

licher Dankbarkeit:

der

Einsiedler

ihren Augen gerechtfertigt. Licht

hat plötzlich

erleuchtet.

ist

in

Ein glänzendes

die finstern

Gedanken

Der Weg durchs Leben ist ihr

jetzt kein Gang in die Wüste mehr, Elodie nicht mehr allein in der Welt,

und wenn

sie wieder vor Herstalls Grab knieen würde, so wäre es nicht dasselbe Gebet mehr, wel­

ches sie an den Himmel richtete. „Er, ein Ungeheuer! er, ein Mörder!

spricht sie in ihrem Herzen.

Ach! wenn die

Tugend in menschlicher Hülle herabstiegen, sie könnte keine himmlischere Gestalt wäh­

len. — stalls

Die Vernunft des sterbenden Her­

konnte

zerstört

schon

ich den Beschuldigungen

seyn:

dürfte

des Fieberwahns

glauben?“

Der Einsiedler näherte sich ihr. „Ihr habt mich für strafbar halten kön­

nen !

sagt er mit dem Ton deS Vorwurfs;

ihr konntet mich Herstalls Tod beschuldigen!"

Diese Worte entsprachen» Elodiens ver­ borgensten Gedanken.

Der geheimnißvolle

Mann liest also in ihrer Seele.

Die be­

stürzte Waise hütet sich ihn zu unterbrechen:

die Stimme des Einsiedlers hat zu süß in ihrem Herzen wiedergeklungen.

Sie wagt

nicht zu sprechen, aus Furcht ihn nicht län­

ger reden zu hören. — „Reine, fleckenlose Jungfrau, nimmt er

wieder das Wort,

ich wollte euch Wiederse­

hen, um mich in euren Augen zu rechtfer­

tigen.

Ueber

Herstalls sterblichen Resten,

vor diesem geheiligten Kreuz, im Angesicht I.

des Himmels schwirr ich es,

niemals hat

sich auf dem Wildberge der Einsiedler mit einem Verbrechen befleckt."

So spricht er, und die Hand über dem ehrwürdigen Zeichen der Erlösung erhoben,

scheint er jede menschliche und göttliche Ge­

walt herauszufordern, seine feierlichen Worte

Lügen zu strafen. „Herstall! fährt er fort, wenn ich dein

Leben antastete,

wenn ich jemals nur den

Gedanken daran hegte, so erhebe sich deine drohende Stimme

aus

dem

Sarge!



Wenn ich die Wahrheit verrathen habe, so

klage ungesäumt den Verbrecher an!" Elodiens

Herz

schlug

mit Heftigkeit;

aber nicht mehr mit Entsetzen.

Zeder Arg­

wohn ist zerstört, jede Unruhe zerstreut, und

weit entfernt den gegenwärtigen Augenblick zu fürchten,

hätte sie seine Dauer verlän­

gern mögen. — „Ich sehe, sagt der Einsiedler, ihr glaubt

meinem Schwur:

ich bin vor euch gerecht­

fertigt — Lebet wohl."

Er wollte sich ent-

„Verzeihet ihr mir kränkenden

fernen. —

Argwohn?"

spricht die Waise mit Schüch­

ternheit. —

„Der Schein klagte mich an,

und

antwortet er,

schuldig

halten.

ihr konntet

mich

für

seufze ich seit

Ueberdieß

lange schon unter der Last ungerechter Ver-

urtheilungen, und erstaune nicht mehr dar­

„Ihr

über." —

verlaßt

mich?"

sagte

dem Gebüsch ge­

Elodie, als ste ihn aus

hen sah. „Vielleicht für immer."

Bei dieser Antwort machte die Jung­ frau

unwillkührliche

von Unterlachen eine

Bewegung,

ihn zurückzuhalten,

und der

Schmerz malte sich auf ihrem lieblichen Ge­ „Wie! sprach der Einsiedler von

sichte. —

Neuem, ihr

erns!" — freier?"

würdigtet mich eines Bedau­

„War't ihr nicht mein Be­

antwortete

lebhaft bewegt;

als

das

junge

Mädchen

ihre Stimme drückte mehr

bloße Dankbarkeit

aus.

Der Jäger

des Gebirges ist nicht mehr Herr der Em­ pfindungen, welche ihn bestürmen. — „En-

ruft er, haltet mich nicht

gel des Klosters,

zurück, ihr seid verloren!"

Und

der unbegreifliche

scheint

Mensch

sie von sich zu stoßen.

Saint Maurs Tochter bebt erschrocken zurück.

Finstere

mengepreßt. sie aufs

ist schmerzhaft zusam-

Herz

Ihr

neue.

Gedanken

Sie flüchtet

verfolgen

sich zu dem

Tvdtenkreuz, wie unter die Arche, des Heils, und ihre Thränen strömen.

Erschüttert,

außer sich, vergißt der Jä­

ger des Berges alle seine Entschließungen:

er stürzt zu ihren Füßen nieder. — „Du hast es gewollt:

du

entreißt

mir das unglückselige Geständniß — wohl! ja,

ich liebe dich!

Du allein

Nun bist

mir mitten in der Finsterniß wie ein himm­

lisches Morgenlicht erschienen, mich ins Le­ ben zurückzurufen.

den für mich

Jetzt giebt es auf Er­

nichts mehr außer Elodien,

und diese Elodie kann niemals die Meine

werden."

„Niemals!,, wiederholt die Waise: und

•------------- -

181

in diesem Wort der Zärtlichkeit und Ver­

zweiflung hat sich ihre ganze Seele geoffenbaret.

„Blicke

um

dich

irrem Wesen fort: verbirgt den Tod, ist eine Gruft.

her,

fährt

er

mit

Rasen

dieser blühende

dieses lachende Gebüsch

Unglückliche! mein Geschick

gleicht diesem trügenden Rasen, und meine

diesem

Liebe

Mädchen,

AngebeteteS

Trauerhain.

laß mich dich fliehen,

um auf

einem Meer von Leiden und Verzweiflung, rin Spiel der Wogen,

vom Sturme ver­

folgt, und vom Blitze gestreift,

So will es der Ausspruch des Him­

ren.

ich unterwerfe mich meinem Schick­

mels, sal:

umherzuir­

aber der Schiffbruch

schleudere

mich

wenigstens allein in den Abgrund! Noch ist

es Zeit., rette dich! Mein Wahnsinn erschreckt dich, hinzu,

seht er

Elodie suche nicht den Mann des

Verderbens

zu

verstehen;

begnüge

dich

ihn zurückzustoßen: Engel der Erde! Ahme

die himmlischen Geister nach und verschließe

mir den Eingang deiner Wohnung."

Die Jungfrau

von Unterlachen fühlte

ihre Kniee unter sich zusammenbrechen und

starr vor Entsetzen sagt sie zu ihm: „Stehet auf, Grausamer! Ach! was vermag ich euch zu antworten! ihr habt meine Seele zerrissen."

Der Einsiedler sieht sie wanken: er will sie aufrecht halten;

er schlägt seinen Arm

um ihren Leib; und bas junge Mädchen,

in einem Augenblick der Besinnungslosig­ keit,

läßt ihr Haupt sanft an seinen Du­

sen sinken:

weise

so

Blume

schmiegt an

sich des

Epheu'S

die Ulme des Thales.

Der jungfräuliche Schein des Gestirns der Liebe verklärt ihr

Ihre langen

himmlisches

Angesicht.

halbgeschlossenen. Augenwim­

pern verschleiern ihren zauberischen Blick.

Der Unbekannte sie schweigend;

der Wüste betrachtet

ein glühendes Feuer rollt

durch seine Adern. — er,

Auf einmal ruft

mit dem Ausdruck der heftigsten Lei-

denschaft: — „Elodie, ist es wirklich wahr! liebst du mich?" Zn seinem Blick ist kein wilder Aus­ druck, kein irres Wesen auf seinen Zü­ gen mehr, er drückt die angebetete Zungfrau mit Zärtlichkeit an sein Herz. Bei der süßen Frage der Liebe kommt die Waise von Unterlachen zu sich selbst zurück: sanft schiebt sie de» Einsiedler von sich, und macht sich erröthend aus seinen Armen los. „Ob ich euch liebe? antwortet sie, wozu könnte dieses Geständniß dienen! Habt ihr mir nicht gesagt, daß Elodie euch niemals angehören kann?" Der Bewohner des Wildberges fürchtete wie es schien, ihr zu antworten; tausend verschiedene Empfindungen bekämpften sich zu gleicher Zeit in seinem Innern; er ent­ fernt sich, durchrennt das dunkle Gebüsch mit starken Schritten, kommt dann plötzlich zur Waise zurück und rasch das Stillschwei­ gen brechend, ruft er aus: — „Und wie könnte ich hoffen, daß

Elodie mir jemals angchörcn wolle. herirrend,

was habe

verbannt «nd elend,

ich einer Gattin zu bieten?

einen

eine wilde Hütte,

der Verbannung,

Um-

Felsen einen

unbekannten Namen, ein unglückliches Da­ seyn.«

— „Allein

Elodie,

und

verlassen,

ohne Verwandte,

antwortet

ohne Reichthum

und ohne Stühe, was besitze denn ich mehr

als ihr auf dieser Erde?" — „O, bezauberndes Mädchen!

unter­

bricht sie der Zager des Berges mit Ent­ diese Worte ändern mein Schicksal,

zücken:

der Donner über meinem Haupte verhallt.

— „Du liebst mich! Ach! der Himmel muß

mir verziehen haben:

auf Glück hoffen.

ich

darf also

noch

Wohlan! folge mir und

du wirst dich nicht mehr allein und verlas­ sen fühlen:

ich werde deine Stütze,

Vater, dein Gemahl,

meine

Elodie

als eine

dein

ich werde alles für

seyn.

Hütte zwischen

Ich

habe

nichts

einsamen Felsen,

aber an deiner Seite werde ich

mich dort

für den Glücklichsten der Natur,

günstigten des Lebens

den Be­

Nichts als

halten.

ein Herz habe ich dir zu bieten,

aber die­

ses Herz glüht in Liebe für dich.

Unschul­

dige Taube, o! komm, meine Einsamkeit zn

reinigen!

komm,

wie eine Gesendete des

Himmels, den Abgrund

in

ein Paradies

umzuschaffen.

Mitten in unsern Bergen allein,

von

der Gewalt

der

Menschen,

fern

in eine

Wolke der Liebe und Wonne gehüllt, wer­

den wir ungesehen und glücklich durch das Leben wallen, und unsere verborgenen Freu­ den den Neid nicht erregen.

Ach! ich habe

die Hoheit gekannt, und sie hassen lernen;

ich habe Reichthümer besessen und sie ver­

worfen;

ich war vom Ruhm geliebt,

habe ihn verflucht.

diesem Thal

höchste Gut.

und

O reine Jungfrau, in

der Thränen

ist Lieben

das

Die Liebe ist ein den himm­

lischen Seligkeiten entflohener Strahl,

ein

Blick in die Entzückungen des andern Le­ bens,

die Glorie des Herzens auf Erden!

Ig6 Antworte Elodie, antworte, willst du mir dein Geschick anvertrauen?"

Bei diesen letzten Worten hatte der Jä­ ger des Berges die Hand der Waise ergrif­ fen und führte sie aus dem Gebüsch.

schüttert, hingerissen, hebt sie

zum Himmel,

Er­

die Augen

scheint ihn zu fragen und

widersteht nur schwach.

Aber

der

Mond

ist vom Horizont verschwunden, dichte Wol-' ken verhüllen die Natur, und das Brausen

des WindeS widerhallt von wie ein

den Wäldern,

Klagelaut, welcher um Hülfe für

die Unschuld ruft.

— „Haltet ein!

sagt plötzlich Elodie,

ich bitte euch, haltet ein! Wohin führt ihr

mich?" —

„Auf den Wildberg! zur Liebe,

zum Glück!“ antwortet der Einsiedler mit

Leidenschaft;

und schneller noch zieht er die

Geliebte mit sich fort.

Jetzt fand die Waise ihren Muth wie­ der, —

druck,

„Nein,

erwiedert sie mit Nach­

ich werde nur meinem Gemahl fol-

gen, nur vom Mare zurückkehrend, würdet ihr das Recht

haben über

mich zu

be­

stimmen." — „ES giebt Altäre in der Wüste, ruft

Einsiedler

der

Ueberspannung;

in

der

leidenschaftlichsten

überall Hirt der Ewige die

Gelübde des Menschen, überall zünden sich die hochzeitlichen

Kerzen und

die

Fackeln

der Liebe an.

Wage es, dich mir zu vertrauen, zarte Blume des Thales! ich schwöre dir deinen

jungfräulichen Glanz nicht zu beflecken. Ein Diener Gottes soll unsere Loose vereinigen. Komm! dein Gemahl wird deiner

seyn.

würdig

0 meine Elodiel willige darein mir

zu folgen.

Meine Liebe für dich hat mir

die ersten Führer meiner Jugend, die ersten Gefühle meines Lebens, die Ehre, die Recht­

lichkeit, die Begeisterung und

die Tugend

wiedergegeben." — „Nein,

wiederholt Elodie mit fle­

hender Stimme, und seinen Bemühungen

widerstehend:

nein

ich

darf euch

nicht

folgen: laßt mich!“

Bei diesem rührenden Angstruf der Un­ schuld halt der Einsiedler

inne.

flüchtiger

die

Blitzstrahl

ist

Wie ein

Begeisterung

verflogen, wie ein Dunstgebild der Lüfte ist das bezaubernde Gemälde zerronnen.

Dem

himmlischen Traum folgt ein gräßliches Er­ wachen:

schreckliche Erinnerungen

entreißen

ihn der süßen Täuschung; plötzliche Gedan­

ken rufen ihn zu sich selbst zurück.

Unbegreifliche

läßt Elodiens

Der

Hand wieder

fallen. „Vergebt, sagt er zu ihr, einen Augen-

blick des

Wahnsinns....

ben ! —

was wagte ich zu hoffen!

Zhr! mich lie­

mir auf den öden Felsen folgen!

Zhr!

war ich

eines solchen Opfers würdig! Nein, meine sinnlosen Wünsche konnten

nur den Him­

mel und die Erde beleidigen. —

Zch weiß

mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. — Zhr seid frei."

Sein Ton ist verändert.

Niemals stie-

ßen die Klage, der Schmerz, die Reue, die

Verzweiflung einen zerreißender» aus.

Elo-

die ist frei, und dennoch bleibt Elodie wie

Kehret

gefesselt an seiner Seite stehen. —

zurück ins Kloster,

nimmt er wieder mit

düsterer Stimme das Wort. wohner,

euren

Neue

Be­

eine neue Stütze wird euch dort ersetzen.

Pflegvater

Ich

glücklich seyn!

Möchtet

ihr

selbst verbanne mich

von morgen an aus dem Thale.

Jenseits

des Murtersee's, fern von Unterlachen, auf einem entlegenen Berge, von wo aus man

die Zinne des hohen Kloster-Thurmes ent­ deckt,

will ich

flüchtiger

mein

Glanz,

Grab

welcher

hölen.

Ein

die Dunkelheit

durchbricht, macht die darauf folgende Fin­ sterniß noch gräßlicher.

Der Tod, meine

einzige Hoffnung, wird meine Qualen bald

endigen. —

Lebt wohl.

Wenn ein Un­

glück eure Tage bedrohen sollte,

wenn die

Gegenwart des Einsiedlers euch

noch aus

irgend einer Gefahr retten könnte,

so zün­

det auf dem hohen Thurme der Abtei, wel-

igo

----------

chen mein Auge bis zur Todesstunde nicht zu betrachten aufhören wird, bei Nacht ein Feuerzeichen an, und ihr werdet mich erschei­ nen sehen." So spricht er, und sich von ElodienS Seite reißend, stürzt er aus den Gärten des Klosters und flieht schnell durch Laub und Schatten. Unglückliche Elodie! nie­ mals wird dieser Abend in deinem Gedächt­ niß verlöschen!

Siebentes

Buch.

Zwei Tage sind vorüber und noch ist Konrad nicht in Anselms Priesterwohnung zurückgekehrt. Der Pfarrer von Unterlachen weiß nicht mehr, wie er sich diesen langen Verzug erklären soll. Konrad hatte kaum noch sein fünfzehntes Zahr erreicht: sollte ihm ein Unglück begegnet seyn? so jung noch und ohne Führer durch das Ge­ birge wandernd, konnte er sich verirrt ha­ ben, in Lebensgefahr gerathen seyn? — Vielleicht liegt er irgendwo von den Müh­ seligkeiten der Reise erschöpft? Ungeduldig zählte Anselm jeden Augenblick. Konrad war der Sohn einer geliebten Schwester, Konrad war sein Zögling; seine Zärtlich­ keit für ihn hatte keine Gränzen; er beren'te es, ihm diese Botschaft übertragen

zu haben und fing an,

an seiner Rückkehr

zu verzweifeln. Es war zwölf Uhr Nachts, als ein hef­ tiger Stoß die Thüre der Priesterwohnung

erschütterte:

dem Schlafe

der

alte

auf.

sein Pflegsohn.

Pfarrer

Ohne

aus

fahrt

Zweifel

ist

Er steht eiligst auf,

es

zün­

und geht selbst, das

det seine Lampe an,

Haus zu öffnen.

Ein Unbekannter,

stellt sich ihm dar,

von hohem Wüchse,

in seiner Hand ist eine

mit Blut gefärbte Keule,

läuft auf allen

Seiten

und das Wasser von

seiner Klei­

dung herab. Der Fremde trägt einen leblosen Gegen­

stand,

und der Anstrengung beinahe erlie­

gend, scheint er kaum noch zu athmen. tritt näher,

chen

erkennt

Er

und der Priester von Unterla­

beim

schwachen

Schein

der

Lampe in seinen Armen den bleichen, bluti­

gen und der Empfindung beraubten Körper seines geliebten Konrads.

Anselm

bebt

schaudernd

zurück.



„Fürchtet nichts,

spricht

der Unbekannte,

dieses Blut ist das meine; ich habe es ver­ gossen, um Konrad

zu

„Er

retten." —

ist todt?" schreit der Greis schmerzlich. —

„Er ist nur ohnmächtig;

darum eilet ihm

beizustehen." Ein

großes

Feuer

wird

angezändet.

Der Fremde legt seine mühevolle Bürde auf

ein vor dem Heerde bereitetes Lager.

des jungen

Kleider Wasser,

Konrads

Die

triefen von

seine Glieder sind steif vor Kälte,

nur langsam kommt er ins Leben zurück. — „Ihr habt ihn gerettet, ruft AnselmuS mit

aber

an

des Stromes."



dem Ausdruck der Dankbarkeit;

welchem Orte?" —

„Am Rande

„Von welcher Gefahr ?" „Von den Dolchen

der Mörder." — „Mit

„Wie! ihr allein?" —

dem Beistand

deS Himmels."



„Muthiger Unbekannter! aber wer seid ihr

denn ?" — „Der Bewohner des Wildberges." Bei diesem Namen bleibt der Seelen­ hirte der Gläubigen regungslos wie verstei-

I.

13

und ohne

nett,

sagt

Stimme stehen.

Dann

plötzlich das Stillschweigen

er,

bre­

„Wer ihr auch seyn möget, ich

chend: —

bin euch meine Dankbarkeit schuldig.

Diese

Der Ein­

großmüthige Aufopferung"....

Eine Art wil­

siedler fällt ihm ins Wort.

der Verachtung zeigt sich auf seinen Zügen; seine Stimme

bitter.



ist rauh

und

„Dankbarkeit!

sein

Lächeln

wiederholt er,

giebt es denn deren unter den Menschen!" Der erstaunte Anselmus betrachtet ihn mit

Erschütterung.

Sterblicher!

„Unbegreiflicher



wahrscheinlich er­

spricht er,

schöpfte gegen euch das Unglück seine Pfeile;

aber steht eine große Seele wie die eurige Die himmlische

nicht über dem Schicksal!

Gerechtigkeit"....



„Die

himmlische

Gerechtigkeit!".... wiederholt

der Einsie­

dler mit unterdrückter Wuth." —

tet ein,

unterbricht ihn

„Hal­

der Greis seiner

Seits mit heiligem Eifer,

haltet ein!

ihr

seid im Begriff Gott zu lästern." Der furchtbare

Mann

vermochte

der

Stimme des

Dieners

widerstehen;

seine

der Kirch« nicht zu

unbezwinglich«

Seele

beugte sich vor dem mächtigen Einflusi der Tugend

der Zorn

und in

Frömmigkeit.

Er schweigt,

seinem Blicke

ist

— „Mein Sohn, mit sanfter

Stimm«

erloschen;

spricht der Pfarrer und

der

innigste»

Theilnahme,

ihr

„Verwundet!

erwiedert der Einsiedler mit

ungewissem Tone,

seid

verwundet?"



als wenn er die Bedeu»

tung dieses Worts zu verstehen suchte; ver­

wundet!... was liegt daran!"

— „Laßt mich eure Wunden verbinden."—

„Meine Wunden, spricht der Einsiedler und legt die Hand aufs Herz, sind unheilbar."

Er ging einige Schritte um sich zu «nt-

fernen: Anselmus hält ihn auf. —

„Edler

Retter meines Konrads! verlaßt mich noch nicht; gewährt mir die Ditte, ein Nachtla­

ger bei mir anzunehmen, und einiger Ruhr

unter diesem gastlichen Dach zu genießen." Der Greis sagte dieß mit bittender Stimme.

— „Nein, erwiedert der Einsiedler, ich

will zu meiner Felsenhöle zurück,

dort nur

werde ich Ruhe finden unter den Steinen

meiner Geister. — „Verirrte Seele!

ruft der Priester

mit Schmerz aus; meine Tröstungen. —

— „Habe ich deren von euch verlangt? unterbricht ihn der unbeugsame Sterbliche mit Hoheit.

erwarte sie weder von

Ich

Gott noch von den Menschen.

Kehret zu

Konrad eurem Sohn zurück." — »Zeder Unglückliche ist mein Sohn,

antwortet Anselmus mitLebhaftigkeit. Mann, über und unter der

Menschheit

zugleich!

welche Sprache wagt ihr zu führen!"

Bet diesen Worten, ganz wieder zu sich

selbst gekommen, Tone,

sagt

der

Deine Meinung

bekannt.

ruhig und mit feierlichem Einsiedler:

„Anselmus!

über mich war mir längst

Verkündiger

des

Evangeliums,

sei weniger streng, sei liebevoller in deinem Urtheil!

der Schein täuscht.

Die Nacht

des Geheimnisses verhüllt nicht immer das

Verbrechen; und wäre ich auch so strafbar.

als ich unglücklich bin, so bedenke, daß die

letzten Worte

Priester des

Worte der Verzeihung waren. barmherzigen

Mensche»

des Erlösers der

die

Gottes,

Absicht

deiner

Sendung unter den Menschen ist loszuspre­

chen und nicht zu verdammen. Nach Endigung

Jäger des

dieser

schon

Gebirges

Worte

weit

ist

der

von

der

Priesterwohnung entfernt.

Glanzend und strahlend war die Mor­ genröthe angebrochen, und jagte die Schat­

ten der Nacht vor sich her. in der Abtei,

und

Maxzelline ist

bei der Waise eingetrr-

ten, ruft sie ihr sogleich entgegen: „Konrad

ist hier; eben ist er noch gerettet."

Die Zungfrau von Unterlachen betrach­ tet

sie

Erstaunen,

mit

und

Marzellin«

fährt fort:

— „Konrad hatte die Gräfin von Zm-

berg getroffen.

Mit ihrer Antwort und ei­

nigen Geschenken

kehrte

er

zur

für

Anselmus

Priesterwohnung

beladen, zurück:

aber unterwegs hatte der Unbesonnene die

köstlichen Gaben blicken lassen,

welche er

trug; und diese Nacht warteten seine Mör­ der nahe beim Strom.

Bon

umringt,

Straßenräubern

stößt

Ansetyrs Neffe ein durchdringendes Geschrei

aus.

Da erscheint plötzlich der Held als

Richter des Herrn.

mit einer zer-

Allein,

Keule

schmekternden

bewaffnet,

wirft

er

alles zu Boden, erschlägt den Anführer und fet»»e Raubgesellen.

Ein einziger nur ent­

geht seinen Streichen;

der Verräther rächt

er stürzt Konraden in

stch stirhend,

den

Strom. Verwundet und von Todten hat der

Einssebler

keine Feinde

bekämpfen, aber er bemerkt, Zögling verschwunden ist. Schlachtopfers

schwimmen

mehr zu

Anselms

Die Kleider des über dem

Ge­

der Sieger wirft stch

wässer des Stromes, in die Fluthen,

daß

umgeben,

und

zum zweitenmal ist

Konrad gerettet. Belastet,

terliegt

er

blutend seinen

und erschöpft,

Leiden?

Nein.

un­

So

viel noch Leben in ihm ist,

Unglücklichen.

Der

gehört es den

Geist

göttliche

des

Wildberges trägt eine ganze Stunde weit

den nassen starren Körper des jungen Kon­ rads,

erhält seinen

und Vater Anselmus

Pflegesohn wieder." — „Aber der Einsiedler ist verwundet!"

ruft die geängstigte Waise aus. — Wunde ist

leicht,

antwortet

„Seine

Marzellin«.

„3ft er bei Anselmus geblieben?"

„Der

strahlende Adler bewohnt nur die Wolken." Der Pfarrer des Weilers war so eben

im

Kloster

angekommen.

Marzellinen und

sprach er,

Gräfin Jmberg.

verließ

flog ihm entgegen.

selm hielt ein Papier „Hier, ist,

Elodie

in

An­

der Hand. —

ein Dries von der

Morgen

werdet ihr sie

hier sehen." — „Schon! erwiederte Elodie.

O mein

Vater! werde ich das Thal von Ünterlachen verlassen müssen?" — „Ich kenne die Absichten eurer De-

schützen» nicht, geliebte Tochter! Sind wir Herren unseres Schicksals?" Die Waise las den Brief der Gräfin, welche lebhaften Antheil an ihr zu nehmen schien. Ihre Ausdrücke sind liebevoll, sie kündigt ihre Ankunft im Kloster an; und ihre Absichten scheinen eben so edel als wohlthätig. — „Ihr sprecht mir nicht von Konrad? den? sagte Elodie nach einigem Schwei­ gen. — „Er ist außer Gefahr, antwort tete Anselmus." — „Hat er euch die Umstande seines schrecklichen Abentheuers erzählt?" — „Gewiß; und der Muth des Krie­ gers, dem er sein Leben verdankt, kommt ihm nicht aus dem Sinn. Seine Begei­ sterung ist seiner Dankbarkeit gleich." — „Ihr habt ihn gesehen? nahm die Waise wieder verlegen das Wort." — „Wen? — den Einsiedler? antwor­ tete Anselm; er hat sich nur einen Augen­ blick meinen Augen gezeigt."



Ȁhr

habt ihn

gesprochen?"



„Er hat sich schnell dem Danke entzogen,

welchen ich seinem Heldenmuth so gern be­ wiesen hätte.

Aber er hat mich vergeblich

geflohen, denn Konrads großmüthiger Ret­ ter wird

meiner

Erinnerung ewig

wärtrg bleiben." —

gegen-

„Und dennoch ist der

großmüthige Retter Konrads das Ziel arg­ wöhnischen Hasses,

dung!" —

das Ziel der Verläum-

„Meine Tochter,

antwortete

Anselmus, laßt uns ein heiliges Stillschwei­

gen über diesen außerordentlichen Menschen beobachten.

Gott allein vermag ihn zu be­

greifen, Gott allein kann über ihn richten." Nach diesen Worten das Gespräch ver­ ändernd,

berieth der Priester von Unterla­

chen mit Elodien

die Vorbereitungen

für

die Ankunft der edlen Verwandtin Herstalls.

Durch ihren Reichthum

und Rang

an die

Genüsse des Lebens gewöhnt, wird die Grä­ fin Zmberg nur Entbehrungen im Kloster fin­

den;

in den

Gebäudes

Gemächer»

des

herrscht kein Luxus.

Gothischen Indessen

wünscht Saint Maurs Tochter,

daß der

Aufenthalt ihrer Kindheit, ihrer Beschützerin einige Reitze bieten möge, welche sich vielleicht

alsdann dazu verstehen würde, den Rest der schönen Zahrszeit hier zuzubringen.

Sie

das Znnere des

hat nichts versäumt, um Klosters zu verschönern.

Das alte HauS-

geräth ist verjüngt worden, und seine altvä, terische

mit

Staub

wird wieder sichtbar.

Vergoldung

bedeckte

Körbe voll wohlrie­

chender Blumen schmücken die weiten Säle der Abtei;

und

die Waise hat jetzt nur

noch zu erwarten und zu hoffen.

Der Morgen dämmerte schon in Osten; die friedlichen Bewohner des Thals lagen

noch in tiefem Schlaf, als ein verworrenes Getöse

Abtei

von

Wagen und Pferden in

vernommen

welche Mutterstelle

wurde.

bei

Die

der

Dame,

Elodien vertreten

soll, langte so eben an: eine zahlreiche Be­

gleitung folgt ihr;

Stallmeister, Edelkna­

ben und Krieger gehen ihr voraus: und in den weiten Höfen des Klosters herrscht auf

allen Seiten Unordnung, Lärm und Ver­

wirrung.

Elodie stieg

eilends

Treppe der Abtei hinab, Gräfin von Zmberg

die

große

und empfing die

unter

der Vorhalle.

Ein glänzendes Gefolge umgiebt die Dame, und an ihrer Seite befindet sich ein gewapp­

neter Ritter von

hohem

Adel.

edle Verwandtin

streckte

ihre

Herstalls Arme

der

Tochter Saint Maurs entgegen, drückte sie freundlich an ihre Brust und betrachtete sie

mit Bewunderung und Erstaunen.

Sch-nheit,

ihre Bescheidenheit,

Ihre

ihr Aus­

druck, ihre Anmuth, alles an ihr schien sie z» entzücken.

Liebenswürdige Elodie!

den Krieger vorstellend,

sagte sie, ihr

der

sie begleitete,

mein theuerster Freund, das Haupt eines

der erlauchtesten Häuser Deutschlands, Verbündete

der

der

ersten nordischen Mächte,

der Fürst von Palzo hat geruht mich selbst in diese mir,

len,

Berge

zu

begleiten.

einige Tage in

Er

versprach

der Abtei zu verwei­

und ich beeile mich,

meinen tapfern

Ehren-Ritter meiner angenommenen Nichte

zu empfehlen."

Die Waise verneigte sich tief vor dem Fürsten von Paljo,

dessen Blicke unabläs­

sig auf sie geheftet sind.

Die Gräfin Zm-

berg bejeugt ihre Zufriedenheit mit den Ge­

mächern,

welche für

Verbindlich

und

sie bereitet wurden.

liebevoll schien

sie

nicht

von dem düstern Anblick der weiten Galle­

rten erschreckt, welche sie zu durchgehen hat: sie tadelte keine Austheilung der Zimmer, beklagte

und

sich

trennte

über

sich

keine

Beschwerlichkeit,

nur mit Bedauern

von

Elodien, um einige Augenblicke auszuruhen.

Nun allein zurückgeblieben, überließ sich

die Jungfrau ihren Betrachtungen.

Die

Gräfin scheint wohlthätig, gefühlvoll, groß­

müthig,

und doch fühlt sich ihr Herz nicht

zu ihr hingezogen.

Die edle Anspruchlo-

sigkeit ihrer Reden steht in seltsamem Wi­

derspruch mit der Pracht, die sie umgiebt. Mit

welcher

ihres Freundes,

Aufzählung

der Ehrentitel

hat sie Elodien nicht den

---------------

205

Fürsten von Palzo vorgestellt! Zhr sanf­ ter wohlwollender Blick ist zugleich stolz herablassend, sie hatte Elodien ihre Nichte genannt, aber welche Ueberlegenheit lag nicht selbst in dem Ausdruck ihrer Zärt­ lichkeit. — „Ach Herstall! sagte die Waise zu sich selbst, ach ich fühle es wohl, sonst hatte ich hier einen Vater, jetzt habe ich nur noch eine Beschützerin. Die Gräfin, älter als Herstall bei sei­ nem Tode war, bewahrte noch einige Ueberreste von Schönheit. In jedem Zeitpunkt ihres Lebens hatte sie Bewunderung zu erre­ gen gewußt; in den Tagen ihrer Zugend aber war dieses Gefühl, das einzige, wel­ ches sie einzuflößen vermochte, nur die Qual ihres Daseyns geworden: denn eine Frau ist nicht schön um blos bewundert zu werden. Die Zahre zerstörten ihre Reihe; da sie der Liebe nicht hatte gebieten kön­ nen, so wollte sie jetzt die Meinung unter­ jochen. Zhr Vermögen erlaubte ihr äußer-

lichen Glanz, sie blendete die Menschen durch ihre Pracht und Freigebigkeit, und ihr Herz, welches nicht lieben konnte, hatte Muse und Fähigkeit gehabt die Herzen An­ derer auszuforschen: die gefühlvolle Seele ist immer verschleiert, das kalte Gemüth sieht alles entblößt. Die Gräfin verstand die Kunst der Verstellung und doch rühmte man ihre Auf­ richtigkeit. Scheinbar bemüht, ihre edlen und wohlthätigen Handlungen zu verbergen, traf sie auf eine geschickte Weise heimliche Veranstaltungen ihre Großmuth ausposau­ nen zu lassen. Sie war eines erhabenen Zuges fähig, aber sie mußte dabei gesehen werden. Ihr Wille verlangte unbedingte Gewährung und doch schien sie beständig sich ihrer ganzen Umgebung aufzuopfern. Sie rühmte sich eines Lebens, welches nie­ mals durch eine strafbare Verirrung befleckt worden war, wie alle dürftige Gemüther, welche ihre Thaten, wie ihre Worte abwie-

gen:

sie

nennen

Leere der Seele, Tiefe,

und seine Trockenheit, Tugend.

Die

Gräfin,

Welt nachfolgten,

Eitelkeiten der

alle

der

äußerlicher

von

sprach

Verhältnisse und

Pracht mit Verachtung;

Pflicht haben mich genöthigt, sagte fle, diese

schweren Ketten zu tragen.

Begierig nach

Gelegenheit, irgend Jemanden ihren Schutz angedeihen zu

nahm sie nicht den

lassen,

mindesten Antheil an dem Beschützten; allen Unglücklichen

zugethan,

selbst

einzigen;

eine

kannte sie keinen

Gebieterin,

strenge

donnerte sie gegen die Tirannei; ehrgeitzig, rühmte

sie

unaufhörlich das

dunkeln Daseyns;

Glück eines

mit Demuth

prahlend,

bezog sie alles auf den Himmel und glaubte

nut an irdische Dinge; übrigens, edel in ihrer äußern Erscheinung, anmuthig in ihren

Bewegungen,

freundlich in

ihren Reden,

war sie der Abgott der Menge und

das

Orakel ihrer zahlreichen Bewunderer. Der Fürst von Palzo hatte das reifere

Lebensalter erreicht.

Er trug einen berühm-

ten Namen, war Feldoberster im Dienst des

Herzogs von Lothringen,

licher Güter

Besitzer unermeß­

murrte

und

doch

unablässig

über das ihm ungünstige Glück.

Listig und

treulos, dreist und feig wie er war, strebte

er nach der höchsten Gewalt, und arbeitete daran, durch dunkle Anschläge seinen Herr­

scher

zu

entthronen.

Als

ein

geschickter

Aufwiegler besaß er die Kunst, den Leiden­

schaften der Menge zu schmeicheln, die un­

zufriedenen

Gemüther

zu

Zwietracht zu unterhalten

auSzubreiten.

erbittern,

und

den

die

Haß

Er war ein geübter Redner

und verstand als solcher, das glänzende Blend­

werk

kühner Bilder

gewagter

Ausdrücke;

besser als er,

die

Augen des Volks zu blenden und in

sei­

endlich wußte niemand

nen Gesprächen die Zauberworte: Unabhän­ gigkeit und Freiheit hinzuwerfen. Niemals hatte sich der Fürst von Palzo weder durch seine Gestalt noch durch Schön­

heit ausgezeichnet; regelmäßig

und

aber seine Züge waren

seine Haltung würdevoll.

Den Augen des tiefern Beobachters verkün­ digte sein verächtliche- Lächeln, seine strenge Stirn, sein spöttischer Blick, den hochmü» thigen Mann, welcher den Menschen auS Ehrgeitz gebietet und sie aus Grundsatz verachtet. Der Grundton seines Wesens wel­ ches überhaupt nur durch die Sinne gerührt wurde, hatte stets nur trügerische Klänge von sich gegeben, zuweilen auffallende aber immer falsche, zuweilen kräftige aber nie­ mals erhabene. Eine glänzende Erziehung war an ihm wie das Licht über die Pflanzen hingegan­ gen; sie hatte seinem Wesen Farben gelie­ hen, ohne etwas an seiner Natur zu än­ dern. Wenn es seine Absichten erheischten, war er am Hofe geschmeidig, und gegen Geringere herablassend. Um in einen Pal­ last zu gelangen, besann er sich nicht lange, hinein zu kriechen, wenn er nur Jn den Augen des Volks als Riese daraus hervor­ treten konnte. Zügellos in der Liebe, und sich der Heftigkeit der ersten Bewegung L 14

überlassend, glich er dem Schiffsführer, welcher die Segel während dem Sturme aufziehet; dagegen war er klug und ver­ steckt in der Politik, erregte oder besänf­ tigte die Gewitter, als wenn er die Ele­ mente beherrschte. Oesters verschwenderisch ohne Großmuth; wohlthätig ohne Gerech­ tigkeit, zeigte er sich edel und galt dafür. Don der Oberfläche seiner Seel« schien die Tugend einige Düfte auszuhauchen, wie sich am Rand eines Gefäßes aus verdorbe­ nem Wasser Blumen erheben können. Ludwig XL König von Frankreich hatte den Fürsten von Palzo bemerkt: ein solcher Mensch paßte vollkommen zu seinen politi­ schen Absichten. Die Empörungen der Nach­ barstaaten hatten stets sein Königreich ver­ größert. Scheinbar den wankenden Thro­ nen zu Hülfe eilend, vollendete er ihren Umsturz. Er wußte sich auf Trümtnern zu erheben und sich auf Zerstörungen zu befestigen. Viele Mißvergnügte bewegten sich in

'

211

Nancy, die Anhänger Karls barchten

den

des Kühnen

glänzenden Hof des Erobe-

rerS in Erinnerung.

Einige Krieger beklag­

ten den Mann der Schlachten, und einige

ihre ver­

in Ungnade gefallene Angestellte

lorenen Aemter.

Die Ehrgeitzigen bewaff­

neten die Leidenschaften,

und

Aufwiegler

steten Unruhen aus. Ludwig XL im Krieg mit Rene und schon Herreiner seiner Provinzen, zündete das

Feuer der Zwietracht in Nancy an.

Ge­

heime Unterhandlungen hatten sich zwischen

Ministern

seinen Palzo

und

dem

Fürsten

Eine

angesponnen.

ausgebreitete

Verschwörung ist im Werk.

her greifen Ludwigs

von

Don Westen

Truppen Lothringen

an, auf der Süd-Seite, nahe beim Mut­

ter-See erwartet eine drohende, von Frank­ reich

unterhaltene

Partey

ehrgeiziger

Anführer, um aufzustecken

Das

Gold

und

hier

versammelte

Lothringer

nur einen

die Fahne der Empörung

und auf Nancy

der

Verräthrr

einzurücken. hat

heimlich

ganze Haufen von Bergbewohnern besoldet.

Zhr Führer ist gewählt, von Palzo.

Er begiebt sich nach Helvetien,

wo ihn zahlreiche

Verschworn« erwarten;

aus wird das Gewitter

und von Murten losbrechen

es ist der Fürst

welches

Sobald die Fahne

Ren«

vernichten

des Aufruhrs

soll.

an

der

schweizerischen Gränze aufgepflanzt ist, stri«

men in Menge

die

Mißvergnügten

von

Nancy, die Feinde des Herzogs von Lothrin­ gen, die Schwärmer der Freiheit, die ehe­

maligen Bewunderer Karls des Kühnen zu dem Kern der Empörung.

Ludwig wird

sich zu ihrem Empfang gegen Epinal ziehen, wo sich das ganze Heer versammeln soll. Der Herzog von Lothringen wird von allen

Seiten angegriffen werden; und die Unter­ händler des Königs von Frankreich

lassen

den Fürsten von Palzo die Herrschaft einer Provinz hoffen.

Die Abreise der Gräfin Zmberg Nach der Abtei von Unterlachen unterstützte die Plane des Insurgenten-Anführers.

Unter

dem Vorwand eine Freundin zu begleiten, hat er den Lothringischen Hof verlassen, ist

nach Murten abgereist,

und vom Kloster

aus, wo er wie vergraben ist,

Verräther

der

die Empörer.

bewaffnet

Alle seine

Plane sind geschmiedet; die Gräfin Zmberg

kennt sie alle, und der niederträchtige An­ schlag säumt nicht auszubrechen. .

Welche Veränderung im Kloster! die ehe­ dem so einsamen Höfe bevölkern jetzt eine Menge von Dienern.

flattern auf

stehen

den

Wappen,

Zinnen,

Paniere

Schildwachen

vor allen Eingängen des alterthüm-

lichen Gebäudes; junge Edelknaben reiten

muthige Rosse zu;

Waldhörner,

und Pauken erschallen des Tages.

zu allen

Pfeifen

Stunden

Die Trommel wirbelt,

die

Trompete tönt: eine kriegerische Begleitung war dem Fürsten gefolgt; er mustert sein«

Schaar, prüft ihre Waffen, übt ihren Muth; er versammelt sie,

redet sie an: alles ist

Bewegung, Unruhe, Tumult in der Abtei.;

und das friedliche Kloster ist

eine kriege­

rische Veste geworden.

Die schüchterne Zungfrau von Unterla­

chen versteht nichts von all den neuen Auf­

tritten, welche sich ihren Blicken darbieten. Was konnten die nächtlichen

Versammlun­

gen, welche sie seit der Ankunft des Fürsten bemerkte,

was

diese

Vorbereitungen

zu

Kämpfen, diese nach allen Richtungen auS-

gesandten henden

Eilboten

und die vielen

Briefschaften zu

Und wozu

bedeuten

einge­

haben?

diese in den untern Sälen des

Hauptthurms heimlich angehäufte Waffen­

masse, die verborgenen Ausgänge des Prin­

zen zu allen Stunden der Nacht und die Verkleidungen seiner

Kundschafter?

gehören die rauhen Stimmen,

Wem

welche oft

während der Nachtzeit in den unterirdischen

Gewölben des Klosters wiederhallen? Alles

schreckt die zitternde Elodie, die irgend ein außerordentliches, schreckliches Ereigniß ahnet. Der Fürst von Palzo hatte die Waise

nicht ohne Bewunderung erblickt: er konnte

sie nicht kennen, ohne den Wunsch zu hegen

Von seinen stolzen

sich laut ausgesprochen.

Hoffnungen

hatte

seine Leidenschaft

sie zu verführen;

beleidigt, erschreckt

von seiner

kühnen Sprache, flüchtete sich Saint MaurS Tochter zu der Gräfin und

nicht,

wagte

sich einen Augenblick von ihr zu entfernen'

Elodiens

Lage

war

schrecklich.

Dem

Vater Anselmus war der Eintritt ins Klo­ ster von dem Fürsten, welcher seinen Einfluß

fürchtete,

untersagt

Die Waise

worden.

wagt nicht die Grenzen der von Palzos Tra­ banten bewachten Abtei zu überschreiten.

Ue-

berall folgt der Fürst ihren Schritten; seine

Liebe kennt keine Zurückhaltung, seine Lei­

denschaft

keinen

Zügel

unglückliche Gefangene eines

ehrgeihtgen

und

mehr,

ist in

der Gewalt

und verworfenen

schen, über welchen die Ehre,

die

Men­

Gerechtigkeit

und Tugend niemals Gewalt gehabt hatten.

Elodiens einzige Hoffnung ist auf ihre

Beschützerin beschränkt, aber die Gräfin ist dem

unternehmende»

Anführer

ergeben.

dessen Stirn

fit

geschmückt sieht.

schon

einer Krone

mit

Der Fürst schilderte ihr

seine Leidenschaft für Elodien,

er bat sie

um die Hand ihrer angenommenen Nichte. Ihre Nichte würde also eines Tages Regen­

tin werden! konnte die Gräfin einen Au­ genblick anstehen Palzo's Wünsche zu erfül­

len!

Von

dem

Anerbieten

des

Fürsten

geschmeichelt, welcher durch die Liebe hinge­

rissen die Ungleichheit der Verbindung zu

vergessen geruhte,

hatte sie ihm zugeschwo­

ren, daß die Waise seine Gemahlin werden würde,

waren bereits

und seine Befehle

um die ersehnte Vermählung so

gegeben,

bald als möglich vollziehen zu können. Fest in

heftig in

ihren Entschlüssen',

ihrem Willen,

aber ihr geheimes Denken

immer durch eine trügerische Außenseite ver­

schleiernd,

ließ die Gräfin eines Morgens

ihre Nichte zu

sich rufen.

Nie hatte ihre

Stimme zärtlicher geklungen, Lächeln

anmuthiger

niemals ihr

geschienen;

ihre Art einschmeichelnder.

nie

war

Nach einer prunkvollen Aufzählung der Ehrentitel und Besitzungen des Fürsten von

Palzo, nach einer umständlichen Erzählung der Großthaten seines Lebens,

langen Lobrede

nach einer

seiner Tugend und Wohl­

unterrichtete sie die Gräfin von

thätigkeit,

den schmeichelhaften Anträgen, deren er sie

gewürdigt habe.

Mit

ihrer gewöhnlichen

Beredsamkeit wußte sie die glanzenden Vor­ theile

dieser

herauszuheben;

vorgeschlagenen

Verbindung

sie schilderte mit Begeiste­

rung die leidenschaftliche Liebe des Fürsten,

und die innige Ueberzeugung, daß Elodie

glücklich werden wird,

scheint das einzige

Gefühl, welches sie zu Gunsten des erlauch­ ten Kriegers gestimmt hat. —

„Liebliches Kind, schloß sie ihre Rede, folget dem Fürsten von Palzo zum Altare:

Liebe, Ehre,

Schätze und Ruhm werden

euer Daseyn verherrlichen.

Wie segne ich

den Himmel, daß er mich hteher führte, um so das Glück einer gründen.

verlassenen

Waise zu

Mächtig durch eure Reichthümer

werdet

ihr

Freude

und

euren Rang,

durch

unter

Ueberfluß

alle Hütten Unterlachens bringen;

mächtig

werdet ihr der Stolz

und die Stütze eures Hauses seyn; mächtig

durch eure Reitze, werdet ihr die Zierde des

Lothringischen Hofes werden; mächtig durch

eure Tugenden, werdet ihr dort die reinen Sitten

Ahnen

unserer

zurückführen.

O,

theure Elodie! wer weiß, ob euch nicht der

Ewige, vermittelst- des Helden, welcher euch anbetet, noch zu höherer Bestimmung ruft, ob er euch nicht eine Krone bereitet!"

Aber so listig auch diese Rede war, ver­ mochte

die Gräfin Zmberg dennoch

Elodiens Seele wankend zu machen:

nicht kein

Gemälde konnte sie entzücken, kein Anerbie­

ten blenden.

Die,

Muth gehabt hatte,

unlängst

welche

den

der reinen großmüthi­

gen Liebe, den rührenden Bitten des schö­ nen

und

edlen

Eckberts

zu

widerstehen,

konnte sie wohl durch die prunkende Her­ nennung der Titel und Reichthümer eines

Ehrgeizigen verführt werden!

Ruhig ohne

Kälte,

fest ohne Dreistigkeit,

erhob sich

Saint Maurs Tochter, und antwortete mit

diesen Worten: „Zch

Frau,

das

kenne

Loos nicht,

gnädige

welches mir der Himmel bestimmt;

abereine Krone ist es nicht, wonach ich trachte; der Glanz scheint mir nicht das Glück. Zn der Dunkelheit erzogen, halte ich mich nicht

zu irdischer Hoheit berufen;

und der klö­

sterliche Schleier würde sich besser für meine Stirne schicken,

als

eine

Herrscherkrone.

Nie werde ich die Berge Helvetiens

ver­

lassen ; der lehte Wille meiner Mutter macht

es mir zum Gesetz.

Erzeugt mir also die

Gnade, die ehrenvolle Vermählung abzuleh­

nen die mir angetragen wurde.

Dankbar­

keit ist die einzige Empfindung, welche der Fürst von Palzo

von Elodien

zu

erwar­

ten hat."

So sprach sie und entfernte sich.

vor Erstaunen

verwirrte Gräfin

Die

versuchte

umsonst sie zurückzuhalten; aber nichts ver­

mochte dennoch den Entschluß der Freundin

Palzo'S zu ändern.

Zu

listig, um ihren

hütete sie sich,

Zorn durchblicken zu lassen,

durch Gewalt ein Gemüth aufzuregen, des­

sen Stärke sie bemerkte.

Die Gräfin hatte

wohl widerspenstigere Geister zu bezwingen

gewußt, die Probe der Sanftmuth soll dem

Versuch

der

vorangehen.

Gewalt

Feste,

Huldigungen, Vergnügen und Schmeichelei

belagern jetzt

das Herz

der Waise,

legen ihr Fallstricke von allen Seiten. die Verführung

hat

tausenderlei

und

Ach!

Waffen,

und die Unschuld keine andere als sich selbst.

Die Stunde der Mahlzeit schlug: Elo-

die begab

sich

zur

Gräfin

Jmberg;

sie

machte sich auf ihre Vorwürfe, ihren Zorn, ihre Entrüstung gefaßt;

lich

aber unerschütter­

in ihrer Weigerung

und entschlossen

dem Ungewitter zu trotzen, verbarg sie ihre Verwirrung und ihren Schmerz unter einer

ruhigen und heitern Stirn. Ein liebenswürdiges Lächeln der Gräfin empfing

die Jungfrau

Ihr liebkosender

von

Unterlachen.

Blick suchte den

ihrigen

Zärtlichkeit.

mit

Kein

Vorwurf,

keine

Klage ging über ihre Lippen.

Sie schien

nur von

ihre junge

gequält,

der Furcht

Freundin betrübt zu haben.

einer,

find die

unruhigen

Tochter,

Glück

über

Ihre Ausdrücke

das Schicksal ihrer

und

nur

Mutter.

beschäftigten

mit

deren

Der

Fürst

von Palzo, eben so zärtlich aber ehrerbieti­ ger, hörte auf,

Elodien mit jener beleidi­

genden Vertraulichkeit anzureden, welche der wahren Liebe fremd ist.

Seine Aufmerk­

samkeiten sind zart, seine Blicke schmeicheHrd,

seine Worte zurückhaltend. Waise

fürchten,

Die schüchterne

Gegenwart nicht

darf seine

mehr

und schon oft hat fich ihr Blick

dankend zu ihrer Beschützerin gewendet.

Es ward Nacht. gekehrt,

Zn ihre Zelle zurück­

am Fenster sitzend und wenig zur

Ruhe geneigt, überließ sich Saint Maur-

Tochter

ihren

Betrachtungen,

Herstalln zurück,

fließen.

rüste

sich

und fühlte ihre Thränen

Sonst bewohnte sie allein mit ihm

da- Kloster,

und

dieses Kloster

war für

Elodien mit geliebten Wesen erfüllt. Jetzt birgt diese alterthümliche Behausung zahl­ reiche Schaaren in ihrem Innern, und die­ ser Aufenthalt ist für sie nur eine Einöde. Auf den entfernten Gipfeln der Berge irren alle ihre Gedanken, verseht sich ihr ganze« Daseyn hin; die kahlen Felsenklippen von Murten stellen sich ihren Blicken wie bezau­ bert dar. Ach! um den Erdkreis zu bele­ ben, um die Natur durch ein magische« Glas zu betrachten, was bedarf der Mensch unter den Menschen? ein Herz, welches da« seintge versteht. Nur der Gefühllose ist der wirklich Vereinzelte; nur der Vergessene der wahrhaft Verbannte. Die Stunden fliehen. Mit einem Mal sieht Elodie auf einem der Felsen, welche das Thal beherrschen, eine sonderbare Flamme sich erheben. Sie glänzt einen Augenblick und verlischt. Sogleich entzün­ det sich auf dem Gipfel des entgegengesetz­ ten Berges ein ähnliches Feuer, welches gleichfalls verschwindet. Ls sind Zeichen,

22Z

di«

sich antworten:

des Fußsteiges,

der

längs

welcher

zur

Wendung

Drücke

deS

Stromes führt, erblickt sie einen zahlreichen

Haufen bewaffneter Landleute, die sich eiligst

in die Wälder vertiefen.

diese

dunklen

Oberhaupt

versammelt

Horden?...

Wo bilden sich

Zusammenkünfte?

diese

Welches

ungeregelten

Die bestürzte Waise,

welche

nun nicht mehr zu schlummern vermochte, beobachtete, an das Gitter ihres Fensters gelehnt,

unablässig die sonderbaren Bewe­

gungen, welche auf den Höhen um das Thal zu bemerken sind,

und

die nächtlichen Zei«

chen, die von einer Entfernung zur andern

sich

rings

um

das

Kloster

wiederholen.

Kaum war noch ein Schein der Morgen­ dämmerung angebrochen, als ein tumultua-

rtscher Lärm von Stimmen und Waffen und Pferden Elodiens Ohr berührte.

Sollten

neue Fremde im Kloster ankommen? Sind

es Eilboten,

die

der Fürst empfängt oder

abschickt, oder drohet der Gegend Gefahr?

Leise öffnet die Waise die Thür ihrer Zelle,

durcheilt den langen Klostergang und wirst aus einem der hohen Fenster gegen die Mittagsseite einen schnellen Blick in den großen Hof der Abtei. Vom Kopf bis zu den Füße» gewapp­ net bestieg der Fürst von Palzo ein wüthi­ ges Roß, bedeckte seinen Waffenrock und den blanken stählernen Harnisch mit einem violetten Mantel, und nahm von seinem schwarzen Helm den weißen Busch herabEr hatte keine Feldbinde um seinen Leib, und keine Abzeichen auf seiner Brust. Er ließ das Vister herab, und sprengte finster wie eine Herbstnacht, von einigen eben so geheimnißvollen Kriegern wie ihr Herr, begleitet, aus dem Gitterthor der Abtei. WaS sollte Elodie aus Palzo's unge­ wöhnlichem Betragen schließen? ES bleibt ihr kein Zweifel, daß nicht ein großes Un­ ternehmen die Gedanken dieses Fürsten beschäftige. Aber ein finsterer Anschlag muß strafbar seyn. Diese nächtlichen Ritte, diese Verkleidungen, diese Zeichen, diese Der-

sammlungen, dieser Briefwechsel, alles zeigt geheime entsetzliche Ränke, dumpfe bösartige Anschläge an. Ein Ungewitter jiehtsich zusam­ men und soll sich von Unterlachen aus erhe­

ben, aber an welchem Orte,

über welchen

Häuptern wird seine finstere Wuth losbre­

daS

Wenn

chen?

Kloster

die

Herberge

irgend einer Verschwörung ist, kann viel­ dieser Blitzstrahl

leicht treffen.

Rache

Die

das Kloster

selbst

Himmels

wird

des

ohne Zweifel die Verrärher vertilgen, aber

das Thal kann der Schauplatz des Kam­

pfes und des Blutvergießens werden, und was wird dann

das Schicksal der sanften

Jungfrau von Unterlachen seyn!

Ahnungen kann

nicht

denn der Eintritt untersagt.

und

in

Sie

diesem

in

die

Abtei

Sie

fragen;

ist

ihm

Augenblick

allein,

ohne

Welchen Theil soll sie

Zu welcher Macht ihre Zuflucht

nehmen! —

I.

Seele.

um Rath

selbst ist eine Gefangene,

Stütze und Führer.

ergreifen!

ihre

erschrecken

Anselmus

Finstere

„Wenn ich das Feuerzeichen

15

auf dem Thurme anzündete! sagte sich heim­ lich die Jungfrau.

Wenn ich den Einsied­

ler herbeiriefe! —

Die Wachen des Für­

sten versagen zwar jedem Fremden den Ein­

gang ins Kloster; aber als kühner Krieger,

als Verzweiflungsvolker Liebender, wäre der

Bewohner

des

Wildberges

fähig,

allein

alle diese Söldlinge Palzos zu bekämpfen, um ihnen

Elodien

zu

entreißen.

Aber

ach!

vielleicht könnte er selbst der Menge unter­ liegen; und ich wäre dann die Ursache sei­

nes Todes." Dieser zurück. —

furchtbare

Gedanke

hält

sie

„Ich will noch warten, spricht

sie, vielleicht gebe ich mich blos eingebilde­

ten Schrecknissen hin:

die Gräfin Jmberg

behandelt mich wie ihre Tochter; der Fürst

hat sein Betragen gegen mich geändert; ich habe für den Augenblick nichts zu fürchten,

ich darf das Leben des Einsiedlers keiner Gefahr aussetzen. letzten

Nur im Augenblick der

Entscheidung,

in

den Tagen

der

Verzweiflung, werde ich das Feuerzeichen auf dem Thurm anzünden." Seit langer Zeit hatte Elodie aus Furcht dem Fürsten zu begegnen, nicht mehr gewagt in die Klostergärten hinabzugehen. Die Morgenröthe glänzte am Himmel; Palzo hatte sich aus dem Thal entfernt; furchtlos flog daher heute die Waise auf das länd­ liche Sommerhaus zu, welches schon Zeuge ihrer Kinderspiele war; und in den seligen Erinnerungen der Vergangenheit suchte sie ein augenblickliches Vergessen der Gegen­ wart. Der Pavillon beherrschte die Fluren von Unterlachen. Marzeline hakte Saint Maurs Tochter von weitem gesehen; sie läuft mit schnellen Schritten auf sie zu, die Thüre des Parks öffnet sich und Marzeline ist bei Elodie». — „Endlich sehe ich euch wieder! ruft die Sybilla des Weilers schwärmerisch aus. Welche Begebenheiten haben sich seit weni­ gen Tagen in »inserm entlegenen Kanton

22g

ereignet! Eine weissagende Stimme hat sich vom Cedron unseres Thales erhoben;

sonst war das Kloster unser Zion; jetzt ist das Verbrechen in dem Heiligthum; wehe, wehe dem Tempel!" — „O Himmel! was wollt ihr damit sagen?" fragte das erschreckte Mädchen. — „Weiße Taube, über eurem Haupte

schwebt der Raubvogel; er öffnet seine blu­ tigen Klauen. — Fliehet, wenn es noch Zeit dazu ist!" — „Wohin?" — „Auf

bas Gebirge: es ist dort keine unserer Hüt­ ten, die euch nicht einen sichern Zufluchts­ ort böte." — „Wer wird mich dort

beschützen?" — „Der Himmel! es bleibt uns nur noch seine Hülfe übrig. Das Ge­ stirn unserer Thäler ist unter den Wolken verschwunden. Hier ist kein Hafen mehr für die Schiffbrüchigen; kein Gedeon mehr um die Philister niederzuschmettern." — „Der Einsiedler hat also die Ge­ gend verlassen?" —

„Seit dem Tage wo

er Konraden rettete. —

Tochter Saint

-----------------

22y

MaurStitle ausgebreitete Verschwörung spinnt sich bet uns an. Die Hölen des Waldes wiederhallen von den Stimmen des Aufruhrs. Zch habe ausgeforscht, ich habe gelauscht, ich habe gehört; betrogene Landleute eilen zu den Waffen; Lothringen ist bedroht; Frankreich besoldet die Auf­ wiegler; der Fürst von Palzo ist ein VerrLther, und das Thal von Unterlachen eine Raubhöle. — Aber man könnten»- beob­ achten, ich verlasse euch — 0 schlummert nicht am Rande deS Abgrundes."